Zwischen Kunsthandwerk und Kunst: Die ‚Schedula diversarum artium‘ 9783110334821, 9783110334777

A key work for research on the arts of the High Middle Ages is a book handed down under the pseudonym Theophilus Presbyt

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Zwischen Kunsthandwerk und Kunst: Die ‚Schedula diversarum artium‘
 9783110334821, 9783110334777

Table of contents :
Vorwort
Zwischen Kunsthandwerk und Kunst. Die ‚Schedula diversarum artium‘ als „Handbuch“ mittelalterlicher Kunst?
Das ‚Schedula‘-Portal – eine digitale Edition der ‚Schedula diversarum artium‘
1. Überlieferung und Autorschaft
The Theophilus Manuscript Tradition Reconsidered in the Light of New Manuscript Discoveries
Kodikologische Beobachtungen an den Wolfenbütteler Exemplaren der ‚Schedula‘
Die Überlieferung des sogenannten „Theophilus“ in der Herzog August. Bibliothek am Beispiel von Cod. Guelf. 1127 Helmst
Theophilus Matters: The Thorny Question of the Authorship of the ‘Schedula diversarum artium’
Reworking Theophilus: Adaptation and Use in Workshop Texts
2. Terminologie und Technik
Ars Picturae. Die Malerei in kunsttechnologischen Quellen des frühen und hohen Mittelalters
Die technischen Rezepte zum Malen bei Theophilus: umsetzbare Anweisungen oder enzyklopädische Wissenssammlung eines Kopisten
Seeing Through the Paint. The Dissemination of Technical Terminology between Three Métiers: Pictura translucida, Enameling and Glass Painting
Die Funktion der ‚Schedula‘ und die Rolle der Technik bei der Konstruktion von Wirklichkeit am Beispiel des Emailwerks des Nicolaus von Verdun in Klosterneuburg
Die ‚Schedula diversarum artium‘: Lehrbuch und Werkstattbuch mittelalterlicher Klosterhandwerker?
Vraisemblable et invraisemblable selon l’archéologie dans le ‘De diversis artibus’ : quelques exemples
3. Farbe und Bild
Das erste Buch der ‚Schedula diversarum artium‘: Distanz zwischen Text und buchmalerischer Wirklichkeit
Il trattato di Teofilo come testimonianza della storia dell’origine della pittura ad olio: Un esempio di metodo interdisciplinare nello studio di una tecnica pittorica
[…] et faciunt inde tabulas saphiri pretiosas ac satis utiles in fenestris. Die Farbe Blau in der ,Schedula‘ und in der Glasmalerei von 1100–1250
Coloring the Middle Ages: Textual and Graphical Sources that Reveal the Importance of Color in Medieval Sculpture
Theophilus Presbyter, Boto von Prüfening und der Bilderschmuck der Kirchen
The Book of ‘How to Make Colours’ (‘O livro de como se fazem as cores’) and the ‘Schedula diversarum artium’
4. Gold
Goldzellenschmelz in der ‚Schedula‘, Buch III, Kap. 53–55. Zur Meistererzählung von Byzanz und zum Gebrauch „alter“ Techniken
Das Verhältnis der ‚Schedula diversarum artium‘ des Theophilus Presbyter zu byzantinischen Goldschmiedearbeiten: Grenzüberschreitende Wissensverbreitung im Mittelalter?
An Arabic Source for Theophilus’s Recipe for Spanish Gold
5. Liturgie
‘Schedula diversarum artium’: A Community Sourcebook for the Customary Production of Liturgical Objects in the Benedictine Workshop of the Early Twefth Century
Die sakramentale Bestimmung der Kunstfertigkeiten in den drei Prologen der ‚Schedula diversarum artium‘ von Theophilus Presbyter
Theophilus, David und Beseleel: Rechtfertigung und Funktionsbestimmung kunsthandwerklicher Gegenstände im Dienste der Liturgie
Verzeichnis der Handschriften
Namenregister
Abbildungen

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Die ,Schedula diversarum artium‘

Miscellanea Mediaevalia Veröffentlichungen des Thomas-Instituts der Universität zu Köln Herausgegeben von Andreas Speer

Band 37

De Gruyter

Zwischen Kunsthandwerk und Kunst: Die ,Schedula diversarum artium‘ Herausgegeben von Andreas Speer in Zusammenarbeit mit Maxime Mauriège und Hiltrud Westermann-Angerhausen

De Gruyter

ISBN 978-3-11-033477-7 e-ISBN 978-3-11-033482-1 ISSN 0544-4128 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Datenkonvertierung/Satz: WERKSATZ Schmidt & Schulz GmbH, Gräfenhainichen Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen

앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier 앪 Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort

Der vorliegende Band der Miscellanea Mediaevalia geht auf eine internationale Tagung zurück, die vom 9. bis 11. September 2010 unter dem Thema „Die ‚Schedula diversarum artium‘: Ein Handbuch mittelalterlicher Kunst?“ in Zusammenarbeit des Thomas-Instituts der Universität zu Köln und dem Museum Schnütgen stattfand. Mein besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang der damaligen Direktorin des Museum Schnütgen, Prof. Dr. Hiltrud Westermann-Angerhausen, die schon einige Jahre zuvor im Zuge der Vorbereitungen der Paderborner Canossa-Ausstellung von 2006 auf die Notwendigkeit hingewiesen hatte, die ‚Schedula‘-Thematik neu aufzugreifen, und die mich erneut für einem Ausflug in die Welt der mittelalterlichen Ästhetik und Kunstgeschichte gewinnen konnte. In diesen Tagungsband gehen zudem Ergebnisse eines Arbeitsgesprächs in der Wolfenbüttler Herzog August Bibliothek ein, das unter dem Titel ‚Around Theophilus: an expert meeting towards new standards in Theophilus scholarship‘ vom 14.–15. Januar 2010 stattfand und von Dr. Mark Clarke und Dr. Ad Stijnman organisiert wurde. Diese Koinzidenz erwies sich für die Kölner Tagung als sehr fruchtbar, und ich danke herzlich für die Kooperation. Daß der Tagungsband erst drei Jahre später erscheint, ist nur zu einem geringen Teil der wohlbekannten Verspätung kollaborativer Forschungsprojekte zuzuschreiben. Vielmehr erforderte das auf der Kölner Tagung präsentierte neue Material, die neuen methodischen und inhaltlichen Perspektiven und nicht zuletzt die kritische Überprüfung vermeintlich festgefügter Koordinaten der ‚Schedula‘Forschung für die Ausarbeitung der Beiträge weitere, intensive Forschungsarbeit. Daher gilt mein aufrichtiger Dank den Autorinnen und Autoren dieses Bandes dafür, daß sie sich auf diese gemeinsame Arbeit an unserem Band eingelassen haben. Ein besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang Dr. Maxime Mauriège, der diesen Prozeß im Zuge der editorischen Betreuung umsichtig koordiniert und stets ergebnisorientiert moderiert hat. Ein ganz besonderer Dank gilt auch dem Verlag Walter de Gruyter, der sich für diesen Band besonders engagiert hat. Denn noch nie hatte ein Band der Miscellanea Mediaevalia einen so umfangreichen Abbildungsteil. Mein Dank gilt namentlich Frau Dr. Gertrud Grünkorn, die dieser Projektidee sogleich zugestimmt hat, und sodann Frau Katja Brockmann für die exzellente Zusammenarbeit und für ein sehr schönes Buch. Der abschließende, aber deshalb auch hervorgehobene Dank gebührt der Fritz Thyssen Stiftung, die nicht nur die Kölner Tagung, sondern auch das vorausgehende zweijährige Forschungsprojekt „Ein Handbuch mittelalterlicher Kunst? Relecture

VI

Vorwort

der ‚Schedula diversarum artium‘ und Erschließung ihrer handschriftlichen Überlieferung in Form einer kritisch-digitalen Edition“ großzügig gefördert hat. Nachdem das ‚Schedula‘-Portal bereits bei der Tagung im Jahre 2010 erstmals vorgestellt werden konnte und inzwischen für jeden Interessierten zugänglich ist (http://schedula.uni-koeln.de), kann mit dem vorliegenden Band nun das zweite Resultat des Forschungsprojektes vorgelegt werden, in dem die neuen hermeneutischen Möglichkeiten des ‚Schedula‘-Portals zur Geltung kommen und erprobt werden. Ich bin überzeugt, daß wir alle gemeinsam – in aller stets notwendigen Bescheidenheit – ein Stück vorangekommen sind und die vielen Rätsel unseres Forschungsgegenstandes besser verstehen, die offenen Fragen besser artikulieren und nicht zuletzt der künftigen ‚Schedula‘-Forschung neues lohnendes Material anbieten können. Köln, im September 2013

Andreas Speer

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V

A S (Köln) Zwischen Kunsthandwerk und Kunst. Die ‚Schedula diversarum artium‘ als „Handbuch“ mittelalterlicher Kunst? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XI

Das ‚Schedula‘-Portal – eine digitale Edition der ‚Schedula diversarum artium‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXV 1. Überlieferung und Autorschaft I D (Köln / Jerusalem) The Theophilus Manuscript Tradition Reconsidered in the Light of New Manuscript Discoveries . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

A C (Wolfenbüttel) Kodikologische Beobachtungen an den Wolfenbütteler Exemplaren der ‚Schedula‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

P C / B L (Wolfenbüttel) Die Überlieferung des sogenannten „Theophilus“ in der Herzog August Bibliothek am Beispiel von Cod. Guelf. 1127 Helmst. . . . . . . . . . .

22

S K (Madrid) Theophilus Matters: The Thorny Question of the Authorship of the ‘Schedula diversarum artium’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

M C (Amsterdam) Reworking Theophilus: Adaptation and Use in Workshop Texts . . . .

72

2. Terminologie und Technik D O (Köln) Ars Picturae. Die Malerei in kunsttechnologischen Quellen des frühen und hohen Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

VIII

Inhaltsverzeichnis

R F (Köln) Die technischen Rezepte zum Malen bei Theophilus: umsetzbare Anweisungen oder enzyklopädische Wissenssammlung eines Kopisten

123

M B (Utrecht) Seeing Through the Paint. The Dissemination of Technical Terminology between Three Métiers: Pictura translucida, Enameling and Glass Painting

145

M P (Wien) Die Funktion der ‚Schedula‘ und die Rolle der Technik bei der Konstruktion von Wirklichkeit am Beispiel des Emailwerks des Nicolaus von Verdun in Klosterneuburg . . . . . . . . . . . . . . . . .

163

E B (Bad Doberan) Die ‚Schedula diversarum artium‘: Lehrbuch und Werkstattbuch mittelalterlicher Klosterhandwerker? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

181

E N (Mailand) Vraisemblable et invraisemblable selon l’archéologie dans le ‘De diversis artibus’ : quelques exemples . . . . . . . . . . . . . . . . .

196

3. Farbe und Bild M M (Wolfenbüttel) Das erste Buch der ‚Schedula diversarum artium‘: Distanz zwischen Text und buchmalerischer Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . .

225

P D V (Frascati) Il trattato di Teofilo come testimonianza della storia dell’origine della pittura ad olio: Un esempio di metodo interdisciplinare nello studio di una tecnica pittorica . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

244

B K-S (Zürich) / C H (Romont) […] et faciunt inde tabulas saphiri pretiosas ac satis utiles in fenestris. Die Farbe Blau in der ,Schedula‘ und in der Glasmalerei von 1100–1250

256

S S-L P (Madrid) Coloring the Middle Ages: Textual and Graphical Sources that Reveal the Importance of Color in Medieval Sculpture . . . . . . . . . . . . .

274

H S-K (Erlangen) Theophilus Presbyter, Boto von Prüfening und der Bilderschmuck der Kirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

288

Inhaltsverzeichnis

D M / L U  O A (Lissabon) The Book of ‘How to Make Colours’ (‘O livro de como se fazem as cores’) and the ‘Schedula diversarum artium’ . . . . . . . . . . . . .

IX

305

4. Gold H W-A (Köln) Goldzellenschmelz in der ‚Schedula‘, Buch III, Kap. 53–55. Zur Meistererzählung von Byzanz und zum Gebrauch „alter“ Techniken . . . . . .

321

A B-R (Mainz) Das Verhältnis der ‚Schedula diversarum artium‘ des Theophilus Presbyter zu byzantinischen Goldschmiedearbeiten: Grenzüberschreitende Wissensverbreitung im Mittelalter? . . . . . . .

333

C V D (Paris / London) An Arabic Source for Theophilus’s Recipe for Spanish Gold . . . . . .

369

5. Liturgie A S (New York) ‘Schedula diversarum artium’: A Community Sourcebook for the Customary Production of Liturgical Objects in the Benedictine Workshop of the Early Twefth Century . . . . . . . . . . . . . . . . .

381

G S (München) Die sakramentale Bestimmung der Kunstfertigkeiten in den drei Prologen der ‚Schedula diversarum artium‘ von Theophilus Presbyter .

408

J H P (Dresden) Theophilus, David und Beseleel: Rechtfertigung und Funktionsbestimmung kunsthandwerklicher Gegenstände im Dienste der Liturgie

423

Verzeichnis der Handschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

435

Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

439

Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

451

Zwischen Kunsthandwerk und Kunst. Die ‚Schedula diversarum artium‘ als „Handbuch“ mittelalterlicher Kunst? A S (Köln) Am Anfang dieses Projektes standen – wie so oft in der Wissenschaft – Fragen und Zweifel. Es waren zwei Symposien in den Jahren 2003 und 2005 in Köln und Paderborn1 im Vorfeld der großen Paderborner Canossa-Ausstellung des Jahres 2006 2. Die beiden Symposien waren zwei der thematischen Säulen der Ausstellung gewidmet: Roger von Helmarshausen und dem Paderborner Tragaltar, deren enger Zusammenhang ebenso evident wie exemplarisch für die Darstellung des Zusammenhangs von Kunst und Kultur am Aufgang der Romanik zu sein schien. Ein wesentliches Verbindungselement für diese suggestive Lesart stellte die über Jahrhunderte gewachsene Identifikation des anonymen Autors einer im Grunde titellosen Schrift mit dem vermeintlichen Haupt einer niedersächsischen Werkstatt und Schlüsselfigur der romanischen Goldschmiedekunst dar. Zu schön und stimmig erschien das Bild von dem genialen Handwerkermönch Theophilus alias Rogerus, der sein Tun auch noch theoretisch reflektiert und in einem nur mit den Schriften des Abtes Suger von Saint-Denis vergleichbaren Traktat ‚Über die verschiedenen Künste‘ der Nachwelt überliefert – darin gleich Suger ein einzigartiger Zeuge für das Kunstwollen seiner Zeit, wenn nicht einer Epoche. Doch es war eben diese hermeneutische Ausgangsprämisse der Identifikation von Autor und Werk, die zunehmend rissig wurde. Unter diesem Eindruck reflektiert der zur genannten Ausstellung unter dem Titel ‚Schatzkunst am Aufgang der Romanik. Der Paderborner Dom-Tragaltar und sein Umkreis‘ erschienene Sammelband die Fragen und Zweifel an einem liebgewonnenen Bild, das sich bei Lichte besehen einer bestimmten hermeneutischen Einstellung verdankt. So heißt es denn auch in dem Vorwort der Herausgeber, daß „sich die bisher mit dem Dom-Tragaltar verbunden geglaubte Künstlerpersönlichkeit des Roger von Helmarshausen in ihrer stilistischen Greifbarkeit“ auflöse, und „erst einmal Roger als identifizierbare Künstlerpersönlichkeit nicht mehr mit einem fest umrissenen 1 2

Cf. Ch. Stiegemann/H. Westermann-Angerhausen (eds.), Schatzkunst am Aufgang der Romanik. Der Paderborner Dom-Tragaltar und sein Umkreis, München 2006. Cf. Ch. Stiegemann (ed.), Canossa 1077 – Erschütterung der Welt. Geschichte, Kunst und Kultur am Aufgang der Romanik [eine Ausstellung im Museum in der Kaiserpfalz, im Erzbischöflichen Diözesanmuseum und in der Städtischen Galerie am Abdinghof zu Paderborn vom 21. Juli bis 5. November 2006], 2 voll., München 2006.

XII

Andreas Speer

Œuvre zu verbinden“ sei 3. Gleiches gilt für die Zuordnung des Rogerus zu jener Schrift, die unter dem Titel ‚Schedula diversarum artium‘ oder ‚De diversis artibus‘ seit dem 12. Jahrhundert auf eine ebenso reiche wie vielgestaltige Überlieferungsgeschichte zurückblicken kann4. Mit dieser Problemanzeige ist zugleich der Ausgangspunkt für die diesem Band zugrundeliegende Fragestellung benannt, die vor allem um die unter dem Titel ‚Schedula diversarum artium‘ oder ‚De diversis artibus‘ überlieferte Schrift selbst kreist und erst in zweiter Hinsicht um den möglichen Autor oder um bestimmte Kunstgegenstände. Im folgenden sollen jedoch nicht nur die bisherigen Hypothesen kritisch hinterfragt werden; vielmehr möchten der vorliegende Band und auch dieser Beitrag sowohl methodisch wie interdisziplinär neue Zugänge zu einem besseren Verständnis des komplexen Untersuchungsgegenstandes eröffnen. Das schließt mitunter alternative Lesarten und Hypothesen ein. Dem Leser bleibt es dann überlassen, die Argumente nach bester wissenschaftlicher Manier selbst zu gewichten. I. Reze ption und Inter pretation „Omne receptum est in recipiente per modum recipientis“ – so lautet ein altes Adagium, von dem beispielsweise Thomas von Aquin in vielfältigen Kontexten und in manch variierenden Formulierungen Gebrauch macht, das aber auch bei anderen scholastischen Autoren wie Bonaventura und Wilhelm von Ockham Verwendung findet – bisweilen mit der Hinzufügung „et non per modum recepti“ oder „et non per modum sui“5. Die darin zum Ausdruck gebrachte hermeneutische Grundwahrheit kann als Schlüssel für die Rekonstruktion jenes Textes dienen, der im Mittelpunkt zweier Tagungen in Wolfenbüttel und in Köln stand und der Gegenstand dieses Bandes ist6. Denn der Text, um den es im folgenden geht, scheint von Anfang an stets aus der Perspektive des jeweiligen Rezipienten gelesen worden zu sein. 3 4

5

6

Stiegemann/Westermann-Angerhausen, Vorwort der Herausgeber, in: id./ead. (eds.), Schatzkunst (nt. 1), 8–10, hier 9. A. Speer/H. Westermann-Angerhausen, Ein Handbuch mittelalterlicher Kunst? Zu einer relecture der Schedula diversarum artium, in: Stiegemann/Westermann-Angerhausen (eds.), Schatzkunst (nt. 1), 249–258. Cf. Thomas de Aquino, In II Sent., d. 17, q. 2, a. 1, arg. 3; Quest. disp. De anima, q. 2, arg. 19; Quest. disp. De potentia, q. 3, a. 3, arg. 3; Quest. disp. De veritate, q. 12, a. 6, arg. 4; Sum. c. gent., II, c. 73; Sum. theol., Ia, q. 75, a. 5, corp.; Bonaventura, Quest. disp. De scientia Christi, q. 7, ad 7 (in: Opera omnia, vol. V, 41a); Guillelmus de Ockham, In I Sent. (Ordinatio), d. 35, q. 1 (in: Opera theol., vol. IV, 426). „Around Theophilus: an expert meeting towards new standards in Theophilus scholarship“, 14.–15. Januar 2010 in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel; Tagungsbericht: M. Clarke/ A. Stijnman, in: H-Soz-u-Kult, 16.04.2010, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/ id=3068. „Die Schedula diversarum artium – ein Handbuch mittelalterlicher Kunst?“, 9.–11. September 2010 in der Universität zu Köln; Tagungsbericht: Th. Greub, in: Kunstchronik 64,1 (2011), 11–15.

Zwischen Kunsthandwerk und Kunst

XIII

Dies gilt bereits für die frühe Überlieferungsgeschichte der ‚Schedula diversarum artium‘. Die nach derzeitigem Forschungsstand verbürgten 27 Handschriften vom 12. bis zum 19. Jahrhundert7 verweisen auf ganz unterschiedliche Überlieferungskontexte. Hierbei stechen vor allem Schriften aller Art zur Farbe sowie medizinische und alchimistische Traktate hervor – noch vor astronomischen Schriften und Vitruvs ‚De architectura‘, das den Kontext der ‚Schedula‘ im Codex Guelf. Gudianus lat. 2° 69 bildet. Insbesondere die Handschriften aus englischen Bibliotheken – darunter auch der Londoner Codex Harley 3915 – überliefern die ‚Schedula‘ vollständig oder in Teilen zusammen mit anderen Traktaten zur Farbenlehre, insbesondere zusammen mit dem ‚Liber de coloribus et artibus Romanorum‘ des Heraclius und der ‚Mappae clavicula‘, sowie mit alchimistischen, metallurgischen und medizinischen Traktaten. Auch andere Textzeugen – etwa der Pariser Codex, Bibliothèque Nationale de France, Ms. lat. 6741 und der Florentiner Codex, Biblioteca Nazionale Centrale, Ms. Palat. 951 – überliefern die ‚Schedula‘ in ähnlichen Kontexten8. Ein neu entdecktes Fragment in der British Library, MS Add. 41486, das Ilya Dines in das späte 13. Jahrhundert datiert und in Italien lokalisiert, zeigt die ganze Bandbreite des Überlieferungsstroms, dessen Teil die ‚Schedula‘ über viele Jahrhunderte war9. Es umfaßt den Albertus Magnus zugeschriebenen ‚Libellus de Alchimia‘ und dessen ‚Regula theorice‘, diverse anonyme Texte über Metalle, Salz, die Herstellung von Gold, über Wasser und über die Sonne, ein ‚Aliud experimentum Constantini [Africani] magni philosophi in tempore nostro et loquitur uersifice de hoc experimento‘, einen anonymen Traktat ‚De secretis ad comburendum corpora‘, eine Sammlung verschiedener Rezepte, darunter einige von der ‚Mappae Clavicula‘, einen weiteren, dem Hermes Trismegistus zugeschriebenen ‚Liber de Alchima‘, mehrere Auszüge aus dem ‚Liber de Septuaginta‘ des Geber von Sevilla, Auszüge aus dem ‚Liber Administrationum‘ (‚De uiribus ignis super metalla‘) des Alkindi, eine anonyme ‚Doctrina pollodi planandi secandi sculpendi et perforandi pretiosos lapides‘ gefolgt von Heraclius ‚De coloribus et artibus Romanorum‘, Auszüge aus dem ‚Liber Sacerdotum‘ (‚De naturis corporum iuxta Aristotelem septuaginta preceptorum‘), nochmals Auszüge aus Gebers ‚Liber de Septuaginta‘ (‚De ablutione lapidum et extractione spirituum a corporibus nec non et corporum a corporibus‘ und zur Qualität der Metalle, einschließlich Rezepten zur Umwandlung einfacher Metalle in Silber und Gold), die ‚Mappae clavicula‘, das Buch IV des ‚Lumen luminum‘, ein anonym überliefertes ‚Experimentum uerum per quod simul spiritus et corpus promptificatur ad elixir componendum‘ einschließlich zahlreicher Rezepte und das Buch V des ‚Lumen luminum‘ bilden den 7 8

9

Cf. hierzu den Beitrag von I. Dines in diesem Band, 3–10. Cf. hierzu die ausführliche Beschreibung der Manuskripte auf dem ‚Schedula‘-Portal: http:// schedula.uni-koeln.de. Ferner die Beiträge von I. Dines und D. Oltrogge in diesem Band, 3–10 und 93–122. Cf. hierzu die ausführliche Beschreibung dieses Manuskript auf dem ‚Schedula‘-Portal (nt. 8). Ferner den Beitrag von I. Dines in diesem Band, 10.

XIV

Andreas Speer

Kontext für den namentlich dem Theophilus Presbyter zugeschrieben Text ,De basilisco‘, der auf dem entsprechenden Auszug aus der ‚Schedula‘ zur Erzeugung eines Basilisken beruht10; es folgt der ‚Liber servitoris des Albucasis‘, eine Aristoteles zugeschriebene Schrift ‚De perfecto magisterio‘, Rezepte und Traktate aus dem ‚Liber de corporibus et spiritibus‘ (al. ‚Liber Emanuelis‘) des Archelaus, ein anonymer ‚Liber secundus de ponderibus‘, weitere Rezepte zur Herstellung von Tinte und zur Herstellung und Aufhellung von Farben, und schließlich ein anonymer, gleichfalls dem Hermes Trismegistus zugeschriebener ‚Liber alchimiae et est nucleus totius artis‘. Diese Beispiele machen deutlich, daß die jeweiligen Überlieferungskontexte gerade für die ‚Schedula‘ alles andere als akzidentell sind. Sie bestimmen vielmehr sowohl die Gestalt wie den Umfang des überlieferten Textes und verweisen auf den Rezeptionskontext. Auf diese Weise erklärt sich die variierende Textgestalt, die sich – läßt man die äußeren Bedingungen der Überlieferungsvorgänge einmal außer betracht – nicht zuletzt dem Interesse des jeweiligen Rezipienten verdankt und künftige Rezipienten beeinflußt. Die Geschichte der Überlieferung der ‚Schedula‘ ist somit auch eine Geschichte der Rezeption und der Rezipienten11. Unter ihnen finden sich Nicolaus Cusanus, der den bereits genannten Harley-Codex zwischenzeitlich besaß, worauf ein autographer Kaufvermerk verweist12, ebenso wie der Humanist Georgius Agricola, der den Wolfenbütteler Codex, welcher sich – worauf ein ex libris-Eintrag hinweist – womöglich bis zum 14. Jahrhundert in St. Pantaleon in Köln befunden hatte13, um die Mitte des 16. nachweislich nutzte, wobei sein Interesse zunächst Vitruvs ‚De architectura‘ galt, bevor er die ‚Schedula‘ als Quelle für seine 1556 erschienene Schrift ‚De re metallica‘ entdeckte14. Schließlich gelangte der Codex Mitte des 17. Jahrhunderts wahrscheinlich gemeinsam mit einer Wiener Kopie der Handschrift (Wien, Österreichische Nationalbibliothek 2527) in den Besitz des bekannten Arztes und Humanisten Bernhard Rottendorff in Münster, dessen Bibliothek schließlich nach seinem Tod 1671 der dänische Jurist, Philologe und Bibliothekar Marquard Gude in Teilen übernahm. Es war dann kein geringerer als der damalige Wolfenbütteler Bibliotheksdirektor Gottfried Wilhelm Leibniz, der 1710 im Auftrag von Herzog Anton Ulrich den größten und bedeutendsten Teil

10

11

12 13 14

Cf. Theophilus, De diversis artibus, III, c. 48, ed. Ch. R. Dodwell, in: Theophilus, De diversis artibus – The Various Arts, London 1961 [Neudruck Oxford 1986, 1998], 96 sq. Cf. hierzu auch die Beiträge von P. Carmassi/B. Lesser und von C. Van Duzer in diesem Band, 22–51 und 369–378. Diese Geschichte ist sehr schön nachgezeichnet in der online erschienen Dissertation von H. C. Gearhart, Theophilus’ On Diverse Arts: The Persona of the Artist and the Production of Art in the Twelfth Century (PhD Dissertation, University of Michigan), Ann Arbor 2010 (http:// deepblue.lib.umich.edu/handle/2027.42/75830). Cf. den Eintrag von H. J. Hallauer zum Cod. Harl. 3915 in: Mitteilungen und Forschungsbeiträge der Cusanus-Gesellschaft 10 (1973), 99–103. Cf. hierzu den Beitrag von A. Corbach, 11–21. Cf. Siehe H. C. Gebhaert Gearhart, Theophilus (nt. 11), 19–21.

Zwischen Kunsthandwerk und Kunst

XV

dieser Handschriftensammlung für Wolfenbüttel erwerben konnte, darunter auch den Codex Guelf. Gudianus lat. 2° 69, der die zusammen mit dem Wiener Manuskript, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2527 älteste Überlieferung der ‚Schedula‘ enthält15. In Wolfenbüttel beginnt sodann die neuzeitliche Rezeption der ‚Schedula‘ im Jahre 1774 mit der Entdeckung der bereits erwähnten Version des 12. Jahrhunderts im Codex Guelf. Gudianus lat. 2° 69 durch Gotthold Ephraim Lessing, seinerzeit Bibliothekar der Herzoglichen Bibliothek in Wolfenbüttel. Erstaunt nahm das Publikum des 18. Jahrdunderts zur Kenntnis, daß ein Mönch dreihundert Jahre vor van Eyk das Verfahren der Ölmalerei erfunden haben sollte16 und ebenso detailliert die Verfahren der Glasmalerei oder der Herstellung von Rauchfässern und Glocken schilderte. Diese Annäherung reflektiert jedoch weit mehr die kulturelle Praxis der neuzeitlichen Rezipienten, als daß sie „künstlerische“ Entwicklungsprozesse und das Selbstverständnis der „Künstler“ im 12. Jahrhundert erklärt – was auch immer „Künstler“, daß heißt „artifex“ in dieser Zeit bedeutet; wir kommen auf diese Frage im folgenden noch zu sprechen. Hinter dieser Annäherung steht eine bestimmte Leitvorstellung, daß kreative Aufbrüche und Neuerungen eines theoretisch ausweisbaren Motivs, einer innovativen, eingefahrene Verhaltensformen sprengenden Leitidee bedürften, welche sich, so Pierre Bourdieu in seinem „Postface“ zur französischen Ausgabe von Erwin Panofskys ‚Gothic Architecture and Scholasticism‘ aus dem Jahr 1967, einer nicht weiter ableitbaren Individualität verdankt, die sich einer vollständigen Zurückführung auf zugrundeliegende, geschichtlich vermittelte Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster entzieht. Tatsächlich – so Pierre Bourdieu – müsse man sich, um die Entstehung kreativer Grundmuster zu erklären, dem besonderen Habitus des Künstlers zuwenden und diesen „als das vereinigende und explikative Prinzip für ein dem Anschein nach disparates Zusammenspiel von Verhaltensformen ansehen, die einer Existenz erst zu ihrer Einzigartigkeit verhelfen“ 17. Doch dieses über lange Zeit auch in der Forschung fraglos gültige Bild, das mit den Mitteln der Stil-, Autor- und Epochenkonstruktion arbeitet und hierbei methodisch nicht selten die Lücken in der einen Beweisführung mit den Lücken des anderen Beweisgangs füllt, ist inzwischen umfassend erschüttert. Das gilt auch für die daraus abgeleiteten Überlegungen zum Verhältnis von „ars inveniendi“ und „modus operandi“ in Hinblick auf jenen Bereich menschlichen Tätigseins, den wir – in einer eigentümlich fraglosen Voraussetzung einer Begriffs- und Bedeutungsidentität – als „Kunst“ bezeichnen. Das gilt ebenfalls für unseren Untersuchungsgegenstand: jenen anonymen Text eines anonymen Autors, der gemäß 15 16 17

Cf. hierzu den Beitrag von A. Corbach, 11–21. G. E. Lessing, Vom Alter der Oelmalerey aus dem Theophilus Presbyter, Brunswick 1774 [Nachdruck in: id., Gesammelte Werke, vol. 8, Leipzig 1856, 285–336]. Die deutsche Fassung des französischen „Postface“ zur französischen Ausgabe von E. Panofsky, Architecture gothique et pensée scolastique, Paris 1967, erschien in: P. Bourdieu, Zur Soziologie der symbolischen Formen, Frankfurt 1970, 21974, 125–158, bes. 142–158.

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Andreas Speer

einer Referenz im ersten Prolog als ‚Schedula diversarum artium‘ eines Theophilus Presbyter bekannt ist18. Das gilt insbesondere für die erstmals von Albert Ilg in der Einleitung zu seiner Edition vorgebrachten Identifikation des anonymen Theophilus mit Roger von Helmarshausen unter Rekurs auf die in seiner Edition hauptsächlich zugrundegelegte Wiener Handschrift, die bei den Eingangsworten „Theophilus humilis presbyter“ den Zusatz „qui et Rugerus“ aufweist, sowie die Verbindung zu einer Gruppe von Werken um den Paderborner Tragaltar19. Doch beides, die Autorhypothese und die Werkstatthypothese, haben sich als eine letztlich nicht tragfähige Konstruktionen erwiesen, in der sich weit eher die Sicht des Rezipienten widerspiegelt als der ursprüngliche Kontext desjenigen Textes, der uns als Referenzquelle dient. Doch Verstehen – das ist die andere Seite des hermeneutischen Zirkels – hat es bekanntlich nicht nur mit der Rekonstruktion des eigenen Verständnishorizontes zu tun, sondern auch mit dessen kritischer Abhebung in der Absicht, das andere in seiner Andersheit zu verstehen, also nicht nur „per modum recipientis“, sondern auch „per modum sui “. Mit Blick auf die ‚Schedula‘ bedeutet dies allerdings eine Abhebung und Rekonstruktion unterschiedlicher Rezeptions- und Traditionskontexte und damit die Freilegung verschiedener Perspektiven auf den Text. II. Text und Autor Doch von welchem Text reden wir eigentlich? Wer die Ausgaben von Lessing über Hendrie, de l’Escalopier und Ilg bis hin zu Dodwell verfolgt, wird signifikante Abweichungen bemerken, die sich aus den gewählten Handschriftenvorlagen ergeben20. Unter diesen verschiedenen Ausgaben und Übersetzungen bildet die 1961 erschienene kritische Edition der ‚Schedula‘ durch Charles Dodwell den Referenzpunkt der neueren Forschung. Hinsichtlich des Titels entscheidet sich Dodwell für die gleichfalls bezeugte Variante ‚De diversis artibus‘. Seiner Edition legt er sieben Handschriften zugrunde, wobei er sich auf die kodikologischen und paläographischen Untersuchungen von Rozelle Parker Johnson aus dem Jahr

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Theophilus, De diversis artibus, I, prol., ed. Dodwell (nt. 10), 1: „Theophilus, humilis presbyter, seruus seruorum Dei, indignus nomine et professione monachi […].“ Theophilus Presbyter, Schedula diversarum artium, ed. A. Ilg (Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance 7), Wien 1874, 3. Siehe vor allem die Einleitung zu dieser Edition (im Grunde der ersten kritischen Edition), wo Ilg diese Variante des Wiener Codex im Sinne der Rugerus-Lesart deutet und auch erstmals den Bezug zum Paderborner Domschatz herstellt. Noch nicht bibliographisch benannt sind die Ausgaben von Ch. de l’Escalopier, Theophili presbyteri et monachi libri III seu diversarum artium schedula, Paris 1843, und R. Hendrie, An essay upon various arts, in three books, by Theophilus called also Rugerus, London 1847. Die Ausgaben von de l’Escalopier, Ilg und Dodwell könnten auf dem ‚Schedula‘-Portal (nt. 8) synoptisch verglichen werden. Daneben gibt es zahllose Übersetzungen, die auf einer dieser Textausgaben basieren, oftmals aber selbst nur eine Auswahl bieten.

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1938 stützt21. Das Ergebnis ist ein Mischtext auf der Grundlage einer selektiven Auswahl von Textzeugen in weitgehend standardisierter Graphie, der wenige Anhaltspunkte für eine weiterführende historisch-kritische Untersuchung bietet. Denn Dodwell läßt den Leser weitgehend im unklaren, auf welcher Grundlage seine editorischen Entscheidungen erfolgt sind. Ebenso läßt die Dodwell-Edition die Frage der Quellen weitgehend unbeantwortet. Die Hinweise zur Datierung und zur Autorschaft in der Einleitung stellen eine überwiegend harmonisierende Lektüre der vorausliegenden Forschungsliteratur dar22. Somit ist die DodwellEdition, auf der auch die Mehrzahl der vorliegenden neueren Übersetzungen beruhen, in gewisser Hinsicht zu einer Sackgasse für die ‚Schedula‘-Forschung geworden, der sie als Referenzausgabe dient, und hat jene Fiktion eines literarisch begabten Handwerkermönchs, der in der ‚Schedula‘ die Ideen seines künstlerischen Schaffens niedergelegt habe, die das Kunstwollen einer ganzen Epoche, der Romanik, zum Ausdruck brächten, verstärkt und gefestigt23. Zum Ende seiner Einleitung diskutiert Dodwell zwei Probleme: den Umfang der Schrift und ihren Titel 24. Hinter diesen Problemen verbirgt sich jedoch eine weitaus grundsätzlichere Frage, die Dodwell nicht thematisiert. Was für einen Text haben wir eigentlich vor uns? – Eine über Jahrhunderte gewachsene Sammlung von Rezepten zur Herstellung von Farben, Glas und Metallen verbunden mit Anleitungen zur Herstellung von Artefakten unterschiedlicher Art und deren Bedeutung, die den Alltagsgebrauch weit übersteigt und in den liturgischen Raum verweist. Dieses Bedeutungsganze, das in einigen der erhaltenen Handschriften in drei Prologen reflektiert wird, wird zu einem bestimmten Zeitpunkt – offensichtlich von einem Autor oder Kompilator, der höchstwahrscheinlich auch der Autor der Prologe ist – in drei Büchern zusammengefügt und geordnet, die in dem Überlieferungszusammenhang des zur ‚Schedula‘ gerechneten Textcorpus einen kanonischen Referenzpunkt bilden, der auch rezeptionsgeschichtlich relevant ist, insofern spätere Textzeugen auf diesen Bezug nehmen. Was die beiden Varianten des Titels angeht, der sich in der handschriftlichen Überlieferung findet, so sind beide: sowohl die Lesart ‚Schedula diversarum artium‘ wie auch die alternative Lesart ‚De diversis artibus‘ dem ersten Prolog entnommen25. Damit müssen die klassischen Fragen nach der Herkunft, der kanonischen Form und der Autorschaft eines Textes, welche die bisherige Forschung zur ‚Schedula‘ bestimmt haben, im Lichte der Tatsache neu gestellt werden, daß es

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Dodwell (ed.), Theophilus (nt. 10), lvii–lxxi. Cf. hierzu R. P. Johnson, The Manuscripts of the Schedula of Theophilus Presbyter, in: Speculum 13 (1938), 86–103. Dodwell (ed.), Theophilus (nt. 10), xviii–xliv. Cf. hierzu Dodwells Ausführungen zur Autorschaft in seiner Einleitung; ibid., xxxiii–xliv. Ibid., lxxi–lxxiii. Theophilus, De diversis artibus, I, prol., ed. Dodwell (nt. 10), 3: „Tu ergo, quicumque es, fili karissime, cui Deus misit in cor campum latissimum diuersarum artium perscrutari […]“; ibid., 4: „[…] hanc diuersarum artium scedulam auidis obtutibus concupisce […].“ Cf. ferner den Überblick auf dem ‚Schedula‘-Portal (nt. 8).

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sich bei der ‚Schedula‘ offensichtlich um einen offenen Text handelt. Folglich haben wir es mit einer offenen Überlieferung zu tun, deren Varianten Momentaufnahmen einer Tradierung bieten und als je eigene Größen und Zugänge zum Verständnis des Textes aufgefaßt und rekonstruiert werden müssen. Ein erster Blick auf die Überlieferung bestätigt das äußerst komplexe Bild. Es zeigt sich, daß für alle drei Bücher und für die Prologe eine jeweils unterschiedliche Textüberlieferung vorliegt. Zudem überliefern die Textzeugen den Text unterschiedlich vollständig: Alle drei Bücher (vollständig oder fragmentarisch) sind in 11 Manuskripten überliefert: 3 Handschriften enthalten nur die Bücher I und III, 8 enthalten nur Buch I, 3 weitere nur die Bücher II und III, 4 Manuskripte enthalten nur Buch II, und 3 weitere nur Buch III. Der Prolog zu Buch I ist in 17 Manuskripten überliefert, der Prolog zu Buch II nur in 9, während der Prolog zu Buch III 8 mal handschriftlich vorliegt. Damit stellt sich die Frage nach der Komposition und nach dem Zusammenhang der Bücher und der Prologe. Die Bücher I und II enthalten in etwa nur ein Drittel an Beschreibungen von Rezepten oder Handlungsanweisungen im strengen Sinne; im übrigen erinnern die Bücher gattungsmäßig eher an enzyklopädische Darstellungen im Schnittfeld von „ordo artium“ und sakralem Gebrauch26. Buch III kann hingegen am ehesten als ein „Rezeptbuch“ für Kunsthandwerker (artifices) bezeichnet werden. Zusammen mit den theologisch aufgebauten Prologen ergibt sich so ein komplexes Bild, das nach der Herkunft der einzelnen Bücher und ihrer Komposition zu einem ganzen fragen läßt, ebenso wie nach den Quellen. Wann aber wurden diese Materialien zusammengefügt und von wem? Etwa von dem Autor der Prologe? Und zu welchem Zeitpunkt geschah dies? Angesichts dieses Sachverhalts wird deutlich, daß sich die eigentümliche Textgestalt der ‚Schedula‘ nicht auf einen ursprünglich geschlossenen Archetyp zurückführen läßt, der sodann den expliziten oder impliziten Bezugs- und Zielpunkt der Rekonstruktion der Textüberlieferung bildet, im Verhältnis zu dem die Bewertung der einzelnen Textzeugen erfolgt. Folglich kann man mit Bezug auf die vorliegenden Varianten nicht von Kontaminationen einer ursprünglich „richtigen“ Lesart sprechen, die es im Lachmannschen Dreischritt von recensio, emendatio und iudicium als ursprünglichen (und damit „richtigen“) Text zu etablieren gilt. Ebensowenig wird eine Orientierung an Leithandschriften der Herausforderung gerecht, die ‚Schedula‘-Tradition angemessen zu rekonstruieren und in ihrer spezifischen Eigenart abzubilden27. Doris Oltrogge verweist in ihrem Beitrag in die26

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Cf. hierzu Ch. Meier, Enzyklopädischer Ordo und sozialer Gebrauchsraum. Modelle der Funktionalität einer universalen Literaturform, in: ead. (ed.), Die Enzyklopädie im Wandel vom Hochmittelalter bis zur frühen Neuzeit (Münstersche Mittelalterliche-Schriften 78), München 2002, 511–532, hier 516 sqq. und 523 sqq. Cf. hierzu K. Stackmann, Mittelalterliche Texte als Aufgabe, in: W. Foerste/K. H. Borck (eds.), Festschrift für Jost Trier zum 70. Geburtstag, Köln–Graz 1964, 241–267; id., Autor – Überlieferung – Editor, in: E. C. Lutz (ed.), Das Mittelalter und die Germanisten. Zur neueren Methodengeschichte der Germanischen Philologie. Freiburger Colloquium 1997 (Scrinium Friburgense 11), Freiburg [Schweiz] 1998, 11–32.

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sem Zusammenhang auf die Eigenart von Rezeptsammlungen, die entsprechend den Intentionen und Interessen des jeweiligen Kompilators neu systematisiert werden. Sie sind somit grundsätzlich offene Texte. Zu dieser Offenheit gehört auch, daß „ursprünglich als Einheit konzipierte Rezeptsequenzen oft auseinandergerissen und mit anderen Vorschriften durchschossen“ werden28. Ein Beispiel hierfür stellt der von Doris Oltrogge untersuchte ‚Liber diversarum arcium‘ aus Montpellier dar, auf den auch Mark Clarke Bezug nimmt, der in seinem Beitrag eine kurz gefaßte Typologie von Bearbeitungsformen von technischen Rezepten entwirft: von einfachen Änderungen, rhetorischen oder sachlichen Auslassungen, komprimierte Darstellungen, alternativen Rezepten, Glossen und verdeutlichenden Hinweisen bis hin zu einer interessegeleiteten Auswahl 29. Daß die ‚Schedula‘ aufgrund ihrer Komposition und ihrer literarischen Form jedoch nicht schlechthin der Rezeptliteratur zugerechnet werden kann, macht den Fall nicht einfacher. Die Offenheit der Überlieferung zeigen selbst die ältesten „kanonischen“ Textzeugen: der Gudianus, die Wiener Handschrift und der Harley-Codex. Die auf ihnen basierenden Texteditionen von Ilg, de l’Escalopier und Dodwell spiegeln dies exemplarisch wider. Das läßt sich auf dem ‚Schedula‘-Portal nachverfolgen, das diese drei Editionen zusammen mit allen handschriftlichen Textzeugen in synoptischer Darstellung bietet30. Hier zeigen sich die Vorteile einer digitalen Edition, die weit mehr ist als ein neues materiales Darstellungsmedium. Eine digitale Edition, wie wir sie auf dem ‚Schedula‘-Portal etabliert haben, ermöglicht mit Blick auf die Diversität der Überlieferung die Dokumentation verschiedener Stufen der Überlieferung und Rezeption, wobei der Text sowohl als Edition (Volltext), als Transkription eines einzelnen Textzeugen, als Faksimile wie als digitalisiertes Manuskript zur Verfügung steht und miteinander verknüpft, aufgerufen und verglichen werden kann. In dieser offenen Überlieferung kommt gleichwohl der durch die drei Prologe eingeleiteten Komposition der ‚Schedula‘ in der Vollversion dreier Bücher eine besondere Rolle zu. Es ist diese Komposition, die die Sammlung von Rezepten und Beschreibungen, von Arbeitsabläufen, Herstellungsprozessen und deren Objekten im breiten Strom der Überlieferung vergleichbarer Quellen seit der Antike identifizierbar macht31. Der Anspruch auf ein „geschlossenes“ literarisches Werk kommt nicht nur im Aufbau, sondern insbesondere in der literari28 29

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Cf. den Beitrag von D. Oltrogge in diesem Band, 93–122, hier 94. Cf. den Beitrag von M. Clarke in diesem Band, 72–89; ferner D. Oltrogge, “Cum sesto et rigula”. L’organisation du savoir technologique dans le Liber diversarum artium de Montpellier et dans le De diversis artibus de Théophile, in: B. Baillaud/J. de Gramont/D. Hüe (eds.), Discours et Savoirs: Encyclopédies médiévales (Cahiers Diderot 10), Rennes 1998, 67–99. Zum ‚Schedula‘-Portal (nt. 8) cf. auch nachfolgend meine Ausführungen zum ‚Schedula‘-Portal, XXXV–XXXVII. Cf. hierzu exemplarisch J. Wolters, Schriftquellen zur Geschichte der Goldschmiedetechniken bis zur Rogerzeit, in: Stiegemann/Westermann-Angerhausen (eds.), Schatzkunst (nt. 1), 222–242. Cf. ferner die Beiträge im vierten Teil dieses Band von H. Westermann-Angerhausen, A. Bosselmann-Ruickbie und C. Van Duzer, 321–332, 333–368 und 369–378.

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schen Sprache der Bildbeschreibungen, aber auch der technischen Verfahren zum Ausdruck; im letzteren Fall finden sich auch deutliche Spuren einer Fachsprache der zeitgenössischen Werkstattpraxis32. Der literarische Anspruch wird vor allem in den Prologen greifbar, in denen sich der Verfasser mit den Stilmitteln der „ars dictaminis“ an den Leser wendet. Daß der Schreiber der Vorreden auf der literarischen Höhe seiner Zeit ist, zeigt sich in der Metaphorik der Sprache, in der Plastizität der Beschreibung, anhand bewußt eingesetzter Parallelismen und Alliterationen, am Beispiel rhetorischer Doppelungen („imago et similitudo“, „ars et ingenium“), in der persuasiven Einbindung des Lesers („et hoc te iudice“) und anhand von Spuren eines Prosarhythmus33. Auch der beziehungsweise die beiden überlieferten Titel dieser Schrift sind – darauf wurde bereits hingewiesen – dem Prolog zum ersten Buch entnommen. Ein vergleichbarer Problemzusammenhang hinsichtlich der Offenheit der Textüberlieferung und eines normativen Referenzpunktes ergibt sich hinsichtlich der Frage nach dem Autor, die durch die Eröffnungsformel des ersten Prologs „Theophilus, humilis presbyter, seruus seruorum Dei, indignus nomine et professione monachi“ etabliert wird34. Obgleich diese Autorzuschreibung äußerst vage ist und im Grunde aus einer Kombination von hochartifiziellen und bedeutungsvollen Formeln besteht – einschließlich des vorangestellten Namens „Theophilus“ –, hat die Autorfrage die bisherige ‚Schedula‘-Forschung in einem hohen Maß bestimmt. Hierbei dient der prosopographische Zugang über den Autor in der Regel zugleich zur historischen Situierung des Textes, zu seiner Lokalisierung und zur Rekonstruktion des Entstehungskontextes: von wem und zu welchem Zweck diese Schrift angefertigt wurde und wer die Adressaten waren. Am Beispiel der bekanntesten Autorhypothese: der Identifizierung des Theophilus mit Roger von Helmarshausen, wird zugleich deutlich, daß diese Methode nur dann zu einem tragfähigen Ergebnis führt, wenn ein prosopographischer Zugang überhaupt möglich ist. Gibt es zu einem Namen hingegen keine oder nur wenige historisch valide Informationen oder liegt gar eine Autorfiktion vor, so ist ein autorzentrierter Zugang wenig fruchtbar und verleitet eher zu unsachgemäßen Extrapolationen und falschen Schlüssen35. 32 33 34 35

Cf. hierzu vor allem die Beiträge von D. Oltrogge und R. Fuchs in diesem Band, 93–122 und 123–144. Viele dieser Hinweise verdanke ich P. Orth in dem gemeinsamen Master-Seminar „Wie Kunst gemacht wird: Die ‚Schedula diversarum artium‘“ aus dem Sommersemester 2010. Theophilus, De diversis artibus, I, prol., ed. Dodwell (nt. 10), 1. Auch der Versuch von H. C. Gearhart im dritten Kapitel ihrer Dissertation: Theophilus’ On Diverse Arts (nt. 11), 123–174, den Namenszusatz „qui et Rogerus“ im Sinne einer personalisierten memoria für Roger von Helmarshausen zu deuten, bietet keinen Lösungsansatz. Diese Interpretation entspringt einer frei entworfenen Typologie von vier untersuchten Manuskripten (Wolfenbüttel, Wien, London, Cambridge), die jeweils einen spezifischen hermeneutischen Zugang bieten sollen, der je besondere Informationen über den Text bereithalten soll (cf. ibid., 264–266). Doch der Versuch, durch die Zuordnung einzelner Handschriften zu bestimmten hermeneutischen Zugängen die gängigen Forschungshypothesen zu synthetisieren, bleibt spekulativ. Es handelt sich letztlich um ein Hineinlesen von Fragestellungen in das Quellenmaterial.

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Daß aber eine Frage nicht nur in eine Sackgasse hinein, sondern auch wieder aus dieser herausführen kann, zeigt die Neubewertung der Autorfrage durch Ilya Dines sowie durch Patrizia Carmassi und Bertram Lesser. Hierbei kommt dem bislang wenig beachteten zweiten Wolfenbütteler Codex Guelf. Helmstadiensis 1127 eine Schlüsselrolle zu, der gegenüber der Prologfassung des Codex Guelf. Gudianus lat. 2° 69 einige bemerkenswerte ergänzende Informationen bietet: neben der Bestätigung des monastischen Kontextes den zusätzlichen Hinweis auf den medizinisch-naturphilosophischen Kontext, die namentliche Nennung eines Adressaten („Bert[r]icus“)36 und nicht zuletzt die Eröffnung des Prologs mit der Nennung des eigenen Namens: „Nort[h]ungus humilis Theophilus.“ Mit diesem Hinweis eröffnet sich in der Tat ein fruchtbarer prosopographischer Pfad, der eine Identifikation des Verfassers beziehungsweise Redaktors der ‚Schedula‘ mit einem gleichnamigen Kompilator medizinischer Texte ermöglicht, der in ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts in Fulda und Hildesheim tätig war37. So wertvoll auch die Überlegungen von Stefanos Kroustallis zum Hildesheimer Kontext der ‚Schedula‘ sind38, so gibt es für die spekulative Zuschreibung der Autorschaft an Bischof Bernward von Hildesheim weder im Quellenmaterial der ‚Schedula‘ noch in den vielfältigen Zeugnissen zu Bernward, darunter die ‚Vita Bernwardi‘, irgendeinen Hinweis. Auch die neueste Forschung zu Bischof Bernward von Hildesheim kommt zu dem Schluß, daß es keine Anzeichen dafür gibt, daß der Bischof seine Aufgabe als „sapiens architectus“ im Sinne konkreter Entwurfsbedingungen für das faktische handwerkliche Tun verstand 39. Hingegen scheint der Hinweis auf den möglichen Adressaten des Northungus den monastischen Kontext und die mögliche Identität des Verfassers der ‚Schedula‘ mit einem Kompilator von Übersetzungen arabischer Autoren vorwiegend medizinischer und naturphilosophischer Texte zu belegen40. Damit verweist der Codex Guelf. Helmstadiensis 1127 auf eine der großen Überlieferungsstränge der ‚Schedula‘, der sich mit der Herstellung von Farben und Pigmenten sowie von Metallen befaßt und somit eine Nähe zu alchimistischen, metallurgischen und medizinischen Traktaten aufweist. Der zweite Wolfenbütteler Codex stellt nach Bertram Lesser eine genau geplante Auswahl aus einer früheren Vorlage der ‚Schedula‘ dar, die mit weiteren Rezepten – darunter sechs Rezepten aus der ‚Mappae clavicula‘ – ergänzt wurden41. Auch der alchimistische Exkurs zur alternativen Zucht eines Basilisken fügt sich in dieses Bild ein42.

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Cf. hierzu den Beitrag von P. Carmassi/B. Lesser in diesem Band, 22–51. Cf. hierzu die Beiträge von I. Dines und P. Carmassi in diesem Band, 3–10 und 22–36. Cf. den Beitrag von S. Kroustallis in diesem Band, 52–71. Hierzu magistral cf. G. Binding, Die Michaeliskirche in Hildesheim und Bischof Bernward als sapiens architectus, Darmstadt 2013, bes. 263–273. Cf. die Beiträge von I. Dines und P. Carmassi in diesem Band, 3–10 und 22–36. Cf. den Beitrag von B. Lesser, 36–51. Cf. ibid.

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Doch ist mit der Northungus-Hypothese die über die Autorschaft vermittelte Frage nach der Herkunft, nach dem Anlaß und Kontext der Komposition des ‚Schedula‘-Textes abschließend beantwortet? Ein Blick auf die beiden Fassungen des ersten Prologs der beiden Wolfenbüttler Codices zeigt beträchtliche Unterschiede der Fassung im Codex Guelf. Helmstadiensis 1127 gegenüber der älteren Textfassung des Codex Guelf. Gudianus lat. 2° 69. Diese Unterschiede beziehen sich nicht nur auf die Namensnennung. Der synoptische Vergleich zeigt umfangreiche Auslassungen und Kürzungen im späteren gegenüber dem früheren Codex, ferner signifikante Änderungen im Text des ersten Prologs. Die Auslassungen und Kürzungen im Prolog zum ersten Buch betreffen den Hinweis auf die heilsgeschichtliche Einbindung der „menschlichen Erfindungskraft“ (humana sollertia)43 und den Hinweis auf die Bevorzugung heimischer Materialien gegenüber auswärtigen, die nicht unbedingt besser, sondern sogar geringer zu schätzen seien44. An die Stelle eines anonymen gelehrten Mönches, der unter dem Namen Theophilus die Einbindung des eigenen Tuns in einen heilsgeschichtlich-sakramentalen Rahmen betont und die lokalen Errungenschaften hochschätzt, tritt mit Northungus ein durchaus selbstbewußter Autor („Ego Northungus“45), der seinen eigenen Anteil an der Vermittlung arabischer Autoren selbstbewußt betont und nicht ohne Stolz auf die eigene kompilatorische Tätigkeit verweist46. Nimmt man diese Unterschiede ernst, so mag die Frage berechtigt sein, ob und inwiefern uns in den beiden Wolfenbütteler Fassungen der ‚Schedula‘ nicht eher zwei Autoren begegnen, die zugleich auf zwei unterschiedliche Rezeptionstraditionen verweisen: die eine verbunden mit der Hermeneutik von Vitruvs ‚De architectura‘, die andere eingebunden in die naturwissenschaftlich-medizinische Tradition. So muß auch der prosopographische Zugang letztlich wiederum rückbezogen werden in den offenen Überlieferungskontext. Nur auf diese Weise erhält er seine Aussagekraft. III. Materialität und Ar tefakt Die neben der Autorfrage wohl meist umstrittene Frage betrifft den TheoriePraxis-Bezug der ‚Schedula‘. Was für Texte haben wir vor uns: umzusetzende, praxisnahe Anweisungen oder enzyklopädische Wissenssammlungen, die von der kunsthandwerklichen Wirklichkeit mehr oder weniger weit entfernt sind? Ist die

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Theophilus, De diversis artibus, I, prol., ed. Dodwell (nt. 10), 1 sq. Ibid., 3: „[…] numquid his contemptis tanquam uilibus et domesticis ad extranea nec meliora sed fortassis uiliora comparanda circuires terras et maria?“ Cf. hierzu den Beitrag von P. Carmassi/B. Lesser in diesem Band, 22–51. Cf. Wien, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. Helmstadiensis 1127, fol. 102v: „quotiens labore meo bene usus fueris ores pro me misericordiam dei omnipotentis qui me de nec humane laudis amore nec temporali premii cupiditate que digesta sund conscripsisse.“ Transkription in dem Beitrag von P. Carmassi/B. Lesser in diesem Band, 22–51, 6; cf. ibid. 13 sq.

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‚Schedula‘ ein Lehr- und Werkstattbuch oder eine klösterliche Quellensammlung für die Anfertigung liturgischer Gegenstände und deren theologische Rechtfertigung? Wie nahe oder wie fern ist die ‚Schedula‘ an der zeitgenössischen Kunstund Handwerkpraxis? 47 Mit der Rede von einem „Handbuch mittelalterlicher Kunst“ haben wir anläßlich der Kölner Tagung diese Frage gewissermaßen hermeneutisch umgangen. Denn dieser unspezifische Titel ist eher heuristisch zu verstehen als definitorisch. Das gilt auch für beide Nomina „Handbuch“ und „Kunst“ – erst recht in der Kombination mit „mittelalterlich“. Beide Begriffe eröffnen gerade im Gegenüber zu unserem heutigen Vorverständnis, das zumeist noch von den kunsttheoretischen Konzepten des 19. Jahrhunderts geprägt ist, ein weites heuristisches Feld, das es auszuloten gilt 48. Wie fruchtbar diese heuristische Annäherung war, zeigt der vorliegende Band, der vor allem eines vor Augen führt: Die ‚Schedula‘ führt unterschiedliche Traditionslinien zusammen. Das zeigt allein schon an den ganz unterschiedlichen literarischen Stilebenen: Rezepte für die Herstellung von Werkstoffen und deren Verarbeitungstechniken, Anleitungen zur Herstellung von Werkzeugen und ihrem Gebrauch, und schließlich die strukturierte Darstellung von Werkprozessen mit Blick auf die Anfertigung eines bestimmten Objektes. Was Doris Oltrogge mit Bezug auf die Gesamtdarstellung des Werkprozesses für die Systematisierung der „ars picturae“ im ersten Buch der ‚Schedula‘ aufzeigt 49, gilt auch für die Glasarbeiten im zweiten und für die Metall- und Emailarbeiten im dritten Buch der ‚Schedula‘. Wir werden gewissermaßen Zeugen der Errichtung einer Werkstatt (fabrica): vom Bau des Hauses, in dem die Werkstatt eingerichtet werden soll (III, Kap. 1–2), über die Errichtung des Werkofens mit Bälgen (III, Kap. 3–4) und des Ambosses (III, Kap. 5), die Herstellung der verschiedenen Werkzeuge wie Hämmer, Zangen, Feilen und Grabweisen sowie Näbeln (III, Kap. 6–19), sodann das Schmelzen, Veredeln und Härten der verschiedenen Metalle etwa für die Herstellung der liturgischen Gerätschaften wie Kelche, Patenen und Rauchfässer (III, Kap. 60–61) oder für den Glockenguß (III, Kap. 85)50.

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Cf. hierzu die Beiträge von R. Fuchs, E. Brepohl, M. E. Müller und J. H. Pahl in diesem Band, 123–144, 181–195, 225–243 und 423–434. Cf. hierzu A. Speer, Kunst und Schönheit. Kritische Überlegungen zur mittelalterlichen Ästhetik, in: I. Craemer-Ruegenberg/A. Speer (eds.), Scientia und ars im Hoch- und Spätmittelalter (Miscellanea Mediaevalia 22,2), Berlin–New York 1994, 945–966; ferner id., Kunst ohne Kunst? Interartifizialiät in Sugers Schriften zur Abteikirche von Saint-Denis, in: Zeitschrift für Deutsche Philologie 128 (2009), Sonderheft „Interartifizialität. Die Diskussion der Künste in der mittelalterliche Literatur“, 203–220. Cf. hierzu den Beiträg von D. Oltrogge in diesem Band, 93–122. Cf. hierzu die Beiträge von E. Brepohl, E. Neri und H. Westermann-Angerhausen, 181–195, 196–222 und 321–332; ferner E. Neri, De campanis fundendis. La produzione di campane nel medioevo tra fonti scritte ed evidenze archeologiche, Milano 2006; S. Lusuardi Siena/E. Neri (eds.), Del fondere campane: dall’archeologia alla produzione. Quadri regionali per l’Italia settentrionale (Atti del Convegno, Milano 23–25 febbraio 2006), Firenze 2007.

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Es gibt mithin keinen Widerspruch zwischen der Betonung des praktischen Wertes der in der ‚Schedula‘ geschilderten Techniken zur Gewinnung, Herstellung oder Zubereitung bestimmter Materialien wie Metalle und Farben, ferner der mit diesen Materialien befaßten handwerklicher Techniken zur Herstellung bestimmter kunsthandwerklicher Gegenstände einerseits und der Beschreibung ihrer Form sowie der Bestimmung ihrer liturgischer Funktion andererseits. Die ‚Schedula‘-Tradition integriert verschiedene Darstellungs- und Reflexionsebenen in Hinblick auf den ebenso weit gespannten Gegenstandsraum, der mit „ars“ bezeichnet wird und – als Gegenbegrifft zu „natura“ – alle Formen menschlichen Tätigseins umfaßt, die nicht „natürlich“, sondern „künstlich“ hervorgebracht werden. Ein solches „Kunst“-Verständnis umfaßt erfahrungsbasierte handwerkliche Tätigkeiten ebenso wie komplexe kunsthandwerkliche Prozesse und deren theoretische Durchdringung und Kontextualisierung, wie sie teils im Rahmen der Gesamtdarstellung eines Werkprozesses, teils in den Prologen der ‚Schedula‘ geschieht. Dabei geht es um das Ziel, was und zu welchem Behufe etwas hergestellt wird. Dieser integrativen Sicht menschlicher Kunstfertigkeit, die in den drei Prologen der ‚Schedula‘ thematisiert wird und in der drei Bücher umfassenden Vollgestalt der ‚Schedula‘ zur Darstellung kommt, korrespondiert andererseits eine Desintegration, die sich vor allem in den Teilmanuskripten der ‚Schedula‘-Überlieferung und -Rezeption findet. Denn oftmals zeugen die Teilsammlungen – zumal wenn sie nur aus einem Buch oder aus kurzen Exzerpten bestehen – von einem sehr spezifischen Interesse: etwa für Malerei und für die Herstellung von Farben51 oder für die Gewinnung und Bearbeitung von Metallen52. In diesem Zusammenhang sind abermals die einzelnen Manuskripte aufschlußreich, und zwar sowohl ihrem Inhalt wie ihrer Materialität nach. Denn Inhalt wie Materialität verweisen auf ganz unterschiedliche Gebrauchskontexte. So sind manche dieser Handschriften ohne Zweifel für gelehrte Bibliotheken geschrieben und dürften eine Werkstatt nie von innen gesehen haben, andere zeigen deutliche Gebrauchspuren; das gilt insbesondere für einige der Teilsammlungen, die offenkundig für einen bestimmten Zweck erstellt worden sind. In diesem Zusammenhang ist es auch zu den bereits genannten Weglassungen, Kürzungen, Änderungen und Hinzufügungen gekommen. Der Primat der Kunstfertigkeit auf der Grundlage eines weiten „Kunst“-Begriffes führt dazu, daß die strikte Unterscheidung von Materialität und Artizifialität, von Natur und Kunst, und somit auch von Werkstatt und enzyklopädischer

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Cf. hierzu die Codices Klosterneuburg, Stiftsbibliothek, CCI 331; Amiens, Bibliothèque municipale, Ms. 117; Paris, Bibliothèque nationale de France, Ms. lat. 6741; Leipzig, Universitätsbibliothek, Hs. 1157; Cambridge, University Library, MS 1131 (Ee 6 39); London, British Library, Add. 27459; Lodon, British Library, MS Egerton 840 A und MS Harley 3915. Cf. ‚Schedula‘-Portal: http://schedula.uni-koeln.de. Cf. hierzu die Codices Florenz, Biblioteca Nazionale Centrale, Palat. 951 und London, British Library, MS Add. 41486. Cf. ‚Schedula‘-Portal (nt. 8).

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Wissenssammlung aufgehoben wird. Im Unterschied zum Lobpreis des Materialwertes kostbarer Edelsteine und anderer Materialien wie Gold und Marmor in den etwa zur selben Zeit entstandenen Schriften des Abtes Suger zur Abteikirche von Saint-Denis, die auf mannigfache Vorbilder zurückblicken kann53, erhält in der ‚Schedula‘ das Material erst durch die Kunstfertigkeit des Bearbeiters seine eigentümliche Qualität. Denn auch Kupfer, Silber und Gold müssen durch Scheiden und Reinigen zunächst gewonnen und zubereitet, die Edelsteine müssen geschliffen werden54. Die Verbindung von Materialität und Artifizialität gilt umso mehr für diejenigen Materialien, die allererst das Ergebnis eines technischen Prozesses sind wie Farben, Glas, Email, Niello oder Braunfirnis55. Besondere Aufmerksamkeit gilt hierbei solchen Materialien, die eine besondere Qualität oder Bedeutung haben: Transluzidität bei Email und Glasmalerei56, die besondere Bedeutung der Farbe Blau bei Kirchenfenstern57 oder die Modellierung des Inkarnats, welches die Gottebenbildlichkeit des Menschen zum Ausdruck bringen soll58. Die Kunst scheint hier die Natur nachzuahmen und mit Blick auf das Material zu vollenden. IV. ars und ar tif ex Es dürfte deutlich geworden sein, daß wir in diesem Zusammenhang von Kunst nicht im engen Sinn der „schönen Kunst“ sprechen. Dieser Begriff und das damit verbundene Konzept einer Ästhetik, welche die schöne Kunst zu ihrem exklusiven Gegenstand hat, findet sich in dieser Prononciertheit erst in der Vorrede zu Georg Friedrich Wilhelm Hegels „Vorlesungen über die Ästhetik“ 59. Die Besonderung eines ästhetischen Gegenstandes gegenüber anderen Artefakten 53

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Cf. etwa Suger von Saint-Denis, De consecratione, 9,67–71; 62,385–391 und 20,136–139; De administratione, 222,1009–1012; 276,1221–1224; 278,1230–1233 und 285,1258–1263, in: A. Speer/G. Binding (eds.), Abt Suger von Saint-Denis. Ausgewählte Schriften. Ordinatio. De consecratione. De administratione, Darmstadt 2000. Zur Edelsteinsymbolik cf. das Standardwerk von Ch. Meier, Gemma Spiritalis. Methode und Gebrauch der Edelsteinallegorese vom frühen Christentum bis ins 18. Jahrhundert (Münstersche Mittelalter Schriften 34,1), München 1977. Cf. auch den Beitrag von A. Sahaydachny in diesem Band, 381–407. Cf. hierzu etwa die Kapitel zum Reinigen, Scheiden und Gießen des Sibers (III, Kap. 23–25), zum Kochen und Mahlen des Goldes (III, Kap. 33–37) und zum Reinigen des Kupfers (III, Kap. 63–67) sowie zum Schleifen der Edelsteine (III, Kap. 95). Cf. hierzu die Beiträge von D. Oltrogge, R. Fuchs, M. Bol, E. Brepohl, Ch. Hediger/B. KurmannSchwarz, D. Matos/L. Urbano de Oliveira Afonso und H. Westermann-Angerhausen in diesem Band, 93–122, 123–144, 145–162, 181–195, 256–273, 305–317, 321–332; ferner J. Wolters, Braunfirnis, in: U. Lindgren, Europäische Technik im Mittelalter 800–1400: Tradition und Innovation, Berlin 31998, 147–160. Cf. hierzu den Beitrag von M. Bol in diesem Band, 145–162. Cf. hierzu den Beitrag von Ch. Hediger/B. Kurmann-Schwarz in diesem Band, 256–273. Cf. hierzu den Beitrag von D. Oltrogge in diesem Band, 93–122. G. F. W. Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik I, Einleitung, in: id., Werke [auf der Grundlage der Werke von 1832–1845], vol. 13, edd. E. Moldenhauer/K. M. Michel (Suhrkamp Taschenbuch Verlag 613), Frankfurt a.M. 1989, 13 sqq.

XXVI

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wird Gegenstand eines normativen Diskurses, der von der Herauslösung der Trias der sogenannten bildenden Künste aus den „artes mechanicae“ seinen Ausgang nimmt, die kein geringer als Giotto in der ersten Hälfte des Trecento an den von ihm konzipierten Sockelgeschossen des Florentiner Campanile erstmals unabhängig und formell gleichberechtigt neben die „artes liberales“ und die „artes mechanicae“ stellt, und die schließlich als Töchter des Disegno kanonisiert werden60. Die Abwesenheit jener ästhetischen Kategorien oder Begriffe, in deren Schnittfeld wir gewöhnlich den Gegenstand einer Ästhetik suchen, den Hegel auf den Begriff der „schönen Kunst“ gebracht hat, bedeutet jedoch nicht, daß die Verfasser und Leser der ‚Schedula‘ die Besonderheit eines ausgezeichneten „Kunstwerks“ von seinem alltäglichen Gegenstück nicht auf mannigfache Weise reflektieren: auf der technischen Ebene und in der Darstellung der Werkprozesse, aber auch mit Bezug auf die einzelnen Gattungen etwa der Malerei oder Schmiedekunst, in Hinblick auf die Einbindung in den liturgischen Gebrauch im Kontext der Beschreibung eines Kelches oder Rauchfasses, und schließlich in den theoretischen Überlegungen der Prologe zur menschlichen Kreativität. Die drei Prologe bilden hierbei ein Trikolon: Auf ein großes Vorwort zu Beginn, das seinen programmatischen Ausgang „in exordio“ nimmt und die menschliche Kreativität in den Rahmen der Schöpfungsordnung stellt61, folgt ein kürzeres Vorwort, das der Wissbegierde eine Lasterliste gegenüberstellt62, und schließlich ein großes Vorwort zum dritten Buch, das die menschliche Schaffenskraft mit den Gaben des Heiligen Geistes verbindet. So erkenne man durch den Geist der Weisheit (spiritus sapientiae), „daß alles Geschaffene aus Gott hervorgehe und ohne ihn nichts sei“. Der Geist des Verstandes (spiritus intellectus) vermittle die Fähigkeit zur rechten Ordnung, Differenzierung und zum rechten Maß mit Blick auf die unterschiedlichen Werke. Der Geist der Überlegung (spiritus consilii) bringe die vorhandenen Talente und Fähigkeiten in aller Bescheidenheit zur Entfaltung. Der Geist der Stärke (spiritus fortitudinis) beseitige alle Trägheit und gebe die Tatkraft, um das Werk zu beginnen und mit vollen Kräften zu vollenden. Durch den Geist des Wissens (spiritus scientiae) werde man „aus reichem Herzen durch deine Begabung herrschen“. Der Geist der Fömmigkeit (spiritus pietatis) halte von Habsucht und Begierde fern und bewirke wie der Geist der Gottesfurcht (spiritus timoris Dei), daß man nichts ohne Gottes Zulassen besitzt noch besitzen wolle63. 60

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Cf. hierzu die hervorragende, jedoch im allgemeinen kaum bekannte Dissertation von Bernd Roggenkamp, Die Töchter des ‚Disegno‘. Zur Kanonisierung der drei Bildenden Künste durch Girogio Vasari, Münster 1996. Cf. Theophilus, De diversis artibus, I, prol., ed. Dodwell (nt. 10), 1: „Legimus in exordio mundanae creationis hominem ad imaginem et similitudinem Dei conditum et inspiratione diuini spiraculi animatum, tantaeque dignitatis excellentia caeteris animantibus praerogatum, ut rationis capax diuinae prudentiae consilii ingeniique mereretur participium, arbitriique libertate donatus solius Conditoris sui susciperet uoluntatem et reuereretur imperium.“ Cf. ibid., II, prol., 36 sq. Cf. ibid., III, prol., 62 sq.: „Per spiritum sapientiae cognoscis a Deo cuncta creata procedere, et sine ipso nihil esse. Per spiritum intellectus cepisti capacitatem ingenii, quo ordine qua uarietate qua mensura ualeas insistere

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Doch diese „humilitas“-Formel, die sich auch im ersten Prolog findet, bildet hier wie dort im Grunde nur den Rahmen für ein Lob des „ingenium“ und für die „ars“, die Ausdruck der wahren Ebenbildlichkeit Gottes sind. Voller Selbstbewußtsein redet der Verfasser der Prologe von der Teilhabe an der göttlichen „prudentia“, am göttlichen Ratschluß und „ingenium“ durch die „libertas arbitrii“ und dem daraus folgenden freien Willen. Und obwohl der Mensch durch die List des Teufels elendiglich betrogen der Unsterblichkeit verlustig ging, so habe Gott ihm doch die Weisheit und die Würde des Verstandes eingepflanzt. Dies geschah in der Kontinuität der Geschlechter, so daß jeder, der Sorgfalt und Mühe darauf verwendet, aller Kunst (ars) und alles Wissens (scientia) Fähigkeit gleichsam wie durch erbliches Recht erlangen kann64. Der Mensch hat also einen Anspruch auf seine Kreativität und aus dieser Erfindungskraft erwächst ihm die Pflicht, diese auszuüben und so am „opus restaurationis“ mitzuwirken. Umsonst (gratis) hat der Mensch all dies empfangen, um es in rechter Demut auszuüben. Deshalb auch solle man mit begierigen Blicken diese Aufzeichnungen der verschiedenen Künste (schedula diversarum artium) ersehenen, mit aufmerksamen Gedächtnis durchlesen und sie mit brennendem Eifer erfassen65. In dieses Bild paßt das Lob der Arbeit und die Warnung vor dem Müßiggang ebenso wie die Exemplarfiguren David, Salomon und Moses, die im zweiten und dritten Prolog genannt werden und die Elevation der „artes“ durch ihre Rückführung auf die sieben Gaben des Geistes66. Dieses Selbstverständnis des „artifex“ enspricht dem Verständnis des mit „ars“ bezeichneten Tätigkeitsfelds. Was seit der Spätantike als die „septem artes liberales“

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diuerso operi tuo. Per spiritum consilii talentum a Deo tibi concessum non abscondis, sed cum humilitate palam operando et docendo cognoscere cupientibus fideliter ostendis. Per spiritum fortitudinis omnem segnitiei torporem excutis, et quicquid non lento conamine incipis, plenis uiribus ad effectum perducis. Per spiritum scientiae tibi concessum ex abundanti corde dominaris ingenio, et quo perfecte abundas plenae mentis audacia uteris in publico. Per spiritum pietatis quid, cui, quando, quantum, uel qualiter operis, et ne subrepat auaritiae seu cupiditatis uitium, mercedis pretium pia consideratione moderaris. Per spiritum timoris Domini te nihil ex te posse consideras, nihil inconcessum a Deo te habere seu uelle cogitas, sed credendo confitendo et gratias agendo, quicquid nosti uel es aut esse potes, diuinae misericordiae reputas.“ Cf. Ilg (ed.), Theophilus (nt. 19), 149–151. Cf. Theophilus, De diversis artibus, I, prol., ed. Dodwell (nt. 10), 1: „Qui astu diabolico misere deceptus, licet propter inobedientiae culpam priuilegium immortalitatis amiserit, tamen scientiae et intellegentiae dignitatem adeo in posteritatis propaginem transtulit, ut quicumque curam sollicitudinemque addiderit, totius artis ingeniique capacitatem quasi hereditario iure adipisci possit.“ Cf. Ilg (ed.), Theophilus (nt. 19), 5. – In diesen Kontext paßt auch der Name „Theophilus“: Gemäß einer vielfach überlieferten Legende, die in gewisser Weise die Faust-Sage vorwegnimmt, schließt der verstoßene Geistliche Theophilus – um sein Priesteramt wiederzuerlangen – einen Pakt mit dem Teufel, wird jedoch durch die Fürbitte der Jungfrau Maria gerettet. Die Legende wurde von Hroswith von Gandersheim und Rahewin dichterisch bearbeitet und diente mittelalterlichen Schauspielen als Vorlage, so beispielsweise einem Mirakelspiel des Rutebeuf (um 1260). Cf. Theophilus, De diversis artibus, I, prol., ed. Dodwell (nt. 10), 4: „hanc diuersarum artium scedulam auidis obtutibus concupisce, tenaci memoria perlege, ardenti amore complectere.“ – Zu dieser Programmatik cf. auch B. Reudenbach, Werkkünste und Künstlerkonzept in der Schedula des Theophilus, in: Stiegemann/Westermann-Angerhausen (eds.), Schatzkunst (nt. 1), 243–248. Cf. hierzu auch die Beiträge von G. Sprigath und J. H. Pahl in diesem Band, 408–422 und 423–434.

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bezeichnet wurde, umfaßt der Bedeutung nach in erweiterter Form als „artes“ bis in das 12. Jahrhundert den gesamten Bereich der menschlichen Kunstfertigkeiten und des dazu gehörenden Wissens. Dies zeigt auch die ‚Schedula diversarum artium‘ in der Vielfalt ihrer Kunsttechniken und Reflexionsebenen. Zu den „artes“ zählen jedoch nicht nur die handwerklich-künstlerischen Fähigkeiten und Tätigkeiten, sondern auch die Wissenschaften. Das ändert sich erst im 13. Jahrhundert mit der Rezeption der aristotelischen Unterscheidung von „techne“/„ars“ und „episteme“/„scientia“. Bis zum 12. Jahrhundert jedoch umfaßt der Begriff der „ars“ alle anthropologischen Bestimmungen der Sonderstellung des Menschen als jene der menschlichen Natur entspringende Notwendigkeit zu einer auf die eigene Kunstfertigkeit und das eigene Können gegründeten, selbstverantworteten Lebensführung. Als Referenzwerk kann das ‚Didascalicon‘ Hugos von Sankt Viktor gelten, eines der angesehensten und einflußreichsten Magister des 12. Jahrhunderts und Haupt der bedeutenden Schule von Sankt Viktor in Paris, dessen Werke auch in der Bibliothek des Chorherrenstifts von Hamersleben bezeugt sind und damit in den Einzugsbereich der ‚Schedula‘ gehören. Das ‚Didascalicon‘ begreift Hugo – wie der Untertitel ‚De studio legendi‘ deutlich macht – als einen umfassenden Studienführer, hingeordnet auf die Erlangung der Weisheit, die das integrale Ziel des gesamten menschlichen Tätigseins darstellt, sei es daß die hierzu notwendigen „Künste“ Vorschriften und Regeln folgen oder auf Wahrscheinlichkeit abzielen, sei es daß sie theoretisch, praktisch oder poietisch (und damit im besonderen Maße auf die jeweiligen materiellen Bedingungen angewiesen) sind. Insbesondere die Erweiterung der „artes“-Trias Theorie, Praxis und Logik um die „artes mechanicae“ und somit der Einschluß der sogenannten mechanischen Künste, aus denen sich später im Übergang zur italienischen Renaissance der Kanon der sogenannten bildenden Künste herauskristallisiert67, läßt Hugos Entwurf als den außergewöhnlichen Versuch erscheinen, das Gesamt menschlichen Tätigseins an der Schwelle der Aristotelesrezeption, die zu einem Paradigmenwechsel und zu einer deutlichen Differenzierung des integrativen Kunst- und Wissensbegriffs führen wird, nochmals mit Hilfe des Modells der „artes“ im Sinne eines „ordo artium“ auf den Begriff zu bringen68, hingeordnet auf die spezifische Natur des Menschen: auf seine Vernunftbegabung. Aus dieser leitet sich die Sonderstellung des Menschen ab, die ihren Ausdruck in einem eigenständigen Platz neben dem „opus creatoris“, dem Werk des Schöpfers, und dem „opus naturae“, dem Werk der Natur findet: Der Mensch ist seinem Wesen nach „artifex“, „Künstler“, sein Tätigsein ist als „opus artificis“ charakterisiert. „Es gibt nämlich drei Werke“, so führt Hugo unter Rekurs auf den ‚Timaios‘-Kommentar des Chalcidius aus, „das Werk Gottes, das 67

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Erstmals erscheint die Gruppe der bildenden Künste in der ersten Hälfte des Trecento an den von Giotto konzipierten Sockelgeschossen des Florentiner Campanile unabhängig und formell gleichberechtigt neben den „artes liberales“ und den „artes mechanicae“. Zum „ordo artium“ und zur Bedeutung des ‚Didascalicon‘ für die Enzyklopädie im 12. Jahrhundert cf. Meier, Enzyklopädischer Ordo (nt. 26), 516–519.

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Werk der Natur und das Werk des artifex, der die Natur nachahmt. Das Werk Gottes ist es, das zu schaffen, was nicht war. […] Das Werk der Natur ist es, das, was verborgen ist, in die Wirklichkeit zu überführen. […] Das Werk des artifex ist es, das Getrennte zu verbinden und das Zusammengesetzte zu trennen.“ 69 Hierbei darf die Tatsache, daß das Werk des „Künstlers“ in gewisser Weise die Natur nachahmt, nicht als abwertend verstanden werden, denn auch „ein nachgemachter Schlüssel wird mechanisch genannt“ 70. Anders als denjenigen Geschöpfen, denen die Natur beistehen muß, da sie nicht für sich selbst sorgen können, wurde dem Menschen „eine größere Erfahrungsmöglichkeit gegeben, weil er aus eigener Vernunft das für sich erfand, was den übrigen von Natur gegeben wurde“ 71. Damit verweist die schöpferische Tätigkeit – wenngleich diese auf die durch die Natur vorgegebenen Bedingungen beschränkt bleibt – auf die allgemeine Wesensnatur des Menschen: „Die Vernunft des Menschen nämlich erstrahlt nun dadurch, daß er dieses erfindet, viel mehr, als wenn sie sich dadurch ausgezeichnet hätte, daß sie dasselbe (von Natur aus) besessen hätte.“ 72 In diesem Zusammenhang nennt Hugo vor allem die „unzähligen Arten des Malens, Webens, Skulpierens und Gießens“, mit Blick auf die wir den „artifex“ zugleich mit der Natur bewundern73. Doch diese Integration der „artes mechanicae“ in die „divisio artium“ darf nicht im Sinne einer Einheit von theoretisch-spekulativer und praktisch-technischer Problemlösung mißverstanden werden. Diese wirkmächtige Suggestion, daß etwa der Baumeister sich der spekulativen Geometrie und Arithmetik sowie der Kenntnis kosmischer Sphärenharmonien bediene oder sich auf die obersten Prinzipien von Theologie und Philosophie berufe, um sein Werk zu vollenden oder zur Vollkommenheit zu führen, bestimmt vielfach bis heute das Verständnis mittelalterlicher Kunst – und verstellt zugleich den Blick auf deren Eigenart74. Dies zeigt exemplarisch ein Blick auf die Stellung der „architectura“ in Hugos ‚Didascalicon‘. Hugo

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Hugo von Sankt Viktor, Didascalicon, I, c. 9, ed. Ch. H. Buttimer, Washington 1939 (Studies in Medieval and Renaissance Latin 10), 16 sq.; Übersetzung von Th. Offergeld in: Hugo von Sankt Viktor, Didascalicon. De studio legendi – Studienbuch (lateinisch/deutsch), Freiburg i. Br.–Basel– Wien–Barcelona–Rom–New York 1997 (Fontes Christiani 27), 138–141. Cf. hierzu Speer, Kunst und Schönheit (nt. 47), 952 sqq. Cf. auch Chalcidius, Commentarius in Platonis Timaeum, XXIII, ed. J. H. Waszink (Corpus Platonicum Medii Aevi. Plato Latinus IV), London–Leiden 1962, 73 sq. Zum Motiv und Verständnis des „homo artifex“ im Kontext der ‚Timaios‘-Auslegungen des 12. Jahrhunderts cf. ausführlich A. Speer, Die entdeckte Natur. Untersuchungen zu Begründungsversuchen einer scientia naturalis im 12. Jahrhundert (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 45), Leiden–New York–Köln 1995, 192–204, hier bes. 202 sqq. Hugo von Sankt Viktor, Didascalicon, I, c. 9, ed. Buttimer (nt. 68), 16; Übersetzung Offergeld (nt. 68), 140 sq. Hugo von Sankt Viktor, Didascalicon, I, c. 9, ed. Buttimer (nt. 68), 17; Übersetzung Offergeld (nt. 68), 142 sq. Ibid. Ibid. Exemplarisch sei auf die Forschungsdiskussion zu Saint-Denis verwiesen; cf. hierzu Speer, Kunst ohne Kunst? (nt. 48), 203–208; cf. id., Abt Sugers Schriften zur fränkischen Königsabtei SaintDenis, in: Speer/Binding (eds.), Abt Suger von Saint-Denis (nt. 53), 13–66, hier bes. 13–18.

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weist der Bauhütte lediglich einen Platz als Teil der „armatura“ an, also dem Bau von Befestigungsanlagen75. Weder der Ordnungsrahmen unter der Maßgabe einer „ars artium“ noch eine allegorisch-anagogische Ausdeutung des Bauens oder des „Architekten“ im Anschluß an 1 Kor 3,10 als „sapiens architectus“ können demnach im Sinne konkreter Entwurfsbedingungen für das faktische handwerkliche Tun oder als ästhetische Parameter verstanden werden76. Auch die ‚Schedula‘ ist ein gutes Beispiel für diese Trennung der Einheit von theoretisch-spekulativer und praktisch-technischer Problemlösung. Im Rückblick scheinen die eingangs genannten Versuche der früheren Forschung, die ‚Schedula‘ als ein einheitliches Werk eines Autors zu interpretieren, der zugleich als Theoretiker und Kunstschaffender auftritt, implizit oder explizit von einer solchen integrativen Sichtweise inspiriert, daß kreative Prozesse, eines theoretisch ausweisbaren Motivs, einer innovativen Leitidee bedürften, welche sich letztlich der Zurückführung auf zugrundeliegende, geschichtlich vermittelte Denk-, Wahrnehmungsund Handlungsmuster entzieht und als ursprüngliche kreative Kraft hervortritt77. V. Eine Enzyklopädie menschlicher Kunstfer tigkeit Unser Bild liefert einen differenzierten Einblick in die komplexen Reflexionsebenen menschlicher Kunstfertigkeit, die sich sowohl hinsichtlich der angewandten Techniken wie auch der Funktion und Bedeutung der Kunstgegenstände über alltägliche Fertigkeiten und Gegenstände erheben. Auf diese Weise erhalten wir einen Einblick in das Kunsterleben jener Zeit, die wir als mittelalterlich zu bezeichnen uns angewöhnt haben, obgleich der Epochenbegriff mehr verstellt als erschließt. Auch abseits jener ästhetischen Kategorien oder Begriffe, in deren Schnittfeld wir gewöhnlich den Gegenstand einer Ästhetik suchen, den Hegel auf den Begriff der „schönen Kunst“ gebracht hat, liefert gerade die ‚Schedula‘ mit ihren differenzierten Beschreibungsebenen ein gutes Beispiel dafür, daß und wie die Besonderheit eines ausgezeichneten „Kunstwerks“ gegenüber seinem alltäglichen Gegenstück reflektiert wurde. Im Unterschied zu „bloßen Dingen“ haben Kunstwerke Darstellungscharakter; sie sind bezogen auf etwas, handeln von etwas, sind auf reziproke Weise empfänglich, sie sind Gegenstand der Wertschät75

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Hugo von Sankt Viktor, Didascalicon, II, c. 20 und II, c. 22, ed. Buttimer (nt. 68), 38 sq. und 40 sq. (cf. auch in Patrologia Latina, vol. 176, 760A–C und 761A–B). Zum Gebrauch von „fabrica“ bei Suger von Saint-Denis cf. De consecratione, 30,186 und auch das entsprechende Stichwort im Glossar in: Speer/Binding (eds.), Abt Suger von Saint-Denis (nt. 53), 410; ferner G. Binding, Der mittelalterliche Baubetrieb in zeitgenössischen Abbildungen, Darmstadt 2001 und id./S. Linscheid-Burdich, Planen und Bauen im frühen und hohen Mittelalter, Darmstadt 2002. Cf. hierzu H. Brinkmann, Mittelalterliche Hermeneutik, Tübingen 1980, 123–140, sowie die umfassende Darstellung von G. Binding, Der früh- und hochmittelalterliche Bauherr als sapiens architectus, 2. überarb. Aufl., Darmstadt 1998 (Veröffentlichung der Abteilung Architekturgeschichte des kunsthistorischen Instituts der Universität zu Köln 61), 245–356. Cf. supra nt. 17.

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zung und haben selbst einen eigenen Wert, der in ihrer Materialität und Artifizialität zum Ausdruck kommt. Arthur C. Danto hat mit Bezug auf diesen besonderen Auszeichnungs- und Darstellungsmodus eines Kunstwerkes von „aboutness“, „reference“, „representationality“, „appreciation“, „value“, „worthiness“ und „responsiveness“ gesprochen, die zu einer Bedeutungssteigerung und damit zu einer Verklärung des Gewöhnlichen – Danto spricht von „transfiguration of the commonplace“ – beitragen. Diese Transfiguration ist nicht zuletzt auch Ergebnis der Interpretation, die als künstlerische Identifikation festlegt, welche Teile und Eigenschaften des jeweiligen Gegenstandes zu dem Kunstwerk gehören78. Ohne jeden Zweifel sind auch für den mittelalterlichen Betrachter architektonische Elemente, Glasfenster, Bilder oder Skulpturen Gegenstände, denen im Vergleich zu alltäglichen Dingen eine ausgezeichnete Bedeutung eignet79. Diesen Bedeutungskontexten nachzugehen ist die Aufgabe einer heuristischen Ästhetik, die nach Art einer rekonstruktiven Hermeneutik zu erfahren sucht, wie bestimmte Gegenstände zu verschiedenen Zeiten wahrgenommen, theoretisch reflektiert und interpretiert worden sind. Doch sollten wir bei aller Gemeinsamkeit des gemeinsamen Bezugspunktes das eigene Vorverständnis als nicht hintergehbare Voraussetzung stets kritisch im Blick zu behalten. Hierzu bedarf es einer rekonstruktiv verfahrenden Hermeneutik, die zu erfahren sucht, wie Menschen zu ihrer Zeit diejenigen Gegenstände betrachtet und diese interpretiert haben, die wir heute – oft in musealer Distanz – als „Kunstwerke“ bezeichnen80. Für eine solche Heuristik bietet die ‚Schedula‘ mit ihrem differenzierten „ars“Verständnis, das alle Ebenen von der erfahrungsbasierten Praxis für Rezepturen und Werkprozesse über Reflexionen auf den Materialwert und die Bedeutung der Gegenstände bis hin zu ihrem Gebrauch und Kontext, der zumeist ein liturgischer ist, viele Anhaltspunkte. Hierbei besteht zwischen den einzelnen Ebenen kein Ableitungsverhältnis. Das zeigen auch die vielfältigen Möglichkeiten einer partiellen Ausgliederungen von Teilen der ‚Schedula‘ im Verlauf der Rezeptionsgeschichte. Die umfassende Zielbestimmung menschlicher Kunstfertigkeit als Teilhabe am „opus restaurationis“ bietet zwar einen allgemeinen Orientierungsrahmen im Sinne eines „ordo artis“, demgemäß das Wissen um das Worumwillen einer Sache etwas zum Verständnis derselben beiträgt. Doch hilft zur Herstellung der Inkarnatfarbe nicht das Wissen um die Gottebenbildlichkeit des Menschen, sondern allein das Wissen um die rechten Mischungsverhältnisse und die technische Beherrschung der Herstellung und der Auftragung der Farbe auf den jeweiligen 78

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A. C. Danto, Die Verklärung des Gewöhnlichen. Eine Philosophie der Kunst, aus dem Englischen übersetzt von M. Looser (Suhrkamp Taschenbuch Verlag 957), Frankfurt a.M. 1984, 21991 [Original: The Transfiguration of the Commonplace. A Philosophy of Art, Cambridge (Mass.) 1981]. Siehe hierzu die Beiträge von M. Bol, M. Pippal, M. E. Müller, Ch. Hediger/B. Kurmann-Schwarz, S. Sáenz-López Pérez, H. Stein-Kecks in diesem Band, 145–162, 163–180, 225–243, 256–273, 274–287 und 288–304. Cf. hierzu Speer, Kunst und Schönheit (nt. 48), 948; cf. ferner id., Aestetics, in: The Oxford Handbook of Medieval Philosophy, ed. J. Marenbon, Oxford 2012, 661–684, hier bes. 661 sq. and 672–677.

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Untergrund. Gleiches gilt für die Herstellung eines Kelches oder eines Weihrauchfasses, dessen Bedeutung im liturgischen Kontext nichts zur konkreten Ausführung der verschiedenen Techniken und zur Gewinnung und Verarbeitung der erforderlichen Materialien beiträgt. In dieses Bild passen auch die Ergebnisse kollektiver Autorschaft von Rezeptliteratur, von pragmatischer Schriftlichkeit mit Blick auf die Beschreibung von Herstellungsprozessen, ferner die Vorstellung eines offenen Textes, der – wie sich anhand einzelner Untersuchungen zeigt – Teil einer ebenso komplexen wie alten Überlieferung ist81. Dazu steht nicht im Widerspruch, daß die Komposition der ‚Schedula‘ zu einem Werk in drei Büchern, die wahrscheinlich dem Verfasser der Prologe zuzuschreiben ist, für die vorausgehende wie für die nachfolgende Rezeptionsgeschichte einen Referenzcharakter gewinnt, sofern sie einen enzyklopädischen Blick auf diese Rezeptionsgeschichte und ihren Gegenstand ‚De diversis artibus‘ ermöglicht. Mit enzyklopädisch könnte man auch die literarische Form und die Organisationsstruktur der ‚Schedula‘ selbst beschreiben. Enzyklopädien verbinden die praktisch-technische Effizienz für den schnellen Zugriff auf Informationen und Nachschlagehilfen mit einem geschärften Bewußtsein hinsichtlich Methode und Wissenssystematik. Folgt man der Bestimmung von Christel Meier-Staubach, so leisten Enzyklopädien eine Bestandsaufnahme, in der das vorhandene Material unter verstärktem Interesse an einem umfassenderen, weiträumigeren Überblick gesammelt und geordnet wird 82. Auch der Entstehungskontext des 12. Jahrhunderts, in dem die Enzyklopädie als Texttyp neue Bedeutung gewinnt, unterstützt diese abschließenden Überlegungen zum Gattungsbegriff, der in der bisherigen ‚Schedula‘-Forschung allgemein auf wenig Interesse gestoßen ist. Legt man einen weiten Enzyklopädiebegriff zugrunde, so bietet dieser einen durchaus sachangemessenen Zugang zur Frage der Textgattung. Denn beide Hauptstränge der Überlieferung und der Rezeption der ‚Schedula‘ lassen sich zum einen mit der Klosterenzyklopädie verbinden, die ihren Gegenstand und ihr Wissenskonzept heilsgeschichtlich unterfängt, zum anderen mit einer fachspezifischen Wissensenzyklopädie nach dem Vorbild medizinischer Enzyklopädien, die gerade im 12. Jahrhundert von arabisch-medizinischen Quellen beeinflußt sind 83. Dies würde für die Northungus-Hypothese sprechen. Nicht zuletzt aber bietet die Enzyklopädie ein Modell für die Integration der verschiedenen praktischen und theoretischen Reflexionsniveaus und der zuge-

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Cf. die Beiträge von H. Westermann-Angerhausen, A. Bosselmann-Ruickbie und C. Van Duzer, in diesem Band, 321–332, 333–368 und 369–378; ferner Wolters, Schriftquellen (nt. 31), 222–242. Cf. die Einführung von Ch. Meier zu ead. (ed.), Die Enzyklopädie im Wandel (nt. 26), 11–24, bes. 16–21. Cf. hierzu Ch. Meier, Enzyklopädischer Ordo (nt. 26), 523 sq. und 526 sqq.; ferner ead., Der Wandel der mittelalterlichen Enzyklopädie vom ,Weltbuch‘ zum Thesaurus sozial gebundenen Kulturwissens: am Beispiel der Artes mechanicae, in: F. Ebyl/W. Harms (eds.), Enzyclopädien der Frühen Neuzeit. Beiträge zu ihrer Erforschung, Tübingen 1995, 19–42.

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hörigen Quellen, Materialien und Wissenstatbestände auf einer gleichsam mittleren theoretischen Ebene, die zwischen den fundamentalen Codes einer Kultur, ihren Wahrnehmungsschemata, Techniken und empirischen Ordnungen einerseits und den wissenschaftlichen Theorien andererseits vermittelt und so mit einem Tableau von Variablen teils verwandte teils getrennte Kohärenzsysteme definiert, die entweder unmittelbar aufeinanderfolgen und sich entsprechen oder um wachsende Unterschiede herum organisiert sind 84. Aus dieser Spannung zwischen Empirie und Modell, zwischen der Ordnung des einzelnen und der Gesamtstruktur entspringt die Möglichkeit der Vermittlung des einen mit dem anderen: der technischen Ebene mit dem Werkprozeß, der Herstellung mit der Bedeutung des jeweiligen Kunstgegenstandes, die handwerkliche Tätigkeit mit dem liturgischen Geschehen, die künstlerische Kreativität mit der heilsgeschichtlichen Perspektive. Womöglich bietet dieses Verständnis von Enzyklopädie das Modell, das nach dem derzeitigen status quaestionis die spannungsreiche Vielfalt der ‚Schedula diversarum artium‘ am treffendsten erfaßt und zugleich die größtmögliche Offenheit für neue Untersuchungen und Deutungsansätze bietet, die dieser Band in fünf Schwerpunkten – 1. Überlieferung und Autorschaft, 2. Terminologie und Technik, 3. Farbe und Bild, 4. Gold und 5. Liturgie – versammelt.

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Cf. ibid., 511 sq., unter Hinweis auf Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften (Stuhrkamp Taschenbuch Verlag 96), Frankfurt a.M. 1974, 22 sq.

Das ‚Schedula‘-Portal – eine digitale Edition der ‚Schedula diversarum artium‘ http://schedula.uni-koeln.de A S (Köln) Der vorliegende Band und die korrespondierende Kölner Tagung stehen in einem engen Zusammenhang mit einem von der Fritz Thyssen Stiftung geförderten Projekt einer kritisch-digitalen Edition, welche die Überlieferungssituation der ‚Schedula diversarum artium‘ in ihrer ganzen Komplexität zu erfassen und darzustellen beabsichtigt. Gegenstand des ‚Schedula‘-Portals ist daher auch nicht der vermeintliche Autor Theophilus, sondern der Text der ‚Schedula‘, seine Überlieferung, Quellen, Textgattung und der Rezeptionszusammenhang. Denn ein entscheidender Schlüssel für ein neues, umfassenderes Textverständnis der ‚Schedula‘ liegt, die wie in diesem Band versammelten Forschungsergebnisse in aller Klarheit zeigen, gerade in der Materialität ihrer handschriftlichen Überlieferung sowie in der Erschließung ihres gattungsmäßigen Kontextes. Zu diesen Ergebnissen gehört auch die Erkenntnis, daß sich die eigentümliche Textgestalt der ‚Schedula‘ nicht auf einen ursprünglich geschlossenen Archetyp zurückführen läßt, der sodann den expliziten oder impliziten Bezugs- und Zielpunkt der Rekonstruktion der Textüberlieferung bildet, im Verhältnis zu dem die Bewertung der einzelnen Textzeugen erfolgt. Mithin kann man mit Bezug auf die vorliegenden Varianten der Überlieferung weder von Kontaminationen einer ursprünglich „richtigen“ Lesart sprechen noch wird eine Orientierung an bestimmten Leithandschriften der Herausforderung gerecht, die ‚Schedula‘-Tradition angemessen zu rekonstruieren und in ihrer spezifischen Eigenart abzubilden. Wir haben es vielmehr mit einer offenen Überlieferungstradition zu tun1. Selbst der neue prosopographische Hinweis hinsichtlich der Autorschaft im Ausgang vom Wolfenbütteler Codex Guelf. Helmstadiensis 1127 muß auf den offenen Überlieferungskontext rückbezogen werden2. Die Offenheit der Überlieferung zeigen selbst die ältesten „kanonischen“ Textzeugen: der Codex Guelf. Gudianus lat. 2° 69, das Wiener Manuskript der Österreichischen Nationalbibliothek, Cod. 2527 und der Londoner Codex MS Harley

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Cf. hierzu die Beiträge von M. Clarke und D. Oltrogge in diesem Band, 72–89 und 93–122, sowie meinen Beitrag, XI–XXXIII, bes. XVI–XXII. Cf. hierzu die Beiträge von I. Dines und P. Carmassi/B. Lesser in diesem Band, 3–11 und 22–51, sowie meinen Beitrag, XI–XXXIII, bes. XXII.

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3915. Die auf ihnen basierenden Texteditionen von Ilg, de l’Escalopier und Dodwell spiegeln das Dilemma einer klassischen Textedition wider, das aus der Priorisierung einer bestimmten Überlieferungstradition oder gar einer Handschrift folgt, der gegenüber die übrigen entweder nur nachrangig dargestellt oder gar nicht berücksichtigt werden. Zudem entscheidet neben der selektiven Auswahl der Editionsinhalte auch die Art und Tiefe der Verarbeitung der Texte darüber, was dokumentiert und in welchem Maße eine Edition bereits Auswertungen präsentiert. Demgegenüber eröffnet eine digitale Edition mit den Möglichkeiten einer mehrfachen Textwiedergabe vielfache hermeneutische Perspektiven3. Darüber hinaus lassen sich bisher erreichte Ergebnisse – etwa in Form der Retrodigitalisierung, Auszeichnung und Einbindung weiterer Editionstexte – durch multiple Verknüpfung neu lesbar machen und mit neuen Erkenntnissen verbinden. Damit wird zugleich eine sachgerechte Auseinandersetzung mit der Forschungsgeschichte zu ermöglicht. Das ‚Schedula‘-Portal, das mit neusten Methoden und Werkzeugen der Digital Humanities erstellt worden ist, ermöglicht eine parallele und seitenkonkordante Vergleichsansicht der drei Texteditionen von Ilg, de l’Escalopier und Dodwell (als mehrsprachige digitale Volltexte, das heißt einschließlich der deutschen, französischen und englischen Übersetzung) mit dem zugrunde liegenden Handschriftenmaterial (als hochauflösende Objektdigitalisate) und bietet zusätzlich Metadaten in Form von Handschriftenbeschreibungen und -strukturen aller als authentisch identifizierten Handschriften der ‚Schedula‘-Tradition4. Somit ermöglicht eine digitale Edition, wie wir sie auf dem ‚Schedula‘-Portal etabliert haben, mit Blick auf die Diversität der Überlieferung die Dokumentation verschiedener Stufen der Überlieferung und Rezeption, wobei der Text sowohl als Edition (Volltext), als Transkription eines einzelnen Textzeugen, als Faksimile wie als digitalisiertes Manuskript zur Verfügung steht und miteinander verknüpft, aufgerufen und verglichen werden kann. Hierbei bedient die digitale Edition gleichermaßen inhaltliche, technische und literarische sowie kodikologische, überlieferungs- und rezeptionsgeschichtliche Fragestellungen, sie stellt den Text ebenso wie die Faksimile und Transkriptionen einzelner Handschriften in ein umfassendes Netz von Quellen und Kontextinformationen, und ermöglicht auf diese Weise die Offenlegung und den Vergleich der verschiedenen Überlieferungsstränge und -kontexte. Die offene Form einer nachhaltig konzipierten, digitalen Editionsplattform erlaubt zudem eine dauerhafte Dokumentation bestehenden Materials und existierender Forschungsergebnisse als auch eine regelmäßige Aktualisierung mit neuen Daten und Erkenntnissen auf den Ebenen von Präsentation und Inhalt. Eine entsprechende Betreuung des Portals wird vom Thomas-Institut dauerhaft ge3

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Cf. hierzu die Ausführungen von P. Sahle, Digitale Editionsformen, Teil 2: Befunde, Theorie und Methode (Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik 8), Norderstedt 2013, 125–155. Cf. hierzu den Beitrag von I. Dines in diesem Band, 3–11.

Das ‚Schedula‘-Portal – eine digitale Edition der ‚Schedula diversarum artium‘

XXXVII

währleistet. Die Materialsammlung des ‚Schedula‘-Portals steht der Forschergemeinschaft auch als Ausgangsbasis für zukünftige Projekte vollumfänglich zur Verfügung. Ich möchte diese Kurzpräsentation des ‚Schedula‘-Portals zum einen mit einer Einladung an die „community“ beschließen, das Portal nicht nur zu besuchen und zu nutzen, sondern auch an seinem Ausbau mitwirken. Zu denken wäre etwa an eine Quellensammlung zu Rezepten, Beschreibungen von Herstellungsprozessen, an Fachtraktate wie der ‚Heraclius‘ oder die ‚Mappae clavicula‘ oder an Textzeugen der Rezeption wie das ‚Lumen animae‘ oder der Montpellier-Codex5. Zum anderen gilt mein besonderer Dank den Mitarbeitern, die das ‚Schedula‘-Portal maßgeblich erstellt haben: Andreas Berger, Dr. Ilya Dines, Mattias Gärtner und Kilian Thoben.

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Cf. den Beitrag von M. Clarke in diesem Band, 72–89; ferner D. Oltrogge, „Cum sesto et rigula“. L’organisation du savoir technologique dans le Liber diversarum artium de Montpellier et dans le De diversis artibus de Théophile, in: B. Baillaud/J. de Gramont/D. Hüe (eds.), Discours et Savoirs: Encyclopédies médiévales (Cahiers Diderot 10), Rennes 1998, 67–99. Bereits Albert Ilg hat in der Einleitung zu seiner Edition der ‚Schedula diversarum artium‘ (erschienen Wien 1874 als Band 7 der ‚Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance‘) wertvolle Hinweise auf weitere Quellenmaterialien gegeben. Zudem findet sich im Anhang diverse Fragmente aus Abbreviationen ediert.

1. Überlieferung und Autorschaft

The Theophilus Manuscript Tradition Reconsidered in the Light of New Manuscript Discoveries* I D (Cologne / Jerusalem) The ‘Schedula diversarum artium’, written at the very beginning of the twelfth century in Germany by an anonymous monk known to us only as Theophilus, is probably the most famous medieval treatise dealing with technological recipes. The history of research on this text spans more than two hundred years, since the time Gotthold Ephraim Lessing discovered the earliest surviving manuscript of this work in the Library of Wolfenbüttel in the early 1770s to the present day. From this point forward there is almost no book or article on medieval art which does not mention Theophilus’s text. Historical justice, though, requires noting that, contrary to widely held opinion, Lessing was not the first scholar to realize the great importance of Theophilus’s text. Forty years before Lessing, the famous Benedictine monk, scholar, and librarian Bernard Pez (1683–1735) discovered an eighteenth-century copy of the treatise in the Melk library and as far as we can judge, based on the notes he left in the margins of the manuscript, he had planned an edition (Fig. 1, bottom). It is not known what prevented Pez from proceeding with his planned edition, and unfortunately it has been impossible to establish whether or not there were any connections between Pez and Lessing. The rest of the story is well known: the text published by Lessing 1 became famous and within less than a hundred years several other editions and translations were made. As a result, currently the ‘Schedula’ is one of the most published, translated, and discussed medieval treatises.

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1

It is appropriate that I begin my paper by acknowledging the assistance and support I received from Prof. Dr. Andreas Speer, Dr. Doris Oltrogge and Dr. Mark Clarke, who, on several occasions, generously shared with me their books and articles prior to their publication. I thank many librarians throughout Europe and America who provided valuable notes and sometimes even sent me microfilms free of charge. I am also indebted to Wolfram Klatt, librarian of the Thomas Institute, thanks to whom I have been spared all problems in accessing necessary books and articles. I thank the Thyssen Foundation which facilitated the two years of research. Without that support, this paper would not be possible. Cf. G. E. Lessing, Theophilus Presbyter, Diversarum artium schedula (editio princeps), in: id. (ed.), Zur Geschichte und Literatur aus den Schätzen der herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, Sechster Beitrag, Braunschweig 1781, 291–424.

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Ilya Dines

The most important editions of the Latin text were all made using various manuscripts, but only those of Ilg and Dodwell 2 can pretend to be called critical ones, as they at least were based on several manuscript witnesses. So far the list of manuscripts which were used for the editions mentioned reads as follows: Cambridge, University Library, MS 1131 (Ee 6 39); Leipzig, Universitätsbibliothek, Ms. 1157; London, British Library, MS Egerton 840 A; London, British Library, MS Harley 3915; Paris, Bibliothèque nationale de France, Ms. lat. 6741; Vienna, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2527; Vienna, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 11236; Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. Gudianus lat. 2° 69. So far, those are, eight manuscripts, some used only partially, for instance the Leipzig manuscript, and Harley 3915, where a considerable portion of the folios is damaged so that even the use of an ultraviolet lamp did not enable reconstruction of more than just thirty percent of the text. The following manuscripts – some of them containing very important variant readings – have never been used for any edition: Amiens, Bibliothèque municipale, Fonds l’Escalopier, Ms. 46 A; Florence, Biblioteca Nazionale Centrale, Ms. Palat. 951; Paris, Bibliothèque nationale de France, Ms. lat. nouv. acq. 1422; and Wrocław, Biblioteka Uniwersytecka, Ms. IV 8° 9. The only place where a reader for whom it is not possible to consult manuscripts can obtain some basic knowledge about their contents is an article by Rozelle Parker Johnson published in the scientific revue ‘Speculum’ in 19383. Johnson was the first to try to establish what might be called the ‘corpus of Theophilus manuscripts’. So far, his article remains the starting and ending point for most researchers. I commenced my research by verifying the data which is included in that article. Johnson mentioned twenty-seven manuscripts which contain in full or in excerpts the text of the ‘Schedula’, together with very brief notices about their date (usually with the accuracy of a century) and an approximate table of contents for the included chapters. In addition, he noticed several manuscripts which probably included Theophilus’s text. These manuscripts are: – Vatican, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Reg. lat. 2079; – Vatican, Biblioteca Apostolica Vatican, Cod. Urbin. lat. 293; – Dresden, Sächsische Landesbibliothek, Ms. B 183; – Vienna, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 5512; – Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Ms. 4436. Since the time of Johnson the list was never reviewed or revised. These manuscripts are still listed as manuscripts of Theophilus in many books and 2

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Cf. A. Ilg, (ed.), Theophilus Presbyter. Schedula diversarum artium. Revidierter Text, Übersetzung und Appendix, vol. 1 (Quellenschriften zur Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance 7), Wien 1874; Ch. R. Dodwell (ed.), Theophilus, De diversis artibus – The Various Arts, London 1961 [Reprint Oxford 1986, 1998]. Cf. R. P. Johnson, The Manuscripts of the Schedula of Theophilus Presbyter, in: Speculum 13 (1938), 86–103.

The Theophilus manuscript tradition

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articles. Johnson also noticed that there are many fragments of the work in other manuscripts throughout Europe. This observation is often repeated in scientific papers, despite the fact that the scholarly community has never been provided with precise manuscript shelf marks. In the appendix, I have presented what I believe might be called a proper corpus of Theophilus manuscripts upon which I shall now elucidate. All of the information I present is based on my own consultation of manuscripts during the last two years. First of all, the manuscripts which were mentioned by Johnson as probably of Theophilus contain very interesting and important collections of medical and alchemical materials and various color and technological recipes, but none of them includes a single line of the ‘Schedula’. Further, from the canonical list of Theophilus manuscripts the following should be excluded: Edinburgh, University Library, MS 123; London, British Library, MS Harley 273; Oxford, Corpus Christi College, MS 125. These manuscripts contain short sections of the chapters which appear in the Third Book of ‘De coloribus et artibus Romanorum’ of the fictitious author Heraclius, written, as I would suggest, not earlier than 1150 and most probably in Eastern France. The only reason Johnson and subsequent scholars included these manuscripts in the list of those of Theophilus is the fact that these chapters appear at the very end of the MS Harley 3915, on which Hendrie based his edition4, but there is absolutely no reason to suggest that these chapters were present in the lost archetype of the ‘Schedula’ 5. There are two other manuscripts which are included in some catalogues of alchemical manuscripts6 as containing Theophilus, namely in Paris, Bibliothèque nationale de France, Ms. lat. 11212 and Ms. lat. 6830 F, both produced at the very end of the twelfth or beginning of the thirteenth century in France, where the same Heraclius interpolations are to be had. These manuscripts also have to be excluded from the list of those of Theophilus. There is a further group of manuscripts, namely Brussels, Bibliothèque Royale de Belgique, Ms. 10147–58; London, British Library, MS Sloane 1754; Montpellier, Bibliothèque interuniversitaire, Section médecine, Fonds anciens, Ms. H 277; Munich, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 444, which features a much more complicated situation. The first three manuscripts represent a more or less homogenous group that has recently been studied by Dr. Mark Clarke, who generously provided me with drafts of his still unpublished papers about these manuscripts, which certainly will clarify the subject more precisely than I can do here. The texts of the chapters as they appear in the just mentioned manuscripts are indeed sometimes essentially similar to what we have in the best books of the ‘Schedula’; the paraphrasing is so sophisticated that from the philological point of view it is impossible to prove that they were derived from it, even if in fact they were. The 4 5 6

Cf. R. Hendrie, Theophili, qui et Rugerus, presbyteri et monachi libri III de diversis artibus seu diversarum artium schedula, London 1847, 392 sqq. I also do not think that Book I, chapters 33–37 published by Ilg were present in the archetype. Cf. J. Corbett, Catalogue des manuscrits alchimiques latins, vol. 1, Brusselles 1939, 53.

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similarity here can be seen not at the level of chapters or sentences, but at the level of words and tropes. Because of that, I dare to suggest that – as to the best of my knowledge has not been suggested before – these thirteenth- and fourteenth-century manuscripts represent an independent branch of a lost text which they and Theophilus shared. This is probably the first practical explanation why, despite two centuries of research on the ‘Schedula’, we still do not possess any substantial material with which on can indisputably argue that Theophilus used the lost text as a source. Of course, another explanation might be that Theophilus did not use other sources at all, but this suggestion does not seem particularly plausible to me. Eight manuscripts have been added to Johnson’s list, of which the most important is firstly – a late fifteenth century German manuscript – Fulda, Hessische Landesbibliothek, Ms. C 9. It contains only several chapters from Theophilus, incorporated in folios that address various alchemical issues (Fig. 2). Another important newly discovered manuscript is a late sixteenth century book, which I assume was produced in Southern Germany and is now kept at Uppsala, Universitetsbibliotek, Cod. D 1600 (Fig. 3). Despite its relatively late date of production, the manuscript contains several important textual witnesses. As a result of the efforts undertaken during last the two years, the corpus of Theophilus manuscripts now includes twenty-seven manuscripts, an increase of about forty percent7. The next subjects to be dealt with are the date and authorship of the text of the ‘Schedula’. Various periods have been postulated, for instance, the ninth, tenth, and eleventh centuries. The most recent, and now commonly accepted theory is that proposed by Dodwell, arguing for the first quarter of the twelfth century. It seems that in this point Dodwell was correct, as passages from the Prologue resemble passages of Hugh of Saint Victor 8. Nothing more concrete can be said regarding the date, since as yet neither linguistic analysis nor analysis of the technological recipes has yielded any significant results. The only conclusion which might be derived from a reading of two of the best manuscripts is that they rather represent the third generation of copies. Since all three Prologues are grouped together at the beginning of the Vienna manuscript (Cod. 2527) it might also well be argued that this is strong proof that the tradition of the ‘Schedula’ was not yet stable at that time. Dodwell cautiously suggested9 that the unusual expression “armariolum cordis” (the casket of the heart ), which appears in Prologue I and II of the ‘Schedula’ might have been adopted from the ‘Disciplina Clericalis’ of Petrus Alfonsus, written not earlier than 1106. This way, ostensibly, a terminus ante quem for the treatise has been established which until now has been commonly accepted. As a matter of fact the expression “armarium cordis” already 7

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I did not have an opportunity to study in detail the contents of Paris, Bibliothèque nationale de France, Ms. lat. 7161 (late fifteenth century, Southern Italy), which probably contains some Theophilus material. Cf. Dodwell (ed.), Theophilus (nt. 2), xxii. Cf. op. cit., xix.

The Theophilus manuscript tradition

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occurs in the writings of Saint Augustine10 and it is surely obvious that the author of the ‘Schedula’ would not have had a problem deriving the diminutive “armariolum” from the word “armarium”. In other words we do not have proper criteria with which to determine the date of the ‘Schedula’’s composition.11 But we might have a better chance of doing so by approaching this problem through an analysis of its authorship, which is my last issue here. As is well known, the theory dominating Theophilus scholarship ascribes the authorship of the ‘Schedula’ to the famous twelfthcentury German craftsman, Roger of Helmarshausen. This attribution was originally made by Ilg12 on the basis of the following rubric at the beginning of the first Vienna manuscript: “Incipit prologus libri primi Theophili, qui et Rugerus, de diversis artibus” (Fig. 4). This attribution has been sharply – and I think absolutely rightly – attacked by Degering13, but it has nevertheless been widely repeated. Despite the fact that there is absolutely no reason to link Rugerus and Roger of Helmarshausen, it is of course tempting to investigate the personality of Rugerus. I assume that this Rugerus is a real figure; I also assume there is no basis to reject the importance of another rubric, which appears in the thirteenth-century London, British Library, MS Egerton 840 A, and reads: “Sic incipit tractatus Lumbardicus. Qualiter temperantur colores ad depingendum” (Fig. 5, top); and finally, it would be more than logical to connect these two rubrics and conclude that this Rugerus was the compiler of the First Book and that he had a connection with Lombardy or at least with Italy. Indeed, according to my analysis, the text of the ‘Schedula’ is not homogeneous; the language of the First Book is quite different from the language of the Prologues, the Second, and especially the Third Book. The recipes at the beginning of the First Book of the ‘Schedula’ seem to represent Byzantine sources, and at the beginning of the twelfth century, Lombardy and Salerno would probably have been the two most plausible places from which the texts might have come. Currently, this might be all that can be said about the personality of the first redactor of the ‘Schedula’. The irony of the matter is that the real identity of the author has actually always been very accessible to researchers, starting with Lessing. The second Wol-

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Cf. F. Dolbeau (ed.), Augustin d’Hippone, Vingt-six sermons au peuple d’Afrique, retrouvés à Mayence (Études Augustiniennes. Série Antiquité 147), Paris 1996, 55 (l. 341). Ostensibly the text on bells from Book III, chapters 86–87 might be used as a terminus ante quem but nothing more precise about the text can be argued than that it was written not later than in the middle of the eleventh century. Moreover, even if such an imprecise date would be accepted, it would be useful only for the dating of the third book of the ‘Schedula’, which, as I shall mention below, was written separately from Book I. For the manuscript tradition of the text on bells cf. J. S. Van Waesberghe, Cymbala: Bells in the Middle Ages (Studies and Documents 1), Rome 1951, 49–55. Cf. Ilg (ed.), Theophilus (nt. 2), xliii. Cf. H. Degering, Theophilus Presbiter, qui et Rugerus, in: id./W. Menn (eds.), Westfälische Studien. Beiträge zur Geschichte der Wissenschaft, Kunst und Literatur in Westfalen. Alois Bömer zum 60. Geburtstag gewidmet, Leipzig 1928, 248–262.

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fenbüttel manuscript (Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. Helmst. 1127), which was produced in the late fifteenth century, begins differently from all others. Instead of “Theophilus humilis presbyter servus servorum Dei, indignus nomine et professione monachi”, it commences with the words: “Northungus humilis Theophilus, nomine et professione monastica indignus, Gersico fratri suo dilecto omnibus mentis […]”, and then further, instead of: “Ego indignus”, it reads: “ego Northungus indignus” (Fig. 6). Dodwell and subsequent researchers neglected these lines. For instance, Dodwell wrote: “[…] there is no reason to suppose that these names have any significance. […] These names, in fact, can represent nothing more important than a late corruption of the text.”14 The name of “Northungus” is indeed extremely rare and strange, and it does raise the possibility of considering it as a corruption15. Nevertheless, the name does exist, despite the fact that it is known only to very narrow circles of historians of medicine. A monk named Northungus flourished in the monastery of Saint Michael in Hildesheim, in the first quarter of the twelfth century16. He was a famous encyclopaedist and physician, and the head of a school. His primary interests were the medical works of Salerno, for instance those of Constantinus Africanus and Stephen of Antioch, various antidotarii, glossarii, herbarii, and so on, which were copied and revised at his school. Northungus, as we know, was very proud of his works, which he always signed as “Ego Northungus”, (not very often typical of medieval practice) adding “the little pauper of Christ” (“hanc paginam in hunc modum a Northungo Christi pauperculo editam”)17. I do not wish to imply that Northungus wrote all three books of the ‘Schedula’, but prefer to suggest that he wrote the Prologues and the Third Book and then revised the rest of the material which became available to him (from Rugerus and other sources)18. The fact that the name of “Northungus” occurs only in one late manuscript can not be of crucial importance. The name, as has been noted, is extremely rare, and even if some other Northungus had lived in the fifteenth century, all we know about the original meaning of the word plagiat assures us that he would never have ascribed to himself the work of another;

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Cf. Dodwell (ed.), Theophilus (nt. 2), lxix. The name “Gersicus” mentioned above represents a problem, as I was not able to find such a name before the fifteenth century. Recently Dr. Bertram Lesser has suggested reading “Gersicus” as “Bersicus” and he identified a person with this name in twelfth-century Salzburg, which gives an additional support to my identification of Northungus. I thank Dr. Patrizia Carmassi and Dr. Bertram Lesser for generously sending me copies of their relevant conference papers; cf. the contribution of P. Carmassi/B. Lesser in this volume, 22–51. The only manuscript in which the works of Northungus have been preserved is the thirteenthcentury Bamberg, Staatsbibliothek, Msc. med. 6. Quoted from M. Wack, >Alı¯ Ibn Al->Abba¯s Al-Magˇu¯sı¯ and Constantine on Love, and the Evolution of the Practica Pantegni, in: Ch. Burnett/D. Jacquart (eds.), Constantine the African and >Alı¯ Ibn Al->Abba¯s Al-Magˇu¯sı¯: The Pantegni and Related Texts (Studies in Ancient Medicine 10), Leiden 1994, 161–202, 192 and 198. Cf. for example the contribution of Chet Van Duzer in this volume, 369–378.

The Theophilus manuscript tradition

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rather the opposite. In fact, the Wolfenbüttel manuscript represents a quite corrupted text of the ‘Schedula’, even from the linguistic point of view (in this point Dodwell was absolutely correct), and this precludes the possibility that it might be an autograph of an important fifteenth-century author (bearing in mind that other monks simply did not write). Of course my whole argument would be undermined if it were to be discovered that another Northungus existed in the fifteenth century. To my great dismay, I did in fact discover that the name “Northungus” (Nudo de Fulda) appears in Leipzig, Universitätsbibliothek, Ms. 104, fol. 197v, but upon investigation I found the script of this colophon to be completely different from the script of the Wolfenbüttel manuscript. Thus, to disprove my theory, a third Northungus had to be discovered, and in the absence of such an elusive figure my theory must stand. So, in the absence of any other serious contra arguments I believe it is most logical to assume Northungus of Hildesheim to be, if not the author, then at the very least the last redactor of what we now possess as a text of the ‘Schedula’. Appendix of T heophilus Manuscripts Previously Known Manuscripts: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17.

Am1 Am2 Am3 Ca Fl Kl Le Lo1 Lo2 Lo3 Ox Pa1 Pa2 Ve Wi1 Wi2 Wo1

Amiens, Bibliothèque municipale, Fonds l’Escalopier, Ms. 46 A Amiens, Bibliothèque municipale, Fonds l’Escalopier, Ms. 47 D Amiens, Bibliothèque municipale, Ms. 117 Cambridge, University Library, MS 1131 (Ee 6 39) Florence, Biblioteca Nazionale Centrale, Ms. Palat. 951 Klosterneuburg, Stiftsbibliothek, CCI 331 Leipzig, Universitätsbibliothek, Ms 1157 London, British Library, MS Egerton 840 A London, British Library, MS Harley 3915 London, British Library, MS Sloane 781 Oxford, Magdalen College Library, MS 173 Paris, Bibliothèque nationale de France, Ms. lat. 6741 Paris, Bibliothèque nationale de France, Ms. nouv. acq. 1422 Venice, Biblioteca Nazionale Marciana, Ms. lat. 3597 Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2527 Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 11236 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. Gudianus lat. 2° 69 18. Wo2 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. Helmst. 1127 19. Wr Wrocław, Biblioteka Uniwersytecka, Ms. IV 8° 9

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New Manuscripts: 1.

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2. 3.

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Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms. lat. fol. 45 (late 18th century, Austria). Dresden, Sächsische Landesbibliothek, Ms. J 43 (ca. 1200, Germany). Fulda, Hessische Landesbibliothek, Ms. C 9, foll. 43v–44r (fragment) (late 15th century, Germany). London, British Library, MS Add. 27459 (middle of the 19th century, France). London, British Library, MS Add. 41486, fol. 125v (fragment) (late 13th century, Italy?) Melk, Bibliothek des Benediktinerstifts, Ms. 768 (late 18th century, Austria). Münster, Universitäts- und Landesbibliothek, Ms. Nk 90 (middle of the 17th century, Germany). Uppsala, Universitetsbibliotek, Cod. D 1600 (late 16th century, Germany).

Excluded Manuscripts: First Group: Edinburgh, University Library, MS 123; London, British Library, MS Harley 273; Oxford, Corpus Christi College, MS 125; Paris, Bibliothèque nationale de France, Ms. lat. 6830 F; Paris, Bibliothèque nationale de France, Ms. lat. 11212. Second Group: Bruxelles, Bibliothèque Royale de Belgique, Ms. 10147–58; London, British Library, MS Sloane 1754; Montpellier, Bibliothèque interuniversitaire, Section médecine, Fonds anciens, Ms. H 277; München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 444.

Kodikologische Beobachtungen an den Wolfenbütteler Exemplaren der ‚Schedula‘ A CH (Wolfenbüttel) Zwei in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel erhaltene Handschriften der ‚Schedula Diversarum Artium‘ stehen im Fokus dieses Beitrages. Aus handwerklich-technologischem Blickwinkel wird besonderes Augenmerk auf die Sprache des Materials und seiner Verarbeitung gerichtet und so der Frage nachgespürt, welche Auskunft die so genannten Theophilus-Handschriften selbst über verschiedene Stadien ihrer Entstehung geben können. Gegenstand der Untersuchung ist nicht nur eine der beiden ältesten bekannten Kopien der ‚Schedula‘1, sondern auch ein rund 350 Jahre später entstandenes Exemplar, das in einer Sammelhandschrift des 15. Jahrhunderts enthalten ist2. I. Codex Guelferbytanus 69 Gudianus latinus 2° 3 1. Provenienz Der Codex mit der Signatur 69 Gud. lat. 2° war Mitte des 17. Jahrhunderts wahrscheinlich gemeinsam mit einer Wiener Kopie der Handschrift im Besitz des bekannten Arztes und Humanisten Bernhard Rottendorff 4 in Münster (Abb. 1). Nach dessen Tod 1671 übernahm der Jurist, Philologe, Bibliothekar und dänische Etatsrat Marquard Gude5 Teile der Rottendorff ’schen Bibliothek. Der damalige 1 2 3 4

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Für einen Codex der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien wird eine ähnliche Datierung angenommen: Cod. 2527. Zu den Untersuchungen der jüngeren Handschrift cf. den Beitrag von P. Carmassi/B. Lesser in diesem Band, 22–51. In der Wolfenbütteler Digitalen Bibliothek ist die Handschrift unter einer persistenten URL zugänglich: http://diglib.hab.de/mss/69-gud-lat/start.htm. Die Wiener Handschrift Cod. 2527 trägt einen Besitzvermerk Bernhard Rottendorffs (*1594– †1671). Zu Rottendorff als Handschriftensammler cf. P. Lehmann, Aus dem Leben, dem Briefwechsel und der Büchersammlung eines Helfers der Philologen, in: Archiv für Kulturgeschichte 28 (1938), 163–190 [wiederabgedruckt in: id., Erforschung des Mittelalters. Ausgewählte Abhandlungen und Aufsätze, vol. 4, Stuttgart 1961, 107–127]. Zu Marquard Gude (*1635–†1689), cf. H. Härtel, Anmerkungen zur Geschichte der Handschriftensammlung Marquard Gudes in der Herzog August Bibliothek zu Wolfenbüttel, in: U. Kuder/H.-W. Stork/B. Tewes (eds.), Die Bibliothek der Gottorfer Herzöge. Symposium, in: Auskunft 28,1 (2008), 105–115.

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Almuth Corbach

Wolfenbütteler Bibliotheksdirektor Gottfried Wilhelm Leibniz6 wiederum konnte 1710 im Auftrag von Herzog Anton Ulrich den größten und bedeutendsten Teil der Gudischen Handschriftensammlung für Wolfenbüttel erwerben: 468 Bände, inhaltlich zumeist Texte antiker und mittelalterlicher Autoren. Seitdem befindet sich die ‚Schedula‘ in der Sammlung der Codices Gudiani der Herzog August Bibliothek7. Während der Besatzung durch Napoleon wurden Kulturgüter aus ganz Europa in großer Zahl beschlagnahmt und nach Paris gebracht, darunter im Jahr 1807 etwa 400 kostbare Handschriften und Alte Drucke der Wolfenbütteler Bibliothek. In der ‚Schedula‘ verweisen bis heute zwei rote Stempel der „Bibliothèque Impériale“ zu Paris auf diese Begebenheit 8. Infolge der militärischen Niederlage Frankreichs konnten die aus Wolfenbüttel geraubten Kunstschätze nach dem Zweiten Pariser Frieden 1815 zum großen Teil wieder an den früheren Ort ihrer Aufbewahrung zurückgeführt werden9. 2. Textblock Der Textblock mit den Maßen 290 × 210 mm umfaßt 115 Blätter beidseitig geschliffenes Kalbpergament und besteht aus zwei Werken: Einer Kopie des 11. Jahrhunderts von Vitruvs ‚De Architectura‘ folgt ab Folio 86 eine Kopie der ‚Schedula Diversarum Artium‘, deren Entstehen in die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts datiert. Von den insgesamt 15 Lagen10 gehören lediglich vier zum zweiten Teil der Handschrift; das entspricht 30 Blatt (Abb. 2). Die erste dieser vier Lagen der ‚Schedula‘ besteht aus vier Doppelblättern und ist also ein regelmäßiger Quaternio, während die zweite Lage – wiederum ein Quaternio – sich aus drei Doppelblättern und zwei mitgehefteten Einzelblättern zusammensetzt. Um die vier Doppelblätter der dritten Lage ist außen ein Einzelblatt (fol. 110) umgelegt, was wohl nicht dem ursprünglichen Zustand entspricht. Das Blatt zeigt unterhalb des Satzspiegels rechts eine feine Kennzeichnung mit dem Buchstaben „p“ und weist sich 6

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Zu Gottfried Wilhelm Leibniz, Direktor der Bibliotheca Augusta in Wolfenbüttel 1691–1716, cf. K. Hartbecke, Zwischen Fürstenwillkür und Menschheitswohl – Gottfried Wilhelm Leibniz als Bibliothekar (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Sonderband 95), Frankfurt a.M. 2008. Cf. C. Heitzmann, Cod. Guelf. 60 Gud. lat. 2°: Provenance of and early research of the Wolfenbüttel Theophilus (Vortrag, gehalten im Rahmen der Tagung „Around Theophilus – an expert meeting towards new standards in Theophilus scholarship“, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 14.–15. Januar 2010). Besitzstempel der „Bibliothèque Impériale“ zu Paris auf foll. 1r und 115v. Cf. I. Kratz, Die Herzog August Bibliothek unter Napoleon: Aspekte französischer Kulturpolitik 1806–1815, in: P. Raabe (ed.), Aus den Schätzen der Herzog August Bibliothek (Wolfenbütteler Beiträge 10), Frankfurt a.M. 1997, 79–160. Lagen: III (6), III+1 (13), 7 × IV (71), IV+1 (80), II+1 (85), IV (93), III+2 (101), IV+1 (110), II+1 (115).

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dadurch als bereits zur folgenden, letzten Lage zugehörig aus. Höchstwahrscheinlich war die andere Hälfte des Doppelblattes (fol. 115) derart schlecht erhalten, daß sie entfernt und durch ein neues Einzelblatt ersetzt wurde. Das gegenwärtig letzte Blatt der Handschrift ist unschwer als spätere Ergänzung zu erkennen: Einerseits weicht die Pergamentqualität vom übrigen Buchblock ab, sie ist heller und deutlich stärker; und andererseits wird auch der Text einer anderen Hand zugeschrieben, die Bernhard Bischoff 11 ins 15. Jahrhundert datiert. Hermann Degering beschreibt 1928, das Ergänzungsblatt sei „nicht mit in die Heftung […] einbezogen“, sondern „gegen den Falz eines von der alten Lage abgeschnittenen Schußblattes geklebt“ und „dann mit je zwei Stichen oben und unten noch in diesem Falz besonders geheftet“12. Erst im Zuge der Restaurierung 1955 wurde Folio 110 folglich mittels eines schmalen vom ursprünglichen Folio 115 verbliebenen Fälzchens13 um die vorhergehende Lage „o“ gebogen und ist nun dort mit der Heftung fixiert. Infolgedessen beginnt die letzte Lage heute erst mit der Kustode „p2“. Das für die ‚Schedula‘ verwendete Pergament ist von unterschiedlicher Stärke und Qualität. Fünf Blatt weisen ursprüngliche, bereits bei der Herstellung des Pergamentes entstandene Löcher auf. Die Blätter sind ausnahmslos beidseitig liniiert. Der Abstand der in der Regel 38 Zeilen sowie die Eckpunkte der Text- beziehungsweise Versalienspalten wurden zuvor mit Hilfe eines spitzen Werkzeuges markiert – bis heute an den charakteristischen Einstichlöchern zu erkennen. Mit einem weichen Griffel, der einen metallischen Abrieb hinterlassen hat, konnten dann die Liniierung der waagrechten Zeilen sowie die seitliche Begrenzung der zwei Textspalten erfolgen. Der Text ist in einer dunkelbraunen Eisengallustinte geschrieben und mit roten, zum Teil sparsam verzierten Initialen und Überschriften ausgezeichnet. Rasuren und Korrekturen sind selbst unter UV-Licht nur in geringer Anzahl festzustellen. Der Text von Vitruv ist vielfach mit Marginalien, Korrekturen und Unterstreichungen versehen; im Gegensatz dazu zeigt die ‚Schedula‘ nur sehr wenige Spuren späterer Leser. Den Beginn der drei Bücher der ‚Schedula‘ kennzeichnen schmale Blattweiser aus rotem und braunem Schafleder.

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Cf. B. Bischoff, Über mittelalterliche Handschriften in Wolfenbüttel, in: P. Raabe (ed.), 400 Jahre Bibliothek zur Wolfenbüttel (Wolfenbütteler Beiträge 2), Frankfurt a.M. 1973, 96–109 [wiederabgedruckt in: id., Mittelalterliche Studien. Ausgewählte Aufsätze zur Schriftkunde und Literaturgeschichte, vol. 3, Stuttgart 1981, 298–309]; id., Die Überlieferung des Theophilus-Rugerus nach den ältesten Handschriften, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst 3–4 (1952–1953), 145–149 [wiederabgedruckt in: id., Mittelalterliche Studien, vol. 2, Stuttgart 1967, 175–182]. H. Degering, Theophilus Presbyter, qui et Rugerus, in: id./W. Menn (eds.), Westfälische Studien. Beiträge zur Geschichte der Wissenschaft, Kunst und Literatur in Westfalen. Alois Bömer zum 60. Geburtstag gewidmet, Leipzig 1928, 248–262, 261. Dieser schmale Pergamentfalz ist heute zwischen foll. 101 und 102 sichtbar.

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Der gesamte Buchblock der Handschrift zeigt Spuren eines Wasserschadens. Die vom Vorder- und Fußschnitt aus unterschiedlich weit eingedrungene Feuchtigkeit hat zu starken Schwemmrändern im Pergament geführt. Im Bereich des Schadens sind die einzelnen Seiten infolgedessen verwellt und spürbar verhärtet. 3. Einband Ein originaler Einband der beiden Handschriften ist nicht erhalten und entsprechende Spuren lassen sich nur noch spärlich nachweisen.14 Zu erwarten wäre hier in jedem Fall ein Einband in romanischer Bindetechnik15 mit den folgenden charakteristischen Merkmalen: • geheftet auf drei Doppelbünde aus dickem weißgegerbten Leder • massive, mindestens 10 mm dicke Holzdeckel, zumeist Eiche • Bundmaterial (Lederstreifen) durch einen Kanal in der Deckelkante schräg nach außen eingezogen, hier vertieft wenige Zentimeter über den Buchdeckel geführt, dann durch ein zweites Loch senkrecht nach innen gesteckt und mit feinen Holzkeilen befestigt16 • Deckel ohne Kanten, das heißt in gleicher Größe wie der Buchblock (Buchblock und Holzdeckel wurden gemeinsam mit dem Ziehmesser beschnitten) • Buchschnitte in der Regel undekoriert • Einband mit geradem Rücken17 • Lappenkapitale aus weißgegerbtem Leder, mit weißen und farbigen Fäden verziert • Überzugsmaterial weißgegerbtes Leder ohne Dekor, zuweilen auch vegetabil gegerbtes und gefärbtes Leder mit Dekor im Blinddruck. Der auf uns gekommene gotische Einband18 der beiden Handschriften läßt sich sowohl aufgrund seiner Merkmale von Material und Technik als auch aufgrund seines Dekors und der verwendeten Schließen mit eingeprägtem Dekor in das ausgehende 15. Jahrhundert datieren. Charles R. Dodwell nahm an, dieser Einband sei womöglich zum selben Zeitpunkt wie die Ergänzung des durch den

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Es ist nicht bekannt, zu welchem Zeitpunkt die beiden Texte zusammengebunden wurden. Möglicherweise geschah dies erst im 15. Jahrhundert. Zu romanischer Einbandtechnik cf. J. A. Szirmai, The archaeology of medieval bookbinding, Aldershot 1999, 140–172. Die Art und Weise der Verbindung von Buchblock und Deckel gehört zu den prägnantesten technischen Merkmalen romanischer Einbandtechnik. Eine Rückenrundung bei Bucheinbänden erscheint erstmals im 13. Jahrhundert und entwickelt sich im Laufe des 15. Jahrhunderts zur vorherrschenden Form. Cf. J. A. Szirmai, Einbandforschung und Einbandrestaurierung, in: H. Weber (ed.), Bestandserhaltung in Archiven und Bibliotheken (Werkhefte der staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 2), Stuttgart 1992, 31. Zu gotischer Einbandtechnik cf. Szirmai, Archaeology (nt. 15), 173–284.

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erwähnten Wasserschaden zerstörten Folio 115 erfolgt19. Die von Hermann Degering 1928 beschriebene Montage dieses Blattes deutet allerdings darauf, daß es erst nach Anfertigung eines Einbandes hinzukam und folglich gesondert am gebundenen Textblock befestigt wurde20. Annie Peters und Ilse Hahne stellten 1955 fest, daß der Buchblock „durch Wasserschaden und Fehlen der zusammenhaltenden Schließenbänder sehr verzogen“ ist und hielten daher einen restauratorischen Eingriff für notwendig21. Da auch der Einband Spuren eines Wasserschadens aufweist, ist anzunehmen, daß dieser Schaden erst nach dem Binden im ausgehenden 15. Jahrhundert entstand. Der Buchblock ist auf fünf echte Doppelbünde geheftet. Der Rücken der Handschrift liegt heute gerundet vor, ein strukturelles Detail, das sich im Laufe des 15. Jahrhunderts zur vorherrschenden Form entwickelt. Die Deckel sind größer als der Buchblock, sie haben ca. 4 mm breite Kanten. Die Punkturen der Blätter sind sowohl am Kopf- als auch am Fußschnitt zum Teil angeschnitten. An einigen Blattkanten der Handschrift fallen Farbspuren auf, die auf einen in dieser Zeit typischen hellgelben Farbschnitt deuten (Abb. 3). Vor diesem Hintergrund kann auch von einem Beschnitt im Zuge der Anfertigung des vorliegenden Einbandes ausgegangen werden. Die Farbe wird erst nach dem Einledern aufgetragen worden sein, da sich auch am Ledereinschlag gelbe Farbspuren befinden. Am Vorderschnitt sind darüber hinaus ein in Tinte geschriebener Titel beziehungsweise eine frühere Signatur „C4“ zu erkennen (Abb. 4). Das sind mögliche Hinweise auf den Vorbesitzer, die gleichzeitig einen Schluß über die Form der Aufbewahrung in dessen Bibliothek nahelegen: Vermutlich stand das Buch aufrecht im Regal, mit dem Rücken zur Wand und dem Schnitt zum Betrachter gerichtet. Die Herkunft dieser Signatur konnte jedoch bisher nicht entschlüsselt werden22. Der klösterliche Stil des Einbanddekors schließlich weist ins Rheinland. Die Aufteilung der Deckelfläche – Streicheisen-Rahmen und das charakteristische Scherengitter verbunden mit Einzelstempeln im Zwischenfeld – ist typisch für die Region. Alle drei blind geprägten Einzelstempel sind durch die Forschungen von Ilse Schunke, Ernst Kyriß und zuletzt Konrad von Rabenau23 identifiziert und stehen in ihrer Art der Werkstatt des Brigittenklosters in Köln am nächsten: Lilien

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Cf. Ch. R. Dodwell, Theophilus, De diversis artibus – The Various Arts, London 1986 [Neudruck Oxford 1986, 1998], lviii. Cf. Degering, Theophilus (nt. 12), 261. Schreiben Ilse Hahnes an Erhart Kästner vom 9. November 1955, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Signatur: BA IV, 197 E; zum Restaurierbericht und Fotos der Arbeiten, November 1955 cf. Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Akten zur Dokumentation von Restaurierungsmaßnahmen. In der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel zeigen weder Handschriften aus Sankt Pantaleon in Köln noch Codices aus der Sammlung von Bernhard Rottendorff derartige Signaturen. Cf. I. Schunke, Die Schwenke-Sammlung gotischer Stempel- und Einbanddurchreibungen nach Motiven geordnet und nach Werkstätten bestimmt und beschrieben (Beiträge zur Inkunabelkunde, 3. Folge 7 und 10), 2 voll., Berlin 1979–1996; E. Kyriß, Verzierte gotische Einbände im alten deutschen Sprachgebiet, 3 voll., Stuttgart 1951–1958.

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und große Rosetten im Rahmen sowie eine kleinere Rosette im Mittelfeld 24 (Abb. 5). Die von Schunke „Art Köln Brigittenkloster“ genannte Werkstatt war im Kölner Kloster Sion angesiedelt, ist allerdings nach neuerer Forschung von Regine Boeff 25 nicht den Brigittinnen, sondern vielmehr ihren Vorgängerinnen, den Zisterzienserinnen, zuzuschreiben. Die Kölner Provenienz des Einbandes deckt sich auch mit weiteren Details: Zum einen hat Bernhard Bischoff für Folio 115 eine niederrheinische Hand festgestellt. Zum anderen befindet sich auf Folio 1 der Handschrift oben ein Exlibris-Eintrag, der bei einer Untersuchung unter UV-Licht deutlich lesbar wird: „Codex mon[asterii] s[an]c[t]i pantaleonis in Colonia“ (Abb. 6). 1920 konnte der Eintrag bereits von Hermann Degering 26 fotografiert werden. Unter diesem Eintrag ist noch ein weiterer radierter Eintrag zu erahnen, der sich hingegen unter UV-Licht nicht mehr entziffern läßt. 4. Restaurierung 1950 übernahm Erhart Kästner das Direktorat der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel und begann bald, durch Spenden finanzierte Restaurierungen der Bestände in Auftrag zu geben27. Zu den ersten restaurierten Handschriften gehört der hier beschriebene Cod. Guelf. 69 Gud. lat. 2° (Abb. 7). Kästner hatte detaillierte Vorstellungen von diesen Arbeiten und begleitete sie mit ausführlicher Korrespondenz28. Dieser ist zu entnehmen, daß die Handschrift am 17. September 1955 als Wertpaket in die Hamburger Werkstatt von Ilse Hahne und Annie Peters geschickt wurde und auf demselben Wege am 15. November wieder zurück nach Wolfenbüttel reiste. Kästner bestätigt ihr Eintreffen und schreibt: „Der Befund ergibt völlige Zustimmung; in der Bewahrung des Alten und im Charakter dessen,

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Drei Werkzeuge (Einzelstempel) sind für die Werkstatt „Art Köln Brigittenkloster“ nachgewiesen: Lilie, Mittelblatt sternförmig, unterer Abschluß lilienförmig: EBDB s002270; Rosette, mit zwei Blattkränzen, sechsblättrig, Blätter breit, gebuchtet: EBDB s007491; Rosette, mit einem Blattkranz, fünfblättrig, Blätter kreisförmig: EBDB s006663. Werkzeuge und Werkstatt sind in der Einbanddatenbank (EBDB) abzurufen unter http://www.hist-einband.de. Regine Boeff († 2010) und Caroline Dohmen-Richter, Universitäts- und Stadtbibliothek Köln, danke ich für wertvolle Hinweise. Dies findet sich handschriftlich notiert im durchschossenen Exemplar des Handschriftenkataloges Otto von Heinemanns, Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, vol. 1, Wolfenbüttel 1890, Signatur: Bb 4° 907. 1960 konnte die Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel eine eigene Restaurierungswerkstatt einrichten; cf. J. Hiller von Gaertringen, Diese Bibliothek ist zu nichts verpflichtet außer zu sich selbst. Erhart Kästner als Direktor der Herzog August Bibliothek 1950–1968 (Wolfenbütteler Hefte 23), Wiesbaden 2009, 236–253. Zum Schriftverkehr mit Restauratoren cf. Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Signatur: BA IV, 197–199 E.

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was Sie hinzufügen mußten[,] stimmen wir ganz überein.“ 29 Für die Arbeit wurden 200,– DM berechnet. Aus einer kurzen Dokumentation der Arbeiten, einigen Schwarzweißaufnahmen, ergänzt durch die Korrespondenz zwischen Kästner und Annie Peters, kann der Eingriff zum Teil nachvollzogen werden: Der Heftzwirn wurde als „mürbe“ beurteilt, weshalb der Band neu geheftet wurde. Zuvor erfolgte das „Richten u. Glätten“ der durch den Wasserschaden verwellten Pergamentblätter mit Feuchtigkeit sowie das anschließende Trocknen der Lagen in der Presse (Abb. 8). Eine frühere Reparatur des Rückens durch Überkleben mit scharlachrotem Schafleder (ein Charakteristikum vieler Gudischer Handschriften) wurde entfernt und ein neuer Kalblederrücken angefertigt. Da nur die geprägten Schließenlager am Vorderdeckel erhalten waren, wurden neue Hakenteile und Schließenriemen ergänzt. Zuletzt erfolgte laut Restaurierbericht das „Färben, Ölen, Lacken und Wachsen des Einbandes“. Der abgelöste alte Pergamentspiegel ist leider, ebenso wie weitere Einbandreste, nicht erhalten30. I I. Codex Guelferbytanus 1127 Helmstadienses 31 1. Provenienz Die zweite erhaltene Wolfenbütteler Theophilus-Handschrift (Abb. 9) trägt die Signatur „1127 Helmst.“ und verrät damit ihre Zugehörigkeit zu den Codices Helmstadienses. Diese Gruppe umfaßt 1.562 Handschriften des 8. bis 18. Jahrhunderts, wobei das 15. und 16. Jahrhundert deutlich überwiegen. Ihr Ursprung liegt in der älteren Wolfenbütteler Bibliothek, der Bibliotheca Julia, die 1618 an die von Herzog Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel gegründete Universität in Helmstedt32 abgegeben wurde. Nach Auflösung der Universität kam 1815 ein Teil der indessen stark angewachsenen Bibliothek zurück nach Wolfenbüttel.

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Schreiben Erhart Kästners an Annie Peters in Hamburg vom 21. November 1955, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Signatur: BA IV, 197 E. Restaurierungsmaßnahmen können immer nur bezogen auf den Zeitpunkt ihrer Durchführung bewertet werden. Aus diesem Grunde scheint – bei aller Wertschätzung der Leistung von Annie Peters und Ilse Hahne – ein Hinweis angezeigt, daß der Eingriff nach gegenwärtigem Verständnis in nahezu allen Punkten sehr viel zurückhaltender ausfallen würde. In der Wolfenbütteler Digitalen Bibliothek ist die Handschrift unter einer persistenten URL zugänglich: http://diglib.hab.de/mss/1127-helmst/start.htm. Die Universität Helmstedt (Academia Julia, auch Academia Julia Carolina oder Academia Helmstadiensis) bestand von 1576 bis 1810; cf. Einleitung von B. Lesser, in: H. Härtel/C. Heitzmann/ D. Merzbacher/B. Lesser, Die mittelalterlichen Helmstedter Handschriften der Herzog August Bibliothek, Teil I: Cod. Guelf. 1 Helmst. – Cod. Guelf. 276 Helmst., Wiesbaden 2012.

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2. Buchblock Der Buchblock des kleinen Codex mißt 166 × 113 mm und besteht aus 115 Blatt handgeschöpften Büttenpapiers. Die astronomische Sammelhandschrift enthält heute 20 Texte, bei deren letztem es sich um eine nicht ganz vollständige Kopie der ‚Schedula Diversarum Artium‘ handelt 33. Von neun erhaltenen Lagen gehört lediglich die letzte, ab Folio 100, zur ‚Schedula‘ (Abb. 10). Nur 12 der eigentlich 16 Blatt umfassenden Lage – also ein Okternio mit acht Doppelblättern – sind allerdings beschrieben. Ein- oder beidseitig leere Blätter fallen im gesamten Textblock mehrfach auf. Vermutlich handelt es sich hierbei um Platzhalter für weitere Texte oder Zeichnungen: Von insgesamt 114 Blatt sind 19 ganz leer und 18 lediglich einseitig beschrieben. Dieses Phänomen könnte auf ein stückweise gewachsenes Entstehen des Codex deuten – vielleicht begleitend zum akademischen Lehren und Lernen. Im Licht eines ebenso intensiven wie wechselnden Gebrauchs müssen auch mehrere, mit dem Messer heraus getrennte Lagen gesehen werden. Die unregelmäßige Stärke der wenigen Lagen ist vor dem Hintergrund einer solchen Nutzung ebenfalls nicht verwunderlich34. Hinter Folio 67 fehlt eine Lage, die aus mindestens drei Doppelblättern bestanden hat. Dies läßt sich anhand von im Textblock zwischen den Lagen verbliebenen Papierfragmenten, Pergamentmakulaturstreifchen und Heftfäden erkennen. Im Anschluß an die ‚Schedula‘ sind gleich mehrere Lagen herausgetrennt. Ein Falz35 im Pergamentumschlag, dessen Verfärbung und abermals die erhaltenen Fragmente deuten darauf hin, daß dem Buchblock in der Dicke knapp 15 mm fehlen – mindestens sieben Lagen lassen sich ermitteln (Abb. 11). Den Verfärbungen und der Falzung am Äußeren des Einbandrückens nach zu urteilen – im Verbund mit den Überresten von Heftung und Lagen im Inneren – war der heute 25 mm starke Codex ehemals fast 40 mm dick. Zunächst könnte vermutet werden, daß der Text der ‚Schedula‘ zu einem früheren Zeitpunkt komplett war und erst durch das grobe Fleddern einzelner Lagen die beschriebenen Lücken erhielt. Überzeugender ist jedoch der Schluß, daß der auf uns gekommenen Kopie der ‚Schedula‘ ganz andere Textabschnitte folgten, denn eine Beschriftung der ausgeschnittenen Lagen steht dank entsprechender Überreste außer Zweifel: Auf einem der Papierfragmente ist der Buchstabe „m“ zu lesen; die Handschrift ähnelt derjenigen in den vorangehenden Textteilen.

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Eine ausführliche Beschreibung der Handschrift durch Bertram Lesser im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projektes „Katalogisierung der Helmstedter Handschriften“ ist demnächst abzurufen unter der folgenden URL: http://www.hab.de/ bibliothek/wdb/helmstedterhss/html/1127-helmst.html. Lagen: VII+1 (15), VIII (31), VII (45), VI (57), V (67), VII (81), V (91), IV (99), VIII (115). Als Falz wird hier eine scharfe Knickkante (beziehungsweise Falte) im Einbandmaterial bezeichnet.

Kodikologische Beobachtungen an den Wolfenbütteler Exemplaren der ‚Schedula‘

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Das verwendete Papier ist in den ersten Teilen von relativ einheitlicher Stärke. Die ‚Schedula‘ in der neunten Lage besteht jedoch aus einem anderen Papier. In sämtlichen Lagen lassen sich Wasserzeichen nachweisen. Aber auch hier gilt für die ‚Schedula‘ ein anderer Befund als für die vorhergehenden Teile. Bis Folio 99 findet sich Papier mit dem Wasserzeichen „Dreiberg mit Stange und Kreuz“ in unterschiedlichen Ausführungen, aber auch in Varianten, wie sie bei der Papierherstellung durch die hohe Beanspruchung der Schöpfform zu erwarten sind (Abb. 12). Ein Typ konnte im Katalog von Piccard für das Jahr 1474, der andere für das Jahr 1476 und die württembergische Stadt Ellwangen nachgewiesen werden36. Dies korrespondiert auch mit der inhaltlichen und paläographischen Analyse von Patrizia Carmassi und Bertram Lesser37. In der letzten Lage findet sich zweimal das Wasserzeichen „Ochsenkopf mit Augen (oben) Stange und Blume sowie (unten) Schaft mit Sparrenkopf“ (Abb. 13). Leider konnte dieses Wasserzeichen in der Theophilus-Kopie bisher nicht datiert werden38. Die Textspalten sind ausnahmslos einspaltig gegliedert und die Zeilen von vertikalen Begrenzungslinien eingefaßt. Diese Linien und ebenso viele Zeichnungen sind blind markiert beziehungsweise mit dem Zirkel angerissen. Bei Tabellen erfolgte eine Liniierung mit Griffel oder eine feinere Markierung des Zeilengerüstes mit Tinte. Vor allem hier läßt sich an allen Blatträndern ringsum die gleichmäßige Punktierung durch ein spitzes Werkzeug beobachten. Der Text ist in einer meist hellbraunen Eisengallustinte geschrieben39. Durchgängig rubriziert finden sich Textinitialen, Unterstreichungen und gestrichelte Satzmajuskeln. Marginalien sind in allen anderen Textabschnitten des Sammelbandes nahezu überhaupt nicht, in der ‚Schedula‘ dagegen besonders häufig zu beobachten. Sie dienen der textlichen Gliederung und sind bereits vom Kopisten angelegt. Das Vorsatzblatt umfängt den gesamten Textblock; es reicht von vorne über den Rücken nach hinten und ist oben und unten 20 beziehungsweise 40 mm breit eingeschlagen (Abb. 14). Die Tatsache, daß das Blatt innen und außen mit Tinte beschrieben ist (unter anderem Federproben und unvollendete Zeichnungen), deutet auf die Verwendung von Papiermakulatur. Hinten ist das Vorsatzblatt abgeschnitten und nur noch als Fragment erhalten. Es ist anzunehmen, daß es beim Heraustrennen der Lagen mit entfernt wurde. Ein ähnlicher Umriß der zurückbleibenden Papierfragmente bestätigt diese Vermutung.

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Dreiberg – Mit Beizeichen – Darüber zweikonturige Stange – Darüber zweikonturiges Kreuz: Piccard-Online 151547 (ohne Ortsangabe, 1474), Piccard-Online 151676 (Ellwangen, 1476). Die Bestimmung der Wasserzeichen verdanke ich Monika Strziga, Wolfenbüttel. Cf. den Beitrag von Carmassi/Lesser in diesem Band, 22–51. Ochsenkopf – Mit Augen – Darüber zweikonturige Stange – Darüber Blume (7-blättrig) – Darunter Beizeichen – Schaft mit Sparrenkopf (nicht nachweisbar). B. Lesser geht von mindestens drei verschiedenen Händen aus; cf. den Beitrag von Carmassi/ Lesser in diesem Band, 22–51.

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3. Einband Die Handschrift wurde in einen flexiblen Umschlag aus Kalbpergament eingebunden; eine Klappe ragt als Verlängerung des rückwärtigen Umschlags schützend über den Vorderschnitt bis auf den vorderen Umschlag. Infolge von Mäusefraß ist die Klappe am rückwärtigen Umschlag nur noch im Ansatz erhalten. Es sind keine Spuren feststellbar, die einen Hinweis auf ihre einstige Länge, Form oder einen möglicherweise an der Klappe befestigten Wickelverschluß geben könnten. Auf der Umschlaginnenseite, der Fleischseite des Pergaments, fallen bräunlichlineare Verfärbungen auf, die sich bei Betrachtung unter UV-Licht als Reste einer Beschriftung mit Tinte bestätigen. Daraus muß eine Wiederverwendung des Materials für den Einband des Codex gefolgert werden – vielleicht unter Nutzung einer älteren Urkunde. Die Außenseite des Pergamentumschlags zeigt ebenfalls sehr lückenhaft lesbare Aufschriften mit Tinte, offensichtlich von unterschiedlichen Händen – darunter ein Besitzeintrag. Buchblock und Pergamentumschlag der Handschrift 1127 Helmst. wurden durch die Heftung ohne Verwendung von Bünden unmittelbar miteinander verbunden. Dies geschah mit z-gedrehtem40 Leinenzwirn – einer Aktenheftung ähnlich – mit jeweils einem separaten Langstich an Kopf und Fuß. Beide Heftstiche sind im Lageninneren nicht durch einen Faden verbunden und somit unabhängig voneinander gearbeitet. Beim Lagenwechsel am Schnitt wird der Faden mit dem vorigen Stich verschlungen, wodurch eine charakteristische Knotenkette entsteht (Abb. 15). Für sämtliche Textabschnitte vor der ‚Schedula‘ ist dies bereits die zweite Bindung. Das beweisen zwei ungenutzte und jeweils offensichtlich eingerissene Heftlöcher, die in den Lagen jeweils ca. 10 mm neben den aktuellen Einstichen liegen und sich auch im Pergamentumschlag zeigen41. Im Lageninneren ist dies zudem regelmäßig an Abdrücken und Verfärbungen des gewachsten Zwirns der früheren Heftung nachzuvollziehen (Abb. 16). Beides kommt in der ‚Schedula‘ nicht vor. Erst im Zuge der zweiten Bindung wurden die Lagen offenbar innen durch etwa 15 bis 35 mm lange und 6 bis 12 mm breite Heftverstärkungen aus beschriebener Pergamentmakulatur stabilisiert. Der Buchblock konnte bei dieser Einbandtechnik nur vor dem Heften beschnitten werden. Dies geschah jedoch so zurückhaltend, daß an vielen Seiten noch ein Büttenrand zu erkennen ist: Eine wohl bedachte, sparsame Materialausnutzung ist bei dieser Handschrift auch am Layout der Seiten zu erkennen, das keinen besonders großzügigen Rand vorsieht. 40

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Durch Verdrehen von zwei oder mehr gesponnenen Einzelfäden entsteht Zwirn, der entsprechend der gewählten Richtung s- bzw. z-gedreht unterschieden wird. Bei der „Z-Drehung“ entspricht ihr Verlauf im senkrecht gehaltenen Faden der Richtung des Schrägstrichs im Buchstaben Z. Eingerissene Heftlöcher zwischen foll. 8–9, 23–24, 38–39, 51–52, 62–63, 74–75, 86–87 sowie 95–96.

Kodikologische Beobachtungen an den Wolfenbütteler Exemplaren der ‚Schedula‘

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Mit dem beschriebenen Kopert weist die Handschrift eine vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit hinein gebräuchliche Einbandart auf, die keineswegs interimistisch intendiert war42. Gleichwohl läßt sich feststellen, daß ein Kopert im Vergleich zu einem Holzdeckelband wesentlich schneller und infolge des geringeren Materialbedarfs auch preiswerter sogar von Laien herzustellen war. In diesem Zusammenhang müssen ebenso die beim zweiten Binden nachgenutzten beziehungsweise ohnedies bereits wiederverwendeten Einbandmaterialien (Heftverstärkungen aus Pergamentmakulatur beziehungsweise Einbandpergament) erwähnt werden. Auch in der Sammlung der Helmstedter Handschriften und Drucke der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel sind libri sine asseribus eine verbreitete Einbandgattung (Abb. 17). Häufig enthalten derlei Einbände ausgesprochene Gebrauchshandschriften. Spuren eines vielfachen Gebrauchs sind nicht zuletzt bei Betrachtung des Äußeren der beschriebenen Handschrift offenkundig: Der Pergamentumschlag ist wellig, verschmutzt, mit verschiedenen Tinten verfleckt. Durch die starke Benutzung entwickelte sich eine konkave Verformung des ehemals geraden Rückens, infolge derer die Heftfäden unter starke Zugspannung gerieten. Aus diesem Grund sind sie bereits an verschiedenen Stellen gerissen. Es ist davon auszugehen, daß die zweite Bindung des Sammelbandes nicht nur eine inhaltliche Erweiterung nach Folio 99, sondern auch eine Erneuerung der Heftung infolge einer zu diesem Zeitpunkt bereits starken Benutzung zum Ziel hatte. Die eingerissenen, nunmehr unbenutzten Heftlöcher sind hierfür sprechende Zeugen.

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Cf. W. Schmidt, In einem Kopert gebunden, in: B. Sinogowitz/H. Petz-Gebauer (eds.), Aus der Arbeit des Bibliothekars. Aufsätze und Abhandlungen Fritz Redenbacher zum 60. Geburtstag dargebracht (Schriften der Universitäts-Bibliothek Erlangen, 4), Erlangen 1960, 59–82; A. B. H. Scholla, Libri sine asseribus: Zur Einbandtechnik, Form und Inhalt mitteleuropäischer Koperte des 8. bis 14. Jahrhunderts, Leiden 2002; M. Mau-Pieper, Koperte als Einband bei Gebrauchsschriftgut in Mittelalter und früher Neuzeit (Online-Publikation: Magisterarbeit Universität Tübingen 2005, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:21-opus-18084).

Die Überlieferung des sogenannten „Theophilus“ in der Herzog August Bibliothek am Beispiel von Cod. Guelf. 1127 Helmst. P C/B L (Wolfenbüttel) I. Zur Erschließungsg eschichte und Bedeutung von Cod. Guelf. 1127 Helmst. [P. Car massi] Die Bedeutung der ‚Schedula diversarum artium‘ in den Jahrhunderten des ausgehenden Mittelalters ist nicht nur durch die direkte handschriftliche Überlieferung, sondern auch durch die Verweise auf Theophilus und seine explizite Benutzung in anderen mittelalterlichen Werken bezeugt. Die Zitate aus der ‚Schedula‘ in der enzyklopädischen Kompilation ‚Lumen animae‘ wurden schon früh erkannt und bei modernen Editoren der ‚Schedula‘ als Appendix separat publiziert1. Das ‚Lumen animae‘ ist seinerseits in drei Fassungen überliefert. Die Wolfenbütteler Handschrift Cod. Guelf. 42.12 Aug. 2° ist ein Exemplar der Versio B, die auf das Jahr 1332 zurückgeht. Darin (fol. 1vb) berichtet der Verfasser im Prolog, wie er in den Besitz seiner Quellen kam und insbesondere, daß ihm ein Codex des „Theophilus in breviloquio diversarum artium“ zusammen mit anderen Büchern aus einem deutschen Kloster gebracht wurde2. Die Herzog August Bibliothek besitzt zwei Handschriften mit dem Text der ‚Schedula diversarum artium‘ aus der ersten Hälfte des 12. und aus dem 15. Jahr1

2

Cf. A. Ilg (ed.), Theophilus Presbyter, Schedula diversarum artium. Revidierter Text, Übersetzung und Appendix, vol. 1 (Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance 7), Wien 1874, 361–371. Ich danke Manuel Castiñeiras, Almuth Corbach, Bertram Lesser, Elisabetta Neri und Iolanda Ventura für den Austausch und die Anregungen zu diesem Beitrag. „Sed et et [!] de quodam monasterio Almanie quidam mihi libri delati sunt videlicet Architatharenteus de eventibus in natura, Alkabitius in perspectivis, Theophilus in breviloquio diversarum artium, Fontinus in descriptionibus universis […].“ Zum ‚Lumen animae‘ cf. I. Ventura, Die moralisierten Enzyklopädien des späteren Mittelalters. Ein Überblick unter Berücksichtigung der Fallbeispiele des ‚Lumen Anime‘, des ‚Liber de exemplis et similitudinibus rerum‘ und des ‚Liber Similitudinum Naturalium‘, in: Reti Medievali Rivista 4 (2003): http://www.rmojs.unina.it/index.php/rm/article/view/274/266; N. Harris (ed.), The Light of the Soul. The Lumen anime C and Ulrich Putsch’s Das liecht der sel, Bern 2007, bes. Introduction, 15–66. Cf. schon den Hinweis in: Ch. de l’Escalopier, Théophile prêtre et moine. Essai sur divers arts, Paris 1843, XXVII–XXXVI, hier XXVIII. Grundlegend zur Überlieferung: M. A. Rouse/R. H. Rouse, The Texts called Lumen anime, in: Archivum Fratrum Praedicatorum 41 (1971), 5–113.

Die Überlieferung des sogenannten „Theophilus“ in der Herzog August Bibliothek

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hundert. Sogar ein dritter Codex aus Pergament mit der ‚Schedula‘, heute leider verschollen, konnte anhand des Verzeichnisses der Pergamenthandschriften der Wolfenbütteler Bibliotheca Julia von 1588 als Besitz des Bibliotheksgründers, des Herzogs Julius von Braunschweig-Lüneburg (1528–1589), identifiziert werden3. Von diesen Exemplaren hat lange der Codex 69 Gudianus latinus die Aufmerksamkeit der Editoren und der Forschung auf Grund seines höheren Alters und seiner Vollständigkeit auf sich gezogen. Stellvertretend für diese Tendenz seien die Worte von Albert Ilg aus dem Vorwort zu seiner Edition im Jahr 1874 zitiert: „Das älteste unter den Bekannten, und jedenfalls das wichtigste Manuscript des berühmten mittelalterlichen Tractates, den wir hier zum erstenmale in der Sprache des Volkes an den Tag geben […], befindet sich in der grossherzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, daher genannt Codex Guelpherbytanus“4. Die Provenienz dieser Handschrift aus Köln, Sankt Pantaleon, kann durch die kodikologische Analyse bestätigt werden, wie Almuth Corbach gezeigt hat5. Auch in der philologischen und kunsthistorischen Forschung hat diese Handschrift weithin Vorrang genossen. Diese Tatsache läßt sich am deutlichsten an der neueren Edition von Charles Reginald Dodwell aus dem Jahr 1961 ablesen6. Dort wird die Handschrift Cod. Guelf. 1127 Helmst. zwar in der Einleitung angeführt, aber nicht in die Liste der für die Herstellung des kritischen Texts relevanten Handschriften aufgenommen: „Other partial copies of Theophilus are known, but none are of great importance and they have not been used for this edition of the text”7.

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Cf. Niedersächsisches Landesarchiv – Staatsarchiv Wolfenbüttel, 1 Alt 22, 83, foll. 22r–35v, hier fol. 27v. Zum Katalog selbst cf. H. Herbst, Herzog Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel und seine wissenschaftlichen Gründungen, in: Kultur- und Universalgeschichte. Walter Goetz zu seinem 60. Geburtstage dargebracht von Fachgenossen, Freunden und Schülern, Leipzig 1927, 229–241, hier 236 sq.; B. Gallistl, Beispiele zur Geschichte der Handschriftenerschließung in Wolfenbüttel, in: Wolfenbütteler Beiträge. Aus den Schätzen der Herzog August Bibliothek 6 (1983), 74–185, hier 81 sq. Ilg (ed.), Theophilus (nt. 1), I. Cf. den Beitrag von A. Corbach in diesem Band, 11–21. Für diese Zuweisung in der älteren Literatur cf. H. Degering, Theophilus Presbiter, qui et Rugerus, in: id./W. Menn (eds.), Westfälische Studien. Beiträge zur Geschichte der Wissenschaft, Kunst und Literatur in Westfalen. Alois Bömer zum 60. Geburtstag gewidmet, Leipzig 1928, 248–262, hier 252. Paläographisch ist die Schrift der ‚Schedula‘ vergleichbar mit Kölner Handschriften aus dem 12. Jahrhundert: e. g. Köln, Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek, Cod. 162 und 163; ibid., Cod. 37. Cf. dazu B. Bischoff, Die Überlieferung des Theophilus-Rugerus nach den ältesten Handschriften, in: id., Mittelalterliche Studien. Ausgewählte Aufsätze zur Schriftkunde und Literaturgeschichte, vol. 2, Stuttgart 1967, 175–182, hier 176 [zuerst erschienen in: Münchener Jahrbuch der Bildenden Kunst, 3. Folge, 3/4 (1952/53), 145–149]. Cf. C. R. Dodwell (ed.), Theophilus, De diversis artibus – The Various Arts, London 1961 [Neudruck Oxford 1986, 1998]. Diese Textfassung wurde auch in E. Brepohl, Theophilus Presbyter und das mittelalterliche Kunsthandwerk. Gesamtausgabe der Schrift ‚De diversis artibus‘ in zwei Bänden, Köln– Weimar – Wien 1999, vol. 1, 49–52, und in A. Caffaro (ed.), Teofilo Monaco, Le varie arti – De diversus artibus. Manuale di tecnica artistica medievale, Salerno 2000, übernommen. Dodwell (ed.), Theophilus (nt. 6), LXVIII. Cf. op. cit., LXVIII sq.

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Deshalb fehlt diese Handschrift im kritischen Apparat des Prologs zum Buch I völlig8. Aus diesem Grund blieben aber wichtige Varianten für diesen Text unbeachtet, wie ein Textvergleich der Prologe in beiden Wolfenbütteler Codices zeigt9. Cod. Guelf. 69 Gud. lat., fol. 86ra-vb

Cod. Guelf. 1127 Helmst., fol. 102r-v

Theophilus humilis presbiter servus servorum dei indignus nomine et professione monachi omnibus mentis desidiam animique vagationem utili manuum occupatione et delectabili novitatum meditatione declinare et calcare volentibus retributionem ce˛lestis premii. Legimus in exordio mundane creationis hominem ad imaginem et similitudinem dei conditum et inspiratione divini spiraculi animatum tante˛que dignitatis excellentia ce˛teris animantibus praerogatum ut rationis capax divine prudentie˛ consilii ingeniique mereretur participium arbitriique libertate donatus solius conditoris sui suspiceret voluntatem et revereretur imperium. Qui astu diabolico misere deceptus licet propter inobedientie˛ culpam privilegium inmortalitatis amiserit tamen scientie˛ et intelligentie˛ dignitatem a deo in posteritatis propaginem transtulit, ut quicumque curam sollicitudinemque addiderit totius artis ingeniique capacitatem quasi hereditario iure adipisci possit. Huiusmodi intentionem humana suspiciens sollertia et in diversis actibus suis insistens lucris et voluptatibus per temporum incrementa, tandem ad predestinata christiane religionis perduxit tempora factumque est ut quod ad laudem et gloriam nominis sui condidit dispositio divina in eius obsequium converteret plebs deo devota. Quapropter quod ad nostram usque etatem sollers predecessorum transtulit provisio pia fidelium non neglegat devotio quodque hereditarium deus contulit homini hoc homo omni aviditate amplectatur et laboret [86rb] adipisci. Quo adepto nemo apud se quasi ex se et non aliunde accepto glorietur sed in domino a quo et per quem omnia et sine quo nihil humiliter gratuletur nec concessa invidie˛ sacculo recondat aut tenacis armariolo cordis occultet sed omni iactantia repulsa hylari mente simpliciter querentibus eroget metuatque evangelica [!] illius negotiatoris sententiam qui domino suo reconsignare dissimulans manam feneratam omni beneficio privatus oris sui iuditio nequam servi promeruit notam. Quam sententiam incurrere formidans

Nortungus humilis Theophilus nomine et professione monastica indignus Bersico fratri suo dilecto omnibus mentis desidiam animique vacationem utili manuum occupatione et delectabili novitatum meditatione declinare et calcare ob retributionem celestis premii Legimus frater Karissime in exordio mundane creationis hominem ad ymaginem et similitudinem dei conditum et inspiratione divini spiraculi animatum tanteque dignitatis excellentia ceteris animantibus praerogatum ut rationis capax divine prudentie consilii ingeniique meretur [!] participium Arbitriique libertate donatus solius conditori suo susspiceret voluntatem et reverteretur imperium qui astu dyabolico misere deceptus licet propter inobediencie culpam privilegium immortalitatis amiserit tamen scientie et intelligentie dignitatem a deo in posteritatis propaginem transtulit ut quicumque curam sollicitudinemque addiderit totius artis ingeniique capacitatem quasi hereditario iure adipisci possit.

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Quapropter quod ad nostram usque etatem sollers predecessorum transtulit visio pia fidelium non negligat devocio quodque quasi hereditarium deus contulit homini hoc homo omni aviditate amplectatur et laboret adipisci quo adepto Evangelici illius negotiatoris sententiam qui domino suo reconsignare dissimulans mnam feneratam merito possit argui nota videlicet servi nequam mente simpliciter querentibus eroget nequam sententiam formidans

Cf. op. cit., 1–4; und für die Liste der benutzten Handschriften, LXXVII. Zu den inhaltlichen Aspekten aller Prologe cf. den Beitrag von G. Sprigath in diesem Band, 408– 422.

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Cod. Guelf. 69 Gud. lat., fol. 86ra-vb

Cod. Guelf. 1127 Helmst., fol. 102r-v

ego indignus et pene nullius nominis homuntio quod mihi gratis concessit que˛ dat omnibus affluenter et non improperat divina dignatio cunctis humiliter discere desiderantibus gratis offero et ut in me benignitatem dei recognoscant largitatemque mirentur admoneo et ut idem si opera addiderunt sibi presto esse procul dubio credant insinuo. Sicut enim homini quodcumque vetitum aut indebitum cuiuscumque modi ambitione attemptare sive rapina usurpare iniquum est et detestabile sic iure debitum et ex patre deo hereditarium interpretatum negligere aut contemptui ducere ignavie asseribitur ac stulticie. Tu ergo quicumque es fili karissime cui deus misit in cor campum latissimum diversarum artium perscrutari et ut exinde quod libuerit colligas intellectum curamque apponere non vilipendas preciosa et utilia queque quasi ea tibi sponte aut insperato domestica terra produxerit quia stultus negociator est qui thesaurum subito fossa homo reppererit si illum colligere et servare neglexerit. Quod si tibi arbusta vilia myrram thus et balsama producerent seu fontes [fol. 86v] domestici oleum lac et mella profunderent sive pro urtica et carduo ceterisque horti graminibus nardus et fistula diversorumque generum aromata crescerent numquid his contemptis tamquam vilibus et domesticis ad extranea nec meliora sed fortassis viliora comparanda circuires terras et maria? Et hoc te iudice grandis foret stulticia. Quamvis enim soleant homines queque preciosa multo sudore quesita sumptuumque numerositate comparata primo loco reponere summaque tueri cautela tamen si forte interdum gratis occurrerint aut inveniantur paria seu meliora non dissi mili immo maiori servantur custodia. Quapropter fili dulcissime quem deus omnino beatum fecit in hac parte qua tibi gratis offeruntur que multi marinos seccantes [!] fluctus cum summo periculo vite˛ famis ac frigoris artati necessitate aut diuturna doctorum fessi servitute nec defatigati discendi desiderio intolerabili tamen acquirunt labore hanc diversarum artium scedulam avidis obtutibus concupisce tenaci memoria perlege ardenti amore complectere. Quam si diligentius perscruteris illic invenies quicquit diversorum colorum generibus et mixturis habet Grecia, quicquit in electrorum operositate seu nigelli varietate novit Ruscia, quicquit ductili vel fusili seu in terrasili opere distinguit Arabia, quicquit in vasorum diversitate seu gemmarum ossuumve sculptura auro decorat Italia, quicquit in fenestrarum preciosa varie-

Ego Nortugus [!] indignus et pene nullius nominis homuncio quod mihi gratis concessit divina dignatio tibi fratri et cunctis humilliter discere desiderantibus gratis offero et ut in me benignitatem dei recognoscant largitatemque mirentur admoneo et ut idem si operam addiderunt sibi praesto esse procul dubio credant insinuo.

O si tu es ergo fili Karissime cui deus misit in cor campum latissimum diversarum artium perscrutari

quod deus tam beatum fecit in hac parte qua tibi gratis offeruntur que multi marinos secantes fluctus cum summo periculo vite famis ac frigoris artati necessitate ac diuturna doctorum servitute nec defatigati discendi desiderio intollerabili tam [!] acquirunt labore. Hanc diversarum artium cedulam obtutibus concupiscite [!] tenaci memoria perlege ardenti amore complectere quam si diligencius perscruteris illic invenies quidquic in diversorum colorum generibus et mixturis habet Grecia. Quidquid in fenestris pretiosa varietate diligit Francia. Quidquid in electorum operositate seu Nigelli varietate novit Ruscia. Quidquid ductili vel fusili opere distinguit Arabia. Quidquid in vasorum diversitate seu gemmarum ossuumve sculptura auro decorat Italia. Quicquid in auri argenti cupri et ferri lignorum lapidumque subtilitate ornat Germania. Que cum sepe relegeris et tenaci memorie commendaveris hunc viscitudine [!] institutori tuo recompensabis ut quotiens labore meo bene usus fueris ores pro me misericordiam dei omnipotentis qui me de nec humane laudis amore nec temporali premii cupiditate que digesta sunt conscripsisse. Aut invidie livore [fol. 102v] preciossum quid aut rarum subtraxisse. Seu mihi peculatum reserva-

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Cod. Guelf. 69 Gud. lat., fol. 86ra-vb

Cod. Guelf. 1127 Helmst., fol. 102r-v

tate diligit Francia, quicquit in auri argenti cupri et ferri lignorum lapidumque subtilitate sollers laudat Germania. [86vb] Que˛ cum sepe relegeris et tenaci memorie˛ compessabis [!] ut quoties labore meo bene usus fueris ores pro me apud misericordiam dei omnipotentis qui scit me nec humane˛ laudis amore nec temporalis premii cupiditate que˛ digesta sunt conscripsisse aut invidie˛ livore preciosum quid aut rarum subtraxisse seu mihi peculiariter reservatum conticuisse sed in augmentum honoris et glorie nominis eius multorum necessitatibus succurrisse et profectibus consuluisse. Explicit prologus.

tum conticuisse verissime novit sed magna vi in augmentum honoris et glorie nominis et sed [!] multorum necessitatibus ignorantiae succurrisse et profectibus consuluisse.

Sensibus per partes discuntur quaelibet artes. Artis pictorum prior est factura colorum. Post ad mixturas committit mens tua curas. Tunc opus exerce sed attingere cuncta co[herce]. Ut sit adornatum quod pinxeris et quasi natum. Postea multorum documentis ingeniorum Ars opus augebit sicut liber iste docebit

Hervorzuheben sind besonders die Stellen, an denen der Name Northungus und sein Adressat vorkommen10. Bereits Otto von Heinemann (1824–1904), seit 1868 Oberbibliothekar der Herzoglichen Bibliothek in Wolfenbüttel, hatte in seinem 1888 erschienenen Katalog der Helmstedter Handschriften die Behauptung geäußert, daß es sich bei den Erklärungen zu Beginn des Textes der Schedula im Cod. Guelf. 1127 Helmst. möglicherweise um Hinweise zur Autorschaft des Werkes handeln könnte: „Merkwürdig ist der Eingang, der von allen übrigen Handschriften sowie den Drucken abweicht und über die Person des Verfassers einen Fingerzeig zu geben scheint“ 11. In das Licht der Forschung über die ‚Schedula‘ und ihren Urheber trat Northungus zunächst in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts, wenngleich er damals als möglicher Autor für die ‚Schedula‘ verworfen wurde12. Dank der systemati10

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Cf. Abb. 1: Cod. Guelf. 1127 Helmst., fol. 102r („Nortungus humilis […]“) und Abb. 2: ibid., fol. 102r („Ego Nortugus […]“). Für die Verse „Sensibus per partes […]“ cf. H. Walther (ed.), Carmina medii aevi posterions latini, vol. 1: Initia carminum ac versuum medii aevi posterioris Latinorum [= Alphabetisches Verzeichnis der Versanfänge mittellateinischer Dichtungen], Göttingen 1959, Nr. 17514. Sie sind an verschiedener Stelle in den ‚Schedula‘-Handschriften überliefert und gelten als nicht ursprünglich. Im folgenden wird die Textvariante „Northungus“ benutzt. O. von Heinemann, Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, 1. Abtheilung: Die Helmstedter Handschriften, vol. 3, Wolfenbüttel 1888 [Neudruck Frankfurt a.M. 1965], 69. Für eine Zusammenfassung der Autor-Zuschreibungen bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts cf. P. W. Hanke, Kunst und Geist. Das philosophische und theologische Gedankengut der Schrift ‚De diversis artibus‘ des Priesters und Mönches Theophilus Rugerus, Bonn 1962, bes. 1–7, 121–137. Für den Forschungsstand bis zum Jahr 2006 cf. Ch. Stiegemann/H. WestermannAngerhausen (eds.), Schatzkunst am Aufgang der Romanik. Der Paderborner Dom-Tragaltar und sein Umkreis, München 2006, darin besonders den Beitrag von A. Speer/H. Westermann-Angerhausen, Ein Handbuch mittelalterlicher Kunst? Zu einer relecture der Schedula diversarum

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schen Untersuchungen zur monastischen Verbrüderungs- und Memorialpraxis konnte Northungus aufgrund von Einträgen der Fuldaer und Hildesheimer Nekrologien mit einem gleichnamigen Priester-Mönch in Verbindung gebracht werden, der wahrscheinlich bis zur Mitte des 12. Jahrhundert lebte13. Als Priestermönch ist er mit seinem Todesdatum, dem 11. September, im Nekrolog des Hildesheimer Domes verzeichnet: „Nordunghus presbyter vvldensis“ 14. Eine Erwähnung in einem Fuldaer Nekrolog (Fulda, Hessische Landesbibliothek, Ms. 4° D 28) macht seine Herkunft aus dem Kloster Fulda wahrscheinlich15. Neue Aspekte ergaben sich wenig später im Zuge von Studien zur Überlieferung medizinischer Literatur im Mittelalter, bei denen medizinische Handschriften aus der ehemaligen Bamberger Dombibliothek untersucht wurden. Im Codex Bamberg, Staatsbibliothek, Msc. Med. 6 aus dem letzten Viertel des 12. Jahrhunderts befindet sich ein aus bekannten Quellen gefügter Traktat ‚De nominibus morborum‘ nebst weiteren pharmakologischen und diagnostischen Exzerpten16. Als deren Kompilator nennt sich ein gewisser Northungus an verschiedenen Stellen und berichtet unter anderem über seine Herkunft und seine Tätigkeit im Kloster Sankt Michael zu Hildesheim:

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artium, 249–258, wo auch die allgemeine Identifikation des Theophilus mit Rogerus von Helmarshausen in der Fachliteratur skizziert wird. Zuletzt ist der status quaestionis auch in einem Arbeitsgespräch an der Herzog August Bibliothek diskutiert worden; cf. Tagungsbericht Around Theophilus: An expert meeting towards new standards in Theophilus scholarship, 14.– 15.01.2010, Wolfenbüttel, in: H-Soz-u-Kult, 16.04.2010, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/ tagungsberichte/id=3068. Als Beiträge zur handschriftlichen Überlieferung sind vor Dodwell vor allem zu erwähnen: D. V. Thompson, The Schedula of Theophilus Presbyter, in: Speculum 7 (1932), 199–220 [ohne Berücksichtigung von Cod. Guelf. 1127 Helmst.]; R. P. Johnson, The Manuscripts of the Schedula of Theophilus Presbyter, in: Speculum 13 (1938), 86–103, hier 99; Bischoff, Überlieferung (nt. 5), 176. Entscheidend für eine neue Rekonstruktion von Handschriftentradition und Textschichten ist das ‚Schedula diversarum artium‘-Projekt am ThomasInstitut der Universität zu Köln: http://www.thomasinstitut.uni-koeln.de/11612.html; cf. dazu den Beitrag von I. Dines in diesem Band, 3–10. Für weitere Literatur über den Codex siehe auch die Fortsetzung dieses Artikels (B. Lesser). Cf. E. Freise, Roger von Helmarshausen in seiner monastischen Umwelt, in: Frühmittelalterliche Studien 15 (1981), 180–293, hier 196, nt. 77. Freise betrachtet Northungus als möglichen Kompilator der Exzerpte, die als Vorlage für 1127 Helmst. gedient haben könnten. Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 83.30 Aug. 2°, fol. 100v; zitiert in: op. cit., 196 nt. 77. In den monastischen Nekrologien aus Fulda und St. Michael in Hildesheim steht hingegen die Bezeichnung „presbyter monachus“; cf. ibid. Cf. Freise, Roger (nt. 13), 196, mit Verweis auf K. Schmid (ed.), Die Klostergemeinschaft von Fulda im früheren Mittelalter, 5 voll., voll. 1–3 (Münstersche Mittelalter-Schriften 8), München 1978, hier vol. 1, 259; cf. auch vol. 2, 1–3, 202, 295 (Liste: Mönche von Fulda, MF 457). Die Provenienz ist durch einen Besitzvermerk auf fol. 143v gegeben, wenngleich zum Teil abgeschnitten: „Hic liber est maioris ecclesie in babenberg“; zitiert in: F. Leitschuh/H. Fischer, Katalog der Handschriften der Königlichen Bibliothek zu Bamberg, vol. 1,2, Bamberg 1906, 433–435, hier 435.

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1. (fol. 29v): „Incipit liber de nominibus morborum et specierum et herbarum a Northungo compositus. Apoplexia morbus […].“17 2. (fol. 60v): […] „Ego Northungus huius sancti Michaelis monasterii claustralis discipulus, verissime expertus sum, nolui hunc librum nostrum et his arabicis medicamentibus sic nec grecis nec sarracenicis nec latinis maiorum philosophorum expertissimis descriptionibus privatur. Itaque libri huius compendium propriis manibus nostris peraratis practicum sine omni humano pudore servavi modum et ordinem quod libri huius a capite sollers lector noverit si processerit quoadusque clavis David librum claudit, claudit et nemo aperit [Apc 3,7]. Quem et tradidi iam dicte et deo dilecte ecclesie ob spem venie et remedium anime mee et ob laudem et honorem Bennopolis civitatis nostre libri huius gavisus complemento anno millesimo centesimo XL ab incarnatione domini nostri Ihesu Christi indictione tercia presidente venerabile domino et pontifice Bernhardo presulatus cathedre et domino Theodorico pie memorie tunc temporis huius ecclesie abbate.“18 3. (fol. 127v): „[…] hanc paginam in hunc modum a Northungo Christi pauperculo editam pie perlectam memorie commendet ubi tam nomina picmentorum quam intellectum qualitatem et effectum describere cupit.“19

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Cf. Edition der volkssprachigen Glossen in: I. Frank, Aus Glossenhandschriften des 8. bis 14. Jahrhunderts. Quellen zur Geschichte einer Überlieferung (Quellen zur deutschen Sprachund Literaturgeschichte 3), Heidelberg 1984, 125 sq.; R. Bergmann/S. Stricker, Katalog der althochdeutschen und altsächsischen Glossenhandschriften, vol. 1, Berlin 2005, 169 sq. Zur Handschrift insgesamt cf. G. Suckale-Redlefsen, Die Handschriften des 12. Jahrhunderts der Staatsbibliothek Bamberg (Katalog der illuminierten Handschriften der Staatsbibliothek Bamberg 2), Wiesbaden 1995, 103; A catalogue of Renaissance editions and manuscripts of the Pantegni, in: C. Burnett/D. Jacquart (eds.), Constantine the African and >Alı¯ ibn al->Abba¯s al-Magˇu¯sı¯. The Pantegni and Related Texts (Studies in Ancient medicine 10), Leiden 1994, 329 sq.; M. Wack, >Alı¯ ibn al->Abba¯s al-Magˇu¯sı¯ and Constantine on Love, and the Evolution of the ‘Practica Pantegni’, in: op. cit., 161–202, bes. 197–199. Cf. Wack, >Alı¯ ibn al->Abba¯s al-Magˇu¯sı¯ (nt. 17), 191; cf. auch ibid., 189–199. Zu Constantinus Africanus und der Rezeption medizinischer Literatur im Mittelalter cf. R. Veit, Das Buch der Fieber des Isaac Israeli und seine Bedeutung im lateinischen Westen. Ein Beitrag zur Rezeption arabischer Wissenschaft im Abendland (Sudhoffs Archiv, Beihefte 51), Stuttgart 2003, 32–60; ead., Quellenkundliches zu Leben und Werk von Constantinus Africanus, in: Deutsches Archiv für die Erforschung des Mittelalters 59 (2003), 121–151; I. Ventura, Il ‚De materia medica‘ di Dioscoride nel Medioevo: Mediazione araba e ricezione occidentale, in: A. Speer/L. Wegener (eds.), Wissen über Grenzen. Arabisches Wissen und lateinisches Mittelalter (Miscellanea Mediaevalia 33), Berlin 2006, 317–339. Zu der Verbrüderung zwischen der Hildesheimer und der Bamberger Kirche, dokumentiert in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, die eine frühe Überlieferung der Kompilation in Bamberg erklären könnte, cf. G. H. Pertz (ed.), Chronicon Hildeshemense, in: Monumenta Germaniae Historia Scriptores, vol. 7, Hannover 1846, 845–873, hier 848: „Nomina aecclesiarum qui nobis fratres et sorores in Christo […]“, dort die ecclesia Babenbergensis an 4. Stelle nach Reims, Paris, St. Gereon in Köln. Auch in seiner Erklärung weist Northungus generell auf den Ruhm der Stadt Hildesheim hin – über die Grenzen des Klosters hinaus, der mit seiner literarischen Produktion zusammenhängt. Zu den medizinischen Werken in der Dombibliothek in Hildesheim im 12. Jahrhundert cf. C. Heitzmann, Pro remedio animae meae. Mittelalterliche Bücherstiftungen am Beispiel Brunos von Hildesheim, in: M. Müller (ed.), Schätze im Himmel. Bücher auf Erden. Mittelalterliche Handschriften aus Hildesheim (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek 93), Wolfenbüttel 2010, 155–160. Cf. Origenes (secundum translationem Rufini), Commentarium in canticum canticorum, I, ed. W. A. Baehrens (Die Griechischen Christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte 33, Ori-

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Nachdem sich in der ‚Theophilus‘-Forschung eine wissenschaftliche Tradition durchgesetzt hatte, die den Autor der ‚Schedula‘ mit Roger von Helmarshausen identifizierte, trat Northungus als möglicher Autor in den Hintergrund und wurde allenfalls in einer Fußnote erwähnt.20 Gerade die philologische Analyse der Textbesonderheiten von Cod. Guelf. 1127 Helmst. könnte aber neue Erkenntnisse ermöglichen. Folgende Beobachtungen lassen sich anhand des ersten Prologs machen. Der im Cod. Guelf. 1127 Helmst. überlieferte Text bestätigt zuerst den Kontext einer monastischen Landschaft für die Entstehung des Werkes oder seiner redaktionellen Bearbeitung. Nicht nur Northungus bezeichnet sich als unwürdig seines monastischen Versprechens (professione monastica), sondern er wendet sich auch an seinen Adressat mit der Benennungen frater (also Mitbruder) und filius 21. Der (Zusatz-)Name Theophilus resultiert aus dieser Perspektive als eine Steigerung in der monastischen Selbstidentifikation zu dem Menschen, der sein Leben Gott widmet, der „Gott liebt“. Die symbolisch-rhetorische Komponente dieses Namens wird in der literarischen Tradition sichtbar, zum Beispiel in dem im monastischen Milieu während des Mittelalters verbreiteten Werk ‚Altercatio legis inter Simonem Iudaeum et Theophilum christianum‘, das mit der Umkehr des Juden und seinem Bekenntnis endet: „Lator salutis, Theophile, aegrotorum bone medice […]“ 22.

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genes Werke 8), Leipzig 1925, vol. 1, 106: „Denique et hi, quibus intellectus herbarum pigmentorumque peritia est, ferunt esse quaedam pigmenta, quorum et si odorem ceperint, nonnulla animalia continuo intereunt, alia vero eodem odore recreantur vitamque recipiunt. Et nunc ergo in his ipsis expositionibus et sermonibus, quos habemus in manibus, videtur esse ‘aliis vita ex vita’, ‘aliis vero mors ex morte’.“ Die Formulierung „memoriae commendare“ kommt auch vor in der Prologfassung von Cod. Guelf. 1127 Helmst.: „[…] tenaci memorie commendaveris.“ Die Vermutung einer Übereinstimmung zwischen Roger von Helmarshausen und Theophilus hatte schon Ilg formuliert: Ilg, Theophilus (nt. 1), XLIII. Zur Verbreitung dieser Hypothese cf. (neben der nt. 12 und 13 zitierten Literatur) als Beispiele B. Reudenbach, Art. Theophilus Presbyter, in: Die Deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, vol. 9, Berlin 1995, 782–785; P. Lasko, Roger of Helmarshausen, author and craftsman. Life, sources of style, and iconography, in: C. Hourihane (ed.), Objects, images, and the word. Art in the service of the liturgy (Index of Christian Art occasional papers 6), Princeton 2003, 180–201. Cf. die zugespitzte Formulierung auch bei Brepohl, Theophilus (nt. 6), 29: „Niemand hat sich je für den Nortungus ernsthaft interessiert, weil man zu diesem Namen keine reale Bezugsperson kannte.“ Zur Verwendung medizinischer Literatur im monastischen Kontext während des Frühmittelalters cf. M. Niederer, Der St. Galler Botanicus. Ein frühmittelalterliches Herbar. Kritische Edition, Übersetzung und Kommentar (Lateinische Sprache und Literatur des Mittelalters 38), Bern 2005, bes. 9–51. Evagrius, Altercatio legis inter Simonem Judaeum et Theophilum Christianum, IV, ed. E. Bratke (Corpus scriptorum ecclesiasticorum latinorum 45), Wien 1904, 52. Zur Tradition der literarischen Pseudonyme cf. auch Ch. Meier, Autorschaft im 12. Jahrhundert. Persönliche Identität und Rollenkonstrukt, in: P. von Moos (ed.), Unverwechselbarkeit. Persönliche Identität und Identifikation in der vormodernen Gesellschaft (Norm und Struktur 23), Köln–Weimar–Wien 2004, 207–266, hier 242 sq.

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Der überlieferte Name Northungus erlaubt zudem eine Identifikation des Verfassers der ‚Schedula‘ mit dem homonymen Kompilator medizinischer Texte, tätig in Fulda und Hildesheim in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts23. Die Formulierung, die Daniel Thompson für den „author“ der ‚Schedula‘ benutzt hatte, „he reveals, in the whole conduct of his work, that tendency to organization and systematic presentation which first entered the field of technical writings along with the science of Arabs in the course of the eleventh century“24, kann sicher auch für die Sammlung im Bamberger Codex angewandt werden. Die Kriterien der geordneten, zum Beispiel alphabetischen, Präsentation sind von Northungus selbst an wichtigen Schnittstellen seiner Textzusammenstellung hervorgehoben25. Der Name des Adressaten der ‚Schedula‘ nach dem Cod. Guelf. 1127 Helmst. wurde bisher gemäß Heinemanns Vorschlag immer als Gersicus gelesen26. Weil dieser Name jedoch bis zum 15. Jahrhundert nicht dokumentiert ist, deutete ihn die Forschung zu den häufiger belegten Gerricus oder Gerlacus 27. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, daß der Name in der Handschrift mit dem Buchstaben „B“ beginnt28. Da freilich auch ein Bersicus nicht nachweisbar ist, dürfte ein Lesefehler des Kopisten vorliegen – es gibt zahlreiche Beispiele für die fehlerhafte Transkription von Personennamen, die den Schreibern nicht mehr geläufig waren. Es wäre daher zu fragen, ob unter den verschiedenen möglichen Varianten der 23

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Zum selben Schluß ist unabhängig auch I. Dines in seinen bei der Kölner Tagung präsentierten Ergebnissen gekommen; cf. nt. 12. Darauf verweise ich auch für die Frage über die Bedeutung des Zusatzes „qui et Rugerus“ in der Wiener Handschrift, Österreichische Nationalbibliothek, Ms. 2527 aus dem 12. Jahrhundert. Ich danke Ilya Dines herzlich, daß er mir das Manuskript vor der Drucklegung zur Verfügung gestellt hat. Die Behauptung, von T. Foerster, Bildprogramme hochmittelalterlicher Malereien. Die bildlichen Argumentationsstrategien in Hildesheim, Quedlinburg und Kloster Gröningen, Jena 2011, 36, nt. 166, mit Verweis auf den Bericht in Kunstchronik 64 (2011), 11–15, daß Northungus „mit einem Mediziner von Michaelsberg bei Bamberg“ zu identifizieren sei, basiert auf einem Mißverständnis meines Vortrags und ist von mir nie vertreten worden. Thompson, The Schedula (nt. 12), 205. Cf. Bamberg, Staatsbibliothek, Msc. Med. 6, fol. 28v: „Incipit prologus sequentis libri per alfabetum transpositum secundum Constantinum“; fol. 40r: „Explicit liber dietarum particularium. Incipit antidotarius per alfabetum transpositum“; fol. 60v, cit. (siehe oben, 28). Zuletzt bei H. C. Gearhart, Theophilus’ ‚On Diverse Arts‘. The Persona of the Artist and the Production of Art in the Twelfth Century (PhD Dissertation, University of Michigan), Ann Arbor 2010 (Online-Publikation: http://deepblue.lib.umich.edu/handle/2027.42/75830). Cf. Freise, Roger (nt. 13), 196. Erst in der (meist deutschen) antihussitischen Propagandaliteratur des 15. Jahrhunderts tauchen „Gersicus“ oder andere ähnliche Formen (Girsicus, Girsik, Hirsicus) als bewußte Verballhornungen des Namens des böhmischen Königs Jirˇi z Pode˘brad (1420–1471, König 1458–1471) auf, der korrekt als „Georgius“ latinisiert werden müßte. Cf. Johannes Busch, Liber de reformatione monasteriorum, IV, c. 9, ed. B. Lesser, in: Johannes Busch, Liber de reformatione monasteriorum – Briefe und Predigten. Mit einer Erstedition der Schriften von Hermann Ryd, Turnhout 2014 (im Druck). Zahlreiche weitere Beispiele bringt F. Palacky´, Zeugenverhör über den Tod König Ladislaws von Ungarn und Böhmen im Jahre 1457. Eine kritische Zusammenstellung und Würdigung der darüber vorhandenen Quellenangaben, Prag 1856. Cf. Abb. 3: Cod. Guelf. 1127 Helmst., fol. 102r (Detail).

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Name Bert[r]icus in Frage kommen könnte, vielleicht so oder ähnlich in der Vorlage geschrieben. Paläographisch wäre nun eine mögliche Verlesung des er-Kürzels zur oberen Schlinge eines langen „S“ bei einer Variante Bertericus denkbar.

Ein Bertricus/Beretricus ist in der Tat als Abt des Benediktinerklosters Rott am Inn (1142–1144) in zwei Briefen des Papstes Innozenz II. erwähnt, was zeitlich mit dem oft postulierten Redaktionsdatum der ‚Schedula‘ in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts gut zusammen passen würde29. Da er im Verbrüderungsbuch von Sankt Peter in Salzburg als Abt von Rott und als Mönch erwähnt ist, dürfte er vor seinem Abbatiat Konventuale des traditionsreichen Benediktinerklosters gewesen sein30. Auch die in der Editio princeps der betreffenden Diplome in den ‚Monumenta boica‘ (18. Jahrhundert, Nachdruck bei Migne) gebotene Namensvariante Berticus würde die Hypothese der spätmittelalterlichen Verschreibung unterstützen31. Fest steht jedoch, daß die Bedeutung dieser Überlieferung nicht ungeprüft abgewertet werden kann, wie es Dodwell tat: „There is no reason to suppose that these names have any significance […]. These names, in fact, can represent noth-

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Auch 1144 ist ein Schreiben des Nachfolgers Papst Coelestinus II. an den Bischof von Augsburg als Antwort zu den Klagen des Abtes nach Rom überliefert, cf. E. Noichl, Gründung und Frühgeschichte des Klosters Rott bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts, in: W. Birkmaier (ed.), Rott am Inn. Beiträge zur Kunst und Geschichte der ehemaligen Benediktinerabtei, Weißenhorn 1983, 7–17, hier 13 sq., mit Verweis auf den Druck des Diploms in: Monumenta Boica, vol. 1, München 1763, 356–359. Cf. J. Hemmerle, Rott am Inn, in: id. (ed.), Die Benediktinerklöster in Bayern (Germania Benedictina 2), Augsburg 1970, 266–270, hier 268: Als Abt amtierte Bertricus 1142–1144. Dazu auch M. Ruf (ed.), Profeßbuch des Benediktinerstiftes Rott am Inn (Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige, Ergänzungsband 32), St. Ottilien 1991, 40–42, mit Bezug auf S. Herzberg-Fränkel (ed.), Monumenta negrologica monasterii S. Petri Salisburgensis, Liber confraternitatum recentior, in: Monumenta germaniae Historica Necrologia Germaniae, vol. 2, Berlin 1904, 3–64, hier 48: „Item de eorum monasterio defunctorum […] Beretricus m. exabb. Rotensis.“ St. Peter in Salzburg wurde 696 gegründet. Wie und wo die Kontakte zwischen Northungus und Bert[r]icus bestanden haben könnten, lässt sich hier nicht rekonstruieren und erfordert weitere Untersuchungen. Der Name „Bertricus“ kommt weder in den Fuldaer Nekrologien noch im Hildesheimer Domnekrolog Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 83.30 Aug. 2°, vor. Dazu cf. E. Freise, Das Kapiteloffiziumsbuch des Hildesheimer Domkapitels 1191, in: U. Knapp (ed.), „Ego sum Hildensemensis“. Bischof, Domkapitel und Dom in Hildesheim 815 bis 1810 (Kataloge des Dom-Museums Hildesheim 3), Petersberg 2000, 239–244. Zu den sozialen und kulturellen Netzwerken im Bereich der Ausbildung im Frühmittelalter cf. S. Steckel, Kulturen des Lehrens im Früh- und Hochmittelalter. Autorität, Wissenskonzepte und Netzwerke von Gelehrten (Norm und Struktur 39), Köln 2011. Cf. Innocentii II pontificis romani epistolae et privilegia, ed. J.-P. Migne, in: Patrologiae cursus completus. Series latina, vol. 179, Paris 1855, 53–656, hier 607D–609A, Nr. 541 sq. Für zwei weitere Diplome Coelestins II cf. Coelestini II pontificis romani epistolae et privilegia, in: ibid., 765–818, hier 788C–789A, Nr. 23 sq. Die editio princeps aller Stücke ist Monumenta Boica (nt. 29), 356–359.

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ing more important than a late corruption of the text“32. Für diese sogenannten „corruptions“ müßte man zuerst eine plausible Erklärung finden. Im Vergleich mit dem Prolog von Cod. Guelf. 1127 Helmst. können die Textvarianten der restlichen Tradition, wie sie durchaus auch im Cod. Guelf. 69 Gud. lat. 2º bezeugt sind33, in zweierlei Hinsicht charakterisiert werden. Zum einen erscheinen die Aussagen in der Mehrheit der Zeugnisse als allgemein und generalisiert, das heißt abstrahiert von jeglichem genauen historischen Kontext; zum anderen ist der Text dort zumindest an zwei Stellen erheblich länger. Diese Unterschiede verdienen nähere Aufmerksamkeit, auch um das Verhältnis zwischen den zwei Versionen näher zu bestimmen. Zu Punkt 1: Einige der Varianten im Prolog von Cod. Guelf. 1127 Helmst. beziehen sich auf einen konkreten, historisch bedingten Kontext, in dem die Personen des Autors – oder Redaktors – Northungus und des Adressaten Bersicus/Bert[r]icus agierten und miteinander kommunizierten. Auch das Appellativ „frater karissime“, verweist auf eine Aktualität des Dialogs. Besonders aufschlußreich ist die Tatsache, daß die Formel „O si tu es ergo filii karissime cui deus misit in cor […]“ (Cod. Guelf. 1127 Helmst.) im Codex Gudianus durch den Zusatz „quicumque es“ – „wer du immer auch bist“ – in seiner greifbaren Referentialität ziemlich abgeschwächt wirkt. Der Text scheint für ein beliebig austauschbares Publikum adaptiert worden zu sein. Dieser Eindruck wird auch bei einer dritten Variante bekräftigt: Während die Beziehung zwischen Verfasser und Adressat im Codex 1127 Helmst. durch den Begriff „institutor tuus“ als das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler beschrieben wird („Que cum sepe relegeris et tenaci memorie commendaveris hunc viscitudine [!] institutori tuo recompensabis ut quotiens labore meo bene usus fueris ores pro me […]“), verschwindet diese Bezeichnung zumindest in einem Zweig der Tradition34. In der Fassung, die in der Kölner Kopie wiedergegeben wird, scheint also die Ebene der historischen Kontextualisierung, wahrscheinlich schon in einem frühen Stadium der Überlieferung, absichtlich getilgt worden zu sein. In Bezug auf die Entstehung des Werkes ist dort nur eine abstraktere und zeitlose Ebene geblieben, für alle Kontexte der Verbreitung und Benutzung anwendbar. Ein ähnliches Phänomen der Adaptierung und Enthistorisierung ist beispielsweise auch für die Überlieferung der ‚Sermones‘ des heiligen Augustinus von der Spätantike ins Frühmittelalter beobachtet worden, von denen zum Teil nur ein spätmittelalterlicher Codex die längere und detailliertere Urfassung überliefert hat35.

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Dodwell (ed.), Theophilus (nt. 6), LXIX. Cf. bisweilen die Editionen von Ilg (nt. 1) und Dodwell (nt. 6). Cf. Ilg (ed.), Theophilus (nt. 1), 11; Dodwell (ed.), Theophilus (nt. 6), 4. Die Fassung in Cod. Guelf. 69 Gud. lat. 2º ist an dieser Stelle allerdings die Folge einer Korruption; cf. Bischoff, Überlieferung (nt. 5), 180. Cf. F. Dolbeau/V. Tarulli, Sant’Agostino, Discorsi nuovi XXXV/1 Supplemento I (Dolbeau 1–20), Roma 2001, V–XVI, bes. VIII sq.

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Zu Punkt 2: Andere umfangreichere Varianten und Umstellungen von Textblöcken im Prolog I könnten ebenfalls auf eine grundsätzlichere Bearbeitung und Revision hinweisen, die allerdings einer eingehenderen philologischen Analyse bedürfen36. Eine bestimmte Stelle, die unter anderem im Cod. Guelf. 69 Gud. lat. 2º, fol. 86ra–va, aber nicht im Cod. Guelf. 1127 Helmst. vorkommt, erweist sich als besonders aufschlußreich: „[…] et ut exinde quod libuerit colligas intellectum curamque apponere non vilipendas preciosa et utilia queque quasi ea tibi sponte aut insperato domestica terra produxerit quia stultus negociator est qui thesaurum subito fossa homo reppererit si illum colligere et servare neglexerit [cf. Mt 13,44–46]. Quod si tibi arbusta vilia myrram thus et balsama producerent seu fontes domestici oleum lac et mella profunderent [cf. Sir 46,10; Bar 1,20] sive pro urtica et carduo ceterisque horti graminibus nardus et fistula diversorumque generum aromata crescerent [cf. Is 55,13] numquid his contemptis tamquam vilibus et domesticis ad extranea nec meliora sed fortassis viliora comparanda circuires terras et maria? Et hoc te iudice grandis foret stulticia. Quamvis enim soleant homines queque preciosa multo sudore quesita sumptuumque numerositate comparata [cf. Ez 27] primo loco reponere summaque tueri cautela tamen si forte interdum gratis occurrerunt aut inveniantur paria seu meliora non dissimili immo maiori servantur custodia.“

Es wird hier die Empfehlung ausgesprochen, in der Erforschung (der verschiedenen Künste) das Heimische nicht gering zu schätzen. Als Beweise werden Beispiele gebracht, die aus der Bibel oder der naturwissenschaftlichen Beobachtung stammen, und die als Metapher für die gebotene Wertschätzung unerwartet zur Verfügung stehenden (Kultur)gutes interpretiert werden können. Die neutestamentarischen Gleichnisse des verborgenen Schatzes und der entdeckten kostbaren Perle, die der kluge Kaufmann erwirbt, werden dem Leser als Folie für den Vergleich zwischen heimischer und fremder Produktion in einer imaginierten Naturlandschaft oder einem Garten vorgelegt, wobei die Vorteile der oft unscheinbaren, niedrigen und heimischen Pflanzen hervorgehoben werden sollen. Die Sprache bedient sich verschiedener biblischer Bilder und Formulierungen, die zitiert oder evoziert werden. Und trotzdem wirkt die Beschreibung des Gartens mit verschiedenen wachsenden Kräutern sehr genau und überlegt, mit der Erwähnung von den allgemeineren Kategorien wie gramina, arbusta, aromata, und den konkreten Pflanzen myrra, thus, balsama, urtica, cardus, nardus und fistula. Gerade diese finden sich alle auch im „Buch über die Namen der Krankheiten, der Arten und der Kräuter“ einzeln aufgelistet, von dem Northungus sagt, es verfaßt zu haben37. Wenn man sich also weiter fragt, ob der Text des Prologs im Cod. Guelf. 1127 Helmst. eine frühere Version darstellt, die dann – vielleicht im selben monastischen Milieu oder sogar von derselben Person – zu einem späteren Zeitpunkt 36

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Dies sollte sowohl die anderen Prologe als auch die Zusammenstellung der Texte der ‚Schedula‘ berücksichtigen. Die verschiedenen Teile aus unterschiedlichen Textgattungen können andererseits auch im selben Codex Träger jeweils unterschiedlicher Überlieferungsstufen sein. Umfassende Ergebnisse sind durch die neue Edition zu erwarten (cf. nt. 12). Nach der Handschrift, Bamberg, Staatsbibliothek, Msc. Med. 6, fol. 29v–36r.

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überarbeitet wurde, könnte die Hypothese wie folgt formuliert werden: Derselbe Northungus, Autor der Kompilation, die als Vorlage für den Codex Msc. Med. 6 diente, modifizierte und erweiterte eine schon existierende Fassung (seiner?) ‚Schedula diversarum artium‘, nachdem er die genannte Kompilation fertiggestellt hatte (also nach 1140)38. Zusätzlich ist in diesem Passus die Betonung und Wertschätzung der lokalen (hier im übertragenem Sinne: geistigen) Produktion hervorzuheben. Dieser Gedanke ist in verschiedener Hinsicht beachtenswert. Zum einen wird dieses Thema innerhalb des Textes des Prologs kurz darauf nochmals angesprochen, indem die künstlerischen und handwerklichen Schöpfungen nach den typischen Produkten verschiedener Regionen und Länder differenziert werden. Zum anderen ist zu berücksichtigen, daß die Relevanz der Begriffe Nähe/Distanz, Eigenes/Fremdes höchstwahrscheinlich auch durch die Prozesse von Übersetzung und Kulturtransfer im 11. und 12. Jahrhundert verstärkt ins Bewußtsein getreten sein dürfte. Gerade Northungus – wenn man an der vorgeschlagenen Identifikation festhält – hatte daran aktiven Anteil gehabt, indem er Übersetzungen arabischer Autoren vermittelt hatte39. Es ist deshalb auch unter dieser Perspektive ein

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Northungus könnte auch für die ‚Schedula‘ die Funktion eines Kompilators früherer Quellen gehabt haben. In diesem Sinne schon die Vermutungen von I. Dines; cf. nt. 23. Nur eine eingehendere philologische Studie der beiden Zeugnisse in ihrem literarischen historischen Kontext sowie deren Sprachvergleich wird helfen, weitere Fragen über den Anteil der autonomen Erweiterungen zu beantworten. Schon die Fuldaer Bibliothek bot ein reiches Spektrum medizinischer Literatur und bezeugt das Interesse für das Quadrivium. Cf. G. Schrimpf (ed.), Mittelalterliche Bücherverzeichnisse des Klosters Fulda und andere Beiträge zur Geschichte der Bibliothek des Klosters Fulda im Mittelalter (Fuldaer Studien 4), Frankfurt am Main 1992; K. Gugel, Welche erhaltenen mittelalterlichen Handschriften dürfen der Bibliothek des Klosters Fulda zugerechnet werden?, 2 voll. (Fuldaer Hochschulschriften 23a–b), Frankfurt a. M. 1995 und 1996; M.-A. Aris (ed.), Hrabanus Maurus in Fulda, mit einer Hrabanus Maurus-Bibliographie (1979–2009) (Fuldaer Studien 13), Frankfurt a. M. 2010. Für Hildesheim cf. Müller (ed.), Schätze (nt. 18). Die frühe Verbreitung der ‚Schedula‘ nach Köln in das Benediktinerkloster St. Pantaleon könnte sich auch durch die Kontakte zwischen St. Michael und St. Pantaleon, die schon zur Zeit der Gründung des Hildesheimer Klosters bestanden, erklären; cf. im Codex aus St. Pantaleon London, British Library, MS Harley 2767; fol. 145r: „Goderamnus prepositus“. Dieser wurde erster Abt in St. Michael zu Hildesheim († 1040). Der Londoner Codex, der ebenfalls ‚De architectura‘ von Vitruv enthält, wurde nach Degering, Theophilus (nt. 5), mit Cod. Guelf. 69 Gud. lat. 2º, foll. 1ra– 85vb, kollationiert. Zur Handschrift siehe: http://www.bl.uk/catalogues/illuminatedmanuscripts/ record.asp?MSID=8557&CollID=8&NStart=2767. Zu den Handschriften aus diesem Kloster cf. H.-W. Stork, Handschriften aus dem Kölner Pantaleonskloster in Hamburg. Beobachtungen zu Text und künstlerischer Ausstattung, in: H. Finger (ed.), Mittelalterliche Handschriften der Kölner Dombibliothek. Erstes Symposion der Diözesan- und Dombibliothek Köln zu den Dom-Manuskripten (26. bis 27. November 2004) (Libelli Rhenani 12), Köln 2005, 259–285. Inwieweit er über die Biographie des Constantinus Africanus informiert war, die zum Beispiel von Petrus Diaconus von Montecassino in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts verfasst wurde, ist unbekannt. Zum Phänomen der Übertragung von fremder Kultur ins westliche Mittelalter cf. e.g. H. Schipperges, Die Assimilation der arabischen Medizin durch das lateinische Mittelalter (Sudhoffs Archiv Beihefte 3), Wiesbaden 1964; R. L. Benson/G. Constable (eds.), Renaissance and Renewal in the twelfth century, Oxford 1982; J. Jenkins/O. Bertrand (eds.), The medieval trans-

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gewisser Stolz über die eigene Leistung des schriftlichen Zusammenfügens nicht zu überhören („labore meo […] conscripsisse“). Diese Leistung wird in der Bamberger Sammlung sogar als Grund für Lob und Ehre für die ganze Stadt Hildesheim mit ihren herausragenden kirchlichen Institutionen bezeichnet 40. Abgesehen von einer exakten Rekonstruktion des Corpus der ‚Schedula‘, die als Rezeptsammlung in den Jahrhunderten ihrer Überlieferung auch für gelegentliche und anonyme Ergänzungen offen gewesen sein kann, treten durch die Helmstedter Handschrift offensichtlich zwei differente Überlieferungs- beziehungsweise Bearbeitungsvorgänge zu Tage, so daß eine (mindestens bei Dodwell a priori erfolgte) Nichtbeachtung von Cod. Guelf. 1127 Helmst. bei der Textkonstitution seiner Ausgabe methodisch nicht zu rechtfertigen ist41. In den bisher beobachteten Äußerungen des Northungus läßt sich insgesamt auch ein großes Bewußtsein für sein Werk und seine Funktion als Vermittler von Wissen und Wissensordnung nachweisen, nur formell verborgen durch die Erklärungen von Demut, wie in den Ausdrücken „paene nullius nominis homuncio, pauperculus“ oder „(professione monastica) indignus“. Es wird eher die Anknüpfung an

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lator – Traduire au Moyen Âge. International Conference on the Theory and Practice of Translation in the Middle Ages 8 (Medieval translator 10), Turnhout 2007; S. Dörr (ed.), Transfert des savoirs au Moyen Âge – Wissenstransfer im Mittelalter. Actes de l’Atelier Franco-Allemand, Heidelberg, 15–18 janvier 2008 (Studia Romanica 144), Heidelberg 2008. Zum Begriff ‚Kulturtransfer‘ cf. A. Bihrer, Konstellationen – Funktionalisierungen – Wirkungen. Ein Plädoyer für eine kommunikationsgeschichtliche Ausweitung, in: B. J. Nemes (ed.), Vermitteln – Übersetzen – Begegnen. Transferphänomene im europäischen Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Interdisziplinäre Annäherungen (Nova Mediaevalia 8), Göttingen 2011, 265–278; S. Gerogiorgakis/ R. Scheel/D. Schorkowitz, Kulturtransfer vergleichend betrachtet, in: M. Borgolte (ed.), Integration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter (Europa im Mittelalter 18), Berlin 2011, 385–466; Ch. Barmeyer, Kultur in der Interkulturellen Kommunikation, in: id./ P. Genkova/J. Scheffer (eds.), Interkulturelle Kommunikation und Kulturwissenschaft. Grundbegriffe, Wissenschaftsdisziplinen, Kulturräume, Passau 2010, 13–34. Zur medizinischen Schule von Salerno cf. D. Jacquart (ed.), La scuola medica salernitana. Gli autori e i testi. Convegno internazionale Università degli Studi di Salerno, 3–5 novembre 2004 (Edizione nazionale La Scuola Medica Salernitana 1), Firenze 2007; M. Green, Rethinking the manuscript basis of Salvatore De Renzi’s Collectio Salernitana: The corpus of medical writings in the „long“ twelfth century, in: D. Jacquart/A. Paravicini Bagliani (eds.), La ‚Collectio Salernitana‘ di Salvatore De Renzi. Convegno internazionale. Università degli studi di Salerno, 18–19 giugno 2007, a cura di D. Jacquart/A. Paravicini Bagliani (Edizione nazionale ‚La scuola medica salernitana‘ 3), Firenze 2008, 15-60. Cf. Bamberg, Staatsbibliothek, Msc. Med. 6, fol. 60v: „Tradidi iam dicte et deo dilecte ecclesie ob spem venie et remedium anime mee et ob laudem et honorem Bennopolis civitatis nostre […].“ Diese neu herausgestellten Überlieferungszusammenhänge haben auch Konsequenzen für die Fragen nach den Buchbeständen und dem Zugang zu Literatur in den jeweiligen Institutionen, wo Northungus tätig war; cf. e.g. Green, Rethinking (nt. 39), 44, nt. 73. Zum Kloster St. Michael siehe das Forschungsprojekt an der Herzog August Bibliothek: http://www.hab.de/forschung/projekte/ bernwardpsalter.htm (M. Müller). Gegen die pauschale Beurteilung von Dodwell. Schon Bischoff, Überlieferung (nt. 5), 178, nt. 16, hatte Spielraum für eine Erweiterung der Forschung gelassen: „Dennoch scheinen die interpolierten, noch nicht erklärten Namensformen der Widmung (Nortungus [Nortugus] Gersico […]) ursprünglich in hochmittelalterliche Zeit zu weisen“.

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eine gelehrte und monastische Tradition sichtbar, die sich in Figuren wie Otloh von Sankt Emmeram, ebenfalls früher Mönch in Fulda, auch schriftlich herauskristallisiert hatte: „Et primo quidem fratres Fuldenses nominare volo, quia pro eo, quod apud eos maxime laboravi scribens scribique faciens libros multos, quos monasterio nostro tradebam, ideo apud nos quoque scripsi libros, quos ipsi non habebant. Tradidi namque eis sicut memini .VII. libellos, Herveldensibus autem .II. libros. Cumque ex partibus illis remeassem, et ad Amarbah venissem, tradidi eiusdem loci abbati .I. librum.“42

Was hingegen die Funktion und die Verortung des konkreten spätmittelalterlichen Cod. Guelf. 1127 Helmst. betrifft, ist es notwendig, den Gesamtinhalt des Buches im Detail zu analysieren. II. Ergebnisse der Neukatalogisier ung von Cod. Guelf. 1127 Helmst. [B. Lesser] Die von Almuth Corbach analysierten kodikologischen Merkmale lassen den sicheren Schluß zu, daß es sich bei Cod. Guelf. 1127 Helmst. um eine typische Gebrauchshandschrift von solider, durchschnittlicher Qualität handelt, wie sie im Schul- und Studienbetrieb des späten Mittelalters häufig zu finden ist43. Auch ihr Inhalt, dies sei vorweg bemerkt, ist charakteristisch für naturwissenschaftliche Sammelbände dieser Zeit, in denen in oft bunter und für den modernen Betrachter schwer nachvollziehbarer Mischung Texte aus allen Disziplinen des Quadriviums versammelt sind. Eine genauere Untersuchung des Inhalts ist bereits insofern notwendig, als der dank seiner unikalen Theophilus-Überlieferung häufig benutzte Codex dennoch nicht eingehender beschrieben wurde44. Der weitere Inhalt des Bandes und seine Geschichte könnten jedoch näheren Aufschluß über die Theophilus-Exzerpte und ihre Auswahl geben. Am Beginn des einheitlich gestalteten, jedoch von mindestens drei verschiedenen Händen in einer sehr kleinen, durch zahlreiche Abkürzungen nicht immer leicht lesbaren spätgotischen Kursive geschriebenen Codex45 steht das 1472/74 in Nürnberg gedruckte und bereits kurz nach Erscheinen mehrfach neu aufgelegte Kalendarium des namhaften Astronomen Johannes Müller aus Königsberg in

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Otloh von St. Emmeram, Liber de temptatione cuiusdam monachi, ed. (und transl.) S. Gäbe (Lateinische Sprache und Literatur des Mittelalters 29), Bern 1999, 358. Cf. Corbach, Kodikologische Beobachtungen (nt. 5). Cf. Johnson, The manuscripts (nt. 12), 99; Gearhart, Theophilus (nt. 26), 368 sqq.; auch den Beitrag von I. Dines in diesem Band, 3–10. Der erste Hauptschreiber, der zweifellos auch für die Gesamtkonzeption der Handschrift verantwortlich zeichnete, schrieb die Texte foll. 1r–64r sowie die Theophilus-Exzerpte foll. 102r–114r. Der zweite Schreiber fügte 1475 die beiden Texte foll. 69r–93r hinzu. Von der dritten Hand stammt lediglich ein Nachtrag foll. 93v–94v.

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Franken, der sich nach Humanistenbrauch den latinisierten Namen seiner Heimatstadt, Regiomontanus, beilegte46. Die Berechnung setzt 1475 ein und reicht über einen Zeitraum von drei Lunarzyklen von je 19 Jahren bis 1531 (foll. 3v–15r die entsprechenden Kalendertafeln). Ergänzt wird der eigentliche Kalender durch eine geographische Übersicht („tabula regionum“, fol. 15v), die Stunden und Minuten der Neu- und Vollmonde und die Finsternistafeln (foll. 16r–20v), worauf die ausführlichen Erläuterungen zur Ermittlung der Goldenen Zahl, der beweglichen Feste, Sonntagsbuchstaben und anderer astronomischer Grundlagendaten folgen. An den Schluß des Kalenders setzte Regiomontanus noch eine durch eigene Beobachtungen fundierte Kritik an der seit Jahrhunderten gebräuchlichen Osterberechnung des Dionysius Exiguus († um 540) und ergänzte sie durch eine exemplarische Tabelle. Darin sind 30 von den dionysianischen Tafeln abweichende Ostertermine für die Jahre 1477–1532 aufgestellt, die nach einer neuen Berechnung der Mondphasen und des Frühlingsäquinoktiums bestimmt wurden und bis zu 5 Wochen vom gängigen Termin abwichen47. Die in Kapitalis geschriebene Sphragis des Werkes „DVCTV IOHANNIS DE MONTEREGIO“ ließ den bereits genannten Otto von Heinemann bei seiner Katalogisierung des Codex vermuten, daß der fränkische Astronom nicht nur das Kalendarium, sondern den gesamten Codex eigenhändig geschrieben habe. Der von Menso Folkerts vorgenommene Vergleich mit gesicherten Regiomontanus-Autographen zeigt jedoch, daß der namhafte Astronom hier nicht die Feder geführt hat48. Die Aufnahme und Auszeichnung der Sphragis als Schlußrubrik legen vielmehr den Schluß nahe, daß die Nürnberger Erstausgabe des Kalenders als Vorlage für die Abschrift im Cod. Guelf. 1127 Helmst. diente49. 46

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Cf. E. Zinner, Leben und Wirken des Johannes Müller von Königsberg genannt Regiomontanus (Schriften zur Bayerischen Landesgeschichte 31), Osnabrück 1968; G. Hamann (ed.), Regiomontanus-Studien (Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse 364 = Veröffentlichungen der Kommission für Geschichte der Mathematik, Naturwissenschaften und Medizin 28/30), Wien 1980; R. Mett, Regiomontanus. Wegbereiter des neuen Weltbildes (Einblicke in die Wissenschaft), Stuttgart 1996; M. Malpangotto, Regiomontano e il rinnovamento del sapere matematico e astronomico nel Quattrocento (Collana di storia della scienza 7), Bari 2008. Cf. Zinner, Leben (nt. 46), 198–206; K. Ferrari d’Ochieppo, Die Osterberechnung als Kalenderproblem von der Antike bis Regiomontanus, in: Hamann (ed.), Regiomontanus-Studien (nt. 46), 91–108, bes. 104–107. Cf. M. Folkerts, Mittelalterliche mathematische Handschriften in westlichen Sprachen in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. Ein vorläufiges Verzeichnis, in: Centaurus 25 (1981), 1–49, 35 sq., Nr. 38: „Entgegen Heinemanns Ansicht nicht von Regiomontanus geschrieben und wohl auch nicht in seinem Besitz.“ Zu Regiomontanus und Nürnberg cf. K. Pilz, 600 Jahre Astronomie in Nürnberg, Nürnberg 1977, 58–93; W. von Stromer, „Hec opera fient in oppido Nuremberga Germanie ductu Ioannis de Monteregio“. Regiomontanus und Nürnberg 1471–1475, in: Hamann (ed.), RegiomontanusStudien (nt. 46), 267–289, hier 271 sq.; Mett, Regiomontanus (nt. 46), 125–131; U. Lindgren, Regiomontanus’ Wahl. Nürnberg als Standort angewandter respektive praktischer Mathematik im 15. und beginnenden 16. Jahrhundert, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 2002, Berlin–Nürnberg 2002, 49–56. Die editio princeps des lateinischen Kalenders ist in der Online-

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Regiomontanus hatte die lateinische und die deutsche Fassung seines Kalenders in der eigenen Offizin verlegt; die Formulierung der Sphragis taucht auch im Titel des Verlagsprospektes auf: „Hec opera fient in oppido Nuremberga Germanie˛ ductu Ioannis de Monteregio.“ 50 Laut einem Bericht von Hartmann Schedel war Regiomontanus bestrebt, den neu ausgearbeiteten Kalender, in dem er sich kritisch mit dem gleichzeitigen Versuch einer Kalenderreform an der römischen Kurie auseinandersetzte, unverzüglich nach Fertigstellung in Druck zu geben und ihn vorher nicht publik zu machen51. Von der Erstausgabe unabhängige oder gar ältere handschriftliche Kopien sind daher nicht bekannt. Auch die Abschrift des Kalenders aus der Benediktinerabtei Tegernsee (heute München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 18777, foll. 1r–24v52) und die ebenfalls aus dem bayerischen Raum stammende Kopie in der Bibliotheca Palatina (Città del Vaticano, Bibliotheca Apostolica Vaticana, Cod. Pal. lat. 1384, foll. 15r–41v53) sind von Drucken genommen worden. Regiomontanus hatte sich jedoch nicht nur als Astronom und Mathematiker mit eigener Offizin, sondern auch als Instrumentenbauer einen Namen gemacht; einige der von ihm angefertigten Stücke sind bis heute erhalten54. Insbesondere das von ihm stark verbesserte ‚Quadratum horarium generale‘, das ‚Allgemeine Uhrtäfelchen‘, ausführlich im Kalender beschrieben, war seinerzeit zu Recht berühmt. Im Cod. Guelf. 1127 Helmst. fehlt allerdings die dazugehörige Abbildung, die offenbar als Grundlage für den maßstabsgerechten Nachbau dienen

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Datenbank des Gesamtkatalogs der Wiegendrucke unter der vorläufigen Nr. M37453 verzeichnet (www.gesamtkatalogderwiegendrucke.de). Der Verlagsprospekt (Einblattdruck) ist in der Datenbank des Gesamtkatalogs der Wiegendrucke unter der vorläufigen Nr. M37443 beschrieben; cf. nt. 49. Eine Abb. in: Als die Lettern laufen lernten. Medienwandel im 15. Jahrhundert. Inkunabeln aus der Bayerischen Staatsbibliothek München. Ausstellungskatalog, Wiesbaden 2009, Nr 79; F. Schmeidler (ed.), Joannis Regiomontani Opera collectanea (Milliaria X,2), Osnabrück 1972, 531–533. Nach dem Digitalisat eines der drei erhaltenen Exemplare (Bayerische Staatsbibliothek München) ist der Kalender dort als „prope absolutum“ gekennzeichnet und folgendermaßen beschrieben: „Kalendarium nouum quo promuntur coniunctiones uere˛ atque oppositiones luminarium, itemque eclipses eorundem figurate˛ , loca luminarium uera quotidie, horarum tam e˛quinoctalium quam temporalium discrimina duplici instrumento ad quasuis habitationes ac alia plurima scitu iucundissima.“ Digitalisat online unter: http://inkunabeln.digitale-sammlungen.de/ Exemplar_R-58,1.html. Den Bericht Schedels druckt Mett, Regiomontanus (nt. 46), 125, ab. Cf. K. Halm (ed.), Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Regiae Monacensis, vol. 4: Catalogus codicum latinorum, pars 3: Clm 15121–21313, München 1878, 208. Zusätzlich enthält der Band noch die Ephemeriden des Regiomontanus (foll. 25r–39v). Cf. L. Schuba, Die Quadriviums-Handschriften der Codices Palatini Latini in der Vatikanischen Bibliothek (Kataloge der Universitätsbibliothek Heidelberg 2), Wiesbaden 1992, 135. Der Band enthält darüber hinaus noch zahlreiche weitere Texte, die sich z.T. ebenfalls im Cod. Guelf. 1127 Helmst. befinden. Weitere Abschriften des Kalenders, sämtlich aus den Drucken kopiert, verzeichnet Zinner, Leben (nt. 46), 350 sq., Nr. 157. Cf. op. cit., 157–160, 214–222. Eine komplette Übersicht bietet E. Zinner, Deutsche und niederländische astronomische Instrumente des 11.–18. Jahrhunderts, München 1956, 21967, 479–483; D. Wattenberg, Johannes Regiomontanus und die astronomischen Instrumente seiner Zeit, in: Hamann (ed.), Regiomontanus-Studien (nt. 46), 343–362.

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sollte55. Als Ergänzung zum Kalendarium des Regiomontanus folgen daher auf den Blättern 33–44 sieben kurze Traktate, welche die Herstellung von astronomisch und mathematisch nutzbaren Sonnenuhren zum Gegenstand haben (Abb. 4). Die Stücke sind, teils mit übereinstimmenden, teils mit abweichenden Texteingängen und -schlüssen, auch in einigen anderen Handschriften überliefert, deren Schriftheimat im süd- und mitteldeutschen Raum zwischen den Universitäten Heidelberg, Erfurt, Krakau und Wien zu suchen ist, das heißt in den Zentren für das Studium des Quadriviums im Reichsgebiet. Die Texte sind bislang weder näher untersucht noch ediert, so daß die Frage, wer sie verfaßte und ob sie vielleicht Teile eines umfangreicheren Traktats oder einer thematisch orientierten Sammlung waren, hier nicht beantwortet werden kann. In dem Konvolut finden sich zum Beispiel Anleitungen zum Bau einer vierflächigen, an den Himmelsrichtungen orientierten Sonnenuhr auf einem Block (truncus)56, zur Konstruktion von planen Sonnenuhren57 und solchen auf Mauern und Wänden von Gebäuden, wobei insbesondere letzterer Traktat offenbar direkt von den Ausführungen im Kalender des Regiomontanus abhängig ist58. Weitere Exemplare dieser Texte sind insbesondere aus dem Umfeld der Universität Erfurt bekannt. Besonders bemerkenswert sind die auch sonst mehrfach überlieferten 55 56

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Zum Uhrtäfelchen cf. op. cit., 346 sq. mit Abb. 13; Zinner, Deutsche und niederländische astronomische Instrumente (nt. 54), 479 sq. Cf. Cod. Guelf. 1127 Helmst., foll. 33r–35r: Rubrik: „Pro horologiis in truncis faciendis que dicuntur horologia versus quatuor plagas mundi.“ In allen Publikationen zur Handschrift (etwa Folkerts, Mittelalterliche mathematische Handschriften [nt. 48, 35], steht fälschlich Heinemanns Verlesung: „De horologiis inter invicem faciendis“). Neben der Anleitung zur Konstruktion einer vierflächigen Sonnenuhr enthält der Traktat auf fol. 33r im laufenden Text sowie fol. 34r–v Konstruktionszeichnungen. Auch in dem in Erfurt geschriebenen Codex Città del Vaticano, Cod. Pal. lat. 1340, foll. 19va–21va; Schuba, Die Quadriviums-Handschriften (nt. 53), 2. Sowohl in dieser Hs. als auch im Cod. Guelf. 1127 Helmst. sind im Text übereinstimmende Angaben zu den Äquinoktialgraden der Städte Erfurt und Heidelberg angegeben, so daß eine Entstehung des Textes an einer der beiden Universitäten wahrscheinlich ist. Cf. L. Thorndike/P. Kibre, A Catalogue of Incipits of Mediaeval Scientific Writings in Latin, London 1937, 21963 [revised and augmented edition], 376. Nr. 5. Zu dieser Form der Sonnenuhren cf. Zinner, Instrumente (nt. 54), 59–62, 78 sqq. Zu planen Sonnenuhren cf. die beiden Kurztraktate im Cod. Guelf. 1127 Helmst, fol. 35r und fol. 35v sowie foll. 39v–40r die mit dem Incipit „Proice in quodam plano horalogium [!] cuius centrum vocetur A […]“ einsetzende Konstruktionsanweisung, die durch eine Schemazeichnung mit der Beischrift „Mater horologii indirecti“ ergänzt ist. Der letztere Text nebst Zeichnung auch in der 1446 wiederum in Erfurt geschriebenen Handschrift Staatsbiblitohek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Ms. lat qu. 587, fol. 174r–v, die sich im 19. Jahrhundert im Besitz des adligen italienischen Mathematikhistorikers Baldassare Boncompagni-Ludovisi (1821–1894) befand; cf. E. Narducci, Catalogo di manoscritti ora posseduti da D. Baldassare Boncompagni, Roma 1862, 21892 [notabilmente accresciuta], 247. Cf. Cod. Guelf. 1127 Helmst, foll. 37r–38v: ‚De compositione horologiorum horizontalium‘. Mit ähnlichem Incipit auch in der Handschrift Seitenstetten, Stiftsbibliothek, Cod. 297, foll. 72r–81r (Katalog als Online-Publikation: http://www.ksbm.oeaw.ac.at/seit/inv/inventar.htm). Die Konstruktionsanweisung ist zweifellos von den Ausführungen im Kalender des Regiomontanus abhängig; cf. Cod. Guelf. 1127 Helmst., foll. 27v–28v, sowie Zinner, Leben (nt. 46), 220. Zur Funktionsweise derartiger Sonnenuhren cf. id., Instrumente (nt. 54), 69–73.

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Anweisungen zum Bau eines Instruments, welches dazu geeignet ist, sowohl die Tages- als auch die Nachtstunden (mit Hilfe des Mond- und Sternenlichtes) anzuzeigen. Um den Nachbau zu illustrieren, sind vier sorgfältige rot-schwarze Konstruktionszeichnungen beigefügt59. Auch die anschließenden Traktate beziehungsweise Exzerptsammlungen sind vor allem dem Bau astromechanischer Instrumente gewidmet: Auf foll. 47r–51r kopierte der Hauptschreiber das mit über 100 Abschriften breit überlieferte Standardwerk des Spätmittelalters zur Anfertigung und zum Gebrauch des Quadranten, den sogenannten ‚Quadrans vetus‘ (Abb. 5)60. Während die verwendeten Quellen und eingefügten astronomischen Angaben eine relativ sichere Datierung des Traktats zwischen 1264 und 1267 erlauben, ist der Verfasser nicht mehr zweifelsfrei und eindeutig feststellbar. Soweit überhaupt Autoren in der Überlieferung genannt werden, sind dies die im fraglichen Zeitraum an der Universität Montpellier wirkenden Gelehrten Robertus Anglicus und Johannes de Montepessulano, wobei letzterer als Verfasser des Quadrantentraktates am wahrscheinlichsten ist61. Der im Cod. Guelf. 1127 Helmst gebotene Text ist nicht vollständig und beinhaltet die Anleitung zum Bau des Quadranten (c. 1–31) und einen Teil der Anwendungsbeispiele bei der Lösung verschiedener praktischer Meßprobleme (c. 32–53). Aus welchem Grunde nicht alle Erläuterungen kopiert wurden, ist nicht bekannt. Flankiert wird der Text durch ergänzende Konstruktionsanweisungen (foll. 53r–54r62) und zwei Tabellen mit Angaben zur Position jedes Tierkreiszeichens

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Cf. Cod. Guelf. 1127 Helmst., foll. 40v–44r: ‚De horologio diei et noctis‘. Mit abweichendem Explicit u. a. in Città del Vaticano, Cod. Pal. lat. 1384, foll. 55r–57v, cf. Schuba, QuadriviumsHandschriften (nt. 53), 136. Weitere Beispiele bei E. Zinner, Verzeichnis der astronomischen Handschriften des deutschen Kulturgebietes. Autographiert, unpag., München 1925, Nr. 7466, 7467. Die Konstruktionszeichnungen im Cod. Guelf. 1127 Helmst., foll. 41v–42v. Zum Traktat cf. auch Thorndike/Kibre, Catalogue (nt. 56), 1130, Nr. 15; und zur Funktionsweise cf. Zinner, Instrumente (nt. 54), 164–168. Cf. Cod. Guelf. 1127 Helmst., foll. 47r–51r. Ausgaben: P. Tannery, Le traité du quadrant de maître Robert Anglès (Montpellier, XIIIe siècle). Texte latin et ancienne traduction grecque, in: Notices et Extraits des manuscrits de la Bibliothèque Nationale et autres Bibliothéques 35,2 (1897), 561–640, hier nach dem Neudruck in: id., Mémoires scientifiques, vol. 5: Sciences exactes au Moyen Age, ed. J. L. Heiberg, Toulouse 1922, 118–197; N. L. Hahn, Medieval Mensuration: ‚Quadrans vetus‘ and ‚Geometrie due sunt partes principales‘, in: Transactions of the American Philosophical Society 72,8 (1982), 6–72. Cf. Thorndike/Kibre, Catalogue (nt. 56), 585, Nr. 5, 7. Für Robertus Anglicus als Verfasser votierte auch E. Poulle, Les instruments astronomiques de l’Occident latin aux XIe et XIIe siècles, in: Cahiers de civilisation médiévale 15 (1972), 27–40, bes. 36 sqq. Zuletzt W. R. Knorr, The Latin Sources of ‚Quadrans vetus‘ and what They Imply for Its Authorship and Date, in: E. Sylla/ M. McVaugh (eds.), Texts and Context in Ancient and Medieval Science. Studies on the Occasion of John E. Murdoch’s Seventieth Birthday (Brill’s Studies in Intellectual History 78), Leiden– New York 1997, 23–67, bes. 56 sq. Cf. Cod. Guelf. 1127 Helmst., foll. 53r–54r. Bereits das Incipit verdeutlicht den Charakter des kurzen Stückes als Ergänzung zum ‚Quadrans vetus‘: „Fac quandrantem ut supra in qua constitues schalam velut supra […] – […] unum plumbum quod vocatur unum perpendiculum etc. Pro omnibus vide figuram.“ Die im Explicit erwähnte Zeichnung ist nicht ausgeführt.

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im Jahreslauf mit Grad- und Minutenangaben sowie zu seiner Sichtbarkeitsdauer im entsprechenden Monat (fol. 52v) und einer Sammlung von Daten zum Stand der Sonne am Monatsbeginn im entsprechenden Tierkreiszeichen (fol. 46r); letztere findet sich als Sonderüberlieferung auch in anderen Abschriften des ‚Quadrans vetus‘ 63. In seinem Katalogisat schrieb Heinemann auch die anschließenden knappen Anweisungen zum Bau eines Jakobsstabes dem Regiomontanus zu. Zwar hatte sich der Astronom ebenfalls mit dem Bau dieses Gerätes beschäftigt, das hauptsächlich zur Vermessung von Entfernungen und unzugänglichen Gegenständen auf dem Festland, aber auch in der Seefahrt als Vorläufer des Sextanten zur Winkelmessung und damit zur Bestimmung der geographischen Breite benutzt wurde. Doch ist der hier gebotene Text, der auch sonst variant überliefert ist, schon deshalb nicht mit seiner Bauanleitung identisch, weil Regiomontanus nicht den gewöhnlichen lateinischen Begriff „baculus Iacobi“ verwendete und die Maße seines Gerätes von den hier angegebenen abweichen64. Ähnlich gelagert sind auch die beiden anschließenden anonymen Traktate zum Bau eines Visierstabes (virga visoriae, Abb. 6)65. Die vom zweiten Hauptschreiber kopierten beiden letzten astronomischen Stücke der Handschrift gehören nicht nur inhaltlich eng zusammen, sie sind auch in zahlreichen anderen Codices gemeinsam tradiert. Durch die Jahreszahl „1475“ in der Q-Lombarde des Incipits fol. 69r ist der Text als einziger Teil der Handschrift datiert (Abb. 7). Beide Texte wurden kurz darauf, vermutlich zwischen 1477 und 1479, in Perugia erstmals zusammen gedruckt – vermutlich nur in geringer Auflage; die Inkunabel ist außerhalb Italiens nur in sieben Exemplaren

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Cf. Cod. Guelf. 1127 Helmst., fol. 46r. Druck bei Hahn, Mensuration (nt. 60), 180, allerdings ohne die hier eingesetzten Grad- und Minutenangaben. Cf. Cod. Guelf. 1127 Helmst., fol. 58r. Das Incipit lautet: „Si quis artificiose velit baculum Iacob constituere accipiat virgam 5 vel 6 pedum vel quantumcumque voluerit […].“ Mit leicht abweichendem Incipit ist der Text auch in den Handschriften Augsburg, Universitätsbibliothek, Cod. II.1 4° 76, fol. 36r–v, und Leipzig, Universitätsbibliothek, Ms. 1469, foll. 111v–112r enthalten. Cf. H. Hilg, Lateinische mittelalterliche Handschriften in Quarto der Universitätsbibliothek Augsburg: Die Signaturengruppen Cod. I.2.4° und Cod. II.1.4° (Die Handschriften der Universitätsbibliothek Augsburg 1. Die lateinischen Handschriften 3), Wiesbaden 2007, 470; Zinner, Verzeichnis (nt. 59), Nr. 5071. Zum Inhalt des kurzen Traktates cf. id., Instrumente (nt. 54), 208; Thorndike/Kibre, Catalogue (nt. 56), 1462, Nr. 9. Cf. Cod. Guelf. 1127 Helmst., foll. 60r–61v mit dem Incipit: „Notandum quod in presenti arte due divisiones necessarie erunt scilicet profunditas et latitudo […]“, ergänzt im laufenden Text Zeichnung zum Verhältnis der angesprochenen Größen profunditas und latitudo. Der auf fol. 62r folgende kürzere Traktat ist mit identischem Incipit und Explicit auch in der bereits erwähnten (cf. nt. 57) ehemaligen Erfurter Handschrift Staatsbibliothek zu Berlin, Staatsbibliothek, Preußischer Kulturbesitz, Ms. lat qu. 587, foll. 227v–228r enthalten; cf. Narducci, Catalogo (nt. 57), 249, sowie M. Folkerts, Mittelalterliche mathematische Handschriften in westlichen Sprachen in der Berliner Staatsbibliothek. Ein vorläufiges Verzeichnis, in: J. Dauben (ed.), Mathematical Perspectives. Essays on Mathematics and its Historical Development Presented to Kurt-Reinhard Biermann on the Occasion of his 60th Birthday, New York 1981, 53–93, hier 78, Nr. 46.24.

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erhalten66. Es handelt sich dabei um eine Anleitung zum Bau eines Astrolabiums sowie um die Richtlinien (canones) zu dessen Gebrauch als Meßgerät in Astronomie und Geographie67. Wie zu Beginn angekündigt, wird nicht nur die Anfertigung des im europäischen Mittelalter gebräuchlichen planen Astrolabiums in Scheibenform, sondern auch die der erstmals von Ptolemaios dargestellten und vorwiegend im arabischen Raum weiterentwickelten sphärischen Astrolabien (Armillarsphäre) geschildert68. Die Texte sind nicht durchgehend geschrieben; einige freie Seiten sind für die zugehörigen, nicht vollständig ausgeführten Konstruktionszeichnungen reserviert, die jedoch nicht nur in anderen Codices, sondern auch im Druck fehlen. Ähnlich wie der Quadrantentraktat sind auch diese beiden weit verbreiteten Abhandlungen zahlreichen Autoren zugewiesen worden. Dabei ist der interessante Umstand zu beobachten, daß die Kopisten offenbar lokal oder regional bekannte Astronomen oder Mathematiker als Kandidaten bevorzugten. Vor allem in West- und Südeuropa wurden die beiden möglichen Verfasser des ‚Quadrans vetus‘, Johannes de Montepessulano und Robertus Anglicus, auch als Urheber mindestens der Canones zum Astrolabium namhaft gemacht. So verfuhr auch der Herausgeber der editio princeps, Ulisse Lanciarino aus Fano, Professor für Astronomie in Perugia († 1518)69, wohl nicht zuletzt aus verlegerischen Gründen: Er habe die neuen Canones und die Konstruktionsanleitung des Robertus Anglicus vor allem deshalb herausgegeben, weil sie sich für den Unterricht als besonders geeignet erwiesen hätten und den komplizierten Stoff leicht faßlich vermittelten70. 66

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Cf. Robertus Anglicus, De astrolabio canones, Prosdocimus de Beldomandis, De astrolabii compositione, ed. Ulysses Lanciarinus, Perugia: Petrus Petri de Colonia, Fridericus Eber und Johannes Conradi, ca. 1477–1479. Identifikationsnummer der Datenbank des Gesamtkatalogs der Wiegendrucke (online, cf. nt. 49): M38333. In der Literatur wird vielfach noch ein weiterer Inkunabeldruck (Köln, 1478) in einem Oxforder Exemplar genannt, so bei R. T. Gunther, The Astrolabes of the World, vol. 2, Oxford 1932 [Neudruck London 1976], 565 und 576; ähnlich jetzt noch bei Krˇisˇt’an z Prachatic, Stavba a Uzˇití astrolábu, ed. A. Hadravová/P. Hadrava, Prag 2001, 53 sq. Der Druck gehört jedoch eindeutig zur Ausgabe aus Perugia; cf. P. Kunitzsch, Glossar der arabischen Fachausdrücke in der mittelalterlichen europäischen Astrolabliteratur, in: Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Philologisch-historische Klasse, Jahrgang 1982, Nr. 11, Göttingen 1983, 459–571, hier 504 mit nt. 83. Cf. Cod. Guelf. 1127 Helmst., foll. 69r–81r: ‚De compositione astrolabii‘. Incipit: „Quamvis de astrolabii composicione tam modernorum quam veterum dicta habeantur pulcherrima […].“ Ibid., foll. 82r–93r: ‚De usu astrolabii‘. Incipit: „Quia plurimi quandoque ob nimiam accurtacionem magnam scriptorum sentenciam canones utilitates astrolabii declarantes […].“ Für beide Texte gibt es in der Handschrift keinerlei Verfasserangaben, Überschriften oder Rubriken; die Identifikation erfolgt allein über das Incipit, cf. Thorndike/Kibre, Catalogue (nt. 56), 1164, Nr. 1 und 331, Nr. 4 sq. sowie 1228, Nr. 5 sq. Zu deren Gebrauch cf. Zinner, Instrumente (nt. 54), 116–132. Cf. zu ihm G. B. Vermiglioli, Bibliografica Storico Perugina, Perugia 1823, 170. Cf. GW M38333, fol. 1r–v: „Quoniam tamen ex iis quedam librariorum incuria, ut opinor, ita mendosa sunt, ut nulla possit ratione eorum sententia coniectari, quedam vero ea brevitate compacta ac difficultate, ut iuvenum ingenia, quamvis acutissima, minus tamen eorum capacia videantur, idcirco Roberti Anglici, viri astrologia prestantis, novissimos de astrolabio canones delegimus. Quos potius ipse variis undique doctrinis excerpens ac locis

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Die in einigen Handschriften vorfindliche Zuschreibung an Robertus Castrensis (auch Ketenensis, Retinensis und ähnlich), den als Koranübersetzer im Auftrag des Abtes Petrus Venerabilis von Cluny bekannt gewordenen Gelehrten des 12. Jahrhunderts, ist das Ergebnis einer Verwechslung mit seinem Landsmann Robertus Anglicus71. Keine der erhaltenen Handschriften beider Texte reicht jedoch bis ins 13. oder gar bis ins 12. Jahrhundert hinauf. In diesem Kontext hat der tschechische Astronom und Wissenschaftshistoriker Petr Hadrava auf einen besonders interessanten Fall einer „lokalpatriotisch“ gesinnten Autoridentifikation hingewiesen72: Federico Delfino (1477–1547), Professor für Mathematik und Astronomie in Padua, ergänzte seine heute in Florenz aufbewahrte anonyme Abschrift der Traktate zum Astrolabium um einen Vermerk, worin er seinen Vorgänger Prosdocimus de Beldomandis (ca. 1370–1428)73 als Verfasser namhaft machte74. Damit fügte Delfino der stattlichen Reihe von authentischen astronomischen, mathematischen und musikwissenschaftlichen Werken des Paduaner Gelehrten zwei Pseudepigraphen hinzu. Seine Zuschreibung fand schnell Eingang in die Forschung und gelangte über die einschlägigen

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plurimis dispersos in unum colligens ad formam quamvis modico longiorem, faciliorem tamen redegit, quam proprio ingenio veluti novum quoddam opus meditatur conflaverit.“ Faksimile des Textes bei Gunther, Astrolabes (nt. 66), 561; Neuabdruck bei Hadravová/Hadrava (edd.), Krˇ isˇt’an z Prachatic (nt. 66), 45 sq. Die Verfasserschaft des Robertus Anglicus übernimmt auch Kunitzsch, Glossar (nt. 66), 504 sqq. So bei M. Steinschneider, Die europäischen Übersetzungen aus dem Arabischen bis Mitte des 17. Jahrhunderts, vol. A: Schriften bekannter Übersetzer (Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse 149), Wien 1904, 1–84, hier 72 sq., Nr. 102 sq. Ähnlich auch Poulle, Les instruments (nt. 61), 34. Kritisch diskutiert erstmals von L. Thorndike, Robertus Anglicus, in: Isis 34 (1942/43), 467 sqq., bes. 467, nt. 1. Dazu Hadravová/Hadrava (edd.), Krˇ isˇt’an z Prachatic (nt. 66), 43–53, bes. 50. Zu Prosdocimus cf. C. Vasoli, Art. Beldemandis, Prosdocimo de, in: Dizionario biografico degli Italiani, vol. 7, Rom 1965, 551–554; grundlegend: A. Favaro, Intorno alla vita ed alle opere di Prosdocimo de’Beldomandi matematico padovano del secolo XV, in: Bullettino di bibliografia e storia delle scienze matematiche 12 (1879), 1–74, 115–251; id., Appendice agli studi intorno alla vita ed alle opere di Prosdocimo de’Beldomandi, in: Bullettino di bibliografia e storia delle scienze matematiche 18 (1885), 405–423. Eine ausführliche Werk- und Literaturliste von Petr Hadrava online unter: http://www.asu.cas.cz/~had/prosdoc.html. Zu Delfino cf. C. Bianca, Art. Delfino, Federico, in: Dizionario biografico degli Italiani, vol. 36, Rom 1988, 552 sqq. Bei dem genannten Codex handelt es sich um Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana, Cod. Ashb. 134, foll. 256–283, beschrieben bei C. Paoli, I codici Ashburnhamiani della R. Biblioteca Mediceo-Laurenziana di Firenze, vol. 1,3 (Indici e cataloghi 8), Roma 1891, 222 sq. Zur Handschrift cf. Favaro, Appendice (nt. 73), 412 sq., dort auch der von Delfino hinzugefügte Eintrag zitiert: „Canones operativi et compositivi astrolabii Prosdocimi de Beldemando“. Vorbild für diese Zuschreibung waren nicht nur die im Codex enthaltenen authentischen Werke des Prosdocimus, sondern offenbar eine weitere Kopie des Traktates zum Bau des Astrolabiums aus Delfinos Besitz, die heute in Edinburgh, Royal Observatory, Cod. Cr. 3.28 aufbewahrt wird; der Text befindet sich dort auf foll. 1r–22v. Beschrieben bei N. R. Ker, Medieval Manuscripts in British Libraries, vol. 2: Abbotsford–Keele, Oxford 1977, 569 sq. Ob der Verfassereintrag dort original ist oder ebenfalls von Delfino hinzugefügt wurde, ist unbekannt.

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Handbücher zu weitreichender, fast kanonischer Geltung75, so daß der eigentliche Verfasser der beiden Traktate lange unerkannt blieb. Es handelt sich dabei, wie Alena und Petr Hadrava überzeugend dargelegt haben, um einen Zeitgenossen von Prosdocimus, den Prager Astronomen und Mathematiker Cristannus de Prachaticz (um 1360–1439), der nicht nur seine gesamten Studien an der Alma mater Carolina absolvierte, sondern dort auch bis kurz vor seinem Tode lehrte und mehrfach als Rektor amtierte76. Aus den Bedürfnissen des akademischen Unterrichts entstanden, wahrscheinlich im Jahre 1407, die beiden Texte zum Astrolabium77. Da Cristannus de Prachaticz als Mitglied der böhmischen Nation an der Universität zu den prominenten akademischen Protagonisten der Hussitenbewegung gehörte und in zwei theologischen Traktaten den Laienkelch propagierte, galt er im katholischen Europa wie seine Kollegen als Häretiker und blieb von den anderen Universitäten isoliert. Dennoch ist seine Verfasserschaft in der Überlieferung beider Traktate insbesondere in Deutschland, Tschechien und Österreich erstaunlich gut bezeugt, auch wenn mancher Kopist explizit darauf hinwies, daß der Verfasser der nützlichen Werke zum Astrolabium ein besonders perfider Ketzer sei78. Wie ordnet sich nun in den vorwiegend astromechanischen Kontext von Cod. Guelf. 1127 Helmst. die am Schluß der Handschrift befindliche ‚Schedula diversarum artium‘ ein? Die inhaltliche Analyse des Codex hat gezeigt, daß es dem beziehungsweise den Schreibern vor allem darum ging, ein möglichst breites Spektrum von Konstruktions- und Handlungsanweisungen für diverse astronomische Instrumente bereitzustellen. Daß diesen Texten die ‚Schedula‘ des Theophilus zur Seite gestellt wurde, ist zwar im Hinblick auf die Gesamtüberlieferung sowohl dieses Traktats wie auch der beschriebenen astromechanischen Schriften 75

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Nur einige Beispiele: A. Favaro, Intorno ad un trattato anonimo sull’Astrolabio riconosciuto opera di Prosdocimo de’Beldomandi, in: Bibliotheca Mathematica. Zeitschrift für Geschichte der mathematischen Wissenschaften, N. F. 4 (1890), 81–90; Thorndike/Kibre, Catalogue (nt. 56), 1164, Nr. 1 und 331, Nr. 4 sq. sowie 1228, Nr. 5 sq.; M. Markowski, Astronomica et Astrologica Cracoviensia ante annum 1550 (Istituto nazionale di studi sul Rinascimento. Studi e testi 20), Firenze 1990, 188, Nr. 107. Ausführliche biographische Informationen und Werkübersichten bieten J. Trˇísˇka, Repertorium biographicum Universitatis Pragensis praehussiticae 1348–1409 (Knizˇnice archívu Univerzity Karlovy 12), Prag 1981, 64 sq.; P. Spunar, Repertorium auctorum Bohemorum provectum idearum post Universitatem Pragensem conditam illustrans, vol. 1 (Studia Copernicana 25) Bratislava u. a. 1985, 126 sq., Nr. 333 sq.; Hadravová/Hadrava (eds.), Krˇisˇt’an z Prachatic (nt. 66), 13–53; M. Lapidge/G. C. Garfagnini/C. Leonardi (eds.), Compendium Auctorum Latinorum Medii Aevi, vol. 3, Firenze 2009, 43 sq., Nr. 12, 23. Dieses Datum bieten die Handschriften Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 5145, fol. 71rb, und ebenso Rostock, Universitätsbibliothek, Ms. Math. Phys. 4° 112, fol. 186r, beide ausführlich beschrieben bei Hadravová/Hadrava (edd.), Krˇ isˇt’an z Prachatic (nt. 66), 83 sq. und 86 sq. Cf. op. cit., 479 mit dem Kolophon der auch für die kritische Edition beider Texte (136–171 und 204–281) benutzten Handschrift Kalocsa, Fószékesegyházi Könyvtár, Ms. 326, fol. 66r: „Expliciunt utilitates astrolabii nove satis valentes Magistri Cristanni de Brachadicz, heretici perfidissimi pronunc, licet in composicione sive edicione earundem fuerit cristianus.“

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ein bislang einzigartiger Fall, prinzipiell jedoch keinesfalls so ungewöhnlich, wie es zunächst den Anschein haben mag. Die Zusammenstellung scheinbar disparater, inhaltlich nicht zusammenpassender Texte aus dem gesamten Wissenschaftsbereich des Quadriviums mit medizinischen, chemischen oder mechanischen Traktaten, Rezepten und Ähnliche ist eher die Regel als die Ausnahme, wenigstens soweit die handschriftliche Überlieferung derartiger Werke bislang überblickt werden kann. Der Einbezug der artes mechanicae in den mittelalterlichen Wissenschaftskanon und später in die universitäre Literatur durch Hugo von Sankt Victor dürfte hier den Weg mit bereitet haben79. Fest steht zumindest, daß aus dem Werk des Theophilus eine konkrete und offenbar genau geplante Auswahl zusammengestellt und mit weiteren, ähnlichen Stücken ergänzt wurde. Angesichts dieser Vorgehensweise ist es eher unwahrscheinlich, daß sich auf den am Schluß fehlenden Lagen der Handschrift weitere Teile der ‚Schedula‘ befunden haben. Wie Buchstaben und Wortfragmente auf den erhaltenen Blattresten zeigen, waren diese Blätter zwar beschrieben, dürften aber andere, jetzt verlorene Texte enthalten haben. Obwohl die Theophilus-Auszüge von Cod. Guelf. 1127 Helmst. auch über den singulären Prolog hinaus bereits mehrfach Gegenstand von Untersuchungen waren, ist der genaue Textbestand noch nicht vollständig erfaßt worden80. Das Exzerpt ist in zwei Abschnitte gegliedert, zwischen denen sich ein leeres, ursprünglich für Nachträge bestimmtes Blatt (fol. 111r–v) befindet. Der größere erste Teil (foll. 102r–110r) ist den verschiedenen Arten von Pigmenten und Metallgründen, ihrer Herstellung und ihrem praktischen Einsatz in der Malerei gewidmet und enthält neben dem eingangs vorgestellten Prolog und dem größten Teil des ersten Buches81 (c. 1–32,

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Cf. dazu P. Sternagel, Die artes mechanicae im Mittelalter. Begriffs- und Bedeutungsgeschichte bis zum Ende des 13. Jahrhunderts (Münchner historische Studien, Abt. Mittelalterliche Geschichte 2), Kallmünz 1966, bes. 67–77; P. Vallin, Mechanica et Practica selon Hugues de SaintVictor, in: Revue d’histoire de la spiritualité 48 (1973), 257–288; E. Whitney, Paradise Restored. The Mechanical Arts from Antiquity through the Thirteenth Century (Transactions of the American Philosophical Society 80,1), Philadelphia 1990, bes. 75–99; G. Mensching, Kontemplation und Konstruktion. Zum Verhältnis von Mystik und Wissenschaft bei Hugo von St. Viktor, in: I. Craemer-Ruegenberg (ed.), Scientia und ars im Hoch- und Spätmittelalter. Albert Zimmermann zum 65. Geburtstag, 2 voll. (Miscellanea Mediaevalia 22,1–2), Berlin–New York 1994, 589–604, hier 595; R. W. Stammberger, „Via ad ipsum sunt scientia, disciplina, bonitas“. Theorie und Praxis der Bildung in der Abtei Sankt Viktor im zwölften Jahrhundert, in: R. Berndt/ M. Lutz-Bachmann/R. M. W. Stammberger (eds.), ‚Scientia‘ und ‚Disciplina‘. Wissenstheorie und Wissenschaftspraxis im 12. und 13. Jahrhundert (Erudiri Sapientia 3), Berlin 2002, 91–126. Zur Gliederung der Wissenschaften schreibt Hugo u. a. im ‚Didascalicon‘ II, c. 1 (ed. C. H. Buttimer, in: Hugonis de Sancto Victore, Didascalicon de studio legendi. A Critical Text [Studies in Medieval and Renaissance Latin 10], Washington 1939, 24): „Philosophia dividitur in theoricam, practicam, mechanicam et logicam. Hae quattuor omnem continent scientiam. Theorica interpretatur speculativa; practica, activa, quam alio nomine ethicam, id est, moralem dicunt, eo quod mores in bona actione consistant; mechanica, adulterina, quia circa humana opera versatur; logica, sermocinalis, quia de vocibus tractat.“ Cf. nt. 44. Druck: Dodwell (ed.), Theophilus (nt. 6), 1–28, 96 sqq., 29 sq., 32 sq., 30 sq.

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35–37, 33) insgesamt 12 zusätzliche Farben- und Goldrezepte aus den wichtigsten älteren Kompilationen, die jeweils an der thematisch passenden Stelle eingefügt sind. Hierzu gehören zunächst sechs Rezepte aus der ‚Mappae clavicula‘ zur Herstellung von Farbmitteln, wie Lasur, Zinnober (vermiculum), Minium und verschiedener Grünpigmente82. Sie sind jedoch nicht nur in dieser vermutlich ältesten Sammlung enthalten, sondern wurden auch in zwei andere Kollektionen aufgenommen, die beide zusammen mit der ‚Schedula diversarum artium‘ oder zumindest Teilen davon überliefert wurden. Es sind dies der allein in Paris, Bibliothèque Nationale de France, Ms. lat. 6741 (13.–14. Jahrhundert) erhaltene ‚Liber de coloribus faciendis‘, dessen Zuschreibung an Petrus de Sancto Audomaro, 1296 Kanzler der Pariser Universität, sehr unsicher ist83, sowie der anonyme ‚Liber de coloribus illuminatorum‘ aus der Handschrift London, British Library, MS Sloane 1754 (14. Jh.)84. Der Text der Rezepte im Cod. Guelf. 1127 Helmst. weist sowohl Übereinstimmungen mit als auch Abweichungen von den drei Vorgängerfassungen auf; Anordnung und Abfolge der sechs Zusätze – nebst einem weiteren, in der ‚Mappae clavicula‘ fehlenden Rezept für grüne Tinte (viride ad usum scribendi)85 – stimmen hingegen nur mit dem ‚Liber de coloribus illuminatorum‘ überein86. Angesichts dessen wird wenigstens hier von einer kontaminierten Textüberlieferung auszugehen sein, die jedoch der bislang nur in London nachgewiesenen Rezeptsammlung nahestehen dürfte. Dennoch gehören die beiden Mis-

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Cf. Cod. Guelf. 1127 Helmst., foll. 108v–109r, 109v. Bislang vollständigste Ausgabe: Th. Phillips, Mappae Clavicula: a Treatise on the Preparation of Pigments during the Middle Ages, in: Archaeologia 32 (1847), 183–244, 187 sq., c. 2, 3, 1, 5–7. Cf. H. Roosen-Runge, Farbgebung und Technik frühmittelalterlicher Buchmalerei. Studien zu den Traktaten ‚Mappae Clavicula‘ und ‚Heraclius‘ (Kunstwissenschaftliche Studien 38), 2 voll., München–Berlin 1967; R. Halleux/ P. Meyvaert, Les origines de la ‚Mappae clavicula‘, in: Archives d’Histoire Doctrinale et Littéraire du Moyen Âge 54 (1987), 7–58. Zusammenfassend D. Oltrogge, Art. Mappae Clavicula, in: Lexikon des gesamten Buchwesens. Zweite, völlig neu bearbeitete Ausgabe, vol. 5, Stuttgart 1999, 60. Edition: L. van Acker, Petrus de Sancto Audemaro, Liber de coloribus faciendis (Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis 25), Turnhout 1972, 175–198. Für die Rezepte aus Cod. Guelf. 1127 Helmst. cf. op. cit, 184, Nr. 169 sq.; 185 sq., Nr. 174; 178 sq., Nr. 155. Zur Autorenproblematik cf. J.-M. Desmet, Aanteekeningen over Lambert van Sint-Bertijns, Lambert van SintOmaars en Petrus Pictor in verband met het Liber floridus, in: Miscellanea historica in honorem Leonis van der Essen universitatis catholicae in oppido Lovaniensi iam annos XXV professoris, vol. 1, Brussels–Paris 1947, 229–243, hier 238–241. Edition und Analyse: D. V. Thompson, Liber de coloribus illuminatorum siue pictorum from Sloane Ms. No. 1754, in: Speculum 1 (1926), 280–307. Für die Rezepte aus Cod. Guelf. 1127 Helmst. cf. op. cit, 292 und 294. Cf. Cod. Guelf. 1127 Helmst., fol. 109r: „›Viride ad scribendum fit‹. Si viride ad scribendum in vase vitrio [!, recte: cupreo] mel cum aceto mixtum infundat deinde in sterquilino ubi calce abscondeat et post duodecim dies recipiat.“ Die leicht abweichende ältere Fassung bei Petrus de Sancto Audemaro (cf. nt. 83, 179) und davon abhängig im ‚Liber de coloribus faciendis‘ (cf. ed. Thompson [nt. 84], 294 sqq.). Darauf verwies bereits Johnson, Manuscripts (nt. 12), 99. Zur Überlieferungsgeschichte der diversen Rezeptsammlungen cf. M. Clarke, The Art of all Colours. Medieval Recipe Books for Painters and Illuminators, London 2001, 27.

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zellancodices mit ihren vielfältigen und kleinteiligen Textkonglomeraten bereits zu einer Überlieferungsform, an deren Ende, wenn auch nicht in direkter, stemmatologisch faßbarer Tradition, Cod. Guelf. 1127 Helmst. mit seinen ergänzten Theophilus-Exzerpten zu suchen ist. Die eigentliche Grundlage des genannten Rezepts für grüne Tinte sowie für drei weitere Anweisungen zur Anfertigung von Goldtinte sowie über die Benutzung von Pflanzenextrakten aus Efeu und morella entstammt dem anonymen Traktat ‚De coloribus et artibus romanorum‘, der den fiktiven Verfassernamen ‚Heraclius‘ trägt87. Allerdings sind die ursprünglich versifizierten Rezepte hier ausnahmslos in Prosa wiedergegeben: Während die Pflanzenrezepturen auch der Theophilus-Codex London, British Library, MS Harley 3915, bietet, findet sich das Goldtintenrezept bislang nur im Cod. Guelf. 1127 Helmst. in ungebundener Sprache88. Den Abschluß des ersten Theophilus-Kompartimentes bildet ein sonst bislang nicht nachgewiesenes Rezept für eine Goldemulsion, die vor allem für Mosaikarbeiten geeignet ist89. Schließlich fügte der Kompilator zwischen Kapitel 29 und 30 des ersten Buches der ‚Schedula‘, die sich mit der Anwendung von Gold, Silber und Zinn bei der Illumination von Handschriften beschäftigen, die thematisch passenden Kapitel 46–49 des dritten Buches ein90. Dazu gehört auch das Kapitel 48, das seit jeher die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, da es den Rahmen des Gesamtwerkes zu sprengen scheint. Theophilus schildert hier die Herstellung von aurum hispanicum aus Kupfer mittels Basiliskenasche und liefert (unter dem Etikett „heidnische Praxis“!) die „klassischen“ Zuchtvorschriften für diese gefährlichen Fabeltiere mit, die von einer Kröte aus einem von einem alten Hahn geleg87

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Edition: A. Ilg, Heraclius, Von den Farben und Künsten der Römer. Originaltext und Übersetzung (Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance 4), Wien 1873 [Neudruck Osnabrück 1970]. Zusammenfassend D. Oltrogge, Art. Heraclius, in: Lexikon des gesamten Buchwesens, vol. 3, Stuttgart 21991, 444 sq. Cf. die Pflanzenrezepte im Cod. Guelf. 1127 Helmst., fol. 110r. Die Prosafassung nach dem Codex Harleianus in: R. Hendrie (transl.), An Essay upon Various Arts in Three Books by Theophilus, London 1847, 394 (= III, c. 98 sq.). Die Ursprungsrezepte bei Heraclius in I, c. 8 und II, c. 17, ed. Ilg (nt. 87), 3 sqq. und 44. Zum Goldtintenrezept cf. Cod. Guelf. 1127 Helmst., fol. 108v: „›Quomodo cum auro scribere possis‹. Si vis cum auro scribere aurum cum puro vino moli et postea lava, cum felle tauri misce et scribe cum commoves et postea dente castoris nitentem fac.“ Wie stark verkürzt die Prosafassung ist, zeigt das Original des Heraclius, I, c. 8, ed. Ilg. (nt. 87), 35: „Scripturam pulchram quisquis bene scribere quaerit, | Ex auro, legat hoc quod vili carmine dico. | Aurum cum puro mero molat, usque solutum | Hoc nimium fuerit. Tunc sepius abluat illud; | Nam quia deposcit huc candens pagina libri. | Exin taurini faciat pinguedine (fellis | Hoc liquidum, si vult, seu cum pinguedine) gummi. | Atque rogo pariter calamo cum ceperit aurum | Illud commoveat, pulchre si scribere quaerit. | Hinc siccata sicut fuerit scriptura, nitentem | Hanc nimium faciat ursi cum dente feroci.“ Neu abgedruckt bei V. Trost, Gold- und Silbertinten. Technologische Untersuchungen zur abendländischen Chrysographie und Argyrographie von der Spätantike bis zum hohen Mittelalter (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen 28), Wiesbaden 1991, 241. Cf. Cod. Guelf. 1127 Helmst., fol. 110r: „›De auro musico‹. Capiant media unc[t]i et imponetur crusibulo aurifabrili super ignem […] – […] aurum invenitur quod cum gummi temperatur.“ Cf. Dodwell (ed.), Theophilus (nt. 6), 96 sqq.

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ten Ei auszubrüten seien91. Während einige moderne Forscher der Ansicht waren, hier blühe lediglich „alchimistische Irrationalität“92, faßten die Autoritäten des Mittelalters, darunter Vincentius Bellovacensis und Albertus Magnus, die Stelle so auf, daß der von Theophilus beschriebene Basilisk lediglich ein allegorisches Synonym für eine Art Elixier sei, das zur Umwandlung von Metallen diene93 – nicht umsonst ist ‚Basilisk‘ in der semantisch vielfältigen Sprache des alchimistisch-hermetischen Schrifttums eine Bezeichnung für den lapis philosophorum, den Stein der Weisen94. Für den Kompilator von Cod. Guelf. 1127 Helmst. war der alchimistische Exkurs im dritten Buch der ‚Schedula‘ offenbar Anlaß genug, ein weiteres derartiges Rezept einzufügen, das noch nicht anderweitig nachgewiesen ist. Die Anwendung der Basiliskenasche und ihr Ergebnis sind identisch mit den Angaben des Theophilus, doch gestaltet sich die Zucht der benötigten Basilisken weit einfacher: Es sei lediglich notwendig, die Dotter von neun Eiern in einem gut abgedeckten Gefäß im Sommer an einem verborgenen Ort unter Mist zu vergraben. Die daraus entstehenden Würmer würden sich gegenseitig verschlingen; der am Schluß überlebende Wurm sei dann der Basilisk, der bis zur gewünschten Größe mit Beeren und Blättern des Lorbeerbaums gefüttert werden müsse. Dem Züchter wird jedoch dringend geraten, vor der Beobachtung des Tieres ein Antidot aus Knoblauch, Fenchel, Salbei und Raute einzunehmen, damit Hauch oder Gestank des Basilisken ihn nicht töten95. Woher das Rezept stammt, ist bislang 91

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Cf. ibid. und S. Limbeck, „Ein seltzam wunder vnd monstrum, welches beide mannlichen vnd weiblichen geschlecht an sich hett“. Teratologie, Sodomie und Allegorese in der Medienkultur der frühen Neuzeit, in: id./L. M. Thomas (eds.), „Die sünde, der sich der tiuvel schamet in der helle“. Homosexualität in der Kultur des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Ostfildern 2009, 199–247, hier 201 sq. So Brepohl, Theophilus (nt. 6), 145. Weiter ibid.: „Die ganze umständliche Geschichte, die letzten Endes zum Basiliskenpulver führt, mag alchimistische Symbolik sein, hinter der metallische Vorgänge verborgen werden. Wir wissen es nicht.“ Cf. aber die folgenden Anmerkungen. Albertus Magnus, De animalibus, XXV, 19, ed. H. Stadler, in: De animalibus libri XXVI. Nach der Cölner Urschrift (Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters 16), vol. 2, Münster 1920, 1562: „Dicit etiam Hermes quod argentum cinere eius delinitum accipit auri splendorem et pondus et soliditatem. […] Dicunt etiam quidam quod generantur de ovo galli; sed hoc verissime falsum est et impossibile; et quod Hermes docet basiliscum generare in vitro, non intelligit de vero basilisco, sed de quodam elixyr alkymico quo metalle convertuntur.“ Zu dieser und zahlreichen anderen Quellen cf. C. Opsomer/R. Halleux, L’alchimie de Théophile et l’abbaye de Stavelot, in: D. Jacquart (ed.), Comprendre et maîtriser la nature au Moyen Âge. Mélanges d’histoire des sciences offerts à Guy Beaujouan (Hautes Études Médiévales et Modernes 73), Genève 1994, 437–459. Cf. dazu L. M. Principe, Art. Lapis philosophorum, in: C. Priesner/K. Figala (eds.), Alchemie. Lexikon einer hermetischen Wissenschaft, München 1998, 215–220, bes. 216. Cf. Cod. Guelf. 1127 Helmst., fol. 107v: „›De basilisco faciendo‹. Si vis facere basiliscum hoc tibi secretum sit facere. […] Accipe novem ovorum vitellos et in novum pocinum tempore estatis pone et sub zabulo vel sterquilino in deserto loco absconde propter accessus hominum ne moriantur. Dimitte autem ibi 30 diebus quousque putrefiat et in vermes convertantur. Et ipsum pocinum lato lapide propter pluviam et fetorem diligenter cooperi. Et cum sic factam fuerit ipsi vermes non habentes quid comedant unusquisque alium devorat et qui superstes remansit basiliscus erit. Cum autem videris eum cave ne fugiat, sed nutri eum granis lauri seu foliis eiusdem donec tibi satis magnus videatur. Quocienscumque eum visere volueris premuni te comedendo al[l]ium, feniculum, salviam, rutam et alias similes radices, ne forte fetore vel flatu eius interias.“

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unbekannt; die gleiche Art der Basiliskenzüchtung beschreibt beispielsweise Konrad von Megenberg in seinem ‚Buch der Natur‘, allerdings weit summarischer96. Der zweite Abschnitt des ‚Schedula‘-Exzerpts ist wesentlich kürzer und mit den Kapiteln 1–13 des zweiten Buches ausschließlich verschiedenen Aspekten der Glasherstellung gewidmet: dem Bau der diversen Öfen, der Mischung der Grundstoffe sowie der Produktion von weißen Glasscheiben und Farbgläsern für Pokale und Flaschen97. Auch hier ist der Text durch insgesamt sechs Zusatzrezepte ergänzt, welche die Anfertigung von Schatullen (cistae Sarracenicae), Farbglas, „kostbarem“ Glas und Bleiglas vorstellen98. Besonders hervorzuheben sind zwei Anleitungen zum Guß von unzerbrechlichem Glas, das sogar Hammerschlägen zu widerstehen vermag99. In der Literatur sind diese Rezepte bislang nicht nachweisbar, was jedoch auch dem im Vergleich zu den Farbrezepten geringeren Erschließungsgrad der Quellen zur Glasherstellung geschuldet sein mag. In der spezifischen Form der Textauswahl und -zusammenstellung stehen die ‚Schedula‘-Exzerpte von Cod. Guelf. 1127 Helmst. in offenbar engem Zusammenhang zu den bereits beschriebenen hoch- und spätmittelalterlichen Textkonglomeraten, die die ‚Schedula‘ um zahlreiche und variant überlieferte Rezeptreihen erweitern und damit ein Maximum an Information bieten. Am Ende des 15. Jahrhunderts wirkt der Rückgriff auf diese Vorläufer zumindest sehr traditionell, wenn nicht gar archaisierend, insbesondere wenn man die zeitgenössischen italienischen Malereitraktate berücksichtigt. Das wesentliche Movens für die Auswahl der im Cod. Guelf. 1127 Helmst. enthaltenen Stücke dürfte freilich in den Intentionen des beziehungsweise der Schreiber, eines Auftraggebers oder Besitzers des Codex zu suchen sein, was zugleich die Frage nach seiner Schriftheimat und seinem Entstehungskontext aufwirft. Da keinerlei Schreiber- oder Besitzvermerke im Codex enthalten sind und die beiden Vermerke auf dem Vorderdeckel „[…] alderii“ (14.–15. Jahrhundert) und „hort […] man“ (16. Jahrhundert) aufgrund des Zustandes des gesamten Koperteinbandes mit den in Wolfenbüttel zur

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Cf. Konrad von Megenberg, Das ‚Buch der Natur‘, vol. 2: Kritischer Text nach den Handschriften, edd. R. Luff/G. Steer (Texte und Textgeschichte 54), Tübingen 2003, 292 (Kapitel III.E.3 „Von dem vnk“): „Ich waiz auch ainen gůten frevnd, der daz ach mit einen augen, daz ain gelerter man einen vnck macht aus lautern totern, die er in ain peckein atzt in einer chamern. Vnd do er in gezoh, daz er wart als ein clains huenll, do liez er oben in daz glas pinnen vnd rauten, da inn er den vnck het, die ertoten in. Vnd dar nach puluert er in vnd wuercht mit dem puluer, daz er wolt.“ Ähnliche ältere Rezepte mit aus Eiern generierten Würmern cf. auch bei Opsomer/Halleux, L’alchimie (nt. 93), 456 sqq. Dazu auch M. Sammer, Der Basilisk. Zur Naturund Bedeutungsgeschichte eines Fabeltieres im Abendland, München 1998, 15–26, bes. 25. Cf. Dodwell (ed.), Theophilus (nt. 6), 37–45, 50. Kapitel 13 ist durch den Schluß von Kapitel 20 des zweiten Buches ergänzt. Cf. Cod. Guelf. 1127 Helmst., foll. 113v–114r. Cf. ibid.: „›Receptum de vitro infragili‹. Ut vitrum frangi nequeat et fiat perdurabile in quamcumque formam ipsum habere volueris sustinens mallei percussionem sine fractura […] – […] de vitro quodcumque vas volueris. ›Receptum de vitro infragili‹. Alius modus. Accipe medicinam supradictam […] – […] modum iam supradictum donec durabile fiat.“

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Verfügung stehenden Mitteln nicht weiter entziffert werden können, tragen die folgenden abschließenden Bemerkungen zunächst hypothetischen Charakter. Da ein Großteil der spätmittelalterlichen Codices naturwissenschaftlichen, speziell astronomischen Inhalts im Umkreis der Universitäten entstanden ist, ist auch für unseren Codex eine solche Provenienz anzunehmen. Die Tatsache, daß mehrere Kopisten daran gearbeitet haben, ist gerade bei universitärer Studien- und Gebrauchsliteratur häufiger zu beobachten. Als Entstehungsorte kommen vornehmlich solche Hochschulen in Betracht, die für ihre herausragenden Studien des Quadriviums bekannt waren. Im spätmittelalterlichen Heiligen Römischen Reich waren dies vor allem die im Süden beziehungsweise Südosten gelegenen Akademien in Heidelberg, Wien, der Studienort von namhaften Astronomen wie Johannes von Gmunden und Johannes Regiomontanus, und Krakau, was nicht zuletzt zur hier vorgestellten Hypothese zur Entstehung der ‚Schedula‘ passen würde100. Auch paläographisch und kodikologisch würde dem nichts entgegenstehen. Wie gelangte nun der Codex in die Universitätsbibliothek Helmstedt? Die erhaltenen Akten geben hierzu keine Auskunft, Schenkungsvermerke fehlen. Auf jeden Fall kann die Handschrift erst ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in den Besitz der Academia Julia gelangt sein, denn der 1644 von dem Literaturprofessor und Universitätsbibliothekar Christoph Schrader angefertigte Handschriftenkatalog verzeichnet den Codex noch nicht101. Er taucht erst im 1797–1803 vom letzten Bibliothekar Paul Jakob Bruns angelegten Handschriftenverzeichnis unter Nr. 1147 als „Chronologia et Geographia mathematica, scripta ante 1476, chart 8°“102 auf. Diese Tatsache schließt aus, daß sich der Band im Besitz eines jener niedersächsischen Klöster oder der Sammlung des Kirchenhistorikers Matthias Flacius Illyricus befand, aus deren Buchbeständen der größte Teil der Helmstedter Handschriftensammlung besteht, denn diese befanden sich 1644 bereits in Helmstedt. Möglicherweise handelt es sich bei Cod. Guelf. 1127 Helmst. also um das Geschenk eines Gelehrten an seine Universität, wie sie in Helmstedt mehrfach belegt sind. Ein Kandidat wäre beispielsweise der aus Worms stammende Philosoph und Theologe Johann Andreas Schmidt der Ältere (1652–1727), der nach dem Schulbesuch in Augsburg und dem Studium in Altdorf und Jena 1695 einem Ruf als Kirchenhistoriker nach Helmstedt folgte103. Schmidts eigentliches Inter100 101 102

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Zur Astronomie in Heidelberg cf. die reiche Überlieferung von Texten des Quadriviums bei Schuba, Quadriviums-Handschriften (nt. 53); zu Krakau cf. Markowski, Astronomica (nt. 75). Cf. Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 27.2 Aug. 2°, foll. 1r–32r. Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Bibliotheksarchiv III 52 (unfoliiert). Cf. dazu Gallistl, Beispiele (nt. 3), 87 sqq.; und B. Lesser, Zur Geschichte und Katalogisierung der Helmstedter Handschriften, in: H. Härtel/C. Heitzmann/D. Merzbacher/B. Lesser (eds.), Katalog der mittelalterlichen Helmstedter Handschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, vol. 1: Cod. Guelf. 1 Helmst. – Cod. Guelf. 276 Helmst., Wiesbaden 2012, XI–XCII, hier XLIX–LIII. Zu dem bislang kaum näher gewürdigten Gelehrten cf. S. Ahrens, Die Lehrkräfte der Universität Helmstedt (1576–1810) (Veröffentlichungen der Kreismuseen Helmstedt 7), Helmstedt 2004, 209 sq.

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esse galt jedoch von früher Jugend an der Mathematik und den Naturwissenschaften; die seinerzeit berühmte Privatsammlung von Instrumenten und Kuriosa wie dem „rauchenden Polacken“ – einem lebensgroßen Automaten in polnischer Tracht, der mittels Blasebalg und sinnreicher Mechanik Pfeife rauchte104 – gelangte später in den Besitz des „Magus von Helmstedt“, Gottfried Christoph Beireis105. Der endgültige Nachweis, ob nun Schmidt oder ein anderer Helmstedter Gelehrter die kleine, unscheinbare Gebrauchshandschrift mit dem ‚Schedula‘Exzerpt nach Helmstedt gebracht hat, muß ebenso wie die übrigen hier vorgestellten Thesen und Überlegungen der weiteren Forschung anheimgegeben werden.

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Die ausführlichste und mit einer Abbildung versehene Beschreibung des „rauchenden Polacken“ liefert der bekannte Bibliophile Zacharias Konrad von Uffenbach in: Herrn Zacharias Conrad von Uffenbach Merkwürdige Reisen durch Niedersachsen, Holland und Engelland. Erster Theil, ed. J. G. Schelhorn, Ulm–Memmingen 1753, 218–221 mit Fig. XX. (Abb. am Schluß des Bandes). Cf. P. A. Merbach, Gottfried Christoph Beireis, in: Mitteldeutsche Lebensbilder, vol. 5: Lebensbilder des 18. und 19. Jahrhunderts, Magdeburg 1930, 76–178; D. Matthes, Goethes Reise nach Helmstedt und seine Begegnung mit Gottfried Beireis, in: Braunschweigisches Jahrbuch 49 (1968), 121–201; Ahrens, Die Lehrkräfte (nt. 103), 17 sq.

Theophilus Matters: The Thorny Question of the ‘Schedula diversarum artium’ Authorship* S K (Madrid) I. Introduction Much ink has been spilled over Theophilus, the author of the famous treatise on art technology ‘Schedula diversarum artium’ 1. This authorship controversy has long been a matter for speculation, based on a line of arguments considered mainly as facts. The ‘Schedula’ is considered to be the most comprehensive technological treatise about medieval art praxis that is extant, thus this allow to use a claim of expertise in order to attribute authorship: if the treatise is very knowledgeable about art materials and techniques, then Theophilus could only have been a craftsman; and consequently its content should be taken at face value, as it describes the coetaneous artistic praxis of Theophilus time. What’s more, when a specific technical procedure of the treatise (recipes of metalwork, niello, enamel, glass, pigment manufacture, etc.) was used as textual source and historic reference in analytical studies on medieval art technology, inevitably fomented the perception of the author as a practising artist. Therefore, it is not surprising that the ‘Schedula’ authorship question fascinated art historians and, more than that, historians of art technology are expected to have an opinion about it. An important consequence of all these different proposals is that, inadvertently, two figures were created: the historic Theophilus (the one who wrote or compiled the treatise), and the literal Theophilus, the figure that has come down through the studies of the content of the treatise (the monk, the artist, the craftsman, the expert, the master). And fact is that the last figure is the one that has shaped the modern idea about the author of the ‘Schedula’ 2. * This investigation has been funded by the Spanish Ministry of Economy and Competitiveness through the project HAR2012-32720: The formation of the painter and the practice of painting in the Hispanic kingdoms. 1 For the status questionis on Theophilus authorship cf. Ch. R. Dodwell, Theophilus, De diversis artibus – The Various Arts, London 1961 [Reprint Oxford 1986, 1998]; M. Clarke, The Art of All Colours: Medieval Recipe Books for Painters and Illuminators, London 2001. I. Dines proposed a new hypothesis for Theophilus identity: the monk and physician Northungus; cf. The contribution of Dines in this volume, 3–10. 2 As Heidi C. Gearhart rightly points out: “Because it is the only text of its kind to survive, there is little comparative material to steer our comprehension away from our own preconceptions. On Diverse Arts has been valued for its early date, its abundant technical information, and its com-

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This distortional vision of Theophilus has a lot to do with the fractional approach of the text. For the history of art the interest of the treatises lies mainly in the three prologues (the theory) whereas technical procedures (the praxis) only interest the history of technology. Even today there are few studies of the treatise as a whole3 and as Andreas Speer and Hiltrud Westermann-Angerhausen have stressed we still need a detailed study of the vocabulary, style, sources, or the proper structure of ‘Schedula’ 4. The twelfth century date of the ‘Schedula’ (between 1110 and 1140) and the identification of Theophilus with the Benedictine monk and metalworker Roger of Helmarshausen (c. 1100) were given prominence after Dodwell’s and Hawthorne’s and Smith’s editions of the treatise5. In both cases, researchers saw in the added phrase “qui et Rugerus” by a seventeenth century hand in the title of the Vienna manuscript as an argument in favour of the identification with Roger of Helmarshausen, as they consider it as a verbal tradition that persisted up to that moment when it was finally written down6. In the Middle Ages the occurrence of the name of the author, even as a pseudonym, in a treatise on art technology, accompanied by a theoretical section – the three prologues – and several iconographical references – interspersed in the technical part – is quite exceptional and unexpected. Thus, the authorship hypothesis will always be present in any study of the treatise because there will always be the question as to who wrote or edited the ‘Schedula’7. The truth is that with what we know up to this moment, it is quite difficult (if not impossible) to identify Theophilus with a prominent monk-artist of the eleventh or twelfth century,

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pleteness. It is often included in general studies of medieval art as one of few surviving primary sources on twelfth-century art, a complement to the writings of Bernard of Clairvaux or Abbot Suger of Saint Denis, and it is regularly cited as giving evidence of the mentality of the prototypical medieval monastic artist”; cf. H. C. Gearhart, Theophilus’ On Diverse Arts: The Persona of the Artist and the Production of Art in the Twelfth Century (PhD dissertation, University of Michigan), Ann Arbor 2010, 4. Cf. B. Kurmann-Schwarz, “[…] quicquid discere, intelligere vel excogitare possi artium […]”. Le traité De diversis artibus de Théophile, état de la recherche et questions, in: K. Boulanger/ M. Hérod (eds.), Le vitrail et les traités du Moyen Âge à nos jours, Berne 2008, 29–44. Cf. A. Speer/H. Westermann-Angerhausen, Ein Handbuch mittelalterlicher Kunst? Zu einer relecture der Schedula diversarum artium, in: Ch. Stiegemann/H. Westermann-Angerhausen (eds.), Schatzkunst am Aufgang der Romanik. Der Paderborner Dom-Tragaltar und sein Umkreis, München 2006, 149–158. Therefore the present paper will discuss the Dodwell’s main arguments regarding the date and the authorship of the treatise. Cf. Dodwell, Theophilus (nt. 1) xxxix–xliv; J. G. Hawthorne/C. S. Smith (trans.), Theophilus, On Divers Arts. The Foremost Medieval Treatise on Painting, Glassmaking and Metalwork, New York 1979, xv–xvi. This hypothesis was also defended by E. Freise, Roger von Helmarshausen in seiner monastischen Umwelt, in: Frühmittelalterliche Studien 15 (1981), 180–293; and by A. Raft, Beobachtungen über Theophilus ‘De diversis artibus’, in: Restauratorenblätter 13 (1992), 25–32. In the Middle Ages, against today’s concept, an author was not only the person who had written an original text, but also the person that elaborated texts by compiling previous works, by writing down oral sources, by copying, faithful or not, others works, with or without saying so, and so on.

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as all proposals lack any documentary basis. Instead, the emphasis should be placed on answering the question of who could have possibly been the author or compiler of such an exceptional text, comparing the internal evidence with the intellectual production and the transmission of technical knowledge in coetaneous Germany8. II. Theophilus, humilis pr esbyter, ser vus ser vor um Dei, indignus nomine et pr of essione monachi With this opening phrase Theophilus approaches the readers for the first time. The author introduces himself with a very common expression among monastic writers. Similar phrases are frequently found in texts like vitae, epistolae, annales, and, usually, the person introduced with this sentence was of noble origin or an outstanding ecclesiastic figure. Moreover, for a writer of the twelfth century this is quite an old-fashioned literary expression to start his work9 with and this shows that he was quite used to this phrase, either as a reader or as a writer of this kind of texts. But to our misfortune again, the author does not give us any reference regarding his geographical or national origin, as it is expected in these opening phrases. For most researchers and editors of the ‘Schedula’, Theophilus is a pseudonym and only few researchers considered also the possibility that it was the real name of the author, a monk of Byzantine origin, whose presence in Germany was closely related to the marriage of the Byzantine princess Theophano with Emperor Otto II10. The Byzantine origin (Greek) of the word is undeniable. As a 8

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Although the ‘Schedula’ does not provide enough information to identify Theophilus, it seems that there is general agreement on two aspects: that he was a benedictine monk and that he was German. These statements are based on textual references and the fact that most of the manuscripts (especially the older ones) are attributed or attributable to monastic or cathedral scriptoria of the Uper Rhine, specifically in Köln; cf. Dodwell, Theophilus (nt. 1), xxxiv–xxxv. For the German origin cf. also L. White, Jr., Medieval religion and technology: Collected essays (Publications of the Center for Medieval and Renaissance Studies 13), Berkeley–Los Angeles–London 1978, 95. Cf. the manuscript list with the ‘Schedula’ text in the digital resource of the Thomas-Institute of the University of Cologne [http://schedula.uni-koeln.de/index.shtml]. Cf. for example S. Adalberti Pragensis episcopi et martyris vita prior, ed. J. Karwasinska (Monumenta Poloniae historica. series nova 4), Wroclaw 1962, 42: “Sum nativitate Slauus, nomine Adalbertus, professione monachus, ordine quondam episcopus”; Everard of Ypres, Summula decretalium quaestionum (Reims, Bibliothèque municipale, Ms. 689, foll. 1–74 [s. XII]), ed. S. Kuttner, in: Repertorium der Kanonistik (1140–1234) (Studi e testi 71), vol. 1, Vatican 1937, 187: “Everardus, natione Yprensis, professione monachus Clarevallensis”; Isidore of Seville, De viris illustribus, c. 41, ed. C. Codoñer Merino, El De Viris illustribus de Isidoro de Sevilla: estudio y edición crítica (Theses et Studia Philological Salmanticensia 12), Salamanca 1964, 149: “Leander, genitus patre Severiano, Carthaginiensis provinciae, professione monachus.” Cf. H. Degering, Theophilus Presbyter, qui et Rugerus, in: id./W. Menn (eds.), Westfälische Studien. Beiträge zur Geschichte der Wissenschaft, Kunst und Literatur in Westfalen. Alois Bömer zum 60. Geburtstag gewidmet, Leipzig 1928, 248–262; W. Theobald, Technik des Kunsthandwerks im zwölften Jahrhundert. Des Theophilus Presbyter Diversum artium schedula, Berlin 1933 [Reprint Düsseldorf 1984].

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monastic name it is more common in the East than in the West and the truth is that monks called Theophilus scarcely appear in High Middle Ages11. Due to this rarity of the name, the hypothesis that it is a pseudonym seems more plausible12. But again, for the same reason, the use of such a pretentious word raises the question about the motives of its choice: for some researchers it was chosen by the author as a demonstration of humility; for others, as a reference and homage to the supremacy of the Byzantine arts, the sources of his treatise; or, finally, because the ‘Schedula’ is part of a tradition of pseudo-didactic works written in an ancient style, under a pseudonym13. Regarding humility, it is obvious that the term the “one who loves God” or “beloved by God” is at least questionable! For an ancient style of writing or as a homage to Byzantine art any other name of Greek origin would have served, some even better in terms of those intentions. The fact that the whole text is clearly written from a monastic point of view may offer another possible explanation. Bernward of Hildesheim in a document (November 1, 1019) transfers all his possessions to Saint Michael Monastery; there we can read that with the foundation of the monastery he “served the best interest of Christendom, to the praise and glory of the name of the Lord, by settling monks there, beloved of God”14. The expression beloved of God was a usual reference to monks15, closely related to obedience of faith, as stated by Apostle Paul (Gal. 2,20; Thess. 2,16; Eph. 2,4). A similar expression we can find in ‘Vita Brunonis’ (tenth century) where Ruotger, the biographer of archbishop Bruno of Cologne, calls him “philochristus” and “servus Domini” as he carried out several actions for the splendour of the Church16. Thus, I suggest that we must interpret the use of the pseudonym Theophilus by our author in this monastic context and with regard to this feeling of making something for the glory of God 17. 11

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Cf. for example G. J. Vossius, De historicis Latinis libri III, c. 11, Leiden 1627, 819: “Theophilus Cassinensis monachus”; G. de Argaiz, Poblacion eclesiastica de España y noticia de sus primeras honras, vol. 1, Madrid 1667, 101: “Theophilus Graecus monachus”; S. Leone/G. Vitolo (edd.), Codex diplomaticus cavensis, vol. 10: 1073–1080, Salerno 1990, 225: “Theophilus monachus et abbas.” Cf. J. Van Engen, Theophilus Presbyter and Rupert von Deutz: The Manual Arts and Benedictine Theology in the Early Twelfth Century, in: Viator 11 (1980), 147–163, 149, nt. 10: “Besides its literal meaning and the Master’s apparent interest in Byzantine art works, there is no clue in the choice of the name ‘Theophilus’. The medieval calendar of saints included Theophilus on 13 October and 4 February, but both were minor figures without any particular traits that may have attracted the attention of Master Theophilus.” Cf. Gearhart, Theophilus (nt. 2), 243 sq. B. Gallistl, Bernward of Hildesheim: a case of self-planned sainthood?, in: A. B. Mulder-Bakker (ed), The invention of Saintliness (Routledge Studies in Medieval Religion and Culture 2), London–New York 2002, 145–162, 147. For example, Venerable Bede uses the same expression for the father and priest Egbert (cf. Historia ecclesiastica gentis Anglorum, V, c. 22) and it was really common in Byzantine monasticism. Moreover it was used also as a title to saints, kings and emperors. Ruotger, Vita Brunonis archiepiscopi Coloniensis, c. 26, ed. I. Schmale-Ott (Monumenta Germaniae Historica. Scriptore rerum Germanicarum, Nova series 10), Weimar 21958, 26. The other possibility would be that Theophilus made a litteral translation in Greek of his German name (“Godefridus”).

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The only personal information we doubtlessly have about Theophilus is that he was a priest (presbyter) and that he professed his vows as a monk (et professione monachus). In the Rule of Saint Benedict, chapters 60 and 62 regulate the position of priests who join the community and the ordination of priests from within the monastic community, but it is very difficult to say to which of the two categories Theophilus belonged. A monk and a priest was an important figure because he received the ordination to presbyterate in order to meet the liturgical needs of his monastery18. Up to the ninth century the abbot was expected to be a priest, but since the eleventh century there were many monks who were ordained priests, due to the need for monks as parish clergy and for regional evangelism and due to the growing number of mass celebrations19. In short, the importance of the “presbyter et monachus” depends on the dating of the ‘Schedula’: the earlier its dating, the more outstanding the figure of Theophilus is. The expression “servus servorum Dei” that Theophilus uses in order to describe himself is quite controversial. For most researchers this is a simple expression of sincere humility proper to a monk, and in the same line as terms like “servus dei”, “indignus”, “ultimus”, and so on. Dodwell has emphasized the peculiarity of the use of this phrase, as it started to become a title proper to the Popes, but he justified the use of it by Theophilus as “irony” (that is why he placed it between two protestations of humility like “humilis presbyter” and “indignus nomine” 20. “Servus servorum Dei” was a title that popes gave to themselves in documents, letters, bulls and briefs. Gregory the Great was the first to use it extensively, as a lesson in humility to John the Faster, Patriarch of Constantinople. From the seventh century onwards, the vast majority of popes used this title and since the mid-twelfth century they used it exclusively. In the Middle Ages there were several explanations for this title, but the most widespread was that the “servants of God” were apostles, and popes could use this title as they acted as the servants of Apostle Peter, carrying out the task entrusted by him to them on earth21. Dodwell stated that the use of this title was common, even outside the papacy between the eighth and the twelfth centuries. This is true but this applied in all of the cases only to

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A Decree of Pope Gelasius I orders that if a monk was intented to be ordained a priest, he should be of good life and learning, which explains their good education; cf. J. Bingham, Origines Ecclesiasticæ: The Antiquities of the Christian Church, Part 1, London 1841 [Reprint Whitefish 2005], 245. Cf. Ph. G. Jestice, Wayward Monks and the Religious Revolution of the Eleventh Century (Brill’s Studies in Intellectual History 76), Leiden–New York–Köln 1997, 139 sq. Cf. Dodwell, Theophilus (nt. 1), xxxv. This has also been the justification papal jurists used in the early thirteenth century, as a “servant” could not access the papacy; cf. J. Hallebeek, Observaciones sobre el sentido de los conceptos romanos servus y servitus en el mundo medieval, in: R. Van den Bergh (ed), Ex Iusta causa traditum: Essays in honour of Eric H. Pool (Fundamina, Editio specialis), Pretoria 2005, 121–135, 130 sq.

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kings22, bishops23, abbots24 and eminent doctors of the Church25. And when it was not used by pride (like the archbishops of Benevento and Ravenna26), a survey of the documentation shows that the use of the title had to do with monastic affairs (as monks were servus Dei par excellence), like donations, gifts, privileges and construction activities27. Is it, then, possible to argue that Theophilus decided to be ironic and use a Papal and Episcopal title in a treatise on art technology? Probably not, and if he did so, it is because of his conviction that the writing of ‘Schedula’ was really important for his monastic community (maybe part of a larger project he was carrying out) and, moreover, he had the sufficient authority to use this title, without arousing criticism precisely for its lack of humility. III. Quod ar tificium, sicut visu et auditu didici Another controversial issue regarding Theophilus concerns the question whether he was a practicing craftsman himself. So far, this has been the generally accepted hypothesis in the historiography of the ‘Schedula’. And this statement has distorted our view on Theophilus’ intellectual background. The claim that Theophilus was primarily a craftsman and not a theologian (thus that his theological arguments should be subjected to another primary source, an important eccle-

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For example, King Alfonso II of Asturias or Emperor Henry III of the Holy Roman Empire; Charles Du Fresne Du Cange gives more examples of the use of the title by bishops and kings; cf. Ch. Du Cange, Glossarium mediae et infimae latinitatis, vol. 3, Paris 1844, 930. St. Boniface used the title, as bishop and apostle of the Germans; cf. P. Jaffé, Bibliotheca Rerum Germanicum, vol. 4: Monumenta Moguntina, Berlin 1866 [Reprint Aalen 1964], 97 and 245. In the year 1100 the consecration of the Church of Villa Bertrandi was carried out by Radulfo, “servus servorum dei episcopus”; cf. A. Merino/J. de la Canal, España sagrada: Theatro geographicohistorico de la iglesia de España, vol. 43, Madrid 1819, 450. Anselm, archbishop of Canterbury, also used the title in his correspondence (1093); cf. e.g. Anselm of Canterbury, Epistola 167, ed. F. S. Schmitt, in: Sancti Anselmi Cantuariensis Archiepiscopi Opera Omnia, vol. 4, Edinburgh 1949, 41 (cf. also Ep. 101, 103, 114, 120, 126, 165). Abbots normally used it in relation to their monks, but also as a proper title; cf. for example Botwinus the abbot of Ripon Abbey, England (755–786) (cf. Jaffé, Bibliotheca [nt. 23], 295), or the abbot Sigifridus (821) of St. Emmeram’s abbey (Regenesburg, Bavaria) (cf. Th. Ried, Codex Chronologico-Diplomaticus Episcopatus Ratisbonensis, vol. 1, Regensburg 1816, 18). Like Rabanus Maurus, theologian and archbishop of Mainz in a letter to Judith, Empress of Bavaria (834); cf. Hrabani Mauri Epistolae, Ep.17ª, ed. E. Dümmler, in: Epistolae Karolini Aevi, vol. 3 (Monumenta Germaniae historica, Epistolae 5), Berlin 1899, 420 sq. The only case I have found of a person that has used this title without belonging to any of these categories, was the Spanish noble Senterius who in a document from 1081, donated all his properties to found a monastery and install monks, the “servus dei”; cf. A. Linage Conde, Los orígenes del Monacato Benedictino en la Península Ibérica, vol. 3, León 1973, 113. Cf. L. A. Muratori, Antiquitates Italicæ Medii Aevi, vol. 5, Milano 1741, 177. Bernward of Hildesheim, due to the foundation of the monastery of Saint Michael and all the works of sumptuary art he promoted there, describes himself as servus servorum Dei in his sarcophagus inscription; cf. Gallistl, Bernward of Hildesheim (nt. 14), 155.

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siastical author28) put forward the literary figure (the one that comes out of the technical treatise) and not the historical one (the one who wrote the treatise). A closer study of the ‘Schedula’ may shed light on this issue and will draw attention to an important fact: Theophilus was not a mere copyist or follower of the religious ideas of others, but he produced his own exegesis of biblical and apostolical excerpts (in many times contrary to the received tradition29) in order to provide a theological justification for the monastic craftsman’s labours. On the one hand, the claim that Theophilus was an educated craftsman30 with indirect knowledge of theological issues depends directly on the consideration of the three books of the ‘Schedula’ (prologues and technical part) as a unique treatise, written by one author. However, current research considers the technical part of the ‘Schedula’ as a compilation from other sources. Dodwell himself drew attention to some similarities between recipes of the ‘Schedula’ and the ‘Heraclius’ treatise or the ‘Mappae clavicula’ 31. But it is the study of Mark Clarke in this volume that clearly demonstrates the composite character of the technical text, when he rightly points out that: “I would suggest that the present canonical or core text of the ‘Schedula’ itself exhibits the same typical features of such a re-worked text or text compilation, notably in the variety of prose style, in quality and thoroughness of technical detail, in the wide range of techniques covered, and in the organisation of material. It can be concluded that codicological observations of the ‘Schedula’ manuscripts, comparison of the technical content of the ‘Schedula’ with mediaeval artefacts, and the internal inconsistency of the treatise, when taken together, make it unlikely that the ‘Schedula’ of Theophilus is a single work by a single author, but rather that it is an edited compilation of earlier material, with added prologues.”32 If ‘Schedula’ is a composite text, prologues acquire a different meaning, as the figure of an expert theologian with novel and original ideas regarding sumptuary arts and monastic manual labour or art theory and Christian theology clearly emerges from them. Furthermore, if the work of Theophilus was the one of an editor, we may consider again that he had the sufficient educational background and experience as a copyist and writer and the sufficient authority to write about

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Dodwell, Theophilus (nt. 1), xxxvi–xxxvii and Van Engen, Theophilus (nt. 12), 154–158 were the leading proponents of this argument. Cf. Van Engen, Theophilus (nt. 12), 153 and 155. Cf. D. Oltrogge, Theophilus: a methodological approach to reading an art technological source, in: S. Eyb-Green/J. Townsend/M. Clarke/J. Naldony/S. Kroustallis (eds.), The Artist’s Process. Technology and Interpretation, London 2012, 48–53, 49: “Since the ‘Schedula’ is written in Latin, a possible use for artistic purposes was thus restricted to artists who were ‘literate’, that is, educated in the medieval sense of the word. In the later Middle Ages these were certainly a minority.” Cf. Dodwell, Theophilus (nt. 1), xv–xviii. For a more extensive argumentation regarding this issue cf. the contribution of M. Clarke in this volume, 72–89.

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Christian art theory and iconography33 and also relate them with technical prescriptions for arts and crafts34. And precisely in this issue lies the importance of the authorship of the treatise, as for the first time someone considered it important to unify art theory and art techniques, the intellectual creativity and its material realisation35. In fact, we are not aware of a similar case in the Middle Ages36, if we bear in mind the quality distinction between liberal and mechanical arts. In that sense, trying to identify Theophilus as the author of the prologues and the editor of the ‘Schedula’ would be important, as he broke with rigid, preestablished moulds: theoretical and iconographical aspects of Christian art belonged to the sphere of bishops, abbots and doctors of the Church, while artists were required to obey these commands and execute their work well, following faithfully the technical rules37. And this is precisely the uniqueness of the ‘Schedula’. It is quite clear that Theophilius’ educational and intellectual level is of key importance for understanding the author and his work. For example, although John Van Engen’s proposal was that Theophilus was influenced by the ideas of Rupert of Deutz, he also pointed out that the author of the three prologues offers his own interpretation on key scriptural teachings38. Moreover, Dodwell stressed that his Latin was astonishingly stylish and that he was writing in a rhyming prose, proper to literary or ecclesiastical texts39. Even the fact that the author states in the first prologue that he will write a treatise concerning the “campum latissimum diversarum atrium” shows that his ap-

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Never in the Middle Ages an artist, an encyclopedist or a physician touched such an issue, as it was an exclusive field of Christian theologians. Hugh of Saint-Victor summarised the negative attitude of medieval thinkers towards ars mechanicae noting that serious authors should address more intellectual fields; cf. De Vanitate Mundi, I, ed. J.-P- Migne, in: Patrologiae cursus completus. Series latina, vol. 176, Paris 1854, 703–740, 709. Bear in mind that even today, after so many centuries, the relationship between art history and art technology is not as fluent as it should be. Although earlier compilations like the ‘Mappae clavicula’ or the ‘Heraclius’ treatise include proems, they completely flack a similar intention and, in addition, neither the length nor the language of the text can be compared to Theophilus prologues. In the Acts of the Seventh Ecumenical Council (787) we can read: “the making of icons is not the invention of painters, but [expresses] the approved legislation of the Catholic Church […] for the painters domain is limited to his art, whereas the disposition manifestly pertains to the Holy Fathers who built [the churches]” (quoted according to C. Mango, The Art of the Byzantine Empire 312–1453: Sources and Documents [Medieval Academy Reprints for Teaching 16], Toronto 2004, 172). Scriptural teaching like the creation of man in the image of God or the seven gifts of the Holy Spirit, 85even the concept of monastic meditation; cf. Van Engen, Theophilus (nt. 12), 152–156. Cf. Dodwell, Theophilus (nt. 1), xix and xxxix; the author claims that rhyming prose in a technical treatise would be compatible a twelfth century dating, but I did not manage to find another reference to support such an argument. The closest example could be Heraclius’ versified treatise ‘De coloribus et artibus Romanorum’ of a much earlier date.

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proach was more literal than practical 40. It would be really difficult for a person to have this degree of expertise or even training (from the mural painting, to the glass making, metalwork, construction of bells and organs, and so on), mostly if we bear in mind apprenticeship process, artistic production and workshop practices in the Middle Ages. But of course this does not mean that it is just a literal or an encyclopedic exercise (book production in monastic scriptoria strongly argues against it). Theophilus was trained in mechanical arts and he had a quite good knowledge of artistic techniques. Besides expert’s commentaries in the technical part (an argument rather undermined by the compilation hypothesis), the author gives some interesting clues about it in the prologue to the second Book, dedicated to glass techniques. There he says that he personally had examined their several works of art, one by one, “visu manibusque probate” in order to understand their techniques and that among the sources he used was what he had learned “visu et auditu”41. It seems that this process of acquiring technical knowledge was quite common, as we can find similar references both in technical treatises and literary sources from the 9th and 11th century. Heraclius in his treatise ‘De coloribus et artibus Romanorum’ states also in the glassmaking recipes that “cum summa mente laborem atque oculos cordis super has noctuque dieque intentos habui, qui sic attingere possem hanc artem” 42. In the same line, Bishop Einhard, head of the imperial workshops of Charlemagne, studied ancient works and imperial gifts in order to learn their technique43. And Bernward, Bishop of Hildesheim, was very interested in all foreign gifts sent to Emperor Henry II as he studied them deeply in order to understand the fabrication techniques44. Consequently, Theophilus should be someone involved in art making, someone with access to important art objects to examine and someone that had close relations with monastic workshops to obtain technical information45. This kind of education and training in both liberal and mechanical arts in the Middle Ages was quite unusual. However, it was very common in the Carolingian

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Cf. Theophilus, De diversis artibus, I, prol., ed. Dodwell (nt. 1), 3. Cf. op. cit., II, c. 1, 37. Cf. M. P. Merrifield, Original Treatises dating from the XIIth to XVIIIth Centuries on the Art of Painting, vol. 1, London 1849 [Reprint (with a New Introduction and Glossary) New York 1967], 183 and189. Cf. R. Hinks, Carolingian Art: A Study of Early Medieval Painting and Sculpture in Western Europe (Ann Arbor Paperbacks 71), Ann Arbor 1962, 108 sqq. Cf. H. Mayr-Harting, Ottonian Book Illumination. An Historical Study, London 1991, 1999 [revised Edition], 44 and 95. Theophilus uses the expression „sicut visu et auditu didici“ in the prologue of the second book dedicated to glasswork. Gilded and enamelled glass vessels where one of the most genuine byzantine techniques and if his technical descriptions were based on autopsy, this presupposes access to such important material, in many cases gifts from byzantine rulers, like the seventeen glass vessels the byzantine emperor Romanos I send to Hugh of Lombardy; cf. A. Cutler, Ivory Steatite Enamel and Glass, in: E. Jeffreys/J. Haldon/R. Cormack (eds), The Oxford Handbook of Byantine Studies, Oxford 2008, 453–461, 460.

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and Ottonian Empire, between the 9th and 11th century, for young people who had to make a career in church (normally as bishops or abbots)46. Thiemo, abbot of the monastery of Saint Peter in Salzburg (1077–1090) and martyr (he was tortured in Syria in 1101) was trained in “ars liberae et mecanicae”. When he was captured and interrogated by the pagan king, Thiemo defined himself as a master of several arts, and an expert in painting, gold and silver techniques47. But probably the best example is Bernward, bishop of Hildesheim. Thangmar, his biographer, states that was trained “in omni liberali scientia” and “in levioribus artibus quas mechanicas vocant”; he also stresses that “in scribendo vero adprime enituit, picturam etiam limate exercuit, fabrili quoque scientia et arte clusoria omnique structura mirifice excelluit, ut in plerisque aedificiis quae pompatico decore composuit”48. Once a bishop, he cared about the training of the young monks of Saint Michaels monastery in artistic techniques, and taught them himself. Moreover, he established workshops for metalwork in the immediate vicinity of his own residence, so he could inspect them daily, before dinner, judging the quality of the production as an expert49. And even more, he is also said to have composed an essay on “alchemy” (probably a technical treatise), which was conserved in the Monastery of Saint Michael, at least until 163450. During the Carolingian Renovatio Imperii and the Ottonian reforms bishops and abbots, though they had religious, political and even military duties, also become art patrons. Monastic and cathedral workshops were responsible for satisfying not only the religious need of their communities but also the necessities of nobles and kings for luxury objects. Another factor that promoted the role of monastic workshops was the fact that the Ottonian dynasty lacked a stable court as Charlemagne, so that monasteries and churches became the centres for the production of art works and artists gathered there. But from the eleventh century onwards the growth of cities shifted the importance of artistic creation from the monastery to the professional workshop of burgum51. This is the historic context in which the ‘Schedula’ should be understood and, consequently, this paper wants to

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There are several examples, like bishop Benno of Osnabrück (ca. 1028–1084) or bishop Othwin of Hildesheim (954-984). It is curious to notice that before the ninth century the situation was completely different: outstanding goldsmiths, painters and architects could become bishops, like Saint Eloi, Saint Dunstan or the famous painter Johannes, called to the court of Otto III. Cf. A. Novák, “Hi sunt omnes colores”. Text from the 12th century from the Library of St Peter’s Monastery in Salzburg a XI 4, fol. 241 (p. 481), in: Technologia Artis 4 (1996), 77 sqq., 78. Vira sancti Bernwardi, ed. J.-P. Migne, in: Patrologiae cursus completes. Series latina, vol. 140, Paris 1853, 385–436, 394. Cf. op. cit., 397. Cf. R. Dohme, The Early Teutonic, Italian and French Masters, London 1880 [Reprint Whitefish 2004], 44. Cf. E. Castelnuovo, The Artist, in: J. Le Goff (ed.), Medieval Callings, Chicago 1987, 211–242, 224.

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launch the hypothesis of a German bishop52, abbot or a master of a cathedral or monastic school as the author and editor of the ‘Schedula diversarum artium’. IV. Hanc vicissitudinem instituori tuo r ecompensabis If we assume the hypothesis that Theophilus was a bishop or abbot (or even the master of a cathedral or monastic school) and the ‘Schedula’ a composite text, then a question is raised about the intentions of the author and, ultimately, about what kind of text it is and what its relation to the transmission of technical knowledge in the Middle Ages is. As we have mentioned earlier the ‘Schedula’ is made up of two well distinct parts: theory (prologues) and praxis (technical recipes). Could it be written as a teaching manual on art techniques for apprentices or a reminder for artists? I believe that we have sufficient evidence to answer this question negatively. Prologues are not necessary in a practical manual. Moreover, the codicological argument for the quality of the manuscripts supports this hypothesis, as it is not the type of text to be consulted and used in a workshop53. Could it be written as an encyclopedic work? We have already mentioned that medieval thinkers did not appreciate practical texts like this, because they were directed to craftsmen – and manual labour was not an intellectual activity. There is no example of an encyclopedic work that contains a technical treatise in the form of a recipe book. Moreover, the rest of the content of the manuscripts containing art technology treatises has nothing to do with an encyclopedic work: there are rather compilations of treatises with a manifestly practical character (astrology, geology, time calculation, mathematics, architecture, materia medica, and so on, in short, the kind of manual a monastery would need in order to organise its activities54. As Theophilus stated, the ‘Schedula’ was written to be consulted, but by whom? I suggest that the ‘Schedula’ is the kind of text-guide an abbot or a bishop would need to control workshop activities for carrying out artistic enterprises and the kind of text-guide they would need in their schools to offer an essential theo-

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Silvia Bianca Tosatti suggested the collaboration of a bishop or a significant theologian in the edition and corrections of prologues, although she still considers the author of the ‘Schedula’ as to be an artist; cf. S. B. Tosatti, Trattati Mediavali di Tecniche Artistiche (Storia dell’arte 33), Milano 2007, 80 sqq. Cf. S. Kroustallis, Los recetarios medievales de tecnología artística, in: id./J. H. Townsend/ E. Cenalmor Bruquetas/A. Stijnman/M. Sant Andres Moya (eds.), Art Technology: Sources and Methods, London 2008, 35–41; M. Clarke, Codicological indicators of practical medieval artists’ recipes, in: J. H. Townsend/E. Hermens (eds.), Sources and Serendipity: Testimonies of Artist’ practice, London 2009, 8–17. This is characteristic mostly for treatises on art technology in High Middle Ages, as the Mappae clavicula family; cf. Kroustallis, Los recetarios medievales (nt. 53), 38 sq.

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retical and practical training in order to prepare their future successors55. It is exactly the kind of training many German bishops and abbots received during the 10th and 11th century; and probably the kind of technical manual Bernward of Hildesheim wrote. If so, it could easily explain many of the apparently controversial things of the ‘Schedula’: prologues and recipes (liberal and mechanical arts), the extensive knowledge of theology and patristics of the author, his familiarity with exegetic writings, his fine Latin using a rhyming prose, his authority to adapt and develop Christian theology in to art theory and, finally, calling himself “servus servorum Dei”. In this sense we should interpret Theophilus intentions in the first prologue to “offer freely” a manual “for the labour on instruction” (without “a long servitude in the schools”) for anyone who wants “to investigate the vast field of the various arts”56. What is more, in the third prologue is more explicit regarding the type of reader: someone capable to adorn a church “with such embellishment and with such variety of work”, like wall paintings, mosaics, stained-glass windows, glass and metalwork57. I think that it is obvious that the person Theophilus is referring to is not an artist but someone who could commission and patronage such artistic enterprises. The same conclusion may also be drawn at from the commentaries, reservations and warnings he gives in the methods he is describes, recommendations proper to a person that organizes and controls the good function of workshops and of the situation of the craftsmen working there. For example, Theophilus strongly advises in favour of measures for the prevention of occupational risks (burn hazards, danger of using noxious materials like mercury, or hazards in the use of impure materials like the gilding of impure brass)58. This organizing eagerness of Theophilus is evident in the recommendation to the bellfounder to carefully select men with temper to help him; otherwise it would be very risky to work in the midst of urgent operations59. V. T he Date of the ‘Schedula’ The oldest surviving copies of the ‘Schedula’ (Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. Gudianus lat. 2° 69; Vienna, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2527) are from the first half of the twelfth century. Bernhard Bischoff claimed that the Vienna manuscript was the earliest one (early twelfth century) and suggested that both manuscripts were copies of an original, dating 55

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Thus the dual character practical and scholar of the ‘Schedula’; but as Doris Oltrogge stated “art technological texts often do not fit exactly into one of our modern categories”, cf. Oltrogge, Theophilus (nt. 30), 48. Cf. Theophilus, De diversis artibus, I, prol., ed. Dodwell (nt. 1), 3 sq. Cf. op. cit., III, prol., 62 sq. Cf. op. cit., I, c. 21, 19; II, c. 5, 40; III, c. 62, 120. Cf. op. cit., III, c. 85, 155.

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back at the end of the eleventh or at the beginning of the twelfth century60. As the original manuscript is not conserved (as far as we know) only internal criteria (textual evidence) can be used to date the ‘Schedula’. Dodwell was the author who studied in depth issues such as iconography, Latin, or other internal evidence of the text61, while the study of Van Engen was focused on Theophilus theology62. Both researchers proposed the early twelfth century as the date of the original ‘Schedula’. Howewer, Dodwell also gives an argument against this dating. The author accurately states that the Vienna (V) and Wolfenbüttel (G) manuscripts do not copy Theophilus original, but a secondary copy. Proof for this is the Harley manuscript, just half a century later (London, British Library, MS Harley 3915). This manuscript belongs to a different family from V and G and it is probably closer to the author’s original work63. It is quite unlikely to have this original-copy development in the transmission of the ‘Schedula’ in, at least, three generations of manuscripts in only 20 or 30 years64. The most important textual evidence for an early twelfth century dating can be grouped into two categories: theological arguments and technical and iconographical criteria. In the first case, we should always bear in mind that establishing lines of influence between medieval authors in cases where one has not directly quoted another is a treacherous affair, as Van Engen stated 65. In the second case, it must be taken into account that the techniques described in the text were in use for a long time before and after the treatise was compiled and it is very difficult to find data that can serve as terminus post quem for an exact dating. The most important theological arguments in favour of the twelfth century are: first, the consideration of Theophilus’ references to sumptuary arts as a direct response to Saint Bernard of Clairvaux’ critique to Benedictine luxury and laxity (in such a case we should consider circa 1125 as terminus post quem, when Saint Bernard wrote ‘Apologia ad Guillelum Abbatem’); second, the apparent relationship between the theological arguments of Theophilus and the writings of eminent twelfth century scholars and theologians such as Rupert of Deutz and Hugh of Saint-Victor. The latter could only mean that those were the sources of influence for the first (in such a case we should consider years 1114–1117 as terminus post quem, when Rupert wrote the ‘De sancta Trinitate and De operibus Sancti Spiritus’; and the later 1120’s when Hugh wrote his ‘Didascalicon’). 60

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Cf. B. Bischoff, Die Überlieferung des Theophilus-Rugerus nach den ältesten Handschriften (Mittelalterliche Studien. Ausgewählte Aufsätze zur Schriftkunde und Literaturgeschichte 2), Stuttgart 1967, 175–182. Cf. Dodwell, Theophilus (nt. 1), xviii–xxxiii. Cf. Van Engen, Theophilus (nt. 12), 147–163. Cf. Dodwell, Theophilus (nt. 1), lxv sqq. In any case, it is really complicated to apply textual criticism in technical treatises, mostly when they are compilations; cf. L. D. Reynolds/N. G. Wilson, Scribes and Scholars: A Guide to the Transmission of Greek and Latin Literature, Oxford 1974. Cf. Van Engen, Theophilus (nt. 12), 160.

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Regarding the first case – that is Theophilus’ defence of luxury against Saint Bernard –, the main argument lays in the use of the same psalm by both authors in their argumentation: “Domine, dilexi decorem domus tuae et locum habitationis glorae tuae” (Ps. 25,8)66. A closer look at the text reveals that at no time Theophilus defends luxury67 but, as we have already pointed out, he develops a Christian art theory, based mainly on sumptuary arts. It is well known that the concept of beauty in the Middle Ages was synonymous with the wealth of materials and the good execution of the work68. The brilliance and splendour prevailed over any other aesthetic appearance and there was a strong desire to enrich (or embellish) all kinds of objects, whether for reasons of political and social propaganda, or due to religious symbolism. Churches were equipped and manned with artefacts in gold and other precious materials because, as pointed out by Tatarkiewicz, the monumental temples symbolized the greatness of God, the impressive wealth of rituals, gold, silver, precious stones and coloured marbles represented the Celestial City69. In several Vitae of bishops and abbots we see that one of the main things that they should praise was to enrich the churches and monasteries with luxury items, and this is a locus communis in literal sources since the ninth century. For example, in ‘Rotulus historicus’, a chronicle of the Benediktbeuern monastery written by Gottschalk around the middle of the eleventh century, the author “describes the reconstructions and reparations Gotahelem undertook, the liturgical vestments and ornaments that he had inherited, purchased or had made, and the books he had copied” 70. Another example is Othloh of Saint Emmeram, in the mid 1050’s, who compares the Church to a costly work of gold, silver and jewels. Preachers are silver; gold stands for those in the monasteries or other places who are tested with different trials with which they struggle all their life; jewels are the martyrs and confessors of the Church71. Finally, regarding the use of the same Psalm Theophilus and Saint Bernard use, we have to bear in mind that the text was really common, mostly when it is connected with Moses and Bezaleel (as Theophilus did), the famous biblical master and artist of the tabernacle and its furniture, that he produced with the help of God. Bezaleel become even a nickname for the most expert and talented Carolingian and Ottonian craftsmen and

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Cf. op. cit., 159. For example, the difference in the language used by Theophilus and Abbot Suger is notorious. Cf. E. Bruyne, La estética de la Edad Media (La Balsa de la Medusa 15), Madrid 1987, 225; the anonymous author of the Treatise ‘De clarea’ also stated “nec pro alia causa fiunt pulcra, nisi delicando et deligendo confecta” (ed. R. E. Straub, Der Traktat De Clarea in der Burgerbibliothek Bern. Eine Anleitung für Buchmalerei aus dem Hochmittelalter, in: Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft, Jahresbericht 1964, Zürich 1965, 89–114, 92); cf. D. V. Thompson, The De Clarea of the so-called Anonymous Bernensis, in: Technical Studies in the Field of the Fine Arts 1 (1932), 8–19, 14. Cf. W. Tatarkiewics, Historia de la estética, vol. 2: La estética medieval, Madrid 1989, 40. P. J. Geary, Phantoms of Remembrance: Memory and Oblivion at the End of the First Millennium, Princeton 1994, 128. Cf. Jestice, Wayward Monks (nt. 19), 9.

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goldsmiths: for example Alcuin calls Einhard like this, a nickname used by the same Charlemagne72; or Rodulfus, a metalworker of the Fleury monastery73. What is more, the same psalm was used in the tenth century by Ruotger in his ‘Vita Brunonis’ to praise the construction and artistic enterprises of the archbishop of Cologne Bruno74. The second important textual evidence used to suggests a twelfth-century date is the reference to the seven gifts of the Holy Spirit in his prologue to the third Book. According to Dodwell75 and Van Engen76 the gifts of the Holy Spirit was an important aspect of theological thought in the early twelfth century, closely related to the writings of Saint Anselm, Rupert of Deutz and Hugh of SaintVictor among others. But this argument is based on the assumption that Theophilus was an artist and, consequently, his theological thinking must have been rudimentary and subjected to that of a master. On the one hand, it has to be stated that Theophilus quotes directly the sources he used in his text77. As we can see, most of them are biblical references (Ex. 5; 31,1–11 and 36.30–35; Sir. 1,18; Gen. 1,26; Ps. 25,8; 24,4; 50,12), some references are made to the New Testament (Lc., 19,11–27; Eph. 4,28; Act. 13,22) and one to the ‘Disticha Catonis’ (4.29.2), the famous medieval Latin text book. In all cases, he uses these references in an original way, giving them a new meaning, according to his intentions, that is, offering a theological cover to Christian art of his epoch, based mainly on sumptuary arts. In that sense, if Theophilus was a theologian with exegetic experience, he only had to use common sources referring to the gifts of the Holy Spirit, like Isaiah (11,2–3), Saint Augustine (‘De doctrina christiana’ II, 7, 9–11), Saint Ambrose (‘De mysteriis’, VII, 42) or Gregory the Great, (‘Homiliae in Hiezechihelem Prophetam’, II, 7, 7). The fact that Theophilus directly relates the gifts of the Holy Spirit to artistic production, using for the first time an original methodology also strengthens this hypothesis: he literally interpreted Bible passages in order to use them as a theological justification for art production. We have seen before how he used Psalm 25,8 to justify the ornamentation of churches. In the case of the gifts of the Holy Spirit he uses Exodus 31,1–5 when the Lord says to Moses that he filled Bezaleel with the divine spirit of skill, understanding and knowledge in every craft (like embroidery, gold, silver and bronze work, cutting and mounting precious stones, carving wood, and so on). Van Engen in order to justify the master-follower relation between Rupert of Deutz and Theophilus (thus a twelfth century date) states that the author of the ‘Schedula’ listed and

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Cf. Th. F. X. Noble, Charlemagne and Louis the Pious: Lives by Einhard, Notker, Ermoldus, Thegan and the Astronomer (translated with introduction and annotations), Philadelphia 2009, 9. Cf. Castelnuovo, The Artist (nt. 51), 220. Cf. K. G Beuckers/J. Cramer/M. Imhof, Die Ottonen: Kunst, Architektur, Geschichte, Petersberg 2002, 214. Cf. Dodwell, Theophilus (nt. 1), xx–xxiv. Cf. Van Engen, Theophilus (nt. 12), 153–156. Cf. the notes in Dodwells edition of the three prefaces and Van Engen’s study.

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treated the seven gifts in the reverse order as was considered normal 78. But it was Saint Augustine who did this, in order to establish a correspondence between beatitudes and gifts (‘De doctrina christiana’ II, 7, 9–11), so he changed the order of the gifts (from wisdom to fear of the Lord, the highest) as they appear in Isaiah or Gregory the Great (‘Homiliae in Hiezechihelem Prophetam’, II, 7, 7). Lynn White also dated the ‘Schedula’ to the twelfth century and he also argued that the ‘Didascalicon’ of Hugh of Saint-Victor is the first medieval text that included manual arts in a total schematization of human activity and that insisted upon their spiritual and intellectual value79. However, mechanical arts (the ones related to art technology) were part of the training in German monastic and cathedral schools together with liberal arts since the tenth century, so if Theophilus had a similar training he could perfectly compile and edit a theoretical and practical treatise such as the ‘Schedula’. In any case, if Theophilus was just an artist (even an educated one) would it not be easier for him to quote his sources, all of them outstanding figures of Christian theology, in order to support his ideas, rather than venture into a field that he is supposedly not an expert in? There are also some other textual evidence that were considered important terminus post quem for the dating of the ‘Schedula’ to the 12th century. In the first place, Theophilus uses the phrase “armariolum cordis”, an expression used apparently for the first time by the Spanish Petrus Alfonsus (after 1106) and considered as a direct translation from Arabic, so no earlier equivalent could be found 80. However, again in the Vitae of Bruno, Archbishop of Cologne, Ruotger uses a very similar phrase: “nec suffecit ei in gazophilacium cordis sui colligere, quod in promptu habebat” 81. Another example Dodwell quotes, is the way in which Theophilus equates Episcopal and abbatial croziers, a fact that points out the twelfth century, when the insignia of bishops was being or had been assumed by monastic superiors82. But the employment of the crosier by abbots and bishops is documented since the seventh century and during the tenth century it was very common in Germany83. Perhaps the most important reference for the dating of the treatise is the opening phrase of the chapter 23 of the Book I: “Take Greek parchment, which is made from linen rags”, one of the earliest references in Europe of the use of paper (mostly if the date of the treatise goes back to the eleventh century). According to Dodwell, paper-making was established in Europe in the 12th century and even in Byzantium the references to paper date to the beginning

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Cf. Van Engen, Theophilus (nt. 12), 155. Cf. White, Medieval religion (nt. 8), 101. Cf. Dodwell, Theophilus (nt. 1), xix sq. Cf. Ruotger, Vita Brunonis, ed. Schmale-Ott (nt. 16), 7. Cf. Dodwell, Theophilus (nt. 1), xxxi. P. Salmon, Aux origines de la crosse des évêques, in: Mélanges en l’honneur de Monseigneur Michel Andrieu, (Revue des Sciences Religieuses, volume hors-série), Strasbourg 1956, 373–383.

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of the same century84. However, the earliest references of manuscripts made of paper are from the 11th century as well as the earliest preserved examples of such codices85. This means that the reference to the Byzantine paper could be much earlier than the twelfth century and probably through a direct contact with Byzantine artists. This hypothesis is based on the technical procedure described, the preparation of gold leaf. This same recipe can be found with slight differences in treatises as the ‘Lucca’ manuscript or the ‘Mappae clavicula’ family. One of the main differences between these procedures and the one described by Theophilus is precisely the use of interleaving paper between gold leafs to be beaten, while in the rest of the cases copper foil and parchment leaves were used. This fact – aside from showing the incorporation of new materials and the continuous updating of the technical procedures to make them more effective – also indicates that this was a Byzantine technique, precisely due to the early use of paper. Theophilus could only have known this technical detail by Byzantine artists, due to the limited accessibility and use of paper in Europe at this time86. Dodwell also offers other kinds of textual evidence, besides the ones referring to theology, in order to justify a twelfth-century attribution. In general terms, the use of iconographic or art technology arguments is quite insufficient, mostly when the content of the ‘Schedula’ may describe current art praxis from the eighth to thirteenth century87. For example, there is a passage where a description of the impact of a wall-painting on the soul of the faithful is given: “but if, per-

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Cf. Dodwell, Theophilus (nt. 1), xxxii. In the ‘Diataxis’ of Michel Attaliate (second half of the eleventh century) a “bambycine” gospel is mentioned; cf. P. Gautier, La Diataxis de Michel Attaliate, in: Revue des Études Byzantines 39 (1981), 5–143, 72 and 95 sqq. In the library of the Patmos monastery there is one of the earliest examples of a paper codex also from the 11th century; cf. E. L. Branousi, Kkurwménh sullogæ e¬pisämwn e¬ggáfwn tñv e¬n Pátmw monñv ei¬v ei¬lhtòn toû IA’ ai¬ønov, in: Symmeikta 1 (1966), 95–119, 96. The earliest example of greek text on paper goes back to the early ninth century, although the paper is arabic and it was writen at Damascus (Rome, Biblioteca apostolica vaticana, Vat. gr. 2200). This strong influence of Byzantine art technology goes through the entire treatise. Theophilus states in the prologue of the first book that the description of painting techniques would be based on Byzantine praxis: “diversorum colorum generibus et mixturis habet Graecia” (De diversis artibus, I, prol., ed. Dodwell [nt. 1], 4). But the fact is that there is an underlying byzantine background in many other techniques he describes, like enamel and niello decoration, glass vessels with gold and silver decoration, tesserae for mosaic work, glazed earthenware and stained glass windows, gold leaf gilding or gold beaded wires. Cf. C. Davis-Weyer, Panel and Wall Painting, Mosaics, Metalwork and Other Decorative Arts, in: F. A. C. Mantelo/A. G. Rigg (eds.), Medieval Latin. An Introduction and Bibliographical Guide, Washington, D.C., 1996, 468–473; N. Whitfield, The manufacture of beaded wire in the Post-Roman Period, in: A. Perea/I. Montero/ O. García-Vuelta (eds.), Tecnología del oro antiguo: Europa y América. Ancient gold technology: America and Europe, Madrid 2004 (Anejos de Archivo Español de Arqueología 32), 127–137, 128. The same comment can be made for the rest of the iconographic references in the treatise, like Christ in Majesty, the Lamb, the Right hand blessing, David or Samson breaking the mouths of the lion, horseman fighting dragons or griffins.

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chance, the faithful soul observes the representation of the Lord Passion expressed in art, it is stung with compassion […].” 88. According to Dodwell, this idea of suffering from the Passion has generally been considered a twelfth century phenomenon and is closely related to the influence of Saint Bernard. But we can find a quite similar description as early as the eighth century, in the writings of Saint John Damascene: “we see the image of the Crucifixion and, being reminded of that salutary passion, we fall to our knees and revere”89. It is also very treacherous to use conserved objects made with techniques similar to those described by Theophilus in order to date the text or attribute it to an author90. The making of the cast censer is a good example, as it is one of the most elaborated technical and iconographical descriptions in the whole treatise (Buch III, Kap. 61). The censer represented the Heavenly Jerusalem (as described in Apoc. 21) with its walls, towers, gates and windows, together with a Lamb of God, angels, apostles, prophets and Virtues. Dodwell stated that “nothing so complex as this has survived from the Romanesque period” 91 but it is possible to find several of the above-mentioned features in some censers of the twelfth century92. However, a good paradigm of Theophilus’ censer iconography can be found in Thangmar’s biography of Bernward of Hildesheim: among the other objects the bishop made (or commissioned) he describes a gilded and silvered candelabrum he hung at the entrance of the temple. The candelabrum represented the walls, towers and gates of the Heavenly Jerusalem, with holders for seventytwo lights. Precious and semiprecious stones studded the ring. In twelve towers, each about three feet high, were graven the names of the twelve apostles, the prophets of the Old Law and the virtues of the New93. Another interesting point is 88 89

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Cf. Dodwell, Theophilus (nt. 1), xxiv sq. John Damascene, De fide Orthodoxa, IV, 16, ed. J.-P. Migne, Patrologiae cursus completus. Series Graeca, vol. 94, Paris 1862, 1171: “[…] conspecta crucifixionis Christi imagine, in salutiferae passionis memoriam revocemur, et cernui.” For example, Hawthorne and Smith used the surviving works of Roger of Helmarshausen (like portable altars or book cover) to support this hypothesis of authorship; cf. Hawthorne/ Smith (trans.), Theophilus (nt. 6), xvi–xvii and plates VIII, XII, XIII. Cf. Dodwell, Theophilus (nt. 1), xxvii. A good example is the so-called Gozbert’s censer (Trier Cathedral Treasury) in gilded bronze. The censer represents the Heavenly Jerusalem, shaped in a cross-shaped plan building with four apses and 100 windows. The figures of Moses and Aaron, the prophets Isaiah and Jeremiah, Abel with a lamb, Melchizedek with bread and chalice, Abraham about to sacrifice his son, and Isaac blessing Jacob instead for Esau. At the top is Solomon on his throne, with a fleur-de-lis crown, sceptre and imperial orb. The base of the throne is surround by fourteen seated lions. The censer was dated probable in the beginning of the twelfth century (although some researchers consider the top with Solomon a later addition) made in a workshop of Trier or Cologne; for more details cf. H. Westermann-Angerhausen, Zwei romanische Thuribula im Trierer Domschatz – Überlegungen zu Theophilus und dem Gozbert-Rauchfass, in: Zeitschrift des deutschen Vereins für Kunstwissenschaft, Neue Folge 42 (1988), 45–60. Cf. F. J. Tschan, Bernward of Hildesheim, in: J. L. Cate/E. N. Anderson (eds), Medieval and Historiographical Essays in Honor of James Westfall Thompson, Chicago 1938, 322–343, 337. Apparently this candelabrum no longer exists, but professor Lasko quotes that the so-called

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the fact that Theophilus seems not to know (or at least does not describe) techniques that became very important and popular in the twelfth century. A characteristic example is the technique of the cloisonné enamel. Theophilus only describes the traditional technique of cloisonné on gold94. But during the eleventh century gold was a diminishing asset and the demand for enamelled objects brought a change from the gold cloisonné to the gilt-copper (or bronze) cloisonné and champlevé enamel95. VI. Conclusions Theophilus’ ‘Schedula’ is probably the best-known medieval treatise on art and craft technology. Its value lies in its organization and internal consistency, making it an essential historical reference. The organization of the technical prescriptions in three books (paint, glass, metal and related decorative techniques) with prologues preceding each of them and with abundant iconographic references is precisely the job of a compiler and editor, who gave shape to the whole in a manual. I suggest that the principal function of the ‘Schedula’ was intended to serve as a text-guide for abbots and bishops to control workshop activities and carry out artistic enterprises, as well as a manual to offer an essential theoretical and practical training in order to prepare their future successors. The main reasons for this assertion can be found in the content of the treatise, exclusively focused on the arts and crafts used in the decoration and equipment of a church. A church was not considered finished until a bishop consecrated it. And here is where the ‘Schedula’ gets into the very heart of the whole process, as it covers everything that has to be made (murals, paintings, windows, bells, organs and liturgical equipment like censers, patens, chalices, lamps, and so on) once the building was ended 96.

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Hezilo’s candelabrum at of the Hildesheim cathedral it is said to have been started by Bernward and completed by Hezilo (1054–1079); cf. P. Lasko, Ars Sacra. 800–1200 (Pelica History of Art 36), Yale University 1994, 297, nt. 63. The enamelling of cloisonné gold reached in Byzantium the highest majestry and were imitated and interpreted by Carolingian and Ottonian goldsmiths from the ninth to the eleventh century; cf. P. Hetherington, Byzantine Cloisonné Enamel: Production, Survival and Poss, in: Byzantion 76 (2006), 185–220. Even the technique of setting cloisonné enamel and precious or semiprecious stones described by Theophilus can be considered as a Byzantine infuence; cf. D. Buckton, Byzantine enamel and the West, in: Byzantinische Forschungen 13 (1988), 235–244. Cf. D. S. Barbour/S. G. Sturman, Technical Appendix I: The Enamels, in: B. Anderman/J. Warnement (eds.), Western Decorative Arts: Medieval, Renaissance, and Historicizing Styles Including Metalwork, Enamels, and Ceramics, Milan 1993, 104–118, 105 sq. Geoffroy de Champ-Aleman bishop of Auxerre (1052–1076) stated the necessity to provide cathedral with an “aurifabrum mirabilem, pictorem doctum, vitrearium sagacem”, precisely the techniques Theophilus describes in his treatise; cf. Ch. de l’Escalopier, Théophile prêtre et moine. Essai sur divers arts, Paris 1843, vi. Bear in mind that one of the oldest conserved treatise of the ‘Schedula’ (Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. Gudianus lat. 2° 69) was bounded together with the Vitruvius’ ‘De architectura’, as they form a set of theoretical and practical precepts to carry out the founding, decoration and equipment of a church.

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Who could possibly compile and edit such a treatise? Who could possibly have a considerable motivation to carry out such a work? And who could possibly relate liberal and mechanical arts in one work? I consider that the answer to all these questions as I have argued earlier in the paper converge to the figure of a superior figure of the German ecclesiastical hierarchy of the eleventh century such as a bishop, abbot or an important scholar, master of a cathedral or a monastic school. In the first two cases it is quite comprehensible, since it was expected of them to found, improve and enrich churches. Moreover, these were their merits, as building enterprises and decorative arts could elevate a bishop or an abbot to sainthood, due to their likeness to God, the Great “opifex” 97. The last possibility of a scholar and master of a school is also very promising, as they were responsible of the teaching of the future bishops and abbots in liberal and mechanical arts. But again, to our misfortune we know very few things about this kind of training and even less about the persons responsible for this98.

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Precisely Thangmar put special emphasis to this aspect in the life of Bernward of Hildesheim; cf. B. Gallistl, Bernward of Hildesheim (nt. 14), 147–160. Bernwaed would be an atractive hypothesis, mostly when there are references to technical treatise he wrote, but he only professed the vows of a monk the last hours of his life. We have already mentioned Bernward’s outstanding competence in architecture, painting, metalworking, goldsmith’s work and glassmaking, but Thangmar in his biography makes no mention about the name of the person (or persons) that trained him at the Hildesheim’s cathedral school. The same applies to Goderamnus, monk of St. Pantaleon and later abbot of St. Michael’s in Hildesheimprior, who was a skilful architect (architectus cementarius) but we have no idea how or by whom he was trained; cf. K. Hanno-Walter, A history of architectural theory: from Vitruvius to the present, Princeton 1994, 31.

Reworking Theophilus: Adaptation and Use in Workshop Texts* M C (Lisbon) I. Introduction Mediaeval artists’ recipe manuscripts frequently contain versions of earlier texts in which the source material has been adapted, abridged, and supplemented. The paradigmic example is the ‘Mappae clavicula’ family of texts and extracts1. It is characteristic of such books of recipes to contain items whose dates of composition are spread across several centuries, and this observation is sometimes adduced to suggest that such mediaeval artists’ recipe books did not in fact reflect workshop practices at the time they were written down, but rather that they were merely literary or para-literary compositions. I would suggest, however, that while this criticism can in certain cases be valid, there were in fact two parallel methods of re-working, one of which aimed to result in a practical text. While some redactions were indeed most likely either straightforwardly copied or re-worked for the non-workshop uses of scholars or general readers, nevertheless certain other reworkings were clearly carried out in order to produce practical texts for use in workshops, and indeed apparently to reflect contemporary changes in workshop practices. This paper will concentrate on re-workings of the Theophilus ‘Schedula’. Regardless the original purpose of its composition (literary, theological, or practical), it can be demonstrated that the ‘Schedula’ of Theophilus was used as a source text for practical workshop manuals until the fifteenth century. In this it does not differ from texts such as the ‘Mappae clavicula’. In particular, attention will be drawn to the ‘Liber diversarum arcium’ (sic) in Montpellier Ms. H 277 (henceforth ‘LDA’)2. This has in the past commonly been dismissed as an inac-

* I would like to thank Prof. Dr. Andreas Speer, Dr. Ilya Dines and David Wirmer, all of the Thomas-Institut der Universität zu Köln, respectively for inviting me to participate in the 2010 Schedula-Tagung, for discussions around Theophilus, and for administrative support. I would like to thank the Thomas-Institut for its hospitality and financial support during the conference. 1 Cf. M. Clarke, The Art of All Colours: Mediaeval Recipe Books for Painters and Illuminators, London 2001. 2 Montpellier, Bibliothèque interuniversitaire, Section médecine, Fonds anciens, Ms. H 277. Edition (with English translation and commentary): M. Clarke, Mediaeval Painters’ Materials and Techniques: The Montpellier ‘Liber diversarum arcium’, London 2011.

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curate and partial copy of Theophilus, but it will be shown that, on the contrary, its omissions, differences and interpolations follow a deliberate programme to produce a systematic practical treatise on painting of considerable value. II. Status quaestionis The treatise known as ‘De diversis artibus’, or the ‘Schedula diversarium artium’, or simply the ‘Schedula’, attributed to “Theophilus”, also known as “Theophilus presbyter”, is one of the most important, and certainly the most cited and most discussed, of all mediaeval craft treatises. Despite extensive debate since its first (partial) publication in 17743, considerable uncertainty remains as to the authorship and date of composition of the original ‘Schedula’. Based on internal textual evidence, various dates have been suggested, ranging from the ninth to the thirteenth century. The parts of the ‘Schedula’ that have most been used by scholars to attempt a closer dating are the prologues to each book. These have been taken to be responses to certain theological disputes on the role of decorative arts in the Church, involving Bernard of Clairvaux, Petrus Alphonsus, Hugh of St Victor, and Rupert of Deutz, and thus datable to circa 1110–1140. However, with attempts to date the text based on observed parallels between surviving artefacts and the technical processes described within, the date range widens remarkably: parallels have been suggested for pre–1100 book illumination, for twelfth century painting, and for metalwork from the tenth to thirteenth century. Concerning authorship, based on the pseudonym “Theophilus”, the ascription “presbyter”, and the identification “qui est Rugerus”4, taken together with the regions from which the major manuscripts originate, and regional peculiarities of the craft practices described, a range of attributions have been made to named individuals or to classes of individuals, including Roger of Helmarshausen circa 1100, Bruno of St Pantaleon in Köln, the twelfth century medical compiler Northungus5, or Bernward of Hildesheim circa 10006. Theophilus may have been

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G. E. Lessing, Vom Alter der Ölmalerei aus dem Theophilus Presbyter, Braunschweig 1774. The hypothesis that Theophilus was Roger of Helmarshausen originates with a rubric in a single manuscript: Vienna, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2527. The later flyleaf fol. ‘II’, added in a later hand to the table of contents (itself later than the main manuscript), after the words “Theophilus Monachi ” has the annotation “qui est Rugerus”. This is based on the rubric to the first Prologue, that is in red, on the first two lines of fol. 1r, which reads: “Incipit prologus libri primi. theophili q[ui] [est] Rugerus; De diversi[s] artib[us].” It has been argued conversely that the word “Rugerus” in the fol. 1r rubric is a later addition, but this cannot be supported by examination. The hand and ink of this word, and of this part of this rubric, is entirely consistent with the rest of the rubrics in Book I and Book II. That is not to say that the indentification of Theophilus with Roger of Helmarshausen is correct. Cf. the contribution of I. Dines in this volume, 3–10. Cf. the contribution of S. Kroustallis in this volume, 52–71.

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working or travelling in northern and central Europe, perhaps around Braunschweig, or Reichenau, or the Upper Rhine, or specifically in Köln, but anyway most likely in Germany. The past two centuries have produced an ever-increasing volume of published art-historical, art-technological, and conservation-restoration scholarship that is based wholly or in part on Theophilus. It has become impossible to refer to Romanesque art, or indeed any mediaeval European painting, glass or metalwork, without reference to the ‘Schedula’. This means that the lack of agreement on such basic questions as where and when it was composed should be a matter of immediate concern. III. T he ‘Schedula’ as a Composite Text I have suggested7 that the contradictory evidence (and consequent divergent conclusions and interpretations) are best explained by understanding that the ‘Schedula’ is a composite text, rather than a coherent text by a single author. I would suggest that the present “canonical” or “core” text of the ‘Schedula’ itself exhibits the same typical features of such a re-worked text or text compilation, notably in the variety of prose style, in quality and thoroughness of technical detail, in the wide range of techniques covered, and in the organisation of material. It can be concluded that codicological observations of the ‘Schedula’ manuscripts, comparison of the technical content of the ‘Schedula’ with mediaeval artefacts, and the internal inconsistency of the treatise, when taken together, make it unlikely that the ‘Schedula’ of Theophilus is a single work by a single author, but rather that it is an edited compilation of earlier material, with added prologues. I would further suggest that all surviving witnesses are reworkings, and that thus there is no recoverable non-trivial Ur-text of the ‘Schedula’. If different parts were composed by different individuals with different objectives, writing in different locations and environments, and at different dates, then it follows that different parts reflect different practices, and that in consequence arguments over the date as indicated by one part of the treatise (for example references to datable theological debates in the prologues) need not be contradicted by arguments based on evidence from other chapters (for example datable technical parallels). It seems increasingly likely that Theophilus was the compiler who brought together texts, which already existed in some form, edited them and added the prologues. This most probably occurred before 1100, most probably in Germany,

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Clarke, Mediaeval Painters (nt. 2), 56. Cf. also id./A. Stijnman, Around Theophilus: an expert meeting towards new standards in Theophilus scholarship, in: S. Eyb-Green/J. H. Townsend/ M. Clarke/J. Nadolny/S. Kroustallis (eds.), The Artist’s Process: Technology and Interpretation (Proceedings of the 4th symposium of the Art Technological Source research working group), London 2012, 216 sqq.

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most probably by a supervisor of works. To this I would add that this text was then subsequently multiply re-worked and interpolated in later copies. IV. Se parable Elements 8 One consequence of this new paradigm is that from now on it would be preferable to talk not of an individual author, ‘Theophilus’, but rather of a composite text, the ‘Schedula’. Another crucial consequence is that it is no longer meaningful to talk of ‘incomplete’ or ‘complete’ manuscripts of the ‘Schedula’. Which parts, then, formed the ‘Schedula’ as it was originally composed and compiled by ‘Theophilus’, which parts pre-existed, and which parts were added later? To answer these questions will require much work in the future. Nevertheless, based on the characteristics and content of the recipes themselves, and on their presence or absence in different manuscripts, it is possible already to identify some separable elements. Certainly early editors (Raspe 17819, de l’Escalopier 184310, Hendrie 184711, Ilg 187412) included chapters now not considered canonical. Raspe, Escalopier and Ilg interpolated their ‘Schedula’ Book I chapters 33 to 37 between the currently accepted chapters 30 and 31 (Dodwell numbering). These chapters were taken from London, British Library, MS Egerton 840 A13. Ilg at least placed these chapters in parentheses. More serious was the influence of the interpolations of Hendrie, who based his edition on London, British Library, MS Harley 3915. Certain recipes attributed by Hendrie to Theophilus, namely Hendrie’s chapters 96–111, have subsequently been identified as being additional material. This material was added as infill in the Harley manuscript, in the same hand, at the end of the ‘Schedula’ text14. Chapters 96–110 are extracts from ‘Heraclius’ Books I and II15. Because Hendrie included extracts from ‘Heraclius’ as part of Theophilus, this has resulted in the erroneous view that Theophilus had access to ‘Heraclius’. (In fact foll. 2r–109v have clearly written running heads that indicate the book number of the Theophilus, viz. “1or”, “2or” and so on, 8

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In the discussion that follows, the chapter numbers of the Dodwell edition will be used; cf. C. R. Dodwell, Theophilus, De diversis artibus – The Various Arts, London 1961 [Reprint Oxford 1986, 1998]. R. E. Raspe, A critical essay on oil painting: Proving that the Art of Painting in Oil was known before the pretended Discovery of John and Hubert Van Eyck, London 1781. Ch. de l’Escalopier, Theophili presbyteri et monachi libri III seu diversarum artium schedula, Paris 1843. R. Hendrie, An essay upon various arts, in three books, by Theophilus called also Rugerus, London 1847. A. Ilg (ed.), Theophilus Presbyter, Schedula diversarum artium (Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance 7), Wien 1874. Olim Cambridge, Trinity College, MS R 15 5. These recipes are sometimes referred to as the ‘Harleian Appendix’. Chapter 111 is in three parts, all unrelated to ‘Heraclius’, but the second part, on sturgeon glue, is reminiscent of ‘LDA’ §1.33.13 inter alia. The third part of chapter 111 is ‘Vitruvius’ VIII.1.

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which, since they do not appear after fol. 109v, makes it puzzling that neither Hendrie nor any subsequent commentator did not notice that the ‘Schedula’ text had therefore ended on that page.) The Harley manuscript also supplies ‘Schedula’ chapters I.38 and III.82–96 that are not present in the two oldest manuscripts16; these chapters are also therefore quite likely not original17–18. Subsequent editors, however, have accepted such chapters as those in Book III on pearls, organs and bells (Dodwell). Nevertheless, several of these commonly accepted sections seem to be anachronistic or otherwise intrusive and inconsistent when compared with the bulk of the text, such as some sections on bell casting, some glass recipes, and certain of the instructions for casting censers19. I would like to propose further separations that deserve investigation. Book I of the ‘Schedula’ may be broken into four conceptual sections (which I shall term a–d), each of which may have had a separate origin: • a on modelling (I.1–16) • b on panel preparation, oil and gilding (I.17–31, perhaps with a subdivision at I.27) • g on pigments (I.33–38). Chapter I.32 could be assigned to either of the latter two groups. • d on ink (I.38). It is notable that in the two oldest manuscripts (V and G) several recipes are dislocated in the tables of contents of Book I, but not in the text itself. The pigment and ink recipes (I.33–38) appear in the table of contents as items numbered I.17–22. The sequence preserved in the table of contents may perhaps reflect the original organisation of the fascicules of the archetype, and the text sequence may have become altered as individual unbound quires became re-arranged incorrectly before G and V were copied. I would further suggest that later additions probably include I.38 on ink. In a number of mediaeval artists’ recipe manuscripts, sets of pigment recipes have been added at the end of standard technical-literary texts (such as Vitruvius), and the pigment recipe section g probably became appended to a + b in this way. Similarly, in many manuscripts, ink recipes are typically found appended to pigment recipes. 16 17

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V: Vienna, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2527 and G: Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. Gudianus latinus 2° 69 (cat. 4373). What is now commonly considered to be the canonical ‘Schedula’ occupies foll. 2r–109v of MS Harley 3915. This is followed immediately by the ‘Appendix’ (cf. Hendrie, An essay [nt. 11], 392–408 [= c. 96–111]) on foll. 109v–115v, in a continuation of the same hand. Further ‘Addenda’ then occupy foll. 115v–119v, apparently in the same hand still. In addition, the manuscript contains chapters i–iii of the popular text ‘De coloribus et mixtionibus’, but with considerable textual variation (in a different hand, perhaps French, on fol. 1v which was formerly the pastedown of the binding), recipes for inks on foll. 142v and 148v, and for parchment on fol. 148r. Impractical interpolations occur in other ‘Schedula’ manuscripts, such as “de basilisco faciendo” in the fifteenth century Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. Helmst. 1127 (= cat. 1234). Cf. the contributions of E. Neri, I. Dines und H. Westermann-Angerhausen in this volume.

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A possible scenario for the genesis of Book I of the ‘Schedula’ might then be as follows. The modelling section a was probably the earliest core, deriving ultimately from Byzantine skiagraphia (this core also being transmitted variously to the later Greek Hermeneia and Russian podliniki). To this was added b, the treatise on panel painting in oil (most likely composed in the later eleventh century). The pigment recipe section g probably became appended to the composite a + b. The ink recipe d may have been appended to pigment recipes before or after g joined a + b. The case for Book III being integral to the ‘Schedula’ can be argued pro and con. To this debate I would like to add some new observations concerning Vienna 2527. In this manuscript, Book I and II form a codicological unit, but Book III is entirely separate. It is in a separable set of quires, and written with a different hand, different mise-en-page, different ink, and with a different colour and style of rubrication. Cases can also be made that the chapters ‘Schedula’ III.80–96 are later additions. In the Brussels ‘Compendium artis picturae’ (henceforth ‘CAP’)20 of circa 1200, chapters 7–9 and 12 (dealing with tinkering) are equivalent to ‘Schedula’ III.87–89, III.59). It is puzzling why they are included in the ‘CAP’, which otherwise is confined to painting 21. As noted by Dodwell, the ‘CAP’ is a rare witness to these recipes, and I suggest that it is likely that these did not originally form part of the Theophilus treatise. The hypothesis that III.81–84, on organs, is intrusive is complicated by the fact that part of III.81 is present in both G and V (although in G it is present in a later hand22). However, it is easy to make a case that III.85–87 (bells) and III.88–92 (tin and iron) are later. Glass and bells may themselves be subdivided, with bells representing two distinct technological stages, and glass divided into technically plausible recipes (most of them) and technically implausible recipes (II.13–16). Indeed, if it is true that the structure of the ‘Schedula’ was designed to represent a progression from the mundane to the ever more spiritual and refined, it makes no sense to end with tinkering (indeed the reverse sequence seems better: from the Divine Image to the pots and pans). ‘Schedula’ III.93–96 may have been added together or individually. This is not the place to attempt a definitive resolution. It is not yet clear which intrusive and anachronistic elements were present in the source texts used by Theophilus and which have been interpolated later. For now, it is enough here to note the likelihood that the ‘Schedula’ is composed of separable elements, and that each of the three books was itself a compilation of earlier material. It is 20

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Cf. Brussels, Bibliothèque Royale de Belgique, Ms. 10152 (sic), foll. 24r–26v. Edition: H. Silvestre, Le Ms. Bruxellensis 10147–58 (s. XII–XIII) et son Compendium Artis Picturae, in: Bulletin de la Commission Royale d’Histoire de Belgique 119 (1954), 95–140, with some minor corrections published in: Scriptorium 17 (1963), 117 sq. and additions in Clarke, Medieval Painters (nt. 2), 316 sqq. They are not in the Montpellier ‘LDA’, also confined to painting, and textually extremely close to ‘CAP’. The twelfth century hand that wrote G ends at the end of the complete III.79, and then III.80–81 have been added on a new folio in a later hand. The manuscript V ends with the chapter III.81 in media res.

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nevertheless still useful to think of an authorial Theophilus, editing the three books and adding prologues, as long as it is appreciated that the ‘Schedula’ as we have it today is a later redactionary phase, not an original composition by some individual. It has generally been assumed that certain manuscripts of the ‘Schedula’ are “incomplete” if they lack certain chapters. But if the ‘Schedula’ is, as I suggest, a compilation, then there is an open recension (thus explaining the apparently contradictory stemma), and it is very possible that, rather than choosing to omit chapters, the copies were often (according to the copyists) complete. The Montpellier ‘LDA’, for example, may not include certain chapters either through deliberate omission (to conform to a specific aim, namely to be a text for painters only) or simply because they were not present in the available Schedula exemplar. Clearly we have ‘Schedula’ manuscripts with different degrees of “completeness”. Indeed we have ‘Schedula’ manuscripts that are hyper-complete, that is where there is more than the ‘accepted standard’ text of Theophilus. The best example of this is the manuscript Harley 3915, which seamlessly integrates many more chapters than any other ‘Schedula’ manuscripts. V. ‘Schedula’ Extracts: T he Example of the Montpellier LDA An important consequence of this is that, without a secure canon of Theophilus chapters or an established canonical text, an adequate analysis of the mutual interdependence of the ‘Schedula’ with the many manuscripts that contain ‘extracts’ (including the Montpellier ‘LDA’ or the Brussels ‘CAP’, but also many others) is at present impossible. For example it is impossible to state conclusively whether a given passage in the ‘LDA’ derives from the ‘Schedula’ via a process of re-working, or (as I would argue) whether the ‘Schedula’ and the ‘LDA’ represent two different versions of some lost archetypal ‘Schedula’. Such a type of re-evaluation has already occurred. As noted above, earlier editors included chapters now not given to Theophilus, notably certain chapters from Heraclius. Subsequent scholars, notably the influential Rozelle Parker Johnson23, thus included certain manuscripts in their lists of ‘Theophilus’ manuscripts erroneously, based only on the presence of these non-canonical chapters. (Indeed, the realisation that the ‘Schedula’ is very likely a compilation, of separable earlier elements, opens a can of worms. An extreme extension of this observation – that one must be cautious speaking of “derivation” since it implies a chain of dependency that may not be correct – would be that one could argue that the ‘LDA’/‘CAP’ text preserves the only accurate copy of the archetypal text from which Theophilus assembled the ‘Schedula’. That the ‘LDA’ is more practical than the ‘Schedula’ might be adduced in evidence. This would be an extreme 23

R. P. Johnson, The Manuscripts of the Schedula of Theophilus Presbyter, in: Speculum 13 (1938), 86–103.

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case of arguing recentiores non deteriores, and given the number of manuscripts with the non-‘LDA’ reading, this is unlikely, but I am noting it as advocatus diaboli, to highlight that one must remain alert for possible common sources and independently transmitted passages in Theophilus.) Be that as it may, once the core and phases of addition to the ‘Schedula’ are clarified better, it will be possible to identify which of those additions are present in the ‘LDA’, and it may even ultimately become possible to identify the precise copy of the ‘Schedula’ used by the ‘LDA’ compiler24. Nevertheless, it is possible to compare the ‘LDA’ with the de facto canon as commonly edited, and to perform detailed comparisons with the consensus readings of the majority of Theophilus manuscripts. Such comparisons demonstrate clearly that the ‘LDA’ and ‘CAP’ do, as Oltrogge suggested, preserve an alternate recension of Theophilus. Clearly in the majority of cases the ‘LDA’/‘CAP’ text of Theophilus preserves a more workshop-oriented text, a less literary text, a more practically useable text. Thus, as in other re-worked citations of earlier texts, the ‘LDA’ reclaims a “literary” text for use in the workshop. VI. A T heoretical or Practical ‘Schedula’? Theophilus emerges as a compiler, who assembled at least Book I, probably much of Book II, and probably some of Book III, and who added the theological philosophical prologues, and introduced the inter-book cross references. While Theophilus may indeed have been a “monk and priest”, it is unclear whether he was also a practicing craftsman. Parts of the ‘Schedula’ provide excellent technical descriptions (notably for metalwork), others are inadequate (notably for painting). It seems plausible that the Ur-‘Schedula’ (Theophilus’ original redaction) was most likely intended not for craftsmen but for overseers of craftsmen, or perhaps for patrons. It is commonly assumed that the intention and use of the ‘Schedula’ was practical. An alternative school of thought is that it was polemic: that is that it was theological, justifying the use of craft and luxurious objects; perhaps to be used to the “corporate identity” of a specific brand of monasticism and promote the use of sumptuary arts to the wilds east of the territory of the civilised German emperors, or to the barbarous French or English. In short, commentators do not agree on why the text was written: whether the author was principally concerned to transmit or promote certain standards and techniques in craft, or whether he was primarily concerned to contribute to the theological debate on the artes mechanicae and Church ornament. 24

One such clue is in the sequence after §2.2.1A = ‘Schedula’ I.17, where Theophilus inserts a passage noting that if you have no skins to cover a panel then you may use cloth instead. In ‘LDA’ and in the manuscript of Le Begue, this passage appears at the end of §2.3.1 = ‘Schedula’ I.19, a more appropriate location.

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In favour of the interpretation that the ‘Schedula’ was intended to be practical is the simple fact that it contains a quantity of good practical details. Contra is the variable quality and completeness of these instructions: it would be difficult to become a painter or a glazier based only on the information given in the ‘Schedula’. The Prologues could be adduced contra, but this is debatable: the intent could have been polyvalent, both practical and spiritual, like so much in the mediaeval world. For example, the instructions for casting censers are both technical instructions and a theological vindication of the artes in the service of the church. These questions are confused by the variation in the subsequent reception and use of the ‘Schedula’, which were clearly in some cases scholarly and in other cases practical. Regardless of the original intent and purpose of any given recipe manuscript (not only the ‘Schedula’), later copies may have been practical or “literary”. It has been noted that Theophilus seems to have enjoyed a “general” readership, that is readers that were not craftsmen, but who were interested in the natural world 25. This is certainly so26, but it is not the whole story. Whatever was the original intention of the author Theophilus, at least some of the subsequent Theophilus manuscripts were clearly intended for practical use by craftsmen. I have elsewhere demonstrated the use of codicology as a tool to assess how practical a manuscript was in intent, separating practical and literary sections of a manuscript, showing how even though a recipe manuscript (or ‘Schedula’ manuscript) is apparently integrated with non-workshop material, that is material for the “general reader”; sometimes codicological clues can separate out the truly practical recipes27. One excellent example is in Vienna, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2527. When I examined this manuscript in 2007 I discovered on fol. 33r, next to ‘Schedula’ recipe I.38 for verdigris (“de viridi hispanico”) a blob of green paint28. This is not necessarily a twelfth century blob, but nevertheless someone at some point had used this copy of the ‘Schedula’ for practical pur-

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D. Oltrogge, “Cum sesto et rigula”. L’organisation du savoir technologique dans le Liber diversarum artium de Montpellier et dans le De diversis artibus de Théophile, in: B. Baillaud/J. de Gramont/D. Hüe (eds.), Discours et Savoirs: Encyclopédies médiévales (Cahiers Diderot 10), Rennes 1998, 67–99. For the post-mediaeval copies, almost certainly so: Amiens, Bibliothèque municipale, Fonds l’Escalopier, Ms. 46 A (s. XVI); Uppsala, Universitetsbibliotek, Cod. D. 1600 (s. XVI); Venice, Biblioteca Nazionale Marciana, Ms. lat. 3597 (Lat. cl. 6, Cod. 199) (s. XVII); Vienna, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 11236 (s. XVII); London, British Museum, MS Sloane 781 (1699); Melk, Stiftsbibliothek, Cod. 768 (s. XVIII); Münster, Universitäts- und Landesbibliothek, Ms. Nk 90 (s. XVII) (Dines pers. comm.); Amiens, Bibliothèque municipale, Ms. 47 D (s. XIX); Amiens, Bibliothèque municipale, Ms. 117 (s. XIX); London, British Library, MS Add. 27459 (s. XIX). M. Clarke, Codicological indicators of practical mediaeval artists’ recipes, in: E. Hermens/J. Townsend (eds.), Sources and Serendipity. Testimonies of Artists’ Practice, London 2009, 8–17 and plates 3–6. Illustrated in Clarke, Codicological indicators (nt. 27), plate 6.

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poses. The manuscript seems, codicologically, a practical manuscript29. It is a palimpsest, and all the prologues are collected together at the front, as if “out of the way” of the practical material. This Vienna manuscript is, it seems to me, probably very close in form to the original redaction of Theophilus. In that hypothetical Ur-‘Schedula’ there would have been a number of schedulae of previously extant (but arguably redacted) technical recipes gathered together, probably collated as Book I and Book II together with a separate Book III, to which was added at the front a separate ‘Schedula’ containing the newly-composed Prologues. But as time passed, the nature of copies of the ‘Schedula’ altered. Notably, there were more and more copies of only Book I of the ‘Schedula’. These are indicated in the Table at the end of this paper. I find this selection process highly significant. Selection is the simplest form of re-working of a text to make it more suitable for a specific audience. In the (nearly 500) mediaeval artists’ recipe manuscripts that I have identified 30, there is a considerable degree of re-use of some of the same recipes. Very often the same recipes are found in a considerable number of manuscripts. But just because the same recipes are re-used does not necessarily mean that the later manuscripts are sterile, uninformed copies, and it does not necessarily mean that the later manuscripts have no relevance to the workshop practices at the time they were written down. I would argue that in a great many cases the choice of recipes to be copied was very deliberate, and that in a great many cases intelligent re-working took place in order to make the recipes more relevant to contemporary workshop practices. Each manuscript was re-worked for a specific audience. Different audiences had different requirements, as we shall see in the following examples. VII. Mediaeval Rece ption of the ‘Schedula’: Practical and Liter ar y Reworkings Dodwell mentioned the Montpellier ‘LDA’ only briefly in the review of surviving Theophilus manuscripts, dismissing it thus: “some extracts from [‘Schedula’] Book I will be found in [the ‘LDA’], though not in their original form.” 31 This unfortunate phrasing has perhaps done the most to propagate the erroneous belief that the ‘LDA’ is merely an incomplete and imperfect copy of Theophilus. In fact, it was consistently reworked from a variety of sources to become a practical handbook. The adaptation of a para-literary text to increase its practicality may be illustrated by two mediaeval (ca. 1400) re-workings of ‘Schedula’ chapter II.23. The first is from Wrocław, Biblioteka Uniwersytecka, Ms. IV 8° 9, foll. 68–70, written by the monk Zagan. The second is from the Montpellier ‘LDA’. Thompson called 29 30 31

The manuscript Wolfenbuttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. Gudianus lat. 2º 69 is codicologically more ambiguous. Clarke, Art of all colours (nt. 1) lists 450 manuscripts, and I have identified 50 since. Dodwell, Theophilus (nt. 8), lxx.

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the text of Zagan “very freely transcribed” 32. Unusually for so astute a commentator on mediaeval recipes, Thompson here missed the point. In fact it has not been “freely transcribed” but heavily interpolated and reworked. Like the ‘LDA’, Zagan added glosses and technical clarifications, with the result that his version is twice as long as the original ‘Schedula’ text; it is therefore, I suggest, an important example of the process of reclaiming para-literary texts for workshop use. ‘Schedula’ (after Dodwell, 52 sq.)

Zagan (Interpolations and alterations in italics)33

Interim fac tibi tabulam ferream ad mensuram furni interius, exceptis duobus digitis in longitudine et duobus in latitudine, super quam cribrabis calcem vivum, sive cineres spissitudine unius festucae, et cum aequali ligno ut firmiter jaceant. Habebit eadem tabula caudam ferream, per quam possit portari et imponi ac extrahi. Pones autem super eam vitrum pictum diligenter et conjunctim, ita ut in exteriori parte versus caudam ponas viride vitrum et saphirum, ac interius album croceum et purpureum, quod durius est contra ignem, et sic immissis trabibus pones super eos tabulam. Deinde accipes ligna faginea in fumo valde sicca, et accendes ignem modicum in furno, postea majorem cum omni cautela, donec videas flammam retro, et ex utraque parte inter furnum et tabulam ascendere, et vitrum transiendo atque quasi lingendo cooperire tamdiu, donec modice candescat; et statim ejiciens ligna obstrues os fornacis diligenter ac superius foramen, per quod fumus exibat, usque dum per se refrigeret. Ad hoc valet calx et cinis super tabulam, ut servet vitrum, ne super nudum ferrum a calore confringatur. Ejecto autem vitro, proba, si possis cum ungue tuo colorem eradere; si non, sufficit ei; sin autem, iterum repone. Tali modo partibus omnibus coctis, repone super tabulam singulas in suo loco; deinde funde calamos ex puro plumbo hoc modo.

Item fac tibi patellam ad mensuram furni interius exceptis duobus digitis in longitudine, et duobus in latitudinem et idem retro in fornace, ita quod flamma possit undique transsire per patellam. Et in fundo patelle criba calcem vivum siccum sive cineres ad spissitudinem unius festuce et cum penna compone eum, ut firmiter jaceat vitrum. Et tunc impone vitrum antiquum ubique super calcem et iterum cribra calcem, videlicet super vitrum antiquum, et cum penna compone, et post hoc impone vitrum depictum ubique, ita quod latus depictum jaceat ad fundum patelle super calcem, et iterum criba sicut prius et iterum impone vitrum, et iterum criba, et hoc fac usque quater vel quinquies, et supercriba calcem vel cinerem post ultimam imposicionem vitri depicta ad spissitudinem unius cultelli. Et iterum superpone antiquum vitrum ubique et sparge cinerme vel calcem. Sed nota quod in exteriori parte patelle debes ponere vitrum viride et saphirum i.e. silbirloth. Et in interius i.e. in medio pone album, croceum et purpureum, quod durius est contra ignem. Et in angulis et in medio et ante et retro impone super hoc, quod prius impositum, probas de antiquo vitro, que debent se extendere ultra patellam ad duo digitos. Et cum videris probas illas se declinare in una parte et in altera non, tunc abstrahe ignem huic parti, ubi se declinet, et trahe ad partem, ubi se non declinet. Et in medio patelle pone probam, longum scilicet vitrum in medio elevatum et pone patellam in fornacem. Deinde pone primo in orificio fornacis carbones succensas ad dimidiam horam, post hoc per totum fornacem, ut paulatim calefiat patella, deinde accipe ligna fuligina in furno bene siccata et fac ignem modicum in furno primo ante in orificio et paulatim ad intra, postea majorem cum omni cautela, donec videas flammam retro ex utraque parte intra fornum et tabulam ascendere et vitrum transeundo atque quasi lingendo, tamdiu donec candescat, et tunc caute habeas respectum ad probas ubique, sicut prius dixi, ubi declinent ibi abstrahe ignem et applica ad locum, ubi adhuc stent. Et specialiter videas, ut sub patella ignis sit ubique equalis. Et cum videris probam in medio patelle positam et circumquaque cecidisse, tunc cito extrahe lignum et obstrue ubique fornacem caute ac superius foramen, per quod fumus exhibat, usque dum per se refrigeret, et tunc expone vitrum et munda cum panno lineo.

32 33

D. V. Thompson, The Schedula of Theophilus Presbyter, in: Speculum 7 (1932), 199–220, 199, nt. 5. Adapted from K. Boulanger, Les traités médiévaux de peinture sur verre, in: Bibliothèque de l’École des chartes 162 (2004), 9–33.

Reworking Theophilus: adaptation and use in workshop texts

83

‘Schedula’ (after Dodwell, 52 sq.)

Montpellier ‘LDA’34

Interim fac tibi tabulam ferream ad mensuram furni interius, exceptis duobus digitis in longitudine et duobus in latitudine, super quam cribrabis calcem vivum, sive cineres spissitudine unius festucae, et cum aequali ligno ut firmiter jaceant. Habebit eadem tabula caudam ferream, per quam possit portari et imponi ac extrahi. Pones autem super eam vitrum pictum diligenter et conjunctim, ita ut in exteriori parte versus caudam ponas viride vitrum et saphirum, ac interius album croceum et purpureum, quod durius est contra ignem, et sic immissis trabibus pones super eos tabulam. Deinde accipes ligna faginea in fumo valde sicca, et accendes ignem modicum in furno, postea majorem cum omni cautela, donec videas flammam retro, et ex utraque parte inter furnum et tabulam ascendere, et vitrum transiendo atque quasi lingendo cooperire tamdiu, donec modice candescat; et statim ejiciens ligna obstrues os fornacis diligenter ac superius foramen, per quod fumus exibat, usque dum per se refrigeret. Ad hoc valet calx et cinis super tabulam, ut servet vitrum, ne super nudum ferrum a calore confringatur. Ejecto autem vitro, proba, si possis cum ungue tuo colorem eradere ; si non, sufficit ei; sin autem, iterum repone. Tali modo partibus omnibus coctis, repone super tabulam singulas in suo loco; deinde funde calamos ex puro plumbo hoc modo.

Super tabulam ferream ad mensuram furni preparatam ita ut in circuitu eius sit spacium inter ipsam et furnum interius cribrum calx sicca spissitudine unius festuce, et cum equali ligno componatur ut firmiter iaceat et plane, postea apponatur vitrum desuper pictum separatim ut non hereat et interius saphirum, et viride, exterius autem album, zallum, et alia que duriora sunt circha ignem, cum magna cautella, donec videbitur flamma circhumquaque intus furnum et tabulas ascendere, transire, et vitrum quasi tingendo cohoperire, donec refrigeretur, et ad hoc autem valet calx et cinis super tabulis, ne super nudum ferrum a calore ignis, vitrum confringatur.

In this second example, the Montpellier ‘LDA’ compresses the text of the ‘Schedula’ to around half the original length. The ‘LDA’ deletes redundant phrases (from “insert the bars” to “until you see the flame rising at the back”), and redundant details (from “now take out the glass” to “in its proper place”), and compresses others (such that “take the wood out […] until the kiln cools […]” becomes “until it shall be cooled”). The ‘LDA’ is a systematic instructional treatise focussed on the various techniques of painting, and so deletes phrases that do not affect the glass-painter but only affect the glazier, glass-maker or metal-worker (such as “the plate should also have an iron handle […]”, “then cast cames out of pure lead in this way […]”). There are also examples of what might be termed creative misunderstanding, or attempts to reverse informational entropy: for example by reading tingendo for lingendo, the ‘Schedula’ text “by passing over the glass and licking it, so to speak, covering it long enough to make it slightly redhot” becomes “going over the glass and covering it, as if colouring it”. Similar examples include ‘LDA’ § 2.2.1A “corio cervino equi” (“hide of a deer [or] horse”) for ‘Schedula’ I.17–18 “crudo corio equi, vel asini ” (“the raw hide of a horse or ass”), and Zagan’s “Tolle hircum tenerem et liga eum […]” (“take a goat, restrain and tie it”) for the ‘Schedula’ “Tolle hircum triennem et liga eum […]” (“take a three year old goat and tie it”).

34

From Clarke, Mediaeval Painters (nt. 2), §4.33.5, 290.

84

Mark Clarke

Clearly the versions of this ‘Schedula’ passage in the re-worked versions of the ‘LDA’ and of Zagan are, then, more workshop-oriented texts, less literary texts, and more practically useable texts. Other re-working examples might be cited that show developments in technique. Let us consider the most notorious recipe in the ‘Schedula’: that for oil paint. I would indeed suggest that not only is the ‘Schedula’ not gospel with regard to oil paint, but also that Theophilus did not really understand its pictorial applications. For example, I.26 reads “omnes colores […] in ligno ter debes ponere” (“all colours […] must be applied three times to wood”). While this may be suitable for painting a flat colour on to a door, it is not suitable for pictorial work, especially when taken in conjunction with the use of systematic modelling such as that outlined in I.1–16 (which originated with water-based media), it would be “tediosum et nimis” indeed in the primitive oil paint as described in the ‘Schedula’. In contrast, the understanding of oil technique is much more advanced in the Montpellier ‘LDA’. Unlike the ‘Schedula’, the ‘LDA’ clearly does intend oil to be used for pictorial work, as its several additions to Theophilus demonstrate35. The equivalent passage in the ‘LDA’ crucially omits the phrase “three times”. However, it does say to do something three times, namely to apply varnish. This critical modification clearly demonstrates that the redactor of the ‘LDA’ did not simply misunderstand the ‘Schedula’, but in fact understood the technical processes better, and so deliberately and intelligently reworked the text, re-cycling the finer phrases, but in such a way as to more accurately reflect the more sophisticated contemporary workshop practices. Such examples of modification to suit specific workshop practices provide a strong argument to counter the view that re-use of pre-existing recipes necessarily resulted in texts that were divorced from the realities of contemporary workshops. Another example that might be adduced is the gradual introduction of new materials (such as mosaic gold) which become incorporated into bodies of “reused” older texts, which would be highly unlikely if the texts were purely literary exercises. VIII. Types of Reworking There seems to have been a remarkable reluctance in the Middle Ages to compose a text from whole cloth, and this was equally true for technical texts as for literary ones. Why might a technical writer adapt an old text rather than simply write down his own technical knowledge? One answer was respect for authority and tradition. Another was probably that to describe a technical process clearly in one’s own words is surprisingly difficult. Fortunately for a mediaeval author-com-

35

Theophilus’ celebrated recipe for red oil paint for doors is conspicuous by its absence in the ‘LDA’: as is demonstrated throughout the ‘LDA’, especially in Book II, the Montpellier redactor takes the artistic use of oil paint for granted.

Reworking Theophilus: adaptation and use in workshop texts

85

piler of recipe books, the long life of certain technical practices and the relative rarity of technical innovation meant that extant recipe texts often remained largely relevant, and so often the compiler could be absolved of the necessity to compose new and elegant Latin, by adopting or adapting existing texts. A compiler might choose to copy the exact wording of a recipe, or to simply extract and rephrase the sense of it. The latter suggests some comprehension of the content, but the former does not necessarily imply uninformed copying. While texts would be copied word-for-word in the case of respected standard texts (scripture, auctores), it is well established that when copying scientific or encyclopaedic books it was common to correct or add content and glosses from other available relevant texts or from personal knowledge. This is very visible in mediaeval medical texts and recipes, and equally clearly it was also so for artists’ recipes. Typical mechanisms found in reworking of mediaeval artists’ technical recipe texts include: • Trivial textual changes. Certain recipes are the same as their sources with only trivial variants, e.g. compare ‘Schedula’ I.36 and ‘LDA’ § 1.16.5 which are almost identical, although the ‘LDA’ re-iterates the important point “not touching the vinegar”. • Omission of rhetoric. Theophilus was concerned to defend the theological aspects of craft, and, as Oltrogge argued, not to present comprehensive instructions for painting but rather the underlying idealised principles36, (perhaps thus a text suitable for a patron, overseer, or for someone commissioning rather than executing art). In stark contrast, the ‘LDA’ is wholly practical and as comprehensive as possible: it therefore omits the prologues of Theophilus, just as it omits the rhetorical prologue to the common ‘De coloribus et mixtionibus’ text it adopts37. Manuscripts that include sections of the ‘Schedula’ but which omit the Prologues are tabulated at the end of this paper. • Omission of some subjects. The ‘LDA’ retains only that which is of interest to a painter. There survive more copies of Theophilus Book I than of any other part, so Montpellier is not unique in this respect. Manuscripts containing only Book I are tabulated at the end of this paper. • Omission of inessential details. For example ‘LDA’ § 1.16.23, compared with other versions omits some unnecessary explanation (for example “in dung of horses, where it is hotter”), but adds a crucial final clarifying note that it is the supernatant liquid, not the solid, that is used for writing. In a quotation from ‘Vitruvius’ III.i.2–4 on ideal human proportions, the ‘LDA’ § 1.1.11 omits references to their use as a basis for architecture, and omits references to architectural land measurements and the proportions of temples: it does, however, preserve the reference to how observing these proportions attracted praise! More prosai-

36 37

Oltrogge, “Cum sesto et rigula” (nt. 25), 82. Clarke, Mediaeval Painters (nt. 2), 22.

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Mark Clarke

cally, ‘LDA’ § 1.16.17 begins as a close textual parallel of ‘Schedula’ I.18 (“cornua cervi […] igni”) but then compresses it considerably. • Extreme compression. If ‘LDA’ § 1.16.3 is compared with ‘Schedula’ I.35, to which it is clearly related, as shown by inclusion of certain phrases, for example “acetum calidum vel urinam subtus fundatur […] cohoperiatur, et in sterquilino ponatur, et post .iiij.or septimanas […] tollatur collectio”, the ‘LDA’ contains the same technical information, but compressed to less than a third of the length. • Alternatives suggested. The ‘LDA’ includes great numbers of alternative recipes for preparing materials. It also adds alternative materials and methods within individual recipes. Compare ‘LDA’ § 1.16.17 and ‘Schedula’ I.32 on tempering verdigris: the ‘Schedula’ lists possible additives “juice of an iris, a cabbage, or a leek”, but the ‘LDA’ extends this list: “juice of rue, or leaves of elder, or cabbage, or gladiolus that is morelle which is the best juice, or another very green plant.” In several instances where the source discusses gold the ‘LDA’ adds “or silver” (for example I.23, LDA § 1.31.1). In § 1.28.65 the ‘Schedula’ suggests alternative options of black and white for a modelling system, to which the ‘LDA’ adds cinnabar, azure, sinoper and green. • Glosses and clarifications added. These can be straightforward glosses such as “the red which is made from ochre which is calcined, that is burnt ochre” (‘LDA’ § 1.28.4C), axungia (axle-grease) as being made from pig fat, the obscure word pigmata (sic) as “a certain vessel”, or the rare Latinised Greek word calcucecumenon is glossed “id est flos eris” (all examples where the ‘LDA’ glosses recipes from the ‘Mappae clavicula’). Another interesting example, where the ‘LDA’ redactor appreciated potential terminological confusion and had the technical knowledge to resolve it, is in § 1.3.36 where he glossed “cinnabar” (cinabrium) as “that is the colour which is made from quicksilver”; he must have realised that here the recipe calls for cinnabar (mercuric sulphide), but that in many sources, especially classical sources, cinabrium can refer to red lead. The ‘LDA’ also adds short clarifications where a recipe is becoming confused, especially with respect to clarifying which of numerous previously mentioned preparations is meant when a complex recipe calls for “that material”. • Selection. Selection has already been touched on. The Brussels manuscript, for example, contains only a selection of the most practical sections of Theophilus Book I, and the ‘LDA’ example of selecting only painters’ instructions, has been discussed. It has long been appreciated that, when creating a new work of art, artefact, or literary composition, a mediaeval artist, craftsman or author typically first considered an existing model, prototype or exemplar, (whether from memory or not), before re-working it for the current purpose. Mediaeval artistic innovation is measured in degrees of departure from tradition. We should not then be surprised to find this same process of respectful re-use and careful controlled reworking in recipe texts. Because of informed re-working, students of mediaeval art technology need not be concerned that many recipe manuscripts include sources (such as the ‘Schedula’) that were already a couple of centuries old as if they

Reworking Theophilus: adaptation and use in workshop texts

87

were current: reworking could keep them up to date and relevant to contemporary workshop practice. It is precisely such deliberate and informed re-working that makes the copied recipes in the Montpellier ‘LDA’ so valuable. IX. Conclusions It is not only individual recipes that were re-worked. Clearly we must extrapolate this re-working and interpolation to apply to the whole corpus or ‘accepted standard’ text that now forms the present ‘Schedula’. I would argue that even the earliest or most ‘core’ or most ‘canonical’ standard accepted text that we have of the ‘Schedula’ (for example V or G) is itself a composite, assembled from various components with various additions and interpolations, compiled from various earlier sources at various times for different users. There were, clearly, several original purposes. Each redaction served a different purpose, the most dramatic re-purposing being, of course, the joining of technical material with the prologues. This process, then, is no different in Theophilus’ ‘Schedula’ than the process which is so highly visible in other mediaeval medical and technical treatises. Frequently, mediaeval artists’ recipe manuscripts clearly contain versions of earlier ‘standard texts’ in which the material has been adapted, abridged, and supplemented. As demonstrated for the ‘Schedula’, while some copies were made for nonworkshop use by scholars or general readers, nevertheless certain of these reworkings were clearly carried out in order to produce practical texts for use in workshops, and to reflect changes in workshop practices. Clearly (whatever the original purpose of their composition), texts such as the ‘Mappae clavicula’, ‘Heraclius’, and the ‘Schedula’ were used as base texts for practical workshop use until the fifteenth century. The original ‘Schedula’ was most likely precisely a collection of schedulae, that is, separate booklets or scraps, each containing a set of workshop notes. This collection was then redacted and enriched with prologues by some compiler, not necessarily a practitioner, whom it is convenient to continue to call “Theophilus”. Manuscripts of the ‘Schedula’ typically contain recipes other than those currently considered canonical. Future Theophilus scholarship must reconsider what should be included and omitted from this canon. Once it is clearer which recipes in the ‘Schedula’ manuscripts are additions, it will be possible to clarify relationships between the canon and ‘extracts’. Furthermore, certain variant fragments of the ‘Schedula’ found in other manuscripts may now be reconsidered as not necessarily corrupt, but as possibly representing stages in the accumulation of components. Clearly different ‘Schedula’ manuscripts were composed for different audiences that had different requirements. Like other mediaeval texts, the ‘Schedula’ was re-worked to best suit the specific needs of those specific audiences. Clearly textual variation is more than textual corruption. Dodwell, when editing the ‘Schedula’, omitted the Brussels ‘CAP’ and the Montpellier ‘LDA’, since

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Mark Clarke

they are extreme variants, and failed to note what I consider to be meaningful variations in the Le Begue manuscript (Paris, Bibliothèque nationale de France, Ms. lat. 6741). This was, I believe, a serious error. Date

MS

s. XII

Vienna, 3400 Österreichische Nationalbiblio., Cod. 2527





toc







√ (81*)

s. XII

Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. Gud. lat. 2° 69

3560





toc







√ (80–81 new)

0490

√? √?

√?

√?

√?

√?

√?

ca. 1200 Dresden, Sächsische Landesbiblio., Ms. J. 43

Clarke P.I I.1–37 200138

I.38 P.II II.1–31 P.III III.1–81 III.82–96

ca. 1200 Brussels, Biblio- 180, tèque Royale 185 de Belgique, Ms. 10152 (‘CAP’)

1–18, 20–21(a), 25, 28*, 31–37

s. XII– XIII

London, 1600 British Library, MS Harley 3915





s. XIII

Cambridge, University Library, MS 1131 (Ee 6 39)



0410





1510



1–30

ca. 1300 Leipzig, 1345 Universitätsbibliothek, Ms. 1157 (1144)





s. XIII– London, XIV British Library, MS Egerton 840A

38

Cf. Clarke, Art of all colours (nt. 1).

√?

87–90



















18–21, 79, 80

89, 91–95

17–19, 22, 28, 29, 32, 41

Reworking Theophilus: adaptation and use in workshop texts Date

MS

s. XIV

Oxford, 2730 Magdalen College Library, MS 173

1–13, 17–26, 27*

ca. 1400 Montpellier, 2090 Bibliothèque interuniversitaire, Section médecine, Fonds anciens, Ms. H 277 (‘LDA’)

1–27, 28*, 30–37

ca. 1400 Klosterneuburg, Stiftsbibliothek, CCI 331

1260



s. XV

Florence, Biblioteca Nazionale Centrale, Ms. Palat. 951

0880



1–16, 22–30, 33

1431

Paris, Bibliothèque nationale de France, Ms. lat. 6741

2790



1–27

1475

Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. Helmst. 1127

3540



1–29, 30–32, 35–38

s. XV

Wrocław, Biblioteka Uniwersytecka, Ms. IV 8° 9

3565

ca. 1500 Paris, Bibliothèque nationale de France, Ms. lat. nouv. acq. 1422

89

Clarke P.I I.1–37 I.38 P.II II.1–31 P.III III.1–81 III.82–96 2001

2940





KEY: * = Imperfect. ? = Illegible. P = Prologue.

19, 23, 28







1–17

1–12, 13*, 20*

46–49

22, 23, 27, 28

21





1–78

2. Terminologie und Technik

Ars Picturae Die Malerei in kunsttechnologischen Quellen des frühen und hohen Mittelalters D O (Köln) Die ‚Schedula diversarum artium‘ behandelt in drei Büchern die kunsttechnologischen Grundlagen von Malerei, Glasmalerei und Goldschmiedekunst. Auf den jüngsten Tagungen in Wolfenbüttel und Köln ist die Einheitlichkeit des Werkes, die bereits in der älteren Forschung bisweilen angezweifelt wurde, erneut in Frage gestellt worden1. Unabhängig von der Autorschaft der einzelnen Bücher bleibt allerdings festzuhalten, daß zumindest der Prolog, den bereits die beiden ältesten erhaltenen Handschriften in Wien (V) und Wolfenbüttel (G)2 überliefern, die drei Bücher als zusammengehörig verstand. Dabei muß vorerst offenbleiben, ob der Autor des Prologs kunsttechnologische Texte unterschiedlicher Provenienz nur redigierte, oder ob er ganz oder teilweise auch ihr Verfasser ist. Die Verschriftlichung kunsttechnologischen Wissens erfolgte im Mittelalter überwiegend in Form von Rezepten, in denen die Herstellung von Werkstoffen, also beispielsweise von Farbmitteln oder Verarbeitungstechniken, zum Beispiel die Vergoldung, beschrieben werden. Diese Vorschriften können in fachspezifischen Sammlungen erfaßt sein, häufig sind die Handschriften jedoch als umfassendere Kompendien der Artes konzipiert, in denen kunsttechnologische Angaben gemeinsam mit Informationen aus anderen Wissensgebieten, wie etwa der Medizin oder der Alchimie, überliefert werden. Die kunsttechnologischen Rezepte können nach verschiedenen Ordnungskriterien systematisch erschlossen sein, als deren wichtigste hier „Material“ und „Werkgattung“ zu nennen sind 3. So werden bei einer materialspezifischen Gruppierung beispielsweise alle Rezepte zu Gold oder Goldsurrogaten zusammengestellt, selbst wenn sie unterschiedliche Werktechniken wie Malerei und Goldschmiedekunst betreffen, während bei einer gattungsspezifischen Systematisierung Rezepte für die Malerei von solchen der Goldschmiedekunst getrennt

1 2 3

Zum Forschungsstand cf. den Beitrag von A. Speer in diesem Band, XI–XXXIII. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2527 (V) und Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 69 Gud. lat. 2° (G), beide aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Zu Beispielen aus dem Spätmittelalter cf. D. Oltrogge/R. Fuchs, Farbe in der Buchmalerei. Rezeptliteratur und Befunde, in: I. Bennewitz/A. Schindler (eds.), Farbiges Mittelalter. Akten des 13. Symposiums des Mediävistenverbandes (Bamberg, 2.–5. März 2009), Berlin 2011, 81–93.

94

Doris Oltrogge

behandelt werden. Häufig überlagern sich auch verschiedene Ordnungskriterien, allerdings wird selbst bei vornehmlich gattungsspezifisch ausgerichteten Rezeptsammlungen üblicherweise nicht versucht, die technischen Grundlagen des jeweiligen Kunsthandwerks vollständig zu erfassen. Der Zusammenhang mit Enzyklopädien ist evident 4, vor allem bei den materialspezifisch angelegten Rezeptsammlungen. Schwieriger ist die Beurteilung des werkstattpragmatischen Kontextes5. Dies ist zum Teil in der Individualität der Textsorte begründet. Rezeptsammlungen sind grundsätzlich offene Texte, die individuell exzerpiert und entsprechend den Intentionen des jeweiligen Kompilators neu systematisiert werden konnten. Dabei wurden auch ursprünglich als Einheit konzipierte Rezeptsequenzen oft auseinandergerissen und mit anderen Vorschriften durchschossen. Zusammengehörige Textgruppen lassen sich meist nur erschließen, wenn sie in mehreren Handschriften gleichartig vorkommen und in Nomenklatur und Schreibstil weitgehend übereinstimmen. Eine sprachliche Bearbeitung durch den Kompilator erfolgte üblicherweise nicht; meist beschränken sich Eingriffe in den Text auf die Erläuterung von Begriffen, die dem Kopisten mißverständlich erschienen. Die benutzten Quellen können bis in die Antike zurückreichen6, aber auch zeitgenössisch sein. Da Angaben über die jeweiligen Vorlagen jedoch fast grundsätzlich fehlen, lassen sich die verschiedenen Textschichten innerhalb einer Rezeptsammlung nur selten präzise datieren oder lokalisieren. Auch können Rezepte und als Einheit konzipierte Rezeptsequenzen in ihrem Entstehungskontext eine ganz andere Funktion gehabt haben als in den Rezeptsammlungen, in denen sie überliefert sind. Entsprechend müssen Funktion und Intention für jede Rezeptsammlung und für jede darin überlieferte isolierbare Rezeptsequenz gesondert untersucht werden. Waren sie für den pragmatischen Gebrauch in der Werkstatt angelegt oder eher als enzyklopädisches Lehrbuch theoretischen Wissens konzipiert, oder handelt es sich nur um eine unsystemati-

4

5

6

Die systematisierten Rezeptsammlungen sind in der Forschung zur mittelalterlichen Enzyklopädik bisher nur selten beachtet worden. Zu einer Rezeptsequenz in der Handschrift Avranches, Bibliothèque municipale, Ms. 235 cf. Ch. Meier-Staubach, La matérialité et l’immatérialité des couleurs. À propos du traité ‚De coloribus‘ d’Avranches 235, in: L. Callebat/O. Desbordes (eds.), Science antique – Science médiévale (Actes du colloque international, Mont-Saint-Michel, 4–7 septembre 1998), Hildesheim–Zürich–New York 2000, 451–469. Zum enzyklopädischen Ansatz der ‚Schedula‘ cf. S. Schuler, „Campum artium perscrutari“. Aspekte der Werkstoffbehandlung in mittelalterlichen Texten zu den künstlerischen artes mechanicae, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums (1995), 45–55. Pragmatisch wird hier in der engen Begrenzung auf die Funktion als Anleitung bzw. Gedankenstütze für die praktische Arbeit in einer Werkstatt verstanden, also nicht – wie sonst teilweise in der Literatur zur Enzyklopädik – auf die Verschriftung praktischen Wissens im Zusammenhang des enzyklopädisch-theoretischen Wissenstransfers. Hier ist vor allem die unter dem Namen ‚Mappae Clavicula‘ bekannte Sammlung zu nennen; cf. R. Halleux/P. Meyvaert, Les origines de la ‚Mappae Clavicula‘, in: Archives d’Histoire Doctrinale et Littéraire du Moyen Âge 54 (1987), 7–58.

Die Malerei in kunsttechnologischen Quellen des frühen und hohen Mittelalters

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sche Sammlung von Lesefrüchten? Diese Intentionen lassen sich nicht immer stringent trennen. So kann ursprünglich pragmatisch gedachte Information in späteren Kopien zu reinem Buchwissen mutieren, andererseits kann ein Kompilator enzyklopädische Interessen mit pragmatisch-werktechnischen verbinden7. Von diesen Rezeptsammlungen unterscheidet sich die ‚Schedula‘ grundlegend. Zwar enthält auch sie Rezepte, doch stehen diese fast grundsätzlich im Zusammenhang mit der Gesamtdarstellung des Werkprozesses, der für die Anfertigung eines Objektes, sei es der Malerei, Glasmalerei oder Goldschmiedearbeit, notwendig ist. Der Text ist didaktisch strukturiert: Durch interne Verweise und die Verwendung einer konsistenten Nomenklatur bildet jedes der drei Bücher einen in sich geschlossenen Traktat. Dabei referiert das der Glasmalerei gewidmete zweite Buch mehrfach auf das erste Buch zur Malerei, womit also beide einem gemeinsamen Konzept folgen. Das dritte Buch zur Goldschmiedekunst bildet dagegen ein eigenständiges Werk. I. Fachtraktate und fachspezifische Reze ptsequenzen Während aus dem Mittelalter mehrere hundert Handschriften mit kunsttechnologischen Rezeptsammlungen erhalten sind 8, finden sich Fachtraktate über die technischen Grundlagen eines Kunsthandwerks selten9. Neben den drei Traktaten der ‚Schedula‘ zu Malerei, Glasmalerei und Metallkunst sind dies im Hoch-

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8

9

Ein Beispiel ist der Tegernseer Mönch, Schreiber und Illuminist Konrad Sartori, der eine umfangreiche Rezeptsammlung zu verschiedenen kunsttechnologischen, medizinischen und weiteren Artes-Themen anlegte, in der Vorschriften für den eigenen Gebrauch ebenso aufgenommen sind wie – teilweise fehlerhaft überlieferte – Rezepte aus älteren Quellen; cf. D. Oltrogge, Der ‚Liber illuministarum‘ als kunsttechnologische Sammelhandschrift, in: A. Bartl/C. Krekel/ M. Lautenschlager/D. Oltrogge (eds.), Der ‚Liber Illuministarum‘ aus Kloster Tegernsee. Edition, Übersetzung und Kommentar der kunsttechnologischen Rezepte (Veröffentlichungen des Instituts für Kunsttechnik und Konservierung im Germanischen Nationalmuseum 8), Stuttgart 2005, 27–48, bes. 36–40. Mark Clarke nennt allein mehr als 400 Handschriften mit Rezeptsammlungen, die Vorschriften für die Malerei enthalten: M. Clarke, The Art of All Colours. Mediaeval Recipe Books for Painters and Illuminators, London 2001. Als Fachtraktat werden hier nur solche Texte verstanden, in denen versucht wird, die zu einer Gattung der Werkkünste gehörenden kunsttechnischen Grundlagen umfassend darzustellen. Dies erfolgt durch die didaktische Strukturierung des Materials, häufig verbunden mit theoretischen Reflexionen über Zielsetzung oder Inhalt, sowie ferner durch interne Verweise und gegebenenfalls die sprachliche Überformung unterschiedlicher Quellen durch eine vereinheitlichende Nomenklatur. Davon nur schwierig abzugrenzen sind fachspezifische Rezeptsequenzen, die zwar als Einheit konzipiert sind, in denen aber nur Teilaspekte der jeweiligen Werkkunst in thematischer Ordnung behandelt werden. Nicht zu den Traktaten werden dagegen Rezeptsammlungen gezählt, die aus unterschiedlichen Vorlagen ohne sprachliche Vereinheitlichung kompiliert sind. Allerdings können sich auch in systematisierten Rezeptsammlungen ähnliche Intentionen spiegeln wie in den Fachtraktaten und fachspezifischen Rezeptsequenzen.

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Doris Oltrogge

mittelalter nur noch die ‚Clarea‘ 10 und die mit den Worten ‚Cum optimum opus‘ beginnende kurze Abhandlung über die Buchmalerei in der Brüsseler Handschrift, Bibliothèque Royale de Belgique, Ms. 10147–5811. Einen Sonderfall stellt die unter dem Notnamen ‚De coloribus et mixtionibus‘ 12 bekannte Sammlung dar. Es handelt sich um eine fachspezifische Rezeptsequenz zur Buchmalerei, die seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in mehreren Handschriften identisch überliefert wurde13. Offensichtlich wurde in dieser Zeit eine bereits im späten 11. Jahrhundert erstmals faßbare Gruppe von Rezepten zur Herstellung synthetischer Pigmente um werktechnische Vorschriften erweitert14 und um einen Versprolog ergänzt, der eine theoretische Reflexion über die Ausbildung und Kenntnisse der Maler bietet15. Vielfach wurde allerdings nicht die vollständige Rezeptsequenz kopiert, sondern es wurden nur einzelne Exzerpte in andere Rezeptsammlungen übernommen. Nicht zu den Fachtraktaten gehören die ‚Mappae Clavicula‘ und die unter dem fiktiven Autornamen Heraclius geführten Texte. Die ‚Mappae Clavicula‘ besteht im Wesentlichen aus zwei in die Antike zurückgehenden Rezeptsammlungen zu verschiedenen Gattungen der praktischen Artes, die bereits vor dem 8. Jahrhundert vereint wurden16. 10

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Edition: R. E. Straub, Der Traktat ,De Clarea‘ in der Burgerbibliothek Bern. Eine Anleitung für Buchmalerei aus dem Hochmittelalter, in: Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft, Jahresbericht 1964, Zürich 1965, 89–114. Fol. 24v. Edition: H. Silvestre, Le Ms Bruxellensis 10147–58 (s. XII–XIII) et son ‚Compendium artis picturae‘, in: Bulletin de la Commission Royale d’Histoire 119 (1954), 95–140, hier 122–126, Nr. 15. Das Werk, das in der Handschrift keinen Titel trägt, wird im Folgenden mit dem Textbeginn ‚Cum optimum opus‘ benannt, um es von den übrigen Texten zur Malerei zu unterscheiden, die in der Brüsseler Handschrift überliefert werden. Als eigenständige Rezeptsequenz erstmals von Thompson beschrieben und benannt; D. V. Thompson, Artificial Vermillion in the Middle Ages, in: Technical Studies in the Field of the Fine Arts 2 (1933), 62–70, bes. 66, nt. 14. Cf. R. P. Johnson, Notes on Some Manuscripts of the ‚Mappae Clavicula‘, in: Speculum 10 (1935), 410–431; E. W. Bulatkin, The Spanish Word ‚Matiz‘. Its origin and semantic evolution in the technical vocabulary of medieval painters, in: Traditio 10 (1954), 459–527, bes. 488 sqq. A. Petzold, ‘De coloribus et mixtionibus’: The earliest Manuscripts of a Romanesque Illuminator’s Handbook, in: Linda Brownrigg (ed.), Making the Medieval Book: Techniques of Production. Proceedings of the 4th Conference of the Seminar in the History of the Book to 1500 (Oxford July 1992), Los Altos Hills–London 1995, 59-65. Die ältesten Handschriften sind aus England überliefert. Die älteste bekannte Handschrift mit der fachspezifischen Rezeptsequenz und dem Versprolog „Sensim per partes“ ist das Phillipps-Manuskript der ‚Mappae Clavicula‘ (Edition: T. Phillipps, Mappae Clavicula: a Treatise on the Preparation of Pigments During the Middle Ages, in: Archaeologia 32 [1847], 183– 244, bes. 187). Der Versprolog ist in vielen, aber nicht in allen Handschriften überliefert. Bisweilen leiten die Verse auch das erste Buch der ‚Schedula‘ ein, e.g. in London, British Library, MS Egerton 840 A. Halleux und Meyvaert (Les origines de la ‚Mappae Clavicula‘ [nt. 6]) unterscheiden eine alchemistische und eine werktechnische Hauptsequenz, die beide vermutlich bereits in der Spätantike entstanden und vor dem 8. Jahrhundert zusammengeführt wurden. Davon zu trennen sind Rezepte und Rezeptsequenzen anderer Provenienz, die in den verschiedenen Handschriften der

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Auch der ‚Heraclius‘ besteht aus mehreren heterogenen Teilen17. Die beiden ersten Bücher, die ganz beziehungsweise teilweise in Metren verfaßt sind18, behandeln verschiedene Themen der Kunsttechnologie, wie Farbmittel, Goldtuschen, Glastechniken, die Bearbeitung von Edelsteinen und die Metallvergoldung. Die Rezepte sind in den Handschriften in unterschiedlicher Abfolge aufgeführt, doch bestätigt ein Verweis im Buch II, c. 19, daß das Werk aus mindestens zwei Büchern bestanden hat19. Die Rezeptsequenzen springen in allen Manuskripten zwischen den verschiedenen Gattungen und Materialien, ein stringentes didaktisches Konzept ist nicht erkennbar. In der überlieferten Form handelt es sich bei den beiden ersten Bücher des ‚Heraclius‘ also nicht um einen Fachtraktat oder eine systematisierte Rezeptsammlung, sondern um ein Florilegium kunsttechnologischen Wissens, das kaum für einen werktechnisch-praktischen Gebrauch intendiert war. Nur in zwei Abschriften des 13. beziehungsweise 15. Jahrhunderts werden dem ‚Heraclius‘ – als ein drittes Buch – zudem Rezeptsequenzen unterschiedlicher Provenienz zugeschrieben; diese Texte sind, teilweise unter anderem Namen, auch in anderen Rezeptsammlungen überliefert20.

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‚Mappae Clavicula‘ interpoliert bzw. mit Exzerpten aus der ‚Mappae Clavicula‘ verbunden wurden. Edition nach den Handschriften Paris, Bibliothèque Nationale de France, Ms. lat. 6741 (Le Bègue-Manuskript, 1431) und London, British Library, MS Egerton 840A: A. Ilg, Heraclius, Von den Farben und Künsten der Römer. Originaltext und Übersetzung (Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance 4), Wien 1873 [Neudruck Osnabrück 1970]. Eine kritische Edition der ersten beiden metrischen Bücher ohne die Prosaversionen von Rezepten aus Buch I und II: C. Garzya Romano, Eraclio, i colori e le arti dei Romani e la compilazione pseudo-eracliana, Neapel 1996. Das dritte Buch ist bei Garzya weitgehend nach der Pariser Handschrift abgedruckt. Einige der Rezepte sind auch in einer Prosaversion überliefert, so bereits in der ältesten bekannten, im 11. Jahrhundert entstandenen Handschrift in Rochester, Eastman School of Music, Sibley Music Library, MS 1 (Acc. 149667) (cf. J. C. Richards, A new manuscript of Heraclius, in: Speculum 15,3 [1940], 255–271). Das Verhältnis der Vers- zu den Prosaversionen ist bisher nicht abschließend geklärt. Garzya Romano, Eraclio (nt. 17), XXI sq., hält die metrischen Texte für ursprünglich und legt sie daher ihrer kritischen Edition zugrunde. Dagegen grundsätzlich zur Priorität von Fachprosaschriften gegenüber den Lehrgedichten in der Antike cf. B. Effe, Dichtung und Lehre. Untersuchungen zur Typologie des antiken Lehrgedichts (Zetemata 69), München 1977, bes. 22–24. Der gleiche Verweis findet sich auch in der Prosaversion von II, 19, e.g. in Rochester (Edition: Richards, New manuscript [nt. 18], Nr. 9), dort aber fehlt im Text eine Einteilung in Bücher. Von Garzya Romano, Eraclio (nt. 17) daher als Ps.-Heraclius geführt. Zur Identifizierung der Farbenrezepte als Exzerpt aus einem interpolierten Faventinus-Text cf. M.-T. Cam/C. Jacquemard, Les interpolations médiévales dans la tradition manuscrite de M. Cetius Faventinus, in: Revue d’Histoire des Textes 32 (2002), 107–182, bes. 121 sq. Zu einzelnen Quellen cf. auch D. Oltrogge, Rezeptsammlungen und Traktate. Die Vermittlung kunsttechnischen Wissens im Früh- und Hochmittelalter, in: Ch. Stiegemann (ed.), Canossa 1077. Erschütterung der Welt. Geschichte, Kunst und Kultur am Aufgang der Romanik (Ausstellung in Paderborn 21.7.–5.11.2006, Katalogband), vol. 1, München 2006, 555–562. Fraglich ist, ob sämtliche der nur im Le Bègue-Manuskript (nt. 17) überlieferten Rezepte überhaupt zu einem Buch III des Ps.-Heraclius zu zählen sind oder ob es sich nicht nur um eine individuell interpolierte Rezeptsammlung handelt; eine

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Auch Fachtraktate konnten in Rezeptsammlungen vollständig oder als Exzerpte integriert werden. So ist der ‚Cum optimum opus‘-Traktat in der Brüsseler Handschrift zusammen mit Rezeptsequenzen aus anderen Quellen überliefert, darunter auch Vorschriften aus Buch I und III der ‚Schedula‘, die allerdings einer abweichenden Textredaktion angehören 21. Auch in den Handschriften der ‚Schedula‘ wurden teilweise Einzelrezepte interpoliert, jedoch haben die Kopisten auf eine Anpassung der Fachnomenklatur verzichtet. Interessanterweise sind unter den hochmittelalterlichen Fachtraktaten beziehungsweise fachspezifischen Rezeptsequenzen gleich vier, die sich der Malerei widmen: Buch I der ‚Schedula‘, die ‚Clarea‘, der ‚Cum optimum opus‘-Traktat sowie die ‚De coloribus et mixtionibus‘-Rezeptsequenz. Diese Tradition setzt sich mit dem ‚De arte illuminandi‘ 22, dem Montpellier-Manuskript23 oder Cennino Cennini 24 im Spätmittelalter fort und auch in der Neuzeit sind Abhandlungen über die Malerei weitaus häufiger als solche über andere künstlerische Gattungen. Die Malerei wurde also offenbar recht früh als eine eigene Disziplin verstanden, deren Grundsätze sich nicht nur praktisch, sondern auch theoretisch in didaktischen Schriften vermitteln ließen. Also vielleicht bereits eine ars picturae 25, wenn auch nicht im Sinne einer künstlerischen Gattung, sondern eher analog zur ars medicinae, der Medizin? II. Inhalte und Str uktur der hochmittelalterlichen Traktate zur Malerei Im Folgenden soll untersucht werden, welche Konzepte den frühen Traktaten zur Malerei zugrunde liegen. Eine wesentliche Frage ist dabei, ob es einen Konsens über Lehrinhalte, Strukturen und Terminologie gibt, oder welche individuelle Zielsetzung verfolgt wird. Idealerweise müßten auch die systematisierten Rezept-

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Gegenüberstellung mit dem Egerton-Manuskript bei I. Villela-Petit, Copies, Reworkings and Renewals in Late Medieval Recipe Books, in: J. Nadolny (ed.), Medieval Painting in Northern Europe: Techniques, Analysis, Art History. Studies in commemoration of the 70th birthday of Unn Plahter, London 2006, 167–181, bes. 169 sqq. Diese Texte finden sich verstreut in der Handschrift, bes. foll. 25r–26v; cf. Cum optimum opus, ed. Silvestre (nt. 11), 128–139. Dazu auch unten. Neapel, Biblioteca Nazionale, Ms. XII E 27; Edition: F. Brunello, De Arte Illuminandi e altri trattati sulla technica della miniatura medievale, Vicenza 1975, 21992. Montpellier, Bibliothèque interuniversitaire, Section médecine, Fonds anciens, Ms. H 277; Edition: G. Libri, Catalogue général des manuscrits des bibliothèques publiques des départements, vol. 1: Les manuscrits de la bibliothèque de l’École de Médecine de Montpellier, Paris 1849, 739–811; M. Clarke, Mediaeval Painters’ Materials and Techniques. The Montpellier Liber diversarum arcium, London 2011. Cennino Cennini, Il Libro dell’Arte. Edition u. a.: F. Brunello, Il libro dell’arte, Vicenza 1971. In dem im 13. Jahrhundert erstellten Inhaltsverzeichnis der Handschrift in Cambridge, University Library, MS 1131 (Ee. 6 39) wird die ‚Schedula‘ als ‚Theophilus De diuersis artibus picture‘ geführt.

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sammlungen in eine derartige Untersuchung einbezogen werden, um zu klären, ob hier gegebenenfalls ähnliche Intentionen erkennbar sind. Das ist allerdings im Rahmen dieses Beitrags nur ansatzweise möglich26. Zunächst zu den Inhalten: Da die einzige Handschrift der ‚Clarea‘ 27 nur unvollständig erhalten ist, läßt sich der Themenumfang des Traktats nicht mehr vollständig bestimmen. Der erhaltene Teil des Textes beschäftigt sich ausschließlich mit der Buchmalerei und es gibt keinen Hinweis darauf, daß darüber hinaus noch andere Gattungen der Malerei erörtert werden sollten. Als Sachthemen werden die Herstellung von Bindemitteln, ihre Verarbeitung mit Farbmitteln, die Farbmittelherstellung und die Vorbereitung des Mal- beziehungsweise Schreibgrundes besprochen. Der fehlende Textteil behandelte den Vorgang des Malens in Form von Modellierungsvorgaben, also die Gestaltung von Bildgegenständen durch den schichtweisen Farbauftrag. Möglicherweise folgten noch weitere Themen, diese sind aber nicht sicher zu erschließen. Der Traktat ‚Cum optimum opus‘ ist ebenfalls auf die Gattung der Buchmalerei beschränkt28. Wie in der ‚Clarea‘ werden die Herstellung von Bindemitteln und Farbmitteln, das Anreiben der Farben, die Vorbereitung des Malgrundes sowie die malerische Bildgestaltung durch die Modellierung besprochen. Ein zusätzliches Thema ist die Vergoldung 29. Darüber hinaus werden Hinweise zum technischen Vorgehen beim Malen und zum Arbeitsplatz gegeben. Auch die Rezeptsequenz ‚De coloribus et mixtionibus‘ ist der Buchmalerei gewidmet; behandelt werden jedoch nur Farbmittelherstellung, Modellierung und Vergoldung. Nur kurz wird das Anreiben mit Bindemitteln erwähnt, die Herstellung der Bindemittel oder die Malgrundbearbeitung finden keine Erwähnung. 26

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Bisher sind nur wenige mittelalterliche Handschriften vollständig publiziert. Die Editionen von ‚Schedula‘, ‚Heraclius‘ oder ‚Mappae Clavicula‘ hatten üblicherweise das Ziel, einen „ursprünglichen“ Text zu rekonstruieren, ohne die Überlieferungskontexte der jeweiligen Rezeptsammlung einzubeziehen. Damit werden als nicht authentisch erachtete Rezepte ausgeschieden oder die Systematik der einzelnen Handschriften vernachlässigt (so z.B. in der jüngsten Edition des Heraclius durch Garzya, Eraclio [nt. 17]). Rezeptsammlungen sind jedoch nicht grundsätzlich unreflektierte Kopien einer Vorlage, sondern können in Auswahl und Systematisierung von Exzerpten aus unterschiedlichen Quellen sowie gegebenenfalls eigener Addenda individuelle wie zeittypische Konzeptionen der kunsttechnologischen Artesliteratur spiegeln. Ähnlich hat bereits Thompson mehrfach gefordert, Handschriften und nicht „Werke“ zu edieren, e.g. D. V. Thompson, Theophilus Presbyter: Words and Meaning in Technical Translation, in: Speculum 42 (1967), 313–339, bes. 313. Mit dem geplanten Portal des Kölner Theophilus-Projektes werden zumindest die ‚Schedula‘-Handschriften als individuelle Zeugnisse zugreifbar sein. Eine vorbildliche Edition einer Handschrift mit Diskussion der verschiedenen Texttraditionen hat jüngst Mark Clarke für das Montpellier-Manuskript vorgelegt (cf. Clarke, Mediaeval Painters [nt. 23]). Bern, Burgerbibliothek, Cod. A 91.17. Die Handschrift wurde im späten 11. Jahrhundert in Frankreich geschrieben, eine Herkunft aus Fleury ist möglich, aber nicht gesichert; cf. Straub, Der Traktat ,De Clarea‘ (nt. 10), 90. Auch dieser Traktat ist nur in einer einzigen Handschrift überliefert. Das Brüsseler Manuskript wurde um 1205 vermutlich in Stablo geschrieben; cf. Silvestre, Le Ms Bruxellensis (nt. 11), 110. Es ist möglich, daß in den verlorenen Schlußkapiteln der ‚Clarea‘ auch die Vergoldung behandelt wurde.

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Dagegen umfaßt das erste Buch der ‚Schedula‘ 30 alle mittelalterlichen Gattungen der Malerei: Buch-, Faß-, Wand- und Tafelmalerei, einschließlich der Malerei auf Holzdecken. Ansonsten entsprechen die behandelten Themen weitgehend denen von ‚Clarea‘ und ‚Cum optimum opus‘: Herstellung von Farbmitteln und Bindemitteln, Anreiben von Farbmitteln, Vorbereitung des Malgrundes, malerische Gestaltung durch Modellierung und Vergoldung, sowie Angaben über das technische Vorgehen beim Malen. Trotz der Übereinstimmungen bei der Themenwahl ist die Behandlung der einzelnen Punkte in den Traktaten recht unterschiedlich, sowohl in der Gewichtung als auch in der Systematik. Der erhaltene Teil der ‚Clarea‘ widmet sich fast ausschließlich der Herstellung von Bindemitteln. Das Anreiben der Farbmittel und die Beurteilung und Verbesserung der Pergamentqualität sind in eine detaillierte Abhandlung über Eiklarund Eidotterbindemittel eingebettet. Auch das einzige Rezept zur Herstellung eines Farbmittels, ein Safrangelb wird im Kontext der Verarbeitung mit dem Bindemittel behandelt. Als eigener, neuer Themenkomplex wird anschließend der Farbauftrag beschrieben, zunächst die Ausführung monochromer Buchstaben, dann – nahezu vollständig verloren – die Modellierung. Die Systematik folgt weitgehend den praktischen Notwendigkeiten im Arbeitsprozeß, also zunächst Bindemittelherstellung und Anreiben von Farben, dann die eventuell notwendige Oberflächenbehandlung des Pergamentes und schließlich die Ausführung der Malerei. Die Farbmittel sind mit Ausnahme des Safrangelbs verfügbare Werkstoffe, deren Herstellung nicht zum Lehrinhalt des Traktats gehört31. Der Autor wendet sich in lehrhafter Rede unmittelbar an einen Schüler beziehungsweise weniger erfahrenen Maler32. Ausführlich werden nahezu alle Arbeitsschritte, Geräte, aber auch die Beschaffenheit der zu erwartenden Produkte geschildert, der beschriebene Quirl sogar in einer Randzeichnung abgebildet33. Für die Qualitätskontrolle werden Beschreibungen möglicher Ergebnisse geliefert, die eindeutig auf Erfahrung beruhen; mehrfach bemüht sich der Autor, für bestimmte Phänomene eine quasi „naturwissenschaftliche“ Erklärung zu liefern, so erkennt er beispielsweise, daß Eiklar in kupferhaltigen Gefäßen grün wird. Die praktische Anleitung wird mehrfach durch allgemeine theoretische Reflexionen unterbro30

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Im Folgenden als ‚Schedula I‘ bezeichnet. Die Überlieferung der ‚Schedula‘ ist noch nicht abschließend geklärt. Grundlage der hier vorgestellten Überlegungen ist die Fassung, die in den beiden ältesten erhaltenen Handschriften G und V vorliegt. Die Abfolge der Kapitel entspricht in beiden Manuskripten der Edition von C. R. Dodwell, Theophilus, De diversis artibus – The Various Arts, London 1961 [Neudruck Oxford 1986, 1998]. Die Zählung in diesem Beitrag entspricht also der in der Edition Dodwells. Aufgrund der Systematik des Traktates ist es wenig wahrscheinlich, daß die Farbmittelherstellung in den verlorenen Schlußkapiteln beschrieben wurde. Der Autor spricht von sich nicht als Lehrer, sondern nur als „doctior“ („erfahrener“); De Clarea, ed. Straub (nt. 10), 101 sq. Cf. Bern, Burgerbibliothek, Cod. A 91.II [Nr. 17], fol. 2r.

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chen. In diesen hebt der Autor den didaktischen Anspruch seines Werkes hervor34, zugleich aber auch die Notwendigkeit praktischer Übung35. Der Traktat ‚Cum optimum opus‘ setzt mit einer allgemeinen Einleitung über die notwendigen Arbeitsmaterialien und -geräte ein. Es folgt, sehr viel kürzer als in der ‚Clarea‘, die Herstellung eines Eiklar-Bindemittels. Anschließend wird der Auftrag von Blattgold in der Buchmalerei beschrieben. Nun werden die Farbmittel angerieben; eingeschoben ist hier die Herstellung eines Brasilfarbmittels sowie ein knapper Hinweis auf die Produktion von Rebschwarz. Weitere Rezepte für die Gewinnung von Farbmitteln fehlen, sie werden nach Aussage der Einleitung als verfügbare Werkstoffe vorausgesetzt. Schließlich werden verschiedene koloristische Möglichkeiten vorgestellt, mit denen Gewänder gestaltet werden können36. Abschließend folgen einige Hinweise zum Arbeitsplatz, zur Aufbewahrung der angeriebenen Farben, zur Oberflächenbehandlung des Pergamentes sowie zu möglichen Problemen bei der Haftung der Malschichten auf dem Träger und Lösungsvorschläge. Auch hier folgt die Systematik weitgehend den praktischen Notwendigkeiten im Arbeitsprozeß, wobei die Gewichtung der einzelnen Themen ausgewogener ist als in der ‚Clarea‘; die Angaben sind deutlich knapper gehalten. Der Autor spricht in der ersten Person Plural 37 und verweist mehrfach auf persönliche Erfahrungen. Dennoch sind die mitgeteilten Beobachtungen nicht sehr detailliert, nicht immer werden alle notwendigen Arbeitsschritte beschrieben, weshalb im Brasilrezept beispielsweise das Entfernen der Holzsplitter durch Filtrieren fehlt. Über die Intentionen seines Werkes teilt der Verfasser nichts mit. Die Rezeptsequenz ‚De coloribus et mixtionibus‘ behandelt zunächst recht ausführlich die Herstellung synthetischer Pigmente. Anschließend werden die Farbmittel der Buchmalerei aufgezählt, denen als Bindemittel Eikläre zugewiesen wird; die Herstellung dieses Bindemittels wird ebensowenig beschrieben wie die 34 35

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Cf. De Clarea, ed. Straub (nt. 10), 94 sq.: „[…] ad utilitatem instruendo alios.“ („[…] zur Unterweisung anderer.“) Cf. op. cit., 100 sq.: „[…] potes probare et intelligere potius per temet ipsum tractantem, quam per me scribentem.“ („[…] daß du dies … durch eigene Praxis weit besser erproben und erfahren kannst als durch das, was ich schreibe.“) Diese unterscheiden sich sowohl in den verwendeten Farben als auch in den Bezeichnungen der Farbmittel deutlich von der ‚De coloribus et mixtionibus‘; einzig die Fachwörter für den Auftrag dunklerer und hellerer Modellierungsstufen, incidere und matizare, stimmen überein. Es handelt sich demnach um einen eigenständigen Text, nicht um die „versione più completa“ der ‚De coloribus et mixtionibus‘, wie Tosatti annimmt (cf. S. B. Tosatti, Trattati medievali di techniche artistiche, Mailand 2007, 55). Es ist allerdings möglich, daß dem Autor des ‚Cum optimum opus‘ eine ‚De coloribus et mixtionibus‘ als literarisches Vorbild diente, dazu auch unten. Daneben finden sich vereinzelt Passivformen („ponatur“ etc.); zumindest in einem Fall, bei der Variante zum Auftrag von Blattgold, wird mit dieser Form die Information von Anderen („Quidam vero affirmant …“; Cum optimum opus, ed. Silvestre [nt. 11], 123) von den selbst ausgeübten Techniken unterschieden. In den übrigen Rezeptsequenzen und Einzelrezepten der Brüsseler Handschrift wird die 1. Person Plural nicht verwendet; auch dadurch erweist sich der Traktat ‚Cum optimum opus‘ als eigenständiges Werk innerhalb der Brüsseler Rezeptsammlung.

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Fabrikation des Pergamentleims, mit dem die Goldtusche vermalt werden soll. Die folgenden Angaben über die Farbgestaltung der Malerei beziehen sich nicht wie im ‚Cum optimum opus‘-Traktat nur auf Gewänder, sondern nennen auch eine Modellierung für das Inkarnat sowie Farbmischungen für Bildhintergründe (campus). Zum Schluß werden noch Farbmittelunverträglichkeiten benannt sowie der Auftrag von Goldtusche beschrieben. Durch die Erweiterung einer Sammlung von Farbmittelrezepten um Vorschriften zur Modellierung schuf der Kompilator der ‚De coloribus et mixtionibus‘ eine Rezeptsequenz, in der zwei Aspekte der Buchmalerei behandelt werden. Der vorangestellte Versprolog benennt programmatisch die Themen: „Artis pictorum prior est factura colorum / Post, ad mixturas convertat mens tua curas / Tunc opus exerce …“ 38 („Zuerst in der Kunst der Maler kommt die Herstellung der Farben / Dann sorge dafür, daß dein Geist sich den Mischungen zuwendet / Sodann führe das Werk aus …“). In dieser, der Logik des Werkprozesses folgenden Abfolge, hat der Kompilator die beiden aus unterschiedlichen Quellen stammenden Rezeptreihen angeordnet. Der Autor der Modellierungsvorschriften wendet sich zu Beginn direkt an den Hörer39; ähnlich werden auch die Farbenrezepte mit dem Konditionalsatz „si vis facere …“ („Wenn du machen willst …“) eingeleitet. Dabei handelt es sich aber vermutlich nicht um eine bewußte sprachliche Angleichung der beiden Textteile, da die Nomenklatur ansonsten nicht vereinheitlicht ist. Ein Beispiel ist die Bezeichnung von Bleiweiß im Herstellungsrezept als minium album beziehungsweise cerosa bezeichnet und dagegen in den Modellierungsanweisungen als album plumbum 40. III. Die Systematisier ung der ars picturae in Buch I der ‚Schedula‘ Die ‚Schedula I‘ ist schon allein wegen ihrer Ausweitung auf die vier Gattungen der Malerei komplex angelegt 41. Für die Systematik des Textes spielen allerdings diese Gattungen nur eine sekundäre Rolle. Auch ist ihre Behandlung recht unterschiedlich. So wird die Vorbereitung des Malgrundes für die Tafel- und Faßmalerei sehr ausführlich beschrieben, für die Wandmalerei finden sich dagegen nur einzelne Hinweise, bei der Buchmalerei fehlt das Thema ganz. Zentrales Thema der ‚Schedula I‘ ist die malerische Bildgestaltung, also die Zusammenstellung von Farben in der Modellierung. Während der ‚Cum optimum opus‘-Traktat nur einige koloristische Vorgaben für Gewänder liefert und 38 39 40 41

Mappae Clavicula, Incipit Libellus, ed. Phillipps (nt. 15), 187. Im Rezept zu den Mischungen heißt es „… diligenter aurem appone“ („… spitze gründlich das Ohr“); ibid., 188 („De mixtionibus“). Ibid. Eigentlich wäre auch noch die in Buch II behandelte Glasmalerei hinzuzuzählen, deren Modellierung an die Vorgaben in Buch I angepaßt ist.

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‚De coloribus et mixtionibus‘ mit einer zusätzlichen Angabe für das Inkarnat nur wenig darüber hinausgeht, bezieht die ‚Schedula I‘ alle denkbaren Bildgegenstände ein, also Inkarnate, Gewänder, Architektur, Möbel, Bäume, Landschaft sowie das Motiv des Regenbogens. Eingeschoben sind einige technische Hinweise auf Besonderheiten bei der Wahl und Verarbeitung der Farbmittel für die Wandmalerei. Diese Anleitung zur künstlerischen Verwendung der Farbe nimmt das erste Drittel des Malereibuches der ‚Schedula‘ ein (I, c. 1–16). Anschließend wird die Technik der Tafel- und Faßmalerei behandelt: die Anfertigung der Maltafeln, die Vorbereitung des Malgrundes, die Grundierung, die Herstellung von Kitten, Leimen, Öl-Harzfirnissen, Öl- und Gummibindemitteln sowie von Blattgold und Blattzinn für die Metallauflagen und schließlich die Applikation von Metallen und Farben (I, c. 17–27). Darauf folgt die Herstellung von Metalltuschen und Bindemitteln für die Buchmalerei sowie der Auftrag von Metallen und Farben im Buch (I, c. 28–32). Am Schluß stehen einige Rezepte für die Gewinnung von Farbmitteln, für einen organischen Farbstoff aus Folium sowie für die synthetischen Pigmente Zinnober, Kupfergrün in zwei Varianten, Bleiweiß und Mennige und schließlich für eine Eisengallustinte (I, c. 33–38). Wie in der ‚Clarea‘ wird der Leser beziehungsweise Hörer in lehrhafter Rede unmittelbar angesprochen, wie dort sind die Beschreibungen der ‚Schedula I‘ außerordentlich detailliert. Dennoch sind keineswegs alle notwendigen Arbeitsschritte genannt. So ist die Herstellung des Eiklarbindemittels nur unpräzise beschrieben42, die des Kalkbindemittels für die Wandmalerei gar nicht. Auch erfährt man nichts über die Technik der Entwurfszeichnung, die ohnehin nur eher beiläufig bei der Faß- und Buchmalerei Erwähnung findet 43, obwohl sie natürlich in allen Gattungen vorauszusetzen ist. Im Gegensatz zu den anderen Traktaten ist die Systematik der ‚Schedula I‘ nicht stringent am Werkprozeß ausgerichtet, vielmehr überlagern sich verschiedene Konzepte. Betrachtet man den Gesamttext, so ist die praktische Arbeitsabfolge geradezu auf den Kopf gestellt, indem die Herstellung der Farbmittel am Schluß, ihre Verwendung aber zu Beginn des Traktates besprochen wird. Andererseits sind die Abschnitte über die Tafelmalerei, bedingt auch jene über die Buchmalerei weitgehend als konsekutiver Werkprozeß beschrieben. Die Frage ist allerdings, ob diese Beschreibung auch grundsätzlich am realen Arbeitsablauf orientiert ist. In einigen Fällen, etwa bei der Vorbereitung der Maltafel, ist das plausibel, in anderen Fällen dagegen erscheint das Vorgehen redundant, so beispielsweise, wenn erst dann das Blattmetall geschlagen oder die Goldmühle gebaut wird, während Tafel beziehungsweise Pergament schon bereit liegen. Die Vorgabe des ‚Cum optimum opus‘, zunächst alle Arbeitsmaterialien zu versammeln, danach die noch notwendigen herzustellen und erst anschließend mit der Ausführung der Malerei zu beginnen, erscheint jedenfalls praxisnäher.

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Cf. Schedula, I, c. 29. Cf. op. cit., I, c. 22 und 28.

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Der Autor der ‚Schedula I‘ orientiert sich dagegen am übergeordneten Werk, so zum Beispiel an der Tafelmalerei; die Herstellung der jeweiligen Werkstoffe wird – mit Ausnahme der Farbmittel – bei ihrer Erstverwendung besprochen. Dieses eher assoziative Verfahren der Strukturierung läßt sich auch bei den Exkursen beobachten, die beispielsweise ein Instrument näher erläutern. Die Wandmalerei wird sogar ganz in Form solcher Exkurse abgehandelt, die in die Besprechung der koloristischen Gestaltung der Malerei eingeschoben sind. Ausgangspunkt sind jeweils Besonderheiten, die bei der Verwendung bestimmter Farben auf der Wand zu berücksichtigen sind. Dem werden dann aber noch allgemeine maltechnische Bemerkungen zur Wandmalerei angefügt. Da sich diese Angaben auf verschiedene Kapitel verteilen44, läßt sich der praktische Arbeitsablauf nicht nachvollziehen. Die Inkongruenzen in der Systematik der ‚Schedula I‘ sind offensichtlich dadurch bedingt, daß der Autor – soweit man aus den erhaltenen Quellen erschließen kann – den ersten und offenbar auch für lange Zeit einzigen Versuch unternahm, eine umfassende Abhandlung über die Malerei zu verfassen. Dies erforderte die Berücksichtigung aller Gattungen der Malerei, die Einbeziehung aller denkbaren Bildgegenstände in die Modellierungsvorgaben und ebenfalls die Behandlung der verwendeten Grundstoffe. Damit ergab sich das Problem, vier verschiedene Maltechniken zu beschreiben, für die teilweise gleiche Bindemittel und Farbmittel genutzt wurden und für die fast ausnahmslos dieselben koloristischen Modelle galten. Der Autor löste dies, indem er die künstlerischen Vorschriften an den Anfang stellte und danach auf die einzelnen Techniken einging. Dabei versuchte er auch, durch Verweise Wiederholungen zu vermeiden, so beim Gummibindemittel, dessen Herstellung bei der Tafelmalerei besprochen und bei der Buchmalerei nicht nochmals wiederholt wird 45. Diese komplizierte Verweisstruktur ist dann wohl auch ein Grund dafür, daß in anderen Fällen ein präzises Rezept ganz fehlt, wie für das Eiklar- und das Kalkbindemittel. Die Schwierigkeiten, den vielfältigen Stoff systematisch zu ordnen, spiegeln sich auch in den verschiedenen Redaktionen des Kapitelverzeichnisses zu Buch I wider. Während die Anordnung der Kapitel im Text in nahezu allen Handschriften übereinstimmt, weisen die Kapitelverzeichnisse unterschiedliche Sequenzen auf (cf. Tab. 1). So sind in den beiden ältesten erhaltenen Handschriften V und G46 die Rezepte für die Herstellung von Farbmitteln und Tinte vor der Zubereitung der Holztafeln eingefügt; sie folgen damit zwar immer noch werktechnisch unlogisch auf die Anwendung in der Modellierung, ihre Anordnung vor den maltechnischen Vorschriften zum Farbenanreiben und -auftrag entspricht aber dem praktischen Arbeitsprozeß. In G werden die Kapitel zur Herstellung von Folium, Zinnober, Salz- und Spanischgrün sowie Bleiweiß am Schluß des Kapitelverzeich-

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Cf. op. cit., I, c. 2, c. 14–16, c. 23. Cf. op. cit., I, c. 25 bzw. c. 32. Cf. supra, nt. 2.

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nisses nochmals wiederholt und so der veränderten Stellung dieser Rezeptfolge im Text angepaßt. Spuren dieser vermutlich älteren Konzeption der Systematik sind auch noch in den Kapitelverzeichnissen der Handschriften in Dresden (D) und Leipzig (L) zu finden, hier sind jedoch nur noch zwei der Farbmittelrezepte vor der Zubereitung der Maltafel aufgeführt, das „viride hispanicum“ dann nochmals am Schluß des Verzeichnisses wiederholt. In D weicht auch die Abfolge im Text von allen anderen Handschriften ab, da hier das Kapitel über die Herstellung der Foliumfarbe ganz an den Anfang gestellt ist 47. Eventuell gab es also auch eine Textredaktion, in der zumindest geplant war, mit der Farbmittelherstellung zu beginnen und damit die Systematik des Textes dem technischen Arbeitsablauf unterzuordnen. Die alleinige Voranstellung des Foliumkapitels könnte aber auch einen anderen Grund gehabt haben, denn im Gegensatz zu den anderen Rezepten für die Herstellung von Farbmitteln, enthält die Vorschrift für die Bereitung der Foliumfarben auch Informationen über ihre Verwendung zur Gestaltung von gemusterten Purpurseiten in der Buchmalerei. Es wäre also auch möglich, daß das Kapitel in D der Beschreibung des künstlerischen Vorgehens zugeordnet wurde, mit der Buch I in den übrigen Handschriften beginnt. Auch die abweichenden Redaktionen der Kapitelverzeichnisse räumen der Bilddarstellung immer den Vorrang gegenüber den technischen Grundlagen der Malerei ein. Behandelt werden allerdings nicht ikonographische Themen, sondern allgemeingültige koloristische Formeln, mit denen alle denkbaren Bildgegenstände ausgeführt werden können. Besonders großen Raum nimmt die Gestaltung des (nackten) Menschen ein, vor allem seines Kopfes beziehungsweise Gesichtes (I, c. 1–13). Damit geht die ‚Schedula I‘ entscheidend über die anderen hochmittelalterlichen Traktate hinaus. Dort finden sich zwar häufig koloristische Vorschläge für die Modellierung von Gewändern – in der ‚Schedula‘ in I, c. 14–15 besprochen –, das Inkarnat oder weitere Bildgegenstände werden jedoch nur vereinzelt erwähnt. So wird nur in den Modellierungsvorgaben in ‚De coloribus et mixtionibus‘ eine Mischung für eine Inkarnatfarbe (carnatura) sowie je eine Farbe für ihre Schattierung und Höhung beschrieben48. Ein isoliertes Rezept zum

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Darauf hat bereits Manitius verwiesen; cf. M. Manitius, Die Dresdner Handschrift des Theophilus, in: Mitteilungen des Österreichischen Instituts für Geschichtsforschung 26 (1905), 627–633. Leider blieb sein Aufsatz weitgehend unbeachtet, sodaß eine vollständige Kollationierung der Handschrift nicht erfolgte. Das Manuskript wurde 1945 durch einen Wasserschaden stark beschädigt; die völlig verklebten Blätter wurden erst 1998 wieder gelöst (cf. C. Meinert, Trennung verblockter Pergamentcodices mit Vakuum, in: R. Fuchs/C. Meinert/J. Schrempf, Pergament. Geschichte – Material – Konservierung – Restaurierung (Kölner Beiträge zur Restaurierung und Konservierung von Kunst- und Kulturgut 12), München 2001,111–156). Die Lesbarkeit der Handschrift ist weiterhin extrem schlecht, die Abfolge der Kapitel kann zwar dokumentiert werden, eine vollständige Kollationierung des Textes konnte jedoch bisher nicht vorgenommen werden. Die um 1200 entstandene Dresdener Handschrift gehört zu den frühen Kopien der ‚Schedula‘; auf mehreren Seiten wurde im 13. Jahrhundert das Exlibris des Zisterzienserklosters Altzelle eingetragen. Cf. Mappae clavicula, Incipit Libellus, ed. Phillipps (nt. 15), 189 („Temperatura“).

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Anmischen einer bläulichen Hautfarbe („lazurin carnei coloris“), ohne Angaben für ihre Modellierung, ist in der ‚Mappae Clavicula‘ überliefert 49. Demgegenüber wird in der ‚Schedula I‘ eine differenzierte Modellierung mit dunkleren und helleren grünlichen Schatten, zwei verschiedenen Rotwerten, zwei Höhungsfarben sowie zwei dunkleren Farben für die Konturierung geschildert, wobei jeder Farbwert bis auf den Pinselstrich präzise den jeweiligen Gesichtsteilen oder Gliedmaßen zugeordnet wird. Durch Varianten bei der Mischung der Modellierungsfarben wird zudem eine alters- und geschlechtsspezifische Differenzierung ermöglicht. Eine derart ausführliche Beschreibung wird auch in späteren Traktaten des Mittelalters kaum mehr geboten50. Die ungewöhnliche Bedeutung der Modellierung des Inkarnates und ihre Stellung innerhalb der ‚Schedula I‘ läßt sich mit Blick auf den Prolog erklären. Dort wird gleich zu Beginn auf die Erschaffung des Menschen „ad imaginem et similitudinem Dei“ verwiesen51. Diese Gottesebenbildlichkeit wird zwar im Folgenden vor allem auf die geistigen Fähigkeiten des Menschen bezogen, aus der seine Verpflichtung abgeleitet wird, diese Gottesgaben in sinnvoller Tätigkeit einzusetzen. Doch betrifft in der Malerei diese Ebenbildlichkeit auch das Bildnis Gottes, der in der mittelalterlichen Ikonographie üblicherweise in menschlicher Gestalt dargestellt wurde. Für den Maler, der seine von Gott geschenkte Begabung nutzen wollte, konnte es demnach kein bedeutenderes Bildthema geben als das menschliche und damit göttliche Bildnis52. Dieser Bedeutung des Darstellungsthemas 49

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Cf. op. cit., c. 170, 220. Die Bezeichnung „lazurin carnei coloris“ („fleischfarbenes Lazurin [Blau]“) findet sich nur in den Überschriften in den Handschriften Phillipps und Schlettstadt. Das Rezept steht in einer Folge von Vorschriften zur Herstellung blauer Pflanzenfarben sowie zu deren Verwendung in Farbmischungen. Analog zu spätmittelalterlichen Vorschriften für bläuliche Inkarnatfarben könnte die Mischung für die Darstellung von Toten, beispielsweise des Leichnams Christi, gedacht sein. Eine Ausnahme bildet das Montpellier-Manuskript (nt. 23), das für die Modellierung der Inkarnate allerdings eine Variante der ‚Schedula‘-Sequenz als Vorlage nutzt. Ansonsten kommt Cennino Cennini (c. 67) in der Präzision der Beschreibung der ‚Schedula‘ am nächsten. Dagegen bezeichnet die ‚De arte illuminandi‘ (c. 28a) nur sehr allgemein die Stellen, an denen die einzelnen Farbmischungen der Modellierung eingesetzt werden sollen (cf. ed. Brunello [nt. 22], 133 sqq.). In den Rezeptsammlungen des Spätmittelalters werden unter den Modellierungsvorschriften häufiger auch solche für Inkarnate angeführt, oft differenziert nach Geschlecht und Lebensalter. Beschrieben werden aber üblicherweise nur die Mischungen für Grundfarbe, Schatten, rötliche Modellierung sowie Lichter, nicht jedoch, wo genau sie im Gesicht appliziert werden sollen. Zu Beispielen cf. Bartl e. a. (eds.), Der ‚Liber Illuministarum‘ (nt. 7), 609 sqq. Auf eine mögliche Beziehung zwischen der gleich zu Beginn des Prologs genannten Erschaffung des Menschen und den Vorschriften für die Modellierung der nackten Körper hat erstmals Reudenbach hingewiesen; cf. B. Reudenbach, „Ornatus materialis domus Dei“. Die theologische Legitimation handwerklicher der Künste bei Theophilus, in: H. Beck/K. Hengevoss-Dürkop (eds.), Studien zur Geschichte der europäischen Skulptur im 12./13. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1994, 1–16, bes. 6 sq. Er sieht diese Beziehung allerdings vor allem unter dem Aspekt der göttlichen Schöpfung und der daraus abgeleiteten menschlichen Schöpfungstätigkeit. Eindeutig wird im Montpellier-Manuskript, dessen Angaben für die Modellierung der Inkarnate aus der ‚Schedula‘ übernommen wurden, der Kopf als wichtigster menschlicher Körperteil und damit als erstes Bildthema bezeichnet; cf. D. Oltrogge, „Cum sesto et rigula“, l’organisation du

Die Malerei in kunsttechnologischen Quellen des frühen und hohen Mittelalters

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entsprechen die Modellierungsvorschriften, die nach Art einer Ekphrasis jedes Detail der malerischen Gestaltung des Inkarnates, vor allem aber des Gesichtes, schildern. Die Entscheidung, den Malereitraktat mit der malerischen Ausführung der Bilddarstellung zu beginnen und nicht entsprechend der werktechnischen Logik mit der Vorbereitung der Materialien, hängt also eng mit Gedanken zusammen, die im Prolog erörtert werden. Somit aber muß Theophilus, als Autor des Prologs, zumindest für die Redaktion und Systematisierung des ersten Buches der ‚Schedula‘ verantwortlich sein. Schwieriger zu beantworten ist die Frage nach seinem Anteil an den technologischen Inhalten und der literarischen Gestaltung dieses Buches. IV. Quellen – Parallelen – Wirkung? Über die Quellen der ‚Schedula I‘ ist bisher wenig bekannt. Aus der Zeit vor der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, dem durch die ältesten Handschriften der ‚Schedula‘ gegebenen terminus ante quem für die Abfassung des Textes, haben sich nur wenige Rezeptsammlungen erhalten. In späteren Manuskripten läßt sich bisweilen ein Einfluß der ‚Schedula‘ nachweisen53, selten jedoch eine gemeinsame Quelle. Die Herstellung der synthetischen Pigmente Zinnober, Bleiweiß, Mennige und Kupfergrünpigment oder die Anfertigung wäßriger Bindemittel wird in zahlreichen Rezeptsammlungen beschrieben. Die Parallelen zur ‚Schedula I‘ beschränken sich jedoch üblicherweise auf die gemeinsamen technischen Grundlagen. Nur vereinzelt ähneln die Verfahren in Technologie und Beschreibung der ‚Schedula I‘ so stark, daß ein Zusammenhang vermutet werden kann. Weitgehend übereinstimmend findet sich das Salzgrünrezept (I, c. 35) im Ps.Heraclius (III, c. 38)54, in dem allerdings die letzten Arbeitsschritte fehlen. Stattdessen wird auf eine – in den erhaltenen Handschriften nicht überlieferte – vorangehende Vorschrift verwiesen55. Die Vorlage für diesen Teil des Heraclius

53

54 55

savoir technologique dans le ‚Liber diversarum artium‘ de Montpellier et dans le ‚De diversis artibus‘ de Théophile, in: B. Baillaud/J. Gramont/D. Hüe (eds.), Discours et Savoirs: Encyclopédies médiévales (Cahiers Diderot 10), Rennes 1998, 67–99, bes. 79 sqq. Auf die Darstellung Gottes bezieht sich vermutlich auch das in anderen maltechnischen Quellen des Mittelalters nicht beschriebene Motiv des Regenbogens (I, c. 16), der üblicherweise zur hochmittelalterlichen Ikonographie der Majestas gehört. So e.g. die Teilkopie des Foliumrezeptes im ‚Liber de coloribus‘ (Edition: D. V. Thompson, Liber de coloribus illuminatorum sive pictorum from Sloane Ms. N. 1754, in: Speculum 1 [1926], 280–307, bes. 300). Ed. Garzya Romano (nt. 17), 24. Dodwell vermutet wegen dieses fehlenden Abschlusses, daß Heraclius von der ‚Schedula‘ abhängig ist; cf. Dodwell (ed.), Theophilus (nt. 30), XV sq., dort auch ein synoptischer Abdruck beider Texte. Das Rezept ist nur in der Le-Bègue-Handschrift des Ps.-Heraclius überliefert. Ein Rezept

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enthielt also vermutlich eine Sequenz mit weiteren Rezepten für Kupfergrünpigmente. Die beiden Versionen des Salzgrünrezeptes weichen inhaltlich in zwei weiteren Punkten voneinander ab. In der ‚Schedula‘ wird ein Loch in den Eichenkasten gebohrt, um Essig oder Urin in den bereits verschlossenen Kasten zu gießen; bei Heraclius werden diese Flüssigkeiten vor dem Verschließen eingefüllt, sodaß das Loch überflüssig ist. Hier wird allerdings der Kasten nicht nur mit einem Deckel wie in der ‚Schedula I‘ verschlossen, sondern zudem mit einem Lehm-Mist-Gemisch abgedichtet. Beide Verfahrensvarianten sind gleichermaßen praktikabel, man könnte sie sogar kombinieren, indem man die Flüssigkeit durch ein Loch eingießt und dann den Deckel mit Lehm abdichtet. Es läßt sich daher nicht entscheiden, ob beide Versionen des Salzgrünrezeptes auf eine gemeinsame Vorlage zurückgehen56 oder ob ein technisch versierter Kompilator eine Vorschrift entsprechend seinen eigenen Erfahrungen überarbeitete. Die übrigen Rezepte des Heraclius und Ps.-Heraclius weisen keine spezifischen Ähnlichkeiten mit der ‚Schedula I‘ auf. Deutlich größer sind die Übereinstimmungen mit zwei Handschriften des frühen 13. beziehungsweise des frühen 15. Jahrhunderts, dem Brüsseler Manuskript 10147–58 57 und dem ‚Liber diversarum artium‘ in Montpellier58. Sie enthalten verwandte Vorschriften zur Modellierung des Inkarnates und zur Gestaltung von Regenbogen und Gegenständen, teilweise übereinstimmende Angaben zur Modellierung von Gewändern, ähnliche Hinweise für die Wandmalerei, zudem die meisten Rezepte für Farb- und Bindemittel sowie für Firnis. Im Bruxellensis findet sich ferner die Vorschrift zum Mahlen von Gold, in Montpellier die Angaben zum Goldschlagen und zur Herstellung und Vorbereitung der Maltafeln59. Nur einige der Rezepte stimmen im Wortlaut mit der ‚Schedula I‘ überein, bei den meisten weichen die Formulierungen mehr oder weniger deutlich ab. Auch Bruxellensis und Montpellier sind nicht miteinander identisch, sie weisen jedoch untereinander größere Übereinstimmungen auf, so daß sie derselben Textrezension zugewiesen werden können60. Beide Manuskripte enthalten zusätzliche Rezepte aus anderen Quellen; die Systematisierung folgt gänzlich anderen Interessen als die ‚Schedula I‘: im Bruxellensis liegt eine eher lose strukturierte Sammlung von Rezepten vor, in Montpellier hingegen eine umfassende Enzyklopädie; Schwerpunkt ist in beiden Fällen die Malerei 61.

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für ein „Salzgrün“ wird zwar auch in der im 11. Jahrhundert entstandenen Heraclius-Handschrift in Rochester überliefert, doch weicht das Verfahren deutlich ab (cf. Richards, A new manuscript [nt. 18], 266). Dies vermutet Garzya Romano, Eraclio (nt. 17), 114. Cf. supra, nt. 11. Cf. supra, nt. 23. Konkordanztabelle: nebenstehend Im Folgenden BrM-Rezension. Zum Verhältnis von Bruxellensis, Montpellier und ‚Schedula‘ cf. auch den Beitrag von M. Clarke in diesem Band, 72–89. Cf. Oltrogge, „Cum sesto et rigula“ (nt. 52) sowie M. Clarke, Mediaeval Painters’ materials (nt. 23). Cf. auch den Beitrag von M. Clarke in diesem Band, 72–89.

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Der Bruxellensis wurde zwar erst im frühen 13. Jahrhundert geschrieben62, er ist jedoch, wie die zahlreichen Fehler belegen, nach einer älteren Vorlage kopiert. War dies eine gemeinsame Vorlage für ‚Schedula I‘ und Bruxellensis63? Oder stellt der Bruxellensis eine zweite Redaktion der ‚Schedula I‘ dar64? Oder enthält er gar die erste Redaktion? Betrachtet man die einzelnen Rezeptgruppen, so lassen sich einige Unterschiede feststellen. Die umfangreiche Beschreibung der Modellierung von Inkarnaten und Haaren ist, abgesehen von inhaltlich unbedeutenden Umstellungen in der Abfolge der Körperteile, in beiden Textrezensionen nahezu identisch. Darüber hinaus bietet die BrM-Rezension nur eine weitere Vorschrift zur Gestaltung von schwarzen Haaren, die in der ‚Schedula I‘ fehlt. Nahezu übereinstimmend im Text, nur in einer abweichenden Ordnung, ist das Kapitel zum Regenbogen und den nach Tabelle zu Fußnote 59 ‚Schedula‘

Bruxelles, Bibliothèque Royale de Belgique, Ms. 10147–58

Montpellier, Bibliothèque de la Faculté de Médecine, Ms. H 277

Inkarnat und Haare

I, c. 1–13

c. 44–55

I, c. 28

Gewänder

I, c. 14

c. 56

I, c. 28

Hinweise für die Wandmalerei

I, c. 15 sq.

c. 36; 40; 62

III, c. 1 sqq.

Regenbogen, runde Gegenstände und Landschaft

I, c. 16

c. 59 sqq.

I, c. 28

Caseinleim

I, c. 17

c. 1



Hirschhornleim

I, c. 18

c. 2



Tafelmalerei

I, c. 17 sqq. —

II, c. 1 sq.

Leinölbindemittel

I, c. 20

c. 23

II, c. 4

Öl-Harzfirnis

I, c. 21

c. 24

II, c. 5

Blattgold

I, c. 23



I, c. 31; II, c. 6

Blattzinn

I, c. 24



II, c. 7

Angaben zur Ölmalerei

I, c. 25

c. 38

II, c. 8

Kirschgummi

I, c. 25



II, c. 9

Goldtusche

I, c. 28

c. 63



Hausenblasenleim (Schluß)

I, c. 28

c. 3

I, c. 25

Aal-, Fisch-, Pergamentleim

I, c. 31

c. 4–6

I, c. 25

Farbmittelherstellung

I, c. 33–37 c. 25–29; 31

62 63 64

I, c. 13; c. 7; c. 16; c. 10

Cf. Silvestre, Le MS Bruxellensis (nt. 11), 109 sq. Dies vermutet Tosatti, Trattati (nt. 36), 66, nt. 25. So meine Vermutung in Oltrogge, „Cum sesto et rigula“ (nt. 52), 70; 89.

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Doris Oltrogge

ähnlichem Schema modellierten Gegenständen in der BrM-Rezension wiedergegeben65. Dagegen folgt die Modellierung der Gewänder zwar einem identischen Schema, doch werden in der BrM-Rezension völlig andere Farbkombinationen vorgeschlagen als in der ‚Schedula I‘. Die Rezepte für die Herstellung von Blattgold und Blattzinn sowie für die Anfertigung und Vorbereitung der Maltafel66 sind in beiden Textrezensionen nahezu identisch. Ebenso vermutlich auch die Beschreibung des Mahlvorganges bei der Produktion von Goldtusche67, wobei allerdings die Beschreibung der Goldmühle fehlt. Auch bei den Bindemittelrezepten bestehen nur geringfügige Unterschiede. Deutlicher weichen die Vorschriften für die Farbmittelherstellung in beiden Rezensionen voneinander ab. In der BrM-Rezension sind diese Vorschriften zum Teil deutlich knapper gehalten. Einige Informationen fehlen ganz, so die Angaben zum Malen einer ornamentierten Purpurseite mit den verschiedenen Foliumfarben (I, c. 33) oder die ausführliche Schilderung der Anfertigung des Eichenkastens für die Salzgrünherstellung (I, c. 35). Die beiden Rezepte für die Herstellung der Kupfergrünpigmente sind in Bruxellensis und ‚Schedula I‘ in umgekehrter Abfolge angeordnet. Daher sind einige Arbeitsschritte bei der Pigmentgewinnung, die für Salzgrün und Viride hispanicum gleichermaßen gelten, im Bruxellensis bei der zuerst aufgeführten Vorschrift für Viride hispanicum beschrieben, in der ‚Schedula I‘ beim Salzgrün; das jeweils nachfolgende Rezept enthält dann nur noch einen Verweis68. Inhaltlich bietet die BrM-Rezension keine Informationen, die über die ‚Schedula I‘ hinausgehen, während in dieser einige Details präziser beschrieben werden, wie zum Beispiel hier neben dem schon genannten Eichenkasten auch der mit einem Holzgriff ausgestattete Eisenstab, mit dem das Bleiweiß im Mennigerezept umgerührt wird (I, c. 37). Diese Exkurse zu den Geräten oder zur Anwendung der Farbmittel innerhalb der Bilddarstellung sind charakteristisch für den narrativen Stil der ‚Schedula I‘. Man könnte daher vermuten, daß die BrM-Rezension eine Paraphrase der ‚Schedula I‘-Rezepte darstellt, bei der für überflüssig erachtete Informationen ausgelassen wurden. Andererseits sind derartige Verkürzungen bei den anderen Rezeptgruppen in der BrM-Rezension nicht 65

66 67

68

Die Abfolge von ‚Schedula‘ I, c. 16 entspricht Bruxellensis c. 60, 61, 58, 59 (bei Silvestre, Le Ms Bruxellensis [nt. 11] nicht ediert; der schwer lesbare Text findet sich auf fol. 26v, ll. 9–27). Jüngst neu gelesen, rekonstruiert und ediert von M. Clarke, Recovery of effaced mediaeval recipes from Brussels Royal Library Ms 10152 [circa 1200], in: Bulletin de la Commission royale d’Histoire 178 (2012), S. 5–21, bes. 17–21. In Montpellier entspricht dies I, c. 28 (cf. ed. Clarke [nt. 23], 265 sq.); die Beschreibung des Regenbogens ist hier verkürzt. Alle nur in Montpellier, I, c. 31 (Blattgold), II, c. 7 (Blattzinn) und II, c. 1 sqq. (Maltafel); cf. ed. Clarke, (nt. 23), 273, 278 sq. Nur im Bruxellensis, c. 63 (fol. 26v, ll. 33–43); bei Silvestre, Le MS Bruxellensis (nt. 11) nicht ediert. Besonders der Anfang ist kaum lesbar, die Beschreibung der Goldmühle scheint zu fehlen, vermutlich beginnt der Text von ‚Schedula‘ I, c. 28 etwa ab „mittatur aurum“. Soweit ab l. 35 deutlicher lesbar, entspricht dem Bruxellensis nahezu wörtlich der ‚Schedula‘. Cf. Clarke, Recovery (nt. 65), 19. Das Montpellier-Manuskript, I, c. 16 (Abs. 3 und 5), hat die Abfolge der ‚Schedula‘, worauf auch die Verweisstruktur Rücksicht nimmt (cf. ed. Clarke [nt. 23], 256).

Die Malerei in kunsttechnologischen Quellen des frühen und hohen Mittelalters

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festzustellen. Aus diesem Grund erscheint eine umgekehrte Abfolge der beiden Rezensionen der Farbenrezepte plausibler: Die BrM-Version entspricht vermutlich den Quellen, die der Autor der ‚Schedula‘ erweiterte und sprachlich überarbeitete. Die BrM-Rezension überliefert neben den noch nicht beziehungsweise noch nicht endgültig überarbeiteten Vorlagen auch Texte, die weitgehend der ‚Schedula I‘ entsprechen. Diese könnten ebenfalls auf gemeinsame Quellen zurückgehen; denkbar wäre aber auch, daß sie zu einer ersten Redaktion der ‚Schedula I‘ gehören. In wenigen Fällen bietet die BrM-Rezension zusätzliche Informationen, die möglicherweise zur ersten Planung der ‚Schedula I‘ gehören, aber nicht in die Schlußredaktion übernommen wurden, hier sind besonders die Angaben zur Herstellung des Kalkbindemittels für die Wandmalerei zu nennen69. Dagegen sind die Modellierungsvorgaben für die Gewänder in beiden Rezensionen inhaltlich weitgehend unterschiedlich. Hierbei handelt es sich nicht um rein sprachliche Überarbeitungen oder erläuternde Exkurse, sondern um koloristische Vorgaben, deren malerische Umsetzung die ästhetische Wirkung entscheidend prägt. Ein Austausch von Farbmitteln für Grundschicht und Modellierung dürfte also eng mit der Werkstattpraxis zusammenhängen70. Welche der beiden Modellierungssequenzen allerdings die Priorität hat, läßt sich nicht entscheiden, da eine präzise stilistische Einordnung nur sehr bedingt möglich ist71. Es ist nicht einmal sicher zu klären, ob eine der beiden Serien eine gemeinsame ältere Vorlage ganz oder teilweise unverändert wiedergibt oder ob sowohl die BrM- als auch die ‚Schedula I‘-Rezension Überarbeitungen entsprechend unterschiedlichen Werkstattkonventionen darstellen. Auffällig sind zumindest einige Farbennamen, die nur in der BrM-Rezension vorkommen, also offenbar einer anderen (volks-)sprachlichen Tradition angehören72. Die Modellierung selbst wird in beiden Rezensionen in einer ähnlichen Fachsprache beschrieben. V. Fachsprache und Descriptio Innerhalb der ‚Schedula I‘ ist die Nomenklatur für die Materialien weitgehend einheitlich73. Auch für die Beschreibung der malerischen Gestaltung wird eine konsistente Begrifflichkeit verwendet, die ebenso für die technisch andersartige Glasmalerei in Buch II der ‚Schedula‘ gilt. Davon weicht die Terminologie der oben besprochenen Traktate ‚Clarea‘, ‚Cum optimum opus‘ und ‚De coloribus et mixtionibus‘ sowie der Rezeptsammlungen ‚Mappae Clavicula‘ und ‚Heraclius‘ teilweise erheblich ab. 69 70 71 72 73

Cf. Bruxellensis, c. 40, ed. Silvestre (nt. 11), 132 sq.; Montpellier, III, c. 2, ed. Clarke (nt. 23), 282. Cf. hierzu auch den Beitrag von M. Clarke in diesem Band, 72–89. Cf. zu diesem Problem auch die Beiträge von M. Müller und R. Fuchs in diesem Band, 225–243 und 122–144. Es handelt sich um die Begriffe brun, ogra bleich, sinopel und bisat. In den Modellierungsangaben (I, c. 14) wird bisweilen zwischen album und cerosa (Bleiweiß) gewechselt. Ein Grund könnte sein, daß die Vorschriften prinzipiell für alle Gattungen gelten, in der Wandmalerei aber Bleiweiß durch Kalk ersetzt werden sollte.

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Doris Oltrogge

Für viele Farbmittel galten zwar im Mittellatein europaweit einheitliche Bezeichnungen, wie e.g. die bereits im klassischen Latein bezeugten ogra für Gelbocker oder indicum für Indigo. Daneben lassen sich jedoch, nicht nur in den Volkssprachen, auch regionale Besonderheiten bei der Benennung feststellen. So ist der Begriff viride hispanicum für ein künstliches Kupfergrünpigment erstmals in der ‚Schedula I‘ bezeugt. Er wird auch im ‚Cum optimum opus‘-Traktat verwendet, wohingegen in anderen Texten der Zeit, zum Beispiel der Phillipps-Handschrift der ‚Mappae Clavicula‘ ein ganz ähnlich hergestelltes Kupfergrün viride grecum genannt wird. Hier deutet sich im Mittellatein eine regionale Differenzierung an, aus der sich dann in den Volkssprachen die Bezeichnungen Grünspan und Vert-degris beziehungsweise verdigris entwickeln74. Dem entspricht, daß viride hispanicum offensichtlich eher in Handschriften und Texten vorkommt, die im deutschen Sprachraum entstanden75; die ‚Schedula‘ ist ein frühes Beispiel dafür. Dagegen scheint viride grecum vornehmlich in französischen und englischen Manuskripten beziehungsweise Texten bevorzugt zu sein. Die klassisch-lateinische Bezeichnung aerugo findet sich dagegen in den mittelalterlichen Texten kaum mehr76. Die ‚Schedula I‘ kennt mit viride salsum einen weiteren Name für ein synthetisches Kupfergrünpigment, der ansonsten nur sehr selten bezeugt ist77. Die Benennung ergibt sich aus der Herstellung, bei der Salz als Reagens eingesetzt wird. Wenngleich sich analoge Vorschriften vielfach in der mittelalterlichen Rezeptliteratur finden, scheint sich für das Produkt kein spezieller Fachbegriff eingebürgert zu haben. Vielmehr wird das Pigment üblicherweise unter einem der regional üblichen Namen für Grünspan geführt. In der ‚Schedula I‘ wie in der BrM-Rezension erleichtert die Unterscheidung zwischen einem viride salsum und einem viride hispanicum interne Verweise, wenn bei der Besprechung der einzelnen Malereigattungen auf die Unverträglichkeit beziehungsweise die besondere Eignung beider Pigmente für Wand- beziehungsweise Buchmalerei verwiesen wird. Es wäre also denkbar, daß der Autor der ‚Schedula I‘ aus diesem Grund eine neue Bezeichnung einführte. Eine unterschiedliche Benennung verschiedener Pigmente konnte je-

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76 77

Diese Bezeichnungen sind unabhängig von Rezepten und chemischer Zusammensetzung der Kupfergrünpigmente. Die Herkunft beider Begriffe ist bisher ungeklärt, das Grundverfahren – das auch e.g. in ‚Schedula I‘ und ‚De coloribus et mixtionibus‘ beschrieben wird – ist bereits seit der Antike bekannt. Eventuell sind diese Benennungen durch die Vorstellung von der technischen Überlegenheit bestimmter Länder geprägt, wie sie auch in der Länderliste des ersten Prologs der ‚Schedula‘ anklingt. Hispania fehlt dort allerdings, eine spanische Herkunft wird nur im dritten Buch in Verbindung mit dem Messing, auricalcum hispanicum, genannt (e. g. III, c. 30). In Kopien und Adaptationen von ‚Schedula‘-Rezepten in französischen bzw. englischen Handschriften ist dagegen der Begriff viride hispanicum übernommen (cf. e.g. Liber de coloribus [Sloane Ms. N. 1754], ed. Thompson [nt. 53], 302), umgekehrt ebenso der Begriff viride grecum in deutschen Kopien der ‚De coloribus et mixtionibus‘. Häufiger dagegen der Name viride eris. In dem eng verwandten Rezept des ‚Heraclius‘ III, c. 38, hat das Farbmittel keinen eigenen Namen, ebensowenig das mit Salz hergestellte Kupfergrünpigment im Rochester-Manuskript (cf. supra, nt. 55).

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doch auch in der Praxis sinnvoll sein, so daß hier wohl doch eher ein nur lokal verbreiteter Produktname zugrundeliegt. Offenbar singulär in der ‚Schedula I‘ und in der BrM-Rezension ist der Begriff menesc überliefert78. Das Farbmittel, das in der Wandmalerei eine Untermalung benötigt (I, c. 16), wird mehrfach in den Modellierungsanweisungen für Gewänder (I, c. 14) und den Regenbogen (I, c. 16) genannt. Belege in anderen Quellen fehlen weitgehend. Bisher ist nur noch die Nennung eines meneschblâ in den Statuten der Münchner Malergilde aus dem 15. Jahrhundert bekannt79. Dort ist ein minderwertiges Blaufarbmittel gemeint, dessen genaue Zusammensetzung aus dem Text nicht hervorgeht. Auch die Etymologie ist unklar, Waetzold schlug vor, das Wort aus der persischen Bezeichnung für Veilchen, banaschi abzuleiten, die über die türkische Form meneks¸e und deren spätbyzantinische Adaptation menexév ins Lateinische übernommen worden sei 80. Es stellt sich allerdings die Frage nach der Vermittlung des Begriffes. Da Veilchen in Europa weit verbreitet sind, ist auszuschließen, daß mit einem Importprodukt auch der Name als Fremdwort übernommen wurde. Erklärbar wäre die Übernahme eines griechischen Begriffs für eine auch lokal verfügbare, eher banale Substanz nur, wenn man eine unmittelbare griechische Vorlage annimmt. Es scheint jedoch so zu sein, daß auch im Griechischen das türkische Lehnwort erst nach dem 12. Jahrhundert bezeugt ist 81. Dies erschwert bereits aus chronologischen Gründen die Herkunft der Rezeptfolge aus einer griechischen Vorlage. Zudem ist die Verwendung der wenig lichtechten Veilchenfarbmittel in der Wandmalerei wenig wahrscheinlich. Sollte dagegen eine veilchenfarbene Farbmischung gemeint sein, so wäre es die einzige Mischfarbe in der ‚Schedula I‘, deren Herstellung nicht beschrieben ist. Aus dem Kontext der ‚Schedula‘-Rezepte wie aus dem Münchner Dokument ergibt sich nur, daß es sich um ein blaues beziehungsweise dunkelblaues Farbmittel handelt, das in der Wandmalerei auf einer Untermalung und vermutlich a secco aufgetragen werden mußte. Es wäre zu überlegen, ob ein Zusammenhang mit dem in einer italienischen Handschrift des 13. Jahrhunderts genannten azolum manzerium besteht 82. Diese Bezeichnung ist abgeleitet aus dem hebräischen Wort

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80 81 82

In den Handschriften auch in den Formen menesch und manisc. Cf. E. E. Ploß, Ein Buch von alten Farben. Technologie der Textilfarben im Mittelalter mit einem Ausblick auf die festen Farben, Heidelberg–Berlin 1962, 40. Der Autor zitiert aus der Fassung von 1448 die Wortform meneschblâ. In der Version der Statuten von 1458 lautet sie menschnplab (cf. L. Westenrieder, Beyträge zur vaterländischen Historie, Geographie, Staatistik, etc., München 1800, 159). Cf. S. Waetzold, Systematisches Verzeichnis der Farbnamen, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, 3. Folge, 3/4 (1952/53), 150–158, bes. 153. Ich danke Professor Peter Schreiner, München, für diese Auskunft. Vatican, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. lat. 598, fol. 61v; Edition: D. Oltrogge, Datenbank mittelalterlicher und frühneuzeitlicher kunsttechnologischer Rezepte in handschriftlicher Überlieferung, Vocabularium s.v. azolum manzerium, http://www. http://db.re.fh-koeln.de:2200/ start.fau?prj=ifaust.

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manzer, uneheliches Kind 83; das azolum manzerium ist also ein gefälschtes beziehungsweise verfälschtes Blau84 und im Falle des italienischen Rezeptes ein Indigopigment. Verfälschung ist auch das Kriterium, unter dem das meneschblâ der Münchner Malerstatuten behandelt wird. Den Malern werden Strafen angedroht, wenn sie kostspielige Farbmittel durch billigere ersetzen, ohne dies gegenüber dem Kunden zu deklarieren. Auch wenn die Wortformen einander nur bedingt ähneln, soll daher die Hypothese vorgeschlagen werden, daß sich hinter dem menesc / manisc der ‚Schedula I‘ ein manzer verbirgt, also ein geringerwertiges Farbmittel, das gleichwohl für die Modellierung neben dem hochwertigen lazur verwendet werden konnte. Das Material kann damit allerdings nicht eindeutig identifiziert werden, da die Bewertung als verfälschtes Blaupigment immer davon abhängig ist, welche Farbmittel in der jeweiligen Zeit und Region verfügbar waren. Im spätmittelalterlichen München galt Azurit als hochwertiges Blaupigment85 – in den Statuten wird es als lazur bezeichnet; für eine Verfälschung käme ein solches Indigopigment in Frage, wie es das italienische Rezept beschreibt, aber auch schlechtere Azuritqualitäten, die durch Überfärbung farblich geschönt wurden. Im Hochmittelalter war Lapislazuli das bedeutendste Blaupigment 86, als Verfälschung kämen Indigo oder Azurit in Frage, vielleicht aber auch der in der romanischen Faßmalerei mehrfach nachgewiesene Vivianit87. Drei weitere Farbenbezeichnungen sind erstmals beziehungsweise offenbar singulär in der ‚Schedula I‘ sowie in der BrM-Rezension genannt, veneda, exudra und posc. Es handelt es sich jeweils um eine Farbmischung, deren Herstellung auch beschrieben wird. Veneda, abgeleitet von lateinisch venetus, blau, bläulich, bezeichnet eine Mischung aus Schwarz und Weiß 88. Da eine derartige Mischung in dünnem Auftrag hellblau oder mindestens bläulich erscheinen kann, erscheint die Namenswahl verständlich. In der Fachsprache hat sich der Begriff als Benennung einer konkreten Farbmischung aber offenbar nicht durchgesetzt. Nur in der ‚Schedula I‘ und der BrM-Rezension wird er als eindeutiger Materialbegriff sowohl bei der Modellierung der Gesichter als auch bei der Untermalung für Grün- und Blaupigmente in der Wandmalerei verwendet. 83 84 85 86

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Cf. Ch. Du Cange, Glossarium mediae et infimae latinitatis, s.v. mit Belegen aus den Kommentaren zu Deut. 23 sowie aus juristischer und historischer Literatur des Mittelalters. Analoge Bezeichnungen sind in der frühen Neuzeit Bastardlasur oder Bastardzinnober für Surrogate der teuren Pigmente Azurit und Zinnober. Cf. A. Burmester/C. Krekel, Von Dürers Farben, in: G. Goldberg/B. Heimberg/M. Schawe (eds.), Albrecht Dürer. Die Gemälde der Alten Pinakothek, München 1998, 55–88 54–101, bes. 75 sq. Cf. A. Scholtka, Theophilus Presbyter – Die maltechnischen Anweisungen und ihre Gegenüberstellung mit naturwissenschaftlichen Untersuchungsbefunden, in: Zeitschrift für Kunsttechnologie und Konservierung 6 (1992), 1–53; D. Oltrogge, Die Technik der Buchmalerei, in: A. Fingernagel (ed.), Romanik (Geschichte der Buchkultur 4,1), Graz 2007, 309–333, bes. 313 sq. Eine Identifizierung von menesc mit Vivianit aufgrund von maltechnischen Befunden in der romanischen Fassmalerei hat Scholtka vorgeschlagen; cf. A. Scholtka, Theophilus (nt. 86), 38, nt. 18. Cf. Waetzold, Verzeichnis (nt. 80), 155.

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Bei exudra ist weniger eindeutig, ob es sich um die Bezeichnung einer Mischfarbe handelt, oder ob hiermit die Funktion innerhalb der malerischen Gestaltung charakterisiert werden soll. Die Bestandteile sind aber auch hier eindeutig: rubeum, gebrannter Ocker, und Schwarz. In der ‚Schedula I‘ wird die exudra nur für Binnenzeichnung und Konturierung der Inkarnate verwendet, in der BrM-Rezension auch für die Modellierung einiger Gewänder. Der Begriff ist bisher nur in Texten belegt, die von der ‚Schedula‘ abhängig sind; die Etymologie ist unklar89. Im Gegensatz zu den beiden vorangehenden Mischungen bezeichnet posc weniger eine konkrete Farbe als vielmehr ein Verfahren der Bildgestaltung. Die Ausführung der Malerei nimmt, wie erwähnt, in der ‚Schedula I‘ im Vergleich mit anderen Traktaten einen ungewöhnlich breiten Raum ein. Für ihre Beschreibung wird ein differenziertes Vokabular eingesetzt. Das flächige Aufstreichen der Grundfarben eines Gegenstandes oder auch der Inkarnate wird mit implere (ausfüllen) bezeichnet, auch substantiviert als impletio 90. Dies setzt eine Vorzeichnung voraus, die als Begrenzung der „Ausfüllung“ dient. Für die Schattierung werden die Begriffe tractus facere (Linien machen) und umbras facere (Schatten machen) verwendet; bei den Gewändern ist der tractus üblicherweise der erste, hellere Schatten, der dann mit einem dunkleren „äußeren“ Schatten (umbra exterior) abgesetzt wird. Das Aufsetzen der Lichter, ebenfalls in zwei Abstufungen, wird mit illuminare (erleuchten) benannt. Die Gestaltung der Inkarnate erfolgt mit einer Reihe spezieller Farbmischungen, der membrana (Hautfarbe) für die Grundschicht, sowie posc, rosa, veneda, exudra und den lumina (Lichter) für die Modellierung. Während lumen und umbra bereits in der antiken Malereitheorie bezeugt sind 91, werden die übrigen Bezeichnungen erstmals in der ‚Schedula I‘ im Zusammenhang mit der Maltechnik verwendet. Membrana, womit interessanterweise nur die Grundschicht des Inkarnates bezeichnet wird, bleibt als maltechnischer Begriff offenbar singulär, in den ‚De coloribus et mixtionibus‘ wird stattdessen die Bezeichnung carnatura (Fleischfarbe) verwendet92, die auch in der späteren kunsttechnologischen Literatur geläufig bleibt93. Auf dieser ganzflächig aufgetragenen Hautfarbe werden dann zunächst mit einer dunkleren Farbmischung (posc) die Gesichtsteile beziehungsweise die Gliedmaßen angelegt (designare) (I, c. 3). Mit einer noch dunkleren posc-Mischung wer89 90 91 92 93

Cf. op. cit., 154. In der BrM-Rezension auch in der Form implementum. Cf. e. g. Plinius der Ältere, Naturalis Historia, XXXV, 29; Quintilianus, De Institutione Oratoria, XI, 10, 4. Cf. Mappae Clavicula, ed. Phillipps (nt. 15), 189. Auch in der Form incarnatura; daneben auch häufig die Bezeichnung „Leibfarbe“. Zu Benennungen des Spätmittelalters cf. A.-S. Lehmann, Jan van Eyck und die Entdeckung der Leibfarbe, in: D. Bohde/M. Fend (eds.), Weder Haut noch Fleisch. Das Inkarnat in der Kunstgeschichte (Neue Frankfurter Forschungen zur Kunst 3), Berlin 2007, 21–40; D. Bohde, „Le tinte delle carni“. Zur Begrifflichkeit für Haut und Fleisch in italienischen Kunsttraktaten des 15.–17. Jahrhunderts, in: op. cit., 41–63.

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den später, nach dem Auftrag von rosa und lumen einzelne Bereiche des Inkarnates flächig ausgefüllt (implere) (I, c. 7). Bereits Ploß hat darauf hingewiesen, daß der Begriff posc in dem mittelhochdeutschen puschierfarb fortlebt 94. Ähnliche Wortformen lassen sich jedoch noch weitaus häufiger in der Fachsprache der Maler bis in die Neuzeit in vergleichbarem semantischen Zusammenhang belegen: als puschierfarb mit dem Verbum puschieren im 15. Jahrhundert in Tegernsee95, als boitzferung mit dem Verbum botzferen im Ripuarischen96, als pazzèo bei Cennini 97 und noch im 17. Jahrhundert als ébaucher bei Boutet 98. Die Etymologie ist nicht eindeutig geklärt, doch scheint der Begriff zunächst im Altfranzösischen belegt99. Bei Boutet bezeichnet der Begriff das skizzenhaft andeutende Untermalen der Schatten, mit dem eigentlich die Form herausgearbeitet wird 100. Diese Funktion erfüllt auch das verdaccio des Cennini, für das er pazzèo als das in Siena gebräuchliche Synonym benennt. Nicht ganz so präzise sind die Beschreibungen im Tegernseer ‚Liber illuministarum‘ und im Kölner Musterbuch, doch scheint auch hier eine modellierende Anlage der Form mit einer dunkleren Farbe auf einer helleren Grundschicht gemeint zu sein. Als französisches Lehnwort wird possnieren im Sinne von „schildern, darstellen“ auch in der mittelhochdeutschen Literatur bei Oswald von Wolkenstein gebraucht 101. In der ‚Schedula I‘ werden mit dem posc alle eigenständigen Teile des Gesichtes beziehungsweise des nackten Inkarnates (membra quae distinguuntur) auf der monochromen Grundfarbe angelegt (designare). Auch hier dient also der posc der rohen, ersten Herausarbeitung der Form; der Begriff wird demnach bereits in der Bedeutung verwendet, die seit dem Spätmittelalter häufiger belegt ist 102. Dies gilt auch für Buch II der ‚Schedula‘ zur Glasmalerei, nur daß hier aus technischen Gründen mit anderen Materialien pro eo colore quae … dicitur posc gearbeitet werden mußte (II, c. 24). Der posc wird in zwei Abstufungen, einer ersten helleren und einer zweiten dunkleren, eingesetzt. Der Auftrag des ersten

94 95 96 97 98 99

100 101 102

Cf. E. E. Ploß, Die Fachsprache der deutschen Maler im Spätmittelalter, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 79 (1960) 314–324, bes. 321. Cf. Glossar, in: Bartl e. a. (eds.), Der ‚Liber Illuministarum‘ (nt. 7), 718. Cf. e. g. Kölner Musterbuch, Teil II, Köln, Historisches Archiv der Stadt Köln, Inv. 7010 293a, fol. 10v. Cf. Cennino Cennini, Il Libro dell’Arte, c. 67, ed. Brunello (nt. 24). Cf. C. Boutet, Traité de la Mignature, Lyon 1672, passim. Nach E. Gammilscheg, Etymologisches Wörterbuch der französischen Sprache, Heidelberg 1928, 21969, 338, s.v. ébaucher aus esbochier, jäten; nach O. Bloch, Dictionnaire étymologique de la langue française, Paris 1932, 41964, s.v. bau aus bauc, Balken, und esbochier, Bäume beschneiden. Für das verwandte bozzare nennen C. Battisti/G. Alessio, Dizionario etimologico italiano, vol. 1, Florenz 1950, 31975, s.v. bozzo; vol. 5, Florenz 1975, 3357, s.v. bozzare erst Belege aus dem 16. Jahrhundert. Noch im modernen Französisch ist ébaucher als „andeuten, skizzieren, roh bearbeiten“ geläufig. Cf. M. Lexer, Mittelhochdeutsches Wörterbuch, vol. 2, Leipzig 1876, 288. Die Ableitung Hendries von fuscus, dunkel, ist dagegen wenig überzeugend; cf. R. Hendrie, Theophili, qui et Rugerus presbyteri et monachi libri III de diversis artibus seu diversarum artium schedula, London 1847, 100. Abwegig ist die Vermutung Thompsons, der Begriff sei von dem türkischen bos¸, leer, abgeleitet; cf. Thompson, Theophilus (nt. 26), 315.

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posc wird als designare beschrieben, das hier also wohl in der Bedeutung von „darstellen, nachbilden“ zu verstehen ist und die erste Anlage der Gesichtszüge bezeichnet. Im Folgenden werden bestimmte Teile des Gesichtes und des übrigen Inkarnats flächig gefüllt (implere), der dunklere posc dient damit als Schatten (umbra) der ersten Anlage. Der Begriff rosa für die „rosenrote“ Farbe bereitet etymologisch weniger Schwierigkeiten. Auch hier werden zwei Abstufungen genannt, wobei das Inkarnat zunächst mit der helleren offenbar eher flächig „gerötet“ (rubricare) wird (I, c. 4), während die kräftiger rote Mischung unterschiedlich verwendet wird, für die Zeichnung einer Linie zwischen Ober- und Unterlippe (lineare), für die Verstärkung des helleren rosa mit feinen Linien (subtiles tractus) und für die präzisere Herausarbeitung der Gliedmaßen (designare) (I, c. 8). Mit den lumina (Lichter) wird schließlich das Inkarnat leuchtend gemacht (illuminare) (I, c. 5). Die Konturen (tractus circa …) der einzelnen Körperteile werden mit der exudra, mit Schwarz und mit rubeum (gebrannter Ocker) gezeichnet (I, c. 13). Die veneda als aus der Antike entlehnter Begriff bezeichnet hier einen Farbwert, der nicht tiefblau ist, aber bläulich schimmert. In der Modellierung wird die Mischung für die Pupillen und, in hellerer Ausmischung, für das Augenweiß verwendet, sie wird flächig eingefüllt (implere) und mit Wasser vertrieben (cum aqua lavabis) (I, c. 6). Lavare, waschen, ist zwar bereits ein Begriff des klassischen Latein, in der maltechnischen Bedeutung des „lavieren“ wird es jedoch erstmals in der ‚Schedula I‘ verwendet und danach erst in der neuzeitlichen Malerfachsprache wieder aufgegriffen. Die Haare und Bärte werden mit verschiedenen Mischfarben eingefüllt (implere), die Strähnen durch eine dunklere Farbe voneinander abgegrenzt (discernere) beziehungsweise mit Linien gestaltet (tractus). Die Beschreibung der ‚Schedula‘ unterscheidet sich grundlegend von den Modellierungsvorschriften der anderen hochmittelalterlichen Texte103. In diesen wird eine Grundschicht mit einer anderen, oft dunkleren Farbe vertieft (incidere) und mit einer helleren Farbe gehöht (matizare). Damit ist eine einfache, auf einem Dreiklang von Farben beruhende Bildgestaltung intendiert, von der sich die ‚Schedula‘ bereits durch eine offensichtlich eher tonale Gestaltung unterscheidet104. Das Inkarnat wird nur in einer kurzen Anweisung der ‚De coloribus et mixtionibus‘ genannt, in der entsprechend den Vorschriften für die Gewänder eine Mischfarbe für die Grundschicht hergestellt werden soll, für die je eine Farbe zum Vertiefen (incidere) und zum Höhen (matizare) vorgesehen ist. Hinweise zur formalen Gestaltung der Gesichter oder Gliedmaßen fehlen vollständig. 103 104

Entsprechende Angaben sind nur in ‚Cum optimum opus‘ und ‚De coloribus et mixtionibus‘ überliefert; in der ‚Clarea‘ sind sie verloren. So bereits Bulatkin, Matiz (nt. 13), 498 sq. und I. Villela-Petit, Imiter l’arc-en-ciel: la règle des couleurs dans la Schedula diversarum artium de Théophile, in: Histoire de l’art 39 (1997), 23–36, bes. 24 sq.

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Dagegen bietet die ‚Schedula‘ eine Beschreibung der Inkarnatsgestaltung, die durch eine sehr differenzierte Wortwahl versucht, die Bildwirkung zu erfassen. Auch die Berücksichtigung der Darstellung der Gesichter in frontaler (in plena facie) oder in seitlicher Ansicht (in conversa facie) (I, c. 13), sowie die Erfassung der Farbwirkung einer tonal abgestuften Malerei105 belegen die Bedeutung der Bildwahrnehmung für den Autor der ‚Schedula I‘. Die ersten Kapitel der ‚Schedula I‘ gehören demnach eher zum literarischen Typus der descriptio als zu dem der Maleranweisungen. Ebenso scheinen die Anregungen für die präzise Aufzählung nahezu jeden Pinselstriches aus dem außerkünstlerischen Bereich zu stammen. Sie weisen Parallelen zur mnemotechnischen Praxis, etwa zu der Aufforderung Hugos von Sankt Viktor auf, sich beim Lesen auch die Position der Buchstaben auf der Seite, ihre Form, Farbe und Verzierung einzuprägen106. Die Beschreibung der Modellierung in der ‚Schedula I‘ ist demnach vollständig aus einer westlichen rhetorischen Tradition zu erklären107, selbst wenn sie in der Gattung der kunsttechnologischen Literatur ein Novum darstellt. Es wurde oben darauf hingewiesen, daß vermutlich ein Zusammenhang zwischen dem Beginn der ‚Schedula I‘ und dem Prolog besteht. Die in der Art einer descriptio behandelte Modellierung der Inkarnate erfüllt darüber hinaus aber auch

105

106

107

So bei der Schilderung der Modellierung von Türmen, bei denen aus dem mittleren, weißen Bereich „ogra procedat omnino pallida et paulatim trahens croceum colorem“ („der Ocker ganz blass herauswächst und sich langsam zur Safranfarbe hinüberzieht“). Cf. Hugo von Sankt Victor, De tribus maximis circumstantiis gestorum, ed. W. M. Green, in: Speculum 18 (1943), 484–493, 490: „Multum ergo valet ad memoriam confirmandam ut, cum libros legimus, non solum numerum et ordinem versuum vel sententiarum, sed etiam ipsum colorem et formam simul et situm positionemque litterarum per imaginationem memoriae imprimere studeamus, ubi illud et ubi illud scriptum vidimus, qua parte, quo loco (supremo, medio, vel imo) constitutum aspeximus, quo colore tractum litterae vel faciem membranae ornatem intuiti sumus.“ Es wurde bisweilen gerade für die sehr detailliert beschriebene Modellierung der Inkarnate und die Verwendung einer grünlichen Schattenfarbe eine byzantinische Vorlage postuliert: cf. Tosatti, Trattati (nt. 36), 70 sqq.; dazu auch den Beitrag von M. Clarke in diesem Band, 72–89. Über die byzantinische Literatur zu den Artes mechanicae ist bisher kaum etwas bekannt, die Frage ist, ob es überhaupt eine entsprechende Literaturgattung gab. Sichere Hinweise auf Hermeneia zur Malerei finden sich erst in postbyzantinischer Zeit seit dem 15. Jahrhundert, die frühesten erhaltenen Handschriften datieren aus dem 16. Jahrhundert (cf. I. Bentchev, Griechische und bulgarische Malerbücher. Technologie [Beiträge zur Kunst des christlichen Ostens 11], Recklinghausen 2004). Ob diese auch als literarische Gattung und nicht nur hinsichtlich der beschriebenen Technik tatsächlich auf einer älteren byzantinischen Tradition beruhen, oder ob hier auch westliche Anregungen aufgegriffen wurden, wurde bisher nicht untersucht. Der Begriff matizare lässt sich zwar aus dem griechischen lammatízein ableiten, doch vermutet Bulatkin (cf. Matiz [nt. 13], 511 sqq.) eine orale Vermittlung durch byzantinische Maler in Unteritalien. Aus byzantinischer Zeit haben sich nur vereinzelte Rezepte zur Tinten- und Farbenherstellung erhalten (cf. P. Schreiner/D. Oltrogge, Byzantinische Tinten-, Tuschen- und Farbrezepte [Österreichische Akademie der Wissenschaften, Veröffentlichungen der Kommission für Schrift- und Buchwesen des Mittelalters], Wien 2011).

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die Funktion eines „Bild-Eingangs“ für den maltechnischen Traktat108. Analog etwa zur Beschreibung der natura im ‚Planctu Naturae‘ des Alanus ab Insulis oder zu den Bildbeschreibungen der Aeneis und der höfischen Romane wird in der ‚Schedula‘ das Gemälde eines Menschen und anderer Darstellungsgegenstände durch die Schilderung seiner praktischen Ausführung evoziert, und analog zu den literarischen Werken dient dieser „Bild-Eingang“ als rhetorisches Mittel, um das Thema der Abhandlung zu charakterisieren, die ars picturae, deren Ziel eben diese bildliche Darstellung ist. Der Anspruch der ‚Schedula I‘ als literarisches Werk manifestiert sich auch in der Sprache sowohl der Bildbeschreibungen als auch der Schilderung technischer Verfahren. Umso auffälliger ist die Verwendung einzelner vermutlich aus der Volkssprache entlehnter Begriffe. Wenn unsere Vermutung richtig ist, daß posc ein aus dem Altfranzösischen abzuleitender terminus technicus für die erste Anlage der modellierenden Gestaltung, das „Bossieren“ der Inkarnate, ist, so ergeben sich daraus einige wesentliche Schlußfolgerungen: Da der Autor der ‚Schedula I‘ sich ansonsten bemüht, ein literarisches Latein zu verwenden, muß dieser Begriff aus der Fachsprache der Maler stammen. Das bedeutet zum einen, daß der Autor Kenntnisse der zeitgenössischen Werkstattpraxis und -sprache hatte, wenn auch nicht zwingend über eigene praktische Erfahrung verfügte. Entsprechend wird man auch für andere der in der ‚Schedula I–II‘ beschriebenen Techniken annehmen können, daß sie zumindest teilweise auf mündlichen Informationen von Handwerkern beruhen. Der Begriff posc und seine Verwendung setzt aber auch eine zumindest ansatzweise plastische Modellierung der Inkarnate voraus. Dergleichen läßt sich in verschiedenen Epochen des Mittelalters beobachten109, in karolingischer Zeit ebenso wie e.g. in der Romanik. Es ist allerdings anzunehmen, daß dieser volkssprachliche Begriff eher in zeitlicher Nähe zu den frühesten ‚Schedula‘-Handschriften im 12. Jahrhundert entstand als in früheren Epochen. Dabei ist aufgrund der literarischen Form der descriptio eine präzise Zuordnung der ‚Schedula I‘ zu einer Werkstatt nicht möglich110 und war vermutlich auch gar nicht intendiert. Falls unsere Ableitung der Begriffs posc von „behauen“ korrekt ist111, bedeutet dies ferner, daß auch die Maler offenbar ihre Mittel der Bildgestaltung und deren Wirkung reflektierten, selbst wenn ihre Vorstellungen von plastischer Herausarbeitung sicher nicht denen eines modernen Betrachters entsprachen. Betrachtet man vor diesem Hintergrund erneut das Verhältnis der ‚Schedula I‘ zur BrM-Rezension, so ergibt sich aus der Sonderstellung der Beschreibung der 108

109 110 111

Zur Funktion des „Bild-Eingangs“ als literarisches und rhetorisches Motiv cf. H. Wandhoff, Ekphrasis. Kunstbeschreibungen und virtuelle Räume in der Literatur des Mittelalters (Trends in Medieval Philology 3), Berlin–New York 2003, bes. 229 sqq. Dort auch eine Analyse des Motivs im ‚Planctu Naturae‘ und in den höfischen Romanen. Cf. dazu auch Villela Petit, Imiter (nt. 104). Cf. die Beiträge von M. Müller und R. Fuchs in diesem Band, 225–243 und 122–144. Cf. supra, nt. 99.

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Inkarnate innerhalb der maltechnischen Literatur, sowie aus ihrer Funktion als „Bild-Eingang“ der ‚Schedula I‘, daß diese Modellierungsangaben nicht aus einer Tradition von Werkstattvorschriften stammen dürften, sondern eigens für die ‚Schedula I‘ verfaßt wurden. Die BrM-Rezension setzt also das Konzept der ‚Schedula I‘ voraus, im Montpellier-Manuskript ist dies tendenziell sogar noch erkennbar, wenngleich im Sinne jüngerer enzyklopädischer Konzepte überarbeitet. Im Bruxellensis sind Exzerpte der ‚Schedula‘ wie auch anderer kunsttechnologischer Quellen eher unsystematisch aneinandergereiht. Die Überlieferung einer älteren, möglicherweise eine schriftliche Quelle der ‚Schedula I‘ widerspiegelnden Version der Farbenrezepte in der BrM-Rezension ist ein Indiz dafür, daß die BrM-Rezension auf eine erste Redaktion der ‚Schedula I‘ zurückgeht, in der die Farbenrezepte noch nicht literarisch überarbeitet waren. Vermutlich gehören auch die Angaben zur Modellierung der schwarzen Haare zu dieser ersten Redaktion, auch wenn keine sachlichen Gründe für ihr Auslassen in der endgültigen ‚Schedula I‘-Redaktion erkennbar sind 112. Anders verhält es sich mit den abweichenden Vorschriften für die Modellierung der Gewänder. Da das Kolorit in beiden Rezensionen deutlich divergiert, sind unterschiedliche ästhetische Vorstellungen und damit auch unterschiedliche Werkstattkonventionen zu postulieren. Dabei sind nur die Farben ausgetauscht, die sprachliche Gestaltung entspricht in beiden Rezensionen der Beschreibung der Inkarnate. Es ist vorerst nicht zu entscheiden, ob der Autor der ‚Schedula I‘ hier selbst bei der Schlußredaktion neue beziehungsweise andere künstlerische Gestaltungsmöglichkeiten einarbeitete oder ob die ‚Schedula I‘ beziehungsweise ihre erste Redaktion auch als Werkstattliteratur rezipiert wurde und daher gegebenenfalls aktualisiert werden mußte. Conclusio Die Vorstellung, daß die ars picturae zu jenen artes gehört, die nicht nur praktisch ausgeübt werden, sondern auch theoretisch erörtert werden können, besaß offensichtlich eine gewisse Aktualität im hohen Mittelalter. Sie steht vermutlich im Zusammenhang mit der Neubewertung der artes mechanicae, die besonders im 12. Jahrhundert diskutiert wurde, aber bereits früher einsetzt 113. Auch die älteste

112

113

Es scheint eine weitere „Auslassung“ in der ‚Schedula I‘ zu geben, beim Auftrag der rötlichen Gesichtsfarbe fehlen ausgerechnet die Wangen (genae), deren Rot- oder Purpurton in der Literatur eine besondere Rolle bei der Beschreibung von Personen spielt. In der BrM-Rezension werden auch die gene mit dem ersten rosa gerötet. Cf. P. Sternagel, Die Artes Mechanicae im Mittelalter. Begriff- u. Bedeutungsgeschichte bis zum Ende des 13. Jahrhunderts (Münchener historische Studien 2), Kallmünz 1966; L. Boehm, Artes mechanicae und artes liberales im Mittelalter. Die praktischen Künste zwischen illiterater Bildungstradition und schriftlicher Wissenschaftskultur, in: K. R. Schnith/R. Pauler (eds.), Festschrift für Eduard Hlawitschka zum 65. Geburtstag (Münchener Historische Studien, Abteilung Mittelalterliche Geschichte 5), Kallmünz 1993, 419–444.

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Handschrift mit einem Traktat zur Malerei, die ‚Clarea‘, entstand bereits im späten 11. Jahrhundert. Über die Inhalte einer solchen ars picturae bestand ein gewisser Konsens, der am prägnantesten in den Hexametern zusammengefaßt ist, die den ‚De coloribus et mixtionibus‘ vorangestellt wurden, die Farbenherstellung (factura colorum), die Mischungen (mixturae) und die Ausführung des Werkes (opus exercere). Dabei können die Schwerpunkte unterschiedlich gesetzt sein, so wird die factura colorum in ‚Clarea‘ und ‚Cum optimus opus‘ nur knapp behandelt. Das anspruchsvollste Programm wird in der ‚Schedula I–II‘ realisiert, indem hier versucht wird, die Malerei in ihrer Gesamtheit mit allen Gattungen und Techniken zu erfassen. Auch in der an rhetorischen Vorbildern orientierten literarischen Form geht der Autor der ‚Schedula I–II‘ über die anderen Traktate hinaus. Er benutzte zwar für einzelne Teile vermutlich schriftliche Quellen, daneben sind jedoch auch orale Traditionen zeitgenössischer Praktiker wahrscheinlich zu machen. Dies dürfte vor allem jene Techniken betreffen, die zuvor nicht verschriftet worden waren. Die Adressaten sind dagegen hier wie in den anderen Traktaten vornehmlich außerhalb der Werkstätten zu suchen. Die ‚Schedula I–II‘ wendet sich vielmehr an ein literates Publikum, dem Wissen über die Technik der Malerei vermittelt wird. Damit fügt sie sich in die Tradition Vitruvs, der zwischen der ratiocinatio des Architekten und der fabrica der Bauausführung unterschied 114. Innerhalb der Artes-Diskussion des 12. Jahrhunderts vertritt Hugo von Sankt Viktor eine ähnliche Position mit seiner Trennung zwischen theoretischem Wissen über die artes mechanicae (ratio) von deren praktischer Ausführung (administratio)115. Die Strukturierung besonders des ersten Buches der ‚Schedula‘ setzt mit der descriptio der Bildausführung den Rahmen für die Erörterung der theoretischen Grundlagen der ars picturae. Zugleich bietet das Bildthema der Darstellung des Menschen, besonders des Gesichtes eine Verbindung zu den theologischen Reflexionen des Prologes. Somit erscheint es allerdings plausibel, in dem Autor des Prologes auch den Verfasser der ‚Schedula I–II‘ zu vermuten.

114 115

Cf. Vitruv, De architectura libri decem, I, c. 1. Hugo von Sankt Viktor, Didascalion. De studio legendi, I, 4, ed. C. H. Buttimer (Studies in Medieval and Renaissance Latin 10), Washington D.C. 1939.

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Tabelle Abfolge der Kapitel von Buch in den Kapitelverzeichnissen (entsprechend der Numerierung der Kapitel in der Edition von Dodwell, die Zählung der Handschriften kann abweichen); bei Dresden auch Abfolge der Kapitel im Text. Die Abfolge im Text entspricht in den anderen Handschriften der Edition von Dodwell, allerdings fehlt in G und V Kap. 38, E endet mit Kap. 30, P mit Kap. 27. D (Kap.)

D (Text)

1–16 33 Modellierung Folium

E/P

G

H

1–3 1–13 1–38 Modellierung Modellierung

L

V

1–14 1–13 Modellierung Modellierung

33 Folium

1–16 7 15 Modellierung Modellierung Modellierung (Wand)

16 15 Modellierung Modellierung (Tafel, Decke) (Wand)

36 Viride hispanicum

17–18 Maltechnik

33 Folium

14 Modellierung (Tafel, Decke)

17–31/32 1 Maltechnik

19 – 23? 2 8 16 Modellierung Modellierung Modellierung

36 Viride hispanicum

16 Modellierung

34 3–37 synthetische Pigmente

24–32 Maltechnik

5 33–37 Modellierung Folium synthetische Pigmente

17–32 Maltechnik

33–37 Folium synthetische Pigmente

34–38 synthetische Pigmente

9 38 Modellierung Tinte

34–37 synthetische Pigmente

38 Tinte

6 17–32 Modellierung Maltechnik

38 Tinte

17–32 Maltechnik

4 14 Modellierung Modellierung (Tafel, Decke)

10–16 33–37 Modellierung Folium/ synthetische Pigmente 17–27 Maltechnik

1 2 3

Der Text ist nicht mehr lesbar, daher kann nicht entschieden werden, ob hier die Kapitelüberschrift für 31 oder 32 steht. Ein Blatt zwischen foll. 110 und 111 ist verloren; fol. 110v endet mitten in I, 18; fol. 111r beginnt mit dem Schluß von I, 24. Auch hier ist der Text nicht mehr lesbar, vermutlich handelt es sich jedoch um das Zinnoberkapitel.

Die technischen Rezepte zum Malen bei Theophilus: umsetzbare Anweisungen oder enzyklopädische Wissenssammlung eines Kopisten R F (Köln) I. Die Schrift ‚De diversis artibus‘ wird mit seinen verschiedenen Buchteilen seit neuerer Zeit nicht mehr einem Autor, dem „Theophilus“, zugeschrieben, sondern eher als eine Kompilation betrachtet, die ein „Redakteur“ aus verschiedenen Quellen zu einer Enzyklopädie zusammengestellt hat 1. Sie sollte Wissen über verschiedene anspruchsvolle Kunsthandwerke bündeln, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Die folgenden Überlegungen beschränken sich auf das erste Buch, in dem das Malen von Bildern auf der Wand, auf Holztafeln und im Buch ausführlich beschrieben wird. Die Erläuterungen gehen aber auch auf die farbige Fassung von beispielsweise Türen oder Sätteln ein. Der Autor beschreibt die Malerei im Allgemeinen, sehr detailliert verschiedene Maltechniken und schließlich die Herstellung von einigen Pigmenten. Dabei springt er immer wieder von allgemein gültigen Regeln der Malerei in Aufbau und Ausführung zu speziellen Angaben für beispielsweise Wand- oder Buchmalerei, um andere Materialien dann oft nur zu streifen. Hierbei wechselt er von detailverliebten Beschreibungen zu beiläufiger Erwähnung verschiedener Malmaterialien. Die Interpretation wird dadurch manchmal schwierig, da man nicht weiß, ob sich dann die Angaben auf eine spezielle Maltechnik beispielsweise auf der Wand oder im Buch beziehen oder auf die Malerei insgesamt. Es stellen sich zudem die Fragen: Sind konkrete zeitgenössische Malereien gemeint oder beziehen sich manche Elemente auf frühere Malereien? Sind diese Brüche verursacht durch die Kompilation älterer Rezepte, die wir aber nicht kennen, oder waren dem Autor die genauen technischen und topographischen Zusammenhänge nicht bewußt? Diesen Fragen geht dieser Artikel nach und versucht durch den Vergleich mit zeitgenössischer Malerei die Gemeinsamkeiten und Gegensätze zu verdeutlichen. Im Folgenden wird der Bequemlichkeit halber der Autor mit „Theophilus“ bezeichnet, unabhängig davon, ob er als Person existiert hat oder ob es sich um ein Pseudonym oder einen Teilautor handelt. 1

Zum Forschungsstand cf. vgl. den Beitrag von A. Speer in diesem Band, XI–XXXIII.

124

Robert Fuchs

II. Der Theophilus-Text steht in einer Reihe von mehr oder weniger gut erhaltenen anderen Schriften. Die Tabelle I zeigt eine Übersicht über vorausgehende vergleichbare Schriften, auf die Theophilus sich möglicherweise bezogen hat. Tabelle I: Heute bekannte lateinische Rezepttexte zu Farbmitteln von der Spätantike bis Theophilus. Zeitstellung und Inhalte der Texte Autor/Titel/Traktat

Datum

Inhalt

‚Mappae Clavicula‘ (ursprüngliche Form)

2./3. Jahrhundert

Farbmittelherstellung, Metallverarbeitung, Glas, Alchimie

‚Heraclius‘, Buch I–II

vor 11. Jahrhundert

Farbmittelherstellung, Metallverarbeitung, Glas, Keramik, Alchimie

‚Heraclius‘, Buch III

spätes 12. Jahrhundert (also eigentlich nach Theophilus

Farbmittelherstellung, Metallverarbeitung, Glas, Keramik, Vorbereitung des Malgrundes (Tafel, Skulptur) Modellierung in der Malerei

‚De coloribus et mixtionibus‘ (= DCM)

spätes 11. Jahrhundert England?

Farbmittelherstellung, Farbmischungen für Malerei, Modellierung in der Malerei

‚De Clarea‘ (Bern, Burgerbibliothek, Cod. A 91, 17)

spätes 11. Jahrhundert Frankreich?

Farbmittelherstellung, Bearbeiten von Pergament, Bindemittel für die Buchmalerei, Modellierung in der Malerei

Theophilus

erste Hälfte des 12. Jahrhunderts Nordwestdeutschland?

Malerei, Glas, Metallverarbeitung Farbmittelherstellung Vorbereitung des Malgrundes (Tafel, Skulptur) Modellierung in der Malerei

Brüsseler PseudoTheophilus

um 1205 Maasgebiet

Variante zu Theophilus I, Extrakte aus ‚Heraclius‘, Vitruv, ‚DCM‘ 2, Farbmittelherstellung, Metallverarbeitung Vorbereitung des Malgrundes (Tafel, Skulptur, Wand) Modellierung in der Malerei

2

‚De Coloribus et Mixtionibus‘ (England; spätes 11. Jahrhundert), ed. Th. Phillips, in: Mappae Clavicula: a Treatise on the Preparation of Pigments during the Middle Ages, in: Archaeologia 32 (1847), 183–244 (als Teil der ‘Mappae’).

Die technischen Rezepte zum Malen bei Theophilus

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Der Schwerpunkt des ersten Teils des ersten Buches liegt auf der Beschreibung der Farbkombinationen für Inkarnat, Haare, Bärte und Gewänder, sowie dem Aufbau von Malschichten. Viel wird vom Mischen der Farben geschrieben, doch erstaunlich wenig erfährt man über die Herstellung der Farbmittel selbst. Ungewöhnlich ist die Abfolge der Kapitel, da man üblicherweise zuerst mit der Herstellung der Farbmittel beginnen würde, um dann auf ihre Anwendung in der Maltechnik zu kommen. Neue Aspekte scheinen dem Autor wichtiger zu sein. Im Vordergrund stehen Maltechniken, in die dann vereinzelt Bemerkungen zu Herstellung oder Eigenschaften von Pigmenten eingestreut werden. Dann werden die verschiedenen Bindemittel für Wand, Holztafel und Buch überzeugend aufgeführt, doch bei der Farbverträglichkeit der Pigmente untereinander oder mit dem Untergrund gibt es eklatante Fehler. Es stellen sich nun die Fragen: Sind die Rezepte von einem Praktiker oder von einem Enzyklopädisten erstellt worden? Hat der Enzyklopädist die Rezepte selbst überprüft oder hat er einen Fachmann zu Rate gezogen? Vergleicht man die Inhalte der erhaltenen Rezepttexte, so fällt auf, daß in den frühen Texten, aber auch in den römischen Quellen (Vitruv, Plinius) viel über die Herstellung von Farbmitteln aus Mineralien, Pflanzen und über ihre künstliche Fertigung, jedoch nichts oder wenig Präzises über die Anwendung, Mischung und Maltechnik berichtet wird. Erst ab dem Ende des 11. Jahrhunderts wird dies Gegenstand ausführlicher Beschreibung. Die ‚De Clarea‘3 beschreibt in einer ungewöhnlichen Deutlichkeit alles, was man zur Buchmalerei benötigt. Besonders detailliert, fast schon liebevoll wird dort die Malerei beispielsweise der Farbauftrag für farbige Buchstaben geschildert: „Wenn du mich fragst: ‚Wie kann ich wissen, ob auf einem Buchstaben zuwenig oder zuviel Farbe ist?‘ so werde ich dir sagen, daß du dies und noch vieles andere, wenn du aufmerksam bist, durch eigene Praxis weit besser erproben und erfahren kannst als durch das, was ich schreibe. […]“ 4

Der Autor (zweifelsfrei ein Mönch) beschreibt aber auch alle anderen Utensilien, die ein Schreiber benötigt: Federkiel, Pult und die Pergamentzubereitung. Doch gerade als er ansetzt, die Maltechnik zu erläutern, bricht der in der Burgerbibliothek, Bern aufbewahrte Text abrupt ab. Diese Detailverliebtheit findet sich auch bei Theophilus (Kap. 23), zwar nicht so emphatisch wie in der ‚De Clarea‘, doch deutlich genug: „[…] Berühre mit dem in deinem Mund angefeuchteten Stiel desselben Pinsels den Rand eines zurechtgeschnittenen Blattes, hebe es so mit aller Behendigkeit an, lege es auf und streiche es mit einem Pinsel glatt. Während dieser Zeit mußt du dich vor Zug-

3

Cf. R. E. Straub, Der Traktat ‚De Clarea‘ in der Burgerbibliothek Bern. Eine Anleitung für Buchmalerei aus dem Hochmittelalter, in: Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft, Jahresbericht 1964, Zürich 1965, 89–114, 93 sqq.

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luft schützen und den Atem anhalten, denn wenn du bläst, verlierst du das Blatt und findest es nur schwer wieder […].“ 5

Der Traktat ‚De Clarea‘ läutet eine Epoche ein, in der die Rezeptliteratur nicht nur die Herstellung von Farbmitteln beschreibt, sondern auch deren Mischung und wie diese aufzutragen sind. In den ersten Abschnitten von Buch I (Theophilus) geht dies so weit, daß viele Varianten von Gesichts- und Gewandmodellierungen hintereinander aufgelistet werden, so daß man versucht ist daran zu denken, daß dies nur ein Maler selbst geschrieben haben kann. Allein für das Inkarnat werden zusammen mit der Kontur acht verschiedene Farbaufträge für Höhung und Schattierung angegeben. Die farbliche Modellierung von Gewändern variiert sogar in 23 Kombinationen. Die Beschreibung dieser Vielzahl von Modellierungsvarianten und der komplizierte Inkarnataufbau wirft die Fragen auf: Sind diese Modellierungen in zeitgenössischen Malereien zu finden? Sind sie in der gesamten Variantenbreite vorhanden? Kann man sie eventuell topographisch orten? III. Schon Scholtka6 versuchte mit der malerischen Rekonstruktion dieser Angaben Vergleichsmodelle für die Malkunst der Zeit herzustellen. Ihre gemalten Modelle ähneln, oberflächlich gesehen, verblüffend der romanischen Malerei. Allerdings beschreibt der Theophilus-Text keinen Malstil, sondern nur den Aufbau, die Abfolge einer Modellierung. Wenn in der Rekonstruktion der romanische Malstil imitiert wird, sehen die Bilder natürlich so aus, als würden Malereien des 12. Jahrhunderts beschrieben. Vergleicht man die Beschreibung des malerischen Vorgehens mit dem Aufbau von Inkarnaten der Reichenauer, Helmarshausener, Kölner und Mönchengladbacher Malerei des 11. und 12. Jahrhunderts gibt es deutliche Unterschiede, aber auch viele Gemeinsamkeiten. Im Prinzip folgt der Malschichtaufbau dem beschriebenen System, wenn auch die Schattierung oder Höhung durchaus auch einfacher gestaltet sein kann. Der Theophilus-Text spricht bei den Modellierungen nicht eindeutig von Buchmalerei. Könnte daher eher eine Maltechnik für Wand- oder Tafelmalerei beschrieben sein und wir vergleichen die falschen Malereien?

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Theophilus, De diuersis artibus, I, c. 23 („De petula auri“), ed. Ch. R. Dodwell, in: Theophilus, De diversis artibus – The Various Arts, London 1961 [Neudruck Oxford 1986, 1998], 22. Die deutsche Übersetzung nach A. Scholtka, Theophilus Pesbyter. Die maltechnischen Anweisungen und ihre Gegenüberstellung mit naturwissenschaftlichen Untersuchungsbefunden, in: Zeitschrift für Kunsttechnologie und Konservierung 6, Heft 1 (1992), 1–53, 16. Cf. Scholtka, Theophilus (nt. 5), 22 sqq.

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Der Vergleich der Modellierungen in der Wandmalerei scheitert meist daran, daß diese Kunstgattung während der vergangenen Jahrhunderte starke Veränderungen erfahren mußte und erhaltene Zeugen meist schwer beschädigt sind. In nur wenigen sehr gut erhaltenen Beispielen der Wandmalerei ist der Malschichtenaufbau so deutlich konserviert, daß gezeigt werden kann, daß sich die Maltechnik prinzipiell nicht unterscheidet. Auch die wenigen erhaltenen Tafeln können verglichen werden. Dennoch erscheint es im Nachfolgenden sinnvoller, die fast immer hervorragend erhaltenen Buchmalereien, die nicht restauriert oder verändert wurden, zum Vergleich heran zu ziehen. Seit mehr als 20 Jahren dokumentieren wir in unseren Untersuchungen von mittelalterlichen Buchmalereien die Technik der Modellierungen möglichst genau, um eventuell Werkstattgepflogenheiten, beziehungsweise Malweisen von einzelnen Künstlern zu differenzieren7. Wir haben daher die Möglichkeit die Maltechnik von Handschriften aus der Spätantike, Northumbria und der Ottonik bis ins späte Mittelalter von vielen verschiedenen Skriptorien (Northumbria, Trier, Köln, Reichenau, Mainz, Mönchengladbach, Böhmen, und so weiter) zu vergleichen. Nach Theophilus folgt der Malschichtenaufbau eines Inkarnates folgendem System: zuerst wird eine fleischfarbene Grundschicht vermalt, auf der mit dunkleren Farben schattiert und mit helleren Farben gehöht wird. Theophilus (Kap. 1) beschreibt eine sehr elaborierte Abfolge von bis zu sieben Modellierungsschichten (zwei Schattenfarben, zwei Höhungen und zwei rote Inkarnattöne plus „Veneda“) plus verschiedene Konturen, je nachdem ob Nase, Auge oder Mund umfahren werden soll:

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Cf. R. Fuchs/D. Oltrogge, Painting materials and painting technique in the Book of Kells, in: F. O’Mahony (ed.), The Book of Kells. Proceedings of a Conference at Trinity College Dublin, 6–9 September 1992, Aldershot 1994, 133–171, Tfn. 147–191; id., Kerald und Heribert. Zur Entstehungsgeschichte des Widmungsbildes im Codex Egberti, in: Kurtrierisches Jahrbuch 29 (1989), 65–86; id., Oliver Hahn: Farbmittel und Maltechnik der Bibel von St. Maximin, in: R. Nolden (ed.), Die Touronische Bibel der Abtei St. Maximin vor Trier, Trier 2002, 239–242; id., Mit Infrarot und Röntgenstrahl. Ergebnisse naturwissenschaftlicher und kunsttechnologischer Untersuchungen des Egbert-Codex, in: G. Franz (ed.), Der Egbert-Codex: Das Leben Jesu. Ein Höhepunkt der Buchmalerei vor 1000 Jahren (Handschrift der Stadtbibliothek Trier 24), Luzern–Darmstadt 2005, 189–216; id., Gold und Purpur. Zwischen Ideal und Werkstattpraxis, in: E. Crisci/Ch. Eggenberger/R. Fuchs/D. Oltrogge, II Salterio purpureo Zentralbibliothek Zürich, RP 1, in: Segno e testo 5 (2007), 31–98, 82–98; D. Oltrogge/R. Fuchs, Die Maltechnik des Codex Aureus aus Echternach: Ein Meisterwerk im Wandel (Wissenschaftliche Beibände zum Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 27), Nürnberg 2009, 178 sq.; R. Fuchs, Farbmaterialien und Maltechnik der Hildesheimer Bernwardhandschriften, in: M. E. Müller (ed.), Schätze im Himmel – Bücher auf Erden. Mittelalterliche Handschriften aus Hildesheim (Ausstellungskatalog der Herzog August Bibliothek 93), Wolfenbüttel–Wiesbaden 2010, 185–192; id., Mit Gold und vielerlei Farbe – Zur Maltechnik im Reichenauer Perikopenbuch, in: Th. Labusiak (ed.), Das Reichenauer Perikopenbuch – Kommentar, Graz 2010, 67–78, Abb. 52–102; D. Oltrogge, Die Technik der Buchmalerei, in: A. Fingernagel (ed.), Romanik (Geschichte der Buchkultur 4,1), vol. 1, Graz 2007, 309–333. Weitere maltechnische Untersuchungsergebnisse sind in Vorbereitung und noch nicht veröffentlicht.

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1) Die richtige Mischung der Farben für unbedeckte Körper(teile) [alle Gattungen]: Die Farbe, die Inkarnatfarbe [1] genannt wird, mit der man Gesichter und unbedeckte Körper(teile) malt, wird folgendermaßen zusammengesetzt: Nimm Bleiweiß, das ist das Weiß, das aus Blei gemacht wird, und gib dieses nicht gerieben, sondern so wie es ist, trocken in ein kupfernes oder eisernes Gefäß, stelle dieses über glühende Kohlen und erhitze es, bis es sich in eine gelbe Farbe verwandelt hat. [Dies ist die Beschreibung der Herstellung von Bleigelb aus Bleiweiß] Dann reibe dieses und mische ihm Bleiweiß und Zinnober hinzu, bis es dem Fleischton ähnlich wird. Die Mischung der Farben liegt in deinem Ermessen, wenn du zum Beispiel rote Gesichter haben willst, gib mehr Zinnober zu, wenn jedoch helle, setze mehr Weiß zu, wenn aber bleiche, dann gib statt des Zinnobers etwas Grüne Erde hinzu. 2) Das Pigment Grüne Erde: Grüne Erde ist gewissermaßen ein Produkt, das aussieht wie eine grüne Farbe und Schwarz (gemischt). Seine Beschaffenheit ist eine solche, daß es nicht auf dem Stein gerieben wird, sondern, in Wasser gelegt, wird es gelöst und sorgfältig durch ein Tuch geseiht. Seine Verwendung als Grün auf der frischen Wand wird für sehr vorteilhaft gehalten. 3) Das erste Posc [2]: Wenn du aber die Inkarnatfarbe gemischt und damit die Gesichter und unbedeckten Körper(teile) angelegt hast, mische zu dieser Grüne Erde, roten Ocker, der aus gelbem Ocker gebrannt wird, und etwas Zinnober und bereite so einen Posc. Mit diesem zeichnest du die Augenbrauen und Augen, die Nasenflügel und den Mund, das Kinn und die Vertiefungen rund um Nasenflügel und Schläfen, die Falten auf Stirn und Hals, die Rundung des Gesichtes, die Bärte der jungen Männer, die Finger und Zehen und alle Glieder, die am unbedeckten Körper abgesetzt werden. 4) Das erste Rosa [3]: Dann mische mit der einfachen Inkarnatfarbe etwas Zinnober und wenig Mennige und bereite die Farbe, die Rosa genannt wird. Damit färbst du beide Wangen, den Mund und das Kinn unten, den Hals und die Stirnfalten geringfügig rot, die Stirn selbst über den Schläfen auf beiden Seiten, die Nase der Länge nach und über den Nasenflügeln zu beiden Seiten, Finger und Zehen und die übrigen Glieder des unbedeckten Körpers. 5) Die erste Höhung [4]: Anschließend mische mit der einfachen Inkarnatfarbe geriebenes Bleiweiß und bereite die Farbe, die als Höhung bezeichnet wird. Damit höhe die Augenbrauen, die Nase der Länge nach und über den Nasenlöchern auf beiden Seiten, die feinen Linien rund um die Augen, die Schläfen unten und das Kinn oben, die Umgebung der Nasenflügel und den Mund zu beiden Seiten, die Stirn oben, zwischen den Stirnfalten ein wenig, den Hals in der Mitte und um die Ohren herum, die Finger und Zehen außen und die ganze Rundung der Hände, Füße und Arme in der Mitte. 6) Die Veneda, mit der die Augen angelegt werden: Dann mische Schwarz mit etwas Weiß zusammen. Diese Farbe wird Veneda genannt. Lege damit die Pupillen der Augen an, gib noch mehr von dem Weiß hinzu und fülle die Augen auf beiden Seiten aus. Reines Weiß ziehe zwischen die Pupille und diese Farbe und wasche es mit Wasser aus. 7) Die zweite Schattenfarbe [5]: Hernach nimm den Posc, von dem oben die Rede war, und mische diesem noch mehr von der Grünen Erde und dem Gebrannten Ocker bei, so daß es der Schatten der vorherigen Farbe wird. Damit lege den Zwischenraum zwischen Brauen und Augen an und die Mitte unter den Augen, die Umgebung der Nase und zwischen Mund und Kinn, die Flaumhaare oder Bärtchen der Heranwachsenden, die halben Handflächen gegen den Daumen, die Füße oberhalb der kleineren Zehen und die Gesichter der Knaben und Frauen vom Kinn bis zu den Schläfen.

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8) Das zweite Rosa [6]: Dann mische Zinnober mit dem (ersten) Rosa und ziehe damit in der Mitte des Mundes eine Linie, so daß das vorige (Rosa) darüber und darunter erscheint. Mache auch feine Linien über dem (ersten) Rosa im Gesicht, am Hals und auf der Stirn, und zeichne damit die Finger in den Handinnenseiten, die Verbindungen aller Glieder und die Nägel. 9) Die zweite Höhung [7]: Wenn das Gesicht so dunkel geworden ist, daß eine Höhung nicht ausreicht, gib (zur ersten Höhung) mehr von dem Weiß dazu und ziehe damit auf der ersten (Höhung) überall feine Linien.“8

Es wird ein komplizierter, detaillierter 7-facher Farbschichtenaufbau für ein Gesicht(sichtbare Fleischteile) beschrieben. Als Absatz 2 wird in einem Einschub die grüne Erde als Farbmittel, in Abschnitt 6 die Veneda als spezielle Farbmischung eingeschaltet. Das Grundprinzip des schichtenweisen Aufbaues des Inkarnats kann zusätzlich variiert werden, denn es gibt nach Theophilus rote Gesichter, helle Gesichter und bleiche Gesichter. Die Inkarnatgrundfarbe ist ein Fleischton, der folgendermaßen gemischt wird: Bleigelb (aus Bleiweiß, das erhitzt wird) vermischt mit Bleiweiß und etwas rotem Zinnober ergibt einen gelblichen rosa Fleischton (Abb. 1). Für die roten Gesichter wird dem Fleischton mehr roter Zinnober zugemischt und somit ein rötlicher Fleischton erreicht (Abb. 2). Für die hellen Gesichter wird der Fleischton mit Weiß (Bleiweiß) zu einem hellen Rosa aufgehellt (Abb. 3). Die bleichen Gesichter werden gemischt aus dem rosa Fleischton mit Grüner Erde, sind demnach grünlich bleich (Abb. 4). Im Vergleich zur zeitgenössischen romanischen Buchmalerei9 ist dort die Abfolge von Schattierung und Höhung fast immer viel einfacher: Auf der Grundschicht wird meist einfach gehöht und einfach schattiert (Abb. 1–13). Diese Inkarnate kann man sowohl bei der Reichenauer, als auch bei der Kölner Buchmalerei des 11. Jahrhunderts mit Abweichungen10 finden (Abb. 1–6). Sie sind jedoch fast immer mit nur zwei oder maximal fünf (Abb. 1–5) Schichten aufge-

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Theophilus, De diuersis artibus, I, c. 1–9, ed. Dodwell (nt. 5), 5–8. Übersetzung mit eigenen Veränderungen nach Scholtka, Theophilus (nt. 5), 5–8. Der Ausdruck „Posc“ wird nicht übersetzt, da er unserer Meinung nach nicht ausschließlich als „Schattenfarbe“ wiedergegeben werden kann. Besser wäre dann „dunklere Modellierung“. Cf. den Beitrag von D. Oltrogge in diesem Band, 93–122. Die folgende Nummerierung in eckigen Klammern bezeichnet die Abfolge der Farbaufträge beginnend mit der Grundschicht. Diese Zahlen weichen von den Kapitelnummern des Theophilustextes ab! Der Vergleich der Maltechnik erfolgt im Folgenden immer mit der Buchmalerei, da diese besser erhalten ist. Die wenigen romanischen Wandmalereien, die fast unversehrt überliefert sind, zeigen einen ähnlichen Malschichtenaufbau. Bei den stark beschädigten kann manchmal der maltechnische Aufbau rekonstruiert werden. Cf. G. Drescher/O. Emmenegger/R. Möller/J. Pursche, Maltechnische Befunde, in: H.-H. Möller (ed.), Schäden an Wandmalereien und ihre Ursachen (Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 8), Hannover 1990, 75–93. Weitere passim. In den von uns untersuchten Reichenauer Buchmalereien finden sich kein Zinnober, sondern Rotockervarianten, in der Kölner Buchmalerei selten Zinnober, eher Schildlauslack beziehungsweise Rotocker.

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baut. Selten findet man Beispiele für einen so komplizierten Aufbau, wie ihn Theophilus schildert (Abb. 6–13). Auch werden Grundfarbmischungen variiert: Beispielsweise in der Reichenauer Buchmalerei werden gelbe Gesichter aus ungebranntem Gelbocker anstatt roten gebrannten Ockers vermalt (Abb. 5). Die bleichen Gesichter werden nicht mit Grüner Erde grün gefärbt, sondern werden mit anderen Kupfergrünpigmente (wie beispielsweise Malachit oder Salzgrün11) angemischt. Dieses Grün ist feuriger und beispielsweise in der Reichenauer Malerei (Abb. 5) verwendet worden. Grüne Erde findet man eher in Wandmalereien, was Theophilus auch erwähnt (siehe oben Kap. 1–2): „Seine Verwendung als Grün auf der frischen Wand wird für sehr vorteilhaft gehalten.“ Es eignet sich demnach besser zur Freskomalerei (frische Wand) doch Untersuchungen zeigen, daß man dort ebenso Malachit oder andere Kupfergrünpigmente finden kann12. Die maltechnischen Angaben sind generalisiert und nicht spezifisch für einzelne Malgattungen formuliert. Der Enzyklopädist Theophilus versucht aus seinen Vorlagen eine allgemein gültige Beschreibung der Maltechnik zu formulieren. Dennoch mußte er auch spezifische Details zur Herstellung von Pigmenten und deren Eigenschaften unterbringen. Dabei geht er so vor, daß nach der allgemeinen Beschreibung der Mischung des Fleischtones aus verschiedenen Pigmenten nicht jedes Farbmittel kommentiert oder erklärt wird, sondern nur die, deren Erklärung er vielleicht in seinen Vorlagen findet. So wird in Kapitel 1 die Herstellung von Bleigelb aus Bleiweiß und Rotocker aus Gelbocker erwähnt, aber nichts über Zinnober. Das wird erst später in Kapitel 34 nachgeholt. Sobald Grüne Erde benötigt wird (Kap. 2), werden ihre Eigenschaften (muß nicht gerieben werden, löst sich in Wasser auf) und, daß sie sich gut in der Wandmalerei eignet eingestreut. Die Herstellung von Bleiweiß und daraus Mennige wird erst viel später in Kapitel 37 ausgeführt. Diese unsystematischen „Fehler“ sind auch schon bei Plinius zu beobachten, der seine Textvorlagen abarbeitet und zum Ende seiner Kompilation die Details auflistet, die er zuvor sinnvoll nicht unterbringen konnte.

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Salzgrün ist die mittelalterliche Bezeichnung für Kupferchloridpigmente, die aus der Reaktion von Salz mit Kupfer hergestellt werden. Es entstehen je nach Herstellung Atacamit, Paratacamit oder andere Kupferchloridverbindungen. Kupferchloride in den romanischen Malereien von Wunstorf-Idensen vgl. M. Matteini/A. Moles, Mural painting in Wunstorf-Idensen – Chemical investigations on paintings, materials and techniques, in: Forschungsprojekt Wandmalerei-Schäden op. cit., S. 82–87. Malachit in der romanischen Malerei der St. Gabriel Kapelle in der Kathedrale von Canterbury vgl. D. Park, The Paintings in St. Gabriel’s Chapel, Canterbury Cathedral, in: Schäden an Wandmalereien und ihre Ursachen (= Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 8], Hannover 1990, S. 59–66. In den Malereien von Mals (Tirol) auch Grüne Erde, vgl. O. Emmenegger/H. Stampfer, Die Wandmalerei von St. Benedikt in Mals im Lichte seine maltechnischen Untersuchung, in: Die Kunst und ihre Erhaltung. Rolf Straub zum 70. Geburtstag gewidmet, Worm 1990, S. 247–268. Häufig werden Wandmalereien nicht genügend präzise untersucht. Es lassen sich daher aus den wenigen Untersuchungsergebnissen keine verlässlichen Aussagen treffen.

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Plinius hatte eine allumfassende naturgeschichtliche Enzyklopädie verfaßt und war daher gezwungen manche Informationen in verschiedenen Büchern unterzubringen13. So erscheinen Farbmineralien, die Erze sind, sowohl im Buch zu Erzen/Metallen14, als auch bei den Farbmitteln15. Hatte Theophilus vielleicht vor, noch weitere Bücher zu verfassen, und wären einige Eigenschaften und Herstellungsweisen an anderer Stelle aufgeführt worden? Uns heute erscheint die Kompilation nicht immer schlüssig und wir stolpern manchmal bei der Interpretation. So muß man auch die Übereinstimmungen und Unterschiede zu den Malereien in romanischen Handschriften sehen. Theophilus kennt sicher die zeitgenössische Malerei, doch kennt er sie so gut, daß er sie detailliert beschreiben kann? Wahrscheinlich will er einen Malereitypus beschreiben und nennt daher auch Farbwerte, die nicht unbedingt auf ein spezielles Pigment zurückzuführen sind. So werden beispielsweise auf der Reichenau oder in Köln die roten Gesichter nicht mit Zinnober sondern mit Rotocker oder einem rotem Farbstoff gemischt, was ebenfalls zu einer tief roten Farbe führt, die allerdings stärker ins Blaue geht (Abb. 2–3). Dieser Unterschied verschließt sich auch heute dem bloßen Betrachter und nur der Naturwissenschaftler kann durch Analyse die Verhältnisse klären. Versuchen wir daher zuviel in die Theophilus-Texte hineinzulesen? IV. Vergleicht man abgesehen von den verwendeten Farbmitteln den Malschichtenaufbau in Handschriften des 11. und 12. Jahrhunderts, so kommen nur einige dem komplizierten siebenfachen Malaufbau des Theophilus nahe. Dies sind zum Beispiel die Inkarnate im Evangeliar Sankt Maria ad Gradus aus Köln (um 1030). Die Malschichten sind jedoch mit feinen Strichen aufgebaut und entsprechen nicht dem malerisch wohl eher vertreibend beschriebenen „posc“ des Theophilus. Das Inkarnat des Schreibermönchs auf dem Gregorblatt hat tatsächlich sieben Stufungen (Abb. 9–10). Weitere spätere Beispiele sind die ebenfalls vielschichtig aufgebauten Inkarnate der beiden Evangeliare von Helmarshausen von 1120/ 1130 (Malibu, J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig II 3) und vom Ende des 12. Jahrhunderts (Trier, Domschatz, Ms. Nr. 142). Dazu gesellt sich ein Evangeliar von Helmstedt (Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf 65 Helmst.) von 1194. Die von Theophilus beschriebene Abfolge von Schattierungen und Höhungen stimmen in diesen Malereibeispielen sehr gut überein (Abb. 9–13), stilistisch weichen sie jedoch stark voneinander ab. Die zeitliche und topographische Einordnung (Köln, Helmarshausen, Sachsen) differiert. 13 14

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Über die Arbeitsweise Plinius cf. A. Locher, Zu den Notiz-Zetteln des Plinius, in: R. C. A Rottländer (ed.), Plinius Secundus d. Ä. Über Glas und Metalle, St. Katharinen 2000, 320–324. Cf. Plinius der Ältere, Naturalis Historia, XXXIII–XXXIV, edd. L. Jan/K. Mayhoff (Bibliotheca Scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana), vol. 5, Leipzig 2002 [Nachdruck der maßgeblichen Edition von 1897], 1–66. Cf. op. cit., XXXV, 66–104.

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In der Buchmalerei der beiden Gladbacher Evangeliare (um 1130/1140), die sich heute in Darmstadt befinden, sind die Abfolgen gut zu erkennen; aber auch zwischen den beiden Inkarnaten des Pantokrators sind maltechnische Unterschiede zu bemerken, die auf zwei verschiedene Maler im gleichen Skriptorium etwa der gleichen Zeit schließen lassen (Abb. 7–8). Die Abstufungen der Malschichten sind jedoch verblüffend ähnlich. Die von Theophilus beschriebene Modellierung scheint daher eher einem Ideal zu folgen, das von den Malern variiert beziehungsweise ganz subjektiv verändert wird. Das ideale Schema tradiert sich zeitlich und topographisch, wobei auch die unterschiedlichen Farbmaterialien variiert und stilistisch verändert werden. Wie erwähnt, kommt es in den Buchmalereien zu erstaunlichen Übereinstimmungen in der Modellierung der Inkarnaten, aber auch zu Abweichungen. Eine gute Übereinstimmung ist interessanterweise auch in einem völlig anderen „Malereibereich“ zu finden. So zeigen die Mosaiken aus der Apside des alten Domes von Ravenna (Anfang 12. Jahrhundert)16, die durch die Barockzeit unter dem Stuck verschwunden waren und zufällig vor einigen Jahren wieder gefunden wurden, eine völlig identische Modellierungsart (Abb. 14). Die Mosaiken sind unverändert aus dem Mittelalter erhalten und könne daher sehr gut verglichen werden. Das Petrusbild deutet mit seinen Tesserae eine fleischfarbene Grundierung mit jeweils zwei Höhungen und zwei Schattierungen an. Auch sind die Konturen mit zwei verschiedenen Farbtönen gemacht. Diese Wirkung wird durch die Verwendung von Tesserae mit sieben verschiedenen Farben, jeweils abgestuft, erreicht. Bei genauer Betrachtung ist die Übereinstimmung mit Malereien nicht so überraschend. Zwar werden technisch im Mosaik die Farbabstufungen nicht durch Übereinanderlegen von Farbschichten erreicht, sondern durch nebeneinander gelegte farbige Tesserae, doch technisch werden sie nach zuvor gemalten Mustern komponiert: sie sind „konstruierte“ Malereien. V. Sind beim Vergleich der Inkarnate in Malereien gute Übereinstimmungen zu finden, so weicht die farbige Modellierung der Gewänder stark ab. Obwohl bei Theophilus (für die Bemalung von Holzdecken/Holztafeln und auf der Wand!) 20 verschiedene Kombinationen zu sieben Grundfarben beschrieben werden, sind sie so in der Malerei in der Ausführung ganz selten zu finden. Das es noch keine kritische Textausgabe von Theophilus gibt, sind die Interpretationen dieses Textabschnittes besonders schwierig. In den erhaltenen Handschriften variiert die Überschrift von Kapitel 14 „De mixtura vestimentorum“ („Von der Mischung für Gewänder“). Sie wird in der Hs. von Wolfenbüttel und Dresden mit „in laqueari“ ergänzt. In Paris folgt „in pergameno“ und Wien „in muro“. Je nach Quelle wird demnach von Gewandmalerei auf Holz, Wand oder im Buch beschrieben. Es ist 16

Sie wurden unter dem Erzbischoff Geremia (1111–1118) ausgeführt.

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nicht klar, was Theophilus ursprünglich beschrieb. Vergleicht man die Texte, dann könnte es sein, daß in Kapitel 14 zuerst eine allgemeine Idealmalerei beschrieben wird, bevor er in Kapitel 15 zu den Besonderheiten auf der Wand kommt. „[1]17 Mische Menesc18 mit Folium19 oder mit Schwarz und etwas gebranntem Ocker und lege ein Gewand an. Mische dazu noch etwas Schwarz und mache die (Falten-) Züge. Dann mische Lapislazuli mit etwas Menesc oder Folium oder mit eben der Farbe, mit der du (das Gewand) angelegt hast, und höhe das erste Mal. Mit reinem Lapislazuli höhe darüber. Danach mische wenig Weiß mit Lapislazuli und mache wenige feine Linien. [2] Lege ein Gewand mit gebranntem Ocker an, und wenn der gebrannte Ocker blass ist, gib etwas Schwarz hinzu. Hierauf mische mehr Schwarz dazu und mache die (Falten)züge. Dann mische etwas gebrannten Ocker mit Zinnober und höhe das erste Mal. Anschließend gib etwas Mennige mit Zinnober dazu und höhe darüber. [3] Lege ein Gewand mit Zinnober an, mische etwas gebrannten Ocker dazu und mache die (Falten)züge. Dann mische etwas Mennige mit Zinnober und höhe das erste Mal. Anschließend höhe mit reiner Mennige. Zuletzt mische etwas Schwarz mit gebranntem Ocker und mache den äußeren Schatten. [4] Mische reines Kupfergrün mit gelbem Ocker, so daß der Ocker überwiegt, und lege ein Gewand an. Gib zu dieser Farbe etwas Pflanzensaftgrün und wenig gebrannten Ocker und mache die (Falten)züge. Mische Weiß zu der Farbe, mit der du angelegt hast, und höhe zum ersten Mal. Gib mehr Weiß hinzu und höhe zuoberst. Mische noch mit dem oberen Schatten mehr Pflanzensaftgrün und gebrannten Ocker und wenig Kupfergrün und mache den äußeren Schatten. [5] Mische Foliumsaft mit Bleiweiß und lege ein Gewand an. Gib mehr Folium hinzu und mache die (Falten)züge. Gib mehr Bleiweiß hinzu und höhe. Danach höhe mit reinem Bleiweiß. Zuletzt mische etwas geriebenes Folium und etwas Bleiweiß mit dem ersten posc und mache den äußeren Schatten. [6] Lege noch ein Gewand mit derselben Farbe an. Gib zu derselben mehr Folium und Zinnober und mache die (Falten)züge. Gib zu der Farbe, mit der du angelegt hast, Bleiweiß und etwas Zinnober hinzu und höhe das erste Mal. Zuletzt mische etwas gebrannten Ocker mit dem ersten Schattenton und mache den äußeren Schatten. Mit dieser Mischung kannst du drei Arten von Gewändern malen, ein purpurfarbenes [7], ein violettes [8] und ein weißes [9]. [10] Mische Kupfergrün mit Pflanzensaftgrün, füge etwas gelben Ocker hinzu und lege ein Gewand an. Gib mehr von dem Pflanzensaftgrün hinzu und mache die (Falten)züge. Gib noch etwas Schwarz hinzu und mache den äußeren Schatten. Gib zu der Grundfarbe mehr Kupfergrün und höhe das erste Mal. Mit reinem Kupfergrün höhe zuoberst und gib, wenn es nötig wäre, etwas Weiß dazu.

17 18 19

Im Folgenden werden in eckigen Klammern die 19 verschiedenen Modellierungen nummeriert. Menesc ist wohl ein weniger wertvolles Blau. Cf. den Beitrag von S. Oltrogge in diesem Band, 93–122. Folium wird allgemein mit einem Farbstoff von Chrozophora tinct. JUSS. Interpretiert; cf. H. Roosen-Runge, Farbgebung und Technik frühmittelalterlicher Buchmalerei. Studien zu den Traktaten ‚Mappae Clavicula‘ und ‚Heraclius‘ (Kunstwissenschaftliche Studien 38), vol. 2, München 1967, 34–37. Nach unseren Untersuchungen der romanischen Handschriften ist Folium jedoch eventuell mit dem Flechtenfarbstoff von beispielsweise Rocella tinct. L. zu identifizieren.

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[11] Mische etwas Zinnober mit Auripigment und lege ein Gewand an. Gib wenig gebrannten Ocker dazu und mache die (Falten)züge. Mit reinem gebrannten Ocker mache den äußeren Schatten. Gib zu der Grundfarbe mehr Auripigment und höhe das erste Mal. Mit reinem Auripigment höhe zuoberst 20. [12] Mische Auripigment mit Indigo oder mit Menesc oder mit Holunderbeersaft und lege ein Gewand an. Gib mehr Holunderbeersaft oder Menesc oder Indigo dazu und mache die (Falten)züge. Gib etwas Schwarz hinzu und mache den äußeren Schatten. Dann gib mehr Auripigment zur Grundfarbe und höhe das erste Mal. Mit reinem Auripigment höhe darüber. Auripigment und alles, was mit ihm gemischt wird, hat keinen Bestand auf der Wand.“ 21

Die eingeschobene Bemerkung Theophilus über die Eigenschaft von Auripigment zeigt sehr gut seine Arbeitsweise. Er kompiliert eventuell verschiedene Quellen zur Malerei von Gewändern bis er zu einem Pigment, hier Auripigment, kommt, bei dem er den Einschub „es eignet sich nicht für die Wandmalerei“ unterbringt. Letzteres stimmt chemisch: Das Mineral Auripigment (Arsensulfid) ist im stark alkalischen Milieu auf der Wand nicht stabil. Diese Bemerkung wäre eigentlich erst im nächsten Kapitel 15 relevant, wenn er über die Gewandmalerei in der Wandmalerei spricht. Ähnlich verfährt er nach den Angaben zu verschiedenen Grundfarben mit dem Purpurfarbstoff „Folium“ 22. Er faßt mitten in der Auflistung die drei Purpurmischungen, die mit dem Foliumsaft möglich sind, in einer Bemerkung zusammen. Er könnte dies auch mit den verschiedenfarbigen Ockern tun, doch scheint er die natürlichen Zusammenhänge nicht verstanden zu haben. Daß verschiedene Färbungen aus einem Pflanzensaft entstehen, ist ihm verständlicher, als daß man aus Gelbocker durch Erhitzen Rotocker und Braunocker erzeugen kann. Erstere Erscheinungen stellen sich erst beim Malen ein, die verschiedenen Ockersorten „brennt“ schon der Fabrikant von Ocker. Schöpfte Theophilus daher sein Wissen aus den Informationen von Malern direkt oder Quellen, die von Malern geschrieben wurden? Es geht nun wieder allgemein weiter und die nächsten sechs Varianten werden aufgelistet, wobei er die zu häufige Wiederholung der Kombination bei Komposition 14–16 verkürzt: „[13] Mische Menesc mit Folium und lege ein Gewand an. Gib mehr Folium hinzu und mache die (Falten)züge. Gib noch ein wenig Schwarz hinzu und mache den äußeren Schatten. Mit reinem Menesc höhe das erste Mal. Gib ein wenig Weiß hinzu und höhe darüber. [14] Mische gelben Ocker mit Schwarz und lege ein Gewand an. Gib mehr Schwarz hinzu und mache die (Falten)züge. Gib noch mehr hinzu und mache den äußeren

20 21 22

Bei Scholtka (in Kap. 14 [8]) folgt nun ein Einschub der in keiner Handschrift vorhanden ist: „Diese (Mischung für ein) Gewand ist auf der Wand nicht gebräuchlich.“ Theophilus, De diuersis artibus, I, c. 14, ed. Dodwell (nt. 5), 10 sqq. Übersetzung nach Scholtka, Theophilus (nt. 5), 8 sq. Hier ist nicht der tierische Purpur gemeint sondern der Flechtenfarbstoff von bspw. Rocella tinct. L. oder der purpurne Farbstoff der Pflanze Chrozophora tinct. JUSS..

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Schatten. Gib mehr gelben Ocker zu der Grundfarbe und höhe das erste Mal. Gib noch mehr hinzu und höhe darüber. [15, 16] Mit gelbem und gebranntem Ocker mache es ebenso. [17] Mische Weiß und Kupfergrün und lege ein Gewand an. Mit reinem Kupfergrün mache die (Falten)züge. Füge wenig Pflanzensaftgrün hinzu und mache den äußeren Schatten. Gib mehr Weiß zur Grundfarbe und höhe das erste Mal. Mit reinem Weiß höhe darüber. [18] Mische etwas Schwarz und wenig gebrannten Ocker mit Weiß und lege ein Gewand an. Gib mehr gebrannten Ocker und wenig Schwarz hinzu und mache die (Falten)züge. Gib noch mehr Schwarz und gebrannten Ocker hinzu und mache den äußeren Schatten. Gib mehr Weiß zur Grundfarbe und höhe das erste Mal. Mit reinem Weiß höhe darüber. [19] Mische Menesc mit Weiß und verfahre wie oben. [20] Ähnlich mische Schwarz mit Weiß. [21] Auf dieselbe Weise mische gelben Ocker mit Weiß. Und beim Schatten gib etwas gebrannten Ocker hinzu.“ 23

Versucht man die Angaben mit existierender Malerei auf Holzdecken zu vergleichen, so scheitert man daran, daß sich keine bemalte Holzdecke aus dem 11. Jahrhundert erhalten hat. Die im 13. Jahrhundert bemalte Decke der Hildesheimer Michaeliskirche wurde bei der letzten Restaurierung in den Jahren 1998– 1999 detailliert untersucht, aber der schlechte Erhaltungszustand der Malerei erlaubt keinen direkten Vergleich mit den Angaben von Theophilus – zu sehr ist der Malschichtenaufbau gestört durch vergangene Reinigungen und Retuschen, zu wenig Untersuchungen wurden damals gemacht 24. Nachdem die 21 verschiedenen allgemein angewendeten Gewandmodellierungen beschrieben wurden, wendet er sich den speziellen Erfordernissen in der Wandmalerei zu (Kap. 15): „[22] Auf der Wand aber lege das Gewand mit gelbem Ocker an, nachdem du ihm zum Aufhellen etwas Kalk beigegeben hast, und mache die Schatten dann entweder mit reinem gebranntem Ocker oder mit Grüner Erde oder mit einer Schattenfarbe, die aus dem Ocker selbst und Kupfergrün gemacht wird. Die Inkarnatfarbe für die Wandmalerei wird aus gelbem Ocker, Zinnober und Kalk gemischt, die Schattenfarbe, das Rosa und die Höhungen wie oben beschrieben. Wenn Gestalten oder Darstellungen anderer Dinge auf der trockenen Wand gemalt werden sollen, wird sie zuerst so lange mit Wasser besprengt, bis sie durch und durch feucht ist. Und in diese Feuchte werden alle Farben gemalt, die darunterzulegen sind. Sie sollen alle mit Kalk gemischt werden und mit der Mauer selbst trocknen, damit sie haften. 23 24

Theophilus, De diuersis artibus, I, c. 14, ed. Dodwell (nt. 5), 12 sq. Übersetzung nach Scholtka, Theophilus (nt. 5), 9–12. Es wurden im Wesentlichen mikroskopische Anschliffe und naßchemische Analysen angewandt. Cf. Ch. Achhammer/O. Emmenegger/D. Gadesmann, Technik der ursprünglichen Malerei, in: R.-J. Grote/V. Kellner (ed.), Die Bilderdecke der Hildesheimer Michaeliskirche: Erforschung eines Weltkulturerbes. Aktuelle Befunde der Denkmalpflege im Rahmen der interdisziplinären Bestandssicherung und Erhaltungsplanung der Deckenmalerei (Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 28), München–Berlin 2002, 92–103.

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Auf die Flache unter Lapislazuli und Kupfergrün soll die Veneda genannte Farbe gelegt werden, (hier) gemischt aus Schwarz und Kalk(weiß). Auf diese (Untermalung) soll, wenn sie trocken ist, der Lapislazuli dünn an seine Stelle gelegt werden, mit Eigelb, dem reichlich Wasser zugegeben wurde, gemischt, und darüber der Schönheit wegen noch einmal dicke. Kupfergrün kann auch mit Pflanzensaftgrün und Schwarz gemischt werden.“25

Wieder gibt es eine Störung in der logischen Abfolge. Es wird nur eine Gewandmischung für die Wand angegeben, die eigentlich schon vorher für die allgemeine Malerei in der Komposition Nr. 20 (gelbes Gewand aus Gelbocker mit Rotocker schattiert) erwähnt wurde. Nur die Variante mit Grüner Erde, den Schatten auszuführen, ist neu. Danach springt Theophilus unvermittelt zur Beschreibung des Inkarnates und der Maltechnik speziell auf der Wand über. Sie wäre in seinen Kapiteln 1–8 angebracht. Dort wird, wie erwähnt, schon ein Querverweis auf Wandmalerei gegeben (Kap. 2: „Verwendung von Grüner Erde“). Allein die Bemerkung, daß zur Wandmalerei prinzipiell Kalk zugemischt werden soll, ist neu. In der Freskotechnik werden Farbmittel auf den frischen Putz aufgetragen und werden beim Abbinden des Kalks fest eingebunden. Auch bei der Seccotechnik, bei der auf einen schon abgebundenen Kalk Malschichten aufgemalt werden, ist es hilfreich, zuvor die Oberfläche zu feuchten, damit die Pigmente tiefer in den Mörtelgrund eindringen können und dort abbinden. Dennoch benötigt man dann in der „al secco“ aufgetragenen Schicht ein zusätzliches Bindemittel. Wenn man zuvor die Farbmittel mit Kalk vermischt (eingesumpfter Kalk oder Kreide), dann wirkt der Kalk beim Abbinden als Bindemittel und verklebt die Pigmentkörner fest mit der Oberfläche. Der Sumpfkalk ist aber sehr alkalisch, was einige Pigmente nicht vertragen, und sie beginnen sich chemisch zu verändern. Im Wandmalerei/Stein-Bereich in unserem Institut wurde diese Technik vor einigen Jahren von Studenten nachvollzogen und es zeigte sich überraschend, daß genau die Zumischung von altem Sumpfkalk26, Kalk oder Kreide tatsächlich einerseits die Farbmittel bindet und andererseits empfindliche Farbmittel vor der Reaktion mit zu stark alkalischem frischem Sumpfkalk schützt27. Diese Erfahrung kann nur ein praktischer Handwerker vermittelt haben. Für eine rein ideelle enzyklopädische Auflistung oder Neuordnung eines Theoretikers sind diese sehr erfahrenen Bemerkungen sehr verwunderlich. Hat Theophilus aus guten handwerklichen Quellen zitiert und zusätzlich versucht, ein übergeordnetes Ideal der Malerei zusammenzufassen?

25 26

27

Theophilus, De diuersis artibus, I, c. 15 („De mixtura vestimentorum in muro“), ed. Dodwell (nt. 5), 13. Übersetzung nach Scholtka, Theophilus (nt. 5), 12. Alter Sumpfkalk ist nicht so alkalisch wie frisch angesetzter, da sich das stark alkalische Calciumhydroxid durch die lange Lagerung teilweise in das weniger alkalische Calciumcarbonat umwandelt Dadurch können viele Farbmittel nicht mehr „verbrennen“. Die Ergebnisse dieser Forschung wurden nicht veröffentlicht. Freundliche Mitteilung von Adrian Heritage, Cologne Institute of Conservation Sciences (CICS), Fachhochschule Köln.

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Die technischen Rezepte zum Malen bei Theophilus

VI. Zum technologischen Vergleich der Gewandmodellierungen, wie sie Theophilus beschreibt und was tatsächlich in der zeitgenössischen Malerei zu finden sind, eignen sich nur gut erhaltene Wandmalerei und die meist hervorragend konservierte Buchmalerei. Nur in diesen beiden Maltechniken haben sich wenige Beispiele aus dem 11. Jahrhundert erhalten. Neben einigen byzantinischen Holztafeln sind keine westlichen Malereien auf Holz aus der Zeit erhalten. Erst aus dem späten 12. Jahrhundert das Soester Antependium28 oder im 13. Jahrhundert sind einige Beispiele bekannt, wie bspw. eine erst vor kurzem entdeckte Tafel aus Aschaffenburg 29, Tafeln in Spanien (Katalonien)30, die Holzdecken der Michaeliskirche zu Hildesheim31 oder Zillis in Graubünden32. Überraschenderweise findet sich dort keine exakte Übereinstimmung mit einer der 22 von Theophilus beschriebenen Modellierungen. In Tab. II werden die beschriebenen Modellierungen schematisch aufgelistet. Dabei sind folgende Kombinationen für die Bemalung von Holzdecken beschrieben: Grundfarbe

Falten

1. Höhung

2. Höhung

Schatten/Linien

1) Rötliches Blau: Menesc + Folium oder Schwarz + Rotocker

Grundfarbe + Schwarz

Rötliches Blau: Lapislazuli + menesc oder Folium oder Grundfarbe

Heller: Lapislazuli + Weiß oder Weiß

Feine Linien: Weiß

2) Braunrot: Rotocker (gebrannter Ocker) + Schwarz

Grundfarbe + Schwarz

Rötlicher: Gebrannter Ocker + Zinnober

1. Höhungsfarbe + Mennige



3) Rot: Zinnober

Grundfarbe + gebrannter Ocker

Mennige + Zinnober

Mennige

Schwarz + gebrannter Ocker

28

29 30

31

32

Cf. J. Poeschke (ed.), Das Soester Antependium und die frühe mittelalterliche Tafelmalerei. Kunsttechnische und kunsthistorische Beiträge (Westfalen 80 [2002], Hefte für Geschichte, Kunst und Volkskunde), Münster 2005. Cf. E. Emmerling/C. Ringer, Das Aschaffenburger Tafelbild. Studien zur Tafelmalerei des 13. Jahrhunderts (Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Arbeitsheft 89), München 1997. Hier vor allem im Museu Nacional d’Art de Catalunya (MNAC): Altartafeln von Avià (um 1200) und von Baltarga (um1200). Weitere romanische Tafeln von Mosoll und Tost cf. M. Castiñeiras/ J. Camps, Romanesque Art in The MNAC collections, Barcelona 2008. Cf. J. Sommer, Das Deckenbild der Michaeliskirche zu Hildesheim, Hildesheim 1966 [Neudruck mit einem neuen Schlusskapitel, Königstein im Taunus 2000]; Grote/Kellner, Die Bilderdecke (nt. 24). Cf. H. Blanke, Zillis. Evangelium in Bildern, Zürich 1994.

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Grundfarbe

Falten

1. Höhung

2. Höhung

Schatten/Linien

4) Gelbgrün: viel Gelbocker + Kupfergrün

grüner Pflanzensaft + wenig Gelbocker

Grundfarbe + Weiß

1. Höhungsfarbe + Weiß

Grundfarbe + Pflanzensaft + Gelber Ocker + Kupfergrün

5) Rosa: Foliumsaft + Weiß: Bleiweiß

Grundfarbe + Folium

Grundfarbe + Weiß

Bleiweiß

Folium + Bleiweiß + erster posc (Grundfarbe + Folium)

6 a, b, c, d) Rosa: Foliumsaft + Weiß + 3 Varianten (Purpur, Violett, Weiß)

Grundfarbe + Folium + Zinnober

Grundfarbe + Bleiweiß + Zinnober

gebrannter Ocker + erster Schatten

11) Grün: Kupfergrün + Pflanzensaftgrün + Ocker

Grundmischung + Pflanzensaftgrün

GrundKupfergrün mischung + eventuell + Kupfergrün Weiß

2. Höhung + Weiß

12) Orange: Zinnober + Auripigment

Grundmischung + Ocker

Grundfarbe + Auripigment

Auripigment



13) Blaugrün: Auripigment + Indigo/menesc/ Holunderbeersaft

Grundmischung Grund+ Indigo/menesc/ mischung Holunderbeersaft + Auripigment

Auripigment



14) Blau-Purpur: Menesc + Folium

Grundmischung + Folium

Menesc

Menesc + Weiß

Faltenfarbe + Schwarz

15, 16, 17) Dunkel- Grundmischung gelb: Gelbocker + Schwarz + Schwarz + 2 Varianten (Gelbocker, Rot/Braunocker)

Grundmischung + Gelbocker

1. Höhungsfarbe + Gelbocker

Faltenfarbe + Schwarz

18) Hellgrün: Kupfergrün Weiß + Kupfergrün

Grundfarbe + Weiß

Weiß

Faltenmischung + Pflanzengrün

19) Dunkelbraun: Schwarz + gebrannter Ocker + Weiß

Grundfarbe + gebrannter Ocker + Schwarz

Grundfarbe + Weiß

Weiß

Faltenfarbe + Schwarz + gebrannter Ocker

22) Hellblau: Menesc + Weiß

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21) Grau: Schwarz + Weiß

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22) Hellgelb: Gelbocker + Weiß

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Die technischen Rezepte zum Malen bei Theophilus

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Folgende Kombinationen werden für die Bemalung von Wandmalereien beschrieben: Grundfarbton

Schattenfarbe

1. Höhung

23) Gelb: Gelbocker + Kalk gebrannter Ocker oder Rötlich aus Lapis + grüne Erde oder Menesc oder Folium Gelbocker + Kupfergrün

2. Höhung Heller: Lapislazuli + Weiß

Inkarnatfarbe: Gelbocker + Zinnober + Kalk, Schatten, Rosa und Höhung wie oben Weitere allgemeine Angaben: Trockene Wand mit Wasser befeuchten vor dem Bemalen. Alle Farben mit Kalk mischen (Bindemittel). Unter Lapislazuli und Kupfergrün eine Schicht veneda legen. Lapislazuli mit Eigelb mischen (höherer Brechungsindex) und darüber Schattieren mit Kupfergrün, das mit Pflanzensaftgrün und Schwarz gemischt wurde.

Nicht verwunderlich ist, daß nur eine Gewandmodellierung für die Wandmalerei beschrieben wird. Theophilus versucht auch hier, zuerst die Beschreibung eines umfassenden Ideals zusammenzustellen, und weist sie der Holzdeckenbemalung zu. Dann führt er eine weitere technische Besonderheit hinzu: die Wandmalerei. Bevor er die Beschreibung beendet – es fehlt die Faltenfarbe – springt er zu weiteren Besonderheiten der Wandmalerei: grundsätzliches Anfeuchten des Untergrundes, Mischen der einzelnen Farbmittel mit Kalk, Untermalung von Lapislazuli mit der Veneda, und so weiter. Hier könnte der ursprüngliche Text verderbt sein und ein ganzes Kapitel mit weiteren Gewandmalereien fehlen. Dennoch finden sich derart für unser Empfinden heute „unlogische“ Verknüpfungen auch an anderen Stellen. Die neue Ordnung, über allen Rezepten eine grundlegende Beschreibung eines Ideals zu stülpen, scheint dem Enzyklopädisten Theophilus nicht vollständig geglückt zu sein. Vergleicht man an den wenigen erhaltenen Malereien die farbige Abfolge der Gewandfalten, so gibt es immer nur annähernde Übereinstimmungen – häufig jedoch völlig andere Farbkombinationen (Abb. 15). Scholtka33 versuchte in Malmodellen, diese Angaben zu rekonstruieren, damit sie mit Originalen verglichen werden können, doch da sie beispielsweise Menesc nicht richtig interpretiert hatte, gibt es auch darin Fehler. Dennoch konnte auch sie kaum Übereinstimmungen mit existierenden Malereien finden. Daß ihre Rekonstruktionen romanischen Malereien nahe kommen, liegt in der malerischen Rekonstruktion der Vorbilder nicht in den Farbkombinationen. Weitere „unlogische“ Abfolgen im Theophilus-Text scheinen der Neuordnung des Enzyklopäisten geschuldet zu sein. Es werden die bei der Schilderung des Malschichtenaufbaues erwähnten Farbmittel nicht detailliert erklärt. Vielmehr tauchen manchmal Erklärungen direkt nach der ersten Erwähnung auf, manchmal erst am Ende des Textes. So wird die Grüne Erde gleich in Kapitel 2 nach 33

Scholtka, Theophilus (nt. 5), 10.

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der Beschreibung der bleichen Gesichter (Kap. 1) erwähnt, mit allen wichtigen Details: „Grüne Erde ist gewissermaßen ein Produkt, das aussieht wie eine grüne Farbe und Schwarz (gemischt). Seine Beschaffenheit ist eine solche, daß es nicht auf dem Stein gerieben wird, sondern, in Wasser gelegt, wird es gelöst und sorgfältig durch ein Tuch geseiht. Seine Verwendung als Grün auf der frischen Wand wird für sehr vorteilhaft gehalten.“34

Auch Farbmittel wie Folium (Kap. 33), Zinnober (Kap. 34), Salzgrün (Kap. 35), Grünspan (Kap. 36), Bleiweiß und Mennige (Kap. 37), bekommen eigene Kapitel, doch sie sind in der Abfolge nachgeklappt. Sehr wahrscheinlich stammen sie kapitelweise aus früheren Quellen, und passen für Theophilus nicht in seine Neuordnung der idealen Techniken und kommen so an das Ende des Buches. Dafür spricht auch das letzte Kapitel 38, ein Rezept für Tinten. Sie spielen nur in der Buchmalerei eine Rolle und nicht an der Wand, Holzdecke, und so weiter; daher werden sie ans Ende gestellt. Aber nicht alle in Mischungen erwähnten Farbmittel werden erklärt. Es fehlen Angaben zu Kupfergrün, zu Menesc, Pflanzensaftgrün, zu Schwarz und Weiß. Präzise werden maltechnisch wichtige Mischungen beschrieben, wie die beiden sonst aus anderen Quellen nicht bekannten Farbmischungen: „veneda“ und „exudra“. „Dann mische Schwarz mit etwas Weiß zusammen. Diese Farbe wird Veneda genannt. Lege damit die Pupillen der Augen an, gib noch mehr von dem Weiß hinzu und fülle die Augen auf beiden Seiten aus […].35 […] Die Brauen der Greise oder Hinfälligen aber mache mit der Veneda, mit der du die Pupillen angelegt hast.“36

Die „Veneda“ dient zur Schattierung (Kap. 6, 13, 16) oder als Untermalung von Grün und Blau (Kap. 14, 16), ist in der Buchmalerei (Kölner Buchmalerei, Abb. 4, 10) selten, in der Wandmalerei37 häufiger aber auch an anderen Stellen zu finden. „Exudra“ wird aus Braun und Schwarz gemischt und wird in Inkarnaten zum Schattieren benutzt: „Dann mische dem gebrannten Ocker etwas Schwarz bei. Diese Farbe wird Exudra genannt. Ziehe damit Linien rund um die Pupillen der Augen, in der Mitte des Mundes und feine Striche zwischen Mund und Kinn.“38 34 35 36 37

38

Theophilus, De diuersis artibus, I, c. 2 („De colore prasino“), ed. Dodwell (nt. 5), 5. Übersetzung nach Scholtka, Theophilus (nt. 5), 6. Op. cit., I, c. 6 („De veneda in oculis ponenda“), 7. Übersetzung nach Scholtka, Theophilus (nt. 5), 6. Op. cit., I, c. 13 („De exudra et caeteris coloribus vultuum“), 9. Übersetzung nach Scholtka, Theophilus (nt. 5), 8. Beispielsweise unter Lapislazuli in den romanischen Malereien in der Krypta von Marienberg (Vinschgau); cf. H. Stampfer/H. Walder, Romanische Wandmalerei im Vinschgau. Die Krypta von Marienberg und ihr Umfeld, Bozen 2002, 69–73, bes. 69. Theophilus, De diuersis artibus, I, c. 13 („De exudra et caeteris coloribus vultuum“), ed. Dodwell (nt. 5), 9. Übersetzung nach Scholtka, Theophilus (nt. 5), 8.

Die technischen Rezepte zum Malen bei Theophilus

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Beide Mischungen sind vereinzelt in der romanischen Malerei zu finden. Warum bekamen sie einen eigenen Namen? Stammt diese Information von einem Handwerker? Ist dies ein Hinweis auf die Arbeit eines Enzyklopädisten, dem fremde Fachtermini auffallen und die er zitiert, auch wenn er über deren Herkunft und Bedeutung nichts Erklärendes finden kann? Auch die Ausdrücke „menesc“ und „posc“ für weitere Farbmischungen (siehe unten) sind wohl von Theophilus unkritisch aus anderen Quellen zitiert39. VII. Eine weitere Unstimmigkeit zwischen dem Theophilus-Text und realer Malerei findet sich in Kapitel 16 bei der Beschreibung der Konstruktion von Säulen und runden Architekturteilen. Sie sollen wie ein Regenbogen in 16 Farbabstufungen konstruiert werden. Über die Bedeutung und Rezeption eines Regenbogens in der Ikonographie wurde schon gearbeitet40, doch scheint es nicht aufgefallen zu sein, daß die 16 Farbabstufungen bisher in keiner Handschrift und keiner Wandmalerei gefunden worden sind. „Der Streifen, der wie ein Regenbogen aussieht, wird aus verschiedenen Farben zusammengesetzt, zum Beispiel Zinnober und Kupfergrün, oder auch Zinnober und Menesc, oder Kupfergrün und gelber Ocker, oder Kupfergrün und Folium, oder Folium und gelber Ocker, oder Menesc und gelber Ocker, oder Zinnober und Folium, welche auf folgende Weise zusammengestellt werden. Zwei Streifen gleicher Breite werden gemacht. Der eine von gebranntem Ocker, so mit Kalk gemischt, daß der Ocker kaum ein Viertel ausmacht, auf der Wand unter dem Zinnober, auf eine Holzdecke aber (kommt) Zinnober selbst ähnlich mit Kreide gemischt. Der andere Streifen jedoch von Kupfergrün, in gleicher Weise gemischt, jedoch ohne Pflanzensaftgrün. Und zwischen diesen wird ein weißer Streifen gemacht. Dann mische aus Zinnober und Weiß soviele Farbtöne, wie du magst, so daß der erste etwas Zinnober enthält, der zweite mehr, der dritte noch mehr, der vierte noch immer mehr, bis du beim reinen Zinnober anlangst. Dann mische diesem etwas gebrannten Ocker bei, danach (kommt) gebrannter Ocker allein, anschließend mische gebrannten Ocker mit Schwarz, zuletzt (kommt) Schwarz. In ähnlicher Art mische die Farben aus Kupfergrün und Weiß bis du zum reinen Kupfergrün gelangst. Hierauf mische ihm etwas Pflanzensaftgrün bei, mische abermals und gib mehr Pflanzensaftgrün zu. Anschließend setze etwas Schwarz zu, dann mehr, als letztes (kommt) reines Schwarz. Die Schatten im gelben Ocker aber mache mit gebranntem Ocker, zuletzt unter Zugabe von Schwarz. Die Schatten von Menesc mache mit Folium, zuletzt unter Zugabe von Schwarz, die Schatten von Folium mit gebranntem Ocker, zuletzt unter Zugabe von Schwarz. Diese Farben sollen so gesetzt werden, daß aus der Mitte blasse Streifen hervorgehen und sich entsprechend bis zum Schwarz 39 40

Für eine einleuchtende Erklärung, cf. den Beitrag von D. Oltrogge in diesem Band, 93–122. Cf. I. Villela-Petit, Imiter l’arc-en-ciel: la règle des couleurs dans la Schedula diversarum artium de Théophile, in: Histoire de l’Art 39: La Couleur (1997), 23–36, Tfn. IV et V; D. Oltrogge, „Cum sesto et rigula“. L’organisation du savoir technologique dans le Liber diversarum artium de Montpellier et dans le De diversis artibus de Théophile, in: B. Baillaud/J. de Gramont/D. Hüe (eds.), Discours et Savoirs: Encyclopédies médiévales (Cahiers Diderot 10), Rennes 1998, 67–99, bes. 82 sq.

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außen staffeln. Es können niemals mehr als zwölf dieser Streifen in jeder der beiden Farben sein. Und wenn du so viele wünschst, mache die Mischungen so, daß du die reine Farbe an die siebente Stelle setzt, wenn du neun willst, setze die reine Farbe an die sechste Stelle. Wenn du acht oder sieben haben möchtest, lege die reine Farbe an die fünfte Stelle, wenn du sechs wünschst, an die vierte, bei fünf an die dritte, wenn vier oder drei Streifen, setze ihnen keine reine Farbe dazwischen, sondern die, welche vor die reine gesetzt werden mußte, halte sie für die reine Farbe und zu dieser mische den Schatten hinzu bis zum Schwarz außen. Auf diese Art werden die runden und die viereckigen Throne gemacht, die Streifen rund um die Gewandsäume, die Baumstämme mit den Zweigen, Säulen, Rundtürme, Sitze und alles, was du rund erscheinen lassen willst. Ebenso werden auch die Bogen über den Säulen bei Gebäuden gemacht, aber nur mit einer Farbe, so daß das Innere weiß und das Äußere schwarz ist. Die Rundtürme macht man mit Ocker so, daß in der Mitte ein weißer Streifen ist und von jeder der beiden Seiten ein ganz blasser Ocker ausgeht, der allmählich die Farbe des Safrans annimmt, bis zum vorletzten Streifen, mit welchem etwas gebrannter Ocker gemischt wird. Dann etwas mehr, jedoch so, daß weder gelber noch gebrannter Ocker allem erscheinen. Auf diese Art und mit der gleichen Mischung werden Türme und Säulen mit Schwarz und Weiß gemalt. Baumstämme werden aus Kupfergrün und Ocker zusammengemischt, unter Zugabe von etwas Schwarz und Pflanzensaftgrün. Mit dieser Farbe werden auch Erdboden und Berge gemalt Boden und Berge können ebenso mit Kupfergrün und Weiß ohne Pflanzensaftgrün gemacht werden, so daß das Innere blass ist und das Äußere mit etwas Schwarz gemischte Schatten bildet. […]“41

Bei der Beschreibung eines Regenbogens scheint es sich um die Schilderung eines vollkommenen Idealbildes zu handeln. Wenn man romanische Buchmalerei aus Köln, Helmarshausen und dem Maasgebiet heranzieht, zeigt sich ein einfacherer Aufbau mit maximal acht Farbabstufungen. Auch die älteren Vorbilder aus der Hofschule Karls des Großen und aus Byzanz sind einfacher aufgebaut. Dies soll in einem Beispiel des Helmarshausener Evangeliars von Malibu (ca. 1120/30) verdeutlicht werden. Dort findet sich eine Randleiste mit einer Regenbogensäulen in grün-rot und blau-rot mit jeweils 8-facher Abstufung (Abb. 16, 17) und einem weißen Mittelstrich. In den anderen erwähnten früheren und zeitgleichen Handschriften sind allenfalls maximal vier- bis fünffache Abstufungen zu finden. Entwirft Theophilus die Beschreibung eines nie erreichten Idealbildes der Malerei? Diesem widersprechen wieder die nachfolgenden Texte (Kap. 16) zur Anwendung der Farben auf der Wand. „[…] Alle Farben, welche anderen auf der Wand unterlegt werden, sollen der Festigkeit halber mit Kalk gemischt werden. Unter Lapislazuli, Menesc und Kupfergrün wird die Veneda gelegt, unter Zinnober gebrannter Ocker, unter gelben Ocker und Folium dieselben Farben mit Kalk gemischt.“42

Wenn Theophilus nur ein Idealbild der Malerei allgemein beschreiben wollte, so macht er dennoch immer wieder präzise maltechnische Angaben zur Anwen41 42

Theophilus, De diuersis artibus, I, c. 16 („De tractatu que imitatur speciem pluvialis arcus“), ed. Dodwell (nt. 5), 14 sqq. Übersetzung nach Scholtka, Theophilus (nt. 5), 12 sq. Ibid, 16. Übersetzung nach Scholtka, Theophilus (nt. 5), 13.

Die technischen Rezepte zum Malen bei Theophilus

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dung von Farbmittel auf der Wand. Wie schon erwähnt, werden kalkempfindliche Farbpigmente zuvor mit Kreide gemischt, damit sie nicht verbrennen. Diese materialtechnische Präzision findet sich im weiteren Text. Kapitel 17 beginnt mit einer neuen Gattung, mit der Herstellung von Tafelbildern für Altären oder Türen. Da dafür Kaseinleim benötigt wird, wird die Herstellung dieses Leimes detailliert beschrieben. Nach der übergeordneten Konzeption, die alle Malweisen ordnet, das heißt nach der Schilderung der Wandmalerei, der Holzdeckenmalerei und der Buchmalerei, werden handwerkliche Details zur Fertigung von Materialien, hier von Kasein, Leim und Firnis, dazwischen geschaltet. Betrachten wir zuerst, was zur Herstellung von Kaseinleim geschrieben wird: „Die Tafeln von Altären oder Türen werden zuerst einzeln sorgfältig mit Hilfe des Werkzeugs verbunden, dessen sich Faßbinder und Böttcher bedienen. Dann werden sie mit Kaseinleim zusammengeleimt, welcher folgendermaßen hergestellt wird. Weicher Käse wird in Stücke geschnitten und in warmem Wasser im Mörser mit dem Stößel so lange gewaschen, bis das Wasser, das man wiederholt aufgegossen hat, ungetrübt daraus abläuft. Dann wird der mit der Hand ausgedrückte Käse in kaltes Wasser gelegt, bis er hart wird. Anschließend wird er auf einem ebenen Holzbrett mit einem anderen Holz ganz fein gerieben, dergestalt abermals in den Mörser gegeben und unter Zugabe von mit Ätzkalk vermischtem Wasser mit dem Stößel so lange sorgfältig gestampft, bis er so dicht wie Hefe wird. Mit diesem Leim zusammengefügte Tafeln haften, nachdem sie getrocknet sind, so fest aneinander, daß sie weder durch Nässe noch durch Hitze getrennt werden können.“43

Völlig zu Recht wird beschrieben, daß Kasein aus Käse/Quark mithilfe von Ätzkalk (viva calx) aufgeschlossen werden muß; andernfalls entsteht kein Klebstoff. Diese Kenntnis hat nur ein Spezialist. Wenn man diese Stelle mit dem älteren Traktat ‚De Clarea‘vergleicht, paßt sie zum Handwerkerwissen der Zeit. Es ist also sehr wahrscheinlich, daß derart präzise Handwerkerinformationen oder vielleicht sogar Texte existiert haben, die Theophilus hinzu gezogen hat. Diese Feststellung läßt sich ausdehnen auf die sehr ausführliche Beschreibung die Firnisherstellung (Kap. 21). Auch die Gold- (Kap. 23) und Zinnfolienherstellung (Kap. 24) und die Technik des Vergoldens ist detailliert und präzise. Falls Theophilus den Traktat ‚De Clarea‘ gekannt hat, verzichtet er aber auf die präzise Schilderung der Herstellung von Eikläre. Sie wird bei der Vergoldung verwendet, bekommt aber bei Theophilus nicht den Stellenwert, wie beispielsweise die Herstellung von Kasein. Man kann Theophilus diese Vorgehensweise der Kombination einer enzyklopädischen Schilderung der idealen Maltechniken und präzisen Exkursen von handwerklich detailfreudigen Herstellungstechniken von Materialien und handwerklichen Fähigkeiten an vielen weiteren Stellen nachweisen. Sie sind sein Konstruktionsmuster im ersten Band. Es bleibt jedoch die Frage, aus welchen Quellen Theophilus schöpft. Sind sie von ihm, dem „Wissenschaftler“, nachgeprüft oder unkontrolliert exzerpiert worden? Hat er Handwerker befragt oder gar bei der Herstellung zugesehen? 43

Op. cit., c. 17 („De tabulis altarium et ostorium et de glutine casei“), 16 sq. Übersetzung nach Scholtka, Theophilus (nt. 5), 13.

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Beim weiteren Studium seiner Texte fallen auch Fehler auf, die Letzteres verneinen. Er zitiert in Kapitel 32 die Farbverträglichkeit von Pigmenten in der Buchmalerei und bemerkt aber nicht, daß sich in die zitierten Auflistungen Fehler eingeschlichen hatten: „Hast du dieses so durchgeführt, mache eine Mischung aus sehr hellem Gummi und Wasser wie oben und mische alle Pigmente damit, ausgenommen Kupfergrün, Bleiweiß, Mennige und Karmin. Salzgrün taugt nicht im Buch. Grünspan mische mit reinem Wein, und wenn du Schatten machen willst, gib etwas Pflanzensaft von Schwertlilie, Kohl oder Lauch dazu. Mennige, Bleiweiß und Karmin mische mit Eikläre. Alle Mischungen von Pigmenten, deren du zum Malen von Gestalten bedarfst, stelle im Buch wie oben zusammen. Alle Farben müssen in der Buchmalerei zweimal aufgetragen werden, zuerst sehr dünn, dann dicker, bei den Buchstaben jedoch nur einmal.“ 44

Unsere Analysen zeigen, daß Kupferchloride (Salzgrün) sich gerade in der zeitgenössischen Buchmalerei in Köln sehr gut erhalten hat (Evangeliar Sankt Pantaleon, Köln, Abb. 17). Allerdings läßt sich auch Grünspan mit Pflanzensäften in der Buchmalerei nachweisen. Doch die Verträglichkeit von Mennige und Bleiweiß mit Kirschgummi ist in der Praxis nicht richtig. Sie lassen sich sowohl mit Gummi, wie auch mit Eikläre mischen. Die letzte Angabe des Kapitels, daß in der Buchmalerei Farben nur dünn und, wenn dicker, in zwei Schichten aufgetragen werden sollen, stimmt wieder mit der handwerklichen Erfahrung überein. Da die Pergamentblätter in Büchern beim Durchsehen gebogen werden, brechen zu dicke Farbaufträge und würden die Farbmittel abblättern. So mischen sich handwerklich sinnvolle Angaben mit solchen, die durch reines Kopieren aus Quellen gesammelt wurden. Interessanterweise sind die Farbverträglichkeiten auch bei Plinius, dort allerdings in anderem Zusammenhang, nicht richtig wiedergegeben. Vermutlich sind diese Korruptionen in den Quellen auf Abschreibfehler von Kopisten zurück zu führen. Sie können von einem Enzyklopädisten in Unkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse nicht korrigiert werden. Zusammenfassend läßt sich sagen: der Theophilus-Text scheint, aus verschiedenen oft sehr detaillierten Quellen von einem Enzyklopädisten zusammengestellt worden zu sein. Er hat sich der Mühe unterzogen, die Gattung der Malerei in einem idealen Zusammenhang darzustellen. Dabei wurde auch sehr präzises Handwerkswissen aus uns nicht mehr zugänglichen Texten eingebaut, die der Enzyklopädist Theophilus jedoch nicht nach prüfen konnte. So haben sich neben den detailfreudigen Angaben auch Fehler eingeschlichen. Aus der neu verfaßten Ars picturae läßt sich kein topologischer und zeitlich präziser Zusammenhang rekonstruieren. Die Person Theophilus bleibt im Dunkeln der Zeitgeschichte weiterhin verborgen.

44

Theophilus, De diuersis artibus, I, c. 32 („Quomodo colores in libris temperentur“), ed. Dodwell (nt. 5), 30. Übersetzung nach Scholtka, Theophilus (nt. 5), 20.

Seeing through the Paint The Dissemination of Technical Terminology between three Métiers: Pictura Translucida, Enameling and Glass Painting. M B (Utrecht)1 I. Introduction: Transparency and Translucency The wish to imitate the preciousness of translucent jewels has always played a prominent role in the history of art. In glass painting, enameling and panel painting artisans have either tried to create dazzling effects with materials that had translucent properties of their own, or they developed ingenious techniques to imitate or depict precious see-through materials. The art of enameling for instance was invented precisely out of the desire to imitate precious stones. According to medieval esthetics, the qualities of beauty, harmony and clarity, reveal themselves in their resemblance to light. In this manner, beauty manifests itself through light and thus clarity and lucidity are the highest qualities of a work of art2. Because gemstones embody these qualities, it is not surprising that either by depicting jewels or by mimicking their translucency, craftsmen were trying to evoke beauty and splendor in their works. In Theophilus’ ‘Schedula diversarium artium’ (ca. 1100) too, this quest for materials that incorporate light can be found within all three of the successive books dealing with panel painting, glass painting and enameling. This article will be concerned with Theophilus’ terminology used to denote the transparency or translucency of these three different métiers, thus trying to establish whether a

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This research was conducted as part of the project “The Impact of Oil. A History of Oil Painting in the Low Countries and its Consequences for the Visual Arts, 1350–1550”, funded by the Netherlandish Organization of Scientific Research in partnership with the Utrecht University, the University of Amsterdam and the Rijksmuseum Amsterdam. Relevant to this publication, I would like to refer to my dissertation: Oil and the Translucent: A history of varnishing and glazing in practice, recipes and historiography, 1100–1600, Utrecht 2012. Finally, I wish to thank all project members, especially my supervisors Prof. Dr. Jeroen Stumpel and Dr. Ann-Sophie Lehmann for their critical and constructive commentaries. I would also like to thank Dr. Michel Buijs for his critical reading of the finished text. Needless to say, any remaining mistakes are my own. Cf. J. Gage, Colour and meaning: Art, Science and Symbolism, London 1999, 104.

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similarity in terminology might determine how and to what extent the text reveals an actual awareness of their similar characteristics. Nowadays, when using terms like transparency or translucency, we generally apply them freely and often as virtual synonyms. This also becomes clear from the many Theophilus translations that exist and that inconsistently translate various Latin terms with either translucent or transparent. However, in modern-day physics, more precisely in the field of optics, a sharp division for identifying a substance as either transparent or translucent exists. Transparency is defined as the physical property of allowing light to pass through a material, so that objects behind it can be seen distinctly or clearly, whereas translucency only allows light to pass through diffusely and detailed images cannot be observed (Fig. 1). The optics between these two groups is distinct. In computer graphics, for instance, the rendering of translucency presented a problem of its own and entirely new programs had to be developed for a realistic evocation of translucent materials, such as marble, human skin, some stones, and so on. Mathematical formulas were established to grasp the natural phenomenon, coined ‘subsurface scattering’, occurring in these substances. In translucent materials, other than transparent ones, light penetrates the substance, is scattered within the material and then re-emerges from the surface (Fig. 2)3. This literally enables these materials to illuminate themselves from within the substance itself. Perhaps this digression into physics and computer graphics seems to have taken us far from Theophilus, but it is important to understand the two categories of light passing through a medium as they have been defined in our own time, before we try to establish how Theophilus described them. Evidently, Theophilus does not distinguish transparency and translucency in the same way we know from present-day physics or computer graphics, but in his vocabulary too we can detect a specificity that is interesting when analyzing technical terminology of the Middle Ages. Studying Theophilus’ terminology throughout the three books of the ‘Schedula’ demonstrates that he made a rather conscious division between the different ways of light interacting with materials. A division that is not only important for the analysis of the medieval understanding of the optical behavior of materials, but that moreover helps us better understand the descriptions of the manipulation of materials within specific crafts. What is more, Cennino Cennini’s ‘Il libro dell’arte’ and the German Strasburg manuscript, show that at the beginning of the fifteenth century this specific Latin terminology would find its way into the development of technical terms in the vernacular.

3

Cf. R. Fleming/H. Wann Jensen/H. H. Bülthoff, Perceiving translucent materials, in: V. Interrante/A. McNamara/H. H. Bülthoff/H. Rushmeier (eds.), Proceedings of the 1st Symposium on Applied Perception in Graphics and Visualization (ACM International Conference Proceeding Series 73), Los Angeles 2004, 127–134.

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Fig. 1. Graph transparent, translucent, opaque

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Fig. 2. Graph subsurface scattering

II. Translucidus and Pictura Translucida To denote gradations of transparency, Theophilus uses the terms “translucidus” and “perspicax(-ere)”. We will first analyze “translucidus”, a term that appears to have been used throughout the ‘Schedula’ in a surprisingly distinct and precise manner. For this subject, one of the most interesting passages in Theophilus’ treatise is the recipe called “pictura translucida” (‘translucent painting’). It is here that the adjective translucidus occurs for the first time in the treatise. Theophilus gives us a recipe for painting with pigments ground with linseed oil on polished tinfoil:

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“A painting which is called translucent, is also made on wood and by some it is described as lustrous. You make it in this way. Take some tinfoil, not coated with varnish nor coloured with saffron but plain just as it is. Polish it carefully, and with it cover the area you want to paint by this method. Then very carefully grind the colours, which are to be applied, with linseed oil. When they are extremely thin, apply them with a paintbrush, and so allow them to dry.”4

The word “translucida” is a compound combining “trans” (through) and “lucere” (to shine), thus meaning “to shine through”. Theophilus’ painting where oil colors are applied on tinfoil would certainly have allowed for the light to shine trough. Oil is the only binding medium that, ground with certain pigments, can create a saturated, translucent layer. Accordingly, the light would have reflected back from the tinfoil underneath, and then back again through the paint layers to the eye. This causes the aforementioned subsurface scattering, by which the paint is strongly illuminated from the inside out, in this case even more strongly because of the reflecting metal foil underneath. The practice of painting on polished metal foils and leaves can be found in numerous medieval panel paintings. Recent technical examination of thirteenth century Norwegian Altar frontals showed, for instance, that the technique was used on a large scale to create bright lustrous colors on draperies, to imitate gemstones, enamel and stained glass windows. One of these frontals is even executed in its entirety with translucent oil glazes over silver5. Another example where scientific analysis found translucent layers of oil paint applied to metal is the ‘Antwerp-Baltimore Quadriptych’, dated to the fourteenth century (Fig. 3). Here a gold-ground has been used selectively for a specific translucent effect, being the depiction of water6. In the two panels depicting the ‘Baptism of Christ’ and ‘Saint Christopher carrying the Christ Child’ a translucent layer of oil paint is applied on top of a ground layer of gold leaf, this way imitating the light-transmitting qualities of water. Similarly, the German artist Lukas Moser (1390–ca. 1434) painted a sea on top of precious metal in his ‘Magdalen Altarpiece’ (Fig. 4). In the light part of the water, silver foil has been depicted with a translucent brown-yellow oil paint that is reinforced in the shadows with a semi-opaque brown color. However, in the dark part of the sea, rendered with

4

5 6

Theophilus, De Diversis Artibus, I, c. 27 (“De pictura translucida”), ed. Ch. R. Dodwell, in: Theophilus, De diversis artibus – The Various Arts, London 1961 [Reprint Oxford 1986, 1998], 25: “Fit etiam pictura in ligno, quae dicitur translucida, et apud quosdam uocatur aureola, quam hoc modo compones. Tolle petulam stagni non linitam glutine nec coloratam croco, sed ita simplicem et diligenter politam, et inde cooperies locum, quem ita pingere uolueris. Deinde tere colores imponendos diligentissime oleo lini, ac ualde tenues trahe eos cum pincello, sicque permitte siccari.” It is necessary for Theophilus to point out that the tinfoil needs to be unaltered, because in two previous recipes he described the practice of coating tinfoil with varnish or coloring it with saffron. Cf. E. Bergendahl Hohler/N. J. Morgan/A. Wichstrøm/U. Plahter/B. Kaland, Painted altar frontals of Norway, 1250–1350, London–Oslo 2004, 163. Cf. H. Mund/C. Stroo (eds.), The Mayer van den Bergh Museum, Antwerp (Corpus de la peinture des anciens Pays-Bas méridionaux et de la principauté de Liège au quinzième siècle 20), Brussels 2003, 272.

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opaque paints, Moser did not apply silver foil, indicating that the painter was conscious of the effect that he tried to achieve; the silver foil only served its purpose as a reflector in the see-though part of the water7. As opposed to the many recipes that describe how gold can be imitated by applying translucent yellow varnishes to tin foil or silver leaf, Theophilus’ “pictura translucida” employs the polished metal foil to make the translucent paint more beautiful and not the foil 8. A fourteenth century view regarding the optical effect of varnishing tinfoil to look like gold, also known by the name of “auripetrum”, can be found in a recipe from the treatise of Saint Audemar: “How to make auripetrum. – Spanish saffron, distempered with very clear glue or liquid varnish, and laid over very clear, that is, very bright and well polished tin, assumes the appearance of gold to those that look on it, for it receives its colour from the sun, and its brilliancy from the tin, and thus may be made excellent auripetrum.” 9

In 1431, Jehan le Bègue, who was the final compiler of the manuscript in which the above-mentioned recipe appears, created a table of synonyms in which he gives a definition of the technical terms found throughout the document. As the manuscript also contained a copy of Theophilus, the terms “pictura translucida” and its synonym “aureola” can be found in this glossary10. Le Bègue explains in the entry for aureola that it makes each painting see-through (transparet) and beautiful, 7

8

9

10

Cf. R. E. Straub/E. L. Richter/H. Härlin/W. Brandt, Der Magdalenenaltar des Lucas Moser, in: H. Althöfer/R. Straub/E. Willemsen (eds.), Beiträge zur Untersuchung und Konservierung mittelalterlicher Kunstwerke (Forschungen und Berichte der Bau- und Kunstdenkmalpflege in Baden-Württemberg 4), Baden-Württemberg 1974, 9–44, 25. Many varnish recipes for making gold more golden or to make tinfoil look like gold can be found; cf. e. g. the ‘Lucca’ Manuscript: Compositiones ad tingenda musiva, ed. H. Hedfors, Uppsala 1932 [Inaugural-Dissertation], 25, 54; Mappae Clavicula, ed. C. Smith/J. Hawthorne, Mappae Clavicula. A Little Key to the World of Medieval Techniques, in: Transactions of the American Philosophical Society, N.S. 64,4 (1974), 1–128, 44; and Eraclius, De coloribus et artibus romanorum, III, 21 [267] and 45 [275], ed. (with English translation) M. P. Merrifield, Original Treatises dating from the XIIth to XVIIIth Centuries on the Art of Painting, vol. 1, London 1849 [Reprint (with a New Introduction and Glossary) New York 1967], 225 and 241. For a good but not exhaustive overview of this subject cf. D. V. Thompson, The Craftsman’s Handbook: ‘Il libro dell’Arte’ by Cennino d’Andrea Cennini, New Haven 1933 [Reprint New York 1960], 62. For analysis of the differences between varnish and glaze recipes („Pictura translucida“) cf. M. Bol, Oil and the Translucent (nt. 1). S. Audemar, De coloribus faciendis, 202, ed. Merrifield, Treatises (nt. 8), 159: “quomodo efficitur auripetrum. – Crocus hispanicus cum lucidissimo glutine seu vernicio liquido distemperatur et stanno limpidissimo, i.e. pene polito et claro, superpositas speciem auri intuentibus mentitur quod a sole colorem et stanno accipit fulgorem et inde optimum fit auripetrum.” Cf. Tabula de vocabulis sinonimis et equivocis colorum, ed. Merrifield, Treatises (nt. 8), 33. Merrifield fails to connect Le Bègue’s glossary entries for “aureola” (“qui dicitur pictura translucida”) and “pictura translucida” (“aliter aureola dicta”) to the pictura translucida recipe in the ‘Schedula’. Instead she suggests that pictura translucida is related to Audemar’s auripetrum and the two varnish recipes in the ‘Lucca’ and ‘Mappae Clavicula’ manuscripts. It is likely that Merrifield missed the connection with Theophilus because, as Robert Hendrie had recently (1847) published a translation of it, she decided not to include a translation of the ‘Schedula’.

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especially when the tin underneath is plain and unpolished11. In the entry for “pictura translucida” he explains that it is a pigment or liquid (liquor) that makes all the other colors see-through (transparent)12. The term that Le Bègue uses, transparent, is again a compound from “trans” (through) and “parere” (to show). We do not yet encounter this word in the ‘Schedula’ because its first known use in Latin is of much later date. It occurs, for instance, in the fourteenth century treatise of Alcherius that is also part of the manuscript of Jehan le Bègue. Alcherius uses the term to describe “paper through which all things are visible that are drawn and figured on other parchment or on paper or on panels when laid under it […]”13. It is interesting that Le Bègue interprets “pictura translucida” as a liquid, which – as we know from the recipe – consists of pigments mixed with linseed oil, that has the ability to make colors see-through. What is more, with the Latin “transparent” Le Bègue introduces a new technical term to denote the translucency of this special light-transmitting paint14. As Le Bègue uses “translucidus” and “transparent” synonymously, the above further demonstrates how important it is to comparatively investigate the techniques recipes describe together with the objects in which they were used before we can interpret the descriptions of optical effects in art technological sources. III. Translucidus and Enameling There are only two other instances where Theophilus uses the term “translucidus” and it is significant that both of them are related to the art of enameling. One can be found in book three of the ‘Schedula’, directly following the recipe explaining how to make enamel, Theophilus discusses how the enamel is to be polished (chapter 55). He explains that when the enamel is fired it needs to be polished so that the colors become “translucidi et clari” (translucent and clear)15. To make enamel, vitreous layers are burned to a metallic surface, usually gold or silver. In the case of translucent enamel colors, light travels through the vitreous/ glassy layers, reflects on the precious metal underneath and travels back through the vitreous layers to the eye. Thus, the optical qualities of enameling appear to 11

12 13

14 15

Cf. op. cit., 18 sq.: “Aureola est color qui aliter pictura translucida vocatur; et omnis pictura, cujuslibet coloris, in stanno attenuato facta, si ipsa liniatur, per eam transparet, et pulcra fit, precipue si in stanno tenuato polito sit.” Cf. op. cit., 33: “Pictura translucida, aliter aureola dicta, est color seu liquor per quem omnes alii colores transparent, si cum in operibus siccaverint ipso liniantur, precipue in stanno attenuato et polito.” Alcherius, De coloribus diversis, 305, ed. Merrifield, Treatises (nt. 8), 292 sq.: “Carta lustra: per quam transparent quae sub ipsam sunt posita protracta et figurata in aliis cartis vel in papiris aut in tabulis et possunt igitur in ipsa carta lustra penitus et recte abstrahi qualia sunt quae sub ipsam ponuntur protracta vel protractiones et picturae super quas ipsa extenditur. […] liquefacta clara et lucida lapidem ipsum et dimitte siccari.” As will become clear later on, the term is important in Cennino Cennini’s treatise as well. Theophilus, De Diversis Artibus, III, c. 55, ed. Dodwell (nt. 4), 107: “[…] usque dum colores translucidi et clari fiant, […].”

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be very similar to “pictura translucida” described in book one. This makes it all the more interesting that Theophilus would use the same, uncommon term to describe both arts. The last instance where Theophilus uses “translucidus” occurs in the title of chapter twelve of book II: “De diversis vitri coloribus non translucidis” (the various non-translucent colors of glass)16. Here Theophilus writes about the various kinds of glass that are found in the mosaic work of ancient, pagan buildings, the so-called “tesserae”. He adds that they are not see-through, but opaque like marble (“non est perspicax sed densum in modum marmoris”) and that from these little stones enamels are made, “of which”, so Theophilus adds, “we shall speak fully in their place” (being the enamel recipe in book three)17. As Theophilus’ recommends the before-mentioned antique opacified “tesserae” for making enamel, and because most medieval cloisonné enamel is made with opaque vitreous coatings, it is usually argued that Theophilus does not know how to make translucent enamel. This does not explain, however, why Theophilus uses the rare term “translucidi” to explain what his enamel looks like after polishing. A term that, as we have seen earlier, Theophilus moreover uses specifically to describe light-transmitting paint. Regarding this, three things, not often considered in the analysis of Theophilus’ enamel recipes, need to be taken into account. Firstly, in the Vienna Manuscript “non translucidis” is omitted and the title of the recipe reads “De diversis vitri coloribus”18. In this case the recipe indeed states that “tesserae” are a type of glass that cannot be seen through because they are dense like marble, but it does not, however, say anything about their possible translucency when used as an ingredient for making enamel19. Secondly, whereas indeed many of the oldest cloisonné enamels are made of opaque colors they are also known to incorporate translucent vitreous coatings. An example of such translucent enamel contemporary to Theophilus can for instance be found in a Byzantine tip of a pointer kept in the Metropolitan Museum of Art (late 11th century or early 12th century) (Fig. 5). Finally, at the end of the chapter on the colors of pagan “tesserae”, Theophilus adds that the French collect various small vessels made of this pagan glass and that they add a little bit of clear white glass to blue, green and purple “tesserae” to make sheets of glass that are costly and useful in windows20. The use of the pagan “tesserae” for making window glass certainly implies that they were, in some cases at least, made translucent. In his article ‘Enamelling on Gold’, David Buckton, former curator of the British Museum’s Early Christian and Byzantine collections, is also of the opinion that Theophilus’ “tesserae” recipe does not necessarily imply that medieval enamel was always opaque. Besides the fact that gold was 16 17 18 19 20

Op. cit., II, c. 12, 44. My own translation, Dodwell translates: “The Various Colours of Opaque Glass.” Ibid. Ibid. Moreover, marble itself can also be translucent. Cf. Theophilus, De Diversis Artibus, II, c. 12, ed. Dodwell (nt. 4), 44.

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frequently enameled with translucent colors, Buckton moreover remarks that the “tesserae” colors Theophilus singles out for making window glass – blue, green, and purple – are also the commonest colors of medieval translucent enamel 21. Indeed, from the thirteenth century onwards, the development of new enameling techniques is defined precisely by the exploitation of translucent enamel colors. We can think of, for instance, basse-taille enamel, where the engraved gold or silver ground shows through the vitreous layers, ‘émail de plique à jour’ (also ‘Fensteremail’), which looks like a miniature stained glass window and finally ‘émail en ronde bosse’, where three-dimensional figures are covered with both translucent and opaque enamel. Theophilus’ selective and precise use of the term “translucidus” in the case of two techniques that are optically very similar, applying translucent paint and vitreous coatings to polished metal, does indeed suggest that there was an awareness of the optical behavior of these materials and how to describe the effect. Thus, Theophilus’ specifically uses „translucidus” to describe ‘translucent’ layers applied to a reflective surface, this way illuminating the object from the inside out. As such, the term “translucidus” is not only technically relevant, but, what is more, when we dive into the history of its usage shows that it was not ad hoc. Before Theophilus, both the adjective “translucidus” and the verb “transluceo” are used rarely and in a very particular way. Throughout classical literature we find that Quintilian, Ovid, Lucretius and Livy use it only once. Pliny the Elder, however, makes frequent use of the term. Throughout his ‘Natural History’ we encounter both “tralucidus” and “traluceo” more than 50 times. Significantly, the book where they occur most often is book XXXVII dealing with the nature of stones. Pliny uses “tralucidus” to describe both translucent and transparent stones, because in classical Latin specific terms to express the distinction between the two do not exist. This, indeed, makes it all the more significant that in Theophilus’ time we do encounter this specificity when describing the different gradations of transparency. The following passage, where Pliny speaks about one of the twelve stones he calls emeralds, malachite, is illustrative of how we should understand his use of the term when describing a translucent stone: “Their special asset is their colour, which is limpid without being at all faint. On the contrary, it combines body and clarity, and, wherever one peers through the stones, reproduces the translucency (tralucidum) of sea-water, the stones being in equal degree translucent (traluceat) and brilliant. In other words, they dissipate their colour and also allow the sight to penetrate within.”22 21 22

Cf. D. Buckton, Enamelling on Gold: A Historical Perspective, in: Gold Bulletin 15 (1982), 101–109, 105. Pliny the Elder, Naturalis historia, XXXVII, 5 (17), edd. L. Jan/K. Mayhoff (Bibliotheca Scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana), vol. 5, Leipzig 2002 [Reprint of the 1897 edition], 154: “dos eorum est in colore liquido nec diluto, verum ex umido pingui quaque perspicitur imitante tralucidum maris, pariterque ut traluceat et niteat, hoc est ut colorem expellat, aciem recipiat.” English translation (with emendations): D. E. Eichholz, Pliny, Natural History (The Loeb Classical Library 419), vol. 10, Cambridge–London 1962, 217.

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What typifies the crystalline malachite according to Pliny is that after light penetrates the stone, it is scattered from within it and, accordingly, exits it from a different point towards the eye. Here, Pliny appears to explain almost perfectly the aforementioned phenomenon called subsurface scattering. Pliny, unlike Theophilus, speaks about the translucent qualities of precious stones and not about translucent materials applied to a surface. However, both the art of enameling and “pictura translucida” are closely related to precious stones, because both techniques were developed as a cheaper Ersatz of the techniques of the goldsmith who brings out the beauty of translucent stones by setting them on reflective gold and or silver23. With “translucidus” Theophilus therefore uses a term that comes from the wellknown encyclopedic tradition of the description of precious stones in order to describe two crafts that were developed to imitate the optical effect of precious stones set on metalwork. That this tradition of describing the optical qualities of precious stones with “translucidus” was indeed known in the twelfth century becomes evident when we turn to Isidore of Seville, an important exponent for the continuation of the classical encyclopedic tradition in the Middle Ages. In Isidor’s ‘Etymologies’, based largely on Pliny, we likewise encounter “translucidus” to describe the qualities of precious stones and glass. In his description of the specular stone (lapis specularis) for instance, Isidore writes that ‘it is so named because it is translucent (transluceat) like glass24. Significantly, Isidore is referred to and quoted in a recipe book contemporary to the ‘Schedula’. The third book of ‘De coloribus et artibus romanorum’ (‘The colors and arts of the Romans’) includes Isidore’s description of glass as a see-through substance that can display anything contained on the inside to the outside: “Glass is called, as Isidore says, that which is translucent (transluceat) for it is seethrough (perspicuitate) to the vision; for with regard to other metals, whatever is enclosed in them is concealed. But with regard to glass, whatever liquid or substance is contained in it, appears inside just as it appears outside, and is visible, however it may be inclosed.”25

23 24

25

On the importance of the history of Ersat for the history of art cf. M. Bol, Oil and the Translucent (nt. 1), chapter 4. Cf. Isidore of Seville, Etymologiarum sive originum libri XX, XVI, 4, 37, ed. W. M. Lindsay (Scriptorum classicorum bibliotheca Oxoniensis), vol. 2, Oxford 1911 (without pages numbers): “Specularis lapis vocatus est quod vitri more transluceat;[…].” English translation: S. Barney/W. Lewis/ J. Beach/O. Berghof, The Etymologies of Isidore of Seville, Cambridge 2006, 321. Eraclius, De coloribus et artibus romanorum, III, 5 [255], ed. Merrifield, Treatises (nt. 8), 208 sq.: “Vitrum dictum, ut ait Ysidorus, quod visui perspecuitate [sic] transluceat. In aliis enim metallis quicquid intrinsecus continetur absconditur. In vitro vero, quilibet liquor vel species interius, talis exterius declaratur, et quodam modo clausus patet.” The first part of the quote is my own translation, but from ‘for with regrad’ onwards Merrifield’s translation is used. This quotation can indeed be found word for word in Isidore, Etymologiarum, XVI, 16, 1.

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Isidore’s descriptions of the optical characteristics of precious stones and glass reveal that in the sixth centuy “translucidus” is still used for all categories of lighttransmittance and that a specific terminology was not yet developed. That such a specificity can be found in the ‘Schedula’ however, will become clear when we study the second term in Theophilus’ transparency vocabulary “perspicax”/“perspecio”. IV. Seeing T hrough Glass Compared to “translucidus” the adjective “perspicax” and the verb “perspicio” are used much more frequently and less specifically. We encounter them many times in both classical and medieval writings. Yet studying Theophilus’ use of these terms throughout the three books of the ‘Schedula’ demonstrates that, similar to “translucidus”, “perspicax” and “perspicio” are used to denote materials of a specific optical category. Being a compound, “perspicio” can be used literally to mean “spicio”/“specio” (see/look) and “per” (through) and metaphorically to mean ‘perceive’. As the latter occurs only once in the ‘Schedula’ it is not discussed further 26. Significantly, in the instances where Theophilus uses “perspicax” and “perspicio” to mean see-through he is always speaking about the art of glass painting. The most significant passage, which is at the same time incredibly complicated, can be found in the prologue to book two that deals with manufacturing and painting glass: “Verum quoniam huiusmodi picturae usus perspicax non ualet esse, quasi curiosus explorator omnimodis elaboraui cognoscere, quo artis ingenio et colorum uarietas opus decoratet, et lucem diei solisque radios non repelleret.”27

The different interpretations of this passage throughout the various Theophilus translations demonstrate how difficult it often is to understand correctly what Theophilus intended to convey. The problem lies in the fact that there are two possible translations of “perspicax” that are accordingly interpreted in three different ways. The first translation can be found in most editions of the ‘Schedula’, rendering “perspicax” with ‘see-through’. In this case the above passage can be translated as following: “But since this kind of picture cannot be see-through, I have, like a diligent seeker, taken particular pains to discover by what ingenious techniques a building may be embellished with a variety of colours.” 28 However, what Theophilus means by this is still interpreted in two different manners. Both Wilhelm Theobald and Erhard Brepohl believe that with “huiusmodi picturae” (this 26 27 28

Cf. Theophilus, De Diversis Artibus, II, c. 8, ed. Dodwell (nt. 4), 42: “Si uero perspexeris quod […].” Op. cit., II, prol., 37. Theophilus, De Diversis Artibus, II, prol., ed. Dodwell (nt. 4), 37: “Verum quoniam huiusmodi picturae usus perspicax non ualet esse, quasi curiosus explorator omnimodis elaboraui cognoscere, quo artis ingenio et colorum uarietas decoraret.”

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kind of picture) Theophilus is referring to the mosaics that he might have seen in Hagia Sophia29. Charles Reginald Dodwell on the other hand, interprets “huiusmodi picturae” as referring to painting on panel and paper30. John G. Hawthorne and Cyril Stanley Smith advocate the second possible translation of “perspicax” as ‘obvious’. Accordingly, they assume that “huiusmodi picturae” refers to the art of glass painting31. Hawthorne and Smith also argue that even though Theophilus mentions “agiae Sophiae” this should not be taken literally but metaphorically as the forecourt of the temple of holy Wisdom32. The previous is only a selection of the most important interpretations of the passage, but the question concerning its precise meaning has not yet been resolved? Does the art of glass painting need explanation because it is not obvious or clear, or does Theophilus need to tell us about its techniques because the art of panel painting or perhaps the mosaics he saw in Hagia Sophia, cannot be see-through? Studying Theophilus’ use of the word “perspicax” in other instances throughout the treatise provides us with arguments for supposing that the second is true and that Theophilus is in fact contrasting the see-through art of glass painting to the arts that are painted on top of an opaque surface as described in book one. As said before, all the other instances in the ‘Schedula’ where “perspicax” or “perspicio” are found in the definition of see-through, explain different aspects of the art of glass painting. In chapter seventeen on how to construct windows for instance, Theophilus uses these terms when he explains how one should transfer the design made on a wooden board to the glass. Theophilus writes that if the glass is too thick to see the drawing on the board through it (perspicio), one should 29

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31

32

Cf. W. Theobald, Technik des Kunsthandwerks im zwölften Jahrhundert. Des Theophilus Presbyter Diversum artium schedula, Berlin 1933 [Reprint Düsseldorf 1984], 25 sq.: “Da aber nun einmal die übliche Ausführung dieser Art Malerei nicht durchsichtig zu sein vermag, habe ich als wißgieriger Forscher auf jede Weiße zu erkennen mich bemüht, durch welchen Kunstgriff die mannigfaltigen Farben sowohl das Werk zieren als auch das Tageslicht und die Sonnenstrahlen nicht zurückwerfen”; for explanation cf. op. cit, 199. E. Brehpohl, Theophilus Presbyter und das mittelalterliche Kunsthandwerk. Gesamtausgabe der Schrift ‘De diversis artibus’ in zwei Bänden, vol. 1: Malerei und Glas, Köln–Weimar–Wien 1999, 145 sq.: ”Weil ja in der Tat wegen ihres Verwendungszwecks derartige Bilder [scil. mosaics from Hagia Sophia] nicht durchsichtig sein können, habe ich, quasi als neugieriger Entdecker, mich auf jede Weise bemüht, die Art des Herstellungsverfahrens herauszufinden, mit dem einerseits das Kunstwerk mit einer Vielfalt von Farben geschmückt wird, andererseits das Tageslicht und die Sonnenstrahlen nicht zurückgeworfen werden”; for explanation cf. op. cit, 168. Cf. Dodwell, Theophilus (nt. 4), xxxiv and 37: “But since this kind of painting [see book 1] cannot be translucent, I have, like a diligent seeker, taken particular pains to discover by what ingenious techniques a building may be embellished with a variety of colours, without excluding the light of day and the rays of the sun.” Cf. J. Hawthorne/C. Smith (trans.), Theophilus, On Divers Arts. The Foremost Medieval Treatise on Painting, Glassmaking and Metalwork, New York 1979, 47 sq.: “since this method of painting [on glass] cannot be obvious, I worked hard like a careful investigator using every means to learn by what skilled arts the variety of pigments could decorate without repelling the daylight and rays of the sun.” Cf. op. cit. 47.

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take some white glass and make the drawing on that. Afterwards you place the thick glass over the white and you hold it up against the light and looking through it (perspexeris), you make your tracing (pertrahe)33. Another passage is also significant, because here Theophilus compares glass painting to painting on an opaque surface, be it wood or parchment: “When you have made the painted areas in robes out of the above-mentioned pigment, smear it about with the brush in such a way that the glass is made see-through (perspicax) in the part where you normally make highlights in a painting, […].”34

Consequently, what would have been the brightest light in a ‘regular’ painting, being also most opaque, is actually kept ‘see-through’ in the art of glass painting; the light itself becomes the highlight. Additional grammatical evidence for translating “perspicax” as ‘see-through’ can moreover be found in the chapter on pagan “tesserae”, discussed earlier. Here, Theophilus uses a similar syntax to explain that mosaic stones are not see-through: “Et non est perspicax, sed densum in modum marmoris […]” as compared to the prologue where he says: “picturae usus perspicax non ualet esse.” Thus, it seems likely that Theophilus, who in fact begins his prologue to book two by referring to his previous book (praecedenti libello), contrasted glass painting to the art of panel painting in an attempt to explain its extra merit. Stained glass windows transmit light and therefore allow churches to be illuminated instead of, as Theophilus says so himself, repelling/reflecting the light (repelleret) as a panel painting would do. The previous shows that for Theophilus something is “perspicax”, when the light of the sun passes through the substance and exits it on the other side so that light is transmitted through the material. In the case of making a tracing, “perspicax” is used to explain that you can ‘see’ something else through’ a material. A substance is “translucidus”, however, when light can pass through a substance that is applied to a (reflecting) ground and as a result re-emerges from the surface. V. T he Lucid Var nish One might expect that in the context of varnishing techniques a similar terminology can be found, because in this case a fully see-through layer is applied on top of precious metals or colors. To describe the optics of varnishes Theophilus 33

34

Cf. Theophilus, De Diversis Artibus, II, c. 17, ed. Dodwell (nt. 4), 48: “Et si uitrum illud densum fuerit sic ut non possis perspicere tractus qui sunt in tabula, accipiens album uitrum pertrahe super eum, atque cum siccum fuerit pone densum uitrum super album eleuans contra lucem, et sicut perspexeris, ita pertrahe.” Op. cit., II, c. 20, 50: “Cum feceris tractus in uestimentis ex colore praedicto, sparge eum cum pincello ita ut uitrum fiat perspicax in ea parte, qua lumina facere consueuisti in pictura, […].” We have quoted the English translation from Hawthorne and Smith and changed ‘transparent’ into ‘see-through’ because in the context of this article it is a more appropriate translation; cf. Hawthorne/Smith, Theophilus (nt. 31), 63 sq. Perhaps it is also more accurate to translate “lumina” with ‘lights’ instead of ‘highlights’.

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does not, however, use either “perspicax” or “translucidus”, but yet another term, “lucidus”. Studying Theophilus’ use of the term “lucidus”, demonstrates that even though it is sometimes translated as ‘transparent’ when used in relation to varnish, this is not its exact meaning. The other instances where Theophilus uses “lucidus” explain how the term should be understood. Theophilus employs it to denote the shine of gold, clear glue, the clarity of glass and the brightness of colors. In short, “lucidus” is not used to denote that you can see through a material, but it is about the brightness and luster of substances or, in the case of varnish, about the luster it gives to underlying colors; the clearer the varnish, the better it brings out the colors underneath. Theophilus himself explains this when he writes in his varnish recipe that, applied to a painted surface, the varnish makes the painting bright (“lucida” – and not of course transparent) and completely durable (“durabilis”)35. Theophilus uses a similar terminology in a recipe entitled “The Greek Glass which Decorates Mosaic Work”36. The clear white glass, that Theophilus also mentioned in the recipe on tesserae, is here used to protect mosaic stones covered with a piece of gold leaf. The gold is coated with ground, clear glass that Theophilus calls “uitrum lucidicissimum”, and subsequently fired. This way the mosaic stone is ‘varnished’, as it were, with a vitreous layer, made of the most lucid glass. The previous is supported furthermore by the fact that in several recipes from the ‘Lucca’ and ‘Mappae Clavicula’ manuscripts, varnishes are not, as in the ‘Schedula’, denoted by the noun “glutine” but identified as “the lucid”.37 The ‘Lucca’ manuscript, for instance, contains a recipe entitled “de lucida ad lucidas” (‘the brightening substance [used] to elucidate’) that explains how to make a colorless varnish (“lucidas”) that is to be applied over a painted surface. In this varnish recipe, the adjective “lucidus” is also purposefully changed into the verb “inlucidare” to explain that with said substance you can ‘elucidate’ every painting38. Another recipe in the same treatise is captioned “de confecti lucide” (“to make a brightening substance”) and it describes how to protect gold leaf with a translucent yellow varnish39. The ‘Mappae Clavicula’ manuscript likewise contains a varnish recipe captioned “lucida qui fiat sup colores” (this can roughly be translated to mean “How varnishes ought to put over pigments”)40. Thus, while evidently the most important material property of a good varnish is to be entirely see35

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Cf. Theophilus, De Diversis Artibus, I, c. 21 (“De glutine vernition”), ed. Dodwell (nt. 4), 19: “Hoc glutine omnis pictura superlinita lucida fit et decora ac omnino durabilis.” The same also applies to the word “clarus” that Theophilus uses to denote the clarity of glass, the brightness of colors, and so on. Op. cit., II, c. 15 (“De vitro graeco, quod musiuum opus decorat”), 46. For a close analysis of the history of these terms and the relation between colorless and yellow surface coatings cf. M. Bol, Oil and the Translucent (nt. 1), 59–64. Compositiones ad tingenda musiva, ed. Hedfors (nt. 8), 29: “Et qualibet opera picta aut scappilata inlucidare super debeas.” Op. cit., 25. Mappae Clavicula, ed. Smith/Hawthorne (nt. 8), 63.

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through, medieval authors of recipe books appear to have found it more appropriate to define the varnish by what it was specifically used for; to make underlying colors bright. VI. Gradations of Transparency in the Ver nacular : Cennino Cennini and the Str asburg Manuscript When, approximately in the first half of the fifteenth century, recipe collections start appearing in the vernacular, compound words similar to those found in the ‘Schedula’, are likewise used to denote the different optical categories of materials. To illustrate this, I will briefly discuss two important examples North and South of the Alps; the so-called ‘Strasburg manuscript’ which is one of the earliest, coherent, painter’s/illuminator’s treatises in the German language and Cennino Cennini’s ‘Il libro dell’arte’. In Middle German the equivalents to Theophilus’s “translucidus”, “perspicax” and “lucidus” are ‘durschinig’, ‘dursichtig’ and ‘luter’. Additionally, the ‘Strasburg manuscript’ contains ‘durluchtig’ a word adapted from the Latin “illustrare”, “in” (on) and “lustrare” (to make bright). In the ‘Strasburg manuscript’, “durschinig” is consistently used when translucent types of colorants are discussed. Significantly, the treatise begins with the remark that it is first going provide the reader with the recipes for making “durschinigen varwen” (translucent colorants). Subsequently, the author of the treatise describes how to prepare “durschinig grün varwe” (translucent green pigment), “durschinig rot” (translucent red dye), “durschinig gel varwe” (translucent yellow dye) and “durschinig har varwe” (translucent hair color)41. The terminology used in the three ‘Strasburg’ recipes for making parchment see-through in imitation of stained glass windows, however, appears to be less coherent compared to Theophilus consistent use of “perspicax” for this optical category. All four terms “durschinig”, “durluchtig”, “dursichtig” and “luter” are used. Two of these recipes stand out, because here the author of the treatise directly compares the lucidity of the parchment made by these recipes to that of glass: “wiltu nu daz bermit schön fin grun machen das man da dur sicht was man wil als du rein schön glas […]” and “wiltu bermit schön vin durlüchtig machen weler varwe du wilt als ein glas so nim des lutersten megdenbermenten […].”42

The ‘Strasburg manuscript’ only contains one recipe that can be compared to Theophilus’ instructions for making “pictura translucida” and this is an instruction for making a beautiful bright rose color that is “durchluchtig” on gold and

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R. Borradaile/V. Borradaile, The Strasburg manuscript: A medieval painter’s handbook/Das Strassburger Manuskript: Handbuch für Maler des Mittelalters, London 1966, 42–54. Op. cit., 34–36, 62 and cf. A. Wallert/M. Bol, Glass and Parchment With a View. Oil paint and the imitation of (stained) glass windows, 1400–1600’, in: Making and transforming art: changes in artists’ materials and practice, London 2013, forthcoming.

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silver43. Knowing that “durchluchtig” comes from the Latin “illustris”, this passage explains how a translucent rose color can be made bright and shining when applied over a reflective metal surface. Similar to the ‘Schedula’, where the term “lucidus” is used in numerous recipes, so can the German equivalent “luter” be found many times throughout the ‘Strasburg manuscript’. It is used practically in the same way Theophilus does, denoting lucidity, and as such it can found to describe the clarity of varnish, that of a good oil and, as in the recipe above, fine parchment. What is more, while parchment that is made see-through is said to resemble glass, the author of the Strasburg manuscript likens the optics of a good oil and varnish to crystals, this way emphasizing even further the point of their luster and preciousness44. Thus “luter”, like “lucidus” in the ‘Schedula’, is used to signify lucidity and luster and whereas this can be a quality of transparency it is not to be identified with it. The Italian counterpart to the ‘Strasburg manuscript’, Cennino Cennini’s ‘Il libro dell’arte’, shows that, to a large extent, the transparency and lucidity of materials are discussed in a similar fashion. Unlike the Strasburg manuscript however, Cennini does not have an Italian equivalent for “translucidus” and also does not have as much variation in the terms used for denoting the different optical categories. Cennini only uses “lucida” when something is clear or lucid, such as varnish or tracing paper and when something shows through something else he uses “trasparere”. Cennini’s term “trasparere” comes from the Latin “transpareo” that, as we have said earlier, was only introduced to the Latin language in the fourteenth century and of which one of the first occurrences can be found with Alcherius when he explains how to make about tracing paper (“carta lustra”). Cennini likewise uses the term when writing about tracing paper, and remarks that, because of the clarity (“lustro”) of the tracing paper (“carta lucida”), the figure or drawing underneath immediately shows through (“trasparre”), in such a shape and manner that you can see it clearly45. There are only two other instances, 43

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45

Op. cit., 32: “roselin varwe machen schön und fin die uff silber und uff gold durchluchtig ist.” Brazilwood, the pigment described here, is found in many recipes for the use on precious metal; cf. Experimenta de coloribus, 101, ed. Merrifield, Treatises (nt. 8), 93: “Ad faciendum verzin super argento pomendo.” Cf. Borradaile/Borradaile, The Strasburg manuscript (nt. 41), 62: “Wiltu aber ein andren guten virnis machen der luter und glantz ist als eine cristalle, so […].” In fact, the painter’s oil is so precious that the author of the Strasburg even mentions its price; cf. op. cit., 54: “[…] und setz das bekin mit dem öli an die sunne 4 tag so wirt das öli dick und ouch luter als ein schöner cristall und dis öli troknet gar bald und macht alle varwe schön luter und ouch glantz und um dies öli wüssent nüt alle moler und von der güti dis olis so heisset es oleum preciousum wand 1 lot ist wol eines schillinges wert und mit olin sol man alle varwen riben und ouch tpier.” Cf. Thompson, Craftsman’s Handbook (nt. 8), 13; Cennino Cennini, Il libro dell’arte, ed. F. Frezzato Vicenza 2003, 77 sq.: “Di subito, per lo lustro della carta lucida trasparre la fighura, over disegno di sotto, in forma e in modo che ‘l vedi chario.” It is perhaps significant that to describe the optics of his tracing paper Cennini uses a terminology similar to the terms used to describe varnishes („lucida“), because varnish is often used to make tracing paper and parchment seethrough; cf. A. Wallert/M. Bol, Glass and Parchment With a View, (nt. 42).

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being the recipes instructing how to paint skin and water, where Cennini uses the term “trasparere”46. In the instruction on how to paint a body of water, Cennini recommends to paint it with verdigris ground with linseed oil. Subsequently, Cennini explains that when the painter does not want to paint with oil colors (but, that is, egg or glue), he can use malachite and green earth instead and “cover evenly all over; but not so much that the fish and waves of water do not still show through (‘traspai’)”47. Indeed, grinding the pigment verdigris with a drying oil results in a beautiful translucent paint layer, the so-called glaze, while malachite and green earth ground with an aqueous binding medium results in a paint layer that, applied too thickly, is completely opaque48. Cennini thus recommends oil as the medium of choice for the depiction of the translucency of water and specifically warns the painter that in case he wants to use another medium he needs to be careful not to cover his underlying fishes and waves49. The final instance where Cennini uses “trasparere” can be found in his instruction on how to paint faces. Here, it is again found as a warning against covering an underlying layer of paint completely. Cennini stresses twice that the green (the verdaccio underneath the flesh colors) should always show through the flesh paint (“traspaia”)50. Similar to Theophilus’ use of “perspicax” therefore, Cennini uses the term “trasparere” to denote how something can be ‘seen trough’ a light-transmitting material such as paint or tracing paper. VII. Conclusion It is a well-known fact that the play of light with color, glass, precious stones and precious metal was an essential characteristic of Medieval Art, often used as expression of the Divine and Heavenly Jerusalem51. The previous analysis of the

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For an analysis of these two recipes in relation to the development of the use of oil paint in the artist’s workshop cf. M. Bol/A.-S. Lehmann, Painting Skin and Water. Towards a Material Iconography of Translucent Motifs in Early Netherlandish Painting, in: L. Campbell/J. Van der Stock/ C. Reynolds/L. Watteeuw (eds.), Rogier van der Weyden in Context (Underdrawing and Technologie in Painting. Symposia), Leuven 2012, 215–228. Thompson, Craftsman’s Handbook (nt. 8), 95 sq.; Cennino Cennini, Il libro dell’arte, ed. Frezzato (nt. 43), 173: “In secho dare poi a distesa per tutto il campo verderame ad olio; e per questo modo ancora in tavola. E se non volessi fare ad olio, togli verdeterra o verde azurro, e chuopri per tutto ughualmente, ma non tanto che non traspai sempre pesci e onde d’acqua; […].” Cf. M. Bol, Oil and the Translucent (nt. 1), 140–148. There is also some “pictura translucida” present in this recipe, because Cennini recommends that for an outstanding fish you can lace it with a few spines of gold. Cf. Cennino Cennini, Il libro dell’arte, ed. Frezzato (nt. 45), 171: “E abi che Ila tavola richiede essere volte campeggiata che in muro; ma non però tanto, ch’io non voglia che il verde che è sotto le incarnazioni sempre un pocho [non] traspaia.” For an interesting article on the use of stained glass in church buildings to evoke the Kingdom of Heaven cf. H. Westermann-Angerhausen, Glasmalerei und Himmelslicht – Metapher, Farbe, Stoff, in: ead./C. Hagnau/C. Schumacher/G. Sporbeck (eds.), Himmelslicht. Europäische Glas-

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technical terminology used to denote the different categories of light-transmitting materials in Theophilus’ ‘Schedula’ shows a surprising specificity in the terms he uses for the different ways in which light interacts with various materials52. Two crafts that are optically similar, enameling and “pictura translucida”, are both denoted by “translucidus”, a term only used on three occasions throughout the three books of the ‘Schedula’. Studying classical writing shows that “translucidus” established itself in the Latin language to describe gemstones. This fact gains in significance here, as the before-mentioned crafts came into being precisely in order to facilitate the imitation of precious stones. Although Theophilus uses the words “perspicax”/“perspicio” much more frequently throughout the ‘Schedula’, he uses it with a similar specificity to “translucidus”. “Perspicax” is consistently used to describe optical features relating to the art of glass painting, either denoting how light can pass through the glass, or how one can see through it. Interestingly, the terms used to describe varnishes, however often translated into English as ‘transparent’, have nothing to do with the varnish’ required transparency. Instead varnish terminology is characterized by the optical effect a varnish provides to the colors underneath; it makes them “lucidus” (bright). Additionally, the Latin compound adjectives that describe the different actions of light so precisely appear to have been adopted and adapted to suit the needs of writers in the vernacular. Studying two fifteenth century recipe books in Middle High German and Italian, shows a surprising terminological congruency between Medieval Latin recipe books and early vernacular treatises in their descriptions of the lucidity of varnishes, drying oils and tracing paper. I will end this paper with a quote from Lomazzo’s sixteenth century ‘Trattato dell’arte de la pittura’, because it beautiful brings together everything that was previously argued. Lomazzo describes the fifteenth century glazing technique with oil that, one could say, is the grandchild of Theophilus’ “pictura translucida”. In Lomazzo’s instructions the translucent paint layers are not applied over a polished metal surface, but on a reflective white ground. Not only does he explain that this method is suitable to imitate precious stones, but, referring to vitreous enamel, Lomazzo even remarks that with this technique the painted stones seem like ‘fire polished glass’: “[…] The oil painters use these colors to depict all clear, see-through (trasparenti) bodies, such as carbuncles, rubies and the like. They are first painted in with mixtures of dead colors void of transparency (trasparêza) and brightness (viuacità), and then pure (pura), clear (netta) and beautiful (bella) lake is applied on top […] This makes

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malerei im Jahrhundert des Kölner Dombaus (1248–1349) (Catalogue for the exhibition at the Schnütgen-Museum in Cologne), Köln 1998, 95–102. The previous research also shows how important it is to study the three books of the ‘Schedula’ together, and not as separate and unrelated entities.

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them seem like fire polished glass (vetro di fuoco lucido), appearing as if they are real and natural. […].”53

This passage, where gemstones, fired glass, and painting with translucent oil colors are mentioned in one breath, proves once more that artists were aware of the fact that the optical qualities of these crafts were indeed related.

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Translated by the author from G. Lomazzo, Trattato dell’arte de la pittura, Milano 1584 [Reprint Hildesheim 1968], 197: “Ora lauorando ad oglio vsansi questi colori per rappresentar, come se veri fossero, tutti i corpi trasparenti chiari, come sono i carbonchi, i Rubini, & simili; à quali, doppò che sono di meschie finte abbozzate, si che paiono corpi senza il lucido della trasparêza e sua viuacità, si da sopra la lacca pura netta, & bella; che viene à rappresentare in loro naturalissimamente i lumi, & le oscurità ancora senza occupargli in parte alcuna, si che da vn vetro di fuoco lucido paiono coperte come sono i veri, & naturali. Et questo nel lauorar à fresco non si può fare, benche si dia il lume, ò ombra della trasparenza per forza di disegno. Con la medesima via ancora il verderame, & il verdetro auuiuano e rappresentano la temperanza de gli smeraldi, & simili materie trasparenti.”

Die Funktion der ‚Schedula‘ und die Rolle der Technik bei der Konstruktion von Wirklichkeit am Beispiel des Emailwerks des Nicolaus von Verdun in Klosterneuburg M P (Wien) „Perception is never passive. We are not only receivers of the world; we also actively produce it. There is a hallucinatory quality to all perception, and illusions are easy to create. Even you, Dear Reader, can easily be persuaded that a rubber arm is your own by a charming neurologist with a few tricks either up his sleeves or in the pockets of his white coat.“1

I. Problemstellung: die ‚Schedula‘ – Handb uch oder theologischer Traktat? Während sich die Forschung, wie auch dieser Sammelband zeigt, hinsichtlich der Datierung der ‚Schedula diversarum artium‘ in die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts weitestgehend einig ist und auch die verwickelte Frage der Autorschaft durch die unter Berufung auf den Cod. Guelf. 1127 Helmst. der Herzog-AugustBibliothek Wolfenbüttel von Ilya Dines vorgetragene und von Bertram Lesser unterstützte Northungus-Hypothese eine neue Dynamik erhalten hat2, bietet die Frage der Funktion der ‚Schedula‘ nachwievor Raum für vielfältige und kontroverse Diskussionen. So stand nicht ganz unerwartet jener, der in der ‚Schedula diversarum artium‘ eine Gebrauchsanweisung für hochmittelalterliche Goldschmiede und so weiter sieht 3, jenen gegenüber, die den Traktat primär als einen theologischen interpretieren; für ersteren sind die im „Kästchen“ gesammelten Texte Rezepte, für letztere Allegorese. Die Leitfrage der diesem Band zugrundeliegenden Tagung hatte diese Problemstellung selbst offen formuliert und so zu Interpretationen eingeladen, die den praktischen, enzyklopädischen oder theologischen Charakter der ‚Schedula‘ je nach der eingenommenen Frageperspektive in den Vordergrund rücken. So liegt die Einschätzung des Traktates hinsichtlich seiner Funktion in gewisser Weise auch weiterhin im Auge des Betrachters; für

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Siri Hustvedt, The Summer without Men, London 2011, pp. 77 sq. Cf. hierzu die Beiträge von Ilya Dines und Bertram Lesser in diesem Band, 3–10 und 22–51. Cf. insbesondere den Beitrag von E. Brepohl in diesem Band, 181–195.

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Erhard Brepohl etwa, selbst Gold- und Silberschmiedemeister, ist und bleibt die ‚Schedula‘ eine Anleitung für den Praktiker4, für die Theologie- und Begriffsaffinen ist sie theologischer Überbau. Auch in unserem Beitrag stand und steht die Frage nach der Funktion des Traktates im Zentrum. Sie wird auf der in puncto Autorschaft gelegten Basis und auf unserem Wissensstand über Entstehungszeitraum und -prozeß zu beantworten versucht, bei gleichzeitiger In-den-Blicknahme eines Hauptwerkes der hochmittelalterlichen Goldschmiedekunst und von einem ganz bestimmten Standpunkt aus: Da wir selbst die wissenschaftliche Analyse der visuellen Medien („Kunstgeschichte“) mit der Produktion von Kunst zu verbinden suchen, nehmen wir eine Position ein, die es zuläßt, den Blick zwischen der Betrachtung einer gegebenen Struktur von außen und deren Untersuchung von innen wandern zu lassen. Unser Versuch, die Funktion der ‚Schedula‘ derart zu begreifen, ist mithin auch ein Beitrag zum artistic research, um das die Runde machende Zauberwort auszusprechen, auch wenn hier nicht mittels Kunstschaffen, sondern auf der Basis der Erfahrung als Kunstschaffende wissenschaftlich gedacht wird. Von unserem spezifischen Standort – quasi an einer Tür, deren Durchschreiten den raschen Wechsel zwischen Außen- und Innenperspektive zuläßt – zeigt sich, dies sei vorweggenommen, daß die beiden angesprochenen Funktionen der ‚Schedula‘, die Rezepte seien ganz basal praktische Anweisungen für Handwerker oder aber mit den drei Prologen in erster Linie Theologie, einander nicht ausschließen. Ganz im Gegenteil: Sie bedingen einander. Das wird klarer, wenn man, wie angekündigt, ausgeführte Werke mit einbezieht. Im konkreten Fall ist das die Verkleidung der Kanzel, die sich ursprünglich in der Klosterneuburger Stiftskirche befand (heute in der Leopoldikapelle), die der lothringische Goldschmied Nicolaus von Verdun (* um 1130 [?] in Verdun [?]– † nach 1205 in Tournai [?]) zwischen circa 1170 und 1181 ausführte und selbstbewußt signierte (Abb. 7 und 8)5. Hier und in den anderen beiden Arbeiten, die von Nicolaus auf uns gekommen sind, im Dreikönigenschrein6 für den – alten – 4

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Cf. id., Theophilus Presbyter und das mittelalterliche Kunsthandwerk. Gesamtausgabe der Schrift ‚De diversis artibus‘ in zwei Bänden, vol. 2: Goldschmiedekunst, Köln–Weimar–Wien 1999 [überarbeitete Auflage von id., Theophilus Presbyter und die mittelalterliche Goldschmiedekunst, Leipzig 1987]. Cf. F. Röhrig, Der Verduner Altar, Wien 1955, 71995; H. Buschhausen, Der Verduner Altar. Das Emailwerk des Nicolaus von Verdun im Stift Klosterneuburg, Wien 1980; H. Fillitz/M. Pippal, Schatzkunst. Die Goldschmiede- und Elfenbeinarbeiten aus österreichischen Schatzkammern des Hochmittelalters, Salzburg–Wien 1987, Nr. 47; N. Wibiral, Bemerkungen zum neuen Werk über früh- und hochmittelalterliche Schatzkunst aus Österreichischen Kirchen und Klöstern, in: Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege 41 (1987), 139–152, 145; H. Fillitz (ed.), Geschichte der bildenden Kunst in Österreich. Früh- und Hochmittelalter, vol. 1, München–New York 1998, Nr. 281, 575 sqq. Unter Mitwirkung weiterer Goldschmiede um 1230 vollendet; cf. die folgenden Ausstellungskataloge: H. Schnitzler/P. Bloch (ed.), Der Meister des Dreikönigen-Schreins: Ausstellung im Erzbischöflichen Diözesan-Museum in Köln, 11. Juli–23. August 1964 (Kölner Domblatt 13–24), Köln 1964; A. Legner (ed.), Rhein und Maas. Kunst und Kultur 800–1400: Eine Ausstellung des

Die Funktion der ‚Schedula‘ und die Rolle der Technik

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Kölner Dom7 und dem Marienschrein für die Kathedrale Tournai 8, korrelieren Technik und Programm miteinander, wie die ‚Schedula‘ unseres Erachtens praktische Anweisung und theologischer Überbau zugleich ist. Kurz: Unsere These ist, daß der Lothringer etwa ein Viertel Jahrhundert nach dem Redaktor der ‚Schedula‘ jenen Raum ausfüllte, den der Kompilator in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts ausgespannt hatte. Was die Klosterneuburger Kanzel (Abb. 7 und 8) betrifft, so ist, auch wenn die Quellen darüber schweigen, aufgrund der Werkanalyse evident, daß der Auftraggeber, Propst Wernher (reg. 1168–1185 und 1192–1194), Nicolaus mit der Ausführung eines typologischen Programms beauftragt hatte9. Möglicherweise übergab Wernher oder ein Abgesandter auch das erhaltene typologisch orientierte Gedicht seines Vorgängers, Propst Rudigers I. (reg. 1167/68), das bereits als Entwurf für ein liturgisches Gefäß, Gerät oder Möbel gedacht gewesen sein mag, dem Goldschmied als Anregung10. Unseres Erachtens stellte Nicolaus die Plaques, mit denen der Ambo verkleidet wurde, im Rhein-Maas-Gebiet her11. Die fertigen Emailplatten und -plättchen waren leicht zu transportieren, die Montage am Holzkern erfolgte wohl vor Ort: in der Stiftskirche des vor den Toren Wiens liegenden regulierten Augustiner-Chorherrenstiftes. Bei der Ausführung des Auftrags kam es seitens des Goldschmiedes unseres Erachtens zu einer Art Übererfüllung, und zwar in inhaltlicher Hinsicht. Dies ist nicht davon zu trennen, daß Nicolaus mit verschiedenen Materialien und unterschiedlichen Techniken souverän umzugehen verstand. Dazu hatte unser Traktatautor Nicolaus das Werkzeug im wahrsten Sinne des Wortes in die Hand gelegt, aber nicht im einfachen praktischen Sinne, sondern weil schon für jenen Materialund Technikeinsatz und Theologie miteinander verquickt gewesen waren. Es wird hier also nicht behauptet, Nicolaus habe die in Rede stehende ‚Schedula‘ gekannt und verwendet. Herausgearbeitet soll im Folgenden bloß werden, daß in den ausgeführten Werken Material, Technik, Programm und Ikonographie, aber auch der

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Schnütgen-Museums der Stadt Köln und der belgischen Ministerien für französische und niederlandische Kultur, vol. 1, Köln 1972, K 1, 317; id. (ed.), Ornamenta Ecclesiae. Kunst und Künstler der Romanik in Köln: Ausstellung des Schnütgen-Museums in der Josef-Haubrich-Kunsthalle, vol. 2, Köln 1985, Nr. E 18, 216–225; R. Lauer, Der Schrein der Heiligen Drei Könige (Meisterwerke des Kölner Domes 9), Köln 2006. Heute „Hohe Domkirche“; zum Vorgängerbau cf. Legner (ed.), Ornamenta Ecclesiae (nt. 13), vol. 2, 92 sqq.; für die Rekonstruktionen cf. op. cit, 92 sq. Cf. Legner (ed.), Rhein und Maas (nt. 6), vol. 1, K 5, 323 sq. (mit Literatur). Den Auftraggeber nennt die Inschrift; cf. Buschhausen, Verduner Altar (nt. 5), 11; Fillitz/Pippal, Schatzkunst (nt. 5), 201. Cf. H. Buschhausen, The Klosterneuburg Altar of Nicolas of Verdun: Art, Theology and Politics, in: The Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 37 (1974), 1–32, 1 sqq.; id., The theological sources of the Klosterneuburg Altarpiece, in: F. Avril/F. Deuchler (eds.), The Year 1200. A Symposium, New York 1975, 119–138; id., Verduner Altar (nt. 5), 123; dieser nimmt (anders als wir) an, daß das Gedicht programmbestimmend gewesen wäre. So auch Hermann Fillitz in: id./Pippal, Schatzkunst (nt. 5), 203 sq. Für eine Entstehung in Klosterneuburg sprach sich indes u.a. Buschhausen wiederholt aus cf. supra, nt. 5 und 10.

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Stil (der hier, was zu begründen zu weit führen würde, als Teil der inhaltlichen Dimension verstanden wird) allesamt teleologisch eingesetzt sind, und das wiederum wirft unseres Erachtens ein erhellendes Licht auf die Funktion der ‚Schedula‘ zurück. II. ein neues tool: die „g eschaute similitudo“ bei Nicolaus von Verdun Der Klosterneuburger Ambo (Abb. 7 und 8) ist – deshalb wird gerade er hier einbezogen – ein Schlüsselwerk: Nicolaus von Verdun war der entwicklungsgeschichtlich wichtigste Goldschmied seiner Zeit, der Ambo ist sein frühestes Werk und zudem als eigenhändig anzusehen. Vor allem läßt sich aber an der Kanzelverkleidung ein Prozeß ablesen, der bezeugt, daß Nicolaus nicht bloß Ausführender eines von Theologenseite vorgelegten Programms war, sondern dieses selbst mitbestimmte und zudem seine eigene Sicht auf die Welt (was auszuführen sein wird) einbrachte. Die Veränderungen des Emailwerks von 1330/31 (Umbau zum Flügelaltar durch Aufbringung auf einen neuen Holzkern und Hinzufügung von sechs großen sowie mehreren kleinen Plaques)12 bleiben hier logischerweise außer Betracht. Der Umgang des lothringischen Goldschmiedes mit der Typologie ist ein altes Forschungsthema der Autorin:13 Wie vor langem ausgeführt, revolutionierte Nicolaus die typologischen Programme durch die Einführung der „geschauten similitudo“. Er machte die Ähnlichkeit von Geschehnissen des Ersten und des Zweiten Testaments, die ja im typologischen Weltmodell Voraussetzung für den Gnadenfluß vom Zweiten in den Ersten Bund bildet, durch die kompositorische Angleichung von zwei Typen (Erstes Testament) und einem Antitypus (Zweites Testament) sichtbar. Dieser Schritt hin zur Sichtbarmachung ist gut geeignet, um das Ineinandergreifen von ikonographisch transportierter theologischer Aussage und verwendeter Technik, dem hier unsere Aufmerksamkeit gilt, zu verdeutlichen und bildet daher den Ausgangspunkt der Überlegungen. Entwicklungsgeschichtliche Voraussetzungen für die Angleichung der Kompositionen waren kurz davor an der Maas geschaffen worden, unter anderem durch jenen Goldschmied, der die Emailplaques für den so genannten Stavelot-Tragaltar

12 13

Cf. I–III/8 und I–III/10; cf. Buschhausen, Verduner Altar (nt. 5), Tfn. 22–24 sowie Tfn. 28–30. Cf. M. Pippal, Beobachtungen zur „zweiten“ Ostermorgenplatte am Klosterneuburger Ambo des Nicolaus von Verdun, in: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 35 (1982), 107–119; ead., Von der gewußten zur geschauten Similitudo. Ein Beitrag zur Entwicklung der typologischen Darstellung bis 1181, in: Kunstgeschichte aktuell: Mitteilungen des Verbandes Österreichischer Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker 4,3–4 (1987), 53–61; ead., Inhalt und Form bei Nicolaus von Verdun. Bemerkungen zum Klosterneuburger Ambo, in: H. Beck/K. HengevossDürkop (eds.), Studien zur Geschichte der europäischen Skulptur im 12./13. Jahrhundert, vol. 1, Frankfurt a.M. 1994, 367–380.

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(Maas, circa 1150/60; Brüssel, Musées royaux d’Art et d’Histoire [Abb. 6]14) gefertigt hatte. Wenn früher, in der Spätantike (zum Beispiel in den Langhausfresken von Alt-Sankt Peter in Rom [Abb. 1]15) oder im frühen 11. Jahrhundert (an der sog. Bernwardtür im Dom von Hildesheim)16, Ereignisse des Ersten und Zweiten Testaments, die aus der Perspektive der christlichen Theologen in Beziehung stehen, miteinander konfrontiert worden waren, so war das ohne kompositorische Anpassung geschehen. Das Wiederaufgreifen der typologischen Argumentationslinie Mitte des 12. Jahrhunderts (möglicherweise als Reaktion auf das Neuerstarken der manichäisch anmutenden Abwertung des Alten Testaments seitens der Katharer) fand (dem erhaltenen Material nach zu schließen) primär im Bereich der ornamenta ecclesiae statt17. Auf diesen wurden gelegentlich mehrere Typen des Ersten Testaments, beispielsweise „Die Witwe von Sarepta“ (Abb. 2), „Isaak am Weg zum Opfer“ (Abb. 4), „Der Tauschreiber“, „Die Aufrichtung der Ehernen Schlange“ und so weiter18 auf die Kreuzigung Christi als Antitypus bezogen, indem man die Emailplatten mit den Typen auf einem Kreuz montierte19. Kompositorische Harmonisierung gab es (noch) keine, weder der Geschehnisse des Ersten Testaments untereinander, noch dieser und des Kreuzigungsgeschehens. Um die inhaltlichen Affinitäten mußte man wissen. Zu sehen bekam man sie (noch) nicht. Die sehr einfachen Darstellungen der Jahrhundertmitte funktionierten einzeln als Verweise auf die im Ersten Testament referierten Geschehnisse wie heute die Verkehrszeichen, bei denen beispielsweise der auf dem Schild gezeigte schaufelnde Arbeiter „Baustelle“ (Abb. 3) oder der ein widerspenstiges Mädchen fest an der Hand haltende Hutträger „Gehweg“ (Abb. 4) meint, ohne daß die knapp gezeigte Tätigkeit des Schaufelnden mit dem modernen, von Maschineneinsatz bestimmten Baustellenbetrieb respektive das autoritäre Verhalten des „Vaters“ und das erzwungene Promenieren der „Tochter“ mit der heutigen Nutzung von Fußwegen 14 15

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Inv. Nr. 1580; cf. Legner (ed.), Rhein und Maas (nt. 6), vol. 1, G 13, 260 (Abb.), und vol. 2, 159, Abb. 15; A. Gudera, Der Tragaltar aus Stavelot: Ikonographie und Stil, Bremen 2003. Cf. e. g. die Fresken von Alt-Sankt Peter in Rom (Anfang 5. Jahrhundert); Nachzeichnungen: Città del Vaticano, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Barb. lat. 4406, fol. l; dazu cf. S. Waetzoldt, Die Kopien des 17. Jahrhunderts nach Mosaiken und Wandmalereien in Rom (Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana 18), Wien–München 1964. Vollendet 1015; cf. U. Mende/A. Hirmer/I. Hirmer, Die Bronzetüren des Mittelalters 800–1200, München 1983, 28–33, Tfn. 8–24; M. Brandt/A. Eggebrecht (eds.), Bernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottonen: Katalog der Ausstellung, vol. 2, Hildesheim–Mainz 1993, Nr. VII-33. Cf. den gleichnamigen Ausstellungskatalog (nt. 6). Cf. e.g. die vier Platten von einem Kreuz aus dem Augustiner-Chorherrenstift von Sankt Florian (Oberösterreich), maasländisch, um 1160/65 (Wien, Österreichisches Museum für angewandte Kunst, Inv. Nr. Em. 400-29 941); dazu cf. Fillitz/Pippal, Schatzkunst (nt. 5), Nr. 45, 187 (mit. Literatur), Tf. 25; Fillitz (ed.), Geschichte (nt. 5), Nr. 279, 574. Cf. das typologische Kreuz, maasländisch, um 1160/70 (Brüssel, Musées royaux d’Art et d’Histoire, Inv. Nr. 2293); dazu cf. Legner (ed.), Rhein und Maas (nt. 6), vol. 1, Nr. G 21, 258; N. Morgan, The Iconography of twelfth century Mosan enamels, in: op. cit., vol. 2, 263–278; Fillitz/Pippal, Schatzkunst (nt. 5), Abb. 45.3, 189.

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viel gemein hätte (man müßte vielmehr hoffen, daß Polizei und Jugendamt einschreiten, wenn ein Vater dem auf dem Schild Gezeigten folgt). In vergleichbarer Weise ist bei den typologischen Werken des mittleren 12. Jahrhunderts die Beziehung zwischen Darstellung und Ereignis lose, ebenso die – kompositorische – Relation von inhaltlich als zusammengehörig erachteten Typen und Antitypen. Erst der Goldschmied des genannten Stavelot-Portatiles schlug bei der Gestaltung der Deckplatte (Abb. 6) einen neuen Weg ein, indem er Geschehnisse, die aus christlicher Perspektive inhaltlich in Relation stehen, kompositorisch einander annäherte. Der Ausgangspunkt lag offensichtlich bei der Visualisierung „binnentypologischer“ Beziehungen. So sind beim Stavelot-Tragaltar insgesamt sechs, links und rechts des Deckplattenzentrums situierte Geschehnisse des Ersten Testaments kompositorisch einander angeglichen, und zwar jeweils jene beiden Szenen, die sich von der Mittelachse der Deckplatte aus gesehen auf derselben Höhe befinden. Der Goldschmied läßt hier die Protagonisten symmetrische Bewegungen ausführen, so daß sie sich Christus zuwenden. Aus christlicher Perspektive ist dieser ja im Eucharistischen Brot präsent, das während des Gottesdienstes auf der Platte im Zentrum der Deckplatte lag; die gewandelte – auf einer kleinen Patene zu imaginierende – Hostie ist also hinzuzudenken (Abb. 6)20. Auf diese und ergo Christus ausgerichtet entsprechen einander innerhalb der beiden, das Zentrum flankierenden Vierpaßrundungen die schräg nach rechts oben weisenden Türen von Gaza (links) und die nach links oben gestreckten Arme des Jona (rechts); auf den beiden Plaques oberhalb der halbrunden Felder korrespondieren die von Moses gehaltenen Gesetzestafeln (rechts) mit dem von Isaak getragenen Holzbündel (links), und auf den Emailplatten unterhalb der Vierpaßrundungen antwortet das Hochhalten des Kelches zu Gott durch Melchisedech (links) dem Hochheben des Opferlammes zum Herrn durch Abel (rechts) und so weiter. Mit diesen spiegelgleichen Szenen und damit aufeinander bezogenen Geschehnissen des Ersten Testaments sind auf dem Stavelot-Tragaltar – und das ist für die spätere Entwicklung wesentlich – jene des Zweiten Testaments mittels kompositorischer Angleichung verknüpft. Dabei stimmt die Bewegungsrichtung jeweils überein: Dem genannten, schräg nach links oben ausgerichteten Holzbündel Isaaks entspricht die Schräglage des Schaftes des Kreuzes Jesu im Feld darüber, der schrägen Ausrichtung der Gesetzestafeln in den Händen Mosis der gleichfalls schräge, etwa parallele Sarkophagdeckel im „Ostermorgen“ und so weiter. Die „Choreographie“ und Haltung der „Requisiten“ öffnet den Interpretationsraum: Jesus trägt sein Kreuz zur Kreuzigung auf Golgatha wie Isaak dereinst das Holzbündel zu seiner eigenen (im letzten Moment verhinderten) Opferung auf den Berg im Land Morija trug, Moses verkündete im Ersten Testament das Gesetz, das der Messias im Zweiten Testament Paulus zufolge überwand 21. 20 21

Cf. D. Frey, Der Realitätscharakter des Kunstwerkes, in: id., Kunstwissenschaftliche Grundfragen, Prolegomena zu einer Kunstphilosophie, Wien 1946, 107–149, 110. Cf. e. g. Röm 5,20; 7,11–13; 10,4.

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Genau auf dem Niveau der kompositorischen Angleichung, die uns das Stavelot-Portatile vorführt und die zeitgleich auch in England erreicht wurde22, baute Nicolaus von Verdun bei der Konzeption des Emailwerkes für Klosterneuburg (Abb. 7 und 8) auf. Daß er das Aktuellste rezipierte, spricht dafür, daß er die Emailplaques für den Ambo im Maas- oder Rhein-, nicht aber im Donautal ausgeführt hat23. Bezogen ist das typologische Programm an der Klosterneuburger Kanzel erwartungsgemäß auf Christus. Seinem Leben ist hier breiter Raum gegeben: In der horizontalen Mittelzone („sub gratia“/Zone II) wird es von links nach rechts erzählt, beginnend mit der Verkündigung an Maria (II/1)24 und endend mit der Geistsendung zu Pfingsten (II/15)25. Die einzelnen Geschehnisse, die sich aus christlicher Perspektive in der Zeit der Gnade ereignet haben, verknüpfte Nicolaus mit Typen des Ersten Testaments, die in den beiden Zonen oberhalb respektive unterhalb der Christusvita platziert sind. Die obere Zone ist der Zeit „ante legem“ (Zone I), die untere Zone der Zeit „sub lege“ (Zone III) gewidmet. Das Mittel der Verknüpfung ist dabei die erwähnte kompositorische Angleichung, die auf der vom Goldschmied des Stavelot-Tragaltares angewandten (Abb. 6) basiert. Nicolaus ging aber in mehrfacher Hinsicht darüber hinaus. So stimmte er nicht nur einzelne Motive, sondern vielfach die Gesamtkompositionen aufeinander ab. Folglich muß man in Klosterneuburg um die similitudo nicht mehr wissen. Man sieht sie26. Das entspricht – ganz generell gesehen – dem Bedeutungsgewinn des Visuellen, der im 12. und beginnenden 13. Jahrhundert auf allen Ebenen (Stichworte: Sichtbarmachung der Reliquien, Ostentatio der gewandelten Hostie und so weiter) feststellbar ist und der seinerseits mit der generellen Zuwendung zur Welt der Sichtbaren Dinge Hand in Hand geht (Stichwort: „Nominalismus“). Außerdem führte Nicolaus Typen, die bisher ungebräuchlich waren, neu ein, und zwar offensichtlich aufgrund der guten Synchronisierbarkeit der Kompositionen27. Hier denkt der Goldschmied, nicht der Theologe.

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Cf. Pippal, Similitudo (nt. 13), 53 sqq. Cf. supra, nt. 13. Cf. Buschhausen, Verduner Altar (nt. 5), Tf. 2. Cf. op. cit., Tf. 44. Cf. supra, nt. 11. Cf. e. g. den ungewöhnlichen Typus „Rückkehr Mosis nach Ägypten“ (I/6); dazu cf. Buschhausen, Verduner Altar (nt. 5), Tf. 16; F. Dahm, Studien zur Ikonographie des Klosterneuburger Emailwerkes des Nicolaus von Verdun (Dissertationen der Universität Wien 197), Wien 1989, 1 sqq., kompositorisch auf das Feigenwunder bei der Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten zurückgeführt. Auffällig ist zum Beispiel, daß der Esel, auf dem in Klosterneuburg Moses statt Sara sitzt, und die Eselin, auf der Christus im Antitypus darunter (II/6) in Jerusalem einreitet, in ihrer Kleinheit dem Osterlamm, das sub lege eingebracht wird (III/6), angenähert sind; dazu cf. Buschhausen, Verduner Altar (nt. 5), Tfn. 16–18.

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Der Fortschritt hatte freilich seinen Preis: Durch die Visualisierung der similitudo reduzierte sich der Interpretationsspielraum: Konnten zwei Ereignissen (Erster und Zweiter Bund respektive innerhalb eines der beiden Testamente im Sinne einer „Binnentypologie“) bis dahin verschiedenste Ähnlichkeiten zugeschrieben werden (man könnte von einem stets erweiter- und verdichtbaren „Affinitätscluster“ sprechen), eben weil die Darstellung sehr kursorisch war, wurden die Übereinstimmungen ab den 1160er Jahren und insbesondere seit etwa 1170 durch Nicolaus von Verdun in verstärktem Maße mittels der kompositorischen Angleichungen festgelegt. Dazu kommt, daß Nicolaus die Bewegungsrichtung zwischen Typus/Typen und Antitypus umkehrte. Den beiden Typen gab er dabei wiederholt die gleiche Richtung, Typus/Typen und Antitypus besitzen indes oft spiegelverkehrte Kompositionen. Damit invertierte er das am Stavelot-Tragaltar (Abb. 6) angewandte Prinzip (dort: spiegelverkehrte Darstellungen von Ereignissen des Ersten Testaments, gleich ausgerichteter Typus und Antitypus). Der Entwicklungsschritt Nicolaus’ hat eine doppelte Konsequenz: Erstens verhalten sich nun Typen und Antitypus oft wie Siegel und Petschaft, was ja der Uridee des typologischen Denkens entspricht; zweitens ist der Verlauf der Narration im sub gratia-Register (in Entsprechung zur westlichen Schreib- und Leserichtung) eine kontinuierlich auf die Zukunft orientierte, während die Typen in den beiden dem Ersten Testament gewidmeten Zonen mehrfach zurückverweisen. Die Zukunft, auf die am Ambo die Gnadenzeit zustrebt, ist das Jüngste Gericht, das auf insgesamt sechs Plaques (zwei Senkrechtregister, alle drei Horizontalzonen umfassend) ganz rechts am Pulpitum geschildert wird. Entgegen beharrlich wiederholter Ansichten28, der auf sechs große Plaques verteilte Secundus Adventus Christi sei die Folge einer nachträglichen Änderung des Gesamtprogramms29, ist die Ausdehnung des Gnadenraumes (das gänzliche Erfüllen des vorher vom Ersten Testament eingenommenen Bereichs) sicherlich von Anfang an Teil des Gesamtprogramms gewesen, weil vom typologischen Denken her vollkommen logisch, ja nachgerade zwingend. Das Endgericht und damit die finale Etablierung der Herrschaft Christi bilden ja die Klammer, die alle drei Zeiträume zusammenfaßt und abschließt.

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Cf. insbesondere Röhrig, Verduner Altar (nt. 5), 36; id., Der Verduner Altar und die Eschatologie, in: Jahrbuch des Stiftes Klosterneuburg, Neue Folge 12 (1983), 7–17; E. Doberer, Die ehemalige Kanzelbrüstung des Nikolaus von Verdun im Augustiner-Chorherrenstift Klosterneuburg, in: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 31 (1977), 3–16. Das vorgebrachte Argument, ursprünglich seien zwei Platten für den Ostermorgen, nämlich die (dann verworfene Platte) mit dem „Grabbesuch der Marien“ und die „Auferstehung Christi“ (II/13), geplant, die Christusvita dann aber zugunsten des Weltgerichts verkürzt und von daher der „Grabbesuch der Marien“ ausgeschieden worden, ist seit drei Jahrzehnten widerlegt; cf. Pippal, Beobachtungen (nt. 13), 107–119.

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Das eloquente sprengende Weltgericht war Ende des 12. Jahrhunderts bereits geläufig. In Müstair30 oder Torcello31, später in der Arenakapelle in Padua32 nimmt es die gesamte Eingangswand-Innenseite (Westwand) der Kirche respektive Kapelle ein, und es wäre hier auch noch die Sixtinische Kapelle anzuführen, hätte nicht Michelangelo – sich über die konventionelle Topographie hinwegsetzend – sein Jüngstes Gericht statt an der Eingangswand (dort die Ostwand) an der Altar- (dort der Westwand) der Kapelle platziert33. III. Typologie als Wirklichkeitskonstr uktion Die Typologie, die das inhaltliche Rückgrat der Klosterneuburger Amboverkleidung bildet, war bekanntlich bereits von Jesus von Nazareth selbst genutzt worden, um sich dadurch als Messias zu definieren, etwa wenn er – laut Bericht in den Evangelien – seine Hinrichtung durch Kreuzigung mit der Aufrichtung der Ehernen Schlange34, seine Auferstehung am Dritten Tag mit der Ausspeiung des Jona aus dem Bauch des Wals in Verbindung brachte35. Erst Paulus rückte das Zweite Testament vom Ersten Testament ab, um die von Jesus von Nazareth angestoßene spirituelle Reform vom traditionellen Judentum abzugrenzen. Als Reaktion auf die derart angebahnte Abwertung des Ersten Bundes durch Gnosis wie Manichäismus nutzten Vertreter der Schule von Alexandria im 3. Jahrhundert das typologische Modell als Werkzeug, um das Erste Testament in den christlichen Kosmos zu reintegrieren. Ihr Bestreben, den Ersten und Zweiten Bund in einer Symphonie erklingen zu lassen und zugleich den Anspruch auf den qualitativen Überstieg des Zweiten Testaments gegenüber dem Ersten nicht aufzugeben, kommt freilich dem Versuch der Quadratur des Kreises gleich. Systemtheoretisch betrachtet reklamierte Paulus die Deutungskompetenz in einer mehr als schwierigen Situation: Um die Autopoiesis des Christentums und der sich herausbildenden Kirche trotz der angekündigten, aber ausgebliebenen – unmittelbar nach der Himmelfahrt erwarteten – Wiederkehr Christi sicherzustellen, gelang es ihm mittels der Errichtung des theoretischen Überbaus, das Chri30

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Um 800; Benediktinerklosterkirche, Sankt Johann (jetzt Benediktinerinnenkloster); cf. H. R. Sennhauser/H. R. Courvoisier/P. Gleirscher/M. Joos/A. Benghezal (eds.): Müstair, Kloster St. Johann, vol. 1: Zur Klosteranlage. Vorklösterliche Befunde (Veröffentlichungen des Instituts für Denkmalpflege an der ETH Zürich 16,1), Zürich 1996. 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts; Basilika Santa Maria Assunta; cf. A. Niero, The Basilica of Torcello and Sana Fosca’s, Venedig 1967, Abb. 24, 33. (Cappella degli Scrovegni) Freskierung 1304 bis 1306 durch Giotto di Bondone; cf. L. Jacobus, Giotto and the Arena Chapel. Art, Architecture & Experience (Studies in Medieval and Early Renaissance Art History 47), London–Turnhout 2008, Tf. VI, 414. Cf. http://www.vatican.va/various/cappelle/sistina_vr/index.html; P. de Vecchi/G. Colalucci, Die Sixtinische Kapelle. Das Meisterwerk Michelangelos erstrahlt in neuem Glanz, Freiburg i.Br. 1996, 214 sqq. Cf. Joh 3,14–15. Cf. Mt 12,39–42.

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stentum als autonome Religion aus dem Judentum herauszuschälen. Die Schule von Alexandria wiederum erkämpfte angesichts sich verstärkender Anfeindungen nicht bloß dessen Selbsterhalt neben anderen, Jesus als zentrale positive Gestalt anerkennenden Strömungen, sondern sicherte den Primat der Kirche Christi durch den Zugriff auf den Alten Bund. So gesehen handelt es sich bei den Anstrengungen, dem System „Christentum“ respektive „Kirche“ mittels des typologischen Konzepts das Überleben, ja sein Florieren und mehr noch seine Vorrangstellung zu garantieren, um Konstruktionen von Wirklichkeiten. Dabei kam den visuellen Medien eine eminente Aufgabe zu: Werke wie die genannten Langhausfresken von Alt-Sankt Peter36 (Abb. 1) haben hier ihren Sitz im Leben. Eine nicht minder wichtige Rolle spielten die visuellen Medien im Zuge des neuerlichen Erstarkens des typologischen Denkens im 12. Jahrhundert, was, wie angedeutet, möglicherweise als Reaktion gegen den Neomanichäismus der Katharer geschah. Wie erwähnt wurde das typologische Denkmodell im zweiten und dritten Drittel des 12. Jahrhunderts insbesondere im Maas- und Rheintal durch liturgische Gefäße und Geräte propagiert – in einem geographischen Bereich, in dem die Katharer sehr erfolgreich Anhänger anwarben. Was konkret der Anlaß für die Beauftragung Nicolaus’ von Verdun mit der Ausführung der Kanzelverkleidung für die Klosterneuburger Stiftskirche war und inwieweit sie apologetisch gemeint war, wäre ein eigenes Thema, das hier ausgespart bleiben muß. Betont sei bloß, daß es Nicolaus von Verdun gelang, den Zusammenklang der beiden Testamente quasi sichtbar zu machen. Freilich handelt es sich hierbei um keinen jüdisch-christlichen Dialog, nicht um die Reintegration der jüdischen Spiritualität, die einst die Basis des Christentums gebildet hatte37. Der Ambo ist vielmehr ein Beitrag zur „Taufe“ des Alten Testaments, die für die Ausgrenzung der Synagoge (siehe die Darstellungen der Personifikation mit verbundenen Augen in Straßburg38, Bamberg39 und so weiter) bis hin zu deren Ermordung durch das „Handelnde Kreuz“ (zum Beispiel: Thörl-MaglernGreuth/Kärnten40) den Weg bereitete.

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Cf. supra, nt. 15. Cf. M. Gottschlich, Versöhnung. Spriritualität im Zeichen von Thora und Kreuz. Spurensuche eines Grenzgängers, Wien–Köln–Weimar 2008. Um 1230; Straßburg, Musée de l’Œuvre Notre-Dame; cf. W. Sauerländer/M. Hirmer, Gotische Skulptur in Frankreich 1140–1270, München 1970, Abb. 33. Um 1235/37; vom Fürstenportal (dort heute eine Kopie), Original im Dominneren (Georgenchor); cf. D. von Winterfeld, Der Dom in Bamberg, 2 voll., Berlin 1979; M. Schuller, Das Fürstenportal des Bamberger Doms, Bamberg 1993, Abb. 79 et passim. Pfarrkirche Heiliger Andreas (Kärnten); Fresko des Thomas von Villach (* 1435/1440 Thörl– † 1523/1529 in Villach; cf. A. Fritz, Kärnten in der Gotik, Klagenfurt 1987, 71 (Abb.) und 108.

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IV. Zeitstau und Zeitf luß Der angesprochene Zusammenklang von Erstem und Zweitem Testament im Werk des Nicolaus von Verdun erscheint als völlig harmonischer, war aber nota bene von nur ganz kurzer Dauer. Typen und der Antitypus stehen einander in Klosterneuburg wie Momentaufnahmen gegenüber, als sei die Zeit in den Geschehnissen einen Augenblick lang geronnen. Im 13. Jahrhundert sollte die Zeit der Ich-Ebene, die die Welt der Sichtbaren Dinge bestimmt, aber zu sehr an Fahrt gewinnen, als daß dieses Äquilibrium noch weiter hätte existieren können. Typen und Antitypen werden, zum Beispiel in den ‚Bible moralisée‘-Handschriften41, kompositionell wieder autonom. Das macht einen Blick zurück nötig – in den Zeitraum unmittelbar nach der Hinrichtung Jesu und der unter seinen Anhängern und Anhängerinnen verbreiteten Nachricht von seiner Auferstehung und Himmelfahrt. Vorstellbar ist, daß es in der Anhängerschaft des Meisters zu einer Art Zeitstau42 kam, als dessen Wiederkehr ausblieb: zu einem Festhalten an seiner – verlorenen – Präsenz, verbunden mit einer intensiven Naherwartung des Jüngsten Tages, also der Wiederkehr des Messias und der Aufrichtung seiner uneingeschränkten Herrschaft; Hand in Hand damit muß das Gefühl der Sinnlosigkeit immanenter Zukunftsperspektiven gegangen sein. Da aber die Immanenz ihren Tribut fordert, muß es in der Folge zu einer Abspaltung der fließenden, die Welt der Sichtbaren Dinge bestimmenden Zeit gekommen sein. Das tägliche Leben ist nun einmal von der Ich-Zeit (Tages- und Jahreszeit, Geburt und Tod, Aussaat und Ernte und so weiter) bestimmt. Den christlichen Theologen kam somit die Aufgabe zu, die Relevanz der Kategorie Zeit zu entkräften, und hier war das typologische Konzept das probate Werkzeug, da ja danach vom Erlösungswerk des Menschensohnes die Gnade ausgeht, die durch übereinstimmende, also typologische Ereignisse wie durch Schleusen in die jeweilige Gegenwart und in den Bereich ante legem respektive sub lege (die Zeit des Alten Testaments vor und nach der Gesetzgebung Mosis) Eingang findet. Damit fließt die „aufgestaute“ Zeit von der Vergangenheit (Kreuzigung Christi) in die Gegenwart respektive in die Vorvergangenheit. Zugleich wird das Erlösungsgeschehen tagtäglich durch die Eucharistiefeier in die Gegenwart hereingeholt, wenn Christus in den gewandelten Gaben, Brot und Wein, immer von neuem in die Mitte der Gläubigen tritt.

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Cf. H.-W. Stork/R. Haussherr (eds.), Bible moralisée. Codex Vindobonensis 2554 der Österreichischen Nationalbibliothek (Glanzlichter der Buchkunst 2), Graz 1992; R. Haussherr/ E. König (eds.), Bible moralisée. Prachthandschriften des Hohen Mittelalters, gesammelte Schriften von Reiner Haussherr, Petersberg 2009. Übertragen vom Bild der „gestauten Zeit“, das Dan Diner, Gedächtniszeiten. Über jüdische und andere Geschichten, München 2003, 8 et passim, im Hinblick auf die der Shoah verwendet: „Die Gleichzeitigkeit ungleichzeitiger Zeiten wird durch das Ereignis des Holocaust insofern evoziert, als der durchaus historische Vorgang der Vernichtung der europäischen Juden im Bewußtsein so etwas wie eine historische Zeitvorstellungen zerstörende Reaktion auslöst, die mit der Metapher ‚gestauten Zeit‘ belegt werden soll.“

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Das typologische Denkmodell behielt seine Bedeutung bis ins Hochmittelalter und darüber hinaus bei. Heutigen Ohren klingt es absurd. Wenn wir Immanuel Kant folgen, ist es „schlechterdings unmöglich, daß wir in einer nicht-räumlichen und nicht-zeitlichen Welt erwachen und unsere bisherige Überzeugung, in einer räumlichen Welt zu leben, als bloße Illusion erkennen. Wir können uns eine nichträumliche und nicht-zeitliche Wirklichkeit nicht einmal vorstellen“; nach Kant prägt die Menschliche Erkenntnis „den Phänomenen eine bestimmte räumliche Metrik“ (euklidische Geometrie) und „Kausalitätsprinzip“ auf 43. „Welt“ wird hier von Collin freilich ausschließlich als die Welt der Sichtbaren Dinge verstanden, die viele von uns hier im Westen als die einzig existente anzuerkennen bereit sind. Eine religiöse Bewegung aber, die aus dem Taborgeschehen (Mt 17,1–8, Lk 9,28–36) das Vertrauen gewonnen hat, daß der verehrte Meister der Messias sei, weil er Raum und Ort außer Kraft zu setzten im Stande war (indem er auf Tabor mit Moses und Elija redete), hat weder ein Problem mit der Idee des Weiterwirkens des Gnadenflusses, das vom Erlösungsgeschehen der Kreuzigung Jesu ausgegangen sei, noch mit dem Gnadenrückfluß ins Erste Testament. Der Ort, wo Raum und Zeit außer Kraft gesetzt und damit neue Kausalitäten eingeführt werden können, ist seit frühchristlicher Zeit das Bild. Das Bild vermag eine solche Welt, eine nicht-räumliche und nicht-zeitliche Wirklichkeit, im wahrsten Sinne des Wortes, vorzustellen – eine Welt, in welcher die Kausalität der Immanenz keine Determinante bildet. Das Bild ist mithin auch der Ort, wo der christliche Kosmos um die typologische Grundstruktur herum konstruiert werden konnte. Aber im Zuge der verstärkten Wahrnehmung der Welt des Sichtbaren ab dem ausgehenden 11. Jahrhundert (Stichwort „Aristotelismus“) und der Bejahung dieser Wahrnehmung mittels der visuellen Medien begann die im Bild vorgestellte „nicht-räumliche und nicht-zeitliche Wirklichkeit“44 aufzuquellen: Das Bild saugte Raum an, Zeitstau- und Rückfluß löste sich und kehrte sich um. Die Zeit der IchEbene (die Ich-Zeit des täglichen Lebens) drängte sich in den Vordergrund, und es sollte bis zum Surrealismus dauern, bis die Chronologie als ehernes Gesetz der Natur (nun willentlich) wieder außer Kraft gesetzt wurde, etwa wenn Salvador Dalí mit Augenzwinkern von sich behauptete: „Am liebsten erinnere ich mich an die Zukunft.“ An dem entwicklungsgeschichtlich wichtigen Punkt rund um 1200 erweist sich Nicolaus von Verdun ein weiteres Mal als eminent wichtiger Akteur: Während er einerseits, wie ausgeführt, ab circa 1170 noch einmal den seit dem Frühchristentum akzeptierten und Mitte des 12. Jahrhunderts sogar noch einmal intensivierten Zeitstau verstärkte, begann sich im Zuge des Arbeitsprozesses die Zeit gleichsam zu verflüssigen. Das narrative Moment gewann in den Einzelszenen generell und

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F. Collin, Konstruktivismus für Einsteiger, Stuttgart 2008, 13 sq. Op. cit., 13.

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in der Christusvita im Besonderen an Bedeutung. Ganz altmodisch gesagt, ist es Nicolaus’ Ingenium zuzuschreiben, daß er beides einen Augenblick miteinander zu versöhnen im Stande war: Die Verspannung der einzelnen Kompositionen im System „Typologie“ einerseits und die Erzählung der Christusvita in der Mittelzone wie der Ereignisse des Ersten Testaments darüber und darunter andererseits. Und genau bei diesem Mentoring spielt Nicolaus‘ Umgang mit der Technik eine wesentliche Rolle. V. Die Rolle von Material und Technik – und ein Blick ins „K ästchen“ Damit kommen wir auf die Frage nach dem Ineinandergreifen von theologischer respektive philosophischer Aussage und Material/Technik zurück. – Offenbar im Hinblick darauf, daß der/die Betrachter/in der Klosterneuburger Kanzel (des heutigen Flügelaltares) die in einen typologischen Zusammenhang gesetzten Ereignisse jeweils einer Senkrechtreihe auf den ersten Blick als zusammengehörig erkennen kann (Abb. 7 und 8), wählte Nicolaus die in Köln wie in Niedersachsen vorherrschende „champlevé“-Technik, bei der vergoldete (Kupfer-)Figuren vor (primär) dunkelblauem (Email-)Grund stehen. Dies ist bei allen großen Plaques aller drei Horizontalregister der Fall. In technischer Hinsicht ist also – anders als etwa beim Heribertschrein in Köln-Deutz45 – nicht durch Material und Technik zwischen Erstem und Zweitem Testament unterschieden. Material und Technik leisten in Klosterneuburg vielmehr ihren Beitrag zur Harmonie der Testamente. Die verwendete Technik (kurz gesagt: Gold vor Blau) wurde von Nicolaus mit fortschreitender Arbeit an dem Amboplaques, die er – wie die Stilanalyse zeigt – von links nach rechts und damit in Entsprechung zum Fortgang der Christusvita ausführte, aber mehr und mehr als Möglichkeit genutzt, die Geschehnisse als Teil der Sichtbaren Welt zu definieren: Wie seit Langem herausgearbeitet, gab er seinen Figuren nach und nach mehr Körperlichkeit, verlieh ihnen zunehmend Organik, forcierte die Ponderation, formulierte das Körper-Gewandverhältnis progressiv als ein dialogisches und ließ die Protagonisten den Raum verstärkt nutzen. Es sind die von diesen ausgeführten intensiveren Bewegungen (Drehungen und so weiter)46 und seit Jahrhunderten nicht gesehenen Haltungen (Rückenansichten, teils von Nackten und so weiter)47, die dem/der Betrachter/in zunehmend bewußt machen, daß die Personen im Raum agieren. Zugleich nutzte Nicolaus Haltung und Bewegung der Figuren, um die Affekte der Agierenden 45 46 47

Sankt Heribert; cf. Legner (ed.), Rhein und Maas (nt. 6), vol. 1, Nr. H 17 (mit Literatur); id. (ed.), Ornamenta Ecclesiae (nt. 6), vol. 2, Nr. E 91 (weitere Literatur) und 358 (Abb.). Cf. e.g. Abraham bei der Opferung Isaaks (I/9); dazu cf. Buschhausen, Verduner Altar (nt. 5), Tf. 25. Cf. e.g. die Auferstehung der Toten (III/16); dazu cf. Buschhausen, Verduner Altar (nt. 5), Tf. 48.

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spürbar zu machen. Daß für diese hier in nachgerade unzulässiger Kürze skizzierte Entwicklung die Auseinandersetzung mit (spät-)antiken Werken ganz wesentlich war und Nicolaus eben durch diese Auseinandersetzung den so genannten Muldenfaltenstil entwickelte, ist hinlänglich bekannt48. Der Blick auf die Technik zeigt, daß das gewählte Gold-auf-Blau-Email nicht nur besonders gut geeignet war, die dargestellten Geschehnisse in das typologische Wirklichkeitsmodell einzupassen (weil es wie ein Scherenschnitt hohe Deutlichkeit zuläßt), sondern daß es zudem ermöglichte, dieselben Geschehnisse als Teil der Welt des Sichtbaren zu definieren (weil dadurch die feine Wiedergabe von Physiognomien, Muskeln, Gewandfalten und so weiter möglich ist). Die zweite Strategie ging – plakativ gesagt – von einem nominalistischen Ansatz aus. Das wird insbesondere dort greifbar, wo Nicolaus die Gold-auf-Blau-Technik zielgerichtet einsetzte, um Spezifika herauszuarbeiten: Etwa um zu zeigen, daß in der Arche Noah (I/15)49 ganz unterschiedliche Tiere die Sintflut überlebt haben (Abb. 9), wobei nicht nur deren Aussehen, sondern nota bene auch der „Charakter“ der Tiere thematisiert ist; so ist der Eber böse (oder zumindest gefährlich), der Hase ängstlich und so weiter. In Köln gelang es Nicolaus dann auch noch, den einzelnen Propheten Identität zu verleihen, indem er – wieder basierend auf dem Antikenstudium – die Physiognomien der Dargestellten auf höchst subtile Weise variierte. Genauso bewußt und offensichtlich in dieselbe Richtung zielend geschah der punktuelle Einsatz der zweiten „westlichen“ Emailtechnik: des vorher primär an der Maas eingesetzten „émail champlevé“, bei dem bunte, mehrere Farben aufweisende Figuren in die vergoldete Kupferplatte gleichsam eingelassen sind. Bei allem Reiz war das Manko dieser Technik bisher das Faktum gewesen, daß die einzelnen Farben – anders als beim byzantinischen „émail cloisonné“ – nicht klar voneinander getrennt sind, sondern beim Schmelzprozeß vielmehr dazu tendieren, etwas ineinander zu fließen. Nicolaus nutzte nun gerade diese Tendenz aus, um einen anderen Aspekt der Welt der Sichtbaren Dinge herauszuarbeiten: die Farben und insbesondere spezifische Oberflächen sowie die Konsistenz der/des Dargestellten (in kunsthistorischer Terminologie „Stofflichkeit“), beispielsweise die dunkle Farbe und das Schimmern der Haut der Königin von Saba (III/4 [Abb. 10])50, die Transparenz des Wassers im Ehernen Meer (in dem hier Fische

48

49 50

Cf. insbesondere H. Fillitz, Zu Nikolaus von Verdun. Die Frage seiner antiken Anregungen, in: Legner (ed.), Rhein und Maas (nt. 6), vol. 2, 279–282; id., Nicolaus von Verdun, in: R. Haussherr/C. Väterlein (eds.), Die Zeit der Staufer. Geschichte, Kunst, Kultur. Katalog der Ausstellung, vol. 5: Supplement: Voträge und Forschungen, Stuttgart 1979, 279–290; P. C. Claussen, Zum Stil der Plastik am Dreikönigenschrein. Rezeptionen und Reflexionen, in: Kölner Domblatt 42 (1977), 7–42; id., Nikolaus von Verdun. Über Antiken- und Naturstudium am Dreikönigenschrein, in: Legner (ed.), Ornamenta Ecclesiae (nt. 6), vol. 2, 447–456 (mit Literatur). Die Nummerierung bezieht sich durchweg auf den jetzigen Zustand nach der Erweiterung von 1330/31. Cf. Buschhausen, Verduner Altar (nt. 5), Tf. 43. Cf. op. cit., Tf. 12.

Die Funktion der ‚Schedula‘ und die Rolle der Technik

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schwimmen: III/5 [Abb. 11])51, die Festigkeit und das Glänzen der grünen Beeren der megalomanen, von den Boten aus dem Gelobten Land zurückgebrachten Traube (III/9 [Abb. 12])52 oder die Tatsache, daß das vom schon genannten Diener der Königin von Saba König Salomon überreichte Schatzkästchen aus Marmor gefertigt ist (III/4 [Abb. 10])53. Zeit, um in das andere Kästchen zu sehen: Mit dem Wissen um den souveränen, zielorientierten Einsatz von Techniken beim Klosterneuburger Ambo läßt sich unschwer die These äußern, daß die Sammlung, Ordnung und Redaktion der Rezepte in der ‚Schedula‘ im frühen 12. Jahrhundert bereits mit einer hohen Sensibilität gegenüber dem sich abzeichnenden geistesgeschichtlichen Wandel erfolgt war. Zwischen ‚Schedula‘ und der Beauftragung Nicolaus’ mit der Ausführung der Kanzel liegen vielleicht fünfzig Jahre, vielleicht nur dreißig – maximal ein halbes Jahrhundert, das insbesondere im französischen und lothringischen Raum vom Ringen um die Eroberung einer neuen Wirklichkeit beim gleichzeitigen Versuch, die alte zu retten, geprägt war. Es ist hier nicht leichtfertig von „Rettung“ die Rede, denn man muß sich diese neue Wahrnehmung des Sichtbaren (der Immanenz) nicht als eine bloße willkommene Horizonterweiterung, sondern als einen bedrohlichen Angriff auf das traditionelle Weltmodell, ja als eine erschütternde Infragestellung dessen, was bisher als Wirklichkeit gegolten hatte, vorstellen. Worum es hier ging, wird plastischer, wenn man sich das wiederholte Aristotelesverbot am Beginn des 13. Jahrhunderts an der Pariser Universität vor Augen hält, die gegründet wurde, als Nicolaus gerade am Dreikönigenschrein arbeitete (1181–1205). Erst 1231 sollte Papst Gregor IX. der Auseinandersetzung ein Ende setzten; ja den Theologiestudenten wurde die Lektüre der libri naturales nun sogar ausdrücklich empfohlen54. Der Blick auf den Klosterneuburger Ambo, der von uns als einer der Schauplätze dieses als dramatisch zu imaginierenden Kampfes um „Wissensformationen“55 verstanden ist (Andreas Speer spricht im Hinblick auf die Pariser Situation von einer der „nachhaltigsten Umbruchsituationen in der intellektuellen Geographie des lateinisch sprechenden Abendlandes“)56, verdeutlicht also, daß die enge Verzahnung von Theologie und künstlerischer Technik in den Texten der ‚Schedula‘ die Voraussetzung für die duale Rolle Nicolaus’ gebildet hat: Als theologischer Akteur entwickelte Nicolaus neue typologische Kombinationen zur 51 52 53 54

55 56

Cf. op. cit., Tf. 15. Cf. op. cit., Tf. 27. Cf. op. cit., Tf. 12. Cf. A. Speer, Plato sive Aristoteles. Die Quaternuli des David von Dinant und die Rezeption der libri naturales in Paris in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, in: D. Boschung/S. Wittekind (eds.), Persistenz und Rezeption. Weiterverwendung, Wiederverwendung und Neuinterpretation antiker Werke im Mittelalter“ (Schriften des Lehr- und Forschungszentrums für antike Kulturen des Mittelmeerraumes – Centre for Mediterranean Cultures 6), Wiesbaden 2008, 15–31, bes. 15 sqq. Op. cit., 15. Ibid.

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Martina Pippal

Aussteifung des überkommenen Konzepts, als ausführender Techniker reflektierte er in seinem Werk die aktuellen nominalistischen Strömungen. Fazit: Wir müssen uns vom Modell „Hier: Auftraggeber = Theologe“, „Dort: Ausführender = (Kunst-)Handwerker“ verabschieden, wollen wir Arbeits- und Kooperationsstrukturen des Hochmittelalters verstehen. Es gilt, moderne (ich sage bewußt: „moderne“, nicht „postmoderne“) Berufsbilder, die durch die Separation von artes liberales (Wissenschaftler) und artes mechanicae (Handwerker) geprägt waren, hinter uns zu lassen. Wir kommen also zu dem Schluß, daß Nicolaus, wie das auch heute wieder üblicher wird, mehrere Berufsbilder in sich vereinte: daß er Goldschmied und Theologe in einem war und von daher den Auftrag aus dem fernen Klosterneuburg nicht nur erfüllen und dabei Prost Rudigers Gedicht berücksichtigen konnte, sondern daß er das typologische Programm durch eigenständige Lösungen auf ein bis dato nicht dagewesenes und von Auftraggeberseite wohl auch nicht erwartetes Niveau zu heben vermochte. Zugleich schlug sich während des Arbeitsprozesses die angesprochene neue Wahrnehmung der Welt des Sichtbaren nieder; Nicolaus‘ Werk wurde Teil der neuartigen „Wissensformation“. Das typologische Gesamtprogramm bildete hier einen sicheren Rahmen, während der souveräne Umgang mit den verschiedenen Techniken es ermöglichte, das zu zeigen, wofür Nicolaus sukzessive die Augen aufgingen. Auch damit wird er die Vorstellung des Auftraggebers übertroffen haben. Ja, es scheint, daß man diese spezifischen Qualitäten am Destinationsort gar nicht begriff 57. Aber auch der „Rahmen“ war kein starrer. Vielmehr wurde der Umgang des Goldschmiedes mit der similitudo während der Arbeit, also von links nach rechts, ein immer freierer: Während die typologischen Plaques an der linken Seitenwand der als Kasten58 zu imaginierenden Kanzel (Abb. 7) nachdrücklich dem SiegelPetschaft-Schema unterworfen sind, bezeugt die Front- und schließlich die rechte Schmalseite der Kanzel (Abb. 8) einen zunehmend souveränen Umgang damit. 57

58

Das Werk wurde im Gebiet des heutigen Österreichs erst gegen die Mitte des 13. Jahrhunderts rezipiert, nämlich an den Holztüren des Doms von Gurk (Kärnten), wobei nur das Programm punktuell übernommen wurde; cf. M. Pippal, Figurale Holztüren des Hochmittelalters im deutschsprachigen Raum, in: S. Salomi (ed.), Le porte di bronzo dall’antichità al secolo XIII (Acta Encyclopaedica 15), vol. 1, Rom 1990, 189–203 und vol. 2: Tavole, Tfn. CLXV–CLXVII; Fillitz (ed.), Geschichte (nt. 5), Nr. 150, 408–410. Eine Übernahme des Stils Nicolaus’ von Verdun läßt sich ebenfalls nicht vor der Mitte des 3. Jahrhunderts im Gebiet des heutigen Österreichs, dann in Salzburg, nachweisen, wobei dort eine Beziehung zum Kölner Dreikönigenschrein, nicht aber zum Klosterneuburger Ambo besteht; cf. Fillitz/Pippal, Schatzkunst (nt. 5), Nr. 74 und 77, 268–281; Fillitz (ed.), Geschichte (nt. 5), Nr. 285 (Anbetung der Könige) und 286, 579–581. So schon vorgeschlagen von Hans Robert Hahnloser, Nicolas de Verdun, la reconstitution de son ambon de Klosterneuburg et sa place dans l’histoire de l’art, in: Comptes rendus de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres 96,3 (1952), 448–456, der allerdings von einer hohen Anbringung ausgeht; Doberer, Kanzelbrüstung (nt. 28) sprach sich indes für eine Kanzel mit trapezförmigem Grundriß aus, die sie sich als hochangebrachte Lettnerkanzel vorstellte; zu Recht betonte Fillitz die Möglichkeit einer kastenförmigen Kanzel über wenigen Stufen; cf. Fillitz/Pippal, Schatzkunst (nt. 5), 202.

Die Funktion der ‚Schedula‘ und die Rolle der Technik

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Eine quintessentielle Lösung gelang Nicolaus im 13. Register, wo er zuerst das „Siegel“ in der ante legem-Zone, „Jakobs Segnungen“ (I/13)59, das Petschaft in der sub gratia-Zone, dem „Grabbesuch der Frauen“ (ursprünglich für II/13)60, kompositorisch anpaßte, dann aber die zu diesem Zeitpunkt bereits gravierte Grabbesuch-Platte verwarf und durch die ikonographisch modernere, in den Evangelien freilich nicht beschriebene Wiedergabe des auferstehenden Christus ersetzte (II/13)61. Auf dieses „Petschaft“ stimmte Nicolaus das „Siegel“ in der sub lege-Zone, „Samson mit den Türen von Gaza“ (III/13)62, ab, wobei er in diesem Fall die Bewegungsrichtung – anders als in den ersten vier Registern an der linken Seitenfront der Kanzel – nicht umkehrte; Samson trägt die aus den Angeln gerissenen Türen nach rechts oben auf den Berg wie Christus nach rechts oben blickend aus dem Sarkophag steigt. Das verleiht der „Auferstehung Christi“ zusätzlich Kraft.63 Dieser Plattenaustausch ist das beste Beispiel für die doppelte, sich während der Werkgenese abzeichnende Dynamik: Für die zunehmende Wahrnehmung der Sichtbaren Welt durch den Goldschmied einerseits und die immer freiere Konstruktion des typologischen Modells andererseits, ohne daß letzteres dadurch an Tragfähigkeit verloren hätte. Im Gegenteil. Wie ein Schlüssel ins Schloß paßt hier das von Hiltrud Westermann-Angerhausen im Zuge der ‚Schedula‘-Tagung hervorgehobene Faktum, daß Nicolaus von Verdun am Kölner Dreikönigenschrein auch noch die dritte Emailtechnik, der „émail cloisonné“ einsetzte, das im Westen damals schon aus der Mode gekommen war, in der ‚Schedula‘ aber beschrieben ist64; Westermann-Angerhausen geht davon aus, daß der Goldzellenschmelz am Kölner Schrein im Sinne des mittelalterlichen Gedankens der „vetustas“ eingesetzt wurde65. Beide Werke zusammengesehen, läßt sich die Beherrschung der Technik als Ausdruck des Vertrauens in die menschliche Ratio verstehen, die den Integrationsprozeß der neuen, nominalistischen Perspektive in das traditionelle typologische Denken überhaupt erst erlaubte. Von Köln wiederum läßt sich die Antikenrezeption (Stichwort: Orientierung der Prophetenphysiognomien an Porträtskulptur der Republikanischen Zeit und so weiter) zusammengesehen mit der Bejahung der vetustas mittels des „émail cloisonné“ als Mittel bei der Suche nach dem Ursprünglichen, wenn man so will: als „fundamentalistisches“ Medium verstehen. All das bestärkt uns in der Ansicht, bereits die ‚Schedula‘ habe dem Wissen um die gegenseitige Bedingung von Technik und Theorie (Theologie/Philosophie)

59 60 61 62 63 64 65

Cf. Buschhausen, Verduner Altar (nt. 5), Tf. 37. Cf. op. cit., Tf. 48. Cf. op. cit., Tf. 38. Cf. op. cit., Tf. 39. Cf. Pippal, Beobachtungen (nt. 13). Cf. Schedula, III, c. 53–55, ed. Ch. R. Dodwell, in: Theophilus, De diversis artibus – The Various Arts, London 1961 [Neudruck Oxford 1986, 1998], 104–107. Cf. den Beitrag von H. Westermann-Angerhausen in diesem Band, 321–332.

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ihr Entstehen verdankt. Und das wiederum ist nicht davon trennbar, daß bei beiden Autoren, Nicolaus von Verdun wie beim Kompilator der ‚Schedula‘, die Empirie eine ganz wesentliche Stellung einnahm: Daß Nicolaus’ Zugang zum Sichtbaren, besonders zur Natur, ein empirischer war, wurde bereits deutlich. Aber auch die Rezepte der ‚Schedula‘ müssen, wie Prof. Brepohl zu betonen nicht müde wird, allesamt auf ihre Funktionalität hin ausprobiert worden sein, denn sie sind durchweg zielführend. Der Weg zur Empirie führte bekanntermaßen in beiden Fällen über die Rezeption spätantiken Materials. Wesentlich ist aber, daß beide Autoren nicht bei einem mechanistischen Aneignungsprozeß stehen blieben. Vielmehr wurde das spätantike Material (Texte hier, visuelle Vorlagen dort) hier wie dort überprüft und, wo nötig, verbessert. Auch das hat wenig später eine Parallele in der Pariser Philosophie: In den „Quaternuli“66 des Magister David stellte dieser einem „dixit Aristoteles“ respektive „queritur Aristoteles“ sein „dico autem, quod“ gegenüber. Zusammenfassend gesehen, greifen also nicht nur Theorie und Technik in der ‚Schedula‘ wie am Klosterneuburger Ambo ineinander, sondern Theorie, Technik und Empirie. Was die ‚Schedula‘ betrifft, ist die Frage, ob hier nur ein Autor am Werk war oder ein Team, primär Sache der Philologen. Uns geht es allein darum zu betonen, daß im 12. Jahrhundert, im frühen wie im ausgehenden, mit komplexen Berufsbildern zu rechnen ist – aus der Perspektive der heutigen zeitgenössischen Kunst ohnedies eine Selbstverständlichkeit.*

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Cf. Speer, Plato sive Aristoteles (nt. 54), 18 sqq., bes. 20.

* Für anregende Gespräche, Hinweise und so weiter sei an dieser Stelle Prof. Dr. Immanuel Bomze, Dr. Ilya Dines, Prof. Dr. Christian Hubert Ehalt, Prof. Dr. Andreas Speer und Dr. Thierry Greub herzlich gedankt!

Die ,‚Schedula diversarum artium“: Lehrbuch und Werkstattbuch mittelalterlicher Klosterhandwerker? E B (Bad Doberan) I. T heophilus, der Handwerker Es gibt wohl kaum eine Veröffentlichung über Theophilus und seine ‚Schedula‘, in der nicht irgendwann das Kapitel III, 48 („Vom Spanischen Gold“) mit der Gruselgeschichte vom Basilisken vorkommt. Doch niemand hat bisher die vier Sätze des Kapitels III, 19 beachtet, in denen es um das Härten der kleinen Feilen geht, die wir heute noch als „Nadelfeilen“ täglich in der Goldschmiedewerkstatt benutzen1. Wir beziehen sie aus der Werkzeughandlung, Theophilus mußte den Feilenkörper aus einem einfachen Eisenstab selbst schmieden und mit einem Meißel oder einem Messer den Feilenhieb einhauen. Dieses gewöhnliche Eisen, das wir heute als „Baustahl“ bezeichnen, ist elastisch, aber so weich, daß sich die Feilenzähne rasch abnutzen würden. Deshalb schmiert Theophilus den Feilenhieb mit Schweineschmalz ein, umwickelt diesen Teil der Feile mit Bocklederstreifen, bindet einen Leinenfaden darum und umhüllt das Leder mit Ton. Nachdem der Ton getrocknet ist, steckt er die Feile ins Feuer und bläst kräftig mit dem Blasebalg, bis das Leder „verbrannt“ ist. Sofort zieht er die Feile aus dem Ton, löscht sie in Wasser ab und trocknet sie am Feuer. Als ich das zum ersten Mal las, konnte ich es kaum glauben: Ohne wissenschaftliche Metallkunde und ohne Eisen-Kohlenstoff-Diagramm wird bereits vor 880 Jahren das auch heute noch übliche Aufkohlungsverfahren völlig korrekt beschrieben. Statt „Verbrennen“ ist gemeint, daß Schmalz und Leder in der Tonhülle unter Luftabschluß verkohlen und so zu Kohlenstoff zerfallen, der in die Feilenzähne diffundiert. Dadurch wird deren Stahl auf bis zu 0,9 % C aufgekohlt, während der zähe Feilenkörper unverändert einfacher Baustahl mit maximal 0,25 % C bleibt. Beim Ablöschen in Wasser werden die Zähne ausgehärtet – und nun kommt die größte Überraschung – sie wurden zum Schluß sogar angelassen, denn er wischte die feuchte Feile nicht mit einem Lappen ab, sondern verlangte ausdrücklich: „[…] nimm sie heraus und trockne sie am Feuer“ 2. 1 2

Cf. die Erläuterungen von E. Brepohl zu seiner Übersetzung des dritten Buches der ‚Schedula‘, in: id., Theophilus Presbyter und die mittelalterliche Goldschmiedekunst, Leipzig 1987, 81. Theophilus, De diversus artibus, III, c. 19, ed. Ch. R. Dodwell, in: Theophilus, De diversis artibus – The Various Arts, London 1961 [Neudruck Oxford 1986, 1998], 73: „extractasque siccabis ad ignem.“ Cf. Brepohl, Theophilus (nt. 1), 81.

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Schon diese wenigen Zeilen würden ausreichen, um mit Sicherheit sagen zu können, daß Theophilus selbst als Goldschmied in der Werkstatt gearbeitet hat. In den Kapiteln III, 1–80 wird dies immer wieder eindrucksvoll bestätigt. All das konnte man nicht aufschreiben, wenn man dem Meister nur mal so über die Schulter geschaut hat! II. Lessing und T heophilus In genialer Weise hat Gotthold Ephraim Lessing in kurzer, knapper Form alles gesagt, was über die Bedeutung der ‚Schedula‘ zu sagen ist, und nach meiner Überzeugung ist seine Einschätzung bis heute uneingeschränkt gültig. Als Lessing in der Handschriftensammlung der Bibliothek zu Wolfenbüttel eine Abschrift der ‚Schedula‘ entdeckt hatte, war er von dem Werk so begeistert, daß er sich vornahm, es zu übersetzen und zu veröffentlichen. Daß im Kapitel 20 des ersten Buches beschrieben wird, wie man mit Leinöl und Mennige oder Zinnober rote Ölfarbe herstellt, um mit ihr Holztafeln, Fenster, ja sogar Kampfschilde anzustreichen, faszinierte ihn sehr; war man doch zu seiner Zeit davon überzeugt, daß diese Malfarbe in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, also sehr viel später, aufgekommen war. So entstand seine Abhandlung „Vom Alter der Ölmalerei aus dem Theophilus Presbyter“3, in deren „Vorbericht“ Lessing die doppelte Bedeutung der ‚Schedula‘ als wichtige Quellenschrift mittelalterlicher Technologie und systematisches Lehrund Werkstattbuch für die tägliche Arbeit in kurzen Worten zusammenfaßt: „Ich irre mich sehr, oder es ist von äußerster Schätzbarkeit. Denn es enthält nicht allein, zu Aufklärung der Geschichte der verschiedenen darin abgehandelten und berührten Künste, so viel wichtige und in ihrer Gattung einzige Dinge, sondern es dürfte vielleicht auch auf die Art und Weise selbst, wie die Künste gegenwärtig geübt und betrieben werden, einen vorteilhaften Einfluß haben. Nämlich diesen, daß es Methoden und Handgriffe beschreibt, die entweder jetzt für verloren gehalten, und als solche bedauert werden; oder von denen es wohl noch zu untersuchen sein möchte, ob sie wirklich alle durch offenbar bessere nur verdrängt und solchergestalt gleichsam mit Wissen und Willen vergessen worden.“ 4

Er erkannte aber auch ganz klar die damit verbundenen Schwierigkeiten, und so schrieb er in einem Begleitbrief vom 12. August 1774 an den Herzog von Braunschweig: „Ich bedaure nur, daß ich keine Gelegenheit habe, mich von dem, was schon daselbst (also in der Glashütte) bekannt und üblich, zu unterrichten, und daß ein anderer, der

3 4

Cf. G. E. Lessing, Vom Alter der Ölmalerei aus dem Theophilus Presbyter, Berlin 1774. Op. cit., Vorbericht, 287.

Die ,‚Schedula diversarum artium“

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hiervon hinlänglich unterrichtet ist, Mühe haben dürfte, das Manuskript zu gebrauchen.“ 5

Der Artikel über die Ölmalerei sollte nur einen ersten Eindruck der großen Bedeutung dieser ‚Schedula‘ vermitteln, und so schrieb er weiter in dem erwähnten Brief an den Herzog: „Es enthält aber noch so viele andere besondere Dinge, daß ich versichert bin, Ewr. Durchlaucht werden Gelehrten und Künstlern ein angenehmes Geschenk machen, wenn Dieselben mir, zu einer Zeit, verstatten, es drucken zu lassen.“6

Nicht der Herzog, sondern der frühe Tod im Alter von 52 Jahren verwehrte Lessing, den Gelehrten und Künstlern das angenehme Geschenk machen zu können7. III. Wissenschaft und Hand werk „Seltener und erst in jüngerer Zeit hat sich das Erkenntnisinteresse an Theophilus auf den gesamten Kontext seiner Schrift und damit auch auf die drei Vorreden und die Frage konzentriert, ob die ‚Schedula diversarum artium‘ wirklich ein, ja eigentlich das wichtigste und früheste, Handwerks- oder Werkstattbuch der mittelalterlichen Kunstgeschichte sei oder doch vielleicht eine theoretische Abhandlung über die technischen Künste, die sinnvollerweise der mittelalterlichen Geistesgeschichte zuzuordnen wäre.“8 Zweifellos ist es erfreulich, daß sich hervorragende Wissenschaftler, Kapazitäten auf ihrem Fachgebiet, in jüngerer Zeit so intensiv mit der ‚Schedula‘, aber doch eher mit den drei Prologen und einigen wenigen Kapiteln beschäftigen, die ihnen aus religiöser, philosophischer, kunsthistorischer (speziell ikonographischer) Sicht interessant erscheinen. Dabei ist das „Erkenntnisinteresse“ jedoch keineswegs auf den „gesamten Kontext der Schrift“ gerichtet, sondern vorwiegend auf die geisteswissenschaftlichen Aspekte, die sich aus der Sichtweise der jeweiligen Autoren ergeben. Was in dem „wichtigsten und frühesten Handwerksund Werkstattbuch“ über die Handwerkstechniken und Werkstattarbeit gesagt wird, kommt in all diesen Veröffentlichungen kaum oder gar nicht vor. Deshalb meine ich, daß jeder, der darüber befinden will, ob die ‚Schedula‘ ein „Handwerksbuch“ oder „eine theoretische Abhandlung über die technischen Künste“ 5

6 7 8

G. E. Lessing, Brief an Herzog Karl von Braunschweig (Wolfenbüttel, den 12. August 1774), in: P. Rilla (ed.), Gotthold Ephraim Lessing, Gesammelte Werke, vol. 9: Briefe, Berlin–Weimar 1668, 611. Op. cit., 610. Cf. Brepohl, Theophilus (nt. 1), 15. A. Speer/H. Westermann-Angerhausen, Ein Handbuch mitteralterlicher Kunst? Zu einer relecture der Schedula diversarum artium, in: Ch. Stiegemann/H. Westermann-Angerhausen (eds.), Schatzkunst am Aufang der Romanik. Der Paderborner Dom-Tragaltar und sein Umkreis, München 2006, 249–258, hier 251.

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ist, mindestens Grundkenntnisse handwerklicher Tätigkeit besitzen sollte, um überhaupt zu wissen, wovon dieses Buch handelt 9. Als ich auf der Kölner Tagung die Herstellung des Goldlots nach Kapitel III, 51 erläuterte und mich zwischendurch eine Kollegin fragte: „Was ist denn eigentlich Goldlot?“, hätte ich bezüglich ihres technischen Verständnisses gewisse Zweifel. Der bedeutende Wiener Kunsthistoriker Albert Ilg brachte 1874 die erste Gesamtausgabe der der ‚Schedula‘ heraus10, Lateintext und seine Übersetzung sind nebeneinander gestellt. Dieses Buch ist wohl das extremste Beispiel dafür, was passiert, wenn jemand, der keinerlei technisches Verständnis besitzt und von dem, was Theophilus in so wunderbar anschaulicher und kompetenter Weise über die praktischen Arbeit in den Werkstätten berichtet, keine Ahnung hat, nur die lateinischen Worte in deutsche überträgt, ohne deren Bedeutung zu kennen. Als ich auf der Kölner Tagung meine Rekonstruktion des kleinen Kelchs nach Kapitel III, 26 vorstellte, ging ich auf die von Theophilus empfohlene Nacharbeit der Kuppa ein und zitierte als Kostprobe die Übersetzung dieser Textstelle nach Ilg. „Quo facto rade interius et exterius aeque cum lima et circa oram, donec aequale per omnia fiat.“ Daraus wurde bei Ilg: “Ist das gethan, so schabe aussen und innen gleichmässig mit der Feile, auch um den Rand, bis Alles gleichartig eben ist.“11 Jeder, der irgendwann einmal eine Feile in der Hand hatte, kann sich vorstellen, was passiert, wenn man versuchen würde, mit einer Feile die Innenseite der gewölbten Kuppa bearbeiten zu wollen: Man hört es geradezu quietschen, wenn die Fläche zerkratzt wird! Tatsächlich muß es heißen: „Quo facto || rade interius || et exterius aeque cum lima et cieca oram || donec aequale per omnia fiat.“ „Ist das geschehen, schabe innen und glätte mit der Feile die Außenseite und den Rand ringsum, bis sie (die Kuppa) überall ganz glatt ist.“ 12 Übersetzungsfehler dieser Art, die tatsächlich aber Verständnisfehler sind, findet man in jedem Kapitel! IV. Ich bin einer von denen, die Lessing als die „anderen“ bezeichnet. Seit 1980 bis heute habe ich mich immer wieder mit der ‚Schedula‘ des Theophilus beschäftigt. Als Goldschmiedemeister (1953), Maschinenbau-Ingenieur (1969), Goldschmiedelehrer (1955–1995) und Fachbuchautor seit 1962 bin ich in 9 10

11 12

Speer/Westermann-Angerhausen, Ein Handbuch mitteralterlicher Kunst? (nt. 8), 251. Cf. A. Ilg (ed.), Theophilus Presbyter, Schedula diversarum artium. Revidierter Text, Übersetzung und Appendix, vol. 1 (Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance 7), Wien 1874. Op. cit., III, c. 26, 180. Brepohl, Theophilus (nt. 1), 90.

Die ,‚Schedula diversarum artium“

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Theorie und Praxis der Goldschmiedearbeit „hinlänglich unterrichtet“ – da? ich „Mühe haben dürfte, das Manuskript zu gebrauchen“, hatte Lessing trefflich prognostiziert! Dr. Ing. Wilhelm Theobald, auch einer von den „andern“, brachte die erste, handwerkstechnisch orientierte Bearbeitung der beiden Bücher „Glas“ und „Goldschmiedekunst“ heraus: ein hervorragendes Buch13. Aber er war kein Goldschmied, und so reizte es mich, auf der Grundlage meiner eigenen Berufserfahrung, das Werk Wilhelm Theobalds rund 50 Jahre später fortzusetzen. Ich übersetzte den Text neu, kommentierte jedes Kapitel, illustrierte es nach Bedarf mit Zeichnungen und Fotobeispielen, versetzte mich in die Rolle des „lieben Sohnes“ und arbeitete nach seinen Anleitungen. Zunächst veröffentlichte ich nur das dritte Buch „Goldschmiedekunst“14, später die Gesamtausgabe der ‚Schedula‘ in zwei Bänden15. V. Das älteste Lehrb uch für Goldschmiede (Buch III, K apitel 1–80) 1. Didaktischer Aufbau des Lehrbuchs Ich bleibe zunächst bei diesem so wichtigen Teil der ‚Schedula‘, weil ich davon überzeugt bin, daß Theophilus selbst als Goldschmied in einer Klosterwerkstatt gearbeitet hat, denn nur dadurch konnte er die Arbeitsverfahren so detailliert, zuverlässig und für mich in allen Einzelheiten nachprüfbar aufschreiben. Die überragende Bedeutung ergibt sich aus der Tatsache, daß diese systematisch geordneten 80 Kapitel das erste und älteste systematische Lehrbuch für die Ausbildung von Goldschmieden bilden16. Er brauchte einen durchgehenden „roten Faden“, an dem er die verwirrende Fülle der einzelnen Arbeitsverfahren aufreihen konnte17. Er fand ihn, indem er alles, was der Goldschmied zur Realisierung seiner gestalterischen Absicht braucht, in Einzelkapitel aufteilte: Werkstattgebäude, Arbeitsplatz, Feuerstätte, Spezialwerkzeuge – und dann, beginnend mit dem „Reinigen des Silbers“ (Kap. 23), all die Grund- und Ziertechniken des Goldschmieds in der vom technologischen Ablauf bestimmten Reihenfolge. Eine weitere geniale Idee war die Erfindung fiktiver Objekte, an denen er die Anwendung der jeweiligen Goldschmiedetechniken leicht verständlich beschrei-

13 14 15 16 17

Cf. W. Theobald, Technik des Kunsthandwerks im zwölften Jahrhundert. Des Theophilus Presbyter Diversum artium schedula, Berlin 1933 [Neuausgabe Düsseldorf 1984]. Cf. Brepohl, Theophilus (nt. 1). Cf. id., Theophilus Presbyter und das mittelalterliche Kunsthandwerk. Gesamtausgabe der Schrift ‘De diversis artibus’ in zwei Bänden, 2 voll., Köln–Weimar–Wien 1999. Cf. Brepohl, Theophilus (nt. 1), 17 sq. Cf. op. cit., 18.

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ben konnte; religiöse und liturgische Aspekte spielen dabei keine Rolle. Wenn beispielsweise das getriebene Weihrauchfaß (Kap. 60) schlichter gehalten ist als das gegossene (Kap. 61), dann liegt es nur daran, daß es schon schwierig genug war, die Türme und Häuser aus dem Silberblech herauszutreiben, das Wachsmodell des gegossenen Weihrauchfasses kann man leichter mit den Figürchen und anderen Details ausstatten. Das ganze Manuskript enthält keine Zeichnungen, aber dieser Mann hatte die Begabung, mit wenigen Worten jedes Objekt so genau zu beschreiben, daß ich nach rund 880 Jahren die Anwendungsbeispiele zeichnerisch rekonstruieren konnte. 2. Theophilus hat selbst als Goldschmied in der Klosterwerkstatt gearbeitet Auf der Kölner Tagung stellte ich zwei Kapitel vor, um zu demonstrieren, wie kompetent und zuverlässig Theophilus die Arbeitsvorgänge behandelt und wie nützlich die ‚Schedula‘ auch heute noch für die interessierten Kunsthandwerker ist. Ich habe in der Werkstatt nach seiner Anleitung gearbeitet, indem ich das chemische Reaktionslot selbst hergestellt und erfolgreich damit Drähte, Stege und Kugeln auf das Grundblech aufgelötet habe. Den kleinen Silberkelch habe ich nach der Anleitung des Theophilus mit den von ihm beschriebenen Hämmern und Ambossen angefertigt. Bis zu den kleinsten Details konnte ich mich auf die Anleitungen verlassen. 2.1. Kapitel 51: Vom Goldlot Es handelt sich um ein Verfahren, das ich „Belötungstechnik“ nenne, und das nur bei reinem Gold, reinem Silber – also Feingold und Feinsilber – angewandt werden kann, und mit dem Filigrandrähte, Emailstege, Kügelchen und sogar Zargenfassungen aufgelötet wurden. Das Verfahren der Belötung ist sehr zuverlässig, weil die Verbundteile direkt mit dem Grundblech innig verschmelzen, es gibt keine Lotrückstände (Abb. 1, 2, 3). Schon im alten Ägypten wurden die Stege der Steineinlagen, Filigrandrähte, Kügelchen, Zargenfassungen genauso auf das Grundblech gelötet, wie es später Plinius beschreibt: „Chrysocollam et aurifices sibi vindicant adglutinando auro, et inde omnes appellatas similiter virentes dicunt“18 („Die Goldarbeiter bedienen sich nicht nur der Chrysocolla zum Belöten des Goldes, sondern auch aller ähnlich benannten Arten des Kupfergrüns“). Der blaugrüne „Chrysokoll“ (Goldkleber) kommt heute noch, wie in der Antike, in Israel vor. Die mittelalterlichen Klostergoldschmiede kannten dieses Mine18

Plinius der Ältere, Naturalis Historia, XXXIII, 93 (29), edd. L. Jan/K. Mayhoff (Bibliotheca Scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana), vol. 5, Leipzig 2002 [Nachdruck der maßgeblichen Edition von 1897], 137.

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ral nicht, sie stellten Kupferverbindung CuCl2 synthetisch her und kombinierten sie mit geeignetem Fluß- und Reduktionsmittel! Bei dem Belötungsverfahren wird das Blech mit fein dispersiertem Kupfer beschichtet, das bei Rotglut auf der Oberfläche des Feinsilberblechs eine niedrigschmelzende Ag-Cu-Legierung bildet, die sogleich schmilzt: „es sieht aus, als ob du Wasser über das Blech gegossen hättest […]“, sagt Theophilus, die aufgelegten Teile sinken in die flüssige Metallschicht und werden so innig mit dem Grundblech verbunden. Das Feinsilberblech bleibt während der ganzen Zeit im festen Zustand, weil die Löttemperatur deutlich unter 961 °C, dem Schmelzpunkt des Feinsilbers, liegt. Theophilus benutzt für das Reaktionslot folgende Komponenten: • Chemische Kupferverbindung. Auch die feinste Feilung wäre für die Kupferbeschichtung noch viel zu grob gewesen, deshalb macht man den Umweg über eine chemische Kupferverbindung. Ein feuchtes Kupferblech wird mit Kochsalz bestrichen, dann erhitzt, bis das Salz schmilzt und sich schließlich mit dem Kupfer zu Kupferchlorid verbindet (CuCl2). In Wasser abgelöscht, sammelt sich das Kupfersalz am Gefäßboden. Das wird so oft wiederholt, bis man die genügende Menge gewonnen hat. • Abdeckmittel. Damit verhindert man den Kontakt des Sauerstoffs mit den freigesetzten Kupferteilchen. Deshalb die Buchenasche, die etwa 40–50 % Pottasche K2CO3 (Kaliumkarbonat) enthält. • Reduktionsmittel. Hiermit werden die Kupferchlorid-Moleküle aufgespalten und das metallische Kupfer freigesetzt. Dafür also das alte Schweineschmalz, mit frischem geht es auch, das in der Hitze zu Kohlenstoff zerfällt. Ich habe das Rezept selbst ausprobiert und erfolgreich damit gelötet. 2.2. Kapitel 26: Vom Anfertigen des kleineren Kelches Als erstes Arbeitsbeispiel wird der kleine Kelch so genau beschrieben, daß ich ihn aus Silberblech anfertigen konnte. Ganz systematisch werden die Grundtechniken des Silberschmieds – Auftiefen und Treiben – an diesem kleinen, schlichten Kelch behandelt. Beim großen Silberkelch und beim Goldkelch wird dann nur auf dieses Kapitel verwiesen. Der kleine Kelch entspricht der romanischen Grundform, bestehend aus Kuppa, Nodus mit den beiden Perlringen und dem Fuß (Abb. 4). In dem einfachen Holzkohlenfeuer konnte man die Teile nicht zusammenlöten: Sie hätten sich unkontrolliert verzogen, so daß sie an den Kontaktstellen nicht mehr zusammengepaßt hätten. Die späteren gotischen Kelche wurden mit einem durchgehenden Gewindestift zusammengeschraubt. Theophilus kannte das Gewinde allerdings noch nicht. Deshalb mußte er das Unterteil, bestehend aus Nodus, Perlring und Fuß, in einem Stück aus einer einzigen flachen, runden Blechscheibe aufziehen. Ich kann aus eigener Erfahrung versichern, daß dies schon zu den schwierigeren Silberschmiedearbeiten gehört.

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Kuppa und Unterteil wurden mit Hilfe eines quadratischen Stutzens verbunden, der an die Unterseite der Kuppa angelötet wurde (Abb. 5, 6, 7). Aufziehen des Unterteils: Das Unterteil des Kelchs wird zunächst ähnlich wie die Kuppa geformt. Für den Hals braucht man einen Stahldorn, so dick wie der Nodusdurchmesser, oben halbkuglig gerundet, über dem das Blech so eingestaucht wird, daß der Hals mit der oberen Halbkugel des Nodus entsteht. Obgleich das Feinsilber sehr dehnbar ist, wird es trotz des Zwischenglühens stark beansprucht. Auf der höchsten Rundung des Nodus wird es sehr dünn, spröde und kann leicht einreißen. Die untere Hälfte des Nodus konnte man nicht einstauchen, weil ein kugelförmiges Eisen nicht aus dem dünneren Hals herausgezogen werden konnte. Deshalb der Perlring, der zunächst als umlaufender Wulst, ähnlich dem Profil eines Traurings, ausgeformt wird. Dadurch wird der Hals so eingeengt, daß die untere Hälfte der Noduskugel entsteht. Der Wulst ist also eine handwerklich-technische Notwendigkeit. Weil er aber nicht nur Handwerker, sondern auch Gestalter war, nutzte er diese Gegebenheit, formte den glatten Wulst zu einer dekorativen Perlenreihe um, schob zwischen Nodus und Kuppa noch den losen Perlring ein und schuf so die schlichte Eleganz dieses reizvollen Kelchs. Wieder erfahren wir Theophilus als Goldschmied in der Werkstatt, wenn er so bildhaft beschreibt, wie der Wulstring in den Hals des Fußes eingearbeitet wird. Der Hals wird mit Wachs ausgeschmolzen, und dann sagt er: „Wenn es erstarrt ist, halte besagten Fuß in der linken Hand und in der rechten einen dünnen Ziehpunzen und laß den Jungen nahe bei dir sitzen und mit einem kleinen Hammer auf den Punzen schlagen, wo du ihn auch ansetzt, und so markiere nun den Ring, der zwischen Nodus und Fuß ringsum laufen soll.“19

Genauso habe ich es zusammen mit meinen Studenten gemacht, es funktioniert einwandfrei. So kann man den Arbeitsvorgang nicht beschreiben, wenn man nur als interessierter Besucher in die Werkstatt kommt und dem Meister über die Schulter schaut; das kann nur derjenige, der selbst den Punzen geführt hat. 3. Systematische Reihung der Kapitel 23–80 • Kapitel 23–26. Der schlichte kleine Kelch ist das erste Übungsstück, mit dem der „liebe Sohn“ seine Goldschmiedeausbildung beginnt. An der Kuppa kann er sehr gut die Grundtechniken, also Auftiefen und Aufziehen ausprobieren. Das Unterteil des Kelchs in seiner Kombination von Nodus und Fuß ist schon 19

Theophilus, De diversis artibus, III, c. 26, ed. Dodwell (nt 2), 77: „et cum refrigerate fuerit, tene ipsum pedem in sinistra manu, et in dextera ferrum unum ductile ac tenue; et fac puerum sedere iuxta te, qui percutiat cum paruulo malleo super ferrum in quocumque loco illud posueris, et inde designabis anulum, qui inter nodum et pedem in circuitu debet esse“. Cf. Brepohl, Theophilus (nt. 1), 91.

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eine wesentlich schwierigere Aufgabe. Mit den beiden Perlringen wird er an die Proportionen harmonischer Gestaltung herangeführt. Kapitel 27. Vom größeren Kelch und dessen Einguß. Das ist das nächste Anwendungsbeispiel. Zunächst ist dem Theophilus der Einguß wichtig, mit dem der Rohling für die runde Blechscheibe hergestellt wird. Dies ist eine sehr praktische Konstruktion, denn im Gegensatz zu den allgemein üblichen quadratischen Eingüssen entsteht bei dem runden fast kein Abfall. Für die Anfertigung der beiden Bauteile der Grundform des Kelchs wird auf Kapitel 27 verwiesen. Kuppa und Fuß werden mit gewölbten Rippen verziert. Jeweils eine Rippe wird mit nielliertem byzantinischem Blattornament, die andere mit zarterer Gravur verziert und vergoldet. Am Beispiel der Kuppa werden in den folgenden Kapiteln die verschiedenen Ziertechniken entsprechend dem technologischen Ablauf beschrieben. Kapitel 28, 29, 32 und 41. Herstellung und Einbringen des Niellos in die gravierte Grube. Kapitel 30. Die Henkel werden im Wachsausschmelzverfahren gegossen, also werden wir über diese wichtige Arbeitstechnik genau unterrichtet. Um die Henkel am Kelch befestigen zu können, werden Stutzen an die Kuppa genietet und zusätzlich verlötet. Kapitel 31. So ergibt sich die Gelegenheit, Herstellung und Anwendung des Silberlots zu erläutern. Kapitel 33–39. Jede zweite Rippe der Kuppa soll feuervergoldet werden, und so wird in diesen Kapiteln das Verfahren sehr detailliert und zuverlässig beschrieben, beginnend mit dem Austreiben der Silberreste aus dem Feingold durch „Zementieren“ bis zum Färben der aufgebrachten Feingoldbeschichtung. Kapitel 42. Schließlich werden die erforderlichen Abschlußarbeiten behandelt. Kapitel 43. Obgleich die Herstellung des Fußes schwieriger ist, faßt sich Theophilus sehr kurz, indem er auf den Fuß des kleinen Kelchs (cf. Kap. 26) und auf die Zierrippen der Kuppa des jetzt behandelten großen Kelchs verweist. Kapitel 44 und 45. Patene und Kelchröhrchen ergänzen den großen Silberkelch. Kapitel 46–49. Vorkommen und Gewinnung des Goldes bereiten den goldenen Kelch vor. Kapitel 50–57. Die Herstellung des Kelchs wird in sehr knapper Form unter Verweis auf die Silberkelche abgehandelt. Ausführlich werden dagegen die beiden Henkelgriffe behandelt, weil Theophilus sie als Anwendungsbeispiele für die Belötung mit dem chemischen Reaktionslot und die Montagelötung benutzt. Weil aus dem Kelch nicht in üblicher Weise, sondern mit Trinkröhrchen getrunken wurde, konnte man an der Oberkante der Kuppa eine Reihung von Edelsteinen und Emailplättchen anbringen. Also erfahren wir, wie die Fassungen gemacht, besonders aber, wie die Zellenemailplättchen hergestellt wurden. Kelchfuß, Patene, Trinkröhrchen gehörten dazu – und ein Sieb, das eher als Seihgefäß bezeichnet werden sollte, weil der Meßwein durch ein Tuch geseiht

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wurden, um Schwebeteilchen zurückzuhalten. Ich werde dabei an unseren Melitta-Kaffeefilter erinnert. Nach meiner Kenntnis erfahren wir nur von Theophilus, wie ein solches Seihgefäß aussah, das in alten Kircheninventarien gelegentlich erwähnt wird, von dem es aber wohl kein Original mehr gibt. Kapitel 58–59. Es wird immer komplizierter. Ein solches Fläschchen aus Silberblech herzustellen, ist für den Silberschmied schon eine schwierige Aufgabe. Kapitel 60. Das Oberteil dieses Weihrauchfasses aus einer flachen runden Silberscheibe aufzuziehen und in der beschriebenen Weise zu gestalten, das ist eine fast unvorstellbare Leistung eines Silberschmieds! So sind wir vom einfachen kleinen Kelch, auf geradem Weg über all die Kapitel, zum Höhepunkt der Silberschmiedetechnik gelangt. Kapitel 61–68. An das, aus Silberblech getriebene Rauchfaß schießt sich das Prachtstück der Klosterwerkstatt an: das aus Wachs modellierte, in Messing gegossene und Schließlich feuervergoldet Weihrauchfaß mit der Abbildung des himmlischen Jerusalem. Kapitel 69–80. Wichtige Arbeitstechniken und Verfahren, die nicht in die Technologie der vorherigen Kapitel passen, aber durchaus wichtig und bedeutend sind, wurden in diesen Kapiteln zusammengefaßt (Abb. 8, 9). 4. Kapitel 81–96 im Harleianus

Im Codex London, British Library, Ms. Harley 3915 (12.–13. Jahrhundert) steht die umfangreichste Abschrift der ‚Schedula‘. Nur in dieser Abschrift sind die Kapitel 81–96 des ersten Buches enthalten. Diesem glücklichen Umstand verdanken wir die Informationen über die Orgel (Kap. 81–84), den Glockenguß (Kap. 85), die Zimbeln (Kap. 85–86), die Zinngefäße (Kap. 88–90), Eisenverarbeitung (Kap. 91–92), Verarbeitung von Bein, Schleifen der Edelsteine, Bedeutung der Perlen (Kap. 93–96). Ich bin davon überzeugt, daß deren Stil und Inhalt mit dem Gesamtwerk übereinstimmen und daß sie deshalb auch von Theophilus stammen müssen, auch wenn die Objekte und Arbeitstechniken nicht unbedingt zum Arbeitsbereich des Goldschmieds gehören. Ich vermute, daß Theophilus starb, noch ehe sein Gesamtwerk fertig war. Es könnte sein, daß er noch weitere Bücher geplant hatte, etwa über Musikinstrumente und über Bearbeitung nichtmetallischer Werkstoffe, und daß nach seinem Tod diese Pergamentblätter in das Gesamtwerk eingefügt worden sind. Wir wissen es nicht. Jedenfalls können wir froh darüber sein, daß wir dadurch so viel über Orgeln, Glocken und all die anderen Dinge erfahren haben. Beispielsweise wird in den Kapiteln 81–83 die Orgel so genau beschrieben, daß ich sie nach diesem Text zeichnerisch rekonstruieren konnte. Im Orgelbaumuseum in Ostheim vor der Rhön wurde sie nachgebaut, und dort kann man sich von der Klangfülle dieses Instruments überzeugen. Der Organist kommt mit den Tonschiebern gut zurecht!

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VI. Methodische Unterschiede der drei Bücher 1. Drittes Buch: „Goldschmiedekunst“ Daß Theophilus selbst als Goldschmied gearbeitet hat, die ersten 80 Kapitel des dritten Buches ein systematisch aufgebautes Goldschmiedelehrbuch bilden und noch weitere 16 bedeutende Kapitel dazugeheftet worden sind, habe ich ja ausführlich begründet. 2. Erstes Buch: „Malmittel und Malerei“ Theophilus hat nicht selbst gemalt, da es aber in der Klosterwerkstatt nicht die heute übliche Trennung der Gewerke gab, war er mit der Tätigkeit der Maler so gut vertraut und hatte von ihnen so viel erfahren, daß er fähig war, deren Arbeitsweise genau zu beschreiben. Wir erfahren, daß die Maler jener Zeit eine ganz andere, von der unseren völlig unterschiedliche Einstellung zu ihrer Arbeit hatten. Sie waren keine Künstler unseres Verständnisses, sondern Handwerker, die zur Ehre Gottes die flache Holzdecke und die Wände der Kirche mit Darstellungen der Heiligen, mit biblischen Szenen und dekorativen Ornamenten ausgestalteten. Besonders wichtig sind die Kapitel 1–15 dieses ersten Buches, denn sie enthalten die – üblicherweise nur mündlich überlieferten – kanonisierten Anleitungen zur Farbgestaltung figürlicher Darstellungen. Er beschreibt ganz genau, mit welchen Farben und Farbmischungen beispielsweise Augen, Nase, Ohr oder die Bärte junger Männer dargestellt werden sollen. 16 verschiedene Varianten des Faltenwurfs farbiger Gewänder werden angeboten, und die gestalterischen Empfehlungen werden immer wieder mit Hinweisen auf die Herstellung der erforderlichen Malmittel verbunden. Erstmalig erfahren wir außerdem vom Anstrich mit roter Ölfarbe, von Blattgold, sowie der Herstellung des Firnis und verschiedener Pigmente. Das ganze Kapitel ist sehr wichtig und zuverlässig. Was hier so einfach und klar aufgeschrieben worden ist, sieht Bruno Reudenbach ganz anders: „Man kann hier geradezu von einem malerisch-zeichnerischen Nachvollzug des göttlichen Schöpfungsaktes sprechen, das künstlerische NachMalen der plastischen Körperformung in Lehm durch den Schöpfergott“ 20. Wir erfahren im Kapitel I, 22 wie prunkvoll bemalte, teilvergoldete Pferdesättel und Klappsessel angefertigt wurden; Theophilus vermittelt also die Erfahrungen einer besonders hochwertigen Werkstatt. Wenn er beispielsweise im ersten Kapitel für das Inkarnat eine Mischung aus Bleiweiß und Zinnober empfiehlt, um damit die nackten Körperpartien anzulegen, bedeutet das für mich, daß er den Brüdern, die in abgelegenen Klöstern unter bescheideneren Bedingungen arbei-

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B. Reudenbach, Werkkünste und Künstlerkonzept in der Schedula des Theophilus, in: Stiegemann/Westermann-Angerhausen (eds.), Schatzkunst (nt. 8), 243–248, hier 246.

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ten, einen praktischen Tipp geben wollte, um ihm bei der täglichen Arbeit behilflich zu sein. Daß er allerdings mit diesen Empfehlungen den göttlichen Schöpfungsakt nachvollziehen wollte, kann ich nicht erkennen. 3. Zweites Buch: Glasherstellung und Farbglasfenster Theophilus war weder Glasmacher noch Glaser, aber er hatte genau zugesehen. Erstmalig werden die Konstruktion eines Glasschmelzofens und der Gebrauch der Glasmacherpfeife beschrieben. Von der Konstruktion des Glasofens bis zur Schwarzlotmalerei stimmt alles! Die Technologie war bereits so perfekt, daß sich bis heute kaum etwas daran geändert hat. 1991 war ich in der Glashütte in Waldsassen, in der heute noch farbige Glasscheiben für Kirchenfenster auf traditionelle Weise hergestellt werden. Genauso, wie Theophilus es beschreibt, konnte ich miterleben, wie der Glasmacher mit der Glasmacherpfeife die erforderliche Glasmenge aus dem 1200 °C heißen Ofen herausholt, die als rotglühende Kugel an der Spitze der Pfeife anhaftet die er dann, kräftig blasend, zu einer großen Glasblase formt, aus der schließlich eine glattgebügelte Scheibe entstand. Der gasbeheizte Ofen ist größer, im Schmelzhafen ist die mehrfache Glasmasse, die fertigen Scheiben sind auch viel größer, aber am technologischen Prinzip hat sich nur wenig geändert. Besonders staunte ich darüber, daß die Arbeit im Sommer morgens um 4:00 Uhr beginnt, im Winter etwas später, also genauso wie vor 880 Jahren mit der prima hora der Benediktiner. VII. Originalmanuskript und dessen Abschriften Wir können davon ausgehen, daß es in den meisten Klöstern jener Zeit Werkstätten der unterschiedlichsten Gewerke gegeben hat, denn erst mit der Entstehung der städtischen Siedlungen entstanden zünftige Handwerksbetriebe. Bis dahin versorgten die Klosterwerkstätten auch den Adel und die Bevölkerung der Umgebung mit den erforderlichen Erzeugnissen. Um die Kontinuität dieser Werkstätten zu sichern, wurden junge, talentierte Nachwuchskräfte von erfahrenen Meistern unterrichteten, die jungen arbeiteten unter Aufsicht der älteren und erwarben so die erforderlichen Fertigkeiten. Jahrhunderte lang wurden in den Werkstätten das Wissen und die Erfahrungen als mündliche Überlieferungen weitergegeben. Dem Mönch Theophilus ist es zu danken, daß er all dies, zusammen mit seinen eigenen Erfahrungen, auf dem wertvollen Pergament niedergeschrieben hat. Wir wissen nicht, warum und für wen er dieses umfangreiche Werk verfaßte. Doch wohl nicht für die wenigen Junghandwerker die in der Werkstatt seines Klosters ausgebildet wurden. Er hätte sie einfacher in der üblichen Weise während der Arbeit in der Werkstatt anleiten können. Es ist eher anzunehmen, daß er „zur Mehrung der Ehre und des Ruhms Seines Namens den Bedürfnissen vieler

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nachgekommen [ist] und für ihren weiteren Fortschritt gesorgt [hat]“21, und daß von Anfang an auch in den Werkstätten der befreundeten Klöster großes Interesse an diesen Informationen bestand. Die ‚Schedula‘ war jedenfalls ein begehrtes Manuskript, dessen Abschriften für den Büchertausch effektiv eingesetzt werden konnten, und so dürften im Scriptorium seines Klosters zahlreiche Abschriften angefertigt worden sein. Bis ins 15. Jahrhundert entstanden immer mehr Abschriften von den Abschriften. Interessierte man sich nur für spezielle Arbeitstechniken, begnügte man sich mit dem Exzerpieren einzelner Kapitel. So enthält die Leipziger Abschrift22 aus dem dritten Buch nur die Kapitel, die man zum Niellieren brauchte. Als das Manuskript aus der Werkstatt des Theophilus in die Schreibstube kam, bestimmten von nun an die klösterlichen Schreiber über die ‚Schedula‘. Sie hatten nicht den Ehrgeiz, den Originaltext präzise, Wort für Wort, zu übertragen, und weil sie den Inhalt nicht genau genug verstanden, gab es korrigierende Veränderungen und ganz normale Schreibfehler. Sie gingen sogar so weit, ganze Passagen aus anderen Büchern zu übernehmen, weil sie glaubten, daß diese Texte in den Zusammenhang bestimmter Kapitel der ‚Schedula‘ paßten. So erklären sich die recht erheblichen Abweichungen der heute noch vorhandenen Texte. Betrachten wir beispielsweise die Kapitel über die Goldgewinnung. Im Kapitel III, 49 beschreibt Theophilus sehr zuverlässig die Goldgewinnung aus dem Flußsand des Rheins. Dem gläubigen Mönch Theophilus galt die Bibel als zuverlässige Quelle, deshalb könnte er Kapitel III, 46 „Vom Gold aus dem Lande Evilat“ selbst in die ‚Schedula‘ aufgenommen haben, möglicherweise auch den ziemlich unscharfen Hinweis auf arabisches Gold in Kapitel III, 47. Es paßt aber nicht zu dem gebildeten Theologen und Goldschmied, anschließend im Kapitel III, 48 „Vom spanischen Gold“ die Schauergeschichte vom Basilisken zu erzählen. Ich vermute, daß Theophilus dieses Kapitel nie gesehen hat! Das Härten von Stahlwerkzeugen (Kap. III, 21) wahlweise im Harn eines dreijährigen Bocks oder eines rothaarigen Jungen dürfte aus einem, der zahlreichen Rezeptbüchern jener Zeit stammen. Im Kapitel III, 95 „Vom Schleifen der Edelsteine“ sind ganz reale Bearbeitungsverfahren mit völlig irrationalen, wie dem Erweichen des Kristalls im warmen Blut eines Bockes, vermischt, um dann das erweichte Kristall bequem mit dem Messer schnitzen zu können.

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Theophilus, De diversis artibus, I, prol., ed. Dodwell (nt 2), 4: „[…] in augmentum honoris et gloriae nominis eius multorum necessitatibus succurrisse et profectibus consuluisse.“ Cf. Brepohl, Theophilus (nt. 1), 34. Cf. Leipzig, Universitätsbibliothek, Ms. 1165.

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VIII. Unmoder ne Objekte und Arbeitstechniken Die Form der Glocken, der Kelche und deren Zubehör, die Anwendung des Zellenemails und die Konstruktion der Orgel ohne Tastatur werden von Speer und Westermann-Angerhausen als „unmodern“ und als „Unstimmigkeiten“ eingeschätzt23. Ob sie alle wirklich am Anfang des 12. Jahrhundert aus der Mode gekommen waren, müßte genauer untersucht werden. Ich gebe zu bedenken, daß sich in jener Zeit Gestaltung und Technik nur langsam und regional unterschiedlich verändert und entwickelt haben. Nach meiner Kenntnis wurde erst später beim Glockenguß das Abhebeverfahren, bei der Orgel die Tastatur eingeführt. Wie Glocke, Orgel, Kelch und Zellenemailplättchen zu seiner Zeit aussahen und wie sie hergestellt wurden, beschreibt er so zuverlässig, daß wir sicher sein können: Für Theophilus waren sie alle völlig aktuell! Ich habe solche Zellenemailplatten selbst gemacht, genauso wie er es beschreibt – nur mein elektrisch beheizter Brennofen war etwas komfortabler als das Holzkohlenfeuer. Interessant ist der Rahmen rings um den Rand des Emailplättchen: Zwei Goldstege, etwas dicker als die Stege des Ornaments, werden im Abstand von etwa 2 mm rings um die Platte gelötet und mit Email, meist opake rot, gefüllt. Wenn die Fassungsränder über die Emailplatte gedrückt werden, wird nur dieser Rahmen, nicht aber das Ornament, verdeckt. Der Rahmen deutet wohl auf eine späte Phase der Entwicklung dieses Emailtyps hin. Es gibt in der Schedula aber auch auffallend moderne Beispiele. Das Organarium (Kap. III, 9) ist ein Säulenführungswerkzeug, wie es heute noch in der Industrie verwendet wird. Der Blecheinguß für runde Planchen (Kap. III, 27) ist eine großartige Erfindung! Zu beachten ist auch das Aufkohlungsverfahren des Eisens in Kapitel III, 19. IX. Interdisziplinäre Kooperation Wenn wir abschließend noch einmal das Thema dieser Abhandlung betrachten, können wir die Fragestellung mit einem klaren „Ja“ beantworten: Die ‚Schedula‘ ist ohne Zweifel das bedeutendste Lehrbuch für die Kunsthandwerker, das wir aus dem Mittelalter kennen! Trotzdem haben wir die Schwierigkeit daß es nach wie vor zwei ganz unterschiedliche Vorstellungen von der Persönlichkeit dieses Theophilus gibt. Für die Theoretiker, die „meist keine Gelegenheit hatten, sich von dem, was in den Werkstätten bekannt und üblich zu unterrichten“ – und da sind wir wieder bei Lessing! – ist Theophilus ein theologisch gebildete Mönch, der in seiner Studierstube über die Beziehungen der Heiligen Schrift und der artes mechanicae 23

Speer/Westermann-Angerhausen, Handbuch (nt. 8), 256 sq.

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nachdenkt, gelegentlich mal in die Klosterwerkstatt schaut und aus dem, was er dort erfuhr und beobachtete, eine Rezeptsammlung zusammengestellt hat. Ich sehe den Goldschmied, der nach der prima hora morgens gegen 5.00 Uhr in die kalte Werkstatt kommt: Der Wind bläst durch die Fensteröffnungen, er bereitet die Holzkohle auf der Herdfläche vor, entfacht mit klammen, schmutzigen Fingern das Feuer, setzt sich auf den kalten Lehmfußboden am Rand der Arbeitsgrube und beginnt auf dem Werkbrett mit seiner Arbeit (Kap. III, 1–3), voller Vertrauen darauf, daß Gottes Geist sein Herz erfüllt, wenn er Sein Haus mit vielfältigen Kunstwerken ziert (frei nach „Prolog zum 3. Buch“). Weil ich seit mehr als 60 Jahren Goldschmiedemeister bin, konnte ich sehr erfolgreich nach seinen Werkstattanleitungen arbeiten. Da stimmt alles! Obgleich die ‚Schedula‘ keine Abbildungen enthält, ist der Text so klar und zuverlässig, daß ich Werkzeuge, Hilfsmittel, sogar die Anwendungsbeispiele zeichnerisch rekonstruieren konnte. So lange die Theoretiker meinen, das bißchen Handwerkstechniken so nebenbei auch noch erledigen zu können, ist kein befriedigendes Ergebnis zu erwarten, und genauso brauchen die Praktiker die Kooperation mit den Theoretikern. Ich bin davon überzeugt, daß wir, Theoretiker und Praktiker, nur durch interdisziplinäre Zusammenarbeit unser gemeinsames Ziel erreichen können: das so bedeutende Werk des Theophilus bis zur völligen Aufklärung Schritt für Schritt – ganz wörtlich gemeint – zu „entdecken“!

Vraisemblable et invraisemblable selon l’archéologie dans le ‘De diversis artibus’ : quelques exemples* E N (Paris) Comparer les recettes contenues dans le ‘De diversis artibus’ avec les vestiges archéologiques des installations de production du Moyen Âge ou avec les objets retrouvés est une voie déjà parcourue par différents domaines du savoir1. Cependant, les études se limitent essentiellement à tester la faisabilité ou non d’une recette et, dans certains cas, à reconnaître les caractéristiques techniques qui pourraient permettre l’identification de l’auteur2. De plus, la plupart des recherches

* Je tiens ici à remercier Andreas Speer et Hiltrud Westermann-Angerhausen pour leur invitation au congrès. 1 Nous pouvons citer comme exemples les aspects technologiques dans l’édition du texte ; cf. W. Theobald, Technik des Kunsthandwerks im zwölften Jahrhundert. Des Theophilus Presbyter Diversum artium schedula, Berlin 1933 [Réédition Düsseldorf 1984] et E. Brehpohl, Theophilus Presbyter und das mittelalterliche Kunsthandwerk. Gesamtausgabe der Schrift ‘De diversis artibus’ in zwei Bänden, 2 voll., Köln–Weimar–Wien 1999. Études sur divers domaines du savoir, toujours à titre d’exemples : pour les sujets tirés du livre II, cf. H. Horat, Der Glasschmelzofen des Priesters Theophilus interpretiert aufgrund einer Glasofen-Typologie, Bern 1991 ; F. Dell’Acqua, Illuminando colorat. La vetrata tra l’età tardo imperiale e l’alto Medioevo: le fonti, l’archeologia (Studi e Ricerche di Archeologia e Storia dell’Arte 4), Spoleto 2003 ; V. C. Raguin, The Reception of Theophilus’s De Diversis Artibus, in : K. Boulanger/M. Hérold (eds.), Le vitrail et les traités du Moyen Âge à nos jours, Actes du XXIIIe colloque international du Corpus Vitrearum (Tours 3–7 juillet 2006), Berne 2008, 11–28 ; pour les sujets abordés par le livre III, cf. P. Donati, Il campanato (Quaderni d’informazione 8), Bellinzona 1981 ; Ch. R. Dodwell, Gold metallurgy in the Twelfth Century: the De diversis artibus of Theophilus monk, in : Ch. R. Dodwell, Aspect of the Art of the Eleventh and Twelfth Century, London 1996, 125–133 ; D. Buckton, Theophilus and Enamel, in : D. Buckton/T. A. Heslop (eds.), Studies in Medieval Art and Architecture presented to Peter Lasko, Sutton 1994, 1–13 ; C. Giostra, L’impressione delle lamine in età altomedievale: il processo tecnologico sulla base degli strumenti rinvenuti, in : R. Fiorillo/ P. Peduto (eds.), III Congresso Nazionale di Archeologia Medievale (Castello di Salerno, 2–5 ottobre 2003), Firenze 2003, 682–689. 2 Nous pouvons ici penser aux arguments techniques et philologiques d’identification de Theophile avec Roger de Helmarshausen ; sur ce point, cf. E. Freise, Zur Person des Theophilus und seiner monastischen Umwelt, in : A. Legner (ed.), Ornamenta ecclesiae. Kunst und Kunstler der Romanik (Katalog zur Ausstellung des Schnüthen-Museums der Stadt Köln), Köln 1985, 357–362 ; C. Davies-Weyer, Speaking of art in early Middle Ages : patrons and artists in among themselves, in : Testo e immagine nell’Altomedioevo (XLI Settimana di Studio del Centro Studio Italiano sull’Alto Medioevo, Spoleto 1993), Spoleto 1994, 955–991. Contra : H. Westermann-Angerhau-

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visent à comprendre des aspects spécifiques et à n’interpréter qu’un seul domaine technique, sans considérer le texte dans sa totalité ni la répercussion des études technologiques sur l’interprétation générale du texte (Pourquoi a-t-il été écrit ? À qui s’adresse-t-il ?)3. Un plus large éventail d’informations peut être déduit si l’on compare de façon analytique le fonctionnement décrit et les restes archéologiques. Ainsi est-il possible de tester le niveau de technologie et de reconnaître les procédures observées de même que celles reconstruites à partir d’objets finis. De plus, les informations contenues dans ce texte ainsi que la distribution chronologique et géographique des installations et des objets permettent de formuler des considérations sur les origines culturelles et sur la chronologie de l’utilisation des recettes répertoriées. L’archéologie peut donc reconnaître avec certitude l’utilisation d’une recette, son origine et sa diffusion : questions parfois largement indépendantes de la rédaction du traité, dont la genèse de la formation est souvent bien distincte de la pratique. Comme Platon le fait dire à Socrate dans son ‘Phèdre’ : le mot ne peut à lui seul enseigner un métier ; ce sont l’apprentissage, l’observation et la répétition des actions qui conduisent à maîtriser les connaissances permettant d’exercer une profession4. Il faut donc se demander, dans une problématique plus générale, quel est le rôle des traités quant à la transmission des connaissances sur les artes mechanicae : le ‘De diversis artibus’ peut-il contribuer à une archéologie des techniques ? Les recettes ici recueillies ont-elles effectivement été pratiquées ? Pour le vérifier, nous essaierons de répondre aux questions suivantes avec une méthodologie archéologique : les installations de production, décrites dans le texte, ont-elles une correspondance avec ce qui est conservé dans les vestiges

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sen, ‘Die Tragaltare des Rogerus in Paderborn’ – Der Wandel eines mittelalterlichen Künstlerbildes zwischen Alois Fuchs und Eckhard Freise, in : M. Gosebruch/F. N. Steigerwald (eds.), Helmarshausen und das Evangeliar Heinrichs des Löwen. Bericht über ein wissenschaftliches Symposium in Braunschweig und Helmarshausen vom 9. Oktober bis 11. Oktober 1985 (Schriftenreihe der Kommission für niedersächsische Bau- und Kunstgeschichte bei der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft 4), Göttingen 1992, 63–78. L’état actuel de la recherche sur le traité et sur ce sujet est bien exposé par A. Speer/H. Westermann-Angerhausen, Ein Handbuch mitteralterlicher Kunst? Zu einer relecture der Schedula diversarum artium, in : Ch. Stiegemann/H. Westermann-Angerhausen (eds.), Schatzkunst am Anfang der Romanik. Der Paderborner Dom-Tragaltar und sein Umkreis, München 2006, 249–258 ; B. Kurmann-Schwarz, Quicquid discere, intellegere vel excogitare possis artium. Le traité ‘De diversis artibus’ de Théophile, état de la recherche et questions, in : Boulanger/Hérold (eds.), Le vitrail et les traités (nt. 1), 29–42, en particulier 39–42. Les cahiers de laboratoire ne sont que des aide-mémoires ayant un but pratique pour les artisans. Sur la transmission des métiers, cf. Ch. Meier, Der Wandel der mittelalterlichen Enzyklopädie vom ‘Weltbuch’ zum Thesaurus sozial gebundenen Kulturwissens : am Beispiel der Artes mechanicae, in : F. Ebyl/W. Harms (eds.), Enzyclopädien der Frühen Neuzeit. Beitrage zu ihrer Erforschung, Tübingen 1995, 19–42; T. Mannoni, A proposito del libro ‘De campanis fundendis. La produzione di campane nel medioevo tra fonti scritte ed evidenze archeologiche’: considerazioni di metodo, in : S. Lusuardi Siena/E. Neri (eds.), Del fondere campane: dall’archeologia alla produzione. Quadri regionali per l’Italia settentrionale (Atti del Convegno, Milano 23–25 febbraio 2006), Firenze 2007, 15–19.

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archéologiques à la fin de la chaîne opératoire ? Les déchets de production permettent-ils de reconstruire la même procédure que celle présentée dans le texte ? Les ingrédients mentionnés dans le traité sont-ils plausibles sur le plan chimique ? Les analyses archéométriques effectuées sur les objets ou sur les déchets de production donnent-elles les mêmes indications ? Il est aussi possible d’obtenir des indications sur les sources qui ont été utilisées pour rédiger le texte, puis de formuler des hypothèses sur le lectorat ciblé ainsi que sur le but d’une telle rédaction. L’objectif de cet article sera donc d’expliquer les informations qui peuvent être obtenues suivant la méthodologie de l’archéologie et moyennant quelques exemples : en particulier le cycle de production des cloches (III, 85)5, celui du verre brut (II, 1–4, 22) et de quelques produits vitreux (II, 12–16)6. I. La production des cloches et le ‘De diversis ar tibus’ Le chapitre 85 (« De campanis fundendis ») du livre III du ‘De diversis artibus’ est la source la plus ancienne, connue à ce jour, qui décrive la production des cloches7. Même s’il ne figure pas dans les manuscrits les plus anciens (Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 69 Gud. lat. 2° et Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Ms. 2527), il a été attribué à la version originale du texte8. Dans l’attente d’une étude philologique de ce chapitre qui en rechercherait ses sources originelles, l’attribution du chapitre 85 à l’archétype du traité reste incertaine. D’un coté, la langue et le registre sont très similaires à certains chapitres

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La recherche, ici résumée, fait partie intégrante de ma ‘tesi di laurea’ en Lettres Classiques à l’Université Catholique de Milan (2002–2003), dirigée par Silvia Lusuardi Siena, et qui a ensuite été publié : E. Neri, De campanis fundendis. La produzione di campane nel medioevo tra fonti scritte ed evidenze archeologiche, Milano 2006. Les recherches ont été poursuivies et une synthèse en a été publiée in : Lusuardi Siena/Neri (eds.), Del fondere campane (nt. 4). L’étude de ces chapitres est effectuée dans le cadre de ma thèse de doctorat (E. Neri, Tessellata vitrea in età tardoantica e altomedievale : archeologia, tecnologia, archeometria. Il caso di Milano, soutenue en 2012 à la Scuola di dottorato in Studi Umanistici dell’Università Cattolica di Milano: Archeologia dei processi di trasformazione. Società antiche e medievali ; directeur de thèse : Silvia Lusuardi Siena), débutée en 2009 et portant sur la production de mosaïque en pâtes de verre durant l’Antiquité Tardive et le haut Moyen Âge. Les manuels techniques qui suivent la ‘Schedula’ et qui décrivent la production de cloches proviennent du XVIe siècle : la ‘Mathesis Bohemica’ du fondeur Vavrineck Kricka (cf. F. Pisek [ed.], Vavrince Kricky z Bitysky: Mathesis Bohemica, Musée Technique National, Prague 1947) et la ‘Pyrotechnia’ de Vannoccio Biringuccio de Sienne (cf. A. Carugo [ed.], La Pirotechnia di Vannoccio Biringuccio, Milano 1977). Les textes se multiplient à partir du XVIIe siècle ; cf. par exemple Ph. Cavillier, La nouvelle Pyrotechnie, 1726, et l’Encyclopédie de Diderot et D’Alembert. Il existe de nombreux cahiers de mémoires de fondeur (par exemple celui rédigé par T. Marinelli, Dell’arte delle campane, 1888). Cf. Ch. R. Dodwell (ed.), Theophilus, De diversis artibus – The Various Arts, London 1961 [Neudruck Oxford 1986, 1998].

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du livre II9 ; de l’autre, plusieurs indices suggèrent que le ‘De diversis artibus’ est un texte ouvert auquel il est possible de faire des ajouts selon l’usage en vigueur10. Les informations contenues dans le chapitre 85 se rapportent à un processus non seulement vraisemblable du point de vue technique, mais aussi largement pratiqué : les structures et la chaîne opératoire ont une correspondance matérielle précise par rapport à ce qui reste à la fin du processus et qui est préservé dans les vestiges archéologiques. Les fouilles publiées dans les contextes européens connus11 et, de façon plus détaillée, toutes celles inédites et publiées dans le nord de l’Italie12 ont été examinées dans une chronologie étendue, à savoir du haut Moyen Âge jusqu’à l’époque moderne. La plupart des fours ont été découverts lors de fouilles de lieux de culte (cathédrales, églises, monastères, chapelles), à l’intérieur ou près du périmètre de la structure à laquelle la cloche était destinée13. La production des cloches avait lieu pendant la construction ou la rénovation de l’église, au cours de laquelle ont faisait appel à des artisans qualifiés ; ils se déplaçaient donc d’un endroit à l’autre selon la demande du client. Ce n’est pas seulement la difficulté de déplacer les cloches – en raison de leur poids – qui déterminait ce choix, mais aussi le fait de réaliser la coulée du métal en un lieu béni, à savoir l’édifice consacré : déjà au VIIIe siècle, un exorcisme spécifique se déroulait au cours d’une cérémonie collective chargée d’un symbolisme profond et d’un sens religieux et 9 10

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Cf. Theophilus, De diversis artibus, II, c. 1–5, c. 10, c. 23–26. La discussion à laquelle a donné lieu ce congrès permit à plusieurs intervenants de remarquer la complexité du texte et sa progression discontinue (en particulier H. Westermann-Angerhausen, I. Dines, M. Clarke). Il n’existe à ce jour aucune publication de synthèse portant sur l’ensemble des fours à cloches européens : la plupart sont cités dans Neri, De campanis fundendis (nt. 5). Pour la France, il existe une thèse (cf. Th. Gonon, Les cloches en France au Moyen Âge étude archéologique et approche historique, Lille 2003), dont la partie archéologique sur les fours à cloches n’est pas publiée. Pour l’Allemagne, les études de Drescher sont toujours inédites, excepté quelques indications dans H. Drescher, Die Glocken der karolingerzeitlichen Stiftskirche in Vreden, Kreis Ahaus, in : C. Stiegemann/M. Wemhoff (eds.), 799. Kunst und Kultur in Karolingerzeit: Karl der Grosse und Papst Leo III, Paderborn 1999, 356–364. Pour l’Italie du Nord, grâce à la participation des Universités et des Soprintendenze per i Beni Culturali (Instituts du Patrimoine) au Congrès « Del Fondere Campane » (Milano 2006), on dispose de données fiables et de synthèses régionales réalistes ; cf. Lusuardi Siena/Neri (eds.), Del fondere campane (nt. 4), en particulier 445–464. Sur l’emplacement des fours à cloche à l’intérieur d’un espace consacré, cf. E. Neri, Tra fonti scritte ed evidenze archeologiche: un modello per interpretare i resti materiali della produzione di campane, in : Archeologia Medievale 31 (2004), 53–98, en particulier 84–87 ; ead., De campanis fundendis (nt. 5), 22 sqq. et 165–170 ; S. Lusuardi Siena/E. Neri, ‘Come scoprire qualcosa di nuovo se appagati da quanto già scoperto?’. Un bilancio delle nuove acquisizioni per continuare la ricerca, in : Lusuardi Siena/Neri (eds.), Del fondere campane (nt. 4), 452 sq. Les positions dans lesquelles on trouve le plus souvent un four à cloche sont les suivantes : au milieu de l’église, en position axiale, proche du mur du vieux bâtiment ou de murs en construction du nouvel édifice. La présence d’un mur rasé ou en construction peut aider, pendant les opérations de production, comme appui pour le creuset et le levier, ou pour bâtir le four à métaux. Lorsqu’un chantier n’est pas en cours, on peut aussi trouver les fours sur le parvis.

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social très fort14. Ce rituel était lié aux traditions ancestrales jointes à la puissance du feu et du métal. Les acteurs de ce spectacle, perçu comme un rite de fondation, sont les artisans qui, pendant de nombreux mois de travail sur le site, recrutent des assistants locaux et assurent ainsi le passage et la sédimentation de leurs connaissances et de leur expérience15. Leur main d’œuvre bien rémunérée était évaluée au cours de la phase finale des opérations : la coulée se déroulait très vraisemblablement souvent en présence du client et de la communauté pour laquelle la cloche avait été fondue16. La réussite de cette opération produisait une alliance entre Dieu et la societas christiana, et elle réalisait un signum qui avait pour but de protéger le territoire et ses habitants, de marquer le temps et d’inviter à prier17. Toutefois, dès les IXe–Xe siècles, une activité de fonderie sédentaire était déjà connue : une production spécialisée pratiquée dans les monastères ou dans des sites jouant un rôle commercial, probable14

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L’exorcisme le plus ancien dédié à une cloche est mentionné dans le ‘Liber Ordinum’. Il se réfère à une pratique de l’église espagnole des VIIe–VIIIe siècles. Pour une datation du manuscrit (pas antérieur au Xe siècle) cf. M. Férotin, Le liber Ordinum en usage dans l’Église wisigothique et mozarabe d’Espagne du Ve au XIe siècle, Paris 1904, XVI–XXVII. Pour le texte, cf. E. Battisti, Benedizione delle campane: testo latino-italiano con note storico-liturgiche, Roma–Torino 1924. La coulée est perçue comme une transformation du mal (le métal qui est tiré du sous-sol, l’enfer) en bien (la cloche qui sonne dans l’air pour appeler à la prière). Il y a donc une participation collective à ce rituel. On peut remarquer la valeur apotropaïque de la fusion des cloches dans une pratique très diffusée : les fondeurs reviennent pour fondre aux mêmes endroits où les précédentes coulées avaient bien réussi. Les fours à cloches qui appartiennent à des phases de construction différentes se situent en effet souvent au même endroit : juste au dessus de l’autre ou juste à côté. Pour une exemplification, voir les nombreux cas cités par Neri, De campanis fundendis (nt. 5), 166 sq. Cela implique que les artisans indiquaient sur le sol ou sur le mur, à l’aide d’inscriptions ou de signes, le lieu où la cloche avait été fondue (par exemple à Norrey-en-Bessin dans l’église de Notre-Dame ; cf. J. Nicourt, Fabrication des cloches fondues. Permanence de techniques, in : Ethnologie française, nouvelle série 1,3–4 [1975], 55–82). Il est aussi probable que la mémoire de la population ou de la même famille de fondeurs ait porté à localiser l’endroit déjà béni. Sur les aspects liturgiques des cloches cf. E. Neri, Les cloches : construction, sens, perception d’un son. Quelques réflexions à partir des témoignages archéologiques des fours à cloches, in : Cathiers de civilisation médiévale (à paraître) ; J. H. Arnold/C. Goodson, Resounding community : the history and meaning of medieval church bells, in : Viator 43,1 (2012), 99–130. Les documents du bas Moyen Âge nous informent sur les rôles, les temps et les prix des artisans, comme par exemple le ‘Quaderno dei camerari di Gemona’ ; cf. G. Marchetti, Come si faceva una campana nel ‘300, in : Bollettino della società filologica friulana 8 (1932), 11–60. L’iconographie de certaines miniatures suggère ce scenario, par exemple celle du ‘Rationale divinorum officiorum’ de Cava dei Tirreni, datant du XIVe siècle, avec la représentation de la fonte et de la bénédiction de la cloche ; cf. London, British Library, MS Add. 31032, fol. 11r. De plus, la disposition au milieu de l’édifice de nombreux fours à cloche fouillés évoque ce cadre. Sur le rôle des cloches dans la societé médiévale, cf. A. A. Settia, ‘Quando con trombe e quando con campane’: segnali militari nelle città dell’Italia comunale, in : F. Redi/G. Petrella (eds.), Dal fuoco all’aria: tecniche, significati e prassi nell’uso delle campane dal Medioevo all’età moderna, Pisa 2007, 355–369 ; S. Mantini, Voci di Dio, voci degli uomini: campane e suoni tra ordinamento e identità (secc. XIV–XVI), in : op. cit., 371–389 ; G. Andenna, Campane e monasteri, in : Lusuardi Siena/Neri (eds.), Del fondere campane (nt. 4), 73–77 ; A. A. Settia, Codici sonori e nomi di campane nelle città medievali italiane, in : op. cit., 79–84 ; J. Tripps, Quando si suonavano le campane? I registri campanari di età tardogotica, in : op. cit., 131–134.

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ment à côté d’autres arts métallurgiques selon les exigences du marché, en conjonction avec un travail itinérant18. L’analyse de plus de 300 sites de production nous a permis de vérifier la fiabilité de la recette présentée dans le chapitre 85 du livre III du ‘De diversis artibus’, reconnue dans presque la moitié des fours fouillés19. Il s’agit de fours en fosse avec un foyer en pierre et en argile disposant d’un canal central et d’une ou deux fosses pour l’alimentation ou le tirage, placés sur le prolongement du canal ; en outre, les dimensions proposées dans le traité sont souvent les mêmes que celles des structures fouillées20. Une fois vérifiée la fiabilité du traité, nous avons donc procédé à une reconstruction graphique du processus et avons construit un modèle théorique permettant l’interprétation analytique des fours à cloche21. Ce modèle extrapole la chaîne opératoire décrite dans le texte et traduit chaque opération en traces physiquement repérables. Ces données sont organisées dans un matrix ou un diagramme de Harris, à travers lequel les archéologues décrivent habituellement la situation stratigraphique d’un site et en déduisent des relations temporelles à partir de la relation physique entre les couches. Le modèle théorique créé permet à l’archéologue d’avoir une idée préalable de ce qu’il fouillera, et ensuite de reconnaître les similitudes et les différences entre vestiges et texte. Nous rappellerons ici brièvement que, selon le texte, une cloche se réalise de la façon suivante (fig. 1) : 1. la création d’un moule avec un noyau en argile, une couche en cire et une autre plus épaisse en argile ; 2. la construction d’un four en fosse ; 3. la pré-cuisson pour éliminer la cire, puis la cuisson du moule ; 4. la fusion du métal dans un ou plusieurs creusets ou dans un four spécifique ; 5. l’enfouissement du moule et la coulée du métal ; 6. l’extraction du moule de la fosse et de la cloche du moule. En comparant le processus présenté dans le texte avec les fours fouillés, on peut dire que la technique décrite est largement pratiquée en Europe pendant le 18

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Les plus anciennes fonderies sédentaires (IXe–Xe siècle) sont celles de Haithabu (cf. H. Drescher, Glockenfunde aus Haithabu, in : Berichte uber die Ausgrabungen Haithabu 19 [1984], 9–62) et celle de Kückshausen (cf. D. Capelle, Die karolingisch-ottonische Bronzegießerei bei Kückshausen, in : Frühmittelarterliche Studien 8 [1974], 294–302). Sur le rapport entre itinérance et sédentarité, cf. Lusuardi Siena/Neri, Come scoprire qualcosa (nt. 13), 452 ; Th. Gonon, Les cloches en France au Moyen Âge. Archéologie d’un instrument singulier, Paris 2010, 160 sq. La recette du ‘De diversis artibus’ a été mise en pratique dès le VIIIe siècle, et surtout durant les XIe–XIIIe siècles. Pour des indications statistiques, cf. Lusuardi Siena/Neri, Come scoprire qualcosa (nt. 13), 451, 453. Cf. Theophilus, De diversis artibus, III, c. 85, ed. Brehpohl (nt. 1), vol. 2, 235 sq. : « […] Deinde fac foveam in loco ubi volueris ipsam formam subterrare ad recoquendum, profundam secundum altitudinem eius in latitudine, et cum lapidibus atque arigilla, fac in similitudinem fundamenti pedem fortem, super quem forma stabit, altitudine unius pedis, ita ut in medio ultra indirectum remaneat spatium quasi via, pede et dimidio lata, in qua ardeat ignis sub forma. » Sur la discussion méthodologique du paradigme d’interprétation proposé, cf. Neri, Tra fonti scritte ed evidenze archeologiche (nt. 13), 54–70 ; pour une discussion sur l’utilisation, cf. S. Lusuardi Siena/E. Neri, Il De campanis fundendis di Teofilo: dal processo codificato alle prassi empiriche. Alcuni casi esemplificativi, in : Redi/Petrella (eds.), Dal fuoco all’aria (nt. 17), 49–76.

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Moyen Âge, du VIIIe siècle jusqu’au XVe siècle, avec deux attestations dans le XVIe–XVIIe siècle22. L’auteur de cette recette connaît bien la situation qu’il décrit : il ne nous rapporte pas seulement des détails (inscriptions, foramina, décors) sur la cloche fondue, mais il nous dit aussi la façon de les réaliser. Il faut penser que la cloche, après la coulée et la bénédiction, était placée au sommet de l’église ou dans le clocher pour diffuser le son ; certains détails ne pouvaient donc plus être visibles. Le texte doit pourtant être écrit par une personne qui participe au moins à la dernière phase du processus (la coulée et l’extraction du moule), et qui, plus probablement, contribue aux opérations de production, exerçant un certain contrôle sur les artisans de façon à ce qu’ils opèrent selon les désirs du client. On trouve aussi des détails soulignés dans le texte portant sur des artéfacts plus anciens. Nous citerons un exemple parmi tant d’autres, qui explique bien l’uniformité entre le texte et les artefacts : celui de la cloche de Canino23, datant du IXe 22

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Les plus anciens fours à cloches de ce type ont été identifiés en Italie, à San Vincenzo al Volturno (IXe siècle) (cf. F. Marazzi/K. D. Francis, L’eredità dell’antico. Tecnologia e produzione in un monastero imperiale carolingio: San Vincenzo al Volturno, in : M. Khanoussi/P. Ruggeri/ C. Vismara [eds.], L’Africa Romana. Atti dell’XI Convegno di Studi [Cartagine, 15–18 dicembre 1994], Sassari 1996, 1029–1045) ; R. Hodges, San Vincenzo Maggiore and its workshops, Londres 2011, Daté à l’epoque de l’Abbé Jusué [792–817]), à Luni, S. Maria (IXe siècle), à Vezzano Ligure, S. Maria (VIIIe–IXe siècle), à Filattiera, S. Stefano (IXe siècle) (cf. S. Lusuardi Siena/E. Neri, Fornaci per campane in Lunigiana: il processo produttivo dalle fonti scritte alle evidenze archeologiche, in : Fiorillo/ Peduto [eds.], III Congresso Nazionale di Archeologia Medievale [nt. 1], 659–664), à Aulla, S. Caprasio (IXe siècle) (cf. E. Giannichedda [ed.], Le ricerche archeologiche in provincia di Massa Carrara [Biblioteca dell’Istituto di storia della cultura materiale 2], Firenze 2003), à Pieve di Retina (haut Moyen Âge) (cf. E. J. Shepherd, Le fornaci da campane, in : Architettura ad Arezzo : i restauri dei beni architettonici dal 1975 al 1984, Firenze 1985, 208 sqq.), à Covignano (haut Moyen Âge) (cf. C. Guarnieri, Resti archeologici di fornaci per campane in Emilia Romagna : vecchi e nuovi rinvenimenti, in : Lusuardi Siena/Neri [eds.], Del fondere campane [nt. 4], 317–327), à Morgex (VIIe–IXe siècle) (cf. M. Cortelazzo/R. Perinetti, La produzione di campane in Val d’Aosta tra IX e XVII secolo, in : op. cit., 255–262), Galliano (IXe siècle) (cf. Neri, De campanis fundendis [nt. 5], 181–186) ; en France, à Avranches (IXe siècle) (cf. D. Levalet, La cathédrale Saint-André et les origines chrétiennes d’Avranches, in : Archéologie Médiévale 4 [1974], 109–152), à Saint Saturnin en Plomeur (cf. P. R. Giot/J. L. Monnier, Les oratoires des anciens Bretons de Saint Urnel ou Saint Saturnin en Plomeur, in : Archéologie Médiévale 8 [1978], 55–93), à Alet (IXe siècle) (cf. L. Langouët, Un fondeur de cloche à Alet à l’époque carolingienne, in : X. Barral i Allet, Artistes, artisans et productions artistiques en Bretagne au Moyen Âge, Rennes 1983, 279–281). Des fours à cloches plus récents ont été retrouvés en Italie : à Côme (XVIIe siècle) et à Galbiate (XVIe siècle) (cf. E. Neri, Magistri campanari e committenti: riflessioni su alcuni contesti della Lombardia, in : Lusuardi Siena/Neri [eds.], Del fondere campane [nt. 4], 217–234). La cloche de Canino est maintenant exposée au musée Pio Cristiano (Musei Vaticani) (hauteur : 35 cm, diamètre : 37 cm). On ne possède aucune information précise sur le contexte de sa découverte. La datation au IXe siècle est fondée sur arguments stylistiques et épigraphiques. La cloche a une forme parabolique avec une base évasée, un profil convexe avec une épaisseur constante, excepté un léger épaississement sur la lèvre. Les aures sont composées d’un anneau central et de deux latéraux ; en dessous du foramina triangulaire se trouve une croix aux bras avec spirales. Des lignes incisées qui pourraient dessiner un toit complètent la décoration. Sur la lèvre entre deux

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siècle, où l’on trouve sur une anse un reste d’infusorium24, sur la panse une croix, sur la pince un liseré de décoration et une inscription, ainsi que deux trous triangulaires afin que la cloche sonne mieux25 (fig. 2). L’hypothèse que la recette ait été écrite par quelqu’un connaissant bien le processus et l’ayant observé à plusieurs reprises pourrait être confirmée : ainsi la chaîne opératoire présentée dans le texte est-elle identique à celle qu’il est possible de reconstruire à partir des couches archéologiques du dépôt stratigraphique de plusieurs sites. Toujours de façon représentative, il est possible de considérer les deux fours à cloche de l’église de San Michele à Cavaion Veronese (Vénétie)26 (fig. 3). La plus ancienne de ces deux installations est constituée d’un four servant à la fusion du métal, d’un plan fortement brûlé et d’une fosse pour la cuisson du moule ainsi que pour la coulée ; elle date probablement du XIe–début XIIe siècle27 (fig. 4). De la plus récente, datée du XIIIe siècle, on a seulement retrouvé le four en fosse28. Les deux fours à cloche se composent d’une longue fosse rectangulaire avec un four central, qui respecte aussi la taille et les proportions référées dans le chapitre « De campanis fundendis »29. Il n’existe pas d’opération énumérée dans le texte qui

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lignes, on trouve une inscription. Sur les problèmes concernant cette cloche, cf. Neri, De campanis fundendis (nt. 5), 16–19 ; Gonon, Les cloches en France (nt. 18), 59. Cf. Theophilus, De diversis artibus, III, c. 85, ed. Brehpohl (nt. 1), vol. 2, 235 : « […] Post haec forma collum, atque aures et spiraculum sive infusorium desuper, et cooperi argilla. » Cf. Ibid. : « […] Adipem autem omnino refrigeratum ferris acutis tornabis, et si quid rari operis volueris circa latera campanae, florum sive litterarum, in adipe exarabis, quatuorque foramina triangula iuxta collum, ut melius tinniat formabis. » Nous avons fouillé les fours à cloches sous la direction de la Soprintendenza per i Beni Archeologici del Veneto (dott. ssa Brunella Bruno, que je remercie) en 2004 et en 2006. L’église, dont des structures importantes ont été conservées, occupait, avec un complexe de plusieurs salles autour d’une cour, la terrasse inférieure d’un village fortifié construit au Moyen Âge. Les sondages archéologiques dans l’église nous ont permis de distinguer quatre phases principales lors de la construction, datant de la fin du XIe ou du XIIe siècle. Les fours à cloche sont réalisés pendant la deuxième et la troisième phase. Pour une discussion analytique du contexte et des fours de fusion, cf. B. Bruno/E. Neri, Impianti produttivi per campane nel Veronese, in : Lusuardi Siena/ Neri (eds.), Del fondere campane [nt. 4], 203–216. Cinq denarii de l’empereur Henri IV ou V, retrouvés dans la couche préparatoire du dallage qui couvre le four, représentent le terminus ante quem de la production des cloches. Quinze denarii de l’empereur Frédéric II représentent le terminus ante quem du four à cloche le plus récent. Cf. nt. 20. La double fosse d’alimentation et de tirage n’est pas commune en Italie, tandis qu’elle est plus répandue au nord des Alpes (par exemple à Winchester ; cf. R. M. Davies/P. J. Ovenden, Bell-founding in Winchester in the Tenth to Tirteenth Centuries, in : M. Biddle [ed.], Object and Economy in Medieval Winchester : Artefacts from medieval Winchester [Winchester Studies 7], Oxford 1990, 100–124). Cependant, on peut retrouver en Italie ce type de fosse à S. Stefano di Filattiera (IXe siècle) (cf. E. Giannichedda/L. Ferrari, Le fosse da campane nella pieve di Santo Stefano a Filattiera, in : S. Patitucci Uggeri [ed.], Scavi medievali in Italia 1996–1999 : atti della II conferenza italiana di archeologia medievale, Cassino 16–18 dicembre 1999 [Quaderni di archeologia medievale. Suppl. 2], Roma 2001, 401–410, en particulier 401 sqq.), à S. Salvatore al M. Amiata (XIe siècle) (cf. C. Cambi/L. Dallai, Archeologia di un monastero: gli scavi a San Salva-

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n’ait pas de correspondance dans les vestiges du four à cloche le plus ancien : les opérations qui peuvent sembler obscures ou peu pratiques sont éclairées par les restes archéologiques. Le traité décrit une méthode de positionnement du moule consistant à remplir la fosse avec du sable, à placer le moule sur le sable, puis à retirer ce dernier de sous le moule jusqu’à que celui-ci soit déposé sur le four. La même technique est décrite pour l’extraction du moule après la coulée30. Ce processus qui semble difficile, mais qui évite la déformation du moule, trouve une correspondance dans une couche de sable en dessous de la plaque de cuisson (résultat du placement dans la fosse) et dans une autre couche plus épaisse audessus de la plaque de cuisson (résultat de l’extraction) (fig. 5). Aussi la forme a-t-elle été durcie avec une cuisson en deux étapes, comme décrit dans le texte : tout d’abord avec le feu sous le moule, pour éliminer la cire, et puis avec un feu lent autour du moule, alimenté au sol31. Pour le four à cloche le plus récent, il est possible de reconnaître des variations du processus décrit dans le ‘De diversis artibus’, bien que les artisans aient employé la même technique – comme cela est également visible en comparant entre les deux structures (fig. 4, 6). En effet, dans le deuxième exemple, le moule n’a pas été positionné sur le foyer suivant la méthode décrite ci-dessus, mais plus probablement à l’aide d’un levier ou d’une pince, parce qu’il n’est pas possible de trouver des couches de sable dans le remplissage de la fosse. En outre, le four n’a pas de parois munies d’une isolation thermique et d’une couverture ; en observant les altérations, nous pouvons supposer que la cuisson avec le feu autour du moule n’a pas eu lieu. Les artisans ont peut être choisi cette procédure consciemment ; ils montrent ainsi qu’ils savent adapter la technique au contexte et utiliser leur expérience. Le foyer possède un canal quasi viam décrit dans le traité et orienté est-ouest, mais il dispose aussi de deux fissures moins larges, orientées nord-sud : celles-ci favorisent la distribution de la chaleur lorsque le feu est dans le canal.

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tore al monte Amiata, in : Archeologia Medievale 27 [2000], 193–210), S. Pietro à Tignale (XIIe siècle) (G. P. Brogiolo/G. Tononi, Gli scavi e la sequenza, in : G. P. Brogiolo [ed.], Archeologia e storia della chiesa di San Pietro a Tignale [Documenti di Archeologia 39], Mantova 2005, 11–34, en particulier 28–34), SS. Ippolito e Cassiano à Pieve di Retina (cf. Shepherd, Le fornaci [nt. 22], 208 sqq.) et Badia di S. Trinita in Alpe (XIIe siècle). Cf. Theophilus, De diversis artibus, III, c. 85, ed. Brehpohl (nt. 1), vol. 2, 236 : « […] Quo facto, confige quatuor ligna sursum procedentia usque ad aequalitatem terrae iuxta ipsum pedem, et statim reple foveam terra. Statimque deduces ipsam formam, et statues eam in medio lignorum illorum aequaliter, et ex una parte sub ipsa forma incipe terram eicere. Cumque se inclinaverit, fode in parte altera, donec se rursum illic inclinet, sicque facies ex utraque parte, quousque forma super pedem lapideum aequaliter sedeat. » Cf. ibid. : « […] Cumque operando perveneris ad medium formae, purga oram fornacis, et in ora ipsius formae ex utraque parte fac unum foramen, per quod adeps possit effluere, suppositisque vasis ignem et sicca ligna adhibe. Et cum calefacta forma cooperis adeps exire, perfice pedetemptim fornacem usque ad summum formae, et super os pones operculum ex argilla sive ex ferro. Educto autem penitus adipe, obstrue foramina utraque argilla macerata recta mensura, ita ut non violetur ora campanae, et circa formam abundantius adhibe ligna, ut per totam diem sequentemque noctem ignis non deficiat. » La rubéfaction des parois du four témoigne de la cuisson afin d’extraire la cire. L’observation des altérations noires produites par le feu dans les fosses d’alimentation et de tirage permet de supposer une cuisson avec le feu autour du moule et une utilisation des fosses pour le tirage.

Vraisemblable et invraisemblable selon l’archéologie dans le ‘De diversis artibus’

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Les matériaux sont mieux choisis en comparaison du four à cloche le plus ancien : le tuf – qui résiste mal aux hautes températures – est remplacé par des briques réfractaires. Là encore, le foyer a une surcouche en argile très fine, blanche et très pure qui a pour but d’éviter la fracture du moule pendant la coulée. Les artisans ont sans doute bien opéré, parce qu’il ne reste aucun laitier. Les bonnes conditions météorologiques et le fait d’avoir placé la fosse dans un épais banc d’argile naturelle ne rendent peut-être pas nécessaire sa couverture et l’isolation thermique du four. Pour durcir l’argile grasse du moule, il faut encore une cuisson oxydante, obtenue avec le feu dans le canal du foyer, et surtout un tirage vertical. Les opérations effectuées dans cet atelier temporaire pourraient alors montrer comment une ‘famille’ d’artisans trouve des solutions différentes aux problèmes posés par l’environnement et par les matériaux disponibles, en fonction des expériences positives ou négatives validées et des contacts avec d’autres fondeurs. Ainsi, les pratiques particulièrement efficaces et testées à plusieurs reprises dans différents contextes sont-elles retenues et deviennent caractéristiques d’un groupe de fondeurs. De plus, sur certains sites, il n’est pas même possible de trouver, par rapport au modèle du ‘De diversis artibus’, des variations dues à l’environnement ou aux ressources disponibles (bois, matériaux de construction pour le four, argile) ou des changements qui améliorent l’efficacité de la technique32, mais aussi des marques de famille : les décors sur les fragments des moules ou sur les cloches, qui sont rarement associés à une signature33, ou encore le type de foyer – avec une forme choisie par l’artisan et préservée pendant les siècles34. Une relation plus étroite est visible entre le four de XIe siècle et ce qui est codifié dans le texte : nous nous trouvons peut-être ici face à une indication

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Ces variations ont lieu pour des raisons empiriques ; nous pouvons donc les reconnaître seulement parmi un échantillon de fours correspondant à des périodes très différentes et ayant les mêmes caractéristiques. Un cas dans lequel il est possible d’associer four, nom de famille, cloches produites et documents nous est fournit par celui les artisans du XIIIe siècle Bencivenni, Nanni et Andrea pisanus, qui opèrent dans un atelier du quartier Chinzica de Pise. Les documents confirment aussi une activité itinérante (cf. M. Milanese, Fornaci e tracce della produzione delle campane nella Toscana settentrionale, in : F. Redi/G. Petrella [eds.], Dal fuoco all’aria [nt. 17], 187 sqq. ; M. Milanese/G. Gattiglia, L’atelier stabile di Bencivenni, campanarius in Sant’Andrea in Chinzinca [Pisa], in : Archeologia Medieval 33 [2006], 541–546). Parmi les récentes recherches sur les familles de fondeurs de cloches, certaines rapprochent les données archéologiques de celles documentaires, notamment celles sur le magister Toscolus de Imola (cf. G. Savini (ed.), Magister Toscolus de Imola. Fonditore di campane [I quaderni di Tracce], Imola 2005) et celles sur le Magister Manfredinus (cf. T. Moroder/S. Planker, Magister Manfredinus me fecit. Testo latino e italiano, San Martino in Badia, 2009). Par exemple, on trouve des foyers avec canal à croix entre la Ligure, la Toscane et l’Émilie pendant les VIIIe–XIIe siècle à Luni, Vezzano, Pieve di Retina, Castelnuovo di Sotto, Gênes (cf. E. Neri, La fusione di campane in Lunigiana: il contributo dell’archeologia alla memoria di una tradizione, in : Quaderni del centro studi lunensi, nuova serie 8 [2004], 79–114).

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d’un horizon de datation chronologique de la rédaction de la recette35. Cependant cette technique, avec peu de variations, est déjà utilisée en Europe à partir des VIIIe–IXe siècles36. De plus, du IXe au Xe siècle, une autre recette commence à se répandre37, codifiée sept siècles plus tard dans la ‘Mathesis Bohemica’ du fondeur tchèque Vavrineck Kricka et dans la ‘Pirotechnia’ de Vannoccio Biringuccio38. Cette technique est principalement pratiquée dans les fonderies de l’âge moderne39 et elle se trouve encore utilisée aujourd’hui : le moule n’est pas réalisé avec de la cire perdue, mais avec une fausse cloche en argile et une mince couche de cire pour les décorations. Après la cuisson du moule, la couche externe est surélevée et la fausse cloche en argile est éliminée. De cette façon, il reste un vide entre la couche externe et le noyau dans lequel on coulera le métal. Ensuite, le moule est placé dans la fosse pour la coulée. La réalisation du moule peut se faire sur un tour vertical ou horizontal et la cuisson peut avoir lieu sur le sol ou en fosse. Les vestiges archéologiques des ateliers recourant à cette technique peuvent donc être très différents : 35

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Pour exemplifier des sites où il y a une très étroite correspondance : en Angleterre, à Winchester (fours du Xe et XIe siècle) (cf. Davies/Ovenden, Bell-founding [nt. 29], 100–124) ; en Allemagne, à Cologne, Saint-Pantaleon (Xe siècle) (cf. H. Fußbroich, Die Ausgrabungen in St. Pantaleon zu Köln [Kölner Forschungen 2], Köln 1983) ; en France, à Caen, Saint-Julien (XIe siècle) (cf. P. Leroux, La fontes de cloches au Moyen Âge, in : Archeologia 264 [1991], 32–39) ; en Italie, voir la plupart des sites mentionnés in nt. 29. Cf. nt. 22. Il demeure en outre des cloches en France : celle de Fleury (cf. J. M. Berland, Présentation de vestiges anciens conservés à Saint-Benoit-sur-Loire, in : R. Louis [ed.], Études ligériennes d’histoire et d’archéologie médiévale [3–10 juillet 1969], Auxerre, 408–475), celle de Gehée et du Puy-en-Velay (cf. Gonon, Les cloches en France [nt. 18], 64–67) ; et en Italie la cloche de Canino (cf. nt. 23). On signale également des cloches byzantines (VIe siècle ?) retrouvées à Beyrouth (cf. J. P. Northover/M. Beydoun Saghieh, Copper alloy metalwork from 5th and 6th century AD levels in Beirut, in : A. Giumlia Mair [ed.], I bronzi antichi. Produzione e tecnologia. Atti del XV Congresso Internazionale sui Bronzi Antichi, Grado–Aquileia, 22–26 maggio 2001 [Monographies instrumentum 21], Montagnac 2002). Les sites les plus anciens où cette technique est avérée se situent : en Italie du nord, à Lonato, San Martino (IXe siècle) ; à Brescia, San Salvatore (IXe–XIe siècle) ; à Fara Gera d’Adda, Sant’Alessandro (VIIe–XIe siècle) (cf. Neri, Magistri campanarii [nt. 22], 219, avec les références ici mentionnées) ; en Allemagne, à Kückshausen (IXe–Xe siècle) (cf. Capelle, Die karolingisch-ottonische Bronzegießerei [nt. 18], 294–302), Haithabu (IXe–Xe siècle) (cf. Drescher, Glockenfunde [nt. 18], 9–62). De plus, demeurent les cloches de Oldenburg et Haithabu, datant du Xe siècle (cf. Gonon, Les cloches en France [nt. 18], 67 sqq. et J. Bayley/R. Bryant/C. Heighway, A tenth-century bellpit and bell-mould from St. Oswald Priory, Gloucester, in : Medieval archaeology 37 [1993], 224–236), lesquelles furent réalisées à l’aide de cette technique. Cf. nt. 7. De la ‘Mathesis Bohemica’, on dispose seulement d’un petit résumé en français, mais les planches permettent de reconnaître une technique vraiment proche de celle que Biringuccio décrit dans la ‘Pyrotechnia’ (texte original avec dissertation et dessins in Neri, De campanis fundendis [nt. 5], 73–108). L’avantage pratique du processus, la possibilité d’une production en série et la simplicité structurale de l’atelier ont vraisemblablement permis à cette technique de perdurer. À partir du XIVe siècle, cette technique devient la plus utilisée ; et à partir du XVIe siècle, elle reste quasiment la seule pratiquée (cf. Neri, De campanis fundendis [nt. 5], table XV, 250; Lusuardi Siena/Neri, Come scoprire qualcosa di nuovo [nt. 13], 451, table 4).

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1) une fosse avec impression circulaire sur le fond ; 2) une fosse thermo-altérée, avec une petite fosse sur le fond pour recueillir les déchets de combustion ; 3) une plus grande fosse avec des altérations de cuisson, dotée d’un petit four à réverbère de chaque côté40. Pour reconnaître les restes archéologiques des fours à cloche où la méthode de la fausse cloche en argile a été suivie, il faut toujours comparer les structures avec les restes des moules41. Les plus anciens témoignages archéologiques de la recette de la fausse cloche en cire datent de la première période carolingienne et ne sont connus, jusqu’à maintenant, que dans la région méditerranéenne et en France42. L’absence d’artefacts et de vestiges précédant cette période ne permet cependant pas de savoir comment les signa et les glokkae des VIe et VIIe siècles, évoquées par des sources historiques d’origine avant tout monastique, ont été produits43. Dès la fin de la période Lombarde, le pape Etienne II (752–757), donnant les cloches à l’église du Vatican, initie peut-être l’institutionnalisation liturgique de l’utilisation des cloches, laquelle se poursuit à l’époque carolingienne44. Cette régularisation semble avoir augmenté la production dont on commence à trouver aussi des vestiges archéologiques. Cependant, du VIIIe au IXe siècle, la technique de la fausse cloche en cire n’est pas uniformément diffusée dans tout l’Empire : on trouve encore aussi des cloches en fer forgé et en alliage cuivreux battus45. Comme les cloches forgées 40

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Nous pouvons trouver un exemple du premier type à San Domenico à Alba (cf. E. Micheletto, Impianti per la produzione di campane in Piemonte: dati archeologici a confronto, in : Lusuardi Siena/Neri [eds.], De fondere campane [nt. 4], 274 sq.), du deuxième type à San Vincenzo à Galliano, et du troisième à Santa Maria à Vezzano Ligure (cf. Neri, De campanis fundendis [nt. 5], 183 sq., 193 sq.). Sur les différences entre les moules issus de différentes techniques, cf. Neri, Tra fonti scritte ed evidenze archeologiche (nt. 13), 87–91. Cf. nt. 22 et 36. Pour une compilation de ces sources, cf. Neri, De campanis fundendis (nt. 5), 6 sq. ; Andenna, Campane e monasteri (nt. 17), 73–78 ; P. Cammarosano, Le campane nelle scritture letterarie dell’alto medioevo e dell’età romanica, in : Lusuardi Siena/Neri (eds.), Del fondere campane (nt. 4), 105–108; A. Barbero, Recensione a Del fondere campane. Dall’archeologia alla produzione. Quadri regionali per l’Italia settentrionale (a cura di S. Lusuardi Siena e E. Neri), in : Temporis signa. Rivista di archeologia della tarda antichità e del medioevo 3 (2008), 322–325 ; J. H. Arnold/ C. Goodson, Resounding community: The history and meaning of medieval church bells, in : Viator 43,1 (2012), 99–130 ; Neri, Les cloches (nt. 14). Dans son ‘Epistula ad Hilcuinem abatem’, Amalar de Metz fait référence à la donation du pape Etienne II ; Neri, Les cloches (nt. 14) ; voir aussi la discussion in S. De Blaauw, Campanae supra urbem. Sull’uso delle campane nella Roma medievale, in : Rivista di storia della chiesa 47,2 (1993), 367–414. Contra: Arnold/Goodson, Resounding community (nt. 43), 116–117 ; Neri, Les cloches (nt. 14) En France, les cloches en fer d’époque préromane se situent : pour celles faites de lames battues et dont les branches sont soudées, à Terrason-la-Villedieu (environ 50 cm de diamètre), à Tech (31,5 cm × 22 cm), à Vailhourles (cf. Gonon, Les cloches en France [nt. 18], 49–53) ; celles forgées en fer avec une couverture en cuivre, à Noyon (cf. Neri, De campanis fundendis [nt. 5], 9) ; celles en fer forgé, à Rocamadour ; celles en cuivre battu à Stival près de Pontivy (cf. H. Leclercq, Cloche, clochette, in : F. Cabrol/H. Leclercq [eds.], Dictionnaire d’archéologie chrétienne et de liturgie, vol. III, Paris 1914, coll. 1954–1977) et à Locronan. En Suisse se trouve la Gallusglocke datée du VIIe siècle, et aujourd’hui dans la sacristie du chœur de la cathédrale de Saint-Gall ;

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ou battues ne produisent pas un son accordé et audible par toute la population de l’ecclesia plebana, le besoin d’adopter un objet en cuivre fondu se manifeste, peutêtre en association à la réglementation de l’utilisation liturgique des cloches46. Certains monastères seraient ainsi devenus les plus anciens ateliers de production de cloches (battues ou fondues ?) en Europe du nord : l’archevêque de Birka (Suède), Gauzbert, au milieu du IXe siècle, demande au monastère de Fulda de lui envoyer unam gloggam et unum tintinnabulum et l’archevêque de Mayance réclame aussi une cloche47. Toutefois, les données archéologiques semblent confirmer qu’à la fin du IXe et début du Xe siècle, dans le nord de l’Europe (surtout dans le nord de l’Allemagne et de l’Italie) et dans certains cas, les cloches ne sont pas seulement achetées, mais aussi faites in situ suivant la technique de la fausse cloche en argile dans de grandes fonderies, comme sur les chantiers des églises. Même les cloches du nord de l’Allemagne – celles d’Oldenburg et de Haithabu (IXe–Xe siècle) – diffèrent formellement des cloches italiennes et ‘méditerranéennes’, mais elles sont très similaires à celles de l’Allemagne romaine. Une différentiation géographique est remarquable dès les origines des cloches48. L’originalité de ces cloches réside

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en Irlande, la cloche en fer forgé de Saint Patrick (VIe–VIIIe siècle) (cf. M. Cahill [ed.], Trésors d’Irlande [Paris, Galeries nationales du Grand Palais, 23 octobre 1982–17 janvier 1983], Paris 1982, 216) et celle, en cuivre battu, de Cashel (Limerick, Hunt Museum) (cf. L. Posselle [ed.], Celtes et scandinaves. Rencontres artistiques VIIe–XIIe siècle [Paris, Musée de Cluny, 1 octobre– 12 janvier 2009], Paris 2008, 29) ; en Ecosse, la cloche de Saint-Fillane (VIIIe siècle) (Edinburgh, National Museum of Antiquities of Scotland) ; en Italie, la cloche en cuivre battu antérieure au IXe siècle ainsi dite « campana ‘del Figar’ » de la Basilique San Zeno de Vérone (Verona, Museo di Castelvecchio) (cf. L. Franzoni [ed.], Fonditori di campane a Verone dal XI al XX secolo, Verona 1979, 21 ; L. Chiavegato, L’evoluzione della sagoma e del suono, in : Lusuardi Siena/Neri [eds.], Del fondere campane [nt. 4], 119–129, 119) ; en Allemagne, la cloche en fer forgé de Cologne, Sainte-Cécile (base 33 cm × 19,5 cm, hauteur 42 cm), datée du IXe siècle ; aujourd’hui, elle est conservée au Kölnisches Stadtmuseum (cf. J. Poettgen, 700 Jahre Glockenguß in Köln. Meister und Werkstätten zwischen 1100–1800, Worms 2005, 47 et 232 sq.). Le temps de vibration d’une tôle en fer forgé est très faible (environ 3 secondes). De plus, les cloches en fer sont d’une épaisseur très mince. Le passage à la réalisation de cloches fondues comporte un changement d’artisans : du forgeron au fondeur. Pour l’épisode de Gauzbert, cf. Vita Galli auctore Walahfrido, II, 1, ed. B. Krusch (Monumenta Germaniae Historica. Scriptores rerum Merovingicarum 4), Hannovre 1920, 320 ; Raban Maur, De institutione clericorum libri tres, ed. D. Zimpel (Freiburger Beiträge zur mittelalterlichen Geschichte 7), Frankfurt a. M. 1996. Pour la cloche demandée par Boniface, évêque de Mayence (744), à Heutbert (abbé de Jarrow et Wermouth), pour laquelle son successeur Lullus, 40 ans plus tard (756), remercie en témoignant la réception cf. Sancti Bonifatii et Lulli Epistolae, ed. M. Tangl, Die Briefe des Heiligen Bonifatius und Lullus (Monumenta Germaniae Historica. Epistolae Selectae 1), Berlin 1916, n. 76 et n. 116. Cf. Drescher, Die Glocken der karolingerzeitlichen Stiftskirche (nt. 11), 356, évoque aussi un autre mode de diffusion de la technique de la cire perdue et de celle des cloches fondues en Allemagne. Il indique que le pape Léon III (795–816), lors de sa visite en Saxe, bénit une cloche pour l’église de Berchkerken et qu’il en donna une autre à l’empereur, peut-être réalisée sur place grâce à des artisans romains l’ayant accompagné. Cf. H. Drescher, Glocken und Glockenguss im 11. und 12. Jahrhundert, in : id. (ed.), Das Reich der Salier 1024–1125 (Katalog zur Ausstellung des Landes Rheinland-Pfalz im Historischen Museum, vom 23. März bis 21. Juni 1992), Sigmaringen 1992, 402 sqq. ; Gonon, Les cloches en France (nt. 18), 67 sqq.

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dans le profil de la robe, droit et vertical, et par conséquent dans un cerveau assez fort, d’un diamètre et d’une hauteur très proche du diamètre inférieur. En outre, les cerveaux de ces cloches sont assez différents des autres cloches du haut Moyen Âge : ils sont très plats, moins hauts et moins arrondis, la jonction entre le cerveau et la panse étant très nette49. Ces caractéristiques témoignent de l’utilisation de la technique de la fausse cloche en argile, où le cerveau et les anses ont été ajoutés à la couche extérieure du moule après une première cuisson avec le feu dans le noyau. Si l’on accepte l’hypothèse, récemment renforcée par l’identification de Théophile avec Northungus50, que le ‘De diversis artibus’ a été composé en Allemagne centrale, il convient de noter que les plus anciennes attestations de la technique de la fausse cloche en cire commencent à se trouver ici, d’après les fours et les cloches connues, à partir de la deuxième moitié du Xe ou du début du XIe siècle51. Dans cette région, le four à cloche le plus ancien de type à fausse cloche en cire a été découvert dans l’abbaye Saint-Pantaléon de Cologne52. Nous nous limiterons ici à rappeler que c’est dans ce monastère qu’entre 1000 et 1012 est mort Froumund, auteur du ‘De mensura cerae et metalli in operibus fusibilus’53. Durant les années qui précédèrent, l’art de fondre d’énormes quantités de bronze à cire perdue s’était répandu grâce à l’évergétisme de Bernard de Hildesheim (980–1022) : les portes de la cathédrale de la ville et la colonne de Saint-Michel sont les œuvres les plus monumentales54. Si, pour former des modèles en cire de ce type, des compétences artistiques beaucoup plus spécialisées que celles d’un magister campanarius sont nécessaires, la coulée d’une si grande quantité du cuivre est en revanche une compétence que seuls possèdent les artisans fondeurs de cloches. D’autre part, on sait bien que pour les portes en bronze de Toscane et d’Italie du sud, une relation entre campanarii et fondeurs de portes est avérée55. 49

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On trouve d’autres caractéristiques permettant de distinguer ce deux cloches d’autres datant du haut Moyen Âge; par exemple, la très faible épaisseur de la pince et de la robe. Elles étaient probablement tintées de l’extérieur. En outre, ces deux cloches ne portent quasiment aucun décor : seulement un double filet en relief sur la faussure. Cf. la contribution d’I. Dines dans ce volume, 3–10. Les recherches de Hans Drescher, qui perdurent depuis plus de trente ans et qui mériteraient une publication organique, pourraient fournir des résultats très intéressants et mieux préciser la période d’introduction cette technique en Allemagne. Le four à cloche retrouvé dans l’église de Saint-Pantaléon est daté par C14 de 930 ± 50 (cf. Fußbroich, Die Ausgrabungen [nt. 35], 266 sq.) ; selon la plus récente interprétation des fouilles, on peut l’attribuer à la rénovation de l’évêque Bruno (cf. M. Jüsten-Hedtrich [ed.], Neue Forschungen zur Geschichte, Baugeschichte und Ausstattung von St. Pantaleon in Köln [Colonia Romanica 21], Köln 2006). À Saint-Pantaléon et durant la même période se trouve également Goderannus, un praepositus venant de Hildesheim et auteur d’un traité vitruvien avec une partie consacrée à la fusion ; cf. Fußbroich, Die Ausgrabungen (nt. 35), 267. Cf. M. Brandt/A. Eggebrecht (eds.), Bernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottonen (Katalog der Ausstellung, Hildesheim 1993), Hildesheim – Mainz 1993. Cf. T. Mannoni, Continuità e discontinuità nelle tecniche del bronzo, in : O. Banti (ed.), La porta di Bonanno nel duomo di Pisa e le porte bronzee medievali europee. Arte e tecnologia (Opera della Primaziale Pisana 11), Pontedera 1999, 147–150 ; E. Giannichedda/R. Giuliani/E. Lapa-

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En examinant, du point de vue technologique, la recette proposée dans le chapitre 85 du livre III du ‘De diversis artibus’, il est possible de déterminer quelles sont les racines culturelles de cette tradition technique. Nous pouvons trouver ici un background classique : non seulement la proximité avec la technique de fusion à cire perdue dans la variante indirecte-pleine pratiquée dans le monde antique afin de réaliser les statues en bronze, mais aussi la relation avec le processus de fabrication des vases en bronze, et une analogie formelle entre les fours à cloche et ceux destinés aux briques et à la céramique de l’époque romaine. L’hypothèse d’une matrice culturelle classique de cette technique semble être confirmée par le fait que, selon les données recueillies à ce jour, la recette de la fausse cloche en cire est davantage pratiquée dans le bassin méditerranéen, où elle est maîtrisée depuis plus longtemps56 ; une donnée peut-être aléatoire, mais qui confirme l’hypothèse suivante : le four du XVIe siècle de l’église San Giovanni Evangelista de Galbiate (Lombardie), qui fournit une attestation très récente de la technique de la fausse cloche en cire, a été réalisé, selon les documents, par un certain Georgius Panormitanus, Sicilien pratiquant dans le nord de l’Italie une recette traditionnelle démodée et donc exceptionnelle au regard du contexte dans lequel il opère57. Pour conclure, revenons aux informations que cette recherche peut fournir sur l’interprétation générale du texte, sur la genèse de sa formation, et sur la personnalité de l’auteur. La recette décrite dans le ‘De diversis artibus’ est vraisemblable et très diffusée en Europe : on la trouve quelquefois avec des variations dues à des expérimentations empiriques d’artisans ou à des adaptations à l’environnement. Dès le VIIIe siècle, les magistri campanarii fondent les cloches en suivant cette technique : de nombreux restes archéologiques de fours à cloche, trouvés en Italie et en France, en témoignent. Cette technique semble se répandre en Allemagne et en Angleterre entre la fin du Xe et le début du XIe siècle58. La chaîne opératoire décrite dans le traité est particulièrement proche de celle reconnue dans les ateliers du XIe siècle : on peut donc supposer que la recette a été écrite à cette période. Les racines technologiques et la distribution géographique des sites productifs permettent de supposer une origine classique de la recette : tout au début de l’utilisation chrétienne des cloches, elle se répand là où il y a une tradition technique classique. C’est sans doute un savoir-faire bien distinct de celui qui se trouve

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dula/F. Vona, Attività fusoria medievale a Canosa (BA), in : Archeologia Medievale 32 (2005), 157–171. Pour l’Allemagne, cf. U. Mende, Türzieher des Mittelalter, 2 voll., Berlin 1981. Pour une argumentation plus articulée sur les origines de la recette, cf. Neri, De campanis fundendis (nt. 5), 132–138, 209–212 et Lusuardi Siena/Neri, Come scoprire qualcosa (nt. 13), 448 sq. Cf. Neri, Magistri campanari (nt. 22), 228 sqq. Les sources des archives paroissiales d’Olginate donnent le nom du fondeur et rappellent la date de la bénédiction (1578) par Carlo Borromeo, archevêque de Milan. Georgius Panormitanus n’est pas le seul à se déplacer du sud de l’Italie : par exemple on connaît Antonius Gasteschis de Viterbo et sa famille, qui réalisa au XVe siècle des cloches dans le canton du Tessin (sud de la Suisse, par ailleurs diocèse de Milan). Les plus anciens sites anglais datent de la fin du Xe siècle : Gloucester, Saint Oswald Priory (cf. Bayley/Bryant/Heighway, A tenth-century bell-pit [nt. 37], 224 sqq.), et Winchester (cf. Davies/ Ovenden, Bell-founding in Winchester [nt. 29], 100–124).

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employé dans la fabrication des cloches à la fin du haut Moyen Âge en Allemagne et en Italie du nord. Aujourd’hui, il n’est pas possible d’attribuer ou non cette recette au projet de l’encyclopédiste Theophilus-Northungus. Cependant, l’auteur original de ce chapitre, que Théophile se limite peut-être à englober, pourrait être un superviseur (architetctus ou magister operis) surveillant les opérations sur les chantiers et vérifiant si le processus est correct ou non. Le contexte dans lequel la fonte d’une cloche a lieu, ainsi que la façon dont le texte et le registre linguistique sont composés, pourraient étayer cette hypothèse : la chaîne opératoire est ordonnée et décrite suivant un point de vue extérieur. En outre, les informations fournies sont plus utiles à ceux qui contrôlent le processus qu’à ceux qui le mettent en pratique. En effet, les textes plus récemment rédigés par des fondeurs montrent bien que ces derniers connaissent par cœur les gestes à répéter et qu’ils prêtent plutôt attention à autre chose, à savoir la qualité de l’argile, le choix du lieu de la fusion, la forme du moule, l’alliage, les matériaux du four59. II. La production du ver re et le ‘De diversis ar tibus’ : considérations préliminair es Le deuxième livre est une compilation de recettes, lesquelles ne sont pas toujours agencées de façon organique : on peut ainsi trouver des anomalies dans l’ordre logique de l’exposition, des incohérences quant à l’ordre de certains chapitres, et des variations de langage. Celles-ci permettent d’affirmer que le texte est très probablement une compilation de plusieurs recettes d’origines différentes60. 59

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On peut ici penser aux cahiers de Tommaso Marinelli de Agnone (cf. G. Petrella, Dell’arte delle campane. Memoria di Tommaso Marinelli ai suoi parenti fonditori, in : Redi/Petrella [eds.], Dal fuoco all’aria [nt. 17], 93–107), ou à d’autres inédits : par exemple ceux des fondeurs Grassmayer, Barigozzi, Capanni et Pruneri, qui ont été examinés, ainsi que plusieurs encore inexplorés d’autres fondeurs, tel que ‘La nouvelle Pyrotechnie’ de Philippe Cavillier. Cette opinion émise au congrès lors de la discussion a été partagée par M. Clarke et B. KurmannSchwarz. Au niveau textuel, on peut reconnaître les renseignements obtenus à partir d’une perception visuelle et de même que ceux rapportés par ouï-dire, et par conséquent distinguer différents groupes. Les chapitres 1–9 abordent le sujet de la production de plaques en verre. Ce groupe est globalement cohérent et uniforme, bien que l’ordre logique d’exposition ne soit pas vraiment organique : les chapitres 7–8, portant sur le verre coloré, devraient suivre le chapitre 5 (qui plus est, on sait fort bien que cette partie n’est pas complète, en raison de la perte de plusieurs chapitres). Ici sont expliquées les étapes de la construction de trois fours – pour la réalisation du verre, pour le refroidissement et pour l’expansion (dilatation) –,celles de la préparation de matières premières et de la réalisation de plaques ainsi que de leur recuisson. Ce thème est repris dans le chapitre 17. Ces informations semblent vraisemblables du point de vue chimique et opérationnel-empirique ; l’écrivain décrit donc probablement ce qu’il a observé. Les chapitres 10–11 décrivent la construction de vasa de vitro (lampes ?) et des burettes, peut-être parce qu’ils constituent des objets typiques du mobilier liturgique. Le chapitre 12 traite du verre opaque, dont la seule source d’approvisionnement sont les bâtiments des païens (les villae romaines ?). Ce chapitre, comme les suivants, rapporte des données obtenues par ouï-dire. Dans les chapitres 13–16, l’auteur fait une parenthèse

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Le sujet principal du livre est la fabrication de vitraux. À cette production est consacré plus d’espace. De plus, ce thème est aussi le point de référence dans certaines parties de l’ouvrage, où la production artistique de fenêtres n’est pas abordée61 : les chapitres 1–9, qui décrivent les opérations de production des matières premières, sont aussi destinés à la réalisation du verre plat en plusieurs couleurs. Les descriptions détaillées des ateliers de production sont très intéressantes pour l’archéologie des techniques. Cependant, la documentation disponible ne permet pas d’établir une comparaison analytique entre ce qui est décrit dans le traité, les données matérielles et les structures de production, comme nous l’avons fait précédemment pour les fours à cloches. Qui plus est, il est possible de repérer différentes sources du traité, plus anciennes, sur le même sujet étudié. Pourtant, aucun texte ne contient une description aussi détaillée que celle rapportée dans le ‘De diversis artibus’, et les recettes sur les fours ne semblent du moins pas

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dans la description de produits vitreux et décrit les objets qui sont réalisés par les Grecs (c’est à dire les Byzantins), puis il dévoile la technique de leur réalisation. Le chapitre 17 est dédié à la composition des fenêtres. Bien que la description des opérations semble dériver d’une observation directe du processus et qu’elles soient consécutives à celles données dans les chapitres 1–9, le langage et le registre de l’exposition sont très différents. Il s’agit en effet d’un processus qui requiert des compétences artistiques plutôt qu’artisanales et pyrotechniques. De plus, les opérations doivent être effectuées sur des plaques en verre déjà découpées ; or les activités de découpage ne sont décrites que dans le chapitre 18, dans lequel le langage pourrait être considéré comme similaire à celui du groupe 1–9, hormis pour la dernière phrase. Les chapitres 19–21 contiennent des informations sur la préparation de la couleur et de la peinture, mais ils ne montrent pas de séquence d’opérations, plutôt des conseils ainsi que des directives pouvant être tirées d’une œuvre indépendante et différente. Les chapitres 22–23 concernent la construction du four permettant de cuire la peinture sur verre et le processus de cuisson correspondant. Le vocabulaire est similaire au groupe 1–9. Les chapitres 24–26 abordent le sujet des moules destinés à la fabrication des barres de fenêtres en plomb. Bien qu’ils touchent à la métallurgie – une connaissance distincte de la verrerie –, ces chapitres recourent à un langage très similaire au groupe 1–9 et décrivent un processus observé par l’auteur. Le chapitre 27 décrit en termes généraux la composition et la soudure des vitraux ; peut être que le processus est tiré d’une autre recette indépendante. Le chapitre 28, portant sur la décoration au moyen de fausses pierres précieuses, est probablement tiré d’une autre recette, parce qu’il répète des informations déjà données (par exemple concernant le verre jaune) et n’est pas structuré de manière organique quant à l’ordre et à la cohérence de l’exposition. Il faut rappeler – par exemple – qu’il ne tient pas compte du fait que les fenêtres ont déjà été assemblées, selon les informations des chapitres précédents. En outre, les fausses pierres sont toujours (y compris dans le livre I) appelées electra, tandis qu’elles sont ici appelées gemmae. Le chapitre 29 est un résumé répétitif de la production des vitraux, tiré d’une autre recette. Le chapitre 30 sur la réparation des vases en verre aurait dû suivre les chapitres 10–11, et il puisqu’il emploie un langage similaire. Le chapitre 31 sur les anneaux en verre provient sans doute d’une recette indépendante. Le sujet est abordé dans les chapitres 27–29. Dans le chapitre 9, il est écrit que les plaques en verre, dont les chapitres 6–8 décrivent la production, ont pour but la réalisation de fenêtres. Dans le chapitre 12, il est dit que le recyclage de tesselles de mosaïque bleues est utile à la production des vitraux. Le chapitre 13 enseigne que les vases en verre doré sont cuits dans un four identique à celui servant à fixer la peinture sur les vitraux. Il en va de même pour les mosaïques d’or du chapitre 15 et les vases émaillés du chapitre 16.

Vraisemblable et invraisemblable selon l’archéologie dans le ‘De diversis artibus’

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dépendre d’autres sources. Néanmoins, toutes les sources insistent sur la nécessité de réaliser la fusion du verre en deux temps : le premier sert à obtenir la fritte, composée de sable et de fondant (minéral ou végétal), et le deuxième à rendre la fritte malléable, prête à être soufflée ou coulée62. Le ‘De diversis artibus’ décrit quatre structures pour la production du verre, en distinguant bien la préparation de la fritte de sa recuisson avant le soufflage. Les structures décrites sont en bref les suivantes : 1. Le clibanus operis (ch. 1)63 est un four rectangulaire de 15 pieds de long et 10 de large (5,34 m × 3,56 m), d’une hauteur de 8 pieds (2,84 m), bâti en pierre et en argile, et couvert d’une voûte. Dans cette structure à deux étages sont obtenus deux fours adjacents, mais qui ne communiquent pas entre eux. Le minor a une chambre inférieure avec une ouverture en bas pour l’introduction du bois, l’extraction des cendres et la régulation du feu, ainsi qu’une chambre supérieure pour la fusion, dotée d’une fenêtre. Les deux chambres sont séparées par une plaque perforée où est placé le mélange de sable et de cendres. Le maior est également constitué d’une ouverture de foyer et d’une chambre de fusion dans

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On peut très brièvement dresser une liste des sources et des données trouvées : 1. Pline l’Ancien, Naturalis Historia, XXXVI, c. 65–66, ed. J. André (Les Belles Lettres), Paris 1981, 115 sq. : les matériaux utilisés sont le sable qu’on trouve entre Cume et Liternes ainsi que le natron. Il faut les fondre en deux étapes, dans des structures bien distinctes. Les recherches archéologiques et archéométriques ont montré jusqu’à présent que les objets en verre d’époque romaine analysés n’utilisent pas le sable mentionné par Pline. 2. Mésomède de Crète (poète de l’époque d’Adrien), in : R. Aubreton/F. Buffière (edd.), Anthologie grecque. Anthologie de Planude, vol. 13, Pt. 323, Paris 1980, 200 : il souligne que le verre est refondu pour être traité. 3. ‘Compositiones ad tingenda musiva’ ou Manuscrit de Lucques (VIIIe siècle, peut-être extrait d’un livre hellénistique perdu et écrit à Alexandrie ?), 218r, 15 (« De coctio vitri »), ed. H. Hedfors, Uppsala 1932, 8.La description de la structure est rapide et confuse. Une structure unique pour la fusion du verre est mentionnée. 4. Isidore de Séville, Etymologiae, XVI, 15 (VIIe siècle), qui reprend Pline et ajoute fiebat olim in Italia. 5. Raban Maur, De Universo, XVII, 10 (IXe siècle), qui répète Isidore de Séville. 6. Notices alchimiques, tirées du lexique syriaque de Bar Bahloul du XVIe siècle, qui sont une copie d’une œuvre d’époque abbasside (British Library, Collection des manuscrits syriaques MS Egerton 709 et Collection orientale Ms. Or. 1593, traduits in M. Bethélot, La Chimie au Moyen Âge, vol. II, c. XII–XIII, Osnabrück – Amsterdam 1967, 191–197) décrivent deux fours. Le premier sert au trempage de la fritte et au traitement des objets. Il est rectangulaire, composé de trois chambres superposées : l’une pour le feu, une deuxième pour la fusion, la troisième pour le processus de recuisson après le soufflage sur un plan de marbre installé face aux ouvertures sur le deuxième étage. Le deuxième four est utilisé pour la réalisation de la fritte : il s’agit d’un four rectangulaire plus petit, composé de deux chambres superposées : celle inférieure pour le feu, celle supérieure pour la fritte. 7. Pseudo-Héraclius ou le troisième livre du ‘De coloribus et artibus Romanorum’ : les deux premiers livres sont probablement l’œuvre d’un moine du Xe siècle, le troisième est postérieur (XIIe–XIIe siècle ?). C’est dans ce livre-ci, en particulier dans le chapitre VII, qu’on trouve une description tirée de Théophile. Le four est décrit brièvement : il est rectangulaire à deux étages et couvert d’une voute, il a des ouvertures sur lesquelles est placée la pierre pour le soufflage.

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laquelle sont placés des creusets avec la fritte. La chambre haute a quatre ouvertures, chacune disposant de son propre plan de travail en pierre (fig. 7). 2. Le clibanus refrigerii (ch. 2) est rectangulaire, mesurant 10 pieds de long, 8 de large (3,5 m × 2,8m) et 4 pieds de haut (1,42 m) ; il est composé de deux chambres, dont l’une pour le feu et l’autre pour le refroidissement. 3. Le clibanus aequandi et dilatandi (ch. 3) est presque identique à celui décrit cidessus, mais plus petit (6 × 3 × 3 pieds ou 2,13 m × 1,6 m × 1,6 m) ; son fonctionnement est mal précisé. Il a pour but de recuire le verre plat après la réalisation de plaques. 4. Le clibanus coquendi (ch. 22), fait de matériaux périssables (argile posée sur un arc bâti en bois), est utilisé pour la recuisson des vitraux après qu’ils ont été peints. Ceux-ci sont placés sur une barre de fer avec les agents de démoulage appropriés. Malgré le travail considérable, abordé par Horat64, sur la comparaison entre les planimétries des fours, dont on a des vestiges archéologiques, et les structures du traité, aucune publication de fouille détaillée sur les fours romains et médiévaux quant à la production de verre n’a encore été publiée. Les ateliers ont fait l’objet d’un recensement plutôt que d’une étude en profondeur, et on a préféré l’analyse archéométrique à une approche stratigraphique ; de plus, ces ateliers ont souvent été découverts il y a longtemps, et il n’est pas possible de réinterpréter la documentation des fouilles avec de nouvelles méthodes65. En outre, les structures

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On peut remarquer que l’auteur utilise la translittération d’un mot grec pour indiquer le four : clibanus. Dans le troisième livre apparaît le lexème furnus pour indiquer le four. Cf. H. Horat, Der Glasschmelzofen des Priesters Theophilus interpretiert aufgrund einer Glasofen-Typologie, Bern–Stuttgart 1991. Les compte-rendus de fouilles menées en Europe sur les ateliers verriers ne permettent pas une interprétation du fonctionnement des structures, mais fournissent une localisation des sites et abordent les problèmes techniques ; cf. D. Foy/G. Sennequier (eds.), Ateliers de verriers de l’Antiquité à la période pré-industrielle (Actes des 4e rencontres de l’Association Française pour l’Archéologie du Verre, Rouen 24–25 novembre 1989), Rouen 1991 ; M. Mendera (ed.), Archeologia e storia della produzione del vetro preindustriale (Quaderni del Dipartimento di archeologia e storia delle arti 26), Firenze 1991 ; M. Sternini, La fenice di sabbia. Storia e tecnologia del vetro antico (Bibliotheca archaeologia 2), Bari 1995. Pour une mise à jour sur les ateliers byzantins, cf. A. C. Antonaras, Early Christian and Byzantine glass vessels : forms and uses, in : F. Daim/ J. Drauschke (eds.), Byzanz – das Römerreich in Mittelalter (Monographien des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 84,1), Mainz 2010, 383–430, en particulier 398–401 ; J. Drauschke/ D. Keller (eds), Glas in Byzanz. Produktion, Verwendung, Analysen (Römisch-Germanisches Zentralmuseums. Tagungen 8), Mainz 2010. Sur les ateliers italiens du haut Moyen Âge et des premiers siècles du bas Moyen Âge, on sait très peu de choses ; cf. les indications in M. Mendera, Produzione vitrea medievale in Italia e fabbricazione di tessere musive, in : E. Borsook/F. Gioffredi/G. Pagliarulo (eds.), Medieval mosaics : Light, Color, Materials (Villa I Tatti 17), Cinisello Balsamo 2000, 97–138 et F. Dell’Acqua, Illuminando colorat (nt. 1), 158, note 399. Pour l’articulation des structures, l’atelier italien de référence pour les siècles concernés reste Torcello (cf. E. Tabczynska, L’officina vetraria, in : L. Leciejewicz/E. Tabaczynska/S. Tabaczynski (eds.), Torcello, Scavi, 1961–1962 [Instituto Nazionale d’Archeologia e Storia dell’Arte 3], plusieurs fois réinterprété ; cf. T. Mannoni/E. Giannichedda, Archeologia della produzione, Torino 1996, 180, fig. 37 ;

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ne sont que partiellement enterrées, et non en fosse : la conservation du dépôt archéologique est donc bien moins efficace. Les études scientifiques ont attaché une grande importance aux fours trouvés à Corinthe, parce qu’on pensait qu’ils provenaient d’un horizon chronologique situé aux XIe–XIIe siècles, et de ce fait contemporains du traité de Théophile66. Cependant, une réinterprétation des donnés archéologiques a permis de les dater du XIIIe–XIVe siècle67. Il s’agit de deux fours, le premier rectangulaire, sans aucune différentiation à l’intérieur, et le deuxième circulaire. Le premier est identifié comme un four servant à recuire la fritte68. Davinson a donc suggéré que c’était un four similaire à celui décrit par les manuscrits syriens de la British Library : un four construit avec trois chambres superposées69. Ce type d’atelier serait aussi représenté dans une miniature du ‘De Universo’ de Raban Maur, en particulier dans le manuscrit 132 de la Bibliothèque de l’Abbaye de Montecassino, daté du XIe siècle70. À partir de ces données, Gasparetto et Charleston considèrent que ce type de four est très courant à l’époque médiévale en Méditerranée, parce qu’on en retrouva une attestation dans un traité en Syrie, une source iconographique en

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M. Verità/S. Zecchin, Le origini della vetreria veneziana attraverso l’analisi di reperti archeologici della vetreria di Torcello, in : D. Ferrari (ed.), Il vetro nell’alto Medioevo. Atti delle VIII Giornate nazionali di studio (Spoleto, 20–21 aprile 2002), Imola 2005, 37–43. Pour une mise à jour des sites français, cf. D. Foy, Technologie, géographie, économie : les ateliers de verriers primaires et secondaires en Occident. Esquisse d’une évolution de l’Antiquité au Moyen Âge, in : M. Nenna (ed.), La route du verre. Ateliers primaires et secondaires de verriers du second millénaire av. J.-C. au Moyen Âge (Travaux de la Maison de l’Orient Méditerranéen 33), Lyon 2000, 147–170. Une exception au niveau archéologique pour l’analyse monographique d’un seul site, comprenant la discussion des données stratigraphiques, nous est fournit par la monographie de Heidi Amrein, consacrée à l’atelier romain d’Avenches (cf. L’atelier de verriers d’Avenches. L’artisanat du verre au milieu du 1er siècle après J.-C. [Cahiers de l’Archéologie Romande 87], Lausanne 2001). L’auteur met surtout l’accent sur l’étude des déchets ; elle donne aussi un panorama synthétique sur les officines verrières romaines (99–125). Cf. G. R. Davinson, A Medieval glass factory at Corinth, in : American Journal of Archaeology 44 (1940), 297–324 ; G. Davison Weinberg, A medieval mystery: Byzantine glass production, in : Journal of Glass Studies 17 (1975), 127–141 ; R. J. Charleston, Glass furnaces through the Ages, in : Journal of Glass Studies 20 (1978), 9–34 ; L. James, Light and colour in Byzantine art (Clarendon studies in the history of art 15), New York 1996. Ces fours-ci sont situés dans l’agora nord et sud et ont été fouillés par niveaux en 1937. Ils ont été datés du XIIe siècle grâce aux matériaux numismatiques et céramiques. D. Whitheouse, Glassmaking at Corinth : a reassessment, in : Foy/Sennequier (eds.), Ateliers de verriers (nt. 65), 73–82. L’auteur document sa relecture des fouilles avec des plus récentes acquisitions numismatiques et sur l’art du verre. Par conséquent il faut abandonner l’hypothèse selon laquelle l’art du verre médiéval en Italie et en Europe centrale a été influencé par les byzantins. Même s’il est rectangulaire, il est plus petit par comparaison au clibanus operis décrit par Théophile et il n’est pas divisé en deux fours. De plus, la température à laquelle il a été utilisé n’est pas suffisante pour fondre les matières brutes. Cf. nt. 62, point 6. Cf. Raban Maur, De Universo, XVII, 10 (« De Vitro »), Montecassino, Archivio dell’Abbazia, Ms. 132. Cf. E. Schenz zu Schweinsberg, La fabrication du verre d’après deux manuscrits enluminés du ‘De Universo’ de Raban Maure, in : Cahiers de la céramique du verre et des arts du feu 32 (1964), 268–274.

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Italie et une source archéologique en Grèce71. Récemment, en révisant les données de fouilles sur les fours à verre trouvés à San Vincenzo al Volturno, les auteurs D’Angelo et Marazzi ont également interprété une des structures comme étant un four de type méditerranéen, comme celui de Corinthe72. Charleston et James opposent à ce type de fours les ‘fours du Nord’, assimilant ces derniers au clibanus operis de Théophile73. Ce type-là est attesté archéologiquement à Glastonbury (Royaume-Uni) et quant à certains fours de Bohême, comme à Nitra. Malheureusement, les données archéologiques ne sont pas disponibles et il n’est donc pas possible de les réexaminer. En fait, les informations sont trop peu nombreuses pour pouvoir créer des modèles d’interprétation aussi larges. Des rapports de fouille de plusieurs fours seraient alors nécessaires. Il est cependant possible de relever que la principale différence entre les deux types de fours reconnus repose sur la présence (ou l’absence) dans la même construction d’un four pour cuire la fritte et d’un autre pour la recuire. Cela pourrait être dû à la proximité ou non des matières premières du mélange vitrifiable74. La recette du mélange vitrifiable décrite dans le traité suggère l’utilisation de sables bien lavés et de cendres de hêtre (fondant alcalin de potassium)75. D’après les données archéométriques connues, cela est fort plausible. L’analyse conjointe des données archéométriques et archéologiques a révélé en particulier, dans un cadre en cours d’élaboration, que, jusqu’au VIIIe siècle, la production de la fritte a eu lieu dans un petit nombre de grands fours situés à proximité des zones

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Cf. nt. 65. Cf. F. D’Angelo/F. Marazzi, ‘Artes diversas intra monasterio exerceantur’ (RB., cap. LXVI). Riflessioni sul ciclo produttivo del vetro a San Vincenzo al Volturno nel IX secolo, in : R. Francovich/M. Valenti (eds.), IV Congresso Nazionale di Archeologia Medievale (Abbazia di San Galgano, 26–30 settembre 2006), Firenze 2006, 447–454. Les fours ont été répertoriés en deux groupes : ceux proches de l’atrium contemporain au chantier, les autres postérieurs (cf. R. Hodges, A fetishism for Commodities: Ninth-Century glass making in San Vincenzo al Volturno, in : Mendera [ed.], Archeologia e storia [nt. 65], 67–90). Selon la nouvelle interprétation, les fours sont contemporains et ont des fonctions différentes dans le même cycle de production. En particulier les structures proches de l’atrium seraient des fours de fusion (ateliers premiers) ; les autres, des fours de recuisson, pour le soufflage et pour la réalisation du verre plat. Cf. les références indiquées dans la nt. 65. Il faudrait alors bien déterminer si le type de four décrit dans le ‘De diversis artibus’ n’est pas attesté avant la rédaction de ce texte. Certaines ateliers de fabrication de l’antiquité tardive, fouillés à Cologne et dans la forêt de Hambach, pourraient-ils ressembler à ce type ? (cf. A. B. Follmann-Schulz, Fours de verriers Romains dans la province de Germanie inférieure, in : D. Foy/ G. Sennequier [eds.], Ateliers de verriers [nt. 65], 35–40). Amrein aussi suppose que le four Hambach 75 soit un four primaire et qu’à Bonn se trouve un atelier primaire (cf. H. Amrein, L’atelier de verriers [nt. 65], 100 sqq.). Sont-ils la preuve d’une tradition régionale que le traité, six siècles plus tard, a simplement codifiée ? Il faudrait le vérifier, mais la documentation correspondante – en partie perdue – ne permettrait pas une interprétation définitive. Cf. Theophilus, De diversis artibus, II, c. 1, ed. Brehpohl (nt. 1), vol. 1, 146 : « [P]rimum incide ligna faginea multa et exsicca ea. Deinde combure ea pariter in loco mundo, et cineres diligenter colligens » ; c. 4, 148 : « Deinde tollens duas partes cinerum de quibus supra diximus, et tertiam sabuli diligenter de terra et lapidibus purgati, quod de aqua tuleris, commisce in loco mundo. »

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d’approvisionnement en sables de silice et de natron76. Passé le VIIIe siècle, le natron (fondant minéral à base de sodium) fut remplacé par des cendres végétales soit sodiques (obtenues à partir de plantes du littoral) soit potassiques (obtenues à partir de plantes continentales)77. Par conséquent, à partir du haut Moyen Âge, les cendres sodiques furent utilisées dans la région méditerranéenne et les cendres potassiques dans l’Europe continentale du nord. Cela pourrait confirmer l’origine nord-européenne de la recette du ‘De diversis artibus’. Il n’est pas du tout invraisemblable que cette recette fût pratiquée dans les monastères de l’Allemagne centrale : sans supposer que l’auteur connaisse ce site, et afin de rendre l’idée du milieu dans laquelle elle peut avoir été rédigée, il convient de penser au monastère de Corvey. Là, on peut trouver des vestiges archéologiques d’un atelier verrier daté du VIIIe au XIIe siècle, et situé entre le cloître et le fleuve Weser78. Les informations contenues dans le chapitre 12 sont également bien documentées par l’archéologie et par l’archéométrie. Il est ici précisé que les verres colorés et opacifiés ont été réalisés grâce à la refonte des tesselles prises sur des bâtiments païens79, et que les Francs étaient particulièrement habiles dans cet art80. De nombreux ateliers de production montrent comment, à partir du IVe siècle, cette pratique était particulièrement répandue dans la région située à la 76

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Suite à la découverte des ateliers primaires israélo-palestiniens, les archéologues et les archéomètres ont reconstruit ce modèle (cf. R. H. Brill, Scientific investigation of Jalame Glass and related Finds, in : G. D. Weinberg [ed.], Excavations at Jalame : site of a glass factory in late Roman Palestine, Columbia 1988, 257–294 ; I. C. Freestone/Y. Gorin Rosen/J. Huges, Primary glass from Israel and the production of glass in Late Antiquity and the early Islamic period, in : Nenna [ed.], La route du verre [nt. 65], 65–82). Une recherche analogue a été conduite par une équipe française sur les fours égyptiens (cf. M. D. Nenna/M. Picon/M. Vichy, Ateliers primaires et secondaires en Egypte à l’époque gréco-romaine, in : op. cit., 97–112). D’après ces recherches, on a considéré comme obsolète le modèle précédent : chaque centre produit le mélange vitrifiable avec les matériaux premiers locaux. Les deux systèmes sont-ils vraiment alternatifs ? Cf. D. Foy, Le verre médiéval et son artisanat en France méditerranéenne, Paris 1988, 31–38, 407–419 ; I. C. Freestone, Primary glass sources in the mid first millennium AD, in : Annales du XVe Congrès de l’Association Internationale pour l’histoire du verre, New York–Corning 2001, 111–115 ; I. C. Freestone/F. Dell’Acqua, Early medieval glass from Brescia, Cividale and Salerno, Italy: composition and affinities, in : Ferrari (ed.), Il vetro nell’alto Medioevo (nt. 65), 65–75. Pour une analyse archéologique et archéométrique, cf. H. G. Stephan/K. H. Wedepohl/G. Hartmann, Mittelalterliches Glas aus dem Reichskloster und der Stadtwüstung Corvey, in : Germania 75 (1997), 673–715. Cf. Theophilus, De diversis artibus, II, c. 12, ed. Brehpohl (nt. 1), vol. 1, 146 : « Inveniuntur in antiquis aedificiis paganorum in musivo opere diversa genera vitri, videlicet album, nigrum, viride, croceum, saphireum, rubicundum, purpureum; et non est perspicax, sed densum in modum marmoris, et sunt quasi lapilli quadri, ex quibus fiunt electra in auro, argento et cupro, de quibus in suo loco sufficenter dicemus. Inveniuntur etiam vascula diversa eorundem colorem, quae colligunt Franci in hoc opere peritissimi, et saphireum quidem fundunt in furnis suis, addentes ei modicum vitri clari et albi, et faciunt inde tabulas saphiri pretiosas ac satis utiles in fenestris. Faciunt etiam ex purpura et viridi similiter. » Sur ce point cf. E. Neri, Utilisation et production de tesselles de mosaïque à l’époque romane d’après Théophile, in : Cahiers de Saint-Michel de Cuxa 43 (2012), 31–41. L’habilité des Francs dans l’art du verre est déjà relevée dans le prologue au livre I du ‘De diversis artibus’ (ed. Brehpohl [nt. 1], vol. 1, 51) : « quicquid in fenestrarum pretiosa varietate diligit Francia. »

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frontière entre la France et l’Allemagne, de même qu’en Italie dès le VIe siècle81 et en Angleterre dès le VIIe siècle – lorsque des artisans originaires de Gaule furent appelés à Wearmouth pour produire du verre coloré, selon l’attestation de Bède le Vénérable82. Les analyses archéométriques ont attesté que les tesselles sont utilisées pour colorer le verre creux et plat. Ces analyses permettent aussi de supposer qu’il existait en Europe médiévale un commerce de tesselles romaines vendues aux artisans qui produisaient verre ou émaux83. L’habitude de prélever les tesselles de mosaïque sur des bâtiments anciens était très répandue au moins dès le VIIIe siècle, y compris dans la région méditerranéenne. Charlemagne, avec l’autorisation du pape Adrien I, vola ainsi les mosaïques de Ravenne pour décorer le complexe d’Aix la Chapelle84. Al-Tabari, chroniqueur islamique des VIIIe–IXe 81

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Quelques sites permettant de documenter ce processus entre les IVe et IXe siècles : entre la France et l’Allemagne : Froidos (IVe siècle) (cf. G. Sennequer, Froidos, lieu dit Berthancourt, in : D. Foy [ed.], À travers le verre du Moyen Âge à la Renaissance, Rouen 1989, 57), Houis (IIIe–IVe siècle) (cf. H. Chew, Sainte-Menehould, in : ibid.), Kordel (Antiquité tardive-haut Moyen Âge) (cf. V. I. Evison, Red marble glass, Roman to Carolingian in : Annales du 11e congrès de l’Association International pour l’Histoire du Verre [Bâle, 29 août–3 septembre 1988], Amsterdam 1990, 217–228), Titelberg (Ve–VIIe siècle ?) (cf. G. Thill, Une verrerie gallo-romaine au Titelberg, in : Hémecht 20 [1968], 521–528), Paderborn (IXe s.) (cf. K. H. Wedepohl, Karolingisches Glas, in : Stiegemann/Wemhoff [eds.], Kunst und Kultur [nt. 11], 218–221) ; en Italie : Aiano Torraccia (VIe siècle) (cf. M. Cavalieri/A. Giumlia-Mair, Lombardic Glassworking in Tuscany, in : Materials and Manufacturing Processes 24,9 [2009], 1023–1032), Roma, Crypta Balbi (VIIe–VIIIe siècle) (cf. L. Saguì/P. Mirti, Produzione di vetro a Roma nell’alto medioevo : dati archeologici e archeometrici, in: Foy/Nenna [eds.], Échange et commerce du verre dans le monde antique [Actes du colloque de l’Association Française pour l’archéologie du verre, Aix en Provence–Marseille, 7–9 June 2001], Montagnac 2003, 87–91), San Vincenzo al Volturno (IXe siècle) (cf. Hodges, A fetishism [nt. 72], 75 ; D’Angelo/Marazzi, Artes diversas [nt. 72], 447–454), Farfa (cf. M. Newby, Medieval glass from Farfa, in : Annales du 10e Congrès de l’Association International pour l’Histoire du Verre [Madrid–Ségovie, 23–28 septembre 1985], Amsterdam 1987, 255–270) ; dans le Balkans et la Méditerranée orientale Orbeti (VIIe–VIIIe siècle), Preslav (Xe siècle) (cf. M. A. Bezborodov/A. A. Abdurazakov, Newly excavated glassworks in the URSS, 3th–14th Centuries AD, in : Journal of Glass Studies 6 [1964], 64–69) ; en Scandinavie : Ribe (VIIIe–IXe siècle) et Paviken (IXe–Xe siècle) (cf. T. Gam, Prehistoric glass technology: Experiments and Analyses, in : Journal of Danish Archaeology 9 [1990], 203–213). Cf. Bède le Vénérable, Vita Sanctorum Abbatum monasterii in Wiramutha et Girvum, lib. I, in : PL 94, 717. En Angleterre, parmi les sites de recyclage se trouve Jarrow (VIIe siècle), Lincoln (Xe–XIe siècle), York (Xe–XIe siècle) (cf. J. Bayley, La verrerie en Angleterre pendant l’époque anglo-saxone, in : D. Foy/G. Sennequier [eds.], Ateliers de verriers [nt. 65], 31–34). Sur les recyclages de tesselles afin de réaliser émaux et vitraux, cf. I. C. Freestone, Theophilus and the composition of medieval glass, in : P. B. Vandiver/J. Druzik/G. Wheeler/I. Freestone (eds.), Materials Issues in Art and Archeology III (Materials Research Society, Symposium Proceedings 267), Pittsburgh 1993, 739–745 ; sur la manière d’obtenir verre creux et verre plat, cf. Freestone/ Dell’Acqua, Early medieval glass (nt. 77), 65–75 et P. Mirti/P. Davit/M. Gulmini, Colourants and opacifiers in seventh and eighth century glass investigated by spectroscopic techniques, in : Analytical and Bioanalytical Chemistry 372,1 (2002), 221–229 ; sur la manière d’obtenir des bijoux, cf. M. Heck/P. Hoffman, Coloured opaque glass beads of the Merovingians, in : Archaeometry 42 (2000), 341–357. Cf. B. Carolini Magni Codicis diplomatici, sect. III (Monumenta Dominationis Pontificae, sive Codex Carolinus), ep. LXXXII, in : PL 98, col. 371.

Vraisemblable et invraisemblable selon l’archéologie dans le ‘De diversis artibus’

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siècles (mort en 923), dit que le « Seigneur des Grecs » (l’empereur byzantin) donna l’ordre à al-Walid I entre 705 et 712 de « chercher des tesselles dans les villes en ruines » et envoya 40 chargements de tesselles à Médine pour la construction de la nouvelle mosquée85. De plus, al-Idrisi rapporte que Nicéphore Phocas envoya à al-Hakam II 320 quintaux de tesselles pour le mihrab de la Grande Mosquée de Cordoue86. Parallèlement à ces informations crédibles, les chapitres 13 à 16 en apportent d’autres invraisemblables. Les objets décrits dans ces chapitres sont définis comme étant « grecs », c’est-à-dire des produits byzantins probablement importés en Europe du Nord. L’auteur décrit des artefacts qui existent, mais il ne connaît pas leurs techniques de réalisation et les déduit alors de façon invraisemblable à partir des objets finis87. Pour les coupes dorées, les mosaïques d’or et la céramique émaillée, il mentionne donc des procédures technologiquement impossibles à réaliser. Dans les chapitres 13 et 14, il explique les recettes des coupes en verre ornées d’or et d’argent comme étant réalisées respectivement à l’aide d’une feuille d’or ou bien d’or liquide. Le premier type d’artefacts est répandu surtout à l’époque romaine et dans l’Antiquité tardive ; mais aucun vase décoré à la feuille d’or datant du XIIe siècle n’a été retrouvé, à l’exception peut-être d’un groupe de récipients issu d’une collection anglaise88. L’auteur a vu ces objets, dont la feuille d’or est insérée entre deux couches de verre transparent ; mais il donne des indications techniquement improbables : concernant par exemple la réalisation de la couche supérieure qui couvre la feuille d’or avec du verre tritum (haché ou broyé), tandis que l’épaisseur très mince de cette couche suggère qu’il est soufflé. De plus, quelques artefacts de la collection de la bibliothèque vaticane conservent encore le 85

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Cf. al-Mas>u¯dı¯, Kita¯b al-tanbı¯h wa’l-ishra¯f, ed. M. J. De Goeje, in : Bibliotheca Geographorum arabicorum, vol. VIII, Leiden 1894 ; pour l’utilisation de ces sources, cf. A. R. H. Gibb, ArabByzantin Relations under the Umayyad Caliphate, in : Dumbarton Oaks Papers 12 (1958), 219–233 ; et pour d’autres sources plus anciennes sur le rôle des mosaïques et des mosaïstes byzantins dans la réalisation de la décoration des mosquées, y compris celles de Damas et de Jérusalem, cf. M. Gautier-Van Berchem, The mosaics of the Dome of the Rock in Jerusalem and of the Great Mosque in Damascus, in : K. A. C. Creswell (ed.), Early Muslim architecture, vol. I, Oxford 1969, 211–372. Cf. al-Idrı¯sı¯, Géographie, ed. (et trad.) A. Joubert, in : Géographie d’Edrisi, vol. II, Paris 1840, 60, ainsi que Al-Idrı¯sı¯ (Abu >Abd Alla¯h Muhammad Ibn Muhammad), Opus Geographicum (Nuzhat al-mushta¯q fı¯ khtira¯q ala¯fa¯q), ed. A. Bombaci/U. Rizzitano/R. Rubinacci/L. Veccia Vaglieri, 9 vols., Naples – Rome 1970–1984. Pour les produits vitreux byzantins cf. la synthèse bibliographique de D. Keller, Byzantine glass : past, present and future. A short history of research on Byzantine glass, in : Glass in ByzantiumProduction, Usage, Analyses (international Workshop organised by Bizantine Archeology, Mainz, 17–18 January 2008), Main 2010, 1–24. Cf. D. Whitehouse, Byzantin gilded glass, in : R. Ward (ed.), Gilded and Enamelled Glass from the Middle East, London 1998, 4–7 ; R. Tyson, A Survey of Medieval Glass Vessels in England 1200–1500, in : Annales du 13e Congrès de l’Association Internationale pour l’Histoire du Verre (Pays-Bas, 28 août–1 septembre 1995), Amsterdam 1996, 333–342 ; A. C. Antonaras, Early Christian and Byzantine glass vessels : forms and uses, in : F. Daim/J. Drauschke (eds.), Byzanz – Das Römerreich in Mittelalter, vol. 1, Mainz 2010, 383–430, 395 sqq.

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moule en argile dans lequel ils ont été réalisés, permettant la reconstruction d’une chaîne opératoire, quant à la fabrication, différente de celle du traité89. Et bien qu’au XIIe siècle aient existé des coupes décorées à l’aide d’or liquide, il est impossible que la peinture d’or fût posée sur du verre n’ayant pas encore été cuit90. Par ailleurs, dans la recette du chapitre 15 sur la mosaïque d’or, il suggère de couler le verre pour obtenir une couche, puis de la couper afin d’obtenir des tesselles carrées. Des feuilles d’or déjà coupées en carré sont posées sur ces dernières. Il est ensuite ajouté du verre tritum, puis les cubes sont ainsi recuits. Effectuer la coupe avant la composition des trois couches est invraisemblable, de même que l’utilisation du verre haché ou broyé pour fixer la feuille d’or. L’observation des bords de galettes de mosaïques d’or issus de différents contextes (fig. 8)91 nous permet de reconnaître que la technique suivie pourrait être celle présentée dans les ‘Compositiones ad tingenda musiva’ et dans le manuscrit 797 des Archives de l’État de Florence, datant de la première moitié du XVe siècle92. Qui plus est, les données archéométriques permettent de dire qu’il n’y a pas au XIIe siècle de production de mosaïques d’or avec du verre potassique, et par conséquent aucune produite en Europe du Nord93. La technique proposée au chapitre 16 est encore plus absurde : il est bien avéré que la vitrine de la vaisselle byzantine est obtenue avec des composants de plomb 89

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Cf. Ch. R. Morey, The gold glass collection of Vatican library: with additional catalogues of other glass collection (Catálogo del Museo Sacro della Biblioteca Apotólica Vaticana 4), Città del Vaticano 1959, en particulier les vases suivants, qui conservent encore le moule : 11, 24, 42, 68,122, 170 (bleu), 199, 192. Whitehouse (Byzantin gilded glass [nt. 88], 4) en vient à dire que l’auteur déduit la recette à partir de l’objet. Les galettes examinées sont celles de Saint-Sever (cf. D. Foy, Les revêtements muraux en verre à la fin de l’Antiquité : quelques témoignages en Gaule méridionale, in : Journal of Glass Studies 50 [2008], 51–65), de Milan (IVe–VIe siècle) (en cours d’étude par E. Neri), de Daphné (XIe siècle) (en cours d’étude par P. Loukopoulou), de Monreale (XIIe siècle) (cf. M. Verità/S. Rapisarda, Studio analitico di materiali musivi vitrei del XII–XIII secolo dalla Basilica di Monreale a Palermo, in : Rivista della Stazione Sperimentale del Vetro 38,2 [2008], 15–29), de San Marco à Venise (XIIe siècle) (cf. L. Zecchin, Vetro e vetrai di Murano: Studi sulla storia del vetro, vol. 3, Venezia 1990, 351–356). Cf. Anonyme, Compositiones ad tingenda musiva, 217r, 30 (« De inoratione musiborum »), ed. Hedfors (nt. 62), 5 : « Facis petalam plus crossam queius usans. Post hec, facis illa alia et pones pectalum heramentinum ut incensum non herebit. Post hec pone pectalum aureum super pectalum vitri et supra ponis pectala multum suptilia – supra pectalum auri – et mittis utraque in fornace, donec incoat solvi pectalum vitri; et postea eicis, ut refricdet, et tolle. Frigas faciem in tabulam plumbinam ismiromenam, donec adtenues faciam ; et coloras illud. » Le processus de production commence par la création d’un premier niveau plus épais en versant le verre transparent fondu. Ensuite, la plaque est placée dans un four pour la recuisson et le refroidissement. Puis sur la plaque, on pose la feuille d’or qui est recouverte d’une mince couche de verre soufflé. La galette est alors placée sur une plaque en métal recouvert d’argile avant d’être chauffée dans le four jusqu’à ce que le verre redevienne plastique et que la couche mince se répande. À ce stade, la plaque est retirée du four puis découpée en tesselles. Le chapitre 15 du livre II montre quant à lui que la feuille d’or, sur laquelle on ajoute du verre tritum, est posée sur le verre déjà réduit en cubes. Les tesselles sont ensuite remises au four. Cf. Neri, Utilisation et production de tesselles (nt. 79), 37–41.

Vraisemblable et invraisemblable selon l’archéologie dans le ‘De diversis artibus’

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et des oxydes colorants, ou bien avec un engobe en argile, et non en posant une couche de verre haché sur l’argile94. Suivant ces observations préliminaires, il semble donc que l’écrivain du deuxième livre connaisse bien les recettes traditionnelles employées en Europe du nord et qu’il soit en lien avec la culture byzantine et ses produits, mais qu’il ne maîtrise pas les techniques ‘grecques’ : en effet, il les déduit à partir de l’observation des produits. Il pourrait certes, peut-être, appartenir à un environnement culturel germanique. En outre, la comparaison entre ces chapitres du livre II et les données archéologiques et archéométriques nous permet de reconnaître deux niveaux dans le texte : d’un coté plusieurs recettes avec une origine empirique, et de l’autre l’assemblage organique de celles-ci. Dans le Prologue au livre I, général, Théophile dit que ce texte présentera « ce que la France apprécie dans la précieuse variété des fenêtres » ; en effet, comme nous l’avons déjà mentionné, le livre II est organisé autour de ce thème. Le rédacteur Théophile ne se limite pas à assembler les recettes dans ce but et à en organiser le contenu avec des phrases conjonctives95, mais il y ajoute sans doute des observations complémentaires. Les chapitres 12 à 16 pourraient ainsi être une insertion du rédacteur. Le chapitre 12 ne fournit pas une chaîne opératoire et ne décrit pas des structures de production96, mais il apporte des suggestions et confirme l’habileté des Francs. Dans les chapitres suivants, le rédacteur veut ajouter des renseignements concernant des artefacts d’importation dont les recettes ne sont pas accessibles dans son milieu. Finalement, une lecture archéologique des chapitres considérés, malgré les différents niveaux de documentation disponibles, nous permet donc de conduire des observations générales sur le ‘De diversis artibus’. Le texte semble être une rédaction unitaire de plusieurs recettes d’origines différentes d’un point de vue chronologique et géographique. Dans l’ensemble, il serait possible de confirmer, à quelques exceptions près97, que le rédacteur Théophile choisit, dans les artes 94

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Pour une mise à jour des études sur ces récipients, cf. S. Gelichi, La ceramica bizantina in Italia e la ceramica italiana nel mediterraneo orientale tra XII e XIII secolo : stato degli studi e proposte di ricerca, in : id. (ed.), La ceramica nel mondo bizantino tra XI e XV secolo e i suoi rapporti con l’Italia (Quaderni del Dipartimento di archeologia e storia delle arti 34), Firenze 1993, 9–46. Pour des observations techniques, cf. R. Costantini, Le ceramiche medievali rivestite : le produzioni smaltate e la ceramica graffita, in : S. Lusuardi Siena (ed.), Ad mensam. Manufatti d’uso da contesti archeologici fra tarda antichità e Medioevo, Udine 1994, 263–318, en particulier 271 sqq. Cf., par exemple, Theophilus, De diversis artibus, II, c. 7 et c. 10, ed. Brehpohl (nt. 1), vol. 1, 149 sq. : « ordine quo supra » ; c. 8, 150 : « Quae cum frigidae fuerint, utere eis in componendis fenestris » ; c. 11, 151 : « Quod si volueris ampullas cum longo collo facere, sic age ». Dans les chapitres 12–16, ce genre de phrases se multiplient ; cf. op. cit., II, c. 12, 152 : « de quibus in suo loco sufficenter dicemus » ; c. 13, 152 : « de qua superius diximus […] de quo postea dicemus » ; c. 14 (153) : « faciunt et alio modo » ; c. 15, 153 : « de qua paulo inferius dicemus […] in furno fenestrarum ut supra » ; c. 16, 154 : « modo quo supra ». Le rédacteur dit seulement in furnis suis (op. cit., II, c. 12, 152), c’est-à-dire des Francs. Il utilise le lexème furnus et non pas clibanus. Cf. Theophilus, De diversis artibus, II, c. 31 (« De anulis »).

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Elisabetta Neri

mecanichae, les savoirs qui sont utiles à la décoration d’une église. Il est impossible de nier que plusieurs recettes sont pratiquées, codifiées et transmises surtout dans les monastères. Une attention toute particulière semble être donnée à la description des structures productives et des dangereuses procédures pyrotechniques : dans ces cas-là, la chaîne opératoire est bien décrite afin que le processus réussisse. Une telle préoccupation descriptive des détails peut seulement découler de la ‘participation’ aux opérations, et permet peut-être de vérifier que l’investissement du client soit bien placé. À l’origine des procédés de fabrication, et pas forcément au cours de la rédaction du traité, il nous a semblé retrouver une expérience pratique de ce type : l’auteur de la recette, et non le rédacteur-compilateur du traité, a ‘participé’ aux opérations. Les chapitres pourraient dès lors avoir été ajoutés par le rédacteur (II, c. 13–16), ainsi que d’autres renseignements qu’il considère utiles (II, c. 12). L’hypothèse d’une origine allemande du traité pourrait aussi être renforcée par une connaissance directe des recettes de tradition nord-européenne – par exemple celle du mélange vitrifiable – ou des savoir-faire allochtones, mais déjà pratiqués en Allemagne au moment de la rédaction – par exemple celui propre à la fabrication des cloches. Les produits d’importation byzantins qui, au moins à partir de l’époque carolingienne, se retrouvent dans les trésors des cathédrales et des monastères à la suite des relations de guerre et de paix entre les empires, ne sont pas réalisés in situ. C’est la raison pour laquelle la technique n’est donc pas connue, si bien que le rédacteur déduit leur recettes à partir d’artefacts, en donnant des détails méconnus pour un œil distrait, mais qui permettent cependant de vérifier leur authenticité. Si d’un coté la rédaction du ‘De diversis artibus’, en tant encyclopédie, pouvait être confirmée par la nouvelle proposition d’identifier l’auteur avec Northungus (telle qu’avancée au cour de ce Congés), ainsi que par le milieu culturel, esthétique, théologique dans lequel le traité s’insère, par la structure progressive de même que par le lexique98, d’un autre coté, en raison de la correspondance ponctuelle entre réalité matérielle et écriture, il est nullement possible de nier une origine et un but pratique des recettes quant à leur rédaction originelle. Derrière ces recettes, il y a bien plus qu’un auteur et un livre : il y a la tradition de plusieurs artisans qui au cours de générations ont appris un métier, en observant les gestes de leurs parents ou de leurs maîtres. Les auteurs de ces recettes, qui ont d’abord observé le savoirfaire des artisans ainsi que leurs pratiques, les ont transmises à ceux qui en assuraient la répétition de la façon la plus fidèle. 98

Plusieurs participants au Congrès ont souligné ces aspects ; cf., dans ce volume, les contributions de : I. Dines, D. Oltrogge, G. Sprigath, H. Westermann-Angerhausen. Cf., également, D. Oltrogge, ‘Cum sesto et rigula’. L’organisation du savoir technologique dans le Liber diversarum artium de Montpellier et dans le De diversis artibus de Theophile, in : B. Baillaud/J. de Gramont/D. Hüe (eds.), Discours et savoirs : encyclopédie médiévales (Cahiers Diderot 10), Rennes 1998, 67–99. Selon ce dernier article, le destinataire du ‘De diversis artibus’ serait un moine s’intéressant aux arts appliquées.

3. Farbe und Bild

Das erste Buch der ‚Schedula diversarum artium‘: Distanz zwischen Text und buchmalerischer Wirklichkeit M E. M (Wolfenbüttel) Wie Inkarnat und Gesicht en Detail zu malen sind – darüber finden sich im ersten Buch der ‚Schedula diversarum‘ artium als einer der ältesten komplexen kunsttechnischen Schriften des Mittelalters zum ersten Mal überhaupt ausführliche Malanweisungen1. Ihre Verschriftlichung trug neben der weitgehend syste1

Cf. einführend: B. Bischoff, Die Überlieferung der technischen Literatur, in: Artigianato e tecnica nella società dell’alto medioevo occidentale, 2–8 aprile 1970 (Settimane di studio del Centro italiano di studi sull’alto Medioevo 18), vol. 1, Spoleto 1971, 267–296, 286, 295; L. White, Jr., Theophilus redivivus, in: Technology and Culture 5 (1964), 224-233 [wiederabgedruckt in: id., Medieval Religion and Technology. Collected Essays (Publications of the Center for Medieval and Renaissance Studies 13), Berkeley–Los Angeles–London 1978, 93–103]; Ch. R. Dodwell (ed.), Theophilus, De diversis artibus – The Various Arts, London 1961 [Neudruck Oxford 1986, 1998], ix–lxxvi; H. Roosen-Runge, Farbgebung und Technik frühmittelalterlicher Buchmalerei. Studien zu den Traktaten ‚Mappae Clavicula‘ und ‚Heraclius‘ (Kunstwissenschaftliche Studien 38), 2 voll., München–Berlin 1967; B. Reudenbach, „Ornatus materialis domus Dei“. Die theologische Legitimation handwerklicher Künste bei Theophilus, in: H. Beck/K. Hengevoss-Dürkopp (eds.), Studien zur Geschichte der europäischen Skulptur im 12./13. Jahrhundert, vol. 1, Frankfurt a.M. 1994, 1–16; E. Brepohl, Theophilus Presbyter und das mittelalterliche Kunsthandwerk. Gesamtausgabe der Schrift ‚De diversis artibus‘ in zwei Bänden, vol. 1, Köln–Weimar–Wien 1999, 19–45; D. Oltrogge, Rezeptsammlungen und Traktate. Die Vermittlung kunsttechnischen Wissens im Früh- und Hochmittelalter, in: Ch. Stiegemann (ed.), Canossa 1077. Erschütterung der Welt. Geschichte, Kunst und Kultur am Aufgang der Romanik (Ausstellung in Paderborn 21.7.–5.11.2006, Katalogband), vol. 1, München 2006, 555–562; A. Speer/H. WestermannAngerhausen, Ein Handbuch mittelalterlicher Kunst? Zu einer relecture der Schedula diversarum artium, in: Ch. Stiegemann/H. Westermann-Angerhausen (eds.), Schatzkunst am Aufgang der Romanik. Der Paderborner Dom-Tragaltar und sein Umkreis, München 2006, 249–258; S. B. Tosatti, Trattati medievali di techniche artistiche (Storia dell’arte 33), Milan 2007; H. C. Gearheart, Theophilus’ On Diverse Arts: The Persona of the Artist and the Production of Art in the Twelfth Century (PhD Dissertation, University of Michigan), Ann Arbor 2010. In der ‚Mappae Clavicula‘ sind zwar Anweisungen zu Farbmischungen notiert, sowohl für die Aufhellung als auch die Schattierung von Farbtönen, jedoch keine expliziten Anweisungen zur Ausführung des Inkarnats; cf. c. 9 und 10, in: C. S. Smith/J. G. Hawthorne (edd. and trans.), Mappae Clavicula. A little key to the world of Medieval techniques (Transactions of the American Philosophical Society, New Series 64,4), Philadelphia 1974, 27; außerdem Roose-Runge, Farbgebung (nt. 1), vol. 1, 26–29 und vol. 2, 103–117. Bei der unter dem Kunstnamen ‚Heraclius‘ bekannten Rezeptsammlung (cf. A. Ilg [ed.], Heraclius. Von den Farben und Künsten der Römer. Originaltext und Übersetzung [Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance 4], Wien 1873 [Neudruck Osnabrück 1970]) und in den ‚Compositiones‘ (cf. L. A. Muratori [ed.], Compositiones ad tingenda Musiva, Pelles et alia […], in: id., Antiquitates Italicae Medii

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matischen Ordnung der Rezepte gleichsam zur Nobilitierung des ganzen Kompendiums bei. Zusammen mit den ausgefeilten und inhaltsschweren Prologen2 der drei Bücher der ‚Schedula‘ heben sie das Werk merklich über die empirischpragmatische Ebene des Kunsthandwerks und reiner Rezeptsammlungen wie die ‚Compositiones variae‘ 3, die ‚Mappae Clavicula‘ 4 oder den ‚Liber de coloribus illuminatorum sive pictorum‘5 und rücken es in die Nähe theoretischer Disziplinen wie der septem artes liberales 6.

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Aevi, vol. 2, Milan 1739, 365–388; kritische Ausgabe bei H. Hedfors [ed.], Compositiones ad tingenda musiva, Diss., Uppsala 1932; cf. allgemein R. P. Johnson, Compositiones variae: from Codex 490, Bibliotheca Capitolare, Lucca, Italy. An Introductory Study [Illinois Studies in Language and Literature 23,3], Urbana 1939) finden sich keine entsprechenden Angaben. In dem Rezept ‚De clarea‘ aus dem 11.–12. Jahrhundert (cf. R. Fuchs, De clarea, in: H. Engelhart [ed.], Lexikon zur Buchmalerei [Bibliothek des Buchwesens 19], vol. 1, Stuttgart 2009, 126) waren Anette Scholtka (Theophilus Presbyter, Die maltechnischen Anweisungen und ihre Gegenüberstellung mit naturwissenschaftlichen Untersuchungsbefunden, in: Zeitschrift für Kunsttechnologie und Konservierung 6 [1992], 1–53, 23) zufolge ursprünglich „malkünstlerische Anweisungen“ enthalten, die sich allerdings nicht erhalten haben. Cennino Cennini in seinem um 1400 entstandenen ‚Libro dell’Arte‘ behandelt das Inkarnat, allerdings wesentlich allgemeiner und ohne direkte Berührungspunkte zur ‚Schedula‘; cf. Cennino Cennini Da Colle di Valdelsa, Das Buch von der Kunst oder Tractat der Malerei, ed. A. Ilg (Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance 1), Wien 1871 [Neudruck Osnabrück 1970], c. 67, 43–49: „Art und Weise auf der Mauer zu arbeiten, das ist auf dem Nassen, und jugendliche Gesichter zu malen und fleischfarb zu machen.“ Von einem Prolog werden auch Rezeptsammlungen wie die ‚Mappae Clavicula‘ (cf. Smith/Hawthorne [edd.], Mappae [nt. 1], 26), der ‚Heraclius‘ (cf. Ilg [ed.], Heraclius [nt. 1], 3) oder das neapolitanische Werk ‚De arte illuminandi‘ (cf. L. Dimier [ed.], L’art d’enluminure. Traité du XIVe siècle traduit du latin avec des notes tirées d’autres ouvrages anciens et des commentaires, Paris 1927, 29 sq.) eingeleitet. Allerdings kommen sie aufgrund ihres geringen, meist nur wenige Zeilen umfassenden Umfangs und der relativ einfachen Machart in keinem Fall den Prologen der ‚Schedula‘ gleich. In den ‚Compositiones variae‘ (cf. Muratori [ed.], Compositiones [nt. 1], 365) fehlt hingegen ein Prolog oder eine Einleitung. Allgemein für diese ins 8.–9. Jahrhundert datierte Sammlung cf. Johnson, Compositiones (nt. 1). Cf. einführend Smith/Hawthorne [edd.], Mappae (nt. 1), 3–22; Tosatti, Trattati (nt. 1), 27–36. Für diese um 1400 entstandene Kompilation und ihre Anleihen aus der ‚Schedula‘ und der ‚Mappae Clavicula‘ cf. D. V. Thompson, Jr., Liber de coloribus illuminatorum sive pictorum from Sloane Ms. N. 1754, in: Speculum 1,3 (1926), 280–307; gleichfalls ohne kunsttechnische Anweisungen cf. der ins 13.–14. Jahrhundert datierte ‚Liber de coloribus faciendis‘ des Petri de Sancto Audemaro, ed. L. van Acker, in: Petri pictoris Carmina (Corpus Christianorum. Continuatio Mediaevalis 25), Turnhout 1972, 143–198, 165 sq. Hugo von Sankt Viktor (im Didascalicon II, c. 20–27, ed. T. Offergeld, in: Hugo von Sankt Viktor. Didascalicon, De studio legendi. Studienbuch [Fontes Christiani 27], Freiburg–Basel– Wien–Barcelona–Rom–New York 1997, 46, 62–67, 192–206) nahm als einer der ersten mittelalterlichen Autoren Disziplinen des Handwerks, darunter auch des Kunsthandwerks, in seine Liste der artes mechanicae auf und stellte sie den artes liberales vergleichend zur Seite. Allgemein zum Verhältnis zwischen artes liberales und artes mechanicae und der Bewertung von Arbeit im Mittelalter cf. P. Sternagel, Die artes mechanicae im Mittelalter. Begriffs- und Bedeutungsgeschichte bis zum Ende des 13. Jahrhunderts (Münchener Historische Studien, Abteilung Mittelalterliche Geschichte 2), Kallmünz 1966; J. le Goff, Travail, techniques et artisans dans les systems de valeur du haut moyen age (Ve–Xe siècles), in: Artigianato e tecnica (nt. 1), 239–266; B. van den

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Die ‚Schedula‘ fasziniert in vielerlei Hinsicht, entzieht sich dieser wohl im ersten Viertel des 12. Jahrhunderts entstandene Text doch mit seinem vielschichtigen Aufbau sowie einer Konzeption, die gewichtige zeitgenössische geistes- und bildungsgeschichtliche Positionen widerspiegelt, einer klaren gattungsgeschichtlichen und funktionalen Verortung7. In jedem Fall stellt sie einen frühen Reflex der zeitgenössisch neuen Bewertung von Kunst und Arbeit dar, außerdem eines deutlich gewachsenen Selbstbewußtseins von Künstlern und Handwerkern8. Jahrzehnte später erst – ungefähr in der Mitte des 12. Jahrhunderts – sollten diese Aspekte in einer aus dem Bamberger Kloster Michelsberg (Bamberg, Staatsbibliothek, Msc. Patr. 5) hervorgegangenen Federzeichnung ihren Niederschlag finden (Abb. 1): Gleichsam als Frontispiz wurde die einzigartig gestaltete, die wesentlichen Schritte der Pergament- und Buchherstellung illustrierende Seite den moraltheologischen Ausführungen des Kirchenvaters Ambrosius von Mailand über die Pflichten des Klerus (‚De officiis ministrorum‘)9 und anderer seiner Werke vorangestellt. Die Herstellung von Büchern und Schriften durch Mönche eines Skriptoriums wurde dadurch geradezu in den gleichen Rang erhoben wie die moraltheologische Reflexion über Pflichten, Kardinaltugenden, Jenseits und das sittlich Gute10. Die Forschung spürt seit langem der Frage nach, ob es sich mit der ‚Schedula‘ um eine direkt umsetzbare handbuchartige Rezeptsammlung11 oder eher um ein Werk enzyklopädischen Charakters handelt, das unter anderem ein theologisch

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Hoven, Work in Ancient and Medieval Thought. Ancient Philosophers, Medieval Monks and Theologians and their Concept of Work, Occupations and Technology (Dutch Monographs on Ancient History and Archeology 14), Amsterdam 1996; B. Reudenbach, Praxisorientierung und Theologie. Die Neubewertung der Werkkünste in De diversis artibus des Theophilus Presbyter, in: I. Baumgärtner (ed.), Helmarshausen. Buchkultur und Goldschmiedekunst im Hochmittelalter, Kassel 2003, 199–218, 211. Für die Textkonstitution, die Verfassung der Prologe sowie die Überlieferungssituation, bei der keine Handschrift den gesamten Text enthält cf. Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 1, 20–23; Speer/ Westermann-Angerhausen, Handbuch (nt. 1), 250 sq.; Gearhart, Theophilus (nt. 1), 33–41. Für die Aufweichung der Gattungsgrenzen cf. Reudenbach, Praxisorientierung (nt. 6), 211; Speer/ Westermann-Angerhausen, Handbuch (nt. 1), 249–258; Gearhart, Theophilus (nt. 1), 226–230. Cf. Reudenbach, Ornatus (nt. 1), 11 sqq.; Speer/Westermann-Angerhausen, Handbuch (nt. 1), 251–255. Für eine Edition dieser moraltheologischen Schrift und ersten systematischen Gesamtdarstellung der christlichen Ethik cf. Ambrosius von Mailand, De Officiis, ed. M. Testard, in: Ambrosii Mediolanensis Opera, vol. 5 (Corpus Christianorum. Series Latina 15), Turnhout 2000. Für diese Miniatur cf. G. Suckale-Redlefsen, Die Handschriften des 12. Jahrhunderts (Katalog der illuminierten Handschriften der Staatsbibliothek Bamberg 2), Wiesbaden 1995, 31 sq.; F. Dressler, Scriptorum Opus. Schreiber-Mönche am Werk. Zum Titelbild des Bamberger Codex Patr. 5, Wiesbaden 1971, 21999. Den Aspekt des praxisorientierten Handbuchs vertreten e. g. Scholtka, Theophilus (nt. 1) 29 sq.; Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 1, 19–25; M. Clarke, The Art of All Colours. Mediaeval Recipe Books for Painters and Illuminators, London 2001, 15, 31–35, mit kurzer Diskussion der Praxisferne der ‚Schedula‘.

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geprägtes Weltbild widerspiegelt12. Das erste Buch über Farben, Pigmente und Anweisungen zur Darstellung von Inkarnat und Kleidung wurde bislang allerdings fast ausschließlich als direkt umsetzbarer Leitfaden gesehen und höchstens eine graduell unterschiedlich ausgeprägte Übereinstimmung mit der an erhaltenen Kunstwerken dokumentierten Praxis konzediert13. Bezeichnenderweise glaubte man vermeintlich enge Analogien zwischen Text und Kunstwerk bei Miniaturen aus ganz verschiedenen Jahrhunderten und Regionen wie der ottonischen Buchmalerei der Reichenau oder den romanischen Prachthandschriften Kloster Helmarshausens feststellen zu können14 – eine Einschätzung, die angesichts der beträchtlichen Unterschiede in stilistischer und maltechnischer Ausführung einiges Unbehagen auslöst und als a priori feststehendes Untersuchungsergebnis anmutet. So hat hier nicht nur die Bestimmung der Relation von Text und buchmalerischer Wirklichkeit im Fokus zu stehen, sondern vor allem die Frage, welcher Anspruch auf Präzision und Übereinstimmung mit der künstlerischen Praxis zeitgenössisch überhaupt vorauszusetzen ist. Hierfür sollen zunächst Beispiele der bisher noch nie unter diesem Blickwinkel untersuchten Hildesheimer Buchmalerei, außerdem der reichen Produktion des Helmarshausener Klosters berücksichtigt werden. Diese Materialauswahl ist umso mehr geboten, als Hildesheim in der aktuellen Diskussion um die Autorschaft der ‚Schedula‘ gegen Helmarshausen neu ins Rampenlicht gerückt wird15. Einblick in die zeitgenössische Praxis der Verschriftlichung pragmatischen Wissens soll dann durch einen Vergleich der ‚Schedula‘ mit einem gleichfalls im monastischen Kontext entstandenen Werk reglementierenden Charakters möglich werden.

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Cf. W. Hanke, Kunst und Geist. Das philosophische und theologische Gedankengut der Schrift ‚De Diversis Artibus‘ des Priesters und Mönches Theophilus Rugerus, Diss., Bonn 1962; J. Van Engen, Theophilus Presbyter and Rupert of Deutz: the Manual Arts and Benedictine Theology in the Early Twelfth Century, in: Viator 11 (1980), 147–163; Reudenbach, Ornatus (nt. 1) 1–4, 10–13; Reudenbach, Praxisorientierung (nt. 6), 205 sqq. Cf. Roosen-Runge, Farbgebung (nt. 1) 7, 14, 18; Dodwell (ed.), Theophilus (nt. 1), xxix, mit Verweis auf den Psalter Heinrichs des Löwen (London, British Library, MS Lansdowne 381, vor 1088 cf. J. Backhouse, Der Psalter Heinrichs des Löwen, in: J. Luckhardt/F. Niehoff (eds.), Heinrich der Löwe und seine Zeit. Herrschaft und Repräsentation der Welfen 1125–1235 (Katalog der Ausstellung, Braunschweig 1995), vol. 1, München 1995, Nr. D 93, 294 sqq.; Van Engen, Theophilus (nt. 12), 159; Scholtka, Theophilus (nt. 1) 29–33; V. Roehrig Kaufmann, Malanleitungen im Buch I De diversis artibus des Theophilus und ihre Anwendung im Evangeliar Heinrichs des Löwen, in: Luckhardt/Niehoff (eds.), Heinrich (nt. 13), vol. 2, 301–311; Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 1, 19–27, 36–44; Gearhart, Theophilus (nt. 1), 109. Kontrastiv hierzu findet sich das Spannungsverhältnis zwischen Text und apriorischer Formulierung eines Bezugs zur buchmalerischen Wirklichkeit in der Theophilus-Forschung thematisiert bei: Reudenbach, Praxisorientierung (nt. 6), 201 sqq.; Speer/Westermann-Angerhausen, Handbuch (nt. 1), 249; Oltrogge, Rezeptsammlungen (nt. 1), 559 sq. Cf. Literaturangabe, nt. 1. Cf. besonders den Beitrag von Ilya Dines, außerdem die Aufsätze von Patrizia Carmassi und Bertram Lesser in diesem Band, 3–10 und 22–51.

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I. Die Ausführ ung des Inkar nats nach der ‚Schedula diversar um ar tium‘ Die Ausführung von Inkarnat, Gesicht, Bart, Haaren und unbedeckter Haut beschreibt Theophilus in den Kapiteln 1–13 des ersten Buches16. Die Grundfarbe zur Darstellung des Gesichts und nackter Körperpartien nennt er „membrana“, ein je nach gewünschtem Ergebnis unterschiedlich zusammengesetztes Gemisch aus Bleiweiß und Zinnober, das fleischfarben, weißer oder röter sein kann17. Sollten die Gesichter blaß aussehen, sei anstelle des Zinnoberrots (cenobrium) etwas Grüne Erde (prasinus) beizumischen. Für die adäquate Darstellung eines Gesichts sieht der Text neun Schritte vor, das heißt in zwei Durchgängen sind jeweils zwei in Intensität und Lichtqualität unterscheidbare Grade der Schattierungsfarbe (posc)18, des Rosa19 und des Glanzlichtes (lumen)20 aufzutragen. Mittels Dunkelgrau (veneda) sind die Pupillen auszuführen, wobei die Augen mit Pupille und Augenweiß in einem dreiteiligen Procedere mit unterschiedlichen Schwarz-, Grau- und Weißtönen entstehen sollen21. Die Haare und Bärte von Jünglingen, jungen Männern und Greisen beschreibt Theophilus eigens in drei Kapiteln22, ohne allerdings ein Wort über die Gestaltung von Frauenhaaren zu verlieren. Angaben zur prononcierten Darstellung des Gesichtsausdrucks schließen die Anweisungen ab: Mittels exudra, einem Gemisch aus gebranntem Ocker (rubeum) und Schwarz (nigrum), sind 16

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Das Pseudonym Theophilus wird hier ungeachtet der offenen Autorenfrage verwendet. Für die Textedition dieser Kapitel cf. Theophilus, De diversis artibus, I, c. 1–13, ed. Dodwell (nt. 1), 5–9 ; Übersetzung, bei der es sich de facto um eine textkritische Auswertung verschiedener Handschriften handelt: Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 1, 53–57. Cf. Theophilus, De diversis artibus, I, c. 1, ed. Dodwell (nt. 1), 5; Übersetzung: Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 1, 53. Cf. Theophilus, De diversis artibus, I, c. 3, ed. Dodwell (nt. 1), 5 sq.; Übersetzung: Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 1, 53 sq. Mit der Schattierungsfarbe posc werden Augen und Augenbrauen, Nasenflügel und Mund, Kinn, Schläfen, Stirn- und Halsfalten ausgefüllt. Zudem werden damit die Bärte junger Männer, Finger, Zehen und alle nackten Glieder markiert. Cf. Theophilus, De diversis artibus, I, c. 4, ed. Dodwell (nt. 1), 6; Übersetzung: Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 1, 54. Nach dem Kapitel „De Rosa prima“ (I, c. 4) sind mit einem Gemisch aus der Inkarnatfarbe membrana sowie Zinnoberrot und Mennigerot die Wangen zu röten, der Mund und die untere Kinnpartie, der Hals und die Stirnfalten, die Stirn oberhalb der Schläfen, und zwar auf beiden Seiten, der Nasenrücken und beidseits der Bereich über den Nasenflügeln, außerdem die Gelenke und übrigen Glieder des nackten Körpers. Cf. Theophilus, De diversis artibus, I, c. 5, ed. Dodwell (nt. 1), 6 sq.; Übersetzung: Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 1, 54. Nach dem Kapitel „De lumina prima“ (I, c. 5) sind mit dem Gemisch aus der Inkarnatfarbe membrana und gemahlenem Bleiweiß (cerosa trita) die Augenbrauen aufzuhellen, der Nasenrücken, jeweils die Bereiche über den Nasenlöchern und um den Mund, die zarten Züge um die Augen und die Falten der Stirn und des Halses, der obere Kinnbereich, der Bereich rund um die Ohren, die Finger- und Zehenglieder sowie der Hand- und Fußrücken und die Rundungen der Arme. Cf. Theophilus, De diversis artibus, I, c. 6, ed. Dodwell (nt. 1), 7; Übersetzung: Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 1, 55. Cf. Theophilus, De diversis artibus, I, c. 10–12, ed. Dodwell (nt. 1), 8 sq.; Übersetzung: Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 1, 56 sq.

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alle zum Gesicht gehörenden Bereiche wie Augen, Nase, Mund und Stirn nachzuziehen, mit rubeum und dunklem Rosa außerdem die Konturen der nackten Körperpartien23. Aus der genauen Umsetzung dieser überaus detaillierten Maßgaben würde ein fast schon impressionistisch anmutendes „Netz“ von Modellierungsstrichen resultieren24. Doch wie sieht die buchmalerische Praxis aus, gibt es Beispiele einer direkten Umsetzung? II. Das Inkar nat in der Hildesheimer und Helmarshausener Buchmalerei Im sog. Kostbaren Evangeliar, um 1015 im Auftrag Bischof Bernwards von Hildesheim wahrscheinlich für den Marienaltar der Michaeliskirche geschaffen25, wurden im zweiteiligen Stifterbild Glanzlichter beziehungsweise lumina auf das homogen und flächig ausgeführte Inkarnat der Figuren gesetzt, so zum Beispiel bei der thronenden Maria und der Engel (foll. 16v–17r; Abb. 2–3). Diese lumina sind unschwer zu erkennen als bemerkenswert breite und feldartige oder dünne Striche im Wangen- und im Stirnbereich, außerdem an Hals und Ohren, kombiniert mit Weißhöhungen über den Augenbrauen und den Oberlippen. Auch die Nasen der Figuren sind im Kontrast zur ‚Schedula‘ mit Schwarz26, die Lippen jedoch damit übereinstimmend mit dem Rötungston Rosa27 markiert. Von dem graduell abgestuften und eine feine Pinselführung voraussetzenden Verfahren des Textes28 ist nur das Grundprinzip – die nach Helligkeits- und Farbwert differenzierte Modellierung des Grundinkarnats – in den Gesichtern dieser Figuren nachzuvollziehen. Auch bei der Gestaltung der Hände beschränken sich die Analogien zwischen Text und Bild auf allgemeinere Angaben wie Weißhöhungen und schwarze Differenzierung (nigrum) anatomischer Details anstelle der beschriebenen vielschichtigen Vorgehensweise29. 23 24

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Cf. Theophilus, De diversis artibus, I, c. 14, ed. Dodwell (nt. 1), 10–13; Übersetzung: Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 1, 58 sqq. Nicht einmal die für ihren überaus malerischen Stil bekannte Kölner Buchmalerei der ottonischen Zeit erfüllt diese Kriterien; cf. allgemein P. Bloch/H. Schnitzler, Die Ottonische Kölner Malerschule, 2 voll., Düsseldorf 1967–1970. Cf. R. Kahsnitz, Inhalt und Aufbau der Handschrift. Die Bilder, in: M. Brandt (ed.), Das kostbare Evangeliar des Heiligen Bernward, München 1993, 18–55. Cf. Theophilus, De diversis artibus, I, c. 3, ed. Dodwell (nt. 1), 5 sq.; Übersetzung: Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 1, 53 sq. Nach dem Kapitel „De posc primo“ wäre der Nasenflügel im ersten Grad mit der Schattierungsfarbe posc, einem Gemisch aus grüner Erde, gebranntem Ocker und Zinnoberrot zu akzentuieren. Cf. Theophilus, De diversis artibus, I, c. 4, ed. Dodwell (nt. 1), 6; Übersetzung: Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 1, 54. Cf. supra, nt. 16. Cf. Theophilus, De diversis artibus, I, c. 1, 3–5, 7–9, 13, ed. Dodwell (nt. 1), 5–9; Übersetzung: Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 1, 53–58. Eine Ausdehnung der Analyse auf andere Figurendar-

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In der Miniatur der ‚Majestas Domini‘ im Guntbald-Sakramentar – im Jahre 1011 für Bischof Bernward von Hildesheim vom Regensburger Schreiber Guntbald ausgeführt30 – bediente sich der Miniator hingegen eines wesentlich differenzierteren Pinselduktus (Abb. 4). Im Antlitz des Majestas-Christus wurden Schatten-, Rötungs- und Lichtton für Augen, Nase, Wangen und Mund weitgehend übereinstimmend mit den Vorgaben der ‚Schedula‘ umgesetzt – mit Ausnahme der Augenbrauen, die nur bei jungen Männern schwarz sein sollen31. Auch der Bart entspricht mit dem gleichen Farbton wie die Farbstriche am linken Nasenflügel und dem unteren Augenstrich den Angaben des Textes. Allerdings sind alle Glanzlichter und Schattierungstöne nur im ersten Grad und nicht wie vorgeschrieben in zweifach gradueller Abstufung ausgeführt. Die Übereinstimmung zwischen Text und Buchmalerei scheint auf den ersten Blick bei den romanischen Handschriften aus Hildesheim deutlicher auszufallen. Die Figuren in den Miniaturen des Ratmann-Sakramentars – im Jahre 1159 im Auftrag von Abt Franco für das Michaeliskloster ausgeführt32 – weisen eine Grundfarbe als Inkarnat, meist zwei verschiedene Rosatöne, Schattierungstöne im Augen- und Kinnbereich, dezente Glanzlichter sowie eine Betonung der Falten am Hals auf. Bei der Darstellung des Drachenkämpfers Michael wurde die Stirn offensichtlich nicht mit der in der ‚Schedula‘ beschriebenen Faltenzeichnung akzentuiert33, hingegen die Augen sehr differenziert, mit Augenweiß, Pupille und blaugrauer Iris ausgestattet (Abb. 5) – eine Darstellungsweise, die vom Text der ‚Schedula‘ und der Bildtradition abweichen34. Auch hier wurde wie in den Minia-

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stellungen dieser Handschriften zeigt, daß auch innerhalb eines Bilderfundus große Schwankungen bestehen. So ist das Inkarnat der Evangelisten (Hildesheim, Dom-Museum, DS 18, fol. 19r, 76r, 118v, 175v) wesentlich dunkler als das der Maria oder auch Bernwards im doppelseitigen Stifterbild. Cf. M. Exner, Das Guntbald-Evangeliar. Ein ottonischer Bilderzyklus und sein Zeugniswert für die Rezeptionsgeschichte des Lorscher Evangeliars (Quellen und Studien zur Geschichte und Kunst im Bistum Hildesheim 1), Regenburg 2008, S. 16, 72; M. E. Müller, Guntbald-Evangeliar, in: ead. (ed.), Schätze im Himmel – Bücher auf Erden. Mittelalterliche Handschriften aus Hildesheim (Austellungskatalog der Herzog-August-Bibliothek 93), Wolfenbüttel 2010, Nr. 15, 305–309. Cf. Theophilus, De diversis artibus, I, c. 13, ed. Dodwell (nt. 1), 9: „Supercilia uero senum siue decrepitorum facies cum ueneda, unde pupillas implesti“; Übersetzung: Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 1, 57. Cf. allgemein zur Handschrift: A. K. Menke, The Ratmann sacramentary and the Stammheim missal: Two Romanesque manuscripts from St. Michael’s at Hildesheim, Phil. Diss., New Haven 1987; R. Kroos, Ratmann-Sakramentar, in: M. Brandt/A. Eggebrecht (eds.), Bernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottonen (Katalog der Ausstellung), vol. 2, Hildesheim–Mainz 1993, Nr. IX-9, 605 sqq.; E. C. Teviotdale, The Stammheim Missal, Los Angeles 2001; M. E. Müller, Ratmann-Sakramentar, in: ead. (ed.), Schätze (nt. 30), Nr. 23, 330–333. Cf. Theophilus, De diversis artibus, I, c. 4–5, ed. Dodwell (nt. 1), 6–9; Übersetzung: Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 1, 54–57. Die Gestaltung der Augen in der ‚Schedula‘ sieht eine Darstellung von Augenweiß und dunkler/ schwarzer Augeninnerem vor (cf. Theophilus, De diversis artibus, I, c. 6, ed. Dodwell [nt. 1], 7; Übersetzung: Brepohl, Theophilus [nt. 1], vol. 1, 55). Eine Differenzierung zwischen Pupille und andersfarbiger Iris kommt in der mittelalterlichen Kunst und selbst in der Trecento-Malerei nicht

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turen des Stammheimer Missale (Abb. 6) – der um wenige Jahre jüngeren Schwesterhandschrift35 – das subtil gestaffelte System von Licht- und Schattentönen nicht in vollem Umfang umgesetzt. Das Antlitz der Prudentia im Missale ist zwar ungemein delikat modelliert, jedoch fast nur mittels Rottönen. Glanzlichter fehlen weitgehend, die Pupillen sind nur mit Schwarz anstelle von Dunkelgrau (veneda) ausgeführt. Ganz ähnlich wie die Hildesheimer Handschriften des 12. Jahrhunderts weisen auch die in Helmarshausener Prachthandschriften dargestellten Figuren zwar eine farblich stärker differenzierte Strichführung und Modellierung der Gesichter auf als in vielen Handschriften aus ottonischer Zeit. Die in der ersten Jahrhunderthälfte ausgeführten Miniaturen unterscheiden sich dabei von den gegen Ende der glanzvollen Schaffensperiode im Diemel-Kloster hergestellten vor allem dadurch, daß die Modellierungsstriche des Inkarnats wesentlich deutlicher akzentuiert wurden und sich prononcierter von der Grundfarbe der Gesichter abheben (Abb. 7–8). Der Bezug von Text und künstlerischer Umsetzung reicht jedoch auch hier aufgrund des für die Modellierung von Licht- und Schattentönen meist nur einstufig umgesetzten Verfahrens kaum über eine prinzipielle Übereinstimmung hinaus36. Die Vergleiche ließen sich auf andere Miniaturen und Aspekte wie die Gestaltung der Gewänder ausdehnen37, das Ergebnis sähe ähnlich aus. Deutliche Schwankungen in der Ausführung des Inkarnats bestehen auch nicht nur in den stilistisch per se heterogenen Miniaturen verschiedener bernwardinischer Codi-

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vor. Auch in der Hildesheimer Buchmalerei des 12. Jahrhunderts ist dies extrem selten, einziges weiteres Beispiel für eine fast schon realistisch anmutende Augendarstellung findet sich im Ratmann-Sakramentar selbst, und zwar in der historisierten Initiale zum Pfingstfest (fol. 86r), in der ein Apostel mit grünen Augen versehen wurde. Möglicherweise sind in dieser Darstellungsweise, genauso wie beim rotgesichtigen Grabesengel in der ganzseitigen Miniatur des Stammheimer Missale zu Ostern (Malibu, J. Paul Getty Museum, Ms. 64, fol. 111r), u.a. theologische Implikationen zu sehen. Cf. allgemein zur Handschrift: Menke, Ratmann (nt. 32); Teviotdale, Stammheim (nt. 32); H. Wolter-von dem Knesebeck, „Die Weisheit hat sich ein Haus gebaut“. Bilder, Buchkunst und Buchkultur in Hildesheim während des 12. Jahrhunderts, in: M. Brandt (ed.), Abglanz des Himmels. Romanik in Hildesheim, (Katalog der Ausstellung), Regensburg 2001, 95–136; M. E. Müller, Stammheimer Missale, in: ead. (ed.), Schätze (nt. 30), Nr. 24, 334–337. Zum Vergleich wurden die Evangelistenbilder im Helmarshausener Evangeliar des J. Paul Getty Museum (Los Angeles, Ms. Ludwig II 3) und das Stifterbild im Evangeliar Heinrichs des Löwen herangezogen. Obwohl Scholtka (Theophilus [nt. 1], 31, 36) die ‚Schedula‘ als Lehrbuch einstuft und von großen Übereinstimmungen ausgeht, verweist sie doch auch für die maltechnischen Anweisungen allgemein auf die „stark stilisierende, zeichnerische Behandlung der Inkarnate“. Die Ansicht von Roehrig Kaufmann (Malanleitungen [nt. 13], 301–312, bes. 308 sqq.), die von einem sehr engen Bezug zwischen Heinrichsevangeliar und dem in der Handschrift Egerton 840 A der British Library modifiziert erhaltenen Text der Schedula ausgeht, überzeugt nicht wirklich. Für eine Analyse der Gewanddarstellung cf. Scholtka, Theophilus (nt. 1), 8–13, 32.

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ces38, sondern in der Bildausstattung ein und derselben Handschrift39. Eine Distanz zwischen den Vorgaben des Textes und der buchmalerischen Wirklichkeit ist eher die Regel als die Ausnahme, sodaß die Malanweisungen der ‚Schedula‘ für die Ausführung des Inkarnats nur als vermeintlich präzise Angaben zu betrachten sind, die weder direkt noch vollständig in der Praxis umgesetzt wurden40. III. Das Spannungsfeld „Text und empirische Wirklichkeit“ im zeitg enössischen Kontext Das Phänomen einer eher vagen Relation zwischen Text und Wirklichkeit beziehungsweise künstlerischem Artefakt sowie ungenauer oder fehlender Angaben zu eigentlich zentralen kunsthandwerklichen Aspekten ist weder auf das erste Buch der ‚Schedula‘ noch überhaupt auf dieses Traktat41 begrenzt. In der ‚Sche38

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Auf dieses Charakteristikum der bernwardinischen Buchmalerei wurde immer wieder hingewiesen, unter anderem auch in Verbindung mit der ungeklärten Skriptoriumsfrage; cf. G. Bauer, Corvey oder Hildesheim? Zur ottonischen Buchmalerei in Norddeutschland, vol. 1, Hamburg 1977. Konkret weisen die Figuren in der Te-Igitur-Miniatur des Guntbald-Sakramentars (Hildesheim, Dom-Museum, DS 19, fol. 3v) ein Inkarnat auf, das vor allem mittels membrana, lumen und prasinus modelliert wurde, jedoch alle Rosatöne und auch den zweiten Grad der Licht- und Schattentöne vermissen lässt. Obwohl zwischen diesem Miniator und dem des Dedikationsbildes in der Bernwardbibel immer wieder plausible stilistische Analogien beschrieben wurden (cf. die Wiedergabe der Diskussion bei C. Jäggi, Stifter, Schreiber oder Heiliger? Überlegungen zum Dedikationsbild der Bernward-Bibel, in: H.-R. Meier/C. Jäggi/P. Büttner [eds.], Für irdischen Ruhm und himmlischen Lohn. Stifter und Auftraggeber in der mittelalterlichen Kunst, Berlin 1995, 65–75, 68), lassen sich bei zehnfacher Vergrößerung durch eine Lupe große Unterschiede im Malduktus ausmachen, die gegen eine Identität dieser Miniatoren sprechen. Während die Figuren in den Stifterbildern des Kostbaren Evangeliars dieses nur mit flächigen Weißhöhungen ausgeführte Inkarnat aufweisen, zeigen die Figuren der Evangelistenbilder und der biblisch-narrativen Bildproömien vor den einzelnen Evangelien ein wesentlich differenzierter ausgeführtes Inkarnat. Die Darstellungsweise scheint hier also im Hinblick auf den Grad von Würde und Realpräsenz der gemalten Figuren (Bernward als Stifter, Maria mit Himmelskrone und Engelsgefolge versus Szene aus dem irdischen Leben Jesu) einer Orchestrierung zu unterliegen, die in der ‚Schedula‘ mitnichten thematisiert wird. Hierzu passen Beobachtungen über den Überlieferungskontext der Handschriften. Die Wolfenbütteler Theophilus-Handschrift (Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 69 Gud. lat. 2°) zeigt zum Beispiel keine Spuren einer Werkstattbenutzung, sondern hat als Bibliothekshandschrift zu gelten. Scholtka (Theophilus [nt. 1], 34) verweist zu Recht auf das Desiderat einer Untersuchung dieses Aspekts in der Wandmalerei. Wie ein Blick auf romanische Wandmalereien zeigt (so zum Beispiel in der ehemaligen Grab-Kirche Bischofs Sigward von Minden in Idensen; cf. allgemein O. Demus, Romanische Wandmalerei, München 1968, 21992, 181, Tafel LXXXII), dürfte das Ergebnis ähnlich wie in der Buchmalerei ausfallen. Damit sind nicht einmal Fehler in der ‚Schedula‘ gemeint. Von der Anlage des Werks her gilt als inkongruent die Ankündigung von Gegenständen wie Leuchtern, Krügen, Schreinen und Plenarien im Vorwort zum Buch II, die in den eigentlich zugehörigen Kapiteln nicht beschrieben werden oder auch umgekehrt, so bei der Herstellung von Orgeln und Kirchenglocken; cf. Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 2, 29. In den Bereich inhaltlicher Absurditäten gehören bekanntlich die Angaben über das Stahlhärten in Ziegenurin (cf. Theophilus, De diversis artibus, III, c. 21), die

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dula‘ erstaunt im Hinblick auf die Bedeutung und Quantität von Mariendarstellungen in der Kunst des Mittelalters die Auslassung der Beschreibung von Frauenhaar. Auch beinhalten die Rezepte der Malfarben im ersten Buch im Gegensatz zu vielen Vorgaben im zweiten und dritten Buch keine Mengen- und Maßangaben42. Diese Eigenart teilt die ‚Schedula‘ mit anderen Rezeptsammlungen wie etwa „De coloribus romanorum“ des ‚Heraclius‘ oder auch den ‚Compositiones variae‘ 43. Eine Normierung von Licht-, Schatten- oder Farbwerten war offensichtlich generell nicht von Interesse. Zudem wurde in der ‚Schedula‘ die Herstellung von so grundlegenden Materialien wie Pergament oder ‚Clarea‘ als Bindemittel nicht beschrieben44 wie auch Hinweise zur Ausführung von goldfarbenen Gewändern oder Kermes-Farbstoff fehlen45. Diese Auflistung ließe sich noch fortsetzen – zu denken gibt allerdings, daß sehr detailliert und deskriptiv-normierend anmutende Artefakte anderer Kunstgattungen wie Zeichnungen oder Pläne aus dem 9. und 13. Jahrhundert in ganz ähnlichem Zusammenhang diskutiert werden. Allseits bekannt sind die Debatten um die Einordnung des auf der Reichenau ausgeführten Sankt Galler Klosterplans als Bau-, Bestands- oder Idealplan, alternativ auch als zu Pergament gebrachter Diskussionsvorschlag für Abt Gozbert (816–837). Sie gründen letztlich auf der Einzigkeit des Dokuments und der damit verbundenen Unsicherheit der Bewertung sowie auf Unstimmigkeiten zwischen Zeichnung und inschriftlichen Maßangaben46. Ganz ähnlich wurde das Verhältnis zwischen Plan und gebauter Wirklichkeit am Beispiel der Architektur-Zeichnungen des Villard de Honnecourt immer wieder überprüft. Er ist Schöpfer eines für das 13. Jahrhundert einzigartigen Kompendiums kommentierter Grund- und Aufrisse von Kirchen, außer-

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alchimistische Herstellung von spanischem Gold (cf. op. cit., III, c. 48) sowie das Erweichen der Edelsteine in Bocksblut (cf. op. cit., III, c. 95). Als unpräzise gelten zum Beispiel cf. op. cit., III, c. 17 („De limis“): fehlende Größenangaben für die Feilen, oder c. 96 („De margaritis“), als nicht korrekt die Hinweise auf Goldvorkommen (cf. op. cit., III, c. 46 sq.). Cf. op. cit., II, c. 19, ed. Dodwell (nt. 1), 49: „De colore cum quo vitrum pingitur“ oder III, c. 28, 80 sq.: „De Nigello“; Übersetzung: Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 1, 156 und vol. 2, 77. Cf. die Edition des Heraclius-Textes durch Albert Ilg (nt. 1); eine Ausnahme findet sich im Buch III, c. 3, 49: „Quomodo vasa figuli plumbeantur“, die meisten Rezepturen weisen jedoch keine Mengenangaben auf. Für die in Codex 490 der Biblioteca Capitolare von Lucca aus dem 8./9. Jahrhundert überlieferten ‚Compositiones variae‘ cf. Johnson, Compositiones (nt. 1); Muratori (ed.), Compositiones (nt. 1), 365–388. Hingegen enthält die ‚Mappae Clavicula‘ fast schon regelmäßig Mengenangaben; cf. c. 98 oder 107 A („Pandius“), edd. Smith/Hawthorne (nt. 1), 41 sq. Bereits Vitruvs Angaben in seinen 10 Büchern über die Architektur decken sich nicht immer mit der Praxis. So haben sich bisher in keinem Theater die von Vitruv beschriebenen, für die Schallgefäße notwendigen cellae gefunden; cf. C. Fensterbusch (ed. und übers.), Vitruvii de architectura libri decem – Vitruv, Zehn Bücher über die Architektur, Darmstadt 1964, 51991, 550, n. 273. – Meinen Dank an Robert Fuchs für die Diskussion. Cf. Scholtka, Theophilus (nt. 1), 32–35. Cf. Roosen-Runge, Farbgebung (nt. 1), vol. 1, 25 und vol. 2, 43; Scholtka, Theophilus (nt. 1), 29. Cf. W. Jacobsen, Der Klosterplan von St. Gallen und die karolingische Architektur. Entwicklung und Wandel von Form und Bedeutung im fränkischen Kirchenbau zwischen 751 und 840, Berlin 1992, 11, 23–34, 321 sq., mit Überblick über die Forschungsdiskussion.

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dem von Zeichnungen, die Bauplastik, Skulptur, Maschinen, Konstruktionen und figürliche Motive umfassen. Dieses von Villard um 1220 zusammengestellte Bauhüttenbuch changiert nach Hahnloser zwischen zwei Gattungen, das heißt dem beschrifteten Bildmusterbuch des Mittelalters und dem illustrierten technischen Traktat der Antike47. Villard de Honnecourt wird entweder für einen ausübenden Architekten und Experten gehalten oder – bei kritischer Beurteilung von Fehlern, Ungenauigkeiten und deutlichen Abweichungen in den Zeichnungen – für einen Dilettanten und Analphabeten, der seinen Schreibern nur diktiert und anderen über die Schulter geblickt haben soll 48. Mit welchem Anspruch auf Präzision muß demnach zeitgenössisch in diesen Bereichen pragmatischer Schriftlichkeit49 gerechnet werden? Aufschlußreich ist aufgrund ihres ganz ähnlichen Changierens zwischen Detailfreude, Ungenauigkeit und kursorischer Kürze der Beschreibung eine andere Textgattung reglementierenden Charakters, die sogenannten monastischen Gewohnheiten beziehungs-

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Cf. H. R. Hahnloser, Villard de Honnecourt. Kritische Gesamtausgabe des Bauhüttenbuches ms. fr. 19093 der Pariser Nationalbibliothek, Wien 1935, Graz 21972, IX. Hahnloser (Villard [nt. 47], 247–250) bewertet die Architekturzeichnungen Villards mit ihren Abweichungen unter anderem im Sinne von Ideallösungen und Abstraktionen zur Überlieferung des „Guten und Rechten“; hingegen versteht William W. Clark (Reims Cathedral in the Portfolio of Villard de Honnecourt, in: M.-Th. Zenner [ed.], Villard’s Legacy. Studies in Medieval Technology, Science and Art in Memory of Jean Gimpel [AVISTA. Studies in the History of Medieval Technology, Science and Art 2], Aldershot 2004, 23–52, 50) die Differenzen zwischen Plan und gebauter Lösung bei der Kathedrale von Reims als Ausdruck einer mangelnden Expertise. Fehler wie die falsch wiedergegebenen Fugenschnitte des Reimser Pfeilers und der Wandvorlagen sind konkret genannt bei den ähnlich wie Zenner argumentierenden Autoren Dieter Kimpel und Robert Suckale (Die gotische Architektur in Frankreich: 1130–1270, München 1985, 366). Leonard Helten (Offene Fragen zum Grundriß als Medium in der Architektur des Mittelalters, in: id. [ed.], Dispositio. Der Grundriss als Medium in der Architektur des Mittelalters [Hallesche Beiträge zur Kunstgeschichte 7], Halle a. d. Saale 2005, 11–24, bes. 13) bezieht sich bei der Problematisierung offener Fragen zum Grundriss im Mittelalter auf Hahnloser. Wolfgang Schenkluhn (Die Grundrissfiguren im Bauhüttenbuch des Villard de Honnecourt, in: op. cit., 103–120, bes. 105–109) sieht Villards Zeichnungen zum Beispiel als Schemata, durch welche „die geometrische Grundform einer Kirche unter Vernachlässigung ihrer konkreten Gestalt der Hervorhebung ihrer symbolisch-theologischen Bedeutung“ diente und dem rhetorischen Kriterium der Angemessenheit unterlagen. Cf. grundlegend: H. Keller, Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter. Erscheinungsformen und Entwicklungsstufen. Einführung zum Kolloquium in Münster, in: id./K. Grubmüller/N. Staubach (eds.), Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter. Erscheinungsformen und Entwicklungsstufen. Akten des Internationalen Kolloquiums 17.–19. Mai 1989 (Münstersche Mittelalter-Schriften 65), München 1992, 1–9; K. Schreiner, Verschriftlichung als Faktor monastischer Reform. Funktionen von Schriftlichkeit im Ordenswesen des hohen und späten Mittelalters, in: op. cit., 37–75; Ch. Meier, Wissenskodifikation und Informationsbedarf in der vormodernen Gesellschaft. Neue Forschungsansätze zu einer pragmatischen Gattungsgeschichte der mittelalterlichen Enzyklopädie, in: ead./V. Honemann/H. Keller/R. Suntrup (eds.), Pragmatische Dimensionen mittelalterlicher Schriftkultur. Akten des Internationalen Kolloquiums 26.–29. Mai 1999 (Münstersche Mittelalter-Schriften 79), München 2002, 191–210.

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weise ‚Consuetudines‘50. Hierfür bieten sich vor allem die von cluniazensischen Texten wie den ‚Consuetudines‘ Ulrichs abhängigen Gewohnheiten des Wilhelm von Hirsau51 und der für die süditalienische Abtei Farfa in Cluny abgeschriebene ‚Liber tramitis‘52 an. Von Interesse ist hierbei nicht nur generell der Grad der textuellen Abbildung von Wirklichkeit, sondern auch die darin zum Teil explizit geäußerte Intention, die zugrundeliegenden Texte an den jeweils anderen Gebrauchskontext der Bestimmungsorte anzupassen. IV. ‚Schedula‘ und ‚Consuetudines‘ im Vergleich Ein Vergleich dieser beiden scheinbar so disparat ausgerichteten Textarten drängt sich aufgrund einer ganzen Reihe markanter formaler und inhaltlich-struktureller Gemeinsamkeiten auf: Entstehungskontext ist jeweils ein monastisches Umfeld, das heißt Werte- und Normensystem beziehungsweise vor allem auch die Sensibilität im Umgang von Texten und der Verständnishorizont basieren auf weitgehend ähnlichen Voraussetzungen. Auch die Chronologie beider Werkgruppen stimmt aufgrund ihrer Konstituierung im 11. und 12. Jahrhundert überein, in einer Zeit vor der breiten Etablierung scholastischer Methodik und Diskurse. In beiden Fällen liegt ein ähnlicher Umgang mit der Präsentation und der Organisation von Wissen vor, das heißt eine selektive Kodifizierung empirischer Regeln und Gewohnheiten53, außerdem eine klar gegliederte und deutlich markierte An50

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Generell für diese Textart, durch die in Ergänzung der Benediktsregel der monastische und liturgische Alltag zusätzlich reguliert wurde, cf. K. Hallinger, Consuetudo. Begriff, Formen, Forschungsgeschichte, Inhalt, in: Untersuchungen zu Kloster und Stift (Veroffentlichungen des Max Planck-Instituts fur Geschichte 68, Studien zur Germania Sacra 14), Göttingen 1980, 140–166; F. Kohlschein, Der mittelalterliche Liber Ordinarius in seiner Bedeutung für Liturgie und Kirchenbau, in: id./P. Wünsche (eds.), Heiliger Raum. Architektur, Kunst und Liturgie in mittelalterlichen Kathedralen und Stiftskirchen (Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen 82), Münster 1988, 1–24; A.-G. Martimort, Les „Ordines“, les ordinaires et les cérémoniaux (Typologie des sources du Moyen Âge occidental 56), Turnhout 1991. Ulrich von Cluny verfasste die drei Bücher seiner ‚Consuetudines‘ in den Jahren nach 1079 und bis 1083/84, Wilhelms verschriftlichte seine darauf aufbauenden ‚Constitutiones Hirsaugienses‘ gleichfalls in den 1080er Jahren; cf. B. Tutsch, Studien zur Rezeptionsgeschichte der Consuetudines Ulrichs von Cluny (Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiösen Lebens im Mittelalter 6), Münster 1998, 17, 22, 30 sqq., 139 sqq. Für die Handschrift und die zwischen 1035–1040 entstandene Textfassung cf. P. Dinter (ed.), Liber tramitis aevi Odilonis abbatis (Corpus consuetudinum monasticarum 10), Siegburg 1980, XLVII. Grundlage ist hier eine Gleichsetzung von „Norm“, „Regel“ und „Anweisung“ unter Ausblendung einer kontrafaktischen Ahndung von Regelverstößen. Cf. allgemein: G. Jaritz, Norm und Praxis in Alltag und Sachkultur des Spätmittelalters: „Widerspruch“ und „Entsprechung“, in: id. (ed.), Norm und Praxis im Alltag des Mittelalters und der frühen Neuzeit (Forschungen des Instituts für Realienkunde des Mittelalters und der Frühen Neuzeit: Diskussion und Materialien 2), Wien 1997, 7–20; D. Ruhe, Einführende Überlegungen, in: Ead./K.-H. Spieß (eds.), Prozesse der Normbildung und Normveränderung im mittelalterlichen Europa, Stuttgart 2000, 1–4. Für den

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ordnung der Kapitel. Beide Textarten werden durch Prologe54 eingeleitet und durch enzyklopädische Ausführungen bereichert. Auf verschiedenen Ebenen sind jeweils didaktische Intentionen in der expliziten Absicht zur Anleitung von Schülern beziehungsweise Novizen und der generellen Absicht zur Vermittlung von Wissen zu erkennen55. Ulrich von Cluny informiert in den drei Büchern seiner ‚Consuetudines Cluniacenses‘ mit literarischer Geschicklichkeit über den liturgischen (I) und den klösterlichen Alltag, darunter über das Leben der Novizen (II) und die einzelnen Ämter im Kloster (III). In Buch II, 4 führt er über die Erziehung der Novizen und die Zeichensprache aus, durch die sich die dringendsten Mitteilungen bewerkstelligen ließen, ohne das zu bestimmten Tageszeiten herrschende Schweigegebot zu brechen56. Bei dieser Zeichensprache spielt die Nahrungsversorgung

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Begriff von Norm und Regel in der Kunst im Sinne von Kants ‚Kritik der Urteilskraft‘ (§ 46), die bereits vor aller Theorie im eigentlichen Sinne in Malerbüchern und Architekturtraktaten niedergelegt worden sei, cf. L. Dittmann, Normen und Werte in der bildenden Kunst (Erörterungen im Anschluss an Kant), in: K. Ertz (ed.), Festschrift für Wilhelm Messerer zum 60. Geburtstag, Köln 1980, 369–381, bes. 369 sqq.; speziell für den Norm- und Regelbegriff im monastischen Kontext cf. G. Melville (ed.), De ordine vitae. Zu Normvorstellungen, Organisationsformen und Schriftgebrauch im mittelalterlichen Ordenswesen (Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiösen Lebens im Mittelalter 1), Münster 1996, 1–5. Für die Prologe in den ‚Consuetudines Cluniacenses‘ Ulrichs cf. Antiquiores consuetudines Cluniacensis monasterii collectore Vdalrico monacho benedictino, ed. J.-P. Migne, in: Patrologia cursus completus. Series latina, vol. 149, Paris 1853, 643A–644B (I); 699C–700D (II); 731A–C (III). Der erste und längste Prolog dient ihm dazu, über das Werk und seine Gliederung, über den Anlass zur Niederschrift, sich selbst als Autor und über den Zweck der Bücher Auskunft zu geben, das heißt die sichere Information des mit ihm befreundeten Hirsauer Abtes Wilhelm die und Verbreitung cluniazensischer Gewohnheiten. Die anderen kurzen Prologe zur Einleitung von Buch II und III nützt er als informative Scharnierstellen, welche die Bücher miteinander verbinden und den Inhalt des Nachfolgenden mit wenigen Worten skizzieren. Für die beiden Prologe in den ‚Constitutiones Hirsaugienses‘ cf. Sancti Willhelm Constitutiones Hirsaugienses seu gengenbacenses, ed. J.-P. Migne, in: Patrologia cursus completus. Series latina, vol. 150, Paris 1854, 927B–930B (I), 1037C (II). Während der zweite Prolog nur der Verknüpfung der beiden Bücher sowie der Inhaltsangabe und Begründung der Vorgehensweise in Buch II dient, führt Wilhelm im Prolog zum Buch I ausführlich und selbstbewusst („ego […] provisor“ [op. cit., 927B]) über die Entstehungsumstände, seine Beweggründe und die Intention des Werks aus. Seine fratres carissimi (cf. op. cit., 930A) werden bei Beachtung der von ihm fixierten Regeln das ewige Leben erlangen. Allgemein für die ‚Consuetudo‘ Ulrichs und die ‚Constitutiones‘ Wilhelms cf. Tutsch, Studien (nt. 51), 16–83. Ergänzend für den ‚Liber Ordinarius‘ von Hirsau cf. A. Hänggi, Der Rheinauer Liber Ordinarius (Zürich Rh 80, Anf. 12. Jh.) (Spicilegium Friburgense 1), Freiburg, Schweiz, 1957, 151; F. Heinzer, Der Hirsauer ,Liber ordinarius‘, in: Revue Bénédictine 102 (1992), 309–347. Für den zwischen 1035 und 1040 für das süditalienische Kloster Farfa in Cluny kodifizierten ‚Liber tramitis‘ cf. Dinter (ed.), Liber (n. 52), XLVIII. Der Hirsauer Reformrichtung schloss sich das Hildesheimer Michaeliskloster als Ausführungsort der hier zitierten romanischen Prachthandschriften wahrscheinlich während des Abbatiats von Konrad II (1124–1128) an; cf. K. Hallinger, Gorze–Kluny, Studien zu den monastischen Lebensformen und Gegensätzen im Hochmittelalter (Studia Anselmiana 22–23), vol. 1, Rom 1950, Graz 21971, 124. Cf. Consuetudines Cluniacenses, II, c. 4, ed. Migne (nt. 54), 703B–705A.

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eine wichtige Rolle, darunter die Angaben zu Fischen, wobei er allein acht Zeichen (signa) zur Benennung von Fischen beziehungsweise Fischarten aufführt, das heißt ein Zeichen für Fische allgemein, dann speziell „signa“ für Tintenfisch, Aal, Neunauge, Lachs, Hecht und Forelle57. Gewürze wie Senf und Essig werden genauso mittels Zeichensprache ausgedrückt wie Bestandteile der Mönchskleidung58. Wilhelm von Hirsau erweitert in Buch I, 5 seiner Kloster-Gewohnheiten Ulrichs Liste über die Zeichensprache erheblich59. Im Fischkapitel zählt er nun 13 Arten auf und führt unter anderem die Muräne ein60. Ungeachtet der in seinem Prolog formulierten Intention, die cluniazensischen Gewohnheiten an die heimatlichen Gebräuche und das Klima anzupassen und entsprechend zu ändern61, listet Wilhelm Fische auf, die im Schwarzwald sicher nicht vorauszusetzen sind. Auch die Zeichenlisten zu Obst- und Gemüsesorten, zu Kleidung sowie zu unterschiedlichen Ämtern und Gegenständen des monastischen Alltags sind nun so umfangreich und gleichzeitig zum Teil für die Region unrealistisch, daß sie verschiedentlich eher als Präsentation eines enzyklopädischen Wissens denn für den Alltagsgebrauch geeignete Aufzählungen charakterisiert wurden62. Deutlich ist das Bestreben zu erkennen, durch die ausführliche schriftliche Fixierung eine bessere Befolgung der Regelvorschriften und der liturgischen Gewohnheiten im Sinne des Reformgeistes zu bewirken63. Im Kontrast hierzu steht die Art, wie zentrale monastische Lebensbereiche und liturgische Gewohnheiten wie Prozessionen in Kirchen und Kreuzgängen häufig nur kursorisch beschrieben wurden. Bei der exemplarischen Beschreibung der Festtagsprozession erfolgte generell die Schilderung der Ordnung und der hierarchischen Position einzelner Mönchsgruppen wesentlich genauer als die der

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Cf. ibid., 703D. Cf. ibid., 704C–D. Für die ganze Zeichenliste cf. Constitutiones Hirsaugienses, I, c. 5–25, ed. Migne (nt. 54), 940B– 957D. Für das ganze Fischkapitel cf. op. cit., I, c. 8, 941C–942C; für die Muräne cf. ibid., 941D. Cf. op. cit., I, prol., 929C–D: „Illis [sc. duobus Cluniacis] tandem redeuntibus, et tam fructuosi operis manipulos cum gaudio reportantibus, accepimus per eos mandatum a Domino Hugone venerabili Cluniacensium abbate, ut sua freti auctoritate, coadunato seniorum nostrorum consilio, prout ipsa declarat ratio, secundum morem patriae, loci situm, et aeris temperiem, de eisdem consuetudinibus, si quid esset superfluum, demeremus; si quid mutandum, mutaremus: si quid addendum, adderemus. Quod sagaci studio communi insistentes, et pauca quaedam mutantes, multo autem pauciora recidentes, totas illas consuetudines in duos libros distinctis per sua capitula sententiis digessimus.“ Cf. op. cit., I, c. 10–12, 943C–945B. Allgemein für Aufbau und Benutzung der Sprechzeichenliste cf. Tutsch, Studien (nt. 51), 91–97. Tutsch, Studien (nt. 51), 139–142. Noch deutlicher nachzuvollziehen ist der Zusammenhang zwischen Reformgesinnung, Disziplinierungsbestrebungen und überaus detaillierter Verschriftlichung in den ‚Statuten‘ des Peter der Ehrwürdige; cf. G. Constable (ed.), Statuta Petri Venerabilis Abbatis Cluniacensis IX (1146/7), in: id. (ed.), Consuetudines benedictinae variae (saec. Xl– saec. XIV) (Corpus consuetudinum monasticarum 6), Siegburg 1975, 21–25 und zugehörige Edition; Schreiner, Verschriftlichung (nt. 49), 37–75, bes. 42.

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topographischen Situation64. Im ‚Liber tramitis‘ imponiert zwar eine Beschreibung von Kirche und Klosteranlage zu Zeiten Abt Odilos65. Jedoch wurde der Kreuzgang als zentrale multifunktionale Einheit eines jeden Klosters dabei ausgelassen, obwohl er für die im gleichen Text zahlreich erwähnten Prozessionen eigentlich unabdingbar war66. Daß der für Cluny II überlieferte Kreuzgang um 1040 aus Marmor errichtet wurde67, der Text jedoch vermutlich unmittelbar vorher entstand, erklärt die Diskrepanz zwischen der Nennung des Kreuzgangs im Regelteil der Consuetudo versus der Auslassung im deskriptiven Textteil nicht. Im Gegenteil, sie verdeutlicht die Bandbreite möglicher Inkohärenzen innerhalb eines Werks sowie im Verhältnis von Text und Wirklichkeit. Auch der Brunnen im Kreuzgang, die scola puerorum oder einige wichtige Werkstätten fanden keine Erwähnung68. Hingegen sind die in Klosterarchitektur generell den Kreuzgang rahmenden Räumlichkeiten wie Kapitelsaal, Dormitorium und Refektorium aufgeführt und vor allem hygienische Einrichtungen wie Latrinen vergleichsweise genau beschrieben69. V. Aspekte der Textkonstituier ung im 11. und beginnenden 12. Jahrhunder t Offensichtlich weisen beide Textgattungen Auslassungen, Ungenauigkeiten und Abschnitte selektiv gesteigerter Detailfreudigkeit auf – Eigenarten, die nicht nur auf der unterschiedlichen Expertise des jeweiligen Autors basieren können oder mit dem Verweis auf die benutzten Vorlagen bereits umfassend eingeordnet wären. In Anbetracht ihrer gleichen kulturellen Prägung durch ein monastisches 64

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Cf. die Beschreibung der Festtagsprozession im ‚Liber tramitis‘ mit Angabe der Uhrzeit, der Prozessionsaufstellung sowie der Stationsorte Marienoratorium, Kreuzgang nur allgemein, Kirchenportal und Eingangsbereich; der Kreuzgang existiert aber eigentlich gemäß der Beschreibung von Kirche und Konvent gar nicht: Dinter (ed.), Liber (nt. 52), 22 sq., 203–206; eine ähnliche Konstellation, das heißt relativ genaue Beschreibung der Prozessionsordnung und nur kursorische Erwähnung des Cluniazenser Kreuzgangs auch in op. cit, 41 sq., 68 sq., 108 sq.; in den Consuetudines Cluniacenses, I, c. 10 und II, c. 21, ed. Migne (nt. 54), 654A und 710B; in den Constitutiones Hirsaugienses, I, c. 86 und II, c. 34, ed. Migne (nt. 54), 1017B und 1091B–C, sowie im Hirsauer ‚Liber Ordinarius‘; cf. Hänggi, Rheinauer (nt. 55), 31–39, 318 (Registereintrag). Einführend für die Handschrift, Datierung, Überlieferung und Entstehungskontext: Dinter, Liber (nt. 52), XXI–LVI. In der Edition bei Dinter (cf. Liber [nt. 52], dort auch die Registereinträge) wird der Kreuzgang zum Beispiel erwähnt als Ort für Prozessionen (cf. op. cit., 23, 36, 46, 70, 108), Psalmgebet (cf. op. cit., 79) und Lektüre (cf. op. cit., 189, 200) und rituelle Fußwaschung an den Armen und den Mitbrüdern (cf. op. cit., 52, 75, 77, 189), und zwar im Brauchtext, der die Gebräuche während des Kirchenjahres umfasst, nicht aber bei der Beschreibung von Kirche und Klosteranlage (cf. op. cit., 203–206). Cf. K. J. Conant, Cluny. Les églises et la maison du chef d’ordre (Mediaeval Academy of America, Publication 77), Mâcon 1968, 65 sqq.; Dinter, Liber (nt. 52), XLVII. Cf. Dinter, Liber (nt. 52), XLVIII. Cf. op. cit., 203 sq.

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Umfeld und ihrer Entstehung im gleichen Zeitraum ist die Vermutung naheliegend, daß in beiden Fällen eine ähnliche Praxis der Verschriftlichung von Informationen, Vorschriften und Handlungsanweisungen vorliegt. Aus den gleichen Gründen dürften Hinweise, die sich in den ‚Consuetudines‘ auf dieses Kriterium beziehen, auch für die Beurteilung der in der ‚Schedula‘ dokumentierten Schriftpraxis zu berücksichtigen sein. Nicht nur speziell in der ‚Schedula‘ spielt wahrscheinlich die zeitliche Distanz zwischen Entstehung der Rezepturen und ihrer Eingliederung in das Traktat eine Rolle70. Zu dieser Kategorie der Praxisferne gehört generell auch die Abhängigkeit eines neu geschaffenen Werkes von einer Texttradition beziehungsweise von kompilierten Texten und Textversatzstücken, die zu großen Teilen weitgehend unverändert übernommen wurden. Diese Vorgehensweise läßt sich bei Wilhelm von Hirsau71 sowie auf einer nachgeordneten Ebene auch bei einer fast vollständigen Rezeption des Hirsauer Textes in Abschriften für Häuser dieses Reformkreises nachweisen. Gleichzeitig schließt eine weitreichende Übernahme der Vorlage und Akzeptanz ihrer Auctoritas nicht aus72, daß in der relativ getreuen Primär-Abschrift eines Basistextes sekundär und im Sinne eines „elastischen Umgangs“ Einträge und punktuelle Adaptionen an die lokale Situation vorgenommen wurden73. Bei der Konstituierung der hier maßgeblichen Texte spielten mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Faktoren wie das stark von der monastischen Vorstellungswelt und Theologie geprägte Wertesystem sowie die Aussageintention des Textes mit hinein. Plakativ und stark vereinfachend ausgedrückt: Die Sicherung und der Ausdruck zeitgenössisch relevanter theologischer, spiritueller und weltanschaulicher Positionen wie Ordnung, Hierarchie und Memoria74 wurden offensichtlich höher bewertet und genauer schriftlich fixiert als der häufig und auch für profane 70 71 72

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Auf diesen Aspekt verwies auch Clarke, The Art (nt. 11), 34. Cf. Tutsch, Studien (nt. 51), 78 sqq., 139 sq. Für das Konzept der auctoritas cf. N. Häring, Auctoritas in der sozialen und intellektuellen Struktur des zwölften Jahrhunderts, in: A. Zimmerman (ed.), Soziale Ordnungen im Selbstverständnis des Mittelalters (Miscellanea Medievalia 12,2), Berlin–New York 1980, 517–533. Am Beispiel der Übernahme und punktuellen Modifikation des Hirsauer Textes im Bamberger Kloster Michelsberg cf. Schreiner, Verschriftlichung (nt. 49), 44 sq.; id., Lautes Lesen, fiktive Mündlichkeit, verschriftlichte Norm. Einleitende Bemerkungen über Fragen, Themen und Ergebnisse einer Tagung, in: C. M. Kasper/K. Schreiner (eds.), Viva vox und ratio scripta. Mündliche und schriftliche Kommunikationsformen im Mönchtum des Mittelalters (Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiösen Lebens im Mittelalter 5), Münster 1997, 1–36, bes. 14 sqq. Für die serielle Produktion von Consuetudines-Handschriften im Hirsauer Skriptorium für reformwillige Klöster cf. Tutsch, Studien (nt. 51), 120–125. Cf. allgemein: H. Krings, Ordo. Philosophisch-historische Grundlegung einer abendländischen Idee (Philosophie und Geisteswissenschaften 9), Hamburg 1941, 21982; J. Wollasch, Totengedenken im Reformmönchtum, in: R. Kottje/H. Maurer (eds.), Monastische Reformen im 9. und 10. Jahrhundert (Vorträge und Forschungen 38), Sigmaringen 1989, 147–166; G. F. Gässler, Der Ordo-Gedanke unter besonderer Berücksichtigung von Augustinus und Thomas von Aquino (Academia Hochschulschriften, Philosophie 5), Sankt Augustin 1994; G. Melville, Einleitung, in: id. (ed.), De ordine vitae (nt. 53), 1–6.

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Zwecke genutzte Kreuzgang oder der von der Architektur meist vorgegebene Prozessionsweg. Ganz ähnlich war wohl in der ‚Schedula‘ die Beschreibung der Darstellung von Antlitz und Gewand als figurenkonstituierenden Elementen in einer Zeit kurz vor der Neudefinition tragender Körper-Seele-Konzepte75 sowie nach dem Durchbruch der körperhaften Skulptur und Bauplastik76 wichtiger als die konsequente Wiedergabe von Maßen, Werkzeugen und Gewichten – Angaben, die zu dem zeitgenössisch und im jeweiligen Wirkungskreis einer Werkstatt verfügbaren Wissen gehörten und bei der Verschriftlichung beziehungsweise der Übernahme älterer Textbestandteile nicht eigens ergänzt wurden. Auch daß in der ‚Schedula‘ die Darstellung von Frauenhaar im Gegensatz zur detaillierten Beschreibung von Männer- und Jünglingshaar ausgespart wurde, dürfte am monastischen Umfeld liegen, das die innovative Komplettierung solcher in den verwendeten Vorlagen wahrscheinlich fehlenden Vorgaben nicht begünstigte. Über die Kriterien der Verschriftlichung solcher Aspekte finden sich in der ‚Schedula‘ keine metasprachlichen Aussagen. Hingegen haben in die ‚Consuetudines‘ Äußerungen Eingang gefunden, die einer generell und weit verbreiteten Praxis entsprochen haben dürften: Etwas solle „wie gewohnt“ – more solito – geschehen, eine Beschreibung unterblieb konsequenterweise in solchen Fällen. Auch sind in anderen Brauchtexten Einwürfe nachzuweisen, daß man etwas absichtlich nicht beschreibe, da es allen bekannt sei77. Scheinbar ungenaue oder vage Angaben normativer Texte wie der ‚Schedula‘ und der ‚Consuetudines‘ dürften zuweilen eher als Indiz für die Absicht zur Abstraktion zu lesen sein und nicht nur als unpräzise Dokumentation. Besondere sprachliche Wendungen oder konkrete Aussagen über die mutmaßliche Wirkdauer sprechen dafür, daß man auf diese Weise einen größeren Geltungsbereich in regionaler und auch diachroner Hinsicht erreichen wollte: Lanfranc (um 1010–1079), 75

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Cf. R. Heinzmann, Die Unsterblichkeit der Seele und die Auferstehung des Leibes: Eine problemgeschichtliche Untersuchung der frühscholastischen Sentenzen- und Summenliteratur von Anselm von Laon bis Wilhelm von Auxerre (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters 40,3), Münster 1965; I. Craemer-Ruegenberg, Die Seele als Form in einer Hierarchie von Formen, in: G. Meyer/A. Zimmermann (eds.), Albertus Magnus. Doctor universalis 1280/1980 (Walberberger Studien, philosophische Reihe 6), Mainz 1980, 59–88; C. Bynum, Warum das ganze Theater mit dem Körper? Die Sicht einer Mediävistin, in: Historische Anthropologie 4 (1996), 1–33; S. Knuuttila, Emotions in Ancient and Medieval Philosophy, Oxford 2004. Cf. allgemein: J. Poeschke, Die Skulptur des Mittelalters in Italien, vol. 1: Romanik, München 1998; W. Sauerländer, The Fate of the Face in Medieval Art, in: Ch. T. Little (ed.), Set in Stone. The Face in Medieval Sculpture (Katalog der Ausstellung), New York 2007, 2–17; B. Fricke, Ecce fides. Die Statue von Conques, Götzendienst und Bildkultur im Westen, München 2007, 105–164. So zum Beispiel in den ‚Institutiones ecclesiasticae‘ der Kathedrale von Arles (Aix-en-Provence, Bibliothèque Méjanes, Ms. 0271, Rey 79, fol. 61: „more solito“); für die Prozessionen in Hirsau „solito more“ cf. Hänggi, Rheinauer (nt. 55), 161, 237; für die Interlinearglosse für die Beschreibung des Prozessionsgeschehens im Kathedralkreuzgang von Gerona cf. Consueta Ecclesiae Gerundensis, Biblioteca Auxiliar del Archivo Capitular de Girona, Ms. 9 (14. Jh.), fol. 43r : „[processio] quae fit solito more.“

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Bischof von Canterbury und einstmaliger Abt von Bec78, fügte bei der sonst deutlich auf der cluniazensischen Textvorlage basierenden Niederschrift der Gewohnheiten für das Kathedralkloster von Canterbury Formulierungen ein, die eine solche Ausdehnung auf andere Häuser implizieren: Funktionsräume, die von Kloster zu Kloster in unterschiedlichen Bereichen liegen können, wie das Bad, bezeichnet Lanfranc allgemein: „locus in quo balnea praeparantur.“79 In dem seinen ‚Decreta‘ vorangestellten Widmungsbrief an Henricus, Prior von Canterbury, verweist er auf die Variationsbreite der lokal und personell unterschiedlichen Gegebenheiten vieler Klöster und die Änderungen, welche die Zeit mit sich bringe80. Wenige seiner Informationen lassen sich konkret auf Canterbury beziehen, viele hingegen auf mehr Adressaten als der Dedikationsbrief vorgibt81. Auch in der ‚Schedula‘ fehlen häufig nicht nur präzise Angaben zu lokal verwendeten Maßen, sondern Bezüge zur lokalen Situation und Topographie, so daß eine Übertragbarkeit leicht fällt. Und auch die diachrone Komponente hatte der Autor der ‚Schedula‘ im Sinn. Dies verdeutlichen die Verschriftlichung per se sowie die Ausführungen am Ende des ersten Prologs über das Bewahren und Memorieren der Vorgaben82. Hingegen dienen enzyklopädische Passagen wie der Länderkatalog der ‚Schedula‘ oder die gegenüber der Vorlage deutlich amplifizierte Zeichenliste der Hirsauer ‚Consuetudines‘ dem Ausdruck von Gelehrsamkeit und damit als Signal für den gehobenen Anspruch des Textes.83 In der ‚Schedula‘ ist eine ähnliche Absicht auch hinter den auffallend detaillierten und umfangreichen Anweisungen für Inkarnat, Gewand und Regenbogenband beziehungsweise gerundete Gegenstände zu vermuten: Zusammen mit den inhaltlich komplexen Prologen gehören sie zu den Textteilen, welche die ‚Schedula‘ von „gewöhnlichen“ Rezeptsammlungen abheben und einen eher theoretischen Anstrich verleihen. Sie dokumentieren wahrscheinlich nicht nur die Intention, ideale Vorgaben, sondern einen anspruchsvolleren Text im Sinne eines Traktats zu schaffen84. 78

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Für Lanfranc und seine zwischen 1074/74 und 1077 verfassten ‚Decreta‘ cf. D. Knowles (ed.), Decreta Lanfranci Monachis Cantuariensibus transmissa (Corpus consuetudinum monasticarum 3), Siegburg 1967, XVI; für die von Lanfranc benutzten Quellen, unter anderem Vorlagen aus Cluny, die er als „auctoritas“ zitiert (op. cit., 3 [ll. 3–9]: „consuetudines, […] quae nostro tempore maioris auctoritatis sunt in ordine monachorum“) cf. R. Graham, The Relation of Cluny to some other movements of Monastic Reform, in: The Journal of Theological Studies 15 (1914), 179–195, 184 sq. Decreta Lanfranci, ed. Knowles (nt. 78), 11 (l. 17). Cf. op. cit., 3 (ll. 9–21). Tatsächlich wurden Lanfrancs ‚Decreta‘ in mehr als zwölf bedeutenden englischen Kathedralklöstern weitgehend befolgt; cf. op. cit., XXVIII. Cf. Theophilus, De diversis artibus, I, prol., ed. Dodwell (nt. 1), 3 sq.; Übersetzung: Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 1, 51 sq. Auch die Art, wie Ulrich von Cluny seine Selbstbeschränkung mittels eines Horaz-Zitats (aus den Satiren I, 10, 34) begründet (cf. Consuetudines Cluniacenses, II, c. 4, ed. Migne [nt. 54], 704D) fällt unter diese Rubrik. Für diesen Aspekt der Wissensakkumulation und des gehobenen Anspruchs der ‚Schedula‘ cf. Reudenbach, Ornatus (nt. 1), 2, 4.

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Die hier aufgezeigten Schnittmengen zwischen der ‚Schedula diversarum artium‘ und den ‚Consuetudines‘ lassen einen in der umfangreichen Forschungsliteratur bislang nicht berücksichtigten Aspekt deutlich werden: Nicht nur die Verschriftlichung der ‚Schedula‘ allgemein, sondern vor allem die genuin auf den Autor rückführbaren Textbestandteile und ihre Eigenheiten sind auch in diesem Kontext der pragmatischen Schriftlichkeit und der monastischen Usancen zu verorten.

Il trattato di Teofilo come testimonianza della storia dell’origine della pittura ad olio: un esempio di metodo interdisciplinare nello studio di una tecnica pittorica. P D V (Frascati) I. Premessa Con la pubblicazione nel 1774 di un estratto del manoscritto, scoperto nella Biblioteca Ducale di Wolfenbüttel, con il significativo titolo ‘Vom Alter der Ölmalerei aus dem Theophilus Presbyter’1, il Lessing pone per la prima volta l’attenzione sul rapporto tra il trattato attribuito a Teofilo e il problema dell’origine della pittura ad olio. Conseguentemente al ritrovamento archivistico e agli studi del Lessing, la testimonianza vasariana, che attribuiva la scoperta della pittura ad olio nei primi del XV secolo ai fratelli Van Eyck, viene messa in discussione e, i passi del trattato, comprovanti l’utilizzo dell’olio come medium pittorico in epoca altomedioevale, vengono analizzati dalla critica successiva nei ristretti termini di verifica positiva o negativa del racconto vasariano. Il Lessing pone il primo quesito, che poi rimane per più di un secolo il tema centrale del dibattito critico, su quale potesse essere la reale novità apportata dai Van Eyck, visto che la pittura ad olio era conosciuta fin dall’Alto Medioevo. Sulla scia del Lessing tutta la ricerca successiva, fino ad arrivare agli anni ’40, si concentra nell’individuazione della vera scoperta compiuta dai Van Eyck e, forse condizionata dalle stesse parole teofiliane che definiva il dipingere ad olio “[…] diuturnum et taediosum […]” 2, concentra il senso di questa innovazione nell’utilizzo di un nuovo tipo di legante che avrebbe dovuto ovviare agli inconvenienti causati dai metodi medioevali di preparazione dell’olio, ritenuti dalla maggior parte della letteratura critica, piuttosto rozzi, tanto da escluderne un impiego troppo raffinato, come nella pittura su tavola, e limitarne la destinazione alla decorazione di oggetti d’uso comune o comunque all’esecuzione di lavori secondari, come i passi riguardanti la pittura ad olio nel trattato teofiliano sembrerebbero confermare. Complessivamente è proprio dall’interpretazione di questi passi che il dibattito prende forma e ne vengono definiti i termini, condizionati dai criteri di lettura adottati che, nella letteratura critica pre1 2

Cf. G. E. Lessing, Vom Alter der Ölmalerei aus dem Theophilus Presbyter (Braunschweig 1774), in: id., Gesammelte Werke, vol. 5, Leipzig 1900, 340–374. Cf. Theophilus, De diversis artibus, I, c. 25, ed. Ch. R. Dodwell, in: Theophilus, De diversis artibus – The Various Arts, London 1961 [Ristampa Oxford 1986, 1998], 24.

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cedente agli anni ’40, presentano generalmente uno scarso approccio interdisciplinare, non essendo diffusi ancora i dati analitici scientifici, oltre che una tendenza a decontestualizzare le parole teofiliane. Una metodologia di lettura interdisciplinare del testo deve essere condotta considerando ogni passo nell’insieme dei legami logici, evitando ogni estrapolazione, contestualizzando ogni informazione con altre provenienti da diverse fonti tecniche, ricettari, manuali sia precedenti che successivi al nostro trattato, l’arco cronologico può essere molto vasto, comparando ogni interpretazione con quelle offerte dalla letteratura critica, dai primi studi ai più recenti, ed infine cercando riscontro nelle testimonianze costituite dalle opere pittoriche coeve e non solo, che, negli ultimi cinquant’anni sono state oggetto di accurate indagini scientifiche. La raccolta dei dati di confronto deve essere a tutto campo, non essere limitata geograficamente e cronologicamente, perché nei procedimenti tecnici dell’arte del passato gli scambi e gli influssi reciproci presentano spesso una diffusione vasta ma lenta nel tempo. Naturalmente occorre sempre tenere presente i limiti interpretativi sia delle fonti antiche, spesso lacunose, non originali, non coeve – si tratta spesso di codificare in un sistema linguistico tecnico uniforme, informazioni e termini contenuti in ricettari di varia e spesso incerta provenienza, – sia dei risultati analitici, che non possono considerarsi assoluti, ma che necessitano per la loro attendibilità di un confronto con il maggior numero possibile di dati forniti anche da altre tecniche analitiche. II. La lettura dei passi relativi alla pittur a ad olio nel ‘De diversis ar tibus’ Le importanti testimonianze nel testo teofiliano sulla pittura ad olio sono inserite nel libro I, dedicato alla pittura, e più esattamente nella seconda parte, relativa alla pittura su legno. Più ampio spazio viene dato alla pittura murale, con i primi 16 capitoli, rispetto alla pittura su legno, cui sono riferiti i successivi dieci (capitoli 17–27), dei quali ben tre capitoli si concentrano sui procedimenti di preparazione della tavola, con la descrizione del metodo di congiunzione delle tavole “tabulae altarium” e delle porte “ostia”, termine quest’ultimo che potrebbe riferirsi anche ai portali dipinti, alla ricetta per la colla di caseina “glutine casei”, con cui vengono incollati gli assi, e infine alle indicazioni relative all’imprimitura della tavola costituita da pelle animale “corio crudo equi sive asini sive bovis” e in alternativa tela “panno mediocri et novo”3, ricoperte superiormente da tre stesure di gesso e colla, “more calcis combustum sive cretam qua pelles dealbantur”4 e colla a base di pelle e corna di cervo “glutine corii et cornum cervi”5. Ben diversi appaiono i procedimenti di preparazione

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Theophilus, De diversis artibus, I, c. 17, ed. Dodwell (nt. 2), 16 sq. Op. cit., I, c. 19, 18. Op. cit., I, c. 18, 17.

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descritti da ‘Eraclio’6 nel capitolo 24 del libro III, laddove la preparazione del legno a base di bianco di piombo, utilizzabile nel caso in cui il legno non possa essere appianato e ricoperto con pelle o stoffa, “ut non possis equare ejus asperitates, vel non velis, propter aliquas occasiones, nec tamen cum corio illud velis cooperire, vel panno”7, sembra riferirsi alle opere plastiche piuttosto che alla tavola dipinta e cioè allo stesso caso descritto nel capitolo 22 del I libro di Teofilo dove si parla di selle, portantine “et caetera quae sculpuntur et non possunt corio vel panno cooperiri” 8. Diversamente i procedimenti di preparazione con cuoio o stoffa della ‘Schedula’, con prescrizioni molto dettagliate e accurate in specie nella levigatura finale, del resto non comprensibile nel caso di oggetti di uso comune, sembrerebbero interessare le opere dipinte su tavola. A conferma di ciò concorrono anche le analogie di tali procedimenti con quelli descritti nel trattato di Cennini 9. Riscontri ulteriori con le prescrizioni teofiliane sono offerti anche dai risultati delle analisi scientifiche degli ultimi decenni condotte sulle opere dipinte tra i secoli XII e XIII, in particolare provenienti dalla Germania, Austria, Italia10. Indicativi in tal senso sono le evidenti analogie tra i procedimenti descritti nella ‘Schedula’ e le tecniche esecutive della preparazione emerse dalle indagini analitiche realizzate sul Crocifisso di Sarzana di Guglielmo

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Cf. A. Ilg (ed.), Heraclius, Von den Farben und Künsten der Römer. Originaltext und Übersetzung (Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance 4), Wien 1873 [Ristampa Osnabrück 1970]. Sul trattato di ‘Eraclio’ e i problemi di datazione cf. A. Giry, Notice sur un traité du Moyen Age intitulé ‘De coloribus et artibus Romanorum’, in: Mélanges publiés par la Section historique et philologique de l’École pratique des Hautes Études pour le dixième anniversaire de sa fondation (Biliothèque de l’École des Hautes Études, IVe Section, fasc. 35), Paris 1978, 207–227, 226; C. Garzya Romano, Eraclio, I colori e le arti dei Romani e la compilazione pseudo-eracliana (Testi storici, filosofici e letterari 6), Napoli 1996; A. Raft, Das Manuskript von St. Audemar, eine französische Quellenschrift aus dem Mittelalter über das Malen auf Pergament, Holz oder Wänden, in: Schutz und Pflege von Kunst- und Baudenkmälern (Restauratorenblätter 15), Wien 1995, 19–26. Gli studi di Garzya Romano propongono per I primi due libri la datazione dell’VIII secolo e una provenienza dal nord-est d’Italia, più propriamente Venezia; mentre lo ‘pseudo-Eraclio’ (il III libro) avrebbe raggiunto la forma attuale fra il XII e il XIII secolo, in parte probabilmente nella Francia del Nord e in Inghilterra. Tuttavia è conosciuta una copia dell’XI secolo riguardante una piccola parte del trattato; cf. J. C. Richards, A New manuscript of Heraclius, in: Speculum 15 (1940), 255–271. Il Dodwell giustamente osserva in proposito che ciò non significa che a quel tempo il manoscritto avesse raggiunto già il suo pieno sviluppo. Eraclius, De coloribus et artibus romanorum, III, c. 24, ed. Ilg (nt. 6), 71. Theophilus, De diversis artibus, I, c. 22, ed. Dodwell (nt. 2), 20. Cf. Cennino Cennini, Il libro dell’arte o trattato della pittura, c. 115–120, ed. F. Tempesti, Il libro dell’arte o trattato della pittura, Milano 1975, 95–98. Cf. A. Scholtka, Theophilus Pesbyter. Die maltechnischen Anweisungen und ihre Gegenüberstellung mit naturwissenschaftlichen Untersuchungsbefunde, in: Zeitschrift für Kunsttechnologie und Konservierung 6,1 (1992), 1–53, 23 e 44–53; E. Emmerling/C. Ringer (ed.), Das Aschaffenburger Tafelbild, Studien zur Tafelmalerei des 13. Jahrhunderts (Arbeitshefte des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege 89), München 1996; G. Diem/M. Koller, Die bemalte Türe des 13 Jhs. aus Friesach im Grazer Joanneum, in: Gemälde auf Holtz und Metall (Restauratorenblätter 19), Wien 1999, 59–63.

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del 1138 11. Ulteriori affinità con i metodi di ‘imprimitura’ teofiliani sono state evidenziate anche su opere distanti nella tecnica pittorica dai precetti della ‘Schedula’, come nella tavola dipinta di Aschaffenburg del XIII secolo12, dove gli strati pittorici si semplificano a quattro – Theophilus ne raccomandava fino a tredici – e i colori sono applicati talvolta con stesure ancora non essiccate, o come nel paliotto di Heddal in Norvegia, datato intorno al 125013, caratterizzato da una tecnica pittorica con sovrapposizioni di sottili velature, stesure di colore piuttosto fuse, anche qui applicate l’una sull’altra ancora fresche. Queste numerose testimonianze sembrerebbero confermare, contrariamente a quanto fu detto in passato, il riferimento delle indicazioni teofiliane di preparazione del legno alla “tavola dipinta”, anche se non rappresentano una conditio sine qua non per l’esistenza della pittura ad olio, essendo, al contrario, ideali per un supporto destinato per pittura acquosa: una tavola così preparata si presenta levigata, piana e non untuosa, superficie ottimale per colori ad acqua ossia per una pittura fluida, con bassa viscosità ed elevata tensione superficiale14. Per queste caratteristiche tecniche i procedimenti di ‘imprimitura’ della tavola, descritti nella ‘Schedula’, sembrano attingere alla tradizione della pittura ad acqua, senza per questo però essere incompatibili con la pittura ad olio, come sembrano suggerire le analogie degli stessi, in particolare gli spessori minimi degli strati e l’accurata levigatura, con quelli delle tavole dipinte dei ‘Primitivi Fiamminghi’ del primo quattrocento, i primi più noti e prestigiosi esempi di pittura ad olio15. L’attenzione e accuratezza dedicata nel ‘De diversis artibus’ alle fasi di realizzazione del supporto ligneo, con i numerosi riscontri evidenziati, si perde nella successiva descrizione dei procedimenti pittorici, sintetizzati nel capitolo 20, con la prima importante citazione dell’olio come medium 11 12 13 14

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Cf. M. Ciatti, Aspects of the artistic technique in Tuscan painting from the XIIth to the XIIIth century, in: Emmerling/Ringer (ed.), Das Aschaffenburger Tafelbild (nt. 10), 360–387, 361 sq. Cf. C. Ringer, Das Aschaffenburger Tafelbild. Untersuchung, Konservierung und Restaurierung, in: Emmerling/Ringer (ed.), Das Aschaffenburger Tafelbild (nt. 10), 193–276, 193 sq. Cf. U. Plahter, Norwegian medieval oil paintings with special attention to the Heddal frontal, in: op. cit. 335–347. Un supporto con le caratteristiche tecniche descritte da Teofilo favorisce sia la stesura uniforme ed estesa dei colori sia la realizzazione dei passaggi graduali da un tono all’altro, una delle principali difficoltà esecutive della tecnica con legante acquoso, che nelle pitture medioevali era superata, nell’applicazione del colore, con la stesura di una serie di tratti eseguiti con la punta di pennello. Inoltre, l’estrema levigatezza è particolarmente indicata per una pittura con medium acquoso, con una bassa qualità d’assestamento del colore stesso; in tal caso il solco lasciato dalle pennellate è minimo e quindi il film pittorico acquoso lascia trasparire tutte le irregolarità della superficie del supporto. Il disegno preparatorio delle primitive tavole fiamminghe, come le analisi hanno rivelato, fu per la maggior parte, eseguito a pennello con inchiostro o nero animale stemperato in un legante acquoso, tale base dipinta con colori acquosi spiegherebbe ulteriormente la persistenza di procedimenti di preparazione del supporto ligneo tipici della tecnica pittorica ad acqua cf. C. PérierD’Ietern, Dessin au poncif et dessin perforé. Leur utilisation dans les anciens Pays-Bas au XVe siècle, in: Bulletin de l’Institut Royal du Patrimoine Artistique 19 (1982–1983), 74–94; M. Sonkes, Le dessin sous-jacent chez les Primitifs flamands, in: Bulletin de l’Institut Royal du Patrimoine Artistique 12 (1970), 195–225.

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pittorico, olio di lino macinato con minio o cinabro e utilizzato per dipingere il rosso su porte o tavole. Tale pratica trova un riscontro nei risultati delle analisi eseguite sulle decorazioni, per lo più di colore rosso, realizzate con un legante costituito da proteine e olio, del “Retablo” datato tra il 1240 e il 1270 nella chiesa del monastero evangelico-luterano a Wetter16. L’operazione di stesura del colore, designata da Teofilo con il verbo “lineare”, viene ripetuta due volte e realizzata ogni volta su superficie ben secca, superficie, poi, cosparsa da uno strato di vernice “gluten quod vernition dicitur”17. Quindi nello stesso capitolo vi è la descrizione del procedimento di estrazione dell’olio dai semi di lino basato sulla spremitura a caldo, metodo che consente l’estrazione di quantità maggiori di olio e che, nonostante la qualità impura e scura del prodotto, dovette essere piuttosto diffuso e perdurare a lungo, come dimostrano le analoghe ricette nel ’Liber diversarum arcium’ e nel ‘Compendium artis picturae’ della fine del XII e inizi del XIII secolo18 e poi nel Manoscritto Bolognese del XV secolo19. Il capitolo 20 sembrerebbe testimoniare la consapevolezza che l’olio così preparato era un legante non ideale per i colori, come l’utilizzo combinato del minio, il pigmento rosso-aranciato, costituito da ossido salino di piombo, con la proprietà di aumentare l’essiccatività dell’olio, parrebbe suggerire. In questo senso vi è una lunga tradizione: i primi tentativi nell’impiego dell’olio si avvalsero per lo più di pigmenti, come i composti del piombo, con proprietà essiccative. Lo stesso ‘Eraclio’ usa mescolare nell’olio il carbonato basico di piombo ossia la biacca (cerussa) o bianco di piombo20. Questo stesso procedimento, descritto da Teofilo nel capitolo 20 ricorre successivamente e in trattati di diversa provenienza geografica. In particolare nel ‘De diversis coloribus’ di Alcherius21 della fine del XIV secolo e poi ancora alla fine del XV secolo – inizi del XVI secolo nel Manoscritto Tegernsee22. Le proprietà essiccanti del minio vengono sfruttate anche in alcune ricette per fare una vernice liquida nel manoscritto Bolognese23, in una ricetta per fare un mor16 17 18

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Cf. U. Reinhold, Das Retabel aus der ehem.-Evang.-luth. Stiftskirche zu Wetter, in: Emmerling/ Ringer (ed.), Das Aschaffenburger Tafelbild (nt. 10), 151–157. Theophilus, De diversis artibus, I, c. 20, ed. Dodwell (nt. 2), 19. Cf. Liber diversarum arcium, II, c. 3, edd. F. Ravaisson/G. Libri, in: Catalogue general des manuscrits des bibliothèques publiques des départements, vol. 1, Paris 1849, 394–399, 739–811, 788. Cf. H. Silvestre, Le Ms. Bruxellensis 10147–58 (s. XII–XIII) et son ‘Compendium artis picturae’, in: Bulletin de la Commission Royale d’Histoire 119 (1954), 95–140, 128. Anonimo, Segreti per colori, in: Bologna, Biblioteca Universitaria, Ms. 2861, fol. 205; ed. M. P. Merrifield, Original treatises on the arts of painting, vol. 2, London 1849 [Ristampa New York 1967], 489. Cf. Eraclius, De coloribus et artibus romanorum, III, c. 29, ed. Ilg (nt. 6), 75. Cf. Johannes Alcherius, De coloribus diversis modis tractatur, in: Paris, Bibliothèque Nationale de France, Ms. lat. 6741, fol. 335; ed. Merrifield, Original Treatises (nt. 19), vol. 1, 310 sq. Si tratta del ‘Liber Illuminastarius (München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 821), in: E. Berger, Quellen und Technik der Fresko-, Öl- und Tempera-Malerei des Mittelalters: Von der byzantinischen Zeit bis einschließlich der Erfindung der Ölmalerei durch die Brüder Van Eyck (Beiträge zur Entwicklungs-Geschichte der Maltechnik 3), München 1897, 21912, 181. Anonimo, Segreti per colori (nt. 19), fol. 207, ed. Merrifield (nt. 19), vol. 2, 488.

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dente per l’oro nel Manoscritto Londra, British Library, MS Sloane 34524 della seconda metà del XV secolo e infine vengono ancora citate nel 1649 nell’’Arte de la Pintura’ di Pacheco25. Il minio ricorre, inoltre, frequentemente in epoca medioevale, stemperato con il legante oleoso, soprattutto nelle ‘velature’ finali, come confermano le indagini condotte sulle pitture della cattedrale francese di Angers del XIII secolo, sul frontale di Heddal26 del XIII secolo e sulle opere studiate dalla Scholtka27, che coprono un arco cronologico dalla metà del X secolo al XIV secolo, laddove appare una stretta relazione tra la scelta del medium e il tipo di pigmento prescelto; caratteristica che si ritrova anche più tardi nel XV secolo in opere pittoriche italiane che, realizzate sostanzialmente secondo la tradizione della pittura a tempera, mostrano, tuttavia, frequenti ‘velature’ di colore ad olio con l’uso privilegiato di pigmenti rossi e verdi28. Con la “rubricatura”, eseguita con il legante oleoso, si chiude l’argomento relativo alla fase pittorica, perché il capitolo successivo, il ventunesimo, si concentra sull’operazione di ‘verniciatura’, con la descrizione di due ricette per fare la “glutine vernition”, vernice a base di resina e olio, procedimento di antica tradizione, risalente all’epoca carolingia o ancora prima – manoscritto di ‘Lucca’ e ‘Mappae Clavicula’29. Teofilo sembra dare molta importanza a queste ricette nelle quali vi è una dettagliata descrizione dei metodi di preparazione, con rimarcabili analogie con le indicazioni più tarde del Manoscritto di Strasburgo30, o con quelle del ‘Compendium artis picturae’ 31 di poco posteriore alla Schedula, ma di diversa provenienza geografica, come del resto anche con le prescrizioni del ‘Liber diversarum arcium’ 32, trattato che in più di un’occasione mostra affinità con l’opera attribuita a Teofilo, a confermare la vasta risonanza del ‘De diversis artibus’ nel tempo. 24 25 26

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Cf. M. M. Dantzig, Een vijftiendeeeuwsch eeuwsch receptenboek, in: Oud Holland 53 (1936), 207–218, 213. Questa osservazione è in: Berger, Quellen und Technik (nt. 22), 80. Cf. M.-P. Subes-Picot, Peinture sur pierre: note sur la technique des peintures du XIIIe siècle découvertes à la cathèdrale d’Angers, in: Revue de l’Art 97 (1992), 85–93. Cf. Plahter, Norwegian medieval oil (nt. 13), 335–347. Cf. Scholtka, Theophilus (nt. 10), 29 sq. Cf. J. Dunkerton, Modification to traditional egg tempera techniques in fifteenth-century Italy, in: T. Bakkenist/R. Hoppenbrouwers/H. Dubois (eds.), Early Italian Paintings: Techniques and Analysis, Maastricht 1997, 19–34, spec. 29–33. Anonimo, Compositiones variae ad tingenda musiva, ad conficiendam “chrysographiam”, et alia fragmenta artium et secretorum, in: Lucca, Biblioteca Capitolare, Ms. 490, ed. A. Pellizzari, I Trattati attorno le Arti figurative in Italia e nella penisola Iberica dall’antichità classica al Rinascimento ed al secolo XVIII, Napoli 1915, vol. 1, 470, 474, 476, 488, 495; Anonimo, Mappae Clavicula, in: New York, Corning Glass Museum, MS Phillipps 3715, foll. 98, 109, 112 sqq., 116, 246 sq., 274; ed. T. Phillips, Mappae Clavicula: A Treatise on the Preparation of Pigments during the Middle Ages, in: Archeologia 32 (1847), 183–244, 208, 211 sq. Cf. Anonimo, Manoscritto di Strasburgo, in: London, National Gallery, MS A.VI.19, edd. V. e. R. Borradaile, The Strasburg Manuscript: A Medieval Painter’s Handbook, München 1966, 62 sq. Cf. Anonimo, Compendium artis picturae, in: Bruxelles, Bibliotheque royale, Ms. 10147–10158, fol. 24; ed. Silvestre, Le Ms. Bruxellensis, (nt. 18), 129. Liber diversarum arcium, II, c. 5, eds. Ravaisson/Libri (nt. 18), vol. 1, 788.

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Dopo aver descritto i metodi di preparazione della tavola, le ricette per fare la colla di caseina e quella animale, il procedimento di estrazione dell’olio, le modalità di applicazione di questo medium per colorare di rosso porte e tavole e infine le ricette di due tipi di vernice, l’autore passa a descrivere un caso particolare: quello relativo alla decorazione di selle, lettighe, sgabelli e altre cose che sono scolpite e non possono essere ricoperte di pergamena o tela come le tavole precedentemente trattate. In questo caso infatti gli oggetti vengono direttamente coperti dalla “albatura”, già descritta nel capitolo 19, costituita da gesso o creta33, stesso procedimento che ricorre anche in ‘Eraclio’34. Sulla ‘imprimitura’, perfettamente levigata, con l’ausilio di compasso e squadra – “in circino et regula metire” – si prendono le misure e si passa alla disposizione del lavoro con l’esecuzione del “disegno preparatorio” di “imagines aut bestias uel aues et folia”35. Nel capitolo seguente (capitolo 23) viene descritto il procedimento di doratura, utile nel caso in cui si voglia decorare l’opera con la foglia d’oro. Strettamente collegato al precedente, è il capitolo 24 che descrive il procedimento di lavorazione della foglia di stagno, da utilizzarsi in mancanza della foglia d’oro. Dopo l’applicazione con la “glutine corii ” della suddetta foglia di stagno nei punti desiderati dell’opera, si legge: “Ac deinceps accipe colores quos impone uolueris, terens eos diligenter oleo lini sine aqua, et fac mixturas uultuum ac uestimentorum, sicut superius aqua feceras, et bestias sine aues aut folia uariabis suis coloribus, prout libuerit.” 36 E’ evidente il collegamento di questi passi con i capitoli precedenti perché sono riferiti ancora alla decorazione di selle, portantine del capitolo 22, ma vi è descritta una fase successiva e finale di lavorazione: la pittura vera e propria, tanto è vero che si dice di mescolare i colori per volti e vesti “fac mixturas uultum ac uestimentorum” – e di variarli per dipingere animali, uccelli, foglie – “et bestias siue aues aut folia uariabis suius coloribus”37 – con un’ulteriore importante informazione: il “disegno preparatorio”, di cui si fa cenno nel capitolo 22, era eseguito con colori ad acqua “sicut superius aqua feceras”38. La descrizione delle modalità d’uso dei due medium, l’olio e la gomma di ciliegio o prugno, utilizzati per dipingere su legno, appare nel seguente capitolo 25, con un accenno al tipo di supporto d’applicazione, “poni possunt in opere ligneo”39, termine generico quest’ultimo, che non esclude il riferimento alla “tavola dipinta” come neppure ad oggetti d’altra destinazione. Nello stesso capitolo si trova poi l’importante raccomandazione di esporre l’opera al sole, condizione senza la quale non è possibile dipingere ad olio, perché, si specifica nel testo, tra una sovrapposizione di colore e l’altra occorre che la superficie sia ben asciutta. Queste indicazioni confermano una tecnica pittorica per sovrapposizioni di colori, una prassi

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Theophilus, De diversis artibus, I, c. 19, ed. Dodwell (nt. 2), 18. Eraclius, De coloribus et artibus Romanorum, III, c. 24, ed. Ilg (nt. 6), 71 sqq. Theophilus, De diversis artibus, I, c. 22, ed. Dodwell (nt. 2), 20. Op.cit., I, c. 24, 23. Ibid. Ibid. Op. cit., I, c. 25, 24.

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tipica della pittura su tavola del tardo-gotico, come si legge in Cennini40. Nello stesso capitolo, poi, è contenuto anche l’importante passo in cui si dice che il procedimento del dipingere ad olio è troppo lento e noioso “in imaginibus” 41. Se in effetti è chiaro che l’olio di lino, preparato secondo le indicazioni della ‘Schedula’, non era un legante ideale per i colori, essendo impuro, viscoso e soprattutto lento nell’essiccazione42, rimane ambiguo il significato della parola “immagines”, che potrebbe riferirsi sia alla pittura figurativa, e quindi indirettamente alla pittura su tavola, ma anche alle figure a tutto tondo ossia alle sculture lignee, come ha osservato lo Ziloty43, la cui tridimensionalità avrebbe potuto rendere ancora più noiosa e lunga l’operazione di asciugamento. In realtà le analisi più recenti hanno rivelato che tra il XII e il XIII secolo si assiste ad un’omogeneità di concezione e procedimenti tecnici tra pittura su tavola, propriamente detta, e pittura su scultura lignea44. L’ambiguità relativa alla bidimensionalità o alla tridimensionalità del supporto ligneo persiste anche nel successivo capitolo 26, laddove si specifica che i colori, stemperati sia con olio che con gomma, debbono essere applicati sulla superficie “in ligno”, ben tre volte45. Segue la raccomandazione di esporre al sole la “pictura” perché si asciughi perfettamente e di cospargerla successivamente con la “glutine vernition” e, quando questa incomincia a sciogliersi per il calore, di sfregare con la mano per tre volte la superficie46. Infine, nel capitolo 27 viene descritto un procedimento di pittura, cosiddetta “translucida”, eseguita con colori stemperati in olio su fogli di stagno47. La parte restante del libro, da questo capitolo in poi, è dedicata alla miniatura, delineata accuratamente e ampiamente. Come si può osservare, della pittura su tavola non si dice molto. Del processo pittorico vero e proprio si specifica solo di stemperare i colori con olio o gomma, di applicarli in tre stesure, di far asciugare bene tra uno strato e l’altro, di esporre l’opera al sole e quindi di verniciarla, sfregando poi accuratamente la superficie con il palmo della mano. Nella descrizione

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Cennino Cennini, Il libro dell’arte o trattato della pittura, c. 145–150, ed. Tempesti (nt. 9), 114–119. Theophilus, De diversis artibus, I, c. 25, ed. Dodwell (nt. 2), 24. L’olio di lino non trattato, a seconda delle condizioni ambientali, necessita per essiccare da cinque a dodici giorni; cf. R. Keller, Leinöl als Malmittel. Rekonstruktionsversuche nach Rezepten des 13. bis 19. Jahrhunderts, in: Maltechnik Restauro 79,2 (1973), 74–105. Cf. A. Ziloty, La découverte de Jean Van Eyck et l’évolution de procédé de la peinture à l’huile du moyen age a nos jours, Paris 1941, 21947, 67. Il caso dell’armadio dipinto della fine del XII secolo nella chiesa della Vergine Maria ad Halberstadt è rappresentativo di un periodo in cui le opere plastiche dipinte vengono concepite come “Flachmalerei” e le opere pittoriche come “Faßmalerei”. Cf. R. Möller, Zur Maltechnik des bemalten romanischen Schrankes aus der Liebfrauenkirche zu Haberstadt im Vergleich mit zeitgenössischen Quellenschriften, in: Emmerling/Ringer (ed.), Das Aschaffenburger Tafelbild (nt. 10), 135–150. Theophilus, De diversis artibus, I, c. 26, ed. Dodwell (nt. 2), 24 sq. Ibid. Op. cit., I, c. 27, 25.

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di tale operazione non è specificato il supporto, si usano i termini generici di “opere ligneo” o semplicemente “ligno”. Se consideriamo il trattato nel suo insieme, è evidente che la pittura non investe per Teofilo il principale campo di interessi, piuttosto è l’arte della lavorazione dei metalli che ha nel trattato largo spazio interessando l’intero terzo libro composto da novantacinque capitoli. Anche l’arte del vetro, cui è dedicato tutto il secondo libro, ha un posto importante nel ‘De diversis artibus’. Della pittura senz’altro sono prese in considerazione tutte le tecniche medioevali principali: la pittura murale, la pittura su tavola e, più genericamente, su legno, la pittura su pergamena e infine l’arte di preparare l’inchiostro d’oro. Ma di queste senz’altro sono molto più accurate le descrizioni relative alla pittura murale e alla pergamena mentre della pittura su tavola a Teofilo interessa soprattutto quella di oggetti lignei, come selle, bardature di cavalli, predellini di carri, sgabelli o altrove pastorali vescovili, la cui produzione sembra destinata non solo a ricchi laici, ma anche alle alte cariche della Chiesa. Tutti elementi questi che indussero il Dodwell48 a sostenere la suggestiva ipotesi, proposta per la prima volta dall’Ilg49 e poi variamente dibattuta da altri autori50, che identificherebbe come fonte di provenienza del trattato, il centro artistico di Helmarshausen, cenobio benedettino sul fiume Diemel nella diocesi di Paderborn, fino al XII secolo sotto la protezione imperiale, luogo tanto importante nella lavorazione dei metalli e nella miniatura da attrarre il patrocinio di ricchi laici e alte cariche ecclesiastiche e imperiali. III. Conclusioni Da un’analisi complessiva i principali campi di interesse del trattato appaiono la lavorazione dei metalli, l’arte del vetro e la miniatura, come le teorie sulla sua provenienza geografica e culturale parrebbero suggerire e confermato dalla struttura stessa dello scritto, in cui l’esiguità numerica dei capitoli sulla pittura su legno e conseguentemente dei riferimenti all’impiego dell’olio come medium pittorico,

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Cf. Dodwell (ed.), Theophilus (nt. 2), xxxix-xl, xliii. Cf. A. Ilg (ed.), Theophilus Presbyter. Schedula diversarum artium. Revidierter Text, Übersetzung und Appendix, vol. 1 (Quellenschriften zur Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance 7), Wien 1874, 21888, XLIII. Cf. P. Metz, Roger (Rugerus) von Helmarshausen, in: G. Thieme/H. Becker (eds.) Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler, vol. 28, Leipzig 1934, 512 sq.; A. Fuchs, Die Tragaltare des Rogerus in Paderborn. Beiträge zur Rogerus-Frage, Paderborn 1916; M. Rosenberg, Geschichte der Goldschmiedekunst auf technischer Grundlage, Abteilung: Niello, Frankfurt a. M. 1908, 248; H. Degering, Theophilus Presbyter, qui et Rugerus, in: id./W. Menn (eds.), Westfälische Studien. Beiträge zur Geschichte der Wissenschaft, Kunst und Literatur in Westfalen. Alois Bömer zum 60. Geburtstag gewidmet, Leipzig 1928, 248–262; Scholtka, Theophilus (nt. 11), 1 sqq.; E. Brepohl, Theophilus Presbyter und die mittelalterliche Goldschmiedekunst, Leipzig 1987; id., Theophilus Presbyter und das mittelalterliche Kunsthandwerk. Gesamtausgabe der Schrift ‘De diversis artibus’ in zwei Bänden, 2 voll., Köln–Weimar–Wien 1999.

Il trattato di Teofilo come testimonianza della storia dell’origine della pittura ad olio

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dimostrerebbero un’attenzione minore ma non per questo senza alcun valore di testimonianza. Al contrario alcuni passi, come quelli relativi alla lenta essiccatività dell’olio, problema accentuato dal procedimento teofiliano della tecnica di stesura a strati, costituiscono un importante fonte documentaria di un periodo, nella storia della pittura ad olio, fatto di ricerche e sperimentazioni relative agli essiccanti, ai tipi e alle modalità di preparazione e impiego, fase comprovata anche dai dati analitici emersi dalle indagini scientifiche, condotte negli ultimi decenni su opere, provenienti soprattutto dal centro-nord Europa. Sebbene sia ormai noto che l’attendibilità di tali indagini non è mai assoluta, la gran parte dei risultati analitici sembra documentare la diffusione, già probabilmente a partire dalla metà del X secolo fino al XIV secolo, nei paesi del centro-nord Europa51 – Germania, Paesi Bassi, Francia, Austria, Norvegia, Inghilterra – dell’impiego combinato delle due tecniche pittoriche, a legante proteico ed oleoso, sia nel senso di un’emulsione dei due medium, sia nel senso di una loro sovrapposizione; talvolta, risulta utilizzato solo un legante, oleoso o più raramente proteico52. 51

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Solo l’Italia mostra una tradizione fortemente ancorata all’impiego della tempera proteica, anche se, tra il XIII e il XIV secolo, gli oli essiccativi appaiono sempre più frequentemente impiegati in pittura, seppure limitatamente a particolari procedimenti, come nelle velature finali per l’ottenimento di particolari effetti ottici. A questo proposito sono di grande interesse i risultati delle analisi eseguite negli anni ’70 dalla University of Michigan in collaborazione con la Fortezza da Basso di Firenze su circa un centinaio di dipinti italiani, la cui datazione varia dal XIV secolo al XVIII secolo, appartenenti alla Walters Art Gallery. Da tali studi risulta che i dipinti databili intorno agli anni 1470–1475 presentano ancora l’uso alternato di “medium”, strati dipinti a tempera ad uovo alternati a strati ad olio. Ciò si verificherebbe soprattutto per i pigmenti verdi e blu usati per dipingere fogliami o panneggi. Il dato più sorprendente tuttavia è quello che riguarda molti dipinti del XVI secolo. Essi risulterebbero per lo più ancora eseguiti a tempera e poi rifiniti negli strati finali e nelle velature ad olio. Ciò mostrerebbe un persistere della tecnica a tempera ancora molto tempo dopo la presunta data dell’invenzione vaneykiana. Nei dipinti italiani del XV secolo il ricorso all’olio di noce fu progressivamente crescente; l’olio venne utilizzato prima a velatura sulla base a tempera e poi successivamente anche negli strati sottostanti, sempre limitatamente ai verdi e ai blu. Un incremento dell’uso dell’olio si ha dall’ultimo quarto del’ 400 in poi. Tuttavia all’inizio esso è impiegato con degli effetti molto simili a quelli della tempera caratterizzato, cioè, dal “films” sottili con molto pigmento in rapporto al “medium”. Vennero usati anche strati pittorici misti (emulsione di uovo-olio) presentando in generale una complessa stratificazione variabile da colore a colore e da zona a zona. Cf. E. P. Bowron, Oil and tempera Medium in Early Italian Paintings: A view from the laboratory, in: Apollo Ser. NS, vol. 100, 153 (1974), 382–387; M. Johnson/E. Packard, Methods used for the identification of binding media in italian painting of the fifteenth and sixteenth centuries, in: Studies in Conservation 16 (1971), 145–164; E. Ruhemann, Technical analisis of an early painting by Botticelli, in: Studies in Conservation 2 (1995), 17–40, 26 sqq. Per un quadro complessivo delle analisi condotte dalla National Gallery di Londra negli ultimi venticinque anni su settanta dipinti italiani del XV secolo cf. l’importante contributo di Dunkerton, Modification (nt. 28), 19–34. Cf. Scholtka, Theophilus (nt. 10), 1–53; P. Binski, A survey of English thirteenth-century figurative painting on panel, in: Emmerling/Ringer (ed.), Das Aschaffenburger Tafelbid (nt. 10), 324–334; M. Koller, Technologische Untersuchungen zur Tafelmalerei des 12. und 13. Jahrhunderts in Österreich, in: op. cit., 157–168; Möller, Zur Maltechnik (nt. 44), 135–150; Ringer, Das Aschaffenburger Tafelbild (nt. 10), 193 sqq.; Plahter, Norwegian medieval oil (nt. 13), 335–347; Subes-Picot, Peinture sur pierre (nt. 26), 85–93; Reinhold, Das Retabel (nt. 16), 151–156.

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Complessivamente tali indagini rivelano in opere, di gran lunga precedenti ai Van Eyck e fuori della loro influenza, l’impiego del legante oleoso combinato con una tecnica stratigrafica, molto più semplificata rispetto a quella dei ‘Primitivi Fiamminghi’, ma molto vicina a quella documentata dal ‘De diversis artibus’: la raccomandazione “omnes colores […] ter debes ponere” di Teofilo53, testimonianza di una rigida tecnica pittorica, si può riscontrare nelle stesse opere coeve, caratterizzate per lo più da un tono intermedio e da stesure superiori con luci e ombre un po’ astrattamente dipinte, procedimento che progressivamente si avvale di stesure più fluide, con un maggior senso plastico per i chiaroscuri e che, infine, come si legge nelle più tarde fonti del Cennini54, nel Manoscritto di Strasburgo e nel Manoscritto Sloane 34555, si evolve in una tecnica differenziata di luci opache e ombre trasparenti, con una stratificazione non più rigidamente fissata a tre strati. Questa tradizione tecnica plurisecolare, comparsa nel centro-nord Europa già a partire dalla metà del X secolo e sviluppatasi nei secoli successivi fino al XIV, venne ereditata dai Van Eyck, che portarono alle estreme conseguenze quei principi di fondo, consolidati nel tempo. Appare chiaro il rapporto tra la successiva evoluzione della pittura ad olio e la testimonianza teofiliana56, rappresentativa di una tappa, espressione di uno sviluppo più vasto in cui, nel divenire medesimo della pittura, gli stessi procedimenti tecnici si alternano, si fondono e raramente si affermano definitivamente l’uno ad esclusione totale dell’altro57. Ne consegue una diversa visione della storia della tecnica della pittura ad olio, il cui problema dell’origine va considerato non in termini di invenzione o scoperta individuale – come Vasari ci aveva abituato a pensare – quanto in relazione ad un lungo processo evolutivo, di cui il trattato attribuito a Teofilo testimonia una delle fasi più significative e innovative, il cui inizio si colloca forse ancor prima del XII secolo e la cui evoluzione e applicazione raggiunse nella pittura fiamminga del XV secolo il suo primo magnifico, ma non certo conclusivo, momento di espressione. Così i Van Eyck attinsero ad una ricca tradizione, rielaborandola in modo raffinatissimo ma non inventando sostanzialmente nulla di nuovo; tuttavia detennero la palma degli scopritori della pittura ad olio grazie alla fama raggiunta dalle loro opere, rappresentative di un nuovo tempo in cui gli artisti iniziavano a emergere

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Theophilus, De diversis artibus, I, c. 26, ed. Dodwell (nt. 2), 25. Cennino Cennini, Il libro dell’arte o trattato della pittura, c. 145–150, ed. Tempesti, (nt. 9), 114–119. Cf. Anonimo, Manoscritto di Strasburgo, edd. Borradaile (nt. 30), 55–59. Anonimo, Manoscritto De Ketham, in: London, British Museum, Ms. Sloane 345, ed. Dantzig, Een vijftiendeeeuwsch eeuwsch receptenboek (nt. 25), 207–218, 213. Cf. C. L. Eastlake, Materials for a History of Oil Painting, vol. 1, London 1847, [Ristampa New York 1960], 283–287. Cf. Berger, Quellen und Technik (nt. 22), 53. Cf. R. Panichi, I principi della pittura figurativa nelle testimonianze degli artisti e degli scrittori d’arte (Collezione di cultura 23), Pisa 1977, 45–50.

Il trattato di Teofilo come testimonianza della storia dell’origine della pittura ad olio

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dall’anonimato. Il Vasari che, certo non poteva conoscere né capire e apprezzare il panorama artistico medioevale del centro-nord europeo, con la sua visione personalizzata degli eventi storici, contribuì in modo determinante, con la vasta risonanza della sua opera, a creare una leggenda ancora oggi lunga a morire.

[…] et faciunt inde tabulas saphiri pretiosas ac satis utiles in fenestris. Die Farbe Blau in der ‚Schedula‘ und in der Glasmalerei von 1100–1250* C H (Romont/Zürich) / B K-S (Romont/Zürich) Kein anderes Element der Ausstattung ruft im Inneren der Kirchen so sehr die Vorstellung von Himmelslicht hervor wie das Blau der Glasmalerei, das spätestens ab der Mitte des 12. Jahrhunderts über eine lange Zeit das Aussehen der Farbverglasungen prägte, obwohl es flächenmäßig häufig hinter dem Weiß rangiert1. Die Vorliebe der Glasmaler für diese Farbe, welche sie bevorzugt für die Hintergründe benutzten, ist kein isoliertes Phänomen. Kulturwissenschaftliche Untersuchungen belegen, daß Blau im 12. und 13. Jahrhundert nicht nur die Kirchenfenster, sondern auch die Heraldik und die Mode als einer der wichtigsten und beliebtesten Buntwerte beherrschte2. So haben statistische Auswertungen ergeben, daß die Wappenfarbe Azur in der französischen Heraldik zwischen dem

* Der Beitrag entstand im Rahmen des Teilprojektes „Bilder aus Glas, Licht und Farbe“ des Nationalen Forschungsschwerpunktes „Medienwandel-Medienwechsel-Medienwissen. Historische Perspektiven“ der Zürcher Mediävistik, das B. Kurmann-Schwarz und C. Hediger im Auftrag des Vitrocentre Romont (Centre suisse de recherche sur le vitrail et les arts du verre) bearbeiten. Die Autorinnen danken Sophie Wolf für Hinweise auf die archäologischen Funde in Müstair und die Ergänzung der Bibliographie. 1 Schon die intensiv farbigen Scheiben der Verglasungen vor der Mitte des 13. Jahrhunderts verfügen über einen hohen Weißanteil, wie man etwa für die Elisabethkirche in Marburg und die Rose der Kathedrale von Lausanne ermittelt hat; cf. J. Michler, Die Elisabethkirche zu Marburg in ihrer ursprünglichen Farbigkeit (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 19), Marburg 1984, 95–199; S. Trümpler, La création de la Rose, in: C. Amsler e. a., La Rose de la cathédrale de Lausanne. Histoire et conservation récente, Lausanne 1999, 21–42, bes. 25 sq. Im Schnitt beträgt der Anteil von Weiß an der Fläche der Medaillons der Rose ca. 33 %, gefolgt von Rot mit 25 % und erst an dritter Stelle Blau mit 22 %. Der Prozentsatz an Weiß entspricht den Empfehlungen von Antònio da Pisa (um 1400), nach dem ungefähr ein Drittel der Fläche eines Fensters aus weißem Glas bestehen sollte (Abschnitt 7). Die Figuren, so Antonio seien außerdem vor einen blauen Grund zu setzen. In Abschnitt 4 seiner Schrift rät er: „Nota che li campi de le figure volgliono essere sempre de açurro“; cf. C. Lautier/D. Sandron (ed.), Antoine de Pise. L’art du vitrail vers 1400 (Corpus Vitrearum France, Études 8), Paris 2008, 14 sq., 44. 2 Zur Geschichte der Farbe Blau unter verschiedenen Blickwinkeln cf. in erster Linie M. Pastoureau, Blue. The history of a color, Princeton 2001, mit Literaturangaben.

Die Farbe Blau in der ‚Schedula‘ und in der Glasmalerei von 1100–1250

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12. und dem 15. Jahrhundert immer häufiger auftritt3. Nach 1200 taucht die Farbe, die vorher der Unterschicht zugeordnet war, zunehmend auch in der Kleidung der Eliten auf, so bei Ludwig dem Heiligen, der als erster christlicher Herrscher blaue Gewänder trug4. Damals erlaubten Fortschritte in der Färbetechnik, die Stoffe nicht nur dunkel-, sondern auch hellblau zu färben. Gleichzeitig wurde das dunkle Blau, in das Maria sich in frühmittelalterlichen Darstellungen zum Zeichen ihrer Trauer hüllte, immer heller, um der Gottesmutter himmlischen Glanz zu verleihen. Sie wurde sodann zu einer der klassischen Marienfarben und gewann mit dem sich verbreitenden gotischen Marienkult weiter an Prestige5. Die Farbe war aber nicht immer so hoch angesehen und so beliebt wie im 13. Jahrhundert. Rot, Schwarz und Weiß dominierten die Farbskala der Antike, auf der neben den beiden Extremfarben Schwarz und Weiß Rot die Farbe par excellence war6. Das Vokabular der griechischen und der lateinischen Sprache für die Bezeichnung von Blau ist dementsprechend beschränkt und bleibt weitgehend unpräzise7. Die Römer brachten die Farbe zudem häufig mit den Germanen in Verbindung und bewerteten sie daher als etwas „Barbarisches“ 8. Im zweiten Buch der ‚Schedula diversarum artium‘ spiegelt sich der Wandel der Farbordnung und der Farbhierarchie, die sich zwischen dem 11. und dem 13. Jahrhundert vollzog. Diese Veränderung führte zur Ablösung der antiken Farbentrias Schwarz-Weiß-Rot durch ein differenzierteres Farbschema, in dem auch Blau eine wichtige Rolle übernahm. Dementsprechend ist dieser Ton im Glasmalereitraktat sehr präsent. Der Autor nennt ihn gleichberechtigt neben Weiß, Schwarz, Grün, Gelb, Rot und Purpur als eine der Hauptfarben und schenkt ihm seine besondere Aufmerksamkeit, indem er in acht Kapiteln spezifisch auf das blaue Glas zu sprechen kommt. Er verweist besonders auf dessen Hitzeempfindlichkeit und tiefen Schmelzpunkt und schreibt ihm große Kostbarkeit zu. In Kapitel 12 berichtet der Autor der ‚Schedula‘, wie antike tesserae und Fläschchen wiederverwendet werden, um tabulas saphiri pretiosas, die wertvollen blauen Glastafeln, herzustellen, die sich besonders gut zur Verglasung der Fenster eigne-

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Cf. M. Pastoureau, La promotion de la couleur bleue au XIIIe siècle: le témoignage de l’héraldique et de l’emblématique, in: Il colore nel medioevo. Arte, simbolo, tecnica. Atti delle giornate di studi, Lucca, 5–6 maggio 1995 (Collana di studi sul colore 1), Lucca 1996, 7–16; Pastoureau, Blue (nt. 2), 55–63. Cf. Pastoureau, Promotion (nt. 3), 62. Cf. Pastouerau, Promotion (nt. 3), 49–55; zum Saphir als Marienstein auch A. Salzer, Die Sinnbilder und Beiworte Mariens in der deutschen Literatur und lateinischen Hymnenpoesie des Mittelalters, Linz 1886 [Repronachdruck Darmstadt 1967], 254–262. Cf. Pastoureau, Promotion (nt. 3), 15–40. Zur Kontroverse unter Philologen und Althistorikern über die Wahrnehmung der Farbe Blau in der Antike cf. Pastoureau, Promotion (nt. 3), 23–27; K. E. Goetz, Waren die Römer blaublind?, in: Archiv für lateinische Lexicographie und Grammatik mit Einschluß des älteren Mittellateins 14 (1906), 75–88 und 15 (1908), 527–547; W. Schultz, Die Farbenempfindungssysteme der Hellenen, Leipzig 1904; zu den lateinischen Farbbezeichnungen cf. infra. Pastoureau, Promotion (nt. 3), 26 sq.

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ten9. Ebenfalls mit blauen tesserae, so Kapitel 13, sollen die Griechen wertvolle Trinkbecher hergestellt haben10. Kapitel 19 erwähnt das bleihaltige blaue Glas als Bestandteil des Schwarzlots, der einzigen Malfarbe, welche die Glasmaler des 8.–13. Jahrhunderts kannten11; in Kapitel 21 geht es um die ornamentale Bemalung von Bildgründen und die Regeln, wie Farben kombiniert werden12. In Kapitel 23 erfährt der Leser, daß grünes und blaues Glas beim Brand im vorderen Teil der Pfanne angeordnet werden muß, weil es empfindlicher auf Hitze reagiert als andere Farben13. Naturwissenschaftliche Untersuchungen zeigten, daß diese Gläser aufgrund ihres hohen Bleigehaltes einen deutlich niedrigeren Schmelzpunkt besitzen als andere14. Sie lassen sich daher nach den Ausführungen in Kapitel 30 auch zur Reparatur von zerbrochenem Glas verwenden15. Im Zusammenhang mit einer besonderen Technik, dem Aufbringen von fiktiven Edelsteinen auf das Glas, wird in Kapitel 28 die Herstellung eines Hyazinths aus hellen,

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Cf. Theophilus, De diversis artibus, II, c. 12, ed. Ch. R. Dodwell, Theophilus, De diversis artibus – The Various Arts, London 1961 [Neudruck Oxford 1986, 1998], 44 sq.: „Inveniuntur etiam vascula diversa eorundem colorum, quae colligunt Franci in hoc opere peritissimi, et saphireum quidem fundunt in furnis suis, addentes ei modicum vitri clari et albi, et faciunt inde tabulas saphiri pretiosas ac satis utiles in fenestris“; Übersetzung: E. Brepohl, Theophilus Presbyter und das mittelalterliche Kunsthandwerk. Gesamtausgabe der Schrift ‚De diversis artibus‘ in zwei Bänden, vol. 1, Köln–Weimar–Wien 1999, 152. Die Autorinnen beschränken sich im folgenden darauf, die bis anhin gültige Ausgabe der ‚Schedula‘ von Dodwell und die neueste deutsche Übersetzung von Brepohl zu zitieren. Cf. Theophilus, De diversis artibus, II, c. 13, ed. Dodwell (nt. 9), 45; Übersetzung: Brepohl, Theophilus (nt. 9), vol. 1, 152 sq. Cf. Theophilus, De diversis artibus, II, c. 19, ed. Dodwell (nt. 9), 49; Übersetzung: Brepohl, Theophilus (nt. 9), vol. 1, 156. Cf. Theophilus, De diversis artibus, II, c. 21, ed. Dodwell (nt. 9), 51: „Eodem modo facies campos ex albo clarissimo, cuius campi imagines vesties cum saphiro […]. In campis vero saphiri et viridis coloris eodem modo depictis, et rubicundi non picti, facies vestimenta ex albo clarissimo quo vestimenti genere nullum speciosius est“; Übersetzung: Brepohl, Theophilus (nt. 9), vol. 1, 157 sq. Cf. Theophilus, De diversis artibus, II, c. 23, ed. Dodwell (nt. 9), 52 sq.; Übersetzung: Brepohl, Theophilus (nt. 9), vol. 1, 158 sq. Das Kapitel, in dem die Herstellung des bleihaltigen Glases beschrieben wird, ist verloren (c. 12: „De coloribus, qui fiunt ex cupro et plubo et sale“). In Kapitel 31 („De Anulis“) der ‚Schedula‘ wird die Mischung von Asche, Salz, Kupferpulver und Blei beschrieben, aus deren Schmelze sich Ringe formen ließen. Es wird allgemein angenommen, daß diese Stoffe, wie ‚Heraclius‘ in Kapitel 8 angibt, mit Sand verschmolzen werden sollen; cf. Theophilus, De diversis artibus, II, c. 31, ed. Dodwell (nt. 9), 59 sq.; Übersetzung: Brepohl, Theophilus (nt. 9), vol. 1, 164 sq., und dazu 190 sq. Zu ‚Heraclius‘ cf. A. Ilg (ed.), Heraclius. Von den Farben und Künsten der Römer. Originaltext und Übersetzung (Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance 4), Wien 1873 [Neudruck Osnabrück 1970], 58–61. Zum Blei als Rohstoff für die Glasherstellung cf. K. H. Wedepohl, Glas in Antike und Mittelalter. Geschichte eines Werkstoffs, Stuttgart 2003, 22–25; außerdem id., The Composition of Glass from the Carolingian and Post-Carolingian Period in Central Europe, in: F. Dell’Acqua/R. Silva (eds.), Il colore nel medioevo. Arte, simbolo, tecnica. La vetrata in Occidente dal IV all’XI secolo. Atti delle giornate di studi, Lucca, 23–25 settembre 1999 (Collana di studi sul colore 3), Lucca 2001, 257–270. Cf. Theophilus, De diversis artibus, II, c. 30, ed. Dodwell (nt. 9), 58 sq.; Übersetzung: Brepohl, Theophilus (nt. 9), vol. 1, 163 sq.

Die Farbe Blau in der ‚Schedula‘ und in der Glasmalerei von 1100–1250

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blauen Glasstücken erwähnt16. Außerdem widmete der Traktat dem blauen Glas, dem vitrum saphireum, ursprünglich ein eigenes Kapitel; doch ist dieses nur noch aus den Inhaltsverzeichnissen einiger Handschriften bekannt17. Wahrscheinlich enthielt es Hinweise zu den Färbemitteln, wie man heute weiß, meist Kobalt oder Kupfer18, und wurde wohl zum Schutze des Fabrikationsgeheimnisses vorsätzlich entfernt19. Ein Rezept zur Herstellung von blauem Glas blieb jedoch in Kapitel 12 erhalten. Diese Stelle verweist auf die nicht durchsichtigen, antiken Mosaiksteinchen, die tesserae und beschreibt das Färben der Glasmasse mit Fläschchen aus opakem, blauem Glas. Antike tesserae, die als Färbemittel verwendet wurden, haben die Archäologen in Müstair, Paderborn und San Vincenzo al Volturno ergraben. Diese Funde stammen aus dem 8. sowie dem 9. Jahrhundert20 und umfassen Frag16

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Zur Interpretation des Edelsteinnamens „Hyazinth“ cf. H. Lüschen, Die Namen der Steine. Das Mineralreich im Spiegel der Sprache mit einem Wörterbuch, enthaltend über 1200 Namen von Minerealien, Gesteinen, Edelsteinen, Fabel- und Zaubersteinen, Thun 21979, 240 sq. Der Stein soll durch particulis saphiri clari imitiert und auf die Glasfläche aufgebracht werden; cf. Theophilus, De diversis artibus, II, c. 28, ed. Dodwell (nt. 9), 57; Übersetzung: Brepohl, Theophilus (nt. 9), vol. 1, 163. Lange glaubte man, daß diese Technik in Wirklichkeit gar nicht angewendet wurde. Als jedoch die ältesten Glasmalereien des Regensburger Doms 1974–1975 ausgebaut und restauriert wurden, entdeckte man Verzierungen, die entsprechend dem Rezept von Kapitel 28 ausgeführt wurden; cf. L. Grodecki, Le chapitre XXVIII de la Schedula du moine Théophile: technique et esthétique du vitrail roman, in: Comptes-rendus des séances de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres 120,2 (1976), 345–357; G. Fritzsche, Die mittelalterlichen Glasmalereien im Regensburger Dom (Corpus Vitrearum Medii Aevi: Deutschland 13,1), Regensburg–Oberpfalz, vol. 1, Berlin 1987, 22. Auf den Bordüren der Vorfahren Christi fanden die Restauratoren rote aufgeschmolzene Glaspasten. Cf. Dodwell (ed.), Theophilus (nt. 9), xvi; Brepohl, Theophilus (nt. 9), vol. 1, 190: „ XIV. De vitro saphireo“. Bei ‚Heraclius‘ wird Blau in Kapitel 7 nicht erwähnt, erst in Kapitel 8 ist von vitro saphireo die Rede. An dieser Stelle geht es jedoch nicht um das Färben des Glases, sondern um die Herstellung von Schwarzlot; cf. A. Ilg (ed.), Heraclius (nt. 14), 60 sq. Zu den Färbemitteln; cf. J. Lafond, Le vitrail. Origines, technique, destinées, Paris 1978, 56 sq.; E. Castelnuovo, Vetrate medievali. Officine, tecniche, maestri (Biblioteca di storia dell’arte, Nuova serie 22), Torino 1994, 44 sq.; N. Blondel, Le vitrail. Vocabulaire typologique et technique (Inventaire général des Monuments et des Richesses artistiques de la France, Principes d’analyses scientifiques), Paris 1993, 159–166 (la coloration); Wedepohl, Glas (nt. 14), 26–29. Cf. S. Strobl, Glastechnik des Mittelalters, Stuttgart 1990, 51. Cf. I. C. Freestone, Theophilus and the Composition of Medieval Glass, in: P. B. Vandiver/ J. R. Druzik/G. S. Wheeler/I. C. Freestone (eds.), Materials Issues in Art and Archaeology III (Materials Research Society Symposium Proceedings 267), Pittsburg 1993, 739–745, bes. 743; M. Bimson/I. C. Freestone, An Analysis of Blue Glass from the Enamel, in: J. Mitchell/I. L. Hansen (eds.), San Vincenzo al Volturno, vol. 3: The Finds from the 1980–1986 Excavation, Text (Studi e ricerche di archeologia e storia dell’arte, Centro Italiano di Studi sull’Alto Medioevo), Spoleto 2001, 285 sq.; F. Dell’Acqua/D. James, The window glass, in: op. cit., 171–201; J. Goll, Les vitraux carolingiens de Müstair, in: Danièle Foy (ed.), De transparentes spéculations. Vitres de l’Antiquité et du Haut Moyen Âge (Occident–Orient), exposition temporaire en liaison avec les 20èmes rencontres de l’AFAV sur le thème du verre plat (Id’antique: Notions croisées d’héritage romain et d’approches contemporaines 4), Bavay 2005, 86 sq.; S. Gai, Karolingische Glasfunde der Pfalz Paderborn, in: C. Stiegemann/M. Wemhoff (eds.), 799. Kunst und Kultur der Karolingerzeit.

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mente von Schmelztiegeln, außerdem Mosaiksteinchen in verschiedenen Farben und Rohglas. Besonders interessant sind die Bruchstücke von Schmelztiegeln, auf denen noch nicht geschmolzene tesserae festsitzen. Diese Objekte legen den Schluß nahe, daß damals das Rohglas vor Ort gefärbt und zu Flachglas verarbeitet wurde. Wie die ‚Schedula‘ berichtet, fand man die tesserae in den Gebäuden der Heiden und verwendet sie vor allem zur Herstellung von Email auf Silber, Gold und Kupfer 21. Für das Färben von Flachglas war dem Autor der Schrift die Verwendung von opaken blauen Fläschchen, wie sie die Römer herstellten, besonders geläufig. Tatsächlich haben chemische Untersuchungen von französischen Holzaschegläsern des 12. und 13. Jahrhunderts ergeben, daß diese einen hohen Anteil an Bruchglas enthalten22. Es ist daher kein Zufall, wenn Theophilus das Färben der Glasmasse mit Altglas dem besonderen Geschick der französischen Glashersteller zuschreibt, über deren technische Verfahren er offensichtlich gut informiert war. Konfrontiert man die Aussagen des zweiten Buches und besonders von dessen Kapitel 12 mit dem Stand der archäologischen Forschung, zeigt sich, daß die ‚Schedula‘ neben aktuellen Kenntnissen auch Informationen zur Herstellung von Glas und dessen Färbung einschließt, die schon seit mindestens zwei Jahrhunderten nicht mehr gebräuchlich waren23. Die Herstellung von farbigem Flachglas, das für Fensterverschlüsse verwendet wurde, geht daher auf deutlich frühere Zeit als die ältesten überlieferten Glasmalereien zurück, die noch in situ erhalten sind. Die jüngere Forschung zu den archäologischen Funden und zur Glasmalerei der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts hat hinlänglich nachgewiesen, daß die ‚Schedula‘ nicht den Anfang der mittelalterlichen Glaskunst markieren kann, wie behauptet wurde24. Vielmehr entstand die Schrift zu einem Zeitpunkt, als die Glasmalerei eine Hochblüte, ja, wie Rüdiger Becksmann formulierte, einen „unbestrittenen Höhepunkt“ erlebte25. Die Werke aus der Zeit, als der Traktat seine

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Karl der Große und Papst Leo III in Paderborn, Beitragsband zum Katalog der Ausstellung, Paderborn 1999, 212–221; ead., Fensterglasfragmente, in: op. cit., vol. 1: Katalog der Ausstellung, 180–185; ead., Frammenti di vetro da finestra dal palazzo carolingio di Paderborn. Nuove considerazioni alla luce della recente analisi dei dati stratigrafici, in: Dell’Acqua/Silva (eds.), Il colore (nt. 14), 99–112. Cf. Freestone, Theophilus (nt. 20), 741 sq. Cf. Wedepohl, Glas (nt. 14), 123 sqq.: Den französischen und englischen Gläsern ist ein hoher Anteil von Silicium- und Natriumoxyd eigen. Dies deutet darauf hin, daß bei ihrer Herstellung eine beträchtliche Menge von Altglas verwendet wurde. Dodwell (ed.), Theophilus (nt. 9), xviii–xxxiii, bes. xv, unterstrich bereits, daß die drei Bücher der ‘Schedula’ Wissen der Zeit von 800–1200 umfaßt. Brepohl, Theophilus (nt. 9), vol. 1, 22, bezeichnet die Herstellung der Bleiglasfenster als „immer noch ziemlich neuartige Technologie“. Archäologische Funde beweisen jedoch, daß die mittelalterliche Technik der Glasmalerei auf das 8. Jahrhundert zurückgeht. Das zweite Buch von ‚De diversis artibus‘ stünde damit bereits in einer dreihundertjährigen Tradition. Im Hinblick auf diesen sehr langen Zeitraum kann kaum mehr von „neuartiger Technologie“ die Rede sein. R. Becksmann, Die Augsburger Propheten und die Anfänge des monumentalen Stils in der Glasmalerei, in: Zeitschrift des deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 59/60 (2005–2006), 85–110.

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endgültige Form bekam, belegen dies unmißverständlich, denn ihnen haftet, wie im folgenden noch gezeigt werden wird, nichts Experimentelles oder Tastendes an. Mit dem Hinweis auf die Färbetechnik in karolingischer Zeit hält die ‚Schedula‘ aber tatsächlich die Erinnerung an die Anfänge der mittelalterlichen Kunst der Glasmalerei aufrecht. Ausgrabungen von Fensterglasfragmenten belegen, daß die Künstler im 8. Jahrhundert damit begannen, die farbigen Glasstücke mit Schwarzlot zu bemalen und mit Bleistegen zu Scheiben zusammenzufügen26. Die bisherige Forschung datiert die ‚Schedula diversarum artium‘, auch ‚De diversis artibus‘ genannt27 ins erste Viertel des 12. Jahrhunderts oder kurz danach28. Als die ältesten Handschriften der ‚Schedula‘ niedergeschrieben wurden, entstanden auch die frühesten romanischen Glasmalereien, die sich noch in situ befinden oder doch zumindest in architektonischem Zusammenhang aufbewahrt werden. Während die meisten Aussagen zum blauen Glas, die in Buch II enthalten sind, sich mit technischen Aspekten beschäftigen, geht Kapitel 21 auf die künstlerische Gestaltung der Glasmalereien, ihre Bemalung und ihre Farbkomposition ein. Es ist der bisherigen Forschung nicht entgangen, daß die Anweisungen der ‚Schedula‘ zur Bemalung und zur Anordnung der Farben mit den ältesten

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Cf. F. Dell’Acqua, „Illuminando colorat“. La vetrata tra l’età tardo imperiale e l’alto medioevo: le fonti, l’archeologia (Studi e ricerche di archeologia e storia dell’arte 4), Spoleto 2003, 45–49, 54–62; ead., The Christ from San Vincenzo a Volturno. Another instance of „Christ’s dazzling face“, in: V. Sauterel/S. Trümpler (eds.), Les panneaux de vitrail isolés. Die Einzelscheibe. The singel stained-glass panel, Actes du XXIVe Colloque International du Corpus Vitrearum Zurich 2008, Bern–Berlin–Bruxelles–Frankfurt a.M.–New York–Oxford–Wien 2010, 11–22. Der Titel ‚Schedula diversarum artium‘ ist nicht original, sondern wurde von Gotthold Ephraim Lessing dem Ende des Prologs zu Buch 1 entnommen; cf. G. E. Lessing, Vom Alter der Oelmahlerey aus dem Theophilus Presbyter (1774), in: Gesammelte Werke, vol. 8, Leipzig 1856, 285–336. Die älteste überlieferte Handschrift in Wien dagegen ist mit dem Titel ‚De diversis artibus‘ versehen. Cf. dazu Dodwell (ed.), Theophilus (nt. 9), lxxiii. Im allgemeinen geben die Autoren den Zeitraum von 1100 bis 1140 an; cf. Dodwell (ed.), Theophilus (nt. 9), xviii–xxxiii; B. Kurmann-Schwarz, „[…] quicquid discere, intelligere vel excogitare possis artium […]“. Le traité De diversis artibus de Théophile, état de la recherche et questions, in: K. Boulanger/M. Hérold (eds.), Le vitrail et les traités du Moyen Âge à nos jours, Actes du XXIIIe colloque internationale du Corpus Vitrearum, Tours, 3–7 juillet 2006, Bern–Berlin– Bruxelles–Frankfurt a.M.–New York–Oxford–Wien 2008, 29–44; V. C. Raguin, The Reception of Theophilus’s De Diversis Artibus, in: op. cit., 11–28. Manche Autoren setzten die Schrift nach 1125 an, weil sie den Text im Kontext der Kritik Bernhards von Clairvaux an den Cluniazensern sehen; cf. L. White, Jr., Medieval Religion and Technology. Collected Essays (Publications oft he Center for Medieval and Renaissance Studies 13), Berkeley–Los Angeles–London 1978, 93–103; J. van Engen, Theophilus Presbyter and Rupert of Deutz: The Manual Arts and Benedictine Theology in the Early Twelfth Century, in: Viator. Medieval and Renaissance Studies 11 (1980), 147–163; C. Rudolph, „Things of Greater Importance“. Bernhard of Clairvaux’s Apologia and the Medieval Attitude toward Art, Philadelphia 1990, 104–124. Für das erste Viertel des 12. Jahrhunderts plädieren dagegen A. Speer/H. Westermann-Angerhausen, Ein Handbuch mittelalterlicher Kunst? Zu einer relecture der Schedula diversarum artium, in: C. Stiegemann/ H. Westermann-Angerhausen (eds.), Schatzkunst am Aufgang der Romanik. Der Paderborner Dom-Tragaltar und sein Umkreis, München 2006, 249–258.

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erhaltenen romanischen Glasmalereien übereinstimmen29. Ein kurzer Vergleich der Schrift mit diesen Werken liegt daher nahe, wobei das Augenmerk vor allem auf die Rolle von Blau in der Farbkomposition gerichtet werden soll. Das Fragment einer Himmelfahrt Christi aus dem romanischen Chor der Kathedrale von Le Mans (kurz vor 1120, Abb. 1)30 zeigt einen von Rot zu Blau wechselnden Grund, vor dem die Apostel und Maria auf bergartigen Terrainerhöhungen stehen. Das Weiß für die Gewänder und Mäntel der Heiligen setzt in den gesättigten, bunten Grundflächen hell aufleuchtende Akzente. Der Autor der ‚Schedula‘ empfiehlt, die Figuren vor blauem, rotem oder grünem Grund in diese würdige Farbe zu kleiden31. Eine vergleichbare Anordnung der Farben läßt sich auch am Beispiel der thronenden Maria aus der ehemaligen Abteikirche La Trinité in Vendôme (um 1130) beobachten32. Eine Mandorla, die von einer kostbaren Bordüre gesäumt ist, rahmt die Muttergottes. Die Fläche innerhalb des Rahmens ist mit roten, blank belassenen Gläsern ausgefüllt, von denen sich die Himmelskönigin als lichte Gestalt abhebt. Sie trägt ein zartblaues Gewand und einen weißen Mantel. Auch die weiß gewandeten Engel, welche die Mandorla tragen, schweben vor einem hellblauen Hintergrund. Der Glasmaler folgt in diesem Fall den Ratschlägen der ‚Schedula‘ sehr genau, indem er die Figuren vor dem blauen Grund in Weiß kleidet, während die Madonna vor der roten Mandorla ebenfalls weitgehend in Weiß gehüllt ist. Die fünf Propheten der südlichen Obergadenfenster im Langhaus des Augsburger Doms (um 1100 oder nach 1132, Abb. 2) stehen zeitlich der Entstehung des Traktats ebenfalls sehr nahe33. Im Gegensatz jedoch zu den frühen französischen Beispielen, deren figürliche Darstellungen von blauen Flächen hinterlegt sind, heben sich die monumentalen Figuren des Augsburger Domes in Grün, Rot, Purpur und Gelb von einem weitgehend weißen Grund ab. Dieser hat sich erst im Laufe der Zeit aufgrund von Witterungseinflüssen bräunlich verfärbt34. Blau wird nur äußerst sparsam eingesetzt: für den Hut von Jonas, die Strümpfe von David 29

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Cf. L. Grodecki/C. Brisac/C. Lautier, Romanische Glasmalerei, Stuttgart–Berlin–Köln–Mainz 1977, 30 sqq.; Castelnuovo, Vetrate medievali (nt. 18), 56–59. Die bisherige Literatur hat sich bezüglich des Kapitels 21 vor allem für die darin beschriebene Negativtechnik interessiert, weniger für die Anordnung der Farben, die darin ebenfalls erwähnt wird. Zuletzt cf. C. Lautier, Le vitrail de la première moitié du XIIe siècle, in: La France romane au temps des premiers Capétiens (987-1152) (Katalog der Ausstellung im Louvre), Paris 2005, 35 sqq. und 264 sq. (mit ausführlicher Bibliographie). Zum Status von Weiß cf. Pastoureau, Blue (nt. 2), 14–17 (Weiß gilt als die Farbe der Reinheit), 34–37 (in der Liturgie ebenfalls Farbe der Reinheit und Unschuld, Farbe der Engels- und Jungfrauenfeste). Cf. Lautier, Vitrail (nt. 30), 35 sqq., 248 (mit Bibliographie). Cf. D. A. Chevalley, Der Dom zu Augsburg (Kunstdenkmäler von Bayern, Neue Folge 1), München 1995, 171–174 (mit Bestandsaufnahme); Becksmann, Augsburger Propheten (nt. 25), 85–110. Wedepohl, Glas (nt.14), 112, behauptet, der Hintergrund habe wohl aus violetten Holzaschegläsern bestanden.

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und Osee, die Schuhe von Daniel, das zentrale Hintergrundsfeld von Osee und für den Steinbesatz von Krone, Mantel und Robe Davids. Die Glasmaler der Augsburger Scheiben verzichteten auf das für die Gewänder empfohlene Blau bei weißem Grund, malten dagegen wie ihre Kollegen in Le Mans Teile der Gewandstoffe auf gelbes Glas, wovon der Autor der ‚Schedula‘ gerade abrät35. Der Platz des Blaus bleibt auch in jüngeren Glasmalereien des Reiches, im Westchor der Arnsteiner Prämonstratenserkirche, um 1170/80 (Abb. 3)36, oder dem Straßburger Salomofenster, um 1180/90 (Abb. 4), das erst die Restaurierung des 19. Jahrhunderts in dominierendes Rot und Blau eingebunden hat37, noch recht bescheiden. Hält Rot dem Blau in Le Mans weitgehend die Waage (Abb. 1), so dominiert Blau als Farbe des Grundes nur zwanzig Jahre später in der Chorumgangsverglasung von Saint Denis (vor 1144)38 und gegen die Mitte des Jahrhunderts in den drei großen Westfenstern von Chartres (1145–1150)39. Man braucht kein Anhänger des Mythos vom Bleu de Chartres zu sein40, um den beträchtlichen Anteil dieser Farbe an der Fläche der drei riesigen Fensterspiegel festzustellen. Erst von der Zeit um 1200 an werden die Glasmaler des Reiches Blau in ihren Werken eine Stellung einräumen, die es in Frankreich schon lange zuvor einnahm. Besonders die Heiligenfenster im Obergaden von Sankt Kunibert in Köln (1215–1226/30) zeigen szenische Darstellungen, die sich vor dominierenden blauen Gründen abspielen41. Die Benennung der im Hochmittelalter zu derartiger Beliebtheit gelangten Farbe bot im Mittelalter einige Schwierigkeiten, da man auf keinen etablierten

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Cf. Theophilus, De diversis artibus, II, c. 21, ed. Dodwell (nt. 9), 51: „Croceo vitro non multum uteris in vestimentis, nisi in coronis et in eis locis ubi aurum ponendum esset in pictura“; Übersetzung: Brepohl, Theophilus (nt. 9), vol. 1, 158. Zuletzt cf. D. Parello, Fünf Felder eines typologischen Zyklus aus Arnstein, in: P. Marx/ U. Gast/D. Parello, Die Glasgemäldesammlung des Freiherrn vom Stein, LWL–Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster, Westfälisches Landesmuseum, Kulturstiftung der Länder (Kulturstiftung der Länder – Patrimonia 3000), Berlin 2007, 23–39. Zuletzt cf. B. Kurmann-Schwarz, Les vitraux du choeur et du transept, in: J.-P. Meyer/B. Kurmann-Schwarz, La cathédrale de Strasbourg. Choeur et transept: de l’art roman au gothique (vers 1180–1240), Société des amis de la cathédrale de Strasbourg, Supplément au No. XXVIII du Bulletin de la cathédrale de Strasbourg, Strasbourg 2010, 237 sqq.; zum Bestand der Glasmalereien cf. V. Beyer/C. Wild-Block/F. Zschokke/C. Lautier, Les vitraux de la cathédrale Notre-Dame de Strasbourg, Département du Bas-Rhin 1 (Corpus Vitrearum Medii Aevi – France 9,1), Paris 1986, 70–75, Fig. 52. Cf. L. Grodecki, Les vitraux de Saint-Denis. Étude sur le vitrail au XIIe siècle, vol. 1: Histoire et restitution (Corpus Vitrearum France. Série Études 1, Département de Seine-Saint-Denis), Paris 1976; J. Gage, Gothic Glass: Two Aspects of a Dionysian Aesthetic, in: Art History 5 (1982), 36–58; Pastoureau, Blue (nt. 2), 33, 38–41. Cf. B. Kurmann-Schwarz/P. Kurmann, Chartres. Die Kathedrale (Monumente der Gotik 3), Regensburg 2001, 122–124, 143–148. Cf. L. Grodecki, Esthétique ancienne et moderne du vitrail roman, in: Les monuments historiques de la France (1977), N° 1, 17–30. Cf. U. Brinkmann, Die mittelalterlichen Glasmalereien von Sankt Kunibert, in: Colonia Romanica, Jahrbuch des Fördervereins romanische Kirchen Köln 7 (1992), 147–158.

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Grundbegriff aus dem klassischen Latein zurückgreifen konnte. Im Griechischen und Lateinischen blieb Blau, wie bereits erwähnt, in seiner Eingrenzung gegen andere Farben unpräzise und beide klassischen Sprachen bekundeten allgemein Schwierigkeiten, die Farbe überhaupt zu benennen. Während es für Schwarz, Weiß und Rot eindeutige Begriffe gibt, existiert im Lateinischen etwa für Blau kein Grundfarbwort, das die gesamte Tonskala der Farbe abdecken würde42. Auch entwickelte die Sprache für Blau im Unterschied zu Rot nur wenige Farbworte, die zudem oft unpräzise bleiben43. Das extremste Beispiel dafür bietet vielleicht das vom griechischen glaukos abgeleitete lateinische Adjektiv glaucus. Das Wort bezeichnet einen leichten, „unfarbigen“ Ton und kann neben Blau auch Grau, Grün, manchmal sogar Gelb bedeuten. Die westeuropäischen Vulgärsprachen griffen bezeichnenderweise auf keinen der chromatisch ungenauen lateinischen Begriffe zurück, sondern bedienten sich eines Lehnworts, um ein Grundfarbwort für Blau zu bilden: das deutsche „blau“, das französische „bleu“, das englische „blue“ gehen auf das germanische „blaiw/blewa“ zurück44. Das spanische „azul“ und das italienische „azzurro“ leiten sich aus dem arabischen „lazuwardi“ ab, das für das Blau des Lapislazuli (des „Blausteins“) steht und über das maurische Spanien nach Europa weiter vermittelt wurde45. Im zweiten Buch der ‚Schedula‘ wird die Farbe Blau konsequent mit dem Adjektiv saphireus oder durch Konstruktionen mit dem Substantiv saphirus bezeichnet. Saphireus scheint dabei als Grundfarbwort, das heißt als Bezeichnung von Blau, unabhängig von seiner aktuellen Schattierung zu dienen, denn es tritt gleichwertig neben den Farbadjektiven albus, niger, viridis, croceus, rubicundus und purpureus auf. Verschiedene Blautöne werden im Glasmalereitraktat nicht thematisiert. Nur an einer Stelle rät die ‚Schedula‘, Brocken von hellem, blauem Glas zu nehmen, um daraus die auf das Glas aufgesetzten Imitationen des Hyazinths zu formen. Aber auch dieses ausdrücklich als hell charakterisierte Blau wird durch einen Vergleich mit dem Saphir – particulis saphiri clari – beschrieben46. Im Malereitraktat, 42

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Cf. M. Scholz, Farbbezeichnungen in ihrer Entwicklung vom Lateinischen zum heutigen Französisch mit besonderer Berücksichtigung der altfranzösischen Epoche, München 2008, bes. 26 und 28; J. André, Étude sur les termes de couleur dans la langue latine, Paris 1949, bes. 162–183. André, Étude (nt. 42) nennt caeruleus, caesius, cyaneus, lividus, venetus, aerius, aetherius, fereus. Cf. auch die Ausführungen bei R. Suntrup, „Color Coelestis“. Himmel, Ewigkeit und ewiges Leben in der allegorischen Farbendeutung des Mittelalters, in: Cieli e terre nei secoli XI-XII. Orizzonti, percezioni, rapporti, Atti della tredicesima Settimana internazionale di studio, Mendola, 22–26 agosto 1995 (Miscellanea del Centro di Studi Medioevali 15), Milano 1998, 235–260, bes. 245–250. Das mittellateinische „blavius“ findet sich selten und angeblich erst im 14. Jahrhundert; cf. Petrus Berchorius, Reductorium morale, XIII, c. 4, 4, ed. P. Pütz, in: Opera omnia, vol. 2, Köln 1731, 544a: „Color indicus, venetus, et blavius, sunt colores medii inter lividum et nigrum“; dazu cf. Suntrup, Color coelestis (nt. 43), 246. Cf. R. Tazi, Arabismen im Deutschen: lexikalische Transferenzen vom Arabischen ins Deutsche (Studia Linguistica Germanica 47), Berlin–New York 1998, 146 sqq. (zum Wort „azur“). Cf. Theophilus, De diversis artibus, II, c. 28, ed. Dodwell (nt. 9), 57: „[…] acceptisque particulis saphiri clari, forma inde iacinctos secundum quantitatem locorum suorum […]“; Übersetzung: Brepohl, Theophilus (nt. 9), vol. 1, 163.

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dem ersten Buch der ‚Schedula‘, werden hingegen verschiedene blaue Pigmente und Malfarben unterschieden und meist mit Namen belegt, die auf ihre Materialität oder auf ihren Ursprung verweisen: So findet man dort im Kapitel 14 das Lehnwort lazur (ursprünglich: aus Lapislazuli) sowie indicum (aus der Indigopflanze gewonnen) und folium (aus einer blauviolett färbenden Pflanze extrahiert)47. Bei der Erörterung der verschiedenen Arten von folium in Kapitel 33 benutzt die ‚Schedula‘ ein einziges Mal in diesem ersten Buch das Adjektiv saphireus und unterscheidet zwischen folium rubeum, folium purpureum und folium saphireum, wohl um drei rotviolette Töne auseinanderzuhalten48. Saphireus in seiner parallel zu anderen lateinischen Farbadjektiven wie purpureus, rubeus, croceus gebildeten Form ist selten bezeugt49. Häufiger wird das parallel zum griechischen sapfeírinos gebildete Adjektiv sapphirinus gebraucht, das bereits sehr früh zur Bezeichnung der blauen Farbe eingesetzt wird. Dies liegt wohl in erster Linie daran, daß bereits in der Vulgata (2. Mose 24, 10) das Adjektiv sapphirinus erscheint, allerdings hier noch in seiner Grundbedeutung von „saphirartig“. Der Bibeltext beschreibt die Vision Gottes, unter dessen Füßen es war „wie ein Werk aus einem Saphirstein, und wie der Himmel, wenn er heiter ist“ (quasi opus lapidis sapphirini, et quasi caelum, cum serenum est). Die Exegese dieser Stelle nimmt meist die Farbe des Edelsteins saphirus zum Ausgangspunkt und deutet diese, wie es schon die Bibelstelle nahelegt, als die blaue Farbe des Himmels50. Man findet sapphirinus in der Bedeutung von Blau bezeichnenderweise vor allem in exegetischen und historiographischen Texten. In Enzyklopädien, wo offensichtlich die antike Tradi-

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Zu den Farbbezeichnungen im ersten Buch der ‚Schedula‘ cf. S. Waetzoldt, Systematisches Verzeichnis der Farbnamen, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, 3. Folge, 3/4 (1952/1953), 150–158. Diese Passage taucht, in leicht verändertem Wortlaut, in der Synonymtafel des Jean le Bègue (um 1431) wieder auf; cf. Tabula de Vocabulis Sinonimis et Equivocis Colorum, ed. M. P. Merrifield, in: Original treatises on the Arts of Painting, vol. 1, London 1849 [Neudruck New York 1960], 18–111, 26: „Folium est pro tingendo lanas, et est color rubeus, et quidam alter est purpureus, et alter saphireus […].“ Jean versteht aber gemäß seiner eigenen Vokabelliste unter safireus einen violetten Farbton; cf. op. cit, 36: „Safireus color est color quilibet saphiri lapidis assimilans, videlicet proprie inter celestem et rubeum, plus ad celestem trahens colorem quam ad rubeum.“ Stephan Waetzoldt vermutet in seinem systematischen Verzeichnis der Farbnamen in der ‚Schedula‘, daß saphireus im Text des ersten Buches ebenfalls einen violetten Farbton bezeichnet; cf. Waetzoldt, Systematisches Verzeichnis (nt. 47), 155 und 158. Saphireus kommt auch bei ‚Heraclius‘ im Buch III, c. 8, ed. Ilg (nt. 14), 59 sqq., 61 (im Zusammenhang mit dem Schwarzlot vor): „De isto vitro plumbeo poteris, si vis, cum grossino saphireo miscere ad pingendum in vitro, apposita tercia parte de scoria ferri.“ Cf. Origenes, Klageliederkommentar, Nr. CII, ed. E. Klostermann, in: Origenes Werke, vol. 3 (Griechische christliche Schriftsteller 6), Leipzig 1901, 272; Hieronymus, Commentariorum in Esaiam, XV, 54, 11/14, ed. M. Adriaen (Corpus Christianorum. Series Latina 73A), Turnhout 1963, 612 sqq.; Gregor der Große, Moralia in Iob, XVIII, 33, 52 und XVIII, 47, 75, ed. M. Adriaen (Corpus Christianorum. Series Latina 143A), Turnhout 1979, 920 und 939; dazu cf. Ch. Meier, Gemma Spiritalis. Methode und Gebrauch der Edelsteinallegorese vom frühen Christentum bis ins 18. Jahrhundert (Münstersche Mittelalter Schriften 34,1), München 1977, 126 und 134; Suntrup, Color coelestis (nt. 43), 243.

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tion stärker wirksam war, taucht das vom Edelstein abgeleitete Farbadjektiv vor dem 13. Jahrhundert hingegen nicht auf 51. Auch wenn sapphirinus im Bibeltext und in der Exegese auf das helle Blau des Himmels bezogen wird, kann das Adjektiv auch dunkle Blautöne bezeichnen, so wird es etwa auch auf Stoffe und Pelze angewendet, die als grau, beziehungsweise als dunkel, fast schwarz beschrieben werden. In der Geschichte der Goten des Jordanes (vor 552) heißt es vom Volk der Suehans, daß sie den Römern sappherinas pelles verkauften, die wegen ihrer Schwärze berühmt seien: „alia vero gens ibi moratur Suehans, quae velud Thyringi equis utuntur eximiis. hi quoque sunt, qui in usibus Romanorum sappherinas pelles commercio interveniente per alias innumeras gentes transmittunt, famosi pellium decora nigridine.“52

In Notkers Gesta Karoli Magni (vor 887) wird in Kapitel 34 die fränkische Kleidung beschrieben, wobei saphirinum als Alternativbezeichnung für die Farbe des fränkischen Palliums neben canum (das heißt grau) steht: „Ultimum habitus eorum erat pallium canum vel saphirinum quadrangulum duplex sic formatum, ut cum imponeretur humeris, ante et retro pedes tangeret, de latentibus vero vix genua contegeret.“ 53

Neben sapphirinus und saphireus gab es immer auch andere Bezeichnungen, um auf die Farbe Blau hinzuweisen. Dem Sprecher blieb daher wohl das Spezifische des Begriffs, der Zusammenhang mit dem Edelstein nämlich, durchaus bewußt und das Bild vom blauen Edelstein wurde somit bei der Nennung des Wortes in der Regel mit aufgerufen. Die Grundbedeutung des Adjektivs ist ja „aus Saphir bestehend“ oder „saphirartig“. Erst in übertragenem Sinn konnte das Adjektiv auch für die wichtigste Proprietät des Saphirs, seine blaue Farbe stehen. Noch im 14. Jahrhundert wird das Wort bei Konrad von Megenberg in seinem Buch der Natur (um 1350), das weitgehend eine Übersetzung des lateinischen Liber de Natura Rerum des Thomas von Cantimpré darstellt, mit „saphirisch“ und nicht etwa mit „blau“ übersetzt, obwohl der Kontext erkennen läßt, daß es an dieser Stelle blau bedeutet:

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In den frühmittelalterlichen Enzyklopädien findet man meist caeruleus oder venetus zur Bezeichnung von blauen Edelsteinen. Albertus Magnus’ ‚De mineralibus‘ (um 1250), II, c. 8 (Beschreibung des blauen Hyazinths) ist ein frühes Zeugnis für den Gebrauch von saphirinus in einem enzyklopädischen Text. Iordanis Romana et Getica, ed. T. Mommsen (Monumenta Germaniae Historica, Auctores antiquissimi 5,1), Berlin 1882, 59; Übersetzung: „Sie haben wie die Thüringer vorzügliche Pferde. Sie sind es auch die im Handelsverkehr durch unzählige andere Völker Sapherin-Felle (sappherinas pelles) den Römern zu Gebrauch schicken. Diese Felle sind ihrer Schwärze wegen berühmt.“ Notker der Stammler, Gesta Karoli Magni Imperatoris, I, c. 34, ed. F. Haefele (Monumenta Germaniae Historica 12), Berlin 1962, 46. Später taucht saphirinus wiederum im Zusammenhang mit Stoffen auf, wenn von den Geschenken Karls an den persischen Kaiser die Rede ist; cf. op. cit., II, c. 9, 63: „Porro autem imperatori Persarum direxit indefessus augustus equos et mulos Hispanos, pallia Fresonica alba, cana, vermiculata vel saphirina, quae in illis partibus rara et multum cara comperit, canes quoque agilitate et ferocia singulares, quales ipse prius ad capiendos vel propellendos leones et tigrides postulavit.“

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„Von dem Pfawen. Pavo haizt ain pfâw. daz ist gar ain schœner vogel und ist ain freunt aller schônhait und rainikait, sam Aristotiles spricht. der vogel hât ainen langen geäugelten zagel und hât ain saphirisch herz an der varb, wan er hât ain plâw varb an der prust und ist an dem hals gar liehtvar, reht als ain saphir von Orient.54 […] die pfâwen habent saphirisch prüst und häls, daz ist stæter gelaub und stæteu werk, wan pei plâwer varb verstê wir gemaincleich stætikait, wan ez ist ain reht himelvarb.“55

Saphirisch wird also bei Konrad von Megenberg für die Beschreibung des Pfauengefieders benutzt, wobei die glänzende blaue Farbe an Brust und Hals des Pfaus explizit mit einem Saphir verglichen wird. Dadurch zeigt sich, daß das Wort nicht nur die Farbbedeutung, sondern auch die Konnotation von Glanz und Lichtfülle transportiert. Gerade die Zuschreibung dieser Eigenschaften an den Saphir wirft aber die schwierige Frage auf, welchen Edelstein der Begriff saphirus eigentlich bezeichnet. Dessen Interpretation ist im Mittelalter nämlich nicht eindeutig56. In der Antike und im Frühmittelalter bezeichnete saphirus den satt blauen, opaken Lapislazuli, im späteren Mittelalter meist den durchsichtigen Korund, den wir noch heute als Saphir bezeichnen. Für Plinius war der saphirus eindeutig der Lapislazuli. Er wird bei ihm als blauer, manchmal ins purpurne spielender Stein beschrieben, der niemals durchscheinend sei: „Caeruleae et sappiri, rarumque ut cum purpura. optimae apud Medos, nusquam tamen perlucidae.“57

Die frühmittelalterlichen enzyklopädischen Schriften schöpfen alle aus Plinius und übernehmen daher oft auch seine Interpretation von saphirus als opaken Lapislazuli. So reiht Isidor den Saphir unter die purpurfarbenen Steine und unterstreicht wie Plinius, daß dieser niemals durchscheinend sei: „Sapphirus caeruleus est cum purpura, habens pulveres aureos sparsos; optimus apud Medos, nusquam tamen perlucidus.58

Marbodius von Rennes (1035–1123) erklärt in seinem Steinbuch, der saphirus sei nie durchsichtig: „nunquam transmittere visum“ 59.

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Konrad von Megenberg, Das Buch der Natur: die erste Naturgeschichte in deutscher Sprache, II, 57, ed. F. Pfeiffer, Aue 1861, 212. Ibid., 214. Zu dieser Problematik cf. Gage, Gothic Glass, (nt. 38), 36–58, bes. 45 sq.; auch Lüschen, Die Namen (nt. 16), 310 sq. Plinius der Ältere, Naturalis Historia, XXXVII, 9 (39), edd. L. Jan/K. Mayhoff (Bibliotheca Scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana), vol. 5, Leipzig 2002 [Nachdruck der maßgeblichen Edition von 1897], 435. Isidor von Sevilla, Etymologiarum sive originum, XVI, 9, ed. W. M. Lindsay (Scriptorum classicorum bibliotheca Oxoniensis), Oxford 1911. Marbodius von Rennes, Liber de gemmis, ed. J.-P. Migne, in: Patrologia cursus completus. Series latina [= Patrologia latina], vol. 171, Paris 1893, 1737–1780, 1743B.

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Auch bei Thomas von Cantimpré scheint der Saphir noch als undurchsichtiger Stein verstanden zu sein60. In Konrad von Megenbergs Text sind die Aussagen etwas widersprüchlich, da er getreu seiner Vorlage einerseits von einem undurchsichtigen Stein spricht, im Widerspruch zu dieser Charakterisierung aber kurz vor und nach dieser Stelle das Leuchten des Saphirs preist: „[…] aber der ist der pest, der von India kümt, und der ist kainer durchläuhtich.“ 61 „[…] der stain ist himelvar, wan er ist liehtplâ. iedoch mag er nümmer sô lauter werden, daz er ain pild in sich nem sam ain spiegel. wenn sich der sunnen schein widersleht auf dem stain, sô gibt er ainen prinnenden schein von im.“ 62 „Der saphir, der dem lautern himel geleicht und der ainen prinnenden schein von im gibt, wenn sich der sunnen schein auf im widersleht, der bedäut […].“63

In der Exegese, zuerst in Bedas Apokalypsekommentar, wird der saphirus hingegen meist als leuchtender Stein beschrieben, der in den Strahlen der Sonne aufscheint, weshalb er für den auf den Himmel ausgerichteten Gläubigen stehen kann64. Der so beschriebene Stein kann nicht mehr der opake Lapislazuli sein, sondern hier muß saphirus den durchsichtigen Korund meinen, den man ab dem Spätmittelalter und bis heute als Saphir bezeichnet65. Raban Maur übernimmt in seinem ‚De Universo‘ die Aussagen und die Auslegung Bedas fast wörtlich66. Im 12. Jahrhundert vergleicht Hugo von Sankt Viktor den heiteren Himmel mit dem 60 61 62 63

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Cf. Thomas von Cantimpré, Liber de Natura Rerum, XIV, 57, ed. H. Boese, vol. 1, Berlin 1973, 367: „[…] et ille magis pretiosus, qui ex India veniens nunquam translucet.“ Konrad von Megenberg, Buch der Natur, VI, 66, ed. Pfeiffer (nt. 54), 457. Ibid. Konrad von Megenberg, Buch der Natur, VI, 66, ed. Pfeiffer (nt. 54), 458. Elena di Venosa unterscheidet in ihrer Untersuchung der deutschen Steinbücher zwischen Durchsichtigkeit und bloßer Reflektivität des Steines; cf. E. di Venosa, Die deutschen Steinbücher des Mittelalters. Magische und medizinische Einblicke in die Welt der Steine (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 714), Göppingen 2005, 74. Erst im St. Florianer Steinbuch, wo es heißt „der sunn nympt er iren schein, dy siecht man vnder von im schießen […]“, sieht di Venosa die Interpretation als durchsichtiger Korund eindeutig gesichert. Aber auch an Reflexionskraft ist der Korund dem Lapislazuli hoch überlegen und es ist daher eher unwahrscheinlich, daß gerade vom Lapislazuli behauptet wurde, daß er die Sonne reflektiere. Cf. Beda der Ehrwürdige, Explanatio Apocalypsis, III, c. 21, ed. J.-P. Migne, in: Patrologia latina, vol. 93, Paris 1862, 129–206, 198A: „Qui radiis percussus solis, ardentem ex se emittit fulgorem. Quia coelestibus semper intentus sanctorum animus, divini luminis quotidie radiis innovatus, compunctior quodammodo atque ardentior aeterna perquirit, aliisque inquirenda suadet.“ Cf. Meier, Gemma (nt. 50), 243. Die Reflexionskraft des Steines wird auch bei Walafried Strabo (Sequitur Glossa ordinaria, Apocalypsis B. Joannis, c. 21, ed. J.-P. Migne, in: Patrologia latina, vol. 114, Paris 1879, 9–752, 748AB), Anselm von Laon (Enarrationes in Apocalypsin, c. 21, ed. J.-P. Migne, in: Patrologia latina, vol. 162, Paris 1889, 1499–1586,1579B) und Martin von León (Expositio libri Apocalypsis, c. 21, ed. J.-P. Migne, in: Patrologia Latina, vol. 209, Paris 1855, 299–419, 409CD) wieder thematisiert. Cf. dazu Suntrup, Color coelestis (nt. 43), 250. Cf. Raban Maur, De universo (De Rerum Naturis), XVII, c. 7, ed. J.-P. Migne, in: Patrologia Latina, vol. 111, Paris 1852, 10–614, 466A: „Nostra autem conversatio in coelis est, qui radiis percussus solis fulgorem ardentem ex se emittit […].“

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leuchtenden Saphir, unter dem er folglich den Korund versteht67. Schließlich wird der saphirus auch in der deutschsprachigen Literatur immer wieder als lichtreflektierender Stein beschrieben, so bei Heinrich von Mügeln: „Der safir ist gefar / recht sam der luter himel klar, / der liechten glanz gibt sunder spar, / wann das in slet der sunnen glast.“ 68

In Volmars Steinbuch schließlich heißt es vom saphirus: „der sunnen glenst nimpt er den schein, di siecht man wider von im schießen.69

Zwischen dem 8. und dem 14. Jahrhundert kann saphirus also sowohl den einen wie auch den anderen Stein meinen, wobei die Deutung als transparenter Korund ab dem 12. Jahrhundert deutlich die Überhand über den Lapislazuli gewinnt. Im zweiten Buch der ‚Schedula‘ wird saphireus als Grundfarbwort für Blau benutzt, wobei der Terminus sowohl auf opake blaue Mosaikwürfel wie auch auf das durchsichtige blaue Fensterglas angewendet wird. Anhand dieser Textstellen ist es nicht eindeutig ersichtlich, ob dem Autor der ‚Schedula‘ der Lapislazuli oder der Korund vor Augen stand. Dennoch ist auffällig, daß er gerade zur Beschreibung des gläsernen Blaus, anders als im Malereitraktat, konsequent auf saphirus/ saphireus zurückgreift, um die blaue Farbe zu bezeichnen. Damit schreibt er sich in eine weit zurückreichende Tradition ein: Bereits im Altertum scheint es eine privilegierte Assoziation zwischen saphirus, Glas und der Farbe Blau gegeben zu haben. Die Ägypter besaßen kein spezifisches Wort für Glas. Um besonders seine in der Masse gefärbte Form bezeichnen zu können, benutzten sie Umschreibungen. In ihren Texten ist von echten Edelsteinen und Edelsteinen, die „fließen (schmelzen)“, unter anderem von „echtem Lapislazuli“ und von „Lapislazuli, der schmilzt“, die Rede70. Auch das Griechische scheint zu Beginn noch kein Wort für Glas besessen zu haben. Auf den mykenischen Tontafeln erscheint als erste griechische Bezeichnung für Glas „kuanos“, das sowohl für Lapislazuli, für blaues Glas wie für die Farbe Blau stehen kann71. Erst später tritt „hyalos“ als erster, generischer Terminus des Griechischen für Glas auf 72. 67

68 69 70

71 72

Cf. Hugo von Sankt Viktor, Eruditionis Didascalicae, VII, c. 12, ed. J.-P. Migne, in: Patrologia Latina, vol. 176, Paris 1880, 739–838, col. 821A: „Quid jucundius ad videndum coelo cum serenum est, quod splendet quasi sapphirus; et gratissimo quodam suae claritatis temperamento visum excipit et demulcet aspectum?“ Die kleineren Dichtungen Heinrichs von Mügeln, ed. K. Stackmann, 1. Abteilung 2. Teilband (Deutsche Texte des Mittelalters 51), Berlin 1959, Nr. 133, 171. St. Florianer Steinbuch (Von manigerlai edler stain kraft und tugent), ed. H. Lambel, in: Das Steinbuch. Ein altdeutsches Gedicht von Volmar, Heilbronn 1877, Anhang I, 95–125,113. Cf. W. Ganzenmüller, Beiträge zur Geschichte der Technologie und der Alchemie, Weinheim 1956, 131; K. R. Lepsius, Die Metalle in den ägyptischen Inschriften, in: Philologisch-Historische Abhandlungen der königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1871, Berlin 1872, 27–143. Cf. M. Stern, Ancient Glass in a Philological Context, in: Mnemosyne 60 (2007), 341–406, hier 388. Auch für das lateinische Wort „vitrum“, das vielleicht aus dem Keltischen stammt, suggerieren die

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Die seit der Zeit der alten Ägypter bis ins Mittelalter weit verbreitete Praxis, mit Hilfe von farbigem Glasfluß Edelsteinimitate herzustellen, bildet die Voraussetzung dafür, daß blaues Glas in der Antike mit dem Edelstein saphirus gleichgesetzt werden konnte. Sie bietet auch eine Erklärung dafür, daß im zweiten Buch der ‚Schedula‘ gerade der Ausdruck saphireus für die Bezeichnung des gläsernen Blaus gewählt wurde73. Auch im Mittelalter wurden die blauen Glassteine nämlich zuweilen als saphiri bezeichnet, wie man auch die gläsernen Imitate anderer Edelsteine nicht immer deutlich von den echten Edelsteinen unterschied. Gerade vor diesem Hintergrund scheint es jedoch bedeutsam, daß in der ‚Schedula‘ nur das erst seit kurzem zu großer Beliebtheit gelangte Blau, für das die lateinische Sprache kein etabliertes Grundfarbwort lieferte, mit einem Edelsteinbegriff belegt wurde, während die übrigen Farben durch Farbworte des klassischen Latein bezeichnet wurden. Das vitrum saphireum der ‚Schedula‘ erinnert unwillkürlich auch an den berühmten Ausdruck der materia saphirorum, mit dem Abt Suger von Saint Denis nach 1145 in seinem De Administratione das Rohmaterial für die Glasfenster seiner neuerbauten Abteikirche bezeichnet: „Unde quia magni constat mirifico opere sumptuque profuso vitri vestiti et saphirorum materia, tuicioni et refectioni earum ministerialem magistrum sicut etiam ornamentis aureis et argenteis peritum aurifabrum constituimus […].“ 74

Die materia saphirorum, das Flachglas der blau dominierten Bildfenster, hier durch den Vergleich mit dem Edelstein als kostbares Material bestimmt, wird in eine Reihe mit den Werkstoffen der Goldschmiedearbeiten gestellt. In einem zweiten

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Wörterbucheinträge zunächst eine Affinität zur Bedeutung Blau. Das Wort kann laut Wörterbuch sowohl Glas, wie auch Waid bedeuten, eine Pflanze, die zum Blaufärben benutzt wurde. Neuere archäologische Forschungen deuten allerdings darauf hin, daß die zweite Bedeutung irreführend ist und auf einer falschen Interpretation der berühmten Caesarstelle beruht, in der dieser von der Körperbemalung der Bretonen berichtet (cf. Caesar, De Bello Gallico, V, 14, 2). Es erscheint heute wahrscheinlich, daß die blaue Farbe, mit der sich die Bretonen einrieben, nicht aus Waid, sondern aus gemahlenem, blauem Glas bestand. Cf. F. B. Pyatt/E. H. Beaumont/ D. Lacy/J. R. Magilton/P. C. Buckland, Non Isatis sed Vitrum or The Colour of Lindow Man, in: Oxford Journal of Archaeology 10,1 (1991), 61–73; E. R. Knauer, Roman Wall Paintings from Boscotrecase: Three Studies in the Relationship between Writing and Painting, in: Metropolitan Museum Journal 28 (1993), 13–46, hier 33 sq. Cf. A.-F. Cannella, Gemmes, verre coloré, fausses pierres précieuses au Moyen Age: le quatrième livre du ‚Trésorier de philosophie naturelle des pierres précieuses‘ de Jean d’Outremeuse (Bibliothèque de la Faculté de Philosophie et Lettres de l’Université de Liège 288), Genf 2006. Suger von Saint-Denis, De administratione, 274, 1208–1211, edd. A. Speer/G. Binding, in: id. (eds.), Abt Suger von Saint-Denis. Ausgewählte Schriften. Ordinatio. De consecratione. De administratione, Darmstadt 2000, 362; Übersetzung, 363: „Daher, weil die Fenster sehr kostbar sind – auf Grund der wunderbaren Arbeit und der reichlich geflossenen Ausgaben für das bemalte Glas und das Saphirmaterial (saphirorum materia) – haben wir zu ihrem Schutz und zu ihrer Wiederherstellung einen Meister bestellt, der diesen Dienst übernehmen soll, wie auch einen erfahrenen Goldschmied für den goldenen und silbernen Zierrat […].“

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Abschnitt gibt der Abt seiner Zuversicht Ausdruck, daß Gott selbst für die Fertigstellung seines großen Werkes die notwendigen Mittel bereitstellen werde: „Qui enim inter alia maiora etiam admirandarum vitrearum operarios materiem saphirorum locupletem promptissimos sumptus fere septingentarum librarum aut eo amplius administraverit, peragendorum supplementis liberalissimus Dominus deficere non sustinebit.“ 75

Bei der Interpretation der beiden Stellen ist zu fragen, ob Suger mit materia saphirorum das besonders kostbare und in der Herstellung besonders aufwendige blaue Flachglas oder generell das Farbglas meint. Die Textstellen der ‚Schedula‘, in denen der Saphir konsequent für die Farbe Blau steht und das blaue Glas als besonders kostbar gewürdigt wird, sprächen für die erste Möglichkeit. Andere Quellentexte zeigen hingegen, daß es sich bei der materia saphirorum auch einfach um einen generischen Terminus für Farbglas handeln könnte. So werden bereits die Farbfenster von Saint-Martin in Tours (10. oder 11. Jahrhundert) und der Kirche von Wilton (11. Jahrhundert) als Saphire bezeichnet: Die Kirche in Tours sei von den Gläubigen wegen ihrer mit Saphiren geschmückten Gläsern (vitreis saphiro subornatis) bewundert worden76, und in Wilton dringe die Sonne durch das reine Glas und den klaren Saphir in die Kirche ein (sol mero vitro puroque saphiro ingreditur)77. Beide Kirchen besaßen mit Sicherheit keine Edelsteinfenster, sondern Farbglasfenster, und es ist äußerst unwahrscheinlich, daß in diesen die blaue Farbe vorherrschte. Vielmehr wird das tertium comparationis zwischen Saphir und Glasfenster in beiden Fällen die Lichtfülle sein, die dem Glasfenster eigen ist und dem Saphir, wie wir bereits gesehen haben, zum ersten Mal bei Beda Venerabilis zugeschrieben wird. Nur kurze Zeit später als Suger, irgendwann zwischen 1153 und 1174, bezeichnet auch Idung von Prüfening in seinem fiktiven Dialog zwischen einem Cluniazenser und einem Zisterzienser die Farbglasfenster, welche die Bene75

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Op. cit., 188, 848–853, 328; Übersetzung, 329: „Der Herr nämlich, der in seiner großen Güte unter anderem noch größerem auch für die Werktätigen, die die wunderbaren Fenster schufen, für das Saphirmaterial (materia saphirorum) in reichhaltiger Menge, für mehr als ausreichende Aufwendungen von fast 700 Pfund oder noch mehr gesorgt hat, der wird auch nicht ertragen, bei der Ergänzung dessen, was noch ausgeführt werden muß, zu fehlen.“ Passage aus einer fälschlicherweise Odo von Cluny zugeschriebenen Predigt ‚De Combustione Basilicae Beati Martini‘; cf. Sancti Odonis Abbatis Cluniacensis Sermones, IV, edd. M. Marrier/ A. Du Chesne, in: Bibliotheca Cluniacensis, Paris 1614 [Neudruck Mâcon 1915], 145–160 [wiederabgedruckt in: J.-P. Migne (ed.), Patrologia Latina, vol. 133, Paris 1881, 729–749, 733A]: „Nunc tamen et histriatis parietibus, et vitreis saphiro subornatis, quin et bracteolis aureis decusata non parum intuentes oblectabat.“ Die Stelle steht in der Vita der Heiligen Edith des Goscelin von St. Bertin; cf. Goscelin von Sankt Bertin, Vita Sanctae Edithae virginis, VIII, ed. A. Wilmart, La légende de Sainte Edith en prose et vers par le moine Goscelin, in: Analecta Bollandiana 56 (1938), 5–101, 265–307, hier 89: „Regia prelustris multis oculata fenestris / Plena cluit / Solque diesque mero vitro puroque saphiro ingreditur / Et paries fulgens et formarum iubar ardens / Gaudia dant […]“; dazu cf. S. Hollis, Writing the Wilton Women. Goscelin’s legend of Edith and liber confortatorius (Medieval Women: Texts and Contexts 9), Turnhout 2004; O. Lehmann-Brockhaus, Lateinische Schriftquellen zur Kunst in England, Wales und Schottland vom Jahre 901 bis um Jahre 1307 (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München 1), 5 voll., München 1955–1960, Nr. 4616.

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diktiner sich von reichen Laienstiftern schenken ließen, die Zisterzienser aber ablehnten, mit vitrea saphiratae 78. Durch die auf einen Edelstein verweisende Bezeichnung ruft er gekonnt die Konnotation von Kostbarkeit und Luxus hervor, womit er seine Ablehnung farbiger Glasfenster in monastischen Gebäuden begründet. Am allerdeutlichsten aber kommt in verschiedenen mittelalterlichen Lehr- und Wörterbüchern zum Ausdruck, daß saphirus nicht nur den blauen Edelstein, sondern auch das Glas bezeichnen konnte. Um 1200 doziert Alexander de Villa-Dei in seinem Doctrinale, daß ein I vor R in der Regel kurz auszusprechen sei, so saphirus, wenn damit Glas gemeint sei, während das Wort, wenn es den Edelstein bezeichne, eine Ausnahme bilde und mit langem I ausgesprochen werden: „I super r brevis est; tamen excipis inde byturum / sic delirius erit, saphirum iunge papyro / appelans lapidem, sed pro vitro breviabis.“79

Im Vocabularius ex quo (kurz nach 1400) schließlich heißt es kurz und bündig: „saphirus est vitrum vel gemma.“ 80

Wie dem auch sei: Auch wenn materia saphirorum im Sugertext generell das Farbglas für die Glasfenster bezeichnet, so wurde die Assoziation mit der Farbe Blau durch den Vergleich mit dem Saphir wohl dennoch aufgerufen. Dies erscheint umso wahrscheinlicher, als die Glasfenster des Chorumgangs von SaintDenis in der Tat eines der frühesten Beispiele für Figuren vor hauptsächlich blauen Hintergründen bietet, welche die französische Glasmalerei ab der Mitte des 12. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts dominieren sollten. Man kann daher die These von Michel Pastoureau durchaus nachvollziehen, diese helle blaue Glasfarbe der französischen Kirchenfenster und ihre Leuchtkraft hätten das ihre dazu beigetragen, aus der Farbe Blau, die in der Theorie seit den alten Griechen als dunkle Farbe (gleich nach Schwarz) gehandelt wurde, eine Lichtfarbe werden zu 78

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Cf. Idung von Prüfening, Dialogus duorum monachorum, I, 36, ed. R. B. G. Huygens, in: Le moine Idung et ses deux ouvrages: ‚Argumentum super quatuore questionibus‘ et ‚Dialogus duorum monachorum‘, in: Studi medievali 13,1 (1972), 291–470, hier 389 sq.: „Cluniacensis: Quae sunt illa? Cisterciensis: Pulchrae picturae, variae celaturae, utraeque auro decoratae, pulchra et pretiosa pallia, pulchra tapetia variis coloribus depicta, pulchrae et pretiosae fenestrae, vitreae saphiratae, cappae et casulae aurifrigiatae, calices aurei et gemmati, in libris aureae litterae. Haec omnia non necessarius usus, sed oculorum concupiscentia requirit.“ Alexander von Villa-Dei, Doctrinale, Pars III, c. 10 (2105), ed. H. Reichling (Monumenta Germaniae Paedagogica 12), Berlin 1893 [Neudruck New York 1974], 141. In Johannes Balbus’ Catholicon (um 1286) wird der Merksatz „Pro vitro saphirum pro gemma dico saphı¯rum“ erwähnt (cf. Johannes Balbus, Catholicon, Mainz 1460 [Neudruck Farnborough 1971], fol. 310r), der sich auch in den Vokabularen von Fritsche Closener und von Jakob Twinger von Königshofen (Ende 14./Anfang 15. Jh.) findet (cf. K. Kirchert/D. Klein [edd.], Die Vokabulare von Fritsche Closener und Jakob Twinger von Königshofen. Überlieferungsgeschichtliche Ausgabe, vol. 2, Tübingen 1995, 1293.) Vocabularius ex quo, edd. K. Grubmüller/B. Schnell/J. H. Stahl/E. Auer/R. Pawis, vol. 5, Tübingen 1989, 2348 und 2376.

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lassen. Auch der Bedeutungswandel vom Lapilazuli zum Korund, den der hochangesehene biblische Edelsteinnamen Saphirus durchlief, der immer wieder – unter anderem auch in der ‚Schedula‘ – zur Bezeichnung der blauen Farbe herangezogen wurde, illustriert indirekt die Entwicklung der Farbe Blau von einem dunklen Buntwert hin zu einer Farbe, die vor allem dank ihrer lichten Töne hoch geschätzt wurde. Bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts, als die kompositen Verglasungen mit ihrem dominierenden Weiß sich etablierten, belegen dies besonders die französischen Glasmalereien der großen gotischen Kathedralen.

Coloring the Middle Ages: Textual and Graphical Sources that Reveal the Importance of Color in Medieval Sculpture* SANDRA SÁENZ-LÓPEZ PÉREZ (Madrid) “Not everyone who can hew a block of wood is able to carve an image; nor is everyone who can carve it able to smooth and polish it; nor is he that can polish it able to paint it […].” 1

Over the course of the centuries sculpture made in the Middle Ages has being losing its essence: color. Most medieval sculptures, especially those carved in wood or stone, were polychromed 2. However, damage to the pigments over the years and changes in conceptions of art have “undressed” these works; nowadays, when we look at a medieval “nude” sculpture, we are really looking “at a shell”, to use the words of Michael Camille3. And we are astonished when we see a medieval sculpture on which historical circumstances or good fortune has preserved the original polychromy: one of the most striking examples is no doubt the late thirteenth-century “Majesty Portal” at the Collegiate church of Santa María la Mayor in Toro (Zamora, Spain)4. Color disappeared from the sculptural aesthetic during the Renaissance, with the revival of Classicism. However, the rebirth of classical sculpture was incom-

* The author would like to thank Mark Clarke, John B. Friedmann and Chet Van Duzer for their insight and assistance in the preparation of this article. 1 Saint John of the Cross, Llama de amor viva, III, 57, ed. J. V. Rodrígez, in: Obras selectas: Escritos breves, Cántico spiritual, Llamma de amor viva, Madrid 1999, 283: “No cualquiera que sabe desbastar el madero sabe entallar la imagen, ni cualquiera que sabe entallar sabe perfilarla y pulirla; y no cualquiera que sabe pulirla, sabrá pintarla […].” English translation: Living Flame of Love, trans. by E. A. Peers, in: The Complete Works of Saint John of the Cross, vol. 3, London 1934 [Reprint Wheathampstead–Hertfordshire 1974], 80. 2 For an approach to polycromy on medieval sculpture cf. J. Rivas López, Policromías sobre piedra en el contexto de la Europa Medieval: aspectos históricos y tecnológicos (PhD Dissertation, Universidad Complutense de Madrid), Madrid 2009; E. Billi, I colori del Medioevo nei restauri dell’Ottocento francese: studi sulla policromia della scultura (Storia e Teoria del Restauro 11), Florence 2010. 3 M. Camille, The Gothic Idol. Ideology and Image-Making in Medieval Art, Cambridge 1990, 225. 4 Cf. M. R. Katz, Architectural Polychromy and the Painters’ Trade in Medieval Spain, in: Gesta 41,1 (2002), 3–13.

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plete, for although classical statues were originally polychromed 5, the examples seen by Renaissance artists had lost their color. This is the case, for example, with the statue of the Trojan archer from the Temple of Aphaia in Aegina (ca. 490– 480 BC)6; the original and dramatic polychromy was recreated on a cast of this statue for the itinerant exhibition ‘Gods in Color: Painted Sculpture of Classical Antiquity’, which started at the Arthur M. Sackler Museum at Harvard University in 20077. Despite these colorful origins, ancient sculptures had lost their polychromy when they were found. Thus, Renaissance sculptors achieved mimesis through volume, not color. It is curious to realize that, as it was especially revealed by the restoration of the Sistine Chapel frescoes, his author, Michelangelo Buonarroti (1475–1564), one of the most important Renaissance artists, painted with bright and vivid colors which paved the way for the clashing, artificial and “acid” colors of the Mannerism8. However, when he was sculpting he conceived his figures as lying hidden in the block of marble in the same way the human soul is found within the physical body, and his task, as a sculptor, was to merely remove the stone which covered them9. The sculptural “soul” that Michelangelo released was uncolored, as it can be seen in his Moses, made for the tomb of Pope Julius II in Rome (ca. 1513–1515). The original medieval polychromy has also disappeared from sculptures due to changes in fashion and in many cases unfortunate “restorations”. The revival of classicism in the eighteenth and nineteenth centuries led to another rebirth of interest in classical sculptures – which at that time were still thought to be uncolored. Eighteenth and nineteenth-century “restorers” of medieval buildings and sculptures eliminated original colors from surfaces. In 1883 an antiquary witnessed how a fifteenth-century image at Towcester (Northamptonshire) was “stripped by a tool of all its coats of paint, including that which gave the original colours of 5

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For an approach to polycromy on ancient sculpture cf. H. Bankel/P. Liverani (eds.), I colori del bianco: policromia nella scultura antica (Musei Vaticani. Collana di Studi e Documentazione 1), Rome 2004. Munich, Glyptothek, Inv. Nr. W. XI. Cf. V. Brinkmann/R. Wünsche (eds.), Gods in Color: Painted Sculpture of Classical Antiquity (Catalogue of the exhibition at the Arthur M. Sackler Museum [September 22, 2007 to January 20, 2008]), Munich 2007. For the catalogue of other exhibitions that emphasized the color on sculpture cf. A. Blühm (ed.), The Colour of Sculpture 1840–1910 (Catalogue of the exhibition at the Van Gogh Museum in Amsterdam [July 26 to November 17, 1996] and the Henry Moore Institute in Leeds [December 13, 1996 to April 6, 1997]), Zwolle 1996; R. Panzanelli (ed.), The Color of Life: Polychromy in Sculpture from Antiquity to the Present (Catalogue of the exhibition at the J. Paul Getty Museum at the Getty Villa in Malibu [March 6 to June 23, 2008]), Los Angeles 2008. For the restoration of the ceiling frescoes of the Sistine Chapel cf. F. Mancinelli (ed.), Michelangelo, the Sistine Chapel: The Restoration of the Ceiling Frescoes, 2 voll., Treviso 1994; P. de Vecchi, The Sistine Chapel. A Glorious Restoration, New York 1999. Cf. E. H. Gombrich, The Story of Art, London 1950, 227. Frederick Hartt affirms that “Michelangelo was the first stone sculptor in history who, as far as we know, never (except for his early Crucifix) succumbed to the age-old temptation of polychroming his sculpture, in whole or in part”, in: F. Hartt, Michelangelo. The Complete Sculpture, London 1969, 15.

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the vestments. It seems almost incredible, but the figure was decapitated and a new and gross stone-head, with wild Medusa-like locks, put in the place of the wooden one. […] It is desirable to mention this particular case as a very glaring instance of the ignorant and barbarous manner in which […] historical monuments [are] defaced or wiped out under the shelter of ‘restoration’, which daily devours apace”10. Contemporary theory on sculpture also rejected polychromy. Johann Gottfried Herder (1744–1803) asked: “Why is it that sculpture is made ugly rather than beautiful by being colored after nature and other similar devices?” 11 Friedrich Riedel answered this same question in his ‘Theory of the Fine Arts and Sciences’ arguing that a polychromed sculpture was too close to reality: “If a marble statue is clothed with colors, like a painting, the similarity becomes too complete and it no longer affects us. From a distance we can mistake it for a real human being.”12 Thus, Riedel holds that the risk of colored sculpture is that it will be misguided for reality; instead, sculpture should belong to the artistic field, and be easily recognizable as such. Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) said in his ‘Theory of Colors’ that “savage nations, uneducated people, and children have a great predilection for vivid colors […] people of refinement avoid vivid colors”13. But medieval sculptors, who were indeed refined artists, did use colors both for symbolic purposes and especially to achieve life-likeness, that is, to breathe life into figures. Color conveys the facial expression and even gender. This was clearly demonstrated thanks to the casts that Svein A. Wiik made after the head of the Virgin from the stave church of Lomen, in the valley of Valdres, Oppland (Norway): he painted one following the Gothic style of a thirteenth-century Virgin, and another replicating a crucifix. The result was astonishing: identical forms appear radically dissimilar if they are painted differently. The head that he left unpainted shows how much of the original effect we now miss14. The main two artistic treatises of the Middle Ages – ‘De diversis artibus’ or ‘Schedula diversarum artium’ written in the early twelfth century by the monk Theophilus (ca. 1070–1125) and the late fourteenth-century ‘Il libro dell’arte’ by the Italian painter Cennino Cennini (ca. 1370–ca. 1440) – reveal the importance of color15. While the latter focuses mainly on painting, the former also includes 10 11 12 13 14 15

A. Hartshorne, On certain rare monumental effigies, in: Transactions of the Bristol and Gloucestershire Archaeological Society 25 (1902), 94–101, 98 sq. J. G. Herder, Sculpture. Some Observations on Shape and Form from Pygmalion’s Creative Dream, ed. and trans. J. Gaiger, Chicago 2002, 54. Op cit. 112, nt. 22. Johann Wolfgang von Goethe, Theory of Colours, trans. from the German by C. L. Eastlake, London 1840, 55. Cf. S. Boldrick/D. Park/P. Williamson, Wonder: Painted Sculpture from Medieval England, Leeds 2002, 104 sq. For an approach to medieval recipes for making colors cf. M. Clarke, The Art of All Colours. Mediaeval Recipe Books for Painters and Illuminators, London 2001.

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information on making stained glass and goldsmithing. None of them refers specifically to painting on sculpture, probably because the techniques of painting were the same, for example, those used for painting on wooden table were the ones used for painting a wooden sculpture16. Nowadays, there is an increasing interest in recovering the essence of medieval sculpture, and many restorations are recuperating the original polychromy. One of the most recent and amazing restorations was performed on the elaborately carved cenotaph of Saint Vincent in Ávila (Spain) of the second half of the twelfth century, which recovered all the rich colors that had been hidden for many decades behind a painted layer imitating whitish stone17. Color can also be recovered through “virtual restorations” as in the thirteenth-century Cathedral of Amiens, where colored lights projected on the western facade at night recover its original impression18. In this paper I will “virtually restore” color to Christian sculpture of the Middle Ages by using textual and graphical sources; the texts will reinforce the importance of color, and the images will prove how in most cases when a statue is represented in the Middle Ages it appears as a polychromed work. There are some specific and very interesting cases when medieval sculptures that have now lost their color have been identified with sculptures fully polychromed represented on medieval paintings. That is the case, for example with the sculpture group formed by the Virgin seated with Child flanked by Saint Peter and Saint Paul that in the Middle Ages decorated in a canopy the inside of the fourteenth-century Porta San Frediano in the wall of Florence. The group was in the late nineteenth century kept in a small chapel outside the Porta Romana, from where, after its demolition, were moved to the Bargello Museum, where they are currently on exhibition. There are still some remains of paint and of gold on the sculpture of the Virgin and Child. However, the color that originally covered the stone is mostly lost. The painting titled ‘Madonna and Child with Infant Saint John, Saints Martin, Catherine, and Tanai dei Nerli and his Wife’ made by Filippino Lippi circa 1486, and located in Santo Spirito in Florence, shows in the right of the background the Porta San Frediano with the sculpture group, which although it is not reproduced completely accurately (for example, the Virgin is holding the Child on the right, not the left), is shown polychoromed, as it was in origin19.

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Theophilus devotes his chapter 25 of book 1 to the preparation of colors to be applied on wood, thus, on wooden sculpture also, and in chapter 94 of book 3 he explains how to dye bone in red. For this restoration cf. A. León López, Cenotafio de San Vicente de la Basílica de los Santos de Ávila (Cuadernos de restauración 6), Valladolid 2008. Cf. H. Richard/J.-M. Quesne, Polychromies des portails d’Amiens: couleurs de lumière, in: D. Verret/D. Steyaert (dirs.), La couleur et la pierre: Polychromie des portails gothiques (Actes du colloque, Amiens, 12–14 octobre 2000), Paris–Amiens 2002, 255–258. Cf. P. A. Andreuccetti, La policromia della scultura lapidea in Toscana tra XIII e XV secolo, Florence 2008, 22 sq.

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Another example of an illustration of a sculpture which shows the now lost color of a surviving sculpture can be found in the ‘Cantigas de Santa María’ (‘Songs to the Virgin Mary’) of Alfonso X (1221–1284), specifically in the cantiga 294 of the Codex of Florence20. As Laura Molina López has shown, the Italian city of Puglia represented in that image can be recognized by the Portale di San Martino at the Cathedral of Santa Maria Assunta in Cielo21. Today the sculpture group in the tympanum is damaged and has lost its polychromy; thus, once more, it is its representation that helps us understand how the artistic work looked like in the Middle Ages. It is important to note that in the late Middle Ages there was a certain preference for illustrating medieval sculptures with grisaille, that is, in grey tones, as can be seen in the capital “T” at the beginning of the service dedicated to “Notre-Dame des Neiges” (“Virgin of the Snows”) in a late-fifteenth-century Breviary22. The letter is decorated with the portal of a church with sculptures of a Virgin and Child in the trumeau and other figures in the jambs. None of them is polychromed. It is tempting to suggest that the white was used as a symbol to allude to the Virgin of the Snows, or perhaps it was merely an imitation of the whitish stone of an unpainted facade. Furthermore, Michel Pastoureau explains the great use that it is made of the grisaille in the late Middle Ages as a mean for “an image to be introduced within another image and thus to avoid the confusion of two iconographical planes”23. That is why, according to this scholar, Évrad d’Espinques, the illuminator of a manuscript of ‘Lancelot en prose’ of circa 1470 24, represented the pictures that Lancelot painted of his love for Queen Guinevere, and that later on King Arthur discovered, in grisaille, to distinguish them from the real people (Fig. 1). Besides the use of the grisaille, most medieval representations of sculptures show them as being polychromed. In fact, in many cases, when a Christian building is represented in a painting, it is interesting to see how the painter was aware of other artistic works that could be found there, and includes representations of decorative and devotional sculptures, both in the interior or exterior, and these sculptures are painted with colors. For example, in a fifteenth-century manuscript of ‘Le Pèlerinage de l’âme’ (‘The Pilgrimage of the Soul’) of Guillaume de Digulleville (1295–before 1358)25, a pilgrim in a chapel kneels and presents the text 20

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Cf. Biblioteca Nazionale Centrale di Firenze, ms. B.R. 20, foll. 19v–20r. For a facsimile reproduction of this manuscript, cf. Alfonso X, Cantigas de Santa María: Edición facsímil del códice B.R. 20 de la Biblioteca Nazionale Centrale de Florencia, Madrid 1989. Cf. L. Molina López, Viaje a Italia a través de las Cantigas Historiadas de Alfonso X el Sabio, in: Anales de Historia del Arte, volumen extraordinario (2011), 319–330. Cf. Bréviaire romain (France, late fifteenth century), Bibliothèque municipale et interuniversitaire de Clermont-Ferrand, ms. 69, fol. 497v. The image is reproduced in the online database “Enluminures” at http://www.enluminures.culture.fr/. M. Pastoureau, Black: The History of a Color, Princeton–Oxford 2009, 106. Cf. Paris, Bibliothèque nationale de France, ms. fr. 116, fol. 688v. Cf. Soissons, Bibliothèque municipal, ms. 208, fol. 126v. The image is reproduced in the online database “Enluminures” at http://www.enluminures.culture.fr.

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of his prayer to the polychromed sculpture of the Virgin and Christ Child sitting on the altar. Another example appears in the manuscript (Paris, ca. 1474–1475) of ‘Les passages d’outremer’ (‘The Expeditions to Outremer’) of Sébastien Mamerot (fifteenth century)26, more specifically in the representation of the consecration of Baldwin IV, ill with leprosy, as King of Jerusalem which took place in 1174 (Fig. 2). The scene is set in the interior of a Gothic church decorated with various polychromed statues, such as the image of a king and the Pieta on altars, and the apostolate on columns. Some of the latter can be recognized by their symbols, for example Saint James – the second from the right – with the pilgrim’s scallop shell fastened to his hat and wallet. A close look at the apostles demonstrates the interest of the illuminator in representing them as Gothic sculptures, as their garments are colored in various forms imitating the rich decorative polychromy of late medieval statues. They show some of the typical conventionalism of the moment, such as their golden hair, which was, as Hans Belting says, “used in religious figures to distinguish them from secular and from their audience”27, as can be seen in many late medieval sculptures, for example, under the veil of both the Virgin and Saint Isabel in the German Visitation attributed to Master Heinrich of Constance (ca. 1310–1320) 28. The polychromed sculptures of the apostles in this illuminated image of a Gothic church suggest how differently the Romanesque apostolate of the Cámara Santa in Oviedo (Asturias, Spain) of the second half of the twelfth century would have looked if it had preserved its color. Although stylistically the polychromy of the apostles in the Cámara Santa would be different from that in the illumination, as these works belong to different artistic styles, with color they would also look very different from how we see them now. In the thirteenth century, with the rise of the cult of images, there was an increase in the development of stories about miraculous statues coming to life as a way of facing the risk of idolatry29. The polychromy brought life-likeness to the statues contributing to people’s belief in sculptures coming miraculously alive. Caesarius of Heisterbach (1180–1240), despite being a Cistercian monk, provides in his ‘Dialogus Miraculorum’ a veritable summa of examples, such as the Virgin

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Cf. Paris, Bibliothèque nationale de France, ms. fr. 5594, fol. 176v. For this manuscript cf. T. Delcourt/F. Masanes/D. Quéruel, Sébastien Mamerot, Les Passages d’Outremer. A Chronicle of the Crusades, 2 voll., Cologne 2009. H. Belting, Likeness and Presence: A History of the Image Before the Era of Art, Chicago–London 1994, 303. Cf. New York, Metropolitan Museum of Art, Inv. Nr. 17.190.724. The image is reproduced in the online collection database of works of art of the museum at http://www.metmuseum.org/ works_of_art/collection_database. For the “living” images cf. A. García Avilés, Imágenes “vivientes”: idolatría y herejía en las Cantigas de Alfonso X el Sabio, in: Goya 321 (2007), 324–342; id., Imagen y Ritual: Alfonso X y la creación de imágenes en la Edad Media, in: M. V. Chico Picaza/L. Fernández Fernández (eds.), La creación de la imagen en la Edad Media: de la herencia a la renovación, Anales de Historia del Arte, volumen extraordinario (2010), 11–29.

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of Essen or so-called Golden Madonna (ca. 980)30: according to Caesarius, a carpenter saw during mass how the Child got up from his Mother’s lap, took the crown from her head, and put it on his own; when they came to that part of the Creed in which Christ was said to be made man, the infant, as if acting out the words of doctrine, returned the crown to his Mother “as if he seemed to say ‘Mother, as I through you, am made partaker of human substance, so you through me, are partaker of divine nature’”31. If a statue like this one – with a wooden core covered with sheets of gold leaf – was thought able to move in the Middle Ages, movement was even more plausible for other sculptures where polychromy made them appear life-like and even alive. Another example of a similar story appears in the ‘Gemma Ecclesiae’ of Gerald of Wales (ca. 1146–1223), who relates how some thieves, attracted by its ornamentation of gold and jewels, tried to steal the Christ from a sculpture of the Virgin and Child: “They came last of all to the statue of the Blessed Virgin which was carved from wood and fittingly ornamented with gold and silver. Having despoiled the [Virgin’s] statue of its gold and jewels, they tried to pull away the child, sitting in its mother’s lap, to carry it off with them (to hasten their escape). But the mother, who had both hands stretched out in front of her (as is customary), closed her right arm around the child and held Him securely. When the thieves saw this […] they were astounded and extremely frightened and fled with the church spoils which they had collected into bags. They tried during the whole night to make their escape, but in the morning they found themselves at the church door, unable to leave. In the morning when the worshippers entered the church with the priest, the thieves realized what had happened to them and returned everything they had stolen […]. As a sign of this great miracle, the mother embraces the child with her arm closed around Him, even to this day.”32

Interestingly, according to Michael Camille, this legend seems to suggest that people noted the changes in gesture and form that took place in the development

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The Golden Madonna of Essen is preserved in the Essen Cathedral in Germany. Caesarius of Heisterbach, Dialogus miraculorum, VII, c. 46, ed. J. Strange, vol. 2, Cologne–Bonn– Brussels 1851, 65: “Mater, sicut ego per te particeps factus sum humanae substantiae, sic tu per me particeps facta es naturae divinae”. English translation: The Dialogue on Miracles, trans. by H. Von E. Scott/ C. C. Swinton Bland, vol. 2, London 1929, 530. Gerald of Wales, Gemma ecclesiastica, I, c. 33, ed. J. S. Brewer, in: Giraldi Cambrensis Opera, vol. 2, London 1862, 105 sq.: “Ad ultimum vero ad beatae Virginis imaginem, lingo insculptam auroque et argento decenter ornatam, accesserunt, eaque gemmis et auro spoliata, cum puerum in matris gremio sedentem fugam maturando itegrum avellere et asportare parassent, materque brachium utrumque porrectum, ut solet, in anterior prius habuerat, brachium dextrum ad puerum clausit et secum retinuit. Quo viso, […], perterriti statim et attoniti cum his quae congesserant in saeculos ecclesiae spoliis aufugerunt. Sed cum nocte tota fugam attemptassent, mane facto ad ecclesiae januas se susceperunt, nec abinde discedere potuerunt. Qui cum presbytero mane ecclesiam intrantes, restitutes omnibus, et recognitis quae sibi acciderant […]. Usque in hodiernum autem in tanti miraculi signum brachio clauso mater filium amplexatur.” English translation: The Jewel of the Church: A Translation of Gemma Ecclesiastica by Giraldus Cambrensis (Medieval Texts and Studies 2), trans. by J. J. Haguen, Leiden 1979, 81.

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of sculptures of the Virgin and Child from Romanesque to Gothic33. Thus, the advent of Gothic naturalism, and the movement of the Child from the center to a side, was understood not as an artistic evolution, but rather as suggesting that the sculptures were more likely to act as living beings, and perform miracles. These series of miracles lead to an interaction of people with the sculptures. According to another story, “a widow had an only child whom she tenderly loved. On hearing that this son had been taken by the enemy, chained, and put in prison, she burst into tears, and addressing herself to the Virgin, to whom she was especially devoted, she asked her with obstinacy for the release of her son; but when she saw at last that her prayers remained unanswered, she went to the church where there was a sculptured image of Mary, and there, before the image, she said: ‘Holy Virgin, I have begged you to deliver my son, and you have not been willing to help an unhappy mother! I’ve implored your patronage for my son, and you have refused it! Very good! Just as my son has been taken away from me, so I am going to take away yours, and keep him as a hostage!’ Saying this, she approached, took the statue child on the Virgin’s breast, carried it home, wrapped it in spotless linen, and locked it up in a box, happy to have such a hostage for her son’s return. Now, the following night, the Virgin appeared to the young man, opened his prison doors, and said: ‘Tell your mother, my child, to return me my Son now that I have returned hers!’ The young man came home to his mother and told her of his miraculous deliverance; and she, overjoyed, hastened to go with the little Jesus to the Virgin, saying to her: ‘I thank you, heavenly lady, for restoring me my child, and in return I restore yours!’”34

The illustration of this text in a manuscript (Paris, ca. 1320–1340) of the ‘Miracles de Nostre Dame’, ‘Les vies des Pères’ of Gautier de Coinci (ca. 1177– 1236)35 shows the Virgin twice, and in both cases colorful, both when she is represented as a sculpture and the widow takes her Child, on the left, and when she talks to the son in order to recover hers, on the right. Thus, there is no difference between the Virgin and her sculptural image. As we will see below, this and many other legends about religious sculptures coming to life developed over the course of the Middle Ages, and it is interesting to note that in most cases, the polychromy or decoration of the sculptures played a fundamental role in the stories. Medieval sculptures are also represented in scenes where sculptors are portrayed. It is fairly common to see the latter in the act of carving either stone or wood, probably to distinguish them from painters, who are usually illustrated applying colors. However, the importance of color on medieval statues led to the representation of sculptors painting their works. It is important to say in this regard that painters specializing in this branch of work were highly regarded, as indicated by accounts recording more pay for those who painted statues than for the 33 34 35

Cf. Camille, The Gothic Idol (nt. 3), 236. H. Adams, Mont-Saint-Michel and Chartres, London 1936, 258 sq. Cf. The Hague, Koninklijke Bibliotheek, ms. 71 A 24, fol. 123v. The image is reproduced in the online database “Medieval Illuminated Manuscripts” at http://manuscripts.kb.nl/.

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sculptors36. Some of the most important artists in antiquity were illustrated in medieval manuscripts. That is the case for example with Euphranor (fourth century BC), who was a Greek sculptor and painter praised by Pliny, Plutarch, Valerius Maximus, Eustathius and others37. Euphranor appears painting a statue in a manuscript of Valerius Maximus’ ‘Memorable Deeds and Sayings’ made in Bruges in the second half of the fifteenth century38, with a paintbrush and a palette with colors in his hands, and other pots and brushes on the table. The illuminated manuscripts of ‘De mulieribus claris’ (‘On Famous Women’) of Giovanni Boccaccio (1313–1375) also show images of ancient artists, such as Irene, also known as Cyrene, and Laia, also known as Marcia. A manuscript made in Paris in 1401–140239 shows a woman coloring a statue of the Virgin and Child, and a painting of the face of Christ appears also on the table as a testament to her skills in the arts (Fig. 3). The text identifies her as Cyrene (or Irene), daughter of Cratinus, probably of Greek origin, and praises her as a painter, but not as a sculptor. However, the fact that the woman in the illustration appears coloring a sculpture and having already finished a painting suggests that the artist who is represented in this image was actually Laia or Marcia, the daughter of Varro, who stood out for her skills as a sculptor and painter. Boccaccio eulogizes Marcia for devoting “herself completely to the study of painting and sculpture” so that, as he adds, “in the end, she was able to carve ivory figures and to paint with such skill and finesse that she surpassed […] the most famous painters of her day; […] the pictures she painted were sold for better prices than those of other artists […] [and] she could paint more quickly than anyone else”40. It is curious to note that these two ancient artists, Euphranor and Marcia, who were both sculptors and painters, were illustrated combining the two artistic techniques – painting a sculpture. Moreover, it is interesting to realize that these classical artists have been represented as medieval, and as using medieval tools, and

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Cf. F. L. Salzman, Building in England down to 1540, Oxford, 1952, 165. For an approach to the techniques and artists who painted sculptures cf. A. Maskell, Wood Sculpture, London 1911, 272–276. Cf. G. W. Samson, Elements of Art Criticism Comprising a Treatise on the Principles of Man’s Nature as Addressed by Art, Philadelphia 1867, 562 sq.; W. D. E. Coulson, The Nature of Pliny’s Remarks on Euphranor, in: The Classical Journal 67,4 (1971–1972), 323–326. Cf. Paris, Bibliothèque nationale de France, ms. fr. 289, fol. 395r. The image is reproduced in the online database “Mandragore” of the Bibliothèque nationale de France at http://mandragore. bnf.fr. Cf. Paris, Bibliothèque nationale de France, ms. fr. 12420, fol. 92v. Giovanni Boccaccio, De claris mulieribus, c. 66 (“De Martia Varronis”), ed. V. Zaccaria, in: Tutte le opera di Giovanni Boccaccio (I Classici Mondadori), vol. 10, Milan 1967, 266: “[…] in studium se picture atque sculpture dederit omnem; et tandem tam artificiose tanque polite pinniculo pinxisse atque ex ebore sculpsisse ymagines, […], sue etatis pictores famosissimos, superarit; eiusque rei fuit notissimum argumentum, tabulas a se pictas ceteris preciosiores fuisse. Et, quod longe mirabilius, asserunt eam non tantum eximie pinxisse, quod et non nullis contigit aliquando, verum adeo veloces ad pingendum habuisse manus, ut nemo usquam similes habuerit.” English translation: Famous women, trans. by V. Brown, Cambridge, Mass., 2001, 275.

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in fact in Marcia’s case she does not appear making a classical sculpture but a medieval Christian work, more specifically a Gothic Virgin. According to Boccaccio, “it was her practice to reproduce especially images of women […] by her purity and modesty”41; probably that is why she is portrayed working on the purest woman, the Virgin Mary. Another major classical sculptor was Pygmalion, who was made known through the ‘Metamorphoses’ (X, 243–297) of Ovid (43 BC–17 CE), but it was not until the Middle Ages, specifically in ‘Le Roman de la Rose’ (‘The Romance of the Rose’) by Jean de Meun (ca. 1240–ca. 1305), that his story was elaborated and he was regarded as an artist. Jean de Meun wrote that Pygmalion was “a sculptor who worked in wood, stone, and metals, in bone, wax, and in all other materials suited to such a craft, [who] wished to divert himself in producing a likeness that would prove his skill (for no one was better than he) and also gain him great renown. He therefore made an image of ivory and put into its production such attention that it was so pleasing, so exquisite, that it seemed as live as the most beautiful living creature”42.

Along the course of the story Pygmalion falls in love with his wonderfully realistic statue; he then prays to Venus to bring his statue to life, and the goddess grants his prayer. In illustrations of this story, the statue had to be represented as something beautiful that seemed alive. In the work of a nineteenth-century academic artist, such as Jean-Léon Gérôme (1824–1904), the statue appears nude and her flesh keeps the whiteness of the marble43. However, in the Middle Ages, it is common to see Pylgmalion carving a figure already dressed, and already polychromed, for example in a manuscript (Paris, ca. 1350) of ‘Le Roman de la Rose’ of Jean de Meun44, although the story says that he later dressed her. The dress and especially the color, and in some cases the raised hand of the speech gesture, were used to bring life-likeness to the sculpture. This is also the case in many other medieval illustrations of this story, in which there is nothing in the visual vocabulary to distinguish the sculptor from the statue – neither when Pygmalion 41 42

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Ibid.: “[…] mulierum ymagines sepissime facere […]. Arbitror huic mori pudicus robur causam dederit”; trans., 277. Guillaume de Lorris/Jean de Meun, Le roman de la rose, vv. 20817–20830, ed. E. Langlois (Société des anciens textes français), vol. 5, Paris 1924, 59: “Pygmalions, uns entaillierres, / Pourtraianz en fuz e en pierres, / En metauz, en os e en cires, / E en toutes autres matires / Qu’en peut a tel euvre trouver, / Pour son grant engine esprouver, / Car onc de lui nus ne l’ot meudre, / Ausinc com pour grant los acueudre, / Se vost a pourtraire deduire, / Si fist une image d’ivuire, / Emist au faire tel entente / Qu’el fu si plaisant e si gente / Qu’el semblait estre autresinc vive / Con la plus bele riens qui vive.” English translation: The Romance of the Rose, trans. by C. Dahlberg, Princeton 1995, 340. Cf. for example Jean-Léon Gérôme’s ‘Pygmalion and Galatea’ (ca. 1898) at New York, Metropolitan Museum of Art, Inv. Nr. 27.200. The image is reproduced in the online collection database of works of art of the museum at http://www.metmuseum.org/works_of_art/collection_database. Cf. New York, Pierpont Morgan Library, MS M. 324, fol. 138r. The image is reproduced in the online database “Corsair” at http://corsair.themorgan.org/.

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talks to her, nor when he dresses her, nor when Venus breathes life into her, nor when they embrace45. In a fifteenth-century manuscript of the ‘Memorable Deeds and Sayings’ of Valerius Maximus46 an artist is portrayed wearing an apron with colorful stains which emphasizes his work as a painter of sculptures (Fig. 4). He paints the garments of two statues on pedestals red and blue. A painter’s palette and two pots of paint lie on the table. One of the works is not yet complete, and we can see the white plaster on which paint is being applied. In the middle of his work, the goddess in blue, already polychromed, has come to life and spoken, as the gesture of her right hand suggests; the artist lets the paintbrush fall in astonishment and the witnesses of the miracle show surprise. The illustration recalls the passage in which, according to Valerius Maximus (first century BC–first century CE), the statue of Fortuna spoke the following words: “Rightly, Matrons, you have given me and rightly dedicated.” 47 The fact that the polychromed statue is the one which comes to life and speaks seems to suggest that it is color that breaths life into figures. In the rich graphical record of the late Middle Ages supplied by the manuscripts of the ‘Cantigas de Santa María’ (‘Songs to the Virgin Mary’) of Alfonso X (1221–1284), more precisely in the cantiga 136 of the Codex of El Escorial, the so-called “Códice Rico” (ca. 1280–1284)48, an artist appears painting a statue of the Virgin and Child set in a niche in the wall of a church while his apprentice grinds colors (Fig. 5). The story that the image illustrates tells how that sculpture was damaged by a woman who had lost at a game of dice and threw a stone against the statue; the Virgin lifted her arm to protect her son and the stone hit the arm, damaging it. On learning what had happened, the king ordered the woman dragged through the streets and the sculpture to be painted. It is interesting to note how the sculpture was not painted in the first images, in order to show the difference after the king ordered it to be embellished. The text ends:

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Many images of Pygmalion and his sculpture on medieval manuscripts can be found at the ‘Roman de la Rose’ Digital Library, a joint project of the Sheridan Libraries of Johns Hopkins University and the Bibliothèque nationale de France, at http://romandelarose.org; cf. also M. Bleeke, Versions of Pygmalion in the Illuminated Roman de la Rose (Oxford, Bodleian Library, Ms. Douce 195): The Artist and the Work of Art, in: Art History 33,1 (2010), 28–53. Cf. Paris, Bibliothèque nationale de France, ms. fr. 6185, fol. 243v. Valerius Maximus, Factorum et dictorum memorabilium libri novem, I, 8, 4, ed. K. F. Kempf (Bibliotheca Scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana), Leipzig 1888 [Reprint Hildesheim 1976], 46: “rite me, matronae, dedistis riteque dedicastis.” English translation: Memorable Doings and Sayings, trans. by S. Bailey (Loeb Classical Library), vol. 1, Cambridge, Mass., 2000, 107. Cf. Madrid, Real Biblioteca del Monasterio de El Escorial, ms. T.I.1, fol. 192r. For a facsimile reproduction of this manuscript cf. Alfonso X, Cantigas de Santa María: Edición facsímil del códice T.I.1. de la Biblioteca de San Lorenzo de El Escorial, 2 voll., Madrid 1979.

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“Since then the king ordered the image to be guarded carefully, and the painter of that village used to paint it, but never placed the arm as it had been before, as God wanted it to remain as a witness.”49

This seems to suggest that this sculpture of the miracle was frequently “restored” by the painter, which in the Middle Ages was understood as repainting to cover damage or to update according to changes in fashion. Recent restorations on medieval sculptures which have brought the works as close as possible to its original appearance, have revealed the different layers of overpaint applied on top of the original surface during the Middle Ages (and of course later on)50. Among other images of medieval artists painting sculptures there is one in the ‘Lambeth Apocalypse’ (ca. 1260–1267)51 of a Benedictine monk coloring a statue of the Virgin with Christ. The monk’s plea written at the top of the page says “Memento mei amica Dei” (“Beloved of God remember me”). The statue is placed on a pedestal at the base of which there are paint pots and brushes. The Christ Child raises his right hand in blessing and the Virgin leans toward the monk as he paints her arm. The movement of the body of the Virgin achieved in Gothic sculptures seems to have been exaggerated in this image to show signs of the Virgin’s animation, who in a generous gesture tilts toward the monk to help him52. Her attitude may have been inspired by some medieval legends relating how the Virgin assisted artists in their work53. In many cases, the artists were working on polychromed sculptures when these miracles happened. One of the favorite miracles attributed to the Virgin Mary during the Middle Ages was the rescue of an artist from falling. A version of this miracle is illustrated in the cantiga 74 of the Códice Rico of the ‘Cantigas de Santa María’ of Alfonso X54 where the story says that a painter painted a very beautiful image of Mary and an ugly one of the devil, and the devil appeared to the painter and 49

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Alfonso X, Cantigas de Santa María (Códice Rico de El Escorial, Ms. escurialense T.I.1), ed. J. Filgueira Valverde, Madrid 1985, p. 232: “De entonces el rey mandaba guardar muy bien la imagen y el pintor de aquella villa la pintaba toda, pero el brazo de ninguna manera se lo ponía como estaba antes, porque Dios no lo quiso, para que quedase el testimonio.” English translation by the author. Cf. for example the restoration of the ‘Vierge des voyageurs’ (ca. 1270) on loan at Liège, Musée d’Art religieux et d’Art mosan (Inv. Nr. C 136.78), explained in Boldrick et al., Wonder (nt. 14), 101 sq. Cf. London, Lambeth Palace Library, MS 209, frontispiece. For a color reproduction of this image cf. Boldrick et al., Wonder (nt. 14), 12; García Avilés, Imágenes (nt. 29), 341. Cf. Camille, The Gothic Idol (nt. 3), 233. Cf. V. W. Egbert, The Medieval Artist at Work, Princeton 1967, p. 50. Nigel J. Morgan relates this image to the miracles of the Virgin who protects artists from the devil (cf. The Lambeth Apocalypse, Manuscript 209 in the Lambeth Palace Library: A Critical Study, London 1990, 50 sq). Alejandro García Avilés does not agree with this idea (cf. Imágenes [nt. 29], 335), but this scholar coincides with Suzanne Lewis, who considers the gesture as a “striking reminder of the power of visual images to generate the efficacy of prayer” (Reading Images: Narrative Discourse and Reception in the Thirteenth-Century Illuminated Apocalypse, Cambridge 1995, 281). Cf. Madrid, Real Biblioteca del Monasterio de El Escorial, ms. T.I.1, fol. 109r.

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threatened him for painting him ugly (Fig. 6). When the painter was painting an image of the Virgin at the top of a vault, the devil destroyed the scaffold, but the painter remained suspended in the air, miraculously supported by the Virgin. People came and saw the painter suspended and the devil fleeing and they all gave thanks to Mary for the miracle she had done. Both the image of the Virgin painted in the vault and Her sculpture in the altar are richly polychromed, just like all the real people around the altar. A variation of the miracle of the Virgin and the painter appears in many other manuscripts, and always the statue is polychromed to convey realism. In a French translation by Jean de Vignay of Vincent of Beauvais’ ‘Speculum historiale’ (Paris, 1463)55 there is an image in which the two main moments of this miracle are represented: in the left-upper corner, the devil complains to a Flemish painter, who is lying in bed, for having represented him as being very ugly; the larger illustration shows the painter again miraculously hanging from the hand of the polychromed sculpture of the Virgin with Child, this time on the exterior of a church; the scaffold and all the painting tools fall to the ground, where a group of witnesses are amazed by the miracle. This time, the devil does not appear breaking down the scaffold, but is knocked down by the Virgin who steps on him. This miracle is illustrated very similarly in a manuscript of ‘Les vies des Pères’ (Paris, ca. 1320–1340)56, where a monk appears carving a hideous sculpture of the devil, and to show the ugliness of the devil he is represented as sticking out his tongue. According to the old French ‘Les vies des Pères’, the devil insisted to the monk that he make his portrait less ugly, but the monk refused. The devil’s revenge was originally to implant desire for each other into the hearts of the monk and a pious local widow, who persuaded the monk to rob the abbey; when this was found out by the monastic community, the monk was led back to the abbey and placed in chains57. The illustration of the end of the story departs from the text, and portrays a scene similar to that we have seen in other versions of the story. The image shows that the devil’s vengeance was to break the scaffold on which the monk was sitting, but again, the polychromed sculpture of the Virgin on the altar miraculously held the monk in the air; the Christ Child on her lap also extends his hand toward the monk. The importance of polychromy in medieval sculpture is especially clear in this image, as while the statues are colored, the monk is completely white, as if he were a sculpture of stone or plaster.

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Cf. Paris, Bibliothèque nationale de France, ms. fr. 50, fol. 253v. The image is reproduced in the online database “Mandragore” of the BnF at http://mandragore.bnf.fr. Cf. The Hague, Koninklijke Bibliotheek, ms. 71 A 24, fol. 183r. The image is reproduced in the online database “Medieval Illuminated Manuscripts” of the library at http://www.kb.nl/ manuscripts. Cf. A. Tudor, Tales of vice and virtue: the first old French “Vie des Peres”, Amsterdam–New York 2005, 51 sq.

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Centuries later, another sculptor, the modern artist Alexander Archipenko (1887–1964), said that “there does not exist in the world a single object which has not both forms and colour”58. This seems to be what medieval sculptors thought when they gave shape to and painted their works. The world was colorful, as it is shown in some Creation scenes where God appears painting the world into existence59. These images were probably inspired by Saint Thomas Aquinas’ description of God as an artist in his ‘Summa Theologiae’ (1265–1274): “By His wisdom He is the cause of diverse things, produced according to the diversity of what is known by Him, even as an artificer, by apprehending diverse forms, produces diverse works of art.”60

If God painted his most important work of art, the world, it is not strange to think that sculptors did so too. However, while the world is still full of color, little remains in medieval sculptures. By understanding the importance of the colors now absent, and by restoring those colors in our mind’s eye, I am sure that we can bring those statues to life, and enliven our studies of the Middle Ages.

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A. E. Elsen, Pioneers of modern sculpture (Catalogue of the exhibition at the Hayward Gallery in London [July 20 to September 23, 1973]), London 1973, 70. Cf. for example the miniatures illustrated in A. Bräm, Neapolitanische Bilderbibeln des Trecento: Anjou-Buchmalerei von Robert dem Weisen bis zu Johanna I, vol. 2, Wiesbaden 2007, color plates 3, 4, 17, 22. Saint Thomas of Aquinas, Summa Theologiae, Ia, q. 65, art. 3, ad 2, ed. Commissio Leonina, vol. 5, Rome 1889, 151: “Et ideo etiam est, secundum diversa cognita, diversorum productorum causa per suam sapientiam: sicut et artifex, apprehend diversas formas, producit diversa artificiata.” English translation by A. C. Pegis, Basic Writings of Saint Thomas Aquinas: Gold and the Order of Creation, vol. 1, New York 1945, 614.

Theophilus Presbyter, Boto von Prüfening und der Bilderschmuck der Kirchen H S-K (Erlangen) Die lectura Theophili hat im vielschichtigen Text ‚De diversis artibus‘ längst auch dessen theologische Relevanz herausgearbeitet1. Im Kontext der politischen Hochspannung an der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert und der teils radikalen kirchlichen und monastischen Reformbewegungen bezieht der Text zudem Stellung in einem Diskurs, der nur scheinbar weit entfernt ist von den zentralen Fragen der Zeit: Neben den technischen Instruktionen berührt er grundsätzliche Fragen nach dem Bild Gottes und Bildern im Haus Gottes, ekklesiologische Fragen und schließlich Fragen von weitreichender gesellschaftlicher Relevanz, wenn es um den Kanon der artes und den Rang der mechanischen Künste, der Bildkünste und -künstler geht. In der Exegese eines Psalmverses (26, 8): „Domine dilexi decorem domus tuae et locum habitationis gloriae tuae“ 2, kulminieren in gewisser Weise diese auf den ersten Blick disparaten Fragen, und nur auf diesen kleinen Ausschnitt der „Zierde des Hauses Gottes“ beschränkt sich dieser Beitrag. Der Prolog zum dritten Buch der ‚Schedula‘ beginnt mit einem Bezug auf den Psalter: „Eximius prophetarum Dauid, quem Dominus Deus praesciuit ante tempora secularia et praedestinauit, […] haec inter alia protulit; ‚Domine dilexi decorem domus tuae’ [Ps. xxv, 8 (A.V. xxvi, 8)].“

Dem Psalmzitat folgt unmittelbar die Exegese, schulmäßig nach den Deutungsebenen des mehrfachen Schriftsinns3 und mit weiteren Psalmversen belegt: „Et licet uir tantae auctoritatis tamquam capacis intellectus domum hanc diceret habitationem coelestis curiae, in qua Deus ymnicidis angelorum choris inaestimabili praesidet claritate, ad quam ipse totis uisce-

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Cf. A. Speer/H. Westermann-Angerhausen, Ein Handbuch mittelalterlicher Kunst? Zu einer relecture der Schedula diversarum artium, in: Ch. Stiegemann/H. Westermann-Angerhausen (eds.), Schatzkunst am Aufgang der Romanik. Der Paderborner Dom-Tragaltar und sein Umkreis, München 2006, 249–258; B. Reudenbach, Werkkünste und Künstlerkonzept in der Schedula des Theophilus, in: op. cit, 243–248. Luther übersetzt „Herr, ich habe lieb die Stätte deines Hauses und den Ort, da deine Ehre wohnt“ nach „Domine, dilexi habitaculum domus tuae et locum habitationis gloriae tuae.“ Grundlegend cf. H. de Lubac, Exégèse médiévale. Les quatre sens de l’écriture, 2 voll. in 4 Teilen, Paris 1959–1964.

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ribus anhelabat dicens: ‚Vnam petii a Domino, hanc requiram, ut inhabitem in Domo Domini omnibus diebus vitae meae’, [Ps. xxvi, 4 (A.V. xxvii, 4)], siue receptaculum deuoti pectoris et purissimi cordis, cui uere Deus inhabitat, cuius hospitis desiderio idem flagrans orat: ‚Spiritum rectum innoua in uisceribus meis, Domine’ [Ps. l, 12 (A.V. li, 10)]; tamen ornatum materialis domus Dei, qua locus est orationis, constat eum concupiuisse.“ 4

Die beiden zuerst angeführten Deutungen des Hauses Gottes und seiner Zierde sind wenig aufregend: Auf anagogischer Ebene ist damit „die Wohnung des himmlischen Hofes“ gemeint, die Gottgemeinschaft der Engel und Heiligen und Ziel des Menschen; in sie aufgenommen zu werden, ist die Bitte des Psalmisten und mit ihm aller Gläubigen: „[…] daß ich im Haus des Herrn bleiben könne mein Leben lang […]“ (Ps. 27, 4). Die Zierde des Hauses ist der ewige Lobpreis des in unermesslicher Herrlichkeit thronenden Gottes im Hymnengesang der Engel. Bezogen auf die Gläubigen auf Erden, also in tropologischer Auslegung, bedeutet das Haus Gottes die Seele jedes einzelnen Menschen, in dem Gott Wohnung genommen hat, geziert mit der Reinheit des Herzens, mit Demut, mit dem „rechten“, dem „neuen, beständigen Geist“ nach Ps. 51, 12. Soweit entspricht dies der nach Augustinus5 verbreiteten und in

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Theophilus, De diversis artibus, III, prol., ed. Ch. R. Dodwell, in: Theophilus, De diversis artibus – The Various Arts, London 1961 [Neudruck Oxford 1986, 1998], 61. Die deutsche Übersetzung nach E. Brepohl, Theophilus Presbyter und das mittelalterliche Kunsthandwerk. Gesamtausgabe der Schrift ‚De diversis artibus‘ in zwei Bänden, vol. 2, Köln–Weimar–Wien 1999, 15: „Der hervorragendste der Propheten, David, den Gott, der Herr, schon vor der Zeit erkannt und vorausbestimmt hat […], hat […] unter anderem ausgesprochen: ‚O Herr, ich habe die Zierde Deines Hauses geliebt’ (Psalm 25, 8). Und mag der Mann solcher Autorität und Geisteskraft vielleicht mit diesem Haus die Wohnung des himmlischen Hofes bezeichnen, in der Gott unter den Hymnenchören der Engel in unschätzbarer Klarheit thront, und die er selbst mit ganzem Herzen ersehnte, als er sprach: ‚Eines erbitte ich vom Herrn, und das ersehne ich, daß ich im Haus des Herrn wohnen darf alle Tage meines Lebens’ (Psalm 26, 4). Oder mag er das Behältnis der demütigen Brust und des reinsten Herzens meinen, in dem Gott wahrhaftig wohnt, dessen Gastfreundschaft er in Sehnsucht brennend erfleht: ‚Den rechten Geist erneuere in meinem Innersten, O Herr’ (Psalm 50, 12). So steht doch fest, daß er auch den Schmuck des materiellen Gotteshauses, das die Stätte des Gebets ist, begehrt hat.“ In den ‚Enarrationes in psalmos‘ sind zu Psalm 25 zwei unterschiedliche Texte als Erklärung eingefügt. Weidmann hat die ‚Enarratio II‘ als eine ursprünglich nicht zugehörige „Predigt zum Epheserbrief, daher sermo 166A“ identifiziert und folglich aus seiner neuen Edition der ‚Enarrationes‘ ausgeschieden; cf. C. Weidmann, Vier neue Predigten des Augustinus, HTML-Version eines am 21.3.2002 an der Universität Wien gehaltenen Vortrags, http://homepage.univie.ac.at/ clemens.weidmann/augustinus/vierpredigten.htm. Cf. Augustinus, Enarrationes in Psalmos, Pars 1A, ed. C. Weidmann (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 93,1A), Wien 2003, 12. Die ‚Enarratio II: Sermo ad plebem‘ ist abgedruckt in der Edition der ‚Enarrationes in Psalmos‘ von E. Dekkers/I. Fraipont (Corpus Christianorum. Series Latina 38), Turnhout 1956, 142–151. Während die ‚Enarratio I‘ lediglich das Haus Gottes als Kirche erklärt, in der wohnend Gott verherrlicht wird (cf. op. cit, 141: „‚Domine, dilexi decorem domus tuae‘, ecclesiae tuae. ‚Et locum habitationis gloriae tuae‘, ubi habitans glorificaris“), gibt die sermo eine ausführliche Erläuterung: Der Schmuck des Hauses Gottes, der Kirche, bestehe aus den Guten, den Heiligen, in denen die Herrlichkeit Gottes wohne, die selbst der Ort der Wohnung der Herrlichkeit Gottes seien; cf. op. cit., 149: „[…] decor domus Dei in bonis est, in sanctis est; ipsum decorem domus tuae dilexi. […] Dixit prius: ‚decorem

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den ‚Libri Carolini‘ 6 weitergeführten Exegese von Ps. 26, 8 in spirituellem Sinn. Wenn Theophilus dann allerdings feststellt, daß der Psalmist auch im wörtlichen Sinn verstanden werden will – aus heutiger Sicht die selbstverständliche Aussageebene – dann steckt darin für die Zeitgenossen eine nicht geringe Provokation. Die wörtliche Lesart des Psalms, in der „Zierde des Hauses Gottes“ den materiellen Schmuck des materiellen Gotteshauses zu verstehen, scheint aber im frühen 12. Jahrhundert verschiedentlich propagiert zu werden, zumal als eine Rechtfertigung im Kontext der monastischen und kanonikalen Reformdiskussionen, insbesondere zwischen Cluniazensern und Zisterziensern7. Theophilus gehört hier, ungeachtet der unsicheren Datierung der fraglichen Texte, zu den frü-

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domus tuae’, et exponit quid sit decor domus Dei: ‚Locus’, inquit, ‚habitationis gloriae tuae’. […] Qui enim pertinent ad decorem domus Dei, in quibus habitat gloria Dei, ipsi sunt locus habitationis gloriae Dei.“ Weitere frühe Belege bei Cassiodor, Expositio psalmorum, ed. M. Adriaen (Corpus Christianorum. Series Latina 97, Pars II,1), Turnhout 1958, 229–234, bes. 232 sq. und Cassian, Collationes 24, 6, ed. M. Petschenig/ed. altera G. Kreuz (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 13), Wien 2004, 680 sq. Cf. Opus Caroli regis contra Synodum (Libri Carolini), I, 29, edd. A. Freeman/P. Meyvaert (Monumenta Germaniae Historica, Concilia 2, supplementum 1), Hannover 1998, 224–231: „Quomodo intellegendum sit, quod scriptum est: ‚Domine, dilexi decorum domus tuae‘, quem decorum isti imagines intellegunt“; hier auch die mehrfache Deutung der domus Dei als ecclesia (allegorisch), caelestis patria (anagogisch) und anima hominis (tropologisch); cf. op. cit., 224. Zusamenfassend wird festgestellt: „[…] domus Dei decorem non in imaginibus materialibus, sed in virtutibus spiritalibus refulgentem esse videbit“ (op. cit., 230). Ausführlich und mit umfassenden Belegen cf. E. Dahl, Dilexi decorem domus Dei. Building to the Glory of God in the Middle Ages, in: Acta ad archaeologiam et Artium Pertinentia, Ser. alt. 1 (1981), 157–190, bes. 162. Zu Theophilus cf. B. Reudenbach, „Ornatus materialis domus Dei“. Die theologische Legitimation handwerklicher Künste bei Theophilus, in: H. Beck/K. Hengevoss-Dürkopp (eds.), Studien zur Geschichte der europäischen Skulptur im 12./13. Jahrhundert, vol. 1, Frankfurt a. M. 1994, 1–16, bes. 9 sq. Cf. J. van Engen, Theophilus Presbyter and Rupert of Deutz: The Manual Arts and Benedictine Theology in the Early Twelfth Century, in: Viator 11 (1980), 147–163, bes. 157 sq.; zuvor bereits L. White, Jr., Theophilus Redivivus, in: Technology and Culture 5 (1964), 224–233, bes. 227–230 sowie P. W. Hanke, Kunst und Geist: Das philosophische und theologische Gedankengut der Schrift ‚De diversis artibis‘ des Priesters und Mönches Theophilus Rugerus, Bonn 1962, 95–99, 144 sqq., die beide zuerst die Bedeutung des Psalmverses für den Bilddiskurs bemerkt und mit Bernhard von Clairvaux in Verbindung gebracht haben. Zur zisterziensischen Perspektive cf. C. Rudolph, The ‚Things of Greater Importance‘. Bernhard of Clairvaux’s Apologia and the Medieval Attitude Toward Art, Philadelphia 1990, 28–36. Cf. Suger von Saint-Denis, De administratione, 224, edd. A. Speer/G. Binding, in: id. (eds.), Abt Suger von Saint-Denis. Ausgewählte Schriften. Ordinatio. De consecratione. De administratione, Darmstadt 2000, 344 sq.; dazu cf. A. Speer, Abt Sugers Schriften zur fränkischen Königsabtei Saint-Denis, in: op. cit., 13–66, bes. 63 sqq.; C. Rudolph, Artistic Change at St-Denis. Abbot Suger’s Program and the Early Twelfth-Century Controversy over Art, Princeton 1990. Cf. auch H. Stein-Kecks, Bilder im heiligen Raum – „An der Zierde deines Hauses habe ich mich erfreut, Herr“, in: S. Wittekind (ed.), Romanik (Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland 2), München 2009, 264–287; B. Reudenbach, Religiöse Bilder. Theologisches Urteil und künstlerische Praxis, in: id. (ed.), Karolingische und ottonische Kunst (Geschichte der Bildenden Kunst in Deutschland 1), 496–511.

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hen Belegen. Aufgrund der Einbindung in ein das verfügbare Wissen sammelnde Grundlagenwerk über die Ausführung und Bedeutung des materiellen Kirchenschmucks, wie es die ‚Schedula‘ darstellt, kann er besondere Autorität und Beachtung für sich beanspruchen. Die Formulierung selbst gibt zu erkennen, daß die Neuartigkeit und Provokation durchaus bewußt zum Ausdruck gebracht werden sollte: Zunächst wird das Bekannte und Anerkannte, eben die spirituelle Bedeutung referiert, um dann fast trotzig die wörtliche Lesart, die materielle Deutung als Opposition und zugleich als feststehend anzufügen: „tamen ornatum materialis domus Dei, qua locus est orationis, constat eum concupiuisse.“ Immer wird vom Psalmisten aus argumentiert, der spirituelle und materielle Lesarten selbst intendiert habe. Während bei ersteren jeweils ein weiterer Psalm als Beleg angeführt wird (27, 4 und 51, 12), bleibt Theophilus bei der materiellen Deutung den Beweis aus dem Psalter schuldig – die naheliegende Parallelstelle in Ps. 93, 5 würde eine materielle Lesart denn auch verbieten; es heißt dort ausdrücklich: „Heiligkeit ziert Dein Haus, Herr, für alle Zeit“ (Domum tuam decet sanctitudo, Domine), also ein spiritueller, ja der höchste spirituelle Wert und nicht ein materieller Schmuck 8. Theophilus argumentiert daher mit dem Bau der Stiftshütte (Ex. 31, 1–11), mit dem göttlichen Auftrag zum Bau und mit der Auswahl der Meister durch Gott selbst, der sie mit entsprechenden Voraussetzungen ausgestattet hat, nämlich sie erfüllt hat „mit dem Geist der Weisheit, der Klugheit und der Kenntnis auf allen erforderlichen Wissensgebieten […], damit sie das Werk entwerfen und in Gold, Silber, Erz, Edelsteinen, Holz und in sämtlichen Handwerkstechniken ausführen könnten“9. Theophilus macht den Psalmisten selbst zum Exegeten des Moses und dessen Bericht in Exodus 31. Der Psalmist habe Moses richtig gelesen, denn „er fand durch fromme Betrachtung heraus, daß Gott durch solchen Schmuck erfreut werde, den er unter Anleitung und Ermächtigung des Heiligen Geistes gestalten ließ […]“10. Mit dieser Anspielung auf Psalm 26, 8 wird erneut die Richtigkeit und Berechtigung für die eigene Exegese belegt. David jedenfalls habe die MosesLektüre dazu veranlaßt, selbst für ein Haus Gottes mit entsprechender Zierde zu sorgen; die notwendigen Materialien habe er gesammelt und seinem Sohn Salomon übergeben, „da er (David) nicht für würdig befunden wurde, dessen Erbauer zu werden […]“11. Beweis genug für Theophilus mit Sicherheit festzustellen, daß der Psalmist eben auch ein prachtvoll ausgestattetes und fest gebautes Gotteshaus gemeint hat, wenn er sagte: „Domine, dilexi decorem domus tuae.“ 8

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Bernhard von Clairvaux sieht gerade die Heiligkeit nach Ps. 92/93, 5 als Argument gegen materiellen Schmuck des materiellen Hauses; cf. id., Sermones super Cantica Canticorum, sermo 46, ed. J. Leclercq/H. Rochais (Sources chretiennes 452), Paris 2000, 277–293, bes. 280, 292. Ebenso id., De laude novae militiae, ed. J. Leclercq (Sources chrétiennes 367), Paris 1990, 73 sq. (cf. infra nt. 24). Theophilus, De diversis artibus, III, prol., ed. Dodwell (nt. 4), 62. Übersetzung mit Ergänzung nach Brepohl, Theophilus (nt. 4), vol. 2, 16. Zu Rupert von Deutz und Theophilus cf. van Engen (nt. 7). Brepohl, Theophilus (nt. 4), 16. Ibid.; cf. 2 Sam. 7, 1–13; 1. Kön. 5, 17–19.

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Die Provokation liegt nicht nur auf der theologischen Ebene in der Abkehr von der kanonischen Psalmexegese. Im Kontext des zeitgenössischen Diskurses um das Haus Gottes, um die Kirche, um das Mönchtum und die rechte Nachfolge Christi in Armut wirft Theophilus mit seiner wörtlichen Lesart des Psalms und der Präzisierung auf den reichen, materiell prächtigen und fachgerecht ausgeführten Schmuck des Tempels und damit implizit auch des Kirchengebäudes ein eigenes Statement in die große Runde der auf mehreren Ebenen geführten Diskussion, das für die Geschichte der Bildkünste entscheidend ist12. Ohne die Diskussion der Texte, wie es wünschenswert wäre, hier weiter zu vertiefen, stellt sich auch die Frage nach möglichen Reaktionen, Auswirkungen und Reflexen der Debatte um den materiellen Schmuck in realen Kirchengebäuden. Hat der Diskurs um das Verständnis von decus/decor domus Dei Antworten – und wenn ja welche – in zeitgenössischen Bauten und Ausschmückungen gezeitigt? Dabei seien hier nicht die konsequent bildarmen und (was den Aufwand an kostbarem Material und figürliche Darstellungen betrifft) schmucklosen Kirchen der Zisterzienser in den Blick genommen, sondern die weiterhin mit künstlichen, farbigen Bildern gezierten Kirchen primär monastischer Gemeinschaften des 12. Jahrhunderts. Theophilus zeichnet ein anschauliches Bild vom rechten Schmuck des Kirchengebäudes13: Der kunstfertige Ausführende ist, so Theophilus, geistbegabt, das heißt er ist ausgestattet mit allen Voraussetzungen zur Erkenntnis; er vermag die Schöpfung anmutig, gefällig nachzuahmen in den unterschiedlichen Blüten und Pflanzen, ebenso beherrscht er die Darstellung der Heiligen in ihrem himmlischen Lohn; der farbige Schmuck bedeckt das Gotteshaus vollständig an Decke und Wänden und scheint zusammen mit dem Licht der Fenster das Gebäude in das Abbild von etwas anderem, nämlich dem Paradies, zu verwandeln; jedenfalls meine der Betrachter das Paradies vor Augen zu haben, wenn sein Blick überwältigt von den Wänden über die Decke zu den Fenstern schweift. Das Werk rufe zudem im Betrachter eine affektive Wirkung hervor. Bilder der Passion Christi, der Heiligen und ihrer Martyrien, Bilder von himmlischen Freuden und Höllenqualen stacheln zur Besserung der eigenen Lebensweise und erwecken Hoffnung oder Furcht angesichts eigener guter Taten oder eigener Sünden14:

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Cf. Dahl, Building (nt. 7). Weiterführend cf. Ch. Meier, Labor improbus oder labor nobile? Zur Neubewertung der Arbeit in philosophisch-theologischen Texten des 12. Jahrhunderts, in: Frühmittelalterliche Studien 30 (1996), 315–342. In diesem Beitrag geht es nur um die mit dem Kirchengebäude materiell verbundene Zier, die Teil des Hauses selber ist, um Malereien und Bilder. Die Texte zu Ps. 26, 8 differenzieren in der Regel nicht explizit zwischen den vasa sacra als den ornamenta des Hauses Gottes und einem (Wand-)Bilderschmuck. Auch hier nimmt Theophilus, ebenso wie Bernhard, eine Sonderstellung ein. Zur compunctio cf. jüngst G. K. Sprigath: Zum Vergleich von scriptura und pictura in den Briefen von Papst Gregor d. Gr. an Serenus Bischof von Marseille, in: Jahrbuch für Internationale Germanistik 41,2 (2009), 69–111, bes. 86–90.

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„His uirtutum astipulationibus animatus, karissime fili, domum Dei fiducialiter aggressus tanto lepore decorasti; et laquearia seu parietes diuerso opere diuersisque coloribus distinguens paradysi Dei speciem floribus uariis uernantem, gramine foliisque uirentem, et sanctorum animas diuersi meriti coronis fouentem quodammodo aspicientibus ostendisti; quoque Creatorem Deum in creatura laudant et mirabilem in operibus suis praedicant, efficisti. Nec enim perpendere ualet humanus oculus, cui operi primum aciem infigat: si respicit laquearia, uernant quasi pallia; si consideret parietes, est paradysi species; si luminis abundantiam ex fenestris intuetur, inestimabilem uitri decorem et operis pretiosissimi uarietatem miratur. Quod si forte Dominicae passionis effigiem liniamentis expressam conspicatur fidelis anima, compungitur; si quanta sancti pertulerunt in suis corporibus cruciamina quantaque uitae eternae perceperunt praemia conspicit, uitae melioris obseruantiam arripit. Si quanta sunt in coelis gaudia quantaque in Tartareis flammis cruciamenta intuetur, spe de bonis actibus suis animatur et de peccatorum suorum consideratione formidine concutitur.“15

Ausführlicher, detailgenauer hat nur Bernhard von Clairvaux ein zeitgenössisches Bild eines Kirchengebäudes mit seinem reichen Bilderschmuck und dessen Rezeption überliefert16. Während Bernhard aber durch Überzeichnung seine Kritik an materieller Verschwendung, Reichtum und Mißbrauch der Bilder umso deutlicher zum Ausdruck bringt, legt Theophilus die positive Wirkung der materiellen Zierde des Hauses Gottes dar, die die Betrachter selbst zur Zierde im spirituellen Sinne werden läßt. Bernhard ist wohl der entscheidende Bezugspunkt, der den besagten Psalmvers seinerseits zitiert, aber materiellen Bilderschmuck allenfalls für das einfache und einfältige Kirchenvolk beziehungsweise zur angemessenen Repräsentation der Bischofskirchen in der Welt zugesteht. Er beruft sich auf die traditionelle Begründung von Bildern, wie sie Gregor der Große mit deren pädagogisch-didaktischem Potential kanonisch formuliert hat17. Diese zum Gemeinplatz avancierte Begründung, mit Hilfe von Bildern Wissen an Betrachter vermitteln zu können, die über Schrift nicht zu erreichen sind, führt Bernhard in logischer Konsequenz zur grundsätzlichen Ablehnung von Bildern im exklusiven Bereich (schreib- und) lesekundiger Betrachter – in Mönchskirchen und Klau-

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Theophilus, De diversis artibus, III, prol., ed. Dodwell (nt. 4), 63 sq. Cf. Bernhard von Clairvaux, Apologia ad Guillelmum Abbatem, XII, 28–29, in: G. B. Winkler (ed.), Bernhard von Clairvaux, Sämtliche Werke, lateinisch-deutsch, vol. 2, Innsbruck 1992, 194–197, hier 196 sq.: „Nisi forte et hic adversus memoratum iam Poetae versiculum propheticus ille respondeatur: ‚Domine, dilexi decorem domus tuae et locum habitationis gloriae tuae‘. Assentio: patiamur et haec fieri in ecclesia, quia etsi noxia sunt vanis et avaris, non tamen simplicibus et devotis.“ Cf. Rudolph, Things (nt. 7). Zur Forschungsdiskussion cf. T. Frese, Die Bildkritik des Bernhard von Clairvaux. Die Apologia im monastischen Diskurs, Bamberg 2006. Die zeitliche Stellung der Texte zueinander ist nicht eindeutig geklärt; dazu cf., im Zusammenhang mit Suger von Saint-Denis, Rudolph, Artistic (nt. 7), 28–36. Cf. mit neuen Ansätzen Sprigath, Vergleich (nt. 14). H. L. Kessler, Gregory the Great and the Image Theory in Northern Europe during the Twelfth and Thirteenth Centuries, in: C. Rudolph (ed.), A Companion to Medieval Art: Romanesque and Gothic in Northern Europe (Blackwell companions to art history), Malden, MA–Oxford 2006, 151–172.

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surräumen. Statt eine andere Begründung hierfür zuzulassen, schließt er Bilder für den monastischen Bereich kategorisch aus. Theophilus bietet dagegen eine Alternative. Mit der Definition der kunstfertig gestalteten Werke als eine gottgefällige Zierde des Gotteshauses, wertet er sie auf als ein Teil des Ganzen der domus Dei, befreit sie aus ihrer didaktischen Funktionalität und ermöglicht sie für ein literates, klerikales und insbesondere monastisches Publikum. Diesem exklusiven Adressatenkreis bietet die materielle Zierde des Hauses Gottes einen anderen Erkenntnisgewinn als den der bloßen ablesbaren Narration der biblischen Geschichte. Das Kontinuum der Zier an Wänden und Decken, die quasi lückenlose Dekoration mit Farben und Gestalten transformiert das Gebäude in eine species paradysi Dei, erweckt den Anschein, das Paradies selbst abzubilden, und versetzt den Betrachter mitten hinein in diese Vision – in die anagogische Lesart des Psalmverses, der himmlischen domus Dei und seiner Zier. Die Thematik der Darstellungen unterstützt den plausiblen Sinneseindruck der Augen – der Paradiesgarten ist bewohnt von den Heiligen – und alles zusammen übt eine starke, positive Wirkung auf die Betrachter aus: „und so hast du (karissime fili) bewirkt, daß die das Werk betrachten, Gott, den Schöpfer, in seiner Schöpfung loben und den Wunderbaren in seinen Werken preisen.“18 Die materielle Zierde bewirkt, daß der Betrachter selbst wiederum in spiritueller Deutung zur Zierde des Hauses Gottes wird, wird er doch zum Gotteslob, der wahren Zierde der domus Dei, angespornt. Beide Sinnschichten, die wörtliche und die geistige des Psalms 26, 8 werden zur Deckung gebracht. Letztlich wird auch Ps. 93, 5 erfüllt, nach dem Heiligkeit das Haus Gottes ziere: „domum tuam decet sanctitudo Domine.“ Eine weitere, wenngleich nur teilweise originelle Schrift über das Haus Gottes, die bislang in diesem Zusammenhang noch nicht beachtet wurde, verweist auf ein mögliches konkretes Beispiel, wie eine materielle Zierde des Hauses Gottes im Sinne der wörtlichen und zugleich auch der geistigen Auslegung des Psalmverses tatsächlich ausgeführt sein kann. Boto von Prüfening (* um 1103 – † um/nach 1170), Mönch, Subprior und Prior des 1109 vom Bamberger Bischof Otto I. bei Regensburg gegründeten Hirsauer Klosters Sankt Georg, legt in seinem Frühwerk ‚De statu domus Dei‘ eine ausführliche Schilderung der zeitgenössischen Kirche und des monastischen und säkular-geistlichen Lebens vor, ergänzt um eine hierarchia caelestis nach Pseudo-Dionysius Areopagita19. Bestim-

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Theophilus, De diversis artibus, III, prol., ed. Dodwell (nt. 4), 63: „His uirtutum astipulationibus animatus, karissime fili, domum fiducialiter aggressus tanto lepore decorasti; […] quodque Creatorem Deum in creatura laudant et mirabilem in operibus suis praedicant, effecisti.“ Übersetzung nach Brepohl, Theophilus (nt. 4), vol. 2, 26. Boto von Prüfening, De statu Domus Dei, III, ed. J. A. Brassicanus, Hagenau 1532; das Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek München (P.lat. 1611) steht als Digitalisat zur Verfügung (http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0003/bsb00036382/images); abgedruckt in B. Pez, Maxima Bibliotheca veterum patrum et antiquorum scriptorum ecclesiasticorum, vol. 21, Lyon 1677, 489–513. Der Prolog ediert von A. E. Schönbach, Miscellen aus Grazer Handschriften III,

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mend ist das augustinische Bild des Hauses20, das wieder in mehrfacher Weise gedeutet wird. Das auf Erden gebaute Haus, die Kirche, ist ad similitudinem der himmlischen, ewigen Wohnung errichtet21. Angelehnt an die Vitruv’schen Begriffe beschreibt Boto die dipositio, constructio, venustas des materiellen Hauses; im spirituellen Sinn vergleicht er die Begriffe in ihrer Steigerung von der Anlage der Fundamente über die Stein- und Holzkonstruktion bis zum Schmuck des Hauses mit der dreifachen Steigerung der Vollendung der Tugend im Haus der Weisheit22. Er unterscheidet das Haus in der Welt von dem der Religiosen. Um das eine sei es schlecht bestellt, so schlecht, „unde aurum sapientiae, quo facies ecclesiae ornatur, obscuratum est, et sacrae religionis color optimus, quo pictura domus Dei decorabatur, mutatus est“23. Nicht der Frieden Christi, sondern Krieg herrsche in der Welt, anders als in der wohl geordneten monastischen Gemeinschaft in ihrem perfekten Schmuck, „quaedam domus monastice conversationis, quam nos inhabitamus, ordinata, in suo

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in: Mittheilungen des Historischen Vereins für Steiermark 48 (1900), 95–224, 96–120. Cf. P. Ström, The Monk’s Place in the House of God. A Monastic Theme in ‘De domo Dei’ of Boto of Prüfening, in: A. Härdelin (ed.), In Quest of the Kingdom. Ten Papers on Medieval Monastic Spirituality (Bibliotheca Theologiae Practicae. Kyrkovetenskapliga studier 48), Stockholm 1991, 157–175, der auf einen weiteren Druck hinweist in: M. de la Bigne (ed.), Bibliotheca veterum patrum, et antiquorum scriptorium ecclesiasticorum, Köln 1618, 619–642. Grundlegend cf. J. A. Endres, Boto von Prüfening und seine schriftstellerische Thätigkeit, in: Neues Archiv 20 (1905), 605–646. Cf. auch P. Lehmann, Neue Textzeugen des Prüfeninger ‚Liber de viris illustribus‘ (Anonymus Mellicensis), in: Neues Archiv 38 (1913), 550–558; mit ausführlicher Zusammenfassung des Textes H.-G. Schmitz, Kloster Prüfening im 12. Jahrhundert (Miscellanea Bavarica Monacensia 49), München 1975, 240–309, bes. 244–260; F. J. Worstbrock, Boto von Prüfening, in: W. Stammler/K. Langosch/K. Ruh (eds.), Die deutsche Literatur des Mittelalters, Verfasserlexikon, vol. 1, Berlin–New York 21978, 971–976; M. Wesche, Boto von Prüfening, in: Lexikon des Mittelalters, vol. 2, München–Zürich 1983, 490; F. Fuchs, Zum Anonymus Mellicensis, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 42 (1986), 213–226. Cf. in Hinblick auf das 12. Jahrhundert P. Sicard, L’urbanisme de la Citè de Dieu: constructions et architectures dans la pensées théologique du XIIe siècle, in: D. Poirel (ed.), L’abbé Suger, le manifeste gothique de Saint-Denis et la pensée victorine. Actes du Colloque organisé à la Fondation Singer-Polignac le mardi 21 novembre 2000 (Rencontres Médiévales Européennes 1), Turnhout 2001, 109–140; mit Bezug auf Boto cf. U. Meyer, Soziales Handeln im Zeichen des ‚Hauses’. Zur Ökonomik in der Spätantike und im frühen Mittelalter (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 140), Göttingen 1998, hier 227, nt. 186. Boto stützt sich weitgehend auf den über Bischof Kuno von Siegburg in Regensburg gut bekannten Rupert von Deutz sowie auf Hugo von Sankt Victor (Eruditio didascalica, nicht Pseudo-Hugo von Sankt Victor: De domo Dei); im engeren Prüfeninger Umkreis ist zu verweisen auf Honorius Augustodunensis und Gerhoh von Reichersberg, De aedificio Dei. Cf. Schmitz, Kloster (nt. 19), 246. Cf. Boto von Prüfening, De Domo Dei, I, ed. Brassicanus (nt. 19), 4v. Cf. op. cit., I, 7v: „Dispositio est areae uel soli et fundamentorum descriptio. Constructio est lapidum uel lignorum compositio. Venustas est quicquid ad ornatum domus pertinet. Bona est dispositio, melior constructio, optima uenustas, in qua totus operis ornatus apparet. Bonum est nanque virtutis initium, melior profectus, optima perfectio.“ Op. cit., I, 6r.

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decore perfecta“ 24. Von diesem Haus der monastischen Gemeinschaft in der Nachfolge der apostolischen Gemeinschaft, dem wahren Jubelopfer nach Ps. 27, 6, spreche der Psalmist, wenn er sagt: „Domine, dilexi decorem domus tuae, et locum habitationis gloriae tuae“25, ebenso wie vom himmlischen, nicht von Menschenhand geschaffenen Haus im Schmuck der neun Engelschöre26 . Auffallend ist die häufige Verwendung von Begriffen aus der Malerei, wenn es um den Schmuck des Hauses Gottes geht27. Selbst beim Vergleich des Hauses als der Seele des Gläubigen, speziell der Religiosen, mit dem Vorbild des himmlischen Hauses bedient sich Boto der Malerei, um die Abbild-Beziehung zu beschreiben: „Exemplar nanque domus coelestis morum disciplina in nobis depingitur, quae tanquam optimis coloribus, pulchra uarietate picturae decoratur. Reuera pulchra // uarietas, et uaria est pulchritudo, qua ex diuersis uirtutibus, uelut ex multis coloribus splendet imago sanctitatis, qua perficitur tota uenustas aedificij spititalis. Contemplantibus ergo nobis decorem domus Domini, translucet imago uitae coelestis, quae a primordio ecclesiae nascentis fundata est in Apostolis, ut scriptum est […].“ 28

Die disciplina morum ist also in uns, das heißt in den Mitgliedern der monastischen Gemeinschaft, „nach dem Vorbild des himmlischen Hauses gemalt, das gleichsam mit besten Farben in schöner Vielfalt der Malereien geschmückt ist. Wahrlich schön ist die Vielfalt und vielfältig die Schönheit, wodurch das Bild der Heiligkeit in den diversen Tugenden wie in vielen Farben erstrahlt, die die ganze Schönheit des spirituellen Gebäudes ausmacht. Wenn wir also den Schmuck des Hauses Gottes betrachten, scheint das Bild des himmlischen Lebens hindurch“. Boto tritt damit (indirekt) in Bezug zu Bernhard, wenn er, in Anlehnung an die berühmt gewordene rhetorische Figur, die Vielfalt und Schönheit des Schmucks

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Op. cit., I, 7r. Cf. Bernhard von Clairvaux, De laude novae militiae, V, 9, ed. J. Leclercq (nt. 8), 72 sqq.: „De Templo. […] huius autem omnis decor et gratae venustatis ornatus, pia est habitantium religiositas et ornatissima conversatio. Illud variis exstitit spectandum coloribus, hoc diversis virtutibus et sanctis actibus venerandum: ‘domum’ quippe ‘Dei decet sanctitudo’, qui et non politis marmoribus quam ornatis moribus delectatur, et puras diligit mentes super auratos parietes.“ Cf. Boto von Prüfening, De Domo Dei, II, ed. Brassicanus (nt. 19), 20v: „O quam suauis est haec iubilatio, cum in unum habitat fratrum congregatio. Haec est hostia iubilationis, in qua non solum confert peccatorum expiationem, uerumetiam omnem in nobis perficit sanctificationem. […] Per hanc hostiam iubilationis sapientia Dei domum quam perfecto decore consumauit. Quam domum propheta in spiritu contemplans, et ad eam toto desyderio anhelans, ait, Domine, dilexi decorem domus tuae, et locum habitationis gloriae tuae. Haec domus in initio nascentis ecclesiae in Apostolis sancti spiritus gratia est fundata, et perfecti decoris gloria illustrata.“ Cf. op. cit., IV, 55r–v: „Leuemus ergo mentis nostrae oculum ad contemplandum domus coelestis statum, cui creator omnium admirabilem indidit ornatum, in nouem ordinibus angelorum. Ibi profecto intentam mentis aciem defixam habebat anima Prophetae sancti, qui // dixit: Domine dilexi decorem domus tuae, et locum habitationis gloriae tuae. Domus haec domus est, non manufacta, aeterna in coelis, ad cuius decorem agmina beatorum spirituum Deo ministrantium et aßistentium, miro ordine disposita sunt.“ Cf. Dahl, Building (nt. 7), 169 mit nt. 49. Boto von Prüfening, De Domo Dei, III, ed. Brassicanus (nt. 19), 29v–30r.

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des Hauses Gottes positiv wendet29. Statt der von Bernhard in der Kapitellplastik gerügten „deformis formositas, ac formosa deformitas“30, der „ungestalten Schönheit und schönen Ungestalt“, lobt er die „pulchra varietas et varia […] pulchritas“ des Schmucks des spirituellen Gotteshauses; mit dem metaphorischen Vergleich der Farben auf den Mauern mit den im spirituellen Bau strahlenden Tugenden setzt er die Heiligkeit der Kirche mit der Schönheit des Gebäudes in eine Abbild-Beziehung, die zugleich auf das himmlische Urbild verweist. Durch die Betrachtung des sichtbaren Schmucks des Gotteshauses wird das Unsichtbare himmlische Vorbild erkennbar. Zieht man die Malereien im Sanktuarium der Klosterkirche Sankt Georg in Prüfening zum Vergleich heran, muß man die oben gestellte Frage, ob die Bildausstattung selbst den Diskurs um die Zierde des Gotteshauses reflektiert, bejahen. Boto hat die ursprünglich weitgehende Ausmalung des neuen Klosters miterlebt und sie mehrfach in seinem Werk kommentiert31. Offenkundig wurde beim Neubau von Kloster und Kirche und bei der Entscheidung für umfängliche Wandmalereien intensiv über die rechte Zierde diskutiert und die zeitgenössische Debatte um Bilder in Mönchskirchen reflektiert. Die mögliche Datierung der Malereien in die Zeit zwischen den beiden dokumentierten Altarweihen im Staffelchor 1119 und 1125 ist zu früh für eine maßgebliche Beteiligung des damals vielleicht zwanzigjährigen Boto; das mit großem Aufwand und hohem Anspruch realisierte Dekorationsprogramm setzt aber einen bestens ausgearbeiteten Plan voraus, der im Kreis der Gelehrten in Regensburg, in Prüfening selbst beziehungsweise im Kreis um den Stifter, Bischof Otto von Bamberg, ausgearbeitet worden sein muß32. Die Förderung unterschiedlicher monastischer und kanonikaler Reformbewegungen in seinen Stiftungen weisen Otto als Kenner der Protagonisten dieser Reformen und ihrer Positionen auch in der Frage des Bilderschmucks in Kirchen aus33. 29

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Auf Bernhard, De laude novae militiae (nt. 8), bezieht Boto sich auch in der Gegenüberstellung der wohl geordneten monastischen Gemeinschaft als wahrem Schmuck des Hauses Gottes; cf. supra nt. 24. Bernhard von Clairvaux, Apologia ad Guillelmum Abbatem, XII, 29, ed. Winkler (nt. 16), 196. Besonders anschaulich ist sein Traumgesicht der Muttergottes, die die Wandmalereien in ihrer 1123 geweihten Marienkirche, Szenen aus dem Marienleben, bewundert und dem Kloster dafür gedankt hat – vielleicht auch ein Beitrag zur Rechtfertigung von gemaltem Kirchenschmuck. Zur Überlieferung im Zusammenhang mit dem ,Liber de miraculis sanctae Dei Genitricis Mariae‘, ed. B. Pez, Wien 1731 [wiederabgedruckt von Th. F. Crane (Cornell University Studies in Romance Language and Literature 1), Ithaca–London–Oxford 1925] cf. Schmitz, Kloster (nt. 19), 241 sqq.; Socii Bollandiani (edd.), Bibliotheca Hagiographica Latina antiquae et mediae aetatis (Subsidia Hagiographica 6), 2 voll., Brüssel 1898–1901, 5357. Cf. Schmitz, Prüfening (nt. 19), 63–331; C. Märtl, Regensburg in den geistigen Auseinandersetzungen des Investiturstreits, in: Deutsches Archiv 42 (1986) 145–191; Fuchs, Anonymus (nt. 19), 213–226; id., Bildung und Wissenschaft in Regensburg. Neue Forschungen und Texte aus St. Mang in Stadtamhof (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde im Mittelalter 13), Sigmaringen 1989. Cf. A. Fink, Romanische Klosterkirchen des Heiligen Bischofs Otto von Bamberg (1102–1139), Petersberg 2001; J. Petersohn, Otto von Bamberg und seine Biographen. Grundformen und

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Die (erhaltenen) Malereien in der Konventskirche erstrecken sich im gesamten, dem Mönchschor und Klerus vorbehaltenen Bereich, wenden sich also primär an das Publikum, für das Bernhard jegliche Bilder ablehnt34. Stände der Heiligen schmücken die Wände in wohl geordneten Registern und Reihen, die das reale Kirchengebäude mittels der Malerei in einen spirituellen Bau aus den lebenden Steinen der Heiligen (1 Petr. 2, 5 unter anderem) verwandeln (Abb. 1). Sie singen das Lob Gottes mit dem Hymnus ‚Te Deum‘, dessen einschlägige Verse, die sie zugleich identifizieren, sie auf gemeinsam gehaltenen Schriftbändern vor sich herzeigen. Christus ist in der nicht im ursprünglichen Bestand erhaltenen Apsis zu rekonstruieren, Ziel des Gotteslobes und Bräutigam der Braut, die im Chorjoch gleichsam als Schlußstein über der Kirche der Heiligen im Gewölbe thront (Abb. 2); Inschrift und Kontext lassen sie als eine Personifikation der Ecclesia identifizieren, dargestellt in ihrem prachtvollem Ornat „bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann“ (Offb. 21, 2), beziehungsweise „leuchtend im Glanz der Edelsteine ihrer Tugenden“, wie es die Inschrift formuliert: „VIRTUTUM GEMMIS PRELUCENS VIRGO PERENNIS SPONSI IUNCTA THORO SPONSO CONREGNAT IN EVO.“ Gemalte Zinnenmauern aus bunten, edlen Steinen in den Zwickeln des Gewölbes vervollständigen das Abbild der himmlischen Stadt Jerusalem. Wie bei Theophilus in der Exegese von Psalm 26, 8 werden verschiedene Sinnschichten der domus dei im materiellen Kirchenbau für die real darin versammelte Gemeinschaft der Gläubigen explizit vorgeführt.

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Entwicklungen des Ottobildes im hohen und späten Mittelalter, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 43 (1980), 3–27; id., Die ‚Commendatio pii Ottonis‘ und die romanischen Wandmalereien der Prüfeninger Klosterkirche, in: D. Berg/H.-W. Goetz (eds.), Historiographia mediaevalis. Studien zur Geschichtsschreibung und Quellenkunde des Mittelalters. Festschrift für Franz-Josef Schmale, Darmstadt 1988, 212–220; id., Kloster Prüfening und die literarischhagiographische Formung des Andenkens Bischof Ottos von Bamberg im 12. Jahrhundert, in: J. Gießauf/R. Murauer/M. P. Schennach (eds.), Päpste, Privilegien, Provinzen. Beiträge zur Kirchen-, Rechts- und Landesgeschichte. Festschrift für Werner Maleczek zum 65. Geburtstag (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsband 55), Wien–München 2010, 327–338; C. Märtl, Die Bamberger Schulen – ein Bildungszentrum des Salierreiches, in: Stefan Weinfurter (ed.), Die Salier und das Reich, vol. 3: Gesellschaftlicher und ideengeschichtlicher Wandel im Reich der Salier, Sigmaringen 1991, 327–346. Cf. H. Stein, Die romanischen Wandmalereien in der Klosterkirche Prüfening (Studien und Quellen zur Kunstgeschichte Regensburgs 1), Regensburg 1987; dazu P. Skubiszewski, Une vision monastique de l’Église au XIIe s. À propos d’un livre récent sur les peintures murales de Prüfening, in: Cahiers de civilisation médiévale 31 (1988), 361–376. Die Binnentopographie wird rekonstruiert von C. Kosch, Regensburgs hochmittelalterliche Kirchen. Architektur und Liturgie bis zum Beginn der Gotik (Große Kunstführer), Regensburg [in Druckvorbereitung]. Zum seit langem desolaten Zustand der Wandmalereien nach der vollständigen Übermalung im Presbyterium bzw. der unsystematischen Freilegung in den Seitenkapellen und in der Vierung in den Jahren 1897–1915 cf. H. Stein-Kecks, Bilder der Romanik. Die Klosterkirche Prüfening und ihre Wand- und Deckenmalereien, in: E. J. Greipl/A. Hubel (eds.), 100 Jahre Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege 1908–2008, Inhalte Praxis Schwerpunkte, Katalog der Jubiläumsausstellungen, Regensburg 2008, 47–58. Cf. J. Wirth, L’image à l’époque romane, Paris 1999, 430 sqq. auch allgemein zum Bilddiskurs bzw. zum Bildverständnis im 11. und 12. Jahrhundert.

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Die Betonung der Brautthematik verweist erneut auf den besagten Psalmvers. Bernhard von Clairvaux bezieht in seinem ‚Sermo 46 über das Hohelied‘ das Brautbett aus edlem Holz auf das geschmückte Haus Gottes und dessen hölzerner Decke35. Gerhoh von Reichersberg verknüpft seinen Kommentar zu Psalm 26, 8 ebenfalls mit dem Hohelied36. Beide berufen sich auf Hld. 1, 16: „Lectulus noster floridus, tigna domorum nostrarum cedrina; laquearia nostra cedrina.“ Die Ausmalung des Sanktuariums transformiert das reale Gebäude in ein Bild der spirituellen Kirche, an deren Zierde sich auch der Psalmist erfreuen kann, zeigt der farbige, gemalte Schmuck doch die Heiligen der Kirche, das Lob Gottes singend, das Jubelopfer darbringend (Ps. 27, 6, nach Boto), und respektiert damit als einzigen adäquaten Schmuck die Heiligkeit in Gestalt der die spirituelle Kirche aus lebenden Steinen errichtenden Stände der Heiligen; die Malerei übersetzt wörtlich ins farbige Bild, was auch die Gegner bildkünstlerischen Kirchenschmucks als die Zierde des Hauses Gottes anerkennen – sanctitudo (Ps. 93, 5). Ein materielles Bild der Heiligkeit des Hauses Gottes konkretisiert und visualisiert die spirituelle Vorstellung der Heiligkeit des Hauses Gottes. Die Bilder argumentieren selbst mit im Diskurs um Bilder und entkräften das Gegenargument, indem sie es aufgreifen und abbilden. Der Vorwurf des unangemessenen Bilderschmucks, der sich insbesondere an den Cluniazensern entzündet, wird bei den der Hirsauer Reform folgenden Prüfeningern neutralisiert, indem die Bilder selbst die Diskrepanz zwischen innerem und äußerem Schmuck in der Visualisierung des einen durch das andere überwinden. Mit den Mönchen als Rezipienten treten die Malereien insofern in einen auch für Bernhard akzeptablen Dialog, als sie dauerhaft vor Augen führen, was die Mönche täglich leben, um selbst zum heiligen Schmuck des heiligen Hauses zu werden. Sie erfüllen genau das, was auch Theophilus als eine Leistung des Malers hervorhebt: „[…] du hast gewissermaßen den Betrachtern das Bild des Paradieses gezeigt, […] und so hast Du bewirkt, daß sie Gott, den Schöpfer, in Seinen Geschöpfen loben und den Wunderbaren in seinen Werken preisen.“37 35

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Cf. Bernhard von Clairvaux, Sermones in Canticum, sermo 46, ed. J. Leclercq (Sources chretiennes 452), Paris 2000, 277–293, 290 sqq.: „[…] tu illam ‚domum‘, quod ad laquearia spectat, satis abundeque ‚ornatam‘ censeas, quam talibus lignis inspexeris sufficienter compositeque tabulatam? ‚Domine, dilexi decorem domus tue‘ “; cf. op. cit., 280 zu Ps. 92, 5. Grundlegend cf. B. Ohly, Hohelied-Studien. Grundzüge einer Geschichte der Hoheliedauslegung des Abendlandes bis um 1200 (Schriften der wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universitàt Frankfurt a.M., Geisteswissenschaftliche Reihe 1), Wiesbaden 1958. Cf. Gerhoh von Reichersberg, Commentarium in Psalmos, XXV, 8, ed. J.-P. Migne, in: Patrologia cursus completus. Series latina, vol. 193, Paris 1854, 1151–1174, 1168 zum Vers 8. Cf. Honorius Augustodunensis, Expositio in Cantica Canticorum, ed. J.-P. Migne, in: Patrologia cursus completus. Series latina, vol. 172, Paris 1895, 347–495, 380 sqq. mit einer marianischen Deutung der Braut, die für Prüfening wirksam ist; cf. Stein, Prüfening (nt. 34), 52–54. Rupert von Deutz, Commentaria in Canticum Canticorum, ed. H. Haacke (Corpus Christianorum. Continuatio Medievalis 26), Turnhout 1974, 34 sq. Theophilus, De diversis artibus, III, prol., ed. Dodwell (nt. 4), 63: „[…] distinguens paradysi Dei speciem […] quodque Creatorem Deum in creatura laudant et mirabilem in operibus suis praedicant, effecisti.“ Übersetzung nach Brepohl, Theophilus (nt. 4), 26.

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Die beiden Nebenkapellen in Fortführung der Seitenschiffe südlich und nördlich des Hochchores zeigen Szenen der Altarpatrone Johannes Baptista und Benedikt von Nursia: ausgewählte Taten, ihren Tod und ihre Aufnahme in den Himmel. Tod beziehungsweise Martyrium ist jeweils über dem Altar in der Apsis gemalt (Abb. 3), die Seele der Toten scheint über ein Christusbild im Scheitel des Jochbogens in das himmlische Jerusalem geleitet zu werden, das parallel zur thronenden Ecclesia in den Gewölben beider Kapellen gemalt ist (Abb. 4) – das perfekte Vorbild für die Prüfeninger Mönche, folgt man Theophilus, denn „wenn [die gläubige Seele] sieht, wieviele Martern die Heiligen an ihren Leibern ertrugen und welchen Lohn des ewigen Lebens sie erhielten, bemüht sie sich um die Beachtung eines besseren Lebenswandels […]“38. In dem Inschriftfragment, das das Band säumt, auf dem die Seele Benedikts39 zum Himmel fährt, ist noch zu lesen: „ORNAMENTA UI[…] // […]NT PREMIA VITE“ (Abb. 5). Wie bereits bei der Ecclesia und ihren mit Edelsteinen verglichenen Tugenden wurde offenbar der Schmuck der Tugenden Benedikts mit dem Lohn des (ewigen) Lebens in Verbindung gebracht40. Die gemalte Heiligenvita im Haus Gottes erfüllt wiederum Ps 93, 5: „Heiligkeit ist die Zierde Deines Hauses, Herr, für alle Zeit.“ Solche Bilder werden auch für den monastischen Bereich und ein monastisches Publikum, als Mittel auf dem Weg der Heiligung, legitimiert. Honorius Augustodunensis (* ca. 1080–† ca. 1150), der sich vermutlich gerade zur Zeit der Gründung und Ausstattung des Prüfeninger Klosters in Regensburg aufgehalten und vielleicht Anteil an der Konzeption hat, da sich grundsätzliche Parallelen in seinen Schriften finden41, klärt mit seiner Definition des Kirchenschmucks letztlich die Frage nach einem möglichen Reflex auf den Bilddiskurs in zeitgenössischen Kirchenausstattungen. Drei Gründe zählt er für Malerei in Kirchen auf: Nach Gregor beziehungsweise den ‚Libri Carolini‘ referiert er ihre didaktische und memorierende Funktion und fügt einen dekorativen Wert hinzu, 38

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Theophilus, De diversis artibus, III, prol., ed. Dodwell (nt. 4), 64: „si quanta sancti pertulerunt in suis corporibus cruciamina quantaque uitae eternae perceperunt praemia conspicit, uitae melioris obseruationem arripit.“ Übersetzung nach Brepohl, Theophilus (nt. 4), 26. Die Ikonographie der Vision vom Tod des Heiligen wird hier vermischt mit einer für die Benediktsvita ungewöhnlichen Darstellung der Aufnahme seiner Seele in den Himmel; zur Ikonographie der Benediktsvita cf. S. Wittekind, Überlegungen zur Konstruktion von Heiligkeit in Bildviten des Hochmittelalters am Beispiel von Visionsdarstellungen, in: B. Hamm/K. Herbers/ H. Stein-Kecks (eds.), Sakralität zwischen Antike und Neuzeit (Beiträge zur Hagiographie 6), Stuttgart 2007, 43–60. Cf. Hymni communes de tempore, 13, ed. C. Blume (ed.), Der cursus s. Benedicti Nursini und die liturgischen Hymnen des 6.–9. Jahrhunderts in ihrer Beziehung zu den Sonntags- und -Ferialhymnen unseres Breviers. Eine hymnologisch-liturgische Studie auf Grund handschriftlichen Quellenmaterials (Hymnologische Beiträge 3), Leipzig 1908, 121: „Ad Tertiam. 1. Certum tenentes ordinem / Pio poscamus pectore / Hora diei tertia / Trinae virtutis gloriam, 2. Ut simus habitaculum / Illi sancto spiritui, / Qui quondam in apostolis / Hac hora distributus est. 3. Hoc gradientes ordine / Ornavit cuncta splendide / Regni caelestis conditor / Aeternae vitae praemiis.“ [Digitalisat: http://www.archive.org/ stream/dercursussbenedi00blumuoft#page/n7/mode/1up] Cf. Stein, Prüfening (nt. 34), 49–52, 65–67, 110.

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und zwar in unmißverständlicher Anspielung an Ps. 26, 8: „Ob tres autem causas fit pictura: primo quia est laicorum litteratura; secundo, ut domus tali decore ornetur; tertio, ut priorum vita in memoriam revocetur.“ 42 Unmittelbar zuvor bringt er Malerei, also materiellen Schmuck, mit dem geistlichen Schmuck der Kirche in den Tugenden beziehungsweise dem Lebenswandel überein: „Laquearium picturae sunt exempla justorum, quae Ecclesiae repraesentant ornamentum morum.“ Gemeint sind damit wohl Heiligenbilder auf Tafeln, das heißt die bildliche Darstellung eines Heiligen korrespondiert mit der Heiligkeit als Schmuck des Gotteshauses. Übertragen auf die Wandmalereien in der Abteikirche Prüfening erfüllen die dort gemalten Heiligen die Forderung nach Ps. 93, 5, wonach allein Heiligkeit das Haus Gottes ziert; und sie genügen zugleich der spirituellen Exegese von Ps. 26, 8 in aller Farbenpracht der Malerei. Andere Ausstattungen von Kirchengebäuden im 12. Jahrhundert ließen sich auf dieselbe Frage hin neu untersuchen; die Thematik der Stände der Heiligen, des himmlischen Jerusalem, des Abbilds der Kirche in den verschiedenen Bedeutungen lassen sich ebenso wie die enge kompositorische Bindung der Malerei an die Architektur und die vollständige Farbfassung in derselben Weise auf den Diskurs um Bilder und die Zierde des Hauses Gottes hin analysieren43. Die starke Tendenz zu komplexen, in sich kohärenten „Bildprogrammen“, die mit der Architektur der domus Dei auch inhaltlich eine Einheit eingehen und aktuelle theologische Diskurse aufgreifen, ist in denselben Kontext anzusiedeln44. Die von Wolfgang Kemp so treffend als „Bildsummen“ 45 bezeichneten monumentalen Ausstattungen eignen sich hervorragend und ausschließlich für ein gelehrtes Publikum, das in den repräsentativen, und selbst bei narrativen Sujets noch abstrahierenden, allegorisierenden Bildern durchaus mit Gewinn zu lesen vermag. Visualisierungen von komplexen Sachverhalten in Büchern, die dem Leser das Verständnis des komplizierten Schrifttextes erleichtern sollten, wären hier als Parallele heranzuziehen. Neben dem Boom der Diagramme sind die den Exe42

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Honorius Augustodunensis, Gemma animae, c. 132, ed. Migne (n. 36), 586C; Libri Carolini, praef., edd. Freeman/Meyvaert (nt. 6), 102: „[…] imagines in ornamentis ecclesiarum et memoria rerum gestarum habentes.“ Anweisungen zum rechten Bildschmuck zur Zierde des Hauses Gottes, wie der Pictor in carmine sie gibt, stehen in der Nachfolge dieses Diskurses; cf. K.-A. Wirth (ed.), Pictor in carmine. Ein Handbuch der Typologie aus der Zeit um 1200. Nach MS 300 des Corpus Christi College in Cambridge (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kulturgeschichte in München 17), Berlin 2006. Ohne den Psalmvers zu bemühen, „betrübt es den Autor, daß im Gotteshaus (in sanctuario Dei) mehr unpassende Malereien und auch missgestaltete Ungeheuer (deformia portenta) zu sehen sind als Zierden (ornamenta)“ (op. cit., Einleitung, 21). Der Hinweis auf Kirchen, „in denen das Malen erlaubt ist“, also zum Beispiel keine Zisterzienserkirchen, bestätigt den Bezug auf Bernhard von Clairvaux und den Bilddiskurs. Allein die von hochrangigen und gelehrten kirchlichen Amtsträgern gestifteten Kirchen und Kapellen bieten hier treffende Beispiele: Schwarzrheindorf, Idensen, Regensburg Allerheiligenkapelle, um nur die bekanntesten zu nennen. Cf. H. Stein-Kecks, div. Katalogbeiträge in: Wittekind (ed.), Romanik (nt. 7). W. Kemp, Christliche Kunst. Ihre Anfänge, ihre Strukturen, München–Paris–London 1994, 20.

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gesen der Arche beziehungsweise des Tabernakels durch Hugo von Sankt Viktor und Adam dem Prämonstratenser beigegebenen Abbildungen zu nennen46. Anhand der alttestamentlichen Typen der domus Dei entwickeln sie maßgeblich die Verknüpfung von Schrift- und Bildtext und die sich ergänzenden Rezeptionsformen. Das Lesen in Bildern, von Bernhard bezüglich der phantastischen Kapitellskulpturen diffamiert, wird als Mittel der Erkenntnis für literate Mönche rehabilitiert47. Ein leider nicht erhaltenes, aber in Schriftquellen überliefertes Beispiel lässt sich sehr eng mit Prüfening in Beziehung setzen. Ein skulptiertes, auf Marmorsäulen ruhendes und bemaltes Altarziborium in der Abteikirche von Saint-Trond/ Sint-Truiden, überliefert zum Jahr 1169, zeigte neben einer Majestas Domini die Heiligen und Seligen Trudo, Eucherius, Stephan, Quintinus Martyr mit Kronen in Händen und begleitet von Engeln mit Weihrauchfässern48. Abt Remigius, der sich als Stifter zu den Heiligen gesellte, war ein Schriftband beigegeben, auf dem der Psalmvers geschrieben stand: „Domine, dilexi decorem domus tuae.“ Das kostbar geschmückte und mit den Heiligen der Kirche bemalte Ziborium steht damit wie Prüfening im Spannungsfeld zwischen materieller und spiritueller Zierde des Gotteshauses. Die Mehrzahl der Belege für ein explizites Zitat des Psalmverses steht im Zusammenhang mit Stiftungen, Erneuerungen und Ausstattungen von Kirchen49. Abt Hugo von Cluny, dessen Neubau der Abteikirche von Anfang an durch den Beistand des Himmels gesegnet war – Petrus und Paulus gaben ihm bekanntlich in einer Vision die Maße der Kirche vor – wird in seiner Vita gerühmt, ein Haus, würdig vom Psalmisten gepriesen zu werden, gebaut zu haben. Zugleich wird – unter Berufung auf Ps. 26, 8 – der Topos bedient, daß er sowohl um den materiellen, als auch um den spirituellen Schmuck des Hauses Gottes, den Ort seiner Ehre, besorgt war, sowohl um die monastische Gemein-

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Cf. Hugo von St. Viktor, De archa Noe, ed. P. Sicard (Corpus Christianorum. Continuatio Medievalis 176), Turnhout 1994; dazu cf. P. Sicard, Diagrammes médiévaux et Exégèse visuelle. Le libellus de formatione arche de Hugues de Saint-Victor (Bibliotheca Victorina 4), Paris–Turnhout 1993. Cf. Adam Scotus, De tripartito tabernaculo, ed. J.-P. Migne, in: Patrologia cursus completus. Series latina, vol. 198, Paris 1855, 609B-796B; dazu cf. Wirth, L’image (nt. 34), 183–191. Cf. Adam Scotus, De tripartito tabernaculo (nt. 46), prooem. I, c. IV, 611C: „Qualiter vero et per librum picturam, et per picturam librum intelligere possitis: […] et quod in libro legetis, et in pictura videbitis, ad unam concordiam redigere debeatis […]“; dazu cf. H. Stein-Kecks, Bilder im Rahmen der Architektur – ein Exkurs zum grünen Rahmen um den blauen Bildgrund, in: H. Körner/K. Möseneder (eds.), Rahmen. Zwischen Innen und Außen. Beiträge zur Theorie und Geschichte, Berlin 2010, 21–39, bes. 34 sq. Grundlegend cf. Ch. Meier, Malerei des Unsichtbaren: über den Zusammenhang von Erkenntnistheorie und Bildstruktur im Mittelalter, in: W. Harms (ed.), Text und Bild, Bild und Text (Germanistische Symposien, Berichtsbände 11) Stuttgart 1990, 35–65. Cf. Gesta abbatum Trudonensium, IV, c. 5, ed. R. Koepke (Monumenta Germaniae Historica. Scriptores 10), Hannover 1852, 333–361. Cf. Dahl, Building (nt. 7), 163. Cf. Dahl, Building (nt. 7), 162–164. Weitere Belege bei O. Lehmann-Brockhaus, Schriftquellen zur Kunstgeschichte des 11. und 12. Jahrhunderts für Deutschland, Lothringen und Italien, 2 voll., Berlin 1939, s. v., sowie id., Lateinische Schriftquellen zur Kunst in England, Wales und Schottland vom Jahre 901 zum Jahre 1307, 5 voll., München 1955–1960.

Theophilus Presbyter, Boto von Prüfening und der Bilderschmuck der Kirchen

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schaft, als auch um den Bau des Klosters: „Utriusque autem gloriae, gregis scilicet et loci, beatus Hugo sollicitus institit procurator coram Deo et angelis, pura dicturus conscientia, ‚Domine dilexi decorem domus tuae, et locum habitationis gloriae tuae‘.“ 50 Dieses Zusammentreffen von beidem, von innerem und äußerem Schmuck, mag man auch in der Ausstattung und im Aufbau des neu errichteten Reformklosters Prüfening erkennen. Wenn die als königliche Gründerin verehrte Äbtissin Plectrudis, um ein weiteres Beispiel zu nennen, in ihrem neuen Epitaph in Sankt Maria im Kapitol ebenfalls den Psalmvers auf ihr Schriftband geschrieben bekam, wird damit wohl zum einen ihre inzwischen weit zurückliegende Klostergründung memoriert – und das zu einem Zeitpunkt, als das Kloster gerade wieder einen Erneuerungsprozeß durchlaufen hat –, zum anderen mögen auch ihre persönlichen Verdienste und Tugenden, die sie selbst zum Schmuck des Hauses Gottes und zum Ort seiner Ehre gemacht haben, angesprochen sein51. Der nachhaltige Erfolg der ästhetischen Begründung von Bildern in Kirchen – ebenso wie der affektiven – ist bekannt. Ebenso die Fortführung des Bilddiskurses bis ins konfessionelle Zeitalter52. Mit dem Psalmvers zieht sich ein roter Faden durch die Debatte, ja selbst in der Renaissancetheorie wird er indirekt weitergeführt. Leon Battista Alberti bezieht sich in seinem Architekturtraktat (um 1452, gedruckt 1485) offenbar noch immer darauf, wenn er Bildschmuck in Kirchen ablehnt und sich dabei auf die Antike beruft: „Cicero glaubt wieder nach dem Vorbild Platos, die Seinen durch ein Gesetz ermahnen zu müssen, daß sie in den Tempeln den eitlen Schmuck und Tand verwerfen und den bloßen weißen Glanz vor allem erlauben sollten. […] Ich für meine Person“, so begründet Alberti seine eigene Haltung, „bin vollkommen überzeugt, daß die Himmlischen an der Reinheit und Einfachheit der Farbe und des Lebens gleicherweise am meisten Gefallen finden, und daß es nicht angeht, in den Tempeln Dinge zu haben, welche die Seele von der religiösen Betrachtung zu verschiedenerlei Sinnenreiz und Ergötzlichkeiten ablenken.“53 Sowohl Bernhard, als auch die spirituelle und materielle 50 51

52 53

Vita sancti Hugonis abbatis Cluniacensis VI., edd. M. Marrier/A. Du Chesne, in: Bibliotheca Cluniacensis, Paris 1614 [Neudruck Mâcon 1915], 458. Cf. Dahl, Building (nt. 7), 177. Hinweis aus R. Suckale, Das Hochaltarretabel der St. Jacobi-Kirche in Göttingen als Geschichtsdokument, in: B. Craqué/H. Röckelein (eds.), Das Hochaltarretabel der St. Jacobi-Kirche in Göttingen (Studien zur Germania Sacra 27), Göttingen 2005, 69–99, hier 80 sq. und nt. 34; F. Dahm, Die romanische Grablege der Plectrudis in der Kölner Kirche St. Maria, in: Aachener Kunstblätter 60 (1994), 211–222; R. Budde, Deutsche Romanische Skulptur 1050–1250, München 1979, 68, Kat. 124; A. Legner, Kölner Heilige und Heiligtümer. Ein Jahrtausend europäischer Reliquienkultur, Köln 2003, 134. Cf. K. Möseneder, Paracelsus und die Bilder. Über Glauben, Magie und Astrologie im Reformationszeitalter (Frühe Neuzeit 140), Tübingen 2009, 21–51. Leon Battista Alberti, De re aedificatoria, VII, c. 10, edd. G. Orlandi/P. Portoghesi, L’architettura (De re aedificatoria), vol. 2, Milano 1966, 609: „Cicero Platone imitatus lege admonendos putavit suos, ut in templis spreta ornamentorum varietate atque illecebris candorem in promis probarent; Tamen – inquit – specimen esto. Mihi quidem perfacile persuadebitur coloris aeque atque vitae puritatem et simplicitatem superis optimis gratissimam esse; et habere in templis, quae animos a meditatione religionis ad varia sensus illectamenta et amoenitates avertant non convenit.“ Übersetzung nach M. Theuer, in: Leon Battista Alberti, Zehn Bücher

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Heidrun Stein-Kecks

Deutung des Hauses Gottes mit der Opposition von innerer und äußerer Zier bleiben unter dem neuen Mantel des Tempels der Himmlischen erhalten. Der Diskurs um den materiellen und den spirituellen Schmuck der Kirche endet freilich nicht hier, sondern wird in den konfessionellen Auseinandersetzungen weitergeführt. Während etwa die Predigt zur Einweihung der (nahezu bilderlosen) lutherischen Dreieinigkeitskirche in Regensburg 1631 bei aller Freude über den neuen Kirchenbau den inneren Schmuck der Tugenden gegenüber dem äußeren der materiellen Zier hervorhob, tauchen im katholischen Umfeld immer wieder Inschriften auf, die die Pracht eines Kirchenbaus mit Psalm 26, 8 – wie Theophilus – in ganz wörtlichem Sinn preisen54.

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über die Baukunst, Wien–Leipzig 1912 [Neudruck Darmstadt 1975], 380; dazu cf. auch op. cit., 324. Cf. V. Biermann, Ornamentum: Studien zum Traktat ‚De re aedificatoria‘ des Leon Battista Alberti (Studien zur Kunstgeschichte 111) Hildesheim–Zürich–New York 1997; H.-K. Lücke, ‚Ornamentum‘ reconsidered: observations on Alberti’s ‚De re aedificatoria libri decem’, in: Albertiana 7 (2004), 99–113. Die Predigt des Superintendenten Salomon Lenz ist gedruckt in: Encaenia Ratisbonensia. Regenspurgische Kirchweih […], Regensburg 1633, 49–80; dazu cf. D. Wölfel, Salomon Lentz 1584– 1647. Ein Beitrag zur Geschichte des orthodoxen Luthertums im Dreißigjährigen Krieg (Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns 65), Gunzenhausen–Neustadt (Aisch) 1991, 371 mit nt. 218 (Bezugnahme auf Melanchthon); U. Schlegelmilch, Descriptio templi. Architektur und Fest in der lateinischen Dichtung des konfessionellen Zeitalters (Jesuitica. Quellen und Studien zu Geschichte, Kunst und Literatur der Gesellschaft Jesu im deutschsprachigen Raum 5), Regensburg 2003, 520–539. Zu einer Inschrift mit Ps. 26, 8 in der Schlierbacher Stiftskirche (1680–1708) cf. L. Keplinger, Ikonographie der Schlierbacher Stiftskirche, Schlierbach 2008.

The ‘Book on How to Make Colours’ (‘O livro de como se fazem as cores’) and the ‘Schedula diversarum artium’ D M / L U. A (Lisbon) I. Introduction Research on the sources of medieval art materials and techniques, complemented with the analytical examination of the works themselves, has been decisive to the knowledge of the state of medieval technology. Within the written sources of medieval art material and techniques, the ‘Schedula diversarum artium’ holds a pivotal place as one of the best-known technical treatises in Europe, with several extant copies spread throughout European libraries. The ‘Schedula diversarum artium’, also known as ‘De diversis artibus’, is a logically structured work, the result of a practising artist whose devoted work was intended to “the increase of the honour and glory” of God and to the “advancement” of men1. Its three books comprise a significant amount of subjects such as miniature and mural painting (Book I), glass techniques and painting on glass (Book II), and metal, gems and ivory techniques (Book III). Although there are no surviving copies of the ‘Schedula’ in any Portuguese libraries, its influence on Portuguese medieval art, specifically concerning the treatment of miniature figures from the Alcobaça monastery, as well as in metalwork, has already been established.2 The ‘Book on how to make colours of all the paints’, in Portuguese ‘O livro de como se fazem as cores das tintas todas’ (henceforth: ‘Livro das cores’), is an anonymous medieval compilation of recipes for the preparation of pigments and paints, mostly for book illumination. It is the only medieval Portuguese written

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Theophilus, De diversis artibus, I, prol., ed. Ch. R. Dodwell, in: Theophilus, De diversis artibus – The Various Arts, London 1961 [Reprint Oxford 1986, 1998], 4: “[…] sed in augmentum honoris et gloriae nominis eius multorum necessitatibus succurrisse et profectibus consuluisse.” English translation: Theophilus, On Divers Arts. The Foremost Medieval Treatise on Painting, Glassmaking and Metalwork, trans. by J.-G. Hawthorne and C.-S. Smith, New York 1979, 13. A. Miranda, A construção de uma imagem de poder: a figura do rei na arbor consanguinitatis, in: E. Fernanández González (ed.), Imágenes del poder en la Edad Media, vol. 2: Estudios in memoriam del Prof. Dr. Fernando Galván Freile, León 2011, 341–355. The author has determined that the treatment of the human figures in a manuscript of the Alcobaça monastery is in accordance with the instructions given in the first book of the ‘Schedula’. Also, there are some other evidences of such influence in the work with gold.

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source of materials and techniques for book illumination and painting3. The analysis of its recipes and textual structure allowed us to conclude that it is not a coherent treatise but rather a compilation of recipes that may have one or more sources. In this paper we evaluate the influence of the ‘Schedula diversarum artium’ on the ‘Livro das cores’. This will allow further determination of the context and the degree of originality of the Portuguese text. The remainder of this paper is structured as follows: we begin by defining the background of the ‘Livro das cores’, followed by the analysis of the text. We then proceed to establish the context of the ‘Livro das cores’ within medieval colour treatises, followed by its comparison with the ‘Schedula diversarum artium’. II. Preliminar y obser vations Even though there was a significant manuscript production in Portugal throughout the Middle Ages, there are barely any textual sources on the materials and techniques employed in Portuguese scriptoria. This historical silence is equally felt in the rest of the Iberian Peninsula, as there are no extant original technical treatises on pigment and colour preparation. Known recipes are generally included in texts of a different nature, and in most cases they are found by chance4. In Portugal, apart from a few ink recipes, the only surviving medieval source regarding the preparation of pigments and paints for book illumination is a small text entitled ‘Livro das Cores’. Its only known copy is included in a collection of texts concerning the copy and decoration of Hebrew sacred texts such as Bibles and liturgical books, as well as Torah scrolls, tefillin and mezuzot (Parma, Biblioteca Palatina, Ms. 1959). Some units are copies of known texts, whereas others seem to be original. Despite the textual diversity most units share the same format, justification and number of lines. Ms. Parma 1959 was initially thought to be an assorted compilation of texts written by different hands. However, recent research has established that the palaeographic differences are in fact the result of different modes of writing (regular and current semi-cursive, square and cursive) by the same hand 5. According to the only colophon in the volume (fol. 184v), the copyist was Abraham ben Yehudah ibn Hayyim, who copied it in Loulé (south of Portugal) in the “Jewish year of 22”. This date was initially interpreted as 1262 6, yet the watermarks in the 3

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So far, there are only two known original Portuguese technical texts for colour preparation, the medieval ‘Livro das cores’ and the seventeenth century ‘Breve tratado de Iluminação’ (anonymous). Cf. R. de la Llave, Un recetario técnico castellano del siglo XV: el manuscrito H490 de la Facultad de Medicina de Montpellier, in: En la España Medieval 28 (2005), 7–48. Each mode of writing is directly related to a specific theme; cf. D. Matos, The Ms. Parma 1959 in the context of Hebrew illumination (Master thesis), Lisbon University 2011. Cf. G. B. de Rossi, Manuscripti codices hebraici bibliothecae, vol. 3, Parma 1803, 21 sq., who mistakenly identifies the ‘Jewish year of 22’ as 1262.

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volume suggest a later moment, more specifically 1462. Ibn Hayyim’s name also appears in an ornamented signature included at the end of the ‘Livro das cores’. This, nevertheless, should not be interpreted as a sign of authorship but rather as the name of its copyist and owner. The majority of texts included in Ms. Parma 1959 are written in Hebrew with two exceptions: the ‘Livro das cores’ (foll. 1r–20r) and a group of additional recipes (fol. 28v and fol. 79r), which are similar in terms of contents7. In both cases they are written in the vernacular using Hebrew script, a unique combination that is frequently described as Judeo-Portuguese8. However, there is a complete absence of a Jewish lexical component that is so characteristic of other Judeo-Portuguese texts, and the existence of treatises originally in the vernacular (scientific texts in particular) that have been transliterated with Hebrew characters seems to suggest that the ‘Livro das cores’ may be a transliteration of a Portuguese text (or texts). This combination should therefore be interpreted as a sign of acculturation of the copyist and at the same time raises the question of what was the source (or sources) of the current version of the ‘Livro das cores’. The use of Hebrew script and the type of the texts included in Ms. Parma 1959 undoubtedly associate it with the Portuguese medieval Jewish community. The revised date of 1462 coincides precisely with the beginning of the intensive production of illuminated manuscripts in Lisbon9. Evidence points towards the existence of an organised centre where books were copied and systematically decorated. Yet there is still no research on the pigments used in Portuguese Hebrew manuscripts and therefore no comparison with the pigments and procedures described in the ‘Livro das cores’ has been established, even though at a first glance it is possible to ascertain some degree of connection particularly in terms of chrysography and the range of colours used. Interestingly enough, a few studies suggest that there are examples of Portuguese illumination where the materials employed are closely related to the text in the ‘Livro das cores’, as is the

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These recipes were initially described as medical recipes, however our analysis allowed us to determine that they are related to the preparation of stag’s glue and size (fol. 28v), as well as pigments and mordants (fol. 79r). The language of the ‘Livro das cores’ was studied by Devon Strolovich, firstly in the context of other Judeo-Portuguese texts (PhD Dissertation) and then integrated in the multidisciplinary research project entitled “The materials of the image: pigments on Portuguese treatises from the Middle Ages to 1850”, reference POCI/EAT/58065/2004 of the Portuguese Foundation for Science and Technology. For more information on the Portuguese Hebrew manuscripts cf. T. Metzger, Les manuscrits hébreux copiés et décorés à Lisbonne dans les dernières décennies du XVe siècle (Cultura medieval e moderna 6), Paris 1977; G. Sed-Rajna, Manuscrits hébreux de Lisbonne: Un atelier de copistes et d’enlumineurs au XVe siècle (Institut de recherche et d’histoire des textes. Documents, études et répertoires 16), Paris 1970.

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case of the ‘Livro das Aves’ (‘Book of Birds’) of Lorvão, one of the most important Portuguese scriptoria10, as well as the Charter of Vila Flor11, of 1512. III. T he text of the ‘Livro das cores’ The language in the ‘Livro das cores’ is clearly from the fifteenth century with frequent references to materials and procedures that were common in the previous century. For example, the inclusion of typical fifteenth century procedures for aurum musivum (mosaic gold) and turnsole, as well as recipes for brazilwood and Arabic gum, both common in the fourteenth century. Thus, the question that poses is to what extent is the ‘Livro das cores’ an original compilation or reworking of pre-existing material? If it is a reworking, then the sources for this text and the extent of their influence is still to be determined. The structure of the text points towards a division in several parts12. This is corroborated with the existence of two incipits: one in the initial chapter and another in chapter 25. The duplication of some procedures seen in the repetition of recipes for the same pigments, the analysis of contents (materials, procedures, purposes, and so on), as well as some linguistic differences in terms of syntax and terminology, all suggest the division of the text into three main parts. Part One (chapters 1–15) is the most extensive, dealing with techniques and materials for illumination. Each chapter deals with a specific procedure to obtain pigments that are mainly inorganic. It includes a few alchemic references such as the use of the planets to represent specific metals (gold being represented by the Sun, silver by the Moon and tin by Jupiter), and the expression “take your work” which might be connected with the alchemic Great Work, as well as the reference to a glass dome and the process of indirect heating mentioned in some recipes that are more typical of a laboratory than of a painter’s workshop13. Recipe four (for gold grinding) is particularly important, as it establishes the date of the recipe and therefore of Part One. The reference to gold coins (dobras, florins and escudos) puts its in early fourteenth century to early fifteenth. The joint circulation of these coins cannot be previous to the end of the thirteenth century, given that only in 1266 this last coin began to be minted. Furthermore, both the escudo and the florim are foreign coins, French and Italian, respectively, which means that it must have taken some time until they became frequent in the Portuguese 10

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Cf. A. Miranda/A. Lemos/C. Miguel/M. J. Melo, On Wings of Blue: the history, materials and techniques of the Book of Birds in Portuguese scriptoria, in: L. U. Afonso (ed.), The Materials of the Image – As Matérias da Imagem (Série monográfica Alberto Benveniste 3), Lisbon 2010, 171–184. Cf. M. J. Melo, A study on Portuguese manuscript illumination: The Charter of Vila Flor (Flower town), in: Journal of Cultural Heritage 8 (2007), 299–306. Cf. L. U. Afonso, New Developments in the study of O Livro de Como se Fazem as Cores, in: id. (ed.), The Materials of the Image (nt. 10), 3–27. Cf. op. cit., 8.

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monetary circuit. In the thirteenth century, the Peninsular morabetin were still the most important golden coin in Portugal, therefore it would not make sense to ignore them if the text of the Cores had been written in the thirteenth century. Moreover, it is precisely in the period between ca. 1300 and ca. 1400 that the three mentioned coins in chapter four were, simultaneously, more frequent in Portugal 14. Part Two (chapters 16–24) is essentially focused on the techniques of dyeing objects made of wood and bone. Recipes twenty-two and twenty-three are missing. This part denotes a stronger Arabic influence, more specifically in the technical language (for example, “azarnefe” instead of orpiment, “alfadida” instead of cuprous oxide, and so on). However, this is not exclusive of Part Two and it also seen, to some extent, in Part One. In both cases, the Arabic vocabulary is mostly used for technical terms15, some of them more frequent in other texts than others. Although this may point to an original source and a desire to keep the original terms unchanged, the use of such words can simply be the result of their importation into both Portuguese and Spanish (Castilian) languages, although (especially in the case of the Portuguese language) they do not apply anymore16. Part Three (chapters 25–45) is composed of recipes mainly for the mixture of pigments and dyes. Each chapter presents several recipes related to an initial pigment. Most pigments in this part are of organic origin, and the language denotes some Castilian influence. Chapter 27 is particularly interesting: according to the writer, there are ten main colours (blue, orpiment and vermilion, green, carmine, “sufi”, turnsole, saffron, red lead and brazil), yet this list seems to include eleven colours instead. Two possibilities have been pointed: either the author considers orpiment and vermilion a single colour, perhaps red orpiment (realgar) or purpurinus, in this case, mosaic gold; or, as some authors suggest, carmine and “sufi” relate to a single colour. This intriguing word, “sufi”, has also several possible meanings: Espinosa Villegas, who translated the ‘Livro das cores’ into Spanish, suggests that “sufi” must be an archaic form of the Galician and Castilian word, originally Arabic “zupia” (“sopié”, “sapa”). It designates the sort of turbid wine still containing sediment17. This way, “sufi” would mean a colour within the range of carmine. Another possibility, pointed out by David Blondheim18 and

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For more information of the dating of the ‘Livro das cores’ cf. op. cit., 5; A. J. Cruz/L. U. Afonso, On the Date and Contents of a Portuguese Medieval Technical Book of Illumination, in: The Medieval History Journal 11,1 (2008), 1–28, 3. Alcrevite (sulphur), anoxatar (sal ammoniac), azinhavre (verdigris), azarcon (minium), alfer (tin), alvaialde (white lead), among others. One should notice that the preservation of the Arab knowledge is equally seen in the ‘Mappae Clavicula’, and the ‘Schedula diversarum artium’ equally preserved some Byzantine knowledge. Cf. M. Espinosa Villegas, O livro de como se fazen as cores de Abraham bar Yehudah Ibn Hayyim, in: Cuadernos de Arte de la Universidad de Granada 27 (1996), 7–22. Cf. D. Blondheim, An Old Portuguese Work on Manuscript Illumination, in: Jewish Quarterly Review 19,2 (1928), 97–135.

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Devon Strolovich19, is that “sufi” may be referring to a reddish wool wore by members of the Sufi sect of Islam. Despite the terminological affinity between the first two parts, the vocabulary employed in the third part is significantly different. For instance, instead of alvaialde (white lead), the term “branchete” is used. In fact, another aspect that contributes to the independence of the third part is the repetition of some recipes of the first part, although the procedures are different. However, this overlap of recipes is only partial. More recently, our analysis of Ms. Parma 1959 and the ‘Livro das cores’ raised an important issue: the existence of a specific mark in several parts of the text of the ‘Livro das cores’ suggests an alternate division. This mark, which also signals the end of the first recipe on fol. 28v, appears in the ‘Livro das cores’ at the end of chapter 16; together with the catchword on fol. 12v, which corresponds to the missing folio with chapters 22 and 23; at the end of chapter 40; and in the catchword on fol. 18v. Hence, following the placement of these marks, the ‘Livro das cores’ can alternatively be divided in four parts: Part One includes the first 16 chapters, and it includes some alchemic language; Part Two includes chapters 17 to 22 or 23 (both in the missing folio), and it is the most coherent one, dealing with the dyeing of wood and bone, with a strong Arabic influence; Part Three corresponds to chapters 24 to 40, and it mostly deals with colour tempering, shades and variations, as well as mixtures and mordants; and finally Part Four includes chapters 41 to 45 which are assorted recipes with no predominant theme20. IV. T he ‘Livro das cores’ within the conte xt of medieval colour texts The question remains: does the division of the ‘Livro das cores’ correspond to several sources? The comparison with the ‘Mappae Clavicula’ has already been made, although there is no clear connection between the two texts. There are some similarities with Jean le Bègue’s ‘Experimenta de coloribus’ (1431) and with the manuscript H 490 of the Medical Faculty of Montpellier (1460–1480 21, and to a lesser extent with the Bolognese manuscript (first half of the fifteenth century) 22. Indeed, the presence of several sources is not an exclusive feature of the ‘Livro das cores’, but rather the prevailing pattern of medieval texts concerning the preparation of pigments and inks. From the fourteenth century onwards, long and coherent texts such as the ‘Schedula diversarum artium’ give way to collec19 20 21 22

Cf. Espinosa Villegas, O livro (nt. 17), 21. Cf. D. Matos, The Ms. Parma 1959 (nt. 5), 148–157. Montpellier, Bibliothèque interuniversitaire, Section médecine, Fonds anciens, Ms. H 490. This study was conducted by A. J. Cruz, Em busca da origem das cores de ‘O Livro de Como se Fazem as Cores’: sobre as fontes de um receituário português medieval de materiais e técnicas de pintura, in: Afonso (ed.), The Materials of the Image (nt. 10), 75–85.

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tions and compilations of recipes and independent treatises, which increasingly replaced the earlier Latin texts. Collections and compilations were randomly assembled or organised by theme, and frequently include extracts of older known texts in the form of translations or paraphrases which, consequently, can be presented as reworked material. The very nature of recipes, in the sense that they are short texts, enables the process of selection, interpolation and reworking according to the specific interest or interests of the compiler, or of his audience. These features, together with the increase of the use of the vernacular (and consequent translation of older sources), contribute to the difficulty of determining the process of textual transmission23. Mark Clarke, in his analysis of the ‘Livro das cores’, suggests a few examples of individual words that may be translated from earlier Latin texts: “vegera boli” and “azarcoanboli” (chapter 16), which most likely are boles (coloured clays used for etching resist). Clarke further suggests that the word “katasol” can be a calque from the Latin “torna-ad-solem”, which should not be translated as “sunflower” but rather as “turnsole”, a dye product producing red-purple-blue, according to the alkalinit24. Another interesting expression is “garassa di nobra”, perhaps a corruption of the Latin word “glassa” or “grassa”, an ingredient commonly found in varnish recipes, possibly some sort of resin. This word, as we shall see, may be related to the “glassa” mentioned in the ‘Schedula’25. There are other intriguing words that may be better understood in this context of translations, such as the previously mentioned “sufi”. The same happens in the ‘Schedula’, where some terms, such as “prasinus”, or “folium” raise new possibilities of interpretation. Finally, to what extent does the ‘Livro das cores’ reflect workshop practices in which new materials and processes are introduced? In the case of the ‘Livro das cores’, several codicological evidences support the idea of it being linked to a workshop environment: the fact that it is written in paper26, its format, the use of vernacular27, or the fact that it is part of a general compilation of texts related to a specific subject. Yet, it may be more accurately associated with the whole 23 24 25 26

27

Also, the subsequent copy of such compilations by a single hand and the elimination of transpositions will give a uniform look to the new manuscript. In fact, and despite the confusion in English, the word “sunflower” is translated in Portuguese as “girassol”, which is different from “katasol”, a word that still is used for the dye. Cf. Theophilus, De diversis artibus, I, c. 21, ed. Dodwell (nt. 1), 19: “[…] quod Romane glassa dicitur.” Cf. M. Clarke, The context of the Livro de como se fazem as cores: late mediaeval artists’ recipe books (14th–15th centuries), in: Afonso (ed.), The Materials of the Image (nt. 10), 45–73, 56: “Paper, rather than print, may be the key to the shift from reproducing old texts to producing new ones. In addition to making fair copies of manuscripts on parchment for preservation of a text for posteriority, paper ‘rough copy’ manuscripts are written for one’s own use, especially those in one’s own personal vernacular consisting of translations of extracts and new personal observations.” With the increase of literacy in the fourteenth and fifteenth centuries, vernacular texts appealed to apprentices and new segments of the audience who often commissioned vernacular translations; cf. op. cit., 54.

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environment of learning, that may include the workshop and classroom theory, especially if one considers Ms. Parma 1959 as a single unit. Concerning the introduction of new materials and techniques in fourteenth and fifteenth century technical texts, there is a visible increase of the number of used pigments, especially organic pigments for scribes and illuminators, although a large portion was previously known. As an example, ultramarine blue (chapter 5 in the ‘Livro das cores’) began to be used in Northern Europe around the eleventh century, but the earliest records are from 100 to 150 years later. Thus, it seems that late technical manuscripts, among them the ‘Livro das cores’, are a combination of compilation and adaptation of old material, which sometimes preserve the errors of the previous texts, and newly composed material that reflects personal knowledge. V. T he ‘Livro das cores’ and the ‘Schedula diversar um ar tium’ So far, we have described the main features and specificities of the ‘Livro das cores’ and established the necessary background to better understand any possible relationship with the ‘Schedula diversarum artium’. One of the most disconcerting evidences is the fact that there are neither surviving copies nor records of the existence of the ‘Schedula’ in Portugal. Likewise, there are also no extant copies of any other medieval technical treatises dealing with pigment or colour preparation. Even so, this does not exclude the presence of such technical texts in Medieval Iberia. In the rest of the Iberian Peninsula, where the situation is similar, the main texts circulated since an earlier time. One example of such is the Codex Matritensis, held at the Biblioteca Nacional de Madrid (dating from ca. 1130); this text is in close relation to the ‘Lucca’ manuscript and the ‘Leyden papyrus X’. In the same library there are records of the ‘Mappae Clavicula’, which is another similarity with Portugal, as there is a record of a copy of this treatise in the Monastery of Santa Cruz de Coimbra, one of the most important medieval scriptoria. Unfortunately, this manuscript is now lost, and there is no physical evidence of the procedures of colour preparation in Portugal, apart from a few common ink recipes28. Regarding the ‘Schedula’, there is evidence that it was known in Portugal. This can be seen in the treatment of human figures and the use of specific colours, such as grey, in (at least) one manuscript of the Alcobaça monastery, possibly also in some others from another scriptorium (Lorvão monastery), and some technical aspects of the working of gold that follow the instructions of the ‘Schedula’. One should always consider, when it comes to the study of the Portuguese manuscripts – that there is still a great amount of work to be done.

28

Cf. M. J. Santos, Da visigótica à carolina. A escrita em Portugal de 882a 1172: Aspectos técnicos e culturais, Lisbon 1994.

The ‘Book on how to make colours’

313

A second question that may be asked is why the ‘Schedula’ should be considered as an underlying source in the ‘Livro das cores’. As previously mentioned, there is already a study comparing it with the ‘Mappae Clavicula’, which determined similarities in terms of the procedures to obtain artificial pigments and paints such as mosaic gold, silver blue, red lead, verdigris, and vermilion. However, there is no reference to mosaic gold on the ‘Mappae Clavicula’, and the procedures for other pigments are significantly different. Undoubtedly, the most relevant connection between the two texts is the recipe for silver blue, even though the procedure is not exactly the same. Moreover, the comparison of specific pigments such as mosaic gold and silver blue with ‘Experimenta de Coloribus’, the Montpellier Manuscript and with ‘Segreti per Colori’ determined that the similarities are essentially in terms of procedures and the names given to certain pigments and raw materials. Clearly, this does not imply the direct usage of the texts as sources, and the similarities can be second-handed or coincidental. Hence, what was left to determine was the degree of influence, if any, of the ‘Schedula diversarum artium’ on the ‘Livro das cores’. For this purpose, only the Book I of the ‘Schedula’ will be taken into account, as it deals with painting techniques and colour preparation, which is the main subject of the ‘Livro das cores’. In analysing the first book of the ‘Schedula’, it is possible to divide the text into three larger parts according to the subjects. The first part, comprising the first sixteen chapters, focuses mostly on modelling techniques essentially for mural and panel painting. The middle part (chapters 17–30) addresses some technical procedures, among them the instructions for gold milling (chapter 28). This curious recipe clearly denotes the particular interest of the author, and could easily be incorporated into Book III, the most extensive (and comprehensive) of the three books of the ‘Schedula’. A third and last part (chapters 33–38) deals with the preparation of pigments and ink for book illumination. Let us begin by comparing a few important aspects similarities between the two texts. Naturally, the third part of the ‘Schedula’ is the most relevant, as it deals with techniques related to pigments (grinding, tempering, the more suitable, and so on). However, there are no instructions for the preparation of parchment, brushes or burnishers, perhaps because these subjects were already well-known and not worth repeating. The range of colours suggested in the ‘Schedula’ and in the ‘Livro das cores’ overlap to some extent: as is explained in the initial Prologue of the latter, gold was the most desired outcome, and throughout the text there is a significant amount of recipes for gold imitation or gold leaf application. Yet we do not find any recipes that involve any alchemic purification of materials. Instead, there is a very pragmatic approach to gold imitation in the best known ways: mosaic gold (two chapters), the combination of tin, mercury, sulphur and sal ammoniac; the already mentioned variety of procedures to the application of gold leaf, gold grinding, gilding with gold and pigments to imitate gold (saffron and orpiment). Even though in the ‘Schedula’ there is a reference to orpiment (chapter 14), it is used to obtain a different result and not intended for gold imita-

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Débora Matos/Luís U. Afonso

tion. Moreover, and as expected, there is no reference to mosaic gold (which was generally used from the fourteenth century onwards). Another relevant aspect in the ‘Livro das cores’ is the colour blue, particularly silver blue (chapter 5), a copper acetate. There are also references to indigo, azure 29 and turnsole, which can produce bluish colours. In contrast, the most common pigment in the ‘Schedula’ is azure, which must be a synthetic copper, although there are some records of lapis lazuli in Europe since the eleventh century. An important fact is that none of the recipes for copper blue are from the same period, but there are some with blue vegetable dye (as referred in the ‘Lucca’ manuscript, and several other recipes), as well as those for ultramarine from lapis lazuli (the ‘Heraclius’ treatise refers to azurum, which must be ultramarine, as he mentions a heat test to which the stone is exposed before being ground). Also in the ‘Mappae Clavicula’, there are three recipes for blue colours: ‘De Lazorio’30. There is a significant amount of recipes for the tempering of blue pigments in the ‘Livro das cores’, as well as one recipe for the extraction of blue from silver (silver blue) using vinegar. The procedures are similar to other texts but have no parallel in the ‘Schedula diversarum artium’. A common feature of both texts is the use of Indigo blue, a blue pigment extracted from plants such as the Indigosfera tinctoria, which was altered by an alkaline source (frequently urine) and turnsole, whose possible parallel in the ‘Schedula’ is the mysterious folium (although in chapter 33 there is the elucidation that there are three types of folium: red, purple and blue). In addition to blue pigments, another important intended result in the ‘Livro das cores’ is red and its related colours. Red is, perhaps, the most essential and common of all colours in any artist’s palette. Since early times, vermillion, a bright scarlet colour, was obtained from cinnabar, and from the ninth century onwards, synthetic vermilion (a compound of mercury and sulphur) was also prepared. In the ‘Livro das cores’ there is no reference to cinnabar, and the vermilion obtained is clearly synthetic, created by heating together mercury and sulphur, which finds a similar example in chapter 34 of the ‘Schedula’. It is interesting to notice that Daniel V. Thompson31 suggests that the word “cenobrium” must correspond to vermillion and not to cinnabar. Another red pigment is minium (chapter 10 in the ‘Livro das cores’), which was prepared from roasting white lead (“azarcon”), as it

29

30

31

This is only mentioned by David Simon Blondheim in his translation of this treatise, chapter 27; cf. Blondheim, An Old Portuguese Work (nt. 18), 130: “If you wish to make a blue color, put azure in it.” Nevertheless, both other transliterations use the word “azul”, which is translated as blue and not azure. Cf. M. Orna/M. J. D. Low/N. S. Baer, Synthetic Blue Pigments: Ninth to Sixteenth Centuries, I: Literature, in: Studies in Conservation 25 (1980), 53–63; id., Synthetic Blue Pigments: Ninth to Sixteenth Centuries, II: Silver Blue, in: Studies in Conservation 30 (1985), 155–160. Cf. D. V. Thompson, Theophilus Presbyter: Words and Meaning in Technical Translation, in: Speculum 42,2 (1967), 313–339.

The ‘Book on how to make colours’

315

was the most common procedure. Again, the process in the ‘Schedula’ is similar (chapter 37). Also in the range of red colours, carmine is mentioned in both texts, although in the ‘Schedula’ it is essentially just a reference. The ‘Livro das cores’ presents several procedures to obtain it (chapters 13, 14 and 30). Finally, the preparation of rose is explained in both texts. In the ‘Livro das cores’, the main ingredient is brazilwood, a typical fourteenth century practice, although by the fifteenth century red inks made from brazilwood became very popular and were highly desired. Its preparation usually involved the scraping of the wood with a piece of glass, which was often soaked in glair and then mordanted with alum. The rose in the ‘Schedula’ is significantly different: it is the result of the mixture of white lead with vermilion or minium, and the intended result was the colour of the flesh. Another common colour in both the ‘Livro das cores’ and the ‘Schedula diversarum artium’ is green, more precisely, verdigris, although in the latter it is called Spanish green and salt green. In the ‘Livro das cores’, the name for verdigris is “azinhavre” (chapter 11). Concerning the white pigments, the most common is white lead (ceruse), which can be found in both texts. Also common to both texts is a whitening agent, gypsum, a calcium sulfate, and limestone. Leaving aside the pigments, and moving on to the binders, one should notice that there is no reference to gum Arabic in the ‘Schedula diversarum artium’, and the main binder for book illumination is glair, although oil and cherry or plum resin (chapter 25) are also used. In chapter 25, there is a warning that minium, white lead (“ceruse”) and carmine should only be used with glair. Linseed oil is used for wood (chapters 20, 21 and 25) and on metal surfaces (24, 25 and 27). In the ‘Livro das cores’ there is also a reference to linseed oil, chapter 42, in the context of the manufacture of varnish. In addition, both texts suggest the use of animal glue (the aforementioned fish glue), and parchment glue. With regard to varnishes, Thompson suggests that the word “fornis” or “glassa” (chapter 21 of the ‘Schedula’), must be closely related to the ingredient described in the ‘Livro das cores’ as “garassa de nobra”, which, on the other hand, should be read as “grassa d’eneblo” 32. Thompson further explains that the word “glassa” originally meant amber. This is, perhaps, the most important similarity between the texts. Finally, chapters 29–30 of the ‘Schedula’ describe the process of applying metal foil to books, and chapter 30 deals with the preparation of different types of glue for gold painting. Similarly, in the ‘Livro das cores’ there are several chapters regarding the application of metal leaves in books (chapters 3, 25, 36, 38 and 39), a common subject in texts for book illumination, and the processes are no different from the majority of such recipes, including also those of the ‘Schedula’. Chapter 31 of the ‘Schedula’ describes the preparation of glue, and there seems to be a preference for fish glue (sturgeon), although alternatives are 32

Op. cit., 316.

316

Débora Matos/Luís U. Afonso

suggested, such as eel. In the ‘Livro das cores’ (chapter 3), there are also instructions for the preparation of fish (conger-eel) glue as size for the gold leaf. Chapter 38 of the ‘Schedula’ explains the process for the preparation of ink, another common subject. VI. Conclusions Although the ‘Livro das cores’ cannot be considered a treatise in light of literature on the technical sources known and copied in Europe throughout the Middle Ages, it is undoubtedly gaining interest among scholars33. It is not a coherent book but rather a compilation (and perhaps adaptation) of recipes from one or more sources. This is particularly noticeable in the repetition of some procedures and the use of different nomenclature for the same materials, as well as the range of vocabulary that denotes Arabic and Castilian influences. In addition to the textual structure, the fact that it is written in the vernacular suggests that its composition was done in the fifteenth century. The division into several parts of the text and the specificities of each part suggest the use of several sources that may be direct or second-handed. That is, the ‘Livro das cores’ most likely is an original composition that results from the re-working of previously existing material found in several sources. The main purpose of the present study was to determine whether the ‘Schedula diversarum artium’ was one of the underlying sources. Undoubtedly, both texts clearly were intended to convey knowledge in the most comprehensible way and therefore the recipes described are very practical and clear. There are some similarities between the two texts, such as the preparation of vermilion, verdigris or the reference to carmine, but these similarities are mostly arbitrary, since one can easily find the same correspondence in other medieval texts, and certainly they are not sufficient to establish a direct connection between the two texts. However, the differences are conspicuous. The fact that the ‘Schedula’ is much more thorough, and the manufacture of pigments is only one third of the first book; that there are significant linguistic differences not only due to the fact that they are written in different languages and different writing systems, but also because the terms employed are significantly different, points to the conclusion that the ‘Schedula’ is quite different from the ‘Livro das cores’. Moreover, the most relevant aspect is the difference in terms of procedures and intended results. Concerning the most important pigments in the ‘Livro das cores’ (mosaic gold and silver blue), there is no correspondence in the ‘Schedula diversarum 33

One should note that it has already been previously cited,among others, by D. V. Thompson, The Materials and Techniques of Medieval Painting, Dover 1956, and by S. Muñoz-Viñas, Original Written Sources for the History of Mediaeval Painting Techniques and Materials: A List of Published Texts, in: Studies in Conservation 43,2 (1998), 114–124, although it is referred to as a thirteenth century text.

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artium’. Still, it should be taken into account that the first book of the ‘Schedula’ was part of the manuscript compiled by Le Bègue, and it has been established in recent research that this text had – to certain degree – some influence on the ‘Livro das cores’. In fact, one of the most interesting features is the correspondence between “garassa de nobra” and fornis, although it is, for now, only a possibility. Therefore, the ‘Livro das cores’ continues to be in a category of its own in the context of the medieval technical texts for colour preparation, and its originality is gradually being assessed.

4. Gold

Goldzellenschmelz in der ‚Schedula‘, Buch III, Kapitel 53–55. Zur Meistererzählung von Byzanz und zum Gebrauch „alter“ Techniken. H W-A (Köln) In der Kunstgeschichte galt es bis weit in das vorige Jahrhundert hinein als ausgemacht, daß die Meisterwerke vor allem des ottonischen Goldzellenschmelzes nicht ohne byzantinische Vorbilder denkbar seien, ja daß Emails aus byzantinischen Werkstätten nicht nur in das ottonisch/salische Reich importiert wurden, sondern daß auch byzantinische Spezialisten im Dienst hochgestellter Mäzene im Westen arbeiteten, was für Kunstfelder außerhalb der Goldschmiedekunst auch durchaus belegt ist1. In dieses Umfeld gehört die inzwischen weitgehend differenzierte Vorstellung von den unergründlichen Schatztruhen in der Mitgift der byzantinischen Kaiserbraut Theophanu2, die 972 mit dem jugendlichen Kaiser Otto II in Rom vermählt und auch gekrönt worden ist. Neuere Übersichten zeigen, daß leicht transportable byzantinische Werke der Goldschmiedekunst auch über andere Wege und Beziehungen in die Kirchenschätze ottonischer und salischer Dome und Klöster gelangt sind 3. Was den Goldzellenschmelz betrifft, so haben insbesondere die Forschungen von David Buckton inzwischen eine vollständige Umkehrung der alten Byzanzfrage wahrscheinlich gemacht: Es spricht vieles dafür, daß die außerordentliche Blüte des byzantinischen Goldemails vom 1

2

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Zu den „operarii graeci“ für die Paderborner Bartholomäuskapelle cf. S. Gai/S. Spiong, Großbaustelle Paderborn. Der Bischofssitz im frühen 11. Jahrhundert, in: C. Stiegemann/M. Kroker (eds.), Für Königtum und Himmelreich. 1000 Jahre Bischof Meinwerk von Paderborn, Katalog zur Jubiläumsausstellung im Museum in der Kaiserpfalz und im Erzbischöflichen Diözesanmuseum Paderborn 2009/2010, Regensburg 2009, 238–243, bes. 239 sqq. Unüberholter Forschungsüberblick über die Frage byzantinischen Einflusses bei ottonischen Emails bei R. Kahsnitz, Ottonische Emails. Zum Stand der Forschung, in: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 52/53 (1998/99), 115–150. Cf. H. Wentzel, Das byzantinische Erbe der ottonischen Kaiser. Hypothesen über den Brautschatz der Theopanu, in: Aachener Kunstblätter 40 (1971), 11–84 und 43 (1972), 15–39; zur Kritik cf. H. Westermann-Angerhausen, Spuren der Theophanu in der ottonischen Schatzkunst?, in: A. von Euw/P. Schreiner (eds.), Kaiserin Theophanu. Begegnung des Ostens und des Westens um die Wende des ersten Jahrtausends, vol. 1, Köln 1991, 193–218. Cf. den exemplarischen Überblick über byzantinische Werke im Westen bei A. Effenberger, Spätantike, karolingische und byzantinische Kostbarkeiten in den Schatzkammern ottonischer Hausklöster, in: M. Puhle (ed.), Otto der Große. Magdeburg und Europa. Eine Ausstellung im Kulturhistorischen Museum Magdeburg, 27. August–2. Dezember 2001, vol. 1, Mainz 2001, 149–166.

322

Hiltrud Westermann-Angerhausen

10. Jahrhundert bis zum Ende der Romanik karolingische, also westliche, Wurzeln aus der vor-ikonoklastischen Zeit hat4. Auch im Rahmen dieser Überlegungen zum Goldzellenschmelz in der ‚Schedula‘ sind David Bucktons überzeugende Thesen grundlegend. Sie erlauben mir gleichsam die Fortführung vieler zurückliegender Gespräche mit ihm und eröffnen eine neue Sicht auf die Frage nach dem Stellenwert der Kapitel zum Goldzellenschmelz im dritten Buch der ‚Schedula‘, ja zum Wert des Goldzellenschmelzes als besondere Kunst. Setzen wir hier zunächst die seit dem 19. Jahrhundert fest geglaubte Abhängigkeit westlicher Kunsthandwerker von byzantinischem Goldemail als obsolet und erkennen, daß an westlichen Goldschmiedearbeiten der ottonisch/salischen Zeit nur äußerst selten Emailplättchen eingesetzt wurden, die eigens zu diesem Zweck aus Byzanz importiert wurden5. Sicher kann man an einer ganzen Reihe von Hauptwerken der frühen Goldschmiedekunst einzelne, spolienhaft versetzte Emails im byzantinischen Stil dingfest machen, die aber nicht immer byzantinisch sein müssen6. Aber wesentlicher – dies hat die umfangreiche Arbeit von Sybille Eckenfels-Kunst in einem großen Überblick gezeigt – ist vor allem bei den ornamentalen Emails der ottonisch-salischen Zeit die Identifizierung verschiedener, und eben auch „byzantinischer“, Stilrichtungen. Goldemails hatten eben im 10. und 11. Jahrhundert sowohl im Westen wie im Osten eine außerordentliche Blütezeit. Exemplarisch kann das an einem beliebten byzantinischen Emailmuster gezeigt werden. Es besteht aus zusammengesetzten Kreuz- und Treppenelementen, wie es etwa an der Limburger Staurothek, am Ende des 10. Jahrhunderts entstanden als Umhüllung einer kaiserlichen Kreuzreliquie in Konstantinopel7, zu sehen ist. Hier und an anderen byzantinischen Denkmälern ist dieses ‚getreppte‘ Muster als ornamentale Fläche oder als Hintergrund eingesetzt. An westlichen Arbeiten 4

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Cf. D. Buckton, „Chinese Whispers“: The Premature Birth of the Typical Byzantine enamel, in: C. F. Moos/K. Kiefer (eds.), Byzantine East, Latin West. Art-Historical Studies in Honor of Kurt Weitzmann, Princeton 1995, 591–595; R. Cormack, Reflections on Early Byzantine cloisonné enamels: Endangered or Extinct?, in: M. Vassilaki/E. Georgoula/A. Delivorrias/A. Markopoulos (eds.), Qumíana: sth mnämh thv Laskarínav Mpoúra, vol. 1, Athen 1994, 67–72. Zu einzelnen gut argumentierten Beispielen für lange als byzantinisch angesehene Emails an eindeutig im Westen entstandenen Denkmälern, wie dem Reichsschwert, dem Lotharkreuz, zwei Essener Kreuzen und dem Gertrudentragaltar des Welfenschatzes cf. Kahsnitz, Emails (nt. 1), 124 sq.: […] „Keinesfalls kann es sich um im Fernhandel erworbene und als Spolien versetzte Stücke handeln.“ Zur Revue der älteren Literatur zum „Byzanzproblem“ cf. op. cit., 117–121, ebenfalls S. E. Eckenfels-Kunst, Goldemails. Untersuchungen zu ottonischen und frühsalischen Goldzellenschmelzen, Berlin 2008, 8–11. Eindeutig byzantinische Emails in ottonischen Goldschmiedewerken finden sich zum Beispiel prominent am Deckel des Perikopenbuchs Heinrichs II in der Bayerischen Staatsbibliothek; ein wahrscheinlich westliches, aber „byzantinisierendes“ Email ist das Erzengelmedaillon aus Sankt Emmeram in Regensburg, im Bayerischen Nationalmuseum in München; cf. Kahsnitz, Emails (nt. 1), 138 sqq.; D. Buckton, Byzantine Enamels in Bavaria, in: Mitteilungen zur spätantiken Archäologie und byzantinischen Kunstgeschichte 2 (2000), 93–106. Cf. A. Heuser/M. Th. Kloft (eds.), Im Zeichen des Kreuzes. Die Limburger Staurothek und ihre Geschichte. Ausstellung anläßlich des 50. Jubiläums der Limburger Kreuzwoche, Diözesanmuseum Limburg, 12. September–15. November 2009, Regensburg 2009, Abb. 1a, 12.

Goldzellenschmelz in der ‚Schedula‘, Buch III, Kapitel 53–55

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taucht es dagegen als maßgeschneidertes Element auf, welches nur ad hoc und für diesen Platz gemacht sein kann, wie an den kapitellartig geformten Enden des Aachener Lotharkreuzes. Zugleich erscheint das Treppenmuster als eines von vielen Ornamentmustern bei in Reihe gesetzten Emailplättchen wie etwa am Essener Kreuz mit den großen Senkschmelzen und in Variation am dortigen zweiten Mathildenkreuz8. Von den Voll- und Senkschmelzen aus westdeutschen Werkstätten, die im engeren Sinne unabhängig von byzantinischen Vorbildern zu sehen sind, können nicht alle so eindeutig lokalisiert werden, wie die Goldschmiedearbeiten aus der Werkstatt, die in Trier im letzten Viertel des 10. Jahrhunderts für den Erzbischof Egbert (977–993) gearbeitet hat. Gerade an den Trierer Schatzstücken läßt sich jedoch besonders schön zeigen, daß die Spezialisten für Emailarbeiten nicht – oder nicht nur – auf byzantinische Vorbilder, Modelle oder gar paßgenaue Emailplättchen als Importware angewiesen waren. Inzwischen konnte gezeigt werden, daß sowohl die meisten ornamentalen wie auch die figürlichen Emails der Trierer Egbertwerkstatt in enger Nachbarschaft zu gleichzeitigen Buchmalereien aus dem Umkreis des Gregormeisters entstanden sein müssen. Zugleich wurden aber auch wesentlich ältere, jedoch nachweisbar zur Egbertzeit verfügbare, nämlich karolingische Vorbilder für die Entwicklung des Motivschatzes von ornamentalen Emails in Trier benutzt9. Wie nahe sich Buchmalerei und Emailkunst sein können, ja, wie ein lokales Stilidiom sich byzantinischen Vorbildern anspruchsvoll anverwandeln kann, sieht man besonders gut an der Heiratsurkunde der Kaiserin Theophanu (Abb.1). Aufgrund von Hoffmanns Analyse der Ornamentik wie auch der Paläographie ist dieses außergewöhnliche Prachtdokument, das die materielle Ausstattung, die Morgengabe der jungen Gemahlin Kaiser Ottos II festhält, wahrscheinlich in Trier geschrieben und auch insgesamt gestaltet worden10. Hoffmanns Zuordnung in den künstlerischen Kontext des „Gregormeisters“ ließ sich im 1000. Todesjahr der Theophanu noch einmal motiv- und stilgeschichtlich bekräftigen11. Wie in dieser Urkunde byzantinische Pracht aus westlich-ottonischer Sicht und mit westlich-ottonischen Stilmitteln zur Schau gestellt worden ist, läßt sich mit Händen greifen. Das purpurn gefärbte Pergament ist gleichsam das Portrait eines kost8

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Zum Lotharkreuz cf. Th. Jülich, Gemmenkreuze, in: Aachener Kunstblätter 54/55 (1986/87), 99–258, 201 (Abb.); Eckenfels-Kunst, Goldemails (nt. 5), 69 sq.; K. G. Beuckers/U. Knapp, Farbiges Gold. Die ottonischen Kreuze in der Domschatzkammer Essen und ihre Emails, Essen 2006, Detailabb. (alle unnummeriert) zum zweiten Mathildenkreuz und zum Kreuz mit den großen Senkschmelzen. Cf. H. Westermann-Angerhausen, Die Goldschmiedearbeiten der Trierer Egbertwerkstatt (Trierer Zeitschrift für Geschichte und Kunst des Trierer Landes und seiner Nachbargebiete, Beiheft 36), Trier 1973, bes. 52–71. Cf. H. Hoffmann, Buchkunst und Königtum im ottonisch-frühsalischen Reich (Schriften der Monumenta Germaniae Historica 30,1), Stuttgart 1986, 108 sqq. Cf. Westermann-Angerhausen, Spuren (nt. 2), 195–200; A. von Euw, Ikonologie der Heiratsurkunde der Kaiserin Theophanu, in: id./Schreiner (eds.), Kaiserin (nt. 2), vol. 1, 175–192.

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Hiltrud Westermann-Angerhausen

baren Seidenstoffes mit Tiermedaillons, und es ist oben und unten gesäumt mit einer Borte, die das Portrait einer Goldschmiedearbeit zu sein scheint (Abb. 2). Die luxuriöse Erscheinung der Theophanu-Urkunde lebt geradezu von diesem verwirrend schönen, im malerischen Medium versammelten Eindruck unterschiedlicher Stofflichkeiten. In dieser von westlichen Kunsthandwerkern erreichten Synthese sind es vor allem die gemalten Elemente der Goldschmiedekunst in den Schmuckleisten der Urkunde, welche auf Trierer Herkunft verweisen. Zwischen die Büsten Christi, Mariens und eines Engels in der oberen Leiste und die bärtigen Heiligenbüsten in der unteren Leiste sind gegenständige Vierbeiner und Vögel gesetzt. Büsten und Tiere stehen farbig vor goldenem Grund und erwecken so den Eindruck von Senkschmelzarbeiten. Die gemalten Vierbeiner stehen in direkter Beziehung zu zwei Senkschmelzemails mit springenden Tierchen an den Längsseiten des Egbertschreins (Abb. 3). Für die feinen Medaillonbüsten der Prachturkunde lassen sich zweifellos auch byzantinische Vorbilder benennen. Aber die Art der Linienführung in den gemalten Medaillons läßt sich ebenso mit der Stegführung in den Gesichtern der figürlichen Emails der Trierer Egbertwerkstatt vergleichen12. Diese ähneln auffallend dem Stil der Miniaturen, die mit einem der größten Buchmaler der ottonischen Zeit identifiziert werden, dem Meister des registrum gregorii 13. Die gegenständigen Vögel aus der Schmuckleiste der Urkunde wiederum sind nicht nur ein seit der Antike in Ost und West weit verbreitetes Motiv, sie kommen in ähnlicher Stilsprache auch seit der Karolingerzeit in Handschriften vor, die den ottonischen Künstlern in Trier schon vor der Regierungszeit Egberts zu Gebote gestanden haben14. Was exemplarisch zu zeigen war, ist die durchaus nicht einseitige Wechselbeziehung zwischen der byzantinischen und der westdeutschen Schatzkunst für eine Zeit, in der Byzanz in der älteren Forschung vornehmlich als das maßgebliche und das gebende Vorbild für den Westen gesehen worden ist. Nachdem inzwischen bei der hohen handwerklichen Kunst des Goldemails der Blick für die Komplexität gegenläufiger Einflußwege zwischen Ost und West aber auch zwischen Vergangenheit und jeweiliger Gegenwart geschärft wurde, sollen nun noch einmal die entsprechenden Kapitel 53 bis 55 über diese Technik im dritten Buch der ‚Schedula‘ betrachtet werden15. In der Forschung zum mittelalter12

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Cf. F. Ronig (ed.), Egbert Erzbischof von Trier 977–993. Gedenkschrift der Diözese Trier zum 1000. Todestag (Trierer Zeitschrift für Geschichte und Kunst des Trierer Landes und seiner Nachbargebiete, Beiheft 18), vol. 1, Trier 1993, Tfn. 146 und 152 für den Egbertschrein, Tfn. 160 und 161 für den Petrusstab, 196 sq. und 210 sq. Cf. Westermann-Angerhausen, Spuren (nt. 2), 66–72, Abb. 42. Zum „Gregormeister“ nach wie vor cf. C. Nordenfalk, Der Meister des Registurm Gregorii, in: Münchner Jahrbuch für bildende Kunst, 3. Folge, 1 (1950), 61–77. Cf. Westermann-Angerhausen, Egbertwerkstatt (nt. 9), 63–66; ead., Spuren (nt. 2), 197, Abb. 5 und 198, Abb. 6; gute Beispiele bei J. M. Plotzek, Anfänge der ottonischen Trier-Echternacher Buchmalerei, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 32 (1970), 7–36. Cf. Theophilus, De diversis artibus III, c. 54 sq., ed. Ch. R. Dodwell, in: Theophilus, De diversis artibus – The Various Arts, London 1961 [Neudruck Oxford 1986, 1998], 105 sqq. und schedula. uni-koeln.de, von dort zu “editions”.

Goldzellenschmelz in der ‚Schedula‘, Buch III, Kapitel 53–55

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lichen Email wird bemerkt, daß die ‚Schedula‘ hier zwar eine hochkarätige Technik in nachvollziehbarer Weise detailliert beschreibt, daß die Technik aber zur Zeit der Abfassung der Schrift im ersten Drittel des 12. Jahrhunderts schon nicht mehr gebräuchlich gewesen sei. Deshalb haben die beiden Kapitel zum Goldemail in der ‚Schedula‘ auch mehrmals als Argument zur Widerlegung der These gedient, der Autor der Schedula sei ein ausübender Kunsthandwerker gewesen. Nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Neu-Edition der ‚Schedula‘, der diese Tagung gewidmet ist, wird jedoch immer deutlicher gesehen, daß ihr Verfasser weder ein praktischer Handwerker, noch lediglich ein fleißiger Kompilator älterer Rezepte und Verfahrensweisen gewesen ist16. Vielmehr hatte er sowohl mit seinen Prologen zu den drei Büchern über die Malerei, die Glasmalerei und die Metallkünste als auch mit der literarisch ungewöhnlich anspruchsvollen Darstellung einzelner Techniken das Ziel, die Handwerkskunst im Dienst der Liturgie theologisch zu legitimieren17. Gerade deshalb ist es wichtig, hier Bucktons Überlegungen zum Goldemail von 1994 noch einmal zusammen zu fassen18. Buckton zieht seine Schlüsse aus vier Beobachtungen: 1. In der ‚Schedula‘ wird beschrieben, daß der äußere sowie der innere Rahmen des Emailfeldes und zudem noch die Streifen, aus denen dann das Muster für die Zellen geformt werden soll, aus drei unterschiedlichen Blechstärken bestehen solle. Dagegen wies Buckton an verschiedenen Emails der ottonisch-sali-

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Zur technikgeschichtlichen Literatur über Roger von Helmarshausen und zu seiner Identifizierung mit Theophilus, dem pseudonymen Autor der ‚Schedula‘, cf. die Beiträge in I. Baumgärtner (ed.), Helmarshausen, Buchkultur und Goldschmiedekunst im Hochmittelalter, Kassel 2003, sowie den Reprint von W. Theobald, Technik des Kunsthandwerks im zwölften Jahrhundert. Des Theophilus Presbyter Diversum artium schedula, mit einer Einführung von Wolfgang von Stromer, Düsseldorf 1984 [1. Auflage Berlin 1933]; schließlich E. Brepohl, Theophilus Presbyter und das mittelalterliche Kunsthandwerk. Gesamtausgabe der Schrift ‘De diversis artibus’ in zwei Bänden, 2 voll., vol. 2: Goldschmiedekunst, Köln–Weimar–Wien 1999 [überarbeitete Auflage von id., Theophilus Presbyter und die mittelalterliche Goldschmiedekunst, Leipzig 1987]. Herzlicher Dank gilt an dieser Stelle Peter Orth, Köln, für konzise Hinweise auf die evidente literarische Qualität der Rezepttexte in der ‚Schedula‘ im Vergleich zu ähnlichen Quellen etwa der ‚Mappae Clavicula‘, die er bei einem interdisziplinären Master-Kolloquium zu Theophilus an der Kölner Universität am 3.–4. Juni 2010 gegeben hat, und die den geistigen und stilistischen Unterschied zwischen der übrigen Rezeptliteratur und der ‚Schedula‘ deutlich machten. Cf. auch J. Wolters, Schriftquellen zur Geschichte der Goldschmiedetechniken bis zur Rogerzeit, in: Ch. Stiegemann/H. Westermann-Angerhausen (eds.), Schatzkunst am Aufgang der Romanik. Der Paderborner Dom-Tragaltar und sein Umkreis, München 2006, 222–242. Zum Stand der Diskussion über die ‚Schedula‘ und ihre Rolle für die Rekonstruktion mittelalterlichen Kunsterlebens cf. A. Speer/H. Westermann-Angerhausen, Ein Handbuch mittelalterlicher Kunst? Zu einer relecture der Schedula diversarum artium, in: Stiegemann/Westermann-Angerhausen (eds.), Schatzkunst (nt. 16), 249–258, mit der älteren Literatur; B. Reudenbach, Werkkünste und Künstlerkonzept in der Schedula des Theophilus, in: op. cit., 243–248. Cf. D. Buckton, Theophilus and Enamel, in: id./T. A. Heslop (eds.), Studies in Medieval Art and Architecture presented to Peter Lasko, London 1994, 1–13.

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schen Zeit nach, daß in der Regel für das Rahmen- wie auch für das Zellenwerk die gleiche Blechstärke verwendet worden ist. 2. Die ‚Schedula‘ legt sehr viel Wert auf das schwierige, mit größter Vorsicht (maxima cautela) auszuführende Auflöten der Blechstreifen, sowohl für den Rahmen als auch für die Zellenmuster auf dem Trägerblech, nachdem sie zunächst mit Mehlkleister fixiert worden sind. In der Regel genügt es aber laut Buckton, die vorläufig fixierten Zellen direkt mit dem Glaspulverbrei zu befüllen, weil die Füllung ja selbst eine gewisse Stabilität gewährleistet, die nach dem ersten Brennvorgang durch die Verbindung von Glas und Metall ohnehin gegeben ist. Außerdem liegt beim Brennvorgang der Schmelzpunkt des Lotes ungemütlich nahe an dem des Glases selbst, was die Stabilität der Zellen beeinflussen kann. 3. Dies steht im Zusammenhang mit der berühmten Stelle über das Glas aus den „alten Häusern der Heiden“ im zweiten Buch der ‚Schedula‘, das der Glasmalerei gewidmet ist19. Es gilt als gesichert, daß die mittelalterlichen Emailleure ebenso wie die Glasmaler antike Tesserae, zum Beispiel aus römischen Mosaiken, als Rohstoff und Färbemittel benutzt haben. Nun heißt es in Kapitel 22 des zweiten Buches, daß man mit diesem verschiedenfarbigen Glas(pulver) aus den Mosaiken in antiken Gebäuden gleichermaßen auf Gold, Silber oder Kupfer emaillieren könne. Es ist aber zu bedenken, daß antikes Glas, das in der Tat bis in die Zeit der Abfassung der schedula als Rohstoff für Email benutzt worden ist 20, einen Schmelzpunkt um 1000 °C hat. Die schedula läßt dabei außer Acht, daß Silber schon bei 960 °C schmilzt. In der Tat hat es vor 1300 kein Email auf silbernem Träger gegeben 21. Die Behauptung der ‚Schedula‘ ist für die Zeit der Niederschrift also in diesem Punkt in Zweifel zu ziehen. 4. Schließlich beschreibt die ‚Schedula‘, daß man glühend erhitzte Glasstücke in kaltes Wasser werfen solle, weil sie dann zersplittern und in der Folge leichter pulverisiert werden könnten. Buckton hat aber in Versuchen nachgewiesen, daß glühendes Glas mitnichten im kalten Wasser zerspringt, wohl aber unkontrollierbar seine Farbe wechseln kann, weshalb die handwerkstechnische Glaubwürdigkeit der Quelle auch in diesem vierten Punkt Frage steht. Diese Ungenauigkeiten der ‚Schedula‘ in den Kapiteln über das Email in Buch III und den Glas-Rohstoff in Buch II bringen Buckton zu folgendem Schluß: „Much of his [scil. Theophilus’] information is confirmed by examination of surviving examples and by scientific analysis and might be held to support the widely held belief that he was a practitioner of the craft. There are, however one or two discrepancies between his observations and what has survived or

19 20 21

Cf. Theophilus, De diversis artibus, II, c. 12, ed. Dodwell (nt. 18), 44 sq. Zum antiken Ausgangsmaterial der Glasfarben cf. Eckenfels-Kunst, Goldemails (nt. 5), 19. Zum Email de basse taille oder Silbertiefschnittemail cf. K. Guth-Dreyfus, Transluzides Email in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts am Ober-, Mittel- und Niederrhein (Basler Studien zur Kunstgeschichte 9), Basel 1954.

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what experiments show. […] There remains, therefore, the lurking suspicion that, although he had observed an enameller at work, Theophilus had not himself actually made a gold cloisonné enamel such as he describes in ‚De diversis artibus‘.“22 Buckton’s Urteil führt nun zurück zu unserer Frage, warum die ‚Schedula‘ – jedoch nicht absolut genau – eine Technik beschreibt, die zur Abfassungszeit der Schrift kaum oder gar nicht mehr in Gebrauch war. Die Hochzeit des ottonischsalischen Goldzellenschmelzes lag fast ein Jahrhundert zurück, und nach dieser Zeit wird die materiell und handwerklich aufwändige Technik als nobilitierender Schmuck an besonders herausragenden Werken der liturgischen Schatzkunst kaum noch angewendet. Die strahlenden Goldzellenschmelze, die gleichsam gleichrangig mit Edelsteinen verwendet wurden, kommen spätestens nach den Stiftungen der braunschweigischen Gräfin Gertrud im letzten Viertel des 11. Jahrhunderts im Westen fast ganz außer Gebrauch. Sybille Eckenfels-Kunst hat dies in ihrem Kompendium des ottonisch-salischen Goldemails noch einmal klar dargelegt23. Stattdessen setzt sich der Grubenschmelz auf Kupfer, der mit seiner starken aber weitgehend opaken Farbigkeit die Erscheinung der romanischen Tragaltäre, Reliquienschreine und anderer liturgischer Geräte so wesentlich bestimmt, schon vor der Mitte des 12. Jahrhunderts auf breiter Front durch. Wie sind nun aber vor diesem Hintergrund die seltenen Goldzellenemails an Arbeiten des früheren oder späteren 12. Jahrhunderts zu bewerten, die eindeutig für ihren Platz gemacht worden sind, und nicht als wiederverwendete Altstücke im Sinne von absichtsvoll versetzten Spolien verstanden werden können. Als Beispiel für die spolienhafte Verwendung älterer Goldemails sei exemplarisch auf den Buchdeckel des Samuhel-Evangeliars in Quedlinburg24 mit karolingischen Emailspolien oder auf das Halberstädter Tafelreliquiar25 aus dem zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts hingewiesen, dessen Emailspolien als ottonisch anzusprechen sind. Hier wie auch in anderen Fällen geht es darum, am jeweiligen Gegenstand durch die Hinzufügung älterer Kostbarkeiten Würde und Autorität greifbar zu machen. Besonders am Gotischen Silberschrein von Nivelles konnte gezeigt werden, daß dort ottonische Goldzellenschmelze, die vermutlich von einem älteren, ottonischen Reliquienschrein der Heiligen Gertrud stammten, gleichsam als Zeichen der Kultkontinuität in den Schmuck des modernen Schreins um 1270 inte-

22 23 24

25

Buckton, Theophilus (nt. 18), 11. Cf. Eckenfels-Kunst, Goldemails (nt. 5), 216 sqq. Cf. D. Kötzsche (ed.), Der Quedlinburger Schatz wieder vereint. Katalog zur Ausstellung im Kunstwerbemuseum, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, 31. Oktober 1992– 30. Mai 1993, Berlin 1992, Nr. 4, 44 sq. Cf. H. Meller/I. Mundt/B. E. H. Schmuhl (eds.), Der heilige Schatz im Dom zu Halberstadt, Regensburg 2008, Nr. 22, 96 sqq.

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griert worden sind26. Folgern kann man daraus, daß Goldemails der ottonischsalischen Zeit an einem späteren Gegenstand als materielle Vergegenwärtigung von Tradition und nicht nur als zufälliger Schmuck interpretiert werden müssen. Goldzellenschmelze, so hat es Sybille Eckenfels-Kunst formuliert, haben das Ansehen und den Wert von Edelsteinen, weil sie so außerordentlich kunstfertig sind und weil ihnen aufgrund der Technik auch das farbige Licht und der Glanz von Edelsteinen eigen sind. Wiederverwendete Goldzellenschmelze an romanischen oder an gotischen Schatzstücken haben damit eine besondere Botschaft als Spolien. Diese hohe Bewertung des Goldemails läßt sich nicht nur aus den Realien, sondern am Anfang des 12. Jahrhunderts auch aus dem Text der ‚Schedula‘ herauslesen. Vor dem Text soll aber noch eine besonders auffällige und gleichsam unzeitgemäße Verwendung des Goldzellenschmelzes betrachtet werden. Der Kölner Dreikönigenschrein27, der um 1200 insgesamt einen Höhepunkt der hochmittelalterlichen Goldschmiedekunst und ein repräsentatives Zeugnis aller ihrer Techniken auf allerhöchstem Niveau darstellt, hat eine beispiellos kostbare Frontseite (Abb. 4) mit Treibarbeiten aus purem Gold und einem atemberaubenden Edelsteinbesatz mit zahlreichen außergewöhnlich großen antiken Spolien. Nicht nur die goldenen Skulpturen des Nikolaus von Verdun machen den Schrein zum künstlerisch wertvollsten und kostbarsten was die romanische Kunst hervorgebracht hat. Auch das gesamte System der Zierelemente, die große Zahl der Emails in Kupfergrubenschmelz, sowohl die farbigen Emailornamente als auch die zauberhaften Blau-Gold-Emails, verraten eine Meisterschaft, die in direktem Zusammenhang mit dem überragenden Rang des gesamten Werkes steht. Alle in Vollkommenheit angewendeten Handwerkskünste dienen dem Ansehen der Reliquien, für die der Schrein geschaffen wurde. Und der vertritt den Rang der Reliquien wiederum durch seine höchst kunstvolle Hülle nach außen hin. In diesen Zusammenhang gehören als außerordentliche Spolien28 auch die großartigen antiken Steinschnitte, die an kompositionell wichtigen Stellen der Frontseite platziert sind. Direkt über dem „Häupterbrett“ mit diesen Spolien, das herausnehmbar war und zu hohen Festtagen den Blick auf die gekrönten Schädel der Heiligen Drei Könige freigab, finden sich nun im reichen dekorativen Ensemble des Schreins völlig singuläre Emails. Es sind reine Goldzellenschmelze (Abb. 5), die 26

27 28

Cf. H. Westermann-Angerhausen, Spolie, Zitat, Tradition. Die vorgotischen Emails und der Vorgänger des gotischen Schreins, in: ead. (ed.), Schatz aus den Trümmern. Der Silberschrein von Nivelles und die europäische Hochgotik. Katalog zur Ausstellung des Schnütgen-Museums, Köln, 24. November 1995–11. Februar 1996 in der Cäcilienkirche, und der Réunion des Musées Nationaux, Paris, 12. März–10. Juni 1996 im Musée National du Moyen Âge-Thermes de Cluny, Köln 1995, 117–134. Cf. R. Lauer, Der Schrein der Heiligen drei Könige (Meisterwerke des Kölner Domes 9), Köln 2006 (mit der älteren Literatur). Cf. E. Zwirlein-Diehl, Die Gemmen und Kameen des Dreikönigenschreins (Studien zum Kölner Dom 5), Köln 1998, bes. 87–98 (zur interpretatio christiana der drei großen Gemmen auf der Trapezplatte des Dreikönigenschreins).

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technisch und vom ornamentalen Vokabular her in bester ottonischer Tradition zu stehen scheinen. Bei Rolf Lauer ist hierzu auch zu lesen: „Einzig einige Emails an den Rahmenleisten zwischen Ober- und Untergeschoß der Stirnseite unterscheiden sich in der Technik des reinen Zellenschmelzes sowie im Dekor von dem übrigen Emailschmuck des Schreines. Ihre Verwandtschaft mit ottonischen Emailplatten an Trierer Goldschmiedearbeiten des späten 10. Jahrhunderts deutet darauf hin, daß sie, ebenso wie die antiken Gemmen und Kameen, als besonders kostbare ältere Spolien an zentraler Stelle der Vorderseite eingebaut wurden.“29 Lauer hat sicher Recht, wenn er die herausgehobene Stellung dieser Goldzellenschmelze am Dreikönigenschrein in einer sinnhaften Nachbarschaft mit den großen antiken Steinschnitten der Stirnseite sieht. Aber sind die Goldzellenschmelze des Dreikönigenschreins wirklich Spolien aus ottonischer Zeit? Bei näherem Hinsehen stellen sich in der Farbigkeit wie auch in der Zellführung und der Auffassung der Rankenmotive, die nur allgemein mit ottonischen Vorbildern vergleichbar sind, wesentliche Unterschiede heraus. Die geometrischen Muster sind zahlreicher und anders miteinander verschränkt als die entsprechenden Muster am Egbertschrein. Auch die vegetabilen Muster aus Blattranken mit eingerollten Trieben am Dreikönigenschrein erinnern an die ottonischen Vollschmelzplättchen der Schmalseiten des Egbertschreins, aber sie sind paarig nebeneinander gesetzt und nicht diagonal miteinander verschränkt. Zwar sind hier wie dort die Rankenäste überall gleich dick, aber nicht durchgehend weiß wie in Trier und die Blattformen oder Halbpalmetten an den Rankenden der Emails am Dreikönigenschrein sind zudem deutlich stilgleich mit den Blattformen in den Kupfergrubenschmelzen am Rest des Schreins30. Auch die Größenverhältnisse machen im Vergleich mit den Emailplättchen von der Schmalseite des Trierer Egbertschreins klar, daß es einen Unterschied gibt zwischen den jeweils sechs Vollschmelzen der Schmalseiten des insgesamt 31 cm breiten ottonischen Reliquiars und dem spätromanischen Monumentalwerk mit einer Breite von 110 cm. Der Vergleich dieser großen und außergewöhnlichen Goldzellenschmelzplättchen am Dreikönigenschrein mit den rund 200 Jahre älteren Trierer Arbeiten besteht wegen ihrer kostbaren Technik dennoch zu Recht. Jedoch wird man sie doch eher als Rückgriff auf ältere Vorbilder denn als ottonische Arbeiten deuten müssen. Die Goldzellenschmelze des Dreikönigenschreins führen uns direkt zurück auf die Stellung, die dem Goldzellenschmelz im Text der ‚Schedula‘ vorbehalten ist. Das dritte Buch der ‚Schedula‘ über die Metallkünste hat fast 100 (genauer 96) erhaltene Kapitel. Etwa am Ende des ersten Drittels beginnt bei Kapitel 27 die Schilderung der Anfertigung von Kelchen. Davor sind die Werkstatt selbst und die nötigen Werkzeuge beschrieben worden. Kapitel 27 handelt von einem kleinen eher einfachen, glattwandigen Silberkelch mit Nodus, Kapitel 28–45 faßt

29 30

Lauer, Schrein (nt. 27), 58. Cf. Lauer, Schrein (nt. 27), Abb. 130 im Vergleich zu den Kupfergrubenschmelzen Abb. 115–120, 84 sq.

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alles zusammen, was mit dem Herstellen des großen Silberkelches, seinen gegossenen Henkeln und seinem Nielloschmuck zu tun hat. Kapitel 46 bis 49 handeln von der Herkunft verschiedener Goldsorten, inklusive der zur Goldherstellung gezüchteten Basilisken31. Erst ab Kapitel 50 beginnt, nach dem großen und dem kleinen Silberkelch, die Herstellung des goldenen Kelches. Kapitel 52 und 53 handeln vom Lot, dann folgt die Anbringung der Edelsteine und Perlen und dann erst, als gebe es noch eine Steigerung zum Edelsteinbesatz oder zum Niello, das dem großen Silberkelch als Schmuck dient, kommen Kapitel 54 und 55 über das Erschmelzen und das Polieren des Emails. Kapitel 56 bis 59 handeln vom Zubehör des Kelches, wobei selbst die Zubereitung der Füllmasse „Tenax“ für Treibarbeiten mit dem Gerät zum Füllen des Kelches, nämlich dem Kännchen, in einen Funktionszusammenhang gebracht wird. Das Ende des dritten Buches ab Kapitel 62 besteht aus einer eher handwerksbezogenen Folge über Ketten, Kupferarten, Öfen, Tiegel, Legierungen und das Purifizieren von Metallen sowie verschiedene Punz- und Treibmethoden und den Abschnitten über den Orgelbau bis zum Glockenguß. Dazwischen stehen die beiden Kapitel 60 und 61 über das getriebene und das gegossene Rauchfaß, deren Gestalt gleichsam als die Verkörperung der Liturgie zu lesen ist32. Auch bei den Rauchfässern ist ein Zusammenhang zwischen Funktion und Aussage des Objektes und der ausführlich geschilderten Technik ersichtlich. Vor den Rauchfässern nun hat in der zweiten Hälfte des dritten Buches der ‚Schedula‘ der goldene Kelch mit seinem Emailschmuck räumlich und inhaltlich eine zentrale Stellung. Die Mehrzahl der in der ‚Schedula‘ behandelten Goldschmiedetechniken im dritten Buch wird an den drei Kelchen erläutert, so daß die edelsten und kostspieligsten Techniken mit dem wichtigsten eucharistischen Gefäß verbunden werden. Und im Prolog zum dritten Buch wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Feier des Gottesdienstes ohne diese vasa sacra nicht möglich sei. Es ist eigentlich das Hauptargument des Prologes zum dritten Buch, daß der gesamte in Buch I und II beschriebene Schmuck des Gotteshauses mit Malerei und Glasmalerei erst durch die vasa sacra seinen eigentlichen Sinn erhält. In der Abfolge der geschilderten Techniken zeigt sich deshalb gerade im dritten Buch der ‚Schedula‘ mehr als das von Brehpohl 33 zu recht bewunderte pädagogisch-handwerkliche Geschick des Autors, der logisch aufgebaute und praktisch nachvollziehbare Arbeitsabläufe an bestimmten Gegenständen demonstriert. Auch bei den besonders detailreich und ikonographisch tiefgehend beschriebenen Rauchfässern, den einzigen Gegenständen innerhalb des gesamten Werkes, deren 31 32

33

Zur jüdisch-arabischen Quelle dieses Rezeptes cf. den Beitrag von C. Van Duzer in diesem Band, 369–378. Die nähere Begründung dieses Zusammenhangs wurde 2009 auf der Theophilus-Tagung in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel vorgestellt und erscheint demnächst im Druck in H. Westermann-Angerhausen, Mittelalterliche Rauchfässer 800 bis 1500 (Bronzegeräte des Mittelalters 7), Petersberg 2013. Cf. Brepohl, Theophilus (nt. 16), vol. 2, 17 sqq.

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figürlicher Schmuck konkret beschrieben wird, geht es nicht nur um die Technik. Vielmehr kann ein Bezug zwischen der Treib- beziehungsweise Gußtechnik und der unterschiedlichen Bildaussage der beiden Rauchfässer hergestellt werden. Sie erweisen sich nämlich durch ihre Beschreibungen als symbolische Gestalten des Gebetes und der Evangelienverkündung einerseits und des eucharistischen Opfers andererseits. Wenn nun also das Goldemail innerhalb der ‚Schedula‘ in offenbar absichtsvolle Beziehung mit dem goldenen Kelch gebracht wird, so erhält im Sinne der Leitidee des Traktates, die wir immer deutlicher erkennen, die kunsthandwerkliche Technik einen bedeutungsvollen Bezug zu diesem Gegenstand. Der große Goldkelch wird unter den drei beschriebenen Kelchen als der materiell und symbolisch wertvollste dargestellt. Goldemail, so kann man folgern, ist im System der ‚Schedula‘ der schlechthin vornehmsten künstlerischen Aufgabe vorbehalten. Das aber ist im Prolog zum dritten Buch, die zentrale Aussage: Ohne die Anfertigung der eucharistischen Gefäße kann das Meßopfer, trotz des angemessenen Schmucks des Kirchengebäudes durch Malerei und Glasmalerei, nicht würdig gefeiert werden. Nun wird an zentraler Stelle, an der Schnittstelle der drei Sarkophage und an der Oberkante der Häupterplatte des Dreikönigenschreins der Goldzellenschmelz ebenfalls als künstlerisches Medium gewählt. Und diese außergewöhnlichen Emailplättchen stehen in direktem räumlichen und geistigen Zusammenhang mit der Einsetzung der spektakulären antiken Spolien unmittelbar darunter. William S. Heckscher hat in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts zu einem solchen Vorgehen Wesentliches gesagt34. Zwar ging es ihm vornehmlich um wieder verwendete antike Steinschnitte, also Gemmen und Kameen, in mittelalterlichen Goldschmiedewerken. Aber diese Wiederverwendung erkennt Heckscher als die Inanspruchnahme antiker Autorität für die jeweilige mittelalterliche Gegenwart, und dies vor allem deshalb, weil die Antike noch in einem fortdauernden Zeitkontinuum mit und nicht als abgeschlossene historische Epoche vor dem Mittelalter verstanden wurde. Aus diesem Zeitverständnis erwächst ein spezifisches Traditionsbewußtsein für den Rückgriff auf Altes und Hergebrachtes in der Kunst. Heckscher kann so die Verwendung von Spolien mit der zugleich mnemotechnischen und memorialen Technik des Zitierens verbinden, also eine Analogie zum textlichen Rückbezug auf Autoritäten herstellen. In der ‚Schedula‘ läßt sich nun des Öfteren nachweisen, daß bestimmte Techniken und Arbeitsweisen im beginnenden 12. Jahrhundert nicht mehr so in Gebrauch waren, wie sie im Text beschrieben sind. Dazu gehört neben dem Goldemail auch die Technik des Bronzegusses nach der verlorenen Form, die viele, damals schon lange gebräuchliche, arbeitserleichternde und seriell verwendbare

34

Cf. W. S. Heckscher, Relics of Pagan Antiquity in Medieval Settings, in: Journal of the Warburg Institute 1 (1937/38), 204–220.

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Fertigungsweisen auch in unedlen Metallen weitgehend außer Acht läßt35. Stattdessen wird für das ikonographisch und technisch aufwändige Rauchfaß das Wachsausschmelzverfahren gleichsam in seiner reinsten Form beschrieben. Und es ist besonders bemerkenswert, daß das gegossene Rauchfaß in Kapitel 61 ausdrücklich als noch kunstfertiger bewertet wird, als das zuvor beschriebene Rauchfaß in Kapitel 60, das doch aus getriebenem Gold ist36. Solche Wertung läßt sich auf die Emailkunst übertragen. Materiell und technisch ist der Goldzellenschmelz, wie er in der ‚Schedula‘ beschrieben wird, nicht nur eine althergebrachte, sondern auch die edelste Form des mittelalterlichen Emails. Das ist der ausschlaggebende Grund für die ausführliche Beschreibung dieser Technik in der ‚Schedula‘ bei dem großen Kelch aus Gold. Auch am Dreikönigenschrein gerät die damals schon historische Form des Goldzellenschmelzes – und zudem in einem erkennbar retrospektiven Stil – zum repräsentativen, selbstbewußten und geschichtsbewußten Zitat. Die althergebrachte Technik wird in Dienst genommen für eine der nobelsten künstlerischen Aufgaben ihrer Zeit. In der Fülle der kunsthandwerklichen Techniken, ja der Künste, am Dreikönigenschrein fügt sich diese Form des Zitates oder des legitimierenden Rückbezuges vollständig in den Kontext der stilistischen und materiellen Inanspruchnahme von und Auseinandersetzung mit der „Antike“37. Der Autor der ‚Schedula‘ wäre ein Jahrhundert zuvor mit einer solchen Anwendung des Goldzellenschmelzes einverstanden gewesen.

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Vervielfältigungstechniken, die es natürlich seit der Antike gab, tauchen erst an viel späterer Stelle auf, e.g. beim Pressen in Gesenken; cf. Brepohl, Theophilus (nt. 16), vol. 2, 225–232 (Übersetzung von Buch III, c. 74 sq.). Cf. Theophilus, De diversis artibus, III, c. 60, ed. Dodwell (nt. 18), 112: „Quod si quis voluerit laborem apponere, ut thuribulum pretiosioris operis componat, similitudem civitatis quam vidit propheta in monte, hoc modo poterit exprimere.“ Darauf folgt Kapitel 61 über das aus Bronze gegossene Rauchfaß. Über bewußtes künstlerisches Umgehen mit der Vergangenheit cf. P. C. Claussen, Nikolaus von Verdun. Über Antiken- und Naturstudium am Dreikönigenschrein, in: A. Legner (ed.), Ornamenta Ecclesiae. Kunst und Künstler der Romanik in Köln. Katalog zur Ausstellung des Schnütgen-Museums in der Josef-Haubrich-Kunsthalle, vol. 2, Köln 1985, 447–456. Für „Geschichtsbewußtsein“ in den figurativen Künsten einer späteren Zeit cf. B. Carqué, Stil und Erinnerung. Französische Hofkunst im Jahrhundert Karls V. und im Zeitalter ihrer Deutung (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 192), Göttingen 2004. – Ähnliches gilt analog in jeder Stilepoche auch für die Ornamentkunst und ihre Techniken.

Das Verhältnis der ‚Schedula diversarum artium‘ des Theophilus Presbyter zu byzantinischen Goldschmiedearbeiten: Grenzüberschreitende Wissensverbreitung im Mittelalter? A B-R (Mainz) I. Einleitung Der folgende Aufsatz beschäftigt sich aus der Sicht der Forschung zur byzantinischen Goldschmiedekunst mit der Frage, ob der Traktat ‚Schedula diversarum artium‘ von Theophilus Presbyter1 im Byzantinischen Reich von Relevanz war. Anfangs muß betont werden, daß weder schriftliche noch archäologische Quellen eine konkrete Antwort liefern können, ob Theophilus Presbyters Werk im Byzantinischen Reich tatsächlich bekannt war und gelesen beziehungsweise von Goldschmieden als Handbuch verwendet wurde oder nicht. Abschriften seiner Werke haben sich in Byzanz nicht erhalten und werden auch nirgends erwähnt. Wir sind also auf eine Reihe von Indizien angewiesen, um der Frage nachzugehen, ob hier ein mittelalterlicher Wissenstransfer zwischen westlichem und östlichem Kulturraum an den byzantinischen Goldschmiedearbeiten abzulesen ist. Dafür muß zum einen die Quellenlage analysiert werden, zum anderen gilt es, die byzantinischen Objekte selbst zu untersuchen und auf ihre Fertigungsprozesse hin zu befragen. Dazu werden Objekte aus spätrömischer, früh- und mittelbyzantinischer Zeit (3.–12. Jahrhundert) herangezogen und folgende Techniken als Fallstudien besprochen: Drahtziehen, Perldrahtherstellung, Niello, Email, opus interrasile, opus punctile und Braunfirnis. Ziel ist es, sich anhand der Unterschiede und Gemeinsamkeiten bei den Produktionsprozessen der Ausgangsfrage zu nähern.

1

Im folgenden wird die Ausgabe von E. Brepohl, Theophilus Presbyter und das mittelalterliche Kunsthandwerk. Gesamtausgabe der Schrift ‘De diversis artibus’ in zwei Bänden, 2 voll., Köln– Weimar–Wien 1999, verwendet.

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Antje Bosselmann-Ruickbie

II. Byzantinische Goldschmiedekunst: Forschungsstand und Pr oblematik Die byzantinische Goldschmiedekunst fand lange Zeit eher wenig Beachtung in der Forschung. Zu den bekannteren Objekten gehören die prachtvollen Gefäße und Metallikonen in San Marco, Venedig 2, während andere Sammlungen, zum Beispiel auf dem Berg Athos3, erst in den letzten Jahren durch Ausstellungen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurden. Besonders beim byzantinischen Schmuck tat sich bis vor kurzem eine regelrechte Forschungslücke vor allem hinsichtlich der Objekte des 8. bis 15. Jahrhunderts auf 4. In Übersichtswerken zum Schmuck allgemein wurde das Augenmerk meist auf den griechisch-hellenistischen und römischen Schmuck, dann denjenigen der Völkerwanderungszeit gelegt, um sodann zu karolingischen und ottonischen Werken überzugehen, während der byzantinische Schmuck kaum oder gar nicht berücksichtigt wird 5. Insbesondere in den letzten beiden Dekaden hat sich die Forschung jedoch intensiver mit dem Thema befaßt und vor allem auch technische Aspekte stärker berücksichtigt6. Das hat dazu geführt, daß in neueren Sammlungskatalogen nun auch häufiger die Ergebnisse naturwissenschaftlicher Analysen aufgeführt werden, zum Beispiel im Nachdruck des Kataloges der Dumbarton Oaks Collection7, einer für die byzantinische Goldschmiedekunst wichtigsten Sammlungen weltweit. Auch das Forschungslabor des British Museum in London hat zahlreiche 2 3 4

5 6

7

Cf. H. Hellenkemper (ed.), Der Schatz von San Marco in Venedig (Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Römisch-Germanischen Museum in Köln), Mailand 1984. Cf. A. A. Karakatsanis (ed.), Treasures of Mount Athos (Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Museum der Byzantinischen Kultur Thessaloniki), Thessaloniki 1997. Inzwischen ist die Forschung in dieser Hinsicht aktiver: cf. J. Albani, Elegance over the Borders: The Evidence of Middle Byzantine Earrings, in: C. Entwistle/N. Adams (eds.), Intelligible Beauty. Recent Research on Byzantine Jewellery (British Museum Research Publication 178), London 2010, 193–202; A. Bosselmann-Ruickbie, Byzantinisch, Islamisch oder „Internationaler Stil“? Email- und Körbchenohrringe aus dem östlichen Mittelmeerraum, in: U. Koenen/M. Müller-Wiener (eds.), Grenzgänge im östlichen Mittelmeerraum. Byzanz und die islamische Welt vom 9. bis 13. Jahrhundert, Wiesbaden 2008, 83–114; ead., Byzantinischer Schmuck des 9. bis 13. Jahrhunderts. Untersuchungen zum metallenen dekorativen Körperschmuck der mittelbyzantinischen Zeit anhand datierter Funde aus Griechenland und Bulgarien (Spätantike – Frühes Christentum – Byzanz. Kunst im ersten Jahrtausend. Reihe B: Studien und Perspektiven 28), Wiesbaden 2011; DFG-Projekt der Verfasserin an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zu den spätbyzantinischen Goldschmiedearbeiten (seit 2009). Cf. e.g. H. Tait (ed.), Seven Thousand Years of Jewellery, London 31995; C. Phillips, Jewelry. From Antiquity to the Present, London 1996. Zu den frühesten technisch orientierten Werken gehört e.g. F. de Cuyper/G. Demortier/ C. J. Dumoulin/J. Pycke, La croix byzantine du trésor de la cathédrale de Tournai (Publications d’histoire de l’art et d’archéologie de l’Université Catholique de Louvain 52, Aurifex 7), Tournai 1987, mit beispielhafter monographischer Bearbeitung und technischen Analysen. Cf. M. C. Ross/S. A. Boyd/S. R. Zwirn, Catalogue of the Byzantine and Early Medieval Antiquities in the Dumbarton Oaks Collection, vol. 2: Jewelry, Enamels, and Art of the Migration Period, Nachdruck der Ausgabe von 1965 mit Addendum von S. A. Boyd/S. R. Zwirn, Washington, D.C., 2005.

Das Verhältnis der ‚Schedula‘ zu byzantinischen Goldschmiedearbeiten

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Objekte aus dem eigenen Bestand analysiert, zum Beispiel im Zusammenhang mit Studien zum Email oder Niello (siehe unten). Das Gros byzantinischer Goldschmiedearbeiten ist jedoch bislang noch nicht naturwissenschaftlich untersucht worden, daher sind die Herstellungsmethoden meist nur nach dem Augenschein zu bestimmen. Am deutlichsten kann man Fertigungsspuren am Goldschmuck beobachten, seltener bei Silber und nur in den seltensten Fällen bei Bronze- oder Eisenschmuck, da die Korrosionsspuren den Befund überdecken oder verfälschen8. Gold wurde bis zum 11.–12. Jahrhundert meist in einer über 90-prozentigen Legierung (meist etwa 22 Karat) verwendet9, so daß hier Korrosionsspuren selten sind. Weitere Probleme erschweren die Erforschung der byzantinischen Goldschmiedearbeiten und somit einen Vergleich mit dem Traktat des Theophilus: Es gibt es nur wenige schriftliche Quellen, die dann meist auch hinsichtlich des Erscheinungsbildes, Materials und Stils der Arbeiten nicht präzise genug oder überhaupt aussagekräftig sind 10. Auch archäologische Hinweise sind selten: Bislang ist im Gebiet des früheren Byzantinischen Reiches weder eine Goldschmiedewerkstatt lokalisierbar noch ist ein Grab eines byzantinischen Goldschmieds mit etwaigen Werkzeugen gefunden worden. Bildliche Darstellungen von Werkstätten, wie sie aus dem Alten Ägypten11, der römischen Zeit12 oder dem westlichen Spätmittelalter und der frühen Neuzeit13 bekannt sind, haben sich ebenfalls aus dem Byzantinischen Reich nicht erhalten, zumal die dort überlieferten Darstellungen überwiegend religiöse und keine profanen Themen zeigen. Weiterhin sind es Überlieferungslücken, welche die Forschung erschweren: So gibt es zwar Hunderte von Goldschmiedearbeiten, vor allem Schmuck, und Toreutik der frühbyzantinischen Zeit, also bis zum 7. Jahrhundert, und dann wieder ab dem 10. Jahrhundert, während aus dem 8. und 9. Jahrhundert kaum byzantinische Goldschmiedearbeiten – und auch wenige andere Kunstwerke – überliefert sind, so daß die englischsprachige Forschung von den „Dark Ages“ spricht. Inzwischen wissen wir über diesen Zeitraum durch einzelne Objekte beziehungs-

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Cf. E. Foltz, Einige Beobachtungen zu antiken Gold- und Silberschmiedetechniken, in: Archäologisches Korrespondenzblatt 9 (1979), 213–222, 217. Cf. A. W. Oddy/S. La Niece, Byzantine Gold Coins and Jewellery: A Study of Gold Contents, in: Gold Bulletin 19,1 (1986), 19–27, 25. Dies gilt vor allem für Schmuck, während größere Objekte noch nicht analysiert wurden. Cf. Bosselmann-Ruickbie, Byzantinischer Schmuck (nt. 4), 71–74. Cf. J. Wolters, Written Sources on the History of Goldsmithing Techniques from the Beginnings to the End of the 12th Century, in: Jewellery Studies 11 (2008), 46–66, Abb. 1–4. Cf. op. cit., Abb. 5; id., Der Traktat „Über die edle und hochberühmte Goldschmiedekunst“ (11. Jahrhundert), in: Das Münster. Zeitschrift für christliche Kunst und Kunstwissenschaft 3 (2004), 162–181, Abb. 11. Cf. J. Ogden, The Technology of Medieval Jewelry, in: D. A. Scott/J. Podany/B. Considine (eds.), Ancient and Historic Metals: Conservation and Scientific Research 2 (Getty Conservation Institute), Los Angeles 1994, 153–182, 154.

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weise Funde etwas mehr als noch vor einigen Jahren14, jedoch fehlen die Übergangstypen wie auch in anderen Kunstgattungen, zum Beispiel der Architektur, wo im späten 9. Jahrhundert unvermittelt ein neuer und danach bestimmender Bautypus erscheint, nämlich die zentral gebaute Kreuzkuppelkirche15. Nach dem byzantinischen Bilderstreit (726–843) erscheinen auch in der Goldschmiedekunst neue Typen und Techniken, zum Beispiel das Email (siehe unten). III. Quellenvergleich Wie eingangs erwähnt, gibt es keinen Nachweis dafür, daß das Werk des Theophilus in seiner Gesamtheit oder Teilen im Byzantinischen Reich als Kopie vorlag und rezipiert wurde. Jedoch kann man davon ausgehen, daß die vorher bekannten Rezepte, die teils bis in die Antike zurückgehen und in die verschiedenen Rezeptsammlungen des Mittelalters eingeflossen sind, im Osten wie im Westen bekannt waren, wie im folgenden gezeigt wird. Der Autor der ‚Schedula‘ betont auch selbst im Prolog zum ersten Buch, daß er offenbar zahlreiche Quellen anderer Herkunft verwendet hat: „[…] wirst du […] finden, – was Griechenland an Arten und Mischungen der verschiedenen Farben besitzt, – was Rußland an kunstvoll ausgeführten Emailarbeiten und an mannigfaltigen Arten des Niello kennt, – was Arabien an Treibarbeit, Guß oder durchbrochener Arbeit unterschiedlicher Art auszeichnet, – was Italien an verschiedenartigen Gefäßen sowie an Stein- und Beinschnitzerei mit Gold ziert, – was Frankreich an kostbarer Mannigfaltigkeit der Fenster schätzt, – was das in feiner Arbeit in Gold, Silber, Kupfer, Eisen, Holz und Stein geschickte Deutschland lobt.“ 16

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A. D. Kartsonis datierte die sogenannte Fieschi-Morgan-Staurothek in das erste Viertel des 9. Jahrhunderts, also die Zeit zwischen den beiden Phasen des byzantinischen Bilderstreits: cf. A. D. Kartsonis, Anastasis: The Making of an Image, Princeton 1986, 95–125; cf. auch H. C. Evans/W. D. Wixom (eds.), The Glory of Byzantium. Art and Culture of the Middle Byzantine Era A. D. 843–1261 (Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Metropolitan Museum of Art New York), New York 1997, Nr. 34 (T. F. Mathews, mit Übersicht zur Forschungsgeschichte); R. Cormack/M. Vassilaki (eds.), Byzantium 330–1453 (Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in der Royal Academy of Arts London), London 2008, Nr. 52 (Helen C. Evans). – Y. Stolz beschäftigte sich mit Schmuckfunden aus Abukir Bay, Ägypten, deren terminus ante quem im frühen 8. Jahrhundert liegt, denn die späteste Münze wurde 729/30 geprägt (Phil. Diss., Oxford 2007, im Druck); cf. F. Goddio/M. Clauss (eds.), Ägyptens versunkene Schätze (Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland Bonn), München 2008, 244 und Nr. 37–64 (Y. Stolz). Cf. N. Schmuck, Kreuzkuppelkirche, in: Reallexikon zur Byzantinischen Kunst, vol. 5, Stuttgart 1995, coll. 356–374. Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 1, 51.

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Unabdingbare Voraussetzung für den Vergleich der Quellen und von enormem Wert für die Forschung ist der Aufsatz „Schriftquellen zur Geschichte der Goldschmiedetechniken bis zur Rogerzeit“, für die Jochem Wolters 86 Textquellen unterschiedlichster Art von der Bronzezeit bis zum 12. Jahrhundert zusammengestellt und ausgewertet hat, darunter bislang gar nicht oder kaum bekanntes Material 17. Dazu gehört als wichtigste Quelle für unser Thema der erst 2004 von Jochem Wolters in das Deutsche übertragene byzantinische Traktat des 11. Jahrhundert ‚Über die edle und hochberühmte Goldschmiedekunst‘ 18, der zwar bereits 1888 in das Französische übersetzt worden war19, jedoch in der Fachwelt bislang eher wenig Beachtung gefunden hat20. Der Traktat ist von großer Bedeutung, geht er doch zeitlich dem Werk des Theophilus voraus und beweist „bei aller Eingebundenheit in die schriftliche Tradition hohe Selbständigkeit, indem er allein neun technische Verfahren und acht Anwendungen von Stoffen beziehungsweise deren Gemischen als erster, zum Teil als einziger überliefert“21. Das Manuskript ist in einer Sammelhandschrift in der Pariser Bibliothèque Nationale de France überliefert, die 299 Blatt umfaßt (Parisinus graecus 2327)22. Es handelt sich um die 1478 auf Kreta angefertigte Kopie eines heute verschollenen Originals, die auf den Folios 280–291 den besagten byzantinischen Traktat enthält. Dieser umfaßt 57 Kapitel mit 69 Rezepten, die Materialien und Verfahren der Goldschmiedekunst beschreiben (sieben Kapitel sind allerdings wohl später, im 13.–15. Jahrhundert, hinzugefügt worden23).

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Cf. J. Wolters, Schriftquellen zur Geschichte der Goldschmiedetechniken bis zur Rogerzeit, in: C. Stiegemann/H. Westermann-Angerhausen (eds.), Schatzkunst am Anfang der Romanik. Der Paderborner Tragalter und sein Umkreis, München 2006, 222–242, mit einer Zusammenstellung der Quellen und der entsprechenden Textausgaben. Fast identisch bereits auf Englisch publiziert: id., Written Sources (nt. 11). Cf. id., Traktat (nt. 12); leicht überarbeitet publiziert unter dem Titel: Der byzantinische Traktat ‚Über die edle und hochberühmte Goldschmiedekunst‘ aus dem 11. Jahrhundert, in: Stiegemann/ Westermann-Angerhausen (eds.), Schatzkunst (nt. 17), 259–283. Cf. Sur la très précieuse et célèbre orfèvrerie, in: M. Berthelot, Collection des anciens alchimistes grecs, 3 voll., Paris 1888, vol. 2, 321–337 (griechischer Text), vol. 3, 307–327 (französischer Text); id., Les origines de l’alchimie, Paris 1885, 345 sq. Wolters übertrug als Nicht-Byzantinist allerdings lediglich die französische Übersetzung in das Deutsche, nicht den griechischen Text. Cf. Ogden, Technology (nt. 13), 165, erwähnt die französische Berthelot-Übersetzung im Zusammenhang mit dem Drahtziehen als früheste Beschreibung, „11. Jahrhundert oder älter“. – Eine kommentierte Neuedition und Untersuchung der entsprechenden Vorläufer ist an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in Planung (unter Federführung von Prof. em. Dr. Günter Prinzing, Institut für Byzantinistik). Wolters, Traktat (nt. 12), 162; id., Der byzantinische Traktat (nt. 18), 259; cf. auch id., Schriftquellen (nt. 17), 225; id., Written Sources (nt. 11), 50. Cf. id., Traktat (nt. 12), 162; id., Der byzantinische Traktat (nt. 18), 259. Cf. id., Traktat (nt. 12), 162; id., Der byzantinische Traktat (nt. 18), 259; die Kapitel 41–43 wahrscheinlich aus dem 13. Jahrhundert, 44–45 aus dem 15. Jahrhundert, 47–48 vielleicht ebenfalls später entstanden (14. Jahrhundert?).

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Damit wird bereits deutlich, daß es eigene byzantinische Rezeptsammlungen gegeben hat, die allerdings – wie auch Theophilus – auf ältere, zum Teil lateinische Traditionen zurückgehen. Das wird an Kapitel 6 deutlich, in dem der anonyme Autor des Traktats sich offenbar auf eine lateinische Vorlage stützt und Silber beziehungsweise silberhaltiges Gold (Elektron) mit Email (electrum, wie auch von Theophilus benutzt) verwechselt24. Der Wissenstransfer hat demnach lange vor Theophilus begonnen. Erste Rezeptsammlungen gab es bereits im 17. Jahrhundert vor Christus in Babylonien, und in der klassischen Antike werden präzisere Informationen zur Gold- und Silberverarbeitung in zahlreichen verschiedenen literarischen Genres verarbeitet, seien es botanische, mineralogische, technisch-ingenieurwissenschaftliche oder enzyklopädische Schriften25. Besonders hervorzuheben ist die ‚Physica et Mystica‘ des Pseudo-Demokritos, die im 1.–2. Jahrhundert vor Christus aus den Schriften des Bolos von Mende (circa 200 vor Christus) kompiliert wurde. Diese „vereint griechische Wissenschaft, alexandrinischen Synkretismus, Naturphilosophie und ägyptische Technikerpraxis mit Elementen griechischer Wunderliteratur“ 26. Zahlreiche Rezepte zur Verarbeitung von Gold, Silber und Edelsteinen wurden im späten 3. Jahrhundert in Ägypten in zwei Kompilationen erfaßt: Die in griechischer Sprache verfaßten Papyri verarbeiteten älteres Wissen, zum Beispiel von Dioskurides oder Plinius, und bildeten später die Basis für die Rezeptsammlungen des Mittelalters (‚Papyrus Graecus Leidensis X‘, ‚Papyrus Graecus Holmiensis‘)27. Mit den Eroberungen des südöstlichen Mittelmeerraums durch die Araber seit den 30er Jahren des 7. Jahrhunderts, durch die das Byzantinische Reich empfindliche Gebietsverluste (zum Beispiel Ägypten) erlitt, spielt der arabische Einfluß auf die chemisch-technische Literatur eine immer größere Rolle, wobei diese zunächst auf griechischen Schriften aufbaut28. Seit dem 9. Jahrhundert erscheinen mehr und mehr chemisch-technische Rezeptsammlungen, die im Westen vor dem Hintergrund der Karolingischen Renovatio vor allem auf antiken Schriften wie Plinius und Vitruv fußen. Hier sind jedoch auch bereits deutliche Einflüsse der inzwischen eigenständigeren arabischen Literatur zu vermerken. Die karolingischen Rezeptsammlungen vereinen nicht nur älteres Wissen, wie noch von Smith und Hawthorne angenommen29, sondern übermitteln auch zeitgenössische Ent-

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Cf. id., Traktat (nt. 12), 165; id., Der byzantinische Traktat (nt. 18), 264. Cf. id., Written Sources (nt. 11), 46; id., Schriftquellen (nt. 17), 222. id., Schriftquellen (nt. 17), 222 sq.; cf. auch id., Written Sources (nt. 11), 46. Cf. id., Written Sources (nt. 11), 48 und 61; id., Schriftquellen (nt. 17), 223 und 233, S[ource] 33 (zum Papyrus Graecus Leidensis X cf. E. R. Caley, The Leyden Papyrus X, in: Journal of Chemical Education 3 (1926), 1149–1166), S[ource] 34 (zum Papyrus Graecus Holmiensis cf. O. Lagercrantz [ed.], Papyrus Graecus Holmiensis (P. Holm), Recepte für Silber, Steine und Purpur [Arbeten utgivna med understood af Vilhelm Ekmans Universitetsfond 13], Uppsala 1913). Cf. Wolters, Written Sources (nt. 11), 48; id., Schriftquellen (nt. 17), 223. Cf. C. S. Smith/J. G. Hawthorne, Mappae Clavicula. A Little Key to the World of Medieval Techniques, in: Transactions of the American Philosophical Society, N.S. 64,4 (1974), 1–128, 15.

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wicklungen30. Als Exempel mögen die ‚Compositiones‘31 dienen, die zum Beispiel erstmals die Technik des chemischen Verkupferns schildern32. Wenn auch einige Passagen mit den oben genannten Papyri übereinstimmen, so verraten andere Textstellen doch ihre Herkunft aus anderen Quellen. Interessant für unseren Zusammenhang sind Übereinstimmungen mit dem byzantinischen Traktat des 11. Jahrhunderts33, der ja wiederum auf älteren Traditionen gründet. Für diesen Wissenstransfer lange vor Theophilus mag auch das ‚Liber Sacerdotum‘34 aus dem 9.–10. Jahrhundert ein gutes Beispiel liefern, das aus zwei unabhängigen Rezeptsammlungen zusammengestellt wurde: Erstens einem spanischen Text in lateinischer Sprache, der auf die griechischen Papyri zurückgeht, zweitens einem Traktat, der von islamischen Texten beeinflußt ist und aus dem Griechischen über das Arabische ins Lateinische übersetzt wurde35. Mit dem 10. Jahrhundert erscheinen wichtige persische, arabische und syrische Texte mit Wissen, das nicht ausschließlich aus den älteren griechischen Vorläufern abgeleitet ist, sondern eigenständige Traditionen verrät, darunter die erste Monographie zur Förderung und Verarbeitung von Gold und Silber von al-Hamdâni36 (in persischer Sprache, 942)37. In Byzanz fußen die entsprechenden Schriften immer noch auf älteren Traditionen, aber den Materialzusammensetzungen und den Fertigungsprozessen wird gleiche Aufmerksamkeit geschenkt, so daß der byzantinische Traktat des 11. Jahrhunderts als Vorläufer der Schrift des Theophilus gesehen werden kann38. Diese Tendenz wird in arabischen chemisch-technischen Texten ab der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts fortgesetzt, die dann auch ihren Weg in den Westen finden. Ein arabischer Text, der um 1100 entstanden ist, wurde zum Beispiel noch vor 1200 in Spanien ins Lateinische übersetzt (‚De mineralibus liber‘)39. Dieser und andere Texte geben wichtige Impulse für die Goldschmiedekunst des Mittel30 31

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Cf. Wolters, Written Sources (nt. 11), 49; id., Schriftquellen (nt. 17), 224. Cf. id., Written Sources (nt. 11), 61; id., Schriftquellen (nt. 17), 234, Q[uelle] 42, um 800; Compositiones ad tingenda musiva, ed. H. Hedfors (Phil. Diss.), Uppsala 1932; J. Svennung, Compositiones Lucenses. Studien zu Inhalt, zur Textkritik und Sprache (Uppsala Universitetets Årsskrift 1941,5), Uppsala–Leipzig 1941. Cf. Wolters, Written Sources (nt. 11), 58, nt. 27; id., Schriftquellen (nt. 17), 229 sq.; O. P. Krämer, Rezepte für die Metallfärbung und Metallüberzüge ohne Stromquelle, Saulgau 51977, 40 sq. Cf. Wolters, Written Sources (nt. 11), 49; id., Schriftquellen (nt. 17), 224. Cf. id., Written Sources (nt. 11), 49 und 61; id., Schriftquellen (nt. 17), 224 und 234, Q[uelle] 53 (9.–10. Jahrhundert). Cf. id., Written Sources (nt. 11), 49 sq.; Wolters, Schriftquellen (nt. 17), 224 sq. Zu den arabischen Texten dieser Zeit cf. id., Written Sources (nt. 11), 50; id., Schriftquellen (nt. 17), 225. Al-Hamdâni, Kitâb al-gauharatain al-’aitquatain al-mâ’i’atain as-safrâ’ wa’l-baidâ. Die beiden Edelmetalle Gold und Silber, ed. und übersetzt von C. Toll (Phil. Diss.) (Acta Universitatis Upsaliensis. Studia Semitica Upsaliensa 1), Uppsala 1968; J. W. Allan, Persian Metal Technology 700–1300 AD (Oxford Oriental Monographs 2), Oxford 1979, V–VII. Cf. Wolters, Written Sources (nt. 11), 50; id., Schriftquellen (nt. 17), 225. Cf. id., Written Sources (nt. 11), 50; id., Schriftquellen (nt. 17), 225. Cf. id., Written Sources (nt. 11), 51 und 62; id., Schriftquellen (nt. 17), 226 und 235, Q[uelle] 75; Das Buch der Alaune und Salze. Ein Grundwerk der spätlateinischen Alchemie, ed., übersetzt und erläutert von J. Ruska, Berlin 1935.

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alters und erklären die oft schnelle und weite Verbreitung von Techniken, die sich innerhalb kürzester Zeit in Europa ausbreiten, zum Beispiel die Ziehplatte (siehe unten). Diese Prozesse können zur Zeit jedoch in der Regel nur mittels Indizien, die die Objekte selbst liefern, nachvollzogen werden, wie im folgenden anhand von byzantinischen Beispielen der Goldschmiedekunst exemplarisch gezeigt wird. IV. T heophilus’ Fer tigungsmethoden im Vergleich mit byzantinischen Goldschmiedearbeiten Nach diesen grundlegenden Präliminarien werden nun ausgewählte Techniken als Fallbeispiele zu Theophilus’ Werk in Bezug gesetzt. 1. Drahtherstellung Für die Herstellung von Runddraht gibt es zahlreiche Methoden, die unter anderem von A. Oddy und J. Ogden untersucht wurden40 und die jeweils charakteristische Spuren hinterlassen. Draht kann aus einem Werkstück gehämmert werden, ist dann jedoch meist unregelmäßig und zeigt Spuren des Hammerschlages. Weiterhin kann ein im Querschnitt viereckiges Werkstück verdreht und dann glatt gehämmert, geschliffen und poliert werden (Oddys „block-twisted-wire“ 41), so daß der Draht spiralförmige Rillen aufweist, die meist beim abschließenden Hämmern, Schleifen und Polieren nicht völlig verschwinden. Ähnlich kann mit einem längsrechteckigen Blech verfahren werden, das verdreht, dann zum Beispiel mittels eines Holzbrettes wie ein Teig glatter gerollt und anschließend gehämmert wird („strip-twisted-wire“). Auch kann ein wiederum längsrechteckiges Blechstück längs aufgerollt und durch eine mit Löchern versehene Ziehplatte (siehe unten) gezogen und geglättet werden („strip-drawn-wire“), wobei parallele Riefen zu erwarten sind, die kleinste Unebenheiten der Löcherränder reflektieren. Diese Ziehplatten können im Gegensatz zu den „echten“ Ziehplatten aus einem weicheren Material, zum Beispiel Holz oder Knochen, bestehen42. Aufgrund der parallelen Riefen ist „strip-drawn-wire“ – vorausgesetzt, die Längsrille, die beim Zusammentreffen der Blechränder entsteht, wurde ausreichend nachbearbeitet – 40

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Cf. W. A. Oddy, The Production of Gold Wire in Antiquity. Hand-Making Methods before the Introduction of the Draw-Plate, in: Gold Bulletin 3 (1977), 79–87, 83–86; J. Ogden, Jewellery of the Ancient World: The Materials and Techniques, London 1982, 46–57. Cf. Oddy, Gold Wire (nt. 40), 83–86, Abb. 5–7. Die von Oddy eingeführten Bezeichnungen werden in der Originalsprache beibehalten, da sie zum einen besonders prägnant sind, zum anderen bereits auch in die deutschsprachige Literatur Eingang gefunden haben; cf. e.g. H. Eilbracht, Filigran- und Granulationskunst im wikingischen Norden. Untersuchungen zum Transfer frühmittelalterlicher Gold- und Silberschmiedetechniken zwischen dem Kontinent und Nordeuropa (Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters, Beiheft 11), Köln–Bonn, 1999, 27. Cf. Eilbracht, Filigran- und Granulationskunst (nt. 41), 29.

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nicht immer vom echten gezogenen Draht (siehe unten) zu unterscheiden, besitzt jedoch im Gegensatz zu jenem einen schneckenförmigen Querschnitt 43. Für das eigentliche Drahtziehen, die heute noch übliche Methode44, ist ein stabileres Werkzeug, zum Beispiel aus gehärtetem Eisen notwendig. Dieses muß über zahlreiche unterschiedlich große Löcher verfügen45, durch die ein vorher in längliche Form geschmiedetes, angespitztes Werkstück mithilfe einer Ziehzange nacheinander gezogen wird, beginnend mit dem größten Loch. Auch hier ergeben sich parallele Riefen, so daß es zu Verwechselungen mit den vorher genannten Fertigungsmethoden kommen kann. Im Gegensatz zu jenen ist gezogener Draht jedoch massiv, während „strip-twisted-wire“ und „strip-drawn-wire“ innen (mehr oder weniger) hohl sind. Allerdings fehlen ausreichende Untersuchungen dazu46, wenn die Technik auch bis in römische Kaiserzeit zu verfolgen ist 47. Eine Reihe von archäologischen Funden wurde als Zieheisen bezeichnet48, von denen sich viele bei genauer Analyse der technischen Voraussetzungen als mutmaßliche Nageleisen49 herausstellten, so daß laut Heide Eilbracht nur drei Funde als eigentliche Zieheisen angesprochen werden können50, zu denen wir zwei Objekte aus Bulgarien ergänzen können51. Als ältester archäologischer Beleg für ein Zieheisen gilt ein Eisenwerkzeug mit 78 Löchern von 2 mm bis 0,2 mm aus Staraja Ladoga in Rußland (Mitte des 8. Jahrhunderts)52.

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Carroll konnte belegen, daß bereits in ägyptischer Dynastie-Zeit derartige Drähte hergestellt wurden; cf. D. L. Carroll, Drawn Wire and the Identification of Forgeries in Ancient Jewellery, in: American Journal of Archaeology 74 (1970), 401. Modernes Zieheisen cf. Goldschmiedebedarf, Werkstattausrüstung, Furnituren, Perlen, Schmucksteine, Katalog der Firma Karl Fischer GmbH, Pforzheim 2009, 33. Zur Anzahl der Löcher cf. Foltz, Beobachtungen (nt. 8), 217. Cf. Eilbracht, Filigran- und Granulationskunst (nt. 41), 29; N. Whitfield, Round Wire in the Early Middle Ages, in: Jewellery Studies 4 (1990), 13–28, 20. Cf. Eilbracht, Filigran- und Granulationskunst (nt. 41), 29; Ogden, Jewellery (nt. 40), 48. Ausführliche kritische Analyse der überlieferten „Zieheisen“ bei Eilbracht, Filigran- und Granulationskunst (nt. 41), 30–33. Echte Zieheisen sollten mindestens 10 konische Löcher enthalten, deren Größe kontinuierlich abnimmt. Metallplatten mit weniger Löchern können auch für andere Zwecke gedient haben, e.g. zum Glätten von Lederriemen oder als Nageleisen. Letzteres ist auf einer Abbildung aus dem Hausbuch der Brüder Mendel (cf. nt. 55) dargestellt: Hier wird ein Nagelschmied gezeigt, der ein dem Zieheisen ähnliches Instrument benutzt, um Nagelköpfe anzustauchen (cf. Brepohl, Theophilus [nt. 1], vol. 2, Abb. 23, 15.2). Für Nageleisen sind keine konischen Löcher erforderlich, und deren Anzahl kann – wie auf den beiden Abbildungen erkennbar – wesentlich geringer sein (Zieheisen: 14 Löcher, Nageleisen: sechs Löcher). Zu dieser Frage cf. auch P. Rump, Nagel- oder Zieheisen?, in: Draht-Welt 53, Heft 6 (1967), 393–397. Cf. Eilbracht, Filigran- und Granulationskunst (nt. 41), 30–33. Diese sind zwar nicht sicher datiert, aber aus historischen Gründen wohl nicht vor dem 9.– 10. Jahrhundert entstanden. Cf. I. Shtereva/K. Melamed (eds.), Bulgarian Medieval Town – Technologies (Soros Center for Arts, Open Society Fund, Institute of Archaeology and Museum, Bulgarian Academy of Sciences), Sofia s. a. (ca. 1998), 37 sq., Nr. 91, 92. Größe: 11 × 2 × 0,1 cm. Abb. in: Wikinger, Waräger und Normannen. Die Skandinavier und Europa 800–1200 (Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Alten Museum Berlin, Grand Palais Paris,

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Theophilus beschreibt das Zieheisen (Buch III, Kapitel 8) kurz und knapp: „Zwei Eisenwerkzeuge, drei Finger breit, sind oben und unten verjüngt, im ganzen flach und in drei oder vier Reihen durchlocht. Durch diese Löcher werden die Drähte gezogen“ 53. In Kapitel 52 erwähnt er, daß das Gold vor dem Ziehen dünn und lang ausgeschmiedet werden muß54. Brepohl liefert eine überzeugende Erklärung für die vorher rätselhafte Formulierung „oben und unten verjüngt“ (superius et inferius stricti). Sein Vergleich mit der ältesten Darstellung des Drahtziehens im Nürnberger Hausbuch der Mendelschen Brüderstiftung (1425–1436)55 zeigt nämlich ein Zieheisen, das an einer Seite angespitzt und in einen Holzblock geschlagen wurde, um es zu stabilisieren. Theophilus’ Zieheisen verfügt offenbar auf beiden Seiten über Spitzen, um es beidseitig in einen Holzblock einschlagen zu können und so eine einseitige Belastung des Materials zu verhindern56. Die vergleichsweise kurze Beschreibung des Theophilus läßt bereits vermuten, daß das Drahtziehen keine neue Methode war, die erst ausführlich dargelegt werden mußte. Im Gegenteil, die Technik war bereits lange etabliert, auch im Byzantinischen Reich. Die ‚Schedula‘ galt zwar lange Zeit als ältester schriftlicher Beleg für das Zieheisen57, ihm geht jedoch der byzantinische Traktat des 11. Jahrhunderts zeitlich voraus. Dort wird das Ziehen feiner (Silber-)Drähte wie folgt beschrieben: „Nimm Feinsilber, schlage es [zu Blech], schneide es in Stücke [Streifen] und gib es [zum Weichglühen] in ein eisernes Gefäß mit abgerundetem Boden. Darauf zieh es einmal durchs Zieheisen […]“ 58.

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Nationalmuseet Kopenhagen), Berlin 1992, 197, Abb. 2, und J. Wolters, Drahtherstellung im Mittelalter, in: U. Lindgren, Europäische Technik im Mittelalter 800–1400: Tradition und Innovation, Berlin 31998, 205–216, 207, Abb. 1, hier Datierung im Text: „Mitte des 9. Jahrhunderts“, Bildunterschrift: „Mitte des 8. Jahrhunderts“. Es dürfte sich bei der Bildunterschrift um einen Druckfehler handeln, da sich Wolters in seiner Datierung an die inzwischen wohl überholte Datierung von W. Duczko, The Filigree and Granulation Work of the Wiking Period. An Analysis of the Material from Björke (Birka. Untersuchungen und Studien 5), Stockholm 1985, 17, in das 9. Jahrhundert anlehnt. Zum Objekt cf. op. cit, 17, Abb. 1, hier noch in die zweite Hälfte des 9. Jahrhunderts datiert; cf. auch Eilbracht, Filigran- und Granulationskunst (nt. 41), 33 und 33, nt. 105; J. Wolters, Goldschmiedekunst, in: H. Beck/H. Steuer/D. Timpe (eds.), Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, vol. 12, 21998, 362–386, 373. Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 2, 46. Cf. op. cit., 129. Cf. Hausbuch der Mendelschen Zwölfbrüderstiftung, Nürnberg, Staatsbibliothek, Amb 317.2°, fol 40r. Abb. in: Wolters, Drahtherstellung (nt. 52), 211, Abb. 6; Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 2, Abb. 23, 8.2. Zum Hausbuch cf. K. Goldmann/W. Treue/R. Kellermann/F. Klemm/ K. Schneider/W. von Stromer/A. Wißner/H. Zirnbauer (eds.), Das Hausbuch der Mendelschen Zwölfbrüderstiftung zu Nürnberg. Deutsche Handwerkerbilder des 15. und 16. Jahrhunderts, 2 voll., München 1965–1967, vol. 2, 71. Cf. Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 2, 46. Cf. e.g. Duzcko, Filigree (nt. 41), 16; Oddy, Gold Wire (nt. 40), 79. Wolters, Traktat (nt. 12), c. 33, 172; id., Der byzantinische Traktat (nt. 18), c. 33, 274, zitiert inklusive der Kommentare und Hinzufügungen in eckigen Klammern.

Das Verhältnis der ‚Schedula‘ zu byzantinischen Goldschmiedearbeiten

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Dies muß nicht zwangsläufig bedeuten, daß die Ziehplatte eine byzantinische Invention ist. Wann genau dieses Instrument eingeführt wurde, bleibt weiterhin unklar59. Die ältesten Realien, die Spuren einer Ziehplatte zeigen, sind allerdings um einiges älter als der Text des Theophilus und auch der byzantinische Traktat. Bislang sind keine gezogenen Drähte aus der Antike nachweisbar, und laut Ogden soll es keine Beispiele vor dem 7. Jahrhundert.60 gegeben haben. Jedoch zeigen zwei Bügelfibeln, die den Fibeln im zweiten Schatzfund von Szilágysomlyó (heute Rumänien) nahe stehen und in das späte 4.–frühe 5. Jahrhundert datiert wurden, offenbar bereits deutliche Anzeichen für die Herstellung mittels einer Ziehplatte61. Interessant ist, daß einer der Anhänger der Kette (erste Hälfte des 5. Jahrhunderts) aus dem ersten Schatzfund von Szilágysomlyó62, deren insgesamt 52 Anhänger unter anderem Werkzeuge darstellen, möglicherweise ein Zieheisen zum Vorbild hat63. Somit stammen die frühesten Realien vielleicht schon aus dem späten 4.–frühen 5. Jahrhundert, denen auch ein koptischer Messingdraht des 5. Jahrhunderts aus Ägypten zuzurechnen sein dürfte64. Wie erwähnt bleibt der Zeitpunkt und der genaue Ort der Erfindung der Ziehplatte unklar 65, das Wissen um diese technische Neuerung scheint sich aber schnell über ganz Europa ausgebreitet zu haben. Spuren der Verwendung dieses Werkzeugs finden sich beispielsweise auch an einem angelsächsischen Objekt aus dem Trewhiddle-Hort (870)66 oder an skandinavischen Filigranarbeiten der Wikingerzeit67.

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Cf. Eilbracht, Filigran- und Granulationskunst (nt. 41), 29, mit dem Hinweis, daß die in der Forschung geführten Diskussionen sich unausgesprochen auf „echten“ gezogenen Draht beziehen, wobei eine Unterscheidung wie bereits erwähnt ohne technische Untersuchungen schwierig ist. Cf. J. Ogden, Classical Gold Wire: Some Aspects of its Manufacture and Use, in: Jewellery Studies 5 (1991), 95–105, bes. 95–99. Cf. V. Freiberger/K. Gschwantler, Beobachtungen zu Herstellungstechnik und Tragweise der Goldkette, in: W. Seipel (ed.), Barbarenschmuck und Römergold. Der Schatz von Szilágysomlyó (Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Kunsthistorisches Museum Wien und Magyar Nemzeti Múzeum Budapest), Wien 1999, 97–112, 76, Abb. 29. Zur Datierung der Schatzfunde cf. A. Kiss, Historische Auswertung, in: op. cit., 163–168. Cf. Seipel (ed.), Barbarenschmuck (nt. 61), Nr. 16; cf. auch T. Capelle, Die Bedeutung der goldenen Miniaturkette von Szilágysomlyó, in: op. cit. 55–62; K. Gschwantler, Die Anhänger der Kette und ihre Deutung, in: op. cit. 63–80; M. Martin, Die goldene Kette von Szilágysomlyó und das frühmerowingische Amulettgehänge der westgermanischen Frauentracht, in: op. cit., 81–97. Es könnte sich jedoch auch um ein Nageleisen handeln; cf. Gschwantler, Anhänger (nt. 62), 64, Abb. 4, 74, Abb. 28. Cf. Wolters, Drahtherstellung (nt. 52), 207; Ogden, Jewellery (nt. 40), 52. Cf. e.g. Oddy, Gold Wire (nt. 40), 79–87; Ogden, Classical Gold Wire (nt. 60), 95–105; Wolters, Drahtherstellung (nt. 52), 207; einen guten Überblick über die Forschungsgeschichte gibt Eilbracht, Filigran- und Granulationskunst (nt. 41), 25–39. Cf. Ogden, Technology (nt. 13), 165, Abb. 2. Cf. W. A. Oddy, Ancient Jewellery as a Source of Technological Information. A Study of Techniques for Making Wire, in: A. Timár-Balázsy (ed.), Fourth International Restorer Seminar, vol. 2, Budapest 1984, 241–251, 247.

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Bei den byzantinischen Goldschmiedearbeiten ist das Zieheisen ebenfalls schon früh nachweisbar. Oddy erwähnt einen Ohrring des 6. Jahrhunderts68, allerdings scheinen die oben beschriebenen alternativen Methoden der Drahtherstellung noch zu überwiegen: Bei den Arbeiten in der für das 3. bis frühen 8. Jahrhundert charakteristischen opus interrasile-Technik (Durchbruchtechnik) (siehe unten) besteht der Verbindungs- oder Dekorationsdraht häufig aus dem sogenannten „strip-twisted-wire“ 69. Überdies wird Draht an byzantinischen Ohrringen des 4. bis 6. Jahrhunderts des öfteren als gehämmert beschrieben70. Aus einem Barren geschmiedete Drähte, die meist an den Arbeitsspuren (Hammerschlag) erkennbar sind, können neben merowingischen Arbeiten des 7. Jahrhunderts71 auch für einige frühbyzantinische Schmuckstücke (4.–6. Jahrhundert)72, nicht aber für solche aus mittelbyzantinischer Zeit (9.–12. Jahrhundert), nachgewiesen werden. Zahlreiche byzantinische Schmuckstücke des 10. Jahrhunderts belegen dagegen, daß das Drahtziehen zu dieser Zeit in Byzanz offenbar bereits die gängige Methode war. Die meisten der von der Verfasserin untersuchten mittelbyzantinischen Schmuckstücke, bei denen Draht verwendet wurde und die Technik der Drahtherstellung überhaupt bestimmt werden kann, das heißt bei Goldschmuck, weisen gezogenen Draht auf. Dazu gehören so herausragende Objekte wie der Halsschmuck (Detail Abb. 1) und die Ohrringe aus dem Preslav-Schatz (Abb. 2) sowie weitere verwandte Stücke, darunter ein singulärer, schwerer Goldarmreif mit insgesamt vierzig Emailplättchen73 (Abb. 3). Diese Schmuckstücke können meines Erachtens zur sogenannten „höfischen Gruppe“ von byzantinischem Schmuck gezählt werden, der in Konstantinopel (am Hof oder in Werkstätten mit Bezug zum Kaiserhof) produziert worden sein muß, wobei für diese Lokalisierung die Objekte aus dem Preslav-Schatz ausschlaggebend sind: Der PreslavSchatz, der 1978 in Bulgarien ausgegraben worden ist, besteht aus über 180 größtenteils goldenen und silbernen Objekten, die wohl als Geschenk des byzantinischen Kaisers nach Bulgarien gelangten. Aus verschiedenen Gründen, die an anderer Stelle ausführlich diskutiert werden74 ist anzunehmen, daß der wahr68 69 70 71 72 73 74

Cf. A. W. Oddy, Gold Wire in Antiquity, in: Aurum 5 (1981), 8–12, 12, Abb. 10. Cf. A. Yeroulanou, Diatrita. Gold Pierced-work Jewellery from the 3rd to the 7th Century, Athen 1999, 19–21. Cf. E. Kypraiou (ed.), Greek Jewellery. 6000 Years of Tradition (Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in der Villa Bianca Thessaloniki), Athen 1997, Nr. 189 sqq., 207 (E. Gini-Tsophopoulou). Cf. Wolters, Drahtherstellung (nt. 52), 205. Cf. E. Kypraiou (ed.), Greek Jewellery (nt. 70), Nr. 189, 190, 191, 207 (E. Gini-Tsophopoulou). Cf. Bosselmann-Ruickbie, Byzantinischer Schmuck (nt. 4), Nr. 1, 24, 28, 40, 43, 44, 53, 63 sqq., 68, 118 (Runddrähte Flechtband). Der Begriff „höfische Goldschmiedearbeiten“ ist als Hilfsbegriff anzusehen, da sich Schmuckstücke nur durch Indizien dem kaiserlichen byzantinischen Hof zuschreiben lassen. Bislang ist eine höfische Goldschmiedewerkstatt in Konstantinopel (beziehungsweise überhaupt im Byzantinischen Reich) nicht nachweisbar. Cf. dazu und zum Preslav-Schatz: Bosselmann-Ruickbie, Byzantinischer Schmuck (nt. 4), 18–40; ead., Goldener Glanz aus Byzanz. Der Schatzfund von Preslav (Bulgarien) – Ein kaiserliches Geschenk an einen „barbarischen“ Regenten, in: Antike Welt 6 (2004), 77–81.

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scheinlichste Anlaß dafür die friedensstiftende Heirat der byzantinischen Kaiserenkelin Maria-Irene mit dem bulgarischen Zaren Peter I. (927–969) im Jahre 927 war. Die Objekte müssen demnach in einer – leider nicht zu lokalisierenden – kaiserlichen Werkstatt in Konstantinopel entstanden sein, ebenso stilistisch und technisch analoge Objekte. Die Ziehplatte wird sich also im Byzantinischen Reich ab dem 6. Jahrhundert vereinzelt, dann spätestens mit dem 10. Jahrhundert für qualitativ hochstehende Goldschmiedearbeiten durchgesetzt haben. Leider ist bis heute meines Wissens kein einziges byzantinisches Exemplar einer Ziehplatte bekannt geworden. Schlichterer byzantinischer Bronzeschmuck konnte jedoch weiterhin ohne Ziehplatte entstehen. Beispielsweise bestehen mehrere Bronzearmreife des 10.– 12. Jahrhunderts75 aus miteinander verdrehten dicken Drähten. Diese Drähte sind nach meiner Beobachtung nicht, wie bisher unpräzise beschrieben, aus „twisted wire“76 hergestellt worden, sondern in einer Art „Falttechnik“ (Abb. 4): Es handelt sich um einen der Länge nach gefalteten Blechstreifen, der anschließend gehämmert wurde. Diese Drähte sind bei näherer Betrachtung sehr krude gearbeitet, der Draht im Querschnitt eher oval als rund. Sehr selten wurde auch noch „strip-twisted-wire“ verwendet77. Der mittelbyzantinische Goldschmuck zeigt demnach meist Spuren von Ziehplatten. J. Ogdens Aussage, daß „the more complex or sophisticated implements, such as elaborate wiredrawing equipment […], would be out of the question for small workshops“78, scheint sich also hier zu bestätigen. Einschränkend ist aber zu sagen, daß – wie oben erwähnt – Spuren dieses Verfahrens an Eisen-, Bronzeoder auch Silberschmuck nur sehr selten nachweisbar sind aufgrund der meist auftretenden stärkeren Korrosionsspuren. Am Beispiel des Drahtziehens wird deutlich, daß die Kenntnisse, die Theophilus beschreibt, im Byzantinischen Reich seit vermutlich mindestens fünf Jahrhunderten vereinzelt, durchgehend mindestens seit zwei Jahrhunderten Anwendung fanden. Auch die erwähnte schriftliche Quelle zum Drahtziehen, der byzantinische Traktat des 11. Jahrhunderts, in der die Ziehplatte erstmals überhaupt erwähnt wird, stammt aus dem Byzantinischen Reich und ist älter als der Text des Theophilus.

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Cf. Bosselmann-Ruickbie, Byzantinischer Schmuck (nt. 4), Nr. 110–114, Beispiel hier in Abb. 4: Nr. 111. Cf. E. Kypraiou (ed.), Greek Jewellery (nt. 70), Nr. 243 sq. (E. Kourkoutidou-Nikolaidou/A. C. Antonaras). Cf. Bosselmann-Ruickbie, Byzantinischer Schmuck (nt. 4), Nr. 68. Ogden, Technology (nt. 13), 155.

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2. Perldraht Ähnliches gilt auch für den im folgenden beschriebenen Perldraht, der mindestens seit dem 8.–7. Jahrhundert vor Christus79 in der Goldschmiedekunst nachweisbar ist. Dieser besteht aus einem Draht, der mechanisch so verformt wurde, daß er aussieht wie eine Reihe von kleinen, miteinander verbundenen Kügelchen (Abb. 1–3, 5–8), was jedoch nicht mit der ähnlichen, aber aufwendigeren Liniengranulation (nebeneinander gelötete Kügelchen) verwechselt werden darf, die im Mittelalter ebenfalls, wenn auch seltener, vorkommt80. Perldraht erscheint häufig in der früh- und hochmittelalterlichen Goldschmiedekunst, sei es an karolingischen und ottonischen81, salischen82, angelsächsischen83 oder wikingerzeitlichen84 Arbeiten. Auch in der mittelbyzantinischen Zeit wird der Perldraht zum wichtigen dekorativen, mitunter auch konstruktiven Element. Häufig erscheint er als Rahmung, zum Beispiel bei emaillierten Schmuckstücken85. Perldraht ist geradezu charakteristisch für die goldenen Schmuckstücke aus höfischer Produktion, zum Beispiel die Schmuckstücke aus dem bereits erwähnten Preslav-Schatz (Abb. 1–2; siehe auch Abb. 3). Ein Charakteristikum des kaiserlichen byzantinischen Goldschmucks ist der doppelte Perldrahtring, der innen mit einem Blechstreifen verstärkt ist und als konstruktives (Öse für Halsschmuck, Abb. 6) wie dekoratives Element erscheint86. Daher eignet sich Perldraht ebenfalls besonders für einen Vergleich mit dem Werk des Theophilus, der die Fertigungstechnik ausführlich beschreibt. Theophilus nennt zwei Verfahren zur Herstellung von Perldraht in Buch III, nämlich die Fertigung mittels eines Eisengesenks87 (Kapitel 9: „Von der Vorrichtung, die Organarium genannt wird“/„De instrumento quod organarium dicitur“) und einer Perldrahtfeile (Kapitel 10: „Von den Feilen mit der unteren Rille“/„De limis

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Cf. Ogden, Jewellery (nt. 40), 52–56; J. Ogden/S. Schmidt, Late Antique Jewellery: Pierced Work and Hollow Beaded Wire, in: Jewellery Studies 4 (1990), 5–12, 8; Ogden, Technology (nt. 13), 166. Duczko nennt Beispiele aus dem 14.–13. Jahrhundert vor Christus, mit weiteren griechischen Vertretern des 8. beziehungsweise 6. Jahrhunderts vor Christus; cf. Duczko, Filigree (nt. 41), 19. Beispiel in N. Whitfield, The Manufacture of Ancient Beaded Wire: Experiments and Observations, in: Jewellery Studies 8 (1998), 57–86, 57, Abb. 2. Cf. e.g. J. Wolters, Filigran, in: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, vol. 8, München 1987, coll. 1062–1184, Abb. 12, 17. Cf. e.g. S. Weinfurter (ed.), Reichskrone, Das Reich der Salier 1024–1125 (Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Römisch-Germanischen Zentralmuseum Mainz, Historisches Museum der Pfalz Speyer), Sigmaringen 1992, 242 sq. und 241, Farbabb. Cf. e.g. Whitfield, Beaded Wire (nt. 80), 73, Abb. 38, 40. Cf. e.g. Duczko, Filigree (nt. 41), 22. Cf. Bosselmann-Ruickbie, Byzantinischer Schmuck (nt. 4), e.g. Nr. 1, 63 sq., 66 sq., 118. Cf. op. cit., Nr. 1, Fig. 6, 12 sq., 19, Nr. 3, 63, Abb. 16. Abb. 28 zeigt ein Glasgefäß in Venedig, das ebenfalls dieses Charakteristikum an seinen Metallhenkeln zeigt und daher wohl am selben Ort (Konstantinopel), vielleicht sogar in derselben Werkstatt wie die Schmuckstücke angefertigt wurde. Ein Gesenk ist ein Umformwerkzeug in Form einer meist zweiteiligen Hohlform.

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inferius fossis“). Mithilfe dieser beiden Kapitel wurde mehrfach versucht, die entsprechenden Werkzeuge zu rekonstruieren, so von E. Foltz (1979), J. Ogden (1982), W. Duczko (1985), E. Brepohl (1987) und N. Whitfield (1998)88, denn beide Werkzeuge waren bis dahin archäologisch noch nicht nachweisbar, abgesehen von einer Bleiplatte aus dem wikingerzeitlichen Hedeby (Norddeutschland), die als Model für ein gegossenes Gesenk interpretiert wurde89, was jedoch mangels technischer Eignung eines gegossenen Gesenks angezweifelt wurde90. 1996 publizierten dann dänische Archäologen einen Gegenstand der römischen Eisenzeit (1.–4. Jahrhundert) aus Illerup Ådal, Dänemark, den sie als Perldrahtfeile identifizierten91. Die Beschreibung bei Theophilus, die Grundlage der Rekonstruktionen war, ergibt folgendes Bild für das Organarium: Es handelt sich um ein zweiteiliges Gesenk aus (gehärtetem92) Eisen, in dessen beide durch Bolzen verbundene Hälften die Negativformen des Perldrahtes geschnitten wurde93. Ein Runddraht wird in das Gesenk eingelassen und die obere Hälfte mit einem Hornhammer bearbeitet, so daß sich der vergleichsweise weiche Gold- oder Silberdraht in die Vertiefungen des Gesenks einpaßt. Dabei muß der Draht immer wieder gedreht werden, um das Entstehen von Graten, die der Draht an der Längsseite zwischen den beiden Gesenkstempeln ausbildet, zu vermeiden. Für diese Methode eignen sich Drähte von einem Querschnitt von 1 mm oder mehr 94. Theophilus beschreibt in Kapitel 10 das zweite Instrument, nämlich die sogenannte Perldrahtfeile. Es handelt sich um ein längliches Metallwerkzeug mit Griff, das eine halbrunde Längsrille und zwei scharfen Kanten aufweist (möglich

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Cf. Foltz, Beobachtungen (nt. 8), Tf. 30.2, 30.3; Ogden, Jewellery (nt. 40) 43–53; Duczko, Filigree (nt. 41), 18, Abb. 3; E. Brepohl, Theophilus Presbyter und die mittelalterliche Goldschmiedekunst, Wien–Graz 1987 (Abb. cf. id., Theophilus (nt. 1), vol. 2, 47, Abb. 9.1., 49, Abb. 10.1; Whitfield, Beaded Wire (nt. 80), 62, Abb. 7 sq., 64, Abb. 12, 67, Abb. 19 sqq., 68, Abb. 22. Cf. H. Drescher, Draht, in: H. Beck/H. Jakuhn/K. Ranke/R. Wenskus (eds.), Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, vol. 6,1–2, Berlin–New York 1985, 140–152, 150. Cf. Whitfield, Beaded Wire (nt. 80), 59. Cf. C. Carnap-Borneim/J. Ilkjær, Illerup Ådal. Die Prachtausrüstungen, Teil 6: Katalog, Fundlisten und Literatur (Jutland Archaeological Society Publications 25,5–8), Århus 1996, 81 (ohne Abb.): „Werkzeug mit eiserner Klinge, die in einen hölzernen doppelkonischen Schaft mit rundem Querschnitt eingesetzt ist. Die Klinge ist mit einer Schaftzunge versehen, deren Kanten gerieft sind. Das Stück ist leicht gekrümmt, der Querschnitt der Klinge ist annähernd rechteckig, auf der konvexen Seite befindet sich jedoch eine Kerbe mit einer scharfen Kante. Dieses Werkzeug war zur Herstellung von Perldraht bestimmt. L. Schaft 113,5 mm; L. Klinge 90,8 mm; L. Schaftzunge 20,2 mm; L. Kerbe 70,6 mm; Br. Kerbe ca. 0,7 mm. Die Tiefe der Kerbe kann aufgrund von Korrosion nicht sicher ermittelt werden“; J. Ilkjær, Illerup Ådal. Ein archäologischer Zauberspiel, Moesgård 2002, 118 sqq., Abb. S. 118 sq. (Umzeichnung). Cf. Whitfield, Beaded Wire (nt. 80), 59. Verschiedene Rekonstruktionen solcher Organaria bei Whitfield, Beaded Wire (nt. 80), 67, Abb. 18–22, 68, Abb. 22; Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 2, 47, Abb. 9.1. Cf. Foltz, Beobachtungen (nt. 8), 219; Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 2, 48.

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ist jedoch auch ein Instrument mit nur einer Kante)95. Dieses wird mehrfach quer über einen Runddraht gerollt, bis der Draht an den zwei Kanten gestaucht wird und sich in der Rille des Werkzeugs mehr oder weniger runde Kugeln ausbilden. Der Begriff „Feile“, wie er von Theophilus verwendet wird (lima), ist allerdings irreführend, da das Material nicht – wie noch von Theobald, Hawthorne/Smith und Dodwell 96 angenommen – gefeilt, sondern gestaucht wird. Diese Technik eignet sich vor allem für dünnere Drähte97. Beide Fertigungsmethoden können recht gut mit bloßem Auge unterschieden werden, da sie jeweils charakteristische Spuren hinterlassen, wobei sich unterschiedliche Werkzeugspuren ergeben, je nachdem ob eine Perldrahtfeile mit einer, zwei oder mehr Kanten verwendet wurde98. Die Perldrahtfeile führt meist zu dem bereits mit bloßem Auge erkennbaren sogenannten Äquatorschnitt (Abb. 5, unten rechts, unterer Perldraht, Abb. 8), worunter man etwa mittig verlaufende Rillen auf den „Perlen“ versteht. Dabei handelt es sich um einen Produktionsfehler, nicht um ein Merkmal, das für geographische oder chronologische Zuordnungen geeignet ist, wie in der älteren Forschung manchmal angenommen wurde99. Der mittels eines Organariums hergestellte Perldraht ist dagegen gleichmäßiger, die Kugeln runder (Abb. 1–3, 5, unten rechts, oberer Perldraht, Abb. 6–7), allerdings können auch dort manchmal ähnliche Rillen (Abb. 5, links unten) auftauchen100 (meist jedoch nicht so ausgeprägt und seitlich liegend 101), welche mitunter zu Verwechselungen der Herstellungsmethoden führen können. Diese Instrumente wurden, wie die überlieferten Realien verraten, bereits in der Antike verwendet, so die Perldrahtfeile, die mindestens seit dem 8.–7. Jahrhundert vor Christus102, vielleicht sogar seit dem 14.–13. Jahrhundert vor Christus eingesetzt wurde103. Wie bereits erwähnt, wurde inzwischen eine Perldrahtfeile aus einem römisch-eisenzeitlichen Kontext in Dänemark publiziert (1.–4. Jahr-

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Zur Rekonstruktion cf. Whitfield, Beaded Wire (nt. 80), 62, Abb. 7 sq.; Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 2, 49, Abb. 10.1. Cf. W. Theobald, Technik des Kunsthandwerks im 10. Jahrhundert. Des Theophilus Presbyter Diversarum artium schedula, Berlin 1933 [Neudruck Düsseldorf 1984], 69; J. G. Hawthorne/ C. S. Smith (eds.), Theophilus. On Divers Arts. The Foremost Medieval Treatise on Painting, Glassmaking and Metalwork, New York 1979, 90 (aber eher zu einem „rolling-swage“, „Rollgesenk“ tendierend); Ch. R. Dodwell, Theophilus, De diversis artibus – The Various Arts, London 1961 [Neudruck Oxford 1986, 1998], 69. Cf. Eilbracht, Filigran- und Granulationskunst (nt. 41), 36. Zu den verschiedenen Spuren, die ein-, zwei- oder mehrkantige Perldrahtfeilen hinterlassen cf. Whitfield, Beaded Wire (nt. 80), 60–66. Der Äquatorschnitt ist noch bis in die 80er Jahre als technische Besonderheit, vornehmlich karolingischer Goldschmiedekunst interpretiert worden. Cf. Foltz, Beobachtungen (nt. 8), 218; Eilbracht, Filigran- und Granulationskunst (nt. 41), 36 und nt. 135. Cf. Whitfield, Beaded Wire (nt. 80), 69, Abb. 25b. Cf. Duczko, Filigree (nt. 41), 21. Cf. Ogden, Technology (nt. 13), 166. Cf. Duczko, Filigree (nt. 41), 19, mit weiteren griechischen Vertretern des 8. beziehungsweise 6. Jahrhunderts vor Christus.

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hundert), die den bislang einzigen bekannten archäologischen Beleg liefert, sofern die Identifizierung korrekt ist. Das Organarium ist wohl die spätere Erfindung104, war jedoch ebenfalls mindestens seit spätrömischer Zeit in Gebrauch105. Ogden nennt als Beispiel eine opus interrasile-Platte mit Jagddarstellung des späten 4. Jahrhunderts im British Museum106. Whitfield hat Spuren des gleichen Werkzeugs an einem Halsschmuck mit Hochzeitsmedaillon im Schatzfund von der Piazza della Consolazione, Rom (5. Jahrhundert), entdeckt107. Dagegen sei laut Duczko das Gesenk erst an byzantinischem Schmuck seit dem 6. Jahrhundert zu finden (leider ohne konkrete Beispiele), wobei es sich seiner Ansicht nach um die frühesten Beispiele handelte. Daraus zog er den Schluß, daß das Werkzeug in Byzanz erfunden worden sein dürfte108. Dies ist jedoch mangels technischer Untersuchungen nicht weiter zu belegen, allerdings zeigen frühbyzantinische Goldobjekte des 6.–7. Jahrhunderts Spuren sowohl der Perldrahtfeile109 als auch des Organariums110. Hierbei ist anzumerken, daß an frühbyzantinischem Schmuck auch des öfteren ein dem Perldraht vergleichbarer Formdraht vorkommt, der einen antiken Astragal nachbildet. Dieser dürfte mit einiger Gewißheit in einem Gesenk hergestellt worden sein111. Wenn das Organarium auch nicht notwendigerweise in Byzanz erfunden worden sein muß, so bleibt jedoch festzuhalten, daß beide Werkzeuge wohl mindestens rund acht Jahrhunderte vor Theophilus in Gebrauch waren. Auch in mittelbyzantinischer Zeit sind beide Werkzeuge nebeneinander nachweisbar, wobei Perldraht an qualitätvollem Gold- und Silberschmuck offenbar

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Cf. Whitfield, Beaded Wire (nt. 80), 76. Cf. ibid. Cf. Ogden, Technology (nt. 13), 166; Abb. in D. Buckton, The Beauty of Holiness: Opus interrasile from a Late Antique Workshop, in: Jewellery Studies 1 (1983–1984), 15–19, 15, Abb. 1, 2. Cf. Whitfield, Beaded Wire (nt. 80), 86, nt. 95; Metropolitan Museum of Art, New York, Inv. Nr. 5812. Cf. Duczko, Filigree (nt. 41), 21; E. E. Astrup, Techniques, Craftsmanship and Composition of Gold in the Hoen Hoard, in: S. H. Fuglesang/D. M. Wilson (eds.), The Hoen Hoard: A Viking Gold Treasure of the Ninth Century (Acta ad archaeologiam et artium historiam pertinentia 14), Rom 2006, 131–162, 134. Cf. Whitfield, Beaded Wire (nt. 80), 71, Abb. 33 (zweikantige Perldrahtfeile). Augenscheinlich e.g. auch J. Spier, Some Unconventional Early Byzantine Rings, in: Entwistle/Adams, Intelligible Beauty (nt. 4), 13–19, Abb. 14 (Goldring mit Doppelfassung, 6. Jahrhundert), Abb. 18 (Goldring mit Bergkristall und Granat, 6.–7. Jahrhundert). Cf. Whitfield, Beaded Wire (nt. 80), 57, Abb. 1, 73 (goldener Anhänger eines byzantinschen Halsschmucks, 6.–7. Jahrhundert), Abb. 44 (Verschluß einer byzantinischen Halskette, 6.–7. Jahrhundert), Abb. 45 (byzantinischer Gürtelbeschlag, 7. Jahrhundert), 75, Abb. 46 (byzantinischer Münzanhänger, 8. Jahrhundert). Nach Meinung der Verf. sind e.g. auch weitere Perldrähte mit einem Organarium hergestellt worden; cf. A. Yeroulanou, Important Bracelets in Early Christian and Byzantine Art, in: Entwistle/Adams (eds.), Intelligible Beauty (nt. 4), 40–49, Abb. 22 (frühbyzantinisches Goldarmreifpaar in Opus Interrasile, 6.–7. Jahrhundert). Die Beurteilung erfolgt hier nach dem Augenschein, da es an technischen Analysen der byzantinischen Objekte immer noch mangelt. Cf. e.g. Yeroulanou, Bracelets (nt. 110), 40–49, Abb. 24 (frühbyzantinischer Goldarmreif in opus interrasile, 6.–7. Jahrhundert).

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regelmäßig mit dem Organarium hergestellt wurde. Darauf weist der für den Schmuck aus dem Preslav-Schatz (erste Hälfte des 10. Jahrhunderts, vermutlich 927, Abb. 1–2, 6) verwendete Perldraht, der sehr gleichmäßig ist und runde Kugeln aufweist, so daß er gewiß mit dem zweiteiligen Gesenk, Theophilus’ Organarium, hergestellt worden ist. Dies war sicherlich auch der Fall bei einem Silberohrring aus Korinth112 (vermutlich 9.–frühes 10. Jahrhundert, Abb. 7), auf dessen Zierelement der Länge nach vier sehr regelmäßige Perldrähte aufgelötet sind. Neben der runden Kugelform, die mit einer Perldrahtfeile nur selten erzielt wird, dürften die an einer Seite erscheinenden Längsrillen als Hinweis auf die Verwendung eines zweiteiligen Gesenks zu werten sein113. Während der Goldschmuck im Preslav-Schatz wohl in einer (nicht identifizierbaren) kaiserlichen Hofwerkstatt in Konstantinopel entstanden ist, kann bei dem Silberohrring aus Korinth nur vermutet werden, daß es sich um ein lokales Produkt handelt, da auch in Korinth bislang noch keine Goldschmiedewerkstatt archäologisch nachweisbar ist. Der Fund scheint aber dafür zu sprechen, daß sowohl in der byzantinischen Hauptstadt als auch in Provinzstädten Gesenke als Werkzeuge zur Perldrahtherstellung verwendet wurden. Dies muß insoweit eingeschränkt werden als wir, wie bereits betont, mangels archäologischer Funde kaum Aussagen über byzantinische Goldschmiede, ihre Werkzeuge oder die Werkstattorganisation treffen und Schlüsse nur aus den überlieferten Realien ziehen können. Die Verwendung einer Perldrahtfeile ist nach meinen Untersuchungen ebenfalls zur gleichen Zeit nachweisbar, zum Beispiel bei einem silbernen Ohrringpaar114 (vermutlich 9. Jahrhundert bis frühes 10. Jahrhundert, Abb. 8), das aus demselben Fundzusammenhang wie der Ohrring in Abb. 7 stammt (und damit für die parallele Verwendung beider Werkzeuge spricht) sowie einem weiteren Silberohrring115 (nicht später als 9. Jahrhundert). Bei letzterem dürfte eine Perldrahtfeile mit mindestens zwei Kanten verwendet worden sein. Beide Werkzeuge – Perldrahtfeile und Organarium – wurden also offenbar auch in einer Werkstatt nebeneinander benutzt. Dafür bietet ein byzantinisches Medaillon mit griechischer Inschrift aus dem Hortfund von Hoen in Norwegen (zweite Hälfte des 9. Jahrhunderts, Abb. 5)116 einen Nachweis. Es weist zwei Perldrähte verschiedener Stärke auf, von denen der äußere, stärkere Draht mittels eines Gesenks, der innere, dünnere Draht mittels einer Perldrahtfeile produziert worden ist117. 112 113 114 115 116 117

Cf. Bosselmann-Ruickbie, Byzantinischer Schmuck (nt. 4), Nr. 36. Cf. Whitfield, Beaded Wire (nt. 80), 69 sq., Abb. 26 sq. Cf. Bosselmann-Ruickbie, Byzantinischer Schmuck (nt. 4), Nr. 61, Fig. 3. Cf. op. cit., Nr. 52. Cf. D. Buckton, The Byzantine Disc, in: Fuglesang/Wilson, Hoen Hoard (nt. 108), 127. Cf. Fuglesang/Wilson (eds.), Hoen Hoard (nt. 108), Tf. 61.C, D. Das Objekt gehört zu den frühesten datierbaren mittelbyzantinischen Goldschmiedearbeiten, das wahrscheinlich mit den ersten Wikingern über Konstantinopel nach Norwegen gekommen ist. Cf. dazu G. Prinzing, Begegnungen der mittelalterlichen Stadt Mainz und ihrer Region mit Byzanz, Byzantinern und byzantinischer Kultur, in: B. Fourlas/V. Tsamakda (eds.), Wege nach Byzanz, Mainz 2011, 100–109.

Das Verhältnis der ‚Schedula‘ zu byzantinischen Goldschmiedearbeiten

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Als Fazit bleibt festzuhalten, daß die Perldrahtherstellung, wie sie Theophilus beschreibt, im Byzantinischen Reich schon Jahrhunderte lang gang und gäbe war, daher ein Einfluß der Schedula wiederum unwahrscheinlich ist. 3. Niello Die aufwendige Niello-Herstellung und -Verarbeitung wird wesentlich ausführlicher von Theophilus behandelt als die Drahtfertigungstechniken, die ohnehin seit langem bekannt waren. Er widmet dem Thema vier Kapitel, „Vom Niello“ (Kapitel 28: „De Nigello“), „Vom Einbringen des Niellos“ (Kapitel 29: „De imponendo nigello“), „Nochmals vom Einbringen des Niellos“ (Kapitel 32: „Item de imponendo Nigello“) und „Vom Polieren des Niellos“ (Kapitel 41: „De poliendo niello“)118. Beim Niello (italienisch, abgeleitet vom mittellateinischen nigellum, Diminutiv von niger: schwarz)119 handelt es sich um eine Art Einlegearbeit, bei der eine schwarze, opake Masse aus einem oder mehreren Metallsulfiden (Silber-, Kupferund Bleisulfid) in gravierte, gemeißelte oder geätzte Vertiefungen eines Metallrezipienten eingeschmolzen wird. Der Zeitpunkt der Einführung der NielloTechnik ist nicht geklärt, da die frühesten Objekte mit schwarzen, nielloartigen Einlagen aus der Bronzezeit (2. Jahrhundert)120 beziehungsweise dem Alten Ägypten121 bislang noch nicht oder nicht ausreichend untersucht worden sind. Als bislang ältestes Beispiel mit durch Analysen nachgewiesenem Niello gilt ein thrakischer Rhyton des 4. Jahrhunderts vor Christus122. Die erste schriftliche Quelle, die als Hinweis zum Niello (jedoch ohne Bezeichnung als nigellum) gewertet wurde, stammt von Plinius (1. Jahrhundert nach Chri-

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Quellenmäßig belegt ist eine Fahrt der ersten warägischen Rus’ aus Schweden, die über Wolchow, Dnepr und Schwarzes Meer nach Konstantinopel gelangten und von dort aus 838 eine byzantinische Gesandtschaft nach Ingelheim begleiteten. Von dieser Reise durften sie dann in ihre Heimat zurückkehren (cf. op. cit., 101 sqq.). Ein Zusammenhang mit dieser Reise ist zwar nicht nachweisbar, jedoch aufgrund der Zeitstellung und weiterer byzantinischer Münzfunde aus dieser Zeit in Schweden durchaus wahrscheinlich. Cf. Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 2, 77 sqq., 114. Zu Etymologie und Sprachgebrauch cf. J. Wolters, Niello im Mittelalter, in: Lindgren, Europäische Technik (nt. 52), 169 sq. Cf. S. La Niece, Niello: An Historical and Technical Survey, in: Antiquaries Journal 63 (1983), 279–297, 280; ead., Niello before the Romans, in: Jewellery Studies 8 (1998), 49–56, 52; für Beispiele cf. M. Rosenberg, Geschichte der Goldschmiedekunst auf technischer Grundlage, vol. 6: Niello bis zum Jahre 1000 nach Chr., Frankfurt a.M. 1924, 25–33. Cf. H. Wilde, Technologische Innovationen im zweiten Jahrtausend vor Christus. Zur Verwendung und Verbreitung neuer Werkstoffe im ostmediterranen Raum (Göttinger Orientforschungen, IV. Reihe Ägypten 44), Wiesbaden 2003, 84. Cf. La Niece, Niello before the Romans (nt. 120), 52 sqq.; A. Giumlia-Mair/S. La Niece, Early Niello Decoration of the Silver Rhyton in the Museo Civico, Trieste, in: D. Williams (ed.), The Art of the Greek Goldsmith (British Museum Publications), London 1998, 139–145.

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stus), demzufolge Silber mit zwei Drittel Kupfer und soviel Schwefel wie Silber gemischt und anschließend in einem geschlossenen Tontiegel geschmolzen wird123. Dies weist im Gegensatz zu Plinius’ Beschreibungen an anderer Stellen, die sich auf Corinthium aes (eine Kupferlegierung zur Färbung von Metallen) beziehen, nicht auf das Einfärben von Metall, sondern tatsächlich auf einen Niellierungsprozeß hin124. Da am Anfang dieser Plinius-Stelle erwähnt wird, daß die Ägypter ihr Metall einfärben, hat der Autor möglicherweise hier zwei Prozesse miteinander verquickt125. Leider weicht die Rezeptur auch von den meisten bislang chemisch untersuchten Niello-Einlagen römischer Zeit ab, die bis auf wenige Ausnahmen nur ein Metallsulfid enthalten und üblicherweise mit dem Rezipienten korrelieren, das heißt, das Niello besteht entweder aus Silbersulfid in Silber oder seltener Kupfersulfid in Bronze, Kupfer oder Messing126. Erst ab dem Ende des 5. beziehungsweise dem 6. Jahrhundert ist dann das von Plinius beschriebene, aus Silber- und Kupfersulfid im Verhältnis etwa 2 : 1 nach Gewicht gemischte Niello tatsächlich nachweisbar127. Niello aus gemischten Sulfiden stellt insofern einen technischen Fortschritt dar, als es leichter zu verarbeiten ist, da das aus nur einem Sulfid produzierte Niello einen höheren Schmelzpunkt besitzt und dazu neigt, bereits unterhalb dieser Temperatur zu zerfallen128. Besonders Kupfersulfid-Niello liegt mit seinem Schmelzpunkt von circa 1120 °C sehr nah an demjenigen der Bronze, der mit einem Anteil von 10% Zinn bereits bei etwa 1000 °C liegt (Silbersulfid-Niello: bis 861 °C, Silber-Kupfersulfid-Niello: etwa 680 °C; Gold 1063 °C, Silber 961 °C)129. Theophilus beschreibt über die reine Rezeptur hinaus ausführlich die weitere Verarbeitung des Niellos, auf die Plinius nicht näher eingeht, und zwar in zu123

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Cf. Plinius der Ältere, Naturalis Historia, XXXIII, 131 (46), edd. L. Jan/K. Mayhoff (Bibliotheca Scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana), vol. 5, Leipzig 2002 [Nachdruck der maßgeblichen Edition von 1897], 27. Mein Dank gilt Dr. Susan La Niece, British Museum London (Department Conservation and Scientific Research), die freundlicherweise die uneindeutige Plinius-Stelle mit mir diskutiert hat und mir ihre überzeugende Meinung dazu dargelegt hat. Zu den Stellen bei Plinius, die sich auf Corinthium aes beziehen cf. A. R. Giumlia-Mair/P. T. Craddock, Corinthium aes. Das schwarze Gold der Alchimisten (Zaberns Bildbände zur Archäologie 11), Mainz 1993, 3; A. Giumlia-Mair, Das Krokodil und Amenemhat III. aus el-Faiyum. hmti km-Exemplare aus dem Mittleren Reich, in: Antike Welt 4 (1996), 313–321. Cf. Plinius der Ältere, Naturalis Historia, bes. XXXIV, 1 (1) und 12 (6) (nt. 123), vol. 5, 33 und 35. Cf. S. La Niece, persönliche Kommunikation. Cf. W. A. Oddy/M. Bimson/S. La Niece, The Composition of Niello Decoration on Gold, Silver and Bronze in the Antique and Mediaeval Periods, in: Studies in Conservation 28 (1983), 29–35, 31 (Analysen 1 sqq.); La Niece, Niello (nt. 120), Analysen 8 sqq. Cf. La Niece, Niello (nt. 120), 281; ead., Niello before the Romans (nt. 120), 51; Oddy/Bimson/La Niece, Niello (nt. 126), 29, 34. Cf. La Niece, Niello (nt. 120), 285; Oddy/Bimson/La Niece, Niello (nt. 126), 29. Gerundete Werte. Cf. R. Newman/J. R. Dennis/E. Farrell, A Technical Note on Niello, in: Journal of the American Institute for Conservation 21,2 (1982), 80–85, 81 sq.; La Niece, Niello (nt. 120), 285; ead., Niello before the Romans (nt. 120), 54; Oddy/Bimson/La Niece, Niello (nt. 126), 31.

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verlässiger Weise auf der Basis von praktischen Werkstatt-Kenntnissen, so daß man tatsächlich nach diesem Rezept arbeiten kann130. In Theophilus’ Rezept erscheint auch ein weiteres Material, nämlich Blei. Sein Niello hat ein Verhältnis von zwei Teilen Silber und einem Teil Kupfer, hinzu kommen je ein halber Teil Blei und Schwefel. Das Zusetzen von Blei, wie Theophilus es beschreibt, verringert den Schmelzpunkt der Mischung auf bis zu 440 °C, so daß sie besser zu verarbeiten ist131. Bei Silber-Kupfer-Bleisulfid-Niello ist der Schmelzpunkt demnach wesentlich niedriger als der des Rezipienten, daher kann auch ein fertig montiertes (gelötetes) Objekt relativ problemlos nielliert werden. Denn je weiter die Mischung unter dem Schmelzpunkt des Metallrezipienten liegt, desto geringer ist das Risiko, das gegebenenfalls schon montierte Werkstück zu verschmelzen, in dem man es zu stark erhitzt und den Schmelzpunkt des Rezipienten erreicht. Außerdem ist die Mischung flüssiger und bindet stärker mit dem Untergrund132. Der Zusatz von Blei bedeutete somit eine entscheidende Verbesserung. Nachweisen läßt sich das Silber-Kupfer-Bleisulfid-Niello durchgängig nicht vor dem 11. Jahrhundert133, vereinzelt allerdings auch schon früher. Hier ist der bereits erwähnte thrakische Silberrhyton in Form eines Hirschkopfes zu nennen, bei dem drei verschiedene Niello-Rezepte nachgewiesen werden konnten, darunter ein Silber-Kupfer-BleiNiello an den Nüstern des Tieres134. Bis zum 11. Jahrhundert wurden jedoch ansonsten nach den bisher durchgeführten Analysen zu urteilen offenbar ausschließlich reines Silbersulfid-Niello und das gemischte Silber-Kupfersulfid-Niello verwendet135. Theophilus ist wiederum nicht der erste, der eine solche niedriger schmelzende und somit besser zu verarbeitende Silber-Kupfer-Bleisulfid-Mischung beschreibt. Erwähnt wird der Zusatz von Blei schon sehr viel früher, und zwar im Leidener Papyrus (um 300), ohne das Material allerdings als Niello zu bezeichnen136 oder die weitere Verarbeitung zu beschreiben, daher bleibt die Identifizierung als

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Cf. Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 2, 78. Cf. Newmann/Dennis/Farrell, Niello (nt. 129), 81 sq.; La Niece, Niello (nt. 120), 285; ead., Niello before the Romans (nt. 120), 54; Oddy/Bimson/La Niece, Niello (nt. 126), 31. Cf. Ogden, Technology (nt. 13), 178. Cf. Oddy/Bimson/La Niece, Niello (nt. 126), 30; La Niece, Niello before the Romans (nt. 120), 52; Wolters, Traktat (nt. 12), 168; id., Der byzantinische Traktat (nt. 18), 268. Cf. La Niece, Niello before the Romans (nt. 120), 54 sq. Cf. F. Schweizer, Étude de l’orfèvrerie antique: une approche scientifique nouvelle par la caractérisation du nielle, in: A. Rinuy/F. Schweizer (eds.), L’œuvre d’art sous le regard des sciences (Musée d’Art et d’Histoire), Genf 1994, 211–220, 213; e.g. Beigaben des Schiffsgrabes von Sutton Hoo, spätes 6. Jahrhundert–frühes 7. Jahrhundert, cf. Oddy/Bimson/La Niece, Niello (nt. 126), 31, Analysen 12–15; reines Silbersulfid-Niello ist noch mindestens bis in das 16. Jahrhundert nachweisbar, cf. La Niece, Niello (nt. 120), 288. Cf. Wolters, Traktat (nt. 12), 168; id., Der byzantinische Traktat (nt. 18), 268; zum Papyrus Graecus Leidensis X cf. Caley, Leyden Papyrus (nt. 27), 1156, Nr. 36.

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Niello letztlich unklar.137 Zwar konnte wie bereits erwähnt in römischer und frühmittelalterlicher Zeit bislang kein Blei in Niello nachgewiesen werden138, jedoch spricht der thrakische Rhython des 4. vorchristlichen Jahrhunderts, dessen Niello stellenweise Silber-, Kupfer- und Bleisulfid enthielt, dafür, daß man schon sehr früh zumindest vereinzelt auf die Idee gekommen war, dem Niello Blei zuzusetzen, um den Schmelzpunkt der Mischung zu verringern, die Haltbarkeit zu erhöhen und den Arbeitsprozeß zu erleichtern. Beim Leidener Papyrus handelt es sich wohl demnach tatsächlich um die erste schriftliche Überlieferung für bleisulfidhaltiges Niello139. In der Mappae Clavicula (9. Jahrhundert) wird Blei ebenfalls bereits als Zusatz für Niello und niello-ähnliche Patinierungen erwähnt140. Auch der byzantinische Traktat des 11. Jahrhunderts empfiehlt in Kapitel 14B das Hinzufügen von Blei in die Niello-Mischung: „Zum Einschmelzen [Niellieren] mische 3 Teile altes Münzemetall [Silbermünze] und ein Viertel [der Mischung] Blei, gib es in einen Tiegel und schmilz mit Schwefel im Überschuss, während du den Tiegel zugedeckt hälst.“141 Wenn von 800er Münzsilber ausgegangen wird, das ansonsten mit Kupfer legiert ist, so erhält man ein Verhältnis von einem Teil Silber, einem Viertel Teil Kupfer und 0,417 Teil Blei142. In Kapitel 5 dieses Traktats wird daneben auch das reine Silbersulfid-Niello erwähnt und hier auch im Gegensatz zu allen älteren Quellen erstmals – wenn auch viel kürzer als bei Theophilus – der weitere Umgang mit dem Niello-Pulver sowie dem Werkstück erläutert143. Setzt man nun wieder Theophilus zu Byzanz in Bezug, so ist zunächst zu bemerken, daß diese Technik tatsächlich nach dem bisher Bekannten zuerst in einer byzantinischen Quelle erwähnt wird, und zwar in einem Brief des Patriarchen Nikephoros von Konstantinopel (806–815)144 an Papst Leo III. (795–816) aus dem Jahre 811145. Darin wird ein „e g¬ kólpion crusoûn, ou© h™ mía o¢yiv krustállou e g¬ katakekleisménh, h™ dè e™téra ei¬konesménh [sic] di’ e g¬ kaúsewv“ 146 beschrieben („ein goldenes Enkolpion, dessen eine Seite mit Kristall, die andere 137

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Cf. Caley, Leyden Papyrus (nt. 27), 1156, Nr. 36 („Manufacture of Asem that is Black like Obsidian“, laut Caley, op. cit., 1164, ist mit dem Wort „Asem“ entweder Silber, Silberlegierungen und Gold gemeint beziehungsweise jede Legierung, die diesen ähnelt). Cf. Oddy/Bimson/La Niece, Niello (nt. 126), 30. Cf. La Niece, Niello before the Romans (nt. 120), 52 sqq. Cf. op. cit., 55; Smith/Hawthorne, Mappae Clavicula (nt. 29), 56, 58, 89B, 195, 196, 206. Wolters, Traktat (nt. 12), 168; id., Der byzantinische Traktat (nt. 18), 268. Cf. id., Traktat (nt. 12), 168, id., Der byzantinische Traktat (nt. 18), 268. Cf. id., Traktat (nt. 12), 164-165; id., Der byzantinische Traktat (nt. 18), 262 sqq. Cf. Prosopographie der mittelbyzantinischen Zeit, erste Abteilung (641–867), vol. 3: Leon (#4271) – Placentius (#6265), nach Vorarbeiten F. Winkelmanns erstellt von J.-R. Lilie e.a., Berlin–New York 2000, s. v. Nikephoros I. (von Konstantinopel), 376–385, Nr. 5301. Cf. V. Grumel/G. Darrouzès (ed.), Les regestes des actes du Patriarcat de Constantinople, vol. 1: Les actes des Patriarces, fasc. 2–3: Les regestes de 715 à 1206, 2Paris 1989, 39 sq., Nr. 382. Nikephoros I von Konstantinopel, Epistola ad Leonem III Papam, ed. J. P. Migne, in: Patrologia cursus completus. Series Graeca, vol. 100, Turnhout 1857, coll. 169A–200C, col. 200B; ei¬konesménh hier fehlerhaft statt ei¬konisménh, wie bei Mansi (cf. J. D. Mansi, Sacrorum Con-

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mit figürlichem Niello verziert war“147; dieses enthielt eine Reliquie des Wahren Kreuzes, das man sich wohl, wie schon Frolow148 bemerkte, ähnlich dem niellierten byzantinischen Pektoralkreuz aus Pliska, Bulgarien, vorstellen muß149). Hier ist anzumerken, daß Migne wie auch schon Mansi, von dem er den Text übernommen hat, „dí e g¬ kaúsewv“ mit „opere fusili “, also Schmelzarbeit, wiedergeben150, während Du Cange mit „nigello“ übersetzt151. Auch andere frühe Quellen beschreiben die Technik: Im halblegendären Bericht über die Hagia Sophia in

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ciliorum nova et amplissima Collectio, vol. 14, Florenz–Venedig 1759–1798, 56) richtig geschrieben, nach dem Migne den Text zitiert. Für die Hinweise zu den entsprechenden Quellentexten sowie die Schreibweisen danke ich sehr herzlich Prof. Dr. Günter Prinzing, Johannes GutenbergUniversität Mainz. – Zu dem Brief an Papst Leo III. und dem darin unter anderem erwähnten Enkolpion cf. zuletzt erstens P. Schreiner, Diplomatische Geschenke zwischen Byzanz und dem Westen ca. 800–1200: Eine Analyse der Texte mit Quellenanhang, in: Dumbarton Oaks Papers 58 (2004), 251–282, hier 257 und 269 sq. (= Appendix, Nr. 2; dort übersetzt Schreiner den oben genannten Passus wie folgt: „[…] ein goldenes Enkolpion, von dem die eine Sichtseite aus eingelegtem Kristall besteht, die andere nielliert ist“); zweitens F. Tinnefeld, Mira varietas. Exquisite Geschenke byzantinischer Gesandtschaften in ihrem politischen Kontext (8.–12. Jahrhundert), in: Mitteilungen zur Spätantiken Archäologie und Byzantinischen Kunstgeschichte 4 (2005), 121–137, hier 127, mit Anmerkungen 16 und 17: Tinnefeld schreibt oben im Text zu Anmerkung 16, das goldene Enkolpion sei „auf einer Seite mit einem Bergkristall geschmückt, auf der anderen mit einer Email- oder Nielloarbeit“, und merkt dazu in Anmerkung 16 an, es sei „fraglich, welche Kunsttechnik hier durch di’ e g¬ kaúsewv bezeichnet werden soll. Trapp 3, 437 hat keinen Beleg für eg¢ kausiv, wohl aber für eg¢ kaustov, was er mit ‚nielliert‘ wiedergibt“ (Nota bene: Trapp 3 = Fasz. 3 des Trapp’schen Lexikons zur Byzantinischen Gräzität; cf. infra nt. 155). Dabei übersah Tinnefeld aber, daß Trapp (op. cit., 438: s.v. e g¢ kayıiv [„Enkaustik“]) unter anderem auf „LS e g¢ kausiv“ (= Liddell-Scott, A.B.-R.) verweist. Klein beschreibt nach dieser Quelle die eine Seite des Kreuzes als mit „figürlicher Schmelzarbeit“ verziert, womit man Email assoziiert; cf. H. A. Klein, Byzanz, Der Westen und das „wahre“ Kreuz. Die Geschichte einer Reliquie und ihrer künstlerischen Fassung in Byzanz und im Abendland (Spätantike – Frühes Christentum – Byzanz. Kunst im ersten Jahrtausend. Reihe B: Studien und Perspektiven 17), Wiesbaden 2004, 91, 181. Jedoch bezeugt schon die ‚Vita Basilii‘ (siehe unten), daß e g¢ kausiv e g¬ kaúsewv (Niello) und cúmeusiv (Email) zwei unterschiedliche Edelmetalldekorationsformen bedeuten, daß hier also kein farbiger Zellenschmelz gemeint ist. Cf. A. Frolow, La relique de la Vraix Croix. Recherches sur le développement d’un culte (Archives de l’Orient Chrétien 7), Paris 1961, 214–215. Für die wichtigste Literatur cf. L. Dontcheva-Petkova, Une croix pectorale-reliquaire en or récemment trouvée à Pliska, in: Cahiers Archéologiques 25 (1976), 59–66; ead, Croix d’or – Reliquaire de Pliska, in: Culture et art en Bulgarie médiévale (VIIIe–XIVe s.), Bulletin de l’Institut d’Archéologie 35 (1985), 74–91; G. Prinzing, Zum Austausch diplomatischer Geschenke zwischen Byzanz und seinen Nachbarn in Ostmittel- und Südosteuropa, in: Mitteilungen zur Spätantiken Archäologie und Byzantinischen Kunstgeschichte 4 (2005), 139–172, 143 sq. Cf. auch Evans/Wixom (eds.), Glory of Byzantium (nt. 14), Nr. 225 (S. Taft); M. Puhle (ed.), Otto der Große. Magdeburg und Europa (Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Kulturhistorisches Museum Magdeburg), Mainz 2001, Nr. IV.57 (Antje Bosselmann); J. Frings (ed.), Byzanz. Pracht und Alltag, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Bonn, 26. Februar–13. Juni 2010), München 2010, Nr. 35 (Katja Melamed) und Abb., 92. Nikephoros I von Konstantinopel, Epistola ad Leonem III Papam, ed. Migne (nt. 146), col. 199B; Mansi, Concilia (nt. 146), 56. Ch. Du Cange, Glossarium mediae et infimae latinitatis, vol. V, Paris 1885, 592, s.v. Nigellum („encolpium aureum, cujus una facies crystallum inclusum, altera puta [sic!] nigello est“).

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Konstantinopel (8.–9. Jahrhundert) wird ein silbernes Ziborium im Bema beschrieben, das mit Niello verziert war: „Tò dè kiboúrion a¬rguroégkauston ep ¬ oíhsen“152. Aus der Lebensbeschreibung des Kaisers Basileios (10. Jahrhundert) ist dann zu entnehmen, daß es sich bei dieser „Enkaustik“ (dem Eingebrannten), mit welcher der silberne Fußboden eines Gebetshauses verziert war („tò mèn gàr e d¢ afov açpan e¬x a¬rgúrou sfurhlátou kaì stibaroû met’ e g¬ kaúsewv“153) („wrought silver with niello inlays“154), nicht um Email gehandelt hat, denn dafür wird an anderer Stelle der Begriff „cúmeusiv“ verwendet, nämlich bei der Beschreibung des goldenen Epistylbalkens der Ikonostase, der mit emaillierten Christus-Bildern verziert war.155 Im byzantinischen Traktat des 11. Jahrhunderts wird das Niello dann als e g¢ kayiv beziehungsweise e g¢ kausiv bezeichnet156. Einen klassischen lateinischen oder griechischen Ausdruck kennt man nicht157, vorher wird zum Beispiel vom „Silber färben“ (argentum tingere, Plinius, 70 nach Christus158), „Silber verzieren“ (argenti ornamenta) oder „schwarz bemalen“ (nigrum compingere, ‚Mappae Clavicula‘, 9. Jahrhundert159) gesprochen. Niellierte Goldschmiedearbeiten tauchen durchweg auch bei spätrömischen und frühbyzantinischen Gold- und Silberschmiedewerken auf160, und zwar nicht nur für Inschriften und Ornamente, sondern auch bei figürlichen Szenen, zum Beispiel bei frühbyzantinischen Ringen mit Hochzeits-, Verkündigungs- und Auferstehungsdarstellungen161. Sehr ausführliche christologische Zyklen erscheinen auf der Fieschi-Morgan-Staurothek (Kreuzeslade) mit dem frühesten datierbaren byzantinischen Cloisonnéemail (frühes 9. Jahrhundert, siehe unten)162, deren

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Scriptores Originum Constantinopolitanarum, ed. T. Preger (Bibliotheca Scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana), vol. 1, Leipzig 1901, 94; cf. C. Mango, The Art of the Byzantine Empire 312–1453, Sources and Documents (Medieval Academy Reprints for Teaching 16), Englewood Cliffs, N.J., 1972, 99. Chronographiae quae Theophanis Continuati nomine fertur Liber quo Vita Basilii Imperatoris amplectitur, c. 87, ed. I. Sˇ evcˇ enko, mit englischer Übersetzung (Corpus Fontium Historiae Byzantinae, Series Berolinensis 42), Berlin–Boston 2011, 284; cf. Mango, Art of the Byzantine Empire (nt. 152), 196. Vita Basilii, ed. Sˇ evcˇ enko (nt. 153), 285. Cf. ibid., 284; cf. auch Rosenberg, Niello (nt. 120), 10; Wolters, Niello (nt. 120), 170. Cf. Wolters, Traktat (nt. 12), c. 5, 164; id., Der byzantinische Traktat (nt. 18), 262 (hier nur mit lateinischen Buchstaben wiedergegeben); cf. auch E. Trapp, Lexikon zur griechischen Gräzität, besonders des 9.–12. Jahrhunderts, vol. 1 (A–K), Wien 2001, 438, s.v. e g¢ kayiv. Cf. Rosenberg, Niello (nt. 120), 10. Plinius der Ältere, Naturalis Historia, XXXIII, 131 (46), edd. Jan/Mayhoff (nt. 123), vol. 5, 27. Mappae Clavicula, edd. Smith/Hawthorne (nt. 29), c. 56, 36. Für eine Übersicht zu in Niello ausgeführten spätrömischen sowie früh- bis spätbyzantinischen Arbeiten cf. A. Bosselmann, Niello, in: Reallexikon zur Byzantinischen Kunst 6 (2005), coll. 966–976, coll. 970–975. Cf. e.g. Ross/Boyd/Zwirn, Dumbarton Oaks (nt. 7), Nr. 69 (Konstantinopel, 7. Jahrhundert.), mit weiteren Beispielen. Cf. supra nt. 14.

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Unterseite vollständig mit Niello-Szenen geschmückt ist, sowie dem goldenen byzantinischen Klappkreuz des späten 9.–frühen 10. Jahrhunderts aus Pliska (Bulgarien)163. An mittelbyzantinischen Goldschmiedearbeiten und Schmuck wird Niello vor allem für ornamentale und florale Verzierungen eingesetzt, zum Beispiel beim sogenannten Anastasios-Reliquiar (969–979) in Aachen164, aber auch bei Ringen aus Gold165 (seltener bei einer goldfarbenen Legierung, die vermutlich aus Silber und Bronze besteht166, und vielleicht auch bei einem Silberring167) oder einer Gruppe von silbernen beziehungsweise silbervergoldeten Armreifen, die mit Wellenranken, Fabelwesen und (pseudo-)kufischen Schriftzeichen in Niello verziert sind 168. Bezeichnend für die Forschungssituation ist, daß es an naturwissenschaftlichen Untersuchungen sicher datierter Objekte mangelt. Die Untersuchungen, die in großem Maße im British Museum durchgeführt wurden169, sind zwar für die Forschung von enormem Wert, jedoch sind die Objekte in der Regel nicht sicher datiert, so daß das gewonnene Gerüst dadurch nur eingeschränkt brauchbar ist. Dies führt auch zu Fehlbeurteilungen, da meist nur nach dem Augenschein bewertet werden kann. So wurden zum Beispiel die randbegleitenden Ranken an einem byzantinischen Goldarmreif in Athen170, die in einer dunklen Masse gefüllt sind, fälschlicherweise als Niello bezeichnet, es handelt sich jedoch, wie die nähere Betrachtung ergeben hat, um grünes, transluzides Email. Ob die Nielloeinlagen der genannten byzantinischen Goldschmiedearbeiten nun aus Silber-, Silber-Kupfer- oder Silber-Kupfer-Bleisulfid bestehen, muß leider offen bleiben, da diese eben noch nicht einer Analyse unterzogen worden sind. Wolters führt ein silbervergoldetes byzantinisches Amulett des 11. Jahrhunderts im Victoria and Albert Museum London an171, welches zu den frühesten ihm be163 164 165 166 167 168

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Cf. supra nt. 149. Cf. Evans/Wixom (eds.), The Glory of Byzantium (nt. 14), Nr. 300 (R. G. Ousterhout); Frings (ed.), Byzanz (nt. 149), Nr. 36 (Mabi Angar). Cf. Bosselmann-Ruickbie, Byzantinischer Schmuck (nt. 4), Nr. 136, 139 sq., 178–181, 192 (?), 199 sq., 202, 235, 239 sq. Cf. op. cit., Nr. 203. Cf. op. cit., Nr. 205 (wegen des schlechten Erhaltungszustandes allerdings nicht mehr völlig sicher bestimmbar). Cf. Kypraiou (ed.), Greek Jewellery (nt. 70), Nr. 283 sqq. (A. Drandaki); E. Georgoula (ed.), Greek Jewellery from the Benaki Museum Collection, Athen 1999, Nr. 126 sq.; BosselmannRuickbie, Byzantinischer Schmuck (nt. 4), Abb. 151 sq., 154, 160 sq. Cf. La Niece, Niello (nt. 120), 281; ead., Niello before the Romans (nt. 120), 51; Oddy/Bimson/ La Niece, Niello (nt. 126), 29–35. Cf. Georgoula (ed.), Greek Jewellery (nt. 168), Abb. 254; Bosselmann-Ruickbie, Byzantinischer Schmuck (nt. 4), Abb. 150. Cf. Wolters, Traktat (nt. 12), 168; id., Der byzantinische Traktat (nt. 18), 268. Nach Wolters (Traktat [nt. 12], 168) sollte sich dieses Objekt im British Museum London befinden, die angegebene Inventar-Nr. bezieht sich allerdings auf ein Objekt im Victoria and Albert Museum London (V&A 4512–1858; cf. Online-Katalog des V&A: http://collections.vam.ac.uk/item/O103193/ flask-unknown, hier als „silver flask“ bezeichnet); der Aufbewahrungsort wurde in id., Der byzantinische Traktat (nt. 18), 268, korrigiert.

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kannten Objekten mit Silber-Kupfer-Bleisulfid gehört. Es handelt sich um ein trapezförmiges, silbervergoldetes Amulett, dessen Datierung und Provenienz allerdings m.E. hinterfragt werden muß, da es sich sehr wohl auch um ein islamisches Objekt handeln könnte, zumal es kein eindeutig byzantinisches Vergleichsbeispiel gibt. Auch wenn dieses Stück nicht sicher byzantinisch ist, so wird doch SilberKupfer-Bleisulfid im byzantinischen Traktat des 11. Jahrhunderts erwähnt. Daher ist zu vermuten, daß das niedriger schmelzende Bleisulfid-Niello zu diesem Zeitpunkt im Byzantinischen Reich bereits bekannt war. Theophilus nicht zu schmälernde Leistung besteht wiederum darin, daß er nicht nur wie fast alle seine Vorgänger Rezeptsammlungen überliefert, sondern umsetzbare Anleitungen liefert, die allerdings in Byzanz vermutlich nicht vonnöten waren, da ja auch schon im byzantinischen Traktat des 11. Jahrhunderts weitere Informationen zur Verarbeitung gegeben werden. 4. Email Unter Email versteht man das Aufschmelzen von meist durch Metalloxide gefärbtem Glas(-pulver) auf einen Metallgrund, meist auf Gold, aber auch auf Silber oder Bronze. Das Email kann entweder opak oder transluzid sein. Man unterscheidet im Mittelalter zwischen Zellenschmelz beziehungsweise -email (émail cloisonné, Abb. 1, 3), Senkschmelz (émail mixte, Abb. 9) und Grubenschmelz (émail champlevé). Die Emailherstellung wird von Theophilus noch ausführlicher geschildert als die Niello-Herstellung, nämlich in Kapitel 54 „Vom Email“ („De electro“) und Kapitel 55 „Vom Polieren des Emails“ („De poliendo electro“)172. Darüber hinaus nennt Theophilus auch die Rohstoffe, die verwendet werden sollen, nämlich antike Mosaiktesserae, jedoch nicht in Buch III über die Goldschmiedekunst, sondern in Buch II über die Glasherstellung (Kapitel 12: „Von den verschiedenen undurchsichtigen Farbgläsern“/„De diversis vitri coloribus non translucidis“)173. Theophilus beschreibt die Herstellung des Zellen- oder Cloisonnéemails, das im Mittelalter am häufigsten vorkommt. Dabei wird der Metallgrund vollständig mit geometrischen, ornamentalen oder figürlichen Motiven bedeckt. Die Farbfelder werden durch dünne Blechstreifen (Zellstege) getrennt, in die so entstandenen Zellen das Emailpulver eingestreut und in mehreren Arbeitsgängen eingeschmolzen. Die Felder werden immer wieder aufgefüllt, um eine mit den Zellstegen in einer Ebene liegende Fläche zu erzielen, und das Email abschließend plan geschliffen und poliert. Derartige Cloisonnéemails gab es sowohl im westlichen wie im östlichen Mittelalter, wobei die Frage diskutiert wird, wo die Emailkunst zuerst zur Blüte

172 173

Cf. Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 2, 136–140. Cf. op. cit., vol. 1, c. 12, 152.

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gelangte. Grundlage für beide Regionen waren keltische und römische Emailarbeiten174, die bereits in schriftlichen Quellen erwähnt werden (zum Beispiel Beschreibung eines keltischen emaillierten Pferdegeschirrs, 3. Jahrhundert175). Aufgrund der Tatsache, daß die ältesten datierbaren Emails tatsächlich im Westen entstanden sind, zum Beispiel das Altheus-Reliquiar (8. Jahrhundert)176, vermutete D. Buckton wohl zu recht, daß die Emailkunst dort zur Blüte gelangte und dann innerhalb kurzer Zeit im Byzantinischen Reich ebenfalls verwendet wurde177. Das früheste datierbare Email dort ist die bereits erwähnte Fieschi-MorganStaurothek, die aufgrund der niellierten szenischen Rückseite des Kästchens von A. Kartsonis in die bilderfreundliche Zwischenphase des byzantinischen Bilderstreites im ersten Viertel des 9. Jahrhunderts datiert wurde178 (D. Buckton geht allerdings davon aus, daß die Kreuzeslade etwas später, also nach dem Ende Bilderstreit 843 entstanden sei179). Daß das Stück wohl in Konstantinopel entstanden sein dürfte, ist schon allein aufgrund der griechischen Inschriften und der Objekthistorie, die auf den Raub der Staurothek durch einen Kreuzfahrer 1204 schließen läßt, kaum zu bezweifeln. Abgesehen davon handelt es sich um ein Kreuzreliquiar, und Konstantinopel hatte seit dem frühen 7. Jahrhundert, als die Reliquie des Wahren Kreuzes aus dem von den Arabern eroberten Heiligen Land nach Konstantinopel verbracht worden war180, quasi das Monopol auf die Verbreitung von Kreuzsplittern (in kostbaren Behältern) in alle Welt. Die Ähnlichkeiten der Zellenemails der Fieschi-Morgan-Staurothek und den etwas früheren westlichen Emails ließen D. Buckton vermuten – sozusagen um eine Brücke zu schlagen –, daß hier ein westlicher Emailleur in Konstantinopel am Werk gewesen sei. Dies hat durchaus Überzeugungskraft, jedoch fehlen leider gerade aus dieser denkmälerarmen Zeit weitere Emailarbeiten, die diese Hypothese stützen könnten. Wie dem auch sei, in Byzanz gelangte die Emailkunst spätestens seit dem frühen 10. Jahrhundert genau so wie im ottonischen Westen zu hoher Blüte. Zu den frühesten datierbaren Arbeiten gehören nach der Fieschi-Morgan-Staurothek 174 175 176

177

178 179 180

Cf. e.g. C. Johns, The Jewellery of Roman Britain. Celtic and Classical Traditions, London 1996, 198–202 und 201, Abb. 8.4, 178, Abb. 7.21, 180, Abb. 7.22. Philostratos, Imagines, I.28.3.4–10, ed. O. Schönberger, Philostratos der Ältere: Die Bilder (griechisch-deutsch), Würzburg 22004; Wolters, Der byzantinische Traktat (nt. 18), 265. Cf. G. Haseloff, Email im frühen Mittelalter. Frühchristliche Kunst von der Spätantike bis zu den Karolingern (Marburger Studien zur Vor- und Frühgeschichte, Sonderband 1), Marburg 1990, 83 sq. und 130, Abb. 59a, b, 131, Abb. 59c. Cf. D. Buckton, Enamelling on Gold. A Historical Perspective, in: Gold Bulletin 15 (1982), 101–109, 105; id., The Oppenheim or Fieschi-Morgan Reliquary in New York, and the Antecedents of Middle Byzantine Enamel, in: Eighth Annual Byzantine Studies Conference, Abstracts of Papers, Chicago 1982, 35 sq.; id., Byzantine Enamel and the West, in: Byzantinische Forschungen 13 (1988), 235–244. Cf. supra nt. 14. Cf. D. Buckton, The Mother of God in Enamel, in: M. Vassilaki (ed.), Mother of God. Representations of the Virgin in Byzantine Art, Athen–Mailand 2000, 177–183, 177. Cf. H. A. Klein, Kreuz (nt. 147), 35–43.

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und der Votivkrone Leos VI. (886–912)181 die Emails aus dem bereits erwähnten Preslav-Schatz. Der schwere goldene, kaiserliche Halsschmuck (227g, Abb. 1), fünf Diademplatten (Abb. 9) sowie zwei emaillierte Ohrringpaare gehören zu den Meisterwerken byzantinischer Emailkunst, die zu diesem Zeitpunkt schon auf eine gewisse Tradition zurückgeblickt haben dürfte, denn die Emails sind von hoher Qualität und überraschender Kleinteiligkeit (zum Beispiel die Diademplatten182, bei denen sieben Emailfarben beziehungsweise -farbtöne verwendet wurden und deren Zellen extrem kleinteilig sind). Interessant ist im Zusammenhang mit dem Preslav-Schatz auch, daß an den Diademplatten (Abb. 9) eine technische Neuerung zu beobachten ist, die nicht von Theophilus erwähnt wird, nämlich der sogenannte Senkschmelz. Beim Senkschmelz oder Senkemail (émail mixte) werden die aus Blechstreifen geformten Zellen in eine getriebene Vertiefung des Metallrezipienten eingefügt und das Email eingeschmolzen. Nach dem Schleifen und Polieren liegen Zellenstege und Email in einer Ebene mit dem umgebenden Gold des Rezipienten. In der Regel wird das vertiefte Motiv noch einmal aus einem etwas dickeren Goldblech ausgesägt und das Blech dann mit dem unteren, für das Treiben besser geeigneten, dünneren und weicheren Blech verbunden. Buckton ging noch davon aus, daß diese Technik in Byzanz in der Mitte des 10. Jahrhunderts eingeführt wurde183, jedoch dürften die Emails aus dem Preslav-Schatz, die höchstwahrscheinlich um 927 angefertigt wurden (siehe oben) dafür sprechen, daß diese Technik schon seit dem frühen 10. Jahrhundert in Byzanz angewendet wurde. Bisher galt meist Theophilus als älteste Quelle für die Emailherstellung. Jedoch geht diesem wiederum der byzantinische Traktat des 11. Jahrhunderts voran, der die erste Beschreibung der Emailtechnik überhaupt bietet184, wenn diese auch längst nicht so ausführlich ist wie bei Theophilus und auch Fehler enthält. Interessant ist, daß die Verwechselung von Silber beziehungsweise silberhaltigem Gold (Elektron) und Email (electrum, wie es auch Theophilus verwendet wurde) auf eine lateinische Vorlage hinweist185, was wiederum ein Hinweis darauf sein könnte, daß die Emailkunst tatsächlich zunächst im Westen entwickelt wurde. D. Buckton hat sich ausführlich mit dem Verhältnis von Theophilus’ Text zu den überlieferten Emailarbeiten des Mittelalters auseinandergesetzt und kommt zu dem Schluß, daß Theophilus zwar sicherlich ein erfahrener Goldschmied war, seine Kenntnisse des Emaillierens zwar grundlegend korrekt sind, jedoch in einigen Details weder nachgewiesen werden können noch tatsächlich funktionieren

181 182 183

184 185

Cf. Hellenkemper (ed.), San Marco (nt. 2), Nr. 9 (Margret English Frazer). Cf. Bosselmann-Ruickbie, Preslav (nt. 74), 78, Abb. 4. Cf. Buckton, Mother of God in Enamel (nt. 179), 177–183, 177; C. Stiegemann (ed.), Byzanz. Das Licht aus dem Osten. Kult und Alltag im Byzantinischen Reich vom 4. bis 15. Jahrhundert (Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Erzbischöfliches Diözesanmuseum Paderborn), Mainz 2001, Nr. IV.15 (D. Buckton), 298. Cf. Wolters, Traktat (nt. 12), 165; id., Der byzantinische Traktat (nt. 18), 265. Cf. Wolters, Traktat (nt. 12), 165; id., Der byzantinische Traktat (nt. 18), 265.

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würden. Dies sind unter anderm das Löten der Zellstege vor dem Emaillieren, was weder praktikabel noch an mittelalterlichen Emails nachweisbar ist, und weiterhin die Erwähnung von Silber als geeignetem Emailträger für Emails aus wiederverwendeten antiken Mosaiktesserae, was kaum realistisch erscheint, da die beiden Schmelzpunkte (Silber 961 °C, Glas der tesserae rund 1000 °C) zu dicht beieinander liegen186. Daher scheint Theophilus seine Informationen zwar durch Beobachten der Arbeit gewonnen zu haben, nicht jedoch durch eigene Tätigkeit187. Über die Zusammensetzung byzantinischer Emails ist bislang nur wenig bekannt. Die Mitglieder des Forschungslabors im British Museum in London, vor allem I. Freestone, haben in den letzten Jahren jedoch zahlreiche Untersuchungen durchgeführt. Danach entspricht die Zusammensetzung vieler byzantinischer Emails des 9.–12. Jahrhunderts derjenigen von römischen Tesserae188, die offenbar für die Emailproduktion mittelbyzantinischer Zeit wiederverwendet wurden. Dies geht mit der Empfehlung Theophilus’ einher. Bislang sind außerhalb der Untersuchungen des British Museum kaum weitere Emails analysiert worden, jedoch konnte die Verfasserin einen blauen transluziden Splitter des einzelnen, sehr brüchigen Emails eines Goldohrrings aus dem Preslav-Schatz (siehe oben) mittels des Mikro-Röntgen-Fluoreszenz-Verfahrens analysieren lassen189. Das Ergebnis weicht allerdings von den oben genannten Untersuchungen ab, wie ein Zitat aus dem Analysebericht zeigt: „Byzantinische Emails des 9.–12. Jahrhunderts entsprechen nach Arbeiten von I. Freestone dem römischen Glas – vermutlich wurden römische tesserae wiederverwendet – und interessanterweise nicht byzantinischen tesserae-Gläsern. Seit etwa dem 9. Jahrhundert wurde generell oft Pflanzenasche als Flußmittel eingesetzt, wie zum Beispiel von Freestone für Glas des 10.–11. Jahrhunderts gefunden (Hosios Loukas, Parthenon) – eine solche Zusammensetzung wurde hier nicht nachgewiesen. Insgesamt zeigt das Preslav-Email Ähnlichkeit zu römischen Emails und tesserae-Glas, aber keine 100-prozentige Übereinstimmung. Das weist auf eine eigenständige Rezeptur unter Verwendung der gleichen Rohstoffe hin (mineralische trona als Flußmittel, Provenienz des Cobalt-Materials nicht bekannt). Dieser Befund ist insofern interessant, daß er eine sehr späte Verwendung mineralischer Soda in der byzantinischen Glasproduktion vermuten läßt. Bisher geht man davon aus, daß die im Römischen Reich ausgebeuteten 186 187 188

189

Cf. D. Buckton, Theophilus and Enamel, in: id./T. A. Heslop (eds.), Studies in Medieval Art and Architecture Presented to Peter Lasko, London 1994, 1–13, 9, 11. Cf. op. cit., 11. Cf. I. C. Freestone/S. G. E. Bowman/C. P. Stapleton, Compositions and Origins of Byzantine and Early Medieval Enamel Glasses, in: D. Buckton (ed.), Catalogue of Medieval Enamels in the British Museum, vol. 1, London 1999, Nr. 5 sq. (im Druck); cf. auch D. Buckton, Now We See Through a Glass, Darkly, in: N. Crummy (ed.), Image, Craft and the Classical World: Essays in Honour of Donald Bailey and Catherine Johns (Monographies instrumentum 29), Montagnac 2005, 285–289. Cf. Bosselmann-Ruickbie, Byzantinischer Schmuck (nt. 4), Nr. 64, Fig. 4. Die Analyse wurde durchgeführt von Dr. Heike Bronk, TU Berlin, Institut für Anorganische und Analytische Chemie, 9.4.2001 (LIPAN 3000 – Spektrometer für die Laser Induced Breakdown Spectrometry [LIBS], semi-quantitave Bestimmung); Analysebericht in op. cit., 198–201.

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trona-Vorkommen im Wadi Natrun seit dem 5. nachchristlichen Jahrhundert nicht mehr genutzt wurden.“190

Daraus ergibt sich, daß es in mittelbyzantinischer Zeit eine selbständige Glasund auch Emailproduktion mit eigenen Rezepturen gegeben haben muß. Glaswerkstätten kennt man zwar nur wenige, und wenn, dann aus den Provinzen (zum Beispiel Korinth, Peloponnes, lokale Glaswerkstätten des 12. Jahrhunderts191), leider jedoch nicht aus der Hauptstadt Konstantinopel. Auch im Zusammenhang mit dem Email läßt sich – soweit es der jetzige Forschungsstand erlaubt192 – kein Bezug zu Theophilus’ Anleitungen herstellen. 5. Opus interrasile Unter opus interrasile versteht man grundsätzlich eine Durchbruchtechnik, bei der aus einem Metallblech Öffnungen herausgearbeitet werden, so daß sich ornamentale, geometrische oder figürliche Motive ergeben. Der Begriff findet sich bereits im 1. Jahrhundert bei Plinius193 im Zusammenhang mit Votivkronen, und dann erst sehr viel später wieder bei Theophilus, der die Technik ausführlich beschreibt194. Im Oströmischen beziehungsweise Byzantinischen Reich ist die Technik schon rund ein Jahrtausend vor Theophilus (ab dem 3. Jahrhundert) verwendet worden, und zwar für goldene Schmuckstücke (Abb. 10), allerdings wurde sie zum einen bereits rund 500 Jahre vor Theophilus wieder aufgegeben (7.–frühes 8. Jahrhundert), zum anderen beschreibt Theophilus eine Technik, die sich auf Bronze und Silber, auf größere Formate und eine Verwendung an anderen Denkmälern bezieht. Zunächst zur Technik, wie Theophilus sie beschreibt (Kapitel 72: „Von der Durchbrucharbeit“/„De opere interrasile“): Er empfiehlt, Kupferbleche mit einer Zeichnung des gewünschten Motivs vorzubereiten und diese dann zu gravieren. Dann werden die Zwischenräume mittels eines „meizels“ (mangels der noch nicht bekannten Laubsäge195) über einem Amboß herausgetrennt. Die Feinarbeit erfolgt mit Feilen, danach kann die Oberfläche vollständig vergoldet werden. Für Bucheinbände wird Silberblech empfohlen, das stellenweise (zum Beispiel bei Nimben) ebenfalls vergoldet werden kann, während Möbel und „Bücher der

190 191 192

193 194 195

Bronk, Analysebericht (nt. 189), 201. Cf. G. R. Davidson, A Medieval Glass Factory at Corinth, in: American Journal of Archaeology 44 (1940), 297–324, 319 sqq. Ein Projekt zur Untersuchung byzantinischer und pseudo-byzantinischer Emails, an dem die Verfasserin beteiligt sein wird, ist in Planung (WissenschaftsCampus Mainz: Byzanz zwischen Orient und Okzident). Cf. Plinius der Ältere, Naturalis Historia, XII, 94 (42), edd. Jan/Mayhoff (nt. 123), vol. 2, Leipzig 1870, 303 (interrasile aurum). Cf. Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 2, 199 (c. 72). Cf. op. cit., 200.

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Armen“196 mit verzinnten Kupferplatten verziert werden, die dann teilversilbert aussehen. Aus dem westlichen Mittelalter sind solche großformatigen Durchbrucharbeiten aus Silber- und Kupferblech tatsächlich wohl bekannt, zum Beispiel am Trierer Egbert-Schrein (977–993)197, am Einbanddeckel des Perikopenbuches Heinrichs II. (1002–1024)198, am Abdinghofer Tragaltar (um 1130199, wenn auch die Durchbrüche hier im Gegensatz zur Beschreibung des Theophilus aus- beziehungsweise durchgraviert sind und nicht mit Meißeln und Amboß ausgeführt wurden200) oder an einem Bucheinband des frühen 14. Jahrhunderts im Museum Schnütgen in Köln201. Seltener sind auch kleinere Goldschmiedearbeiten mit Durchbrucharbeiten verziert, zum Beispiel die angelsächsische Alfred Jewel im Ashmolean Museum Oxford (871–899)202. Dagegen sind die byzantinischen Goldschmiedearbeiten des 3. bis frühen 8. Jahrhunderts (Abb. 10), für die der Begriff immer wieder verwendet wird, durchweg aus Gold statt aus Silber- oder Kupferblech, sie sind kleinformatiger, feinteiliger und ausschließlich für Schmuck, Gürtelbeschläge und in ganz wenigen Fällen für Waffenverzierungen verwendet worden, nicht in großem Format für Bucheinbände oder Möbelbeschläge. Auch ikonographisch sind die frühbyzantinischen Schmuckstücke sehr unterschiedlich mit ihren floralen, geometrischen Ornamenten oder Tierdarstellungen, während die westlichen mittelalterlichen Arbeiten oft vielfigurige und narrative Szenen zeigen203. Nichtsdestoweniger hat sich der Begriff „opus interrasile“ für die byzantinischen Goldschmuckstücke des 3. bis frühen 8. Jahrhunderts eingebürgert, auch wenn er 196 197

198

199

200

201 202

203

Cf. op. cit., 199. Cf. H. Westermann-Angerhausen, Die Goldschmiedearbeiten der Trierer Egbertwerkstatt (Trierer Zeitschrift für Geschichte und Kunst des Trierer Landes und seiner Nachbargebiete, Beiheft 4), Trier 1973, Abb. 60–64, 66–69. Cf. H. Fillitz/R. Kahsnitz/U. Kuder (eds.), Zierde für ewige Zeit: Das Perikopenbuch Heinrichs II. (Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in der Bayerische Staatsbibliothek München), Frankfurt 1994. Cf. M. Peter, Neue Fragen und alte Probleme. Die beiden Paderborner Tragaltäre und der Beginn der Helmarshausener Goldschmiedekunst im 12. Jahrhundert, in: Stiegmann/WestermannAngerhausen (eds.), Schatzkunst (nt. 17), 80–96; O. Siart (ed.), Goldene Pracht. Mittelalterliche Schatzkunst in Westfalen (Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster, und Domkammer der Kathedralkirche St. Paulus, Münster), München 2012, 155 sq., Nr. 33 (A. Pröbe/H. Kempkens, „um 1130“). Abb. in: Stiegemann/H. Westermann-Angerhausen (eds.), Schatzkunst (nt. 17), Tfn. 20–35 („um 1120/1130“). Cf. U. Schuchardt, Die Ergebnisse der Befunduntersuchungen der Metallbeschläge an Paderborner Dom- und Abdinghofer Tragaltar, in: Stiegemann/Westermann-Angerhausen (eds.), Schatzkunst (nt. 17), 208–216, 213 sq. Cf. A. Willberg, Goldschmiedekunst des Mittelalters. Meisterwerke im Schnütgen-Museum Köln, Köln 1998, 14 sq. Die Alfred Jewel kann aufgrund der Inschrift in die Zeit des angelsächsischen Königs Alfred des Großen (871–899) datiert werden. Cf. J. R. Clarke/D. A. Hinton, The Alfred and Minster Lovell Jewels, Oxford 1984. Cf. Yeroulanou, Diatrita (nt. 69), 15.

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aufgrund der Abweichungen von Plinius und Theophilus nicht ganz glücklich ist204. J. Ogden schlug daher den Begriff Diatrita vor 205, den A. Yeroulanou dann auch als Titel ihres umfassenden Kataloges der durchbrochen gearbeiteten spätrömischen und byzantinischen Goldschmiedearbeiten (1999) verwendet hat206. Diatrita wurde insofern als geeignet betrachtet, als die Berufsgruppe der diatretarii, die zum Beispiel im Codex Justinianus erwähnt wird 207, möglicherweise nicht nur auf das Perforieren von Glas (siehe „Diatretgläser“), sondern auch von Metall spezialisiert war208. Die Techniken, die sich beim spätrömischen und frühbyzantinischen Schmuck zeigen, waren wesentlich ausgefeilter, als sie Theophilus beschreibt, und wurden laut Tóth im ständigen Bemühen um Materialersparnis und Arbeitsökonomie verändert209. Basierend auf den früheren Studien der Technik von Ogden, Schmidt, Niemeyer und Dandridge210, die zwei verschiedene Methoden unterschieden, kann Tóth heute sechs verschiedene Techniken des byzantinischen opus interrasile ausmachen, die grundlegend in der Art der Öffnungen differieren, welche zum einen mit runden Punzen, zum anderen – noch am ehesten der Beschreibung des Theophilus vergleichbar – mit kleinen Meißeln ausgestanzt sein können. Je nach Technik können die Goldbleche zusätzlich auch graviert oder reliefiert sein. Die Arbeitsprozesse, die man anhand der überlieferten Schmuckstücke heute genauestens unterscheiden kann, folgen allerdings keiner evolutionären Chronologie, und sie können nur bedingt für Feindatierungen innerhalb des 3.–8. Jahrhunderts herangezogen werden. Leider gibt es keine zeitgenössischen Beschreibungen, in denen diese verschiedenen Methoden erläutert werden, daher sind wir ausschließlich auf die dezidierte Analyse der Realien, wie Tóth sie beispielhaft durchgeführt hat, angewiesen. Die oben beschriebenen Techniken des byzantinischen opus interrasile oder diatrita sind in dieser Form nach bisheriger Meinung im 7. Jahrhundert wieder aufgegeben worden. Die jüngst erfolgten Untersuchungen der Schmuckfunde von Abukir Bay in Ägypten haben immerhin einen terminus ante quem im frühen 8. Jahr204 205 206 207 208

209 210

Cf. Ogden, Technology (nt. 13), 163. Cf. Ogden/Schmidt, Pierced Work (nt. 79), 10 sq. Cf. Yeroulanou, Diatrita (nt. 69). Cf. Codex Justinianus, 10.66.1, edd. Th. Mommsen/P. Krueger, in: Corpus Iuris Civilis, vol. 2, Berlin 1915. Cf. Yeroulanou, Diatrita (nt. 69), 5. Dieser Frage müsste noch einmal nachgegangen werden, da es mir wenig überzeugend erscheint, daß die gleiche Berufsgruppe mit zwei so unterschiedlich form- und belastbaren Materialien gearbeitet haben soll. Cf. B. L. Tóth, The Six Techniques of Pierced Openwork Jewellery, in: Entwistle/Adams, Intelligible Beauty (nt. 4), 1–12, 1. Cf. Ogden/Schmidt, Pierced Work (nt. 79), 5–12; B. Niemeyer, Der lunulaförmige Halsschmuck aus Assiût in der Berliner Antikensammlung: Eine goldschmiedetechnische Untersuchung, in: Jahrbuch der Berliner Museen 39 (1997), 191–206; ead., A Byzantine Gold Collar from Assiût: A Technological Study, in: Jewellery Studies 8 (1998), 87–96; P. Dandridge, Idiomatric and Mainstream: The Technical Vocabulary of a Late Roman Cross Bow Fibula, in: Metropolitan Museum Journal 35 (2000), 71–86.

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hundert und stellen somit die spätesten datierbaren Stücke in opus interrasile/diatrita dar211. Arbeiten aus durchbrochenem Metallblech sind im Byzantinischen Reich danach praktisch völlig aus der Mode gekommen, den Grund dafür kennen wir nicht. Zu den Ausnahmen gehört ein einzelner Ohrring aus Rhodos, der aufgrund seiner kleinen dreieckigen Öffnungen von Yeroulanou in ihren Katalog aufgenommen und in das 3. Jahrhundert datiert worden war212, aber typologisch eindeutig einem mittelbyzantinischen Ohrringtypus angehört, der vor allem im 10.–12. Jahrhundert nachweisbar ist213. Ein weiteres Ohrringpaar des 12.–frühen 13. Jahrhunderts besitzt kleine runde Öffnungen, zwischen denen ein perldrahtartiger Dekor die Oberfläche reliefiert214. Dieser wohl gegossene Dekor – leider ist die aufschlußreiche Rückseite nicht zugänglich – scheint jedoch eher fatimidischen Filigranarbeiten mit Liniengranulation nachempfunden zu sein215 und ist untypisch für mittel- oder spätbyzantinische Goldschmiedearbeiten. Größere Metallarbeiten wie Blechikonen oder Buchdeckel zeigen ebenfalls keine Durchbrucharbeiten. Vielmehr sind sie in Byzanz in Repoussé gearbeitet (zum Beispiel Michaelsikone, Venedig, 11. Jahrhundert216) oder mit Gravuren verziert worden. Als Theophilus das opus interrasile im 12. Jahrhundert beschrieb, hatte dies demnach keinerlei Gemeinsamkeiten mit den oder Auswirkungen auf die zeitgenössischen Goldschmiedearbeiten im Byzantinischen Reich. 6. Opus punctile Beim opus punctile handelt es sich um das flächendeckende oder lineare Punzieren beziehungsweise Stempeln des Hintergrundes einer Goldschmiedearbeit, zum Beispiel einer vergoldeten Kupferplatte, mit punkt- oder kreisförmigen Verzierungen217. Die Technik wird erstmals von Theophilus erwähnt (Buch III, Kapitel 73: „Von der Ringpunzenarbeit“/„De opere puncitli“)218 und erscheint an westlichen Goldschmiedearbeiten häufig 219, ist hingegen an byzantinischen Goldschmiedearbeiten kaum nachweisbar. Zu den wenigen Ausnahmen gehört ein

211 212 213 214 215 216 217

218 219

Cf. Goddio/Clauss (eds.), Ägyptens versunkene Schätze (nt. 14), Nr. 38, 48, 49 sqq., 63 (Y. Stolz). Cf. Yeroulanou, Diatrita (nt. 69), Nr. 465. Cf. Bosselmann-Ruickbie, Byzantinischer Schmuck (nt. 4), Kap. III.B.2.c) Dreiviertelmondförmige, hohle Ohrringe, und Abb. 135. Cf. ead., A 13th-Century Jewellery Hoard from Thessalonica: A Genuine Hoard or an Art Dealer’s Compilation?, in: Entwistle/Adams, Intelligible Beauty (nt. 4), 219–232, 226 sq., Nr. 2. Cf. ead., Byzantinischer Schmuck (nt. 4), Kap. II.B.4. (Ohrringpaar mit Tierköpfen) und Nr. 73. Cf. Hellenkemper (ed.), San Marco (nt. 2), Titelbild. Cf. N. Stratford, De opere punctili. Beobachtungen zur Technik der Punktpunzierung um 1400, in: R. Baumstark (ed.), Das Goldene Rössl. Ein Meisterwerk der Pariser Hofkunst um 1400 (Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Bayerisches Nationalmuseum München), München 1995, 131–146. Cf. Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 2, 201 sq. (c. 73). Für Beispiele cf. Stratford, De opere punctili (nt. 217), 131–146.

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Armreifpaar des 12. Jahrhunderts mit annähernd herzförmigen Verschlußplatten, die gegenständige Vögel zeigen und deren Hintergrund mit punktförmigen Punzierungen dekoriert ist 220. Das Objekt stammt aus einem Schatzfund, der sich vermutlich im Besitz eines Mitglieds der fränkischen Eroberer Thessalonikis befunden hat, die von 1204 bis 1224 unter Bonifatius II., Markgraf von Montferrat, die Stadt beherrschten, da etliche Objekte Übereinstimmungen mit westlichen Goldschmiedearbeiten aufweisen. Ob vielleicht bei diesem gewiß byzantinischen Objekt in Form der Hintergrunddekoration ein westlicher Einfluß bemerkbar ist, scheint zwar ein naheliegender Gedanke, jedoch fehlt die entsprechende Materialbasis, um solche Aussagen zu treffen. Im Zusammenhang mit dem opus punctile muß betont werden, daß es das Punzieren als dekorative Technik durchaus häufig an byzantinischen Objekten gibt, jedoch bilden die punzierten Muster in der Regel das Vorder-, nicht das Hintergrundmotiv, zum Beispiel bei Bronzeringen, die mit einem Wellenband aus kleinen Punkten verziert sind 221. Punzierungen in Kreisform mit innerem Punkt (sogenannte Kreisaugen) erscheinen häufig bei byzantinischen Bronzeobjekten, meist Alltagsgegenständen aus Metall oder organischen Materialien wie Elfenbein oder Knochen222, zum Beispiel Bronzefingerringen223. Auch hier sind es Vorderund nicht Hintergrundmotive, denen vermutlich auch eine apotropäische Wirkung zugeschrieben wurde224. 7. Braunfirnis Nach diesen Vergleichen ausgewählter Goldschmiedetechniken zeichnet sich bereits ab, daß die ‚Schedula‘ des Theophilus zwar auf ähnlichen Grundlagen wie der byzantinische Traktat des 11. Jahrhunderts fußt, aber wohl auf direktem Weg keinerlei Einfluß auf die byzantinische Goldschmiedekunst gehabt haben dürfte. 220 221 222

223 224

Cf. Bosselmann-Ruickbie, Jewellery Hoard (nt. 214), Nr. 1, Tf. 1 sq.; ead., Byzantinischer Schmuck (nt. 4), Nr. 116. Cf. ead., Byzantinischer Schmuck (nt. 4), Nr. 119 (10. oder 11. Jahrhundert), 124 (11. Jahrhundert). Cf. e.g. G. R. Davidson, Corinth: Results of the Excavations conducted by the American School of Classical Studies at Athens, vol. 12: The Minor Objects, American School of Classical Studies at Athens 12, Princeton 1952, Nr. 579, Öllampe aus Bronze (4.–6. Jahrhundert), Nr. 954, Knochenplatte, (9.–12. Jahrhundert), Nr. 1401, Knochenplatte (9.–12. Jahrhundert), Nr. 1501, Knochengriff (11. Jahrhundert [?]). Cf. e.g. Bosselmann-Ruickbie, Byzantinischer Schmuck (nt. 4), Nr. 144 (10.–12. Jahrhundert), 145 (9.–10. Jahrhundert), 146 (12.–14. Jahrhundert). Dabei seien laut Dauterman und Maguire mit den konzentrischen Kreisen Spiegel gemeint gewesen, die Unheil reflektieren konnten, wie die antike Sage von Perseus und Medusa zeige. Cf. E. Dauterman Maguire/H. P. Maguire/M. J. Duncan-Flowers (eds.), Art and Holy Powers in the Early Christian House (Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Krannert Art Museum of the University of Illinois Urbana-Champaign, Kelsey Museum of Archaeology of the University of Michigan Ann-Arbor) (Illinois Byzantine Studies 2), Urbana–Chicago 1989, 5 sqq.

Das Verhältnis der ‚Schedula‘ zu byzantinischen Goldschmiedearbeiten

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Ein weiterer Vergleich mit einer von Theophilus beschriebenen Technik bestärkt diese Hypothese. Der Braunfirnis oder Vernis Brun, dem Theophilus ein Kapitel widmet (Buch III, Kapitel 71: „Auf welche Weise Kupfer brüniert wird“/„Quomodo denigretur cuprum“)225, ist eine dekorative Technik, bei der Leinöl in mehreren Arbeitsgängen auf einen metallenen Hintergrund eingebrannt wird, so daß dieser mit einer bräunlichen Schicht überzogen wird 226. Dabei werden figürliche oder ornamentale Motive beziehungsweise Buchstaben ausgespart, die sich meist vergoldet vom bräunlichen Hintergrund abheben. Als Beispiel kann ein Bursenreliquiar im Museum Schnütgen in Köln angeführt werden, das auf 1220–1230 datiert wird 227, jedoch sind auch Beispiele seit ottonischer Zeit bekannt228. Diese Technik ist im Byzantinischen Reich an keinem einzigen Beispiel nachweisbar, auch nicht nach den Kreuzzügen, die ansonsten durchaus Spuren in der byzantinischen Goldschmiedekunst hinterlassen haben, zum Beispiel in Form von heraldischen Motiven wie steigende Löwen229. V. Schluß Ziel war es, anhand von byzantinischen Goldschmiedearbeiten zu überprüfen, ob die von Theophilus Presbyter geschilderten Goldschmiede-Verfahren auch im Byzantinischen Reich angewendet wurden und ob damit ein konkretes Beispiel für den Wissenstransfer im Mittelalter nachgewiesen werden kann. Dafür wurden verschiedene von Theophilus beschriebene gängige Goldschmiede-Techniken ausgewählt, nämlich Drahtziehen, Perldrahtherstellung mittels Perldrahtfeile und Organarium (Gesenk), Niello, Email, opus interrasile, opus punctile und Braunfirnis. Dabei zeigte sich, daß die ersten fünf Techniken in Byzanz beziehungsweise dem Oströmischen Reich lange vor dem 12. Jahrhundert bekannt waren, teils seit dem 3. Jahrhundert nach Christus, allerdings auch Abweichungen in der Ausführung zeigen. Opus punctile und Braunfirnis wurden im Byzantinischen Reich dagegen kaum beziehungsweise gar nicht verwendet. Es ist bereits bekannt, daß Theophilus auf ältere Traditionen zurückgreift, was auch die oftmalige Kürze seiner Beschreibungen erklären dürfte, jedoch mag es erstaunen, daß vieles schon Jahrhunderte vor Theophilus im Byzantinischen Reich Anwendung fand. Drahtziehen und Emaillieren, deren Beschreibungen in Theophilus’ Werk seit langem als die erste Beschreibung überhaupt galten, wurden jedoch zuerst in einem byzantinischen Manuskript des 11. Jahrhunderts er-

225 226 227 228 229

Cf. Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 2, 198 sqq. (c. 71). Cf. J. Wolters, Braunfirnis, in: Lindgren, Europäische Technik (nt. 52), 147–160. Cf. Willberg, Goldschmiedekunst (nt. 201), 24 sq. Cf. Brepohl, Theophilus (nt. 1), vol. 2, 199. Cf. Bosselmann-Ruickbie, Byzantinischer Schmuck (nt. 4), Kap. III.B.2.e), Abb. 141, Metallblech mit steigendem Löwen, Fundort Korinth, vermutlich 13. Jahrhundert. Zu dem Thema Schmuck in der Kreuzfahrerzeit cf. ead., Jewellery Hoard (nt. 214), 219–232.

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Antje Bosselmann-Ruickbie

wähnt, was allerdings nicht heißen muß, daß die Techniken dort ihren Ursprung haben. In Bezug auf die Fragestellung, ob Theophilus als Beispiel für den Wissenstransfer im Mittelalter genannt werden kann, muß dies verneint werden, denn das Werk wurde in der uns heute überlieferten Form gewiß nicht als Handbuch in Byzanz verwendet. Im Hinblick auf die großen grundsätzlichen Übereinstimmungen in der Goldschmiedekunst des Früh- und Hochmittelalters kann die Frage jedoch – sehr viel allgemeiner – bejaht werden, wie der hier nur kurz angerissene Vergleich der schriftlichen Quellen gezeigt hat. Dabei spielt nicht nur der Austausch zwischen Ost- und Westrom, zwischen Byzantinischem Reich und Karolinger-, Ottonen-, Salier- und Stauferreich eine Rolle, sondern auch der bislang noch nicht gründlich untersuchte Einfluß aus den arabischen Gebieten. Die Quellenstudien von Jochem Wolters bilden einen hervorragenden Ausgangspunkt, jedoch erfordern die komplexen Austauschprozesse nicht nur hinsichtlich der Rezepte, sondern auch der mobilen Realien, die als Handelsware oder Geschenke zwischen Osten und Westen transportiert wurden, weitere intensive Studien, um in Fallstudien wie Theophilus’ Werk zu konkreteren Ergebnissen zu führen.

An Arabic Source for Theophilus’s Recipe for Spanish Gold C V D (Washington, DC) The ‘De diversis artibus’ (‘On Diverse Arts’), also titled ‘Schedula diversarum atrium’, written under the pseudonym “Theophilus” in the early twelfth century, is one of the most important medieval artistic treatises. The work consists of three books, the first devoted to painting, the second to glasswork, and the third to metalwork. Each book gives recipes and describes techniques relevant to that art, and is preceded by a prologue that discusses the religious aspects of artistic creation. Despite more than 200 years of scholarly attention to the work, it still presents numerous mysteries, including those of its purpose and its sources. In this article I will address a part of this latter subject, and discuss the likely source of one of the chapters of the treatise. Most of the recipes and techniques that Theophilus describes are eminently practical. For example, in book I, chapter 30 of the treatise, he supplies a recipe for making a sort of artificial silver and artificial gold, which the artist can use for decorating manuscripts if real powdered silver and gold are not available. The recipe has several steps, but is not difficult to follow: the artist grinds pure tin into small bits, washes them, and then applies them with glue to the initial letters he wishes to decorate, and burnishes the surface with a tooth. Then he mixes saffron with the white of an egg, and lets the mixture stand overnight. The next day, he applies this paint to the tin that he wants to look like gold, while the unpainted tin will look like silver1. In book III, chapter 47, Theophilus discusses Arabian gold, which is very valuable and is of an unusual red color. He notes that some artisans create fake Arabian gold by adding a fifth part of copper to regular gold, and gives a very simple method for testing Arabian gold to determine whether it is genuine: put it in the fire, and if it is pure, it will not lose its brightness, but if it is a mixture of copper and gold, it will completely change color2.

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Cf. Theophilus, De Diversis Artibus, I, c. 30, ed. (and trans.) Ch. R. Dodwell, in: Theophilus, De diversis artibus – The Various Arts, London 1961 [Reprint Oxford 1986, 1998], 29. For some discussion of Theophilus’s recipes for illuminating books cf. H. Roosen-Runge, Die Buchmalereirezepte des Theophilus, in: Münchener Jahrbuch der bildenden Kunst, 3. Folge, 3–4 (1952–1953), 159–171. Cf. op. cit., III, c. 47, 96. There is some discussion of gold in Theophilus; cf. Ch. R. Dodwell, Gold Metallurgy in the Twelfth Century: The De diversis artibus of Theophilus the Monk, in: Gold Bulletin 4,3 (1971), 51–55.

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Theophilus’s recipe for Spanish gold in book III, chapter 48, however, is very different. It is a complex, exotic, and impracticable method for allegedly turning copper into gold. He says that Spanish gold is produced from red copper, powder of basilisk, human blood, and vinegar. The difficult ingredient was the powder of basilisk, of course, as the basilisk is a mythical creature, often portrayed as a very deadly bird with a serpent’s tail (Fig. 1)3. Theophilus explains that the heathen produce basilisks in an underground structure made of stones that admits just a little light. They place two chickens, twelve or fifteen years old, in the underground structure and fatten them; the chickens then copulate and lay eggs. Next the chickens are taken away, and toads are placed on the eggs to incubate them, and are fed with bread. The eggs hatch, and the male chicks emerge looking like chickens, but after seven days they grow the tails of serpents. Then the basilisks are placed in perforated bronze vessels and buried for six months, during which time they eat the soil that enters the vessels through the holes. The vessels are then dug up and placed on a large fire until the basilisks are completely burned, and when the vessels have cooled, the burned basilisks are powderized. The basilisk powder is mixed with the dried blood of a red-haired man, and then with vinegar. This mixture is applied to thin sheets of red copper, which are put on the fire; when the sheets of copper are white hot, they are removed from the fire and plunged into the same mixture. The copper is then washed and this procedure repeated until the mixture eats through the copper, which then takes on the weight and color of gold, and can be used just as gold can4. This fanciful and impractical recipe for transmuting copper into gold is entirely different from Theophilus’s others5, and it comes from the realm of alchemy. It has been suggested that the dried blood of a red-headed man, given the emphasis on the color red and drying, is an alchemical allegory for fire, or more specifically

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For general discussion of the basilisk cf. R. Goosens, Les nâgas et le basilic dans le monde grécoromain, in: Mélanges Joseph Bidez (Annuaire de l’Institut de Philologie et d’Histoire orientales), vol. 2, Brussels 1934, 415–449; L. A. Breiner, The Career of the Cockatrice, in: Isis 70,1 (1979), 30–47; id., The Basilisk, in: M. South (ed.), Mythical and Fabulous Creatures: A Source Book and Research Guide, New York 1987, 113–122; M. Sammer, Basilisk – regulus. Eine bedeutungsgeschichtliche Skizze, in: U. Müller/W. Wunderlich (eds.), Dämonen, Monster, Fabelwesen (Mittelalter-Mythen 2), St. Gallen 1999, 135–160. Cf. Theophilus, De Diversis Artibus, III, c. 48, ed. Dodwell (nt. 1), 96 sqq. For discussion of this recipe cf. V. Karpenko, Not All That Glitters is Gold: Gold Imitations in History, in: Ambix 54,2 (2007), 156–175, 163. Indeed, the recipe for Spanish gold is so strange and different from Theophilus’s others that scholars have dismissed it as “lurid” and “ornamental nonsense”; for the first characterization cf. J. Hawthorne/C. Smith (trans.), Theophilus, On Divers Arts. The Foremost Medieval Treatise on Painting, Glassmaking and Metalwork, New York 1979, 119, nt. 1; for the second cf. L. White, Jr., Theophilus Redivivus, in: Technology and Culture 5 (1964), 224–233, 231 [Reprint in id., Medieval Religion and Technology: Collected Essays (Publications of the Center for Medieval and Renaissance Studies 13), Berkeley–Los Angeles–London 1979, 93–104, 100].

An Arabic Source for Theophilus’s Recipe for Spanish Gold

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sulfur; while the powder of the deadly basilisk symbolizes mercury6. More important than the symbolic interpretation of the passage is the fact that it has been identified as the first certain trace of Islamic alchemy in the West (Fig. 2)7. The Greek tradition of alchemy had for all practical purposes been lost in the West, and therefore the initial appearance of alchemical information was all but certainly due to Islamic sources8. While it has been recognized that Theophilus’s recipe for Spanish gold most likely derives from Islamic alchemy, no potential source for the recipe has hitherto been identified – in particular, no Islamic alchemical text has been identified which includes a recipe for making gold using basilisk powder and which is earlier than Theophilus’s treatise. Yet there is in fact excellent evidence of an Islamic work earlier than Theophilus’s ‘Schedula diversarum artium’ which contains such a recipe. Oriental Manuscript 3659 in the British Library is a short fifteenthcentury manuscript of ‘The Book of Em haMelekh’, that is, ‘The Book of the Mother of the King’, a Hebrew translation of a work by Abufalah, an eleventhcentury alchemist from Sicily9. The manuscript consists of ten folios and is written in clear Sephardic cursive (Fig. 3). The work consists of two parts: the first is a folktale which relates how the Queen of Sheba acquired the philosophers’ stone, came to visit King Solomon, and gave the stone to him. The second part is purely alchemical, and describes metals and their properties, and methods for transmuting copper into gold and silver. 6

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The identification of basilisk ash with mercury was suggested by A. Wallert, Alchemy and Medieval Art Technology, in: Z. R. W. M. von Martels (ed.), Alchemy Revisited: Proceedings of an International Congress at the University of Groningen, 17–19 April 1989 (Travaux de l’Académie Internationale d’Histoire des Sciences 33), Leiden–New York–Köln 1990, 154–161, 161; the identification of the blood of a red-headed man with sulfur (or mercury) was suggested by M. Ruland, Lexicon alchemiae sive dictionarium alchimisticum, Frankfurt 1612, 122; both identifications are developed by C. Opsomer/R. Halleux, L’alchimie de Théophile et l’abbaye de Stavelot, in: D. Jacquart (ed.), Comprendre et maîtriser la nature au moyen âge. Mélanges d’histoire des sciences offerts à Guy Beaujouan (Hautes Études Médiévales et Modernes 73), Genève 1994, 437–459, 439–442; and S. Bucklow, The Alchemy of Paint: Art, Science, and Secrets from the Middle Ages, London 2009, 99–104. Cf. R. Halleux, The Reception of Arabic Alchemy in the West, in: R. Rashed (ed.), Encyclopedia of the History of Arabic Science, vol. 3, London–New York 1996, 886–902, 886 sqq. On alchemy in medieval Islam, cf. M. Ullmann, Kimiya [alchemy], in: C.E. Bosworth/E. van Donzel/B. Lewis/C. Pellat (eds.), Encyclopedia of Islam, vol. 5, Leiden 1960, 21986, 110–115; D. R. Hill, The Literature of Arabic Alchemy, in: M. J. L. Young/J. D. Latham/R. B. Serjeant (eds.), Religion, Learning and Science in the ‘Abbasid Period, Cambridge 1990, 328–343; and G. C. Anawati, Arabic Alchemy, in: Rashed (ed.), Encyclopedia (nt. 7), vol. 3, 853 sqq. The manuscript of London, British Library, MS Or. 3659 is listed in G. Margoliouth (ed.), Descriptive List of the Hebrew and Samaritan Mss. in the British Museum, London 1893, 86, as “a philosophic treatise composed by ‘Abu Falah of Saragossa for his disciple Abu Mas‘ud of Sevilla (imperfect). Paper and vellum, ff. 10. Sm. 4°. xvth Cent”. There is a description of the contents of the manuscript in R. Patai, Sephardic Alchemists, in: Y. K. Stillman/N. A. Stillman (eds.), From Iberia to Diaspora: Studies in Sephardic History and Culture (Brill’s Series in Jewish Studies 19), Leiden–Boston–Köln 1999, 235–244, 239 sq. Cf. also id., The Jewish Alchemists: A History and Source Book, Princeton 1994, 98 and 555.

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And Abufalah’s method for creating gold involves basilisk ashes10. He suggests the alchemist take a mixture of cock’s eggs and regular chicken eggs, break them, put them in a pot, and bury the pot in warm dung, with a crooked reed inserted into a hole in the top of the pot. One then leaves the eggs underground for forty days until a basilisk forms. Abufalah emphasizes the danger that the basilisk presents: everything upon which its glance falls will die and wither. The alchemist should then melt something in a fry pan and pour it down the crooked reed in order to kill the basilisk, and then burn the basilisk to produce basilisk ashes. Abufalah concludes: “And those ashes are the basilisk ashes whose operation is known among the sages of this Work”, and offers no additional details on how to use the ashes to produce gold. Raphael Patai, who has studied this work and translated it into English, notes that the numerous Arabisms in the Hebrew text confirm that it is a translation from Arabic. In addition, the author refers to King Solomon as hamelekh Sh’lomo al-Yahud, that is, “King Solomon the Jew”, and the fact that he is referred to as a Jew confirms that the original text was written by a Muslim Arab11. In some cases alchemical works or procedures are falsely attributed to early authors to enhance their prestige and authority. But in this case there is good evidence which confirms that both Abufalah’s work and the Hebrew translation are substantially older than the fifteenth century manuscript of the Hebrew translation in the British Library. For excerpts from the Hebrew translation of the work – though unfortunately not the text regarding the basilisk – were incorporated into Gershon ben Shlomo of Arles’s Sha’ar haShamayim or Gate of Heaven in the thirteenth century12. This thirteenth-century borrowing of Abufalah’s work confirms that his work was at least that old, and suggests that one can be much more confident about its genuineness. Moreover, we have no reason to doubt the eleventh-century dating of Abufalah’s work. Thus in Abufalah’s work we seem to have an Arabic alchemical work earlier than Theophilus’s treatise which included a recipe for making gold from basilisk ashes. This work must be recognized as a possible source for this part of Theophilus’s treatise.

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The text about the basilisk is on fol. 10r–v of the manuscript, and is translated into English by Patai, The Jewish Alchemists (nt. 9), 117 sq. On the Arabisms in Abufalah’s text cf. op. cit., 98. So Patai, The Jewish Alchemists (nt. 9), 98. Gershon’s work was first published in the middle of the sixteenth century as Gershon ben Solomon, Sha’ar ha-shamayim, Venice 1547; and it has been translated into English as Gershon ben Solomon, The Gate of Heaven (Shaar ha-Shamayim), ed. and trans. by F. S. Bodenheimer, Jerusalem 1953. For basic information about Gershon and his works cf. L. Kopf, Gershon ben Solomon of Arles, in: F. Skolnik/M. Berenbaum (eds.), Encyclopaedia Judaica, vol. 7, Jerusalem 1971, Detroit 22007, 554 sq. For detailed discussion of Gershom’s works cf. J. T. Robinson, Gershom ben Solomon’s Sha’ar Ha-Shamayim: Its Sources and Use of Sources, in: S. Harvey (ed.), The Medieval Hebrew Encyclopedias of Science and Philosophy: Proceedings of the Bar-Ilan University Conference (Amsterdam Studies in Jewish Thought 7), Dordrecht 2000, 248–274.

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On the one hand, we should perhaps not be too surprised that Theophilus uses an exotic Arabic source, as in the prologue to book one of his treatise, he claims that his work contains techniques used in Greece, Scandinavia, Arabia, Italy, France, and Germany13; that is, he shows a certain pride in having assembled knowledge from various sources. On the other hand, his use of an Arabic source raises some interesting questions. First, how was he able to use it? There is no evidence that Theophilus knew Arabic or Hebrew, so he must have seen the work in translation – but no medieval translation of Abufalah into a European language survives today. And second, how is it that a translation of this work was first used by Theophilus in Germany, so far from the main centers of the diffusion of Islamic science in the West, such as Toledo, Sicily, and Salerno14? These questions merit discussion. First we should remark that when Theophilus introduces his description of how to produce a basilisk, he says that he will describe how “the heathen” create basilisks, which clearly confirms that he was using a non-Christian source. In addition, it should be noted that Theophilus is the earliest Western author to mention paper (I, 23), information which no doubt came from a Muslim source15. Also, the fact that he calls the gold “Spanish gold” makes it tempting to think that the translation he was using came, directly or indirectly, from the great Spanish center of translation of Islamic scientific texts that grew up in Toledo during the twelfth century16. However, Theophilus’s 13 14

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Cf. Theophilus, De Diversis Artibus, I, prol., ed. Dodwell (nt. 1), 4. For a general survey of Arabic to Latin translations in the medieval West cf. R. Pregola, Ex arabico in latinum: Traduzioni scientifiche e traduttori nell’occidente medieval, in: Studi di Glottodidattica 3 (2009), 74–105. The translation of Arabic scientific works into Latin began in the Salerno area around 1065 under the leadership of Constantine the African; cf. F. Sezgin/C. EhrigEggert/E. Neubauer (eds.), Constantinus Africanus and Arabic Medicine: The School of Salerno: Texts and Studies (Historiography and Classification of Science of Islam 29–31), 3 voll., Frankfurt 2006. For discussion of the development of the translation program at Salerno cf. for example F. Gabrieli, La cultura araba e la scuola medica salernitana, in: Rivista di Studi Salernitani 1 (1968), 7–22. For a brief discussion of Muslim papermaking cf. D. Baker, Arab Papermaking, in: The Paper Conservator 15,1 (1991), 28–35; and for a fuller discussion cf. J. Bloom, Paper before Print: The History and Impact of Paper in the Islamic World, New Haven 2001, 46–89; on the arrival of paper in the West cf. A. Basanoff, Itinerario della carta dell’Oriente all’Occidente e sua diffusione in Europa, Milano 1965; R. I. Burns, Paper Comes to the West, 800–1400, in: U. Lindgren (ed.), Europäische Technik im Mittelalter, 800 bis 1400: Tradition und Innovation, Berlin 1996, 413–422; Bloom, Paper before Print, 202–213. On the twelfth-century translations of Islamic texts into Latin made in Toledo cf. G. F. Hourani, The Medieval Translations from Arabic to Latin Made in Spain, in: The Muslim World 62 (1972), 97–114; M.-Th. d’Alverny, Translations and Translators, in: R. L. Benson/G. Constable/C. D. Lanham (eds.), Renaissance and Renewal in the Twelfth Century (Medieval Academy Reprints for Teaching 26), Cambridge 1982, 421–462; Ch. Burnett, The Coherence of the Arabic-Latin Translation Program in Toledo in the Twelfth Century, in: Science in Context 14,1–2 (2001), 249–288; D. N. Hasse, The Social Conditions of the Arabic-(Hebrew-)Latin Translation Movements in Medieval Spain and in the Renaissance, in: A. Speer/L. Wegener (eds.), Wissen über Grenzen. Arabisches Wissen und lateinisches Mittelalter (Miscellanea Mediaevalia 33), Berlin–New York 2006, 68–87, 69–75.

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treatise dates from the early twelfth century, and it is not until the 1130s that we have evidence of an interest in translating Arabic texts into Latin in Toledo. So if Abufalah’s work was translated in Toledo, this happened before the main efforts of translation were undertaken in the city. But it seems that there would have been ample time for such a translation to have been made between 1085, when Alfonso VI of Castile captured Toledo from the Arabs, and the composition of Theophilus’s treatise in the early twelfth century. It is surprising that the description of how to produce a basilisk appeared in Theophilus, in a text composed in Germany, rather than in a text written in southern Europe, closer to the centers of translation in Toledo, Sicily, or Salerno. Yet there is at least one other case of early use of a translated Arabic work in Germany: the earliest use of a translation of a compendious medical work, the Kitab al-Maliki or Regalis dispositio of Ali ibn al-‘Abbas al-Majisi (Latinized as Haly Abbas), which was translated by Stephen the Philosopher in Antioch in 1127, is in Hildesheim before 114017. Indeed, it was Northungus of Hildesheim who made use of the Kitab al-Maliki, and if my colleague Ilya Dines’s suggestion is correct18, namely that Theophilus Artist was in fact Northungus, we would have two cases of Northungus making early use of Arabic texts, once in his Antidotarius, and once in the ‘Schedula’. It is worth tracing the history and diffusion of the idea that the basilisk could be born from the eggs of other birds. The idea first appears in the Contra Nestorium of Saint John Cassian, which was written in the early fifth century, where it is said that “There is no doubt that basilisks are produced from the eggs of the birds which in Egypt they call the Ibis”19. The same idea is mentioned in the ‘Quaestiones physicae’ of the seventh-century Byzantine historian Theophylactus Simocatta20. Then the idea seems not to have been discussed for about 500 years until it suddenly reappeared in the twelfth century. Following its appearance in Theophilus it occurred next in Hildegard von Bingen’s ‘Physica’, which was 17

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See M. Wack, >Alı¯ ibn al->Abba¯s al-Magu¯sı¯ and Constantine on Love, and the Evolution of the Practica Pantegni, in: C. Burnett and D. Jacquart (eds.), Constantine the African and >Alı¯ ibn al>Abba¯s al-Magu¯sı¯: The Pantegni and Related Texts, Leiden 1994, 161–202, at 191 and 197–199. Cf. the contribution of I. Dines in this volume, 3–10. John Cassian, De incarnation Christi contra Nestorium haereticum, VII, 5, ed. J.-P. Migne, in: Patrologiae cursus completus. Series latina, vol. 50, Paris 1846, 9–272, 210 and ed. M. Petschenig (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 17), Prague–Vienna–Leipzig 1888, 360: “ex ovis volucrum, quas in Aegypto ibes vocant, basiliscos serpentes gigni indubitabile est.” This passage is said to be the first occurrence of the idea that basilisks can be born from the eggs of other birds by H. Bächtold-Stäubli/E. Hoffmann-Krayer (eds.), Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, vol. 2, Berlin 1929–1930, 600. For brief discussion of the story of the basilisk’s birth in John Cassian and the authors mentioned below cf. R. McN. Alexander, The Evolution of the Basilisk, in: Greece and Rome 10,2 (1963), 170–181. Cf. Theophylactus Simocatta, Quaestiones physicas et epistolas, ed. J. F. Boissonade, Paris 1835, 107; A. A. de Siena (ed.), Thesaurus Theophylacti Simocattae: Historiae, Epistulae, Quaestiones Physicae, De vitae termino (Corpus Christianorum. Thesaurus Patrum Graecorum), Turnhout 2007.

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written in approximately 1150–1160 21, and then in Alexander Neckam’s ‘De naturis rerum’, probably written in Paris in about 1180 22, then in the long version of the bestiary attributed to Pierre de Beauvais, which was written before 1218 23, the ‘Liber de natura rerum’ of Thomas of Cantimpré, which was completed by 1240 24, the ‘De proprietatibus rerum’ of Bartholomaeus Anglicus, which he wrote in Magdenburg, Germany, probably in the 1240s25, and the ‘De animalibus’ of Albertus Magnus26, which was probably composed in the 1260s27. Thus the myth about the basilisk was distributed in Germany and northern France, but apparently not in southern Europe (Fig. 4). The passages in Bartholomaeus Anglicus and Albertus Magnus are of particular interest here. Bartholomaeus in one passage (XII, 16) briefly repeats the idea that basilisks were born from cock’s eggs, incorrectly attributing the idea to the Venerable Bede28; he concludes his chapter on the basilisk (XVIII, 15) by noting that “His ashes be accounted good and profitable in working of alchemy, and namely in turning and changing of metals”29. Thus Bartholomaeus knew of the connection between the basilisk and alchemy. 21

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27 28 29

Cf. Hildegard of Bingen, Physica, VIII, 12, ed. J.-P. Migne, in: Patrologiae cursus completes. Series latina, vol. 197, Paris 1855, 1117–1351, 1343. English translation: Hildegard von Bingen’s Physica: The Complete English Translation of her Classic Work on Health and Healing, trans. by P. Throop, Rochester 1998, 233 sq. Cf. Alexander Neckam, De naturis rerum, I, 125, ed. Th. Wright (Rerum Britannicarum Medii Aevi Scriptores 34), London 1863, 120. Note that C. Opsomer and R. Halleux are incorrect when they say that this idea does not appear in Neckam; cf. Opsomer/Halleux, L’alchimie (nt. 6), 445. On Neckam’s stay in Paris cf. R. W. Hunt, The Schools and the Cloister: The Life and Writings of Alexander Nequam (1157–1217), ed. and rev. M. T. Gibson, Oxford 1984. The passage on the basilisk in Pierre de Beauvais is supplied in C. Cahier/A. Martin (eds.), Bestiaire en prose de Pierre le Picard, in: Mélanges d’archéologie, d’histoire et de littérature 2 (1851), 85–100 and 106–232; 3 (1853), 203–288; and 4 (1856), 55–87; see especially 2 (1853), 213 sq.; and by C. A. Baker, Étude et édition critique de la version longue du Bestiaire attribuée à Pierre de Beauvais (PhD Dissertation, Rutgers University 2004), 438–443, with discussion 602–606. For additional discussion cf. F. McCulloch, Mediaeval Latin and French Bestiaries (Studies in the Romance languages and literatures 33), Chapel Hill 1962, 197 and 199 sq., who indicates that the source of the basilisk material is unknown. Cf. Thomas of Cantimpré, Liber de natura rerum, V, 57, ed. H. Boese, vol. 1, Berlin–New York 1973, 205. On the date by which Thomas’s work was completed cf. P. Aiken, The Animal History of Albertus Magnus and Thomas of Cantimpré, in: Speculum 22,2 (1947), 205–225. There are two passages about the basilisk in Bartholomaeus Anglicus’s ‘De proprietatibus rerum’, one at XII, 16 and another at XVIII, 16. For Albertus’s statement about the basilisk cf. Albertus Magnus, De animalibus libri XXVI, XXIII, c. 24 (51), ed. H. Stadler nach der Cölner Urschrift (Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters 15–16), vol. 2, Münster 1916, 1496; Albertus Magnus, On Animals: A Medieval Summa Zoologica, trans. by K. F. Kitchell, Jr./I. M. Resnick, vol. 2, Baltimore 1999, 1628. Cf. op. cit., vol. 1, 35. Cf. Bartholomew of England, De proprietatibus rerum, XII, 16, ed. G. B. Pontanus, Frankfurt 1601 [Reprint Frankfurt a. M. 1964], 536. Op. cit., XVIII, 15, 1025: “basiliscus […], cuius cinis operationibus alchimiae utilis creditor, et maxime transmutationibus metallorum.” English translation: Mediaeval Lore from Bartholomaeus Anglicus, trans. R. Steele, London 1907, 145.

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Chet Van Duzer

Fig. 4. Chronology of Texts

Albertus also reports the story that basilisks are born from cock’s eggs buried in dung, and then says: “I do not think this is true, but it was said by Hermes and has been accepted by many on the authority of the one saying it.”30 The “Hermes” he is referring to is Hermes Trismegistus, a fictitious ancient author to whom various philosophical and alchemical writings were attributed31. In fact the story about the birth of the basilisk from a cock’s egg does not occur in any of the writings attributed to Hermes Trismegistus. But it seems that Albertus had read about the basilisk in an alchemical work, and says that this work was the

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Albertus Magnus, De animalibus, XXIII, c. 24 (51), ed. Stadler (n. 26), 1496: “ego non puto esse verum: tamen Hermetis dictum est et a multis susceptum proprter dicentis auctoritatem”; trans. by Kitchell, On animals (nt. 26), vol. 2, 1628. On the alchemical works attributed to Hermes Trismegistus cf. A. J. Festugière, Alchymica, in: Antiquité Classique 8 (1939), 71–95 [Reprint in id., Hermétisme et mystique païenne, Paris 1967, 205–229]; also K. T. van Bladel, The Arabic Hermes. From Pagan Sage to Prophet of Science (Oxford Studies in Late Antiquity), Oxford 2009.

An Arabic Source for Theophilus’s Recipe for Spanish Gold

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source from which various other authors had taken the story32. That is, the story about the basilisk was diffused by an alchemical work. The question arises as to whether the alchemical work most directly responsible for the diffusion of the story about the basilisk was the hypothetical translation of Abufalah into a European language or the ‘Schedula’ of Theophilus. The area over which the story was diffused in the twelfth and thirteenth centuries, that is, Germany and northern France, coincides reasonably well with the area in which early manuscripts of Theophilus were diffused33. In addition, there is no surviving manuscript of a translation of Abufalah into any Western language. Albertus Magnus’s ascription of the story to Hermes Trismegistus is puzzling, as one would not expect Theophilus’s ‘Schedula’, a clearly Christian work whose author names himself, to be mistaken for that of a pagan author. Thus there is some temptation to think that Albertus found the story in a work other than Theophilus’s ‘Schedula’, that is, perhaps in the hypothetical translation of Abufalah, but there is no way to be certain. But regardless of this minor question, it seems that the European tradition of the basilisk’s birth from a cock’s egg, which had a long tradition, and indeed the basilisk appeared in later alchemical works (Fig. 1), was largely due to the influence of Theophilus. There is another aspect of Abufalah’s work which requires discussion. As mentioned above, he concludes his description of the procedure for creating a basilisk by saying: “And those ashes are the basilisk ashes whose operation is known among the sages of this Work”34, and offers no additional details on how to use the ashes to produce gold. His omission of additional details, and his insistence that experts will know how to use the ashes, suggests that the technique for making gold using basilisk ashes had been supplied in an earlier work. Thus we must recognize the possibility that there was an earlier work, no doubt from the Arabic tradition, which contained the story about the basilisk, and that this work was the source of Theophilus’s recipe. Yet no such work survives, and we should also consider the possibility that when Abufalah suggests that the procedure for using basilisk ashes was well known, he is trying to impress his readers with his esoteric knowledge, referring to something as well known which was in fact new and mysterious in order to show his superiority. Thus the question of the existence of an earlier Arabic text about basilisk ashes is difficult to resolve, and all we can be certain of is that Abu-

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For discussion of Albertus’s interest in alchemy cf. J. R. Partington, Albertus Magnus on Alchemy, in: Ambix 1,1 (1937), 3–20. Cf. R. P. Johnson, The Manuscripts of the Schedula of Theophilus Presbyter, in: Speculum 13,1 (1938), 86–103; also H. C. Gearhart, Theophilus’ On Diverse Arts: The Persona of the Artist and the Production of Art in the Twelfth Century (PhD Dissertation, University of Michigan), Ann Arbor 2010. Abufalah (