"L'Algérie, c'est la France": Die französische Nordafrikapolitik zwischen Anspruch und Realität (1946–1962) 9783515113533

"L'Algérie, c'est la France" – Als algerische Rebellen im November 1954 begannen, diesen seit 1848 g

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"L'Algérie, c'est la France": Die französische Nordafrikapolitik zwischen Anspruch und Realität (1946–1962)
 9783515113533

Table of contents :
DANKSAGUNG
INHALTSVERZEICHNIS
ABSTRACTS
EINLEITUNG
I. L’ALGERIE ET LA FRANCE: DIE PHASE BIS 1954
1. ALGERIEN ZWISCHEN ASSIMILATION UND AUTONOMIE
1.1 Von der Kolonialisierung bis zur ‚Libération‘
1.2 Die IV. Republik und das Statut von 1947
2. ERSTER UND ZWEITER ENTWICKLUNGSPLAN
2.1 Vorgeschichte
2.2 Konzeptionelle Ausrichtung der Entwicklungspläne
2.3 Finanzielle Dimension der Entwicklungspläne
II. „L’ALGERIE, C’EST LA FRANCE“: 1954 BIS 1958
1. DAS ENDE DER EINHEITLICHEN BETRACHTUNG NORDAFRIKAS
1.1 Krise in den Protektoraten
1.2 Der Ausbruch des Algerienkriegs
2. INTEGRATIONSBEREITSCHAFT UND POLITISCHE REFORMEN
2.1 Reaktionen auf den Krieg
2.2 Situation und Stimmung in Algerien
III. DIE ÖKONOMISCHE INTEGRATION 1954 BIS 1958
1. DER MASPÉTIOL-BERICHT UND SEINE FOLGEN
1.1 Primat der Ökonomie
1.2 Die finanzielle Opferbereitschaft
2. DIE (NEUE) ROLLE DER LANDWIRTSCHAFT
3. DIE WEINPOLITIK
4. DIE INDUSTRIALISIERUNG
5. ZWISCHEN SAND UND SCHWARZEM GOLD: DIE SAHARA
5.1 Erwartungen vor 1956
5.2 Wendepunkt 1956
IV. DER PREIS DES KRIEGES
1. DIE FINANZIELLE KRIEGSLAST
1.1 Verschleierungstaktik
1.2 Die offizielle und die tatsächliche Kriegslast
2. (POLITISCHE) OPPORTUNITÄTSKOSTEN IN MAROKKO UND TUNESIEN
2.1 Die Interdependenzpolitik
2.2 Der Einfluss des Algerienkriegs
3. NEBENKRIEGSSCHAUPLATZ SUEZKANAL
V. GRENZEN DER INTEGRATIONSPOLITIK
1. ÖKONOMISCHER ANTIKOLONIALISMUS
1.1 Wirtschaftliche Vernunft oder kapitalistischer Defätismus
1.2 Der Preis der Aufgabe Algeriens
2. EUROPA, (K)EINE ALTERNATIVE?
2.1 ‚Trentes Glorieuses‘ zwischen Protektionismus und Liberalisierung
2.2 Frankreichs (Um-)Weg nach Europa
VI. DIE V. REPUBLIK: ANFANG UND ENDE DER INTEGRATION
1. ALTER ANSPRUCH, NEUES ENGAGEMENT
1.1 Politische Reformen
1.2 ‚Perspectives décennales‘ – ‚Plan de Constantine‘
1.3 Schwächen des Plans
2. L’ALGERIE, CE N’EST PLUS LA FRANCE
2.1 Die Veträge von Évian
2.2 1954–1962: Acht verlorene Jahre?
FAZIT: ZWEIFACHES SCHEITERN DER NORDAFRIKAPOLITIK
ZUSAMMENFASSUNG DER ARBEIT
RÉSUMÉ DE L’ÉTUDE EN FRANÇAIS
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
1. UNGEDRUCKTE QUELLEN
1.1 Interviews
1.2 Archives nationales (AN)
1.3 Archives Nationales d’Outre-Mer (ANOM)
1.4 Centre historique des Sciences Po (CHSP)
1.5 Ministère des Affaires étrangères (MAE)
1.6 Ministère de la Défense nationale (MDN)
1.7 Ministère des Finances et de l’Économie (MFE)
1.8 Office Universitaire de Recherche Socialiste (OURS)
2. GEDRUCKTE QUELLEN
2.1 Offizielle Dokumente und Studien
2.2 Periodika
2.3 Monografien, Aufsätze, Bände
3. ELEKTRONISCHE QUELLEN
3.1 Online-Publikationen
3.2 Offizielle Statistiken und Informationen
3.3 Sonstige Online-Quellen
4. LITERATUR
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
PERSONENINDEX
BIOGRAFISCHES VERZEICHNIS

Citation preview

Valentin Katzer Geschichte

Studien zur modernen Geschichte – 61

Franz Steiner Verlag

« L’ Algérie, c’est la France » Die französische Nordafrikapolitik zwischen Anspruch und Realität (1946–1962)

Valentin Katzer « L’ Algérie, c’est la France »

studien zur modernen geschichte Herausgegeben von Gabriele Clemens, Markus Friedrich, Frank Golczewski, Ulrich Mücke, Angelika Schaser, Claudia Schnurmann und Jürgen Zimmerer Band 61

Valentin Katzer

« L’ Algérie, c’est la France » Die französische Nordafrikapolitik zwischen Anspruch und Realität (1946–1962)

Franz Steiner Verlag

Umschlagabbildung: Guerre d'Algérie. Visite de Charles de Gaulle (1890-1970) à Alger (Algérie). Le 4 juin 1958. © bpk / Maurice Zalewski / adoc-photos Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2016 Druck: docupoint magdeburg Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11353-3 (Print) ISBN 978-3-515-11354-0 (E-Book)

DANKSAGUNG Viele Menschen haben einen Beitrag zum erfolgreichen Abschluss meiner Promotion geleistet. Für die fachliche und persönliche Unterstützung möchte ich mich bei Euch und bei Ihnen recht herzlich bedanken! Mein besonderer Dank gilt Prof. Dr. Gabriele Clemens und Prof. Dr. Corine Defrance für die gute und unkomplizierte Betreuung meines Forschungsprojektes. Für ihre Mitwirkung als Gutachter und Prüfer danke ich Prof. Dr. Robert Frank, Prof. Dr. Monica Rüthers, Prof. Dr. Ulrich Pfeil, Prof. Dr. Olivier Feiertag und Prof. Wilfried Loth. Danken möchte ich auch Prof. Dr. Ulrich Moennig für die Unterstützung bei der Klärung formeller Fragen, die im Rahmen des CotutelleVerfahrens aufkamen. Für die hilfreichen Anregungen zu meiner Arbeit danke ich Prof. Dr. Jean-Paul Cahn und Prof. Dr. Hans-Joachim Braun. Ein herzliches Dankeschön geht an Prof. Dr. Alfred Grosser, Prof. Dr. Jean-François Eck und Ewald Leufgen für die offenen und sehr erkenntnisreichen Interviews. Der Konrad-Adenauer Stiftung danke ich für die ideelle und finanzielle Förderung, die mir als Stipendiat der Promotionsförderung zuteil wurde. Dankbar bin ich auch der Deutsch-Französischen Hochschule für die finanzielle Unterstützung der Disputation. Axel, Janina, Romina, David, Johannes, Nikolaus und Henner sei Dank für die Korrektur meines Manuskripts. Diana gebührt Dank für die grafische Unterstützung. Für sein stets offenes Ohr danke ich Torben. Ganz besonders herzlich möchte ich mich bei meiner Frau, meinen Eltern und meiner Familie bedanken. Ihr habt mir stets den Rücken frei gehalten und in allen Lebenslagen mit Rat und Tat zur Seite gestanden.

INHALTSVERZEICHNIS ABSTRACTS ................................................................................................. 11 EINLEITUNG ................................................................................................ 13 I. L’ALGERIE ET LA FRANCE: DIE PHASE BIS 1954............................. 33 1. Algerien zwischen Assimilation und Autonomie .................................. 33 1.1 Von der Kolonialisierung bis zur ‚Libération‘ ............................. 33 1.2 Die IV. Republik und das Statut von 1947 .................................. 38 2. Erster und Zweiter Entwicklungsplan .................................................... 47 2.1 Vorgeschichte............................................................................... 47 2.2 Konzeptionelle Ausrichtung der Entwicklungspläne ................... 56 2.3 Finanzielle Dimension der Entwicklungspläne............................ 65 II. „L’ALGERIE, C’EST LA FRANCE“: 1954 BIS 1958 ............................. 75 1. Das Ende der einheitlichen Betrachtung Nordafrikas ............................ 75 1.1 Krise in den Protektoraten............................................................ 75 1.2 Der Ausbruch des Algerienkriegs ................................................ 80 2. Integrationsbereitschaft und politische Reformen ................................. 85 2.1 Reaktionen auf den Krieg ............................................................ 86 2.2 Situation und Stimmung in Algerien ......................................... 100 III. DIE ÖKONOMISCHE INTEGRATION 1954 BIS 1958 ...................... 111 1. Der Maspétiol-Bericht und seine Folgen ............................................. 111 1.1 Primat der Ökonomie ................................................................. 111 1.2 Die finanzielle Opferbereitschaft ............................................... 112 2. Die (neue) Rolle der Landwirtschaft .................................................... 119 3. Die Weinpolitik .................................................................................... 129 4. Die Industrialisierung ........................................................................... 144 5. Zwischen Sand und schwarzem Gold: Die Sahara .............................. 158 5.1 Erwartungen vor 1956 ................................................................ 158 5.2 Wendepunkt 1956 ...................................................................... 160 IV. DER PREIS DES KRIEGES .................................................................. 180 1. Die finanzielle Kriegslast ..................................................................... 180 1.1 Verschleierungstaktik................................................................. 181 1.2 Die offizielle und die tatsächliche Kriegslast ............................ 188 2. (Politische) Opportunitätskosten in Marokko und Tunesien ............... 198 2.1 Die Interdependenzpolitik .......................................................... 198 2.2 Der Einfluss des Algerienkriegs ................................................ 210 3. Nebenkriegsschauplatz Suezkanal ....................................................... 225

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Inhaltsverzeichnis

V. GRENZEN DER INTEGRATIONSPOLITIK ........................................ 247 1. Ökonomischer Antikolonialismus........................................................ 247 1.1 Wirtschaftliche Vernunft oder kapitalistischer Defätismus ....... 247 1.2 Der Preis der Aufgabe Algeriens ............................................... 255 2. Europa, (k)eine Alternative? ................................................................ 267 2.1 ‚Trentes Glorieuses‘ zwischen Protektionismus und Liberalisierung ...................................................................... 267 2.2 Frankreichs (Um-)Weg nach Europa ......................................... 274 VI. DIE V. REPUBLIK: ANFANG UND ENDE DER INTEGRATION ... 279 1. Alter Anspruch, neues Engagement ..................................................... 279 1.1 Politische Reformen ................................................................... 279 1.2 ‚Perspectives décennales‘ – ‚Plan de Constantine‘ .................... 281 1.3 Schwächen des Plans ................................................................. 284 2. L’Algérie, ce n’est plus la France ........................................................ 296 2.1 Die Veträge von Évian ............................................................... 296 2.2 1954–1962: Acht verlorene Jahre? ............................................ 300 FAZIT: ZWEIFACHES SCHEITERN DER NORDAFRIKAPOLITIK ..... 311 ZUSAMMENFASSUNG DER ARBEIT ..................................................... 319 RÉSUMÉ DE L’ÉTUDE EN FRANÇAIS ................................................... 329 QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS........................................ 365 1. Ungedruckte Quellen ........................................................................... 365 1.1 Interviews ................................................................................... 365 1.2 Archives nationales (AN)........................................................... 365 1.3 Archives Nationales d’Outre-Mer (ANOM) .............................. 368 1.4 Centre historique des Sciences Po (CHSP) ................................ 375 1.5 Ministère des Affaires étrangères (MAE) .................................. 375 1.6 Ministère de la Défense nationale (MDN) ................................. 382 1.7 Ministère des Finances et de l’Économie (MFE)....................... 385 1.8 Office Universitaire de Recherche Socialiste (OURS) .............. 386 2. Gedruckte Quellen ............................................................................... 388 2.1 Offizielle Dokumente und Studien ............................................ 388 2.2 Periodika .................................................................................... 389 2.3 Monografien, Aufsätze, Bände .................................................. 390 3. Elektronische Quellen .......................................................................... 395 3.1 Online-Publikationen ................................................................. 395 3.2 Offizielle Statistiken und Informationen.................................... 396 3.3 Sonstige Online-Quellen ............................................................ 396 4. Literatur ................................................................................................ 398

Inhaltsverzeichnis

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ................................................................. 411 PERSONENINDEX ..................................................................................... 413 BIOGRAFISCHES VERZEICHNIS ............................................................ 417

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ABSTRACTS Die vorliegende Dissertation untersucht die Kohärenz der französischen Nordafrikapolitik vom Beginn der IV. Republik (1946–1958) bis zur Unabhängigkeit Algeriens 1962. Der Fokus liegt auf der sogenannten Integrationspolitik in Algerien. Ferner werden deren Einflüsse auf die französischen Beziehungen mit Marokko und Tunesien sowie auf die Suezkrise 1956 analysiert. Dabei geht es zum einen darum, die weitreichenden Ansprüche Frankreichs in der Region dem tatsächlichen politischen und ökonomischen Engagement gegenüberzustellen. Zum anderen wird die Plausibilität der offiziellen Ambitionen vor dem Hintergrund der regionalen, nationalen und internationalen Rahmenbedingungen überprüft. Damit verbunden sind die Fragen nach der Bereitschaft in Politik und Gesellschaft, die vielfältigen Konsequenzen der Nordafrikapolitik zu tragen, und nach alternativen Handlungsoptionen zu den getroffenen Entscheidungen. Darüber hinaus erforscht die Studie, wie aus der von großer Entschlossenheit geprägten Maxime der IV. Republik, Französisch-Algerien zu verteidigen, koste es, was es wolle, in der V. Republik eine dem Anschein nach nüchterne Abwägung von Kosten und Nutzen zugunsten der algerischen Unabhängigkeit im Jahr 1962 werden konnte. La présente thèse analyse la cohérence de la politique nord-africaine de la France sous la IVe République (1946–1958) jusqu’à l’indépendance de l’Algérie en 1962. Se focalisant sur la politique d’intégration en Algérie, l’auteur prend aussi en considération les imbrications entre la question algérienne et la politique de coopération au Maroc et en Tunisie ainsi qu’avec la crise de Suez en 1956. D’un côté, il s’agit de comparer les ambitions de la France au Maghreb avec l’engagement politique et économique concret. De l’autre, l’auteur analyse le bienfondé des exigences officielles face aux données régionales, nationales et internationales. L’étude examine si, en France comme en Afrique du Nord, il y a eu une motivation suffisamment grande pour accepter les conséquences multiples de la politique poursuivie et si des alternatives crédibles ont été proposées dans le débat contemporain. Globalement, l’auteur cherche à savoir comment la présumée détermination de la IVe République à défendre l’Algérie française, quoi qu’il en coûte, s’est transformée sous la Ve République en un calcul comptable des coûts qui, finalement, mène à l’indépendance de l’Algérie en 1962. The present thesis examines the coherence of France’s North Africa policy during the Fourth Republic (1946–1958) until Algeria’s independence in 1962. The author focuses on the economic dimension of the so called „integration policy“ in Algeria. Furthermore, its impacts on the French relations with Morocco and Tunisia as well as on the Suez Crisis in 1956 are being analyzed. On the one hand, the study compares France’s ambitious goals in the region with its actual political and economic commitment. On the other hand, it investigates the plausibility of these

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Abstracts

goals against the background of the local, national and international situation. The author verifies if politicians and citizens were willing to accept the multiple consequences of France’s political ambitions and if realistic alternatives were proposed in the discussion at that time. Moreover, the thesis offers an explanation why the presumed great determination of the Fourth Republic to keep French Algeria whatever the cost finally turned into a sober cost-benefit analysis in the Fifth Republic which led to Algerian independence in 1962.

EINLEITUNG „L’Algérie, c’est la France“1 – Vor 60 Jahren begann der für die algerische Unabhängigkeit eintretende ‚Front de Libération Nationale‘ (FLN) diesen formell seit 1848 gültigen Anspruch gewaltsam anzufechten2. Für die Mehrheit der Franzosen war es zu diesem Zeitpunkt unvorstellbar, dass den separatistischen Bestrebungen eines Tages nachgegeben und vom Credo der Unauflöslichkeit der frankoalgerischen Union abgerückt würde. Zwar war die Entkolonialisierung in Teilen des französischen Imperiums bereits in vollem Gange3. Indochina etwa wurde im Sommer 1954 nach acht Jahren Krieg in die Unabhängigkeit entlassen. Bei Algerien handelte es sich nach französischem Verständnis jedoch nicht (mehr) um eine Kolonie, sondern um einen integralen Bestandteil der unteilbaren Republik. Die algerischen Départements gehörten bereits länger zu Frankreich als ‚La Savoie‘ und ‚La Haute-Savoie‘4. Ferner machten vermeintlich vitale ökonomische und strategische Interessen Algerien in den Augen vieler Franzosen zu einem unverzichtbaren Glied der Französischen Union. Entsprechend entschlossen zeigten sich die politischen Entscheidungsträger nach Beginn der Rebellion im November 1954. Als Antwort verkündeten sie keine Aufweichung, sondern eine Festigung der franko-algerischen Beziehungen. Mit Hilfe der sogenannten Integrationspolitik, bestehend aus dem Dreigespann Reformen, Investitionen und Befriedung, sollten existierende politische und öko1

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„L’Algérie, c’est la France. […] Il n’y a qu’un seul Parlement et qu’une seule nation“. Mit dieser Aussage reagierte Innenminister François Mitterrand (UDSR) im November 1954 auf den Beginn des Aufstands. Journal officiel de la République française, Assemblée nationale (Infolge: JOAN), 12.11.1954, S. 4967. Der Lesbarkeit halber werden bei allen Zitaten durchgängig die deutschen Anführungszeichen gesetzt. Die Parteizugehörigkeiten der Abgeordneten werden abgekürzt angegeben und können im Abkürzungsverzeichnis eingesehen werden. Der Autor schließt sich der Konvention an, den FLN als Sammelbegriff für die algerische Unabhängigkeitsbewegung zu benutzen. Auf eine Unterscheidung zum bewaffneten Arm ‚Armée de Liberation Nationale‘ wird verzichtet, da sich daraus kein zusätzlicher Erkenntnisgewinn ergäbe. Zu den unterschiedlichen Tendenzen innerhalb des FLN und anderen am Unabhängigkeitskampf beteiligten Gruppierungen siehe: Meynier, Gilbert: Histoire intérieure du FLN (1954–1962), Fayard, Paris, 2002 und Harbi, Mohammed/Meynier, Gilbert: Le FLN. Documents et histoire, 1954–1962, Fayard, Paris, 2004. Dem FLN gelang es erst nach und nach, sich als unangefochtener Anführer der Bewegung und als Sprachrohr nach außen zu etablieren. In Algerien selbst wurde die Diversität des Widerstandes nach der Unabhängigkeit weitgehend verschwiegen, zugunsten einer Glorifizierung des FLN. Siehe hierzu: Simon, Jacques: Algérie. Le passé, L’Algérie française, La Révolution (1954–1958), L’Harmattan, Paris, 2007. Die Bezeichnungen ‚Empire‘, ‚Outre-Mer‘, ‚Union française‘ und ‚colonies‘ sowie ihre jeweiligen deutschen Entsprechungen werden gemäß dem zeitgenössischen Verständnis weitgehend synonym benutzt. Auf etwaige Besonderheiten wird an gegebener Stelle eingegangen. Französische und englische und Institutionen o.ä. werden mit ‚ ‘ markiert.

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Einleitung

nomische Ungleichheiten zur Metropole ausgeräumt werden5. Die Abgeordneten der Nationalversammlung bekundeten ihre Bereitschaft zu einer „beinahe unvernünftigen Anstrengung“ für die Rettung Französisch-Algeriens6. Umschreiben lässt sich diese mit großem rhetorischen Aufwand propagierte Ambition der Nordafrikapolitik mit der Parole: ‚L’Algérie, c’est la France, koste es, was es wolle‘. Sie sollte zu einer nationalen Mission erhoben werden, die sich unangreifbar machte „à toute critique et aucun argument de caractère rationnel ne peut prévaloir contre elle“7. „Ideologie vor Ökonomie“, so charakterisiert Alfred Grosser die offizielle französische Position8. Acht Jahre später vollzog Charles de Gaulle eine unerwartete und radikale Kurswende. Er entließ Algerien nach 132 Jahren französischer Souveränität in die Unabhängigkeit und führte als Begründung eine einfache Kalkulation an: „L’Algérie nous coûte, c’est le moins qu’on puisse dire, plus cher qu’elle ne nous rapporte“9. Obgleich zeitlich nahe beieinander liegend, könnte der Kontrast zwischen dem entschlossenen, ideologischen Anspruch der IV. Republik und dem nüchtern anmutenden ökonomischen Kalkül des ersten Präsidenten der V. Republik kaum größer sein. Wie aber lässt sich dieses Paradoxon erklären? Wie konnte aus der

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Im Gegensatz zum früher angewandten Konzept der Assimilation sollte die Integration den Algeriern die Bewahrung kultureller und religiöser Eigenheiten ermöglichen. Die Bezeichnungen Metropole und Hexagon werden im Folgenden synonym für das kontinentaleuropäische Frankreich ohne Überseegebiete verwendet. Lionel de Tinguy (MRP), Sprecher der Finanzkommission, in: JOAN, 08.03.1956, S. 751. Mit dieser Einschätzung gab Georges Bérard-Quélin, der einflussreiche Gründer des Clubs ‚Le Siècle‘ und Herausgeber der Zeitschrift ‚La Correspondance économique‘, nicht seine eigene Meinung, sondern die in den Reihen der Politik weitverbreitete Haltung zu Algerien wieder. Bérard-Quélin, Georges: Que coûtera l’Algérie après l’arrêt des hostilités?, in: La correspondance économique. Bulletin quotidien d’informations économiques et sociales, (24.10.1957), S. 17.386–17.390. Die Tatsache, dass sich der Artikel in den Archiven des Industrie- und des Finanzministeriums wiederfindet, belegt den Einfluss von Bérard-Quélin. (Vgl. MEF, B 0024875/1 und AN, F 12 11802). Weiterführend siehe: Martin-Fugier, Anne: „Le Siècle“ (1944–2004 Un exemple de sociabilité des élites, in: Vingtième Siècle, 81 (2004), S. 21–29. Artikel aus Periodika werden in der vorliegenden Arbeit auf zwei Arten angegeben: Beiträge aus wissenschaftlichen Zeitschriften werden standardmäßig zitiert. Ist eher die herausgebende Instanz von Bedeutung, wird diese vorangestellt. Interview des Autors mit Alfred Grosser, 10.02.2012, Paris. Aufnahme und Transkript im Besitz des Autors. Die Frage, ob sich die ökomischen Interessen einem übergeordneten politischen Ziel eines Landes unterzuordnen hatten oder eine umgekehrte Hierarchie galt, diskutierte der zeitgenössische schweizer Diplomat Alfred Zehnder im Jahr 1957 in einem allgemeinen Kontext. Zehnder, Alfred: I. Politique extérieure et politique extérieure du commerce, II. Politique extérieure et relations (= Publications de l’Institut universitaire de Hautes Études Internationales 27), Paris/Genf, 1957. Großbritanniens Überlegung eines freiwilligen Ausscheidens aus der Europäischen Union oder der vielfach angeregte Ausschluss wirtschaftsschwacher Staaten aus dem Euroraum drängen den Eindruck auf, das von Grosser beschriebene Verhältnis gelte in Europa heute mit umgekehrtem Vorzeichen. Charles de Gaulle auf einer Pressekonferenz am 11.04.1961. Vgl. Pervillé, Guy: Charles de Gaulle et l’indépendance de l’Algérie (1943–1962), 1976. Online publiziert: http://guy.perville.free.fr/spip/article.php3?id_article=136.

Einleitung

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Ankündigung, Französisch-Algerien um jeden Preis zu verteidigen, eine dem Anschein nach buchhalterische Kosten-Nutzen-Rechnung zugunsten der Unabhängigkeit werden? Verkannte de Gaulle Frankreichs elementare Interessen in der Region oder hatte umgekehrt die IV. Republik für etwas gekämpft, das sich als verzichtbar oder sogar inexistent erwies? Für die Klärung dieser Fragen ist die Untersuchung und Abwägung von Opportunitätskosten der getroffenen und alternativen politischen Entscheidungen von elementarer Bedeutung10. Die wenigen bislang vorgelegten Arbeiten hierüber verengten sich bisweilen auf eine Bilanzierung ökonomischer Lasten und Profite und führten teils widersprüchliche Resultate zutage. Zu seiner eigenen Überraschung gelangte Jacques Marseille am Ende einer Studie aus dem Jahr 1984 zu dem Ergebnis, dass die bis dahin gängige These der Profitabilität der Kolonien zweifelhaft sei11. Sein Schüler Daniel Lefeuvre vertiefte die Forschungen und legte 2003 ein umfassendes Werk zu den wirtschaftlichen Hintergründen FranzösischAlgeriens vor. Chère Algérie, an dieser Tatsache könne kein Zweifel bestehen12. Lefeuvres bereits zu Zeiten der IV. Republik und sogar davor vertretene These rief ein geteiltes Echo hervor, auch weil der Autor damit den Vorwurf der ökonomischen Ausbeutung Algeriens durch die Kolonialmacht Frankreich entkräftet sah13. Widerspruch kam etwa von Claude Liauzu, der für Frankreich „[des] profits 10 Der Begriff „Opportunitätskosten“ stammt aus den Wirtschaftswissenschaften. Nach Mankiw bezeichnen sie das, was aufgegeben werden muss, um etwas anderes zu erlangen. Mankiw, Gregory: Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart, 2001, S. 6. Da im Prinzip keine Politik oder Entscheidung alternativlos ist, sind stets Opportunitätskosten zu bedenken, die vielfältigster Art sein können. Ökonomische, politische und strategische Opportunitätskosten sind ebenso möglich wie moralische und andere. 11 Marseille sei bis dahin selbst davon überzeugt gewesen, „que les colonies avaient beaucoup rapporté à la France et que les guerres d’Indochine et d’Algérie s’expliquaient bien évidemment par la volonté de ce qu’on appelait à l’époque les trusts“. Marseille, Jacques: Empire colonial et capitalisme français. Histoire d’une divorce, Albin Michel, Paris, 2005 (1984), S. 23. Er veröffentlichte weitere Studien zu den ökonomischen Aspekten der Kolonien. Etwa: Une approche économique et financière de la décolonisation. L’évolution des bilans des entreprises coloniales, in: Les chemins de la décolonisation de l’empire colonial français, Colloque organisé par l’I.H.T.P. les 4 et 5 octobre 1984, hg. v. Ageron, Charles-Robert, CNRS, Paris, 1986, S. 165–171; La guerre a-t-elle eu lieu? Mythes et réalités du fardeau algérien, in: La guerre d’Algérie et les Français. Colloque de l’Institut d’histoire du temps présent, hg. v. Rioux, Jean-Pierre, Fayard, Paris, 1990, S. 281–288 und Les colonies, une bonne affaire?, in: Les Collections de l’Histoire, 11 (2001), S. 64. 12 Lefeuvre, Daniel: Chère Algérie. La France et sa colonie 1830–1962, Flammarion, Paris, 2005. Zuletzt erschienen 2013 die Ergebnisse eines internationalen Kolloquiums zur Entkolonialisierung. Fremigacci, Jean/Lefeuvre, Daniel/Michel, Marc (Hg.): Démontage d’empires, Éditions Riveneuve, Paris, 2013. Unter der Leitung Jacques Marseilles promovierte Daniel Lefeuvre 1994 zur Industrialisierung Algeriens. Lefeuvre, Daniel: L’industrialisation de l’Algérie 1930–1962. Échec d’une politique, Diss., Paris, 1994. 13 Lefeuvre, Daniel: Pour en finir avec la repentance coloniale, Flammarion, Paris, 2008. Zustimmung und Kritik aus Wissenschaft und Gesellschaft an Lefeuvres Thesen lassen sich etwa anhand des 2006 von Daniel Lefeuvre, Marc Michel und Michel Renard initiierten Blogs Études coloniales nachvollziehen, der von namhaften Forschern zum wissenschaftlichen Aus-

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Einleitung

immenses“ in den Kolonien errechnet14. Auch Catherine Coquery-Vidrovitch bezweifelt Lefeuvres Kalkulationen und bleibt insbesondere für die Zwischenkriegszeit bei ihrer Einschätzung, „le Maghreb allait à son tour remplir les caisses de l’État“ und „l’Afrique noire à son tour allait soutenir l’économie française“. In Richtung Lefeuvre erhebt sie den Vorwurf der reaktionären Geschichtsschreibung15. Ähnliche Tendenzen unterstellen Lefeuvre Sébastien Jahan und Alain Ruscio. Ihrer Einschätzung nach zielte die Kolonialpolitik alleine „à une meilleure rentabilité économique“16. Lefeuvre wiederum wirft seinen Kritikern vor, sich den Fakten und somit einer objektiven Untersuchung der Kolonialgeschichte zu verschließen17. Bisweilen war die Kontroverse von großer Polemik geprägt, ohne dass die wissenschaftliche Diskussion um neue Erkenntnisse oder Perspektiven bereichert worden wäre. Angesichts der Gegensätzlichkeit der Positionen gibt es offenkundig Klärungsbedarf in dieser Frage, dem sich die vorliegende Arbeit annimmt. Es gilt zu bedenken, dass mikroökonomische Profite keine positive makroökonomische Bilanz garantierten. Umgekehrt schlossen hohe öffentliche Ausgaben in den Kolonien weder eine generelle Benachteiligung der einheimischen Bevölkerung noch deren Ausbeutung aus. Was explizit als ausbeuterische Politik gedacht war, musste dem Initiator volkswirtschaftlich nicht zwingend zum Vorteil gereichen und was aus heutiger Perspektive wirtschaftlich als falsch gilt, kann den Akteuren der Zeit durchaus vorteilhaft erschienen sein. Letztlich bleibt der Erkenntnisgewinn auf nachträgliche Bilanzierung finanzieller Kosten beschränkter Analysen und Wertungen begrenzt. Ohne eine Einbettung ökonomischer Details in den zeitgenössischen innen- und außenpolitischen Kontext bleiben zahlreiche Fragen unbeantwortet. Entsprechend gelangte der deutsche Historiker Hartmut Elsenhans bereits 1974 zu dem Ergebnis, dass die finanzielle Belastung der Integrationspolitik nicht als alleinige Erklärung für die Aufgabe Algerien ausreiche, da sie Frankreichs wirtschaftliche Leistungsfähigkeit

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tausch genutzt wird und gleichzeitig über aktuelle Publikationen informiert. Vgl. online: http://etudescoloniales.canalblog.com/. Auf dem Videoportal www.youtube.com finden sich mehrere Ausschnitte mit Diskussionsbeiträgen Lefeuvres im französischen Fernsehen. Liauzu, Claude (Dir.): Colonisation. Droit d’inventaire, Colin, Paris, 2004, S. 97. Zitat: Coquery-Vidrovitch, Catherine: Vendre. Le mythe économique colonial, in: Culture coloniale 1871–1931. La France conquise par son empire, hg. v. Blanchard, Pascal/Lemaire, Sandrine, Autrement, Paris, 2002, S. 163–175, hier S. 169. Vorwurf: Enjeux politiques de l’histoire coloniale, Agone, Marseille, 2009, S. 27. Jahan, Sébastien/Ruscio, Alain: Introduction, in: Histoire de la colonisation. Réhabilitations, Falsifications et Instrumentalisations, hg. v. Dens., Les Indes Savantes, Paris, 2007, S. 13; 19. Lefeuvre reagierte u. a. in seinem Blog: http://www.blog-lefeuvre.com/?p=20. Guy Pervillé, der sich ebenfalls Kritik ausgesetzt sah, setzte sich ausführlich mit den Vorwürfen auseinander und griff dabei auch die Debatte um Lefeuvre auf. Vgl. Pervillé, Guy: Réponse au live de Catherine Coquery-Vidrovitch: Enjeux politiques de l’histoire coloniale, (06.09.2012), online: http://guy.perville.free.fr/spip/article.php3?id_article=282.

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nicht überstiegen habe18. Im Vorwort der erst im Jahr 1999 erschienenen Übersetzung ins Französische bekräftigt Gilbert Meynier, die algerische Unabhängigkeit sei keinesfalls „l’enfant d’une irénique rationalité économique“ gewesen19. Die vorliegende Studie berücksichtigt daher neben ökonomischen auch politische Opportunitätskosten und überprüft stets, ob diese durch plausible und legitime Interessen kompensiert wurden. Des Weiteren setzt sie sich von der retrospektiven Argumentation einiger wirtschaftsgeschichtlicher Arbeiten zum Thema ab. Edward Fitzgerald etwa verneint die Frage Did France’s Colonial Empire Make Economic Sense?. „Rapid decolonization would have been a more economically rational choice“20. JeanCharles Asselain dokumentierte die steigende Belastung des französischen Haushalts durch die Integrationspolitik und stellte fest, dass die Entkolonialisierung für Frankreichs Wirtschaft mit einem Aufschwung einher ging21. Auch der renommierte Wirtschaftshistoriker Paul Bairoch vermutet nach einem Vergleich von kolonialer und postkolonialer Epoche, die Besitzungen in Übersee könnten der ökonomischen Entwicklung der Metropole insgesamt mehr geschadet als genützt haben22. Diese Erkenntnisse besitzen einen unbestreitbaren wissenschaftlichen Wert. Gleichwohl standen sie den damaligen Akteuren nicht als Entscheidungsgrundlage zur Verfügung. Ferner konnten die Regierungen der IV. Republik keine Optionen für weitreichende Beschlüsse in Betracht ziehen, die im zeitgenössischen Diskurs nicht als solche wahrgenommen wurden. Die vorliegende Arbeit stellt deshalb die selbst gesteckten Ziele der Nordafrikapolitik in den Mittelpunkt der Untersuchung. Zum einen überprüft sie, ob Frankreich ein ausreichend hohes Maß an finanziellem und politischem Engagement an den Tag legte, um den eigenen Ansprüchen eine realistische Erfolgschance zu geben. Zum anderen wird die Frage erörtert, ob die formulierten Ambitionen vor dem Hintergrund der internationalen Situation und den ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten in Algerien und Frankreich erreichbar waren. Hierfür gilt es die Bereitschaft in den Reihen von Politik und Gesellschaft zu verifizieren, die zum damaligen Zeitpunkt bekannten und prognostizierten Opportunitätskosten der Integrationspolitik zu tragen. Gleichermaßen muss geklärt werden, ob es vertretbare Alternativen zu den Beschlüssen der französischen Regierung gab. Der entscheidende 18 Elsenhans, Hartmut: Frankreichs Algerienkrieg 1954–1962. Entkolonialisierungsversuch einer kapitalistischen Metropole. Zum Zusammenbruch der Kolonialreiche, Diss., München, 1974, S. 863. 19 Gilbert Meynier: Vorwort, in: Elsenhans, Hartmut: La guerre d’Algérie 1954–1962. La transition d’une France à une autre. Le passage de la IVe à la Ve République, PubliSud, Paris, 1999, S. 10. 20 Fitzgerald, Edward Peter: Did France’s Colonial Empire Make Economic Sense? A Perspective from the Postwar Decade, 1946–1956, in: The Journal of Economic History, 48, 2 (1988), S. 373–385, hier S. 374. 21 Asselain, Jean-Charles: ‚Boulet colonial‘ et redressement économique (1958–1962), in: La guerre d’Algérie, hg. v. Rioux, S. 289–303. 22 Bairoch, Paul: Economics and world history. Myths and paradoxes, Univ. of Chicago press, Chicago, 1993, S. 77; 97.

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Bewertungsmaßstab ist also das Verhältnis zwischen Anspruch und Realität, das im Zeitverlauf untersucht wird. Dabei sind Kontinuitäten und Zäsuren aufzuzeigen. Letztlich zielt die Arbeit darauf ab, die Konsistenz der französischen Nordafrikapolitik der IV. Republik zu erkunden und gleichzeitig eine Erklärung für den Sinneswandel in der V. Republik anzubieten. Um dies zu ermöglichen, untersucht die vorliegende Studie die französische Nordafrikapolitik mit einem interdisziplinären Ansatz, bestehend aus geschichtswissenschaftlichen, volkswirtschaftlichen und politikwissenschaftlichen Zugängen. Durch eine intensive Auseinandersetzung mit vielfältigem empirischem Material wird ein Abbild des zeitgenössischen Diskurses rekonstruiert, vor dessen Hintergrund politische Beschlüsse gefällt wurden. Hierfür werden die den Entscheidungsprozess dokumentierenden ministeriellen Quellen mit den Parlamentsdebatten, volkswirtschaftlichen Statistiken, zeitgenössischen Publikationen, Umfragen und Periodika in Zusammenhang gebracht. Die Diversität der schriftlichen Quellen, ergänzt um Interviews mit Zeitzeugen, gewährleistet eine mehrdimensionale Untersuchung. Ein besonderes Augenmerk der Studie liegt auf volkswirtschaftlichen Parametern und Überlegungen. Anhand dieser wird zum einen die ökonomische Dimension der Nordafrikapolitik aufgezeigt und in Vergleich mit der offiziellen Darstellung gestellt. Zum anderen erlaubt es das zeitgenössische statistische Material, näher zu bestimmen, wie das politische Vorgehen aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive zu bewerten war, welche Berücksichtigung entsprechende Argumente in den getroffenen Entscheidungen fanden, welche Konsequenzen sich daraus ergaben und welche Alternativen bestanden. Die ökonomischen Überlegungen werden stets mit den für die damaligen Akteure ebenso bedeutsamen außen- und innenpolitischen, strategischen und gesellschaftlichen Einflüssen verknüpft. Bei der Untersuchung von Frankreichs außenpolitischen Vorstellungen und Entscheidungen finden Ansätze aus dem Bereich der Internationalen Beziehungen Anwendung. Insbesondere Einflüsse der realistischen und der liberalistischen Denkschulen werden analysiert23. Der engere zeitliche Rahmen der Arbeit wird durch die Jahre der IV. Republik (1946-1958) begrenzt, wobei der Fokus auf der Phase des Algerienkriegs liegt. Um Kontinuitäten und Brüche aufzuzeigen, werden gleichwohl einleitend der Zeitraum vor 1946 und abschließend die Periode bis zur Unabhängigkeit Algeriens 1962 beleuchtet.

23 Realismus und Liberalismus fächern sich in eine Vielzahl von Subtheorien auf, die hier nicht im Detail behandelt werden. Vielmehr geht es um die wesentlichen und gegensätzlichen Annahmen beider Denkschulen. Der Realismus betrachtet Staaten als einheitliche Akteure, innenpolitische und gesellschaftliche Faktoren spielen keine Rolle. Der Schlüssel zum Überleben und zur Durchsetzung nationaler Interessen in der Anarchie des internationalen Systems ist die eigene Machtposition. Der Liberalismus hingegen misst innenpolitischen Einflüssen auf die Außenpolitik eine große Bedeutung bei, als zentrale Akteure gelten Individuen. Interessen sollen verstärkt durch zwischenstaatliche Kooperation realisiert werden. Weiterführend: Feske, Susanne: Einführung in die Internationalen Beziehungen. Ein Lehrbuch, Budrich, Opladen, 2014.

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So wie die Algerienfrage nach November 1954 zum dominierenden Thema in Frankreich und der nordafrikanischen Region wurde, so stehen Marokko und Tunesien auch heute etwas im Schatten des mittlerweile großen Forschungsinteresses an Algerien24. Einige der weiterhin als zentral einzustufenden Werke wurden bereits vor mehreren Jahrzehnten publiziert25. Auch in der vorliegenden Untersuchung liegt der Fokus auf der Algerienfrage. Gleichwohl werden die Wechselwirkungen zwischen den drei französischen Einflussgebieten in Nordafrika stärker als bisher in den Blick genommen. Dabei geht es speziell um die Frage, welche Ziele Paris vor und nach 1954 in Marokko und Tunesien verfolgte und in welchem Zusammenhang diese mit der Integrationspolitik in Algerien standen. Zum einen wird die konkrete Umsetzung des Konzepts der „indépendance dans l’interdépendance“ analysiert, mit dem Frankreich Einfluss in den Protektoraten über deren Unabhängigkeit hinaus zu wahren gedachte26. Zum anderen wird überprüft, inwieweit die formulierten Ambitionen auf realistischen Annahmen beruh24 Marokko und Tunesien waren als Protektorate formell stets eigenständige Staaten geblieben. Nicht ohne Konflikte, so vollzog sich die Entkolonialisierung dort doch weniger dramatisch und abrupt. Alexander sieht das geringe Forschungsinteresse an Tunesien auch in dem Umstand begründet, dass das Land lange Zeit als Hort der Ruhe und Stabilität in der arabischen Welt galt. Alexander, Christopher: Tunisia. Stability and Reform in the Modern Maghreb (= The Contemporary Middle East, hg. v. Anoushiravan Ehteshami), Routledge, Abingdon/New York, 2010, S. 1f; 70. Maghrebinische Wissenschaftler wiederum bevorzugten zunächst die prä- und postkoloniale Geschichte ihrer Länder. Mit der Verfügbarkeit administrativer Quellen gegen Ende der 1990er Jahre stieg das Interesse an der Protektoratszeit. Vgl. Kenbib, Mohammed: Année du Maroc en France. Bilan d’une coopération, in: Mondes et Cultures, 59, 3/4 (1999), S. 37–44. 25 Eine bereits 1966 von Samir Amin publizierte Studie beinhaltet wichtige Eckdaten über die ökonomischen Beziehungen zwischen Frankreich und dem kolonialen Nordafrika. Amin, Samir: L’économie du Maghreb, Tome I, La colonisation et la décolonisation, Éd. De Minuit, Paris, 1966. Charles-André Juliens 1978 erschienenes Werk bietet bis heute einen guten Streifzug durch die marokkanische Geschichte einschließlich der Protektoratszeit. Julien, Charles-André: Le Maroc face aux impérialismes 1425–1956, Éd. A.J. Paris, 1978. Eine gut strukturierte und ansprechend aufbereitete Übersichtsdarstellung verfasste zuletzt: Katan Bensamoun, Yvette: Le Maghreb. De l’empire ottoman à la fin de la colonisation française, Belin, Paris, 2007. Zu den aktuellsten Werken zählt eine Studie aus dem Jahr 2010. Rivet untersucht darin vorrangig die Beziehungen zwischen Kolonisatoren und Kolonisierten sowie ihre gegenseitige (Fehl-)Wahrnehmung. Rivet, Daniel: Le Maghreb à l’épreuve de la colonisation, Fayard, Paris, 2010. Dem verdienstvollen Werk fehlen bei Zahlenangaben mitunter die Quellenbelege. Für eine Übersicht der jüngeren tunesischen Geschichte siehe: El Mechat, Samya: Les relations franco-tunisiennes, L’Harmattan, Paris, 2005. 26 Das Konzept der Interdependenz- oder Kooperationspolitik, mit dem eine enge Anbindung Marokkos und Tunesiens an Frankreich über die Unabhängigkeit im Jahr 1956 hinaus gewährleistet werden sollte, war mit der Erklärung von La Celle-Saint-Cloud am 6.11.1955 begründet worden. Dort wurde die Bereitschaft bekundet, „de conduire avec la France les négociations destinées à faire accéder le Maroc au statut d’État indépendant uni à la France par des liens permanents d’une interdépendance librement consentie et définie“. Der Ansatz galt in der Folge auch für Tunesien. Wortlaut einsehbar in der ‚Digithèque de matériaux juridique et politiques‘, (DMJP) die vom Politologen Jean-Pierre Maury betrieben wird. http://mjp.univperp.fr/constit/ma1956.htm#D%E9claration_de_La_Celle-Saint-Cloud_.

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ten. Den in der Forschung bisher unzureichend berücksichtigten ökonomischen Faktoren wird dabei eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Die französische Nordafrikapolitik kann nicht adäquat untersucht werden, ohne die Suezkrise in die Analyse einzubeziehen. Dieser Konflikt weckte unmittelbar nach den Ereignissen das große Interesse der Forschergemeinde, das bis heute andauert27. In der Regel wurde der Krieg um den Kanal als eigenständiges Thema behandelt und wurden die Zusammenhänge mit der Algerienfrage lediglich am Rande beleuchtet28. Dabei lässt sich die französische Militärintervention in Ägypten nur als eine Art Nebenkriegsschauplatz des Algerienkonflikts erklären. Die Krise am Suezkanal wirkte sich in erheblichem Maße auf die Integrationspolitik in Algerien und in abgeschwächter Form auch auf die Interdependenzpolitik in den ehemaligen Protektoraten aus. Es werden daher die offiziellen Interessen Frankreichs und die Kohärenz der politischen Entscheidungen kritisch hinterfragt und ökonomische Einflüsse und Hintergründe analysiert, die in der Forschung bisher eher oberflächlich betrachtet wurden29. Wechselseitige Abhängigkeiten gilt es ferner zwischen Algerien und anderen Überseegebieten der ‚Union française‘ zu berücksichtigen, da der algerische Unabhängigkeitskrieg und die Integrationspolitik wesentliche Entscheidungen der Kolonialpolitik beeinflussten. Darüber hinaus überlagerten sich die Probleme im

27 Jüngst erschienen etwa: Freiberger, Thomas: Allianzpolitik in der Suezkrise 1956, (= Internationale Beziehungen. Theorie und Geschichte 11), V & R Unipress, Göttingen, 2013. 28 Etwa: Smith, Simon C. (Hg.): Reassessing Suez 1956. New Perspectives on the Crisis and its Aftermath, Ashgate, Hampshire/Burlington, 2008. Als beispielhafte Ausnahmen sind etwa zu nennen: Vaїsse, Maurice (Hg.): La France et l’opération de Suez, ADDIM, Paris, 1997 und Bernard, Jean-Yves: La genèse de l’expédition franco-britannique de 1956 en Égypte, Publ. de la Sorbonne, Paris, 2003. 29 Die vorhandenen Ausnahmen widmen sich meist einer speziellen wirtschaftlichen Frage. Broughton analysiert beispielsweise die für Frankreich aufgrund seiner Devisenknappheit wichtige Rolle des Internationalen Währungsfonds. Boughton, James M.: Northwest of Suez. The 1956 Crisis and the IMF, in: IMF Staff Papers, 48, 3 (2001), S. 425–446. Diane B. Kunz untersucht kommt zu dem Ergebnis, das Scheitern der anglo-französischen Intervention sei auf den Einfluss der USA auf die britische Finanzwelt zurückzuführen. Kunz, Diane B.: The economic diplomacy of the Suez crisis, Univ. of North Carolina Press, Chapel Hill/London, 1991 und The Importance of Having Money. The Economic Diplomacy of the Suez Crisis, in: Suez 1956. The Crisis and its Consequences, hg. v. Louis, WM. Roger/Owen, Roger, Claredon Press, Oxford, 1989, S. 215–232. Kunz’ These wird von David Carlton infrage gestellt. Er verweist darauf, dass der ökonomische Faktor in den Berichten des ‚Chief of Staff‘ nicht erwähnt werde. Vielmehr seien die Pressionen der Vereinten Nationen, die Gefahr einer russischen Intervention sowie die innenpolitische Lage im Königreich als Ursachen für das Scheitern der Intervention entscheidend gewesen. Carlton, David: Great Britain, France and the Suez Crisis, in: La France et l’opération de Suez, hg. v. Vaїsse, S. 61–67, hier S. 65. Letztlich ist Kunz’ Fokussierung auf die Macht des Geldes unzureichend. Auch Frankreich geriet in der Suezkrise außenwirtschaftlich enorm unter Druck, ohne dass seine Entschlossenheit darunter litt.

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französischen Imperium und der Europäische Integrationsprozess zeitlich und politisch, so dass auch hier mögliche Zusammenhänge bedacht werden müssen30. Der gewählte Ansatz verspricht, die Algerienfrage als Teil einer komplexen französischen Nordafrikapolitik zu kennzeichnen und einer neuen Betrachtung zu unterziehen.

Forschungsstand Nach dem Zerfall des französischen Imperiums hatten nicht wenige Forscher die vermeintliche Überwindung des Kolonialismus zunächst wörtlich genommen und sich anderen Forschungsfeldern zugewandt31. Das Trauma Algerienkrieg wurde von Wissenschaft und Gesellschaft jahrzehntelang großräumig umschifft32. Einige Historiker aber wirkten dem Trend entgegen und verschrieben sich früh der Erforschung der Kolonialzeit, auch wenn bestimmte Aspekte (notgedrungen) zunächst teilweise ausgeklammert blieben33. Mittlerweile hat sich die Forschungslandschaft

30 Erwähnenswert in diesem Kontext: Frank, Robert: The French Alternative. Economic Power through the Empire or through Europe?, in: Power in Europe? II. Great Britain, France, Germany and Italy and the Origins of the ECC 1952–1957, hg. v. Di Nolfo, Ennio, de Gruyter, Berlin, 1992, S. 160–173 und im selben Band: Guillen, Pierre: Europe as a Cure for French Impotence? The Guy Mollet Government and the Negotiation of the Treaties of Rome, S. 505–516. Aimaq untersucht entsprechende Zusammenhänge in Bezug auf die gescheiterte Europäische Verteidigungsgemeinschaft. Aimaq, Jasmine: For Europe or Empire? French Colonial Ambitions and the European Army Plan (= Lund Studies in International History 33), Lund, 1996. 31 Im Hinweis darauf schwingt, sicherlich nicht ganz zu unrecht, gelegentlich der Vorwurf mit, ein zentrales Thema vernachlässigt zu haben. Gleichwohl sollte bedacht werden, dass jede Generation nur über ein begrenztes Maß an Ressourcen verfügt, so dass es permanent zu wissenschaftlichen Opportunitätsentscheidungen kommen muss. Zudem standen der Wissenschaft damals wesentliche Quellen noch nicht zur Verfügung. Ein Forschungsschwerpunkt der Zeitgeschichte in Frankreich wurde der Erste Weltkrieg. Renouvin, Pierre: La première Guerre mondiale, PUF, Paris, 1965. 1972 stieß der US-amerikanische Historiker Robert Paxton mit einer Arbeit über die ‚dunklen Jahre‘ die wissenschaftliche Beschäftigung mit der bis dahin verdrängten ‚Collaboration‘ in der NS-Zeit an. Paxton, Robert: La France de Vichy 1940–1944, Seuil, Paris, 1973. Siehe auch: Duroselle, Jean-Baptiste: L’Abîme, 1939–1945, Impr. Nationale, Paris, 1983. 32 Kohser-Spohn, Christiane/Renken, Frank (Hg.): Trauma Algerienkrieg. Zur Geschichte und Aufarbeitung eines tabuisierten Konflikts, Campus Verlag, Frankfurt, 2006. In Schulbüchern etwa wurde die Kolonialzeit einseitig positiv dargestellt und die blutigen Kriege ausgeblendet. Lemaire, Sandrine: Der Algerienkrieg in den französischen Schulbüchern. Eine Zäsur der Nationalgeschichte?, in: Trauma Algerienkrieg., S. 123–142, hier S. 123f. und Kohser-Spohn, Christiane: Vorwort, in: Trauma Algerienkrieg, S. 10–24, hier S. 10. 33 Anzuführen ist etwa die ‚Société française d’histoire des outre-mers‘ (SFOM), die sich im Verlauf ihres hundertjährigen Bestehens zu einer unabhängigen wissenschaftlichen Institution emanzipierte. Sie leistet seit den 1970er Jahren mit der Zeitschrift ‚Outre-Mers‘ einen zentralen Beitrag zur Kolonialforschung, die sich mittlerweile über den frankophonen Bereich hinaus erstreckt. Vgl. Cent ans d’histoire des outre-mers, in: Outre-Mers, 376–377 (2012).

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der Kolonialgeschichte enorm gewandelt34. Zu einer merklichen Belebung des Forschungsinteresses führten die Ausbreitung der ‚Postcolonial Studies‘ und der sukzessive Zugang zu den ministeriellen Quellen35. Einige um die Jahrtausendwende in Frankreich stattfindende Ereignisse rückten Algerien verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit und gaben damit auch der Wissenschaft neue Impulse. Im Jahr 1999 wurde in einem längst überfälligen Schritt die bis dahin im offiziellen Sprachgebrauch gültige Bezeichnung der Ereignisse von 1954 bis 1962 als „opérations effectuées en Afrique du Nord“ durch „la guerre d’Algérie et les combats en Tunisie et au Maroc“ ersetzt36. Damit beendeten die Mandatsträger Frankreichs die offizielle „politique de l’oublie“, die sowohl die wissenschaftliche als auch die politische und gesellschaftliche Aufarbeitung der franko-algerischen

Charles-Robert Ageron machte sich als Pionier der Algerien-Forschung verdient. Bereits 1964 erschien eine erste Untersuchung, die später in mehrfach überarbeiteter Auflage erschien. Ageron, Charles-Robert: Histoire de l’Algérie contemporaine (1830–1964), (= Que sais-je 400), Presses Universitaires de France, Paris, 1964. Mehrere von ihm verfasste oder herausgegebene Werke zählen bis heute zu den Standardwerken. Etwa: Ageron, CharlesRobert (Hg.): Les chemins de la décolonisation de l’empire colonial français, Colloque organisé par l’I.H.T.P. les 4 et 5 octobre 1984, CNRS, Paris, 1986 und Ageron, CharlesRobert/Coquery-Vidrovitch: Histoire de la France coloniale, Bd. III, Le déclin, Colin, Paris, 1991. Im Jahr 1981 wagten sich Droz und Lever mit einer Studie über den Algerienkrieg auf schwieriges Terrain. Droz, Bernard/Lever, Evelyne: Histoire de la guerre d’Algérie 1954– 1962, Seuil, Paris, 1981. 34 Zum Verlauf des wissenschaftlichen Interesses an der Kolonialgeschichte siehe die jüngst in deutscher Übersetzung erschienene Arbeit: Cooper, Frederick: Kolonialismus denken. Konzepte und Theorien in kritischer Perspektive, Campus Verlag, Frankfurt a.M., 2012 sowie Brahm, Felix: Wissenschaft und Dekolonisation. Paradigmenwechsel und institutioneller Wandel in der akademischen Beschäftigung mit Afrika in Deutschland und Frankreich, 1930– 1970, Franz Steiner Verlag, Stuttgart, 2010. 35 Wenngleich die Skepsis gegenüber einigen ihrer Methoden blieb, eröffnete der transdisziplinäre Ansatz neue Perspektiven für die bisherige Kolonialgeschichte, die sich bisweilen auf die Deskription der Kolonial-Imperien oder auf politische und administrative Aspekte konzentriert hatte. Zur Resonanz der ‚Postcolonial Studies‘ in der französischen Geschichtswissenschaft: Sibeud, Emmanuelle: Post-Colonial et Colonial Studies. Enjeux et débats, in: Revue d’histoire moderne et contemporaine, 5 (2004), S. 87–95 und Smouts, Marie-Claude (Hg.): La situation postcoloniale. Les postcolonial studies dans le débat français, Presses de SciencePo, Paris, 2007. Die Neuere Kolonialgeschichte richtet den Blick stärker auf die wechselseitigen Einflüsse zwischen Überseegebieten und Metropole, die sich in den einzelnen Phasen der Kolonialzeit und darüber hinaus beobachten lassen. Dabei werden die politischen und ökonomischen Interdependenzen immer stärker um gesellschaftliche und kulturelle Aspekte bereichert. Eine gelungene Übersicht zu den genannten Entwicklungen, Eigenarten und Überschneidungen von Neuerer Kolonialgeschichte und ‚Postcolonial Studies‘ bietet: Lindner, Ulrike: Neuere Kolonialgeschichte und Postcolonial Studies, in: DocupediaZeitgeschichte, (15.04.2011). Online: http://docupedia.de/zg/Neuere_Kolonialgeschichte_ und_Postcolonial_Studies. 36 Nationalversammlung und Senat verabschiedeten das Gesetz einstimmig. Vgl. Loi n 99–882 du 18 octobre 1999. Online: http://legifrance.gouv.fr/affichTexte.do?cidTexte=JORFTEXT000000578132.

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Vergangenheit behindert hatte37. Ein Jahr später bestätigten die Generäle a. D. Jacques Massu und Paul Aussaresses den Einsatz von Folter und Exekutionen durch die französische Armee während des Algerienkrieges38. La Torture et l’armée pendant la guerre d’Algérie gehörte in der Folge zu den zentralen Forschungsschwerpunkten39. Die inhaltliche und methodische Bandbreite der bis zum heutigen Tag erschienenen Publikationen ist groß. Eine Reihe fundierte Übersichtsdarstellungen liegt vor40. Ferner erfreuen sich erinnerungs- und kulturgeschichtliche Studien großer Beliebtheit41. Jüngst erschien eine umfassende Zusammenschau des Schriftguts zum Algerienkrieg42.

37 Pervillé, Guy: La date commémorative de la guerre d’Algérie en France, 2004. Online: http://guy.perville.free.fr/spip/article.php3?id_article=29. 38 Massu übernahm Verantwortung für bestimmte Folterpraktiken, die jedoch innerhalb vertretbarer Grenzen geblieben seien. Le Monde, (22.05.2008): Jacques Massu, le général repenti, Jean Planchais/Florence Beaugé. Online unter: http://www.lemonde.fr/le-monde-2/article/ 2008/05/22/jacques-massu-le-general-repenti_1048161_1004868.html. Aussaresses gestand „sans regrets ni remords“ die eigene Beteiligung an Folter. Le Monde, (04.12.2013): Les aveux du général Aussaresses. „Je me suis résolu à la torture“, Florence Beaugé. Online unter: http://www.lemonde.fr/disparitions/article/2013/12/04/les-aveux-du-general-aussaressesje-me-suis-resolu-a-la-torture_3524992_3382.html. Aussaresses veröffentlichte ab 2001 mehrere Schriften über den Algerienkrieg, u. a. Aussaresses, Paul: Services spéciaux, Algérie 1955–1957. Mon témoignage sur la torture, Perrin, Paris, 2001. Aufsehen erregend an den Geständnissen war weniger, dass es Exzesse gegeben hatte. Die Zeitung ‚L’Express‘ hatte bereits am 20.12.1955 ein Bild von der Erschießung eines Zivilisten veröffentlicht. Entscheidend war, dass die Aussagen der hohen Offiziere die offizielle Haltung widerlegten, nach welcher es von den Entscheidungsträgern keine Legitimation solcher Gewalttaten gegeben habe. Ein Gesetz vom 31. Juli 1968 schützt mögliche Täter durch eine pauschale Amnestie vor Strafverfolgung. 39 Branche, Raphaëlle: La Torture et l’armée pendant la guerre d’Algérie, 1954–1962, Gallimard, Paris, 2001. Jean-Charles Jauffret sucht in einer Studie aus dem Jahr 2005 nach Gründen, die Soldaten zur (Nicht-)Beteiligung an Folter bewegten und deckt dabei unterschiedlichste individuelle und kollektive Faktoren auf. Jauffret, Jean-Charles: Ces officiers qui ont dit non à la torture, Algérie 1954–1962, Autrement, Paris, 2005. Claude Juin konzentriert seine Untersuchung auf die Wehrpflichtigen. Obgleich seine Studie durch die Zeitzeugenberichte einigen Wert besitzt, fördert sie insgesamt wenig Neues zu Tage. Eine gewisse Subjektivität ist dem selbst in den Algerienkrieg eingezogenen Autor anzumerken. Juin, Claude: Des soldats tortionnaires, guerre d’Algérie. Des jeunes gens ordinaires confrontés à l’intolérable, Robert Laffont, Paris, 2012. 40 Zum Algerienkrieg siehe etwa: Stora, Benjamin: Histoire de la guerre d’Algérie, La Découverte, Paris, 2004. Thénault, Sylvie: Algérie. Des „événements“ à la guerre. Idées reçues sur la guerre d’indépendance, Éd. Le Cavalier Bleu, Paris, 2012. Eine Übersichtsdarstellung zur französischen Kolonialzeit bietet: Rioux, Jean-Pierre: La France coloniale sans fard ni déni. De Ferry à de Gaulle en passant par Alger, André Versaille, Brüssel, 2011. Einen konzisen Blick auf die Entkolonialisierung gewährt: Droz, Bernard: La fin des colonies française, Gallimard, Paris, 2009. 41 Bis heute wegweisend für die Erinnerungsgeschichte das mehrfach neu aufgelegte Werk: Stora, Benjamin: La gangrène et l’oubli. La mémoire de la guerre d’Algérie, La Découverte, Paris, 2011 (1991). Wie der Faktor Zeit sowohl als Instrument kolonialer Kontrolle als auch

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Erschwert wird die sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema durch den Umstand, dass neben wissenschaftlichen Arbeiten auch zahlreiche tendenziöse, einseitige oder revisionistische Publikationen die Aufarbeitung und Meinungsbildung beeinflussen. In der Parteizeitung des rechtsextremistischen ‚Front National‘ etwa beklagt Jean-Marie Le Pen, Veteran des Algerienkriegs, die Verunglimpfung der in seinen Augen ruhmreichen kolonialen Vergangenheit43. Der französische Herausgeber und frühere Résistance-Kämpfer Alain Griotteray spricht Frankreich von jedweder Schuld frei: „La France n’est pas coupable“44. Zu erwähnen ist auch der erkennbare Versuch der französischen Regierung, die Forschung zu kanalisieren und per Gesetz auf die Darstellung der „rôle positif de la présence française“ in Übersee zu begrenzen45. Instrumentalisierungen dieser Art mögen erklären, warum einige Historiker jedwede Debatte über mögliche positive Aspekte der Kolonialisierung vehement ablehnen46. Letztlich darf die gebotene Achtsamkeit

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des antikolonialen Widerstands fungierte, untersuchte jüngt: Branche, Raphaëlle: „Au temps de la France“. Identités collectives et situation coloniale en Algérie, in: Vingtième Siècle, 117 (2013), S. 199–213. Das bisher kaum bekannte Phänomen der Prostitution im kolonialen Nordafrika steht im Zentrum einer Monografie von: Taraud, Christelle: La prostitution coloniale. Algérie, Maroc, Tunisie (1830–1962), Payot & Rivages, Paris, 2009. Désirée Schyns blickt auf die literarische Erinnerung des Algerienkrieges aus algerischer Sicht. Schyns, Désirée: La mémoire littéraire de la guerre d’Algérie dans la fiction algérienne francophone, L’Harmattan, Paris, 2013. In Algerien erfreuen sich derzeit die Memoiren der ‚kleinen Leute‘ eines großen Interesses. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten zeigen diese Werke neue Facetten auf, die in der offiziellen algerischen Geschichtsschreibung häufig übergangen wurden. Vgl. Le Monde Diplomatique (Août 2013): La guerre d’Algérie par ceux qui l’ont faite, Pierre Daum, S. 8. Sarazin, Maurice: Bibliographie de la guerre d’Algérie (1954–1962). Ouvrages en langue française parus de 1954 à 2009, Larousse, Paris, 2011. Le Pen, Jean-Marie: Le sinistre mea culpa de l’homme blanc, in: Identité, 22 (1994), S. 3. Le Pen hatte bereits im Indochinakrieg gedient. Im Herbst 1956 ließ er sein parlamentarisches Mandat für einen freiwilligen Einsatz im Algerienkrieg ruhen. Griotteray, Alain: Je ne demanderai pas pardon. La France n’est pas coupable, Éd. Du Rocher, Paris, 2001. Bis 1958 gehörte Griotteray zu den Gaullisten, die dessen Rückkehr an die Macht unterstützten. Nach De Gaulles Kurswechsel in der Algerienfrage brach er mit dem General. Bereits 1983 erregte Pascal Bruckner mit seiner Kritik am sogenannten „TiersMondisme“ und den seiner Meinung nach unverhältnismäßigen Schuldgefühlen Frankreichs ob seiner kolonialen Vergangenheit Aufsehen. Bruckner, Pascal: Le Sanglot de l’homme blanc. Tiers-Monde, culpabilité, haine de soi, Seuil, Pairs, 1983. Mit der Argumentation rechtsextremer Gruppierungen zum kolonialen Erbe setzt sich ein Aufsatz von Flood und Frey auseinander, wenngleich die Untersuchung lediglich den Zeitraum bis 2002 behandelt. Flood, Christopher/Frey, Hugo: Defending the Empire in Retrospect. The Discourse of the Extreme Right, in: Promoting the Colonial Idea. Propaganda and Visions of Empire in France, hg. v. Chafer, Tony/Sackur, Amanda, Macmillan, Basingstoke, 2002, S. 195–210. Loi no 2005–158 du 23 février 2005 portant reconnaissance de la Nation et contribution nationale en faveur des Français rapatriés, Article 4. Online: http://www.legifrance.gouv.fr/ affichTexte.do?cidTexte=JORFTEXT000000444898&dateTexte=&categorieLien=id. „Il n’y a pas de débat possible sur les aspects positifs de la colonisation“, heißt es etwa bei: Jahan/Ruscio: Histoire de la colonisation, S. 19.

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gegenüber revisionistischen Tendenzen jedoch nicht dazu führen, dass sich die Wissenschaft einer ergebnisoffenen Forschung verschließt47. Umgekehrt beschränkten sich zahlreiche algerische Darstellungen lange Zeit auf eine Glorifizierung des FLN und blendeten die Schattenseiten seines Kampfs für die algerische Unabhängigkeit aus48. Die Verurteilung der Kolonialisierung Nordafrikas als „la voie de l’extermination et du génocide“ durch den algerischen Präsidenten Abd al-Aziz Bouteflika (2005) überzeichnet die gerechtfertigte Forderung, Frankreich möge Verantwortung für das geschehene Unrecht übernehmen49. Immer mehr Forscher aus den ehemaligen Kolonien erkennen an, dass ihre Länder nach der Unabhängigkeit etwa von der aus der Kolonialzeit stammenden Infrastruktur profitierten und die aktuellen sozialen, ökonomischen und politischen Missstände nicht alleine den Kolonisatoren angelastet werden dürften50. In 47 Der französische Wirtschaftshistoriker Hubert Bonin wendet sich gegen eine pauschale Verurteilung aller kolonialen Institutionen. In Bezug auf die Banken in Algerien und die Frage, ob diese zur Entwicklung oder Ausbeutung des Landes beitrugen, gelangt er zu einem ambivalenten Ergebnis. Beide Elemente seien miteinander verknüpft. Bonin, Hubert: Les banques et l’Algérie coloniale. Mise en valeur impériale ou exploitation impérialiste?, in: Outre-Mers, 97, 1 (2009), S. 213–225. 48 Eine unkritische und einseitige Darstellung des Algerienkrieges bei: Nezzar, Khaled: Journal de guerre (1954–1962), PubliSud, Paris, 2004. Nezzar kämpfte für den FLN und war von 1990 bis 1993 algerischer Verteidigungsminister. Lahouari Addi verneint jeglichen Entwicklungsfortschritt in Algerien während der französischen Kolonialzeit. Addi, Lahouari: De l’Algérie pré-coloniale à l’Algérie coloniale. Économie et Société, Entreprise National du Livre, Algier, 1985, S. 173. Eine weitere Lobeshymne auf den FLN und eine in großen Teilen unkorrekte Darstellung des Themas Öl bei: Mahiout, Rabah: Le pétrole algérien, Éd. En.A.P., Algier, 1974. Als älteres Beispiel sei das Kolloquium L’Impérialisme angeführt, auf dem algerische und französische Forscher marxistischer Prägung eine sehr einseitige Sicht der Dinge präsentierten. Université d’Alger (Hg.): L’impérialisme. Colloque d’Alger 21–24 mars 1969, Algier, 1970. 49 Präsident Bouteflika ließ diese Aussage von Minister Mohammed Chérif Abbas am 6. Mai 2005 im Rahmen eines Kolloquiums an der Ferhat-Abbas-Universität verlesen. Vgl. http://etudescoloniales.canalblog.com/archives/2007/12/11/7198534.html. Bouteflika hatte sich im Alter von 19 Jahren dem FLN angeschlossen. 50 Der algerische Pädagoge Ahmed Tessa anerkennt in einer Publikation: „Malgré les effets pervers de la guerre, le pays hérite d’une base matérielle importante, dont les infrastructures routières et ferroviaires, les barrages hydraulique et les ports continuent à fonctionner“. Tessa, Ahmed: Algérie, Histoire d’une construction spatiale 1960–2005, PubliSud, Paris, 2007, S. 12. Zustimmung in Bezug auf Marokko bei: Amar, Mohammed: Les implications de la „présence“ française sur les structures foncières marocaines, in: Le fait colonial au Maghreb. Ruptures et continuités, hg. v. Marouf, Nadir, L’Harmattan, Paris, 2007, S. 257–273. Den positiven Beitrag medizinischer Einrichtungen würdigt: Belkaïd, Miloud: L’Algérie de 1830 à 1962. La médecine française, un outil pour le développement, in: Monde et Cultures, 71, 1 (2011), S. 359–372. Der ehemalige algerische Handelsminister Smaïl Goumeziane spricht Versäumnisse der FLN-Regierungen offen an. Goumeziane, Smaïl: Le mal algérien. Économie politique d’une transition inachevée 1962–1994, Fayard, Paris, 1994. Zu erwähnen sind auch die bereits zitierten wissenschaftlichen Werke des früheren FLN-Aktivisten Mohammed Harbi, der viele Jahre an der Sorbonne in Paris lehrte. In Zusammenarbeit mit Benjamin Stora gab Harbi ferner einen Sammelband über den Algerienkrieg heraus. Harbi, Mohammed/Stora,

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der Debatte über das koloniale Erbe erregte die Studie Et si l’Afrique refusait le développement? der aus Kamerun stammenden Spezialistin für Entwicklungshilfe Axelle Kabou Aufsehen. Sie fordert Afrika auf, sich von der kolonialen Opferrolle zu lösen und verstärkt der Eigenverantwortung bei der Behebung der derzeitigen Missstände nachzukommen51. Marc Ferro erinnert daran, dass in den späteren Kolonien vor der Ankunft der Europäer keineswegs überall Harmonie, Frieden und Wohlstand herrschten. „Après les indépendances, on ne saurait non plus imputer aux seuls colonialisme, néocolonialisme et mondialisation les tragédies que, par exemple, l’Algérie a connues ces vingt dernières années“52. Zustimmend schreibt Sylvie Brunel, „il est tout aussi absurde et aveugle de nier le poids des héritages que de leur imputer tous les échecs“53. Gerade Kooperationen internationaler Forscher scheinen geeignet zu sein, dem auf beiden Seiten des Mittelmeeres fortbestehenden Aufklärungsbedarf über die gemeinsame Geschichte gerecht zu werden. Hervorzuheben ist beispielsweise der 2008 publizierte Sammelband französischer und algerischer Historiker Pour une histoire franco-algérienne, der sich explizit gegen die von staatlicher Seite und einigen Lobbygruppen angestrebte Monopolisierung bestimmter Narrative wendet54. Unter Berücksichtigung vielfältiger Aspekte bietet das Werk die Möglichkeit, die franko-algerische Geschichte in ihrem Facettenreichtum zu erfassen. Als weitere gelungene Zusammenarbeit französischer, algerischer und angelsächsischer Forscher sei der 2012 zeitgleich in Paris und Algier erschienene Sammelband Histoire de l’Algérie à la période coloniale 1830–1962 angeführt55. Die einzelnen Beiträge bringen vielfältige und bisher selten beleuchtete Aspekte zum Vorschein und belegen, dass auch 50 Jahre nach dem Ende Französisch-Algeriens weiterhin Forschungsbedarf besteht.

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Benjamin (Hg.): La guerre d’Algérie. 1954–2004. La fin de l’amnésie, Éd. Robert Laffont, Paris, 2004. Kabou, Axelle: Et si l’Afrique refusait le développement?, L’Harmattan, Paris, 1991. Eine gelungene Übersicht über die Veränderungen im Diskurs über die Kolonialzeit bietet: Osterhammel, Jürgen: Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen, Beck, München, 2012. Ferro, Marc: Le colonialisme, envers de la colonisation, in: Le livre noir du colonialisme. XVIe–XXIe siècle. De l’extermination à la repentance, hg. v. Dems., Hachette, Paris, 2003, S. 9–49, hier S. 47. Die Autorin verweist auf afrikanische Länder, die sich trotz des kolonialen Erbes sehr positiv entwickelt haben. Hingegen überdauerte die Sklaverei in Mauretanien die von liberalen Ansätzen geprägte französische Kolonialzeit und wurde offiziell erst im Jahr 1981 abgeschafft, wobei sie erst im Jahr 2007 unter Strafe gestellt wurde und in Teilen des Landes sogar weiter andauert. Brunel, Sylvie: L’Afrique. Un continent en réserve de développement, Bréal, Rosny-sous-Bois, 2004. Zur Sklaverei in Mauretanien siehe: Sutter, John D.: Slavery’s last stronghold, CNN, 2011. Online: http://Édition.cnn.com/interactive/2012/03/world/mauritania. slaverys.last.stronghold/index.html. Abdécassis, Frédéric/Meynier, Gilbert (Hg.): Pour une histoire franco-algérienne. En finir avec les pressions officielles et les lobbies de mémoire, La Découverte, Paris, 2008. Bouchène, Abderrahmane/Peyroulou, Jean-Pierre/Tengour, Ouanassa Siari/Thénault, Sylvie (Hg.): Histoire de l’Algérie à la période coloniale 1830–1962, La Découverte, Paris, 2012.

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Quellenlage Die Quellenbasis für die Bearbeitung der Geschichte Französisch-Nordafrikas kann heute als solide bezeichnet werden56. Gleichwohl trifft der Forscher bei der Suche nach zeitgenössischen Dokumenten in den Archiven auch über 50 Jahre nach den Ereignissen noch immer auf Schwierigkeiten. So wurde die übliche Verschlussfrist von 30 Jahren für eine ganze Reihe von Akten, zumeist militärischer oder polizeilicher Natur, auf 60, 100 und teilweise auf 150 Jahre erhöht57. Glücklicherweise betreffen diese Einschränkungen das Thema der vorliegenden Arbeit eher marginal. Häufiger trat in den Archiven des Außenministeriums der Fall auf, dass offiziell freigegebene Dokumente nicht zugänglich waren. Katalogisierung und Aufbereitung des Archivmaterials zu Französisch-Nordafrika in den 1950er Jahren hinken offenkundig dem Forschungsinteresse hinterher. Die ‚Archives nationales d’Outre-Mer‘ (ANOM) in Aix-en-Provence sind für die Erforschung der Geschichte Französisch-Algeriens zweifellos die wichtigste Anlaufstelle58. Nach 1962 wurden die Bestände der Institutionen in Algerien und der französischen Ministerien dort zusammengeführt. Neben den offiziellen Dokumenten finden sich dort ebenso zeitgenössische Publikationen, Zeitungsartikel und inoffizielle Studien zur Nordafrikapolitik. Auch die Pariser Sektion der ‚Archives nationales‘ (AN) birgt eine Vielzahl nützlicher Quellen, etwa solche kleinerer Ministerien, Privatarchive zentraler Akteure, die ‚Papiers des Chefs d’État‘ oder Briefe von Privatpersonen und Interessenverbänden an führende Politiker. Für die ökonomischen und finanzpolitischen Aspekte des Themas sind Archivbestände des ‚Ministère des Finances et de l’Économie nationale‘ (MFE) von erstrangiger Bedeutung. Sie ermöglichen es zum einen, den öffentlichen und den tatsächlichen Kenntnisstand über die wirtschaftliche Seite der Nordafrikapolitik abzugleichen. Zum andern kann die Position des Ministeriums in der politischen Debatte bestimmt werden. Ferner bieten offizielle Publikationen des Ministeriums umfangreiches statistisches Material über die volkswirtschaftliche Entwicklung in Frankreich und Nordafrika. Zu nennen sind etwa die Statistique mensuelle du commerce extérieur de la France oder die jährlichen Veröffentlichungen zum 56 Eine Übersicht der französischen Archivlandschaft zur Algerienfrage: Faivre, Maurice: Les archives inédites de la politique algérienne, 1958–1962, L’Harmattan, Paris, 2000. 57 Das Gesetz wurde 1979 verabschiedet. Siehe hierzu: Liauzu, Claude: Notes sur les archives de la guerre d’Algérie, in: Revue d’Histoire Moderne & Contemporaine, 48, supplément 4 (2001), S. 54–56. 58 Aus Gründen der Übersichtlichkeit und Lesbarkeit werden die Quellenangaben aus den Archiven auf ein Minimum beschränkt, das eine eindeutige Identifikation ermöglicht: Archiv, Signatur und Kurztitel bzw. Beschreibung des Dokuments (kursiv). Reihentitel bzw. untergeordnete Institutionen werden nur angegeben, wenn es zur Identifikation oder aus inhaltlichen Gründen notwendig ist. Auf die Angabe von Unterordnern wird verzichtet, diese können in der vollständigen Quellenangabe im Quellenverzeichnis eingesehen werden. In den wenigen Fällen, in denen eine durchgängige Paginierung besteht, ist diese durch ein „P.“ gekennzeichnet. In allen anderen Fällen wird die Quellenangabe mit der internen Seitenangabe des jeweiligen Dokuments versehen (sofern vorhanden).

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Budget59. Im Archiv des ‚Ministère de la Défense nationale‘ (MDN) lagern die für den Algerienkrieg relevanten Quellen. Sie gewähren Einblick in die interministeriellen Konflikte über die Ausrichtung der Nordafrikapolitik, die beispielsweise bei der Interdependenz- oder bei der Ölpolitik zutage treten. Die Beziehungen Frankreichs zu Marokko und Tunesien oblagen sowohl in der Protektoratszeit als auch danach dem ‚Ministère des Affaires étrangères‘ (MAE). Zur Bearbeitung der diese Länder betreffenden Fragen war das Studium dieser Bestände somit unabdingbar. Nur ein Teil der Quellen liegt in den Documents diplomatiques français (DDF) in editierter Form vor60. Da das Außenministerium offiziell nicht für die algerischen Départements zuständig war, verzichten zahlreiche Algerien-Forscher auf das Studium dieser Bestände. Dabei gab es im Außenamt mit der ‚Direction Afrique-Levant‘ eine mit Algerien befasste Unterabteilung, aus deren Akten sich durchaus Erkenntnisgewinn ziehen lässt. Auch Dokumente aus der ‚Direction économique‘ liefern aufschlussreiche Informationen, etwa über die ökonomischen Hintergründe der Suezkrise. Ferner spielte Algerien in den franko-marokkanischen und den franko-tunesischen Beziehungen eine zentrale Rolle, sodass ein Verzicht auf das Studium der ‚Archives diplomatiques‘ kaum zu rechtfertigen wäre. Um die ministeriellen Quellen zu ergänzen, wurde darüber hinaus im ‚Centre historique des Science Po‘ (CHSP) recherchiert, wo Bestände über wichtige Akteure der Nordafrikapolitik lagern. Genannt seien Charles-André Julien und Alain Savary. Die Untersuchung des Archivs des ‚Office Universitaire de Recherche Socialiste‘ (OURS) bot sich an, da die ‚Parti Socialiste‘ an zahlreichen Regierungen der IV. Republik beteiligt war und einige wichtige Entscheidungen der Nordafrikapolitik unter dem sozialistischen Ministerpräsidenten Guy Mollet zustande kamen. Die nicht-öffentlichen Debatten der Parteiführung über die Nordafrikapolitik bringen nützliche Erkenntnisse über regierungsinterne Spannungen und Diskrepanzen zwischen offizieller Haltung und inneren Überzeugungen zum Vorschein. Ferner vermitteln Briefe von Privatpersonen an führende Sozialisten einen Eindruck von der Stimmung in Teilen der französischen Bevölkerung. Um letzteren Aspekt auf einer breiteren Basis berücksichtigen zu können, wurden repräsentative zeitgenössische Umfragen herangezogen. Namentlich die Zeitschrift ‚Sondages‘ stellt für Fragen der öffentlichen Meinung eine hervorragende Informationsbasis dar61. Unterstützend wurde eine Auswahl von Zeitungen, Zeitschriften und zeitgenössischen Publikationen ausgewertet. Als aufschlussreiche Quelle mit hohem Erkenntnisgewinn erwiesen sich die Debatten in der französischen Nationalversammlung, abgedruckt im ‚Journal offi59 Statistique mensuelle du commerce extérieur de la France, République Française, Ministère du Budget, Direction générale des douanes et droits directs, Paris. (Infolge: Commerce extérieur) und Budget, République Française, Ministère du Budget, Paris. (Infolge: Budget). 60 Documents Diplomatiques Français, 1954–1958, publiés par le Ministère des Affaires Etrangères, Commission de Publication des Documents Diplomatiques Français, Paris, 1988–1996. (Infolge: DDF) 61 Sondages. Revue française de l’opinion publique, (1954–1964). (Infolge: Sondages).

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ciel de la République française, Assemblée nationale‘ (JOAN)62. Sie bringen anschaulich sowohl den überparteilichen Konsens als auch die Differenzen in zentralen Fragen zum Ausdruck. Sie verdeutlichen zugleich Ineffizienz und Instabilität der IV. Republik, deren Auswirkungen in der Nordafrikapolitik spürbar wurden. Darüber hinaus ermöglichen sie einen Vergleich der offiziellen, im Parlament vorgetragenen Haltung mit inoffiziellen, nur aus internen Dokumenten ablesbaren Standpunkten. Die Website der ‚Assemblée nationale‘ bietet kurze Biografien der Parlamentarier und Angaben zu ihrem politischen Wirken63. Gesetze und erlassene Dekrete können im ‚Journal officiel de la République française‘ (JORF) eingesehen werden. Das ‚Journal officiel de l’Assemblée de l’Union française‘ (JOUF) war für die vorliegende Arbeit von nachrangiger Bedeutung, da die Institution einen rein konsultativen Charakter besaß und die zentralen Themen in der Nationalversammlung debattiert und entschieden wurden64. Ähnlich verhielt es sich mit der ‚Assemblée algérienne‘, deren Protokolle im ‚Journal Officiel de l’Algérie‘ (JOA) abgedruckt sind65. Zwar besaß sie autonome Befugnisse, Politikbereiche, die die Metropole betrafen, wurden dennoch im französischen Parlament behandelt, in dem alle Gebiete der ‚Union française‘ mit Abgeordneten vertreten waren. Die schriftlichen Quellen werden durch drei Interviews ergänzt, die der Verfasser mit Zeitzeugen führen konnte. Alfred Grosser, der sich bereits in der IV. Republik als Publizist und Politikwissenschaftler an den politischen Debatten beteiligte, gewährte persönliche Einblicke in die damalige Wahrnehmung der Algerienfrage in Politik und Gesellschaft66. Als Experte für französische Wirtschaftsgeschichte nach 1945 gab Jean-François Eck u. a. zur Frage des Einflusses ökonomischer Überlegungen auf die Nordafrikapolitik interessante Hinweise67. Aus dem Gespräch mit Ewald Leufgen, einem deutschen Fremdenlegionär, der im Dienste der französischen Armee von 1961 bis 1964 in Algerien stationiert war, 62 Journal Officiel de la République Française, Débats Parlementaires, Assemblée Nationale, 1946–1958, Paris. Online: http://4e.republique.jo-an.fr/. 63 http://www.assemblee-nationale.fr/sycomore. Sofern nicht anders gekennzeichnet, sind die biografischen Angaben zu den Abgeordneten der französischen Nationalversammlung dieser Quelle entnommen. 64 Journal Officiel de la République Française, Débats Parlementaires, Débats de l’Assemblée de l’Union française, 1946–1958, Paris. Online unter: http://legifrance.gouv.fr/ initRechTexte.do;jsessionid=7ABC4200ABE282AC67D9FC8018E6C96A.tpdjo09v_2. 65 Journal officiel de l’Algérie, Compte rendu des débats, 1947–1956, Alger. (Infolge: JOA). 66 Grossers erste Publikationen befassten sich vornehmlich mit Deutschland. 1961 erschien ein Werk zur französischen Außenpolitik. Grosser, Alfred: La IVe République et sa politique extérieure, Colin, Paris, 1961. Es folgten zahlreiche weitere Studien zu historischen und aktuellen Themen in Frankreich und Deutschland. Etwa: Grosser, Alfred: La France, semblable et différente, Éd. Alvik, Paris, 2005. Zuletzt erschien 2011 Grossers Autobiografie. Grosser, Alfred: Die Freude und der Tod. Eine Lebensbilanz, Rowohlt, Reinbek, 2011. 67 Interview mit Jean-François Eck, 21.02.2012, Paris. Aufnahme und Transkript im Besitz des Autors. Als wichtiges Werk anzuführen ist die mehrfach neu aufgelegte Übersichtsdarstellung: Eck, Jean-François: Histoire de l’économie française depuis 1945, Colin, Paris, 2004. Im Jahr 2009 erweiterte Eck das Thema: Histoire de L’économie française. De la crise de 1929 à l’euro, Paris, 2009.

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ergaben sich nützliche Informationen über die soziale Lage vor Ort, das Zusammenleben von Algeriern und ‚Pieds noirs‘68 sowie über den Kriegsalltag69.

Aufbau der Arbeit In Teil I der Arbeit wird nach einem kurzen Blick auf die Vorgeschichte der IV. Republik untersucht, unter welchen Bedingungen und mit welchen Ambitionen die französische Nordafrikapolitik nach dem Zweiten Weltkrieg begann. Das Statut von 1947, mit dem das institutionelle Verhältnis Algeriens zu Frankreich festgeschrieben wurde, wird auf seine Vereinbarkeit mit dem Anspruch der Verfassung der IV. Republik und der Devise „l’Algérie, c’est la France“ hin überprüft. Es schließt sich eine Analyse der ersten beiden Entwicklungspläne für Nordafrika an. Zum einen geht es darum, die volkswirtschaftliche Konzeption der Pläne und die ökonomische Rollenverteilung zwischen Algerien und Metropole eingehend zu analysieren. Zum anderen wird die Kohärenz beider Investitionsprogramme durch eine Gegenüberstellung von finanziellem Engagement und den realen Bedürfnissen der algerischen Départements verifiziert. Teil II ist den Zäsuren des Jahres 1954 und den daraus resultierenden Folgen für die Nordafrikapolitik gewidmet. Zunächst wird geprüft, wie Paris auf die Zunahme des Nationalismus in den Protektoraten und auf den Ausbruch des Algerienkriegs reagierte und wie sich dadurch die konzeptionelle Betrachtung des Maghreb veränderte. Anschließend wird vor dem Hintergrund des algerischen Unabhängigkeitskampfs untersucht, ob die zwischen 1954 und 1958 angestoßenen politischen Reformen dem Anspruch der ausgerufenen Integrationspolitik gerecht wurden. Damit verbunden ist die Frage nach der in Frankreich und Algerien vorhandenen Bereitschaft, die Konsequenzen dieser Politik zu tragen. Teil III konzentriert sich auf die ökonomische Integration nach 1954 und erforscht, welche Kontinuitäten und Brüche sich im Vergleich zu den Jahren vor dem Algerienkrieg beobachten lassen. Im ersten Kapitel geht es um den ‚Rapport Maspétiol‘ und die Frage, ob das finanzielle Engagement geeignet war, das Ziel der Anhebung des algerischen Lebensstandards auf französisches Niveau zu errei-

68 Die Bezeichnungen Algerierfranzosen, Franko-Algerier sowie „Pieds noirs“ und „Français d’Algérie“ werden im Folgenden gleichbedeutend für den europäischstämmigen Teil der Bevölkerung verwendet. Entsprechend dem zeitgenössischen Verständnis fallen darunter ebenfalls die algerischen Juden. In den Quellen findet sich ferner die Bezeichnung „européen“ wieder. Der Begriff „Algerier“ meint indessen die einheimische muslimische, aus Berbern und Arabern bestehende Bevölkerung. Als Adjektiv verwendet kann „algerisch“ für das gesamte Land stehen, etwa wenn es um die algerische Volkswirtschaft o.ä. geht, aber auch für die den muslimischen Teil, etwa wenn von der algerischen Bevölkerung die Rede ist. Um etwaige Unklarheiten zu vermeiden, wird an gegebener Stelle ein präzisierender Hinweis gegeben. 69 Interview mit Ewald Leufgen, 15.11.2013, Sülfeld. Aufnahme und Transkript im Besitz des Autors.

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chen. Kapitel zwei untersucht, ob die Landwirtschaft die ihr zugewiesene Rolle bei der Überwindung der ökonomischen und sozialen Probleme Algeriens zu erfüllen im Stande war. Der Weinpolitik ist das dritte Kapitel gewidmet. Da der Weinbau einerseits eine hohe volkswirtschaftliche Bedeutung für Algerien besaß, andererseits jedoch einen empfindlichen Reibungspunkt bei der Integrationspolitik darstellte, erscheint dieses Politikfeld besonders geeignet, um Anspruch und Realität der Devise „l’Algérie, c’est la France“ zu hinterfragen. Das vierte Kapitel analysiert das Engagement, das Frankreich in Bezug auf die Industrialisierung Algeriens an den Tag legte, und thematisiert dabei auftretende Zielkonflikte zwischen ökonomischer und politischer Integration. Im letzten Kapitel werden die großen wirtschaftlichen und strategischen Hoffnungen, die Paris an die Entdeckung der Ölvorkommen in der algerischen Sahara knüpfte, einer kritischen Prüfung unterzogen und dem tatsächlichen Potential der Rohstoffe gegenübergestellt. Teil IV untersucht die unterschiedlichen Kosten des Algerienkriegs. Im ersten Kapitel werden die offiziellen Angaben über die Kriegslast kritisch hinterfragt und mit eigenen Berechnungen verglichen. Ferner wird nach möglichen Motiven hinter der Kommunikation der Entscheidungsträger gesucht. Welche Interessen Frankreich mit der Interdependenzpolitik gegenüber Marokko und Tunesien verband und welche Opportunitätskosten der Algerienkrieg in Bezug auf die bilateralen Beziehungen verursachte, wird im zweiten Kapitel analysiert. Dabei wird es auch um die Überlegung gehen, inwieweit Spannungen unvermeidlich waren und welche Entscheidungen konfliktfördernd wirkten. Das dritte Kapitel ist auf den Nebenkriegsschauplatz am Suezkanal fokussiert, der in untrennbarer Verbindung mit der Algerienfrage stand. Einleitend wird die französische Nahostpolitik in Zusammenhang mit den Ereignissen in Nordafrika gestellt. Anschließend wird untersucht, welche Ziele Paris mit der militärischen Intervention in Ägypten verband, wie realistisch diese waren und welche Bilanz tatsächlich am Ende des Suezkrieges stand. Teil V fragt nach den Grenzen der Integrationspolitik. Das erste Kapitel befasst sich eingehend mit der politischen und gesellschaftlichen Diskussion über die steigenden Lasten der Integrationspolitik, die sich gegen Ende der IV. Republik intensivierte. Argumente und Gegenargumente standen einander in der KostenNutzen-Debatte scharf gegenüber. Sie markierten die Eckpunkte des Streits, inwieweit Frankreich tatsächlich oder vermeintlich ökonomisch abhängig von Algerien war. Der Bogen, der im zweiten Kapitel zum Europäischen Integrationsprozess geschlagen wird, dient der nochmaligen Erweiterung der Perspektive. Dadurch werden die Besonderheiten der französischen Volkswirtschaft vor dem Hintergrund der Kolonialpolitik deutlich gemacht und die Frage geklärt, in welcher Weise Europa und ‚Union française‘ als komplementäre oder substitutive Konzepte verstanden wurden. In Teil VI wird untersucht, welche Zäsuren und Kontinuitäten sich hinsichtlich des Verhältnisses von Anspruch und Realität der Integrationspolitik beim Übergang von der IV. zur V. Republik feststellen lassen. Ein besonderes Augenmerk liegt auf dem letzten Entwicklungsplan für Algerien. Den Schlusspunkt der Erörterung der Algerienfrage setzten die Verträge von Évian und die Frage, ob

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acht Jahre Krieg und eine V. Republik unter Charles de Gaulle notwendig waren, um zu einer politischen Konfliktlösung zu gelangen, oder ob eine solche Möglichkeit nicht bereits in der IV. Republik bestand. Im Fazit werden die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit rekapituliert und im Lichte der Leitfragen bewertet. Den Schluss bildet ein kurzer Ausblick auf die franko-algerischen Beziehungen in der Gegenwart und zukünftige Herausforderungen für die Forschung.

I. L’ALGERIE ET LA FRANCE: DIE PHASE BIS 1954 1. ALGERIEN ZWISCHEN ASSIMILATION UND AUTONOMIE „Pour variés que soient leurs statuts politiques, les trois pays de l’Afrique du Nord sont des pays coloniaux“, (Jean Dresch, 1952)1

1.1 Von der Kolonialisierung bis zur ‚Libération‘ „L’Algérie, c’est la France“, dieses Leitmotiv der französischen Nordafrikapolitik in der Zeit des Unabhängigkeitskriegs war bereits im Jahr 1848 durch die Gründung dreier Départements in Algerien institutionalisiert worden2. Über mehrere Jahrzehnte hinweg beschränkte sich der französische Gleichheitsanspruch allerdings auf die Siedler, die das Land kolonialisierten und vollwertige Staatsbürger blieben. Die muslimische Bevölkerungsmehrheit hingegen besaß, wie alle Überseevölker, keine Bürgerrechte und konnte sich auf politischem Wege kaum für die eigenen Belange einsetzen. Gewichtige Fürsprecher in französischen Kreisen fehlten3. Obschon der militärische Widerstand gegen die im Jahr 1830 begonnene Eroberung erst 40 Jahre später gebrochen wurde, bestand innerhalb der algerischen Eliten lange Zeit nicht nur die Bereitschaft, sondern auch der Wunsch, die französische Staatsbürgerschaft zu erhalten4. Theoretisch bestand im Rahmen der ‚politique d’assimilation‘ ab dem Jahr 1870 die Möglichkeit dazu5. Voraussetzung für die sogenannte Naturalisierung war gleichwohl „la renonciation au statut personnel musulman (ou berbère)“, was die Algerier mehrheitlich als Verrat an

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Dresch, Jean: La situation économique et sociale de l’Afrique du Nord et l’industrialisation, in: Industrialisation de l’Afrique du Nord, hg. v. Centre d’études de politiques étrangères, Colin, Paris, 1952, S. 223–238, hier S. 223. Weiterführend zur franko-algerischen Geschichte vor dem Ausbruch des Algerienkrieges: Pervillé, Guy: La France en Algérie, 1830–1954, Vendémiaire, Paris, 2012. Als eine der wenigen kritischen Stimmen lässt sich die Saint-Simonien-Bewegung um Bartélemy Prosper Enfantin anführen. Er prangerte die militärische Kolonialisierung an und forderte „un mode de colonisation qui serait profitable aux deux peuples en présence au lieu de n’avantager que les colonisateurs“. Enfantins Kritik stieß auf wenig Gegenliebe und insgesamt blieb der Einfluss der Saint-Simoniens marginal. Picon, Antoine: Les Saint-Simoniens. Raison, imaginaire et utopie, Belin, Paris, 2002, S. 160ff. Zur Befriedung Algeriens siehe: Frémeaux, Jacques: La France et l’Algérie en guerre. 1830– 1870, 1954–1962, Economica, Paris, 2002. Zunächst zielte die Assimilationspolitik darauf ab, Algerien administrativ an Frankreich anzugleichen. Später rückte dann die Assimilierung der einheimischen Bevölkerung in den Mittelpunkt.

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I. L’Algérie et la France: Die Phase bis 1954

ihrer religiösen und kulturellen Persönlichkeit ablehnten. Dementsprechend wurden bis zum 2. Weltkrieg lediglich etwa 4.300 Einbürgerungsanträge gestellt6. Bis 1948 existierten zwei voneinander getrennte Schulsysteme. Die frankoalgerischen Kinder durchliefen Bildungseinrichtungen, die jenen Frankreichs in Aufbau und Qualität glichen. Schulen, Berufsschulen, Universitäten – ihnen standen alle Bildungstüren offen. Der überwiegenden Mehrheit der muslimischen Kinder hingegen blieb der Zugang zur elementarsten Bildung verwehrt. Nur ein Bruchteil besuchte regelmäßig eine Schule, oft nur für wenige Jahre. Die Volkszählung aus dem Jahr 1948 ergab, dass etwa elf Prozent der Algerier der französischen Sprache mächtig waren7. Weiterführende Schulbildung oder gar universitäre Studien blieben einer kleinen, assimilierten Elite vorbehalten. Die Attitude der Metropolfranzosen gegenüber den Vorgängen jenseits der Meere war lange Zeit von einer „indifférence, généralement bienveillante“ gekennzeichnet, was sich anhand der Kolonialausstellung in Paris im Jahr 1930 veranschaulichen lässt8. Dieses farbenfrohe, gesellschaftliche Großereignis präsentierte das Imperium in voller Pracht, appellierte erfolgreich an den Stolz der Franzosen auf das zivilisatorische Werk ihres Vaterlandes und befriedigte die Neugier auf Exotik aus Übersee, ohne den 30 Millionen Besuchern eine tiefergehende oder gar kritische Beschäftigung mit der Kolonialpolitik abzuverlangen9. Manche bezeichnen die Ausstellung als „la plus grande des entreprises de propagande, en France, de toute la période coloniale“10. Die von Antikolonialisten, Surrealisten und Kommunisten initiierte Gegenveranstaltung ‚La Vérité sur les Colonies‘ stieß

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Für die Siedler anderer europäischer Länder, die das Land zusammen mit den Franzosen kolonialisierten, bestand bereits vor 1870 die Möglichkeit, in Algerien die französische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Durch ein Gesetz aus dem Jahr 1889 wurden ihre vor Ort geborenen Kinder automatisch zu Franzosen. Pervillé, Guy: La politique algérienne de la France, de 1830–1962, 1995. Vgl. http://guy.perville.free.fr/spip/article.php3?id_article=71. Der jüdischen Bevölkerung wurde mit dem ‚Décret Crémieux‘ im Jahr 1870 die Assimilierung verordnet. Mit 50.000 Personen machten sie im Jahr 1898 etwa ein Sechstel der ‚Pieds noirs‘ aus. Adamson, Kay: Political and economic thought and practice in nineteenth-century France and the colonization of Algeria, Edwin Mellen Press, Lewiston, N.Y., 2002, S. 263. 7 14,4 Prozent der männlichen und 6,5 Prozent der weiblichen arabischen Bevölkerung sprachen Französisch. Bei den Berbern lag die Quote bei 20 und 4,8 Prozent. MDN, 1 H 1107/1: Gouvernement général de l’Algérie (GGA), recensement de la population 1954, T. 2, S. 55. 8 Frémeaux, Jacques: L’Union française. Le rêve d’une France unie?, in: Culture impériale 1931–1961. Les colonies au cœur de la République, hg. v. Blanchard, Pascal/Lemaire, Sandrine, Autrement, Paris, 2004, S. 163–174, hier S. 165. 9 Auch internationale Beobachter lobten das zivilisatorische Werk Frankreichs in Übersee. Vgl. Lefeuvre: Chère Algérie, S. 30. Zur Kolonialausstellung siehe: Hodeir, Catherine/Pierre, Michel: L’Exposition coloniale de 1931, André Versaille, Brüssel, 2011. Eine anschauliche Darstellung mit zahlreichen Abbildungen: Grandsart, Didier: Paris 1931. Revoir l’Exposition coloniale, Éd. Van Wilder, Paris, 2010. Zur Besucherzahl: Katan Bensamoun: Le Maghreb, S. 200. 10 Blanchard, Pascal/Lemaire, Sandrine: Introduction, in: Culture impériale, S. 5–31, hier S. 5f.

1. Algerien zwischen Assimilation und Autonomie

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mit 4.226 Besuchern auf deutlich weniger Resonanz11. Auch Parteien, die sich offiziell in einer antikolonialen Tradition sahen, fochten das Imperium nicht an und beschränkten sich auf die Kritik bestimmter Methoden und das Anmahnen kleinerer Reformen12. Im Allgemeinen überließ es Frankreich weitestgehend einer kleinen, aber einflussreichen Koloniallobby, sich mit den Überseegebieten auseinander zu setzen13. In den 1930er Jahren setzten sich Teile der assimilierten algerischen Elite dafür ein, den Erhalt der Bürgerrechte nicht länger an den Verzicht auf das persönliche Statut zu knüpfen. Ferhat Abbas schrieb im Jahr 1936, „si j’avais découvert la nation algérienne, je serais nationaliste. […] Et cependant je ne mourrai pas pour la patrie algérienne parce que cette patrie n’existe pas. Je ne l’ai pas découverte. J’ai interrogé les vivants et les morts, j’ai visité les cimetières, personne ne m’en a parlé“14. Die Unterstützung für die Idee „Algerien ist Frankreich“ war unverkennbar. Gleichzeitig warnte Abbas jedoch davor, den Algeriern die Gleichberechtigung vorzuenthalten. „Vous nous refusez d’être français. Nous serons autre chose, parce qu’il faut bien que nous soyons quelque chose!“15. Bezeichnenderweise scheiterte im selben Jahr das ‚Projet Blum-Violette‘ an der Fundamentalopposition im Parlament16. Ein Senator hatte für den Fall der Umsetzung der vorgeschla11 Hodeir/Pierre: L’Exposition coloniale, S. 125–134. Zur antikolonialen Bewegung in Frankreich siehe: Derrick, Jonathan: The Dissenters. Anti-Colonialism in France, c. 1900–40, in: Promoting the Colonial Idea. hg. v. Chafer/Sackur, S. 53–68 und Liauzu, Claude: Histoire de l’anticolonialisme en France. Du XVIe siècle à nos jours, PUF, Paris, 2007. 12 Die Sozialisten (SFIO) hatten sich bereits 1907 offiziell gegen den Kolonialismus ausgesprochen, hielten gleichwohl an der ‚mission civilisatrice‘ Frankreichs fest. Die Kommunisten (PC) unterstützten aus der Opposition heraus antikoloniale Bewegungen. Im ‚Front Populaire‘ mit der Regierungsverantwortung betraut, beschränkten sich beide Parteien aber auf Initiativen, die den Menschen in den Kolonien mehr Rechte zugestehen sollten, ohne dabei das System grundsätzlich infrage zu stellen. Vgl. Grosser: La IVe République et sa politique extérieure, S. 109 und Derrick: The Dissenters, S. 63. Dritte Partei im ‚Front Populaire‘ war die ‚Parti radical-socialiste‘. 13 Frémeaux: L’Union française, S. 165. Auch Intellektuelle wie Alexis de Tocqueville schenkten der Kolonialisierung Nordafrikas ihre wohlwollende Aufmerksamkeit. Er kritisierte zwar willkürliche Enteignungen von Einheimischen und Exzesse bei der Befriedung, unterstützte gleichwohl grundsätzlich die Eroberung und sah die Kolonialisierung untrennbar mit der französischen Dominanz über die Einheimischen verbunden. Vgl. De Tocqueville, Alexis: Œuvres complètes, Tome III, Écrits et discours politiques, Gallimard, Paris, 1962, S. 217ff.; 326f. 14 Ferhat Abbas in der Zeitung ‚L’Entente‘, (23.02.1936). Zitiert nach: Julien, Charles-André: L’Afrique du Nord en marche. Algérie, Tunisie, Maroc 1880–1952, Omnibus, Paris, 2002 (1952), S. 123. 15 Ferhat Abbas in der Zeitung ‚L’Entente‘. Zitiert nach: Stora, Benjamin/Daoud, Zakya: Ferhat Abbas. Une utopie algérienne, Denoël, Paris, 1995, S. 87. In abgewandelter Form, inhaltlich jedoch übereinstimmend, findet sich das Zitat bei Ferro: Le colonialisme, S. 46. 16 Textlaut des Gesetzesentwurfes: ANOM, FM 81F 15: Projet de Loi Blum-Violette. Die Initiatoren Léon Blum und Maurice Violette sahen sich aufgrund des Vorschlags mit großen Anfeindungen im Parlament konfrontiert. Chevallier, Jacques: Nous, Algériens, Calmann-Lévy, Paris, 1958, S. 62.

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genen Ausweitung des Wahlrechts auf 20.000 Muslime „l’amorce de la guerre civile“ angekündigt17. Die Enttäuschung über ausbleibende Schritte in Richtung Gleichberechtigung spielte im Zweiten Weltkrieg zweifellos eine Rolle bei der Entscheidung zahlreicher Algerier, nicht für die Freiheit Frankreichs in den Kampf zu ziehen18. Umgekehrt verbanden die etwa 170.000 Indigènes19, die in den Reihen der französischen Armee zur ‚Libération‘ beitrugen, ihren Einsatz, wie schon im Ersten Weltkrieg, häufig mit der Hoffnung auf eine Belohnung politischer Art20. Auf der Konferenz von Brazzaville bezeugte Charles de Gaulle sodann voller Euphorie seine Anerkennung: „C’est dans ses terres d’outre-mer, dont toutes les populations, dans toutes les parties du monde, n’ont pas, une seule minute, altéré leur fidélité, qu’elle [la France] a trouvé son recours et la base de départ pour sa libération et qu’il y a désormais, de ce fait, entre la Métropole et l’Empire, un lien définitif“21. Kurzzeitig spiegelte sich die Rolle des Imperiums bei der ‚Libération‘ auch in einem gestiegenen öffentlichen Interesse an den Kolonien wider, das in der Nachkriegszeit allerdings bald wieder abebbte22. Dass die Regierung indessen nicht bereit war, Protest gegen die französische Souveränität in Algerien und offene Forderungen nach Unabhängigkeit zu tolerieren, zeigte sich ausgerechnet am 8. Mai 1945, dem Tag, an dem die Welt das En17 Mopin, Michel: Les grands débats parlementaires de 1875 à nos jours, La Documentation française, Paris, 1988, S. 300. 18 Im Vergleich zum Ersten Weltkrieg zog etwa ein Drittel weniger Nordafrikaner für Frankreich in den Krieg. Levisse-Touzé, Christine: L’Afrique du Nord dans la guerre 1939–1945, Albin Michel, Paris, 1998, S. 366. Einige Algerier, die nicht kämpften, setzten, begünstigt durch die deutsche Propaganda, auf einen Sieg der Achsenmächte. Andere spekulierten darauf, die freiheitsliebenden Amerikaner würden die Franzosen ersetzen. Lacroix-Riz: Les protectorats d’Afrique du Nord, S. 9. Nach Ageron folgten die Menschen in Übersee nur zögerlich und ohne Enthusiasmus den Mobilisierungsaufrufen. Coquery-Vidrovitch/Ageron: Histoire de la France colonial, III, S. 187. Quinn spricht in diesem Zusammenhang von Zwang bei den Rekrutierungen. Quinn, Frederick: The French Overseas Empire, Praeger, Westport, 2002, S. 187. Dem Vorwurf, Frankreich, habe die Soldaten aus Übersee als Kanonenfutter missbraucht, widerspricht Lefeuvre im französischen Fernsehen und verweist auf eine niedrigere Gefallenenquote. Beitrag online einsehbar unter: http://www.youtube.com/ watch?v=3yCwqdR_nEg. Siehe auch: Lefeuvre: Pour en finir, S. 114f. 19 Titel des preisgekrönten Films (2006) des französischen Regisseurs Rachid Bouchareb über maghrebinische Soldaten, die in den Reihen der französischen Armee kämpften. 20 De Gaulle stellte während des Krieges einen Plan vor, mit dem 70.000 Algeriern als Dank für ihren Militärdienst die französische Staatsbürgerschaft verliehen werden sollte. Vgl. Gosnell, Jonathan K.: The politics of Frenchness in colonial Algeria, 1930–1954, Univ. of Rochester Press, Rochester, 2002. Nach dem Ersten Weltkrieg hat Frankreich die Loyalität der Algerier mit einer begrenzten Ausweitung des Wahlrechts und erleichtertem Zugang zu Ämtern belohnt. Katan Bensamoun: Le Maghreb, S. 185. 21 Rede von Charles de Gaulle, Brazzaville 30.01.1944. Online: DMJP, http://mjp.univ-perp.fr/textes/degaulle30011944.htm. 22 Coquery-Vidrovitch und Ageron verweisen u. a. auf die gestiegene Zahl der Bewerbungen bei der ‚École coloniale‘ und der ‚Agence économique coloniale‘. Vgl. Histoire de la France colonial, III, S. 187.

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de des Zweiten Weltkrieges in Europa feierte23. Auf einer von algerischen Nationalisten initiierten Großdemonstration in der Stadt Sétif wurde ein Teilnehmer, der die algerische Flagge schwenkte, von französischen Sicherheitskräften erschossen. Die aufgebrachte Menge übte blutige Rache an Dutzenden ‚Pieds noirs‘, bevor die französische Armee mit äußerster Härte einschritt. Bei der folgenden Repression ging es weniger darum, die Verantwortlichen für die Ermordung unschuldiger Franko-Algerier zur Rechenschaft zu ziehen, als vielmehr um eine kollektive Bestrafung einer ganzen Region für ihre separatistischen Bestrebungen. Tausende Zivilisten wurden getötet24. Damals erhob sich in der Metropole kaum Protest gegen die Aktion, die der französische Botschafter in Algerien im Jahr 2005 als „tragédie inexcusable“ bezeichnete25. Dieses Kolonialverbrechen brannte sich tief in das kollektive Gedächtnis des Landes ein und prägt noch drei Generationen später das Verhältnis zu Frankreich26. Einstige Freunde der ‚Grande Nation‘ wandten sich damals verbittert der Unabhängigkeitsbewegung zu27. Mit Blick 23 Zu den multiplen Bedeutungen des 8. Mai 1945: Diner, Dan: Reims, Karlshorst, Sétif. Die multiple Bedeutung des 8. Mai 1945, in: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Geschichte des 20. Jahrhunderts?, hg. v. Frei, Norbert, Wallstein Verlag, Göttingen, 2006, S. 190–195, hier S. 194. 24 Der französischen Repression fielen nach offiziellen Angaben 5.100 Menschen zum Opfer. Der FLN spricht bis heute von 45.000 Toten. Siehe etwa Aussage des früheren algerischen Verteidigungsministers: Nezzar: Journal de guerre, S. 36. Die tatsächliche Opferzahl ist bis heute sehr umstritten, wenngleich die algerische Angabe der Mehrheit der Historiker als stark übertrieben erscheint. Vgl. etwa: Liauzu, Claude/Meynier, Gilbert: Sétif. La guerre des mémoires, 2005. Der Artikel ist online einsehbar unter http://www.ldh-toulon.net/spip.php? article655#nb2. Abgedruckt in: Le Nouvel Observateur, 2117 (02.06.2005). Ebenso: Blanchard/Lemaire: Introduction, S. 22. Weiterführend der jüngste Neudruck eines Artikels aus dem Jahr 1995: Ageron, Charles-Robert: Mai 1945 en Algérie. Enjeu de mémoire et histoire, in: Matériaux pour l’Histoire de Notre Temps, 108 (2012), S. 68–73. Ausführlich: Vétillard, Roger: Sétif, mai 1945. Massacres en Algérie, Éd. de Paris, Paris, 2008. 25 Alfred Grosser (Interview) äußerte gegenüber dem Verfasser: „Et lorsqu’il y a eu la répression à Sétif en 45, seul Camus a protesté. Le Parti Communiste était d’accord quant à ces nationalistes algériens qui voulaient se séparer de la France“. Zum Zitat des französischen Botschafters in Algerien vom 27.02.2005: Le Monde, (10.03.2005): Paris reconnaît que le massacre de Sétif en 1945 était „inexcusable“, Florence Beaugé. Online unter: http://www. lemonde.fr/international/article/2005/03/09/paris-reconnait-que-le-massacre-de-setif-en-1945etait-inexcusable_400904_3210.html. 26 Im Internet finden sich unzählige Beiträge zu diesem Thema. Während eines Forschungsaufenthalts in Paris hatte der Autor Gelegenheit, mit jungen Algeriern über dieses Thema ins Gespräch zu kommen. 27 Die Mehrheit der Autoren sieht einen Zusammenhang zwischen Sétif und dem Ausbruch des Algerienkrieges. Etwa: Coquery-Vidrovitch/Ageron: L’histoire de la France coloniale, III, S. 215. Ebenso Kaddache, Mahfoud: Action armée et nationalistes algériens, in: Les chemins de la décolonisation, hg. v. Ageron, S. 388–400, hier S. 393. Der algerische Schriftsteller Kateb Yacine gab retrospektiv an, Sétif habe seine persönliche Haltung wesentlich beeinflusst. Er selbst wurde als junger Schüler verhaftet und von der Schule ausgeschlossen. Toumi, Alek Baylee: Maghreb Divers. Langue française, langue parlées, littératures et représentations de Maghrébins à partir d’Albert Memmi et de Kateb Yacine, Lang, New York, 2002, S. 40. Seine vielzitierte Aussage, „là [à Sétif] se cimènte mon nationalisme“, ist in diesem

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auf die Passivität vieler Franzosen und die Intransigenz der Politik schrieb Albert Camus Ende Mai 1945, Frankreich reagiere „toujours de vingt ans en retard sur la situation actuelle“28. Er schien die bevorstehenden dramatischen Ereignisse in Nordafrika zu erahnen.

1.2 Die IV. Republik und das Statut von 1947 Im Rahmen des politischen Neuanfangs nach Krieg, Besetzung und Befreiung bot sich eine weitere Chance, in Algerien und dem gesamten Imperium den französischen Idealen ‚Liberté, Égalité et Fraternité‘ den Einzug zu bereiten. De Gaulles formulierter Anspruch einer Schicksalsgemeinschaft findet sich als prägendes Element in der Verfassung der IV. Republik von 1946 wieder. „Fondée sur l’égalité des droits et des devoirs, sans distinction de race ni de religion“, bekannte sich Frankreich zu seiner „mission traditionnelle“, die es allen Völkern der neu gegründeten ‚Union française‘ ermöglichen sollte, „de gérer démocratiquement leurs propres affaires“29. Damit wurde der politische Assimilierungsanspruch aufgegeben und durch das Konzept der Integration ersetzt. Unabhängig von kulturellen oder religiösen Eigenheiten wurde allen Überseevölkern das französische Bürgerrecht, eine politische Repräsentation in den französischen Institutionen und das Recht auf freie Selbstentfaltung zugestanden – innerhalb des institutionellen Rahmens der ‚Union française‘ wohlgemerkt. Der Fortschritt zum Status ex ante war unverkennbar. Dennoch blieb die reale politische Macht nahezu vollständig in Paris konzentriert, obschon die Überseegebiete 60 Prozent der gesamtfranzösischen Population ausmachten30. Von 39

Zusammenhang zu sehen. Dass Sétif für algerische Nationalistinnen gleichermaßen von einschneidender Bedeutung war, zeigt: El Korso, Malika: La mémoire des militantes de la Guerre de libération nationale, in: Insaniyat. Revue algérienne d’anthropologie et de sciences sociales, 3 (1998), S. 25–51. Robert Aron bezweifelte hingegen den nachträglich hergestellten Zusammenhang zwischen Sétif und Algerienkrieg. Aron, Robert: Les origines de la guerre d’Algérie, Fayard, Paris, 1962, S. 332. 28 Camus, Albert: Œuvres complètes, Band 4, La Pléiade, Paris, 2008, S. 344. Camus tätigte die zitierte Äußerung am 18.05.1945 in der Zeitung ‚Combat‘. 29 Constitution de 1946, IVe République, Préambule. Text online unter: http://www.conseilconstitutionnel.fr/conseil-constitutionnel/Français/la-constitution/les-constitutions-de-lafrance/constitution-de-1946-ive-republique.5109.html. 30 Frémeaux gibt das Verhältnis mit 70 zu 40 Millionen an. Teile des ‚Empire‘, wie etwa die Protektorate, waren jedoch formell eigenständige Staaten und somit nicht relevant für die Institutionen der IV. Republik. Frémeaux: L’union française, S. 170. Ein erster, föderal und stärker auf die Selbstbestimmung der Kolonien ausgerichteter Verfassungsentwurf war am ablehnenden Referendum der Franzosen gescheitert. Dimier, Véronique: For a Republic ‚Diverse and Indivisible'? Frances’s Experience from the Colonial Past, in: Contemporary European History, 13, 1 (2004), S. 45–66, hier S. 46f.

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französischen Ministern stammte nicht ein einziger aus den Kolonien31. In der Nationalversammlung standen 75 Parlamentarier aus den Kolonien 544 Abgeordneten aus der Metropole gegenüber32. Dabei gilt es zudem zu bedenken, dass die Delegierten aus Übersee nicht über ein allgemeines und gleiches Wahlrecht bestimmt wurden, das den kolonialisierten Völkern eine Repräsentation entsprechend ihrer Bevölkerungsmehrheit gewährt hätte. Etabliert wurde ein Zweikammer-Wahlsystem (‚Premier et Deuxième Collège‘), das mit einer überproportionalen Vertretung der französischen Siedler einherging. Die ‚Assemblée de l’Union française‘ hatte einen rein konsultativen Charakter und spielte im Entscheidungsfindungsprozess eine untergeordnete Rolle. Dennoch stellte das Hexagon auch hier die Hälfte der Abgeordneten33. Die allgemeine Unterrepräsentation der Kolonien stand in einem auffälligen Kontrast zum Gleichheitsanspruch der ‚Union française‘. Gewissermaßen begann die IV. französische Republik somit mit einer Illusion34.

Sonderfall Algerien Obwohl sich die politischen Rechte der Algerier mit einem Schlag deutlich verbesserten, führte die neue Verfassung zu Enttäuschung bei den algerischen Delegierten. Ihnen ging die Selbstentfaltung innerhalb der ‚Union française‘ nicht weit genug. Sie hatten zwar keine vollständige Loslösung von Frankreich gefordert, jedoch auf einer Verankerung des Rechts auf politische Autodetermination in der Verfassung gepocht35. Algerien blieb nach 1946 ein Sonderfall in der ‚Union française‘. Eine explizite Erwähnung der algerischen Départements findet sich in der Verfassung der IV. Republik nicht wieder36. Als Teil Frankreichs war die Zugehörigkeit zur Französischen Union implizit, die lokalen Institutionen und die Souveränitätsaufteilung zwischen Algier und Paris wurden gleichwohl gesondert

31 Diesen Umstand kritisierte der senegalesische Abgeordnete und spätere Präsident des unabhängigen Senegal, Léopold Sédar Senghor, in einem Beitrag. Senghor, Léopold Sédar: L’avenir de la France dans l’Outre-Mer, in: Politique Etrangère, 4 (1954), S. 419–426, hier S. 420. 32 http://www.assemblee-nationale.fr/connaissance/collection/8.asp#P31_4625. 33 Auf den ‚Conseil de la République‘ wird in der vorliegenden Arbeit nicht gesondert eingegangen. Er setzte sich größtenteils aus den beschriebenen Institutionen zusammen und verfügte über keine autonomen Entscheidungsbefugnisse. 34 La République des illusions ist der Titel des ersten von drei Bänden zur Geschichte der IV. Republik von Elgey, Georgette: Histoire de la IVe République, première partie, 1945–1951, Fayard, Paris, 1993. 35 Zur Verfassungsdiskussion siehe: Isoart, Paul: L’élaboration de la constitution de l’Union française. Les Assemblées constituantes et le problème colonial, in: Les chemins de la décolonisation, hg. v. Ageron, S. 15–31 und Frémeaux: L’Union française, S. 171. 36 In Artikel 60 der Verfassung heißt es: „L’Union française est formée, d’une part, de la République française qui comprend la France métropolitaine, les départements et territoires d’outre-mer, d’autre part, des territoires et États associés“. Constitution de 1946, IVe République. Titre VIII.

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im Statut von 1947 festgeschrieben. Im Vorfeld hatte Ferhat Abbas’ Partei ‚Union démocratique du manifeste algérien‘ (UDMA) vorgeschlagen, ein autonomes, säkulares und institutionell nach französischem Vorbild gestaltetes Algerien an Frankreich und die ‚Union française‘ zu assoziieren. Sowohl in der algerischen als auch in der französischen Regierung sollte jeweils ein Abgesandter des Partnerlandes vertreten sein37. Dieses Angebot ging deutlich über das hinaus, was Paris 15 Jahre später in den Verträgen von Évian an franko-algerischer Kooperation auszuhandeln vermochte. Im Zeitgeist von 1947 stellten die geforderten Zugeständnisse jedoch offenbar eine unüberwindbare Barriere für die französische Regierung und die franko-algerischen Vertreter dar. Zwar drängten auch letztere darauf, die weitreichende politische und finanzielle Eigenständigkeit Algeriens zu bewahren. Dabei ging es in erster Linie jedoch darum, den für sie vorteilhaften Status quo zu erhalten, ohne dabei den Grundsatz „Algerien ist Frankreich“ infrage zu stellen. Das Statut von 1947 war letztlich ein Kompromiss aus Integration und Dezentralisierung38. Bestehende selbständige Institutionen Algeriens wurden bestätigt und weitere hinzugefügt. Das Land verfügte weiterhin über die finanzielle Autonomie und eine starke Generalregierung, deren Gouverneur mehr als nur der höchste Administrator war: „c’est un véritable vice-roi en Algérie“39. Ferner besaß es ein Emissionsinstitut und mit dem ‚Franc de la région économique d’Algérie‘ eine eigene, wenngleich paritätische Währung40. Theoretisch waren alle Bürger der ‚Union française‘ gleich. Praktisch gab es in der Metropole 40 Millionen Franzosen, während in Algerien zwischen „un million de citoyens français originaires de la Métropole et neuf millions de musulmans“ differenziert wurde41. Der neu etablierten ‚Assemblée algérienne‘ wurde die Verantwortung übertragen, eine ganze Reihe von Reformen umzusetzen, mit denen die institutionellen Diskrepanzen zur Metropole vermindert werden sollten. Sie wurde zu gleichen Teilen mit jeweils 60 Delegierten aus zwei Wahlkollegs zusammengesetzt und mit weitreichenden innen- und wirtschaftspolitischen Kompetenzen ausgestattet. Die Abgeordneten des ersten Kollegs wurden von der europäischen Bevölkerung und einer kleinen Gruppe Algerier gewählt. Das zweite Kolleg repräsentierte die mus37 ANOM, FM 81F 39: 22.03.1947, Projet U.D.M.A. 38 Chenntouf, Tayeb: L’Assemblée algérienne et l’application des réformes par le statut du 20 septembre 1947, in: Les chemins de la décolonisation, hg. v. Ageron, S. 367–375, hier S. 368. 39 Collot, Claude: Les Institutions de l’Algérie durant la période coloniale (1830–1962), C.N.R.S, Paris/Office des Publications Universitaires, Algier, 1987, S. 12. Der Generalgouverneur (GG) war die höchste politische Instanz in Algerien, eine Art Regierungschef mit eigenem Kabinett, die zusammen das ‚Gouvernement général de l’Algérie‘ (GGA) bildeten. 1956 wurde der Posten in ‚Ministre résident et gouverneur général de l’Algérie‘ umbenannt. 40 Umgangssprachlich ‚Franc algérien‘ genannt, zirkulierte die Währung seit 1848 und wurde 1960 durch den ‚Noveau franc‘ ersetzt. Dieser galt bis 1964, als der ‚Dinar algérien‘ eingeführt wurde. 41 ANOM, FM 81F 14, Rapports et Notes importants (Rapports Soustelle et divers): Note. Wenige Abgeordnete verzichteten vor 1958 in Äußerungen auf eine ethnisch-religiöse Unterscheidung. Etwa: Marcel Ribère (RPF), in: JOAN, 28.07.1955, S. 4441.

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limische Bevölkerung. Beide Kammern entsandten jeweils 15 Vertreter in die französische Nationalversammlung42. Da das Verhältnis der beiden Bevölkerungsgruppen bei etwa eins zu neun lag, führte diese Verteilung berechtigterweise zu Kritik43. Allerdings muss bedacht werden, dass die algerische Mehrheit bei den Wahlberechtigten weniger stark ausfiel als bei der Gesamtbevölkerung. Letztere setzte sich im Jahr 1954 aus 8,36 Millionen Algeriern und 934.000 ‚Pieds noirs‘ zusammen. 55,6 Prozent der Muslime hatten das Wahlalter von 21 Jahren noch nicht erreicht, bei den Algerierfranzosen waren es nur 19,4 Prozent44. Muslimische Frauen besaßen im Gegensatz zu den Franko-Algerierinnen kein Recht auf demokratische Teilhabe. In Bezug auf die im Statut vorgesehene Einführung des Frauenwahlrechts zeigten in der ‚Assemblée algérienne‘ weder die franko-algerischen noch die muslimischen Abgeordneten Initiativen45. Auch die Nationalversammlung hielt sich auffallend zurück, in den algerischen Départements einzufordern, was in Frankreich seit 1944 galt. Einige Politiker lehnten die geschlechtliche Gleichberechtigung in Algerien ab, da Muslimas gemäß islamischen Rechts ihrem Ehemann unterworfen seien und somit keine freie Entscheidung treffen könnten46. Eine zeitgenössische Publikation verwies auf das inexistente Frauenwahlrecht in nahezu allen arabischen Staaten, was Algerien von dieser Notwendigkeit befreie47. Generalgouverneur Jacques Soustelle bedauerte, in dieser Frage nicht rascher voranschreiten zu können, als es die muslimischen Sitten zuließen48. Eine Broschüre der Generalregierung ging so weit, den Befürwortern des Frauenwahlrechts Rassismus vorzuwerfen, da sie sich weigern würden, „de reconnaître la spécificité et l’originalité de l’âme musulmane“49. Sofern der Anspruch „l’Algérie, c’est la France“ ernst gemeint war, besaßen Argumente dieser Art keine Legitimität.

42 Loi no 47–1853 du 29 septembre 1947 portant statut organique de l’Algérie. Online unter: http://www.legifrance.gouv.fr/jopdf/common/jo_pdf.jsp?numJO=0&dateJO=19470921& pageDebut=09470&pageFin=&pageCourante=09470. 43 So etwa in einem Communiqué des ‚Comité pour l’étude des problèmes Nord-africains‘‚ besser bekannt als ‚Comité France-Maghreb‘. CHSP, Fonds Julien, 13: 17.11.1954, Communiqué, Comité pour l’étude des problèmes Nord-Africains. 44 MDN, 1 H 1107/1: GGA, recensement de la population, 1954, 1, S. XV und MDN, 1 H 1107/1: GGA, recensement de la population, 1954, 2, S. 17; 27. Die Angaben in den Quellen beziehen sich auf die Altersgrenze von 20 Jahren. Die für das Wahlrecht relevante Grenze von 21 Jahren wurde in der vorliegenden Arbeit durch eine fünfprozentige Erhöhung der Zahl der unter 20 Jährigen errechnet. 45 Chenntouf: L’Assemblée algérienne, S. 368; 371. 46 So etwa Guy Petit (IPAS), in: JOAN, 27.09.1957, S. 4420. 47 Vialet, Georges: L’Algérie restera française, Éd. Haussmann, Paris, 1957, S. 182. Vialets Schrift ist an Falschaussagen und pseudo-ökonomischer Argumentation kaum zu überbieten. Sie kann als exemplarisch für die Propaganda radikaler Verfechter Französisch-Algeriens gelten. 48 Soustelle, Jacques: Aimée et souffrante Algérie, Plon, Paris, 1956, S. 88. 49 OURS, Fonds Mollet, AGM 81: Algérie, édité par le Service de l’Information du GGA, S. 8.

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Nur wenige Abgeordnete engagierten sich aktiv für die demokratischen Rechte der Frauen in Algerien. Beispielhaft sei an dieser Stelle die Kommunistin Alice Sportisse genannt50. Unterstützung fand sie erstaunlicherweise bei einem Abgeordneten des äußeren rechten politischen Spektrums. Jean Dides erkannte in der Emanzipation der algerischen Frauen keine Gefahr für Französisch-Algerien, sondern vielmehr eine Chance, da auf diesem Wege eine positive Bindung zwischen ihnen und Frankreich entstehen könne51. Umgesetzt wurde das Frauenwahlrecht in der IV. Republik allerdings nicht mehr. Letztlich gab es somit 762.000 wahlberechtigte ‚Pieds noirs‘ und 1,86 Millionen Algerier52. Eine Anwendung der Wahlberechtigten auf die Abgeordnetenzahlen ergäbe ein Verhältnis von 1 zu 2,4. Unter Annahme des Frauenwahlrechts stiege die Quote dementsprechend auf 1 zu 4,8. Die Verteilung der Mandate zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen blieb somit trotz der rechnerischen Korrektur höchst undemokratisch. Eine paritätische Vertretung bedeutete im zeitgenössischen Kontext zweifellos einen großen Fortschritt zum Status ex ante, dennoch konnte die Regelung nur als Übergangslösung gerechtfertigt werden. „Je ne me suis jamais fait d’illusions sur la valeur du statut“, schrieb Édouard Depreux, der als Innenminister maßgeblich an der Ausarbeitung des Statuts beteiligt war, rückblickend im Jahr 1954. Es sei „un point de départ“ gewesen, das einige Verbesserungen mit sich brachte und sehr viel mehr hätte bewirken können, „s’il avait été appliqué“53. Letzteres war jedoch nicht der Fall. Im Vorfeld der Ratifizierung des Statuts hatten radikale Siedler und Militärs gegen „une représentation égale des deux collèges“ gewettert, die in ihren Augen geeignet sei, „d’étouffer la collectivité française“54. Manch einer hielt das Wahlrecht für die Muslime an sich bereits für einen Fehler. Der 50 Alice Sportisse (PC), in: JOAN, 13.10.1955, S. 5092. 51 Jean Dides (UFF), in: JOAN, 22.03.1957, S. 1808. Der relativ kleinen Gruppe algerischer Frauen, die in der Integrationspolitik eine Möglichkeit zur Emanzipation erkannte und die sich ab 1958 bietende Möglichkeit zu politischem Engagement in dieser Hinsicht nutzte, widmete jüngst Wadowiec eine Studie. Wadowiec, Jaime: Muslim Algerian Women and the Rights of Man. Islam and Gendered Citizenship in French Algeria at the End of Empire, in: French Historical Studies, 36, 4 (2013), S. 650–676. Das Gegenstück zur lange Zeit wenig beachteten Rolle der algerischen Frauen im FLN bietet: MacMaster, Neil: Des révolutionnaires invisibles. Les femmes algériennes et l’organisation de la Section des femmes du FLN en France métropolitaine, in: Revue d’Histoire Moderne & Contemporaine, 59, 4 (2012), S. 164–190. Die Studie geht insbesondere auf jene Algerierinnen ein, die sich im Auftrag des FLN in der Metropole für die algerische Unabhängigkeitsbewegung einsetzten. 52 Bencheneb gibt die Zahl der stimmberechtigten ‚Pieds noirs‘ ähnlich mit 770.000 an. Bei den Muslimen hingegen gelangt er mit 1,4 Millionen zu einer deutlich niedrigeren Zahl. Bencheneb, Rachid: L’Algérie à la veille du soulèvement de 1954, in: Les chemins de la décoloniation, hg. v. Ageron, S. 424. Collot gibt die Wahlberechtigten für das Jahr 1948 mit 532.000 Europäern und 1,3 Millionen Muslimen an. Unter Berücksichtigung des starken Bevölkerungswachstums von 2,5 Prozent ergäben sich für 1954 etwa 1,5 Millionen muslimische Wahlberechtigte. Collot: Les Institutions de l’Algérie, S. 152. 53 Depreux, Édouard: Réflexions sur le Statut de l’Algérie, in: France-Maghreb. Bulletin mensuel d’information, 3 (1954), S. 7–9, hier S. 7; 9. 54 ANOM, FM 81F 18: Mai 1947, Note sur le Statut de l’Algérie, État-major, S. 10.

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franko-algerische Abgeordnete Adolphe Aumeran äußerte 1955 im Rückblick, „le droit de vote a été donné en Algérie, sans préparation, à une masse absolument inculte civiquement et qui est incapable de discerner quel est le programme des candidats qui se présentent“55. Selbstkritik im Hinblick auf die nicht wahrgenommene Verantwortung Frankreichs und der Franko-Algerier beim Aufbau einer Zivilgesellschaft fanden sich in herablassenden Äußerungen dieser Art nicht wieder. Diese Kräfte setzten eine Klausel durch, die dem ersten Kolleg eine Sperrminorität einräumte, wodurch die formelle Parität der ‚Assemblée algérienne‘ unterlaufen wurde und quasi jedes politische Vorhaben blockiert werden konnte. Des Weiteren wurden nach Urnengängen Vorwürfe von Wahlmanipulation zugunsten muslimischer Kandidaten laut, auf deren Loyalität sich die frankoalgerischen Abgeordneten verlassen konnten. Joseph Begarra bedauerte nach dem Ausbruch des Algerienkrieges gegenüber sozialistischen Parteikollegen, „les élections du 2ème collège sont truquées et les élus, dans leur quasi-totalité, ne représentent absolument rien et ne défendent pas la population, qui se trouve ainsi abandonnée“56. Das ‚Comité France-Maghreb‘ äußerte zur gleichen Zeit zustimmend, die Wahlen in Algerien seien „systématiquement faussées par l’Administration depuis 1947“57. Generalgouverneur Naegelen bestritt über die algerische Unabhängigkeit hinaus, für etwaige Manipulationen verantwortlich gewesen zu sein. Ob seine Anweisungen zu strikter Neutralität allerdings allerorts eingehalten worden seien, könne er nicht garantieren58. Unabhängig davon, wer die Verantwortung trug, standen die Wahlfälschungen für zahlreiche politische Akteure in der Metropole außer Frage59. Korrekturmaßnahmen resultierten daraus jedoch nicht. Die politische Marginalisierung der Muslime stand in engem Zusammenhang mit der Bildungspolitik. Ein auf 20 Jahre ausgelegter Bildungsplan aus dem Jahr 1944 hatte vorgesehen, die anfangs angedeuteten Missstände in diesem Bereich anzugehen und eine Million neue Schulplätze zu schaffen60. Dennoch konstatierte die Zeitung ‚L’Observateur‘ im November 1953, „lors qu’il y a assez d’écoles pour les enfants des européens, il n’y en a pas pour 5 enfants indigènes sur 6. Ceci après 123 ans de domination française“61. Die Volkszählung im Jahr 1954 offenbarte eine kaum gesunkene Analphabetenquote in der muslimischen Bevölkerung

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Adolphe Aumeran (RI), in: JOAN, 28.07.1955, S. 4421. Joseph Begarra, in: OURS, Comité Directeur, Procès verbaux 1954/1955, 08.12.1954, S. 4. CHSP, Fonds Julien, 13: 17.11.1954, Communiqué. Naegelen, Marcel-Edmond: Mission en Algérie, Flammarion, Paris, 1962, S. 64. Zu den Wahlfälschungen siehe: Collot: Les institutions de l’Algérie, S. 221. Der Bildungsplan wurde am 27.12.1944 per Dekret beschlossen. ANOM, FM 81F 10: Note, La scolarisation totale de la jeunesse musulmane en Algérie, S. 1. 61 L’œuvre française en Algérie, in: L’Observateur, (08.11.1953), S. 6. Heggoy gibt zu bedenken, dass einige Muslime ihren Kindern die französische Bildung bewusst vorenthielten. Gleichwohl sieht er die Hauptverantwortung in der Weigerung der Politik, Bildung in ausreichendem Maße zu fördern. Heggoy, Alf Andrew: French Policies and Elitist Reactions in Colonial and Revolutionary Algeria, in: Journal of African Studies 5, 4 (1978), S. 427–443, hier S. 432.

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von durchschnittlich siebzig Prozent62. Auf höheren Bildungsebenen fiel der Bildungsrückstand noch prägnanter aus. Im Jahr 1959 waren an den Hochschulen Algeriens 4.914 ‚Pieds noirs‘ und 530 Muslime immatrikuliert63. Zu Beginn der IV. Republik muss das Missverhältnis noch größer ausgefallen sein. Überraschen konnte die Stagnation im Bildungsbereich indessen nicht. Die Population Algeriens war von 1936 bis 1948 bereits um zwanzig Prozent oder 1,45 Millionen Menschen gewachsen64. Experten prognostizierten die weitere Entwicklung recht präzise bis zur Mitte der 1950er Jahre65. Vor dem Hintergrund dieser Zahlen war das Verfehlen des offiziellen Ziels des Bildungsplans, eine spürbar steigendende Schulquote der muslimischen Bevölkerung zu erreichen, absehbar gewesen. Insofern liegt die Vermutung nahe, dass die ungleiche Entwicklung im Bildungsbereich bis zu einem gewissen Grad kalkuliert war66. Gustave Mercier, langjähriges Mitglied der ‚Délégations financières‘, der Vorgängerinstitution der ‚Assemblée algérienne‘, schrieb 1949 in einem Beitrag, „qui, mieux que ces familles françaises qui ont quitté leur terre natale pour faire souche depuis plusieurs générations dans ce pays, posséderait la connaissance approfondie des besoins et des aspirations des populations locales?“67. Ein steigendes Bildungsniveau der Muslime gefährdete diesen unverkennbar paternalistischen Führungsanspruch. Solange sich höhere Bildung auf eine kleine, pro-französische Elite beschränkte, konnte die Besetzung der politi62 Die Quote war regional sehr unterschiedlich und lag zwischen 50 und 90 Prozent. MDN, 1 H 1107/1: GGA, recensement de la population 1954, T. 2, S. 55. 63 Die Zahlen beziehen sich auf das Jahr 1959. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Zahl der muslimischen Studenten infolge der Bildungspläne bereits etwas erhöht, so dass deren Zahl zu Beginn der 1950er Jahre erheblich niedriger gewesen sein muss. MDN, 1 H 1107/1: GGA, Annuaire statistique de l’Algérie 1959, S. 77. 64 Henry, Louis: Algérie. Recensement de 1948. Population musulmane, in: Population, 3 (1953), S. 587–590, hier S. 588. Übereinstimmend: MDN, 1 H 1107/1: GGA, Annuaire statistique de l’Algérie 1959, S. 19. 65 Der Demograf Louis Chevalier prognostizierte 1947 treffend die Gesamtbevölkerung Nordafrikas für das Jahr 1956 mit 21 bis 22 Millionen. Für die folgenden Jahrzehnte hingegen setzte der Demograf seine Prognosen deutlich zu niedrig an. Chevalier, Louis: Le problème démographique nord-africain (= Institut National d’Études Démographiques, Travaux et Documents, 6), Presses Universitaires de France (PUF), Paris, 1947, S. 44. 66 So etwa: Katan Bensoum: Le Maghreb, S. 200; 247. In den Quellen finden sich weitere Anhaltspunkte für diese These. Verteidigungsminister Pierre Koenig sprach sich gegen die Förderung und Ausweitung der arabischen Sprache in Algerien aus, da diese nur den Nationalismus stärke. ANOM, 81F 24: 31.08.1955, MDN à Ministère de l’Intérieur (MI). In Bezug auf Frankreichs Rolle in Marokko schrieb Émile Roche, „par son apport créateur, son dynamisme, sa haute qualification, l’élément européen est appelé à jouer pendant longtemps encore un rôle prépondérant dans le développement de l’Empire Chérifien“. Roche, Emile: Perspectives Franco-Marocaines, Éd. Atlantides, Casablanca, 1953, S. 56. 67 Mercier, Gustave L. S.: L’Algérie, prolongement de la France métropolitaine, in: Économie – l’Actualité industrielle et commerciale, no spéciale, Supplément au no 232 (1949), S. 5–31, hier, S. 7. Die Familie Mercier lebte seit 1871 in Algerien. Gustave Mercier studierte Arabisch und hatte diverse Posten in der Militärverwaltung in Nordafrika inne. Von 1919 bis 1945 gehörte er den ‚Délegations financières‘ in Algerien an.

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schen Schlüsselpositionen mit ‚Pieds noirs‘ leichter legitimiert werden. Bis zum Ende Französisch-Algeriens wirkten beispielsweise nur drei Algerier als Staatssekretäre in der französischen Regierung. Keines der 32 Kommissionsmitglieder zur Ausarbeitung des Zweiten Entwicklungsplanes für Nordafrika entstammte der muslimischen Bevölkerung68. Unter den 65 Generalgouverneuren Algeriens findet sich kein Muslim wieder. Politisch durchsetzbar wäre ein solcher Schritt ohnehin weder in der Metropole noch in Algerien gewesen. Selbst Jacques Chevallier, ‚Pied noir‘ und früherer Bürgermeister von Algier, konnte nicht nominiert werden, obwohl, oder gerade weil, er „sans doute l’Européen le plus estimé des populations musulmanes“ war69. Gleichermaßen gelang es radikalen Siedlern Anfang 1956, die Berufung des als liberal geltenden General Catroux als Algerienminister durch massive Proteste zu verhindern70. Die dargestellten institutionellen und praktischen Benachteiligungen der Muslime belegen, dass es der franko-algerischen Elite gelang, die im Statut von 1947 verankerte Parität zwischen den Bevölkerungsgruppen aufzuweichen und ihre politische Dominanz zu bewahren. Warnend schrieb der hohe algerische Funktionär Chérif Mécheri bereits im November 1947 an den Ministerpräsidenten, Algerien befinde sich an einem Scheideweg. Eine Fortsetzung des bisherigen Kurses führe unweigerlich zu einer Entfremdung zwischen den Muslimen und Frankreich71. Dennoch setzte die ‚Assemblée algérienne‘ bis zu ihrer Auflösung im April 1956 lediglich eine der ihr auferlegten Reformen um72. Die Nationalversammlung nahm die Blockadehaltung ihres algerischen Pendants quasi widerstandslos hin, obwohl sie sowohl im legislativen als auch im finanziellen Bereich durchaus über Druckmittel verfügt hätte. Sie debattierte noch 1954 darüber, die 1947 beschlossene Parität auch vollständig umzusetzen73. Rückblickend kritisierte der frühere Generalgouverneur Marcel-Edmond Naegelen die jahrelange Immobilität

68 Mayer, Carl J.: The political economy of decolonization. French state and economic involvement in Algeria, 1945–1962, in: Revue d’Histoire Maghrebine (Époque moderne et contemporaine), 63/64 (1991), S. 332–392, S. 364f. 69 Edgar Faure gibt in seinen Memoiren an, die Einsetzung Chevalliers als Generalgouverneur in Erwägung gezogen zu haben. Im Kabinett sei dies aufgrund dessen liberaler Ansichten nicht durchsetzbar gewesen. Faure, Edgar: Mémoires. Bd. II, „Si tel doit être mon destin ce soir“, Plon, Paris, 1984, S. 571; 584. 70 Die Regierung rechnete bereits im Vorfeld damit, dass die Nominierung von Catroux den Widerstand der Siedler hervorrufen würde, ließ sich zunächst jedoch auf die Machtprobe ein. AN, 4 AG 1–12, Conseil des Ministres: 03.02.1956, S. 2. Beim Besuch von Ministerpräsident Mollet in Algerien am 08.02.1956 kam es zu Protesten gegen und zu körperlichen Angriffen auf den Regierungschef, woraufhin Catroux durch Robert Lacoste ersetzt wurde. Le Monde, (08.02.1956). 71 AN, 4 AG 518: 06.11.1947, Note de M. Mecheri à l’attention de M. le Président, Situation de l’Algérie en fonction des élections municipales. 72 Die Reform betraf die administrative Neugestaltung der südlichen Territorien. Beide Wahlkollegs waren sich in ihrer Ablehnung einer möglichen Annexion der Sahara durch Frankreich einig. Chenntouf: L’Assemblée algérienne, S. 374. 73 JOAN, 20.05.1954, S. 2532f.

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der Politik und die allgemeine Unterschätzung des Konfliktpotentials: „Alors ça va bien maintenant en Algérie. On n’en entend plus parler!“74. Letztlich desillusionierte die Umsetzung des von den Algeriern mehrheitlich ohnehin als unzureichend empfundenen Statuts weitere Teile der Bevölkerung. Ferhat Abbas beklagte 1952 in einem Artikel, „qu’aucune disposition nouvelle n’a pu être inscrite dans ce statut, sans avoir été au préalable avalisée par M. René Mayer et les députés racistes de l’Algérie“75. Anfang 1954 schrieb die Zeitschrift ‚France-Maghreb‘, die tendenziell nationalistischen Parteien „ont conservé la confiance de la quasi-totalité de la population non européenne“76. Auch der muslimische Abgeordnete Abdelkader Cadi mahnte, die schwelenden Konflikte im Land nicht zu unterschätzen und umfassende Reformen einzuleiten77. Nach Einschätzung des belgischen Außenministeriums verharmloste Frankreich diese nationalistischen Tendenzen, um sich mit der angeblichen Ruhe und Eintracht in Algerien brüsten zu können78. Tatsächlich lobten Politiker auf beiden Seiten des Mittelmeeres noch wenige Wochen vor Ausbruch des Unabhängigkeitskriegs die vermeintlich harmonische Situation in den algerischen Départements und nahmen die im Vergleich dazu konfliktreichen Zustände in den benachbarten Protektoraten nicht zum Anlass für präventives Handeln. Algerien sei „l’exemple d’un calme et d’une concorde“, freute sich der franko-algerische Parlamentarier René Mayer im August 195479. „Jamais l’Algérie n’a été aussi calme“, stimmte der algerische Kollege Mostefa Benbahmed zu80. Letztlich sollte sich die Stille als trügerische Ruhe vor dem Sturm erweisen.

74 Die nachträgliche Kritik lässt ungesagt, dass Naegelen während seiner Amtszeit nicht durch besonderen Reformeifer aufgefallen war. Naegelen: Mission en Algérie, S. 36 75 AN, Fonds René Mayer, 363 AP 31: Ferhat Abbas: Après le sabotage du statut de l’Algérie quel crédit accorder aux „réformes“ tunisiennes?, in: La République Algérienne (06.06.1952). René Mayer saß für das algerische Département Constantine in der Nationalversammlung, war gleichwohl kein gebürtiger ‚Pied noir‘ und politisch in der Metropole verwurzelt. Alfred Grosser betont gleichwohl die engen Verbindungen Mayers mit einflussreichen Stellen in Algerien. Interview mit Alfred Grosser (10.02.1012), Paris. 76 Martinet, Gilles: Attention à l’Algérie, in: France-Maghreb. Bulletin mensuel d’information, 3 (1954), S. 10–13, hier S. 10. 77 Abdelkader Cadi (UDSR), in: JOAN, 26.08.1954, S. 4285f. Nach eigenen Angaben warnte Generalresident Boyer de Latour die Regierung Ende Oktober 1954 vor einer kurz bevorstehenden Rebellion. Boyer de Latour, Pierre: Vérités sur l’Afrique du Nord, Plon, Paris, 1956, S. 89. Die Glaubwürdigkeit der Aussage ist schwer zu beurteilen. In den Archiven finden sich keine Belege. Eine mündliche, eher abstrakte Warnung kann hingegen nicht widerlegt werden. 78 ANOM, FM 81F 20: Circulaire d’information no 9, Le Problème Algérien, Ministère des Affaires étrangères et du Commerce extérieur, Direction générale de la Politique, Belgique, S. 1f. 79 René Mayer (RRS), in: JOAN, 10.08.1954, S. 4025. 80 Mostefa Benbahmed (SFIO), in: JOAN, 27.08.1954, S. 4332.

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2. ERSTER UND ZWEITER ENTWICKLUNGSPLAN „La poursuite de l’équipement de l’Afrique du Nord ne suppose pas nécessairement le maintien immuable d’un montant de dépenses égal à celui de 1954“, (Direction du Budget, 1954)81

2.1 Vorgeschichte Ähnlich wie auf politischer Ebene war Algerien auch in finanzieller Hinsicht für Frankreich lange Zeit kein prioritäres Thema gewesen. Mit dem Autofinanzierungsgesetz von 1900 hatte Paris den Kolonien die Budgetautonomie zugestanden. Ihre Einnahmen durften in der Folge nur noch ihnen selbst zugutekommen82. Die Finanzierung übergeordneter Leistungen wie Außen- und Sicherheitspolitik oblag der Metropole. Marokko und Tunesien waren als Protektorate von dieser Regelung ausgenommen. Als formal souveräne Staaten mussten sie den Protektor für seine Dienste entlohnen83. Schätzungen zufolge beanspruchte das gesamte Imperium bis 1945 etwa sechs bis sieben Prozent der staatlichen Gesamtausgaben84. Von den 948 Milliarden Francs an öffentlichen Geldern, die im Zeitraum von der Eroberung bis zum Beginn der IV. Republik in Algerien investiert wurden, entstammten 56 Milliarden dem Metropolbudget85. Für die Generalregierung handelte es sich bei der finanziellen Autonomie freilich weniger um ein Privileg, als um die Vorgabe, das Budget der Metropole zu schonen, wie ein Abgeordneter im Jahr 1955 vor der ‚Assemblée de l’Union française‘ anmerkte86. Sie musste nun sowohl das reguläre Budget als auch den Investitionshaushalt ohne externe Unterstützung stemmen. Ökonomen kritisierten das Gesetz und warnten vor negativen Folgen für die ökonomische Entwicklung der Überseegebiete87. Manche meinen, die finanzielle Selbstbestimmung habe sich in Algerien zu einem Prestigeobjekt entwickelt und Finanzhilfen aus der Metropole seien als unerwünschte Einmischungen abgelehnt worden88. Ob nun Stolz oder Trotz diese Haltung inspirierte, sie wurde in jedem Fall dadurch erleichtert, dass die muslimische Bevölkerungsmehrheit keine gleichwertigen Staatsbürger waren. 81 MFE, B 0033562/1: 17.07.1954, Note pour le Directeur, de M. Vaysset. 82 Das am 13. April 1900 verabschiedete Gesetz wurde am 19. Dezember auf Algerien ausgeweitet. 83 Über die genaue Aufteilung der Finanzierung wurde gestritten. Während die französischen Ministerien einen höheren Beitrag der Protektorate forderten, lehnten letztere dies mit Verweis auf ihre ohnehin überforderten Budgets ab. MFE, 1A 0000463/1: Compte-rendu de l’audience accorde par M. Pleven à M. Lamy le 26 octobre 1953. 84 Marseille, Jacques: Les colonies, une bonne affaire ?, in: Les Collections de L’Histoire, 11 (2001). (http://www.histoire.presse.fr/content/2_recherche-index/article?id=5523#titr). 85 ANOM, FM 81F 2021: 22.05.1959, Direction des Affaires d’Algérie à Ministère des Affaires étrangères, Renseignements statistiques demandés par la Revue américaine ‚Times‘. 86 Augustin-Belkacem Ibazizen (MRP), in: JOUF, 05.07.1955, S. 631. 87 Ageron, Charles-Robert/Coquery-Vidrovitch: Histoire de la France coloniale, Bd. III, Le déclin, Colin, Paris, 1991, S. 154. 88 Lefeuvre: Chère Algérie, S. 90f.

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So konnte das Steuer- und Wirtschaftssystem auf die Interessen der frankoalgerischen Minderheit abgestimmt und über Jahrzehnte hinweg eine dominante Position ausgebildet werden89. Im Bereich des Außenhandels stieg die Bedeutung Nordafrikas und der Franczone für Frankreich bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs merklich. Gleichwohl schlug der franko-französische Warenverkehr im Jahr 1938 nur mit 26,5 Prozent in der Leistungsbilanz zu Buche90. Die volkswirtschaftlichen Aufgaben und die dahinter stehende Hierarchie waren indes eindeutig festgelegt. Gemäß des Kolonialpakts (‚pacte colonial‘) kam den Überseegebieten die Aufgabe zu, die eigene Produktion am Bedarf der Metropole zu orientieren und diese in erster Linie mit landwirtschaftlichen Gütern und Rohstoffen zu versorgen. Umgekehrt betrachteten Frankreich und seine Industrie Nordafrika „comme débouchés pour les produits de leurs usines et ils s’y étaient à l’occasion montrés hostiles à toute initiative concurrente“91. Paris zeigte sich immer wieder geneigt, den innerimperialen Handel zum Schutz der heimischen Wirtschaft zu beschränken und so war die Metropole nicht wichtigster Lieferant der eigenen Überseegebiete gewesen92. Dem Kolonialpakt entsprechend gestaltete sich die volkswirtschaftliche Situation vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs: „L’Algérie importait les deux tiers de son ciment, la moitié de sa chaux, une grande part de ses tuiles et de ses briques ; elle ne fabriquait pas un morceau de sucre, pas un mètre de cotonnade, [...] pas un verre ni une casserole, pas une cartouche non plus“93. Der Abbruch der franko-algerischen Außenhandelsströme im Jahr 1942 war zugleich Herausforderung und Chance für Algerien. Durch den Wegfall der Importe aus Frankreich waren eigene Produktionsstätten nicht nur notwendig, sondern überhaupt erst möglich geworden. Die temporäre Trennung von der Metropole egalisierte Wettbewerbsnachteile Algeriens und garantierte den lokalen Absatzmarkt94. Das Regime von Vichy zeigte bei der volkswirtschaftlichen Modernisierung der Kolonien ein deutlich größeres Engagement als die sukzessiven Re-

89 Collot: Les institutions de l’Algérie, S. 23; 225; 247. 90 Franko-französisch meint zwischen der Metropole und den Überseegebieten. Lynch, Francis M. B.: Les conséquences de l’isolationnisme français dans les années quarante et cinquante, in: L’économie française dans la compétition internationale, S. 219–238, hier S. 219. 91 Despois, Jean: La répartition des industries de transformation dans l’Afrique du Nord, in: Industrialisation de l’Afrique du Nord, S. 18–27, hier S. 18. Eine vom französischen Militär Ende der 1930er Jahre angestoßene Implantation bestimmter Industrien orientierte sich, vor dem Hintergrund der wachsenden deutschen Bedrohung, primär an strategischen Gesichtspunkten und blieb vom Umfang her sehr begrenzt. Lefeuvre: Chère Algérie, S. 188f. 92 Lynch, Frances M. B.: France and the International Economy. From Vichy to the Treaty of Rome, Routledge, London/New York 1997, S. 186f. 93 Dresch: La situation économique, S. 234. 94 Auch Marokkos Industrie erhielt einen Schub. MAE, MT, Maroc (II), 389: 10.05.1954, Siraud, Secrétaire général adjoint du Protectorat, Congrès des Conseillers du Commerce extérieur, Casablanca, S. 11.

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gierungen der III. Republik95. Die Umstände dieser zeitlich und vom Umfang her begrenzten Industrialisierung waren künstlich, doch zeigte die Entwicklung, dass ihre Umsetzung keineswegs unmöglich war.

Die ökonomische Konzeption der IV. Republik Das von de Gaulle bemühte Motiv der Schicksalsgemeinschaft fand sich auch in der ökonomischen Konzeption der IV. Republik wieder. Der franko-französische Handel innerhalb der Franczone sollte gestärkt werden, um für die aus 100 Millionen Einwohnern bestehende, 4,2 Millionen Quadratkilometer umfassende und sich auf fünf Kontinenten verteilende Gemeinschaft ein möglichst hohes Maß an außenwirtschaftlicher Unabhängigkeit zu erzeugen96. Des Weiteren konkretisierte und institutionalisierte die neue Verfassung den zivilisatorischen Anspruch in den Überseegebieten. Durch die Koordinierung und Bündelung der Ressourcen der ‚Union française‘ sollte es allen ihren Gliedern ermöglicht werden, das Lebensniveau der Metropole zu erreichen. Anfangs leitete Paris aus diesem integrativen Anspruch, den Zeitgenossen auch als „philosophie assimilationniste“ bezeichneten, nicht die Erwartung steigender finanzieller Belastungen für den französischen Haushalt ab97. Nach Einschätzung des Planungskommissariats (‚Commissariat général au Plan‘, kurz: CGP) stand dank der bereits getätigten Investitionen eine baldige Anhebung der Lebensverhältnisse in Übersee zu erwarten, wodurch das lokale Steueraufkommen und die Fähigkeit steigen würden, zukünftige Entwicklungsprogramme selbst zu finanzieren98. Ein Aufsatz stellte noch Ende der 1950er Jahre fest, die französische Öffentlichkeit unterschätze „l’importance de l’effort financier exigé par le maintien des liens économiques et politiques entre la France métropolitaine et l’ensemble des Pays d’Outre-Mer“99. So wie die Diskrepanz

95 Siehe: Coquery-Vidrovitch, Catherine: Vichy et l’industrialisation aux colonies, in: Revue d’histoire de la Seconde Guerre mondiale, 114 (1979), S. 69–94 und Lefeuvre: Vichy et la modernisation de l’Algérie. Intention ou réalité?, in: Vingtième siècle, 42 (1994), S. 7–16. 96 Zur Größe der ‚Union française‘: Elgey: Histoire de la IVe République, I, S. 29. 97 Servoise, René: Introduction aux problèmes de la République française, in: Politique étrangère, 4 (1954), S. 379–418, hier S. 390. Großbritannien leitete nach dem Zweiten Weltkrieg eine Politik der Entkolonialisierung ein und bot den Überseegebieten mit dem ‚Commonwealth‘ eine lose Form der Anbindung ohne zivilisatorischen Anspruch an. Dieser im Vergleich zur ‚Union française‘ gänzlich andere Ansatz erklärt, warum Frankreich in seinen Überseegebieten nach Schätzungen fünfmal mehr Geld ausgab als Großbritannien. Mayer: The political economy of decolonization, S. 373. Eine umfassende Geschichte über das britische Kolonialreich bietet die jüngst erschienene Publikation: Darwin, John: Das unvollendete Weltreich. Aufstieg und Niedergang des Britischen Empire 1600–1997, Campus Verlag, Frankfurt a.M., 2013. 98 Rapport du Commissaire général sur le Plan de modernisation et d’équipement de l’Union française. Réalisations 1947–1949 et objectifs 1950–1952, Paris, 1949, S. 115. 99 Levi, Mario: L’évolution des relations économiques et financières entre la France et l’OutreMer, in: Politique étrangère, 4 (1959), S. 422–433, hier S. 422.

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zwischen dem politischen Anspruch und der verfassungsmäßigen Realität der ‚Union française‘ unverkennbar war, begann die IV. Republik auch in ökonomischer Hinsicht mit einer Illusion.

Sozio-ökonomische Ausgangslage Darstellung und Realität der sozio-ökonomischen Situation und damit der Bilanz des bisherigen Wirkens Frankreichs in Nordafrika gingen weit auseinander. Häufig wurde die Kolonisierung des Maghreb als historisch einmalige Erfolgsgeschichte beschrieben, von der Siedler und Einheimische in gleichem Maße profitiert hätten100. Der damalige Generalgouverneur Algeriens, Marcel-Edmond Naegelen, beschrieb 1949 in einem Beitrag „la grandeur de l’œuvre déjà réalisée [qui] autorise tous les espoirs, dans ce pays“101. Positive Eindrücke gewannen auch externe Beobachter. Der honduranische Botschafter Napoleon Alcerro zeigte sich nach einer Reise durch Algerien tief beeindruckt von „l’œuvre magnifique accomplie là-bas par la France“102. Karl Brandt, Professor aus Stanford, gab an, sich während seines Aufenthalts in Algerien teilweise wie im heimischen Kalifornien gefühlt zu haben103. Bis zum Ende Französisch-Algeriens und darüber hinaus

100 Mercier: L’Algérie, S. 5. Nach Adolphe Aumeran war die Kolonisierung Nordafrikas „le départ de la métropole vers des terres lointaine de Français qui, grâce à leur esprit d’entreprise, leur courage et leurs capitaux venaient aider des peuples sous-développés à vivre et à s’élever“. Adolphe Aumeran (RI), in: JOAN, 28.07.1955, S. 4421. Maréchal Juin bezeichnete sie als „un effort pacificateur et civilisateur“. Juin: Le Maghreb en feu, S. 23. Émile Roche insistierte gar „sur la haute valeur d’exemple“ der französischen Besiedlung Nordafrikas im Vergleich zur blutigen Kolonialisierung Amerikas, Palästinas oder Indiens. Roche: Perspectives Franco-Marocaines, S. 121. 101 Naegelen, Marcel-Edmond: L’œuvre civilisatrice de la France, in: Économie. L’Actualité industrielle et commerciale, no spéciale, Supplément au no 232 (1949), S. 3. Äußerungen dieser Art lassen sich auch für Marokko und Tunesien nachweisen. „Un bilan aussi favorable pour le Maroc se passe de commentaires“, schrieb Roche: Perspectives Franco-Marocaines, S. 63. Die ‚Conférence Chambres de Commerce de la Méditerranée et de l’Afrique Française‘ lobte die dynamische, soziale und kulturelle Entwicklung seit Protektoratsbeginn, die es Tunesien erlaubt habe, das fortschrittlichste muslimische Land zu werden. MAE, MT, Tunisie 1944–1955 (I), 403: Situation économique de la Tunisie 1953, XXIXe Conférence de Chambres de Commerce de la Méditerranée et de l’Afrique Française, Marseille, 1954, S. 46. Eine gleichermaßen optimistische Einschätzung bei: MAE, MT, Tunisie 1956–1970 (II), 63/1, Soixante-dix ans de protectorat français en Tunisie. 102 ANOM, FM 81F 64: 06.12.1957, Botschafter von Honduras, Napoleon Alcerro, an Lacoste. 103 OURS, AGM 91, 1958: Karl Brandt: Une solution pour l’Algérie, in: Fortune (Février 1958). Siehe in Zusammenhang mit dem Eindruck der Moderne, den das zivilisatorische Werk Frankreichs in Nordafrika, insbesondere in den Städten, vermittelte: Goussaud-Falgas, Geneviève: Tunis, la ville moderne. Les origines et la période française, Alan Sutton, SaintCyr-sur-Loire, 2005.

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wurde dieses positive Bild der französischen ‚Mission civilisatrice‘ von offiziellen Stellen gepflegt, um den Souveränitätsanspruch Frankreichs zu untermauern104. Die entwickelten Städte und modernen Farmen der ‚Pieds noirs‘ vermittelten dem Besucher gleichwohl nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit, der die extremen regionalen und ethnischen Entwicklungsunterschiede überdeckte105. In der Realität hatte die jahrzehntelange Marginalisierung weiter Teile der muslimischen Bevölkerung zu „une véritable ségrégation économique et sociale“ geführt106. Die bereits dargestellte Ungleichheit im Bildungswesen hatte daran wesentlichen Anteil, da sie die Entfaltungsmöglichkeiten der muslimischen Population stark einschränkte. Detaillierte Studien zur sozio-ökonomischen Situation Algeriens lagen in der Nachkriegszeit noch nicht vor107. Dennoch war unverkennbar, dass etwa 75 Prozent der algerischen Bevölkerung in großer Armut lebten, während die ‚Pieds noirs‘ und eine muslimische Oberschicht einen ähnlich hohen Lebensstandard vorweisen konnten wie die Metropolfranzosen108. Die Zahl der Arbeitslosen und stark unterbeschäftigten Menschen wurde auf bis zu eine Million geschätzt, was einer Erwerbslosenquote von knapp 30 Prozent entspräche109. Das Bevölkerungs-

104 Etwa bei: Mercier: L’Algérie, S. 7. Die französische Administration versuchte nach dem Ausbruch des Algerienkrieges gezielt, dieses Bild über Broschüren, Filme und Medien im Inund Ausland zu verbreiten. Siehe etwa: ANOM, FM 81F 1795: Présentation de l’économie algérienne. Eine Übersicht der im Rahmen der ‚Action psychologique‘ eingesetzten Mittel findet sich im Ordner: ANOM, FM 81F 63, Actions d’information 1956–1957. Siehe auch: ANOM, FM 81F 56 und L’Algérie. Terre franco-musulmane. En quelques mots et quelques images, hg. v. Le Commissariat de l’Algérie à l’Exposition Universelle et Internationale de Bruxelles en 1958, Paris, 1958. Zu Propaganda im Kino: Denis, Sébastien: Le Cinéma et la guerre d’Algérie. La propagande à l’écran, Nouveau Monde, Paris, 2009. In der retrospektiven Kolonialdebatte dient das vermeintlich großartige zivilisatorische Werk Frankreichs in Nordafrika als nachträgliche Rechtfertigung für die Kolonialisierung. Etwa bei: Héduy, Philippe (Hg.): Algérie française, Société de production littéraire, Paris, 1980. 105 Auf den sehr ungleichen Entwicklungsstatus wies Generalgouverneur Soustelle in einer Note hin. AN, AP 505 (II) 344: 01.06.1955, Note Soustelle, Situation en Algérie, S. 2. 106 Dresch: La situation économique, S. 228. 107 Georges Balandier verlangte von seiner Disziplin, der Soziologie, sich stärker mit den vielfältigen Problemen von der kolonialen Situation auseinander zu setzen. Balandier, Georges: La situation coloniale. Approche théorique, in: Cahiers internationaux de sociologie, 11 (1951), S. 44–79. Während Balandiers Schrift heute als wegweisend für die Kolonialdebatte gilt, blieb ihre damalige Resonanz beschränkt. 108 Der Berichterstatter des Wirtschaftsausschusses der ‚Assemblée de l’Union française‘ legte später Daten für das Jahr 1952 vor. Danach belief sich das Durchschnittseinkommen der Metropole auf 279.000 Francs pro Jahr, jenes Algeriens auf 51.000 Francs. Drei Viertel der algerischen Bevölkerung würden weniger als 20.000 Francs verdienen. Georges Reverbori, in: JOUF, 05.07.1955, S. 621. Dementsprechend musste das obere Viertel durchschnittliche Einkommen von 144.000 Francs erzielen. Auf die sehr ungleiche Verteilung zwischen und innerhalb der Bevölkerungsgruppen wird im Verlauf der vorliegenden Arbeit vertiefend eingegangen. 109 Die offiziellen Statistiken zur Arbeitslosenzahl in Algerien besitzen kaum Aussagekraft, da die Landwirtschaft nicht erfasst wurde, es dort aber die überwiegende Mehrheit an Beschäftigungslosen gab. Die Schätzungen in den Quellen schwanken erheblich. In einer inoffiziellen

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wachstum erreichte mit steigender Tendenz Mitte der 1950er Jahre die Marke von 2,5 Prozent110. Häufig wurde dies als Beleg für den Erfolg von Frankreichs ‚Mission civilisatrice‘ interpretiert111. Ein Funktionär aus der Arbeitsgruppe „Soziales“ des Planungskommissariats hingegen gab zu bedenken, dass die sanitären Bedingungen vielerorts schlecht und die Kindersterblichkeitsrate hoch blieben. Letztere sei „peut-être même plus élevée qu’elle ne l’est dans d’autres pays sousdéveloppés“112. In jedem Fall vergrößerte die demografische Dynamik die gewaltigen sozialen und ökonomischen Probleme, vor denen Algerien zu Beginn der IV. Republik stand.

Nordafrika als Einheit Instrumente zur Realisierung des institutionalisierten und nunmehr auf die gesamte Bevölkerung der ‚Union française‘ ausgedehnten zivilisatorischen Anspruchs waren die ‚Plans de modernisation et d’équipement‘ (Entwicklungspläne oder Investitionsprogramme). Bei der Konzeption der Pläne fällt zunächst auf, dass diese nicht für die algerischen und die französischen Départements gemeinsam entworfen wurden. Obwohl Algerien als „prolongement de la France métropolitaine“ galt, die Protektorate hingegen völkerrechtlich als Ausland zu betrachten waren, legte das CGP die Entwicklungspläne für Nordafrika als Einheit auf, während die Metropole ein separates Investitionsprogramm erhielt113.

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Studie aus dem Jahr 1957 war von 700.000 bis 800.000 die Rede. AN, F 12 11802: Juin 1957, Quelques données du Problème Algérien, S. 2. René Mayer (RRS) sprach vor der Nationalversammlung für 1954 von 250.000 Menschen ohne Arbeit. JOAN, 10.08.1954, S. 4025. Lefeuvre führt zwei weitere Quellen mit Zahlen zwischen 400.000 und einer Million an. Chère Algérie, S. 80. Die aktive Bevölkerung Algeriens belief sich nach der Volkszählung aus dem Jahr 1954 auf etwa 3,5 Millionen Personen. MDN, 1 H 1107/1: GGA, recensement de la population 1954, T. 3, S. 15. Cahiers Nord-Africains, 53 (1956): Aspects internes des problèmes algériens, S. 6; MDN, 1 H 1107/1: GGA, recensement de la population 1954, T. 2, S. 65. Etwa: AN, 4 AG 44: Motion votée par la Région économique d’Algérie au cours de sa session trimestrielle tenue à Alger les 3,4 et 5 Novembre 1955 oder Mercier: L’Algérie, S. 5. Der Geograf Hildebert Isnard schrieb, Frankreich dürfe sich zugutehalten, das dynamische Bevölkerungswachstum durch sein zivilisatorisches Werk ermöglicht zu haben, müsse sich aber fragen, warum es die absehbaren Konsequenzen nicht eingeplant habe. Isnard, Hildebert: Géographie de la faim. Le surpeuplement de l’Algérie, in: Économie & Humanisme, 73 (1952), S. 38–47, hier S. 45. Louis Chevalier, Historiker und Demograf, hielt den genauen Zusammenhang zwischen ‚mission civilisatrice‘ und demografischer Entwicklung für kaum bestimmbar. Chevalier, Louis: Le problème démographique nord-africain, in: Industrialisation de l’Afrique du Nord, S. 194–198, hier S. 195. MAE, MT, Maroc (I), 376: 31.12.1952, Situation démographique de l’AFN, CGP. An der Ausarbeitung der Pläne für Nordafrika waren diverse lokale und nationale Instanzen beteiligt. Hauptverantwortung und Koordinierung oblagen dem Planungskommissariat, das der ‚Présidence du Conseil‘ unterstellt war. Zitat: Mercier: L’Algérie, prolongement de la France métropolitaine.

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Im Sprachgebrauch und im politischen Alltag wurde Algerien bis zum Ausbruch des Unabhängigkeitskriegs ohnehin wie selbstverständlich in einem Atemzug mit den anderen Überseegebieten genannt114. Der franko-algerische Warenverkehr wurde nicht als innerfranzösischer, sondern als Außenhandel deklariert115. Die sozio-ökonomischen Strukturen und Probleme Algeriens glichen denen Marokkos und Tunesiens, unterschieden sich hingegen grundlegend von jenen Frankreichs116. Akteure und Beobachter der Nordafrikapolitik regten daher an, die Region als „un ensemble géographique“ zu betrachten und über völkerrechtliche Unterschiede hinweg zu sehen117. Strategisch hatte die unitäre Konzeption bereits die Kolonialisierung des Maghreb beeinflusst. Algerien, so die Überlegung, konnte auf Dauer nur gesichert werden, wenn auch die Nachbarländer Marokko und Tunesien unter französische Kontrolle gebracht würden118. Da die Generalresidenzen im Rahmen der direkten Administration nahezu alle Politikbereiche in den Protektoraten kontrollierten, konnte die ökonomische Entwicklung nicht vernachlässigt werden, ohne die de facto Souveränität Frankreichs zu gefährden. Der zivilisatorische Anspruch der ‚Union française‘ durfte somit nicht an der Grenze zu Algerien enden, da er als „la justification essentielle de la présence française“ in den Protektoraten fungierte119.

114 MAE, MT, Maroc, (I), 125: 11.07.1952, Note, Direction d’Afrique-Levant. 115 Dies traf ebenso auf die anderen Überseegebiete zu. Vgl. Commerce extérieur. 116 Wie in Algerien (75 Prozent) waren auch in Marokko (71,5 Prozent) und Tunesien (68 Prozent) weite Teile der Bevölkerung von der Landwirtschaft abhängig. MDN, 1 H 1107/1: GGA, recensement de la population 1954, T. 3, S. 12. Ebenso hatten die Protektorate mit den Folgen eines sehr starken Bevölkerungswachstums, einer hohen Arbeitslosigkeit und großen Einkommensunterschieden zu kämpfen. Vgl. Chevalier: Le problème démographique nordafricain. MAE, MT, Tunisie (I), 403: Situation économique de la Tunisie 1953, XXIXe Conférence de Chambres de Commerce de la Méditerranée et de l’Afrique Française, Marseille, 1954, S. 1; 70 und MAE, MT, Maroc (I), 481: 28.10.1954, Louis Valade au Président du Conseil. 117 De Lacharrière, René: Problèmes d’organisation politique et administrative et projets de développement industriel en Afrique du Nord, in: Industrialisation de l’Afrique du Nord, S. 155–162, hier S. 155f. Eine ähnliche Kritik in Bezug auf das gesamte Imperium und die unterschiedlichen Zuständigkeiten findet sich bei: Servoise: Introduction aux problèmes de la République française, S. 404. 118 Frémeaux: La France et l’Algérie, S. 180. Die scheinbar große Zeitspanne zwischen der Kolonialisierung Algeriens (1830) und der Etablierung der Protektorate in Tunesien (1881) und in Marokko (1912) verringert sich de facto durch die Tatsache, dass der algerische Widerstand erst im Jahr 1870 gebrochen wurde. In der IV. Republik bestand das ‚Comité de défense de l’Afrique du Nord‘ aus dem Generalgouverneur Algeriens und den Generalresidenten der Protektorate. MAE, MT, Tunisie (I), 567: 22.07.1952/1953 Comité de défense de l’Afrique du Nord. Équipment stratégique, P. 27. Dem Dokument fehlt eine Jahresangabe. Aus den jeweiligen Amtszeiten ergibt sich das Zeitfenster 1952–1953. 119 Zitat des französischen Generalresidenten in Tunesien, Jean de Hautecloque. MAE, MT, Tunisie (I), 567: 09.07.1952, Jean de Hautecloque, RG, au MAE, P. 11. Ähnlich: MAE, MT, Maroc (I), 89: 18.01.1955, Analyse der Lage in Marokko, Zukunft der Jugend, P. 45. Weitere zeitgenössische Äußerungen zum zivilisatorischen Werk und dem daraus entstandenen An-

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Verstärkt wurde die Notwendigkeit eines entwicklungspolitischen Engagements in Marokko und Tunesien durch den Umstand, dass es nicht alle französischen Politiker als zentrale oder gar verpflichtende Aufgabe Frankreichs empfanden, die Protektorate eines Tages in die Unabhängigkeit zu geleiten. Viele hatten im Protektoratsregime einen diplomatischen Umhang gesehen, um eine Annexion zu verschleiern120. Dass diese Ansicht nicht nur zur Zeit der Kolonialisierung, sondern noch Anfang der 1950er Jahre präsent war, zeigt ein vertraulicher Plan des franko-algerischen Abgeordneten François Quilici. Dieser sah vor, das praktizierte System der direkten Administration zu institutionalisieren121. Auch Émile Roche bezweifelte die Zwangsläufigkeit der marokkanischen Unabhängigkeit. Voraussetzung für das Ende des Protektorats sei, dass eine fortwährende Assoziation an die ‚Union française‘ sichergestellt wäre. Auf keinen Fall werde es Frankreich dulden, „d’être dépouillée des fruits d’un dur labeur auquel fut parfois sacrifiée l’expansion de ses propres industries“122. In Zusammenhang mit einer vom Finanzministerium geplanten steuerlichen Mehrbelastung des franko-marokkanischen Außenhandels warnte Außenminister Georges Bidault nicht nur vor den negativen ökonomischen Auswirkungen für Marokko, sondern ebenso vor einer

spruch Frankreichs auf Präsenz in der Region: Juin: Le Maghreb en feu, S. 24, Mercier: L’Algérie, S. 7 und Roche: Perspectives Franco-Marocaines, S. 5. 120 So etwa der spätere Generalresident in Tunis, Paul Cambon, im Jahr 1886: „C’est l’établissement d’un Protectorat, moins nominal que réel, c’est la mainmise sur les services publics, les finances, l’administration, la justice, à l’abri de l’autorité de bey et en respectant, autant que possible, les usages et les institutions établies“. Zitiert nach Bardin, Pierre: Les débuts difficiles. du protectorat tunisien (mai 1881–avril 1882), in: Revue d’histoire diplomatique, 85 (1971), S. 17–64, hier S. 46. Rivet untersucht in einem Aufsatz ein zentrales Dokument aus dem Jahr 1947, in dem ein Konzept vorgestellt wurde, wie die französische Dominanz in Marokko durch eine Reform des Protektorats sichergestellt werden sollte. Rivet, Daniel: Reformer le protectorat français au Maroc? Propos de ‚Pour une nouvelle méthode politique de la France au Maroc‘ (Note du 3–1–1947), in: Revue du Monde Musulman et de la Méditerranée, 83/84 (1997), S. 75–91. Siehe auch Rivet: Le Maghreb à l’épreuve, S. 211. 121 Quilici schickte seine Idee an seinen parlamentarischen Kollegen Paul Reynaud. Ähnlich dem Regime in Algerien, schlug er ein Zwei-Kammer-System vor. Die erste Kammer, ausschließlich mit Tunesiern besetzt, hätte sich nur um religiöse Angelegenheiten zu kümmern gehabt. Die zweite, mit der politischen Gestaltung beauftragte Kammer, sollte paritätisch aus Franzosen und Tunesiern gebildet werden. Die Außen- und Verteidigungspolitik sollte weiterhin in den Aufgabenbereich Frankreichs fallen. AN, 74 AP 41: 29.07.1953, François Quilici, Député d’Oran, à Paul Reynaud. 122 Roche: Perspectives Franco-Marocaines, S. XXII; 109. Roche war Vorsitzender des ‚Conseil économique et social‘, einem konsultativen Gremium aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern. Ferner war er Mitglied des 1953 gegründeten ‚Comité France-Maghreb‘, das als elitäres Forum der Nordafrikapolitik mit Schwerpunkt auf Marokko galt. Rivet bezeichnet Roche als kolonialistischen Fremdkörper in dieser Institution zwischen liberalen Persönlichkeiten wie Charles-André Julien oder François Mauriac. Vgl. Rivet, Daniel: Conscience inquiètes, militants politiques et experts coloniaux. Des intellectuels face à la crise franco-marocaine (décembre 1952–fin 1954), in: Le Comité France-Maghreb. Réseaux intellectuels et d’influence face à la crise marocaine (1952–1955), (= Cahiers de l’IHTP, 38), hg. v. Ders, Paris, 1997. S. 11–43, hier S. 25f.

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gefährlichen politischen Signalwirkung einer solchen Entscheidung. „Il me paraît absolument nécessaire d’éviter de faire une discrimination entre l’Algérie et les autres territoires d’Afrique du Nord“. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, bei den Protektoraten handle es sich um Ausland123. Wenn nun die Protektorate als inoffizielle Glieder der ‚Union française‘ und Algerien in erster Linie als Teil des kolonialen Maghreb betrachtet wurden, lag es nahe, einen gemeinsamen Entwicklungsplan für Französisch-Nordafrika zu entwerfen. Wie weit die einheitliche Betrachtungsweise des Maghreb reichte, zeigte sich bei der Aufteilung der Fördergelder aus den Investitionsprogrammen. Die algerischen Départements als „partie intégrante de la République française“ erhielten 50,7 Prozent der Finanzmittel bei einem Anteil an der nordafrikanischen Gesamtbevölkerung von 44 Prozent. Den völkerrechtlich als Ausland zu betrachtenden Protektoraten Marokko und Tunesien wurden 35,9 und 13,4 Prozent der Gelder zugewiesen. Ihr demografisches Gewicht belief sich auf 39 und 17 Prozent124. Tendenziell entsprach die finanzielle Gewichtung somit dem Bevölkerungsproporz. Zudem brauchten französische Investoren in Marokko und Tunesien keine Benachteiligung bei der Gewährung staatlicher Subventionen zu fürchten125. Das zentrale Ziel der Nordafrikapolitik schien somit weniger die schnellst-

123 Das Außenministerium reagierte damit auf die Beschwerde der ‚Fédération des chambres d’agricultures du Maroc‘. Das französische Kabinett hatte beschlossen, die ‚taxe statistique et de contrôle douanier‘ nicht auf den Handel zwischen Metropole, Algerien und den D.O.M. anzuwenden, wohl aber auf Marokko. MAE, MT, Maroc (I), 344: 19.03.1954, Note pour le Cabinet du Ministre und 26.03.1954, MAE à M. Le secrétaire d’État au Budget. Zur Vorgeschichte und der Beschwerde der ‚Fédération‘ siehe im selben Ordner: 26.02.1954, Fédération des chambres d’agricultures du Maroc, M. Billet, au MAE. 124 Die Berechnung bezieht sich auf den Zweiten Entwicklungsplan im Umfang von 587,5 Milliarden Francs. MFE, B 0033562/1: 17.07.1954, Note pour le Directeur, de M. Vaysset, S. 3. Die exakte Bevölkerung Nordafrikas zu einem präzisen Zeitpunkt zu bestimmen, gestaltet sich als schwierig, da die Volkszählungen in unterschiedlichen Jahren durchgeführt wurden. In Algerien fand diese 1954 statt und ergab eine Einwohnerzahl von 9,53 Millionen. (ANOM, FM 81F 53: GGA, Recensement de la population, 1954, T. 1, S. 15). Im Außenministerium war Anfang 1955 von 3,4 Millionen Einwohnern in Tunesien die Rede. (MAE, MT, Tunisie (I), 624: 05.01.1955, MAMT à. Boyer de Latour). Die Volkszählung fand allerdings erst 1956 statt. Sie ergab eine Bevölkerungszahl von 3,8 Millionen. (Marcoux, Alain: La croissance de la population de la Tunisie. Passé récent et perspectives, in: Population, 26, 1 (1971), S. 105– 123, hier S. 105). Unter Berücksichtigung des jährlichen Bevölkerungswachstums von 2,6 Prozent ergeben sich für das Jahr 1954 rund 3,6 Millionen Einwohner in Tunesien. 8 Millionen Menschen lebten 1951 in Marokko (Krotki, Karol J./Beaujot, Roderic: La population marocaine. Reconstitution de l’évolution de 1950 à 1971, in: Population, 30, 2 (1975), S. 335–367, hier S. 336). Aus dem jährlichen Bevölkerungswachstum von etwa 2,5 Prozent resultiert für das Jahr 1954 eine Einwohnerzahl von 8,6 Millionen. Die Gesamtbevölkerung Nordafrikas belief sich somit im Jahr 1954 auf etwa 21,7 Millionen Menschen. Auf Grundlage dieser Berechnungen und dem Umfang des Zweiten Entwicklungsplans ergibt sich die genannte Gewichtung der Pläne. 125 In dem nachfolgend zitierten Ordner finden sich zahlreiche Vereinbarungen über Subventionen und zinsgünstige Kredite an Unternehmen in den französischen Gebieten Nordafrikas.

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mögliche Angleichung der algerischen Lebensverhältnisse an das Metropolniveau zu sein, als vielmehr die Aufrechterhaltung der französischen Souveränität im gesamten Maghreb. Zwei zentrale Fragen standen bei den Debatten über die Entwicklungsprogramme im Mittelpunkt: Welche volkswirtschaftliche Rolle sollte Nordafrika in der Franczone einnehmen und in welcher Höhe würde sich Frankreich an den Investitionsausgaben beteiligen?

2.2 Konzeptionelle Ausrichtung der Entwicklungspläne ‚Pacte colonial‘ und ‚vocation agricole‘ In den Debatten über die Ausrichtung des Ersten (1949–1952) und Zweiten Entwicklungsplans (1953–1956) spielten die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs eine gewisse Rolle. Diese hätten unverkennbar die Nachteile einer „vocation trop uniquement agricole“ Nordafrikas aufgezeigt. Es müsse daher „une autonomie industrielle relative“ der Region erreicht werden, die im Falle eines erneuten Krieges in Europa die Aufrechterhaltung eines Mindestmaßes an industrieller Produktion und die Bewahrung von „le prestige et l’autorité de la France“ gewährleisten könne126. Das Verteidigungskomitee, bestehend aus dem Generalgouverneur Algeriens und den Generalresidenten der Protektorate, beklagte „l’insuffisance de l’équipement actuel, aussi bien au point de vue de la défense que du maintien de la présence française en A.F.N.“ und forderte mehr Mittel für den Ausbau der strategischen Infrastruktur127. Die hier umschriebene Industrialisierung bedeutete mitnichten einen Sinneswandel in Bezug auf den Kolonialpakt128. Obgleich die Verfassung der IV. Republik allen Gliedern der ‚Union française‘ gleiche Rechte und Pflichten zusprach, inspirierten weiterhin politische Hierarchien die volkswirtschaftliche Arbeitsteilung. Bei den Überlegungen ging es nicht primär darum, Nordafrika einen Teil der industriellen Wertschöpfung zu überlas-

MFE, B 0023809/1, Prêts, aides et garanties aux entreprises nationales, 1542 Maroc, Algérie, Tunisie. 126 ANOM, FM 81F 2009: Étude schématique du Plan de l’Algérie, S. 5; 21. Mit den Hintergründen beschäftigte sich ein zeitgenössischer Aufsatz: Simonot, André: L’industrialisation de l’Afrique du Nord dans le cadre d’une politique de défense de l’Union française, in: Industrialisation de l’Afrique du Nord, S. 136–154. 127 MAE, MT, Tunisie (I), 567: 22.07.1952/1953 Comité de défense de l’Afrique du Nord. Équipement stratégique, P. 27. 128 Die Debatte über den Kolonialpakt und die landwirtschaftliche Ausrichtung der Kolonien war bereits in den 1930er Jahren geführt worden, ausgelöst durch eine Publikation von Paul Bernard. Darin diskutiert Bernard die Frage einer möglichen Industrialisierung der Kolonien am Beispiel Indochinas. Bernard, Paul: Le problème économique indochinois, Vermaut, Paris, 1934.

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sen und dadurch bessere Entwicklungschancen einzuräumen129. Im Vordergrund standen klar definierte strategische Interessen Frankreichs, die eine begrenzte Ansiedlung bestimmter Industrien unumgänglich machten130. Grundsätzlich beanspruchte die Metropole die industrielle Wohlstandsquelle weiterhin für sich, während „l’Algérie, dans son ensemble, devra rester fidèle à sa vocation agricole“131. Der kolonialistischen Arbeitsteilung treu bleibend, konzentrierten die ersten beiden Entwicklungspläne die Förderung auf den exportorientierten primären Sektor132. Mit Hilfe dieser Strategie sollten der franko-französische Handel gestärkt, sollten Importe aus dem Ausland reduziert und Devisen eingespart werden. Ab dem Jahr 1952, so die Planung, sollte die algerische Handelsbilanz einen Überschuss vorweisen können133. Ein Schwerpunkt lag auf der Modernisierung der Landwirtschaft. Ein Viertel der ökonomischen Investitionen kam diesem Bereich direkt zugute134. Zusätzlich profitierte der primäre Sektor vom Ausbau der Infrastruktur, die insbesondere für die exportorientierte franko-algerische Agrar- und Rohstoffwirtschaft von großer Wichtigkeit war135.

129 Eirik Labonne, u. a. Vorsitzender der ‚Commision d’études économiques et politiques de l’Union française‘, ist als einer der wenigen Akteure anzuführen, der bei der Industrialisierung neben den strategischen Interessen Frankreichs auch die sozialen und ökonomischen Probleme Nordafrikas berücksichtigen wollte. Siehe etwa: MAE, MT, Maroc (I), 418: Projet de Note pour Président du Conseil et Ministre de la Défense Nationale, S. 2; 9. Bossuat misst den Ideen Labonnes eine wichtige Funktion bei, obgleich sie sich vielfach nicht durchsetzen konnten. „Il brisait la logique de l’exploitation coloniale classique, il développait les industries des T.O.M., il répondait aux critiques des communistes, il ajoutait de la valeur aux ressources minières locales“. Bossuat, Gérard: La France, l’aide américaine et la construction européenne, 1944–1954, Imprimerie Nationale, Paris, 1997, S. 526. In politischer Hinsicht bezeichnet Julien Labonne als einzigen liberalen Generalresidenten, den Frankreich je in Marokko eingesetzt habe. Julien: Le Maroc, S. 198. 130 Eine zeitgenössische Studie warnte vor hohen Kosten bei geringen positiven Effekten für die Bevölkerung und die Wirtschaft Algeriens, sollte die Industrialisierung primär anhand strategischer Überlegungen erfolgen. Claudon, René: Transports et voies de communication dans leurs rapports avec l’industrialisation de l’Afrique du Nord, in: Industrialisation de l’Afrique du Nord, S. 75–83, hier S. 80; 82. 131 ANOM, FM 81F 18: Mai 1947, Note sur le Statut de l’Algérie, État-major, S. 10. 132 Die Getreideproduktion Algeriens etwa sollte zum erfolgreichen Referenzjahr 1938 um 22 Prozent gesteigert werden, die Förderung von Eisenerz um bis zu 100 Prozent. ANOM, FM 81F 2009: Étude schématique du Plan de l’Algérie, S. 20. 133 ANOM, FM 81F 1805: Mars 1953, GGA, l’aide financière de aux entreprises, no2, S. 6. Ebenso ANOM, ALG GGA 7F 110: 1954, Champ, Directeur du Travail et de la Sécurité Sociale, sur le fonctionnement de la Sécurité Sociale en Algérie und ANOM, FM 81F 2009: Étude schématique du Plan de l’Algérie, S. 73. Der Wunsch einer ausgeglichenen Handelsbilanz findet sich in einem Dokument aus dem Jahr 1953 bestätigt. ANOM, FM 81F 1805: Mars 1953, GGA, l’aide financière aux entreprises, S. 6. 134 Ökonomische Investitionen wurden von administrativen und sozialen Anlagen differenziert. 135 33 Prozent der ökonomischen Investitionen gingen in den Bereich Infrastruktur und Telekommunikation. Vgl. Lucius, Jacques: Les Plans de modernisations et d’équipement de l’Afrique du Nord et leur financement, in: Industrialisation de l’Afrique du Nord, S. 291–306, hier S. 304f.; MAE, MT, Maroc (I), 353: Deuxième Plan du Maroc, CGP, S. 14. Das Doku-

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Der Umstand, dass drei Viertel der Bevölkerung Algeriens ökonomisch von der Landwirtschaft abhingen, sich deren Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) allerdings auf ein Drittel beschränkte, legte ein besonderes Augenmerk auf diesen Sektor nahe136. Um in den Genuss von Fördermitteln zu gelangen, galt es gleichwohl, formelle Bedingungen zu erfüllen, die u. a. an die Kreditwürdigkeit geknüpft waren. Letztere wiederum stand in enger Verbindung mit der Rentabilität eines Betriebs. Dank ihrer privilegierten Ausgangsposition erfüllten die frankoalgerischen Landwirte und Teile der algerischen Elite die Förderkriterien in der Regel problemlos und konnten daher Modernisierung und Mechanisierung ihrer Betriebe vorantreiben. Dennoch beschwerte sich die Generalregierung in Algier beim CGP über die angeblich deutliche Erhöhung der Fördermittel für die traditionelle Landwirtschaft der muslimischen Bauern. In Anbetracht der begrenzten Absorptionsfähigkeit dieser Branche seien Investitionen in die Infrastruktur sinnvoller137. Einige gingen soweit, die Ursache des ungleichen Entwicklungsstatus in der muslimischen Psyche zu suchen. „Chacun sait bien que l’Islam conduit à une mentalité contemplative plutôt qu’à une mentalité active“, vorurteilte der Abgeordnete Pierre Lebon138. Zustimmend hieß es in einer Publikation, „le musulman est, par sa nature, par sa philosophie religieuse et sa conception de la vie, beaucoup plus porté vers la contemplation que vers l’action, vers l’immobilisme que vers le mouvement“139. Diesen Vorwürfen stellten Zeitgenossen die Frage entgegen, „comment auraient-ils pu transformer leurs techniques, améliorer leurs rendements et participer aux côtes des Européens aux productions nouvelles quand ils ne disposent ni de moyens de crédit équivalents ni d’une instruction suffisante pour les utiliser?“140. „Ce [les Musulmans] ne sont pas des imbéciles“, stimmte die Zeitung ‚L’Observateur‘ zu. „Ils préfèrent cent fois voir un tracteur labourer la terre que le faire euxmêmes avec un âne ou un chameau“. Die geringe Ausdehnung ihrer Anbauflächen erlaube jedoch keinen rentablen Einsatz von Traktoren. Die formellen Anforderungen für Förderkredite zum Erwerb zusätzlicher Ländereien wiederum seien für viele Kleinbauern nicht zu erfüllen141. Ein Teufelskreis. Auch eine ministerielle Kommission widersprach der Administration in Algier. Zwar seien die öffentlichen Ausgaben für die Landwirtschaft insgesamt erhöht worden, „mais l’augmen-

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ment bezieht sich primär auf den Zweiten Entwicklungsplan, geht aber auch auf seinen Vorgänger ein. MAE, MT, T (I), 567: 31.08.1953, Plan quadriennal d’équipement, Boisseson, P. 90. MDN, 1 H 1107/1: GGA, recensement de la population 1954, T. 2, S. 21 und AN, F 12 11801: Septembre 1958, Rapport sur la situation économique de l’Algérie, S. 5. ANOM, FM 81F 2013: 29.06.1954, GGA, Maurice Cutolli à CGP. Projet de rapport de la Commission des Plans de l’Algérie, de la Tunisie et du Maroc, S. 3. Pierre Lebon (RPF), in: JOAN, 23.07.1955, S. 4226. Vialet: L’Algérie restera française, S. 64f. Dresch: La situation économique, S. 230. L’Observateur (08.11.1953): Dilemme nord-africain, Philip Deane, S. 5. (Vgl. ANOM, FM 81F 11).

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tation porte sur des chapitres intéressant l’agriculture européenne, alors que l’agriculture musulmane a des besoins plus urgents qui ne sont pas satisfaits“142. Letztlich blieb das Gros der algerischen Landwirte in traditionellen, ertragsschwachen Anbaumethoden gefangen. Initiativen zur Behebung der offenkundigen Missstände blieben bis zur Mitte der 1950er Jahre aus.

Industrialisierung Nur ein geringer Teil der öffentlichen Gelder floss in den sekundären Sektor143. In Bezug auf das Zweite Investitionsprogramm gab das CGP im Juni 1954 zu Protokoll, dass eine mit staatlichen Geldern geförderte Industrialisierung Algeriens nicht geplant sei. „Les investissements intéressant le secteur industriel révélant, en règle générale, de l’initiative privée“144. Für die Transformationsindustrie waren lediglich 2,5 bis 3 Prozent der Mittel vorgesehen145. Die Generalregierung in Algier zeigte sich nur zur finanziellen Unterstützung solcher Industrieprojekte bereit, die aus ihrer Sicht notwendig waren und hohe Erfolgsaussichten besaßen146. Für diese Aufgabe sahen sich die verantwortlichen Stellen gut gerüstet. „La diversité des moyens dont disposent les Pouvoirs Publics pour soutenir l’effort des industries privées apparaît maintenant suffisante“147. In der Realität reichten die etablierten Anreizmechanismen nicht aus, um Unternehmen in größerem Umfang anzulocken. Zahlreiche Betriebe erfüllten die Förderkriterien nicht. Die vorgesehene Einzelfallprüfung ging mit einem hohen bürokratischen Aufwand für potentielle Investoren einher, den vor allem kleinere Firmen scheuten148. Angesichts des geringen Industrialisierungsgrads und des bescheidenen Interesses externer Investoren wirkten die formulierten Kriterien für den Erhalt staatlicher Zuschüsse kontraproduktiv. Algerien konnte es sich schlichtweg nicht leisten, mögliche private Investitionen aufgrund subjektiver Annahmen auszusieben. Der vermeintlich libera-

142 143 144 145 146

MAE, MT, Maroc (I), 355: Mars 1954, Réunion de la Commission des Investissements. ANOM, FM 81F 2009: Étude schématique du Plan l’Algérie, S. 5. ANOM, FM 81 F 1794: Juin 1954, Deuxième Plan, S. 13; 19. Lefeuvre: Chère Algérie, S. 336. ANOM, FM 81 F 2014, 31.03.1952, Deuxième Plan de l’AFN (1953–1956), M. Grave, Cabinet Civil, GGA, S. 3. Die staatliche Förderung privater Investitionen in Nordafrika lässt sich anhand der Konventionen, die Paris mit entsprechenden Unternehmen abschloss, nachvollziehen. Häufig handelte es sich dabei um zinsgünstige Kredite. So wurden beispielsweise am 05.06.1952 rund 1,45 Milliarden Francs zu fünf Prozent Zinsen an die ‚Compagnie Immobilière Franco-Marocaine‘ vergeben. Vgl. MFE, B 0023809/1, Prêts, aides et garanties aux entreprises nationales, Maroc-Algérie-Tunisie. 147 ANOM, FM 81F 1805: Mars 1953, GGA, l’aide financière aux entreprises, S. 5 und ANOM, FM 81F 1825: 24.02.1955, Note pour le Préfet, Directeur des Affaires d’Algérie, Extension à l’Algérie des dispositions concernant la conversion de l’Industrie, S. 2. 148 Im April 1959 wurde die Einzelfallprüfung per Dekret durch eine Pauschalregelung ersetzt. Décret du 24 avril 1959, in: La vie française, (30.04.1959), S. 4. Zur Haltung des Mittelstands siehe: Elsenhans: La guerre d’Algérie, S. 656.

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listische Ansatz, industrielle Investitionen in Nordafrika der Privatwirtschaft zu überlassen, kontrastierte ferner die Rolle des Staates als zentraler Wirtschaftsakteur in der Metropole149. Dort beschränkten sich die Entwicklungsprogramme keineswegs auf den primären Sektor, sondern beinhalteten ebenso öffentliche Investitionen im Bereich der Industrie. Der Zweite Plan für Frankreich sah alleine im Bereich der Transformationsindustrie jährliche Investitionen von 194 Milliarden Francs vor150. Einige französische Funktionäre erhoben den Vorwurf, die Generalregierung besitze als Spiegel der Siedlerinteressen „cette même optique agraire“ und behindere daher die Industrialisierung. Die Beamten verbanden diese Einschätzung mit dem Vorschlag, eine neue Instanz einzurichten, die von Paris aus agieren und auf diese Weise Widerstände in Algier umgehen sollte151. Gleichwohl fand der Kolonialpakt nicht nur in Siedlerkreisen, sondern ebenfalls in der Metropole viel Zuspruch. „L’Afrique du Nord fournit à la France quatre ressources indispensables à sa production chimique d’engrais et à son industrie métallurgique“, lobte der renommierte Geograf Jean Chardonnet die bestehende Arbeitsteilung152. Bestimmte Industriezweige, etwa die Bekleidungs- oder die Automobilbranche, exportierten wichtige Teile ihrer Produktion in den Maghreb und waren daher am Status quo interessiert153. Von den wechselseitigen Handelsströmen profitierten ferner französische Reedereien, die ein Monopol auf den Transport im Dreieck Frankreich-Algerien-Tunesien innehatten154. Die privilegierte Situation der französischen Industrie wurde mit harten Bandagen verteidigt, ohne dass die Politik einschritt. „Même les élites francophiles et européennes du pays se plaignirent au début des années cinquante de la concurrence de dumping pratiquée par la France en Algérie“155. Frankreichs Mandatsträger waren offenkundig nicht bereit, eine Dezentralisierung der industriellen Wertschöpfung innerhalb der Franczone zu unterstützen. Daraus potentiell resultierende volkswirtschaftliche Wohlstandsgewinne stellten einen sehr viel abstrakteren Vorteil dar als die leicht vorstellbare Abwanderung von Arbeitsplätzen in die Überseegebiete. Letztlich zogen einfluss-

149 Über die öffentlichen Investitionsprogramme, Gehälter, Pensionen und Sozialleistungen war der französische Staat Hauptträger des globalen Konsums. La politique budgétaire de 1952 à 1957, première partie: Dépenses et recettes (I) /deuxième partie: L’équilibre budgétaire (II). Comptes de la Nation, publiée par le Secrétariat général du gouvernement, direction de la documentation, Paris, 1959, hier II, S. 3. (Infolge: La politique budgétaire). 150 De Fleurieu, G.: Les grandes lignes du Second Plan de modernisation et d’équipement, in: Droit Social, 6 (1954), S. 321–332, hier S. 329. 151 ANOM, FM 81F 1805: 25.06.1955, Note, Création d’un Commissariat à l’industrialisation, S. 1. 152 Chardonnet, Jean: Le rôle de l’Afrique dans l’économie française, in: Information et Documentation, 326 (1951), S. 13–17, hier S. 14. 153 ANOM, FM 81F 1798: L’Algérie est un marché de choix pour la Métropole, S. 2. 154 MAE, MT, Tunisie (II), 82: Décembre 1955, Journal officiel de la République française, Accord relatif à la navigation maritime. Marokko war aufgrund von internationalen Handelsverträgen wie dem ‚Acte d’Algésiras‘ vom französischen Monopol ausgenommen. 155 Marcel-Edmond Naegelen (SFIO), in: JOAN, 13.10.1955, S. 5097.

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reiche Kräfte auf beiden Seiten des Mittelmeeres an einem Strang, ohne dabei auf größere Widerstände zu treffen156. Auch das Kostenargument wurde gegen eine mögliche Industrialisierung Algeriens ins Feld geführt. „Le coût de l’investissement nécessaire au plein emploi d’un ouvrier est souvent plus élevé que celui qui suffirait à employer ce même ouvrier dans l’agriculture“157. Ein bis zwei Millionen Francs kostete nach damaliger Rechnung die Schaffung eines industriellen Arbeitsplatzes158. Um die bis zu einer Million beschäftigungslosen Algerier mit einer Arbeitsstelle in der Industrie zu versorgen, wären somit gigantische Investitionen von bis zu 2.000 Milliarden Francs notwendig gewesen. Hinzu kämen die Ausgaben für die zahlreichen Menschen, die jedes Jahr neu auf den Arbeitsmarkt strömten. Zu bedenken galt es ferner den Fachkräftemangel als Resultat der jahrzehntelangen Vernachlässigung des Bildungssektors. Die ungleiche Einkommensverteilung wiederum hatte einen engen lokalen Absatzmarkt zur Folge159. Unter diesen Umständen könne eine wie auch immer geförderte Industrialisierung keinesfalls die Lösung der ökonomischen und sozialen Probleme Algerien sein, meinte die Generalregierung. „Et les regards se portent vers l’agriculture“160. Bis zum Ausbruch des Unabhängigkeitskriegs wurde nur selten die Gegenfrage gestellt, ob denn die Landwirtschaft überhaupt in der Lage war, die ihr zugedachte Schlüsselrolle zu erfüllen161. Vieles sprach dafür, die industrielle Herausforderung anzunehmen. In einem ersten Schritt hätten leicht zu verarbeitende lokale Produkte des primären Sektors verwertet werden können, um die allgemeine

156 Diese Vermutung äußerte Charles Emmanuel Ravussin, Auslandskorrespondent der schweizer Zeitung ‚Gazette de Lausanne‘ für Nordafrika Anfang 1955. MAE, AL, Algérie, 53: Le problème de l’industrialisation de l’Algérie, par Ch.-E. Ravussin, in: Gazette de Lausanne (24.02.1955). 157 ANOM, FM 81 F 2014: 07.08.1953, Deuxième Plan de l’Algérie (1953–1956) GGA, S. 23. 158 Die Schätzung von zwei Millionen Francs bezog sich explizit auf die Situation in Algerien. Le Monde, (27./28.11/1955): Drame et problèmes de l’Algérie, Philip Minay. Artikelreihe vom 24.11.–01.12.1955. (Vgl. ANOM, FM 81F 56). Der Autor, Philip Minay, schrieb regelmäßig über die Nordafrikapolitik. Seine Artikel waren kritisch und zugleich von Sachlichkeit geprägt. Der Sprecher des parlamentarischen Finanzausschusses, Lionel de Tinguy du Pouët (MRP), versah seine Angabe von einer Million Francs nicht mit einer geografischen Präzisierung. JOAN, 08.03.1956, S. 751. Die sich ergebende Differenz zwischen beiden Angaben erscheint logisch, sofern sich die eine Million auf die Metropole bezieht, da die Investitionsbedingungen dort günstiger waren als in Algerien. 159 Auf die Hindernisse bei der Industrialisierung Algeriens wird näher in Teil III Kapitel 4 eingegangen. 160 ANOM, FM 81 F 2014: 28.07.1952, Plan (1952–1956), Agriculture, Exposé général, GGA, S. 1. 161 Der Leiter der ‚École supérieur de commerce d’Alger‘ warnte schon 1938, zu einem Zeitpunkt also, als sich das Bevölkerungswachstum noch auf einem vergleichsweise niedrigem Niveau befand, dass die demografische Entwicklung eine Industrialisierung Nordafrikas schon bald unausweichlich machen werde. Lefeuvre: Chère Algérie, S. 181.

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Wertschöpfung und damit die Kaufkraft der Menschen zu erhöhen162. Auf diese Weise hätte der als gering geltende Multiplikatoreffekt ökonomischer Investitionen erhöht und damit einer breiter angelegten Industrialisierung der Weg bereitet werden können163. Dem Argument der höheren Initialkosten eines Arbeitsplatzes im produzierenden Gewerbe waren die höhere Wertschöpfung und entsprechend höhere Löhne entgegenzuhalten, die mittel- bis langfristig zu einer positiven Investitionsrechnung führten. Eine Grundvoraussetzung war es, zentrale Wettbewerbsnachteile Algeriens auszuräumen. Eine nicht unerhebliche Rolle bei der Investitionsentscheidung von Unternehmen spielten die hohen algerischen Energiepreise164. Die Angaben zur Preisdifferenz schwanken in Quellen und Literatur zwischen 33 und 100 Prozent165. Viele führten diesen Zustand in erster Linie auf die hohen transmediterranen und innernordafrikanischen Transportkosten zurück, die sich durch das Monopol französischer Reedereien auf den franko-maghrebinischen Warenverkehr zusätzlich erhöhten166. Andere widersprachen: „Le transport d’une tonne de charbon à coke de Duisburg à Saint-Etienne ou Lyon par fer coûte plus cher que le

162 Dem Anschein nach unterstützte die Generalregierung diesen Ansatz. Gleichwohl betonte sie, dass die Ansiedlung von Industrien begrenzt und „la vocation surtout agricole de l’Algérie“ unangetastet bleiben sollten. ANOM, FM 81F 2009: Étude schématique du Plan l’Algérie, S. 5; 20f. Ähnlich forderte der Vorsitzende der ‚Région économique d’Algérie‘, Louis Morard „une industrialisation agricole, complément normal de la production locale“. ANOM, FM 81F 1062: Congrès du Commerce et de l’Industrie de l’Algérie. Exposé général sur la situation économique de l’Algérie, Louis Morard, Président de la Région économique d’Algérie, S. 26. Lefeuvre leitet aus der Aussage Morards eine ablehnende Haltung gegenüber der Industrialisierung Algeriens ab und deutet sie als Appel für eine Fokussierung auf die Landwirtschaft. Die begrenzte Verfügbarkeit von Fachkräften, die Enge des lokalen Marktes und die vergleichsweise hohen Energiepreise ließen eine sofortige Implantation intensiver und technologisch hochwertiger Industrien jedoch kaum zu. 163 Rapport du Groupe d’étude des relations financières entre la Métropole et l’Algérie, Impr. Officielle du Gouvernement Générale de l’Algérie, 1955, S. 9. (Infolge: Rapport Maspétiol). 164 Diesen Hinweis gab: France Documents, Revue d’études politiques, sociales, économiques & financières, 85 (Mai 1954): L’économie de l’Algérie, S. 9. 165 33 Prozent bei: Lepidi, Jules: Évolution comparée des prix en Afrique du Nord et en France durant l’année 1949, in: Bulletin économique et social de la Tunisie, 35 (1949), S. 20–27. Lepidi war Administrator des staatlichen INSEE Instituts. 40 bis 100 Prozent bei: Moussa, Pierre: Les chances économiques de la communauté franco-africaine, Colin, Paris, 1957, S. 111. Elsenhans gibt die Zusatzkosten der algerischen Schwerindustrie mit 50 bis 100 Prozent an. Elsenhans: La guerre d’Algérie, S. 163. In einem Schreiben des Innenministeriums an den Ministerpräsidenten ist von 40 Prozent höheren Energiekosten für die algerische Industrie die Rede. ANOM, FM 81 F 1805: 04.08.1955, Problème du prix d’énergie électrique en Algérie. Von 50 Prozent höheren Energiekosten in Marokko, 80 Prozent in Algerien und 200 Prozent in Tunesien spricht: Rieul Paisant: Les problèmes de débouchés, S. 129. 166 So etwa eine Note des Innenministeriums. ANOM, FM 81 F 1825: 26.01.1955, Note, Péréquation du prix du courant électrique, S. 1. Unterstützung fand diese These in der Wissenschaft, etwa bei: Spillmann, Georges: Les ressources énergétiques et minières de l’Afrique du Nord, in: Industrialisation de l’Afrique du Nord, S. 28–47, hier S. 39 und Rieul Paisant: Les problèmes de débouchés, S. 129.

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transport de la même tonne par le Rhin er par la mer de Duisburg à Alger, Bône ou Casablanca“167. Der Einwurf überzeugt nicht, da die Transportkosten nicht am Hafen in Algier endeten. Die Energieträger mussten von dort über weite Strecken zu den lokalen Kraftwerken transportiert werden. Innerhalb Algeriens lagen die Transportkosten für eine Tonne Kohle im Jahr 1952 bei 3,3 Francs, in Frankreich hingegen bei etwa als 2,34 Francs168. Diese Mehrkosten von über 40 Prozent schlugen durchaus zu Buche. Begrenztheit und geringe Effizienz lokaler Kohlevorkommen trugen ebenfalls zu den hohen Energiepreisen bei169. Gewichtiger als die natürlichen Nachteile der Region waren die finanzielle Autonomie Algeriens und das daraus resultierende Verständnis der französischen Regierung, keine direkte Verantwortung für den algerischen Energiemarkt zu tragen. Dementsprechend verlangte Paris von den Energieunternehmen ‚Electrité‘ und ‚Gaz d’Algérie‘ 6,5 bis 8 Prozent Zinsen für kreditfinanzierte Investitionen. Die algerischen Energieversorger waren darüber hinaus verpflichtet, ihren Angestellten einen Auslandszuschlag von 33 Prozent zu gewähren170. In dieser Hinsicht galt Algerien offenkundig nicht als Teil Frankreichs. Die Metropole konnte die heimischen Energiepreise durch kräftige Subventionen senken, der Administration in Algier hingegen fehlte dafür der finanzielle Spielraum. Dabei hätte die Angleichung der Energiepreise beim damaligen Verbrauchsniveau Algeriens nach einer Berechnung des Innenministeriums lediglich 1,5 Milliarden Francs gekostet171. Stattdessen veranlassten die chronisch knappen Kassen die Generalregierung dazu, die Energieproduzenten mit einer Zusatzsteuer von 5,5 Prozent zu belegen, während die Pendants in der Metropole von einer solchen Belastung ausgenommen waren172. Generalgouverneur Léonard warnte vor negativen Auswirkungen „d’une extrême gravité“ für die algerische Wirtschaft, sollte sich dieser Trend fortsetzen, und regte daher die Fusion des französischen mit dem algerischen Energiemarkt an. Während die Energiepreise in Frankreich durch diese Maßnahme aufgrund des geringen algerischen Verbrauchs nur geringfügig steigen würden, könne dadurch in Algerien eine spürbare Preissenkung erreicht werden173. Umgesetzt wurde der Vorschlag nicht. Die Versuche, das Problem stattdessen über Investitionen in den Energiesektor zu beheben, wirkten alles andere als überzeugend. Mit den 16 Milliarden 167 Chardonnet, Jean: Il faut industrialiser l’Afrique française, in: France Outremer, 318 (1956), S. 25–29, hier S. 26. 168 Rieul Paisant: Les problèmes de débouchés, S. 129. 169 Ein Dekret aus dem Jahr 1947 verpflichtete die algerischen Energieunternehmen, die qualitätsschwachen lokalen Kohlevorkommen in die Strom- und Energieproduktion einzubeziehen. ANOM, FM 81 F 1825: 26.01.1955, Note, Péréquation du prix du courant électrique, S. 1. Weiterführend zur Thematik: Berthonnet, Arnaud: L’industrie électrique en Algérie. Le rôle des sociétés électriques et plus particulièrement d’électricité et gaz d’Algérie (EGA) à partir de 1947, in: Outre-Mers, 89, 1 (2002), S. 331–352. 170 ANOM, FM 81 F 1825: 26.01.1955, Note, Péréquation du prix du courant électrique, S. 1. 171 ANOM, FM 81F 1805: 04.08.1955, Problème du prix d’énergie électrique en Algérie, S. 1. 172 ANOM, FM 81 F 1825: 26.01.1955, Note, Péréquation du prix du courant électrique, S. 1. 173 AN, Fonds René Mayer, 363 AP 32: 08.06.1954, Léonard an diverse Minister, S. 1f.

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I. L’Algérie et la France: Die Phase bis 1954

Francs, die im Ersten Entwicklungsplan für die Steigerung der algerischen Energieproduktion bereitgestellt wurden, konnte bestenfalls die wachsende Nachfrage von Haushalten und bestehenden Unternehmen abgedeckt, keinesfalls jedoch einer breiten Industrialisierung der Boden bereitet werden. Im Zweiten Investitionsprogramm wurden die Investitionen sogar um 22 Prozent reduziert174. Mit den verbliebenen 12,5 Milliarden Francs sollte eine jährliche Steigerung der Energieproduktion um 10 Prozent erreicht werden. Dabei war der Energiebedarf des Landes in den Jahren zuvor um jeweils 14 Prozent gewachsen175. Letztlich liefen die Entwicklungspläne somit auf eine weitere Schwächung des Industriestandorts Algerien hinaus. Ein Blick auf die franko-maghrebinischen Handelsströme zeigt anschaulich die Dominanz des ‚pacte colonial‘. Die nordafrikanischen Ausfuhren nach Frankreich bestanden Anfang der 1950er Jahre nahezu vollständig aus Agrarprodukten sowie einigen Bodenschätzen. Die Produktpalette der drei französischen Einflussgebiete ähnelte sich, wobei in Algerien der Wein eine herausragende Bedeutung besaß, während Marokko verstärkt Mineralien, vornehmlich Phosphate, ausführte. Tunesien verfügte über keinen echten Exportschlager. Dort waren die kolonialen Außenhandelsstrukturen am deutlichsten ausgeprägt. Der Wert einer durchschnittlichen Importtonne Tunesiens überstieg jenen der Exporte um 140 Prozent. In Marokko kosteten die Importe pro Maßeinheit 87 Prozent mehr als die Exporte. In Algerien lag der Mehrwert der Importe bei 52 Prozent176. Insgesamt bestanden 90 Prozent der französischen Einfuhren aus den Überseegebieten aus Rohprodukten. Umgekehrt machten verarbeitete Güter 95 Prozent der Exporte Frankreichs in die Kolonien aus177. Industrielle Wertschöpfung, die mit entsprechenden hochwertigen Arbeitsplätzen einherging, fand in Nordafrika kaum statt. Der frankoalgerische Parlamentarier Marcel Ribère kritisierte daher, „nous ne fabriquons pas assez et c’est pourquoi nous sommes les meilleurs clients de la métropole“178. Gleichwohl besaß die Metropole als Absatzmarkt für Nordafrika eine ungleich höhere Bedeutung als umgekehrt. Während das Hexagon im Jahr 1953 etwa 90 Prozent seiner Produktion selbst absorbierte, exportierte Algerien 44 Prozent aller

174 ANOM, FM 81 F 2014: 07.08.1953, Deuxième Plan de l’Algérie (1953–1956), GGA, S. 30. 175 ANOM, FM 81 F 2014: 02.04.1952, Commission des Plans, M. Grave, Cabinet Civil, GGA, S. 4. 176 Commerce extérieur, 1954, S. 286f., 293f., 299f. Der franko-algerische Abgeordnete Pierre Fayet (PC) gab den Mehrwert einer algerischen Exporttonne mit 280 Prozent an. JOAN, 09.12.1954, S. 6095. Diese Zahlen stimmen nicht mit den offiziellen Außenhandelsstatistiken überein. 177 MAE, MT, Maroc (II), 388: Compendium des Statistiques du Commerce Extérieur des Pays d’Outre-Mer en 1956, Ministère des Finances, des Affaires Économiques et du Plan. Ministère de la France d’Outre-Mer, S. 5; 12; 14 und Moussa, Pierre: L’économie de la zone franc, PUF, Paris, 1960, S. 63. 178 Marcel Ribère (RPF), in: JOAN, 03.02.1955, S. 684. Ribère kann als moderater ‚Pied noir‘ gelten. Er setzte sich mit konstruktiven Redebeiträgen und Reformvorschlägen klar von radikalen Siedlervertretern ab.

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Waren. In Tunesien lag die Ausfuhrquote bei 39 Prozent und in Marokko bei 31 Prozent179.

2.3 Finanzielle Dimension der Entwicklungspläne Erster Entwicklungsplan Die finanziellen Beziehungen zu den Protektoraten hatten sich mit der neuen Verfassung nicht verändert und das Statut von 1947 bestätigte Algeriens Budgetautonomie. Letztere resultierte einerseits aus dem Wunsch der französischen Regierung, den eigenen Haushalt nicht übermäßig zu belasten. Andererseits hatten sich die jahrzehntelangen politischen und finanziellen Freiheiten fest im Selbstverständnis der ‚Pieds noirs‘ verankert. Um den aus ihrer Perspektive attraktiven Status quo zu bewahren, sollten daher die Einflussmöglichkeiten aus Paris beschränkt bleiben. Gleichwohl stand außer Frage, dass eine Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen ohne die externe Hilfe Frankreichs nicht zu erreichen war. Dementsprechend forderte die Generalregierung immer wieder, Paris möge dem besonderen Status der algerischen Départements Rechnung tragen und sie im Vergleich zu anderen Überseegebieten finanziell bevorzugen180. Zwar erhöhte Frankreich sein finanzielles Engagement nach 1946 spürbar. Hatten sich die aus dem Metropolbudget finanzierten Investitionen in Algerien bis zur IV. Republik im Durchschnitt auf 475 Millionen Francs pro Jahr beschränkt, stieg die Summe bis zur Mitte der 1950er Jahre auf jährlich etwa 27 Milliarden Francs181. In Relation zu den ‚Départements d’Outre-Mer‘ (D.O.M.) und den ‚Territoires d’OutreMer‘ (T.O.M.) blieb Nordafrika bei der Finanzierung der Entwicklungsprogramme dennoch stärker auf sich gestellt182. Investitionen im Umfang von 655 Milliarden Francs sah der Erste Plan für die vier Jahre von 1949 bis 1952 vor183. Gespeist wurde das Entwicklungsprogramm aus diversen öffentlichen, halb-öffentlichen und privaten Finanzquellen. Ein Teil 179 Die Angaben über den genauen Anteil des Außenhandels am BIP schwanken in Forschungsliteratur und Quellen. Die angegebenen 10 Prozent beziehen sich auf die staatlichen Statistiken Commerce extérieur und La politique budgétaire, II, S. 27. Paule Arnaud-Ameller beziffert den Anteil auf 13,8 Prozent (La France à l’épreuve de la concurrence internationale 1951–1966, (= Recherches sur l’Économie française 15), Presses de SciencePo, Paris, 1970, S. 11). Demgegenüber ist in einem Dokument des französischen Außenministeriums von 16 Prozent die Rede. DDF 1956, I: 251, 17.04.1956, S. 611. Eck wiederum gibt den Anteil der Exporte am BIP mit 12 Prozent an (Histoire de l’économie française, S. 10). 180 ANOM, FM 81F 2014: 08.08.1952, (GG), Plan quadriennal d’équipement 1953–1956, Préface, S. 6 und AN, Fonds René Mayer, 363 AP 32: 08.06.1954, Léonard an diverse Minister, S. 2. 181 ANOM, FM 81F 1796: 08.10.1955, Note sur les investissements publics réalisés en Algérie, S. 1f. 182 Lucius: Les Plans de modernisations, S. 294. 183 Lefeuvre: Chère Algérie, S. 347.

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I. L’Algérie et la France: Die Phase bis 1954

wurde als Transferleistung vergeben, ein anderer in Form von Krediten „à des taux d’intérêt exceptionnellement bas“184. Die üblichen 1,5 Prozent Zinsen lagen deutlich unterhalb des regulären Marktzinses, zudem mussten die Schuldner keine Abschluss- oder Servicegebühren zahlen, weshalb die Bedingungen im Vergleich zu den marktüblichen Konditionen vorteilhaft waren185. Da die 1,5 Prozent Rendite unterhalb der französischen Inflationsrate lagen und die Metropole für eigene Schulden Zinsen von 5 bis 6 Prozent Aufschlag zu zahlen hatte, war die damals übliche Bezeichnung der Kredite als Finanzhilfen durchaus zutreffend186. Gleichwohl verdeutlicht die Praxis der kreditfinanzierten Zuschüsse, die Paris auch gegenüber dem Rest der ‚Union française‘ und den Protektoraten anwandte, dass die algerischen Départements den metropolfranzösischen nicht gleichgestellt waren. Die Finanzhilfen konnten für die Kreditnehmer nur rentabel sein, wenn die Mittel primär für produktive Anlagen eingesetzt wurden, die Produktions- und Einkommenszuwächse von mehr als 1,5 Prozent erzeugten. Die daraus erwachsenden Steuermehreinnahmen hätten dann wiederum die Basis für die Finanzierung sozialer Infrastruktur bilden können. Tatsächlich flossen zahlreiche öffentliche Investitionen in Bereiche, die keine zusätzlichen Einnahmen, sondern neue Ausgaben generierten. Daraus erwuchs eine Doppelbelastung der lokalen Budgets. Neben dem steigenden Anteil der Zinszahlungen schlugen wachsende laufende Kosten von Administration und Sozialleistungen zu Buche. Bis zum Jahr 1952 türmte sich die tunesische Staatsschuld auf das Dreifache des Nationaleinkommens auf187. Die Zinslast Marokkos stieg von 1950 bis 1954 um 250 Prozent auf 8,4 Milliarden Francs pro Jahr. Während sich die laufenden Kosten des Landes binnen fünf Jahren von 28,9 auf 77,1 Milliarden Francs erhöhten, wurden die produktiven Ausgaben nur von 27,4 auf 35,5 Milliarden Francs gesteigert188. In Algerien gestaltete sich die Situation ähnlich. Der Abgeordnete Maurice Rabier warnte, das algerische Budget würde in einigen Jahren vollständig von den Zinszahlungen an die Metropole aufgezehrt, wenn nicht rasch gegengesteuert

184 Für eine genaue Aufschlüsselung des Entwicklungsplans siehe: Cinquième rapport de la Commission des Investissements, in: Finances françaises, 17 (1953), S. 5–79, hier S. 64. (Infolge: Cinquième rapport des Investissements) Zitat: Huetz de Lemps, Alain: La situation économique de la Tunisie, in: Les Cahiers d’Outre-Mer, 42 (1958), S. 272–290, hier S. 289. 185 MAE, MT, Maroc (II), 197: 05.11.1954, Note, un aspect trop ignoré de l’aide financière. Private Unternehmen zahlten je nach Branche zwischen 2 und 5 Prozent Zinsen für staatliche Kredite. MAE, MT, Maroc (I), 355: Mars 1954, Réunion de la Commission des Investissements. 186 Bis 1945 musste der französische Staat 3 bis 4 Prozent Zinsen für seine Kredite bezahlen. Mit dem wachsenden Haushaltsdefizit stieg der Zinssatz auf 5 bis 6 Prozent. La politique budgétaire, I, S. 9. 187 MAE, MT, Tunisie (I), 567: 09.07.1952 Jean de Hautecloque, RG, au MAE, P. 7. 188 MAE, MT, Maroc (II), 368: Le budget et l’économie du Maroc, Armand Prat-Espouey, Conseiller du gouvernement, S. 7–9. Im Etatentwurf für 1955 war sogar eine Kürzung des Investitionsbudgets bei weiter steigenden laufenden Kosten geplant. MAE, MT, Maroc (I), 292: 23.09.1954, Haushaltsentwurf für 1955, P. 30.

2. Erster und Zweiter Entwicklungsplan

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würde189. Die Dramatik dieser Einschätzung war zweifellos übertrieben. Gleichwohl verdoppelten sich die Zinsausgaben innerhalb von drei Jahren auf 10 Prozent des algerischen Etats190. Auch die ‚Direction du Budget‘ im französischen Finanzministerium beklagte die Vernachlässigung produktiver Investitionen in Nordafrika. „En effet, la mise en place de ces équipement [socials] ne pouvait être réalisée qu’en abandonnant ou différant des investissements économiques rentables qui eussent pourtant été très utiles pour améliorer les économies locales, et par là, accroître les ressources propres de ces pays“. Die unausweichliche Folge sei die Unfähigkeit der Region, „non seulement de financier la moindre part de ses investissements, mais encore de couvrir la totalité des charges de son budget ordinaire“191. Trug die Metropole 1952/53 etwa 53 Prozent der Finanzierung des Entwicklungsplans für Algerien, waren es 1954/55 bereits 81 Prozent192. Grundsätzlich besaß die Kritik am Ungleichgewicht von sozialen und produktiven Ausgaben ihre Daseinsberechtigung. Das Problem entstand jedoch nicht durch zu hohe soziale, sondern durch zu niedrige wirtschaftliche Investitionen. Im Vergleich zu französischen Standards war der Aufholbedarf Algeriens in beiden Bereichen groß. In Bezug auf die große Diskrepanz im Bildungswesen etwa resümierte die Kommission für Soziales des Zweiten Entwicklungsplans, „qu’en Algérie, il faudrait environ 66 milliards de dépenses annuelles pour étendre progressivement la scolarisation, entretenir et faire fonctionner les établissements déjà crées. Or, le budget total annuel se limite à quelques 80 milliards“193. Insofern konnte von übermäßigem sozialen Engagement nicht die Rede sein. Die Vernachlässigung produktiver Investitionen war als Kausalität der finanziellen Autonomie Algeriens zu betrachten. Die steigende monetäre Beteiligung des Hexagons an den Entwicklungsplänen sollte nicht als Absicht gewertet werden, dem Anspruch „Algerien ist Frankreich“ gerecht zu werden. Es handelte sich dabei nicht um eine bewusste Entscheidung zum Wohle der algerischen Départements, sondern um ein notgedrungenes Opfer, das stets in Kombination mit der Forderung gebracht wurde, Algier müsse seiner Finanzautonomie nachkommen und die eigenen Anstrengungen erhöhen194. Insofern steckte hinter der Aussage des Generaldirektors für Finanzen, Roger Goetze, „la balance des comptes de l’Algérie est la mieux équilibrée de

189 Maurice Rabier (SFIO), in: JOAN, 24.11.1954, S. 5358. 190 ANOM, FM 81F 30: Juin 1955, Situation générale de l’Algérie en 1954, par M. Soustelle, S. 5. 191 MFE, B 0033562/1: 18.10.1952, Note au sujet des investissements en Afrique du Nord, S. 2. 192 Rapport Maspétiol, S. 10. In den Protektoraten lag die finanzielle Beteiligung Frankreichs auf ähnlich hohem Niveau. MAE, MT, Maroc (I), 353: Deuxième Plan du Maroc, CGP, S. 14. 193 AN, 80 AJ 73: Réunion tenue le 12 mai 1953, Présidence du Conseil, CGP, Commission des Plans de l’Algérie, de la Tunisie et du Maroc, Sous-Commission des Affaires sociales, S. 3. 194 Etwa im Rapport Maspétiol, S. 22. Die Investitions-Kommission zeigte sich besorgt ob der Schwierigkeiten Nordafrikas, seine Budgets ohne Finanzhilfe der Metropole zu finanzieren. Steigende Sozialleistungen seien problematisch, da dieses Geld dann für produktive Investitionen fehle. Cinquième rapport des Investissements, S. 61f.

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I. L’Algérie et la France: Die Phase bis 1954

toute l’Afrique du Nord“, mehr als ein außenwirtschaftliches Lob auf dem vorgegebenen Weg hin zu einer überschüssigen Leistungsbilanz195. Sie betonte die ökonomische Eigenverantwortlichkeit der nordafrikanischen Region und nahm Paris damit ein Stück weit aus der Pflicht. De facto besaß ein Entwicklungsland wie Algerien einen hohen Bedarf an Investitionsgütern, den es aufgrund fehlender lokaler Industrien nur über umfangreiche Importe hätte bedienen können. Aufgrund des Außenhandelsregimes mussten diese Einfuhren primär aus der Franczone und de facto aus der Metropole kommen, die als einziges Gebiet der ‚Union française‘ über entsprechende Kapazitäten verfügte. Insofern wäre eine stark passivierte Handelsbilanz zu erwarten gewesen. Finanziert werden konnten die Importe wiederum nur durch Gelder aus der Metropole, da das algerische Budget bereits überlastet war. Wenn nun aber die finanzielle Selbständigkeit betont und eine ausgeglichene Handels- bzw. Zahlungsbilanz als Ziel deklariert wurde, kollidierte dies frontal mit dem entwicklungspolitischen Interesse Algeriens. Die Haltung der Verantwortlichen erstaunt umso mehr, da Frankreich eigene Schwierigkeiten bei den Finanzen als „la conséquence d’une politique d’équipement et de reconstruction“ bezeichnete und zu deren Überwindung in großem Umfang auf externe Hilfe zurückgriff196. Nach den massiven Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs197 wurde die planwirtschaftlich geprägte Wiederaufbaupolitik unter Federführung von Jean Monnet in hohem Maße durch die amerikanischen Fördermittel aus dem Marshall-Plan begünstigt198. Zur Finanzierung des Außenhandelsdefizits griff Frankreich in der IV. Republik mehrfach auf internationale Kreditgeber zurück199. Ohne diese externen Zuschüsse wäre die als ‚Trentes Glorieuses‘ bezeichnete Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs nach 1945 nicht zu erreichen gewesen. Offensichtlich galten für die algerischen Départements jedoch nicht die gleichen Maßstäbe wie für jene der Metropole. Während die öffent-

195 Die Äußerung tätigte Goetze 1949 vor dem algerischen Parlament. ANOM, ALG GGA 7F 109: 1949, Éléments de la situation financière de l’Algérie, M. Goetze. 196 La politique budgétaire, II, S. 3. 197 Frankreich beklagte 600.000 Tote, auf das Gesamtgebiet gerechnet gingen 23 Prozent des Produktionskapitals verloren. Elgey: Histoire de la IVe République, I, S. 27. Die Autorin spricht an dieser Stelle von einem Nullpunkt für Frankreich. Das Bild des ‚Phönix aus der Asche‘ muss trotz aller Zerstörungen teilweise relativiert werden. Frankreich verfügte, ebenso wie Deutschland, weiterhin über eine solide Basis an Ressourcen, Know-How und Humankapital, die den wirtschaftlichen Wiederaufstieg im Vergleich zu einem Neubeginn im Vakuum begünstigte. 198 Der französische Wirtschaftsdirigismus unterschied sich von der liberal-kapitalistischen Ausrichtung anderer westlicher Staaten, ist jedoch klar von der sozialistischen Planwirtschaft abzugrenzen. Unternehmen hatten keine staatlichen Produktionsvorgaben zu erfüllen und waren auf der Mikroebene zu betriebswirtschaftlichem Handeln gezwungen. Gleichwohl war der französische Staat zentraler Wirtschaftsakteur, der über fixierte Abnahmepreise und Löhne stark in den Markt eingriff. Vgl. Eck: L’économie française, S. 11. Ein im Vergleich zu anderen westlichen Ländern sehr viel stärker ausgeprägter Keynesianismus ist auch heute noch als charakteristisch für das französische Wirtschaftsverständnis anzusehen. 199 Lynch: France and the international economy, S. 128.

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lichen Investitionen im Hexagon im Jahr 1952 im Vergleich zum Vorjahr um 10,3 Prozent stiegen, fiel der Zuwachs in Algerien mit 7,3 Prozent deutlich geringer aus. Bezeichnenderweise ließ Paris auch den T.O.M., obschon sie nicht den Status französischer Départements besaßen, mit einem Zuwachs von 17,6 Prozent eine höhere finanzielle Aufmerksamkeit zuteilwerden200. Am Ende des Ersten Entwicklungsplans stand eine ambivalente Bilanz. Zwar konnte das algerische BIP einen jährlichen Zuwachs von 6,1 Prozent verzeichnen201. Wachstumsmotoren waren gleichwohl jene Branchen, die fest in der Hand der ‚Pieds noirs‘ lagen. Die Weinproduktion etwa sprudelte mit 18 Millionen Hektolitern über das Ziel hinaus und wurde mehr und mehr zur wichtigsten Einnahmequelle Algeriens202. Die Rohstoffausbeutung stieg von 1950 bis 1953 um 37 Prozent203. Die Fördermengen einiger Bodenschätze bewegten sich allerdings bereits im Grenzbereich des Möglichen, so dass nach damaligem Kenntnisstand eher mit einem relativen Bedeutungsverlust dieses Wirtschaftszweigs zu rechnen war204. Beim Getreideanbau hingegen, einer der zentralen Anbaukulturen der muslimischen Bevölkerungsmehrheit, blieb die Produktion mit 18 Millionen Doppelzentnern etwa 18 Prozent hinter den Erwartungen zurück. Da sich die industrielle Entwicklung schleppend vollzog und kaum neue Arbeitsplätze entstanden waren, musste die Generalregierung in Algier Anfang 1953 feststellen, dass sich die Lebensumstände vieler Algerier kaum verbessert hatten und prekär blieben „car par suite de l’accroissement de la population les besoins nouveaux qui sont apparus ont été plus importants que ceux que l’application du plan a permis de satisfaire“205.

Zweiter Entwicklungsplan Die Tatsache, dass die soziale Spaltung Algeriens nicht hatte verringert werden können, hätte für den auf vier Jahre ausgelegten Zweiten Entwicklungsplan (1954–1957) ambitioniertere Ziele und ein entschlosseneres finanzielles Engagement der Metropole vermuten lassen. Eine Arbeitsgruppe aus Funktionären, Wirtschaftsexperten und Vertretern der Privatwirtschaft empfahl eine Verdopplung der 200 Cinquième rapport des Investissements, S. 9. 201 AN, F 12 11802: Données de base de l’activité algérienne, Ministère de l’Algérie. 202 Deuxième Plan de modernisation et d’équipement, Rapport général de la Commission d’étude et de coordination des Plans de modernisation et d’équipement de l’Algérie, de la Tunisie et du Maroc. Algérie, Juin 1954, S. 7. 203 Deuxième Plan de modernisation et d’équipement, S. 11. 204 Die Öl- und Gasförderung spielte zum damaligen Zeitpunkt noch keine nennenswerte Rolle. Die Eisenerzproduktion sank von 1953 bis 1957 um 18 Prozent, die Ausbeutung von Phosphaten stagnierte. Amin: L’économie du Maghreb, S. 108. 205 AN, 80 AJ 18: 01.04.1953, M. Grave, cabinet civil du GGA, à la réunion d’ouverture de la Commission d’étude des Plans de l’Algérie, de la Tunisie et du Maroc. ANOM, FM 81 F 2014: 02.04.1952, Commission des Plans, M. Grave, Cabinet Civil, GGA, S. 1. Zu den Ergebnissen des Ersten Plans in Algerien siehe: Lefeuvre: Chère Algérie, S. 328f.

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I. L’Algérie et la France: Die Phase bis 1954

französischen Finanzhilfen für Nordafrika206. Im Außenministerium sahen Beamte Frankreichs Grenze der Belastbarkeit jedoch bereits erreicht. Da das Hexagon vor eigenen, großen ökonomischen Herausforderungen stehe und eine Vergrößerung des französischen Haushaltsdefizits verhindert werden müsse, seien Finanzhilfen in der gegebenen Höhe „la capacité d’investissements maximum de la Métropole“207. Die Idee einer Begrenzung der öffentlichen Investitionen in Nordafrika fand auch im CGP Unterstützung. Es sei realistisch, das Niveau des Jahres 1952 als „limite maximum“ festzulegen208. In der ‚Direction du Budget‘ hieß es, die Finanzhilfen könnten ohne größere Unannehmlichkeiten um einige Milliarden verringert werden209. Die Hierarchie war klar festgelegt. Eine Kürzung der Ausgaben in Frankreich zugunsten der algerischen Départements stand nicht zur Debatte und so lag das Gesamtvolumen des Zweiten Investitionsprogramms mit 587,5 Milliarden Francs deutlich unterhalb des Niveaus des Vorgängers. Für Algerien waren 298 Milliarden Francs, für Marokko 211 Milliarden Francs und für Tunesien 78,5 Milliarden Francs vorgesehen210. Die Kürzung wirkte sich angesichts der hohen Inflationsraten Ende der 1940er/Anfang der 1950er Jahre drastischer aus, als es die nominale Reduzierung um zehn Prozent vermuten ließ211. Letztlich musste die Generalregierung in Algier sogar darum kämpfen, dass die zugesagten Milliarden auch vollständig ausgezahlt wurden212. Eine merkliche Anhebung der algerischen Lebensverhältnisse war mit diesem rückläufigen Engagement nicht zu erreichen. Die geplante Beschränkung oder gar Kürzung der Investitionsausgaben in Nordafrika stieß in den Ministerien auch auf Kritik. Nicht selten waren sich die

206 Zur Expertengruppe: ANOM, FM 81 F 2014: 31.03.1952, Commission des Plans de l’Algérie, de la Tunisie et du Maroc, M. Vibert, chargé du Plan au Secrétariat général du Gouvernement tunisien, S. 1. Zur Haltung der lokalen Administrationen: MFE, B 0033562/1: 18.10.1952, Note au sujet des investissements en Afrique du Nord, S. 3. 207 MAE, MT, Tunisie (I), 403: Mars 1954, Liens économiques entre France et T.O.M., S. 65. 208 ANOM, 81 F 2014: 31.03.1952, CGP, Deuxième Plan de l’Afrique du Nord (1953–1956), S. 7. 209 MFE, B 0033562/1: 17.07.1954, Note pour le Directeur, de M. Vaysset, S. 6. 210 Die in Quellen und Literatur genannten Zahlen zum Umfang der Pläne variieren zum Teil deutlich. Zudem ist nicht immer eindeutig nachzuvollziehen, welche Mittel die Angaben umfassen und welche nicht. Die hier angeführten Zahlen entstammen: MFE, B 0033562/1: 17.07.1954, Note pour le Directeur, de M. Vaysset, S. 3. Sie stimmen weitgehend überein mit: AN, 80 AJ 74: Juin 1954, Commission des Plans de l’Algérie, de la Tunisie et du Maroc. Lefeuvre gibt das Volumen des 2. Plans mit 550 Milliarden Francs niedriger an. Vgl. Chère Algérie, S. 347. 211 Die Inflation erreichte 1948 mit 58,6 Prozent den höchsten Wert des 20. Jahrhunderts. Von 1949 bis 1952 bewegte sich die Preissteigerung zwischen 10 und 16 Prozent. Ab 1953 entspannte sich die Situation spürbar. Vgl. http://France-inflation.com/inflation-depuis1901.php. 212 ANOM, FM 81F 2014: 08.08.1952, GGA, Plan quadriennal d’équipement 1953–1956, S. 6. Auch die Generalresidenten in den Protektoraten standen mit dem Finanzministerium in Konflikt über die Kürzung der Finanzhilfen. MAE, MT, Maroc (I), 292: 01.10.1953, Sitzung über marokkanisches Budget., P.164.

2. Erster und Zweiter Entwicklungsplan

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Funktionäre eines Hauses untereinander uneins. Von dem Argument, Frankreichs finanzielle Belastungsgrenze sei erreicht, ließ sich die Führung in Algier nicht überzeugen. „Nous avons sérieusement peine à penser, ainsi que nous l’avons déjà plusieurs fois souligné, que l’on puisse considérer que la Métropole est allée, au profit de l’Algérie, compte tenu de tout ce qu’elle représente, à la limite raisonnable de son effort“213. Verminderte Finanzhilfen seien höchst gefährlich „dans des pays où des problèmes démographiques – qui dégénèrent très rapidement en problèmes politiques – exigeraient, au contraire, un effort exceptionnel de mise en valeur“, warnte eine Note aus dem Finanzministerium214. Ohne steigende finanzielle Unterstützung durch das Hexagon stünden in Algerien „de sérieuses difficultés dans le domaine social et en conséquence dans le domaine politique“ zu befürchten, hieß es zustimmend in einer weiteren Analyse dieses Ministeriums215. Die für die Koordination des Entwicklungsplans zuständige Kommission gab in ihrem Bericht vom Juni 1954 zu bedenken, in Algerien sei ohne massive externe Hilfe „un abaissement considérable du niveau de vie“ zu erwarten. Erschwerend komme hinzu, dass die „beachtliche“ Finanzhilfe der Metropole von den Muslimen kaum als solche wahrgenommen würde, da sich ihre Lebensumstände – im Gegensatz zu jenen der Siedler – nicht spürbar verbesserten. Dieser Umstand mache die Massen zugänglich für extremistische Propaganda216. In einer Studie zur materiellen Situation Algeriens heißt es, diese sei durch große wirtschaftliche, soziale und finanzielle Probleme gekennzeichnet. „Résoudre ces problèmes algériens, c’est parvenir dans une large mesure à éviter que nous se pose un jour ‘un problème algérien‘“217. Noch konkreter wurde Generalgouverneur Léonard, wenige Monate bevor sich seine Warnung bewahrheitete. Die aktuellen Unruhen in Marokko und Tunesien könnten ähnliche Ereignisse in Algerien hervorrufen. „Il n’est pas douteux que les agitateurs trouveraient aisément dans la masse croissante des chômeurs nombre de malheureux prêts à les écouter et à les suivre“218. Die zitierten Studien erkannten die Gefahr der ökonomischen Ungleichheit, vermieden gleichwohl einen Hinweis auf das Konfliktpotential, das von den politischen Strukturen ausging. Im Kontext der finanziellen Solidarität bringt ein Blick auf die Verteilung der amerikanischen Fördermittel aus dem Marshall-Plan interessante Erkenntnisse zum Vorschein. Zunächst fällt auf, dass Paris im Rechenschaftsbericht über die Verwendung der Hilfszahlungen auf eine Differenzierung verzichtete und Nordafrika als Verbund aufführte, was die These der konzeptionellen Einheit der Region bestärkt. Insgesamt erhielt der Maghreb circa ein Zehntel der gesamten US-Hilfen 213 214 215 216

ANOM, FM 81F 2014: 08.08.1952, GGA, Plan quadriennal d’équipement 1953–1956, S. 3. MFE, B 0033562/1: 18.10.1952, Note au sujet des investissements en AFN. ANOM, FM 81F 1825: 29.06.1954, Note, La mise en valeur du territoire algérien, S. 2. AN, 80 AJ 74: Juin 1954, Commission des Plans de l’Algérie, de la Tunisie et du Maroc, S. 3–6. 217 ANOM, 8 X 387: 01.07.1954, Situation de l’Algérie, vue sous l’angle des problèmes matériaux. 218 AN, 363 AP 32: 08.06.1954, GG Léonard an diverse Minister, S. 1.

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I. L’Algérie et la France: Die Phase bis 1954

für Frankreich, was in etwa seiner Wirtschaftsleistung im Verhältnis zur Metropole entsprach219. Aus dem französischen Budget erhielt Nordafrika relativ gesehen deutlich weniger Geld: Das Volumen des Zweiten Entwicklungsplans für Nordafrika entsprach 6 Prozent der Summe, die an Investitionen für die Metropole selbst vorgesehen waren220. Ein Anteil von 10 Prozent wie beim Marshall-Plan hätte die Zuschüsse für den Maghreb von 578,5 auf 953 Milliarden Francs erhöht. Eine entsprechende Anfrage der Generalregierung blieb ohne Erfolg221. Angesichts des großen Entwicklungsrückstands der Region wäre ebenso eine andere Aufteilung der amerikanischen Gelder denkbar gewesen. Eine Gewichtung nach Bevölkerungsgröße beispielsweise hätte den nordafrikanischen Gebieten ein Drittel der Gesamtsumme eingebracht. Die gewählte Partition nach Wirtschaftskraft bevorzugte klar die leistungsstarke Metropole, so dass ihr ökonomischer Vorsprung auf die Entwicklungsländer des Maghreb weiter zunahm. Den Rahmen des Möglichen schöpfte Paris in Sachen finanzieller ‚Fraternité‘ bei Weitem nicht aus222. Einigen wenigen aufmerksamen Beobachtern der Nordafrikapolitik drängte sich die Frage auf, ob sich Frankreichs Politiker im Klaren über die finanziellen Konsequenzen des Gleichheitsanspruchs der ‚Union française‘ waren. Sie sahen eine große Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität223. Eine Gegenüberstel219 Die US-Hilfen waren in Güterlieferungen und Finanzhilfen zu unterscheiden. Die hier genannten 10 Prozent bilden einen Mittelwert zwischen beiden Hilfsformen. Zur Aufschlüsselung siehe: L’Application du programme de reconstruction européen, Rapport adressé par le Gouvernement français, Annexe 1, Paris, 1949. Zum BIP Frankreichs im Vergleichsjahr siehe: La politique budgétaire, II, S. 27. Zu Algerien: AN, F 12 11806: 31.03.1960, Plan de Constantine 1959–1963, Projet de rapport général, S. 8. Zu Tunesien und Marokko: Amin: L’économie du Maghreb, S. 101. Weitere Details zum Marshall-Plan und den Überseegebieten: Bossuat, Gérard: La contre-valeur de l’aide américaine à la France et à ses territoires d’Outre-Mer. La mesure des rapports franco-américains, in: Le Plan Marshall et le relèvement économique de l’Europe. Colloque tenu à Bercy les 21, 22 et 23 mars 1991, hg. v. Girault, René/Lévy-Leboyer, Maurice, CHEFF, Paris, 1993, S. 177–200. 220 Neben dem regulären Plan von 6.600 Milliarden Francs waren 2.930 Milliarden Francs an zusätzlichen Investitionen für Erneuerungen und Großprojekte vorgesehen. Darüber hinaus gingen 660 Milliarden Francs in die T.O.M und D.O.M. De Fleurieu: Les grandes lignes du Second, S. 329. 221 ANOM, FM 81 F 2010: 13.04.1949, GGA au MI, Plan de l’Algérie, S. 7f. 222 Lynch (France and the International Economy, S. 192) gibt an, Frankreich habe den Kolonien weniger Geld zukommen lassen, als es der Marshall-Plan vorgegeben habe. Dabei gilt es zu bedenken, dass Washington keine allzu konkreten Vorgaben bezüglich der Aufteilung der Finanzhilfen zwischen Metropole und Kolonien machte, so dass eine formelle Benachteiligung schwer zu belegen ist. Ferner versuchten die USA über die regulären Hilfen hinaus mit speziellen und direkten Hilfsgeldern eigene Interessen in den französischen Überseegebieten zu realisieren, was in Paris die Befürchtung nährte, Washington versuche, Frankreich aus dem Maghreb zu verdrängen. Angesichts der aufgeführten Parameter von Bevölkerungsanteil und Entwicklungsrückstand Nordafrikas ist Lynch grundsätzlich dennoch recht zu geben. Zu den Hintergründen siehe: Bossuat: La France, l’aide américaine et la construction européenne, S. 521–562. Ein zeitgenössischer Beitrag zur Thematik: Paul, Henry: L’aide américaine et le développement de l’Afrique française, in: Politique étrangère, 15, 3 (1950), S. 305–316. 223 Servoise: Introduction aux problèmes, S. 392.

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lung der Entwicklungspläne für Nordafrika und für die Metropole bestätigt diese Einschätzung. Ohne konkrete Ziele zu formulieren hieß es in Bezug auf den Maghreb, die Investitionen sollten eine Erhöhung der Produktion ermöglichen, die, unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklung, „permette au moins de maintenir le niveau de vie actuel de la population“224. Es ging also primär darum, eine weitere Verschlechterung der ökonomischen und sozialen Situation zu verhindern. Bei der Berechnung des konkreten Investitionsbedarfs bezogen sich Publikationen und Politiker häufig auf den britisch-australischen Ökonomen Colin Clark225. Nach ihm bedurfte eine Erhöhung des Lebensstandards um 1 Prozent einer gleichzeitigen Steigerung der Investitionen um 4 Prozent. Sollte beispielsweise das algerische Einkommensniveau verdoppelt werden, wäre eine Vervierfachung des Investitionsvolumens die Voraussetzung gewesen. Entsprechend dem Bevölkerungswachstum mussten die Einkommen um mindestens 2,5 Prozent pro Jahr wachsen, um den gegebenen Lebensstandard zu halten226. Erst eine über dem demografischen Faktor liegende Steigerung konnte eine absolute Verbesserung der Situation herbeiführen. Faktisch stiegen die öffentlichen Bruttoinvestitionen in Algerien von 1950 bis 1954 um 25,6 Prozent227. Auf Grundlage von Clarks Modell ergab sich daraus eine jährliche Steigerung des algerischen Lebensniveaus von 1,6 Prozent, was nicht einmal ausreichte, um den Bevölkerungszuwachs zu egalisieren. Für eine Verkleinerung des Einkommensrückstands auf die Metropole hätte das algerische Wohlstandswachstum sogar über jenem des Hexagons liegen müssen. Während in Algerien das Verhältnis von öffentlichen Investitionen zum BIP jedoch von 9,4 Prozent im Jahr 1950 auf 8,3 Prozent im Jahr 1954 sank, verharrte die Quote in der Metropole bei durchschnittlich 9,2 Prozent228. Die ‚Direction de la Prévision‘ rechnete mit einer jährlichen Erhöhung des französischen Lebensstandards um

224 AN, 80 AJ 73: Janvier 1954, Plans de l’Algérie, de la Tunisie et du Maroc, Sous-Commission des activités agricoles, S. 1. 225 Etwa: ANOM, FM 81F 207: 15.02.1956, Comité pour l’étude des Conventions francomarocaines, S. 14 oder Moussa, Pierre: Les chances économiques de la communauté francoafricaine, Colin, Paris, 1957, S. 146. Bezug genommen wird auf: Clark, Colin: Population et niveaux de vie, in: Revue Internationale du Travail, LXVIII, 2 (1953), S. 103–124, hier S. 122f. 226 Diese Kalkulation entsprach in etwa dem tatsächlichen Wirtschaftswachstum in Nordafrika bis zur Mitte der 1950er Jahre. In Algerien und Tunesien belief sich dieses zwischen 1930 und 1955 auf durchschnittlich 2,4 Prozent pro Jahr. In Marokko fiel der jährliche Zuwachs mit 5,5 Prozent kräftiger aus. Amin: L’Économie du Maghreb, S. 101. 227 AN, F 12 11806: 31.03.1960, Plan de Constantine 1959–1963, Projet de rapport général, S. 8. 228 Zu Algerien: AN, F 12 11806: 31.03.1960, Plan de Constantine 1959–1963, Projet de rapport général. Zur Metropole: Arnaud-Ameller, Paule: La France à l’épreuve de la concurrence internationale 1951–1966, (= Recherches sur l’Économie française 15), Presses de SciencePo, Paris, 1970, S. 93.

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I. L’Algérie et la France: Die Phase bis 1954

etwa 4 Prozent229. In dieser Kalkulation wäre somit eine minimale Anhebung des algerischen Lebensniveaus von 6,5 Prozent notwendig gewesen, um einen (kleinen) Schritt hin in Richtung Angleichung zu gehen. Eine zusätzliche Voraussetzung war, dass die ökonomische Dynamik auch in der breiten Bevölkerung ankam und nicht nur den wirtschaftlichen Eliten den Ausbau ihrer privilegierten Position ermöglichte. Diesen Faktor berücksichtigte der Plan in unzureichendem Maße. Schlussendlich lief das Zweite Entwicklungsprogramm für Nordafrika angesichts prozentual höherer Investitionen in der Metropole auf eine weitere Öffnung der Einkommensschere hinaus.

229 MFE, B 0052206: Perspectives économiques et Sociales et situation en fin d’année 1954. Aus dem Dokument geht nicht hervor, ob in dem Wert das französische Bevölkerungswachstum von 0,9 Prozent bereits berücksichtigt ist. In jedem Fall bliebe die Tendenz die gleiche, da der Wohlstandszuwachs Frankreichs deutlich über jenem Algeriens lag. Zur Demografie Frankreichs: INSEE, http://www.insee.fr/fr/themes/series-longues.asp?indicateur=pop-debut-annee.

II. „L’ALGERIE, C’EST LA FRANCE“: 1954 BIS 1958 1. DAS ENDE DER EINHEITLICHEN BETRACHTUNG NORDAFRIKAS „Dison: ‚le drame tunisien‘, disons: ‚le drame marocain‘, mais ne parlons pas de ‚drame nordafricain‘. Les problèmes de l’Algérie sont absolument autres: l’Algérie est française“ (Mostefa Benbahmed, 1954)1

1.1 Krise in den Protektoraten Im Zuge der weltweiten Entkolonialisierungstendenz erhielten die nordafrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen nach dem Zweiten Weltkrieg spürbaren Auftrieb2. In Tunesien drängten Habib Bourguiba und seine Bewegung ‚Néo-Destour‘ auf ein Ende der französischen Kolonialherrschaft. In Marokko profilierten sich Sultan Mohammed V. und die ihm nahestehende Partei ‚Istiqlal‘ als Verfechter der Selbstbestimmung. Frankreich reagierte zunächst unnachgiebig. Der von Generalresident Jean de Hautecloque als „ennemie mortel“ bezeichnete Bourguiba wurde mehrfach verhaftet3. Nach einer undurchsichtigen Aktion fand sich auch der marokkanische Monarch im Exil wieder4. Er war durch einen „MarionettenSultan“ ersetzt worden5.

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Mostefa Benbahmed (SFIO), in: JOAN, 27.08.1954, S. 4332. Die Ursprünge des nordafrikanischen Nationalismus reichen bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zurück. Ageron: La décolonisation française, S. 20. Die Bandung-Staaten trugen mit ihrem Engagement und ihrer späteren Konferenz im April 1955 zur Internationalisierung der Krisen in Nordafrika bei. Das Außenamt betrachtete diese Entwicklung mit Sorge. In einer Note von 1957 heißt es, ein zentrales Ziel der Nordafrikapolitik sei es, eine Ausbreitung des Geistes von Bandung zu verhindern. DDF, 1957 I: 422, 23.05.1957, S. 831. Die Unterstützung der Bandung-Resolution durch die Türkei belegt, dass auch Verbündete Frankreichs vom Einfluss der Bewegung erfasst wurden. MAE, Cabinet du Ministre (CM), Pinay 1955– 1956, 18: 05.05.1955, MDN au MAE. Nach Thomas veranlasste die Bandung-Konferenz die USA, ihr antikoloniales Profil zu schärfen, um ihren Einfluss in der Dritten Welt nicht zu gefährden. Das habe auch Frankreich zu spüren bekommen. Thomas: Defending a lost cause, S. 241. ANOM, FM 81F 17: 11.08.1953, de Hautecloque, RG Tunis, à Georges Bidault, MAE. Offiziell wurde die Absetzung von Sultan Mohammed als innermarokkanischer Vorgang dargestellt. In einer Petition warfen eine Gruppe marokkanischer Würdenträger um den Pascha von Marakesch, Thami El Glaoui dem Sultan Verstöße gegen religiöse Gebote und die Würde des Amtes vor. (CHSP, Fonds Julien, 23: Le texte de la pétition des Pachas et caïds, in: La Vigie marocaine, (30.05.1953). Vertreter der französischen Administration gaben an, den Monarchen zu dessen eigenem Schutz exiliert zu haben. (Juin: Le Maghreb en feu, S. 86f.). Tatsächlich war die marokkanische Elite in der Folge gespalten und viele Würdenträger hielten Mohammed die Treue. (MAE, AL, Maroc, 4: 21.10.1953, MI au MAE: Réaction des Oulamas à la suite de la déposition de l’ex-Sultan au Maroc, P. 166). Es wird vermu-

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II. „L’Algérie, c’est la France“: 1954 bis 1958

Die Hoffnung, die Unabhängigkeitsbewegungen durch Abtrennung ihrer Köpfe zum Erliegen zu bringen, erwies sich als fatale Fehleinschätzung. Es kam zu einer Ausweitung der Proteste und die französische Armee sah sich gezwungen, Verstärkungen aus Indochina und Algerien einzuholen, um nicht die Kontrolle über die Situation in den Protektoraten zu verlieren6. Liberale Stimmen erkannten in mutigen Reformen den einzigen Weg aus der Krise. Grundlegende Veränderungen in Marokko und Tunesien seien unausweichlich, daher solle Frankreich diese aktiv gestalten und sich nicht von ihnen überrumpeln lassen7. In einem ersten Schritt forderten sie die Anerkennung der internen Autonomie Tunesiens und Verhandlungen mit dem abgesetzten Sultan über dessen Rückkehr auf den marokkanischen Thron8. In einem zweiten Schritt sollte

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tet, dass französische Funktionäre und einflussreiche Siedler bei der Aktion die Fäden zogen. (July: Une République pour un roi, S. 9f.). In ministeriellen Dokumenten findet sich häufig der Vorwurf, der Sultan habe sich demokratischen Reformen verweigert. Teilweise ging es dabei jedoch eher um Privilegien für die Siedler. Kritisch wurde insbesondere das zunehmend offene Eintreten des Sultans für die marokkanische Unabhängigkeit gesehen. (MAE, CM, Pinay, 27: 18.02.1953, Projet d’instructions au Général Guillaume, RG à Rabat und JOAN, 26.08.1956, S. 4277). Zur nachträglichen Legitimation der Entmachtung wurden der Öffentlichkeit Dokumente aus dem Zweiten Weltkrieg zugespielt, die eine Kollaboration des Sultans mit dem Dritten Reich suggerierten. Unklar blieb allerdings, ob es sich bei der Person tatsächlich um den Sultan handelte oder ob jemand anderes diesen Eindruck zu erwecken versuchte. Das entsprechende Dokument der deutschen Militärführung findet sich als Kopie im Archiv des französischen Außenamts. (MAE, MT, Maroc (I), 836: 06.01.1943, Geheime Reichssache). Das ‚Comité France-Maghreb‘ verlangte zur Klärung dieser Frage vergeblich eine Veröffentlichung des Dokuments. CHSP, Fonds Julien, 13: 10.10.1953, Communiqué, Comité pour l’étude des problèmes Nord-Africains. July bezeichnete Sultan Arafa als „Marionette“ der Generalresidenz. July, Pierre: Une République pour un roi, Fayard, Paris, 1974, S. 57. Diese Einschätzung findet sich in einer Quelle bestätigt. Dort heißt es: „notre intérêt est de maintenir provisoirement un Sultan faible et donc de laisser ‚pourrir‘ la question dynastique“. MAE, AL, Maroc, 16: 19.08.1954, Note du Conseiller diplomatique du ministère de la Défense nationale, P. 4. DDF, 1954 II: 428, Bericht État-major über Lage in Nordafrika, S. 874f. Siehe etwa: CHSP, Fonds Julien, 13: 07.05.1954, Comuniqué du Comité. Ebenso: Mohamed Salah Bendjelloul (RPF-ARS), in: JOAN, 02.02.1955, S. 624f. Verschiedene Interessensvertretungen der Siedler in Marokko forderten im August 1955 eine mutige Reformpolitik, die den legitimen Ansprüchen des Landes gerecht würde. Für die Rückkehr des abgesetzten Sultans bestand ihrer Einschätzung nach jedoch kein Spielraum mehr. Vgl. Le Monde, (12.08.1955): Les événements d’Afrique du Nord. Des Associations de Français du Maroc mettent en garde les parlementaires contre le danger d’une „nouvelle hésitation“. Charles-André Julien bezeichnete die Rückkehr von Sultan Mohammed und Verhandlungen über die Unabhängigkeit als alternativlos. CHSP, Fonds Julien, 23: Note pour le secrétaire général, Situation au Maroc au Juin 1954, Charles-André Julien, S. 2f. Eine Studie des Außenamts bestätigte: „Le rétablissement rapide d’un État marocain indépendant est nécessaire à la sauvegarde de nos intérêts“. MAE, MT, Maroc (I), 87: 10.10.1954, Maroc, Urgence d’une politique française au Maroc, S. 5. Als weitere liberale Stimme ist Roger Paret anzuführen, der für die Zeitung ‚France-Observateur‘ schrieb und sich im ‚Comité FranceMaghreb‘ engagierte. Rivet, Daniel: L’œil de France Observateur sur France-Maghreb. Le journal de route de Roger Paret, in: Le Comité France-Maghreb, hg. v. Dems., S. 69–90.

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die Unabhängigkeit beider Länder folgen, da nur auf diese Weise die Konflikte dauerhaft gelöst und die französischen Interessen in der Region geschützt werden könnten9. Insbesondere Abgeordnete des rechten politischen Spektrums widersprachen vehement diesem Ansatz. Ihrer Überzeugung nach sahen die Menschen in Tunesien und Marokko den Protektor Frankreich weiterhin in der Pflicht, ihnen beizustehen und sie in eine bessere Zukunft zu geleiten10. „Seul une proclamation solennelle du maintien indiscutable et définitif de l’autorité de la France en Afrique du Nord est de nature à apaiser les craintes et à rétablir l’ordre en rendant confiance à nos amis“11. Die Rückkehr des Sultans hingegen „mettrait feu aux poudres et déclencherait la guerre civile au Maroc“12. Generalresident Boyer de Latour warnte, die Abkehr vom politischen Status quo in Tunesien führe unweigerlich zu entsprechenden Forderungen in den anderen beiden Ländern Nordafrikas. Frankreichs gesamte Souveränität im Maghreb stehe auf dem Spiel13. Marokko fehlte es für ein höheres Maß an Eigenverantwortung nach Einschätzung des dortigen Generalresidenten an politischer Reife und in Algerien bestand nach der Verabschiedung des Statuts von 1947 in den Augen vieler kein weiterer Handlungsbedarf14. Die Frage, welche langfristigen Lasten die politische Souveränität und der zivilisatorische Anspruch in den Protektoraten für Frankreich mit sich brachten, rückte in dieser Phase in den Hintergrund. Paris versuchte Zeit zu gewinnen, ohne dabei klare Vorstellungen von einem Ausweg aus der festgefahrenen Situation zu besitzen. In der Zwischenzeit wurden die Krisen als Symptome ökonomischer Unzufriedenheit diagnostiziert und mit zusätzlichen Finanzspritzen behandelt, militärische Operationen durchgeführt und politische Reformen ausgeklammert15.

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MAE, MT, Maroc (I), 87: 10.10.1954, Maroc: Urgence d’une politique française au Maroc, S. 5. Entsprechende Äußerungen kamen etwa von: Guy Jarrosson (IPAS), in: JOAN, 07.07.1955, S. 3705 und Jean-Louis Tixier-Vignancour (RN), in: JOAN, 02.06.1956, S. 2279. TixierVignancour wirkte am Regime von Vichy mit und vertrat später als Anwalt führende OASMitglieder. Adolphe Aumeran (RI), in: JOAN, 10.08.1954, S. 4052. Joseph de Goislard de Monsabert (RPF), in: JOAN, 26.08.1954, S. 4265. General de Goislard de Monsabert plädierte für ein Festhalten an Französisch-Algerien und warnte vor einer Politik, die Frankreichs Prestige in Nordafrika gefährde. AN, Fonds Edgar Faure, AP 505 (II) 148: 13.09.1954, RG, Boyer de Latour, à MAMT, S. 2 und AN, Fonds Edgar Faure, AP 505 (II) 148: 31.05.1955, RG, Boyer de Latour. MAE, MT, Maroc (I), 87: 30.07.1954, RG Lacoste, à MAE Mendès-France. In Marokko wurden etwa die Mindestlöhne in der Industrie 1953 um 10 Prozent erhöht, in der Landwirtschaft 1954 um 25 Prozent. DDF, 1955 I: 26, 12.01.1955, Lacoste à Fouchet, S. 71. Ferner wurden für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen 3 Milliarden Francs für Marokko und 1,5 Milliarden Francs für Tunesien bewilligt. MAE, MT, Maroc (I), 292, Maroc, Budget 1954: P. 327; P. 347 und MAE, MT, Tunisie (I), 541: 17.09.1954, RG Boyer de Latour au MAE, P. 48. Die Wirksamkeit der Finanzhilfen wurde von einigen Diplomaten bezweifelt. AN, Fonds Paul Reynaud, 74 AP 46, 19.02.1955, Note pour Monsieur le Secrétaire général, Situation économique au Maroc, S. 4.

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In Tunesien führte dieser Ansatz nicht zum Erfolg. Erst das Bekenntnis von Regierungschef Mendès-France zur internen Autonomie im Sommer 1954 und die folgende Kooperation mit Habib Bourguiba beruhigten die Situation nachhaltig16. Offiziell bestritt Paris eine Kausalität zwischen der Selbstverwaltung im Inneren und der vollständigen Unabhängigkeit Tunesiens. Frankreichs Souveränität im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik werde erhalten bleiben17. Einige Funktionäre und Teile der Presse schienen vom Realismus dieses Szenarios überzeugt18. Andere sahen darin eher ein Mittel zum Zweck, um den Gegnern der internen Autonomie die Angriffsfläche zu nehmen und die Zustimmung des Parlaments zu den später zu ratifizierenden franko-tunesischen Konventionen sicherzustellen. Für sie stand fest, dass die innere Selbstverwaltung nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zur uneingeschränkten Selbstbestimmung Tunesiens sein konnte19. Am Ende votierten bei nur 43 Gegenstimmen 540 Parlamentarier am 8. Juli 1955 für die Neugestaltung der franko-tunesischen Beziehungen innerhalb der Grenzen des Protektorats20. Während Kritiker die Einigung als gefährlichen Präzedenzfall sahen, hoffte die Regierung auf eine generelle Entspannung in der Region und verminderten internationalen Druck21. Tatsächlich sagte Washington Paris in der Folge Unterstützung bei anstehenden Abstimmungen vor den Verein16 Vgl. Déclaration faite au nom du gouvernement français à S.A. le bey de Tunis, 31 juillet 1954. Online unter: http://www.mendes-france.fr/espace-pedagogique/textes-de-reference-depierre-mendes-france/discours-de-carthage-31-juillet-1954/. 17 Der zuständige Minister Christian Fouchet (RPF) versicherte dem Parlament mehrfach, „en matière d’armée et de diplomatie […] le rôle de la France restera unique et souverain“. JOAN, 03.02.1955, S. 678 und zuvor JOAN, 10.12.1954, S. 6073. Die gegenteilige Befürchtung äußerte etwa Raymond Dronne (RPF, später RS), in: JOAN, 07.07.1955, S. 3675. 18 Generalresident Boyer de Latour hoffte, über eine Beschränkung der Macht des tunesischen Parlaments und die enge Kooperation mit dem Monarchen (Bey) den Verlust von Einfluss auf die tunesische Politik verhindern zu können. AN, AP 505 (II) 148: 13.09.1954, RG, Boyer de Latour à MAMT, S. 3. Die Zeitung ‚L’Économie‘ sah Frankreichs Gestaltungsmöglichkeiten durch die Konventionen gewahrt. Les conventions franco-tunisiennes du 3 juin 1955. Pourquoi faut-il les ratifier ?, in: L’Économie, Supplément (03.06.1955), S. 1. Nach Cochet glaubten einige Funktionäre, das Protektoratssystem in reformierter Form aufrecht erhalten zu können. Das Außenministerium hingegen sei von der Unausweichlichkeit der baldigen Unabhängigkeit Tunesiens überzeugt gewesen. Cochet, François: Les attitudes de la France en Tunisie (1945–1962). Les apports des sources orales, in: Revue d’Histoire Diplomatique, 110 (1996), S. 203–220, hier S. 219. 19 So etwa Generalresident Roger Seydoux. Vgl. DDF, 1956 I: 02.02.1956, Note Seydoux, S. 140. Kritiker im Parlament verwiesen auf öffentliche Äußerungen Bourguibas, in denen er bekräftigte, sich nicht mit der internen Autonomie zufrieden geben zu wollen. Vgl. JOAN, 26.08.1954, S. 4288. 20 JOAN, 08.07.1955, S. 3763. 21 Jean Crouzier (RI) machte die Zugeständnisse an Tunesien für den Ausbruch des Algerienkriegs verantwortlich. JOAN, 02.02.1955, S. 613. Regierungschef Mendès-France betonte im Kabinett die elementare Bedeutung einer Einigung mit Tunesien, ohne die ein Flächenbrand in Nordafrika drohe. Er äußerte zugleich die Vermutung, dass einige Militärs und Funktionäre versuchten, die Verhandlungen zu torpedieren. DDF, 1954 II: 363, 18.11.1954, MendèsFrance à Faure, Fouchet et Pelabon, S. 753ff.

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ten Nationen über die Nordafrikapolitik zu22. Die ägyptische Führung ließ Bereitschaft erkennen, die von staatlichen Medien ausgehende anti-französische Propaganda zu mäßigen23. Von dieser Atempause ließ sich die französische Regierung zu einer defensiven Politik in Marokko verleiten. Eine Rückkehr von Sultan Mohammed auf den Thron galt offiziell bis zuletzt als „absolument exclu des considérations du Gouvernement“24. „La France fera plutôt la guerre“, soll François Mitterrand gegenüber einem Vertrauten des exilierten Monarchen gesagt haben25. Erst als Ende 1955 mit dem Pascha von Marrakesch ein zentraler Verbündeter Frankreichs in der marokkanischen Elite unerwartet ins Lager des abgesetzten Sultans wechselte, stellte das Außenministerium fest, diese unvorhergesehene Wende „rend désormais inévitable le retour prochain de Sidi Mohammed ben Youssef sur le trône chérifien“26. Paris wagte nun einen politischen Befreiungsschlag und eröffnete Verhandlungen über die vollständige Unabhängigkeit Marokkos27. Dieser radikale Kurswechsel zog äquivalente Forderungen Tunesiens nach sich, denen sich die französische Regierung kaum verweigern konnte28. Binnen weniger Wochen war das Ende der Protektorate besiegelt, im März 1956 erlangten beide Staaten ihre Souveränität zurück29.

22 Generalresident Francis Lacoste (Marokko) über Gespräch mit dem Generalkonsul der USA, DDF, 1954 II: 47, 08.08.1954, S. 103. 23 Schreiben des ägyptischen Botschafters an Mendès-France. DDF, 1954 II: 853, 06.12.1954, S. 863f. 24 MAE, MT, Maroc (I), 89: 12.01.1955, RG, Lacoste, La question marocaine en Janvier 1955 S. 14. Ende Juli bekräftigte der für die Protektorate zuständige Minister Pierre July, die Rückkehr des Sultans sei ausgeschlossen. MAE, MT, Maroc (I), 89: 29.07.1955, Ministre July à RG Grandval. 25 Hoisington, William A.: Jacques Lemaigre Dubreuil de Paris à Casablanca. Vingt ans d’engagements (1935–1955), L’Harmattan, Paris, 2009, S. 180. 26 DDF, 1955 II: 342, 31.10.1955, Note du Quai d’Orsay, S. 756. 27 Nach Ikeda entstanden die Verhandlungen über die Unabhängigkeit nicht primär aus der Not heraus. Sie seien eher eine bewusste Entscheidung der französischen Regierung gewesen, um zukünftigen Einfluss zu sichern. Ikeda, Ryo: The Paradox of Independence. The Maintenance of Influence and the French Decision to Transfer Power in Morocco, in: Journal of Imperial and Commonwealth History, 35, 4 (2007), S. 569–592. 28 In einer Note des Außenministeriums hieß es, die Haltung gegenüber Marokko „rendait impératif un ajustement parallèle des rapports franco-tunisiens“. MAE, MT, Tunisie (II), 39: 23.05.1957, Note, Politique française au Maroc et en Tunisie, S. 3. 29 Die Reaktionen auf die Unabhänigkeit und die Erwartungen an die Entwicklung der bilatralen Beziehungen fielen in Frankreich sehr unterschiedlich aus. Insgesamt überwog vorsichtiger Optimismus. Positiv: L’Humanité, (03.03.1956): L’exemple marocain. Vorsichtig optimistisch: Le Figaro, (03.03.1956): Aux Marocains de faire la preuve. Ablehnend: Raymond Dronne (RS), in: JOAN, 08.03.1956, S. 752; L’Aurore (03.03.1956): Nous signons avec le Sultan des accords inadmissibles. Le Parisien Libre (03.03.1956) sprach von „l’opération sans contrepartie“. (Vgl. MAE, AL, Maroc, 16).

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1.2 Der Ausbruch des Algerienkriegs Der algerische Unabhängigkeitskrieg wurde in Frankreich erst nach und nach als solcher realisiert. Dennoch machten der Beginn der militärischen Auseinandersetzung und die vorangegangenen Zugeständnisse an Tunesien eine rhetorische und praktische Neuausrichtung der Nordafrikapolitik unumgänglich. Bisher hatten sich vornehmlich Unterstützer der maghrebinischen Emanzipationsbewegungen dagegen gewehrt, die gesamte Region durch eine einheitliche Betrachtungsweise zu vereinnahmen. Vereint sahen sie die drei nordafrikanischen Völker in erster Linie in ihrem Wunsch nach Befreiung von der kolonialen Fremdbestimmung. Im mehrheitlichen Sprachgebrauch und in der Wirtschaftspolitik bis 1954 war Französisch-Nordafrika dennoch als Verbund betrachtet worden. Nach der Anerkennung der internen Autonomie Tunesiens und dem späteren Verhandlungsbeginn über die Unabhängigkeit der Protektorate barg diese Konzeption nunmehr die Gefahr, die Forderungen der algerischen Separatisten indirekt zu legitimieren. Es kam daher zu einem sprachlichen Rollentausch. In ihren Äußerungen betonten die Anhänger Französisch-Algeriens und mit ihnen die französische Regierung fortan sehr viel häufiger und expliziter die großen Unterschiede zwischen den drei nordafrikanischen Gebieten. Tunesien sei „un pays géographiquement, historiquement, intellectuellement et démographiquement différent des autres régions d’Afrique du Nord“30. Algerien hingegen sei „une terre française“ ohne eigenes Nationalgefühl31. Es gebe nicht ein kollektives, sondern drei individuelle Probleme in Nordafrika, die separater Lösungen bedürften. Die algerischen Départements müssten als integraler Bestandteil Frankreichs von etwaigen Veränderungen in der Region ausgenommen bleiben32. Für die Mehrheit der Franzosen bestand nach Erinnerung Alfred Grossers kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Entwicklung in den Protektoraten und der Algerienfrage33. Als zentrales Argument, mit dem Paris auch auf internationaler Ebene auf Verständnis traf, fungierten die eine Million ‚Pieds noirs‘, die teilweise seit Generationen in Algerien lebten. Die britische Zeitung ‚The Economist‘ fragte die Kritiker der französischen Nordafrikapolitik im eigenen Land, „what their feelings would be if there were twenty-five times as many European residents in Kenya as there are now, and if the White Highlands were only 470 miles from the cliffs of Dover?“34. Der indische Ministerpräsident Jawaharlal Nehru anerkannte in einem Gespräch mit Außenminister Christian Pineau die große Verantwortung Frankreichs gegenüber den Algerierfranzosen35. 30 L’Économie, Supplément (03.06.1955), S. 2. 31 Aussage von Regierungschef Edgar Faure vom 02.10.1955 in Amiens. AN, AP 505 (II), 344: Discours Edgar Faure le 2 Octobre 1955. 32 Guy Mollet (SFIO) betonte in seiner Antrittsrede „l’union indissoluble entre l’Algérie et la France“. JOAN, 31.01.1956, S. 135. 33 Alfred Grosser (Interview). 34 The Economist, (01.10.1955): The Algerian Dilemma. (Vgl. AN, 74 AP 41). 35 DDF, 1956 I: 162, 11.031956, Gespräch Pineau-Nehru, S. 387–391.

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Ökonomischer Nutzen Nach Berechnungen einer mit den franko-marokkanischen Konventionen befassten ministeriellen Kommission erforderten die ökonomischen Probleme Marokkos eine Steigerung der Investitionsausgaben und respektive der französischen Finanzhilfen um den Faktor 2,3 binnen fünf Jahren, um eine merkliche Verbesserung der lokalen Lebensbedingungen herbeizuführen36. Für Tunesien war von einem ähnlich hohen Bedarf an externem Kapital auszugehen. Die Überlegung, „sa souveraineté n’étant plus reconnue, la France n’aurait plus aucune raison de continuer à supporter chaque année une charge aussi élevée“, folgte zwar den Regeln eines buchhalterischen Gedankenspiels37. Schließlich konnte die finanzielle Unterstützung für die ehemaligen Protektorate nicht von einem auf den anderen Tag eingestellt werden, ohne einen Bruch in den bilateralen Beziehungen zu riskieren. Mittel- bis langfristig ergaben sich durch das Ende der einheitlichen Betrachtung Nordafrikas gleichwohl neue finanzielle Spielräume für die Integrationspolitik in Algerien. Bisher erhielten Marokko und Tunesien zusammen knapp 50 Prozent der Gelder der Entwicklungspläne, sodass höhere Investitionsausgaben in Algerien stets zu einer Verdopplung der finanziellen Belastung Frankreichs geführt hätten38. Von diesem Automatismus befreite sich Frankreich durch das Ende der unitären Konzeption und die bald folgende Unabhängigkeit der Protektorate. Den algerischen Départements sollte fortan „une priorité absolue“ gegenüber Marokko, Tunesien und anderen Überseegebieten zukommen39. Folglich spielten die Protektorate im Mitte 1955 vorgestellten neuen Entwicklungsplan für Algerien 36 MAE, MT, Maroc (II), 197: 10.02.1956, Commission financières, Les données du problème, S. 2. 37 MAE, MT, Tunisie (I), 553–554: Note sur la balance des comptes de la Tunisie, P. 128. 38 Ex post verwies die ‚Direction du Trésor‘ im Mai 1958 auf diese Kausalität. Vgl. MFE, B 0024875/1: 02.05.1958, Conséquences financières d’une extension à l’ensemble de la zone franc des objectifs proposé par le Ministre de l’Algérie, Direction du Trésor, S. 1. Ähnlich äußerte der Leiter der ‚Direction économique‘ im Außenministerium, Olivier Wormser, dass alleine die Aufrechterhaltung des aktuellen Lebensstandards in Marokko und Tunesien massive Belastungen für die französischen Finanzen mit sich brächte. MAE, Direction économique (DÉ), Papiers Directeurs, Wormser, 16: 19.02.1955, Note über ökonomische Lage in Marokko, P. 99. Paul Reynaud, der als Vorsitzender des Finanzausschusses im Parlament stets auf Haushaltsdisziplin drängte, meinte daher, „l’avenir de nos finances est donc assez sombre“. Paul Reynaud (RI), in: JOAN, 18.02.1955, S. 812. 39 ANOM, FM 81F 2370: 12.05.1959, Direction des Affaires d’Algérie, à Secrétaire d’État aux Affaires économiques. Contingents marocains en franchise de douane, S. 2. Ähnlich: Georges Blachette (RI), in: JOAN, 29.07.1955, S. 4478. In einer Stellungnahme des Informationsministeriums hieß es: „Les départements algériens doivent bénéficier vis-à-vis des deux pays voisins, d’un régime préférentiel de la part de la Métropole“. ANOM, FM 81F 188: Octobre 1958, Ministère de l’Information, L’agriculture algérienne et le Marché Commun, S. 21. In ähnlicher Weise beschwerte sich der Staatsminister über die marokkanische Konkurrenz bei den algerischen Olivenexporten. ANOM, FM 81F 2370: 10.05.1961, Le Ministre d’État, Chargé des Affaires Algériennes à MFE, Contingents marocains d’olives.

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keine Rolle mehr, obschon ihre Unabhängigkeit zum damaligen Zeitpunkt noch nicht beschlossen war. Christian Pineau gestand rückblickend im Juni 1956 ein, dass die Intensivierung der Kämpfe in Algerien die Unabhängigkeit Tunesiens und Marokkos beschleunigt habe. Da Frankreich nicht die Mittel besessen habe, den drohenden Flächenbrand in ganz Nordafrika unter Kontrolle zu halten, habe sich die Regierung entschlossen, „l’essentiel de notre effort militaire et financier pour l’Algérie“ zu reservieren40.

Politisches Risiko In politischer Hinsicht stellten die Zäsuren des Jahres 1954/1955 Paris vor ein Dilemma. Einerseits lag eine Konzentration der Nordafrikapolitik auf die algerischen Départements nahe. Andererseits bezweifelten Befürworter und Gegner der algerischen Unabhängigkeit gleichermaßen, dem Land auf Dauer die Selbstbestimmung vorenthalten zu können, wenn sie Marokko und Tunesien zugestanden wurde. Die Regierung manövrierte mit der neuen Konzeption Nordafrikas somit auf schwierigem Terrain. Sie rechtfertigte die Unabhängigkeit der Protektorate mit der weltweiten Tendenz zur Entkolonialisierung. Pierre Mendès-France zeigte sich überzeugt, dass sich Frankreich nicht gegen den Lauf der Dinge stellen könne und daher die sich bietende Chance ergreifen müsse, die nach Selbstbestimmung strebenden Völker zu unterstützen. Nur auf diese Weise könne französischer Einfluss bewahrt bleiben41. „Dans quelques temps […] il n’y aura plus de peuples dépendants“, stimmte sein Nachfolger Edgar Faure zu42. „L’indépendance accordée aux pays musulmans d’Océanie (Java), d’Asie, du Proche-Orient, d’Égypte et de Lybie fait souffler un vent violent sur l’Afrique du Nord“. Diesem werde sich Frankreich nicht dauerhaft entgegenstellen können, zumal es den Freiheitswunsch selbst über die zivilisatorische Mission in den Kolonien verbreitet habe. Die Marseilleise etwa ehre nationalistisches und revolutionäres Gedankengut. Wie könne die Metropole den Überseegebieten nun die Freiheit verwehren, fragte Paul Reynaud seine Kollegen im Parlament43. Gleichzeitig nahmen die zitierten Politiker ebenso wie die französische Regierung Algerien explizit von der begrüßten Emanzipationsbewegung mit der Begründung aus, es handle sich hierbei nicht um eine

40 Rückblickende Aussage von Außenminister Pineau (SFIO) im Juni 1956. JOAN, 01.06.1956, S. 2235. 41 Pierre Mendès-France (PR), in: JOAN, 08.07.1955, S. 3739f. 42 Edgar Faure (RRS), in: JOAN, 03.10.1955, S. 4948. July zitierte Faure aus einem persönlichen Gespräch mit der Aussage: „dans dix ans, toute l’Afrique du Nord sera indépendante“. July: Une République pour un roi, S. 3. 43 AN, Fonds Paul Reynaud, 74 AP 41: 15.07.1955, Les nouveaux rapports entre la France et la Tunisie, S. 2. Äußerung zur ‚mission civilisatrice‘: Paul Reynaud (RI), in: JOAN, 08.07.1955, S. 3733.

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Kolonie, sondern um Départements. Diese gedenke man um jeden Preis zu verteidigen44. Gegner und Befürworter der Entkolonialisierung befanden sich in ihrer Kritik an dieser neuen, separaten Konzeption der nordafrikanischen Gebiete in ungewohntem Einklang, wobei ihre Begründungen unterschiedlicher kaum hätten sein können. Radikale Anhänger Französisch-Algeriens kritisierten das Ende der einheitlichen Betrachtung, weil sich Frankreich dadurch angreifbar mache. „Quand les Tunisiens se seront donné des institutions exclusivement tunisiennes, pensezvous que les Algériens ne vont pas rêver?“, fragte der franko-algerische Abgeordnete François Quilici im August 195445. Wenn die algerischen Départements gehalten werden sollten, hätte den Protektoraten niemals die Selbstbestimmung zugestanden werden dürfen, stimmte Raymond Dronne später zu46. Adolphe Aumeran empfahl, das Rad der Zeit zurückzudrehen, Nordafrika einem zentralen Militärregime zu unterstellen und auf diesem Wege die Einheit zu wahren47. Antikoloniale Stimmen gaben hingegen zu bedenken, dass die völkerrechtliche Unterscheidung in Protektorate und Départements sowohl für die muslimische Bevölkerungsmehrheit vor Ort als auch für das Ausland nicht überzeugend sei48. „Ce n’est pas parce que certains ont décrété que l’Algérie constitue trois départements français […] qu’il est permis de s’accommoder d’une telle hypocrisie en refusant de voir la réalité en face“, empörte sich die kommunistische Abgeordnete Alice Sportisse49. Für Pierre Cot war die Unabhängigkeit Algeriens sicher, die Frage sei nur, ob diese in Kooperation mit oder im Widerstand gegen Frankreich erfolgen werde50. „Comment croire que l’Algérie acceptera un statut qui ne lui assure au moins l’autonomie, au moment où presque tous les États arabes accèdent à l’indépendance, où, en particulier, ses deux voisins du Maghreb connais-

44 Aussage des Vertreters Frankreichs bei der NATO, Parodi, gegenüber den Verbündeten. DDF, 1956 I: 146, 07.03.1956, S. 329. 45 François Quilici (RI), in: JOAN, 10.08.1954, S. 4040. 46 Raymond Dronne (RS), in: JOAN, 08.03.1956, S. 752. 47 Adolphe Aumeran, in: JOAN, 28.07.1955, S. 4422. Dass auch im Verteidigungsministerium Pläne kursierten, zum Erhalt Französisch-Algeriens militärisch in Marokko und Tunesien zu intervenieren, zeigt auf: Médard, Fréderic: Les projets d’interventions militaires en Tunisie et au Maroc, in: Historiens et Géographes, 388 (2004), S. 289–298. 48 Entsprechende Kritik findet sich in diversen Quellen wieder. Henri Caillavet (RRS) verwies auf die geringe praktische Bedeutung juristischer Unterscheidungen. JOAN, 11.10.1955, S. 5027. In einem Brief an einen französischen Abgeordneten forderte der ‚Club des Jacobins‘ aus Casablanca ein Ende des „mythe des départements français“. MAE, CM, Pineau 1956–1958, 29: 29.02.1956, Club des Jacobins, Maroc, à M. le Député, P. 50. 49 Alice Sportisse (PC), in: JOAN, 27.08.1954, S. 4326. 50 Pierre Cot (RS) wurde nicht müde, die französische Nordafrikapolitik zu kritisieren. Seine Ausführungen waren zumeist sachlich, unideologisch und häufig von großer Weitsicht geprägt. Dies brachte ihm den Respekt seiner politischen Kontrahenten ein, was etwa dadurch deutlich wurde, dass Pierre Cot im Gegensatz zu kommunistischen Kritikern nicht permanent durch Zwischenrufe behelligt wurde. Äußerungen zur Nordafrikapolitik: JOAN, 29.07.1955, S. 4486; 13.10.1955, S. 5090ff.; 31.05.1956, S. 2163. Zitat: 13.10.1955, S. 5093.

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sent de si beaux succès diplomatiques?“51. Diese Frage von Mamadou Dia, Parlamentarier und späterer Premierminister des unabhängigen Senegals, brachte die Schwachstelle der Haltung der französischen Regierung auf den Punkt. Dem begrüßten Kurswechsel in den Protektoraten mussten nach Meinung dieser Politiker umgehend äquivalente Veränderungen in Algerien und den anderen Kolonien folgen.

51 Mamadou Dia (IOM), in: JOAN, 08.03.1956, S. 772. In gleicher Weise meldete sich Antoine Mazier auf dem ‚Conseil national‘ der Sozialisten Ende 1956 zu Wort. OURS, SFIO, Conseil national, 15–16 Décembre 1956, S. 250.

2. Integrationsbereitschaft und politische Reformen

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2. INTEGRATIONSBEREITSCHAFT UND POLITISCHE REFORMEN „Sans tarder, à la française, faites des Algériens des citoyens majeurs ou, alors, vous encourrez bien vite le verdict de l’Histoire“, (Amar Naroun, 1955)52

Frankreich hatten vor dem Ausbruch des Algerienkriegs Jahrzehnte zur Verfügung gestanden, die politische Integration im Sinne einer Gleichberechtigung der Algerier progressiv umzusetzen. An Warnungen, sich den politischen Fehlentwicklungen nicht zu verschließen, hatte es nicht gemangelt. Die sich bietenden Möglichkeiten waren jedoch ungenutzt verstrichen. Enttäuscht von ausbleibenden Reformen hatten sich Teile der algerischen Bevölkerung im November 1954 bereits von Frankreich abgewandt. Die Überraschung, mit der einige Politiker auf den Beginn Unabhängigkeitskampfs reagierten, erstaunt daher53. Theoretisch existierten nach dem Ausbruch des Unabhängigkeitskriegs im November 1954 mehrere Varianten zur Lösung der Algerienfrage. Eine Abkehr vom Anspruch „Algerien ist Frankreich“ wurde gleichwohl lediglich von einer kleinen Minderheit in Frankreich als Handlungsoption wahrgenommen. Assoziative oder föderative Beziehungen wurden zumindest bis zur vollständigen Befriedung des Landes ausgeschlossen. Eine überparteiliche, deutliche Mehrheit sprach sich für die Integration Algeriens mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln aus54. Mit dieser Entscheidung war unweigerlich die Verpflichtung verbunden, die bis zu diesem Zeitpunkt kaum vorangeschrittene politische und ökonomische Angleichung engagiert anzugehen und die bisherige Strategie kritisch zu hinterfragen. Nur in diesem Fall bestand die Möglichkeit, die Integrationspolitik glaubwürdig vertreten zu können.

52 Amar Naroun (RI), in: JOAN, 03.02.1955, S. 695. Auch sein Kollege Pierre Cot mahnte zur Eile: „Nous ne sommes pas maître du temps“. Pierre Cot (RS), in: JOAN, 13.10.1955, S. 5092. 53 „La rébellion a éclaté en Algérie comme un coup de foudre dans un ciel serein“. Dronne, Raymond: La révolution d’Alger, Éd. France Empire, Paris, 1958, S. 31. 54 Ohne vorherige, erfolgreiche Integration führe jede Aufweichung des Status quo zur Abspaltung Algeriens, schrieb etwa Jacques Soustelle: AN, AP 505 (II) 344: 01.06.1955, Note Soustelle, Situation en Algérie, S. 6. Louis Perillier schlug eine „Union Franco-Algérienne“ vor, die zwischen Integration und Föderation angesiedelt wäre. AN, 363 AP 32: 01.9.1957, Suggestions pour la Loi-Cadre, Louis Perillier, Inspecteur général de l’Administration en Mission Extraordinaire, S. 2. René Mayer antwortete auf diesen Vorschlag, für ihn sei das Statut von 1947 weiterhin die Ausgangsbasis der franko-algerischen Beziehungen. AN, 363 AP 32: 12.09.1957, René Mayer à Louis Périllier.

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II. „L’Algérie, c’est la France“: 1954 bis 1958

2.1 Reaktionen auf den Krieg Der Ausbruch des Algerienkriegs: Une crise de plus? Obwohl die Parallelen zu den konfliktreichen Zuständen in den benachbarten Protektoraten unverkennbar waren, prägte relative Gelassenheit die ersten Reaktionen der politischen Entscheidungsträger auf die Ereignisse in der Nacht auf Allerheiligen im Jahr 1954. Zahlreiche Schuldige der Anschläge seien bereits gefasst und die Niederschlagung des Aufstands werde nicht lange auf sich warten lassen, beruhigte Generalgouverneur Léonard in einer Radioansprache vom 5. November 1954. „Les heures troubles passeront“55. Kaum jemand rechnete mit einer „insurrection généralisée sous le signe de la guerre sainte“56. Regierungschef MendèsFrance sprach im Februar 1955 von ersten Erfolgen bei der Befriedung Algeriens57. Auch vom neuen Generalgouverneur Soustelle kam die beruhigende Nachtricht, „grâce à l’action instantanée et efficace de la police et de l’armée, l’ordre fut rapidement rétabli sur la quasi-totalité du territoire“58. Entsprechend nahm die Mehrheit der Franzosen die „opérations effectuées en Afrique du Nord“ zunächst weniger als Krieg, sondern als eine weitere, lokale Krise im Imperium wahr, von deren Auswirkungen sie sich nicht unmittelbar betroffen sah59. Lediglich ein Viertel erkannte in einer Umfrage Anfang 1955 in den Krisen Nordafrikas Frankreichs drängendstes Problem. Drei Viertel der Befragten sahen im Bereich Wirtschaft und Soziales größeren Handlungsbedarf60. Die Militärführung konstatierte, die internationale Presse berichte deutlich kritischer über die französische Nordafrikapolitik, während „les journaux locaux se bornent dans l’ensemble à faire confiance au Gouvernement sans prendre de position nette sur 55 AN, 4 AF 44: Les événements d’Algérie, Discours et allocution de M. Roger Léonard, GG. 56 Maréchal Juin soll diese Warnung am 18. Mai 1955 gegenüber Regierungschef Edgar Faure ausgesprochen haben. aus. Vgl. Paillat, Claude: 2e Dossier secret de l’Algérie, 1954–1958, Presses de la Cité, Paris, 1962, S. 144. Übereinstimmend: Agéron: L’Algérie dernière chance, S. 124. Juin wurde als höchstdekoriertem Offizier Frankreichs besonderer Einfluss auf die Politik nachgesagt, vor allem in Nordafrika. Vgl. Julien: Le Maroc face aux impérialismes, S. 215; 448. 57 Pierre Mendès-France (PR), in: JOAN, 02.02.1955, S. 613. 58 ANOM, FM 81F 30: Juin 1955, Situation générale de l’Algérie en 1954, par M. Soustelle, S. 3. 59 Der frühere Generalgouverneur Naegelen erinnerte sich rückblickend, dass sowohl die Politik als auch die öffentliche Meinung das Ausmaß der Rebellion anfangs nicht realisiert hätten. Naegelen: Mission en Algérie, S. 253. Für die Beteiligten, erinnert sich der frühere Fremdenlegionär Ewald Leufgen im Interview, habe außer Frage gestanden, dass sie in einem Krieg kämpften. „In mancher Hinsicht war es sogar schlimmer als ein klassischer Krieg. Es gab Meuchelmorde und Anschläge, auf die die französische Armee mit Strafaktionen reagierte. Die Leidtragenden von Gewalt und Gegengewalt waren eigentlich immer die Zivilbevölkerung“. Interview mit Ewald Leufgen. Weiterführend zu den Kriegserfahrungen französischer Rekruten: Martel, Jean-Pierre: La Section. Journal d’un appelé en Algérie. 1959–1961, Éd. De Paris, Paris, 2009. 60 Sondages, 17, 1 (1955), S. 7f.

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le fond du problème“61. Zahlreiche franko-algerische Mandatsträger hegten weiterhin keinen Zweifel am Wunsch der Algerier, Teil Frankreichs bleiben zu wollen. Adolphe Aumeran versicherte der Nationalversammlung, 99 Prozent der Muslime seien pro-französisch62. „Les 9 millions d’habitants d’origine musulmane aiment la France, peut-être autant sinon plus que les Français“, bestätigte ein franko-algerischer Sozialist aus Constantine63. Die Existenz einer politischen Dimension des Algerienproblems wurde verneint. „En Algérie, aucun problème majeur ne se pose“, beschwichtigte François Quilici. In den Unruhen sah er eine von Kairo gesteuerte Rebellion64. Der Vichy-Anhänger Roger de Saivre meinte gar ein Übermaß an politischen Reformen zu erkennen und kritisierte, „qu’au lieu de donner du pain, de consentir un sacrifice financier ou économique, on se tire d’affaire en accordant une réforme politique“65. Äußerungen franko-algerischer Abgeordneter dieser Art gilt es kritisch zu hinterfragen. Repräsentative Studien oder anderes belastbares Datenmaterial konnten nicht Grundlage ihrer Einschätzungen sein, da sie schlichtweg nicht existierten. Persönliche Erfahrungen waren nur begrenzt vorhanden, da die Bevölkerungsgruppen Algeriens in einer Koexistenz weitgehend nebeneinander lebten66. „Une collaboration sincère, constante et féconde de tous les éléments ethniques du pays“, wie sie Generalgouverneur Naegelen beobachtete, war keineswegs die Regel67. Nicht selten beschränkten sich die Kontakte von ‚Pieds noirs‘ auf die algerische Elite, die sich nach dem Ausbruch des Unabhängigkeitskampfs mehrheitlich zunächst loyal gegenüber der Integrationspolitik zeigte. Der pro-französische Parlamentarier Chérif Sid-Cara etwa bekundete im Namen seiner Landsleute den

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MDN, 1 R 40: 06.09.1955, 2o Région Militaire, Synthèse mensuelle de la presse, S. 2. Adolphe Aumeran (RI), in: JOAN, 21.06.1955, S. 3181. OURS, SFIO, 47e Congrès National, Asnières, 20 Juin–3 Juillet 1955, S. 492. François Quilici (RI), in: JOAN, 28.07.1955, S. 4431. Sein Kollege Maurice Rabier hielt dem entgegen, dass sich das Ausland nicht in den Algerienkonflikt hätte einmischen können, „si un état de fait propice à l’immixtion n’y avait existé“. Maurice Rabier (SFIO), in: JOAN, 28.07.1955, S. 4438. Mit der Frage, wie der FLN seinen Kampf finanzierte, beschäftigen sich eingehend: Colin-Jeanvoine, Emmanuelle/Derozier, Stéphanie: Le Financement du FLN pendant la guerre d’Algérie (1954–1962), Bouchène, Paris, 2008. 65 Roger de Saivre (CNI), in: JOAN, 02.02.1955, S. 618. Obgleich aus der Metropole stammend, saß de Saivre für das algerische Département Oran im Parlament, wo er als radikaler Verfechter Französisch-Algeriens auftrat. 66 An eben diesen Umstand erinnerte Paul Coirre (IPAS) seine Kollegen in der Nationalversammlung. Angesichts der tragischen Ereignisse seit dem Ausbruch des Algerienkriegs sei nicht zu erwarten, dass sich aus dem Nebeneinander ein Miteinander entwickeln werde. JOAN, 02.06.1956, S. 2265. Bracco zitiert einen Zeitzeugen mit den Worten: „Les deux sociétés étaient très séparées“. Bracco, Hélène: L’autre face. „Européens“ en Algérie indépendante, Non Lieu, Paris, 2012, S. 22. 67 Naegelen: L’œuvre civilisatrice, S. 3. Auch der französische Arzt René Schaeffer schrieb nach einer Reise durch Nordafrika: „La ‚cohabitation‘ ne pose pas de problème en Algérie. Elle est un fait depuis plus de 120 ans“. Schaeffer, René: Drame et chances de l’Afrique du Nord, Les Éd. Internationales, Paris, 1953, S. 144.

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Wunsch, den eingeschlagenen Weg zu vollenden68. Sein Kollege Amar Smaïl beteuerte, die überwältigende Mehrheit der indigenen Bevölkerung wolle unter keinen Umständen eine Abspaltung69. Abdelkader Barakrok, einer der drei muslimischen Staatssekretäre, die aus 132 Jahren Französisch-Algerien hervorgingen, hielt Frankreich bis zuletzt die Treue70. Die frankophile algerische Elite war freilich eng mit der Administration verbunden und ihre individuellen Interessen ähnelten in der Regel eher denen der Siedler als jenen der breiten, muslimischen Bevölkerung. Während der Status quo ihnen eine privilegierte Position garantierte, bedeutete die Unabhängigkeit große Unsicherheit und möglicherweise Repressalien aufgrund der Kollaboration mit den Kolonisatoren. Ferner wurde ihre Zustimmung zur Integrationspolitik häufig in Verbindung mit der Erwartung geäußert, dass diese konsequent umgesetzt und die Benachteiligungen der muslimischen Bevölkerung rasch ausgeräumt würden. Des Weiteren gab es sowohl von französischer als auch von algerischer Seite durchaus Widerspruch gegen das Bild eines harmonischen und loyalen Algeriens. Es reiche nicht aus, „de donner du pain et du sel aux musulmans pour qu’ils soient satisfaits“, stellte ein sozialistischer ‚Pied noir‘ klar71. Amar Naroun kritisierte die Politik der „reformettes“, die in keinster Weise den Erwartungen der Algerier entspreche und daher zu Enttäuschung führe72. Auch Generalgouverneur Léonard gestand Anfang 1955 ein, das Konfliktpotential unterschätzt zu haben. Er appellierte an den Innenminister, vor lauter Befriedungspolitik nicht den gewaltigen Reformbedarf auf allen politischen Ebenen aus den Augen zu verlieren. Die größte Gefahr für Französisch-Algerien bestehe in der fortschreitenden Entfremdung der muslimischen Bevölkerung. Alleine ein positiver psychologischer Schock, bewirkt durch umfangreiche Veränderungen, sei geeignet, die Menschen für die Idee der Integration zu gewinnen73.

68 Chérif Sid-Cara (UR), in: JOAN, 13.10.1955, S. 5085. 69 Amar Smaïl (RRS), in: JOAN, 10.10.1954, S. 6101. 70 Barakroks Kooperation mit Frankreich veranlasste den FLN dazu, ihn bis zu seinem Tod die Rückkehr nach Algerien zu verweigern. Er starb 2006 in Paris. An den Verhandlungen, die in den Verträgen von Évian mündeten, war Barakrok vermittelnd beteiligt. Zum Leben und Wirken des Politikers siehe: Sadek, Sellam: Abdelkader Barakrok (1915–2006). Ancien Secrétaire d’État à l’Algérie, in: Guerres mondiales et conflits contemporains, 225 (2007), S. 133–142. 71 OURS, SFIO, 50e Congrès National, Issy-Les-Moulineaux 1958, S. 349. 72 Amar Naroun (RI), in: JOAN, 03.02.1955, S. 695. 73 AN, Fonds Edgar Faure, AP 505 (II) 344: 03.01.1955, GG, Léonard, à MI. Ähnlich schrieb ein franko-algerischer Vertrauter von Alain Savary, R. Perié: „Tout se passe, me disait un Musulman, comme si M. Lacoste était venu pour pacifier les Européens“. CHSP, Fonds Savary, 56: 30.04.1956, R. Perié, Algier, à Savary, S. 3f.

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Bildungspolitik Das langfristige Gelingen der Integrationspolitik hing in hohem Maße von einer raschen Anhebung des allgemeinen Bildungsniveaus ab, da letzteres eine Grundvoraussetzung für politische Teilhabe und die ökonomische Entwicklung des Landes war. Generalgouverneur Soustelle hielt die bisher erreichten Ergebnisse in diesem Bereich für „très satisfaisants“, da man bei der Einrichtung neuer Klassen in Bezug auf die Vorgabe des Bildungsplans aus dem Jahr 1944 vor dem Zeitplan liege74. Ein anderes Dokument beklagte hingegen einen Rückstand von 63.000 Schulplätzen oder 13 Prozent75. Wie bereits festgestellt wurde, waren die Ziele des über zehn Jahre alten Plans bereits Ende der 1940er Jahre überholt gewesen und angesichts des Mitte der 1950er Jahre erreichten Bevölkerungswachstums von 240.000 Personen pro Jahr nun völlig unzureichend geworden. Wie zu erwarten, hatte die Volkszählung von 1954 eine weiterhin niedrige Schulquote von 15 Prozent ergeben76. Eine befriedigende Zwischenbilanz sieht anders aus. Die Notwendigkeit eines neuen, an die demografische Entwicklung und den Anspruch der Integrationspolitik angepassten Bildungsplans war unübersehbar. Stattdessen erfolgte eine leichte Modifikation des bestehenden Szenarios77. Bis zum Ende der IV. Republik stieg die Zahl der algerischen Grundschüler um 10 Prozent78. Anfang 1958 rechnete die Politik damit, bis 1964 lediglich einem Drittel der muslimischen Kinder einen Schulplatz bieten zu können79. Bis zu einer Schulquote nahe 100 Prozent und somit der Realisierung des Anspruchs „Algerien ist Frankreich“ hätte es weiterer 30 Jahre bedurft80. ‚Pieds noirs‘ reagieren mitunter bis heute mit Unverständnis auf solche Einschätzungen und Statistiken über die schwache Ausprägung des Bildungswesens81. In ihrer Erinnerung waren muslimische Kinder in den Schulen ebenso prä74 ANOM, FM 81F 30: Juin 1955, Situation générale de l’Algérie en 1954, par M. Soustelle, S. 7. 75 ANOM, FM 81F 15: 23.09.1958, Programme de la commission chargée d’établir un programme de réformes politiques, sociales et économiques en faveur des musulmans français d’Algérie. 76 MDN, 1 H 1107/1: GGA, recensement de la population 1954, T. 2, S. 55. 77 Die konkrete Umsetzung des Bildungsplans wurde durch den Einfluss des Krieges erschwert. Der Besuch französischer Bildungseinrichtungen wurde seitens des FLN unter Todesdrohung verboten. Zwischenzeitlich sank die Zahl der eingeschulten muslimischen Kinder, erst 1957 wurde das Ausgansniveau von 1954 wieder erreicht. Die Militärführung sprach in diesem Zusammenhang von „le succès de la rentrée scolaire“. Vgl. ANOM, FM 81F 12: 23.11.1957, Commandement de la zone stratégique d’AFN, l’Évolution de la situation en AFN (21.09.– 14.11.1957), S. 5. 78 MDN, 1 H 1107/1: Annuaire Statistique de l’Algérie 1959, Alger, S. 65. 79 ANOM, FM 81F 185: Projet de scolarisation de l’Algérie Février–Mars 1958, Exposé, S. 2. 80 Le Monde, (30.11.1955): Drame et problèmes de l’Algérie. 81 Im Rahmen eines Vortrags des Autors bei der Deutsch-Französischen Gesellschaft Cluny e.V. in Hamburg am 26.06.2013 bestand die Möglichkeit zum Austausch mit französischen, algerischen und franko-algerischen Zeitzeugen. Weitere Zeugnisse bei: Bracco: L’autre face, S. 57.

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sent wie franko-algerische, mangelnde Französischkenntnisse in weiten Teilen der algerischen Bevölkerung können sie nicht bestätigen. Der Widerspruch zwischen individueller Erinnerung und kollektiven Zahlen lässt sich zumindest abschwächen. Im größten Land Afrikas, das stark unteradministriert war und in dem sich das Leben vielerorts ohne französischen Einfluss abspielte, ergab sich ein Großteil der Kontakte zwischen Muslimen und Siedlern gezwungenermaßen in den Städten. Dort lebten 78 Prozent der Franko-Algerier, aber nur 15 Prozent der Muslime82. Der Alphabetisierungsgrad der städtischen Muslime lag deutlich über jenem der Landbevölkerung und jener der Männer weit über dem der Frauen, so dass ‚Pieds noirs‘ häufig mit den überdurchschnittlich gebildeten Algeriern in Berührung kamen. Da soziale Kontakte ein Mindestmaß an Kommunikation voraussetzen und sie häufig zwischen ähnlichen sozialen Gruppen bestehen, verwundert es kaum, dass die Erinnerungen der Franko-Algerier ein bisweilen anderes Bild von der damaligen Situation zeichnen als die offiziellen Zahlen. Ferner gibt eine Statistik über Sprachkenntnisse keine Auskunft über die zugrunde liegende Definition. Sicherlich waren mehr als nur 11 Prozent der Algerier in der Lage, sich mit Franzosen zu verständigen83. Eine Beherrschung der französischen Sprache im schulischen Sinne ging damit nicht zwangsläufig einher.

Einschnitt August 1955 Spätestens nach den Ereignissen um den 20. August 1955, die gemeinhin als erster Wendepunkt im Algerienkrieg gelten, zerschlugen sich die Hoffnungen auf ein schnelles Ende des Konflikts84. Auf die geografische Ausweitung der Rebellion und ein Massaker an 123 Algerierfranzosen und pro-französischen Muslimen reagierte Paris mit der Verhängung des Notstands in der Region, der Einberufung von 60.000 Reservisten und einer Wehrzeitverlängerung für 180.000 Rekruten85. Zahlreiche Algerier, mehrheitlich Zivilisten, fielen der folgenden Repression zum Opfer86. Bis zum Frühjahr 1956 wirkte sich die Intensivierung der Kämpfe nur begrenzt auf die öffentliche Debatte und die politische Reformbereitschaft aus. Auf der einen Seite baten Bürger, Vereine und Kommunen die Regierung in Brie-

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MDN, 1 H 1107/1: Annuaire Statistique de l’Algérie 1959, Alger, S. 19. MDN, 1 H 1107/1: GGA, recensement de la population 1954, T. 2, S. 55. Etwa Amiri: La bataille de France, S. 43 und Whitfield: Algeria in France, S. 420f. Lefeuvre: Chère Algérie, S. 502. Weiterführend zur Thematik des 20. August 1955: MaussCopeaux, Claire: Algérie, 20 août 1955. Insurrection, répression, massacres, Payot, Paris, 2011. Grénier geht der Frage nach, in welchen Formen im Jahr 1955 einberufene Soldaten Protest ausdrückten. Grénier, Clément: La protestation des rappelés en 1955. Un mouvement d’indiscipline dans la guerre d’Algérie, in: Mouvement Social, 218 (2007), S. 45–61. 86 Die genaue Zahl der Opfer ist nicht zu bestimmen. Während Frankreich sie offiziell mit 1.273 angab, sprach der FLN von 12.000 Opfern. Vgl. Amiri: La bataille de France, S. 43.

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fen, eine friedliche Lösung der Konflikte in Nordafrika anzustreben87. Im Ende des Jahres stattfindenden Wahlkampf wurden Algerien und die Frage, wie der Krieg beendet werden könne, zu zentralen Themen. Parteien, die Reformen und einen Politikwechsel versprochen hatten, gewannen an Zustimmung und mit Guy Mollet gelangte ein Sozialist an die Regierung. Auf der anderen Seite sahen lediglich 25 Prozent der befragten Bürger die wichtigsten Aufgaben für die neue Regierung in Algerien und Marokko. Wieder dominierten die ökonomischen Sorgen88. Abgeordnete sprachen noch immer von einer „parfaite harmonie francomusulmane“ und so zeigten sich nur 26 Prozent der befragten Franzosen bereit, eine losere Anbindung Algeriens an Frankreich als die gegebene zu akzeptieren89. Eine mögliche Unabhängigkeit stand noch nicht zur Diskussion. Ferner klang den moderaten Tönen Einzelner ein Konzert von Stimmen entgegen, die eine Politik der Stärke ohne Kompromisse einklagten. Als Beispiel sei die Äußerung des Vorsitzenden der Vereinigung algerischer Bürgermeister, Amédée Froger, genannt, der die vermeintliche Reformbereitschaft von Innenminister François Mitterrand kritisierte. „Le mot réforme, par lui-même est inélégant et inopportun“90. Dabei wirkten dessen Initiativen, die sich primär auf administrative Modifikationen im Rahmen des institutionellen Status quo beschränkten, schon aus damaliger Sicht wenig spektakulär91. Auch die ‚Région économique d’Algérie‘ widersprach der Notwendigkeit von elementaren Veränderungen in Nordafrika92. Maréchal Juin glaubte, „neuf sur dix Français musulmans d’Algérie n’ont

87 Als Beispiel seien ein Brief einer Gemeinde an den Präsidenten und ein Traktat an die französische Militärführung in Nordafrika genannt. Vgl. AN, 4 AG 43: 21.09.1955, Conseillers Municipaux des Communes de Fontaine et Engins (Isère) à Président und MDN, 1 R 40: 01.10.1955, Tract, au Commandant de la 1ère Région Militaire. 88 Sondages, 17, 4 (1955), S. 8. 89 Zitat: A. Viniger, JOUF, 07.02.1956, S. 47. In Interviews beteuern viele ‚Pieds noirs‘ bis heute, dass in ihrem persönlichen Umfeld ein freundliches Miteinander und Zusammengehörigkeitsgefühl die prägenden Elemente gewesen seien. Bracco: L’autre Face, S. 57. Umfrage: Sondages, 17, 4 (1955), S. 20. 90 Froger galt als einflussreiche Persönlichkeit in extremistischen Siedlerkreisen. Er fiel am 28.12.1956 einem Attentat zum Opfer. Vgl. Das letzte Mittel, in: Der Spiegel, 2 (1957), S. 28. Zitat: ANOM, FM 81F 13: Amédée Froger, Président de la Fédération des Maires d’Algérie. Mitterrand (UDSR) selbst warf den Siedlermilieus im Gegenzug vor, jeder noch so kleinen Reform mit einer „opposition de principe“ zu begegnen. JOAN, 04.02.1955, S. 743. Ähnliche Äußerungen finden sich bei: AN, Papiers Chefs de l’État, 4 AG 43, Correspondances du secrétariat général et du cabinet, Union française, Afrique du Nord, Sahara, 1955–1958. Weiterführend zur Rolle Mitterrands im Algerienkrieg: Malye, François: François Mitterrand et la guerre d’Algérie, Clamann-Lévy, Paris, 2010. 91 Pierre Cot (RS) kritisierte das von ihm als zu langsam erachtete Reformtempo. JOAN, 13.10.1955, S. 5092; Mai 1956, S. 2165. Mostefa Benbahmed setzte die Regierung Edgar Faure, der auch Mitterrand angehörte, mit „immobilisme“ gleich. OURS, SFIO 48e Congrès National, Lille, Juni 1956, S. B24. 92 AN, 4 AG 44: Motion votée par la Région économique d’Algérie au cours de sa session trimestrielle tenue à Alger les 3,4 et 5 Novembre 1955.

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aucune notion de l’État“93. Bestätigung erfuhr diese These ausgerechnet von einem muslimischen Lehrer aus Oran. Er forderte die Staatsführung in einem Brief auf, weder Algerien noch Tunesien oder Marokko zu verlassen: „le Musulman n’est pas du tout mûr pour se guider lui-même“94. Der tunesische Historiker Othman Kaâk bekräftigte, „l’Afrique du Nord dont le destin est lié indissolublement à celui de la France, ne veut pas se séparer d’elle“95.

Zäsur 1956 Trotz der verstärkten militärischen Anstrengungen konstatierte Generalgouverneur Soustelle Anfang 1956 eine „dégradation profonde de la situation“96. Auch andere Stellen berichteten von einer gefährlichen Ausweitung des Konfliktes auf immer weitere Gebiete Algeriens97. Statt einer Befriedung näher zu kommen, eskalierte die Situation. Paris sah sich im April 1956 gezwungen, den Notstand auf ganz Algerien auszuweiten und massiv neue Rekruten einzuziehen. Die Maßnahmen markierten einen weiteren Einschnitt im Algerienkrieg. Mit der neuen Einberufung vergrößerte sich das Kontingent Wehrpflichtiger auf 240.000 junge Männer98. Anfang 1957 wurde die Dienstzeit von 18 auf 27 Monate verlängert, so dass sich die Zahl der in Nordafrika eingesetzten Soldaten noch einmal erhöhte. Etwa zwei Millionen junge Franzosen kamen in den acht Jahren des Krieges zum Einsatz, drei Viertel davon wurden eingezogen99. Der ‚Rappel sous le Drapeau‘ ließ den Krieg endgültig in den Wohnzimmern der Franzosen ankommen. Als Reaktion entwickelte sich in bestimmten gesellschaftlichen Kreisen Protest. Einige Soldaten formierten passiven oder aktiven Widerstand gegen ihren Einsatz im Algerienkrieg100. Die Belegschaft einer Fabrik in Nice forderte die

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Juin: Le Maghreb en feu, S. 138. AN, 4 AG 44: 04.11.1955, Abdelatif Ben Sliman, Professeur d’Oran, au Président. MAE, MT, Tunisie (II), 210: 09.04.1956, Othman Kaâk, Tunis, à Savary. ANOM, FM 81F 14: Condense du rapport de M. Soustelle en date du 7 janvier [1956]. ANOM, FM 81F 14: Conséquences des événements sur la situation économiques de l’Algérie au 1er janvier 1956, S. 1. 98 MFE, B 0052206: 17.04.1956, Situation de l’économie française au début du mois d’avril, S. 3. 99 Durch Wiedereinberufung konnte sich die Wehrzeit im Einzelfall auf 30 Monate erhöhen. Pervillé, Guy: La guerre sans nom. Appelés et rappelés en Algérie, 2007. Online: http://guy.perville.free.fr/spip/article.php3?id_article=96 und Le Figaro.fr (19.03.2012): Algérie. Une guerre d’appelés, Jacques de Saint Victor. Vgl. http://www.lefigaro.fr/mon-figaro/ 2012/03/19/10001-20120319ARTFIG00743-algerie-une-guerre-d-appeles.php. Dine gibt die Zahl der insgesamt im Algerienkrieg zum Einsatz gekommenen Franzosen mit drei Millionen an. Dine, Philip: Images of the Algerian War. French Fiction and Film 1954–1992, Claredon Press, Oxford, 1994, S. 7. 100 Quemeneur, Tramor: Refuser l’autorité? Étude des désobéissances de soldats français pendant la guerre d’Algérie (1954–1962), in: Outre-Mers: Revue d’Histoire, 99, 1 (2011), S. 57– 66. Der Widerstand reichte von innerem Protest bis hin zu Desertion.

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Regierung in einer Resolution zu Verhandlungen über einen Waffenstillstand und einer Beendigung der kolonialen Beziehungen zu Algerien auf101. Der Stadtrat von Boucau verlangte ein Ende der „douloureuse tragédie qui nous coûte non seulement en argent (1 milliard 400 millions par jour) mais surtout en jeunes vies humaines arrachées par la mitraille à leurs mamans, épouses ou fiancées“102. Die Abgeordnete Jeannette Vermeersch-Thorez versprach der Regierung „le soutien des millions de Françaises pour tout ce que vous ferez en vue de rétablir la paix en Algérie“ und machte damit deutlich, dass keineswegs nur die männlichen Franzosen vom Algerienkrieg betroffen waren103. Eine Gewerkschaftssektion aus der Stadt Arceuil drängte darauf, „que l’argent qui est dépensé journellement dans cette aventure revienne à sa juste destination, l’amélioration des conditions de vie des travailleurs, une retraite décente pour nos vieux, etc.“. Der Platz der jungen Arbeiter sei in den heimischen Unternehmen, nicht auf algerischem Boden104. Gleich zweimal schrieb der Schauspieler Georges Leroy an die französische Staatsführung, um seinem Unmut über die Nordafrikapolitik Ausdruck zu verleihen. Um wieder eine große Nation zu werden, sei es unabdingbar, sich zu befreien vom „fardeau trop lourd de territoires qu’elle ne peut plus administrer avec l’esprit du travail, de l’économie et du respect des traditions“105. Auch eine Veteranenvereinigung erkannte in einer Verhandlungslösung keine Aufgabe französischer Interessen, sondern die einzige Möglichkeit, die ökonomischen und kulturellen Bindungen zu Algerien auf demokratische Weise zu erhalten106. Für Raymond Aron war die Integrationspolitik ein aussichtsloses Unterfangen, „qui perpétue une guerre inexpiable, ce n’est pas la sauvegarde, c’est la ruine de la grandeur française“107. Maurice Mainguy, ein zeitgenössischer Geologe, formulierte die treffende Frage, „les meilleures coopérations ne se font-elles pas entre hommes libres?“108. In ähnlichem Sinne meldete sich Albert Camus zu Wort. Er bemühte sich, ein weiteres Auseinanderdriften der europäischen und muslimischen Bevölkerungsteile in Algerien zu verhindern und sprach sich Pour une trêve civile en Algérie aus109. Er verurteilte den Terror des FLN ebenso wie die Repression der französischen Armee. Seine Vision zeigte ein gerechtes, autonomes, aber an Frankreich assoziiertes Algerien110. „Ni totalement français, ni

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AN, 4 AG 44: 21.04.1956, Résolution du Personnel l’Usine à Gaz de Nice du 13 Avril 1956. AN, 4 AG 45: 27.02.1957, Mairie de Boucau, Le Conseil Municipal de Boucau, au Président. Jeannette Vermeersch-Thorez (PC), in: JOAN, 17.10.1956, S. 4185. AN, Papiers Chefs de l’État, 4 AG 45: 24.1.1957, Section Syndicale Bariquand & Marre, Arceuil. AN, 4 AG 43: 28.06.1957, Georges Leroy au Président. Darin verweist Leroy auf ein vorangegangenes Schreiben vom 7. Mai 1956. AN, 4 AG 44: 08.04.1956, Résolution sur le problème algérien, Comité National de l’Association Républicaine des Anciens Combattants & Victimes de Guerre. Aron, Raymond: La tragédie algérienne, Plon, Paris, 1957, S. 51. Mainguy: Le pétrole et l’Algérie, S. 115. Camus, Albert: Appel d’Albert Camus. Pour une trêve civile en Algérie, Alger, 1956. ANOM, FM 81F 39: Artikel von Albert Camus, in: L’Express.

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totalement algérien“, blieb Camus zwischen den Stühlen und zog Antipathien aus beiden Lagern auf sich111. Die französische Wirtschaft hielt sich zurück mit öffentlichen Forderungen nach Beendigung von Krieg und kolonialen Beziehungen112. Im Militär erkannten nur einige wenige die Unabwendbarkeit der algerischen Unabhängigkeit. Für Generalstabschef Ély bedeutete diese nicht die Preisgabe französischer Interessen. In einer liberalen und föderalen Lösung sah er vielmehr die Möglichkeit, die französische Präsenz und die Anbindung Algeriens an Frankreich zu bewahren. In dieser Offenheit äußerte sich Ély nur selten und in bestimmten Kreisen. „S’il prenait position dans un sens libéral, il aurait toute l’armée contre lui“113. Die Fortsetzung der Befriedungs- und oktroyierten Integrationspolitik ließen eine Lösung der Algerienfrage in diesem Sinne in immer weitere Ferne rücken. Besonders radikal äußerten sich Jean-Paul Sartre und seine antikoloniale Zeitung ‚Les temps modernes‘. Sartre warf den Franzosen Indifferenz gegenüber den Geschehnissen in Algerien vor, die einer Komplizenschaft an den kolonialen Verbrechen gleichkäme114. Ähnlich äußerte sich Frantz Fanon. Nach seiner Ausweisung aus Algerien unterstützte er den FLN aktiv sowie indirekt über seine Schriften115. Nicht unerwähnt bleiben sollte an dieser Stelle, dass Sartre ebenso wie Fanon Gewalt als legitimes Mittel zum Erreichen ihrer Ziele ansahen und sie sogar zur Ermordung französischer Siedler aufriefen116. Den Kritikern aus dem äußeren linken politischen Spektrum gelang es zu keinem Zeitpunkt, breitere Bevölkerungsgruppen für ihre Thesen zu sensibilisieren. Die Radikalität ihrer Positionen trug zweifellos zu diesem Umstand bei. Gleichwohl war es auch ihrem Engagement zu verdanken, dass Kriegsverbrechen der französischen Armee in der französischen Gesellschaft thematisiert wurden117. Die katholische Kirche machte sich in dieser Hinsicht ebenfalls verdient118. 111 Zitat von Yédes, Ali: Camus l’Algérien, L’Harmattan, Paris, 2003, S. 257. 112 Hodeir: Le grand patronat, S. 444. 113 Faivre, Maurice: Le général Paul Ély et la politique de défense (1956–1961), Economica, Paris, 1998, S. 20. Siehe auch Élys Mémoiren: Ély, Paul: Mémoires, Tome 2, Suez… Le 13 mai, Plon, Paris, 1964. 114 Sartre, Jean-Paul: Vous êtes formidables, in: Les Temps Modernes, 135 (1957), S. 1641– 1647. Mitunter wird Sartres Engagement in einem einseitig positiven Licht dargestellt ohne kritische Verweise auf seine Haltung zur Legitimität von Gewalt. Etwa: Le Monde Diplomatique (Novembre 2004): Jean-Paul Sartre et la guerre d’Algérie. Un engagement déterminé contre le colonialisme, Anne Mathieu, S. 30f. 115 Fanon, Frantz: Œuvres. Peau Noire, Maques Blancs, L’an V de la Révolution Algérienne, Les Damnées de la Terre, Pour la Révolution Africaine, La Découverte, Paris, 2011. 116 Im Vorwort zu Fanons Damnées de la terre schrieb Sarte: „En ce premier temps de la révolte, il faut tuer : abattre un Européen c’est faire d’une pierre deux coups, supprimer en même temps un oppresseur et un opprimé : restent un homme mort et un homme libre“. Vgl. Fanon, Frantz: Les damnés de la terre, Éd. Maspero, Paris, 1961, S. 16. 117 Henri Alleg, der sich als kommunistischer Journalist für die algerische Unabhängigkeit einsetzte, berichtete in einem 1958 erschienenen und kurze Zeit später verbotenen Werk über die Foltermethoden der Armee, die er am eigenen Leib erfahren habe. Alleg, Henri: La question, Éditions de Minuit, Paris, 1958. Der gesellschaftliche Protest gegen Folter äußerte sich auch

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Die zitierte Kritik darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich auch zahlreiche Personen und Institutionen mit gegenteiligen Meinungen zu Wort meldeten. In Briefen an die Entscheidungsträger wurde vor Zugeständnissen und Reformen gewarnt, die unweigerlich das Ende der französischen Präsenz in Nordafrika nach sich zögen119. Philippe Barrès, ein konservativer Journalist, hielt Reformen zwar grundsätzlich für notwendig. Da die Rebellen Frankreich den Krieg erklärt hätten, müsse jedoch zunächst alles daran gesetzt werden, diesen zu gewinnen120. Ähnlich äußerte sich Professor Berger-Vachon, ein Abgeordneter der ‚Assemblée algérienne‘. Reformen würden in der gegebenen Situation als Lohn für Terror und Aufruhr erscheinen. „C’est stupide et coupable“121. Einwände dieser Art überzeugten nicht, waren politische Veränderungen doch auch zu Friedenszeiten ausgeblieben. Sie belegen vielmehr die Hoffnung bestimmter Siedlerkreise, durch eine rasche militärische Lösung der Algerienfrage den politischen Status quo zu bewahren122.

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in Briefen an die Staatsführung. AN, 4 AG 45: 25.03.1957, Comité pour la paix en Algérie du 6ème Arrondissement de Paris und 15.04.1957 Lettre ouverte à Monsieur le Président de la République. Anfang 1955 verurteilte der Erzbischof von Algier, Etienne Duval, in einer Predigt die brutalen Methoden der Armee. Vgl. Minois, Georges: L’Église et la guerre. De la Bible à l’ère atomique, Fayard, Paris, 1994. Vor der Nationalversammlung kritisierte der Priester Albert Gau (MRP) Folter und unmenschlichen Umgang. JOAN, 31.03.1955, S. 2158. Auch Papst Pius XII verurteilte am 10. November 1956 die Politik der Gewalt in Algerien. Vgl. Chapeu, Sybille: Des Chrétiens dans la guerre d’Algérie, Éd. De l’Atelier, Paris, 2004, S. 89. Ausführlich zur Rolle der Kirche im Algerienkrieg: Impagliazzo, Marco: L’Église en Algérie et la guerre d’indépendance (1954–62), in: Maghreb Review, 29, 1–4 (2004), S. 197–207 und Fouilloux, Étienne: Intellectuels catholiques et guerre d’Algérie (1954–1962), in: La guerre d’Algérie et les intellectuels français, hg. v. Rioux, Jean-Pierre/Sirinelli, Jean-François, Complexe, Paris, 1991, S. 79–114. Entsprechende Anliegen wurden sowohl von Metropolfranzosen als auch von französischen Siedlern vorgetragen. Dokumente dieser Art finden sich bei: OURS, AGM 81, Lettres, Analyses et Suggestions sowie AN, 4 AG 43–45. Häufig vermischten sich Forderungen nach Entschlossenheit mit fragwürdigen oder offen rassistischen Thesen. Generalresident Boyer de Latour etwa schrieb den Muslimen „le tempérament anarchique, le goût de l’aventure et du désordre“ zu, dem nicht mit Reformen zu begegnen sei. Boyer de Latour: Vérités sur l’Afrique du Nord, S. 126. Ähnlich äußerte Lavergne, „le langage de force est souvent le seul que comprennent les Musulmans“. Lavergne, Bernard: Problèmes africains. Afrique Noire – Algérie – Affaire de Suez, Larose, Paris, 1957, S. 67. Mit dieser Aussage konterkarierte der Rechtsprofessor Lavergne, der zugleich Mitglied in verschiedenen wirtschaftsliberalen Zirkeln war, seine ansonsten weitgehend fundierte ökonomische Argumentation zur Algerienfrage. Umfassend dokumentiert wurden die unterschiedlichen publizistisch vorgetragenen Argumente in der Debatte über den Algerienkrieg jüngst in einer editionsgeschichtlichen Arbeit. Vgl. Hubert, Nicolas: Éditeurs et Éditions pendant la guerre d’Algérie 1954–1962, Éd. Bouchène, Paris, 2012. MAE, CM, Pineau, 26: Extrait de l’Information du mercredi 13 juin 1956 : Oui! On nous fait la guerre! par Philippe Barrès. ANOM, FM 81F 13: Professeur Berger-Vachon, Délégué de l’Assemblée algérienne. Der bereits zitierte Franko-Algerier R. Perié bestätigte gegenüber Alain Savary, dass zahlreiche ‚Pieds noirs‘ grundlegende Veränderungen ablehnten und hofften, nach der Niederschla-

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Insgesamt entwickelte sich aus den kritischen Äußerungen kein breiter gesellschaftlicher Protest. Lediglich 12 Prozent der Menschen in Frankreich empfanden im April 1956 für sich persönlich den Algerienkrieg als drängendstes Problem123. Alfred Grosser erinnert sich, die Mehrheit der Franzosen habe den Grundsatz „l’Algérie, c’est la France“ nicht infrage gestellt. Tatsächlich glaubten bei einer Umfrage aus dem Jahr 1957 nur 24 Prozent der Franzosen, der FLN und seine Forderung nach vollständiger Unabhängigkeit würden von der algerischen Bevölkerungsmehrheit getragen. 41 Prozent waren vom Gegenteil überzeugt124. Grosser verweist des Weiteren auf den Opportunismus einiger Betroffener. So seien zahlreiche Studenten erst gegen den Krieg gewesen, als die ersten von ihnen als Rekruten nach Algerien geschickt wurden125. Bei lediglich einem Prozent der französischen Soldaten wurden Fälle von militärischem Ungehorsam registriert126. Die offizielle Zahl der Gefallenen betrug mit 23.192 ein Viertel der Verluste des Indochinakriegs bei ähnlich langer Dauer127.

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gung des Aufstands zur Normalität zurückkehren zu können. Periés persönliche Haltung hingegen war erkennbar von Weitsicht und großer Reformbereitschaft geprägt. CHSP, Fonds Savary, 56: 30.04.1956, R. Perié, Algier, à Savary, S. 3f. Vom Höchstwert von 12 Prozent im April 1956 sank der Wert auf 3 Prozent im Januar 1958. Sondages, 19, 2 (1957), S. 4. und 20, 3 (1958), S. 4. Sondages, 19, 2 (1957), S. 39. Interview mit Alfred Grosser. Zu Widerstand seitens der französischen Studenten, insbesondere der ‚Union nationale des étudiants de France‘ siehe: Orkibi, Eithan: Les étudiants de France et la guerre d’Algérie. Identité et expression collective de l’UNEF (1954–1962), Syllepse, Paris, 2012. Orkibi bestätigt, dass die Studentenvereinigung erst ab 1956 größeres Engagement zeigte. Quemeneur, Tramor: Ils ont dit „non“ à la guerre sans nom, 2008. Online: http://www.ldhtoulon.net/spip.php?article2479. Der militärische Ungehorsam lag damit auf vergleichbarem Niveau wie unter amerikanischen Soldaten im Vietnamkrieg. Hinzu kamen etwa 5.500 zivile französische Kriegsopfer. Zu bedenken gilt es auch die tausenden Harkis, die im Kampf für Frankreich ihr Leben ließen und die vom FLN ermordeten pro-französischen Algerier. Jüngst widmete ‚Les Temps Modernes‘, die im Algerienkrieg eng an der Seite des FLN stand, dem Thema der Harkis eine Publikation. Dies ist als wichtiges Signal wider ideologisches Lagerdenken in der Wissenschaft zu werten: Lanzmann, Claude (Hg.): Harkis 1962–2012. Les mythes et les faits, (= Les Temps modernes, 66 (2011)), Gallimard, Paris, 2011. Siehe zum Thema auch ein Interview von Benjamin Stora mit ‚Le Monde‘: http://ddata.over-blog.com/3/29/54/44/Chat_Le_Monde.fr_Stora_21_mai_2010.pdf. Zu den französischen Opfern in Algerien: Lefeuvre: Chère Algérie, S. 11. Zu Indochina: Ageron, Charles-Robert: L’opinion française à travers les sondages, in: La guerre d’Algérie et les Français, hg. v. Rioux, S. 25–44, hier S. 26. Die Angaben zu den algerischen Opferzahlen schwanken erheblich. Stora verweist auf die grundsätzliche Schwierigkeit, verlässliche Zahlen vorzulegen, da viele Menschen nicht regulären Kampfhandlungen zum Opfer fielen. Stora, Benjamin: Les mots de la guerre d’Algérie, Presses Univ. Du Mirail, Paris, 2005, S. 23ff. Frankreich sprach zunächst von 142.000 algerischen Opfern. Delaunay, Jean-Marc (Hg.): Aux vents des puissances. Hommage à Jean-Claude Allain, Presses de la Sorbonne Nouvelle, Paris, 2008, S. 147. Ferhat Abbas (La nuit coloniale, S. 19) hingegen nennt eine Million Tote. Auch in der algerischen Verfassung von 1963 war von „plus d’un million de martyrs“ die Rede. (Vgl. DMJP, http://mjp.univ-perp.fr/constit/dz1963.htm). Westliche Forscher halten diese Größenordnung mehrheitlich für stark übertrieben und sprechen von 150.000 bis

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Dabei muss berücksichtigt werden, dass gefährliche Kampfeinsätze in der Regel von Spezialtruppen und Berufssoldaten durchgeführt wurden128. Der Unmut der Bevölkerung über die Einberufung wehrfähiger Männer ebbte nach April 1956 rasch ab. In Umfragen verschwand das Gefühl persönlicher Betroffenheit zunehmend129. Die musischen Eliten Frankreichs schienen sich kaum für den Algerienkonflikt zu interessieren. „L’opposition militante à la guerre, qui avait largement utilisé la chanson pour dénoncer la Guerre d’Indochine, semble avoir oublié ce vecteur lors du conflit algérien“130.

Ursachen der Passivität Einen Erklärungsansatz für die relative Gelassenheit der Franzosen gegenüber dem Drama in Algerien liefert das Theorem der ‚Rationalen Ignoranz‘131. Der Aufwand, sich intensiver mit der Situation jenseits des Mittelmeeres zu beschäftigen oder gar Widerstand zu formieren, stand in den Augen des Individuums in keinem attraktiven Verhältnis zum potentiellen Nutzen. Zur Ausführung dieser These sollen im Folgenden individuelle und kollektive Auswirkungen des ‚Rappel sous le Drapeau‘ grafisch dargestellt werden.

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300.000 Opfern. Etwa: Elsenhans: La guerre d’Algérie, Préface de Gilbert Meynier, S. 11; Lefeuvre: Pour en finir, S. 65; Wall: France, the United States, S. 2. Demografische Berechnungen ergeben für die Zeit von 1954–1962 ein kriegsbedingtes ‚Bevölkerungsdefizit‘ von 250.000. Vgl. Mari, Jean-Paul: Guerre d’Algérie. Les derniers secrets, in: Algérie, Spécial Algérie 50 ans après (28.02.2002). Online unter: http://www.grands-reporters.com/Guerre-dAlgerie-Les-derniers.html). Merom, Gil: The Social Origins of the French Capitulation in Algeria, in: Armed Forces & Society 30, 4 (2004), S. 601–628, hier S. 607. Diese Einschätzung bestätigt Ewald Leufgen (Interview). Im April 1956 sagten 12 Prozent der Befragten Franzosen aus, in der Einberufung junger Männer das größte Problem im persönlichen Umfeld zu sehen. Dieser Höchstwert beinhaltete auch allgemeine Sorgen zu Algerien. In der Folge sank das Betroffenheitsgefühl. Sondages, 19, 2 (1957) S. 4. und 20, 3 (1958), S. 4. Auch die Anhänger Französisch-Algeriens ließen in der IV. Republik musikalisch nichts von sich hören. Erst nach dem Machtantritt von Charles de Gaulle ertönten ‚L’Algérienne, hymne de l’Algérie française‘ und ‚L’hymne des Pieds-noirs‘. Ruscio, Alain: Que la France était belle au temps des colonies… Anthologie des chansons coloniales et exotiques françaises, Maisonneuve et Larose, Paris, 2001, S. 273. Das Konzept der Rationalen Ignoranz wurde von Anthony Downs geprägt. Danach erscheint die Beschäftigung mit bestimmten Themen oder die aktive Einmischung aus individueller Sicht irrational, wenn der zu erwartende Nutzen „simply does not justify their costs in time and other resources“. Downs, Anthony: An Economic Theory of Democracy, Harper Collins, New York 1957, S. 259. Aktuelle Arbeiten zu diesem Thema: Caplan, Bryan: The Myth Of The Rational Voter. Why Democracies choose Bad Policies, Princeton Univ. Press, Princeton 2007 und Schnellenbach, Jan: Model uncertainty and the rationality of economic policy. An evolutionary approach, in: Journal of Evolutionary Economics 15 (2005), S. 101–116.

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A: Arbeitskräfteangebot

N: Nachfrage nach Arbeitskräften

P: Gleichgewicht

Vor der massiven Mobilisierung im Frühjahr 1956 herrschte in Frankreich bereits Vollbeschäftigung. Wegfallende Arbeitskräfte konnten somit nur sehr begrenzt durch ruhendes Humankapital ersetzt werden132. Dieser Umstand verschaffte den Gewerkschaften eine starke Verhandlungsposition bei der Lohnfindung. Vor der Einberufung befand sich die Volkswirtschaft im Gleichgewichtspunkt P0, bestimmt durch den Schnittpunkt der Geraden von Arbeitsangebot (A0) und Arbeitsnachfrage (N0). Der Output betrug Q0 und die Lohnhöhe L0. Die Umfunktionalisierung von Arbeitnehmern in Soldaten verkleinerte das Arbeitskräftepotential, dargestellt durch die Linksverschiebung der Angebotskurve von A0 nach A1. Oh-

132 Arbeitslosigkeit belief sich 1957 auf 0,86 Prozent. Les Comptes de la Nation, 1949-1959, Ministère des Finances et des Affaires économiques, Paris, 1964, S. 105 (Infolge: Les Comptes de la Nation).

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ne Gegenmaßnahmen fiele der Output auf Q1 bei gleichzeitiger Lohnerhöhung auf L1. Ein interministerielles Komitee stellte im Juli 1956 fest, „[que] de nombreuses industries se ressentent déjà du manque de main-d’œuvre et cette difficulté risque de s’accroître au cours des mois à venir“133. Die unternehmernahe Presse sah im Arbeitskräftemangel eine Gefahr für die wirtschaftliche Entwicklung Frankreichs134. Um den Produktionsrückgang zu kompensieren, wurden daher ausländische Gastarbeiter angeworben und inländische Arbeitskräfte mit Prämien zu Überstunden animiert. Dadurch erweiterten sich die Nachfrage nach Arbeitskräften und das Arbeitskräfteangebot, dargestellt durch eine Rechtsverschiebung beider Geraden. Theoretisch wäre jeder Output zwischen Q1 und Q0 möglich. Ob und in welcher Höhe es zu einem Produktionsrückgang kam, hing von der betriebswirtschaftlichen Kostenrechnung jedes Unternehmens ab. Höhere Lohnkosten mussten mit Umsatzrückgängen abgewogen werden. In der Grafik verschieben sich die Geraden von N1 nach N2 und von A1 nach A2, somit wäre der ursprüngliche Output bei Q2= Q0 wieder erreicht. In diesem Fall stiegen die Löhne jedoch auf L2, was zu höheren Produktionskosten führte. Tatsächlich wuchs das BruttoLohnniveau binnen zwei Jahren um 27,2 Prozent, während sich das BIP im gleichen Zeitraum lediglich um 10,3 Prozent erhöhte135. Zusätzlich profitierten die Arbeitnehmer von der Ausweitung der Sozialleistungen um 11 Prozent pro Jahr, die von der Regierung Mollet trotz des Haushaltsdefizits durchgesetzt wurde136. In der Summe führte die Kombination aus Marktmechanismen und expansiver Sozialpolitik zu einer äußerst positiven individuellen Einkommensentwicklung. Diese darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass damit eine ganze Reihe von Opportunitätskosten einherging. Hunderttausende Soldaten und Angehörige waren von der Mobilisierung betroffen. Ein Teil der französischen Wertschöpfung wurde von den Gastarbeitern in ihre Heimatländer überwiesen. Die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Unternehmen sank durch die erhöhten Produktionskosten. Durch verringerte Exportmöglichkeiten und steigende Importe erhöhte sich wiederum der Druck auf die Zahlungsbilanz. Zur Finanzierung der sozialen Wohltaten und zur Integrationspolitik musste die Regierung zahlreiche neue Schulden aufnehmen137. Außer für die unmittelbar Betroffenen stellten diese negativen Auswirkungen eher abstrakte Faktoren dar. Mit der Zahlungsbilanz befassten sich Funktionäre, mit steigenden Schulden spätere Generationen. Als sich

133 ANOM, 81F 1794: Juillet 1956, Huitième rapport de l’O.E.C.E., S. 4. 134 Études et Conjoncture, INSEE, 5 (1956): Situation économique de la France au printemps 1956, S. 379–436, hier S. 381. 135 Les Comptes de la Nation, S. 110. In einer Note des Wirtschaftsministeriums ist von 9,3 Prozent Lohnsteigerungen für ein Jahr die Rede. Vgl. OURS, AGM 74: 05.03.1957, Le Secrétaire d’État aux Affaires Économiques, La situation économique au 1er mars 1957 et les perspectives, S. 5. Zum Wirtschaftswachstum siehe: INSEE, Le produit intérieur brut et ses composantes. La longue série. Vgl. online: http://www.insee.fr/fr/themes/comptes-nationaux/ tableau.asp?sous_theme=1&xml=t_1102p. 136 Les Comptes de la Nation, S. 111. 137 Das Haushaltsdefizit belief sich 1957 auf 970 Milliarden Francs. Budget, 1957, S. 7.

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die Finanz- und Devisenkrise 1957 gefährlich zuspitzte, erkannten bei einer Umfrage nur 20 Prozent der Franzosen im Bereich Finanzen/Budget die wichtigste Herausforderung für Frankreich138. Jean-François Eck zieht eine Parallele zur aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise in Griechenland. „Sur le plan économique, effectivement, la situation était catastrophique“. „Reste que les Français de l’époque n’ont pas ressenti les choses d’une façon tellement plus graves que les Grecs au début de la crise“139.

2.2 Situation und Stimmung in Algerien Ökonomische Lage An der Oberfläche präsentierte sich die ökonomische Situation in Algerien ähnlich günstig wie in der Metropole. Belief sich das Wirtschaftswachstum in den Jahren 1950 bis 1954 auf 6,1 Prozent pro Jahr, erhöhte sich die Dynamik in den Folgejahren auf 7,7 Prozent140. Das Algerienministerium stellte Ende 1957 zufrieden fest: „Confiance rétablie dans l’avenir économique“141. Niemals zuvor habe es mehr Kapital und wirtschaftliche Aktivität im Land gegeben, anerkannte ‚Le Monde‘142. Ein Kolloquium zur Integrationspolitik interpretierte die wirtschaftliche Prosperität als Faustpfand gegen den Nationalismus. Die algerische Bevölkerung sei sich bewusst, dass sie ökonomisch von der Metropole abhänge und wolle daher keine Abspaltung143. Vor dem Hintergrund der vermeintlich vorteilhaften Entwicklung kamen aus dem Finanzministerium Vorschläge, von geplanten Erhöhungen der französischen Finanzhilfe abzusehen, zumal die bisher zur Verfügung gestellten Gelder ohnehin nicht vollständig ausgeschöpft würden144. Beamte des

138 Sondages, 19, 2 (1957), S. 5. 139 Interview mit Jean-François Eck. 140 AN, F 12 11801: Septembre 1958, Rapport sur la situation économique de l’Algérie, S. 4 und MFE, B 0024968: 1960, Les Comptes économiques de l’Algérie 1957 et 1958, S. 7. Mitunter gab es auch Berichte über kriegsbedingte Produktionsrückgänge in einigen Branchen und Regionen. Diese wurden jedoch offensichtlich durch die kräftigen Zuwächse in anderen Bereichen mehr als kompensiert. ANOM, FM 81F 14: Conséquences des événements sur la situation économiques de l’Algérie au 1er janvier 1956, S. 1 und MAE, MT, Maroc (II), 419: Assemblée Générale du 20 Juin 1957, Rapport général pour l’année 1956. 141 AN, F 12 11802: Données de base de l’activité algérienne, Ministère de l’Algérie. 142 Le Monde, (17.07.1957): Prospère Algérie ?, Philippe Minay. (Vgl. ANOM, FM 81F 57). 143 ANOM, FM 81F 177: 1958, Premier Colloque Jean Bart, Ce qu’est l’intégration, Annexe, S. 1. 144 So seien 1956, variierend nach Sektoren und Anwendungsbereichen, zwischen 5 und 16 Prozent der Investitionsgelder ungenutzt geblieben. ANOM, FM 81F 2018: Note de Monsieur Tixier, Directeur général des finances de l’Algérie – Sur les besoins de l’Algérie en crédits d’équipement pour 1958, S. 2. Einen weiteren Vorschlag zur Begrenzung der Investitionsausgaben formulierte der Finanzminister im Kabinett. AN, 4 AG 1–12, Conseil des Ministres: 20.02.1957, S. 11–13.

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Außenamts hielten Einsparungen im französischen Budget durch eine Dezentralisierung der Investitionsausgaben und das Zurückgreifen auf lokale Ersparnisse in Algerien für realisierbar145. Diese Standpunkte und das algerische Wirtschaftswachstum standen in auffälligem Widerspruch zu jenen Stimmen, die seit langem Unterfinanzierung und ökonomische Stagnation in den algerischen Départements beklagten. Offensichtlich gingen die Meinungen auch innerhalb der Ministerien deutlich auseinander. Eine Entspannung der kritischen Lage auf dem Arbeitsmarkt war nach Einschätzung der ‚Direction d’Afrique-Levant‘ im Außenministerium nicht in Sicht146. Auch im Finanzministerium hielten nicht alle Beamten die Kürzungspläne ihres Hauses für sinnvoll. Eine Verschlechterung der Situation sei zu erwarten, „si un intense effort n’est pas accompli par la métropole pour porter l’activité économique à un niveau permettant de procurer un emploi aux jeunes qui de plus en plus nombreux, se présentent sur le marché de travail“147. Der ‚Ministre Résident en Algérie‘ reagierte mit Unverständnis auf die vorgeschlagene Begrenzung der Investitionen. Angesichts der ihm auferlegten Aufgaben im Rahmen der Integrationspolitik müsse er „avec la plus grande insistance“ darauf bestehen, dass zugesicherte Finanzhilfen vollständig ausgezahlt würden148. Die vermeintliche Widersprüchlichkeit lässt sich durch eine differenzierte Betrachtung der ökonomischen Situation und der Investitionspolitik auflösen. Das kräftige Wirtschaftswachstum kam nicht bei allen Einwohnern Algeriens in gleichem Umfang an. Wachstumsmotoren wie die moderne Landwirtschaft und der Handel lagen überwiegend in Siedlerhand, deren wirtschaftliche Situation ohnehin unproblematisch war. Ferner begünstigten außergewöhnlich gute Ernten in Algerien bei gleichzeitig schwachen Ergebnissen in der Metropole die Konjunktur. Alleine der Wert der Weinexporte stieg von 1955 bis 1957 um 36 Prozent149. Der Anstieg des BIPs darf somit nicht mit einer proportionalen Verbesserung des allgemeinen Lebensstandards gleichgesetzt werden. Das große Dilemma blieb, dass Arbeitsplätze nicht in ausreichendem Maße generiert wurden, um der demografischen Dynamik zu begegnen und das Hauptproblem der Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Wer keine dauerhafte Beschäftigung besaß, konnte der Misere weiterhin kaum entfliehen. „L’Algérie traverse actuellement une phase de prospérité, mais celle-ci ne doit rien au succès d’une politique économique“, schränkte ‚Le Monde‘ daher ihr oben zitiertes Lob ein150. Die Hochkonjunktur beruhte zu erheblichen Teilen auf der Präsenz von bis zu 500.000 französischen Soldaten. Diese zusätzlichen, ver145 MAE, MT, Tunisie (II), 39: 10.12.1957, G. Wailly, Politique française en Afrique du Nord, S. 4. 146 MAE, AL, Algérie, 16: 17.04.1956, Bulletin de renseignement No3, Mois de Mars 1956, S. 1. 147 ANOM, FM 81F 1794: Juillet 1956, Huitième rapport de l’O.E.C.E., S. 71. 148 ANOM, FM 81F 2018: 28.11.1957, Ministre de l’Algérie à Monsieur le Secrétaire d’État au Budget – Préparation du budget de 1958 du ministère de l’Algérie, S. 2. 149 Commerce extérieur, 1955, S. 288 und 1957, S. 261. 150 Le Monde, (17.07.1957): Prospère Algérie ?.

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gleichsweise kaufkräftigen Konsumenten erweiterten den algerischen Markt stärker als es ihr Verhältnis zu den 10 Millionen Einwohnern Algeriens vermuten ließ. Die aktive Bevölkerung Algeriens belief sich auf etwa 3,5 Millionen Menschen. Außer den 350.000 berufstätigen ‚Pieds noirs‘ erzielten jedoch wenige Algerier ein ähnlich hohes Einkommen, wie es den französischen Soldaten zur Verfügung stand151. Eine Studie des Finanzministeriums schätzte die summierte Kaufkraft der Soldaten auf jährlich 100 Milliarden Francs152. Jean-Marie Le Pen meinte daher, „le séjour de plusieurs centaines de milliers d’hommes en Algérie créerait un afflux de prospérité“153. Letztlich handelte es sich dabei jedoch um ein schuldenfinanziertes, konjunkturelles Strohfeuer, von dem neben den genannten Branchen in Algerien auch Metropolunternehmen profitierten. Da die lokalen Betriebe nicht über ein ausreichendes Produktionspotential verfügten, um die erhöhte Nachfrage zu bedienen, kamen die Mehrausgaben in den algerischen Départements in großem Umfang der Wirtschaft des Hexagons zugute, „car elles se traduisent finalement par un prélèvement sur les ressources françaises en biens et services, soit sous forme d’importations en provenance de la métropole, soit par suite des transferts de soldes“154. Ein Regierungsbericht stellte fest, die Interdependenz zwischen Algerien und Metropole sei derart groß „que les investissements effectués en Algérie se traduisent par des commandes, des paiements et plus généralement un accroissement de l’activité économique en Métropole au moins autant qu’en Algérie“155. Insgesamt konnte die algerische Volkswirtschaft die Periode der Hochkonjunktur nur in sehr begrenztem Maße dazu nutzen, ihre Strukturen zu rationalisieren und die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Im Gegensatz zur Metropole blieb die ökonomische Situation in Algerien für die Mehrheit der muslimischen Bevölkerung prekär, so dass das Wirtschaftswachstum die erhoffte pro-französische Stimmung nur in sehr begrenztem Maße hervorrufen konnte. Auf die Haltung des FLN hätte eine spürbare Verbesserung der algerischen Einkommenssituation mit hoher Wahrscheinlichkeit ohnehin kaum einen Einfluss gehabt. Die gebildete Führung der Nationalisten war sich zwar zweifelsohne über den volkswirtschaftlichen Preis einer Loslösung von Frankreich im Klaren. Dieser Umstand änderte aber nichts an ihrer Entschlossen-

151 275.900 Männer und 80.200 Frauen bildeten die franko-algerische aktive Bevölkerung. MDN, 1 H 1107/1: GGA, recensement de la population 1954, T. 3, S. 15. 152 MFE, B 0024968/1: 1960, Les Comptes économiques de l’Algérie 1957 et 1958, S. 23. 153 Jean-Marie Le Pen (UFF), in: JOAN, 1956, S. 3719. Der spätere Vorsitzende der rechtsextremen Partei ‚Front National‘ saß in den 1950er Jahren als Abgeordneter für die UFF im Parlament. Im Jahr 2002 sah sich Le Pen mit Vorwürfen konfrontiert, er habe sich an Folter in Algerien beteiligt. Siehe: Le Monde, (17.03.2012): Comment „Le Monde“ a relancé le débat sur la torture en Algérie, Florence Beaugé. Vgl. http://www.lemonde.fr/afrique/article/2012/ 03/17/le-monde-relance-le-debat-sur-la-torture-en-algerie_1669340_3212.html. 154 MFE, B 007012/2: 22.11.1957, Conséquences économiques et financières, S. 9. 155 Rapport Maspétiol, S. 9.

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heit156. Auch die Erfahrungen mit Tunesien und Marokko rieten dazu, den Einfluss von ökonomischen Faktoren auf die nordafrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen nicht über zu bewerten. Rabat und Tunis wussten, dass die politische Souveränität nicht ohne eine stärkere wirtschaftliche Eigenverantwortlichkeit zu erreichen war. Das Ende des Protektorats ging mit ökonomischen Opportunitätskosten einher, die beide Länder jedoch zu zahlen bereit waren157. In Bezug auf die breite Masse der algerischen Bevölkerung egalisierte die unmittelbare und massive Betroffenheit der Menschen von den Auswirkungen des Krieges etwaige positive Effekte des wirtschaftlichen Aufschwungs. Das Zusammenleben von ‚Pieds-Noirs‘ und Algeriern wurde zunehmend von Gewalt, Gegengewalt und beidseitigem Misstrauen geprägt. „Appuyée sur une base de fanatisme“, zielte die von Brutalität gekennzeichnete Strategie des FLN darauf ab „à créer le fossé entre les deux communautés européenne et musulmane“158. Siedler und pro-französische Muslime sahen sich der permanenten Gefahr von Anschlägen ausgesetzt159. Häufig lebten sie „dans une véritable psychose de peur“160. Auf

156 In dieser Hinsicht schien die ‚Région économique d’Algérie‘ richtig mit ihrer Einschätzung zu liegen, es gebe „aucun lien entre ces agissements criminels et l’état social et économique actuel de l’Algérie“. Die nahe liegende Konsequenz, verstärkt auf politische Reformen zu setzen, zog die Institution aus ihrer Analyse freilich nicht. Tatsächlich ging es ihr darum, den politischen und ökonomischen Status quo zu legitimieren. AN, 4 AG 44: Région économique d’Algérie, Motion votée les 3,4 et 5 Novembre 1955. 157 Dieser Aspekt wird in Teil IV Kapitel 2 vertieft. 158 Erster Teil aus einem abgefangenen Telegramm der FLN-Führung. ANOM, FM 81F 14: Traduction analytique d’un télégramme adressé par la délégation algérienne (Mohammed Khider) du comité de libération du Maghreb arabe à El Yazidi, secrétaire du parti de l’Istiqlal Marocain. Der zweite Teil entstammt demselben Ordner: Condense du rapport de M. Soustelle en date du 7 janvier, S. 1. 159 In den Archiven finden sich zahlreiche Berichte und Bildmaterial über ermordete und verstümmelte pro-französische Muslime und ‚Pieds noirs‘. Vgl. MAE, AL, Algérie, 23: Aspects véritables de la rébellion algérienne, Ministère de l’Algérie. ANOM, FM 81F 65, Dossier photographique oder ANOM, FM 81F 1094: MI, événements survenus en Algérie du 1 au 2 juin 1955. Ewald Leufgen (Interview) wurde selbst Zeuge solcher Verbrechen. Auch in Marokko und Tunesien barg die Kooperation mit Frankreich bisweilen tödliche Risiken. Am 28. und 29. Mai kam es zu einem Massaker an mehreren Hundert pro-französischen Marokkanern. DDF, 1957 I: 446, 04.06.1957, Pineau an Lacoste, S. 889. Eine 2004 von der ‚Mission interministérielle aux rapatriés‘ (MIR) eingesetzte Kommission veröffentlichte zwei Jahre später einen Bericht, der das Verschwinden von etwa 2.000 Franko-Algeriern bestätigte. Die algerische Regierung leugnet dies bis heute. Der Historiker Jean-Jacques Jordi erweiterte die Recherche, untersuchte bisher unberücksichtigte Archive und konnte dadurch ungeklärte Falle aufklären. Er beklagt das lange Schweigen des Staates über die brutalen Methoden des FLN. Jordi, Jean-Jacques: Un silence d’État. Les disparus civils européens de la guerre d’Algérie, Éd. Soteca, Paris, 2011. Zur Thematik siehe auch: Mathias, Grégor: Le sang des disparus d’Algérie en Mai–Juin 62. Un drame oublie de la guerre d’Algérie, in: Outre-Mers, 95, 2 (2007), S. 265–280. Zweifellos muss auch dieses dunkle Kapitel des algerischen Unabhängigkeitskampfs wissenschaftlich aufgearbeitet werden und darf nicht Autoren überlassen werden, die das Vorgehen der französischen Armee durch das von algerischer Seite begangene Unrecht legitimiert sehen. Gleichwohl dürfen die sehr unterschiedlichen Dimensionen der

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der Gegenseite trug die französische Armee durch ihr nicht selten rücksichtsloses Vorgehen in erheblichem Maße zur Spaltung der algerischen Gesellschaft bei. „L’augmentation des attentats terroristes ayant amené une répression plus sérieuse, le français-musulman commence à craindre presque autant que les services du FLN, les rafles, les internements et les amendes“161. Louis Massignon, renommierter französischer Orientalist, kritisierte im April 1956 eine Militäraktion, der zwölf muslimische Würdenträger zum Opfer fielen, von denen sich einige als Vermittler zwischen Frankreich und dem FLN angeboten hätten162. Manche Methoden waren auch innerhalb der französischen Armee umstritten163. Nicht nur brutale Strafaktionen und Folter hinterließen bei den Betroffenen und im kollektiven Gedächtnis tiefe Narben164. Auch vermeintliche Kleinigkeiten im Alltag wie die Konfiszierung von Lebensmitteln kosteten die französischen Streitkräfte Sympathien165.

Collège unique Ferner setzte die politische Immobilität negative Impulse. Die hohen Erwartungen an die neue Regierung unter Ministerpräsident Mollet, dem Drama in Algerien mit erhöhtem politischen Engagement ein Ende zu setzen, erfüllten sich nicht. Einige

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Gewaltverbrechen nicht aus den Augen verloren werden. In ihrer Brutalität vergleichbar, traf die systematische Folter der französischen Armee ungleich mehr Algerier, als umgekehrt Franzosen und pro-französische Algerier unter den Methoden des FLN litten. Vgl. Pervillé, Guy: La guerre d’Algérie. Combien de morts?, in: La guerre d’Algérie, hg. v. Harbi/Stora, S. 477–493. Jean Crouzier (RI), in: JOAN, 02.02.1955, S. 610. ANOM, FM 81F 12: 15.07.1957, Note, Très secret, Situation morale des différents groupes de population. Massignon kritisierte „que nous nous privons de ces derniers interlocuteurs possibles, faisant ainsi l’union sacrée de l’Islam contre nous“. MAE, AL, Algérie, 16: 12.04.1956, Direction générale des Affaires politiques, Démarche du Professeur Massignon. Ewald Leufgen bestätigt im Interview, dass sich zahlreiche Soldaten nicht an Folterpraktiken beteiligen wollten. Weiterführend: Jauffret: Ces officiers qui ont dit non. Vor dem Jahr 2000 widmete sich insbesondere Pierre Vidal-Naquet dem Folterthema. Seine ersten Studien erschienen aus Gründen der Zensur im Ausland. Ein 1975 erstmals erschienenes Werk wurde 2006 neu aufgelegt. Vidal-Naquet, Pierre: Les crimes de l’armée française, Algérie 1954–1962, La Découverte, Paris, 2006. Ewald Leufgen (Interview) gibt an, das Verhalten der Armee und der Kontakt zu den Algeriern sei regional unterschiedlich gewesen. In sicheren Gebieten sei der Kontakt weitgehend unproblematisch gewesen. Wo sich Anschläge und Strafaktionen häuften, sei die französische Armee hingegen verschrien gewesen „wie früher die SS“. Er erwähnt in diesem Zusammenhang einen Offizier, den „Teufel von Mascara“, der mit seiner Kompanie häufig nichts als verbrannte Erde zurückgelassen habe. Leufgen und seine Einheit beteiligten sich nach eigenen Angaben nicht an Aktionen dieser Art, die in der Regel vom „2e Bureau“ ausgegangen seien. Der Vorwurf der Folter lässt sich gleichwohl nicht auf eine Abteilung der französischen Armee beschränken. Ebenso berichtet Leufgen von Fällen, in denen Soldaten sich bei algerischen Händlern frei bedienten, ohne dafür zu bezahlen.

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nahe liegende Schritte mit hoher Symbolkraft, wie beispielsweise die Einsetzung eines muslimischen Algerienministers, wurden nicht in Betracht gezogen und wären in der Nationalversammlung kaum mehrheitsfähig gewesen. Freie Wahlen wurden trotz der Präsenz von 500.000 französischen Soldaten mit Verweis auf die prekäre Sicherheitslage auf unbestimmte Zeit verschoben. Daraus ergab sich die problematische Situation, dass die algerischen Départements seit dem Ablauf der Legislaturperiode im Dezember 1955 bis zum Ende der IV. Republik nicht mehr mit Abgeordneten im französischen Parlament vertreten waren. Die ‚Assemblée nationale‘ bestimmte also ohne direkte Beteiligung der Algerier über deren Zukunft. Zwar zeigte der neue Algerienminister Robert Lacoste deutlich mehr Reformbereitschaft als die Mehrzahl seiner Vorgänger. Im Wesentlichen zielten seine Initiativen gleichwohl darauf ab, das Problem der Unteradministration zu beheben und die Möglichkeiten der muslimischen Bevölkerung zur politischen Mitbestimmung auf kommunaler Ebene zu verbessern166. Die Notwendigkeit dieser Reformen stand außer Frage167. „Des immenses espaces échappaient à notre action et à notre contrôle“: es fehlte an ökonomischen, administrativen und demokratischen Basisstrukturen168. Vielfach schien die muslimische Landbevölkerung in einem anderen Jahrhundert zu leben169. Ohne französischen Einfluss ging es den Menschen nicht besser. Mostefa Benbahmed berichtete beispielsweise von Ausbeutung der einfachen Landbevölkerung durch lokale muslimische Autoritäten170. Er fand daher lobende Worte für die Bemühungen seines sozialistischen Parteikollegen Lacoste, gab gleichwohl zu bedenken, dass die Algerier nicht viele kleine, sondern „die“ Reform erwarteten171. Ein franko-algerischer Vertrauter von Alain Savary schrieb in einem Brief, „les musulmans n’attendent ni distribution de semoule ni réforme agraire: ils souhaitent une révolution politique“172.

166 Quinn schreibt, neben der quantitativen habe es ebenso eine qualitative Unteradministration gegeben. Die französischen Funktionäre seien in der ‚École coloniale‘ schlecht auf die lokalen Gegebenheiten vorbereitet worden. Quinn: The French Overseas Empire, S. 117. 167 Die Problematik findet sich in zahlreichen Quellen und zeitgenössischen Publikationen wieder. ANOM, FM 81F 13: 03.11.1955, MI, Les données du problème, S. 20. AN, 580 AP 15: 05.07.1955, Mission d’information exécutée en Algérie du 4 au 9 juin 1955, Pineau, de Chevigné, Jacquet, Moreau, Lejeune, S. 20. AN, 74 AP 43: Octobre 1956, Propositions pour l’étude du problème algérien, Hubert Lehideux, Secrétaire général des Semaines de l’Union française. Naegelen: Mission en Algérie, S. 66. 168 AN, Fonds Edgar Faure, AP 505 (II) 344: 01.06.1955, Note, Soustelle, Situation en Algérie, S. 3. 169 Ewald Leufgen gibt im Interview an, die Lebensumstände der Menschen in entlegenen Gebieten hätten ihn an „tiefstes Mittelalter“ erinnert. 170 Mostefa Benbahmed, in: OURS, SFIO, 48e Congrès national, Lille, Juin 1956, S. B18. 171 Mostefa Benbahmed, in: OURS, SFIO, 48e Congrès national, Lille, Juin 1956, S. C12. Zum Leben und Wirken von Robert Lacoste siehe: Brana, Pierre/Dusseau, Joëlle: Robert Lacoste (1898–1989). De la Dordogne à l’Algérie, un socialiste devant l’Histoire, Harmattan, Paris, 2010. 172 CHSP, Fonds Savary, 56: 30.04.1956, R. Perié, Algier, à Savary, S. 2f.

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Insbesondere mit der Einführung des ‚Collège unique‘ hätte ein Signal in Richtung Gleichstellung ausgesandt und versucht werden können, Teile der muslimischen Bevölkerung für die Idee einer gemeinsamen Zukunft zu gewinnen und damit dem FLN den Wind aus den Segeln zu nehmen. Im Einheitskolleg sollte die Parität zwischen ‚Pieds noirs‘ und Algeriern abgeschafft und durch ein allgemeines Wahlrecht ersetzt werden. Dadurch wäre die Bevölkerungsmehrheit der Muslime zum Tragen gekommen. Die Anzahl der algerischen Abgeordneten in der Nationalversammlung wäre auf einen Schlag und aufgrund des rasanten Bevölkerungswachstums kontinuierlich gestiegen. Dieses Prinzip ergab sich als logische Konsequenz aus dem verfassungsmäßigen Anspruch der Französischen Union. Der Brite Lord Hailey bezweifelte freilich bereits im Jahr 1943, “that the principle of assimilation is likely to be pursued to its logical end – namely, the universal extension of French ‚citizenship‘, with a corresponding share in the franchise for the metropolitan legislature“173. Zwölf Jahre später griff der Abgeordnete Henri Caillavet den Gedanken auf und fragte, ob die Nationalversammlung einen kontinuierlich steigenden Anteil muslimischer Parlamentarier zu akzeptieren bereit sei174. Die Antwort fiel eindeutig aus. Für Abgeordnete wie Léon Haumesser bedeutete Gleichberechtigung die politische Teilhabe der Muslime „à part égale, c’està-dire pour moitié“. Eine Parität sei gerecht, da das ökonomische Übergewicht der ‚Pieds noirs‘ die Bevölkerungsmehrheit der Muslime egalisiere175. Dementsprechend scheiterten erste Anläufe zur Einführung eines gleichen und allgemeinen Wahlrechts in Algerien176. Erst Mitte 1957 fand die Idee als Gesetzesvorlage erneut den Weg in die Volksvertretung, doch wieder liefen zahlreiche Mandatsträger Sturm gegen das sogenannte ‚Loi cadre‘177. „Ce collège unique, amenant au Parlement français un nombre d’élus musulmans énorme, et que l’on ne saurait longtemps limiter par des habilités indignes de la France, ferait courir à la France des risques insondables, tant politiques que sociaux, économiques et finan-

173 Hailey, William Malcom. H.: The Future of colonial peoples, Oxford Univ. Press, London, 1943, S. 45. Sir Malcom Hailey bekleidete in den 1920er und 1930er Jahren hohe Verwaltungsposten in Britisch-Indien und den afrikanischen Kolonien. Er befürwortete eine begrenzte Anerkennung nationalistischer Bewegungen in Übersee. 174 Henri Caillavet (RRS), in: JOAN, 11.10.1955, S. 5028. 175 Léon Haumesser (RPF), in: JOAN, 12.10.1955, S. 5051. Haumesser lebte seit 1941 in Algerien und saß für das Département Constantine im Parlament. Ähnlich äußerte sich der Parlamentarier Dronne: La révolution d’Alger, S. 215. 176 JOAN, 15.11.1955, S. 5695; 17.11.1955, S. 5829. 177 Die Einführung des ‚Collège unique‘ war Teil eines umfassenden Gesetzesentwurfs zur institutionellen Neuerung Algeriens, die das Statut von 1947 beenden und die Generalregierung abschaffen sollte. Artikel 1 verdeutlicht, dass das Spannungsfeld zwischen Integration und Autonomie bestehen blieb: „L’Algérie, partie intégrante de la République Française, est composée de territoires fédérés qui gèrent librement et démocratiquement leurs propres affaires“. MAE, CM, Pineau, 20: 17.09.1957, Projet de loi sur les Institutions de l’Algérie, Assemblée Nationale.

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ciers“178. Adolphe Aumeran zog es vor, seine These über die 99 prozentige Frankophilie der Algerier keiner demokratischen Überprüfung zu unterziehen und warnte, die Algerierfranzosen würden in der „masse sans cesse grandissante des électeurs musulmans“ ertränkt179. Auch das ‚Groupement des intérêts coloniaux‘ prophezeite, „les Français seront écrasés par le nombre et la Métropole ne sera plus maîtresse de la situation“180. Raymond Laquière, Bürgermeister des Bezirks Saint-Eugène in Algier, sagte wirtschaftliches und soziales Chaos in Algerien voraus, würden die ‚Pieds noirs‘ von der Macht verdrängt181. So stimmten er und seine 119 Amtskollegen des Départements Algier in einem Antrag mit großer Mehrheit gegen das Demokratisierungsprojekt182. Die französische Regierung stand bei dem Projekt vor einer Zerreißprobe. Mehrere Minister drohten mit Rücktritt, sollte das Gesetz in der vorliegenden Form zur Abstimmung gestellt werden183. So zog sich die Debatte über Monate hin, bis durch Zugeständnisse eine parlamentarische Mehrheit zustande kam. Als das Gesetz im Frühjahr 1958 schließlich verabschiedet wurde, konnte von einer positiven Signalwirkung kaum noch die Rede sein. „Consentie quelques années plus tôt sans éclat, cette réforme fondamentale eût probablement évité le drame algérien et assuré dans la sérénité de la paix des transitions qui, demain, se feront dans la fièvre“, schrieb Jacques Chevallier184. Nun aber hatte die monatelange Opposition der Nationalversammlung die kontraproduktive Botschaft ausgesandt, dass die Mehrheit der Franzosen die Integration Algeriens in letzter Konsequenz ablehnte. Chevallier sah damit die Unmöglichkeit der Integrationspolitik bestätigt, da jene, die sich im Parlament als Unterstützer inszenierten, „ignorent le vrai contenu du mot“185. Auch Raymond Aron, der wohl renommierteste Kritiker der Nordafrikapolitik aus dem konservativen Lager, machte unüberwindbare Integrationsbarrieren in der Metropole aus. Dort fehle es an Akzeptanz für die politischen und gesellschaftlichen Folgen des Prinzips „Algerien ist Frankreich“186.

178 MAE, CM, Pineau, 19: 21.07.1957, La solution fédérale et démocratique du problème, R. Florin. 179 Adolphe Aumeran (RI), in: JOAN, 02.02.1955, S. 604. 180 MAE, AL, Algérie, 16: 11.09.1957, Groupement des intérêts coloniaux à Bourgès-Maunoury. 181 AN, 74 AP 43: 26.05.1956, R. Laquière, Maire de Saint-Eugène. Ein ähnliches Schreiben des ehemaligen Bürgermeisters von Algier, Pierre René Gazagne, an Guy Mollet findet sich im selben Ordner: 12.02.1956, Lettre adrésse par M. P.R. Gazagne à M. Guy Mollet,. 182 OURS, Fonds Mollet, AGM 81: 07.02.1956, Motion adoptée par les 120 Maires du département d’Alger réunis à Saint-Eugène. 183 AN, 4 AG 1–12, Conseil des Ministres: 18.09.1957, S. 5. 184 Chevallier: Nous, Algériens, S. 24f. 185 Chevallier, in: Le Monde, (05.10.1955). Chevallier gehörte zu den wenigen ‚Pieds noirs‘, die sich nach der Unabhängigkeit Algeriens für die algerische Staatsbürgerschaft entschieden. 186 Die Meinungen zum Einfluss Arons gehen auseinander. Nach Wincock provozierte La tragédie algérienne „un scandale dans les rangs traditionnels de la droite“. Winock, Michel: Pacifisme et attentisme, in: La guerre d’Algérie et les Français, hg. v. Rioux, S. 15–21, hier S. 19. Ähnlich spricht Bonfreschi von „un grand retentissement“. Bonfreschi, Lucia: Le libéralisme face au processus de décolonisation. Le cas de Raymond Aron, in: Outre-Mers, 1 (2007),

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Ausbreitung des Nationalismus Letztlich wurde weder die propagierte Integrationspolitik konsequent umgesetzt, noch wurden alternative Lösungsansätze hin zu einer assoziativen Anbindung Algeriens an Frankreich in Betracht gezogen. Diese inkohärente Haltung verleitete die französischen Entscheidungsträger dazu, „à ne faire que la guerre sans, parallèlement et comme on eût dû le faire entreprendre une action politique complétant et exploitant l’effort militaire“187. Über die Wirkung dieser widersprüchlichen Politik lagen Paris detaillierte Informationen vor. Das Außenministerium konstatierte, die Idee der Unabhängigkeit breite sich, gerade bei der jungen Generation, rasch über Tunesien und Marokko im gesamten Maghreb aus188. Da die unter 21-Jährigen 53 Prozent der muslimischen Bevölkerung Algeriens ausmachten, war dies eine beunruhigende Nachricht189. Algerische Parlamentarier bestätigten, dass sowohl in der breiten Bevölkerung als auch in der Elite die Akzeptanz für Integrationspolitik sinke, während die Sympathien für die Unabhängigkeitsbewegung stetig zunähmen190. Mostefa Benbahmed informierte auf dem Parteikongress der Sozialisten über die Transformation der Rebellion. „Ce n’était plus une minorité de gens se livrant à des violences plus ou moins abominables, c’était une collectivité tout entière qui peu à peu nous filait entre les mains et passait dans l’autre camp“191. Abgeordnete aus der Metropole stimmten dieser Einschätzung zu. Paul Coirre meinte, bei freien Wahlen in Algerien wäre von einem deutlichen Sieg nationalistischer Parteien auszugehen192. In einer Note des Außenamts zeigten sich die Redakteure überrascht, „qu’aucun de leurs interlocuteurs musulmans, de mouvance bourgeoise et modérée, ne se soient désolidarisés des rebelles, ou n’ait affirmé que ceux-ci ne représentaient qu’une minorité sans audience dans le pays“. Die Angst vor Re-

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S. 271–284, hier S. 271. Für Eck (Interview) hingegen blieb Aron „très isolé dans son milieu“. Einschätzung von Jacques Chevallier. OURS, AGM 82: Jacques Chevallier: Réflexions sur l’évolution de la situation algérienne, S. 2. Zustimmend spricht Frémeaux von „la priorité donnée à l’action militaire“. Frémeaux: La France et l’Algérie, S. 153. MAE, AL, Algérie, 16: 17.04.1956, Bulletin de renseignement No3, Mois de Mars 1956, RG. Zur Altersstruktur: MDN, 1 H 1107: GGA, recensement de la population 1954, T. 2, S. 17. Ali Cadi (UDSR), in: JOAN, 13.10.1955, S. 5085. Zur Haltung der Algerier im Zeitverlauf siehe: Ageron, Charles-Robert (Hg.): La guerre d’Algérie et les Algériens, 1954–1962. Actes de la table ronde, Paris, 26–27 mars 1996, Colin, Paris, 1997. OURS, SFIO, 48e Congrès National, Lille, Juin 1956: Benbahmed, P. 26. Er befürwortete dennoch die Integrationspolitik und glaubte, dass diese bei vollständiger und rascher Umsetzung gelingen könne. Paul Coirre (IPAS) kann durchaus als Anhänger Französisch-Algeriens bezeichnet werden. Er sah die Erfolgschancen der Integrationspolitik jedoch skeptisch und sorgte sich ebenso um die dadurch entstehende ökonomische Belastung. Coirre begründete seine Einschätzung bezüglich der Haltung der Algerier u. a. damit, dass es in Französisch-Algerien nicht zu einer Verschmelzung der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen gekommen sei. Aus der weitgehenden separaten Koexistenz sei schließlich der Wunsch der Algerier nach Selbstbestimmung entstanden. JOAN, 02.06.1956, S. 2265.

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pressalien des FLN trage zur Unterstützung der Unabhängigkeitsbewegung bei, sei aber keineswegs als Hauptursache zu betrachten. „Celle-ci, de plus en plus, s’appuie sur le sentiment nationaliste dont elle a stimulé le développement“193. Eine ähnliche Einschätzung lag dem Finanzministerium vor. Die Mehrheit der Algerier wolle die Selbständigkeit ihres Landes, unabhängig von ihrer Haltung zum FLN194. Maßgeblich sei, dass die politische und ökonomische Gleichberechtigung „qui n’a jamais été sincèrement appliquée est actuellement dépassée“195. Manch einer ging daher so weit zu behaupten, „que l’Armée de libération bénéfice du soutien complet de la population musulmane“, was mit umgekehrten Vorzeichen ebenso der Realität entbehrte wie Aumerans These von 99 Prozent frankophilen Algeriern196. Dennoch kann keine Unsicherheit über die Tatsache bestehen, dass die Repressionspolitik und das Ausbleiben positiver Impulse durch Reformen „catalyseurs de la Nation algérienne“ waren197. Am 4. Januar 1956 setzten die 61 muslimischen Parlamentarier der ‚Assemblée algérienne‘ ein klares Zeichen und forderten die Anerkennung der algerischen Nationalität198. Die Vita von Ferhat Abbas bezeugt den Sinneswandel einst integrationswilliger Algerier199. Insofern sei es müßig, auf die Absenz der algerischen Nation in den Geschichtsbüchern zu verweisen, gab eine Note aus dem Außenministerium zu bedenken. Entscheidend sei, dass diese im Begriff war, zu entstehen200. Ein französischer Funktionär skizzierte in einem Schreiben an Senator Léo Hamon anschaulich, wie sich die Haltung eines befreundeten Algeriers im Verlauf des Krieges verändert habe. Assimiliert, zum katholischen Glauben übergetreten, mit einer Französin verheiratet, habe dieser als Beamter in der Metropole gearbeitet.

193 MAE, CM, Pineau, 19: 19.10.1956, Note, de la situation en Algérie, P. 5. Eine Verharmlosung der Methoden des FLN findet im algerischen Diskurs bis heute statt. Auch in deutschen Publikationen finden sich bisweilen ähnliche Tendenzen. Streng schreibt, der französischen Armee „setzten die Aufständischen taktische Schläge entgegen, die die europäische, mitunter aber auch die algerische Zivilbevölkerung trafen“. Streng, Marcel: Abrechnung unter Nordafrikanern? Algerische Migranten im Alltag der französischen Gesellschaft während des Algerienkrieges (1954–1962), in: Werkstatt Geschichte, 35 (2003), S. 57–80, hier, S. 58. Insgesamt fielen den Anschlägen des FLN deutlich mehr Algerier zum Opfer als ‚Pieds noirs‘. MAE, AL, Algérie, 16: 04.09.1956, Bilan de la rébellion en Algérie, S. 1. Häufig handelte es sich zudem weniger um taktische Schläge als um Anschläge, Terror und brutale Gewalt. 194 MFE, B 0070012/2: Septembre 1957, Éléments de solution du Problème Algérien, S. 77. 195 Communiqué algerischer Abgeordneter, abgedruckt in: Le Monde, (28.09.1955), S. 3. Ähnlich schrieb Mohammed Bendjelloul, das aktuelle Drama in Algerien sei die logische Konsequenz einer jahrzehntelangen fehlerhaften Politik. Le Monde, (07.09.1955): „Le drame algérien n’est que la conséquence des erreurs accumulées depuis plus de trente ans“, nous déclare le docteur Bendjelloul. (Vgl. ANOM, FM 81F 56). 196 MAE, AL, Algérie, 16: 29.05.1956, Interview Melle Claude Gérard in ‚l’Observateur‘. 197 CHSP, Fonds Savary, 56: 30.04.1956, R. Perié, Alger, à Savary, S. 4. 198 Marynower, Claire: Joseph Begarra. Un socialiste oranais dans la guerre d’Algérie, L’Harmattan, Paris, 2008, S. 220. 199 Eine gelungene Arbeit über das Leben und Wirken von Ferhat Abbas: Stora/Daoud: Ferhat Abbas. 200 MAE, CM, Pineau, 19: 19.10.1956, Note, de la situation en Algérie, P. 5.

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II. „L’Algérie, c’est la France“: 1954 bis 1958

Zunächst habe er die Algerienfrage distanziert betrachtet: „Je suis entièrement et totalement français, je n’ai absolument plus rien de commun avec les Algériens et me désintéresse du problème de l’Algérie“. Im März 1956 habe er sich bereits für „un arrangement par la conversation“ ausgesprochen. Wenige Monate später habe sein Freund festgestellt, „[qu’] il ne pouvait plus ne pas être entièrement solidaire de ses frères“. Für die Lösung des Konflikts kam seiner Einschätzung nach nur noch eine Option in Betracht: „l’indépendance totale“201. Angesichts dieser Entwicklung war das Scheitern der Integrationspolitik lange vor 1962 absehbar. Zu viele Möglichkeiten waren auf dem „cimetière des ‚occasions manquées‘“ begraben worden. Man hatte es versäumt, den Muslimen frühzeitig Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit entgegenzubringen und sie auf diesem Wege zu einem Teil Frankreichs zu machen202. Auf dem Parteikongress der französischen Sozialisten Ende 1956 beklagte ein Delegierter die chronische Verspätung, mit der Frankreich in der Nordafrikapolitik agierte. „Nous avons trouvé une solution trop tard en Tunisie, nous avons attendu trop longtemps au Maroc. [...] En Algérie aussi, nous arriverons trop tard“203. Étienne Weill-Raynal, Berater von Premierminister Mollet, schrieb über die Integrationspolitik, „en d’autres temps, elle eût pleinement satisfait la population musulmane, mais eût été repoussée par l’opinion publique française, dans la Métropole et en Algérie“. Nun hingegen würde sie als neue Form der Bevormundung empfunden und daher abgelehnt204. Vor dem Hintergrund der Integrationsbarrieren auf beiden Seiten des Mittelmeeres, der vorangegangenen Unabhängigkeit der Protektorate und der weltweiten Entkolonialisierungstendenz prophezeite eine Gruppe Funktionäre im Juni 1957, jede Politik, die auf eine militärische Lösung der Algerienfrage setze und das Recht auf Selbstbestimmung ausschließe, „est une entreprise désespérée“205. Im Sommer 1958 teilte der marokkanische König Mohammed V. im Gespräch mit einem französischen Diplomaten seine Überzeugung mit, dass die Integrationspolitik unmöglich gelingen könne. Die Unabhängigkeit Algeriens werde in jedem Fall kommen, „même si la guerre devait durer encore des années“206.

201 Der Brief wurde von Senator Léo Hamon an die französische Staatsspitze weitergeleitet. AN, Papiers Chefs de l’État, 4 AG 43: 16.10.1956, Note, État d’esprit des Algériens du Maroc, S. 2. Hamon hatte in der IV. und V. Republik diverse Regierungsposten inne. Da er zwischenzeitlich der Fraktion ‚Indépendants d’Outre-Mer‘ angehörte, verfügte er über gute Kontakte in die Kolonien. 202 Zitat: Chevallier: Nous, Algériens, S. 60. 203 Antoine Mazier, in: OURS, SFIO, Conseil national, 15–16 Décembre 1956, S. 249. 204 OURS, AGM 83: 16.10.1956, Note sur le projet de Loi fondamentale, Weill-Raynal, S. 2. Weill-Raynal gehörte überdies dem SFIO-Vorstand an. 205 AN, F 12 11802: Juin 1957, Quelques données du Problème Algérien, S. 1. 206 CHSP, Fonds Parodi, 30: 07.06.1958, Note pour Monsieur l’Ambassadeur Parodi.

III. DIE ÖKONOMISCHE INTEGRATION 1954 BIS 1958 1. DER MASPÉTIOL-BERICHT UND SEINE FOLGEN „Manifestant ainsi, en plein accord avec la France tout entière, notre volonté de faire un effort presque déraisonnable pour le bien de l’Algérie“ (Lionel de Tinguy du Pouët , Sprecher des Haushaltsausschusses 1956)1

1.1 Primat der Ökonomie Bis 1954 hatte die Budgetautonomie in Algerien zu einer Vernachlässigung der ökonomischen Entwicklung geführt, in Frankreich zu einer weitgehenden Ausblendung der finanziellen Lasten, die mit dem zivilisatorischen Anspruch der ‚Union française‘ einhergingen. Obwohl bereits am Ende des Ersten Entwicklungsprogramms festgestellt worden war, dass die bereitgestellten Gelder nicht ausreichten, um die soziale Situation des Landes spürbar zu verbessern, wurden die Investitionen im Zweiten Plan reduziert. Die Konzeption beider Förderprogramme festigte die kolonialen Wirtschaftsstrukturen, von denen in erster Linie die franko-algerische Bevölkerungsminderheit profitierte. Am Vorabend des Unabhängigkeitskriegs stand außer Frage, dass die ökonomische Integration Algeriens in den ersten acht Jahren der IV. Republik kaum vorangekommen war und ohne eine neue Strategie eine Utopie bleiben würde. Das Innenministerium stellte Anfang 1955 fest: „L’Algérie n’a malheureusement été découverte que très récemment“2. Nun rückte die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität verstärkt in den Blickpunkt der Nordafrikapolitik. Ein ausführlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses der ‚Assemblée de l’Union française‘ führte die vielerorts dramatische Situation und somit die jahrzehntelangen Versäumnisse ungeschminkt vor Augen. Er prognostizierte, „l’Algérie terre française, ne demeurera volontairement française que dans un régime économique qui permettra aux trois départements de vivre progressivement d’une vie semblable, ou plus justement égale à celle des départements métropolitains“3. Über die Parteigrenzen hinweg waren sich Parlamentarier einig, dass in dieser Hinsicht ein „immense effort économique“ notwendig sein würde, um das von Frankreich an die Algerier gegebene Versprechen einzulösen, „de bénéficier un jour du niveau de sa civilisation et de son écono-

1 2 3

Lionel de Tinguy du Pouët (MRP), in: JOAN, 08.03.1956, S. 751. ANOM, FM 81F 13: 03.11.1955, MI, Les données du problème. JOUF, 05.07.1955, S. 622.

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III. Die ökonomische Integration 1954 bis 1958

mie“4. Umgekehrt legitimierte Paris seinen Souveränitätsanspruch auf Algerien über die zivilisatorische Mission. Die fundamentale Bedeutung des ökonomischen Egalitätsanspruchs erhöhte sich weiter durch den Umstand, dass politischen Reformen in den Jahren bis 1958 eine nachrangige Priorität beigemessen wurde. In diesem Sinne schrieb das CGP, „c’est sur le terrain économique, sur le problème de la rapidité de la mise en valeur, que se joue l’avenir de la présence française en Afrique du Nord, bien plus que sur l’équipement politique“5. Politische Reformen könnten „le malaise social de la masse“ nicht beheben, meinte auch Generalgouverneur Soustelle6. „Le problème politique n’est certes pas mûr“, stimmte Joseph Begarra von den regierenden Sozialisten zu. „Il faut […], en attendant, prendre sur le plan économique et social, les mesures les plus urgentes“7. Damit stellten sich die gleichen Fragen wie zu Beginn der IV. Republik, gleichwohl in einer exponentiell gestiegenen Dringlichkeit. Welche volkswirtschaftliche Konzeption sollte der ökonomischen Integrationspolitik zugrunde gelegt werden und wie hoch würde das finanzielle Engagement der Metropole ausfallen? Ein zentraler Unterschied zur früheren Situation lag darin, dass der Maghreb nicht länger als Einheit betrachtet wurde. In Bezug auf Marokko und Tunesien ging es fortan darum, das sich anbahnende Ende der Protektorate vorzubereiten und französischen Einfluss über die Unabhängigkeit hinaus zu sichern. Diese außenpolitischen Interessen standen im Dienste des übergeordneten nationalen Ziels, das absolute Priorität genießen sollte: ‚L’Algérie, c’est la France, koste es, was es wolle‘.

1.2 Die finanzielle Opferbereitschaft Nach dem Ausbruch des Krieges konnte sich Paris der chronischen Unterfinanzierung Algeriens nicht länger verschließen, ohne den Rebellen in die Hände zu spielen und den Fortbestand Französisch-Algeriens zu gefährden. Aus der Rhetorik von Ministerien und Mandatsträgern wurde die Absicht erkennbar, die nationalistische Propaganda der Separatisten mit Investitionen zu ersticken8. Die Konzentration auf die ökonomischen Missstände und die vermeintlich bedingungslose 4 5 6

7 8

Erstes Zitat: François Quilici (RI), in: JOAN, 28.07.1955, S. 4431. Zweites Zitat: Innenminister Maurice Bourgès-Maunoury (RRS), in: JOAN, 29.07.1955. ANOM, FM 81F 2248: CGP, Projet de Rapport, la production agricole en AFN, S. 56. Im Gegensatz zu anderen Befürwortern der Integrationspolitik leugnete Soustelle den Bedarf politischer Reformen nicht und verwies ebenso auf „le malaise politique de l’élite“. Er sprach sich für die Einführung des ‚Collège unique‘ mit langfristiger Zwei-Drittel-Mehrheit für die Algerier aus. Zitat: AN, Fonds Edgar Faure, AP 505 (II) 344: 01.06.1955, Note Soustelle, Situation en Algérie, S. 1. Soustelle: Aimée et souffrante Algérie, S. 74; 79; 241 Joseph Begarra, in: OURS, Comité Directeur, Procès verbaux 1954/55, 08.12.1954, S. 3. Marcel Paternot (RI), in: JOAN, 12.11.1954, S. 4947. Er forderte gleichzeitig „des sanctions impitoyables“ gegen die Terroristen. JOAN, 10.12.1954, S. 6959. Paternot wurde in Algerien und saß von 1951 bis 1956 für das Département Algier im Parlament. Seine Familie besaß mehrere Weingüter im Land.

1. Der Maspétiol-Bericht und seine Folgen

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Opferbereitschaft des französischen Parlaments ließen eine drastische Erhöhung des finanziellen Engagements erwarten. Innenminister Mitterrand gab indes im November 1954 eine leichte Aufstockung der Finanzhilfen auf 40 Milliarden Francs bekannt. Er schränkte ein, diese Summe liege unterhalb des tatsächlichen Bedarfs Algeriens, für höhere Zuwendungen fehle aber der finanzielle Spielraum. Die Maßnahme verdiene dennoch Lob, da sie über alles hinausgehe, was vorherige Regierungen beschlossen hätten9. Zahlreichen Abgeordneten ging dies nicht weit genug. „Ce ne sont pas quelques milliards, ce sont des sommes énormes que nous devons donner à l’Algérie“, gab Jacques Fonlupt-Esperaber zu bedenken10. Georges Blachette, franko-algerischer Großgrundbesitzer und einflussreicher Abgeordneter des Départements Algier, nannte 100 Milliarden Francs als Betrag, den Algerien vor dem Hintergrund der demografischen Herausforderung jährlich von der Metropole benötige11. Auch sein über nicht minder großen Einfluss in Algier und Paris verfügende Kollege René Mayer verlangte vom Hexagon stärkere Anstrengungen12. Bei diesen Forderungen nach finanzieller Zuwendung Frankreichs darf nicht übersehen werden, dass die Bestätigung der Budgetautonomie Algeriens im Statut von 1947 nicht gegen, sondern in Absprache mit der frankoalgerischen Elite beschlossen worden war. Zudem war die Misere der muslimischen Bevölkerung nicht nur durch die Unterfinanzierung der algerischen Départements entstanden. Die ungerechte Verteilung der vorhandenen Ressourcen hatte ebenfalls zu dieser Entwicklung beigetragen. Letztlich entsprachen selbst die genannten 100 Milliarden Francs nicht dem realen Investitionsbedarf Algeriens. Lucien Peyrassol bezifferte diesen auf dem Parteikongress der SFIO im Sommer 1955 auf 400 bis 500 Milliarden Francs pro Jahr. „Pour nous les réalistes que nous sommes, de savoir où nous allons prendre de pareilles sommes“13. Die beschlossenen 40 Milliarden Francs konnten daher vergleichsweise wenig bewirken. Salah Boukouir, einer der höchsten muslimischen Vertreter in der Generalregierung, lobte dennoch einen ersten Aktionsplan, der eine zusätzliche Förderung der Industrialisierung im Umfang von 20 Milliarden Francs pro Jahr vorsah. 30.000 Arbeitsplätze sollten auf diesem Wege binnen drei Jahren entstehen, „ce serait déjà énorme“14. Bei bis zu einer Million Arbeits9 François Mitterrand (UDSR), in: JOAN, 24.11.1954, S. 5360. 10 Jacques Fonlupt-Esperaber (MRP), in: JOAN, 11.10.1955, S. 5026. Fonlupt-Esperaber gehörte zu den kritischen Befürwortern der Integrationspolitik. Er beanstandete das exzessive Vorgehen der französischen Sicherheitskräfte und sah in den jahrzehntelangen Versäumnisse und Ungleichheiten in Algerien die Ursache für die Rebellion. Damit Algerien Teil Frankreichs bleiben könne, müsse deutlich mehr für die ökonomische Entwicklung getan und müssten die Algerier als gleichwertige Franzosen anerkannt werden. 11 Georges Blachette (RI), in: JOAN, 04.02.1955, S. 753. 12 René Mayer (RRS), in: JOAN, 03.02.1955, S. 666 und JOAN, 09.12.1954, S. 6028. 13 Lucien Peyrassol, in: OURS, SFIO, 47e Congrès National, Asnières, 20 Juin–3 Juillet 1955, S. 518. Die Schätzung Peyrassols entsprach der später im Constantine-Plan veranschlagten Summe aus öffentlichen und privaten Investitionen. 14 ANOM, ALG GGA 7F 147: Problèmes d’industrialisation de l’Algérie, M. Bouakouir, Commissaire du Gouvernement, le 23 Juin 1955, S. 19f.

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losen und Unterbeschäftigen war das Projekt gleichwohl ein Tropfen auf den heißen Stein. Generalgouverneur Léonard erinnerte den Innenminister Anfang 1955 zum wiederholten Male daran, „l’effort que nous développons en Algérie pour accroître sa productivité et pour donner du travail à la population est nettement insuffisant“15. In ähnlicher Weise äußerte sich die ‚Commission de l’économie de l’Union française‘. Die Mittel und Ziele des Zweiten Entwicklungsplans für Algerien seien völlig unzureichend, um eine Verbesserung der kritischen Situation herbeizuführen16.

Maspétiols Szenario Im Juni 1955 legte eine von der Regierung eingesetzte Kommission unter Vorsitz von Roland Maspétiol den bereits erwähnten Bericht über die Neugestaltung der finanziellen Beziehungen zwischen Metropole und Algerien vor, der für die nächsten zweieinhalb Jahre die finanzpolitische Grundlage des Regierungshandelns wurde17. Die Studie legte sechs Szenarien vor, wie sich die algerische Wirtschaft in Abhängigkeit von der Höhe der französischen Finanzhilfen in den nachfolgenden Jahren entwickeln könnte. Zu allererst fällt auf, dass sich die Regierung, der Empfehlung des Maspétiol-Berichts folgend, für das Szenario mit der mittleren Belastung für den französischen Haushalt und einer dementsprechend moderaten Zielsetzung entschied. Offensichtlich wurde die Situation nicht als ausreichend dramatisch eingeschätzt, um einen höheren Beitrag seitens der Metropole rechtfertigen zu können; oder aber es fehlte schlichtweg die entsprechende Opferbereitschaft. Vorgesehen war eine jährliche Erhöhung des französischen Zuschusses zum algerischen Investitionsbudget von 15 Milliarden Francs, was die Regierung als „effort particulier“ bezeichnete, da sie sich gleichzeitig der Haushaltsdisziplin verpflichtet sehe18. Ausgehend von etwa 46 Milliarden Francs im Jahr 1955 sollte die Finanzhilfe bis 1962 auf 150 Milliarden Francs anwachsen und dann auf diesem Niveau verharren19. Ferner kalkulierte die Kommission mit steigenden privaten Investitionen in etwa gleichem Umfang. Auf diese Weise sollte ein jährliches Wirtschaftswachstum mit entsprechend erhöhtem privaten Konsum von 6,3 Pro-

15 AN, 363 AP 32: 03.01.1955, GG, Léonard, à MI, très secret, S. 4. Schon in einer Note vom 01.07.1954 hatte sich Léonard ähnlich geäußert. 16 ANOM, FM 81F 1794: 07.02.1955, Situation économique et sociale en Algérie, Avant-Projet de Rapport, André Ruiz, Commission de l’Économie de l’Union française, S. 18. 17 Maspétiol war als Berater für die Regierung tätig. Später leitete er die ‚Société française d’économie rurale‘. Vgl. Boussard, Isabel: Roland Maspétiol. Une figure marquante de l’Économie Rurale, in: Économie rurale, 223 (1994), S. 3–5, hier S. 3. 18 ANOM, FM 81F 1796: 07.10.1955, MFE au MI, S. 3. Insbesondere das Finanzministerium drängte darauf, nicht in eine expansive Ausgabenpolitik zu verfallen. AN, 4 AG 1–12, Conseil des Ministres: 30.01.1957. 19 Budget, 1955, S. 7 und Rapport Maspétiol, S. 17.

1. Der Maspétiol-Bericht und seine Folgen

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zent ermöglicht werden, von dem es allerdings den Bevölkerungszuwachs von 2,5 Prozent abzuziehen galt. Es verblieben theoretisch 3,8 Prozent. Für die Metropole wurde eine Steigerung des BIPs von 3 Prozent zugrunde gelegt. Die MaspétiolKommission glaubte demnach, die Einkommensschere zwischen Algerien und Frankreich um jährlich 0,8 Prozent der algerischen Wirtschaftsleistung reduzieren zu können. Eine einfache Überschlagrechnung verdeutlicht, dass dieser Plan de facto auf das Gegenteil hinauslief. Ausgehend von einer Pro-Kopf-Produktion von 400.000 Francs in Frankreich und 86.000 Francs in Algerien ergäbe sich nach 41 Jahren folgende Situation20: Die demografisch bereinigte algerische Wertschöpfung pro Einwohner wäre auf etwa 400.000 Francs und somit auf das französische Ausgangsniveau gewachsen, was einem Steigerungsfaktor von 4,6 entspräche. Der französische Steigerungsfaktor betrüge zwar nur 3,4, was in absoluten Zahlen jedoch einer Pro-Kopf-Produktion von 1,344 Millionen Francs entsprach. Somit verdreifachte Maspétiols Modell den Einkommensvorsprung der Metropole von 314.000 auf 944.000 Francs pro Einwohner. Solange die französische Wirtschaft in normalem Umfang wuchs, war eine Angleichung der Lebensverhältnisse, auch im großzügigsten der sechs Szenarien, nicht zu erreichen. Denkbar wäre diese nur unter der unrealistischen Annahme gewesen, dass die Metropole zugunsten Algeriens über Jahrzehnte hinweg die eigene Wirtschaftskraft gedrosselt hätte. Der Sprecher der Finanzkommission des französischen Parlaments, Senator Pellenc, kam daher nicht umhin, die Zielsetzung des Maspétiol-Berichts zu kritisieren: „Cet objectif conduit, non pas à une réduction, mais à un approfondissement lent de ce fossé déjà trop profond“21. Eine zeitgenössische Studie prüfte die Berechnungen der Maspétiol-Kommission intensiv unter Berücksichtigung variierender Annahmen über die demografische und ökonomische Entwicklung Algeriens. Sie gelangte zu einem ähnlichen Ergebnis. „Même dans l’hypothèse vraiment optimiste, l’écart s’accentuerait encore entre le niveau de vie de la métropole et celui de l’Algérie musulmane“. Dass der Autor den Plan dennoch als „le travail le plus avancé, qui ait été fait pour l’Algérie“ würdigte, offenbart, wie wenig sich Frankreich zuvor in den algerischen Départements engagiert hatte22. Maspétiol rechtfertigte die geringen Steigerungsraten bei den Investitionen mit der begrenzten Absorptionsfähigkeit der algerischen Volkswirtschaft23. Finanzexperten stimmten ihm grundsätzlich zu. „Il est évident que, si l’on investissait par exemple 400 milliards de crédits d’un seul coup dans l’économie algérienne, cela se traduirait simplement par une augmentation brutale des importations et que la plupart de ces revenus passerait à côté de l’appareil productif“, er-

20 ANOM, FM 81F 177: 10.1958, Note, intégration totale de l’Algérie, Mission d’études, S. 4. 21 ANOM, FM 81F 1794: 10.02.1956, Note budgétaire, Commission des Finances, S. 35. 22 Tabah, Léon: La population algérienne. Croissance, niveau de vie, investissements, in: Population, 3 (1956), S. 429–460, hier S. 444; 451. 23 Rapport Maspétiol, S. 20.

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klärte Claude Tixier, Generaldirektor der Finanzen24. „L’Algérie est d’ailleurs hors d’état d’absorber des investissements aussi massifs“, bekräftigte Georges Bérard-Quélin25. „Au-delà d’un certain chiffre“, stellte der renommierte Demograf und Wirtschaftshistoriker Alfred Sauvy fest, „il y a paradoxalement une impossibilité de dépenser, nous voulons dire de dépenser utilement“26. An anderer Stelle hieß es, für eine rationale wirtschaftliche Entwicklung Algeriens sei es unabdingbar, das Gleichgewicht zwischen Konsum und Investitionen zu bewahren. Anderenfalls drohe ein Effizienzverlust durch unproduktive Anlagen27. Diese Einschätzungen waren prinzipiell zutreffend. Ein Entwicklungsland wie Algerien konnte unmöglich die gleichen Pro-Kopf-Investitionen absorbieren wie die Metropole, ohne dabei die Grenzen der Rationalität zu überschreiten. Die wirtschaftliche Angleichung konnte somit nur progressiv und über einen langen Zeitraum gelingen. Damit drängte sich unweigerlich die Frage auf, ob ein entsprechend langfristiges Integrationsprojekt Mitte der 1950er Jahre ein realistisches Unterfangen war. Der im Grundsatz zutreffenden Kritik waren gleichwohl mehrere Einschränkungen entgegenzuhalten. Nur zu einem Teil wurde die Grenze der algerischen Absorptionsfähigkeit von produktiven Investitionen durch die wirtschaftlichen und natürlichen Gegebenheiten vor Ort definiert. Ein zentraler limitierender Faktor war der fehlende detaillierte Entwicklungsplan. Der Maspétiol-Bericht beschränkte sich weitgehend auf die finanziellen Beziehungen zwischen Algerien und Metropole. Er beinhaltete keine konkreten Maßnahmen, Investitionsprojekte und Handlungsstrategien zur Förderung der Ökonomie. Ohne diese blieben die Möglichkeiten für wirtschaftliche Anlagen notgedrungen begrenzt. Ein entsprechendes Konzept wurde jedoch erst 1958 vorgelegt. Ferner senkten der koloniale Esprit in der franko-algerischen Wirtschaft und politische Hierarchien zwischen dem Hexagon und Nordafrika die generelle Handlungsbereitschaft und das Wirkungspotential möglicher Maßnahmen. Für private Investoren gab es noch immer keine attraktiven Anreizmechanismen, um sie zu mehr Engagement zu verleiten. Vielerorts fehlten ökonomische und administrative Basisstrukturen. Im sozialen Bereich und im Bildungssektor gab es ebenfalls erhebliche Missstände. Die im Maspétiol-Bericht vorgesehenen Gelder reichten mitnichten aus, diesen gewaltigen Investitionsbedarf zu befriedigen. Obwohl die Grenze der Absorptionsfähigkeit von Investitionen durch das fehlende ordnungspolitische Engagement limitiert wurde, konnte somit von einer Ausfinanzierung Algeriens keine Rede sein. Es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, dass sich Metropolinstanzen aus Kos-

24 ANOM, ALG GGA 7F 110: M. Tixier, Directeur général des Finances, projet de Budget de 1956/1957, S. 6. 25 Bérard-Quélin: Que coûtera l’Algérie, S. 17.387. Ähnlich: ANOM, FM 81F 177: 10.1958, Note, intégration totale de l’Algérie, Mission d’études, S. 4 26 Sauvy, Alfred: Et vous, voulez-vous être „intégré“?, in: L’Express, (1958). (Vgl. ANOM, FM 81F 39). 27 ANOM, FM 81F 30: Note sur les recommandations du groupe d’étude Maspétiol, S. 2.

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tengründen hinter einem ökonomischen Argument versteckten und sich der realen Situation verschlossen. Aufgrund einiger höchst fragwürdiger Annahmen verlor der MaspétiolBericht zusätzlich an Überzeugungskraft. Angesichts des französischen Wirtschaftswachstums von etwas über 5 Prozent im Jahr 1954 machte die bei den Szenarien zugrunde gelegte Zahl von 3 Prozent wenig Sinn. Sie widersprach zudem den offiziellen Zielen des Zweiten Entwicklungsplans für die Metropole, der ein jährliches Wirtschaftswachstum von 4,4 Prozent für die Periode 1954 bis 1957 anpeilte28. De facto musste daher von einer noch deutlicheren Öffnung der Einkommensschere ausgegangen werden. Von großem Optimismus zeugte darüber hinaus die Annahme einer paritätischen Beteiligung der Privatwirtschaft an den Gesamtausgaben. Seit Beginn der IV. Republik kennzeichnete nicht nur die Zurückhaltung externer privater Investoren den algerischen Investitionsmarkt, sondern ebenso ein Exodus von ansässigem Kapital. „Pour des raisons politique ou économique, les occasions d’investir sont jugées moins rentables en Algérie qu’ailleurs, et notamment, en Métropole“29. Zwar fertigte der Maspétiol-Bericht seine Kalkulationen zu einem Zeitpunkt an, als der Algerienkrieg noch als regional begrenzter Konflikt wahrgenommen wurde. Dennoch hätte davon ausgegangen werden können, dass sich die militärische Auseinandersetzung negativ auf das Engagement der Privatwirtschaft auswirken würde. Gerade weil der Plan darauf abzielte, Algerien bei der Finanzierung zukünftiger Ewicklungsprogramme stärker selbst in die Pflicht zu nehmen, hätten deutlichere fiskalpolitische Anreize geschaffen werden müssen, um Unternehmen zu Investitionen in den algerischen Départements zu bewegen30. Die Budgetautonomie gewährte der Generalregierung jedoch kaum Spielraum in dieser Hinsicht. Es war daher zweifelhaft, ob der private Beitrag von 210 Milliarden tatsächlich erreicht werden konnte. Realistischer erschien die Annahme, dass eine erhebliche Investitionslücke entstehen würde31.

28 De Fleurieu: Les grandes lignes du Second Plan, S. 325. 29 ANOM, FM 81F 1794: 10.02.1956, Note budgétaire, Commission des Finances, S. 36f. Nach Rivet wurden Anfang der 1950er Jahre etwa 40 Prozent der privaten Ersparnisse Algeriens in die Metropole exportiert. Grund hierfür sei fehlendes Vertrauen in die Zukunft FranzösischAlgeriens gewesen. Rivet: Le Maghreb à l’épreuve, S. 257. Elsenhans bestätigt den stetigen Abfluss privaten Kapitals nach 1945. Elsenhans: La guerre d’Algérie, S. 228. Demgegenüber verzeichnete eine Publikation aus dem Jahr 1952 „une accumulation de capital considérable“ in Nordafrika. Dresch: La situation économique, S. 228. Die ‚Banque de l’Algérie et de la Tunisie‘ widersprach dem Phänomen des „désinvestissements“ und führte den bilanzierten Kapitalexport auf die Transfers der in Algerien stationierten französischen Soldaten zurück. ANOM, FM 81F 1797: Banque de l’Algérie et de la Tunisie, Exercice 1957, S. 12. Marseille widmete dem Thema eine Studie: Marseille, Jacques: Une approche économique et financière de la décolonisation. L’évolution des bilans des entreprises coloniales, in: Les chemins de la décolonisation, hg. v. Ageron, S. 165–171. 30 Rapport Maspétiol, S. 17. 31 ANOM, FM 81F 1794: 10.02.1956, Note budgétaire, Commission des Finances, S. 37.

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Das Missverhältnis zwischen der offiziellen Strategie, den Algeriern die Unabhängigkeit durch eine rasche und spürbare Verbesserung ihrer Lebensbedingungen als unattraktive Option erscheinen zu lassen, und den dafür aufgewendeten Mitteln war frappierend. Auch der Verweis auf Haushaltszwänge überzeugte nicht. Zwar stellte Ministerpräsident Mollet seine Landsleute auf Einschnitte ein, da die Anstrengungen in Nordafrika durch Einsparungen an anderer Stelle finanziert werden müssten32. So sollten 1957 offiziell 250 Milliarden Francs im Haushalt eingespart und 150 Milliarden Francs durch zusätzliche Steuereinnahmen generiert werden33. Theoretisch hätte das Staatsdefizit somit um 400 Milliarden Francs auf etwa 200 Milliarden Francs gesenkt werden können. In der Praxis waren die Pläne kaum realisierbar, da nach Abzug aller fixen Kosten wie Zinsen, Gehälter, Pensionen und Sozialleistungen kaum noch finanzieller Spielraum bestand34. Ferner setzte die Regierung eine expansive Sozialpolitik zugunsten der Metropolfranzosen durch. Die Ausgaben der Sozialversicherung stiegen von 1955 bis 1958 um 50 Prozent35. Allein die finanziellen Zugeständnisse an die Staatsdiener schlugen binnen zwei Jahren mit 268 Milliarden Francs zu Buche36. Angesichts solcher Summen konnten 15 Milliarden Francs an zusätzlichen Investitionen schwerlich als enorme finanzielle Anstrengung zum Wohle FranzösischAlgeriens bezeichnet werden.

32 OURS, AGM, 67: 28.04.1956, Discours prononcé par M. Guy Mollet à l’issue du banquet du Comité d’études Régionales, Économiques et Sociales, S. 2. 33 Guy Mollet (SFIO), in: JOAN, 17.05.1957, S. 2566. 34 Auf diesen Umstand verwies Henri Dorey (MRP) im Parlament. JOAN, 14.03.1957, S. 1601. Auch die Budget-Direktion zog die Haushaltsplanung für 1957 in Zweifel. MFE, B 0016074: 20.12.1956, Perspectives du budget de 1957, Direction du Budget, S. 6. 35 La politique budgétaire, II, S. 17. 36 OURS, AGM 74: 27.12.1956, Direction du Budget, Perspectives des budgets 1958 à 1961, S. 2.

2. Die (neue) Rolle der Landwirtschaft

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2. DIE (NEUE) ROLLE DER LANDWIRTSCHAFT „L’Algérie est condamnée à vivre de la terre“, (Maurice Violette, 1954)37

Die ersten beiden Entwicklungspläne für Nordafrika hatten im Geist des Kolonialpakts gestanden, ein Großteil der Förderung war in den primären Sektor geflossen. Nach dem Beginn des Aufstands im November 1954 mehrte sich die Kritik an dieser volkswirtschaftlichen Konzeption. Die lange Zeit bewusst vernachlässigte Industrialisierung galt nunmehr als Ausweg aus der sozialen und wirtschaftlichen Krise des Landes. Nicht alle Politiker waren von dieser Neuausrichtung überzeugt. Maurice Violette erteilte den großen Hoffnungen, die quasi über Nacht vom primären auf den sekundären Sektor übertragen wurden, ohne dass sich die ökonomischen Rahmenbedingungen verändert hätten, eine klare Absage. Selbst in Jahrzehnten gerechnet sei es unrealistisch, Millionen von industriellen Arbeitsplätzen zu schaffen. Unterstützung kam aus der ‚Assemblée de l’Union française‘. „Quels que soient les espoirs placés dans les autres secteurs de l’économie, c’est dans l’agriculture qu’il faudra principalement rechercher l’augmentation du revenu algérien“38. Welchen Beitrag zur ökonomischen Entwicklung aber konnte eine Landwirtschaft tatsächlich leisten, aus der drei Viertel der Algerier ihren Lebensunterhalt zogen, deren Anteil an der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung sich jedoch zwischen 1950 und 1954 von 37 auf 33,5 Prozent verringert hatte? Konnte eine strukturelle Reform des Agrarsektors die Probleme von Arbeitslosigkeit und Armut beheben?

Landverteilung Über die Größe der gesamtalgerischen Anbaufläche geben Quellen und Forschungsliteratur sehr unterschiedliche Auskünfte39. In der Folge wird mit 6,7 Millionen Hektar ein Mittelwert zugrunde gelegt, der sich auf die landwirtschaftlich profitabel nutzbare Anbaufläche bezieht. Auch hinsichtlich der in der Landwirtschaft tätigen Personen gehen die Angaben weit auseinander. Teilweise wurde die 37 Maurice Violette (RRS), in: JOAN, 09.12.1954, S. 6069. 38 ANOM, FM 81F 1794: Proposition de l’Assemblée de l’Union française du 22 mars 1956, S. 83. 39 Die 3,45 Millionen Hektar bei Jean Blanchard (Le problème algérien. Réalités et perspectives, PUF, Paris, S. 4.) beziehen sich ebenso wie die 4,5 Millionen Hektar bei Dresch (La situation économique, S. 224) auf die kultivierte Fläche. 6,7 Millionen Hektar ergeben sich aus der Angabe, in Algerien stünden 0,7 Hektar kultivierbares Land pro Einwohner zur Verfügung. Vgl. Giraud, Maurice: Le crédit en Algérie, in: Industrialisation de l’Afrique du Nord, S. 105–118, hier S. 105. Eine mit etwa 7,5 Millionen Hektar etwas höhere Notiz findet sich bei: Connaissance de l’Algérie, 8 (1956): Les facteurs économiques et sociaux, S. 1. (Vgl. ANOM, FM 81F 1794). Eine Angabe von 14,25 Millionen Hektar beinhaltete zusätzlich ungenutzte Flächen, unabhängig von deren tatsächlichem Produktionspotential. Vgl. Mainguy, Maurice: Le pétrole et l’Algérie, Éd. Du Cerf, Paris, 1958, S. 67.

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Anzahl der Betriebe angegeben, dann wieder die Summe von Beschäftigten und Landwirten. Eine exakte Kategorisierung war zudem schwierig, da zahlreiche Algerier kleine Flächen bewirtschafteten und parallel als Landarbeiter tätig waren. Die folgenden Zahlen sind somit als Größenordnungen zu betrachten, die sich durch den Abgleich mehrerer Quellen und Arbeiten ergeben40. 25.000 ‚Pieds noirs‘ und 150.000 Algerier führten moderne landwirtschaftliche Betriebe. Hinzu kamen 500.000 muslimische Landwirte, die mit traditionellen bzw. rudimentären Methoden wirtschafteten. Zusätzlich waren zwei Millionen Algerier dauerhaft, als Saisonarbeiter oder als Tagelöhner in diesem Sektor tätig. Aus diesen Daten lässt sich eine durchschnittliche Anbaufläche von etwa 10 Hektar pro Landwirt errechnen. Diese Zahl verdeckt gleichwohl die sehr ungleiche Verteilung41. Im Durchschnitt bewirtschaftete ein franko-algerischer Betrieb so viel Land wie zwanzig muslimische Kleinbauern zusammen genommen. Oder in Anbaufläche pro Landwirt ausgedrückt: 110 Hektar pro Algerierfranzose, 80 Hektar für die modernen Farmen von Algeriern und 5,5 Hektar für die algerischen Kleinbauern42. Da 15 bis 25 Hektar als Mindestgröße für intensive Landwirtschaft galten, schätzte der Agrarexperte René Dumont, „qu’environ 70 % des exploitations musulmanes nord-africaines sont trop petites pour être normalement viables“43. Größere und fruchtbarere Ländereien und fortschrittlichere Anbaumethoden führten dazu, dass die kleine franko-algerische Minderheit knapp 60 Prozent des landwirtschaftlichen BIPs erwirtschaftete44. Bei den Durchschnittswerten gilt es zu bedenken, dass die Verteilung auch innerhalb der drei Kategorien sehr unterschiedlich war. Großgrundbesitzer und Agrargesellschaften verzerrten insbesondere die durchschnittliche Anbaufläche der Algerierfranzosen. Daraus erwuchsen zahlreiche Stereotypen, die häufig auf die gesamte franko-algerische Bevölkerung übertragen wurden, obgleich lediglich 2,5 Prozent als Landwirte tätig waren. Wenn von ‚Pieds noirs‘ die Rede war, dachten nicht wenige Franzosen an riesige Ländereien und ungeheure Profite un-

40 Dabei wurde auf folgende Quellen und Arbeiten zurückgegriffen: MDN, 1 H 1107/1: GGA, recensement de la population 1954, T. 2, S. 21; Connaissance de l’Algérie, 8 (1956), S. 1; Mainguy: Le pétrole, S. 67. Amin: L’économie du Maghreb, S. 185; Lefeuvre: Chère Algérie, S. 79. 41 ANOM, FM 81F 192: 26.12.1961, Note sur l’origine des propriétés foncières européennes en Algérie. Dresch: La situation économique, S. 224 42 Als Vergleich: In Deutschland betrug die durchschnittliche Anbaufläche pro Landwirt im Jahr 2010 etwa 61 Hektar. Landwirtschaft verstehen. Fakten und Hintergründe, hg. v. Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Mai 2013, S. 7. Online einsehbar unter: http://www.bmelv.de/SharedDocs/Downloads/Broschueren/Landwirtschaftverstehen.pdf?__blob=publicationFile). 43 Dumont, René: Les données agricoles du problème, in: Industrialisation de l’Afrique du Nord, S. 48–74, hier S. 49. Parlament und Ministerien griffen etwa in der Weinpolitik auf die Expertise Dumonts zurück. 44 Lefeuvre: Chère Algérie, S. 79.

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ter Ausbeutung der Muslime45. Dieses Bild des kolonialen Großgrundbesitzers erzeugte Antipathien, was eine rückblickende Äußerung des früheren Generalresidenten in Marokko, André-Louis Dubois, belegt. So seien die Opfer vieler Anschläge des FLN Lehrer gewesen, „surtout des non-exploitants, de ceux qui apportent beaucoup et ne prennent rien“46. Der ‚Pied noir‘ und spätere Abgeordnete Marc Lauriol schrieb im Jahr 1956 in Bezug auf die Fehlwahrnehmung der Algerierfranzosen, „l’élément européen habitant l’Algérie est le plus gravement méconnu dans la Métropole“47. Ihren Ursprung fanden die ungleiche Verteilung der kultivierbaren Flächen und die daraus resultierenden Schwierigkeiten der Kleinbauern zum einen in der bevorzugten Förderung der franko-algerischen Landwirtschaft im Rahmen der Entwicklungspläne, zum anderen in den zurückliegenden Enteignungswellen. Im Rahmen der Kolonialisierung und in Reaktion auf politische Aufstände hatte die muslimische Bevölkerung hunderttausende Hektar Land an den Staat abtreten müssen, der diese dann an französische Siedler vergab. Weitere Ländereien wurden käuflich von Franzosen erworben, wobei sich dahinter nicht immer ein fairer Handel zwischen gleichberechtigten Geschäftspartner verbarg48. Die einzige nennenswerte Landreform zugunsten der Muslime wurde unter dem Régime von Vichy umgesetzt. 20.000 Hektar wurden damals neu verteilt49.

Landreform Die algerischen Böden seien an der Ertragsgrenze angelangt, stellte Chérif SidCara vor der Nationalversammlung fest50. Tatsächlich belief sich das jährliche 45 Jean-François Eck (Interview) erinnert sich, es habe zahlreiche Vorurteile gegeben, „qui consistaient à dire que les pieds-noirs étaient tous des exploiteurs du peuple algérien“. Gestützt auf Zeitzeugenberichte und persönliche Dokumente analysiert Jean-Charles Jauffret die von Neugier, Vorurteilen, Unverständnis und Solidarität mit den ‚Pieds noirs‘ geprägte Wahrnehmung Algeriens und seiner Menschen durch französische Soldaten in der Zeit des Krieges. Jauffret, Jean-Charles: Soldats en Algérie (1954–1962). Expériences contrastées des hommes du contingent, Éd. Autrement, Paris, 2000. 46 Dubois, André-Louis/Sergent, Pierre: Le malentendu algérien. 12 ans après…, Fayard, Paris, 1974. Das Werk gibt eine Diskussion zwischen Dubois und Pierre Sergent, einem ehemaligen Offizier und Mitglied der ‚Organisation d’Armée Secrète‘ (OAS), wieder. 47 Lauriol, Marc: L’Algérie angoissée, Baconnière, Paris, 1956, S. 25. Nach Einschätzung des deutschen Literaturwissenschaftlers Wolfgang Albes wurden auch franko-algerische Schriftsteller weitgehend ignoriert. Albes, Wolfgang: Les écrivains pieds-noirs face à la guerre d’Algérie (1954–1962). Albert Camus, Jean Brune, Roger Curel, Robert Marle, Janine Montupet, Marcel Moussy, Jean Pélégri, Emmanuel Roblès, André Rosfelder, Jules Roy, Atlantis, Friedberg, 2012. Albes’ These muss zumindest in Bezug auf Albert Camus widersprochen werden. 48 ANOM, FM 81F 192: 26.12.1961, Note sur l’origine des propriétés foncières européennes en Algérie; Rivet: Le Maghreb, S. 174–177; Quinn: The French overseas empire, S. 127. 49 Lefeuvre: Chère Algérie, S. 220. 50 Chérif Sid-Cara (UR), in: JOAN, 09.12.1954, S. 6089.

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Wachstum der landwirtschaftlichen Erzeugung in Algerien von 1880 bis 1955 auf durchschnittlich 1,5 Prozent, was bei einem Bevölkerungswachstum von 1,8 Prozent im selben Zeitraum eine rückläufige Pro-Kopf-Produktion bedeutete51. Im Gegensatz zu Marokko, wo unerschlossene fruchtbare Gebiete zur Verfügung standen, hatte Algerien die maximale Ausdehnung der Landwirtschaft Anfang der 1950er Jahre weitestgehend erreicht. Tendenziell war eine rückläufige Entwicklung zu beobachten, da jedes Jahr durch Erosion etwa 30.000 Hektar nutzbare Böden verloren gingen52. Hohe Kosten und niedrige Budgets begrenzten die jährliche Restauration auf 10.000 Hektar53. Studien zufolge hätten durch kostspielige Maßnahmen maximal 100.000 Hektar an zusätzlicher Anbaufläche zurückgewonnen werden können, was weniger als einem Sechzigstel der kultivierten Fläche entsprach. Da die Größe der landwirtschaftlich nutzbaren Areale in Algerien eher abnehmend, das Ausmaß der sozio-ökonomischen Probleme jedoch stark zunehmend war, wurden nach dem Ausbruch des Unabhängigkeitskriegs die Rufe nach einer Landreform lauter54. Es vergingen gleichwohl anderthalb Jahre, bis Algerienminister Lacoste reagierte und im Frühjahr 1956 die ‚Caisse d’accession à la propriété et à l’exploitation rurale‘ (CAPER) ins Leben rief. Sie sollte Ländereien aufkaufen bzw. enteignen und an die bis dahin landlose Bevölkerung vergeben, der darüber hinaus technische und finanzielle Unterstützung zuteilwerden sollte. Als „un impératif social“, bezeichnete die Regierung ihr Maßnahmenpaket55. Die politische Notwendigkeit einer Landreform stand außer Frage, zeugte die bisherige Situation doch von einer erheblichen Benachteiligung großer Teile der algerischen Population. Um die Integrationspolitik und die dahinter stehende Idee „Algerien ist Frankreich“ glaubhaft zu vertreten, durften gerade die Missstände in der Landwirtschaft nicht ignoriert werden, die vielen als Paradebeispiel für kolonialistische Auswüchse galten. Das ökonomische Wirkungspotential einer Neuverteilung wurde jedoch durch eine ganze Reihe von Faktoren begrenzt. Aufgrund jahrzehntelang kaum vorhandener Möglichkeiten zur Aus- und Weiterbildung und zum Landerwerb fehlte es der muslimischen Bevölkerung vielfach an ausreichenden Kenntnissen für die moderne Landwirtschaft. Eine umfangreiche Enteignung rentabler Großbetriebe zugunsten kleiner und besitzloser Landwirte barg somit die Gefahr von Effizienz- und Produktionsverlusten. ‚Le Monde‘ empfahl daher, in einer Übergangsphase zunächst die landwirtschaftliche Bildung zu forcieren und eine materielle Umverteilung über eine höhere Besteuerung der großen Agrarge-

51 Amin: L’économie du Maghreb, S. 112. 52 Der renommierte Agrarwissenschaftler René Dumont war mit seiner Kritik an der extensiven Ausbreitung der Landwirtschaft ohne Rücksicht auf die Belastbarkeitsgrenzen der Natur nicht auf Gehör gestoßen. Dumont, René: Évolution récente et perspectives de l’agriculture nordafricaine (= L’Observation économique étude spéciale 3), L’Observation économique, Paris, 1949, S. 4ff. 53 Dumont: Les données agricoles, S. 53. 54 Etwa Maurice Violette (RRS), in: JOAN, 09.12.1954, S. 6069. 55 Décret no56–291 du 26 mars 1956. Vgl. JORF, 27.03.1956, S. 2931.

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sellschaften und eine Anhebung der Löhne zu erreichen56. Unabhängig von diesen Überlegungen setzte die für die Umverteilung zur Verfügung stehende kultivierbare Gesamtfläche von 6,7 Millionen Hektar der Landreform natürliche Grenzen. Bei einer für profitables Wirtschaften benötigten Mindestgröße von 15 Hektar pro Betrieb blieb theoretisch Raum für 447.000 Höfe – weniger als es zum damaligen Zeitpunkt Landwirte gab. Letztlich galt es, politische und ökonomische Interessen abzuwägen. Je mehr Land umverteilt werden sollte, desto größer waren die zu erwartenden globalen Produktivitäts- und Einkommensverluste. Das Szenario der Regierung sah daher vor, die Umverteilung auf einige Großgrundbesitzer zu beschränken, um die Effizienz der Landwirtschaft als Ganzes nicht zu gefährden. Bis Februar 1957 wurden 80.000 Hektar Land aufgekauft bzw. nationalisiert, was 5.300 neuen Farmen entsprach57. Ein Jahr später kamen die Architekten des Entwicklungsprogramms ‚Perspectives décennales‘ zu dem wenig überraschenden Ergebnis, die nunmehr auf 250.000 Hektar erweiterte Agrarreform könne angesichts der beschriebenen Problematik nur einen sehr bescheidenen Beitrag für die ökonomische Zukunft Algeriens leisten58. Auf das Mittel der Enteignung musste die CAPER kaum zurückgreifen. Zweifel am Fortbestand Französisch-Algeriens veranlassten vor allem Großgrundbesitzer und Gesellschaften dazu, Ländereien an den Staat zu verkaufen und einen Teil ihres Kapitals vorausschauend zu liquidieren. Bis 1962 stand mit 350.000 Hektar mehr Land für die Neuverteilung zur Verfügung als ursprünglich geplant59. Maximal konnten dadurch 23.300 neue Höfe entstehen. Weniger Algerier als erwartet nahmen die ihnen angebotenen Ländereien an. Bis April 1960 wurden neue Anbauflächen an etwa 3.300 Familien vergeben60. Damit war klar, dass Reformprojekt weder die erhoffte politische Signalwirkung erzielt, noch einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der algerischen Landbevölkerung geleistet hatte.

Modernisierung Die Idee der Landreform war eng mit der Modernisierung der traditionellen Anbaumethoden verbunden. „Il faut passer d’une agriculture extensive à une agriculture intensive“. Nur auf diese Weise, so die Einschätzung eines Funktionärs, könne die globale Kaufkraft der in diesem Sektor wirtschaftenden Personen gesteigert

56 Le Monde, (30.11.1955): Drame et problèmes de l’Algérie. 57 Lefeuvre: Chère Algérie, S. 553f. 58 AN, F 12 11802: Mars 1958, Ministère de l’Algérie, Perspectives décennales, S. 176 und AN, F 12 11806: 31.03.1960, Plan de Constantine 1959–1963, Projet de rapport général, S. 76. 59 81.000 Hektar Land wurden insgesamt nationalisiert. Auf das Mittel der Enteignung griff die CAPER bei den Großgesellschaften ‚Compagnie algérienne‘ und ‚Compagnie genevoise‘ zurück. Vgl. Elsenhans: La guerre d’Algérie, S. 621ff. 60 Elsenhans: La guerre d’Algérie, S. 624.

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und die Armut bekämpft werden61. Sollte der letztlich unumgängliche Weg hin zu einer mechanisierten und effizienten Agrarwirtschaft eingeschlagen werden, standen gewaltige Herausforderungen bevor. Das Landwirtschaftsministerium rechnete bis zum Jahr 1965 mit einem Beschäftigungsrückgang von 50 Prozent in diesem Bereich. Im Weinbau war diese Entwicklung bereits spürbar. Von den einst 500.000 festen Beschäftigungsverhältnissen verblieben Mitte der 1950er Jahre noch 170.00062. Diese auf den ersten Blick bedrohlichen Aussichten mussten nicht zwangsläufig in einer sozialen Katastrophe münden. Durch eine engagierte Förderung von Bildung und Industrialisierung hätten die positive Effekte der „Schöpferischen Zerstörung“ verstärkt und die negativen Auswirkungen abgemildert werden können63. Die Mechanisierung der Landwirtschaft kostete nicht nur Arbeitsplatze, sie ließ auch neue Beschäftigung in der Industrie, im Service und im Handel entstehen. Die französischen Traktorenhersteller beispielsweise waren kaum in der Lage, die gewaltige Nachfrage in der Metropole zu befriedigen, so dass der algerische Markt Anfang der 1950er Jahre nur zu einem Sechstel bedient werden konnte64. Für die Zukunft stand ein wachsender Bedarf an landwirtschaftlichen Maschinen zu erwarten. Die sich bietende Chance zu Förderung und Ansiedlung entsprechender Industrien in Algerien ergriffen die Entscheidungsträger in Paris und Algier nicht. Stattdessen wurde ein Handelsabkommen mit den USA abgeschlossen, das amerikanischen Herstellern Zugang zum algerischen Markt gewährte65. Unabhängig von solchen Entscheidungen konnte die Transformation von einer Agrar- hin zu einer Industriegesellschaft nicht von einem auf den anderen Tag gelingen und so musste der Landwirtschaft während einer Umbruchphase weiter61 ANOM, FM 81F 56: Projet d’équipement de l’agriculture traditionnelle, Roger Colling, S. 2. 62 Cahiers Nord-Africains, 53 (1956): L’emploi de la main d’œuvre algérienne dans le cadre des Plans de modernisation et d’équipement, S. 5–21, hier S. 7; 9. 63 Das Konzept der ‚Schöpferischen Zerstörung‘ geht auf den Ökonom Joseph Schumpeter zurück. Schumpeter, Joseph A.: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, UTB, Stuttgart, 2005 (1942). 64 Der Zweite Entwicklungsplan für die Metropole gab vor, ihren Traktorenpark bis 1957 von 200.000 auf 350.000 zu erhöhen. De Fleurieu: Les grandes lignes du Second Plan, S. 326 und ANOM, FM 81F 1825: 16.12.1955, Note pour M. Thomas, Importations de tracteurs en Algérie. Der Bedarf Algeriens wurde Anfang der 1950er Jahre auf 6.000 Traktoren binnen vier Jahren geschätzt, der sich jedoch fast ausschließlich auf die franko-algerische Landwirtschaft bezog. ANOM, FM 81F 2009: Étude schématique du Plan quadriennal d’investissements de l’Algérie, S. 25. 65 ANOM, FM 81F 1805: 25.06.1955, Note, Création d’un Commissariat à l’industrialisation, S. 3. In einem anderen Dokument wird deutlich, dass die franko-algerischen Landwirte, sofern eine Wahlmöglichkeit bestand, häufig amerikanischen Fabrikaten den Vorzug gaben, die als qualitativ besser galten. ANOM, FM 81F 1825: 16.12.1955, Note pour M. Thomas, Importations de tracteurs en Algérie. Der Aufbau eigener Industrien in Algerien wurde dadurch jedoch nicht zwangsläufig erschwert, solange den lokalen Unternehmen der algerische Markt durch Schutzzölle garantiert oder durch steuerliche Vergünstigungen ein Wettbewerbsvorteil eingeräumt worden wäre. Da Frankreich seinen gesamten Außenhandel stark reglementierte, wäre dieser Schritt durchaus denkbar gewesen.

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hin eine hohe Bedeutung zukommen. Vor dem Hintergrund der beschriebenen Gesamtsituation und dem kräftigen Bevölkerungswachstum stand jedoch außer Frage, dass die Landwirtschaft die ihr zugewiesene Schlüsselrolle bei der ökonomischen Entwicklung Algeriens unmöglich erfüllen konnte. Wenig überraschend sank ihr Anteil am BIP Algeriens bis 1958 auf 26 Prozent66.

Komplementarität Für die Politik stellte sich die Frage, wie das vorhandene, wenngleich begrenzte Potential der algerischen Landwirtschaft am besten zur Entfaltung gebracht werden konnte. In der nach außenwirtschaftlicher Unabhängigkeit strebenden ‚Union française‘ kam dem Faktor der volkswirtschaftlichen Komplementarität eine sehr viel höhere Bedeutung zu als in liberalisierten Außenhandelssystemen. Aufgrund des französischen Preisniveaus, das im Durchschnitt 25 Prozent über jenem der Bundesrepublik und 26 Prozent über dem der USA lag, konnten etwaige Überschüsse häufig ohnehin nur mit Hilfe staatlicher Subventionen ins Ausland exportiert werden67. Obgleich der Kolonialpakt die produktiven Aufgaben zwischen Metropole und Überseegebieten theoretisch klar verteilt hatte, befand sich der landwirtschaftliche Binnenmarkt der Franczone nicht in einer Gleichgewichtssituation. Französische und nordafrikanische Agrarprodukte standen in Konkurrenz zueinander, vielfach herrschte ein Angebotsüberschuss. Um diesen Missstand zu beheben, wurden verschiedene Ansätze präsentiert. Kommunistische Abgeordnete regten an, die landwirtschaftliche Produktion Algeriens auf den lokalen Markt auszurichten. Um den vielerorts vorherrschenden Hunger zu überwinden, müsse der Anbau von Alimentationskulturen wie Getreide gefördert werden68. Das Innenministerium hingegen forderte, die Schwachstellen des Hexagons zu suchen „et voir si, compte tenu des conditions locales, de climat, de terrain et de maind’œuvre, on pourrait entreprendre ces cultures [en Algérie]“69. Unterstützend empfahl der parlamentarische Finanzausschuss, die Konkurrenzsituation zur Metropole durch eine Umstrukturierung des algerischen Agrarsektors aufzulösen70. Offiziell ging es diesen Akteuren darum, den Kolonialpakt zu überwinden und die ökonomischen Interessen Algeriens in den Fokus zu stellen. Tatsächlich waren

66 AN, F 12 11806: 31.03.1960, Plan de Constantine 1959–1963, Projet de rapport général, S. 11. 67 Zum Preisniveau: Arnaud-Ameller: La France à l’épreuve, S. 78 und Les statistiques de prix en France et en divers pays étrangers, INSEE, Paris, 1953. Zur Exportsubvention: MAE, CM, Bidault, 22: Ministère de l’industrie, P. 94. 68 René Justrabo, in: JOA, 24.03.1954, S. 171 und ANOM, FM 81F 2321: Rapport de la Commission des boissons sur la proposition de M. Waldeck Rochet tendant à limiter l’entrée des vins d’Algérie et d’Afrique du Nord, S. 3. 69 ANOM, FM 81F 13: 03.11.1955, MI, Les données du problème, S. 48. 70 MAE, MT, Maroc (II), 416: Rapport de Max Brusset, Commission des Finances. Eine ähnliche Empfehlung gab Pierre Moussa ab. Moussa: Les chances économiques, S. 90.

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auch ihre Argumentationen von hierarchischen Denkweisen geprägt. Die volkswirtschaftliche Situation des Hexagons nahmen sie als gegeben an; anzupassen hatte sich Algerien. Wenn die algerischen und die französischen Départements jedoch eine volkswirtschaftliche Einheit bildeten, hätten alleine Produktivitätsund Kostenvorteile und nicht politische Vorgaben die Arbeitsteilung bestimmen müssen71.

Zitrusfrüchte Relativ unproblematisch gestaltete sich die Komplementarität bei Anbaukulturen, bei denen der Produktivitätsunterschied zwischen der Metropole und Algerien derart eindeutig ausfiel, dass eine Konkurrenzsituation überhaupt nicht erst entstand, was beispielsweise bei Zitrusfrüchten der Fall war. Mit zunehmendem Wohlstand wuchs in Frankreich, wie auch weltweit, die Nachfrage nach fruchtiger Exotik. Dem Markt wurde Anfang der 1950er Jahre ein hohes Wachstumspotential beigemessen. Dementsprechend weiteten die großen Erzeuger in Amerika und im Mittelmeerraum ihre Produktionen kontinuierlich aus und schufen eine Konkurrenzsituation am Exportmarkt. Dieser wies mit 15 Prozent Ausfuhrquote bezogen auf die Gesamtproduktion eine zunächst noch bescheidene Ausdehnung auf. Damit die Nachfrage auf lange Sicht nicht hinter dem Angebot zurückblieb, bemühten sich die Produzenten Nordafrikas, die Menschen mit Werbekampagnen auf den süß-sauren Geschmack der Früchte zu bringen72. Frankreich führte mit einem Konsum- und Einfuhrvolumen von 600.000 Tonnen die Liste der größten Importeure von Zitrusfrüchten an, gefolgt von der Bundesrepublik Deutschland und Großbritannien73. 71 In der klassischen Wirtschaftstheorie kommt es in liberalisierten Wirtschaftssystemen automatisch zu einer effizienten Arbeitsteilung, da sich alle Unternehmen bzw. Volkswirtschaften auf die Produktion jener Güter konzentrieren, bei denen ein Kostenvorteil gegenüber anderen Marktteilnehmern vorliegt. Gemäß der Theorie des „Komparativen Kostenvorteils“ (David Ricardo) findet eine Arbeitsteilung selbst dann statt, wenn ein Land in allen Produktionsbereichen über absolute Kostenvorteile verfügt. Daraus ergibt sich auch für rückständige Volkswirtschaften die Möglichkeit, über Außenhandel eigene Wohlfahrtszugewinne zu erzielen. Maennig, Wolfgang: Außenwirtschaft. Theorie und Politik, Vahlen, München, 2013, S. 76. 72 In einer Note Ende 1954 weist das Innenministerium auf den Umstand hin, dass die Anbaufläche für Zitrusfrüchte schneller wachse als der Konsum in Metropole und Überseegebieten. ANOM, FM 81F 1825: 04.11.1954, Note, Accord commercial franco-espagnol, S. 1. In einem Schreiben bat der Vorsitzende der ‚Union des Coopératives d’Agrumes d’Algérie‘ und spätere Senator Gilbert Paullian den Minister für marokkanische und tunesische Angelegenheiten um die Erlaubnis, für eine Werbekampagne in Nordafrika französische Funkantennen nutzen zu dürfen. MAE, MT, Maroc (I), 406: 16.09.1954, Paullian et Juanau MAMT. 73 ANOM, FM 81F 1795: GGA: Bulletin Mensuel de statistique générale, 45 (Juin 1957) und MAE, MT, Maroc (I), 406: Septembre 1954, Agrumes, Situation général, S. 2. Mit einem Marktanteil von 38 Prozent waren die USA der mit Abstand größte Produzent von Zitrusfrüchten, gefolgt von Brasilien mit 9,8 und Spanien mit 8,7 Prozent. Von der globalen Gesamtproduktion von 13,4 Millionen Tonnen gingen 2,5 Millionen Tonnen in den Export.

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Die volkswirtschaftliche Konzeption der ‚Union française‘ legte nahe, den Bedarf nach Möglichkeit mit Früchten aus der Franczone zu decken. Nordafrika kam dabei durch die dort herrschenden klimatischen Bedingungen eine Schlüsselrolle zu. So deckte Frankreich 62 Prozent seines Bedarfs über Importe aus dem Maghreb, wobei Algerien zwei Drittel, Marokko ein knappes Viertel und Tunesien ein knappes Zehntel beisteuerten74. Nach dem Wein- und Getreidebau waren Zitrusfrüchte die drittwichtigste Anbaukultur Algeriens75. Diese Handelsströme basierten gleichwohl nicht auf ökonomischen Notwendigkeiten. Wie bereits angedeutet, herrschte auf dem Zitrusmarkt ein reichhaltiges Angebot. Insbesondere Spanien drängte bei den alljährlichen Verhandlungen mit Frankreich über die bilateralen Außenhandelskontingente darauf, größere Mengen an Zitrusfrüchten exportieren zu dürfen76. Ein um 15 Francs pro Kilogramm günstigerer Preis im Vergleich zu den Produkten Nordafrikas musste als verlockendes Angebot erscheinen. Dagegen protestierten die gut vernetzten, mehrheitlich franko-algerischen Produzenten und forderten stattdessen eine Reduzierung der spanischen Einfuhren sowie eine Subventionierung der eigenen Produktion77. Unterstützung kam aus diversen Ministerien. Das Innenministerium empfahl, nach Wegen zu suchen, wie die Züchter Algeriens vor der spanischen Konkurrenz geschützt werden könnten78. Das Ministerium für marokkanische und tunesische Angelegenheiten sprach sich trotz der 1953/1954 im Rahmen der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC) beschlossenen Liberalisierung des Zitrusmarkts dafür aus, Importe aus dem Ausland mit einer Sondersteuer zu belegen79. Paris stand hier vor einer grundsätzlichen Entscheidung. Das damalige globale Handelsregime und die Nicht-Konvertierbarkeit des Franc ließen ein dauerhaftes Leistungsbilanzdefizit Frankreichs mit einem Land oder einem Währungsverbund, wie es heute etwa die USA aufweisen, nicht zu, da dieses nur bedingt durch andere Elemente der Zahlungsbilanz ausgeglichen werden konnte. Ausländische Investitionen in Frankreich waren nur eingeschränkt möglich. Kurzfristig konnte ein Handelsbilanzdefizit mit etwaigen Devisenreserven beglichen werden. Gingen diese zur Neige, blieb nur noch die Aufnahme ausländischer Kredite als (vorübergehende) Lösung. Sollte eine steigende Auslandsverschuldung verhindert werden, mussten mittel- und langfristig die Importe den Exporten entsprechen. Der spanische Exportmarkt hatte außer Zitrusfrüchten allerdings kaum Güter im Angebot, die bei den Franzosen auf Nachfrage stießen. Frankreich konnte somit nur dann

74 ANOM, FM 81F 1795: GGA: Bulletin Mensuel de statistique générale, 45 (Juin 1957) und MAE, MT, Maroc (I), 406: Septembre 1954, Agrumes, Situation général. 75 AN, F 12 11801: Septembre 1958, Rapport sur la situation économique de l’Algérie, S. 7. 76 ANOM, FM 81F 1825: 04.11.1954, Note, Accord commercial franco-espagnol, S. 1 und MAE, MT, Maroc (I), 406: Septembre 1954, Agrumes, Situation général, S. 10. 77 Zu den Protesten und Forderungen der Produzenten: MAE, MT, Maroc (I), 406: 21.09.1954, Conférence des agrumes, Paullian. Die französischen Siedler in Algerien steuerten 93 Prozent zur Zitrusfrüchteproduktion bei. Vgl. Lefeuvre: Chère Algérie, S. 78f. 78 ANOM, FM 81F 1825: 04.11.1954, Note, Accord commercial franco-espagnol, S. 3. 79 MAE, MT, Maroc (I), 406: 11.10.1954, MAMT à MFE.

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weiterhin Produkte nach Spanien ausführen, wenn die Leistungsbilanz im Gegenzug durch spanische Zitrusfrüchte ausgeglichenen wurde. Letzten Endes entschied sich Paris dafür, der außenwirtschaftlichen Konzeption der ‚Union française‘ treu zu bleiben und den Forderungen der franko-algerischen Zitrusbauern nachzukommen. Die Zeitpläne für die spanischen Importe hatten sich fortan an den Erntezeiten in Nordafrika zu orientieren, was den dortigen Produzenten einen spürbaren Vorteil verschaffte80. Bereitschaft, ihre Produktion effizienter zu organisieren und auf diesem Wege international wettbewerbsfähig zu werden, zeigten die franko-algerischen Züchter wenig. Zwar stiegen die Exporte algerischer Zitrusfrüchte ins Ausland von 1956/1957 von 888 auf 4.780 Tonnen. Marokko konnte seine Ausfuhren jedoch im selben Zeitraum von 23.497 auf 65.418 Tonnen steigern, obwohl die marokkanische Gesamtproduktion lediglich 65 Prozent des algerischen Wertes betrug81. Das Beispiel der Zitrusfrüchte brachte die grundsätzliche Prioritätensetzung im französischen Außenhandel zum Ausdruck, die nach dem Ausbruch des Algerienkriegs noch deutlicher zu Tage trat. Dem Erhalt der ‚Union française‘ und Französisch-Algeriens wurden ökonomische Überlegungen im Sinne einer rationalen Ausgestaltung der außenwirtschaftlichen Beziehungen im Zweifelsfall untergeordnet. Für dieses übergeordnete Ziel war Frankreich bereit, eine Senkung der eigenen Exportmöglichkeiten auf die iberische Halbinsel in Kauf zu nehmen. Der erhoffte positive Effekt auf die Devisenbilanz, den die Forcierung des frankofranzösischen Handels bringen sollte, wurde auf diese Weise egalisiert. „Finalement nous perdons sur le plan de l’exportation ce que nous avions cru gagner sur le plan de l’importation“, schrieb ‚Le Monde‘82. Dieses Opfer fiel der Regierung relativ leicht, da sie kaum mit Widerstand von Konsumenten oder Lobbys aus der Metropole zu rechnen hatte. Die Senkung der Exportmöglichkeiten nach Spanien bildete ein eher abstraktes Gegenargument, da die genaue Tragweite kaum zu bestimmen war. Zwar summierten sich die Mehrausgaben der politisch motivierten Entscheidung für die Konsumenten auf 5,6 Milliarden Francs83 Für den einzelnen Bürger fielen die teuren Orangen und Zitronen jedoch kaum ins Gewicht.

80 In einer Untersuchung der französischen Hilfe für Tunesien heißt es: „le calendrier imposé à l’Espagne pour l’exportation des oranges sur la métropole illustre parfaitement cette pratique discriminatoire“. Die französischen Zitrusbauern in Algerien und Marokko profitierten gleichermaßen von dieser Maßnahme. MAE, MT, Tunisie (I), 541: 20.07.1954, Assistance apportée à la Tunisie (1949–1953), P. 30. 81 Zum Export siehe: ANOM, FM 81F 1803: Septembre 1957, Service d’Afrique du Nord, Exportations d’agrumes vers l’étranger. Zur Produktionsmenge: MAE, MT, Maroc (I), 406: Septembre 1954, Agrumes, Situation général, S. 2. 82 Le Monde, (30.11.1955): Drame et problèmes de l’Algérie. 83 Die Summe ergibt sich aus der Preisdifferenz von 15 Francs pro Kilogramm multipliziert mit der Importmenge nordafrikanischer Zitrusfrüchte von 372.000 Tonnen.

3. Die Weinpolitik

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3. DIE WEINPOLITIK „Si l’on considère le groupe France-Algérie comme formant une réelle unité économique, à l’intérieur duquel la spécialisation est désirable, la vigne esttechniquement mieux à sa place sur les coteaux de Mascara“, (Commissariat général du Plan)84

Ausgangslage Aufgrund der hohen ökonomischen Bedeutung des Weinbaus in Algerien erscheint dieses Politikfeld besonders geeignet, um den Aspekt der Komplementarität zu vertiefen und gleichzeitig zu überprüfen, ob sich die Bereitschaft des Hexagons veränderte, die konzeptionellen und wirtschaftlichen Konsequenzen der Integrationspolitik zu tragen, wenn einflussreiche metropolfranzösische Interessen davon betroffen waren. 55 Prozent der algerischen Exporte nach Frankreich bestanden wertmäßig aus Wein; mehr und mehr wurde diese Branche zu einer zentralen Einnahmequelle Algeriens85. In Frankreich hingegen wurde der expandierende Weinbau in Nordafrika seit längerem mit Argwohn betrachtet86. Anfang der 1950er Jahre kochte der Disput um die unerwünschte Konkurrenz aufgrund kontinuierlich steigender nordafrikanischer Produktionsmengen hoch. Die Anbaufläche lag in Algerien zu diesem Zeitpunkt bei etwa 350.000 Hektar und erzeugte gut 18 Millionen Hektoliter Wein87. Der Rekonstitutionsprozess war noch nicht abgeschlossen, das Erreichen der maximalen Ausdehnung von 400.000 Hektar aus dem Jahr 1938 erschien mittelfristig möglich88. Die Branche befand sich dabei fest in Siedlerhand89. In der Metropole hingegen hatte sich die Fläche der Weinberge in den vergangenen 100 84 ANOM, FM 81F 2248: CGP, Projet de Rapport, la production agricole en AFN, S. 36. 85 Commerce extérieur, 1954, S. 286. 86 Bereits 1929 forderte die ‚Confédération générale des vignerons‘ die Abschaffung der Privilegien ihrer Konkurrenten aus Algerien. Vgl. Marseille: Empire colonial, S. 318. Zur Entwicklung des algerischen Weinbaus: Isnard, Hildebert: La Vigne en Algérie. Étude géographiques, 2 Bände, Ophrys, Gap, 1951/1954. 87 Die Angaben zur Größe der algerischen Weinanbaufläche schwanken in den Quellen. Differenzen können einerseits durch die Unterscheidung in offiziell für den Weinanbau ausgewiesene Flächen und jene, auf denen aktiver Anbau betrieben wurde, erklärt werden. Andererseits können politische Intentionen die Angaben beeinflussen. Der Vorsitzende der ‚Commission des boissons‘, Edmond Castera, gab die Anbaufläche Algeriens für das Jahr 1954 mit 370.000 Hektar an. Als Kritiker der nordafrikanischen Weinkultur war Castera zweifellos daran gelegen, eine hohe Schätzung abzugeben. Vgl. ANOM, FM 81F 2321: Rapport au nom de la Commission des boissons, l’entrée des vins d’Algérie et d’Afrique du Nord, S. 2. Eine mit 330.000 Hektar deutlich niedrigere Angabe findet sich im CGP. ANOM, FM 81F 2248: CGP, Divisions Agriculture et Afrique du Nord – Projet de Rapport, la production agricole en AFN, S. 36. 88 Zur Anbaufläche 1938 siehe: Elsenhans: La guerre d’Algérie, S. 163. 89 Bis 1960 erhöhte sich der Anteil der von Muslimen bewirtschafteten Anbaufläche auf zehn Prozent. Isnard, Hilbert: La viticulture algérienne, colonisation et décolonisation, in: Méditerranée, 23 (1975), S. 3–10, hier S. 6.

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Jahren um 36 Prozent auf 1,4 Millionen Hektar verringert. Dank enormer Effizienzsteigerungen vollzog sich diese Reduktion ohne Produktionsrückgang90. Obgleich Frankreich der weltweit größte Weinproduzent war, besaß die Branche aus volkswirtschaftlicher Perspektive eine marginale Bedeutung. Die gesamte Landwirtschaft trug etwa 10 Prozent zum französischen BIP bei, auf die Vitikultur fiel davon nur ein Bruchteil91. Die Erzeugung in Tunesien und Marokko befand sich Anfang der 1950er Jahre auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau. Insbesondere Marokko weitete die Weinkultur gleichwohl kontinuierlich aus. Schätzungen zufolge konnte das marrokanisch-tunesische Einfuhrkontingent von insgesamt 1,5 Millionen Hektolitern bald erreicht werden. Die summierten Weinexporte beider Länder von rund 620.000 Hektolitern verschärften die Überschusssituation in Frankreich weiter und sorgten für zusätzlichen Unmut bei den Metropolwinzern92. Die Winzer Algeriens profitierten einerseits von den günstigen klimatischen Konditionen in den Anbauregionen, die die Produktion qualitativ hochwertiger Weine ermöglichten. Andererseits förderte die Generalregierung die Landwirtschaft durch attraktive Rahmenbedingungen. Während die Energiekosten in Nordafrika grundsätzlich weit über dem französischen Level lagen, drückten Subventionen die Benzin- und Dieselpreise deutlich unter das Metropolniveau93. Im Vergleich zu ihren französischen Kollegen zahlten die Weinbauern in Algerien weder Umsatzsteuer noch eine Initialabgabe. Das System der pauschalen Besteuerung richtete sich nicht nach dem Gewinn, sondern nach der Erzeugungsmenge. Die Steuersätze stiegen nur bis zu einem bestimmten Produktionsvolumen, sodass Großproduzenten einer vergleichsweise geringen Besteuerung unterworfen waren

90 In der Metropole sank die Weinproduktion 1956 um 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. ANOM, FM 81F 1803: 30.03.1957, Rapport sur la situation de l’Économie agricole, Ministère de l’Agriculture, S. 67 und MAE, MT, Maroc (I), 407: 05.09.1954, Viticulture, Rapport Branas, S. 151. Der interne Rapport Branas wurde später veröffentlicht. Vgl. La Production viticole de la zone franc en 1954. Rapport au Conseil supérieur de l’agriculture, section Union française, par Jean Branas, Ministère de l’Agriculture, Paris, 1957. Jean Branas war Agraringenieur und lehrte an der ‚École nationale de viticulture de Monpellier‘. 91 Desriers, Maurice: L’agriculture française depuis cinquante ans. Des petites exploitations familiales aux droits à paiement unique, Ministère de l’Agriculture, 2007, S. 25. Online: http://www.agreste.agriculture.gouv.fr/IMG/pdf/AGRIFRA07c-2.pdf. 92 1954 betrug die Anbaufläche Tunesiens 1954 ca. 41.000 ha. Die maximale Fläche war auf 47.000 Hektar beschränkt. Von den produzierten 719.000 Hektolitern wurden 220.000 nach Frankreich exportiert. In Marokko durfte die Anbaufläche jährlich um 3.000 Hektar wachsen und lag bei 50.000 Hektar. 500.000 Hektoliter wurden exportiert Vgl. MAE, MT, Tunisie (I), 403: Situation économique de la Tunisie 1953, XXIXe Conférence de Chambres de Commerce de la Méditerranée et de l’Afrique Française, Marseille, 1954, S. 16 und MAE, MT, Maroc (I), 407: 05.09.1955, Viticulture, Rapport Branas, S. 187. Zum Protest gegen den Weinbau in den Protektoraten: MAE, MT, Maroc (I), 407: 20.03.1955, Bilan de la production et des besoins de vins et autres produits de la vigne dans le cadre de l’Union française, Conseil Supérieur de l’Agriculture, S. 91f. 93 Marseille: Empire coloniale, S. 317

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und hohe Profite erzielten94. Dazu trug ebenso das niedrige algerische Lohnniveau bei. Darüber hinaus waren die Sozialabgaben in der Landwirtschaft geringer, „[car] les professions agricoles sont exclues du champ d’application des textes instituant un régime d’allocations familiales en Algérie“. Unter Berücksichtigung der höheren Einkommenssteuer in Frankreich (welche die Lohnvorteile der französischen Landarbeiter verringerte) und der geringeren Effizienz algerischer Landarbeiter (welche den nominellen Kostenvorteil für die franko-algerischen Winzer abmilderte), kam eine interne Studie des Landwirtschaftsministeriums zu dem Ergebnis, dass die Löhne in Algerien etwa 60 Prozent des Metropolniveaus entsprächen95. Die Überproduktion entstand letztlich erst dadurch, dass zentrale Marktmechanismen beim Weinhandel außer Kraft gesetzt waren. Die Weinbauern orientierten ihr Angebot nicht an der Nachfragesituation, sondern an den staatlich fixierten Abnahmepreisen. Die mächtigen Weinlobbys auf beiden Seiten des Mittelmeers sorgten ebenso wie die generelle Subventionsfreudigkeit Frankreichs für seine Landwirte dafür, dass die Abnahmepreise auf einem Niveau lagen, das Produktionssteigerungen trotz Marktsättigung profitabel machten. Mit 35 Francs pro Liter Wein lag der französische Preis 14 Francs über dem Weltmarktniveau96. In einem liberalen Wirtschaftssystem hätte sich die Problematik über marktreinigende Mechanismen von selbst gelöst. Der ‚unsichtbaren Hand‘ standen die Franzosen jedoch generell mit Misstrauen gegenüber97.

94 Collot: Les Institutions de l’Algérie, S. 275 und Lefeuvre: Chère Algérie, S. 92. 95 Über die genaue Höhe der Löhne in Algerien und in Frankreich finden sich in den Quellen stark voneinander abweichende Angaben. Im ‚Rapport Branas‘ wird der Tageslohn im Weinbau mit 826 Francs in der Metropole und mit 276–375 Francs in Algerien angegeben, gleichzeitig jedoch die genannten 60 Prozent aufgeführt. MAE, MT, Maroc (I), 407: 05.09.1954, Viticulture, Rapport Branas, S. 177. Das sich daraus für Algerien ergebende Monatseinkommen läge dann gleichwohl weit unter dem Durchschnittseinkommen in der Landwirtschaft, obwohl der Weinbau als besser bezahlte Branche galt. Eine andere Studie nennt ebenfalls eine Einkommensdifferenz von 40 Prozent, wodurch sich rechnersich jedoch 496 Francs Tageslohn ergäben. ANOM, FM 81F 194: 10.12.1959, Plan de travail pour l’étude des conséquences économiques et financières de la francisation de l’Algérie ou de sa sécession, Mission d’études, C.M., S. 3. Im Jahr 1958 wurden die Mindestlöhne in der Landwirtschaft in Algerien, je nach Region, auf 532 bis 624 Francs pro Tag festgesetzt. In der Metropole betrug der stündliche Mindestlohn 109 bis 125 Francs. ANOM, FM 81F 1795: Régime des salaires en Algérie. Einerseits erklärt sich die deutliche Differenz durch die vier dazwischen liegenden Jahre, in denen die algerischen Löhne stärker als die französischen stiegen. Andererseits erscheint die Angabe im ‚Rapport Branas‘ dennoch als zu niedrig. 96 Moussa: Les chances économiques, S. 79. Eine ähnliche Preisangabe bei: Les indices de prix dans l’Union française, S. 18. 97 Asselain spricht von einer „méconnaissance des mécanismes économiques“ im Frankreich der Nachkriegszeit. Asselain, Jean-Charles: Le Tournant des années cinquante. Les prémices de la réouverture de l’économie française, in: L’économie française dans la compétition internationale au XXe siècle, Colloque des 2 et 4 octobre 2002, hg. v. Lévy-Leboyer, Maurice, C.H.E.F., Paris, 2006, S. 239–288, hier S. 287.

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Gegen eine Ankurbelung der Binnennachfrage wurden zum einen gesundheitspolitische Bedenken angemeldet98. Zum anderen erschien sie angesichts des ohnehin bereits hohen Konsumlevels unrealistisch. Kein anderes Volk trank auch nur annähernd so viel Wein bzw. Alkohol wie die Franzosen99. Sie brachten es auf 34 Liter reinen Alkohol pro Jahr, gefolgt von den Italienern mit 18 und den Schweizern mit 16 Litern. Die Deutschen begnügten sich damals noch mit 5,5 Litern Alkohol pro Jahr100. Der Export konnte die Problematik nur in geringem Maße entschärfen. Der globale Weinhandel wurde durch Zölle behindert und wies Anfang der 1950er Jahre ein Gesamtvolumen von gerade einmal 4 bis 5 Millionen Hektoliter auf101. Zwar wurde ein allgemein steigender Konsum erwartet, doch andere Mittelmeeranrainer weiteten ihre Produktionen kontinuierlich aus und konkurrierten um den engen Exportmarkt102. Das hohe französische Preisniveau schränkte die Ausfuhrmöglichkeiten weiter ein. In der Saison 1952/53 exportierte Frankreich 2,7 Millionen Hektoliter Wein ins Ausland; 1873 waren es 4 Millionen Hektoliter gewesen103. In einem Jahr durchschnittlicher Ernten in Algerien und der Metropole entsprachen die 2,7 Millionen Hektoliter gerade einem Viertel der Überschussproduktion. Kam es in beiden Ländern zu überdurchschnittlichen Ernten, konnte lediglich ein Zehntel der Überschüsse über den Export absorbiert werden104. Im CGP erhob sich der Vorwurf, der franko-algerische Winzer „refuse très généralement de faire l’effort de qualité pour aborder dans de bonnes conditions l’exportation sur l’étranger“105. Die Rüge war aus ökonomischer ebenso wie aus politischer Sicht fragwürdig. Wenn Algerien als Teil Frankreichs zu betrachten war, besaß die Forderung, die Überseedépartements sollten sich um den Export ihrer Güter ins Ausland bemühen, während die Metropole den geschützten Binnenmarkt bediente, keine Legitimität. Die Probleme von Angebotsüberhang und Exportbarrieren waren die absehbaren Konsequenzen der französischen (Außen-)

98 Vgl. Blanchard: Le problème algérien, S. 15. 99 Der hohe Alkoholkonsum der Franzosen stieß vielerorts auf Kritik. Paul Reynaud stellte in Zusammenhang mit seiner Kritik an den staatlichen Mietsubventionen die rhetorische Frage: „Ne serait-il pas raisonnable de dire qu’un peuple qui consomme 1.140 milliards par an en boissons alcoolisées pourrait faire effort plus grand pour payer un loyer décent?“. Paul Reynaud, in: JOAN, 15.03.1957, S. 1631. 100 Ledermann, Sully: L’alcoolisation excessive et la mortalité des français, Lang, Paris, 1953, S. 5. 101 MAE, MT, Maroc (I), 407: 20.03.1955, Bilan des vins dans l’Union française, S. 92. 102 Der Weinkonsum der Bundesrepublik Deutschland verzehnfachte sich von 1950 bis 1956, wobei der Bedarf zu weniger als 50 Prozent durch die eigene Produktion gedeckt werden konnte. ANOM, FM 81F 188: Octobre 1958, Ministère de l’Information, Cabinet, L’agriculture algérienne et le Marché Commun, S. 14f. 103 Der französische Außenhandel stieg von 1863 bis zum Beginn der 1870er Jahre kontinuierlich an. Renaud, Georges: Commerce extérieur et navigation de la France en 1872, in: Journal de la société statistique de Paris, 14 (1873), S. 150–159, hier S. 155. 104 MAE, MT, Maroc (I), 407: 20.03.1955, Bilan des vins dans l’Union française, S. 48; 127. 105 ANOM, FM 81F 2248: CGP, Projet de Rapport la production agricole en AFN, S. 36.

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Wirtschaftspolitik. Die Herausforderung zur Überwindung dieser Probleme konnte nicht einfach in die Kolonien exportiert werden. Das Regime der fixen Preise hätte eine vorausschauende Preispolitik zur Steuerung der Produktionsmenge notwendig gemacht, die jedoch ausblieb. Gleichzeitig hätte das gesamtfranzösische Angebot entlang rationaler Kriterien an die Nachfragesituation angepasst werden müssen. Exportanstrengungen waren aus unternehmerischer Perspektive solange unprofitabel, wie die garantierten inländischen Abnahmepreise oberhalb des Weltmarktpreises lagen. Als Alternative zur schwer durchsetzbaren Absenkung der Garantiepreise kam die Option in Betracht, Exporte durch Subventionen in Höhe der Differenz zum Weltmarktpreis zu fördern. Nach Einschätzung der algerischen Winzer waren die Bedingungen zum Erhalt der staatlichen Exporthilfen jedoch kaum zu erfüllen106. Ferner bedeuteten Subventionen eine zusätzliche Belastung für den Staatshaushalt. Um die Überproduktion und die nach Einschätzung der Planungskommission des Zweiten Entwicklungsplans damit verbundenen „charges extrêmement lourdes et inutiles“ des nordafrikanischen Weinanbaus zu beenden, forderte sie eine Reduktion der dortigen Anbaufläche107. Interessanterweise bestätigte die Kommission gleichwohl, „[que] le sol algérien possède incontestablement une vocation beaucoup plus nette que bon nombre des vignobles métropolitains“108. Nordafrika reagierte auf die Forderungen stets mit vehementer Ablehnung. „L’Algérie ne peut donc en aucune façon admettre qu’il lui soit arbitrairement fixé une réduction de son vignoble à 350.000 has au lieu des 400.000 has actuellement complantés“109. In Anbetracht der wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen des Landes verlangte Algier vielmehr eine Ausweitung der Erzeugungsmenge auf das ökonomische Maximum von 23,5 Millionen Hektoliter. Die Argumente erschienen überzeugend: „Un hectare de vigne emploie en effet plusieurs fois plus de main-d’œuvre qu’un hectare de blé, et la reconstitution du vignoble est donc en mesure d’apporter du travail à une main-d’œuvre à laquelle il devient urgent de trouver des salaires“110. Schützenhilfe für die algerischen Winzer kam auch aus der Wissenschaft. Der Demograf und Historiker Louis Chevalier verwies auf den finanziellen Nutzen, den Algerien aus dem Weinanbau zöge und warnte zugleich 106 AN, Fonds Paul Reynaud, 74 AP 42: 27.04.1955, Fédération des Syndicats du Commerce des vins d’Algérie, S. 1. 107 MAE, MT, Maroc (I), 344: Avril 1954, Projet de rapport général de la Commission d’étude et de coordination des Plans de modernisation et d’équipement de l’Algérie[,] de la Tunisie et du Maroc, S. 25. 108 ANOM, FM 81F 1794: Juin 1954, Rapport général de la Commission d’étude et de coordination des Plans de modernisation et d’équipement de l’Algérie, de la Tunisie et du Maroc, Algérie, S. 7. 109 Gemeint ist die für den Weinanbau offiziell ausgewiesene Fläche. ANOM, FM 81F 2013: 29.06.1954, GGA, M. Maurice Cutolli à M. le Commissaire générale au Plan – Projet de rapport de la Commission d’étude et de coordination des Plans de modernisation et d’équipement de l’Algérie, de la Tunisie et du Maroc, S. 7. 110 ANOM, FM 81F 2009: Étude schématique du Plan quadriennal d’investissements de l’Algérie, S. 18.

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vor einer Absenkung des Lebensniveaus, die mit einer Verkleinerung der Anbaufläche einherginge111. Die Generalresidenz in Rabat wandte sich 1952 erfolgreich gegen den Resolutionsentwurf eines Abgeordneten der ‚Indépendants et Paysans‘, der eine Streichung des Weinkontingents für Marokko vorsah. Dieses sei wenige Jahre zuvor etabliert worden, um die wirtschaftliche Entwicklung des Landes zu unterstützen. Daher sei es widersinnig, die Maßnahme in dem Moment zurückzunehmen, da die Früchte des Erfolgs zu ernten waren112. Die Haltung von Generalregierung und Generalresidenzen wurde zweifellos vom Wirken der gut vernetzten nordafrikanischen Winzerlobby beeinflusst113. Gleichwohl war der Weinbau, ungeachtet der großen privaten Profite, auch für die Beschäftigten und die lokalen Budgets gewinnbringend. Finanzinspektor Warnier de Wailly formulierte daher, die nordafrikanische Weinlobby sei eine der wenigen wahrnehmbaren Stimmen, die sich für die ökonomischen Interessen der Region engagiere114. Bis November 1954 wurden alle Versuche zur Reduktion der Anbauflächen erfolgreich abgewehrt115. Ein Dekret vom 30. September 1953 stärkte die Position der nordafrikanischen Winzer und bescheinigte den algerischen Arealen beinahe vollständig eine „vocation viticole“, so dass es von der beschlossenen Verkleinerung der gesamtfranzösischen Anbaufläche weitgehend ausgenommen blieb116.

Ideologische und ökonomische Argumente Mit dem Ausbruch des Algerienkriegs gewann die Debatte an Schärfe und die Opposition intensivierte ihre Bemühungen. Das Dekret vom September 1953 stand wieder zur Disposition und wurde mehrfach modifiziert117. Die Gegner des nordafrikanischen Weinanbaus versuchten die vom ‚Institut des Vins de Consommation Courante‘ (IVCC) empfohlene Reduzierung der gesamtfranzösischen Anbaufläche um 280.000 Hektar oder 21 Prozent möglichst vollständig auf Algerien

111 Chevalier: Le problème démographique nord-africain (1947), S. 106. 112 MAE, MT, Maroc (I), 407: 04.01.1952, RG Guillaume à Schuman, MAE. 113 Maurice Violette (RRS) warf in der Nationalversammlung die Frage auf, ob sich einige Abgeordnete nicht allzu leicht von dieser Lobby beeinflussen ließen. JOAN, 11.10.1955, S. 5018. 114 MAE, MT, Tunisie (II), 39: 16.04.1958 Esquisse pour une politique de l’AFN, G. Wailly, S. 4. 115 Der Einfluss der Weinlobby war in Algerien, nicht zuletzt wegen der hohen ökonomischen Bedeutung des Weinanbaus, besonders groß. Vgl. Elsenhans: La guerre d’Algérie, S. 243. 116 Decret no 53–977, JORF, 01.10.1953, S. 8640. Siehe auch: ANOM, FM 81F 2312: 12.05.1958, Ministre de l’Algérie à Ministre de l’Agriculture – Organisation du marché du vin, S. 1. 117 Decret no 54–437, no 54–955, no 54–1019 und n° 55–671. Vgl. JORF, 29.07.1954, S. 3742; 14.09.1954, S. 9091; 14.10.1954, S. 9657; 20.05.1955, S. 5198.

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abzuwälzen118. Im Oktober 1955 legte die kommunistische Fraktion, die sich in der Nationalversammlung als Sprachrohr der Kritiker und vermeintlichen Verfechter der Interessen des algerischen Volkes profilierte, einen entsprechenden Gesetzesentwurf vor, der die Debatte in den folgenden Jahren nachhaltig beeinflusste. In der Rechtfertigung vermischten sich ideologische, politische und pseudo-ökonomische Argumente zu einem inkonsistenten Gebilde, das keiner genaueren Prüfung standhielt. „La culture de la vigne en Algérie correspond-elle à une nécessité économique, à un besoin pour augmenter le bien-être des populations intéressés?“, fragte Waldeck Rochet seine Kollegen im Parlament119. Für ihn und seine kommunistischen Parteikollegen lag die Antwort auf der Hand. In einem Land, in dem neun Zehntel der Bevölkerung keinen Alkohol konsumiere, sei der Weinbau fehl am Platz120. Angesichts der vielerorts dramatischen Versorgungslage sei es „dans son propre intérêt“, einen Großteil der Weinberge durch Lebensmittelkulturen zu ersetzen. Der Vorschlag sah vor, die Produktionsmenge Algeriens in den kommenden vier Jahren kontinuierlich zurückzufahren und auf maximal sieben Millionen Hektoliter zu beschränken121. Diese Darstellung stieß auf erheblichen Widerspruch des Algerienministeriums. Ein Hektar Weinanbaufläche biete 60 bis 120 Tage im Jahr dauerhafte Beschäftigung, während der Getreideanbau nur 15 bis 50 Arbeitstage aufweisen könne122. Ferner sei noch einmal auf die höhere Entlohnung in der Weinbranche verwiesen123. Die Weinhändler aus Oran verteidigten ihr Produkt als „la culture qui utilise le maximum de salaires par hectare“. Die Lohnsumme des Getreideanbaus betrage im Vergleich dazu nur ein Zehntel124. Eine Studie des ‚État-major‘ bestätigte diese Größenordnung. So würde die Umwandlung der 350.000 Hektar Wein- in Getreideanbauflächen und der damit einhergehende Wegfall der Exportgewinne zu Einbußen von bis zu 90 Prozent füh-

118 Das IVCC war von der Regierung mit der Ausarbeitung einer Empfehlung zur Neustrukturierung des gesamtfranzösischen Weinanbaus beauftragt worden. Diese sah eine minimale Verkleinerung der algerischen Anbaufläche um ein Prozent vor. Vgl. ANOM, FM 81F 2312: Assemblée nationale, Rapport par M. Roquefort, fait au nom de la Commission des Boissons sur la proposition de M. Waldeck Rochet et plusieurs de ses collègues tendant à abroger les dispositions de l’Article 26 du décret no 53–977 du 30 septembre 1953, relatives à la division des terroirs viticoles en zones à „vocation viticole“ et en zones de „reconversion“ et à compléter l’article 22 dudit décret. 119 ANOM, FM 81F 2321: Rapport de la Commission des boissons sur la proposition de M. Waldeck Rochet tendant à limiter l’entrée des vins d’Algérie et d’Afrique du Nord, S. 2. 120 Pierre Fayet (PC), in: JOAN, 10.12.1954, S. 6095. 121 ANOM, FM 81F 2321: Rapport de la Commission des boissons sur la proposition de M. Waldeck Rochet tendant à limiter l’entrée des vins d’Algérie et d’Afrique du Nord, S. 3f. 122 ANOM, FM 81F 2312: 12.05.1958, Ministre de l’Algérie à Ministre de l’Agriculture – Organisation du marché du vin, S. 2. 123 Die relativ privilegierte Situation der algerischen Weinarbeiter schien deren Haltung zu Frankreich positiv zu beeinflussen. Ewald Leufgen (Interview) erinnert sich, in der Region Mascara sei eine pro-französische Stimmung stärker spürbar gewesen als anderorts. 124 AN, 74 AP 42: 27.04.1955, Fédération des Syndicats du Commerce des vins d’Algérie, S. 2.

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ren, die umgerechnet dem Einkommen von 460.000 Personen entsprächen125. General Baillif stimmte dieser Analyse zu und schätzte, dass die Einkommen der Landarbeiter durch eine Konversion der Anbauflächen von jährlich 20 Milliarden Francs auf eine Milliarde sänken126. Zudem sprachen klimatische und technische Barrieren gegen die Umsetzung des Vorschlags. In den fruchtbarsten Gebieten konnten auch andere Anbaukulturen hohe Erträge erbringen. Diese blieben dennoch hinter jenen des Weinanbaus zurück. Die geringen Niederschlagsmengen in anderen Regionen Algeriens jedoch ließen Getreideanbau nicht oder nur unter enormen Investitionen in Bewässerungsanlagen zu. Durch den deutlich geringeren Wasserbedarf wären die Weinberge in den betroffenen Landesteilen somit nur unter massiven Ernte- und Ertragsverlusten durch Getreideanbau zu ersetzen gewesen. Auf eben diese Faktoren wies das Algerienministerium die Kollegen aus dem Ministerium für Landwirtschaft hin und gelangte zu dem Schluss, „la vigne apparaît précisément comme la seule culture à haut rendement qui puisse être implantée avec profit dans les zones sèches“127. Die franko-algerische Weinlobby warnte, „si on arrache la vigne, en dehors des régions irrigables où les plantations d’agrumes et de primeurs sont possibles, ce sera une véritable catastrophe pour l’économie algérienne et surtout pour la main-d’œuvre“128. Die bisher zitierten Akteure verfolgten als Anhänger Französisch-Algeriens oder unmittelbar Betroffene zweifellos die Absicht, das Ende des nordafrikanischen Weinbaus als ökonomische Katastrophe für die Menschen vor Ort darzustellen und die eigenen Interessen zu schützen. Ihre Argumentation bleibt jedoch tendenziell korrekt, selbst wenn die angeführten Zahlen deutlich nach unten korrigiert würden. Sie wurde zudem von Stellen bestätigt, die der Kolonialpolitik durchaus kritisch gegenüber standen oder zumindest als neutral eingestuft werden können129. In Anbetracht der finanziellen und ökonomischen Vorteile des Weinanbaus wäre es „anormal et antiéconomique de donner à la vigne algérienne une place diminuée“, schrieb der Generalbeauftragte des ‚Comité d’études économiques, démographiques et Sociales‘ aus Algier, Jean Blanchard130. Eine offizielle 125 ANOM, FM 81F 18: Mai 1947, Note sur le Statut de l’Algérie, État-major de la Défense Nationale, S. 5. 126 MDN, 1 H 2595: 14.03.1956, Commandement supérieur des Troupes de Tunisie, État-major, Réfutation des contre-arguments de la presse nationaliste, General Baillif, Annexe 1, S. 2. 127 ANOM, FM 81F 2312: 12.05.1958, Ministre de l’Algérie à Ministre de l’Agriculture – Organisation du marché du vin, S. 2. 128 AN, 74 AP 42: 27.04.1955, Fédération des Syndicats du Commerce des vins d’Algérie, S. 2. 129 Kritisch heißt in diesem Zusammenhang nicht zwingend, dem Festhalten an FranzösischAlgerien ablehnend gegenüber zu stehen. 130 Blanchard: Le problème algérien, S. 15. Blanchard bekannte sich zwar zur Integrationspolitik, äußerte sich jedoch sehr kritisch zur bisherigen Politik und der kolonialen Konzeption Algeriens. Das ‚Comité‘ setzte sich zum Ziel, die französische Öffentlichkeit über die sozialen und ökonomischen Probleme Algeriens zu informieren und eine Diskussion über Handlungsmöglichkeiten anzustoßen. Einen ähnlichen Anspruch formulierte das 1954 gegründete ‚Institut de recherches économiques et sociales d’Alger‘. Beide Institutionen klammerten die

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Studie griff die bereits genannten Argumente auf und kam zu dem Ergebnis, dass aus wirtschaftlicher Sicht eine Ausweitung der Weinproduktion sinnvoll wäre131. Ein Forschungsinstitut aus Algier widersprach der These, durch die Ausweitung des Getreideanbaus dem Problem des Hungers Herr werden zu können. „Il ne servirait de rien d’accroître les productions alimentaires en Algérie si le pouvoir d’achat des populations algériennes n’augmentait pas“132. Ähnlich äußerte sich Georges Bérard-Quélin in der Zeitschrift ‚La correspondance économique‘. Ein Austausch von Anbaukulturen zu Lasten der Weintraube „réduirait sensiblement le niveau de vie musulman en diminuant notablement le nombre des emplois offerts“133. ‚Le Monde‘ mahnte, „si l’une des régions viticoles du complexe FranceAlgérie doit être reconvertie, ou du moins voir sa production rebridée, c’est le Languedoc. Car où la vigne se trouve-t-elle mieux chez elle que dans l’Algérois et, plus encore, en Oranie, où quantité et qualité se trouvent réunies?“134. Der ‚Parti communiste‘ ging es keineswegs alleine um die Interessen des algerischen Volkes, sondern ebenso um den Schutz ihrer Klientel. Die durchschnittliche Anbaufläche pro Winzer war in Algerien deutlich größer als in Frankreich. Obgleich die Zahl der Weinbauer der Metropole jene Nordafrikas um ein Vielfaches überstieg, gab es in Algerien absolut gesehen mehr Winzer, die Anbauflächen von mehr als 100 Hektar bewirtschafteten135. Im Hexagon dominierte dagegen „avant tout la petite et moyenne exploitation familiale“. Deren soziale Funktion gelte es vor der kapitalistischen Konkurrenz der großen Weingesellschaften aus Nordafrika zu schützen136. Nicht nur der äußere Rand des linken Parteienspektrums bemühte ideologische Argumente. Der Sozialist Arthur Conte, Sohn einer Winzerfamilie und späterer Staatssekretär für Industrie und Handel, erkannte im französischen Weinanbau „l’une des fiertés de notre pays“, was das algerische Pendant nicht für sich beanspruchen könne. Um den zahlreichen kleinen und mittelgroßen Winzern Frankreichs aus ihrer schwierigen Lage zu helfen, müsse daher die nordafrikanische Produktion zurückgefahren werden137. „Dégagée des traditions, sans caractère artisanal, la viticulture algérienne est industrialisée et spécu-

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politische Dimension der Algerienfrage weitgehend aus. Bulletin de l’Institut de recherches économiques et sociales d’Alger. Un an d’Activité de l’I.R.E.S.A. 1955. „Car elle est une culture ‚sociale‘, bien appropriée, en ce sens qu’elle emploie beaucoup de main-d’œuvre. Les salaires versés aux ouvriers musulmans travaillant sur les vignobles européens sont supérieurs aux produits nets que ces mêmes travailleurs obtiendraient s’ils cultivaient à leurs bénéfices les mêmes terres en culture traditionnelle“. MAE, MT, Maroc (II), 526: 12.03.1958, La documentation française, Les principaux aspects de l’Économie marocaine (bilan 1955), Première Partie, Problèmes démographiques et agriculture, S. 29f. Études et Documents de l’Institut de recherches économiques et sociales d’Alger, 17 (Octobre 1955), S. 3 (ANOM, FM 81F 1798). Bérard-Quélin: Que coûtera l’Algérie, S. 17.386. Le Monde, (30.11.1955): Drame et problèmes de l’Algérie. MAE, MT, Maroc (I), 407: 05.09.1954, Viticulture, Rapport Branas, S. 178. ANOM, FM 81F 2321: Rapport de la Commission des boissons sur la proposition de M. Waldeck Rochet tendant à limiter l’entrée des vins d’Algérie et d’Afrique du Nord, S. 1f. Arthur Conte (PC), in: JOAN, 02.03.1956, S. 651.

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III. Die ökonomische Integration 1954 bis 1958

lative“, ergänzte der Jean Branas in seinem Bericht138. Auch der Weinanbau in den Protektoraten sei weder durch einen entsprechenden Bedarf noch durch Traditionen zu rechtfertigen, konstatierte der ‚Conseil supérieur de l’agriculture‘139. Dem ist entgegenzuhalten, dass diese Branche eine der wenigen war, die sich im Maghreb ohne staatliche Investitionen mit privatem Kapital entwickelten. Für Tunesien rechnete die Wirtschaftskommission der ‚Union française‘ mit privaten Investitionen im Umfang von 3,6 Milliarden Francs im Zeitraum weniger Jahre140. Die enormen Gewinne, die einige franko-algerische Weingesellschaften erzielten, waren nicht nur der kommunistischen Partei ein Dorn im Auge. Eine Kommission unter Beteiligung der Politikgrößen Christian Pineau und Max Lejeune rügte im Juli 1955 die geringe Steuerleistung von Großgrundbesitzern. Sie zitierten einen Fall, bei dem eine Winzer-Gesellschaft mit 1.200 Hektar Weinbergen und einem Kapital von 1,2 Milliarden Francs Steuern im Umfang von lediglich 25.000 Francs aufbringen müsse141. Solche Extremfälle bildeten zwar nicht die Regel. Die anfangs beschriebenen Vorteile der franko-algerischen Winzer in Bezug auf Steuern, Abgaben und Löhne führten gleichwohl zu niedrigen Selbstkosten und hohen Gewinnen. Die Gegner des franko-algerischen Weinbaus fügten auch den europäischen Integrationsprozess in ihre Argumentation ein. Der ‚Conseil supérieur de l’agriculture‘ warnte, „si, à cette concurrence [celle de l’Afrique du Nord], s’ajoutait, en pleine liberté, celle des pays étrangers, la production métropolitaine serait chassée de son propre marché qui est le plus important du monde“142. Auch im oben zitierten Gesetzesentwurf der kommunistischen Fraktion fand sich diese Befürchtung wieder. „La menace qui pèse sur nos exploitations est d’autant plus grande qu’au sein du Marché Commun la viticulture française va se trouver placée devant l’implacable concurrence de la viticulture italienne“143.

138 MAE, MT, Maroc (I), 407: 05.09.1954, Viticulture, Rapport Branas, S. 178. 139 MAE, MT, Maroc (I), 407: 20.03.1955, Bilan des vins dans l’Union française, S. 91. 140 MAE, MT, Tunisie (I), 553–554: 29.11.1954, La conjoncture économique et sociale de la Tunisie, Rapport présenté au nom de la commission de l’économie de l’Union française par M. André Tisserand, S. 12. Zu einer anderen Einschätzung gelangte eine Note aus der ‚Présidence du Conseil‘. Diese verwies auf die Korrelation von öffentlichen Hilfszahlungen im Rahmen der Entwicklungspläne und der Steigerung konkurrierender Produktionen in Nordafrika. Dem ist entgegenzuhalten, dass es zu keiner direkten Förderung des nordafrikanischen Weinbaus durch öffentliche Gelder kam. Gleichwohl stand den Winzern die Möglichkeit zur Verfügung, die allgemeinen Förderinstrumente des Entwicklungsplans zu nutzen. Vgl. MAE, AL, Maroc 1953–1959, 29: 21.06. 1955, Note pour le Président du Conseil, Commissions et organismes d’études politiques et économiques de l’Union française, P. 55. 141 Pineau und Lejeune waren beide Mitglieder der SFIO. AN, Papiers Christian Pineau, 580 AP 15: 05.07.1955, Rapport établi au nom de la Sous-Commission chargée de suivre et de contrôler d’une façon permanente l’emploi des crédits affectés à la Défense nationale, S. 6. 142 MAE, MT, Maroc (I), 407: 20.03.1955, Bilan des vins dans l’Union française, S. 92. 143 ANOM, FM 81F 2312: Assemblée Nationale, Rapport par M. Roquefort, fait au nom de la Commission des boissons, S. 3.

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Potentieller Nutzen und reale Lasten Die Sorgen um die Zukunft der französischen Winzer gingen weit an der Realität vorbei. Zum einen sahen die Römischen Verträge Übergangsfristen vor, die eine progressive Anpassung an das europäische Preisniveau ermöglichten. Zum anderen wären der nordafrikanische und der europäische Export auch mit vereinten Kräften nicht in der Lage gewesen, den französischen Konsum von jährlich 66 Millionen Hektolitern auch nur ansatzweise abzudecken144. Des Weiteren klammerten die Befürchtungen die Chancen aus, die sich durch die Öffnung der Märkte ergaben. Frankreichs Ruf als Weinland Nummer eins sollte als psychologischer Vorteil im Konkurrenzkampf nicht unbedacht bleiben. Das rasante Wirtschaftswachstum der westlichen Industrienationen ließ ein Ansteigen des Weinkonsums erwarten, so dass sich bei entsprechenden Anpassungsmaßnahmen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit gute Exportaussichten für Frankreich ergaben. Die im Durchschnitt deutlich größere Anbaufläche der franko-algerischen Winzer ging mit einer höheren Produktivität einher und war „économiquement plus rationnelle […] que la parcelle familiale de 30 ares“145. Insofern war gerade die Weinkultur Algeriens geeignet, sich der europäischen Konkurrenz zu stellen. Auch die zitierte Kritik am algerischen Weinbau überzeugte nicht. Anstatt die als Missstand empfundene Verteilung von Gehältern, Steuern und Unternehmensgewinnen mit der Delegitimierung der gesamten Branche zu verbinden, wären durch einfache Maßnahmen Korrekturen möglich gewesen. Durch eine Anhebung des Mindestlohns hätten Unternehmensgewinne in Arbeitseinkommen umgewandelt werden können. Eine höhere Besteuerung der Weinproduzenten hätte Finanzmittel in die öffentlichen Kassen gespült, die für soziale Transfers hätten eingesetzt werden können. Von der ‚Assemblée algérienne‘, in der keine Entscheidung zustande kam, die den Interessen der mächtigen Siedlerlobbys zuwiderlief, war eine entsprechende Initiative nicht zu erwarten. Bis zu deren Auflösung im April 1956 beschränkte sich die Metropole darauf, die Immobilität des algerischen Parlaments zu kritisieren, ohne freilich selbst in dieser Angelegenheit aktiv zu werden. Der ab dem Frühjahr 1956 mit weitreichenden Sondervollmachten ausgestattete ‚Ministre Résident en Algérie‘ ließ einige Bemühungen erkennen, die Privilegien der algerischen Winzer zu beschneiden. Mehrere Dekrete wurden erlassen, die Steuervorteile reduzierten und Löhne erhöhten146. Allerdings stiegen die Unternehmensgewinne in der franko-algerischen Landwirtschaft von 1954 bis 1957 mit 59 Prozent deutlich stärker als die Einkommen der Landarbeiter mit 37 Prozent147. Ein im Mai 1958 unterbreiteter Vorschlag zur Einführung einer Sonder144 Der Weinkonsum der Metropole betrug 1953 rund 62 Millionen Hektoliter. Hinzuzurechnen war der Konsum der Überseegebiete, woraus sich die Summe von 66 Millionen Hektolitern ergab. Vgl. MAE, MT, Maroc (I), 407: 20.03.1955, Bilan des vins dans l’Union française, S. 18. 145 ANOM, FM 81F 2248: CGP, Projet de Rapport, la production agricole en AFN, S. 36. 146 Lefeuvre: Chère Algérie, S. 352. 147 Elsenhans: La guerre d’Algérie, S. 628.

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steuer für Produktionen von mehr als 5.000 Hektolitern wurde in der IV. Republik nicht mehr verabschiedet148. Die bisher angeführten Argumentationen wiesen häufig eine eindimensionale Perspektive auf. Entweder wurden die Vorteile des Weinanbaus für Algerien oder die Nachteile für Frankreich hervorgehoben. Das Konzept „l’Algérie, c’est la France“ wurde darin nicht erkennbar. Der Vorsitzende der ‚Région économique d’Algérie‘, Laurent Schiaffino, bemühte sich daher, den Status quo als Symbiose algerischer und französischer Interessen darzustellen. Die algerischen Weine „sont nécessaires au marché métropolitain où ils font prime en raison de leur teneur en alcool, de leur couleur et de leur faible acidité qui les rend propres aux coupages“149. Die Tatsache, dass Teile der französischen Produktion erst durch die Beimischung algerischen Weins kommerziell verwertbar wurden, erklärt, warum die französischen Weinbauern keine geschlossene Front gegen die Winzer aus Nordafrika bildeten. Für den Languedoc, in dem die Hälfte des französischen ‚Vin ordinaire‘ produziert wurde, stellte der algerische Wein kein Konkurrenzprodukt, sondern eine unabdingbare Zutat dar, um den Alkoholgehalt des eigenen Weins anzuheben. Daraus erklärt sich zu Teilen die hohe Zustimmung, die Französisch-Algerien in dieser qualitätsschwachen Weinregion genoss. Dem Referendum über die Verträge von Évian stimmten im Languedoc nur 41 Prozent der Menschen zu150. In der gesamten Metropole lag die Zustimmung bei 90 Prozent151. Um die Behebung eines volkswirtschaftlichen Missstandes ging es Schiaffino mit seiner simplifizierten Darstellung indessen nicht. Er beschönigte die Situation auf dem Weinmarkt und bot keine Lösungsvorschläge für die Problematik der Überproduktion an. Der tatsächliche ökonomische Vorteil, den Frankreich aus dem franko-algerischen Weinanbau ziehen konnte, wurde ebenso wenig erwähnt wie die notwendigen strukturellen Anpassungen. Entscheidend war, den algerischen Weinanbau aus einer gesamtfranzösischen Perspektive zu betrachten, wie es die Devise „l’Algérie c’est la France“ verlangte und es das CGP anmahnte152. Wenn Algerien gleich den französischen Départements zu betrachten war, durften Metropolinteressen nicht automatisch dominieren. Ebenso verlören Forderungen nach landwirtschaftlicher Selbstversorgung Algeriens ihre Legitimität, gab Landwirtschaftsminister Jean Sourbet zu beden-

148 ANOM, FM 81F 178: Projet de Décision, voies et moyens applicables au budget et au plan d’investissements de l’Algérie pour l’exercice 1958–1959. 149 Ce que coûte et ce que rapporte l’Algérie à la Métropole, Exposé de Monsieur Laurent Schiaffino, Président de la Région économique de l’Algérie, Sénateur d’Alger, Session Trimestrielle des 12, 13 et 14 Juin 1957, hg. v. Région économique d’Algérie, Impr. Commerciale, Algier, 1957, S. 6. 150 Whitfield, Lee: Algeria in France. French Citizens, the War, and Right-wing Populism in the Reckoning of the Republic in Languedoc, 1954–1962, in: Proceedings of the Western Society for French History, 33 (2005), S. 412–432, hier S. 416; 419; 429. 151 Referendum über die Verträge von Évian, DMJP, http://mjp.univ-perp.fr/france/ref19624.htm. 152 ANOM, FM 81F 2248: CGP, Projet de Rapport, la production agricole en AFN, S. 36.

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ken153. Schließich wurden auch keine Initiativen bekannt, der Normandie die Käseproduktion zu verbieten, um jene der l’Île-de-France de schützen. Ebensowenig erhoben sich Stimmen, Paris müsse in Zukunft seinen Getreidebedarf selbst kultivieren. Folgerichtig sprach für Algerien nichts dagegen, „[de] résoudre son problème alimentaire dans le cadre d’une économie d’échange, en utilisant au mieux les possibilités naturelles de son sol“154. Dabei war es unerheblich, dass die muslimische Bevölkerungsmehrheit die Produkte des Weinbaus nicht konsumierte. Die Produktivitätsvorteile der franko-algerischen Betriebe hätten dem Komplex Frankreich-Algerien eine insgesamt effizientere Weinproduktion und somit Wohlfahrtsgewinne ermöglicht. Diese Feststellung wahrt ihre Gültigkeit auch dann, wenn der Standortvorteil auf die Faktoren Klima, Böden und Betriebsgröße beschränkt und im Bereich von Steuern und Löhnen gemäß dem Anspruch der Integrationspolitik eine Angleichung vorgenommen worden wäre. Die notwendige Bedingung war ein Marktgleichgewicht. Dem Wunsch der ‚Fédération des Syndicats du Commerce des vins d’Algérie‘ nach „une plus grande liberté dans les transactions, seul moyen, à notre avis, de donner au marché des vins un renouveau d’activité“, kam die Politik nicht nach155. Da das französische System kein automatisches Optimum zuließ, kam Paris die Verantwortung zu, sich einer Gleichgewichtssituation durch aktives Handeln zumindest anzunähern. Um den Angebotsüberschuss zu beseitigen, boten sich aus technisch-ökonomischer Sicht gerade jene französischen Anbaugebiete zur Konvertierung an, die auf die Beimischung algerischen Weins angewiesen waren. Eine progressive Stilllegung dieser qualitätsschwachen Erzeugungen hätte die Überschusssituation spürbar entspannen und den prädestinierten Weinregionen in Algerien die Chance geben können, ihr ökonomisches Potential zum gesamtfranzösischen Nutzen voll auszuschöpfen. Das im Hexagon freiwerdende Produktionspotential hätte zur Herstellung von Gütern genutzt werden können, bei denen ein Wettbewerbsvorteil gegenüber Nordafrika vorlag. Die Ministerien folgten im Grundsatz der aufgezeigten ökonomischen Argumentation. Aufgrund politischer Überlegungen schlossen sie sich dennoch der Forderung nach Begrenzung oder Reduktion des Weinbaus in Algerien an, „pour

153 Jean Sourbet (IPAS), in: JOAN, 01.03.1956, S. 603. Die Idee der nahrungstechnischen Selbstversorgung gewann erst dann an Plausibilität, wenn vom Credo „Algerien ist Frankreich“ abgerückt würde. Vor diesem Hintergrund erhielt die kommunistische Argumentation eine gewisse Logik, da sie gleichzeitig das Recht auf Selbstbestimmung einforderte. In einem unabhängigen Algerien wäre die Transformation der Weinberge unausweichlich gewesen, da nicht davon auszugehen war, dass Frankreich weiterhin die algerische Produktion absorbieren würde. Ein theoretischer Nachfrageüberschuss hätte durch günstigere Importe aus dem Ausland bedient werden können. Nach Moussa hätte Frankreich jährlich 19,3 Milliarden Francs (Basis 1954) einsparen können, wenn es die algerischen Weinimporte zu Weltmarktpreisen gekauft hätte. Les chances économiques, S. 79. 154 ANOM, FM 81F 2312: 12.05.1958, Ministre de l’Algérie à Ministre de l’Agriculture. Organisation du marché du vin, S. 2. 155 AN, 74 AP 42: 27.04.1955, Fédération des Syndicats du Commerce des vins d’Algérie, S. 1.

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III. Die ökonomische Integration 1954 bis 1958

ne pas inquiéter les milieux métropolitains“156. Es wurde eine Deckelung der algerischen Anbaufläche bei 350.000 Hektar beschlossen. Diese Grenze lag leicht unterhalb des 1958 erreichten Niveaus und deutlich unter den 400.000 Hektar, die aus ökonomischer Sicht als sinnvoll erachtet wurden, sofern eine parallele Verkleinerung der Fläche in der Metropole durchgesetzt worden wäre. Wenige Anhänger Französisch-Algeriens erhoben explizit entsprechende Forderungen. Zu groß schien die Gefahr, auf diesem Wege Kritik an der Integrationspolitik zu befeuern157. Der Gegensatz zur französischen Haltung bei den Zitrusfrüchten ist offenkundig. Dort wurden (franko-)algerische Interessen und das Credo „l’Algérie, c’est la France“ gegen eine aus rein ökonomischer Sicht sinnvolle Liberalisierung des Außenhandels verteidigt. Eine echte Gleichberechtigung am Weinmarkt setzte Paris hingegen nicht um, obgleich sowohl volkswirtschaftliche Argumente als auch der eigene politische Anspruch dafür sprachen. Die Begrenzung des algerischen Weinbaus kann als Beleg für die Effizienz des Wirkens der französischen Weinlobby gewertet werden. Zweifel an den Erfolgsaussichten der Integrationspolitik mögen, bewusst oder unbewusst, ebenso eine Rolle gespielt haben. Warum sollte die Regierung die Weinproduktion der Metropole zurückfahren, wodurch die zukünftigen Exportmöglichkeiten nachhaltig gesenkt worden wären und sie die 1,5 Millionen französischen Winzer gegen sich aufgebracht hätte, wenn insgeheim mit einer baldigen Unabhängigkeit Algeriens gerechnet wurde? Einige franko-algerische Winzer hielten dieses Szenario für wahrscheinlich und meldeten sich für das Programm der ‚Arrachage volontaire des vignes‘. Im Mai 1956 lagen bereits Anfragen über 17.000 Hektar vor. Die zunehmende Unsicherheit und wiederholte Angriffe des FLN auf französische Siedler und ihren Besitz führten zu einer „‚liquidation‘ pure et simple“ von Anbauflächen mit hoher Eignung für den Weinbau158. Die bezahlte Aufgabe von Weinbergen bot den Produzenten eine Absicherung gegen eine ungewisse Zukunft. Für die entlassenen Landarbeiter und die algerische Volkswirtschaft hingegen gingen damit negative Konsequenzen einher. Nach der Unabhängigkeit bemühte sich die neue Führung Algeriens zunächst, Frankreich zur dauerhaften Abnahme seiner (reduzierten) Produktion zu bewegen. Sie war sich offenkundig des wirtschaftlichen Nutzens der Weinkultur bewusst. Angesichts der zunehmenden Spannungen im bilateralen Verhältnis und des hei-

156 MFE, B 0024875/1: Schéma de rapport sur les „Perspectives décennales“, S. 20. 157 Als namhafte Ausnahme ist Pierre Moussa anzuführen. Er schlug vor, die Metropolproduktion zu senken und stärker auf Qualität als auf Quantität zu setzen. Dann seien die algerischen Weinimporte ökonomisch sinnvoll. Moussa: Les chances économiques, S. 78f. 158 ANOM, FM 81F 2313: 22.05.1956, Le Secrétaire d’État à l’Intérieur, Chargé des Affaires Algériennes, à Monsieur le Secrétaire d’État à l’Agriculture. Arrachage volontaire des vignes, S. 1f. Das Innenministerium formulierte zudem die Sorge, es könne zu einer „évasion des capitaux, fournis par les indemnités d’arrachages volontaires, vers la Métropole ou vers l’étranger“ kommen und auf diese Weise der ökonomische Rückzug Frankreichs aus Algerien eingeläutet werden. ANOM, FM 81F 2313: 06.02.1956, MI à ministère de l’agriculture, Arrachage des vignes, S. 2.

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mischen Überangebots sank gleichwohl die entsprechende Bereitschaft in Paris. Nach der Nationalisierung der Ölindustrie Anfang der 1970er Jahre erreichte letztere den Tiefpunkt und da auch die Bemühungen Algiers weitgehend erfolglos blieben, in anderen Ländern Abnehmer für den algerischen Wein zu finden, griff Präsident Boumédiène zu einer drastischen Maßnahme: Hunderttausende Weinpflanzen wurden ausgerissen159. Damit ging nicht nur die mittlerweile noch zweitwichtigste Einnahmequelle hinter den Ölexporten verloren, auch der Bodenerosion wurde Vorschub geleistet. Der Wunsch nach Auslöschung des kolonialen Erbes reicht somit als Erklärung für den drastischen Rückgang des algerischen Weinbaus nicht aus160.

159 Isnard: La viticulture algérienne, S. 6ff. und Aouf, B. M.: La conversion – reconstitution du vignoble algérien, in: La vigne et le vin (= Options Méditerranéennes 12), hg. v. CIHEAM, Paris, 1972, S. 65–67. 160 Jeune Afrique (2011): Que reste-t-il de Boumédiène?. Online: http://www.jeuneafrique.com/Article/ARTJAJA2607p079-081.xml0/.

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III. Die ökonomische Integration 1954 bis 1958

4. DIE INDUSTRIALISIERUNG „Il faut industrialiser l’Afrique française“, (Jean Chardonnet, 1956)161

Ausgangslage und Probleme Nach dem Beginn des Unabhängigkeitskriegs gefährdete ein Festhalten am Kolonialpakt die Überzeugungskraft des Anspruchs „l’Algérie, c’est la France“. Zudem konnte die Landwirtschaft unmöglich der demografischen Herausforderung des Landes begegnen. Bisher weitgehend der Initiative privater Investoren überlassen, rückten die Industrialisierung Algeriens und die Frage, wie diese gelingen könne, daher in den Mittelpunkt der konzeptionellen Debatte. Der Mitte 1955 vorgelegte Maspétiol-Bericht gab hierbei einen wichtigen Impuls. Die nach dem Zweiten Weltkrieg vorgeschlagene strategische Industrialisierung verschwand nach dem November 1954 nicht vollständig aus der Diskussion162. Da ihr Beitrag zur ökonomischen Entwicklung jedoch notwendigerweise begrenzt bleiben musste, spielte dieser Ansatz in der Folge eine nachrangige Rolle. Wie bereits angedeutet, waren die Energiepreise ein nicht unerheblicher Faktor bei der Investitionsentscheidung von Unternehmen. Die Politik zeigte indes weiterhin kein besonderes Engagement, die ungünstigen Bedingungen in Algerien zu beheben. Im algerischen Budget standen im Jahr 1955/56 weniger Finanzmittel für den Bereich Energie zur Verfügung als im vorangegangenen Haushaltsjahr163. Die Forderung nach Integration der Energiemärkte stieß in den Ministerien auf wenig Gegenliebe164. Auch die staatlichen Versorger im Hexagon und in Nordafrika sprachen sich gegen einen Zusammenschluss aus165. Die Unternehmen wollten offenkundig ihre Selbständigkeit wahren. Nach den Öl- und Gasfunden in der Sahara Ende 1955/Anfang 1956 schien sich das Problem mittelfristig von selbst zu lösen. Die Energiekommission der Regierung ging davon aus, dass in absehbarer Zukunft in Algerien ein günstigeres Preisniveau als in der Metropole erreicht werden könne166. Aus einem Wettbewerbsnachteil sollte perspektivisch somit ein 161 Chardonnet: Il faut industrialiser l’Afrique française. 162 „Ainsi pourra-t-on posséder une structure économique et stratégique appropriée à la défense des intérêts généraux français“, hieß es etwa in einer zeitgenössische Publikation. De Lattre, Jean-Michel: Les grands ensembles africains, in: Politique étrangère, 20, 5 (1955), S. 541– 574, hier S. 546. Vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts und in Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg bezeichnete der renommierte Jean Chardonnet die Industrialisierung der Überseegebiete als strategischen Imperativ. Chardonnet: Il faut industrialiser l’Afrique française, S. 27. 163 ANOM, FM 81F 2019: 31.05.1958, Délégation générale du GGA, Plan de développement industriel, S. 9. 164 ANOM, FM 81 F 1825: 26.01.1955, Note, Péréquation du prix du courant électrique, S. 3. 165 ANOM, FM 81F 1805: 20.07.1955, Abaissement du prix d’énergie électrique en Algérie, S. 7. 166 ANOM, FM 81F 2019: 31.05.1958, Délégation générale du GGA, Plan de développement industriel, S. 19.

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Standortvorteil werden167. Kurzfristig blieben die hohen Energiepreise jedoch als investitionshemmendes Element bestehen, sie summierten sich Mitte 1958 auf fünf Milliarden Francs168. Auch andere Hindernisse für die Industrialisierung bestanden fort. Aufgrund der überdurchschnittlich jungen Bevölkerung, der geringen Frauenarbeitsquote, der ungleichen Einkommensverteilung und der hohen Arbeitslosigkeit waren die Absatzmöglichkeiten in Algerien beschränkt. Von den 9,5 Millionen Einwohnern bildeten 3,5 Millionen die aktive Bevölkerung, 350.000 davon waren ‚Pieds noirs‘169. Einem nicht unerheblichen Teil der muslimischen Population stand nach Abzug des elementaren Konsums kein Geld für weitere Ausgaben zur Verfügung. ‚The Economist‘ schätzte diesen Anteil auf bis zu 75 Prozent170. Ohne konkrete Zahlen zu nennen, bestätigte der Maspétiol-Bericht, „la partie disponible pour l’achat de produits industriels ou pour l’impôt se trouve donc réduite dans une proportion supérieure à celle de la différence des revenus“171. Auf eine Größe von zwei Millionen Menschen evaluierte ‚Le Monde‘ den Binnenmarkt Algeriens172.

Hochtechnologie- oder Konsumindustrie Diese beschränkten Verkaufsmöglichkeiten vor Augen, sprach sich die frankoalgerische Administration für die Implantation moderner, international wettbewerbsfähiger und exportorientierter Industrien aus. Kombiniert mit der Ausweitung der Rohstoffförderung sollte auf diese Weise das globale Einkommen Algeriens erhöht werden173. Dieser Ansatz fand auch außerhalb der Politik Zuspruch. „Quelles que soient les solutions retenues pour équiper industriellement l’Algérie, il ne faut envisager que des équipements ultra-modernes et des méthodes de haute productivité“, empfahl Jean Blanchard, Sozialwissenschaftler aus Algier174. In Algerien herrschte allerdings bereits ein großer Fachkräftemangel, während hunderttausende gering qualifizierte Menschen keine Arbeitsstelle fanden175. Die durch die Ansiedlung von Hochtechnologieunternehmen entstehende Nachfrage nach hochqualifiziertem Personal hätte somit keine positiven Effekte auf den alge-

167 ANOM, FM 81F 2019: 14.11.1958, CGP, Rapport Commission Perspectives décennales, S. 25. 168 ANOM, FM 81F 184: 12.06.1958, Note pour le Directeur général, Délégation générale du GGA. 169 MDN, 1 H 1107/1: GGA, recensement de la population 1954, T. 3, Population active, S. 11. 170 The Economist (01.10.1955): The Algerian Dilemma, S. 15. 171 Rapport Maspétiol, S. 14. 172 Le Monde, (27./28.11.1955): Drame et problèmes de l’Algérie. 173 Lefeuvre: Chère Algérie, S. 18; 365. 174 Blanchard: Le problème algérien, S. 1. 175 Chardonnet sah im Mangel an Fachkräften das entscheidende Hindernis für die Ansiedlung von Hochtechnologie-Industrie, die nur langfristig und nach vorheriger Etablierung von Basis- und Konsumindustrien gelingen könne. Chardonnet: Il faut industrialiser l’Afrique, S. 28.

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rischen Arbeitsmarkt gehabt. Die neuen Arbeitsplätze wären bestenfalls ein Anreiz für qualifizierte Arbeitsimmigration gewesen. Für den Leiter des ‚Conseil économique‘, Robert Delavignette, bestand daher kein Zweifel an der Tatsache, „que l’industrialisation de l’Algérie n’est possible que si elle vise le marché intérieur, et que celui-ci ne peut se développer qu’avec une élévation du pouvoir d’achat de la masse algérienne“176. Auch das CGP und Funktionäre aus dem Finanzministerium forderten „un appel à des industries débouchant d’abord sur le marché local“177. Die entscheidenden Fragen waren demnach: Erstens, wie war eine strukturelle Stärkung der algerischen Binnennachfrage zu erreichen? Zweitens, wie konnten auf den lokalen Konsum ausgerichtete Unternehmen zum Aufbau von Produktionsstätten in Algerien bewegt werden? Drittens, wie würden sie gegen die übermächtige Konkurrenz aus der Metropole bestehen?

Löhne und der Arbeitsmarkt Eine wesentliche Schwierigkeit lag darin begründet, dass die Integrationspolitik für das Entwicklungsland Algerien ein zweischneidiges Schwert war. Häufig stand die Vorgabe, das algerische Lebensniveau möglichst rasch anzuheben in einem Zielkonflikt zur institutionellen Harmonisierung. Besonders deutlich zeigte sich die Ambivalenz in der Lohnfrage. Die Einkommenssituation und die Höhe der Löhne wurden kontrovers diskutiert. Politiker und Publikationen nahmen das Durchschnittseinkommen Algeriens von 54.000 Francs bisweilen als Beleg für das zivilisatorische Aufbauwerk Frankreichs. Es sei doppelt so hoch wie jenes Ägyptens und „plus élevé que celui des habitants de la plupart des pays du Moyen-Orient“178. Da der offizielle Anspruch seit mehr als 100 Jahren lautete, „l’Algérie, c’est la France“, stellte sich die Frage, wie angemessen der häufig gesuchte Vergleich zur arabischen Welt war179. In der Metropole nämlich verdienten die Menschen im Durchschnitt 240.000 Francs pro Jahr180. Unerwähnt blieb ferner die sehr ungleiche Verteilung der Einkommen zwischen den Bevölkerungsgruppen in Algerien. Betrug das Jahressalär der ‚Pieds 176 Conclusions générales du rapport présenté au nom du Conseil économique par M.R. Delavignette et avis formulé par le Conseil économique dans sa séance du 28 juin 1955, in: Journal Officiel du Conseil économique. 177 AN, F 12 11804: 25.02.1960, Note au sujet du Plan de Constantine, G. de Wailly, S. 3. 178 Connaissance de l’Algérie, 12, (1956): Relations économiques et financières entre la Métropole et l’Algérie, S. 5. (Vgl. ANOM, FM 81F 1795). Ähnlich: Innenminister BourgèsMaunoury (RRS), in: JOAN, 31.03.1955, S. 2169 und Solidarité économique, 1 (1956): La Solidarité France-Afrique du Nord, S. 2–4. 179 Algerien könne etwa eine um 50 Prozent geringere Kindersterblichkeit aufweisen als Ägypten. MAE, AL, Algérie, 15: 15.11.1957, Les missions de l’armée française dans la guerre révolutionnaire d’Algérie, général Allard. Fünfmal mehr Autos führen, im Vergleich zu Ägypten, auf algerischen Straßen. Vialet: L’Algérie restera française, S. 72. 180 Rapport Maspétiol, S. 14.

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noirs‘ im Mittel 208.000 Francs, beschränkte sich jenes der Algerier auf 33.800 Francs. Gewaltige Unterschiede gab es auch innerhalb der Populationen. Die aus etwa 15.000 Personen bestehende Oberschicht, „presque exclusivement des nonmusulmans“, erzielte durchschnittliche Einkommen von 1,63 Millionen Francs pro Jahr. 545.000 Franko-Algeriern und 50.000 Muslimen standen Einnahmen von jährlich 236.000 Francs zur Verfügung. 440.000 ‚Pieds noirs‘ und 510.000 Algerier mussten sich mit 115.000 Francs zufrieden geben. Drei Viertel der muslimischen Bevölkerung verdienten mit 19.300 Francs pro Jahr weniger als ein Zehntel des franko-algerischen Durchschnittsgehalts181. Damit war unbestreitbar, dass die ersten beiden Entwicklungspläne keinen erkennbaren Beitrag zur Überwindung der sozialen Spaltung Algeriens geleistet hatten. „Ces salaires invraisemblables“ nahm der franko-tunesische Philosoph Albert Memmi zum Anlass, den Vorwurf der generellen kolonialistischen Ausbeutung zu erheben182. Vornehmlich kommunistische Abgeordnete sahen die Beendigung der kolonialen Beziehungen als einzigen Ausweg an, um die Algerier aus der ökonomischen Unterdrückung zu befreien183. An der grundsätzlichen Benachteiligung der Muslime konnte kein Zweifel bestehen, dennoch gilt es, zwischen verschiedenen Wirtschaftsbereichen zu differenzieren und weitere Faktoren zu berücksichtigen. Offiziell betrug der Stundenlohn in der Landwirtschaft in Algerien je nach Region und Anbaukultur zwischen 276 und 427 Francs pro Tag. In Frankreich erhielten Landarbeiter 826 Francs. Die Lebenshaltungskosten waren in Algerien je nach Region sehr unterschiedlich und nicht zwangsläufig geringer als in Frankreich. Während Eier, Seife und Speiseöl in Algier günstiger als in Paris waren, lagen die Preise für Energie, Brot und Milch über dem französischen Niveau. Mit 8.980 Francs pro Monat war der Preis eines durchschnittlichen Konsumwarenkorbs in Algier quasi identisch mit den 8.985 Francs in Paris184. Zwar fiel die Abgabenlast in der Metropole höher aus, dafür blieben algerische Landarbeiter von wichtigen Sozialleistungen ausgenommen185. Eine französische Familie mit zwei

181 ANOM, FM 81F 1794: 10.02.1956, Note budgétaire, Commission des Finances, S. 7f. Da exakte Daten fehlten, ist auch diese Studie der Finanzkommission als Schätzung zu betrachten. Der Überschlagcharakter wird bereits dadurch deutlich, dass eine Million ‚Pieds noirs‘ und acht Millionen Algeriern zugrunde gelegt werden. Die Volkszählung von 1954 hatte eine Gesamtbevölkerung von 9.53 Millionen Menschen ergeben. MDN, 1 H 1107/1: GGA, recensement de la population 1954, T. 1, S. XV. 182 Memmi, Albert: Portrait du colonisé, précédé du Portrait du colonisateur, Buchet/Chastel, Corrêa, 1957, S. 106. Memmi beschäftigte sich intensiv mit dem Thema Rassismus. Er kritisierte die Unterdrückung der Kolonisierten und sah die Unabhängigkeit der Kolonien als unausweichlich an. 183 JOA, 30.12.1950, S. 1455. 184 In Tunis lag der Preis des gleichen Warenkorbs bei 8.590 Francs, in Casablanca bei 8.415 Francs. Lepidi: Évolution comparée des prix en Afrique du Nord et en France, S. 24f. 185 „Les professions agricoles sont exclues du champ d’application des textes instituant un régime d’allocations familiales en Algérie“. MAE, MT, Maroc (I), 407: 05.09.1954, Viticulture, Rapport Branas, S. 177. Zur Höhe der Löhne siehe auch Elsenhans: La guerre d’Algérie, S. 628.

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Kindern erhielt eine Zulage von 40 Prozent des Grundgehaltes. Bei fünf Kindern waren es 117 Prozent. Damit lag Frankreich hinter Italien an der europäischen Spitze der Sozialleistungen186. Für den Vorsitzenden der algerischen Sozialversicherung waren die 40,5 Milliarden Francs, die 2,3 Millionen Menschen in Algerien im Jahr 1954 an staatlichen Sozialleistungen erhielten, „la meilleure démonstration de l’effort de l’Algérie dans le domaine social“187. Faktisch bestätigte er damit, dass etwa drei Viertel der Bevölkerung keine Sozialleistungen erhielten. Darüber hinaus berücksichtigten seine absoluten Zahlen nicht die sehr ungleiche Verteilung. Lediglich 15 Prozent der Muslime kamen in den Genuss sozialer Transfers. Bei den ‚Pieds noirs‘ hingegen lag die Bezugsquote nahe 100 Prozent188. Die institutionelle Benachteiligung der algerischen Landarbeiter war somit unbestreitbar. Neben der politisch-moralischen Rechtfertigung sprachen auch ökonomische Argumente für eine Anhebung der Löhne in der Landwirtschaft. Die hohen Gewinne der Agrargesellschaften verdeutlichten ebenso wie der stetige Kapitalabfluss in der algerischen Zahlungsbilanz, dass großer Raum für eine gerechtere Entlohnung bestand. Eine Umwandlung eines Teils der Unternehmensgewinne in Gehälter und damit in Kaufkraft hätte für sozialen Ausgleich sorgen und gleichzeitig der Industrialisierung einen Impuls geben können. Denn so lange einem Großteil der algerischen Marktteilnehmer kaum ausreichend Einkommen für die Befriedigung der elementaren Grundbedürfnisse zur Verfügung stand, konnte keine strukturelle Nachfrage nach industriellen Gütern entstehen. Ohne lokalen Markt wiederum fehlte Unternehmern der Investitionsanreiz. Gleichwohl bestand die Gefahr, bei einer übermäßigen Erhöhung der Mindestlöhne die sich bereits in vollem Gange befindende Mechanisierung der Landwirtschaft zu beschleunigen und auf diese Weise kontraproduktiv zu wirken. Die Regierung entschied sich für einen Mittelweg. Bis zum Ende der IV. Republik wurden die Löhne in der Landwirtschaft mehrfach angehoben. Dass es bei einer Differenz von 30 bis 60 Prozent zur Metropole blieb, widersprach zweifelsohne dem Gleichheitsgedanken189. Zudem stiegen Unternehmensgewinne kräftiger als die Löhne, so dass durchaus weiterer Spielraum vorhanden gewesen wäre. In der Industrie präsentierte sich die Lohnsituation anders. Grundsätzlich galt hier, „le régime juridique des salaires en Algérie est identique à celui de la Metropole“190. Ausnahmeregelungen führten zu einem niedrigeren Mindestlohn in der

186 Études et Conjoncture, Économie mondiale, 3 (1952): Les méthodes de fixation des salaires et la politique des salaires dans le monde, S. 264–280. 187 ANOM, ALG GGA 7F 110: 1954, M. Champ, Directeur du Travail et de la Sécurité Sociale, sur le fonctionnement de la Sécurité Sociale en Algérie. 188 Lefeuvre: Chère Algérie, S. 98f. 189 Zuletzt am 31. Mai 1958 durch einen Erlass von General Salan. Siehe ANOM, FM 81F 1795 und ANOM, FM 81F 194: 10.12.1959, Plan de travail pour l’étude des conséquences économiques et financières de la francisation de l’Algérie ou de sa sécession, Mission d’études, C.M., S. 3. 190 ANOM, FM 81F 1795: Régime des salaires en Algérie.

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algerischen Industrie, das Verhältnis zu den Metropollöhnen blieb jedoch konstant. Ende der IV. Republik betrug die Differenz etwa 20 Prozent191. Im Unterschied zur Landwirtschaft herrschte auf dem industriellen Arbeitsmarkt ein Nachfrageüberschuss nach Fachkräften192. Diese Situation erlaubte es der Arbeitnehmerseite, in den Lohnverhandlungen Prämien durchzusetzen, die den Reallohn vieler Industriearbeiter mitunter über das Metropolniveau hoben193. Angesichts dieser Situation erkannten einige Beamte in der Höhe des bestehenden Mindestlohns ein Hindernis für die Industrialisierung194. Andere plädierten hingegen für „une augmentation générale des salaires en fonction du coût de la vie aussi élevé qu’en France“195. Die Lohnfrage stand in engem Zusammenhang mit der grundsätzlichen Frage nach der Ausrichtung der Industrialisierung. Eine exportorientierte Industrie wäre nicht auf die Binnennachfrage angewiesen, so dass eine Stärkung der lokalen Kaufkraft keine Priorität hätte. Eine binnenmarktorientierte Industrialisierung indessen benötigte zwingend einen breiten und kaufkräftigen algerischen Markt. Die Annahme, diesen über eine Egalisierung der Löhne zu erreichen, barg dennoch Risiken. Da Industriearbeiter nur knapp 10 Prozent an der aktiven Gesamtbevölkerung ausmachten, musste der Wirkungsgrad von Lohnerhöhungen zwangsläufig begrenzt bleiben196. Zudem belegte das bisherige Ausbleiben umfangreicher industrieller Investitionen, dass die Gehälter in Algerien keineswegs als Kapitalmagnet fungierten197. Für die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Algerien war es von zentraler Bedeutung, dass die Mindestlöhne die Arbeitsproduktivität nicht überschritten. Eine politisch motivierte Lohnerhöhung „enlèverait à l’industrie algérienne un de ses principaux avantages“198. Sie hätte zwar die Kaufkraft einer ohnehin privilegierten Bevölkerungsschicht gesteigert, jedoch keinen Beitrag zu einer Verbreiterung des Binnenmarkts und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit geleistet.

191 192 193 194 195

ANOM, FM 81F 179: Note sur les Perspectives décennales, S. 3. Despois: La répartition des industries de transformation, S. 19 Lefeuvre: Chère Algérie, S. 312. ANOM, FM 81F 177: 10.1958, Note, intégration totale de l’Algérie, Mission d’études, S. 6. ANOM, FM 81F 179: Note sur les Perspectives décennales, S. 3. Ebenso Memmi: Portrait du colonisé, S. 106ff. 196 MDN, 1 H 1107/1: GGA, recensement de la population 1954, T. 3, S. 15. 197 Rivet schreibt in diesem Zusammenhang: „ce n’est pas d’un excès, mais d’un déficit de capitaux que souffrit le Maghreb colonial“. Rivet: Le Maghreb à l’épreuve, S. 215. 198 Rieul Paisant, Marcel: Les problèmes de débouchés, in: Industrialisation de l’Afrique du Nord, S. 119–133, hier S. 129. Dass die Frage der Lohnhöhe häufig nicht ökonomisch, sondern politisch betrachtet wurde, belegt eine Broschüre des ‚Commissariat de l’Algérie‘, mit der anlässlich der internationalen Weltausstellung 1958 in Brüssel die zivilisatorischen Errungenschaften Französisch-Algeriens hervorgehoben werden sollten. Ein Lohnunterschied von lediglich 25 Prozent im Vergleich zur Metropole sei ein unbestreitbarer Beleg für die Fortschrittlichkeit Algeriens und widerlege den Vorwurf kolonialer Ausbeutung. L’Algérie. Terre franco-musulmane, S. 69.

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Grundsätzlich musste bei der Einkommensfrage bedacht werden, dass die Misere der Massen nicht primär auf zu niedrige Löhne zurückzuführen war. Sie entstand in erster Linie durch das Fehlen ausreichender Arbeitsmöglichkeiten. Die wenigen industriellen Arbeitsplätze blieben den Algeriern aufgrund ihrer häufig geringen Qualifikation verwehrt. In der Landwirtschaft stand Arbeit meist nur für wenige Monate im Jahr zur Verfügung. Erst durch die chronische Unterbeschäftigung kam es überhaupt zu Jahreseinkommen von weniger als 20.000 Francs. Die zentrale Herausforderung lag somit nicht primär darin, die Gehälter derjenigen zu verbessern, die in der glücklichen Lage waren, über eine dauerhafte Beschäftigung zu verfügen. „Le problème capitale demeure le problème de l’emploi“ und so hätten sich die Anstrengungen auf die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung konzentrieren müssen199. Als Alternative zum direkten Markteingriff über den Mindestlohn hätte die Kaufkraft der algerischen Geringverdiener über die Angleichung der Sozialleistungen an das Metropolniveau gesteigert werden können. Da das algerische Budget die geschätzten Kosten von bis zu 360 Milliarden Francs pro Jahr unmöglich alleine stemmen konnte, wäre die finanzielle Solidarität der Metropole gefragt gewesen200. Diese berief sich jedoch auf die finanzielle Autonomie Algeriens und so forderte der Maspétiol-Bericht, die sozialen Investitionen auf dem damaligen Niveau zu belassen201. Eine Sondierungskommission empfahl in Sachen Sozialleistungen eine „politique d’assimilation partielle“, da diese die Belastung für die Metropole um bis zu 80 Prozent verringern würde202. Eine vollständige Integration hingegen „excédera rapidement les possibilités de l’économie française“203. In Anbetracht der demografischen Dynamik Algeriens seien gleiche Sozialleistungen sogar kontraproduktiv, da sie lediglich zu einem weiteren Geburtenanstieg führen würden, ohne die Einkommenssituation der muslimischen Bevölkerung zu verbessern204. Eine ministerielle Studie meinte, die „injections artificielles de pouvoir d’achat“ würden die Industrialisierung behindern, da sie die Einkommen

199 Zitat: AN, F 12 11801: Septembre 1958, Rapport sur la situation économique de l’Algérie, S. 1. 200 Schätzung des Algerienministeriums. ANOM, FM 81F 184: 12.06.1958, Note pour le Directeur général, Délégation générale du GGA. Siehe auch: ANOM, FM 81F 184: Mission d’études, Intégration social, S. 2. Dabei handelte es sich um eher vorsichtige Kalkulationen. Die Arbeitslosenhilfe wurde beispielsweise auf der Basis von maximal 600.000 Personen ohne Beschäftigung kalkuliert. Tatsächlich verfügten bis zu einer Million Algerier nicht über eine Arbeitsstelle. 201 Rapport Maspétiol, S. 9. 202 ANOM, FM 81F 184: 12.06.1958, Note pour le Directeur général, Délégation générale du GGA, Service des Études. 203 OURS, AGM 81: 09.02.1956, Association syndicale des administrateurs des services civils d’Algérie, mémoire rédigé à la demande de G. Mollet, président du Conseil. 204 Rapport Maspétiol, S. 18. Gegen geringere soziale Investitionen protestierte die Generalregierung in Algier. ANOM, FM 81F 1796: 25.09.1954, Le budget de l’Algérie et les concours métropolitains, GGA, S. 6.

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der Arbeitnehmer schneller steigen ließen als die Unternehmensgewinne, „contribuant ainsi à la faible rentabilité des entreprises“205. Angesichts der aufgezeigten sozio-ökonomischen Situation erscheint die hier beschriebene Problematik konstruiert, insbesondere wenn die höheren Sozialleistungen vom Staat und nicht von den privaten Unternehmen getragen worden wären. Unabhängig von ihrer Stichhaltigkeit verdeutlicht die Argumentation der französischen Administration die mangelnde Kohärenz der Integrationspolitik. Wenn letztere die Leistungsfähigkeit bzw. die Opferbereitschaft des Hexagons überstieg oder die algerischen Gegebenheiten eine Gleichbehandlung im Sinne „l’Algérie, c’est la France“ nicht erlaubten, stellte sich unweigerlich die Frage, warum Paris diese Politik weiter verfolgte. Letzten Endes wurde die Angleichung des Sozialsystems nur sehr zögerlich angegangen206. Einige Leistungen blieben den Algeriern weiterhin vorenthalten. Die konkrete Umsetzung wurde zudem von den verantwortlichen Präfekten teilweise verzögert, speziell in Regionen, wo große Agrargesellschaften tätig waren. So vergingen häufig mehrere Jahre, bevor die Menschen tatsächlich staatliche Unterstützung erhielten207. Eine soziale Gleichberechtigung kam somit bis zum Ende der IV. Republik nicht zustande.

Protektion, Steuern und Investitionsanreize Eine Möglichkeit, industrielle Investitionen anzuregen, bestand in der Implementierung protektionistischer Barrieren. Während Protektion in der Strategie einer hochtechnologischen Industrie eine zu vernachlässigende Komponente darstellte, konnte die Konsumindustrie ohne Schutzmaßnahmen kaum gegen die produktiveren Unternehmen aus dem Hexagon bestehen. Bis über die ‚Perspectives décennales‘ hinaus wurde in den Ministerien über dieses entwicklungspolitische Instrument gestritten. Auf Ablehnung stießen Schutzzölle insbesondere in der franko-algerischen Administration und dem Algerienministerium. Diese Opposition sollte nicht als Resultat wirtschaftsliberaler Überzeugungen interpretiert werden. Wie am Beispiel der Zitrusfrüchte aufgezeigt wurde, lehnten Wirtschaft und Politik in Algerien Protektion keineswegs grundsätzlich ab, sondern forderten sie ein, sobald ausländische Konkurrenz drohte. Im vorliegenden Fall ging es vielmehr darum, ein politisches Signal der Einheit auszusenden. Außenwirtschaftliche Sonderregelungen für Algerien, so die Befürchtung, könnten als Widerspruch zur Devise „l’Algérie, c’est la France“ gedeutet werden. Unterstützung fand die Idee

205 AN, F 12 11804: Janvier 1957, Le rôle moteur de la France. 206 Ein Dekret vom 18. Februar 1957 beschloss, einige Sozialleistungen auf die Landwirtschaft in Algerien anzuwenden. JORF, 18.02.1957, S. 2148. Gleichwohl wurde noch Mitte 1958 in den Ministerien darüber debattiert, ob eine vollständige Angleichung des Sozialsystems realisierbar sei. ANOM, FM 81F 184: 12.06.1958, Note pour le Directeur général, Délégation générale du GGA, Service des Études. 207 Collot: Les Institutions de l’Algérie, S. 19.

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algerischer Schutzzölle hingegen im CGP und im Wirtschaftsministerium208. Dies mag insofern überraschen, als dass beide Institutionen im Allgemeinen eine (progressive) Liberalisierung des französischen Außenhandels befürworteten. Der vermeintliche Widerspruch löst sich durch die Berücksichtigung der unterschiedlichen Entwicklungsstadien der algerischen und der französischen Volkswirtschaft auf. Ende der 1950er Jahre stand Frankreichs Ökonomie, trotz einiger Defizite in puncto internationaler Wettbewerbsfähigkeit, auf einer soliden Basis. In der Franczone verfügte alleine die Metropole über eine moderne Industrie und somit über eine Monopolstellung auf dem Exportmarkt innerhalb des Währungsverbunds. Bei entsprechenden Anpassungen, Rationalisierungen und Übergangsfristen musste Frankreich eine Liberalisierung des franko-europäischen Außenhandels nicht fürchten. Algeriens Industrie hingegen hatte sich aufgrund der ungünstigen Standortbedingungen und der übermächtigen französischen Konkurrenz kaum entwickelt. Das ‚infant industries argument‘ sprach dafür, das wirtschaftliche Gedeihen des Entwicklungslands Algerien durch temporäre Schutzzölle zu unterstützen209. Am Ende siegten die politischen Vorbehalte über ökonomische Überlegungen. Bis auf wenige Ausnahmen blieb Protektion „en principe exclue comme méthode générale d’aide aux industries naissantes“210. Diese Ablehnung stand in auffälligem Kontrast zur französischen Außenwirtschaftspolitik der Nachkriegsdekade, in der explizit auf Zölle und Kontingente gesetzt wurde, um die Entwicklung der heimischen Wirtschaft ohne ausländische Konkurrenz voranzutreiben. Auch die Erfahrung aus den ehemaligen Protektoraten Marokko und Tunesien hatte gelehrt, „[que] les industries légères ne se sont réellement implan-

208 Unterstützung fand die Idee der Protektion etwa im ‚Commissariat général du Plan‘. ANOM, FM 81F 2019: 14.11.1958, CGP, Perspectives décennales, S. 7. Eine ähnliche Empfehlung findet sich in einer weiteren Note. ANOM, FM 81F 179: 15.02.1960, Note au sujet du Plan de Constantine, M. Gabory, S. 4. Ablehnende Haltungen gab es u. a. im Algerienministerium und ANOM, ALG GGA 7F 147: Problèmes d’industrialisation de l’Algérie, M. Bouakouir, Commissaire du Gouvernement, le 23 Juin 1955, S. 5 und ANOM, FM 81F 177: 1958, Premier Colloque Jean Bart, Ce qu’est l’intégration, S. 8. 209 Das ‚infant industries argument‘ geht auf einen der Gründungsväter der USA, Alexander Hamilton, und dessen Werk Report on Manufactures, zurück. Die USA gelten für die Zeit bis 1945 als Paradebeispiel für eine erfolgreiche ökonomische Entwicklung hinter Zollbarrieren. In der Praxis besteht die Schwierigkeit darin, die optimale Höhe der Zölle für die verschiedenen Branchen und Entwicklungsstadien zu bestimmen. Zu hohe Barrieren führen zu Wohlfahrtsverlusten und hemmen die Entwicklung, zu niedrige Zölle sind ineffektiv. Der Technical Report of the High-Level Panel on Financing for Development der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2000 legitimiert einerseits „time-bound protection for certain industries by countries in the early stages of industrialization”, warnt andererseits jedoch vor einem exzessiven Protektionismus, der die ökonomische Entwicklung eines Landes behindere. Online: http://www.iatp.org/files/Technical_Report_of_the_High-Level_Panel_on_Fi.htm. 210 AN, F 12 11806: 31.03.1960, Plan de Constantine 1959–1963, Projet de rapport général, S. 54.

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tées dans ces pays que lorsqu’une forte protection douanière et contingentée a été établie“211. Theoretisch konnte die Absenz von Schutzzöllen durch die Gewährung äquivalenter finanzieller Anreize für Investoren egalisiert und auf diese Weise die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Algerien gestärkt werden. In der Praxis hätte sich diese Variante jedoch ungleich schwieriger und kostspieliger für den Staat gestaltet. Zolleinnahmen würden wegfallen und das Steueraufkommen sinken. Zudem standen auch in dieser Frage die ökonomische und die institutionelle Integration in einem Zielkonflikt zueinander und es gab einen großen Dissens darüber, ob das algerische Steuersystem und die bestehenden Fördermechanismen geeignet waren, die Industrialisierung zu unterstützen. Die ‚Direction générale des Finances‘ errechnete für Algerien eine um 27 Prozent geringere Steuerlast im Vergleich zum Hexagon212. Angesichts dieser Differenz gab es in den Augen vieler keinen Anlass für zusätzliche Investitionsanreize. Da Frankreich zugunsten der nordafrikanischen Départements auf einen Teil seines Wohlstands verzichte, sprachen sich der Maspétiol-Bericht ebenso wie Abgeordnete und Funktionäre für eine progressive Erhöhung der algerischen Steuersätze aus, um die dortige Wirtschaft stärker als bisher an den Kosten für die ökonomische Integration zu beteiligen213. Auch ‚Le Monde‘ kritisierte die geringe Steuerlast in Algerien bei gleichzeitig kontinuierlich steigendem Budget. Neben niedrigen Steuersätzen erkläre ebenso die weitverbreitete Steuerhinterziehung diesen Umstand214. Wie bei den Löhnen ist ebenfalls in der Steuerfrage eine differenzierte Betrachtung erforderlich. Im primären Sektor kamen Elemente einer Pauschsteuer zum Tragen, wovon Großbetriebe überproportional stark profitierten215. Dies führte zu einer Situation, in der „le revenu moyen annuel des 15 000 personnes aisées est avec celui des 5 840 000 musulmans de l’agriculture traditionnelle dans le rapport de 80 à 1, le rapport de la pression fiscale que subissent ces deux catégories est seulement de 5 à 1 pour les impôts directs“216. Eine Reform des Steuersystems, die auf eine stärkere Belastung großer Vermögen abzielte, hätte demnach die Staatseinnahmen steigern und für einen sozialen Ausgleich sorgen können, ohne 211 ANOM, FM 81F 194: 01.12.1960, CEDA, Note, Politique d’industrialisation de l’Algérie 1961. 212 ANOM, FM 81F 194: 19.12.1958, La fiscalité en Métropole et en Algérie, Direction générale des Finances. 213 Rapport Maspétiol, S. 22; Jacques-Fonlupt-Esperaber (MRP), in: JOAN, 11.10.1955, S. 5026 und MFE, B 0024875/1: 14.11.1958, Rapport présenté par M. Denizet, S. 7f. 214 Le Monde, (25.11.1955): Drame et problèmes de l’Algérie. 215 Das algerische Steuersystem sah drei Steuergruppen vor: 1. „Les impôts sur les bénéfices industriels et commerciaux“, 2. „Les impôts sur les bénéfices non commerciaux“, 3. „Les impôts sur le revenu du capital“. Der primäre Sektor war der zweiten Gruppe zugeordnet, die eine Pauschbesteuerung ermöglichte. Vgl. Bouderbala, Mohammed Abdou: La réforme fiscale en Algérie pendant la colonisation française de 1830 à 1962, in: El-Djazair.com, 64 (2013). Online: http://www.eldjazaircom.dz/index.php?id_rubrique=276&id_article=2553. 216 Collot: Les institutions de l’Algérie, S. 275.

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die wirtschaftliche Entwicklung Algeriens zu gefährden. Wie die Zahlen ebenfalls verdeutlichen, waren sehr hohe Einkommen keineswegs repräsentativ für alle ‚Pieds noirs‘ und ihre Unternehmen. Das Durchschnittseinkommen der frankoalgerischen Bevölkerung bewegte sich auf einem mit der Metropole vergleichbaren Niveau. Im sekundären Sektor gestaltete sich die Situation anders. „L’industrie de l’Algérie est en régression plutôt qu’en accroissement“, stellten französische Funktionäre Mitte der 1950er Jahre etwas überspitzt fest. Tatsächlich stieg die industrielle Produktion Algeriens von 1952 bis 1957 um jährlich 6,4 Prozent, was allerdings unterhalb des gesamtwirtschaftlichen Wachstums lag. Ferner expandierten vornehmlich Branchen, die mit geringer Personalintensität produzierten, sodass die Zahl der industriellen Arbeitsplätze langsamer zunahm als das Arbeitskräftepotential217. Für die Beamten waren die Schuldigen dieser Entwicklung klar auszumachen. „La colonisation ne souhaite pas voir le pays s’industrialiser“ und so verweigere die Generalregierung nicht nur eine nennenswerte Förderung der Industrialisierung, sondern untergrabe sie durch bestimmte Maßnahmen sogar aktiv218. Zweifellos hatten die enge Vernetzung von franko-algerischer Administration und kolonialwirtschaftlicher Lobby sowie der große Freiraum, den Paris beiden bis zum Ausbruch des Unabhängigkeitskriegs zugestanden hatte, einen nicht unerheblichen Anteil am geringen Industrialisierungsgrad Algeriens219. Als alleinige Erklärung überzeugt dieses Argument gleichwohl nicht, zumal der Algerienminister nach der Auflösung der ‚Assemblée algérienne‘ über Vollmachten verfügte,

217 AN, F 12 11801: Septembre 1958, Rapport sur la situation économique de l’Algérie, S. 7f. 218 ANOM, FM 81F 1805: 25.06.1955, Note, Création d’un Commissariat à l’industrialisation, S. 2. 219 In der Forschungsliteratur findet sich der Vorwurf wieder, Algier habe sich allzu leicht von der kolonialwirtschaftlichen Siedlerlobby um die fünf „rois de l’Algérie“ beeinflussen lassen und die Industrialisierung ausgebremst. Zitat: Rivet: Le Maghreb, S. 252f. Nach Rivet waren diese fünf Könige Algeriens: Henri Borgeaud aus dem Wein- und Korkgeschäft, Laurent Schiaffino, Direktor der Minengesellschaft und Vorsitzender der ‚Région économique de l’Algérie‘, Georges Blachette, Unternehmer aus der Halfagras-Branche und Abgeordneter in der Nationalversammlung (RI), der Minenbesitzer Jean Durox sowie der führende Getreideproduzent Gratien Faure. Ähnlich bei Mayer: The political economy, S. 366. Großen Einfluss auf die Politik wurde auch dem Textilunternehmer Marcel Boussac nachgesagt. Girault, René: Decision Makers, Décisions and French Power, in: Power in Europe? II. hg. v. Di Nolfo, S. 66–88, hier S. 66. Alfred Grosser (Interview) bestätigte den Einfluss der Siedlerlobby auf die Politik. Entsprechende Vorwürfe wurden bereits im zeitgenössischen Diskurs erhoben. Maurice Violette (RRS), in: JOAN, 11.10.1955, S. 5018. Isnard: Géographie de la faim, S. 47 und Grandval, Gilbert: Ma mission au Maroc, Plon, Paris, 1956, S. 19. Andere Historiker äußern sich skeptisch über den tatsächlichen Einfluss dieser Kreise auf politische Entscheidungen. So etwa Charles-Robert Ageron: „Le prétendu lobby Boussac-Borgeaud n’a pas dicté sa politique au pays“. Vgl. Coquery-Vidrovitch/Ageron: Histoire de la France coloniale, III, S. 419. Wie sich das Verhältnis der ‚Pieds noirs‘ zur und ihr Einfluss auf die Politik nach 1962 veränderte, untersucht: Comtat, Emmanuelle: Les pieds-noirs et la politique. Quarante ans après le retour, Presses de SciencePo, Paris, 2009.

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um etwaige Reformen auch gegen Widerstände vor Ort durchzusetzen. Der Anteil der Industrie am algerischen BIP blieb dennoch von 1950 bis 1958 unverändert bei 27 Prozent220. Es ist demnach nicht davon auszugehen, dass die Unternehmensbesteuerung in Algerien auf Investoren einen besonderen Reiz ausübte. Des Weiteren bestand Uneinigkeit bei der Frage, ob die durchschnittliche Steuerlast tatsächlich unterhalb jener Frankreichs liege. Eine Publikation verwies auf eine Gewinnbesteuerung von Industrie- und Handelsunternehmen von 31 Prozent, während das Äquivalent in Frankreich bei 24 Prozent läge221. Mehrere Studien mahnten dazu, nicht alleine die Steuersätze, sondern die gesamten finanziellen Rahmenbedingungen für Investoren zu betrachten. Würden staatliche Subventionen, Krediterleichterungen und weitere Investitionsanreize mit in den Vergleich einbezogen, seien die unternehmerischen Standortbedingungen in Algerien letztlich „moins favorables que celles accordées par la Métropole“222. Investitionsrechnungen beruhen darüber hinaus nicht ausschließlich auf steuerlichen Faktoren. Es galt ebenso die Energiepreise, den Bestand an Fachkräften und lokale Absatzmöglichkeiten zu berücksichtigen, die allesamt die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Algerien senkten. Frankreich lag mit seiner Besteuerung der Industrie an der europäischen Spitze. Die durchschnittliche Abgabenlast betrug 22,3 Prozent, gefolgt von der Bundesrepublik Deutschland mit 14,1 Prozent und den Niederlanden mit 11,3 Prozent. In Italien wurden Industrieunternehmen mit 6,8 Prozent belastet223. Die Bestrebungen, die algerischen Steuersätze an französische Standards anzupassen, wirkten sich im Sinne einer optimalen wirtschaftlichen Entwicklung Nordafrikas kontraproduktiv aus und liefen somit dem Ziel zuwider, das Land zukünftig stärker an den Investitionsausgaben zu beteiligen. Die Volkswirtschaften Algeriens und Frankreichs befanden sich in sehr unterschiedlichen Entwicklungsstadien. „Notre système fiscal n’est pas à proprement parler un système pour un pays jeune qui a besoin pour se développer de faire appel à des capitaux à l’extérieur“, stellte eine algerische Wochenzeitung fest224. Eine Note über die Integrationspolitik forderte, die Akkumulation von Kapital verstärkt zu fördern, um Algerien in die Lage zu versetzen, eigenen Wohlstand zu erzeugen225. Eine andere Studie mahnte, die Abgabenlast der Unternehmen nicht zu erhöhen, da dies die Industrialisierung zu

220 AN, F 12 11806: 31.03.1960, Plan de Constantine 1959–1963, Projet de rapport général, S. 11. 221 Rieul Paisant: Les problèmes de débouchés, S. 129. 222 ANOM, FM 81F 1800: Études et Document de l’Institut de recherche économique et sociale d’Alger, no 47–49, étude comparée – en France et en Algérie – des mesures de détaxation des investissements. 223 MAE, CM, Bidault, 22: Ministère de l’industrie, P. 88. 224 ANOM, FM 81F 2034: Réflexions sur l’industrialisation, in: Bulletin hebdomadaire, Alger (02.06.1955). 225 ANOM, FM 81F 177: 10.1958, Note, intégration totale de l’Algérie, Mission d’études, S. 6.

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gefährde226. Das CGP empfahl, Algerien nicht des wichtigen Instrumentes der steuerlichen Begünstigung produktiver Investitionen zu berauben227. Am Ende setzten sich dennoch die Befürworter der progressiven Angleichung der Steuersätze durch. Dabei hätte der Blick ins Protektorat Marokko die Erfolgsaussichten einer steuerlichen Investitionsförderung vor Augen führen können. Dort lockten nach 1945 niedrige Abgaben und Löhne verstärkt französisches und auch franko-algerisches Kapital an228. Was einige als „légèreté scandaleuse“ brandmarkten, trug, neben den vorhandenen Rohstoffvorkommen, dennoch dazu bei, dass Marokko Algerien bei der Industrialisierung überholte: 1930 lag die algerische Industrieproduktion mit 60 Milliarden Francs noch vor der marokkanischen mit 42 Milliarden Francs. 1955 erreichte Marokko einen Wert von 182 Milliarden Francs, Algerien schaffte 170 Milliarden Francs229.

Zielkonflikte In der klassischen Außenwirtschaftstheorie können Entwicklungs- und Schwellenländer das Fehlen von Fachpersonal und Technologien durch ein investorenfreundliches Lohn- und Abgabenniveau ausgleichen und sich dadurch bei personalintensiven Herstellungsprozessen einen absoluten Kostenvorteil gegenüber den Industrienationen verschaffen. So finden sich heute beispielsweise große Teile der Textilindustrie in Indien und Bangladesch230. Die Industrieländer wiederum nutzen das frei werdende Produktionspotential zur Herstellung hochwertigerer Güter. In Algier und Paris dominierten jedoch zunächst die Verfechter des Kolonialpakts, der eine Industrialisierung gemäß rationaler Kriterien ausschloss. Nach 1954 schwenkte die französische Regierung zwar um. Welcher Art die Industrialisierung sein sollte, in welchem Verhältnis sie zur Metropole stehen und wie sie konkret gefördert werden sollte, blieb hingegen offen. In wesentlichen Punkten zog sich die Debatte bis in die 1960er Jahre hinein. Ferner traten im Rahmen der Integrationspolitik neue Zielkonflikte auf. Sollte der Fokus auf einer Stärkung der algerischen Volkswirtschaft sowie auf einer möglichst raschen Angleichung der Lebensverhältnisse liegen, hätten integrative Reformen entsprechend selektiert und Algerien ein höheres Maß an außenwirtschaftlicher Autonomie zugestanden werden müssen, um gegen die Konkurrenz der Metropole zu bestehen. Lautete das Ziel hingegen die Beseitigung sämtlicher institutioneller Ungleichheiten zur

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AN, F 12 11804: Janvier 1957, Le rôle moteur de la France. ANOM, FM 81F 179: Note sur les Perspectives décennales, S. 4. Julien: Le Maroc, S. 133. AN, F 12 11806: 31.03.1960, Plan de Constantine 1959–1963, Projet de rapport général, S. 10 und Amin: L’économie du Maghreb, S. 59. 230 Die zuletzt häufig angeprangerten schlechten Arbeitsbedingungen in diesen Ländern offenbaren die Missbrauchsanfälligkeit des Systems. Allerdings verliert die beschriebene Form der Arbeitsteilung dadurch nicht grundsätzlich ihre Legitimation, da Korrekturen auch innerhalb des Systems erfolgen könnten.

4. Die Industrialisierung

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Erreichung vollständiger formeller Egalität, wäre die Integration unabhängig von ökonomischen Argumenten umzusetzen gewesen. In gewisser Weise ähnelte die damalige Situation in Algerien jener in den Krisenländern der Europäischen Union heute. Einerseits bilden europaweite Normen eine wichtige Voraussetzung für Investitionen, da sie Unternehmen Planungs- und Rechtssicherheit geben. Andererseits geht der Zusammenschluss von Ländern sehr unterschiedlicher ökonomischer Entwicklungsstadien mit Unwägbarkeiten einher. Gerade für die weniger entwickelten Staaten Europas bleibt daher die Möglichkeit, Investoren über nationale Anreizmechanismen zu umwerben, ein zentrales Instrument, um gegen produktivere Länder zu bestehen und die aktuelle Krise zu überwinden231. Insgesamt blieb die Integrationspolitik bis zum Ende de IV. Republik von großer Inkonsistenz geprägt. Rhetorisch betonten die Entscheidungsträger unentwegt die Einheit zwischen Frankreich und Algerien. In der Praxis wurden integrative Reformen hingegen sehr selektiv und häufig wider ökonomische Überlegungen umgesetzt. In der Landwirtschaft blieb die Angleichung von Löhnen- und Steuern hinter dem wirtschaftlich sinnvollen Maß zurück, obwohl dort das größte Wirkungspotential bestand. Für industrielle und andere Unternehmen hingegen wurden Anpassungen beschlossen, die die Gefahr einer kontraproduktiven Wirkung für die Industrialisierung bargen. Im Bereich der Sozialleistungen und des Energiemarkts wurde die Integration aus Kostengründen hinausgezögert, obschon sie ausgerechnet dort besonders positive Effekte für die algerische Volkswirtschaft und die Menschen vor Ort versprach. Attraktive Investitionsansreize wurden nicht gesetzt232. Letztlich war das Engagement halbherzig und häufig an der Maxime ausgerichtet, den französischen Haushalt nicht zu belasten.

231 In diesem Sinne äußerte sich 2013 der Forschungsdirektor des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, Alexander Kritikos in Bezug auf Griechenland. Er forderte tiefgreifende Reformen und eine spürbare Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investoren. Frankfurter Allgemeine Zeitung (09.07.2013): Warum keiner in Griechenland investieren will, Alexander Kritikos, S. 11. 232 Die Einrichtung der ‚Caisse d’intervention économique‘ zur Förderung privater Investitionen wurde zwar im Februar 1956 beschlossen, es vergingen aber zwei Jahre bevor sie ihre Arbeit aufnahm. MFE, B 0024968/1: 11.02.1958, Caisse d’intervention économique. Eine Dekretsvorlage vom April 1957 sah zinsgünstige Kredite, Energie-Subventionen und Steuererleichterungen für Industrieunternehmen vor, wurde jedoch erst 1958 verabschiedet. MFE, B 0024968/1: 02.04.1957, Entwurf für Dekret zur Förderung der Industrie.

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5. ZWISCHEN SAND UND SCHWARZEM GOLD: DIE SAHARA „Elle [l’intégration] pourra être payée par l’exploitation du pétrole et des richesses du Sahara“, (Raymond Dronne, 1958)233

5.1 Erwartungen vor 1956 Den riesigen Gebieten der Sahara hatte Frankreich lange Zeit eine rein strategische Bedeutung als Verbindung zwischen den nördlichen und südlichen Kolonien in Afrika beigemessen. Wirtschaftlich hatte die Wüstenregion keine nennenswerte Rolle gespielt234. Allgemein und auf lange Sicht wurde mit der Erschließung bedeutsamer Rohstoffvorkommen gerechnet. „Mais, malheureusement, ce ne sont encore que des éventualités à échéance indéterminée ou des possibilités à échéance relativement lointaine“235. Die Entdeckungen vor 1955/1956 schienen bestenfalls eine lokal begrenzte Industrialisierung zu erlauben und so konzentrierten sich die Hoffnungen Frankreichs zunächst auf die Region um Colomb-Béchar. Manch einer meinte, der Schlüssel zur Industrialisierung Nordafrikas liege in diesem Gebiet nahe der marokkanischen Grenze. „La région de Colomb-Béchar laisse entrevoir de grandes possibilités industrielles“, schwärmte die Zeitschrift ‚France Documents‘236. „C’est le début d’un mouvement de créations industrielles en chaîne“, stimmte ein Funktionär aus der ‚Présidence du Conseil‘ zu237. Andere berurteilten die Erfolgsaussichten des Projektes kritisch. Die Finanzkommission mahnte, das Potential nicht überzubewerten. Die vorhandenen Rohstoffvorkommen seien zwar interessant, machten aus der Region jedoch keineswegs „un nouvel Oural“238. Die ungünstige Beschaffenheit der Bodenschätze senkte die Rentabilität der Ausbeutung und ließ Rohstoffimporte bisweilen als die profitablere Alternative erscheinen239. Auch die weite Entfernung zum Meer, die den Abtrans-

233 Dronne: La révolution d’Alger, S. 215. 234 Blin: L’Algérie du Sahara au Sahel, S. 70. 235 In Quellen und Literatur gibt es unterschiedliche Angaben über die Erwartungshaltung vor 1956. Zitat: MFE, B 0024887/2: Décembre 1955, Deux Conférences de M. Eirik Labonne, Les Zones d’organisation industrielle et stratégique africains, S. 4f. Ebenso: Le Monde, (27./28.11.1955): Drame et problèmes de l’Algérie. Chérif Sid-Cara (UR) sprach sich in Erwartung baldiger, umfangreicher Entdeckungen für die Gründung eines neuen Départements in der Sahara aus. JOAN, 10.12.1954, S. 6090. Die entsprechende Reform wurde Mitte 1957 umgesetzt. Anders: Hélie, Jérôme: Les accords d’Évian. Histoire de la paix ratée en Algérie, Olivier Orban, Pairs, 1992, S. 124. Danach rechnete in Frankreich Mitte der 1950er Jahre kaum noch jemand mit größeren Rohstofffunden in der Sahara. 236 France Documents, 85 (Mai 1954): L’économie de l’Algérie, S. 9. 237 MAE, CM, Pineau, 26: Vers l’équipement et l’industrialisation du Sahara français. L’aménagement de la région de Colomb-Béchar, M. Max Brusset, Rapporteur spécial du Budget, S. 4. 238 ANOM, FM 81F 1794: 10.02.1956, Note budgétaire, Commission des Finances, S. 23. 239 Elsenhans: La guerre d’Algérie, S. 163.

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port von Bodenschätzen oder etwaigen Produktionsgütern verteuerte, galt es zu berücksichtigen. Alles in allem präsentierte sich das Projekt als „peu rationnel“240. Offiziell handelte es sich bei dem Vorhaben um ein Paradebeispiel, wie ökonomische, soziale und strategische Interessen miteinander in Einklang gebracht werden konnten241. An mehreren Stellen wurde freilich deutlich, dass der Ökonomie eine nachrangige Bedeutung beigemessen wurde. Pierre Mendès-France präsentierte Colomb-Béchar als hervorragende Möglichkeit, eine Gemeinschaft zwischen Frankreich und Nordafrika aufzubauen. Das Profitstreben dürfe dabei nicht im Vordergrund stehen242. Intern war unbestritten, dass es in Anbetracht der zu erwartenden politischen Veränderungen in Nordafrika in erster Linie darum gehen müsse, durch die Konstruktion einer strategischen Basisindustrie „les droits et intérêts essentiels de la France“ dauerhaft zu sichern243. Als Teil der ‚Zones d’organisation industrielle et stratégique africaines‘ (ZOIA) sollte „au Sud de l’Atlas une industrie lourde fondée sur le charbon et le fer saharien“ aufgebaut werden, die dem französischen Verteidigungssystem „des arrières économiques protégés“ garantierte244. In dieses Bild fügte sich die Tatsache ein, dass es von französischer Seite früh Bestrebungen gab, die Sahara von den Kolonien zu lösen und der alleinigen Kontrolle Frankreichs zu unterstellen. Auf diese Weise sollte eine effiziente und alleine an französischen, strategischen Interessen orientierte Ausbeutung der Bodenschätze ermöglicht werden245. Mit dem Projekt ColombBéchar ging somit kein umfangreiches Engagement für eine Industrialisierung Algeriens einher, welches die ökonomische Entwicklung des Landes nachhaltig positiv hätte beeinflussen können.

240 Einschätzung des zeitgenössischen Geografen Jean Chardonnet. Vgl. Chardonnet: Il faut industrialiser l’Afrique française, S. 29. 241 MAE, AL, Maroc, 29: 21.06.1955, Note pour le Président du Conseil, Commissions et Organismes d’études politiques et économiques de l’Union française, P. 56 und MAE, CM, Pineau, 26: Vers l’équipement et l’industrialisation du Sahara français. L’aménagement de la région de Colomb-Béchar, M. Max Brusset, Rapporteur spécial du Budget, S. 3. 242 Pierre Mendès-France (PR), in: JOAN, 04.12.1956, S. 6112. 243 MAE, MT, Maroc (I), 418: Août 1954, Projet de Note pour M. le Président du Conseil et pour M. le Ministre de la Défense Nationale, S. 9. 244 MAE, MT, Maroc (II), 416: 25.03.1956, Association du Maroc à la mise en valeur du Sahara. 245 Ein Vorschlag zur Nationalisierung der Sahara wurde 1951 unterbreitet. ANOM, FM 81F 188: Le Sahara et l’opinion française, in: Hommes et Mondes, S. 3. Ein ähnlicher Plan sah 1952 die Bildung einer direkt Paris unterstellten Sahara-Regierung vor, die die Wüstengebiete Algeriens, Französisch-Ostafrikas, Französisch-Westafrikas und, sofern möglich, auch Tunesiens und Marokkos verwalten sollte. AN, 4 AG 518: Le Sahara. Région des confins algéromarocains, Colomb-Béchar, 1952.

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5.2 Wendepunkt 1956 Die große Euphorie Dazu schienen die Entdeckungen großer Öl- und Gasvorkommen in Edjelé Ende 1955 und in Hassi Messaoud Anfang 1956 sehr viel eher geeignet246. Mit diesen ersehnten, geologischen Ereignissen kam ein neuer Faktor ins Spiel, der in den Augen vieler das Blatt endlich zugunsten Frankreichs wendete. Lange Zeit stellte die Armut an Energieträgern ein natürliches Hindernis für die industrielle Entwicklung Algeriens dar. Nun galten die zu erwartenden niedrigen Gas- und Energiepreise perspektivisch als entscheidender Standortvorteil des Landes247. Noch bevor die ersten Petro-Francs verdient waren, setzte eine Welle der Euphorie in Publikationen, Presse und Politik ein248. „Le désert français a cessé d’être l’objet d’ironie pour les sceptiques“249. Endlich sollte Frankreich für seine jahrelangen Mühen und Aufwendungen entschädigt werden und Algerien, „par un coup de baguette magique“, die Möglichkeit zur Industrialisierung erhalten250. „Les données du pétrole saharien modifient totalement les perspectives économiques de la symbiose entre les deux territoires“, hieß es in einem Dokument aus dem Industrieministerium251. „L’Algérie est appelée à connaître l’un des plus brillants avenirs parmi les pays d’Afrique“, schrieb die Zeitschrift ‚Agence économique & financière‘ zustimmend252. Von der Schaffung von zwei Millionen neuen Arbeitsplätzen war mitunter die Rede253. Es schien, als sei die Finanzierung der Integrationspolitik mit einem Schlag sichergestellt. Eine Studie kalkulierte mit zusätzlichem Einkommen im Umfang von 1.000 Milliarden Francs pro Jahr, generiert durch eine neue wirtschaftliche Kettenreaktion254. Der Ausgleich der defizitären

246 Zu den Etappen der Rohstofffunde in Nordafrika siehe: Petroleum Press Service, 27, 5 (1960): The Emerging North African Region, S. 163–166. 247 ANOM, FM 81F 2019: 14.11.1958, CGP, Rapport Commission Perspectives décennales, S. 25. 248 Nach 1956 erschien eine Reihe euphorischer Publikationen. Etwa: Cornet, Pierre: Sahara, terre de demain, Nouvelles Éd. Latines, Paris, 1957 und Du mirage au miracle. Pétrole saharien, Nouvelles Éd. Latines, Paris, 1960; Mousset, Paul: Ce Sahara qui voit le jour, Presses de la Cité, Paris, 1959. 249 MAE, MT, Maroc (II), 419: 31.01.1958, La Documentation française, Le Sahara français, S. 1. 250 Cornet, Pierre: Le Sahara. Plaque tournante entre l’Afrique du Nord et l’Afrique noire, in: Industrie et Travaux d’Outre-Mer, 67 (Juin 1959), S. 323–326, hier S. 324. Ähnlich äußerte sich Émile Hughes (RRS) vor der Nationalversammung. JOAN, 08.03.1956, S. 769. 251 AN, F 12 11804: 15.10.1958, Conséquences du maintien de l’autorité française en Algérie, S. 17. 252 MFE, B 0024875/1: 19.11.1958, L’œuvre française dans les départements algériens, in: Agence économique & financière. 253 Vialet: L’Algérie restera française, S. 46. 254 AN, F 12 11804: 15.10.1958, Conséquences du maintien de l’autorité française en Algérie, S. 17.

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Handelsbilanz Frankreichs erschien zum Greifen nahe255. Für Regierungschef Mollet stand der Angleichung der Lebensverhältnisse nichts mehr im Wege, „si l’on pensait à toutes les possibilités que l’Algérie et les territoires du Sud offrent à la France et à l’Algérie“256. Französische Baufirmen und ihre franko-algerischen Ableger freuten sich über die Vergabe zahlreicher Großprojekte zum Auf- und Ausbau der Infrastruktur in die entlegenen Gegenden der Sahara257. Maurice Lemaire skizzierte im Parlament eine beinahe traumhafte Zukunft für „la plus riche des provinces françaises“, in die schon bald Menschen aus dem ganzen Maghreb strömen würden, um Arbeit zu finden258. Die Hindernisse von Energieknappheit und hohen Preisen seien nun „grâce à des sources presque inépuisables“ aus dem Weg geräumt259. Verteidigungsminister Bourgès-Maunoury war sich sicher, dass die Bodenschätze der Sahara das entscheidende Element für die Anhebung des Lebensstandards in Nordafrika seien und darüber hinaus der gesamten ‚Union française‘ den zukünftigen Wohlstand sichern könnten260. Georges Vialet schrieb, die algerische Wüste biete Frankreich die notwendigen Rohstoffe, ohne die eine international wettbewerbsfähige Industrie undenkbar sei. Umgekehrt sei die Aufgabe dieser Reichtümer gleichbeutend mit einem ökonomischen und machtpolitischen Absturz Frankreichs „à la médiocrité et à la servitude“261. „Les bienfaits du dernier redressement financier seraient totalement perdus et la France appauvrie, démunie, troublée, se retrouverait dans une situation pire que celle qu’elle a connue depuis la fin de la guerre“. In diesem Verständnis schien die Devise ‚l’Algérie, c’est la France, koste es, was es wolle‘ einem ökonomischen Imperativ zu folgen. Das zitierte, aus einem Zeitungsartikel entstammende Horrorszenario, kommentierte der auswertende Ministerialbeamte mit einem „quel idiot!“262.

255 Peyret, Henry: La chance de la France, in: L’Économie, supplément au no 596 (1957): Le Sahara. Espoirs et réalités, S. 3–4, hier S. 3. Der Autor der Studie zeichnet die euphorischen Reaktionen verschiedener Stellen auf die Funde in der Sahara nach. 256 OURS, AGM 67: 08.02.1956, Questions posées à Monsieur le Président du Conseil, S. 4. 257 Siehe hierzu: Barjot, Dominique: Les entreprises françaises et la modernisation de l’Algérie. L’exemple des travaux routiers, in: La guerre d’Algérie au miroir des décolonisations françaises, Actes du colloque international, Paris, Sorbonne (23–25 novembre 2000), hg. v. Thiébault, Cécile, SFHOM, Paris, 2000, S. 129–149. Nach Barjot trug der algerische Markt in hohem Maße zur starken Position bei, die Frankreichs Straßenbau-Industrie heute weltweit inne hat. Die Tatsache, dass sich französische Bauunternehmen für Infrastrukturprojekte in Deutschland bewerben, vor denen deutsche Firmen zurückschrecken, bestätigt diese Einschätzung. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, (24.08.2013): Privatstraße, Frank Pergande, S. 10. 258 Maurice Lemaire (RS), in: JOAN, 17.12.1957, S. 5426. 259 Cornet: Le Sahara, S. 324. 260 Maurice Bourgès-Maunoury (RRS), in: JOAN, 12.06.1957, S. 2685. 261 Vialet: L’Algérie restera française, S. 47f. 262 Der Autor des Artikels bezieht sich auf die Analyse André Malterres, der als Berater für die französische Regierung tätig war. AN, F 12 11809: 05.11.1960, Ce que coûterait à la France la perte de l’Algérie.

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Realistische Analyse Nicht überall stieß die ungebremste Begeisterung über den vermeintlichen Reichtum der Sahara auf Zustimmung. Die propagierten gewaltigen Vorteile für Algerien und Frankreich erschienen aufmerksamen Beobachtern durchaus fragwürdig. Damit die Bodenschätze zu einem Standortvorteil für die algerische Industrie werden konnten, bedurfte es ausreichender Qualität und effizienter Ausbeutung der Rohstoffe, um das Preisniveau des Weltmarkts nicht zu überschreiten. Anderenfalls hätte die Politik die Differenz durch Subventionen ausgleichen müssen, so dass sich zum Status ex ante nur wenig verändert hätte263. Die Gasvorkommen entsprachen diesen Kriterien und so bestand die Hoffnung, in Algerien mittelfristig einen im Vergleich zur Metropole 50 Prozent günstigeren Gaspreis anbieten zu können264. Die lokale Nachfrage befand sich aufgrund des geringen Industrialisierungsgrads jedoch auf niedrigem Niveau und für Exporte im großen Stil fehlten Ende der 1950er Jahre die technischen Voraussetzungen. Die Kommerzialisierung des Erdgases begann erst im Jahr 1964 und so spielte der flüchtige Kohlenwasserstoff, obgleich quantitativ und qualitativ bedeutsamer, in der Debatte der IV. Republik eine untergeordnete Rolle265. Die chemische Zusammensetzung des algerischen Öls brachte einige Schwierigkeiten mit sich. Aufgrund des geringen Schwefelgehalts besaß es einerseits eine hohe Qualität. Durch seine Beschaffenheit eignete es sich jedoch primär für leichte Treibstoffe wie Benzin, „alors que le marché français souffre d’une pénurie de produits noirs“266. Trotz einer rasant steigenden Zahl von Fahrzeugen im Straßenverkehr stieg die Nachfrage nach Benzin unterdurchschnittlich, da zunehmend kleinere Automobile mit effizienteren Motoren auf den Markt strömten. Industrielle Treibstoffe und Heizöl wurden hingegen

263 ‚Le Monde‘ verwies auf eben diesen Umstand und warf die Frage auf, warum eine entsprechende Subvention nicht bereits früher umgesetzt wurde. Le Monde, (27./28.11.1955): Drame et problèmes de l’Algérie. 264 ANOM, FM 81F 2019: 31.05.1958, GGA, Plan de développement industriel 1959–1963, Sous-Commission Pétrole-Charbon. Rapport, S. 19. 265 Die technischen Möglichkeiten zur effizienten Ausbeutung der Erdgasvorkommen wurden erst gegen Ende des Algerienkriegs gefunden. Zu diesem Zeitpunkt hatte es jedoch bereits größere Gasfunde im französischen Gronique gegeben, so dass die algerischen Vorkommen an Bedeutung verloren. Zudem strömte immer mehr Gas aus den östlichen Ländern nach Europa. Siehe hierzu: Elsenhans: La guerre d’Algérie, S. 321. Zur Bedeutung der Gasvorkommen für Algerien: Berthonnet, Arnaud: L’industrie électrique en Algérie. Le rôle des sociétés électriques et plus particulièrement de l’EGA à partir de 1947, in: Outre-Mers, 89 (2002). S. 331–352, hier 349f. Zum Beginn der Kommerzialisierung: Naylor, Phillip C.: France and Algeria. A history of Decolonization and Transformation, Univ. Press of Florida, Gainesville, 2000. 266 Mainguy: Le pétrole et l’Algérie, S. 49.

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überdurchschnittlich stark nachgefragt267. Die Herstellung dieser „produits noirs“ ermöglichte das schwarze Gold der Sahara jedoch kaum268. Die ‚Direction d’Afrique-Levant‘ hatte schon 1954, einem Zeitpunkt also, zu dem das Öl noch nicht in der Sahara, sondern nur in den Gedanken der Franzosen floss, davor gewarnt, sich „la légende du pétrole qui règle tout“ hinzugeben. Das drängende Problem der Massenarbeitslosigkeit einer Bevölkerung, die alle zehn Jahre um ein Viertel wachse, könne das Öl nicht lösen269. Vier Jahre später hatte sich die Analyse der Abteilung des Außenamts nicht verändert. Die in Folge der Öl- und Gasfunde angestoßenen Industrialisierungsprojekte würden große Summen an Kapital erfordern, ohne dass ihre Rentabilität gesichert sei und ohne Arbeitsplätze in größerem Umfang zu schaffen. „Il n’est même pas sûr qu’une amélioration rapide des conditions d’existence de la population algérienne puisse être obtenue“270. Im Ölsektor selbst entstand eine begrenzte Nachfrage nach Spezialisten, die Algerien nicht bedienen konnte271. In einem Bericht des Industrieministeriums hieß es, Öl und Gas erhöhten das wirtschaftliche Potential Algeriens, „mais ne peuvent résoudre que pour une faible part les graves problèmes d’emploi qui conditionnent aussi bien le niveau de vie moyen de la population algérienne que le modulé de répartition du revenu national“272. Das ‚Bulletin économique‘ forderte, im Ölrausch nicht die anderen Elemente der algerischen Wirtschaft aus den Augen zu verlieren. Die Modernisierung der Landwirtschaft dürfe nicht vernachlässigt werden273. Diejenigen, die eine umfassende Industrialisierung Algeriens nunmehr als realisierbar erachteten, blendeten jene Faktoren aus, die bisher im Wege gestanden hatten. Weder das Problem des Fachkräftemangels noch jenes der Metropolkonkurrenz oder des fehlenden Binnenmarkts wurden durch das Öl behoben. Wie aufgezeigt wurde, lagen die Ursachen für die schwache industrielle Entwicklung Algeriens auch im Bereich der politischen Entscheidungen und nicht alleine in den natürlichen Gegebenheiten begründet. Energieträger standen schon vor 1956 auf dem Weltmarkt in ausreichendem Maße zur Verfügung. In diesem Zusammenhang stellte die ‚Direction des Affaires économiques et financières‘ im Finanzministerium fest, „des quantités considérables sont disponibles ailleurs, aussi bien en URSS que dans les gisements contrôlés par les grandes sociétés anglo-

267 Petroleum Press Service, 27, 7 (1960): The French Market, S. 247–250, hier S. 248. 268 Hodeir, Catherine: Le grand patronat colonial face à la guerre d’Algérie, in: La guerre d’Algérie au miroir des décolonisations françaises, hg. v. Thiébault, S. 435–456, hier S. 443. 269 MAE, MT, Tunisie (I), 553–554: Note de la direction d’Afrique-Levant sur la conférence de M. Viber, „problèmes économiques & sociaux dans la Tunisie d’aujourd’hui“, jeudi 29/4/54, P. 167. 270 MAE, AL, Algérie, 16: 30.05.1958, Remarques sur certains aspects du problème algérien, S. 1. 271 Mainguy: Le pétrole et l’Algérie, S. 87. 272 AN, F 12 11801: Septembre 1958, Rapport sur la situation économique de l’Algérie, S. 21. 273 AN, F 12 11809: Les données du problème algérien, Le Bulletin économique S.E.D., S. 5.

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saxonnes“274. Auch im benachbarten Libyen wurden Ende der 1950er Jahre große Ölvorkommen entdeckt. Es gebe ferner „aucun enchaînement nécessaire entre présence d’une source d’énergie et développement industriel“, schrieb das ‚Bulletin économique‘275. Ein Land wie Japan etwa industrialisierte sich ohne über nennenswerte eigene Kohle- oder Ölvorkommen zu verfügen. Umgekehrt können bis heute nur wenige der großen ölexportierenden Staaten einen breiten, leistungsfähigen Industriesektor vorweisen. Im Wesentlichen begründeten das lange Festhalten an der ‚vocation agricole‘, die Vernachlässigung des Bildungssektors, das hierarchische Verhältnis von Metropole zu Kolonie und die chronische Unterfinanzierung Algeriens die schwache Ausprägung des sekundären Sektors Mitte der 1950er Jahre. Mit oder ohne Öl, der Schlüssel zur Industrialisierung lag in einem entsprechenden politischen Willen, die über Jahrzehnte angewachsenen Missstände zu beheben. Insgesamt waren die Rohstofffunde in der Sahara daher eher als Katalysator für die Bereitschaft Frankreichs zu werten, sich stärker für die ökonomische Entwicklung Algeriens zu engagieren, als für die Industrialisierung selbst. Letztere wäre, unter widrigeren Bedingungen, auch ohne die Entdeckung des schwarzen Goldes möglich gewesen. Die Tatsache, dass die Metropole selbst in großem Maße von der Ausbeutung der Reichtümer der Sahara zu profitieren gedachte, erleichterte den Kurswechsel. Auch in Hinblick auf das finanzielle Potential der algerischen Bodenschätze wurde die Euphorie nicht überall geteilt. Anstatt sich der neuen Formel hinzugeben, „le Sahara paiera l’intégration“, regte Alfred Sauvy eine realistische Analyse an276. 1.000 der in den ‚Perspectives décennales‘ vorgesehenen 4.700 Milliarden Francs an Investitionen sollten durch Öleinnahmen finanziert werden277. Experten zufolge sollten die Dividenden, die der französische Staat aus der Ölförderung zog, von 9 Milliarden Francs im Jahr 1960 auf 40 bis 70 Milliarden Francs fünf Jahre später ansteigen278. Erst in zehn Jahren und bei einer Fördermenge von 40 bis 50 Millionen Tonnen pro Jahr wurden 100 Milliarden Francs an staatlichen Einnahmen erwartet279. Ein Teil der ölfinanzierten Investitionen von 1.000 Milliarden Francs musste demnach aus dem Privatsektor kommen. Um die potentiellen Gewinne realisieren zu können, galt es, zunächst erhebliche Ausgaben zu tätigen. Von 12 Milliarden Francs im Jahr 1956 stiegen diese auf 200 Milliarden Francs 1960280. Bis 1962 summierten sich die öffentlichen Investitionen in diesem Bereich auf 600 Milliarden Francs281. Unter Annahme kontinuierlich steigender Ein-

274 275 276 277 278

ANOM, FM 81F 196: Le Problème saharien, Groupe Algérie du Club Jean Moulin, S. 1f. Mainguy: Le pétrole et l’Algérie, S. 93. Sauvy: Et vous, voulez-vous être „intégré“?, in: L’Express, (1958). AN, F 12 11801: Septembre 1958, Rapport sur la situation économique de l’Algérie, S. 21. Steigerung der Dividende auf 70 Milliarden Francs bei: Mathieu, Gilbert: Algérie. Plan quinquennal, in: France Outremer, 349 (Décembre 1958), S. 16–23, hier S. 21. Auf 40 Milliarden Francs bei: Mainguy: Le pétrole et l’Algérie, S. 93f. 279 ANOM, FM 81F 194: Le développement économique de l’Algérie en 1960, S. 5. 280 Blin: L’Algérie du Sahara au Sahel, S. 85. 281 ANOM, FM 81F 196: 01.03.1962, Centre d’études des Relations internationales, S. 73.

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nahmen und sinkendem Investitionsbedarf konnte nach etwa zehn Jahren mit dem Erreichen der Gewinnzone im buchhalterischen Sinne gerechnet werden. Die Wirtschaftszeitung ‚Problèmes économiques‘ stellte daher Ende des Jahres 1964 fest, „d’un point de vue strictement comptable, la France n’a pas encore gagné d’argent au Sahara“282. Einen finanziellen Beitrag zu den umfangreichen Investitionsausgaben in Algerien konnte die Wüste auf kurze Frist somit nicht leisten. Sie band zunächst große Ressourcen, was an der Aufteilung der Gelder der ‚Perspectives décennales‘ deutlich wurde. In den Ölsektor sollten mit 963 Milliarden Francs dreimal so viele öffentliche und private Mittel fließen wie in die Transformationsindustrie283. Des Weiteren wurden die zukünftig steigenden Einnahmen aus der Ölproduktion durch die demografisch bedingt ebenso wachsenden Kosten für die Anhebung der algerischen Lebensverhältnisse relativiert. Eine Gruppe von Funktionären hielt es daher trotz des Reichtums der Sahara für unwahrscheinlich, die Integrationspolitik verwirklichen zu können, „mais il est certain que l’on compromettra l’avenir économique de la France“284. Die Franzosen mussten durch die Integration Algeriens sicher kein massives Absinken ihres Lebensstandards fürchten. Dennoch befreiten die algerischen Bodenschätze das Hexagon nicht von der Notwendigkeit, für diese Politik auf eigenen Wohlstand zu verzichten. Louis Thomson, Wissenschaftler an der Universität von Lyon, sprach sich angesichts dieser Perspektive in einem Brief an führende Politiker für eine Föderationslösung in der Algerienfrage aus. Der Gewinn aus den Rohstoffvorkommen „rendrait l’Algérie indépendante au point de vue financier et ne serait plus un poids mort pour nos finances“285.

Frankreichs Großmacht(vor)stellung „Unie aux territoires d’outre-mer […] la France est une grande puissance. Sans ces territoires, elle risquerait de ne l’être plus“. Dieses Selbstbild eines mächtigen, globalen Akteurs, das Charles de Gaulle 1946 von Frankreich gezeichnet hatte, prägte das strategische Denken der gesamten IV. Republik286. Pierre Mendès282 Problèmes Économiques, 887 (1964): La France a-t-elle gagné ou perdu de l’argent avec le pétrole saharien?, S. 1–8, hier S. 3. (Vgl. AN, F 12 11810). 283 MFE, B 0024875/1: 04.12.1959, Perspectives décennales, S. 3. 284 MFE, B 007012/2: Septembre 1957, Éléments de solution du Problème Algérien, S. 6f. 285 Der Brief wurde an Ministerpräsident Mollet sowie an Savary und de Gaulle verschickt. CHSP, Fonds Savary, 56: 18.12.1956, Dr. Louis Thomson, Université de Lyon, à Savary, S. 2. 286 Zitat: De Gaulle, Charles: Discours et messages, Bd. 2, Dans l’attente. Février 1946–avril 1958, Plon, Paris, 1970, S. 18f. Der ehemalige Leiter des ‚Service historique de la Défense‘, General a. D. Jean Delmas schreibt, für Frankreich sei es nach dem Zweiten Weltkrieg unabdingbar gewesen, der sowjetischen und zunächst auch der gefühlten deutschen Bedrohung durch ein möglichst großes, extrakontinentales Territorium zu begegnen und der quantitativen Überlegenheit der potentiellen Feinde eine dezentrale Verteidigungsstrategie entgegenzuset-

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III. Die ökonomische Integration 1954 bis 1958

France erinnerte seine Kollegen in der Nationalversammlung Ende 1954 daran, dass die Freiheit der Metropole „ne peut être complète qu’appuyée sur l’assentiment spontané de l’outre-mer“287. In einer Stellungnahme des Finanzministeriums hieß es zustimmend, „une puissance n’est grande que par l’importance des entités géographique et ethnique qu’elle représente, ou sur lesquelles s’exerce son influence politique ou morale“288. Der Maghreb bildete als Brücke nach Afrika das Herz der französischen Machtvorstellung, das die Nationalisten aus der imperialen Brust zu reißen versuchten. „Perdre l’Afrique du Nord, [...] ce serait, à bref délai, toute l’Afrique. [...] Ce serait perdre, peu avant, toute l’Union française et, pour la France, tomber au rang de puissance secondaire et même [...] de puissance vassale“. Es gehe für Frankreich nicht nur um Prestige, sondern um nicht weniger als die nationale Selbständigkeit289. Die Unabhängigkeit der Protektorate und die Entdeckung des schwarzen Goldes in der Sahara schienen die gewaltige strategische Bedeutung Algeriens als „la clef de voûte de la permanence et du rôle séculaire de la France dans le continent africain“ noch einmal zu potenzieren290. Das Algerienministerium klassifizierte die algerische Wüste als Ölregion der ersten Kategorie, vergleichbar mit den Golfstaaten, „qui permettra à la France d’y trouver la totalité de sa consommation“291. Die Sahara sei daher „la dernière chance“ für die eigene Großmachtstellung, „l’ultime espoir“ für das Imperium, kurzum, „la panacée de tous les maux“292. Die Reichtümer der algerischen Wüste „peuvent faire de notre pays un des plus puissants du monde“, träumte ein Abgeordneter in der Nationalversammlung293. Ohne Algerien verlöre Frankreich hingegen nicht nur seinen Großmachtstatus, sondern auch jegliche internationale Relevanz, warnte Jacques Soustelle294. Eine Publikation brachte die Sorge um den ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zum Ausdruck295. Der Historiker und Journalist Emmanuel Beau de

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zen. Vgl. Delmas, Jean: Military Power in France 1954–1958, in: Power in Europe? hg. v. Di Nolfo, S. 238–253, hier S. 238. Lediglich die Kommunistische Partei vertrat im Parlament die Ansicht, über die Unabhängigkeit der Kolonien und partnerschaftliche Beziehungen zu einer anderen „politique de grandeur“ gelangen zu können. François Billoux (PC), in: JOAN, 05.10.1955, S. 4899. Ähnlich äußerte Pierre Villon (PC): „Une autre politique permettrait d’économiser des centaines de milliards tout en donnant la possibilité de faire des peuples aujourd’hui dressés contre la France ses amis et alliés“. JOAN, 23.07.1955, S. 4120. Pierre Mendès-France (PR), in: JOAN, 10.08.1954, S. 4020. ANOM, FM 81F 1794: 10.02.1956, Note budgétaire, Commission des Finances, S. 49f. Marcel-Edmond Naegelen (SFIO), in: JOAN, 10.12.1954, S. 6096f. MAE, MT, Maroc (II), 416: Rapport de Max Brusset, Commission des Finances, S. 9. ANOM, FM 81F 1809, Notes: 06.05.1957, Les recherches pétrolières, S. 4. MAE, MT, Maroc (II), 419: 31.01.1958, La Documentation Française, Le Sahara Français, S. 1. Passend hierzu ein Aufsatz von Ageron, Charles-Robert: L’Algérie dernière chance de la puissance française. Étude d’un mythe politique (1954–1962), in: Relations internationales, 57 (1989), S. 113–139. Robert Nisse (RS), in: JOAN, 06.07.1057, S. 3359. Jacques Soustelle (RS), in: JOAN, 09.03.1956, S. 788. Der Verlust des ständigen Sitzes im UN-Sicherheitsrat war nach Vialet einer der vier Imperative, der die Unmöglichkeit der algerischen Unabhängigkeit begründete. Die anderen bildeten

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Loménie warnte gar vor einer deutsch-amerikanisch-sowjetischen Verschwörung mit dem Ziel, Frankreich den Maghreb und seine internationale Position streitig zu machen. Die Aufgabe Algeriens sei gleichbedeutend mit „une nouvelle et inévitable guerre européenne“296. Außenminister a. D. Georges Bidault prognostizierte, der ‚Grande Nation‘ stünden im Falle der Aufgabe Algeriens neben ökonomischer Abhängigkeit ebenso „la déchéance politique“ und der Verlust aller Überseegebiete bevor297. Im Zuge des Referendums über die mögliche Autodetermination Algeriens resümierten die Gegner eines solchen Schritts: „Perdre le Sahara, c’est perdre la chance de la France au XXe siècle“298. Für einige Beobachter erweckten Argumente dieser Art den Eindruck, die prophezeite Industrialisierung Algeriens sei nur ein Mythos. In Wahrheit ginge es allein um die Ausbeutung der Sahara und die strategischen Interessen Frankreichs299. Die Argumentation, Algerien und sein schwarzes Gold garantierten den Fortbestand des ‚Empire‘, des Großmachtstatus’ und der Freiheit Frankreichs, hält einer Prüfung nicht stand. Zunächst galt es, die algerischen Ölfelder in Relation zu den Reserven anderer Förderländer zu setzen. Die Schätzungen waren zunächst unpräzise und schwankten zwischen 450 Millionen und einer Milliarde Tonnen. Die Vorkommen Venezuelas wurden Ende der 1950er Jahre auf 2,4 Milliarden Tonnen geschätzt, die der USA auf 4,4 Milliarden und jene des Mittleren Ostens auf 22,6 Milliarden Tonnen300. Zu den ganz Großen im Ölgeschäft konnte Frankreich nach damaligem Kenntnisstand somit nicht gehören301. Auch das Verhältnis von Produktion und Konsum musste berücksichtigt werden. Letzterer belief sich im Jahr 1958 auf etwa 22 Millionen Tonnen in der Metropole302. Nach Planungen des Finanzministeriums sollte Algerien im Jahr 1965 23,6 Millionen Tonnen des wertvollen Rohstoffs fördern303. Aus dieser Angabe meinten einige, die Unabhän-

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die Siedler, die drohende Arbeitslosigkeit und die Schwächung des französischen Machtpotentials. Vialet: L’Algérie restera française, S. 21–23, 26, 39f.; 43f. Beau de Loménie, Emmanuel: L’Algérie trahie par l’Argent. Réponse à M. Raymond Aron, Éd. Etheel, Paris, 1957, S. 33; 39; 59; 69. Bidault, Georges: Algérie. L’oiseau aux ailes coupées, La Table Ronde, Paris, 1958, S. 1. AN, 74 AP 45: 29.12.1960, Numéro Spécial du Référendum, Vérités sur l’Algérie et le Sahara, Non, Centre d’Information pour les problèmes de l’Algérie et du Sahara, S. 7. MAE, AL, Algérie, 54: 25.01.1957, Kommentar zu ‚Gazette littéraire‘ (10.01.1957). 450 Millionen Tonnen bei Montel, M.: Le pétrole saharien et le marché mondial du pétrole, in: Industries et Travaux d’Outre-Mer, 67 (1959), S. 353–360, hier S. 355. Eine Milliarde Tonnen bei Mainguy: Le pétrole et l’Algérie, S. 93f. In den folgenden Jahrzehnten wurden weltweit zahlreiche neue Ölvorkommen entdeckt. Aktuellen Schätzungen zufolge verfügt Venezuela mit 297,6 Milliarden Barrel vor SaudiArabien mit 265,4 Milliarden Barrel über die größten Reserven. Algeriens Vorkommen belaufen sich auf 12,1 Milliarden Maßeinheiten. Vgl. BP Statistical Review of World Energy 2013, S. 6. Online unter: http://www.bp.com/content/dam/bp/pdf/statistical-review/statistical_ review_of_world_energy_2013.pdf. Montel: Le pétrole saharien, S. 355. MFE, B 0070012/2: Problèmes d’ordre économique et financier posés par les déclarations gouvernementales du 19 mars 1962 relatives à l’Algérie, S. 37.

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gigkeit von ausländischen Ölimporten sei zum Greifen nahe304. Diese Rechnung ließ die rasant steigende Nachfrage außer Acht. Sie stieg bis 1965 um 150 Prozent auf 53,9 Millionen Tonnen305. Quantitativ gesehen erhöhte sich demnach der Bedarf an ausländischen Einfuhren. Treibstoffautarkie blieb solange eine Utopie, wie die Ölnachfrage rascher wuchs als die nationale Erzeugung. Wie dargelegt, verlor die Idee der langfristigen Selbstversorgung mit sämtlichen Ölprodukten zusätzlich an Überzeugungskraft, da das Sahara-Öl aufgrund seiner chemischen Zusammensetzung für die Raffination bestimmter Treibstoffe ungeeignet war. Mit den algerischen Bodenschätzen kam zweifelsohne ein neuer strategischer Faktor ins Spiel, der die Machtposition Frankreichs im internationalen System jedoch nicht grundlegend veränderte. Bereits im Jahr 1946 hatte die Argumentation Charles de Gaulles weniger die Realität als vielmehr den Versuch widergespiegelt, das Trauma der deutschen Besatzung durch eine Glorifizierung des Kolonialreichs zu kompensieren und das Geltungsbedürfnis als globale Macht zu befriedigen306. Zwar hatten Nordafrika und andere Überseegebiete einen zu honorierenden Beitrag zur ‚Libération‘ geleistet. In letzter Konsequenz verdankte Frankreich seine wiedererlangte Freiheit aber dem Einsatz der USA307. Für den früheren Außenminister Georges Bonnet stand auch Mitte der 1950er Jahre außer Frage, „[que] nous ne pouvons conserver notre liberté et notre indépendance sans l’aide et sans le soutien des États-Unis d’Amérique“308. Die Tatsache, dass Frankreich in der globalen Machtstruktur keine gleichrangige Position mit den USA und der Sowjetunion innehatte, gründete sich nicht primär auf das bisherige Fehlen um-

304 MFE, B 0069477/2: GGA, Direction des Finances, Goetze, Négociations sur les hydrocarbures en Algérie: 17.3/16.4.1958, handschriftliche Notizen. 305 BP Statistical Review of World Energy, Statistical Review 1951–2011, Historical Data. Online: http://www.bp.com/content/dam/bp/pdf/Energy-economics/statistical-review-2014/ BP-Statistical_Review_of_World_Energy_60_anniversary.pdf. 306 Ageron spricht in diesem Zusammenhang von einem „mythe de compensation“. Ageron, Charles-Robert: La perception de la puissance française en 1938–1939. Le Mythe imperial, in: Revue française d’histoire d’Outre-Mer, 254 (1982), S. 7–22, hier S. 11; 20. Siehe in diesem Zusammenhang auch: Lemaire, Sandrine/Hodeir, Catherine/Blanchard, Pascal: Économie coloniale. Entre mythe propagandiste et réalité économique, in: Culture impériale, hg. v. Blanchard/Lemaire, S. 145–162, hier S. 147. 307 Demgegenüber meinte General a. D. Adolphe Aumeran (RI), der entscheidende Beitrag zur Befreiung sei von den Kolonien ausgegangen. JOAN, 10.08.1954, S. 4038. Der langjährige Leiter des Forschungsinstituts IRICE, Robert Frank, schreibt hierzu: „la part de la France dans la victoire contre l’Allemagne hitlérienne est relativement modeste“. Frank, Robert: La France et son rapport au monde au XXe siècle, in: Politique étrangère, 65, 3–4 (2000), S. 827–839, hier S. 827. 308 Georges Bonnet (RGR), in: JOAN, 18.12.1956, S. 6118. Bonnet pflegte im Zweiten Weltkrieg unrühmliche Kontakte zu Nazi-Deutschland und zum Regime von Vichy, weshalb er nach der ‚Libération‘ kurzzeitig ins schweizer Exil ging. FAZ.NET (30.10.2010): Das Auswärtige Amt und der Holocaust. Die drängende Sorge, überflüssig zu werden, Minkmar, Nils. Online: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/das-auswaertige-amt-und-das-dritte-reich/dasauswaertige-amt-und-der-holocaust-die-draengende-sorge-ueberfluessig-zu-werden11054271.html.

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fangreicher eigener Ölreserven. In erster Linie bildet die ökonomische Leistungsfähigkeit die Basis für politische und militärische Macht. Insofern spielte Öl zwar eine essentielle Rolle, entscheidend war jedoch nicht dessen Besitz, sondern die Verfügbarkeit, die unabhängig von der Sahara gegeben war. Solange der Erhalt der Souveränität über Algerien mit mehreren hunderttausend Soldaten und Unmengen an Kriegsausgaben erkämpft werden musste, stand der potentielle finanzielle und machtpolitische Gewinn des Sahara-Öls in keinem rationalen Verhältnis zu den Aufwendungen. Über den gesamten Zeitraum der IV. Republik war die französische Armee damit beschäftigt, Brandherde im Imperium zu bekämpfen. Mit dem Algerienkrieg wurde die Belastung der Streitkräfte und des Budgets „a threat not only to France’s economic and financial stability, but to its whole North African and ‚black‘ African policies, as well as to its precarious internal political stability“309. Dringend erforderliche Investitionen in moderne Rüstungsgüter verzögerten sich310. Über die Hälfte der Armee beschäftigte sich in Algerien nach französischem Verständnis mit einer inneren Angelegenheit und stand nicht für die Landesverteidigung zur Verfügung. Die Überseegebiete und allen voran Algerien banden mehr militärisches Potential, als dass sie der Verstärkung dienten311. Auch bei der transatlantischen Verteidigungsstruktur mussten Abstriche gemacht werden. Von 1954 bis 1958 verringerte sich die Zahl der in Europa stationierten französischen Streitkräfte von 693.000 auf 242.000312. Die umfangreiche Truppenverlegung aus Deutschland in Richtung Nordafrika bei gleichzeitiger Wiederbewaffnung des früheren Erbfeindes bedurfte eines Vertrauensvorschusses sowie einer rhetorischen Neuausrichtung der französischen Sicherheitsdoktrin. „La Méditerranée, et non plus le Rhin, est l’axe même de notre sécurité, donc de notre politique étrangère“, umschrieb François Mitterrand die Schwerpunktverlagerung313. Die französische Regierung insistierte auf einer kommunistischen Bedrohung für die gesamte westliche Welt, sollte Frankreich aus dem Maghreb ver-

309 Einschätzung einer amerikanischen Zeitung. MAE, AL, Maroc, 3: Mai 1956, The Christian Science Monitor, New York, P. 112. 310 Vor dieser Entwicklung warnte eine Studie der Kontroll-Kommission der Verteidigungsausgaben. MDN, 20 R 10: 26.12.1957, Budget 1958, Commission de contrôle des crédits militaires, S. 7. 311 Vialet hingegen argumentierte, der Wegfall der Soldaten aus Übersee würde Frankreichs Armee empfindlich schwächen. Vialet: L’Algérie restera française, S. 41. 312 Grosser, Alfred: La France en Occident et en Algérie, in: La guerre d’Algérie et les Français, hg. v. Rioux, S. 382–388, hier 384. 313 François Mitterrand (UDSR), in: JOAN, 30.09.1957, S. 4443. Frankreich betrachtete den Algerienkonflikt als innerfranzösische Angelegenheit und verbot sich äußere Einmischungen. Gleichwohl hatte sich Paris dafür stark gemacht, Algerien in das NATO-Territorium zu integrieren und bemühte sich daher, den Einsatz in Nordafrika als Engagement im Sinne der Verbündeten darzustellen. In Artikel 6.1 des transatlantischen Vertrages wurden die „départements français d’Algérie“ explizit als NATO-Gebiet aufgeführt. Vertrag online einsehbar: http://www.nato.int/cps/fr/natolive/official_texts_17120.htm.

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drängt werden314. Zwar waren sich die USA der hohen strategischen Bedeutung der Region für die NATO bewusst. Gleichwohl zeigte sich eine amerikanische Kommission um Senator Mansfield davon überzeugt, dass die französische Nordafrikapolitik weder Paris noch dem westlichen Verteidigungsbündnis zum Vorteil gereiche315. „L’invraisemblable thèse de la collusion du nationalisme et du communisme“ überzeugte Washington nicht316. Dennoch beließen es die Amerikaner bei gelegentlicher Kritik317. In der Regel konnte sich Frankreich auf internationa-

314 Eine Note der Generaldirektion für politische Angelegenheiten im Außenministerium bestätigte Verbindungen zwischen dem Kommunismus und dem FLN. So stamme etwa die Hälfte der Waffen der Rebellen aus Beständen von Ostblockländern. Der verbotene ‚Parti Communiste d’Algérie‘ leiste den algerischen Kombattanten weiterhin logistische Unterstützung. Belege für direkte Implikationen der Sowjetunion in den Konflikt gebe es hingegen keine. DDF, 1958 I: 435, 20.06.1958, S. 817f. Ende 1954 legte die ‚Direction politique‘ dem Außenminister dennoch nahe, die Truppenverlegungen nach Nordafrika als im Sinne der NATO darzustellen. Vgl. DDF, 1954 II: 398, 29.11.1954, S. 818. General Allard sagte auf einer Konferenz 1957, die Unabhängigkeit Algeriens führe zu „la communisation et la satellisation“. MAE, AL, Algérie, 15: 15.11.1957, Les missions de l’armée française dans la guerre révolutionnaire d’Algérie, général Allard. Generalresident Francis Lacoste schrieb 1955, der Terrorismus in Marokko sei durch eine liberale Politik nicht zu besiegen, da dieser unabhängig vom Nationalismus sei und als Waffe des Kommunismus fungiere. DDF, 1955 I: 280, 14.05.1955, S. 643. Eine dem Außenamt vorliegende Studie prophezeite für den Fall des Scheiterns der französischen Nordafrikapolitik „un recul inévitable du monde occidental“. Eine Bresche würde in das System der transatlantischen Verteidigung geschlagen und „des possibilités d’action accrues du monde communiste sur l’ensemble du continent africain“ wären die Folgen. MAE, CM, Pineau, 2: Esquisse d’une politique française au Maroc, S. 2. 315 MAE, MT, Maroc (I), 162: 27.10.1955, Bericht der Botschaft über US-Kommission zu Nordafrika. 316 Zitat: Lacroix-Riz: Les Protectorats, S. 69. Frankreichs NATO-Repräsentant Parodi musste gegenüber den Verbündeten einräumen, „que nous n’avions pas relevé d’indices directs d’une intervention soviétique“. DDF, 1956 I: 146, 07.03.1956, S. 329. Erstaunlicherweise gab Ministerpräsident Guy Mollet in einem Interview mit ‚U.S. News‘ zu Protokoll: „l’influence du communisme n’est pas très considérable. […] Les Musulmans ne veulent pas d’eux“. OURS, AGM 67: 04.04.1956, M. Guy Mollet s’adresse à l’opinion américaine. Die nordafrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen versuchten ihrerseits, die USA von ihrer ablehnenden Haltung gegenüber dem Kommunismus zu überzeugen. Thomas: Defending a lost cause, S. 218. 317 Die USA verstärkten nach der Konferenz von Bandung ihr antikoloniales Profil. Die Berichterstattung über Algerien in den amerikanischen Medien wurde nach 1954 zunehmend kritisch. DDF, 1955 I: 314, 03.06.1955, Couve de Murville, Washington, au MAE Pinay, S. 715. Paris reagierte darauf mit einer Informationskampagne, die in den USA um Verständnis für die französische Nordafrikapolitik werben sollte. DDF, 1956 I: 278, 27.04.1956, Couve de Murville, Washington, au MAE Pineau, S. 670. Die Kritik der NATO an den französischen Truppenverlegungen und der Schwächung der europäischen Verteidigung veranlasste den ‚Service des Pactes‘ im französischen Außenministerium dazu, vor schwindendem Einfluss Frankreichs in der Allianz zu warnen. DDF, 1955 I: 293, 24.05.1955, Note du Service des Pactes, S. 677. Dabei ging es zu diesem Zeitpunkt lediglich um die Verlegung von 20.000 französischen Soldaten.

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ler Ebene auf die Rückendeckung der Verbündeten verlassen318. Die NATO trug letztlich „la quasi-absence de l’Armée française dans la défense, en principe commune, de l’Europe“319. Bei einer Zuspitzung des Ost-West-Konflikts hätte das transatlantische Bündnis kaum auf den französischen Beitrag zur Verteidigung Europas verzichten können. Solange dieser Fall nicht eintrat, beschränkten sich die Verbündeten darauf, eine rasche Lösung der Algerienfrage anzumahnen und auf ein stärkeres Engagement Frankreichs in der Zukunft zu hoffen320. Die Haltung der NATO-Partner kam einer indirekten Subvention des französischen Militärhaushalts gleich321. Sie ermöglichte es Paris, die europäische Verteidigung zu vernachlässigen, um in Nordafrika einen Krieg zu führen, den es sich nicht hätte leisten können, wenn es seinen Bündnisverpflichtungen in ausreichendem Maße hätte nachkommen müssen322.

318 Der UN-Sicherheitsrat lehnte im April 1956 gegen die Stimmen der UdSSR und des Iran den Antrag mehrerer asiatischer und afrikanischer Staaten ab, die Situation in Algerien zu thematisieren. The Historical Security Council of 1956, in: 2007 Issuses at AMUN, S. 11. Gegenüber dem Irak, der die USA drängte, in der Algerienfrage stärkeren Druck auf Frankreich auszuüben, gab Washington an, Paris in dieser Angelegenheit zu vertrauen und sich nicht in innerfranzösische Fragen einmischen zu wollen. DDF, 1956 II: 32, 11.07.1956, Couve de Murville, Washington, au MAE Pineau, S. 78. Unterstützt von Großbritannien scheiterte 1952 Tunesiens Beschwerde vor dem Sicherheitsrat gegen die die Missachtung der inneren Autonomie. Geay, Ingrid: Les recours successifs de la Tunisie à l’ONU, in: Revue d’Histoire Diplomatique, 110 (1996), S. 241–254, hier S. 243ff. 319 Grosser: La France en Occident, S. 384f. 320 In einem Schreiben bezüglich der Haltung der NATO-Partner zur Verlegung französischer Truppen nach Algerien Anfang 1956 heißt es: „Exprimant l’espoir d’un règlement rapide et durable le Conseil a pris note de la volonté du Gouvernement français de rétablir dès que possible sa pleine contribution à la défense commune sur le territoire européen“. MAE, AL, Algérie, 15: 28.02.1956, Telegramm über Zustimmung der NATO zu Truppenverlegung. 321 Als weitere Form der Unterstützung sind die Lieferungen US-amerikanischer Rüstungsgüter für die französische Armee zu nennen. Nach internationalen Vorwürfen, die USA würden sich damit indirekt am Algerienkrieg beteiligen, zeigte sich Washington gegenüber Anfragen aus Paris vorsichtiger und drängte darauf, die Waffensysteme nicht im Kampf gegen den FLN zu verwenden. In der Realität änderte dies wenig. Die verstärkte Nutzung amerikanischer Helikopter, die Frankreich zu Teilen bereits im Indochinakrieg übergeben worden waren, verbesserte die Mobilität und Schlagkraft der französischen Armee in den unwegsamen Gebieten Algeriens in erheblichem Maße. Von den 250 im Algerienkrieg eingesetzten Helikoptern entstammten 204 amerikanischer Herkunft. Grosser: La France en Occident, S. 384. Zur Militärhilfe in Form von Rüstungsgütern im Indochinakrieg: DDF, 1955 I: 300, 26.05.1955, S. 691. 322 Clayton argumentiert ähnlich. Als entscheidenden Punkt, der Frankreich die Kolonialkriege nach 1945 ermöglicht habe, gibt er jedoch die Absenz eines potentiellen Feindes auf dem europäischen Kontinent an. Vgl. Clayton, Anthony: The Wars of French Decolonization, Longman, London/New York, 1994, S. 7. Dem ist entgegenzuhalten, dass mit dem Warschauer Pakt der potentielle Gegner klar umrissen war. Ausschlaggebend wirkte daher vielmehr die Bereitschaft der NATO, den Ausfall Frankreichs zu kompensieren.

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III. Die ökonomische Integration 1954 bis 1958

Die nationale Ölstrategie Eng verbunden mit dem Selbstverständnis Frankreichs als Großmacht war die Frage, ob die Sahara als nationales oder als internationales Projekt zu betrachten war. Diese Grundsatzentscheidung wiederum beeinflusste den ökonomischen Nutzen, der aus den Bodenschätzen gezogen werden konnte. Die unterschiedlichen Vorstellungen zur französischen Ölpolitik werden anhand der Diskussion über mögliche Routen der zu bauenden Pipelines und über die Zulassung ausländischer Investoren deutlich. Die ‚Direction des carburants‘ aus dem Industrieministerium warnte eindringlich davor, sich bei den Entscheidungen primär von strategischen Überlegungen leiten zu lassen und die Rentabilität aus den Augen zu verlieren. Da die Finanzierung zu großen Teilen über privates Kapital erfolgen solle, gefährde ein politisch motiviertes Vorgehen die Wirtschaftlichkeit des gesamten Projekts. Das algerische Öl könne angesichts der günstigen Konkurrenz aus dem Mittleren Osten nur zu einem gewinnbringenden Faktor werden, wenn keine unnötigen Zusatzkosten verursacht würden. Von den debattierten möglichen Routen über algerisches, tunesisches und libysches Gebiet erfüllten nur die beiden zuletzt genannten diese Konditionen. Kostenvoranschlägen zufolge würde die algerische Option das Projekt um etwa das Doppelte auf über 50 Milliarden Francs verteuern und es um mehrere Monate verzögern. Auch Vertreter des Außenministeriums favorisierten die libysche und die tunesische Option und führten hierfür neben wirtschaftlichen auch außenpolitische Argumente an. Eine Kooperation mit Libyen könne ein Signal an die gesamte arabische Welt senden, dass Frankreich bereit sei, zum beidseitigen Nutzen mit ihr zusammenzuarbeiten. Auf diese Weise würde der antifranzösischen Stimmung in diesen Ländern entgegengewirkt323. Die Geografie Nordafrikas gewähre Tunesien eine Schlüsselrolle beim Abtransport des Öls und mache daher ein kooperatives Vorgehen unabdingbar, stimmte der französische Botschafter in Tunis zu324. Auf diese Weise, so die Hoffnung, sollte die Lage in Nordafrika insgesamt stabilisiert, Konflikte entschärft und eine Akzeptanz Französisch-Algeriens in den arabischen Staaten geschaffen werden, wodurch wiederum ökonomische Vorteile entstünden325: Das Risiko der Investitionen in den Ölsektor sank, die Rentabilität stieg. Andere unterstützten die tunesische Variante aus einer strategischen Überlegung heraus. Saharaminister Max Lejeune „y voit surtout un geste tactique, destiné à faciliter la reprise de conversations directes avec la Tunisie et à épauler la notion de communauté de défense“326. Bereitschaft

323 Die interministerielle Diskussion ist in einer Note des Außenministeriums ausführlich dokumentiert: DDF, 1958 I: 15, 09.01.1958, S. 27. 324 MAE, MT, Tunisie (II), 39: 03.07.1957, Problèmes en suspens entre la France et la Tunisie. Les illusions et les réalités, Très confidentiel, S. 13; 16. 325 MAE, AL, Algérie, 54: Note, L’exploitation des richesses sahariennes, S. 1. 326 DDF, 1958 I: 175: 11.03.1958, Note du conseiller diplomatique, S. 303.

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zur Zusammenarbeit ließen zunächst sowohl die libyschen als auch die tunesischen Gesprächspartner erkennen327. Insbesondere das Verteidigungsministerium und die Generalregierung in Algier privilegierten eine nationale Strategie mit der Absicht, Frankreich bei der Versorgung mit Öl unabhängig vom Ausland zu machen. Zur Erreichung dieses Ziels zeigten sie sich bereit, ökonomische Überlegungen zurückzustellen. Mehrkosten ihrer Vorschläge wurden bezweifelt oder mit dem Argument relativiert, im Zweifelsfall sei die nationale Souveränität wertvoller. Ein Verlauf über Libyen und Tunesien könne unter Umständen einen Krieg heraufbeschwören, sollten diese Länder die Pipelines als politisches Druckmittel missbrauchen. Darüber hinaus vermittle ein Abtransport des Öls über nicht-algerisches Gebiet den Eindruck, Frankreich raube den Algeriern ihre Bodenschätze und habe nur den eigenen Profit, nicht aber das Wohl der Menschen vor Ort im Blick328. Ein multilaterales Vorgehen konnte in ihren Augen nicht mit dem nationalen französischen Interesse vereinbart werden. Ausländische Investitionen in der Sahara sollten daher nur unter strengen Auflagen zugelassen werden. Befürworter einer multinational ausgerichteten Ölpolitik verwiesen demgegenüber auf eine mögliche Gefährdung der Versorgungssicherheit, sollte Paris ausländischen Firmen den Zugang zur Sahara verwehren. Die Suezkrise habe gezeigt, wie wichtig die Solidarität befreundeter Staaten sei. Eine nationale Ölpolitik setze diese Rückversicherung aufs Spiel329. Des Weiteren barg die Strategie die Gefahr, von der libyschen Konkurrenz abgehängt zu werden. Umfangreiche internationale Investitionen hatten dem Land bereits eine deutlich aussichtsreichere Ausgangsposition für den Markteintritt verschafft330. „Écarter les grandes compagnies étrangères en maintenant un régime auquel elles ne veulent pas se plier équivaudrait à retarder délibérément le jour où nous aurons retrouvé notre indépendance financière“, warnte eine Note aus dem Außenministerium331. Die ‚Direction d‘Afrique-Levant‘ sprach sich daher dafür aus, ausländische Firmen in der Sahara nicht nur zu akzeptieren, sondern diese aktiv anzuwerben und auch mehrheitliche Beteiligungen an Konzessionen zuzulassen332. Auch außerhalb der Politik waren die Meinungen gespalten. Einige glaubten, „l’indépendance économique, et donc politique, du pays vaut bien […] les 10 ou 20 milliards supplémentaires que coûtera l’acheminement du pétrole d’Edjelé par Hassi-Messaoud et Philippeville“333. Andere lehnten strategische Argumente in

327 Darüber berichtet: MAE, MT, Tunisie (II), 39: Rapport pour la période du 1er au 31 Mars, Consulat général de France à Sfax, Confidentiel, S. 1. 328 DDF, 1958 I: 15, 09.01.1958, S. 27. 329 DDF, 1958 I: 87, 12.02.1958, Affaires économiques et financières, S. 158 und DDF, 1958 I: 384, 02.06.1958, Politique pétrolière française dans le Moyen-Orient, S. 715; 720. 330 Petroleum Press Service, 27, 6 (1960): Accelerating Pace in Libya, S. 199–201. 331 MAE, MT, Maroc (II), 421: Note, S. 4. 332 MAE, AL, Algérie, 16: 30.05.1958, Remarques sur certains aspects du problème algérien, S. 1. 333 Vialet: L’Algérie restera française, S. 45.

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dieser Frage ab und forderten, sich bei Ölförderung und -abtransport alleine an der Wirtschaftlichkeit zu orientieren334. Bei der Frage des Verlaufs der Pipelines spielte die Sicherheit eine bedeutsame Rolle. In den weitläufigen Gebieten der Sahara stellte der Schutz der Ölleitungen die französische Armee vor eine große Herausforderung. Das Militär hatte in vielen Bereichen seine Belastungsgrenze erreicht und die Bereitstellung von Truppen und Finanzmitteln für diese zusätzliche Mission gestaltete sich als schwierig. Das Protokoll einer Beratung von Militärs und Funktionären über die ‚Protection des installations pétrolières‘ bezeugt eine gewisse Ratlosigkeit in dieser Frage335. Da für zusätzliche, breitangelegte Operationen die Ressourcen fehlten, verfügte der FLN bei Verlauf der Ölleitungen über „ein Defacto-Mitspracherecht“336. Bezüglich der Strategie der algerischen Rebellen herrscht in der Forschung Uneinigkeit. Die Mehrheit der Autoren spricht von auffallender Zurückhaltung des FLN hinsichtlich Sabotageakten an Einrichtungen der Ölindustrie337. „Les Algériens ont veillé à ne pas entraver une activité qui était appelée à jouer un rôle considérable une fois l’indépendance gagnée“338. Andere hingegen behaupten, die Rebellen hätten nach der Entdeckung der Bodenschätze versucht, im Süden Algeriens eine weitere Frontlinie zu eröffnen339. Zudem sei es ihm gelungen, Tripolis dazu zu bewegen, Frankreich den geplanten Transit über libysches Territorium zu verwehren340. Der FLN bemühte sich auch darum, Tunesiens Präsident Bourguiba von der franko-tunesischen Kooperation bei der Pipeline von Edjelé abzubringen, allerdings ohne Erfolg. Eine Einigung zum Bau der Ölleitung über tunesisches Gebiet zum Golf von Gabès wurde im Dezember 1957 erzielt341.

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Mainguy: Le pétrole et l’Algérie, S. 110. MDN, 1 R 373: Compte-rendu de la réunion du 3 Janvier 1959. Der Spiegel, 38 (1957): Burguiba. Der Makler, S. 43 Desjuzeur erwähnt eine geheime Übereinkunft zwischen FLN und den Ölunternehmen, die einen Verzicht des FLN auf Sabotageakte gegen Zahlung von Schutzgeld nahelegt. Vgl. Desjuzeur, Marie-Bénédicte: La compagnie française des pétroles en Algérie, 1950–1971, Diss., Paris, S. 44. Ohne die These Dejuzeurs zu bestätigen, verweist Lefeuvre zumindest darauf, dass der FLN sich trotz der massiven Propaganda gegen die französische Ölpolitik in Sachen Sabotage sehr zurückhielt. Vgl. Lefeuvre: Chère Algérie, S. 394. Ähnlich: Aissaoui, Ali: Algeria. The Political Economy of Oil and Gas, Oxford Univ. Press, Oxford, 2001, S. 10. Nicht für die Ölbranche, jedoch für die ‚Société algérienne des transports automobiles en commun‘ findet sich in den Archiven eine entsprechende Zeugenaussage. CHSP, Fonds Savary, 56: 30.04.1956, R. Perié, Algier, à Savary, S. 5. L’Huillier, Hervé: La stratégie de la Compagnie Française des Pétroles, in: La guerre d’Algérie et les Français, hg. v. Rioux, S. 316–319, hier S. 318. Siehe auch: Elsenhans: La guerre d’Algérie, S. 319. Blin: L’Algérie, S. 108. Ewald Leufgen (Interview) bestätigt, dass es Sabotageakte seitens des FLN gegen Öleinrichtungen gegeben habe. Mahiout: Le pétrole algérien, S. 114. Die Publikation erweist sich als sehr populistisch, wenig differenziert und offen anti-israelisch. Le Monde diplomatique, (Août 1958): Les accords franco-tunisiens sur l’évacuation du pétrole d’Edjelé mettent-ils en danger l’unité du Maghreb?, Alain Jaco, S. 1;4.

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Ein als „Top Secret“ klassifizierter Bericht des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes CIA löst die widersprüchlichen Angaben hinsichtlich der Strategie des FLN teilweise auf. Darin ist durchaus von kleineren Sabotageakten die Rede, die sich jedoch auf Einrichtungen und die Pipeline von Hassi Messaoud konzentrierten, deren Fertigstellung für 1960 vorgesehen war. Diese Leitung sollte den Abtransport von 4,35 Millionen Tonnen Öl ermöglichen, was dem 15fachen des Wertes von 1958 entsprach. Gegenüber US-Kontaktleuten versicherten führende Rebellen hingegen, nicht gegen die erst 1959 begonnene Pipeline von Edjelé über tunesisches Gebiet vorgehen zu wollen342. Es ging der algerischen Unabhängigkeitsbewegung offenkundig darum, den Abtransport der Bodenschätze zu verzögern und den Reichtum der Sahara für die Zeit nach der sich andeutenden Unabhängigkeit Algeriens zu bewahren. Gleichzeitig sollte die finanzielle Belastung Frankreichs erhöht, das Saharaprojekt auf diese Weise unrentabel gemacht und dadurch die Kompromissbereitschaft der Metropole gestärkt werden. Ebenso spekulierte der FLN darauf, dass die bekämpfte Kolonialmacht den Bau der Pipeline von Edjelé soweit vorantreiben würde, dass er selbst eines Tages die Früchte der Investitionen würde ernten können. Zwei unterschiedliche Ansätze der Ölpolitik galt es für die französische Regierung abzuwägen. Auf der einen Seite stand der Wunsch nach Diversifizierung der Lieferwege, nach Stärkung französischer Förderunternehmen auf dem internationalen Markt und nach Einbindung von Anrainerstaaten sowie internationalen Partnern. Auf der anderen Seite existierte das Konzept einer staatlich dominierten, an strategischen Interessen und dem Ziel der Autarkie ausgerichteten nationalen Ölpolitik. Am Ende einigten sich die beteiligten Instanzen auf einen Kompromiss. Pipelines sollten sowohl entlang der tunesischen Route als auch über algerisches Gebiet gebaut werden. Daraus entstehende Mehrkosten wurden in Kauf genommen. Die im Mai 1957 fixierten Bedingungen für die Beteiligung internationaler Konzerne an der Ausbeutung der Sahara wurden indes sehr restriktiv formuliert. Konzessionen an ausländische Firmen mussten mit Äquivalenten für französische Unternehmen in anderen Regionen ausgeglichen werden. Ferner musste eine französische Mehrheit an den Förderrechten in der Sahara gewahrt bleiben. Akzeptiert wurden ausschließlich Unternehmen, deren politisches Engagement, ebenso wie jenes ihrer Herkunftsländer, eine Nicht-Einmischung in die inneren Angelegenheiten Frankreichs garantierte343. In der Summe ergab sich daraus ein klarer Punktsieg für die Befürworter der nationalen Ölpolitik. Führte die Beschaffenheit des algerischen Öls bereits zu einem vergleichsweise geringen Interesse der großen ausländischen Konzerne an der Sahara, senkten die festgelegten Konditionen deren Investitionsbereitschaft zusätzlich344. Des

342 Central Intelligence Bulletin, 03.02.1959, SC No. 00789/59, S. 8. http://www.foia.cia.gov/ sites/default/files/document_conversions/89801/DOC_0000407635.pdf. 343 Zum 1957 etablierten Öl-Regime siehe: Elsenhans: La guerre d’Algérie, S. 289f. 344 Die Zeitung ‚Gazette littéraire‘ machte nicht die Beteiligungskonditionen, sondern ein berechnendes Kalkül der Ölkonzerne für ihre Zurückhaltung verantwortlich. Sie würden dem

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Weiteren mussten sich die Förderfirmen an den Kosten für die Sicherung ihrer Einrichtungen beteiligen345. Der zitierte CIA-Bericht legt zudem die Vermutung nahe, dass eine gegenüber der US-Botschaft in Tunis geäußerte Drohung des FLN einige Wirkung zeigte: Sollten sich US-Firmen direkt an der Ausbeutung algerischen Öls beteiligen, würden deren Einrichtungen gezielt attackiert346. Insgesamt blieb die Skepsis der internationalen Ölkonzerne groß und ihr Engagement in der algerischen Sahara überschaubar347. Die Hoffnungen der französischen Regierung, die Staaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) für eine auf die Sahara ausgerichtete europäische Ölpolitik gewinnen zu können und auf diese Weise indirekt Rückendeckung für die Integrationspolitik in Algerien zu erhalten, erfüllten sich nicht348. Die Fachzeitschrift ‚Petroleum Press Service‘ vermutete, dass sich die Europäer „en raison de l’avenir politique encore incertain du Sahara“, nicht abhängig von dieser Region machen wollten349. Zudem sprudelte mit dem libyschen Öl eine attraktive Alternative auf den Markt, während die Wirtschaftlichkeit des französischen Saharaprojekts zu diesem Zeitpunkt ungewiss erschien. Die Steigerung des weltweiten Angebots führte Anfang der 1960er Jahre zu einem niedrigen Marktpreis. Während Öl aus dem persischen Golf zu 16,8 US-Dollar pro Tonne angeboten wurde, belief sich der Preis des algerischen Pendants aus Hassi Messaoud auf 21,6 US-Dollar pro Tonne350. Um diesen Kostennachteil zu egalisieren und die Kommerzialisierung der eigenen Produktion zu ermöglichen, wurden alle in- und ausländischen Konzerne, die den französischen Markt belieferten, mit einer Art Solidaritätsbeitrag (‚devoir national‘) belegt. Dieser verpflichtete sie zum Kauf einer bestimmten Quote algerischen Öls. Durch diese Maßnahme verteuerte sich der Ölpreis in Frankreich um 15,6 Prozent im Vergleich zum Weltmarktniveau351. Angesichts der beschriebenen Gesamtsituation bezweifelten immer mehr Franzosen die vermeintliche Ab-

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Staat die Initialkosten überlassen, um später die Profite abzugreifen. MAE, AL, Algérie, 54: 25.01.1957, Kommentar zu Artikel in ‚Gazette littéraire‘ (10.01.1957). MDN, 1 R 373: 17.08.1959, Premier Ministre à Ministre Délégué auprès du Premier Ministre. Central Intelligence Bulletin, 03.02.1959, SC No. 00789/59, S. ii; 8. 1960 betrug der Anteil ausländischer Investitionen 14 Prozent. Zu nennen ist etwa das Engagement der Standard Oil of New Jersey und einiger unabhängiger amerikanischer Ölfirmen. Vgl. Central Intelligence Bulletin, 03.02.1959, SC No. 00789/59, S. 8 und Elsenhans: La guerre d’Algérie, S. 298. SHELL agierte bereits seit 1953 in der Sahara und fiel daher nicht unter das Reglement von 1957. Abdelkader Barakrok regte 1957 die Gründung einer Art EGKS für Öl an, in der sich Europa und Nordafrika zusammenschließen sollten. OURS, AGM 83: 26.08.1957, Abdelkader Barakrok, Kommentar zu Loi-Cadre, S. 12. Ein dem Verteidigungsministerium vorliegender Aufsatz von 1959 zeigte sich zuversichtlich, dass Europa wegen seines wachsenden Energiehungers großes Interesse am algerischen Öl zeigen werde. Chauleur, Pierre: Le pétrole et le gaz Saharien. Éléments de solution du problème algérien, in: Industrie et Travaux d’OutreMer, 67 (Juin 1959), S. 321. Siehe auch: Ageron: L’Algérie dernière chance, S. 120. Petroleum Press Service, 27, 1 (1960): Seeking Protection for Saharan Oil, S. 8. Petroleum Press Service, 27, 5 (1960): France’s New State-Sponsorded Oil Company, S. 183. Lefeuvre: Pour en finir, S. 138.

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hängigkeit Frankreichs von der Sahara. „La rupture brutale de tout lien entre la France et l’Algérie et d’une interruption de l’acheminement du pétrole aurait des conséquences infiniment plus dramatiques pour l’Algérie que pour la France“. Während Frankreich ohne Schwierigkeiten andere Versorgungsmöglichkeiten fände, hätte ein unabhängiges Algerien Mühe, sein teures Förderprodukt weiterhin zu exportieren352. Erst als die große Euphorie einer rationaleren Betrachtung des ökonomischen und machtpolitischen Potentials der Sahara wich, änderte sich die französische Strategie. Unter de Gaulle setzte sich die Erkenntnis durch, dass eine nationale Ölpolitik und die Fokussierung auf die Vorkommen in der Sahara weder Autarkie noch Versorgungssicherheit gewährleisten konnten. Die sich andeutende Unabhängigkeit Algeriens verstärkte die Notwendigkeit eines Umdenkens. Paris folgte nunmehr dem Ansatz anderer westlichen Staaten und setzte auf eine dezentralisierte, multinationale Versorgung. Um den Handlungsspielraum französischer Ölfirmen auf dem internationalen Markt zu vergrößern, wurden die Konditionen für ausländische Firmen in Algerien gelockert353. Das internationale Interesse blieb dennoch verhalten und auch für Frankreich verlor die Sahara relativ gesehen an Bedeutung354. Der Anteil Algeriens an den französischen Ölimporten sank von 34 Prozent im Jahr 1962 auf 32 Prozent sechs Jahre später und 26 Prozent im Jahr 1970. Nach der Nationalisierung des Ölsektors durch die algerische Regierung im Jahr 1971 fiel der Wert auf 7 Prozent355.

Hindernis und Schlüssel für die Unabhängigkeit Die Überschätzung ihres ökonomischen und strategischen Potentials machte die Sahara zunächst zu einem Hindernis auf dem Weg zur algerischen Selbstbestimmung. Zwischenzeitlich gab es Überlegungen, die Wüste von der algerischen Unabhängigkeit auszunehmen356. Als die anfängliche Euphorie über den vermeintlichen Reichtum der schier endlosen Sandlandschaft abebbte, lenkte Charles de Gaulle schließlich ein. „Il n’y a pas un seul Algérien, je le sais, qui ne pense que le Sahara doive faire partie de l’Algérie et il n’y aurait pas un seul gouvernement

352 ANOM, FM 81F 196: Le Problème saharien, Groupe Algérie du Club Jean Moulin, S. 1f. 353 Vgl. Penrose, Edith T.: The Large International Firm in Developing Countries. The International Petroleum Industry, Allen & Unwin, London, 1968, S. 75. 354 Zu den Änderungen der Ölpolitik unter de Gaulle siehe: Elsenhans: La guerre d’Algérie, S. 293; 315. 355 Brandell, Inga: Les rapports franco-algériens depuis 1962. Du pétrole et des hommes, L’Harmattan, Paris, 1981, S. 70. 356 ANOM, FM 81F 196: 20.04.1961, Le Sahara et l’autodétermination, Ministère d’État chargé des Affaires Algériennes, Mission d’études, S. 1. Die Zeitschrift ‚Connaissance de l’Algérie‘ schrieb, Frankreich habe die Sahara erschlossen und entwickelt, woraus sei ein unbestreitbarer Souveränitätsanspruch erwachsen sei. Connaissance de l’Algérie, 20 (1956), S. 1. (Vgl. MAE, CM, Pineau, 26).

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algérien, quelle que soit son orientation par rapport à la France, qui ne doive revendiquer sans relâche, la souveraineté algérienne sur le Sahara“357. Manche meinen, ein Ende des Algerienkriegs wäre bei einem entsprechenden Zugeständnis Frankreichs bereits um 1960 möglich gewesen358. Lange hatte es geheißen, „on ne voit pas, et nul n’a pu l’expliquer, comment l’avènement d’une République Algérienne, artificielle, sans racines et sans moyens normaux, transformerait d’un coup de baguette magique, l’équipement de ces territoires, dont 80 % des débouchés économiques sont exclusivement métropolitains“359. Mit den Öl- und Gasvorkommen der Sahara besaß der FLN nun einen wertvollen Schlüssel für die ökonomische Zukunft des Entwicklungslandes. Das Algerienministerium rechnete für ein unabhängiges Algerien mit Staatseinnahmen von etwa 300 Milliarden Francs360. In Bezug auf das algerische Budget kam den 40 Milliarden Francs an Gewinnen aus der Ölförderung im Jahr 1962 somit eine ganz andere Dimension zu als es bei den französischen Staatseinnahmen von 8.400 Milliarden Francs der Fall war361. Auch aus diesem Umstand heraus erklärt sich die Vehemenz, mit der ‚Le Gouvernement provisoire de la République algérienne‘ (GPRA) bei den Verhandlungen mit Frankreich auf der vollständigen Souveränität über die Sahara bestand362. Die Ölrendite wurde zu einem zentralen Instrument des FLN, um seine Machtbasis zu festigen und zu monopolisieren. Die sich aus dem Rohstoffreichtum ergebenden Chancen für das Land nutzte die algerische Führung hingegen nicht. Der in den Dekaden nach der Unabhängigkeit prägende wirtschaftspolitische Hybrid aus Sozialismus und Staatskapitalismus führte zu einer „inefficacité économique généralisée“, verstärkte soziale Ungleichheiten und mündete in einer „profonde crise culturelle remettant en cause la cohésion même de la société algérienne“363. Der Ökonom Alain Cotta sieht in der Ölrendite gar die Ursache für die andauernden sozialen und ökonomischen Probleme Algeriens364. Sie befreite die Regierung scheinbar von der Notwendigkeit, über eine solide Wirtschaftspolitik zu einer wettbewerbsfähigen Volkswirtschaft zu gelangen. Schon bald reichten

357 Aussage de Gaulles über die Aussicht einer Einigung mit dem FLN ohne Einbeziehung der Sahara. ANOM, FM 81F 196: 01.03.1962, Centre d’études des Relations internationales, S. 78. 358 Blin: L’Algérie, S. 86. 359 D’Estailleur-Chanteraine, Philippe: L’Afrique à la croisée des chemins. Maroc, Algérie, Tunisie, Perpignan, Paris, 1955, S. 173. Der Historiker D’Estailleur-Chanteraine leitete u.a. die ‚Académie des Sciences d’Outre-Mer‘. 360 ANOM, FM 81F 197: Note sur les relations budgétaires entre l’Algérie et la France, S. 3. 361 Budget, 1962, S. 41. Einige bestritten, dass das Öl Algerien die ökonomische Unabhängigkeit ermögliche, beharrten gleichwohl auf der widersprüchlichen These, ohne die Sahara sei Frankreich der Misere geweiht. Etwa: AN, F 12 11804: 15.10.1958, Conséquences du maintien de l’autorité française en Algérie, S. 20. 362 Lefeuvre: Chère Algérie, S. 21. Lefeuvre beruft sich auf ein entsprechendes Telegramm des französischen Verhandlungsführers Louis Joxe. 363 Goumeziane: Le mal algérien, S. 18. 364 Vorwort von Alain Cotta, in Goumeziane: Le mal algérien, S. 3.

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die Einnahmen aus den Rohstoffexporten nicht mehr zur Finanzierung der sozialen Wohltaten aus und so stieg die Verschuldung Algeriens von 1974 bis 1979 um mehr als das Vierfache. Im Jahr 1989 verschlangen die Zinszahlungen 75 Prozent der Staatseinnahmen aus der Öl- und Gasbranche365. Die Abhängigkeit des Landes von seinen Rohstoffeinnahmen hält bis heute an. Im Jahr 2000 bestanden 98 Prozent der algerischen Ausfuhren aus Kohlenwasserstoffverbindungen, die 61 Prozent der Staatseinnahmen generierten. Ein Umdenken in der Wirtschaftspolitik und Reformen ermöglichten in den Folgejahren die Senkung der Arbeitslosigkeit von 30 auf 10 Prozent im Jahr 2012. Die Verschuldungsquote sank von einem Höchstwert von 85,7 Prozent des BIPs auf vorbildliche 7,9 Prozent. Mit einer Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung von rund 7.500 USDollar rangierte Algerien zuletzt auf Platz 137 vor Marokko mit 5.400 US-Dollar, jedoch klar hinter dem rohstoffarmen Tunesien mit 9.900 US-Dollar. Frankreich konnte den Abstand zu Algerien trotz der Aufgabe der Sahara deutlich auf ein BIP von 36.100 US-Dollar pro Einwohner vergrößern. Während der algerischen Regierung 81,2 Milliarden US-Dollar an Einnahmen zur Verfügung standen, die zu großen Teilen aus dem Rohstoffsektor stammten, verfügte Frankreich über ein Budget von 1.480 Milliarden US-Dollar366. Die aufgeführten Zahlen verdeutlichen, dass der Reichtum der Sahara ein relativer war und ist. Er ermöglichte dem unabhängigen Algerien zwar, die individuellen Lebensverhältnisse über eine expansive Ausgabenpolitik zu verbessern. Für eine Annäherung an westliche Lebensstandards aber reichten die Einnahmen aus den Gas- und Ölexporten bei weitem nicht aus. Das Festhalten an der Devise „l’Algérie, c’est la France“ hätte somit bis zum heutigen Tage zu einem Kapitalabfluss in Richtung Nordafrika führen müssen, um die notwendigen massiven Investitionen zur Angleichung der Einkommensverhältnisse zu finanzieren. Insofern kann kein Zweifel daran bestehen, dass die algerische Unabhängigkeit aus französischer Retrospektive auch unter Aufgabe der Sahara eine ökonomisch sinnvolle Entscheidung war. Maßgeblich für die Bewertung der damaligen Politik ist freilich die Tatsache, dass diese Kalkulation bereits für die zeitgenössischen Entscheidungsträger ersichtlich gewesen war367.

365 Aissaoui: Algeria, S. 10 und Goumeziane: Le mal algérien, S. 27; 128. 366 Die zitierten Daten entstammen den jeweiligen Ländereinträgen des CIA World Factbook. Online: https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/. 367 Neben der ökonomischen Entlastung mag auch die psychologische Befreiung von den Kolonien eine entwicklungsfördernde Wirkung für Frankreich gehabt haben. Diese These vertritt etwa: Ross, Kristin: Fast Cars, Clean Bodies. Decolonization and the Reordering of French Culture, MIT Press, Cambridge, 1995.

IV. DER PREIS DES KRIEGES 1. DIE FINANZIELLE KRIEGSLAST „Vous avez, monsieur le président du conseil […] indiqué que le poids des dépenses nouvelles avoisine le montant du déficit de la S.N.C.F., c’est-à-dire environ 200 milliards“, (Pascal Arrighi, 1957)1

Die Strategie der französischen Führung sah vor, die Integration Algeriens als auf lange Sicht gewinnbringendes Projekt darzustellen, das den Steuerzahler und Wähler nicht übermäßig belasten würde. Überzeugen konnte diese Argumentation letztlich nur, wenn die Kosten des Kriegs die Waagschale nicht für jedermann sichtbar zu Ungunsten der Integrationspolitik beluden. Die Aufwendungen für den Militäreinsatz spielten in den ersten knapp anderthalb Jahren nach dem Ausbruch des Unabhängigkeitskampfs eine untergeordnete Rolle in der politischen und gesellschaftlichen Diskussion. In den Ministerien, im Parlament und in der Öffentlichkeit war wenig Besorgnis zu spüren. Von einer lokal begrenzten Rebellion ließ sich das Finanzministerium nicht die Zuversicht trüben, die Militärausgaben in den folgenden Jahren merklich senken zu können. Die Budgetplanungen im Juni 1955 sahen eine Verkleinerung des Verteidigungshaushalts bis 1956 um 9,4 Prozent im Vergleich zum Referenzjahr 1954 vor. Der Anteil des Militäretats am Nationaleinkommen sollte von 8,5 Prozent auf 7,3 Prozent zurückgefahren werden2. Die durch die Situation in Algerien bedingten Zusatzkosten wurden mit 14 Milliarden Francs für das laufende Jahr und 14,5 Milliarden Francs für 1956 veranschlagt3. Die Intensivierung der militärischen Auseinandersetzung ab August 1955 änderte wenig am Optimismus des Finanzministeriums. Minister Pflimlin zeigte sich noch im Oktober 1955 zuversichtlich, dass mit den nunmehr notwendig gewordenen Mehrausgaben von 35 Milliarden Francs die maximale Belastung erreicht sei4. Dabei warnten einzelne Parlamentarier schon länger vor „l’alourdissement extrêmement probable des charges militaires“5. Christian Pineau, damals noch in der Opposition, hielt die Kalkulation

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3 4 5

JOAN, 16.07.1957, S. 3644. MDN, 7 R 5: Conseil supérieur des Forces Armées, 3 juin 1955, Compte rendu, S. 44f und Annexe S. 4. Die Militärführung war naturgemäß anderer Meinung und forderte ein Verteidigungsbudget im Umfang von 1.500 Milliarden Francs statt der zugesagten 997 Milliarden Francs. Lefeuvre berichtet von Kürzungen in ähnlicher Größenordnung. So sei im August 1955 eine Senkung der laufenden Kosten um 4,5 Prozent und der Kapitalausgaben um 8,33 Prozent beschlossen worden. Lefeuvre: Le coût de la guerre, S. 502f. JOAN, 22.07.1955, S. 4053. Pierre Pflimlin (MRP), in: JOAN, 26.10.1955, S. 5290; 5292. So etwa Charles Barangé (MRP), in: JOAN, 11.05.1955, S. 2678.

1. Die finanzielle Kriegslast

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der Regierung für unrealistisch und erwartete steigende Militärausgaben für „une politique de force au-dessus de nos moyens“6. Auch die Erfahrungen in Indochina und zuletzt in Tunesien und Marokko hätten die Politik zu mehr Vorsicht bei der Kostenkalkulation in Algerien verleiten müssen. Die Zuspitzung der militärischen Situation und die damit einhergehende Entsendung neuer Truppenkontingente ließen die Militärausgaben Frankreichs in den Protektoraten von 83,2 Milliarden Francs im Jahr 1954 auf 120,5 Milliarden Francs 1955 und 142 Milliarden Francs 1956 ansteigen7. Für den Krieg in Fernost waren im Militärhaushalt von 1953 rund 440 Milliarden Francs vorgesehen gewesen8.

1.1 Verschleierungstaktik Formalien Als sich die militärische Situation weiter verschlechterte, im Frühjahr 1956 massiv neue Rekruten eingezogen werden mussten und nunmehr über 500.000 Soldaten in Nordafrika kämpften, verloren die bisherigen Angaben zu den Militärausgaben jegliche Glaubwürdigkeit. Eine Korrektur nach oben war unumgänglich. Dennoch ergeben die offiziellen Aussagen und Dokumente ein undurchsichtiges und widersprüchliches Bild. Finanzminister Pflimlin sagte im November 1957 aus, der Verteidigungshaushalt sei um 225 Milliarden Francs verringert worden. Aus den Statistiken des Ministeriums hingegen ergibt sich eine Steigerung um etwa 200 Milliarden Francs9. Während eine parlamentarische Kommission für 1958 um 40 Milliarden Francs reduzierte Verteidigungsausgaben vorrechnete, gab der Berichterstatter des Finanzausschusses eine Erhöhung um 161 Milliarden Francs zu Protokoll10. Die große Diskrepanz erklärt sich teilweise durch die formalen Eigenheiten des Militärbudgets. Aufgeteilt in reguläre Aufwendungen und Sonderposten, die dem Parlament für variable Perioden und häufig erst im Nachhinein vorgelegt wurden, entzog sich der Verteidigungshaushalt „à la compréhension des commissions compétentes des Assemblées et par conséquent au con6 7 8

Christian Pineau (SFIO), in: JOAN, 26.10.1955, S. 5280. Levi: L’évolution des relations économiques, S. 424. MAE, CM, Pinay, 8: 13.01.1953, Note, très secret, Les problèmes atlantiques 1953, P. 29. Die USA finanzierten Frankreichs Krieg in Fernost in steigendem Maße. 1954 belief sich deren Anteil an den französischen Kriegsausgaben auf 80 Prozent. Vgl. Raflik, Jenny: La contrainte occidentale sur la politique indochinoise, 1950-1954, 2007. Online erschienen: http://www.diploweb.com/forum/raflik07053.htm. Weiterführend zu den finanziellen Hintergründen des Indochinakriegs: Tertrais, Hugues: La piastre et le fusil, le coût de la guerre d‘Indochine 1945-1954, CHEFF, Paris, 2002. 9 Pierre Pflimlin (MRP), in: JOAN, 14.11.1957, S. 4778. In etwa übereinstimmende Angaben über deutlich höhere Militärausgaben: Budget, 1957, S. 7 und MFE, B 007012/2: 22.11.1957, Conséquences de la situation en Algérie, S. 3. 10 JOAN, 17.12.1957, S. 4778; 5421f.

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IV. Der Preis des Krieges

trôle parlementaire“11. „La débudgétisation“ des Algerienkriegs verschleiere dessen wahre Dimension, beklagte Antoine Mazier im Parlament12. Das Militärbudget war somit im Vergleich zum zivilen Etat von großer Intransparenz geprägt13. Gleichzeitig hatte die Regierung wenig Interesse daran, Klarheit in dieser Angelegenheit herbeizuführen. Der intransparente Status quo erlaubte es ihr und den Anhängern der Befriedungspolitik, die Belastung für den französischen Steuerzahler als verhältnismäßig gering darzustellen.

Optimismus Um Kritikern eine möglichst geringe Angriffsfläche zu bieten, verbreiteten die Politiker und Militärs trotz der Zuspitzung des Konflikts Optimismus über eine baldige Verbesserung der Lage in Algerien, die eine entsprechende Senkung der Militärausgaben ermöglichen werde14. Unter Annahme eines „infléchissement sensible de la politique militaire“ hielten die Schaltstellen in Paris an ihren Plänen fest, die Militärausgaben für 1956 um 50 Milliarden Francs zu verringern15. In der ‚Direction de la Prévision‘ im Finanzministerium wurde im Februar 1956 bereits ein Szenario erarbeitet, das eine Senkung des Verteidigungshaushalts von offiziell 1.300 Milliarden Francs im Jahr 1956 auf 950 Milliarden Francs fünf Jahre später vorsah. Als einzige Bedingung hierfür wurde die Beendigung des Militäreinsatzes in Nordafrika angegeben, wodurch eine Reduzierung der Streitkräfte um 160.000 und eine Rückkehr zur 18-monatigen Wehrpflicht ermöglicht werden würden16. Zu diesem Zeitpunkt war freilich völlig unklar, wie eine Lösung des Algerienkonflikts herbeigeführt werden sollte. Algerienminister Lacoste hütete sich im Juni 1956 davor, ein unmittelbar bevorstehendes Ende der militärischen Auseinandersetzung zu verkünden, prognostizierte gleichwohl, in einigen Monaten „des résultats substantiels“ vorweisen zu können17. Wenige Wochen später berichtete er seinen Parteikollegen von ersten Erfolgen. Zahlreiche Muslime, die sich bereits von Frankreich abgewandt hätten, seien zurück ins pro-französische Lager ge11 MFE, B 007012/2: 22.11.1957, Conséquences de la situation en Algérie, S. 1. 12 Antoine Mazier (SFIO), in: JOAN, 19.03.1957, S. 1685. Obgleich Mazier den regierenden Sozialisten angehörte, äußerte er sich sehr kritisch zur Integrationspolitik. Maus schreibt, durch die Verabschiedung der Militärausgaben per Dekret im Voraus hätten sich die Kosten des Algerienkrieges nahezu vollständig der parlamentarischen Kontrolle entzogen. Maus, Didier: La guerre d’Algérie et les institutions de la République, in: La guerre d’Algérie et les Français, hg. v. Rioux, S. 161–179, hier S. 266. 13 Zu den Modalitäten des zivilen Budgets siehe: Baruch, Marc Oliver: La Direction du Budget face aux grandes mutations des années 1950, in: Vingtième Siècle, 57 (1998), S. 133–135. 14 Schalk, David L.: War and the ivory tower. Algeria and Vietnam, University of Nebraska Press, New York/Oxford, 1991, S. 30. Das Werk wurde 2005 mit einem Vorwort von Benjamin Stora neu editiert. 15 MDN, 20 R 6: 26.03.1956, MDN, Abel Thomas, an MEF. 16 MFE, B 0052214: Février 1956, Dépenses militaires en 1961, S. 1; 5. 17 Robert Lacoste (SFIO), in: JOAN, 23.06.1956, S. 2263.

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wechselt18. Einige Beobachter meinten gegen Ende des Jahres 1956 „le signe d’une grande fatigue de la rébellion“ zu erkennen19. Auch die Militärführung verbreitete Zuversicht. „La situation actuellement permet en effet d’espérer que le conflit ne se prolongera pas“, schrieb der Chef des Generalstabs im Verteidigungsministerium im Oktober 195620. Folglich beugte sich das ‚Hôtel de Brienne‘ im Frühjahr 1957 einer provisorischen Kürzung des Militärhaushalts um 40 Milliarden Francs. „Cette acceptation tient compte de l’amélioration normalement attendue d’ici fin 1957 de la situation en Algérie“21. Auch in der Folge drängte das Finanzministerium bei den Budgetverhandlungen darauf, die Verteidigungsausgaben zu reduzieren, um dem ausufernden Haushaltsdefizit entgegenzuwirken. Die laufenden Kosten für das Jahr 1957 sollten um 10 Prozent bzw. 100 Milliarden Francs reduziert werden. Das Verteidigungsministerium gab zu verstehen, dass Einsparungen in diesem Umfang nur durch die Demobilisierung von mindestens 100.000 Soldaten zu erreichen seien, trug den Beschluss letzten Endes jedoch mit22. Tatsächlich erhöhte sich die Zahl der in Nordafrika stationierten Soldaten weiter auf nunmehr 540.000. Weltweit standen über 1,2 Millionen Franzosen unter Waffen23. Was die Regierung nach außen als Sparanstrengung verkaufte, mündete in der Praxis regelmäßig in Mehrausgaben. Im Mai 1958 stellte die Militärführung fest, dass die geplanten Einsparungen nicht zu erfüllen seien und stattdessen 126 Milliarden Francs an zusätzlichen Mitteln gebraucht würden24. Letztlich war die Diskrepanz zwischen Haushaltsplanung und tatsächlicher Kriegslast vorprogrammiert. Für den offiziellen Optimismus gab es wenig belastbare Argumente. Eine umfassende und dauerhafte Befriedung Algeriens konnte letztlich nur gelingen, wenn die indigene Bevölkerungsmehrheit für das übergeordnete Ziel, die vollständige Integration der algerischen Départements, gewonnen wurde. Wie ausführlich dargelegt wurde, hatte sich die Stimmung jedoch bereits in Richtung Selbstbestimmung gewandelt. Darüber hinaus blendeten die politischen Entscheidungsträger das Konfliktpotential der Region aus, das unabhängig von der Frage der französischen Souveränität bestand. Zwischen Algerien und Marokko existierten ungeklärte Grenzstreitigkeiten. Solange die Sahara als ökonomisch wertlos galt und der gesamte Maghreb unter französischer Kontrolle stand, spielten diese Konflikte keine nennenswerte Rolle. In einem Vertrag aus dem Jahr 1845 heißt es, „dans le Sahara il n’y a pas de limite territoriale à établir entre les deux pays parce que la terre ne se laboure pas et qu’elle sert seulement

18 Robert Lacoste, in: OURS, Comité Directeur, Procès verbaux 1956/57, 25.07.1956, S. 2f. 19 DDF, 1957 II: 300, 30.10.1957, Ambassadeur, Gorse, Tunis, S. 614. 20 MDN, 20 R 2: 22.10.1956, Vice Amiral Cabanier, Chef d’État-major de la Défense Nationale, à Monsieur le général d’Armée, Chef d’État-major des Armées, Politique militaire, S. 2. 21 MDN, 20 R 9: 27.04.1957, MDN à MFE, S. 1. 22 MDN, 20 R 9: 09.03.1957, MDN, Le Directeur du Cabinet, Note pour le Ministre, S. 1f. 23 MFE, B 007012/2: 22.11.1957, Conséquences de la situation en Algérie, S. 5; 9. 24 MDN, 20 R 10: 14.05.1958, État-major à MDN, Crédits supplémentaires pour 1958, S. 2.

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de passage aux arabes qui viennent y camper“25. Mit der Unabhängigkeit der Protektorate und dem Fund wertvoller Rohstoffe in der Wüstenregion veränderte sich die Situation grundlegend. Mohammed V., nunmehr König Marokkos, meldete Gebietsansprüche an, „qui risquent d’empoisonner longtemps nos relations avec ce pays“26. Selbst eine kriegerische Auseinandersetzung galt als ernstzunehmendes Szenario27. Eirik Labonne sprach in diesem Zusammenhang von einer „menace marocaine“ für die Stabilität der Region28. Selbst im Falle einer Befriedung Algeriens konnte daher nicht davon ausgegangen werden, dass im Maghreb Ruhe einkehren würde und die militärische Präsenz Frankreichs deutlich reduziert werden könnte29.

Produktive oder unproduktive Ausgaben Bereits vor dem Ausbruch des Algerienkriegs debattierten die französischen Ministerien die Frage, ob Frankreich es sich dauerhaft leisten könne, ein Drittel des Etats für militärische Zwecke auszugeben und im Bereich der produktiven Investitionen hinter anderen westlichen Staaten zurückzubleiben30. Der Investitionsanteil des französischen Budgets war vom Höchstwert von 37,7 Prozent im Jahr 1949 auf 25,5 Prozent drei Jahre später gesunken31. Eine dem Verteidigungsministerium vorliegende Studie verwies auf den „bedauernswerten“ Umstand, dass die Militärausgaben das Investitionsniveau überstiegen. Wenige Jahre zuvor habe das

25 Artikel 4 des Vertrages von Lala Narnia. MAE, MT, Maroc (II), 416: 25.03.1956, Association du Maroc à la mise en valeur du Sahara, S. 1. Die jahrzehntelange Bedeutungslosigkeit der Grenzfrage wird u. a. dadurch deutlich, dass sich Frankreich in der Diskussion mit Marokko im Zuge der Unabhängigkeit auf diesen über 100 Jahre alten Vertrag berief, der aus einer Zeit lange vor dem Protektorat stammte. Siehe etwa: DDF, 1956 I: 24, 14.01.1956, Soustelle à Bourgès-Maunoury, S. 43f. 26 MAE, CM, Pineau, 27: Esquisse d’une politique française au Maroc, G. van Laethem, S. 17. 27 In Bezug auf den Grenzstreit zwischen Marokko und Französisch-Mauretanien mahnte Staatssekretär Alain Savary, militärisch auf einen Konfliktfall vorbereitet zu sein. DDF, 1956 II: 287, 16.10.1956, S. 622. 28 MAE, AL, Algérie, 54: 04.03.1957, Eirik Labonne à M. Brunschwig-Bordier. 29 Zwei Kriege zwischen Marokko und Algerien und ein weiterhin angespanntes bilaterales Verhältnis lieferten ex post den Beleg. Alaoui, Hassan: Guerre secrète au Sahara occidental, Éd. Encre d’Orient, Paris, 2010. Zur Entwicklung Beziehungen nach 1956: Stora, Benjamin: Maroc-Algérie. Retour du passé et écriture de l’histoire, in: Vingtième Siècle, 68 (2000), S. 109–118. 30 1953 hatte der Anteil der Verteidigungsausgaben am Gesamthaushalt mit 37,5 Prozent den Höchststand in der IV. Republik erreicht. 1954 war es noch ein Drittel. MAE, CM, Pinay, 8: 13.01.1953, Note, très secret, Les problèmes atlantiques 1953, P. 29 und Budget, 1954, S. 7. Die öffentlichen Investitionen blieben im Verhältnis zum BIP zwar konstant, ihr Anteil an den Staatsausgaben sank jedoch von 60 Prozent im Jahr 1950 auf 28 Prozent im Jahr 1956. Vgl. Quennouëlle-Core, Laure: La direction du Trésor 1947–1967. L’État-banquier et la croissance, IGPDE, Paris, 2000, S. 5. 31 Cinquième rapport des Investissements, S. 13.

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Verhältnis noch bei eins zu zwei gelegen. In den Augen des Verfassers war es „illusoire en effet de baser la sécurité d’une nation sur l’existence d’une armée dont la mise sur pied et l’entretien exigent chaque année des centaines de milliards si cette armée s’édifie sur un pays mal préparé à l’effort de défense“. Soziale Stabilität, ein solides Wirtschaftswachstum und eine standfeste Währung seien die Pfeiler nationaler Sicherheit, die es zu stärken gelte. Frankreich stehe sowohl im Hexagon als auch in Übersee vor enormen wirtschaftlichen Herausforderungen, daher sei ein Verteidigungshaushalt in gegebener Höhe problematisch32. Die steigenden Militärausgaben im Zuge des Algerienkriegs verschärften diese Problematik weiter. Teile der französischen Administration bemühten sich, den Zielfkonflikt zwischen Kriegs- und Investitionsausgaben argumentativ zu entschärfen. Nach Ansicht der Generaldirektion des Außenministeriums stellte die Unterscheidung in produktive ökonomische und unproduktive militärische Aufwendungen „une notion arbitraire“ dar. „Telle dépense supposée fructueuse devient une perte sèche dès que l’insécurité rend l’exploitation correspondante impossible, et telle dépense, consentie à des fins militaires, se révèle productive pour avoir contribué à pacifier le pays“. Der Ausbau des Verkehrsnetzes etwa verbessere die soziale und wirtschaftliche Situation schwer zugänglicher Regionen in hohem Maße und stärke gleichzeitig die Fähigkeit der Streitkräfte, gegen die Rebellen vorzugehen. Darüber hinaus sei die Armee in der Lage, entsprechende Bauarbeiten optimal zu dirigieren33. Der Entwurf einer Note für die politische Führung in Paris belegt, dass nicht alleine technische, sondern ebenso psychologische und politische Faktoren diesen Ansatz begründeten. Nach dem Trauma der Niederlage in Indochina sei es von größter Bedeutung „qu’une tâche nouvelle, qu’une tâche constructive, et exaltante celle-là, soit immédiatement offerte et assignée à l’ardeur de ces troupes énergiques sur la terre d’Afrique“34. Die vermeintliche Verschmelzung wirtschaftlicher und strategischer Interessen diente den Verantwortlichen dazu, die Lasten des Algerienkriegs kleinzurechnen. Das zitierte Argument, zivile Investitionen benötigten ein sicheres Umfeld, war stimmig. Dennoch blieben die Kosten der Befriedung Zusatzausgaben, bedingt durch die Festlegung Frankreichs auf die Integrationspolitik. Durch alternative Konzepte, die eine baldige Beendigung der Kampfhandlungen ermöglicht hätten, wären Einsparungen im Verteidigungsetat möglich geworden und der Wirkungsgrad produktiver Investitionen hätte sich erhöht. Des Weiteren gilt es zu bedenken, dass Algerien im Kerngebiet bereits über ein vergleichsweise gut ausgebautes Verkehrsnetz verfügte. Anfang der 1950er Jahre belief sich die Länge des Straßen-und Schienennetzes auf 35.600 Kilometer. Damit besaß Algerien sowohl absolut als auch relativ zur Bevölkerungsgröße die am besten entwickelte

32 MDN, 20 R 6: La Défense Nationale et l’industrie française – Les fabrications de matériels militaires peuvent-elles être considérées comme des dépenses improductives?, S. 1ff. 33 MAE, MT, Tunisie (I), 569: 27.01.1955, Note de la direction générale pour, P. 37; P. 40. 34 MAE, MT, Maroc (I), 418: Août 1954, Projet de Note, S. 9.

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Infrastruktur der Region35. Die wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes konnten nicht dadurch behoben werden, dass nun in dünnbesiedelten und schwer zugänglichen Regionen strategische Verkehrswege gebaut wurden. Die Prioritäten für Investitionen lagen aus ökonomischer Perspektive eindeutig in anderen Bereichen. Immer wieder mahnten Beamte im Außen- und Finanzministerium, Projekte mit hoher und unmittelbarer wirtschaftlicher Rentabilität in den Fokus zu rücken, um die Situation der indigenen Bevölkerung rasch zu verbessern36. Ein Großteil der algerischen Landwirte betrieb Subsistenzwirtschaft und erzeugte keine Überschussproduktion, für deren Vertrieb der Ausbau der Infrastruktur vonnöten gewesen wäre. Investitionen und Maßnahmen zur Steigerung der Produktion hätte daher Vorrang vor strategisch motivierten Infrastrukturprojekten eingeräumt werden müssen.

Substitutive oder zusätzliche Kosten Die Militärführung versuchte die Debatte über die Kosten des Algerienkriegs des Weiteren durch den Verweis zu entschärfen, die Verteidigungsausgaben könnten auch im Falle einer sofortigen Beendigung der Kampfhandlungen nicht gesenkt werden. Die Bündnisverpflichtungen im Rahmen der NATO und die dringend erforderliche Modernisierung der französischen Streitkräfte würden etwaige Einsparungen kompensieren37. Prognosen dieser Art waren hochgradig manipulativ, da die durch den Algerienkrieg verursachten Mehrkosten im offiziellen Verteidigungshaushalt gar nicht vollständig erfasst wurden. Ihr Wegfall hätte somit zwar den Umfang des regulären Militärbudgets kaum verändern können. Gleichwohl hätte ein Ende des Krieges die verschleierten Zusatzkosten deutlich reduziert und auf diesem Wege Spielräume für die Modernisierung geschaffen. Der kommunistische Abgeordnete René Lamps bezifferte das Potential auf 600 Milliarden Francs38. Die Kostenkalkulationen der Gegner Französisch-Algeriens waren bisweilen mit ebenso großer Vorsicht zu genießen wie jene der Befürworter. In diesem Fall stellte die genannte Summe jedoch eine realistische Größenordnung dar. Die Erneuerung der Streitkräfte erforderte Investitionen, die durch den Algerienkrieg lediglich aufgeschoben wurden. In der langfristigen Rechnung schlugen sie weiterhin zu Buche. Der Versuch, die operativen Lasten des Einsatzes in Nordafrika als Substitut für die Modernisierungsausgaben darzustellen, war aus buchhalterischer Sicht daher abwegig. Auch aus sicherheitspolitischer Perspektive wirkte der Nullsummen-Ansatz der Militärführung konstruiert. Moderne, verteidigungs35 MAE, MT, Maroc (I), 356: Plan, Afrique du Nord, Infrastructure de base, Sous-Commission, S. 2; 9. Eine weitgehend übereinstimmende Angabe: MAE, AL, Algérie, 53: Le Réseau routier algérien. 36 MAE, MT, Tunisie (I), 567: 31.08.1953, Note, M. Boisesson, P. 90. 37 MDN, 1 R 366: 30.12.1957, État-major á MDN, Dépenses militaires en Algérie, S. 2. 38 René Lamps (PC), in: JOAN, 14.03.1957, S. 1604. Lamps war Mitglied der Finanzkommission des Parlaments.

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bereite Streitkräfte gewährten ein höheres Maß an nationaler und kollektiver Sicherheit als ein personell und materiell intensiver Krieg in Algerien, der international zunehmend auf Kritik stieß, Frankreich zahlreiche Sympathien kostete und Zweifel an der Verteidigungsbereitschaft des Landes nährte. Ohne eine Diskussion über die Sinnhaftigkeit von nuklearer Abschreckung als Komponente der Sicherheitsstrategie einzugehen, lässt sich feststellen, dass der Algerienkrieg Ressourcen in einem Ausmaß band, das den spätestens nach der Suezkrise beschlossenen Aufbau der ‚Force de frappe‘ verlangsamte39. Die ‚Région économique d’Algérie‘ errechnete das eigenartige Ergebnis, „que l’excédent de dépenses […] n’a pas atteint 40 milliards par an“. Die Truppenaufstockung in Nordafrika sei durch eine entsprechende Reduzierung der Kontingente anderorts erreicht worden und die Materialausgaben hätten auch ohne Konflikt getätigt werden müssen. Ferner kämen die Ausgaben in erster Linie der französischen Rüstungsindustrie zugute40. Das erste Argument erweist sich als haltlos. Etwa 240.000 der insgesamt über 500.000 in Nordafrika stationierten Soldaten waren zusätzlich mobilisierte Wehrpflichtige und Reservisten. Dass nicht noch mehr junge Männer einberufen werden mussten, ergab sich durch die im internationalen Vergleich beachtliche Ausgangsgröße der französischen Armee. Die globale Ausdehnung des ‚Empire‘ und die zahlreichen Krisen in Übersee, insbesondere in Indochina, ließen die Zahl der französischen Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg auf hohem Niveau verharren. 1957 überstieg die Mannstärke der französischen Armee jene Großbritanniens um 75 Prozent. Dabei lebten im Vereinigten Königreich 20 Prozent mehr Menschen als in Frankreich41. Das zweite Argument der ‚Région économique d’Algérie‘ besitzt nur in Ansätzen Richtigkeit. Jene Ausgaben, die in die Anschaffung moderner Rüstungsgüter wie etwa Helikopter flossen, können im militärischen Sinne als Investitionen betrachtet werden, die relativ unabhängig vom Einsatz in Nordafrika waren. Deren Anteil an den Gesamtausausgaben für den Algerienkrieg war mit 25 Prozent jedoch verhältnismäßig gering und einmalig42. Das Verteidigungsministerium zeigte sich vielmehr

39 Zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Aufbau der ‚Force de frappe‘ und die Behinderung durch den Algerienkrieg siehe: Lefeuvrre: Chère Algérie, S. 467f. General a. D. Delmas gibt an, die Suezkrise habe Mollets Haltung in dieser Frage entscheidend beeinflusst. Delmas: Military Power, S. 242. Weiterführend zum Zusammenhang von Algerienfrage und Frankreichs atomarer Bewaffnung: Delmas, Jean: A la recherche des signes de la puissance. L’Armée entre l’Algérie et la bombe A 1956–1962, in: Relations internationales, 57 (1989), S. 77–87. 40 AN, F 12 11804: Région économique d’Algérie, Ce que coûte et ce qu’apporte l’Algérie à la Métropole, Laurent Schiaffino, Roger Delahaye et Claude Tixier, S. 7f. 41 MFE, B 007012/2: 22.11.1957, Conséquences de la situation en Algérie, S. 9. 42 In einer Note des Verteidigungsministeriums wurden die Zusatzkosten auf 287,4 Milliarden Francs für das Jahr 1956 beziffert. Investitionen in moderne Rüstungsgüter wurden mit 73 Milliarden Francs veranschlagt, Personal- und Materialverbrauchskosten mit 214,4 Milliarden Francs. MDN, 1 R 366: 11.04.1956, Note pour le Ministre, Dépenses supplémentaires en A.F.N. pour 1956, S. 2f.

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besorgt darüber, dass Personalkosten und militärischer Konsum immer mehr Ressourcen der Armee verschlängen „et retardent sa modernisation“43.

1.2 Die offizielle und die tatsächliche Kriegslast Direkte Kosten Die Regierung und Anhänger der Integrationspolitik im Parlament unternahmen nicht den aussichtslosen Versuch, die Lasten des Algerienkriegs zu negieren. Die Angaben, mit denen sie an die Öffentlichkeit traten, bewegten sich in den Jahren 1956/1957 mit Summen zwischen 200 und 350 Milliarden Francs dennoch auf einem unglaubwürdigen Niveau44. Diese Summen bedeuteten zweifellos „pour la métropole une lourde charge“, die zu stemmen aber keineswegs ihre Möglichkeiten übersteige45. Pascal Arrighi von der ‚Parti radical‘ hielt die weniger als 2 Prozent des Nationaleinkommens entsprechende Belastung für akzeptabel46. Wichtiger als die Relation zum Nationaleinkommen war freilich jene zu den Staatseinnahmen, da nur diese für Ausgaben zur Verfügung standen. Unter Zugrundelegung der offiziellen Zahlen (300 Milliarden Francs) betrugen die militärischen Zusatzkosten 1957 rund 7,3 Prozent der Staatseinkünfte47. Die offiziellen Angaben über die Höhe der Aufwendungen wurden bis 1957 selbst von den Gegnern des Algerienkriegs selten hinterfragt. Die umfassende und bisweilen mit erstaunlicher Präzision den Lauf der Dinge voraussagende Kritik an der Integrationspolitik stützte sich auf die offiziellen Zahlen und beklagte „un milliard de francs jetés au gouffre chaque jour“48. Raymond Aron sprach von 200 bis 300 Milliarden an Kriegskosten, die seiner Einschätzung nach das ökonomische und finanzielle Gleichgewicht Frankreichs gefährdeten49.

43 MDN, 20 R 10: 26.12.1957, Projet budget 1958, Présentation aux Commissions de contrôle, S. 7. Zu den steigenden, laufenden Kosten und der Überlastung der Armee äußerte sich General Ély. MDN, 1 R 20: 19.02.1957, Le général d’armée Ély, État-major, à MDN. 44 Im Frühjahr 1956 ging das Verteidigungsministerium von 287,4 Milliarden Francs an zusätzlichen Kosten in Nordafrika aus. MDN, 1 R 366: 11.04.1956, Note pour le Ministre, Dépenses supplémentaires en A.F.N. 1956. Finanzminister Ramadier bezifferte die Kosten für 1956 auf 314 Milliarden Francs. OURS, AGM 12: Discours prononcé par P. Ramadier au Conseil National du SFIO, 16.11.1956, S. 5. André Monteil (MRP) nannte im November 1957 rund 363 Milliarden Francs als Summe. JOAN, 29.11.1957, S. 5055. 45 Zitat des Ministre Résident, Robert Lacoste (SFIO), in: JOAN, 08.03.1956, S. 763. 46 Pascal Arrighi (RRS), in: JOAN, 16.07.1957, S. 3644. 47 Die Staatseinnahmen betrugen 1957 etwa 4.100 Milliarden Francs. Budget, 1957, S. 7. 48 Alfred Malleret-Joinville (PC), in: JOAN, 24.07.1956, S. 3560. Die Angabe von etwa einer Milliarde Francs pro Tag an Ausgaben für den Algerienkrieg war auch außerhalb des parlamentarischen Diskurses präsent. Etwa in dem bereits zitierten Brief eines französischen Funktionärs in Marokko an Senator Léo Hamon. AN, 4 AG 43: 16.10.1956, Note, État d’esprit des Algériens du Maroc. 49 Aron: La tragédie algérienne, S. 22; 33.

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Dabei lag eine Reihe von Daten auf dem Tisch, die den offiziellen Zahlen die Plausibilität entzogen und eine deutliche Korrektur nach oben bedingt hätten. Im Indochinakrieg kamen im Jahr 1952 etwa 279.000 französische Soldaten zum Einsatz50. Die Kosten für diesen Krieg wurden im Militärhaushalt desselben Jahres mit 459 Milliarden Francs veranschlagt51. In Nordafrika kämpften nach dem ‚Envoi du contingent‘ und der Wehrzeitverlängerung im Frühjahr 1956 mit bis zu 540.000 Soldaten beinahe doppelt so viele Männer wie zuvor in Fernost, die nach Darstellung der Regierung jedoch um ein Drittel geringere Kosten verursachten52. Dies konnte keine überzeugende Kalkulation sein, meinte auch ein amerikanischer Finanzexperte in der britischen Zeitung ‚The Banker‘53. Für den Indochinakrieg ergab sich ein Kostenfaktor von 1,645 Millionen Francs pro Soldat. In einer Note des Verteidigungsministeriums war in Bezug auf Nordafrika hingegen von einem Kostenfaktor von lediglich 500.000 Francs pro Soldat die Rede54. Die Zeitschrift ‚Les Cahiers de la République‘ ging in einer ausführlichen Analyse der Conséquences économiques et financières de la guerre d’Algérie von 1,4 Millionen Francs pro Soldat aus55. Letztlich legte die Regierung einen Multiplikator von etwa 1,2 Millionen Francs pro Soldat zugrunde, der bei 250.000 zusätzlich mobilisierten Franzosen die Größenordnung von 300 Milliarden Francs ergibt. Doch was war mit den restlichen 290.000 Soldaten? Zwei Quellen geben die reguläre Truppenstärke der französischen Armee in Nordafrika für die Jahre 1956/1957 mit 150.000 bzw. 205.000 Soldaten an56. Dabei darf nicht unbedacht bleiben, dass in den Protektoraten schon lange vor 1954 konfliktreiche Zustände herrschten, die eine intensive Militärpräsenz erforderten. Die „reguläre“ Truppenstärke stellte somit faktisch eine Krisenpräsenz dar. Je höher die normale Mannstärke der Armee angegeben wurde, desto leichter ließen sich die Zusatzlasten des Algerienkriegs verschleiern. 50 MDN, 20 R 6: 08.12.1952, MDN, Direction des Services financiers, le projet de budget 1953, S. 1. 51 MDN, 20 R 6: 15.01.1954, Direction des services financiers et des programmes, Annexe 1, Comparaison des masses budgétaires pour les exercices 1952–1953–1954, S. 3. Die USHilfe im Wert von umgerechnet 195 Milliarden Francs war darin inbegriffen. 52 Die 38.000 in Tunesien und 86.000 Marokko verbliebenen französischen Soldaten sind in den genannten 540.000 inbegriffen. Da diesen neben dem Schutz der dortigen Franzosen auch eine wichtige Rolle im Algerienkrieg zukam, etwa bei der Grenzsicherung und der Verfolgung von Rebellen, sind auch sie zu berücksichtigen. AN, AP 505 (II) 147: 16.04.1958, Note, charges consécutives aux opérations d’Algérie, S. 4. Zur strategischen Rolle Tunesiens und Marokkos im Algerienkrieg siehe: MDN, 2 H 130: Commandement Supérieur des Troupes de Tunisie, Synthèse de Commandement, Juin, Juillet et Août 1955, S. 4 und DDF, 1957 II: 222, 24.09.1957, S. 457. Zur Einberufung: MDN, 1 R 366: 11.04.1956, Note pour e Ministre, Dépenses supplémentaires en A.F.N. 1956, S. 2. 53 CHSP, Fonds Savary, 54: Le coût de la guerre [Übersetzung], Jo W. Sasie, in: The Banker. 54 MDN, 20 R 9: 15.03.1957, Note d’information, Réduction d’effectifs, S. 1. 55 Les Cahiers de la République. Revue Bimestrielle de politique, 12 (1958): Les conséquences économiques et financières de la guerre d’Algérie, S. 25–51, hier S. 32. 56 150.000 Soldaten bei: Revue de la Défense nationale, (Janvier 1957), S. 143; Die 205.000 bei: MFE, B 0070012/2: 22.11.1957, Conséquences de la situation en Algérie, S. 5.

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IV. Der Preis des Krieges

Bis zu 140.000 Kombattanten wurden in den staatlichen Angaben über die Kosten des Militäreinsatzes unterschlagen. Statt 250.000 hätten somit 390.000 Soldaten berücksichtigt werden müssen. Beim mittleren Kostenfaktor von 1,4 Millionen Francs pro Soldat ergibt sich mit 546 Milliarden Francs eine über 80 Prozent höhere Kriegslast im Vergleich zur offiziellen Zahl. Bei Anwendung des Kostenfaktors des Indochinakriegs steigt der Betrag auf 642 Milliarden Francs. Eine Einschätzung der Zeitung ‚Paris-Presse‘ bewegte sich mit 600 Milliarden Francs zwischen diesen Summen57. Damit waren jedoch keineswegs alle Lasten erfasst. ‚The Banker‘ bezifferte den Verbrauch von Munition und Material auf umgerechnet 100 Milliarden Francs pro Jahr58. Andere verwiesen auf die Aufwendungen für die Ausbildung zusätzlicher Soldaten59. Die fast 40.000 inhaftierten feindlichen Kämpfer verursachten ebenso Kosten wie die kontinuierlich steigende Zahl von Harkis, die an der Seite der französischen Armee kämpften. Diese Liste ließe sich weiter fortführen. Keine dieser Faktoren tauchte im Verteidigungshaushalt auf; sie wurden von offizieller Seite nicht dem Algerienkrieg zugerechnet. Viele dieser Posten können aufgrund fehlender Daten nur geschätzt werden. Sie machen eine Erhöhung der militärischen Kosten des Algerienkrieges auf 750 bis 800 Milliarden Francs sehr plausibel. Diese Größenordnung stimmt in etwa mit den Angaben der Forschungsliteratur überein60. Mit 800 Milliarden Francs verschlang der Algerienkrieg 20 Prozent des französischen Budgets und über 50 Prozent des Militärhaushalts von 195761. Während die Verteidigungsausgaben 1958 offiziell mit 8,5 Prozent des Nationaleinkommens angegeben wurden, lag ihr Anteil tatsächlich bei 14,5 Prozent62. Kein ande-

57 Paris-Presse (05.02.1958): Le coût des opérations d’Algérie peut s’évaluer à 600 milliards en 1957, René Dabernat. 58 Auf den besagten Artikel vom Oktober 1957 bezog sich das Algerienministerium. AN, 74 AP 45: Février 1958, Ministère de l’Algérie, Que représente l’Algérie pour les Finances et l’Économie de la Métropole?. 59 Im Zuge des Algerienkriegs wurden in Frankreich 64 neue Ausbildungszentren für Soldaten errichtet. Vgl. Les Cahiers de la République, 12 (1958), S. 32. Lefeuvre gibt die Zahl der neuen Ausbildungszentren mit 78 an. Er geht auch auf die Harkis und weitere Kostenfaktoren ein. Lefeuvre: Le coût de la guerre, S. 507f. 60 Nach Lefeuvre wurde die Grenze von 800 Milliarden Francs 1959 überschritten. Lefeuvre: Le coût de la guerre d’Algérie, S. 509. Hodeir gibt die Kriegskosten mit 1.200 Milliarden Francs pro Jahr deutlich höher an. Hodeir: Le grand patronat colonial, S. 450. Allerdings sind in dieser Summe einige Kosten berücksichtigt, die nicht dem Militärhaushalt zuzurechnen waren. Somit ergibt sich auch hier eine weitgehende Übereinstimmung. 61 Budget, 1957, S. 7. 62 MDN, 20 R 10: 26.12.1957, Budget 1958, Présentation aux Commissions de contrôle, S. 5. Im zitierten Dokument werden die Militärausgaben mit 1.250 Milliarden Francs bzw 8,5 Prozent des Nationaleinkommens angegeben, exklusive der Kosten für die Befriedung Algeriens von 300 Milliarden Francs. Würde diese viel zu niedrig angesetzte Summe eingerechnet, stiege der Anteil auf 10,5 Prozent. In der vorliegenden Arbeit werden die tatsächlichen Zusatzkosten von 880 Milliarden Francs dem Verteidigungshaushalt zugerechnet, woraus sich die 14,5 Prozent ergeben.

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res NATO-Land, auch nicht die USA, wendete zu jener Zeit einen höheren Anteil der Wirtschaftsleistung für militärische Zwecke auf63. Im Finanzministerium fand sich erstmals Ende 1957 eine fundierte Analyse der Kosten des Algerienkriegs. „Très fortement sous-estimée“, wurde die Last mit 750 Milliarden Francs, also mehr als dem Doppelten der offiziellen Summe, beziffert64. Eine interne Kalkulation aus dem Umfeld von Alain Savary errechnete eine Kriegslast von 678 Milliarden Francs65. Die zuvor zitierte Studie aus ‚Les Cahiers de la République‘ bezog im Frühjahr 1958 neben den direkten, per Dekret im Parlament beschlossenen Zusatzkosten, eine Vielzahl indirekter, dem Algerienkrieg zuzurechnender Aufwendungen in die Kalkulation mit ein. Mindestens 600 Milliarden Francs, möglicherweise deutlich mehr, koste der Algerienkrieg den französischen Steuerzahler pro Jahr66. Eine interministerielle Expertenkommission gelangte im April 1958 dennoch zu der Einschätzung, die unmittelbar dem Militäreinsatz in Nordafrika zuzuordnenden Kosten würden die Marke von 350 Milliarden Francs nicht überschreiten67.

Indirekte Kosten Der Algerienkrieg bedingte weitere Kosten in zivilen Bereichen. Das französische Haushaltsdefizit stieg von 1954 bis 1957 trotz sprudelnder Steuereinnahmen von 322 auf 970 Milliarden Francs68. Der Schuldenberg türmte sich von Jahr zu Jahr höher auf. Ein direkter Zusammenhang mit dem Algerienkrieg war unübersehbar. Antoine Mazier rechnete der Nationalversammlung vor, der Anstieg des Defizits sei quasi identisch mit den Kosten des Algerienkriegs, während der Zuwachs der zivilen Ausgaben durch höhere Steuereinnahmen gedeckt sei69. In einer Studie vom September 1958 findet sich dieses Urteil bestätigt70. Die Regierung stehe daher vor der unangenehmen Wahl, Staatsausgaben zu kürzen, Investitionen zu streichen oder die Steuern zu erhöhen, konstatierte ein Parlamentarier71. Ebenso wie Mazier mahnte auch der Vorsitzende des Finanzausschusses, Paul Reynaud, 63 In den USA betrug der Anteil der Militärausgaben am Nationaleinkommen im Jahr 1955 12,5 Prozent und sank in den Folgejahren leicht. In Großbritannien lag er bei 9 Prozent, in den Niederlanden bei 7,6 Prozent. Beide Länder senkten ihre Verteidigungsausgaben kontinuierlich. MDN, 20 R 6: 27.10.1956, Dépenses budgétaires, militaires et revenue national dans l’O.T.A.N. 64 MFE, B 0070012/2: 22.11.1957, Conséquences de la situation en Algérie, S. 6f. 65 Der handschriftliche Text bezieht sich auf den bereits zitierten Artikel der britischen Zeitung ‚The Banker‘. CHSP, Fonds Savary, 54: Manuskript, Coût de la Guerre d’Algérie, S. 2. 66 Les Cahiers de la République, 12 (1958), S. 34. 67 AN, AP 505 (II) 147: 16.04.1958, Note, charges consécutives aux opérations d’Algérie, S. 23. 68 Budget, 1954, S. 7; 1957, S. 7. 69 Antoine Mazier (SFIO), in: JOAN, 19.03.1957, S. 1685f. 70 AN, F 12 11801: Septembre 1958, Rapport sur la situation économique de l’Algérie, S. 10. 71 Henri Dorey (MRP), in: JOAN, 14.03.1957, S. 1602.

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IV. Der Preis des Krieges

eine Entscheidung zwischen zivilen und militärischen Ausgaben an. „Il est impossible de faire face, à la fois aux charges que représentent l’Algérie, l’Afrique noire et la défense nationale si l’on entend maintenir le niveau de vie actuel de la métropole“. Während sich Mazier für eine schnellstmögliche Beendigung des Kriegs aussprach, bevorzugte Reynaud eine Kürzung der Sozialausgaben. „Une véritable catastrophe, incluant la perte de l’Algérie“ stehe anderenfalls zu befürchten72. Dem französischen Staat kam zugute, dass ausreichend privates Kapital zur Finanzierung der Staatsschulden zur Verfügung stand. Mit etwa 6 Prozent Zinsen zahlte Frankreich für seine Staatsanleihen indes einen hohen Preis73. Manche bezeichneten diese Bedingungen gar als „désastreuses pour l’État“74. Der Anstieg der Zinsen setzte zwar bereits vor dem Ausbruch des Algerienkriegs ein. Die kriegsbedingte hohe Nachfrage des Staates nach frischem Kapital verhinderte gleichwohl die Konsolidierung des Haushalts und damit die Senkung des Zinsniveaus. 293 Milliarden Francs musste Frankreich im Jahr 1957 für die Zinstilgung aufbringen. Damit hatte sich dieser Posten binnen weniger Jahre verdoppelt75. Als weitere indirekte Kriegskosten waren negative Auswirkungen auf die Zahlungsbilanz zu berücksichtigen. Zahlreiche Faktoren kumulierten sich zu beachtlichen, im Detail aber schwer zu bestimmenden Summen. Der hohe Bedarf des Militärs an Rüstungsgütern konnte nicht vollständig von der heimischen Industrie gedeckt werden. Die Rüstungsimporte Frankreichs stiegen ab 1955 rapide an und beliefen sich in den Folgejahren auf 50 bis 90 Milliarden Francs pro Jahr76. Die militärischen Gerätschaften können als Investitionen betrachtet werden, die Frankreich im Zuge der Modernisierung seiner Streitkräfte unabhängig vom Algerienkrieg hätte tätigen müssen. Sie müssen somit langfristig nicht als Zusatzkosten gelten. Kurzfristig belasteten sie aufgrund der komprimierten Order gleichwohl die ohnehin bereits passivierte Zahlungsbilanz. Ferner absorbierte die Armee Teile der zivilen Industrieproduktion, die anderenfalls hätten exportiert werden können. Pierre Mendès-France errechnete, dass der militärische Konsum elektrischer und mechanischer Industriegüter von 300 Milliarden Francs im Jahr 1955 auf 530 Milliarden Francs zwei Jahre später gewachsen sei. Durch die staatliche Abnahme sinke ferner der Druck auf die Unternehmen, ihre internationale Wettbewerbs72 Paul Reynaud (IPAS), in: JOAN, 15.03.1957, S. 1629, 14.11.1957, S. 4784. Antoine Mazier (SFIO), in: JOAN, 19.03.1957, S. 1686. 73 Limouzineau, P.: Le marché des capitaux de 1945 à 1959, in: Revue économique, 11, 3 (1960), S. 443–481, hier S. 453. 74 Lavergne: Problèmes africains, S. 50. 75 La politique budgétaire, I, S. 8. 1953 hatten die Zinszahlungen noch 148,8 Milliarden bzw. 8,4 Prozent des Budgets betragen. Deutliche höhere Angaben zu den Zinstilgungen machte der Sprecher des Finanzausschusses im Parlament, Francis Leenhardt (SFIO). Danach hatten 1952 die Zinszahlungen 208 Milliarden Francs betragen und stiegen bis 1957 auf 435 Milliarden Francs. JOAN, 17.12.1957, S. 5421. 76 Angaben um 50 Milliarden Francs pro Jahr finden sich bei: MFE, B 0070012/2: 22.11.1957, Conséquences de la situation en Algérie, S. 10 und AN, AP 505 (II) 147: 16.04.1958, Note, charges consécutives aux opérations d’Algérie, S. 22. Höhere Angabe von Pierre MendèsFrance (PR), in: JOAN, 19.03.1957, S. 1706.

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fähigkeit zu steigern77. Der Algerienkrieg erforderte darüber hinaus zusätzliche Rohstoffimporte, die in einer ausführlichen, Analyse von Finanz-, Verteidigungsund Algerienministerium mit 19 Milliarden Francs beziffert wurden. Die Gesamtbelastung für die französische Zahlungsbilanz gab diese Untersuchung mit 149 Milliarden Francs für das Jahr 1957 an78. Mit 250 Milliarden Francs setzte das ‚Bulletin économique pour l’Europe de l’O.N.U.‘ die Kosten deutlich höher an79. In jedem Fall trug die Integrationspolitik in erheblichem Maße zur Devisenkrise 1957/1958 bei. Es wurde dargelegt, dass die Umfunktionalisierung von Arbeitskräften in Soldaten Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und auf die volkswirtschaftliche Produktion mit sich brachte. Um diese mathematisch ansatzweise bestimmen zu können, muss zunächst ermittelt werden, wie viele Arbeitskräfte der Algerienkrieg der Wirtschaft entzog. In den Quellen finden sich hierzu sehr unterschiedliche Angaben, die von 120.000 bis 550.000 Personen reichen, wodurch sich ein Produktionsausfall von 1 bis 3 Prozent ergab80. Die Möglichkeiten zur Kompensation durch Überstunden und Gastarbeit wurden dabei sehr unterschiedlich gewichtet. Die Kalkulation hing ferner von der Größe der französischen Armee zu Friedenszeiten ab. Da Frankreich in der Zeit der IV. Republik durchgängig in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt war, gestaltet sich die Festsetzung eines Normalwerts als schwierig. Die aus der Zeit vor dem Ausbruch des Algerienkriegs stammenden Pläne der Regierung zur Senkung der Verteidigungsausgaben sprechen für eine Strategie, mittelfristig dem Weg Großbritanniens zu folgen und beim Militär mehr auf Qualität als auf Quantität zu setzen. Anfang 1955 standen 918.000 Franzosen unter Waffen. In Nordafrika lag die Truppenstärke bereits 110.000 über dem regulären Niveau. In Indochina befanden sich noch 90.000 Soldaten, die ebenfalls als Zusatz zu betrachten waren. Eine Demobilisierung dieser 200.000 Soldaten, unter Annahme unveränderter Militärpräsenz in der Metropole und dem Rest der ‚Union française‘, ergäbe eine ordinäre Truppenstärke von 718.000, die nahe bei jener Großbritanniens mit 700.000 lag81. Da ein Teil der Soldaten möglicherweise durch neue Aufgaben, etwa im Rahmen der NATO, gebunden worden wäre, erscheint eine Truppenstärke von 750.000 aus damaliger 77 Pierre Mendès-France (PR), in: JOAN, 19.03.1957, S. 1706. 78 AN, AP 505 (II) 147: 16.04.1958, Note, charges consécutives aux opérations d’Algérie, S. 23. 79. Der Artikel vom August 1957 wird in einer Studie des Algerienministeriums zitiert. AN, 74 AP 45: Février 1958, Ministère de l’Algérie, Que représente l’Algérie. 80 120.000 bei AN, AP 505 (II) 147: 16.04.1958, Note, charges consécutives aux opérations d’Algérie, S. 13. 250.000 bei MFE, B 0052206: 17.04.1956, Situation de l’économie française au début du mois d’Avril, S. 3. Es wurde hier davon ausgegangen, dass die Verkleinerung des Arbeitskräftepotentials von 1,4 Prozent die Produktion um ein Prozent bremste. Die Differenz könne durch Gastarbeiter und Überstunden ausgeglichen werden. 335.000 bei MFE, B 0070012/2: 22.11.1957, Conséquences de la situation en Algérie, S. 5 und 550.000 bei MFE, B 0052207: Examen annuel 1961–1962, Mémorandum, France, MFE, S. 2. 81 Angabe für das Jahr 1957. MFE, B 0070012/2, 22.11.1957: Conséquences de la situation en Algérie, S. 9.

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IV. Der Preis des Krieges

Perspektive als realistische Größenordnung. De Facto ermöglichte das Ende des Algerienkriegs binnen weniger Jahre eine sehr viel deutlichere Reduktion der französischen Streitkräfte auf etwa 675.000 im Jahr 1964, was im Vergleich zum Höchststand von 1957 beinahe eine Halbierung bedeutete82. Die Größe der französischen Armee verharrte zunächst auf dem Niveau von 1964, bevor sich die progressive Verkleinerung auf 300.000 Uniformierte im Jahr 2011 fortsetzte83. Eine Reduktion der französischen Armee um 480.000 Soldaten auf die genannte Größe von zunächst 750.000 hätte das Arbeitskräfteangebot um 2,4 Prozent erhöht84. Auf das BIP von 1957 gerechnet ergab sich somit ein maximaler Produktionsausfall von 492,5 Milliarden Francs85. Diese Summe liegt deutlich oberhalb der 120 Milliarden Francs, die in der bereits zitierten Studie von Finanz-, Verteidigungs- und Algerienministerium angegeben wurden, aber ebenso klar unterhalb jener 700 Milliarden Francs, mit denen das ‚Bulletin économique pour l’Europe de l’O.N.U.‘ kalkulierte86. Der Produktionsausfall bedingte freilich keine unmittelbare Belastung für die französischen Finanzen und kann den Kriegskosten nicht eins zu eins hinzugefügt werden. Gleichwohl gingen damit geringere Steuereinnahmen einher, die mit etwa 100 Milliarden Francs beziffert werden können87.

Bilanz In der Summe ergaben sich für den französischen Steuerzahler etwa 280 Milliarden Francs an indirekten zivilen Kosten durch den Algerienkrieg88. Addiert mit den oben errechneten 800 Milliarden Francs an direkten Kriegsausgaben betrug die Gesamtlast der Befriedungspolitik im Jahr 1957 rund 1.080 Milliarden Francs.

82 Martin, Michel L.: Le déclin de l’armée de masse en France. Note sur quelques paramètres organisationnels, in: Revue française de sociologie, 22, 1 (1981), S. 87–115, hier S. 94f. 83 Damit verfügt Frankreich noch immer über die größte Armee Westeuropas. Vgl. Annuaire statistique de la Défense, (2012/2013), S. 48. 84 Das Arbeitskräftepotential Frankreichs betrug Ende der 1950er Jahre etwa 19,4 Millionen Personen. MFE, B 0052207: Examen annuel 1961–1962, Mémorandum, France, MFE, S. 2. 85 Das BIP zu Marktpreisen von 1957 betrug 20.520 Milliarden Francs. La politique budgétaire, II, S. 27. 86 AN, AP 505 (II) 147: 16.04.1958, Note, charges consécutives aux opérations d’Algérie, S. 24; AN, 74 AP 45: Février 1958, Ministère de l’Algérie, Que représente l’Algérie, S. 15. 87 Die 100 Milliarden Francs ergeben sich durch die Anwendung der errechneten 2,4 Prozent auf die Gesamteinnahmen des Staates von etwa 4.100 Francs im Jahr 1957. 88 Die 280 Milliarden Francs setzen sich zusammen aus: 100 Milliarden Francs für Materialkosten, 100 Milliarden Francs an Steuerausfällen und 80 Milliarden Francs an zusätzlichen Zinskosten. Letztere errechnen sich aus den von 1954 bis 1957 gewachsenen Staatschulden von 1.500 Milliarden Francs und einem durchschnittlichen Zinssatz von 5,5 Prozent.

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Im selben Jahr standen dem französischen Staat etwa 4.100 Milliarden Francs an Einnahmen zur Verfügung89. Anstatt sich diesen gewaltigen ökonomischen Opportunitätskosten des Anspruchs „l’Algérie c’est la France“ zu stellen, blieb die Regierung bei ihrer Verschleierungstaktik90. Felix Gaillard beteuerte Ende 1957 in seiner Rede als designierter Ministerpräsident, die Aufwendungen für den Einsatz in Nordafrika seien kaum exakt zu bestimmen91. Die in der vorliegenden Arbeit aufgeführten Dokumente und Äußerungen verschiedener Stellen belegen hingegen, dass detaillierte Informationen für die Berechnung einer realistischen Größenordnung der Kriegslast verfügbar gewesen waren. Für das Jahr 1957 rechnete Paris mit 310 bis 360 Milliarden Francs an zusätzlichen Ausgaben für die Mission in Algerien92. Im Budget für 1958 wurden 300 Milliarden Francs veranschlagt93. Das Algerienministerium lobte den Umstand, dass der Anteil der Verteidigungsausgaben am Gesamthaushalt von 31 Prozent im Jahr 1954 auf nur noch 25 Prozent vier Jahre später gesunken sei94. Diese offizielle Angabe war völlig unglaubwürdig, da alleine der Algerienkrieg bereits ein Viertel der Staatseinnahmen verschlang. Bei der offiziellen Kommunikation der Kriegslasten lässt sich eine zweigleisige Strategie erkennen. Auf der einen Seite wurden die Kosten durchgängig zu niedrig angegeben, um die Algerienpolitik als ökonomisch vertretbar darstellen zu können. Auf der anderen Seite instrumentalisierte die Regierung ab 1956 die Militärausgaben als Schutzschild gegen Kritik am ausufernden Haushaltsdefizit. Regierungsmehrheiten waren im Frankreich der Nachkriegszeit ein flüchtiger Zustand. Die durchschnittliche Amtszeit von Ministerpräsidenten belief sich in der IV. Republik auf etwa sechs Monate. In diesem unsteten Umfeld fungierte das Festhalten an Französisch-Algerien als Garant für politische Mehrheiten im Parlament. Die rechten Parteien zeigten Bereitschaft, für Französisch-Algerien zu kämpfen, koste es was es wolle. Linke und liberale Abgeordnete kritisierten bis-

89 Budget, 1957, S. 7. Positive, konjunkturelle Effekte als Folge der gestiegenen Militärausgaben, die zu Teilen der französischen Industrie zusätzliche Nachfrage verschafften, durften nicht mit den aufgezeigten negativen Auswirkungen verrechnet werden. Die Existenz dieser Ausgaben war keineswegs an den Militäreinsatz in Nordafrika gebunden. Der Krieg determinierte lediglich ihren militärischen Charakter. Im Falle einer Beendigung der Kampfhandlung hätten frei werdende Ressourcen für zivile Investitionen in gleichem Umfang genutzt werden können. Der bereits zitierten Annahme, Frankreichs Wirtschaft habe von der kriegsbedingten Konjunktur profitiert, muss somit entschieden widersprochen werden. 90 Bisweilen wurden die Bemühungen der Regierung, die Kriegskosten dem Anschein nach im Rahmen zu halten, auf dem Rücken der Soldaten ausgetragen. Von militärischer Seite als notwendig erachtete Truppenverstärkungen wurden abgelehnt und Beförderungen ausgesetzt. MDN, 20 R 10: 17.09.1957, Le Secrétaire d’Etat aux forces armées „terre“, Note concernant les abattements budgétaires en 1958. 91 Felix Gaillard (RRS), in: JOAN, 05.11.1957, S. 4652. 92 JOAN, 14.03.1957, S. 1604. 93 MDN, 20 R 10: Direction des Services Financiers, Situation des crédits de paiement 1957, S. 5. 94 AN, 74 AP 45: Février 1958, Ministère de l’Algérie, Que représente l’Algérie, S. 10.

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weilen die steigenden Militärausgaben, nicht aber die Devise „l’Algérie c’est la France“, und so verweigerten sie zusätzlichen Aufwendungen nicht die Zustimmung. Es ergaben sich also durchaus Vorteile daraus, Teile des Haushaltsdefizits von knapp 1.000 Milliarden Francs mit dem Kampf für Französisch-Algerien zu begründen. Wer die Mittel für diesen „impératif national“ infrage stellte, galt mitunter als Vaterlandsverräter95. Ministerpräsident Félix Gaillard erachtete es als unnötig, auf die Argumente der „techniciens politiquement très orientés“ einzugehen, die seit Monaten versuchten, den Algerienkrieg als ökonomisch selbstmörderisch darzustellen. Da ihre Absicht offenkundig sei, Algerien loszuwerden, verböten sich weitere Diskussionen96. Bezeichnenderweise schließt die zitierte Studie der u. a. von Pierre Mendès-France herausgegebenen Zeitschrift ‚Les Cahiers de la République‘ mit der Einschränkung, „si la politique actuelle correspond à un impératif national indiscutable, voulu par la Nation, elle doit être poursuivie et tous les moyens nécessaires doivent être mis à son service“97. Gleichwohl vermied es die Regierung, die tatsächliche finanzielle Opferbereitschaft der Wähler und des Parlaments auf die Probe zu stellen. In der Fraktion der Sozialisten war die Befriedungspolitik nicht unumstritten98. Auch Abgeordnete anderer Parteien betrachteten die ökonomischen Auswirkungen des Kriegs mit Sorge und sahen Frankreichs Grenze der Belastbarkeit eigentlich bereits erreicht99. Indem sie die Kriegslast kleinrechneten, verhinderten die Anhänger der 95 Zitat von Edgar Faure (RRS), in: JOAN, 19.03.1957, S. 1692. Zu diesem Zeitpunkt hatte Faure kein Regierungsamt inne, unterstützte jedoch die Integrationspolitik. Alfred Grosser (Interview) antwortete auf die Frage, warum die existierenden Meinungen über die hohe Belastung des Haushalts durch den Algerienkrieg nicht offener vorgetragen wurden, dies wäre von vielen als Vaterlandsverrat aufgefasst worden. Diese Erinnerung findet sich in den Parlamentsdebatten bestätigt. Abgeordnete belegten die Unterzeichner einer kommunistischen Broschüre, in der die negativen ökonomischen Auswirkungen des Algerienkriegs beklagt und eine Verhandlungslösung eingefordert wurde mit dem Vorwurf „traîtres“. JOAN, 31.05.1956, S. 2153. 96 Félix Gaillard (RRS), in: JOAN, 07.03.1958, S. 1305. 97 Les Cahiers de la République, 12 (1958), S. 50. 98 Parteiintern gab es Stimmen, die die algerische Unabhängigkeit als unausweichlich und ökonomisch sinnvoll erachteten. Antoine Mazier warb immer wieder für ein Ende des Militäreinsatzes und sah in einer Verhandlungslösung und der Unabhängigkeit Algeriens die einzige Möglichkeit, die ökonomischen Interessen Frankreichs zu bewahren und die zukünftige Entwicklung der französischen Wirtschaft nicht weiter durch die Kriegskosten zu gefährden. Vgl. OURS, SFIO, 48e Congrès National, Lille, Juin 1956, S. D4–D21. Ebenso OURS, SFIO, Conseil national, 15–16 Décembre 1956, S. 250f. Lucien Coffin beklagte „une différence entre la politique définie au nom du Gouvernement et celle adoptée à Lille“. OURS, Comité Directeur, Procès verbaux 1956/57, 11.07.1956, S. 9. Pierre Rimbert sah die Wirtschaft durch den Algerienkrieg bedroht. OURS, Comité Directeur, Procès verbaux 1955/56, 28.04.1956, S. 4. 99 So etwa Lionel de Tinguy du Pouët (MRP), in: JOAN, 08.03.1956, S. 751. Paul Reynaud sah Frankreich mit der Entwicklung Nordafrikas überfordert und stimmte auch aus diesem Grund für die Unabhängigkeit Tunesiens und Marokkos. Auf Algerien übertrug er diese Logik zunächst nicht, auch wenn er immer wieder mehr Haushaltsdisziplin anmahnte. Erst 1959 sprach sich Reynaud für die Autodetermination Algeriens aus. Zu den Positionen Reynauds

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Integrationspolitik zum einen parlamentarische Kritik. Zum anderen erschufen sie dadurch virtuelle finanzielle Spielräume für die Fortsetzung einer expansiven Sozial- und Konjunkturpolitik, mit der die Zustimmung oder zumindest die wohlwollende Passivität der Bevölkerung sichergestellt wurde. Hätte sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass der militärische Einsatz zur Rettung Französisch-Algeriens mit über 1.000 Milliarden Francs dreimal so viel kostete wie von offizieller Seite behauptet, hätte dies wohlmöglich bei einigen Franzosen eine kritischere Haltung zur Integrationspolitik bewirkt. Deshalb zog es die Regierung vor, die eigene Entschlossenheit mit lediglich 300 Milliarden Francs zu bekunden. In militärischer Hinsicht ließ der Erfolg lange auf sich warten. In der IV. Republik schafften es die 500.000 französischen Soldaten nicht, den Aufständischen einen entscheidenden Schlag zu versetzen. Im Februar 1958 berichtete der Sonderbeauftragte der Regierung, Maurice Papon, „que la situation militaire a évolué défavorablement“100.

siehe auch: Krakovitch, Raymond: Paul Reynaud dans la tragédie de l’histoire, Éd. Tallandier, Paris, 1998. 100 OURS, Fonds Mollet, AGM 91: 03.02.1958, l’Inspecteur général de l’administration en mission extraordinaire, Maurice Papon, Évolution de la situation dans l’est algérien. Papon war als Polizeipräfekt für die gewaltsame Niederschlagung einer FLN-Demonstration in Paris mit mehreren Toten verantwortlich. 1998 wurde er für Verbrechen gegen die Menschlichkeit während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg verurteilt.

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IV. Der Preis des Krieges

2. (POLITISCHE) OPPORTUNITÄTSKOSTEN IN MAROKKO UND TUNESIEN „Il est hors de doute que si le Gouvernement ne prend pas rapidement des décisions pour ramener le calme en Algérie, en faisant droit aux aspirations légitimes de ce peuple, que toutes les mesures qui ont été prises ou qui pourront être prises au Maroc et en Tunisieseront inopérantes“ (Club des Jacobins, 1956)101

2.1 Die Interdependenzpolitik Das Erbe der Protektoratszeit Völkerrechtlich waren Marokko und Tunesien als Protektorate stets eigenständige Staaten geblieben, da sie einen Beitritt zur ‚Union française‘ sowohl 1946 als auch in der Folgezeit abgelehnt hatten102. Im politischen Alltag besaß dieser formelle Unterschied zu anderen Überseegebieten jedoch eine nachrangige Bedeutung, zumal beide Länder Mitglieder der Franczone waren103. Ferner beschränkten sich die französischen Befugnisse in den Protektoraten nur theoretisch auf die Bereiche Verteidigung und Außenpolitik. In der Praxis führte das etablierte System der direkten Administration dazu, dass alle Fäden in den französischen Generalresidenzen in Rabat und Tunis zusammenliefen104. Marokko war über den Vertrag von Algésiras an ein liberales Außenhandelsregime gebunden, was dem französischen Einfluss auf die marokkanische Wirtschaftspolitik gewisse Grenzen setzte. Gleichwohl gelang es Frankreich und den französischen Siedlern, „par 101 MAE, CM, Pineau 1956–1958, 29: 29.02.1956, Club des Jacobins, Maroc, à M. le Député, P. 51. 102 Die Protektorate fürchteten, ein Beitritt führe zu „un renforcement de la souveraineté française“. MAE, Maroc–Tunisie (MT), Maroc 1944–1955 (I), 124: 11.06.1945, RG Puaux, Rabat, au MAE Bidault und MAE, MT, Maroc (I), 126: Avril 1954, Des rapports de la France avec ses protectorats. Recherche des fondements économiques de l’Union française, Jean Vibert et Jean de Lipkowski, S. II. Im Außenamt hieß es angesichts der zunehmenden Zentrifugalkräfte, „l’Union française de la Constitution de 1946 est morte“. MAE, MT, Maroc (I), 126: 09.05.1955, Note pour le Ministre, Direction générale. Ähnlich äußerte sich die juristische Abteilung des Außenamts. MAE, MT, Maroc (II), 212: 25.11.1955, Note pour le Secrétaire Général, Le Jurisconsulte. Eine Studie riet, das zu erwartende „relâchement des liens politiques“ durch ein „renforcement de l’action économique“ zu kompensieren. Vgl. Oved, Georges/Vaez-Olivera, Robert: Pour un office d’assistance technique, in: Où va l’Union française? Conditions économiques d’un renouveau (= La NEF, 9 (1955)), S. 1. 103 Über die völkerrechtliche Einordnung der Protektorate und ihr Verhältnis zur ‚Union française‘ gab es durchaus unterschiedliche Meinungen. Das Außenamt holte sich noch 1954 eine juristische Expertise ein, um Klarheit zu erlangen. MAE, MT, Maroc (I), 126: 10.06.1954, Les associations mutuelles le conservateur an MAE. Im selben Ordner: 10.11.1954, Avocat Vidal au MAE. Nach Julien waren einige Völkerrechtler von der Zugehörigkeit der Protektorate zur ‚Union française‘ überzeugt. Julien: L’Afrique du Nord, S. 345. 104 Die Generalresidenten waren die höchsten französischen Administratoren in den Protektoraten.

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décisions autoritaires prises souvent en dépit des demandes pressantes de l’Administration chérifienne soucieuse d’approvisionner le Maroc aux meilleures conditions possibles“, in der marokkanischen Wirtschaft zu einem ähnlich dominanten Faktor zu werden wie in Tunesien105. Knapp 60 Prozent des marokkanischen Importwerts stammte im Jahr 1954 aus der Metropole und anderen Gebieten der Franczone, die umgekehrt etwa 55 Prozent der Exporte des Landes absorbierten106. Tunesiens Einfuhren bestanden wertmäßig zu 80 Prozent aus Gütern der Franczone, 62 Prozent der Ausfuhren wurden in französische Territorien verkauft107. Ein wichtiges Instrument beim Ausbau des ökonomischen Einflusses waren die Finanzhilfen im Rahmen der Entwicklungsprogramme. Diese kamen einerseits der wirtschaftlichen Entwicklung der Protektorate zugute, andererseits stärkten sie die Position französischer Unternehmen, da häufig nur sie über die Kapazitäten verfügten, große Investitionsprojekte umzusetzen108. Eigenständige Entscheidungen der nordafrikanischen Monarchen, des marokkanischen Sultans und des tunesischen Bey de Tunis, existierten lange Zeit lediglich auf dem Papier. Paris hielt sich mit Vorgaben zurück und gestand den französischen Funktionären vor Ort erheblichen Handlungsfreiraum zu109. „Certains hauts fonctionnaires se considèrent comme intouchables“, erinnerte sich der frü105 Zitat: MAE, MT, Maroc (I), 344: 01.03.1954, Note, échanges commerciaux avec le Maroc. In Marokko erwirtschafteten die französischen Siedler 30 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion. 80 Prozent der Industrie und des Bankensektors lagen in ihrer Hand. MAE, MT, Maroc (II), 196: Prépondérance des positions françaises au Maroc. In Tunesien bewegte sich die Dominanz Frankreichs auf ähnlichem Niveau. Vgl.: MAE, MT, Tunisie (I), 403: 06.10.1954, Chambre des intérêts miniers de la Tunisie, S. 1 und MAE, MT, Maroc (II), 196: Prépondérance des positions françaises au Maroc dans le domaine économique et financier. Eine zeitgenössische Publikation sprach von „le rôle prépondérant“ französischer Unternehmen in der tunesischen Wirtschaft. Leduc, François: L’industrialisation de la Tunisie, in: Industrialisation de l’Afrique du Nord, S. 276–290, hier S. 288. 106 Der Anteil der Überseegebiete am Handel mit den Protektoraten war marginal. MAE, DÉ, Wormser, 16: Mai 1956, Note sur les négociations franco-marocaines, P. 240. 107 MAE, AL, Algérie, 54: Banque de l’Algérie et de la Tunisie, Compte rendu de l’exercice 1955, Jean Watteau, Gouverneur de la Banque de l’Algérie et de la Tunisie, S. 26. 108 MEF, 0054275/2: 16.01.1956, Note sur les principes à adopter la conduite des négociations économiques et financières franco-marocaines, S. 2. 109 Dieser Umstand führte mit dem Aufkommen der Krisen in Nordafrika zu vermehrter Kritik. Abdelkader Cadi (UDSR) sah das Außenministerium für diesen Missstand in der Verantwortung, „en donnant carte blanche aux administrations locales“. JOAN, 26.08.1954, S. 4285. Der frühere Generalresident in Marokko, Grandval, gab an, noch eine Woche nach seinem Amtsantritt über keine Definition seines Auftrags seitens des Ministeriums verfügt zu zu haben. Grandval: Ma mission au Maroc, S. 3. Cochet, der mehrere Interviews mit früheren Funktionären führte, bestätigt deren großen Entscheidungsfreiraum. Er verbindet seine Ausführungen mit einem Plädoyer zur stärkeren Anerkennung mündlicher Quellen in der Geschichtswissenschaft. Cochet: Les attitudes de la France en Tunisie, S. 203; 210. Nach Doise und Vaïsse verbarg sich hinter dem Fehlen klarer Anweisungen der Versuch, Regierungskrisen in Paris zu vermeiden, da die Ausrichtung der Nordafrikapolitik durchaus umstritten gewesen sei. Doise, Jean/Vaïsse, Maurice: Diplomatie et outil militaire. Politique étrangère de la France 1871–1969, Impr. nationale, Paris, 1987, S. 449.

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here Generalresident Gilbert Grandval110. Immer wieder habe die lokale Administration ohne Rücksprache mit Paris agiert und Frankreich vor vollendete Tatsachen gestellt, kritisierte Alain Savary111. Die Unabhängigkeit veränderte die politischen Rahmenbedingungen in Marokko und Tunesien somit grundlegend. Einzelnen Siedlergruppen, insbesondere Industriellen und Großgrundbesitzern, wurde „[une] emprise quasi-totale sur la Résidence générale“ nachgesagt112. Dass die Steuerungsmöglichkeiten indessen nicht grenzenlos waren, lässt sich am Beispiel des in Marokko ansässigen französischen Spielkartenproduzenten ‚A. Camoins & CIE‘ veranschaulichen. Die Unternehmensleitung betrachtete die kostengünstigere belgische Konkurrenz als „un tel coup à la présence française“, der ein sofortiges Eingreifen des Ministeriums für marokkanische und tunesische Angelegenheiten erfordere. Dieses nahm sich der Sache zwar an, respektierte letztlich jedoch die Entscheidung der Generalresidenz. Sie hatte die sonst übliche Bevorzugung französischer Unternehmen abgelehnt, da der belgische Kostenvorteil mit 50 Prozent zu groß sei113. Auch wenn Camoins die Administration nicht von der existentiellen Bedeutung seiner Spielkarten für die französische Präsenz in Nordafrika überzeugen konnte, verdeutlicht der Vorgang doch, wie Partikularinteressen aus der Wirtschaft Einfluss auf die Politik zu nehmen versuchten114.

Ziele der Interdependenzpolitik Über die Jahre hinweg wuchs der mehrheitlich aus privaten Investitionen bestehende französische Kapitalstock in Marokko auf 1.500 Milliarden Francs an. Über die Aktiva großer Gesellschaften generierte dieses Kapital auch für Frankreich Einkommen, wobei dieser Nutzen nicht überbewertet werden sollte. Bedeutsamer waren die etwa 300.000 Franzosen für das marokkanische Budget. Sie generierten 85 Prozent des direkten Steueraufkommens115. In Tunesien umfassten die Kapital-

110 Grandval: Ma mission au Maroc, S. 22. Katan Bensamoun vergleicht die Macht der Generalresidenten mit der eines „monarque absolu“. Le Maghreb, S. 143. 111 Alain Savary (SFIO), in: JOAN, 06.10.1955, S. 4811. 112 Der Verfasser eines Briefes an den Ministerpräsidenten forderte, den Einfluss dieser Lobbys zu bekämpfen, um einen Politikwechsel in Marokko umsetzen zu können. MAE, MT, Maroc (I), 481: 28.10.1954, Louis Valade au Président du Conseil. 113 MAE, MT, Tunisie (I), 556: 02.02., A. Camoin & CIE au Ministère des Affaires marocaines et tunisiennes (MAMT), P. 144; 22.04., Résidence générale au MAMT, P. 175. 114 Von der Bevorzugung lokaler Unternehmer profitierten indes nicht nur Franzosen. Das Außenamt setzte sich beispielsweise gegenüber dem Staatssekretariat für wirtschaftliche Angelegenheiten dafür ein, die tunesischen Teppichhändler und -produzenten vor der iranischen Konkurrenz zu schützen. MAE, MT, Tunisie (I), 557–558: 16.09. MAE à Secrétaire d’État aux Affaires économiques et au Plan. 115 Eine Angabe von 280.000 Franzosen in Marokko findet sich bei: MAE, MT, Maroc (II), 105: 29.11.1957, Note, Relations franco-marocaines, S. 1ff. An anderer Stelle wird die Zahl mit 350.000 angegeben. DDF, 1955 II: 27, 12.07.1957, Annexe I, Données générales du problème, S. 52.

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anlagen der 250.000 Siedler, die einen erheblichen Teil zur tunesischen Wirtschaftsleistung beitrugen, rund 500 Milliarden Francs116. Bilaterale Abkommen gewährten den französischen Unternehmen über die Unabhängigkeit hinaus einen privilegierten Zugang zu den nordafrikanischen Märkten117. Botschafter Parodi resümierte daher, „nous sommes particulièrement bien placés au départ“118. Während die Bedeutsamkeit der privaten französischen Interessen in den Protektoraten außer Frage stand, besaßen die Beziehungen zu Marokko und Tunesien aus volkswirtschaftlicher Perspektive „une très faible importance“ für die Metropole119. Güter im Wert von 79 Milliarden Francs gingen 1955 nach Marokko, was 5 Prozent der Gesamtausfuhren des Hexagons entsprach. Bei den Importen lag der Anteil Marokkos bei 60 Milliarden Francs bzw. 4,8 Prozent. Hauptsächlich Phosphate und andere Mineralien waren in der Metropole gefragt120. 3 Prozent aller französischen Exporte wurden nach Tunesien verkauft, 1,5 Prozent der Importe von dort eingeführt121. In der Summe repräsentierten die Absatzmärkte beider Länder weniger als 1 Prozent der volkswirtschaftlichen Produktion Frankreichs. Anders als für einzelne Unternehmer stand für das französische Kollektiv fest, dass die Beziehungen zu Marokko und Tunesien „ne peuvent être animés par l’espérance de profits“122. Teile der Exportströme nach Nordafrika flossen lediglich dank der Finanzspritzen, die Frankreich jedes Jahr den dortigen Volkswirtschaften injizierte. Der erwünschte Verbleib beider Länder in der Franczone musste mit dem fortgesetzten Ausgleich ihrer defizitären Handelsbilanzen erkauft werden123. „Combien l’ancienne puissance protectrice est prête à payer“, fragte die ‚New York Times‘ in diesem Kontext124. Die Interdependenzpolitik, mit der Paris Einfluss und nationale Interessen über die Unabhängigkeit der Protektorate hinaus zu wahren gedachte, hatte sich jedoch nicht primär an ökonomischen Prämissen zu orientieren. Frankreich hoffte auf politische und strategische Gewinne, 116 Diese Zahl nannte der für die Protektorate zuständige Minister. JOAN, 07.07.1955, S. 3687. 117 Umgekehrt wurden auch Marokko und Tunesien zahlreiche Handelsvorteile eingeräumt. Zur Entwicklung des franko-maghrebinischen Außenhandels nach der Unabhängigkeit siehe: Tiano, André: Le Maghreb entre les mythes, PUF, Paris, 1967, S. 445–477. 118 Einschätzung des französischen Botschafters Parodi zur wirtschaftlichen Position Frankreichs in Marokko. MAE, AL, Maroc, 18: 21.02.1958, Parodi, Convention administrative et technique, P. 111. 119 Die Note bezieht sich auf Tunesien. In abgemilderter Form traf die Aussage jedoch auch auf Marokko zu. ANOM, FM 81F 188: 16.07.1958, Note de M. de Wailly, Inspecteur des Finances, l’accord franco-tunisien sur la navigation maritime et sur le monopole de pavillons entre la France et l’Algérie, S. 2. 120 Commerce extérieur, 1955, S. 295. Neben Bodenschätzen machten landwirtschaftliche Erzeugnisse einen Großteil der marokkanischen Exporte aus. 121 Commerce extérieur, 1955, S. 301f. 122 MAE, MT, Tunisie (II), 39: 10.12.1957, De Wailly, Essai sur la politique française en Afrique du Nord, S. 1. 123 MAE, CM, Pineau, 28: 14.02.1956, Service de Coopération Économique, Charges de l’économie marocaine, S. 6 und MAE, MT, Maroc (II), 105: 29.11.1957, Note, Relations franco-marocaines, S. 4. 124 MAE, MT, Maroc (II), 379: L’indépendance coûte cher; Thomas Brady, in: New York Times.

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die wirtschaftliche Kosten aufwiegen und zu einer letztlich positiven Gesamtbilanz führen würden. „Ne pas hypothéquer le règlement du problème algérien“, lautete die zentrale Zielsetzung125. So wie bereits die Kolonialisierung Tunesiens und Marokkos nicht zuletzt der Sicherung Französisch-Algeriens gedient hatte und die Aufgabe der Protektorate eine Art strategische Investition für den Erhalt der algerischen Départements gewesen war, stand auch das Konzept „L’interdépendance dans l’indépendence“ im Dienste des Credos „l’Algérie, c’est la France“126. Durch die Wahrung bestehender und die Schaffung neuer Interdependenzen sollten der Verlust der politischen Souveränität ausgeglichen und beide Länder zu größtmöglicher Zurückhaltung in der Algerienfrage bewegt werden127.

Außenpolitische Vorstellungen Über den Einsatz geeigneter Mittel und Strategien herrschten in Frankreich sehr unterschiedliche Vorstellungen. Eine Reihe von Akteuren und Beobachtern der Nordafrikapolitik stand mit ihren außenpolitischen Konzeptionen unverkennbar der Denkschule des Realismus nahe. Sie interpretierten die Idee der Interdependenzpolitik als Instrument zur Durchsetzung nationaler französischer Interessen, als Interaktion einer dominanten Großmacht mit weiterhin abhängigen ExProtektoraten. Da die ökonomische Anbindung an Frankreich für Nordafrika „le seul moyen de préserver son avenir et sa liberté“ sei, sah man sich in einer überlegenen Ausgangsposition128. Gleichermaßen wurde „la présence d’une colonie

125 MAE, MT, Tunisie (II), 39: 23.05.1957, Note, Politique française au Maroc et en Tunisie, S. 2. 126 Obgleich die Algerienfrage Frankreichs Politik in den Protektoraten dominierte, gab es auch anderweitige strategische Interessen. Den französischen Militärbasen in beiden Ländern etwa wurde eine hohe Bedeutung in der westlichen Verteidigungsstrategie beigemessen. Zum Stützpunkt Bizerte in Tunesien: MDN, 2 H 136: 25.11.1957, Commandement supérieur des troupes françaises en Tunisie, État-major, études générales, Étude sur Bizerte, S. 1. MDN, 2 H 130, D2: 29.04.1958, Commandement Supérieur des troupes françaises en Tunisie, Synthèse personnelle du 1er Octobre 1957 au 31 Mars 1958, General Gambiez, S. 15f. Über den Stellenwert Marokkos schrieb Generalresident Francis Lacoste 1955, er sei „économique et stratégique essentiel“. DDF, 1955 I: 280, 14.05.1955, Lacoste à July, S. 643. 127 Manche hofften auf einen Beitritt Tunesiens und Marokkos zur ‚Union française‘, andere auf militärische Allianzen MAE, MT, Maroc 1956–1968 (II), 212: 14.03.1957, Note, du Maroc et de l’Union française. MAE, CM, Pineau, 24: 22.06.1956: Sous-Direction de Tunisie, Note pour le Secrétaire d’État, P. 82 und DDF, 1957 II: 410, 02.12.1957, Note de la Direction générale, Évolution des relations franco-marocaines, S. 827–830. 128 Der hier zitierte Rechtsprofessor bezog seine Einschätzung auf Marokko. ANOM, 81F 207: Studie von Professeur Luchaire, Faculté de Droit de Nancy, S. 7f. Ähnlich heißt es in einem Schreiben des Außenministeriums an den neuen Generalresidenten: „Économiquement, le Maroc livré à lui-même, serait voué à l’asphyxie“. DDF, 1955 II: 27, 12.07.1957, Annexe I, Données générales du problème, S. 52. Entsprechende Einschätzungen über die Abhängigkeit Tunesiens: „La prospérité […] dépend étroitement de la présence française“. ANOM, FM 81F 1797: Banque de l’Algérie et de la Tunisie, Exercice 1957, S. 5. In einem Zeitungsartikel

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française nombreuse et agissante“ als Garant für den zukünftigen Einfluss Frankreichs auf Wirtschaft und Politik in beiden Ländern gewertet129. Hinsichtlich der Algerienfrage schrieb eine amerikanische Zeitung optimistisch, angesichts seiner gewaltigen ökonomischen und sozialen Herausforderungen sei die Einmischung des unabhängigen Maghreb in die inneren Angelegenheiten Frankreichs „un luxe qu’il ne peut s’offrir dans les circonstances actuelles“130. Als Rückversicherung sollte die fortgesetzte Stationierung französischer Truppen in beiden Ländern dienen. Zwar unterstützte Frankreich den Aufbau der tunesischen und der marokkanischen Armee, insbesondere damit diese verhindern konnten, dass die Grenzgebiete zu Algerien zu Operationsbasen und Rückzugsorten für den FLN wurden. Gleichwohl zogen es zahlreiche französische Politiker und Militärs vor, in den ehemaligen Protektoraten weiterhin über eigene Streitkräfte zu verfügen, um eine Kontrollfunktion ausüben, den eigenen Interessen Nachdruck verleihen und die Siedler im Land gegebenenfalls schützen zu können131. Die Pariser Initiativen, über bilaterale Allianzen eine institutionelle Basis zur dauerhaften Stationierung französischer Truppen in den ehemaligen Protektoraten zu schaffen, stießen in Rabat und Tunis, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Algerienkriegs, auf wenig Gegenliebe132. In den Augen mancher bot der informelle Status quo sogar „de sérieux avantages“, da er der französischen Armee einen großen Handlungsspielraum zugestehe133. In der ‚Convention financière‘ und der ‚Convention technique‘, die den unabhängigen Staaten die Fortführung französischer Hilfe in Aussicht stellten, wurde in erster Linie ein politisches

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war von „stagnation“ und „regréssion économique“ für den Fall die Rede, dass Tunesien auf sich selbst gestellt würde. Le Monde économique, numéro spéciale „documents“ (1956): La Tunisie devant son avenir, S. 119. DDF, 1956 II: 25, 07.07.1956, Dubois à Savary, S. 66. Eine umfangreiche Emigration französischer Siedler galt es demnach zu verhindern und so erhielten sie in der Umbruchphase finanzielle Unterstützung. MAE, MT, Tunisie (II), 235: 01.01.1958, Affirmation et Extension de la Présence Française en Tunisie, S. 2. ANOM, FM 81F 2370: Marcel Carminati: Populations françaises du Maroc et de Tunisie, S. 25. MAE, MT, Maroc (II), 379: 10.11.1956, Boisseson au MAE, Article dans ‚Tangier Gazette‘, S. 2. Die französischen Siedler empfanden das französische Militär als Garanten für ihre Sicherheit. In Gesprächen mit der französischen Administration gab ein Großteil der Siedler an, im Falle eines Abzugs der Armee Nordafrika verlassen zu wollen. DDF, 1956 II: 27, 07.07.1956, Dubois über Lage der Siedler in Marokko, S. 60. In einer Note über die franko-marokkanischen Verhandlungen heißt es: „Le Gouvernement marocain refusera de s’engager avec nous sur le plan de la défense tant que ne sera pas réglée l’affaire algérienne“. MAE, MT, Maroc (II), 205: 26.11.1957, Note, négociations franco– marocaines, S. 3. Auch die tunesische Regierung weigerte sich, ein militärisches Bündnis in die Interdependenzverträge aufzunehmen. MAE, CM, Pineau, 24: 22.02.1956, Sous-Direction de Tunisie, Note pour le Secrétaire d’État, P. 82. Roger Seydoux schrieb im Abschlussbericht seines Mandats als Botschafter in Tunesien, Bourguiba habe stets betont, dass über ein franko-tunesisches Bündnis solange nicht verhandelt werde, wie der Algerienkonflikt andauere. DDF, 1956 II: 214, 24.09.1956, Seydoux an Savary, S. 453. DDF, 1957 I: 422, 23.05.1957, Note de la Direction générale, S. 836.

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Druckmittel erkannt134. Ein französischer Abgeordneter bevorzugte die charmantere Umschreibung eines „moyen de négocier“135. Abgeordnete des rechten Parteienspektrums forderten ebenso wie sozialistische Minister und Diplomaten eine Politik der Stärke. Zugeständnisse würden in islamisch geprägten Ländern als Schwäche gedeutet. „Celui qui veut acheter son adversaire avec des concessions n’est jamais assez riche“. Dieses aus dem Arabischen übersetzte Sprichwort legte ein Parlamentarier der Nordafrikapolitik seines Landes als Maxime ans Herz136. Von den vorhandenen Druckmitteln solle Frankreich Gebrauch machen, Warnungen vor Gegenmaßnahmen seien leere Drohungen137. In der Kombination, ein arabisches Sprichwort zur Grundlage der eigenen Außenpolitik gegenüber arabischen Ländern zu machen und gleichzeitig anzunehmen, dass diese kein Bedürfnis verspüren würden, sich gegen Frankreich zu behaupten, sahen diese Politiker offenkundig keinen Widerspruch. Als relevante Akteure wurden in erster Linie die Führer Nordafrikas betrachtet, während den innermarokkanischen und -tunesischen Einflussfaktoren geringere Bedeutung beigemessen wurde138. Nachdem die Rückkehr von Mohammed V. auf den marokkanischen Thron bis zuletzt kategorisch ausgeschlossen worden

134 Die ‚Convention financière‘ regelte die französische Finanzhilfe, die ‚Convention technique‘ die administrative Unterstützung durch französische Funktionäre. Beide hingen eng miteinander zusammen, da ohne ausreichend qualifiziertes Personal eine effiziente Nutzung der Finanzhilfen nicht möglich war. Im zunehmenden Mangel an Fachpersonal durch die Emigration der französischen Siedler erkannten viele eine große Gefahr für die ökonomische Zukunft der ehemaligen Protektorate. CHSP, Fonds Savary, 42: Note, le départ précipité des techniciens français fait peser une lourde menace sir l’avenir économique du pays, S. 2. 135 Jean-Marie Bouvier O’Cottereau (RPF), in: JOAN, 27.08.1954, S. 4315. Bouvier O’Cottereau besaß große Ländereien in Marokko. Er setzte auf eine enge Kooperation Frankreichs mit der moderaten und profranzösischen Elite Marokkos, um im Rahmen der Interdependenzpolitik die französischen Interessen im Land zu bewahren. 136 André Morice (RRS), in: JOAN, 01.06.1956, S. 2227. Morice, Abgordneter des Départements Loire-Inférieure und in der IV. Republik mehrfach Minister, sprach sich in der Algerienfrage für eine harte Linie und gegen eine Verhandlungslösung aus. 137 MAE, MT, Tunisie (II), 38: 25.09.1956, Quelques informations sur Tunis, S. 4. Ähnliche Äußerungen bei: Raymond Dronne (RS), in: JOAN, 21.01.1958, S. 149f. und Saharaminister Max Lejeune. DDF, 1958 I: 167, 07.03.1958, Lejeune à Pineau, S. 283. Generalresident André-Louis Dubois forderte die Blockade der Finanzhilfen. DDF, 1956 II: 208, 24.09.1956, Dubois à Savary, S. 439f. 138 In den Instruktionen für den französischen Botschafter in Marokko, Alexandre Parodi, hieß es, Frankreich setze auf eine Kooperation „avec l’élite nationale d’inspiration occidentale actuellement au pouvoir à côté du Roi“. CHSP, Fonds Alexandre Parodi, 30: 10.09.1957, Instructions pour l’Ambassadeur de France au Maroc, S. 1. Nach Ikeda begründete dieser Ansatz bereits die Entscheidung Frankreichs vom Herbst 1955, Marokko den Weg in die Unabhängigkeit zu ebnen, obgleich das Land als schlecht vorbereitet galt. Paris habe gehofft, mit einem starken Führer am besten den französischen Einfluss sichern zu können. Ikeda: The Paradox of Independence. S. 581f.

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war, schätzte Paris nun dessen Bereitschaft zur Zusammenarbeit139. Gegenüber dem selbsternannten „Combattant suprême“ Habib Bourguiba existierten deutlich größere Vorbehalte140. Angesichts der radikal antifranzösischen Haltung politischer Kontrahenten erschien es Paris dennoch ratsam, „de voir consolider la position de Bourguiba et du Gouvernement tunisien actuel qui représentent les tendances du nationalisme tunisien les plus favorables à la coopération avec la France“141. Bourguiba selbst bezeugte in der Anfangsphase durchaus seine Absicht, eng mit Frankreich zusammenzuarbeiten142. Die Strategie der französischen Regierung also sah vor, „de continuer à soutenir les élites nationalistes au pouvoir et de les aider à surmonter la crise de croissance de leur pays“143. Andere Politiker und Diplomaten rieten zu einer von liberalistischen Ideen inspirierten Außenpolitik. Die Fokussierung auf die beiden Machthaber in Rabat und Tunis wurde kritisch gesehen. „Tout partisans qu’ils [Mohammed V. und Bourguiba] soient d’une entente avec la France et l’Occident, ils ne peuvent, devant leur opinion publique, rester insensibles à l’éveil du nationalisme arabe et aux appels de la solidarité musulmane“144. Ungeachtet vermeintlicher Abhängigkeiten und ökonomischer Interessen würden die nordafrikanischen Führer daher keine Maßnahmen umsetzen, „qui heurteraient trop violemment le sentiment populaire“. Eine rein akteursbezogene Außenpolitik werde daher nicht zum Erfolg führen145. Es entwerte die Idee der Interdependenz, mahnte Pierre Cot, „si elle n’est pas fondée sur la confiance réciproque de parties égales qui se mettent

139 Bekundungen der marokkanischen Führung dieser Art fanden sich in der Umbruchphase häufig. DDF, 1956 I: 8, 08.01.1956, Dubois à Pinay, S. 16. Im Jahr 1957 änderte Mohammed V. seinen Titel und wurde fortan König genannt. 140 Nach De Cock schwankte Frankreich in Bezug auf Bourguiba „entre la fascination et le mépris“: De Cock, Laurence: La France et Bourguiba. 1945–1956, in: Le Comité FranceMaghreb, hg. v. Rivet, S. 255–264, hier S. 258. Schon einige Zeit vor der Unabhängigkeit wurde Bourguiba zum politischen Hauptakteur Tunesiens, während der Bey de Tunis stetig an Einfluss verlor und kaum noch eine Rolle spielte. In einer Einschätzung der ‚Direction économique‘ wurde die Autorität des Bey als „rigoureusement nulle, pour ne pas dire négative“ bezeichnet. MAE, DÉ, Wormser, 18: 11.10.[1954/1955], Note pour le Cabinet, P. 28. Am 25. Juli 1957 wurde die Monarchie in Tunesien offiziell abgeschafft. 141 MAE, MT, Tunisie (II), 38: 20.01.1956, Note, Situation en Tunisie, S. 3. Diese Überzeugung hatte sich in der französischen Regierung bereits nach der Anerkennung der internen Autonomie durchgesetzt. MAE, MT, Tunisie (I), 569: 27.01.1955, Note de la direction générale pour M. Yrissou, P. 31. 142 DDF, 1955 II: 443: 27.12.1955, Gespräch Seydoux-Bourguiba, S. 995 und DDF, 1956 I: 384, 11.06.1956,Verhandlungen mit Tunesien, S. 951. 143 Frankreich unterstützte die Machthaber in Tunis und Rabat u. a. militärisch gegen Rivalen. MAE, CM, Pineau, 24: 22.02.1956, Sous-Direction de Tunisie, Note pour le Secrétaire d’État, P. 70. DDF, 1957 II: 410, 02.12.1957, Direction générale des Affaires marocaines et tunisiennes, S. 827. Zitat. DDF, 1957 I: 124, 05.11.1957, Bericht des Sondergesandten Basdevant aus Rabat, S. 206f. 144 Einschätzung der Generaldirektion im Außenamt. DDF, 1957 I: 422, 23.05.1957, S. 845f. 145 Zitat: MAE, MT, Maroc (II), 197: 20.01.1956, Note de M. Sauvagnargues, Direction générale, S. 3.

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d’accord sur la base d’intérêt communs“. Wirkungsvoller sei es, bei der Wahrung französischen Einflusses in Nordafrika auf „l’amitié des peuples“ statt auf Macht zu setzen146. Beamte aus dem Außenministerium regten eine funktionalistische Zusammenarbeit in jenen Bereichen an, in denen ein reziprokes Interesse vorhanden sei. Daraus könne gegenseitiges Vertrauen erwachsen, das die Basis für eine spätere Institutionalisierung der Kooperation bilde147. Außenminister Pineau setzte insbesondere auf die praktische Unterstützung im administrativen und wirtschaftlichen Bereich. Sie nütze den jungen Staaten und gewähre Frankreich zugleich die Aufrechterhaltung von Einfluss auf die dortige Politik148. Voraussetzung für den Erfolg dieser pragmatischen Ansätze war es, auf die politische Instrumentalisierung der ‚Assistance technique‘ zu verzichten, da eine Aussetzung der Unterstützung stets auch französische Interessen bedrohte. Gleiches gab eine Note aus dem Umfeld von Staatssekretär Savary in Bezug auf die ‚Convention financière‘ zu bedenken. Diese könnten nicht parallel Instrument für die langfristige Sicherung von Einfluss und Druckmittel zur Durchsetzung kurzfristiger Interessen sein. Bei den Finanzhilfen handle es sich nicht um „un placement rentable selon les critères capitalistes“, sondern um Investitionen in vertrauensvolle Beziehungen. Es gehe darum, „sans arrière-pensées, à jouer un rôle essentiel dans le développement économique et social du pays considéré“149. Die Annahme, konstruktive Entwicklungshilfe könne nur karitativer, selbstloser Art sein, hält indessen einer wirtschaftswissenschaftlichen Prüfung nicht stand. Ein beidseitiger Nutzen erhöht durchaus die Effizienz von Investitionen und die Bereitschaft von Geberländern und Privatwirtschaft, sich in Entwicklungsländern zu engagieren150.

146 Pierre Cot (RS), in: JOAN, 31.05.1956, S. 2164. 147 MAE, CM, Pineau, 27: 18.02.1956, Sous-Direction du Maroc, Note pour le Ministre, Cadre général de la négociation franco-marocaine. 148 MAE, CM, Pineau, 5: MAE à Monsieur le Secrétaire d’État aux Affaires économiques, Assistance Technique Bilatérale, P. 112. 149 Das Dokument ist eine Art Strategiepapier, in dem Konzepte für die Neugestaltung der Beziehungen Frankreichs zu den ehemaligen Protektoraten erörtert werden. Es wendet sich gegen die Haltung der Rechten, „la domination ou l’abandon“. CHSP, Fonds Savary, 42: 29.08.1956, OC/CLM N, S. 2; 5f. 150 Alfred Grosser (Interview) kritisiert in Bezug auf die französischen Investitionen in den ehemaligen Kolonien Afrikas, dass diese zwar für die dort herrschenden Eliten, französische Unternehmen und den französischen Staat profitabel seien, den vor Ort lebenden Menschen jedoch kaum nützten. Diese Beobachtung widerspricht nicht dem Prinzip der ökonomischen Entwicklungshilfe. Sie versteht sich als Appel zu mehr Transparenz, demokratischer Kontrolle und zum Abbau von Korruption. Aus den Entwicklungsländern melden sich gegenwärtig zunehmend Stimmen zu Wort, die sich gegen die klassische Form der Entwicklungshilfe und jährliche Transferzahlungen des Westens aussprechen und stattdessen eine ökonomische Kooperation auf Augenhöhe sowie Chancengleichheit auf dem Weltmarkt einfordern. Als prominenter Vertreter dieses Ansatzes ist der kenianische Ökonom James Shikwati zu nennen. Siehe Shikwati, James: Fehlentwicklungshilfe, in: Internationale Politik, 61, 4 (2006), S. 6–15 und „Wer Afrika helfen will, darf kein Geld geben“, Interview in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, (04.04.2007), S. 13. Zur Thematik siehe auch die jüngste Publikation: Faust, Jörg/ Michaelowa, Katharina (Hg.): Politische Ökonomie der Entwicklungszusammenarbeit (Ent-

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Vornehmlich Funktionäre des Außenamts rieten dazu, „de ne pas confondre la politique de présence française […] avec les conditions favorables à l’établissement d’une solide influence française“. Sie forderten eine Abwägung der Vorund Nachteile, die sich aus den unterschiedlichen Formen der französischen Anwesenheit ergäben151. Die Idee einer Rationalisierung der Präsenz in Nordafrika fand in der französischen Administration einigen Zuspruch. „Nous surestimons la valeur de certains aspects de la présence française“, meinte Frankreichs Botschafter in Tunesien152. „En Tunisie et au Maroc, nous conservons des troupes nombreuses grâce auxquelles nous prétendons maintenir ces pays dans le respect des Conventions“. Tatsächlich, so Generalstabschef Ély, sei diese weitverbreitete Ansicht „une fiction“. Die französische Truppenpräsenz wirke sich eher nachteilig für Frankreich aus153. Auch andere zeigten sich überzeugt, dass es mehr Vorzüge habe, dem Wunsch beider Länder nach Abzug der französischen Armee nachzukommen154. Eine Empfehlung des Außenministeriums teilte die Überzeugung, dass weniger manchmal mehr sein könne. „Notre influence peut être grande grâce aux investissements, mais à condition de l’exercer dans un climat de coopération, sans doute faut il qu’on sache que c’est la France qui paie, mais il ne faut pas le claironner abusivement, ni vouloir à tout prix planter partout le drapeau tricolore, ni faire de toute première pierre ou inauguration une manifestation de prestige national ou personnel“155. Zudem sei es aus psychologischen Gründen sinnvoller, neue Investitionen zu fördern anstatt Kapital aus Protektoratszeiten zu schützen156. Speziell Unternehmen, die eng mit den kolonialen Strukturen vernetzt gewesen

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wicklungstheorie und Entwicklungspolitik 13), Nomos, Baden Baden, 2013. Ebenfalls zur Thematik verfasste Petermann 2011 eine Dissertation und zeigte auf, dass eine marktwirtschaftliche Gestaltung von Entwicklungshilfe auch für die Geberländer von Vorteil sein kann und dadurch insgesamt deren Effizienz gesteigert wird. Petermann, Jan-Hendrik: Between Export Promotion and Poverty Reduction. The Foreign Economic Policy of Untying Official Development Assistance, Diss., Hamburg, 2012. Vertiefend zu Formen und Hintergründen der Entwicklungszusammenarbeit im Zeitverlauf und zu aktuellen wissenschaftlichen und praktischen Tendenzen siehe: Öhlschläger, Rainer/Sangmeister, Hartmut (Hg.): Neue Formen und Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit, (= Weltwirtschaft und internationale Zusammenarbeit 11), Nomos, Baden Baden, 2012. MAE, CM, Pineau, 27: Esquisse d’une politique française au Maroc, S. 3f. MAE, MT, Tunisie (II), 38: 24.09.1956, No. 4629, Roger Seydoux, S. 12. MDN, 1 R 20: 19.02.1957, Le général d’armée Ély, État-major, à MDN, S. 2. Auch der Hohe Kommissar Roger Seydoux bezweifelte den Sinn der Truppenpräsenz in Tunesien. Von den Menschen vor Ort werde sie als Einschränkung der Souveränität wahrgenommen und führe daher unweigerlich zu Spannungen. DDF, 1956 II: 56, 20.07.1956, Seydoux an Pineau, S. 124. Seydoux ist als eine der wenigen Stimmen anzuführen, die sich stets für eine kooperative Politik der Deeskalation in Nordafrika starkmachten. Er zeigte sich enttäuscht, dass seine Bemühungen immer wieder durch unbedachte Aktionen des Militärs zunichte gemacht würden. DDF, 1956 II: 62, 21.07.1956, Seydoux an Pineau, S. 135. DDF, 1958 I: 342, 20.05.1958, Parodi à MAE, S. 635. MAE, MT, Tunisie (I), 568: La procédure des investissements, P. 231. MAE, CM, Pineau, 27: Esquisse d’une politique française au Maroc, S. 21.

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IV. Der Preis des Krieges

waren, sollten nach Frankreich zurückgeführt werden. Verweilen sollten hingegen Firmen, die aufgrund ihrer hohen Interdependenz mit der einheimischen Bevölkerung oder ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutsamkeit für Marokko und Tunesien eine profranzösische Stimmung erzeugen konnten157. Durch diesen Schritt könne die französische Omnipräsenz in den nordafrikanischen Volkswirtschaften verringert und der Drang der Regierungen in Rabat und Tunis, sich vom kolonialen Erbe zu lösen, gebremst werden158. Die Neigung von Politik und Öffentlichkeit, jeden Verstoß der jungen Staaten gegen die bilateralen Konventionen medienwirksam auszuschlachten und vehement auf den Rechten Frankreichs als ehemaligem Protektor zu beharren, sei in diesem Zusammenhang kontraproduktiv159.

Hilfe von Drittstatten Marokko und Tunesien bemühten sich auch bei anderen Ländern um finanzielle und technische Hilfe160. Bereitschaft zu Engagement in größerem Umfang war jedoch nicht erkennbar. Gegenüber westlichen Staaten, insbesondere den USA, drängte Frankreich nachweislich auf Zurückhaltung161. Gleichwohl war nicht davon auszugehen, dass dadurch eine potentielle große Hilfsbereitschaft ausgebremst wurde. „Le contribuable américain n’est pas disposé à augmenter les crédits d’aide à l’Afrique du Nord“, schätzte der deutsch-amerikanischer Wirtschaft-

157 MAE, MT, Maroc (II), 389: 30.01.1957, Note sur la situation des entreprises industrielles françaises au Maroc, S. 11. 158 MAE, AL, Maroc, 18: 24.04.1958, Note, Reise von M. Laloy nach Marokko, P. 119. MAE, CM, Pineau, 27: Esquisse d’une politique française au Maroc, S. 21f. 159 DDF, 1957 I: 439, Mai 1957, Note de M. Tron, Président de la BNCI, S. 871–874. Tron kritisierte beispielsweise, dass die französische Regierung und Medien häufig Vorwürfe gegen angebliches Fehlverhalten der tunesischen und der marokkanischen Regierungen erhöben. Er hatte diverse hohe Verwaltungsposten inne. U.a. leitete er die ‚Direction du Trésor‘ und die ‚Banque nationale du Crédit‘. 160 Paris war über diese Bemühungen stets gut informiert. Über Quellen in der Schweiz verfügte man über vertrauliche Informationen, die die Absicht Tunesiens und Marokkos belegten, sich vom Monopol Frankreichs zu lösen und bei der Finanzierung der eigenen Investitionsprogramme verstärkt auf andere Staaten zu setzen. DDF, 1956 II: 230, 01.10.1956, Ambassadeur Dennery, Bern, au MAE Pineau, S. 484. Die Informationen stammten vom französischen Finanzattaché und wurden als „absolument sûres“ bezeichnet. Hilfsanfragen wurden häufig an die USA gerichtet. DDF, 1955 I: 253, 05.05.1955, Note de la Direction générale, S. 586 und DDF, 1957 I: 389, 13.05.1957, Gilet an Faure, S. 777. 161 Frankreich war nicht grundsätzlich gegen ausländische Hilfe für Marokko und Tunesien, erwartete von seinen Verbündeten gleichwohl vorherige Konsultation. DDF, 1956 I: 376, 08.06.1956, Note, Politique des États-Unis au Maroc et en Tunisie, S. 914. Paris wusste beispielsweise um die Pläne der US-Regierung. Frankreichs Botschafter in Rabat, Roger Lalouette, berichtete detailliert über die Mission der ‚International Cooperation Administration‘, die mögliche Hilfen für Marokko evaluieren sollte. DDF, 1956 III: 288, 12.12.1956, S. 528f.

2. (Politische) Opportunitätskosten in Marokko und Tunesien

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sprofessor Karl Brandt aus Stanford162. Eine amerikanische Lokalzeitung aus dem marokkanischen Tanger hielt es für „hautement improbable que les États-Unis s’engagent dans des transactions financières avec un pays d’Afrique du Nord si ce n’est en complet accord avec la France“163. Auch eine französische Quelle rechnete nicht damit, dass die Vereinigten Staaten auf absehbare Zeit eine wichtige Rolle in Nordafrika zu spielen gedachten164. Solche Einschätzungen widersprachen der weit verbreiteten Ansicht, die USA versuchten Frankreich ökonomisch aus Nordafrika zu verdrängen165. Der Kapitalbedarf Marokkos und Tunesiens entsprach in etwa der summierten Entwicklungshilfe, die Amerika für den gesamten Mittleren Osten aufbrachte166. Alleine zum Ausgleich der Zahlungsbilanz benötigten die ehemaligen Protektorate umgerechnet 275 Millionen US-Dollar an Kapitalzufluss, was umgerechnet 96 Milliarden Francs entsprach. Finanzhilfen in dieser Größenordnung erhielten lediglich Indochina mit 464 und Südkorea mit 236 Millionen US-Dollar. Diese Sonderfälle waren jedoch in unmittelbarem Zusammenhang mit der militärischen Situation vor

162 OURS, AGM 91: Une solution pour l’Algérie, Karl Brandt, in: Fortune, (Februar 1958), S. 5. 163 MAE, MT, Maroc (II), 379: 10.11.1956, Boisseson au MAE, Article dans ‚Tangier Gazette‘, S. 1. 164 Famchon: Le Maroc, S. 474. 165 Im Gespräch mit einem amerikanischen Diplomaten bat Alain Savary um finanzielle Zurückhaltung, um dem Eindruck der französischen Öffentlichkeit entgegenzuwirken, die USA versuche Frankreich aus Nordafrika zu verdrängen. DDF, 1956 II: 67, 21.07.1956, Savary über Gespräch mit Dillon, S. 142. Diese Vermutung kam nicht zuletzt deshalb auf, weil einige amerikanische Organisationen die nordafrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen unterstützten. Von einem solchen Engagement berichteten französische Quellen mehrfach. Genannt wurden u. a. die ‚American Federation of Labor‘, ‚American Friends of the Middle East‘ und der ‚Congress of Industrial Organizations‘. MAE, MT, Maroc (I), 161: Noten vom 30.03.1954 und 04.02.1955. Lacroix-Riz schreibt in diesem Zusammenhang, „le Maghreb occupait […] une place de choix dans un des objectifs stratégiques recherchés par le Plan Marshall“. Washington sei es um „l’obtention des matières primaires“ gegangen. Lacroix-Riz, Annie: Les protectorats d’Afrique du nord. Entre la France et Washington, du débarquement à l’indépendance, Maroc et Tunisie 1942–1956, L’Harmattan, Paris, 1988, S. 51; 57. Der Einschätzung Lacroix-Riz’ widersprach zuletzt El Mechat: „les États-Unis restent attentifs à ne jamais remettre en cause […] leurs relations avec la France“. El Mechat, Samia: Les États-Unis et la question coloniale en Afrique du Nord 1945–1962, in: Outre-Mers. Revue d’Histoire, 95 (2008), S. 249–266, hier S. 251. 166 Nach Informationen des französischen Außenministeriums belief sich die Summe auf 477 Millionen US-Dollar (166,5 Milliarden Francs). MAE, CM, Pineau, 28: 14.02.1956, Direction générale des Affaires économiques et financières, Note, Charges de l’économie marocaine, S. 6f. Die vorliegende Arbeit bezieht sich auf den offiziellen Wechselkurs von 349 Francs pro US-Dollar aus dem Jahr 1949, der bis 1958 gültig war. MAE, DÉ, Dir. Wormser, 77: P. 1. Im Jahr der Unabhängigkeit erhielten Marokko und Tunesien zusammen 150 Milliarden Francs an Finanzhilfen von Frankreich. Levi: L’evolution des relations économiques, S. 423.

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IV. Der Preis des Krieges

Ort zu sehen. Ägypten beispielsweise erhielt lediglich 43 Millionen US-Dollar und Israel hatte sich mit 41,1 Millionen US-Dollar zu begnügen167. Auch Länder, die sich dem französischen Einfluss gänzlich entzogen und die Protektorate bei ihrem Streben nach Unabhängigkeit politisch unterstützten, konnten oder wollten in finanzieller Hinsicht keinen nennenswerten Beitrag leisten. In den Jahren nach 1956 weiteten die USA ihre Hilfen für Marokko und Tunesien deutlich aus, ohne Frankreichs Rolle als zentralen Geldgeber der Region infrage zu stellen168. Der mitunter geäußerte Vorwurf, Paris habe mit der Interdependenzpolitik und den Finanzhilfen ausschließlich versucht, imperiale Interessen zu Lasten der ehemaligen Protektorate zu bewahren, erweist sich somit als nicht überzeugend169. Die jungen Staaten waren auf externes Kapital und technische Unterstützung angewiesen und Frankreich schien als einziges Land gewillt zu sein, die entsprechenden Ressourcen zu liefern170. Dass die französische Regierung die Gewährung der Finanzhilfen, die sich in den Jahren 1955 und 1956 auf jeweils etwa 150 Milliarden Francs summierten, an Bedingungen knüpfte und mit nationalen Interessen verband, entsprach der gängigen Praxis171.

2.2 Der Einfluss des Algerienkriegs Zunächst schien sich die Kooperationspolitik durchaus positiv zu entwickeln172. Wenige Monate nach der Unabhängigkeit häuften sich jedoch bereits die Anzei-

167 MAE, CM, Pineau, 28: 14.02.1956, Direction générale des Affaires économiques et financières, Note, Charges de l’économie marocaine, S. 7. 168 Nach Alexander zahlten die USA von 1956 bis 1961 etwa 240 Millionen US-Dollar Finanzhilfe an Tunesien und finanzierten damit 47 Prozent der tunesischen Bruttoinvestitionen. Alexander: Stability and Reform, S. 70. Dieser hohe Wert wird durch die Tatsache relativiert, dass Frankreich nicht nur im Bereich der Investitionen Unterstützung leistete. Auch im Bereich der tunesischen Armee, beim Ausgleich der Zahlungsbilanz und der laufenden Kosten trug Frankreich finanzielle Lasten für Tunesien. 169 Etwa bei: Belal, Abdelaziz: Quelques aspects nouveaux de la domination impérialiste, in: L’impérialisme. Colloque d’Alger 21–24 mars 1969, hg. v. Université d’Alger, Alger, 1970, S. 169–178, hier S. 178. Weniger ideologisch, dennoch mit einigen Schwächen: El Mellouki Riffi, Bouhout: La politique française de coopération avec les États du Maghreb, PubliSud, Paris/Casablanca, 1989. El Mellouki versäumt etwa, unterschiedliche Tendenzen innerhalb der französischen Regierung zu berücksichtigen. Seine häufigen Verweise auf den „Kolonialismus“ als einziges politisches Handlungsmotiv wirken stereotyp, zumal weder entsprechende Belege angeführt noch Alternativen erörtert werden. 170 Auf diesen Umstand verwies: Flory, Maurice: Coopération et dépendance au Maghreb, in: Indépendance et Interdépendances au Maghreb, hg. v. Ruf, Werner K./Nancy, Michel/Sanson, Henri/Flory, Maurice, C.N.R.S., Paris, 1974, S. 59–76. 171 Zur Höhe der Finanzhilfen: DDF, 1956 I: 376: 08.06.1956, Note, Politique des États-Unis au Maroc et en Tunisie, S. 914; Levi: L’évolution des relations économiques, S. 423. 172 Seydoux berichtete im Sommer 1956, die franko-tunesischen Beziehungen seien auf gutem Wege. DDF, 1956 I: 365, 05.06.1956, Seydoux, über Stand der diplomatischen Beziehungen, S. 889f.

2. (Politische) Opportunitätskosten in Marokko und Tunesien

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chen für Verstimmungen. „La coopération franco-tunisienne demeurera précaire aussi longtemps que le territoire algérien sera le théâtre de troubles profondément ressentis en Tunisie“, sagte ‚Le Monde‘ im Sommer 1956 voraus173. „L’amitié franco-marocaine est menacée avant tout de l’affaire d’Algérie“, berichtete zustimmend ein französischer Funktionär nach einer Sondierungsreise durch Marokko174. Der Algerienkrieg schwebte wie ein Damoklesschwert über der Interdependenzpolitik. Mehrfach schlug es heftig in Nordafrika nieder, trieb tiefe Kerben in die Vertrauensbasis und erschwerte die ohnehin schwierige Ausgangslage zusätzlich. Wichtige Akteure der französischen Außenpolitik unterschätzten den Einfluss der Algerienfrage auf die öffentliche Meinung im Maghreb. Angesichts der „bienfaits que les autochtones ont retirés de notre colonisation“ nahmen sie „la fidélité extraordinaire de la quasi-totalité des 20 millions de Musulmans“ als gegeben und unumstößlich an175. Mit dem Ende der französischen Souveränität war das Thema Unabhängigkeit für Marokko und Tunesien indes nicht erledigt. In beiden Ländern lebte eine große Gemeinde Algerier, die die Forderungen des FLN mehrheitlich unterstützte176. Zahlreiche Tunesier und Marokkaner solidarisierten sich mit den algerischen Freiheitskämpfern, leisteten ihnen im Rahmen ihrer Möglichkeiten Unterstützung und forderten von ihren Regierungen, ihrem Beispiel zu folgen. Paris hingegen erwartete von den Führungen in Rabat und Tunis, dass ihre Länder den algerischen Rebellen weder aktive noch passive Hilfe zukommen ließen177. Dem Druck der Massen konnten sich Präsident Bourguiba und König Mohammed V. allerdings nicht dauerhaft entziehen. Unabhängig von der Frage ihrer eigenen Überzeugungen sahen sie sich gezwungen, bei der Interdependenz mit Frankreich Vorsicht walten zu lassen. In Bezug auf Marokko kann bis Oktober 1956 durchaus von einem „divorce entre les intentions de l’administration chérifienne et l’attitude populaire“ die Rede sein178. Der tunesische Führer Habib

173 Le Monde, (27.06.1956): Le problème algérien risque d’altérer le climat des négociations franco-tunisiennes, Georges Chaffard. 174 MAE, AL, Maroc, 18: 24.04.1958, Note, Reise von M. Laloy nach Marokko, P. 118. 175 Erstes Zitat: MDN, 1 H 2595: 14.03.1956, Commandement supérieur des troupes de Tunisie, État-major, Réfutation des contre-arguments de la presse nationaliste, General Baillif. Zweites Zitat: AN, 74 AP 47: La France n’abandonnera pas l’Afrique du Nord, in: La voix du Nord, S. 1; 4. In der Umbruchphase hatte es tatsächlich vermehrt Berichte über eine Frankreich wohlgesinnte Stimmung gegeben. DDF, 1956 I: 139, 03.03.1956, Lalouette an Savary, S. 313. Roger Seydoux hingegen gab seinem Ministerium zu verstehen, dass die Vorstellung, das zivilisatorische Werk Frankreichs schmiede ein unauflösliches Freundschaftsband zwischen Tunesiern und Franzosen, nicht der realen Stimmung in der nordafrikanischen Bevölkerung entspreche. MAE, MT, Tunisie (II), 38: 24.09.1956, No. 4629, Roger Seydoux, S. 12. 176 Eine Note sprach von „appui absolu à la revendication de l’indépendance complète et aux consignes du FLN“. AN, 4 AG 43: 16.10.1956, État d’esprit des Algériens du Maroc. 177 DDF, 1957 II: 410, 02.12.1957, Direction générale des Affaires marocaines et tunisiennes, S. 827. 178 DDF, 1956 III: 300, 17.12.1956, Bericht des Generalkonsuls in Casablanca, S. 545.

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IV. Der Preis des Krieges

Bourguiba hingegen engagierte sich von Anfang an stärker für die Unabhängigkeit Algeriens, versicherte gegenüber französischen Diplomaten zunächst jedoch, dem FLN zumindest keine aktive Hilfe zukommen zu lassen179. In den Monaten nach der Unabhängigkeit versuchten Rabat und Tunis den unmöglichen Spagat zwischen Berücksichtigung der öffentlichen Meinung, dem Wunsch nach Emanzipation vom früheren Protektor und der als notwendig erachteten Kooperation mit Frankreich. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Franczone wurde fortgesetzt und parallel wurden neue Handelsabkommen mit Drittstaaten unterzeichnet180. Öffentlichen Solidaritätsbekundungen und diplomatischer Unterstützung für die algerische Rebellion folgten informelle Beschwichtigungen gegenüber französischen Politikern. Nach und nach weiteten beide Länder, insbesondere jedoch Tunesien, ihre Hilfe für den FLN aus. Daraufhin wuchs der Unmut in der französischen Öffentlichkeit. Immer weniger Franzosen zeigten sich von einer konstruktiven Rolle Präsident Bourguibas und König Mohammeds überzeugt181. Vor diesem Hintergrund stellten französische Abgeordnete die Finanzhilfen für Marokko und Tunesien explizit infrage. In einem Schreiben an die marokkanische Regierung betonte Paris „les difficultés qu’il rencontrerait devant le Parlement“, sollte das Land seine Haltung nicht überdenken182. In der Nationalversammlung wurde die Forderung erhoben, die Hilfen einzustellen, da sich Rabat und Tunis nicht an eingegangene Verpflichtungen hielten. Stattdessen solle das Geld französischen Überseegebieten und rückständigen Regionen der Metropole zugutekommen183. Eine dem Außenamt vorliegende Studie kritisierte „[l’] accroissement de l’aide obtenue grâce à un chantage combiné de la diplomatie et du terrorisme“. Wenn Frankreich die algerischen Départements zu halten gedenke, sei es unerlässlich „de leur conserver notre disponibilité et de marquer que le Ma179 Am 04.01.1957 griff Bourguiba Frankreich in einer Rede scharf an und sicherte den Algeriern Solidarität zu. Auf die folgende Verstimmung in Paris regierte Bourguiba mit der Beschwichtigung, der rhetorischen Solidarität keine aktive Hilfe folgen zu lassen. DDF, 1957 I: 22, 07.01.1957, S. 49. 180 DDF, 1958 II: 397, 07.12.1958, S. 816ff. So drängte etwa Italien offensiv auf die nordafrikanischen Märkte. Vgl. MFE, B 00010788/1: 27.08.1957, André Gabaudan, Conseiller Commercial, an Direction des relations économiques extérieures, S. 4. Die französische Botschaft in Italien sprach in diesem Zusammenhang von einer „pénétration commerciale italienne au Maroc“. Selber Ordner: 13.04.1956, Ambassadeur Jacques Fouques Duparc au MAE, S. 1. 1959 wurde ein tunesisch-italienisches Handelsabkommen unterzeichnet. Vgl. MFE, B 00010788/1: 20.12.1961, Ambassadeur Gaston Palewski au MAE. Heute ist Italien hinter Frankreich Tunesiens zweitwichtigster Handelspartner. Vgl.: https://www.cia.gov/library/ publications/the-world-factbook/geos/ts.html. 181 Im September 1957 zeigten sich nur 15 bzw. 17 Prozent von einer positiven Rolle Bourguibas und des Sultans überzeugt. Sondages, 19, 2 (1957), S. 40. 182 MAE, MT, Maroc (II), 368: 17.09.1956, Note adressée au Président du Conseil Marocain, S. 2. 183 Etwa Édouard Bonnefous (UDSR), in: JOAN, 22.03.1957, S. 1797f. Bonnefous, früherer Transportminister, verfasste später eine Publikation zur französischen Entwicklungshilfe. Bonnefous, Édouard: Les milliards qui s’envolent. L’aide française aux pays sousdéveloppés, Fayard, Paris, 1963.

2. (Politische) Opportunitätskosten in Marokko und Tunesien

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roc et la Tunisie, du fait de leur sécession, se sont privés du bénéfice de l’aide financière“184. Einige Entscheidungsträger versuchten den sich abzeichnenden Spannungen argumentativ entgegenzuwirken und warfen die Frage nach Alternativen zur Fortsetzung der Interdependenzpolitik auf. „Certes, Bourguiba aide la rébellion. Mais en la circonstance il faut que nous soyons sages pour deux car en dehors de la [politique] actuelle, il n’y a que la guerre“, ermahnte Regierungschef Mollet die Falken in seiner Partei185. Roger Seydoux, ‚Haut Commissaire de France en Tunisie‘, warnte vor der Illusion, über die Aussetzung der ‚Convention financière‘ Druck auf die tunesische Führung ausüben zu können. Die zu erwartende Verschlechterung der bereits kritischen ökonomischen Situation würde antifranzösische Ressentiments stärken und die Fronten weiter verhärten. Seydoux erkannte in den Finanzhilfen kein Druckmittel, sondern eine der wenigen Türen, die Frankreich noch offen standen, um in der Region eine konstruktive Rolle einzunehmen186. Auch der Staatssekretär für marokkanische und tunesische Angelegenheiten warnte vor einer Zuspitzung der ökonomischen und sozialen Probleme in Nordafrika. Die Folgen einer Aussetzung der Finanzhilfen seien „beaucoup trop incertaines et pourraient être trop graves“, als dass sie als Option in Betracht gezogen werden dürfe187. Letzten Endes gab die französische Regierung dem Druck von Öffentlichkeit und Hardlinern dennoch nach. Als Reaktion auf unerwünschte Akte wurde die finanzielle Unterstützung für die ehemaligen Protektorate zeitweise gestoppt188. Zunächst schien die Taktik aufzugehen. Marokko und Tunesien bemühten sich vor dem Hintergrund der angespannten ökonomischen Situation intensiv um eine Wiederaufnahme der Finanzhilfen189. Allerdings verfügten auch die vermeintlich schwächeren Verhandlungspartner über Druckmittel gegenüber Paris: Die Führungen in Rabat und Tunis drohten mit Rücktritt und spielten damit auf die Sorge Frankreichs an, radikale Kräfte könnten in Nordafrika an die Macht gelangen und einen explizit antifranzösischen Kurs einschlagen190. Ferner schwächte die franzö-

184 MAE, AL, Algérie, 16: 01.02.1957, La personnalité algérienne ne peut s’affirmer qu’autour d’un chef. 185 Guy Mollet, in: OURS, Comité Directeur, Procès verbaux, 13.03.1957, S. 12. In den französischen Ministerien kursierten Pläne, Marokko und Tunesien notfalls mit militärischen Mitteln zur Beendigung ihrer Unterstützung für den FLN zu zwingen. Médard: Les projets d’interventions militaires en Tunisie et au Maroc. 186 DDF, 1956 II: 56, 20.07.1956, Seydoux an Pineau, S. 124 und MAE, MT, Tunisie (II), 38: 24.09.1956, No. 4629, Roger Seydoux, S. 12. 187 MAE, MT, Maroc (II), 368: 18.08.1956, Secrétaire d’État au MFE, S. 5. 188 Tunesien verstieß beispielsweise gegen Vereinbarungen der Finanz- und Wirtschaftskonvention. Dahinter stand die Absicht, den Außenhandel von der französischen Dominanz zu lösen und international zu diversifizieren. Ebenso sollten die Rahmenbedingungen für ausländische Investitionen verbessert werden. DDF, 1957 I: 459, 14.06.1957, Gorse an Faure, S. 912. 189 DDF, 1957 I: 300, 10.04.1957, Gorse über Gespräch mit Bourguiba, S. 586. 190 DDF, 1956 II: 117, 07.08.1956, Lalouette an Savary, S. 230 und 123, 14.08.1956, S. 237.

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IV. Der Preis des Krieges

sische Regierung die eigene Position durch eine Reihe fragwürdiger Entscheidungen.

‚Ben Bella Affäre‘ Ein erster größerer Bruch in den franko-marokkanischen Beziehungen ereignete sich im Oktober 1956. Eine Gruppe Militärs nutzte die sich bietende Gelegenheit, einer Reihe von FLN-Führern habhaft zu werden, die zuvor zu Gesprächen mit dem marokkanischen König zusammengekommen waren191. Sie beriefen sich auf Haftbefehle, die gegen die französischen Staatsbürger vorlagen. Interne Zusicherungen Frankreichs hatten Mohammed V. freilich glauben lassen, seine Gäste genössen für die Dauer der Reise Immunität. Die Verhaftung der Rebellenführer aus einem königlichen Flugzeug heraus wurde seitens des Monarchen als schwerer Vertrauensbruch gewertet. Da sich die franko-marokkanischen Beziehungen in hohem Maße auf das Prestige und die Autorität des Königs stützten, bedeutete eine Aktion, „[qui] a fait perdre la face au Souverain, non seulement aux yeux des Tunisiens ou des Algériens, mais aussi aux yeux de son peuple“, einen herben Rückschlag für die Interdependenzpolitik192. André Philip, ehemaliger Wirtschaftsminister und Mitglied im Parteivorstand der Sozialisten, erwartete, „que maintenant le Sultan et Bourguiba se trouvent obligés d’avoir une attitude extrémiste“193. In der marokkanischen Bevölkerung entlud sich die Wut über den ehemaligen Protektor in landesweiten Protesten. In Meknès kam es zu einem Massaker an französischen Siedlern194. Viele Franzosen sahen danach für sich keine Zukunft mehr in Marokko195. Bis heute wird darüber spekuliert, welche Instanz in Paris letztlich grünes Licht für die Aktion gab196. Als wahrscheinlich gilt, dass weder der Außenminis-

191 Ahmed Ben Bella war einer der fünf festgenommenen FLN-Aktivisten. Er wurde 1962 erster Präsident des unabhängigen Algeriens. 1965 verlor er sein Amt durch einen Militärputsch. 192 DDF, 1956 III: 05.11.1956, Bericht des Sondergesandten Basdevant, S. 206. 193 André Philip, in: OURS, Comité Directeur, Procès verbaux, 24.10.1956, S. 3f. 194 In einem Dokument des Außenministeriums wurden 45 Opfer aufgeführt. MAE, MT, Maroc 1956–1968, 526: 31.10.1956, Liste Officiel des 45 victimes des tragiques événements de Meknès. Von 63 Toten Europäern sprach: DDF, 1957 I: 422, 23.05.1957, S. 839. Augenzeugen berichteten von Gräueltaten. MAE, MT, Maroc 1956–1968: 526: 26.10.1956, Témoignage de Mlle Vanderkerkhoff. 195 Bis dahin war die Emigration der Siedler mehrheitlich ökonomisch motiviert, da das Ende des Protektorats bestimmten Berufsfeldern die wirtschaftliche Grundlage entzog. Nach dem Vorfall von Meknès gewann der Faktor Sicherheit an Bedeutung. DDF, 1956 III: 181, 14.11.1956, Lalouette an Faure, S. 311. 196 Nach Boisson segneten Staatssekretär Max Lejeune und Minister Robert Lacoste die Aktion vor der Durchführung ab. Boisson, Jean: Ben Bella est arrêté le 22 octobre 1956. Études et recherches historique, Chatillon, Paris, 1978, S. 53–61. Er beruft sich auf die Aussage eines hochrangigen Militärs. Gestützt wird diese These durch das Protokoll einer Kabinettssitzung. Darin bekräftigt Lacoste „l’importance de ces événements dans la poursuite de la pacification

2. (Politische) Opportunitätskosten in Marokko und Tunesien

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ter noch der Ministerpräsident im Vorfeld informiert worden waren197. Eine massive Überschreitung von Kompetenzen lag somit in jedem Fall vor. Dennoch übernahm die französische Regierung im Nachhinein offiziell die Verantwortung198. In der Militärführung konnte deshalb der Eindruck entstehen, in Nordafrika ohne politische Legitimation Entscheidungen von großer Tragweite treffen zu können, ohne Sanktionen befürchten zu müssen199. Die ‚Ben Bella Affäre‘ reihte sich in eine Serie ähnlicher Vorfällen ein, die im Mai 1958 schließlich im Putsch der Armee in Algerien mündeten und damit das Ende der IV. Republik einläuteten200. Der Staatssekretär für marokkanische und tunesische Angelegenheiten, Alain Savary, wollte diese Politik nicht länger mittragen und reichte Ende Oktober 1956 seinen Rücktritt ein201. Mollets Parteifreund Elie Cohen-Hadria schrieb enttäuscht, „que le Président du Conseil français, un ami des mauvais jours, eût ratifié le rapt de Bella, cela le dépassa“202. In einer Kabinettssitzung kündigte der marokkanische König alsbald einen Kurswechsel in der Außenpolitik an. Die Bemühungen, sich vom französischen Einfluss zu lösen, sollten verstärkt und nach Möglichkeiten gesucht werden, sich von der Finanzhilfe Frankreichs unabhängig zu machen203. Dass sich dies als schwieriges Unterfangen erwies, berichtete der französische Botschafter Ende November 1956: „Les dirigeants marocains, pressés par des nécessités économiques et financières, souhaitent très vivement reprendre des rapports normaux

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algérienne“. AN, 4 AG 1–12, Conseil des Ministres: 23.10.1956, Robert Lacoste S. 2. Wall vermutet den französischen Geheimdienst hinter dem Vorfall. Wall: France, the United States, S. 55 Gegenüber der Parteiführung der Sozialisten versicherte Mollet: „si à l’origine j’avais eu à décider, je n’aurais pas pris la décision car je craignais les graves inconvénients de cette opération“. Guy Mollet, in: OURS, Comité Directeur, 01/07/1956 au 21/06/1957, 24.10.1956, S. 4. Pineau gibt in seinen Memoiren an, nicht informiert gewesen zu sein. Pineau, Christian: Suez 1956, Robert Laffont, Paris, 1976, S. 140. Premierminister Mollet (SFIO) sagte vor dem Parlament, die Regierung habe sich nach Abwägung aller Konsequenzen für die Verhaftung entschieden in Erwartung einer beschleunigten Befriedung Algeriens. JOAN, 23.10.1956, S. 4288. Diplomaten aus Nordafrika bezweifelten den militärischen Nutzen und fürchteten zusätzliche Sympathien für die Rebellion. DDF, 1956 III: 35, 27.10.1956, Cornut-Gentille an Pineau, S. 54. Für Bourdrel war die ‚Ben Bella Affäre‘ „un signe flagrant du peu d’autorité dont il dispose et de l’effondrement d’un régime où des subalternes peuvent prendre le risque d’une décision aussi lourde en sachant ou en prévoyant qu’ils ne s’exposent pas à celui d’un désaveu“. Bourdrel, Philippe: La dernière chance de l’Algérie française. Du gouvernement socialiste au retour de De Gaulle, 1956–1958, Albin Michel, Paris, 1996, S. 82. Als weitere Aktionen des Militärs im Sinne eines Veto-Spielers in der Nordafrikapolitik sind die Absetzung des marokkanischen Sultans 1953 sowie die Bombardierung des tunesischen Dorfes Sakiet 1958 zu nennen. Darüber hinaus ereignete sich eine Vielzahl kleinerer Zwischenfälle. D’Abzac-Epzedy bezeichnet die Armee in Algerien als „un État dans l’État“. D’Abzac-Epzedy, Claude: La Société Militaire. De l’ingérence à l’ignorance, in: La guerre d’Algérie et les Français, hg. v. Rioux, S. 245–256, hier S. 248. AN, 4 AG 1–12, Conseil des Ministres: 23.10.1956, S. 3. CHSP, Fonds Savary, 58: 11.03.1958, Après Sakiet-Sidi-Youssef, Elie Cohen-Hadria, S. 5. DDF, 1956 III: 17, 26.10.1056, Lalouette, Sitzung der marokkanischen Regierung, S. 29.

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IV. Der Preis des Krieges

avec la France“204. Am 29.12.1956 schließlich wurde die ‚Convention financière für das Jahr 1956 unterzeichnet205. Die Einigung bedeutete indes keine Normalisierung der franko-marokkanischen Beziehungen. Sie beruhte in erster Linie auf der akuten Sorge der Regierungen in Rabat und Paris, eine weitere Verschlechterung der ökonomischen Situation in Marokko könnte die dortige aufgeheizte Stimmung zum Überkochen bringen. Am Streben der marokkanischen Führung, die wirtschaftliche und finanzielle Emanzipation von Frankreich zu forcieren, änderte die Konvention nichts. Im Verlauf des Jahres 1957 nahmen die Spannungen weiter zu. Die sich im Aufbau befindenden marokkanischen Streitkräfte konnten oder wollten nicht verhindern, dass immer wieder Waffen über ihr Territorium in Richtung Algerien geschleust wurden und umgekehrt algerische Kämpfer über die Grenze nach Marokko flüchteten. Die französische Armee wiederum drang nach Gefechten mit algerischen Rebellen mehrfach auf marokkanisches Hoheitsgebiet vor, um die Verfolgung aufzunehmen206. Mit wachsenden antifranzösischen Ressentiments in der marokkanischen Bevölkerung geriet König Mohammed V. unter Druck und versuchte seine Autorität durch Unnachgiebigkeit gegenüber der früheren Kolonialmacht zu festigen207. Letztlich musste Paris feststellen, „que le Gouvernement marocain n’est pas pressé de recevoir l’aide financière de la France“208. Anfang 1958 stand die Unterzeichnung der Konvention für das zurückliegende Jahr noch immer aus209. Auch auf den Algerienkonflikt wirkte sich die ‚Ben Bella Affäre‘ unmittelbar aus. Guy Mollet und sein Außenminister Christian Pineau hatten in den vorangegangenen Monaten geheime Kontakte zum Führungszirkel der algerischen Rebellen aufgebaut, um Möglichkeiten einer Verhandlungslösung auszuloten. Wie realistisch eine Einigung war, ist schwer abzuschätzen, da die Kompromissbereitschaft sowohl innerhalb der französischen Regierung als auch innerhalb der algerischen Unabhängigkeitsbewegung stark variierte. Bourguiba, dem gute Kontakte

204 DDF, 1956 III: 206, 20.11.1956, Lalouette, Gespräch mit marokkanischer Führung, S. 358. 205 MAE, MT, Tunisie (II), 39: 23.05.1957, Politique française au Maroc et en Tunisie, S. 15. 206 Der französische Botschafter in Marokko, Parodi, mahnte mehrfach, auf das Verfolgungsrecht und Luftangriffe zu verzichten, um die franko-marokkanischen Beziehungen vor weiterem Schaden zu bewahren. Darüber hinaus schlug er eine entmilitarisierte Zone im Grenzgebiet vor. DDF, 1957 I: 222, 24.09.1957, Parodi an Ministerium, S. 457; DDF, 1957 II: 322, 11.11.1957, Parodi an Ministerium, S. 651f. Saharaminister Lejeune lehnte dies mit Verweis auf militärische Notwendigkeiten ab. Zudem dürfe nicht der Eindruck entstehen, Paris erlaube Marokko, sich in innere Angelegenheiten Frankreichs einzumischen. DDF, 1958 I: 167, 07.03.1958, Lejeune an Pineau, S. 282. 207 Zu dieser Einschätzung gelangte die französische Botschaft in Rabat. DDF, 1957 II: 280, 22.10.1957 Affaires marocaines et tunisiennes, Relation France Maroc, S. 571. Ähnlich äußerte sich die Botschaft bereits ein Jahr zuvor. DDF, 1956 III: 9, 25.10.1956, Lalouette an Savary. 208 MAE, MT, Maroc (II), 371: 20.02.1958, Convention d’aide financière, S. 2. 209 MAE, MT, Maroc (II), 386: 26.02.1958, Ambassade à la Direction générale, Note sur l’aide financière au Maroc.

2. (Politische) Opportunitätskosten in Marokko und Tunesien

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zum FLN nachgesagt wurden, meinte gegenüber der französischen Botschaft, die Rebellen seien bis zur ‚Ben Bella Affäre‘ zu weitgehenden Zugeständnissen bereit gewesen210. Dem ist entgegenzuhalten, dass der FLN auch zuvor an der Maximalforderung festgehalten hatte: Anerkennung der Unabhängigkeit vor Verhandlungsbeginn211. Andere sahen durch die Aktion die Option zerstört, den Algerienkonflikt durch eine Maghreb-Union zu lösen212. Sie wäre allerdings schon deshalb wenig aussichtsreich gewesen, weil das gegenseitige Misstrauen der Führungen in den drei Ländern Nordafrikas, die Unterschiedlichkeit ihrer politischen Vorstellungen und zahlreiche Interessenkonflikte, wie etwa im Bereich der Grenzziehung, nicht zugunsten einer solchen Option sprachen213. In jedem Fall verloren diplomatische Lösungsmodelle mit der Verhaftung der FLN-Mitglieder für mehrere Jahre ihre Relevanz. Die Fronten verhärteten sich: ‚L’Algérie française‘ oder ‚l’Algérie algérienne‘, ein Kompromiss war in weite Ferne gerückt214.

210 DDF, 1956 III: 72, 31.10.1956, Seydoux an Faure, S. 118. 211 Moderate Kräfte wie Ferhat Abbas, die offen für Kompromisse in der Algerienfrage eintraten, verloren im FLN zunehmend an Einfluss. Dieses Eingeständnis machte Abbas gegenüber Bourguiba. DDF, 1957 II: 191, 13.09.1957, Ambassadeur Gorse, Tunis, à Secrétaire d’État Clapadère, S. 396. Die französische Verhandlungsdelegation bei den geheimen Gesprächen mit dem FLN berichtete von „l’intransigeance du FLN“. AN, Papiers Christian Pineau, 580 AP 15: 10.01.1958, Note, Contacts avec le FLN, S. 4. In einem abgefangenen Telegramm forderten FLN-Führer um Mohammed Khider „une armée de Libération du Maghreb, appuyée sur une base de fanatisme, réfuter tout accord antérieur ou convention incompatible avec l’indépendance totale“. ANOM, FM 81F 14: Traduction analytique d’un télégramme par la délégation algérienne (Mohammed Khider) du Comité de Libération du Maghreb arabe à El Yazidi, Secrétaire de l’Istiqlal Marocain. 212 Mélandri, Pierre/Vaïsse, Maurice: La „boîte à chagrin“, in: La guerre d’Algérie et les Français, hg. v. Rioux, S. 369–381, hier S. 372. 213 Nach Einschätzung der französischen Botschaft gab es in Tunesien nur wenige Unterstützer für die Idee einer Maghreb-Union. DDF, 1956 II: 213, 24.09.1056, Seydoux à Savary, S. 452. Häufiger wurde über das gegenseitige Misstrauen zwischen Bourguiba und dem Sultan berichtet. Beide Seiten sagten einander hegemoniale Bestrebungen nach. DDF, 1957 I: 104, 14.08.1956, S. 206f. Der eher westlichen Ausrichtung Marokkos und Tunesiens standen blockfreie und kommunistische Ideen des FLN gegenüber. Anders äußerte sich ein französischer Funktionär aus Rabat. So seien sowohl Bourguiba als auch Mohammed V. unter Umständen bereit, einer franko-maghrebinischen Konföderation beizutreten, sofern der Algerienkonflikt gelöst würde und die nationale Souveränität gewährleistet bliebe. Über einen Senator wurde diese Einschätzung an den Präsidenten Frankreichs weitergeleitet. AN, 4 AG 43: Note, Nouvelles structures à donner à l’Union française (Pays indépendants et Afrique Noire). 214 Nach Einschätzung von Mendès-France hatte darin das Ziel der Aktion gelegen. Algerienminister Lacoste und Verteidigungsminister Bourgès-Maunoury hätten die von Mollet und Pineau initiierten Verhandlungen mit dem FLN torpedieren wollen. OURS, Fonds Mollet, AGM 135: 26.10.1956, Mendès-France. Ähnlich: Wall: France, the United States, S. 55. Er beruft sich auf Savary, der diese These gegenüber den USA bestätigt haben soll. Pineau bestätigte rückblickend, dass die ‚Ben Bella Affäre‘ einer friedlichen Lösung des Algerienkonflikts die Grundlage geraubt habe. Pineau: Suez 1956, S. 139.

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IV. Der Preis des Krieges

Sakiet Im Verlauf des Jahres 1956 ließ das Drängen der tunesischen Regierung, in den Verhandlungen über die ‚Convention financière‘ zu einer Einigung zu gelangen, trotz der angespannten Wirtschaftslage deutlich nach. Grenzüberscheitende Einsätze der französischen Armee führten ebenso regelmäßig zu Spannungen wie die zunehmend aktive Unterstützung des FLN durch Tunesien215. Paris musste erkennen, dass die Finanzhilfen auf Dauer die zugedachte Funktion als politisches Druckmittel nicht erfüllten. Nicht mit steigender, sondern mit sinkender Kooperationsbereitschaft seitens der tunesischen Führung sah sich Botschafter Gorse konfrontiert216. Die Unterzeichnung der finanziellen Konvention am 20. April 1957 entspannte die Situation nur kurzfristig. Paris knüpfte die Auszahlung der in Aussicht gestellten Gelder an „l’attitude du Gouvernement tunisien à l’égard du problème algérien“. Man erwartete „le respect de la neutralité“217. Die bald folgende Aussetzung der Finanzhilfen kam wenig überraschend. Obgleich nicht direkt betroffen, hatte die tunesische Regierung in Reaktion auf die ‚Ben Bella Affäre‘ angekündigt, sich nun nicht länger unter Druck setzen zu lassen. Für sie stellte diese Aktion die Bereitschaft Frankreichs zu kooperativer Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit den ehemaligen Protektoraten infrage. Die tunesische Unterstützung für den FLN nahm weiter zu218. Im tunesisch-algerischen Grenzgebiet kam es 1957 zu einer Reihe von Zwischenfällen219. Die beidseitige Kooperationsbereitschaft schwand angesichts der Zuspitzung des Konflikts. Selbst

215 Das Gespräch des französischen Botschafters mit dem tunesischen Präsidenten kann als typisch für die Zeit nach der Unabhängigkeit gelten. Während Gorse Bourguiba vorhielt, nicht gegen den Waffenschmuggel des FLN in seinem Land vorzugehen, beschwerte sich der tunesische Führer über Grenzverletzungen durch französisches Militär. DDF, 1957 I: 09.05.1957. Gorse an Faure, S. 753. Die Formen der tunesischen Unterstützung waren vielfältig. Waffenschmuggel wurde toleriert, algerischen Rebellen Rückzugsgebiete auf tunesischem Territorium eingeräumt und das Anliegen des FLN diplomatisch auf internationaler Ebene unterstützt. MDN, 1 H 2595, D1 Aide de la Tunisie à la rébellion algérienne. Teilweise waren es auch vermeintlich kleine Gesten. So wurden beispielsweise Flüchtlinge aus Algerien in Tunesien nicht gemäß der offiziellen Bezeichnung als „Français musulman d’Algérie“ bezeichnet, sondern als „Algériens“. MAE, CM, Pineau, 24: 15.07.1957, MDN au MAE, Efforts du Gouvernement Tunisien pour créer un problème des réfugies algériens en Tunisie, P. 197. Zu den grenzüberschreitenden Einsätzen der französischen Armee: DDF, 1957 I: 117, 08.02.1957, S. 210f. Kurz vor der Eskalation in Sakiet ermahnte das Außenamt das Verteidigungsministerium, Zwischenfälle unter allen Umständen zu vermeiden. MDN, 1 R 362: 29.01.1958, MAE an MDN, S. 1. Weiterführend zu den franko-tunesischen Spannungen siehe: Valette, Jacques: 1956. Le FLN porte la guerre d’Algérie en Tunisie, in: Guerres Mondiales et Conflits Contemporains, 224 (1996), S. 65–79. 216 DDF, 1957 I: 300, 10.04.1957, Gorse an Faure über Gespräch mit Bourguiba, S. 586. 217 MAE, MT, Tunisie (II), 39: 23.05.1957, Politique française au Maroc et en Tunisie, S. 7. 218 DDF, 1956 III: 18, 26. Oktober; Gespräch Diplomat Gillet mit Premierminister Tunesiens, S. 30ff. und CHSP, Fonds Savary, 58: 11.03.1958, Après Sakiet-Sidi-Youssef, Elie CohenHadria, S. 5. 219 MDN, 1 R 362: 15.01.1958, Fiche des incidents à la frontière algéro-tunisienne.

2. (Politische) Opportunitätskosten in Marokko und Tunesien

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wenn ein entsprechender Wille seitens Bourguiba vorhanden gewesen wäre, finanzielle Hilfe des früheren Protektors zur Überwindung der ökonomischen Schwierigkeiten seines Landes anzunehmen, verbot die aufgeheizte Stimmung in der tunesischen Bevölkerung die notwendigen Zugeständnisse an Frankreich. Die Bombardierung des tunesischen Dorfes Sakiet-Sidi-Youssef als Reaktion auf den Beschuss eines französischen Militärflugzeugs durch algerische Rebellen markierte den blutigen Höhepunkt einer monatelangen Eskalation220. In dem Ort, den der FLN als Operationsbasis nutzte, kamen zahlreiche Zivilisten ums Leben oder wurden verletzt221. Im internen Streit über die Verantwortung für das Vorgehen argumentierten die Militärbehörden, im Rahmen des Rechts auf Verfolgung feindlicher Kombattanten gehandelt zu haben222. Umfang und Kollateralschäden standen gleichwohl in einem fragwürdigen Verhältnis zum Anlass. Hardliner in der Nationalversammlung sorgten sich nicht um die juristische Frage der Rechtmäßigkeit der Militäraktion. Kritiker wurden als „Verräter“ bezeichnet223. In der französischen Presse wurde vielfach Unterstützung oder zumindest Verständnis für den Angriff geäußert224. Hinter verschlossenen Türen stritt die Regierung in Paris heftig über den militärischen Alleingang, der die franko-tunesischen Beziehungen auf einen Tiefpunkt brachte. Der Sonderbeauftrage in Tunis, Jean-Pierre Bénard, zeigte sich verbittert über den Angriff, der seine monatelangen Bemühungen um Entspannung mit einem Schlag zunichte gemacht habe. „L’agression 220 Die vorangegangenen Vorfälle an der algero-tunesischen Grenze sind in den Quellen des Außen- und Verteidigungsministeriums dokumentiert. Vgl. Etwa: MAE, MT, Tunisie (II), 45: 13.02.1958, Basdevant und MDN, 1 R 266: 17.01.1958, Général de Brigade Balmitgère, l’embuscade de Sakiet. Weiterführend zum Thema: Valette, Jacques: Le bombardement de Sakiet Sidi Youssef en 1958 et la complexité de la guerre d’Algérie, in: Guerres Mondiales et Conflits Contemporains, 233 (2009), S. 37–52. 221 Die französische Seite sprach von 102 Opfern. MDN, 1 R 266: 17.02.1958, Secrétariat permanent de la Défense, Note tunisienne au sujet des expulsions de Français. Das Internationale Rote Kreuz (IRK) war zum Zeitpunkt des Angriffs in der Region tätig und konnte daher die zivilen Opfer bestätigen. Zwei eigene Fahrzeuge wurden getroffen. MAE, MT, Tunisie (II), 45: 25.02.1958, La Croix rouge au MAE, S. 4. Weiterführend: Faivre, Maurice: La CroixRouge pendant la guerre d’Algérie, Lavauzelle, Paris, 2007. 222 Ein hoher Offizier schrieb an den kommandierenden General der Region, Salan: „On peu s’étonner des réactions, tant en Métropole qu’à l’extérieur“. Angesichts der vorausgegangenen Provokationen seitens des FLN und der Untätigkeit Tunesiens sei eine Reaktion unvermeidlich und rechtmäßig gewesen. MDN, 1 R 363: 11.02.1958, Général Loth à général Salan, S. 1f. General Salan sprach gegenüber seinem Minister von „une action de légitime défense“. AN, 580 AP 15: 13.02.1958, Général Salan à Ministre de la Défense nationale. General Salan schloss sich später dem OAS an. 223 Henri Trémolet de Villiers (IPSS) verteidigte den Angriff und leugnete zivile Opfer. JeanMarie Le Pen (UFF) bezeichnete jeden, der zivile Opfer bestätige, als Vaterlandsverräter. JOAN, 11.02.1958, S. 667; 669. 224 „L’heure est venue pour les Français de montrer qu’ils ne sont pas des lâches“, lautete die Überschrift eines Artikels der Zeitung ‚Carrefour‘ (12.02.1958). ‚Le Figaro‘ (10.02.1958 und 11.02.1958) bedauerte zivile Opfer, sah eine militärische Reaktion auf die vorangegangenen Provokationen gleichwohl als alternativlos an. Die Verantwortung für die Opfer trage die tunesische Regierung. (Vgl. CHSP, Fonds Julien, 32).

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IV. Der Preis des Krieges

de ce matin sera profitable à la cause tunisienne, à la cause du peuple algérien ainsi qu’à celle de l’unité nord-africaine“. Dem franko-tunesischen Verhältnis hingegen habe die Aktion nachhaltig geschadet. Tunis fordere nun den Abzug sämtlicher französischer Truppen und die Aufgabe der strategisch bedeutsamen französischen Marinebasis in Bizerte. Die Unterstützung für den FLN werde auf allen Ebenen zunehmen225. Manche vermuteten, es sei gerade die Absicht des Militärs gewesen, die Versuche zur diplomatischen Wiederannäherung zu torpedieren226. Offene Kritik äußerten die französischen Siedler in Tunesien zwar nicht, „ils jugent cependant avec sévérité la manière dont l’opération a été exécutée“. Sie fürchteten um ihre Existenzgrundlage227. Von der Interdependenzpolitik verblieb zum Ende der IV. Republik wenig. Auch die Führung in Rabat sah sich durch die ‚Sakiet-Affäre‘ in ihrer Einschätzung bestätigt, dass eine engere Kooperation mit Frankreich gegenüber dem eigenen Volk nicht zu vertreten war228. Auf der Konferenz von Tanger sandten Marokko und Tunesien ein offizielles Signal der maghrebinischen Solidarität mit der algerischen Unabhängigkeitsbewegung aus, was den internationalen Druck auf Frankreich weiter erhöhte229. Der massiven Kollateralschäden zum Trotz stärkte die französische Regierung der Militärführung offiziell den Rücken und unterstrich, „que l’incident est la conséquence directe de l’aide apportée aux rebelles algériens par le Gouvernement tunisien et que ce dernier en porte toute la responsabilité“230. Das Verhalten der Politik in dieser Frage ähnelte dem Vorgehen in der ‚Ben Bella Affäre‘. In beiden Fällen legitimierte die Regierung im Nachhinein Kompetenzüberschreitungen der Armee und duldete die massive Beschädigung der Interdependenzpolitik. Wenige Monate vor dem Militärputsch in Algerien stand fest, „sans l’ombre d’un doute que l’armée française ne dépendait de personne au gouvernement“231.

225 MAE, MT, Tunisie (II), 45: 09.02.1958, Telegramm Bénard. 226 MAE, MT, Tunisie (II), 45: 21.01.1958, Gespräch Botschafter Gorse mit Staatssekretär Mokkadem. 227 MAE, MT, Tunisie (II), 235: 12.02.1958, Bénard über Lage der Franzosen in Tunesien. 228 Einschätzung von Botschafter Parodi. MAE, AL, Maroc, 26: 03.06.1958, Parodi, P. 90. 229 DDF, 1958 I: 312, 12.05.1958, Note de la direction générale des affaires marocaines et tunisiennes über Konferenz von Tanger (27–30 Avril), S. 585–589. 230 MAE, MT, Tunisie (II), 39: 12.02.1958, Telegramm an Botschaften, S. 3. 231 Field, Joseph A./Hudnut, Thomas C.: L’Algérie, de Gaulle et l’armée, Arthaud, Paris/New York, 1975, S. 74. Ewald Leufgen (Interview) verneint den Eindruck, die französische Armee habe in Algerien als Veto-Spieler fungiert, schließlich habe die Politik die Unabhängigkeit Algeriens durchgesetzt. Gleichwohl gesteht er ein, dass einige Soldaten mit der OAS sympathisiert und nicht alles, was an Anweisungen aus dem politischen Paris kam, für sich als bindend empfunden hätten.

2. (Politische) Opportunitätskosten in Marokko und Tunesien

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Bilanz und Fortgang der Beziehungen Die Konflikte um Finanzhilfe, militärische Zwischenfälle und die Unterstützung des FLN schienen den ökonomischen Beziehungen wenig anhaben zu können. Frankreich konnte seine Position als wichtigster Handelspartner Tunesiens verteidigen. Zwar sank der relative Anteil an den tunesischen Importen von 66 Prozent im Jahr 1956 auf 59 Prozent vier Jahre später. Das absolute Volumen stieg jedoch im selben Zeitraum um 13,3 Prozent232. In Marokko verringerte sich der französische Anteil an den Gesamteinfuhren von etwa 48 auf 46 Prozent233. Das Exportvolumen hingegen erhöhte sich um 28,3 Prozent234. Selbst nach dem Austritt beider Länder aus der Franczone blieb der ehemalige Protektor wichtigster Handelspartner. Zehn Jahre nach der Unabhängigkeit bezogen Marokko und Tunesien noch immer 39 Prozent ihrer Importe aus Frankreich235. Ein früherer Beamter des Finanzministeriums formulierte daher, die Länder Nordafrikas „ont cherché à réorienter leur commerce extérieur, présenté jadis au niveau d’échanges avec la France comme le signe manifeste de leur dépendance économique. Ils ont essayé et ils n’y ont pas dans l’ensemble réussi“236. Gleichwohl sank das Volumen der summierten französischen Exporte in die beiden Maghrebstaaten von 111 Milliarden Francs im Jahr 1958 auf 20 Milliarden Francs im Jahr 1966. Der Importwert verringerte sich von 143 auf 35,6 Milliarden Francs237. Dieser Rückgang war durch die Einführung eigener Währungen unvermeidlich geworden238. Da es nun den Regierungen in Rabat und Tunis oblag, selbst für eine ausgeglichene Zahlungsbilanz zu sorgen, wurden Handelsprivilegien für Frankreich gestrichen und protektionistische Barrieren aufgebaut. Insgesamt blieb die ökonomische Bilanz somit hinter den Erwartungen zurück.

232 M.O.C.I., 43 (1961): Le Commerce extérieur de la Tunisie en 1960, S. 1977–1980, hier S. 1979. Bis 1958 stieg sogar der relative Anteil Frankreichs an den tunesischen Importen. ANOM, FM 81F 1797: Banque de l’Algérie et de la Tunisie, Exercice 1957, S. 22. 233 MAE, MT, Maroc (II), 196: Développement de la coopération économique franco-marocaine und Van Ruymbeke, André: Les relations économiques actuelles et futures de la France et des pays d’Afrique du nord, in: Communautés et continents. Nouvelle revue françaises d’Outre-Mer, 57 (1964), S. 39–46, hier S. 41. Der Autor war ‚Sous-Directeur de la politique commerciale‘ im Finanzministerium gewesen. 234 ANOM, 81F 2370: Marcel Carminati: Populations françaises du Maroc et de Tunisie, S. 31. Die Einschätzung von Botschafter Parodi, eine „diminution en valeur absolue et en pourcentage des importations marocaines de France“ sei zu beobachten, stimmte nicht mit der Realität überein. MAE, MT, Maroc (II), 390: 30.04.1958, Ambassadeur Parodi au MAE, Situation économique du Maroc, S. 2. 235 Tiano: Le Maghreb entre les mythes, S. 477. 236 Van Ruymbeke: Les relations économiques, S. 39. 237 Commerce extérieur, 1958, S. 201–204; (1966), S. 713; 715. 238 Tunesiens Weg zur monetären Entkolonialisierung zeichnet nach: Gharbi, Mohamed Lazhar: Une volonté de décolonisation financière. La création de la Banque Centrale de Tunisie (1955–1958), in: IBLA, 66, 2 (2003), S. 161–178.

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IV. Der Preis des Krieges

Letztendlich muss sich die Interdependenzpolitik ohnehin weniger an den ökonomischen als an den politischen Resultaten messen lassen, da die Handelsbeziehungen mit Marokko und Tunesien für Frankreich von Anfang an verzichtbar gewesen waren. Das zentrale Ziel hatte gelautet, über eine „solidarité économique“ zu einer „solidarité politique“ in der Algerienfrage zu gelangen239. Gemessen an diesem Maßstab fiel die Bilanz eher bescheiden aus. Die Aufrechterhaltung von Außenhandelsströmen verhinderte weder eine politische Entfremdung noch die zunehmende Solidarisierung der früheren Protektorate mit der algerischen Unabhängigkeitsbewegung. Die unzähligen Krisen, die in Tunesien im Juli 1961 sogar in einer militärischen Auseinandersetzung um den französischen Stützpunkt bei Bizerte eskalierten, zerstörten verbliebenes Vertrauen240. Anstatt neue institutionelle Bindungen einzugehen, verließen die jungen Staaten die Franczone und bestanden auf dem vollständigen Abzug der französischen Truppen241. Die Enteignungen französischer Besitztümer wurden forciert, mehr als die Hälfte der Siedler verließen Nordafrika bis 1960242. Bis zu einem gewissen Grad war diese Entwicklung unvermeidlich und beruhte auf dem Bestreben der früheren Protektorate, sich für die eigene Bevölkerung und die Welt sichtbar vom kolonialen Erbe zu lösen. Für die Umsetzung ihrer Emanzipationspolitik waren Mohammed V. und Bourguiba bereit, finanzielle Nachteile und ökonomische Probleme in Kauf zu nehmen. Der französische Philosoph und Ethnologe Octave Mannoni brachte ihre Tendenz im Interessenkonflikt zwischen politischer Ambition und ökonomischer Vernunft prägnant zum Ausdruck: „Les peuples préfèrent s’administrer mal, mais eux-mêmes, que d’être bien administrés par d’autres“243. Eine ministerielle Studie kam zu dem ähnlichen Ergebnis, dass junge Staaten ihrer nationalen Selbständigkeit einen höheren Stellenwert beimäßen als etwa mit Fremdmitteln finanzierten Schulen und Staudäm-

239 MAE, MT, Maroc (I), 126: Avril 1954, Vibert/de Lipkowski: Des rapports de la France avec ses protectorats. Recherche des fondements économiques de l’Union française, S. 1ff. 240 Zu Bizerte siehe: Abis, Sébastien: L’Affaire de Bizerte (1956–1963), Sud Éditions, Tunis, 2004. Weiterführend: Vaïsse, Maurice/Morelle, Chantal: Les relations franco-tunisiennes (juin 1958–mars 1962), in: Le Comité France-Maghreb, hg. v. Rivet, S. 341–380, hier S. 342. 241 Witerführend: Aouchar, Amina: Le désengagement militaire français au Maroc. Au lendemain de l’indépendance, in: Revue Historique des Armées, 2 (2004), S. 14–23 und Abis: L’Affaire de Bizerte. 242 MAE, MT, Tunisie (II), 235: 06.08.1958, Note pour le Cabinet du Ministre, Sous-Direction des Affaires Économiques & Financières, Projet Busson de relance de l’économie tunisienne und MAE, CM, Pineau, 27: Esquisse d’une politique française au Maroc, S. 14. Einige verwiesen auf die Stimmung in der Bevölkerung und zeigten Verständnis für die Enteignungspolitik. Ihrer Ansicht nach ergab es mehr Sinn, den Übergang aktiv zu gestalten als sich dagegen zu stemmen. MAE, MT, Maroc (II), 405: 25.07.1958, Note pour le Ministre, colonisation agricole française, S. 3. Ähnlich: MAE, MT, Tunisie (II), 237: 12.09.1958, Ambassadeur Gorse au MAE, S. 2. Zur Migration der Siedler: CHSP, Fonds Savary, 41: 29.03.1960, Population française au Maroc et en Tunisie, S. 3; 6. 243 Mannoni, Octave: Psychologie de la colonisation, Paris, Seuil, 1950, S. 135; 183.

2. (Politische) Opportunitätskosten in Marokko und Tunesien

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men244. Die Führungen in Tunis und Rabat waren sich beispielsweise im Klaren darüber, dass die Präsenz der französischen Armee einen wichtigen ökonomischen Faktor für ihre Volkswirtschaften darstellte. Dennoch drängten sie auf einen Truppenabzug, weil sie die Anwesenheit ausländischer Streitkräfte als Einschränkung ihrer staatlichen Souveränität empfanden245. Die französischen Siedlungskolonien samt ihrer Unternehmen bildeten zwar eine zentrale Einnahmequelle für die jungen Maghrebstaaten, sie waren jedoch „trop étroitement liées à l’ordre politique des protectorats pour que ceux-ci disparus, les jeunes États ne remettent pas en question la présence sur leur sol d’une partie de ces colonies“246. Angesichts dieser Perspektive fragte sich der französische Sondergesandte in Tunis Bénard, „si certaines armes que nous sommes appelés à utiliser contre le Gouvernement tunisien sont réellement efficaces et si elles ne risquent pas de se retourner contre nos propres intérêts“247. Die alte Kolonialmacht tat sich jedoch schwer, die „psychologie de pays neufs“ anzuerkennen und die Grenzen der Interdependenzpolitik realistisch einzuschätzen248. Die gegensätzlichen Erwartungshaltungen bargen großes Konfliktpotential, das durch konkrete politische Entscheidungen aktiviert wurde. Rabat zögerte beispielsweise, der ‚Convention d’établissement‘ zuzustimmen, mit der die Rechte der französischen Siedler festgeschrieben werden sollten. Anstatt die Sorge vor einer Institutionalisierung postkolonialer Privilegien ernst zu nehmen, reagierte Paris juristisch korrekt, politisch jedoch ungeschickt mit der Aussetzung der ‚Convention culturelle‘. Dabei wurde dieser „une importance capitale“ beigemessen, da sie Frankreich Einfluss auf die dortigen Bildungssysteme gewährte und sie darüber hinaus auch in Marokko und Tunesien breite Unterstützung genoss249. Letzten Endes überbewerteten sowohl die Realisten als auch die Liberalisten in der französischen Regierung die Erfolgschancen ihrer Strategien. Für eine nüchterne Machtpolitik fehlte der ‚Grande Nation‘ mehrfach die Potenz, da die jungen Nationalstaaten eine unerwartet große Bereitschaft zeigten, sich dem Druck des ehemaligen Protektors zu widersetzen. Liberale Beamte wiederum überschätzen

244 MAE, CM, Pineau, 27: Esquisse d’une politique française au Maroc. 245 Gegenüber Botschafter Lalouette gab der marokkanische Parlamentspräsidenten Ben Barka an, der Verbleib der französischen Armee im Land könne auch nicht mit deren jährlichen Konsumausgaben in Höhe von 40 bis 50 Milliarden Francs erkauft werden. DDF, 1957 I: 309, 13.04.1957, Lalouette an Faure, S. 609. 246 ANOM, FM 81F 2370: Marcel Carminati: Populations françaises du Maroc et de Tunisie, S. 25. 247 MAE, MT, Tunisie (II), 39:14.04.1958, Bénard au MAE, S. 6. 248 Das Bestreben, sich sichtbar von der alten Kolonialmacht zu emanzipieren, wurde auch in kleinen Gesten deutlich. In Marokko wurde beispielsweise aus der ‚Rue du Cardinal Cisnéros‘ die ‚Rue Ghandi‘ und aus der ‚Rue du Statut‘ die ‚Rue de la Liberté‘. MAE, MT, Maroc (II), 105: 05.02.1957, Note du Ministre Plénipotentiaire. Das Zitat stammt vom marokkanischen Außenminister Balafrej. DDF, 1958 I: 281, 26.04.1958, Parodi über Gespräch mit Balafrej, S. 527. 249 Zitat: MAE, MT, Tunisie (II), 39: 23.05.1957, Politique française au Maroc et en Tunisie, S. 18. MAE, AL, Maroc, 18: 24.04.1958, Note, Reise von M. Laloy nach Marokko, P. 119.

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IV. Der Preis des Krieges

die Möglichkeiten einer „sincère coopération“250. Das durch den Algerienkrieg begrenzte Entfaltungspotential der Kooperationspolitik wurde durch Alleingänge des Militärs zusätzlich vermindert. Es bewahrheitete sich, was Kritiker der Nordafrikapolitik wie Antoine Mazier bereits 1954 prophezeit hatten: „Entre la Tunisie et le Maroc indépendant, vous n’arriviez pas à empêcher l’Algérie de gagner son indépendance, ni à établir avec la Tunisie et le Maroc les relations que vous auriez pu établir si la question algérienne avait reçu sa solution“251. Es erwies sich als unmöglich, die Konzepte „l’interdépendance dans l’indépendence“ und „l’Algérie, c’est la France“ miteinander in Einklang zu bringen252. Ohne die Kooperation Marokkos und Tunesiens konnten die Integration und Befriedung Algeriens nicht gelingen. Doch solange der Algerienkrieg andauerte, stand ein Scheitern der Interdependenzpolitik zu erwarten.

250 Zitat: CHSP, Fonds Parodi, 30: 10.09.1957, Instructions pour l’Ambassadeur au Maroc, S. 1. Die Anweisungen an den Botschafter lassen den Wunsch nach funktionierenden und wenn möglich freundschaftlichen Beziehungen zu Marokko erkennen. Botschafter Seydoux mahnte im Abschlussbericht seiner Mission, die Chancen der franko-tunesischen Beziehungen zwar nicht zu überschätzen, das vorhandene Potential jedoch durch eine kluge, kooperative Politik zu nutzen. DDF, 1956 II: 213, 24.09.1956, Seydoux an Savary, S. 455. 251 Antoine Mazier, in: OURS, SFIO, Conseil national, 15–16 Décembre 1956, S. 250. 252 Auf diese Unmöglichkeit verwies Aron in La tragédie algérienne, S. 55.

3. Nebenkriegsschauplatz Suezkanal

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3. NEBENKRIEGSSCHAUPLATZ SUEZKANAL „Tout le monde, l’hebdomadaire Life y compris, croyait que la direction de la rébellion était au Caire“, (Joseph Begarra, 1987)253

In den Augen vieler Franzosen musste die entscheidende Schlacht des Algerienkriegs nicht im Land selbst, sondern auf dem Nebenkriegsschauplatz in Ägypten geschlagen werden. Die Suezkrise bot hierfür eine unerwartete Möglichkeit. Am 26. Juli 1956 nationalisierte der ägyptische Staatsführer Abdel Nasser die sich mehrheitlich in französischem Privat- und britischem Staatsbesitz befindende ‚Compagnie Universelle du Canal Maritime de Suez‘254. Ein Zusammenhang zwischen diesem Ereignis und der Algerienfrage scheint auf den ersten Blick nicht gegeben, ging es beim Suezkanal doch primär um Fragen der freien Schifffahrt und des internationalen Rechts255. Erklären lässt sich das Vorgehen Frankreichs in der Suez-Affäre daher nur in Verbindung mit der ägyptischen Rolle im Algerienkrieg. Dass Ägypten dem FLN aktive Hilfe zukommen ließ, ist hinreichend belegt und wurde letztlich auch von Nasser nicht bestritten256. In Bezug auf die Qualität der Unterstützung und die Frage, wie darauf zu reagieren sei, gingen die Meinungen indes weit auseinander257.

253 Erinnerung von Joseph Begarra in: Guy Mollet. Un camarade en république, hg. v. Ménager, Bernard u. a., Presses Universitaires de Lille, Lille, 1987, S. 519. 254 Von den insgesamt 800.000 Aktien der Kanalgesellschaft befanden sich 354.000 im Besitz der britischen Regierung und 420.000 in Händen französischer Privatpersonen. MAE, CM, Pineau, 31: 02.08.1956, Note, Suez, Direction des Affaires économiques et financières, Oliver Wormser, S. 1. 255 Ursprünglich hätte die Konzession der Suezkanalgesellschaft erst 1968 auslaufen sollen. 256 Der ägyptische Staatschef machte gegenüber Pineau bei dessen Besuch in Kairo deutlich, dass es ihm in seiner Position unmöglich sei, sich nicht solidarisch mit den algerischen Freiheitskämpfern zu zeigen. Pineau: Suez 1956, S. 41. Detaillierte Hinweise über die ägyptische Hilfe für den FLN sind dokumentiert bei: MAE, CM, Pineau, 19: 20.10.1956, MAE, Note sur sur les ingérences égyptiennes en AFN. Ebenso ein geheimer Bericht über ein Ausbildungslager für nordafrikanische Kämpfer in Mokki. MDN, 2 H 212: L’organisation de camps d’entrainement aux sabotages en Égypte, Secret. 257 Die Aussagen beteiligter Personen sind widersprüchlich. Nasser gab in einem Interview 1966 an, seine Waffenlieferungen hätten den Beginn des Aufstands erst ermöglicht. Vgl. Love, Kennett: Suez. The Twice-Fought War, McGraw-Hill, London, 1969, S. 134. Mohammed Khider bestätigte die ägyptische Schlüsselrolle im Algerienkonflikt. Vgl. Jeune Afrique, 96 (1962): Deux années au Caire, S. 22f. Demgegenüber sagte der spätere Botschafter Algeriens bei den Vereinten Nationen, die Hilfe sei „négligeable“ gewesen. Ähnlich äußerten sich FLNFührer im April 1956 in der tunesischen Zeitung ‚l’Action‘. Vgl. Ageron, Charles-Robert: L’opération de Suez et la guerre d’Algérie, in: La France et l’opération de Suez, hg. v. Vaїsse, S. 43–60, hier S. 46; 53.

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IV. Der Preis des Krieges

Die Nahostpolitik bis Juli 1956 „La France est une puissance musulmane“. Auf Grundlage dieser Überzeugung setzte sich der als pro-arabisch geltende ‚Quai d’Orsay‘ bis zu Nassers Coup für eine Rückgewinnung verlorenen Einflusses im Nahen und Mittleren Osten ein258. Ein wesentliches Ziel war es, die arabischen Staaten von einer stärkeren Unterstützung der nordafrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen abzuhalten259. Die für Frankreich lebenswichtigen Ölimporte aus den Golfstaaten verstärkten die Notwendigkeit intakter Beziehungen260. Außenminister Pineau führte seinen Parteikollegen die Gefahr eines Boykotts vor Augen. Vor dem Hintergrund des Reizthemas Algerien sei es unabdingbar, die arabische Welt nicht weiter gegen Frankreich aufzubringen. „L’amitié franco-musulmane est une des conditions fondamentales de l’expansion économique et culturelle de notre pays“, schloss Pineau261. Die ‚Direction d’Afrique-Levant‘ stimmte ihrem Minister zu und gab zu bedenken, dass aller Spannungen zum Trotz bisher keinerlei Maßnahmen gegen französische Unternehmen oder Einrichtungen getroffen worden seien und der Außenhandel unberührt bleibe262. Als bevölkerungsreichster und militärisch potentester Staat der Region und aufgrund der relativen Nähe zu Französisch-Nordafrika stand Ägypten weit oben auf der politischen Agenda. Abgesehen von den Ölimporten aus den Golfstaaten, war das Land Frankreichs wichtigster arabischer Handelspartner263. In einigen Sektoren rangierte Ägypten „aux premiers rangs des clients de l’industrie française“264. Auf etwa 400 Milliarden Francs summierten sich die Investitionen franzö258 Zitat: Außenminister Christian Pineau, in: OURS, SFIO, 48e Congrès National, Lille, Juni 1956, P. 6. Frankreich kam seit dem Ende der Mandatszeit in der Levante politisch und ökonomisch kaum mehr eine besondere Bedeutung zu. Dufour, Pierre: La France au Levant. Des croisades à nos jours, Pygmalion, Paris, 2001, hier S. 487–490, 522f., 531. Für die französische Wirtschaft fielen lediglich noch die Baumwollimporte aus Syrien ins Gewicht. Das Land war in der ersten Jahreshälfte 1956 mit Lieferungen im Wert von 5,8 Milliarden Francs hinter den USA (9 Milliarden Francs) und Ägypten (8 Milliarden Francs) drittwichtigster Baumwolllieferant für Frankreich. Commerce extérieur, Sept premiers mois 1956, S. 235, 219f. 259 Außenminister Pinay über die französische Haltung in der Nahostfrage. DDF, 1956, I, S. 39. 260 Der Irak lieferte bis Juli 1956 Öl im Wert von 45 Milliarden Francs, gefolgt von Kuwait mit 34 Milliarden und Saudi-Arabien mit 13 Milliarden Francs. Zusammen machten diese etwa 85 Prozent aller Ölimporte aus. Vgl. Commerce extérieur, Sept premiers mois 1956, S. 190, 213, 215. 261 Christian Pineau, in: OURS, SFIO, 48e Congrès National, Lille, Juni 1956, P. 6f. 262 MAE, CM, Pineau, 6: Direction d’Afrique-Levant, Réunion des chefs de poste du ProcheOrient. 263 Die überwiegend aus Baumwolle bestehenden ägyptischen Exporte beliefen sich im Jahr 1954 auf 16 Milliarden Francs, was 13 Prozent der Gesamtausfuhren entsprach. Die Warenexporte Frankreichs nach Ägypten im Wert von 20 Milliarden Francs wurden nur von den USA übertroffen. MAE, DÉ, Wormser, 17: 05.09.1955, Note, Direction d’Afrique-Levant, pour le Président, P. 70. 264 Zitat Olivier Wormser. Vgl: MAE, DÉ, Directeurs, Wormser, 4: Note pour le Ministre, conséquences éventuelles de l’application de sanctions à l’Égypte, P. 32.

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sischer Unternehmen vor Ort265. Weitere standen im Raum266. Auch kulturell war Frankreich am Nil sehr präsent. Etwa 10.000 ägyptische Schüler frequentierten französische Bildungseinrichtungen, 250.000 Ägypter erlernten die französische Sprache, der eine wichtige Rolle als Wegbereiter für ökonomischen Einfluss beigemessen wurde267. In dieser Hinsicht folgte die französische Außenpolitik der Prämisse, „là où on parle français, on achète français“268. Ferner versuchte der ‚Quai d’Orsay‘ die ägyptische Führung über Waffenlieferungen zu Zurückhaltung in der Algerienfrage zu bewegen269. Die Strategie des Außenministeriums konnte einige Erfolge verbuchen. Der aus Kairo sendende Radiosender ‚La voix des Arabes‘, der regelmäßig zur Unterstützung für die algerischen Rebellen und zum Kampf gegen Frankreich aufrief, mäßigte seine aggressive Rhetorik als Reaktion auf die Genehmigung französischer Waffenexporte nach Ägypten270. Bis zur ‚Athos-Affäre‘ im Oktober 1956 fanden sich keine Belege über systematischen Waffenschmuggel für den FLN

265 Vgl. Vaїsse, Maurice: Post Suez France, in: Suez 1956, hg. v. Louis/Owen, S. 335–340, hier S. 336. Pineau bezifferte den Wert der Investitionen auf lediglich 450 Millionen Francs. Dabei muss es sich entweder um einen Versprecher oder einen Druckfehler handeln. Christian Pineau (SFIO), in: JOAN, 01.06.1956, , S. 2233. 266 Das Unternehmen ‚La Lyonnaise des Eaux‘ (heute ‚Suez Environnement‘) verhandelte Anfang 1955 über ein weiteres Trinkwasserprojekt im Umfang von 13 Milliarden Francs. MAE, DÉ, Directeurs, Wormser, 17: 27.03.1955, Note über „La Lyonnaise des Eaux“ in Ägypten, P. 56. Paris bemühte sich um eine Beteiligung an der Finanzierung des Assuan-Projektes, um den Einfluss Frankreichs in Ägypten zu erhalten und auszubauen. MAE, DÉ, Wormser, 17: 15.09.1955, Note über franco-ägyptischen Handel, S. 30. 267 Zu den Zahlen: Fichelle, André: La présence culturelle de la France en Égypte et la crise de Suez, in: France Outremer, 318 (1956), S. 35–36, hier S. 35 und Christian Pineau (SFIO), in: JOAN, 05.06.1956, S. 2333. Zur Funktion der Sprache: MAE, DÉ, Wormser, 17: 05.09.1955, Direction d’Afrique-Levant pour le Président, P. 61. Bei diesem Vorhaben sah sich das Außenministerium auf gutem Wege: „Jamais notre influence culturelle n’a été plus florissante, ni l’effectif de nos écoles plus élevé“. MAE, CM, Pineau, 6: Direction d’AfriqueLevant, Réunion des chefs de poste du Proche-Orient, S. 1. 268 Zitiert nach Frank, Robert: La machine diplomatique culturelle française au XXe siècle, in: Relations internationales 115 (2003), S. 325–348, hier S. 332. 269 Bereits unter Minister Pinay setzte sich der Quai d’Orsay für Waffenlieferungen an Ägypten ein. MAE, CM, Pinay, 24: 20.09.1955, Ministre délégué à la Présidence du Conseil à MI, P. 207. Auch Nachfolger Pineau insistierte im Kabinett auf der Erfüllung ausstehender Waffenkontrakte, um das bilaterale Verhältnis zu entspannen. AN, 4 AG 1–12, Conseil des Ministres: 15.02.1956, S. 9. Zum Ziel der Einflussnahme über Waffenexporte: MAE, CM, Pineau, 6: Direction d’Afrique-Levant à MDN, Exportations d’armes aux État du Proche-Orient, P. 170. 269 MAE, DÉ, Wormser, 17: 15.09.1955, Note über franco-ägyptischen Handel, P. 64. In der Zeit von 1954 bis Mai 1956 kam es zu einer Reihe von Waffenlieferungen an Ägypten und andere arabische Staaten. Siehe: MAE, CM, Pineau, 6: 09.02.1953, Direction générale des Affaires politiques, Fournitures d’armes au Proche-Orient, P. 166ff. 270 MAE, DÉ, Wormser, 17: 05.09.1955, Direction d’Afrique-Levant pour le Président, P. 62.

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unter ägyptischer Beteiligung271. George Gorse, Berater im Außenministerium, riet seinem Minister in einer Note, die zweifellos vorhandenen Einmischungen Ägyptens in den algerischen Aufstand nicht überzubewerten. Durch vertrauensbildende Maßnahmen sei ein höherer außenpolitischer Gewinn zu erwarten als durch Konfrontation272. Anlässlich des Besuchs bei Nasser im März 1956 erhielt der französische Außenminister die „parole d’honneur“, keine algerischen Kämpfer in der ägyptischen Armee auszubilden. Des Weiteren bot der ägyptische Präsident seine Vermittlungsdienste an, aus denen die geheimen Gespräche Frankreichs mit führenden FLN-Mitgliedern resultierten273. Im ‚Hôtel de Brienne‘ und in weiten Teilen des Parlaments herrschte eine im Grundsatz unterschiedliche Konzeption der französischen Interessen in der Region vor. Die ägyptische Unterstützung für die algerischen Rebellen wurde als essentiell eingestuft274. Es bestand Bereitschaft, die franko-ägyptischen Beziehungen zu opfern, „si le moindre avantage devait en résulter pour l’essentiel, c’est-àdire pour l’Afrique du Nord“275. Exporte von Waffen nach Ägypten wurden abgelehnt, da die Sorge bestand, sie könnten in die Hände algerischer Kämpfer geraten und somit gegen Frankreich selbst gerichtet werden276. Ferner glaubten Verteidi-

271 Im Oktober 1956 brachte die französische Marine das ägyptische Schiff Athos auf, das Waffen für den FLN geladen hatte. MAE, CM, Pineau, 6: 16.11.1956, MAE, Affaire de l’Athos, P. 22. Zur den vorherigen Kenntnissen französischer Sicherheitskreise: MAE, CM, Pineau, 19: 20.10.1956, Note sur sur les ingérences égyptiennes en Afrique du Nord, S. 5. 272 Bernard: La genèse de l’expédition, S. 276. 273 Pineau: Suez 1956, S. 41. Über das Gespräch mit Nasser existiert kein Protokoll. Pineaus Äußerungen erscheinen in diesem Fall glaubwürdig, da er sie vor seiner Abreise bei einer Pressekonferenz am Flughafen von Kairo kundtat. Nach der Nationalisierung des Suezkanals wurde das Versprechen Nassers politisch instrumentalisiert und dem ägyptischen Führer, auch von Pineau, Wortbruch vorgeworfen. Dabei sah sich der französische Außenminister selbst genötigt, auf den Brief eines amerikanischen Professors hin richtigzustellen: „en ce qui concerne ce que vous appelez la trahison de Nasser, le terme n’est pas tout à fait exact, car il y a eu une confusion volontairement exploitée par l’opposition parlementaire française sur le sens de la parole d’honneur qui m’a été donnée par Nasser en Mars 1956. Nasser s’était engagé en ce qui concerne la formation d’Officiers FLN dans le cadre de l’armée Égyptienne mais n’avait fait aucune promesse sur toute autre forme d’aide apportée par l’Égypte à la rébellion algérienne“. AN, 580 AP 14: 17.04.1963, Pineau à Prof. Herman Finer. 274 Generalresident Boyer de Latour gab im August 1955 zu Protokoll: „À l’heure actuelle aucun renseignement recoupé ne permet de préciser l’aide apportée par l’Égypte en matière d’armement. Il y a lieu de penser qu’il n’a présenté, jusqu’ici, aucun caractère massif“ MAE, MT, Tunisie (I), 539: 24.08.1955, Telegramm über Waffenschmuggel, Boyer de Latour. Im Bereich von Logistik und Ausbildung lagen hingegen Informationen über ägyptische Hilfe für den FLN vor. Etwa: MDN, 1 R 247: 25.07.1956, Note de renseignement, État-major de forces armées, S. 2. MDN, 1 R 351: 11.12.1956, Note de Documentation, L’ingérence de l’Égypte dans la rébellion en Algérie. 275 Maurice Schumann (MRP), in: JOAN, 09.03.1956, S. 798. 276 Theoretisch war Frankreich bei Waffenexporten in den Nahen Osten an die Verpflichtungen der zusammen mit Großbritannien und den USA abgegebenen ‚Tripartite-Declaration‘ aus dem Jahr 1950 gebunden, die einen Rüstungswettlauf verhindern und ein Kräftegleichgewicht bewahren sollte. In der Praxis änderte das Abkommen wenig daran, dass die Westmächte ihre

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gungsminister Bourgès-Maunoury und dessen Kabinettsleiter Abel Thomas nicht an fruchtvolle Beziehungen Frankreichs zur arabischen Welt: „Nous n’arrivons pas, de toute façon, à gagner leur sympathie“277. Vielmehr wurde Israel als Verbündeter gegen die zunehmend feindlich gesinnte arabische Welt wahrgenommen278. Rüstungsgeschäfte mit Israel boten zusätzliche finanzielle Anreize279 und die Aussicht auf Aufträge für die angeschlagene französische Rüstungsindustrie280. Berichten zufolge versorgte der israelische Geheimdienst die französische Armee seit dem Beginn des Algerienkriegs mit Aufklärungsinformationen281. Wieder standen realistische und liberalistische außenpolitische Ansätze einander gegenüber. Bis zum Beginn der Suezkrise führte das Nebeneinander der unterschiedlichen Interessen und außenpolitischen Vorstellungen in Außen- und Verteidigungsministerium zu einer angespannten Pattsituation282. Extreme Antworten auf die ägyptischen Einmischungen in die Algerienfrage blieben aus. „Voulez-vous envoyer la flotte française bombarder Alexandrie?“, fragte Pineau im Juni 1956 die Falken im Parlament. Es gehe darum, den kulturellen Einfluss und die französischen Investitionen in Ägypten zu bewahren und die Spannungen nicht anzuheizen283.

Die Nationalisierung der Kanalgesellschaft als Zäsur Mit der Bekanntmachung Nassers, die ‚Compagnie Maritime du Canal de Suez‘ zu verstaatlichen, kippte die Stimmung in Frankreich. Seit Monaten hatten sich

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Exporte primär an ihren nationalen strategischen und ökonomischen Interessen ausrichteten. Zu den Hintergründen siehe: Slonim, Shlomo: Origins of the 1950 Tripartite Declaration on the Middle East, in: Middle Eastern Studies, 23, 2 (1987), S. 135–149. Private Äußerung des Ministers gegenüber Jacob Tsur, dem damaligen Botschafter Israels in Paris. Tsur, Jacob: Prélude à Suez. Journal d’une ambassade, 1953-1956, Presses de la Cité, Paris, 1968, S. 320. Bar-On: French-Israeli Relations, S. 97. Ein Waffenkontrakt vom Juni 1956 besaß ein Volumen von 80 Millionen US-Dollar, umgerechnet 28 Milliarden Francs. Er wurde unter Umgehung des Außenministeriums ausgehandelt, einzig Minister Pineau war eingeweiht. OURS, AGM 74: Bourgès-Maunoury an Mollet, Cession de Matériels de Guerre aux Pays du Proche-Orient, S. 2. Während Lieferungen an arabische Staaten eher aus gebrauchtem Material bestanden, waren die Exporte moderner Waffen nach Israel mit zusätzlichen Aufträgen für die französische Rüstungsindustrie verbunden, die trotz der hohen Verteidigungsausgaben Frankreichs unter fehlender Nachfrage litt. Zu diesem Motiv: OURS, AGM 74: Bourgès-Maunoury an Mollet, Cession de Matériels de Guerre, S. 2. Crosbie, Sylvia K.: A Tacit Alliance. France and Israel from Suez to the Six Day War, Princeton Univ. Press, Princeton, S. 58. Crosbie beruft sich dabei auf Interviews aus dem Jahr 1969 mit General Paul Grossin von der Spionageabwehr und Zivi Dar aus dem israelischen Verteidigungsministerium. Ausführlich zu den interministeriellen Spannungen: Levey, Zach: French-Israeli Relations, in: Reassessing Suez 1956, hg. v. Smith, S. 87–106, hier 90ff. Christian Pineau (SFIO), in: JOAN, 01.06.1956, S. 2233.

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aufgrund der empfindlichen Zuspitzung der militärischen Lage in Algerien Spannungen aufgebaut, die sich nun in einer heftigen Reaktion entluden. Öffentlichkeit und Politik empfanden das Vorgehen Ägyptens als Affront und überschlugen sich mit Forderungen nach entschlossener Reaktion. Frankreichs Botschafter in Kairo warnte, „faute de réaction immédiate et très énergique de l’étranger, le dictateur égyptien se croira désormais tout permis“284. Die ansonsten zerstrittenen Parteien schlossen die Reihen und versicherten der Regierung bei der Verteidigung der Freiheit Frankreichs ihre Unterstützung285. Es gehe nun darum, „de prouver au monde que la France est encore une grande puissance“286. Auch Pineau, der Architekt der bis dato moderaten Außenpolitik, stimmte in die aggressive Rhetorik gegen Nasser ein. Sollte sich der „dictateur fasciste“ den Beschlüssen der Konferenz von London am 16. August widersetzen, auf der die wichtigsten Kanalnutzer nach einer dipolmatischen Krisenlösung suchten, „toute mesure devrait être prise pour l’obliger à se soumettre“287. Nicht wenige zogen einen Vergleich zwischen Hitler und Nasser, zwischen München 1936 und Suez 1956288. Eine zeitgenössische Publikation meinte, der ägyptische Führer sei zum „symbol of all France’s enemies“ stilisiert worden, dessen Unterwerfung die militärischen Demütigungen der vergangenen Jahrzehnte vergessen machen sollte289. Von ökonomischen und kulturellen Interessen Frankreichs in Ägypten war nicht länger die Rede, als hätten sich diese durch die Nationalisierung der Suezkanalgesellschaft in Luft aufge-

284 DDF, 1956 II: 82, 27.07.1956, Du Chayle àPineau, S. 164. 285 JOAN, 28.07.1956, S. 3722. 422 der 627 Abgeordneten der Nationalversammlung stimmten für die Resolution der Regierung, die die Nationalisierung verurteilte und Nasser den Bruch internationalen Rechts vorwarf. JOAN, 02.08.1956, S. 3845. 286 JOAN, 02.08.1956, S. 3844. 287 Christian Pineau (SFIO), in: JOAN, 03.08.1956, S. 3870, 3872. 288 Außenminister Pineau wies seinen britischen und amerikanischen Amtskollegen auf Parallelen zur Situation 1936 hin. DDF, 1956 II: 94, 30.07.1956, S. 187. Raymond Dronne verglich Nassers Philosophie des la Révolution mit Hitlers Mein Kampf. JOAN, 31.05.1956, S. 2153. Auch Premierminister Guy Mollet war vom sogenannten ‚Complexe-Munichois‘ betroffen. JOAN, 03.08.1956, S. 3873. Jaques Bariéty mahnt in der Debatte um den München-Komplex dazu, die Situation nicht zu sehr aus heutiger Sicht zu beurteilen und die damaligen Umstände sowie persönliche Erfahrungen der Politiker zu berücksichtigen. Bariéty, Jacques: Le Mythe de Munich, la France et la Crise de Suez, in: Mythos München, hg. v. Fritz Taubert, Oldenbourg, München, 2002, S. 237–254. Diese Feststellung ist zweifellos richtig. Gleichwohl ermöglicht die Lektüre von Nassers Schrift eine differenzierte Einschätzung. Darin ruft Nasser zur Bündelung der arabischen Kräfte im Kampf gegen Israel auf. Dennoch scheint die häufig angeführte Parallele zu Hitlers Mein Kampf fraglich. Antisemitische Passagen finden sich hier nicht. Nassers Werk ist indes nicht als akademische Schrift zu bewerten. Als Primärquelle besitzt es gleichwohl einen historischen Wert, da es eines der wenigen authentischen Zeugnisse eines arabischen Führers dieser Zeit ist. Nasser, Gamal Abdel: Die Philosophie der Revolution, o.O., o.J. 289 Luethy, Herbert/Rodnick, David: French Motivation in the Suez Crisis, IISR, Princeton, 1956, S. 80.

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löst290. Die Zeit für eine kooperative Außenpolitik schien abgelaufen zu sein. Eine Politik der Stärke war gefragt.

Szenarien Unmittelbar nach Bekanntgabe der Nationalisierung am 26. Juli 1956 begannen in den Ministerien Studien über die Handlungsoptionen Frankreichs und die damit einhergehenden ökonomischen und politischen Auswirkungen. Im Außen- und im Finanzministerium bestand weitgehende Einigkeit über die Unzweckmäßigkeit von Wirtschaftssanktionen. „L’interruption de nos exportations vers l’Égypte serait évidemment ressentie par les nombreux industriels [français] de tous les secteurs de production“, gab die ‚Direction économique‘ des Quai d’Orsay zu bedenken291. Das hohe französische Preisniveau erschwerte das Erschließen von Ersatzmärkten. Während die französische Textilindustrie auf die Lieferung langstapeliger Baumwolle angewiesen sei, auf deren Produktion Ägypten quasi eine Monopolstellung besaß, könne Kairo ohne größere Probleme andere Abnehmer finden. Druck auf die ägyptische Regierung könne allenfalls aufgebaut werden, wenn sich eine breite Koalition von Staaten an einem Boykott beteiligte, hieß es in einer Stellungnahme des Finanzministeriums, das zugleich vor einer dauerhaften Schädigung der französischen Position in Ägypten warnte292. Beide Ministerien wiesen ferner auf die Gefahr ägyptischer und arabischer Gegenmaßnahmen hin. Die Schließung des Suezkanals „aurait pour les échanges extérieurs de l’économie française des répercussions très importantes“293. Bei der Ölversorgung sei mit empfindlichen Engpässen zu rechnen. Im Falle eines Boykotts durch die Produktions- und Transitländer stehe ein Absinken der französischen Ölimporte um bis zu 28 Prozent zu befürchten. Mit der reduzierten Importmenge ginge gleichzeitig eine Erhöhung der Importkosten um bis zu 30 Prozent einher, die darüber hinaus verstärkt mit der knappen Devise US-Dollar bezahlt werden müssten. Rationierungen der Energieträger zur Begrenzung von Produktionsausfällen würden unausweichlich. Der geringere Konsum von Treibstoffen wiederum ließe die Steuereinnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe sinken294. 290 Kritische Stimmen kamen fast ausschließlich aus der kommunistischen Fraktion. JOAN, 02.08.1956, S. 3844 und 16.10.1956, S. 4142. Sie stimmte geschlossen gegen die Resolution der Regierung. Die Ablehnung war indes nicht wesentlich durch die Sorge um die französischen Interessen in der Region begründet. Sie muss auch vor dem Hintergrund des Ost-WestKonflikts und der Haltung der Sowjetunion gesehen werden, die Ägypten im Streit um den Suezkanal unterstützte. 291 MAE, DÉ, Wormser, 4: Note pour Ministre, conséquences éventuelles de sanctions, P. 31. 292 MFE, 1A 0000443/1: 28.07.1956 Note pour le Ministre, DREE, S. 2f. 293 MFE, 1A 0000443/1: 14.09.1956, DREE, conséquences d’une fermeture éventuelle du canal, S. 1. 294 MAE, CM, Pineau, 30: 04.09.1956, DÉ, Wormser, problème pétrolier en 1957, P. 88ff. Die ‚Direction économique‘ unter Leitung von Olivier Wormser bestätigte und präzisierte ihre Einschätzung nach dem Beginn der Militärintervention. MAE, DÉ, Wormser, 93: 15.11.1956,

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IV. Der Preis des Krieges

Ebenso seien negative Auswirkungen auf die bereits stark passivierte Handelsbilanz und das Preisniveau zu erwarten295. Eine unabhängig von der Suezkrise erarbeitete Studie des ‚Comité interministériel pour les questions de coopération économique européenne‘ warnte bereits im Juli 1956 vor einem deutlichen Abschmelzen der Devisenreserven296. Es bedurfte nicht viel Vorstellungskraft, um eine Beschleunigung dieses Prozesses für den Fall einer militärischen Auseinandersetzung im Nahen Osten zu erahnen. Neben den direkten Auswirkungen galt es, auch mögliche indirekte Konsequenzen in den politischen Entscheidungsprozess einzubeziehen. Die von den französischen Botschaften in der arabischen Welt zusammengetragenen Informationen ließen heftige Reaktionen für den Fall einer Militäraktion gegen Ägypten erwarten. Der arabischen Solidarität könnten sich dann auch jene Staaten nicht mehr entziehen, die keine großen Sympathien für Nasser hegten297. Die skizierten Szenarien reichten vom Abbruch der diplomatischen Beziehungen bis hin zu militärischem Beistand für Ägypten298. Vertreter Frankreichs in Marokko und in Tunesien prognostizierten „un mouvement d’ensemble, hostile à la France […] [qui] donnera naissance à nouveau à des actes de terrorisme“, sollte es zu einer kriegerischen Auseinandersetzung um den Suezkanal kommen. Die lokalen Regierungen könnten sich veranlasst fühlen, in Reaktion auf den Unmut der Bevölkerung zu Aktionen gegen französische Institutionen oder Bürger aufzurufen299. Die französische Militärführung in Tunesien erwartete eine Ausweitung der tunesischen Unterstützung für den FLN300. Unabhängig von der Tatsache, dass es keine Rechtfertigung für das Massaker an Franzosen gibt, das sich im marokkanischen Meknès in Folge der ‚Ben Bella Affäre‘ Ende Oktober 1956 ereignet hatte, legten diese dramatischen Ereignisse doch eine größere Vorsicht gegenüber Maßnahmen nahe, die von der muslimischen Bevölkerung als Provokation empfunden werden könnten. Zu bedenken galt es ferner die Situation der etwa 12.000 in Ägypten ansässigen französischen Staatsbürger, deren Existenzgrundlage durch einen Krieg aufs Spiel gesetzt würde301. Zum Schutz oder zur Evakuierung dieser Menschen sahen sich die verantwortlichen Stellen nicht im Stande302.

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Note du MFE sur les répercussions sur l’économie française d’une réduction de notre approvisionnement en pétrole brut, P. 69–72. MAE, CM, Pineau 31: 03.08.1956, Note, Conséquence d’une fermeture éventuelle du Canal de Suez au pavillon français, DÉ, S. 4. ANOM, FM 81F 1794: Juillet 1956, Huitième rapport de l’O.E.C.E., S. 58. Bourguiba stand Nasser zwar skeptisch gegenüber, kündigte für den Fall einer französischen Intervention gleichwohl Solidarität mit Ägypten an. MAE, MT, Tunisie (II), 38, 21.09.1956, Savary an Botschaft in Tunis. MAE, CM, Pineau, 30: 02.09.1956, Note, Direction d’Afrique-Levant, P. 80f. MAE, MT, Tunisie (II), 38: 11.09.1956, Telegramm No. 4463–468, Gillet. MDN, 2 H 212: 08.09.1956, Commandement supérieur des Troupes de Tunisie, Très secret, S. 3. Diesen Vorwurf richtete Senator Jean Geoffroy an Regierungschef Mollet in einem Brief. OURS, AGM 80: 31.10.1956, Jean Geoffroy à Guy Mollet. Zur Zahl der Franzosen in Ägyp-

3. Nebenkriegsschauplatz Suezkanal

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Aus ökonomischer Perspektive bestand in der Suezfrage im Oktober 1956 kein unmittelbarer Handlungsbedarf. „De l’avis général, le trafic est à peu près normal et les autorités égyptiennes font face aux nécessités actuelles“303. Wäre Ägypten einschränkend aktiv geworden, hätte Frankreich mit breiter, internationaler Unterstützung für Gegenmaßnahmen rechnen können. Vor allem die USA hätten sich der Bündnistreue in diesem Fall kaum entzogen. Wirtschaftssanktionen oder gar militärische Maßnahmen zur Wiederherstellung der freien Schifffahrt durch den Suezkanal wären unter diesen Umständen eher zu rechtfertigen gewesen. Frankreich befand sich darüber hinaus in einer „exzellenten“ Ausgangslage, um das Ziel einer Garantie für den uneingeschränkten Transit durch die Wasserstraße zu erreichen und damit gewichtige ökonomische Interessen dauerhaft zu schützen304. Diese offizielle Forderung wurde auch von der internationalen Staatengemeinschaft einheitlich unterstützt305. Selbst Nasser stellte diesen Grundsatz nicht infrage306. Paris beharrte jedoch auf der Einsetzung einer internationalen Verwaltung des Suezkanals, was Kairo strikt ablehnte und auch von zeitgenössischen Juristen beanstandet wurde307. Frankreich manövrierte sich dadurch auf internationaler Ebe-

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ten: Kyle, Keith: La Grande-Bretagne, la France et la crise de Suez, in: Histoire, Économie et Société, 13, 1 (1994), S. 79–100, hier S. 96. In einer Note heißt es, „l’évacuation des Français d’Égypte deviendrait impossible si, à la phase diplomatique actuelle, était substituée une phase d’opérations militaires“. MAE, CM, Pineau, 30: 23.08.1956, Direction des Affaires Administratives et sociales, Note pour le Président, Évacuation de la colonie d’Égypte, P. 73f. Der französische Militärattaché in Kairo sah für den Fall einer Eskalation Leib und Leben der im Land lebenden Franzosen gefährdet. MAE, CM, Pineau, 30: 23.08.1956, Direction générale politique, Note pour le Ministre, Protection des intérêts français en Égypte en cas de crise aigue, P. 70ff. MAE, DÉ, Wormser, 4: 09.10.1956, Note, P. 109. „Notre position de droit international est excellente lorsque nous agissons en invoquant le libre passage“, resümierte die Rechtsabteilung des Außenministeriums. MAE, CM, Pineau, 31: 27.07.1956: Le Jurisconsulte, Note pour le Ministre, Aspects juridique de la nationalisation de la Société du Canal de Suez, S. 4. Auf zwei Konferenzen der wichtigsten Kanalnutzer in London (18.–23.08.1956 und 19.– 22.09.1956) stimmten 18 der 22 anwesenden Staaten für die Französisch-britische Idee eines internationalen Kontrollgremiums, das indes nicht mit einer internationalen Verwaltung verwechselt werden darf. DDF, 1956 II: 142, 23.08.1956, S. 293 und 202, 22.09.1956, S. 429. Der UN-Sicherheitsrat votierte einstimmig für den ersten Teil der franko-britischen Resolution, die u. a. die freie Schifffahrt durch und die ägyptische Souveränität über den Suezkanal garantierte. Resolution online einsehbar unter: http://www.un.org/french/documents/view_ doc.asp?symbol=S/RES/118(1956)&Lang=E&style=B. Kairo bekannte sich in einem Weißbuch zur Entschädigung der Aktionäre und zum freien Transit durch den Kanal. Die Diskriminierung Israels blieb darin unerwähnt. Livre Blanc sur la Nationalisation de la Compagnie Maritime du Canal de Suez, publié par le Gouvernement Égyptien le 12 août 1956. Zeitgenössische und spätere Studien hielten die Nationalisierung für rechtlich nicht zu beanstanden, solange die freie Schifffahrt gewährleistet blieb und den Aktionären eine Entschädigung gezahlt wurde. Vgl. MAE, CM, Pineau, 31: 27.07.1956, Le Jurisconsulte, Note pour le Ministre, Aspects juridique de problème de la nationalisation de la Société du Canal de Suez,

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IV. Der Preis des Krieges

ne zunehmend in die Isolation308. Das Eintreten für Israel, dem Ägypten seit 1948 die Durchquerung des Suezkanals verwehrte, erschwerte eine diplomatische Lösung, war in der Sache jedoch nachvollziehbar309. „La partie n’est pas jouée“, verkündete Außenminister Pineau am 16. Oktober 1956310. Wenige Tage später waren die Würfel gefallen.

Entscheidung für die Intervention Die warnenden Studien von Diplomaten und Finanzfachleuten gaben im Entscheidungsfindungsprozess offenbar nicht den Ausschlag. Als Frankreich und Großbritannien Ende Oktober 1956 in Sèvres eine geheime Absprache mit Israel für eine koordinierte Militärintervention in Ägypten trafen, ging es Paris letztlich

S. 4. Rauschning, Dieter: Der Streit um den Suezkanal, Forschungsstelle für Völkerrecht, Hamburg, 1956, S. 20–30 und Bowie, Robert R.: International Crisis and the Role of Law. Suez 1956, Oxford Univ. Press, Oxford, 1974. Für die Forderung nach internationaler Verwaltung fehlte die Rechtsgrundlage. Der französische Botschafter in Kairo gab zu bedenken, dass eine Zustimmung Nassers für ihn einer Kapitulation ohne Gegenleistung gleichkäme. DDF, 1956, II: S. 352. 308 Zur französischen Verhandlungsposition: DDF, 1956 II: 14.08.1956, Note de la Direction générale Politique, S. 242. Der sowjetische Außenminister Schepilow versuchte Pineau die ägyptische Ablehnung des Vorschlags zu erklären. Ägypten wolle sich sichtbar vom kolonialen Erbe lösen, was eine internationale Verwaltung des Kanals ausschließe. DDF, 1956 II: 17.08.1956, Franko-sowjetische Gespräche, Chepilov-Pineau, S. 267. Zur Isolation Frankreichs siehe: Le Monde Diplomatique, (Novembre 1956): Pourquoi les négociations sur Suez n’ont pu aboutir, S. 1; 8. 309 Ägypten setzte sich damit über die Konstantinopler Konvention von 1888 hinweg, die allen Staaten freie Schifffahrt durch den Suezkanal zusagt. Zudem ignorierte Kairo mit der Diskriminierung Israels einen Beschluss des UN-Sicherheitsrats aus dem Jahr 1951. Zur Konvention siehe: Scheuner, Ulrich: Neutrale Gewässer, in: Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 2, hg. v. Strupp, Karl/Schlochauer, Hans-Jürgen, De Gruyter, Berlin, 1961, S. 583–586, hier S. 586. Die UN-Resolution ist online abrufbar unter: http://www.un.org/french/documents/view_ doc.asp?symbol=S/RES/95%281951%29&Lang=E&style=B. Frankreich setzte sich in dieser Frage seit längerem für Israel ein, gleichwohl ohne dabei eine Verschlechterung der Beziehungen zu Ägypten zu riskieren. Erst nach der Nationalisierung der Kanalgesellschaft rückte Paris die Diskriminierung des jüdischen Staates in den öffentlichen Fokus und beharrte in den Verhandlungen auf deren Beendigung. Vgl. Christian Pineau (SFIO), in: JOAN, 16.10.1956, S. 4151. 310 Christian Pineau (SFIO), in: JOAN, 16.10.1956, S. 4148. Pineau beteuert in seinen Memoiren, bis zuletzt auf eine friedliche Lösung des Konflikts hingearbeitet zu haben. Das Ausbleiben sei auf eine Weisung Nassers zurückzuführen gewesen. Pineau: Suez 1956, S. 94, 117f. Der französische Botschafter in Moskau, Maurice Dejean, stützte die These der Kompromisslosigkeit Nassers. DDF, 1956, II: S. 363. Offizielle Protokolle über die Verhandlungen unter Vermittlung des UN-Generalsekretärs Hammarskjöld existieren nicht. Hammarskjöld selbst zeichnete ein differenzierteres Bild über die Ursachen des Scheiterns der Gespräche. Vgl. Miller, Richard I.: Dag Hammarskjold and Crisis Diplomacy, Pyramid Books, New York, 1961, S. 63.

3. Nebenkriegsschauplatz Suezkanal

235

auch nicht mehr um den Suezkanal per se311. „We really wanted this war“ stellte der an den Planungen der Intervention beteiligte General André Martin später klar312. Seit der Nationalisierung des Kanals hatte sich in der französischen Regierung die Überzeugung breitgemacht, „[que] l’Afrique du Nord serait perdue si Nasser devait triompher“. Der Kampf hunderttausender französischer Soldaten in Algerien sei sinnlos, „si nous permettions à Nasser de compromettre leurs actions“313. Ein ranghoher französischer Offizier sagte für diesen Fall „la perte par le monde libre des ressources en pétrole du Moyen-Orient […] [et] une insurrection généralisée des pays d’Afrique du Nord“ voraus314. Verliere Frankreich das Gesicht in der Suez-Affäre, sei Algerien verloren, meinte André Philip315. Jeder Erfolg über Nasser hingegen „est de nature à provoquer ici des résultats profonds, rapides et spectaculaires en faveur de notre pays“, versicherte Algerienminister Lacoste316. Die Rhetorik des bis dato um Moderation bemühten sozialistischen Außenministers ähnelte plötzlich den apokalyptischen Ausführungen eines Rechtsaußen wie Le Pen. „D’après les témoignages les plus sûrs, nous ne disposions que de quelques semaines pour sauver l’Afrique du Nord“, prophezeite Pineau gegenüber seinem US-Kollegen Dulles317. „Il reste peu de temps pour élabo-

311 Die Interventionsziele finden sich im geheimen Protokoll von Sèvres. AN, 580 AP 14: Octobre 1956, Protocole de Sèvres. Crosbie führt Frankreichs ökonomische Interessen in Ägypten als weiteres Motiv an. Coutou-Bégorie nennt die Wahrung des kulturellen Einflusses als Interventionsgrund. Gleichwohl bleiben die Autoren eine Erklärung schuldig, wie diese Ziele durch einen Krieg und die zu erwartende Verschlechterung der bilateralen Beziehungen erreicht werden sollte. Selbst im Falle eines Regimewechsels in Kairo blieb das Szenario unrealistisch, da sich auch eine einzusetzende profranzösische Regierung nicht beliebig gegen die antifranzösische Stimmung in der ägyptischen Bevölkerung hätte stellen können. Crosbie: A Tacit Alliance, S. 19. Coutou-Bégorie, Hervé: Comment on conduit une coalition. La France et la Grande-Bretagne dans l’affaire de Suez, in: Histoire, Économie et Société, 13, 1 (1994), S. 101–109, hier S. 102. 312 Martin, André: The Military and Political Contradiction of the Suez Affair. A French Perspective, in: The Suez-Sinai Crisis. A Retroperspective and Reappraisal, hg. v. Troen, Selwyn Ilan/Shemesh, Moshe, Taylor & Francis, London, 1990, S. 54–59, hier S. 56. 313 Radioansprache von Außenminister Pineau am 3. August 1956. Zitiert nach: Ageron, Charles-Robert: L’opération de Suez et la guerre d’Algérie, in: La France et l’opération de Suez, hg. v. Vaїsse, S. 43–60, S. 48. Der israelische Botschafter Tsur bestätigt Pineaus Überzeugung von „l’influence du Caire sur le conflit algérien“. Tsur: Prélude à Suez, S. 312. 314 MDN, 1 R 247: 08.08.1956, Inspection des forces, Mesures de tension politique, S. 1. 315 André Philip, in: OURS, Comité Directeur, Procès verbaux 1956/57, 05.09.1956, S. 4. 316 OURS, Fonds Champeix, 6 APO 2: 14.08.1956, Télégramme Lacoste au Président, S. 1. 317 Pineau verband damit die Vorwarnung, dass Frankreich zur Not auch ohne amerikanische oder britische Hilfe militärisch in Ägypten eingreifen werde. DDF, 1956 II: 105, 01.08.1956, Gespräch Pineau-Dulles, S. 210. Gegenüber dem britischen Außenminister soll Pineau geäußert haben: „One successful battle in Egypt would be worth ten in North Africa“. Zitiert nach: Freiberger: Allianzpolitik in der Suezkrise 1956, S. 255. Der Außenminister bestreitet in seinen Memoiren, einen Zusammenhang zwischen dem Sturz Nassers und der Algerienfrage hergestellt zu haben: „J’estime encore que, si Nasser n’avait pas existé, le processus qui devait conduire au désastreux accords d’Évian se fût déroulé de la même manière“. Pineau: Suez 1956, S. 76.

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IV. Der Preis des Krieges

rer une politique à longue échéance qui soit de nature à sauver le pays“, sagte Jean-Marie Le Pen voraus318. Die Athos-Affäre lieferte den bis dahin fehlenden Beweis für eine direkte und essentielle Einmischung Ägyptens in den Algerienkonflikt und so schloss sich auch die Öffentlichkeit der Haltung der Politik an. Drei Viertel der Franzosen teilten die Überzeugung, Frankreichs Haltung gegenüber Ägypten in der Suezfrage entscheide über den Ausgang der Rebellion in Algerien319. Entgegen der offiziellen Zielsetzung der franko-britischen Militärintervention, die Konfliktparteien Israel und Ägypten zu trennen und den Suezkanal zu sichern, sah das Szenario der französischen Führung vor, „d’abattre Nasser, donc de battre l’armée égyptienne et d’aller au Caire“320. Mit dem Sturz des ägyptischen Staatschefs und der Einsetzung einer pro-französischen Regierung wähnte Paris, dem Aufstand in Algerien einen vernichtenden Schlag versetzen zu können. „Nous avons tout à gagner en Algérie d’une action militaire menée avec la GrandeBretagne“, glaubte Minister Lacoste321. Frankreich überschätzte den ägyptischen Einfluss auf die algerische Rebellion und ließ andere wesentliche Faktoren bei der Interventionsentscheidung außer Acht322. Die Athos-Affäre lieferte ein Indiz für eine intensivere Unterstützung des FLN durch Ägypten, als es Militär und Geheimdienst bisher angenommen hatten. Sie widerlegte keineswegs die Tatsache, dass in Algerien keine Waffen aus ägyptischem Armeebestand sichergestellt wurden. Für Jacques Chevallier stand ungeachtet der Athos-Affäre außer Frage, dass der algerische Auftstand weder politisch noch militärisch von der ägyptischen Unterstützung abhing323. Das ganze Szenario stand und fiel mit einem raschen Sturz Nassers. Einige Entscheidungsträger in Paris maßen Berichten von ägyptischen Informanten, die Opposition werde sich bei der ersten Landung französischer Truppen gegen das Regime erheben, eine Bedeutung zu, die in keinem Verhältnis zur Glaubwürdigkeit stand324. Die Möglichkeit des Scheiterns der Umsturzpläne bedachte die französische Regierung bei ihrer Entscheidung scheinbar nicht. Des Weiteren hätte die in Kairo

318 Jean-Marie Le Pen (UFF), in: JOAN, 28.07.1956, S. 3717. 319 Sondages 18, 4 (1956), S. 11. Die französische Öffentlichkeit unterstützte den Regierungskurs während der Suezkrise und hieß auch die militärische Intervention mehrheitlich gut. Sondages 18, 4 (1956), S. 18. 320 MDN, 1 R 23: 11.02.1957, Rapport sur l’Opération d’Égypte, Force A, Le Général Beaufre, S. 4. 321 OURS, Champeix, 6 APO 2: 14.08.1956, Télégramme Lacoste au Président, S. 2. 322 Der Abgeordnete Léon Hovnanian (RRS) formulierte im Parlament den Vorwurf, die Regierung habe den Einfluss Ägyptens auf die Rebellion bewusst übertrieben dargestellt, um einen Vorwand für die Intervention zu haben. JOAN, 04.12.1956, S. 6120. 323 OURS, AGM 82: Jacques Chevallier: Réflexions sur l’évolution de la situation algérienne, S. 4. 324 MDN, 1 R 23, 11.02.1957, Rapport sur l’Opération d’Égypte, Force „A“, Le Général Beaufre, S. 4 und DDF, 1956 II: 31.07.1956, 100, Dubois à Savary, S. 200: „à l’intérieur même de l’Égypte où les opposants de l’apprenti dictateur ne manquent pas“. In den frühen Planungen und Begründungen der Intervention spielte Israel noch keine Rolle.

3. Nebenkriegsschauplatz Suezkanal

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ansässige Exil-Führung des FLN kaum Schwierigkeiten gehabt, im Falle eines Regimewechsels in einem anderen arabischen Staat Protektion zu finden. Die Fokussierung auf Ägypten als angebliches Herz des Aufstands verdeckte die inneralgerischen Faktoren und den wachsenden Rückhalt der Rebellen in der Bevölkerung, den ein Krieg um den Suezkanal in kolonialem Stil weiter verstärken würde. „Même s’il [Nasser] est renversé, l’affaire algérienne demeurera aussi grave et aussi aiguë“ gab Arthur Conte im Oktober 1956 zu bedenken325. Bei den geheimen Gesprächen in Sèvres legten die Vertreter Großbritanniens den französischen Partnern daher nahe, die Intervention in Ägypten mit einer Verhandlungsinitiative in Algerien zu verbinden. „Un tel geste serait de nature à isoler Nasser, à précipiter sa chute et à éviter les réactions arabes“326. Auf internationaler Ebene riskierte die Intervention die Bildung einer geschlossenen Front gegen die französische Nordafrikapolitik. Der weltweite Druck auf Frankreich, sich der Entkolonialisierung nicht länger entgegenzustellen, konnte durch eine Militäraktion nur größer werden. Nicht zuletzt wurde aufgezeigt, dass eine kriegerische Lösung der Suezfrage den ökonomischen Interessen Frankreichs widersprach und eine Zuspitzung der angespannten Finanz- und Devisensituation hin zu einer handfesten Krise förmlich herbeirief. Neben der Hoffnung, sich auf einen Schlag des Algerienproblems zu entledigen, motivierte Paris das Bedürfnis, der Welt Frankreichs Großmachtstellung zu demonstrieren. Zahlreichen Politikern galt dies als unabdingbare Voraussetzung, um von arabischen Staaten und deren Bevölkerungen respektiert zu werden. Ohne diesen Respekt könne weder die Befriedung Algeriens noch die Interdependenzpolitik mit Tunesien und Marokko gelingen. Der Abgeordnete Bernard Manceau zitierte in diesem Zusammenhang ein arabisches Sprichwort: „Si tu es lion, je suis mouton, si tu es mouton, je suis lion“. Frankreich müsse daher mit der Stärke eines Löwen agieren, damit sich die Muslime treu und ergeben wie Schafe zeigten327. Ein Scheitern der ‚Grande Nation‘ im Nahen Osten und „le moindre indice de faiblesse pourraient être le signal d’une nouvelle et grave agitation dans le pays et d’une hostilité du gouvernement marocain envers nous“, warnte Frankreichs diplomatische Vertretung in Rabat328. Botschafter Dubois prognostizierte Auftrieb für die anti-französischen Kräfte und sinkende Kooperationsbereitschaft seitens der marokkanischen Regierung, sollte Frankreich Schwäche zeigen und Nasser als Sieger aus dem Streit um den Suezkanal hervorgehen. „L’interdépendance serait gravement compromise“329. Die Außen- und Nordafrikapolitik auf solch simplifizierte Annahmen zu stützen, ließ jene Weitsicht vermissen, die Diplomaten vor der Nationalisierung der Kanalgesellschaft an den Tag gelegt hatten. Der Hinweis, „le monde arabe nous

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JOAN, 16.10.1956, S. 4128. AN, 580 AP 14: Octobre 1956, Protocole de Sèvres, S. 2. Bernard Manceau (CNI), in: JOAN, 08.03.1956, S. 767. DDF, 1956 III: 117, 04.11.1956, Laloutette an Faure, S. 188. DDF, 1956 II: 100, 31.07.1956, Dubois an Savary, S. 199 und 208, 24.09.1956, S. 440.

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IV. Der Preis des Krieges

jugera sur notre attitude dans cette affaire“, hätte auch als Mahnung zu einer besonnenen Außenpolitik verstanden werden können330.

Folgen der Militärintervention „Comme s’il fallait s’y attendre“: Die Konsequenzen aus der militärischen Intervention in Ägypten entsprachen weitgehend dem, was prognostiziert worden war331. Zwar konnte sich Frankreich für kurze Zeit der Kontrolle über den Suezkanal erfreuen. Wie zu erwarten, machten die vorausgegangenen Blockademaßnahmen Ägyptens den Kanal jedoch über Monate hinweg für die Schifffahrt unpassierbar332. Die Ölversorgung gestaltete sich in den ersten Monaten nach dem Suezkrieg als schwierig. Einige der wichtigsten Produzenten reduzierten ihre Verkäufe an Frankreich drastisch oder sahen sich aufgrund blockierter Pipelines außer Stande zu liefern. Paris kam zugute, dass nicht alle arabischen Staaten dem Aufruf zum Boykott Frankreichs folgten. Des Weiteren waren die strategischen Ölreserven in den Wochen vor der Intervention aufgefüllt worden, so dass ein zeitlicher Puffer entstand, um die verbleibende Lücke durch eine Restrukturierung der Importe zu schließen333. Vor allem die USA und Venezuela erhöhten ihre Lieferungen an Frankreich deutlich334. Gleichwohl wurde am 29. November 1956 ein System zur Rationierung von Treibstoffen eingeführt, das erst im September 1957

330 Botschafter Dubois maß der Aussage die gegenteilige Bedeutung bei und forderte eine Politik der Stärke. DDF, 1956 II: 100, 31.07.1956, Dubois à Savary, S. 198. 331 Jean Pronteau (PC), in: JOAN, 21.11.1956, S. 4968. 332 Dass diese Maßnahme Ägyptens abzusehen gewesen war, betonte der Abgeordnete Alfred Malleret-Joinville (PC), in: JOAN, 06.12.1956, S. 5595. Für Schiffe aller Größen wurde der Suezkanal am 9. April 1957 wieder passierbar. Musset, René: La crise de Suez et le pétrole, ses enseignements, in: Annales de Géographie, 366 (1959), S. 161–167, hier S. 161. 333 Pineau erklärt dies als Vorsichtsmaßnahme gegen eine mögliche Blockade des Kanals durch Ägypten, die nicht in Zusammenhang mit der späteren Militärintervention gestanden habe. Pineau: Suez 1956, S. 97. In den ersten drei Monaten des Jahres 1957 verkaufte SaudiArabien 98 Prozent weniger Öl an Frankreich als im Vorjahreszeitraum. Besonders kritisch wirkte sich die Sabotage der irakischen Pipeline durch Syrien aus, da die Importe aus dem Irak in Francs bezahlt wurden. Die Exporte des bis dato größten Öllieferanten Irak sanken im selben Zeitraum um 90 Prozent. Kuweit steigerte seine Lieferungen bis März 1957 um etwa 30 Prozent, Katar um mehr als 100 Prozent. Commerce extérieur, Trois premier mois 1956, S. 189; 211. Commerce extérieur, Trois premier mois 1957, S. 194; 218 und Musset: La crise de Suez et le pétrole, S. 161. 334 Von Januar bis März 1957 stiegen die amerikansichen Ölexporte an Frankreich um 269 Prozent. Die Importe aus Venezuela stiegen im selben Zeitraum um 300 Prozent. Der Preis pro Fass erhöhte sich allerdings kräftig. Das Verhältnis Liefermenge zum Preis verschlechterte sich von 1,44 auf 1,02. Commerce extérieur, Trois premiers mois 1956, S. 203; 242 und Commerce extérieur, Trois premiers mois 1957, S. 209; 254.

3. Nebenkriegsschauplatz Suezkanal

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vollständig aufgehoben wurde335. Nach zwischenzeitlichen Engpässen ermöglichten die anfängliche Neuordnung der Handelswege und die spätere Normalisierung der Beziehungen zu den Boykottländern zwar ein um 2,1 Prozent höheres Importvolumen an Erdöl. Die Steigerungsrate blieb jedoch deutlich unter denen des Vorund Folgejahres und somit hinter der Nachfrage zurück336. Ein Teil des Energiebedarfs wurde durch zusätzliche Kohleeinfuhren gedeckt337. Ein relativ milder Winter in Frankreich entschärfte die Situation etwas. Waren im Februar 1956 noch die tiefsten Temperaturen des 20. Jahrhunderts aufgezeichnet worden, lagen die Werte ein Jahr später deutlich über dem Durchschnitt338. Insgesamt fielen die quantitativen Folgen weniger drastisch aus, als befürchtet worden war339. Für die Erhaltung der Ölversorgung zahlte Frankreich indes einen hohen Preis. Die Kosten für die Importe fossiler Energieträger verteuerten sich 1957 um 24,3 Prozent340. Die Suezkrise trug maßgeblich zur Zuspitzung der französischen Finanzkrise bei. Der Außenhandel mit Ägypten brach ein, jener mit anderen arabischen Staaten ging zurück341. Sinkende Exportmöglichkeiten und teurere Importe vergrößerten das ohnehin schon gewaltige Leistungsbilanzdefizit weiter342. Dabei hatte die Regierung im November 1956 eine Verbesserung der Außenhandelsbilanz um 100 Milliarden Francs vorausgesagt343. Die wenige Jahre zuvor noch komfortablen Devisenreserven lösten sich in kurzlebiges amerikani-

335 Die Wiederfreigabe des Treibstoffmarkts erfolgte progressiv. Einige Arten wurden bereits im März und im Juni freigegeben. Vgl. Murat, Daniel: L’intervention de l’État dans le secteur pétrolier en France, TECHNIP, Paris, 1969, S. 51 336 Les Comptes de la Nation, S. 105. 337 Die Einfuhren fester mineralischer Energieträger stiegen von 1956 auf 1957 um 14,4 Prozent. 1958 sanken diese Importe wieder deutlich unter das Niveau von 1956. Les Comptes de la Nation, S. 105 338 Im Februar 1957 lag die Durchschnittstemperatur um 9 Grad Celcius über dem Vorjahresniveau. Auf die Monate Januar bis März gerechnet belief sich der Unterschied auf etwa 3 Grad Celcius. Vgl. ‚Méteo Paris‘ http://www.meteo-paris.com/chronique/annee/1956 und http://www.meteo-paris.com/chronique/annee/1957. 339 Frankreich profitierte in hohem Maße vom Entgegenkommen der USA, die sich trotz aller Kritik am französischen Vorgehen für eine Begrenzung der negativen Auswirkungen der Blockade des Kanals einsetzten. Vgl. Foreign Relations of the United States, 1955–1957, Western Europe and Canada, Volume XXVII: 29, November 27, 1956, Telegram From the Embassy in France to the Department of State, Dillon, S. 89. Siehe darin auch: 31, December 31, 1956, Memorandum From the Deputy Assistant Secretary of State for European Affairs (Elbrick) to the Secretary of State, S. 92f. 340 Das gestiegene Importvolumen von 2,1 Prozent ist in diesem Wert bereits berücksichtigt. Les Comptes de la Nation, S. 105. Inbegriffen sind Öl, Erdgas und Kohle. 341 Commerce extérieur, Sept premiers mois 1957, S. 194; 207. 342 1955 wies die französische Leistungsbilanz noch einen Überschuss von 62 Milliarden Francs auf. 1956 wurde ein Defizit von 353 Milliarden Francs verbucht. Vingt-septième rapport annuel, Banque des Règlements Internationaux, Basel, 1957, S. 158. 343 JOAN, 19.11.1956, S. 4846f.

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IV. Der Preis des Krieges

sches Öl auf und erreichten gegen Ende des Jahres einen kritischen Punkt344. Ein weiteres Jahr wie 1957 konnten die französischen Finanzen nicht überstehen345. Zum Jahresabschluss fehlten in der Zahlungsbilanz umgerechnet mehr als eine Milliarde US-Dollar346. Schon im Oktober 1956 hatte Frankreich auf finanzielle Hilfe des Internationalen Währungsfonds (IWF) im Umfang von 262,5 Millionen US-Dollar zurückgreifen müssen347. Anfang und Ende 1957 standen Hilfsanfragen bei den USA in ähnlicher Höhe im Raum. Aus politischen Gründen entschied sich die französische Regierung zunächst gegen diesen Schritt. Sie fürchtete, der amerikanische Kongress könnte die Gewährung von Finanzhilfen an Reformen in Algerien knüpfen. Paris riskierte somit eine weitere Zuspitzung der Devisenkrise, „mais nous nous réservions ainsi la possibilité de choisir d’ici là en toute liberté, l’orientation que nous voulons donner à notre politique nord-africaine“, tröstete der Leiter der ‚Direction économique‘, Olivier Wormser348. Die Krise setzte sich fort und letztendlich kam die französische Regierung um eine Kreditaufnahme von gut 500 Millionen US-Dollar bei den USA und der OEEC nicht mehr umhin349. Über die genauen Kosten der Suezintervention finden sich in den Quellen sehr unterschiedliche Angaben. Die Fülle von direkten und indirekten Faktoren, die es zu deren Bestimmung zu berücksichtigten galt, begründen diesen Umstand ebenso wie das jeweilige Interesse, das sich mit einer hoch oder niedrig angesetzten Summe verband. Das Verteidigungsministerium machte gegenüber dem Finanzministerium keine genauen Angaben über die Aufwendungen der Militäroperation350. Pierre Mendès-France schätzte diese im Parlament auf 50 Milliarden Francs351. Auch andere Positionen konnten nur grob bestimmt werden. Die ‚Direction du Budget‘ berücksichtigte in ihrer Kalkulation eine Vielzahl von Einzelposten und ging von direkten Kosten und Einnahmeverlusten im Umfang von insgesamt 135 Milliarden Francs aus. Eine Summe von 245 Milliarden Francs

344 Ende 1955 betrugen die Dollar-Reserven 2,04 Milliarden. Zwei Jahre später waren es noch 725 Millionen US-Dollar. MAE, DÉ, Wormser, 77: Situation des avoirs engagements de la Banque de France. 345 Die Ende 1957 verbliebenen Dollar-Reserven überstiegen mit 725 Millionen zwar die Nettoimporte Frankreichs aus den USA (602 Millionen US-Dollar). Hinzuzurechnen waren aber die Einfuhren aus weiteren Ländern, die in US-Dollar zu begleichen waren. In der Summe überstieg der Bedarf den Bestand. 346 Aron, Raymond: French Economic Recovery, in: Institute of Public Affairs Review, 13 (1959), S. 87–96, hier S. 89. 347 Der Betrag war der größte, den der IWF bis dahin an ein Land vergeben hatte. Boughton: Northwest of Suez. 348 MAE, DÉ, Wormser, 77: 30.01.1957, Note pour Monsieur Gazier, OW/BH, P. 160. Im selben Ordner: 22.02.1957, Note, aide américaine, OW/BH, P. 175 und MFE, B 52206: 09.11.1957, Note pour le Ministre, Service des études, S. 1–3. 349 Aron: French Economic Recovery, S. 89. 350 MFE, B 0016074: 20.12.1956, Perspectives du budget 1957, Direction du Budget, S. 10. In den Archiven des Verteidigungsministeriums finden sich keine präzisen Angaben. 351 Les Cahiers de la République, 12 (1958), S. 44.

3. Nebenkriegsschauplatz Suezkanal

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kursierte im ‚Conseil de la République‘352. Finanzminister Ramadier hielt die Lasten für kaum der Rede wert353. 245 Milliarden entsprächen gleichwohl 7,5 Prozent der französischen Staatseinnahmen aus dem Jahr 1956354. Einige indirekte Lasten schlugen langfristig zu Buche. Französisches Kapital im Wert von 70 Milliarden Francs wurde nach der Suezkrise in Ägypten konfisziert. Im August 1958 wurden im Rahmen der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen die Rückgabe oder Entschädigungen vereinbart, für die Frankreich gleichwohl finanzielle Gegenleistungen in Form von Kreditbürgschaften erbrachte355. Andere Staaten, wie Italien und die Sowjetunion, nutzten die Ereignisse am Suezkanal, um ihren Position in Ägypten zu stärken, die Handelsbeziehungen auszubauen und französischen Einfluss zu verdrängen356. Fünf Prämissen sollten nach einer Studie aus dem Jahr 2009 über den Einfluss der Ökonomie auf die Außenpolitik die Entscheidungen eines Staates leiten357. Die Vorgehensweise der Entscheidungsträger in Paris während der Suezkrise widersprach ihnen allen: Erstens senkte die Wahrnehmung Frankreichs als imperialistischer Aggressor die Bereitschaft einiger Länder zum Aufbau von Handelsbeziehungen und zum Kauf französischer Produkte. Zweitens gefährdete der Verlust von Einfluss und Sympathien im Nahen Osten und in Nordafrika den dortigen Marktzugang und die Versorgung mit lebenswichtigem Öl. Drittens erlitt die Liberalisierung des Außenhandels in Folge der Suezkrise einen Dämpfer, da sich die Regierung aufgrund des großen Zahlungsbilanzdefizits zu temporären Gegenmaßnahmen gezwungen sah. Viertens verschlechterten die antifranzösischen Proteste in arabischen Ländern die Investitionsbedingungen französischer Unternehmen. Ägypten etwa reagierte erwartungsgemäß mit Enteignungen auf die frankobritische Militärintervention. Fünftens fungierte das außenpolitische Vorgehen als Bremsklotz für die ökonomischen Interessen des Landes, anstatt in der Welt neue Märkte zu aquirieren. In außenpolitischer Hinsicht endete die Suezkrise in einem Fiasko. International litt das Ansehen Frankreichs, um das es aufgrund der Krisen in Nordafrika ohnehin nicht zum Besten stand. Das Verhältnis zum wichtigsten Verbündeten USA erreichte einen Tiefpunkt358. Die Siedler in Marokko und Tunesien sorgten 352 353 354 355

MFE, B 0016074: 20.12.1956, Perspectives du budget 1957, Direction du Budget, S. 11. OURS, AGM 12: Discours Paul Ramadier au Conseil National du S.F.I.O 16.11.1956, S. 5. Budget, 1956, S. 7. Bei der Umsetzung der Zusagen legte Ägypten keine Eile an den Tag. Mitte Oktober stand das Problem weiter auf der Agenda der französischen Außenpolitik. DDF, 1958 II: 239, 10.10.1958, Ambassade, Beirut, au MAE, S. 501f. und DDF, 1958 II: 250, 15.10.1958, MAE aux ambassades de Rabat Tunis, S. 521. 356 MFE, B 00010788/1: 07.08.1963, L’ambassadeur français en Égypte und DDF, 1956 III: 158, 10.11.1956, Note de la Direction générale Politique, S. 272. 357 Kasper, Sven S.: Systemtheoretische Analyse des Einflusses der deutschen Wirtschaft auf die deutsche Außenpolitik, Lit Verlag, St. Gallen, 2009. 358 Washington hatte im Verlauf der Suezkrise immer wieder deutlich gemacht, keiner Militäraktion zuzustimmen, solange der Schiffsverkehr durch den Kanal gewährleistet blieb. Die US-Regierung fürchtete insbesondere eine Ausweitung des sowjetischen Einflusses in Ägyp-

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IV. Der Preis des Krieges

sich um ihre Sicherheit und fürchteten eine „campagne de fanatisme et de xénophobie“359. Der aufgeheizten Stimmung in zahlreichen arabischen Staaten konnten sich die Regierenden nicht entziehen; die Position Frankreichs in einigen Ländern war nachhaltig geschädigt360. Zwar erlitt Ägypten im Suezkrieg eine vernichtende militärische Niederlage und Paris hoffte, diese propagandistisch auszunutzen zu können361. Letztlich gelang es dem ungeliebten ägyptischen Diktator jedoch, sich als Held der arabischen Welt zu präsentieren und gestärkt aus der Krise hervorzugehen. In Algerien ging die Rebellion währenddessen unvermindert weiter. Ägyptische Panzer, Flugzeuge und Geschütze, die Frankreich und seine Verbündeten zu hunderten zerstört hatten, waren ohnehin nicht an algerische Kombattanten geliefert worden362. Die Möglichkeit Handwaffen zu schmuggeln, blieb bestehen und von sinkender Bereitschaft dazu konnte kaum ausgegangen werden. Die Einschätzung von Georges Vialet, die Militäroperation sei „payante car, en paralysant l’Égypte de Nasser, elle a probablement sonné le glas de la rébellion algérienne“, war somit reiner Zweckoptimismus363. Keinesfalls sollte die ab 1959 einsetzende militärische Trendwende im Zuge des Challe-Plans als verzögerter Erfolg der Suezintervention interpretiert werden364. Schlussendlich hing der algerische Unabhängigkeitskampf ohnehin nicht von der ägyptischen Waffenhilfe ab, in letzter Konsequenz nicht einmal von militärischen Erfolgen. Er wurde von einem wachsenden Teil der algerischen Bevölkerung getragen und erfuhr auf internationaler Ebene zunehmend Unterstützung. Anstatt den FLN nachhaltig zu schwächen, verschaffte ihm „cette expédition militaire digne du XIXe siècle“ neuen Zulauf365. Sie

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ten. Die amerikanische Verärgerung über den franko-britischen Alleingang reichte so weit, dass Washington lange zögerte, in Reaktion auf die Drohung der UdSSR, Paris und London nuklear anzugreifen, den Verbündeten öffentlich die transatlantische Solidarität zu versichern. Erst nachdem Frankreich den von der UNO geforderten Waffenstillstand akzeptierte, entspannte sich das franko-amerikanische Verhältnis etwas. Die Beziehungen blieben gleichwohl dauerhaft belastet. DDF, 1956 III: 126, 06.11.1956, S. 212; 132–133, 06.11.1956, S. 222f.; 147, 08.11.1956, S. 252. DDF, 1956 III: 87, 02.11.1956, Lalouette an Faure, S. 143. Einschätzung der ‚Direction générale Politique‘ vom 10.11.1956. DDF, 1956 III, S. 271f. Ähnlich: Leveau, Remy: Politique et image de la France au Moyen-Orient depuis 1956, in: La guerre d’Algérie et les Français, hg. v. Rioux, S. 477–483, hier S. 477. Ein entsprechendes Konzept wurde im Verteidigungsministerium erarbeitet: MDN, 1 H 2595: 20.11.1956, État-major, l’exploitation des récents événements sur le plan psychologique. Das Verteidigungsministerium zählte 150 zerstörte ägyptische Panzer, 200 Flugzeuge sowie 1.000 Fahrzeuge im Gesamtwert von 100 Milliarden Francs. MDN, 1 H 2595: 20.11.1956, État-major, l’exploitation des récents événements sur le plan psychologique, S. 2f. Vialet: L’Algérie restera française, S. 104. Der ‚Challe-Plan‘, benannt nach dem kommandierenden General Maurice Challe, bezeichnet die französische Militäroffensive gegen den FLN zwischen 1959 und 1961. Zum Verlauf des Krieges: Alexander, Martin S./Keiger, J. F. V.: France and the Algerian War. Strategy, operations and diplomacy, in: Journal of Strategic Studies, 25, 2 (2002), S. 1–32, hier S. 16. Zitat: Léon Hovnanian (RRS), in: JOAN, 18.12.1956, S. 6120. Die von der Generalregierung in Algier herausgegebene Zeitschrift ‚Documents Algériens‘ schrieb, die Algerienpolitik „est

3. Nebenkriegsschauplatz Suezkanal

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minderte die Glaubwürdigkeit der französischen Nordafrikapolitik, die offiziell mit Kolonialismus nichts gemein haben sollte. Viele Algerier sahen sich in ihrer Annahme bestätigt, dass Frankreich im Zweifelsfall auf Gewalt setze, um seine imperialen Interessen durchzusetzen366. Nach der ‚Ben Bella Affäre‘ und dem Suezkrieg verhärteten sich die Fronten, eine politische Lösung der Algerienfrage erschien unwahrscheinlicher denn je367. Die Argumente, mit denen die Regierung die offensichtlich negative Bilanz zu relativieren versuchte, wirkten großteils konstruiert. Außenminister Pineau meinte, der Verlust der ökonomischen und kulturellen Position Frankreichs in Ägypten sei unabhängig von der Suezkrise unausweichlich gewesen, da Nasser dies seit jeher angestrebt hätte368. Damit widersprach Pineau nicht nur den eigenen Äußerungen vom Juni 1956, sondern ebenso der Einschätzung der ‚Direction économique‘ seines Ministeriums, die eine schnellstmögliche Wiederbelebung der franko-ägyptischen Handelsbeziehungen anmahnte369. Verteidigungsminister Bourgès-Maunoury erkannte in der Blockade des Suezkanals eine Rechtfertigung ex post für die Militäraktion, da sichtbar geworden sei, „à quel point nous étions soumis aux risques de l’arbitraire d’un gouvernement de Nasser“. Ohne das schnelle Eingreifen der französischen Truppen hätten die Ökonomien des Westens irreparable Schäden erlitten370. Bis zum Beginn der Intervention hatte es freilich keinerlei Anzeichen für eine Gefährdung der freien Schifffahrt durch den Kanal gegeben. Ein Parlamentarier der Regierungsmehrheit relativierte die sich verschärfende Krise der Automobilindustrie mit dem wenig überzeugenden Hinweis, die Branche habe sich ohnehin in einer schwierigen Lage befunden371. Da eine merkliche Schwächung des FLN ausblieb, wurde ein direkter Zusammenhang zwischen Algerien- und Suezkrieg von offizieller Seite alsbald verneint. „Il serait faux de penser que la solution du problème égyptien eût apporté par cela même une solution définitive au problème algérien“, beteuerte Guy Mollet vor der Nationalversammlung372. Stattdessen rückte die Rettung des israelischen Davids vor

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aux antipodes de ce que l’on entend communément par colonialisme ou impérialisme“. Documents Algériens, 124 (1957): Le rôle de la Métropole dans le développement économique de l’Algérie. (ANOM, FM 81F 57). Edgar Faure gab an, moderate Algerier hätten ihm gegenüber geäußert, sich als Reaktion auf die Suezintervention dem FLN anschließen zu wollen, da sie nicht mehr an eine einvernehmliche Lösung der Algerienfrage glaubten. Faure: Mémoires, II, S. 662. Ähnlich meint Rioux, der Suezkrieg habe zu einer Verlängerung des Algerienkriegs beigetragen. Rioux, Jean-Pierre: La France de la IVème République. II. L’expansion et l’impuissance, Seuil, Paris, 1983, S. 114. Christian Pineau (SFIO), in: JOAN, 04.12.1956, S. 6155. MAE, DÉ, Directeurs, Wormser, 17: 12.11. 1957, Note, Stand der Verhandlungen mit Ägypten. Maurice Bourgès-Maunoury (RRS), in: JOAN, 06.12.1956, S. 5593. Maurice Deixonne (SFIO), in: JOAN, 19.12.1956, S. 6162. Guy Mollet (SFIO), in: JOAN, 20.12.1956, S. 6175.

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IV. Der Preis des Krieges

dem ägyptischen Goliath373 und der „réflexe antimunichois“ in den Fokus der Rechtfertigung374. Guy Mollet gab bis an sein Lebensende an, stolz auf die Rettung Israels gewesen zu sein375. Nicht alle Franzosen ließen sich von der offiziellen Argumentation überzeugen376. Resigniert stellte Jacques Chevallier fest, „tous les arguments en faveur

373 Über das militärische Kräfteverhältnis und die Gefahr eines Angriffs der ägyptischen Armee auf Israel wird in der Literatur gestritten. Auch die Quellen zeichnen ein widersprüchliches Bild. Herzog schätzt die potentielle Überlegenheit Ägyptens auf 4 zu 1. Herzog, Chaim: The Suez-Sinai Campaign: Background, in: The Suez–Sinai Crisis, hg. v. Troen/Shemesh, S. 3– 14, hier S. 5. Le Monde Diplomatique, (Mai 1956, S. 3) sah den Vorteil weniger eindeutig. Bernard hingegen sah Israel zum Zeitpunkt der Suezkrise militärisch nicht bedroht. Bernard: La genèse de l’expédition, S. 23. Im September 1955 glaubten die USA und Großbritannien sogar an eine israelische Überlegenheit. MAE, DÉ, Dir, Wormser, 17: 05.09.1955, Note de la direction générale, direction d’Afrique-Levant, P. 64. Im Februar 1956 hingegen sprach die US-Führung von einem ägyptischen Rüstungsvorsprung. MAE, CM, Pineau, 30: E.V. Lawrence: Egypt and the West. Salient Facts Behind the Suez Crisis, New York, 1956 (September). Letztlich lässt die Menge der im Verlauf des Suezkriegs zerstörten ägyptischen Waffen an der numerischen Übermacht Ägyptens kaum einen Zweifel. Modernere Waffensysteme und eine bessere Ausbildung ermöglichten Israel dennoch einen raschen Sieg. Tel Aviv nutzte die Suezkrise, um eine potentielle Gefahr präventiv auszuschalten und sich Zugang zum Golf von Akaba zu verschaffen. Der Suezkanal selbst spielte kaum eine Rolle. Vgl. Peres, Shimon: David’s Sling, Littlehampton, New York, 1970, S. 15f. 374 Obwohl Frankreichs Intervention offiziell der freien Schifffahrt diente, gab Mollet vor dem Parlament die Bedrohung Israels und die Erinnerung an München 1936 als ausschlaggebende Faktoren an. JOAN, 20.12.1956, S. 6175. Auch gegenüber der Führung der SFIO verwies er auf den Schutz des jüdischen Staates. „Si nous le [Israël] laissions agir seul, il était [sic] rayé de la carte du monde“. OURS, Comité directeur, Procès verbaux 1956/57, 28.11.1956, S. 6. Der maßgeblich an der Planung der Intervention beteiligte Kabinettsdirektor im Verteidigungsministerium, Abel Thomas, bestätigte später die Rettung Israels als zentrales Handlungsmotiv. Thomas, Abel: Comment Israël fut Sauvée. Les Secrets de l’Expédition de Suez, Albin Michel, Paris, 1978. Gelüftet wurde das offene Geheimnis der Absprache mit Israel 1957 durch eine Publikation der Journalisten und Brüder Serge und Merry Bromberger. Bromberger, Merry und Serge: Les Secrets de l’expédition d’Égypte, Éd. 4 Fils Aymon Paris, 1957. 375 Elgey, Georgette: Le gouvernement Guy Mollet et l’intervention, in: La France et l’opération de Suez, hg. v. Vaїsse, S. 27–42, hier S. 33. Frankreich hatte zum Schutz Israels Mystère IV Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe entsandt. Diese Zusage steht in einem Zusatz zum Protokoll von Sèvres. AN, 580 AP 14: Annexe au Protocole de Sèvres du 24 Octobre 1956. Während einige israelische Politiker und Offiziere die französische Militärhilfe im Nachhinein als symbolisch bezeichneten, misst Molani ihr eine wichtige Rolle bei. Golani, Motti: Israel in Search of a War. The Sinai Campaign, 1955–1956, Brighton, Sussex Acad. Press, 1998, S. 148f. 376 Der sozialistische Senator Jean Geoffroy kritisierte in einem Brief an Mollet, die Intervention habe die Interessen Frankreichs in der Region nachhaltig geschädigt. Kritik kam ferner von der ‚Ligue Internationale des Femmes pour la Paix et la Liberté‘. Vgl. OURS, AGM 80: 31.10.1956, Jean Geoffroy, Sénateur de Vaucluse, à Mollet und 31.10.1956, Ligue Internationale des Femmes pour la Paix et la Liberté à Mollet.

3. Nebenkriegsschauplatz Suezkanal

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d’une intervention en Égypte se retournent contre nous“377. Im Parlament übte vornehmlich die linke parlamentarische Opposition Kritik378. Eine eindeutige Mehrheit von 380 zu 191 Abgeordneten sprach Guy Mollet gleichwohl am 31. Oktober 1956, nach Beginn der Intervention, das Vertrauen aus379. Auch als die negativen Folgen des Suezkriegs spürbar wurden, konnte die Regierung auf den Rückhalt der Parlamentarier und der Bevölkerung zählen. Ministerpräsident Guy Mollet blieb bis Juni 1957 im Amt und hält mit anderthalb Jahren den Rekord der längsten Amtszeit in der IV. Republik. 44 Prozent der Franzosen hießen die Suezintervention im Rückblick gut, 33 Prozent hielten sie für einen Fehler380. Kräftig steigende Löhne und Vollbeschäftigung ließen Kritik aus Sicht vieler Bürger als Schwarzmalerei erscheinen. Des Weiteren bestand die große Hoffnung, dank der Sahara bald ohnehin nicht mehr auf den Suezkanal und ausländische Ölimporte angewiesen zu sein381. Die Suezintervention trug zum Militärputsch im Mai 1958 und somit zum Ende der IV. Republik bei. Nach dem Debakel in Indochina und der Unabhängigkeit der Protektorate blamierte die Politik Frankreich in den Augen des Militärs ein weiteres Mal vor aller Welt, indem sie einen militärischen Sieg in eine politische Niederlage verwandelte382. Mit den Plänen von Regierungschef Pflimlin, in Algerien eine Verhandlungslösung anzustreben, war für einige Generäle die Grenze der zu ertragenden Demütigungen erreicht. Zur Rettung Französisch-Algeriens schienen sie zu allem bereit. Unter Charles de Gaulles vollzog die V. französische Republik einen Kurswechsel, der darauf abzielte, die belasteten Beziehungen zu

377 OURS, AGM 82: Jacques Chevallier: Réflexions sur l’évolution de la situation algérienne, S. 5. 378 Pierre Cot (RS) verwies auf die Verschlechterung der Beziehungen Frankreichs zu den arabischen Staaten und die negativen Folgen für die Nordafrikapolitik. JOAN, 31.10.1956, S. 4440. Jean Pronteau (PC) rückte die Probleme bei der Ölversorgung und die Folgen für die französische Wirtschaft in den Fokus seiner Kritik. JOAN, 21.11.1956, S. 4968. Georges Bonnet (RGR) sah keines der Interventionsziele erreicht, Frankreich dafür jedoch mit einer ganzen Reihe negativer Konsequenzen konfrontiert. JOAN, 18.12.1956, S. 6117. 379 JOAN, 31.10.1956, S. 4442. 380 Umfrage vom März 1957. Sondages, 19, 3 (1957), S. 4. 381 In diesem Sinne äußerten sich die Zeitungen ‚Daily Telegraph‘ (Australien) und ‚Svenska Dagbladet‘ (Schweden). MAE, MT, Maroc (II), 416: 16.01.1958, Botschafter in Australien über Daily Telegraph, S. 2 und MAE, AL, Algérie, 54: 28.03.1957, Artikel in schwedischer Zeitung „Svenska Dagbladet“. 382 General Massu, maßgeblich am Putsch vom 13. Mai 1958 beteiligt, schrieb zum Zusammenhang mit dem Suezkrieg: „Humiliée par un échec qu’elle n’avait pas mérité, frustrée d’une victoire certaine“, habe die französische Armee schließlich beschlossen, sich den Befehlen der Politik zu widersetzen. Zwar habe man den Verlust Algeriens nicht mehr verhindern können, dafür aber Frankreich gerettet, indem das Land von der IV. Republik befreit worden sei. Massu, Jacques: Vérité sur Suez 1956, Plon, Paris, 1978, S. 229. General Beaufre, Oberkommandierender Offizier bei der Suezintervention, gab in einer Publikation der Politik die Schuld, dass „ein glänzender militärischer Erfolg“ zu einem „totalen politischen Mißerfolg“ wurde. In den Putsch 1958 war Beaufre gleichwohl nicht involviert. Beaufre, André: Die Suez-Expedition. Analyse eines verlorenen Sieges, Huber, Berlin, 1969, S. 27.

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IV. Der Preis des Krieges

den arabischen Ländern zu entspannen und sich der selbstgewählten Rolle als Retters Israels zu entledigen383.

383 In vollem Umfang ermöglichte erst die Unabhängigkeit Algeriens den Kurswechsel. In Ansätzen wurde er jedoch bereits vorher sichtbar. Eine Note empfahl beispielsweise, Ölimporte aus der Sowjetunion zu reduzieren, da es die arabischen Staaten verärgern könnte, wenn Frankreich weniger von ihrem Öl kaufe. ANOM, FM 81F 196: 01.02.1961, Note d’orientation pour l’Étude du Sahara, G. de Wailly, S. 4.

V. GRENZEN DER INTEGRATIONSPOLITIK 1. ÖKONOMISCHER ANTIKOLONIALISMUS „Algerien ist eine Kugel, die Frankreich nach sich zieht […]. Gegen eine Hütte am Rhein würde ich Algerien eintauschen“ (Paul Darmstädter, 1913)1

1.1 Wirtschaftliche Vernunft oder kapitalistischer Defätismus Die Tatsache, dass die französische Regierung die zivilen und militärischen Lasten der Integrationspolitik zunächst unterschätzte und dann bewusst verschleierte, erschwerte der Allgemeinheit ein fundiertes Urteil über die Frage, ob diese Politik ihrem persönlichen und dem Interesse der Nation entsprach. Die insgesamt positive wirtschaftliche Entwicklung Frankreichs nahm der Debatte im Empfinden vieler Menschen die Brisanz. Je länger der Krieg in Nordafrika andauerte und je mehr Milliarden in Form von öffentlichen Investitionen und Militärausgaben über das Mittelmeer wanderten, desto drängender wurde dennoch die Frage, ob Algerien um jeden Preis im französischen Verbund gehalten werden musste oder ob es ökonomische Grenzkosten gab.

Cartiérisme In der Literatur werden häufig und doch fälschlicherweise Raymond Cartier und seine Artikel in der Zeitung ‚Paris-Match‘ vom August 1956 als Initiatoren der ökonomisch begründeten Kritik an den Kolonien und der Integrationspolitik angeführt2. Cartier vertrat die Ansicht, die 1.400 Milliarden seit 1946 in Übersee investierten Francs „eussent peut-être suffi à moderniser l’économie française et à la rendre compétitive sur les marchés internationaux“3. Diese These war keineswegs neu und lässt sich in ähnlicher Form bereits deutlich früher nachweisen. Die ‚Commission des investissements‘ deutet in einem Bericht aus dem Jahr 1953 an,

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Darmstädter, Paul: Geschichte der Aufteilung und Kolonisation Afrikas seit dem Zeitalter der Entdeckung, Band 1, 1415–1870, Göschen, Berlin/Leipzig, 1913, S. 130. Darmstädter (18731934) lehrte an der Universität Göttingen Kolonial- und Wirtschaftsgeschichte. Etwa Katan Bensamoun: Le Maghreb, S. 350 oder Whitfield: Algeria in France, S. 427. Ruz differenziert zwar eindeutig zwischen dem algerischen und dem schwarzafrikanischen Diskurs. Sie erwähnt jedoch nicht die wichtige Tatsache, dass Cartier selbst ein klarer Befürworter Französisch-Algeriens war. Sein Werk L’Algérie sans mensonge zitiert sie nicht. Vgl. Ruz, Nathalie: La force du ‚Cartiérisme‘, in: La guerre d’Algérie et les Français, hg. v. Rioux, S. 328–336. Zitat: Paris-Match, (18.08.1956): En France Noire avec Raymond Cartier, S. 36.

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V. Grenzen der Integrationspolitik

dass die galoppierende Demografie und kontinuierlich steigende Finanzhilfen für die Überseegebiete ein Problem für die französischen Finanzen und die Wettbewerbsfähigkeit darstellten4. Auch wenn dieser Hinweis ohne eine Empfehlung in Richtung Entkolonialisierung formuliert wurde, kristallisierte sich der Grundgedanke des ‚Cartiérisme‘ bereits heraus: Die Französische Union dezentralisiere französischen Wohlstand von der Metropole in die Überseegebiete. In einer Note vom August 1954 sprach sich die ‚Direction du Trésor‘ gegen eine Beteiligung Frankreichs am Bau des Assuan-Staudamms aus, „[car] il serait plus avantageux pour l’économie française de construire des barrages chez nous qu’en Égypte“5. Zwar ging es hierbei nicht um eine französische Kolonie, dennoch ähnelte die Argumentation jener Cartiers. Im November 1955 warf ‚Le Monde‘ die gleiche Frage auf. Angesichts des großen Kapitalbedarfs, der für die Entwicklung der Überseegebiete notwendig sei, müssten sich die Franzosen überlegen, ob „de telles sommes ne seraient-elles pas plus utilement dépensées en métropole qu’en outre-mer?“6. Für den zeitgenössischen Wirtschaftsprofessor Jacques Lecaillon stand außer Frage, „que, sur le plan strictement économique, l’organisation de l’Union française constitue un système onéreux pour la métropole“. Die Kolonialpolitik sei eine groß angelegte Umverteilungsaktion zugunsten der Überseevölker, der französischen Siedler und ihren Unternehmen7. Zustimmend schrieb der einflussreiche hohe Funtionär François Bloch- Lainé in einer Publikation aus dem Jahr 1956, „le système du ‚pacte colonial‘, si critiqué depuis la guerre, s’est presque renversé au bénéfice des pays d’outre mer“8. ‚Le Monde‘ erlaubte sich im Juli 1956 das Gedankenexperiment, „que si le problème de l’Union française était réduit à ses seules données économiques, les forces centrifuges risqueraient de venir de la métropole“9. Des Weiteren gilt es festzuhalten, dass Cartier die algerischen Départements in seinem späteren Werk L’Algérie sans mensonge explizit von der ökonomischen Kritik ausnimmt. Der Journalist warf jenen vor, die eine Aufgabe FranzösischAlgeriens als finanziell sinnvoll erachteten, der zivilisatorischen Mission Frankreichs keine ausreichende Bedeutung beizumessen. Diese sei über eine rein buch-

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Cinquième rapport des Investissements, S. 61f. MFE, Trésor, B 0011632: 14.08.1954, Note. Le Monde, (25.11.1955): Drame et problèmes de l’Algérie. Zitat von Professor Lecaillon. Vgl. Mayère, Pierre/Mouquet, Michel: Union française, le pain quotidien pour 100 millions de personnes. III : La locomotive Métropole est-elle de force à tirer les wagons Outremer?, in: France Outremer, (317) 1956, S. 20–24, hier S. 21. Der Artikel war Teil einer vierteiligen Reihe der Autoren: Teil I: L’Afrique. Source de dépense ou gage de grandeur?, in: France Outremer, 315 (1956), S. 18–22; Teil II: L’Afrique n’est pas une dépense mais une prime d’assurance-vie, in: France Outremer, 316 (1956) S. 18–22. Teil IV wird nicht zitiert. Bloch-Lainé, François u. a.: La Zone Franc, PUF, Paris, 1956, S. 44. Le Monde, (29./30.07.1956): L’empire, source de notre prospérité?, IV. Die vierteilige Artikelserie erschien in den Ausgaben vom 26.–30.07.1956.

1. Ökonomischer Antikolonialismus

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halterische Betrachtung des Sachverhalts erhaben und rechtfertige eine Fortsetzung der Integrationspolitik10.

Défaitisme capitaliste Der Missdeutung von Cartiers Thesen zum Trotz gaben sie der Debatte über die Profitabilität Algeriens und der Französischen Union einen neuen Impuls. Es ging letztlich um zwei zentrale Fragen: Welches finanzielle Opfer erforderte die Integrationspolitik und war Frankreich gewillt, dieses zu erbringen? Einige lehnten, wie Cartier selbst, eine Kosten-Nutzen-Debatte über einen integralen Bestandteil Frankreichs grundsätzlich ab. „Il ne viendrait à l’idée de personne de se demander ce que représente, du point de vue positif ou négatif, pour l’économie française ou pour son budget, des départements défavorisés comme la Lozère, le Cantal ou les Hautes-Alpes“11. Diesem Argument war entgegenzuhalten, dass es in den genannten Départements keine Unabhängigkeitsbestrebungen gab. Zudem war Algerien stets eher als Kolonie wahrgenommen und behandelt worden und nicht als Verlängerung der Metropole. Die Mehrheit der Franzosen hielt die finanziellen Belastungen der Integrationspolitik für „lourdes mais supportables“12. Der hohe Funktionär und Bankier Pierre Moussa meinte, in der „Symbiose“ von Hexagon und Überseegebieten würden die Kosten von lediglich 1 bis 1,3 Prozent des französischen BIPs kaum ins Gewicht fallen13. Georges Blachette stellte die Bedeutsamkeit des Haushaltsdefizits infrage. „Un déficit n’est rien quand il s’insère dans un programme d’expansion“. Nur der fehlende Wille, nicht aber fehlende Finanzmittel könnten zu

10 Cartier, Raymond: L’Algérie sans mensonge, Hachette, Paris, 1960. (keine Seitenzahlen). Die Eckpunkte der unveröffentlichten, zweiteiligen Studie, auf die Cartier Bezug nahm, wurden in ‚Le Monde‘ in den Ausgaben vom 22.10.1957 und 07.01.1958 veröffentlicht. Sie wurde von den Autoren einigen Parlamentariern zugänglich gemacht und fand sich auch in Ministerien wieder: AN, F 12 11802: Juin 1957, Quelques données du problème algérien, MFE, B 0070012/2: Septembre 1957, Éléments de solution du Problème Algérien. 11 Connaissance de l’Algérie, 12 (1956), S. 4. Interessanterweise äußerten sich auch Befürworter einer Entkolonialisierung in ähnlicher Weise ablehnend gegenüber der Cartiéristischen These: „Elle aura bientôt fait de la France une province sans complexe mais peut être aussi sans histoire“. Die großzügige finanzielle Unterstützung sei für Frankreich die einzige Möglichkeit, in den Überseegebieten über deren Unabhängigkeit hinaus Einfluss zu bewahren. CHSP, Fonds Savary, 42: 29.08.1956, OC/CLM N, S. 2. Algerien wird in dem Dokument weder explizit erwähnt, noch von den Ausführungen ausgenommen. 12 Bei einer Umfrage äußerten sich 40 Prozent der Befragten in diesem Sinne. 27 Prozent hielten die Belastung für zu groß. Ageron: L’opinion française, S. 44. 13 Moussa. Les chances économiques, S. 75; 198. Ähnlich: L’Algérie. Terre franco-musulmane, S. 78. Eine Studie meinte eine Art von Komplementarität zwischen den ökonomischen Bedürfnissen Frankreichs und Algeriens ausmachen zu können, die eine verhältnismäßig einfache Umsetzung der Integration erlaube. ANOM, FM 81F 180: Décembre 1956, Programme économique et social et programme de productivité de l’Algérie, S. 20.

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einem Scheitern der Integrationspolitik führen14. Zwischen beiden Faktoren bestand freilich ein kausaler Zusammenhang. Marcel-Edmond Naegelen beharrte auf seiner Einschätzung, dass die Ausgaben in Algerien profitabel seien. Zudem sei es sinnvoller, die Finanzmittel zu investieren anstatt sie im Krieg zu verpulvern15. Sein Parlamentskollege Raymond Dronne griff diesen Gedanken in einer Publikation auf und schrieb, „contrairement à ce que redoutent beaucoup de gens, dont les craintes sont curieusement provoquées et entretenues par les partisans de l’abandon, l’Algérie et la politique d’intégration ne ‚coûteront par [sic!] cher‘ à la France“. In jedem Fall koste die Investitionspolitik weniger als eine Fortsetzung des Krieges16. Der pazifistische Hauch dieser Aussagen erstaunt, da beide Politiker ausdrückliche Befürworter des Militäreinsatzes waren. Naegelen und Dronne schien die Tatsache entfallen zu sein, dass die Befriedung nicht nur eine Komponente, sondern letztlich eine unabdingbare Voraussetzung für die Integration bildete. Eine Wahl zwischen zivilen und militärischen Ausgaben stand so lange nicht zur Debatte, wie die Unabhängigkeit Algeriens kategorisch ausgeschlossen wurde. Andere Anhänger Französisch-Algeriens gingen offensiv mit den Opportunitätskosten dieses Anspruchs um. „Ce n’est pas la faute de la France si l’Algérie est pauvre“, schrieb Raymond Cartier, „ce n’est pas la faute de la France si l’Algérie est livrée à une démographie galopante“. Die moralische Verantwortung verlange jedoch, über den Tellerrand des Buchhalters hinaus zu blicken und die algerische Bevölkerung nicht im Stich zu lassen17. Jacques Soustelle bezeichnete die ökonomische Kritik an Französisch-Algerien als „défaitisme capitaliste“18. Die franko-algerische Zeitung ‚L’Aurore‘ reagierte mit Empörung auf die Äußerung von Pierre Mendès-France, „l’Algérie n’est pas payante“19. Das Gebiet in Nordafrika sei vielleicht „une lourde charge, mais qu’on n’espère pas nous voir renoncer à cette charge dans un moment d’abandon“, stellte Algerienminister Lacoste klar20. Frankreich habe sehr von seinen ökonomischen Beziehungen mit

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Georges Blachette (RI), in: JOAN, 29.07.1955, S. 4479. Marcel-Edmond Naegelen (SFIO), in: JOAN, 10.12.1954, S. 6098. Dronne: La révolution d’Alger, S. 215. Cartier: L’Algérie sans mensonge. Jacques Soustelle (RS), in: JOAN, 17.10.1956, S. 4191. Ähnlich: Robert Nisse (RS), in: JOAN, 06.07.1957, S. 3359 und L’Écho d’Alger (28./29.07.1956 und 01.08.1956). 19 L’Aurore, (28.03.1956): Renforts pour l’Algérie et rappel des disponibles, S. 1. Die frankoalgerische Presse unterstützte die Integrationspolitik mit großer Mehrheit. Da die Pressefreiheit in Algerien aufgrund des ausgerufenen Notstands im Vergleich zur Metropole eingeschränkt war, erheben einige Autoren den Vorwurf, eine kritische Berichterstattung sei behindert worden. Etwa: Bencheneb: Algérie à la veille, S. 427. Zwar finden sich in den Quellen Belege für Zensur. Z. B.: MAE, AL, Maroc, 3: 08.08.1954, Zensur der Zeitung ‚Paris‘, (07.07.1954), hg. v. Camille Aymar. Gleichwohl wurden durchaus kritische Artikel zur Nordafrikapolitik publiziert. Es sei auf ‚L’Espoir‘ verwiesen, eine von Algeriern und ‚Pieds noirs‘ gemeinsam herausgegebene Zeitung. Diese stieß mit ihrer Forderung, die unausweichliche Entkolonialisierung zu gestalten und auf diese Weise französische Interessen zu wahren, freilich auf geringe Resonanz. L’Espoir, (15.09.1956/05.01.1957). 20 Robert Lacoste (SFIO), in: JOAN, 08.03.1956, S. 763.

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der Region profitiert, meinte der langjährige Diplomat und Abgeordnete Christian Fouchet. Nun sei es an der Zeit, Nordafrika großzügig zu helfen und die französische Schuld zu begleichen21. Die finanzielle Solidarität der Metropole sei wichtig in einer „vaste communauté familiale, où les aînés viendraient au secours des cadets“, stimmte ein Parlamentarier der ‚Républicains indépendants‘ zu22. In der Französischen Union gebe es zwei Arten von Buchhaltung, pflichtete ein Abgeordneter der ‚Assemblée de l’Union française‘ bei: „La comptabilité financière ; ce sont les milliards que la France investit outremer ; et il y a la comptabilité morale d’un groupe de cent millions d’hommes qui doivent vivre en expansion, et cette comptabilité dépasse beaucoup la notion de rentabilité“23. Somit seien die Beziehungen zwischen Algerien und Metropole „indispensables et profitables à l’une comme à l’autre“, resümierte Guy Mollet24. Vielfach wurde zu bedenken gegeben, dass ein unabhängiges Algerien große Schwierigkeiten hätte, Absatzmärkte für seine Produkte zu finden und daher ökonomisch nicht überlebensfähig sei. Eine Abspaltung von Frankreich „aurait des conséquences qui ne sont même pas chiffrables“25. Ohne Frankreich, so die Botschaft, sei das Land der Misere geweiht26. Prognosen dieser Art kontrastierten die bereits zitierte Erwartung, der Reichtum der Sahara werde Algerien zu einer wohlhabenden Region in der ‚Union française‘ machen. Auch in den Ministerien erarbeiteten Funktionäre Argumente für die neue Rhetorik. Eine Studie des Außenamts schilderte Länder des Maghreb als „les plus désavantageux pour la colonisation“. Die nordafrikanische Produktpalette könne großteils andernorts zu günstigeren Preisen erworben werden und die französischen Exporte in die Region würden nur durch die Zufuhr künstlicher Kaufkraft in Form öffentlicher Transferleistungen ermöglicht. „Si la France poursuivait des profits ‚colonialistes‘ elle devrait au meilleur compte liquider une entreprise sans espoir“27. Da Algerien die Metropole mehr koste als es ihr einbringe, könne von Kolonialismus keine Rede sein28. Diese Argumentation zielte unverkennbar darauf ab, die marxistisch inspirierte antikoloniale Kritik zu entkräften, die die Französische Union als ein kolonialistisches System der wirtschaftlichen Ausbeutung zu Lasten der Überseegebiete brandmarkte29. Auf den ersten Blick schien die Leistungsbilanz die Benachteili21 22 23 24 25 26 27 28 29

Christian Fouchet (RPF), in: JOAN, 03.02.1955, S. 680. Louis Delbez (RI), in: JOAN, 06.01.1954, S. 9. Kommentar von Roger Dusseaulx, in: Mayère/Mouquet: III. La locomotive Métropole S. 23. OURS, AGM 67: Discours Guy Mollet à l’Assemblée Nationale le 31 Janvier 1956, S. 8. Die erste These von Moussa: Les chances économiques, S. 74f. Die zweite These und das Zitat: D’Estailleur-Chanteraine: L’Afrique à la croisée des chemins, S. 173; 178; 181. AN, F 12 11804: 15.10.1958, Conséquences du maintien de l’autorité française en Algérie, S. 20. MAE, MT, Tunisie (II), 39: 10.12.1957, G. Wailly, Politique française en Afrique du Nord, S. 2. Soustelle: Aimée et souffrante Algérie, S. 74 „Si son niveau de vie [celui du colonisateur] est élevé, c’est parce que celui du colonisé est bas“. Vgl. Memmi: Portrait du colonisé, S. 15. Der neukaledonische Abgeordnete Maurice

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gung der Kolonien zu bestätigen. Nach einer Kalkulation des Außenministeriums verursachte das hohe französische Preisniveau für die Überseegebiete jährliche Zusatzkosten von 35 Milliarden Francs bei den Importen aus der Metropole. Durch die ökonomische Interdependenz der autark konzipierten Franczone führten die etwa 25 Prozent über dem europäischen Niveau liegenden Preise im Hexagon zwangsläufig zu einer entsprechenden Situation in der gesamten Währungsunion30. So zahlte Frankreich umgekehrt für seine Einfuhren aus der Franczone 12 Milliarden Francs mehr, bezogen auf das Weltmarktpreisniveau31. Daraus ergab sich ein Saldo von 23 Milliarden Francs zugunsten der Metropole oder besser gesagt, zugunsten französischer Unternehmen32. Die mikroökonomischen Gewinne privater Unternehmen dürfen jedoch nicht mit der makroökonomischen Bilanz gleichgesetzt werden. In der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung mussten die vielen hundert Milliarden Francs berücksichtigt werden, die jedes Jahr in die Überseegebiete transferiert wurden, um die dortigen Investitions- und Sozialprogramme sowie staatliche Institutionen zu finanzieren. Dadurch verändert sich das Ergebnis grundlegend: „La forme moderne du ‚colonialisme‘ s’exerce au détriment du contribuable français“33.

Boulet colonial Dem Anschein nach bestätigte die positive wirtschaftliche Entwicklung in den 1950er Jahren, dass die Integrationspolitik die ökonomische Leistungsfähigkeit Frankreichs nicht überstieg. In den Jahren 1956/1957 lag das Wirtschaftswachstum mit 5 bis 6 Prozent über dem Durchschnitt der Dekade von 4,8 Prozent34. Diese Zahlen lassen gleichwohl mehrere Faktoren unberücksichtigt. Zunächst stellt sich die letztlich nicht zu beantwortende Frage, welche Wachstumsraten

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Lenormand (parteilos) behauptete fälschlicherweise, Frankreich beziehe seine Importe aus der Franczone zu Weltmarktpreisen, während es umgekehrt überteuerte Exporte liefere. JOAN, 31.1.1956, S. 147. Ähnlich: Aimé Césaire (PC) aus Martinique. JOAN, 26.03.1954, S. 1316f. Zum Preisniveau in der ‚Union française‘: Bulletin mensuel de Statistique d’Outre-Mer, Supplément Série études 21 (Décembre 1951): Les indices de prix dans l’Union française. Vor 1954 gab es verschiedene Zollregime für den Überseehandel. 1954 wurden alle Zölle zwischen Metropole und Kolonien abgeschafft. Interkolonial bestanden unterschiedliche Tarife fort. Lynch: France and the International Economy, S. 198. MAE, MT, Tunisie (I), 403: Mars 1954, Les liens économiques entre la France et les T.O.M., S. 5. Moussa berechnete für das Jahr 1955 einen ähnlichen Saldo von 20 Milliarden Francs. Les chances économiques, S. 83 Einschätzung von Professor Lecaillon. Vgl. Mayère/Mouquet: III. La locomotive Métropole, S. 21. Daten für 1956/57: ANOM, FM 81F 1796: France, in: Problèmes économiques, 622 (Décembre 1959). Für 1950–1959: Balassa, Bela: L’économie française sous la Cinquième République 1958–1978, in: Revue économique, 30, 6 (1979), S. 939–971, hier S. 949.

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erzielt worden wären, wenn eine alternative Nordafrikapolitik die Umwandlung unproduktiver Kriegsausgaben in produktive Investitionen erlaubt hätte. Überdies wurde das ökonomische Wachstum durch eine Wirtschaftspolitik ermöglicht, die alles andere als nachhaltig war. Zum Ende der IV. Republik summierten sich die Einzelposten der Integrationspolitik rechnerisch auf 1.735 Milliarden Francs – pro Jahr und mit steigender Tendenz35. Diese Politik und die dadurch entfachte Hochkonjunktur wurden zu großen Teilen über neue Schulden finanziert, die Kosten somit späteren Generationen aufgeladen. Von 5.650 Milliarden Francs im Jahr 1954 wuchsen die Verbindlichkeiten Frankreichs auf 8.143 Milliarden Francs vier Jahre später. Die Zinszahlungen verschlangen etwa 10 Prozent des Budgets36. Bis zu einem gewissen Grad und unter Berücksichtigung steigender Zinsen standen Finanzmittel in ausreichendem Maße auf dem Kapitalmarkt zur Verfügung. Zeitgenössische Beobachter anerkannten daher, „l’intégration n’est pas hors de toute possibilité“. Sie stellten jedoch klar, dass die finanziellen Anstrengungen mit Opportunitätskosten in Form einer schwächeren ökonomischen Entwicklung in der Metropole einhergehen würden37. Die entscheidende Frage war also, bis zu welchem Grad sich die Franzosen bereitfanden, für die schuldenfinanzierte Integrationspolitik auf einen Teil des eigenen Wohlstands zu verzichten. Nur wenige, häufig franko-algerische Politiker formulierten explizite Forderungen, die algerischen Départements finanziell zu bevorzugen. „Si la France métropolitaine n’est pas assez riche pour aider, à la fois, les betteraviers et les départements pauvres, elle doit aider d’abord les plus pauvres de ses enfants et, parmi eux, les fellahs algériens“, meinte etwa René Moatti38. Jacques Soustelle verlangte eine schnellstmögliche Angleichung der Lebensverhältnisse, die unweigerlich mit einer Annäherung aus beiden Richtungen einhergehen musste39. Guy Mollet kündigte an, bei öffentlichen Investitionen zukünftig Algerien Priorität einzuräumen40. Freilich ging es dem Regierungschef an dieser Stelle um die Sahara, aus deren neu entdeckten Bodenschätzen sich Frankreich große Gewinne erhoffte. Algerische Abgeordnete fragten ihre französischen Kollegen, wie sie ihren Wählern vermitteln wollten, „qu’il leur faut accepter une diminution de leur standing 35 Militärausgaben: 1080 Milliarden Francs; Investitionsausgaben des Constantine-Plans: 235 Milliarden Francs; Angleichung des Bildungssystems (nur laufende Kosten): 60 Milliarden Francs; Anwendung französischer Standards bei den Sozialleistungen: 360 Milliarden Francs. Während im Falle einer erfolgreichen Befriedung von sinkenden Militärausgaben ausgegangen werden konnte, wären die zivilen Lasten aufgrund der demografischen Dynamik in Algerien kontinuierlich gestiegen. 36 La politique budgétaire, I, S. 8f. 37 Zitat: Sauvy: Et vous, voulez-vous être „intégré“?, in: L’Express, (1958). Ähnliche Äußerung bei: Mathieu: Algérie. Plan quinquennal, S. 23. 38 René Moatti (RPF), in: JOAN, 13.10.1955, S. 5087. Moatti stammte aus Algerien, wo seine Familie seit Generationen lebte. In der Nationalversammlung vertrat er gleichwohl ein metropolfranzösisches Département. Moatti war ein enger Vertrauter von Jacques Soustelle und engagierte sich bis zuletzt für die Integration Algeriens. 39 Jacques Soustelle (RS), in: JOAN, 17.10.1956, S. 4191. 40 Guy Mollet (SFIO), in: JOAN, 17.05.1957, S. 2566.

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de vie au profit des habitants de l’Algérie?“41. Die Zeitung ‚Le Monde‘ bezweifelte die entsprechende Bereitschaft der Bürger. Weder bei der Verteilung des Wohlstands noch bei der politischen Macht seien die Metropolfranzosen gewillt, den Algeriern einen ihrem Bevölkerungsproporz entsprechenden Anteil zuzugestehen42. Auch Raymond Aron glaubte an die Unmöglichkeit der Integrationspolitik, die Entstehung eines nationalen, algerischen Gebildes sei „inévitable“. Politisch sei der Anspruch „l’Algérie, c’est la France“ auf Dauer unhaltbar, ökonomisch übersteige die Angleichung der Lebensverhältnisse die Leistungsfähigkeit des Hexagons. Zudem würde die französische Bevölkerung die Integration ablehnen, „si on lui exposait honnêtement les conditions et les conséquences“43. Die militärischen und zivilen Ausgaben in Algerien, „investies en France, rapporteraient plus à la majorité des Français“44. Einige Akteure respektierten den ökonomischen Nachteil der Integrationspolitik für Frankreich, ohne daraus eine Notwendigkeit zur Beendigung der kolonialen Beziehungen abzuleiten. Eine Note über die algerischen Finanzen resümierte, die Metropole könne keine wie auch immer geartete Abtrennung Algeriens anstreben, „mais ce n’est pas pour des raisons économiques car l’Algérie lui coûte cher et coûtera sans doute encore plus cher à son économie et à ses finances“45. Der Hinweis von Mendès-France auf die schwere Bürde der Devise „l’Algérie, c’est la France“ endete mit dem Bekenntnis, „la politique que j’ai toujours recommandée en Afrique du Nord ne doit pas, bien évidemment, nous être commandé et imposée par des considérations et des difficultés financières“46. Auch Publikationen wiesen die Leser wiederholt auf die ökonomischen Nebenwirkungen der Nordafrikapolitik hin, ohne explizit einen Politikwechsel einzufordern47. ‚L’Express‘ rückte die demografische Entwicklung ins Blickfeld und betonte die Unfähigkeit des algerischen Arbeitsmarkts, das Bevölkerungswachstum zu absorbieren. Die Migration als einzigen Ausweg vor Augen fragte die Wochenzeitung überspitzt: „Sommes-nous prêts à accueillir 10 millions de musulmans dans la métropole?“. In der Aufgabe Algeriens mit anschließender Entschädigung der französischen Siedler erkannte die Zeitung die finanziell rentabelste Option, „car l’effort de guerre ou de paix que nous devrons faire au cours des prochaines années nous coûtera infiniment plus que le patrimoine français en Algérie“. Des41 Ali Cadi (UDSR), in: JOAN, 12.10.1955, S. 5054. In ähnlicher Weise äußerte sich: Mohamed Salah Bendjelloul (RPF), in: JOAN, 18.10.1955, S. 5142. 42 Le Monde, (01.12.1955): Drame et problèmes de l’Algérie. 43 Aron, Raymond: L’Algérie et la République, Hachette, Paris, 1958, S. 32. 44 Aron: La tragédie algérienne, S. 22f.; 25. 45 ANOM, FM 81F 1794: 10.02.1956, Note budgétaire, Commission des Finances, S. 49f. 46 Pierre Mendès-France (PR), in: JOAN, 19.03.1957, S. 1704. 47 So etwa: Cambiaire, A.: Quelques observations au service du Plan d’expansion économique et sociale de l’agriculture algérienne et de quelques autres agricultures sous développées, T. 1, Laboratoire de Recherches économiques et sociologiques, Algier, 1958, S. 4. Cambiaire vermeidet eine politische Stellungnahme. Er vermittelt gleichwohl den Eindruck, dass die Integration Algeriens eine ökonomische Mammutaufgabe sei, die viele Jahrzehnte in Anspruch nähme und ein Null-Wachstum der Metropole voraussetzte.

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sen ungeachtet schloss der Artikel, „[que] cette solution, cela va de soi, est inconcevable“48.

1.2 Der Preis der Aufgabe Algeriens Kosten der (Wieder-)Eingliederung der Siedler Den angeblich überschaubaren und politisch gerechtfertigten Kosten der Integrationspolitik stellten ihre Anhänger die hohen Aufwendungen entgegen, die bei einer Aufgabe Algeriens und der Rückführung der ‚Pieds noirs‘ zu erwarteten stünden. Die anstehende Vereinigung des europäischen Marktes und die damit verbundene Dringlichkeit einer Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit verböten neue Belastungen für die französische Wirtschaft. Die Wiedereingliederung von einer Million Franko-Algeriern mache solche aber unausweichlich49. Ein Anstieg der Arbeitslosigkeit und massive soziale Probleme seien zu erwarten50. „Partir coûte beaucoup plus cher que rester“, lautete der eindringliche Appel51. Die genaue Höhe von Wiedereingliederungshilfen und Entschädigungen für verlorenes immobiles Kapital vorauszusagen, war zum damaligen Zeitpunkt schier unmöglich. Unsicherheit bestand hinsichtlich des Umfangs und der zeitlichen Abfolge der Immigration, der Bezugsdauer der staatlichen Unterstützung, des Wertes der französischen Besitztümer, der Aussicht auf gütliche Einigungen mit dem algerischen Staat und zahlreicher weiterer Faktoren. Die Mehrheit der ministeriellen Studien zeigte sich noch kurze Zeit vor der algerischen Unabhängigkeit zuversichtlich, dass die in den Verträgen von Évian ausgehandelten Garantien und die tiefe Verwurzelung der ‚Pieds noirs‘ in Nordafrika „à une cadence modérée des rapatriements“ führen würden52. Ferner beschränkten sich die Berechnungen häufig auf die Wiedereingliederungshilfen in der Annahme, dass es

48 L’Express, (01.10.1955): Algérie. Le vrai drame. Vgl.: http://www.lexpress.fr/informations/ le-vrai-drame_590846.html. 49 Chardonnet, Jean: Algérie et Métropole. La rançon d’une sécession. Étude économique du coût de la sécession pour la France métropolitaine et l’Algérie, Paris, CEPV, 1961, S. 21. 50 Vialet: L’Algérie restera française, S. 31; 162f. Mit dieser Prognose widersprach sich Vialet selbst. Zuvor hatte er noch gefordert, die verbliebenen 450.000 französischen Siedler aus den ehemaligen Protektoraten abzuziehen, sollten Rabat und Tunis die Unterstützung des FLN nicht einstellen. Da die Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg Millionen Flüchtlinge erfolgreich integriert habe, würden einige hunderttausend Rückkehrer Frankreich vor keine besondere Herausforderung stellen. 51 André Monteil (MRP), in: JOAN, 29.11.1957, S. 5055. Ähnlich äußerte Naegelen, „lâcher totalement l’Algérie coûterait bientôt à la France infiniment plus cher que ne valent les économies aléatoires qu’on nous promet“. Naegelen: Mission en Algérie, S. 314. 52 ANOM, FM 81F 1813: Jean Fourgous: Le problème des rapatriés, 1962, S. 13. Eine eingerichtete Kommission rechnete mit einer progressiven Rückkehr von etwa 45 Prozent der Siedler. ANOM, FM 81F 1813: 18.07.1962, Commission de Coordination pour la réinstallation des Français d’Outre-Mer, S. 5.

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V. Grenzen der Integrationspolitik

nicht zu massenhaften Enteignungen ohne Ausgleichszahlungen seitens der algerischen Regierung käme. Paris vertraute offenkundig den Beteuerungen des FLN, die Interessen und Rechte der Franzosen auch nach der Erlangung der politischen Souveränität zu wahren. Möglicherweise gründete Frankreich seinen Optimismus in dieser Frage auch auf die anfänglichen Erfahrungen aus Marokko und Tunesien, wo die Rückführung der Siedler etappenweise verlief und französischer Besitz mehrheitlich zunächst aufgekauft und nicht enteignet wurde. Die französische Regierung hätte vor dem Hintergrund des langen Krieges gleichwohl damit rechnen können, dass die Entkolonialisierung in einem unabhängigen Algerien radikaler ausfallen würde und eine fortgesetzte Präsenz der ‚Pieds noirs‘ somit keineswegs als gesichert gelten konnte53. Die genannten Gründe führten zu einer deutlichen Unterschätzung der tatsächlichen Kosten der Aufgabe Algeriens. Statt den prognostizierten 1.500 bis 3.000 Milliarden Francs, die immerhin bis zu 61 Prozent der französischen Staatseinnahmen aus dem Jahr 1958 entsprachen, belief sich die Gesamtbelastung auf 5.500 Milliarden Francs54. Dieser Betrag musste freilich mit anderen Faktoren verrechnet werden. Ein Teil der Gelder wurde in Form zinsgünstiger Kredite vergeben, etwa um Unternehmen nach der Umsiedlung eine Antriebsfinanzierung zu ermöglichen55. Ferner waren die Hilfsgelder nicht auf einen Schlag aufzubringen, so dass die Belastung für den jährlichen Staatshaushalt weniger drastisch ausfiel56.

53 Insgesamt verfügte Paris über wenige gesicherte Erkenntnisse hinsichtlich der wirtschaftspolitischen Agenda des FLN. Während sich moderate Kräfte offen für eine Kooperation mit Frankreich zeigten, pochten radikale auf eine sofortige und vollständige Befreiung vom französischen Einfluss. ANOM, FM 81F 197: 07.02.1962, Les prises de position du G.P.R.A. en matière économique, Mission d’études. 54 Damalige Prognosen: ANOM, FM 81F 197: 02.05.1962, Les perspectives économiques de la coopération franco-algérienne, Mission d’études, M. Voillereau, S. 24 und AN, F 12 11804: 15.10.1958, Conséquences du maintien de l’autorité française en Algérie, S. 20. Die Staatseinnahmen beliefen sich im Jahr 1958 auf 4.931 Milliarden Francs. Budget, 1959, S. 61. Zu den tatsächlichen Kosten: LeFigaro.fr (27.01.2012): Les pieds-noirs, 50 ans après, Jean-Marc Gonin. http://www.lefigaro.fr/actualite-france/2012/01/27/01016-20120127ARTFIG00422les-pieds-noirs-50-ans-apres.php. Weiterführend zur Eingliederung der Algerierfranzosen: Baillet, Pierre: L’intégration des rapatriés d’Algérie en France, in: Population, 30, 2 (1975), S. 303–314; Scioldo-Zürcher, Yann: L’indemnisation des biens perdus des rapatriés d’Algérie. Politique de retour ou innovation post-coloniale?, in: Revue Européenne des Migrations Internationales, 29, 3 (2013), S. 77–91. 55 ANOM, FM 81F 1813: Jean Fourgous: Le problème des rapatriés, 1962, S. 11. 56 Zahlreiche ‚Pieds noirs‘ warteten jahrelang auf finanzielle Entschädigung. Dies war insbesondere bei laufenden Rechtsstreitigkeiten mit der algerischen Regierung gegeben. Der FLN stellte sich weitgehend taub für die Forderungen nach den zugesicherten Ausgleichszahlungen. Die französische Regierung wiederum ließ in dieser Frage lange Zeit kein besonderes Engagement erkennen. Erst 1970 wurde ein Gesetz verabschiedet, das zehntausenden bis dato leer ausgegangenen Franko-Algeriern finanziellen Ersatz zukommen ließ. Im französischen Überseearchiv lässt sich der lange Weg von der ursprünglichen Investition in FranzösischAlgerien über die Enteignung bis zur Entschädigung anschaulich nachvollziehen. So etwa anhand des Beispiels des französischen Großunternehmers Gabriel Duhamel, dem neben der

1. Ökonomischer Antikolonialismus

257

Des Weiteren kamen nicht alle Franko-Algerier völlig mittellos nach Frankreich. Viele hatten sich bereits im Vorfeld um einen Transfer ihres Kapitals gekümmert und auf diese Weise den Kapitalstock der Metropole erhöht57. Kurzfristig musste zwar mit einer erhöhten Arbeitslosigkeit gerechnet werden, da die Eingliederung der Neuankömmlinge einer gewissen Zeit bedurfte. Mittelfristig konnte aber durch die Erhöhung des Arbeitskräftepotentials von einer Stärkung der französischen Wirtschaftskraft und des Binnenmarkts ausgegangen werden, zumal im Hexagon eine hohe Nachfrage nach Fachkräften bestand. Ferner standen den einmaligen Kosten für die Aufgabe Algeriens dauerhafte Einsparungen im Budget gegenüber.

Der ökonomische Wert Algeriens Ein weiteres, zentrales Argument für den Erhalt Französisch-Algeriens bildete dessen angeblich vitale Bedeutung für die französische Wirtschaft. Bis zu den genannten Zäsuren im Zeitraum 1954 bis 1956 wurden Marokko und Tunesien in diese Argumentation einbezogen. Die summierten Außenhandelsströme des Maghreb erlaubten Marcel-Edmond Naegelen die Aussage, „l’Afrique du Nord est à la fois notre principal client et notre principal fournisseur“58. Die Zeitung ‚Presse de l’Union française‘ warnte Anfang 1955 angesichts der Krisen in der Region vor einer Gefährdung des französischen Vaterlandes, „car l’Afrique du Nord joue un rôle capital dans l’économie de la métropole“59. Nach der konzeptionellen und rhetorischen Neuausrichtung der Nordafrikapolitik lautete die omnipräsente These fortan: „L’Algérie est le premier client de la France et son deuxième fournisseur“60. Diesbezügliche Daten bestätigen auf den ersten Blick die hohe außenwirtschaftliche Bedeutung Algeriens, wenngleich das Land hinter den USA und der Bundesrepublik Deutschland der dritt- und nicht der zweitwichtigste Lieferant war. Ab 1957 exportierte Frankreich mehr Güter und Dienstleistungen in die algerischen Départements als in die USA und die Bundesrepublik zusammen. Die nachfolgende Tabelle veranschaulicht die Außenhandelsströme, wobei jeweils der Export Frankreichs in das entsprechende Land bzw. der Import von dort gemeint ist.

57

58 59 60

‚Compagnie Agricole Oranaise‘ auch die ‚Papeterie d’Ain-el-Hadjar‘ gehörte. ANOM, Fonds Privés, Papiers Duhamel, 21 APOM 57. Nur wenige franko-algerische Unternehmer gingen den umgekehrten Weg und bemühten sich bereits vor der Unabhängigkeit Algeriens mit Vertretern des GPRA eine Kontinuität ihrer Wirtschaftstätigkeit im Land auszuhandeln. Marseille führt das Beispiel des Fahrzeugherstellers Berliet an. Marseille: Empire colonial, S. 12. Marcel-Edmond Naegelen (SFIO), in: JOAN, 10.12.1954, S. 6096. Ageron: L’Algérie dernière chance, S. 116. Hector Burkhardt, in: JOUF, 05.07.1955, S. 629. Weitere Belege: ANOM, FM 81F 55: 1955, Les liens unissant l’Algérie à la Métropole, S. 1f; Chardonnet: Algérie et Métropole, S. 10; JOAN, 13.10.1955, S. 5081.

258

V. Grenzen der Integrationspolitik

Ex- und Importe Frankreichs in Milliarden Francs

Algerien

USA

BRD

1954

1955

1956

1957

1958

Export

172

200

216

299

412

Import

102

131

133

161

190

Export

54

71

78

89

126

Import

133

161

238

300

236

Export

123

176

166

202

225

Import

120

151

198

250

274

(Quelle: Statistique mensuelle du Commerce extérieur de la France, Années 1954–1958)

Den naheliegenden Schluss aus diesen Zahlen zog der Parlamentarier Léon Haumesser. „La France a besoin de l’Algérie. Elle ne se conçoit pas sans l’Algérie“61. Ein Kolloquium zur Integrationspolitik meinte, es gäbe eine Abhängigkeit der Metropole von algerischen Produkten des primären Sektors62. Ohne diese Importe öffne sich Frankreich „à des restrictions qui toucheraient son ravitaillement en légumes et en fruits et l’approvisionnement en minerais de certaines de ses industries“, bestätigte Jean Chardonnet63. Auf einer übergeordneten Ebene gelangten Mayère und Mouquet in einer vierteiligen Reihe in der Zeitschrift ‚France Outremer‘, zu dem Ergebnis, dass der Handel innerhalb der ‚Union française‘ rational sei, da dort ein niedrigeres Preisniveau als auf dem Weltmarkt herrsche und nur Produkte gekauft würden „dont il [le pays] a un impérieux besoin“64. Ein genauerer Blick auf die französischen Importe aus Algerien widerlegt diese Thesen. Der Zuwachs um 88 Milliarden Francs von 1954 bis 1958 beruhte in erster Linie auf steigenden Preisen und guten Ernten in der Landwirtschaft. Alleine die Einfuhren algerischen Weins stiegen um 52 Milliarden Francs. Prozentual erhöhte sich deren Anteil an den Importen von 55 auf 62 Prozent. Wie erläutert wurde, ergab sich aus diesen potentiell sinnvollen Importen nur mikroökonomischer, jedoch kein makroökonomischer Nutzen, da Paris vor einer Liberalisierung des Weinmarkts und einer Verlagerung der Weinproduktion in die effizienteren Anbaugebiete Algeriens zurückschreckte. Knapp 20 Prozent des Importwerts ent-

61 Léon Haumesser (RPF), in: JOAN, 12.10.1955, S. 5050. 62 AONM, FM 81F 177: 1958, Premier Colloque Jean Bart, Ce qu’est l’intégration, Annexe, S. 7. 63 Chardonnet: Algérie et Métropole, S. 11. 64 Mayère/Mouquet: I. L’Afrique source de dépense, S. 20f.

1. Ökonomischer Antikolonialismus

259

fielen auf Früchte und Gemüse65. Dass bei diesen Produkten von einer Abhängigkeit von der algerischen Produktion keine Rede sein konnte, wurde anhand des Beispiels der Zitrusfrüchte aufgezeigt. Die Mehrzahl der Importe aus Algerien hätte auf dem Weltmarkt zu günstigeren Preisen erworben werden können. Auf die ab 1958 steigenden Öl-Importe aus der Sahara wurde bereits eingegangen66. Die Behauptung bezüglich des niedrigeren Preisniveaus war schlichtweg falsch. Die steigenden französischen Exporte nach Algerien wurden als vorteilhaft für alle Beteiligten dargestellt. 1949 hatte die französische Regierung vor dem Hintergrund der Budgetautonomie noch die nahezu ausgeglichene algerische Zahlungsbilanz gelobt. Ende der 1950er, als sich das Leistungsbilanzdefizit auf 222 Milliarden Francs verdreifacht hatte, wertete die ‚Banque de l’Algérie et de la Tunisie‘ dieses nun als Zeichen der „vitalité d’un pays qui poursuit parallèlement sa défense, son équipement et l’amélioration de son niveau de vie“67. Auch auf der Weltausstellung in Brüssel 1958 präsentierte Frankreich den negativen Saldo als Beleg für die massiven Importe von Investitionsgütern68. An diesem Punkt zeigt sich deutlich die Veränderung in der konzeptionellen Betrachtung Algeriens. Über Jahrzehnte hinweg war das Land zwar als Teil Frankreichs bezeichnet, in finanzieller Hinsicht jedoch weitgehend sich selbst überlassen worden69. Die Verantwortung für die wirtschaftliche Entwicklung hatte Paris nach Algier transferiert. Mit der Ausrufung der Integrationspolitik wurde Algerien nun gewissermaßen als innerfranzösisches Entwicklungsland konzipiert, das der externen finanziellen Unterstützung durch die Metropole bedurfte. Die zunehmenden Importe aus Frankreich erwiesen sich für Algerien in der Realität als weniger vorteilhaft, als es die nackten Zahlen vermuten ließen. Der globale Anstieg um den Faktor 2,4 (1954 bis 1958) beruhte nur zu Teilen auf einer erhöhten Einfuhr von Investitionsgütern. Die Statistiken über den frankoalgerischen Außenhandel belegen, dass Produkte zur industriellen Wertschöpfung verstärkt erst ab 1958 eingeführt wurden. Von 1955 auf 1956 stiegen diese Importe um 9 Prozent. 1958 hingegen verdoppelten sich die Einfuhren im Vergleich zum Vorjahr und stiegen 1959 um weitere 46 Prozent70. Die Präsenz mehrerer hunderttausend französischer Soldaten kurbelte die algerische Nachfrage nach Konsumgütern an, die aufgrund fehlenden Angebots durch Lieferungen aus der 65 66 67 68 69

Commerce extérieur, 1954, S. 286 und 1957, S. 261. Commerce extérieur, 1954, S. 286, (1957), S. 261 und 1958, S. 194. ANOM, FM 81F 1797: Banque de l’Algérie et de la Tunisie, Exercice 1957, S. 11. L’Algérie. Terre franco-musulmane, S. 58f. Marseille setzt den Beginn des verstärkten Engagements Frankreichs früher an und führt die Steigerung französischer Exporte von Investitionsgütern um 300 Prozent von 1949 bis 1959 als Beleg an. Marseille: L’investissement public en Algérie, S. 183. Dieser Wert sagt jedoch nichts über den tatsächlichen Investitionsbedarf Algeriens aus. Zudem lagen die produktiven Exporte 1949 auf einem niedrigen Ausgangsniveau, was die Steigerung um 300 Prozent relativiert. Ferner wurde in der vorliegenden Arbeit festgestellt, dass die ersten beiden Entwicklungspläne überproportional stark dem primären Sektor zugute kamen, vornehmlich der Landwirtschaft der Siedler. 70 Commerce extérieur, 1955, S. 349ff.; 1956, S. 314ff.; 1958, S. 28ff.; 1959, S. 29ff.

260

V. Grenzen der Integrationspolitik

Metropole befriedigt werden musste. Der Algerienkrieg und die massiven Militärausgaben fungierten als Konjunktur-Programm für die Metropole und blähten das franko-algerische Handelsvolumen künstlich auf. Wie sah es umgekehrt mit der ökonomischen Bedeutung Algeriens für Frankreich aus? Mayère und Mouquet propagierten eine Abhängigkeit der Metropole von den Überseegebieten. „L’ouvrier français sait-il lui-même qu’il travaille un jour sur neuf pour l’Algérie?“. Das Ende Französisch-Algeriens führe daher in die wirtschaftliche Katastrophe71. Tatsächlich besaß der algerische Markt bei einem globalen Exportvolumen von 1.510 Milliarden Francs einen Anteil von 11,3 Prozent. Algeriens Gewicht an den gesamtfranzösischen Importen belief sich auf 6,7 Prozent72. Wie die Autoren dieser Reihe extrapolierten auch andere Studien diese Quoten auf die gesamte Wirtschaftsleistung Frankreichs „ce qui permet de dire que l’industrie française travaille un jour sur 8 pour l’Algérie“73. Eine offizielle Informationsbroschüre der Generalregierung ging noch einen Schritt weiter und sprach für den Fall der Unabhängigkeit Algeriens von der Schließung jeder fünften Fabrik und dem Wegfall jedes fünften Arbeitsplatzes in Frankreich74. Auch Jacques Soustelle rechnete seinen Kollegen in der Nationalversammlung vor, dass ein Fünftel der französischen Wirtschaftsleistung vom Außenhandel mit Algerien abhinge75. Mit denselben Zahlen begründete die Zeitung ‚La Voix du Nord‘ ihre Überzeugung, dass Frankreich Nordafrika nicht verlassen könne, „parce qu’elle y joue son existence“76. ‚Les Échos‘ prognostizierte für den Fall der algerischen Unabhängigkeit wirtschaftliche Auswirkungen „d’une telle ampleur que l’équilibre politique du pays en serait rapidement détruit“77. Dass auch die Gewerkschaft ‚Force Ouvrière‘ unterstützend darlegte, ein Verlust Algeriens „provoquera avec l’insuffisance de structures économiques de la France métropolitaine, des centaines de milliers de chômeurs totaux“, zeigt die Verbreitung dieser Argumentation über politische Milieugrenzen hinweg78. Algerien stand in der Debatte häufig stellvertretend für die gesamte ‚Union française‘. Für die Anhänger der Integrationspolitik war das Schicksal des Imperiums eng an den Ausgang der Algerienfrage gebunden: „La Métropole ne peut rester elle-même que grâce à ces prolongements africains […] mais l’Afrique 71 Mayère/Mouquet: II. L’Afrique n’est pas une dépense, S. 20. 72 Daten für das Jahr 1954. Commerce extérieur, 1955, S. 5. Übereinstimmend: MAE, AL, Algérie, 54: Banque de l’Algérie et de la Tunisie, Compte rendu de l’exercice 1955, S. 8; 24. 73 ANOM, FM 81F 55: 1955, Les liens unissant l’Algérie à la Métropole, S. 1f. und Connaissance de l’Algérie, 15 (1956), S. 4. (Vgl. ANOM FM 81F 1794). 74 OURS, AGM 81: Algérie, édité par le Service de l’Information du GGA, S. 1. Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende der ‚Union algérienne de la Confédération générale de l’Agriculture‘. ANOM, FM 81F 55: 13./14.03.1956, Congrès de la F.N.S.E.A., Communication sur l’Algérie par M. Lamy. 75 Jacques Soustelle (RS), in: JOAN, 09.03.1956, S. 788. 76 AN, 74 AP 47: La France n’abandonnera pas l’Afrique du Nord, in: La voix du Nord, S. 4. 77 Marseille: Empire coloniale, S. 51. 78 Kantrowitz, Jack: L’influence américaine sur Force Ouvrière. Mythe ou réalité, in: Revue française de science politique, 28, 4 (1978), S. 717–739.

1. Ökonomischer Antikolonialismus

261

française ne peut se garder sans une réussite algérienne“79. Dem Verlust Nordafrikas werde unweigerlich der Zusammenbruch der Französischen Union folgen, warnte der franko-algerischer Abgeordnete François Quilici80. Zustimmend gab Emile Roche in einem Vorwort seine Vérités sur l’Afrique du Nord zu Protokoll. Ein Rückzug aus dem Maghreb werde eine Kettenreaktion auslösen, „[qui] mettrait en chômage un de nos ouvriers sur trois“81. Die ‚Union pour le Salut et le Renouveau de l’Algérie Française‘ rechnete mit einer Million Arbeitslosen82. Ein weiterer Parlamentarier fürchtete einen Zusammenbruch von Sozialkassen und Staatshaushalt83. Pierre Moussa gab in einer Publikation zu bedenken, dass 46 Prozent der französischen Handelsmarine, 57 Prozent der zivilen Luftfahrt und 6,6 Prozent der industriellen Produktion von den Märkten in Übersee abhingen. Nordafrika und insbesondere Algerien stellten hierbei aufgrund der großen Bevölkerung und dem hohen Anteil kaufkräftiger Siedler den bedeutsamsten Teilmarkt. Moussa rechnete für den Fall der Unabhängigkeit der Überseegebiete mit dem Wegfall dieser Marktanteile, da die französischen Preise nicht wettbewerbsfähig seien. Zudem führe das Scheitern des ‚Empire‘ zu einem psychologischen Schock, der die Menschen in Übersee zum Kauf nicht-französischer Produkte animieren werde84. Waren die zitierten Prognosen korrekt, stand für den Fall der algerischen Unabhängigkeit und dem anschließenden Zerfall der ‚Union française‘ eine zusätzliche Arbeitslosigkeit von bis zu 6,5 Millionen Personen zu erwarten, was für jede Regierung unkalkulierbare Risiken geborgen hätte85. Diesem düsteren Szenario war zunächst entgegenzuhalten, dass eine Politik der Entkolonialisierung, die die Länder der Französischen Union unterstützend in die Selbstbestimmung geleitete, auch positive psychologische Effekte mit sich bringen konnte. Zudem bestand nach modernen Ausrüstungsgütern weltweit eine hohe Nachfrage bei überschaubarem Angebot, sodass die Überseegebiete unabhängig von ihrem politischen Status die bestehenden Handelsströme nicht beliebig austauschen konnten und auf französische Produkte angewiesen blieben86. Irreführend waren die extrem pessimistischen Prognosen jedoch in erster Linie aufgrund ihres horriblen Umgangs mit den ökonomischen Daten. Faktisch war die französische Wirtschaft stark auf den Binnenmarkt ausgerichtet. Der Export 79 ANOM, FM 81F 13: 03.11.1955, MI, Les données du problème, S. 5. 80 François Quilici (RI), in: JOAN, 03.10.1955, S. 4922. 81 Boyer de Latour, Pierre: Vérités sur l’Afrique du Nord, Plon, Paris, 1956. Zitat aus dem Vorwort von Emile Roche, S. XIII. 82 Union pour le Salut et le Renouveau de l’Algérie Française: Ce que c’est l’Algérie pour la France et ce qu’est la France pour l’Algérie. La vérité sur l’Algérie, 1957, S. 21–25. (Vgl. AN, AP 44). 83 Pierre André (IPAS), JOAN, 08.03.1956, S. 811. 84 Moussa: Les chances économiques, S. 57. 85 Berechnung auf Grundlage des französischen Arbeitskräftepotentials von 19,4 Millionen Menschen, das in Zeiten der Vollbeschäftigung in etwa der Größe der aktiven Bevölkerung entsprach. 86 Auf diesen Umstand verwies: Bérard-Quélin: Que coûtera l’Algérie, S. 17.390.

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V. Grenzen der Integrationspolitik

erwirtschaftete mit etwa 10 Prozent einen vergleichsweise geringen Anteil am BIP87. In der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung schlugen die Ausfuhren nach Algerien daher nur geringfügig zu Buche: „Ces 172 milliards de marchandises correspondaient à 1,25 % de la valeur totale de la production française“, stellte der Rechtswissenschaftler Bernard Lavergne richtig. „On voit donc quelle grossière exagération représente l’affirmation courante que l’économie française serait gravement atteinte si le débouché algérien lui manquait“88. Auf Grundlage dieser 1,25 Prozent schrieb ‚La Revue Socialiste‘ korrigierend, „la France consacre donc à l’Algérie une journée de travail par trimestre et non pas soixante jours par an“89. Angerechnet auf das Arbeitskräftepotential Frankreichs ergaben sich daraus theoretisch 242.500 abhängige Arbeitsplätze. In der Praxis waren die Handelsbeziehungen je nach Sektor sehr unterschiedlich ausgeprägt, sodass die 1,25 Prozent nicht pauschal auf die französische Wirtschaftsleistung übertragen werden durften90. Eine hohe wertmäßige Interdependenz einer Branche musste nicht in Proportion zur Zahl der Beschäftigen stehen. Mit dem Geografen Jean Chardonnet unternahm ausgerechnet ein Verteidiger Französisch-Algeriens die Aufgabe, den Anteil branchenspezifisch und somit exakter zu bestimmen. 74.000 Menschen, so sein Ergebnis, verdankten ihren Arbeitsplatz dem Außenhandel mit Algerien91. Diese Größenordnung besaß weit weniger Schreckenskraft als die prophezeite Armee der Millionen Arbeitslosen, die Frankreich angeblich im Falle der algerischen Unabhängigkeit heimsuchen würde. Die Frage der Zeitschrift ‚Revue Socialiste‘, La perte de l’Algérie serait-elle une catastrophe économique?, beantwortete ‚Le Monde‘: „Si le sort d’entreprises françaises particulières est incontestablement lié aux échanges avec l’UFOM, l’économie française, prise dans son ensemble, pourrait sans trop de dommages se passer de ce marché“. Das franzö87 Commerce extérieur, 1954–1958, und La politique budgétaire, II, S. 27. 88 Lavergne: Problèmes africains, S. 61. Ähnlich: Bérard-Quélin: Que coûtera l’Algérie, S. 17.390: „la perte du débouché algérien n’aurait donc pas pour l’économie nationale le caractère dramatique que certains lui prêtent“. 89 La Revue Socialiste, (Décembre 1956): La perte de l’Algérie serait-elle une catastrophe économique?, Jacques Gondre. (Vgl. ANOM, FM 81F 1795). 90 Besonders hoch war der Anteil der algerischen Importe an der französischen Produktion mit 6,6 Prozent in der Textilbranche. Bei landwirtschaftlichen Maschinen und Automobilen betrug er etwa 3 Prozent. Bérard-Quélin: Que coûtera l’Algérie, S. 17.389. Chardonnet: Algérie et Métropole, S. 3. 91 Chardonnet multiplizierte den Exportanteil jeder Branche mit der Zahl der Beschäftigten. Chardonnet: Algérie et Métropole, S. 4. Nach Erinnerung von Jean-François Eck (Interview) erhielt der Geograf einigen Zuspruch. Chardonnets Studien unterscheiden sich ohne Zweifel durch ein höheres Maß an Objektivität von Schriften anderer Anhänger FranzösischAlgeriens. Bei der Interpretation der korrekt dargelegten Daten bemühte er sich gleichwohl, den Verlust Algeriens als ökonomisches Minusgeschäft darzustellen. In gewisser Weise zeigt sich darin die Ambivalenz seiner Disziplin in Bezug auf die Kolonien. Diesen Aspekt vertieft: Singaravélou, Pierre (Hg.): L’empire des géographes. Géographie, exploration et colonisation (XIXe–XXe siècle), Belin, Paris, 2008. So sei die Geografie einerseits tief in die Kolonialisierung und ihre Schattenseiten verwickelt gewesen. Andererseits habe sie auch zur Entwicklung der Kolonien beigetragen.

1. Ökonomischer Antikolonialismus

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sische Lebensniveau hinge sehr viel stärker von den Wirtschaftszentren in Nordfrankreich als von den Märkten in Nordafrika ab92. An einigen überzeugten Anhängern Französisch-Algerien prallten ökonomische Relativierungen dieser Art wirkungslos ab. Im Rahmen des Referendums über die algerische Autodetermination empfahl ein an die Landwirtschaft gerichteter Wahlprospekt mit Nein zu stimmen, um „un grave chômage“ zu verhindern93.

Koloniale und postkoloniale Handelsströme Neben der mathematischen Bestimmung der Bedeutung Algeriens für den französischen Arbeitsmarkt stellte sich die Frage, ob die Aufgabe der politischen Souveränität automatisch mit dem Abbruch sämtlicher Wirtschaftsbeziehungen einhergehen musste. Die Unterstützer der Integrationspolitik beharrten auf dieser Kausalität und führten die Entwicklung des Handels mit Indochina als Beleg an. Trotz ausgehandelter Konventionen, die den Fortbestand der ökonomischen Interessen Frankreichs hätten sichern sollen, seien die Exporte nach der Unabhängigkeit dramatisch eingebrochen94. Im Jahr 1953 exportierte Frankreich Güter im Wert von 93 Milliarden Francs in die fernöstlichen Kolonien, bis 1956 sanken die summierten Ausfuhren nach Kambodscha, Laos und Vietnam auf 23,4 Milliarden Francs95. Diese Zahlen sagten freilich nichts über die Ursachen des Rückgangs aus. Der Unabhängigkeit Indochinas waren acht Jahre blutiger Auseinandersetzungen vorausgegangen, die eine kooperative Zusammenarbeit erschwerten. Des Weiteren senkte die kommunistische Haltung der neuen Regierungen die Bereitschaft, mit dem Westen zu handeln. Dennoch lässt sich feststellen, dass es einigen Branchen über das Jahr 1954 hinaus gelang, profitable Handelsbeziehungen zu unterhalten96. Anstatt den Rückgang der Exporte zu beklagen, hätte dieser auch eine kritische Reflexion darüber initiieren können, ob ein jahrelanger Krieg, der offenkundig die Unabhängigkeit einer Kolonie nicht dauerhaft verhindern konnte, das geeignete Mittel war, um die ökonomischen Interessen Frankreichs in Algerien zu schützen. Auch die Außenhandelsbeziehungen mit den ehemaligen Protektoraten in Nordafrika wurden als Argument gegen die Aufgabe Algeriens ins Feld geführt. 1952 habe Frankreich noch 50 Prozent des marokkanischen und des tunesischen Bedarfes an Tuchprodukten gedeckt, 1958 seien es nur noch 16 Prozent gewe-

92 La Revue Socialiste, (Décembre 1956): La perte de l’Algérie serait-elle une catastrophe économique? und Le Monde, (28.07.1956): L’empire, source de notre prospérité?, III. 93 AN, 74 AP 45: Wahlflyer „Agriculteurs!“. 94 Mayère/Mouquet: II. L’Afrique n’est pas une dépense, S. 19. Auch der Parlamentarier Bernard Manceau (CNI) beklagte den Rückgang der Exporte nach Indochina. JOAN, 08.03.1956, S. 766. Die von diesen Personen angeführten Daten zum franko-indochinesischen Außenhandel weichen teilweise deutlich von den offiziellen Statistiken ab. 95 Commerce extérieur, 1953, S. 302; 1956, S. 245; 257; 266. 96 Siehe hierzu Marseille: Empire colonial, S. 172.

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sen97. In diesem Zusammenhang schrieb der französische Botschafter in Marokko, die ausgehandelten Konventionen hätten nicht verhindert, dass „un quasi monopole commercial de la France s’est effondré“98. Die angeführten Daten zu den französischen Tuchexporten waren an sich korrekt, besaßen jedoch keinerlei Repräsentativität für die Entwicklung des französischen Außenhandels mit Marokko und Tunesien insgesamt. Die Textilbranche Frankreichs verlor gegenüber der kostengünstiger produzierenden internationalen Konkurrenz seit Jahren an Boden. Das Ende des Protektoratsregimes beschleunigte somit lediglich eine unvermeidliche Entwicklung. Wie oben aufgezeigt, brach der Außenhandel Frankreichs mit den jungen Staaten Nordafrikas nach 1956 keineswegs ein. Über Jahre hinweg blieb Frankreich der wichtigste Handelspartner. Der Verlust von Marktanteilen darf zudem nur zu Teilen der Unabhängigkeit an sich und dem folgenden Bestreben Marokkos und Tunesiens zur Diversifikation der Wirtschaftsbeziehungen zugerechnet werden. Konfliktfördernde Entscheidungen und vor allem der Algerienkrieg hatten großen Anteil am rückläufigen Trend. Der kommunistische Abgeordnete Jacques Duclos formulierte daher den Einwurf, die Interdependenzpolitik würde nur deshalb ihrer Vorbildfunktion beraubt, da der Algerienkrieg ihr Gelingen nahezu unmöglich mache99. In diesem Kontext formulierte eine ministerielle Studie, „une indépendance politique n’implique pas nécessairement la rupture des liens économiques et financiers“100. Zudem gab es auf internationaler Ebene auch Gegenbeispiele. Die ostindischen Kolonien trugen einen deutlich höheren Teil zur niederländischen Wirtschaftsleistung bei, als es Algerien für Frankreich tat. Raymond Aron wies seine Landsleute darauf hin, dass es den Niederlanden dennoch gelang, die Aufgabe Indonesiens in eine Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs zu verwandeln101. Zurückkehrendes privates Kapital wurde reinvestiert, frei werdende öffentliche Ressourcen verschafften dem Staat neue Spielräume102. Verteidiger FranzösischAlgeriens begegneten diesem Beispiel auf unterschiedliche Weise. Pierre Moussa sprach vom „complexe hollandais“. Es sei ein Irrtum zu glauben, Frankreichs Wirtschaft würde von der Aufgabe der Überseegebiete profitieren. Vielmehr wäre mit empfindlichen Einbußen zu rechen103. Jean Chardonnet betrieb gar kontrafak-

97 98 99 100

Chardonnet: Algérie et Métropole, S. 7. MAE, MT, Maroc (II), 388: 13.09.1956, Note Dubois à Savary. Jacques Duclos (PC), in: JOAN, 25.09.1957, S. 4350. ANOM, FM 81F 194: 10.12.1959, Plan de travail pour l’étude des conséquences économiques et financières de la francisation de l’Algérie ou de sa sécession, Mission d’études, C.M., S. 5. 101 Aron: L’opium des intellectuels, Hachette, Paris, 2002 (Calman-Lévy, 1955), S. 190. 102 Der ökonomische Rückzug aus Indonesien vollzog sich zunächst progressiv. 1957/1958 nationalisierte die indonesische Regierung alle verbliebene niederländische Unternehmen. Van de Kerkhof, Jasper: Dutch enterprise in independent Indonesia. Cooperation and confrontation, 1949–1958, in: IIAS Newsletter, 36 (2005), S. 18. 103 Moussa: Les chances économiques, S. 19.

1. Ökonomischer Antikolonialismus

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tische Geschichtsschreibung und meinte, „la perte de l’Indonésie a signifié pour les Pays-Bas une chute de 20 % du pouvoir d’achat“104. Bérard-Quélin hingegen bestätigte, „[qu’] il est abusif de prétendre que la souveraineté algérienne entraînera la perte de ce marché“105. Auch andere bezweifelten einen solchen Automatismus106. Mittelfristig war ein Rückgang des Handelsvolumens ohne Zweifel zu erwarten. Gleichwohl durfte davon ausgegangen werden, dass sich dieser progressiv vollziehen würde und für die französischen Unternehmen somit ausreichend Zeit bestünde, sich um alternative Absatzmärkte zu bemühen. Ferner hätte ein frühzeitiger Strategiewechsel in der Nordafrikapolitik, der die Möglichkeit der algerischen Unabhängigkeit einschloss und somit eine rasche Beendigung des Krieges ermöglicht hätte, die Rahmenbedingungen für die Aufrechterhaltung ökonomischer Interessen deutlich verbessert. Abschließend gilt es ebenso zu bedenken, dass ein relatives Absinken der Exporte nach Nordafrika keineswegs mit einer äquivalenten Schwächung des französischen Außenhandels insgesamt einhergehen musste. Selbst unter der wenig realistischen Annahme, dass ein unabhängiges Algerien keinerlei französische Waren mehr importiert hätte, wäre kaum mit einem entsprechenden Rückgang der Gesamtausfuhren zu rechnen gewesen, „puisque forcément une bonne partie de nos ventes à l’Algérie trouverait preneur à l’étranger“107.

104 Chardonnet: Algérie et Métropole, S. 22. Ähnlich äußerte Georges Bidault: „La Hollande sait ce qu’il en coûte d’avoir perdu les ressources en devises de l’Indonésie (Pétrole). Son niveau de vie est de 20 % inférieur au nôtre (Bulletin de Novembre dernier du Patronat Français, page 38)“. AN, 74 AP 45: 16.12.1960, Bidault an Soustelle, Comité National pour la sauvegarde de l’intégrité du Territoire, Front National pour l’Algérie française. Tatsächlich lag das Pro-Kopf-BIP der Niederlande 1950 rund 7 Prozent über jenem Frankreichs. Nach der Aufgabe des ‚Empire‘ verkleinerte Frankreich den Rückstand auf 2,4 Prozent im Jahr 1973. Broadberry, Stephen/Klein, Alexander: Aggregate and per capita GDP in Europa, 1870– 2000. Continental, regional and national data with changing boundaries, 2011, S. 28. Vgl. online: http://dev3.cepr.org/meets/wkcn/1/1699/papers/Broadberry_Klein.pdf. 105 Bérard-Quélin: Que coûtera l’Algérie, S. 17.390. Tatsächlich absorbierte Frankreich drei Jahre nach der Unabhängigkeit immer noch 74 Prozent der algerischen Ausfuhren. 1960 hatte der Wert bei 84 Prozent gelegen. Umgekehrt bezog Algerien 1965 weiterhin 72 Prozent seiner Importe aus Frankreich, ein Minus von 8 Prozent im Vergleich zu 1960. Damit war Frankreich immer noch der mit Abstand wichtigste Handelspartner Algeriens. Tiano: Le Maghreb entre les mythes, S. 477. 1970 kamen noch 42 Prozent der algerischen Importe aus Frankreich und 52 Prozent der algerischen Exporte gingen ins Hexagon. Brandell: Les rapports franco-algériens, S. 102. 106 La Revue Socialiste, (Décembre 1956): La perte de l’Algérie serait-elle une catastrophe économique? und Aron: La tragédie algérienne, S. 20f. 107 Lavergne: Problèmes africains, S. 61f. Lavergne rechnete lediglich für einzelne Branchen, etwa für die Textilindustrie, mit dauerhaften Einbußen.

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V. Grenzen der Integrationspolitik

Bilanz Unter Berücksichtigung der genannten Faktoren hätte sich die Entkolonialisierung Nordafrikas für die Entscheidungsträger der IV. Republik als profitable Investition in die ökonomische Zukunft Frankreichs präsentieren können, die sich bereits nach wenigen Jahren rechnen würde. Den einmaligen Aufwendungen für die Umsiedlung und Entschädigung der Franko-Algerier standen dauerhafte Einsparungen im vierstelligen Milliardenbereich gegenüber. Negative Effekte für französische Unternehmen und den Arbeitsmarkt waren keineswegs sicher. Ihr Ausmaß und ihre Dauer hätten durch eine frühzeitige Neuausrichtung der Nordafrikapolitik und der Außenwirtschaftspolitik insgesamt eng begrenzt werden können. Spürbare Wohlstandseinbußen waren, anders als bei der Fortsetzung der Integrationspolitik, nicht zu erwarten. Niemand konnte voraussagen, wie lange eine massive Militärpräsenz im Maghreb zum Erhalt Französisch-Algeriens vonnöten gewesen wäre. Bei der Angleichung der Lebensverhältnisse stand man erst ganz am Anfang eines langen Weges. Das rasante Bevölkerungswachstum und der große Entwicklungsvorsprung der Metropole hätten die französischen Finanzen über Jahrzehnte hinweg steigend belastet. Die Aufgabe der kolonialen Beziehungen brachte darüber hinaus die Möglichkeit mit sich, internationales Prestige zurückzugewinnen und das Verhältnis zu den arabischen Staaten zu entspannen. Die Aufgabe des konfliktreichen Imperiums setzte zudem politische Energie frei, die in Europa einem konstruktiven Projekt zugutekommen konnte.

2. Europa, (k)eine Alternative?

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2. EUROPA, (K)EINE ALTERNATIVE? „Le refus du marché commun nous laissera, lui, toutes nos difficultés, sans grand espoir d’expansion“ (René Charpentier, 1957)108

2.1 ‚Trentes Glorieuses‘ zwischen Protektionismus und Liberalisierung Die Franczone als Garant der ‚Union française‘ Im Laufe der IV. Republik überlagerten sich Nordafrika- und Europapolitik immer stärker, was die Frage aufwarf, ob die Projekte ‚Union française‘ und EWG in einem Zielkonflikt zueinander standen oder aber miteinander harmonisiert und parallel umgesetzt werden konnten. Frankreichs Volkswirtschaft war primär auf die Franczone ausgerichtet und wies im Vergleich zu anderen europäischen Staaten einen hohen Grad an Auslandsunabhängigkeit auf. Ausgehend von einem niedrigen Niveau bei Kriegsende war der Binnenmarkt zunächst weit von einer Sättigung entfernt und bot der französischen Volkswirtschaft großes Wachstumspotential. Der Anteil des Exports am BIP sank in Frankreich seit den 1930er Jahren um 7 bis 8 Prozent109. 1953 wurden etwa 90 Prozent der Produktion von der Metropole absorbiert. Der Wert der Einfuhren bewegte sich um 11 Prozent des BIPs, 28 Prozent davon stammten aus der Franczone110. Auch die Zielsetzung des Zweiten Entwicklungsplans für die Metropole verdeutlichte das Ziel einer relativen Autarkie. Der Plan sah für die Periode von 1954 bis 1957 eine Steigerung des BIPs um 25 Prozent vor. Die Exporte sollten hingegen nur um 21 Prozent und die Importe um 2 Prozent zulegen. Es wurde demnach eine relative Abnahme der Außenhandelsquote angestrebt111. Im Vergleich dazu setzte die Bundesrepublik Deutschland nach dem Krieg gezielt auf die Eroberung externer Märkt und zog bei den Exporten prozentual und in absoluten Zahlen an Frankreich vorbei112. Wie dargelegt wurde, verzeichnete die IV. Republik eine positive wirtschaftliche Entwicklung. Das BIP wuchs kräftig, es herrschte Vollbeschäftigung und mit einer Defizitquote unter 3 Prozent bis zum Jahr 1955 hätte Frankreich die heu-

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René Charpentier (MRP), in: JOAN, 02.07.1957, S. 3151. Lévy-Leboyer: Introduction, S. 1. Commerce extérieur und La politique budgétaire, II, S. 27. De Fleurieu: Les grandes lignes du Second Plan, S. 325; 331. 1950 exportierte Frankreich Waren im Wert von umgerechnet 2 Milliarden US-Dollar, Deutschland 1,4 Milliarden US-Dollar. Bis 1958 stieg der Wert der deutschen Ausfuhren auf 7,8 Milliarden US-Dollar, die Französischen beliefen sich auf rund 3,6 Milliarden US-Dollar. Lévy-Leboyer: Introduction, S. 3. Während Frankreichs Exportquote im Verhältnis zum BIP in etwa konstant blieb, steigerte Deutschland den Wert von 12 Prozent 1951 auf 16 Prozent 1960. Eck: Histoire de l’économie française, S. 10.

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V. Grenzen der Integrationspolitik

tigen Stabilitätskriterien der Europäischen Union erfüllt113. Dies lieferte EuropaSkeptikern Argumente für eine Fortsetzung der bisherigen außenwirtschaftlichen Ausrichtung auf die Franczone. Europakritische Haltungen artikulierten sich gleichermaßen in den parlamentarischen Fraktionen und in einigen Ministerien. Für wirtschaftliche Expansion und wachsenden Wohlstand sei Frankreich nicht auf Europa angewiesen, „d’autant plus que la France a à sa disposition, vous le savez, les territoires d’outre-mer“, hieß es aus dem linken Parteienspektrum114. „L’Union française […] est parfaitement capable de mettre en valeur tous ses territoires“, bestätigte die politische Rechte. Ihre Reichtümer würden ausreichen, um Frankreich zu einem der mächtigsten Länder der Welt zu machen115. Im Außenministerium sahen einige Beamte die EWG und eine vergemeinschaftlichte Zollpolitik „inconciliables avec l’établissement d’un marché franco-français, qui paraît appelé à constituer le lien le plus durable, dans l’avenir, entre la métropole et le reste de l’Union française“116. Frankreich sei „un pays traditionnellement protectionniste“. Das System des Protektionismus sei nicht nur gerechtfertigt, sondern auch politisch gewollt117. Einigen Unternehmern kam der nach innen gerichtete Blick der französischen Volkswirtschaft gelegen. „Comme il [l’entrepreneur] a peu tendance à rechercher les marchés étrangers, tout accroissement de ses ventes en France le satisfait, à telle enseigne qu’il ne s’intéresse guère au commerce extérieur“118. Firmen, denen der Binnenmarkt keine ausreichenden Absatzmöglichkeiten bot, befanden sich in der vermeintlich bequemen Situation, ihre Produktion von externem Wettbewerbsdruck befreit zu hohen Preisen in den Überseegebieten verkaufen zu können119. Wenig überraschend opponierten aus den Reihen der Wirtschaft vornehmlich jene Unternehmen aus der Metropole gegen die Liberalisierung, die einen vergleichsweise hohen Anteil ihrer Verkäufe auf den französischen Überseemärkten platzierten und international kaum wettbewerbsfähig waren. Umgekehrt sprachen sich die Produzenten in den Kolonien gegen eine Abkehr vom außenwirt-

113 1954 lag die Defizitquote bei 2 Prozent. Die Intensivierung des Algerienkriegs ließ die Schuldenquote im Verhältnis zum BIP in den Folgejahren deutlich auf 4,7 Prozent im Jahr 1957 steigen. Berechnung des Autors auf Basis von: Budget, 1954–1957, und La politique budgétaire, II, S. 27. 114 Pierre Cot (RS), in: JOAN, 22.01.1957, S. 200. 115 Robert Nisse (RS), in: JOAN, 06.07.1957, S. 3359. 116 DDF, 1956 I: 251, 17.04.1956, Euratom et Marché commun, Francis Gutmann, S. 611. 117 DDF, 1956 I: 265, 21.04.1956, Marché commun, Francis Gutmann, S. 637. Gutmann maß dem französischen Protektionismus gar eine Vorbildfunktion für Europa bei: „Peut-être nos partenaires des Six accepteront-ils de reconnaître le bien-fondé de ce système“. 118 Ehrmann, Henry W.: La politique du patronat français (1936–1955), Colin, Paris, 1959, S. 322. 119 Weiterführend: Bonin, Hubert/Hodeir, Catherine/Klein, Jean-François: L’esprit économique impérial (1830–1970). Groupes de pression & réseaux du patronat colonial en France & dans l’empire, SFHOM, Paris, 2008.

2. Europa, (k)eine Alternative?

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schaftlichen Status quo aus, die einen Großteil ihrer Waren ins Hexagon exportierten120. Die Befürworter der imperialen Strategie beriefen sich nicht nur auf die Stärke der eigenen Wirtschaft. Es ging auch die Sorge um, Europa übersteige in Anbetracht der Herausforderungen in der ‚Union française‘ die derzeitigen Möglichkeiten Frankreichs. Das Algerienministerium zeigte sich besorgt, dass der Beitritt zur EWG zu einem Nachlassen des finanziellen Engagements in Nordafrika führen könnte121. Im Außenministerium war die Überzeugung verbreitet, eine Intensivierung des europäischen Integrationsprozesses könne solange nicht angestrebt werden, wie die Konsolidierung der Franczone nicht abgeschlossen sei122. Abgeordnete teilten diese Überzeugung. „C’est, à mon sens, une grave erreur de prétendre construire l’Europe avant d’avoir bâti, et solidement bâti l’Union française“, meinte Robert Nisse123. Ein Kollege sprach sich prinzipiell für eine liberale Wirtschaftspolitik aus. Angesichts der im europäischen und internationalen Vergleich hohen Sozialabgaben und damit einhergehenden Wettbewerbsnachteilen könne sich Frankreich eine Liberalisierung des Außenhandels jedoch derzeit nicht erlauben124. Die Franczone „apporte à la France une sécurité que n’offriront jamais des débouchés étrangers, toujours à la merci de décisions extérieures à nous-mêmes“, gab ein weiterer Parlamentarier zu bedenken125. Ein zusätzliches Argument bildete das hohe Preisniveau in der Franczone. Dieses mache zahlreiche französische Unternehmen abhängig von den Überseemärkten, insbesondere von jenem Algeriens126. Die Ursachen dieses zentralen Wettbewerbsnachteils waren vielfältig. Im Industrieministerium galten die hohe Abgabenlast für die Wirtschaft und „l’absence quasi-totale de mobilité de la maind’œuvre“ als Hauptgründe127. Im Zielkonflikt zwischen Preisstabilität und Wirt120 Lynch: France and the International Economy, S. 194 und Marseille: Empire coloniale, S. 286ff. Der interkoloniale Handel spielte eine eher untergeordnete Rolle. 121 ANOM, FM 81F 1811: Note, Conséquences pour l’Algérie d’un marché commun européen, S. 4. 122 DDF, 1956 I: 251, 17.04.1956, Euratom et Marché commun, Francis Gutmann, S. 613. Zur Haltung des Außenministeriums siehe: Lynch: France and the International Economy, S. 129; 173, 178. 123 Robert Nisse (RS), in: JOAN, 06.07.1957, S. 3359. Ähnlich äußerte sich René Charpentier (MRP): „La préférence européenne ne pouvant jouer, en tout cas pour le moment, nous n’en devons que davantage chercher à créer un régime de préférence au sein de l’Union française“. JOAN, 05.08.1954, S. 3895. In dem am Kapitelbeginn angeführten Zitat zeigte sich Charpentier hingegen von der Notwendigkeit eines gemeinsamen Marktes in Europa überzeugt. Auch Georges Blachette (RI) mahnte an, sich zunächst um die Integration Algeriens zu bemühen, bevor das europäische Projekt angegangen werde. JOAN, 29.07.1955, S. 4478. 124 Michel Maurice-Bokanowski (RPF), in: JOAN, 05.08.1954, S. 3887. 125 Pierre André (IPAS), in: JOAN, 08.03.1956, S. 811. 126 Chardonnet: Algérie et Métropole, S. 8. 127 Während Unternehmen in Italien mit 6,9 Prozent, in den Niederlanden mit 11,3 Prozent und in Deutschland mit 14,2 Prozent belastet wurden, hatten französische Firmen Anfang der 1950er Jahre mit Abgaben von 22,3 Prozent zu kämpfen. MAE, CM, Bidault, 22: Ministère de l’industrie, P. 88.

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V. Grenzen der Integrationspolitik

schaftswachstum entschied sich Paris in der Phase des Wiederaufbaus in der Regel für „une certaine dose d’inflation“128. Der teilweise wenig ausgeprägte Unternehmergeist wurde durch den staatlichen Protektionismus befördert und trug seinerseits zum hohen Preisniveau bei129. Im heutigen globalen System flexibler Wechselkurse bei weitgehender Liberalisierung des Außenhandels wäre es zu einer marktgesteuerte Abwertung des Francs gekommen, durch die der Wettbewerbsnachteil zumindest tendenziell ausgeglichen worden wäre130. Im damaligen Regime der fixen Wechselkurse und der Nicht-Konvertierbarkeit des Francs oblag diese Verantwortung dem Staat. Beamte des Industrieministeriums fürchteten jedoch, die für eine Öffnung des Außenhandels notwendige Abwertung des Franc „précipiterait immédiatement des revendications de salaires et entraînerait une nouvelle augmentation des prix intérieurs“. Eine weitere Schwächung der französischen Wettbewerbsfähigkeit sei zu erwarten131. Die ‚Direction économique‘ des Quai d’Orsay interpretierte die künstliche Überbewertung des Franc als „la seule garantie réelle de l’unité économique, et donc politique“ der ‚Union française‘132. An dieser Stelle gingen die Sorgen vor den Konsequenzen einer Liberalisierung des Außenhandels offenkundig über rein ökonomische Überlegungen hinaus. In der dargelegten Argumentation stellten Europa und die Französische Union substitutive Projekte dar, zwischen denen sich Frankreich, zumindest auf absehbare Zeit, entscheiden müsse. Die zitierten Politiker und Funktionäre lehnten einen Beitritt zur EWG aufgrund der befürchteten Auswirkungen auf die ‚Union française‘ (vorerst) ab und suchten das ökonomische Heil weiterhin in der Franczone. Auch Befürworter der europäischen Einigung hegten große Vorbehalte gegenüber einer Anpassung der französischen Währung an die realwirtschaftlichen Gegebenheiten. Ministerpräsident Mollet bezeichnete die im Rahmen der sich 1957 zuspitzenden Devisenkrise diskutierte Abwertung des Franc als „un crime et une idiotie“133. Dem erwiderte der langjährige Vorsitzende des Finanzausschusses Paul Reynaud, „le véritable crime, c’est d’avoir rendu la dévaluation inévitable en tolérant ou en provoquant la hausse des prix, et l’idiotie c’est de ne pas le com-

128 Die (neo-)klassische Wirtschaftstheorie geht davon aus, dass geldpolitische Maßnahmen lediglich kurzzeitig effektiv sind und auf längere Sicht durch Erhöhung des Preisniveaus egalisiert werden. Erhöhungen der Geldmenge zur Stimulation der Konjunktur lehnt sie daher ab. Keynesianer setzen demgegenüber auf Veränderungen der Geldmenge als ergänzende Maßnahme einer antizyklischen Konjunkturpolitik. Vgl. Baßeler, Ulrich/Heinrich, Jürgen/Utecht, Burkhard: Grundlagen und Probleme der Volkswirtschaft, Schaeffer-Poeschel, Stuttgart, 2002, S. 500. Zitat: La politique budgétaire, II, S. 3. 129 Ehrmann: La politique du patronat français, S. 185. Lynch: France and the international, S. 2. 130 Zu den verschiedenen Wechselkurstheorien siehe: Maennig: Außenwirtschaft, S. 269–326. 131 MAE, CM, Bidault, 22: Ministère de l’industrie, P. 84f. 132 MAE, DÉ, Wormser, 77: Note pour M. Clappier, P. 48. Die Weigerung der französischen Regierungen, eine Abwertung zu wagen, führte bis 1958 zu einer in etwa dem unterschiedlichen Preisniveau entsprechenden Überbewertung des Franc. 133 OURS, Fonds Mollet, AGM 137: 09.05.1957, Guy Mollet, Lille.

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prendre“134. Die Regierung versuchte zunächst, eine Wertminderung durch die „opération 20 %“ zu umgehen135. Erst Charles de Gaulle setzte zwei offizielle Abwertungen von 20 Prozent im Juni und 17 Prozent im Dezember 1958 um und legte damit die Basis für die Überwindung der Außenwirtschaftskrise136. Stimmen, die einen Verzicht auf das Imperium zugunsten der Europäischen Einigung forderten, blieben vereinzelt. Anhand des ökonomischen Antikolonialismus wurde zwar dargelegt, dass früh auf die Möglichkeit verwiesen wurde, die volkswirtschaftliche Situation durch eine finanzielle Konzentration auf das Hexagon zu verbessern. Ein direkter Bezug zur Alternative der EWG wurde indes selten hergestellt. Eine Ausnahme stellt eine Studie aus dem Finanzministerium vom Oktober 1956 dar. Sie hielt eine Konsolidierung der ‚Union française‘ bei gleichzeitigem Beitritt zur EWG für nicht realisierbar. Die Anhebung des Lebensstandards in Übersee erfordere ebenso wie die Steigerung der französischen Wettbewerbsfähigkeit die volle finanzielle Aufmerksamkeit. Anders als der ‚Quai d’Orsay‘ schätzten die Autoren der Studie die Zentrifugalkräfte im ‚Empire‘ als zu groß ein „pour qu’il soit possibles d’imposer longtemps encore les liens existant actuellement entre la métropole et les P.O.M.“. Der Weg nach Europa sei daher ohne realistische Alternative und so müsse die Abgabe von politischer und finanzieller Verantwortung in den Kolonien akzeptiert werden. In einer „Communauté consentie“ unabhängiger Staaten nach Vorbild des britischen Commonwealth könne Frankreich weiterhin Einfluss in den ehemaligen Kolonien ausüben137. Des Weiteren liegt es nahe, die Aussage, französische Exporteure fänden ohne Probleme neue Absatzmärkte im Ausland, „si le Gouvernement français affectait à l’aide à l’exportation les quelque 200 à 300 milliards de prêts ou de subventions versés à l’U.F.O.M.“, auf Europa zu übertragen138. Da die Anhänger dieser Idee Algerien zumeist jedoch als integralen Bestandteil Frankreichs betrachteten, trafen Überlegungen dieser Art hier nicht zwangsläufig zu.

Grenzen der der Franczone und der Blick nach Europa Für die Mehrheit der französischen Politiker stellten Europa und die Französische Union komplementäre Projekte dar, die es miteinander in Einklang zu bringen galt. Im Verlauf der IV. Republik mehrten sich die Stimmen, die in der Öffnung und Europäisierung des Außenhandels „la voie du progrès“ erkannten139. Sie betonten die Chance, alte Strukturen aufzubrechen, die Produktivität der Unterneh134 OURS, Fonds Mollet, AGM 137: 28.05.1957, Paul Reynaud, Paris. 135 Zitat: MAE, MT, Maroc (II), 371: 20.02.1958, Convention d’aide financière. 136 http://www.charles-de-gaulle.org/pages/l-homme/dossiers-thematiques/1958-1970-la-verepublique/la-modernisation-de-l-economie/analyses/la-politique-économique-des-annees1958-1969.php. 137 MFE, B 0052214: Octobre 1956, Le rôle d’Outre-Mer dans le troisième Plan français, S. 9ff. 138 Le Monde, (29./30.07.1956): L’empire, source de notre prospérité?, IV. 139 Finanzminister Edgar Faure (RRS), in: JOAN, 05.08.1954, S. 3886.

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men zu steigern und damit insgesamt den Wohlstand des Landes zu erhöhen. „Économiquement, les marchés protégés incitent à la paresse, coûtent finalement plus cher qu’ils ne rapportent“, erklärte Raymond Aron140. Paul Reynaud forderte „une révolution dans les esprits et dans les faits“141. Auch im Industrieministerium wurde trotz der gleichzeitig geäußerten Vorbehalte gegenüber der EWG anerkannt, dass die Rückständigkeit der französischen Wirtschaft „est la résultante des infléchissements successifs qui ont été donnés à notre économie depuis 40 années, notamment par l’abus d’un protectionnisme parfois systématique“. In den technologischen Defiziten zahlreicher Unternehmen spürte es eine zunehmende Belastung für die Außenhandelsbilanz „[car] le retard dans ce domaine est caractérisé par l’utilisation de plus en plus massive de techniques étrangères et l’exportation de plus en plus réduite de nos propre techniques“142. Der freie Zugang zu den europäischen Märkten eröffnete der ‚Union française‘ darüber hinaus die Möglichkeit, das Problem überschüssiger Produktionen in der Landwirtschaft auf marktwirtschaftliche Weise zu lösen. Insgesamt war eine Erhöhung des Wohlstands zu erwarten. Paul Reynaud ging über die ökonomische Dimension hinaus und maß der europäischen Integration auch eine machtpolitische Komponente bei. Zwischen den Supermächten könne Frankreich auf internationaler Ebene zukünftig nur dann noch eine Rolle spielen, wenn es im Verbund mit Europa agiere143. Nachdem Paris bei der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft als Vetospieler aufgefallen war, musste ferner die Sorge bestehen, sich bei einem erneuten Alleingang in Europa zu isolieren. Die Tatsache, dass Staaten wie Belgien und die Bundesrepublik Deutschland trotz gelegentlicher Kritik an der Nordafrikapolitik Frankreich stets die Treue hielten, sprach dafür, die europäische Solidarität nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen144. Die außenwirtschaftliche Öffnung verlangte, die eigene ökonomische Situation nicht länger im Vakuum, sondern in Relation zu anderen (europäischen) Industrienationen zu betrachten145. Dadurch wurde die wirtschaftliche Entwicklung

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Aron: La tragédie algérienne, S. 21. Paul Reynaud (RI), in: JOAN, 06.08.1954, S. 3917. MAE, CM, Bidault, 22: Ministère de l’industrie, P. 83; 96. Einschätzung von Paul Reynaud (RI), in: JOAN, 23.07.1955, S. 4116. Zu den deutsch-französischen Beziehungen zur Zeit des Algerienkriegs: Cahn, JeanPaul/Müller, Klaus-Jürgen: La République fédérale d’Allemagne et la Guerre d’Algérie 1954–1962. Perceptions, implications et retombées diplomatiques. Éd. du Félin, Paris, 2003. Das Gegenstück zum „anderen“ Deutschland bietet: Taubert, Fritz: La guerre d’Algérie et la République Démocratique Allemande. Le rôle de l’„autre“ Allemagne pendant les „événements“ (1954–1962), Éd. Universitaires de Dijon, Dijon, 2010. 145 Die gegensätzlichen Konzepte Freihandel und Protektionismus gehen mit einer unterschiedlichen Gewichtung der internationalen Wirtschaft einher. In einem nach außen weitgehend abgeschotteten Wirtschaftssystem geht es primär um die absolute, interne ökonomische Entwicklung. In Volkswirtschaften mit hoher außenwirtschaftlicher Interpendenz hingegen gilt es, die eigene Entwicklung vor dem Hintergrund der internationalen Situation zu beurteilen. Der Nationalökonom Franz Eulenburg schrieb bereits 1929: „Das Außenhandelsvolumen jedes Landes kann darum nur in dem Maße zunehmen, als die fremde Volkswirtschaft sich

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zwar nicht geschwärzt, wohl aber ins rechte Verhältnis gerückt. Mit einer Investitionsquote von 9,2 Prozent belegte Frankreich im Vergleich mit vierzehn Industrienationen lediglich den zehnten Rang 146. Dementsprechend blieb das jährliche Wirtschaftswachstum von durchschnittlich 4,6 Prozent in den Jahren von 1950 bis 1959 hinter jenem Italiens mit 5,4 Prozent, der Bundesrepublik Deutschland mit 8,6 Prozent und Japans mit 9,5 Prozent zurück147. Der Sprecher des Haushaltsausschusses, Charles Barangé, gab im August 1954 zu bedenken, „l’aspect favorable de la situation est à la fois précaire, artificiel, relatif“148. Das erreichte Haushalts- und Zahlungsbilanzgleichgewicht sei in hohem Maße von den Finanzhilfen der Vereinigten Staaten abhängig, deren Zukunft jedoch ungewiss sei149. Um die Entwicklung der französischen Wirtschaft auf eine solide Basis zu stellen, müsse daher deren Modernisierung vorangetrieben werden150. Auch Finanzminister Edgar Faure betonte diese Notwendigkeit. Einer optimistischen Zukunftsperspektive ließ er eine schonungslose Analyse der zu behebenden Missstände folgen. Frankreich besitze „une économie isolée de l’extérieur, sclérosée à l’intérieur“151.

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entwickelt“. Eulenburg, Franz: Grundriss der Sozialökonomik. VIII. Abteilung, Außenhandel und Außenhandelspolitik, Tübingen, 1929. Arnaud-Ameller: La France à l’épreuve, S. 93 und Eck: Histoire de l’économie française, S. 7. Eck: Histoire de l’économie française, S. 5. Charles Barangé (MRP), in: JOAN, 05.08.1954, S. 3860f. Frankreich erhielt im Rahmen des Marshall-Plans von 1948 bis 1952 ca. 2,8 Milliarden USDollar an Transferleistungen, was in etwa der summierten Hilfe für Deutschland und Italien entsprach und nur von jener für Großbritannien übertroffen wurde. Diese Gelder finanzierten in erheblichem Maße den Ersten Entwicklungsplan für die Metropole. Die genaue Summe der US-Hilfen ist in der Literatur umstritten. Die hier genannte Zahl bezieht sich auf Knapp, Manfred: Deutschland und der Marshall-Plan. Zum Verhältnis zwischen politischer und ökonomischer Stabilisierung in der amerikanischen Deutschlandpolitik nach 1945, in: MarshallPlan und westdeutscher Wiederaufstieg, hg. v. Schröder, Hans-Jürgen, Steiner Verlag, Stuttgart, 1990, S. 44–59, hier S. 35ff. Mit 2,3 Milliarden US-Dollar anders: Schain, Martin A. (Hg.): The Marshall Plan. Fifty Years After, Palgrave MacMillan, New York, 2001. Wenngleich der Marshall-Plan 1952 offiziell endete und bei der Finanzierung des Zweiten Entwicklungsplans nicht mehr auf diese Mittel gebaut werden konnte, musste Frankreich in der Folge nicht gänzlich auf amerikanische Unterstützung verzichten. In Form von Direkthilfen und einem Beitrag zur Finanzierung des Indochinakriegs blieben die US-Transfers bis einschließlich 1955 auf dem Niveau der Vorjahre. Ab 1956 sank die Dollar-Hilfe deutlich und hatte ab 1958 kaum noch Gewicht. Lynch: France and the International Economy, S. 128 und Wall: France, the United States, S. 89. JOAN, 05.08.1954, S. 3860f. Edgar Faure (RRS), in: JOAN, 05.08.1954, S. 3884.

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2.2 Frankreichs (Um-)Weg nach Europa Liberalisierungsversuche Anfang der 1950er Jahre Damit die Liberalisierung des Außenhandels positive Wirkung entfalten konnte, musste sie zunächst als Herausforderung angenommen und aktiv vorbereitet werden. Die Konkurrenz zwischen protektionistischen und liberalen Wirtschaftsvorstellungen und das Nebeneinander von imperialen und europäischen Szenarien führten indes bis 1957/1958 zu einer Fahrt nach Europa mit angezogener Handbremse152. Frankreich versuchte zunächst, das im Rahmen der OEEC, des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) und der sich ankündigenden EWG vorgegebene Tempo beim Abbau von Handelsbarrieren mitzugehen. 1950 wurde ein Handelsbilanzüberschuss erzielt, der gleichwohl in enger Verbindung mit dem Koreakrieg zu sehen war. Die Warnungen der USA vor einer kommunistischen Invasion Europas führten dazu, dass zahlreiche Staaten Güter und Rohstoffe horteten. Paris zeigte sich ob des Schreckensszenarios wenig beeindruckt und bediente stattdessen die gestiegene internationale Nachfrage153. Als dieses konjunkturelle Strohfeuer zwei Jahre später erlosch, brachen die französischen Exporte ein und ließen das Handelsbilanzdefizit schlagartig auf 330 Milliarden Francs emporschnellen154. 1952 zog die Regierung unter Antoine Pinay die Notbremse. Der im Vorjahr erreichte Liberalisierungsgrad von 76 Prozent wurde aufgeboben und Zollbarrieren wieder eingesetzt155. In den Folgejahren blieb die Liberalisierung Frankreichs stets hinter jener der meisten europäischen Staaten und den Vorgaben der OEEC zurück. Offiziell lag der Wert 1956 bei 79 Prozent. „En réalité, le fait d’avoir exclu des mesures de libération les importations se rapportant au commerce dit ‚d’État‘, ramène à 50 % le pourcentage des importations libérées par rapport à l’ensemble de nos importations en provenance de tous pays“, schätzte das Finanzministerium156. Die negative Erfahrung brachte den Europa-Skeptikern und Anhängern der imperialen Konzeption Auftrieb. Sie bedingte zugleich eine vorsichtigere Haltung jener Kräfte, die die Liberalisierung grundsätzlich für den zu beschreitenden Weg hielten. Die Kritik am Protektionismus verband das Industrieministerium mit der Einschränkung, „dans l’état actuel de la disparité de nos prix, une nouvelle expérience prématurée de libération ne pourrait conduire qu’à l’effondrement de sec-

152 Zu Frankreichs Weg vom Protektionismus hin zur globalen Marktwirtschaft und zum Einfluss der außenwirtschaftlichen Berater siehe: Barbier Becroues, Madeleine: Du Protectionnisme à la Mondialisation, 1898–1998. Histoire des conseillers du Commerce extérieur, CCE Communication, Paris, 1999. 153 Lynch: France and the International Economy, S. 133. 154 De Fleurieu: Les grandes lignes du Second Plan, S. 331. 155 Lynch: Les conséquences de l’isolationnisme, S. 222. 156 Zitat: MFE, 1A 0000410/4: 15.03.1956, Note sur la libération des échanges.

2. Europa, (k)eine Alternative?

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teurs entiers de l’industrie“157. Die pro-europäisch und tendenziell liberal ausgerichtete ‚Direction des relations économiques extérieure‘ sprach sich nur noch für eine schrittweise Öffnung der Märkte aus158. Bei der Analyse der Situation schienen Ursache und Wirkung mitunter vertauscht zu werden. Die Schwierigkeiten Frankreichs bei der Liberalisierung wurden reflexartig als Daseinsberechtigung für den Protektionismus gewertet. Die Rückständigkeit der französischen Wirtschaft gab vielen keinen Anlass zu mutigen Reformen, sie legitimierte vielmehr deren Ausbleiben. In den Befürchtungen der Europa-Kritiker schwang neben der Skepsis gegenüber der marktwirtschaftlichen Grundidee auch die Sorge mit, Frankreich würde im europäischen oder internationalen Wettbewerb nicht bestehen. Als sich die Finanz- und Devisenkrise 1957/1958 zuspitzte, wurden erneut bereits umgesetzte Liberalisierungsmaßnahmen zurückgenommen159. Insgesamt blieb Frankreich bis zur umstrittenen Entscheidung zur Unterzeichnung der Römischen Verträge „one of the most protected economies in the OEEC“160.

Mit oder ohne Kolonien nach Europa? Nach dem grundsätzlichen Beschluss zur Beteiligung an der EWG musste Frankreich, wie auch Belgien und die Niederlande, klären, ob die Überseegebiete einbezogen werden sollten. Diese Frage war in den französischen Ministerien durchaus umstritten. Das Staatsministerium für algerische Angelegenheiten fürchtete, eine gesteigerte europäische Präsenz in den Kolonien würde dem Zerfall der ‚Union française‘ Vorschub leisten161. Perspektivisch konnte die Diversifikation des algerischen Außenhandels zwar die wirtschaftliche Ausgangsposition für eine Loslösung von Frankreich stärken. Kurzfristig war jedoch nicht mit einem Verdrängungseffekt zu rechnen, so dass sich Paris die Vernachlässigung dieses langfristigen Szenarios erlauben durfte. Zudem spielten ökonomische Überlegungen dieser Art in der Ideologie des FLN keine nennenswerte Rolle. Er strebte nach nationaler Souveränität und nicht nach einer wirtschaftlichen Europäisierung des Landes162. Aus der europäischen Einigung eine Gefahr für die Integrationspolitik in Algerien abzuleiten, wirkte daher konstruiert. Sehr viel konkreter erschienen hingegen die

157 MAE, CM, Bidault, 22: Ministère de l’industrie, P. 84. 158 Badel, Laurence: La direction des relations économiques extérieures (DREE). Origines, culture, logique (1920–1970), in: Les administrations nationales et la construction européenne. Une approche historique (1919–1975), hg. v. Badel, Laurence/Jeannesson, Stanislas/Ludlow, N. Piers, Peter Lang, Brüssel, 2005, S. 169–205, hier S. 188; 199. 159 Asselain: Le tournant, S. 252. 160 Lynch: France and the international economy, S. 128. 161 ANOM, FM 81F 1811: Note, Conséquences pour l’Algérie d’un marché commun européen, S. 4. 162 In der Note über die volkswirtschaftlichen Vorstellungen des FLN fanden sich keine Hinweise für eine angestrebte Europäisierung. ANOM, FM 81F 197: 07.02.1962, Position du G.P.R.A. en matière économique, Mission d’études.

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V. Grenzen der Integrationspolitik

negativen Konsequenzen, die ein EWG-Beitritt Frankreichs ohne Algerien mit sich gebracht hätte. Eine Sonderbehandlung der algerischen Départements widersprach auf gravierende Weise dem Gleichheitsanspruch und dem Credo, „l’Algérie, c’est la France“. Umgekehrt könne der Beschluss, Algerien mit ins europäische Boot zu holen, ein positives Signal aussenden, dass die Volkswirtschaften von Metropole und Algerien als Einheit zu betrachten seien163. Machtpolitische Überlegungen sprachen ebenfalls für einen Beitritt der gesamten ‚Union française‘ zur EWG. „Quelle serait la force de la France dans une Union européenne sans ses prolongements d’outre-mer?“, fragte der senegalesische Abgeordnete und spätere Präsident des unabhängigen Senegal Léopold Sédar Senghor ins Plenum der Nationalversammlung164. Jean Masson, Staatssekretär für ökonomische Angelegenheiten in der Regierung Mollet, erkannte in den Überseegebieten Frankreichs Machtinstrument im vereinigten Europa165. Auf internationaler Ebene hoffte Paris zudem auf die diplomatische Solidarität der EWG-Staaten in der Algerienfrage166. Neben der politischen Signalwirkung durfte Paris des Weiteren auf konkrete finanzielle Vorteile setzen. „L’Algérie n’a pas d’équilibre économique possible. Il faut dire que cet équilibre ne peut être réalisé que dans le cadre d’une organisation de l’Europe“. Mit diesem eindeutigen Plädoyer bezog Außenminister Pineau in der Debatte Stellung167. Bestärkend äußerte der algerische Abgeordnete Chérif Sid-Cara, Algerien werde selbst mit der Hilfe der Metropole nicht im Stande sein, die ökonomischen Herausforderungen zu bestehen und sei daher auf die Unterstützung Europas angewiesen168. Angesichts der angespannten Haushaltslage und der bevorstehenden Lasten für die Entwicklung der Kolonien wirkte der Abbau von Handelsschranken im Gegenzug für finanzielle europäische Unterstützung als vorteilhafter Tausch169. In der Vision einiger fusionierten Frankreichs europäische und afrikanische Interessen in einem „fuseau Eurafricain, centré sur la Meditérrannée [sic!], lié par des intérêts économiques communs, également accepté par les deux blocs Oriental et Occidental et libre devant eux“170. Die zitierten Sorgen über den Verlust politischen Einflusses in den Überseegebieten fanden in den Römischen Verträgen schließlich dennoch ihren Nieder163 ANOM, FM 81F 188: Octobre 1958, Ministère de l’Information, L’agriculture algérienne et le Marché Commun, S. 21. 164 Léopold Sédar Senghor (IOM), in: JOAN, 18.02.1955, S. 809. 165 Frank: The French Alternative, S. 170. 166 Guillen: Europe as a Cure, S. 508. 167 Christian Pineau, in: OURS, Comité Directeur, 15.06.1955, S. 5. 168 Chérif Sid-Cara (RRS), in: JOAN, 09.12.54, S. 6089. 169 In diesem Sinne äußerten sich mehrere Abgeordnete verschiedener Fraktionen. Etwa: Paul Alduy (SFIO), in: JOAN, 03.07.1957, S. 3204, Henri Teitgen (MRP), in: JOAN, 15.01.1957, S. 13f., André Mutter (IPAS), in: JOAN, 18.10.1956, S. 4220 und Paul Reynaud (IPAS), in: JOAN, 04.12.1956, S. 6153f. 170 MAE, MT, Tunisie (II), 39: 16.04.1958, Esquisse pour une politique de l’AFN, G. Wailly, S. 2. Ähnlich forderte Paul Reynaud (IPAS) die Konstruktion von „Eurafrique“. JOAN, 04.12.1956, S. 6153f.

2. Europa, (k)eine Alternative?

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schlag. Die ‚Union française‘ wurde zwar in den Gemeinsamen Europäischen Markt integriert, blieb jedoch von einer ganzen Reihe integrativer Maßnahmen ausgenommen171. Unter anderem stellte Frankreich einen förmlichen Antrag, Algerien und die D.O.M. vom Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) auszunehmen, der speziell für die wirtschaftliche Entwicklung rückständiger Regionen in Übersee etabliert worden war172. Einzig die T.O.M. sollten in dessen Genuss kommen. Auf die Kritik eines Parlamentariers, diese Entscheidung gefährde die ökonomische Zukunft der ausgenommenen Gebiete, erwiderte die Regierung, es handle sich dabei um einen notwendigen Schritt, um die alleinige Souveränität Frankreichs bei Investitionsentscheidungen in Algerien zu bewahren. Des Weiteren gehe es um ein finanzielles Nullsummenspiel. Die französische Regierung könne schließlich Dank der 109 Milliarden Francs, die den T.O.M. binnen fünf Jahren aus dem EEF zuflössen, Umschichtungen im Budget vornehmen, so dass Algerien letzten Endes auch Nutznießer der europäischen Hilfen werde173. In Anbetracht des großen Haushaltsdefizits blieb es allerdings fraglich, ob und wie eine solche Umverteilung vonstattengehen sollte. Im Wettbewerb zwischen ökonomischen und politischen Überlegungen setzten sich letztere einmal mehr durch. Die Integrationspolitik sollte frei von externen Einflüssen bleiben, auch wenn dies zu Lasten der wirtschaftlichen Entwicklung Algeriens ging.

Bilanz Auf politischer Ebene wurde Europa in der IV. Republik nicht als Substitut, sondern als Ergänzung zur ‚Union française‘ gesehen. Eine Abkehr von der Integrationspolitik in Algerien wurde durch den Europäischen Einigungsprozess bis 1958 nicht herbeigeführt. Dennoch ist anzunehmen, dass das europäische Projekt der französischen Politik mittelfristig die Entkolonialisierung erleichterte, da es eine attraktive, konstruktive und friedliche Alternative zu den Dramen und Konflikten im ‚Empire‘ bot. Französische Unternehmen bildeten, ohne entsprechendes politisches Mandat, die Vorhut der ökonomischen Entkolonialisierung und orientierten sich längst nach Europa, als Paris noch für Französisch-Algerien und den Erhalt des Überseereichs kämpfte. Der franko-europäische Außenhandel wuchs bereits

171 Garand, Albert: L’outre-mer français et la Communauté économique européenne, in: Politique étrangère, 25, 1 (1960), S. 33–51, hier S. 33. 172 Weiterführend: Bossuat, Gérard (Hg.): La France, l’Europe et l’aide au développement. Des traités de Rome à nos jours, IGPDE/CHEFF, Paris, 2013. 173 Kritik von Maurice Plantier (RGR), in: JOAN, 06.07.1957, S. 3377. Die Erwiderung kam vom Staatssekretär im Außenministerium, Maurice Faure (RRS), in: JOAN, 06.07.1957, S. 3377f. Der EEF umfasste für fünf Jahre den Gegenwert von 581 Millionen US-Dollar, wovon 511 Millionen für die französischen Überseegebiete vorgesehen waren. Abzüglich des französischen Eigenanteils blieben netto rund 311 Millionen US-Dollar bzw. 109 Milliarden Francs an Finanzhilfe zu verteilen. Berechnung des ‚Directeur des Affaires économiques au ministère de la France d’Outre-Mer‘. JOAN, 03.07.1957, S. 3204.

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V. Grenzen der Integrationspolitik

vor der Umsetzung der Römischen Verträge kontinuierlich, während der Warenverkehr innerhalb der Franczone relativ an Bedeutung verlor. Wanderten 1953 noch 37 Prozent der französischen Exporte in die Kolonien und 19 Prozent in die zukünftigen EWG-Staaten, kehrte sich das Verhältnis bis zur Unabhängigkeit Algeriens im Jahr 1962 um174. Die Intensivierung des Algerienkriegs unterbrach diesen Trend nur kurzfristig und ab dem Jahr 1959 übernahm Europa endgültig die Rolle als wichtigster Handelspartner. Auf Frankreichs Außenhandel wirkte die EWG wie ein Befreiungsschlag: In den ersten zwei Dekaden nach 1958 stiegen die französischen Exporte um das Zwanzigfache175. Die französischen Unternehmen leisteten über die Europäisierung ihrer Handelsströme einen wichtigen Beitrag zur Entkolonialisierung, da dadurch die Bedeutung der Überseegebiete für die französische Volkswirtschaft kontinuierlich sank. „L’anti-colonialisme du monde des affaires“ mag einen Teil zu dieser Entwicklung beigetragen haben176. Die moralische Komponente sollte dessen ungeachtet nicht überbewertet werden, zumal es hier nicht um die Überzeugungen einzelner Personen, sondern um die Wirtschaft als Ganzes ging. Wie alle gewinnorientierten Unternehmen mussten auch die französischen ihrem Handeln betriebswirtschaftliche Überlegungen zugrunde legen. Als entscheidende Antriebsfeder fungierte daher „l’analyse ‚froide‘ des phénomènes économiques“177. Sie ließ die französische Wirtschaft erkennen, dass ihre Zukunft nicht vom Handel mit den Entwicklungsländern der Französischen Union, sondern vom Austausch mit den dynamischen, kaufkraftstarken Märkten eines industrialisierten und vereinten Europas lag. Der französischen Bevölkerung lag Europa nicht nur in geografischer Hinsicht näher, als es die ‚Union française‘ je gewesen war.

174 Lynch: France and the International Economy, S. 141; 206. 175 Lévy-Leboyer: Introduction, S. 10. Zur wirtschaftlichen Entwicklung vor und nach dem EWG-Beitritt siehe auch: Lynch, Francis M. B.: Les conséquences de l’isolationnisme français dans les années quarante et cinquante, in: L’économie française dans la compétition internationale, S. 219–238. 176 Zitat: Coquery-Vidrovitch, Catherine: Impérialisme et impérialisme colonial, in: L’esprit économique impérial (1830–1970). Groupes de pression & réseaux du patronat colonial en France & dans l’empire, hg. v. Bonin, Hubert/Hodeir, Catherine/Klein, Jean-François, SFHOM, Paris, 2008, S. 756–759, hier S. 758. Die Autorin ist überzeugt, der Antikolonialismus der Unternehmen „aide énormément la décolonisation“. 177 Zitat: Marseille: Empire colonial, S. 487. Marseille glaubt, dass der Modernisierungsdrang der französischen Wirtschaft der Entkolonialisierung unbewusst den Weg bereitete.

VI. DIE V. REPUBLIK: ANFANG UND ENDE DER INTEGRATION 1. ALTER ANSPRUCH, NEUES ENGAGEMENT „Tel qu’il a été prévu, le Plan de Constantine n’est pas en rupture cette année, il l’a été dès l’origine!“ (Jean Morin, 1962)1

1.1 Politische Reformen Im Verlauf der IV. Republik war immer deutlicher zutage getreten, dass sowohl in Algerien als auch in der Metropole grundlegende Voraussetzungen für ein Gelingen der Integrationspolitik fehlten. Über diese Tatsache konnten auch die Euphorie über die Machtübernahme Charles de Gaulles und die vermeintliche „réconciliation franco-musulmane“ in den Straßen Algiers nicht hinwegtäuschen2. Die 75-prozentige Zustimmung der Algerier zur neuen Verfassung bedeutete kein Bekenntnis zur Integrationspolitik, zumal der politische Status des Landes bei diesem Referendum überhaupt nicht zur Abstimmung stand3. Auch ein negatives Votum hätte nicht zur Unabhängigkeit geführt4. Viele drückten mit ihrem „Ja“ zur

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Morin, Jean: La mort du Plan de Constantine. 1000 milliards risqués pour des résultats incertains, in: L’Opinion économique et financière (11.01.1962), S. 27. (Vgl. ANOM, FM 81F 2020). Morin war Sonderbeauftragter der französischen Regierung. Zitat: Dronne: La révolution d’Alger, S. 20. Für Dronne stand der Zukunft FranzösischAlgeriens angesichts der Verbrüderungsszenen von ‚Pieds noirs‘ und Muslimen, die sich in Reaktion auf die Machtübernahme de Gaulles abgespielt hätten, nichts mehr im Wege. Siehe auch: DDF, 1958 II: 158, 15.09.1958, S. 354. Die Authentizität der Ereignisse wird in der Forschung häufig bezweifelt. Hodeir: Le grand patronat colonial, S. 448f. oder Field/Hudnut: L’Algérie, de Gaulle et l’armée, S. 100. Das Fehlen einer Abstimmung über die politische Zukunft Algeriens beklagte der frühere Wirtschaftsminister André Philip. ANOM, FM 81F 39: 1958, André Philip, ancien Ministre: Réflexions sur un mythe. Droz meint, die hohe Zustimmung der Muslime, trotz des Boykottaufrufs des FLN, sei zu Teilen durch Wahlmanipulationen entstanden. Droz, Bernard: L’élection législative du 30 novembre 1958 en Algérie, in: Outre-Mers, 96 (2008), S. 29–44, hier S. 44. In Frankreich votierten knapp 83 Prozent für die neue Verfassung. Vgl. online: http://www2.assemblee-nationale.fr/decouvrir-l-assemblee/histoire/la-ve-republique. Das Abstimmungsergebnis in Algerien wurde sehr unterschiedlich ausgelegt. Einige verbanden mit dem „Ja“ ein Bekenntnis zur einer Verhandlungslösung, andere eine Stärkung der Integrationspolitik. Auf diese Unklarheit verwies Christian Pineau. OURS, Congrès National, Issy-Les-Moulineaux, 11–14 Septembre 1958, P. 10. Pierre Mendès France kritisierte, dass De Gaulle dem Referendum in den verschiedenen Überseegebieten unterschiedliche Bedeutungen beimaß. L’Express, Supplément au no 378, (11.09.1958): La déclaration de Mendès

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IV. Die V. Republik: Anfang und Ende der Integration

Verfassung der V. Republik primär ein „Nein“ zur Nordafrikapolitik der IV. Republik aus. Für de Gaulles Interpretation, dass die überwältigende Mehrheit der Algerier ihren Willen bekundet habe, zusammen mit Frankreich eine gemeinsame Zukunft zu bauen, fehlte somit die Grundlage5. Dennoch entschloss sich der neue starke Mann der V. Republik zunächst dazu, am Prinzip „Algerien ist Frankreich“ festzuhalten. Im Gegensatz zu den 25 Regierungen der IV. Republik beließ es de Gaulle allerdings nicht bei Ankündigungen, sondern setzte umgehend tiefgreifende Reformen um. Die undemokratische Parität im Wahlsystem wurde abgeschafft, das Frauenwahlrecht eingeführt6. Fortan stellte die muslimische Bevölkerung 46 der 67 Abgeordneten Algeriens in der französischen Nationalversammlung7. Die Budgetautonomie wurde beendet und damit die Grundlage für die soziale und ökonomische Integration der algerischen Départements gelegt8. Ferner wurde ein neuer Bildungsplan zur ‚Scolarisation accélérée de l’Algérie‘ vorgelegt, der eine drastische Erhöhung der Schulquote binnen acht Jahren vorsah9. Tatsächlich verdoppelte sich die Zahl der Einschulungen bis 196010. In den vier Jahren von 1958 bis 1962 wurde mehr Algeriern eine Schuldbildung ermöglicht als in den 128 Jahren von 1830 bis 195811. Um die „scolarisation totale de la jeunesse algérienne“ zu erreichen, sollten 40.000 neue Klassen eingerichtet werden12. Die Ausweitung des regulären Schulwesens sollte durch die Einrichtung sogenannter ‚Centres Sociaux‘ begleitet werden, in denen häufig fehlende Grundkenntnisse vermittelt werden sollten13. Neben pädagogischen Überlegungen spielte dabei auch die Sorge eine Rolle, die bil-

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France. (Vgl. ANOM, FM 81F 177). So ging es für die afrikanischen Kolonien um ihre Zugehörigkeit zur ‚Communauté‘ und so führte das „Nein“ Guineas zur Unabhängigkeit. ANOM, FM 81F 26: 02.10.1958, Allocation prononcée par le général de Gaulle à Orléansville. Die Muslimas hatten bereits an der Abstimmung über die neue Verfassung teilnehmen dürfen. Weil, Patrick: Le statut des musulmans en Algérie coloniale. Une nationalité française dénaturée, (= EUI Working Paper HEC No. 200/3), Florenz, 2003. Online: http://www4.aclille.fr/~immigration/ressources/IMG/pdf/Statut_musul_alg.pdf. Die finanzielle Autonomie Algeriens endete im Juli 1959. Collot: Les institutions de l’Algérie, S. 18. ANOM, FM 81F 56: Ordonnance du 20 août sur la scolarisation accélérée de l’Algérie pendant 8 ans, Ministère de l’Éducation Nationale. MDN, 1 H 1107/1: Annuaire Statistique de l’Algérie 1959, Alger, S. 65. Heggoy: French Policies and Elitist Reactions, S. 433. Die notwendigen Investitionen für den Bau neuer Schulen und die Ausbildung zusätzlicher Lehrer wurden mit 191 Milliarden Francs veranschlagt, die jährlichen laufenden Kosten sollten mit 60 Milliarden Francs auf mehr als das Zweifache steigen. ANOM, FM 81F 2020: Juin 1958, Scolarisation totale de la jeunesse algérienne. Etwas niedrigere Zahlen finden sich bei: ANOM, FM 81F 185: Projet de scolarisation de l’Algérie Février–Mars 1958, Exposé, S. 46–49. „L’école primaire de type traditionnel est d’ailleurs inadaptée à l’action sur certaines populations dont le mode de vie et le niveau social impliquent une éducation préalable“. ANOM, FM 81F 185: Projet de scolarisation de l’Algérie (1958–1966), S. 1 und ANOM, FM 81F 55:22.5.1959, Un an de promotion sociale, Mesures en faveur de la scolarisation.

1. Alter Anspruch, neues Engagement

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dungspolitische Integration Algeriens könnte an technische und finanzielle Grenzen stoßen. „L’extension des écoles primaires de type traditionnel pourrait avoir pour obstacle l’énormité des frais d’investissement et des charges de fonctionnement, si les possibilités de recrutement du corps enseignant n’offraient par ellesmêmes une limite à l’application de cette formule“14. Infolge des ‚Babybooms‘ erwartete Frankreich für die kommenden zehn Jahre einen um 65 Prozent steigenden Bedarf an Lehrkräften. Parallel sollten nun 40.000 zusätzliche Pädagogen für Algerien ausgebildet werden, was die französischen Hochschulen vor gewaltige Herausforderungen stellte15. Alfred Sauvy schrieb in diesem Kontext, „si nous attaquons en 1958 l’intégration, on pourra dire que nous aurons abordé cette solution exactement au moment le plus défavorable de toute notre histoire depuis 1830. […] Si ceux qui proposent aujourd’hui l’intégration avaient toujours manifesté une large générosité sociale, nous serions plus rassurés. Mais hélas!...“16. Eine Angleichung an die Bildungsstandards der Metropole hätte auch der neue Bildungsplan nicht bewerkstelligen können. Für diese Aufgabe musste in Jahrzehnten und anderen finanziellen Dimensionen kalkuliert werden. Gleichwohl ist der V. Republik unter Charles de Gaulle zugute zu halten, dass sie das Ziel der bildungspolitischen Integration trotz der ungewissen politischen Zukunft engagiert anging und bemerkenswerte Fortschritte erzielte. Die vorangegangene Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität vermochte das forcierte Engagement indes nicht auszugleichen. Zu lange war die große Chance ungenutzt geblieben, im Bereich der Bildung eine Basis für das Gelingen der Integrationspolitik zu schaffen.

1.2 ‚Perspectives décennales‘ – ‚Plan de Constantine‘ Bereits auf den letzten Metern der IV. Republik hatte das Planungskommissariat mit den ‚Perspectives décennales pour le développement de l’Algérie‘ einen neuen Entwicklungsplan vorgestellt, mit dem die seit vier Jahren popagierte, jedoch eher halbherzig angegangene Angleichung der Lebensverhältnisse vorangetrieben werden sollte. Einige Teile des Maspétiol-Berichtes wurden übernommen, andere neue Elemente hinzugefügt. Das CGP lobte, „que ce soit la première fois qu’un modèle de développement aussi complet et aussi sérieusement étudié ait été établi“17. Die Umsetzung des Plans begann in der IV. Republik nicht mehr. Der einige Zeit später formulierte ‚Plan de Constantine‘ griff die wesentlichen Parameter

14 ANOM, FM 81F 185: Projet de scolarisation de l’Algérie (1958–1966), S. 1. 15 Sauvy: Et vous, voulez-vous être „intégré“?, in: L’Express, (1958). Des Weiteren blieb fraglich, ob französische Lehrer in ausreichender Zahl zu einer Übersiedlung nach Algerien bewegt werden konnten. Speziell in den entlegenen Regionen setzte Frankreich daher Militärs als Lehrkräfte ein. Frémeaux: La France et l’Algérie, S. 154. 16 Sauvy: Et vous, voulez-vous être „intégré“?, in: L’Express, (1958). 17 ANOM, FM 81F 2019: 14.11.1958, CGP, Perspectives décennales, S. 2.

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IV. Die V. Republik: Anfang und Ende der Integration

der ‚Perspectives décennales‘ auf, verkürzte lediglich den Betrachtungshorizont von zehn auf fünf Jahre18. Wohlmöglich verband Charles de Gaulle mit dem neuen Entwicklungsplan die Absicht, „de donner aux Algériens des diverses communautés toutes raisons morales et matérielles de vouloir être unis à la France“19. Diese Äußerung kann durchaus dahingehend interpretiert werden, dass die Tür zur algerischen Unabhängigkeit einen Spalt weit aufgestoßen wurde, denn „wollen“ setzt eine Wahlmöglichkeit voraus. Bereits ein Jahr später rückte de Gaulle für viele überraschend vom Dogma der Unauflöslichkeit der franko-algerischen Union ab und kündigte ein Referendum über die Autodetermination Algeriens für die Zeit nach der Befriedung an20. Bis dahin, so mag die Hoffnung gewesen sein, sollte sich das Lebensniveau soweit verbessert haben, dass die 130 Jahre lang verweigerte Frage, ob die Algerier Teil Frankreichs sein möchten, positiv beantwortet werden würde21. Letztlich sollte also ein politisches Problem über die Ökonomie gelöst werden.

18 Der Name ‚Plan de Constantine‘ leitete sich aus einer Rede de Gaulles vom 03.10.1958 im algerischen Constantine ab. Im Folgenden wird auf beide Entwicklungspläne Bezug genommen. Durch die Angabe des Fünf- bzw. Zehnjahreszeitraums wird erkenntlich, um welche Version es sich dabei handelt. Im Vergleich zu den ‚Perspectives décennales‘ war im ‚Plan de Constantine‘ etwas weniger algerische Arbeitsmigration nach Frankreich vorgesehen. Die Finanzierung wurde leicht modifiziert und an die aktualisierten Perspektiven für die Ausbeutung der Sahara angepasst. Mathieu: Algérie. Plan quinquennal, S. 16f. 19 Dieses Ziel vertraute de Gaulle Funktionären und Militärs Ende Oktober 1958 an. ANOM, FM 81F 26: 28.10.1958, Message adressé par le Président de la République aux fonctionnaires de l’État et aux Forces Armées en Algérie. 20 Nicht näher datiert, sollte das Referendum spätestens vier Jahre nach der vollständigen Befriedung Algeriens stattfinden. ANOM, FM 81F 26: 16.09.1959, Déclaration du général de Gaulle. 21 Über die genauen Absichten des Generals in Algerien existierten damals wie heute sehr unterschiedliche Meinungen. Ein Anhänger Französisch-Algeriens fragte vor der Abstimmung, „vers quelle aventure le général de Gaulle veut-il nous conduire?“. Jacques Isorni (IPAS), in: JOAN, 16.05.1958, S. 2367. Der Vorsitzende der marokkanischen Regierungspartei ‚Istiqlal‘, Ben Barka, erkannte lediglich die Absicht, die Diskriminierung der Muslime zu beenden. „Pour le reste, de Gaulle est demeuré dans le vague. Il l’a fait volontairement“. DDF, 1958 I: 418, 14.06.1958, Le Roy, Gespräch mit Ben Barka, S. 791. Ähnlich äußerte sich die deutsche Zeitung ‚Die Welt‘ (28.10.1958): Was kostet Algerien?, Joachim Schaufuss. (Vgl. ANOM FM 81F 2020). Nach Doise und Vaïsse ging es de Gaulle mit seiner „politique ambigüe“ nicht darum, die algerische Unabhängigkeit an sich, sondern ihr gewaltsames Erreichen zu verhindern. Doise/Vaïsse: Diplomatie et outil militaire, S. 461. Auch Faure glaubte an eine geplante Unabhängigkeit. Faure: Mémoires, II, S. 687. Nach Ageron war der General früh von der Unausweichlichkeit der algerischen Unabhängigkeit überzeugt. Es habe jedoch mehrerer Jahre Taktieren bedurft, „pour faire reconnaître au corps des officiers que l’Algérie ne pouvait plus être française“. Der erste Präsident der V. Republik habe gehofft, ein unabhängiges Algerien im Rahmen der ‚Communauté‘ an Frankreich binden zu können. CoqueryVidrovitch/Ageron: Histoire de la France colonial, III, S. 443; 459; 462. Nach Wall erwuchs de Gaulles Entschluss erst aus dem Scheitern von ‚Plan de Constantine‘ und ‚Plan de Challe‘. Wall: France, the United States, S. 7; 77; 200. Ein Grundproblem liegt darin, dass die Äuße-

1. Alter Anspruch, neues Engagement

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Insgesamt sollten 2.300 Milliarden Franc binnen fünf bzw. 4.700 Milliarden Francs binnen zehn Jahren investiert werden22. Das jährliche Investitionsvolumen versechsfachte sich damit im Verhältnis zum Zweiten Entwicklungsplan. Innerhalb von fünf Jahren sollte in etwa so viel Kapital in Algerien angelegt werden wie in den 128 Jahren zuvor23. Ferner wurde die Finanzierung des Investitionsplans dem integrativen Anspruch angepasst. Die öffentlichen Gelder wurden nicht länger als zinsgünstiger Kredit an ein finanziell autonomes Gebiet, sondern als innerfranzösischer Transfer geleistet. Dem hohen Investitionsvolumen entsprechend formulierten die ‚Perspectives décennales‘ ehrgeizige Ziele. Innerhalb einer Dekade sollte die Zahl der außerhalb der Landwirtschaft beschäftigten Menschen um 137 Prozent bzw. 870.000 gesteigert werden. 100.000 neue Arbeitsplätze sollten im Agrarsektor entstehen, 200.000 Algerier in der Metropole eine Anstellung finden24. Vorgesehen war eine jährliche Anhebung des Lebensstandards um 5 Prozent25. Eine Steigerung des BIPs Algeriens um 1.600 Milliarden Francs bzw. 145 Prozent wurde angestrebt26. Anfang 1956 hatte das Finanzministerium noch mit einer Erhöhung der algerischen Wirtschaftsleistung um 745 Milliarden Francs oder 85 Prozent binnen zehn Jahren geplant27. Erstmals in der Geschichte der französischen Entwicklungspläne für Nordafrika förderte der Staat aktiv die Industrialisierung. 23 Prozent der außerhalb der Landwirtschaft zu schaffenden Arbeitsplätze sollten im verarbeitenden und produzierenden Gewerbe entstehen, weitere 22 Prozent im privaten Bauwesen28. Die Zäsur in der französischen Investitionspolitik in Algerien war unverkennbar.

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rungen, in denen de Gaulle die algerische Unabhängigkeit bereits früh als unvermeidbar bezeichnet, nur indirekt überliefert sind. Weiterführend zur Leben und Wirken de Gaulles: Lacouture, Jean: De Gaulle, 3 Bände, 1. Le Rebelle (1890-1944), 2. Le Politique (19441958), 3. Le Souverain (1959-1970), Le Seuil, Paris, 1984, 1985, 1986. Siehe auch: Roussel, Éric: Charles de Gaulle, Gallimard, Paris, 2002. MFE, B 0024875/1: 04.12.1959, Perspectives décennales, S. 1 und ANOM, FM 81F 194: 01.12.1960, CEDA, Note, Politique d’industrialisation de l’Algérie 1961. Mit 2.000 Milliarden Francs eine niedrigere Summe bei: Le Monde diplomatique, (Janvier 1961): Deux mille milliards d’anciens francs en cinq années. Le Plan de Constantine à travers les chiffres, S. 12. Solche Differenzen erklären sich etwa durch die Exklusion bestimmter Investitionsfelder. Auf eine Anfrage der amerikanischen Zeitung ‚Times‘ bezifferte das Algerienministerium die Gesamtsumme privater und öffentlicher Investitionen in der Zeit von 1830 bis 1957 auf 2.284 Milliarden Francs. Von 1948 bis 1957 seien 1.300 Milliarden Francs investiert worden. Berechnet in konstanten Francs auf das Jahr 1959 bezogen. ANOM, FM 81F 2021: 22.05.1959, DAA au MAE, Revue ‚Times’. ANOM, FM 81F 2019: 14.11.1958, CGP, Perspectives décennales, S. 13 und MFE, B 0024875/1: 04.12.1959, Perspectives décennales, S. 3. MFE, B 0024875/1: 02.05.1958, Conséquence d’une extension à l’ensemble de la zone franc des objectifs proposés par le ministre de l’Algérie, Direction du trésor, S. 7. MFE, B 0024875/1: 04.12.1959, Perspectives décennales, S. 1. MFE, B 0052239: 13.01.1956, Perspectives de développement de l’Afrique du Nord, S. 2. MFE, B 0024875/1: 04.12.1959, Perspectives décennales, S. 3.

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1.3 Schwächen des Plans Finanzierung Bisweilen erweckte die Debatte über den neuen Entwicklungsplan den Eindruck, mit ihm habe die finanzielle Belastung der Integrationspolitik ihren Höhepunkt erreicht. Dabei zielte der ‚Plan de Constantine‘ lediglich darauf ab, den Anteil Algeriens an der gesamtfranzösischen Wirtschaftsleistung von 3,7 auf 6,5 Prozent zu erhöhen, wobei der algerische Bevölkerungsanteil im selben Zeitraum von 16,5 auf 20 Prozent steigen würde29. Wäre die Befriedungspolitik zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht und die Algerier zu aktiven Unterstützern der Integrationspolitik gemacht worden, wären die Fähigkeit des Landes, produktive Investitionen zu absorbieren und damit der Bedarf an Kapital sprunghaft angestiegen. Bérard-Quélin errechnte unter Annahme konstanten Bevölkerungswachstums für das Jahr 2000 einen Investitionsbedarf von 4.000 Milliarden Francs30. Eine vertrauliche Studie kalkulierte mit 25.000 Milliarden Francs an öffentlichen und privaten Investitionen, die zwischen 1965 und 1975 getätigt werden müssten, um ein jährliches Wirtschaftswachstum von nominell 15 Prozent zu erzielen und den Anteil der algerischen Wirtschaftsleistung am gesamtfranzösischen BIP auf 16 Prozent zu heben. Die zugrundegelegte demografische Wachstumsrate von 2,3 Prozent bedingte freilich einen Anstieg Algeriens an der gesamtfranzösischen Population auf 28 Prozent, so dass die ökonomische Diskrepanz zur Metropole dennoch groß geblieben wäre31. Tatsächlich ließen die bekannten demografischen Daten einen merklich stärkeren Bevölkerungsanstieg erwarten. Zeitgenössische Studien rechneten mit einem Zuwachs von jährlich 2,6 Prozent, wodurch sich die Einwohnerzahl in den nordafrikanischen Departements binnen 20 bis 25 Jahren verdoppeln würde32. Diese Abweichung von 0,3 Prozentpunkten entsprach im Jahr 1975 zwei Millionen Menschen zusätzlich, um die sich Frankreich bei der Fortsetzung der Integrationspolitik hätte kümmern müssen. Der Anteil Algeriens an der gesamtfranzösischen Bevölkerung betrüge dann ein knappes Drittel, der Beitrag zum BIP hingegen nur etwa ein Sechstel. Das angestrebte Wirtschaftswachstum von durchschnittlich 15 Prozent pro Jahr schien zwar zunächst erreicht zu werden. 1959 lag der Wert bei nominell 18 Prozent. Die expansive Ausgabenpolitik erhöhte gleichwohl den Druck auf die Preise. Inflationsbereinigt stieg das BIP um etwa

29 ANOM, FM 81F 1798: La nature des équilibres entre l’Algérie et la Métropole dans les prochaines 25 années (cas d’une croissance accélérée), S. 4f. 30 Bérard-Quélin: Que coûtera l’Algérie, S. 17.388. 31 ANOM, FM 81F 1798: La nature des équilibres entre l’Algérie et la Métropole, S. 6f.; 9. 32 Tabah: La population algérienne, S. 439 und Le Monde, (14.02.1956): La population algérienne, S. 439; La population algérienne aura doublé en 1980. (Vgl. ANOM, FM 81F 53); Cambiaire: Quelques observations au service du Plan, S. 4. Auf Basis der rund 9,5 Millionen Einwohner Algeriens im Jahr 1954 und etwa 16 Millionen 1975 ergibt sich der Wachstumsfaktor von 2,6 Prozent. In der Folge überschritt der Wert die Marke von 3 Prozent.

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8 Prozent33. Eine derartige Dynamik über einen Zeitraum von zehn Jahren aufrecht erhalten zu können, stellte bereits eine große Herausforderung dar. Eine Analyse des Finanzministeriums gab gleichwohl zu bedenken, dass den Planungen ein deutlich längerer Betrachtungshorizont zugrunde gelegt werden müsste. Bei einem realen Wirtschaftswachstum von 8 Prozent in Algerien und 4 Prozent in der Metropole beliefe sich der Einkommensunterschied nach 50 Jahren immer noch auf etwa 50 Prozent34. Aus diesen Faktoren wird unverkennbar, dass die Kalkulation der Lasten Französisch-Algeriens auf wackligen Beinen stand und das Ziel der Angleichung der Wirtschaftskraft weit über den finanziellen und zeitlichen Rahmen der ‚Perspectives décennales‘ hinausging. Angesichts dieser Aussicht zeigten sich einige Funktionäre davon überzeugt, „que les crédits publics proposés dépassent les possibilités actuelles de la métropole“35. Jean-François Eck bezeichnete den Plan als Versuch, jahrzehntelange Versäumnisse durch eine Notfallmaßnahme zu korrigieren, „ce qui demandait un investissement qui allait au-delà des moyens de la France“36. Die Finanzierung des Entwicklungsplans und damit auch die gesamte Zielsetzung waren mit großen Risiken behaftet. Wie schon der Maspétiol-Bericht kalkulierten auch die ‚Perspectives décennales‘ mit einer paritätischen Beteiligung privater Investoren an den Ausgaben37. Auf die große Zurückhaltung der potentiellen Investoren bis 1958 reagierte die Politik mit zusätzlichen „avantages financiers consentis en faveur de l’industrialisation de l’Algérie“. Über mehrere Jahre hinweg sollten investierende Unternehmen von bestimmten Steuern befreit bleiben, zugleich erhielten sie eine staatliche Absicherung gegen politische Risiken38. Unterstützt wurden diese Maßnahmen durch gezielte Werbekampagnen39. Die Politik bemühte sich demnach, eine zentrale Ursache für die bis dato geringe Investitionsbereitschaft der Privatwirtschaft zu beseitigen.

33 ANOM, FM 81F 1795: Considérations générales sur la situation économiques de l’Algérie en 1959, S. 4 und MEF, B 0024968: 1960, Les Comptes économiques de l’Algérie pour 1957 et 1958, S. 7. 34 MFE, B 0024872: 18.07.1960, Direction de l’énergie et de l’industrialisation, Résultats cumulés, S. 10. 35 MFE, B 0024875/1: 20.04.1958, 1ère réunion de la Commission Perspectives décennales, S. 1. 36 Interview mit Jean-François Eck. 37 AN, F 12 11802: Mars 1958, Ministère de l’Algérie, Perspectives décennales, S. 67. 38 Die steuerlichen Vergünstigungen neuer Investitionen wurden in einer Broschüre der Generalregierung aufgeführt und an Unternehmen verteilt. AN, F 12 1103: 1959, Les avantages financiers consentis en faveur de l’industrialisation de l’Algérie, Délégation générale du Gouvernement en Algérie. 39 Offizielle Broschüren und Werbeprospekte zeugen von dem Versuch der Politik, die Wirtschaft für Investitionen in Algerien zu begeistern. Z. B. ANOM, 81F 1805: Industriels! L’Algérie vous offre.

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Gleichwohl wurde parallel eine progressive Erhöhung der algerischen Steuersätze von 20 auf 25 Prozent beschlossen40. Schutzzölle blieben als entwicklungspolitisches Instrument ausgeschlossen. Attraktiv waren die Gesamtbedingungen somit tendenziell eher für kurzfristig orientierte Investoren. Beobachter kritisierten die „hypothèses très optimistes quant au financement intérieur et au financement privé“41. Das CGP prognostizierte, „que les seuls avantages financiers, même s’ils parviennent à égaliser les charges d’exploitation, ne seront pas suffisants pour provoquer un rapide mouvement d’industrialisation“42. Ähnlich skeptisch äußerte sich eine ausführliche Studie über den Entwicklungsplan aus dem Jahr 195943. Aller staatlichen Garantien zum Trotz blieb ein unternehmerisches Engagement in Algerien in Vergleich zu anderen Standorten ein Wagnis, insbesondere nach der Ankündigung de Gaulles, durch ein Referendum über die Selbstbestimmung des Landes entscheiden zu lassen44. Des Weiteren herrschte in Teilen Algeriens weiterhin Unsicherheit und selbst in vermeintlich ruhigen Gebieten verschwand das Gefühl der Angst nicht gänzlich45. „Et puis, c’était à un moment où les entreprises mêmes étaient placées dans une situation difficile parce qu’il fallait à la fois faire face à la concurrence des pays du marché commun, lutter contre les conséquences de l’inflation des années 1957/58 et faire face à l’intégration en France même d’une population active de plus en plus nombreuse – c’est l’arrivée au marché du travail du baby-boom. Donc les entreprises françaises avaient assez peu de disponibilités pour faire l’effort demandé par le plan de Constantine“46. Letztlich konnten bis Ende 1960 lediglich 41 Prozent der geplanten ökonomischen Investitionen tatsächlich realisiert werden. Einige Jahre zuvor wären die Akkreditierung von 400 neuen Unternehmen und die Schaffung von 30.000 zu40 MFE, B 0024875: 14.11.1958, Rapport présenté par M Denizet, S. 7f. Der Zeitschrift ‚Tribune Socialiste‘ ging die schrittweise Angleichung nicht weit genug. Sie forderte eine sofortige Anhebung auf das französische Steuerniveau. Le Plan de Constantine, in: Tribune Socialiste, Spécial Algérie, 10 (1960), S. 6f. Die Zeitschrift war Parteiorgan der ‚Parti socialiste unifié‘. 41 MFE, B 0052239: Observations sur la préparation du Plan Algérien, S. 1. 42 ANOM, FM 81F 2019: 14.11.1958, CGP, Perspectives décennales, S. 7. 43 Cotta, Alain: Les Perspectives décennales du développement économique de l’Algérie et le Plan de Constantine, in: Revue économique, 10, 6 (1959), S. 913–946, hier S. 923. 44 Diesen Umstand beschreibt eine Analyse des Finanzministeriums. MFE, B 0052239: Observations sur la préparation du Plan Algérien. Lefeuvre hingegen meint, „la guerre n’a pas constitué un obstacle au développement industriel de l’Algérie, mais plutôt une circonstance favorable“. Seine stark datenbezogene Argumentation berücksichtigt jedoch zu wenig die in der vorliegenden Arbeit aufgezeigten immateriellen Opportunitätskosten. Lefeuvre: Chère Algérie, S. 421. 45 Ewald Leufgen (Interview) erinnert sich an regional sehr unterschiedliche Sicherheitslagen. Die Angst vor Anschlägen sei nicht verschwunden, zumal die OAS durch ihre Aktionen die Gewaltspirale verstärkt habe. Nach offiziellen Angaben sank die Zahl der monatlichen Anschläge in Algerien von 1.500 auf 200. Wall: France, the United States, S. 265. Weiterführend zum Terror von FLN und OAS siehe: Branche, Raphaëlle: FLN et OAS. Deux terrorismes en guerre d’Algérie, in: European Review of History, 14, 3 (2007), S. 325–342. 46 Interview mit Jean-François Eck.

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sätzlichen Arbeitsplätzen in der Industrie durchaus als „résultats remarquables“ zu bezeichnen gewesen47. Angesichts der selbstgesteckten Ziele und dem großen Erfolgsdruck mussten die Zwischenergebnisse jedoch als Enttäuschung interpretiert werden48. Sie veranlassten Paris, die finanziellen Anreize für Investoren und die Absicherung vor politischen Risiken auszuweiten. Letztlich blieben die „réticences actuellement manifestées par l’ensemble du monde industriel vis-à-vis de l’Algérie“ jedoch bestehen und verstärkten sich, je wahrscheinlicher die Unabhängigkeit wurde49. Da außer dem Staat kaum noch jemand Bereitschaft zu Investitionen in Algerien zeige, war in einem Artikel vom Januar 1962 von „la mort du Plan de Constantine“ die Rede50. Das nominelle algerische BIP, das von 1958 bis 1960 um 32 Prozent gestiegen war, ging bereits 1961 zurück, um im Jahr der Unabhängigkeit um 33 Prozent einzubrechen51.

Arbeitsmarkt und Migration Eine zentrale Herausforderung des Constantine-Plans bestand in der Bewältigung der hohen algerischen Arbeitslosigkeit. Schätzungen zufolge waren eine Million Algerier ohne dauerhafte Beschäftigung. Dieses drängende Problem sollte über eine Kombination aus Investitionen und Migration gelöst werden. Dem arbeitsintensiven Bausektor wurde eine Schlüsselrolle beigemessen, auch weil umfangreiche Einstellungen nicht durch hohe Qualifikationsanforderungen behindert wurden. 39 Prozent aller Arbeitsplätze sollten in diesem Bereich entstehen. Entsprechend entfielen 37 Prozent der gesamten Investitionssumme auf den Bausektor. Um zu verhindern, dass sich die öffentlichen Investitionen in die Infrastruktur zu einer kostspieligen Arbeitsbeschaffungsmaßnahme institutionalisierten, hätten parallel ausreichend Gelder in Sektoren fließen müssen, die unabhängig von staatlichen Finanzmitteln wirtschafteten. Für die Transformationsindustrie waren indes nur 7 Prozent der Investitionen vorgesehen. Diese Verteilung der Gelder zeigt den kurzfristigen Betrachtungshorizont des Vorhabens. Paris setzte auf eine rasche Verbesserung der algerischen Lebensverhältnisse, um den Menschen die Vorteilhaftigkeit einer französischen Zukunft ihres Landes zu ver-

47 ANOM, FM 81F 194: 01.12.1960, CEDA, Note, Politique d’industrialisation de l’Algérie 1961. 48 Die Ernüchterung über die Zwischenergebnisse des Constantine-Plans fand in zahlreichen Dokumenten der Ministerien Ausdruck. Etwa: ANOM, FM 81F 179: 15.02.1960, Note au sujet du Plan de Constantine, M. Gabory, S. 3f. 49 Forderungen nach zusätzlichen Anreizen und Garantien für Investoren erhob u. a. die für die Umsetzung des Constantine-Plans zuständige ‚Caisse d’équipement pour le Développement de l’Algérie‘. Siehe hierzu und zum Zitat: ANOM, FM 81F 194: 01.12.1960, CEDA, Note, Politique d’industrialisation de l’Algérie 1961. 50 Morin: La mort du Plan de Constantine. 51 Benachenhou, Abdellatif: Formation du sous-développement en Algérie, Office des Publ. Univ., Algier, 1976, S. 413.

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deutlichen. In dieser Perspektive verloren produktive, langfristige Investitionen an Bedeutung, obwohl gerade diese für eine solide ökonomische Entwicklung entscheidend gewesen wären. Dem Entwicklungsplan ‚Perspectives décennales‘ war zugute zu halten, dass er die Modernisierung des Agrarsektors einerseits mit 800 Milliarden Francs förderte, er diese Wirtschaftsdomäne jedoch andererseits nicht länger in den Mittelpunkt der algerischen Volkswirtschaft stellte. Gleichwohl formulierte auch dieses Investitionsprogramm nicht nachvollziehbare Ziele. Binnen zehn Jahren sollten 100.000 neue Arbeitsplätze in der Landwirtschaft entstehen und gleichzeitig eine Steigerung des landwirtschaftlichen Gesamteinkommens um 26 Prozent erreicht werden. Faktisch standen diese beiden Ambitionen in einem unlösbaren Zielkonflikt zueinander. Neue Arbeitsplätze hätten nur durch den Verzicht auf die Mechanisierung entstehen könne, was notgedrungen zu einem massiven Produktionsrückgang geführt hätte und somit als Option ausschied. Wie dargelegt wurde, war der Beschäftigungsrückgang im Agrarsektor bereits in vollem Gange. Die nun angestrebte Produktivitätssteigerung musste diesen Prozess weiter beschleunigen. Um ein Absinken der Arbeitslosigkeit zu erreichen, hätten somit im sekundären und tertiären Sektor deutlich mehr Arbeitsplätze geschaffen werden müssen als geplant52. Ein Akzent des Entwicklungsplans lag auf der Ausbeutung der Bodenschätze, durch die, unabhängig vom Ausgang der Algerienfrage, die Grundlage für eine weitreichende Rohstoffautonomie Frankreichs gelegt werden sollte53. Entsprechend stark fiel das staatliche Engagement in der Sahara aus. Mit 24 Prozent absorbierte der Rohstoffsektor einen großen Teil der Finanzmittel, obgleich diesem Bereich in Bezug auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze lediglich 1 Prozent Potential beigemessen wurde. Langfristig erhöhten die massiven Investitionen in der algerischen Wüste das ökonomische Potential des Landes. Kurzfristig standen dadurch jedoch anderen Wirtschaftsbereichen weniger Finanzmittel zur Verfügung, die mehr Arbeitsplätze schaffen und die ökonomische Entwicklung Algeriens auf eine diversifiziertere Basis hätten stellen können54. Die imposante Zielsetzung von fast einer Million neuer Arbeitsplätze binnen zehn Jahren reichte unter Annahme einer vollständigen Umsetzung des Plans aus,

52 Alle Daten des Abschnitts zu Arbeitsplätzen und Finanzmitteln entstammen: MFE, B 0024875/1: 04.12.1959, Perspectives décennales, S. 3; MFE, B 0024875/1: 14.11.1958, Rapport présenté par M Denizet, S. 3ff. und AN, F 12 11802: Mars 1958, Ministère de l’Algérie, Perspectives décennales. 53 Aissaoui: Algeria, S. 69. 54 Die Regierungen des unabhängigen Algeriens forcierten die Konzentration auf den Rohstoffsektor. Der ehemalige algerische Handelsminister (1989–1991) Smaïl Goumeziane kritisiert in einer Publikation, dass die enormen Einnahmen aus den Öl- und Gasexporten lange Zeit nicht dafür genutzt worden seien, eine solide und diversifizierte Volkswirtschaft zu etablieren. Goumeziane: Le mal algérien, S. 11; 25; 66ff. Im Jahr 1979 stammten 57 Prozent der algerischen Staatseinnahmen aus dem Rohstoffsektor. Henni, Ahmed: Économie de l’Algérie indépendante, ENAG, Algier, 1991, S. 45.

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um die bestehende Arbeitslosigkeit zu beheben. Optimistisch hieß es daher in einer Studie, „compte tenu du niveau actuel des investissements et des perspectives décennales, on peut dire qu’en quelques années le sous-emploi aura disparu dans les villes“55. Diese Kalkulation schenkte der demografischen Entwicklung Algeriens unzureichende Beachtung. Zu Beginn des Entwicklungsplans strömten jährlich etwa 70.000 Menschen auf den Arbeitsmarkt. Bei einem Bevölkerungswachstum von 250.000 Personen pro Jahr, Tendenz steigend, wuchs diese Zahl kontinuierlich, so dass sich die absolute Arbeitslosigkeit ohne zusätzliche Anstrengungen weiter erhöht hätte. Unrealistische Annahmen und eine politische Instrumentalisierung ökonomischer Fragen zeigten sich ebenfalls beim Migrationskonzept. Durch die Umsiedlung von 200.000 Algeriern in die Metropole sollte die angespannte Lage auf dem algerischen Arbeitsmarkt spürbar entschärft werden56. Diese Arbeitsmigration sei ein „double bénéfice“ für die Betroffenen und die Metropolwirtschaft, die auf das zusätzliche Humankapital nicht verzichten könne57. Über den wirtschaftlichen Aspekt hinaus existiere die Intimität der franko-algerischen Beziehungen auch „parce qu’un grand nombre de ses ressortissants ont pu venir en France continentale, d’abord y gagner leur vie, ensuite y apprécier les sentiments véritables de leurs compatriotes métropolitains“. Eine Ausweitung der Emigration stärkte daher in den Augen der Zeitschrift ‚l’Usine nouvelle‘ die Stützpfeiler FranzösischAlgeriens58. Diese positive Beurteilung stand in Widerspruch zur mehrheitlichen Einschätzung der Lage59. Jean-Marcel Jeanneney sprach 1956 in Bezug auf die

55 ANOM, FM 81F 177: 1958, Premier Colloque Jean Bart, Ce qu’est l’intégration, Annexe, S. 8. 56 Theoretisch garantierte das Statut von 1947 die freie Zirkulation von Personen zwischen Algerien und Metropole. In der Realität wurde diese über die Institution des ‚Contrôle de la main-d’œuvre nord-africaine‘ einseitig zu Lasten der Algerier begrenzt. Amiri, Linda: La bataille de France. La guerre d’Algérie en métropole, Robert Laffont, Paris, 2004, S. 35. 57 ANOM, FM 81F 177: 1958, Premier Colloque Jean Bart, Ce qu’est l’intégration, Annexe, S. 4. Ähnlich: Connaissance de l’Algérie, 12 (1956), S. 7. Über die Frage, ob Frankreich von der algerischen Migration wirtschaftlich profitierte, wird bis heute kontrovers diskutiert. Amiri schreibt, der französische Wiederaufbau nach 1945 habe nur dank der Unterstützung der ausländischen und der algerischen Arbeiter gelingen können. Amiri: La bataille de France, S. 36. Dieser Einschätzung widerspricht Lefeuvre: Pour en finir, S. 165ff. Jacques Marseille schreibt im Vorwort zu Chère Algérie, „l’immigration algérienne en France n’a correspondu à aucune nécessité économique“. Vgl. Lefeuvre: Chère Algérie, S. 9. 58 Zitiert nach Lefeuvre: Chère Algérie, S. 137. Die Zeitschrift ‚Cahiers nord-africains‘ gelangte zu dem Ergebnis, dass die Migration, trotz gewisser Schwierigkeiten, positiv für die Bindung Algeriens an Frankreich sei. Cahiers nord-africains, 59 (1957): Algériens en France. Des chiffrs, des hommes, S. 10. Die Zeitschrift widmete zwei weitere Ausgaben der Wohnsituation der algerischen Arbeiter: 52 und 54 (1956). 59 Ein Artikel von Laure Pitti beschreibt die Debatte über die nordafrikanische Migration in den 1950er Jahren anhand des Beispiels des Autoherstellers Renault. Vgl. Pitti, Laure: Les ‚NordAfricains‘ à Renault. Un cas d’école de gestion coloniale de la main-d’œuvre en métropole, in: Bulletin de l’IHTP 83 (Juin 2004). Online verfügbar unter: http://www.ihtp.cnrs.fr/spip.php%3Farticle333&lang=fr.html.

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Eingliederung der algerischen Gastarbeiter von „problèmes difficiles“60. Eine Studie des Algerienministeriums legte eine durchwachsene Bilanz der bisherigen Erfahrungen vor. Zwar gäbe es einige Erfolgsgeschichten. Viele Algerier fänden im Hexagon jedoch keine Beschäftigung, andere hielten sich nicht an die angebotenen Arbeitsverträge61. Das CGP errechnete für die französische Wirtschaft zwar einen zusätzlichen Bedarf an Arbeitskräften von netto 280.000 Personen, um das Ziel des dritten Entwicklungsplans für die Metropole, die Wirtschaftsleistung bis 1961 im Vergleich zum Niveau von 1956 um 25 Prozent zu steigern, erreichen zu können62. Vor dem Hintergrund des kräftigen Bevölkerungswachstums in Frankreich und der Tatsache, dass Anfang der 1960er Jahre zahlreiche junge Franzosen auf den Arbeitsmarkt strömen würden, blieb dennoch fraglich, ob die französischen Unternehmen auf massive Arbeitsmigration aus Nordafrika angewiesen waren63. Zudem ist es an dieser Stelle wichtig zu wiederholen, dass Engpässe auf dem Arbeitsmarkt überhaupt erst durch die Mobilisierung mehrerer hunderttausend Wehrpflichtiger und Reservisten entstanden. Manche sahen gerade in der geringeren Qualifikation der algerischen Arbeiter einen Garanten für den Erfolg der Migration, da sich dadurch eine Komplementarität zu den französischen Beschäftigten ergäbe64. Die bisherigen Erfahrungen widersprachen dieser Ansicht. Damit die Migrationspläne der Politik für alle Beteiligten von Vorteil sein konnten und nicht lediglich „à un simple déplacement du problème de l’Algérie vers la France“ führten, mussten vielmehr gewisse Qualifikationsstandards erfüllt sein65. Darüber hinaus galt die Bedingung, dass die französischen Unternehmen ebenso wie die französische Gesellschaft die Neuankömmlinge willkommen heißen mussten. Beide Voraussetzungen konnten nicht als gegeben angenommen werden. In der Praxis entschieden sich Firmen entgegen

60 Jeanneney, Marcel: Forces et faiblesses de l’économie française, 1945–1956, Colin, Paris, 1956, S. 22. 61 In der Studie ging es vornehmlich um die Frage, ob die Algerier verstärkt in der französischen Landwirtschaft eingesetzt werden könnten. ANOM, FM 81F 1804: Quelques aspects de l’émigration des travailleurs algériens en France, S. 7ff. 62 In dieser Rechnung waren Faktoren wie die Rückkehr mobilisierter Soldaten auf den Arbeitsmarkt und eine erhöhte Beschäftigungsquote von Frauen berücksichtigt. ANOM, FM 81F 2018: Février 1958, Troisième Plan (1958–1961), Avant-Projet, CGP, S. 77ff. 63 Die Politik rechnete binnen zehn Jahren mit einer Steigerung der 17- bis 19-Jährigen um 700.000 auf 2,42 Millionen. ANOM, FM 81F 1794: Juillet 1956, Huitième rapport de l’O.E.C.E., S. 24. Zweifel über die Absorptionsfähigkeit äußerte Boverat in einer Studie. Boverat, Fernand: Le surpeuplement accéléré de l’Algérie et ses conséquences tragiques, in: Nouvelle revue française d’Outre-Mer, 48 (1956), S. 211–215. Le Monde, (14.02.1956): La population algérienne aura doublé en 1980, warnte vor kaum zu bewältigenden demografischen Herausforderungen. 64 AN, F 12 11804: 15.10.1958, Conséquences du maintien de l’autorité française en Algérie, S. 16 65 ANOM, FM 81F 179: Janvier 1959, Note sur la migration des travailleurs algériens, CGP, S. 4.

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der Planungen der Politik häufig nicht für algerische Arbeitskräfte, sondern bevorzugten Kandidaten aus dem europäischen Ausland66. Schätzungen zufolge verfügten lediglich ein Drittel der 250.000 bis 350.000 bereits in Frankreich lebenden Algerier über ein dauerhaftes Beschäftigungsverhältnis. Viele fanden nur auf dem Schwarzmarkt Arbeit und lebten häufig unter prekären Bedingungen67. Das CGP sah die Ursachen hierfür in fehlender Qualifikation und mangelnden Sprachkenntnissen begründet. Von den 207.000 registrierten Arbeitern besäßen 130.000 keine Ausbildung und 64.000 eine leichte Spezialisierung. Nur etwa jeder Zwanzigste sei Facharbeiter, einen Hochschulabschluss konnten 282 Personen vorweisen. Zudem würden die Algerier dazu tendieren, Subkulturen zu bilden, was eine Integration erschwere68. Nicht vergessen werden sollten ebenso Ressentiments und Vorurteile der französischen Bevölkerung gegenüber den Mitbürgern aus Nordafrika, die deren Chancen, eine Beschäftigung zu finden und sich in die französische Gesellschaft zu integrieren, erheblich verringerten. Bei einer Umfrage aus der Zeit vor dem Algerienkrieg rangierten Nordafrikaner zusammen mit den Deutschen am unteren Ende der Sympathieskala der Franzosen69. „En France, l’Algérien reste un citoyen de seconde zone“70. „L’insuffisance quantitative et qualitative des hommes“ galt gemeinhin als ein zentrales Problem bei der Plazierung produktiver Investitionen in Algerien71. Wenn die Politik nun plante, dem algerischen Arbeitsmarkt 200.000 qualifizierte Personen zu entziehen, konnte dies schwerlich mit dem Ziel der Integrationspolitik vereinbart werden, für eine Angleichung der Lebensverhältnisse zu sorgen. Vielmehr lief diese Maßnahme Gefahr, die wirtschaftliche Entwicklung Algeriens auszubremsen. Die französische Regierung überschätzte überdies die Bereitschaft ihrer Bürger, den Grundgedanken der Integrationspolitik in letzter Konsequenz zu akzeptieren. Der Algerienkrieg, der in Form von Attentaten durch den FLN zunehmend auch in der Metropole Auswirkungen zeigte, forcierte Stereotypen und die negative Grundhaltung gegenüber Mitbürgern aus dem Maghreb. Umgekehrt bewirkten der gewaltsame Konflikt in Nordafrika und die häufig erlebte gesell-

66 Unter dem Titel Coups d’œil sur l’emploi de la main-d’œuvre nord-africaine beschäftigte sich eingehend mit dem Thema: Cahiers nord-africains, 73 (1959). Das Algerienministerium forderte angesichts dieser Entwicklung, die ausländischen Gastarbeiter durch solche aus Algerien zu ersetzen. ANOM, FM 81F 180: Décembre 1956, Programme économique et social de l’Algérie, S. 39. 67 250.000 bei Amiri: La bataille de France, S. 46. 300.000 bei Cahiers nord-africains, 59 (1957), S. 10. 350.000 bei ANOM, FM 81F 177: 1958, Premier Colloque Jean Bart, Ce qu’est l’intégration, Annexe, S. 4. Dass die Mehrheit der Algerier in der Metropole eine Arbeitsstelle besäße, meinte hingegen: Connaissance de l’Algérie, 12 (1956), S. 7. 68 ANOM, FM 81F 179: Janvier 1959, Note sur la migration des travailleurs algériens, CGP, S.2f. 69 Blanchard, Pascal u. a.: L’Immigration. L’installation en métropole des populations du Maghreb, in: Culture impériale, hg. v. Dems./Lemaire, S. 212–224, hier S. 219. 70 Amiri: La bataille de France, S. 36. 71 ANOM, FM 81F 197: 02.05.1962, Les perspectives économiques de la coopération franco– algérienne, Mission d’études, M. Voillereau, S. 16.

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schaftlich Ablehnung im Hexagon eine antifranzösische Haltung bei vielen Algeriern und bescherte der Unabhängigkeitsbewegung neuen Zulauf. Drei algerischstämmige Fußballspieler verließen im April 1958 die französische Nationalmannschaft und schlossen sich dem FLN an72. Insgesamt trugen die wechselseitigen Erfahrungen der algerischen Migration nach Frankreich eher dazu bei, die Zentrifugalkräfte und nicht das Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken. Die Pläne der Regierung, weitere 200.000 Nordafrikaner in den französischen Arbeitsmarkt zu integrieren, wirkten angesichts dieser schwierigen Ausgangslage unrealistisch und beruhten primär auf politischen und nicht auf ökonomischen Überlegungen. Parallel sollten 50.000 hochqualifizierte französische Fachkräfte in Algerien zum Einsatz kommen, um die effiziente Umsetzung der ‚Perspectives décennales‘ zu ermöglichen. Dieser Schritt gefährdete jedoch die ökonomische Entwicklung der Metropole, da Funktionäre des CGPs dort für die kommenden Jahre ohnehin bereits mit erheblichen Personalengpässen in bestimmten Bereichen rechneten73. Des Weiteren konnte nicht davon ausgegangen werden, dass Fachkräfte in diesem Umfang der Devise „l’Algérie, c’est la France“ folgend bereitwillig in Richtung Nordafrika aufbrechen würden. Schlussendlich präsentierte sich das Migrations-Konzept des ConstantinePlans als theoretisches Konstrukt, dessen simplifizierte Annahmen über Bedarf und Akzeptanz von Arbeitsmigration der Komplexität der Realität nicht gerecht wurden. Ein Scheitern des Vorhabens war in Anbetracht der beschriebenen Rahmenbedingungen absehbar. Paris entschied sich wider besseres Wissen für die Umsetzung dieses politisch instrumentalisierten Plans und marginalisierte einmal mehr menschliche und ökonomische Faktoren.

Auswirkungen auf die Union française Die Omnipräsenz der Algerienfrage in der Spätphase der IV. Republik ließ den Rest der französischen Überseegebiete bisweilen in den Hintergrund treten. Dabei betonten Anhänger der Integrationspolitik und Befürworter der Entkolonialisierung gleichermaßen die hohen Wechselwirkungen politischer Entscheidungen zwischen den einzelnen Gliedern der ‚Union française‘. Weitreichende Beschlüsse in der Nordafrikapolitik wirkten sich auf die D.O.M. und T.O.M. aus und umgekehrt.

72 Zur Haltung von Franzosen und Algeriern und dem Fall der Fußballspieler: Blanchard u. a.: L’immigration, S. 220ff. Weiterführend zu den Zusammenhängen von Fußball und Algerienkrieg sowie zu den Konflikten, denen sich algerischstämmige Spieler ausgesetzt sahen: Dine, Philip/Rey, Didier: Le football en guerre d’Algérie, in: Matériaux pour l’Histoire de Notre Temps, 106 (2012), S. 27–32. Eine umfassende Dastellung der Geschichte der algerischen Immigration nach Frankreich bietet: Simon, Jacques: L’immigration algérienne en France des origines à l’indépendance, Éd. Paris-Méditerranée, Paris, 2000. 73 Lefeuvre: Chère Algérie, S. 313.

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Zahlreiche Politiker begründeten die Notwendigkeit, Französisch-Algerien um jeden Preis zu verteidigen, mit dessen vitaler Funktion für die ‚Union française‘. Nur wenn das Herz des Imperiums weiter schlage, könne die stückweise Amputation der Überseegebiete abgewendet werden. Im Umkehrschluss dieser Logik galt, dass die algerischen Départements nur zu halten waren, solange die restlichen Kolonien nicht in Scharen ihre Unabhängigkeit erlangten. Die Nordafrikapolitik band allerdings bereits große Teile des militärischen und finanziellen Potentials Frankreichs. Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Parlament, Pierre Montel, stellte Mitte 1955 fest: Landesverteidigung, Bündnisverpflichtungen und Erhalt des Imperiums, „tout le monde s’accorde à reconnaître que pour remplir ces missions nous ne disposons pas des moyens financiers nécessaires“74. Generalstabschef Ély sah die französische Armee außer Stande, auf eine zusätzliche Krise in Übersee militärisch zu reagieren75. Ein ähnlich intensives militärisches Engagement, wie es Paris für das Credo „l’Algérie, c’est la France“ an den Tag legte, war daher in anderen Teilen der ‚Union française‘ ausgeschlossen. Das ‚Loi cadre Deferre‘ von 1956, das den D.O.M. und T.O.M. mehr Autonomie zugestand, und die ab 1958 bestehende Möglichkeit zur Unabhängigkeit waren somit bis zu einem gewissen Grad als Opportunitätskosten für den Erhalt Französisch-Algeriens zu betrachten. Damit diese Kolonien die Option einer fortgesetzten Anbindung an Frankreich in Betracht zogen, durften sie in Bezug auf die finanzielle Unterstützung im Vergleich zu Algerien nicht stiefmütterlich behandelt werden. Abgeordnete aus diesen Überseegebieten erwarteten „une véritable solidarité économique entre la métropole et nos territoires“76. Ihr geringerer Lebensstandard verlange größeren finanziellen Beistand der Metropole77. Ein Architekt aus Maintenon empfahl der Regierung sogar eine Verschiebung der Prioritäten zugunsten der afrikanischen Kolonien. Für eine erfolgreiche Umsetzung der Integrationspolitik sei es zu spät, daher solle der Krieg schnellstmöglich beendet werden. Dadurch frei werdende Finanzmittel könnten konzentriert werden „sur ce qui reste encore à sauver, en essayant d’améliorer, dès maintenant, les conditions de vie à Madagascar, au Sénégal, au Soudan, et dans toutes nos concessions d’Afrique Occidentale Française“78. Die ‚Direction du Trésor‘ regte im Mai 1958 an, eine Verdopplung der französischen Investitionen in den D.O.M. und den T.O.M. auf 380 Milliarden Francs bis zum Jahr 1962 einzuplanen79. Damit wäre, wie auch in Algerien, lediglich ein erster Schritt auf dem langen Weg in Richtung Angleichung der Lebens-

74 Pierre Montel (RI), in: JOAN, 23.07.1955, S. 4116. 75 MDN, 1 R 20: 19.02.1957, Le général d’armée Ély, État-major, à MDN, S. 2. 76 Zitat: Mamba Sano (IOM), in: JOAN, 27.08.1954, S. 4341. Sano war Abgeordneter aus Guinea. 77 Aimé Césaire (PC), in: JOAN, 26.03.1954, S. 1316f. 78 AN, 4 AG 44: Mai 1956, Réflexions ou suggestions en vue d’un appel pour la paix, Monsieur R. Dolivet. 79 MFE, B 0024875/1: 02.05.1958, Conséquences financières d’une extension à l’ensemble de la zone franc des objectifs proposé par le Ministre de l’Algérie, S. 1.

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verhältnisse getan. In den folgenden Jahrzehnten wäre angesichts der demografischen Entwicklung und der steigenden Absorptionsfähigkeit produktiver Investitionen mit einem kontinuierlich wachsenden Finanzbedarf zu rechnen gewesen. Auf dem Parteikongress der Sozialisten bezifferte Lucien Peyrassol die zukünftigen jährlichen Kosten auf bis zu 2.000 Milliarden Francs80.

Bilanz Unter Berücksichtigung der genannten Faktoren wird deutlich, dass die ökonomische Integration Algeriens eine gigantische finanzielle und sehr langfristige Herausforderung bedeutete. An „l’inadéquation des moyens disponibles par rapport aux objectifs“ konnte daher kein Zweifel bestehen81. Die wirtschaftliche Dynamik von 1958 bis 1962 ragte aus den 132 Jahren französischer Souveränität heraus und verbesserte in erheblichem Maße die wirtschaftliche Ausgangsbasis für das unabhängige Algerien. Dennoch gilt der Constantine-Plan im Allgemeinen als gescheitert, da das Erreichte weit hinter den Zielen zurück blieb82. Die politische Instrumentalisierung eines wirtschaftlichen Entwicklungskonzepts trug zweifellos zu diesem Umstand bei83. Eine stärkere Berücksichtigung ökonomischer Faktoren hätte eine positivere Bilanz wahrscheinlich gemacht. Hierfür wären jedoch eine Abkehr vom politischen Integrationsanspruch und eine auf die algerischen Bedürfnisse angepasste Wirtschaftspolitik notwendig gewesen. Bei aller berechtigten Kritik an der technischen Umsetzung lag die entscheidende Ursache für das Scheitern des Constantine-Plans und letztlich der gesamten Integrationspolitik in den unrealistischen Erwartungen. Eine adäquate Nordafrikapolitik hätte die Tatsache akzeptieren müssen, dass Algerien nicht dauerhaft integraler Bestandteil Frankreichs bleiben würde. „Tous les projets qui ne tiendront pas compte de ce facteur sont par conséquent appelés à rester lettre morte“84. Nach Einschätzung des ehemaligen Wirtschaftsministers André Philip war die Integrationspolitik ein Mythos: „les temps de la République une et indivisible sont finis“85. Schon bei der Umsetzung des Zweiten Entwicklungsplans war im April 1954 festgestellt worden, dass dieser nur Aussicht auf Erfolg besäße, „s’il se dé80 Diese Größenordnung erscheint durchaus realistisch, sofern der Betrag als Summe der öffentlichen Gelder aus der Metropole und den Überseegebieten betrachtet wird. Lucien Peyrassol, in: OURS, SFIO, 47e Congrès National, Asnières, 20 Juin–3 Juillet 1955, S. 520. 81 Soutou, Georges-Henri: Le deuil de la puissance (1914–1958), in: Histoire de la diplomatie française, hg. v. Villepin, Dominique de, Perrin, Paris, 2005, S. 745–860, hier S. 813. 82 Lefeuvre bezeichnet den Plan als „fiasco“. Lefeuvre: Chère Algérie, S. 18. Elsenhans spricht von einem Scheitern, da vor allem das soziale Ungleichgewicht zwischen Europäern und Muslimen nicht behoben worden sei. Elsenhans: La guerre d’Algérie, S. 698. 83 Diese Position vertreten etwa Mayer: The political economy, S. 381 und Lefeuvre: Chère Algérie, S. 19. 84 Einschätzung der deutschen Zeitung ‚Die Woche‘. ANOM, FM 81F 179: 05.11.1958, Deutsche Woche, Le Plan Algérien du général de Gaulle et les faits. 85 ANOM, FM 81F 39: 1958, André Philip, ancien Ministre: Réflexions sur un mythe.

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veloppe dans une atmosphère favorable, en liaison étroite et avec la collaboration totale des populations pour lesquelles il est consenti“86. Vier Jahre später bestätigte ein Aufsatz diese Grundvoraussetzungen. „Moyen de paix, le plan de Constantine dépend lui-même de l’apaisement des esprits et des armes“87. Diese Bedingungen durften 1958 nicht als erfüllt angenommen werden88. Zwar ermöglichten der ‚Challe-Plan‘ und eine taktische Anpassung an den Guerillakrieg in militärischer Hinsicht einen Sieg über die Unabhängigkeitskämpfer89. Der gewonnene Algerienkrieg bedeutete indes keinen Erfolg der Befriedungspolitik. Zum einen glich der FLN seine militärische Niederlage durch diplomatische Erfolge auf internationaler Ebene aus, sodass der politische Druck auf Frankreich stetig anstieg. Zum anderen war ein kooperatives Zusammenleben der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen durch die zahlreichen Opfer und das große Leid des Krieges in weite Ferne gerückt. Insofern vermochte auch das erhöhte integrative Engagement in den Jahren nach 1958 die zurückliegenden Versäumnisse nicht mehr zu kompensieren. Ende 1960 anerkannte die ‚Caisse d’équipement pour le développement de l’Algérie‘ (CEDA), der Entwicklungsplan habe der menschlichen Komponente der Integration zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die Beteiligung der Muslime an der Umsetzung sei größtenteils „passive au lieu d’être active“90. Die Weigerung, die politische Natur des algerischen Unabhängigkeitsstrebens zu akzeptieren, machte aus dem Constantine-Plan „un bel exemple d’irréalisme“91.

86 AN, F 12 11802: Avril 1954, Projet de rapport, Commission des Plans de l’Algérie, de la Tunisie et du Maroc, S. 4. 87 Mathieu: Algérie. Plan quinquennal, S. 23. 88 Das Fehlen dieser Voraussetzung beklagte eine Note von 1960 über die Zwischenergebnisse des Constantine-Plans. ANOM, FM 81F 179: 15.02.1960, Note au sujet du Plan de Constantine, M. Gabory, S. 2. 89 Zum internationalen Erfolg des FLN: Thomas, Martin: France Accused. French North Africa before the United Nations, 1952–1962, in: Contemporary European History, 10, 1 (2001), S. 91–121. Ähnlich: Rioux: La France coloniale, S. 108. Auch aus Sicht der Soldaten stand nach Ewald Leufgen (Interview) außer Frage, dass der Krieg in militärischer Sicht gewonnen worden sei. 90 ANOM, FM 81F 194: 01.12.1960, CEDA, Note, Politique d’industrialisation de l’Algérie 1961. Im Sommer 1959 hatte das Staatsministerium für Algerien noch von spürbar gestiegener Kooperationsbereitschaft berichtet. ANOM, FM 81F 55: 01.06.1959, Note sur le bilan de l’action de la France en Algérie, Juin 1958–Juin 1959. 91 Amin: L’économie du Maghreb, S. 213.

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2. L’ALGERIE, CE N’EST PLUS LA FRANCE „Au seul général de Gaulle il appartenait, au péril de sa vie, miraculeusement sauvée, au risque de sa gloire, qu’il n’hésita pas à mettre en balance, de conduire sur cette piste vertigineuse les coursiers du destin“, (Edgar Faure, 1982)92

2.1 Die Veträge von Évian Anfang der 1960er Jahre wurden in den französischen Ministerien verstärkt Szenarien über den möglichen Fortgang der Beziehungen mit einem selbstbestimmten Algerien entworfen. Dass die militärische Auseinandersetzung dennoch andauerte und am ‚Plan de Constantine‘ festgehalten wurde, lag unter anderem an der Absicht der französischen Regierung, die eigene Ausgangsposition für spätere Verhandlungen mit dem FLN zu stärken. Je weiter die Befriedung voranschritt und je stärker sich die ökonomische Situation verbesserte, desto eher würden sich die Algerier für eine enge Kooperation mit Frankreich entscheiden, so der Gedanke93. „Une sécession complète et immédiate“ galt Ende 1960 noch als weitgehend ausgeschlossen, „les autorités françaises admettent cependant la possibilité d’une Algérie autonome“94. Ein gutes Jahr später lautete das bescheidenere Ziel „le maintien de l’Algérie, État souverain, dans le système politique et économique occidental“95. Als dann die vollständige Unabhängigkeit beschlossen wurde, hoffte Frankreich zunächst, über die Vereinbarungen von Évian einen Teil seines politischen Einflusses, seiner ökonomischen Interessen und seiner physischen Präsenz aufrecht erhalten zu können96. Die vereinbarte Kooperation sei ein Zeugnis, wie aus Fehlern der Vergangenheit gelernt und die Basis für eine erfolgreiche Zukunft gelegt werden könne, schwärmte ein Funktionär. „Elle fait œuvre d’imagination constructive“97. Auch der algerischen Volkswirtschaft wurden gute Erfolgsaussichten eingeräumt, „si les autorités responsables acceptent de mettre sur pied une

92 Faure: Mémoires, I, S. 687. 93 AN, F 12 11805: 12.02.1960, Mission d’études, Note à l’attention du Secrétaire général. 94 AN, F 12 11805: 21.11.1960, Prévisions sur la balance commerciale et la balance des comptes de l’Algérie en 1964, Mission d’études pour l’Algérie. 95 AN, F 12 11808: 09.02.1961, Note pour l’étude des procédures d’aide économique à l’Algérie. 96 Den Verträgen von Évian gingen rund zwei Jahre zäher und mehrfach unterbrochener Verhandlungen zwischen der französischen Regierung und dem ‚Gouvernement provisoire de la République algérienne‘ voraus. Die Vereinbarung beinhaltete u. a einen sofortigen Waffenstillstand und die Durchführung eines Referendums über die Unabhängigkeit Algeriens. 97 ANOM, FM 81F 197: 02.05.1962, Les perspectives de la coopération franco-algérienne, S. 30. Ähnlich: ANOM, FM 81F 197: 02.05.1962, Le régime des échanges franco-algériennes prévu par les accords d’Évian et les conséquences vraisemblables de son application, M. Gabory, S. 5.

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association avec la France“98. Die offizielle Formel sah vor, dass Algerien die Interessen Frankreichs sowie seiner Bürger und Unternehmen im Land garantierte. Im Jahr 1965 sollten weiterhin 600.000 Franzosen dort leben99. Paris verpflichtete sich im Gegenzug zu technischer und finanzieller Hilfe im Umfang des ‚Plan de Constantine‘100. 76 Prozent der Franzosen befürworteten die neue Form der Kooperation, wenngleich nur 37 Prozent an einen Erfolg glaubten. Ein Prozent mehr rechneten mit ihrem Scheitern101. Befürworter und Gegner der Unabhängigkeit waren sich stets einig gewesen, dass ein auf sich gestelltes Algerien ohne externe Hilfe wirtschaftlich kaum überlebensfähig sei. „L’indépendance politique implique, pour être une réalité, l’indépendance financière et que l’Algérie réduite à ses propres ressources, aurait le choix entre une misère dans l’isolement et une nouvelle dépendance économique“102. Nun, da das Ende Französisch-Algeriens beschlossen war, glaubte die französische Regierung, wie zuvor bei den Protektoraten, aus der ökonomischen Abhängigkeit eine Art Garantie für ein kooperatives Verhalten Algeriens ableiten zu dürfen. Die algerische Regierung würde sich ins eigene Fleisch schneiden, verstieße sie gegen die ausgehandelten Konditionen. Die in Marokko und Tunesien gesammelten Erfahrungen hätten Frankreich gleichwohl die Grenzen ökonomischer Rationalität in politischen Umbruchphasen vor Augen führen müssen, zumal der FLN einer sehr viel radikaleren Ideologie anhing als die marokkanische Unabhängigkeitsbewegung ‚Istiqlal‘ und der tunesische ‚Neo-Déstour‘. Diese Fehleinschätzungen teilten auch Personen, die seit Jahren für die algerische Selbstbestimmung eingetreten waren. Ihnen muss gleichwohl zugutegehalten werden, dass sie ihre optimistischen Prognosen über zukünftige Kooperationsmöglichkeiten stets in Verbindung mit der Forderung nach rascher Beendigung

98 ANOM, FM 81F 197: 06.05.1961, Note au sujet des échanges commerciaux d’une Algérie indépendante associée à la France, Mission d’étude, S. 18. 99 ANOM, FM 81F 197: 02.05.1962, Les perspectives de la coopération franco-algérienne, S. 5. 100 Déclarations gouvernementales du 19 mars 1962 relatives à l’Algérie, JORF, 20.03.1962, S. 3019. Manche meinen, die Finanzhilfen für Algerien hätten neben der Wahrung französischer Interessen ebenfalls dazu dienen sollen, den Franzosen den Verlust des Herzstücks des einstigen Imperiums zu erleichtern, da Frankreich seine unabhängig gewordenen Kinder nicht im Stich lassen und sein zivilisatorisches Werk fortsetzen würde. Van Buu, Édouard N.: L’évolution des modalités juridiques de la coopération franco-maghrébine (1956–1973), in: Indépendance et Interdépendances au Maghreb, hg. v. Ruf/Nancy/Sanson/Flory, S. 77–106, hier S. 79. Der frühere Überseeminister Gérard Jacquet erachtete die Fortsetzung französischer Entwicklungshilfe an die unabhängigen Überseegebiete als moralisch notwendig, „si nous voulons rester fidèles à nous-mêmes, fidèles à nos engagements“. Redebeitrag von Gérard Jacquet in: Cartiérisme et coopération, Colloque du Comité Central Français pour l’Outre Mer, in: Communautés et continents. Nouvelle Revue Française d’Outre-Mer, 56 (1964), S. 9–35, hier S. 13. 101 Umfragewerte aus: Sondages, 25, 2 (1963), S. 40; 55. 102 OURS, AGM 81: Algérie, édité par le Service de l’Information du GGA, S. 12.

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der Kampfhandlungen und dem Beginn ergebnisoffener Verhandlungen abgegeben hatten103. 130 Jahre koloniale Domination und acht Jahre Krieg hatten die Bevölkerungsgruppen des Landes jedoch so weit von einander entfernt, dass sich die kooperativen Szenarien als nicht realisierbar erwiesen. Bereits kurze Zeit nach der Übereinkunft von Évian wurde an ihren Stützpfeilern gerüttelt und innerhalb weniger Monate sah sich die überwiegende Mehrheit der ‚Pieds noirs‘ gezwungen, ihr Heimatland zu verlassen und in die Metropole überzusiedeln104. Bezeichnenderweise emigrierten zu großen Teilen selbst jene von ihnen, die sich stets für die algerische Unabhängigkeit engagiert hatten105. Die ‚Organisation de l’armée secrète‘ (OAS) zerstörte mit ihrer Politik der verbrannten Erde Teile des verbliebenen Kooperationswillens106. Der FLN wiederum verdeutlichte durch eine Reihe von Maßnahmen, dass sein Bekenntnis zu engen Beziehungen mit der ehemaligen Kolonialmacht ein Mittel zum Erreichen der Unabhängigkeit gewesen, jedoch nicht mit einem ehrlichen Willen zur Zusammenarbeit gleichzusetzen war. „La coopération telle qu’elle ressort des accords, implique le maintien des liens de dépendance dans les domaines économique et culturel“, hieß es im Programm, das der FLN im Juni 1962 beschloss. Dieser Form des angeblichen Neokolonialismus wollten sich die algerischen Revolutionäre möglichst rasch entledigen107. Aus den bald einsetzenden umfangreichen Nationalisierungen, die häufig ohne die zugesagten Entschädigungen für die betroffenen Franzosen vonstattengingen, konnte der FLN zwar kurzfristig einen Nutzen ziehen. Langfristig schmälerten sie jedoch das ökonomische Potential des Landes, da internationale Investoren abgeschreckt

103 OURS, AGM 82: Jacques Chevallier: Réflexions sur l’évolution de la situation algérienne S. 7. Raymond Aron mahnte 1957, der Krieg mache den Verbleib der französischen Siedler nach der unvermeidlichen Unabhängigkeit Algeriens unwahrscheinlicher. Aron: La tragédie algérienne, S. 52. 104 Daum gibt zu bedenken, dass keineswegs alle ‚Pieds noirs‘ Algerien unmittelbar vor oder nach der Unabhängigkeit verlassen hätten. Nicht wenige hätten zunächst versucht, mit den neuen Rahmenbedingungen in ihrer alten Heimat zurechtzukommen. Daum, Pierre: Ni valise ni cercueil, les pieds-noirs d’Algérie restés en Algérie après l’indépendance, Éd. Actes Sud, Paris, 2012. Dennoch bleibt festzuhalten, dass die Migration im Jahr 1962 einem Exodus gleichkam. 105 Alice Sportisse (PC) war von 1946 bis 1955 Abgeordnete aus dem algerischen Oran. Sie trat früh für tiefgreifende Reformen ein, die die Benachteiligungen der Muslime ausräumen sollten. Sie wandte sich gegen die Überzeugung, Algerien sei Frankreich, und sprach sich für eigenständiges Algerien aus. Die ‚Pieds noirs‘ sollten, gemäß ihrem Bevölkerungsanteil, auch nach der Unabhängigkeit eine wichtige Rolle in Algerien spielen. 1962 verließ sie ihr Geburtsland Algerien in Richtung Metropole. JOAN, 1954, S. 2532; 4326; 6066f.; JOAN, 1955, S. 5092. 106 Die OAS wurde Ende 1960 von französischen Offizieren und Generälen gegründet, um die Unabhängigkeit Algeriens mit allen Mitteln zu verhindern. Ihre Terrorakte richteten sich sowohl gegen den französischen Staat als auch gegen nationalistische Algerier. Weiterführend: Dard, Olivier: Voyage au cœur de l’OAS, Perrin, Paris, 2006. 107 Programme du Front de Libération Nationale adopté à Tripolis adopté par le C.N.R.A. en juin 1962, in: Annuaire de l’Afrique du Nord, 1 (1962), S. 685.

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wurden und die Hilfsbereitschaft Frankreichs sank108. Auch die Abkehr von der nationalen Ölpolitik veränderte die französische Interessenlage. Angesichts des unbefriedigenden Verlaufs der franko-algerischen Beziehungen drängte sich immer mehr Franzosen die Frage auf, welche Interessen es in Algerien mit der Gewährung milliardenschwerer Finanzhilfen eigentlich noch zu schützen galt. Sollten die Gelder, wenn nicht im Hexagon, dann nicht wenigstens doch in solchen Gebieten der ehemaligen ‚Union française‘ ausgegeben werden, die sich Frankreich weiterhin freundschaftlich verbunden zeigten?109. 1963 sprachen sich bereits 64 Prozent der Franzosen dafür aus, die finanzielle Unterstützung für Algerien zu reduzieren. Nur 9 Prozent zeigten sich mit einer Beibehaltung auf damaligem Niveau einverstanden. Dieser Wert wirkt umso prägnanter, wenn er der 73-prozentigen Zustimmung der Franzosen zu Entwicklungshilfe im Allgemeinen gegenübergestellt wird110. Letztlich wurden die Hilfszahlungen an den ehemals integralen Bestandteil Frankreichs kontinuierlich zurückgefahren und erreichten mit 330 Milliarden Francs für die Zeit von 1963 bis 1970 nur einen Bruchteil der ursprünglich vereinbarten Summe111. Der Begriff der Kooperation verschwand zunehmend aus den nationalen Diskursen. Die Geschichte schien jenen Kräften Recht zu geben, die 130 Jahre lang mit der Begründung gegen Reformen gekämpft hatten, dadurch das Ende FranzösischNordafrikas einzuläuten. Tatsächlich aber determinierte gerade diese Verweigerungshaltung in hohem Maße den Verlauf der Ereignisse. Nach Jahrzehnten von Ungleichbehandlung und Gewalt sprengte eine harmonische Unabhängigkeit Algeriens den Rahmen des Möglichen. Es bewahrheitete sich die Einschätzung einer Studie aus dem Jahr 1957. Die französischen Interessen und die Präsenz in der Region hingen weniger von Machtverhältnissen ab als vielmehr „d’un bon climat politique et de l’existence d’un véritable esprit de coopération“112. Diesen Geist zu erzeugen, war zu lange versäumt worden.

108 1963 wurde der Privatbesitz, 1966 die Minen, 1968 die Industrie und 1970 schließlich die Ölbranche nationalisiert. Vgl. Pervillé: Les accords d’Évian et les relations franco-algériennes, in: La guerre d’Algérie et les Français, hg. v. Rioux, S. 485–493, hier S. 489. 109 So etwa der ehemalige Transportminister Édouard Bonnefous in einem Redebeitrag. Vgl. Cartiérisme et coopération, hg. v. Comité Central Français pour l’Outre Mer, in: Communautés et continents. Nouvelle Revue Française d’Outre-Mer, 56 (1964), S. 9–35, hier S. 19. 110 In den 9 Prozent sind 1 Prozent Befürworter einer Erhöhung der Finanzhilfen für Algerien inbegriffen. Die Umfrage zur Entwicklungshilfe allgemein wurde im Oktober 1962 durchgeführt. Die Bereitschaft zur Beibehaltung oder Erhöhung der Finanzhilfen stieg 1964 auf 32 Prozent. 56 Prozent waren weiterhin für eine Reduzierung. Alle Zahlen entstammen: Sondages, 26, 3 (1964), S. 73f. 111 Pervillé: Les accords d’Évian, S. 490. 112 MFE, B 007012/2: Septembre 1957, Éléments de solution du Problème Algérien, S. 18.

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2.2 1954–1962: Acht verlorene Jahre? Ein Vergleich der Verträge von Evian mit früheren Forderungen moderat nationalistischer Gruppierungen in Algerien wirft die Frage auf, ob eine entsprechende Einigung bereits vor 1962 hätte erzielt werden können. Ohne den langen Krieg, so die naheliegende Annahme, wären die Erfolgsaussichten der franko-algerischen Kooperation höher einzuschätzen gewesen. Damit untrennbar verbunden ist die Überlegung, ob eine entsprechende Lösung der Algerienfrage in der IV. Republik politisch durchsetzbar gewesen wäre.

Ablenkung und Indifferenz Zahlreiche zeitgenössische Akteure und Beobachter hielten diese Option damals und rückblickend für ausgeschlossen. „S’il y avait eu une telle occasion“, meint Jean-François Eck, „cela aurait été bien en avance, en 1945 peut-être où même avant. Mais à partir de 1954, l’idée était jetée et c’était pratiquement impossible de déboucher sur autre chose“. Ein entscheidender Faktor für die Immobilität in Nordafrika sei gewesen, dass andere Ereignisse und Entwicklungen die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätten. „En 47, c’était le début de la guerre froide, c’était les affrontements entre la C.G.T. et l’ensemble des autres syndicats – c’était pratiquement la guerre civile dans certaines régions de la France. Il y avait toujours d’autres urgences, et l’Algérie est venue après“113. Auf internationaler Ebene war Frankreich vor 1954 mit Indochina und der Europapolitik beschäftigt, innenpolitisch dominierte der ökonomische Wiederaufbau. Diese Themen beherrschten die Debatten in der Nationalversammlung und drängten die Nordafrikapolitik in den Hintergrund114. Parlamentarische Anfragen zum Maghreb waren vor den Krisen selten. Bezeichnenderweise hatte eine solche des Abgeordneten Pierre de Léotard im Mai 1954 nicht die grundsätzlichen Probleme in Nordafrika, sondern die Sorge zum Inhalt, welche Kosten die Unterbringung des exilierten Sultans mit sich bringe115. Auch in der französischen Bevölkerung ebbte das durch die ‚Libération‘ kurzzeitig aufgekommene Interesse an den Kolonien bald wieder ab. Bei Umfragen zu kolonialen Themen stach der hohe Anteil an meinungs- und ahnungslosen Bürgern hervor116. 1950 waren 19 Prozent der Befragten nicht imstande, ein ein-

113 Interview mit Jean-François Eck. 114 Joseph Begarra beklagte, dass im Bericht über die parlamentarische Tätigkeit der SFIO nichts über Algerien zu finden sei. OURS, SFIO, 46e Congrès National, Asnières, 1–4 Juillet 1954, S. 46ff. 115 Pierre de Léotard (RRS), in: JOAN, 11.05.1954, S. 2354. 116 In diesem Sinne schreibt Dieter Brötel, die breite Bevölkerung sei der ‚Union française‘ mit „Gleichgültigkeit und Unkenntnis“ begegnet. Brötel, Dieter: ‚Décolonisation à la française‘. Zur Dekolonisierung des französischen Empire, in: Francia, 16, 3 (1989), S. 145–150, hier S. 146.

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ziges Überseegebiet zu benennen. 28 Prozent konnten fünf oder mehr Territorien aufzählen117. Die Frage, ob die ‚Union française‘ in wirtschaftlicher Hinsicht vorteilhaft für Frankreich sei, stellten sich die meisten Franzosen vor 1954 nicht118. Wurden sie damit konfrontiert, lag der Anteil derjenigen, die das Kolonialreich für profitabel hielten, mit 31 Prozent dicht bei den 35 Prozent, die nicht davon überzeugt waren. 34 Prozent waren sich unsicher oder ohne Meinung. Hinter dem beachtlichen Anteil von 81 Prozent, die dennoch der Aussage zustimmten, die Kolonien seien im Interesse Frankreichs, verbarg sich eher eine abstrakte Meinung als eine fundierte Einschätzung119. Die Zeitschrift ‚Nouvelle Équipe Française‘ machte eine weit verbreitete „insuffisance de notre connaissance économique“ aus, die zusammen mit der „ignorance des choses d’Outre-mer“ zweifellos einer vorausschauenden Entkolonialisierung im Wege standen120. Das Wort „décolonisation“ wurde im französischen Sprachgebrauch erst ab 1952 gebräuchlich und war in der Nachkriegszeit kein ernsthaft diskutiertes Thema121.

Institutionelle und politische Hürden Als die Algerienfrage nach dem Ausbruch des Unabhängigkeitskriegs stärker in den politischen Fokus rückte, wurden verfassungsrechtliche Bedenken gegen jedwede Aufweichung der franko-algerischen Beziehungen angemeldet: „La République est une et indivisible“122. Der Parlamentspräsident ermahnte mit der gleichen Begründung eine Abgeordnete, die sich für ein eigenständiges Algerien aussprach, auf ihre Wortwahl zu achten123. Auf die Aussage Pierre Villons (PC), „l’Algérie n’est pas la France“, kamen Zwischenrufe „quelle honte!“ und „censure!“124. Die algerische Unabhängigkeit war in der IV. Republik gewissermaßen unaussprechlich. Ferner wirkten sich die unsteten Machtverhältnisse und die ineffiziente Arbeitsweise von Exekutive und Legislative hemmend auf politische Entschei-

117 Umfrage in: Bulletin mensuel de Statistique d’Outre-Mer, Supplément Série études, 22 (Octobre 1951): Connaissez-vous la France d’Outre-Mer?, S. 12. 118 Thomas gibt 1952 als Zeitpunkt an, seit dem die Menschen intensiver über diese Frage nachgedacht hätten. In Presse, Publikationen und Parlament taucht die Debatte jedoch verstärkt erst Ende 1955 auf. Thomas, Martin: France’s North African Crisis, 1945–1955. Cold War and Colonial Imperatives, in: History, 92 (2007), S. 207–234. 119 Connaissez-vous la France d’Outre-Mer?, S. 12; 19. 120 Oved/Vaez-Olivera: Pour un office d’assistance technique, S. 1. „La conscience de l’Union française n’existe nullement dans les cerveaux métropolitains“, stellte eine andere Publikation ernüchtert fest. Deschamps, Hubert: Comment incorporer l’Union française aux programmes d’histoire dans l’enseignement du second degré, in: L’Information historique, 16, 5 (1954), S. 200–201, hier S. 200. 121 Ageron: La décolonisation, S. 5. 122 Innenminister Maurice Bourgès-Maunoury (RRS), in: JOAN, 29.07.1955, S. 4497. 123 JOAN, 10.12.1954, S. 6068 124 JOAN, 23.07.1955, S. 4120.

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dungsprozesse aus. Die Debatten aus der Nationalversammlung legen anschaulich dar, wie wichtige Themen wochenlang debattiert wurden, ohne dass am Ende ein nennenswertes Ergebnis vorzuweisen gewesen wäre125. Inhaltliche Argumente schienen bei den 25 Regierungswechseln in zwölf Jahren IV. Republik bisweilen von nachrangiger Bedeutung gewesen zu sein. Als Beispiel sei die gescheiterte Wahl Christian Pineaus genannt. Nach dem Misstrauensvotum gegen Pierre Mendès-France am 4. Februar 1955 wurde Pineau mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt. Zwei Wochen später stellte er sich mit einem Programm zur Wahl, das sich kaum von jenem von Mendès-France unterschied. Er scheiterte. Eine Woche später wählte das Parlament Edgar Faure zum Ministerpräsidenten, obgleich dessen Vorstellungen in weiten Teilen denen Pineaus und MendèsFrances ähnelten. Abgeordnete, die letzteren beiden das Vertrauen mit Verweis auf die Nordafrikapolitik verweigert hatten, votierten nun für Faure, der explizit ankündigte, den Kurs seines Vorgängers fortsetzen zu wollen. Die Aussicht auf Ministerposten wirkte auf einige Fraktionen offenkundig einen größeren Reiz aus als stabile Mehrheiten und politische Kontinuität126. Bisweilen herrschten in der Nationalversammlung chaotische Zustände, die bis zu Sitzungsabbrüchen ausarteten. Nach einer der zahlreichen wütenden Zwischenreden von Jean-Marie Le Pen (UFF) stellte ihm der Parlamentspräsident eine Frage, die bis in die heutige Zeit Aktualität besitzt: „Pourquoi se mettre constamment en colère?“127. An den ähnlich auftretenden Jean Demarquet (UFF) adressiert bedauerte Regierungschef Mollet, „que l’opinion française ne puisse, par radio, soit par télévision, apprécier le spectacle que vous donnez“128. Insgesamt ging ein nicht unerheblicher Teil der parlamentarischen Energie in Selbstbeschäftigung verloren. Nach Einschätzung von Augustin-Belkacem Ibazizen, assimilierter algerischer Abgeordneter in der ‚Assemblée de l’Union française‘, erlaubten es die Institutionen und die politischen Realitäten der IV. Republik einer Regierung nicht, wichtige Fragen kraftvoll und souverän anzugehen129. „Un homme de génie viendrait-il à prendre le pouvoir et tenter de sauver notre pays, il ne le pourrait pas dans le cadre de nos actuelles institutions“, stellte ein anderer Parlamentarier beinahe resigniert fest130. Nicht ohne Grund verband de Gaulle seinen Machtantritt mit einer grundlegenden Umgestaltung des politischen Systems in einer V. Republik.

125 Die Verabschiedung des Haushalts für das Jahr 1957 bedurfte 34 Sitzungen. Das Defizit von fast 1.000 Milliarden Francs konnte dadurch nicht verhindert werden. 126 Als Beispiel sei das Abstimmungsverhalten von Alfred Coste-Floret (MRP) genannt. Er entzog Mendès-France das Vertrauen und stimmte für Pineau, in dessen Kabinett ein Posten als Staatssekretär für ihn vorgesehen war. Zu den jeweiligen Regierungsprogrammen und Abstimmungen siehe: JOAN, 04.02.1955, S. 763. 18.02.1955, S. 802–816, 23.02.1955, S. 866– 886. 127 JOAN, 09.03.1956, S. 822. 128 Guy Mollet (SFIO), in: JOAN, 09.03.1956, S. 825. 129 Augustin-Belkacem Ibazizen (SFIO), in: JOUF, 05.07.1955, S. 631. 130 Edmond Barrachin (RPF-ARS), in: JOAN, 18.02.1955, S. 821.

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Veto-Spieler Neben diesen institutionellen und mentalen Hürden sahen Regierungsvertreter ihren Handlungsspielraum durch die Sorge vor einer Staatskrise begrenzt. Es stand die Befürchtung im Raum, die nach der Niederlage in Indochina und dem Debakel am Suezkanal frustrierte Armee könne die politische Stabilität Frankreichs gefährden, würde ein Rückzug aus Algerien in Betracht gezogen. Guy Mollets Vertrauter Étienne Weill-Raynal warnte im Oktober 1956, „dans un pays qui, depuis des années, va d’échecs en échecs, cette épreuve risquerait d’éteindre pour longtemps l’ardeur et la vitalité nationales. Le régime politique en serait peut-être ébranlé“131. Raymond Dronne formulierte die gleiche Aussage als Drohung an die Regierung: „Le régime ne survivra pas la perte de l’Afrique du Nord“132. Selbst jene, die sich intern für die algerische Unabhängigkeit aussprachen, rieten der Regierung unter den gegebenen Umständen davon ab, „car ce serait déclencher la guerre civile“133. Zustimmend schreibt der Historiker Charles-Robert Ageron, „aucun parti politique, aucun gouvernement de la IVe République n’était en mesure d’imposer à une armée de 500 000 hommes et de 55 000 officiers […] des solutions politiques qu’elle n’acceptait pas“134. Gleichzeitig stand im Parlament eine Fundamentalopposition zu erwarten. Der einstige Generalgouverneur Algeriens Naegelen schrieb in seinen Memoiren, jeder Regierungschef, der in der IV. Republik auch nur die Möglichkeit einer Aufgabe Algeriens öffentlich erörtert hätte, „eût été immédiatement renversé et chassé ignominieusement pour longtemps de l’arène politique“135. Der Journalist Serge Bromberger glaubte, „qu’à aucun moment depuis l’explosion de la Toussaint 1954, la conjoncture n’a autorisé une solution“136. Auch den Einfluss des Ost-West-Konflikts galt es zu berücksichtigen. Zur Durchsetzung der Entkolonialisierung hätte es der Unterstützung der größten Op-

131 OURS, AGM 83: 16.10.1956, Note sur le projet de Loi fondamentale, Weill-Raynal, S. 3. 132 Raymond Dronne (RS), in: JOAN, 08.03.1956, S. 753. Nicht zufällig reiste Dronne im Rahmen des Putschversuchs vom 13. Mai 1958 nach Algier und bezeichnete diesen als legitimes Vorgehen. Dronne: La révolution d’Alger, S. 11; 19. 133 Albert Gazier, in: OURS, Comité Directeur, Procès verbaux 1955/56, 29.02.1956, S. 6. Im Außenministerium und auch im Ausland mehrten sich einige Monate vor Mai 1958 Stimmen, die einen bevorstehenden Umsturz für möglich hielten. Der tunesische Vertreter bei den Vereinten Nationen glaubte im März 1958, „un coup d’État semblant se préparer en France“. DDF, 1958 I: 201, 19.03.1958, Georges-Picot an Pineau, S. 364. Gegenüber seinen britischen und amerikanischen Amtskollegen gestand Außenminister Pineau zu gleicher Zeit eine akute Gefährdung des politischen Systems. DDF, 1958 I: 147, 07.03.1958, Gespräch Pineau mit Selwyn Lloyd und Dulles, S. 336. Ähnlich schrieb der Diplomat de Wailly in einer Note, „le risque n’est pas négligeable d’une double crise dans l’Armée et dans l’opinion dont la conjonction pourrait être dangereuse pour le pays“. MAE, MT, Tunisie (II), 39: 16.04.1958, Esquisse pour une politique de l’AFN, G. Wailly, S. 2. 134 Coquery-Vidrovitch/Ageron: La France coloniale, III, S. 443. 135 Naegelen: Mission en Algérie, S. 245. 136 AN, F 12 11809: Sept ans de malheur en Algérie, Serge Bromberger.

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positionspartei, des ‚Parti Communiste‘, bedurft. Viele ihrer Argumente gegen die Integrationspolitik waren fundiert und erwiesen sich als richtig. In wesentlichen anderen innen- und außenpolitischen Fragen vertraten die Kommunisten jedoch radikale Positionen, die ihre Glaubwürdigkeit schwächten und es den anderen Parteien erleichterten, sie politisch zu isolieren. Alfred Grosser merkt hierzu an, in der Mitte zwischen „Ultrakonservativen“ und PC habe es keine Mehrheit für eine zugleich antikommunistische und auf die Entkolonialisierung ausgerichtete Politik gegeben137. Bedacht werden sollte ebenfalls die große Heterogenität des FLN. Der moderate Flügel zeigte sich zwar durchaus verhandlungsbereit. Als dominant erwiesen sich jedoch jene Kräfte, die auf der Anerkennung der vollständigen Unabhängigkeit vor Gesprächsbeginn beharrten138. Diese Maximalforderung machte den Beginn eines politischen Dialogs für die französische Regierung äußerst schwierig. Der frühere Regierungschef Edgar Faure meinte, es habe keine „solution originale“ gegeben, die den Algerienkonflikt gegen die vorhandenen Widerstände hätte beenden können. Selbst liberale Politiker hätten einer jahrelangen Reifezeit bedurft, um die Notwendigkeit der algerischen Unabhängigkeit anzuerkennen139. Bedurfte es also acht Jahre Krieg, zweier Putschversuche, einer V. Republik und der Autorität eines Charles de Gaulles, um in Frankreich die notwendige Akzeptanz für eine Aufgabe Algeriens zu schaffen?

Gegenargumente und Lösungsansätze Obgleich diese Frage nicht beantwortet werden kann, lohnt sich eine kritische Beleuchtung der These der Unlösbarkeit des Algerienkonflikts in der IV. Republik. Unaussprechlich war eine Aufweichung der algerischen Anbindung an Frankreich primär im parlamentarischen Diskurs der Regierungsparteien und in den rechtsgerichteten Fraktionen. Es wurde gleichwohl aufgezeigt, dass hinter verschlossenen Türen sowohl in den Parteien als auch in den Ministerien frühzeitig Alternativen zur Integrationspolitik angeboten wurden. Von einem Fehlen konstruktiver Vorschläge konnte keine Rede sein. Auch aus der Gesellschaft heraus meldeten sich Stimmen dieser Art zu Wort140. Interessanterweise glaubte Pierre

137 Interview mit Alfred Grosser. 138 Auf diesen eine politische Lösung erschwerenden Umstand verwies Raymond Aron bei einer Rede in Harvard. ANOM, FM 81F 39: Auszug der Rede von Raymond Aron, Harvard, 12.06.1958. Die geringe Kompromissbereitschaft des radikalen Flügels des FLN wurde auch in nationalistischen Zeitungen deutlich. „Tu dois disparaître, tu n’as plus aucun droit en Afrique du Nord et tu ne peux prétendre à aucun privilège particulier et à aucun traitement de faveur“, hieß es in einem an Frankreich gerichteten Artikel. DDF, 1958 I: 263, 18.04.1958, Unité et indépendance du Maghreb, in: El Moudjahid, S. 485f. 139 Faure: Mémoires, II, S. 569; 684; 687 140 Neben den bereits zitierten Vorschlägen existierten zahlreiche weitere, die von Politikern, Wissenschaftlern oder Privatpersonen erarbeitet wurden. Z. B. Lauriol, Marc: Le fédéralisme

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July, Minister für marokkanische und tunesische Angelegenheiten unter Ministerpräsident Edgar Faure, letzterer hätte in der Algerienfrage zu einer besseren Lösung gelangen können, als es de Gaulle später vermochte141. Die Angebote der französischen Regierungen, einem Waffenstillstand freie Wahlen und Verhandlungen über die zukünftigen franko-algerischen Beziehungen folgen zu lassen, konnten den Konflikt nicht lösen, da letztere entgegen der offiziellen Behauptung nicht ergebnisoffen geführt werden sollten142. „So long the French continue to regard the area as a part of metropolitan France there appears to be little room for negotiation“, stelle eine US-Kommission fest143. Dass keine regierungsfähige Partei den Versuch wagte, vom Credo der Unauflöslichkeit der franko-algerischen Bindung abzurücken, belegt nicht die Unmöglichkeit dieses Schritts. Gerade vor 1954 und in der Frühphase des Algerienkonflikts bestand durchaus die Möglichkeit, mit gemäßigten Nationalisten eine progressive Entkolonialisierung auszuhandeln. Ein auf mehrere Jahre ausgelegtes Konzept mit einer schrittweisen Abgabe von Souveränität hätte es der federführenden Regierung ermöglicht, wie bei den Protektoraten, nicht sofort offen für die algerische Unabhängigkeit eintreten zu müssen und auf diese Weise weniger Angriffsfläche zu bieten. Wenn die algerische Unabhängigkeit von wichtigen Entscheidungsträgern als unausweichlich anerkannt wurde und die Bereitschaft fehlte, die Konsequenzen der Integrationspolitik zu akzeptieren – was beides nachweislich der Fall war – stellte sich die Frage, ob die Machtprobe mit dem Militär überhaupt umgangen werden konnte. Abzuwarten und auf eine zukünftige, von der Armee akzeptierte Lösung zu hoffen, erscheint in Anbetracht der angespannten Situation Mitte der 1950er Jahre einerseits als nachvollziehbare Option. Andererseits bestärkten gerade die zögerliche Haltung der Politik und ihre nachträgliche Legitimierung von militärischen Veto-Aktionen im Maghreb die Generäle in ihrem Selbstverständnis als letzte Instanz der Republik. In Bezug auf die Autorität de Gaulles darf nicht übersehen werden, dass dessen Position weder 1958 noch 1962 unumstritten war. Seine Wahl im Juni 1958 fiel mit 329 zu 224 Stimmen weniger eindeutig aus als bei einigen anderen Ministerpräsidenten der IV. Republik144. Guy Mollet etwa

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et l’Algérie, La Fédération, Paris, 1957. Diese lagen den Ministerien vor und wurden von diesen auf ihre Umsetzbarkeit überprüft. ANOM, FM 81F 177: Septembre 1958, Mission d’études, Bilan des solutions institutionnelles qui ont été proposées pour l’Algérie. July: Une République pour un Roi, S. 3. Während Frankreich auf internationaler Ebene stets auf den ergebnisoffenen Charakter der angebotenen Verhandlungen verwies, stellte die Regierung im Parlament immer wieder klar, dass von der „union indissoluble“ zwischen Frankreich und Algerien nicht abgerückt werden würde. In seiner Regierungserklärung vom 9. Januar 1957 sprach Guy Mollet davon, dass es „aucun préalable politique quel qu’il soit“ für sein Angebot gebe, um gleichzeitig zu versichern, „la France n’abandonnera jamais l’Algérie“. OURS, AGM 82: 09.01.1957, Pour la paix en Algérie. Déclaration de Guy Mollet, Président du Conseil, S. 1f. MAE, MT, Maroc (I), 162: 27.10.1955, Bericht der Botschaft über US-Kommission zu Nordafrika. Zur Wahl: JOAN, 01.06.1958, S. 2592.

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war Anfang 1956 mit der Ankündigung, eine politische Lösung der Algerienfrage herbeizuführen, mit 420 zu 70 Stimmen ins Amt gewählt worden145.

Der Souverän des Volkes Solange keine Möglichkeit bestand, im Parlament eine Mehrheit zu finden, hätte sich die Politik der Entkolonialisierung stärker auf den Souverän des Volkes stützen können. Charles de Gaulle erkannte diese Notwendigkeit und schuf in der Verfassung der V. Republik die Möglichkeit von Referenden, mit denen er letztlich die algerische Unabhängigkeit am Parlament vorbei durchsetzen und demokratisch legitimieren konnte146. Als Alternative stand den Parteien der IV. Republik die Option zur Verfügung, Wahlen zu einer Abstimmung über die Algerienfrage zu machen. Wie dargelegt, zeigte sich die französische Bevölkerung trotz ihrer ablehnenden Haltung gegenüber dem FLN durchaus offen für eine Verhandlungslösung. Freilich gilt es auch hier, zu differenzieren und den jeweiligen Kontext von Umfragen zu beachten. Hinter einer generellen Verhandlungsbereitschaft konnte sich eine Vielzahl verschiedener Positionen verstecken. Vor die ultimative Wahl gestellt, bedingungslose Verhandlungen über die vollständige Souveränität Algeriens zu beginnen oder die Rebellion mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu zerschlagen, bevorzugte im Jahr 1956 eine eindeutige Mehrheit von 45 zu 23 Prozent die erste Option. Die Verschlechterung der militärischen Lage 1955 und Anfang 1956 spielte hierbei eine wichtige Rolle. Im Juli 1957 hingegen, als Fortschritte bei der Befriedung erkennbar wurden, lag das Verhältnis mit 38 und 36 Prozent eng beieinander147. Dieser Einschränkung zum Trotz existierte ab 1956 eine Mehrheit für eine diplomatische Lösung der Algerienfrage148. Gleichwohl wurde im Verlauf dieser Studie festgestellt, dass es der Regierung gelang, die volkswirtschaftliche Dimension der Nordafrikapolitik zu verbergen und den primären Wunsch der Bürger nach positiver Entwicklung der individuellen Einkommen zu befriedigen. Die Aussage Guy Mollets, die Bevölkerung sei sich über die Lasten der Integrationspolitik im Klaren und „prête à y consentir“, war daher irreführend149. In dieser Kombination sicherten sich die politischen

145 JOAN, 31.01.1956, S. 156. 146 Maus: La guerre d’Algérie, S. 173. Demgegenüber bezeichnete Robert Delavignette die Entkolonialisierung als undemokratischen Prozess, der „dans l’indifférence du peuple français“ vonstattengegangen sei. Dem ist sowohl für die Zeit der IV. als auch der V. Republik eindeutig zu widersprechen. Die Unabhängigkeit der Protektorate im Jahr 1956 wurde ebenso wie das ‚Loi Cadre Deferre‘ vom französischen Parlament ratifiziert. Die Verträge von Évian wurden verfassungsgemäß per Referendum legitimiert. Die Indifferenz der Menschen mag politisch bedauert werden, verfassungsrechtlich relevant war sie nicht. Delavignette: L’Afrique noire française, S. 177. 147 Sondages, 19, 2 (1957), S. 44. 148 Sondages, 18, 3 (1956), S. 24 und 19, 2 (1957), S. 37. 149 Guy Mollet (SFIO), in: JOAN, 02.06.1956, S. 2276.

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Entscheidungsträger Handlungsspielraum zur Fortsetzung einer Politik, die den wirtschaftlichen Interessen der Franzosen zuwider lief. Die mehrheitlich passiven Bürger erwarteten von den Regierenden eine Lösung der Probleme in Nordafrika, ohne diese vehement einzufordern oder sich einig über den einzuschlagenden Weg zu sein150. Viele Franzosen hofften bis zuletzt auf eine französische Zukunft Algeriens, ohne daran zu glauben151. Die Integration empfanden sie als wünschenswert, Steuererhöhungen zu deren Finanzierung lehnten sie wiederum ab, um diese letztlich dennoch hinzunehmen152. Die Finanz- und Haushaltkrise erkannten immer mehr Bürger als drängendes Problem für den Staat, doch der gesellschaftliche Protest äußerte sich dezent. Arbeitsniederlegungen oder ähnliche Protestformen gegen die Nordafrikapolitik blieben im ansonsten streikfreudigen Frankreich aus. Ein Kurswechsel in der französischen Nordafrikapolitik hätte eine ehrliche Kommunikation der Opportunitätskosten der Integrationspolitik bedurft, um den Volkssouverän aus seinem passiven Zustand zu holen und die vorhandene Verhandlungsbereitschaft in politischen Druck zu verwandeln. Alfred Sauvy versuchte in einem Artikel der „oligarchie“ der 10.000 entgegenzuwirken, die seiner Einschätzung nach in Frankreich die Meinungsbildung und die politischen Entscheidungen bestimmten. Er wägte zukünftige Lasten und mögliche Einsparungen ab, um dem Leser eine faktengestützte Meinung zu ermöglichen. Dadurch seien zahlreiche Leser zur Überzeugung gelangt, die Unabhängigkeit Algeriens sei die ökonomischere Option. Eine eigene Empfehlung gab der Wissenschaftler indes nicht ab153. Die Wirkung solcher Beiträge blieb begrenzt, auch weil die regierungsfähigen Parteien eine breite Front gegen eine Kosten-Nutzen-Rechnung bildeten. Wenige Politiker wagten es, mit den wirtschaftlichen Schattenseiten der Integrationspolitik für eine andere Nordafrikapolitik zu werben154. Die Sozialisten forderten 150 60 Prozent der Franzosen erkannten 1956 in der Lösung der Algerienfrage die wichtigste Aufgabe der Politik. Sondages, 18, 3 (1956), S. 2. In Bezug auf die Vorstellungen der Franzosen von der Zukunft Algeriens erinnert sich Jean-François Eck im Interview, „jusqu’en 1960/1961, très peu de Français auraient dit que c’était inévitable que l’Algérie devienne indépendante“. 151 Im Juli 1957 bevorzugten 36 Prozent der Befragten Franzosen die Integration Algeriens, 34 Prozent sprachen sich für eine Autonomie aus und 18 Prozent bevorzugten die Unabhängigkeit. Gleichwohl glaubten nur 28 Prozent der Befragten, Französisch-Algerien werde in zehn Jahren noch bestehen. Sondages, 19, 2 (1957), S. 41; 43. 152 Im April lehnten 48 zu 34 Prozent höhere Steuern zugunsten Algeriens ab. Vier Monate später lag die Ablehnung bei 51 zu 28 Prozent. Sondages, 18, 3 (1956), S. 26. 153 Sauvy, Alfred: L’Afrique du Nord entre Poujade et Armand, in: L’Express, (16.04.1955), S.8f. 154 Auf die Sorge, ins politische Abseits zu geraten, wurde bereits verwiesen. Diese These bestätigte sich durch Äußerungen der sozialistischen Parteiführung. Mehrfach tauchten Vorschläge auf, über die Presse in der Bevölkerung die Basis für einen Politikwechsel in Algerien zu schaffen. Gleichwohl sah man die Gefahr, massive Proteste auf sich zu ziehen und erkannte zudem die begrenzten Einflussmöglichkeiten der Partei. OURS, Comité Directeur, Procès verbaux 1955/56, 29.02.1956. Marcel Moiroud unterbreitete in einem Brief an Savary ähnliche Vorschläge. Er beklagte „la passivité de la gauche“, die den Anhängern der Befriedungs-

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zwar aus der Opposition heraus lautstark Reformen und ein Ende der Repressionspolitik, ökonomische Argumente spielten dabei jedoch eine untergeordnete Rolle155. Bezeichnenderweise missfiel dem sozialistischen Wahlsieger Guy Mollet die Option, zur Lösung der Algerienfrage ein Bündnis mit Pierre Mendès-France einzugehen, da er sich unter anderem an dessen Weigerung störte, einer expansiven Ausgabenpolitik zuzustimmen156. Das wohl überzeugendste Argument für die Möglichkeit einer früheren Lösung der Algerienfrage lieferten die Franzosen selbst. 39 Prozent der Befragten glaubten im Sommer 1956, dass diese binnen eines Jahres erreicht werden könne. Weitere 50 Prozent hielten ein bis vier Jahre für einen realistischen Zeitraum und nur 12 Prozent zeigten sich von der Unlösbarkeit des Algerienproblems überzeugt157. Nach den Verträgen von Évian gab eine deutliche Mehrheit von 50 zu 22 Prozent an, eine entsprechende Einigung wäre auch früher möglich gewesen158. ‚Mais hélas‘, die Entscheidungsträger der IV. Republik baten die Wähler nicht um ihre Meinung und ungefragt verzichteten die Franzosen darauf, eine andere Nordafrikapolitik einzufordern.

Das Kostenargument War es nun de Gaulles „l’Algérie nous coûte“, das die massive Zustimmung der Franzosen zu den Verträgen von Évian sicherstellte? Kann aus dem klaren Votum für die algerische Unabhängigkeit auf eine zeitlich versetzte Wirkung der ökonomischen Kritik an der Integrationspolitik geschlossen werden?159. Manches spricht dagegen. Die individuelle wirtschaftliche Situation der Franzosen verbesserte sich in den Jahren nach 1958 kontinuierlich. Die Überwindung der Finanzund Außenhandelskrise entspannte die volkswirtschaftliche Lage, kräftige Wachs-

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politik großen Spielraum verschaffe. CHSP, Fonds Savary, 56: 17.11.1956, Marcel Moiroud à Savary, Propositions. So stimmten die Sozialisten beispielsweise im März 1955 gegen die Verhängung des Ausnahmezustands in einigen Teilen Algeriens. JOAN, 31.03.1955, S. 2158. Mit der Regierungsverantwortung betraut votierten sie ein Jahr später für dessen Ausweitung auf ganz Algerien. Bezüglich des Wahlkampfs Ende 1955 erinnert sich Alfred Grosser im Interview: „Von der Wirtschaft war furchtbar wenig die Rede“. Guy Mollet, in: OURS, Comité Directeur, Procès verbaux 1955/56, 25.01.1956, S. 2. Letztlich kam es zwar zu einer Einigung und Mendès-France erhielt den Posten eines Staatsministers ohne Aufgabenbereich im Kabinett. Nach wenigen Monaten verließ Mendès-France jedoch aus Protest gegen die Algerienpolitik die Regierung. Sondages, 18, 3 (1956), S. 5. Sondages, 25, 2 (1963), S. 35. Die Wirkung der ökonomischen Kritik wird in der Forschung unterschiedlich eingeschätzt. Von breitem Einfluss geht aus: Rioux: La France coloniale, S. 136. Girault sieht eine Wirkung primär bei Unternehmern. Girault: Decision Makers, S. 80. Ageron sieht in Bezug auf den ‚Cartiérisme‘ außer durch Leserbriefen kaum messbare Belege für einen gesellschaftlichen Einfluss. L’histoire de la France coloniale, III, S. 387 und L’opinion français, S. 44.

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tumsraten ließen das Verhältnis von Militärausgaben zu Staatseinnahmen von 39 Prozent im Jahr 1956 auf 23 Prozent 1962 sinken160. Die positive Entwicklung verleitet Jacques Marseille zur Einschätzung, „à la fin de 1958 en fait, pour tous ceux qui savaient compter, la guerre d’Algérie était bien terminée“161. Insofern erschienen die Rahmenbedingungen für eine höhere Resonanz der ökonomischen Argumentation Anfang der 1960er Jahre im Vergleich zum vorangegangenen Jahrzehnt eher schlechter. Der hohe Beamte und langjährige Leiter der ‚École coloniale‘, Robert Delavignette, stellte 1962 dennoch mit Bedauern fest, die Entkolonialisierung „a été dictée par l’argent“162. Auch Claude Gruson, damals leitender Funktionär im Finanzministerium, bejahte rückblickend den Einfluss wirtschaftlicher Überlegungen. In den Ministerien habe sich zunehmend die Erkenntnis durchgesetzt, „[que] l’empire colonial, loin d’être une richesse, était une charge très lourde“163. Ferner bestand keine Kausalität zwischen der Erkenntnis, dass die Integrationspolitik Frankreichs wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht zu übersteigen schien, und der Bereitschaft, die unbestreitbaren und perspektivisch weiter steigenden Opportunitätskosten des Anspruchs „l’Algérie, c’est la France“ auch tatsächlich zu tragen. Insofern kann davon ausgegangen werden, dass der ökonomische Antikolonialismus sowohl in den Reihen der Politiker als auch in der französischen Bevölkerung ein stärkeres Bewusstsein für den Preis des ‚Empire‘ schuf und auf 160 Budget, 1956, S. 7 und 1962, S. 41. 161 Marseille, Jacques: La guerre a-t-elle eu lieu? Mythes et réalités du fardeau algérien, in: La guerre d’Algérie et les Français, hg. v. Rioux, S. 281–288, hier S. 288. 162 Delavignette, Robert: L’Afrique noire française et son destin, Gallimard, Paris, 1962, S. 177. Delavignette spielte im Prozess der Entkolonialisierung eine Schlüsselrolle. Neben der Leitung der ‚École coloniale‘ hatte er hohe Verwaltungsposten in den afrikanischen Kolonien inne. Ferner war er Mitglied der 1957 eingesetzten ‚Commission de sauvegarde des droits et libertés individuels‘, die auf öffentlichen Druck hin von der Regierung eingesetzt wurde, um das Vorgehen der französischen Armee in Algerien zu untersuchen. Er befürwortete eine „gestaltete“ Entkolonialisierung und wandte sich sowohl gegen die „colonialistes“, die sich Veränderungen verweigerten, als auch gegen die „métropolistes“, die aus finanziellem Kalkül die Verbindungen zu den Überseegebieten kappen wollten. Vgl. Kalck, Pierre: Robert Delavignette et la décolonisation, in: Revue française d’histoire d’Outre-Mer, 54 (1967), S. 52–64, hier S. 53. Zu Delavignettes Rolle in der ‚Commission de sauvegarde‘: Branche, Raphaëlle: La commission de sauvegarde pendant la guerre d’Algérie. Chronique d’un échec annoncé, in: Vingtième Siècle, 61 (199), S. 14–29. 163 Gruson, Claude: Programmer l’espérance. Conversations avec Philippe Dominique, Stock, Paris, 1976, S. 74. Gruson nimmt für die Beamten einer „orientation marxiste“ in Anspruch, den „techniques d’analyse et de gestion économique“ das entscheidende Gewicht beigemessen zu haben, um die Unwirtschaftlichkeit des Imperiums zu erkennen. Marseille hingegen meint, die ökonomische Kritik an den Kolonien sei formuliert worden „par des hommes qu’on peut schématiquement situer à droite“. Marseille, Jacques: Les colonies, une bonne affaire?, in: Les Collections de l’Histoire, 11 (2001), S. 11–64, hier S. 11. Wie die vorliegende Arbeit aufzeigte, wurden im linken ebenso wie im rechten politischen Spektrum, in wirtschaftsliberalen und in sozialistischen Kreisen ökonomische Argumente gegen das Imperium vorgebracht. Umgekehrt gab es in denselben Zirkeln auch Akteure, die bis zuletzt an der These der Profitabilität der Kolonien festhielten.

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diesem Wege einen wichtigen Beitrag zur Entkolonialisierung leistete, die in Gänze als Zusammenspiel einer Vielzahl von innen- und außenpolitischen Faktoren zu erklären ist. Letzten Endes begrüßte die französische Öffentlichkeit die algerische Unabhängigkeit mit großer Mehrheit. Diese kam jedoch nicht primär auf ihr Drängen hin zustande164. Wie schon die Kolonialsierung 132 Jahre zuvor, begleiteten die Bürger die Entkolonialisierung mit wohlwollender Passivität. An den häufig dramatischen Schicksalen der ‚Pieds noirs‘, die 1962 ihr Heimatland Algerien in Richtung Hexagon verlassen mussten, nahmen die Franzosen bisweilen wenig Anteil165.

164 82 Prozent der Franzosen zeigten sich zufrieden oder eher zufrieden mit den Verträgen von Évian. Nur 8 Prozent gaben sich unzufrieden. Sondages, 25, 2 (1963), S. 32. Rund 90 Prozent der Bürger stimmten bei dem am 08. April 1962 abgehaltenen Referendum für die Ratifizierung. Vgl.: http://www.de-gaulle-edu.net/approfondir/notions_imp/pop/09_algerie/accords_ evian.htm. Die Zustimming in Algerien fiel mit 99 Prozent unglaubwürdig hoch aus, selbst wenn der mehrheitliche Boykott der Wahl durch die ‚Pieds noirs‘ berücksichtigt wird. Maurice Faivre deckte jüngst große Unregelmäßigkeiten bei den offiziellen Zahlen auf. http://etudescoloniales.canalblog.com/archives/2012/08/17/24913621.html. 165 Jauffret: L’Algérie et les Français d’Algérie, S. 131. Zustimmend erinnert sich Alfred Grosser im Interview: „Et après ils ont été expulsés, on ne s’est pas beaucoup occupé des Français d’Algérie“. Grosser gibt an, den Historiker Pierre Nora kritisiert zu haben, der die ‚Pieds noirs‘ pauschal mit Vorwürfen überhäuft habe und mahnt, die Schicksale der Franko-Algerier nicht aus den Augen zu verlieren. Zur Thematik der Eingliederung der Franko-Algerier in die Metropole siehe: Scioldo-Zürcher, Yann: Devenir métropolitain. Politique d’intégration et parcours de rapatriés d’Algérie en métropole, 1954–2005, EHESS, Paris, 2010 und Accueillir les Français rapatriés d’Algérie. Histoire d’une régulation sociale par l’évitement des Bidonvilles. L’exemple de Paris, 1962–1969, in: French Politics, Culture & Society, 31, 3 (2013), S. 45–64.

FAZIT: ZWEIFACHES SCHEITERN DER NORDAFRIKAPOLITIK Das zentrale Ziel der vorliegenden Studie war es, die Vorgabe der IV. Republik, Algerien um jeden Preis als Teil Frankreichs zu bewahren, kritisch zu hinterfragen und an den faktisch getroffenen Entscheidungen zu messen. Ausgehend von dieser Gegenüberstellung von offiziellemem Anspruch und konkretem Engagement erfolgte eine Bewertung der (ökonomischen) Kohärenz der Nordafrikapolitik und wurde eine Erklärung für den Kurswechsel in der V. Republik erarbeitet. „L’Algérie, c’est la France“ – Das deutliche Missverhältnis zwischen Ambition und Realität dieser Devise zieht sich wie ein roter Faden durch die französische Nordafrikapolitik der IV. Republik. Es konnte aufgezeigt werden, dass Algerien nach 1946 ein widersprüchlicher Sonderfall innerhalb der ‚Union française‘ blieb. Weniger die Ideale ‚Liberté, Fraternité et Égalité‘ als vielmehr koloniale Standards und die fortgesetzte politische Diskriminierung der muslimischen Bevölkerungsmehrheit kennzeichneten die Situation vor Ort. In konzeptioneller Hinsicht wurde Algerien eher dem kolonialen Nordafrika zugerechnet und gleich den Protektoraten Marokko und Tunesien behandelt. Parallelen zwischen den algerischen und den metropolfranzösischen Départements gab es wenige. In ökonomischen Fragen bestand eine unverkennbare Hierarchie zwischen Metropole und Kolonie. Im Bereich der Investitionen blieb der finanzielle Beitrag Frankreichs bis 1954 weit hinter dem zurück, was Experten für eine substantielle Verbesserung der algerischen Lebensverhältnisse als notwendig erachteten. Nach dem Ausbruch des Unabhängigkeitskriegs lautete die offizielle Devise der Nordafrikapolitik fortan, sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln für den Erhalt Französisch-Algeriens einzusetzen. An der militärischen Entschlossenheit Frankreichs konnte kaum ein Zweifel bestehen. 500.000 französische Soldaten fochten im Maghreb einen Kampf für das Herzstück des Imperiums aus, der jedes Jahr ein Viertel der Staatseinnahmen verschlang. In militärischer Hinsicht gelang ein Sieg über den FLN erst in der V. Republik, ohne dabei das eigentliche Ziel der Befriedung des Landes zu erreichen. Außenpolitisch zeigte sich die französische Entschlossenheit in dem vermeintlichen Entlastungsangriff am Suezkanal, für den Paris erhebliche politische und ökonomische Kollateralschäden in Kauf nahm, obwohl der erhoffte Nutzen für die Befriedung Algeriens höchst fragwürdig war. Auch die Unabhängigkeit der Protektorate und die zunehmenden Spannungen im bilateralen Verhältnis zu Marokko und Tunesien bezeugen Frankreichs Bereitschaft, außenpolitische Opportunitätskosten für den Erhalt Französisch-Algeriens zu tragen.

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Fazit: Zweifaches Scheitern der Nordafrikapolitik

Erstes Scheitern: Mangelndes Engagement In ökonomischer und politischer Hinsicht wirkte der Beginn des Unabhängigkeitskampfs lediglich als rhetorische Zäsur. Faktisch schlug die Integrationspolitik der IV. Republik auf zweifache Art und Weise fehl. Das erste Scheitern bezieht sich auf das konkrete Engagement und die Umsetzung der Integration. Es soll nicht in Abrede gestellt werden, dass es ernsthafte Bemühungen gab und in einigen Bereichen Fortschritte erzielt wurden. Eine Bewertung muss jedoch in Relation zu den selbst formulierten Ansprüchen erfolgen und berücksichtigen, was über das Erreichte hinaus möglich gewesen wäre. Drei Faktoren determinierten entscheidend den Verlauf der Integration: Entschlossenheit, Zeit und Geld. Da die Ressource Zeit nach dem Ausbruch des Algerienkriegs und der Unabhängigkeit der Protektorate als begrenzt anzunehmen war, hätte der apodiktische Anspruch, Französisch-Algerien um jeden Preis zu halten, ein umso größeres Engagement für die Angleichung der Lebensverhältnisse und die politische Gleichstellung der Algerier erwarten lassen. Durch umfangreiche Investitionen, Reformen und Opferbereitschaft der Metropole hätte der algerischen Bevölkerung die Aufrichtigkeit der Integrationspolitik glaubhaft vermittelt werden müssen, um vor Ort Unterstützung für die Idee „l’Algérie, c’est la France“ zu gewinnen. Diese absolute Entschlossenheit wurde in den getroffenen Maßnahmen nicht erkennbar. Bei öffentlichen Investitionen blieb weiterhin die Strategie dominierend, die finanzielle Belastung für das Hexagon gering zu halten. Es wurde keine rasche Annäherung der Lebensverhältnisse aus beiden Richtungen, sondern eine langsame Anhebung der algerischen Einkommen bei weiterhin steigendem Wohlstand in der Metropole angestrebt. Dieser Ansatz verlängerte zwangsläufig den ohnehin bereits sehr langfristigen Planungshorizont auf unbestimmte Zeit. Der Maspétiol-Bericht lief de facto auf eine weitere Öffnung der Einkommensschere zwischen Franzosen und Algeriern hinaus, was dem offiziellen Anspruch der Integrationspolitik und den Erwartungen der Menschen in Nordafrika vollkommen widersprach. Bezeichnenderweise wurden integrative Reformen gerade dort umgesetzt, wo keine Mehrbelastung für Frankreich, gleichzeitig jedoch auch kaum positive Effekte für die Wirtschaft und die muslimische Bevölkerungsmehrheit in Algerien zu erwarten waren. Auch im Bereich der politischen Gleichstellung ließ die Metropole Beharrlichkeit und Mut vermissen. Maßnahmen mit hoher Signalwirkung wie die Einführung des Frauenwahlrechts oder die Einsetzung eines muslimischen Algerienministers wurden nicht umgesetzt. Das ‚Collège unique‘ konnte nach jahrelanger Fundamentalopposition in der Nationalversammlung erst kurz vor dem Ende der IV. Republik beschlossen werden. So blieb die grundsätzliche politische Benachteiligung der Algerier bis zuletzt bestehen. Insgesamt prägten große Inkonsistenz und ein permanenter Zielkonflikt zwischen ökonomischen und politischen Interessen die Algerienpolitik der IV. Republik. In der Regel erwiesen sich politische Überlegungen als dominant. Um das Ziel einer raschen Anhebung des algerischen Lebensstandards zu erreichen, wäre eine auf die Bedürfnisse des Entwicklungslands Algerien zugeschnittene Wirtschaftspolitik vonnöten gewesen, die jedoch aufgrund ihrer Signalwirkung wider

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die politische Einheit abgelehnt wurde. Das hierarchische Verständnis der Beziehungen zwischen Metropole und Kolonie überdauerte die rhetorische Neuausrichtung der Nordafrikapolitik nach 1954. Französische wurden stets von algerischen Interessen differenziert und nahezu alle (wirtschafts-)politischen Optionen zunächst dahingehend überprüft, ob sie potentielle Nachteile für die Metropole bargen. Dieser Ansatz bot Einflussgruppen günstige Ansatzpunkte zur Durchsetzung von Partikularinteressen und so blieben selbst solche ordnungspolitischen Reformen aus, die einzelnen Gruppen in der Metropole zwar Nachteile, dem frankoalgerischen Ensemble jedoch Vorteile gebracht hätten. Die Abkehr von der ‚vocation agricole‘ wurde als notwendig erachtet, ohne dass die Industrialisierung Algeriens entscheidend gefördert worden wäre – nicht zuletzt um französischen Unternehmen eine Konkurrenzsituation zu ersparen. Paris forderte eine stärkere finanzielle Beteiligung Algeriens an den Entwicklungsprogrammen, verweigerte dem Land aber die Erhebung von Schutzzöllen. Stattdessen wurde eine steuerliche Angleichung befürwortet, die sich kontraproduktiv auf die Industrialisierung auswirkte. Eignung und wirtschaftliche Bedeutung des algerischen Weinbaus wurden anerkannt, dessen Ausbau mit Rücksicht auf die Metropolwinzer wiederum abgelehnt. Auf die vollständige Angleichung der Sozialleistungen und Energiepreise verzichtete Paris mit Verweis auf die finanzielle Autonomie Algeriens, was den Anspruch „l’Algérie, c’est la France“ konterkarierte. Zu einem Teil resultierte das Scheitern der Integrationspolitik in der IV. Republik daher aus der mangelnden Bereitschaft, sie konsequent durchzusetzen. Bis zum Jahr 1958 wurde die Integrationspolitik vornehmlich propagiert, um sich gleichzeitig deren finanziellen und politischen Folgen zu verschließen. Erst in der V. Republik deutete sich ein Umdenken an. De Gaulle beließ es nicht bei theoretischen Vorgaben, sondern setzte rasch weitreichende Reformen und den ‚Plan de Constantine‘ um. Ambition und konkretes Engagement näherten sich einander schlagartig an. In gewisser Weise begann die Integration somit überhaupt erst im Jahr 1958. Ein Beamter des Finanzministeriums empfahl eine neue Sichtweise auf die algerischen Départements. Deren Entwicklung dürfe nicht länger als eine zu Lasten der Metropole gehende Aufgabe verstanden werden. Stattdessen müsse der tiefere Sinn der Integration verinnerlicht werden: Algerien und Metropole seien als Einheit zu betrachten, es gebe daher nur eine gemeinsame, gesamtfranzösische Entwicklung1. Durchsetzen konnte sich diese neue Konzeption letztlich weder in der Gesellschaft noch in der Politik, die erhoffte Verschmelzung von Algerien und Hexagon musste daher misslingen. Die Ausgaben der Metropole in Nordafrika wurden nicht als innerfranzösische Investitionen betrachtet, sondern als Kapitalabfluss in ein Überseegebiet zu Lasten der eigenen ökonomischen Entwicklung bedauert. Diese zunehmende Belastung „n’a pas de contrepartie, à beaucoup près, équivalente“, stellte der erste Präsident der V. Republik schließlich fest2. Neu war diese Erkenntnis indessen nicht. De Gaulle wagte lediglich als erster Regierungs-

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MEF, B 0024875/1: 14.11.1958, Rapport présenté par M Denizet, S. 7. Pressekonferenz, 11.04.1961. Vgl. Pervillé: Charles de Gaulle et l’indépendance.

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chef auszusprechen, was seit Jahren bekannt und durch das erhöhte politische und finanzielle Engagement offensichtlich geworden war: Der Mehrheit der Franzosen waren die tatsächlichen Opportunitätskosten des Anspruchs „l’Algérie, c’est la France“ zu hoch. Der General zog daraus die logische Konsequenz und besiegelte mit seiner offiziellen Kosten-Nutzen-Rechnung, was alle Regierungen der IV. Republik ausgeschlossen hatten: Die Aufgabe Französisch-Algeriens.

Zweites Scheitern: Fehlende Voraussetzungen Das zweite Ursachenbündel für das Scheitern der Integrationspolitik hat tiefere historische Wurzeln. Es konnte aufgezeigt werden, dass die Voraussetzungen, Algerien zu einem konstitutiven Teil Frankreichs zu machen, 1954 nicht mehr gegeben waren. Viele Möglichkeiten für eine progressive Integration waren ungenutzt verstrichen, sodass sich Teile der algerischen Elite längst von Frankreich abgewandt hatten. Im Zuge der weltweiten Entkolonialisierungstendenz breitete sich die Idee der nationalen Selbstbestimmung zunächst in den französischen Protektoraten, dann auch in der algerischen Bevölkerung aus. Mit jedem Kriegsmonat schwand die Unterstützung für die Idee „l’Algérie, c’est la France“ weiter. Zwar befürworteten zahlreiche Muslime weiterhin eine enge Kooperation mit Frankreich. Sie wünschten sich dennoch die Möglichkeit, selbst über die Zukunft ihres Landes entscheiden zu dürfen. In ökonomischer Hinsicht war zwischen Algeriern und Franzosen in der langen Phase von Kolonialpakt und finanzieller Autonomie eine gewaltige Kluft gewachsen. Ihre Überwindung hätte einen in Jahrzehnten kalkulierten Planungshorizont und eine große Opferbereitschaft der Metropole vorausgesetzt. Nach dem Ausbruch des Krieges verlangten die Menschen in Algerien jedoch rasche und spürbare Verbesserungen. Ferner sahen französische Beamte die Grenzen der finanziellen Belastbarkeit des Hexagons bereits vor 1954 erreicht, zu einem Zeitpunkt also, als die Transferzahlungen noch verhältnismäßig gering ausfielen. Weder im Parlament noch in der französischen Bevölkerung herrschte große Bereitschaft, zugunsten Algeriens auf eigenen Wohlstand zu verzichten. Unter diesen Umständen konnte die Integrationspolitik nicht gelingen. Auch in Bezug auf die politische Gleichberechtigung der Algerier fehlte es bei ‚Pieds noirs‘ und Franzosen an der notwendigen Akzeptanz. Nicht wenige vermeintliche Befürworter der Integrationspolitik bekämpften im Parlament bis zuletzt zentrale Reformvorhaben. Die häufig geäußerte Sorge, bei demokratischer Egalität ginge die politische Kontrolle bald an die sprunghaft wachsenden muslimischen Massen verloren, belegt unmissverständlich, dass die Algerier nicht als ‚Compatriotes‘ anerkannt waren. Zeitgenössische Studien offenbarten eine auch in der breiten französischen Bevölkerung häufig anzutreffende Grundskepsis gegenüber den algerischen Mitbürgern. Stimmen, die früh das Scheitern der Integrationspolitik ankündigten und zu einer Politik der progressiven und gestalteten Entkolonialisierung rieten, um den bewaffneten Konflikt zu beenden, Geld und Leid zu ersparen und letztlich französische Interessen in der Region zu sichern, sind in der Arbeit ausführlich zu Wort gekommen. ‚Le Monde‘ stellte 1955 die

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entscheidende Frage zur Integrationspolitik: „Qui est prêt d’autre part à accepter une France de cinquante-deux millions d’habitats, dont un cinquième de musulmans exerçant dans les affaires publiques une influence proportionnelle à leur nombre, et à abaisser le niveau de vie moyen et les possibilités économiques du pays pour les partager avec huit millions de miséreux?“3. Die politischen Entscheidungsträger verschlossen die Augen vor der offenkundigen Antwort. Sie propagierten die Integration, ohne den Wählern und sich selbst Rechenschaft über die politischen und ökonomischen Opportunitätskosten dieser Politik abzulegen. Begünstigt wurde das Regierungshandeln durch die wohlwollende Passivität der Bürger und die breite überparteiliche Unterstützung im Parlament. Sie ermöglichten das jahrelange Festhalten an einer Ambition, die bei nähergehender Betrachtung keine realistische Erfolgschance besaß. In der IV. Republik gab jedoch die Anhängerschaft Französisch-Algeriens erfolgreich den Rahmen der legitimen Nordafrikapolitik vor. Wer diesen verließ, geriet schnell ins politische Abseits. Wenngleich 1958 die Bedingungen für ein Gelingen nach vier Jahren Krieg schlechter waren als zuvor, hielt die V. Republik vorerst an der Integrationspolitik fest. Ob de Gaulle tatsächlich an ihren Erfolg glaubte oder lediglich Zeit zu gewinnen versuchte, um Frankreich auf die unausweichliche Aufgabe Nordafrikas vorzubereiten, muss offen bleiben. Bereits kurz nach dem eigentlichen Beginn der Integration verschoben sich die Kräfteverhältnisse zugunsten der Entkolonialisierung. Selbst jahrelange Anhänger Französisch-Algeriens wie Paul Reynaud warben nun für ein „Oui“ zur algerischen Selbstbestimmung4. Die Privatwirtschaft stellte sich bereits deutlich auf die algerische Unabhängigkeit ein und so setzte der ökonomische Rückzug aus dem Maghreb lange vor dem politischen Prozess ein. Ein direkter Zusammenhang zwischen dem Voranschreiten der europäischen und dem Ende der algerischen Integration konnte nicht festgestellt werden. Beide Projekte sollten zunächst parallel umgesetzt werden. Die kontinuierliche Europäisierung der französischen Außenhandelsströme senkte gleichwohl die ökonomische Bedeutung der Franczone. Sie erleichterte den politischen Entscheidungsträgern und der französischen Bevölkerung die Aufgabe des konfliktreichen Imperiums zugunsten des konstruktiven Vorhabens eines vereinten Europas.

Suezkrise und Interdependenzpolitik Das Muster des doppelten Scheiterns findet sich auch in der Interdependenzpolitik mit Marokko und Tunesien wieder. Gemessen an den hohen Erwartungen fiel die Bilanz des Konzepts „l’indépendance dans l’interdépendance“ ernüchternd aus. Politische Entscheidungen und Alleingänge des Militärs belasteten sie erheblich. Zu stark wurde auf eine Machtposition gesetzt, über die Frankreich de facto nicht (mehr) verfügte. Dies hätte größeres Vertrauen in eine kooperative Außenpolitik

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Le Monde, (01.12.1955): Drame et problèmes de l’Algérie. AN, Fonds Paul Reynaud, 74 AP 45: Pourquoi je vote „Oui“, par Paul Reynaud, S. 2.

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und eine stärkere Rücksichtnahme auf die Psychologie der sich emanzipierenden Ex-Kolonien erfordert. Frühzeitig war absehbar gewesen, dass sich die Hoffnung auf eine positive Entwicklung der franko-marokkanischen und franko-tunesischen Beziehungen nicht erfüllen würde, solange in Algerien die Unabhängigkeitsbewegung gewaltsam bekämpft wurde. In der Suezkrise gründete sich das Scheitern der französischen Politik auf die groben Fehleinschätzungen der Entscheidungsträger. Das eigentliche Ziel der Intervention, am Suezkanal den Algerienkrieg zu gewinnen, konnte nicht erreicht werden, da der Unabhängigkeitskampf nicht entscheidend von der ägyptischen Hilfe abhing. In Bezug auf die Kanalfrage erwies sich die Wahl einer Politik der Stärke als fatal, weil Frankreich nicht über die außenpolitische und militärische Potenz verfügte, eigene Interessen gegen den Widerstand der internationalen Gemeinschaft und ohne die Unterstützung der USA durchzusetzen. Diese bekannte Tatsache sprach, ebenso wie die ökonomische Vernunft, eindeutig für eine politische Lösung der Suezfrage, die letzten Endes jedoch unerwünscht war. In ihrer Gesamtheit entwickelte sich die französische Nordafrikapolitik entlang der von zeitgenössischen Kritikern prophezeiten Szenarien. Paris stützte sich auf ein inkonsistentes politisches Konzept mit unrealistischen Zielen und fehlerhaften Annahmen über die Gegebenheiten vor Ort. Eine frühzeitige Anerkennung von Möglichkeiten und Grenzen in der Region, eine stärkere Berücksichtigung ökonomischer Faktoren und eine entsprechende Neuausrichtung der französischen Nordafrikapolitik hätten es erlaubt, die nicht zu verhindernde Entkolonialisierung des Maghreb weniger konfliktreich zu gestalten und auf diesem Wege französische Interessen zu vertreten. Stattdessen setzte Frankreich mit der Devise „l’Algérie, c’est la France“ alles auf die blau-weiß-rote Karte – und verlor. Ohne in die Debatte über ‚Françafrique‘ und den Vorwurf des Neokolonialismus einzusteigen, lässt sich festhalten, dass es Paris in den ehemaligen Kolonien Subsahara-Afrikas besser gelang, wirtschaftliche und strategische Interessen über die Unabhängigkeit hinaus zu bewahren. Im Jahr 1964 lebten und arbeiteten dort mehr Franzosen als acht Jahre zuvor. Bis heute stieg die Zahl auf etwa 250.000 Personen5. Die britische Entkolonialisierung und jene FranzösischNordafrikas vergleichend schrieb Charles-André Julien, „les Anglais savent partir à temps et l’on s’aperçoit plus tard qu’ils sont restés, officieusement, parfois aussi influents que par le passé“6.

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Zur genannten Zahl, der Debatte über ‚Françafrique‘, Kontinuitäten und neuen Schwerpunkten in der französischen Afrikapolitik: Walter, Christoph/Rempe, Martin: La République décolonisée. Wie die Dekolonisierung Frankreich verändert hat, in: Geschichte und Gesellschaft, 37, 2 (2011), S. 157–197, hier S. 175–182. Julien: L’Afrique du Nord, S. 349.

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Ausblick Über 50 Jahre nach der Unabhängigkeit Algeriens ist das Kapitel der französischen Kolonisation noch nicht abgeschlossen. Sowohl in den bilateralen Beziehungen als auch in den Köpfen der Menschen wirkt die gemeinsame Geschichte fort. Aktuell befindet sich die französische Kolonialforschung in einer Umbruchphase. Eine ganze Generation von Historikern, die den Algerienkrieg teilweise selbst miterlebte, verabschiedet sich und hinterlässt ein bemerkenswertes wissenschaftliches Erbe7. Daraus ergeben sich für die nachrückenden Forscher gleichermaßen Herausforderungen und Chancen. Zum einen wird es darum gehen, dieses Erbe zu pflegen und trotz zunehmender zeitlicher Distanz zu erhalten. Zum anderen können sich aus dem größeren Abstand zu den Ereignissen neue Perspektiven für die Aufarbeitung der franko-algerischen Historie und für eine über den wissenschaftlichen Kontext hinausgehende gesellschaftliche Annäherung ergeben. Der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy empfahl im Jahr 2007 bei einer Rede in Algier, die Fehler der Vergangenheit nicht zu leugnen, den Blick jedoch stärker auf die Zukunft zu richten8. Ohne die Bewältigung der Geschichte bleiben die zukünftigen Entfaltungsmöglichkeiten der franko-algerischen Beziehungen jedoch beschränkt. Erst am Ende und nicht am Anfang eines Aussöhnungsprozesses kann eine Art Schlussstrich gezogen werden; eine vollständige Trennung von Vergangenheit und Gegenwart hingegen ist weder realistisch noch sinnvoll. Sarkozys Nachfolger François Hollande sprach in seiner Rede vor dem algerischen Parlament Ende 2012 koloniale Verbrechen offen an und wies der Wissenschaft eine zentrale Rolle zu auf dem zu beschreitenden Weg hin zu „la paix des mémoires“9. Ohne Zweifel können und sollten die Historiker beider Länder hierbei durch unvoreingenommene Forschung einen wichtigen Beitrag leisten – auch auf die Gefahr hin, damit bei den Regierungen nicht immer auf Gegenliebe zu stoßen. Letztlich kann die Wissenschaft die politischen Entscheidungsträger jedoch nicht von ihrer Pflicht entbinden, konkrete Maßnahmen für eine umfassende politische und gesellschaftliche Aussöhnung zu treffen. Bei allen Beteiligten ist die Bereitschaft erforderlich, geschehenes Unrecht anzuerkennen, Verantwortung dafür zu übernehmen und sich von einer einseitigen Betrachtung der gemeinsamen Geschichte zu lösen. Das Bewusstsein der Vergangenheit ist der Schlüssel zu

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Eine Reihe zentraler Figuren der Algerienforschung verstarb in den letzten Jahren. So etwa Charles-Robert Ageron, Pierre Vidal-Naquet, Jacques Marseille und Daniel Lefeuvre. Andere Historiker wie Catherine Coquery-Vidrovitch, Jean-Pierre Rioux und Guy Pervillé haben das Alter der Emeritierung erreicht. Ausschnitt der Rede und Reaktionen vgl. Le Monde, (30.12.2007): Le discours de N, Sarkozy sur la colonisation jugé insuffisant par le ministre de l’Intérieur algérien. Online: http://www.lemonde.fr/afrique/article/2007/12/03/le-discours-de-m-sarkozy-sur-lacolonisation-juge-insuffisant-par-le-ministre-de-l-interieur-algerien_985462_3212.html. Le Monde, (20.12.2012): Le discours de Hollande „n’a occulté ni le passé ni l’avenir“. Online: http://www.lemonde.fr/afrique/article/2012/12/20/le-discours-de-hollande-a-alger-na-occulte-ni-le-passe-ni-l-avenir_1809099_3212.html.

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einer Normalisierung des franko-algerischen Verhältnisses und zu neuen Kooperationsmöglichkeiten in Gegenwart und Zukunft.

ZUSAMMENFASSUNG DER ARBEIT EINLEITUNG 1

„Algerien ist Frankreich“ – Vor 60 Jahren begann der für die algerische Unabhängigkeit eintretende ‚Front de libération nationale‘ (FLN) diesen formell seit 1848 gültigen Anspruch gewaltsam anzufechten. Für die Mehrheit der Franzosen war es zu diesem Zeitpunkt unvorstellbar, dass den separatistischen Bestrebungen eines Tages nachgegeben und vom Credo der Unauflöslichkeit der frankoalgerischen Union abgerückt würde. Die algerischen Départements gehörten bereits länger zu Frankreich als einige Gebiete der Metropole, zudem machten vermeintlich vitale ökonomische und strategische Interessen Algerien in den Augen vieler Franzosen zu einem unverzichtbaren Glied des ‚Empire‘. Entsprechend entschlossen zeigten sich die politischen Entscheidungsträger nach Beginn der Rebellion im November 1954. Als Antwort verkündeten sie keine Aufweichung, sondern eine Festigung der franko-algerischen Beziehungen. Mit Hilfe der sogenannten Integrationspolitik, bestehend aus dem Dreigespann Reformen, Investitionen und Befriedung, sollten existierende politische und ökonomische Ungleichheiten zur Metropole ausgeräumt und damit die Einheit der Republik gewahrt bzw. realisiert werden2. Die Abgeordneten der Nationalversammlung verkündeten ihre Bereitschaft zu einer „beinahe unvernünftigen Anstrengung“ zur Rettung Algeriens3. Umschreiben lässt sich diese mit großem rhetorischem Aufwand propagierte Ambition der Nordafrikapolitik mit der Parole: ‚L’Algérie, c’est la France, koste es, was es wolle‘. Die französische Souveränität in Algerien sollte zu einer nationalen Mission erhoben werden, die sich unangreifbar gegen rationale Argumente machte. Acht Jahre später vollzog Charles de Gaulle eine unerwartete und radikale Kurswende und entließ Algerien nach 132 Jahren in die Unabhängigkeit. Als Begründung führte er eine einfache Kalkulation an: „Algerien kostet uns, so viel ist sicher, mehr als es uns einbringt“4. Obgleich zeitlich nahe beieinander liegend, könnte der Kontrast zwischen dem entschlossenen, ideologischen Anspruch der IV. Republik und dem nüchtern anmutenden ökonomischen Kalkül des ersten Präsidenten der V. Republik kaum größer sein. Wie aber lässt sich dieses Paradoxon erklären? Wie konnte aus der Ankündigung, Französisch-Algerien um jeden Preis zu verteidigen, eine dem An-

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François Mitterrand (UDSR), in: JOAN, 12.11.1954, S. 4967. Im Gegensatz zum früher angewendeten Konzept der Assimilation sollte die Integration den Algeriern die Bewahrung kultureller und religiöser Eigenheiten ermöglichen. Lionel de Tinguy du Pouët (MRP), Sprecher der Finanzkommission, in: JOAN, 08.03.1956, S. 751. Charles de Gaulle auf einer Pressekonferenz am 11.04.1961. Vgl. Pervillé: Charles de Gaulle et l’indépendance de l’Algérie (1943–1962), 1976.

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Zusammenfassung der Arbeit

schein nach buchhalterische Kosten-Nutzen-Rechnung zugunsten der Unabhängigkeit werden? Verkannte de Gaulle Frankreichs elementare Interessen in der Region oder hatte umgekehrt die IV. Republik für etwas gekämpft, das sich als verzichtbar oder sogar inexistent erwies? Von entscheidender Bedeutung für die Klärung dieser Fragen sind die Untersuchung und Abwägung der Opportunitätskosten von getroffenen und alternativen politischen Entscheidungen5. Anders als einige bisherige Arbeiten beschränkt sich die vorliegende Studie nicht auf eine Bilanzierung finanzieller Lasten6. Bereits 1974 war der deutsche Historiker Hartmut Elsenhans zu dem Ergebnis gelangt, dass die finanziellen Kosten der Integrationspolitik nicht als alleinige Erklärung für die Aufgabe Algeriens ausreichten, da sie Frankreichs ökonomische Leistungsfähigkeit nicht überstiegen hätten7. Die vorliegende Untersuchung berücksichtigt daher neben ökonomischen auch politische Opportunitätskosten und überprüft stets, ob diese durch plausible und legitime Interessen kompensiert wurden. Des Weiteren setzt sie sich von der retrospektiven Argumentation einiger wirtschaftsgeschichtlicher Arbeiten zum Thema ab8. Weder stand den damaligen Akteuren die spätere ökonomische Entwicklung als Entscheidungsgrundlage zur Verfügung, noch konnten sie Optionen für weitreichende Beschlüsse in Betracht ziehen, die im zeitgenössischen Diskurs nicht als solche wahrgenommen wurden. Die vorliegende Arbeit stellt deshalb die selbst gesteckten Ziele der Nordafrikapolitik in den Mittelpunkt der Untersuchung. Zum einen prüft sie, ob Frankreich ein ausreichend hohes Maß an finanziellem und politischem Engagement an den Tag legte, um den eigenen Ansprüchen eine realistische Erfolgschance zu geben. Zum anderen wird die Frage erörtert, ob die formulierten Ambitionen vor dem Hintergrund der internationalen Situation und den ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten in Algerien und Frankreich erreichbar waren. Hierfür gilt es die Bereitschaft in den Reihen von Politik und Gesellschaft zu verifizieren, die zum damaligen Zeitpunkt bekannten und prognostizierten Opportunitätskosten der Integrationspolitik zu tragen. Gleichermaßen muss geklärt werden, ob es realistische Alternativen zu den Entscheidungen der französischen Regierungen gab. Der entscheidende Maßstab für die Bewertung der Nordafrikapolitik ist also das Verhältnis zwischen Anspruch und Realität, das im Zeitverlauf analysiert wird. Letztlich zielt die Arbeit also darauf ab, die Konsistenz der französischen Nordafrikapolitik in der IV. Republik zu erkunden und gleichzeitig eine Erklärung für den Sinneswandel in der V. Republik anzubieten. Um dies zu ermöglichen, untersucht die Ausarbeitung die französische Nordafrikapolitik mit einem interdisziplinären Ansatz, bestehend aus geschichtswis5

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Der Begriff „Opportunitätskosten“ stammt aus den Wirtschaftswissenschaften. Nach Mankiw bezeichnen sie das, was aufgegeben werden muss, um etwas anderes zu erlangen. Mankiw: Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 2001, S. 6. Etwa: Lefeuvre: Chère Algérie, 2005. Elsenhans: Frankreichs Algerienkrieg 1954–1962, 1974, S. 863. Etwa: Fitzgerald: Did France’s Colonial Empire Make Economic Sense?, 1988 und Asselain: ‚Boulet colonial‘ et redressement économique, 1990.

Zusammenfassung der Arbeit

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senschaftlichen, volkswirtschaftlichen und politikwissenschaftlichen Zugängen. Durch eine intensive Auseinandersetzung mit vielfältigem empirischen Material wird ein Abbild des zeitgenössischen Diskurses rekonstruiert, vor dessen Hintergrund politische Beschlüsse gefällt wurden. Hierfür werden die den Entscheidungsprozess dokumentierenden ministeriellen Quellen mit den Parlamentsdebatten, volkswirtschaftlichen Statistiken, zeitgenössischen Publikationen, Umfragen und Periodika in Zusammenhang gebracht. Die Diversität der schriftlichen Quellen, ergänzt um Interviews mit Zeitzeugen, gewährleistet eine mehrdimensionale Untersuchung. Ein besonderes Augenmerk der Studie liegt auf volkswirtschaftlichen Parametern und Überlegungen. Anhand dieser wird zum einen die ökonomische Dimension der Nordafrikapolitik aufgezeigt und in Vergleich mit der offiziellen Darstellung gesetzt. Zum anderen erlaubt es das zeitgenössische statistische Material, näher zu bestimmen, wie das politische Vorgehen aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive zu bewerten war, welche Berücksichtigung entsprechende Argumente in den getroffenen Entscheidungen fanden, welche Konsequenzen sich daraus ergaben und welche Alternativen bestanden. Die ökonomischen Überlegungen werden stets mit den für die damaligen Akteure ebenso bedeutsamen Außen- und innenpolitischen, strategischen und gesellschaftlichen Einflüssen verknüpft. Bei der Analyse von Frankreichs außenpolitischen Vorstellungen und Entscheidungen finden Ansätze aus dem Bereich der Internationalen Beziehungen Anwendung. Speziell Einflüsse der realistischen und der liberalistischen Denkschulen werden analysiert9. Den zeitlichen Rahmen der Arbeit bilden die Jahre der IV. Republik (1946– 1958), wobei ein Fokus auf der Phase des Algerienkriegs liegt, in der sich die Situation in der Region grundlegend wandelte und zentrale Ereignisse stattfanden. Da die Nordafrikapolitik der IV. Republik keine in sich geschlossene Einheit darstellt, wird der Untersuchungszeitraum gelegentlich erweitert, um Kontinuitäten und Brüche aufzuzeigen. Gleichwohl spricht einiges dafür, den Zeitraum 1946 bis 1958 in den Mittelpunkt einer Studie über Französisch-Nordafrika zu stellen. In ihm liegen wesentliche Zäsuren, wurden zentrale Beschlüsse gefasst und die Weichen für die Zukunft der Nordafrikapolitik gestellt. Zu keinem anderen Zeitpunkt wurde der Anspruch „Algerien ist Frankreich“ derart explizit betont wie in den letzten Jahren der IV. Republik. Diese war ferner durch institutionelle und politische Eigenheiten gekennzeichnet, die den Handlungsspielraum der Entscheidungsträger definierten und einer hervorgehobenen Aufmerksamkeit bedürfen.

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Realismus und Liberalismus fächern sich in eine Vielzahl von Subtheorien auf, die hier nicht im Detail behandelt werden. Vielmehr geht es um die wesentlichen und gegensätzlichen Annahmen beider Denkschulen. Der Realismus betrachtet Staaten als einheitliche Akteure, innenpolitische und gesellschaftliche Faktoren spielen keine Rolle. Der Schlüssel zum Überleben und zur Durchsetzung nationaler Interessen in der Anarchie des internationalen Systems ist die eigene Machtposition. Der Liberalismus hingegen misst den innenpolitischen Einflüssen auf die Außenpolitik eine große Bedeutung bei, als zentrale Akteure gelten Individuen. Interessen sollen verstärkt durch zwischenstaatliche Kooperation realisiert werden. Weiterführend: Feske: Einführung in die Internationalen Beziehungen, 2014.

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Zusammenfassung der Arbeit

Der Fokus der Ausarbeitung liegt auf der Integrationspolitik in Algerien. Gleichwohl werden ebenso die Wechselwirkungen zwischen den drei französischen Einflussgebieten in Nordafrika in den Blick genommen. Dabei geht es vor allem um die Frage, welche Ziele Paris vor und nach 1954 in Marokko und Tunesien verfolgte und in welchem Zusammenhang diese mit der Algerienfrage standen. Zum einen wird die konkrete Umsetzung des Konzepts der „Interdependenz in der Souveränität“ untersucht und zum anderen analysiert, inwieweit die formulierten Ambitionen auf realistischen Annahmen beruhten10. Den in der Forschung bisher unzureichend berücksichtigten ökonomischen Faktoren wird dabei besondere Beachtung geschenkt. Die französische Nordafrikapolitik kann nicht adäquat untersucht werden, ohne die Suezkrise in die Analyse einzubeziehen. Dieser Konflikt weckte unmittelbar nach den Ereignissen das große Interesse der Forschergemeinde, das bis heute andauert11. In der Regel wurde der Krieg um den Kanal als eigenständiges Thema behandelt und wurden die Zusammenhänge mit der Algerienfrage lediglich am Rande beleuchtet12. Dabei lässt sich die französische Militärintervention in Ägypten nur als eine Art Nebenkriegsschauplatz des Algerienkonflikts erklären. Die Krise am Suezkanal wirkte sich in erheblichem Maße auf die Integrationspolitik in Algerien und in abgeschwächter Form auch auf die Interdependenzpolitik in den ehemaligen Protektoraten aus. Es werden daher die offiziellen Interessen Frankreichs sowie die Kohärenz der politischen Entscheidungen kritisch hinterfragt und ökonomische Einflüsse und Hintergründe analysiert, die in der Forschung bisher eher oberflächlich betrachtet wurden. Wechselseitige Abhängigkeiten gilt es ferner zwischen der Algerienfrage und anderen Überseegebieten der ‚Union française‘ zu berücksichtigen, da der algerische Unabhängigkeitskrieg und die Integrationspolitik wesentliche Entscheidungen der Kolonialpolitik beeinflussten. Darüber hinaus überlagerten sich die Probleme im französischen Imperium und der Europäische Integrationsprozess zeitlich und politisch, so dass auch hier mögliche Zusammenhänge bedacht werden müssen.

10 Mit der Interdependenz- oder Kooperationspolitik sollte eine enge politische und ökonomische Anbindung Marokkos und Tunesiens an Frankreich über die Unabhängigkeit im Jahr 1956 hinaus gewährleistet werden. 11 Jüngst erschienen etwa: Freiberger: Allianzpolitik in der Suezkrise 1956, 2013. 12 Etwa: Smith: Reassessing Suez 1956. New Perspectives on the Crisis and its Aftermath, 2008. Als beispielhafte Ausnahmen sind zu nennen: Vaїsse (Hg.): La France et l’opération de Suez, 1997 und Bernard: La genèse de l’expédition franco-britannique de 1956 en Égypte, 2003.

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I. L’ALGERIE ET LA FRANCE: DIE PHASE BIS 1954 Vor November 1954 wurde Algerien nicht als Ansammlung französischer Départements, sondern als Teil einer kolonialen Einheit in Nordafrika wahrgenommen und behandelt. Während die Verfassung der IV. Republik den solidarischen Anspruch erhob, im gesamten Imperium gleiche Lebensbedingungen herbeizuführen, bestätigte das Statut von 1947 die finanzielle Autonomie Algeriens, was das ökonomische Entwicklungspotential des Landes stark begrenzte. Darüber hinaus ermöglichte das koloniale Regime den französischen Siedlern eine privilegierte Position in Wirtschaft und Administration zu Lasten der muslimischen Bevölkerungsmehrheit. Insgesamt blieb der Anspruch „Algerien ist Frankreich“ ein sehr theoretischer. Tatsächlich lebten ‚Pieds noirs‘ und Muslime nicht selten „in unterschiedlichen Jahrhunderten“13. Die ersten beiden Entwicklungspläne für Nordafrika können nicht als ernsthafte Bemühung gewertet werden, den Lebensstandard der Algerier auf das Niveau der Metropole zu heben. Sie belegen vielmehr die große Diskrepanz zwischen Ambition und Engagement in der Region. Konzeption und Umfang der Investitionsprogramme waren von einem hierarchischen Verhältnis geprägt, in dem nicht die ökonomischen Bedürfnisse des Entwicklungslandes Algerien, sondern die Interessen der industrialisierten Metropole im Vordergrund standen. Funktionäre in Paris sahen die Grenze der Belastbarkeit für Frankreich bereits erreicht und hielten, trotz wachsender Herausforderungen im Maghreb, eine baldige Kürzung der Finanzhilfen für Algerien für möglich14. Gleichzeitig wurden die Investitionsausgaben in der Metropole ausgeweitet15. Ferner profitierte die frankoalgerische Population ungleich stärker von den Entwicklungsplänen, sodass sich ihr ökonomischer Vorsprung gegenüber den Algeriern weiter vergrößerte.

II. „L’ALGERIE, C’EST LA FRANCE “: 1954 BIS 1958 Als sich die Unabhängigkeit der Protektorate andeutete und in Algerien die Rebellion losbrach, gab Paris die einheitliche Konzeption Nordafrikas auf und betonte fortan explizit den Sonderstatus der algerischen Départements. Die französischen Interessen in Marokko und Tunesien hatten sich nun der Devise „Algerien ist Frankreich“ unterzuordnen. Offiziell beeinflussten ökonomische Faktoren die Aufgabe der Protektorate nicht direkt. Äußerungen zentraler Akteure legen gleichwohl nahe, dass Frankreich hoffte, mit diesem Schritt Ressourcen für die Integrationspolitik in Algerien freizusetzen16. Durch die Gewährung der Unabhängigkeit für Marokko und Tunesien bei gleichzeitigem Festhalten an der Devise „Algerien ist Frankreich“ machte sich die Politik angreifbar für Kritik. Angesichts

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Interview mit Ewald Leufgen. MFE, Vol. B 0033562/1: 17.07.1954, Note pour le Directeur, de M. Vaysset. De Fleurieu: Les grandes lignes du Second Plan, S. 339. Rückblickende Aussagevon Außenminister Christina Pineau (SFIO), in: JOAN, 01.06.1956, S. 2235.

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der regionalen und weltweiten Entwicklung konnte die Entkolonialisierung Algeriens in den Augen einiger Abgeordneter nicht länger aufgehalten werden17. Dennoch blieb die Regierung bei ihrer ablehnenden Haltung. Frankreich hatte die Jahrzehnte vor Ausbruch des Unabhängigkeitskriegs nicht genutzt, um die politische Integration Algeriens im Sinne einer Gleichberechtigung voranzutreiben. Enttäuscht von ausbleibenden Reformen hatten sich Teile der algerischen Bevölkerung bereits deutlich vor 1954 vom Mutterland abgewandt. Trotz dieser offenkundigen Entwicklung und der sich kontinuierlich zuspitzenden militärischen Auseinandersetzung bestand für zahlreiche Franzosen und Teile der algerischen Elite auch nach Beginn des Aufstands kein unmittelbarer Handlungsbedarf. Sie sprachen weiterhin von einer „perfekten frankoalgerischen Harmonie“18. Diesem Optimismus hielten andere den Wunsch der Algerier nach einer „revolutionären Veränderung“ entgegen19. Die bis 1958 umgesetzten Reformen setzten indes auf kommunaler Ebene an und ließen die Hauptelemente der politischen Diskriminierung unangetastet. Die Verwirklichung einer demokratischen Repräsentation der muslimischen Bevölkerungsmehrheit scheiterte dreieinhalb Jahre lang am Widerstand der Nationalversammlung. Die französische Bevölkerung verharrte in relativer Passivität gegenüber dem Drama in Nordafrika. Einen Erklärungsansatz hierfür bietet das Theorem der „Rationalen Ignoranz“20: Die geringe persönliche Betroffenheit bei gleichzeitig positiver Einkommensentwicklung ließ eine intensivere Auseinandersetzung mit der Algerienfrage aus individueller Sicht unattraktiv erscheinen.

III. DIE ÖKONOMISCHE INTEGRATION NACH 1954 Nach 1954 zeigte sich die französische Politik nach außen hin bereit, alle notwendigen Mittel für die lange vernachlässigte Anhebung der algerischen Lebensverhältnisse auf französisches Niveau bereitzustellen. Tatsächlich aber blieb das Engagement in den Jahren bis 1958 weiterhin überschaubar. Das Investitionsvolumen des neuen Entwicklungskonzepts (Maspétiol-Bericht) richtete sich zu wenig am tatsächlichen Kapitalbedarf Algeriens und zu sehr an der begrenzten Opferbereitschaft der Metropole aus. Der Ankündigung zur Industrialisierung der Region folgte kein konsistenter Plan zu deren konkreter Umsetzung. Ferner wurden große Hoffnungen in eine Landreform und die Modernisierung des Agrarsektors gelegt, die sich bei näherer Betrachtung als unrealistisch erwiesen. Häufig standen ökonomische Überlegungen in einem Zielkonflikt zur institutionellen Integration. Es wurden in erster Linie integrative Maßnahmen ohne größere Mehrbelastung für Frankreich umgesetzt, unabhängig von ihrem ökonomischen Nutzen für Algerien. Letztlich ermöglichte die bescheidene Zielsetzung des Plans keine Annäherung,

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Mamadou Dia (IOM), in: JOAN, 08.03.1956, S. 772. M. Viniger, in: JOAUF, 07.02.1956, S. 47. CHSP, Fonds Savary, Vol 56: 30.04.1956, Brief R. Perié, Algier, an Savary. Das Theorem wurde begründet von: Downs: An Economic Theory of Democracy, 1957.

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sondern führte „zu einer weiteren Öffnung der bestehenden Einkommensschere“21. Mit der Entdeckung großer Ölvorkommen in der algerischen Sahara Anfang 1956 schien sich die ökonomische Perspektive der Nordafrikapolitik schlagartig zu verändern. Viele glaubten, die Finanzierung der Integration sei nun sichergestellt und Frankreich würde durch das schwarze Gold zu „einem der mächtigsten Länder der Welt“ werden22. Wie durch ein Wunder galten die Hindernisse für die Industrialisierung als ausgeräumt23. Auf der Welle der Euphorie wurden das ökonomische und das strategische Potential der Sahara massiv überschätzt, was eine politische Lösung der Algerienfrage erschwerte. Zwar wurden die Bodenschätze für das unabhängige Algerien zur zentralen Einkommensquelle. Für eine Annäherung an westliche Lebensstandards reichten diese jedoch bei Weitem nicht aus. Frankreich baute seinen Einkommensvorsprung nach 1962 sogar von etwa 5 zu 1 im Jahr 1954 Jahre auf beinahe 7 zu 1 im Jahr 2012 aus24.

IV. DER PREIS DES KRIEGES Offiziell mit etwa 300 Milliarden Francs veranschlagt, summierten sich die Militärausgaben für den Algerienkrieg de facto auf 800 Milliarden Francs. Kein anderes NATO-Land wandte zu jener Zeit einen höheren Anteil der Wirtschaftsleistung für militärische Zwecke auf25. Indirekte Kosten im zivilen Bereich erhöhten die Kriegslast auf etwa 1.080 Milliarden Francs, die im Jahr 1957 rund 26 Prozent der französischen Staatseinnahmen entsprachen26. Die Regierung verschleierte diese enormen Kosten bewusst, um die parlamentarische Zustimmung zur Integrationspolitik und die Passivität der Bevölkerung nicht zu gefährden. Trotz des Einsatzes von über den 500.000 Soldaten gelang der französischen Armee bis zum Ende der IV. Republik keine entscheidende Schwächung des FLN. Die Interdependenzpolitik mit Marokko und Tunesien sollte in beiden Ländern eine Akzeptanz für den Fortbestand Französisch-Algeriens erzeugen und eine aktive Solidarisierung mit der algerischen Unabhängigkeitsbewegung verhindern. Diese Ziele wurden nicht erreicht. Zum einen unterschätzte Frankreich den Emanzipationsdrang der ehemaligen Protektorate und überschätzte die eigenen Einflussmöglichkeiten. Zum anderen erzeugte der Algerienkrieg immer wieder neue Spannungen und senkte die Kooperationsbereitschaft aller Beteiligten. Letztlich erwies sich die Interdependenzpolitik als unvereinbar mit dem Anspruch, Französisch-Algerien mit allen Mitteln zu verteidigen. Ihr Scheitern wurde als Kollateralschaden in Kauf genommen.

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ANOM, FM 81F 1795: 10.02.1956, Note budgétaire, Commision des Finances. Robert Nisse (RS), in: JOAN, 06.07.1057, S. 3359. Cornet: Le Sahara, 1959, S. 324. CIA World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/. MDN, 20 R 6: 27.10.1956, Dépenses budgétaires, militaires et revenue national dans l’O.T.A.N. 26 Budget, 1957, S. 7.

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An Ägyptens Unterstützung für die algerische Rebellion bestand in Frankreich berechtigterweise kein Zweifel. Bis zur Suezkrise gelang es dem proarabischen ‚Quai d’Orsay‘ dennoch, eine Außenpolitik mit dem Ziel durchzusetzen, die als „beachtlich“ eingestuften französischen Interessen am Nil zu bewahren und eine Ausweitung der als gering eingestuften ägyptischen Hilfe für den FLN zu verhindern27. Mit der Verstaatlichung der Suezkanalgesellschaft kippte die Stimmung in Frankreich. Der zuvor um Moderation bemühte französische Außenminister schloss nunmehr kein Mittel aus, um den „faschistischen Diktator“ vom Nil zu unterwerfen28. Bei der Entscheidung für die Militärintervention ging es Paris nicht um den Suezkanal per se. Die französische Regierung hoffte mit einem Sieg über Nasser den FLN entscheidend schwächen und auf diese Weise den Algerienkrieg beenden zu können29. Dieses Ziel musste verfehlt werden, da der algerische Unabhängigkeitskampf nicht von ägyptischer Waffenhilfe abhing, sondern von einem wachsenden Teil der muslimischen Bevölkerung getragen wurde. Eine Militäraktion „im Stil des 19. Jahrhunderts“ stärkte vielmehr die lokale und die internationale Position des FLN30. Das Vorgehen Frankreichs in der Suezkrise belegt die in der IV. Republik typische Marginalisierung ökonomischer Faktoren im politischen Entscheidungsprozess und die Selbstüberschätzung der eigenen Machtposition auf internationaler Ebene.

V. GRENZEN DER INTEGRATIONSPOLITIK Obgleich die Gesamtlast der Integrationspolitik selten korrekt beziffert wurde, intensivierte sich gegen Ende der IV. Republik die öffentliche Kosten-NutzenDebatte über Französisch-Algerien. Ein Argument gegen die algerische Unabhängigkeit war die vermeintlich vitale ökonomische Bedeutung Nordafrikas für die französische Wirtschaft. Jeder fünfte französische Arbeitsplatz hänge vom frankoalgerischen Außenhandel ab31. Faktisch wurden lediglich 1,25 Prozent der volkswirtschaftlichen Produktion von den algerischen Départements absorbiert und die Importe von dort bestanden mehrheitlich aus Gütern, die Frankreich andernorts zu günstigeren Preisen erwerben konnte32. Eine volkswirtschaftliche Abhängigkeit von Algerien lag somit nicht vor. Weiterhin wurden die hohen Kosten für die Rückführung der eine Million ‚Pieds noirs‘ als Argument für FranzösischAlgerien ins Feld geführt. Diesen einmaligen Aufwendungen waren freilich große und dauerhafte Einsparungen in der Nordafrikapolitik entgegenzuhalten. Im Laufe der IV. Republik bot sich mit der EWG theoretisch eine Alternative zur ökonomischen und politischen Ausrichtung auf die Franczone an. Faktisch blieb ihr Einfluss auf den politischen Entkolonialisierungsprozess beschränkt.

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DDF, 1957 I, S. 206. Christian Pineau (SFIO), in: JOAN, 03.08.1956, S. 3870. OURS, Fonds Champeix, 6 APO 2: 14.08.1956, Telegramm Lacoste an Staatsführung, S. 1. Léon Hovnanian (RRS), in: JOAN, 18.12.1956, S. 6120. OURS, AGM 81: Algérie, édité par le Service de l’Information du GGA. Lavergne: Problèmes africains, 1957, S. 61.

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Paris setzte darauf, die Integration Algeriens und die Konsolidierung der ‚Union française‘ parallel zur europäischen Einigung umzusetzen. Dennoch ist anzunehmen, dass das europäische Projekt die spätere Aufgabe der Überseegebiete erleichterte, da es eine konstruktive und friedliche Alternative zum konfliktreichen Imperium darstellte. Französische Privatunternehmen bildeten die Vorhut der (ökonomischen) Entkolonialisierung, indem sie sich längst nach Europa orientierten, als die Politik noch für den Erhalt des Kolonialreichs kämpfte. Dabei war es weniger ein ideologischer Antikolonialismus, der die Geschäftswelt antrieb33. Ausschlaggebend war die betriebswirtschaftliche Erkenntnis, dass die dynamischen Märkte des industrialisierten Europas vielversprechendere Wachstumsaussichten boten als die Entwicklungsländer der französischen Überseegebiete.

VI. DIE V. REPUBLIK: ANFANG UND ENDE DER INTEGRATION In der V. Republik näherten sich Anspruch und Realität der Integrationspolitik deutlich an. Unter de Gaulle wurden innerhalb von Monaten grundlegende Reformen beschlossen und umgesetzt, die in der IV. Republik über Jahre hinweg lediglich debattiert worden waren. Im Bildungsbereich wurde binnen vier Jahren mehr erreicht, als in den vorangegangenen 128 Jahren französischer Souveränität in Algerien. Ein neuer Entwicklungsplan ließ die Bereitschaft erkennen, die lange vernachlässigte ökonomische Entwicklung des Landes voranzutreiben. Kurzfristig gelang es so, eine gesteigerte wirtschaftliche Dynamik in Gang zu setzen. Letzten Endes wurden die formulierten Ziele jedoch weit verfehlt. Dieses Scheitern kam indes nicht überraschend. Angesichts der Gesamtsituation hätte weder von großer Investitionsbereitschaft der Privatwirtschaft noch von einer bereitwilligen Beteiligung der Algerier an der Integration ausgegangen werden dürfen. Ohne eine vorherige Klärung der politischen Algerienfrage war der Misserfolg vorprogrammiert. Ein Vergleich der Verträge von Évian mit früheren Forderungen algerischer Nationalisten wirft die Frage auf, ob eine entsprechende Einigung früher hätte erzielt und politisch durchgesetzt werden können. Zeitgenössische Akteure verwiesen unter anderem auf die verfassungsmäßige Unteilbarkeit der Republik34. Weiterhin begrenzten unstete politische Verhältnisse und die Sorge vor einem Militärputsch den Handlungsspielraum35. In jedem Fall hätte sich eine frühere Konfliktlösung stärker auf das französische Volk und weniger auf das Parlament stützen müssen. Immerhin glaubten 39 Prozent der Franzosen im Sommer 1956, dass eine politische Einigung binnen eines Jahres erreicht werden könne, nur 12 Prozent zeigten sich von der Unlösbarkeit des Konflikts überzeugt36. Nach 1962 gab eine Mehrheit von 50 zu 22 Prozent an, eine Übereinkunft wie jene von Évian

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Zitat: Coquery-Vidrovitch: Impérialisme, 2008, S. 758. Maurice Bourgès-Maunoury (RRS), in: JOAN, 29.07.1955, S. 4497. Albert Gazier, in: OURS, Comité Directeur, Procès verbaux 1955/56, 29.02.1956, S. 6. Sondages, 18, 3 (1956), S. 5.

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wäre auch früher möglich gewesen37. Um diese vorhandene, jedoch passive Kompromissbereitschaft zu aktivieren, hätte der Wähler stärker mit den tatsächlichen Opportunitätskosten der Integrationspolitik konfrontiert werden müssen, um auf diesem Wege eine gesellschaftliche Akzeptanz für den Politikwechsel zu schaffen.

FAZIT „Algerien ist Frankreich“ – Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität dieser Devise zieht sich wie ein roter Faden durch die Nordafrikapolitik der IV. Republik. Bis zu den Zäsuren des Jahres 1954 sah sich Paris mit Verweis auf die institutionell verankerte finanzielle Autonomie Algeriens nur begrenzt in der Pflicht, für die Angleichung der Lebensverhältnisse Verantwortung zu übernehmen. Auf politischer Ebene galt der Gleichheitsanspruch lediglich für die FrankoAlgerier. Die muslimische Bevölkerungsmehrheit blieb massiv benachteiligt. Nach dem Ausbruch des Unabhängigkeitskriegs wurde die Integration Algeriens zum übergeordneten Ziel der Nordafrikapolitik ausgerufen, die mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln umgesetzt werden sollte. 500.000 französische Soldaten in Algerien und ein Nebenkriegsschauplatz am Suezkanal ließen an der militärischen Entschlossenheit Frankreichs keinen Zweifel aufkommen. Auch das Scheitern der Interdependenzpolitik mit den ehemaligen Protektoraten wurde als Kollateralschaden hingenommen. In dieser Hinsicht schien die Nordafrikapolitik ihrem Anspruch, Französisch-Algerien um jeden Preis zu verteidigen, gerecht zu werden. In Bezug auf die politische und die ökonomische Integration muss hingegen von einem Scheitern der IV. Republik gesprochen werden. Die bis 1958 umgesetzten integrativen Maßnahmen und das finanzielle Engagement blieben weit hinter dem zurück, was möglich gewesen wäre. Immer wieder wurde in der Nationalversammlung und in der französischen Bevölkerung die fehlende Bereitschaft deutlich, die logischen Folgen der Integrationspolitik zu akzeptieren. Teile der algerischen Population wiederum hatten sich bereits vor 1954 von Frankreich abgewandt. Die verbliebenen pro-französischen Muslime zeigten sich enttäuscht von der zögerlichen Einführung der Grundwerte ‚Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit‘, so dass die Idee der nationalen Selbstbestimmung kontinuierlich an Zulauf gewann. Zeitgenössische Beobachter rieten angesichts der fehlenden Integrationsbereitschaft auf beiden Seiten des Mittelmeeres frühzeitig zu einer Politik der gestalteten Entkolonialisierung, mit der französische Interessen über die nicht abzuwendende Unabhängigkeit Algeriens hinaus gewahrt werden sollten. Die Entscheidungsträger schlugen diese Option aus. Sie setzten mit der Devise „Algerien ist Frankreich“ alles auf die blau-weiß-rote Karte – und verloren.

37 Sondages, 25, 3 (1963), S. 35.

RÉSUMÉ DE L’ÉTUDE EN FRANÇAIS INTRODUCTION 1

« L’Algérie, c’est la France » : il y a 60 ans, le Front de Libération Nationale (FLN) remet violemment en cause ce credo français, formellement en vigueur depuis 1848. Pour la plupart des Français, il est impensable à ce moment-là que leur pays puisse un jour céder aux aspirations séparatistes et renoncer au principe de « l’union indissoluble » entre la France et l’Algérie2. Contrairement à l’Indochine, qui accède à l’indépendance en 1954 après huit ans de guerre, l’Algérie n’est pas conçue comme une colonie, mais comme étant partie intégrante de la République française, une et indivisible. De plus, la Métropole possède en Afrique du Nord des intérêts économiques et stratégiques présumés vitaux et indispensables. Face à cette valeur apparemment inchiffrable de l’Algérie, les décideurs politiques répondent avec grande détermination au déclenchement de la rébellion en novembre 1954. Tout relâchement des relations franco-algériennes est exclu des considérations officielles. Le gouvernement annonce la politique dite d’intégration, visant à supprimer les divergences politiques et économiques existant entre les départements algériens et français, afin de mettre en œuvre la devise « l’Algérie, c’est la France »3. Les députés de l’Assemblée nationale proclament leur volonté de faire « un effort presque déraisonnable pour le bien de l’Algérie »4. La sauvegarde de l’Algérie française devient un devoir national échappant « à toute critique et aucun argument de caractère rationnel ne peut prévaloir contre elle »5. « L’idéologie avant l’économie », c’est ainsi qu’Alfred Grosser caractérise la position officielle de la France6. Ainsi, la politique nord-africaine semble adopter comme nouvelle devise : « L’Algérie, c’est la France », quoi qu’il en coûte.

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« L’Algérie, c’est la France, parce qu’il se trouve que les départements de l’Algérie sont des départements de la République française. […] Il n’y a qu’un seul Parlement et qu’une seule nation ». François Mitterrand (UDSR), ministre de l’Intérieur, in : Journal officiel de la République française, Assemblée nationale (JOAN), 12/11/1954, p. 4967. L’appartenance politique des députés est indiquée entre parenthèses. Guy MOLLET (SFIO), JOAN, 31/01/1956, p. 135. Contrairement au concept de l’assimilation, l’intégration doit permettre aux Algériens de garder leurs spécificités religieuses et culturelles. Lionel DE TINGUY (MRP), porte-parole de la commission des finances, JOAN, 08/03/1956, p. 751. BÉRARD-QUÉLIN, Georges : Que coûtera l’Algérie après l’arrêt des hostilités ?, in : La correspondance économique. Bulletin quotidien d’informations économiques et sociales, (24/10/1957), pp. 17.386–17.390. Bérard-Quélin, fondateur du Club Le Siècle, ne fait pas partager ici sa propre opinion, mais l’attitude répandue en France. Interview de l’auteur avec Alfred GROSSER, 10/02/2012, Paris.

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Huit ans plus tard, Charles de Gaulle change radicalement de politique. Après 132 ans de souveraineté française, il accorde l’indépendance à l’Algérie. Le général justifie cette décision, à la fois saluée et critiquée, en faisant un bilan des coûts et des bénéfices : « L’Algérie nous coûte, c’est le moins qu’on puisse dire, plus cher qu’elle ne nous rapporte »7. Un contraste frappant se creuse entre la détermination, les ambitions idéologiques de la IVe République et l’analyse froide du premier président de la Ve République. Comment l’expliquer ? Qu’est-il arrivé à la promesse de faire tout ce qu’il faut pour défendre l’Algérie française ? Comment a-t-elle pu se transformer en un calcul comptable en faveur de l’abandon ? De Gaulle ignore-t-il les intérêts essentiels de la France dans la région ? Ou est-ce plutôt la IVe République qui s’est battue pour quelque chose d’irréalisable voire d’inexistant ? Partant de ces questions, le présent travail analyse la politique nord-africaine de la IVe République en se fondant sur une approche pluridisciplinaire. En étudiant une multitude de sources ministérielles et parlementaires, des sondages ainsi que des journaux et des publications, l’auteur reproduit le débat contemporain dans lequel les décisions politiques ont été préparées et prises. L’économie est placée au centre de l’étude. Des méthodes d’économie politique servent à montrer la dimension économique de la politique nord-africaine et à remettre en question l’argumentation et les intérêts officiels. L’auteur analyse l’influence des considérations économiques sur les décisions gouvernementales, sur les conséquences qui en découlent ainsi que sur les alternatives qui existent. L’économie est mise en relation avec des aspects de politique intérieure et extérieure, c’est pourquoi l’étude intègre des approches relevant des sciences politiques et plus particulièrement des relations internationales. L’analyse porte sur la période de la IVe République (1946–1958). Cependant, une attention particulière est accordée aux années de la guerre d’Algérie pendant lesquelles la situation au Maghreb change fondamentalement, la politique d’intégration est introduite et des événements majeurs ont lieu dans la région entière. Afin de montrer certaines continuités ou ruptures, il est important de préserver la flexibilité du cadre temporel. Pour étudier le contraste entre l’ambition de la IVe République (« L’Algérie, c’est la France », quoi qu’il en coûte) et le calcul comptable de Charles de Gaulle, il faut tout d’abord analyser les coûts d’opportunité de la politique d’intégration8. Les quelques ouvrages publiés sur cet aspect donnent une image contrastée. Ayant pendant longtemps pensé « que les colonies avaient beaucoup rapporté à la France », Jacques Marseille arrive à une conclusion opposée en 1984, après avoir

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De Gaulle, conférence de presse le 11/04/1961. PERVILLÉ, Guy : Charles de Gaulle et l’indépendance de l’Algérie (1943–1962), 1976. En ligne : http://guy.perville.free.fr/spip/article.php3?id_article=136. Le terme « coûts d’opportunité » est issu à l’origine des sciences économiques. Mankiw le définit comme ce qu’il faut abandonner pour acquérir autre chose. MANKIW, Gregory : Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart, 2001, p. 6.

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rédigé son ouvrage Empire colonial et capitalisme français9. Son élève Daniel Lefeuvre approfondit les recherches et publie en 2003 Chère Algérie, un vaste ouvrage sur les aspects économiques de l’Algérie française10. Lefeuvre est convaincu que l’Algérie a coûté beaucoup au contribuable métropolitain et n’a rapporté qu’à quelques entreprises coloniales et il pense, pour cette raison, qu’il n’est pas juste de parler de l’exploitation coloniale par la France. Cette hypothèse, qui se retrouve déjà dans les débats des années 1950 et même avant, est remise en question par Claude Liauzu qui, en 2004. Analysant les bilans de certaines entreprises françaises, il parle de « profits immenses » du secteur privé dans les colonies11. Catherine Coquery-Vidrovitch insiste sur le fait qu’au niveau macroéconomique aussi « le Maghreb allait à son tour remplir les caisses de l’État » et que « l’Afrique noire à son tour allait soutenir l’économie française ». Elle reproche à Lefeuvre de faire de l’histoire révisionniste12. Sébastien Jahan et Alain Ruscio taxent eux aussi Lefeuvre de révisionnisme. Selon eux, la politique coloniale n’a visé qu’à « une meilleure rentabilité économique »13. Lefeuvre réplique à ses critiques qu’il leur manque le sens des réalités14. La présente étude se propose de clarifier cette controverse polémique qui ne fait pas progresser la recherche scientifique. Il est important de se rendre compte du fait que des profits microéconomiques ne garantissent pas un bilan macroéconomique positif. En revanche, un grand engagement financier public dans les colonies n’exclut ni la discrimination générale des peuples d’outre-mer ni l’exploi-

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MARSEILLE, Jacques : Empire colonial et capitalisme français. Histoire d’un divorce, Albin Michel, Paris, 1984, p. 23. L’auteur publie d’autres travaux sur les aspects économiques de l’Empire colonial. Une approche économique et financière de la décolonisation. L’évolution des bilans des entreprises coloniales, in : Les chemins de la décolonisation de l’empire colonial français, Colloque organisé par l’I.H.T.P. les 4 et 5 octobre 1984, dirigé par AGERON, Charles-Robert, CNRS, Paris, 1986, pp. 165–171. ; La guerre a-t-elle eu lieu ? Mythes et réalités du fardeau algérien, in : La guerre d’Algérie et les Français. Colloque de l’Institut d’histoire du temps présent, dirigé par RIOUX, Jean-Pierre, Fayard, Paris, 1990, pp. 281–288 ; Les colonies, une bonne affaire ?, in : Les Collections de l’Histoire, 11 (2001), p. 64. LEFEUVRE, Daniel : Chère Algérie. La France et sa colonie 1830–1962, Flammarion, Paris, 2005. LIAUZU, Claude (Dir.) : Colonisation. Droit d’inventaire, Colin, Paris, 2004, p. 97. Citation : COQUERY-VIDROVITCH, Catherine : Vendre. Le mythe économique colonial, in : Culture coloniale 1871–1931. La France conquise par son empire, dirigé par BLANCHARD, Pascal/LEMAIRE, Sandrine, Autrement, Paris, 2002, p. 163–175, ici p. 169. Concernant le reproche adressé à Lefeuvre : Enjeux politiques de l’histoire coloniale, Agone, Marseille, 2009, p. 27. Elle se réfère plus particulièrement à l’ouvrage : LEFEUVRE, Daniel : Pour en finir avec la repentance coloniale, Flammarion, Paris, 2008. JAHAN, Sébastien/RUSCIO, Alain : Introduction, in : Histoire de la colonisation. Réhabilitations, falsifications et instrumentalisations, Les Indes Savantes, Paris, 2007, pp. 13; 19. Lefeuvre répond dans son blog : http://www.blog-lefeuvre.com/?p=20. Guy Pervillé, qui se voit aussi exposé à la critique, réagit également en ligne : PERVILLÈ, Guy : Réponse au livre de Catherine Coquery-Vidrovitch : Enjeux politiques de l’histoire coloniale, (06/09/2012), http://guy.perville.free.fr/spip/article.php3?id_article=282.

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tation économique. Une politique d’exploitation à l’origine ne tourne pas automatiquement à l’avantage de celui qui l’a initiée et ce qui s’avère désavantageux pour l’économie ultérieurement peut se présenter différemment aux acteurs de l’époque. Enfin, les nouvelles connaissances acquises grâce à un bilan comptable rétrospectif restent forcément limitées. C’est ainsi que l’historien Hartmut Elsenhans stipule déjà en 1973 que les charges financières de la politique d’intégration ne suffisent pas à elles seules à expliquer l’abandon de l’Algérie, car la France aurait été capable de les supporter15. Dans la préface de la traduction en langue française de cet ouvrage qui n’est publiée qu’en 1999, Gilbert Meynier répète que l’indépendance algérienne « ne fut [pas] l’enfant d’une irénique rationalité économique »16. La présente étude réalise donc une analyse profonde et une évaluation solide de la politique nord-africaine de la France en intégrant les données économiques dans le contexte historique et en prenant également en considération des aspects politiques, stratégiques et sociaux. L’auteur met en évidence des coûts d’opportunité économique autant que politique et vérifie si ces coûts sont compensés par des intérêts plausibles et légitimes. En outre, il faut constater que certains travaux d’histoire économique se limitent à une argumentation rétrospective. Did France’s Colonial Empire Make Economic Sense? Edward Fitzgerald donne une réponse négative à cette question disant que « rapid decolonization would have been a more economically rational choice »17. Jean-Charles Asselain analyse l’augmentation des charges financières de la politique d’intégration et conclut que la décolonisation mène à une période de prospérité économique en France18. Avoir comparé les époques coloniale et postcoloniale, l’historien économiste Paul Bairoch en vient à la conclusion que l’Empire, dans l’ensemble, aurait été plutôt nuisible au développement économique français19. Ces résultats sont certes sans doute d’une grande valeur scientifique. Néanmoins, ils ne sont pas à la disposition des acteurs politiques de la IVe République. De même, les gouvernants ne peuvent pas prendre en considération des options de grande portée qui ne sont pas perçues comme réalistes ou admissibles à l’époque. C’est la raison pour laquelle la présente étude se focalise sur les objectifs fixés par la France pour l’Afrique du Nord. Premièrement, l’auteur vérifie si les engage15 ELSENHANS, Hartmut : Frankreichs Algerienkrieg 1954–1962. Entkolonialisierungsversuch einer kapitalistischen Metropole. Zum Zusammenbruch der Kolonialreiche, Diss., Munich, 1974, p. 863. 16 Gilbert MEYNIER, in : ELSENHANS, Hartmut : La guerre d’Algérie 1954–1962. La transition d’une France à une autre. Le passage de la IVe à la Ve République, PubliSud, Paris, 1999, p. 10. 17 FITZGERALD, Edward Peter : Did France’s Colonial Empire Make Economic Sense? A Perspective from the Postwar Decade, 1946–1956, in : The Journal of Economic History, 48, 2 (1988), pp. 373–385, ici p. 374. 18 ASSELAIN, Jean-Charles : « Boulet colonial » et redressement économique (1958–1962), in : La guerre d’Algérie et les Français. dirigé par RIOUX, pp. 289–303. 19 BAIROCH, Paul : Economics and World History. Myths and Paradoxes, Univ. of Chicago press, Chicago, 1993, pp. 77; 97.

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ments financier et politique sont à la hauteur des ambitions. Deuxièmement, il se demande si ces ambitions sont réalisables en tenant compte de la situation internationale et des données économiques, politiques et sociales en Algérie et en Métropole. Il faut analyser la volonté des milieux politiques et des populations concernées d’accepter les coûts d’opportunités connus et pronostiqués de la politique d’intégration. De même, il importe d’étudier les alternatives qui se proposent concrètement aux différents gouvernements. Le critère décisif pour l’évaluation de la politique nord-africaine est alors le rapport entre l’exigence et la réalité. La présente étude vise à montrer les continuités et les ruptures, à explorer la cohérence de la politique de la France en Afrique du Nord pendant la IVe République et à proposer une explication pour le revirement politique opéré au cours de la Ve République. La politique étrangère de la France envers le Maroc et la Tunisie, d’abord protectorats français puis pays indépendants, est fortement liée à la question algérienne. Il importe donc d’intégrer ces imbrications dans la présente étude20. Aussi, celle-ci analyse d’abord les objectifs que poursuit la France dans ces deux pays avant 1954. En ce qui concerne la période après le déclenchement de la guerre d’Algérie et l’indépendance des protectorats, il s’agit de remettre en question le concept de « l’indépendance dans l’interdépendance » et d’évaluer si les ambitions formulées se fondent sur des suppositions réalistes. Une attention particulière est accordée aux aspects économiques21. La crise de Suez, qui jouit d’un intérêt considérable et continuel de la part des chercheurs, est généralement conçue comme un sujet autonome. Les imbrications avec l’affaire algérienne ne jouent qu’un rôle secondaire dans les publications22. Pourtant, le gouvernement français établit un lien direct entre la guerre d’Algérie et l’intervention militaire en Égypte fin octobre 1956. Par conséquent, il est indis-

20 Les deux pays restent quelque peu dans l’ombre portée par l’intérêt des historiens pour l’Algérie française ; quelques ouvrages importants datent d’il y a trente ans voire plus. Cf. AMIN, Samir : L’économie du Maghreb, Tome I, La colonisation et la décolonisation, De Minuit, Paris, 1966. JULIEN, Charles-André : Le Maroc face aux impérialismes 1425–1956, Publications A. J., Paris, 1978. Plus récent : KATAN BENSAMOUN, Yvette : Le Maghreb. De l’empire ottoman à la fin de la colonisation française, Belin, Paris, 2007 ; RIVET, Daniel : Le Maghreb à l’épreuve de la colonisation, Fayard, Paris, 2010 ; EL MECHAT, Samya : Les relations franco-tunisiennes, L’Harmattan, Paris, 2005. 21 La politique d’indépendance vise à préserver des liens économiques et politiques étroits entre les ex-protectorats et la France. À cette fin, Paris conclut plusieurs conventions avec Rabat et Tunis. Le terme de « l’indépendance dans l’interdépendance » est lié à la déclaration de La Celle-Saint-Cloud du 06/11/1955. Consultable en ligne dans la Digithèque de matériaux juridique et politiques du politologue Jean-Pierre MAURY : http://mjp.univ-perp.fr/constit/ ma1956.htm#D%E9claration_de_La_Celle–Saint–Cloud_. 22 P. ex. : SMITH, Simon C. (Dir.) : Reassessing Suez 1956. New Perspectives on the Crisis and its Aftermath, Ashgate, Hampshire/Burlington, 2008. Quelques exceptions : VAISSE, Maurice (Dir.) : La France et l’opération de Suez, ADDIM, Paris, 1997 et BERNARD, JeanYves : La genèse de l’expédition franco-britannique de 1956 en Égypte, Publications De la Sorbonne, Paris, 2003.

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pensable de prendre en considération cet événement important de la politique nord-africaine de la IVe République. Il faut analyser les objectifs officiels et officieux, la cohérence des décisions politiques et les conséquences qui en résultent pour la politique nord-africaine. L’accent sera mis sur la dimension économique de la crise de Suez qui, jusqu’à présent, n’a été que rarement étudiée en détail23. En outre, il importe d’intégrer les liens divers entre la question algérienne et les autres territoires de l’Union française. Finalement, les interférences entre l’Empire français et la construction européenne doivent d’être analysées dans la présente étude24. Après la désintégration de l’Empire, certains historiens prennent la victoire sur le colonialisme au pied de la lettre et se vouent à d’autres sujets. Pendant des décennies, la guerre d’Algérie reste un « conflit tabouisé » en France25. Pourtant, il y a quelques chercheurs qui s’engagent tôt dans l’étude de l’époque coloniale, bien que certains aspects restent (forcément) inabordés26. Depuis 25 ans environ, 23 Les quelques exceptions se focalisent sur des aspects précis. Broughton analyse le rôle du Fonds Monétaire International pendant la crise de Suez. BOUGHTON, James M. : Northwest of Suez. The 1956 Crisis and the IMF, in : IMF Staff Papers, 48, 3 (2001), pp. 425–446. Kunz estime que l’échec de l’opération de Suez est dû à la dépendance économique britannique des États-Unis. KUNZ, Diane B. : The economic diplomacy of the Suez crisis, Univ. of North Carolina Press, Chapel Hill/Londres, 1991 et The Importance of Having Money. The Economic Diplomacy of the Suez Crisis, in : Suez 1956. The Crisis and its Consequences, dirigé par LOUIS, WM. Roger/OWEN, Roger, Claredon Press, Oxford, 1989, pp. 215–232. L’hypothèse de Kunz est remise en question par David Carlton. Il est convaincu que la pression internationale, la menace russe et la situation politique en Angleterre sont à l’origine de l’échec de l’intervention militaire. CARLTON, David : Great Britain, France and the Suez Crisis, in : La France et l’opération de Suez, dirigé par Vaїsse, pp. 61–67, ici p. 65. 24 Quelques travaux sur cet aspect : FRANK, Robert : The French Alternative. Economic Power through the Empire or through Europe?, in : Power in Europe? T. II. Great Britain, France, Germany and Italy and the Origins of the ECC 1952–1957, dirigé par Di Nolfo, Ennio, de Gruyter, Berlin, 1992, pp. 160–173; GUILLEN, Pierre : Europe as a Cure for French Impotence? The Guy Mollet Government and the Negotiation of the Treaties of Rome, in : Power in Europe?, dirigé par Di Nolfo, II, pp. 505–516 ; AIMAQ, Jasmine: For Europe or Empire? French Colonial Ambitions and the European Army Plan (= Lund Studies in International History 33), Lund, 1996. 25 Cf. KOHSER-SPOHN, Christiane/RENKEN, Frank (Dir.) : Trauma Algerienkrieg. Zur Geschichte und Aufarbeitung eines tabuisierten Konflikts, Campus Verlag, Francfort a. M., 2006. 26 La Société française d’histoire des outre-mers (SFOM), pendant longtemps liée à l’administration coloniale, s’émancipe au cours des 100 ans de son existence et devient une institution de recherche centrale en France. Cent ans d’histoire des outre-mers, in : Outre-Mers, 376– 377 (2012). Charles-Robert Ageron est un des pionniers de la recherche. Il publie un premier ouvrage sur l’histoire franco-algérienne en 1964. AGERON, Charles-Robert : Histoire de l’Algérie contemporaine (1830–1964), (= Que sais-je 400), Presses Universitaires de France, Paris, 1964. Plusieurs de ses études figurent parmi les travaux les plus importants. AGERON, Charles-Robert (Dir.) : Les chemins de la décolonisation de l’empire colonial français, Colloque organisé par l’I.H.T.P. les 4 et 5 octobre 1984, CNRS, Paris, 1986 et AGERON, Charles-Robert/COQUERY-VIDROVITCH : Histoire de la France coloniale, T. III, Le déclin, Colin, Paris, 1991. En 1981, Droz et Lever présentent une étude sur la guerre d’Algérie.

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la recherche coloniale a beaucoup évolué27. Les « Postcolonial Studies » et l’ouverture des archives officielles en France donnent de nouvelles impulsions à la recherche scientifique28. Autour de l’an 2000, deux événements poussent le public à reconsidérer la période de la guerre d’Algérie, contribuant beaucoup à la multiplication des ouvrages sur la question. En 1999, le parlement français reconnaît que les « opérations effectuées en Afrique du Nord » entre 1954 et 1962 doivent être qualifiées de « guerre d’Algérie »29. Cette décision fondamentale, qui s’imposait depuis longtemps, met fin à « une politique de l’oubli » officielle qui a entravé la recherche scientifique et le débat dans la société sur le passé francoalgérien30. Un an plus tard, les généraux Jacques Massu et Paul Aussaresses admettent l’usage de la torture par l’armée française pendant cette guerre31. Par la suite, la torture devient une problématique centrale dans les publications32. La diversité des travaux publiés jusqu’à présent sur la guerre d’Algérie, la décolonisation et la période coloniale en générale est grande33. Les approches

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DROZ, Bernard/LEVER, Evelyne : Histoire de la guerre d’Algérie 1954–1962, Seuil, Paris, 1981. Pour l’évolution de la recherche coloniale voir : COOPER, Frederick : Kolonialismus denken. Konzepte und Theorien in kritischer Perspektive, Campus Verlag, Francfort-sur-le-Main, 2012 ; BRAHM, Felix : Wissenschaft und Dekolonisation. Paradigmenwechsel und institutioneller Wandel in der akademischen Beschäftigung mit Afrika in Deutschland und Frankreich, 1930–1970, Franz Steiner Verlag, Stuttgart, 2010. Bien qu’un certain scepticisme persiste à l’égard des « Postcolonial Studies », son approche transdisciplinaire fait évoluer l’histoire coloniale classique qui s’est parfois limité à la description des empires ou à des aspects politiques et administratifs. Cf. SIBEUD, Emmanuelle : Post-Colonial et Colonial Studies. Enjeux et débats, in : Revue d’histoire moderne et contemporaine, 5 (2004), pp. 87–95. Voir aussi : SMOUTS, Marie-Claude (Dir.) : La situation postcoloniale. Les postcolonial studies dans le débat français, Presses de SciencePo, Paris, 2007. L’histoire coloniale moderne prend en considération les influences réciproques entres les pays d’outre-mer et la métropole qui se montrent pendant les périodes coloniale et postcoloniale. De plus en plus, des aspects sociaux et culturels viennent se joindre aux interdépendances économiques et politiques. Cf. LINDNER, Ulrike : Neuere Kolonialgeschichte und Postcolonial Studies, in : Docupedia-Zeitgeschichte, (15.04.2011). En ligne : http://docupedia.de/zg/Neuere_Kolonialgeschichte_und_Postcolonial_Studies. L’Assemblée nationale et le Sénat votent la loi unanimement. Loi n 99–882 du 18 octobre 1999. http://legifrance.gouv.fr/affichTexte.do?cidTexte=JORFTEXT000000578132. PERVILLE, Guy : La date commémorative de la guerre d’Algérie en France, 2004. En ligne : http://guy.perville.free.fr/spip/article.php3?id_article=29. Le Monde, (22/05/2008) : Jacques Massu, le général repenti, Jean PLANCHAIS/Florence BEAUGÉ. AUSSARESSES, Paul : Services spéciaux, Algérie 1955–1957. Mon témoignage sur la torture, Perrin, Paris, 2001. BRANCHE, Raphaëlle : La Torture et l’armée pendant la guerre d’Algérie, 1954–1962, Gallimard, Paris, 2001. Jean-Charles Jauffret analyse les raisons qui mènent à la (non-) participation à la torture. Il met en évidence des raisons individuelles, collectives, psychologiques et idéologiques. JAUFFRET, Jean-Charles : Ces officiers qui ont dit non à la torture, Algérie 1954–1962, Autrement, Paris, 2005. Sur la guerre d’Algérie : STORA, Benjamin : Histoire de la guerre d’Algérie, La Découverte, Paris, 2004. THÉNAULT, Sylvie : Algérie. Des « événements » à la guerre. Idées reçues sur la guerre d’indépendance, Le Cavalier Bleu, Paris, 2012. Sur la période coloniale : RIOUX,

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« mémorielle » et culturelle jouissent d’une popularité sans faille34. Un bilan bibliographique récent permet une vue d’ensemble sur le sujet de la guerre d’Algérie35. Outre les travaux scientifiques, il existe également quelques publications tendancieuses qui suggèrent un message simple : « La France n’est pas coupable »36. Jean-Marie Le Pen déplore la diffamation de ce qu’il appelle la gloire coloniale37. Le gouvernement français entre en 2005 dans le débat sur la (non-)repentance coloniale proposant de limiter les études coloniales au « rôle positif de la présence française » en outre-mer38. Quelques chercheurs réagissent à de telles instrumentalisations en se refusant à tout débat « sur les aspects positifs de la colonisation »39. L’attention prêtée à ces tendances révisionnistes ne doit cependant pas entraîner une autocensure de la recherche. Il est indispensable que les chercheurs étudient l’histoire de façon objective et impartiale sans préjuger les résultats40.

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Jean-Pierre : La France coloniale sans fard ni déni. De Ferry à de Gaulle en passant par Alger, André Versaille, Bruxelles, 2011. Un aperçu de la décolonisation : DROZ, Bernard : La fin des colonies françaises, Gallimard, Paris, 2009. D’une grande importance pour l’histoire de la mémoire : STORA, Benjamin : La gangrène et l’oubli. La mémoire de la guerre d’Algérie, La Découverte, Paris, 2011 (1991). Branche étudie le facteur « temps » qui a été à la fois instrument du contrôle colonial et moyen d’opposition anticoloniale. BRANCHE, Raphaëlle : « Au temps de la France ». Identités collectives et situation coloniale en Algérie, in : Vingtième Siècle, 117 (2013), pp. 199–213. Taraud publie un ouvrage sur un phénomène peu connu : la prostitution coloniale. TARAUD, Christelle : La prostitution coloniale. Algérie, Maroc, Tunisie (1830–1962), Payot & Rivages, Paris, 2009. L’histoire des petits gens jouit actuellement d’un grand intérêt en Algérie. Ces témoignages abordent des aspects souvent ignorés par l’historiographie officielle. Cf. Le Monde Diplomatique (Août 2013) : La guerre d’Algérie par ceux qui l’ont faite, Pierre DAUM, p. 8. SARAZIN, Maurice : Bibliographie de la guerre d’Algérie (1954–1962). Ouvrages en langue française parus de 1954 à 2009, Larousse, Paris, 2011. Citation : GRIOTTERAY, Alain : Je ne demanderai pas pardon. La France n’est pas coupable, Du Rocher, Paris, 2001. En 1983 déjà, Pascal Bruckner se prononce contre le Tiersmondisme et contre l’auto-culpabilisation de la France face à son héritage colonial. Cf. BRUCKNER, Pascal : Le Sanglot de l’homme blanc. Tiers-Monde, culpabilité, haine de soi, Seuil, Pairs, 1983. Bien que leur étude s’arrête en 2002, Flood et Frey illustrent bien comment l’extrême droite en France essaye de déculpabiliser la France. FLOOD, Christopher/FREY, Hugo : Defending the Empire in Retrospect. The Discourse of the Extreme Right, in : Promoting the Colonial Idea. Propaganda and Visions of Empire in France, dirigé par CHAFER, Tony/SACKUR, Amanda, Macmillan, Basingstoke, 2002, pp. 195–210. LE PEN, Jean-Marie : Le sinistre mea culpa de l’homme blanc, in : Identité, 22 (1994), p. 3. Loi no 2005–158 du 23 février 2005 portant reconnaissance de la Nation et contribution nationale en faveur des Français rapatriés, Article 4. JAHAN/RUSCIO : Introduction, p. 19. L’historien économiste Hubert Bonin se prononce contre une condamnation globale de toutes les institutions coloniales. En ce qui concerne les banques en Algérie, il repère un rôle ambivalent. D’un côté, elles contribuent à la mise en valeur du pays. De l’autre, elles sont impliquées dans l’exploitation coloniale. BONIN, Hubert : Les banques et l’Algérie coloniale. Mise en valeur impériale ou exploitation impérialiste ?, in : Outre-Mers, 97, 1 (2009), pp. 213–225.

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En revanche, beaucoup de travaux algériens se limitent pendant longtemps à une glorification du FLN en négligeant la face sombre de la lutte pour l’indépendance41. Il n’est pas non plus juste de condamner la colonisation de l’Afrique du Nord comme étant « la voie de l’extermination et du génocide », comme le fait le président algérien Abdelaziz Bouteflika42. De plus en plus de chercheurs originaires des ex-colonies s’opposent à une telle simplification de l’histoire et tiennent compte de sa complexité. Ils reconnaissent que leurs pays profitent de certains héritages de l’époque coloniale, par exemple de l’infrastructure. De plus, ils admettent que la colonisation n’est pas la seule cause des problèmes politiques, sociaux et économiques actuels43. Axelle Kabou, spécialiste camerounaise de l’aide aux pays sous-développés, propose dans son étude Et si l’Afrique refusait le développement ? à l’Afrique de se libérer de son rôle de victime et de prendre en main la responsabilité pour corriger les dysfonctionnements actuels44. Marc Ferro fait remarquer que l’Afrique pré-coloniale n’est pas un continent prospère, paisible et harmonieux et qu’ « après les indépendances, on ne saurait non plus imputer aux seuls colonialisme, néocolonialisme et mondialisation les tragédies que, par exemple, l’Algérie a connues ces vingt dernières an-

41 P. ex. NEZZAR, Khaled : Journal de guerre (1954–1962), PubliSud, Paris, 2004. L’auteur s’est battu pour le FLN et a été ministre de la Défense de l’Algérie de 1990 à 1993. Addi nie tout développement économique pendant la période coloniale. ADDI, Lahouari : De l’Algérie pré-coloniale à l’Algérie coloniale. Économie et Société, Entreprise Nationale du Livre, Alger, 1985, p. 173. Mahiout glorifie le FLN et traite le sujet du pétrole de manière populiste. MAHIOUT, Rabah : Le pétrole algérien, Publications En.A.P., Alger, 1974. 42 Discours du président Bouteflika, lu par son ministre Mohammed Chérif Abbas le 6 mai à l’Université Ferhat-Abbas à Alger. Cf. http://etudescolonialep.canalblog.com/archives/2007/ 12/11/7198534.html. 43 Le pédagogue algérien Ahmed Tessa écrit, « malgré les effets pervers de la guerre, le pays hérite d’une base matérielle importante, dont les infrastructures routières et ferroviaires, les barrages hydrauliques et les ports continuent à fonctionner ». TESSA, Ahmed : Algérie, Histoire d’une construction spatiale 1960–2005, PubliSud, Paris, 2007, p. 12. Amar va dans le même sens pour le Maroc. AMAR, Mohammed : Les implications de la « présence » française sur les structures foncières marocaines, in : Le fait colonial au Maghreb. Ruptures et continuités, dirigé par MAROUF, Nadir, L’Harmattan, Paris, 2007, pp. 257–273. Appréciant la contribution de la médecine à sa juste valeur : BELKAID, Miloud : L’Algérie de 1830 à 1962. La médecine française, un outil pour le développement, in : Monde et Cultures, 71, 1 (2011), p. 359–372. L’ancien ministre du Commerce algérien, Smaïl Goumeziane, admet des omissions substantielles du FLN au niveau du développement économique du pays après l’indépendance. GOUMEZIANE, Smaïl : Le mal algérien. Économie politique d’une transition inachevée 1962–1994, Fayard, Paris, 1994. Mohammed Harbi, ancien militant du FLN, étudie scientifiquement l’intérieur de cette organisation. HARBI, Mohammed/MEYNIER, Gilbert : Le FLN. Documents et histoire, 1954–1962, Fayard, Paris, 2004. 44 KABOU, Axelle : Et si l’Afrique refusait le développement ?, L’Harmattan, Paris, 1991. Pour un aperçu des changements dans le débat colonial voir : Osterhammel, Jürgen : Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen, Beck, Munich, 2012.

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nées »45. Sylvie Brunel exprime son approbation disant qu’il est « tout aussi absurde et aveugle de nier le poids des héritages que de leur imputer tous les échecs »46. Actuellement, il y a de plus en plus d’unités de chercheurs français, algériens et internationaux qui se mettent ensemble pour réfuter l’instrumentalisation politique de l’histoire, limiter l’influence des groupes de pression transportant des idées préconçues, et pour présenter les facettes multiples de l’époque coloniale47. Un grand choix de sources diverses est à la disposition du chercheur pour l’étude de l’histoire de l’Afrique du nord française 48. Néanmoins, quelques difficultés persistent même 50 ans après les événements. Certains documents restent inaccessibles à la recherche pendant 60, 100 voire 150 ans49. D’autres ne sont pas disponibles parce que l’examen et le catalogage des documents sont en retard par rapport à l’intérêt scientifique. Les Archives nationales d’Outre-Mer (ANOM) à Aix-en-Provence constituent la base pour toute étude de l’Algérie française. Hormis des documents ministériels, le chercheur y trouve des périodiques et des publications contemporaines et des études officieuses. À la section parisienne des Archives nationales (AN) sont conservées les archives des chefs de l’État, de divers ministères ainsi que des fonds privés d’acteurs politiques importants. Les questions économiques de la présente étude ont trouvé leurs réponses dans les archives du ministère des Finances et de l’Économie nationale (MFE). Les informations qui y ont été recueillies servent à comparer l’état des connaissances officielles et réelles sur la dimension économique de la politique nord-africaine. De plus, elles permettent d’identifier la position du ministère dans le débat politique. Finalement, les publications contemporaines du MFE livrent un matériel riche et varié sur le développement économique en France et en Algérie50. Les documents concernant la guerre d’Algérie se trouvent dans les archives du Ministère de la Défense nationale (MDN).

45 FERRO, Marc : Le colonialisme, envers de la colonisation, in : Le livre noir du colonialisme. XVIe–XXIe siècle. De l’extermination à la repentance, Hachette, Paris, 2003, pp. 9–49, ici p. 47. 46 BRUNEL, Sylvie : L’Afrique. Un continent en réserve de développement, Bréal, Rosny-sousBois, 2004. 47 Par exemple : ABDÉCASSIS, Frédéric/MEYNIER, Gilbert (Dir.) : Pour une histoire francoalgérienne. En finir avec les pressions officielles et les lobbies de mémoire, La Découverte, Paris, 2008 ou bien BOUCHÈNE, Abderrahmane/PEYROULOU, Jean-Pierre/TENGOUR, Ouanassa Siari/THÉNAULT, Sylvie (Dir.) : Histoire de l’Algérie à la période coloniale 1830–1962, La Découverte, Paris, 2012. 48 Donnant une vue d’ensemble des archives : FAIVRE, Maurice : Les archives inédites de la politique algérienne, 1958–1962, L’Harmattan, Paris, 2000. 49 Cf. LIAUZU, Claude : Notes sur les archives de la guerre d’Algérie, in : Revue d’Histoire Moderne & Contemporaine, 48, supplément 4 (2001), pp. 54–56. 50 En particulier : Statistique mensuelle du commerce extérieur de la France, République Française, Ministère du Budget, Direction générale des douanes et droits directs, Paris, (Ci-après : Commerce extérieur). Et : Budget, République Française, Ministère du Budget, Paris, (Ciaprès : Budget).

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Leur étude sert, en particulier, à examiner les conflits interministériels qui apparaissent régulièrement. Les relations franco-marocaines et franco-tunisiennes incombent au Quai d’Orsay. L’étude des archives diplomatiques du ministère des Affaires étrangères (MAE) est alors indispensable, d’autant plus que seules quelques pièces ont été éditées dans les Documents diplomatiques français (DDF)51. L’Algérie étant conçue comme un groupe de départements, l’affaire algérienne ne relève pas à la compétence du Quai d’Orsay. Ainsi, certains spécialistes de l’histoire francoalgérienne se passent de l’étude de ces archives. Pourtant, la direction d’AfriqueLevant comprend un service s’occupant particulièrement de l’Algérie. De plus, la direction des Affaires économiques prend position en ce qui concerne les aspects économiques de la politique nord-africaine. Le Centre historique de Sciences Po (CHSP), qui conserve les fonds de certains acteurs de la politique nord-africaine, constitue un complément important aux archives ministérielles. Ceci vaut également pour l’Office Universitaire de Recherche Socialiste (OURS), dont les divers fonds permettent d’appréhender l’attitude des ministres socialistes et d’une partie de la population française envers la politique nord-africaine. Afin de préciser ce dernier point, l’auteur étudie des sondages représentatifs de l’époque ainsi qu’une sélection de périodiques et de publications contemporaines52. Les débats parlementaires, publiés au Journal officiel de la République française (JOAN), s’avèrent être une source essentielle53. Ils reflètent les consensus et les divergences au sein de l’Assemblée nationale et donnent une impression du climat politique pendant la IVe République. En comparant les prises de position des décideurs au parlement avec les documents ministériels internes et officieux, l’auteur analyse la cohérence de la politique nord-africaine. La page web du parlement offre de courtes biographies des députés54. Le JOAN est complété par le Journal officiel de l’Assemblée de l’Union française (JOUF) et le Journal Officiel de l’Algérie (JOA)55. Les sources écrites sont enrichies par trois interviews que des témoins de l’époque ont accordées à l’auteur : Alfred Grosser, professeur de sciences politiques, chroniqueurs et expert en politique étrangère, Jean-François Eck, historien, spécialiste d’histoire économique de la France, et Ewald Leufgen, légionnaire allemand en Algérie au service de l’armée française (1961–1964).

51 Documents Diplomatiques Français, 1954–1958, publiés par le Ministère des Affaires Etrangères, Commission de Publication des Documents Diplomatiques Français, Paris, 1988–1996, (Ci-après : DDF). 52 Plus particulièrement : Sondages. Revue française de l’opinion publique, (1954–1964). 53 Journal Officiel de la République Française, Débats Parlementaires, Assemblée Nationale, 1946–1958, Paris. (Ci-après : JOAN). 54 http://www.assemblee-nationale.fr/histoire/biographies/IVRepublique/. 55 Journal Officiel de la République Française, Débats Parlementaires, Débats de l’Assemblée de l’Union française, 1946–1958, Paris. (Ci-après : JOUF). Journal officiel de l’Algérie, Compte rendu des débats, 1947–1956, Alger. (Ci-après : JOA).

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I. L’ALGÉRIE ET LA FRANCE : LA POLITIQUE JUSQU’EN 1954 1. L’ALGÉRIE ENTRE ASSIMILATION ET AUTONOMIE Jusqu’à la Deuxième Guerre mondiale, la devise « l’Algérie, c’est la France » se limite aux Français qui colonisent le pays. La population musulmane ne possède pas de droits civiques, seule une élite y accède en acceptant l’assimilation et donc la renonciation au statut coranique56. En 1948, seulement 11 % des Algériens maîtrisent la langue française suite à la négligence de l’éducation des personnes dites indigènes57. L’attitude des Français métropolitains envers l’outre-mer est caractérisée pendant longtemps par une « indifférence, généralement bienveillante »58. Les expériences de la Deuxième Guerre mondiale et de la Libération se retrouvent dans la constitution de la IVe République qui change fondamentalement la situation dans les colonies. « Fondée sur l’égalité des droits et des devoirs, sans distinction de race ni de religion », la nouvelle Union française abandonne la politique d’assimilation et accorde la citoyenneté française à tous ses habitants59. Néanmoins, les Français d’outre-mer restent marginalisés dans les institutions françaises. L’égalité reste donc théorique. Les institutions de l’Algérie sont fixées séparément dans le statut de 1947 qui confirme l’autonomie budgétaire et donne à l’Assemblée algérienne une grande autonomie politique, permettant aux colons français d’institutionnaliser leurs positions dominantes dans l’administration et l’économie algériennes. Le décalage entre l’ambition « l’Algérie c’est la France » et la réalité politique persiste donc au début de la IVe République. 2. LES PLANS DE MODERNISATION ET D’ÉQUIPEMENT POUR L’AFRIQUE DU NORD Vu son autonomie budgétaire, l’Algérie concerne très peu les finances françaises avant 1946. 6 % seulement des investissements publics placés en Algérie provien-

56 PERVILLÉ, Guy : La politique algérienne de la France, de 1830–1962, 1995. En ligne : http://guy.perville.free.fr/spip/article.php3?id_article=71. La population juive est assimilée en 1870 par le décret Crémieux. Avec 50 000 personnes, les juifs représentent un sixième des Pieds noirs en1898. ADAMSON, Kay : Political and economic thought and practice in nineteenth-century France and the colonization of Algeria, Edwin Mellen Press, Lewiston, N.Y., 2002, p. 263. 57 MDN, 1 H 1107/1 : GGA, recensement de la population 1954, 2, p. 55. Le terme « Algériens » comporte la population arabe et berbère. Les « Pieds noirs » sont originaires de la métropole ou d’autres pays européens. 58 FRÉMEAUX, Jacques : L’Union française. Le rêve d’une France unie ?, in : Culture impériale 1931–1961. Les colonies au cœur de la République, dirigé par BLANCHARD, Pascal/ LEMAIRE, Sandrine, Autrement, Paris, 2004, pp. 163–174, ici p. 165. 59 Constitution de 1946, IVe République, Préambule. http://www.conseil-constitutionnel.fr/ conseil-constitutionnel/Français/la-constitution/les-constitutions-de-la-france/constitution-de1946-ive-republique.5109.html.

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nent du budget métropolitain60. La IVe République modifie sensiblement la conception économique de la Zone franc qui est appelée à mener la France à une autarcie relative. De plus, la nouvelle constitution prévoit de mettre en commun les ressources de l’Union française pour permettre à tous ses habitants d’élever leur niveau de vie, ce qu’un contemporain appelle une « philosophie assimilationniste »61. Malgré le grand retard des pays d’outre-mer en ce qui concerne le développement économique, Paris n’attend pas d’alourdissement sensible des charges financières. Les acteurs politiques se contentent de glorifier « les résultats magnifiques de l’œuvre civilisatrice de la France en Algérie » qui autoriseraient tous les espoirs pour l’avenir62. Les villes et les fermes modernes des Pieds noirs ne représentent qu’une image fragmentaire de l’Algérie qui masque les grandes divergences régionales et ethniques. Un chômage massif, une misère largement répandue et une forte croissance démographique caractérisent la situation socio-économique de la population musulmane. Souvent, Français et Musulmans d’Algérie vivent « à des siècles différents »63. Le stade de développement économique de l’Algérie diffère beaucoup de celui de la métropole, mais est comparable à ceux du Maroc et de la Tunisie. Selon l’opinion générale, les trois pays du Maghreb forment donc « un ensemble géographique »64. Par conséquent, les deux premiers plans de modernisation, qui doivent réaliser l’ambition civilisatrice institutionnalisée dans la constitution, sont élaborés pour l’Afrique du Nord entière, bien que l’Algérie soit conçue officiellement comme « prolongement de la France métropolitaine » et que le Maroc et la Tunisie ne soient pas membres de l’Union française65. La répartition des fonds des plans se fait selon le poids démographique des trois pays et non pas selon la devise « l’Algérie, c’est la France »66. Dans l’ensemble, les deux premiers plans ne 60 ANOM, FM 81F 2021 : 22/05/1959, Direction des Affaires d’Algérie (DAA) au Ministère des Affaires étrangères (MAE), Renseignements statistiques demandés par la Revue américaine « Times ». 61 SERVOISE, René : Introduction aux problèmes de la République française, in : Politique étrangère, 4 (1954), pp. 379–418, ici p. 390. 62 NAEGELEN, Marcel-Edmond : L’œuvre civilisatrice de la France, in : Économie – l’Actualité industrielle et commerciale, Numéro spécial, Supplément au no 232 (1949), p. 3. 63 Interview avec Ewald LEUFGEN. 64 DE LACHARRIÈRE, René : Problèmes d’organisation politique et administrative et projets de développement industriel en Afrique du Nord, in : Industrialisation de l’Afrique du Nord, dirigé par Centre d’études de politiques étrangères, Colin, Paris, 1952 pp. 155–162, ici p. 155. 65 Citation : MERCIER, Gustave L. S. : L’Algérie, prolongement de la France métropolitaine, in : Économie – l’Actualité industrielle et commerciale, Numéro spécial, Supplément au no 232 (1949), pp. 5–31. 66 L’Algérie reçoit 50,7 % des fonds, ayant un poids démographique de 44 %. Calcul de l’auteur sur la base de divers de documents. MFE, B 0033562/1 : 17/07/1954, Note pour le Directeur, de M. Vaysset ; ANOM, FM 81F 53 : GGA, Recensement de la population, 1954 ; MAE, MT, Tunisie (I), 624 : 05.01.1955, MAMT à. Boyer de Latour ; MARCOUX, Alain : La croissance de la population de la Tunisie. Passé récent et perspectives, in : Population, 26, 1 (1971), pp. 105–123 KROTKI, Karol J./BEAUJOT, Roderic : La population marocaine. Reconstitution de l’évolution de 1950 à 1971, in : Population, 30, 2 (1975), pp. 335–367.

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font pas penser à un effort particulier visant à élever les conditions de vie des Algériens au niveau métropolitain. Ils prouvent au contraire la divergence sensible entre l’ambition formelle et l’engagement concret de la France en Afrique du Nord. Le volume et la conception des plans ne correspondent ni au but prétendument poursuivi « l’Algérie c’est la France » ni aux besoins réels de l’Algérie, pays en voie de développement. En dépit de problèmes socio-économiques grandissants en Algérie, la direction du Budget estime que « la poursuite de l’équipement de l’Afrique du Nord ne suppose pas nécessairement le maintien immuable d’un montant de dépenses égal à celui de 1954 »67. Ceux qui prévoient de graves conséquences sociales voire politiques ne sont pas pris au sérieux ; le deuxième plan est réduit de 10 % à un volume qui n’équivaut qu’à la moitié de ce que des experts considèrent nécessaire pour permettre une amélioration de la situation économique68. La réduction de l’aide financière est surprenante, d’autant plus que Paris augmente parallèlement les investissements publics en métropole69. En général, les Pieds noirs profitent plus des plans de modernisation, ce qui augmente leur avance économique par rapport aux Musulmans d’Algérie. Les plans témoignent d’une continuité du pacte colonial. Au lieu d’envisager l’industrialisation de l’Algérie, le pays doit rester « fidèle à sa vocation agricole » et produire selon les besoins de la métropole70. Pourtant, des considérations économiques, géologiques et sociales remettent en cause la focalisation sur le secteur primaire et suggèrent plutôt un engagement courageux en faveur d’une industrialisation qui soit de nature à créer des emplois nécessaires d’urgence.

II. « L’ALGERIE, C’EST LA FRANCE ». 1954 À 1958 1. L’ABANDON DE LA CONCEPTION UNITAIRE DE L’AFRIQUE DU NORD Le gouvernement français hésite pendant longtemps à reconnaître le caractère politique des protestations ayant lieu dans les protectorats au début des années 1950. Au lieu d’initier une décolonisation progressive et anticipative, Paris compte sur l’effet calmant d’une augmentation mesurée de l’aide financière. Finalement, ce ne sont pas les quelque milliards supplémentaires, mais la reconnaissance de l’autonomie interne en Tunisie et le retour de Mohammed V sur le trône marocain qui permettent de sortir de la crise. Fin l955, la France ne voit plus aucune alternative à l’indépendance des protectorats, qui suit en mars 1956. Officiellement, les considérations économiques ne jouent pas de rôle direct dans cette décision. Néanmoins, quelques propos gouvernementaux suggèrent l’intention 67 MFE, Vol. B 0033562/1 : 17/07/1954, Note pour le Directeur, de M. Vaysset. 68 ANOM, FM 81F 2014 : 31/03/1952, Commission des Plans de l’Algérie, de la Tunisie et du Maroc. 69 DE FLEURIEU, G. : Les grandes lignes du Second Plan de modernisation et d’équipement, in : Droit Social, 6 (1954), pp. 321–332, ici p. 329. 70 ANOM, FM 81F 18 : Mai 1947, Note sur le Statut de l’Algérie, État-major de la Défense nationale.

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française de libérer des ressources pour la politique d’intégration en Algérie en renonçant aux protectorats. Ainsi, le ministre des Affaires étrangères, Christian Pineau, avoue rétrospectivement que les limites des moyens français ont amené le gouvernement français à « réserver l’essentiel de notre effort militaire et financier pour l’Algérie »71. Le déclenchement de la guerre d’Algérie et les concessions aux protectorats mènent à une réorientation de la politique nord-africaine. Pour ne pas légitimer les aspirations séparatistes du FLN, les partisans de la politique d’intégration mettent en relief plus explicitement qu’auparavant les différences entre les protectorats, qui ont toujours gardé leur souveraineté, et l’Algérie, prétendument sans conscience nationale72. Paris justifie l’indépendance du Maroc et de la Tunisie par la tendance mondiale à la décolonisation. En même temps, l’Algérie est considérée comme une exception ne suivant pas cette évolution : « les problèmes de l’Algérie sont absolument autres : l’Algérie est française »73. L’ambiguïté de l’argumentation est évidente : « Comment croire que l’Algérie acceptera un statut qui ne lui assure au moins l’autonomie, au moment où presque tous les États arabes accèdent à l’indépendance, où, en particulier, ses deux voisins du Maghreb connaissent de si beaux succès diplomatiques ? »74. Quoi qu’il en soit, la grande majorité en France se prononce contre tout relâchement des liens institutionnels et pour l’intégration de l’Algérie. Officiellement, c’est une combinaison d’investissements économiques, de réformes politiques et de pacification militaire qui doit permettre de sauvegarder ou plus exactement de mettre en œuvre la devise « l’Algérie, c’est la France ». Beaucoup de parlementaires réclament que tous les moyens nécessaires soient mis à la disposition de la politique d’intégration, quoi qu’il en coûte. 2. LES RÉFORMES POLITIQUES 1954 À 1958 Les décennies qui ont précédé 1954 sont jalonnées d’occasions manquées. Désillusionnée par l’absence de réformes profondes, une partie de la population algérienne s’est déjà détournée de la France avant le déclenchement de la guerre d’indépendance. En dépit de cette évolution évidente, certains politiciens ne voient toujours pas d’urgence en novembre 1954. Ils parlent encore d’une « parfaite harmonie franco-musulmane » ; 99 % des Algériens ne souhaitant pas, selon eux, se séparer de la France75. La représentativité de tels témoignages est douteuse, car ce sont ceux de Pieds noirs radicaux ou de Musulmans d’Algérie appartenant à l’élite francophile dont les intérêts sont étroitement liés à la présence française. De plus, il y a de nombreuses voix discordantes réclamant « une révolu-

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JOAN, 01/06/1956, p. 2235. AN, AP 505 (II), 344 : Discours Edgar Faure le 2 Octobre 1955. Mostefa BENBAHMED (SFIO), JOAN, 27/08/1954, p. 4332. Mamadou DIA (IOM), JOAN, 08/03/1956, p. 772. M. VINIGER, JOAUF, 07.02.1956, p. 47 ; Adolphe AUMERAN (RI), JOAN, 21/06/1955, p. 3181.

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tion politique »76. Les Algériens pro-français réclament l’égalité politique totale, 2sans tarder, à la française »77. Les reformes accordées concernent pourtant l’administration locale sans toucher les fondements de la discrimination politique. Dans le domaine de l’éducation, les efforts restent modestes. Selon le scénario officiel, il faudrait encore 30 ans pour arriver à une scolarisation totale des enfants algériens78. La proposition d’introduire le Collège unique, accordant aux Musulmans d’Algérie une représentation politique adéquate, rencontre une opposition fondamentale à l’Assemblée nationale. D’après Jacques Chevallier, ancien maire d’Alger, ce refus prouve l’irréalisme de la politique d’intégration dont les partisans « ignorent le vrai contenu du mot »79. Quand le parlement vote la loi finalement en printemps 1958, l’effet positif est minime. Le message contre-productif selon lequel la France n’accepte pas en dernière conséquence l’égalité des Musulmans vient d’être envoyé. La politique d’intégration arrive trop tard pour la plupart des Algériens ; elle n’est plus considérée comme un progrès, mais comme une nouvelle forme de paternalisme. Les Français, pour leur part, sont peu enclins à accepter les conséquences logiques de la devise « l’Algérie, c’est la France ». Entre-temps, la guerre s’intensifie et pendant trois années, ce sont la terreur, la répression brutale et une méfiance grandissante et non pas Liberté, Égalité et Fraternité qui caractérisent la situation en Algérie. Les Français, dans l’ensemble, restent relativement placides face au drame algérien. Il n’y a pas de protestations massives contre la guerre ou la politique d’intégration. Selon un sondage contemporain, seulement 12 % des métropolitains considèrent la guerre d’Algérie comme leur problème le plus pressant80. D’un côte, cette passivité s’explique par le fait que les pertes humaines parmi les appelés du contingent sont relativement peu nombreuses. De l’autre, la situation économique individuelle ne cesse de s’améliorer en France. Les salaires montent suite à la pénurie de la main-d’œuvre et grâce à la politique budgétaire expansive du gouvernement. En Algérie, les effets positifs de la phase de prospérité que traverse le pays se limitent pour une bonne partie aux couches sociales dont la situation économique ne pose pas de problèmes. La misère de la masse persiste. Le manque d’engagement politique et les circonstances économiques favorisent ainsi la propagation du nationalisme.

III. L’INTÉGRATION ÉCONOMIQUE DE 1954 À 1958 1. LE RAPPORT MASPÉTIOL ET SES CONSÉQUENCES « C’est sur le terrain économique, sur le problème de la rapidité de la mise en valeur, que se joue l’avenir de la présence française en Afrique du Nord, bien plus

76 CHSP, Fonds Savary, Vol 56 : 30/04/1956, Lette R. Perié à Savary. 77 Amar NAROUN (RI), JOAN, 03/02/1955, p. 695. 78 ANOM, FM 81F 185 : Projet de scolarisation de l’Algérie Février–Mars 1958, Exposé ; Le Monde, (30.11.1955) : Drame et problèmes de l’Algérie. 79 Louis CHEVALLIER, in : Le Monde, (05/10/1955). 80 Sondages, 19, 2 (1957), p. 4.

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que sur l’équipement politique »81. Cette constatation du Commissariat général du Plan (CGP) montre la priorité à l’intérieur de la politique d’intégration. Beaucoup de parlementaires sont convaincus que « le problème politique n’est certes pas mûr » et qu’il faut, en attendant, faire un immense effort financier pour la sauvegarde de l’Algérie française afin de permettre « aux trois départements de vivre progressivement d’une vie semblable, ou plus justement égale à celle des départements métropolitains »82. Cependant, l’engagement financier de la France en Algérie ne progresse pas énormément pendant les premiers mois qui suivent le déclenchement de la guerre. C’est seulement en juin 1955 que le gouvernement propose dans le rapport Maspétiol une nouvelle stratégie pour l’intégration économique de l’Algérie. Sans aucun doute un progrès en comparaison avec les plans de modernisation précédents, le rapport Maspétiol comporte des faiblesses essentielles. Le volume des investissements publics ne respecte pas suffisamment les besoins réels de l’Algérie, pays en voie de développement ; il est plutôt soucieux de ne pas trop charger le budget français. Les objectifs modestes du plan mènent « non pas à une réduction, mais à un approfondissement lent de ce fossé déjà trop profond »83. Lorsque l’engagement financier en Algérie reste limité, les dépenses publiques en métropole sont en expansion sensible84. De plus, le rapport Maspétiol formule des prévisions assez optimistes concernant la participation du secteur privé aux investissements, bien que l’expérience montre que les entreprises font preuve d’une grande réticence. L’inadéquation des moyens mis à la disposition par rapport aux aspirations officielles est indiscutable. 2. LE (NOUVEAU) RÔLE DE L’AGRICULTURE Avant novembre 1954, ce sont le pacte colonial et la vocation agricole qui déterminent la conception économique de l’Algérie. Bien que la focalisation exclusive sur le secteur primaire prenne fin avec le rapport Maspétiol, ceux qui disent que « l’Algérie est condamnée à vivre de la terre » ne se taisent pas85. « Quels que soient les espoirs placés dans les autres secteurs de l’économie, c’est dans l’agriculture qu’il faudra principalement rechercher l’augmentation du revenu algérien »86. En réalité, le potentiel économique de l’agriculture, qui occupe trois quarts de la population, mais qui ne contribue que d’un tiers au produit intérieur brut (PIB), reste limité. La surface cultivable est en régression. Une réforme agraire, qui s’impose pour des raisons politiques, n’est nullement capable de résoudre le problème du chômage. Le ministère de l’Agriculture pronostique que la

81 ANOM, FM 81F 2248 : CGP, Projet de Rapport, la production agricole en AFN, p. 56. 82 Première citation : Joseph Begarra, in : OURS, Comité Directeur, Procès verbaux 1954/55, 08/12/1954. Deuxième citation : JOUF, 05.07.1955, pp. 622. 83 ANOM, FM 81F 1795 : 10/02/1956, Note budgétaire, Commission des Finances, p. 35. 84 OURS, AGM, 74 : 27/12/1956, Direction du Budget, Perspectives des budgets 1958 à 1961. 85 Maurice VIOLETTE (RRS), JOAN, 09/12/1954, p. 6069. 86 ANOM, FM 81F 1794: Proposition de l’Assemblée de l’Union française du 22 mars 1956, p. 83.

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modernisation de l’agriculture, sans laquelle l’augmentation de la production n’est pas possible, conduira à une réduction de moitié des emplois87. La complémentarité de la production franco-française joue un rôle important à l’intérieur de la Zone franc qui aspire à une autonomie maximale en matière du commerce extérieur. Cette condition ne pose guère de problème en ce qui concerne des productions pour lesquelles l’Afrique du Nord ou la France, compte tenu des conditions de climat ou de terroir, possède un avantage de productivité incontestable. La France importe par exemple 62 % des agrumes du Maghreb. Néanmoins, ces achats provoquent des coûts d’opportunité. D’un côté, les agrumes algériens sont plus chers que la concurrence étrangère, chargeant le consommateur français ainsi de coûts supplémentaires de 5,6 milliards de francs par an88. De l’autre, moins la France importe de l’étranger, moins elle peut exporter ses propres produits, étant donné la nécessité d’équilibrer la balance commerciale. C’est pour cette raison que le Monde écrit que la France perd « sur le plan d’exportation ce que nous avions cru gagner sur le plan de l’importation »89. 3. LA POLITIQUE DU VIN L’étude de la politique du vin permet d’approfondir l’aspect de la complémentarité et de confirmer les réticences en métropole à l’égard des conséquences de la politique d’intégration. Le vin représente plus de la moitié des exportations algériennes en France qui, pour leur part, génèrent des revenus essentiels pour les viticulteurs, leurs employés et pour le gouvernement général d’Algérie90. L’Hexagone en revanche éprouve de la défiance à l’égard de la viticulture algérienne, concurrente de la production française. Le système de prix garantis par l’État, le refus de mesures de régulation du marché et les possibilités restreintes d’exportation débouchent sur un excédent considérable. Pour arriver à un équilibre économique et réduire les « charges extrêmement lourdes et inutiles », qui seraient liées à la viticulture algérienne, certains députés et fonctionnaires réclament une réduction sensible des vignobles en Algérie91. Ce point de vue est en contradiction avec l’idée même de la politique d’intégration autant que des considérations économiques. « Si l’on considère le groupe France-Algérie comme formant une réelle

87 Cahiers Nord-Africains, 53 (1956) : L’emploi de la main d’œuvre algérienne dans le cadre des Plans de modernisation et d’équipement, pp. 5–21, ici pp. 7 et 9. 88 ANOM, FM 81F 1795 : GGA: Bulletin Mensuel de statistique générale, 45 (Juin 1957) et MAE, MT, Maroc (I), 406: Septembre 1954, Agrumes, Situation générale. Calcul de l’auteur sur la base du volume d’importation en provenance du Maghreb (372 000 tonnes) multiplié par le prix supplémentaire des agrumes algériens (15 francs par kilo). 89 Le Monde, (30/11/1955) : Drame et problèmes de l’Algérie. 90 Commerce extérieur, 1954, p. 286. 91 MAE, MT, Maroc (I), 344 : Avril 1954, Projet de rapport général de la Commission d’étude et de coordination des Plans de modernisation et d’équipement de l’Algérie[,] de la Tunisie et du Maroc, p. 25 et ANOM, FM 81F 2321 : Rapport de la Commission des boissons sur la proposition de M. Waldeck Rochet tendant à limiter l’entrée des vins d’Algérie et d’Afrique du Nord, p. 4.

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unité économique, à l’intérieur duquel la spécialisation est désirable, la vigne est techniquement mieux à sa place sur les coteaux de Mascara », avoue le CGP92. De plus, la conversion des vignobles en d’autres cultures « réduirait sensiblement le niveau de vie musulman en diminuant notablement le nombre des emplois offerts »93. Par conséquent, l’extension de la viticulture en Algérie et la réduction parallèle de la production française sont les mesures logiques à prendre. Quoi qu’il en soit, Paris refuse d’appliquer le principe « l’Algérie, c’est la France » dans le domaine du vin. À l’encontre de la raison économique, les ministères décident d’une limitation des vignobles algériens « pour ne pas inquiéter les milieux métropolitains »94. L’intégration est donc une ambition sélective qui ne supprime pas la hiérarchie économique entre la métropole et son prolongement en Afrique du Nord. Une fois de plus, des considérations politiques dominent celles de l’économie. 4. L’INDUSTRIALISATION En face des problèmes socio-économiques croissants et du recul de l’emploi dans l’agriculture, les espoirs en Algérie se focalisent de plus en plus sur l’industrialisation. Le rapport Maspétiol se distingue des plans de modernisation précédents en accordant un rôle important au secteur industriel. En revanche, il ne propose pas de concept économique précis pour catalyser l’industrialisation de l’Algérie. En outre, plusieurs barrières s’y opposent : la hausse du prix de l’énergie électrique, l’étroitesse du marché local (conséquence de la répartition inégale des revenus), le manque de main-d’œuvre qualifiée (résultat de la négligence de l’éducation des Algériens) et la concurrence métropolitaine. Jusqu’à la fin de la IVe République, la politique n’arrive pas à présenter une stratégie convaincante qui soit capable d’éliminer ces barrières et de promouvoir l’industrialisation. Le gouvernement ne trouve pas d’issue au conflit qui existe entre les différents objectifs de la politique d’intégration : le nivellement des conditions de vie exige une politique économique bien appropriée aux besoins de l’Algérie, y compris l’accord de privilèges aux investisseurs afin de pousser l’industrialisation. L’intégration politique par contre tend à harmoniser le système fiscal et le régime des salaires. Finalement, l’intégration reste sélective. Le gouvernement met en œuvre surtout des mesures intégratives qui ne coûtent pas cher à la métropole, mais dont l’effet positif sur l’industrialisation de l’Algérie reste minime. 5. DU SABLE ET DE L’OR NOIR : LE SAHARA Pendant des décennies, le Sahara n’a quasiment pas de valeur économique. Selon l’opinion générale, les découvertes de pétrole et de gaz dans le désert algérien en 1956 « modifient totalement les perspectives économiques de la symbiose entre

92 ANOM, FM 81F 2248 : CGP, Projet de Rapport, la production agricole en AFN. 93 Bérard-Quélin : Que coûtera l’Algérie, p. 17.386. 94 MFE, B 0024875/1 : Schéma de rapport sur les « Perspectives décennales », p. 20.

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les deux territoires »95. « Par un coup de baguette magique », les entraves à l’industrialisation de l’Algérie seraient balayées et le financement de la politique d’intégration garanti96. Inversement, l’abandon des richesses de l’Algérie amènerait la France « à la médiocrité et à la servitude »97. Une minorité se montre plus prudente, conseillant de « se garder de la légende du pétrole qui règle tout »98. Elle fait observer que l’or noir ne résout pas automatiquement le problème du chômage de masse99. De plus, la composition chimique du pétrole algérien limite sa commercialisation. Dans l’ensemble, le potentiel économique et l’effet positif sur l’industrialisation de l’Algérie sont largement surestimés à l’époque. Des arguments de nature stratégique jouent également un rôle important dans le débat. Certains fonctionnaires ne rêvent pas seulement d’une autarcie au niveau du ravitaillement en pétrole. Ils sont aussi convaincus que les richesses du Sahara font de la France « un des plus puissants [pays] du monde »100. Cette argumentation ne tient pas le coup d’une analyse critique. Même dans les prévisions les plus optimistes, les réserves sahariennes restent loin derrière celles des plus grands pays producteurs101. En outre, la demande française de produits pétroliers augmente plus vite que la production algérienne et par conséquent, la France reste dépendante d’importations d’hydrocarbures. Finalement, la coûteuse guerre d’Algérie, qui a pour conséquence « la quasi-absence de l’Armée française dans la défense, en principe commune, de l’Europe », relativise le surplus de puissance du Sahara102. Paris envisage de se réserver la plus grande liberté d’action au Sahara en minimisant la participation d’entreprises étrangères à l’exploitation du pétrole. La politique du pétrole dite nationale baisse la rentabilité : le prix du pétrole algérien est de 15,6 % au-dessus du niveau mondial 103. Initialement, les hydrocarbures sahariens constituent un obstacle à l’autodétermination de l’Algérie, car ils semblent modifier le calcul des coûts en faveur de la politique d’intégration. Puis, l’or noir devient pour le FLN la clef de l’indépendance (économique) de l’Algérie. Les richesses du Sahara restent pourtant relatives et ne permettent pas d’élever les conditions de vie des Algériens au niveau occidental. Pour la France, l’abandon de la politique d’intégration permet des économies qui compensent la perte du pétrole saharien. Le fossé entre les re-

95 AN, F 12 11804 : 15/10/1958, Conséquences du maintien de l’autorité française en Algérie. 96 CORNET, Pierre : Le Sahara. Plaque tournante entre l’Afrique du Nord et l’Afrique noire, in : Industrie et Travaux d’Outre-Mer, 67 (Juin 1959), pp. 323–326, ici p. 324. 97 VIALET, Georges: L’Algérie restera française, Éd. Haussmann, Paris, 1957, p. 47. 98 MAE, MT, Tunisie (I), 553–554 : Note de la direction d’Afrique-Levant. 99 AN, F 12 11801 : Septembre 1958, Rapport sur la situation économique de l’Algérie. 100 Robert NISSE (RS), JOAN, 06/07/1057, p. 3359. 101 BP Statistical Review of World Energy 2013, p. 6. http://www.bp.com/content/dam/bp/ pdf/statistical-review/statistical_review_of_world_energy_2013.pdf. 102 GROSSER, Alfred : La France en Occident et en Algérie, in : La guerre d’Algérie et les Français, dirigé par RIOUX, pp. 382–388, ici p. 384. 103 LEFEUVRE : Pour en finir, p. 138.

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venus français et algérien s’approfondit, le rapport évoluant de 5 à 1 en 1954 à 7 à 1 en 2012104.

IV. LE PRIX DE LA GUERRE 1. LE POIDS FINANCIER DE LA GUERRE DE L’ALGÉRIE Jusqu’au printemps 1956, les charges financières de la guerre ne jouent qu’un rôle secondaire dans le débat politique. Le gouvernement affiche son optimisme en ce qui concerne une répression rapide de la révolte ; même une réduction du budget militaire lui paraît réalisable105. Les sources officielles sur les coûts de l’opération militaire en Algérie sont inexactes et pleines de contradictions. « La débudgétisation » de la guerre d’Algérie en livre une explication106. « Divisé en une partie ordinaire et une partie exceptionnelle soumises séparément au Parlement pour des périodes variables », le budget militaire échappe largement au contrôle parlementaire107. Cette opacité permet au gouvernement de manipuler les charges réelles. D’ailleurs, on donne un caractère temporaire au conflit et aux coûts supplémentaires108. L’hypothèse d’une pacification rapide et durable est pourtant remise en question par la propagation de l’idée nationale en Algérie. En réalité, les économies annoncées au début de chaque année budgétaire débouchent régulièrement sur des dépenses supplémentaires. Le gouvernement tente aussi de relativiser les charges militaires en leur attribuant un caractère productif. Elle estime que les Algériens vivant dans les régions isolés profitent autant des investissements dans l’infrastructure stratégique que l’armée française109. En réalité, l’Algérie possède déjà un réseau de voies de communication relativement bien organisé. L’avantage que tire la masse de la population algérienne de l’infrastructure stratégique reste alors limité. Selon la version officielle, environ 300 milliards de dépenses supplémentaires découlent de la guerre d’Algérie en 1956/57. Cette somme n’est que rarement mise en cause, bien que de simples calculs montrent que les chiffres gouvernementaux ne sont pas plausibles : 279 000 soldats français se battent pendant la guerre d’Indochine, qui coûte 459 milliards de francs en 1953110. Il n’est donc pas crédible que les charges financières de la guerre en Afrique du Nord, impliquant

104 105 106 107 108

CIA World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/. MDN, 7 R 5: Conseil supérieur des Forces Armées, 3 juin 1955, Compte rendu et Annexe. Antoine MAZIER (SFIO), in: JOAN, 19/03/1957, p. 1685. MFE, B 007012/2 : 22/11/1957, Conséquences de la situation en Algérie. MDN, 20 R 6 : 26/03/1956, MDN à MEF et MFE ; B 0052214 : Février 1956, Dépenses militaires en 1961. 109 MAE, MT, Tunisie (I), 569 : 27/01/1955, Note de la direction générale. 110 MDN, 20 R 6 : 15/01/1954, Direction des services financiers et des programmes, Annexe 1, Comparaison des masses budgétaires pour les exercices 1952–1953–1954, p. 3. L’aide militaire américaine, soit 195 milliards de francs, est incluse.

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deux fois plus de soldats, soient inférieures d’un tiers111. Si l’on prend en considération des dépenses qui ne se retrouvent pas dans les chiffres officiels, le coût de la guerre d’Algérie monte à environ 800 milliards de francs. En relation au revenu national, aucun pays de l’OTAN n’engage autant d’argent pour la défense que la France112. En outre, il importe d’ajouter aux dépenses militaires les charges indirectes du secteur civil. Le service de la dette d’État double pendant les années de la guerre pour atteindre 293 milliards de francs en 1957113. L’augmentation des importations d’armes et la consommation militaire des marchandises exportables pèsent sur la balance des paiements. L’envoi du contingent réduit le potentiel de main-d’œuvre, augmente les frais des entreprises et diminue la production. La charge totale de la guerre d’Algérie s’élève ainsi à 1080 milliards de francs, ce qui représente 26 % des revenus de l’État en 1957114. Dans l’ensemble, les indications officielles erronées sont bien plus le résultat d’une intention dolosive que d’un calcul des coûts imprudent. Le gouvernement dissimule les coûts réels de la pacification afin de ne pas perturber la majorité parlementaire et la passivité de la population française. Même si l’armée française était supérieure en nombre, elle n’arriverait pas à réprimer la rébellion jusqu’à la fin de la IVe République. En février 1958, l’inspecteur général en mission extraordinaire en Algérie constate « que la situation militaire a évolué défavorablement »115. 2. LES COÛTS D’OPPORTUNITÉ (POLITIQUE) AU MAROC ET EN TUNISIE L’idée de « l’indépendance dans l’interdépendance » vise à maintenir influence et intérêts français en Tunisie et au Maroc indépendants. Au niveau économique, ce sont surtout les intérêts privés des 550 000 colons français. Pour l’économie française par contre, les marchés marocains et tunisiens ont « une très faible importance »116. Ils représentent à peine 1 % de la production nationale. L’objectif primaire de la politique d’interdépendance n’est donc pas économique mais politique : « Ne pas hypothéquer le règlement du problème algérien »117. Paris compte

111 MDN, 20 R 6 : 08/12/1952, MDN, Direction des Services financiers, le projet de budget 1953, p. 1 et MDN, 20 R 6 : 08/12/1952, le projet de budget 1953 et 15/01/1954, Comparaison des masses budgétaires pour les exercices 1952–1953–1954. 112 MDN, 20 R 6 : 27/10/1956, Dépenses budgétaires, militaires et revenu national dans l’O.T.A.N. 113 La politique budgétaire, I, p. 8. 1953. 114 Budget, 1957, p. 7. 115 OURS, Fonds Mollet, AGM 91 : 03/02/1958, l’Inspecteur général de l’administration en mission extraordinaire, Maurice Papon, Évolution de la situation dans l’est algérien. Papon, étant préfet de police à l’époque, est responsable de la répression sanglante d’une manifestation pro-FLN à Paris en 1962. En 1998, il est condamné pour des crimes contre l’humanité pendant la Deuxième Guerre mondiale. 116 ANOM, FM 81F 188 : 16/07/1958, Note de M. de Wailly, Inspecteur des Finances. 117 MAE, MT, Tunisie (II), 39 : 23/05/1957, Note, Politique française au Maroc et en Tunisie.

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sur la non-ingérence des ex-protectorats dans l’affaire algérienne et sur l’acceptation de l’idée que l’Algérie soit française. Pourtant, dans les ministères concernés, il n’y a pas de consensus sur la bonne stratégie. Les partisans de la théorie réaliste des Relations Internationales considèrent l’interdépendance comme une sorte de collaboration nécessaire d’une France supérieure avec deux pays (économiquement) dépendants. L’immixtion dans le conflit en Algérie serait « un luxe » que le Maroc et la Tunisie ne pourraient s’offrir dans les circonstances118. L’aide financière de la France aux jeunes États leur sert de moyen de pression politique. Ils considèrent que « l’élite nationale d’inspiration occidentale actuellement au pouvoir » est l’acteur pertinent119. D’autres politiciens réclament une approche inspirée par la théorie libérale. Ce serait mieux de ne pas se focaliser uniquement sur les élites politiques, mais de compter également sur le soutien de la population maghrébine120. Ils conseillent au gouvernement français de ne pas confondre au Maghreb l’intérêt national de la France et les intérêts privés des colons. Selon eux, l’aide financière doit établir une coopération fructueuse à long terme et non pas être instrumentalisée pour obtenir par la pression des concessions à court terme. Les décisions prises au cours de la IVe République témoignent d’une dominance progressive des idées d’inspiration réaliste. Les conflits se multiplient déjà quelques mois après l’indépendance. La guerre d’Algérie pèse lourdement sur les relations franco-marocaines et francotunisiennes. Les Maghrébins se solidarisent avec le nationalisme algérien, ce qui met de la pression sur leurs leaders. La France ressent l’extension de l’aide au FLN qui en résulte comme « un chantage combiné de la diplomatie et du terrorisme »121. Paris répond avec la suspension de la convention financière. L’effet espéré ne se produit pas ; Rabat et Tunis restent sur leurs positions. Au Maroc, c’est en particulier l’affaire Ben Bella qui amène à une crise profonde. Le monarque l’interprète comme un abus de confiance, le peuple marocain y voit une provocation. Les relations France-Tunisie tombent à zéro après le bombardement du village tunisien de Sakiet. Paris justifie l’intervention militaire sur le territoire tunisien par l’attaque précédente sur un avion de combat français par des combattants algériens. Dans les deux cas, le gouvernement français légitime ultérieurement des actions prises de manière autonome par les autorités militaires. De cette manière, la politique encourage l’armée à se considérer comme intouchable en Afrique du Nord. Jusqu’à un certain degré, des conflits dans les ex-protectorats sont inévitables. « La psychologie de pays neufs », c’est-à-dire leur aspiration à se libérer visiblement de l’héritage colonial, affronte les difficultés d’adaptation de l’ancien pro-

118 119 120 121

MAE, MT, Maroc (II), 379 : Boisseson sur un article américain. CHSP, Fonds Parodi, 30 : 10/09/1957, Instructions pour l’Ambassadeur de France au Maroc. MAE, MT, Maroc (II), 197 : 20/01/1956, Note de M. Sauvagnargues, Direction générale. MAE, AL, Algérie, 16: 01/02/1957 : La personnalité algérienne ne peut s’affirmer qu’autour d’un chef.

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tecteur122. L’intensité des conflits par contre équivaut au coût d’opportunité de la devise « l’Algérie, c’est la France », qui est inconciliable avec l’idée de « l’interdépendance dans l’indépendance ». Fixé sur la sauvegarde de l’Algérie française, le gouvernement français supporte l’affaiblissement des relations avec le Maroc et la Tunisie comme un dommage collatéral. 3. SAUVEGARDER L’ALGÉRIE FRANÇAISE AU CANAL DU SUEZ À juste titre, personne en France ne remet en cause le soutien que l’Égypte apporte au FLN, mais les opinions divergent sur la qualité de l’aide et sur la façon juste d’y répondre. Jusqu’au au début de la crise de Suez, le Quai d’Orsay compte sur une coopération prudente avec l’Égypte pour préserver les intérêts français « considérables » dans le pays et pour l’empêcher d’étendre l’aide aux rebelles jugée négligeable123. L’Hôtel de Brienne et de nombreux parlementaires par contre sont convaincus du rôle prépondérant de Nasser dans la guerre d’Algérie. Ils sont prêts à sacrifier toutes les positions françaises en Égypte « si le moindre avantage devait en résulter pour l’essentiel, c’est-à-dire pour l’Afrique du Nord »124. Jusqu’en juillet 1956, le ministre des Affaires étrangères, Christian Pineau, s’oppose à des mesures extrêmes. « Voulez-vous envoyer la flotte française bombarder Alexandrie ? », demande-t-il de façon rhétorique125. La nationalisation de la Société du Canal de Suez fait complètement basculer l’opinion en France. Des voix demandant une réaction résolue se font entendre. Le chef du Quai d’Orsay n’exclut plus aucun moyen pour soumettre le « dictateur fasciste2 du Nil126. Des sanctions économiques semblent inadaptées, car elles portent le risque d’effets négatifs en France. Étant donné que la navigation par le canal se normalise peu après la nationalisation, il n’y a pas d’urgence, d’un point de vue économique. Mais finalement, ce n’est pas la question du libre passage qui explique l’intervention militaire franco-britannique. « We really wanted this war », avoue un général français127. Paris est persuadé que la lutte de plusieurs centaines de milliers de soldats français en Algérie serait inutile « si nous permettions à Nasser de compromettre leurs actions »128. Une victoire sur Nasser en contrepartie « est de nature à provoquer ici des résultats profonds, rapides et spectaculaires en faveur de notre pays »129. Il s’agit aussi « de prouver au monde que la France est encore une grande puissance » et de cette manière de gagner le respect

122 123 124 125 126 127

DDF, 1958 I : 281, 26/04/1958, p. 528. DDF, 1957 II : 103, 13/08/1957, p. 206. Maurice SCHUMANN (MRP), in: JOAN, 09/03/1956, p. 798. Christian PINEAU (SFIO), in: JOAN, 01/06/1956, p. 2233. Christian PINEAU (SFIO), in: JOAN, 03/08/1956, pp. 3870, 3872. MARTIN : The Military and Political Contradiction of the Suez Affair. A French Perspective, 1990, p. 56. 128 AGERON, Charles-Robert : L’opération de Suez et la guerre d’Algérie, in : La France et l’opération de Suez, dirigé par VAISSE, pp. S. 43–60, ici p. 48. 129 OURS, Fonds Champeix, 6 APO 2 : 14/08/1956, Télégramme Lacoste.

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des Maghrébins130. Tout signe de faiblesse par contre finirait inévitablement par l’échec de la politique nord-africaine131. Les conséquences économiques et politiques de l’intervention militaire sont celles auxquelles il fallait s’attendre132. La rébellion en Algérie continue sans faiblir. Elle ne dépend pas de façon décisive de l’aide égyptienne, mais elle se fonde sur le soutien grandissant de la masse populaire. « Cette expédition militaire digne du XIXe siècle » renforce plutôt la position locale et internationale du FLN133. La démarche française dans la crise de Suez montre la marginalisation chronique des considérations économiques dans la prise de décision gouvernementale ainsi que la surestimation de la puissance réelle de la France.

V. LES LIMITES DE LA POLITIQUE D’INTÉGRATION 1. L’ANTICOLONIALISME ÉCONOMIQUE Bien que le gouvernement sous-estime et dissimule les coûts de la politique d’intégration, le débat sur la dimension économique de l’Algérie française s’intensifie vers la fin de la IVe République. C’est souvent Raymond Cartier qui, à tort, passe pour l’initiateur de l’anticolonialisme économique. En fait, son hypothèse selon laquelle « les 1 400 milliards investis outre-mer depuis 1946, eussent peut-être suffi à moderniser l’économie française et à la rendre compétitive sur les marchés internationaux », apparaît bien avant août 1956 dans les journaux et les ministères134. En outre, le journaliste exclut l’Algérie française plus tard explicitement de sa réflexion135. Comme Cartier, beaucoup d’hommes politiques se refusent au débat sur la rentabilité de l’Algérie terre française en faisant référence aux départements défavorisés métropolitains qui ne feraient pas l’objet d’un débat comptable136. Selon l’opinion générale, les charges de l’intégration sont « lourdes mais supportables »137. La phase de haute conjoncture renforce l’impression d’une « symbiose » franco-algérienne138. Cependant, l’essor économique, financé par la dette, masque les vrais coûts d’opportunité de cette politique qui se cumulent à quelque 1 500 milliards de francs. De cette manière, le gouvernement accable les générations suivantes de la charge de l’Algérie française. Des députés algériens demandent alors à leurs collèges français comment ils comptent expliquer aux 130 131 132 133 134 135

JOAN, 02/08/1956, p. 3844. Bernard MANCEAU (CNI), in: JOAN, 08/03/1956, p. 767. Jean PRONTEAU (PC), in: JOAN, 21/11/1956, p. 4968. Léon HOVNANIAN (RRS), in: JOAN, 18/12/1956, p. 6120. Paris-Match, (18/08/1956) : En France Noire avec Raymond Cartier. CARTIER, Raymond : L’Algérie sans mensonge, Hachette, Paris, 1960, (sans numéros de page). 136 Connaissance de l’Algérie, 12, (1956), p. 4. 137 AGERON, Charles-Robert : L’opinion française à travers les sondages, in : La guerre d’Algérie et les Français, dirigé par RIOUX, pp. 25–44, ici p. 44. 138 L’Algérie. Terre franco-musulmane. En quelques mots et quelques images, dirigé par Le Commissariat de l’Algérie à l’Exposition Universelle et Internationale de Bruxelles en 1958, Paris, 1958, p. 78.

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électeurs « qu’il leur faut accepter une diminution de leur standing de vie au profit des habitants de l’Algérie ? »139. Il est probable que le peuple français refuserait en majorité l’intégration de l’Algérie « si on lui exposait honnêtement les conditions et les conséquences »140. Les partisans de l’Algérie française comparent les coûts prétendument modérés de l’intégration au lourd tribut de l’abandon : 4 000 milliards de francs ou 81 % des revenus de l’État en 1958141. « Partir coûte beaucoup plus cher que rester » en serait la conclusion142. Il faut pourtant déduire les économies de cette estimation optimiste. L’immigration des Pieds noirs augmente le stock en capital et le potentiel de main-d’œuvre en France. D’ailleurs, une diminution sensible des dépenses totales de la politique nord-africaine devient possible. Sur la scène internationale, la marge de manœuvre de la France grandit. Un autre argument contre la décolonisation est la prétendue dépendance française du marché algérien. « L’Algérie est le premier client de la France et son deuxième fournisseur »143. Sans les importations de l’Algérie, la France s’exposerait « à des restrictions qui toucheraient son ravitaillement en légumes et en fruits et l’approvisionnement en minerais de certaines de ses industries »144. Sans les exportations vers l’Algérie, l’économie métropolitaine souffrirait d’un recul « d’une telle ampleur que l’équilibre politique du pays en serait rapidement détruit »145. Dans cette analyse, un emploi sur cinq en France dépend du commerce franco-algérien146. En réalité, l’économie française est largement focalisée sur le marché intérieur et les ventes en Algérie « correspondaient à 1,25 % de la valeur totale de la production française ». Parler d’une dépendance économique est alors une « grossière exagération »147. De plus, l’indépendance de l’Algérie ne conduit automatiquement ni à la fin des échanges franco-algériens ni à un recul général du commerce extérieur de la France. Dans l’ensemble, la décolonisation de l’Afrique du Nord se présente comme un investissement profitable pour l’avenir économique de la France.

139 Cadi ALI (UDSR), in: JOAN, 12/10/1955, p. 5054. 140 ARON, Raymond : L’Algérie et la République, Hachette, Paris, 1958, p. 32. 141 LAVERGNE, Bernard : Problèmes africains. Afrique Noire–Algérie–Affaire de Suez, Larose, Paris, 1957, p. 61. ANOM, FM 81F 197 : 02/05/1962, Les perspectives de la coopération. 142 André MONTEIL (MRP), in: JOAN, 29/11/1957, p. 5055. 143 M. BURKHARDT, JOAF, 05/07/1955, p. 629. 144 CHARDONNET, Jean : Algérie et Métropole. La rançon d’une sécession. Étude économique du coût de la sécession pour la France métropolitaine et l’Algérie, Paris, CEPV, 1961, p. 11. 145 La France sans Algérie ? in : Les Échos, (12/03/1956). 146 OURS, AGM 81 : Algérie, édité par le Service de l’Information du GGA. 147 LAVERGNE : Problèmes africains, p. 61.

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2. L’EUROPE, UNE ALTERNATIVE ? Les politiques nord-africaine et européenne interfèrent de plus en plus au cours de la IVe République, ce qui soulève la question de savoir si l’Union française et l’Europe (économiquement) unifiée constituent des projets substitutifs ou complémentaires. La croissance économique et le plein emploi au milieu des années 1950 constituent des arguments pour ceux qui restent attachés à l’idéal d’une communauté franco-française qui soit économiquement autosuffisante. Ils sont persuadés que la prospérité économique se fait sans l’Europe, « d’autant plus que la France a à sa disposition, vous le savez, les territoires d’outre-mer »148. La conception protectionniste de la Zone franc est au goût de certains entrepreneurs, car elle leur garantit un marché sans concurrence étrangère. Certains fonctionnaires sont réticents à l’entrée de la France dans la CEE tant que la consolidation de l’Union française n’est pas terminée. Ils craignent que la libération des échanges, qui nécessite une dévaluation, fasse monter les prix français et entraîne par conséquent l’européanisation du commerce franco-français. Dans cette logique, la surévaluation artificielle du franc constitue « la seule garantie réelle de l’unité économique, et donc politique, de la zone franc »149. La plupart des politiciens français se montrent moins pessimistes et croient possible de concilier les projets CEE et Union française. Ils comprennent que la libéralisation du commerce extérieur représente « la voie du progrès »150. Les différents types du protectionnisme « coûtent finalement plus cher qu’ils ne rapportent »151. Malgré ses réserves à l’égard de la CEE, le ministère de l’Industrie reconnaît que l’état d’infériorité de l’économie française par rapport à d’autres pays de l’ouest « est la résultante des infléchissements successifs qui ont été donnés à notre économie depuis 40 années, notamment par l’abus d’un protectionnisme parfois systématique »152. L’aspect économique mis à part, on estime aussi qu’entre les superpuissances, la France ne peut garder une pertinence stratégique que par le renforcement de l’Europe unifiée153. La concurrence des idées impériales-protectionnistes et européennes-libérales débouche sur une situation dans laquelle la France reste, jusqu’à la signature des Traités de Rome, « one of the most protected economies in the OEEC »154. Après avoir mis le cap sur l’Europe, une décision s’impose sur la question de savoir si la France adhère à la CEE sans ou avec l’outre-mer. Ceux qui se prononcent contre craignent qu’une présence agrandie de l’Europe dans les colonies

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Pierre COT (RS), in: JOAN, 22/01/1957, p. 200. MAE, DÉ, Wormser, 77 : Note pour M. Clappier. Edgar FAURE (RRS), in: JOAN, 05/08/1954, p. 3886. ARON, Raymond : La tragédie algérienne, Plon, Paris, 1957, p. 21. MAE, CM, Bidault, 22 : Ministère de l’industrie, l’industrie française. Paul REYNAUD (IPAS), in: JOAN, 23/07/1955, p. 4116. LYNCH, Frances M. B. : France and the International Economy. From Vichy to the Treaty of Rome, Routledge, Londres/New York, 1997, p. 128.

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françaises y mette en danger la souveraineté française155. Quoi qu’il en soit, exclure les départements algériens contredit de manière éclatante le principe « l’Algérie c’est la France ». D’un point de vue stratégique, l’entrée de l’Union française tout entière dans la CEE promet d’augmenter le poids de la France en Europe156. De plus, Paris aurait droit au soutien des partenaires européens dans le financement des plans de modernisation en outre-mer157. Finalement, le gouvernement français décide d’inclure l’Empire à la CEE en excluant l’Algérie et les D.O.M. du Fonds européens de développement pour y préserver son pouvoir de décision exclusif158. Des considérations politiques prévalent alors sur les arguments économiques. Jusqu’en 1958, la construction européenne ne conduit pas à l’abandon de la politique d’intégration en Algérie. Néanmoins, il semble bien probable que le projet européen facilite la décolonisation française, car il propose une alternative constructive et pacifique à l’Empire encombré de conflits. Les entreprises françaises privées forment l’avant-garde de la décolonisation (économique) en s’orientant vers l’Europe à un moment où le gouvernement se bat encore pour « la plus grande France ». Cette réorientation économique ne s’explique pas prioritairement par « l’anticolonialisme du monde des affaires »159. C’est bien plus l’analyse comptable qui convainc les patrons français du fait que leur avenir entrepreneurial ne dépend pas autant des pays en voie de développement de l’Union française que des marchés dynamiques de l’Europe unifiée.

VI : LA Ve RÉPUBLIQUE – DÉBUT ET FIN DE L’INTÉRATION 1. UN OBJECTIF ANCIEN, UN ENGAGEMENT NOUVEAU Le bilan de la IVe République est décevant. La volonté d’accepter les conséquences de la devise « l’Algérie, c’est la France » manque sur les deux rives de la Méditerranée. Néanmoins, la Ve République sous Charles de Gaulle décide de continuer sur le même chemin. Par contre, elle fait un effort pour harmoniser ambition et engagement de la politique d’intégration. Pendant quelques mois, de Gaulle fait passer des réformes politiques que la IVe République n’a pas réussi à imposer pendant des années. Au niveau de l’éducation, un nouveau plan de scolarisation permet des progrès remarquables. De 1958 à 1962, plus d’enfants algé-

155 ANOM, FM 81F 1811 : Note, Conséquences pour l’Algérie d’un marché commun européen, p. 4. 156 Léopold Sédar SENGHOR (IOM), in: JOAN, 18/02/1955, S. 809. 157 Christian PINEAU, in : OURS, SFIO Comité Directeur, 15/06/1955, p. 5. Chérif SID-CARA (RRS), in: JOAN, 09/12/1954, p. 6089. 158 Maurice FAURE (RRS), in: JOAN, 06/07/1957, p. 3377. 159 COQUERY-VIDROVITCH, Catherine : Impérialisme et impérialisme colonial, in : L’esprit économique impérial (1830–1970). Groupes de pression & réseaux du patronat colonial en France & dans l’empire, dirigé par BONIN, Hubert/HODEIR, Catherine/KLEIN, JeanFrançois, SFHOM, Paris, 2008, pp. 756–759, ici p. 758.

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riens sont scolarisés que pendant les 128 années auparavant160. La Ve République se met à réaliser le plan de modernisation « Perspectives décennales du développement économique de l’Algérie », nommé plus tard « Plan de Constantine ». Ce nouveau programme d’investissements témoigne, pour la première fois, de la volonté d’augmenter de façon appréciable le niveau de vie des Algériens. Le plan, dont la réalisation commence en 1959, a pour objectif « de donner aux Algériens des diverses communautés toutes raisons morales et matérielles de vouloir être unis à la France »161. Pendant cinq ans, plus de capitaux doivent être investis en Algérie, plus que jamais que dans le passé162. L’industrialisation profite d’une promotion active. On espère pouvoir augmenter le PIB de 145 % en une décennie et créer un million de nouveaux emplois163. En dépit du progrès qu’il constitue, le Plan de Constantine comporte des hypothèses douteuses. Les initiateurs du plan supposent une participation paritaire du secteur privé au financement, bien que celle-ci soit incertaine vu la situation générale en Algérie. Les avantages financiers accordés aux entreprises, « même s’ils parviennent à égaliser les charges d’exploitation, ne seront pas suffisants pour provoquer un rapide mouvement d’industrialisation »164. Compte tenu de la progression démographique et du retard économique de l’Algérie, les experts attendent un fort accroissement des besoins algériens en investissements. Le nouvel plan n’est donc qu’une première étape vers l’égalisation de longue haleine des conditions de vie. Les mesures protectionnistes ne sont pas acceptées en raison de leur signal contre l’union franco-algérienne, bien qu’une protection contre la concurrence métropolitaine soit indiquée vu le stade de développement économique de l’Algérie. Les objectifs concernant la création de nouveaux emplois ne sont pas, dans l’ensemble, réalisables. Il n’existe ni la nécessité économique ni l’acceptation sociale en métropole de la migration accrue de travailleurs algériens proposée dans le plan. Beaucoup craignent « un simple déplacement du problème de l’Algérie vers la France »165. D’ailleurs, l’engagement financier renforcé dont bénéficie l’Algérie suscite des demandes équivalentes de la part des D.O.M. et des T.O.M ; d’où la proposition de la direction du Trésor de prévoir un redoublement des investissements publics dans ces territoires d’outre-mer dans les années suivantes166. Le coût total de la politique d’intégration est ainsi beaucoup plus lourd que le Plan de Constantine ne le fait croire. Même si le développement économique de 1958 à 1962 se distingue des 132 années de souveraineté française en Algérie, il faut considérer le Plan de Constan-

160 HEGGOY, Alf Andrew : French Policies and Elitist Reactions in Colonial and Revolutionary Algeria, in : Journal of African Studies 5, 4 (1978), pp. 427–443, ici p. 433. 161 ANOM, FM 81F 26 : 28/10/1958, Message adressé par le Président de la République. 162 ANOM, FM 81F 2021 : 22/05/1959, DAA à MAE, Revue « Times ». 163 AN, F 12 11802 : Mars 1958, Ministère de l’Algérie, Perspectives décennales. 164 ANOM, FM 81F 2019 : 14/11/1958, CGP, Perspectives décennales, p. 7. 165 ANOM, FM 81F 179 : Janvier 1959, Note sur la migration des travailleurs algériens, CGP. 166 MFE, B 0024875/1 : 02/05/1958, Conséquences financières d’une extension à l’ensemble de la zone franc des objectifs proposé par le Ministre de l’Algérie, p. 1.

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tine comme un échec. La participation du secteur privé reste largement au-dessous des prévisions optimistes. La politisation du plan de modernisation contribue au fait que les résultats sont ressentis comme décevants ; mais une approche plus rationnelle et économique supposerait l’abandon de la politique d’intégration. Malgré toutes les critiques justifiées à l’égard de la conception et de l’application concrète du plan, ce sont surtout les attentes exagérées qui en font « un bel exemple d’irréalisme »167. Le gouvernement français sous-estime l’effet entravant de la guerre et de l’incertitude politique ; il surestime l’esprit de coopération des Algériens et ne prend pas suffisamment en considération la nature politique du mouvement d’indépendance algérien. Un haut fonctionnaire résume judicieusement en 1962 : « Tel qu’il a été prévu, le Plan de Constantine n’est pas en rupture cette année, il l’a été dès l’origine ! »168. 2. L’ALGÉRIE, CE N’EST PLUS LA FRANCE Après la signature des accords d’Évian, Paris espère pouvoir préserver une partie des intérêts français en Algérie en accordant une aide financière au nouveau gouvernement algérien. Peu après, la grande majorité des Français d’Algérie se voient contraints de quitter leur pays natal et le FLN dévoile son manque de volonté de coopérer sincèrement avec la France. En réponse, 64 % des Français se prononcent en 1963 pour une réduction de l’aide financière169. Lorsque l’on compare les documents d’Évian aux revendications formulées auparavant par les nationalistes algériens, on peut se demander si un accord équivalent aurait été possible et réalisable avant 1962. Des acteurs attirent à l’époque l’attention sur les obstacles institutionnels : « la République est une et indivisible »170. De plus, l’instabilité gouvernementale chronique et le souci de provoquer un putsch militaire limitent la marge de manœuvre ; abandonner l’Algérie « serait déclencher la guerre civile »171. Il n’est pourtant pas impensable que les Français acceptent une décolonisation progressive, négociée avec des nationalistes de tendance modérée, qui évite aux responsables politiques de devoir se prononcer immédiatement pour l’indépendance totale de l’Algérie. Il faudrait mobiliser les électeurs en les confrontant aux charges réelles de la politique d’intégration. Il importe de ne pas oublier qu’à l’été 1956, à peu près 40 % des Français pensent qu’une solution au problème algérien est possible au cours de l’année à venir ; 12 % seulement croient à l’insolubilité du conflit172. Après les accords d’Évian, une majorité de 50 % est convaincue qu’une telle solution aurait été réalisable auparavant173. 167 AMIN, Samir : L’économie du Maghreb, Tome I, La colonisation et la décolonisation, Éd. De Minuit, Paris, 1966, p. 213. 168 MORIN, Jean : La mort du Plan de Constantine. 1000 milliards risqués pour des résultats incertains, in : L’Opinion économique et financière (11/01/1962), p. 27. 169 Sondages, 26, 3 (1964), p. 73f. 170 Maurice BOURGÈS-MAUNOURY (RRS), in: JOAN, 29/07/1955, p. 4497. 171 Albert GAZIER, in : OURS, Comité Directeur, Procès verbaux 1955/56, 29/02/1956, p. 6. 172 Sondages, 18, 3 (1956), p. 5. 173 Sondages, 25, 2 (1963), p. 35.

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CONCLUSION : LE DOUBLE ÉCHEC DE LA POLITIQUE D’INTÉGRATION « L’Algérie, c’est la France » : le grand fossé entre l’idéal de cette devise et la réalité constitue le fil rouge de la politique nord-africaine de la IVe République. L’Algérie reste un cas particulier et contradictoire dans l’Union française. La discrimination politique de la majorité musulmane contredit d’une façon éclatante le principe de l’égalité, garanti par la constitution. Au niveau conceptuel, l’Algérie est conçue comme faisant partie de l’Afrique du Nord coloniale. Les départements algériens sont traités très différemment de ceux de l’Hexagone. En matière d’économie, il y a une hiérarchie indéniable entre la métropole et la colonie. La contribution française aux plans d’investissements en Afrique du Nord reste largement inférieure aux suggestions des experts et par conséquent, les conditions de vie des Algériens ne s’améliorent pas de façon palpable. Dans l’ensemble, les divergences entre l’Algérie et la France l’emportent nettement sur les similarités. En Afrique du Nord, ce ne sont pas les idéaux « Liberté, Fraternité et Égalité », mais des normes coloniales qui caractérisent la situation. Après le déclenchement de la guerre d’indépendance, la rhétorique de la politique nord-africaine change radicalement. La sauvegarde de l’Algérie devient officiellement un devoir national : quoi qu’il en coûte. La détermination française est indiscutable en ce qui concerne l’engagement militaire. 500 000 soldats français se battent au cours la guerre d’Algérie qui engloutit chaque année un quart des revenus de l’État. Cependant, c’est seulement pendant la Ve République que l’armée française remporte une victoire décisive sur le FLN. Le succès militaire est égalisé par les dommages collatéraux humains, la pacification de l’Algérie reste donc superficielle. La détermination du gouvernement français se montre également dans l’intervention militaire en Égypte pendant la crise de Suez. Bien que l’avantage de l’action soit douteux, Paris accepte un grand risque politique et économique. D’ailleurs, la France sacrifie d’abord les protectorats et puis la politique de l’interdépendance au Maroc et en Tunisie pour que l’Algérie reste française. Au niveau de l’intégration économique et politique en revanche, les événements de novembre 1954 ne provoquent qu’une rupture rhétorique. Concrètement, l’échec de la IVe République est double. Premièrement, il s’agit de la conception et de l’application de la politique d’intégration. Il ne faut pas contester qu’il y ait du progrès dans certains domaines. Quoi qu’il en soit, les critères d’évaluation sont les ambitions officielles et ce qu’il aurait été possible d’atteindre. La volonté d’intégrer l’Algérie à tout prix n’existe pas. L’engagement reste plutôt modeste. Paris limite les investissements publics en Algérie pour ne pas trop charger les finances métropolitaines. Le scénario du rapport Maspétiol équivaut à un approfondissement du fossé existant entre Français et Algériens en ce qui concerne le niveau de vie. Cette perspective est diamétralement opposée à l’idée de la politique d’intégration et aux attentes des Musulmans d’Algérie. Tant que la métropole n’accepte pas de transférer une partie importante de ses ressources dans les départements nord-africains, le nivellement des conditions de vie reste une utopie.

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Les seules mesures intégratives prises dans le domaine de l’économie sont en général celles qui restent sans effets négatifs pour les métropolitains mais qui, en même temps, n’amènent pas de grands effets positifs pour la grande majorité des Algériens. En ce qui concerne l’intégration politique, les décideurs politiques manquent clairement de volonté. Le Collège unique par exemple rencontre une opposition fondamentale au parlement et n’est appliqué que vers la fin de la IVe République. La discrimination politique demeure donc en Algérie. Dans l’ensemble, la politique algérienne témoigne d’une grande incohérence et d’un conflit d’objectifs permanent entre les intérêts économiques et politiques. De manière générale, les considérations politiques s’avèrent dominantes. Par peur d’envoyer un signal contre l’union indissoluble, Paris refuse une politique économique adaptée aux besoins de l’Algérie, pays en voie de développement, bien qu’elle seule soit capable d’augmenter rapidement le niveau de vie. La hiérarchie entre la métropole et la colonie persiste après la réorientation rhétorique de la politique nord-africaine en 1954. Il n’y a pas un intérêt français unique, mais des intérêts métropolitains et algériens séparés. Avant de prendre une décision, Paris vérifie si elle porte le risque de désavantages pour l’économie de l’Hexagone. On proclame la fin du pacte colonial sans pourtant promouvoir sérieusement l’industrialisation, notamment pour éviter une situation de concurrence avec les entreprises françaises. Jusqu’en 1958, les gouvernements se contentent de se prononcer en faveur de la politique d’intégration sans l’appliquer et sans confronter la France à ses répercussions. La Ve République prend ses distances avec cette politique contradictoire en réalisant rapidement des réformes politiques profondes et en élargissant sensiblement les investissements. Ambitions et engagement concret se rapprochent nettement. D’une certaine manière, l’intégration ne commence qu’en 1958. Un fonctionnaire propose alors une nouvelle conception : Il conseille de s’opposer à l’affirmation selon laquelle le développement de l’Algérie s’effectue aux dépens de la métropole. Il faudrait, au contraire, intérioriser « le sens ‚profond’ » de l’intégration disant qu’il n’y a qu’ « un développement unique », celui de la France entière174. Néanmoins, cette idée ne s’impose pas. Les dépenses en Afrique du Nord ne sont pas conçues comme des investissements dans des départements français, mais comme un exode de capital vers un pays d’outre-mer au détriment du développement économique métropolitain. Cette charge grandissante « n’a pas de contrepartie, à beaucoup près, équivalente », conclut le premier président de la Ve République finalement175. Ce constat n’est pas nouveau. De Gaulle est seulement le premier chef de l’État à prononcer franchement ce qui est connu depuis des années et ce que l’engagement politique et financier renforcé en Algérie rend évident. La majorité des Français n’est pas prête à accepter les coûts d’opportunité de la devise « l’Algérie, c’est la France ». Charles de Gaulle en tire la consé-

174 MEF, B 0024875/1 : 14/11/1958, Rapport présenté par M. Denizet, p. 7. 175 Conférence de presse, 11/04/1961. Cf. PERVILLE : Charles de Gaulle et l’indépendance.

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quence logique. Son bilan des coûts et des bénéfices scelle ce que tous les gouvernements de la IVe République ont exclu : l’abandon de l’Algérie française. Deuxièmement, la présente étude démontre que les conditions préalables ne sont pas remplies au moment où le gouvernement proclame la politique d’intégration. Dans les décennies qui ont précédé 1954, la France laisse passer les occasions qui s’offrent d’intégrer l’Algérie progressivement. Désillusionnée par l’égalité refusée, une partie de la population algérienne se détache bien avant le déclenchement de la guerre d’indépendance. Suite à la décolonisation globale, l’idée de l’autodétermination se propage en Afrique du Nord. La répression et l’absence de réformes profondes après 1954 renforcent la déception. Le soutien en faveur de la politique d’intégration diminue continuellement. Même si beaucoup d’Algériens sont favorables à une coopération avec la France, ils préféreraient décider eux-mêmes de l’avenir de leur pays. Au niveau économique, le pacte colonial et l’autonomie financière font grandir un fossé énorme entre les Français et les Musulmans d’Algérie. Un rapprochement nécessite beaucoup de temps et autant de sacrifices de la part de la métropole. Cependant, même avant 1954, des fonctionnaires métropolitains voient la France dans l’impossibilité d’augmenter l’engagement financier en Afrique du Nord, vu le retard de l’économie française par rapport aux pays de la future CEE. Généralement, la volonté dans l’Hexagone d’accepter un abaissement relatif du niveau de vie français en faveur des Algériens est minime. Pour cette raison, l’élévation des conditions de vie algériennes doit être progressive afin de ne pas freiner la prospérité française. Cette approche est vouée à l’échec. Il est curieux de penser que les capacités françaises et la détermination de les utiliser pour le bien de l’Algérie augmentent par un coup de baguette magique après 1954. Au niveau de l’intégration institutionnelle, les parlementaires se prononcent en faveur d’une politique dont ils refusent les conséquences logiques. L’opposition, à l’Assemblée nationale, au collège unique montre que les Musulmans d’Algérie ne sont pas acceptés comme des compatriotes égaux. Le public français lui aussi éprouve de grandes réticences envers ses concitoyens musulmans. Le Monde pose la question décisive de la politique d’intégration en 1955 : « Qui est prêt d’autre part à accepter une France de cinquante-deux millions d’habitats, dont un cinquième de musulmans exerçant dans les affaires publiques une influence proportionnelle à leur nombre, et à abaisser le niveau de vie moyen et les possibilités économiques du pays pour les partager avec huit millions de miséreux ? »176. Le gouvernement ferme les yeux devant la réponse évidente à cette question, proclamant l’unité franco-algérienne sans relever les défis qui y sont liés et sans demander l’approbation des populations concernées. La passivité des Français et le grand soutien à l’Assemblée nationale facilitent le fait que les gouvernements s’accrochent à une politique qui n’a pas de chances de réussite réalistes. Bien qu’en 1958, après quatre ans de guerre, les conditions se montrent encore moins favorables, la Ve République reste fidèle à la politique d’intégration. Il 176 Le Monde, (01/12/1955) : Drame et problèmes de l’Algérie.

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n’est pourtant pas certain que de Gaulle croie un succès possible ou qu’il tente seulement de préparer la France à la fin inéluctable de l’Algérie française. Peu après le véritable début de l’intégration, le soutien en faveur de cette politique faiblit. Même quelques personnages qui ont toujours été partisans de l’Algérie française changent d’avis. Paul Reybaud par exemple se prononce pour un « oui » au référendum sur l’autodétermination177. Les entreprises prévoient assez tôt que l’Algérie deviendra indépendante et c’est pour cette raison que la décolonisation économique commence bien avant le processus politique. Il n’y a pas de lien direct entre la construction européenne et l’abandon de l’Algérie. Initialement, il est prévu de réaliser les deux projets d’intégration parallèlement. Néanmoins, l’européanisation continuelle des courants commerciaux français réduit progressivement la valeur économique de la Zone franc. Elle facilite la renonciation à l’Empire conflictuel en faveur du projet constructif d’une Europe unifiée. Le motif du double échec se retrouve également en ce qui concerne le projet de « l’indépendance dans l’interdépendance ». D’un côté, le bilan modeste de la coopération avec les ex-protectorats est le résultat de décisions françaises ambiguës. Les circonstances au Maroc et en Tunisie réclament une politique coopérative respectant la psychologie des jeunes États qui tentent de s’émanciper de la tutelle française. Au lieu de cela, la France compte sur une puissance qu’elle ne possède plus et sur une pression qui n’a guère d’effet sur les partenaires. De l’autre côté, l’évolution des rapports franco-maghrébins est prévisible dès le départ, car les concepts de « l’indépendance dans l’interdépendance » et de « l’Algérie, c’est la France » ne sont pas compatibles. Ils mènent à des conflits inévitables. Dans la crise de Suez, l’échec s’explique par des erreurs d’appréciation. Il est impossible de gagner la guerre d’Algérie en Égypte, car la rébellion ne dépend pas de manière décisive du soutien de Nasser. En ce qui concerne la question du canal, le choix d’une politique de force s’avère fatal, car la France n’est plus en mesure d’imposer ses intérêts à la communauté internationale. Ce fait connu à l’époque et la raison économique exigent une solution diplomatique du problème du canal qui n’est pas pourtant voulue par les décideurs. Dans l’ensemble, la politique nord-africaine de la IVe République évolue de la manière dont des critiques le prévoient à l’époque. L’incohérence, la contradiction et un manque de réalisme caractérisent largement les décisions prises. Au lieu d’accepter les limites en Afrique du Nord et d’organiser la décolonisation de façon anticipative, Paris mise tout sur une seule carte : « l’Algérie, c’est la France » quoi qu’il en coûte. Elle perd. Sans entrer dans le débat sur la « Françafrique » et le néocolonialisme, il reste à constater que l’ancienne métropole arrive mieux à préserver ses intérêts économiques et stratégiques dans les ex-colonies de l’Afrique qu’en Algérie. En 1964, plus de Français vivent et travaillent en Afrique

177 AN, Fonds Paul Reynaud, 74 AP 45 : Pourquoi je vote « Oui », par Paul Reynaud, p. 2.

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indépendante qu’auparavant. Actuellement, leur nombre s’élève à 250 000178. Comparant la décolonisation britannique et celle de l’Afrique du Nord française, Charles-André Julien écrit, « les Anglais savent partir à temps et l’on s’aperçoit plus tard qu’ils sont restés, officieusement, parfois aussi influents que par le passé »179. Plus de 50 ans après l’indépendance de l’Afrique du Nord, l’histoire de la colonisation française est toujours vivante dans les relations bilatérales et dans les esprits. La recherche en France se trouve actuellement dans une phase de transition. Une génération entière d’historiens, dont certains ont vécu personnellement la guerre d’Algérie, prend congé et laisse un héritage scientifique remarquable180. Cela présente à la fois des défis et des opportunités pour les chercheurs qui leur succèdent. D’un côté, il s’agira de conserver l’héritage malgré la distance temporelle croissante. De l’autre, cette dernière ouvre de nouvelles perspectives pour la recherche et pour un rapprochement humain et politique entre l’Algérie et la France. Pour Nicolas Sarkozy, alors Président de la République, le moment de tourner la page et de porter le regard vers l’avenir, sans nier le passé, vient en 2007181. Mais sans une prise en compte de l’histoire, les possibilités de la coopération franco-algérienne restent limitées. Avant de vouloir tirer un trait, il faut faire avancer le processus de réconciliation. En tout cas, il n’est ni possible ni souhaitable de couper le passé entièrement du présent. L’actuel Président français, François Hollande, reconnaît des crimes coloniaux lors d’un discours devant le parlement algérien fin 2012. Pour Hollande, la recherche historique est indispensable afin d’arriver à « la paix des mémoires »182. Il a raison. Les historiens français, algériens et internationaux peuvent contribuer au rapprochement en faisant de la recherche objective et sans idée préconçue. Néanmoins, la responsabilité majeure incombe aux gouvernements des deux pays. À eux de reconnaître la responsabilité des injustices du passé et, de cette manière, d’ouvrir la porte à de nouvelles possibilités de coopération pour l’avenir.

178 WALTER, Christoph/REMPE, Martin : La République décolonisée. Wie die Dekolonisierung Frankreich verändert hat, in : Geschichte und Gesellschaft, 37, 2 (2011), pp. 157–197, ici pp. 175–182. 179 JULIEN, Charles-André : L’Afrique du Nord en marche. Algérie, Tunisie, Maroc 1880–1952, Omnibus, Paris, 2002 (1952), p. 349. 180 Plusieurs précurseurs de la l’histoire coloniale et algérienne sont morts ces dernières années : Charles-Robert Ageron, Pierre Vidal-Naquet, Jacques Marseille et Daniel Lefeuvre. D’autres historiens, comme Catherine Coquery-Vidrovitch, Jean-Pierre Rioux et Guy Pervillé sont déjà ou seront bientôt en retraite. 181 Le Monde, (30/12/2007) : Le discours de N. Sarkozy sur la colonisation jugé insuffisant par le ministre de l’Intérieur algérien. 182 Le Monde, (20/12/2012) : Le discours de Hollande « n’a occulté ni le passé ni l’avenir ».

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS 1. UNGEDRUCKTE QUELLEN 1.1 Interviews Aufnahme und Transskript der Interviews befinden sich im Besitz des Autors. Interview mit Alfred Grosser, 10.02.2012, Paris. Interview mit Jean-François Eck, 21.02.2012, Paris. Interview mit Ewald Leufgen, 15.11.2013, Sülfeld.

1.2 Archives nationales (AN) Série Papiers des Chefs de l’État, IVe République, Secrétariat général et Cabinet Vol. 4 AG 1–12, Ordres du jour et procès verbaux des Conseils des Ministres. Vol. 4 AG 43, Correspondance, Questions coloniales: Union française, Afrique du Nord, Sahara, 1954–1958/Questions coloniales: généralités 1956: - 16.10.1956, Note, État d’esprit des Algériens du Maroc. - Note, Nouvelles structures à donner à l’Union française (Pays indépendants et Afrique Noire). Questions coloniales: généralités 1957: - 28.06.1957, Georges Leroy, à M. le Président. Union française, Afrique du Nord, Sahara, 1955: - 21.09.1955, Conseillers Municipaux des Communes de Fontaine et Engins (Isère) à M. le Président. Union française, Afrique du Nord, Sahara, 1958: - 25.3.1958, Rapport de Mission effectuée en Algérie et au Sahara par M. Pierre Montel, Président de la Commission de la Défense Nationale de l’Assemblée Nationale. Vol. 4 AG 44, Correspondance du secrétariat général et du cabinet, Algérie 1954: - Les événements d’Algérie, Discours et allocution de M. Roger Léonard, Gouverneur Général de l’Algérie. Correspondance du secrétariat général et du cabinet, Algérie 1955: - Région économique d’Algérie, Motion votée par la Région économique d’Algérie au cours de sa session trimestrielle tenue à Alger les 3,4 et 5 Novembre 1955. - 04.11.1955, Courrier Abdelatif Ben Sliman, Professeur d’Oran, à M. le Président. Correspondance du secrétariat général et du cabinet, Avril–Juin–Septembre 1956: - Mai 1956, Réflexions ou suggestions en vue d’un appel pour la paix, par R. Dolivet, Architecte, Maintenon. - 08.04.1956, Résolution sur le problème algérien, Comité National de l’Association Républicaine des Anciens Combattants & Victimes de Guerre. - 21.04.1956, Résolution du Personnel l’Usine à Gaz de Nice du 13 Avril 1956. Vol. 4 AG 45, Correspondance du secrétariat général et du cabinet, Algérie 1957: Janvier–Mars 1957: - 27.02.1957, Marie de Boucau, Le Conseil Municipal de Boucau, à M. Le Président. - 24.01.1957, Section Syndicale Bariquand & Marre, Arceuil, à M. Le Président. Avril–Juin 1957:

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Fonds Edgar Faure AP 505 (II) 147, Algérie 1958/1959: - 16.04.1958, Note sur l’évolution des charges consécutives aux opérations d’Algérie. AP 505 (II) 148, Tunisie 1955: - 31.05.1955, Boyer de Latour. - 13.09.1954, Boyer de Latour à Ministre des Affaires marocaines et tunisiennes. AP 505 (II) 344: Algérie Janvier–Février 1955: - 03.01.1955, Gouverneur général, Léonard, à Ministre de l’Intérieur. Algérie, Juin–Juillet 1955:

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1.7 Ministère des Finances et de l’Économie (MFE)

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1.7 Ministère des Finances et de l’Économie (MFE) Cabinet du Ministre, Edgar Faure Vol. 1A 0000463/1, Relations Commerciales et financières (1953–1955)/Maroc: - Compte-rendu de l’audience accorde par M. Pleven à M Lamy le 26 octobre 1953.

Cabinet du Ministre, Paul Ramadier Vol. 1A 0000443/1, Suez, Conséquences commerciales et financières pour la France: - 28.07.1956, Direction des Relations Économiques Extérieures, Note pour le Ministre. - 14.09.1956, Direction des Relations Économiques Extérieures, Note sur les conséquences d’une fermeture éventuelle du canal sur le Commerce extérieur. Vol. 1A 0000410/4: - 15.03.1956, Note sur la libération des échanges.

Direction des Finances Extérieures Vol. B 00010788/1, Italie, relations avec les pays étrangers (1945–1964)/Égypte: - 07.08.1963, L’ambassadeur français en Égypte (RAU). Maroc (1956–1961): - 27.08.1957, André Gabaudan, Conseiller Commercial à la Direction des relations économiques extérieures. - 13.04.1956, Ambassadeur Jacques Fouques Duparc au Ministre des Affaires étrangères. Tunisie (1958–1961): - 20.12.1961, Ambassadeur Gaston Palewski au Ministre des Affaires étrangères.

Direction du Budget Vol. B 0033562/1, Afrique du Nord, Plans d’équipements 1949–1957: - 17.07.1954, Note pour le Directeur, de M. Vaysset. - 18.10.1952, Note au sujet des investissements en Afrique du Nord.

Direction du Trésor Vol. B 0011632: - 14.08.1954, Note. Vol. B 0023809/1, Prêts, aides, garanties aux entreprises nationales/Maroc, Algérie, Tunisie: - Convention Compagnie Immobilière Franco-Marocaine. Vol. B 0024872/1, Industrialisation de l’Algérie, prêts spéciaux de la CEAD, (1953–1966): - 18.07.1960, Direction de l’énergie et de l’industrialisation, Résultats cumulés. Vol. B 0024875/1, Perspectives décennales de l’Algérie (1957–1959): - 04.12.1959, Perspectives décennales de développement économique de l’Algérie. - 19.11.1958, L’œuvre française dans les départements algériens, in: Agence économique & financière. - Schéma de rapport sur les „Perspectives décennales de développement de l’Algérie“. - 02.05.1958, Conséquences financières d’une extension à l’ensemble de la zone franc des objectifs proposé par le Ministre de l’Algérie en matière de développement du revenu individuel algérien, Direction du Trésor, JM/OB. - Mars 1958, Perspectives décennales de développement économique de l’Algérie. - 20.04.1958, Compte rendu de la première réunion de la Commission d’étude des Perspectives décennales de développement économique de l’Algérie. - 14.11.1958, Rapport présenté par M Denizet. Vol. B 0024887/2, Examen des projets de développement industriel et minier en Algérie par le Comité des zones d’organisation industrielle africaine (1949–1958): - Décembre 1955, Deux Conférences de M. Eirik Labonne à l’Institut des Hautes Études de Défense Nationale, Politique industrielle et stratégique de l’Union française, Les Z.O.I.A. Zones d’organisation industrielle et stratégique africains. Vol. B 0024968/1, Développement économique et sociale de l’Algérie 1957–1960: Création du Fonds d’équipement de l’Algérie, Caisse d’intervention économique:

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Inspection générale des Finances Vol. B 0069477/2: - Gouvernement Général de l’Algérie, Direction des Finances, Directeur Général Roger Goetze, Négociations sur les hydrocarbures en Algérie, Commercialisation du gaz Algérien et du pétrole 1949–1965. - 17.3/16.4.1958, handschriftliche Notizen.

1.8 Office Universitaire de Recherche Socialiste (OURS) Comité Directeur SFIO, Comité Directeur, Procès verbaux du 4–7–54 au 29–6–55. SFIO, Comité Directeur, Procès verbaux du 3–7–55 au 30–6–56. SFIO, Comité Directeur, Procès verbaux du 1–7–56 au 21–6–57.

Congrès national SFIO, 46e Congrès national, Asnières, 1–4 Juillet 1954. SFIO, 47e Congrès national, Asnières, 20 Juin–3 Juillet 1955. SFIO, 48e Congrès national, Lille, Juni 1956. SFIO, 50e Congrès national, Issy-Les-Mouligneaux, 11–14 Septembre 1958.

Conseil national SFIO, Conseil national, Puteau, 15–16 Décembre 1956.

1.8 Office Universitaire de Recherche Socialiste (OURS)

Fonds Guy Mollet Vol. AGM 12, Conseil National de Puteau, Novembre 1956: - Discours prononcé par Paul Ramadier au Conseil National du Parti Socialiste (S.F.I.O) du 16 Novembre 1956. Vol. AGM 67, Janvier 1956: - Discours prononcée par Guy Mollet à la tribune de l’Assemblée Nationale le 31 Janvier 1956. - 08.02.1956, Questions posées à Monsieur le Président du Conseil à la suite de la Conférence de presse. - 04.04.1956, M. Guy Mollet s’adresse à l’opinion américaine dans une interview publiée par „U.S. News“. - 28.04.1956, Discours prononcé par M. Guy Mollet à l’issue du banquet du Comité d’études régionales, économiques et sociales. Vol. AGM 74, Cession de matériel: - Bourgès-Maunoury à Mollet, Cession de Matériels de Guerre aux Pays du Proche-Orient. - 27.12.1956, Direction du Budget, Rapport au ministre, Perspectives d’évolution des budgets de 1958 à 1961. - 05.03.1957, Le Secrétaire d’État aux Affaires Économiques à Monsieur le Président du Conseil, La situation économique au 1er mars 1957 et les perspectives pour les mois à venir. Vol. AGM 80, Suez Divers, Lettres: - 31.10.1956, Courrier Jean Geoffroy, Sénateur de Vaucluse, à Mollet. - 31.10.1956, Courrier Ligue Internationale des Femmes pour la Paix et la Liberté à Mollet. Vol. AGM 81, Gouvernement Guy Mollet, Algérie, Février 1956: - 07.02.1956, Motion adoptée par les 120 Maires du département d’Alger réunis à Saint-Eugène. - 09.02.1956, Association syndicale des administrateurs des services civils d’Algérie, mémoire rédigé à la demande de G. Mollet, président du Conseil. Lettres, Analyses et suggestions. Algérie Mai–Octobre 1956: - Algérie, édité par le Service de l’Information du Gouvernement Général de l’Algérie. Vol. AGM 82, Algérie Janvier–Mars 1957: - 09.01.1957, Pour la paix en Algérie, pour une Algérie nouvelle. Déclaration de Guy Mollet, Président du Conseil. - Jacques Chevallier: Réflexions sur l’évolution de la situation algérienne. Vol. AGM 83, Algérie, Projets: - 16.10.1956, Note sur le projet de Loi fondamentale consacrant l’autonomie de l’Algérie et les observations auxquelles son examen a donné lieu dans le Comité Directeur, Etienne WeillRaynal. - 26.08.1957, Abdelkader Barakrok, Kommentar zu Loi-Cadre. Vol. AGM 91, 1958: - 03.02.1958, l’Inspecteur général de l’administration en mission extraordinaire pour la région de l’est Algérien, Maurice Papon, à Monsieur le Ministre de l’Algérie, évolution de la situation dans l’est Algérien. - Une solution pour l’Algérie, Karl Brandt, in: Fortune, (Februar 1958). Vol. AGM 135, Mendès-France: - 26.10.1956, Schreiben von Mendès-France. Vol. AGM 137, Paul Reynaud: - 09.05.1957, Guy Mollet, Lille. - 28.05.1957, Paul Reynaud, Paris.

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ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS AL AMUN AN ANOM ARS CGP CHEFF CHSP CIA CM CNI D.O.M. DDF DÉ DMJP EWG FLN GG GGA GPRA IBLN IGPDE IHTP INSEE IPAS IRICE JOA JOAN JOUF M.O.C.I. MAE MAMT MdI MDN MFE MRP MT NATO OAS OEEC OURS P. P.O.M. PC PR

Afrique-Levant American Model United Nations Archives nationales, Paris Archives nationales d’Outre-Mer, Aix-en-Provence Alliance des républicains sociaux Commissariat général du Plan Comité pour l’histoire économique et financière de la France Centre historique de Science Po Central Intelligence Agency Cabinet du Ministre Centre national des indépendants et paysans Départements d’Outre-Mer Documents Diplomatiques Français Direction économique Digithèque de matériaux juridiques et politiques Europäische Wirtschafts-Gemeinschaft Front de Libération Nationale Gouverneur général de l’Algérie Gouvernement général de l’Algérie Gouvernement provisoire de la République algérienne Institut des Belles Lettres Arabes Institut de la gestion publique et du développement économique Institut d’histoire du temps présent Institut national de la statistique et des études économiques Indépendants et paysans d’action sociale Identités, relations internationales et civilisations de l’Europe Journal Officiel de l’Algérie Journal Officiel de la République française, Assemblée nationale Journal Officiel de l’Assemblée de l’Union française. Le Moniteur du commerce international Ministère des Affaires étrangères Ministère des Affaires marocaines et tunisiennes Ministère de l’Intérieur Ministère de la Défense nationale Ministère des Finances et de l’Économie Mouvement républicain populaire Maroc–Tunisie North Atlantic Treaty Organization Organisation armée secrète Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit Office Universitaire de Recherche Socialiste Paginierung bei Quellenangaben Pays d’Outre-Mer Parti communiste Parti radical

412 RG RGR RI RN RPF RRS RS SFIO T.O.M. U.F.O.M. UDMA UDSR UdSSR UFF UR URSS USA ZOIA

Abkürzungsverzeichnis Résident général Rassemblement des gauches républicains Républicains indépendants Rassemblement national Rassemblement du peuple français Républicain radical et radical-socialiste Républicains sociaux Section française de l’internationale ouvrière Territoires d’Outre-Mer Union française d’Outre-Mer Union démocratique du manifeste algérien Union démocratique et socialiste de la Résistance Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Union et fraternité française Unité de la République Union des Républiques Socialistes Soviétiques United States of America Zones d’organisation industrielle et stratégique africaines

PERSONENINDEX Abbas, Ferhat 35, 40, 46, 109, 217 Alcerro, Napoleon 50 Alduy, Paul 276 Allard, Jacques 170 Alleg, Henri 94 André, Pierre 261, 269 Arafa, Mohammed Ben 76 Aron, Raymond 93, 107, 188, 224, 254, 264, 272, 298, 304 Aron, Robert 38 Arrighi, Pascal 180, 188 Aumeran, Adolphe 43, 50, 77, 83, 87, 107, 168 Aussaresses, Paul 23 Baillif, Raymond-Pierre-Étienne 136 Balafrej, Ahmed 223 Balandier, Georges 51 Barakrok, Abdelkader 88, 176 Barangé, Charles 180, 273 Barrachin, Edmond 302 Barrès, Philippe 95 Beau de Loménie, Emmanuel 167 Beaufre, André 245 Begarra, Joseph 43, 112, 225, 300 Ben Barka, Mehdi 223, 282 Ben Bella, Ahmed 214 Bénard, Jean-Pierre 219, 223 Benbahmed, Mostefa 46, 75, 91, 105, 108 Bendjelloul, Mohamed Salah 76, 109, 254 Bérard-Quélin, Georges 14, 116, 137, 262, 265 Berger-Vachon, Victor 95 Berliet, Paul 257 Bernard, Paul 56 Bey de Tunis (Lamine Bey) 205 Bidault, Georges 54, 167, 265 Billoux, François 166 Blachette, Georges 81, 113, 154, 249, 269 Blanchard, Jean 136, 145 Bloch-Lainé, François 248 Blum, Léon 35 Bonnefous, Édouard 212, 299 Bonnet, Georges 168, 245 Borgeaud, Henri 154 Boukouir, Salah 113

Bourgès-Maunoury, Maurice 112, 161, 217, 229, 243, 301 Bourguiba, Habib 75, 78, 203, 205, 211, 212, 213, 216, 217, 219, 222, 232 Boussac, Marcel 154 Bouteflika, Abd al-Aziz 25 Bouvier O’Cottereau, Jean-Marie 204 Boyer de Latour, Pierre 46, 77, 78, 95, 228 Branas, Jean 130, 138 Brandt, Karl 50, 209 Bromberger, Merry 244 Bromberger, Serge 244, 303 Burkhardt, Hector 257 Cadi, Abdelkader 46, 199 Cadi, Ali 108, 254 Caillavet, Henri 83, 106 Cambiaire, A. 254 Cambon, Paul 54 Camus, Albert 37, 38, 93, 94 Cartier, Raymond 247, 248, 249, 250 Castera, Edmond 129 Catroux, Georges 45 Césaire, Aimé 252, 293 Challe, Maurice 242 Chardonnet, Jean 60, 144, 145, 159, 258, 262, 264 Charpentier, René 267, 269 Chevalier, Louis 44, 52 Chevallier, Jacques 45, 107, 108, 236, 244 Clark, Colin 73 Coffin, Lucien 196 Cohen-Hadria, Elie 215 Coirre, Paul 87, 108 Conte, Arthur 137, 237 Coste-Floret, Alfred 302 Cot, Pierre 83, 85, 91, 205, 245, 268 Cotta, Alain 178 Crouzier, Jean 78, 104 D’Estailleur-Chanteraine, Philippe 178, 251 Darmstädter, Paul 247 De Gaulle, Charles 14, 15, 36, 38, 49, 165, 168, 177, 245, 271, 279, 280, 281, 282, 296, 302, 305, 313, 315 De Goislard de Monsabert, Joseph 77 De Hautecloque, Jean 53, 75 De Léotard, Pierre 300

414

Personenindex

De Saivre, Roger 87 De Tinguy du Pouët, Lionel 61, 111, 196, 319 De Tinguy, Lionel 14 De Tocqueville, Alexis 35 Dejean, Maurice 234 Delavignette, Robert 146, 306, 309 Delbez, Louis 251 Demarquet, Jean 302 Depreux, Édouard 42 Dia, Mamadou 84 Dides, Jean 42 Dorey, Henri 118, 191 Downs, Anthony 97 Dresch, Jean 33 Dronne, Dronne 279 Dronne, Raymond 78, 79, 83, 85, 106, 158, 230, 250, 303 Dubois, André-Louis 121, 204, 238 Dubois, Louis-André 237 Duclos, Jacques 264 Duhamel, Gabriel 256 Dulles, John Foster 235 Dumont, René 120, 122 Durox, Jean 154 Dusseaulx, Roger 251 Duval, Étienne 95 Eck, Jean-François 29, 100, 121, 285, 286, 300, 307 Ély, Paul 94, 188, 207, 293 Enfantin, Bartélemy Prosper 33 Eulenburg, Franz 272 Fanon, Frantz 94 Faure, Edgar 45, 80, 82, 86, 91, 196, 243, 271, 273, 296, 302, 304, 305 Faure, Gratien 154 Faure, Maurice 277 Fayet, Pierre 64, 135 Fonlupt-Esperaber, Jacques 113 Fouchet, Christian 78, 251 Froger, Amédée 91 Gaillard, Felix 195, 196 Gau, Albert 95 Gazagne, Pierre René 107 Gazier, Albert 303 Geoffroy, Jean 232, 244 Glaoui, Thami El 75 Goetze, Roger 67 Gorse, Georges 218, 228 Grandval, Gilbert 199, 200 Griotteray, Alain 24

Grosser, Alfred 14, 29, 37, 46, 80, 96, 154, 206, 304, 308, 310 Gruson, Claude 309 Gutmann, Francis 268 Hailey, William 106 Hamilton, Alexander 152 Hammarskjöld, Dag 234 Hamon, Léo 109 Haumesser, Léon 106, 258 Hitler, Adolf 230 Hollande, François 317 Hovnanian, Léon 236, 242 Hughes, Émile 160 Ibazizen, Augustin-Belkacem 47, 302 Isnard, Hildebert 52 Isorni, Jacques 282 Jacquet, Gérard 297 Jarrosson, Guy 77 Jeanneney, Jean-Marcel 289 Juin, Alphonse 50, 86, 91 Julien, Charles-André 54, 76, 316 July, Pierre 76, 79, 305 Justrabo, René 125 Kaâk, Othman 92 Khider, Mohammed 217, 225 Koenig, Pierre 44 Labonne, Eirik 57, 184 Lacoste, Francis 170, 202 Lacoste, Robert 45, 105, 122, 182, 188, 214, 217, 235, 236, 250 Lalouette, Roger 208, 223 Lamps, René 186 Laquière, Raymond 107 Lauriol, Marc 121 Lavergne, Bernard 95, 262, 265 Le Pen, Jean-Marie 24, 102, 219, 235, 302 Lebon, Pierre 58 Lecaillon, Jacques 248, 252 Leenhardt, Francis 192 Lefeuvre, Daniel 190 Lejeune, Max 138, 172, 214, 216 Lemaire, Maurice 161 Lenormand, Maurice 252 Léonard, Roger 63, 71, 86, 88, 114 Lepidi, Jules 62 Leroy, Georges 93 Leufgen, Ewald 29, 86, 103, 104, 105, 135, 174, 220, 286, 295 Mainguy, Maurice 93 Malleret-Joinville, Alfred 188, 238 Malterre, André 161 Manceau, Bernard 237, 263

Personenindex Mannoni, Octave 222 Martin, André 235 Maspétiol, Roland 114 Massignon, Louis 104 Masson, Jean 276 Massu, Jacques 23, 245 Mauriac, François 54 Maurice-Bokanowski, Michel 269 Mayer, René 46, 52, 85, 113 Mayère, Pierre 258, 260 Mazier, Antoine 182, 191, 192, 196, 224 Mécheri, Chérif 45 Memmi, Albert 147, 251 Mendès France, Pierre 279 Mendès-France, Pierre 78, 82, 86, 159, 166, 192, 196, 217, 240, 250, 254, 302, 308 Mercier, Gustave 44 Minay, Philip 61 Mitterrand, François 13, 79, 91, 113, 169 Moatti, René 253 Mohammed V. (Sidi Mohammed Ben Youssef) 75, 79, 110, 184, 204, 205, 211, 212, 214, 216, 217, 222 Moiroud, Marcel 307 Mollet, Guy 80, 91, 118, 161, 170, 213, 215, 216, 230, 243, 244, 245, 251, 253, 270, 302, 305, 306, 308 Monnet, Jean 68 Monteil, André 188, 255 Montel, Pierre 293 Morard, Louis 62 Morice, André 204 Morin, Jean 279 Mouquet, Michel 258, 260 Moussa, Pierre 125, 142, 249, 251, 252, 261, 264 Mutter, André 276 Naegelen, Marcel-Edmond 43, 45, 50, 60, 86, 87, 166, 250, 255, 257, 303 Naroun, Amar 85, 88 Nasser, Abdel Gamar 225, 228, 230, 232, 233, 234, 237 Nehru, Jawaharlal 80 Nezzar, Khaled 25, 37 Nisse, Robert 166, 269 Papon, Maurice 197 Paret, Roger 76 Parodi, Alexandre 83, 170, 201, 204, 216, 221 Paternot, Marcel 112 Paullian, Gilbert 126 Pellenc, Marcel 115

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Perié, R. 88, 95, 105 Perillier, Louis 85 Petit, Guy 41 Peyrassol, Lucien 113, 294 Pflimlin, Pierre 180, 181, 245 Philip, André 214, 235, 279, 294 Pinay, Antoine 227, 274 Pineau, Christian 80, 82, 138, 180, 206, 215, 216, 217, 226, 227, 228, 229, 230, 234, 235, 238, 243, 276, 279, 302, 303 Pius XII. (Eugenio Maria Giuseppe Giovanni Pacelli) 95 Plantier, Maurice 277 Pronteau, Jean 238, 245 Quilici, François 54, 83, 87, 112, 261 Rabier, Maurice 66, 87 Ramadier, Paul 188, 241 Ravussin, Charles Emmanuel 61 Reverbori, Georges 51 Reynaud, Paul 81, 82, 132, 191, 196, 270, 272, 276, 315 Ribère, Marcel 40, 64 Ricardo, David 126 Rimbert, Pierre 196 Roche, Émile 44, 50, 54, 261 Rochet, Waldeck 135 Salan, Raoul 219 Sano, Mamba 293 Sarkozy, Nicolas 317 Sartre, Jean-Paul 94 Sauvy, Alfred 116, 164, 253, 281, 307 Savary, Alain 105, 184, 200, 206, 209, 215, 217 Schaeffer, René 87 Schepilow, Dimitri 234 Schiaffino, Laurent 140, 154 Schumann, Maurice 228 Schumpeter, Joseph 124 Senghor, Léopold Sédar 39, 276 Sergent, Pierre 121 Seydoux, Roger 78, 203, 207, 210, 211, 213, 224 Sid-Cara, Chérif 87, 121, 158, 276 Smaïl, Amar 88 Sourbet, Jean 140 Soustelle, Jacques 41, 51, 85, 86, 89, 92, 112, 166, 250, 253, 260 Sportisse Gomez-Nadal, Alice 42, 83, 298 Teitgen, Henri 276 Thomas, Abel 229, 244 Thomson, Louis 165 Tixier, Claude 116

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Personenindex

Tixier-Vignancour, Jean-Louis 77 Trémolet de Villiers, Henri 219 Tron, Ludovic 208 Tsur, Jacob 229, 235 Van Ruymbeke, André 221 Vermeersch-Thorez, Jeannette 93 Vialet, Georges 41, 161, 166, 169, 242, 255 Vidal-Naquet, Pierre 104

Villon, Pierre 166, 301 Viniger, A. 91 Violette, Maurice 35, 119, 122, 134 Warnier de Wailly, Gilles 134 Weill-Raynal, Étienne 110, 303 Wormser, Olivier 81, 226, 231, 240 Yacine, Kateb 37 Zehnder, Alfred 14

BIOGRAFISCHES VERZEICHNIS Abbas, Ferhat (1899–1985, Algerien): Abbas nahm als Journalist und Herausgeber kontinuierlich zur Algerienfrage Stellung. Zunächst befürwortete er die Assimilationspolitik. Später schlug er ein autonomes Algerien innerhalb des französischen Verbunds vor (Manifeste du peuple algérien, 1943). In der IV. Republik wurde Abbas Abgeordneter der ‚Assemblée algérienne‘ und wandte sich der Unabhängigkeitsbewegung zu. 1956 schloss er sich mit seiner Partei UDMA offiziell dem FLN an. 1958 wurde Abbas Vorsitzender der Provisorischen Regierung Algeriens (GPRA) und 1962 erster Präsident des algerischen Parlaments. Aron, Raymond (1905–1983, Frankreich): Der Publizist, Philosoph und Soziologe war nach 1945 einer der zentralen Autoren der französischen Zeitung ‚Le Figaro‘. 1955 erhielt Aron gegen den Widerstand linker Intellektueller eine Professur für Soziologie an der Sorbonne in Paris. In seinen Publikationen La tragédie algérienne (1957) und L’Algérie et la République (1958) setzte er sich intensiv mit der Algerienfrage auseinander und gelangte zu dem Ergebnis, dass die Unabhängigkeit Algeriens nicht zu verhindern sei. Aron gehört zu den bedeutendsten liberal-konservativen Denkern des 20. Jahrhunderts. Als eine der wenigen Persönlichkeiten aus diesem Umfeld kritisierte er offen die Integrationspolitik. Arrighi, Pascal (1921–2004, Frankreich): Arrighi war als Anwalt tätig, bevor er in die Politik wechselte und 1956 für die Partei RRS ins Parlament gewählt wurde, wo er in den Jahren bis 1962 als vehementer Verfechter Französisch-Algeriens auftrat. Arrighi war in mehreren Kabinetten vertreten. Aufgrund seiner aktiven Unterstützung des Putschs im Mai 1958 in Algerien wurde sein parlamentarisches Mandat kurzzeitig suspendiert, wenig später jedoch wieder eingesetzt. Von 1986 bis 1988 saß Arrighi für den ‚Front national‘ erneut im Parlament. Aumeran, Adolphe (1887, Algerien–1980, Frankreich): Aumeran, im Laufe des Zweiten Weltkriegs zum General aufgestiegen, saß von 1946 bis 1956 saß als Abgeordneter des Départements Algier für die Partei ‚Républicains indépendants‘ in der französischen Nationalversammlung. Als Teil der radikalen Siedler-Elite lehnte Aumeran Zugeständnisse in der Algerienfrage ab und trat für ein kompromissloses Vorgehen gegen die Aufständischen ein. Aussaresses, Paul (1918–2013, Frankreich): Aussaresses kämpfte als Soldat im Zweiten Weltkrieg, in Indochina und in Algerien. Im Laufe seiner Karriere stieg er zum General auf. Sein Geständnis aus dem Jahr 2000, während des Algerienkrieges Foltermethoden eingesetzt zu haben und diese auch rückblickend zu befürworten, löste in Frankreich eine kontroverse Debatte aus. Balafrej, Ahmed (1908–1990, Marokko): Balafrej galt als zentrale Figur der marokkanischen Unabhängigkeitsbewegung und als enger Vertrauter der Königsfamilie. Nach der Unabhängigkeit Marokkos im März 1956 wurde er Außenminister und später Premierminister. Barakrok, Abdelkader (1915, Algerien–2006, Frankreich): Barakrok praktizierte zunächst als Hilfsarzt im algerischen Département ‚Les Aurès‘, bevor er in die Politik wechselte. 1948 wurde er erstmals als Abgeordneter in die ‚Assemblée algérienne‘ gewählt, wo er sich u. a. für bessere Bildungschancen der muslimischen Bevölkerung engagierte. 1957 wurde er zum ersten muslimischen Staatssekretär in einer französischen Regierung berufen. Barakrok war auf französischer Seite an den Verhandlungen mit der Provisorischen Regierung Algeriens über die Unabhängigkeit beteiligt. Er setzte sich die für Harkis ein, die während des Algerienkriegs für Frankreich gekämpft hatten und nach der Unabhängigkeit unter massiver Verfolgung durch den FLN litten. Seine Unterstützung für die Integrationspolitik veranlasste den FLN dazu, Barakrok bis zu einem Tod die Rückkehr nach Algerien zu verweigern. Barangé, Charles (1897–1985, Frankreich): Barangé saß in der IV. Republik von 1946 bis 1955 als Abgeordneter (MRP) in der ‚Assemblée nationale‘ und nahm dort die Funktion des General-

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Biografisches Verzeichnis

berichterstatters des Haushaltsausschuss wahr. Seine rege parlamentarische Tätigkeit beschränkte sich weitgehend auf seinen Kompetenzbereich. Beau de Loménie, Emmanuel (1896–1974, Frankreich): Der Historiker und Journalist Beau de Loménie wurde insbesondere durch sein mehrbändiges Werk Responsabilités des dynasties bourgeoises (1943–1973) bekannt. Mit seiner Publikation L’Algérie trahie par l’argent aus dem Jahr 1957 bezog er in der Algerienfrage für die Integrationspolitik und gegen Raymond Aron Stellung. Für den Fall der Unabhängigkeit Algeriens prophezeite er eine erneute kriegerische Auseinandersetzung in Europa. Begarra, Joseph (1908, Algerien–1997, Frankreich): Begarra saß seit 1947 für das algerische Département Oran in der ‚Union française‘. Ab 1955 führte er dort die Fraktion der Sozialisten. Von 1950 bis 1969 war er Mitglied im Parteivorstand. Begarra unterstützte die Algerienpolitik von Ministerpräsident Mollet, forderte echte Reformen und das Ende kollektiver Repressionsmaßnahmen gegen die algerische Bevölkerung. Als moderater ‚Pied noir‘ geriet er ins Fadenkreuz der OAS und entging zwei Anschlägen. Nach der Unabhängigkeit Algeriens versuchte Begarra zunächst, den Aufbau der algerischen Sozialisten zu unterstützen. 1964 verließ er sein Geburtsland und emigrierte nach Frankreich. Ben Bella, Ahmed (1918–2012, Algerien): Ben Bella kämpfte im Zweiten Weltkrieg für Frankreich, bevor er sich der Unabhängigkeitsbewegung anschloss und 1954 in Kairo mit anderen den FLN gründete. 1956 wurde Ben Bella mit vier weiteren FLN-Führern aus einem marokkanischen Flugzeug heraus verhaftet und blieb bis zur algerischen Unabhängigkeit in französischer Gefangenschaft. 1962 wurde er erster Staatspräsident Algeriens, bevor er 1965 sein Amt durch einen Militärputsch an den damaligen Vize-Premierminister Houari Boumédiène verlor. 1979 wurde Ben Bella aus der algerischen Haft entlassen. Benbahmed, Mostefa (1899–1978, Algerien): Benbahmed praktizierte zunächst als Anwalt in Algerien, bevor er über das ‚Deuxième Collège‘ in für die Sozialisten in die französischen Nationalversammlung gewählt wurde. Er wirkte in diversen, meist rechtlichen Ausschüssen. Nach dem Ausbruch des Algerienkriegs beteiligt er sich aktiv an der parlamentarischen Debatte über die Nordafrikapolitik. Er gehörte der pro-französischen Elite an, befürwortete die Integrationspolitik und forderte deren konsequente Umsetzung. Bendjelloul, Mohamed Salah (1893–1985, Algerien): Bendjelloul war einer der wenigen Algerier, die erfolgreich eine akademische Laufbahn einschlugen. Als promovierter Mediziner wirkte er in der Kinder- und Tropenmedizin. Über die Lokalpolitik gelangte Bendjelloul zu seinem politischen Engagement auf regionaler und schließlich auf nationaler Ebene. Er gehörte zu den Unterzeichnern von Ferhat Abbas’ Manifeste du peuple algérien (1943). 1951 wurde er über das ‚Deuxième Collège‘ in die Nationalversammlung gewählt. Er unterstützte zwar die Integrationspolitik, sah die Autonomie Algeriens jedoch als unausweichlich an, sollte die vollständige Gleichberechtigung der Muslime nicht rasch umgesetzt werden. Enttäuscht von den ausbleibenden Veränderungen forderte er 1955 mit 60 weiteren algerischen Mandatsträgern die Anerkennung der algerischen Nationalität. Bérard-Quélin, Georges (1917–1990, Frankreich): Bérard-Quélin, Gründer der elitären Vereinigung und Denkfabrik ‚Le Siècle‘, gilt als einer der einflussreichsten, aus dem Hintergrund wirkenden Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts in Frankreich. Er gab mehrere politische und ökonomische Zeitschriften heraus, in denen er sich auch zur Algerienfrage äußerte. Wenngleich sich Bérard-Quélin nicht explizit für die Aufgabe Algeriens aussprach, können seine Argumente durchaus als sehr kritisch gegenüber der Integrationspolitik eingestuft werden, die er als kaum zu bewältigende wirtschaftliche Herausforderung darstellte. Bidault, Georges (1899–1983, Frankreich): Bidault prägte die politische Bühne der IV. Republik. Bis 1954 bekleidete er fast durchgängig Regierungsposten, war u.a Außenminister und Ministerpräsident. Er stand der Aufgabe der Kolonien ablehnend gegenüber und zeigte sich in der Algerienfrage unnachgiebig. 1958 unterstützte Bidault die Rückkehr de Gaulles an die Macht. Als dieser ein Jahr später ein Referendum über die Selbstbestimmung Algeriens ankündigte,

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wandte sich Bidault von de Gaulle ab, gründete das ‚Rassemblement pour l’Algérie française‘ und wirkte in der OAS mit. Blachette, Georges (1900, Algerien–1980, Frankreich): Blachettes Familie lebte seit der Kolonialisierung in Algerien und besaß große Ländereien. Einerseits schien Blachette als reicher Großgrundbesitzer dem kolonialistischen Stereotyp zu entsprechen und galt als einer der einflussreichsten ‚Pieds noirs‘ mit großer Lobby in Algier und Paris. Andererseits war er mit liberalen Persönlichkeiten wie Jacques Chevallier vernetzt und setzte sich in seiner Zeit als Abgeordneter des Départements Algier in der Nationalversammlung (1951–1955) auch für die Belange der muslimischen Bevölkerung ein. Bourgès-Manoury, Maurice (1914–1993, Frankreich): Bourgès-Maunoury machte zunächst im Militär Karriere, bevor er in die Politik wechselte und für den ‚Parti radical‘ und das Département Haute Garonne in die Nationalversammlung einzog. Bourgès-Maunoury war in der IV. Republik als Minister an zahlreichen Regierungen beteiligt. Für die Dauer von 6 Monaten bekleidete er 1957 das Amt des Ministerpräsidenten. In der Algerienfrage machte er sich einerseits für eine militärische Lösung stark und befürwortete die Suezintervention. Andererseits forderte er tiefgreifende Reformen. Sein Gesetzesentwurf für die Einführung des ‚Collège unique‘ scheiterte im Parlament. Bourguiba, Habib (1903–2000, Tunesien): Bourguiba wurde in Frankreich zum Rechtsanwalt ausgebildet, bevor er in Tunesien die Unabhängigkeitsbewegung ‚Néo-Destour‘ gründete. Sein Kampf für das Ende des französischen Protektorats führte 1952 zu seiner Verhaftung und Exilierung. Als sich die Situation in Tunesien 1954 zuspitzte, schwenkte Paris um, ließ Bourguiba ins Land zurückkehren und setzte fortan auf eine enge Kooperation mit ihm. Bourguibas Streben nach uneingeschränkter Souveränität und sichtbarer Loslösung vom kolonialen Erbe kollidierten in der Folge jedoch mit dem Versuch Frankreichs, enge institutionelle Bindungen mit Tunesien zu bewahren. Bourguiba war erster Premierminister und Präsident des unabhängigen Tunesiens. Er baute seine Macht schnell aus und beherrschte das Land bis 1987 mit autokratischem Regierungsstil. Boyer de Latour, Pierre (1896–1976, Frankreich): Boyer de Latour machte auf diversen militärischen Posten in Nordafrika, insbesondere in Marokko Karriere. 1946 stieg er zum General auf und übernahm hohe militärische und zivile Aufgaben während des Indochinakrieges. 1954 wurde Boyer de Latour zum Generalresidenten in Tunesien ernannt und war maßgeblich an den Verhandlungen zur internen Autonomie des Protektorats beteiligt. Kurzeitig bekleidet er Ende 1955 das Amt des Generalresidenten in Marokko. Sein polarisierendes Werk Vérités sur l’Afrique du Nord (1956), in dem er die Regierungspolitik scharf kritisierte und vor dem Verlust des Kolonialreichs warnt, führte zu seiner Versetzung in den einstweiligen Ruhestand. Cadi, Abdelkader (1904–1955, Algerien): Cadi war als Großgrundbesitzer in diversen landwirtschaftlichen Interessensverbänden in Algerien aktiv. 1946 wurde er für die Liste ‚Musulman indépendant pour la défense du fédéralisme algérien‘ über das ‚Deuxième Collège‘ in die Nationalversammlung gewählt, wo er in verschiedenen Ausschussen wirkte. Er setzte sich insbesondere für die Interessen der algerischen Landwirte und mehr politische Rechte für die Algerier ein. Er warnte davor, die Missstände in Nordafrika zu ignorieren und forderte grundlegende Veränderungen. Camus, Albert (1913–1960, Frankreich): Camus’ Familie mit französischen und spanischen Wurzeln lebte seit drei Generationen in Algerien. Der Schriftsteller kritisierte früh die französische Nordafrikapolitik, die der Realität stets Jahrzehnte hinterherhinke. Das Vorgehen der Armee in Sétif 1945 verurteilte er scharf. Mit seinem Appel pour une Trêve Civile (1956) und der Vision eines autonomen, an Frankreich assoziierten Algeriens versuchte Camus vergeblich, die während des Algerienkriegs stetig zunehmende Spaltung zwischen Muslimen und ‚Pieds noirs‘ zu überwinden. Sowohl die radikalen Siedler als auch der FLN sahen ihn als Verräter an. 1957 erhielt Albert Camus den Literaturnobelpreis. Cartier, Raymond (1904–1975, Frankreich): Cartiers Antikolonialismus (Cartiérisme) beruhte auf seiner Überzeugung, dass die Überseegebiete ökonomisch nachteilig für Frankreich seien,

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was der marxistischen These der kolonialistischen Ausbeutung widersprach. Seine Artikel in der Zeitung ‚Paris-Match‘ (1956) führten dazu, dass die Frage von Kosten und Nutzen der Kolonien stärker in der Öffentlichkeit debattiert wurde. Auf Algerien wandte der Journalist Cartier seine Thesen indessen nicht an, da es Teil Frankreichs und damit über ökonomische Abwägungen erhaben sei. Diese Ambivalenz Cartiers wird in der Forschungsliteratur häufig übersehen. Césaire, Aimé (1913–2008, Frankreich (Martinique): Aimé Césaire begründete mit Léopold Sédar Seghnor und anderen die politisch-literarische Strömung der ‚Négritude‘ und engagierte sich vehement gegen den Kolonialismus. Von 1946 bis 1993 vertrat Césaire als Abgeordneter das Überseedepartement La Martinique im französischen Parlament. Bei allen wesentlichen Abstimmungen über die französische Nordafrikapolitik stimmte Césaire gegen die Regierungsmehrheit. Er gilt als bedeutendster Politiker seiner Zeit aus La Martinique. Challe, Maurice (1905–1979, Frankreich): Challe hatte als Offizier diverse Schlüsselfunktionen in der französischen Armee in Nordafrika inne. Er war Teil der geheimen Delegation, die in Sèvres die franko-britisch-israelische Kooperation im Suezkrieg aushandelte. Ende 1958 wurde Challe das militärische Oberkommando in Algerien übertragen. Seine als ‚Plan Challe‘ bezeichnete großangelegte Militäroperationen schwächten den algerischen Widerstand empfindlich, ohne diesen jedoch endgültig zu brechen. Im April 1961 war Challe maßgeblich am Putsch der Generäle beteiligt, die damit die Unabhängigkeit Algeriens verhindern wollten. Zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt, wurde Challe 1968 infolge einer Amnestie aus der Haft entlassen. Chardonnet, Jean (1914–1996, Frankreich): Als Geograf und Ökonom verfasste Chardonnet eine Vielzahl von Studien zu diversen Themen und beteiligte sich aktiv an der Debatte über Algerien und die Überseegebiete allgemein. Er zeigte sich vom beidseitigen Nutzen der ökonomischen Beziehungen zwischen Metropole und Kolonien überzeugt und warnte vor empfindlichen Auswirkungen für die französische Wirtschaft, sollte Algerien die Unabhängigkeit erlangen. Im Vergleich zu anderen Anhängern Französisch-Algeriens war Chardonnet stärker um Sachlichkeit bemüht, wenngleich seine Thesen einer Prüfung häufig nicht standhalten. Chevalier, Louis (1911–2001, Frankreich): Chevalier wirkte neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit als Historiker und Demograf auch als Experte in diversen öffentlichen Funktionen. Er verfasste eine Reihe von Studien, in denen er die Politik aufforderte, den immensen ökonomischen und demografischen Herausforderungen in Nordafrika durch ein adäquates Engagement zu begegnen. Er kritisierte die versäumte Industrialisierung der Region und sprach sich gegen die Reduzierung des algerischen Weinbaus aus. Zur politischen Dimension der der Algerienfrage bezog Chevalier nicht explizit Stellung. Chevallier, Jacques (1911, Frankreich–1971, Algerien): Chevalliers Familie väterlicherseits lebte seit Generationen in Algerien und hatte es zu großem Wohlstand gebracht. Er selbst lebte ab dem 10. Lebensjahr dort. In der IV. Republik engagierte sich Chevallier stark in der algerischen Politik, u. a. als Bürgermeister von Algier. Kurzzeitig bekleidete er auch Regierungsposten in Frankreich. Er lehnte das Statut von 1947 als unzureichend ab, kritisierte das Ausbleiben tiefgreifender Reformen und hielt die Integrationspolitik aufgrund der jahrzehntelangen Versäumnisse für nicht mehr praktikabel. Chevalliers liberale Positionen riefen in Paris und Algier den Widerstand radikaler Anhänger Französisch-Algeriens hervor. Als einer der wenigen ‚Pieds noirs‘ entschied sich Chevallier nach der Unabhängigkeit für die algerische Staatsbürgerschaft. Cot, Pierre (1895–1977, Frankreich): Pierre Cot saß in der IV. Republik durchgängig als Abgeordneter in der Nationalversammlung, bekleidete jedoch kein Regierungsamt. Seine politische Agenda ist schwer einzuordnen und kann am ehesten als links-liberal bezeichnet werden. Cot beteiligte sich sehr aktiv an der parlamentarischen Debatte zur Nordafrikapolitik und begleitete den Kurs der Regierung äußerst kritisch. Er sprach sich für eine gestaltete Entkolonialisierung aus, durch die französische Interessen am besten zu bewahren seien. Im Vergleich zur

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kommunistischen Opposition war Cots Haltung weniger ideologisch und stärker sachlich begründet. Delavignette, Robert (1897–1976, Frankreich): Delavignette spielte als Funktionär im Prozess der Entkolonialisierung eine Schlüsselrolle. Neben der Leitung der ‚École coloniale‘ hatte er hohe Verwaltungsposten in den afrikanischen Kolonien inne. Ferner war er Mitglied der 1957 eingesetzten ‚Commission de sauvegarde des droits et libertés individuels‘, die auf öffentlichen Druck hin von der Regierung eingesetzt wurde, um das Vorgehen der französischen Armee in Algerien zu untersuchen. Er befürwortete eine gestaltete Entkolonialisierung und wandte sich sowohl gegen die „colonialistes“, die sich Veränderungen verweigerten, als auch gegen die „métropolistes“, die aus finanziellem Kalkül die Verbindungen zu den Überseegebieten kappen wollten. Dronne, Raymond (1908–1991, Frankreich): Dronne war mit Unterbrechungen von 1951 bis 1978 Abgeordneter der Nationalversammlung. Er lehnte die Entkolonialisierung ab und warnte, der Verlust Französisch-Nordafrikas werde Frankreich in die Bedeutungslosigkeit führen. Im Parlament vertrat er, ebenso wie seiner Publikation La révolution d’Alger (1958), radikale Positionen. Im Mai 1958 solidarisierte sich Dronne mit den Putschisten in Algier. Eck, Jean-François (Frankreich): Eck ist emeritierter Professor für moderne Wirtschaftsgeschichte an der Universität Lille, Mitglied des Pariser Forschungsinstitut IRICE und des DeutschFranzösischen Historikerkomitees. Anfang 2012 gewährte Eck dem Verfasser der vorliegenden Studie ein ausführliches Interview zu den ökonomischen Hintergründen der französischen Nordafrikapolitik und deren öffentlicher Wahrnehmung. Ehrmann, Henry W. (1908, Deutschland–1994, USA): Von den Nationalsozialisten verfolgt, floh Ehrmann zunächst nach Frankreich, wo er als Journalist arbeitete. Nach der Besetzung emigrierte er in die USA, wo er an verschiedenen Universitäten Rechts- und Politikwissenschaften lehrte. Ehrmann verfasste mehrere Studien über die französische Wirtschaftspolitik. Ély, Paul (1897, Griechenland–1975, Frankreich): Ély hatte eine Vielzahl von Führungspositionen im französischen Militär inne. Zur Zeit des Algerienkriegs war er Leiter zweier Generalstäbe. Ély gehörte zu den wenigen ranghohen Militärs, die sich, zumindest inoffiziell, für eine progressive Entkolonialisierung aussprachen. Die durch den Algerienkrieg bedingte Auslastung der Streitkräfte sah er als Sicherheitsrisiko für Frankreich an. In einer liberalen Lösung der Algerienfrage erkannte er die Möglichkeit, französische Interessen in der Region zu wahren und einen radikalen Bruch zu verhindern. In seinen Memoiren (1964) geht er auf die Kriege in Indochina, Algerien und am Suezkanal ein. Fanon, Frantz (1925, Frankreich (Martinique)–1961, USA): Geprägt von den alltäglichen Diskriminierung im Kolonialsystem, wurde der Psychiater Fanon zu einer prägenden Figur des radikalen Antikolonialismus und des ‚Tiers-mondisme‘. Nach seiner Ausweisung aus Algerien unterstützte er ab 1956 vom Ausland aus die Propagandaarbeit des FLN. 1959 erschein sein Werk L’an V de la révolution algérienne. 1960 traf er Jean-Paul Sarte, der das Vorwort zu Fanons berühmtestem Werk Les damnées de la terre schrieb. Fanon sah Gewalt als legitimes Mittel im Kampf gegen Kolonialismus und Imperialismus an. Faure, Edgar (1908–1988, Frankreich): Faure (RRS/RGR) gehörte zu den prägendsten Politikern der IV. Republik. 1952 wurde er zum Premierminister gewählt. Darüber hinaus bekleidete er diverse Ministerposten. Drei Monate nach dem Ausbruch des Algerienkriegs wurde Faure mit großer Mehrheit ein zweites Mal die Regierungsverantwortung übertragen. In diese Amtszeit fiel die Entscheidung, Tunesien und Marokko in die Unabhängigkeit zu entlassen. Manche trauten ihm auch eine politische Lösung der Algerienfrage zu, die jedoch ebenso wie tiefgreifende Reformen in Algerien aufgrund des massiven Widerstands im französischen Parlament ausblieben. Fouchet, Christian (1911, Frankreich–1974, Schweiz). In der IV. Republik war Fouchet von 19511955 als Abgeordneter (RPF) in der Nationalversammlung vertreten. Als Minister für marokkanische und tunesische Angelegenheiten (Juni 1954-Februar 1955) war er maßgeblich an den Verhandlungen beteiligt, die zur internen Autonomie Tunesiens führten. In seiner Funkti-

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on als Hoher Kommissar für Algerien (März-Juli 1962) erlebte Fouchet die dramatische Periode unmittelbar nach der Unabhängigkeit. Später bekleidete Fouchet weitere Ministerämter. Gaillard, Félix (1919–1970, Frankreich): Im Alter von 27 Jahren wurde Gaillard erstmals in die Nationalversammlung gewählt (RRS), wo er das Département Charente bis zu seinem Tod vertrat. Er setzte sich insbesondere für mehr Haushaltsdisziplin ein. Gaillard befürwortete die Integrationspolitik, stand Reformen gleichwohl aufgeschlossen gegenüber. Nach mehreren Posten als Staatsekretär folgte 1957 das Amt des Finanzministers. In dieser Funktion verantwortete er die Abwertung des Francs („opération 20 %“). Im gleichen Jahr wurde Gaillard mit 38 Jahren der bis dahin jüngste Regierungschef Frankreichs aller Zeiten. Anfang 1958 konnte er im Parlament das lange blockierte ‚Loi-cadre‘ für Algerien durchsetzen. Wenig später scheiterte seine Regierung in Folge der Sakiet-Affäre. De Gaulle, Charles (1890–1970, Frankreich). Nachdem de Gaulle im Rahmen des Widerstands gegen die Nationalsozialisten und der Befreiung von der deutschen Besatzung in Frankreich großes Prestige erlangt hatte, wurde er im November 1945 zum Ministerpräsidenten der provisorischen Regierung ernannt. Aus Protest gegen die als zu parlamentslastig kritisierte Verfassung der IV. Republik trat er 3 Monate später zurück. Als der Versuch scheiterte, mit seiner neu gegründeten Partei RPF eine präsidentielle Verfassung durchzusetzen, zog sich de Gaulle bis zum Ende der IV. Republik aus der aktiven Politik zurück. Da sich de Gaulle nur selten offen zur Algerienfrage äußerte, ist seine genaue Haltung umstritten. In Folge des Militärputsches im Mai 1958 wurde de Gaulle erneut mit der Regierungsverantwortung betraut, wobei er sich bezüglich seiner Ziele für Nordafrika bedeckt hielt. Die von ihm ausgearbeitete, dem Präsidenten weitreichende Befugnisse einräumende und die Möglichkeit von Referenden beinhaltende Verfassung für die V. Republik erlaubte de Gaulle letztlich die Durchsetzung der Unabhängigkeit Algeriens. Goetze, Roger (1912–2004, Frankreich): Goetze wirkte als Finanzdirektor in Algerien sowie auf hohen Posten im französischen Finanzministerium. Gorse, Georges (1915–2002, Frankreich): Gorse lehrte an der Universität in Kairo und galt als ausgesprochener Kenner der arabischen Welt. 1946 wurde er in die Nationalversammlung gewählt (SFIO), 1951 wechselte er in die ‚Assemblée de l’Union française‘. Er wurde mit diversen Posten in der Kolonialpolitik betraut, bevor er 1957 zum ersten Botschafter Frankreichs in Tunesien ernannt wurde. Gorse befürwortete eine pragmatische Nordafrikapolitik und geriet häufiger in Konflikt mit den Hardlinern in Parlament und Regierung. In der V. Republik bekleidete er den Botschafterposten in Algerien sowie mehrere Ministerämter. Grandval, Gilbert (1904–1981, Frankreich): Grandval wurde 1955, inmitten der Krise um die Absetzung von Sultan Mohammed, zum Generalresidenten in Rabat ernannt. Er hatte die Absetzung als Fehler kritisiert, eine Rückkehr auf den Thron hielt er zum damaligen Zeitpunkt jedoch für unklug. Mit seinen Bemühungen um einen tragbaren Kompromiss geriet Grandval schnell zwischen die Stühle. Nach weniger als zwei Monaten im Amt reichte er enttäuscht seinen Rücktritt ein. Seine Sicht der Ereignisse schildert er im 1956 erschienenen Werk Ma mission au Maroc. Grosser, Alfred (1925, Deutschland): Wenngleich Grossers Forschungsschwerpunkt auf den Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland liegt, beteiligte sich der französische Journalist und Politikwissenschaftler mit deutschen Wurzeln ebenfalls aktiv an der Debatte über die Nordafrikapolitik. Er stand der Integrationspolitik skeptisch gegenüber und befürwortete eine Politik, die den Kolonien den Weg in die Selbstbestimmung eben sollte. Grosser lehrte am ‚Institut d’étuds politiques de Paris‘ und an zahlreichen internationalen Universitäten Politikwissenschaft. Er ist Träger mehrerer Auszeichnungen und Preise. Anfang 2012 stand er dem Autor der vorliegenden Studie für ein ausführliches Interview zur Verfügung. Haumesser, Léon (1903–1991, Frankreich): Geboren in Frankreich, wanderte Haumesser 1941 nach Algerien aus und vertrat von 1951 bis 1955 das Département Constantine im Parlament. Er kritisierte das seiner Einschätzung nach zu unentschlossene Vorgehen gegen die Aufständischen und verneinte die Existenz eine politische Dimension in der Algerienfrage. Im Be-

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reich der politischen Institutionen befürwortete Haumesser eine Parität zwischen Algeriern und ‚Pieds noirs‘, da das zahlenmäßige Übergewicht Ersterer durch die ökonomische Potenz Letzterer ausgeglichen würde. Ibazizen, Augustin-Belkacem (1897, Algerien–1980, Frankreich): Als Dank für seine militärischen Dienste erhielt Ibazizen nach dem ersten Weltkrieg die französische Staatsbürgerschaft. Er konvertierte zum Christentum und war in der französischen Kultur sehr viel stärker verankert als in der algerischen. In gewisser Weise kann Ibazizen als Paradebeispiel für die Assimilationspolitik gelten. 1953 wurde er für die MRP in die ‚Assemblée de l‘Union française‘ gewählt, wo er sich für den Erhalt Französisch-Algeriens starkmachte. Jeanneney, Jean-Marcel (1910–2010, Frankreich): Jeanneney war von 1959 bis 1962 Industrieminister. Anschließend wurde er Frankreichs erster Botschafter im unabhängigen Algerien. Im Verlauf der V. Republik hatte er weitere Regierungsposten inne. Neben seinem politischen Engagement machte sich Jeanneney als Wissenschaftler einen Namen. U. a. lehrte er Volkswirtschaft an der Pariser Universität. Juin, Alphonse (1888, Algerien–1967, Frankreich): Der ‚Pied noir‘ Juin wurde 1952 in den höchsten Generalstand (Maréchal) gehoben und galt als einflussreichster Militär in Nordafrika mit besten Kontakten in die politischen Machtzentren in Algier, Paris, Rabat und Tunis. Als Generalresident verantwortete er 1953 die Exilierung von Sultan Mohammed V. Er sprach sich sowohl gegen die Unabhängigkeit der Protektorate als auch gegen die Aufgabe FranzösischAlgeriens aus. Zwar gehörte Juin nicht zu den Putschisten, dennoch weigerte er sich, de Gaulles Politik zu folgen. Julien, Charles-André (1891–1991, Frankreich): Julien siedelte im Alter von 15 Jahren mit seiner Familie nach Algerien um. Bereits in jungen Jahren nahm er sein antikoloniales Engagement in Nordafrika auf. Einige Jahre lang wirkte er im ‚Parti communiste‘, bevor ins Lager der SFIO wechselte. 1958 verließ er die Partei wieder. Julien wirkte an der Gründung der Zeitung ‚Le Monde‘ mit und gehörte dem ‚Comité France-Maghreb‘ an, das sich für eine liberale Nordafrikapolitik starkmachte. Julien hatte enge Kontakte zu König Mohammed V. und lehrte einige Jahre an der Universität Rabat. July, Pierre (1906–1982, Frankreich): July saß von 1945 bis 1958 für verschiedene Mitte-RechtsParteien in der Nationalversammlung. Als Minister für marokkanische und tunesische Angelegenheiten verantwortete er die Aushandlung und Unterzeichnung der franko-tunesischen Konventionen. Ferner war July an den Verhandlungen über die Rückkehr von Mohammed V. aus dem Exil und die marokkanische Unabhängigkeit beteiligt. Khider, Mohammed (1912, Algerien–1967, Spanien): Khider trat bereits in jungen Jahren für die Unabhängigkeit Algeriens ein. 1946 wurde er für die MTLD in die Nationalversammlung gewählt. Wenig später verschrieb er sich dem gewaltsamen Unabhängigkeitskampf. 1956 traf Khider einen Vertrauten Guy Mollets zu geheimen Gesprächen, die jedoch ohne Ergebnis blieben und nach seiner Verhaftung im Rahmen der Ben Bella Affäre ein abruptes Ende fanden. Nach der Unabhängigkeit bekleidete er zunächst Regierungsämter, bevor er 1963 aufgrund eines Zerwürfnisses mit Präsident Ben Bella ins schweizer Exil ging, von wo aus er die algerische Diktatur kritisierte. 1967 fiel er einem Attentat zum Opfer. Labonne, Eirik (1888–1971, Frankreich): Der Hohe Funktionär und Diplomat Labonne bekleidete von 1938 bis 1940 den Posten des Generalresidenten in Tunesien und von 1946 bis 1947 das Pendant in Marokko. In der IV. Republik beteiligte er sich rege an der Debatte über die Nordafrikapolitik. Labonne trat für Reformen und eine liberale Politik ein, die sowohl die Interessen des Maghreb als auch jene Frankreichs berücksichtigen sollte. Lacoste, Robert (1898–1989, Frankreich): Der Sozialist Lacoste war als Minister an zahlreichen Regierungen der IV. Republik beteiligt. Von 1956 bis 1958 verantwortete er als Algerienminister maßgeblich die Integrationspolitik. Lacoste war einerseits bemüht, durch Reformen die den Muslimen zugesagte Gleichheit voranzutreiben. Andererseits forcierte er massiv das militärische Engagement in Algerien, billigte die Ben Bella Aktion und befürwortete die

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Suezintervention. Während seine Politik von liberalen Kräften als repressiv kritisiert wurde, warfen ihm radikale Siedler zu große Nachgiebigkeit vor. Lacoste, Francis (1905–1993): Lacoste vertrat als Generalresident in Marokko (1954-1955) eine harte Linie. Er sprach sich dafür aus, Marokkos formelle Souveränität zwar anzuerkennen, Frankreichs Steuerung der marokkanischen Politik jedoch aufrechtzuerhalten. Er warnte vor Zugeständnissen an Tunesien, die äquivalente Forderungen Marokkos nach sich zögen. Die Rückkehr von Sultan Mohammed auf den Thron lehnte Lacoste ab. Lalouette, Roger (1904–1980, Frankreich): Lalouette war von 1956 bis 1957 französischer Botschafter in Marokko. Lauriol, Marc (1916, Algerien–2006, Frankreich): Lauriols Familie lebte seit 1851 in Algerien. Er wirkte als Rechtswissenschaftler in Algier und Paris. In seinem 1956 veröffentlichten Werk L’Algérie angoissée kritisierte er einerseits die fortgesetzte soziale Diskriminierung der Muslime, sprach sich andrerseits für ein Festhalten an Französisch-Algerien in einem föderalen System aus. Gemeinsam mit Politikern wie Jacques Soustelle und Georges Bidault versuchte Lauriol bis zuletzt, die Unabhängigkeit Algeriens zu verhindern. In Zusammenhang mit dem Putsch der Generäle 1961 wurde seine parlamentarische Immunität zwischenzeitlich aufgehoben. Im Verlauf der V. Republik konnte Lauriol sein parlamentarisches Wirken jedoch fortsetzen. Lavergne, Bernard (1884–1975, Frankreich): Lavergne lehrte an den juristischen Fakultäten in Lille, Algier und Paris. Zugleich engagierte er sich in wirtschaftsliberalen Vereinigungen. Lavergne war Mitbegründer der ökonomischen Fachzeitschrift ‚La Revue des études coopératives‘. In seinem 1957 publizierten Werk Problèmes africains befasst er sich u. a mit den Hintergründen der Algerienfrage. Lavergnes aus ökonomischer Perspektive durchaus stichhaltige Argumentation gegen die Integrationspolitik wurde durch seine fragwürdigen Thesen über die Mentalität der Muslime konterkariert. Die Unmöglichkeit einer einvernehmlichen Lösung vor Augen, sprach er sich für eine Teilung Algeriens aus. Le Pen, Jean-Marie (1928, Frankreich): Le Pen kämpfte als Soldat in Indochina, bevor er 1956 für die UFF ins französische Parlament gewählt wurde. Dort trat er als radikaler Verfechter des Kolonialreichs und einer Politik der Stärke in Nordafrika auf. Im September 1956 meldete er sich freiwillig für den Algerienkrieg. Le Pen gründete später die rechtsextreme Partei ‚Front National‘. In der nach der Jahrtausendwende entflammten Debatte über den Einsatz von Folter während des Algerienkriegs sah sich auch Le Pen mit Vorwürfen konfrontiert. Lejeune, Max (1909–1995, Frankreich): Lejeune, überzeugter Anhänger Französisch-Algeriens, gehörte der SFIO an, saß für das Départemente Somme in der Nationalversammlung und war als Minister an mehreren Regierungen beteiligt. Er sprach sich für eine harte Linie in der Algerienfrage aus und befürwortete die militärische Intervention am Suezkanal. Als Staatssekretär wirkte er an der Ausweitung der Repressionspolitik und an der Anpassung der Streitkräfte an die Gegebenheiten des Algerienkriegs mit. Leufgen, Ewald (1939, Deutschland): Leufgen kam im Januar 1961 als deutscher Fremdenlegionär im Dienst der französischen Armee nach Algerien. Während seiner fünfjährigen Dienstzeit erlebte er die Endphase des Algerienkriegs, den Putsch der Generäle, die letzten Monate Französisch-Algeriens und die algerische Unabhängigkeit. Im November 2013 stand Ewald Leufgen dem Autor der vorliegenden Studie für ein ausführliches Interview zu seinen Erfahrungen und Erlebnissen dieser Zeit zur Verfügung. Maspétiol, Roland (1904–1994, Frankreich): Der Hohe Funktionär Roland Maspétiol war federführend an der Ausarbeitung des Rapport du Groupe d’étude des relations financières entre la Métropole et l’Algérie (1955) beteiligt. Dieser besser als Rapport Maspétiol bekannt gewordene Entwicklungsplan bildete bis 1958 die finanzpolitische Grundlage der französischen Investitionspolitik in‘ Algerien. Von 1959 bis 1963 leitete Maspétiol die ‚Société Française de l’Économie Rurale‘. Massu, Jacques (1908–2002, Frankreich): Massu diente als Soldat in zahlreichen französischen Überseegebieten. Als Brigadegeneral kommandierte er eine Einheit während der französi-

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schen Militärexpedition am Suezkanal. Danach wurde ihm das Kommando über die 10. Division in Algerien übertragen, die maßgeblich an der berüchtigten „Schlacht um Algier“ beteiligt war. Massu gehörte zu den Schlüsselfiguren des Putsches vom Mai 1958. Nach öffentlicher Kritik an de Gaulles Algerienpolitik wurde Massu 1960 von seinem Posten abberufen. Im Jahr 2000 übernahm Massu die Verantwortung für den Einsatz von Folter während des Algerienkriegs. Mayer, René (1895–1972, Frankreich): René Mayer saß für das algerische Département Constantine in der Nationalversammlung, war gleichwohl kein gebürtiger ‚Pied noir‘ und politisch eher in der Metropole verwurzelt. Dennoch verfügte er über gute Verbindungen zu einflussreichen Siedlerkreisen in Algerien. Als Minister war Mayer an zahlreichen Regierungen der Nachkriegszeit beteiligt. Er sprach sich für die Integration Algeriens aus und forderte von der Metropole mehr finanzielle Opferbereitschaft. Mazier, Antoine (1908–1964, Frankreich): Der sozialistische Abgeordnete Mazier gehörte zu den engagiertesten Kritikern der Nordafrikapolitik seiner Partei. Sowohl innerhalb der SFIO als auch im Parlament warb er dafür, die Unumgänglichkeit der Entkolonialisierung und der algerischen Unabhängigkeit anzuerkennen. Seine Opposition zur offiziellen Linie der SFIO ließ Mazier ins innerparteiliche Abseits geraten. Bei den Wahlen 1958 verpasste er den Wiedereinzug in die Nationalversammlung. Mendès-France, Pierre (1907–1982, Frankreich): Mendès-France prägte als Parlamentarier, Minister und Regierungschef die IV. Republik. Unter seiner Verantwortung wurde im Sommer 1954 die interne Autonomie Tunesiens bekräftigt und der Indochinakrieg beendet. In Algerien hingegen konnten unter seiner Führung keine größeren Reformen durchgesetzt werden. Wenige Monate nach dem Ausbruch des Algerienkriegs stürzte seine Regierung. MendèsFrance lehnte die Integrationspolitik nicht ab, machte gleichwohl auf deren massiven Konsequenzen aufmerksam und fragte nach der Bereitschaft, diese zu tragen. Mitterrand, François (1916–1996, Frankreich): François Mitterrand, eine der prägendsten Persönlichkeiten in Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg, gehörte der Partei UDSR an und war als Minister an zahlreichen Regierungen der IV. Republik beteiligt. Er befürwortete tendenziell eine liberale Nordafrikapolitik, sprach sich für die Anerkennung der internen Autonomie Tunesiens aus und trat aus Protest gegen die Absetzung von Sultan Mohammed V. von einem Ministeramt zurück. Auch in der Algerienfrage gehörte Mitterrand zu den reformwilligen Kräften, gleichwohl ohne die Integrationspolitik infrage zu stellen. Als Antwort auf die Rebellion des FLN formulierte er in seiner Funktion als Innenminister im November 1954 die bekannte Aussage „l’Algérie, c’est la France“, die zum Leitbild der französischen Nordafrikapolitik der folgenden Jahre wurde. De Gaulles Rückkehr an die Macht stand Mitterrand ablehnend gegenüber. Mohammed V. (Sidi Mohammed ben Youssef) (1909–1961, Marokko): Mohammed gehörte der alawitischen Dynastie an, wurde 1927 Sultan und 1957 König von Marokko. Sein zunehmend offenes Eintreten für die Unabhängigkeit seines Landes führte 1953 zu seiner Absetzung und Exilierung. Die sich in der Folge zuspitzende Krise in Marokko wurde im November 1955 durch die Vereinbarung von La Celle Saint-Cloud beendet, die das Ende des Protektorats einläutete und Mohammed die Rückkehr auf den Thron ebnete. Nach der Unabhängigkeit zeigte sich Mohammed einerseits offen für eine Kooperation mit Frankreich. Andererseits war er bestrebt, sein Land sichtbar vom kolonialen Erbe zu lösen. Der Algerienkrieg belastete die bilateralen Beziehungen beider Länder zunehmend. Mollet, Guy (1905–1975, Frankreich): Mit der Ankündigung, eine politische Lösung der Algerienfrage herbeizuführen, wurde der Sozialist Mollet Anfang 1956 zum Ministerpräsident gewählt. Er blieb 18 Monate im Amt, länger als jeder andere Regierungschef in der IV. Republik. Die Regierung Mollet führte die Gespräche mit Tunesien und Marokko zum erfolgreichen Abschluss und entließ die Protektorate im März 1956 in die Unabhängigkeit. Seine liberalen Ansätze in der Algerienfrage trafen innerhalb der Regierungskoalition und im Parlament auf erheblichen Widerstand. Wenngleich unter seiner Verantwortung einige Reformen in Algeri-

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en umgesetzt wurden, blieb die Bilanz seiner Amtszeit für viele enttäuschend: Die massive Ausweitung der Befriedungspolitik, die Ben Bella Affäre, der Suezkrieg und die Verschärfung des Haushaltsdefizit. Mollet wirkte entscheidend an der Überwindung der institutionellen Krise im Mai 1958 und am Übergang von der IV. zur V. Republik mit. Moussa, Pierre (1922, Frankreich): Moussa beschäftigte sich als Finanzexperte und Hoher Funktionär intensiv mit den französischen Überseegebieten. 1957 veröffentlichte er die Studie Les chances économiques de la communauté franco-africaine, in der er auf dem ökonomischen Nutzen der Franczone beharrte. 1960 bekräftigte er seine Position in L’économie de la zone franc. Für die Aufgabe des ‚Empire‘ warnte er vor großen wirtschaftlichen Einbußen sowohl für Frankreich als auch für die Kolonien. Seine Argumentation blieb sachlich und ohne jene Polemik, die andere Befürworter der Kolonien an den Tag legten. 1962 übernahm Moussa die Leitung der Afrika-Abteilung der Weltbank. Naegelen, Marcel-Edmond (1892–1978, Frankreich): Der Sozialist Naegelen, zuvor Bildungsminister, wurde von 1948 bis 1951 Generalgouverneur Algeriens, ohne genauere Kenntnisse über das Land zu besitzen. Er ging entschlossen gegen jegliche Form des algerischen Nationalismus vor. Unter seiner Verantwortung kam es zu massiven Wahlfälschungen zugunsten profranzösischer Kandidaten, während die Umsetzung des Statuts von 1947 auf der Strecke blieb. Naegelen sprach sich bis zuletzt gegen die Unabhängigkeit Algeriens aus. Naroun, Amar (1906, Algerien–1988, Frankreich): Naroun (RI) befürwortete als Abgeordneter des Départements Algier die Integrationspolitik und gab an, damit die Position der muslimischen Bevölkerungsmehrheit zu vertreten. Vor dem Ende seines Mandats beklagte er das als zu gering erachtete Reformtempo, das den Fortbestand Französisch-Algeriens gefährde. Nasser, Gamal Abdel (1918–1970, Ägypten): Der Mitbegründer der ‚Freien Offiziere‘ wurde nach dem Staatsstreich 1952 Ministerpräsident und 1954 Staatspräsident Ägyptens. Er führte das Land 16 Jahre lang diktatorisch. Seine offene Unterstützung des FLN belastete das Verhältnis zu Frankreich. Die Spannungen eskalierten nach der Nationalisierung der Suezkanalgesellschaft 1956 im Suezkrieg. Trotz der militärischen Niederlage Ägyptens wurde Nasser zu einer Ikone des Panarabismus. Parodi, Alexandre (1901–1979, Frankreich): Parodi durchlief eine bemerkenswerte diplomatische Karriere. U. a. war er Repräsentant Frankreichs bei den Vereinten Nationen und bei der NATO. In seiner Funktion als Botschafter in Marokko (1957-1960) hatte er die schwierige Aufgabe, die Neugestaltung der franko-marokkanischen Beziehungen nach der Unabhängigkeit des Protektorats zu begleiten. Parodi kritisierte immer wieder politische und militärische Aktionen Frankreichs in Marokko, die das angespannte Verhältnis weiter belasteten würden. Pflimlin, Pierre (1907–2000, Frankreich): Pflimlin war als Minister und Staatssekretär an zahlreichen Regierungen der IV. Republik beteiligt. 1956 übernahm er die Parteiführung des MRP. Pflimlin sprach sich für eine grundlegende Neugestaltung der ‚Union française‘ aus. In der Algerienfrage sah er das militärische Engagement zwar als notwendig an, forderte jedoch zugleich umfassende politische Reformen. Seine liberalen Positionen und sein Eintreten für eine Verhandlungslösung führten kurz nach seiner Wahl zum Premierminister im Mai 1958 zur Staatskrise, die im Ende der IV. Republik mündete. Philip, André (1902–1970, Frankreich): Philip war Ende der 1940er Jahre Wirtschaftsminister. Innerhalb der SFIO gehörte er zu den schärfsten Kritikern der Nordafrikapolitik. Die Integration Algeriens hielt er für nicht realisierbar. Seine Haltung führte 1957 zum Ausschluss aus der Partei. Pinay, Antoine (1891–1994, Frankreich): Pinay gehörte der Partei IPAS an und war von 1952 bis 1953 Premierminister. Als Außenminister ebnete er Marokko und Tunesien den Weg in die Unabhängigkeit. Unter de Gaulle wurde Pinay Finanzminister. Er befürwortete die Integrationspolitik in Algerien und trat 1960 aus Protest gegen de Gaulles Kurs in Richtung Unabhängigkeit von seinem Amt zurück. Pineau, Christian (1904–1995, Frankreich): Pineau gehörte zu den zentralen Akteuren der SFIO in der IV. Republik. Einerseits warb er stets für eine kooperative Außen- und Nordafrikapolitik

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und vertrat auch in der Algerienfrage liberale Positionen. Gemeinsam mit Regierungschef Mollet initiierte er 1956 die geheimen Verhandlungen mit FLN-Führern. Andererseits trug er als Außenminister (1956-1958) umstrittene Entscheidungen in Zusammenhang mit der Suezkrise, der Ben Bella Affäre und dem Vorfall in Sakiet mit. 1976 veröffentlichte er das Werk Suez 1956, in dem er auch auf weitere Aspekte aus seiner Zeit als Außenminister eingeht. Quilici, François (1905–1977, Frankreich): Aus Korsika stammend, wurde Quilici 1945 für das algerische Département Oran in die Nationalversammlung gewählt. Im Parlament gehörte er zu den radikalsten Anhängern Französisch-Algeriens, die quasi jedes Reformvorhaben ablehnten und die Dominanz der Siedler zu bewahren versuchten. Er befürwortete die Absetzung von Sultan Mohammed und sprach sich gegen die Unabhängigkeit Marokkos und Tunesiens aus. Rabier, Maurice (1907, Algerien–1999, Frankreich): Rabiers Familie lebte seit 1898 in Algerien. Seine Unterstützung der Integrationspolitik beinhaltete ein beachtliches Engagement für die politische und soziale Gleichberechtigung der Muslime. Nach der Unabhängigkeit Algeriens emigrierte Rabier nach Frankreich. Reynaud, Paul (1878–1966, Frankreich): Reynaud, mehrfach Minister und kurzzeitig Regierungschef, war einer der herausragenden Politiker der III. und IV. Republik. Er gehörte den Fraktionen der RI und später der IPAS an und vertrat konservative sowie wirtschaftsliberale Positionen. Als Vorsitzender des Haushaltsausschuss warnte er immer wieder vor den Folgen des ausufernden Defizits. Einsparungen bei der Integrationspolitik in Algerien lehnte er gleichwohl ab. Die Entkolonialisierung bezeichnete er als unausweichlich, Algerien sah er als Teil Frankreichs jedoch von dieser Entwicklung ausgenommen. Anfang der 1960er Jahre erkannte Reynaud die Unabwendbarkeit der algerischen Unabhängigkeit an und warb für ein „Ja“ beim Referendum. Roche, Émile (1893–1990, Frankreich): Neben seiner politischen (Parti radical, Conseil économique) und journalistischen Tätigkeit war Roche als Unternehmer in Marokko aktiv. Er vertrat in der Nordafrikapolitik sehr konservative Positionen und warnte vor dramatischen Folgen im Falle eines Rückzuges Frankreichs aus dem Maghreb. Insofern mag Roches Mitgliedschaft im als liberales Denkforum geltenden ‚Comité France-Maghreb‘ erstaunen. Sauvy, Alfred (1898–1990, Frankreich): Als Demograf, Ökonom, Journalist und Berater begleitete der renommierte Wissenschaftler Alfred Sauvy die französische Politik und auch die Nordafrikapolitik stets kritisch. Der weitverbreiteten Polemik und Propaganda in der Algerienfrage begegnete er mit einer sachlichen und fundierten Argumentation. Er versuchte, den Franzosen die Konsequenzen der Integrationspolitik zu verdeutlichen, deren Erfolgsaussichten er angesichts der jahrzehntelangen Versäumnisse äußerst skeptisch beurteilte. Später prägte Sauvy den Begriff „Dritte Welt“. Savary, Alain (1918, Algerien–1988, Frankreich): In Algerien geboren, verbrachte Savary seine frühe Kindheit in Tunesien und Marokko, bevor es seine Familie in die Metropole zog. Als sozialistischer Abgeordneter engagierte er sich für die Entkolonialisierung, die Unabhängigkeit der Protektorate und für eine föderale Lösung in der Algerienfrage. Mit seiner Ablehnung der Integrationspolitik stand er in Konflikt zur offiziellen Linie der SFIO. Aus Protest gegen die Politik der Regierung Mollet und gegen die Ben Bella Affäre trat er im Oktober 1956 von seinem Amt als Staatssekretär für Marokko und Tunesien zurück. Schiaffino, Laurent (1897, Algerien–1978, Frankreich): Der Familie Schiaffino gehörte die größte Schifffahrtsgesellschaft Algeriens, deren Leitung Laurent Schiaffino 1952 übernahm. Darüber hinaus war er in mehreren einflussreichen Wirtschaftsverbänden tätig, u. a. leitete er die ‚Région économique d’Algérie‘. 1955 wurde Schiaffino als Senator ins französische Parlament gewählt. Er befürwortete die Integrationspolitik und forderte mehr finanzielle Anstrengungen seitens der Metropole. Seine volkswirtschaftlichen Analysen folgten unverkennbar dem Ziel, das Festhalten an Französisch-Algerien als ökonomisch sinnvoll dazustellen. Seydoux, Roger (1908–1985, Frankreich): Seydoux war von 1955 bis zur Unabhängigkeit Anfang 1956 Generalresident bzw. ‚Haut-Commisssaire‘ Frankreichs in Tunesien und von 1960 bis

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1962 Botschafter in Marokko. Um ein Gelingen der Interdependenzpolitik bemüht, sprach er sich für eine kooperative Politik mit den ehemaligen Protektoraten aus, die deren Wunsch nach Souveränität respektiere. Wiederholt kritisierte er das Vorgehen der französischen Armee in Nordafrika als kontraproduktiv. Sid-Cara, Chérif (1902, Algerien–1999, Frankreich): Sid-Cara unterstützte als Senator und Abgeordneter des Départements Algier loyal den Kurs der französischen Regierung und befürwortete die Integrationspolitik. 1957 und 1958 wurde er zum Staatssekretär für Algerien berufen. Nach der Unabhängigkeit Algeriens verließ Sid-Cara sein Geburtsland und ließ sich in Frankreich nieder. Smaïl, Amar (1901, Algerien–1967, Frankreich): Smaïl gehörte der algerischen Oberschicht an und saß von 1946 bis 1955 für das Département Algier in der Nationalversammlung. Er war Teil jener pro-französischen Elite, die sich für die Integrationspolitik engagierte. Soustelle, Jacques (1912–1990, Frankreich): Soustelle war mit Unterbrechungen von 1945 bis 1978 Mitglied der Nationalversammlung. Er bekleidete mehrere Ministerposten und war von 1955 bis 1955 Generalgouverneur Algeriens. Er sprach sich für ein entschlossenes Vorgehen gegen den FLN und parallele Reformen aus, konnte in seiner Amtszeit jedoch keine grundlegenden Veränderungen durchsetzen. Aufgrund seiner vermeintlich liberalen Ansichten von bestimmten Siedlerkreisen zunächst skeptisch beäugt, wurde Soustelle im Verlauf des Algerienkriegs zum radikalen Verfechter Französisch-Algeriens. Er gehörte zu den Gründern des ‚Rassemblement pour l’Algérie française‘, das bis zuletzt gegen die sich andeutende Unabhängigkeit kämpfte. 1961 schloss er sich der OAS an und ging bis 1968 ins Exil. Sportisse Gomez-Nadal, Alice (1909, Algerien–1996, Frankreich): Die spanischstämmige Familie der kommunistischen Abgeordneten des Départements Oran lebte seit 1842 in Algerien. Sportisse setzte sich als Politikern für die Rechte der algerischen Frauen und das Ende der vielfältigen Benachteiligungen der Algerier ein. Sie wandte sich gegen die Überzeugung, Algerien sei Frankreich, und sprach sich für die Selbstbestimmung aus. Die ‚Pieds noirs‘ sollten gemäß ihrem Bevölkerungsanteil auch nach der Unabhängigkeit eine wichtige Rolle in der Gestaltung des Landes spielen. 1962 verließ sie ihr Geburtsland Algerien in Richtung Frankreich. Thomas, Abel (1920–2003, Frankreich): Abel Thomas hatte in der IV. Republik diverse einflussreiche Posten in verschiedenen Ministerien inne und galt in der Algerienpolitik als zentrale Figur im Hintergrund. Zur Zeit der Ben Bella Affäre und der Suezintervemtion war er Leiter des Kabinetts von Verteidigungsminister Bourgès-Maunoury. De Tinguy du Pouët, Lionel (1911–1981, Frankreich): Lionel de Tinguy du Pouët war einer der aktivsten Parlamentarier der IV. Republik und wurde in der Nationalversammlung für seinen finanzpolitischen Sachverstand geschätzt. Er war langjähriger Sprecher des Haushaltsausschusses und kurzzeitig Minister der Handelsmarine sowie Staatssekretär für Wirtschaft und Finanzen. Während sich de Tinguy du Pouët im Allgemeinen immer wieder für eine strengere Haushaltsdisziplin stark machte, verkündete er in Bezug auf die Integrationspolitik die Bereitschaft zu einer gewaltigen finanziellen Anstrengung zur Rettung Französisch-Algeriens. Vialet, Georges (Frankreich): Vialet ist Autor der Schrift L’Algérie restera française (1957), in der er mit ökonomisch und politisch unhaltbaren Thesen vor der Aufgabe Französisch-Algeriens warnt. Die pseudo-ökonomische und nachweislich falsche Argumentation gegen die algerische Unabhängigkeit kann als typisch für die radikale Anhängerschaft Französisch-Algeriens gelten. In seinen sonstigen Werken beschäftigte sich der Rechtswissenschaftler Vialet mit wirtschaftlichen und arbeitsrechtlichen Fragestellungen. Violette, Maurice (1870–1960, Frankreich): Violette war von 1925 bis 1927 Generalgouverneur Algeriens. Sein gutes Verhältnis zur einheimischen Bevölkerung brachte ihm seitens der Siedler den Titel „L’Arabe“ ein. 1930 scheiterte sein zusammen mit Léon Blum eingebrachter Gesetzesentwurf (projet Blum-Violette) zur Ausweitung des Wahlrechts auf 20.000 Algerier. Violette war mehrfach Minister und saß von 1951 bis 1955 für die UDAR in der National-

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versammlung, wo er sich für Reformen in Algerien einsetzte. Die franko-algerische Union sah er gleichwohl als unzertrennlich an. Wormser, Olivier (1913–1985, Frankreich): Der Hohe Funktionär und Diplomat Wormser leitete in der IV. Republik die ‚Direction économique‘ des Außenministeriums, der die Analyse der ökonomischen Dimension der französischen Außenpolitik oblag.

studien zur modernen geschichte

Herausgegeben von Gabriele Clemens, Markus Friedrich, Frank Golczewski, Ulrich Mücke, Angelika Schaser, Claudia Schnurmann und Jürgen Zimmerer.

Franz Steiner Verlag

ISSN 0178–8310

19. Wolfgang Geierhos Vera Zasulic und die russische revolutionäre Bewegung 1977. 314 S. mit 1 Abb., kt. ISBN 978-3-515-04642-8 20. Jörg Brederlow „Lichtfreunde“ und „Freie Gemeinden“ Religiöser Protest und Freiheitsbewegung im Vormärz und in der Revolution von 1848/49 1976. 122 S., kt. ISBN 978-3-515-04643-5 21. Bernd Wunder Privilegierung und Disziplinierung Die Entstehung des Berufsbeamtentums in Bayern und Württemberg (1780–1825) 1978. 349 S., kt. ISBN 978-3-515-04644-2 22. Joachim Paschen Demokratische Vereine und preußischer Staat Entwicklung und Unterdrückung der demokratischen Bewegung während der Revolution von 1848/49 1977. 182 S., kt. ISBN 978-3-515-04645-9 23. Klaus Wittmann Schwedens Wirtschaftsbeziehungen zum Dritten Reich 1933–1945 1978. 479 S., kt. ISBN 978-3-515-04646-6 24. Bernd Dohrmann Englische Europapolitik in der Wirtschaftskrise 1921–1923 Zur Interdependenz von Wirtschaftsinteressen und Außenpolitik 1980. 234 S., kt. ISBN 978-3-515-04661-9 25. Stephan Merl Der Agrarmarkt und die Neue ökonomische Politik Die Anfänge staatlicher Lenkung der Landwirtschaft in der Sowjetunion 1925–1928 1981. 530 S., kt. ISBN 978-3-515-04648-0

26. Peter Danylow Die außenpolitischen Beziehungen Albaniens zu Jugoslawien und zur UdSSR 1944–1961 1982. 240 S., kt. ISBN 978-3-515-04649-7 27. Matthias Esche Die Kommunistische Partei Griechenlands 1941–1949 Ein Beitrag zur Politik der KKE vom Beginn der Resistance bis zum Ende des Bürgerkriegs 1982. 405 S., kt. ISBN 978-3-515-04651-0 28. Helga Deininger Frankreich, Rußland, Deutschland 1871–1891 Die Interdependenz von Außenpolitik, Wirtschaftsinteressen und Kulturbeziehungen im Vorfeld des russisch-französischen Bündnisses 1983. XVIII, 340 S., kt. ISBN 978-3-515-04652-7 29. Hans Hecker Russische Universalgeschichtsschreibung. Von den „Vierziger Jahren“ des 19. Jahrhunderts bis zur sowjetischen „Weltgeschichte“ (1955–1965) 1984. XV, 376 S., kt. ISBN 978-3-515-04653-4 30. Eckart Teichert Autarkie und Großraumwirtschaft in Deutschland 1930–1939 Außenwirtschaftspolitische Konzeption zwischen Wirtschaftskrise und Zweitem Weltkrieg 1984. X, 390 S., kt. ISBN 978-3-515-04654-1 31. Hans J. Perrey Der Rußlandausschuß der Deutschen Wirtschaft Die deutsch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen der Zwischenkriegszeit. Ein Beitrag zur Geschichte des Ost-West-Handels 1985. VIII, 422 S., kt. ISBN 978-3-515-04655-8

32. Alexander von Witzleben Staatsfinanznot und sozialer Wandel Eine finanzsoziologische Analyse der preußischen Reformzeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts 1985. 301 S., kt. ISBN 978-3-515-04550-6 33. Holmer Stahncke Die diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Japan 1854–1868 1987. 254 S., kt. ISBN 978-3-515-04618-3 34. Peter Schöffer Der Wahlrechtskampf der österreichischen Sozialdemokratie 1888/89–1897 Vom Hainfelder Einigungsparteitag bis zur Wahlreform Badenis und zum Einzug der ersten Sozialdemokraten in den Reichsrat 1986. XVI, 826 S., kt. ISBN 978-3-515-04622-0 35. Dittmar Dahlmann Land und Freiheit Machnovscina und Zapatismo als Beispiele agrarrevolutionärer Bewegungen 1986. 296 S., kt. ISBN 978-3-515-04083-9 36. Ursula A. J. Becher Geschichtsinteresse und historischer Diskurs Ein Beitrag zur Geschichte der französischen Geschichtswissenschaft im 19. Jahrhundert 1986. 223 S., 5 Tab. und 1 Abb., kt. ISBN 978-3-515-04237-6 37. Günter Könke Organisierter Kapitalismus, Sozialdemokratie und Staat Eine Studie zur Ideologie der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik (1914–1932) 1987. XII, 388 S., kt. ISBN 978-3-515-04786-9 38. Ted Kaminski Polish Publicists and Prussian Politics The Polish Press in Poznan during the Neue Kurs of Chancellor Leo von Caprivi 1890– 1894 1988. VIII, 286 S., kt. ISBN 978-3-515-04948-1 39. Ralph Uhlig Die Interparlamentarische Union 1889–1914 Friedenssicherungsbemühungen im Zeitalter des Imperialismus

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1988. XII, 991 S., kt. ISBN 978-3-515-05095-1 Camilla Dawletschin-Linder Die Türkei und Ägypten in der Weltwirtschaftskrise 1929–1933 1989. XVIII, 187 S., kt. ISBN 978-3-515-05261-0 Michael Wala Winning the Peace Amerikanische Außenpolitik und der Council on Foreign Relations, 1945–1950 1990. 331 S., kt. ISBN 978-3-515-05334-1 Eckhard Trox Militärischer Konservativismus Kriegervereine und „Militärpartei“ in Preußen zwischen 1815 und 1848/49 1990. 347 S., kt. ISBN 978-3-515-05614-4 Jeanette Choisi Wurzeln und Strukturen des Zypernkonfliktes 1878 bis 1990 Ideologischer Nationalismus und Machtbehauptung im Kalkül konkurrierender Eliten 1992. 435 S. mit 7 Abb., 12 Ktn., kt. ISBN 978-3-515-06054-7 Lothar Dittmer Beamtenkonservativismus und Modernisierung Untersuchungen zur Vorgeschichte der Konservativen Partei in Preußen 18101848/49 1992. 453 S., kt. ISBN 978-3-515-06045-5 Andreas Brinck Die deutsche Auswanderungswelle in die britischen Kolonien Nordamerikas um die Mitte des 18. Jahrhunderts 1993. 295 S., kt., ISBN 978-3-515-06071-4 Eckard Michels Das Deutsche Institut in Paris 1940–1944 Ein Beitrag zu den deutsch-französischen Kulturbeziehungen und zur auswärtigen Kulturpolitik des Dritten Reiches 1993. IV, 291 S., kt. ISBN 978-3-515-06381-4 Peter Zervakis Justice for Greece Der Einfluß einer gräkoamerikanischen Interessengruppe auf die Außenpolitik der USA gegenüber Griechenland, 1945–1947 1994. VII, 279 S., kt. ISBN 978-3-515-06268-8

48. Astrid Ringe Konkurrenten in Europa Großbritannien und die Bundesrepublik Deutschland. Deutsch-britische Wirtschaftsbeziehungen 1949–1957 1996. VIII, 536 S., kt. ISBN 978-3-515-06852-9 49. Silke Hensel Die Entstehung des Föderalismus in Mexiko Die politische Elite Oaxacas zwischen Stadt, Region und Staat, 1786–1835 1997. 493 S., kt. ISBN 978-3-515-06943-4 50. Ulrich Mücke Der Partido Civil in Peru, 1871–1879 Zur Geschichte politischer Parteien und Repräsentation in Lateinamerika 1998. 384 S., kt. ISBN 978-3-515-07240-3 51. Christian-Georg Schuppe Der andere Droysen Neue Aspekte seiner Theorie der Geschichtswissenschaft 1998. 109 S., kt. ISBN 978-3-515-07391-2 52. Olaf Stieglitz 100 Percent American Boys Disziplinierungsdiskurse und Ideologie im Civilian Conservation Corps, 1933–1942 1999. 251 S., kt. ISBN 978-3-515-07403-2 53. Torsten Szobries Sprachliche Aspekte des nation-building in Mazedonien Die kommunistische Presse in Vardar-Mazedonien (1940–1943) 1999. 251 S., kt. ISBN 978-3-515-07622-7 54. Peer Schmidt Spanische Universalmonarchie oder „teutsche Libertet“ Das spanische Imperium in der Propaganda des Dreißigjährigen Krieges 2001. 529 S., geb. ISBN 978-3-515-07833-7

55. Ursula Heimann Liberalismus, ethnische Vielfalt und Nation Zum Wandel des Indio-Begriffs in der liberalen Presse in Mexiko, 1821–1876 2002. 285 S., kt. ISBN 978-3-515-07769-9 56. Barbara Dufner Den Himmel fest im Blick Eine wissenschaftliche Biographie über den Astro-Optiker Bernhard Schmidt 2002. 339 S., kt. ISBN 978-3-515-08097-2 57. Claudia Becker-Döring Die Außenbeziehungen der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl von 1952–1960: Die Anfänge einer europäischen Außenpolitik? Die Beziehungen der Hohen Behörde zu Drittstaaten unter besonderer Berücksichtigung Großbritanniens 2003. 387 S., kt. ISBN 978-3-515-08319-5 58. Enrique Otte Von Bankiers und Kaufleuten, Räten, Reedern und Piraten, Hintermännern und Strohmännern Aufsätze zur atlantischen Expansion Spaniens. Hg. v. Günter Vollmer und Horst Pietschmann 2004. 338 S. mit 7 Abb., kt. ISBB 978-3-515-07889-4 59. Jens Meyer-Aurich Wahlen, Parlamente und Elitenkonflikte: Die Entstehung der ersten politischen Parteien in Paraguay, 1869–1904 Ein Beitrag zur Geschichte politischer Organisation in Lateinamerika 2006. 367 S., kt. ISBN 978-3-515-08838-1 60. Arnd Herrmann Kriseninstrument WEU Die Westeuropäische Union (WEU) in der EG-Erweiterungskrise 1963–1970 2015. 257 S., kt. ISBN 978-3-515-10995-6

« L’ Algérie, c’est la France » – Als algerische Rebellen im November 1954 begannen, diesen seit 1848 gültigen Anspruch Frankreichs in Nordafrika gewaltsam anzufechten, war die Unabhängigkeit Algeriens für die Mehrheit der Franzosen noch unvorstellbar. Nach ihrem Verständnis bildeten die algerischen Départements aufgrund vermeintlich vitaler ökonomischer und strategischer Interessen ein überlebenswichtiges Glied ihrer „Grande Nation”. So verkündeten die politischen Entscheidungsträger nach dem Beginn des Aufstands alsbald ihre Bereitschaft, alles in ihrer Macht Stehende für die Rettung Französisch-

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Algeriens zu tun, koste es, was es wolle. Acht Jahre später jedoch vollzog Frankreich unter Charles de Gaulle eine radikale Kurswende und entließ das Land in die Eigenständigkeit. De Gaulles Begründung: „Algerien kostet uns, so viel ist sicher, mehr als es uns einbringt”. Diesen scharfen Kontrast zwischen ideologischer Entschlossenheit und nüchtern anmutendem ökonomischen Kalkül vor Augen, ergründet Valentin Katzer Anspruch und Realität der französischen Nordafrikapolitik und deckt dabei bisher wenig beachtete Hintergründe der Algerienfrage auf.

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