Globalisiertes Steuerrecht - Anspruch und Verantwortung 9783504386979

Die fachliche Breite des Geehrten spiegelt sich in dieser Festschrift durch die Vielfalt der Autoren und deren Festbeitr

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Globalisiertes Steuerrecht - Anspruch und Verantwortung
 9783504386979

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Globalisiertes Steuerrecht – Anspruch und Verantwortung Festschrift für Heinz-Klaus Kroppen

GLOBALISIERTES STEUERRECHT – ANSPRUCH UND VERANTWORTUNG FESTSCHRIFT FÜR HEINZ-KLAUS KROPPEN ZUM 60. GEBURTSTAG herausgegeben von

Roman Seer Jürgen Lüdicke † Stephan Rasch

2020

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ­http:// dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-06058-9 ©2020 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche­ rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs­ beständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany

Vorwort Heinz-Klaus Kroppen hat in seiner mehr als drei Jahrzehnten währenden Tätigkeit in großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften die Beraterlandschaft mitgeprägt. Von Beginn an gehörte seine besondere Aufmerksamkeit der internationalen Ausrichtung von Unternehmen und der sich daran anknüpfenden Besteuerung. Sein Tätigkeitsschwerpunkt, der überwiegend auf dem Gebiet der internationalen Verrechnungspreise lag, erforderte dabei, den Beratungsansatz global auszurichten. Wer ihn in der Beratung erlebt hat – sei es als Beraterkollege, als Vertreter der Finanzverwaltung oder der Wirtschaft –, wird erkannt haben, dass er bei allem Ehrgeiz und dem Spaß an der sportlichen Auseinandersetzung seinen Blick immer auf ein verantwortungsvolles Handeln ausgerichtet hat. Heinz-Klaus Kroppen ist gewiss meinungsstark. Wenn er in der normativen Auslegung oder in seinen wissenschaftlichen Thesen andere Auffassungen vertrat, war es ihm aber doch wichtig, vertretbare Entscheidungen zu treffen und Ratschläge zu geben, die den Bogen nicht überspannen. Von vielen scheinbar „attraktiven“ Beratungsansätzen, deren Statthaftigkeit heute vor Gericht verhandelt werden, hat er Abstand genommen und jüngere Kollegen gewarnt. Heinz-Klaus Kroppen hat Praxis und Theorie gewinnbringend verbunden und auf diese Weise Fragestellungen des Steuerrechts differenziert betrachten können. Seine über mehr als zwei Jahrzehnte reichende universitäre Tätigkeit und Lehrverpflichtung als Honorarprofessor an der Ruhr-Universität Bochum – natürlich im Bereich des internationalen Steuerrechts – hat ihm offenbar Freude bereitet und bis zum Ausscheiden in seiner Tätigkeit als Berater stets erfüllt. Selbst nach längeren Flugreisen ließ er es sich nicht nehmen, am nächsten Tag im Bochumer Hörsaal zu stehen. Seine wissenschaftliche Begeisterung zeigt sich auch in seinen zahlreichen Veröffentlichungen, in denen er durch klare Formulierungen und umfassende Analysen das internationale Steuerrecht, vor allem im Zusammenhang mit internationalen Verrechnungs­ preisen und der Besteuerung von Betriebsstätten, nicht unerheblich beeinflusst und mitgeformt hat. Die fachliche Breite des Geehrten spiegelt sich in dieser Festschrift durch die Vielfalt der Autoren und deren Festbeiträge wider, die von Wegbegleitern aus der Beraterschaft, der Finanzverwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft verfasst worden sind. Mit vielen ist der Geehrte bereits seit Jahren auch freundschaftlich verbunden. Die He­ rausgeber danken allen Autoren für ihr Engagement und Wertschätzung. Dank gebührt der PricewaterhouseCoopers GmbH für die Unterstützung ebenso wie dem Verlag Dr. Otto Schmidt und dort den Herren Fischer, Kunze und Kunde sowie dem Verleger Prof. Dr. Felix Hey für die Aufnahme dieser Festschrift in das Verlagsprogramm, die dauerhafte Unterstützung und die wie immer völlig unproblematische und sehr gute Zusammenarbeit. Schließlich gilt unser besonderer Dank Frau Nancy Bennewitz, PricewaterhouseCoopers München, für die engagierte, umsichtige und hartnäckige Koordination aller Aktivitäten. V

Vorwort

Besonders erinnert uns die Arbeit an diesem Werk an Jürgen Lüdicke und dessen Wirken. Wir hatten mit der Vorbereitung dieser Festschrift bereits im Jahr 2018 begonnen. Jürgen Lüdicke hat sich in dieses Projekt als Mitherausgeber mit der ihm eigenen Präzision eingebracht, auch weil er den Jubilar seit vielen Jahren gut kannte und freundschaftlich mit ihm verbunden war. Dem Gedenken an Jürgen Lüdicke möchten wir mit seiner Herausgeberschaft posthum unsere Ehre erweisen und die Erinnerung weiter aufrechterhalten. Heinz-Klaus Kroppen hat nach seinem Ausscheiden – entgegen anderslautender Prophezeiungen – mit der Steuerberatung aufgehört, weil er sich neuen, mindestens ebenso spannenden Bereichen zuwenden will. Er ist kein Mann halber Sachen; er widmet sich ihnen ganz oder gar nicht. Wir wünschen ihm von ganzem Herzen, dass ihn seine neu entdeckten Passionen aus- und erfüllen. Den Anfang hat er direkt mit dem Erwerb eines Jagdscheins gemacht. Wir hoffen auch bei einem veränderten Interessenschwerpunkt auf viele weitere gemeinsame Begegnungen – und möge er an dieser Festschrift Gefallen finden. Bochum/München, im September 2020

VI

Roman Seer Stephan Rasch

Inhalt Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Verzeichnis der Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI

I. Laudatio Christian Kaeser/Klaus Schmidt Über Heinz-Klaus Kroppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

II. Steuerpolitische Impulse Dieter Endres/Christoph Spengel Deutschland im internationalen Steuerwettbewerb: Konsequenzen der US-Steuerreform und Handlungsperspektiven des deutschen Gesetzgebers 13 Wolfgang Haas Notwendige Modernisierung des Unternehmenssteuerrechts in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Felix Hierstetter Vorschläge der OECD zu einer globalen Mindestbesteuerung . . . . . . . . . . . . 41 Robert Risse Die digitalisierte Tax Compliance: Anforderungen und Lösungsansätze dargestellt anhand von Praxisbeispielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Roman Seer Cooperative Compliance Program – Reform der Außenprüfung . . . . . . . . . . 81

III. Internationale Verrechnungspreise Hubertus Baumhoff/Sven Kluge Der Einfluss des „Rückhalts im Konzern“ auf die Bestimmung angemessener Verrechnungspreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

VII

Inhalt

Roman Dawid/Jörg Hülshorst „Is Europe (still) one market?“ – Eine aktualisierte statistische Analyse pan-europäischer Benchmarking-Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Klaus-Dieter Drüen Verfahrensfragen beim Verrechnungspreisstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Axel Eigelshoven/Katharina Mank Der neue zweistufige Fremdvergleichsmaßstab – das Ende der Vertragsfreiheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Armin Gembruch Verrechnungspreisdokumentation im Lichte von Art. 24 OECD-MA im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Bruno Gibert EU Joint Transfer Pricing Forum contribution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Florian Gimmler/Susann van der Ham Die Jagd nach Verrechnungspreis Compliance – Neue Wildarten im Revier? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Stefan Greil Fußball, Digitalisierung und Fremdvergleichsgrundsatz – marketing intangibles in Eintracht mit dem Fremdvergleich? . . . . . . . . . . . . 247 Michael Ivens Schenkungsteuer bei Zuwendungen an nichtverwandte Dritte . . . . . . . . . . . . 279 Horst Kolb Verrechnungspreise in der Automobilindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 Stephan Rasch Verrechnungspreisdokumentation und (Public-) Country-by-Country Reporting: Fluch oder Segen? – Gleichzeitig eine Überprüfung der Vereinbarkeit mit dem ­Verfassungsrecht – . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Andre Reislhuber Streitvermeidung durch Joint Audit – Eine Bestandsaufnahme . . . . . . . . . . . 347 Achim Roeder/Axel Nientimp Wunsch und Wirklichkeit – Ökonomische Theorie und Verrechnungspreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 Rolf Schreiber Ist die Besteuerungshoheit Deutschlands innerhalb der EU noch gewährleistet? – EuGH-Urteil ‚Hornbach‘ und BFH-Rechtsprechung . . . . . . 385

VIII

Inhalt

IV. Betriebsstätten Katharina Becker Erste Erfahrungen mit den Regelungen zum Authorized OECD-Approach (AOA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 Franz Hruschka Ein Plädoyer für den Gewinn der personallosen Betriebsstätte . . . . . . . . . . . 437 Arne Schnitger Gewinnabgrenzung nach dem AOA – ein gut gemeinter Beitrag zur Harmonisierung mit Haken? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455

V. Internationales Steuerrecht Hermann Brandenberg Finale Verluste − kein Ende in Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 Xaver Ditz Der Fremdvergleichsgrundsatz und die Hinzurechnungsbesteuerung . . . . . 491 Guido Förster Entstrickungsbesteuerung im Betriebsvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 Dietmar Gosch „Nah und verbunden“ Zum Nahestehen und Verbundensein im Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 Siegfried Grotherr/Vanessa Wagner Sanktionsrisiken im Zusammenhang mit den Anzeigepflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553 Manfred Günkel Betriebsaufspaltung über die Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577 Volker Käbisch Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung in Drittstaaten nach den Urteilen X-GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595 Georg Kofler Die neue Hinzurechnungsbesteuerung in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615 Gerhard Kraft Ungeklärte Problembereiche der Besteuerungssystematik ausländischer Familienstiftungen unter besonderer Berücksichtigung von TrustKonstruktionen des anglo-amerikanischen Rechtskreises . . . . . . . . . . . . . . . . 631 IX

Inhalt

Marcel Krumm Die Urproduktion im Internationalen Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 647 Michael Lang DBA-Auslegung nach der Wiener Vertragsrechtskonvention versus nach Art. 3 Abs. 2 OECD-MA? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 667 Bettina Lieber Zur Reichweite der beschränkten Steuerpflicht bei Immobilien und Immobiliengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 683 Lars Rehfeld Globalisiertes Steuerrecht – Anspruch und Verantwortung: Einbeziehung ausländischer Hinzurechnungseinkünfte in die gewerbesteuerliche Bemessungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 699 Thomas Rödder Erträge und Aufwendungen aus Währungskurssicherungsgeschäften und § 8b KStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 711 Schriftenverzeichnis Heinz-Klaus Kroppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 725

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Verzeichnis der Autoren Prof. Dr. Hubertus Baumhoff Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Bonn; Honorarprofessor an der Universität Siegen; Lehrbeauftragter an der ­Universität Zürich Katharina Becker Ministerialrätin, Berlin Hermann Brandenberg Rechtsanwalt, Steuerberater, Düsseldorf Leitender Ministerialrat a. D. Dr. Roman Dawid Dipl.-Volkswirt, Frankfurt am Main; Lehrbeauftragter an der Universität Göttingen Prof. Dr. Xaver Ditz Steuerberater, Bonn; Honorarprofessor an der Universität Trier; Lehrbeauftragter an den Universitäten Zürich und Lausanne Prof. Dr. Klaus-Dieter Drüen Ordentlicher Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München; Richter am Finanzgericht Düsseldorf Axel Eigelshoven Steuerberater, Düsseldorf Prof. Dr. Dieter Endres Steuerberater, Heppenheim; Honorarprofessor an der Universität Mannheim Prof. Dr. Guido Förster Steuerberater, Ordentlicher Professor an der Heinrich-Heine-Universität, ­Düsseldorf Armin Gembruch Global Director Tax, METRO AG, Düsseldorf Bruno Gibert Avocat Associé/Attorney at law Partner, Neuilly-sur-Seine Cedex, France Florian Gimmler Steuerberater, Frankfurt am Main

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Verzeichnis der Autoren

Prof. Dr. Dietmar Gosch Rechtsanwalt, Steuerberater, München; Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof a. D.; Honorarprofessor an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Dr. Stefan Greil, LL.M. Dipl.-Kfm., Berlin Prof. Dr. Siegfried Grotherr Ordentlicher Professor an der Universität Hamburg Manfred Günkel Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Aachen Dr. Wolfgang Haas Rechtsanwalt, General Counsel and Chief Compliance Officer, President Legal, Compliance, Tax and Insurance BASF SE, Ludwigshafen Felix Hierstetter Steuerberater, München Franz Hruschka Leitender Regierungsdirektor, Finanzamt München Dr. Jörg Hülshorst Dipl.-Volkswirt, Essen Dr. Michael Ivens, LL.M. Rechtsanwalt/vereidigter Buchprüfer; Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Erbrecht, Hamburg Dr. Volker Käbisch Rechtsanwalt, Steuerberater, Düsseldorf Prof. Dr. Christian Kaeser Rechtsanwalt, München; Honorarprofessor an der WU Wirtschaftsuniversität, Wien Dr. Sven Kluge Steuerberater, Stuttgart Prof. Dr. Dr. Georg Kofler, LL.M. Universitätsprofessor an der Johannes Kepler Universität Linz Horst Kolb Oberregierungsrat, Bonn/Puchheim; Bundesbetriebsprüfung im Bundeszentralamt für Steuern, Bonn Prof. Dr. Gerhard Kraft Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, München; Ordentlicher Professor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg XII

Verzeichnis der Autoren

Prof. Dr. Marcel Krumm Ordentlicher Professor an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster; im zweiten Hauptamt Richter am Finanzgericht Münster Prof. Dr. DDr. h.c. Michael Lang Universitätsprofessor an der WU Wirtschaftsuniversität, Wien Dr. Bettina Lieber Rechtsanwältin, Steuerberaterin, Düsseldorf Katharina Mank, LL.M. Rechtsanwältin/Fachanwältin für Steuerrecht, Essen Prof. Dr. Axel Nientimp Steuerberater/Fachberater für Int. Steuerrecht, Düsseldorf; Honorarprofessor an der Universität Duisburg-Essen Prof. Dr. Stephan Rasch Rechtsanwalt/Fachanwalt für Steuerrecht, München; Honorarprofessor an der Universität Augsburg Dr. Lars Rehfeld Rechtsanwalt, Steuerberater, Künzelsau Andre Reislhuber Rechtsanwalt, Steuerberater, Düsseldorf Prof. Dr. jur. Robert Risse Rechtsanwalt, Monheim am Rhein; Honorarprofessor an der Universität Leipzig; Gastprofessor im Institut für Österreichisches und ­Internationales Steuerrecht an der WU Wirtschaftsuniversität, Wien Prof. Dr. Thomas Rödder Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Bonn; Honorarprofessor an der Universität zu Köln Dr. Achim Roeder, M.A. Steuerberater, Frankfurt am Main; Lehrbeauftragter an der Ruhr-Universität Bochum Klaus Schmidt Rechtsanwalt/Fachanwalt für Steuerrecht, Steuerberater, München Lehrbeauftragter an der Goethe-Universität, Frankfurt Dr. Arne Schnitger, LL.M. Steuerberater, Certified Public Accountant, Berlin Rolf Schreiber Oberregierungsrat, Sachgebietsleiter in der Groß- und Konzernbetriebsprüfung, Düsseldorf XIII

Verzeichnis der Autoren

Prof. Dr. Roman Seer Ordentlicher Professor an der Ruhr-Universität Bochum Prof. Dr. Christoph Spengel Ordentlicher Professor an der Universität Mannheim Susann van der Ham Steuerberaterin, Düsseldorf Vanessa Wagner, M.Sc. Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hamburg

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I. Laudatio

Christian Kaeser/Klaus Schmidt

Über Heinz-Klaus Kroppen

I. Am 20. Juni 2020 vollendete Heinz-Klaus Kroppen sein 60. Lebensjahr. Das ist eigentlich etwas früh, daran eine Festschrift zu knüpfen, was aber andere beurteilen sollen.1 Der 60. Geburtstag ist der Anlass für ehemalige Kollegen und Kolleginnen, Schüler, Freunde und Weggefährten, ihn als besonderen Beratertyp mit Ecken und Kanten und wissenschaftlichem Ehrgeiz und Anspruch zu würdigen. Diese Weggefährten sind Unternehmensvertreter, mit denen er zusammenarbeitete, Vertreter der Finanzverwaltung, mit denen er sich leidenschaftlich, aber respektvoll stritt, sowie Kollegen aus der Wissenschaft, mit denen er sich gerne austauschte. Wenn hier vorrangig das Perfekt als Zeitform verwendet wird, dann nur deshalb, weil Heinz-Klaus Kroppen entsprechend seines Plans im Mai 2019 seine aktive Laufbahn als Berater beendete. Und wer ihn kennt, ist nicht verwundert, dass er diesen Plan „kompromisslos“ umsetzt und sich neuen, spannenden Dingen widmen will – außerhalb der Steuerberatung. Heinz-Klaus Kroppen wurde am 20. Juni 1960 in Duisburg als Sohn des Rechtsanwalts Dr. Heinz Kroppen und der Hausfrau Elsbeth Kroppen geboren. Nach dem Abi­ tur am Landerziehungsheim Stiftung Louisenlund im Jahre 1978 begann er in Kiel Medizin zu studieren und trug sich als Gasthörer für Rechtswissenschaften ein. Schlussendlich entschied er sich, sich ganz der Rechtswissenschaft zu widmen und studierte in Hamburg und Köln weiter. Nach dem ersten Staatsexamen im Jahr 1984 verbrachte Heinz-Klaus Kroppen Stationen im Rahmen des Referendariats am Finanzgericht Düsseldorf und an der Deutsch-Koreanischen Industrie- und Handelskammer in Seoul. Zeitgleich schrieb er seine Dissertation zum Dr. jur. unter dem ­Titel „Die Haftung des Kommanditisten bei fehlender Eintragung“ über ein gesellschaftsrechtliches Problem bei Herrn Professor Dr. Manfred Lieb an der Universität zu Köln und vollendete diese 1987. Das zweite Juristische Staatsexamen legte er in Nordrhein-Westfalen 1988 ab. Daran knüpfte er 1988/89 ein Zusatzstudium zur Erreichung des „LL.M.“ an der renommierten Georgetown Universität, Washington D.C. Im Jahr 1989 trat er als Mitglied der Steuer- und Rechtsabteilung bei der damaligen Wollert-Elmendorff Deutsche Industrie-Treuhand GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft  (WEDIT), der Vorgängerin der Deloitte GmbH, am Standort Düsseldorf ein. 1993 legte er mit Bravur das Steuerberaterexamen ab, wobei es ihm offensichtliche Freude bereitete, dass er als Jurist in der Klausur zum Bilanzrecht mit besonders 1 Siehe die Einordnung von Gosch, in dieser Festschrift.

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Christian Kaeser/Klaus Schmidt

gutem Erfolg abschnitt, deutlich besser als viele seiner Mitstreiter aus dem Prüfungsbereich. Insgesamt war Heinz-Klaus Kroppen von Beginn an sehr umtriebig. Er war in der Lage, sich schnell und wirkungsvoll in seine Tätigkeit einzubringen und wurde bereits 1996 Partner der Gesellschaft. 1997 wurde er zudem geschäftsführender Gesellschafter. Dies war unzweifelhaft auf seinen Willen, Ehrgeiz und sein Können zurückzuführen. Aber jeder braucht in so einer Organisation wie einer Big Four auch etwas Förderung. Die bekam Heinz-Klaus Kroppen von Helmut Becker. Der nach wie vor agile Helmut Becker, nach seiner Erinnerung an den Einstieg und die Entwicklung von Heinz-Klaus Kroppen befragt, hat uns gerne seine Eindrücke geschildert: „Die erste Begegnung mit Kroppen war seine Bewerbung bei Deloitte. Wir haben uns sofort verstanden, und mir ist in Erinnerung geblieben, dass wir im Gespräch auch verständnisvoll gelacht haben, was bei einer Bewerbung sicherlich nicht die Regel ist. Gleichzeitig ließ er uns wissen, dass er sich erfolgreich auch bei anderen Stellen beworben habe. Auch in der Folgezeit hatte er immer eine zweite Möglichkeit in der Hinterhand. Dies ließ er mit Charme deutlich durchblicken. Kroppen zeigte sich von Beginn an als förderungswürdig. Ich war damals Chairman des International Tax Committee von Deloitte. Die bedeutenden Mitgliedsländer von Deloitte entsandten jeweils einen Steuerexperten in dieses Committee; aber auch nur einen. Für Kroppen war deshalb neben mir eigentlich kein Platz. Ich ernannte ihn aber zu meinem Secretary, wodurch er an allen Sitzungen teilnahm. Dort beteiligte er sich lebhaft und kundig an den Gesprächen, was ihm die Anerkennung der anderen Teilnehmer einbrachte. Dies trug auch dazu bei, dass er international bekannt wurde. Immer auf seine Eigenständigkeit bedacht, schuf sich Kroppen einen eigenen Mitarbeiterstab. Da er auch meine Vorliebe für Verrechnungspreise teilte, war diese Gruppe auf dieses Gebiet ausgerichtet und hatte dort beachtliche Erfolge.“

Heinz-Klaus Kroppen leitete die deutsche Steuerfunktion sowie von 2011 bis 2013 auch die Gesamtsteuerfunktion in den Regionen Europa, Mittlerer Osten und Afrika  (EMEA) von Deloitte. Gleichzeitig war er auch Leiter der Europäischen Verrechnungspreisgruppe von Deloitte. Er war hauptsächlich mit internationalen Frage­ stellungen wie z. B. grenzüberschreitenden Transaktionen, Unternehmenskäufen und Steuerangelegenheiten multinationaler Unternehmen befasst. Sein Steckenpferd war aber das Thema Verrechnungspreise. Dementsprechend baute er das Verrechnungspreisteam von Deloitte Deutschland sehr erfolgreich auf. Mit vielen seiner Mitarbeiter, die er eingestellt hat, ist er nach wie vor eng, wenn nicht sogar freundschaftlich verbunden. Auch bei der Möglichkeit, an der Universität einen Lehrauftrag zu übernehmen, leistete Helmut Becker Unterstützung. Helmut Becker hat uns berichtet: „Als Prof. Seer einen Lehrbeauftragten suchte, fragte er mich nach einer Empfehlung. Ich benannte ihm Kroppen, der damals in der Breite noch unbekannt war. Prof. Seer übernahm ihn zögerlich. Aber bereits nach einem Jahr bedankte er sich bei mir für die Empfehlung; Kroppen war bestens eingeschlagen.“

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Über Heinz-Klaus Kroppen

Ab dem Wintersemester 1997/98 hielt er folglich als Lehrbeauftragter an der Ruhr-­ Universität Bochum eine Vorlesung zum „Internationalen Steuerrecht“ und zum „Außensteuerrecht“. Zum Sommersemester 2005 wurde er zum Honorarprofessor ernannt. Auch diese Tätigkeit hat ihm von Anfang an viel Freude bereitet. Viele seiner späteren Kollegen sind durch seine Vorlesung gegangen, was ihnen scheinbar nicht geschadet hat. Im Jahr 2013 kam es dann zum Umbruch. Nach einer Auseinandersetzung mit dem Vorstandssprecher von Deloitte Deutschland verließ Kroppen nach 24 Jahren seine bis dahin erste und einzige berufliche Station nach dem Studium und Referendariat. Seine Verbundenheit bis dahin zeigt auch, dass er  – trotz diverser Angebote und Möglichkeiten – kein Interesse hatte, sich von seinem ersten Arbeitgeber wegzubewegen. Das diese Loyalität jäh beendet wurde, lag nicht an ihm. So kam es, dass er 2014 als Tax Partner bei der PricewaterhouseCoopers in Düsseldorf einstieg. Er suchte umso mehr die neue Herausforderung und brachte sich mit vollem Einsatz – wie nicht anders zu erwarten – ein, auch wenn er 2013 schon seine aktive Laufbahn als Berater hätte beenden können. Aber so wollte er schlicht nicht „von der Bühne treten“. Bei PwC galt seine volle Konzentration dementsprechend zunächst der Mandantenarbeit. Er übernahm bei PwC jedoch zusätzlich Führungsaufgaben im Management, so wurde er im Frühjahr 2017 Leiter des Deutschlandgeschäfts von PwC Legal. Kurz zuvor war er an die weltweite Spitze von PwC Legal Global gerückt, zu dem Zeitpunkt mit einem Netzwerk von 3.200 Juristen in 90 Ländern. Heinz-Klaus Kroppen ist Mitherausgeber und Mitautor des Kroppen/Rasch „Handbuch Internationale Verrechnungspreise“, einem dreibändigen Loseblattwerk und wohl einem der führenden Werke auf diesem Gebiet. Er ist ebenfalls Mitherausgeber und Mitautor des Gosch/Kroppen/Grotherr/Kraft „DBA Kommentars“. Schließlich ist er auch Mitherausgeber der Zeitschrift „Internationale Wirtschafts-Briefe“ (IWB). Neben seinen beruflichen Verpflichtungen war Heinz-Klaus Kroppen u. a. Mitglied des Steuerausschusses der Amerikanischen Handelskammer in Deutschland und lange Jahre Mitglied im Vorstand der IFA Deutschland sowie des Gesprächskreises Rhein-Ruhr Internationales Steuerrecht e.V. Von 2001 bis 2011 war er zudem ständiges Mitglied als Vertreter der Wirtschaft des EU Joint Transfer Pricing Forums. Dass er eine Vielzahl von Artikeln für deutschsprachige wie internationale Fachzeitschriften veröffentlicht hat, belegt das Schriftenverzeichnis am Ende dieser Festschrift. Neben vielen anderen Veröffentlichungen hat ihn besonders die Aufgabe erfreut, den Generalbericht des Subject 1 “Cross-border Business Restructuring” für den IFA Weltkongress 2011 in Paris zu verfassen. Neben seiner weitgespannten beruflichen Tätigkeit ist Heinz-Klaus Kroppen aber auch durch und durch Familienmensch. Mit seiner Frau Via ist er – so viel Präzision muss sein – seit dem 27. März 1980 zusammen und seit dem 26. Mai 1990 verheiratet; ihre beiden Söhne Max, 27 Jahre, und Tim, 25 Jahre, sind längst erwachsen und gehen erfolgreich ihren Weg. Die Familienurlaube verbringen die Kroppens nach wie 5

Christian Kaeser/Klaus Schmidt

vor gerne auf ihrer Lieblingsinsel Sylt und im Winter gerne beim Skifahren. Von Sylt hat man gehört, dass HKK in früheren Jahren gerne Bollerwagen mit Literatur gefüllt hat und damit zum Strand aufgebrochen ist, um im Strandkorb die ersten Kommentierungen zu erstellen. Es ist nicht überliefert, ob das von der Familie vollumfänglich goutiert wurde, aber nachhaltigen Schaden für das Familienleben scheint es auch nicht hervorgerufen zu haben. Inzwischen verbringen die Kroppens ihre Zeit auf Sylt wohl auch mehr mit erfolgreichen Golfrunden, ohne dass man von weiteren Bollerwagen gehört hätte. Heinz-Klaus Kroppen ließ es sich auch nicht nehmen, zum Abschluss seiner beruflichen Tätigkeit noch einmal ein Ausrufezeichen zu setzen. Fast seine gesamte, drei Jahrzehnte währende Tätigkeit stand im Zusammenhang mit den Verrechnungspreisen. Daher war es nur konsequent, dass er ganz zum Schluss unter dem Eindruck der OECD Überlegungen zu Pillar 1 und Pillar 2 an der Wirtschaftsuniversität Wien auf Einladung von Michael Lang im Rahmen der Wolfgang Gassner Gedächtnisvorlesung im Frühjahr 2019 einen Vortrag zur Zukunft der internationalen Verrechnungspreise gehalten hat. Wenige Wochen vor dem Ende seiner Beratertätigkeit machte er deutlich, dass der Fremdvergleich nach seiner Auffassung als Leitprinzip für die Einkommensverteilung und Besteuerung von multinationalen Unternehmen zunehmend impraktikabel geworden sei und zu einer übermäßigen Belastung der Unternehmen sowie zu einer hohen rechtlichen Unsicherheit geführt hätte. Um eine praktikable und effiziente Besteuerung von Unternehmen sicherzustellen, sollten Anknüpfungspunkt für die Besteuerung die Umsatzrendite des Konzerns und die lokalen Umsätze sein. Für jemanden, der wie er zeit seiner beruflichen Laufbahn sowohl in der Praxis und in Wissenschaft für die Interpretation des Fremdvergleichs als dem wesentlichen und geeigneten Maßstab gekämpft hat, ein würdiger Abgang. Auch wenn einige seiner engen Weggefährten, die gerne – wohl etwas spöttisch – als „Kroppen-Boys“ beschrieben wurden, so wie zum Beispiel einer der Mitherausgeber dieser Festschrift, freundschaftlich darauf hingewiesen haben, dass mancher noch nicht in Rente gehe und der Fremdvergleich gerne noch ein paar Jahre halten könne, ließ er sich auch bei diesem „letzten Akt“ nicht beirren. Bis zum Ende der aktiven Laufbahn ist er sich somit treu geblieben und hat sich seine unabhängige Meinung bewahrt – wen kann es verwundern?

II. Wann ich Heinz-Klaus Kroppen persönlich kennenlernen durfte, weiß ich leider nicht mehr exakt, was erstaunlich ist, denn an den ersten Eindruck, den er bei mir hinterließ, erinnere ich mich sehr genau. Heinz-Klaus ist eine im wirklichen Sinne starke Persönlichkeit und verleiht dem auch selbstbewusst Ausdruck. Das fängt bei seinem Auftreten an. Stets korrekt gekleidet pflegt er den amerikanischen Power-Broker Stil, mit eher weit geschnitten Anzügen, einem Piccadilly Kragen und vor allem, ganz besonders wichtig und heutzutage eher selten, mit Hosenträgern. Ob er sein Jackett immer eher schnell ablegt, damit diese auch ausreichend gewürdigt werden können, ist hingegen schwer zu sagen. Wer sich so kleidet, muss auch entsprechend 6

Über Heinz-Klaus Kroppen

auftreten und darf sich keine Blöße leisten. Und auch insofern hat Heinz-Klaus Kroppen stets geliefert. Gerne begann er seine Beratung leicht dozierend beim Grundsätzlichen – „meinen Studenten erkläre ich das immer so, dass …“ -, erwähnt dann nonchalant, dass er mit dem aktuell diskutierten Problem schon lange auf Du und Du steht – „Dazu habe ich ja schon Anfang der Neunziger mal was publiziert“, um dann einen profunden, passenden Beratungsvorschlag abzuliefern. Die Gratisvorlesung hat man da doch gerne in Kauf genommen! Da ist es wenig verwunderlich, dass Heinz-Klaus Kroppen über die Jahre seiner Tätigkeit bei fast allen deutschen Großkonzernen ein und aus gegangen ist, und auch im M-DAX, S-DAX, dem deutschen Mittelstand und den Inbound Mandaten eine Go-to Person, insbesondere für Verrechnungspreisfragen und Verständigungsverfahren gewesen ist. Denn seine Ideen brauchten weder Hosenträger noch doppelten Boden, sondern folgten stets einer technisch einwandfreien Analyse der gesetzlichen Regelung und einer stringenten Sachverhaltssubsumtion. Erfahrung kann man eben nur erfahren. Übrigens: Wer bei Hosenträgern an den typischen Nutzer denkt, der wegen fassgleicher Taille mit einem Gürtel die Hose nicht mehr ausreichend am Herunterrutschen hindern kann und daher zu anderen Mitteln greifen muss, liegt natürlich voll daneben. Denn Heinz-Klaus Kroppen bringt kein nutzloses Gramm zu viel auf die Waage, ist perfekt austrainiert und trainiert nach Plan, ohne Wenn und Aber. Dazu passt sein auch ansonsten beneidenswert gesunder Lebensstil. Seit seiner Jugend trinkt er keinen Alkohol – ich persönlich bin natürlich versucht zu glauben, dass seine erste Berührung mit einem alkoholischen Getränk gleich so extrem ausgefallen sein muss, dass er sich lebenslangem Entzug verschrieben hat. Tatsächlich waren es aber wohl die alkoholbedingten Ausfälle seiner Altersgenossen, die ihn dazu bewogen haben müssen, sein Glück im stillen Wasser zu suchen. Komplementiert wird dies mit einem vegetarischen Ernährungsstil, den Heinz-Klaus Kroppen ebenfalls seit einer Zeit pflegt, in der es noch nicht angesagt war, den Chai Latte mit Hafermilch zu ordern und „BeyondMeat“ nicht viel zu holen war. Das Ergebnis davon ist schlicht überzeugend; so schätzte meine Lebenspartnerin, die ansonsten gerne mit Lob hinter dem Berg hält, Heinz-Klaus Kroppen auf Mitte / Ende 40, als sie ihn vor 3 Jahren kennen lernte. In die gleiche Richtung geht eine andere Erinnerung. Als wir im Sommer 2016 mit dem wissenschaftlichen Beirat von PwC Dieter Endres in dessen Ferienhaus in seinen Ruhestand verabschiedeten, wurde die ein oder andere Flasche Wein getrunken und vielleicht gab es auch ein Bier zur Erfrischung. Als ich am nächsten Morgen mit etwas dickerem Kopf den schönen Abend mit ein paar Kollegen beim (späten) Frühstück Revue passieren ließ, bemerkte ich, dass Heinz-Klaus mir um 6:30  Uhr eine SMS geschickt und mich dazu eingeladen hatte, mit ihm zusammen Steigerungsläufe zu absolvieren. Da ich wahrscheinlich in dieser Hinsicht noch nicht einmal ausgeschlafen und nüchtern für ihn satisfaktionsfähig wäre, war es allerdings auch nicht weiter schlimm, diese gut gemeinte Einladung schlicht verschlafen zu haben. Das Beispiel zeigt aber auch, dass Heinz-Klaus Kroppen schlecht stillsitzen kann. Rasten und Ruhen sind seine Sache nicht. Immer weiter muss er. Wäre er nicht Vegetarier, hätte es mich daher auch gar nicht weiter erstaunt, dass zuletzt der Jagdschein 7

Christian Kaeser/Klaus Schmidt

abgehakt werden musste. Meinen erstaunten Blick quittierte Heinz-Klaus mit dem Kommentar: „Nur weil ich Vegetarier bin, muss ich noch lange keine Tiere mögen. Ich bin Vegetarier, weil ich mich mag!“. Und wies darauf hin, wieviel Interessantes man beim Erwerb des Jagdscheins lernt, über Flora und Fauna und viele andere Dinge, denen ich bislang mit sträflicher Ignoranz begegnet war und dachte, damit gut leben zu können. Falsch gedacht. Da eine kaum enden wollende Auswahl an Lizenzen und Scheinen existiert, müssen wir uns auch keine Sorgen machen, dass es HeinzKlaus Kroppen langweilig werden könnte. Ob Hochseekapitän oder Segelflieger, Golflehrer oder Marathonläufer – nur der Horizont ist das Limit. Aber was ist nun die hervorstechendste Eigenschaft von Heinz-Klaus Kroppen, ist es die herausragende fachliche Kompetenz, der vielleicht etwas besondere Auftritt oder die absolut konsequente Abstinenz (die vegetarische Ernährung scheidet klar aus, heute kann man kaum noch als Veganer oder gar Frutarier Eindruck schinden)? Ich glaube, es ist seine Authentizität. Das ist zwar auch ein viel besungenes Modewort, nicht wegzudenken aus modernen Ratgebern zu einem besseren Leben (wer bei Amazon nach „Authentizität“ sucht, kann den Nachmittag mit der Sichtung der Ergebnisse zubringen, wobei Werke wie „Der Mai Tai trinkende Mönch und die Lehre der Authentizität“ für Heinz-Klaus naturgemäß ausscheiden), beschreibt seinen eigentlichen Bedeutungsinhalt nach aber exakt Heinz-Klaus: nach Wikipedia gilt etwas als authentisch, wenn beide Aspekte der Wahrnehmung, unmittelbarer Schein und eigentliches Sein, in Übereinstimmung befunden werden. Oder vereinfacht gesagt, wenn man auch bekommt, was man sieht. Und das ist genau das, was ich bei HeinzKlaus über die Jahre schätzen gelernt habe: er ist genauso, wie er zu sein scheint. Da ist nichts gespielt, nichts vorgeschoben, keine Effekthascherei. Es ist alles echt. Und auch wenn man da jetzt sagen mag, was soll’s, so ist das doch in unserer heutigen Instagram-getriebenen Zeit, in der Unzählige unter „FOMO“ leiden und sich, ob digital oder real, als etwas anderes gerieren wollen, als sie wirklich sind, wahnsinnig erfrischend und fast schon solitär. Und wenn dann auch noch das mit dem Schein identische Sein so hochkompetent, so unterhaltsam und schlichtweg so klasse ist, wie es bei Heinz-Klaus der Fall ist, weiß man, wieviel wert Authentizität wirklich haben kann. Und dafür danke ich Dir, mein Lieber!

III. Nach derlei fulminanten Vorreden ist es tatsächlich nicht leicht hier weitere Facetten hinzuzufügen. Aber lassen Sie mich das aus Sicht eines langjährigen Kollegen versuchen. Die bislang geschilderten Eindrücke kann ich so nur bestätigen und einige davon vermissen wir schmerzlich, seit Heinz-Klaus in den selbstgewählten Unruhestand gegangen ist.  Natürlich fehlt sein messerscharfer Verstand, mit dem er regelmäßig in unseren Management Meetings Argumente sezierte, um sie am Ende zu einer logischen Schlussfolgerung wieder zusammenzufügen. Nicht zuletzt diese Eigenschaft hat seinen Ruf als herausragender Steuerrechtler begründet und ihn zu einem unserer fachlichen Leuchttürme und PwC-Aushängeschilder, einer echten Marke im Steuerrecht ge8

Über Heinz-Klaus Kroppen

macht. Geholfen hat ihm sicherlich auch seine ausgeprägte Debattierfreude. Keine Gesprächsrunde, und fand sie noch so spät statt, ohne trefflich spitz formulierte Fragen oder Anmerkungen von ihm. In der Regel vorgetragen mit leicht verschmitztem Lächeln, um den geneigten Zuhörer auf die Fährte zu führen, während er schon drei Wegbiegungen vorausgedacht hatte.  Was mich immer wieder zutiefst beeindruckt hat, ist seine ungebrochene Begeisterungsfähigkeit und Neugier. Und wenn ihn einmal ein Thema gefangen hatte, blieb es nie nur bei Neugier, er trieb dann seine Projekte auch konsequent mit unermüdlichem und teilweise auch sehr emotionalem Einsatz voran. Von diesem ungebrochenen Elan könnte sich so manch 30-jähriger eine dicke Scheibe abschneiden. Nicht zuletzt diese Eigenschaft und sein daraus folgender Einsatz für PwC hat dazu geführt, dass Heinz-Klaus einen wesentlichen Beitrag zur Fortentwicklung unsere Firma in unterschiedlichen Rollen auf nationaler, wie auf internationaler Ebene geleistet hat. Im Gedächtnis ist mir dabei insbesondere geblieben, mit welchem Verve sich HeinzKlaus in den letzten Jahren dem Ausbau unseres globalen Legal Netzwerkes verschrieben hatte. Die leidenschaftliche Vehemenz, mit der er sich auf internationaler Ebene für diese Herzensangelegenheit einsetzte, brachte ihm unter anderem den Spitznamen „Tank Commander for Legal“ ein. Gerade aber diese Leidenschaft hat dafür gesorgt, dass Heinz-Klaus hier auch in kurzer Zeit sehr viel für uns bewegt hat und er bei seiner Übergabe voller Stolz auf das internationalste Legal Netzwerk der Welt (über 3.500 Rechtsanwälte mit Präsenz in über 100 Ländern) blicken konnte. Professionell und vorbildhaft war dabei auch die Art und Weise wie er seine Nachfolge organisiert und moderiert hat. Nicht nur, dass er (wie auch sonst immer) sehr vorausschauend agiert hat, er stand den jungen Kollegen auch jederzeit mit Rat und Tat zur Seite. Und dieser Rat wurde auch von vielen aktiv gesucht, da er nicht nur auf exzellenten Fachkenntnissen beruht, sondern eben auch auf jeder Menge Erfahrung. Heinz-Klaus hat beides sehr gerne mit jedem geteilt. Professioneller geht eine Übergabe an die nächste Generation meines Erachtens nicht! Das war ganz großes Kino und hat nicht zuletzt dadurch ein lebendes Andenken bei PwC hinterlassen! Herzlichen Dank dafür! Wir vermissen einen echt klasse Typen, mit all seinen Ecken und Kanten, die ihn zu einer herausragenden Beraterpersönlichkeit gemacht haben (und dabei musste ich die Hosenträger kein einziges mal erwähnen)! Ich bin allerdings sehr dankbar, dass uns Heinz-Klaus durch seine sportlich asketische Lebensweise unsere eigenen Unzulänglichkeiten nicht mehr tagtäglich sehr plastisch vor Augen führt. Wir wünschen ihm von Herzen mindestens weitere 40 Lebensjahre, denn, ehrlich gesagt, ist Heinz-Klaus einer der wenigen, dem ich die 100 Jahre aufgrund seiner Lebensweise ernsthaft zutraue und den ich mir auch noch mit über 80 Jahren auf jeder Skipiste der Welt gut vorstellen kann. Lieber Heinz-Klaus, bleib das Original, das du bist, und möge Dein Wunsch in Erfüllung gehen, künftig weniger Fachliteratur zu lesen! Deine beliebte Einleitung „Ich hab das ja auch schon früher mal ….“ verliert ja deswegen nicht notwendigerweise an Relevanz. 9

Dieter Endres/Christoph Spengel

Deutschland im internationalen Steuerwettbewerb: Konsequenzen der US-Steuerreform und Handlungsperspektiven des deutschen Gesetzgebers Inhaltsübersicht I. Einführung II. Steuerentwicklungen im Ausland 1. Steuerreform in den USA 2. Maßnahmen in anderen Ländern I II. Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland 1. Steuerbelastungsvergleich in der OECD 2. US-Outbound-Investitionen in Europa 3. Deutsche Investitionen in den USA

IV. Mögliche Wege zum Schritthalten im Standortwettbewerb 1. Reaktionsbedarf auf schlechte Aussichten 2. Senkung der Tarifbelastung 3. Strukturelle Reformansätze 4. Ergänzende Handlungsoptionen a) Steuerliche Forschungsförderung b) Beschleunigte Abschreibung V. Fazit: Wenn später einmal, warum nicht jetzt?

I. Einführung „Great dancers are not great because of their technique, they are great because of their passion.“ Dieses Zitat von Marthe Graham in einer Heinz-Klaus Kroppen gewidmeten Festschrift zu finden, mag niemanden verwundern, der die Überzeugungskraft des Jubilars bei Vorträgen, Diskussionsrunden oder der Gremienarbeit erleben durfte. Mit seiner Spezialisierung auf das internationale Steuerrecht und namentlich das Gebiet der Verrechnungspreise hat Heinz-Klaus Kroppen hohe wissenschaftliche Reputation erworben und gilt zu Recht als eine der gefragtesten Beraterpersönlichkeiten für größere und international verbundene Unternehmen. Die Autoren durften sein Wirken über viele Jahre und in mannigfaltigen Konstellationen verfolgen. Im Rückblick auf die geschätzte Zusammenarbeit lag es nahe, zu Ehren des Jubilars einen Beitrag zur Stellung Deutschlands im internationalen Steuerwettbewerb zu verfassen – ein Thema, das dem rheinländischen Steuerexperten immer ein wichtiges Anliegen war und ihn vermutlich auch jenseits des 60. Geburtstags weiter beschäftigen wird.

II. Steuerentwicklungen im Ausland 1. Steuerreform in den USA Bei seinen Bestrebungen, Amerika wieder großartig zu machen, scheut Donald Trump auch vor außerordentlichen Initiativen nicht zurück. Zwar scheiterte er mit dem Versuch, Dänemark die weitgehend unerschlossene Arktisinsel Grönland abzu13

Dieter Endres/Christoph Spengel

kaufen. Mehr Erfolg konnte er aber im Bereich der Unternehmensbesteuerung verbuchen. Mit dem am 22.12.2017 vom US-Präsidenten unterzeichneten „Tax Cuts and Jobs Act“ haben die USA die vielleicht größte Steuersenkung aller Zeiten für Unternehmen auf den Weg gebracht.1 „Make America great again“- ganz im Sinne von Trump’s Wahlkampfslogan haben die USA mit der Steuerreform 2018 viel Boden im internationalen Steuerwettbewerb gut gemacht. Mit ihrer Zielsetzung, der Erhöhung von Wirtschaftswachstum und Steuersubstrat in den USA bei gleichzeitiger Vereinfachung des Besteuerungsregimes, betrifft die US-Reform etliche Bereiche des US-Steuerrechts. So kommt es auch bei der Einkommensbesteuerung natürlicher Personen und bei der Erbschaftsteuer zu nicht zu vernachlässigenden Änderungen.2 Das zentrale Element der Reform findet sich aber im Bereich der Unternehmensbesteuerung. Zu dem Maßnahmenpaket, das den Investitionsstandort USA attraktiver machen soll, zählen insbesondere folgende Neuerungen:3 – die drastische Senkung des landesweiten (federal) Körperschaftsteuersatzes um 14 Prozentpunkte von vormals 35% auf 21%; – die Abschaffung der neben der Körperschaftsteuer parallel zu berechnenden „Alternative Minimum Tax“, die eine Mindestbesteuerung auf künstliche Verluste ­sicherstellen sollte; – eine Sofortabschreibung von Investitionen für qualifizierende Investitionsgüter, soweit die Anschaffungen nach dem 27.9.2017 und bis zum 31.12.2022 erfolgen; – die Einführung eines Freistellungssystems für die Erfassung von qualifizierenden Dividenden ausländischer Tochtergesellschaften (Territorialitätsprinzip anstelle der bisherigen Besteuerung unter Anrechnung von Auslandssteuern); – die Einführung eines sehr weitreichenden Präferenzregimes für im Ausland erwirtschaftete Einkünfte aus immateriellen Quellen („Foreign-Derived Intangible Income“), also einer Patentbox. Das FDII-Regime bewirkt eine Niedrigbesteuerung von anfänglich 13,125% (bzw. 16,406% ab dem Jahr 2026) aus der ausländischen Verwertung von Immaterialgütern durch US-Unternehmen. Insbesondere zur Missbrauchsabwehr und damit zum Schutz des Steueraufkommens der USA stehen diesen Steuersenkungsinitiativen auch verschiedene steuerverschärfende Maßnahmen gegenüber. Dazu zählen neue Abzugsbeschränkungen für Zins­ aufwendungen und bestimmte Aufwendungen für „importierte“ konzern­interne Leistungen („Base Erosion and Anti-Abuse Tax“).

1 Vgl. Bärsch/Spengel/Olbert, DB 2018, 1815; Hey in Hey/Härtwig (Hrsg.), US-Steuerreform: Der Tax Cuts and Jobs Act 2017, 2019, S. 1 ff. 2 Vgl. Loose, PIStB 2018, 44; Jarass/Tokman/Wright, IStR 2018, 240 ff. 3 Vgl. u.a. Endres/Freiling, PIStB 2018, 74 ff.; Schreiber/von Hagen/Pönninghaus, StuW 2018, 240 ff.

14

Deutschland im internationalen Steuerwettbewerb

Für die nachhaltige Stärkung des Wirtschaftsstandorts USA im Rahmen des „Tax ­Cuts and Jobs Act“ fallen in einem Zehnjahreszeitraum geschätzte Kosten von 1,455 Bil­lionen USD an. Obwohl die Reform auch zahlreiche Erleichterungen und (befristete) Steuersatzreduktionen für natürliche Personen vorsieht, entfallen circa zwei Drittel der geschätzten Kosten auf die Stärkung des Unternehmenssektors. Sie bewirken erhebliche Investitionsanreize. 2. Maßnahmen in anderen Ländern Die Bestrebungen, die steuerlichen Rahmenbedingungen eines Landes für dessen Attraktivität als Wirtschaftsstandort zu verbessern, beschränken sich keinesfalls auf die USA, sondern sind auch in anderen Industrieländern zu verspüren. Insgesamt ist innerhalb der OECD ein sich verschärfender Steuerwettbewerb mit einem eindeutigen Trend zur Senkung der KSt-Sätze zu verzeichnen, was u.a. jüngste Steuersatzsenkungen in Belgien, Luxemburg, Norwegen und Schweden belegen.4 Etliche Nachbarstaaten wie Dänemark, Frankreich5, die Niederlande, Österreich, die Schweiz oder das Vereinigte Königreich haben Steuerreformen oder den Abbau struktureller Besteuerungsdefizite auf der Agenda. China befreit rückwirkend ab 2017 im Land reinvestierte Gewinne von der Steuer. Auch (oder gerade) finanziell angeschlagene Staaten wie Italien und Griechenland planen, mithilfe von Steuererleichterungen für Investitionsanreize zu sorgen. Die Konkurrenz schläft also nicht, auch wenn die Signalwirkung aus einigen der genannten Staaten für die deutschen Unternehmen deutlich geringer als im Fall USA ausfallen mag. Wenn aber, was kaum zu bestreiten ist6, die steuerlichen Rahmenbedingungen Einfluss auf Standort- und Investitionsentscheidungen nehmen, lassen diese Entwicklungen in anderen Ländern keine guten Aussichten für die Positionierung Deutschlands im internationalen Steuerwettbewerb vermuten.

III. Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland 1. Steuerbelastungsvergleich in der OECD Nicht wenige Staaten versuchen, insb. Produktionsunternehmen durch Gewährung von Subventionen oder Steuervorteilen bei sich anzusiedeln.7 Der Rückgriff auf das 4 Vgl. Schreiber/von Hagen/Pönnighaus (Fn. 3), 241; Wissenschaftlicher Beirat beim BMF, Stellungnahme zur US-Steuerreform 2018: Steuerpolitische Folgerungen für Deutschland, 2019, S. 7 f. 5 Die französische Regierung hat für 2022 einen Steuersatz von 25% für alle Unternehmen angekündigt. Vgl. FAZ v. 28.9.2019, 22. 6 Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 8.  Aufl., 2016, S.  169  ff.; Wissenschaftlicher Beirat beim BMF (Fn. 4), S. 11 ff. 7 So Kroppen/Rasch in Kroppen/Rasch (Hrsg.), Handbuch der Verrechnungspreise, OECD, Kap. IX, Anm. 425, mit Kommentierung der mit steuerlichen Standortvorteilen verbundenen Verrechnungspreisfragen.

15

Dieter Endres/Christoph Spengel

steuerliche Instrumentarium zur Schaffung von Standortvorteilen ist nicht neu. Auch über einen längeren Zeitraum lässt sich ein eindeutiger Trend zur Steuersenkung belegen. So zeigt der Blick auf die OECD-Statistiken, dass der durchschnittliche Steuersatz aller OECD-Staaten im Jahr 2001 noch bei etwa 32,6% lag, während für das Jahr 2019 die Durchschnittsgröße lediglich 23,6% beträgt.8 Deutschland rangiert bei den aktuellen Daten mit einem Steuersatz von gut 31%9 – gemeinsam mit Frankreich – am obersten Ende der Tabelle, wohingegen die USA mit der Steuerreform 2018 und einem daraus resultierenden Gesamtsteuersatz10 von unter 26% einen deutlichen Sprung nach vorne geschafft hat. Am anderen Ende der Skala finden sich mit der Schweiz und dem Vereinigten Königreich wichtige Anlageländer, die mit Deutschland um Investitionen konkurrieren (siehe Tabelle 1). Tabelle 1: Kombinierte Gewinnsteuersätze von Kapitalgesellschaften in der OECD (2019) Land

Ungarn

Körperschaft­ steuersatz inkl. ­ ationaler Zuschläge n

Lokale ­Gewinnsteuern

Kombinierter ­Gewinnsteuersatz

9,00

9,00

Irland

12,50

12,50

Litauen

15,00

15,00

Tschechische Republik

19,00

19,00

Polen

19,00

19,00

Slowenien

19,00

19,00

Vereinigtes Königreich

19,00

19,00

Estland

20,00

20,00

Finnland

20,00

20,00

Island

20,00

20,00

Lettland

20,00

20,00

Slowakei

21,00

21,00

Schweiz

6,70

14,45

21,15

Schweden

21,40

21,40

Dänemark

22,00

22,00

Norwegen

22,00

22,00

8 Vgl. Schreiber/von Hagen/Pönninghaus (Fn. 3), 241. Die durchschnittliche Gesamtsteuerbelastung in der EU liegt bei 21,7% (2018). Vgl. BDI, Steuerpolitische Prioritäten 2018–2021, S. 6. 9 Einbezogen sind KSt, SolZ und GewSt mit einem Hebesatz von 451%. 10 Bei unterstellter state tax von 6%.

16

Deutschland im internationalen Steuerwettbewerb Lokale ­Gewinnsteuern

Kombinierter ­Gewinnsteuersatz

Land

Körperschaft­ steuersatz inkl. ­ ationaler Zuschläge n

Türkei

22,00

22,00

Israel

23,00

23,00

Luxembourg

18,19

Österreich

25,00

25,00

Chile

25,00

25,00

Niederlande

25,00

25,00

Spanien

25,00

25,00

Kanada

15,00

11,80

26,80

Vereinigte Staaten

21,00

6,00

25,74

Korea

25,00

2,50

27,50

Italien

23,91

3,90

27,81

Griechenland

28,00

28,00

Neu Seeland

28,00

28,00

Belgien

29,58

29,58

Japan

22,39

Australien

30,00

30,00

Mexiko

30,00

30,00

Portugal

30,00

1,50

31,50

Deutschland

15,83

15,79

31,62

Frankreich

32,02

OECD Durchschnitt

21,65

7,80

23,60

EU 28 Durchschnitt

20,06

5,61

22,06

6,75

7,35

24,94

29,74

32,02

Deutschland gerät somit im weltweiten Steuerwettbewerb deutlich ins Hintertreffen und verliert als Standort an Attraktivität.11 Welche Auswirkungen die Positionierung Deutschlands als Hochsteuerland hat, wird nachfolgend für Investitionen von Steuerausländern in Deutschland und für deutsche Unternehmen mit Outbound-Investitionen untersucht. Als Beispielsfall zum Vergleich der Standortbedingungen sollen wieder die USA dienen. 11 Vgl. Spengel, DB 2019, Nr. 31, M4.

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Dieter Endres/Christoph Spengel

2. US-Outbound-Investitionen in Europa Betrachtet man zunächst die Konstellation, bei der ein US-Unternehmen in Europa investiert, so führt der mit der US-Steuerreform verabschiedete Übergang von der Anrechnungs- zur Freistellungsmethode zum Anreiz, möglichst niedrig belastete Auslandsgewinne zu erzielen. Durch dieses Territorialitätsprinzip wird die Steuerbelastung der Auslandsinvestition ausschließlich vom ausländischen Steuerniveau bestimmt, so dass es für die US-Konzernspitze aus steuerplanerischer Sicht vorteilhaft ist, die europäischen Aktivitäten in Niedrigsteuerländern wie etwa Irland zu tätigen.12 Dies gilt sowohl für Neuinvestitionen wie auch für die eventuelle Verlagerung bestehender Investitionen aus Hochsteuerländern (wie Deutschland). Logische Konsequenz beim innereuropäischen Kampf um ausländische Investitionen ist die Verschärfung des Steuerwettbewerbs. Entscheidet sich der US-Investor aus übergeordneten Gesichtspunkten („trotz der Steuerbelastung“) für das Tätigwerden in Deutschland, so wird er hierbei dennoch das Steuersatzgefälle zwischen den USA und Deutschland im Blick haben. Dieses hat sich durch die US-Steuerreform 2018 deutlich zugunsten der USA verschoben. Vor diesem Hintergrund wird es Überlegungen geben, Tätigkeiten in Deutschland abzuschmelzen und Teile der Wertschöpfung in den USA oder in Niedrigsteuerländern zu erbringen. Zu diesem Szenario gehört auch der Gedanke, die hohe deutsche Steuerbelastung durch Fremdfinanzierung der Investition oder Dienstleistungsentgelte zu reduzieren. Generell droht Deutschland somit die Abwanderung bzw. zumindest ein geringerer Zufluss von Wertschöpfung und damit der Verlust von Arbeitsplätzen und Steuersubstrat.13 3. Deutsche Investitionen in den USA Investieren deutsche Unternehmen in den USA, so unterliegen die Gewinne der US-Tochterkapitalgesellschaft dem US-Körperschaftsteuertarif (zzgl. einer eventuellen Staatensteuer). Werden die nach Abzug der US-Steuern verbleibenden Nettogewinne an die deutsche Muttergesellschaft ausgeschüttet, so fällt nach Art. 10 Abs. 3 DBA D/USA keine Dividenden- Quellensteuer an.14 Bei der deutschen Mutterkapi­ talgesellschaft ist die Dividende nach § 8b Abs. 1 KStG steuerbefreit, wobei allerdings nach § 8b Abs. 5 KStG 5% der Dividenden als nicht abzugsfähige Betriebsausgaben gelten. Nur insoweit kommt es zur Belastung mit Gewerbesteuer, Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag.15 Entscheidet sich die deutsche Mutterkapitalgesellschaft dagegen für eine Fremdkapitalfinanzierung der US-Investition, unterliegen die Zinszahlungen bei unterstellter Abzugsfähigkeit in den USA vollständig der Belastung mit 12 Vgl. Bärsch/Olbert/Spengel (Fn. 1), 1819. 13 Vgl. Spengel/Heinemann/Olbert et al., Analysis of US Corporate Tax Reform Proposals and their Effects for Europe and Germany, 2018, S. 28 ff. 14 Zu den Voraussetzungen des Nullsatzes vgl. Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA Deutschland/ USA, 2009, Kommentierung zu Art. 10. 15 In der nachfolgenden Berechnung wird die Belastung – bei einem angenommenen Gewerbesteuerhebesatz von knapp über 400% – mit 30% angesetzt.

18

Deutschland im internationalen Steuerwettbewerb

Gewerbesteuer, Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag. Kalkuliert man in einem Beispielsfall für eine Investition in Nevada (keine Staatssteuer) die Steuerbelastung vor und nach der US-Steuerreform, so zeigt sich folgendes Ergebnis (Tabelle 2): Tabelle 2: Eigen- und Fremdfinanzierung einer deutschen Investition in den USA Vor US-Steuerreform Besteuerung in den USA

Nach US-Steuerreform

EK

FK

EK

FK

100,00

100,00

100,00

100,00

0,00

–100,00

0,00

–100,00

Gewinn

100,00

0,00

100,00

0,00

US-Steuer (35%/21%)

–35,00

0,00

–21,00

0,00

Dividende (5% steuerpflichtig)

3,25

0,00

3,95

0,00

Zinsen

0,00

100,00

0,00

100,00

Deutsche Steuer (30%)

–0,98

–30,00

–1,19

–30,00

Nettoertrag

64,02

70,00

77,81

70,00

Steuerquote

35,98%

30,00%

22,19%

30,00%

EBIT Zinsen

Dividende Besteuerung in Deutschland

Die Steuerquote für das US-Investment fällt aufgrund der US-Steuersatzsenkung ab dem Jahr 2018 im Fall der Eigenkapitalfinanzierung um 13,79 Prozentpunkte16 auf 22,19% – eine signifikante Reduktion! Dagegen bleibt die Steuerquote bei der Fremdkapitalfinanzierung unverändert bei 30%, womit unter steuerlichen Gesichtspunkten die Gewinnentstehung in den USA nunmehr generell günstiger als in Deutschland ist. Mit dem Tax Cuts and Jobs Act haben sich die unternehmenssteuerlichen Rahmenbedingungen in den USA massiv verbessert und sorgen für erhebliche Investitionsanreize. Gerade in einer Festschrift für einen Verrechnungspreisexperten wie Heinz-Klaus Kroppen darf an dieser Stelle nicht der zusätzliche Hinweis fehlen, dass das Umkippen der Belastungsschaukel (vor der US-Steuerreform war die Belastung in Deutschland niedriger, danach höher) auch Auswirkungen auf das gegenseitige Leistungsangebot und damit das Volumen an Verrechnungspreisen hat. War es vor 2018 beispielsweise grundsätzlich sinnvoll, der US-Tochtergesellschaft Fremdkapital zu überlassen, um so die Steuerarbitrage zugunsten Deutschlands zu nutzen (die Zins­ 16 Vgl. auch die Berechnungen bei Endres/Freiling, PIStB 2018, 76  ff. sowie Bärsch/Olbert/ Spengel (Fn. 1), 1816.

19

Dieter Endres/Christoph Spengel

aufwendungen führten in den USA zu einer höheren Entlastungswirkung im Vergleich zur Belastungswirkung der Zinserträge in Deutschland, siehe Tabelle 2), so haben sich auch diese Überlegungen gedreht. In der Konsequenz droht Deutschland somit nicht nur der Verlust von Steuersubstrat durch die Abwanderung von Investitionen in die USA, sondern auch durch das geringere Volumen von nach Deutschland fließenden Zinsen, Lizenzgebühren und Dienstleistungsentgelten. Die US-Steuerreform entfaltet ihre gewünschte Sogwirkung! Mit Blick auf Direktinvestitionen aus dem Hochsteuerland Deutschland in das aus deutscher Sicht niedriger besteuernde Land USA dürften verschiedene steuerverschärfende Maßnahmen im Zuge der US-Steuerreform, wie neue Abzugsbeschränkungen für Zinsaufwendungen und bestimmte Aufwendungen für „importierte“ konzerninterne Leistungen („Base Erosion and Anti-Abuse Tax“), somit weniger gravierend sein. Allerdings ist auch in diesen Fällen der Steuerplaner gefragt. Zum einen haben die USA im Gegenzug zur Senkung des KSt-Satzes eine Zinsabzugsbeschränkung eingeführt, die der deutschen Zinsschranke sehr ähnlich ist.17 Demnach sind Nettozinsaufwendungen, d.h. die Zinserträge übersteigende Zinsaufwendungen, nur bis zu 30% des „adjusted taxable income“ abzugsfähig, das im Wesentlichen dem steuerlichen EBITDA entspricht, ab dem Jahr 2022 aber nur noch dem steuerlichen EBIT. Für deutsche Investitionen in US-Tochterkapitalgesellschaften dürfte diese neue Zinsabzugsbeschränkung allerdings weniger gravierend sein, da, wie gerade gezeigt, aufgrund der enormen KSt-Satzsenkung in den USA die Eigenkapitalfinanzierung deutlich attraktiver als die Fremdkapitalfinanzierung geworden ist.18 Zum anderen wurde im Zuge der US-Steuerreform mit der „Base Erosion and Anti-Abuse Tax“ (BEAT) eine neue Mindeststeuer für US-Gesellschaften eingeführt, die den Import von bestimmten konzerninternen Leistungen, wie z.B. Dienstleistungen, betrifft.19 Unter die BEAT fallen US-Unternehmen mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mindestens 500 Mio. USD. Außerdem müssen die Aufwendungen aus schädlichen Zahlungen des US-Unternehmens an verbundene ausländische Unternehmen mindestens 3% (bzw. 2% bei Finanzunternehmen) der gesamten steuerlich abzugsfähigen Zahlungen betragen. Werden diese Voraussetzungen erfüllt, sind in einer Schattenrechnung die Aufwendungen aus den schädlichen Zahlungen an verbundene ausländische Unternehmen dem zu versteuernden Einkommen des US-Unternehmens hinzuzurechnen. Die BEAT wird sodann anhand des so angepassten zu versteuernden Einkommens ermittelt und mit einem Steuersatz von 5% (2018), 10% (2019–2025) und 12,5% (ab 2026), der bei Finanzunternehmen um jeweils 1 Prozentpunkt erhöht wird, multipliziert. Sie ist insoweit zu entrichten, wie sie die reguläre Körperschaftsteuer des betreffenden US-Unternehmens übersteigt. Das Ausmaß dieser zusätzlichen Steuerbelastung hängt entscheidend davon ab, welche 17 Vgl. Pöschke in Hey/Härtwig (Fn. 1), S. 65 ff. 18 Vgl. Bärsch/Olbert/Spengel (Fn. 1), 1820. 19 Vgl. Kempelmann in Hey/Härtwig (Fn. 1), S. 179 ff.; Mouldi/Schmidt in Gosch/Schnitger/ Schön (Hrsg.), Festschrift für Jürgen Lüdicke, 2019, S. 499 ff.

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Zahlungen als schädlich („base erosion payments“) einzuordnen sind. Dies sind grundsätzlich Dienstleistungsentgelte, Lizenzgebühren und Zinsen sowie Abschreibungen für konzernintern erworbene Wirtschaftsgüter. Im Ergebnis führt die BEAT-Regelung zu einer Mindeststeuer dergestalt, dass die Aufwendungen aus schädlichen Zahlungen an verbundene ausländische Unternehmen teilweise steuerlich nicht abziehbar sind. Gleichzeitig wird Doppelbesteuerung ausgelöst, da die Zahlungen beim empfangenden ausländischen Unternehmensteil der Besteuerung unterliegen. Dies gilt unabhängig davon, ob die betreffenden Verrechnungspreise fremdüblich sind oder nicht. Somit führt die BEAT schneller und direkter zum Ergebnis von aus US-Sicht angestrebten, pauschalen Verrechnungspreiskorrekturen. Im Ergebnis unterwirft die BEAT konzerninterne Leistungsbeziehungen, die von Konzerneinheiten außerhalb der USA in die USA erbracht werden, einer Zusatzsteuer. In Anbetracht des aus deutscher Sicht beträchtlichen Steuersatzgefälles zugunsten der USA ist deshalb zu überlegen, ob zukünftig nicht (Teile der) Wertschöpfungsketten in den USA aufgebaut bzw. dorthin verlagert werden.20

IV. Mögliche Wege zum Schritthalten im Standortwettbewerb 1. Reaktionsbedarf auf schlechte Aussichten Der Anpassungsbedarf im deutschen Unternehmenssteuerrecht ist offensichtlich – es gilt, die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts zu verbessern und so Deutschland für Investitionen attraktiver zu machen. Insbesondere aufgrund der US-Steuerreform, aber auch aufgrund des generell festzustellenden Trends zur Senkung der Körperschaftsteuersätze in anderen Industrienationen ist mit einer Zunahme deutscher ­Investitionen im Ausland sowie einer Verlagerung von Geschäftsaktivitäten und Gewinnen zu rechnen. Schätzungen des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und der Universität Mannheim zufolge könnte es in Deutschland allein durch die US-Steuerreform zu einem Nettoabfluss an Direktinvestitionen in die USA von etwa 32 Mrd. Euro kommen.21 Keine guten Aussichten – aber wie betont der österreichische Schriftsteller Ernst Ferstl: „Selbst aus schlechten Aussichten lassen sich gute Einsichten gewinnen“. Es bedarf an Maßnahmen, welche die Abwanderung von mobilem Kapital und mobilen Gewinnen weniger attraktiv machen und die Zuwanderung fördern.22 Wie Deutschland auf den enormen steuerpolitischen Handlungsdruck reagieren kann, um nicht zum Verlierer im Steuerwettbewerb zu werden, sollen die nachfolgenden Wege zur Reform der Unternehmensbesteuerung aufzeigen.

20 Siehe auch Mouldi/Schmidt (Fn. 19), S. 500. 21 Vgl. Spengel/Heinemann/Olbert et al. (Fn. 13), S. 28 ff. Gleichwohl gibt es bei solchen komplexen Schätzungen zahlreiche Unwägbarkeiten. Vgl. dazu Wissenschaftlicher Beirat beim BMF (Fn. 4), S. 4 ff. 22 Vgl. Schreiber in Droege/Seiler (Hrsg.), Eigenständigkeit des Steuerrechts, 2019, S. 215, 229.

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2. Senkung der Tarifbelastung Orientieren sich multinational operierende Unternehmen bei ihren Investitions- und Standortentscheidungen in erster Linie an den einfach festzustellenden Tarifbelastungen, bietet sich zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland eine Angleichung in Form einer Reduzierung der überdurchschnittlich hohen deutschen Tarifbelastung an.23 Allerdings sind gerade Tarifreformen aufgrund der Interdependenzen zwischen Körperschaftsteuer und Einkommensteuer sowie der schier unreformierbar erscheinenden Gewerbesteuer24 in Deutschland zugegebenermaßen besonders schwierig. Auch die zur Jahresmitte 2019 um einen Gesetzes­ entwurf von Finanzminister Scholz entflammte Diskussion über die Abschaffung des Solidaritätszuschlags hat gezeigt, dass Unternehmen derzeit keine gute Lobby in Berlin haben. Während nach den Plänen der Bundesregierung 90% der Zahler entlastet werden sollen, sollen Kapitalgesellschaften und Gewerbetreibende den (verfassungsrechtlich zweifelhaften) Solidaritätszuschlag in Höhe von 5,5% auf die Ein­ kommen- und Körperschaftsteuer weiter leisten; d.h. sie bleiben bei der geplanten Teilabschaffung gänzlich unberücksichtigt. Die schwierige Kontroverse um den So­ lidaritätszuschlag verdeutlicht auch, dass die grundsätzlich zu begrüßende Haushaltsdisziplin wohl allenfalls nahezu aufkommensneutrale Initiativen zulässt25, was die Skepsis in Bezug auf steuerpolitischen Fortschritt verfestigt. Dennoch – um günstige steuerliche Rahmenbedingungen für Investitionen und Wachstum zu schaffen, ist die Steuerbelastung der Gewinne von Kapitalgesellschaften auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau zu senken. Hierfür ist insbesondere eine Senkung des KSt-Satzes geeignet.26 Insoweit bietet sich eine Reduktion um 5 Prozentpunkte auf einen Satz von 10% an.27 Gleichzeitig ist auch der Solidaritätszuschlag für alle abzuschaffen.28 Damit würde Deutschland mit einer Gesamtbelastung von etwa 25% wenigstens in die Nähe des OECD-Durchschnitts von 23,6% rücken, aber immer noch deutlich über dem EU-28 Durchschnitt von 22,06% liegen (siehe Tabelle 1). Die fiskalischen Auswirkungen einer solchen Steuersatzreduktion sollten aufgrund des geringen Anteils der Körperschaftsteuer am Gesamtsteueraufkommen

23 Vgl. Jacobs (Fn. 6), S. 170. 24 Der letzte Versuch einer Reform der Gewerbesteuer scheiterte im Jahr 2011 mangels Einigkeit in der Gemeindefinanzkommission. 25 Das Manuskript wurde vor Ausbruch der Corona-Pandemie und den daraus resultierenden Steuerinitiativen abgeschlossen. Die Einstellung zur Staatsverschuldung hat sich seitdem überholt. 26 So auch Schreiber/von Hagen/Pönninghaus (Fn. 3), 238. 27 So auch der Vorschlag des Wissenschaftlichen Beirats beim BMF (Fn. 4), S. 5, 15. Schreiber/ von Hagen/Pönninghaus (Fn.  3), 248, gehen mit ihrer Forderung auf eine Senkung des KSt-Satzes auf 6% weiter, um Deutschland mit einer Gesamtbelastung von etwa 20% noch attraktiver zu halten. 28 Die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags – und nicht, wie von der Bundesregierung beabsichtigt, nur für 90% aller Steuerzahler – fordert auch der Sachverständigenrat. Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2019/20, Rz. 122, 241.

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überschaubar bleiben und durch positive Investitionswirkungen (inkl. der Verhinderung von Investitionsabflüssen) sogar kompensiert werden.29 Im Interesse der Rechtsformneutralität der Unternehmensbesteuerung sollte eine Senkung des KSt-Satzes auch Konsequenzen für den Thesaurierungssatz des §  34a EStG für nicht entnommene Gewinne von Einzelunternehmen und Gesellschaftern von Personengesellschaften auslösen. Dieser Satz von derzeit 28,25% sollte ebenfalls auf 25% gesenkt werden. Darüber hinaus müsste zur Verbesserung der Rechtsformneutralität der Thesaurierungssatz auf den gesamten Gewinn vor Steuern gewährt werden und nicht – wie bisher – lediglich auf den nichtentnommenen Gewinn.30 Eine weitere Folgeanpassung an eine Tarifreduktion bei der Körperschaftsteuer hat im Außensteuergesetz zu erfolgen. Dort gibt § 8 Abs. 3 AStG für das Vorliegen einer niedrigen Besteuerung im Ausland eine Ertragsteuerbelastung von weniger als 25% vor. Bei einem eigenen Steuerniveau von etwa 25% erscheint es unausweichlich, die Brandmarkung als Niedrigsteuerland niedriger anzusetzen. Als Zielgröße bietet sich die Höhe des deutschen KSt-Satzes an. Bei Unterlassung einer solchen Korrektur wäre nach der US-Steuerreform auch bei Investitionen in den USA zu prüfen, ob nicht das Tätigwerden in einer Steueroase die Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung gebietet.31 Der Vorschlag, per Tarifreduktion an der Körperschaftsteuer anzusetzen, basiert auf der Annahme des fortbestehenden Nebeneinanders von Körperschaft- und Gewerbesteuer. Der vorzugswürdigen Lösung einer grundlegenden Reform der Gemeindefinanzen mit Abschaffung oder Umgestaltung der problematischen Gewerbesteuer begegnen noch erheblichere Bedenken bezüglich der steuerpolitischen Umsetzbarkeit.32 Mit der alleinigen Reduktion des Körperschaftsteuersatzes würde die Körperschaftsteuer marginalisiert bzw. – anders herum ausgedrückt – die Gewerbesteuer sogar an relativer Bedeutung gewinnen, so dass die Hebesatzdifferenzen zwischen den Gemeinden zunehmende Relevanz für die Standortentscheidungen bekämen.33 Gemeinden mit niedrigen Sätzen würden dagegen auch international mobile Betriebe anziehen.

29 Vgl. Bärsch/Olbert/Spengel (Fn. 1), 1824; zu Schätzungen der Aufkommenswirkungen vgl. auch Wissenschaftlicher Beirat beim BMF (Fn. 4), S. 24 ff. 30 So auch Wissenschaftlicher Beirat beim BMF (Fn. 4), S. 21. 31 Der Referentenentwurf zum ATAD-Umsetzungsgesetz vom 10.12.2019 enthält zwar Änderungsvorschläge für die Hinzurechnungsbesteuerung, die überfällige Senkung der Niedrigbesteuerungsgrenze ist aber nicht vorgesehen. Es bleibt damit bei 25%, da ausweislich der Begründung kein nationaler Vorgriff auf Abstimmungen der OECD über die Einführung einer globalen Mindestbesteuerung erfolgen soll. Vgl. hierzu z.B. Spengel/Ludwig, TPI 2019, 261 f. 32 Siehe nachfolgend Abschnitt 3. 33 Zu Auswirkungen und Lösungsvorschlägen vgl. Schreiber/von Hagen/Pönninghaus (Fn. 3), 250 f.

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3. Strukturelle Reformansätze Gilt die Gewerbesteuer als steuerpolitisches Hemmnis auf dem Weg zu einem international wettbewerbsfähigen Steuersystem, so ist zunächst zu hinterfragen, wie bei ihrem Fortbestehen unerwünschte Belastungswirkungen eliminiert werden können. Hierfür bieten sich einerseits eine Senkung der Gewerbesteuermesszahl (§ 11 Abs. 2 GewStG) oder eine Verringerung ihrer Bemessungsgrundlage, insbesondere durch einen Abbau substanzbesteuernder Elemente, an. Solche Forderungen dürften aber – ohne weitere Kompensationsmaßnahmen – am Widerstand der Kommunen scheitern. Andererseits werden Entlastungen im Zusammenspiel mit der Einkommenund Körperschaftsteuer gefordert. Der diesbezügliche Maßnahmenkatalog umfasst die Wiedereinführung der Abzugsfähigkeit der Gewerbesteuer als Betriebsausgabe, die Verbesserung der Anrechnung der Gewerbesteuer bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb bzw. die Einführung einer Anrechnung auch bei Kapitalgesellschaften (analog § 35 EStG). Die Entlastungseffekte solcher Maßnahmen könnten aber minimiert werden, sollten die Kommunen die sinkenden Belastungen mit Einkommenund Körperschaftsteuer durch höhere Hebesätze bei der Gewerbesteuer konterkarieren. Aus diesem Grund ist die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie34 unlängst ins Spiel gebrachte Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Körperschaftsteuer – statt der wie hier geforderten Senkung des KSt-Satzes – nicht zielführend. Denn in diesem Fall hätten die Gemeinden nur geringe Anreize, ihre GewSt-Hebesätze wettbewerbsfähig zu halten.35 Als vorzugswürdige Lösung bleibt der Weg, die Gewerbesteuer in einem grundlegenden Systemwechsel möglichst aufkommensneutral in die Ertragsteuern zu integrieren. Die Modernisierung des Systems der Kommunalfinanzen sollte dadurch erfolgen, dass die Gewerbesteuer durch einen Zuschlag zur Einkommen- und Körperschaftsteuer ersetzt wird.36 Die unmittelbare Anknüpfung an deren Bemessungsgrundlagen hätte einen signifikanten Vereinfachungseffekt.37 Das Recht zur Festlegung der Höhe des Zuschlagssatzes sollte der jeweiligen Gemeinde zustehen. Vorschläge zur Ausgestaltung der lokalen Zuschlagsteuer, die auf bestehenden Steuern aufbaut, liegen seit längerer Zeit u.a. vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung,38 der Stiftung Marktwirtschaft39 und dem DWS-Insti-

34 Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, 4 Kernelemente für eine umfassende Unternehmenssteuerreform vom 15.11.2019, (https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Down​ loads/0-9/4-kernelemente-fuer-eine-umfassende-unternehmenssteuerreform.pdf?__blob​ =​publicationFile&v=8). 35 Vgl. auch Schreiber/von Hagen/Pönninghaus (Fn. 3), 251. 36 So auch die Forderung von BDI/VCI, Die Steuerbelastung der Unternehmen in Deutschland, 2017/2018, S. 28. 37 Vgl. auch Hey, FAZ v. 8.2.2019, 16. 38 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2000/01, Rz. 374 ff. 39 Vgl. Stiftung Marktwirtschaft, Verstetigung der Kommunalfinanzen – Das aktualisierte Konzept der „Kommission Steuergesetzbuch“, 2010.

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tut vor.40 Durch den neuerdings verschärften internationalen Steuerwettbewerb könnten diese Ideen neue Aktualität und Attraktivität gewinnen. Ihre Umsetzung kann aber nur gelingen, wenn den Kommunen ausreichend Finanzierungsalternativen angeboten werden. Mit der möglichen Verbreiterung der Bemessungsgrundlage im Wege einer kommunalen Zuschlagsteuer sollte dies nicht ausgeschlossen sein. Weitergehende Reformansätze stellen auch das traditionelle Zusammenspiel von Einkommen- und Körperschaftsteuer in Frage. So liegen seit längerer Zeit von der Stiftung Marktwirtschaft das Konzept einer Allgemeinen Unternehmensteuer41 und vom Sachverständigenrat/MPI/ZEW der Vorschlag einer Dualen Einkommensteuer42 vor. Die Allgemeine Unternehmensteuer stellt die Rechtsformneutralität der Besteuerung in das Zentrum der Betrachtung, vermag sie aber nicht zu verwirklichen.43 Verglichen damit geht das Konzept einer Dualen Einkommensteuer deutlich weiter, es geht um die Sicherstellung von Finanzierungsneutralität der Besteuerung.44 Die Duale Einkommensteuer unterscheidet zunächst zwischen einer weiterhin progressiven Besteuerung von Arbeitseinkommen – im Wesentlichen handelt es sich dabei um Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit – und einer niedrigeren, proportionalen Besteuerung von Kapitaleinkommen. Das proportional besteuerte Kapitaleinkommen ist dabei sehr weit gefasst und umfasst neben Gewinnen von Kapitalgesellschaften und einkommensteuerpflichtigen gewerblichen Einkünften von Personenunternehmen auch Einkünfte aus Kapitalvermögen und aus Vermietung und Verpachtung. In der Dualen Einkommensteuer entspricht der KSt-Satz somit dem Steuersatz auf Zinsen, weshalb einbehaltene Gewinne von Kapitalgesellschaften, d.h. die Selbstfinanzierung, und die (Gesellschafter-) Fremdfinanzierung identisch belastet sind. Darüber hinaus bleiben Dividenden sowie Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften (Beteiligungsfinanzierung) beim einkommensteuerpflichtigen Gesellschafter in Höhe einer marküblichen Verzinsung der (fortgeführten) Anschaffungskosten der Anteile steuerfrei. Insoweit, d.h. für die Grenzinvestition, ist also auch Neutralität zwischen Selbst-, Beteiligungs- und Fremdfinanzierung gewährleistet.45 Das vorherrschende System der Abgeltungsteuer ist deshalb mit der Dualen Einkommensteuer kompatibel, weshalb die Abgeltungsteuer auch beibehalten werden sollte.46 Ausgeschüttete Gewinne von Kapitalgesellschaften sowie Veräu40 Vgl. DWS-Arbeitskreis Steuerrecht, Vorschlag einer kommunalen Einkommen- und Körperschaftsteuer, 2010. 41 Vgl. Stiftung Marktwirtschaft, Kommission Steuergesetzbuch: Steuerpolitisches Programm, 2006 (https://www.stiftung-marktwirtschaft.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/Steuer​ politisches-Programm-Druckfassung.pdf). 42 Vgl. Schön/Schreiber/Spengel/Wiegard, Reform der Einkommens- und Unternehmensbesteuerung durch die Duale Einkommensteuer, BMF Schriftenreihe Bd. 79, 2006. 43 Vgl. Schön/Schreiber/Spengel/Wiegard (Fn. 42), S. 11 ff. 44 Siehe jüngst auch Schreiber in Droege/Seiler (Hrsg.), Eigenständigkeit des Steuerrechts, 2019, S. 216 ff., 242 f. 45 Gleiches gilt für die Gewinne einkommensteuerpflichtiger Personenunternehmen durch eine entsprechende Anpassung des ESt-Tarifverlaufs. Vgl. Schön/Schreiber/Spengel/Wiegard (Fn. 42), S. 29 f. 46 Vgl. auch Fuest/Spengel, Wirtschaftsdienst 2016, 83 ff.

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ßerungsgewinne, welche die marktübliche Verzinsung der (fortgeführten) Anschaffungskosten der Anteile hingegen überschreiten, werden nochmals voll mit dem Satz der Kapitaleinkommensteuer besteuert. Unterstellt man einen Satz der Kapitaleinkommensteuer von 25%, unterliegen Dividenden und Veräußerungsgewinne, welche die marktübliche Verzinsung übersteigen, einer proportionalen Gesamtbelastung von 43,75%,47 die sehr nahe am derzeitigen Spitzensatz der Einkommensteuer von 45% liegt. Der wesentliche Vorzug einer Dualen Einkommensteuer liegt in der Flexibilität der Steuertarife.48 So lässt sich zum Schritthalten im internationalen Steuerwettbewerb die Kapitaleinkommensteuer relativ einfach – und ohne Folgekorrekturen auf anderen Ebenen – senken. Es ist aber im derzeitigen politischen Umfeld nur schwer vorstellbar, wie eine solch grundlegende Reform auf den Weg gebracht werden sollte. Die in den Vorschlägen verarbeiteten Leitideen verdienen aber allemal ihre Reflektierung in künftig notwendigen Reformschritten. 4. Ergänzende Handlungsoptionen a) Steuerliche Forschungsförderung Neben einer Tarifsenkung und der ambitionierten Reform der Steuersystematik bietet sich als ergänzende Handlungsoption zum Schritthalten im Steuerwettbewerb die Einführung einer steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung (FuE) an. Gerade für Deutschland als Staat ohne nennenswerten natürlichen Ressourcen ist die Ansiedlung von FuE ein zentrales Thema. Um aber in einem zukunftsträchtigen „Land der Ideen“ Wachstumsimpulse setzen zu können, bedarf es entsprechender innovationsfreundlicher Rahmenbedingungen, zu denen auch das Steuerrecht zählt. Betrachtet man die steuerlichen Rahmenbedingungen im Ausland, so werden spezifische steuerliche Anreize in 30 von 35 OECD-Staaten und 21 von 28 EU-Staaten angeboten.49 Die Ausgestaltung der Förderinstrumente variiert dabei von Land zu Land. Die Mehrzahl der Maßnahmen setzt an der Aufwandsseite (dem FuE-Input), einige aber auch beim Ertrag (dem FuE-Output) an. Die letztgenannten Maßnahmen betreffen damit nur erfolgreiche FuE-Projekte, da alleine der Rückfluss aus Lizenzgebühren auf Patente berücksichtigt wird. Solche Patent- und Lizenzboxen, die grundsätzlich den Nexus-Anforderungen der OECD entsprechen, führen mit besonderen Steuersatzreduktionen zu einer Schedularisierung der Unternehmensbesteuerung.50

47 43,75% = Körperschaftsteuer 25% + Einkommensteuer auf Dividende (100 – 25) * 25%. 48 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim BMF, Flat Tax oder Duale Einkommensteuer? Zwei Entwürfe zur Reform der deutschen Einkommensbesteuerung, 2004, S. 13 f. 49 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim BMF (Fn. 4), S. 21. Vgl. auch Spengel et al., Steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung (FuE) in Deutschland, 2009, Anlagen 1–3; Endres, Musterfälle zum internationalen Steuerrecht, 2016, S. 306 ff. Zum neuen FDII-Regime in den USA, einer Patentbox mit einem Vorzugssteuersatz von 13,125%, siehe oben Gliederungspunkt I.1. 50 Deshalb kritisch zu IP-Boxen als Instrument der steuerlichen FuE-Förderung Spengel in Lüdicke/Schnitger/Spengel, Besteuerung internationaler Unternehmen, 2016, S. 420 ff.

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Wird Deutschland aber von ausländischen Präferenzsystemen umgeben und gibt es ein von der OECD diesbezüglich abgestecktes Level Playing Field, so muss Deutschland – sei es mit einer Steuergutschrift, sei es mit einer Lizenz-/Patentbox – die Initiative ergreifen. Dies gilt umso mehr aufgrund des Bestehens etlicher innovationshemmender Vorschriften (wie z.B. den Regelungen zur Funktionsverlagerung, der gewerbesteuerliche Hinzurechnung von Lizenzaufwand, den restriktiven Verlustabzugsbeschränkungen), die einer attraktiven Besteuerung von international mobilen Gewinnen aus Immaterialgütern entgegenwirken. Ob die unlängst mit Wirkung ab dem Jahr 2020 geltende Forschungszulage51 auf im FuE-Bereich anfallende Löhne und Gehälter über ein bloßes Signal hinausgeht, sei dahingestellt. Die Forschungs­ zulage beträgt 25% der Bemessungsgrundlage, wobei die Bemessungsgrundlage auf 2 Mio. Euro pro Anspruchsberechtigtem und Jahr begrenzt ist. Damit ergibt sich eine maximale jährliche Förderung von 0,5 Mio. Euro, weshalb die Forschungszulage in erster Linie FuE-Investitionen in kleinen und mittleren Unternehmen begünstigt. b) Beschleunigte Abschreibung Neben dem in diesem Beitrag präferierten Ansatz bei den Steuersätzen lassen sich steuerliche Anreize auch durch eine gezielte Verringerung der Bemessungsgrundlage erzielen. So könnte in Ergänzung einer Tarifreduktion, der als wichtigster Indikator für die Steuerbelastung eine große Signalwirkung zukommt, auch über eine Verbesserung der Nachsteuerrendite durch verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten nachgedacht werden. Diesen Weg schlägt auch der US Tax Cuts and Jobs Act ein, der als eine Anreizmaßnahme eine Sofortabschreibung für qualifizierende Wirtschaftsgüter im Jahr der Anschaffung vorsieht.52 Die „bonus depreciation“ gilt für Anschaffungen innerhalb eines (geringfügig verlängerten) Fünfjahreszeitraums bis Ende 2022. Auch in der deutschen Steuerhistorie ist der Rückgriff auf die beschleunigte Abschreibung oder auf Sonderabschreibungen durchaus kein Ausnahmefall. Abschreibungsanreize zur Verbesserung der Investitionsbedingungen gab und gibt es insbesondere im Wohnungsbau.53 Aber auch zur Förderung kleiner und mittlerer Betriebe wird das Instrumentarium der Abschreibung eingesetzt.54 Beschleunigte Abschreibungen bewirken durch das Vorziehen von Abzugsbeträgen Zins- und Liquiditätsvorteile und sind ein taugliches Mittel als Wachstumsimpuls in Rezessionsphasen. Sie könnten somit eine unternehmensfreundlichere Tarifpolitik verstärken, wobei Gewinnermittlungsbegünstigungen gerade im internationalen Umfeld deutlich weniger Ausstrahlung haben als das Senken der Steuersätze.55 51 Vgl. Gesetz zur steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung vom 8.11.2019, Bundesrat-Drucksache 553/19.  Siehe auch Haase/Kuen/Nonnenmacher, ifst-Schrift 532, 2019. 52 Vgl. Gsödl/Schmid, ifst-Schrift 524, 2018, S. 11 53 Man denke an die 50%-ige Sonder-AfA für Ost-Immobilien oder die Begünstigungen für Baudenkmale oder Sanierungen (§ 7 i EStG). 54 Vgl. § 7g EStG. 55 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim BMF (Fn. 4), S. 22 f.

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V. Fazit: Wenn später einmal, warum nicht jetzt? Im deutschen Unternehmenssteuerrecht herrscht seit längerer Zeit Stillstand der Rechtspflege. Zuletzt beinhalteten das Steuersenkungsgesetz 2001 mit der Umstellung des Anrechnungsverfahrens auf das Halbeinkünfteverfahren und die Unternehmenssteuerreform 2008 mit der Tarifentlastung für Körperschaftsteuerpflichtige von 25% auf 15% und der Neuregelung der Dividendenbesteuerung (u.a. mit der Abgeltungsteuer für Kapitaleinkünfte im Privatvermögen) wirtschaftsfreundliche Tendenzen.56 Seitdem scheint der strukturelle Reformeifer erloschen. Vielmehr konzentrierte sich die deutsche Steuerpolitik im letzten Jahrzehnt vor allem auf die Ziele der Missbrauchsabwehr,57 auf Initiativen für mehr Steuergerechtigkeit (Stichwort BEPS) und Maßnahmen zur fiskalisch orientierten Verbreiterung der Bemessungsgrundlage. Auch die von Deutschland in den letzten Jahren proaktiv begleiteten Maßnahmen auf EU- und G20/OECD-Ebene gehen in die falsche Richtung, will man das Steuerklima für Investoren verbessern.58 Derweil geht es in der Praxis mit der gewohnten Änderungsfrequenz durch kleinteilige Neujustierungen weiter, weitab eines großen Wurfs. In dieses Bild passt auch die jüngste Initiative von Finanzminister Scholz zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer.59 Vielleicht war bisher, auch angesichts ordentlicher Konjunkturdaten, die Zeit nicht reif für eine Auflösung des Reformstaus. Angesichts der zunehmenden Dynamik des internationalen Steuerrechts besteht jetzt aber Handlungsbedarf, will man nicht weiter schleichend an Boden im steuerlichen Standortwettbewerb um reale Aktivitäten verlieren. Insbesondere durch die Steuerreform in den USA droht eine Abwanderung von Investitionen, aber auch in etlichen anderen wichtigen Ländern wird die 25% als Obermarke für die Unternehmenssteuerbelastung zur magischen Quote. Deutschland kann mit diesen Entwicklungen nicht konkurrieren und findet sich mit einer Gewinnbelastung von gut 30% im Abseits eines Hochsteuerlands wieder. Hierzu­ lande tut man sich mit einer steuerstandortpolitischen Strategie im Hinblick auf die  Bedürfnisse der Wirtschaft schwer; der Spagat zwischen der Steuerpolitik als Wachstumsmotor einerseits und Fiskalerfordernissen und Verteilungsgerechtigkeit andererseits erscheint als zu schwere Aufgabe. Die Haushaltsdisziplin wird zum Verweigerungsargument schlechthin.60

56 Allerdings sorgte die UStR 2008 mit ihren konterkarierenden Gegenfinanzierungsmaßnahmen auch für massive Verkomplizierungen und Verschärfungen. 57 Wie zuletzt die Anzeigepflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen, vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen vom 4.11.2019, Bundestag-Drucksache 19/14685.  58 Vgl. Spengel (Fn. 11). 59 „Steuerpolitische Schritte in die falsche Richtung sind auch dann falsch, wenn sie klein sind.“ So der Präsident des ifo-Instituts in München, Clemens Fuest, zur geplanten Finanztransaktionssteuer. Vgl. Fuest, FAZ v. 12.12.2019, 16. 60 Vgl. Hey (Fn. 37).

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Deutschland im internationalen Steuerwettbewerb

Dennoch – der Anpassungsbedarf ist offensichtlich. Mit den USA und Frankreich hat Deutschland die letzten relevanten Hochsteuergefährten verloren.61 Im Interesse des Investitionsstandorts muss Deutschland jetzt den Wettbewerb annehmen und das Ruder des Handelns wiederentdecken. Wege zum Schritthalten mit der sich rund um den Globus verändernden Steuerlandschaft bieten aufgrund ihrer Signalwirkungen insbesondere Tarifreformen. Auch in Deutschland sollte die 25%-Quote zur Zielvorgabe für die Unternehmenssteuerbelastung werden, was zumindest eine Senkung des Körperschaftsteuersatzes auf 10% und eine vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags voraussetzt. Ergänzend können ein neues System der Forschungsförderung und Verbesserungen bei den Abschreibungsbedingungen Wachstumsimpulse geben. Weitergehende Reformansätze hinterfragen die jetzige Form der Gewerbesteuererhebung, die zunehmend zum Hemmnis auf dem Weg zu einem international wettbewerbsfähigen Steuersystem wird. Eine Modernisierung des Systems der Kommunalfinanzen könnte dadurch erfolgen, dass die Gewerbesteuer durch einen Zuschlag zur Einkommen- und Körperschaftsteuer ersetzt wird. Den Vorschlägen zum grundlegenden Umbau der Steuersystematik in eine Duale Einkommensteuer begegnet – bei allen theoretischen Vorzügen – Skepsis bezüglich der Reformbereitschaft. Sicherlich ist dies auch einem gewissen Pragmatismus angesichts schwieriger politischer Machtverhältnisse und dem – außerhalb der Corona-Maßnahmen geltenden – Dogma der Aufkommensneutralität geschuldet.62 Dennoch stehen in etlichen Gremien – mit Rückenwind von Wirtschaftsminister Altmaier63 – auch solche Reformmodelle auf der Agenda. Gleichzeitig wird anerkannt, dass ein „Weiter so“ nicht ausreicht. Mit dem Ausschluss des „Weiter so“ und dem Einstellungsbedarf auf eine neue Handlungssituation finden sich verblüffende Parallelen für die Situation des mit dieser Festschrift zu Ehrenden und den anstehenden Herausforderungen der Steuerpolitiker. Heinz-Klaus Kroppen wird fraglos neue Pläne voller Tatendrang ins Visier nehmen und seine Wunschliste umsetzen. Die Steuerpolitiker möge die in der Überschrift angesprochene Frage von Aurelius Augustus zu ebensolcher zeitnaher Aktion motivieren: „Wenn später einmal, warum nicht jetzt?“. Und weise fügt Augustus eine zweite Frage hinzu: „Und wenn nicht jetzt, wie dann später einmal?“ Die Wirtschaft hofft auf Antworten.

61 Vgl. Hey (Fn. 37). 62 Vgl. Endres/Stellbrink, StuW 2012, 104. 63 Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (Fn. 34).

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Wolfgang Haas

Notwendige Modernisierung des Unternehmenssteuerrechts in Deutschland Inhaltsübersicht I. Einführung II. Besonderer Handlungsbedarf aufgrund der Corona-Krise III. Grundlegender Modernisierungsbedarf im Unternehmenssteuerrecht IV. Verdeutlichung des Handlungsbedarfs anhand von Beispielen 1. Korrespondenzprinzip bei der Steuerfreistellung von Gewinnausschüttungen

2. Abzugsverbot für Gewinnminderungen aus Gesellschafterdarlehen in Fremd­ währung 3. Einlagenrückgewähr einer EU-Tochtergesellschaft 4. Modernisierung der Thesaurierungs­ begünstigung V. Fazit

I. Einführung Die Steuerpolitik der Bundesregierung gibt bis heute keine adäquate Antwort auf die sich abschwächende Konjunktur und den sich verschärfenden internationalen Steuerwettbewerb. Der nominale Gesamtsteuersatz der Unternehmen bestehend aus ­Gewerbesteuer, Körperschaftssteuer und Solidaritätszuschlag liegt in Deutschland mittlerweile im Durchschnitt bei 31,3 Prozent1 und in Ballungszentren mit höheren Hebesätzen sogar noch darüber. Bei der effektiven Steuerbelastung zeichnet sich ein ähnliches Bild. Die steuerliche Bemessungsgrundlage wurde mit der Unternehmenssteuerreform 2008 als Gegenfinanzierung der Steuersatzsenkung deutlich ausgeweitet und hat in den darauffolgenden Jahren noch eine zusätzliche Verbreiterung er­ fahren. Damit ist Deutschland im internationalen Vergleich und innerhalb der OECD zum Höchststeuerland geworden. Der deutsche Gesetzgeber muss sich dringend dem internationalen Steuerwettbewerb stellen, um langfristig Schaden vom Standort abzuwenden. Ziel sollte es sein, die steuerliche Gesamtbelastung der Unternehmen auf ein international vergleichbares Niveau von maximal 25 Prozent zu senken. Seit der Unternehmenssteuerreform 2008 gab es keine nennenswerten steuerlichen Entlastungen für die Unternehmen und keine strukturellen Verbesserungen des Unternehmenssteuerrechts. Selbst der Solidaritätszuschlag wurde nur halbherzig für einen Teil der Steuerzahler abgeschafft, und Kapitalgesellschaften wurden hiervon ausgeschlossen. 1 OECD, Combined corporate income tax rate, für Deutschland mit durchschnittlichem GewSt-Hebesatz von 442 % (2019, ab 50.000 Einwohner), Januar 2020 (https://stats.oecd. org/index.aspx?DataSetCode=Table_II1.).

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Wolfgang Haas

II. Besonderer Handlungsbedarf aufgrund der Corona-Krise Der im nachfolgenden exemplarisch aufgezeigte Reformbedarf besteht seit langem und verliert seine Bedeutung nicht während der aktuellen Corona-Krise. Im Gegenteil, gerade in der Krise zeigen sich die Schwächen des gegenwärtigen Steuerrechts besonders deutlich. Hier gilt es, unnötige bürokratische Hürden abzubauen, um den Unternehmen die Konzentration auf die Krisenbewältigung zu erlauben. Ferner müssen unsachgemäße steuerliche Belastungen revidiert werden. Und schließlich sollte das Steuerrecht als effektives Instrument zur Liquiditätssicherung genutzt werden. Der nachfolgende Beitrag fokussiert sich auf die bereits seit längerem bestehenden, strukturellen Schwachstellen und verzichtet auf eine systematische Darstellung der zur Bewältigung der Corona-Krise notwendigen spezifischen Steuerrechtsänderungen. Als Pars pro Toto soll an dieser Stelle nur auf die dringend notwendige Reform der Behandlung von Verlusten hingewiesen werden. Das deutsche Steuerrecht enthält äußerst restriktive Regeln für die Verlustverrechnung. Die Beschränkung des Verlustrücktrags auf 1 Mio. Euro2 und der durch die sogenannte Mindestbesteuerung des § 10d Absatz 2 EStG auf 60 Prozent des Gesamtbetrages der Einkünfte beschränkte Verlustvortrag sind alles andere als krisenfeste Regelungen. In der gegenwärtigen Krise erhalten zahlreiche notleidende Unternehmen staatliche Darlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau. So hilfreich diese Kredite zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen sind, dürften etliche von der Krise besonders hart betroffene Unternehmen dauerhaft nicht in der Lage sein, diese zurückzuzahlen. Will man diese Unternehmen erhalten, werden staatliche Zuschüsse vielfach unvermeidlich sein. Eine Alternative hierzu wäre eine auch von führenden Ökonomen ins Gespräch gebrachte negative Einkommenssteuer oder eine Liberalisierung der Regelungen zum Verlustrücktrag und zum Verlustvortrag. Ein der Höhe nach unbegrenzter Verlustrücktrag könnte Unternehmen in die Lage versetzen, im Jahr 2019 geleistete Steuervorauszahlungen bereits während des laufenden Jahres 2020 zurück zu erhalten, und damit einen signifikanten Beitrag zu einer dauerhaften Liquiditätssicherung leisten. Zu denken wäre auch an eine Erweiterung des Verlustrücktragszeitraums zum Beispiel auf fünf Jahre. Ähnlich vorteilhaft wäre auch eine der Höhe nach unbegrenzte Verlustverrechnung in die Zukunft. Während gegenwärtig ein Unternehmen aufgrund der Mindestbesteuerung bereits wieder Steuern zahlen muss, bevor die Verluste zu 100 Prozent durch Gewinne kompensiert würden, führte ein unbeschränkter Verlustvortrag zu einer deutlich besseren Stabilisierung der betroffenen Unternehmen. Aus fiskalischer Sicht bedeuten Steuerausfälle infolge unbeschränkter Verlustverrechnungsmöglichkeiten keinen zusätzlichen Einnahmeausfall, sondern nur deren zeitliche Verschiebung. Bedenken wegen erheblicher Steuerausfälle unter Verweis auf die hohen bestehenden Verlustvorträge kann leicht begegnet werden, indem die vorgeschlagene Erweiterung der Verlustverrechnungsmöglichkeiten auf Verluste beschränkt wird, die aus den mutmaßlichen Krisenjahren 2020 und 2021 herrühren. Damit einhergehende temporäre Einnahmeausfälle kann Deutschland am Kapitalmarkt praktisch zinslos oder zu negativen Zinsen ohne Belastung des Bundeshaus2 Bzw. 5 Mio. Euro für 2020 und 2021 nach dem Zweiten Corona-Steuerhilfegesetz v. 29.6.2020, BGBl Jg 2020, Teil 1 Nr. 31, S. 1512.

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Notwendige Modernisierung des Unternehmenssteuerrechts in Deutschland

halts zwischenfinanzieren. Leider sind diesbezügliche Vorschläge im Finanzministerium nicht auf fruchtbaren Boden gefallen. Wahrscheinlich fällt es dort schwer, nach mehr als einer Dekade ausschließlich restriktiver Steuerpolitik, umzudenken.

III. Grundlegender Modernisierungsbedarf im Unternehmens­ steuerrecht Nach jahrelangem Streben, tatsächlichen oder nur vermeintlichen steuerlichen Gestaltungsmissbrauch einzudämmen, ist nun ein Paradigmenwechsel erforderlich und die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Unternehmenssteuerrechts muss wieder in den steuerpolitischen Blick genommen werden. Es gilt, den Kurs der überbordenden steuerlichen Abwehrgesetzgebung zu verlassen und eine Modernisierung der Ertragsbesteuerung einzuleiten. Neben der dringend überfälligen Steuersatzsenkung sollte die Struktur des Unternehmenssteuerrechts grundlegend reformiert und europatauglich und zukunftsfähig ausgestaltet werden. Allem voran muss endlich die ­politische Kraft aufgebracht werden, den Dualismus zwischen Gewerbesteuer und Körperschaftsteuer/Einkommenssteuer zu überwinden und eine einheitliche, europataugliche und international wettbewerbsfähige Unternehmenssteuer zu entwickeln. Die Gewerbesteuer hat durch zahlreiche Modifikationen längst ihren Objektsteuercharakter verloren und zeigt sich heute de facto vielmehr als eine Steuer auf das Einkommen. Die Integration in die Einkommensbesteuerung ist allerdings unvollständig, so dass sich zum Beispiel aufgrund der fehlenden Anrechenbarkeit auslän­ discher Körperschaftssteuer systemwidrige Doppelbelastungen ergeben. Als Bei­ spiele seien hier die mangelnde Anrechenbarkeit von ausländischer Quellensteuer oder ausländischer Körperschaftssteuer im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung nach dem Außensteuergesetz genannt. Selbst vermeintlich einfache, wünschenswerte steuerpolitische Vorhaben wie eine Unternehmenssteuersatzsenkung gestalten sich wegen der Gewerbesteuer vergleichsweise schwierig, da unter Umständen Körperschaftssteuersätze von unter 10 Prozent erforderlich wären, um eine wettbewerbsfähige Steuerbelastung zu erzielen – die Erweiterung der Anrechenbarkeit ausländischer Quellensteuern auf die Gewerbesteuer vorausgesetzt. Unbeschadet des immer dringlicher werdenden Bedarfs für den großen Wurf – die Integration der Gewerbesteuer in eine einheitliche Unternehmenssteuer  – gibt es unabhängig zusätzlich zu Steuersatzsenkungen wesentliche strukturelle Mängel im jetzigen System, die zu einer unangemessenen Besteuerung von Unternehmen führen. Diese Mängel sind dem Bundesfinanzministerium und dem Gesetzgeber seit langem bekannt, und man nähert sich eher zögerlich dieser Thematik. Dies ist umso erstaunlicher, als viele der Maßnahmen mutmaßlich, wenn überhaupt, nur eine geringe Aufkommensauswirkung nach sich zögen. Bereits die Unternehmenssteuerreform 2008 diente primär der Senkung des Körperschaftsteuersatzes und dessen Gegenfinanzierung, nicht aber einer verbesserten Steuersystematik. Die eingeführten Gegenfinanzierungsmaßnahmen wie die Zinsschranke des § 4h EStG oder die gewerbesteuerlichen Hinzurechnungen des §  8 GewStG sind bis heute problematisch. Eingriffe in die steuerliche ­Bemessungsgrundlage und weitere gesetzgeberische Maßnahmen wie die kürzlich geschaffene Regelung des §  8d KStG zum fortführungsgebundenen Verlustvortrag 33

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im Kontext des teilweise verfassungswidrigen §  8c KStG3 zeigen keine strukturelle Systematik. Die Handlungsmaxime des Gesetzgebers ist vielmehr seit Jahren eine Missbrauchsvermeidungsstrategie, die sich an Einzelfällen orientiert, die als missbräuchlich empfunden werden. Aus dem Missbrauchsfall wird dann der Regelfall der Besteuerung abgeleitet. Bei dieser Vorgehensweise sind Kollateralschäden durch überschießende Wirkung von Missbrauchsvermeidungsnormen praktisch vorprogrammiert. Die Vielzahl dieser Regelungen macht das deutsche Steuerrecht aus Sicht der Steuerpflichtigen zu einem Minenfeld. Die nachfolgende Darstellung greift einige dieser Vorschriften auf, ist aber alles andere als erschöpfend. Neben dem notwendigen Abbau der strukturellen Schwächen des deutschen Steuerrechts besteht dringender Handlungsbedarf bei der Höhe der Unternehmenssteuerbelastung. Mit einem kombinierten, nominellen Steuersatz von knapp 32 Prozent für Kapitalgesellschaften in größeren Kommunen ist Deutschland nach einer Welle von Steuersatzsenkungen in zahlreichen Ländern zu einem Höchststeuerland geworden.4 Notwendig und von hoher Signalwirkung ist eine Senkung des Körperschaftssteuertarifs, gegebenenfalls auch in Stufen, um im internationalen Vergleich wieder wettbewerbsfähig zu werden. Entsprechend könnte für die Personengesellschaften eine Entlastung über eine weitere Anhebung des Faktors zur Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer (§  35 EStG)5 oder eine Senkung der Thesaurierungsbelastung (§ 34a EStG) erfolgen. Als Zielgröße sollte dabei eine Gesamtbelastung für Körperschafts- bzw. Einkommenssteuer in Höhe von maximal 25 Prozent angestrebt werden. Flankierend dazu sollte eine Modernisierung bzw. Überarbeitung bestehender Regelungen dazu beitragen, zukünftige Investitionsentscheidungen zugunsten des Standorts Deutschland zu erleichtern und den Standort Deutschland als Unternehmenssitz langfristig attraktiv zu halten. Hierzu sollten zunächst für Kapitalgesellschaften Änderungen von einzelnen Vorschriften des Körperschaftsteuerrechts erfolgen, um steuerliche Hemmnisse bei Unternehmen abzubauen. Reformbedarf besteht insbesondere bei Regelungen, die betriebswirtschaftlich sinnvolle Schritte, wie zum Beispiel Umstrukturierungen, verhindern und Rechtsunsicherheiten für Unternehmen hervorrufen. Bei Personengesellschaften ist dringend eine Modernisierung der Thesaurierungsbegünstigung (§ 34a EStG) erforderlich. Es spricht Bände, dass die Möglichkeit der Thesaurierungsbegünstigung in der Praxis kaum genutzt wird. Die derzeit in der Politik − nicht zum ersten Mal6 − diskutierte Einführung einer Option zur Körperschaftssteuerpflicht für Personengesellschaften ist ebenfalls zu begrüßen.

3 BVerfG Beschl. v. 29.3.2017 − 2 BvL 6/11, DStR 2017, S. 1094 ff.; Hörhammer, DStR 2019, S. 847 ff. 4 OECD „Corporate Tax Statistics – First Edition”: Der durchschnittliche nominelle Ertragsteuersatz in 94 Staaten lag im Jahr 2018 bei 21,4% verglichen mit 28,6% im Jahr 2000. 5 Anhebung von 3,8 auf 4,0 durch Zweites Corona-Steuerhilfegesetz v. 29.6.2020, BGBl Jg 2020, Teil 1 Nr. 31, S. 1512. 6 Bereits § 4a KStG-E im Entwurf eines Gesetzes zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung v. 15.2.2000, BT-Drs. 14/2683.

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IV. Verdeutlichung des Handlungsbedarfs anhand von Beispielen Die nachfolgenden Beispiele sollen exemplarisch den Handlungsbedarf bei der Modernisierung des Unternehmenssteuerrechts verdeutlichen. 1. Korrespondenzprinzip bei der Steuerfreistellung von Gewinnausschüttungen Durch die Einführung des Korrespondenzprinzips des § 8b Absatz 1 Sätze 2–4 KStG hat der Gesetzgeber die Steuerbefreiung von Dividenden und verdeckten Gewinnausschüttungen (vGA) nach § 8b Absatz 1 Satz 1 KStG in Fällen einer fehlenden steuerlichen Vorbelastung bzw. bei einer Minderung der Einkünfte der ausschüttenden Gesellschaft praktisch ausgeschlossen. Das dient fiskalpolitisch verständlich der Vermeidung weißer Einkünfte oder Qualifikationskonflikte, hat aber im Einzelfall eine erhebliche überschießende Wirkung. Als allgemein bekanntes Beispiel seien Umwandlungsvorgänge ausländischer Tochtergesellschaften in Drittsaaten genannt. Wird zum Beispiel zwischen zwei argentinischen Tochtergesellschaften einer deutschen Konzernmuttergesellschaft nach argentinischem Umwandlungssteuerrecht zu Buchwerten ein Betriebsteil ohne steuerpflichtige Aufdeckung von stillen Reserven im Wege einer Spaltung übertragen, ist dieser Vorgang in Deutschland mangels der ­Geltung des deutschen Umwandlungssteuerrechts nach allgemeinen steuerlichen Grundsätzen zu beurteilen.7 Danach handelt es sich um eine Vermögensübertragung im Dreiecksverhältnis, bei der das Vermögen der übertragenden Gesellschaft im Wege der vGA an die deutsche Konzernmutter übertragen wird, die anschließend in die aufnehmende Gesellschaft eine verdeckte Einlage leistet. Die damit verbundene vGA fällt grundsätzlich unter die Steuerbefreiung des § 8b Absatz 1 Satz 1 KStG, die allerdings mangels steuerlicher Vorbelastung bei der Tochtergesellschaft gemäß § 8b Absatz 1 Sätze 2–4 KStG nicht greift. Gleiches gilt, wenn Vermögensübertragungen zwischen ausländischen Konzerntochtergesellschaften eines deutschen Konzerns zu einem Wert unterhalb des Marktwertes vorgenommen werden und dies vom Ansässigkeitsstaat der Tochtergesellschaft(en) steuerrechtlich tatsächlich weder beanstandet noch korrigiert wird. Nach den entsprechenden deutschen steuerlichen Grundsätzen über die Vorteilszuwendung im Dreiecksverhältnis sind hier bei der deutschen Muttergesellschaft eine vGA der unter Marktpreis veräußernden Tochtergesellschaft eine verdeckte Einlage in die andere Tochtergesellschaft anzunehmen. Da § 8b Absatz 1 Satz 2 KStG nach den allgemeinen Grundsätzen über vGA neben Vermögensminderungen auch verhinderte Vermögensmehrungen erfasst, droht nun die Steuerbefreiung für die vGA bei der deutschen Muttergesellschaft versagt zu werden. Eine Besteuerung der vGA führt dann aber zu einer ungerechtfertigten doppelten Besteuerung im Konzern. Die Rückausnahme in § 8b Absatz 1 Satz 4 KStG, nach der Satz 2 nicht gilt, soweit unter anderem die vGA das Einkommen einer dem Steuerpflichtigen nahestehenden Person erhöht hat, trägt diesem Gedanken zwar grundsätzlich Rechnung. Nach dem Gesetzeswortlaut („erhöht hat“) ist jedoch strittig, ob 7 Holle/Keilhoff, IStR 2017, S. 245 ff.

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auch Einkommenserhöhungen in späteren Jahren als dem Veranlagungszeitraum des Zuflusses der vGA mit in den Blick genommen werden können und Satz 4 demnach eine periodenübergreifende Betrachtung erlaubt. Von der Finanzverwaltung wird dies abgelehnt. 8 Über § 8b Absatz 1 Sätze 2–4 KStG werden somit Sachverhalte einer Besteuerung zugeführt, die fraglos legitimer Weise in Deutschland nicht besteuert werden sollten und erst recht keine Missbrauchsfälle darstellen. Um einer Doppelbesteuerung in den dargestellten Dreiecksfällen zu vermeiden, sollte somit § 8b Absatz 1 Satz 4 KStG unter Berücksichtigung einer periodenübergreifenden Betrachtung ergänzt werden. Zudem muss sichergestellt werden, dass eine Besteuerung einer vGA unterbleibt, wenn nach ausländischem Recht auch eine Veräußerung zum Marktpreis zu keiner steuerlichen Belastung bei der übertragenden Tochtergesellschaft geführt hätte. 2. Abzugsverbot für Gewinnminderungen aus Gesellschafterdarlehen in Fremdwährung Das Abzugsverbot des § 8b Absatz 3 Satz 4 ff. KStG kann zu überschießenden Wirkungen führen, insbesondere im Zusammenhang mit Wechselkursverlusten. Die Vorschriften des § 8b Absatz 3 Satz 4 ff. KStG begründen ein Abzugsverbot für Gewinnminderungen aus Gesellschafterdarlehen, sofern nicht nachgewiesen wird, dass auch ein fremder Dritter das Darlehen bei sonst gleichen Umständen gewährt oder noch nicht zurückgefordert hätte. Ziel dieser Regelung ist, die Umgehung des Abzugsverbots für Gewinnminderungen aus Beteiligungen (§ 8b Absatz 3 Satz 3 KStG) mittels alternativer Finanzierung durch Gesellschafterdarlehen zu verhindern. Da eine Einschränkung auf kapitalersetzende Darlehen in § 8b Absatz 3 Satz 4 ff. KStG fehlt und auch hinsichtlich des Anlasses und der Dauer der Darlehensüberlassung keine Ausnahmen gemacht werden, ist der Anwendungsbereich der Vorschrift nach ihrem Wortlaut sehr weit. Eine besonders überschießende Wirkung ergibt sich nach den Auffassungen9, die Wechselkursverluste in die von der Vorschrift erfassten Gewinnminderungen einzubeziehen. Diese macht sich die Finanzverwaltung in der Praxis häufig zu eigen. Ausweislich der Gesetzesbegründung10 sollen Verluste und Gewinnminderungen aus Gesellschafterfinanzierungen durch Eigenkapital und durch nicht fremdübliche Gesellschafterdarlehen gleichbehandelt werden. Wechselkursänderungen sind hingegen nicht gesellschaftsrechtlich veranlasst, sondern stellen einen exogenen Faktor dar, der von den Beteiligten nicht beeinflusst werden kann. Es handelt sich also gegebenenfalls um einen Effekt, der nicht durch eine fremdunübliche Gesellschafterfinanzierung veranlasst ist. Dieselben Ergebniseffekte würden auch bei entsprechenden Bankdarlehen auftreten. 8 Dötsch, KStG-Kommentar, § 8b KStG Tz. 92b; Hruschka, IStR 2012, S. 844 ff. 9 M.w.N.: Schnitger in Schnitger/Fehrenbacher, KStG, § 8b Rz. 467, Rengers in Blümich, § 8b KStG, Rz. 298. 10 BT-Drs. 16/6290, 73.

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Während das Abzugsverbot des § 8b Absatz 3 Satz 3 KStG sich allein daraus rechtfertigt, dass entsprechende Gewinne nach § 8b Absatz 2 KStG steuerfrei wären, fehlt es für Wechselkursverluste an einer entsprechenden, eine symmetrische Besteuerung gewährleistenden Befreiungsvorschrift für Wechselkursgewinne. § 8b Absatz 3 Satz 8 KStG kann jedenfalls nicht als Begründung hierfür herangezogen werden, da diese Vorschrift allenfalls wechselkursbedingte Zuschreibungsgewinne nach einer vormaligen nicht abzugsfähigen Teilwertabschreibung auf die nämliche Forderung von der Besteuerung ausnimmt. Im Ergebnis steht damit, soweit man diesen Auffassungen folgt, einer generellen Steuerpflicht von Wechselkursgewinnen ein generelles Abzugsverbot von entsprechenden Verlusten gegenüber. Darüber hinaus wird vertreten, dass das Abzugsverbot für einen Wechselkursverlust selbst dann eingreift, wenn ein Darlehen durch ein Sicherungsgeschäft gegen Wechselkursschwankungen abgesichert wird. Dabei unterliegt ein korrespondierender Gewinn aus dem Sicherungsgeschäft voll der Besteuerung, während für Verluste aus Sicherungsgeschäften das Abzugsverbot des § 8b Absatz 3 Satz 3 KStG greift. 11 Aus den genannten Gründen stellt die Regelung auch eine Verletzung des objektiven Nettoprinzips dar. Für die steuerliche Praxis in den Unternehmen führt die oben beschriebene Rechtslage zu folgenden Konsequenzen. Unternehmen, die über ein ausreichend großes Volumen an Konzerninnenfinanzierung in kursgesicherter Fremdwährung verfügen, besteht ein erheblicher Anreiz, ihre Konzernfinanzierungsgesellschaften im Ausland anzusiedeln und damit dieser systemwidrigen Besteuerung zu entgehen. Zahlreiche europäische Staaten wie beispielsweise die Niederlande oder Irland erlauben einen steuerlichen Ansatz von Wechselkursgewinnen und Wechselkursverlusten einschließlich der korrespondierenden Ergebniseffekte aus Währungssicherungsgeschäften und gewährleisten damit eine symmetrische Besteuerung von Gewinnen und Verlusten. Wenn es dann noch zusätzlich gelingt, mit der Ansiedlung einer Finanzierungsge­ sellschaft im europäischen Ausland Steuersatzgefälle auf die Zinserträge zu realisieren, ist die Errichtung einer Konzernfinanzierungsgesellschaft im Ausland schon fast nach der aktienrechtlichen Vermögensbetreuungspflicht geboten. Im Ergebnis führt die beschriebene Übermaßbesteuerung der Wechselkursergebnisse in Deutschland dazu, dass die entsprechenden Zinserträge dem Zugriff des deutschen Fiskus entzogen werden. Derartige steuerliche Rahmenbedingungen sind für alle Beteiligten kontraproduktiv. Unternehmen müssen entweder die mangelnde Steuerentlastung von Wechselkursverlusten bei der Konzerninnenfinanzierung hinnehmen, oder sind gezwungen, entsprechendes Volumen von Konzerninnenfinanzierung vorausgesetzt, Finanzierungsgesellschaften im Ausland zu gründen. Letzteres führt zum Verlust von Steueraufkommen für die öffentlichen Haushalte, was sicherlich nicht der Zielsetzung des Gesetzgebers entsprach. Die Vorschrift ist damit ein Paradebeispiel für überschießende Wirkung von Anti-Avoidance-Gesetzen. Zur Stärkung von Deutschland als Stammhausstandort muss eine Berücksichtigung von Wechselkursverlusten ermöglicht werden. Das Abzugsverbot für Gewinnminderungen (§  8b Absatz 3 Satz 4  ff.

11 BMF v. 25.8.2010 − IV C 6-S 2133/07/10001, DB 2010, S.  2024; OFD Frankfurt/M. v. 22.3.2012, DStR 2012, S. 1389.

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KStG) ist daher dahingehend zu ergänzen bzw. klarzustellen, dass eine Ausnahme für wechselkursbedingte Gewinnminderungen aufgenommen wird. 3. Einlagenrückgewähr einer EU-Tochtergesellschaft Eine weitere, ob ihrer mangelnden Praktikabilität schwierige Norm, ist § 27 Abs. 8 KStG. Hier besteht erheblicher Nachbesserungsbedarf12. Diese Vorschrift ermöglicht auf Antrag Gesellschaftern von im EU-Ausland ansässigen Kapitalgesellschaften, die mangels unbeschränkter Körperschaftsteuerpflicht im Inland kein Einlagekonto im Sinne des §  27 KStG führen müssen, Gewinnausschüttungen vollständig oder teilweise als steuerneutrale Einlagenrückgewähr und nicht als steuerpflichtigen Beteiligungsertrag zu vereinnahmen. Auf Antrag des Gesellschafters ist zu diesem Zweck durch die zuständige Finanzbehörde (i.d.R. das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) der Betrag als Einlagenrückgewähr festzustellen, der sich unter Anwendung von §§ 27 Absatz 1–6, 28 und 29 KStG, d.h. bei hypothetischer Führung eines Einlagekontos und Berücksichtigung aller Einlagen und Leistungen von Anfang an, als Einlagenrückgewähr ergeben hätte. In seiner derzeitigen rechtlichen Ausgestaltung und Praxis stellt das Antragsverfahren eine kaum zu überwindender Hürde auf. So umfasst der Anforderungskatalog des BZSt13 für den Zeitraum seit der erstmaligen Erbringung einer Einlage in die Gesellschaft unter anderem: Jahresabschlüsse nebst Überleitungsrechnung ins deutsche Steuerrecht; für die Jahre 1977 bis 2000 Entwicklung der Bestandteile des verwendbaren Eigenkapitals nach dem KStG; für Jahre ab 2001 die Entwicklung des Einlagekontos; Beschlüsse über Einlagen und Ausschüttungen; Zahlungsnachweise für Bar­ einlagen; Wertgutachten/-ermittlungen für Sacheinlagen. Soweit Unterlagen bzw. Nachweise nicht in deutscher Sprache vorliegen, sind zusätzlich Übersetzungen vorzulegen. Sofern die EU-Gesellschaft nicht ausnahmsweise sehr jung ist oder nur eine äußerst überschaubare Geschäftstätigkeit ausübt, sind derartige Nachweisanforderungen in der Praxis kaum zu erfüllen. Dies führt dazu, dass die Einlagenrückgewähr nicht als steuerneutral anerkannt, sondern für den Gesellschafter als Gewinnausschüttung fingiert wird (vgl. § 27 Absatz 8 Satz 9 KStG). Damit hat der Gesetzgeber den mit der Einführung des § 27 Absatz 8 KStG verfolgten Zweck, eine europarechtskonforme Rechtslage zu schaffen, bislang nicht erfüllt. Die erheblichen Nachweispflichten sind auf ein notwendiges Mindestmaß zu be­ grenzen. Insbesondere sollten innerhalb der EU mögliche Bilanzierungsunterschiede akzeptiert werden. Soweit nach dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaates eine ordnungsgemäße Bilanzierung erfolgt ist, sollte es aus pragmatischen Gründen ausreichen, auf der Grundlage der Jahresabschlüsse der Gesellschaft Einlagen, Ausschüttungen

12 Gosch in Gosch, KStG-Kommentar, § 8b KStG Rz. 143c. 13 Abrufbar unter https://www.bzst.de/DE/Steuern_National/Feststellung_ELR_27Abs8KStG/​ Antragstellung/Vorzulegende_Unterlagen.html;jsessionid=3587F053C1D2FE59FC233911​ F0D6E5DB.live6832?nn=33862.

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und eine Einlagenrückgewähr zu ermitteln. Gleiches gilt im Grunde für Drittlandssachverhalte. 4. Modernisierung der Thesaurierungsbegünstigung Im Bereich der Personengesellschaften ist – neben der nach wie vor wünschenswerten Option zur Besteuerung wie eine Kapitalgesellschaft – insbesondere eine Anpassung und Nachbesserung der Thesaurierungsbegünstigung nach §  34a EStG erforderlich. Durch die steuerstundende Möglichkeit der Thesaurierung von Gewinnen gemäß § 34a EStG wird beabsichtigt, investierenden Unternehmen die Möglichkeit zu eröffnen, einen niedrigeren Tarif in Anspruch zu nehmen. Theoretisch soll hierdurch eine den Kapitalgesellschaften vergleichbare Belastung erreicht werden. In ihrer Ausgestaltung und der praktischen Anwendung ist die Regelung hingegen äußerst komplex und sehr zeitintensiv nachzuhalten. Dies zeigt auch die viel zu geringe Inanspruchnahme der Regelung. 14 Eine Verbesserung der Vorschrift des § 34a EStG ließe sich durch Modifikation erreichen15. Exemplarisch wird das Modernisierungserfordernis an der Verwendungsreihenfolge nachfolgend dargestellt: Die gesetzlich bedingte Verwendungsreihenfolge in § 34a Abs. 4 S. 1 EStG führt faktisch zu einem Entnahmezwang vor erstmaliger Inanspruchnahme der Thesaurierungsbegünstigung und verhindert eine zukünftige Einlagefinanzierung, was das gesetzgeberische Ziel der Eigenkapitalstärkung konterkariert. Durch die Regelung in §  34a Abs.  4 S.  1 EStG erfolgt der Zugriff auf bisher bereits – teilweise noch mit einem Spitzensteuersatz von 56 Prozent – voll versteuerte Gewinne, hierunter fallen auch Altrücklagen (sog. lock-in-effect). Trotz des Bestehens von regelbesteuerten Gewinnen lösen den Gewinn übersteigende Entnahmen eine Nachversteuerung aus. Dies resultiert daraus, dass begünstigt entnommene Gewinne als vorrangig entnommen gelten und somit die Nachversteuerung ausgelöst wird. Demnach können Altrücklagen, auch wenn sie voll versteuert worden sind, oder spätere Einlagebeträge erst nach vollständiger Auflösung eines nachversteuerungspflichtigen Betrags entnommen werden. Um dem entgegenzuwirken, könnten Altrücklagen und Einlagen beispielsweise einem gesonderten, nachsteuerfreien Konto zugeordnet werden. Die Verwendungsreihenfolge in §  34a Abs.  4 S.  1 EStG für Entnahmen könnte sodann dahingehend modifiziert werden, dass ein Wahlrecht bezüglich der Zuordnung von Entnahmen (nachsteuerpflichtig oder nachsteuerfreie Altrücklagen) eingeräumt wird. Dies würde es gestatten, die vorhandenen Altrücklagen entnehmen zu können, ohne eine Nachversteuerung auszulösen. Hierdurch würde die Eigenkapitalstärkung gefördert. Vorzugsweise sollten Entnahmen von Altrücklagenkonten und Verrechnungskonten mit nicht begünstigten Neugewinnen oder mit Einlagen stets vorranging steuerfrei erfolgen. Erst, wenn der gewählte Thesaurierungsbetrag angegriffen wird, kommt es 14 Entschließungsantrag NRW in den Bundesrat, BR-Drs. 310/18 v. 27.6.2018. 15 Fechner/Bäuml, DB 2008, 1652 (1654); siehe auch Entschließungsantrag des Landes Nord-­ rhein-Westfalen, BR-Drucksache 310/18.

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zur Ausschüttungsbelastung. Verfahrensrechtlich reicht es aus, nur den gewählten Thesaurierungsbetrag einheitlich und gesondert festzustellen, weil sich aus der Steuerbilanz als Teil der Steuererklärung direkt ablesen lässt, ab welcher Entnahmehöhe dieser Betrag angegriffen wird. Weiterhin sollte eine Ausnahmeregelung für Entnahmen gelten, für auf die Übertragung von Betriebsvermögen entfallende Erbschaftbzw. Schenkungsteuer. Diese Entnahmen sollten nicht nur steuerfrei aus Altrücklagen oder von Verrechnungskonten mit nicht begünstigten Neugewinnen oder mit Einlagen getätigt werden dürfen, sondern auch ohne Nachversteuerung aus dem nachversteuerungspflichtigen Betrag, wenn die anderen Rücklagen nicht ausreichen.

V. Fazit Der zunehmende Steuerwettbewerb zwischen den Staaten, die sich 2019 abschwächende Konjunktur und nicht zuletzt die aktuelle Corona-Krise, die nach Meinung vieler zu der schwersten Wirtschaftskrise seit dem zweiten Weltkrieg führen dürfte, zeigen: Es ist höchste Zeit für eine Modernisierung und wettbewerbsfähige Ausgestaltung der steuerlichen Rahmenbedingungen in Deutschland. Naturgemäß liegt kurzfristig der Fokus auf steuerlichen Maßnahmen zur Bewältigung der Krise. Unmittelbar danach gilt es Rahmenbedingungen zu schaffen, die den deutschen Unternehmen einen optimalen Neustart nach der Krise ermöglichen und so dazu beizutragen, den wirtschaftlichen Aufschwung nach der Krise zu beschleunigen. Hierzu zählen in aller erster Linie die Einführung einer wettbewerbsgerechten Unternehmenssteuerbelastung in Höhe von 25 Prozent. Daneben gilt es, die größten Stolpersteine aus dem Steuerecht zu entfernen. Letzteres dürfte, wenn überhaupt nur eine geringe Aufkommensauswirkung nach sich ziehen, da Unternehmen die dargestellten Übermaßbesteuerung durch Sachverhaltsgestaltung vermeiden. Abzuwarten, bis die Unternehmen ihre Entscheidung gegen den Standort Deutschland treffen müssen, ist keine Alternative. Noch in dieser Legislaturperiode sollte das Ziel einer international vergleichbaren Steuerbelastung der Unternehmen in Deutschland mit Blick auf künftige Investitionen und Arbeitsplätze in Deutschland mit hoher Priorität verfolgt werden und die größten Stolpersteine aus dem deutschen Steuerrecht entfernt werden.

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Vorschläge der OECD zu einer globalen Mindestbesteuerung Inhaltsübersicht I. Global Anti-Base Erosion (GloBE)-­ Vorschläge der OECD II. Kernfragen und Problemfelder 1. Interessenlage 2. Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich (Ebene der Besteuerung) a) Regelungen im Quellenstaat b) Regelungen im Gesellschafter- bzw. Stammhausstaat 3. Ermittlung der Bemessungsgrundlage a) Regelungen im Quellenstaat b) Regelungen im Gesellschafter- bzw. Stammhausstaat 4. Bestimmung der Höhe der Besteuerung a) Regelungen im Quellenstaat

b) Regelungen im Gesellschafter- bzw. Stammhausstaat 5. Bemessung der zusätzlichen Mindeststeuer im Rahmen der Income-Inclusion-­ Regel 6. Koordinationsfragen 7. Vereinbarkeit mit Grundfreiheiten und Doppelbesteuerungsabkommen a) Regelungen im Quellenstaat b) Regelungen im Gesellschafter- bzw. Stammhausstaat III. Fazit 1. Ausgangslage 2. GloBE-Vorschläge

I. Global Anti-Base Erosion (GloBE)-Vorschläge der OECD Im Februar 2019 hat die OECD Überlegungen zur Adressierung der Problemfelder im Bereich der Besteuerung der digitalisierten Wirtschaft vorgelegt.1 Das diesbezügliche Konsultationspapier beinhaltet neben Vorschlägen zu neuen Gewinnverteilungs- und Nexusregeln („Pillar One“) erstmalig auch die sog. GloBE-Vorschläge für eine globale Mindestbesteuerung („Pillar Two“). Die Überlegungen stellen keinen Konsens des seit 2016 bestehenden und zwischenzeitlich über 130 Mitglieder umfassenden „Inclusive Framework“ dar, sondern sind vorläufig als unverbindliche Vorschläge zur weiteren Analyse und Kommentierung zu sehen.2 Hintergrund der GloBE-Vorschläge ist die Wahrnehmung einiger Staaten, zu denen auch Deutschland zählt, dass sich trotz der im Rahmen des BEPS-Projekts der OECD erreichten Fortschritte weiterhin erhebliche Aufkommensrisiken aus Strukturen ­ergeben, bei denen Unternehmensgewinne keiner oder nur einer sehr niedrigen ­Besteuerung unterliegen. Insbesondere sei dies der Fall bei Gewinnen im Zusam-

1 OECD-Konsultationspapier “Addressing the Tax Challenges of the Digitalisation of the ­Economy” v. 13.2.2019, abrufbar unter: https://www.oecd.org/tax/beps/public-consultation-­ document-addressing-the-tax-challenges-of-the-digitalisation-of-the-economy.pdf. 2 OECD (Fn. 1), S. 3.

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menhang mit immateriellen Vermögenswerten und eigenkapitalfinanzierten Konzernfinanzierungsgesellschaften.3 Im Mai 2019 veröffentlichte die OECD ein Arbeitsprogramm, das die bzgl. Pillar One und Pillar Two bestehenden Kernfragen und weiteren Arbeitsschritte zur Lösung dieser Kernfragen zusammenfasst.4 Im November 2019 hat die OECD ein weiteres Konsultationsdokument5 veröffentlicht, das sich speziell mit Fragen der Konzeption einer globalen Income Inclusion-Regel befasst.6 Die GloBE-Vorschläge beinhalten folgende, bislang nur grob skizzierte, Komponenten:7 Auf Gesellschafter- bzw. Stammhausebene: – die bereits angesprochene „Income-Inclusion-Regel“, wonach es auf Ebene eines Gesellschafters oder Stammhauses bei niedriger Vorbelastung der jeweiligen Erträge einer Tochtergesellschaft oder Betriebsstätte zu einer zusätzlichen Besteuerung kommt, um eine bestimmte (der Höhe nach noch festzulegende) Mindestbesteuerung sicherzustellen, – eine „Switch-Over-Regel“, wonach bei ausländischen Betriebsstätten oder Immobilien im Stammhausstaat eine Steuerfreistellung versagt wird, sofern die erzielten Erträge (im Quellenstaat) zu niedrig besteuert worden sind. Auf Quellenstaatsebene: – eine „Undertaxed-Payments-Regel“, wonach der steuerliche Abzug für eine Zahlung an ein verbundenes Unternehmen verweigert wird oder Quellensteuer erhoben wird, wenn diese Zahlung andernfalls (im Empfängerstaat) niedrig besteuert würde (der Schwerpunkt der weiteren Ausführungen wird aus Vereinfachungsgründen auf die erste Alternative, d. h. die Versagung des steuerlichen Ausgabenabzugs gelegt), – eine „Subject-To-Tax-Regel”, wonach bzgl. Zahlungen an verbundene Unternehmen Abkommensvorteile versagt werden oder Quellensteuer erhoben wird, wenn

3 OECD (Fn. 1), Rz. 88 ff. 4 OECD-Arbeitspapier “Programme of Work to Develop a Consensus Solution to the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy” v. 29.5.2019, abrufbar unter: https://www.oecd.org/tax/beps/programme-of-work-to-develop-a-consensus-solution-tothe-tax-challenges-arising-from-the-digitalisation-of-the-economy.pdf. 5 OECD-Konsultationspapier “Global Anti-Base Erosion Proposal (“GloBE”) (Pillar Two)” v. 8.11.2019; abrufbar unter https://www.oecd.org/tax/beps/public-consultation-documentglobal-­anti-base-erosion-proposal-pillar-two.pdf.pdf. 6 Insbesondere mit Fragen zur Bestimmung einer geeigneten Bemessungsgrundlage, der Aggregation verschiedener Einkünfte sowie bzgl. erforderlicher Ausnahmen. 7 OECD (Fn. 5), Rz. 4 ff.; OECD (Fn. 1), Rz. 96 ff. bzw. Rz. 101 ff.

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diese Zahlung im Empfängerstaat zu niedrig besteuert wird. Hierzu sollen insbesondere folgende Abkommensvorteile „modifiziert“ werden8: – die Beschränkung der Besteuerung von Unternehmensgewinnen eines Gebietsfremden (Artikel 7 OECD-Musterabkommen), – die Anforderung, eine entsprechende Anpassung vorzunehmen, wenn von dem anderen Vertragsstaat eine Anpassung des Verrechnungspreises vorgenommen wird (Artikel 9 der OECD-Musterabkommen), – die Beschränkung der Quellenbesteuerung von Dividenden, Zinsen, Lizenzgebühren und Gewinnen aus der Veräußerung von Anteilen im Quellenstaat (Artikel 10–13 OECD-Musterabkommen), – die Zuweisung von Besteuerungsrechten für andere Einkünfte an den Wohnsitzstaat (Artikel 21 OECD-Musterabkommen). Der nachfolgende Beitrag setzt sich - auf Basis der bislang erkennbaren Konturen der OECD-Vorschläge - mit ausgewählten rechtlichen und praktischen Problemfeldern der GloBE-Vorschläge auseinander.

II. Kernfragen und Problemfelder 1. Interessenlage Die Zahl der Mitglieder des „Inclusive Framework“ und damit die Gruppe der an der Erarbeitung der Vorschläge zur Weiterentwicklung der Besteuerung der digitalisierten Wirtschaft beteiligten Staaten wächst stetig. Obgleich dies angesichts der dringend benötigten einheitlichen Anwendung neuer Regeln zur internationalen Be­ steuerung grundsätzlich zu begrüßen ist, basieren die vom Sekretariat der OECD entworfenen und veröffentlichten Überlegungen ausdrücklich nicht auf einem Konsens der im Rahmen des Inclusive Framework beteiligten Staaten.9 Dies überrascht nicht, u. a. weil – der Veröffentlichung der GloBE-Vorschläge keine Evaluierung der Auswirkungen der im Rahmen der Umsetzung der Ergebnisse des BEPS-Projektes erfolgten Maßnahmen vorausgegangen ist, weshalb die Erforderlichkeit weiterer Maßnahmen zum gegenwärtigen Zeitpunkt unterschiedlich beurteilt wird, – die GloBE-Vorschläge mit der Weiterentwicklung der Besteuerung der digitalisierten Wirtschaft allenfalls mittelbar zu tun haben und in ihren Auswirkungen nicht auf den Bereich der digitalisierten Wirtschaft beschränkt sind, – die GloBE-Vorschläge für sich betrachtet und erst recht in Wechselwirkung mit anderen steuerlichen Regelungen zu erheblichen Administrierungsproblemen

8 OECD (Fn. 4), Rz. 75. 9 OECD (Fn. 5), S. 3.

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führen würden und nicht jede staatliche Steueradministration gleichermaßen in der Lage ist, eine Administration der Regeln sicherzustellen, – die GloBE-Vorschläge die steuerpolitischen Möglichkeiten einzelner Staaten zur Erhöhung der Standortattraktivität beschränken würden, – typische Quellenstaaten im Rahmen des vorgesehenen Regelungsgefüges andere Prioritäten als Gesellschafter- oder Stammhausstaaten haben, – eine Erhöhung einzelstaatlicher Einnahmen in den meisten Fällen vorrangig durch die auf Quellenstaatsebene vorgesehenen Maßnahmen möglich sein dürfte, deren Einführung jedoch mit einem Höchstmaß an Komplexität verbunden wäre, – die Allokation von Mehreinnahmen aus einer Income-Inclusion-Regel davon abhängt, auf welcher Ebene diese zur Anwendung gelangt, – es sehr fraglich ist, ob sich die GloBE-Vorschläge europarechtskonform gestalten lassen. Nach allem dürfte zweifelhaft sein, ob sich das „Inclusive Framework“ letztlich auf ein einheitliches Maßnahmenpaket einigen kann. Selbst wenn dies mit Blick auf die Regelungsprinzipien gelingt, wäre angesichts der enormen Komplexität der angedachten Regelungen noch weniger wahrscheinlich, dass ein konsensbasiertes Maßnahmenpaket im Einzelnen so einheitlich und widerspruchsfrei umgesetzt werden kann, dass es zu keinen Mehrfachbelastungen von Steuerpflichtigen kommt. 2. Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich (Ebene der Besteuerung) a) Regelungen im Quellenstaat Bei den auf Quellenstaatsebene angedachten Regelungen liegt nahe, dass diese in persönlicher Hinsicht auf Ebene jeder Gesellschaft oder Betriebsstätte zur Anwendung gelangen sollen, soweit von dieser grenzüberschreitende Zahlungen geleistet werden. Im mehrstufigen Konzern würden die entsprechenden Regelungen daher ggf. auf verschiedenen Ebenen wirken. In sachlicher Hinsicht soll die Undertaxed-Payments-Regel nach den Überlegungen des Konsultationspapiers vom 13.2.2019 wohl ein breites Spektrum abzugsfähiger grenzüberschreitender Zahlungen erfassen, also nicht etwa auf bestimmte Zahlungen wie Zins- oder Lizenzzahlungen beschränkt sein.10 Der insoweit zu erwartende Administrationsaufwand dürfte gewaltig sein, da im Rahmen der Leistung von grenz­ überschreitenden Zahlungen (bzw. spätestens bei der Erstellung von Steuererklärungen) vom zahlenden Unternehmen transaktionsspezifisch zu überprüfen wäre, ob und wie die jeweiligen Zahlungen auf Ebene des jeweiligen Empfängers besteuert werden. Diese Überprüfung würde Kenntnisse des jeweiligen ausländischen, im Sitz-

10 OECD (Fn. 1), Rz. 104.

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staat des Zahlungsempfängers geltenden Steuerrechts erfordern und zwar sowohl auf Ebene der Steuerpflichtigen als auch auf Ebene der Verwaltung.11 Der sachliche Anwendungsbereich der Subject-To-Tax-Regel wäre wohl enger gefasst und soll schwerpunktmäßig die Zahlung von Zins- und Lizenzgebühren erfassen.12 b) Regelungen im Gesellschafter- bzw. Stammhausstaat Weniger klar ist die Frage der persönlichen Anwendung für die auf Ebene eines Gesellschafters vorgeschlagene Income-Inclusion-Regel. Insoweit kommt in Betracht, diese aus Vereinfachungsgründen nur auf Ebene des obersten Konzernunternehmens anzuwenden. Alternativ wäre aber auch eine Anwendung auf jeder Ebene vorstellbar oder eine Anwendung nur jeweils beim unmittelbaren Gesellschafter. Wie sich aus den weiteren Ausführungen ergeben wird, ist selbst bei Anwendung einer Income-­ Inclusion-Regel nur auf einer Ebene mit einem Höchstmaß an Komplexität und zusätzlicher administrativer Belastung zu rechnen, so dass von einer mehrfachen Anwendung einer solchen Regel innerhalb eines Konzerns abgesehen werden sollte. Die bisherigen Äußerungen der OECD adressieren diese Frage nicht explizit, deuten jedoch an, dass eine Anwendung der Income-Inclusion-Regel auf jeder Konzernebene zumindest in Betracht gezogen wird.13 Die Anwendung der Switch-Over-Regel, wonach bei ausländischen Betriebsstätten oder Immobilien im Stammhausstaat eine Steuerfreistellung versagt wird, sofern die erzielten Erträge (im Quellenstaat) zu niedrig besteuert worden sind, würde auf Ebene des jeweiligen Rechtsträgers zu erfolgen haben. Sachlich wären die Einkünfte aus der Betriebsstätte bzw. aus den jeweiligen Immobilien erfasst. Da offenbar sämtliche Einkünfte aus einer Betriebsstätte, die niedrig besteuert sind, von der Switch-OverRegel erfasst werden sollen, droht auch insoweit ein erheblicher Administrationsaufwand. 3. Ermittlung der Bemessungsgrundlage a) Regelungen im Quellenstaat Bei den transaktions- bzw. zahlungsspezifisch eingreifenden Quellenstaatsregelungen ist die Bemessungsgrundlage der jeweiligen Regelung regelmäßig der Betrag der jeweiligen Zahlung. Soweit die Bemessungsgrundlage im Quellenstaat und dem Staat des Zahlungsempfängers im Einzelfall voneinander abweicht, werden die im Quellenstaat geltenden steuerlichen Regelungen zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage maßgeblich sein. Steuerbefreiungen im Empfängerstaat würden die jeweilige Bemessungsgrundlage daher wohl nur insoweit mindern, als diese gleichermaßen nach dem Recht des Quellenstaats gewährt würden. 11 Vgl. hierzu näher II.4.a) und II.6. 12 OECD (Fn. 4), Rz. 75. 13 OECD (Fn. 4), Rz. 59; OECD (Fn. 5), Rz. 13.

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Praktisch bedeutsam ist insoweit insbesondere die Behandlung von Verlusten bzw. die Frage, ob ein steuerlicher Verlust im Empfängerstaat, sei es aufgrund eines Verlustvortrags, eines Verlustrücktrags, laufender eigener oder auch (etwa im Rahmen einer Gruppenbesteuerung) zugerechneter Verluste, die Bemessungsgrundlage im Quellenstaat entsprechend mindert. Ist dies nicht der Fall, würden die vorgesehenen Quellenstaatsregelungen im Ergebnis dazu führen, die steuerliche Nutzung von Verlusten grenzüberschreitend zu beschränken. Es bestünde folglich die Gefahr der Besteuerung von tatsächlich nicht erzielten Gewinnen. So käme es in diesem Szenario bei einem Konzern, der bei Einführung der Quellenstaatsregelungen über erhebliche steuerliche Verlustvorträge in den Ländern, in denen er tätig ist, verfügt, durch Anwendung der vorgesehenen Quellenstaatsregeln entweder zur Versagung von Betriebsausgaben oder zum Anfall von Quellensteuer in dem Umfang, in denen Verluste in den Empfängerstaaten grenzüberschreitender Zahlungen zwischen verbundenen Unternehmen genutzt werden können. Die Folge wäre also keine „Mindestbesteuerung“ des betroffenen Konzerns, sondern eine Überbesteuerung. b) Regelungen im Gesellschafter- bzw. Stammhausstaat aa) Income-Inclusion-Regel (1) Aggregation Während die Bemessungsgrundlage bei den transaktions- bzw. zahlungsspezifisch eingreifenden Quellenstaatsregelungen regelmäßig der Betrag der jeweiligen Zahlung sein wird, stellt sich bzgl. der Income-Inclusion-Regel die Frage, ob die mit Blick auf ihre steuerliche Belastung zu untersuchenden Einkünfte eines Unternehmens insgesamt für den Konzern, insgesamt für alle Auslandsgesellschaften, auf Landes­ ebene, auf Geschäftsbereichsebene oder auf der Ebene einzelner Gesellschaften zu ermitteln ist. Eine globale Aggregation der Einkünfte des Konzerns auf der maßgeblichen Betrachtungsebene hätte den Vorteil, dass  – so auf der jeweiligen Betrach­ tungsebene vorhanden – konsolidierte Zahlen verwendet werden können. Sollen die Einkünfte demgegenüber segmentiert betrachtet werden, etwa für jeden Quellenstaat einzeln, müssten diese separat ermittelt werden, was in den meisten Fällen erhebliche zusätzliche Rechnungslegungsverpflichtungen bedingen würde. Jede grenzüberschreitende tätige Konzerneinheit müsste Erträge und Aufwendungen (und auch Steuern, vgl. hierzu auch II.4.b)) für jeden Tätigkeitsstaat aufteilen, da eine länderweise Aufteilung der für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage relevanten Zahlen aktuell nicht Inhalt der zu erstellenden Jahresabschlüsse ist, weder auf Konzern­ebene noch auf Ebene der für die einzelnen Rechtsträger nach dem jeweiligen nationalen Recht zu erstellenden Einzelabschlüsse. Insbesondere mit Blick auf Betriebsstätten, Personengesellschaften und andere steuerlich transparente Rechtsträger ergäben sich insoweit komplexe Zurechnungsfragen. Zudem müssten konzerninterne Vorgänge, die die Bemessungsgrundlage nicht erhöhen bzw. vermindern sollen (etwa Dividendenzahlungen und Gewinne sowie Verluste aus der Übertragung von 46

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Anteilen an Kapitalgesellschaften, vgl. hierzu auch unten), landesspezifisch betrachtet und vorhandene konsolidierte Zahlen diesbezüglich segmentiert und korrigiert werden. Dies wäre extrem aufwendig. Die OECD geht offenbar davon aus, dass die Anwendung der Income-Inclusion-Regel nur für ausländische Einkünfte in Betracht kommt und damit eine Aggregation auf die aus Sicht des Gesellschafterstaats ausländischen Gesellschaften und Betriebsstätten beschränkt ist.14 Daher müsste für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage, selbst bei ansonsten globaler Aggregation, die weltweite konsolidierte Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung vor Durchführung anderer Anpassungen (z. B. Berücksichtigung temporärer und permanenter Differenzen) zunächst um die im Gesellschafter- bzw. Stammhausstaat erzielten Einkünfte bereinigt werden. Schon diese Segmentierung wird im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten. Eine wirklich globale Anwendung der Regel wäre im Zweifel deutlich einfacher zu handhaben, dürfte aber vermutlich daran scheitern, dass die Anwenderstaaten nicht bereit wären, einen so gearteten „mittelbaren“ Eingriff in die heimische Steuersatzpolitik zu akzeptieren. Unabhängig hiervon ist anzumerken, dass der Grad der Vereinfachung, der sich durch Aggregation erreichen lässt, davon abhängt, wie die persönliche Anwendung der Income-Inclusion-Regel ausgestaltet wird.15 Sofern die Anwendung dieser Regel auf jeder (Konzern-) Ebene erfolgt, ist der durch länderübergreifende Aggregation erreichbare Vereinfachungsgrad deutlich geringer, als wenn die Anwendung nur auf Ebene des obersten Konzernunternehmens erfolgt, weil eine große Zahl verschiedener Teilaggregationen notwendig würden, für die nur ausnahmsweise geeignetes Zahlenmaterial bereitstehen wird. (2) Maßgebliche Rechnungslegungsgrundätze Angesichts international fehlender einheitlicher Vorgaben zur Bestimmung der steuerlichen Bemessungsgrundlage eines international tätigen Unternehmens stellt sich des Weiteren die Frage, auf Basis welcher Rechnungslegungsgrundätze der Gewinn eines Konzerns ermittelt werden soll. Insoweit ist die naheliegende und auch im Konsultationspapier präferierte16 Lösung, Datenmaterial zu verwenden, das bereits konzernweit vorhanden ist. Dies trifft in der Regel nur auf Datenmaterial zu, das auf denjenigen Rechnungslegungsgrundsätzen basiert, auf deren Grundlage der weltweite konsolidierte Jahresabschluss des betreffenden Konzerns erstellt worden ist. Nur ­insoweit ist, zumindest für konsolidierungspflichtige Unternehmensgruppen, Zahlenmaterial, das auf einheitlichen Rechnungslegungsgrundsätzen basiert, für alle Konzerngesellschaften vorhanden. Tochtergesellschaften erstellen ihre lokalen Jahresabschlüsse zwar meist nach lokalen Rechnungslegungsvorschriften, erstellen aber darüber hinaus typischerweise ein entsprechendes auf den  jeweiligen Rechtsträger bezogenes Reporting (Bilanz und GuV) für die Erstellung des Konzernabschlusses 14 Vgl. OECD (Fn. 5), Rz. 55 a), 62, 64, 67. Die Variante einer globalen Aggregation wird im Konsultationspapier nicht diskutiert. 15 Vgl. hierzu II.2.b). 16 OECD (Fn. 5) Rz. 18, 19, 21.

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nach internationalen Rechnungslegungsgrundsätzen (IFRS). Wenngleich dieses Reporting nicht alle notwendigen Informationen für die Anwendung der Income-Inclusion-Regel beinhalten wird, wäre dies vermutlich der einzig „realistische“ Ausgangspunkt hierfür. Steuerliche Bemessungsgrundlagen werden regelmäßig nur nach nationalen Grundsätzen ermittelt und weichen inhaltlich von Land zu Land ab, so dass eine sinnvolle Aggregation dieser Daten ausscheidet, sofern man den Steuerpflichtigen und der Verwaltung nicht auferlegen will, sämtliche steuerlichen Bemessungsgrundlagen nicht nur nach dem Recht des jeweiligen Quellenstaats, sondern zusätzlich auch nach dem Recht des jeweiligen Gesellschafter- oder Stammhausstaates zu ermitteln. Wenngleich ähnliche Erfordernisse punktuell bereits heute bestehen, etwa im Bereich der Hinzurechnungsbesteuerung, wäre ein allgemeines Erfordernis einer solchen Schattenrechnung, ggf. sogar nach dem Recht mehrerer Sitzstaaten (wenn die Income-Inclusion-Regel auf mehreren Ebenen zur Anwendung kommt), in der Praxis schlicht nicht leistbar. Folglich dürfte die Verwendung steuerlicher Bemessungsgrundlagen ausscheiden, sofern man sich nicht im Rahmen des Inclusive Framework darauf einigt, für Zwecke des GloBE-Projekts eine einheitliche international geltende steuerliche Bemessungsgrundlage festzulegen. Abgesehen davon, dass dies höchst unwahrscheinlich ist, würde auch ein solches Regelwerk zu erheblichen administrativen Herausforderungen führen, sofern es die diesbezüglichen nationalen Regelungen nicht vollumfänglich ersetzen würde, da die nationalen steuerlichen Bemessungsgrundlagen ansonsten speziell für die GloBE-Regelungen nach GloBE-Grundsätzen umzurechnen wären. (3) Notwendige Anpassungen Unterstellt man für weitere Überlegungen, dass die für den weltweiten konsolidierten Jahresabschluss des betreffenden Konzerns angewendeten Rechnungslegungsgrundsätze (also etwa IFRS oder US-GAAP) Ausgangspunkt für die Bestimmung des für die Anwendung der Income-Inclusion-Regel relevanten Gewinns sein soll, so ergibt sich die Frage, inwieweit Anpassungen dieser Größe vorgenommen werden müssen, um temporäre oder permanente Differenzen zwischen dem nach IFRS oder USGAAP ermittelten Gewinn und einer (sinnvollen) steuerlichen Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen. Temporäre Differenzen ergeben sich z. B. aus der Anwendung unterschiedlicher Bilanzierungsregeln zwischen IFRS oder US-GAAP einerseits und Steuerrecht andererseits, etwa in Bezug auf den Ansatz und die Abschreibung von Geschäftswerten und anderen wesentlichen Vermögensgegenständen im Rahmen des Erwerbs von (Anteilen an) Unternehmen17, Beteiligungen und hieraus erzielte Erträge, Rückstellungen, Verpflichtungen für Pensionen und aktienbasierte Vergütungen, Langfrist17 Erhebliche Unterschiede ergeben sich insofern insbesondere, weil die Berücksichtigung der erworbenen Vermögensgegenstände nach IFRS und US-GAAP nach der Erwerbs- bzw. Neubewertungsmethode zu erfolgen hat, d. h. unter Aufdeckung der entsprechenden stil-

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verträge und Finanzinstrumente. Darüber hinaus ergeben sich ggf. erhebliche zeitliche Unterschiede durch die Nutzung von Verlusten und anderen Abzügen (etwa Zinsen), bei denen die steuerliche Geltendmachung in einem anderen Betrachtungszeitraum erfolgt als dem, in dem die entsprechenden Aufwendungen angefallen sind. Dies kann dadurch bedingt sein, dass die Nutzung entsprechender Abzüge im jeweiligen Land gesetzlich beschränkt ist und daher ganz oder teilweise auf künftige Jahre vorzutragen ist oder schlicht deshalb, weil das Unternehmen im betreffenden Jahr insgesamt einen Verlust erlitten hat, der vorzutragen und in künftigen Betrachtungszeiträumen abzuziehen ist. Obwohl sich diese zeitlichen Unterschiede im Laufe der Zeit umkehren, können sie den Anschein einer hohen oder niedrigen effektiven Steuerbelastung in einem bestimmten Jahr erwecken und somit zu einer unangemessen niedrigen oder auch überhöhten Mindeststeuerbemessungsgrundlage führen. Mithin droht ohne Vornahme geeigneter Anpassungen die Besteuerung unrealisierter Gewinne. Die Art der typischerweise in Betracht kommenden permanenten Differenzen können nach Land und Branche stark variieren. Sie ergeben sich jedoch insbesondere aus Erträgen, die nach der relevanten steuerlichen Rechtsordnung steuerlich freizustellen sind, wie typischerweise (Schachtel-) Dividenden und Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften sowie aus Aufwendungen, die nach derselben Rechtsordnung nicht steuerlich abzugsfähig sein sollen (z. B. Verluste aus der Veräußerung von Anteilen oder auch Abschreibungen auf einen Geschäftswert). Wenngleich ein Teil dieser Erträge und Aufwendungen bei einer aggregierten Betrachtung durch die dem Gewinn nach IFRS bzw. US-GAAP zugrundeliegende Konsolidierung automatisch korrigiert würde, verbliebe Adjustierungsbedarf mit Blick auf entsprechende Transaktionen mit Dritten. Auch Unterschiede zwischen der Behandlung des Erwerbs von Anteilen an Kapitalgesellschaften nach (z. B.) IFRS oder US-GAAP einerseits und Steuerrecht andererseits können zu erheblichen permanenten Differenzen führen, die zu korrigieren wären. Ließe man die o. g. temporären und permanenten Differenzen für die Ermittlung des für die Anwendung der Income-Inclusion-Regel maßgeblichen Konzerngewinns unberücksichtigt, käme es zu erheblichen Verzerrungen und in vielen Fällen zu einem nicht sachgerechten Anfall einer Mindeststeuer. So wäre etwa bei einem Unternehmen, das in den letzten Jahren vor Einführung einer Income-Inclusion-Regel steuerlich beachtliche Verluste erlitten hat, damit zu rechnen, dass nach Einführung einer Income-Inclusion-Regel entstehende Gewinne wegen der hiermit einhergehenden Nutzungen von Verlustvorträgen vergleichsweise niedrig oder gar nicht besteuert würden. Diese Niedrig- bzw. Nichtbesteuerung hätte aber schlicht damit zu tun, dass das betreffende Unternehmen zunächst die erlittenen Verluste wieder ausgleichen darf. Würde einer Income-Inclusion-Regel insoweit zu einer Besteuerung führen, würden im Ergebnis tatsächlich nicht erzielte Gewinne besteuert.

len Reserven (so. „Purchase Accounting“), während es steuerlich meist zu keiner Aufstockung kommt.

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Folglich wäre sicherzustellen, dass das nach IFRS bzw. US GAAP ermittelte Ergebnis jährlich um wesentliche temporäre und permanente Differenzen korrigiert wird einschließlich von Verlustvorträgen, die im betreffenden Zeitraum abgezogen werden. Als Alternative zur Berücksichtigung temporärer Differenzen könnte der für die Anwendung der Income-Inclusion-Regel maßgebliche Steueraufwand unter Berücksichtigung latenter Steuern ermittelt werden.18 Wesentlich permanente Differenzen wären unabhängig hiervon bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen, da insoweit keine latenten Steuern entstehen. bb) Switch-Over-Regel Die Anwendung einer Switch-Over-Regel würde bezogen auf die jeweiligen Einkünfte aus Betriebsstätten oder Immobilien zu erfolgen haben. Eine Aggregation dürfte insofern ausscheiden. Soweit die Bemessungsgrundlage in Quellenstaat und dem Staat des Zahlungsempfängers im Einzelfall voneinander abweicht, dürften wohl die im Stammhausstaat steuerlichen geltenden Regelungen zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage maßgeblich sein. 4. Bestimmung der Höhe der Besteuerung a) Regelungen im Quellenstaat Sowohl für die Anwendung der vorgesehenen Undertaxed-Payments-Regel, als auch der Subject-To-Tax-Regel ist für die Besteuerung im Quellenstaat die Höhe der (aus Sicht des Quellenstaats ausländischen) Besteuerung einer Zahlung zu ermitteln. Eine solche Ermittlung kann für den Rechtsanwender schon im Einzelfall eine erhebliche technische Herausforderung darstellen. Eine „flächendeckende“ Überprüfung sämtlicher grenzüberschreitender Zahlungen aufgrund einer Undertaxed-Payments-Regel bzw. Subject-To-Tax-Regel würde daher für Unternehmen und Verwaltung einen enormen Arbeitsaufwand und ein erhebliches Maß an Unsicherheit bedeuten. Die Gründe hierfür wären insbesondere: (1) die Notwendigkeit eines umfassenden Verständnisses – der relevanten Regelungen des im Staat des Zahlungsempfängers jeweils geltenden ausländischen Steuerrechts mit Blick auf sämtliche Vorschriften, die die Zuordnung der Zahlung, die Bemessungsgrundlage der Besteuerung der Zahlung, die Höhe des anzuwendenden Steuersatzes und etwaige Steuerbefreiungen betreffen, – der Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung im Staat des Zahlungsempfängers sowie anderen relevanten Staaten, die im Ergebnis zu einer Besteuerung der betreffenden Zahlung führen können,

18 Vgl. hierzu OECD (Fn. 5), Rz. 40 ff. sowie Annex A, Example 5. 

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(2) Unterschiede bei der Ermittlung der steuerlichen Bemessungsgrundlage und/ oder bei der zeitlichen steuerlichen Erfassung der relevanten Zahlung, die sich zwischen Quellenstaat und Empfängerstaat aufgrund nicht harmonisierter nationaler Steuervorschriften ergeben können, (3) Unsicherheit über die Höhe und/oder den Zeitpunkt der Besteuerung einer Zahlung im Empfängerstaat und/oder Unsicherheit über die Abzugsfähigkeit einer Zahlung im Quellenstaat zum Zeitpunkt der Anwendung der Undertaxed-Payments-Regel bzw. Subject-To-Tax-Regel, etwa weil – Veranlagungen vorläufig erfolgen, – steuerliche Zweifelsfragen bestehen, die noch der steuerlichen Betriebsprüfung unterliegen und/oder der gerichtlichen Klärung bedürfen, – steuerliche Sachverhalte noch Gegenstand von Verständigungs- oder Schiedsverfahren sind, – Rangfolgeprobleme oder andere Unsicherheiten bzgl. der Anwendung relevanter Regelungen im Empfängerstaat, Quellenstaat oder in Gesellschafterstaaten bestehen, etwa mit Blick auf – Income-Inclusion- und Switch-Over-Regeln, – Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung, – Regelungen zur Beschränkung des Zinsabzugs, – Regelungen zur Versagung des Abzugs von Betriebsausgaben im Zusammenhang mit Verlusten oder Abschreibungen aus Transaktionen mit verbundenen Unternehmen, – Regelungen zur Besteuerung grds. nicht zu erfassenden Einkommens oder Versagung von Betriebsausgaben im Zusammenhang mit sog. „hybrid mismatches“, – Regelungen zur Angemessenheit von Verrechnungspreisen zwischen verbundenen Unternehmen, die zu einer Veränderung der Höhe des abzugsfähigen Anteils der relevanten Zahlung im jeweiligen Quellenstaat führen können, – allgemeine und spezielle Missbrauchsregelungen im nationalen Recht des Empfänger- oder Quellenstaats, – allgemeine und spezielle Missbrauchsregelungen in Doppelbesteuerungsabkommen, – Regelungen, die als Ergebnis der OECD- Arbeiten zu „Pillar One“ implementiert werden. (4) Besonderheiten, die sich für die Zurechnung der Einnahmen und die Ebene der Besteuerung dieser Einnahmen ergeben etwa durch

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– Fälle der Gruppenbesteuerung oder des „Group Relief “, – Personengesellschaften, – Betriebsstätten, – andere Fälle der Zurechnung. (5) Unsicherheiten mit Blick auf Fälle, in denen die Nicht- oder Niedrigbesteuerung im Empfängerland Folge des Abzugs steuerlich beachtlicher Verluste ist. Die o. g. Beispiele belegen, dass eine verlässliche transaktionsspezifische Beurteilung der (internationalen) Besteuerung einzelner Zahlungen in der Praxis nicht mit vertretbarem Aufwand leistbar ist. Die Kombination aus der Inflation von Regelungen zu Abzugsbeschränkungen und Formen der Hinzurechnungsbesteuerung in Verbindung mit dem durch die Anknüpfung an ausländische Besteuerungsmerkmale einhergehenden „Import“ von den steuerlichen Regelungen im Empfängerstaat immanenten Rechtsunsicherheiten führt zu einer für die Praxis nicht zu bewältigenden Komplexität. b) Regelungen im Gesellschafter- bzw. Stammhausstaat (1) Income-Inclusion-Regel Auch für die Anwendung der Income-Inclusion-Regel muss die in den relevanten Ländern erhobene Steuer ermittelt werden, um festzustellen, ob die Bemessungsgrundlage mit dem für erforderlich gehaltenen Mindestbesteuerungssatz belastet ist bzw. um zu prüfen, ob eine zusätzliche Steuer zu erheben ist. Hierfür ist zunächst die Frage zu beantworten, welche Steuerarten in die Berechnung des Besteuerungsniveaus der weltweiten Einkünfte einzubeziehen sind. Hierfür kommen in erster Linie Einkommensteuern in Betracht. Die Feststellung, ob eine Steuer den Charakter einer Einkommensteuer hat, kann im Einzelfall schwierig sein. Sind die relevanten Steuerarten festgelegt, so dürfte die Ermittlung der steuerlichen Belastung der Konzerngewinne dann zu bewältigen sein, wenn die Income-Inclusion-Regel im Rahmen einer weltweit aggregierten Betrachtung der steuerlichen Belastung des Konzerngewinns angewendet wird. Bei einer Ermittlung einer Steuerbelastung pro Land oder gar Rechtsträger wäre die Ermittlung ungleich schwieriger, da jede Einkommens- und Steuerposition für die Zwecke der Anwendung der Income-Inclusion-Regel einem bestimmten Land oder einem bestimmten Rechtsträger zugeordnet werden müsste. Angesichts der sich dann ergebenden vielfältigen Zurechnungsfragen, etwa bei Fällen der Gruppen­ besteuerung, Personengesellschaften und Betriebsstätten, usw. aber auch wegen der stetigen Zunahme an Fällen der Doppelbesteuerung von Gewinnen wäre dies eine extrem komplexe Aufgabe. Noch komplizierter würde es dann, wenn man die Berücksichtigungsfähigkeit ausländischer Steuern zudem abhängig von dem im jeweiligen Land erzielten Einkommen begrenzen wollte. 52

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Sofern die Income-Inclusion-Regel, wie von der OECD vorgesehen, nur die Mindestbesteuerung ausländischer Einkünfte sicherstellen soll, wären Steuern auf „inländische“ Einkünfte, also solche im Gesellschafterstaat, aus der Betrachtung auszugrenzen.19 Zudem wäre der maßgebliche Steueraufwand, in Abhängigkeit davon, wie die Bemessungsgrundlage ermittelt wird, für die Anwendung der Income-Inclusion-Regel unter Berücksichtigung latenter Steuern zu ermitteln.20 (2) Switch-Over-Regel Für die Anwendung einer Switch-Over-Regel würde die Ermittlung der Besteuerung bezogen auf die jeweiligen Einkünfte aus Betriebsstätten oder Immobilien zu erfolgen haben. Insoweit wären diese Einkünfte jeweils individuell entsprechend der steuerlichen Regeln des Stammhausstaats umzurechnen, um die effektive Besteuerungshöhe zu ermitteln. Da anscheinend sämtliche Einkünfte aus Betriebsstätten erfasst würden, käme es insoweit zu einer Vielzahl aufwendiger Schattenrechnungen. 5. Bemessung der zusätzlichen Mindeststeuer im Rahmen der IncomeInclusion-Regel Ergibt sich nach Ermittlung der zu berücksichtigenden Steuern, dass die Höhe der Besteuerung der hierzu korrespondierenden Mindeststeuerbemessungsgrundlage unter dem vorgesehenen Mindestsatz liegt, wäre Ziel der Mindestbesteuerung die Erhebung einer zusätzlichen Steuer, um für die Einkünfte – eines Konzerns insgesamt oder – für alle Rechtsträger im Ausland oder – in einzelnen Ländern oder – in einzelnen Konzerngesellschaften die gewünschte Mindestbesteuerung sicherzustellen. Abhängig von der Höhe des in einem Gesellschafter- bzw. Stammhausstaat zur Anwendung kommenden Mindestbesteuerungssatzes dürfte Ergebnis der Ermittlung der (ausländischen) Steuerbelastung in vielen Fällen sein, dass diese nicht unterhalb, sondern oberhalb des Mindestsatzes liegt. Insoweit wäre entweder durch die Möglichkeit eines Vor- und Rücktrags einer Art Steuergutschrift oder durch die Zugrundelegung einer mehrjährigen Betrachtung sicherzustellen, dass eine niedrige Be­ steuerung in einzelnen Jahren nicht zu einer Mindeststeuer führt, obgleich der

19 Vgl. hierzu auch II.3.b) aa) (1). 20 Vgl. hierzu II.3.b) aa) (3) sowie Fn. 16.

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betreffende Konzern im Durchschnitt der Jahre eher hoch besteuert ist.21 Insoweit wäre auch die Behandlung von Unternehmenszusammenschlüssen und -veräußerungen, Fusionen, Umstrukturierungen und Abspaltungen zu regeln und es wäre sicherzustellen, dass „Mindestbesteuerungsgutschriften“ nicht durch Veränderungen der Eigentümerstruktur u. ä. beeinträchtigt werden. All diesen Aspekten kann in der Praxis vermutlich nur dann mit vertretbarem Aufwand Rechnung getragen werden, wenn die Anwendung der GloBE-Vorschläge auf global aggregierter Ebene erfolgt. 6. Koordinationsfragen Die GloBE-Vorschläge zielen darauf ab, eine zu niedrige Besteuerung von Einkünften zu vermeiden. Sie führen zu vielfältigen Überschneidungsproblemen. Die OECD verweist in den bisher veröffentlichten Dokumenten der OECD zwar auf Fortschritte,22 Details diesbezüglicher Lösungsansätze sind jedoch noch nicht erkennbar. Zum einen betrifft dies die vorgeschlagenen GloBE-Regelungen untereinander, da es ohne eine Rangfolgeregelung beispielsweise zu einer Besteuerung einer Zahlung mittels Income-Inclusion-Regel bei gleichzeitiger Nichtabzugsfähigkeit der Zahlung aufgrund der Undertaxed-Payments-Regel kommen könnte. Zum anderen überschneidet sich der Anwendungsbereich der GloBE-Vorschläge angesichts der fehlenden Beschränkung der Anwendbarkeit der vorgeschlagenen Regelungen auf bestimmte Einkünfte (z. B. Zinszahlungen) oder bestimmte Sachverhalte (etwa Fälle hybrider Inkongruenzen) mit sämtlichen bereits bestehenden Vorschriften, die zu einer – Hinzurechnungsbesteuerung bei niedrig besteuerten Einkünften, – Versagung des Abzugs von Betriebsausgaben, – Versagung einer Steuerbefreiung, – Versagung von Richtlinien- oder Abkommensvorteilen, oder – Andersbesteuerung von Sachverhalten jenseits ihrer rechtlichen Struktur aufgrund der Annahme eines Missbrauchs führen.

21 Das OECD-Konsultationspapier geht insoweit offenbar davon aus, dass eine solche Steuergutschrift (nur) als Alternative aber nicht zusätzlich zur Einbeziehung latenter Steuern in Betracht kommt, vgl. OECD (Fn. 5), Rz. 40 ff. Zur Vermeidung einer nicht sachgerechten Überbesteuerung dürfte jedoch beides erforderlich sein, da sich trotz der Einbeziehung latenter Steuern atypische Steuerbelastungen ergeben können, etwa weil nicht sämtliche temporären und permanenten Differenzen berücksichtigt werden, aufgrund von Veränderungen der Zusammensetzung der globalen Einkünfte aus Hoch- und Niedrigsteuerländern oder weil eine in der Vergangenheit gebildete Rückstellung bzgl. einer „Uncertain Tax Position“ aufgelöst werden kann. 22 OECD (Fn. 5), Rz. 10.

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Aufgrund dessen ist eine Koordination der Anwendung der entsprechenden Regelungen, sowohl innerstaatlich als auch grenzüberschreitend erforderlich. Die Koordination müsste dabei sinnvollerweise durch eine verbindliche bzw. gesetzliche Verankerung von (international abgestimmten) Vorrangregeln erfolgen. Wie sich aus den nachfolgenden beispielhaften Ausführungen ergeben wird, erscheint die Entwicklung eines stimmigen Apparats von Vorrangregelungen angesichts der Fülle der inzwischen einschlägigen nationalen „Anti-BEPS-Normen“ und wegen der gleichzeitig bestehenden Unterschiede zwischen den in den fraglichen Staaten im Detail geltenden Rechtssystemen und Vorschriften kaum lösbar. Ebenso dürfte eine „fallweise“ Koordination abhängig von der tatsächlichen Anwendung einzelner Vorschriften auf den jeweiligen Sachverhalt nicht zielführend sein, da die fallweise Anwendung des sich ergebenden Regelungsgeflechts in Abhängigkeit von der tatsächlichen Anwendung der sich überschneidenden Vorschriften praktisch kaum überblickt werden könnte. Als Beispiel sei insoweit erwähnt, dass insbesondere die Regelungen zu hybriden Inkongruenzen schon in sich Rangfolgeprobleme auslösen, so dass durch die Überlagerung dieser Regelungen durch die GloBE-Vorschläge mehrstufige Rangfolgeprobleme zu lösen wären, will man nicht die (nicht zielführende) doppelte Anwendung der jeweiligen steuererhöhenden Vorschriften in Kauf nehmen. Beispiel: Koordinationserfordernis bei der Undertaxed-Payments-Regel Nach der Undertaxed-Payments-Regel soll der steuerliche Abzug für eine Zahlung an ein verbundenes Unternehmen im Quellenstaat verweigert werden (oder Quellensteuer erhoben werden), wenn diese Zahlung andernfalls (im Empfängerstaat) niedrig besteuert würde. Insoweit wäre z. B. sicherzustellen, dass die Undertaxed-­ Payments-Regel nur dann oder jedenfalls nur soweit als erforderlich zur Anwendung kommt, wenn (1) die Abzugsfähigkeit der betreffenden Betriebsausgabe im Quellenstaat nicht bereits durch andere Anti-BEPS-Vorschriften, etwa zum Zinsabzug oder zu hybriden Inkongruenzen, oder aufgrund anderer nationaler steuerrechtlicher Regelungen ausgeschlossen ist, (2) die Besteuerung im Empfängerland tatsächlich niedrig ist, was z. B. davon abhängen wird, ob es dort aufgrund einer der nachfolgend genannten Regelungen zu „ausnahmsweisen“ Besteuerung kommt: – Income-Inclusion-Regel, – Switch-Over-Regel, – Regeln zur Hinzurechnungsbesteuerung, – Regeln zu hybriden Inkongruenzen, – Subject-To-Tax-Regel,

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(3) es auch in keinem anderen Land zu einer hinreichenden Erfassung und Besteuerung der jeweiligen Zahlung kommt, sei es aufgrund der unter (2) genannten Regelungen oder aufgrund steuerlicher Zurechnung aus anderen Gründen, etwa weil der die Zahlung empfangende Rechtsträger aus Sicht des anderen Staates als transparent anzusehen ist, aufgrund einer Gruppenbesteuerung, aufgrund der US-amerikanischen Check-The-Box-Regelungen usw. Die insoweit entstehende Koordinierungsaufgabe ist aus verschiedenen Gründen hochkomplex. Zum einen liegt dies an den teilweise stark überlappenden Regelungsbereichen, was vielfältige Gefahren einer Mehrfachbesteuerung bewirkt. Zweitens muss die Koordinierung auf multinationaler Ebene erfolgen, was durch die international höchst heterogenen Regelungen zu Fragen der Bemessungsgrundlage, der Einkommenszurechnung und anderer Kernbereiche des jeweiligen Steuerrechts erheblich erschwert wird, da die Koordinierung mangels harmonisierter Grundlagen nur symptomatisch, also bezogen auf die individuell eintretenden Rechtsfolgen erfolgen kann. Unerwünschte Effekte, insbesondere in Gestalt von Doppel- und Mehrfachbesteuerung sind so kaum vermeidbar. Weitere Probleme ergeben sich daraus, dass mehrere der „konkurrierenden“ Regelungen mehrperiodisch zu betrachten sind und deren Anwendung von Vor- und Rückträgen von Steuerattributen (z. B. Verluste, Zinsvorträge, EBITDA-Vorträge, Steuergutschriften, Dual Inclusion Income (im Bereich der hybriden Inkongruenzen), etc.) oder gar von einer nachgelagerten Zweitbesteuerung bestimmter Ein­künfte abhängen. Schon die vollständige Beschreibung des insoweit zu lösenden Komplexitätsproblems fällt schwer, erst recht gilt dies für ein glaubwürdiges Impact Assessment und die Erarbeitung einer praktikablen und abgestimmten Lösung zur Koordination der vielfältigen Anti-BEPS-Regelungen. Bisher entwickelte Lösungsansätze zur Beantwortung der sich ergebenden Rangfolgefragen dürften insoweit nur begrenzt weiterhelfen, weil der im Rahmen der GloBE-Vorschläge abzudeckende Bereich an relevanten Sachverhaltskonstellationen und Geschäftsvorfällen wesentlich breiter ist als derjenige von anderen Regelungen wie etwa solchen zur Begrenzung des Abzugs von Zins- oder Lizenzaufwendungen. Für die Bestimmung des Anwendungsvorrangs wird auch von Bedeutung sein, dass der Mindestbesteuerungssatz, auf den die Steuerlast heraufgeschleust werden würde, im Zweifel niedriger liegen wird als der „Normalsteuersatz“ des betreffenden Anwenderstaats. Entsprechend würden voraussichtlich Regelungen, die zu einer Erfassung bestimmter Einkünfte unter Anwendung des „Normalsteuersatzes“ führen sollen, vorrangig anzuwenden sein, etwa Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung. Dies wird vermutlich etwaige (wünschenswerte) Bestrebungen, das geschaffene Regelungsdickicht anlässlich der Umsetzung der GloBE-Vorschläge zu entwirren und zu vereinfachen, behindern, da z. B. die Hinzurechnungsbesteuerung in ihrer Wirkung regelmäßig belastender sein wird als eine Mindeststeuer und eine Abschaffung dieser Regelungen zugunsten der GloBE-Vorschläge ggf. zu Mindereinnahmen führen kann.

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7. Vereinbarkeit mit Grundfreiheiten und Doppelbesteuerungsabkommen a) Regelungen im Quellenstaat Die in Art. 49 AEUV geregelte Niederlassungsfreiheit beinhaltet neben dem Verbot der Diskriminierung von Niederlassungen von Ausländern auch ein Beschränkungsverbot.23 Es verbietet den Mitgliedsstaaten grundsätzlich, Niederlassungen oder Tochtergesellschaften von Rechtsträgern, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedsstaat haben, zu benachteiligen. Folglich stellen steuerlich nachteilige Regelungen, die die inländische steuerliche Behandlung eines Sachverhalts von ausländischen Merkmalen abhängig machen, eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar.24 Dies gilt auch dann, wenn die betreffende Regelung zwar nicht formalrechtlich an ausländische Merkmale anknüpft, die für eine nachteilige steuerliche Behandlung erforderlichen Merkmale aber bei Inländern typischerweise nicht gegeben sind.25 Eine Undertaxed-Payments-Regel würde demzufolge, soweit sie auf Rechtsträger in Mitgliedsstaaten Anwendung fände, eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellen. Diese Beschränkung dürfte auch nicht durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses zu rechtfertigen sein: Die Verhinderung von Missbräuchen scheidet schon deshalb als Rechtsfertigungsgrund aus, weil die Undertaxed-Payments-Regel wohl schlicht in Abhängigkeit von der Besteuerung auf Empfängerebene und unabhängig vom Vorliegen missbräuchlicher Gestaltungen zur Anwendung käme. Andere denkbare Rechtfertigungsgründe wie etwa die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten oder das Ziel der Verhinderung einer doppelten Berücksichtigung von Verlusten bzw. Aufwendungen sind nicht einschlägig, weil die entsprechenden Zahlungen unzweifelhaft der Besteuerungsbefugnis des Quellenstaates zuzuordnen wären und dessen Besteuerungsbefugnis einschließlich dessen Verpflichtung, Niederlassungen oder Tochtergesellschaften ausländischer Rechtsträger mit Blick auf den Abzug von Betriebsausgaben nicht 23 Kokott/Ost, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, EuZW 2011, 496. Abhängig von der Ausgestaltung der Undertaxed-Payments-Regel wäre diese ggf. auch am Maßstab der Kapitalverkehrsfreiheit zu messen. Unter der Annahme, dass die Under­taxedPayments-Regel nur im Verhältnis zu verbundenen Unternehmen zur Anwendung käme, wird die Frage der Vereinbarkeit Kapitalverkehrsfreiheit jedoch nachfolgend vereinfachungshalber ausgeklammert. 24 Vgl. z. B. EuGH v. 6.9.2012 – C-18/11 (Philips Electronics), IStR 2012, 847; v. 5.2.2014 – C-385/12 (Hervis Sport), DStRE 2014, 1049; v. 12.12.2002 − C-324/00 (Lankhorst-Hohorst GmbH), IStR 2003, 55; v. 18.6.2009 − C-303/07 (Aberdeen Property Fininvest Alpha Oy), DStRE 2009, 1439; v. 27.11.2008 − C-418/07 (Papillon), IStR 2009, 66; v. 13.3.2007 C-524/04 (Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation), IStR 2007, 49. 25 Vgl. z. B. EuGH v. 14.2.1995 − C–279/93 (Schumacker), DStR 1995, 326; v. 12.12.2002 − C-324/00 (Lankhorst-Hohorst GmbH), IStR 2003, 55; v. 26.10.1999 − C-294/97 (Eurowings), DStR 2000, 303.

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schlechter zu stellen als inländisch beherrschte Rechtsträger, durch die Besteuerung auf der Empfängerebene nicht berührt wird.26 Auch mit Verweis auf die Kohärenz des nationalen Steuersystems dürfte eine allgemein gültige Undertaxed-Payments-Regel nicht zu rechtfertigen sein, da Hintergrund einer solchen Regel nicht die kohärente Ausgestaltung steuerlicher Be- und Entlastungen im selben Mitgliedsstaat wäre, sondern eine Verknüpfung von steuerlichen Rechtsfolgen in unterschiedlichen Mitgliedsstaaten.27 Folglich dürfte eine Undertaxed-Payments-Regel eine nicht zu rechtfertigende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellen,28 die allenfalls dadurch geheilt werden kann, dass der sachliche Anwendungsbereich der Regelung auf missbräuchliche (rein künstliche29) Gestaltungen reduziert wird. Ergänzend ist insoweit zu erwähnen, dass auch eine Anwendung der Undertaxed-­ Payment-Regel auf Zahlungen im Inland nicht zu einer europarechtskonformen Regelung führen dürfte. Nach der Rechtsprechung des EuGH30 sind nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund des Sitzes eines Unternehmens, sondern auch sog. verdeckte Diskriminierungen unvereinbar mit den Grundfreiheiten. Dies wäre der Fall, wenn die Regelung zwar formal auch inländische Zahlungen erfassen, ein Abzugsverbot insoweit aber wegen des inländischen Steuerbelastungsniveaus regelmäßig ausscheiden würde. Neben den oben angesprochenen europarechtlichen Fragen dürfte eine Undertaxed-­ Payments-Regel auch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Artikels 24 Absatz 4 des OECD-Musterabkommens verstoßen. Auch bei einer Subject-To-Tax-Regel würden europarechtliche Fragen aufgeworfen, insbesondere bzgl. einer Kollision der Erhebung von Quellensteuern mit der Zinsund Lizenzrichtlinie31. Daneben dürfte die Versagung von Abkommensvorteilen gegen bestehende Doppelbesteuerungsabkommen, typischerweise gegen Art.  11 und Art. 12 OECD-Musterabkommen verstoßen. Eine nähere Betrachtung der insoweit bestehenden Fragen kann jedoch nur auf Basis präzisierter Regelungsvorschläge erfolgen, die die bislang vorliegenden Überlegungen der OECD konkretisieren.

26 EuGH v. 6.9.2012 – C-18/11 (Philips Electronics), IStR 2012, 847, Rz. 27, 30 ff. 27 Vgl. zum Begriff der Kohärenz Kokott/Ost, EuZW 2011, 496. 28 Vgl. hierzu auch das Vorabentscheidungsersuchen des Högsta förvaltningsdomstol (Schweden) v. 25.6.2019 – Rs. C-484/19 (Lexel) sowie die Untersuchung der Europäischen Kommision (EU PILOT 4437/13/TAXU) zur Vereinbarkeit der schwedischen Beschränkung des Zinsabzugs (Art. 24 Abs. 10b Inkomstskattelag) bei Niedrigbesteuerung des Empfängers. 29 EuGH v. 13.3.2007 − C-524/04 (Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation), Rz. 74, IStR 2007, 49. 30 Vgl. z. B. EuGH v. 12.12.2002 − C-324/00 (Lankhorst-Hohorst GmbH), Rz.  27  ff., IStR 2003, 55; v. 26.10.1999 − C-294/97 (Eurowings), Rz. 35 ff., DStR 2000, 303. 31 Vgl. Richtlinie 2003/49/EG v. 3.6.2003 über eine gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. 2003 Nr. L 157, S. 49.

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b) Regelungen im Gesellschafter- bzw. Stammhausstaat Eine Income-Inclusion-Regel würde in ihrer Wirkung derjenigen von Regeln zur Hinzurechnungsbesteuerung ähneln. Solche Regelungen bzw. eine hieraus folgende zusätzliche Besteuerung können aus primärrechtlicher Sicht insbesondere eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) und der Kapitalverkehrsfreiheit (Art.  63 AEUV) darstellen, so sie eine von der Behandlung inländischer Fälle abweichende unterschiedliche Behandlung für grenzüberschreitende Fälle vorsehen. Zur Europarechtsverträglichkeit einer Hinzurechnungsbesteuerung für Rechtsträger in der EU und dem EWR hat der EuGH bereits Stellung genommen, und zwar sowohl für den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit32 als auch für den Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit33. Hiernach ergibt sich aus den durch eine Hinzurechnungsbesteuerung bedingten steuerlichen Nachteilen für Gesellschaften mit einer in einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittstaat einem niedrigeren Besteuerungsniveau unterliegenden Tochtergesellschaft eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit bzw. der Kapitalverkehrsfreiheit. Nach Auffassung des EuGH lässt sich diese Beschränkung nur mit Gründen der Bekämpfung missbräuchlicher Praktiken rechtfertigen, wenn das spezifische Ziel der Beschränkung darin liegt, Verhaltensweisen zu verhindern, – die darin bestehen, rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen zu dem Zweck zu errichten, der Steuer zu entgehen, die normalerweise für durch Tätigkeiten im Inland erzielte Gewinne geschuldet wird,34 – deren Hauptziel oder eines der Hauptziele darin besteht, durch Tätigkeiten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates erzielte Gewinne künstlich in Drittländer mit niedrigem Besteuerungsniveau zu transferieren“35. Diesem engen Maßstab dürfte eine allgemein wirkende Income-Inclusion-Regel, die unabhängig vom Vorliegen missbräuchlicher Gestaltungen ausschließlich an die Höhe der steuerlichen Vorbelastung der fraglichen Einkünfte anknüpft, nicht gerecht werden. Dies dürfte auch dann gelten, wenn eine Income-Inclusion-Regel durch eine entsprechende Richtlinie sekundärrechtlich untermauert wird.36 Zwar ist eine nationale Regelung nach ständiger EuGH-Rechtsprechung anhand der fraglichen Harmonisie32 EuGH v. 12.9.2006 – C 196/04 (Cadbury Schweppes), DStR 2006, 1686. 33 EuGH v. 26.2.2019 – C-135/17 (X GmbH), DStR 2019, 489. 34 EuGH v. 12.9.2006  – C 196/04 (Cadbury Schweppes), DStR 2006, 1686; v. 13.3.2007 − C-524/04 (Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation), IStR 2007, 49. 35 EuGH v. 26.2.2019 – C-135/17 (X GmbH), DStR 2019, 489. 36 Fraglich dürfte insoweit schon sein, ob die Umsetzung der GloBE-Vorschläge durch eine Richtlinie in Einklang mit dem in Art.  5 Abs.  3 AEUV verankerten Subsidiaritätprinzip stünde, wonach die Europäische Union insoweit nur tätig werden darf, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zen­ traler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können,

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rungsmaßnahme und nicht anhand des Primärrechts zu beurteilen, sofern diese nationale Regelung in einem Bereich liegt, der auf Ebene der Europäischen Union abschließend harmonisiert wurde.37 Eine GloBE-EU-Richtlinie wird den relevanten Rechtsbereich jedoch schwerlich abschließend harmonisieren können, da diese nur bestimmte Teilbereiche regeln kann und insoweit zudem eher die Vereinbarung eines Mindeststandards zu erwarten ist als eine präzise und abschließende Vorgabe mit Blick auf die zu regelnden Teilbereiche. Im Übrigen dürfte auch das Sekundärrecht der Europäischen Union selbst an den Grundfreiheiten zu messen sein.38 Dem wurde vom Unionsgesetzgeber bisher – etwa im Rahmen der Regelungen der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie39 – auch Rechnung getragen. Die hierin enthaltenen Regeln zur Hinzurechnungsbesteuerung enthalten in Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie eine Substanzausnahme für Gesellschaften in Mitgliedsstaaten. Ein solcher „Carve Out“ wäre wohl auch bei der vorgeschlagenen Income-Inclusion-Regel erforderlich, um diese europarechtskonform auszugestalten. Dies würde den Anwendungsbereich der Regel im EU-Raum erheblich begrenzen. Abschließend ist zu erwähnen, dass auch eine Anwendung der (aus Vereinfachungsgründen ggf. wünschenswerten) eine Mindestbesteuerung sichernden Income-Inclusion-Regel auf die im Inland erzielten Einkünfte vermutlich nicht zu einer europarechtskonformen Regelung führen dürfte. Wie bereits angesprochen, sind nach der Rechtsprechung des EuGH40 nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund des Sitzes eines Unternehmens, sondern auch verdeckte Diskriminierungen unvereinbar mit den Grundfreiheiten. Dies könnte der Fall sein, wenn die Regelung zwar formal auch inländische Einkünfte erfasst, eine zusätzliche Besteuerung insoweit aber wegen des inländischen Steuerbelastungsniveaus regelmäßig nicht in Betracht kommt. Auch eine allgemein wirkende „Switch-Over-Regel“, wonach bei ausländischen Betriebsstätten oder Immobilien im Stammhausstaat eine Steuerfreistellung versagt wird, sofern die erzielten Erträge (im Quellenstaat) zu niedrig besteuert worden sind, dürfte schwerlich mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sein. Zwar sah der EuGH sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind. 37 Vgl. erstmals EuGH v. 12.10.1993 – C-37/92 (Vanacker Lesage), BB 1994, 87; zuletzt hierzu EuGH v. 8.3.2011 – C-14/16 (Euro Park Service), IStR 2017, 409. 38 Die Reichweite des diesbezüglichen Prüfungsvorbehalts ist allerdings nicht abschließend geklärt. Vgl. hierzu Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, 1. Aufl. 2018, Teil 2 Rz. 92; Kofler, VI Diritto e Pratica Tributaria Internazionale 2, 2009, 471; Lüdicke/Hummel, IStR 2006, 694; Forsthoff, IStR 2006, 222 und 698. 39 Richtlinie (EU) 2016/1164 des Rates v. 12.7.2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts, abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=​ CELEX:32016L1164&from=de. 40 Vgl. z. B. EuGH v. 12.12.2002 − C-324/00 (Lankhorst-Hohorst GmbH), Rz.  27  ff., IStR 2003, 55; v. 26.10.1999 − C-294/97 (Eurowings), Rz. 35 ff., DStR 2000, 303.

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in einem Einzelfall, der Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter aus einem pauschal besteuerten belgischen Koordinierungszentrum betraf, eine solche Switch-Over-Regel (entgegen der Auffassung des Generalanwalts41) als europarechtskonform an.42 Jedoch erscheint zweifelhaft, ob die Grundsätze dieser Entscheidung auch eine „flächendeckende“ Anwendung einer Switch-Over-Regel ohne eine Beschränkung auf Missbrauchsfälle erlauben würden. Zudem würde die vorgeschlagene Switch-Over-Regel in Konflikt zu typischen Regelungen in Doppelbesteuerungsabkommen stehen und daher Änderungen in einer Vielzahl von Abkommen erforderlich machen.

III. Fazit 1. Ausgangslage Seit Beginn des OECD BEPS-Projekts sind Unternehmen und Steuerverwaltungen mit einer massiven Veränderung der für die internationale Besteuerung relevanten Regeln konfrontiert, sei es auf nationaler oder multilateraler Ebene. Bei verschiedenen Regeln und Empfehlungen, die sich aus dem BEPS-Projekt ergeben haben, ist unklar, ob diese auf einem umfassenden internationalen Konsens beruhen. Dies schafft bereits heute Unsicherheit und erhöht das Risiko von Doppelbesteuerung, etwa in Bezug auf Betriebsstätten und Verrechnungspreise. Auch die Berichtspflichten der Unternehmen wurden deutlich erweitert, obwohl die Unternehmen bereits vor Beginn des BEPS-Projekts umfangreiche Berichtspflichten erfüllen mussten. Andererseits zeigen die Streitbeilegungsverfahren noch keine wesentlichen Anzeichen einer Verbesserung der Praxis, die eine effiziente Abdeckung der Streitigkeiten aufgrund der gestiegenen Komplexität und Unsicherheit gewährleisten würde. Sowohl die Unternehmen als auch die Steuerverwaltungen sind noch dabei, diese Veränderungen zu verarbeiten, und es wird mehr Zeit in Anspruch nehmen, um wieder ein zufriedenstellendes Maß an Sicherheit herzustellen. Entsprechend ist zu betonen, dass weitere Änderungen der internationalen Steuervorschriften und weitere Rechnungslegungsverpflichtungen für Unternehmen und Steuerverwaltungen gleichermaßen schwer zu administrieren sein werden, insbesondere wenn sie die be­ stehenden Vorschriften nicht vereinfachen, sondern verkomplizieren, bestehende Doppelbesteuerungsrisiken oder den Verwaltungsaufwand für die Einhaltung der Steuergesetze weiter erhöhen. Dies gilt erst recht, solange nicht hinreichend klar ist, welche Auswirkungen die bisher durchgeführten Anti-BEPS-Maßnahmen bereits auf die Verringerung der BEPS-Probleme gehabt haben. Es wird noch einige Zeit dauern, bis die vollen Aus41 EuGH: Schlussantrag des Generalanwalts v. 29.3.2007 − C-298/05, BeckRS 2008, 70133. 42 EuGH v. 6.12.2007 − C-298/05 (Columbus Container Services), DStR 2007, 2308.

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wirkungen der getroffenen Maßnahmen – nicht nur auf die Eindämmung der BEPS, sondern auch auf die Steuerzahler und Verwaltungen im weiteren Sinne – bewertet werden können. 2. GloBE-Vorschläge Vor diesem Hintergrund kommen die Vorschläge der OECD zu einer globalen Mindestbesteuerung zu einem verfrühten Zeitpunkt. Wenngleich die Regelungsvorschläge derzeit nur in ihren groben Konturen erkennbar sind und eine abschließende Würdigung der Vorschläge nicht möglich ist, lässt sich bereits erkennen, dass die Einführung der angedachten Regelungen zu einem Höchstmaß an (zusätzlicher) Komplexität und Koordinationsproblemen führen wird, will man überschießende Wirkungen bzw. die doppelte und mehrfache Besteuerung von Einkünften vermeiden. Die administrative und technische Belastung von Steuerpflichtigen und Verwaltung wird enorm sein. Angesichts der begrenzten Ressourcen zur steuerlichen Deklaration, Veranlagung und Prüfung internationaler Unternehmenssachverhalte ist unklar, wie diese Herausforderungen praktisch bewältigt und im Sinne einer gleichmäßigen Besteuerung verwaltet werden können. Zwar wurden in diesem Beitrag Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, wie die bei Umsetzung der Vorschläge zu erwartende zusätzliche Komplexität etwas begrenzt werden kann (z. B. Anwendung der In­come-Inclusion-Regel nur auf Ebene der obersten Konzerngesellschaft sowie globale Aggregation der Bemessungsgrundlagen), jedoch würden die angedachten Regelungen auch unter Beachtung dieser Punkte aller Vo­ raussicht nach zu einer massiven zusätzlichen Belastung von Unternehmen und Verwaltung führen. Zudem bestünden erhebliche Unsicherheiten mit Blick auf Konflikte der vorgeschlagenen Regelungen mit den EU-Grundfreiheiten, sekundärem EURecht und auch mit bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen.43 Vor diesem Hintergrund wäre ein weiteres Vorantreiben der OECD-Vorschläge zu Pillar Two wohl nur dann sinnvoll, wenn folgende Elemente berücksichtigt werden: – Anwendung der Income-Inclusion-Regel nur auf der Ebene der obersten Konzernbzw. Muttergesellschaft, – Globale Aggregation der Bemessungsgrundlage auf der Grundlage des für den Konzernabschluss verwendeten Rechnungslegungsstandards, – Berücksichtigung wesentlicher temporärer Differenzen, z. B. durch Einbeziehung der latenten Steuern bei der Bemessung der Höhe der Besteuerung, – Anpassung der Bemessungsgrundlage hinsichtlich wesentlicher permanenter Differenzen,

43 Letztere werden in diesem Beitrag nicht analysiert, da dies den Rahmen dieser Untersuchung sprengen würde und hierfür ein besseres Verständnis der geplanten Regelungen im Detail erforderlich wäre.

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Vorschläge der OECD zu einer globalen Mindestbesteuerung

– Schaffung verlässlicher Koordinationsmechanismen, insbesondere eines Vorrangs der Income-Inclusion-Regel vor anderen GloBE-Vorschriften und Ausschluss der Anwendung dieser anderen Vorschriften, sofern bei der Konzernobergesellschaft eine adäquate Income Inclusion Regel zur Anwendung kommt,44 – Schaffung eines Vortrags für "excess taxes", um zu vermeiden, dass in einem atypischen Jahr Mindeststeuer anfällt, obgleich der Konzern normalerweise bzw. im Durchschnitt hoch besteuert wird, – Generalüberholung der bestehenden Anti-BEPS-Regelungen unter Abschaffung dessen, was durch die Vorschläge zu Pillar Two überflüssig wird, insbesondere Regeln zur Hinzurechnungsbesteuerung, – Erstellung einer verbindlichen Liste („White List“) adäquater Income-Inclusion-­ Regeln,45 – Schaffung eines geeigneten Vorbehalts bzw. „Carve Out“ für in der EU ansässige Anwender der Income-Inclusion-Regel unter Berücksichtigung der einschlägigen EuGH-Rechtsprechung. Sofern für eine Berücksichtigung der oben genannten Aspekte kein Konsens gefunden werden kann, sollte man von einer weiteren Verkomplizierung des internationalen steuerlichen Regelgeflechts absehen und sich zunächst ein klares Bild von den Wirkungen der bereits umgesetzten Anti-BEPS-Maßnahmen einschließlich der US-Steuerreform machen. Ansonsten droht, wie Kahlenberg zutreffend anmerkt, „eine Zumutung für alle Beteiligten“.46

44 Wie unter II.7.a) ausgeführt, dürfte die Undertaxed-Payment-Regel ohnehin schwerlich mit Europarecht in Einklang zu bringen sein. 45 Insoweit sollte die in den USA angewandte GILTI-Regelung als adäquate Income-Inclusion-Regel angesehen werden. Die im Jahr 2018 eingeführte GILTI-Regelung funktioniert im Ergebnis ähnlich wie die angedachte Income-Inclusion-Regel, wenngleich es sich insoweit nicht um eine „Top Up Tax“ handelt, sondern sich die GILTI-Steuer nach der Anrechnungsmethode bestimmt. Sie zielt auf die Mindestbesteuerung des Teils der von US-Unternehmen erzielten ausländischen Einkünfte, der über eine Kapitalrendite von 10% hinausgeht. Insoweit soll ein Mindeststeuersatz in Höhe von (zunächst) 10,5% sichergestellt werden. Aufgrund von verschiedenen Beschränkungen der Anrechenbarkeit ausländischer Steuern kann die steuerliche Belastung der relevanten Einkünfte aber auch deutlich höher ausfallen. Eine Anforderung, diese erst kürzlich eingeführte Regelung wieder grundlegend zu überarbeiten, wird aller Voraussicht nach politisch nur schwer vermittelbar sein. 46 Kahlenberg, IStR 2019, 636.

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Die digitalisierte Tax Compliance: Anforderungen und Lösungsansätze dargestellt anhand von Praxisbeispielen Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Transformation der Tax Compliance durch Digitalisierung? III. Steuerliche Prozesse IV. Quantitative und qualitative Einteilung steuerlicher Prozesse

V. Beispiele zur Digitalisierung der ­steuerlichen Prozesse 1. Methoden der Digitalisierung 2. Umsatzsteuerliche Prozesse 3. Verrechnungspreise 4. Umsatzsteuerliche Auswirkungen auf Zollwerte und Verrechnungs­ preissetzung VI. Fazit

I. Einleitung In den letzten Jahren haben die Begriffe „Tax Compliance“ und „Digitalisierung“ einen breiten Raum in der öffentlichen Wahrnehmung und fachlichen Literatur ge­ funden. Die Eingangsfrage zu diesem Beitrag sollte sein: Eignet sich Tax Compliance für die technisch möglichen digitalen Innovationen? Das Spannungsfeld zwischen einer betriebswirtschaftlichen und rechtswissenschaftlichen Perspektive, was unter Tax Compliance zu verstehen ist, wird zurzeit überlagert durch den technischen ­Anwendungsdruck, durch die mögliche Digitalisierung von Steuerprozessen. Viele Geschäftsprozesse werden manuell ausgeführt wobei der Einsatz von Microsoft Excel Tabellen als in diese Kategorie fallend zu verstehen ist. Der Einstieg in die neue digitale Welt, in der Prozesse maschinell unterstützt oder sogar automatisiert sind, erscheint nicht einfach. Es stellen sich die weiteren Fragen nach dem Begriffsinhalt der Compliance und ob die Compliance einer Digitalisierung zugeführt werden kann? Tax Compliance ist aus rechtswissenschaftlicher Sicht aus dem Begriff „Corporate Compliance“ entwickelt worden. Corporate Compliance bezieht sich im Wesentlichen auf den Gläubigerschutz und Haftungsfragen, wie diese in §§ 91–93, 317 AktG beschrieben sind. Wer haftet in einer Aktiengesellschaft für die Verletzung von internen oder externen Regeln? Aus dieser Betrachtung hat das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) im Prüfungsstandard 980 „Compliance“ definiert als „die Einhaltung von Regeln, gesetzlichen Bestimmungen und unternehmensinternen Richtlinien“.1 1 Siehe Endgültigen IDW Praxishinweis 1/2016 zu Tax Compliance Management Systemen (IDW PS 980) v. 31.5.2017, abrufbar unter: https://www.idw.de/idw/idw-aktuell/endgueltiger-­ idw-praxishinweis-1-2016-zu-tax-compliance-management-systemen/101304 abgerufen am 24.7.2019.

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Aus dieser Definition eine geschäftsprozessmäßige Digitalisierung abzuleiten, erscheint zunächst nicht naheliegend. Betrachtet man jedoch Tax Compliance als Typusbegriff,2 eröffnen sich Anhaltspunkte für die Digitalisierung. Ein Begriff im Rechtssinne beinhaltet unabhängig von seiner Bedeutung beschreibende, zuschreibende oder bewertende Merkmale. Die einfachste Form des Rechtsbegriffs ist der Klassenbegriff. Er wird definiert durch die Angabe von Merkmalen, die für seine Erfüllung im Einzelfall notwendig und hinreichend sind. Einzelne Merkmale können kumulativ, aber auch alternativ notwendig sein. Im ersteren Fall sind die Merkmale wie im Falle des Begriffs einer Urkunde untereinander mit „und“ verknüpft, man spricht von einer konjunktiven Definition. Im zweiten Fall sind die Merkmale mit „oder“ verknüpft, man nennt das eine disjunktive Definition. Bereits an dieser Stelle kann man die Behauptung aufstellen, dass die maschinelle Umsetzung von Steuergesetzen eben dieser Logik der juristischen Begriffe folgt. Ferner handelt es sich bei einer disjunktiven Definition des Klassenbegriffs um Elemente einer Klasse mit verschiedenen Eigenschaften. Der Typusbegriff ist eine Weiterentwicklung des disjunktiven Begriffs. Der Typusbegriff hat mindestens ein abstufbares Merkmal. Daneben kommen weitere Merkmale vor, die entweder ebenfalls abstufbar sind oder nur alternativ notwendig sind. Die Verknüpfung dieser Merkmale sieht nun wie folgt aus: In je höherem Maße ein abstufbares Begriffsmerkmal im Einzelfall erfüllt ist, in desto geringerem Maße muss ein anderes abstufbares Merkmal erfüllt sein oder desto weniger von den übrigen disjunktiven Merkmalen müssen erfüllt werden. Typusbegriffe sind im Steuerrecht oft vertreten, so beispielsweise der Mitunternehmerbegriff des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Einkommensteuergesetz. Danach ist Mitunternehmen, wer Mitunternehmensrisiko und -initiative entfaltet.3 Die Ausgestaltung des Risikos oder der Initiative kann unterschiedlich ausfallen, um dem Typus Mit­ unternehmer zu entsprechen. So haftet der Komplementär einer Kommanditgesellschaft (KG) vollumfänglich, wobei der Kommanditist der KG nur mit seiner Hafteinlage zur Haftung herangezogen werden kann, §  171 HGB. Dennoch sind beide Gesellschafter Mitunternehmer im steuerlichen Sinne. Was bedeutet die Einordnung der Tax Compliance als Typusbegriff für die Digitalisierung? Zur Einhaltung von Regeln im Sinne der Definition bedarf es einer Organisation innerhalb eines Unternehmens, siehe §§ 37, 69, 90, 93 AO. Die Organisation an sich gliedert sich auf in Prozesse wie für die umsatzsteuerliche Erfassung von Geschäftsprozessen beispielsweise für eine Ausfuhrlieferung. Typischerweise wird das Management der Geschäftsprozesse in unterschiedlichen Phasen untergliedert. Ausgehend von der Strategie über die Modellierung, Ausführung und Überwachung bis hin zur Weiterentwicklung von 2 Siehe zum Typusbegriff, Ehmann, H., abrufbar unter: https://www.uni-trier.de/fileadmin/ fb5/prof/eme001/ado_fs_logbegr.pdf, angerufen am 24.7.2019; I.Puppe, Die Begriffe im Recht, S.  54–78, abrufbar unter: https://www.jura.uni-bonn.de/fileadmin/Fachbereich_ Rechtswissenschaft/Einrichtungen/Lehrstuehle/Puppe/dokumente/Methodenlehre_SS_​ 2015/S._54–78.pdf, abgerufen am 24.7.2019. 3 Siehe Nitzschke in Blümich, UmwStG 2006 § 20 Rz. 58, 146. EL Februar 2019; Hörtnagl in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwStG § 15 Rz. 89, 8. Aufl. 2018.

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Die digitalisierte Tax Compliance

Geschäftsprozessen. So werden durch die Änderung von Steuergesetzen die Merkmale zu den die Tax Compliance bestimmenden Prozesse (neu) definiert. Durch den Einsatz von digitalen Methoden und Techniken, beispielsweise des sogenannten Process Mining, können die beschriebenen Prozessabläufe analysiert und optimiert werden.

II.  Transformation der Tax Compliance durch Digitalisierung? Der Begriff Transformation erscheint in der Definition als „Prozess der Veränderung in Unternehmen, von der aktuellen Ist-Struktur hin zu einem angestrebten Ziel-Zustand durch einen dauerhaften Wandel“4 als selbstverständlich, um als Unternehmen dauerhaft erfolgreich zu sein. In Bezug auf der in Frage stehenden Automatisierung von Tax Compliance wird die Aussage: „Jeder, der sich nicht mit dem Thema Digitalisierung befasst, wird untergehen“5 zunächst unglaubwürdig. Die Zeichen der „Veränderung“ für die Tax Compliance sind jedoch bereits sichtbar. Die BEPS-Initiative und deren Umsetzung rückt die Digitalisierung in ein neues Licht. Die Umsetzung der BEPS Maßnahme 1 zur Erfassung von Wertschöpfungsbeiträgen in der digitalen Wirtschaft übt einen enormen Druck auf die Veränderung der nationalen Steuersysteme aus. So haben Frankreich und Großbritannien bereits Gesetzesänderungen vorgenommen, die die sogenannten GAFA6 Unternehmen besteuern sollen. Nur, wie sollte eine Bemessungsgrundlage für eine neue Besteuerung aussehen? Die Diskussionen zeigen, dass es um die Neuordnung des Steuerrechts im internationalen Sinne geht. Das derzeitige Steuerrecht ist veraltet und orientiert sich an Wertschöpfungsvorstellungen aus dem letzten Jahrtausend.7 Eine finale Lösung, wie was in einer digitalen Welt zu versteuern ist, wird einige Zeit an Diskus­ sionen und Abstimmungen zwischen den Ländern in Anspruch nehmen. Deutlich wird, dass immer mehr Daten benutzt und in einem neuen Beziehungsgeflecht gebracht werden. Algorithmen8 werden die „Berechnung“ der steuerlichen Bemessungsgrundlage übernehmen, wobei bereits heute sichtbar wird, dass die in den Algorithmen verwendeten Logiken für den Menschen nicht unbedingt nachvollziehbar sein werden.9 Die Digitalisierung der steuerlichen Prozesse ist aus dieser Entwicklung ein Muss, die obige Aussage zur digitalen Transformation eine logische Folge. Nur so können 4 Deuringer, C.: Organisation und Change Management, Wiesbaden 2000, S. 38. 5 T. Kollmann, Blog Management Circle, abrufbar: https://www.management-circle.de/blog/ etablierte-unternehmen-scheitern-an-der-digitalisierung/ am 20.7.2019. 6 GAFA steht für die Unternehmen Google, Apple, Facebook und Amazon, siehe zur Be­ deutung, abrufbar unter: https://www.bedeutungonline.de/was-bedeutet-gafa-abkuerzung-​ bedeutung-definition/, abgerufen am 25.7.2019. 7 Frey, J., Schmid, F., FAZ v. 17.7.2019, S. 16. 8 Siehe zum Begriff abrufbar unter: https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/algorith​ mus-­27106, abgerufen am 23.7.2019. 9 Siehe Martini, M., Blackbox Algorithmus, 2019, S. 194.

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die aktuellen als auch zukünftigen Tax Compliance Anforderungen wirtschaftlich zielgerichtet bewältigt werden. Die durch die EU-Kommission verfolgte langfristige Strategie der Option einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) ist bisher nicht final aufgegeben. Mit der GKKB sollen die Besteuerungsrechte der Staaten nach einer Formel auf der Grundlage von Vermögenwerten, der Arbeitskräfte und Umsätzen der Unternehmen aufgeteilt werden, um die Wertschöpfung von Unternehmen dort zu besteuern, wo diese entsteht.10 Mit dieser Strategie sollen die Entwicklungen auf internationaler Ebene wie die Reform zur digitalen Wirtschaft, wie zu den Vorschriften der Betriebsstätte und die Zuordnung der Gewinne gelöst werden.11 Die EU Kommission stellt jedoch fest, dass die neuen Geschäftsmodelle ohne physische Präsenz und die geringe Steuerbelastung einiger großen internationaler Unternehmen schwierig zu erfassen sind.12 Eine im Vergleich zur Einführung der GKKB kurzfristige Lösung für die digitalen Themen sollte angestrebt werden. Die diskutierten Möglichkeiten sind die Umsatzausgleichsteuer („equalisation levy“) für digitale Unternehmen, Quellensteuer auf Bruttobasis auf digitale Umsätze bzw. Abgaben auf Einnahmen aus der Erbringung digitaler Dienstleistungen oder Werbeeinnahmen.13 Diese Entwicklungen zeigen unter Berücksichtigung der OECD Berichte zur digitalen Wirtschaft14 wie schwierig es ist, neue Konzepte zur Tax Compliance zur Erfassung der Wertschöpfungen aus digitalen Geschäftsmodellen zu etablieren. Konkrete Maßnahmen zur Förderung der Digitalisierung oder innovativer Geschäftsmodelle sind bisher nicht in Sicht. Nationale Alleingänge einiger Staaten wie die neue englische „Google Tax“ werden die Abstimmung im internationalen Steuerrecht nicht besser möglich machen.15

III.  Steuerliche Prozesse Die erforderliche Unterscheidung zu den Compliance-Pflichten aus den verschiedenen Steuergesetzen ergibt sich u.a. aus der Frage nach der „Wirkung der Verpflichtung“. Die steuerlichen Compliance-Pflichten des Unternehmens müssen sich im ­Außenverhältnis zum Staat als normgebende Instanz ergeben. Steht fest, dass den Vorstand aus dem Innenrecht heraus eine Organisationspflicht trifft, so kann die Pflicht auch im Außenverhältnis wirken. Kleinere Gesellschaften mit überschaubarer 10 Der 2. Entwurf einer GKB/GKKB von K. Brocke/St. Müller in Kessler/Kröner/Köhler, KonzernStR, § 1 Rz. 261, 3. Aufl. 2018. 11 Europäische Kommission, COM (2017) 547 final, 21.9.2017, S. 9 ff. 12 Europäische Kommission, MEMO/17/3341, 21.9.2017. 13 Europäische Kommission, COM (2017) 547 final, 21.9.2017, S. 11. 14 OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation-Interim report 2018, siehe auch OECD, Addressing the Tax Challenges of the Digital Economy, Action1 BEPS Report – Final Report 2015. 15 Nolte, Die neue „Diverted Profits Tax“, DStZ 2015, 364, 364 ff.; zum Länderüberblick: Bendlinger, S. in Digitalisierung im Konzernsteuerrecht, 2018: Die Digitale Betriebsstätte, S. 33– 56, 45 f.

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wirtschaftlicher Komplexität sind deshalb ja nach Fallgestaltung weniger von einer Anforderung einer Compliance-Organisationsverpflichtung im Sinne der herrschenden Meinung betroffen. Es gelten insoweit die Maßstäbe des Erforderlichen und Zumutbaren in der Erfüllung von steuerlichen Anforderungen.16 In dieser Feststellung ist der für die Frage nach der Compliance-Organisationspflicht entscheidende Grundsatz der wirtschaftlichen Proportionalität enthalten: je größer der Erwartungswert einer Rechtsgüterbeeinträchtigung, desto mehr Aufsicht zur Wahrscheinlichkeitsreduzierung ist geboten. Diese Konkretisierung zumutbarer Maßnahmen zielt im Kern auf Einsichten zur Ökonomie. Der Begriff Organisation ist als umgangssprachlicher Begriff mit mehreren Bedeutungen belegt. Die Organisationstheorie soll für jeden in der Wirtschaft tätigen Menschen und Unternehmen eine Leitlinie für ein wirtschaftliches Handeln geben. Zweck der Organisationstheorie ist, das Entstehen, das Bestehen und die Funktionsweise von Organisationen zu erklären bzw. zu verstehen. Die Organisationstheorie dient damit der Verbesserung der Organisationspraxis und ist in diesem Sinne auch geeignet, Ansätze für Interpretationen des unbestimmten Rechtsbegriffs Compliance-Organisation zu finden.17 Die betriebswirtschaftliche Organisationslehre trennt die Struktur und den Prozess, unterscheidet damit die Aufbau- von der Ablauforganisation. Die Aufbauorganisation soll die Abteilungsgliederung regeln, die Ablauforganisation dagegen die zeitliche Abstimmung der Arbeitsgänge zum Gegenstand haben.18 Daraus haben sich Ansätze zur Prozessorganisation herausgebildet, die die Trennung von Aufbau- und Ablauforganisation trennen und von einem strukturieren Arbeitsfluss ausgehen. Es erfolgt letztlich die Zerlegung der Gesamtaufgabe nach Prozessen.19 Mit einer adäquaten Tax Compliance werden Kosten, Schäden für das Unternehmen vermieden. Die ökonomische Konkretisierung der Compliance Maßnahmen und Organisation, verstanden als ein Prozessmanagement bemisst sich nach der Effizienz der durchzuführenden Compliance verbunden mit einer Effektivität zum Erreichen der nach den entsprechenden Compliance-Vorschriften geforderten Maßnahmen. Der benötigte Ressourceneinsatz im wirtschaftlichen Sinne wird dabei nicht betrachtet. Vielmehr werden die beiden Größen Output mit dem gegebenen Ziel verglichen.20 Letztlich gehören zu einer effektiven Compliance die Identifikation und Analyse der Risiken eines Unternehmens. Wie insbesondere steuerliche Rechtsrisiken beherrschbar sind, wird mittels Vorgaben für ein Risikomanagementsystem sichergestellt. Insofern ist Compliance Teil eines Risikomanagementsystems eines Unterneh16 Fleischer, AG 2003, 291–300; Winter, M. in FS Hüffer, 2010, S. 1103–1128, 1106; Bürkle in Hauschka (Hrsg.), Corporate Compliance, 2007, § 8 Rz. 6. 17 Vgl. Scherer in Kieser/Ebers (Hrsg.), Organisationstheorien, Kohlhammer Verlag, 8. Aufl. 2019, S. 19 f. 18 Kosiol, E.: Organisation der Unternehmung, S. 32. 19 Schreyögg, G., Organisation-Grundlagen moderner Organisationsgestaltung, 5. Aufl., 2008, S. 98 f. 20 Staats, Susann, Metriken zur Messung von Effizienz und Effektivität von Konfigurationsmanagement- und Qualitätsmanagementverfahren, Bremen 2009, S. 29 ff.

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mens.21 Die Anforderungen zu einem solchen Risikomanagement nehmen erheblich zu, seitdem die Europäische Union mit ihrer Directive on Administrative Cooperation-­ DAC vom 21. Juni 201722 als Konsequenz zu der BEPS Maßnahme 12 veröffentlicht hat. Die Steuerverwaltung in Polen23 hat diese Richtlinie bereits in lokales Recht umsetzen lassen.24 Über die Voraussetzungen nach den europäischen Mandatory Dis­ closure Rules hinaus werden auch umsatzsteuerliche Risiken sowie lokale polnische Sachverhalte abgefragt. Die Tendenz des neuen Risikomanagements wird aus diesen Entwicklungen deutlich. Das Risikomanagement wird eine neue Qualität erhalten. Die bisherigen Risikoidentifikation beispielsweise nach dem deutschen IKS25 werden mit den europäischen Maßnahmen eine neue höhere Qualität erhalten. Ein steuerliches und operationales Risiko kann definiert werden als „ein Verlustri­ siko, das von schlechten internen Prozessen, Mitarbeitern, Systemen oder externen Einflüssen verursacht wird.“26 Bezogen auf eine Steuerabteilung entsteht ein operationelles Steuerrisiko durch Fehler in den Prozessen innerhalb oder außerhalb der Steuerfunktion im Unternehmen.

IV.  Quantitative und qualitative Einteilung steuerlicher Prozesse Steuerliche Prozesse haben den unterschiedlichen gesetzlichen Anforderungen folgend verschiedene Datenquellen. Datenanforderungen beispielsweise aus dem Bereich der Umsatzsteuer beziehen sich auf Eingangs- und Ausgangsrechnungen und deren Volumen. Gleiches gilt für Daten für die Zollprozesse oder für den Verrechnungspreisbereich. Das quantitative Element für diese steuerlichen Bemessungsgrundlagen wird aus den verschiedenen Einzelregelungen bestimmet. Demgegenüber werden für die Berechnung der körperschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage die Daten aus dem Rechnungswesen modifiziert. So sind beispielsweise diejenigen Aufwendungen, die steuerlich als nichtabziehbar zu qualifizieren sind, entsprechend 21 Vgl. DCGK Ziff. 3.4 Abs. 2; Hauschka in Hauschka, § 1 Rz. 28. 22 Directive 2011/16/EU-DAC v. 21.6.2017, 2017/0138 CNS. 23 EY-Ernst &Young, Poland to implement Mandatory Disclosure Rules as of 1.  January 2019. Global Tax Alert, 9 Oct. 2018, verfügbar unter: https://www.ey.com/gl/en/tax/inter​ national-tax/alert--poland-to-implement-mandatory-disclosure-rules-as-of-1-january-​ ­2019, abgerufen am 20.7.2019. 24 KPMG International Cooperative. Poland: Mandatory disclosure rules, cross-broder tax planning arrangements, verfügbar unter: https://home.kpmg/xx/en/home/insights/​2018/​ 11/tnf.poland-mandatory-disclore-rules-cross-border-tax-planning.html, abgerufen an 20.7.2019. 25 Internes Risikokontroll-System nach § 289 Abs. 5 HBG; Bungartz, O.: Handbuch Interne Kontrollsysteme (IKS) – Steuerung und Überwachung von Unternehmen. Erich Schmidt Verlag, Berlin, 2011, S. 58 ff., siehe auch die grundlegenden Arbeiten des Committee of Sponsoring Organizations of the Treadway Commission (COSO) (Hrsg.): Internal ­Control – Integrated Framework. 2. Aufl. AICPA, Jersey NY 1994. 26 Basel II: International Convergence of Capital Measurements and Capital Standards, ­revised version Juni 2006, abrufbar unter: http://www.bis.org/publ/bcbs128.pdf, Pkt. 644, S. 144.

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steuerlich zu ermitteln und werden außerbilanziell erfasst. Die Erhöhung der steuerlichen Bemessungsgrundlage zur Ermittlung des zu versteuernden Einkommens bedarf deshalb einer qualitativen steuergesetzlichen Einschätzung der Kosten eines Unternehmens. Die weitergehende Unterscheidung für die Einordnung der Steuergesetze in digitalisierende Prozessbeschreibungen ergeben sich aus den Regelungsinhalten. Für die Verrechnungspreise gelten beispielsweise internationale Regelungen27 als auch nationale Verrechnungspreisgrundsätze28. Solche Regelungen finden ihren Niederschlag in der Ausgestaltung der entsprechenden Prozessbeschreibungen. Digitale Übermittlung von Daten versus Dateninhalte in traditionellen Steuererklärungen

Globale Regelungen Regionale versus lokale Regeln

Quantitative data

Qualitative data

Stamm- & Bewegungsdaten

Finanzielle versus operative Daten

Verkäufer-/Kundendetails/ Rechnungsinhalte Importdetails/ Transaktionen zwischen verbundenen Unternehmen

Rechnungslegungsdaten Hauptbuch, Kontenpläne, Steuerliche Verluste, Kapitaleinzahlungen

Verrechnungspreise Zollregelungen

Steuerrechnungen, z.B. nach IAS 12

Europäische Mehrwertsteuer Indirekte Steuern

Gewerbesteuer US Staaten Steuern

Querverweise zu anderen Datenquellen werden zunehmend möglich

27 Material zu den OECD Ansätzen zu den Verrechnungspreisen abrufbar unter: http://www. oecd.org/ctp/transfer-pricing/, abgerufen am 25.7.2019. 28 Deutsche Regelung sind in § 1 Abs. 3 AStG niedergelegt sowie in Rechtsverordnungen in Kraft getreten: Verordnung zu Art, Inhalt und Umfang von Aufzeichnungen im Sinne des §  90 Abs.  3 der Abgabenordnung (Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung  – GAufzV) v. 13.11.2003 i. d. F. 26.6.2013; Verordnung zur Anwendung des Fremdver­ gleichsgrundsatzes nach § 1 Abs. 1 des Außensteuergesetzes in Fällen grenzüberschreiten­ der Funktionsverlagerungen (Funktionsverlagerungsverordnung – FVerlV) v. 12.8.2008 i. d. F. v. 26.6.2013; Verordnung zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf Be­ triebsstätten nach § 1 Abs. 5 des Außensteuergesetzes (Betriebsstättengewinnaufteilungs­ verordnung – BsGaV) v. 13.10.2014.

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V.  Beispiele zur Digitalisierung der steuerlichen Prozesse 1.  Methoden der Digitalisierung Auf der Basis des steuerlichen Prozessverständnisses stellt sich die weitere Frage, inwieweit der Einsatz von künstlicher Intelligenz in diesen Steuerprozessen möglich sein wird? Die aktuelle Einführung und Prüfung eines Tax Compliance Management Systems im Sinne des IDW Prüfungsstandards 98029 bietet Unterstützung für eine Automatisierung. Die Grundelemente des sogenannten Tax Compliance Management Systems (CMS) bezieht sich auf Prozesse, die überwiegend digitalisierbar sind. Der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) geschieht auf verschiedenen Stufen. Der Einsatz von sogenannten Robots bewirkt eine Interaktion mit physischen Gegenständen. Rou­ tinetätigkeiten wie die Erfassung von Informationen aus einem Rechnungswesen (ERP)30- System und Weiterverarbeitung für eine monatliche Umsatzsteuermeldung kann weitgehend maschinell erfolgen. Die Erweiterung klassischer regelbasierter Ansätze um lernende Konzepte werden als sogenanntes maschinelles Lernen menschliche Verhaltensweisen abbilden. In der jüngeren Vergangenheit hat sich der EuGH mehrfach zu Gunsten der Steuerpflichtigen zur Bedeutung der Rechnung für die Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs geäußert, z.B. in den Entscheidungen Senatex31 und Barlis 0632. In einer aktuellen Entscheidung stellt der EuGH nunmehr fest, dass die strikte Anwendung des formellen Erfordernisses, Rechnungen vorzulegen, gegen die Grundsätze der Neu­ tralität und der Verhältnismäßigkeit verstößt, da dadurch dem Steuerpflichtigen auf unverhältnismäßige Weise die steuerliche Neutralität seiner Umsätze verwehrt wird33. Dieses Urteil des EuGH ist positiv zu sehen, da der EuGH nun erstmals klarstellt, dass der Steuerpflichtige für die Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs nicht notwendigerweise über eine Rechnung verfügen muss. Die deutsche Finanzverwaltung geht demgegenüber jedoch strikt davon aus, dass der Besitz einer Rechnung zwingend für die Ausübung des Vorsteuerabzugs ist (vgl. Abschn. 15.2 Abs.  2 S.  1 Nr. 4 UStAE). Der Wortlaut des Gesetzes in § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 2 UStG dürfte nach dem nun vorliegenden Urteil unionsrechtskonform dahingehend auszulegen sein, dass eine Rechnung für den Vorsteuerabzug nicht zwingend erforderlich ist. Gleichwohl muss ein Steuerpflichtiger, der einen Vorsteuerabzug vornehmen möchte, durch objektive Nachweise belegen, dass er die (materiellen) Voraussetzungen hierfür erfüllt. Nach Auffassung des EuGHs können diese Nachweise auch Unterlagen umfassen, die sich im Besitz des Liefernden befinden. Eine Schätzung durch ein 29 IDW Prüfungsstandard 980 v. 31.5.2017, abrufbar unter: https://www.idw.de/idw/idw-ak​ tuell/endgueltiger-idw-praxishinweis-1-2016-zu-tax-compliance-management-systemen/​ 101304 (zuletzt abgerufen am 15.7.2019). 30 Enterprise Resource Planning System. 31 Europäische Gerichtshof (EuGH) Entscheidung v. 15.9.2016 − C 518/14 „Senatex“. 32 EuGH v. 15.9.2016 − C-516/14. 33 EuGH v. 21.11.2018 − C-664/16, Vădan.

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gerichtlich angeordnetes Sachverständigengutachten kann diesen Nachweis jedoch nicht ersetzen. Das Grundprinzip der Mehrwertneutralität verlangt danach, dass der Vorsteuerabzug gewährt wird, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn das Unternehmen bestimmten formellen Bedingungen nicht genügt hat. Wird dem Berechnungssystem/einer Maschine für ein maschinelles Lernen eine Vielzahl an umsatzsteuerrelevanten Rechnungen zur Verfügung gestellt, lernt diese Maschine, die formellen und materiellen Voraussetzungen zu erkennen, Fehler eigenständig zu identifizieren und Änderungen vorzuschlagen. Dies erfolgt mit allen zur Verfügung gestellten Daten und nicht wie in einem menschlichen Verhalten anhand von Stichproben. Auch wenn das o.g. EUGH-Urteil für ein Unternehmen für den Vorsteuerabzug positiv erscheint, ist es besser, den steuerlichen Vorschriften folgend den Rechnungsprozess compliant im Rechtssinne so zu gestalten, dass alle Begriffsinhalte der Tax Compliance erfüllt werden. Mit einer Kontrolle der internen Umsatzsteuerprozesse durch ein Process Mining wird dies erreicht. Maschinelles Lernen liegt vor, wenn der Computer durch statistische Auswertungstechniken in der Lage ist, aus Daten zu „lernen“, ohne dafür speziell programmiert zu  sein. Lernen im Bereich der menschlichen Sinneswahrnehmung bedeutet eine schrittweise Leistungssteigerung in der Ausführung einer bestimmten Aufgabe. Maschinelles Lernen hingegen bewirkt das Finden von Muster und Regelmäßigkeiten in Datensätzen. Damit kann der Computer/ die Maschine das „Gelernte“ auf neue Daten zur Vorhersage potenzieller Risiken und Chancen anwenden. Das maschinelle Lernen ist nicht die einzige Methode. Das Deep Learning, Advanced Analytics und die Robotik (RPA34) sind weitere analytischen Techniken, die auch für Tax Compliance zum Einsatz kommen. Die Techniken werden beispielsweise eingesetzt in der Analyse von Mustern in historischen Daten zur Identifizierung von Risiken und Möglichkeiten (Predictive Analytics), für die Analyse von Texten zur Kategorisierung und Auffindung von Mustern und Trends (Textanalyse) sowie für die Analyse von Daten, um Netzwerke in Daten zu finden und die Frage zu beantworten, wie Netzwerke miteinander verbunden sind (Netzwerkanalyse).35 Wie die digitalen Techniken konkrete eingesetzt werden zeigen einige Beispiele aus der Umsatzsteuer, den Verrechnungspreisen sowie die Kombination aus beiden Prozessen mit Zolltatbeständen. 2.  Umsatzsteuerliche Prozesse Auf dem Gebiet der Umsatzsteuer gibt es Prozesse bzw. Prozessteile, die mit dem Rechenwerk als auch Nachweispflichten eines Unternehmens verbunden sind. Es besteht in vielen Fälle ein erheblicher Dokumentationsaufwand, diese gesetzlichen Nachweispflichten zu erfüllen. Die umsatzsteuerlichen Regelungen eignen sich, die Wirkungen und weiterführenden Möglichkeiten der Digitalisierung darzustellen. Im 34 Robot Process Automation. 35 Siehe zu den Begriffen, Seiter, M., Business Analytics, Franz Vahlen 2017.

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Urteil des Bundesfinanzhofs vom 5.6.201436 ging es beispielsweise um die Frage, ob ein Unternehmen in einer Lieferkette zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, wenn dem letzten inländischen Unternehmen ein Rabatt gewährt wurde. Lieferketten über verschiedene Länder hinweg sind bisher nur schwer zu erkennen und zu analysieren. Mit Hilfe des Process Mining können Fehler, Risiken und Anomalien erkannt und signifikante Abweichungen in den verschiedenen Prozessstufen beobachtet werden. Durch eine solche digitale Unterstützung werden die Prozesse transparent, risikoarm und haben rechtssichere positive Folgen wie die Bestätigung des Vorsteuerabzugs. Die Grundsätze des obigen BFH-Urteils werden umsetzbar. Die einfache Darstellung der verschiedenen Schritte in den Umsatzsteuer-Prozessen macht den Einsatz von digitalen sogenannten Use Cases transparent: Mehrwertsteuer-Management hat eine End-to-end Perspektive End-to-end Prozess Stammdaten

Steuerermittlungs-Logik

Kundenstammdaten Warenforderungen

TransaktionsUmsetzung

Nachträgliche Anpassungen

Order VerkaufsabwickEntry lung

Gutschriften „faule“ Schulden

Einkaufsabwicklung

Gutschriften Abgrenzung

Produktdaten Warenverbindlichkeiten

Order Entry

LieferantenStammdaten Präventive Kontrolle

Hauptbuch

Reporting

Ausgang MwSt Konto

MwSt Kontrollen

MwSt Compliance Prozess

Vorsteuer Konto

Überprüfung

Prozess-Elemente

In den Prozessschritten der sogenannten End-to-End Perspektive eines Prozesses können eine Vielzahl an Technologien zum Einsatz kommen. Einige Beispiele zum Stammdaten-Management zeigen, wie eine Automatisierung möglich wird. In jedem Prozessschritt lassen sich vergleichbare Automatisierungen erzielen. – Die Abfrage der USt-Identifikationsnummer (ID) im B2B Geschäft ist ein manueller Prozessschritt. Regelmäßig werden eingangs- und ausgangsseitig Rechnungen für eine qualifizierte Bestätigung der Gültigkeit der UST-ID Nummer sowie Prüfung des Namens und Adresse des Kunden/Lieferanten durchgeführt. Die Prüfung der aktiven Kunden/Lieferanten kann durch einen BI Report in Unterstützung eines Robot Process Automation (RPA) umgesetzt werden. 36 BFH v. 5.6.2014 – XI R 25/12, BStBl II 2017, 806.

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– Nach deutschem UStG gibt die sog. Kombinierte Nomenklatur (KN)-Nummer Auskunft über die Anwendung des vollen oder reduzierten Umsatzsteuersatzes. Die KN-Nummer ist eine EU-einheitliche achtstellige Warennomenklatur für den Außenhandel.37 Der Indikator für den Umsatzsteuersatz steht im Materialstamm. Ein Abgleich der KN-Nummer mit Indikatoren im Materialstamm und mit Anlage 2 des UStG führt zu der richtigen Auswahl des Steuersatzes. Ein BI Report bietet einen Compliance Check. Die KN-Nummer kann zudem für Zoll und Verbrauchsteuer-Zwecke verwendet werden. Die steuerliche Behandlung der eingesetzten Materialien für die verschiedenen Verbrauchsteuertatbestände wird zudem durch die KN-Nummer gesteuert. Die KN-Nummer wird damit zu einem Datensatz, der mehreren Steuerarten dienlich ist und Kosteneinsparungen in einer einheitlichen Verwendung verspricht. – Die „Stückliste“ hinsichtlich eines prozentualen Anteils an beigestelltem Material/ Lieferantenmaterial muss regelmäßig überprüft werden. Anhand der Materialanteile wird bestimmt, ob es sich um eine Lieferung oder Leistung handelt, sog. SollIst-Vergleich. Die Pflege der Steuerindikator „Material“ für Auftragsfertigung oder Vertragsfertigung ermittelt die prozentualen Materialanteile. Die Identifikation von Ausnahmen und falscher Klassifizierung dient der Risikokontrolle und -minimierung. Die Implementierung einer automatisierten Lösung geschieht im Prozess der Anlage der Stücklisten. Die Vorschlagswerte werden automatisch in Materialstamm übernommen und müssen von dem Einkäufer bestätigt werden. Ein Anomalie-Algorithmus erkennt, ob die Stücklisten richtig/falsch sind. In einem weiteren Schritt kann der Algorithmus eine Vorhersage (Prediktion) für die zutreffenden Steuerkennzeichen errechnen, die Fehlerhaftigkeit im Prozess dokumentieren und begründen. – Für den Export in ein Drittland oder für eine EU-innergemeinschaftliche Lieferungen ist die INCOTERM Bestimmung wesentlich. Die INCOTERM regeln die rechtlichen Dokumentationsanforderungen sowie die Folgen im Lieferprozess. Wann wird welcher Prozessteil wie durch ein Unternehmen ausgeführt? Welche Nachweise i.S.  von Exportdokumenten sind zu erbringen, wer liefert was? Ein BI-Report zur Prüfung der Lieferungen und des Status der Gelangensbestätigung bewirkt eine bessere Tax Compliance. Die automatische Bestimmung der erforderlichen Prozessschritte sowie mögliche Eskalationshandlungen im Falle von Fehlern werden durch einen Algorithmus vorhergesagt. Welche INCOTERM werden wann mit welchen Lieferanten oder Kunden benutzt, wird transparent. Folgen in die umsatzsteuerlichen und zolltechnischen Prozesse sind vorhersehbar und können besser gesteuert werden. – Die umsatzsteuerlichen Kennzeichenvoraussage im Sinne ist eine Lieferung steuerfrei oder steuerpflichtig ist wesentlich für korrekte Stammdateneinstellung. Es gilt die Fehler in den Steuerkennzeichen und deren Ursachen automatisch festzustellen. Ein Anomalie-Algorithmus bewertet regelmäßig alle umsatzsteuerlichen Transaktionen für ein Controlling. Der Algorithmus kann auf die Steuerfindung in 37 Siehe Handbuch für Export und Versand, ecomed-Storck, 67. Aufl. 2018, S. 27.

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der Auftragsanlage ausgeweitet werden. Je nach Steuerung eines Bestellvorgangs für Waren in einem Unternehmen sichert die Anomalieerkennung die korrekte Steuerfindung. Zur Kontrolle der Steuerfindung durch den Algorithmus können mit der finalen Buchung im Rahmen eines Process Mining die Einstellungen im ERP System abgeglichen werden. Nicht nur die Unternehmen arbeiten an der beschriebenen Digitalisierung ihrer Prozesse. Die Finanzverwaltungen machen ebenfalls Fortschritte. So hat die spanische Finanzverwaltung die Transformation des Steuer-Compliance-Managements durch Digitalisierung mit einem neuen Informationssystem für die Mehrwertsteuerverwaltung umgesetzt.38 Dank dieses innovativen Projekts, das seit Juli 2017 eingeführt ist, wird die Verbindung zwischen Unternehmen und der Finanzverwaltung verbessert. Das neue System bedeutet die elektronische Übermittlung der Rechnungsunterlagen an das Finanzamt. Die Ziele des Projekts sind zweigeteilt: Hilfeleistung und Kontrolle. Die Erfassung in das System hat Vorteile sowohl für die Steuerpflichtigen als auch für die Steuerverwaltung: Vorteile für den Steuerzahler sind die Vereinfachung der förmlichen Verpflichtungen, die Verfügbarkeit von Steuerinformationen sowie die Überwachung potenzieller Fehler in den Steuererklärungen. Vorteile für die Steuerverwaltung sind die Verbesserung der Kontrolle und die Unmittelbarkeit von Informationen. Die norwegische Steuerverwaltung setzt Algorithmen für das maschinelle Lernen bei der Auswahl von Mehrwertsteuer-Prüfungen ein.39 Der Algorithmus wird auf historischen Daten trainiert und prognostiziert die Fehlerwahrscheinlichkeit in jeder Umsatzsteuererklärung. Die Sachbearbeiter können so Fälle für eine Prüfung mit der höchsten Fehlerwahrscheinlichkeit bestimmen. Mit zunehmender Häufigkeit der Abgabe von Umsatzsteuererklärungen erhält der Algorithmus Daten, die im Modell verwendet und das maschinelle Lernen verbessern werden. 3. Verrechnungspreise Seit dem Abschluss der wichtigsten Teile des BEPS-Pakets steht die Umsetzung der Maßnahmen im Fokus der Staaten. Einen Schwerpunkt für die praktische Umsetzung bildet der Inclusive Framework der OECD, in dem 125 Länder (Stand Januar 2019) und andere internationale Organisationen gleichberechtigt zusammenarbeiten, um bei der Umsetzung von BEPS Mindeststandards einzuhalten. Die Mitglieder des Inclusive Framework verpflichten sich zur raschen Umsetzung der Mindest­ standards. Eine der Mindeststandards bezieht sich auf Verrechnungspreise, Verrechnungspreisdokumentation und Länderberichte. Laut dem OECD-Portal zum automatischen Informationsaustausch haben 79 Länder bis zum 25.  Juni 2019 primäre Gesetze zur Umsetzung der Country-by-Country-Berichterstattung (CbCR) verab38 Prieto, R., Jordan, M., Real time VAT reporting techniques: the Spanish immediate supply of Information, IOTA 2018, S. 45–48. 39 Strømme, Ø, Incread Compliance and Efficiency with machine learning, IOTA 2018, S. 50 –52.

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schiedet.40 Die vollständige Liste macht eine interessante und vielleicht auf den ersten Blick überraschende Lektüre möglich: Die größte Kategorie von Ländern sind Mitglieder der EU und der OECD, die knapp 50% der Zahlen ausmachen. Was geschieht mit den Informationen? Die Angaben als ausschließliche Risikobetrachtung zu verstehen ist zu eng. Die erweiterte Dokumentation für Verrechnungspreise (VR) kann als Grundlage für weitere automatisierte Schritte benutzt werden: – Benchmark-Studien können wesentlich vereinfacht werden. Mit der Unterstützung von Machine Learning und Algorithmen wird es zu einer besseren Auswahl der richtigen Vergleichsunternehmen für die Studien kommen. Der „at arms lenght“ Grundsatz wird durch eine tiefere Logik unterstützt. – Die Berechnung der VR erfolgt nicht nur auf der Basis der Produkte, sondern unter Berücksichtigung der in einem Produkt eingeflossenen Rohmaterialien. Die Ausweitung der Berechnungstiefe macht die Elastizität der Produktkalkulation bei sich verändernden Rohmaterialpreisen deutlich. Die gesetzten VR können wesentlich besser bestimmt und verteidigt werden. Schätzungen durch die Finanzverwaltungen werden nicht mehr im bisherigen Umfang möglich sein. – Vergleichsberechnung der VR nach verschiedenen VR-Methoden. Die Simulation der VR-Berechnung auf dem gegebenen Funktions- und Risikoprofil bewirkt eine breitere Argumentationstiefe der Unternehmen gegenüber den Finanzverwaltungen. Datensätze werden in mehrjährigen Kalkulationen für Vergleichszwecke durch BI-Tools verwendet. Die Übertragung der gängigen VR-Methoden auf die digitalen Geschäftsmodelle wird nicht trivial und kann nur durch digitale Unterstützung adäquat erfolgen.41 – Blockchain-Technologien können die Übermittlung der VR-Daten an die verschiedenen Finanzverwaltungen unterstützen. – Die Finanzverwaltungen erhalten durch die digitalen Unterstützungsmethoden einen zeitnahen Zugang zu den Preissetzungen, was das Risikomanagement unterstützen wird. 4. Umsatzsteuerliche Auswirkungen auf Zollwerte und Verrechnungs­ preissetzung Die Umsatzsteuer stellt für das Unternehmen im Regelfall keine Belastung dar: Die gezahlte Umsatzsteuer kann als Vorsteuer gezogen werden und nur der Endverbraucher wird belastet. Dies gilt grenzüberschreitend bspw. EU-weit für den innergemeinschaftlichen Erwerb (§§ 1 Abs. 1 Nr. 5 i. V. m. 1 a UStG und § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UStG) und die Einfuhrumsatzsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. § 21 UStG und § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UStG). Für die Unternehmen relevant wird die Umsatzsteuer einer40 Siehe https://www.oecd.org/tax/automatic-exchange/about-automatic-exchange/country-­ by-country-reporting.htm, abgerufen am 29.7.2019. 41 Zöchling, Plott; Rosar, Dziurd in Digitalisierung im Steuerrecht, 2018: Digitale Transformation und Steuern, S. 1–18, 13.

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seits aufgrund der Kapitalbindung und andererseits, wenn es aufgrund von Fehlern bei der Erfüllung der Deklarations- und Nachweispflichten zu einer definitiven Belastung kommt. Werden Geschäftsvorfälle z. B. aufgrund mangelnder oder unvollständiger Informationen umsatzsteuerlich falsch beurteilt, kann es zur Versagung ­einer Steuerfreiheit oder des Vorsteuerabzugs kommen. Dies kann auch bei mangelhaften Rechnungen bzw. Ausfuhrnachweisen der Fall sein. Besonders bei komplexen Lieferketten unter Einschaltung dritter Transportunternehmen kann es letztlich zu einer Fehlerquote kommen, die zu einer definitiven Umsatzsteuerbelastung führt. Allein die umfassende Rechtsprechung des EuGH zu innergemeinschaftlichen Lieferungen mit mehreren Unternehmern zeigt die Komplexität: Eine korrekte umsatzsteuerliche Beurteilung ist oft nur möglich, wenn bekannt ist, wer die Transport­ verantwortung trägt (A 3.14 Abs.  10 UStAE) und wann es zum Übergang der Verfügungsmacht kommt. Erschwerend kommt hinzu, dass die deutsche Sonderregelung für Reihengeschäfte in § 3 Abs. 6 S. 5 und 6 UStG keine Entsprechung in der MwStSystRL hat und daher mit den Feststellungen des EuGHs nur schwer in Einklang zu bringen ist. Aber auch der beim Import in die EU relevante Vorsteuerabzug der Einfuhrumsatzsteuer kann im Einzelfall falsch sein. Entscheidend ist immer, ob die Einfuhrlieferung bereits als im Drittlandsgebiet (§ 3 Abs. 6 S. 1 UStG) oder im Inland (§ 3 Abs. 8 UStG) ausgeführt gilt. Im ersten Fall ist i. d. Regel der Warenabnehmer zum Vorsteuerabzug aus der Einfuhrumsatzsteuer berechtigt, im zweiten Fall der Lieferer. Relevant ist mithin, wer zum Zeitpunkt der Einfuhrabwicklung die Verfügungsmacht besitzt, wofür wiederum die Lieferbedingungen (ICOTERMS) ein Indiz sein können. Eine begleitende Anomalie-Erkennung wird diese komplexen Fälle durch einen auf diese Sachverhalte trainierten Algorithmus einheitlich betrachten und Abweichungen in den Prozessschritten deutlich machen. Zoll und Umsatzsteuer sind rechtlich eng miteinander verbunden: Gem. § 11 UStG stellt der Zollwert die Bemessungsgrundlage für die Einfuhrumsatzsteuer dar und gem. § 21 Abs. 2 UStG sind die Zollvorschriften für die Einfuhrumsatzsteuer sinngemäß anzuwenden; dies gilt auch, wenn aus zollrechtlichen Gründen kein Zoll zu erheben ist. Die angesprochenen Vorschriften zur Ermittlung des Zollwerts haben somit unmittelbaren Einfluss auf die Einfuhrumsatzsteuer. Dies bedeutet nicht, dass die sinngemäße Anwendung der Zollvorschriften gem. § 21 Abs. 2 UStG automatisch zur Entstehung einer Einfuhrumsatzsteuerschuld führt. Bspw. ist dies der Fall sein, wenn die Zollschuld nur aufgrund eines Verstoßes gegen die Zollvorschriften (Art 79 UZK) entsteht. Zu Qualifikationskonflikten bzgl. der zoll- und umsatzsteuerlichen Nachweispflichten kann es auch im Ausfuhrfall aufgrund des Ausführerbegriffs in Art. 1 Nr. 19 UZK-DA kommen. Als Konsequenz kann in bestimmten Situationen die Steuerbefreiung gem. § 6 UStG versagt werden. Das Zusammenspiel der verschiedenen rechtlichen Vorgaben macht deutlich, dass hier ein erhebliches Optimierungspotential vorhanden ist. Der Abgleich der Daten, die transparente Umsetzung der Regelungen können durch Process Mining der Prozessschritte bestens überprüft werden. Mit den Kontrollen der Prozesse werden ein compliant Prozessmanagement, eine administrative Kostenersparnis und eine stetige Verbesserung der Prozesse erreicht.

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Die digitalisierte Tax Compliance

Die Schnittmenge zwischen den Ertragsteuern und der Umsatzsteuer ist hingegen relativ gering. Es stellt sich jedoch bspw. die Frage ob in nachträglichen Korrekturen der ertragsteuerlichen Verrechnungspreise auch eine Änderung der Bemessungsgrundlage i. S. v. § 17 UStG zu sehen ist. Dies wird zumindest für das EU-Mehrwertsteuersystem verneint, da es sich bei nachträglichen außerbilanziellen Einkünftekorrekturen nicht um eine nachträgliche Vereinbarung zwischen den am Leistungsaustausch beteiligten Personen handelt. Kommt es allerdings zu einer internen Anpassung der Entgelte, damit diese als Verrechnungspreise anerkannt werden, sind diese ab dem Zeitpunkt der Anpassung auch umsatzsteuerlich zu berücksichtigen. In diesem Fall passt das Unternehmen die tatsächlichen an die rechtlichen Gegebenheiten an, um ein „Zweikreissystem“ (Two Sets of Books)42 zu vermeiden.

VI. Fazit Die Digitalisierung der Rechnungswesen- und Steuerprozesse wird die Tax Com­ pliance-Anforderungen besser erfüllen können als bisher. Zurzeit erscheinen viele Digitalisierungsmethoden wie die sogenannten Robots (RPA), das Machine Learn­ ing, das Deep Learning mit Algorithmen und die Prozesskontrollen durch Process Mining und Anomalie-Erkennungs-Algorithmen noch zu unkonkret. Mit der zunehmenden Verwendung von Cloud-Datenlösungen wird die Anwendungswahrscheinlichkeit der genannten digitalen Tools immer größer. Die beschriebenen Tools bzw. Use Cases werden zudem Kosteneinsparungen bewirken und steuerliche Risiken minimieren. Die Entwicklung der Digitalisierung der Tax Compliance steht noch am Anfang. Schnelle Lösungen mit positiven Wertbeiträgen sind jedoch möglich. Werden beispielsweise viele bisherigen manuellen Prozessschritte in RPA und Machine Learning Lösungen überführt, wird das bestehende Potential der Digitalisierung der Steuerprozesse schnell deutlich.

42 Siehe Haak, M., Reineke, R., Weiskricher-Merten, K., Wieleberg, S., One Set or Two Sets of Books: The Impact of a Strategic Tax Auditor abrufbar unter: https://pdfs.semanticscholar. org/a5d5/5b61c9767b9082c8011aeb282ae739f7f449.pdf, abgerufen am 25.7.2019.

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Cooperative Compliance Program – Reform der Außenprüfung Inhaltsübersicht

I. Einführung

II. Primat der Anschlussprüfung bei Groß- und Konzernbetrieben



V. Nutzung unternehmensinterner Tax Compliance Managementsysteme zur „Cooperative Compliance“

III. Von „Enhanced Relationship“ zu „­Cooperative Compliance“

VI. Das neue österreichische Konzept ­einer sog. begleitenden Kontrolle

IV. Zeitnahe Außenprüfung als erster Schritt zu „Cooperative Compliance“

VIII. Schlussbemerkungen

VII. „Cooperative Compliance“ und KMU

I. Einführung Der Jubilar stand dreißig Jahre im prallen Geschehen der internationalen Steuer- und Rechtsberatung von Groß- und Konzernunternehmen. Er hat sich in dieser Zeit, die durch die rasante Globalisierung und Digitalisierung der Märkte geprägt worden ist,  wie kaum ein anderer mit den praktisch bedeutsamen Entwicklungen zur Verrechnungspreisbestimmung1 und Betriebsstättenbesteuerung2 beschäftigt. Auf der Grundlage seines langjährigen Erfahrungsschatzes bezeichnet er den Fremdvergleich, den er knapp zehn Jahre zuvor als sachgerechten Maßstab zwischenstaatlicher Steueraufteilung noch befürwortet hatte3, mittlerweile als „Albtraum“ für den Steuerpflichtigen4. Nach seinen Erfahrungen erweisen sich in diesem Zusammenhang die Betriebsprüfungen als zunehmend schwieriger und zieht dazu das folgende Resümee:5

1 Zuletzt als Erkenntnis aus der von ihm 2019 an der Wirtschaftsuniversität Wien gehaltenen sog. Wolfgang Gassner Gedächtnisvorlesung: Kroppen/Dawid/Keil, Die Zukunft der internationalen Verrechnungspreise, TPI 2019, 98 (dies., IWB 2019, 590). 2 Zuletzt zur sog. Vertreterbetriebsstätte und zur digitalen Betriebsstätte Kroppen/van der Ham, IWB 2017, 257 u. IWB 2018, 334; s.a. Kroppen, Neues zur Betriebsstätte unter Berücksichtigung der Vorschläge der OECD vom 31.10.2014 und vom 15.5.2015, in Festschrift für Gosch, 2016, 221. 3 Kroppen/Dawid/Schmidtke, Profit Split, the Future of Transfer Pricing? Arm’s Length Principle and Formulary Apportionment Revisited from a Theoretical and a Practical Perspective, in Schön/Konrad (Hrsg.), Fundamentals of International Transfer Pricing in Law and Economics, MPI Studies in Tax Law and Public Finance, Vol. 1, 2011, 267 (287 ff.). 4 Kroppen/Dawid/Keil, TPI 2019, 98 (= IWB 2019, 590 [592]). 5 Kroppen/Dawid/Keil, TPI 2019, 98 (103) = IWB 2019, 590 (601).

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Roman Seer „Trotz erheblicher Mühen und Kosten für die Dokumentation6 wird diese in vielen Fällen nicht anerkannt. Daraus resultieren erhebliche Anpassungen der Verrechnungspreise und Mehrbelastungen, die häufig zu einer Doppelbesteuerung führen. Falls diese nicht akzeptiert werden, drohen langwierige Verfahren in internationalen Verständigungs- oder nationalen Gerichtsverfahren.“

Enttäuscht zeigt sich der Jubilar nach seinen Erfahrungen von der Nutzung und dem Umgang mit sog. Vorabverständigungen (Advance Pricing Agreements – APA) und Verständigungsverfahren (Mutual Agreement Procedures – MAP). Er beklagt die ineffiziente, lange Verfahrensdauer und die Defizite an Rechtssicherheit für die involvierten Steuerpflichtigen7. Mit seinem Ruf nach mehr Rechtssicherheit im internationalen Steuerrecht steht der Jubilar nicht allein.8 Davon unbeeindruckt hat sich bisher das deutsche Recht der Außenprüfung gezeigt. Die seit Inkrafttreten der Abgabenordnung 1977 v. 16.3.19769 geltenden Regelungen der §§ 193–207 AO sind weitgehend unverändert geblieben. Die dazu ergangene allgemeine Verwaltungsvorschrift im Sinne des Art. 108 Abs. 7 GG (sog. Betriebsprüfungsordnung – BpO) ist mittlerweile zwanzig Jahre alt10 und hat nur eine bemerkenswerte Ergänzung in Gestalt einer Öffnungsklausel zugunsten einer sog. zeitnahen Außenprüfung (dazu unten IV.) erfahren.11 Demgegenüber haben nicht wenige ausländische Staaten einen bemerkenswerten Paradigmenwechsel hin zur Implementierung struktureller „Cooperative Compliance“ vorgenommen, welche bei Großunternehmen die Außenprüfung verändern (dazu unten V., VI.). Was diese Entwicklungen für das Recht der Außenprüfung in Deutschland bedeuten kann, soll dieser Beitrag aufzeigen.

II. Primat der Anschlussprüfung bei Groß- und Konzernbetrieben Eine Betriebsprüfung sahen bereits § 162 Abs. 8, 9 i.V. mit § 198 Reichsabgabenordnung (RAO) v. 13.12.1919 vor12. Gegen die damit verbundene weitreichende behördliche Eingriffsbefugnis regte sich damals zunächst ein erbitterter Widerstand, der im Beschluss des 32.  Deutschen Juristentages (DJT) gipfelte, diese Rechtsgrundlagen wieder aufzuheben13. Dazu kam es aber nicht. Ganz im Gegenteil, die sog. Schlieben-­ 6 Einem internationalen Trend folgend hat auch Deutschland durch das sog. Steuervergünstigungsabbaugesetz (StVergAbG) v. 16.5.2003, BGBl. I 2003, 660 (665) in § 90 Abs. 3 AO spezielle Dokumentationspflichten für internationale Verrechnungspreise eingeführt. 7 Kroppen/Dawid/Keil, TPI 2019, 98 (103) = IWB 2019, 590 (601 f.) u.a. mit einer Übersicht der offenen MAP-Verfahren, wobei Deutschland im internationalen Vergleich eine (wenig rühmliche) Spitzenposition einnimmt. 8 Zuletzt Geberth, IWB 2019, 838, wo er in seinem Plädoyer den Begriff der „Rechtssicherheit“ aber durch „Anwendungssicherheit“ ersetzt. 9 BGBl. I 1976, 613. 10 BpO v. 15.3.2000, BStBl. I 2000, 368. 11 Änderung der BpO v. 20.7.2011, BStBl. I 2011, 710. 12 RGBl. 1919, 1993 (2031, 2040). 13 Verhandlungen des 32. DJT, Bd. II, 1922, S. 230 ff. (Referat v. Strutz), Leitsatz B.I.1.

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Popitzsche Steuerreform führte sogar den Grundsatz der Anschlussprüfung von Großbetrieben, die dem Prinzip einer Totalprüfung verpflichtet war, in das Gesetz ein (§ 162 Abs. 10 RAO 1925)14: „Großbetriebe sind mindestens alle drei Jahre einmal einer ordentlichen Buch- und Betriebsprüfung durch entsprechend vorgebildete Beamte oder Sachverständige der Reichsfinanzverwaltung zu unterwerfen. Die Prüfung hat sich auf alle Verhältnisse zu erstrecken, die für die Besteuerung von Bedeutung sein können. Die Prüfung hat jeweils den Zeitraum bis zu der zuletzt erfolgten Prüfung zu umfassen; ….“

Auf dieser Grundlage entwickelte sich die turnusmäßig durchzuführende Betriebsprüfung für Großbetriebe.15 Zwar wurde später die Mussvorschrift in eine Sollvorschrift umgewandelt. Zudem wurde das Postulat einer Totalüberprüfung ersatzlos gestrichen.16 Das Motiv für diese Aufweichung lag schlicht darin, dass der Finanzverwaltung nicht überall über eine hinreichende Anzahl von Prüfern verfügte, um den aufgestellten Anforderungen zu genügen.17 Den Finanzbehörden sollte zugleich eine größere Flexibilität eingeräumt werden. Dieser Sollvorschrift entsprach schließlich die allgemeine Verwaltungsvorschrift des § 4 Betriebsprüfungsordnung (BpO) Steuern (St) v. 23.12.196518. Die Abgabenordnung vom 16.3.1976 regelte die Betriebsprüfung unter dem weitergehenden Begriff „Außenprüfung“ erstmals in einem eigenen Abschnitt (§§ 193–207 AO). Der Gesetzgeber verzichtete dabei – anders als die RAO 1925 – auf eine spezielle Vorschrift zur Anschlussprüfung. Vielmehr legte er sowohl die Anordnung einer Außenprüfung als auch deren Durchführung in das pflichtgemäße Ermessen (§ 5 AO) der Finanzbehörde (siehe insbesondere §  194 Abs.  1 Satz 2 AO). Die Gesetzesbegründung wies erneut auf Verwaltungskapazitätsgrenzen hin, wonach es der Verwaltung unmöglich sei, alle Steuerpflichtigen, die der Außenprüfung unterliegen, auch tatsächlich zu prüfen.19 Die Sollvorschrift des § 162 Abs. 11 RAO (1959) behielt die Finanzverwaltung als (intern wirkende) allgemeine Verwaltungsvorschrift der BpO in § 4 bis heute bei.20 Vor dem Hintergrund einer mehr als 90jährigen Tradition verwundert es nicht, dass sich das Anschlussprüfungsprinzip bei sog. Großbetrieben tief in das Bewusstsein der deutschen Betriebsprüfung eingebrannt hat. Durchbrechungen dieses Prinzips 14 Gesetz zur Änderung der Verkehrssteuern und des Verfahrens v. 10.8.1925, RGBl. I 1925, 241 (243). 15 VO zur Durchführung der Buch- und Betriebsprüfung v. 9.11.1925, RStBl. 1925, 209; sog. Materialerlass v. 7.7.1927 – III bb 2000, dazu dessen „Architekt“ Grabower, Die Stellung der Buch- und Betriebsprüfung im Steuerwesen, Festgabe Grossmann, 1932, 95 (112 f.). 16 Beides durch das Gesetz zur Abkürzung handelsrechtlicher und steuerrechtlicher Aufbewahrungspflichten v. 2.3.1959, BGBl. I 1959, 77. 17 So ausdrücklich die Begründung des Rechtsausschusses zur Änderung, s. BT-Drucks. III/722, 1 (Bericht des Abgeordneten Bartels). 18 BStBl. I 1966, 46. 19 Begründung des Entwurfs der Bundesregierung einer AO 1974, BT-Drucks. VI/1982, 161. 20 § 4 Abs. 1 BpO (St) v. 27.4.1978, BStBl. I 1978, 195 (196); § 4 Abs. 2 BpO v. 17.12.1987, BStBl. I 1987, 802 (803); § 4 Abs. 2 BpO v. 15.3.2000, BStBl. I 2000, 368.

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werden als rechtfertigungsbedürftige Ausnahmen betrachtet; ein schlechtes Gewissen, ihren Auftrag nicht vollständig nachgekommen zu sein, schwingt bei den Betriebsprüfungsdiensten mit. Das Bundesfinanzministerium (BMF) wird bei der jährlichen Präsentation der Ergebnisse der steuerlichen Betriebsprüfung nicht müde zu betonen, dass Großbetriebe grundsätzlich „lückenlos“ geprüft würden.21 § 4 Abs. 3 BpO 2000 ergänzt, dass diese bei derartigen Betrieben auch mehr als drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassen dürften. Inzident sagt die Verwaltungsvorschrift damit zugleich, dass der Regelprüfungszeitraum drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfasst. Dabei schränkt die Finanzverwaltung ihr Ermessen im Wege der Selbstbindung nach § 4 Abs. 2 BpO für einen weiten Bereich der Betriebe durch ein niedrig­schwelliges Verständnis des Begriffs „Großbetrieb“ ein:22 Betriebsart

Merkmale Großbetriebe

Handelsbetriebe (H)

Umsatz

> 8.600.000 € od. > 1.100.000 €

> 210.000 €

Gewinn

> 335.000 €

od. > 44.000 €

Fertigungs-­ Betriebe (F)

Umsatz

> 5.200.000 € od. > 610.000 €

> 210.000 €

Gewinn

> 300.000 €

od. > 68.000 €

od. > 44.000 €

Freie Berufe (FB)

Umsatz

> 5.600.000 €

> 990.000 €

> 210.000 €

Gewinn

od. > 700.000 €

od. > 165.000 €

od. > 44.000 €

Umsatz

> 6.700.000 €

> 910.000 € od.

> 210.000 €

Gewinn

od. > 400.000 €

> 77.000 €

od. > 44.000 €

Andere Leistungsbetr. (AL)

Mittelbetriebe

od. > 68.000 €

Kleinbetriebe

Die in dieser aktuellen Tabelle genannten Umsatzzahlen sind Größen, die nach den bereits vor 15 Jahren geltenden quantitativen Maßstäben der EU-Kommission eher für Kleinunternehmen kennzeichnend sind23. Als „Großunternehmen“ wären nach den damaligen Vorstellungen der EU-Kommission erst Unternehmen zu qualifizieren, die einen Umsatz von heute mehr als 50 Millionen Euro p.a. erzielen. Diese traditionelle Prüfungspraxis steht unter mehreren Gesichtspunkten in der Kritik. Die maßgeblich an der Betriebsgröße orientierte Prüfungsauswahl in Gestalt der schematischen Einteilung in Größenklassen widerspricht den aus Art. 3 Abs. 1 GG 21 So zuletzt BMF, Ergebnisse der steuerlichen Betriebsprüfung 2018, BMF-Monatsbericht Okt. 2019. 22 BMF v. 13.4.2018, BStBl. I 2018, 614, einheitliche Abgrenzungsmerkmale für den 23. Prüfungsturnus (ab 1.1.2019). 23 Empfehlung der Kommission v. 6.5.2003 betr. die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen (2003/361/EG, ABl. EU L 124/36 v. 20.5.2003, Anhang Titel 1, Art. 2.

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sich ergebenden Anforderungen an die Rechtsanwendungsgleichheit24. Mit der Betriebsgröße mag die Komplexität und Fehleranfälligkeit der Gewinnermittlung und damit das Prüfungsbedürfnis in einem gewissen Umfang wachsen25. Jedoch rechtfertigt dies nicht das seit Jahren eklatante Auseinanderfallen der Prüfungsdichte in Abhängigkeit von der Größenklasse (für 2018: Großbetriebe 71,9 %, Mittelbetriebe 18,9 %, Kleinbetriebe 9,9 %, Kleinstbetriebe 3 %)26. Zum anderen leidet das Verwaltungsverfahren unter seiner Langsamkeit. Zunächst wird der Eingang der Steuererklärung bei dem Festsetzungs-Finanzamt abgewartet. Nach einer kursorischen Plausibilitätskontrolle setzt das Finanzamt die Steuern in den Steuer- bzw. Feststellungsbescheiden unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) fest, da bei Groß- und Konzernbetrieben die routinemäßige Anschlussprüfung ansteht. Die im Zusammenspiel von Anlauf- und Ablaufhemmungstatbeständen (§ 170 Abs. 2 Nr. 1, § 171 Abs. 4 AO) außerordentlich weit dimensionierte Festsetzungsfrist treibt die Finanzbehörden überdies nicht zur Eile an. Im Unterschied zu einigen ausländischen Steuerrechtsordnungen (z.B. Frankreich oder Spanien) existiert auch keine davon abweichende kürzere Außenprüfungsfrist. Im Gegenteil, das Prinzip der Anschlussprüfung suggeriert eine (umfassende) Totalprüfung, deren Dauer nur durch die faktischen Kapazitäten der Betriebsprüfungsdienste begrenzt wird. Dadurch kommt es zum Prüfungsstau; die Betriebsprüfer beschäftigen sich regelmäßig mit weit zurückliegenden Besteuerungszeiträumen und Sachverhalten. Dieser Zustand widerspricht dem Prinzip zeitnaher Besteuerung. Die zeitliche Verknüpfung von Einnahmeerzielung und Steuerzahlung besitzt nicht nur fiskalische Gründe im Sinne der Sicherung der Staatseinnahmen. Vielmehr basiert sie auch auf dem Grundgedanken, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit abzuschöpfen, solange sie in Form von Liquidität noch aktuell vorhanden ist27. Die langatmige Verfahrens­ praxis beinhaltet sowohl für die Unternehmen als auch für den Staat eine Fülle von Nachteilen. Um nur einige weitere zu nennen: Die lange Prüfungsdauer bewirkt auf beiden Seiten hohe Administrationskosten. Die Anschlussprüfungsmaxime erstreckt diese undifferenziert auch auf Unternehmen, die nur ein geringes Steuerausfallrisiko aufweisen. Dadurch werden überflüssiger Weise Verwaltungsressourcen gebunden. Es tritt eine lange Phase der Rechtsunsicherheit und Steuerplanungsunsicherheit ein. Aus Sicht der Unternehmen wächst die Gefahr von Steuernachforderungen und erheblichen (nichtabzugsfähigen) Nachzahlungszinsen. Letztere engen zugleich den unternehmerischen Verhandlungsspielraum für konsensuale Lösungen ein. Bei noch ausstehenden bzw. laufenden Betriebsprüfungen bleibt für kapitalmarktorientierte Unternehmen die Unsicherheit über die Ermittlung der latenten Steuern. Nach dem späteren, zeitfernen Abschluss der Außenprüfung entsteht ein gesteigerter Anpassungsaufwand für Handels- und Steuerbilanzen. Aufgrund der in den letzten Jahren 24 Dazu nach wie vor krit. Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 193 AO Rz. 42 m.w.N. (August 2019). 25 So Müller-Franken, Maßvolles Verwalten, Habil., 2004, 350. 26 Abgeleitet aus der BP-Statistik 2017, BMF-Monatsbericht, Nov. 2018, 40 (42). 27 Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, Habil., 2002, 787, dort Fn. 432.

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sowohl in den Unternehmen als auch in der Finanzverwaltung gestiegenen Fluktuation von Mitarbeitern tritt ein Verlust historischen Wissens ein; ein erhöhter Rekon­ struktionsaufwand ist die Folge. Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten wird die Abstimmung mit den ausländischen Finanzbehörden um so schwieriger, je länger der Besteuerungszeitraum zurückliegt. Da die Außenprüfungen im Ausland regelmäßig zeitnäher als in Deutschland erfolgen und häufig schon abgeschlossen sind, lassen sich mit dem deutschen Prüfungsergebnis korrespondierende Anpassungen nur noch mit Schwierigkeiten durchsetzen. Selbst wenn im Wege eines (langwierigen, weitere Zeit in Anspruch nehmenden) Verständigungsverfahrens im Sinne des Art. 25 OECD-MA oder eines EU-Schiedsverfahrens mühsam ein gemeinsames materielles Ergebnis konsentiert werden kann, ist nicht gesichert, dass die nationalen Verfahrensordnungen eine Korrektur der Steuerfestsetzung überhaupt noch zulassen28. Liegen die Prüfungszeiträume weit in der Vergangenheit, ist es schließlich praktisch unmöglich, auf der Basis der EU-Amtshilferichtlinie oder anderen bi- bzw. multinationalen aufeinander abgestimmte Simultan-Betriebsprüfungen oder gar gemeinschaftliche zwischenstaatliche Betriebsprüfungen (sog. Joint Audits)29 durchzuführen.

III. Von „Enhanced Relationship“ zu „Cooperative Compliance“ Seit geraumer Zeit sind demgegenüber auf internationaler Ebene beachtliche Initiativen zu verzeichnen, die das Verhältnis zwischen international agierenden Unternehmen und den Finanzverwaltungen zum Nutzen beider Seiten verbessern sollen30. Das im Jahr 2002 von der OECD gegründete sog. Forum on Tax Administration (FTA)31 empfahl in seiner im Jahre 2008 veröffentlichten Studie zur Rolle von sog. Tax Intermediaries, eine „enhanced relationship“ zwischen den Finanzverwaltungen 28 In Deutschland ist in Gestalt des § 175a AO immerhin eine Korrekturvorschrift geschaffen worden, die diesem Problem aus unilateraler deutscher Verfahrenssicht begegnet; s. dazu eingehend Stiewe, Die verfahrensrechtliche Umsetzung internationaler Verständigungsvereinbarungen, Diss., 2010, 135 ff. 29 Rechtsgrundlagen sind Art. 11, 12 EU-AmtshilfeRL 2011/16/EU v. 15.2.2011; Art. 29, 30 VO (EU) Nr. 904/2010 (spezielle USt-ZusammenarbeitsVO); Art. 9 des multilateralen Abkommens über die gegenseitigen Amtshilfe in Steuersachen des Europarats/der OECD v. 25.1.1988; bilaterale Amtshilferegelungen der DBA (s. Nr. 9.1 des OECD-Musterkommentars zu Art. 26 OECD-MA) und spezielle TIEA (z.B. nach Art. 6 TIEA-Liechtenstein), s. Seer, International koordinierte Außenprüfungen, in Festschrift für Lüdicke, 2019, 577 (579 ff.); zum Ablauf koordinierter Außenprüfungen s. BMF-Merkblatt v. 9.1.2017, BStBl. I 2017, 89. 30 Einen aktuellen Überblick über kooperative Tax Compliance Programme im internationalen Vergleich geben Birkemeyer/Blaufus/Keck/Reineke/Trenn, DStR 2019, 121 (Teil I), 178 (Teil II); früher Hardeck, Kooperative Compliance Programme zwischen Finanzverwaltungen und Unternehmen, Zukunft oder Sackgasse? – Eine international vergleichende Untersuchung, StuW 2013, 156. 31 Dem FTA gehören die Finanzverwaltung von insgesamt 53 Staaten an (s. www.oecd.org/ tax/forum-on-tax-administration/about). Neben den 36 OECD-Staaten befinden sich da­

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und derartigen Unternehmen zu etablieren.32 Nach der Studie gehören dazu auf Seiten der Finanzbehörden ein ökonomisches Verständnis für die Belange der jewei­ ligen Unternehmen, die Unparteilichkeit und Neutralität der Finanzbeamten, ein verhältnismäßiges Verwaltungshandeln sowie eine gegenseitige Offenheit und Reaktionsfähigkeit. Zur Steigerung der Transparenz sollen umgekehrt Unternehmen (und deren steuerliche Berater) unsichere bzw. risikobehaftete Steuerpositionen von sich aus offenlegen und im Dialog mit den Finanzbehörden möglichst frühzeitig klären. Unter dieser Voraussetzung verfolgt eine „enhanced relationship“ das Ziel, im Dauerrechtsverhältnis zwischen Staat und Unternehmen ein gegenseitiges Vertrauen zu bilden und früh Steuerrechtssicherheit („early tax certainty“) eintreten zu lassen. Das FTA gelangte unter Hinweis auf Erfahrungen in den USA, Irland und den Niederlanden zum Ergebnis, dass eine frühe („real-time“) Sachverhaltstransparenz und ein entsprechender Dialog zwischen Finanzbehörden und Unternehmen beiderseits von Vorteil sei.33 Auf dem jährlichen Kongress der European Association of Tax Law Professors (­EATLP) 2012 in Rotterdam fragte wenig später Soler Roch in ihrer „Manfred Mössner Lecture“, ob das Konzept der „Enhanced Relationship“ einem zwischen Finanzverwaltung und Steuerpflichtigen abgeschlossenen „New Deal“ gleichkomme.34 Sie ließ die Frage letztlich offen, forderte aber, dass sich dieser „New Deal“ nicht auf multinationale Unternehmen (Multinational Entities  – MNE) beschränken dürfe, sondern auch kleineren Unternehmen (Small and Midsize Entities – SME) zugute kommen müsse (dazu unten VII.). Auf dem 66. Jahreskongress der International Fiscal Association (IFA) in Boston 2012 wurde zudem der Begriff der „enhanced relation­ ship“ kritisiert35. Um Missverständnissen im Sinne einer Privilegierung von Großunternehmen entgegenzuwirken, änderte die OECD ihre Begrifflichkeit in die treffendere Umschreibung „Cooperative Compliance“.36 Zugleich hielt sie aber an der in der Studie aus dem Jahre 2008 herausgearbeiteten Konzeption fest, die sie auf den kurzen Nenner „transparency in exchange for certainty“ brachte.37 Als ein essentielles Element eines sog. Cooperative Compliance Programs (CCP) erachtet die OECD die Installierung eines unternehmensinternen sog. Tax Control Frameworks  – TCF (dazu unten V.)38. Mittlerweile haben eine ganze Fülle von Staaten derartige CCP implementiert, die den Anwendungsbereich traditioneller Außenprüfungen zumindest runter auch die sog. BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) und große Schwellenländer wie etwa Indonesien. 32 FTA, Study into the Role of Tax Intermediaries, 2008, 40 ff. 33 FTA, Study into the Role of Tax Intermediaries, 2008, 42, 77. 34 Soler Roch, Forum: Tax Administration versus Taxpayer – A New Deal?, World Tax Journal (WTJ) 2012, 282 (292 ff.). 35 Siehe Drüen, Enhanced Relationship – Modell für den (inter-)nationalen Steuervollzug?, in: Lüdicke, Vermeidung der Doppelbesteuerung und ihre Grenzen, 2013, 63 (74 f.). 36 OECD, Co-operative Compliance: A Framework – from Enhanced Relationship to Co-operative Compliance, 2013, 16. 37 OECD 2013 (Fn. 36), 29. 38 OECD, Co-operative Tax Compliance  – Building Better Tax Control Frameworks, 2016, 10 ff.

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im Bereich der MNE zurückdrängen39. So finden sich CCP nicht nur etwa in Australien40 und den USA41, sondern zunehmend auch in Europa, so etwa in Belgien42, Dänemark43, Frankreich44, Großbritannien45, Irland46, Italien47, Kroatien48, Niederlande49, Österreich (dazu noch näher unter VI.) oder Schweden50.

IV. Zeitnahe Außenprüfung als erster Schritt zu „Cooperative Compliance“ In Deutschland existiert nach wie vor kein CCP. Angesichts der unter I. und II. geschilderten Probleme der traditionellen Außenprüfung haben einige Bundesländer versucht, wenigstens zu einer zeitnahen Betriebsprüfung zu gelangen. Über die regionalen Grenzen hinaus wurden insbesondere die sog. Bielefelder und Osnabrücker 39 Zu den Konzepten ausführlich Bronzewska, Cooperative Compliance: A New Approach to Managing Taxpayer Relations, Diss., 2016 (IBFD Doctoral Series, Vol. 38), 93 ff. (anhand der Referenzbeispiele Australien, Großbritannien, Niederlande, Polen und USA). 40 Australian Taxation Office (ATO), Annual Compliance Arrangement (ACA), https://www. ato.gov.au/Business/Large-business/In-detail/Compliance-and-governance/Annual-Com​ pliance-Arrangements---what-you-need-to-know (abgerufen am 27.1.2020). 41 Internal Revenue Service (IRS), Compliance Assurance Process (CAP), https://www.irs.gov/ businesses/corporations/compliance-assurance-process (abgerufen am 27.1.2020). 42 Dazu Cannas/Wauters, The Rise of Cooperative Compliance Programmes and the Rule of Law: A Comparison between Belgium and Italy, European Taxation (ET) 2019, 561. 43 Dazu ausf. Boll/Johansen, Tax Governance  – Corporate experiences with Cooperative Compliance in Denmark, Fair Tax Working Paper Series No. 17, 2018, 6 ff. 44 Dazu Colloque Entreprises et administration fiscale: une nouvelle relation de confiance (14.3.2019) mit einem Handbook, Companies and French Tax Authorities: A new trust-based Relationship, https://www.economie.gouv.fr/files/files/2019/livret-essoc-anglais.pdf (abgerufen am 27.1.2020). 45 Dazu im Vergleich mit Dänemark de Widt/Oats, Risk Assessment in a Co-operative Compliance Context: A Dutch-UK Comparison, British Tax Review (BTR) 2017, 230. 46 Dazu Revenue Irish Tax and Customs, Co-Operative compliance, https://www.revenue.ie/ en/companies-and-charities/cooperative-compliance/how-cooperative-compliance-​ works.aspx (abgerufen am 27.1.2020); McNally, Ireland’s „New“ Co-operative Compliance Framework: An International Comparison, Irish Tax Review (ITR) 2017, 100. 47 Dazu Cannas/Wauters (Fn. 42), European Taxation (ET) 2019, 561; Manca, The New Italian Cooperative Compliance Regime, European Taxation (ET) 2016, 152. 48 Dazu Čičin-Šain, A New Approach of the Croatian Tax Administration towards Taxpayers Based on Cooperation Instead of Repression: A True Change in Attitude, Croatian and Comparative Public Administration, 2016 (Vol. 16), 847. 49 Belastingdienst, Guide Horizontal Monitoring, Tax Service Providers, https://download.­ belastingdienst.nl/belastingdienst/docs/guide-horizon-monitoring-service-providers-​ dv4071z3pl.pdf (abgerufen am 27.1.2020); ausf. Huiskers-Stoop/Gribnau, Cooperative Compliance and the Dutch Horizontal Monitoring Model, Journal of Tax Administration (JOTA) 2019 (Vol. 5), 66; s.a. Meussen, Horizontaal Toezicht – Eine neue Kooperationsform im Besteuerungsverfahren in den Niederlanden, FR 2011, 114. 50 Dazu Hambre, Cooperative Compliance in Sweden: A Question of Legality, Journal of Tax Administration (JOTA) 2019 (Vol. 5), 6.

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Modelle bekannt51. Das Land Nordrhein-Westfalen verfügte am 11.6.2008 einen landesweit die Betriebsprüfungsstellen bindenden Erlass.52 Wenig später konnte sich das Bundesministerium der Finanzen mit Zustimmung der Bundesländer immerhin dazu durchringen, die zeitnahe Betriebsprüfung in der im gesamten Bundesgebiet gültigen allgemeinen Verwaltungsvorschrift BpO 2000 zu verankern. Die für nach dem 1.1.2012 angeordnete Außenprüfungen gültige Ergänzung in Gestalt des §  4a BpO 200053 ist denkbar knapp und inhaltlich eher konturenlos ausgefallen: (1) Die Finanzbehörde kann Steuerpflichtige unter den Voraussetzungen des Absatzes 2 für eine zeitnahe Betriebsprüfung auswählen. Eine Betriebsprüfung ist zeitnah, wenn der Prüfungszeitraum einen oder mehrere gegenwartsnahe Besteuerungszeiträume umfasst. (2) Grundlage zeitnaher Betriebsprüfungen sind die Steuererklärungen im Sinne des §  150 AO der zu prüfenden Zeiträume (Abs.  1 Satz 2). Zur Sicherstellung der Mitwirkungs­ rechte  des Bundeszentralamtes für Steuern ist der von der Finanzbehörde ausgewählte Steuerpflichtige dem Bundeszentralamt für Steuern abweichend von der Frist des §  21 Abs. 1 Satz 1 BpO unverzüglich zu benennen. (3) Über das Ergebnis der zeitnahen Betriebsprüfung ist ein Prüfungsbericht oder eine Mitteilung über die ergebnislose Prüfung anzufertigen (§ 202 AO).

§ 4a BpO lässt der Finanzbehörde im Einklang mit § 194 Abs. 1 Satz 2 AO einen weiteren Ermessensspielraum, welche Fälle sie in welchem Umfang für eine zeitnahe Außenprüfung auswählt. Eine deutliche Absage erteilt §  4a Abs.  2 BpO aber einer veranlagungsbegleitenden Außenprüfung (sog. realtime audit), die noch in den Bielefelder und Osnabrücker Modellen vorgesehen war. Diese Einschränkung wird mit dem Gebot rechtsstaatlicher Verantwortungsklarheit begründet54. Jedoch ist nach dem Gesetz für die Durchführung einer Außenprüfung weder das Vorliegen einer Steuererklärung noch ein bereits ergangener Steuerbescheid Voraussetzung55. Eine veranlagungsbegleitende Außenprüfung kann daher in geeigneten Fällen eine sinnvolle präventive, risikovorbeugende Funktion haben56. Daher verkürzt §  4a Abs.  2 BpO unnötigerweise den gesetzlich eröffneten Ermessensspielraum. § 4a BpO ist als Ermessensvorschrift zudem so gestaltet, dass Steuerpflichtige keinen Rechtsanspruch auf eine zeitnahe Betriebsprüfung, sondern nur einen Anspruch auf Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens (§ 5 AO) bei der Entscheidung über die Prüfungsanordnung besitzen. Ein Antrag auf zeitnahe Betriebsprüfung muss aber von der Finanz51 Dazu näher Drüen, Modelle und Rechtsfragen zeitnaher Betriebsprüfung, IFSt-Schrift Nr. 469, 2011, 26 ff.; zu Reformansätzen in anderen Bundesländern s. Wünnemann, Gesetzlicher Regelungsbedarf für eine zeitnahe Betriebsprüfung, Ubg. 2011, 197 (199 ff.). 52 FinMin NRW v. 11.6.2008 – S 0401 – 10 V A 5, nach wie vor abrufbar in der juris-Datenbank; dazu eingehend Seer, Zeitnahe Außenprüfung bei Groß- und Konzernbetrieben, Ubg. 2009, 673 (675 ff.). 53 Siehe Fn. 11. 54 So Drüen (Fn. 51), IFSt-Schrift Nr. 469, S. 36; ders., FR 2011, 101 (111 f.). 55 Frotscher in Schwarz/Pahlke, AO, Kommentar, Vor § 193 Rz. 17 (März 2014); Seer in Tipke/ Kruse, AO/FGO, Kommentar, Vor § 193 AO Rz. 16 (August 2019). 56 Zutreffend Kaiser, Zur Terminologie „Risikomanagement“ aus Sicht der Finanzverwaltungen, Ubg. 2012, 631 (633); s.a. Hermenau, Rechtsstaatlichkeit und zeitnahe Betriebsprüfung – ein Widerspruch?, FR 2011, 120 (122).

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behörde beschieden und dessen etwaige Ablehnung gem. § 121 Abs. 1 AO wenigstens begründet werden. In einem Erlass zur Prüfung von Großbetrieben hat das Finanzministerium NRW die zeitnahe Betriebsprüfung darüber hinaus konturiert57. Danach ist eine Betriebsprüfung zeitnah, wenn der Prüfungszeitraum einen oder mehrere gegenwartsnahe Besteuerungszeiträume umfasst. Dabei sind nur die Besteuerungszeiträume als gegenwartsnah anzusehen, bei denen zum Zeitpunkt des vorgesehenen Prüfungsbeginns das letzte Jahr des angeordneten Prüfungszeitraums nicht länger als zwei Jahre zurückliegt und der Prüfungszeitraum zudem nicht mehr als zwei Jahre beträgt. Bsp.: Vorgesehener Prüfungsbeginn = 1.6.2020. Eine zeitnahe Betriebsprüfung könnte danach die Veranlagungszeiträume 2018 und 2019 (zusammen oder jeweils allein), aber auch zusammen die Veranlagungszeiträume 2017 und 2018 umfassen. Ob ein 1- oder 2-Jahreszeitraum sachgerecht ist, richtet sich nach der Größe und Art des Unternehmens. Bei kleineren Großbetrieben58 wird ein 2-Jahres-Prüfungszeitraum in Betracht kommen, während bei MNE ein 1-Jahreszeitraum („all in one year“) Vorteile bieten kann59. Als geeignete Fälle sieht die Finanzverwaltung vor allem die Prüfung steuerloyaler Großbetriebe an, die sich durch die folgenden Merkmale auszeichnen: – Sie haben in vorangegangenen Prüfungen aktiv bei der Informationsbeschaffung mitgewirkt. – Sie haben sich in der Vergangenheit steuerehrlich verhalten. – Die steuerlichen Pflichten wurden ernst genommen (z.B. durch Anträge auf Anpassung von Vorauszahlungen zur Vermeidung hoher Abschlusszahlungen). – Es wurden keine fragwürdigen Steuergestaltungsmodelle genutzt. Im selben Atemzug will das Finanzministerium NRW ausweislich seines Erlasses vom 11.6.2012 die zeitnahe Betriebsprüfung aber auch als Instrument bei hohem Risiko- und geringem Compliance-Faktor einsetzen, damit die zutreffende Steuer rechtzeitig festgesetzt und steuerliches Fehlverhalten zeitnah sanktioniert werden kann60. Damit versteht die Finanzverwaltung das Instrument einer zeitnahen Betriebsprüfung nicht als Teil eines Cooperative Compliance Programms (CCP), sondern eher schlicht als eine besondere Form der Außenprüfung (im Sinne einer Schwerpunktprüfung).

57 FinMin NRW v. 11.6.2012 – S 0401 – 10 VA 5, juris (StEK AO 1977 § 193 Nr. 58). Dieser Erlass hat den Erlass v. 11.6.2008 (Fn. 52) ersetzt. 58 Zur Größenklasseneinteilung s. bereits kritisch oben unter II. 59 Dorenkamp, Zeitnahe Betriebsprüfung – Win Win für Unternehmen und Finanzverwaltung, StbJb. 2015/16, 585 (589 ff.) mit Praxisbeispielen. 60 So ausdrücklich FinMin NRW v. 11.6.2012 (Fn. 57), a.a.O.

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V. Nutzung unternehmensinterner Tax Compliance Managementsysteme zur „Cooperative Compliance“ Parallel zu den Bemühungen um eine zeitnahe Betriebsprüfung hat sich vor dem Hintergrund eines verschärfenden Steuerstrafrechts zunehmend das Bedürfnis gezeigt, die Unternehmensorgane durch ein unternehmensinternes Kontrollsystem (bzw. durch ein unternehmensinternes Tax Compliance Management) vor den Risiken der Strafverfolgung zu schützen61. Spätestens seit Inkrafttreten des sog. Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes vom 28.4.201162 und nachfolgend des AO-Änderungsgesetzes 2014 vom 22.12.201463 ist das steuerstrafrechtliche Risiko der Inhaber, Organe und Mitarbeiter von Unternehmen deutlich gestiegen. Angesichts einer Vielzahl von Geschäftsvorfällen, komplexen Sachverhalten mit grenzüberschreitendem Charakter und einer nicht selten schwer überschaubaren Rechtslage ist die Steuerdeklaration dort tendenziell fehleranfällig64. Die obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder haben dies erkannt und versucht, im Anwendungserlass zur AO (AEAO) mittels einer Verwaltungsvorschrift zur Auslegung des § 153 AO der im Unternehmensbereich bestehenden Gefahr einer Überkriminalisierung entgegenzuwirken65. Dazu dienen zwei Stellen im AEAO zu § 153, die auf eine zurückhaltende steuerstrafrechtliche Würdigung seitens der Finanzbehörden hindeuten: Nr. 2.5 Sätze 4, 5 zu § 153 AO: „… Es bedarf einer sorgfältigen Prüfung durch die zuständige Finanzbehörde, ob ein Anfangsverdacht einer vorsätzlichen oder leichtfertigen Steuerverkürzung gegeben ist. Insbesondere kann nicht automatisch vom Vorliegen eines Anfangsverdachts allein aufgrund der Höhe der steuerlichen Auswirkung der Unrichtigkeit der abgegebenen Erklärung oder aufgrund der Anzahl der abgegebenen Berichtigungen ausgegangen werden.“

Nr. 2.6 Sätze 3–5 zu § 153 AO: „… Nach der BGH-Rechtsprechung ist für die Annahme des bedingten Vorsatzes neben dem Für-Möglich-Halten der Tatbestandsverwirklichung zusätzlich erforderlich, dass der Eintritt des Taterfolges billigend in Kauf genommen wird. Für die billigende Inkaufnahme reicht es, dass dem Täter der als möglich erscheinende Handlungserfolg gleichgültig ist. Hat der Steuerpflichtige ein innerbetriebliches Kontrollsystem eingerichtet, das der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dient, kann dies ggf. ein Indiz darstellen, das gegen das Vorliegen eines Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit sprechen kann, jedoch befreit dies nicht von einer Prüfung des jeweiligen Einzelfalls.“

61 Siehe etwa Wulf, Die Verschärfungen des Steuerstrafrechts – besondere Bedeutung für die Steuerabteilungen von Unternehmen?, AG 2009, 75; Streck/Binnewies, Tax Compliance, DStR 2009, 229; Streck, Steuercontrolling, Tax Compliance und Haftungsvorsorge, StbJb. 2009/2010, 415; schließlich monographisch Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Compliance, 1. Aufl., 2010. 62 BGBl. I 2011 S. 676. 63 BGBl. I 2014 S. 2415. 64 Zu den steuerlichen Problemfeldern in Unternehmen s. Geberth/Welling, DB 2015, 1742 f. 65 BMF v. 23.5.2016 – IV A 3-S 0324/15/10001, BStBl. I 2016, 490.

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Außerdem hat der BGH mit Urteil vom 9.5.2017 in einem (Steuer-)Ordnungswidrig­ keitenverfahren gegen eine Leitungsperson festgestellt, dass die Installation eines effektiven, auf die Vermeidung von Rechtsverstößen ausgelegten Compliance-Systems zu einer Minderung der Geldbuße führen kann66. Dabei soll es eine Rolle spielen können, ob die Leitungsperson in der Folge dieses Verfahrens entsprechende Regelungen optimiert und ihre betriebsinternen Abläufe so gestaltet hat, dass vergleichbare Normverletzungen zukünftig jedenfalls deutlich erschwert werden. Zwar erscheinen beide Quellen angesichts des mehrfachen Gebrauchs des Wortes „kann“ zu vage zu sein, um aus der Existenz eines Tax Compliance Managementsystems (TCMS) in jedem Fall einen wirksamen Schutz zugunsten der Organe und Mitarbeiter des jeweiligen Unternehmens gegen steuerstrafrechtliche Vorwürfe abzuleiten. Ungeachtet dessen lässt sich aber festhalten, dass die Unterhaltung und permanente Pflege eines TCMS je nach Lage des Einzelfalls eine gewisse Schutzschirmfunktion zugunsten der Organe/Mitarbeiter sowohl gegenüber steuerstraf- und ordnungswidrigkeitsrechtlichen Risiken als auch gegenüber zusätzlich anzutreffenden haftungsrechtlichen Risiken ihres Handelns67 bieten kann. Dementsprechend ist die Entwicklung und Ausgestaltung unternehmensinterner Tax Compliance mittlerweile zu einem wichtigen Geschäftsfeld der steuer- und wirtschaftsrechtlich beratenden Berufe geworden68. Die Basis für von den Steuerabteilungen der Unternehmen in Zusammenarbeit mit Beratungsunternehmen implementierten TCMS bildet der Praxishinweis 1/2016 des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW)69, den der IdW-Steuerausschuss verabschiedet hat und der an die Grund­sätze ordnungsgemäßer Prüfung von Compliance Management Systemen (IdW Prüfungsstandard [PS] 980)70 anknüpft. Unter einem Compliance Management System sind nach IdW PS 980 die auf der Grundlage der von den gesetzlichen Vertretern festgelegten Ziele eingeführten Grundsätze und Maßnahmen eines Unternehmens zu verstehen, die auf die Sicherstellung eines regelkonformen Verhaltens der gesetzlichen Vertreter und der Mitarbeiter des Unternehmens sowie ggf. von Dritten abzielen, d.h. auf die Einhaltung bestimmter Regeln und damit auf die Verhinderung von wesentlichen Verstößen. Ein Tax CMS ist ein abgegrenzter Teilbereich eines CMS, dessen Zweck die vollständige und zeitgerechte Erfüllung der steuerlichen Pflichten ist. Nach dem IdW-Praxishinweis 1/2016 hat ein angemessenes 66 BGH v. 9.5.2017 – 1 StR 265/16, ZWH 2017, 290 Rz. 118. 67 Dazu ausführlich Gasper, Tax Compliance aus unternehmensrechtlicher Sicht – Die Pflichtenstellung des Vorstandes angesichts systemischer Steuerrisiken internationaler Unternehmen, Diss., 2015, 215 ff. 68 Nahezu in jedem Jahrgang der einschlägigen Fachzeitschriften finden sich seit einigen Jahren gleich mehrere Berater-Aufsätze, die sich mit der Ausgestaltung eines TCMS beschäftigen; statt dessen wird hier auf das ausführliche Sammelwerk v. Rübenstahl/Idler (Hrsg.), Tax Compliance: Prävention – Investigation – Remediation – Unternehmensverteidigung, 2018 verwiesen. 69 IDW Praxishinweis 1/2016: Ausgestaltung und Prüfung eines Tax Compliance Management Systems gemäß IDW PS 980 (Stand 31.5.2017), IDW Fachnachrichten, IDW Life 7/2017, 837; dazu Erläuterungen von Niemann/Dodos, Tax Compliance Management System, 2019, 9 ff. 70 Abgedruckt im WPg-Supplement 2/2011, 78 ff.

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Tax CMS die folgenden sieben Grundelemente aufzuweisen, die in die Geschäftsabläufe einzubinden sind: Tax Compliance-Kultur, -Ziele, -Risiken, -Programm, -Organisation, -Kommunikation sowie ‑Überwachung und Verbesserung71. Eine Dokumentation der Tax Compliance-Kultur sagt etwas aus über die Bedeutung, die Mitarbeiter des Unternehmens der Beachtung steuerlicher Regeln und der ordnungsgemäßen Erfüllung steuerlicher Pflichten beimessen. Wie diese „Kultur“ im Unternehmen gepflegt wird, lässt sich zum einen an der regelmäßigen Kommunikation von Tax Compliance-Themen auf Leitungsebene („tone at the top“) sowie von der Leitungsebene (über die Steuerabteilung) in das Unternehmen hinein („tone from the top“) erkennen. Die Zielbestimmung ist aus der Unternehmensstrategie abzuleiten und kann sich über die Bedeutung z.B. folgender Ziele auslassen:72 zutreffende Erfüllung steuerlicher Pflichten (Tax Compliance), zutreffende Ermittlung der Steuerpositionen im Jahresabschluss (Tax Accounting), Risikominderung, Konzernsteuerquote, Minimierung der Steuerzahlung oder Kostenminimierung. Die Tax Compliance-Risiken unterscheiden sich je nach Größe, Art, Umfang und Internationalität des Unternehmens bzw. der Branche. Es bedarf einer prophylaktischen, systematischen Analyse der wesentlichen Geschäftsbereiche auf unternehmensspezifische Steuerrisiken. Auf Grundlage der Beurteilung der Tax Compliance-Risiken sind Grundsätze und Maßnahmen zu entwickeln, die den unternehmensspezifischen Tax Compliance-Risiken entgegenwirken und auf die Vermeidung von Compliance-Verstößen ausgerichtet sind. Der IdW-Praxishinweis 1/2016 nennt dazu beispielhaft elf Präventiv- und vier Detektivmaßnahmen73. Aus dem Tax Compliance-Programm muss folgen, wie die Tax Compliance-Organisation i.E. aufgebaut ist. Dazu sind die Zuständigkeiten klar und zweifelsfrei sowohl im Hinblick auf die vertikale Delega­ tion von Aufgaben auf nachgelagerte Unternehmensteile als auch im Hinblick auf die horizontale Delegation auf verschiedene Ressorts zu formulieren. Die Schnittstellen zu anderen Fachbereichen, die mit steuerlichen Belangen konfrontiert sind, sind eindeutig zu definieren und klaren Zuständigkeiten zu unterwerfen. Das Ganze ist sinnvollerweise in einer Steuerrichtlinie oder einem Organisationshandbuch festzuhalten74. Die Tax Compliance-Kommunikation betrifft die Weitergabe der Handlungsanweisungen an die Mitarbeiter im Unternehmen und die systematische Sicherung von deren Bewusstsein für die Relevanz der Einhaltung des Tax Compliance-Programms75. Schließlich muss die so umgesetzte Tax Compliance-Organisation fortlaufend überwacht und – soweit möglich – verbessert werden. 71 IDW PH 1/2016 (Fn. 69), Rz. 22 ff. 72 Birkemeyer/Koch, Ubg 2016, 90 (91). 73 IDW PH 1/2016 (Fn. 69), Rz. 43 und 44: Richtlinien, Checklisten, Schulungen, Kommunikation von Rechtsänderungen, Zuständigkeits-/Vertretungsregeln, Funktionstrennungen, Unterschriftsregelungen, Datenzugriffsberechtigungen, Dokumentationsanweisungen u.a.; außerdem 4-Augen-Prinzip, Verprobungen/Plausibili­tätskontrollen, Stichprobenkontrollen u.a. 74 IDW PH 1/2016 (Fn. 69), Rz. 34. Besondere Schwierigkeiten ergeben sich bei der Implementation einer Tax Compliance-Organisation bei Auslandstochtergesellschaften bzw. Auslandsbetriebsstätten, vgl. Birkemeyer/Koch, Ubg. 2016, 90 (93 f.). 75 In Abhängigkeit von Größe und Komplexität des Unternehmens nennt IDW PH 1/2016 (Fn. 69), Rz. 49, die Festlegung von Berichtsanlässen, -inhalten u. -zuständigkeiten, Instruk-

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Wenn Unternehmen den nicht unbeträchtlichen Aufwand der Einrichtung und Pflege eines TCMS auf sich nehmen, werden sie es nach dem IDW-Standard PS 980 im  Hinblick auf seine Angemessen- und Wirksamkeit von einem Wirtschaftsprüfer testieren lassen. Dabei kann der IDW-Standard PS 980 nicht auf alle Unternehmen gleichermaßen angewendet werden. Das Anforderungsprofil bei einem inhabergeführten mittelständischen Familienunternehmen ist ein anderes als das bei kapitalmarktorientierten Publikumsgesellschaften. Ein TCMS ist angemessen, wenn es geeignet ist, mit hinreichender Sicherheit sowohl Risiken für wesentliche Regelverstöße rechtzeitig zu erkennen als auch solche Regelverstöße zu verhindern76. Es ist darüber auch wirksam, wenn seine Grundsätze und Maßnahmen in den laufenden Geschäftsprozessen von den hiervon Betroffenen nach Maßgabe ihrer jeweiligen Verantwortung zur Kenntnis genommen und beachtet werden77. Bei einer solchen Prüfung geht es nicht um das Erkennen oder Aufdecken von einzelnen Regelverstößen, sondern um eine Systemprüfung.78 Treten trotz der Existenz eines für wirksam gehaltenen Tax CMS Verstöße auf, besteht eine Vermutung dafür, dass die handelnden Personen diesen Verstoß weder vorsätzlich noch leichtfertig begangen haben. Dies sollte sowohl im AEAO zu § 153 AO als auch im Abschnitt 4 der sog. Anweisungen für das Strafund Bußgeldverfahren (Steuer) - AStBV(St)79 über die Einleitung eines Strafverfahrens verdeutlicht werden. Zudem sind auch in ihren Aussagen gegenläufig erscheinende Verwaltungsanweisungen anzupassen80. Bevor im internationalen Kontext breitflächig Cooperative Compliance Programme (CCP) diskutiert worden sind (siehe vorstehend unter III.), hatte bereits Risse darauf hingewiesen, dass die unternehmensseitige Einrichtung eines Internen Kontrollsystems (IKS) oder eines ggf. weitergehenden TCMS im Rahmen der Betriebsprüfung zum gegenseitigen Nutzen sowohl des Staates als auch der Unternehmen verwendet werden kann. Unter dem Eindruck der für kapitalmarktorientierte Unternehmen durch das Bilanzmodernisierungsgesetz (BilMoG)81 auch in Deutschland verwirklichten Anpassungen an die internationale Rechnungslegung wies er auf das Gebot zum Ausweis latenter Steuern (§ 274 HGB) sowie des Ausweises der wesentlichen Merkmale des internen Kontroll- und Risikomanagementsystems (RMS) im Lagebericht (§  289 Abs.  4 HGB) hin82. Auch wenn der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) selbst noch kein verbindliches Außenrecht begründen kann, beeinflusst er die Maßstäbe der Sorgfaltspflicht von Vorständen (§§  76 Abs.  1, 93 Abs.  1 AktG). Nach dem DCGK bedarf es für einen verantwortungsvollen Umgang mit den Risiken tionsprozesse, Kommunikationsmittel (z.B. Newsletter, Mitarbeiterschulungen), Kommunikationsverantwortlichkeiten u.a. 76 So IdW PS 980 (Fn. 70), Rz. 20; IDW PH 1/2016 (Fn. 69), Rz. 15. 77 So IdW PS 980 (Fn. 70), Rz. 21; IDW PH 1/2016 (Fn. 69), Rz. 16. 78 IDW PH 1/2016 (Fn. 69), Rz. 59. 79 Derzeit gültig: AStBV (St) 2019 v. 1.12.2018, BStBl. I 2018, 1235. 80 Seer, DB 2016, 2192 (2197), mit Hinweis auf § 10 BpO 2000 sowie die dazu ergangenen gleichlautenden Ländererlasse v. 31.8.2009, BStBl. I 2009, 829. 81 Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts v. 25.5.2009, BGBl. I 2009, 1102. 82 Risse/Große-Allermann, Tax Compliance auf der Grundlage handelsrechtlicher Risikomanagementsysteme, Ubg. 2010, 629 (633 f.).

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der Geschäftstätigkeit eines geeigneten und wirksamen internen Kontroll- und Risikomanagementsystems. Der Vorstand hat für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der internen Richtlinien zu sorgen und wirkt auf deren Beachtung im Unternehmen hin (Compliance).83 Dabei hat er den Aufsichtsrat regelmäßig, zeitnah und umfassend über die Risikolage, das Risikomanagement und die Compliance zu informieren84. Vor diesem Hintergrund kann es sich kein Vorstand eines kapitalmarkt­ orientierten Unternehmens leisten, auf die Etablierung von Compliance Management Systeme zu verzichten. Außerdem zwingt der obligatorische Ausweis aktiver und passiver latenter Steuern (§§ 266 Abs. 2 D, E; 274 Abs. 1 Sätze 1, 2 HGB) das unternehmerische Tax Accounting zum Ausweis unsicherer Steuerpositionen, zu deren Dokumentation und permanenten Überwachung. In Zusammenschau dieser Vorgaben werden kapitalmarktorientierte Unternehmen praktisch dazu verpflichtet, auch ein steuerliches Risikomanagementsystem einzurichten85. Diese Ressource kann und sollte zur Entlastung sowohl der Finanzverwaltung als auch der Unternehmen im Rahmen zeitnaher Außenprüfungen genutzt werden. In Übereinstimmung mit den Überlegungen Risses hat der Verf. diese Beitrages von einer Win-Win-Situa­tion gesprochen86 und einen Paradigmenwechsel der Außenprüfung von Einzelsachverhaltsermittlung hin zu Systemprüfungen angemahnt. Die mittlerweile in deutschen Konzernunternehmen verankerte TCMS entspricht dem von der OECD als Grundlage der Cooperative Compliance geforderten unternehmensinternen Tax Compliance Framwork (TCF, siehe oben III.). Auf der Grundlage des IDW-Praxishinweises 1/2016 existiert mittlerweile auch eine konkrete Vorstellung darüber, wie ein TCF ausgestaltet sein sollte, um Prüfungserleichterungen gegenüber den Unternehmen zu rechtfertigen.

VI. Das neue österreichische Konzept einer sog. begleitenden Kontrolle Unter Anknüpfung an den vom IDW entwickelten Praxishinweis 1/2016 zur Ausgestaltung eines TCMS hat jüngst Österreich ein CCP mit Wirkung von 1.1.2019 in der Bundesabgabenordnung (BAO) gesetzlich implementiert87. Dieser Vorgang ist für 83 DCGK 2020 v. 16.12.2019, unter A.I. Grundsätze 4 und 5; zuvor sinngemäß im DCGK 2017 v. 7.2.2017 unter 4.1.3 u. 4.1.4.; beides abrufbar unter https://www.dcgk.de/de/kodex. html (abgerufen am 29.1.2020). 84 DCGK 2020 v. 16.12.2019, unter D.II.3. Grundsatz 15.; zuvor sinngemäß im DCGK 2017 v. 7.2.2017 unter 3.4; beides abrufbar unter https://www.dcgk.de/de/kodex.html (abgerufen am 29.1.2020). 85 Risse, Tax Compliance und steuerliches Risikomanagementsystem in der aktuellen Diskussion, Ubg. 2015, 9; grundlegend mit den praktischen Erfahrungen eines Leiters einer Steuerabteilung eines internationalen Konzerns Risse, Tax Compliance und Tax Risk Management  – Eine rechtsvergleichende Analyse und Umsetzung in einem internationalen Konzern, Diss., 2015, passim. 86 Seer, Tax Compliance und Außenprüfung, Festschrift Streck, 2011, 403 (406 ff.); im Anschluss daran eingehend Schützler, Tax Compliance im Kooperationsverhältnis zwischen Unternehmen und Finanzverwaltung, Diss., 2015, 183 ff. 87 Art. 9 Nr. 10 des Jahressteuergesetzes 2018 – JStG 2018, BGBl. I 2018 Nr. 62 v. 14.4.2018, S. 22 ff.

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die Fortentwicklung des deutschen Steuerverfahrensrechts rechtsvergleichend von besonderem Interesse, weil die BAO im historischen Kontext zur deutschen Reichs­ abgabenordnung steht88. Das JStG 2018 hat den Abschnitt über die Außenprüfung (§§ 147–153 BAO) in einen neuen Unterabschnitt (2a) um das Institut der sog. begleitenden Kontrolle (§§ 153a–g BAO) ergänzt. Nach § 153a Satz 1 BAO kann auf Antrag diese anstelle einer Ex post-Außenprüfung durchgeführt werden89. Anders als bei der traditionellen Außenprüfung bilden keine vergangenen, sondern gegenwärtige Veranlagungszeiträume den Prüfungsgegenstand. Laufende Interaktionen, die in mindestens vier Besprechungen pro Jahr zwischen den Akteuren stattfinden müssen (§ 153a Satz 3 i.V. mit § 153 f Abs. 4 BAO), ersetzen die traditionelle Außenprüfung. Die Prüfung und Aufdeckung einzelner Positionen des Rechnungswesens (insbesondere die Belegprüfung) steht nicht mehr im Vordergrund, sondern die Funktionsfähigkeit eines Steuerkontrollsystems (SKS) und die von den teilnehmenden Unternehmen daraus gewonnenen steuerlichen Fragestellungen. Den Steuerpflichtigen trifft dazu gem. § 153a Satz 3 i.V. mit § 153f Abs. 1 BAO eine erhöhte Offenbarungspflicht. Unbeschadet anderer abgabenrechtlicher Offenbarungspflichten hat er jene Umstände unaufgefordert vor Abgabe seiner Steuererklärungen offenzulegen, hinsichtlich derer ein ernsthaftes Risiko einer abweichenden Beurteilung durch das Finanzamt besteht und die nicht bloß unwesentliche steuerliche Auswirkungen auf das steuerliche Ergebnis haben. Es besteht also eine Offenlegungspflicht hinsichtlich unsicherer Steuerpositionen (Disclosure of Uncertain Tax Positions)90. Umgekehrt hat die Finanzbehörde dem beteiligten Unternehmen nach § 153a Satz 4 BAO jederzeit Auskünfte über bereits verwirklichte oder noch nicht verwirklichte Sachverhalte zu er­ teilen. Die Norm gibt den beteiligten Unternehmen einen Rechtsanspruch auf verbindliche Auskunft, der neben die Möglichkeit eines Auskunftsbescheides nach §  118 BAO tritt91. Während der begleitenden Kontrolle ist die reguläre Außenprüfung gem. §  148 Abs.  3a Nr.  1 BAO grundsätzlich insoweit ausgeschlossen, als die Steuerart und der Veranlagungszeitraum unter das Regime der begleitenden Kontrolle fällt (s.a. § 153f Abs. 2 BAO)92. In den Genuss einer (bloß) begleitenden Kontrolle gelangen nur Unternehmen und Unternehmensgruppen, die Bücher führen und eine gewisse Mindestgröße aufweisen (§ 153b Abs. 4 Nr. 1, 3 BAO). Danach beschränkt sich der Anwendungsbereich der §§ 153a ff. BAO auf Unternehmen, die in den beiden Wirtschaftsjahren vor der Antragstellung Umsatzerlöse von mehr als 40 Millionen Euro erzielt haben93. Hinzu 88 Zur historischen Entwicklung der BAO s. Ehrke/Rabel, in Doralt/Ruppe, Steuerrecht, Bd. II, 8. Aufl., 2019, Rz. 1251 f. 89 Zur Alternativität s. Macho/Oertel, Tax Compliance Ansätze im Vergleich: die österr. begleitende Kontrolle und der deutsche Status quo, ISR 2019, 232 (234). 90 Dazu eingehend Brandl, in Brandl/Macho/Schrottmeyer/Vock (Hrsg.), Begleitende Kon­ trolle – Alternative zur Betriebsprüfung, SWK-Spezial Dez. 2018, 131 ff. 91 Erläuterungen zur Regierungsvorlage, 190 der Beilagen XXVI. GP, S. 46. 92 § 148 Abs. 3a BAO erlaubt nur gewisse punktuelle Prüfungen (s. den dortigen Katalog). 93 Bei einer Unternehmensgruppe i.S.d. § 9 öKStG muss zumindest ein Mitglied der Unternehmensgruppe das Größenmerkmal erfüllen. Zur Antragstellung bei Unternehmensgruppen und einem sog. Kontrollverbund, s. Gutmayer/Schrottmeyer, in Brandl/Macho/

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kommen weitere Voraussetzungen, welche auf die Zuverlässigkeit der Antragsteller schließen lassen. Gegen keinen der im Antrag aufgeführten Unternehmer darf in den letzten fünf Jahren vor der Antragstellung wegen eines in den letzten sieben Jahren vor Antragstellung vorsätzlich oder grob fahrlässig begangenen Finanzvergehens rechtskräftig eine Strafe oder Verbandsgeldbuße verhängt worden sein (§ 153b Abs. 4 Nr. 2 BAO). Außerdem muss ein Steuerkontrollsystem eingerichtet worden sein, dessen Angemessenheit durch ein Gutachten eines Wirtschaftsprüfers oder Steuerberaters bestätigt wird (§ 153b Abs. 4 Nr. 4, Abs. 6 BAO)94. Das Steuerkontrollsystem darf nicht nur auf dem Papier stehen, sondern muss sich aus der Analyse aller steuerrelevanten Risiken ableiten und an geänderte Rahmenbedingungen laufend angepasst werden (so § 153b Abs. 6 Satz 2 BAO). Vor­aussetzung ist zudem die überprüfbare, laufend zu aktualisierende Dokumentation der Risikoanalyse, der daraus folgenden Prozesse und Prozessschritte sowie der erforderlichen Kontrollmaßnahmen (§ 153b Abs.  6 und 7 BAO). Das Gutachten des Wirtschaftsprüfers oder Steuerberaters ist spätestens nach einem Zeitraum vom drei Jahren zu erneuern (§ 153b Abs. 7 Satz 2 BAO). Das Gutachten hat dann über die Angemessenheitsprüfung hinaus die Wirksamkeit des SKS zu prüfen und zu bestätigen (§ 153f Abs. 5 Satz 2 BAO). Liegen die Voraussetzungen des §  153b BAO vor, ist zunächst nach §  153c Abs.  3 BAO eine traditionelle Außenprüfung durchzuführen, wenn (wohl gemeint: soweit) für die letzten fünf Jahre vor Antragstellung nicht bereits eine Außenprüfung stattgefunden hat. Ziel der Regelung ist es, ungeprüfte Zeiträume in den letzten Jahren vor der Antragstellung zu vermeiden und zwischen den Außenprüfungs-Veranlagungsjahren und den Jahren der begleitenden Kontrolle klar zu unterscheiden95. Außerdem soll die Außenprüfung dazu beitragen, die nötige Vertrauensbasis für die begleitende Kontrolle herzustellen. Erst nach dieser ggf. notwendigen Außenprüfung tritt die zuständige Finanzbehörde gem. § 153c Abs. 4 BAO in die konkrete Zuverlässigkeitsprüfung ein. Dabei ist das generelle Verhalten des Unternehmens bzw. der Unternehmer der letzten fünf Jahre vor Antragstellung mit den folgenden in § 153c Abs. 4 Satz 2 BAO besonders hervorgehobenen Elementen in die Betrachtung einzubeziehen:96 – das Verhalten während der für die letzten fünf Jahre vor Antragstellung durchgeführten Außenprüfungen und die dabei getroffenen Feststellungen, – die selbständige und zeitnahe Befolgung der Offenlegungs-, Wahrheits- und Anzeigepflichten, Schrottmeyer/Vock (Hrsg.), Begleitende Kontrolle − Alternative zur Betriebsprüfung, SWK-Spezial Dez. 2018, 70 ff. 94 Der Mindestinhalt des Gutachtens wird gem. § 153b Abs. 7 BAO durch eine Verordnung bestimmt (VO des BMF über die Prüfung des Steuerkontrollsystems – SKS-Prüfungsverordnung [SKS-PV]), BGBl. II 2018 Nr. 340 v. 18.12.2018. Für den Zeitpunkt der Antragstellung ist gem. § 12 Abs. 1 SKS-VO eine Angemessenheitsprüfung durchzuführen, die aus einer Konzeptionsprüfung und einer Umsetzungsprüfung besteht. 95 Erläuterungen zur Regierungsvorlage, 190 der Beilagen XXVI. GP, S. 49.  96 Dazu Erläuterungen zur Regierungsvorlage, 190 der Beilagen XXVI. GP, S. 50.

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– die fristgerechte Einreichung der Steuererklärungen, – die Anzahl und das Ausmaß von etwaigen Schätzungen im Sinne des § 184 BAO, – das Zahlungsverhalten, eine etwaige Säumnis und die Anzahl von Stundungen oder Ratenzahlungen, – anhängige oder noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Finanzstrafverfahren und – ein etwaiger Verdacht auf Vorliegen eines Scheinunternehmens. Liegen keine der genannten oder vergleichbare Anhaltspunkte dafür vor, dass der jeweilige Unternehmer unzuverlässig ist, muss das Vorliegen der Voraussetzungen für die begleitende Kontrolle durch Bescheid festgestellt werden. Die Finanzbehörde besitzt kein Ermessen (s. § 153c Abs. 4 Satz 1 BAO); allerdings soll ihr ein gewisser Einschätzungsspielraum zukommen97. Fehlt es an der Zuverlässigkeit, ergeht ein (negativer) Feststellungsbescheid, der rechtsbehelfsfähig ist. Die begleitende Kontrolle kann auf Antrag des Unternehmens gem. § 153g Abs. 1, 2 BAO durch Bescheid wieder beendet werden.98 Nach § 153g Abs. 3 BAO kann auch die Finanzbehörde von Amts wegen das Verfahren der begleitenden Kontrolle durch Bescheid beenden, wenn deren Voraussetzungen nicht mehr vorliegen oder ein Unternehmer seine Pflichten aus § 153f BAO verletzt hat. Die Finanzbehörde besitzt dabei einen Ermessensspielraum, der sich insbesondere an der Risikobeurteilung des betroffenen Unternehmens sowie an der Schwere des Pflichtverstoßes ausrichtet99.

VII. „Cooperative Compliance“ und KMU Cooperative Compliance Programme (CCP) fokussieren sich bisher auf große kapitalmarktorientierte Unternehmen (zur internationalen Entwicklung siehe oben III.). Sind mit ihr substanzielle Verfahrenserleichterungen (wie z.B. bei der sog. begleitenden Kontrolle in Österreich) verbunden, wird man vor dem Hintergrund des Gebots der Rechtsanwendungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) die Regelungen nicht auf kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaften im Sinne des §  264d HGB beschränken können100. Vielmehr werden sie rechtsformneutral auszugestalten sein und auch Personenunternehmen offenstehen müssen. Da der Paradigmenwechsel von der traditionellen Ex-post-Außenprüfung hin zur Implementierung gegenwartsnaher CCP zumindest in einer Übergangsphase nicht nur für die beteiligten Unternehmen, sondern auch für die Finanzverwaltungen einen Mehraufwand bedeutet, kann aus Gründen der Verwaltungskapazität die Einführung eines CCP zunächst auf Großunternehmen beschränkt werden, um sie später auf KMU auszudehnen. Als Unter 97 So Ehrke-Rabel in Doralt/Ruppe (Fn. 88), Rz. 1288. 98 Handelt es sich um eine Unternehmensgruppe, kann auch ein einzelnes Mitglied nach § 153g Abs. 2 BAO den Beendigungsantrag stellen. Dadurch verkleinert sich die der begleitenden Kontrolle weiterhin unterliegende Unternehmensgruppe. 99 Erläuterungen zur Regierungsvorlage, 190 der Beilagen XXVI. GP, S. 53. 100 Siehe bereits Seer/Hardeck, Strukturelle Implementierung kooperativer Verfahrenselemente in das Unternehmensteuerrecht, StuW 2016, 366 (382).

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scheidungskriterium bietet sich die Größe der Unternehmen an. Eine normative Anknüpfung kann der in § 267 Abs. 3 HGB getroffenen Unterscheidung zwischen sog. großen Kapitalgesellschaften und sonstigen Kapitalgesellschaften entnommen werden. Die in § 267 Abs. 2 HGB genannten Größenkriterien (mehr als 20 Mio. Bilanzsumme, 40 Mio. Umsatz­erlöse, 250 Arbeitnehmer) entsprechen der Kategorisierung in Art. 3 Abs. 4 der EU-Bilanzrichtlinie101 und versprechen daher, auch im EU-Kontext auf Akzeptanz stoßen zu können102. Nach § 264a Abs. 1 HGB gelten sie ferner für haftungsbeschränkte Personengesellschaften (z.B. GmbH & Co. KG) ebenso wie für Genossenschaften (§ 336 Abs. 2 HGB). Unabhängig von den Schwellenwerten gelten kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaften (s. § 267 Abs. 3 Satz 2 HGB), Kreditinstitute (§ 340a Abs. 1 HGB) und Versicherungsunternehmen (§ 341a Abs. 1 HGB) als Großunternehmen im Sinne der Rechnungslegungsvorschriften. Bei dem nach Art. 3 Abs. 1 GG gebotenen rechtsformneutralen Verständnis wären schließlich auch nicht davon erfasste Unternehmen (andere Personengesellschaften, Einzelunternehmen, Stiftungen) dieser Größenordnung einzubeziehen. Für die Fälle der Organschaft wäre zu entscheiden, ob für die Größeneinteilung auf den Organkreis oder jedes einzelne Organmitglied abzustellen ist. Da für die Tax Compliance die Beziehungen zwischen Organträger und Organgesellschaften sowie für die unter den Organgesellschaften von hoher Relevanz sind, sollte auf den Organkreis abgestellt werden. Dies entspräche auch der gesetzlichen Wertung des § 293 HGB hinsichtlich der größenabhängigen Pflicht zur Erstellung eines Konzernabschlusses. Nicht an Kapitalmärkten gelistete Personenunternehmen verfügen häufig – trotz einer entsprechenden Größe – über kein TCMS, das dem IDW-Praxishinweis 1/2016 genügt. Eine von Blaufus/Trenn Anfang 2016 vorgenommene exemplarische Befragung von insgesamt 144 Unternehmen des Deutschen Maschinen- und Anlagenbaus ergab, dass von diesen nur 54 Unternehmen über eine eigene Steuerabteilung verfügten103. Von diesen 54 Unternehmen waren 60 % Familienunternehmen. Im Durchschnitt betrugen ihre Bilanzsumme 437,8 Mio., ihr Jahresumsatz 1,138 Milliarden Euro und ihre Beschäftigtenzahl 2.860 Arbeitnehmer. Im Mittelwert der vergangenen drei Geschäftsjahre verfügten diese Unternehmen über 64 Konzerngesellschaften, von denen sich ca. 50 im Ausland befanden104. Selbst von diesen unzweifelhaft großen Unternehmen des sog. Mittelstandes gaben 2016 nur 11 % (= 6 Unternehmen) an, bereits ein TCMS zu nutzen. Immerhin erklärten 16 Unternehmen (ca. 30  %), dass die Einführung eines TCMS geplant sei105. Zwar darf angenommen werden, dass im Jahr 2020 angesichts der unter V. genannten Risiken mittlerweile ein deutlich höherer Anteil von nicht kapitalmarktorientierten Großunternehmen ein TCMS imple101 RL 2013/34/EU v. 26.6.2013 über den Jahresabschluss u.a., ABl. EU 2013, L 182/19 (28) v. 29.6.2013. 102 Dem entspricht es, dass Österreich sich bei der Einführung der sog. begleitenden Kontrolle mit der Umsatzgröße von 40 Mio. Euro zumindest an ein Kriterium des Merkmalkanons orientiert hat (siehe vorstehend unter VI.). 103 Blaufus/Trenn, Tax Compliance Management – Ergebnisse einer Befragung mittelständischer Unternehmen, StuW 2018, 42 (46). 104 Blaufus/Trenn (Fn. 103), StuW 2018, 42 (46). 105 Blaufus/Trenn (Fn. 103), StuW 2018, 42 (49).

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mentiert haben werden. Gleichwohl ist angesichts des nicht unbeträchtlichen Aufwandes, den ein dem IDW-Standard genügendes TCMS verursacht106, immer noch zu vermuten, dass selbst Großunternehmen einem von der Finanzverwaltung offerierten CCP erst mit einer gewissen Verzögerung nach Implementierung eines TCMS beitreten werden. Wenn schon mittelständische Großunternehmen den Aufwand eines TCMS in einer nicht unerheblichen Zahl scheuen, wie hoch muss der Widerstand bei sog. KMU sein, deren Größenmerkmale unterhalb der Schwellenwerte des § 267 Abs. 2 HGB verbleiben? Auch wenn das IDW in ihrem Praxishinweis 1/2016 darauf hinweist, dass sich die Ausgestaltung eines TCMS betriebsbezogen je nach Größe, Art und Umfang, Branche und Internationalität des Unternehmens richten muss, wird für viele KMU die Implementierung eines TCMS nicht in Betracht kommen107. Dies hat auch die Bundessteuerberaterkammer erkannt und mit Blick auf die KMU Hinweise für ein steuerliches innerbetriebliches Kontrollsystem (Steuer-IKS) herausgegeben108. Zur Unterscheidung vermeiden die Hinweise den nicht selbst erklärenden Begriff des „Tax Compliance Management Systems“ und nennen es kurz „Steuer-IKS“. Anhand instruktiver Beispiele (Modul Umsatzsteuer, Modul Lohnsteuer) erläutern sie die Funktionsweise des Steuer-IKS, werden dabei richtigerweise aber nicht müde, die elementare Bedeutung der unternehmensindividuellen Risikoanalyse und -bewertung herauszustellen. Diese schließt sich an eine eingehende Bestandsaufnahme an und mündet in Steuerungs- und Kontrollmaßnahmen. Bei der Bestandsaufnahme sind Aufbau- und Ablauforganisation zu untersuchen und die Verantwortlichkeiten eindeutig und klar zuzuweisen. Gerade bei KMU ist es außerdem wichtig, für Fälle von Krankheit und Urlaub eindeutige Vertretungsregeln vorzusehen; Checklisten, Verfahrensabläufe, Zuständigkeits- und Vertretungsregeln sind nachvollziehbar zu dokumentieren109. Hinsichtlich der Steuerungs- und Kontrollmaßnahmen unterscheiden die Hinweise zwischen präventiven und detektivischen Maßnahmen110. Die Prozessabläufe sind in dem Steuer-IKS nachvollziehbar zu dokumentieren. Die BStBK-Hinweise beschäftigen sich naheliegender Weise auch mit der Rolle des Steuerberaters sowohl beim Aufbau als auch bei der Prüfung eines Steuer-IKS.  Sie stellen praxisnah fest, dass Steuerberater für KMU in weiten Bereichen erste Ansprechpartner sind und bei kleinen Unternehmen regelmäßig die Steuerabteilung er106 Die Interviews ergaben, dass dies (naturgemäß) von der Größe und Ausstattung der jeweiligen Steuerabteilungen der Unternehmen abhängt, s. Blaufus/Trenn (Fn.  103), StuW 2018, 42 (49, 55). 107 Seer/Hardeck (Fn.  100), StuW 2016, 366 (374); zustimmend Blaufus/Trenn (Fn.  103), StuW 2018, 42 (55). 108 Mit dem Stand Juli 2018 abrufbar unter https://www.bstbk.de/de/presse/publikationen (abgerufen am 30.1.2020); dazu Fischer/Schwab, DStR 2018, 2040; Konken, BBK 2019, 182. 109 Kamchen, Nachholbedarf kleiner und mittlerer Unternehmen in Sachen Compliance  – Schritte zur Umsetzung eines maßgeschneiderten Tax Compliance Management Systems, NWB 2017, 3954 (3957 f.). 110 BStBK-Hinweise (Fn. 108), Rz. 38; zur Struktur der Funktionsweise des Steuer-IKS mit Beispiel s. Rz. 42.

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setzen111. Zwar erfüllen sie als unabhängige Organe der Steuerrechtspflege112 keine Funktion der Finanzverwaltung. Aufgrund ihrer unabhängigen Stellung können sie im Steuerrechtsverhältnis zwischen Unternehmen und Finanzverwaltung aber eine zertifizierte Mittlerfunktion übernehmen, die auf der Grundlage eines vereinfachenden Steuer-IKS ein besonderes Vertrauen in die Richtigkeit der Steuererklärungen des betreuten Unternehmens begründet113. In dieser Kombination könnte in einem zweiten Schritt ein für beide Seiten langfristig tragfähiges CCP auch für KMU eingeführt werden.

VIII. Schlussbemerkungen Unter dem internationalen Einfluss der OECD und der Veränderungen in nicht ­wenigen Staaten der EU steht das Verfahren der Außenprüfung vor einem Paradigmenwechsel. Zumindest bei Großunternehmen werden an die Stelle von einzel­ sachverhaltsorientierten Ex-post-Außenprüfungen gegenwartsnahe, risikoorientierte Kooperationsformen treten, die ein unternehmensinternes Tax Compliance Management System im Sinne einer kontrollierten Selbstregulierung in den Prüfungsprozess einbinden114. Der Paradigmenwechsel von der hoheitlichen Betriebsprüfung zur Corporate Compliance bietet im grenzüberschreitenden Prüfungswesen die weitere Möglichkeit zur Teilnahme an sog. International Compliance Assurance Programmen (ICAP), die zu einer frühzeitigeren Rechtssicherheit in internationalen Steuerfragen sowohl für die beteiligten Finanzbehörden als auch für multinational agierende Unternehmen führen sollen115. Dem wird sich Deutschland nicht entziehen können, wenn es anschlussfähig sein möchte. Um nicht zu gleichheitswidrigen Verwerfungen zu kommen, wird mit einer gewissen Verzögerung auch das für KMU geltende Außenprüfungsregime davon nicht unbeeinflusst bleiben.

111 BStBK-Hinweise (Fn. 108), Rz. 14. 112 So ausdrücklich nunmehr § 32 Abs. 2 Satz 1 StBerG in der Neufassung des Gesetzes v. 12.12.2019, BGBl. I 2019, 2451 (2485). Damit soll die besondere Funktion des Steuerberaters festgehalten und ein Gleichklang mit § 1 BRAO hergestellt werden, s. Reg.Begr., BTDrucks. 19/13436, 195 v. 23.9.2019. 113 Siehe bereits als für KMU geeignetes „Kooperationsmodell II“: Seer/Hardeck (Fn. 100), StuW 2016, 366 (379 ff.); zustimmend Blaufus/Trenn (Fn. 103), StuW 2018, 42 (55). 114 Zum Konzept einer kontrollierten Selbstregulierung s. Seer, Besteuerungsverfahren im 21. Jahrhundert, FR 2012, 1000 (1002 ff.). 115 Siehe FTA, International Compliance Assurance Programme, Pilot Handbook 2.0, 2019.

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Der Einfluss des „Rückhalts im Konzern“ auf die Bestimmung angemessener Verrechnungspreise Inhaltsübersicht I. Vorwort II. Einleitung I II. Relevanz des Rückhalts im Konzern 1. Vorbemerkung 2. Überblick über die ursprüngliche BFH-Rechtsprechung für Darlehensfälle 3. Regelung in den Verwaltungsgrundsätzen 4. Zwischenfazit – Definitionsfragestellung IV. Definitionsvorschlag zum „Rückhalt im Konzern“ 1. Stand in der Literatur

2. Stand in der Rechtsprechung 3. Definitionsvorschlag V. Auswirkung des Rückhalts im Konzern auf die Verrechnungspreisfestsetzung 1. Vorbemerkung 2. Lieferbeziehungen 3. Darlehenssachverhalte 4. Dienstleistungsverrechnung 5. Günstigere Absatz- und Einkaufs­ möglichkeiten 6. Firmenname VI. Fazit

I. Vorwort Heinz-Klaus Kroppen ist einer der renommiertesten Verrechnungspreis-Experten in Deutschland. Als Rechtsanwalt hat er sich zunächst dieser Thematik von der recht­ lichen Seite aus gewidmet, später dann aber auch alle betriebswirtschaftlichen Im­ plikationen umfassend berücksichtigt und gewürdigt. Damit hat er ein fachliches Spektrum geschaffen, was sowohl die juristischen als auch die betriebswirtschaft­ lichen Aspekte dieser Thematik vollkommen und erschöpfend erfasst. Insbesondere am Anfang seiner beeindruckenden Karriere, geprägt durch die Schule von Helmut ­Becker bei Wollert-Elmendorff in Düsseldorf, später führend bei Deloitte und danach führend bei PwC, hat er die Diskussion durch seine zahlreichen Publikationen, Handbücher und Kommentare im Verrechnungspreisbereich entscheidend geprägt. Neue nationale und internationale Entwicklungen in diesem Bereich hat er sofort aufgegriffen und in seine beeindruckende Publikationsfülle integriert. Wenn er sich nun nach Vollendung des 60sten Lebensjahres thematisch anderen Dingen zuwendet, so ist dies fachlich zwar bedauerlich, ihm aber persönlich sehr zu gönnen und zu wünschen. Für diesen neuen Lebensabschnitt wünschen wir ihm alles erdenklich Gute.

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II. Einleitung Der BFH hat mit dem Urteil vom 27.2.2019 (I R 73/16)1 seine Rechtsprechung zur Sperrwirkung einer abkommensrechtlichen Regelung i.S.d. Art. 9 OECD-MA gegenüber § 1 AStG geändert. Im Fokus der geänderten Rechtsprechung steht insbesondere der sog. „Rückhalt im Konzern“ und damit die Frage, ob und wie Unterstützungen oder Vorteile durch einen Konzernverbund, die so nicht zwischen fremden Dritten bestehen können, bei der fremdüblichen Ausgestaltung und Abrechnung von Konzernbeziehungen zu berücksichtigen sind. Bislang ist jedoch nicht hinreichend  – insbesondere nicht über die entschiedenen Einzelfälle hinaus – geklärt, was unter dem Rückhalt im Konzern letztlich zu verstehen ist und welche Auswirkungen ein solcher auf die Festsetzung von fremdüblichen Verrechnungspreisen dem Grunde nach haben kann.

III. Relevanz des Rückhalts im Konzern 1. Vorbemerkung Der Rückhalt im Konzern war bislang insbesondere Gegenstand der Rechtsprechung zu konzerninternen Darlehenssachverhalten. Darüber hinaus finden sich Hinweise zum Rückhalt im Konzern in den Verwaltungsgrundsätzen von 1983.2 Dazu im Einzelnen: 2. Überblick über die ursprüngliche BFH-Rechtsprechung für Darlehensfälle Ursprung der aktuellen Diskussion um den Konzernrückhalt in Deutschland ist das BFH-Urteil v. 14.1.2009.3 Durch dieses Urteil wurden Teilwertabschreibungen auf ­eigenkapitalersetzende Darlehen nicht den Abzugsbeschränkungen des § 8b Abs. 3 KStG4 unterworfen. Konkret war die damalige Regelung des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG nicht auf Teilwertabschreibungen auf eigenkapitalersetzende Darlehen anzuwenden, so dass Teilwertabschreibungen auf Darlehen an Tochtergesellschaften steuerlich wirksam waren und die Einkünfte des Darlehensgebers minderten. Im Urteilsfall handelte es sich um einen reinen Inlandssachverhalt. In der Folge wurde die steuerliche Wirksamkeit von Teilwertabschreibungen auf Darlehen gegenüber verbundenen ausländischen Tochtergesellschaften von Seiten der Finanzverwaltung mit der Begründung versagt, dass bei fehlender Besicherung des Darlehens eine Kor-

1 BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BFHE 263, 525, BStBl. II 2019, 394. 2 BMF-Schreiben v. 23.2.1983 − IV C 5 – S 1341 – 4/83, BStBl. I 1983, 218. 3 BFH v. 14.1.2009 − I R 52/08, BFHE 224, 132, BStBl. II 2009, 674. 4 I.d.F. 2002 vor Änderung durch das Jahressteuergesetz 2008 v. 20.12.2007 (BStBl.  I 2008, 218).

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rektur nach § 1 AStG durchzuführen wäre.5 Im einschlägigen BMF-Schreiben6 führt die Finanzverwaltung aus, dass die Abrede einer Besicherung zu den Bedingungen gehört, die gem. § 1 AStG zu Einkünftekorrekturen führen könnten, wenn sie nicht dem entsprechen, was fremde Dritte vereinbaren würden. Dementsprechend sollten Darlehen eines beherrschenden Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft daraufhin unterschieden werden, ob (i) eine Besicherung vorlag und der Zinssatz die Besicherung berücksichtigte, (ii) eine fehlende Besicherung durch eine Risikoprämie auf den Zins (i.e.S.  Zinszuschlag) entgolten wurde oder (iii) ein Risikozuschlag auf den Zins fehlte, weil die Besicherung durch den Rückhalt im Konzern „ersetzt“ würde.7 Für den letztgenannten Fall wurde unterstellt, dass die Zinshöhe grundsätzlich fremdüblich sei, da „die Konzernbeziehung („Rückhalt“), für sich gesehen, eine ausreichende Sicherheit darstellt“8 und „das Fehlen einer tatsächlichen Sicherheit nicht zu einer Anpassung des Zinssatzes“9 führt.10 Solange der Konzernrückhalt fortbestehe, sei grundsätzlich bereits bilanziell keine Teilwertabschreibung auf das Darlehen zulässig, weil durch die Absicherung durch den Konzernrückhalt kein Ausfallrisiko und damit keine Wertminderung des Darlehensnominals bestehe.11 Soweit aus anderen Gründen eine Teilwertabschreibung zulässig sei, wäre diese nach § 1 AStG zu korrigieren.12 Im hierzu relevanten BFH-Urteil vom 24.6.2015 (I R 29/14)13 hatte der BFH die Auffassung vertreten, dass ein bestehender Konzernrückhalt dazu führen kann, dass es fremdüblich sei, wenn im Rahmen der Darlehensgewährung zwischen Kapitalgesellschaften im Konzern keine Sicherheiten gewährt werden. Gleichwohl würde ein entsprechender Konzernrückhalt nicht den automatischen Schluss zulassen, dass von einer bestehenden Sicherheit zwingend auszugehen sei. Eine Muttergesellschaft sei nicht zwingend dazu verpflichtet (oder in der Lage), entsprechende Darlehensausfälle bei Tochtergesellschaften auszugleichen, weshalb bei bestehendem Ausfallrisiko der Teilwert des Darlehens gemindert und damit eine Teilwertabschreibung beim Darlehensgeber zulässig sei.14 Letztlich hatte der BFH damit eine Teilwertabschreibung auf Gesellschafterdarlehen auch bei bestehendem Konzernrückhalt anerkannt und Korrekturen gem. § 1 AStG versagt.15

5 Vgl. BMF v. 29.3.2011 − IV B 5 – S 1341/09/10004, BStBl. I 2011, 277, Rz. 1. 6 BMF v. 29.3.2011 − IV B 5 – S 1341/09/10004, BStBl. I 2011, 277. 7 Vgl. BMF v. 29.3.2011 (Fn. 6), Rz. 8. 8 BMF v. 29.3.2011 (Fn. 6), Rz. 10. 9 BMF v. 29.3.2011 (Fn. 6), Rz. 10. 10 In Anlehnung an BFH-Urteile v. 21.12.1994 − I R 65/94, BFHE 176, 571, HFR 1995, 445 und v. 29.10.1997 − I R 24/97, BFHE 184, 482, BStBl. II 1998, 573. 11 Vgl. BMF v. 29.3.2011 (Fn. 6), Rz. 13. 12 Vgl. BMF v. 29.3.2011 (Fn. 6), Rz. 18. 13 BFH v. 24.6.2015 – I R 29/14, BFHE 250, 386, BStBl. II 2016, 258; ähnlich BFH v. 29.10.1997 − I R 24/97, BFHE 184, 482, BStBl. II 1998, 573. 14 Ebenso Rasch, ISR 2019, 409 (412). 15 Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BFHE 263, 525, BStBl. II 2019, 394.

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An dieser Rechtsprechung hält der BFH inzwischen nicht mehr fest. Der BFH geht jetzt davon aus, dass ein alleiniger Konzernrückhalt nicht mit einer Sicherheit vergleichbar wäre, wenn eine solche Besicherung nicht explizit zwischen den Parteien vereinbart wurde. Eine fehlende Besicherung kann nicht durch den Konzernrückhalt ersetzt werden, so dass von einer Minderung des Teilwerts einer Forderung dann auszugehen ist, wenn ein entsprechendes Ausfallrisiko besteht und keine anderweitige explizite Besicherung vorliegt. Rasch geht insofern zutreffend davon aus, dass der Konzernrückhalt nur noch bedeutet, dass die Konzernverflechtung dann zu einer Besicherung führt, wenn der Konzernmutter eine aktive Einstandsverpflichtung zukommt.16 3. Regelung in den Verwaltungsgrundsätzen Neben zuvor dargestellten Ausführungen der Finanzverwaltung zu Darlehenssachverhalten finden sich weitere Ausführungen zum Konzernrückhalt in den Verwaltungsgrundsätzen 198317 zu den verwaltungsbezogenen Leistungen im Konzern. Auch diese Fundstelle enthält zwar keine Definition, was unter dem Rückhalt im Konzern zu verstehen ist, sie enthält aber in Tz. 6.3.218 zu den verwaltungsbezogenen Leistungen im Konzern den Hinweis, dass der Rückhalt im Konzern nicht von der Mutter- an eine Tochtergesellschaft zu verrechnen sei. M.a.W. geben die Verwaltungsgrundsätze zwar Hinweise zur Rechtsfolge, aber es fehlt an einer klaren Definition der einschlägigen Voraussetzungen. 4. Zwischenfazit – Definitionsfragestellung Die Rechtsprechung hat sich mit dem Konzernrückhalt im Wesentlichen im Rahmen von Darlehenssachverhalten auseinandergesetzt. Die BMF-Schreiben behandeln Darlehensfälle sowie verwaltungsbezogene Konzernleistungen. Insofern lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass der Konzernrückhalt für verschiedenartige Geschäftsbeziehungen zwischen Konzernunternehmen durchaus relevant sein kann. Es ist bislang jedoch weder durch die BFH-Rechtsprechung noch durch die Finanzverwaltung eindeutig definiert, was unter dem Rückhalt im Konzern zu verstehen ist.19 Bekannt ist bislang letztlich nur, dass ein Konzernrückhalt nicht von einer Mutter- an die Tochtergesellschaft abgerechnet werden soll20 bzw. ein solcher nicht dazu führt, dass von einer Besicherung von Darlehen auszugehen ist, wenn es an einer expliziten vertraglichen Sicherungsabrede fehlt21. 16 Vgl. Rasch, ISR 2019, 409 (412). 17 BMF v. 23.2.1983 − IV C 5 – S 1341 – 4/83, BStBl. I 1983, 218. 18 Weitere Hinweise zum Rückhalt im Konzern finden sich ansonsten im BMF-Schreiben v. BMF v. 29.3.2011 (Fn. 6) zur Anwendung des § 1 AStG auf Teilwertabschreibungen von Darlehen gegenüber nahestehenden ausländischen Personen. 19 Ebenso Greil/Wargowske, IStR 2016, 272 (273); Nürnberg, DStR 2019, 1901 (1901); Krüger, DStZ 2017, 284 (284). 20 Vgl. BMF v. 23.2.1983 − IV C 5 – S 1341 – 4/83, BStBl. I 1983, 218, Tz. 6.3.2. 21 Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BFHE 263, 525, BStBl. II 2019, 394.

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Aus diesem Grund soll nachfolgend ein Definitionsvorschlag ausgearbeitet werden.

IV. Definitionsvorschlag zum „Rückhalt im Konzern“ 1. Stand in der Literatur Auch in der Literatur hat sich noch keine klare Definition entwickelt, was unter dem Rückhalt im Konzern zu verstehen ist. U.a. wird ausgeführt, dass unter dem Rückhalt im Konzern alle Vorteile im Konzern zu verstehen sind, die sich bei völliger Passivität der Konzernleitung allein aus der Zugehörigkeit zum Unternehmensverbund ergeben.22 Typischerweise genannte Beispiele sind die erhöhte Kreditwürdigkeit, günstigere Absatz- und Einkaufsmöglichkeiten und das Recht auf Führen des Konzernnamens.23 Keine Verrechnung soll für die Überlassung des Konzernnamens erfolgen.24 Greil/Wargowske haben im Jahr 2016  – d.h. noch vor der jüngsten Änderung der Rechtsprechung – einen interessanten Definitionsvorschlag unterbreitet und dazu (i) passive Konzernwirkungen und den (ii) Rückhalt im Konzern voneinander abgegrenzt.25 Passive Konzernwirkungen unterscheiden sich demnach vom Rückhalt im Konzern insbesondere dadurch, dass der Rückhalt im Konzern erst durch eine aktive Tätigkeit (der Konzernmutter) hergestellt wird und sich nicht allein aus einer Eingliederung in den Konzern ergibt.26 Dabei seien die „passiven Konzernwirkungen“ noch in sog. „einfache passive Konzernwirkungen“ sowie „qualifizierte passive Konzernwirkungen“ zu unterscheiden. „Einfache passive Konzernwirkungen“ seien „Vorteile im Konzern, die sich allein aus der Zugehörigkeit zum Unternehmensverbund bei völliger Passivität der Konzernleitung ergeben“27. D.h. die Vorteile ergeben sich allein durch die Eingliederung einer Gesellschaft in einen Konzern. Beispielsweise sei die Annahme einer besseren Kreditwürdigkeit einer Konzerngesellschaft im Vergleich zu einem alleinstehenden Unternehmen eine passive Wirkung, die keine Ansprüche oder eine Forderung des Gesellschafters gegenüber der Konzerngesellschaft rechtfertigt.28 Davon abzugrenzen seien noch sog. „qualifizierte passive Konzernwirkungen“, bei denen neben der reinen passiven Konzernwirkung eine „passiv gewährte Sicherheit“ bestehen würde. Eine passive Sicherheit könne bspw. darin bestehen, dass der Darlehensgeber eine Einflussnahmemöglichkeit auf den Darlehensnehmer hätte, wie dies bspw. beim beherrschenden Gesellschafter der Fall ist.29 Der beherrschende Gesell22 Vgl. Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, Köln 1986, S. 187. 23 Vgl. Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, Köln 1986, S. 187; Borstell/Wehnert, IStR 2001, 127 (127). 24 Vgl. Gosch in Gosch, KStG, 3. Aufl. 2015, § 8 Rz. 935. 25 Vgl. Greil/Wargowske, IStR 2016, 272 (274 f.). 26 Vgl. Greil/Wargowske, IStR 2016, 272 (275). 27 Greil/Wargowske, IStR 2016, 272 (274). 28 Vgl. Greil/Wargowske, IStR 2016, 272 (274). 29 Vgl. Greil/Wargowske, IStR 2016, 272 (274 f.).

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schafter hat eine Einflussnahmemöglichkeit auf die Gesellschaft, weil er durchsetzen kann, dass die Gesellschaft ihre Darlehensverpflichtung erfüllt. Da es sich aber nur um die Möglichkeit der Einflussnahme handelt, sei hierfür noch keine Vergütungspflicht anzunehmen.30 Im Ergebnis unterscheiden Greil/Wargowske die passiven Konzernwirkungen vom Rückhalt im Konzern dadurch, dass beim Rückhalt im Konzern zu den passiven Konzernwirkungen (in Form von Vorteilen durch die Eingliederung in einen Konzern) aktive Tätigkeiten hinzutreten müssen, die dann eine Verrechnungspflicht auslösen.31 Die Begründung einer Verrechnungspflicht  – i.e.S.  durch eine Ausweitung der Definition des Rückhalts im Konzern um aktive Tätigkeiten – stünde dann aber im Widerspruch zu der Regelung in Tz. 6.3.2 der Verwaltungsgrundsätze32 nach welcher der Konzernrückhalt nicht zu verrechnen ist. 2. Stand in der Rechtsprechung Im Urteil v. 17.12.201433 wird der Konzernrückhalt beschrieben als alle Vorteile eines Unternehmens, die sich allein aus der Zugehörigkeit zum Unternehmensverbund ergeben. Unterstellt wurde dabei, dass der beherrschende Gesellschafter die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft sicherstelle, so dass sie ihren Außenverpflichtungen nachkommen kann. Im jüngsten Urteil v. 27.2.201934 wird der Konzernrückhalt als Topos gefasst, der lediglich den rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmen der Unternehmensverflechtung beschreibt und die Üblichkeit zum Ausdruck bringt, innerhalb eines Konzerns Kreditansprüche nicht wie unter Fremden abzusichern. 3. Definitionsvorschlag Unser Definitionsvorschlag soll sich an den Gedanken von Greil/Wargowske hinsichtlich der Unterscheidung passiver Wirkungen und aktiven Handelns anlehnen, aber auch berücksichtigen, dass nach Auffassung des BMF eine Verrechnung für den Rückhalt im Konzern nicht in Betracht kommt. Nach diesem Vorschlag wären unter dem Rückhalt im Konzern alle Vorteile zu verstehen, die sich bei der Gesellschaft automatisch und dementsprechend passiv durch die Eingliederung der Gesellschaft in einen Konzern ergeben, ohne dass hierfür neben der Umsetzung rein gesellschaftsrechtlicher Handlungen bzw. Verpflichtungen weitere akti30 Vgl. Greil/Wargowske, IStR 2016, 272 (275). 31 Vgl. Greil/Wargowske, IStR 2016, 272 (275). 32 BMF v. 23.2.1983 − IV C 5 – S 1341 – 4/83, BStBl. I 1983, 218. 33 Vgl. BFH v. 17.12.2014 − I R 23/13, BFHE 248, 170, IStR 2015, 216, BStBl. II 2016, 261. 34 BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BFHE 263, 525, BStBl. II 2019, 394; hierzu Schwenke, Der „Konzernrückhalt“ – Versuch einer steuerrechtlichen Einordnung, in: Internationale Einkünfteabgrenzung, Freundesgabe für Hubertus Baumhoff zum 65. Geburtstag, hrsg. v. Thomas Rödder, Franz Wassermeyer, Xaver Ditz, Köln 2019, S. 343.

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ve Handlungen durch den Gesellschafter bzw. die Konzernmutter notwendig wären oder die Gesellschaft immaterielle Wirtschaftsgüter der Konzernmutter nutzt.

Zu den einzelnen Definitionsbestandteilen: – Eintritt von Vorteilen bei der Gesellschaft: Der Eintritt von Vorteilen ist wesentlicher Definitionsbestandteil, weil anderenfalls eine Verrechnungspflicht gar nicht bestehen kann. Gemäß dem international anerkannten benefit-test, ist eine Verrechnung nur dann notwendig, wenn eine Leistung erbracht wird, die beim Empfänger einen Nutzen („benefit“) stiftet. Ein Nutzen wird angenommen, wenn beim leistungsempfangenden Unternehmen ein Vorteil zu erwarten ist bzw. wenn es Kosten einsparen kann.35 M.a.W. ist ein Nutzen nur dann gegeben, wenn das Unternehmen die Leistung selbst erbracht oder einen Dritten mit der Erbringung beauftragt hätte, m.a.W. also ein Leistungsaustausch erfolgt. Ist der Eintritt eines Vorteils nicht zu erwarten, würde hierfür ein fremder Dritter kein Entgelt entrichten, so dass eine Verrechnung in jedem Fall ausscheidet. – Automatischer bzw. passiver Eintritt: Die Vorteile müssen sich bei der Gesellschaft automatisch durch die gesellschaftsrechtliche Eingliederung in einen Konzern ergeben. Grundsätzlich sind gesellschaftsrechtliche Handlungen nicht verrechenbar, weil hierfür ein fremder Dritter kein Entgelt entrichten würde.36 Es handelt sich vielmehr um die Befolgung gesellschaftsrechtlicher Vorgaben durch den Gesellschafter, wodurch einem Dritten (hier: der Gesellschaft) kein zusätzlicher Nutzen entsteht.37 Insofern sollte eine Verrechnungspflicht dann ausscheiden, wenn sich Vorteile automatisch bei der Gesellschaft einstellen, zumal hier auch kein Leistungsaustausch erfolgt. – Keine aktiven Handlungen:38 Durch das Definitionsmerkmal der aktiven Handlungen wird unterstellt, dass Vorteile bei der Gesellschaft nur durch aktive Handlungen des Gesellschafters eintreten können. Aktive Handlungen können bspw. die Erbringung einer Leistung (z.B. Managementdienstleistungen) oder eine konkrete Bürgschaftsübernahme sein, die bei der Gesellschaft einen Nutzen stiften. Aktive Tätigkeiten eines Gesellschafters (oder der Konzernmutter) sollen nicht unter den – nicht zu verrechnenden – Rückhalt im Konzern fallen, weil ein fremder Dritter keine aktiven Handlungen vornehmen und damit Kosten tragen würde, wenn diese nicht verrechnet werden können. 35 Vgl. Tz. 7.6 OECD-RL 2017; BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 – S 1341 – 4/83, BStBl. I 1983, 218, Tz. 6.2.2. 36 Vgl. BMF v. 23.2.1983 − IV C 5 – S 1341 – 4/83, BStBl. I 1983, 218, Tz. 6.1. 37 Vgl. Tz. 7.9 OECD-RL 2017; BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 – S 1341 – 4/83, BStBl. I 1983, 218, Tz. 6.3.2. 38 Auch Nürnberg schlägt vor, dass eine Unterscheidung zwischen passivem Schutz oder aktiv abzurufender Wirkung erfolgt und empfiehlt hierzu eine gesetzliche Klarstellung (vgl. Nürnberg, DStR 2019, 1901 [1905]).

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– Aktive Handlungen in Form der Umsetzung gesellschaftsrechtlicher Verpflichtungen: Die Ausnahme von aktiven Handlungen zur Umsetzung gesellschaftsrechtlicher Verpflichtungen ist wesentlich, damit die aktiven Handlungen und dementsprechend die Verrechnungspflicht nicht zu weitgehend gefasst werden. Denn auch zur Eingliederung einer Gesellschaft in einen Konzern sind aktive Handlungen durch den Gesellschafter notwendig (z.B. Gründung oder Erwerb von Gesellschaften), wobei diese noch keine Verrechnungspflicht begründen sollen39, soweit sie keinen Nutzen bei der Gesellschaft stiften. – Keine Nutzung immaterieller Wirtschaftsgüter: Die Nutzung immaterieller Wirtschaftsgüter ist grundsätzlich zu vergüten, wenn diese dazu geeignet sind, beim Nutzenden einen wirtschaftlichen Vorteil zu stiften. Es ist insofern eine Negativabgrenzung notwendig, weil ein nicht verrechnungspflichtiger Konzernrückhalt nicht dazu führen darf, dass eine Gesellschaft unentgeltlich die immateriellen Wirtschaftsgüter der Muttergesellschaft einsetzen kann. Nach diesem Vorschlag würde der Rückhalt im Konzern sehr eng gefasst werden. Er würde nur noch Vorteile bei der Gesellschaft abdecken, wenn diese ohne – mit Ausnahme von gesellschaftsrechtlich motivierten – aktive Handlungen des Gesellschafters automatisch bei der Gesellschaft durch die Eingliederung in einen Konzern eintreten. Sobald aktive Handlungen durch den Gesellschafter erfolgen, die einen Nutzen bei der Gesellschaft stiften, liegt  – analog dem benefit-test  – eine verrechnungspflichtige Leistung und kein Rückhalt im Konzern vor.

V. Auswirkung des Rückhalts im Konzern auf die Verrechnungs­ preisfestsetzung 1. Vorbemerkung Den Verwaltungsgrundsätzen sowie der Literatur ist zu entnehmen, dass typische Vorteile des Konzernrückhalts (exemplarisch) die erhöhte Kreditwürdigkeit, günstigere Absatz- und Einkaufsmöglichkeiten und das Recht auf Führen des Konzernnamens seien.40 Vor dem Hintergrund sollen nachfolgend typische Geschäftsvorfälle im Konzern daraufhin untersucht werden, welchen Einfluss ein Rückhalt im Konzern auf die Verrechnungspreisfestsetzung haben kann und ob bzw. in welchen Fällen eine Verrechnung nach zuvor abgeleitetem Definitionsvorschlag zu erfolgen hätte.

39 Auch die Verwaltungsgrundsätze gehen davon aus, dass Tätigkeiten nicht zu verrechnen sind, soweit sie ihren Rechtsgrund in den gesellschaftsrechtlichen Beziehungen oder in anderen Verhältnissen haben, die die Verflechtung im Konzern begründen (vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 – S 1341 – 4/83, BStBl. I 1983, 218, Tz. 6.3.2). 40 Vgl. Engler/Wellmann in Vögele/Borstell/Engler, Verrechnungspreise, 4. Aufl. 2015, Kap. N Rz. 108; Borstell/Wehnert, IStR 2001, IStR 2001, 127 (127).

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2. Lieferbeziehungen In Industriekonzernen sind Lieferbeziehungen (z.B. Lieferungen eines Produzenten an ein Vertriebsunternehmen oder Lieferungen von Halbfertigprodukten an ein Montageunternehmen) regelmäßig die volumenmäßig wesentlichste Geschäftsbeziehung. Im Rahmen von Lieferbeziehungen ergeben sich Vorteile beim jeweiligen Lieferanten häufig dadurch, dass dem Abnehmer der konzerninterne Lieferant bereits vorgegeben wird und somit eine faktische Liefergarantie besteht. Es finden keine vertriebsseitig aufwendigen Ausschreibungen und Angebotsverfahren zur Lieferantenauswahl statt. Konzerninterne Synergien entstehen dadurch, dass Verwaltungskosten sowohl beim Lieferanten – aufgrund weniger aufwendiger Angebotsverfahren und niedrigen Vertriebskosten – als auch beim Abnehmer – aufgrund einfacherer Einkaufsprozesse – eingespart werden. Nach dem Definitionsvorschlag sind diese Vorteile zumindest dann nicht gegenüber der Konzernmutter separat zu vergüten, soweit diese keine aktiven Handlungen vornimmt. Demnach würde die konzernübliche Akzeptanz eines vereinfachten Angebots- und Vertragsabschlussverfahrens über Lieferungen keine Vergütungspflicht gegenüber der Muttergesellschaft begründen, da es an einer aktiven Handlung fehlt. Unterhält die Muttergesellschaft hingegen eine Abteilung, die die entsprechenden Liefer- und Warenströme steuert und jeweils die Lieferanten und Abnehmer vorgibt, wäre diese Leistung zu verrechnen,41 da sie aktive Handlungen vornimmt und bei den Lieferanten bzw. Abnehmern Vorteile dadurch eintreten, dass sie entsprechende Abteilungen nicht selbst unterhalten müssen. 3. Darlehenssachverhalte Im Rahmen von Darlehensverhältnissen sind vielfältigste Wirkungen des Konzernrückhalts denkbar. Eine Fallgestaltung wäre, dass eine fremde Bank einer Gesellschaft bessere Zinskonditionen für ein Darlehen einräumt, weil sie zu einem Konzern gehört und die Bank unterstellt, dass die Konzernmutter die Tochtergesellschaft im Krisenfall unterstützen würde, auch wenn die Konzernmutter hierfür keine (für die Bank rechtlich verwertbaren) Sicherheiten begeben hat.42 Nach obigem Definitionsvorschlag wäre in diesem Fall keine Vergütung von der Tochter an die Konzernmutter zu verrechnen. Zwar entstehen durch die günstigeren Zinskonditionen Vorteile auf Ebene der Tochter, für die ein fremder Dritter grundsätzlich zur Zahlung bereit wäre. Gleichwohl ist dies eine automatische bzw. passive Wirkung aufgrund 41 Eine Ausnahme besteht dann, wenn die Muttergesellschaft selbst am Ende der Lieferkette in die Fakturierungskette einbezogen ist und die vorherigen Gesellschaften die Leistungen unter Anwendung der Kostenaufschlagsmethode bzw. transaktionsbezogener Nettomargenmethode fakturiert haben. Bei einer derartigen Organisation der vorherigen Lieferanten als Routinegesellschaften würde der eintretende Vorteil letztlich durch das gewählte Verrechnungspreissystem automatisch bei der Muttergesellschaft realisiert werden. 42 So bspw. Hülshorst/Koch, ISR 2016, 19 (20).

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der Einbindung der Tochter in den Konzernverbund. Es fehlt an einer aktiven Handlung durch die Muttergesellschaft.43 Sollte hingegen die Konzernmutter eine rechtlich bindende Verpflichtungserklärung (z.B. in Form einer „harten“ Patronatserklärung) abgeben, im Krisenfall für die Verbindlichkeiten der Tochtergesellschaft einzustehen, würde dies nicht mehr unter den Konzernrückhalt zu subsumieren sein. Nach obigem Definitionsvorschlag wäre eine Avalgebühr zu verrechnen, weil die Muttergesellschaft durch die Bürgschaftsübernahme eine aktive Handlung vornimmt. Der Zinsvorteil entstünde nicht automatisch aufgrund der Eingliederung des Darlehensnehmers in einen Konzernverbund, sondern würde durch die aktive Handlung der Konzernmutter verursacht.44 Sollte Darlehensgeber statt einer Bank eine andere Konzerngesellschaft (z.B. Schwestergesellschaft der Darlehensnehmerin) sein, wäre analog zu verfahren. Eine Avalgebühr wäre von der Darlehensnehmerin an die Muttergesellschaft nur dann zu vergüten, wenn diese aufgrund einer aktiven Handlung eine Sicherheit begeben hätte, so dass die Darlehensgeberin – im Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz – einen niedrigeren Zins aufgrund eines niedrigeren Ausfallrisikos anbieten würde. Die zuvor dargestellten Falllösungen stünden auch im Einklang mit der jüngsten BFH-Rechtsprechung45. Nach dem Topos des Konzernrückhalts im Sinne der jüngsten Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass „ohne Hinzutreten einer rechtlichen Verpflichtung, für die Rückzahlung des Darlehens einzustehen“46, allein in den Einfluss­ nahmemöglichkeiten des beherrschenden Gesellschafters auf den Darlehensnehmer keine fremdübliche Besicherung des Rückzahlungsanspruchs im Sinne einer aktiven Einstandsverpflichtung zu sehen ist.47 Demnach sind passive Wirkungen dergestalt, dass die Konzernmutter für die Verbindlichkeiten der Tochter einstehen könnte bzw. sie entsprechend mit Kapital ausstattet, für die Verrechnungspreisfestsetzung irrelevant. Fraglich ist die Behandlung, wenn die Konzernmutter selbst ein Darlehen an eine Tochtergesellschaft begibt. Es wäre wesensfremd anzunehmen, dass hierzu die Muttergesellschaft erst eine Sicherheit an die Tochter begeben müsste, damit die Tochter von der Mutter ein besichertes Darlehen aufnehmen kann. Die beherrschende Muttergesellschaft hat immer die Einflussnahmemöglichkeit auf die Tochter, so dass sie die Bedienung des Darlehens jederzeit durchsetzen kann. Sinnvoll wäre daher die Unterstellung, dass Darlehen von Mutter- an Tochtergesellschaften weiterhin keinen 43 Im Übrigen wäre die Durchführung einer Verrechnung solcher Fälle praxisuntauglich, weil die Bestimmung einer fremdüblichen Höhe nahezu unmöglich sein dürfte. Hierzu müsste die Bank ihre Überlegungen zur Kalkulation des Zinsangebots dem Darlehensnehmer offenlegen und aufzeigen, welchen Kalkulationsabschlag sie für den Konzernverbund vorgenommen hat. 44 Zur Abgrenzung ab wann von einer rechtlich bindenden Verpflichtung der Muttergesellschaft auszugehen ist vgl. Hülshorst/Koch, ISR 2016, 19 (20 ff.). 45 Vgl. insbesondere BFH v. 27.2.2019 − I R 73/16, BFHE 263, 525, BStBl. II 2019, 394. 46 BFH v. 27.2.2019 − I R 73/16, BFHE 263, 525, BStBl. II 2019, 394. 47 Ähnlich auch Nürnberg, DStR 2019, 1901 (1902).

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Risikozuschlag auf den Zins auch bei fehlender Besicherung erfordern, weil der Nachteil der fehlenden Besicherung durch die Einflussnahmemöglichkeit und die höhere Informationstransparenz bezüglich der Finanzlage der Tochtergesellschaft ausgeglichen wird. Fremde Banken würden zwar ggf. einen Zinszuschlag für eine fehlende Besicherung anwenden, hätten aber weder die Möglichkeit zur Einflussnahme, um eine Bedienung des Darlehens durchzusetzen, noch – trotz vereinbarter Informationspflichten  – die Informationstransparenz über die Vermögens-, Finanzund Ertragslage der Gesellschaft. 4. Dienstleistungsverrechnung Abzugrenzen ist der Konzernrückhalt nach obiger Definition von der Erbringung von Dienstleistungen durch die Konzernmutter. Dienstleistungen sind nach dem international anerkannten benefit-test grundsätzlich verrechnungspflichtig, wenn sie bei dem Empfänger erwartungsgemäß einen Nutzen stiften werden. Ein Nutzen wird angenommen, wenn beim leistungsempfangenden Unternehmen ein Vorteil zu erwarten ist bzw. wenn es Kosten einsparen kann.48 Gemäß obigem Definitionsvorschlag liegt ein nicht zu vergütender Konzernrückhalt dann nicht mehr vor, wenn aktive Handlungen der Muttergesellschaft notwendig sind, die beim Empfänger zu einem Vorteil (Nutzen) führen. Dienstleistungen sind hingegen nur dann anzunehmen, wenn die Muttergesellschaft aktive Handlungen zu Gunsten der Tochtergesellschaft durchführt. Insofern überschneiden sich Dienstleistungen und Konzernrückhalt grundsätzlich nicht. Fraglich ist aber, ob durch einen Konzernrückhalt Vorteile bei einer Tochtergesellschaft eintreten können, die in Zusammenhang mit Dienstleistungen stehen, die eine andere Konzerngesellschaft (z.B. Schwestergesellschaft) an sie erbringt. Entsprechende Vorteile könnten bspw. in einer einfacheren Vertragsanbahnung oder in der ­Vereinbarung längerer Zahlungsziele o.ä. bestehen. Derartige Vorteile wären nach obigem Definitionsvorschlag aber insoweit nicht gegenüber der Konzernmutter zu vergüten, wie diese Vorteile automatisch ohne aktive Handlungen durch die Konzernmutter eintreten. 5. Günstigere Absatz- und Einkaufsmöglichkeiten In der Literatur werden als Effekte des Konzernrückhalts u.a. günstigere Absatz- und Einkaufsmöglichkeiten angegeben. Günstigere Absatzmöglichkeiten sind dadurch denkbar, dass Kunden der jeweiligen Konzerngesellschaft ein höheres Vertrauen entgegenbringen und deshalb schneller zum Kauf bzw. zur Zahlung eines höheren Preises bereit sind. M.a.W. verbinden Kunden eine höhere Reputation mit Konzernunternehmen als alleinstehenden (klei48 Vgl. Tz. 7.6 OECD-RL 2017; BMF v. 23.2.1983 − IV C 5 – S 1341 – 4/83, BStBl. I 1983, 218, Tz. 6.2.2.

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neren) Unternehmen. Derartige Vorteile wären nach obigem Definitionsvorschlag als Konzernrückhalt nicht zu vergüten, weil sie automatisch durch die Einbindung in den Konzern entstehen. Dies setzt voraus, dass die Konzernmutter hierzu keine aktiven Handlungen vornimmt und keine Nutzung immaterieller Wirtschaftsgüter besteht. Sollte die Muttergesellschaft aktive Handlungen in Form von Vertriebsunterstützungsmaßnahmen erbringen, wären diese Vertriebsunterstützungsmaßnahmen als Dienstleistung separat zu vergüten, weil sie einen Nutzen stiften. Ebenso darf ­keine Nutzung immaterieller Wirtschaftsgüter − z.B. der Marke bzw. des Kunden­ stamms  – erfolgen, weil auch diese separat zu vergüten wären, wenn sie geeignet sind, den Absatz der Konzerngesellschaft zu fördern.49 Möglich ist der Eintritt von Vorteilen bei einer Konzerngesellschaft auch im Einkaufsbereich. Beispielsweise könnten Lieferanten der Gesellschaft günstigere Preise einräumen, weil der Konzern wesentlicher Kunde des Lieferanten ist oder der Lieferant könnte längere Zahlungsziele einräumen, da er annimmt, dass kein wesentliches Ausfallrisiko besteht. Nach obigem Definitionsvorschlag wären auch diese Vorteile nicht von der Konzerngesellschaft an die Konzernmutter zu vergüten. Voraussetzung ist wiederum, dass die Muttergesellschaft keine aktiven Handlungen ausübt. Bspw. dürfte die Einkaufsabteilung der Konzernmutter nicht günstigere Rahmenverträge für den expliziten Bezug durch Tochtergesellschaften verhandeln, um unter den Konzernrückhalt zu fallen. Derartige Verhandlungen wären als Dienstleistungen separat durch die Tochtergesellschaft zu vergüten, soweit sie einen Nutzen bei der Tochtergesellschaft stiften.50 Unkritisch wäre jedoch, wenn ein fremder Lieferant automatisch den Konzerntochtergesellschaften die Konditionen anbietet, die er auch mit der Konzernmutter vereinbart hat. Voraussetzung wäre, dass die Verhandlung dieser Vereinbarung nicht explizit unter Berücksichtigung etwaiger Bezugsmengen der Konzerntöchter erfolgte. 6. Firmenname Gem. § 17 Abs. 1 HGB ist die Firma eines Kaufmanns der Name, unter dem er seine Geschäfte betreibt und die Unterschrift abgibt. Gem. § 17 Abs. 2 HGB ist die Firma der Name, unter dem der Kaufmann klagen und verklagt werden kann. M.a.W. ist die Firma der Name des Kaufmanns, unter dem er nach Außen auftritt. Die Firma muss zur Kennzeichnung des Kaufmanns geeignet sein und Unterscheidungskraft besitzen und die Bezeichnung darf nicht irreführend sein.51 Letztlich ist die Festlegung eines Firmennamens insofern eine gesellschaftsrechtliche Verpflichtung.52 49 Vgl. BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BFHE 193, 274, BStBl. II 2001, 140. 50 Eine separate Verrechnung kann dann unterbleiben, wenn die Konzerngesellschaft ihre Produkte unter Anwendung der Kostenaufschlagsmethode an die Konzernmutter veräußert, in die die bezogenen Vorprodukte des fremden Lieferanten eingehen. Durch das Verrechnungspreissystem unter Anwendung der Kostenaufschlagsmethode würde der grundsätzliche Vorteil des günstigeren Bezugs nicht auf Ebene der Konzerngesellschaft verbleiben, sondern systemimmanent an die Konzernmutter weitergereicht werden. 51 Vgl. § 18 HGB. 52 Für Kapitalgesellschaften vgl. § 4 GmbHG; § 4 AktG.

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Es stellt sich die Frage, inwiefern der Konzernrückhalt vom Firmennamen abzugrenzen ist. Die Verwendung eines Firmennamens kann grundsätzlich zu Vorteilen führen, wenn bspw. Kunden mit dem Firmennamen eine hohe Reputation der Gesellschaft verbinden. Jedoch handelt es sich bei der Vergabe eines Firmennamens um eine gesellschaftsrechtliche Verpflichtung, die zwar eine aktive Handlung des Gesellschafters erfordert, jedoch nach obigem Definitionsvorschlag keine Vergütungspflicht der Gesellschaft gegenüber dem Gesellschafter auszulösen vermag. Zu unterscheiden ist die Vergabe eines Firmennamens jedoch von der Nutzung von Marken oder Absatzzeichen. Die Nutzung immaterieller Wirtschaftsgüter fällt nicht unter den hier gemachten Definitionsvorschlag des Konzernrückhalts. Vielmehr wäre die Nutzung von Marken – im Einklang mit der bestehenden BFH-Rechtsprechung – separat zu vergüten, wenn der Marke ein eigenständiger Wert beizumessen ist. Ein eigenständiger Wert wäre anzunehmen, wenn die Nutzung der Marke zur Absatzförderung geeignet ist.53 Dies würde gem. BFH v. 21.1.201654 letztlich den Abschluss eines separaten Marken-Lizenzvertrags erfordern. Da der Abschluss eines solchen Marken-Lizenzvertrags eine aktive Handlung des Lizenzgebers erfordert, würde dies nicht unter obigen Definitionsvorschlag des Konzernrückhalts fallen.

VI. Fazit Weder durch die Rechtsprechung noch in der Literatur hat sich bislang eine klare Definition des Konzernrückhalts herausgebildet. Sofern ein Konzernrückhalt bedeuten soll, dass hierfür keine Verrechnung von der Konzerngesellschaft an die Konzernmutter zu erfolgen hat, erachten wir folgende Definition für sachgerecht: Unter dem Rückhalt im Konzern sind alle Vorteile zu verstehen, die sich bei der Gesellschaft automatisch und dementsprechend passiv durch die Eingliederung der Gesellschaft in einen Konzern ergeben, ohne dass hierfür neben der Umsetzung rein gesellschaftsrechtlicher Handlungen bzw. Verpflichtungen weitere aktive Handlungen durch den Gesellschafter bzw. die Konzernmutter notwendig wären oder die Gesellschaft immaterielle Wirtschaftsgüter der Konzernmutter nutzt. Die Analyse wesentlicher typischer Geschäftsvorfälle innerhalb eines Konzerns hat gezeigt, dass eine solche Definition des Konzernrückhalts zu fremdüblichen Ergebnissen führen würde und eine praxistaugliche Anwendung ermöglicht. Die Vorteile, die sich bei einer Konzerngesellschaft im Geschäftsgebaren mit Dritten allein aufgrund der Eingliederung in einen Konzern einstellen können, sind ohnehin kaum erfassbar bzw. quantifizierbar, geschweige denn für eine Abrechnung genau zu bemessen. Hierfür müssten die Dritten die gewährten Vorteile – bspw. in Form des begünstigten Zinsvorteils für Darlehen oder gewährter Lieferantenrabatte oder längerer Zahlungsziele – offenlegen. Derartige Daten sind in der Praxis aber bislang weder 53 Vgl. BFH v. 21.1.2016 − I R 22/14, BFHE 253, 82, BStBl. II 2017, 336; BFH v. 9.8.2000 − I R 12/99, BFHE 193, 274, BStBl. II 2001, 140; Baumhoff/Kluge, Ubg 2016, 338 (338). 54 BFH v. 21.1.2016 – I R 22/14, BFHE 253, 82, BStBl. II 2017, 336.

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verfügbar, noch erscheint es erfolgsversprechend, derartige Daten bei Geschäftspartner von Konzerngesellschaften abzufragen. Darüber hinaus kann man davon ausgehen, dass jedes Konzernmitglied im Normalfall so viel zum Konzernrückhalt beiträgt, wie es andererseits vom Konzernrückhalt profitiert, so dass unabhängig von den übrigen Gründen schon deshalb eine gegenseitige Berechnung entfallen sollte.55 Da der Konzernrückhalt nach diesem Definitionsvorschlag nur dann anzunehmen wäre, wenn ein Vorteil bei der Konzerngesellschaft allein durch die Eingliederung in den Konzern eintritt, ohne dass hierfür aktive Handlungen der Konzernmutter oder die Nutzung ihr gehörender immaterieller Wirtschaftsgüter erfolgen, wäre auch eine fremdübliche Abrechnung von Dienstleistungen bzw. Nutzungsüberlassungen gewahrt. Sofern eine Konzernmutter durch eine aktive Handlung eine Dienstleistung erbringt, die einen Nutzen bei der Konzerngesellschaft stiftet, oder immaterielle Wirtschaftsgüter zur Nutzung überlässt, sind diese separat abzurechnen. Sie sind dann nicht Gegenstand des Konzernrückhalts.

55 Vgl. Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, Köln 1986, S. 188.

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„Is Europe (still) one market?“ – Eine aktualisierte statistische Analyse pan-europäischer Benchmarking-Studien Inhaltsübersicht I. Einführung

3. Datenanalyse

II. Literaturübersicht

IV. Ergebnisse der Studie 1. Einführung 2. Ländertest – Überblick a) Ausgewählte Branchen/Funktionen – Beispiele b) Abweichungsanalyse – Beispiel ­Rumänien 3. Regionale Tests

III. Methodik 1. Datenauswahl 2. Annahmen a) Ausschluss extremer PLIs (+/– 15%) b) Analysierte Finanzjahre c) Stichprobengröße d) Signifikanzniveau e) Regionale Zuordnung

V. Fazit

I. Einführung Sind pan-europäische Benchmarking-Studien immer noch ein valides Instrument der Fremdüblichkeitsanalyse?1 Was bedeutet es, wenn beispielsweise ein Automobilzulieferer in Deutschland mit seiner Profitabilität innerhalb der fremdüblichen Bandbreite liegt, diese aber nur sehr wenige deutsche Vergleichsunternehmen enthält? Und könnte eine lokale deutsche Studie bessere Vergleichsdaten liefern? Bereits 2004 sind Dawid/Hülshorst/Meenan (im Weiteren: „DHM“) diesen Fragen nachgegangen und haben empirische Evidenz zu Gunsten von pan-europäischen Studien gefunden2. In diesem Artikel nehmen wir die damalige Analyse 16 Jahre später wieder auf. Ziel ist es, das Konzept der pan-europäischen Benchmarking-Studien in einem mittlerweile deutlich größeren und diverseren europäischen Markt erneut zu testen und zu bewerten.

1 Ein herzlicher Dank der Autoren geht an Anne-Kathrin Barth, Max Benkler, Charlotte Kobiella, Fabricio Santos-Damasceno und Maximilian Werner für ihre engagierte Unterstützung bei der Recherche, der statistischen Analyse und der technischen Umsetzung. Ein besonderer Dank geht dabei an Max Benkler, der sich mit hohem Einsatz in die komplexe Datenwelt eingearbeitet und die Automatisierung der Tests erfolgreich betrieben hat. 2 Dawid/Hülshorst/Meenan, “Europe as One Market: A Transfer Pricing Economic Analysis of Pan-European Comparables Sets”, Tax Management Transfer Pricing Vol. 12, No. 23, April 2004.

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Pan-europäische Benchmarking-Studien sind im Rahmen der Transaktionsbezogenen Nettomargenmethode („TNMM“) ein allgemein gebräuchliches und sehr häufig angewendetes Instrument zur Dokumentation und Planung fremdüblicher (Gewinn-)Margen bei Routinegesellschaften. In der steuerlichen Verrechnungspreispraxis wird die Fremdüblichkeit von Verrechnungspreisen bei konzerninternen Warenund Dienstleistungsgeschäften innerhalb multinationaler Unternehmen (MNU) regelmäßig mit Hilfe solcher Studien bestimmt oder verprobt. Im Einklang mit den OECD Verrechnungspreisgrundsätzen kann die TNNM immer dann zur Anwendung kommen, wenn an einer Transaktion beteiligte MNU Routinefunktionen ausüben. Für MNU mit Routineunternehmen in Europa (im Wesentlichen bestehend aus der Europäischen Union) wird daher typischerweise pan-europäisch analysiert. Die Gründe für diese länderübergreifende Praxis sind offenkundig. Denn zum einen wäre es nach wie vor für MNU bei den meisten konzerninternen Transaktionen und in den meisten europäischen Ländern kaum möglich, eine hinreichende Anzahl lokaler unabhängiger Unternehmen mit vergleichbaren Funktionen und Risiken aus Datenbanken zu identifizieren. Auch wenn in der aktuellen Situation in Europa – mit den Nachwirkungen der Finanzkrise, der kürzlich ausgebrochenen Covid-19 Krise und der wirtschaftlichen Heterogenität in der EU – die Besonderheiten der verschiedenen europäischen Volkswirtschaften kaum vernachlässigt werden können, würden rein lokale Studien zu einer erheblichen Einschränkung der Vergleichbarkeit von Funktionen, Risiken und Produkten potenzieller Vergleichsunternehmen führen. Dies wäre ein „hoher Preis“ für eine Einbeziehung vermeintlicher lokaler Besonderheiten. Zum anderen verfolgen viele MNU eine europaweit einheitliche, d.h. nicht nach Ländern differenzierte, Verrechnungspreispolitik und versuchen eine Steuerung, die an einer Vielzahl unterschiedlicher Bandbreiten ausgerichtet ist, zu vermeiden. Denn selbst unter der (unrealistischen) Annahme, dass eine hinreichende Anzahl vergleichbarer Unternehmen für jedes betrachtete Land „flächendeckend“ identifiziert werden könnte, käme es – dies darf als ein Ergebnis der folgenden Analyse schon vorweggenommen werden – zu erheblichen Überlappungen dieser Bandbreiten. Es wäre für MNU damit sehr aufwändig, für jede einzelne Tochtergesellschaft in Europa auf lokaler Ebene eine individuelle Bandbreite zu bestimmen, und es wäre mit zusätzlichen Rechtsunsicherheiten verbunden, ein komplexes Verrechnungspreissystem mit individuellen Bandbreiten für jedes Land desselben Wirtschaftsraums einzusteuern. Internationale Verfahren würden erschwert, wenn sich jede Finanzverwaltung auf ihre eigene lokale Bandbreite fremdüblicher Margen beriefe. Daher sehen wir grundsätzlich in einem pan-europäischen Ansatz nach wie vor wesentliche Vorteile, es sei denn, lokale und europäische Margen wichen systematisch voneinander ab. Die ursprüngliche Arbeit von DHM hat bereits in 2004 gezeigt, dass die Margen von routinemäßigen Produktions-, Vertriebs- und Dienstleistungsunternehmen in verschiedenen Branchen im Gebiet der ehemaligen EU-15 (ergänzt durch Norwegen und die Schweiz) statistisch nicht signifikant von den in einzelnen europäischen Ländern beobachteten (Gewinn-)Margen abweichen. Auch angesichts der Ergebnisse dieser Studie wurde im Joint Transfer Pricing Forum der EU damals vereinbart, dass eine pan-europäischen Studie vergleichbarer Unternehmen nicht allein 120

Eine aktualisierte statistische Analyse pan-europäischer Benchmarking-Studien

deshalb abgelehnt werden soll, weil die ausgewählten Vergleichsunternehmen in verschiedenen europäischen Ländern ansässig sind. Dementsprechend ist der pan-europäische Benchmarking Ansatz in vielen europäischen Ländern weit verbreitet und wird von den meisten europäischen Finanzverwaltungen als valider Ansatz akzeptiert. Obwohl die damalige Analyse den Weg für die Akzeptanz pan-europäischer Studien in Europa geebnet haben, hat sich das wirtschaftliche Umfeld in Europa von 2004 bis heute erheblich verändert: – Erstens, ist die Zahl der Länder, aus denen sich die Europäische Union zusammensetzt, von damals 15 Ländern auf heute 28 Länder (bzw. 27 Länder nach dem ­BREXIT) gestiegen; – Zweitens gehen die jüngsten Finanzdaten, die bei der Entwicklung der ursprünglichen Studie verfügbar waren, auf das Jahr 2001 zurück und sind damit fast zwei Jahrzehnte alt; – Drittens hat die Zahl der Unternehmen, die in öffentlich zugänglichen europäischen Datenbanken erfasst sind, dramatisch zugenommen. Heute sind in der von uns verwendeten Version der TP Catalyst Datenbank mehr als 30 Millionen Unternehmen verfügbar, verglichen mit rund einer Millionen Unternehmen in der im Jahr 2004 verwendeten Amadeus Datenbank; – Schließlich sind mit der zunehmenden Digitalisierung deutlich mehr Informationen über potenzielle Vergleichsunternehmen im Internet sowie in öffentlich zugänglichen Datenbanken verfügbar. Sowohl die Anzahl als auch die Quantität und Qualität der verfügbaren Daten zur Durchführung aussagekräftiger Fremdvergleichstests hat also deutlich zugenommen. Eine empirische Studie vergleichbaren Umfangs, die die Anwendbarkeit des pan-europäischen TNMM-Ansatzes in einer ökonometrisch-statistischen Analyse von Unternehmensdaten untersucht, ist aber seitdem nach unserer Kenntnis nicht durchgeführt worden3. Zwar gibt es eine Reihe von Papieren, insbesondere im Kontext des EUJTPF, die sich aus qualitativer und/oder regulatorischer Sicht mit der Frage der Anwendbarkeit und Zulässigkeit pan-europäischer Ansätze auseinandersetzten4. Zudem gibt es einige Studien, die sich mit den Ergebnissen von TNMM-Studien unter verschiedenen Aspekten beschäftigen, wie z.B. der Frage, was die Profitabilität von Vergleichsunternehmen mit einer spezifischen funktionalen Ausrichtung treibt5. Schließlich gibt es verschiedene Papiere, die sich mit einzelnen Aspekten der Durchführung von TNMM-Studien auseinandersetzten, wie z.B. der Durchführung verschiedener Anpassungsrechnungen für Unterschiede bei „Working Capital“ Positio3 Dies ist das Ergebnis der Recherche der Autoren. 4 Vgl. u.a. EU JOINT TRANSFER PRICING FORUM, Hartmut Förster; Morgan Guillou, Comparables In The EU: Discussion Paper (Doc JTPF/001/2016/EN). 5 Vgl. exemplarisch Verlinden, Boone, Dunn, “BM Contribution to Illustrate Available Generic Evidence Relating to Intra Group Services Profit Margins”, EU Joint Transfer Pricing Forum, Meeting Of 27th October 2009.

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nen der Vergleichsunternehmen6. Bei keiner dieser Analysen wird aber der Einfluss einer lokalen Differenzierung fokussiert. Die nach wie vor unwiderlegte Kernthese unserer ursprünglichen Studie von 2004 lautet: „Es ist statistisch nicht zu verwerfen, dass Europa bei Anwendung der TNMM als ein Markt angesehen werden kann.“

Einzelne Beiträge, die sich kritisch mit den Annahmen dieser Studie auseinandergesetzt haben, konnten bisher keinen überzeugenden, empirisch ähnlich fundierten Ansatz liefern. Ein Vergleich einfacher Durchschnittswerte verschiedener lokaler Gewinn-Margen, wie in einzelnen Studien vorgebracht, sind einem statistischen Test der Lageparameter von Verteilungsfunktionen deutlich unterlegen7. Zusammenfassend gibt es viele gute Gründe, nach nunmehr 16 Jahren die Untersuchung der (Gewinn)-Margen unabhängiger Routineunternehmen innerhalb einer erweiterten Europäischen Union mit aktuellen Finanzdaten sowie verbesserten statistischen Methoden erneut durchzuführen. Neben dem erweiterten Länderumfang und den jüngeren Finanzdaten der aktualisierten Studie haben wir auch eine robustere statistische Testmethodik zur Validierung unserer oben genannten  – nach wie vor unveränderten – Testhypothese angewandt. Die aktuelle Analyse ist wie folgt aufgebaut: Abschnitt II. gibt einen Literaturüberblick über Studien, die sich mit verschiedenen Fragestellungen der Marktintegration in Europa auseinandersetzen. Abschnitt III. beschreibt die Datenauswahl, unsere Annahmen in der statistischen Analyse, sowie die Methodik der empirischen Ana­ lyse. Abschnitt IV. stellt die Ergebnisse dar und liefert Interpretationsansätze. Abschnitt V. zieht ein Fazit.

II. Literaturübersicht Wie im Beitrag DHM, betrachten wir in einem ersten Schritt ökonomische Studien, die sich empirisch mit der Frage der Marktintegration innerhalb der EU beschäftigen. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob die Integration der Märkte in der EU soweit fortgeschritten ist, dass ökonomisch für Verrechnungspreiszwecke eine pan-Europäische Analyse der Nettomargen von vergleichbaren Unternehmen gerechtfertigt ist. Die starke These ist, dass die ökonomische Integration innerhalb der EU soweit fortgeschritten ist, dass zwischen den Renditen/Margen vergleichbarer unabhängiger 6 Vgl. Gommers, Reyneveld, Lund, “Pan-European Comparables Searches: Enhancing Comparability Using Comparability Adjustments”, International Transfer Pricing Journal May/ June 2008.  Für einen umfassenden Literatur-Überblick siehe auch Chroustovky; Petutschnig. A Comparability Adjustments, A Literature Review. 7 Vgl. u.a. Dirk Van Stappen, “Pan-European Versus Country-Specific Searches and Pan-European Versus Country-Specific Databases: Not A Clear-Cut Issue”, DOC: JTPF/006/Back/​ 2004/EN.

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Eine aktualisierte statistische Analyse pan-europäischer Benchmarking-Studien

Unternehmen kaum statistisch signifikante Unterschiede feststellbar sind. Die schwache These würde lauten, dass gegebenenfalls auftretende Unterschiede zwischen den Margen vergleichbarer Unternehmen nicht signifikant von dem Ausmaß solcher Unterschiede innerhalb großer Volkswirtschaften (z.B. den USA) abweichen und dass sich stärkere Abweichungen durch ökonomische Einflussfaktoren wie zum Beispiel spezifische Länderrisiken oder lokale Kostenvorteile systematisch erklären lassen. Zu diesem Zweck haben wir Studien zur Konvergenz von Preisen, Finanzmärkten und Unternehmensrenditen durchgesehen. In Anhang A geben wir einen Überblick über relevante Studien zur Entwicklung der Marktintegration in Europa und deren Ergebnisse. Wir haben bei dieser Übersicht sowohl die Entwicklung bis zur Finanzkrise 2008/09 als auch die Entwicklung danach berücksichtigt. Hinsichtlich der Preiskonvergenz (siehe Tabelle A1 in Anhang A) auf den europäischen Märkten bis zur Finanzkrise 2008/09, kommen die Studien mit Ausnahme von Fischer (2012) durchweg zu dem Schluss, dass sich die Preise in den letzten Jahrzehnten innerhalb der Europäischen Union angeglichen haben. Ein Grund für die abweichenden Ergebnisse von Fischer (2012) könnte darin liegen, dass er die Preisstreuung innerhalb nur einer Produktkategorie (Waschmaschinen), untersucht hat, während andere Papiere, z.B. Wolszczak-Derlacz (2010), Daten zu mehreren Produktkategorien verwenden. Darüber hinaus werden in mehreren Papieren auch die Auswirkungen der Euro-Einführung und der EU-Erweiterung auf die Preiskonvergenz untersucht. Obwohl für die Einführung des Euro kein eindeutiger Effekt festgestellt wurde, finden Untersuchungen, die die Auswirkungen der EU-Erweiterung auf die Preiskonvergenz untersuchen, Hinweise auf eine abnehmende Preisstreuung. Im Gegensatz zu den Studien vor der Finanzkrise 2008/09, zeigt sich in Studien aus den Jahren danach ein uneinheitlicheres Bild hinsichtlich der Preiskonvergenz. Während die Studien vor der Finanzkrise zeigen, dass die europäischen Märkte in den letzten Jahrzehnten innerhalb der Europäischen Union stark konvergierten, geben Studien, die nach der Finanzkrise erstellt wurden, ein uneinheitliches Bild ab, wie folgende Kernaussagen beispielhaft belegen (für eine vollständige Übersicht siehe Tabelle A1 in Anhang A): – Bei den Erdgaspreisen gibt es eine Konvergenz hinsichtlich Preisveränderungen; – Auf dem EU-Automobilmarkt konvergierten die Preise zumindest bis zum Jahr 2003; danach ist das Bild uneinheitlich; – Im Jahr 2007 lag die Preisniveaustreuung im Euro-Raum auf allen Märkten auf dem gleichen Niveau wie in den USA. Nach der Finanzkrise (2008) setzte sich die Reduzierung der Preisniveaustreuung fort, diese weitete sich später aber wieder aus; – Die Wohnungspreise in verschiedenen europäischen Ländern konvergierten nach 1992 und näherten sich bis heute weiter an;

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– Obwohl sich Inflation und Zinsen annähern, gibt es keine wirkliche wirtschaftliche Konvergenz zwischen den ursprünglichen EU-Mitgliedern. Konjunktur- und Geschäftszyklen haben sich aber zunehmend synchronisiert; – In Folge der EU-Erweiterungen ist eine starke Preiskonvergenz zu beobachten. Dies gilt aber nur zwischen den Untergruppen der alten und neuen Mitgliedstaaten, nicht zwischen den Ländern insgesamt. In Bezug auf die Integration der Finanzmärkte (siehe Tabelle A2 in Anhang A), kommen die meisten Studien zu dem Schluss, dass die Finanzmärkte in den 90er und 2000er Jahren stärker integriert wurden und sich vor allem in der Eurozone annäherten. Bley (2009) stellt fest, dass sich die Euro-Börsen ab 2004 zu verschieben begannen. Eine Studie nach der Finanzkrise zeigt, dass sich die globale Krise nachteilig auf den Prozess der Bankenintegration ausgewirkt hat (Ogrokhina, 2013). Die auf die Gewinnkonvergenz (siehe Tabelle A3 in Anhang A) der Unternehmen ausgerichteten Studien zeigen ein gemischtes Bild: Studien, die Daten bis 2004 verwenden, liefern keine eindeutigen Hinweise auf eine Gewinnkonvergenz; Papiere, die neuere Daten nach 2004 verwenden, kommen hingegen zu dem Schluss, dass eine Gewinnkonvergenz festzustellen ist. Insbesondere die Studien von Crespo & Clark (2011, 2012a & 2012b) sollen hier hervorgehoben werden, da sie Gewinnkonvergenz auch aus einer für die Verrechnungs­ preise relevanten Perspektive untersuchen. In ihren drei Studien untersuchen Crespo & Clark die Faktoren, die die Rentabilität von Händlern, Dienstleistungsunternehmen und Herstellern beeinflussen, auf Basis von fünfjährigen gemittelten Durchschnittswerten, und zeigen, dass die Geografie keinen wesentlichen Einfluss auf die Rentabilität der Unternehmen in Europa hat. Einige Studien nach der Finanzkrise 2008/09 geben Hinweise darauf, dass eine vollständige Gewinnkonvergenz in der EU noch nicht hergestellt ist: – Es gibt kaum Hinweise auf eine Konvergenz der Zusammensetzung der Bruttowertschöpfung der Unternehmen im Euroraum (Salles, Valles, 2018); – Für einzelne Länder in der EU zeigen sich Unterschiede in der Beständigkeit kurzfristiger Gewinne, was auf unterschiedliche Wettbewerbsintensitäten hindeuten mag. Eine hohe Gewinnpersistenz zeigt sich in der Tschechischen Republik und in Griechenland, während das Vereinigte Königreich die geringste Gewinnpersistenz zeigt. Die europäischen Märkte sind nach wie vor in einem Prozess der Annäherung, der durch Schock-Ereignisse wie die Finanzkrise 2008/09 verzögert worden sein könnte. Ähnliche Effekte könnten sich in nächsten Jahren als Folge der Covid-19 Krise zeigen. Ein wichtiger Punkt ist aber, dass die Preis- und Gewinnunterschiede zwischen den europäischen Ländern in vielerlei Hinsicht nicht wesentlich von den Unterschieden in integrierten Märkten wie den USA zu unterscheiden sind. Insofern wird die schwache These, dass die Divergenz innerhalb der EU nicht stärker als in großen integrierten Volkswirtschaften wie den USA ist in der Literatur kaum widerlegt. Ande124

Eine aktualisierte statistische Analyse pan-europäischer Benchmarking-Studien

rerseits gibt es nach der Finanzkrise verschiedentlich Evidenz gegen die starke These, dass es in den betrachteten Dimensionen (Preise, Märkte, Gewinne/Margen) keine wesentlichen Unterschiede zwischen den nationalen Märkten gibt. Zusammenfassend stellen wir fest, dass sich aus den Ergebnissen der empirischen Forschung keine eindeutigen Hinweise ergeben, die die Praxis pan-europäischer Benchmarking-Analysen grundsätzlich in Frage stellen würden. Im Gegenteil: Wir sehen in Studien, die die Frage der internationalen Gewinn-/Margenvergleichbarkeit aus einer für die Verrechnungspreise relevanten Perspektive analysieren, erste Anhaltspunkte für eine Aufrechterhaltung unserer These.

III. Methodik 1. Datenauswahl Die Datenauswahl für unsere statistische Analyse erfolgte analog dem Vorgehen bei einer typischen Benchmarking-Studie in der Verrechnungspreispraxis (eine detaillierte Darstellung der Auswahlschritte findet sich in Anhang B). In einem ersten Schritt wurde eine quantitative Datenbanksuche durchgeführt, bei der Unternehmen in Europa8 identifiziert wurden, die in bestimmten Branchen tätig waren und dabei ausgewählte Funktionen ausübten. Besonders relevant für die vorliegende Analyse waren die Kriterien (i) „Heimatland“/Sitz des Unternehmens, (ii) seine Unab­ hängigkeit sowie (iii) die Verfügbarkeit historischer Finanzdaten. Die Daten aller Unternehmen wurden für jede Branche und Funktion9 einzeln generiert und in einem weiteren Schritt unabhängig voneinander analysiert. Der Auswahlprozess der Unternehmen erfolgte in TP Catalyst10. Wie bei jeder Benchmarking-Studie (und so auch hier), haben wir bestimmte vorher definierte Suchkriterien angewendet. Dazu gehörten u.a. Region (Land), Unabhängigkeit, Industriecode, spezifische „Keywords“ in der Unternehmensbeschreibung zur funktionalen Vergleichbarkeit, Mindestumsatz, Profitabilität, etc. Aufgrund des 8 Die Datenbank wurde systematisch nach Unternehmen mit Sitz in der Europäischen Union (28), Island, Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz durchsucht. Daraus ergab sich eine Auswahl aller Unternehmen, die in einem der folgenden Länder ansässig sind/waren: Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien, Kroatien, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn, Vereinigtes Königreich und Zypern. 9 Es wurde nach Unternehmen gesucht, die folgenden Branchen/Funktionen zugeordnet werden konnten: Automobil/Großhandel, Automobil/Produktion, Chemie/Großhandel, Chemie/Produktion, Elektronik/Großhandel, Elektronik/Produktion, IT/Dienstleistungen, Management/Dienstleistungen, Maschinenbau/Großhandel, Maschinenbau/Produktion, Pharma/Großhandel, Pharma/Produktion. 10 TP Catalyst ist eine Software- und Datenplattform, die von Bureau van Dijk entwickelt wurde und Daten von über 30 Millionen Unternehmen weltweit enthält. Weitere Details zur Datenbank sowie den verwendeten Versionen befinden sich in Anhang B.

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Roman Dawid/Jörg Hülshorst

umfangreichen Datensatzes, der sich aus diesem Auswahlprozess ergab, verzichteten wir auf ein zusätzliches qualitatives Auswahlverfahren im Sinne eines individuellen „Screenings“ externer Quellen (z.B. „Websites“ der Unternehmen). Stattdessen fand eine Analyse der so genannten „Business Descriptions“ für jedes vorselektierte Unternehmen statt, um eine hinreichende funktionale Vergleichbarkeit sicherzustellen. In einem weiteren Schritt wurden relevante Margen-Kennziffern für die Profitabi­ lität11 (so genannte „Profit Level Indicator“  – PLIs) der einzelnen Unternehmen ­errechnet. Das Ergebnis war ein Datensatz mit insgesamt 9.061 Unternehmen, der die relevanten Informationen der Vergleichsunternehmen für die Jahre 2013–2017 enthielt. Der Datensatz wurde in einem weiteren Schritt mithilfe von R, einer Programmiersprache für statistische Berechnungen, um diejenigen Unternehmen bereinigt, welche die weiter unten in den Abschnitten III.2.a) und III.2.b) erläuterten Kriterien nicht erfüllten. 2. Annahmen Im Folgenden erläutern wir zunächst, welche Annahmen wir im Zuge der statistischen Analyse getroffen haben. Diese wurden, sofern nicht anders dargelegt, für alle hier betrachteten Branchen/Funktionen angewendet. a) Ausschluss extremer PLIs (+/– 15%) Ein Fremdvergleich nach der TNMM-Methode bezieht sich typischerweise auf unabhängige Routineunternehmen, die keine wesentlichen immateriellen Vermögenswerte besitzen oder Strategieträger sind. In der Benchmarking-Praxis stellt eine gründliche qualitative Überprüfung der Datenbankinformationen durch weitere externe Quellen sicher, dass es sich bei den ausgewählten Vergleichsunternehmen tatsächlich um Routineunternehmen handelt. Dieser Weg war uns in dieser Studie versperrt, da eine aussagekräftige statistische Analyse auf einer großen Grundgesamtheit basieren sollte. Eine individuelle Validierung und Ausschluss-Analyse möglicher immaterieller Wirtschaftsgüter war für 9.061 Unternehmen nicht umsetzbar. In Ergänzung einer Analyse der „Business Descriptions“ haben wir, anstelle einer detaillierten qualitativen Überprüfung, Unternehmen mit dauerhaft sehr hohen oder sehr niedrigen Margen aus dem Datensatz entfernt, da diese bei unabhängigen Routinegesellschaften typischerweise nicht über einen längeren Zeitraum hinweg anzutreffen sind. Unternehmen mit systematisch derart hohen Margen (oder Dauerverlusten) haben – so unsere Annahme – etwas Außergewöhnliches an sich, was durch eine Benchmar11 Für die Jahre 2013–2017 wurden der „Mark-up on Total Costs“ (MOTC), sowie die „Operating Margin“ (OM) berechnet. Sowohl der MOTC als auch die OM sind Kennziffern für die Profitabilität eines Unternehmens. Dabei eignet sich der MOTC typischerweise für den Vergleich von Unternehmen, die eine Produktion betreiben oder eine Dienstleistung erbringen und die OM wird typischerweise für den Vergleich von Vertriebsunternehmen verwendet. Die jeweiligen Definitionen sowie exakte Berechnungen dieser PLIs befinden sich in Anhang B.

126

Eine aktualisierte statistische Analyse pan-europäischer Benchmarking-Studien

king-Studie grundsätzlich nicht gemessen werden kann. Im Ergebnis entfernten wir – basierend auf Erfahrungswerten – Unternehmen mit einer durchschnittlichen 5-Jahresmarge von unterhalb minus 15% oder oberhalb plus 15%, bezogen auf den Zeitraum 2013 – 2017, aus dem Datensatz. b) Analysierte Finanzjahre In der Verrechnungspreispraxis ist die Verwendung eines gewichteten Dreijahresdurchschnitts für Finanzkennzahlen/PLIs üblich. Abweichend davon betrachteten wir in unserer Analyse einen 5-Jahreszeitraum von 2013–2017. Zum einen konnten wir dadurch eine höhere Anzahl an Datenpunkten generieren und damit die statistische Analyse robuster gestalten. Zum anderen wurden durch diese Herangehensweise Auswirkungen einzelner kurzfristiger konjunktureller oder politischer Ereignisse geglättet. c) Stichprobengröße Um statistische Tests zwischen den europäischen Ländern durchführen zu können, wurden für jedes untersuchte Land und für jede Branche/Funktion ausreichend ­große Stichproben an Unternehmen benötigt. Für jede lokale Stichprobe, d.h. für jeden länderbezogenen Datensatz, legten wir eine Mindestanzahl von 8 Unternehmen fest. Die Festlegung erfolgte als Ergebnis einer Abwägung: Bei größeren Stichproben wäre die Qualität der statistischen Testergebnisse höher gewesen, aber trotz der großen Datenbasis wären in den meisten Tests höchstens eine Handvoll Länder getestet worden. Die verfügbaren Daten sind nach wie vor ungleich zwischen den europäischen Ländern verteilt und reflektieren nicht immer deren wirtschaftliche Be­ deutung. Italien und Frankreich liefern z.B. regelmäßig sehr umfangreiche Daten und sind in allen Tests vertreten, Deutschland hingegen ist unterrepräsentiert. Man kann daraus schließen, dass lokale Benchmarking-Studien für viele europäische Länder allein aufgrund des Datenmangels kaum „ausreichend“ große Sets generieren würden. So haben wir – der Benchmarking-Praxis folgend – eine Untergrenze von 8 Unternehmen gewählt. Unterhalb dieser Grenze ist eine Anwendung des Quartils-/ Bandbreitenkonzepts nicht sinnvoll. Länder, deren Anzahl an Vergleichsunter­ nehmen in der jeweiligen Branche/Funktion unterhalb dieser Grenze lag, wurden nicht individuell ausgewertet, sondern lediglich regional (siehe Abschnitt IV.3.) analysiert. d) Signifikanzniveau Wir folgten dem weitläufig verwendeten Ansatz eines Signifikanzniveaus von 5%. e) Regionale Zuordnung Abgesehen von Abweichungen zwischen einzelnen Ländern, untersuchten wir Abweichungen zwischen West- und Osteuropa, sowie Euro-Ländern (d.h. Länder, in 127

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denen der Euro offizielles Zahlungsmittel ist) und Nicht-Euro-Ländern. Dafür kategorisierten wir die Regionen wie folgt: Westeuropa Andorra, Österreich, Belgien, Zypern, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Gibraltar, Griechenland, Island, Irland, Italien, Liechtenstein, Luxemburg, ­Malta, Monaco, Niederlande, Norwegen, Portugal, San Marino, Spanien, Schweden, Schweiz, Türkei, Großbritannien, Staat Vatikanstadt. Osteuropa Albanien, Belarus, Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Kroatien, Tschechische ­Republik, Estland, Ungarn, Kosovo, Lettland, Litauen, Mazedonien, Moldawien, Montenegro, Polen, Rumänien, Russische Föderation, Serbien, Slowakei, Slowenien, Ukraine. Euro-Länder Österreich, Belgien, Zypern, Estland, Finnland, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Irland, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Portugal, Slowakei, Slowenien, Spanien, Andorra, Staat Vatikanstadt, Monaco, San Marino. Nicht-Euro-Länder Bulgarien, Kroatien, Tschechien, Dänemark, Ungarn, Polen, Rumänien, Schweden, Großbritannien. 3. Datenanalyse Die Analyse der Daten erfolgte mittels statistischer Instrumente. Die Daten wurden zunächst visualisiert, um erste Indikationen für unsere Fragestellung zu erhalten. Schließlich führten wir statistische Tests durch, um die Tendenzen weiter zu untersuchen, die wir aus den verschiedenen Verteilungs- und Dichtegrafiken ablesen konnten. Insgesamt verwendeten wir die folgenden statistischen Instrumente für unsere Analyse der Datenmerkmale. a. Boxplots b. Empirische Verteilungsfunktionen c. Tests zur statistischen Verteilung Bevor wir zu den Ergebnissen kommen, möchten wir an dieser Stelle kurze Erläuterungen zu den verwendeten statistischen Instrumenten geben. Dazu verweisen wir an geeigneten Stellen auf die beispielhaften Darstellungen im Ergebnisteil. a. Boxplots Boxplots (siehe z.B. Grafik 1, oberes Bild in Abschnitt IV.2.a)) eignen sich sehr gut zum Vergleich verschiedener Verteilungen. Charakteristisch für Boxplots ist die Darstellung der fünf Lageparameter: xmin, x0.25, xmed, x0.75, xmax. Zwei Linien außerhalb der Box zeigen den minimalen und maximalen Wert des Datensets an (xmin 128

Eine aktualisierte statistische Analyse pan-europäischer Benchmarking-Studien

und xmax). Die Schachtel („box“) wiederum gibt alle Werte wieder, die innerhalb der Interquartilsbandbreite liegen, also zwischen x0.25 und x0.75. Im mittleren Bereich (Median) liegen also 50% der Daten. Grafik 1 zeigt die Boxplots je Land für Automobil/Großhandel. Grafik 2 visualisiert IT/Dienstleistungen. Die gestrichelten Linien, über die einzelnen Boxplots hinweg, zeigen das obere und untere Quartil für Europa als Ganzes. b.  Empirische Verteilungsfunktionen Grafik 1 (siehe unten Abschnitt IV.2.a)) stellt im unteren Bild auch eine empirische Verteilungsfunktion für Automoibil/Großhandel dar. Jede (nicht-gestrichelte) Kurve zeigt die Verteilung eines einzelnen Landes. Das europäische Set ist als schwarz gestrichelte Linie zu sehen. Je näher die Verteilungsfunktionen der Länder an die schwarz gestrichelte Linie herankommen, desto ähnlicher ist die Verteilung der lokalen Margen der europäischen Margen-Verteilung. Überlappung oder Nähe einer Verteilungsfunktionen kann ein erstes Indiz dafür sein, dass unsere Hypothese zutrifft, margenbezogene PLIs einzelner europäischer Länder wichen im Vergleich zu Gesamt-Europa nicht signifikant voneinander ab. Rein optisch ist aber eine Validierung auf Signifikanzniveau nicht möglich. c.  Tests zur statistischen Verteilung Tests zur statistischen Verteilung der Margen im europäischen Raum bilden den Kern unserer Analyse. Wir unterzogen alle Datensätze dem Kolmogorov-Smirnov-Test (im Folgenden auch „K-S-Test“ genannt). Der K-S-Test ist ein Ansatz, der den Abstand zweier empirischer Verteilungsfunktionen quantifiziert und verprobt. Der K-S-Test ist ein nicht-parametrischer Test zur Gleichheit kontinuierlicher, eindimensionaler Wahrscheinlichkeitsverteilungen. Die Kolmogorov-Smirnov-Statistik quantifiziert einen Abstand zwischen der empirischen Verteilungsfunktion der Probe (in unserem Fall: der Margen/PLIs einer Branche/Funktion für ein bestimmtes Land) und der kumulativen Verteilungsfunktion der Referenzverteilung oder zwischen den empirischen Verteilungsfunktionen von zwei Proben (in unserem Fall: der Margen/PLIs dieser Branche/Funktion für Gesamt-Europa).

IV. Ergebnisse der Studie 1. Einführung Wir untersuchten insgesamt zwölf Branchen/Funktionen12. Der zugrunde liegende Datensatz enthielt für jede untersuchte Funktion Daten über Unternehmen, die nach 12 Es wurde nach Unternehmen gesucht, die folgenden Branchen/Funktionen zugeordnet werden konnten: Automobil/Großhandel, Automobil/Produktion, Chemie/Großhandel, Chemie/Produktion, Elektronik/Großhandel, Elektronik/Produktion, IT/Dienstleistungen, Management/Dienstleistungen, Maschinenbau/Großhandel, Maschinenbau/Produktion, Pharma/Großhandel, Pharma/Produktion.

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Roman Dawid/Jörg Hülshorst

dem unter III.1. beschriebenen und in Anhang B spezifizierten Vorgehen ausgewählt wurden. Aus dem Kolmogorov-Smirnov-Test, bei dem jede Branche/Funktion eines untersuchten Landes gegen den Datensatz der Branche/Funktion für Gesamt-Europa getestet wurde, ergaben sich je Land insgesamt drei Testergebnisse. Diese zeigten, ob die Verteilung des jeweiligen Landes statistisch signifikant vom Set für Gesamt-Europa abwich oder damit übereinstimmte. Die Nullhypothese lautete dabei, dass der ­jeweilige PLI bzw. dessen lokale Verteilung mit der Verteilung in Gesamt-Europa übereinstimmte. Das Signifikanzniveau von 5% impliziert, dass die Nullhypothese abgelehnt wurde, sobald das Testergebnis eines Landes unter 0,05 lag. 2. Ländertest – Überblick Der gesamte Datensatz von 9.061 Unternehmen ermöglichte es uns, insgesamt 141 länderbezogene Tests für die verschiedenen Branchen/Funktionen durchzuführen. Dabei ermittelten wir in 19 Fällen statistisch signifikante Abweichungen. Rumänien (4) zeigte die häufigsten Abweichungen. Die folgende Tabelle 1 listet in der Spalte „Untersuchte Länder“ alle Länder auf, die mit der jeweiligen Branche/Funktion gegen das Gesamt-Europa Set getestet wurden. Für all diese Länder waren nach Anwendung der oben beschriebenen Suchkriterien und Annahmen hinreichend Daten verfügbar. Die nicht gelisteten Länder konnten mit ihren Daten lediglich im Set für Gesamt-Europa Berücksichtigung finden. In der Spalte „Abweichungen (K-S-Test)“ sind diejenigen Länder aufgeführt, für die ein Testergebnis unter dem Signifikanzniveau von 5% ermittelt wurde, und deren Verteilung somit im Einzelfall statistisch von der europäischen Verteilung abwich. Ein „+“ hinter einem Land bedeutet, dass eine positive Abweichung vorliegt und dass die Margen/PLIs somit höher waren als im gesamten europäischen Set. Ein „–“ hinter einem Land bedeutet, dass eine negative Abweichung vorlag und die Margen/PLIs niedriger waren als im europäischen Vergleich. Eine alternative Darstellung der Ergebnisse findet sich in Anhang C. In der dortigen Tabelle ist jeweils ein „JA“ in der Spalte „Test“ eingetragen, wenn das entsprechende Land mit Unternehmen im Datensatz einer betrachteten Branche/Funktion vertreten war. Ein „X“ in der Spalte „False“ zeigt diejenigen Länder an, die vom geforderten Signifikanzniveau abwichen. Die Ergebnisse in Anhang C zeigen, dass grundsätzlich eine hohe statistische Übereinstimmung der Margen/PLIs innerhalb Europas vorliegt. Auf Einzelfälle, die von Abweichungen betroffen sind, gehen wir am Beispiel Rumänien in Abschnitt IV.2.b) genauer ein.

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Eine aktualisierte statistische Analyse pan-europäischer Benchmarking-Studien Tabelle 1 – Überblick der Ergebnisse Branche/­ Funktion

Untersuchte Länder

Abweichungen (K-S-Test)

Maschinenbau/ Großhandel

Bulgarien, Deutschland, Finnland, Frankreich, ­Griechenland, Großbritannien, Italien, Litauen, ­Norwegen, Polen, Portugal, Rumänien, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn

Bulgarien (+) Frankreich (–) Griechenland (+) Portugal (+) Rumänien (+)

Elektronik/ Großhandel

Finnland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kroatien, Rumänien (+) Norwegen, Polen, Portugal, Rumänien, Slowakei, ­Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn

Automobil/ Großhandel

Bulgarien, Estland, Frankreich, Griechenland, ­Italien, Lettland, Litauen, Polen, Portugal, Rumänien, Slowenien, Spanien, Ungarn

Portugal (+) Rumänien (+)

Automobil/ Produktion

Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, Polen, Portugal, Rumänien, Slowakei, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn

Belgien (–) Polen (+) Slowakei (–)

Pharma/ Großhandel

Bulgarien, Frankreich, Griechenland, Italien, ­Lettland, Litauen, Polen, Portugal, Rumänien, ­Slowakei, Slowenien, Spanien, Ungarn



Chemie/­ Produktion

Bulgarien, Frankreich, Griechenland, Ungarn, Italien, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Slowakei, ­Spanien, Tschechische Republik, Ungarn

Bulgarien (+)

IT/ Dienstleistungen

Finnland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kroatien, Norwegen, Polen, Portugal, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn



Chemie/ Großhandel

Bulgarien, Frankreich, Griechenland, Italien, Litauen, Polen, Portugal, Rumänien, Spanien, Ungarn

Frankreich (–) Griechenland (+) Polen (–) Rumänien (+)

Maschinenbau/ Produktion

Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, Polen, ­Portugal, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn



Management/ Belgien, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Norwegen (+) Ungarn (+) Norwegen, Polen, Rumänien, Slowakei, Slowenien, DienstleisSpanien, Tschechische Republik, Ungarn tungen Pharma/ Produktion

Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, ­Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn



Elektronik/ Produktion

Bulgarien, Frankreich, Italien, Kroatien, Polen, ­Rumänien, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn

Polen (+)

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a) Ausgewählte Branchen/Funktionen – Beispiele Im Folgenden gehen wir beispielhaft näher auf die Funktionen Automobil/Großhandel und IT/Dienstleistungen ein – die zugehörigen Ergebnisse sind in Tabelle 2 dargestellt.13 Bei Automobil/Großhandel weichen die Margen/PLIs (bzw. deren Verteilung) bei einem der insgesamt sechs untersuchten Länder vom europäischen Set ab. Denn der (zweiseitige) K-S-Test ergab bei Rumänien ein insignifikantes Ergebnis (0,0344 < 0,05 bzw. 5% Signifikanzniveau). Die K-S-Tests ergaben zudem, dass die Margen/PLIs nach oben abwichen und somit über den Margen aus dem Datensatz für Gesamt-Europa lagen. Dies ist daran erkennbar, dass das Testergebnis für eine negative Abweichung insignifikant war (0,0172), bei gleichzeitiger Signifikanz der positiven Abweichung (0,9962). Bei IT/Dienstleistungen war keine statistische Abweichung bei den untersuchten Ländern festzustellen – in allen Testergebnissen wird das Signifikanzniveau von 5% zumeist deutlich übertroffen. Tabelle 2 – Detailergebnisse für ausgesuchte Branchen/Funktionen Branche/ Funktion Land

Automobil Großhandel

IT Dienstleistungen

Zweiseitig

Neg. Abw.

Pos. Abw.

Zweiseitig

Neg. Abw.

Pos. Abw.

Frankreich

0,8167

0,8093

0,4479

0,8898

0,7708

0,5104

Ungarn

0,9344

0,8216

0,5606







Italien

0,1576

0,8863

0,0789

0,9524

0,5865

0,9575

Polen

0,3043

0,6516

0,1527

0,2480

0,1242

0,5202

Rumänien

0,0344

0,0172

0,9962







Spanien

0,3057

0,1534

0,6211

0,5041

0,9153

0,2564

Die Testergebnisse decken sich mit der grafischen Analyse anhand der Boxplots und der Verteilungsfunktionen, wie ein Blick auf die folgenden Grafiken 1 und 2 verdeutlicht:

13 Für die exemplarische Darstellung haben wir die Mindeststichprobengröße pro Land auf 30 Unternehmen für jede Branche/Funktion erhöht. Grundsätzlich wurde im Rahmen dieser Analyse eine Mindeststichprobengröße von 8 Unternehmen verwendet.

132

Eine aktualisierte statistische Analyse pan-europäischer Benchmarking-Studien Grafik 1 – Boxplot und Verteilungsfunktion: Automobil/Großhandel

Anhand der Boxplots in Grafik 1 ist erkennbar, dass die Margen der untersuchten Länder für Großhandel/Automobil relativ einheitlich sind und auch von den europäischen Margen (dargestellt durch die gestrichelten Linien) nur geringfügig – und statistisch nicht signifikant – abweichen. Die Ausnahme bildet Rumänien, wo sowohl das untere Quartil, der Median, als auch das obere Quartil nach oben hin divergieren. Dies zeigt sich durch die Rechtspositionierung der rumänischen Margen in der „Empirical Distribution Function“.

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Roman Dawid/Jörg Hülshorst Grafik 2 – Boxplot und Verteilungsfunktion: IT/Dienstleistungen

Auch für IT/Dienstleistungen zeigt sich nach den Boxplots in Grafik 2 ein recht einheitliches Bild. Die unteren Quartile sowie die Mediane aller aufgeführten Länder weichen nicht wesentlich voneinander und von Gesamt-Europa ab. Das obere Quartil der Margen im polnischen Datensatzes liegt aber oberhalb des europäischen Sets, was auch hier durch eine Rechtspositionierung der „Empirical Distribution Function“ veranschaulicht wird; diese Abweichung ist aber zum Niveau 5% nicht signifikant, wie Tabelle 2 belegt (0,1242 > 0,05). b) Abweichungsanalyse – Beispiel Rumänien Bei einem Blick auf obige Tabelle 1 fällt auf, dass nahezu alle statistischen Abweichungen in unserer Analyse auf Länder entfallen, die (i) außerhalb des Euro-Raumes liegen und geografisch Osteuropa zuzuordnen sind und/oder (ii) im betrachteten Zeitraum in besonderer Weise unter den Nachwirkungen der Finanzkrise zu leiden hatten. Auf Rumänien, Bulgarien, Polen, Ungarn, Slowakei treffen die Kriterien unter (i) zu. Griechenland und Portugal sind (ii) zuzuordnen. All diese Länder haben ge134

Eine aktualisierte statistische Analyse pan-europäischer Benchmarking-Studien

meinsam, dass statistische Abweichungen regelmäßig nach oben zeigen (siehe entsprechende „+“ Kennzeichen in Tabelle 1). Das Land mit den häufigsten statistisch signifikanten Abweichungen ist Rumänien. In vier von neun untersuchten Branchen/Funktionen kommt der K-S-Test für Rumänien zu einem solchen Ergebnis. Um mögliche Gründe für diese Abweichungen zu finden, analysierten wir die aggregierten Finanzdaten der rumänischen Unternehmen im Datensatz. Die beispielhafte Auswertung für die Branche/Funktion Automobil/Großhandel findet sich im Folgenden. Zunächst berechneten wir für alle rumänischen Unternehmen und für das gesamte europäische Set Durchschnittswerte von Umsätzen, EBIT-Margen, Materialkosten („COGS“), Lagerbeständen, sowie „Total Assets“ und summierten diese für die Jahre 2013 – 2017 auf. Durch Abzug von COGS und EBIT von den jeweiligen Umsätzen ermittelten wir die operativen Kosten („SG&A“)14 als Residualgröße. Anhand dieser Kennzahlen konnten wir untersuchen, an welchen Stellen der GuV systematische Unterschiede bestanden. Um die Aussagekraft zu erhöhen, nahmen wir eine Normierung vor, indem wir EBIT, COGS, SG&A, Lagerbestände, sowie Total Assets mit dem Umsatz gewichteten. Tabelle 3 fasst die genannten Finanzkennzahlen für Automobil/Großhandel zusammen: Tabelle 3 – GuV Strukturen Europa vs. Rumänien: Automobil/Großhandel Summe Durchschnitte 2013–2017

Umsatz € Mio.

EBIT € Mio.

COGS € Mio.

SG&A € Mio.

Lager­ bestände € Mio.

Total ­ ssets A € Mio.

Gesamt-Europa

30.2

1.4

22.6

6.3

3.5

15.7

Rumänien

22.4

1.1

18.7

2.6

3.7

15.4

74,1%

79,9%

82,9%

41,2%

105,41%

98,4%

-

107,8%

111,9%

55,7%

142,3%

132,8%

Verhältnis ­Rumänien / Europa Normiertes ­Verhältnis ­Rumänien / Europa

Rumänische Unternehmen zeigen im Durchschnitt um über 25% niedrigere Umsätze. Die im Durchschnitt statistisch signifikant höheren EBIT-Margen lassen sich aber nicht auf entsprechend geringere COGS zurückführen. Das Verhältnis der COGS 14 Selling, General and Administrative Expenses – entspricht in Deutschland den Vertriebsgemeinkosten.

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Roman Dawid/Jörg Hülshorst

zum Umsatz ist in Rumänien tatsächlich um ca. 12% höher als im gesamten europäischen Set. Ein Grund hierfür könnte in einer geringeren Wettbewerbsintensität auf den Beschaffungsmärkten liegen. Auffällig und ausschlaggebend ist hingegen ein deutlich geringeres „SG&A to Sales“ Verhältnis, was die EBIT-Marge nach oben treibt: Der Anteil der operativen Kosten am Gesamtumsatz ist bei den rumänischen Unternehmen im Datensatz nur etwas mehr als halb so hoch (55,7% – siehe Tabelle 3) wie im europäischen Durchschnitt. Dies deutet auf erhebliche Lohnkostenvorteile hin, die sich voll in der GuV niederschlagen. Dieser Effekt wird weiter verstärkt durch die vergleichsweise hohe Kapitalbindung der rumänischen Unternehmen im Datensatz. Die relative Kapitalbindung (Lagerbestände und „Total Assets“ im Verhältnis zum Umsatz) weicht stark nach oben vom europäischen Durchschnitt ab. Unternehmen außerhalb der Eurozone, die mit deutlich höheren Zinsen zu rechnen haben, müssen die höheren Kapitalkosten durch eine entsprechend höhere EBIT-Marge „verdienen“. Hier spiegeln sich – neben den genannten „realwirtschaftlichen“ Lohnkostenvorteilen  – auch finanzwirtschaftliche Kosten/Risiken wider, die einen höheren „Return“ verlangen. Die in Tabelle 3 am Beispiel Rumäniens für Automobil/Großhandel dargestellten systematischen Überlegungen haben wir auch für die übrigen Branchen/Funktionen in den oben aufgeführten Ländern durchgeführt und sind dabei zu vergleichbaren Ergebnissen gelangt. 3. Regionale Tests In einem weiteren Schritt haben wir für alle betrachteten Branchen/Funktionen untersucht, ob es statistisch signifikante Unterschiede zwischen west- und osteuropäischen Ländern sowie zwischen Euro und Nicht-Euro Ländern gibt. Die einzelnen Länder wurden den unter Abschnitt III.2.e) vermerkten Regionen zugeordnet. Ein Blick auf Tabelle 4 zeigt, dass sich für einige Branchen/Funktionen Abweichungen ergaben; dies traf auf alle rot markierten Tests zu, bei denen unsere Nullhypothese (statistisch identischer Margenverteilungen) bei einem Signifikanzniveau von 0,05 bzw. 5% verworfen wurde: Zunächst fällt auf, dass für einige Branchen/Funktionen recht hohe Signifikanzwerte ermittelt wurden, so z.B. für Automobil/Großhandel, Pharma/Großhandel oder Chemie/Großhandel. In diesen Bereichen, sowie in allen anderen Tests mit Werten über 0,05 bzw. 5%, kann mit einer hohen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass eine Differenzierung von Benchmarking-Studien in West-/Osteuropa oder Euro/Nicht-Euro überflüssig ist. Insgesamt sind die Signifikanzwerte für Großhandel bei regionaler Betrachtung höher als bei Produktion. Interessant ist auch, dass alle Abweichungen positiv sind, d.h. die (Verteilung der) Margen der Ost- bzw. Nicht-Euro Länder lag in diesen Tests oberhalb der West- bzw. Euro Länder. Weiterhin fällt auf, dass eine Differenzierung zwischen West-/Osteuropa einerseits oder Euro/Nicht-Euro Ländern andererseits qualitativ identische Ergeb136

Eine aktualisierte statistische Analyse pan-europäischer Benchmarking-Studien

nisse lieferte. Dies mag unter anderem daran liegen, dass es eine hohe Überscheidung der Länder in den jeweiligen Kategorien gibt. Insofern ist dieses Ergebnis aus rein statistischer Sicht möglicherweise nicht überraschend. Tabelle 4 – Ergebnistabelle Regionale Tests Region

Westeuropa vs. Osteuropa Euro vs. Nicht-Euro Länder

Branche/Funktion

Negative Positive Negative Ab­ Positive Abweichung ­Abweichung weichung ­Abweichung

Maschinenbau/Großhandel

0,0002

0,9970

0,0001

0,9977

Elektronik/Großhandel

0,0056

1,0000

0,0010

1,0000

Automobil/Großhandel

0,4644

0,7718

0,5098

0,8593

Automobil/Produktion

0,0131

0,9792

0,0062

0,8907

Pharma/Großhandel

0,2422

0,8755

0,3077

0,8836

Chemie/Produktion

0,0052

1,0000

0,0002

1,0000

IT/Dienstleistungen

0,1173

0,7304

0,3200

0,8849

Chemie/Großhandel

0,5405

0,6356

0,8823

0,2918

Maschinenbau/Produktion

0,1598

0,3260

0,1374

0,2844

Management/Diensteistungen

0,0604

0,5127

0,0524

0,6076

Pharma/Produktion

0,1242

0,4731

0,0763

0,6318

Elektronik/Produktion

0,0088

0,8067

0,0121

0,7353

Grafik 4 – Boxplot & Verteilungsfunktion West/Ost: Automobil/Großhandel

137

Roman Dawid/Jörg Hülshorst Grafik 5 – Boxplot & Verteilungsfunktion Euro/Nicht-Euro: Automobil/Großhandel

Exemplarisch enthalten die Grafiken 4 und 5 jeweils zwei Boxplots und eine Verteilungsfunktion für Automobil/Großhandel in der Differenzierung West/Ost und Euro/Nicht-Euro. Die Optik indiziert, dass es hier keine statistisch signifikanten Unterschiede in der Margenverteilung gibt, wenn man eine regionale Betrachtungsweise zugrunde legt.

V. Fazit Sind pan-europäische Benchmarking-Studien ein valides Instrument der Fremdüblichkeitsanalyse? Dieser Frage gingen die Autoren dieses Beitrags in Dawid/ Hülshorst/Meenan bereits 2004 nach und fanden damals empirische Evidenz zu Gunsten von pan-europäischen Studien. Heute, 16 Jahre später, lohnt sich ein erneuter Blick auf die damalige Fragestellung, denn: – Pan-europäische (TNMM) Benchmarking-Studien haben nach wie vor einen hohen Stellenwert in der Verrechnungspreispraxis; – Die EU ist von damals 15 auf mittlerweile 28 Länder (vor dem BREXIT) angewachsen; – Die Vielzahl der Länder und die unterschiedlichen lokalen Auswirkungen der zwischenzeitlichen Finanzkrise mögen wirtschaftliche Heterogenität befördert haben; – Die Datenbasis für eine statistische Analyse ist heute deutlich fundierter; und – Eine automatisierte Testumgebung ermöglichte den Einsatz weitergehender statistischer Methoden. Im Ergebnis halten wir an unserer Kernthese: „Es ist statistisch nicht zu verwerfen, dass Europa bei Anwendung der TNMM als ein Markt angesehen werden kann“ 138

Eine aktualisierte statistische Analyse pan-europäischer Benchmarking-Studien

grundsätzlich nach wie vor fest. Die neuen Testverfahren und die komplexere Datenlage verlangen aber nach einem differenzierten Blick auf die Ergebnisse unserer umfangreichen Analysen. Zunächst einmal möchten wir hervorheben, dass wir mit der ausgewählten statistischen Methodik in dieser neuen Studie einen strengeren Beurteilungsmaßstab angelegt haben als in der Studie DHM aus 2004. Damals verglichen wir ausschließlich die Lageparameter der interquartilen Bandbreite (unteres und oberes Quartil). Nun, unter Anwendung des K-S-Tests, überprüften wir die Übereinstimmung ganzer Verteilungsfunktionen (die jeweils lokale mit der europäischen). Im Hinblick auf die Datenverfügbarkeit ist festzuhalten, dass viele Länder trotz der heute wesentlich breiteren Datenbasis in keinem einzigen Test mit einer hinreichend großen Stichprobe vertreten waren. Lediglich 22 der insgesamt 32 Länder waren in wenigstens einem Test vertreten (siehe auch Anhang C). Anders ausgedrückt, wären bei 32 Ländern und 12 ausgewählten Branchen/Funktionen potenziell 384 (= 32 × 12) Tests möglich gewesen. Allerdings fand sich nur in 141 Fällen eine hinreichend große Anzahl lokaler Vergleichsunternehmen, um eine Quartilsbetrachtung vornehmen und lokale mit europäischen Margenverteilungen vergleichen zu können (angenommene Mindestanzahl: 8). In allen anderen 243 Fällen konnte keine sinnvolle lokale Bandbreite bestimmt werden. Dies deutet darauf hin, dass lokale Studien flächendeckend und auf Basis einer einheitlichen harmonisierten Datenbasis nach wie vor nur sehr eingeschränkt möglich sind. In 19 der 141 Tests ergaben sich statistisch signifikante Abweichungen der lokalen Margenverteilung im Vergleich zur europäischen. Rumänien (4) zeigte die häufigsten Abweichungen, gefolgt von Polen (3). Von den „getesteten“ 22 Ländern wichen 12 Länder (darunter: Italien, Spanien, Deutschland) in keinem einzigen Test vom europäischen Datensatz ab. Wenn Unterschiede zwischen der lokalen und der europäischen Margenverteilung beobachtet werden konnten, dann lagen die lokalen Margen/PLIs ganz überwiegend (d.h. in 15 von 19 Fällen) oberhalb der Margen/PLIs für Gesamt-Europa. Griechenland und Portugal fallen als Euro-Länder in diese Kategorie. Ansonsten waren fast ausschließlich osteuropäische Länder betroffen. Dies spiegelt sich auch in den Ergebnissen der regionalen Analyse (West-/Osteuropa und Euro/ Nicht-Euro Länder, siehe Abschnitt IV.3.) wider. In Angelehnt an die zitierten empirischen Studien (siehe Abschnitt II. und Anhang A) vermuten wir, dass erhebliche Lohnkostenvorteile, eine geringere Wettbewerbsintensität, und höhere finanzwirtschaftliche Risiken (z.B. höhere Zinsen, Währungsrisiken) in osteuropäischen und Nicht-Euro Ländern einen höheren lokalen „Return“ befördern. Wir sehen aber ausdrücklich keinen Grund für eine pauschale Differenzierung von Benchmarking-Studien in die Kategorien West- und Osteuropa, sondern regen an, Einzelfälle zu betrachten. Je nach Zusammensetzung eines europäischen Datensatzes kann das Bilden von „Subsets“ hilfreich sein. Im Übrigen implizieren Abweichungen bei den Margenverteilungen nach oben, dass die unteren Quartile der lokalen Sets regelmäßig innerhalb der interquartilen Band-

139

Roman Dawid/Jörg Hülshorst

breite Gesamt-Europas liegen. Lokale und europäische Bandbreiten überlappen sich stark, wie ein Blick auf die Grafiken 1 und 2 exemplarisch veranschaulicht. Auch bei Ländern, die in unseren Testverfahren Abweichungen zeigten, sehen wir keinen Grund für eine pauschale Ablehnung pan-europäischer Benchmarks. Am Beispiel Rumäniens haben wir Unterschiede in der Profitabilität durch systematische Auffälligkeiten in den (normalisierten) GuVs analysiert. Der OECD folgend regen wir an, solche identifizierbaren und quantifizierbaren Unterschiede durch Anpassungsrechnungen zu beseitigen. Im oben skizzierten Fall Rumäniens (siehe Abschnitt IV.2.b)) hieße dies beispielsweise die Auswirkungen unterschiedlich hoher Kapitalbindungen mittels „Working Capital Adjustments“ bei der Berechnung der Margen/PLIs zu berücksichtigen. Auch für Lohnkostendifferenziale oder andere Standortvorteile können Anpassungsrechnungen sinnvoll sein15. Werfen wir noch einmal einen Blick auf unsere ursprüngliche Studie aus dem Jahr 2004 und vergleichen die Ergebnisse mit der heutigen: In DHM wurden aufgrund mangelnder Daten lediglich vier Branchen/Funktionen (Automobil/Produktion, Elektronik/Produktion, Chemie/Großhandel, Elektronik/Großhandel) einer Analyse mit nicht-parametrischen Tests unterzogen. Für die betrachten Länder ergaben sich in den so genannten „Specific Tests“ bei 104 Tests 14 Abweichungen; dies entspricht einer Quote von ca. 13,5%. Auf Basis unseres heutigen (wesentlich umfangreicheren) Sets kamen wir auf eine nahezu identische Quote von Fällen, in denen wir die Nullhypothese verworfen haben: 19 Abweichungen bei 141 Tests entspricht ebenfalls 13,5%. Weder damals noch heute konnten wir Muster erkennen, die es für bestimmte Branchen, Funktionen oder Länder nahelegen lokal zu testen. Bei IT-Dienstleistungen gab es damals wie heute keine Abweichungen; hier scheint Europa am ehesten „ein Markt“ zu sein. Schließlich ist es eine Abwägungsfrage, unter welchen besonderen Bedingungen eine lokale Studie im Einzelfall einer pan-europäischen Studie vorgezogen werden kann. Bei dieser Abwägung sollte unseres Erachtens berücksichtigt werden, welche Bedeutung die Dimensionen „Funktionen und Risiken“ einerseits und „Land“ andererseits für die Vergleichbarkeit der Unternehmen im Datensatz mit der „Tested Party“ haben. Denn funktionale Nähe zur Tested Party ist in einem pan-europäischen Datensatz regelmäßig besser herzustellen als in einem lokalen. Die OECD räumt „Funktionen und Risiken“ einen sehr hohen Stellenwert ein. Je stärker die Bedeutung der funktionalen Vergleichbarkeit relativ zum Standort gesehen wird, desto eher sollte am pan-europäischen Konzept festgehalten werden – ggf. ergänzt durch sachgerechte Anpassungsrechnungen.

15 Vgl. exemplarisch Hülshorst/Ackermann/Simoneit, „Berücksichtigung von Standortvorteilen im Rahmen einer fremdvergleichskonformen Vergütung konzerninterner Transaktionen“, IStR 2016, 377.

140

Eine aktualisierte statistische Analyse pan-europäischer Benchmarking-Studien

Anhang A – Literaturübersicht Tabelle A1 Preiskonvergenz Studien zur Preiskonvergenz Autoren

Untersuchungs­ Ergebnisse zeitraum

Allington et al. (2005)

1995–2002

Stellen fest, dass sich der Euro positiv auf die Preiskonvergenz zwischen den EWU-Mitgliedern gegenüber den Nicht-EWU-Mitgliedern ausgewirkt hat.

Goldberg & Verboven (2005)

1993–2003

Analysieren die Preiskonvergenz auf dem EU-Automarkt und stellen fest, dass die absoluten Preisunterschiede abnehmen, und schätzen den Beitrag der WWU auf einen Rückgang von 1–2%.

Rogers (2007)

1990–2004

Stellt fest, dass die Preisstreuung für gehandelte Waren in Europa deutlich zurückgegangen ist; der größte Teil der Preiskonvergenz fand vor der Einführung des Euro statt; die Preisstreuung ist der Preisstreuung in den USA recht nahe.

Dreger et al. (2007)

1999–2004

Findet Beweise für eine Preiskonvergenz und dafür, dass die EU-Erweiterung das Tempo der Preiskonvergenz erhöht hat.

Dreger et al. (2008)

1999–2004

Analysieren 41 Produktkategorien; die Konvergenzgeschwindigkeit ist eher gering; die EU-Erweiterung hat die Konvergenz zum mittleren Preisniveau leicht erhöht.

Gil-Pareja & 1995–2005 Sosvilla-­ Rivero (2008)

Analysieren die Preiskonvergenz auf dem EU-Automobilmarkt und finden Beweise für eine Preiskonvergenz zwischen den EU-15, jedoch nicht vor 1999.

Petersilie & Wei (2008)

1993–2006

Finden nur geringe Hinweise auf eine Verbesserung der Marktintegration im Zusammenhang mit dem Euro.

Wolszczak-­ Derlacz (2008)

1990–2005

Stellen fest, dass die Einführung des Euro nicht zu einer geringeren Preisstreuung durch die Steuerung der Wechselkursvolatilität geführt hat.

Faber & Stockmann (2009)

1960–2003

Stellen fest, dass sich das Preisniveau in der EU im ­Vergleich zur Streuung in den USA stark ­angeglichen hat.

Matei (2009)

1995–2002

Zeigt, dass parallele Preis-Bewegungen nach der EU-Erweiterung stark zugenommen haben.

141

Roman Dawid/Jörg Hülshorst Tabelle A1 Preiskonvergenz (Fortsetzung) Studien zur Preiskonvergenz Autoren

Untersuchungs­ Ergebnisse zeitraum

Wolszczak-­ Derlacz (2010)

1990–2005

Untersucht die Preisunterschiede bei 144 Produkten in der EU15 und stellt fest, dass das Tempo der Konvergenz in der Zeit vor dem Euro am höchsten war und dass die EWU-Länder schneller konvergierten als die Nicht-EU-Länder.

Fischer (2012)

1995–2005

Untersucht Waschmaschinenpreise und findet signifikante Abweichungen vom Gesetzt eines einheitlichen Marktpreises.

Fritzer (2012) 1995–2010

Analysiert Preiskonvergenz für 35 Waren und Dienstleistungen und findet Beweise für eine Preiskonvergenz.

1991–2017 Bastianin, Galeotti, Polo (2018)

Europäische Natural Gas Preise: Preis-Wachstums-Konvergenz, aber keine Konvergenz des Preis-Niveaus.

Strasser, Dvir (2017)

1993–2011

Die Preise auf dem EU-Automobilmarkt konvergierten bis Ende 2003, aber nicht mehr danach.

Hoeberichts, Stokman (2016)

1970–2007

Vergleich der Preisniveau-Konvergenz zwischen Europa und den USA: 2007 lag die Preisniveaustreuung im Euroraum auf dem gleichen Niveau wie in den USA. Nach der Finanzkrise: reduizierte sich die Preisstreuung weiter, später wurden die Preisniveau- unterschiede wieder größer.

I-Chun Tsai (2018)

1970–2015

Erhöht die Einheitliche Währung die Konvergenz der Hauspreise in der Eurozone und in Ländern außerhalb der Eurozone? Die Hauspreise in der EU näherten sich den Hauspreisen in Deutschland an; Die Wohnungs­ preise in verschiedenen europäischen Ländern konvergierten nicht vor 1992; sie begannen nach diesem Jahr zu steigen. Empirische Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Gesetzt eines einheitlichen Marktpreises auf handelbare Güter anwendbar ist und dass die Verwendung der einheitlichen Währung die Wohnungsmärkte, zu denen auch nicht-handelbare Güter gehören, inte­ grieren kann.

Leszczynska-­ 1999–2016 Paczesna (2018)

Preiskonvergenz und ihre Determinanten in der EU: Das Ende der nominalen Konvergenz fiel mit dem Ausbruch der globalen Finanzkrise im Jahr 2008 zusammen; Hauptfaktor für die Verlangsamung des Konvergenzprozesses, könnte die Verlangsamung der realen Konvergenz nach 2008 sein.

142

Eine aktualisierte statistische Analyse pan-europäischer Benchmarking-Studien Tabelle A1 Preiskonvergenz (Fortsetzung) Studien zur Preiskonvergenz Autoren

Untersuchungs­ Ergebnisse zeitraum

Nein, Ahmad, 1996–2006 Naveed (2017)

Lohnkonvergenz zwischen Europäischen Regionen und die Bedeutung internationaler Grenzen: Lohnkonvergenz für interne Regionen (Regionen innerhalb desselben Landes), aber keine Hinweise auf Konvergenz für Grenzregionen (benachbarte Regionen über internationale Grenzen hinweg).

Jeffrey Franks, ­Bergljot Barkbu, ­Rodolphe Blavy, ­William Oman und Hanni Schoeler­ mann (2018)

1960–2015

Wirtschaftliche Konvergenz im Euroraum: Konvergenz ist zu beobachten für Inflation und Zinssätze; keine ­reale Konvergenz zwischen den ursprünglichen EU-Mitgliedern. Die Synchronisation des Zeitpunkts von Konjunkturzyklen hat sich angenähert, aber die Amplitude dieser Zyklen ist unterschiedlich; die Synchronisation des Zeitpunkts der Finanzzyklen verlief während des Vorkrisenbooms vor der Finanzkrise 2019 unterschiedlich, wurde aber inzwischen wiederhergestellt;

Andreas ­Lindenblatt, Switgard Feuerstein (2014)

1995–2009

Preiskonvergenz für Lebensmittelpreise des Einzel­ handels nach der Osterweiterung der EU: Starke Preiskonvergenz innerhalb der EU23, die hauptsächlich durch die Konvergenz zwischen und nicht innerhalb der beiden Ländergruppen (alte versus neue EU-Länder) erklärt wird.

Pellini (2008)

1980–2012

Konvergenz im gesamten europäischen Strommarkt ­sowohl im Großhandel als auch auf den Spotmärkten: Die Konvergenz wurde in 41 der 105 getesteten Marktpaare (39% der getesteten Marktpaare) festgestellt, die fast alle zu den Ländern im Herzen Kontinentaleuropas gehören. Die restlichen 64 Marktpaare (ca. 61%) zeigten keine Anzeichen von Marktkonvergenz.

143

Roman Dawid/Jörg Hülshorst Tabelle A2 Finanzmarktintegration Studien zur Finanzmarktintegration Autoren

Untersuchungs­ Ergebnisse zeitraum

Kim, Lucey & 1998–2003 Wu (2006)

Finden Belege für starke zeitgleiche und dynamische Verbindungen zwischen den Anleihemärkten der Eurozone und Deutschland, für CZ, HU, PL & UK ist die Evidenz außerhalb der Eurozone schwächer.

de Guevara (2007)

Findet eine Konvergenz der Zinssätze, die Konvergenz der Kredit- und Einlagenmärkte ist niedriger.

1993–2001

Jappelli & ­Pagano (2008)

Erklären, dass die europäische Finanzmarktintegration unvollständig ist, aber zunimmt.

Bley (2009)

1998–2006

Stellt fest, dass die Euro-Börsenmärkte zwischen 1998– 2003 stärker integriert wurden, danach gibt es wieder eine Auseinanderbewegung der Aktienmärkte.

Kenourgios et al. (2009)

1997–2006

Stellen fest, dass die Finanzmärkte bei bestimmten ­Ereignissen die höchsten parallelen Bewegungen aufweisen, z.B. Zusammenbruch der Internetblase (2000), Diskussionen auf dem Balkan über einen möglichen EU-Beitritt, die WWU (2002) und den Beitritt der ­Mittel und Osteuropäischen Länder (2004).

Millineux et al. (2010)

1972–2004

Stellen fest, dass sich das EU-Finanzsystem offenbar ­einer Variante des angelsächsischen Modells annähert.

Mylonidis & 1999–2009 Kollias (2010)

Zeigen, dass, obwohl Konvergenz stattfindet, es sich um einen laufenden Prozess handelt, dass die deutschen und französischen Märkte einen höheren Konvergenzgrad haben als Spanien und Italien.

Büttner & Hayo (2011)

1999–2007

Erkennen einen deutlichen Trend zu einer stärkeren ­Integration der Aktienmärkte, der durch die Höhe der Marktkapitalisierung verstärkt und durch das Wechselkursrisiko zwischen den alten Mitgliedstaaten und dem Euroraum behindert wird.

Bekaert et al. (2013)

1990–2007

Stellen fest, dass die finanzielle und wirtschaftliche ­Integration durch die EU-Mitgliedschaft verstärkt wird, unabhängig davon, ob die Mitgliedstaaten auch den Euro eingeführt haben oder nicht.

Olena Ogrokhina (2013)

2003–2011

Auswirkungen von Binnenmarkt und einheitlicher Währung sowie des Handels auf die Persistenz und die Konvergenz der Preise in der EU und innerhalb der Eurozone: Mit zunehmenden Handel wachsen Preisunterschiede zwischen dem Süden und dem Rest der Euro­ zone; Die Ergebnisse zeigen, dass es keinen einfachen Zusammenhang zwischen Handel und Preisen gibt. Die globale Krise wirkte sich nachteilig auf den Prozess der Bankenintegration aus.

144

Eine aktualisierte statistische Analyse pan-europäischer Benchmarking-Studien Tabelle A3 Konvergenz von Unternehmensrenditen Studien zur Konvergenz von Unternehmensrenditen Autoren

Untersuchungs­ Ergebnisse zeitraum

Cinca et al. (2005)

1986–1999

Analyse mehrerer Finanzkennzahlen aus der BACH-­ Datenbank, um Länder- und Größeneffekte hinsichtlich Finanzkennzahlen zu untersuchen. Kommen zu dem Schluss, dass eine verstärkte Konvergenz in den Folgejahren zu erwarten ist.

Rivaud-Danset & Oheix (2005)

1991–2001

Müssen die Hypothese ablehnen, dass es eine Tendenz der EU zur Gruppierung um gemeinsame Finanzmuster gibt.

Mamatzakis et al. (2008)

1998–2003

Untersuchen die Kosten- und Gewinneffizienz im Bankensystem und stellen eine Konvergenz der Kosteneffizienz in den neuen Mitgliedstaaten fest, aber noch nicht eine Konvergenz der Gewinneffizienz.

Gallizo et al. (2010)

1998–2004

Stellt keine Konvergenz zwischen den Wirtschafts- und Finanzstrukturen von Unternehmen in den MOE-Ländern und in der EU15 fest.

Crespo & Clark (2011)

08/2004 & 09/2005

Untersuchung der Faktoren, die die durchschnittliche Profitabilität der Vertriebspartner beeinflussen (gemessen als Nettomarge, d.h. Betriebsergebnis dividiert durch Umsatz). Keine signifikanten Belege, dass die Geographie im Allgemeinen die Profitabilität der Vertriebspartner in Europa beeinflusst.

Crespo & 08/2004 & Clark (2012a) 09/2005

Untersuchen Faktoren, die die Rentabilität von Dienstleistungsunternehmen beeinflussen (gemessen an den Nettokosten zuzüglich Marge, d.h. Betriebsergebnis dividiert durch Betriebskosten (inkl. CoGS)). Keine starke Evidenz dafür, dass die Geographie im Allgemeinen die Rentabilität von Dienstleistungsunternehmen in ganz Europa beeinflusst.

Crespo & 08/2004 & Clark (2012b) 09/2005

Untersuchen Faktoren, die die Rentabilität von Produktionsunternehmen beeinflussen (gemessen an den Nettokosten zuzüglich Marge, d.h. Betriebsergebnis dividiert durch Betriebskosten (inkl. COGS)). Keine starke Evidenz dafür, dass die Geographie im Allgemeinen die Rentabilität von Herstellern in Europa beeinflusst.

Goddard et al. (2013)

Untersuchen die Determinanten und die Konvergenz der Rentabilität von Banken und finden Hinweise auf eine Zunahme der Intensität des Bankenwettbewerbs infolge einer Zunahme der Integration der Finanzmärkte in der EU.

1992–2007

145

Roman Dawid/Jörg Hülshorst Tabelle A3 Konvergenz von Unternehmensrenditen (Fortsetzung) Studien zur Konvergenz von Unternehmensrenditen Autoren

Untersuchungs­ Ergebnisse zeitraum

Salas, Valles (2018)

1985–2014

Sind die Kostenanteile und Renditen von Unternehmen im Euroraum und in den USA vergleichbar? Empirie stützt die Hypothese einer Konvergenz der Zusammensetzung der Bruttowertschöpfung der Unternehmen innerhalb des Euroraums noch zwischen Europa und den USA nicht, noch gibt es Hinweise auf eine allgemeine Senkung des Anteils der Arbeitskosten im Zeitablauf.

Eklung & Lappi (2019)

1995–2013

Beständigkeit der Gewinne in der EU: Wie wettbewerbs­ intensiv sind die EU-Mitglieds- länder? Unterschiede in der Beständigkeit kurzfristiger Gewinne sind zu beobachten, was bedeutet, dass es in der EU unterschiedlich intensive Wettbewerbsbedingungen gibt. Die Tschechische Republik und Griechenland gehören zu den Ländern mit der höchsten Gewinnpersistenz; das Vereinigte Königreich hingegen gehört zu den Ländern mit der niedrigsten Profitpersistenz.

Anhang B - Datenauswahl TP Catalyst TP Catalyst ist eine von Bureau van Dijk entwickelte Software- und Datenplattform, die den Prozess der Erstellung von Dokumentationen für die Einhaltung von Verrechnungspreisen (TP) sowie TP-Benchmarking-Analysen für Sachwerte, immaterielle Vermögenswerte, konzerninterne Dienstleistungen und konzerninterne Finanztransaktionen verwaltet. TP Catalyst enthält Informationen über öffentliche sowie private Unternehmen. TP Catalyst enthält eine Kombination von Daten aus mehreren lokalen Quellen. Die in der Datenbank enthaltenen Informationen werden zunächst von lokalen Informationsanbietern an den offiziellen Registrierungsstellen in den einzelnen Ländern gesammelt. Die Daten (Finanzdaten und Finanzkennzahlen) werden dann von Bureau van Dijk übersetzt, standardisiert und ergänzt. Daraus ergibt sich ein Datensatz mit deskriptiven Daten sowie Finanzdaten. Die Formate von Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen wurden von Bureau van Dijk in ein einheitliches Format konvertiert. Dieses ermöglicht Peer-Group-Vergleiche von Unternehmen, was jedoch bedeutet, dass einige Kennzahlen aus den dargestellten Daten rekonstruiert und nicht aus den dargestellten Abschlussdetails ex­ trahiert werden müssen. 146

Eine aktualisierte statistische Analyse pan-europäischer Benchmarking-Studien

Die für diese Suche verwendete Version von TP Catalyst ist von Mai 2019, Versionsnummer 110 der TP Catalyst Datenbank. Quantitatives Screening – Suchschritte Das quantitative Screening in TP Catalyst wurde im Rahmen dieser Analyse für die  folgenden Industrien und Funktionen individuell durchgeführt: Automobil/ Großhandel, Automobil/Produktion, Chemie/Großhandel, Chemie/Produktion, Elektronik/Großhandel, Elektronik/Produktion, IT/Dienstleistungen, Management/ Dienstleistungen, Maschinenbau/Großhandel, Maschinenbau/Produktion, Pharma/ Großhandel, Pharma/Produktion. Zwischen diesen ergaben sich für bestimmte Suchschritte (wie z.B. Industriecodes, Keywords, Finanzkriterien) Unterschiede. Die folgenden Suchschritte wurden im quantitativen Screening durchgeführt: – Region – Auswahl der für diese Suche relevanten Länder16; – Industriecode – Auswahl der für die untersuchte Industrie und Funktion relevanten Industriecodes17; – Keyword Suche: Durch die Suche von Keywords in den Unternehmensbeschreibungen können Unternehmen mit bestimmten Aktivitäten identifiziert und optional akzeptiert oder abgelehnt werden. Das Kriterium der Keyword Suche wird entweder an das Kriterium des Industriecodes gebunden (beide Bedingungen müssen erfüllt sein) oder es wird eine alternative Bedingung gefordert (z.B.: ein Unternehmen wird akzeptiert, wenn es entweder die Bedingung des/der Industriecodes oder der Keywordsuche erfüllt); – Unabhängigkeitskriterien: Der BvD „Independence Indicator“ wird angewendet, um den Grad der Unabhängigkeit der identifizierten Unternehmen zu beurteilen. Dafür wird geprüft, ob die Unternehmensanteile des untersuchten Unternehmens zu mindestens 25% von einer anderen Gesellschaft gehalten werden. Infolgedessen wurden Unternehmen mit einem Unabhängigkeitsindikator A (+ oder –) und U 16 Die Datenbank wurde systematisch nach Unternehmen mit Sitz in der Europäischen Union (28), Island, Liechtenstein, Norwegen oder der Schweiz durchsucht. Daraus ergab sich eine Auswahl aller Unternehmen, die in einem der folgenden Länder ansässig sind/waren: Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn und Vereinigtes Königreich. 17 Da es sich um eine europäische Studie handelt, wurde nach spezifischen NACE Codes gesucht. NACE steht für “Nomenclature générale of activités économiques dans les Communautés Européennes”. Die Klassifikation der NACE-Codeindustrie ist in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf der Grundlage der Verordnung (ECC) Nr.  3037/90 des Rates vom 9. November 1990 über die statistische Klassifikation der Wirtschaftszweige in der Europäischen Gemeinschaft (ABl. Nr. L 293 vom 24. Oktober 1990, S. 1) in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 761/93 der Kommission vom 24. März 1993 (ABl. Nr. L 83 vom 3.4.1993, S. 1 und Berichtigung, ABl. Nr. L 159 vom 11. Juli 1995, S. 31) vollständig vereinheitlicht.

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Roman Dawid/Jörg Hülshorst

akzeptiert und alle Unternehmen mit den Indikatoren B (+ oder –), C (+) oder D wurden abgelehnt. Danach wurden Unternehmen mit den Unabhängigkeitsindikatoren B, C oder D neu aufgenommen, wenn alle Anteilseigner mit einem Anteil von mehr als 25% Einzelpersonen oder Mitarbeiter waren. Zusätzlich zum BvD Independence Indicator wurden Unternehmen auch dann abgelehnt, wenn sie mindestens 25% der Unternehmensanteile einer anderen Gesellschaft hielten. Unternehmen, für die keine Informationen zum BvD Independence Indicator vorlagen, wurden weiterhin akzeptiert; – Konsolidierungscode: Um die Suche weiter zu verbessern, wendeten wir ein Kriterium für die Buchhaltungsart an, um sicherzustellen, dass nur Unternehmen mit nicht konsolidierten Abschlüssen akzeptiert wurden. Für die Zwecke dieses Schrittes wurden alle Unternehmen akzeptiert, denen der BvD den Indikator "U1" zugewiesen war. Infolgedessen wurden alle Unternehmen, die konsolidierte Finanzinformationen meldeten, automatisch abgelehnt, da die Konsolidierung eine Konzernzugehörigkeit anzeigte; – Umsatzkriterium: Es wurden in der Datenbanksuche ausschließlich Unternehmen akzeptiert, die in mindestens drei der fünf Jahre jeweils einen Umsatz von mindestens 2 Millionen € berichteten; – Datenverfügbarkeit und Profitabilität: In der Datenbanksuche wurden ausschließlich Unternehmen akzeptiert, die die folgenden Kriterien erfüllten: – Wenn für ein Unternehmen Finanzdaten in allen untersuchten Jahren (2013 – 2017) verfügbar waren, musste dieses Unternehmen in mindestens drei der fünf Jahre einen EBIT von mindestens 0 € berichtet haben; – Wenn für ein Unternehmen Finanzdaten in vier der untersuchten Jahre (2013 – 2017) verfügbar waren, musste das Unternehmen in mindestens zwei der vier Jahre einen EBIT von mindestens 0 € berichtet haben; – Wenn für ein Unternehmen Finanzdaten in drei der untersuchten Jahre (2013 – 2017) verfügbar waren, musste das Unternehmen in mindestens einem der drei Jahre einen EBIT von mindestens 0 € berichtet haben; – Gründungsjahr: Unternehmen in der Startphase erleiden durch hohe Anfangsinvestitionen häufig Verluste und sind daher nicht vergleichbar mit bereits etablierten Unternehmen. Dementsprechend nahmen wir alle ab 2013 gegründeten Unternehmen nicht mit auf und akzeptieren nur Unternehmen, die ab und vor 2012 gegründet wurden. Unternehmen, für die das Gründungsjahr unbekannt ist, wurden nicht abgelehnt; – Aktivität: Um sicherzustellen, dass die Unternehmen unter "normalen" Bedingungen operierten, wurden nur Unternehmen mit Status „aktiv“ oder „unbekannt“ akzeptiert. Somit wurden alle Unternehmen abgelehnt, bei denen der Aktivitätsstatus in TP Catalyst „inaktiv“ gesetzt war;

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Eine aktualisierte statistische Analyse pan-europäischer Benchmarking-Studien

Im Folgenden ist die Suchstrategie aus TP Catalyst für Automobil/Produktion exemplarisch dargestellt:

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Kennziffern Profitabilität Für die Jahre 2013 – 2017 wurden der „Mark-up on total costs“ (MOTC), sowie die „Operating Margin“ (OM) berechnet. Sowohl der MOTC als auch die OM sind Kennziffern für die Profitabilität eines Unternehmens, so genannte PLIs. Die Kennziffern wurden wie folgt berechnet: MOTC =

Summe Gewinne/Verluste der 5 untersuchten Jahre (2013–2017) Summe Gesamtkosten18 der 5 untersuchten Jahre (2013–2017)

OM

Summe Gewinne/Verluste der 5 untersuchten Jahre (2013–2017) Summe Umsätze der 5 untersuchten Jahre (2013–2017)

=

18 Die Gesamtkosten sind definiert als Umsatz minus EBIT.

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Eine aktualisierte statistische Analyse pan-europäischer Benchmarking-Studien

Anhang C – Ergebnisse

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Verfahrensfragen beim Verrechnungspreisstreit Inhaltsübersicht I. Einleitung: Zunahme (gerichtlicher) ­Verrechnungspreisstreite II. Das Armani-Urteil des BFH als Auslöser der Dokumentationspflicht in Deutschland III. Verfahrensfragen der Erstellung einer Verrechnungspreisdokumentation 1. Verfahrensrechtliche und dogmatische Grundlagen

2. Verfahrens- und steuerstrafrechtliche Konsequenzen 3. Zeitrahmen für Erstellung und Vorlage der Verrechnungspreisdokumentation IV. Verfahrensrechtsrahmen für die Vorlage einer Verrechnungspreisdokumentation 1. Ermessensrahmen für Vorlageverlangen 2. Rechtsschutz gegen Auskunfts- und ­Vorlageverlangen nach § 90 Abs. 3 AO im Rahmen der Außenprüfung V. Schluss

I. Einleitung: Zunahme (gerichtlicher) Verrechnungspreisstreite Verrechnungspreisstreite nehmen zu1. Heinz-Klaus Kroppen hat auf dem von ihm jahrelang geleiteten Podium zur Betriebsprüfung auf der Jahresarbeitstagung der Arbeitsgemeinschaft der Fachanwälte für Steuerrecht in Wiesbaden bereits vor Jahren auch die Zunahme finanzgerichtlicher Streitigkeiten zur Angemessenheit grenzüberschreitender Konzernver­rechnungs­preise vorhergesagt2. Der Jubilar, der über Jahrzehnte eine Vielzahl von Verrechnungspreisverfahren in der Prüfungspraxis und ­forensisch betreute, hat mit dieser Prognose Recht behalten3. Im Gegensatz zu früheren Zeiten werden Streitigkeiten über die Gestaltung von grenzüberschreitenden Konzernverrechnungspreisen und ihre hinreichende Dokumentation inzwischen vermehrt vor den Finanzgerichten ausgetragen4. Die Festschrift zu Ehren eines pra1 Zuletzt, auch zu den Gründen gestiegener Informationstransparenz und Aufmerksamkeit der Finanzbehörden weltweit und der vermehrt eingesetzten IT-gestützten Analysetechniken Riegel/Sassmann, Der Verrechnungspreisstreit  – Möglichkeiten zur Vermeidung von Doppelbesteuerung, BB 2019, 2519; Peters/Pichler, Der Verrechnungspreisstreit – Verrechnungspreise im Fokus der Finanzverwaltungen, BB 2019, 2839.  2 Kroppen, Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht (JbFStR) 2014/2015, S. 839; ders., JbFStR 2016/2017, S. 948. 3 Zustimmend, nach früherem Hinweis auf die wenigen Fälle gerichtsanhängiger Verrechnungspreisstreite (Drüen, JbFStR 2016/2017, S. 948) bereits Drüen, JbFStR 2018/19, S. 978. 4 Zur Justitiabilität von Verrechnungspreisen bereits Wassermeyer, Sind Verrechnungspreise justitiabel?, in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 1994, S. 123; Schoppe, Verrechnungspreise – warum nicht mal zum FG?, BB 2014, 2199 (2200  ff., 2205). Zu diesem „Zukunftsfeld der höchstrichterlichen Steuerrechtsprechung“ bereits Drüen, Entwicklungslinien und Zukunftsfragen des Unternehmenssteuerrechts, in: 100 Jahre Steuerrechtsprechung in Deutschland 1918–2018, Festschrift Bundesfinanzhof, 2018, S. 1317 (1347).

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xiserfahrenen und auch literarisch bestens ausgewiesenen Spezialisten für Konzernverrechnungspreise5 ist der rechte Ort, zentrale Verfahrensfragen im Streit über Verrechnungspreise6 näher zu beleuchten. Denn in vielen Betriebsprüfungen wird die Frage streitig, unter welchen formalen Voraussetzungen Verrechnungspreiskorrekturen zulässig sind7. Auch wenn zur Zeit8 gerade materielle Fragen des Fremdvergleichs9 sowie die Frage einer grundlegenden Neuausrichtung der internationalen Verteilung der Unternehmensgewinne10 intensiv diskutiert werden, soll sich dieser Beitrag auf die verfahrensrechtliche Seite von Verrechnungspreisstreitigkeiten konzentrieren, die die Finanzgerichte bereits beschäftigt haben oder absehbar beschäftigen werden. Dabei sind auch nach gut 15 Jahren Erfahrungen mit den formellen Pflichten zur Dokumentation von Verrechnungspreisen11 sowohl Grundfragen als auch Detailfragen offen, zu deren Lösung dieser Heinz-Klaus Kroppen gewidmete Festschriftaufsatz12 hoffentlich einen Beitrag leisten kann. Ausgangspunkt ist dabei der Rückblick auf die grundlegende Entscheidung des BFH, die den Gesetzgeber zur Kodifikation besonderer Dokumentationspflichten für Konzernverrechnungspreise bewegt hat (s. II.). Darauf aufbauend werden – der Zeitachse folgend  – zunächst Verfahrensfragen der Erstellung einer Verrechnungspreisdokumentation behandelt (s. III.) und anschließend der verfahrensrechtliche Rahmen für die Vorlage und Prüfung einer Verrechnungspreisdokumentation abgesteckt (s. IV.). Am Schluss ist auf die (noch offenen) Fragen der Verwerfung einer Verrechnungspreis­ dokumentation des Unternehmens durch die Finanzverwaltung hinzuweisen (s. V.).

5 Neben zahlreichen eigenen Beiträgen steht dafür prominent die (Mit-)Herausgeberschaft des Standardwerkes Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise. 6 Diesem Themenfeld soll sich demnächst vertieft das angekündigte Werk von Schnorberger, Verrechnungspreise und Verfahrensrecht – Fälle, Verfahren, Streitigkeiten, 2020, widmen. 7 So bereits Kroppen, JbFStR 2017/2018, S. 862. 8 Als Folge der Rechtsprechungsänderung des BFH durch sein Urteil v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394. 9 Gosch, Von Äpfel und Birnen – Ein steuerjuristischer Essay zum Maß des „Fremdvergleiches“ im Konzern, in Festschrift Jürgen Lüdicke, 2019, S. 197; Kraft, Der Fremdvergleichsgrundsatz in der aktuellen EuGH- und BFH-Rechtsprechung, Ubg 2019, 605. 10 Perspektivisch mit einem neuen Ansatz für die internationale Besteuerung auf Basis der Umsatzrendite des Konzerns und der lokalen Umsätze Kroppen/Dawid/Keil, Die Zukunft der internationalen Verrechnungspreise, IWB 2019, 590.  11 Einen Rückblick zur Anfangsphase bietet der Tagungsband Endres (Hrsg.), Dokumentation von Verrechnungspreisen  – Brennpunkte der neuen Verwaltungsgrundsätze-Verfahren, 2005.  12 Ich kenne Heinz-Klaus Kroppen bereits aus der gemeinsamen Bochumer Zeit. In Düsseldorf hat er unser Forschungsteam für Steuerrecht in seiner „Abkühlphase“ vor dem Wechsel zu pwc bereichert und seine Kommentierung zu Art. 9 OECD-MA in Gosch/Kroppen/ Grotherr DBA-Kommentar, in dieser Zeit grundlegend überarbeitet und ausgebaut. Zuletzt konnten wir uns im Wissenschaftlichen Beirat von pwc vor allem zum internationalen Steuerrecht mit Gewinn austauschen.

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Verfahrensfragen beim Verrechnungspreisstreit

II. Das Armani-Urteil des BFH als Auslöser der Dokumentationspflicht in Deutschland Wegbereiter des Verfahrensrechts für Verrechnungspreise war der BFH in seinem bahnbrechenden und vielkommentierten13 Urteil vom 17.  Oktober 200114. Danach bestanden im deutschen Steuerrecht neben §§ 140 ff. AO und §§ 238 ff. HGB für verdeckte Gewinnausschüttungen keine speziellen Aufzeichnungs- oder Dokumentationspflichten. Insbesondere begründet §  90 Abs.  2 AO keine derartigen Pflichten15. Diese zentrale Erkenntnis aus der in Fachkreisen kurz als „Armani-Urteil“ bezeichneten Grundsatzentscheidung war der konkrete Auslöser für die Einführung besonderer Dokumentationspflichten in Deutschland16. Das Urteil war ein „Paukenschlag“ und die legislatorische Reaktion bestätigt die Feststellung von Brigitte Knobbe-Keuk: „Die Finanzbehörde hat immer eine Instanz mehr als der Steuerpflichtige“17. Verliert sie beim BFH, regt sie häufig – wie auch im konkreten Fall geschehen – die Änderung des Gesetzes an18. Der Gesetzgeber hat im Jahre 2003 durch das Steuervergünstigungsabbaugesetz in § 90 Abs. 3 AO19 eine besondere Verpflichtung eingeführt, bestimmte grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen einschließlich der Grundlagen ihrer Entscheidungen über die Festsetzung von Verrechnungspreisen und sonstigen Geschäftsbedingungen zu dokumentieren20. Die Regelung sollte nach der Regierungsbegründung21 – als ausdrückliche Reaktion auf die Rechtsprechung – „vor allem die Möglichkeit der Prüfung der Einkunftsabgrenzung zwischen international verbundenen Unternehmen (Verrechnungspreisprüfung) durch die Finanzverwaltung sichern“22. Dadurch ist der deutsche Gesetzgeber explizit dem internationalen 13 Natürlich auch vom Jubilar: Kroppen/Roeder/Rasch, Bedeutende Entscheidung des BFH in Verrechnungspreisfragen  – Anmerkungen zum Urteil v. 17.10.2001  – I R 103/00, IWB 2001/23 Fach 3, Deutschland, Gruppe 1, 1787. 14 BFH, Urteil v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171. 15 BFH, Beschluss v. 10.5.2001 – I S 3/01, BFHE 194, 360 (364); BFH, Urteil v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 (176); Rohde, Anmerkung, IStR 2013, 717 (718). 16 Zum „Grundsatzurteil“ und zur Reaktion des deutschen Gesetzgebers und der Verwaltung näher Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, GAufzV, Rz.  9  ff., 13 ff. (Juni 2018). 17 Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl. 1993, S. 368. 18 Explizit Naumann/Förster, Die neuen Dokumentationspflichten bei Verrechnungspreisen, NWB 2004, 2419 (2420): „Der Gesetzgeber sah sich auf Initiative der Verwaltung durch das BFH-Urteil zu einer Reaktion veranlasst“ (Hervorhebung durch den. Verf.). 19 Eingefügt durch Art. 9 Nr. 3 Gesetz zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen (Steuervergünstigungsabbaugesetz – StVergAbG) v. 16.5.2003, BGBl. 2003 Teil I, 660 (665). Gleichzeitig wurden in § 162 Abs. 3 und 4 AO Sanktionen für die Verletzung der Dokumentationspflichten nach § 90 Abs. 3 AO geschaffen (Art. 9 Nr. 5 Buchst. a) StVergAbG). 20 Erste Einordnung bei Einführung durch Rasch/Roeder, Neues Verrechnungspreisgesetz in Deutschland, NWB Fach 3, Deutschland, Gruppe 1, S. 1934. 21 BT-Drucks. v. 2.12.2002, 15/119, 52; zur Rechtsverordnung auch BR-Drucks. v. 17.10.2003, 583/03, 7. 22 Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN v. 2.12.2002, BTDrucks. 15/119, S. 52 unter explizitem Verweis auf BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00.

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Trend zur Normierung besonderer Dokumentationspflichten für Verrechnungspreise23 gefolgt24. Im Rahmen des BEPS-Prozesses verfolgen OECD und G 20 mit dem Aktionspunkt 1325 einen standardisierten Dokumentationsansatz für grenzüberschreitende Verrechnungspreise bei verbundenen Unternehmen26. Deutschland hat die bestehenden Dokumentationspflichten und Sanktionen zur Umsetzung des BEPS-Aktionspunktes 13 durch das BEPS I-Umsetzungsgesetz im Jahre 201627 ab 1.1.2017 verschärft28. Nach § 90 Abs. 3 Satz 1 AO hat ein Steuerpflichtiger bei Sachverhalten, die Vorgänge mit Auslandsbezug betreffen, über die Art und den Inhalt seiner Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG Aufzeichnungen zu erstellen. Neben dieser Pflicht zur Sachverhaltsdokumentation besteht jedenfalls seit 2016 eine ausdrückliche gesetzliche Pflicht zur Erstellung einer Angemessenheitsdokumentation. §  90 Abs.  3 Satz 2 AO bestimmt nunmehr dezidiert, dass die Aufzeichnungspflicht auch die wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen für eine den Grundsatz des Fremdvergleichs beachtende Vereinbarung von Preisen und anderen Geschäftsbedingungen mit den Nahestehenden umfasst. Die Pflicht zur Angemessenheitsdokumentation war zuvor umstritten29. Sie entsprach zwar unzweifelhaft schon immer dem gesetzgeberischen Willen30 und der ihm die Hand führenden Finanzverwaltung31, kam aber im Wortlaut des § 90 Abs. 3 Satz 2 AO nicht hinreichend klar32 zum

23 Zu internationalen Entwicklungen Haase/Becker, AStG/DBA, 3. Aufl. 2016, Art. 9 Rz. 60. 24 Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN v. 2.12.2002, BTDrucks. 15/119, S.  52 mit nachfolgendem Hinweis auf den OECD-Bericht „Verrechnungspreise und multinationale Unternehmen“ aus dem Jahre 1995. 25 OECD/G 20, Verrechnungspreisdokumentation und länderbezogene Berichterstattung, Aktionspunkt 13, Abschlussbericht 2015, 2016, Kapitel V der Verrechnungspreisleitlinien: Dokumentation. 26 Zu Inhalt und Analyse Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, GAufzV, Rz. 16 ff. (Juni 2018); eingehend Wilmanns, Verrechnungspreisdokumentation – Quo Vadis, in Oestreicher (Hrsg.), BEPS konkret und weitere Entwicklungen im deutschen Steuerrecht, 2018, S. 7 (10 ff.) sowie, auch zum Stand der nationalen und internationalen Umsetzung van der Ham/Sommer, in Kofler/Schnitger, BEPS-Handbuch, 2019, L Rz. 1 ff. 27 Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen v. 20.12.2016, BGBl. I 2016, 3000. 28 Näher Schwenke/Greil, in Wassermeyer, DBA, Art. 9 MA Rz. 454 ff. (Sept. 2018); zur Organisation des Verrechnungspreisdokumentationsprozesses zur Gewähr der BEPS-Anforderungen Braun/Enders, BB 2019, 599; speziell zur Digitalisierung der Verrechnungspreissysteme Braun/Köppe, Digitalisierung in der Verrechnungspreisfunktion  – Entwicklungen und Chancen, DB 2019, 394. 29 Kritisch namentlich Frotscher, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl., 2015, Rz. 1117; Roser, in Gosch, AO/FGO, § 90 AO Rz. 137 ff. (Juni 2014). 30 Schmitz, in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 90 AO Rz. 82 (März 2016). 31 Naumann/Förster, NWB 2004, 2419 (2422, 2424 ff.). 32 Dies einräumend Schreiber, in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr.Verf., Rz. 99 (Okt. 2013): „wenn auch etwas nebulös“.

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Verfahrensfragen beim Verrechnungspreisstreit

Ausdruck33. Insoweit hat der Gesetzgeber m.E. nicht bloß deklaratorisch mit rückwirkender Kraft34, sondern konstitutiv nachgelegt35. Die Aufzeichnungspflichten für Geschäftsbeziehungen zwischen nahestehenden Personen präzisiert  – gestützt auf § 90 Abs. 3 Satz 11 AO – untergesetzlich die sog. Gewinnabgrenzungs­aufzeichnungsVerordnung36. Als exekutivische Rechtssetzung steht die Rechtsverordnung i.S.  des Art. 80 GG unter dem Gesetz und muss dessen Vorrang absolut wahren37. Aus dem gesetzlichen Rahmen „ausbrechende“ Verordnungsbestimmungen38 sind nichtig39. Die Fachgerichtsbarkeit kann sie ohne Vorlagepflicht verwerfen40. In der dritten Schicht werden Gesetz und Verordnung durch die „Verwaltungsgrundsätze-Verfahren“ ergänzt41. Wohltuend kritisch hinterfragt Rolf Schreiber im Kroppen´schen Handbuch der Internationalen Verrechnungspreise, ob in Verwaltungsanweisungen vorgesehene Informationstransparenz und Dokumentationspflichten in sich schlüssig und durch das Gesetz gedeckt sind42. Trotz mancher Unschärfen lässt sich die besondere Dokumentationspflicht für Verrechnungspreise rechtsdogmatisch rechtfertigen43. Zur Kontrolle der Fremdüblichkeit von Verrechnungspreisen ist die jeweilige nationale Finanzverwaltung verstärkt 33 So zu § 90 Abs. 3 AO a.F. auch Seer, in Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung (AO/FGO), § 90 AO Rz. 42 (Aug. 2013). 34 Zur Abgrenzung von konstitutiv rückwirkenden Regelungen und zu den Grenzen vermeintlicher Klarstellung durch den Gesetzgeber mit Wirkung für die Vergangenheit B ­ VerfG, Beschluss v. 17.12.2013 – 1 BvL 5/08, BVerfGE 135, 1. 35 Drüen, JbFStR 2017/2018, S. 882 f.; relativierend Wolff-Seeger, JbFStR 2017/2018, S. 868 f. („zumindest für die Jahre ab 2017“). 36 Verordnung zu Art, Inhalt und Umfang von Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Absatz 3 der Abgabenordnung (Gewinnabgrenzungsaufzeichnungs-Verordnung  – GAufzV) v. 12.7.2017, BGBl. I 2017, 2367. 37 Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl. 2018, Art. 80 Rz. 1; Sachs/Mann, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 80 Rz. 8. 38 Dazu frühzeitig Frotscher, in Festschrift Wassermeyer, 2005, S. 391 (393 ff.); zur parallelen Frage beim materiellen Recht Kraft, AStG, 2. Aufl. 2019, § 1 Rz. 520 f. 39 Dreier/Bauer, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 80 Rz. 58; Brenner, in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, Art. 80 Rz. 82; Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl. 2007, § 101 Rz. 10. 40 BFH, Urteil v. 10.6.2015 – I R 79/13, BStBl. II 2016, 326 – Rz. 22; Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 2 AO Rz. 43g (April 2017) m.w.N. 41 BMF, Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung zwischen nahestehenden Personen mit grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen in Bezug auf Ermittlungs- und Mitwirkungspflichten, Berichtigungen sowie auf Verständigungs- und EU-Schiedsverfahren (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren) v. 12.4.2005, BStBl. I 2005, 570; dazu Baumhoff/ Ditz/Greinert, Die Dokumentation internationaler Verrechnungspreise nach den „Verwaltungsgrundsätze-Verfahren“, DStR 2005, 1549. 42 Schreiber, in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl., Anm. 40 (März 2012). 43 Zur Bedeutung der verfahrensrechtlichen Dokumentationspflichten nach § 90 Abs. 3 Satz 1 und 2 AO zur Bewältigung des „materiellen Wertfindungsproblems“ unter Berücksichtigung von freiheitsrechtlichen Vorgaben näher Seer, DStJG 36 (2013), S. 337 (346 ff.).

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gegenüber rein nationalen Sachverhalten auf die Mitwirkung des Steuerpflichtigen angewiesen44, weil ihre Ermittlungsbefugnisse wegen der sog. formellen Territorialität45 auf das jeweilige Territorium beschränkt sind. Trotz vereinzelter verfassungsrechtlicher Kritik der Literatur an einer „Strafbesteuerung“46 enthält § 90 Abs. 3 AO aus Sicht der Rechtsprechung eine verfassungsmäßige47 und insbesondere verhältnismäßige erhöhte Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen zur effektiven Überprüfung der Verrechnungspreise durch die Finanzverwaltung48. Die Regelung des § 90 Abs.  3 Satz 1 AO ist nach Auffassung des BFH zudem mit dem Unionsrecht ver­ einbar, weil ein Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit aus Art. 49 AEUV durch das Erfordernis einer wirksamen Steueraufsicht als zwingendem Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist49. Die zuvor – auch vom Jubilar bestrittene50 – Unionsrechtskonformität der Pflicht zur Verrechnungspreisdokumentation51 hat der BFH im Urteil vom 10. April 2013 bejaht52. Die Reaktion auf den BFH hat zu einer punktuellen Lückenschließung hinsichtlich spezifischer Mitwirkungspflichten und Sanktionspflichten durch den Gesetzgeber geführt. Darin liegt aber keine insgesamt überrollende Korrekturgesetzgebung, sondern nur eine partielle Ergänzungsgesetzgebung. Der Gesetzgeber wollte – in Opposition zum BFH – die Rechtsfolge setzen, dass eine Schätzung bei Verletzung der eingeführten Dokumentationspflicht zugunsten des Steuerpflichtigen an der unteren Grenze einer Preisspanne vorzunehmen ist53. Darin erschöpft sich die Recht­ sprechungskorrektur. Dagegen bestätigt die Gesetzesbegründung explizit das Band44 Allgemein Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 90 AO Rz. 19 (Okt. 2017); näher zur grenz­ überschreitenden Sachaufklärung mit Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten Schaum­burg/Schaumburg, in Festschrift Streck, 2011, S.  369 (373  ff.); komprimierte Gesamtschau bei Schaumburg, in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2015, Rz. 20.4 m.w.N. 45 Dazu Vogel/Lehner, DBA, 6.  Aufl., 2015, Grundlagen, Rz.  16; Seer, in Tipke/Kruse, AO/ FGO, § 90 AO Rz. 18 (Okt. 2017) jeweils m.w.N. 46 Frotscher, Verfassungsrechtliche Fragen zu den Dokumentationspflichten bei Verrechnungspreisen und den Rechtsfolgen ihrer Verletzung, Festschrift Wassermeyer, 2005, S. 391 (406 f.); ders., Internationales Steuerrecht, 4. Aufl., 2015, Rz. 1118. 47 Näher Schwenke, Angemessenheitskontrolle bei Leistungsbeziehungen, DStJG 33 (2010), S. 273 (279 ff., 283). 48 Grundlegend BFH, Urteil v. 10.4.2013 – I R 45/11, BStBl. II 2013, 771 – Rz. 46 ff. 49 BFH, Urteil v. 10.4.2013 – I R 45/11, BStBl. II 2013, 771 Rz. 38 ff. 50 Kroppen/Rasch, Die Aufzeichnungspflichten für internationale Verrechnungspreise, IWB Fach 3, Gruppe 1, 1977, 1987.  51 Diese verneinend Lindenthal, Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen und Folgen ihrer Verletzung  – Unter besonderer Berücksichtigung der Dokumentationspflichten bei Verrechnungspreisen, 2006, S. 124 ff., 128 f. m.w.N.; a.A. Seer, Steuerliche Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, EWS 2013, 257 (264); Schwenke, DStJG 33 (2010), 273 (289 ff.). 52 Für eine Rechtfertigung der Beschränkung auch Heintzen, in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, 2019, § 90 AO Rz. 39 f. 53 So Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN v. 2.12.2002, BTDrucks. 15/119, S. 52.

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breitentheorem des BFH54. Auch der Gesetzgeber bekräftigt, dass es bei grenzüberschreitenden Leistungsbeziehungen zwischen verbundenen Unternehmen „nicht den richtigen Preis“ gibt55. Darum ist die grundlegende Entscheidung des BFH keineswegs überholt56. Soweit sie nicht durch den Gesetzgeber korrigiert wurde, gelten die materiellen Grundsätze des BFH fort57.

III. Verfahrensfragen der Erstellung einer Verrechnungspreis­ dokumentation 1. Verfahrensrechtliche und dogmatische Grundlagen Die verfahrensrechtliche und dogmatische Entschlüsselung der Erstellung einer Verrechnungspreisdokumentation muss bei ihrer Funktion ansetzen. Die Dokumenta­ tionspflichten dienen  – wie auch §  90 Abs.  3 Satz 5 AO belegt  – im Wesentlichen der  steuerlichen Außenprüfung58. Der Zweck der Dokumentation liegt darin, den Außenprüfer in die Lage zu versetzen, beurteilen zu können, ob die Preisvereinbarung dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht59. Die Aufzeichnungen sollen der Finanzverwaltung einen Einblick geben, wie mit nahestehenden Personen vereinbarte Preise in tatsächlicher Hinsicht zustande gekommen sind, „inwieweit nahestehende Personen auf die Preisgestaltung Einfluss ausgeübt haben (z.B. Preisdiktat durch die Konzernobergesellschaft oder freie Verhandlungen) …“60. Die Verrechnungspreisdokumentation hat damit Erklärungsfunktion für die grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen und die dafür zugrunde gelegten Preise. Sie ist zugleich die Verifika­ tionsgrundlage für die spätere Prüfung der Verrechnungspreisdokumentation durch die Finanzbehörde. Als Verifikationsverwaltung61 hat die zuständige Finanzbehörde im Wege der nachvollziehenden Amtsermittlung nach § 88 AO zu verifizieren. Soweit für den Steuerpflichtigen gesetzliche Mitwirkungspflichten bestehen, wandelt sich die Pflicht der Behörde von eigenen, originären Ermittlungen zur „nachvollziehenden Kontrolle“62. Die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen soll grundsätzlich 54 BFH, Urteil v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 – Rz. 54: nicht der „‚eine[]‘ angeblich richtige Fremdvergleichspreis“. 55 Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN v. 2.12.2002, BTDrucks. 15/119, S. 52. 56 Zur Beweismaßreduzierung weiterhin auf das Urteil v. 17.10.2001 verweisend Schwenke/ Greil, in Wassermeyer, DBA, Art. 9 MA Rz. 452 (Sept. 2018). 57 Drüen, JbFStR 2017/2018, S. 883. 58 Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. 2017, Rz. 22.24. 59 Frotscher, in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 162 AO Rz. 74 (März 2018). 60 Schreiber, in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr.Verf., Rz. 164 (Okt. 2013). 61 Begriffsprägend Drüen, Die Zukunft des Steuerverfahrens, in Schön/Beck (Hrsg.), Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, 2009, S. 1 (11); ebenso Schmidt, Moderne Steuerungssysteme im Steuervollzug, DStJG 31 (2008), S. 37 (40); Seer, in Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum GG, Art. 108 Rz. 48 (April 2011); Seer, in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. 2018, § 21 Rz. 3. 62 Näher Kobor, Kooperative Amtsermittlung im Verwaltungsrecht, 2009, S. 117 m.w.N.

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auf der Grundlage der Angaben des Erklärungspflichtigen erfolgen63. Vor der Verifikation durch die Finanzbehörden steht darum die Deklaration durch den Steuerpflichtigen64. Diese Reihenfolge gibt nicht allein die natürliche Zeitenfolge wieder, sondern verdeutlicht einen „freiheitlichen Aspekt des grundgesetzlichen Steuerstaates“, den bereits Walter Schick für das Verhältnis von Steuererklärung und Ermittlung betont hat: „Der Bürger gestaltet … jene Verhältnisse, die der Besteuerung unterworfen werden und er darf und muss sie darum der Behörde gegenüber auch darstellen. Die Sachverhalte begegnen der Behörde zunächst so, wie der Bürger sie sich vorstellt. Die Erklärung ist … nicht nur Mitwirkungspflicht, sondern auch Mitwirkungschance. Davon ausgehend prüft die Behörde die Erklärung … mit dem Ziel, die zutreffenden steuerlichen Verhältnisse zu ermitteln“65. Dieses Zusammenspiel von Mitwirkungspflicht und darauf aufbauender finanzbehördlicher Kontrolle im kooperativen Steuerstaat66 prägt im besonderen Maße die Dogmatik der Verrechnungspreisdokumentationspflichten und ihrer Verifikation. Die konzerninterne Preisbestimmung ist Recht und Pflicht des Steuerpflichtigen. Der Staat und seine Finanzverwaltung haben keinen eigenen Preisfestlegungsauftrag und keinen originären Gestaltungsauftrag67, sondern nur einen sekundären Kontrollauftrag aufbauend auf der Dokumentation des Unternehmens. Darin unterscheidet sich der reale Steuerstaat deutlich vom idealistischen Vernunftstaat im Sinne von Johann Gottlieb Fichte, der in seinem Konzept des geschlossenen Handelsstaats dem Staat die Aufgabe zuwies, den Wert aller Dinge gegeneinander und ihren Preis gegen Geld festzusetzen68. Das übersteigt nicht nur Wissen und Fähigkeiten des Staates, sondern verkennt auch seine freiheitsachtende Rolle. Der Staat beschränkt sich darum darauf, Fehler und dem privaten Eigeninteresse geschuldete Überschreitungen der konzerninternen Preisbestimmung aufzudecken und zu korrigieren. Insoweit ist der moderne Steuerstaat entidealisiert und achtet die mit dem aufwendigen gesetzlichen Erklärungsverhalten verbundene Darstellungsfreiheit des Steuerpflichtigen69.

63 Schick, Die Steuererklärung, StuW 1988, 301 (328). 64 Deutlich bereits BVerfG, Urteil v. 27.6.1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 (2. Leitsatz): „Im Veranlagungsverfahren bedarf das Deklarationsprinzip der Ergänzung durch das Verifikationsprinzip“ (Hervorhebung durch Verf.). 65 Schick, StuW 1988, 301 (328). 66 Allgemein für die dogmatische Rekonstruktion des Steuerverfahrens als Form „regulierter Selbstregulierung“ Seer, Modernisierung des Besteuerungsverfahrens, StuW 2015, 315 (321 f.); dagegen Müller-Franken, Grundfragen des Besteuerungsverfahrens, StuW 2018, 113 (116, Note 27 m.w.N.), weil es bereits an dem die Kategorie kennzeichnenden formalen Element einer Rücknahme der Verwaltung von der eigenen Erfüllung der Aufgaben und einen Rückzug auf Steuerung und Überwachung gesellschaftlicher Aufgabenerfüllung mangele. 67 Zum fehlenden materiellen Gestaltungsauftrag der Finanzverwaltung bereits Drüen, Amtsermittlung und Risikomanagement, DStJG 42 (2019), 193 (197). 68 Johann Gottlieb Fichte, Der geschlossene Handelsstaat. Ein philosophischer Entwurf als Anhang zur Rechtslehre und Probe einer künftig zu liefernden Politik, 1800, S. 109. 69 Dafür bereits Schick, StuW 1988, 301 (328).

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Gerade für Verrechnungspreise zentral ist dabei die Einsicht, dass es sich bei ihrer Bestimmung nicht um eine exakte Wissenschaft handelt70. Auch die OECD betont, dass die Verrechnungspreisgestaltung keine exakte Wissenschaft sei und vielmehr Urteilsvermögen auf Seiten der Steuerverwaltung wie des Steuerpflichtigen erfordere71. Diese Einsicht war auch leitend für den Gesetzgeber bei Einführung der besonders sanktionierten Dokumentationspflichten. Denn nach der Gesetzesbegründung zu § 162 Abs. 3 Satz 2 AO wollte der Gesetzgeber „dem für die Prüfung der Gewinnabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen bedeutsamen Umstand Rechnung [tragen], dass es in der Praxis `den´ zutreffenden Verrechnungspreis nicht gibt, dass Fremdvergleichspreise am Markt vielmehr stets variieren und sich allenfalls unter Umständen sehr weite Preisspannen feststellen lassen.“72 Damit bestätigt der Gesetzgeber das  – zutreffende  – Bandbreitenverständnis des BFH73. Auch aus Sicht der OECD gibt es häufig eine Bandbreite von Verrechnungspreisen und nicht den einen Fremdpreis74. Der Steuerpflichtige hat nach der gesetzlichen Konzeption von Mitwirkungspflicht und nachvollziehender finanzbehördlicher Kontrolle den primären Zugriff auf die Analyse der preisrelevanten Umstände und die Preisbestimmung. Seine Aufzeichnungen müssen sein ernsthaftes Bemühen belegen, seine Geschäftsbeziehungen unter Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu gestalten (§  2 Abs.  1 Satz 2 VO). In Parallele zu § 158 AO, der Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens ist75, hat Roman Seer als der akademische Mentor des Jubilars in Bochum für einen Vertrauensvorschuss zugunsten des Steuerpflichtigen für die Richtigkeit seiner Dokumentation von Konzernverrechnungs­preisen plädiert76, soweit dieser die Anforderungen entsprechend § 158 AO erfüllt77. Ob die Beweiskraft der Buchführung, die auf der Steuerungskraft der historisch gewachsenen, rechtlich verdichteten und richterrechtlich über Jahrzehnte konkretisierten Abbildungsregeln  der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung beruht, gleichermaßen für die (noch) offeneren Dokumentationspflichten nach § 90 Abs. 3 AO gilt, soll an dieser Stelle nicht entschieden werden. Jedenfalls hat der Steuerpflichtige aber über einen Preisvergleichsspielraum hinaus einen umfassenden Preisbestimmungs­spielraum. Dabei ist er nicht frei, sondern durch die gesetzlichen Vorgaben eingehegt. Darum erlaubt der Preisbestimmungsspielraum weder Beliebigkeit und situative Preisautonomie ohne eine erkennbare Regelbasierung.

70 Dies unter Hinweis auf die OECD auch betonend Kroppen, JbFStR 2016/2017, S. 979. 71 OECD, Verrechnungspreisleitlinien für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen, 2017, Rz. 1.13, 3.55, 4.8. 72 Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN v. 2.12.2002, BTDrucks. 15/119, S. 52. 73 BFH, Urteil v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 – Rz. 54 ff. 74 Hülshorst/Mank, in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD Kap. II, Rz. 61 (April 2019) m.w.N. 75 Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 162 AO Rz. 71 (Okt. 2017). 76 Grundlegend Seer, Kodifikation von Dokumentationspflichten über die Verrechnungspreisgestaltung im multinationalen Konzern?, FR 2002, 380 (383 f.). 77 Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 90 AO Rz. 49 (Okt. 2017); § 162 AO Rz. 71 (Okt. 2017).

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Wenn es nicht den einzigen, objektiv richtigen Verrechnungspreis gibt, so dienen die Dokumentationspflichten nicht dem – bei Werten ohnehin unerreichbaren – Ziel objektiver absoluter Richtigkeit78, sondern der intersubjektiven Nachprüfbarkeit der Preisbestimmung. Bei der Verrechnungspreisdokumentation geht es nicht um eine absolute, objektiv unangreifbare Wahrheit, sondern um sorgfältig gewonnene subjektive Einschätzungen79. Dieses Ziel umschreibt § 2 Abs. 1 Satz 4 GAufzV in zutreffender Auslegung des Gesetzes80: „Die Aufzeichnungen müssen es daher einem sachverständigen Dritten ermöglichen, innerhalb einer angemessenen Frist fest­ zustellen, welche Sachverhalte der Steuerpflichtige im Zusammenhang mit seinen Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Personen verwirklicht hat und ob und inwieweit er dabei den Fremdvergleichsgrundsatz beachtet hat.“ In dieser Fremdkon­ trollfähigkeit liegt gerade die Aufgabe der Verrechnungspreisdokumentation81. Dient diese nicht allein der Eigeninformation des Steuerpflichtigen und seiner Eigenreflektion der Preise, so folgt bereits daraus, dass die Dokumentation den Prozess der grundsätzlich im Vorhinein festzulegenden Verrechnungspreise82 vollständig und richtig aufgezeichnet werden muss. Anders als die Deklaration aufgrund der vordruckbasierten Steuererklärung83 sind Inhalt, Aufbau und Tiefe der Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO nicht im Detail84, sondern nur nach ihrem Zweck durch das Gesetz vorbestimmt und werden erst durch Rechtsverordnung präzisiert. Es gehört zur Freiheit und Aufgabe des Steuerpflichtigen, eine ziel- und sachgerechte Form der Dokumentation der Verrechnungspreise zu wählen. Dabei sind Art, Inhalt und Umfang der Aufzeichnungspflicht von der im Einzelfall angewandten Verrechnungspreismethode abhängig (§  2 Abs.  2 Satz 1 GAufzV)85. Das Gesetz legt dem Steuerpflichtigen die Dokumentationspflicht auf und verlangt von ihm nur, die von ihm tatsächlich angewandte Verrechnungspreismethode darzustellen und zu begründen86. Insoweit hat der Steuerpflichtige die Wahl einer geeigneten Methode und ist nicht verpflichtet, Aufzeichnungen für mehr als eine geeignete Methode zu erstellen (§ 2 Abs. 2 Satz 2 GAufzV).

78 Zur Begründung Krumm, Steuerliche Bewertung als Rechtsproblem, 2014, S. 45.  79 Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 90 AO Rz. 43 (Okt. 2017) m.w.N. 80 Früher explizit auch § 90 Abs. 3 Satz 2 AO a.F. 81 Schnorberger, Die Viererkette oder der Mindestumfang verwertbarer Verrechnungspreis-­ Dokumentation, DB 2009, 2010 (2016); Kroppen/Rasch, Zehn Jahre Aufzeichnungspflichten für Verrechnungspreise – Eine Bestandsaufnahme, IWB 2013, 830 (834). 82 Cordes, in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, 2014, Rz. 8.163 m.w.N. 83 Zur Bedeutung der Vordrucke und der „Steuererklärung als ‚Antwort‘ auf Vordruckfragen“ Schick, StuW 1988, 301 (306 ff., 315 ff.). 84 Zur Stammdokumentation (Masterfile) nach § 90 Abs. 3 Satz 3 AO i.V.m. § 5 GAufzV näher Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 90 AO Rz. 46 (Okt. 2017) m.w.N. sowie Fußnoten 26 und 28. 85 Ebenso Jacobs/Endres/Spengel, Internationale Unternehmensbesteuerung, 8.  Aufl. 2016, S. 856. 86 Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 90 AO Rz. 43 (Okt. 2017) m.w.N.

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2. Verfahrens- und steuerstrafrechtliche Konsequenzen Die Erkenntnis der fehlenden absoluten und objektiven Richtigkeit der Fremdvergleichsbestimmung hat zunächst verfahrensrechtliche Folgerungen. Angesichts der aufgezeigten Freiheitsgrade für den Steuerpflichtigen (s. III. 1.) ist die Dokumenta­ tion der konzerninternen Verrechnungspreise mehr als eine reine Wissenserklärung über die steuerrechtliche Tatbestandsverwirklichung. Schon bei der vordruckbasierten Steuererklärung wird zwischen reinen und qualifizierten Tatsachenauskünften, Auskünften mit Tatsachen- und Wertungsanteil sowie rechtsgestaltenden Erklärungen durch die (ggfs. stillschweigende) Ausübung von Wahlrechten differenziert87. Diese Mischung aus Tatsachenmitteilungen, Wissens-, aber auch Willenserklärungen durch den Steuerpflichtigen gilt im besonderen Maße für die konzerninterne Preisbestimmung bzw. Preisfestsetzung durch den Steuerpflichtigen. Gibt es nicht den einen, präexistenten Preis, so geht es nicht darum, diesen in einem „Preisfindungs­ prozess“88 zu finden. Existieren keine originären gesetzlichen Vorgaben für die „Preisfindung“ im Einzelfall89, so ist ein angemessener Preis innerhalb fremdüblicher Bandbreiten – z.T. unter den fiktiven Annahmen des § 1 AStG – erst durch den Steuerpflichtigen im Rahmen seines Preisbestimmungsspielraums zu setzen. Diesen Prozess soll die Dokumentation der Verrechnungspreise für Kontrollzwecke der Finanzbehörde aufzeichnen. Darum bestehen die Aufzeichnungen nach §  90 Abs.  3 AO nicht nur aus einer Faktenerklärung, sondern zudem aus der wertenden Faktenaufbereitung, -zuschneidung und der Auswahl geeigneter Vergleichsmaßstäbe, wobei dem Steuerpflichtigen auch insoweit ein Preisvergleichsspielraum zukommt. Dabei ist der Steuerpflichtige mangels gesetzlicher Normierung nicht an die durch Verwaltungsvorschriften anerkannten Standardmethoden90 gebunden91 und darf eine davon abweichende Preisbestimmung vornehmen92. Die Dokumentation soll den Prozess beschreiben, mit welchen Prämissen und internen Maßgaben der Steuerpflichtige ihm zustehende Spielräume bei der konzerninternen Preisbestimmung ausfüllt. Da­ rauf hat die nachvollziehende Verifikation durch die finanzbehördliche „Verrechnungspreisaufsicht“93 aufzubauen. Wenn das Gesetz ein aufwändiges Erklärungsverfahren gesetzlich vorschreibt, darf die Behörde es nicht ohne sachlichen Grund 87 Schick, StuW 1988, 301 (318 f.). 88 Begriff bei Vögele/Vögele, in Vögele/Borstell/Engler, Verrechnungspreise, 4.  Aufl. 2015, E Rz. 101 f. 89 Von „Preisfindungsfreiheit“ spricht insoweit Krumm, Steuerliche Bewertung als Rechtsproblem, 2014, S. 57. 90 Zu diesen zuletzt Kraft, AStG, 2. Aufl. 2019, § 1 Rz. 230. 91 So selbst BMF v. 23.2.1983  – IV C 5-S 1341-4/83, Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung bei international verbundenen Unternehmen (Verwaltungsgrundsätze), BStBl I 1983, 218, Rz. 2.4.1 und 2.4.2. Die Aussage, dass die Finanzverwaltung keine bestimmte Methode vorschreibt, gilt weiterhin (Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1549 [1551]). 92 Ebenso, aber kritisch zu dieser „weiten Freiheit“ Rasch, Konzernverrechnungspreise im nationalen, bilateralen und europäischen Steuerrecht, 2001, S. 153. 93 Begriff bereits bei Drüen, Verfahrensrechtliche Reichweite der Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten im Konzernverbund, in Festschrift Endres, 2016, S. 75.

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beiseiteschieben94. Darum darf die – wenn auch unzulängliche, lücken- oder gar fehlerhafte – Dokumentation des Steuerpflichtigen nicht vorschnell und insgesamt verworfen werden (dazu noch sub V.). Vielmehr sind nach § 90 Abs. 3 Satz 10 AO die Aufzeichnungen auf Anforderung der Finanzbehörde zu ergänzen. Diese Regelung unterstreicht die nachvollziehende Amtsverifikation auf der Basis einer – wohlmöglich imperfekten – Verrechnungspreisdokumentation des Steuerpflichtigen (s. bereits III. 1.). Dabei darf die Finanzbehörde nicht ihre (ggfs. bessere) Sicht ex post an die Stelle der Preisbestimmung des Steuerpflichtigen setzen95. Sie ist auf die Kontrolle der Einhaltung des „Vertretbarkeitsspielraums des Steuerpflichtigen“96 beschränkt, hat aber keine eigene Gestaltungskompetenz zur Preisfestlegung. Darum stellt sich nicht die Frage, welche Preise der Steuerpflichtige ex post aus der Perspektive der Finanzverwaltung idealerweise hätte festlegen sollen. Die finanzbehördliche Kontrolle ist vielmehr darauf beschränkt, außerhalb seines Preisbestimmungsspielraums liegende Preise an das fremdübliche Maß anzupassen. Die verfahrensrechtliche Qualifikation der Mitwirkungspflichten nach §  90 Abs.  3 AO hat auch Konsequenzen für die steuerstrafrechtliche Würdigung bei ihrer Verfehlung97. Natürlich können auch Konzernverrechnungspreisdokumentationen unrichtige oder unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen enthalten oder aber pflichtwidrig nicht enthalten, so dass der objektive Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 AO verwirklicht sein kann. Allerdings ist nicht jeder Fehler oder jede Lücke innerhalb der Dokumentation steuerstrafrechtlich relevant. Denn auch steuerstrafrechtlich geht es nicht um die absolute Richtigkeit der Preisbestimmung durch den Steuerpflichtigen, sondern um ihre Vertretbarkeit. Das ist ein großer Unterschied. Über vertretbare Verrechnungspreise lässt sich trefflich vor dem ­Finanzgericht und ohne den (dysfunktionalen) Einsatz des strafprozessualen Instrumentariums streiten98. Verpflichtet § 90 Abs. 3 AO den Steuerpflichtigen zur Dokumentation nicht nur von Tatsachen, sondern auch von Wertungen, so erfüllt nicht jeder ex post als fremdunüblich erkannte Verrechnungspreis den objektiven Straftatbestand. Vielmehr darf der objektive Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO aufgrund unrichtiger bzw. unvollständiger Angaben erst dann in Betracht gezogen werden, wenn der zugrundegelegte Preis definitiv den „Vertretbarkeitsspielraum des Steuerpflichtigen“ überschreitet99. Aber auch in diesem Fall wirkt eine ordnungsgemäße Verrech-

94 Treffend bereits zur Steuererklärung Schick, StuW 1988, 301 (328). 95 Insbesondere darf die Finanzverwaltung nicht ihre eigene, von der unternehmerischen Entscheidung abweichende Methodenwahl anwenden (Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1549 [1551]). 96 Krumm, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 370 AO Rz. 135 (April 2019). 97 Zur steuerstrafrechtlichen Relevanz von Verrechnungspreissachverhalten näher Peters/ Pflaum, Steuerhinterziehung durch unangemessene Verrechnungspreise, wistra 2011, 250; Puls, in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, 2014, Rz. 12.17 ff.; fallorientiert Morlock, Internationales Steuerrecht und Steuerstrafrecht, JbFStR 2016/17, S. 950 m.w.N. 98 Dafür bereits Drüen, Leitlinien des Unternehmenssteuerrechts, DStZ 2014, 564 (570). 99 Zutreffend Krumm, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 370 AO Rz. 135 (April 2019).

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nungspreisdokumentation zumindest auf Vorsatzebene entlastend100. Insgesamt sollten fehler- und lückenhafte Konzernverrechnungspreisdokumentationen darum nur in einzelnen, besonders gelagerten Fällen steuerstrafrechtliche Relevanz haben. 3. Zeitrahmen für Erstellung und Vorlage der Verrechnungspreisdokumentation In zeitlicher Hinsicht101 war der deutsche Gesetzgeber im Vergleich zu ausländischen Vorbildern, die zum Teil die Erstellung einer jährlichen „Vorratsdokumentation” vorschreiben102, bei Einführung der Dokumentationspflichten erkennbar zurückhaltend. Für gewöhnliche Geschäftsvorfälle besteht – anders als für außergewöhnliche Geschäftsvorfälle nach § 90 Abs. 3 Satz 8 AO i.V.m. § 3 GAufzV – keine gesetzliche Pflicht zur zeitnahen Dokumentation103. Da weder das Gesetz noch die GAufzV den Zeitpunkt der Dokumentationserstellung bisher festlegen, reichte der Zeitraum für die Dokumentationserstellung bei normalen Geschäftsvorfällen prinzipiell bis zum Vorlagezeitpunkt bei der Finanzverwaltung104. De lege lata kann die Verrechnungs­ preisdokumentation mithin auch noch nach Erhalt des Vorlageverlangens begonnen und gefertigt werden105. Allerdings lassen sich nach der Erfahrung der Verrechnungspraxis, Aufzeichnungen im Nachhinein nur mit erheblichem Arbeits- und Zeitaufwand rekonstruieren oder überhaupt nicht mehr erstellen106. Die Erstellung von Aufzeichnungen lange nach dem angefragten Geschäftsvorfall kann  – je nach Komplexität – zeit- und kostenintensiv sein, weshalb der Steuerpflichtige im Fall einer Außenprüfung oftmals die Unterlagen nicht binnen der Frist von 60 Tagen vorlegen kann107. Zeichnet der Steuerpflichtige seine Geschäftsvorfälle nicht zeitnah und rekonstruierbar auf, so läuft er darum Gefahr, dass Erinnerungslücken und Beweisnöte auftreten, die die Unverwertbarkeit der Aufzeichnungen mit den Sanktionen der § 162 Abs. 3 und 4 AO nach sich ziehen108. Die Schwierigkeiten einer nachträglichen Rekonstruktion der dokumentationsrelevanten Umstände wachsen dabei mit zunehmendem Zeitablauf. Dieses Risiko besteht gerade bei lange laufenden Konzernbetriebsprüfungen mit sich anschließendem Gerichtsverfahren und allge100 Peters/Pflaum, wistra 2011, 250 (55); ebenso Krumm, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 370 AO Rz. 135 (April 2019). 101 § 90 Abs. 3 Satz 2 AO n.F. verlangt nunmehr auch Informationen zum Zeitpunkt der Verrechnungspreisbestimmung. 102 Darauf verweisend Naumann/Förster, NWB 2004, 2419 (2428). 103 Söhn, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, §  90 AO Rz.  205 (Nov. 2002); Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 90 AO Rz. 48 (Okt. 2017). 104 Baumhoff/Liebchen, in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl. 2018, Rz. 4.596 m.w.N. 105 Naumann/Förster, NWB 2004, 2419 (2428); Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, §  90 AO Rz. 48 (Okt. 2017). 106 Baumhoff/Liebchen, in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl. 2018, Rz. 4.596. 107 Vögele/Vögele, in Vögele/Borstell/Engler, Verrechnungspreise, 4. Aufl. 2015, E Rz. 90. 108 Schmitz, in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, §  90 AO Rz.  92 (März 2016); Söhn, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 90 AO Rz. 205 (Nov. 2002).

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mein bei Unternehmen mit hoher Personalfluktuation109. Darum wird dem Steuerpflichtigen generell empfohlen, auch ohne gesetzliche Pflicht insgesamt zeitnahe Aufzeichnungen zu erstellen110. Auch die OECD rät dem Steuerpflichtigen, sich der Fremdvergleichskonformität zum Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung zu vergewissern111. Der Verzicht auf eine gesetzliche Dokumentationserstellungsfrist war in der Einführungsphase rechtspolitisch vertretbar, auch wenn dadurch bei der praktischen Kon­ trolle von Verrechnungspreisen durch die Außenprüfung und die Finanzgerichte ­erhebliche Probleme in Kauf genommen wurden. Nach der inzwischen nach über 15  Jahren erfolgten Gewöhnung sollte die Erstellungspflicht erst auf Verlangen der Außenprüfung rechtspolitisch auf ihre Sachgerechtigkeit hinterfragt werden. Es spricht inzwischen viel dafür, auch in Deutschland die Erstellung der Dokumentation der Verrechnungspreise zeitlich an die Abgabe der Steuererklärung zu koppeln. Jüngst ist im Referentenentwurf zur ATAD-Umsetzung vom 10. Dezember 2019 eine unmittelbare Vorlagepflicht der sog. Master-File spätestens nach Ablauf des Wirtschaftsjahres an das örtlich zuständige Finanzamt im Wege elektronischer Übermittlung geplant. Das würde – so die Kritik der Verrechnungspreispraxis – „zu einer äußerst zeitnahen Verrechnungspreisdokumentation und einer deutlichen Verschärfung gegenüber dem geltenden Recht führen“112. Über die Fristbemessung mag der Gesetzgeber nochmals nachdenken113. Der Schritt hin zu einer gesetzlichen Erstellungsfrist und Vorlagepflicht ist – nach Ablauf der Einführungs- und Experimentierphase – aber sinnvoll, weil die finanzbehördliche Verrechnungspreiskontrolle auf Basis der Dokumentation nunmehr der Regelfall ist und das Verfahrenshemmnis zeitintensiver und letztlich nicht zielführender Nachdokumentationen zumindest begrenzt wird.

IV. Verfahrensrechtsrahmen für die Vorlage einer Verrechnungspreisdokumentation 1. Ermessensrahmen für Vorlageverlangen De lege lata besteht für die Verrechnungspreisdokumentation keine gesetzliche Vorlagepflicht bei der Finanzverwaltung (s. bereits III.3.), vielmehr ist diese nur auf ­Anforderung zur Prüfung zur Verfügung zu stellen. Sind die Voraussetzungen des § 90 Abs. 3 Satz 1 AO erfüllt, „soll“ die Finanzverwaltung die Aufzeichnungen in der 109 Zu letzterem bereits Naumann/Förster, NWB 2004, 2419 (2428). 110 Baumhoff/Liebchen, in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl. 2018, Rz. 4.596; Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 90 AO Rz. 48 (Okt. 2017) m.w.N. 111 OECD/G 20, Aktionspunkt 13, Abschlussbericht 2015, 2016, Rz. 27. 112 Dazu kritisch Ditz/Bärsch/Engelen/Quilitzsch, Unternehmensrechtliche Änderungen im AStG – Ein erster Überblick über den Referentenentwurf des ATAD-Umsetzungsgesetzes v. 10.12.2019, DStR 2020, 73 (80). 113 Kritisch zur „überaus kurzen Frist“ auch O. Busch, RefE eines ATAD-Umsetzungsgesetzes: Überblick über die Verrechnungspreisaspekte, DB 2020, 191 (196).

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Regel nur für die Durchführung einer Außenprüfung anfordern (§ 90 Abs. 3 Satz 5 AO). Die Vorlage richtet sich nach § 97 AO (§ 90 Abs. 3 Satz 6 AO) und steht damit im Ermessen der Finanzbehörde114. Das eingeräumte Ermessen der prüfenden Finanzbehörde zur Vorlage der Verrechnungspreisdokumentation muss diese fehlerfrei ausüben115. Zeitlich bedeutet „für die Durchführung“ innerhalb der Außenprüfung, aber auch bereits zur Vorbereitung einer Außenprüfung116. Da die Vorlage erst im Rahmen der Prüfung dem bisherigen gesetzgeberischen Konzept entspricht117 und sie gerade zur Kontrollmöglichkeit von Konzernverrechnungspreisen eingeführt wurde, bedarf es im Einzelfall keiner besonderen Gründe für ein Vorlageverlangen. Gerade wegen der Freiheiten des Steuerpflichtigen bei der Preisfestsetzung und der Erstellung der Verrechnungspreisdokumentation (s. III. 1.) ist die finanzbehördliche Kontrolle ihre originäre Aufgabe und im Rahmen der Außenprüfung118 ein normaler Verifikationsakt. Wenn schon das Auswahlermessen bei der Außenprüfung nach der Rechtsprechung keiner näheren Begründung bedarf119, reicht erst recht für das Vorlageverlangen nach § 90 Abs. 3 AO der bloße Hinweis auf den Gesetzestext zur ermessensgerechten Begründung aus. Dabei liegt selbst in der strukturellen Anforderung der Verrechnungspreisdokumentation in jeder einschlägigen Prüfung kein Ermessensfehler in der Form der Ermessensunterschreitung, weil die Behörde das Ermessen, das ihr nach dem Gesetz eingeräumt ist (§ 5 AO), überhaupt nicht ausübt120. Denn der Zweck der Ermächtigung des § 90 Abs. 3 Satz 6 AO bezieht sich auf den zeitlichen Aspekt der Vorlage, nicht auf die sachliche Prüfungsdienlichkeit der Verrechnungspreisdokumentation. Gerade im Rahmen der Ermessensausübung hat das Verhältnismäßigkeitsgebot als innere Ermessensgrenze bestimmende und begrenzende Wirkung121. Jede staatliche Maßnahme muss den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahren122. Nach der Rechtsprechung zu § 200 AO darf eine Mitwirkung nach pflichtgemäßem Ermessen nur verlangt werden, soweit sie zur Feststellung des steuererheblichen Sachverhalts notwendig, verhältnismäßig, erfüllbar und zumutbar ist123. Auch wenn generell die gesetzliche Pflicht zur Erstellung und Vorlage einer Verrechnungspreisdokumentation im Einklang mit dem Verhältnismäßigkeitsgebot steht (s. bereits II.), so können sich 114 Söhn, in H/H/Sp., AO/FGO, § 90 AO Rz. 217 (Nov. 2012); allgemein zum Vorlageverlangen als Ermessensmaßnahme Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 97 AO Rz. 9 (Febr. 2019). 115 BFH 10.4.2013 − I R 45/11, BStBl. II 2013, 771. 116 Söhn, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 90 AO Rz. 217 (Nov. 2002). 117 So bereits Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN v. 2.12.2002, BT-Drucks. 15/119, S. 52. 118 Dazu demnächst das angekündigte Werk Neuling/Wilmanns/Busch/Scheibe, Verrechnungs­ preise in der Betriebsprüfung – Vorbereitung, Verhandlung, Konfliktlösung, 2020. 119 Nach der Rechtsprechung des BFH reicht in der Prüfungsanordnung grundsätzlich der Hinweis auf nach § 193 Abs. 1 AO aus (BFH, Urteil v. 2.10.1991 – X R 89/89, BStBl. II 1992, 220). 120 Dazu – in anderem Kontext – BFH, Beschluss v. 11.9.1996 – VII B 176/94, BFH/NV 1997, 166 – Rz. 39 m.w.N. 121 Allgemein Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 5 AO Rz. 49, 59 ff. (Okt. 2018) m.w.N. 122 Hey, in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. 2018, § 3 Rz. 147. 123 BFH, Beschluss v. 11.9.1996 – VII B 176/94, BFH/NV 1997, 166 – Rz. 36 f. m.w.N.

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daraus im Einzelfall durchaus Grenzen für finanzbehördliche Vorlageverlangen ergeben. Sehr weitgehend formulieren Praxishandbücher zu Verrechnungspreisen den Umfang der Vorlagepflicht: „Die Verpflichtung zur Vorlage beinhaltet alle Unterlagen und gespeicherten Daten, deren Inhalte zur Ermittlung der Einkunftsabgrenzung von Nöten sind und somit steuerrechtliche Relevanz besitzen. Dazu gehören sowohl die zur Prüfung der Angemessenheit der Verrechnungspreise relevanten Daten des dokumentierenden Unternehmens als auch Daten, Unterlagen und Informationen verbundener Unternehmen“124. Auch aus den Reihen der Finanzverwaltung wird zum Teil die These der umfassenden Vorlagepflicht von Konzernunternehmen propagiert125. Dabei wird m.E. die rechtsträgerbezogene Mitwirkungspflicht und die Spezialität der verschiedenen Rechtsgrundlagen nicht hinreichend beachtet126. Auch die Vorlagepflicht von IFRS-Abschlüssen und Aufzeichnungen127 neben der Vorlagepflicht nach § 90 Abs. 3 AO ist fragwürdig128. Die rechtlichen Grenzen können an dieser Stelle nicht (nochmals) ausgelotet werden. Immerhin räumt auch Rolf Schreiber ein, dass „auch durch § 90 Abs. 3 AO … der Steuerpflichtige nicht zur Aufzeichnung von Informationen (Fremddaten) gezwungen werden [kann], deren Beschaffung ihm unmöglich oder unzumutbar ist“129. Gegenüber weitreichenden Vorlagewünschen der Prüfungsdienste führt er im vom Jubilar (mit-)herausgegebenen Werk wörtlich aus: „Hierbei wird jedoch gelegentlich außer Acht gelassen, ob es für die Informations-/Dokumentationsverlangen überhaupt eine Rechtsgrundlage gibt und ob – was gerade bei inländischen Konzerntochtergesellschaften von hoher praktischer Relevanz ist – das inländische Unternehmen die Informationen/Unterlagen hat bzw. beschaffen kann. Es gehört jedoch zu den obersten rechtsstaatlichen Prinzipien (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz etc.), dass der Staat dem Bürger (Unternehmer) nur das abverlangt, was dieser objektiv zu leisten imstande ist und sich nicht in erster Linie danach ausrichtet, was für die Besteuerung `hilfreich´ bzw. `wichtig´ ist“130. Diese selbstkritische Ermahnung belegt, dass in der Praxis der Konzernverrechnungspreisprüfung gerichtlich noch nicht geklärte rechtliche Graubereiche verbleiben, ob und inwieweit vor allem die Verrechnungspreisdokumentation ergänzende Auskunfts- und Vorlageverlangen rechtlich zulässig sind. Das lenkt den Blick auf die Rechtsschutzoptionen der betroffenen Unternehmen. 124 Vögele/Vögele, in Vögele/Borstell/Engler, Verrechnungspreise, 4. Aufl. 2015, E Rz. 89. 125 Recht weitgehend insgesamt Krüger, Umfassende Vorlagepflicht von Konzernunternehmen in der Außenprüfung bei Sachverhalten mit Auslandsbezug, IStR 2017, 352. 126 Näher bereits Drüen, in Festschrift Endres, 2016, S. 75 (85 ff.); a.A. aber A. Jochum, Die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen in der Außenprüfung, 2011, S. 365 f.; Krüger, IStR 2017, 352 (353 ff.); Wolff-Seeger, JbFStR 2017/2018, S. 869 f. 127 Dafür Schumann, Urkundenvorlagepflicht und Datenzugriff in Bezug auf IFRS-Abschlüsse und Aufzeichnungen, Ubg 2018, 400 (401 f.). 128 Drüen, Neue Pflichten zur Vorlage von Unterlagen bei der Betriebsprüfung von Kapitalgesellschaften und Konzernen?, StbJb. 2006/2007, 273 (284 ff.); Kühnast, Umfang der Vorlage von Unterlagen im Rahmen der Betriebsprüfung, JbFStR 2008/2009, 768 (772 ff.). 129 Schreiber, in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf., Rz. 99.1 (Okt. 2013). 130 Schreiber, in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl., Anm. 40 (März 2012).

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2. Rechtsschutz gegen Auskunfts- und Vorlageverlangen nach § 90 Abs. 3 AO im Rahmen der Außenprüfung Die Frage nach der Form und dem Zeitpunkt des Rechtsschutzes birgt trotz der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG einige Unsicherheiten und Überraschungen, die für eine finanzbehördliche „Standardmaßnahme“ im Rahmen der Konzernbetriebsprüfung erstaunlich sind. Die schlichte – und m.E. letztlich auch zutreffende – Antwort zum Rechtsschutz gegen Vorlageverlangen nach § 90 Abs. 3 AO gibt Hartmut Söhn: „Die Aufforderung zur Vorlage ist ein mit Einspruch/Anfechtungsklage anfechtbarer Verwaltungsakt“131. Das deckt sich mit der unbestrittenen Qualifikation der Aufforderung zur Vorlage einer Steuererklärung als Verwaltungsakt132. Diese klare verfahrensrechtliche Einordnung trübt aber die Rechtsprechung des BFH zu Prüferanfragen im Rahmen der Außenprüfung. Danach sind Auskunfts- und Vorlageverlangen des Betriebsprüfers i.d.R. nicht selbständig anfechtbare Vorbereitungshandlungen133, weil es an einer rechtlichen „Regelung“ i.S.d. § 118 AO fehlt und die Maßnahmen bereits von der Prüfungsanordnung (§  196 AO) und den daraus erwachsenen Mitwirkungspflichten des §  200 AO gedeckt sind134. Ein anfechtbarer Verwaltungsakt liegt nach der  – durchaus fragwürdigen135  – Rechtsprechung nur dann vor, wenn der Steuerpflichtige die Anforderungen des Prüfers als Maßnahme zur Schaffung einer Rechtsgrundlage für die Einleitung eines Erzwingungsverfahrens verstehen muss136. Darauf gestützt hat der Körperschaftsteuersenat des FG Düsseldorf Auskunfts- und Vorlageverlangen zur Dokumentation von Verrechnungspreisen, obwohl auch die Festsetzung von Straf- und Verspätungszuschlägen nach § 162 Abs. 4 bzw. § 152 AO im Rahmen der Außenprüfung im Raum stand, „nach Wortlaut und Duktus“ der Erklärungen des Prüfers „unter Berücksichtigung des objektiven Empfängerhorizonts“ nicht als Verwaltungsakte angesehen, deren Durchsetzung ggf. erzwungen werden soll137. Darum hat das FG Düsseldorf die Klage des zur Vorlage ergänzender Unterlagen im Zusammenhang mit den Verrechnungspreisen aufgeforderten Unternehmens mit der Begründung als unzulässig abgewiesen, es lägen keine selbständig anfechtbaren Verwaltungsakte vor. Diese Entscheidung belegt die Unsicherheiten beim Rechtsschutz gegen Maßnahmen der Außenprüfung138. Sie war aber bislang leitend für die Prüfungspraxis, weshalb der Rechtsschutz erst durch Ein131 Söhn, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 90 AO Rz. 217 (Nov. 2002); ebenso Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 90 AO Rz. 52 (Okt. 2017): „selbständiger VA“ und – ohne weitere Differenzierung – zu Vorlageverlangen im Rahmen der Außenprüfung Schaumburg/Hendricks Steuerrechtsschutz, 4. Aufl. 2018, Rz. 2.22.  132 Dazu bereits Schick, StuW 1988, 301 (314 f.) m.w.N. 133 Zur Empfängerbenennung nach § 16 AStG i.V.m. § 160 AO BFH, Urteil v. 20.4.1988 – I R 67/84, BStBl. II 1988, 927 – Rz. 17 m.w.N. 134 So auch Gosch, AO/FGO, § 196 AO Rz. 107 (Aug. 2017). 135 Zur Kritik bereits Drüen, Rechtsschutz gegen Betriebsprüfungsmaßnahmen, AO-StB 2009, 88 (91); Rogge, Aufklärungs- und Mitwirkungspflichten bei Durchführung einer Außenprüfung, DB 2013, 2470 (2475). 136 BFH, Urteil v. 10.11.1998 – VIII R 3/98, BStBl. II 1999, 199. 137 FG Düsseldorf, Urteil v. 4.4.2017 – 6 K 1128/15 AO, DStRE 2018, 628 – Rz. 25 ff. 138 Dazu monographisch Keller, Rechtsschutz gegen Maßnahmen der steuerlichen Außenprüfung, 2011, S. 79 ff.

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spruch gegen die der Prüfung nachfolgenden Änderungsbescheide bisher der Regelfall war139. Allerdings hat der BFH auf die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision  – durchaus überraschend – das FG-Urteil aufgehoben und die Sache an das FG Düsseldorf zurückverwiesen140. Der BFH sieht in der Entscheidung der Vorinstanz einen Verfahrensmangel (§  115 Abs.  2 Nr.  3 FGO) durch Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 119 Nr. 3 FGO), wenn über eine Klage objektiv fehlerhaft nicht zur Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden wird. Der BFH kann es aufgrund seiner für Steuerverfahren „innovativen“141 Lösung dahinstehen lassen, wie die Vorlage- und Auskunftsverlangen des Finanzamts ursprünglich rechtlich einzuordnen waren, zumal „im Umfeld von Außenprüfungen die Grenze zwischen reinen Hilfs- und Vorbereitungsmaßnahmen ohne Regelungscharakter und Verwaltungsakten nicht immer eindeutig zu ziehen ist“142. Damit räumt der XI.  Senat bestehende Rechtsschutzunsicherheiten im Rahmen der Außenprüfung ein. Diese löst er unter Rückgriff auf die im Verwaltungs- und Sozialprozessrecht entwickelte Gestaltswandlung143. Auch im Finanzgerichtsverfahren ist Gegenstand der Anfechtungsklage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf gefunden hat (§  44 Abs.  2 FGO). Gestützt auf Judikatur des Bundessozialgerichts144 und des Bundesverwaltungsgerichts145 urteilt der BFH nunmehr, „dass ein Verwaltungsakt, der die Anfechtungsklage eröffnet, … auch dann vor[liegt], wenn zwar (ggf.) der ursprüngliche Akt kein Verwaltungsakt war, jedoch der Widerspruchsbescheid – hier die Einspruchs­ entscheidung – aus der schlichten Willenserklärung der Behörde einen Verwaltungsakt macht“146. Nach dieser Rechtsprechung umfasst die „Umgestaltung“ auch eine Änderung der Rechtsqualität, insbesondere wenn erst der Widerspruchsbescheid der vorausgegangenen Handlung oder der nur internen Willenserklärung eines Verwaltungsträgers die Qualität eines Verwaltungsaktes verleiht147. Unerheblich ist darum, ob die ursprüngliche Prüferanfrage tatsächlich ein Verwaltungsakt oder ein Realakt war148. Diese Deutung der Gestaltungsfunktion der Einspruchsentscheidung ist keineswegs unproblematisch, zumal die herangezogene Rechtsprechung der anderen Verwal139 So auch noch unter Hinweis auf FG Düsseldorf Schreiber, Fachtagung Steuerliche Betriebs­ prüfung International am 18.11.2019, Generelle Anforderungen an den Steuerpflichtigen, Folie 13. 140 BFH, Beschluss v. 11.12.2018 – XI B 123/17, IStR 2019, 670 – Rz. 11 ff. 141 Lindwurm, Gegenstand der Anfechtungsklage nach außergerichtlichem Rechtsbehelf, AO-StB 2019, 174 (175). 142 BFH, Beschluss v. 11.12.2018 – XI B 123/17, IStR 2019, 670 – Rz. 14 m.w.N. 143 Dazu Haferkamp/Meinert, Anfechtbarkeit von Prüferanfragen und sonstigen Auskunftsund Vorlageverlangen, AO-StB 2019, 347 (348). 144 BSG, Urteil v. 18.9.1997 – 11 RAr 85/96, Sozialrecht 3-4100 § 34 Nr. 4. 145 BVerwG, Beschluss v. 10.5.2017 – 2 B 44/16, Buchholz 232.01 § 15 BeamtStG Nr. 2.  146 BFH, Beschluss v. 11.12.2018 – XI B 123/17, IStR 2019, 670 – Rz. 15. 147 Kothe, in Redeker/v. Oertzen, VwGO, 16. Aufl. 2014, § 79 Rz. 2.  148 Haferkamp/Meinert, AO-StB 2019, 347 (348).

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tungsgerichte mit guten Gründen abgelehnt wird149. Weder die Figur des formellen Verwaltungsaktes noch die Qualität der Einspruchsentscheidung als Verwaltungsakt150 können die im Prozessrecht „vorausgesetzte Rechtsform“ des ursprünglichen Verwaltungsakts151 überdecken. Gegen die Rechtsprechung zur Gestaltswandlung spricht bereits der Wortlaut des § 44 Abs. 2 FGO wonach ein „ursprünglicher Verwaltungsakt“ vorliegen muss, damit dieser überhaupt im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren eine „Gestalt“ erhalten kann152. Der durch die Rechtsprechung ­bewirkte Wechsel der Rechtsform ist für den Betroffenen auch nicht belastungsindifferent, weil nach der Gestaltswandlung ein mit den Mitteln des Verwaltungszwangs einseitig vollstreckbarer Titel vorliegt153. Dieser eröffnet indes die frühzeitige Gerichtskontrolle des streitigen Vorlageverlangens. Das klageeröffnende Abstellen des BFH auf die einen Verwaltungsakt erst konstituierende Einspruchsentscheidung begegnet damit dem früheren Einwand, der Außenprüfer könne allein durch die Ausgestaltung seiner Maßnahme mit oder ohne Androhung von Zwangsmitteln und Aufnahme einer Rechtsbehelfsbelehrung den Zeitpunkt des Rechtsschutzes bestimmen. Nach der jüngsten, insoweit rechtsschutzgewährenden Auslegung des XI. Senat hat es der Steuerpflichtige zumindest durch die Einlegung eines Einspruches in der Hand, zeitnah die Rechtmäßigkeit der Maßnahme unabhängig von ihrer Ausgestaltung durch den Prüfer im Wege einer statthaften Anfechtungsklage nach dem erfolglosen Einspruchsverfahren anfechten zu können. Darum wird dem Steuerpflichtigen aktuell als allgemeiner Rechtschutzhinweis geraten, gegen Auskunfts- und Vorlageverlangen der Außenprüfung immer Einspruch und ggfs. Klage zu erheben, wenn und soweit er dieses für rechtswidrig hält154. Allerdings bleibt diese pragmatische Lösung über die Einspruchsentscheidung mit dem Makel verbunden, dass der Rechtscharakter von Vorlageverlangen von Verrechnungspreisdokumentationen nicht einheitlich zu beurteilen ist. Vielmehr kann das zielidentische finanzbehördliche Vorlageverlangen je nach der Ausgestaltung der konkreten Maßnahme (Verwaltungsakt oder bloße Vorbereitungsmaßnahme), der Reaktion des betroffenen Steuerpflichtigen (Einspruch oder rügelose Hinnahme) und der Folgereaktion der Finanzverwaltung (ablehnende Einspruchsentscheidung) unterschiedliche Rechtswirkungen haben, was zu – zumindest zeitlich – verschiedenen Rechtsschutzszenarien führt. Die klare und vorzugswürdige verfahrensrechtliche Lösung liegt darin, in Vorlageverlangen nach § 90 Abs. 3 AO ungeachtet ihrer Ausgestaltung stets einen Verwaltungsakt zu sehen, weil sie konkret pflichtenbegründend wirken und planmäßig die Sanktionsfolgen des § 162 Abs. 3 und 4 AO auslösen können. Immerhin besteht vor dem Vorlageverlangen  – abgesehen von außerge149 Brenner, in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 79 Rz. 24; Funke-Kaiser, in Bader/Funke-­ Kaiser/Stuhlfauth/v. Albedyll, VwGO, 7. Aufl. 2018, § 79 Rz. 4 jeweils m.w.N. 150 Darauf ergänzend abhebend Haferkamp/Meinert, AO-StB 2019, 347 (348). 151 Zutreffend Happ, in Eyermann/Fröhler, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 79 Rz. 11. 152 So zu § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO Brenner, in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018., § 79 Rz. 24 m.w.N. 153 Darauf verweisend Funke-Kaiser, in Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/v. Albedyll, VwGO, 7. Aufl. 2018, § 79 Rz. 4. 154 Haferkamp/Meinert, AO-StB 2019, 347 (352).

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wöhnlichen Geschäftsvorfällen – keine Dokumentationspflicht (s. bereits III. 3.), so dass durch das Verlangen die gesetzliche Pflicht konkretisiert und aktualisiert wird. Zudem „tickt“ für die Vorlage die ermessensfreie „Zuschlagsuhr“ von 100 Euro für jeden Tag der Fristüberschreitung (§ 162 Abs. 4 Satz 3 AO). Darum ist das Vorlageverlangen nach § 90 Abs. 3 AO bereits de lege lata ohne Wenn und Aber als (anfechtbarer) Verwaltungsakt zu begreifen. Sollte der rechtspolitische Vorschlag einer Vorlagepflicht mit der Steuererklärung umgesetzt werden, würden diese Rechtsform- und Rechtschutzfragen ihre praktische Bedeutung verlieren – freilich um den Preis einer vorzeitigen Pflicht zur Vorlage.

V. Schluss Am Schluss bleibt kein hinreichender Raum mehr für die Voraussetzungen einer administrativen Verwerfung einer Verrechnungspreisdokumentation und daran anknüpfende Sanktionen155. Dabei sind diese Fragen nicht nur ein beliebtes Thema für einen Festschriftenbeitrag156, sondern beschäftigen auch nach den Erfahrungen von Heinz-Klaus Kroppen intensiv die Betriebsprüfungspraxis157. Zum Teil werden Aufzeichnungen bereits als unverwertbar angesehen, „wenn sie unklar, nicht nachvollziehbar oder in wesentlichen Teilen unvollständig sind, wenn sie in sich widersprüchlich sind oder sich auf eine offensichtlich ungeeignete Verrechnungspreismethode stützen“158. Demgegenüber ist die Literatur überwiegend der Ansicht159, dass eine nach § 90 Abs. 3 AO auf Anforderung vorzulegende Verrechnungspreisdokumenta­ tion nur dann im Wesentlichen unverwertbar ist, wenn die Mängel so gravierend sind160, dass der Dokumentation keine Aussagekraft zur Verrechnungspreisgestaltung mehr zukommt161. Aufzeichnungen sind danach als im Wesentlichen unverwertbar 155 Zu den Sanktionen Baumhoff/Liebchen, in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5.  Aufl. 2018, Rz.  4.593  ff., 4.619  ff.; Frotscher, in Festschrift Wassermeyer, 2005, S. 391 (403 ff.); Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 162 AO Rz. 66 ff., 72 ff. (Okt. 2017). 156 Puls, (Un-)Verwertbarkeit einer Verrechnungspreisdokumentation, in Festschrift Kuckhoff, 2018, S. 179 (180) zur „höchst praxisrelevanten Thematik der ‚(Un-)Verwertbarkeit‘“. 157 Kroppen, JbFStR 2017/2018, S. 862: „Es entspricht … tatsächlich meiner persönlichen Erfahrung, dass es heute so gut wie keine Betriebsprüfung mehr gibt, bei der die Finanz­ verwaltung nicht geltend macht – das ist schon gebetsmühlenartig –, dass die vorgelegte Dokumentation, die der Steuerpflichtige gesetzlich vorzulegen hat, im Wesentlichen unverwertbar ist und man deshalb schätzen könnte. Das ist heute der totale Standard in allen Fällen. Die Frage ist, ob das rechtlich immer so sauber ist“. Ähnlich Schoppe, BB 2014, 2199 (2202): „Ein regelrechter Standardfall in Betriebsprüfungen ist die Diskussion über die Verwertbarkeit von Dokumentation“. 158 Jacobs/Endres/Spengel, Internationale Unternehmensbesteuerung, 8. Aufl. 2016, S. 857. 159 Vertiefend zum Meinungsspektrum Schoppe/Stumpf, Was sind „im Wesentlichen unverwertbare” Aufzeichnungen?, BB 2014, 1116 (1117 ff.); Puls, in Festschrift Kuckhoff, 2018, S. 179 (182 f.). 160 Cordes, in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, 2014, Rz. 8.175 m.w.N. 161 Fischer/Looks/im Schlaa, Dokumentationspflichten für Verrechnungspreise − Aktuelle Erfahrungen mit der Betriebsprüfung und zukünftige Entwicklungen, BB 2010, 157 (158);

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Verfahrensfragen beim Verrechnungspreisstreit

anzusehen, wenn sie „nahezu vollständig unbrauchbar bzw. unvollständig“ sind bzw. „keinen substantiellen Erkenntnisgewinn“ aufweisen162. Bloßes „Verbesserungspotential“ der Dokumentation soll ihrem Dokumentationszweck nicht entgegenstehen, sofern dieser „durch ‚Dazutun‘ der aus der Amtsermittlungspflicht resultierenden Erkenntnisse der Finanzverwaltung … erreicht werden“ könne163. Fehler und Mängel der Dokumentation, die nicht ihr Wesen betreffen, sollen dagegen nicht schon zu den Rechtsfolgen des § 162 Abs. 3 AO führen164. Darum sollen unwesentliche Unrichtigkeiten und Lücken der Dokumentation nicht die Wertung als unverwertbar tragen165. Die Grenzlinie des „im Wesentlichen unverwertbar“ des § 162 Abs. 3 Satz 1 AO versucht die Verrechnungspreispraxis bildhaft damit zu umschreiben, dass die Aufzeichnungen so mangelhaft und lückenhaft sind, dass sie einer Nicht-Vorlage im Sinne einer „Totalverweigerung“ des Steuerpflichtigen gleichkommen166. Wenn nach dem literarischen Meinungsbild die finanzbehördliche Verwerfung einer Verrechnungspreisdokumentation eher als Ausnahmefall erscheint, so ist sie faktisch mehr als ein Gespenst, das durch Betriebsprüfungen und Diskussionsrunden geistert. Denn es gibt in der Rechtsprechung erste Fälle167, in denen der größte anzunehmende (Verrechnungspreis-)Unfall tatsächlich und rechtskräftig eingetreten ist168. Der Ausnahmefall mag selten eintreten, ist aber nicht ausgeschlossen. Wie bei der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts als dem „größten anzunehmenden Verwaltungsunfall“ beim Handeln der Finanzbehörde, der nur im seltenen Ausnahmefall greifen soll169, so folgen aus der Ausnahmefall-These auch bei der Dokumentation von Verrechnungspreisen auf Seiten des Steuerpflichtigen keine sachlichen Kriterien, wann dieser Einzelfall vorliegt. Darum darf die Betonung des Ausnahmefalls die rechtliche Prüfung nicht beeinflussen170. Unverzichtbar ist stattdessen die funktional-teleologische Frage, was die „Bringschuld des Steuerpflichtigen“171 zur Dokumentation seiner Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl., 2017, Rz. 22.32 m.w.N.; Seer, in Tipke/ Kruse, AO/FGO, § 162 AO Rz. 67 (Okt. 2017). 162 Wolff-Seeger, JbFStR 2017/2018, S. 868 m.w.N. 163 So Puls, in Festschrift Kuckhoff, 2018, S. 179 (184 ff., 188 f.). 164 Frotscher, in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 162 AO Rz. 73 (März 2018). 165 Schnorberger, DB 2009, 2010 (2012); ähnlich Vögele/Vögele, in Vögele/Borstell/Engler, Verrechnungspreise, 4. Aufl. 2015, E Rz. 87: „nicht zwingend … unverwertbar“. 166 So Schreiber, Aktuelle Fragen zu den Verwaltungsgrundsätzen-Verfahren, JbFStR 2005/​ 2006, S. 624, 647; ebenso Schnorberger, DB 2009, 2010 (2012); Kroppen/Rasch, IWB 2013, 830 (833). 167 Schoppe/Stumpf, BB 2014, 1116 (1121) haben bestehende Rechtsunsicherheiten beanstandet und konstatiert, dass „aber noch kein einziger Fall hinsichtlich der Frage der erforderlichen Tiefe der Dokumentation seinen Weg zu den Fachgerichten gefunden hat“. 168 FG Düsseldorf, Urteil v. 16.10.2017 – 6 K 132/12 K,G. Das (rechtskräftige) Urteil wurde zur Wahrung des Steuergeheimnisses nicht veröffentlicht, weil trotz Anonymisierungsbemühungen Rückschlüsse auf Branche und Kläger nicht ausräumbar erschienen. 169 Drüen, Bestimmtheitserfordernis und Nichtigkeitsfolge bei Steuerbescheiden, in Gedächtnisschrift Trzaskalik 2005, S. 95 (120). 170 So bereits zur Nichtigkeitsprüfung Drüen, in Gedächtnisschrift Trzaskalik 2005, S.  95 (113) im Anschluss an Tipke. 171 Zur Steuererklärung bereits Schick, StuW 1988, 301 (317).

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Verrechnungspreise bezweckt172 (dazu bereits III. 1. und 2.). Das Urteil über die Unverwertbarkeit ist notwendig einzelfallabhängig. Selbst wenn ein Verrechnungspreisstreit beim Finanzgericht ausgetragen wird, ist darum insoweit kaum mit einer Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung (§  115 Abs.  2 Nr.  1 FGO) zu rechnen. Denn die grundsätzliche Frage, wann Dokumentationen nach § 90 Abs. 3 AO im Allgemeinen als „im Wesentlichen unverwertbar“ anzusehen sind, ist zwar akademisch und rechtspraktisch interessant173, aber für den Einzelfall regelmäßig nicht entscheidungserheblich. Der allgemeine Rechtsmaßstab, wann eine Verrech­ nungspreis­dokumentation „im Wesentlichen unverwertbar“ ist, dürfte höchstrichterlich wohl weiterhin nicht geklärt werden.

172 Ebenso im Ausgangspunkt Puls, in Festschrift Kuckhoff, 2018, S. 179 (183 f.). 173 Für eine gerichtliche Klärung des Begriffs „im Wesentlichen unverwertbar“ Schoppe/ Stumpf, BB 2014, 1116 (1121).

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Der neue zweistufige Fremdvergleichsmaßstab – das Ende der Vertragsfreiheit? Inhaltsübersicht Einleitung I. Die bisherige Interpretation des Fremdvergleichsgrundsatzes nach Art. 9 OECD-Musterabkommen II. Die OECD Leitlinien 2017: Der neue zweistufige Fremdvergleichstest 1. Das BEPS Projekt: Hintergrund und Ziel der neuen Sichtweise 2. Der neue zweistufige Fremdvergleichstest a) Überblick b) Kontrolle über Risiken c) Finanzielle Kapazität zur Risikoübernahme III. Kritische Aspekte und praktische Probleme des zweistufigen Fremdvergleichs 1. Kontrolle bei gemeinsamen Entscheidungen im Konzern

2. Verlagerung der Entscheidungs­ kompetenz – Zwang zur steuerlichen Entstrickung? 3. Zerlegung des Unternehmensgewinns und Zuordnung zu einzelnen Risiken 4. Geschäftsvorfall entkoppelte Risiko­ kontrollfunktionen IV. Die rechtlichen Grundlagen für einen zweistufigen Fremdvergleichstest 1. Rechtliche Qualität der OECD-Leitlinien 2. Rechtsgrundlage im internationalen Recht: Art. 9 OECD-Musterabkommen bzw. die entsprechenden DBA-Vorschriften 3. Innerstaatliches Recht 4. BFH-Rechtsprechung zum zweistufigen Fremdvergleichstest V. Schlussfolgerung

Einleitung Heinz-Klaus Kroppen hat das Thema Verrechnungspreise über Jahrzehnte in Deutschland geprägt wie kein Zweiter. Durch die Herausgabe seines „Handbuch Internationale Verrechnungspreise“, seine Kommentierung des Art.  9 von Gosch/Kroppen/ Grotherr/Kraft und eine Vielzahl von Aufsätzen sowie Seminarbeiträgen hat er die Entwicklungen im Bereich der Verrechnungspreise national und international maßgeblich beeinflusst. Die Autoren durften Heinz-Klaus Kroppen bei seiner beruflichen Laufbahn begleiten und haben selber durch viele spannende Diskussionen mit ihm ihren Horizont erweitert und die Grundlage für die eigene berufliche Laufbahn gelegt. Heinz-Klaus Kroppen war es als Jurist immer ein Anliegen, dass die rechtlichen Aspekte bei der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes beachtet werden. Grundlage für jeden Leistungsaustausch zwischen fremden Dritten bilden schuldrechtliche Verträge. Verträge bilden damit auch steuerlich immer eine entscheidende Grundlage für die Bestimmung angemessener Verrechnungspreise. Allerdings setzt die OECD in jüngster Zeit zur Umsetzung ihrer Regelungen der BEPS Agenda die Bedeutung der Verträge deutlich herab. Der Vertrag bildet nicht mehr alleine die Grundlage für 175

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die Bestimmung fremdüblicher Preise, sondern der Vertrag selber soll Prüfungsobjekt für fremdübliches Verhalten sein. Damit soll in Zukunft ein zweistufiger Fremdvergleichstest durchgeführt werden: In der ersten Stufe muss hinterfragt werden, ob der Vertrag unter fremden Dritten abgeschlossen worden wäre und erst in der zweiten Stufe soll der fremdübliche Preis bestimmt werden. Der folgende Beitrag stellt die bisherigen und neuen Gedanken der OECD dar (vgl. I, II), setzt sich kritisch mit der neuen Auffassung auseinander (vgl. III) und untersucht die rechtlichen Grundlagen für die neue Interpretation in den Doppelbesteuerungsabkommen und im innerstaatlichen Recht (vgl. IV).

I. Die bisherige Interpretation des Fremdvergleichsgrundsatzes nach Art. 9 OECD-Musterabkommen Bis zum Jahr 2017 bestand weitgehend Einigkeit, dass der Fremdvergleichsgrundsatz nach Art. 9 OECD-Musterabkommen nicht die unternehmerische Dispositionsfreiheit eingeschränkt. Nach dieser Auffassung darf und kann die Organisationsfreiheit verbundener Unternehmen nicht begrenzt werden. Jedes Unternehmen ist frei, den organisatorischen Aufbau, die funktionale Untergliederung inklusive der Aufgaben und Tätigkeitszuordnung und der vertraglichen Risikozuordnung nach freiem Ermessen zu gestalten.1 Dies hat die OECD bereits 1979 in ihren OECD-Richtlinien festgehalten und deutlich gemacht, dass der Fremdvergleichsgrundsatz nach Art. 9 OECD-Musterabkommen im Regelfall darauf abzielt, fremdübliche Preise zu bestimmen.2 Die Darstellungen der OECD wurden 1995 ausführlicher in Tz. 1.36. im Kapitel „Anerkennung der tatsächlich getätigten Geschäftsvorfälle“ dargestellt, die Ausführungen wurden wörtlich in Tz. 1.64 ff. in die OECD-Leitlinien 2010 übernommen. Die Leitlinien bis 2010 gehen eindeutig davon aus, dass die von den verbundenen Unternehmen getroffenen Vereinbarungen die Grundlage der Überprüfung der Verrechnungspreise sind: „Die Prüfung, die eine Steuerverwaltung hinsichtlich eines Geschäftsvorfalls zwischen verbunden Unternehmen vornimmt, sollte vom tatsächlich durchgeführten Geschäftsvorfalls ausgehen, und zwar so, wie er von Ihnen gestaltet worden ist“.3 Die OECD ging noch einen Schritt weiter und lehnte eine Umqualifizierung legitimer Geschäftsvorfälle ausdrücklich als „völlig willkürlich“ ab. Die Vertragsbeziehungen selber waren damit grundsätzlich nicht Gegenstand des Fremdvergleichs, entscheidend war nur die Angemessenheit der Höhe nach.4

1 Mank in Birk/Pöllath/Saenger (Hrsg.), Forum Steuerrecht 2006, S. 85 (89). 2 Vgl. Tz. 23 OECD-Leitlinien 1979. Ausnahmen von diesem Grundsatz wurden – insbesondere im Bereich der Gesellschafterfremdfinanzierung – allerdings bereits 1979 angesprochen. 3 Von den Verf. hervorgehoben. 4 Eigelshoven/Retzer in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-­ Kap. I. Anm. 62.

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„Ausnahmsweise“5 und in zwei „außergewöhnlichen Situationen6“ hielt es die OECD auch in den Leitlinien 2010 für angemessen und legitim, die vom Steuerpflichtigen gewählte Gestaltung nicht anzuerkennen: (1.) wenn der wirtschaftliche Gehalt eines Geschäftsvorfalls sich von seiner äußeren Form unterscheidet oder (2.) wenn die Vereinbarungen in ihrer Gesamtheit von denen abweichen, die unabhängige Unternehmen in wirtschaftlich vernünftiger Weise getroffen hätten und wenn die tatsächlich gewählte Gestaltung der Steuerverwaltung die Möglichkeit nimmt, einen angemessenen Verrechnungspreis zu bestimmen. In diesen Ausnahmefällen sollte die Finanzverwaltung dazu berechtigt sein, den Vertrag entsprechend seinem wirtschaftlichen Gehalt neu zu qualifizieren. Als Beispiel für den ersten Ausnahmefall („wirtschaftliche Gründe“) nennt die OECD in den Leitlinien 2010 die Umqualifizierung von Fremd- in Eigenkapital, wenn ein fremder Dritter Kapitalgeber nicht bereit wäre, seine Investition in Form eines Darlehens bereitzustellen.7 Damit werden nationale Thin-Cap Regelungen gerechtfertigt, die die Abzugsfähigkeit von Zinsen dann beschränken, wenn eine Fremdfinan­ zierung dem Grunde nach fremdunüblich erscheint.8 Die Einschränkung der Vertragsfreiheit ist bei der Frage der Kapitalausstattung abzugrenzen von allen anderen schuldrechtlichen Beziehungen, weil bei der Frage der Kapitalausstattung eine Abgrenzung zwischen der Sphäre des Gesellschafters und einer schuldrechtlichen Sphäre vorgenommen werden muss. Im Extremfall könnte ein Gesellschafter seine Beteiligung mit einem Eigenkapital in Höhe von 50.000 Euro und ein Darlehen in Höhe von 100 Mio Euro ausstatten. Es dürfte aber offensichtlich sein, dass ein fremder Dritter der Gesellschaft kein Darlehen gewährt hätte, zumindest ein Teil ist demnach wirtschaftlich betrachtet Eigenkapitalersatz. An dem Beispiel wird deutlich, dass es einen Bereich gibt, bei dem ein fremder Dritter dem Grunde nach keine Fremdfinanzierung gewähren würde. Im Beispiel für die zweite Ausnahme beschreibt die OECD einen langfristigen Verkaufsvertrag über einen Rechtsanspruch, bei dem zu einem Pauschalpreis alle im­ materiellen Werte aus zukünftiger Forschungstätigkeit übertragen werden sollen. In diesem Fall soll die Umqualifizierung in einen laufenden Forschungsvertrag möglich sein. Die Grundlage dafür ist, dass die Gestaltungen vom Steuerpflichtigen zur ­Vermeidung und Minimierung der Steuer gewählt sein könnten, es sich mithin um missbräuchliche Gestaltungen handelt. Daneben stützt sie sich auf Art. 9 OECD-Musterabkommen. Dieser lasse Änderungen von Verträgen zu, damit die Bedingungen zum Ausdruck kommen, die die Beteiligten angestrebt hätten, wenn der Geschäftsvorfall entsprechend der wirtschaftlichen und kaufmännischen Wirklichkeit und dem Fremdvergleichsgrundsatz gestaltet worden wäre.9 Die Abgrenzung zwischen unzulässiger und zulässiger Umgestaltung diskutierte die OECD in Tz. 1.69 Leitlinien 2010 in einem weiteren Beispiel anhand der vertragli5 Tz. 1.65 OECD-Leitlinien 2010.  6 Tz. 1.64 OECD-Leitlinien 2010. 7 Vgl. Tz. 1.65 OECD-Leitlinien, so auch bereits Tz. 1.23 OECD-Leitlinien 1979.  8 So auch OECD-Musterabkommen Kommentar zu Art. 9 Rz. 3. 9 Tz. 1.66 OECD-Leitlinien 2010.

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chen Übernahme von Währungsrisiken zwischen Produktions- und Vertriebsunternehmen. In einem solchen Fall sollen die Steuerbehörden die gewählte Risikoaufteilung akzeptieren. Eine Umqualifizierung darf nicht alleine deswegen erfolgen, weil fremde Dritte nachweislich eine andere Risikoaufteilung wählen würden. Die Folgen der Risikoaufteilung sollen lediglich im Verrechnungspreis zu berücksichtigen sein, d.h. am Ende ist die Höhe/Angemessenheit des Verrechnungspreises entscheidend und nicht die vertragliche Grundlage. Die Ausführungen der OECD in den Leitlinien 2010 machten sehr deutlich, dass Art. 9 OECD-Musterabkommen nur in sehr begrenzten Ausnahmefällen eine Umqualifizierung von Verträgen zulässt.

II. Die OECD Leitlinien 2017: Der neue zweistufige Fremdvergleichstest 1. Das BEPS Projekt: Hintergrund und Ziel der neuen Sichtweise Die potenzielle und tatsächliche Verschiebung von Steuersubstrat in Niedrigsteuerländer ist im letzten Jahrzehnt in den Fokus der Aufmerksamkeit gelangt.10 In der öffentlichen Wahrnehmung ist mehr und mehr das Bild entstanden, dass Konzerne keine oder nur sehr geringe Steuern zahlen. Bei den Finanzverwaltungen herrscht die Auffassung, dass zu wenig Transparenz und eine Informationsasymmetrie zwischen Steuerzahlern und Finanzverwaltungen bestehen und Steuersubstratverschiebungen damit ermöglicht werden.11 Nach Schätzungen der OECD führt diese Gewinnkürzung und -verlagerung weltweit jährlich zu 100–240 Mrd. US-$ Mindereinnahmen bei der Körperschaftsteuer.12 Dies hat national und international zu einem enormen politischen Druck geführt, die tatsächliche Steuerlast zu ermitteln, über die Wertschöpfungskette transparent zu machen und den Steuerbehörden alle relevanten ­Informationen in konsistenter Weise offenzulegen.13 Die Diskussion über Steuer­ hinterziehung und Steuerumgehung endeten im „Action Plan on Base Erosion and Profit Shifting (BEPS)“14 der OECD und der G20.15 Am 5.10.2015 wurden die OECD-­ 10 Vgl. dazu auch: Cracea, European Taxation 2013, 565; Oxfam-Bericht: Blacklist or Whitewash? What a real EU blacklist of tax havens should look like. 11 Vgl. Gross, IStR 2016, 359; Kraft/Heider, DStR 2017, 1353.; Naumann/Gross, IStR 2014, 792. 12 Siehe OECD/G20 (2015), BEPS-Projekt Erläuterung – Abschlussberichte 2015, Tz. 2, abrufbar unter https://www.oecd.org/tax/beps-projekt-erlauterung-9789264263703-de.htm. 13 Zu den politischen Hintergründen und Diskussionen siehe: Becker, IStR 2014, 704  ff.; ­Brennan, ITR May 2014, 37; Cracea, (IBFD) European Taxation November 2013, 565; Dietz/Quilitzsch, DStR 2014, 127; Herzfeld, Tax Notes International April 2014, 227  ff.; ­Parillo, Tax Notes International April 2014, 7 ff.; Schänzle, BB Die Erste Seite 2014, Nr. 19; Saint-Amans/Rosso, ITR October 2014, 10. 14 OECD (2013), Action Plan on Base Erosion and Profit Shifting, OECD Publishing, abrufbar unter: http://dx.doi.org/10.1787/9789264202719-en; Übersetzung des BMF, abrufbar unter: www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Abt_7/2013-07-22-Ak​ tionsplan-D.pdf?__blob=publicationFile&v=. 15 Der BEPS Action Plan und die Maßnahmen entstanden aus einer engen Zusammenarbeit zwischen den OECD-Staaten, den G20 und den OECD verbundenen Staaten, siehe im Einzelnen Saint-Amans/Rosso, ITR October 2014, 10 (11).

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Abschlussberichte zu den 15 Maßnahmen des BEPS Action Plans von der OECD veröffentlicht.16 Die Steuersubstratverschiebung der öffentlich diskutierten Fälle stand zumeist im Zusammenhang mit niedrig besteuerten substanzarmen bzw. -losen Gesellschaften, d.h. Gesellschaften ohne wesentliche Mitarbeiter, die aber maßgebliche Risiken tragen, insbesondere Risiken zur Entwicklung von immateriellen Wirtschaftsgütern.17 Ein Beispiel ist die Auftragsforschung- und -entwicklung durch substanzarme Gesellschaften in Niedrigsteuerländern. Dabei übernimmt eine substanzarme Gesellschaft in einem Niedrigsteuerland vertraglich die Kosten und Risiken aus der Entwicklung und wird aufgrund der Risikotragung auch wirtschaftliche Eigentümerin der neu entstehenden immateriellen Werte. Auf Basis eines ebenfalls wirksamen Lizenzvertrages gestattet die substanzlose Gesellschaft ihren Gruppengesellschaften anschließend die Nutzung der immateriellen Werte gegen Zahlung einer Lizenz. Hierdurch kann – bei einer erfolgreichen Entwicklung – eine vertragliche Grundlage geschaffen werden, um Gewinne aus den immateriellen Wirtschaftsgütern dieser Gesellschaft zuzuordnen. Anstatt hier auf eine Erweiterung der Missbrauchsvorschriften hinzuwirken, hat sich die OECD im Rahmen ihres BEPS-Maßnahmenplans eine engere Verknüpfung von Besteuerung mit der wirtschaftlichen Tätigkeit zum Ziel gesetzt.18 Gewinne sollen dort besteuert werden, wo wirtschaftliche Aktivitäten ausgeübt werden und die Wertschöpfung erfolgt.19 Die neuen OECD-Leitlinien sehen dementsprechend vor, dass Residualgewinne demjenigen zugeordnet werden, der die tatsächliche Kontrolle über die Wertschöpfung hat, die entsprechenden Risiken trägt und finanziert und die finanzielle Kapazität zur Risikotragung hat.20 Die rechtliche Inhaberschaft an immateriellen Wirtschaftsgütern und die Finanzierung der Entwicklungstätigkeiten alleine begründet danach keinen Anspruch auf die Gewinne aus der Nutzung. Ist der Inhaber nicht in der Lage die Kontrolle über die Risiken auszuüben, weil er kein geeignetes Personal hat oder ihm die finanzielle Kapazität fehlt, entspricht dies nach der OECD nicht dem Verhalten fremder Dritter. Demnach wäre dem rechtlichen Inhaber kein Übergewinn aus den immateriellen Wirtschaftsgütern zuzuordnen.21 2. Der neue zweistufige Fremdvergleichstest a) Überblick Als Ausfluss des BEPS Projekts22 und insbesondere der Ergebnisses zu den Aktionspunkten 8-10, wurden Kapitel I der OECD-Leitlinien und die Ausführungen zur 16 Vgl. zu dem Abschlussberichten Benz/Böhmer, DB 2015, 2535 ff.; Gross, IStR 2016, 359 ff.; Oppel, SteuK 2016, 53 ff. Oppel diskutiert auch die Verbindlichkeit und Arten der Umsetzung. 17 Siehe dazu auch: OECD/G20 (2015), BEPS-Projekt Erläuterung – Abschlussberichte 2015.  18 Ausführlich zu dieser Zielsetzung in den OECD Maßnahmen 8–10 siehe Kroppen/Rasch, IWB 2015, 828 ff. 19 Siehe OECD/G20 (2015), BEPS-Projekt Erläuterung – Abschlussberichte 2015, Tz. 1. 20 Tz. 1.95, 1.98 OECD-Leitlinien. 21 Siehe auch Kroppen in FS Endres, 2016, S. 199 (203). 22 https://www.oecd.org/tax/beps/.

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Vertragsfreiheit deutlich erweitert. Die „vertraglichen Bedingungen des Geschäftsvorfalls“ regeln nun die Tz. 1.42 ff.: Die schriftliche Vereinbarung soll danach nur noch Ausgangspunkt für die Bestimmung der beabsichtigten Aufteilung der Risiken sein. Demnach geht die OECD nun davon aus, dass der Fremdvergleichsgrundsatz in zwei Stufen angewendet werden soll:23 Auf der ersten Stufe sollen die vertraglichen Beziehungen Gegenstand des Fremdvergleichsgrundsatzes sein und erst auf der zweiten Stufe soll die Angemessenheit der Höhe nach beurteilt werden. Damit interpretiert die OECD Art. 9 OECD-Musterabkommen nun deutlich weiter, d.h. die Vertragsbeziehung selber muss fremdüblich sein. Schriftliche (oder auch mündliche24) Verträge seien nicht alleine ausschlaggebend, denn die darin festgelegten Preise und sonstigen Bedingungen können mit dem Fremdvergleichsgrundsatz übereinstimmen oder auch nicht übereinstimmen.25 Zudem würden Verträge kaum alle erforderlichen Informationen für die Verrechnungspreisanalyse enthalten, sondern müssen mit dem tatsächlichen Verhalten der Parteien abgeglichen werden. Dafür muss zunächst die tatsächliche Vertragsbeziehung bestimmt werden (“dealing at the controlled transaction”).26 Für diese Analyse sollen die weiteren als wirtschaftlich relevant bezeichneten Merkmale aus Tz. 1.36 der OECD-Leitlinien herangezogen werden: Die Funktionen und Risiken der beteiligten Unternehmen, die Eigenschaften der Wirtschaftsgüter oder Dienste, die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten und des Marktes und die von den Beteiligten verfolgten Geschäftsstrategien. Letztlich könne nur eine Analyse aller wirtschaftlich relevanten Faktoren Aufschluss darüber geben, ob die vertraglichen Vereinbarungen auch tatsächlich umgesetzt werden. Die durch die Analyse gewonnenen Informationen spezifizieren die vertraglichen Vereinbarungen. Falls der Vertrag weder explizit noch implizit Aufschluss über wirtschaftlich relevante Charakteristika der Transaktion gibt, sollten die aus den anderen vier Vergleichsfaktoren erworbenen Erkenntnisse zum Zwecke der Verrechnungspreisanalyse herangezogen werden. Dies führt zum zentralen Diskussionspunkt in den OECD-Leitlinien 2017: Die enge Verknüpfung von vertraglichen Grundlagen und (tatsächlicher oder vermeintlicher) ökonomischer Realität. Insbesondere soll die rein vertragliche Übertragung von Rechten oder Pflichten an verbundene Unternehmen ohne eine entsprechende Funktionsausübung verhindert werden. Ausgangspunkt der Beurteilung einer Transak­ tion mit verbundenen Unternehmen soll immer noch die vertragliche Vereinbarung bilden. Diese ist nach neuer Auffassung der OECD vor dem Hintergrund des Fremdvergleichsgrundsatzes zu beurteilen. Offensichtlich versteht die OECD darunter aber nicht die Frage nach der vertraglichen Formulierung oder vertraglichen Gestaltung, sondern alleine die Frage ob der Vertrag die wirtschaftliche Substanz der Parteien, 23 Tz. 1.33 OECD-Leitlinien 2010.  24 Tz. 1.49 OECD-Leitlinien. 25 Tz. 1.43 OECD-Leitlinien; für die immateriellen Wirtschaftsgüter vgl. Tz. 6.35 OECD-Leitlinien. 26 Tz. 1.33, 1.60 OECD-Leitlinien.

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das fremdübliche Verhalten und die fremdübliche Risikoverteilung „richtig“ abbildet. Entspricht die Risikoverteilung im Vertrag und das Verhalten der Parteien nicht dem angeblichen Verhalten von fremden Dritten wird die Transaktion neu interpretiert oder durch eine andere Transaktion ersetzt.27 Entscheidend für Frage, ob die vertraglich vereinbarte Risikoübernahme fremdüblich ist, ist zum einen die Fähigkeit Risiken zu kontrollieren und die tatsächliche Ausübung der Kontrolle (vgl. b) und zum anderen die finanzielle Kapazität das Risiko zu tragen (vgl. c).28 Die Bestimmung von Risiken geht einher mit der Frage, wem Risikoprämien, Übergewinnpotentiale bzw. Verluste zuzuordnen sind.29 Schätzungen gehen z.B. bei den S&P 500 Unternehmen davon aus, dass ca. 85% der Unternehmenswerte immateriellen Wirtschaftsgütern zuzuordnen sind.30 Daher spielen diese für die Gewinn­allokation häufig eine entscheidende Rolle. b) Kontrolle über Risiken Fraglich ist demnach, wie Kontrolle zu definieren ist. Letztlich entscheidend ist gem. Tz. 1.65 OECD-Leitlinien die Fähigkeit und Durchführung von Entscheidungen zur Annahme oder Ablehnung von Geschäftschancen und die Fähigkeit Entscheidungen zur Abwendung von Risiken zu treffen. Die OECD ist sich darüber bewusst, dass in einem Konzern verschiedene Ebenen der Entscheidung vorhanden sind, wenn beispielsweise eine Konzerneinheit in eine neue Anlage investiert, dann werden Entscheidungen von vielen handelnden Personen vorbereitet und es bestehen unterschiedliche Ebenen der Entscheidungsfindung. Die Kernfrage ist also, welches Maß an Kontrolle erforderlich ist, um einer Ver­ tragspartei eine entsprechende Funktion zuzuordnen. Zum einen macht die OECD deutlich, dass die laufende Risikokontrolle (“day-to-day” risk management) nicht entscheidend sein soll.31 Die laufenden Tätigkeiten zur Risikominderung können ausgelagert werden. So könnte beispielsweise die Überwachung von Forderungsausfallrisiken auch von einem (Shared) Service Center übernommen werden, ohne dass die entsprechenden Risiken auf dieses Shared Service Center übertragen werden. Die OECD verdeutlicht den Begriff der Risikokontrolle weiterhin in Tz. 1.70 der Leitlinien durch das Beispiel eines Investors der einen Fondsmanager anstellt, damit dieser sein Portfolio managed. Die OECD argumentiert, dass der Investor entscheidend Einfluss durch die Auswahl des Managers nimmt und Aussagen zu seiner Risikopräferenz und der Diversifizierungsstrategie vorgibt und die Höhe des zur Verfügung gestellten Kapitals. Der Fondsmanager würde demnach lediglich als Dienstleister die laufende Kontrolle des Risikos übernehmen, der Investor trägt das Risiko des Wertverlustes. 27 Siehe auch Kroppen in FS Endres, 2016, S. 199 (203). 28 Tz. 1.50, 1.86 OECD-Leitlinien. 29 Tz. 1.56 OECD-Leitlinien. 30 Vgl. Ocean Tomo, Intangible Asset Market Value Study 2015. 31 Vgl. Tz. 1.63, 1.65 OECD-Leitlinien.

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Wer nun glaubt, dass die OECD mit dem Beispiel auf die Risikokontrolle durch die Konzernführung abstellt, weil diese letztlich durch die direkte oder indirekte Auswahl der Entscheidungsträger im Unternehmen auch ihre Risiken kontrolliert, hat sich allerdings geirrt. Bei der Kontrolle über ein spezifisches Risiko in einem Geschäftsvorfall soll es um die Entscheidungsfindung der konkret am Geschäftsvorfall beteiligten Unternehmen hinsichtlich des spezifischen aus dem Geschäftsvorfall resultierenden Risikos gehen. Wenn die Konzernführung allgemeine Richtlinien ausgibt, die auch für die spezifischen Risiken des Geschäftsvorfalls relevant sein können, soll das für eine Risikokontrolle nicht ausreichend sein. Vielmehr soll die Umsetzung innerhalb der Richtlinien und das laufende Management des Risikos durch die operativen Einheiten für die Kontrolle entscheidend sein.32 Dabei soll unter der Kontrolle über ein Risiko die Fähigkeit und Befugnis verstanden werden über die Übernahme des Risikos sowie darüber zu entscheiden, ob und wie auf das Risiko geantwortet werden soll.33 Offensichtlich soll die Risikoübernahme nur dann fremdüblich sein, wenn sowohl die Verfolgung der Geschäftschancen als auch das konkrete Management des Risikos bei dem übernehmenden Unternehmen liegt. Nachvollziehbar ist, dass alleine die formale Freigabe von Risiken – ohne entsprechende Fähigkeiten, Risiken zu beurteilen und Entscheidungen eigenständig zu treffen – nicht entscheidend für den Kontrollbegriff sein soll.34 In Kapitel VI der OECD-Leitlinien werden die Grundsätze zur Risikokontrolle auf die Risikotragung in Zusammenhang mit immateriellen Wirtschaftsgütern konkre­ tisiert. Diese Fallgestaltungen sind in der Praxis besonders spannend und relevant, da Rechte zivilrechtlich alleine durch vertragliche Zuordnung übertragen oder auch zur Nutzung überlassen werden. Damit sind immaterielle Wirtschaftsgüter im Rechtsverkehr in besonderem Maße agil ohne dass es einer Übertragung materieller Vermögensgegenstände oder Personen bedarf. Die Frage der Kontrolle ist damit besonders schwer zu beantworten. Hierzu hat die OECD das sog. DEMPE-Konzept entwickelt nachdem es für die Risikotragung entscheidend sein soll, wer die DEMPE-Funktionen ausübt bzw. wer die Kontrolle über die Entwicklung, Verbesserung, Erhaltung, Schutz und Verwertung der immateriellen Werte ausübt. Der intangible related return soll von der Vertragspartei verdient werden, die die entsprechende Kontrolle ausübt.35 Der rechtliche Eigentümer bzw. die Partei, die die Finanzierung des immateriellen Wirtschaftsguts übernimmt, soll nur eine Dienstleistungsgebühr bzw. einen sog. Financial Return erhalten.36 Bei einfachen Konzernstrukturen wären damit die Regelungen leicht umsetzbar; insbesondere dann, wenn alle DEMPE-Funktionen von einer Gesellschaft ausgeübt werden, sollen diese den entsprechenden intangible related return erhalten, wenn auch eine entsprechende finanzielle Kapazi32 Vgl. Tz. 1.76 OECD-Leitlinien. 33 Tz. 1.67 OECD-Leitlinien. 34 Vgl. Tz. 1.66 OECD-Leitlinien. 35 Vgl. Tz. 6.32; 6.50 ff. OECD-Leitlinien „DEMPE“ steht für (i) Development, (ii) Enhancement, (iii) Maintenance, (iv) Protection und (v) Exploitation. 36 Vgl. Tz. 6.42 OECD-Leitlinien zur Vergütung des rechtlichen Eigentümers, des Weiteren Tz. 6.63 f. und Beispiel 6.16 und 6.17 OECD-Leitlinien.

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tät vorhanden ist. Fraglich ist allerdings die Anwendung in komplexeren Konzern­ strukturen und dezentraler Aufstellung.37 Fraglich ist, ob das Konzept vor dem Hintergrund des Fremdvergleichs gerechtfertigt ist. Die OECD unterstellt, dass Vertragsparteien nur dann Risiken übernehmen, wenn diese eine entsprechende spezifische Kontrolle über die Risiken ausüben. Dies wird im Wirtschaftsleben sicherlich häufig zu beobachten sein, allerdings erscheint dies im Fremdvergleich keineswegs zwingend. Kroppen unterstellt sogar das Gegenteil und nennt das Beispiel eines Investors, der eine höhere Rendite fordert, wenn er weniger Kontrolle über Risiken ausüben kann. Das gleiche gilt für eine Versicherung, die entsprechende Risikoprämien im Fall von für sie nicht kontrollierbaren Risiken einfordert.38 Venture Capital Investoren haben regelmäßig einen geringen Einfluss auf die operativen Risiken ihrer Investments und dennoch stellen sie Kapital zur Verfügung, auch wenn sie lediglich die Geschäftsidee beurteilen können. Automobilzulieferer werden regelmäßig an den Volumenrisiken vom Hersteller beteiligt, auch wenn diese keinen Einfluss auf den Erfolg des Herstellers bzw. das Volumen der PKW-Modelle haben werden. Zum zweiten ist fraglich, ob der Kontrollbegriff geeignet ist, das gesetzte Ziel der Vorschrift – der künstlichen Verlagerung von Gewinnen – zu erfüllen. Bei substanzlosen Gesellschaften würde man zunächst vermuten, dass die Vorschriften der OECD zielgerichtet sind, da substanzschwache Gesellschaften regelmäßig keine DEMPE-Funktionen ausüben können. Das OECD Konzept würde aber immer voraussetzen, dass der Staat der die maßgeblichen DEMPE-Funktionen ausübt, sein Besteuerungsrecht ausüben möchte. Wenn dies politisch nicht gewünscht ist – wie im Fall der USA  – laufen die Substanzanforderungen häufig ins Leere. Insofern könnten missbräuchliche Strukturen genauso effektiv durch die Einführung einer Hinzurechnungsbesteuerung oder von Lizenzschrankenregelungen unterbunden werden. Bei einer Vielzahl von Risiken kann das Besteuerungskonzept der OECD allerdings genau das Gegenteil des Ziels bewirken und es kann zu einer Verlagerung von Gewinnpotentialen vom Staat der wirtschaftlichen Aktivität ins Ausland kommen. Dies wird immer dann der Fall sein, wenn die Kontrolle über Wirtschaftsgüter, die in einem Staat belegen sind, von einem anderen Staat kontrolliert werden bzw. im anderen Staat die maßgeblichen Entscheidungen getroffen werden. Für den Bereich des Betreibens einer Pipeline hat im Fall der Betriebsstättenbesteuerung das BMF das Abstellen auf Personalfunktionen relativieren müssen.39 Demnach kann die Pipeline  – abweichend vom allgemeinen Prinzip der deutschen Betriebsstättenbesteuerung – der Betriebsstätte zugeordnet werden. Ein weiteres Beispiel mag das Betreiben einer Carsharing Flotte eines Konzerns bei seiner Tochtergesellschaft im Ausland sein. Wenn die Konzernmutter die maßgeblichen Entscheidungen zu der Art, Größe und Verteilung der Fahrzeugflotte in einem Land trifft, wären die Risiken der Kon37 Vgl. dazu IV. 38 Vgl. Kroppen, in FS Endres, 2016, S. 199 (205). 39 Vgl. BMF-Schreiben vom 17.12.2019, BStBl. II 2020, S. 84; vgl. dazu auch van der Ham/ Retzer, IWB 2020, S. 86. 

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zernmuttergesellschaft zuzuordnen. Folgt der Steuerpflichtige wiederum der Forderung der OECD die Risiken vertraglich der kontrollierenden Partei zuzuordnen, wird auch handels- und steuerrechtlich das wirtschaftliche Eigentum zur Muttergesellschaft verlagert, da die Muttergesellschaft auch das Risiko des Untergangs des Wirtschaftsguts trägt.40 Demnach wären Risikoprämien und die Finanzierungsfunktion der Aktiva dem Land der Muttergesellschaft zuzuordnen. Im Marktstaat verbliebe ein geringes Entgelt für die lokalen Tätigkeiten der Tochtergesellschaft. Entsprechendes würde für die Gewinnzurechnung von Lägern und Forderungen gelten, wenn die damit zusammenhängenden Risiken im Ausland kontrolliert werden. c) Finanzielle Kapazität zur Risikoübernahme Eine weitere Voraussetzung der OECD ist, dass die Vertragspartei auch die finanzielle Kapazität haben soll. Die OECD definiert die finanzielle Kapazität zur Risikoübernahme in Tz. 1.64. als “Zugang der Gesellschaft zu finanziellen Mitteln, um das Risiko zu übernehmen oder abzugeben, um für Funktionen der Risikominderung zu zahlen und um die Konsequenzen zu tragen, sollte das Risiko eintreten”. Dabei soll unterstellt werden, dass die Gesellschaft wie ein unabhängiges Unternehmen agiert. Fraglich ist wiederum, ob dieses Kriterium überhaupt vor dem Hintergrund des Fremdvergleichs sinnvoll ausgefüllt werden kann, da Tochtergesellschaften grundsätzlich über ihre Muttergesellschaft Zugang zu finanziellen Mitteln haben – genau wie auch jedes andere unabhängige Unternehmen – über seinen Gesellschafter die Möglichkeit hat weitere finanzielle Mittel zu erhalten. So können auch Start-up Unternehmen erhebliche Risiken eingehen, die ihre eigenen finanziellen Mittel übersteigen, diese haben aber über ihre Gesellschafter oder neu eintretende Gesellschafter die Möglichkeit, weitere finanzielle Mittel zu erhalten. Übertragen auf einen Konzernsachverhalt, könnte ebenfalls eine Tochtergesellschaft – wie ein fremder Dritter – entsprechende finanzielle Mittel von ihrer Gesellschafterin erhalten. Das Kriterium der OECD würde – wenn man den Fremdvergleichsgrundsatz zugrunde legt – damit ins Leere laufen.

III. Kritische Aspekte und praktische Probleme des zweistufigen Fremdvergleichs Das Ziel der OECD, Steuersubstratverschiebung in substanzlose oder steuerpräferierte Gesellschaften zu verhindern, ist steuerpolitisch nachvollziehbar. Der zweistufige Fremdvergleichsgrundsatz soll aber auf alle Konzerntransaktionen und nicht nur auf missbräuchliche Strukturen Anwendung finden. Das Konzept betrifft daher nicht nur Unternehmen, die Verrechnungspreise zur Steuervermeidung nutzen, sondern die Regelungen sollen einen breiten Anwendungsbereich finden. Dies bedingt, dass eine Vielzahl von praktischen Problemen entsteht.

40 Vgl. für Deutschland: § 39 Abs. 2 AO; § 246 HGB.

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1. Kontrolle bei gemeinsamen Entscheidungen im Konzern Die Grundidee der OECD ist, dass vertraglich derjenige die Risiken tragen soll, der die maßgebliche Kontrolle ausübt. Die Analyse, wer tatsächlich Kontrolle ausübt, wird immer dann einfach sein, wenn ein einzelner Mitarbeiter oder eine Gruppe von Mitarbeitern in einer Gesellschaft bzw. in einem Land die umfassende Kontrolle über ein spezifisches operatives Risiko ausübt. In vielen Konzernen ist aber zu beobachten, dass diese sich dezentral aufstellen und Risiken von Mitarbeitern in mehreren Gesellschaften kontrolliert werden. So kann beispielsweise die Entscheidung zur Annahme eines Kundenauftrags bis zu einem bestimmten Volumen von der lokalen Vertriebseinheit getroffen werden, übersteigt das Geschäft ein gewisses Volumen, werden die Entscheidungen auf regionaler Ebene getroffen und bei Überschreiten weiterer Schwellen ggf. vom Vorstand. Entsprechendes gilt für die Entwicklung von Produkten, bei dem häufig eine Vielzahl von Entscheidungsgremien und Mitarbeitern aus verschiedenen Landesgesellschaften an Entscheidungen mitwirken. Die Frage ist, ob und wie in diesen Situationen das Risiko mit dem einhergehenden Gewinnund Verlustpotenzial aufzuteilen ist. Die Unternehmen werden dabei das Interesse haben, die Risiken vertraglich nur einem Konzernunternehmen zuzuordnen, weil dies regelmäßig die Rechtssicherheit erhöht. Die OECD beschäftigt sich in Tz. 1.94 ff. der Leitlinien mit der Fragestellung, wie zu verfahren ist, wenn mehrere Unternehmen an der Entscheidung beteiligt sind. Danach ist in einem solchen Fall die vertragliche Aufteilung von Risiken zu respektieren, wenn die risikotragende Partei entsprechende Kontrolle ausübt und über eine ausreichende finanzielle Kapazität verfügt. Es ist nicht notwendig, dass die Vertragspartei die überwiegende Kontrolle ausübt. Nur wenn die Partei, die die Risiken vertraglich trägt, keine Kontrolle ausübt oder keine ausreichende finanzielle Kapazität hat, sollen nach Tz. 1.98 OECD-Leitlinien der Partei die Risiken zugeordnet werden, die sie hauptsächlich kontrolliert. Sollten mehrere Gruppenunternehmen die Risiken maßgeblich kontrollieren, sei auch eine Aufteilung denkbar. Kapitel VI der Leitlinien zu den immateriellen Wirtschaftsgütern verweist auch auf Kapitel I, insofern scheinen die Grundsätze zur Kontrollübernahmen auch für die DEMPE-Funktionen bei immateriellen Wirtschaftsgütern anwendbar zu sein.41 Zugleich gewinnt man allerdings den Eindruck, dass die OECD bei immateriellen Wirtschaftsgütern davon ausgeht, dass Kontrolle und Risiken aufgeteilt werden können: Immer wieder wird in Kapitel VI darauf hingewiesen, dass eine fremdübliche Ver­ gütung allen Parteien zugeordnet werden muss, die DEMPE Funktionen ausüben.42 So wird im Fall der Auslagerung von DEMPE Funktionen – im Widerspruch zu Tz. 1.94 – gefordert, dass die Auslagerung von Funktionen unter der Kontrolle der Partei ausgeübt werden muss, die der rechtliche Eigentümer ist, bzw. der Partei die den intangible related return erhalten soll.43 Zudem impliziert die OECD, dass allgemein erwartet werden kann, dass die Vergütung korrespondierend zu dem relativen 41 Vgl. Tz. 6.32, 6.48, 6.53 OECD-Leitlinien. 42 Vgl. zur Vergütung der DEMPE-Funktionen, Kap. VI.B.2.1., Tz. 6.50 ff. OECD-Leitlinien. 43 Vgl. Tz. 6.53 OECD-Leitlinien.

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Beitrag zu den DEMPE-Funktionen sein sollte.44 Dabei wird die Anwendung der Profit Split Methode nahegelegt.45 Dies könnte in dem Sinne verstanden werden, dass der sog. intangible related return immer zwischen den DEMPE ausübenden Vertragsparteien aufzuteilen ist. Für den klassischen Bereich der Entwicklung macht die OECD allerdings deutlich, dass die Beteiligung auch im Rahmen der Kosten­ aufschlagsmethode ausreichend sein kann. In diesem Zusammenhang betont die OECD, dass der rechtliche Eigentümer durchaus auch einzelne DEMPE-Funktionen outsourcen kann.46 Ein ähnliches Beispiel zur Auftragsentwicklung wird bereits im ersten Kapitel diskutiert.47 In diesem Zusammenhang ist auch der Grundgedanke der Tz. 1.97 OECD-Leitlinien entscheidend, demnach soll der Steuerpflichtige immer die Möglichkeit eines Fremdvergleichs haben. Im Fall der Kontrolle kann der Steuerpflichtige also geltend machen, dass die vertragliche Aufteilung zu respektieren ist, wenn fremde Dritte bei vergleichbaren Risikomanagementfunktionen entsprechende Risiken tragen. In der Praxis wird ein konkreter Nachweis aber häufig schwierig sein, weil Drittdaten häufig fehlen. Im Ergebnis bleibt die OECD aber unklar, ob einzelne DEMPE-Funktionen ausreichend für die Risikokontrolle sind. Übernimmt man den Leitgedanken des Fremdvergleichs spricht aber vieles dafür, dass einzelne Elemente der Kontrolle ausreichend sein sollten. Im Wirtschaftsleben tragen Unternehmen regelmäßig Risiken, über die sie keine oder keine vollständige Kontrolle haben. 2. Verlagerung der Entscheidungskompetenz – Zwang zur steuerlichen Entstrickung? Ein weiteres Problemfeld ist die Frage, ob eine steuerliche Entstrickung mit der Verlagerung der Kontrolle einhergeht. Das Problem kann mit folgendem Beispiel verdeutlicht werden: Ein US Konsumgüterkonzern erwirbt im Jahr 2000 einen deutschen Wettbewerber, der über etablierte Marken verfügt. Nach dem Erwerb entlässt die neue US-Muttergesellschaft alle deutschen Mitarbeiter in der Entwicklung und im Marketing, alle DEMPE-Funktionen in Bezug auf die deutschen IWGs werden anschließend von der Muttergesellschaft in den USA ausgeübt. Um eine Verlagerung der IWGs zu vermeiden, verblieb das rechtliche und wirtschaftliche Eigentum an den IWGs in Deutschland, die deutsche Gesellschaft erhält nach der Restrukturierung die weltweiten Lizenzeinnahmen aus der Nutzung der Marke und vergütet die US-­ Muttergesellschaft für ihre Entwicklungs- und Marketingfunktionen zu C+. Die abdiskontierten Lizenzeinnahmen entsprechen dem Unternehmenskaufpreis, so dass die deutsche Betriebsprüfung von der Fremdüblichkeit der Vereinbarungen (der Höhe nach) ausgegangen ist. 44 Vgl. Tz. 6.56 OECD-Leitlinien. 45 Vgl. Tz. 6.57 OECD-Leitlinien. 46 Vgl. Tz. 6.51 OECD-Leitlinien. 47 Vgl. Tz. 1.62 und 1.83 OECD-Leitlinien.

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Da die deutsche Gesellschaft nach dem Unternehmenserwerb keine DEMPE-Funktionen für ihre immateriellen Wirtschaftsgüter mehr ausübt, ergeben sich aus dem Fall eine Reihe von Fragestellungen, die durch Einführung des DEMPE-Konzepts durch die OECD bedingt sind. Zunächst ist fraglich, ob die gewählte Struktur im Jahr 2000 steuerlich zulässig war. Wie unter II. dargestellt, ging die OECD seinerzeit davon aus, dass die vertraglichen Beziehungen und die Risikoaufteilung zu respektieren seien, dementsprechend wird man auch in der Praxis feststellen, dass Finanzverwaltungen von keiner steuerlichen Entstrickung ausgegangen sind. Nunmehr soll eine neue Interpretation gelten, allerdings nennt die OECD keine zeitlichen Übergangsfristen, offenkundig geht man davon aus, dass die neue Interpretation schon immer richtig war. Fraglich ist damit, wem und zu welchem Zeitpunkt der intangible related return zuzuordnen ist. U.E. ergeben sich zwei mögliche Lösungsansätze. Wenn die neue Interpretation des zweistufigen Fremdvergleichtests schon immer zutreffend und zwingend gewesen wäre und auch eine entsprechende innerstaatliche Norm zur Interpretation des Fremdvergleichsgrundsatzes vorhanden wäre, könnte die deutsche Finanzverwaltung von einer steuerlichen Entstrickung für die Altjahre ausgehen bzw. der Steuerpflichtige hätte eine Verpflichtung nach § 153 AO seine Steuererklärung zu ändern. Wenn man diese Auffassung für richtig hielte, wäre allerdings das Jahr der Entstrickung verjährt und das Besteuerungsrecht wäre verwirkt. In den Folgejahren hätte die US-Finanzverwaltung das Recht nach Art. 9 DBA USA den intangible related return zu vereinnahmen, da die US-Muttergesellschaft die DEMPE-Funktionen ausübt. Bei der deutschen Gesellschaft wären dann korrespondierend die Einkünfte in Höhe der Lizenzeinnahmen (abzüglich der C+ Vergütung) für alle noch offenen Jahre herabzusetzen. Diese Lösung führt damit zu erheblichen steuerlichen Verwerfungen, insbesondere erscheint es sehr zweifelhaft, dass der Steuerpflichtige – soweit keine Verjährung eingetreten ist – aufgrund der Änderung der OECD-Leitlinien eine Verpflichtung zur steuerlichen Entstrickung für Altjahre hat. Eine andere Lösungsmöglichkeit wäre, bei der deutschen Gesellschaft den Anteil des intangible related returns zu belassen, der im Zusammenhang mit den historischen IWGs steht. In diesem Fall würde man auf die DEMPE-Funktionen im Zeitpunkt der Entstehung der IWGs abstellen. Die US Muttergesellschaft müsste dann alle Kosten für die zukünftige Weiterentwicklung tragen und der intangible related return müsste entsprechend zwischen der deutschen Gesellschaft als Eigentümer der historischen IWGs und der US Muttergesellschaft für die neu entstandenen IWGs aufgeteilt werden. Geht man wiederum davon aus, dass die Neuinterpretation der OECD bereits im innerstaatlichen Recht der beteiligten Staaten verankert war, könnte die US-Finanzverwaltung für die noch offenen Jahre eine Herabsetzung der Einkünfte in Deutschland verlangen, der Betrag wäre aber begrenzt auf den Anteil am intangible related return, der ab dem Zeitpunkt der Übernahme der DEMPE-Funktionen entsteht. Die in Deutschland getragenen Kosten wären den USA zurechenbar. Spricht man sich für diese Lösung aus, muss man sich aber darüber bewusst sein, dass auch der intangible related return für IWGs, die in Steueroasen aufgrund von vertraglichen Strukturen entstanden sind, entsprechend dem Staat der Steueroase zuzuordnen wäre. 187

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Insgesamt wird deutlich, dass durch die Neuinterpretation des Fremdvergleichsgrundsatzes eine massive Rechtsänderung eingetreten ist. Man kann bezweifeln, dass eine Rechtsänderung von diesem Ausmaß ohne eine Änderung der gesetzlichen Grundlage möglich sein soll (vgl. dazu näher IV.). 3. Zerlegung des Unternehmensgewinns und Zuordnung zu einzelnen Risiken Ein weiteres praktisches Problem ist, dass die OECD immer auf spezifische Risiken und deren Kontrolle abstellt. Demnach müsste der Steuerpflichtige bei der Bestimmung der Verrechnungspreise spezifische Risiken bewerten. Bisher ist es dagegen in der Praxis üblich, auf das Gesamtbild einer Tätigkeit abzustellen und sich von Einzelrisiken zu lösen. Einer Funktion wird dann ein übliches Risiko bzw. ein üblicher Gewinn (mit der entsprechenden Risikoprämie) unterstellt. Die Herausforderungen des Ansatzes der OECD werden dann evident, wenn sich einzelne Risiken materialisieren und zu hohen Verlusten führen. Wenn im Großanlagenbau beispielsweise Projektrisiken zu Verlusten führen, werden die beteiligten Finanzverwaltungen untersuchen, wer die maßgeblichen Entscheidungen getroffen hat. Zum einen könnte ein Bündel von Fehlern zu den Verlusten geführt haben, z.B. könnten die Kundenverträge, die von der Rechtsabteilung im Staat A verantwortet wurden, fehlerhaft sein, es könnten Planungsprobleme der beteiligten Ingenieure im Land B zu Verlusten geführt haben, und zugleich könnten sich Fehler bei der Projektausführung im Land C zeigen. In diesem Fall müssten dann die Verluste verursachungsgerecht aufgeteilt werden. Die Aufteilung ist aber nicht nur im Verlustfall schwierig, sondern noch komplexer im Gewinnfall, weil man im Beispielsfall den Gesellschaften eine entsprechende Risikoprämie zuordnen müsste. Der Rechtsanwender muss daher das Projekt­ risiko bewerten und die Risikoprämien einzelnen Projekteinheiten zuordnen. Dies wird in einzelnen Fällen, z.B. bei der Tragung von Forderungsausfallrisiken möglich sein, bei vielen anderen Risiken wird aber eine Bewertung schwer bis unmöglich sein. Die Praxis unterstellt daher – in Abkehr der OECD-Vorgaben – im Regelfall typische Risiken einer Funktion und analysiert keine Einzelrisiken. 4. Geschäftsvorfall entkoppelte Risikokontrollfunktionen Eine weitere Fragestellung ist, wie bei Konstellationen umzugehen ist, bei denen Konzerneinheiten Kontrolle ausüben, aber nicht am originären Geschäftsvorfall beteiligt sind. Auch dies soll anhand eines Beispiels verdeutlicht werden: Ein Konzern betreibt im Ausland einen Steinbruch. Alle Entscheidungen für die Auswahl der Anlagen- und Maschinen werden von dem Personal der Muttergesellschaft getroffen. Der Steinbruch erleidet einen Verlust, weil die eingesetzten Maschinen unbrauchbar für die örtlichen Verhältnisse sind. Folgt man der OECD, so hat das Tochterunternehmen keine Kontrolle über das spezifische Risiko, das sich materialisiert hat. Der Staat in dem der Steinbruch betrieben wird, kann daher geltend machen, dass die Verluste entsprechend von der Konzernmutter zu tragen sind. Umgekehrt bedeutet dies im Erfolgsfall des Steinbruchs, dass die Muttergesellschaft die Chancen aus dem Steinbruch zugeordnet werden müssten. Im Beispiel ist offenkundig, dass man erwarten würde, dass die Risiken in der lokalen Gesellschaft getragen werden. Auch 188

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dies entspricht dem Fremdvergleich. Gründet eine natürliche Person ein Restaurant in der Rechtsform einer GmbH und hat sich der Eigentümer der GmbH für den Betrieb des Restaurants an einem falschen Standort entschieden, kann keine verdeckte Gewinnausschüttung an den Gesellschafter angenommen werden, weil die falsche Entscheidung dem Gesellschafter zugerechnet werden soll. Die Kapitalgesellschaft wurde geradezu dafür gegründet, um persönliche Risiken von dem Entscheidungsträger abzuschirmen bzw. zu begrenzen. Man wird daher wahrscheinlich im Verlustfall – wenn sich Risiken materialisieren – in Zukunft eine erhöhte Aufgriffswahrscheinlichkeit feststellen, da Finanzverwaltungen die entsprechenden Risiken identifizieren werden und die Risiken zu den entsprechenden Entscheidungsträgern zuordnen wollen. Im Fall von Gewinnen dürfte ein „Versicherungsentgelt“ voraussichtlich schwer durchsetzbar sein, so dass Zweifel an der Richtigkeit der Argumente der OECD verbleiben.

IV. Die rechtlichen Grundlagen für einen zweistufigen Fremdvergleichstest 1. Rechtliche Qualität der OECD-Leitlinien Die vorgenannten Ausführungen machen deutlich, dass die Änderungen der OECD-­ Leitlinien eine einschneidende Uminterpretation des Fremdvergleichsgrundsatzes darstellen. Zu untersuchen ist daher, welche Auswirkung die Änderungen der OECD-­ Leitlinien auf die Rechtsanwendung haben. Formalrechtlich ist ihr Einfluss zunächst beschränkt. Weder die Regelungen in den OECD-Leitlinien noch Art.  9 OECD-Musterabkommen bzw. der MA-Kommentar haben eine rechtliche Bindungswirkung.48 Es handelt sich um keine nationalen oder internationalen Rechtsnormen, die Rechte oder Pflichten eines Steuerpflichtigen oder der Finanzverwaltung begründen oder beschränken können. Allerdings haben sich die Staaten verpflichtet, dass Verständigungsverfahren auf Basis der OECD-Leitlinien entschieden werden.49 Da die Rechtsstreitigkeiten bei der Anwendung von Art.  9 OECD-Musterabkommen weltweit in den meisten Fällen über Verständigungsverfahren gelöst werden, gewinnen die OECD-Leitlinien ein sehr hohes Gewicht für die Praxis. Auch für die Interpretation des Fremdvergleichsgrundsatzes haben die OECD-Leitlinien grundsätzlich ein hohes Gewicht, so dass sich in vielen Fällen die nationalen Gerichte in ihrer Interpretation des Fremdvergleichsgrundsat-

48 Vgl. Eigelshoven, in Vogel/Lehner, Art.  9 Rz.  29; Eigelshoven/Retzer, in Kroppen, OECD Vorbemerkungen Rz.  2  ff.; Rasch, in Gosch/Kroppen/Grotherr, Art.  9 OECD-Musterabkommen Rz.  36; Borstell/Dworaczek, in Vögele/Borstell/Bernhardt, Verrechnungspreise, B 68; Rasch, Konzernverrechnungspreise im nationalen, bilateralen und europäischen Steuerrecht (2001), 199 f.; Runge, IStR 1995, 511.  49 Vgl. Tz. 17 OECD-Leitlinien; Kroppen, in FS Endres, S.  203; Kroppen/Rasch, IWB 2015, 839 ff.

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zes auf die OECD-Leitlinien beziehen.50 In den letzten Jahren ist allerdings zu beobachten, dass die OECD den Fremdvergleichsgrundsatz einschränken möchte. So haben sich beispielsweise die Staaten darauf geeinigt, dass konzernintern Low value added services zu C+5% verrechnet werden sollen. Es dürfte aber in vielen Fällen unstrittig sein, dass ein Gewinnaufschlag von 4% oder 6% ebenfalls fremdüblich ist. Sollte beispielsweise ein Konzern seine Dienstleistungen mit einem Gewinnaufschlag von 4% abrechnen und nimmt der Staat des Dienstleistungserbringers eine Einkunftskorrektur vor, müsste der andere Staat im Rahmen eines Verständigungsverfahrens eine Gegenkorrektur einräumen. Im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung würde sich allerdings eine Einkunftskorrektur kaum durchsetzen lassen, wenn der Steuerpflichtige nachweist, dass der Gewinnaufschlag von 4% fremdüblich ist. Aus dem Beispiel folgt, dass die Staatengemeinschaft in den OECD-Leitlinien den Fremdvergleichsgrundsatz faktisch einschränken kann, durch die Anwendung der OECD-Leitlinien im Rahmen von Verständigungsverfahren entsteht eine hohe praktische Relevanz  – ohne allerdings eine Bindungswirkung für den Steuerpflichtigen oder die Gerichte zu entfalten. Sollten Verträge umqualifiziert werden, wird sich ein Gericht daher eine eigenständige Meinung bilden müssen, ob eine Einkunftskorrektur vor dem Hintergrund des Fremdvergleichs geboten ist, oder ob eine Korrektur im Rahmen der OECD-Leitlinien ein politischer Wunsch ist. 2. Rechtsgrundlage im internationalen Recht: Art. 9 OECD-Musterabkommen bzw. die entsprechenden DBA-Vorschriften Fraglich ist zunächst, ob der Wortlaut des Art. 9 OECD-Musterabkommen bzw. der nachgebildeten DBAs eine Umqualifizierung von Verträgen erlaubt oder ob Art.  9 OECD-Musterabkommen nicht alleine eine Korrektur der Verrechnungspreise der Höhe nach zulässt. Gemäß Art. 9 OECD-Musterabkommen sollen verbundene Unternehmen in ihren „kaufmännischen und finanziellen Beziehungen“ Bedingungen vereinbaren, die dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen. Bisher ging die herrschende Meinung davon aus, dass die kaufmännischen und finanziellen Beziehungen die Grundlage für angemessene Verrechnungspreise bilden.51 Nach der neueren Auffassung der OECD will man den Begriff der „Bedingungen“ dagegen weiter fassen und nicht nur auf Preise sondern auf die Fremdüblichkeit der Vertragsbeziehungen abstellen. Für diese Interpretation spricht, dass man das Problem der eigenkapitalersetzenden Darlehen bereits seit 1979 erkannt hat und eine entsprechende Textziffer im MA-Kommentar aufgenommen hat, die die Zulässigkeit der Umqualifizierung der Darlehensbeziehung in Eigenkapital unterstreicht.52 Allerdings ist man auch seinerzeit davon ausgegangen, dass Art. 9 keine weitere Umqualifizierung von Verträgen zulässt. So unterstreicht Tz. 23 der OECD-Leitlinien 1979: “The aim in short is, for tax purposes, to adjust the price for the actual transaction to an arm’s length price.” 50 Vgl. Eigelshoven, in Vogel/Lehner, DBA, Art. 9 Rz. 29 m.w.N. 51 Vgl. Eigelshoven, in Vogel/Lehner, Art. 9 Rz. 51; Rasch, in Gosch/Kroppen/Grotherr, Art. 9 OECD-Musterabkommen Rz. 65 ff. 52 Vgl. Art. 9 Tz. 3 OECD-Musterabkommen Kommentar.

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Es wird aber deutlich, dass eine einschneidende Umkehr der Interpretation des Art. 9 OECD-Musterabkommen stattgefunden hat. Daher ist fraglich, ob für die Rechtsanwendung in Deutschland eine statische oder dynamische Auslegung anwendbar ist. Bisher geht der BFH von einer statischen Betrachtung aus, so dass allenfalls für neuere DBAs die neue Interpretation des Fremdvergleichsgrundsatzes zugrunde gelegt werden kann.53 Für die DBAs vor 2017 wäre demnach weiterhin davon auszugehen, dass eine Umqualifizierung von Verträgen nicht vom jeweiligen DBA gedeckt wäre. 3. Innerstaatliches Recht Maßgeblich für die Risikoabgrenzung sind die zivilrechtlichen Verträge. Eine Durchbrechung könnte dann zulässig sein, wenn eine Einkunftskorrekturnorm, insbesondere die verdeckte Gewinnausschüttung oder § 1 AStG, eine Korrektur rechtfertigen würde. § 1 AStG bildet den Fremdvergleichsgrundsatz für das innerstaatliche Recht ab. Hier hat der Gesetzgeber im Rahmen des Unternehmenssteuerreformgesetzes im Jahr 2008 § 1 AStG erweitert. Demnach kann eine Einkunftskorrektur vorgenommen werden, wenn der Steuerpflichtige bei seiner Einkunftsermittlung „andere Bedingungen, insbesondere Preise (Verrechnungspreise) zugrunde legt, als sie voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder vergleichbaren Verhältnissen vereinbart hätten (Fremdvergleichsgrundsatz)“. Der Gesetzeswortlaut könnte bedeuten, dass nicht nur Preise angepasst werden können, sondern eben auch die vertragliche Beziehung. Die Formulierung „insbesondere Preise“ wurde erstmals im Rahmen des Unternehmenssteuerreformgesetzes 2008 in § 1 AStG aufgenommen. Die Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG liest sich wie folgt: „Die „Grundformulierung“ des § 1 Abs. 1 Satz 1 wird weitgehend beibehalten, um die Reichweite der Vorschrift und ihre Korrekturmöglichkeiten zu erhalten. Die Begriffe „Verrechnungspreise“ und „Fremdvergleichsgrundsatz“ werden in inhaltlicher Übereinstimmung mit internationalen Grundsätzen gesetzlich definiert.“54 Der Gesetzgeber will sich an internationalen Grundsätzen ausrichten. Wie unter I. dargestellt ging man seinerzeit allerdings im Rahmen der OECD-Leitlinien davon aus, dass die vertraglichen Beziehungen – abgesehen von der Umqualifizierung von Fremd- in Eigenkapital – nicht zulässig sind. Die Formulierung kann daher allenfalls auf die Umqualifizierung von Fremd- in Eigenkapital abstellen, eine tiefgreifende Rechtsänderung kann dem Gesetzgeber kaum unterstellt werden. Im Jahr 2020 will nun der Gesetzgeber § 1 AStG im Rahmen des „Gesetz zur Um­ setzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATAD-Umsetzungsgesetz  – ATAD­ UmsG)“ ändern. Der Gesetzgeber macht in der Gesetzesbegründung nunmehr deutlich, dass er einen zweistufigen Fremdvergleichstest durchführen möchte bzw. dass die schriftlichen Verträge nur Ausgangspunkt für die Bestimmung angemessener

53 Kroppen/Rasch, IWB 2015, 839.  So für das OECD-MK, s. BFH v. 8.9.2010  – I R 6/09, ­BStBl. II 2013, 186 und BFH v. 9.2.2011 – I R 54 55/10, BStBl. II 2012, 106.  54 Vgl. BT-Drucks. 16/4841 zu Artikel 7.

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Verrechnungspreise bilden sollen.55 Der Gesetzgeber verweist darauf, dass es sich um eine wirtschaftliche Betrachtungsweise handele, die aber nur klarstellend aufgenommen worden sei.56 Damit impliziert der Gesetzgeber, dass der zweistufige Fremdvergleichstest bereits zuvor im innerstaatlichen Recht Bestand hatte. Fraglich ist damit ob „eine wirtschaftliche Betrachtungsweise“ schon zuvor galt. Dem wird man in Teilbereichen zustimmen können, nämlich dann, wenn im Rahmen des § 39 Abs. 2 AO vom zivilrechtlichen Eigentum abgewichen wird und dem wirtschaftlichen Eigentümer ein Wirtschaftsgut zugerechnet werden muss. Dies ist immer dann der Fall, wenn der wirtschaftliche Eigentümer den zivilrechtlichen Eigentümer für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut ausschließen kann. Für die Beurteilung sind aber wiederum die von den Parteien abgeschlossenen zivilrechtlichen Verträge maßgeblich, die personelle Kontrolle ist kein steuerliches Kriterium. So hat der BFH deutlich gemacht, dass derjenige der die Sachherrschaft ausschließlich oder ganz überwiegend im Interesse (für Rechnung) eines Dritten übt, kein wirtschaftliches Eigentum begründet.57 4. BFH-Rechtsprechung zum zweistufigen Fremdvergleichstest Auch der BFH hat sich mit der Frage beschäftigt, ob der Fremdvergleichsgrundsatz eine Überprüfung der zugrundeliegenden vertraglichen Beziehungen zulässt. In seiner früheren Rechtsprechung war auch der BFH davon ausgegangen, dass Art.  9 OECD-Musterabkommen nur auf fremdübliche Preise abstellt und keine zweistufige Prüfung vorsieht. Die ersten Urteile des BFH zu diesem Themenkomplex im internationalen Kontext beschäftigten sich mit der Frage formell fehlerhafter bzw. fehlender Verträge trotz fremdüblicher Vergütung. So stellte der BFH erstmals in seiner Entscheidung vom 9.11.200558 die Ablehnung einer „kaufmännischen und finanziellen Beziehung“ im Sinne des Art. 9 OECD-Musterabkommen alleine aufgrund formaler Kriterien infrage und gab eine Tendenz vor, dass es im Rahmen von Art. 9 nur auf die Überprüfung des Fremdpreises ankommen darf.59 Deutlicher waren dann die Entscheidungen vom 11.10.201260, 17.12.201461, 24.6.201562 und der Beschluss vom 24.3.201563, wobei sich die letzten drei Fälle64 mit dem § 1 AStG a.F. beschäftigten.65 55 Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie, zu Artikel 5, § 1 AStG – Allgemeines. 56 Vgl. ebenda; zu Artikel 5, § 1 Abs. 3 AStG. 57 Vgl. BFH v. 27.9.1988, BStBl II 1989, S. 414; Ratschow, in: Klein, AO, § 39 AO Tz. 20. 58 BFH v. 9.11.2005 - I R 27/03, BB 2006, S.756; IStR 2006, S. 420. 59 Siehe dazu ausführlich Mank/Nientimp, DB 2007, 2163. 60 BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046; siehe dazu Kirchner/Moll, DStR 2013, 1111 ff.; Schnorberger/Becker, IStR 2013, 109 ff. 61 BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, DStR 2015, 466, vgl. dazu die umfassenden Ausführungen von Hagemann/Kahlenberg, PIStB 2015, 150 ff.; Rasch/Chwalek, IWB 2015, 377. 62 BFH v. 24.6.2015 – I R 29/14, IStR 2015, 748.  63 BFH v. 24.3.2015 – I B 103/13, BeckRS 2015, 94823. 64 Dazu siehe Habammer, IStR 2016, 525 ff; Steiner/Ullmann, FR 2018, 1065 ff. 65 Die BFH-Rechtsprechung bis dahin beschäftigte sich mit Fällen der verdeckten Gewinnausschüttung.

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Der BFH stellte darin ausdrücklich fest, dass eine Prüfung einer Gewinnkorrektur „dem Grunde nach“ dem Fremdvergleich i.S.d. Art 9 Abs.  1 OECD-Musterabkommen fremd sei. In seinem Urteil aus 2014 führt er aus, dass der Fremdvergleichsgrundsatz nach Art. 9 OECD-Musterabkommen lediglich eine Überprüfung des Verrechnungspreises (in diesem Fall: Zinsen) zulässt. Nach dieser BFH-Rechtsprechung ist unter dem Ausdruck der „vereinbarten Bedingungen“ in Art. 9 Abs. 1 OECD-Musterabkommen grundsätzlich alles zu subsumieren, was Gegenstand des konkreten schuldrechtlichen Leistungsaustauschs zwischen den verbundenen Unternehmen ist, d.h. neben dem Preis auch sämtliche anderen Geschäftsbedingungen. Allerdings wirken sich diese im Lichte des – aus Art. 9 Abs. 1 OECD-Musterabkommen abgeleiteten – Prüfungsmaßstabs allenfalls dahingehend aus, als dass sie den Preis „nach oben“ oder „nach unten“ beeinflusst. Nach Ansicht des BFH scheitert eine nationale Korrektur der Teilwertabschreibung nach §  1 AStG a.F. an der Sperrwirkung von Art.  9 Abs. 1 OECD-Musterabkommen entsprechenden Klauseln. Auch sollte eine Umqualifizierung nicht aus dem Umkehrschluss aus § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG a.F. gerechtfertigt werden können.66 Zwar erlaube es die Norm, eine bei der Kapitalgesellschaft eingetretene Vermögensminderung entsprechend ihrer Veranlassung im Gesellschafts­ verhältnis zu besteuern und daher u.U. als Ausschüttung zu qualifizieren. Ein Darlehen, welches ein Gesellschafter seiner Gesellschaft gewährt, bleibt aber auch dann Fremd­kapital der Gesellschaft, wenn die Darlehensgewährung als solche nur durch das ­Gesellschaftsverhältnis veranlasst sein sollte – Raum für eine Umqualifizierung in Eigenkapital bestand auch im innerstaatlichen Recht nicht. Der BFH bestätigt vielmehr den Grundsatz der Finanzierungsfreiheit zugunsten des Gesellschafters. Der BFH entkräftet in seinem Urteil v. 24.6.2015 insbesondere das Argument der Finanzverwaltung, wonach unter dem Begriff der Bedingungen i.S.d. § 1 Abs. 1 AStG sämtliche Vertragsbedingungen zu verstehen seien und folglich auch die Fremdvergleichsprüfung des Art. 9 Abs. 1 OECD-Musterabkommen eine Korrektur der sonstigen Bedingungen erlauben müsse. Der BFH setzt dieser Auffassung völlig zurecht entgegen, dass es sich bei der Argumentation der Finanzverwaltung um einen Zirkelschluss handelt.67 Denn zwar kann aufgrund der angestrebten nationalen Umsetzung des Art. 9 Abs. 1 OECD-Musterabkommen in § 1 Abs. 1 AStG vom Fremdvergleichsmaßstab des Art.  9 Abs.  1 OECD-Musterabkommen auf den Inhalt des §  1 Abs.  1 AStG geschlossen werden. Umgekehrt kann jedoch nicht aus dem Fremdvergleichsmaßstab des § 1 Abs. 1 AStG der Korrekturmaßstab des Art. 9 Abs. 1 OECD-Musterabkommen abgeleitet werden. Die Finanzverwaltung stand der Auffassung seit jeher kritisch gegenüber und verfestigte ihre Meinung durch den Nichtanwendungserlass68 betreffend die Urteile vom 17.12.2014 und 24.6.2015. 

66 Vgl. auch Prinz in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8a KStG Rz. 2 m.w.N. (Stand: Februar 2013). Zur neuen Fassung siehe Steiner/Ullmann, FR 2018, 1065 ff., die § 8b Abs. 3 S. 4 ff. KStG an als Missbrauchsvorschrift einordnen und damit den Zugang zu Art. 9 verneinen. 67 Ebenso: Steiner/Ullmann, FR 2018, 1065 (1069). 68 BMF v. 30.3.2016 – IV B 5 - S 1341/11/10004 - 07.

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Mit seinen drei parallelen Entscheidungen vom 27.2.201969, vollzog der BFH nun aber eine augenscheinliche Kehrtwende und hat für Fälle einer Fremdfinanzierung einen zweistufigen Fremdvergleichstest vorgesehen, wobei in zwei Fällen eine Rückverweisung zur Sachverhaltsaufklärung erfolgte. In allen drei Verfahren stritten die Beteiligten über die Rechtmäßigkeit einer Einkünftekorrektur nach § 1 AStG im Zusammenhang mit gewinnmindernden Umbuchungen sowie Teilwertabschreibungen. Nach dem BFH ist zunächst zu prüfen ob tatsächlich mit einer Rückzahlung zu rechnen war (nur dann soll überhaupt ein schuldrechtliches Darlehen vorliegen und nicht eine gesellschaftsrechtlich veranlasste Einlage) und anschließend ob „die Einkünfteminderung weiterhin i.S. von § 1 AStG durch („dadurch“) die fehlende Besicherung eingetreten ist“.70 Dass zwei der drei Urteile zunächst zur Sachverhaltsaufklärung zurückverwiesen wurden, zeigt zunächst inhaltlich, dass eine fremdüblich fehlende oder nicht wirkungsvolle Besicherung eines Rückzahlungsanspruchs nicht in jedem Fall fremdunüblich ist. Vielmehr stellt der Senat in I R 73/1671 als Maßstab des Fremdvergleichs das „marktübliche (bankübliche)“ heraus, banküblich eben auch unbesicherte Darlehen. Unabhängig von der inhaltlichen Würdigung bleibt aber festzuhalten, dass der BFH in seinen neuen Urteilen zunächst isoliert die vertraglichen Beziehungen im Hinblick auf ihre Fremdüblichkeit überprüft und die Prüfung der Höhe nach erst anschließend vorgenommen bzw. sich für einen weiteren Schritt vorbehalten hat. Das ist aber nicht völlig neu. Schon in seiner Entscheidung vom 24.6.2015 hatte der BFH der Finanzverwaltung zugestimmt, dass grundsätzlich Konstellationen denkbar sind, in denen durch die alleinige Korrektur des Zinssatzes ein fremdvergleichskonformes Ergebnis nicht erzielt werden kann. Der BFH vertrat die Auffassung, dass die Tatsache, „[…] dass [derartige] Situationen vorstellbar sein mögen, in welchen sich das darlehensbedingte Risikopotential durch einen Marktzins nicht mehr ausgleichen ließe, […] nicht geeignet [ist], einen abweichenden Vergleichsmaßstab vorzugeben“. Insgesamt scheint damit nach der BFH-Rechtsprechung in Situationen der Fremdfinanzierung auch ein zweistufiger Test auf Basis von Art. 9 OECD-Musterabkommen möglich zu sein, dieser wäre auch durch das innerstaatliche Recht bzw. durch §  1 AStG gedeckt. Die Zurückverweisung von zwei der drei Urteile vom 27.2.2019 bestätigt diese sehr differenzierte Sicht: Es ist nicht grundsätzlich ein zweistufiger Test vorgesehen, der eine Umqualifizierung erlaubt. Vielmehr soll offensichtlich immer eine ganzheitliche Betrachtung vorgenommen werden und marktübliche Bedingungen sichergestellt werden. So spezifisch hat sich der BFH seit seinen Urteilen bisher zu anderen Arten von schuldrechtlichen Verträgen neben Darlehen seit 2012 nicht mehr geäußert. Daher kann auf Basis der bisherigen Urteile nur angenommen werden, dass der BFH auch hier fallspezifisch und sachverhaltsabhängig vorgehen wird und nicht direkt auf Basis der zu Grunde liegenden Vertragsgestaltung eine Umqualifizierung vornehmen wird. Dieses Vorgehen erscheint sinnvoll und sachgerecht. 69 BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16; BStBl 2019 II, 394; v. 27.2.2019 – I R 81/17, NZG 2019, 1397; BFH v. 27.2.2019 – I R 51/17, BFHE 264, 292. 70 BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16; BStBl 2019 II, 394, Rz. 23. 71 BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16; BStBl 2019 II, 394, Rz. 22.

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V. Schlussfolgerung Übertragen auf die hier diskutierte Frage, ob die Substanzanforderungen der OECD in Übereinstimmung mit dem Fremdvergleichsgrundsatz sind, muss die BFH Rechtsprechung zunächst prüfen, ob im innerstaatlichen Recht eine Rechtsgrundlage für eine Einkunftskorrektur vorhanden ist. Wie dargestellt, bedarf es einer gesetzlichen Änderung, damit eine Umqualifikation zulässig ist. Zum zweiten wäre dann zu prüfen, ob das jeweilige DBA als zweistufiger Fremdvergleichstest verstanden werden kann. Wenn man von einer statischen Betrachtung der DBAs ausgeht, so ist offenkundig, dass die Staatengemeinschaft vor 2017 eine Umqualifizierung von Verträgen nur im Fall der Fremdfinanzierung als zulässig erachtet hat. Dementsprechend würde das DBA-Recht eine Sperrwirkung gegenüber dem innerstaatlichen Recht entfalten. Wenn man davon ausgeht, dass eine Umqualifizierung von Verträgen im Rahmen eines Fremdvergleichs nach dem innerstaatlichen und DBA-Recht zulässig wäre, müssten abschließend die Kriterien definiert werden. Bei substanzlosen Gesellschaften, die die Forschung und Entwicklung finanzieren, wird man sicherlich argumentieren können, dass derartige Konstellationen im Fremdvergleich nicht denkbar sind. Allerdings wird man in der Praxis viele Konstellationen finden, wo fremde Dritte relativ geringe Kontrolle über Risiken haben. Die praktische Relevanz der OECD-Leitlinien darf allerdings nicht unterschätzt werden, da diese die Grundlage für Verständigungsverfahren bilden, die gerichtliche Überprüfung ist eher der Ausnahmefall. Die OECD will die zivilrechtlichen Verträge nur noch als Ausgangspunkt für die Bestimmung der vertraglichen Beziehungen und für die konzerninterne Risikoabgrenzung nehmen. Der Versuch, Substanzanforderungen an die Übernahme von Risiko im Konzern zu knüpfen, muss allerdings weiterhin vor dem Hintergrund des Fremdvergleichsgrundsatzes erfolgen. Die OECD kann letztlich nur sehr schwammige Definitionen ihrer Voraussetzungen nennen, bekennt sich aber weiterhin zum Fremdvergleichsgrundsatz. Für den Rechtsanwender ergibt sich ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit. Angesichts der ausufernden Komplexität ist der Jubilar nicht zuletzt auch wegen dieser Diskussion zum Schluss gekommen, dass der Fremdvergleichsgrundsatz an seine Grenzen stößt, und hat sich für ein radikal vereinfachtes Konzept ausgesprochen, das vorsieht, dass das weltweite Einkommen auf Basis der Außenumsätze aufzuteilen ist.72 Man wird in den nächsten Jahren mit Spannung beobachten, ob sich die Weitsicht von Kroppen in der Staatengemeinschaft durchsetzen und an einer Vereinfachung der Verrechnungspreisbildung gearbeitet wird.

72 Vgl. Kroppen/Dawid/Keil, TPI 2019, S. 100 ff.

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Armin Gembruch

Verrechnungspreisdokumentation im Lichte von Art. 24 OECD-MA im deutschen Recht Inhaltsübersicht I. Findet Art. 9 Abs. 1 OECD-MA noch Anwendung? 1. Übersicht über deutsche und OECD-­ Dokumentationsvorschriften 2. Anwendbarkeit der Dokumentations­ vorschriften in Deutschland a) Verhältnis von § 90 Abs. 3 AO zu Art. 9 Abs. 1 OECD-MA b) Grenzen und Reichweite des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA c) Konkurrenzverhältnis zwischen Art. 9 Abs. 1 OECD-MA und § 90 Abs. 3 AO 3. Nationale Legitimation der Dokumen­ tation durch Art. 9 Abs. 1 OECD-MA

4. Stellungnahme II. Verstoß gegen Art. 24 OECD-MA 1. Art. 24 Abs. 4 OECD-MA 2. Verbotsmaßstab des Art. 24 Abs. 4 OECD-MA 3. Art. 24 Abs. 5 OECD-MA 4. Verbotsmaßstab des Art. 24 Abs. 5 OECD-MA 5. Rechtsfolge III. Gesetzeskonkurrenz IV. Schlussfolgerung

I. Findet Art. 9 Abs. 1 OECD-MA noch Anwendung? In der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der OECD sollte das Thema der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung innerhalb eines internationalen Konzerns aufgrund des relativ dichten Abkommensnetzes keine große Bedeutung mehr haben.1 Unabhängig davon, ob die jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen der Bundesrepublik Deutschland mit anderen OECD-Staaten oder Nichtmitgliedern der OECD abgeschlossen wurden, orientieren sie sich am OECD-MA.2 Nach Art.  9 Abs.  1 OECD-MA sollte es nicht zu einer Anpassung des Gewinns für Besteuerungszwecke kommen, wenn der Fremdvergleichsgrundsatz eingehalten wurde.3 Die Formulierung in Art.  9 Abs.  1 OECD-MA legt nahe, dass es zur Feststellung einer Abweichung, als Voraussetzung für eine Anpassung, gegenüber dem kommen muss, was unabhängige Unternehmen in Bezug auf ihre kaufmännischen und wirtschaftlichen Beziehungen vereinbart hätten.4 Die Bundesrepublik Deutschland hat sich bei der 1 Art. 9 Abs. 1 OECD-MA soll die wirtschaftliche Doppelbesteuerung vermeiden, vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl. 2019, Art. 9 Rz. 3. 2 Im Rahmen der Ausarbeitung wird immer das OECD-MA verwandt. Dabei wird unterstellt, dass sie Bundesrepublik Deutschland wortgleiche Abkommen abgeschlossen hat. 3 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl. 2019, Art. 9 Rz. 5; Eigelshoven in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Art. 9 Rz. 3. 4 Die Formulierung des Art. 9 Abs. 1 hat sich seit 1963 nicht verändert. Auch durch MLI in Folge der BEPS-Umsetzung trat keine Veränderung ein, vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl. 2019, Art. 9 Rz. 6 u. 7.

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Formulierung der unilateralen Anpassungsvorschrift für Transaktionen zwischen verbundenen Unternehmen, namentlich § 1 Abs. S. 1 AStG, an diese Systematik gehalten. Demnach kann eine Korrektur nur dann erfolgen, wenn eine Abweichung der Transaktion zugrunde gelegt wurde, die voneinander unabhängige Dritte so nicht getroffen hätten. Hätte es der deutsche Gesetzgeber bei dieser Regelung belassen, so würden die allgemeinen Vorschriften des Verfahrensrechtes Anwendung finden. Dies hat im Ergebnis auch der BFH im Rahmen seiner Entscheidung vom 17.10.2001 so betrachtet, indem er der deutschen Finanzverwaltung aufgrund der seinerzeitigen Gesetzeslage das Recht absprach überbordende Anforderungen an die Dokumentation für den Steuerpflichtigen zu stellen.5 Leider hat der deutsche Gesetzgeber hierauf dergestalt reagiert, dass er Sonderverfahrensrecht für verbundene Unternehmen für grenzüberschreitende Transaktionen über die Implementierung der Vorschriften der §§ 90 Abs. 3, 162 Abs. 3 u. 4 AO geschaffen hat.6 Ähnliche Wege haben andere Länder beschritten.7 Hierdurch dreht sich die Diskussion des Steuerpflichtigen in Bezug auf Verrechnungspreise vermehrt nicht mehr um die Frage des Art.  9 OECD-MA, namentlich um die Abweichung der kaufmännischen Bedingungen von denen unabhängiger Dritter, sondern um die Einhaltung der formalen Dokumentationsvorschriften mit entsprechenden Auswirkungen in der Betriebsprüfung.8 Dabei ist die Auslegung dieser verfahrensrechtlichen Regelungen oft nicht vorhersehbar. Auch wird den Steuerpflichtigen faktisch eine wesentlich höhere Verwaltungslast aufgebürdet als dies im Falle einer Geschäftsbeziehung mit einem nicht verbundenen Unternehmen der Fall wäre. In Betriebsprüfungen wird der Schwerpunkt der Diskus­ sion oft auf die Einhaltung dieser Formvorschriften gelenkt.9 Dadurch sieht sich der Steuerpflichtige zu Kompromissen gedrängt, die, obwohl materiell der Fremdvergleich nicht verletzt wurde, nicht zu vermeiden sind. Ob die Berufung seitens der Finanzverwaltung auf die Dokumentationsvorschriften in der Bundesrepublik Deutschland gemessen an der nichtkonstitutionellen nationalen Gesetzeslage rechtens ist, wurde leider weder in der Literatur diskutiert, noch hat sich die Rechtsprechung, trotz Gelegenheit, dieser Frage angenommen. So hat der BFH in seiner Entscheidung von 2013 lediglich festgestellt, dass §  90 Abs.  3 AO offensichtlich nicht gegen die Grundfreiheiten der EU verstößt. Ob ein Verstoß gegen das in dem Fall abgeschlossene DBA Deutschland-Luxemburg vorgelegen haben könnte, wurde nicht angeprüft.10

5 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, DStR 2001, 2149. 6 Steuervergünstigungsabbaugesetz-StVergAbG v. 16.5.2003, BGBl. I 2003, 660. 7 Eigelshoven in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, zu Art. 24 Rz. 132a mwN; Mank in Kroppen, Handbuch der Verrechnungspreise, OECD-Kap. V Anm. 9. 8 Ditz/Bärsch/Kluge, Verrechnungspreise in der Unternehmenspraxis − Ergebnisse einer empirischen Untersuchung, IStR 2015, 819 (821). 9 Becker/Kimpel/Oestreicher/Reimer, Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, 2017, Vorwort; Hülster, Grenzen der Korrektur von Verrechnungspreisen in der Betriebsprüfung, IStR 2016, 874. 10 BFH v. 10.4.2013 – I R 45/11, DStR 2013, 1824.

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Art. 9 Abs. 1 OECD-MA hat dabei keine Wirkung auf die sich der Steuerpflichtige unmittelbar berufen kann, sondern appelliert lediglich an die Vertragsstaaten, Gewinnkorrekturen nach innerstaatlichem Recht nicht über das Maß des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA hinaus zu zulassen.11 Demgemäß entfaltet Art. 9 Abs. 1 OECD-MA gegenüber dem nationalen Recht eine entsprechende Sperrwirkung.12 Diesen Maßstab hat der deutsche Gesetzgeber häufiger überschritten.13 Dies trifft auch auf formale Anforderungen sowie Dokumentationsvorschriften zu.14, 15 Die Besonderheit der Dokumentationsvorschriften, liegt darin, dass diese zwar nicht in Art. 9 Abs. 1 OECD-MA erwähnt werden, aber an anderer Stelle der OECD-Regularien Aufnahme gefunden haben.16 Gegenstand der hier geäußerten Gedanken soll lediglich die Vereinbarkeit der unilateralen formalen Anforderungen in der Gestalt der Dokumentationsvorschriften mit den Regelungen des OECD-MA sein.17 Besonderes Augenmerk wird dabei auf das nicht nur nationale Vorhandensein solchen Dokumentationsanforderungen gerichtet, sondern sich auch der Frage gewidmet, ob durch die OECD-Sicht außerhalb des OECD-MA diese gleichsam mit dem Zustimmungsgesetz in deutsches Recht transformiert wurden.18 Im Ergebnis ist die Abweichung der nationalen Regelungen von dem Appell des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA wohl offensichtlich19. Auch sind diese Dokumentationsvorschriften geeignet die Grundfreiheiten zu Verletzen.20 Die EU-Rechtswidrigkeit wird hier nur über das Institut der Rechtfertigung vermieden, die es im Bereich des Art 24 OECD-MA nicht gibt.21 Hiernach findet Art. 9 Abs. 1 OECD-MA in vielen Bereichen in Deutschland faktisch wohl keine ausreichende 11 Eigelshoven in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Art. 9 Rz. 3, 18. 12 Eigelshoven in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Art. 9 Rz. 18 ff. mwN, 20; Schaumburg/ Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. 2017, Rz. 19.292; Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl. 2019, Art. 9 Rz. 20 mwN; zuletzt BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, DStR 2019, 1034 (1037) der jedoch die Sperrwirkung für die Hinzurechnung von Abschreibung auf Darlehen nicht mehr gelten lassen möchte. 13 Eigelshoven in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Art. 9 Rz. 21 ff. 14 BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046; Eigelshoven, Art. 9 Rz. 27 mwN.: Beide weisen auf die Unvereinbarkeit der Formerfordernisse mit Art. 9 OECD-MA hin. Gleichwohl hält die Finanzverwaltung wohl an diesen Formerfordernissen fest vgl. Rz. 1.4.1. Verw­ GrS 1983 und Rz. 6.1.1. VerwGrS-Verfahren. 15 §§ 90 Abs. 3, 162 Abs 4 AO, Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung BGBl. I 2003, 2296 die neu Veröffentlicht wurde unter dem 12.7.2017, BGBl. I 2017, 2367. 16 Vgl. OECD-MK Art. 9 Rz. 1 unter Verweis auf die Transfer Pricing Guideline for Multinational Enterprises und OECD-MK Art. 24 Rz. 80. 17 Bei der Ausarbeitung wird unterstellt, dass die Regelungen des OECD-MA durch Zustimmungsgesetz in der Bundesrepublik Deutschland in einfaches nationales Recht überführt wurden. Hierzu siehe generell Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 6.  Aufl. 2015, Grundlagen Rz. 47 ff.; vgl. BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, DStR 2016, 359 (363). 18 Vgl. zum Zustimmungsgesetz Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 6.  Aufl. 2015, Grundlagen Rz. 54. 19 Vgl. OECD-MA Art. 24 Rz. 80. 20 BFH v. 10.4.2013 – I R 45/11, DStR 2013, 1824 (1828). 21 Für Art. 24 OECD-MA Rust in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Art. 24 Rz. 5.

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Anwendung mehr. Es stellt sich jedoch die Frage, ob dies zurecht geschieht, oder ob die deutschen Regularien außerhalb des Zustimmungsgesetzes zum OECD-MA nicht ihrerseits das jeweilige deutsche DBA in der Fassung des Zustimmungsgesetzes verletzen. 1. Übersicht über deutsche und OECD-Dokumentationsvorschriften Bereits durch die VerwGrS 1983 wurde die ersten Dokumentationspflichten eingeführt. Diese genügten im Wesentlichen über viele Jahre, bis im Jahre 2001 der BFH die dort geregelte Auffassung zu einer umfassenden Pflicht zur Anfertigung von Dokumentationen in grenzüberschreitenden Leistungsaustausch zwischen verbun­ denen Unternehmen für unzulässig erklärte. Mit Einführung der Vorschriften des §§ 90 Abs. 3 und 162 Abs. 3, 4 AO wurden dann erstmalig in Deutschland Dokumentationspflichten auf gesetzlicher Grundlage erlassen. Aufgrund der dortigen Verordnungsermächtigung wurde sodann im Jahre 2003 die Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung in Kraft gesetzt.22 Auf Ebene der OECD wurden in 1995 die OECD-Transfer Pricing Guideline, die dann in 2017 überarbeitet wurde, erlassen.23 Auf diese nimmt der OECD-MK ausdrücklich Bezug.24 Im OECD-MK zu Art 24 Rz. 80 ist geregelt, das zusätzliche Verfahrensvorschriften keinen Verstoß gegen Art. 24 OECD-MA darstellen sollen. 2. Anwendbarkeit der Dokumentationsvorschriften in Deutschland Die nationalen Vorschriften zur Dokumentation sind für den Steuerpflichtigen in Deutschland verpflichtend, sofern es sich um ordnungsgemäß erlassene Vorschriften handelt. Die in der AO geregelten Verfahrensvorschriften sind für den Steuerbürger unmittelbar zu beachten.25 Die gesetzlichen Regelungen und die Verordnungsregelungen sind jedoch nur dann anwendbar, wenn sie nicht gegen anderes nationales Recht verstoßen, das ihnen vorgeht. Als ein solcher Verstoß kommt eine Verletzung von Art. 9 Abs. 1 u. 24 Abs. 4 u. 5 OECD-MA in der Form des Zustimmungsgesetzes in Betracht. a) Verhältnis von § 90 Abs. 3 AO zu Art. 9 Abs. 1 OECD-MA Bei einem DBA handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag der gemäß Art. 59 Abs. 2 GG durch Transformation in nationales Recht übernommen wurde. Damit steht es anders als Völkergewohnheitsrecht gem. Art. 25 GG nicht zwischen 22 Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung  – GAufzV v. 13.11.2003, BGBl. I 2013, 2296; und deren Neufassung mit Änderungen: Gewinnabgrenzungsaufzeichnungs-Verordnung – GAufzV v. 12.7.2017, BGBl. I 2017, 2367. 23 Baumhoff/Liebchen in Baumhoff/Ditz/Liebchen, Internationale Verrechnungspreise Kompakt, Sonderdruck aus Mössner u.a. 5. Aufl. 2018, Rz. 4.582. 24 OECD-MK Art. 24 Rz. 1. 25 Baumhoff/Liebchen (Fn. 23), Rz. 4.593.

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dem GG und dem einfachen Bundesrecht, mit der Konsequenz, das einfaches Bundesrecht nach dem Rangverhältnis der Vorschriften untereinander zurücktreten müsste.26 Es hat vielmehr in der Form des Zustimmungsgesetzes den Rang eines einfachen Bundesgesetzes.27 Auch die Regelungen der Abgabenordnung stehen im Rang eines einfachen Bundesgesetzes.28 Somit konkurrieren diese gleichrangigen Normen in der Anwendung miteinander. In Frage für eine solche Konkurrenz kommt hier seitens des OECD-MA insbesondere die Regelung des Art. 9 Abs. 1. Danach dürfen keine Gewinnkorrekturen zu Lasten von verbundenen Unternehmen vorgenommen werden, soweit diese nicht von dem abweichen, was unabhängige Unternehmen für ihre geschäftliche Beziehung zugrunde gelegt hätten. Dieser sogenannte Fremdvergleichsgrundsatz sichert eine Besteuerung ohne Berücksichtigung des Näheverhältnisses.29 Die Vorschrift stellt für den Steuerbürger allerdings keine unmittelbare Anspruchsgrundlage dar, da Art. 9 Abs. 1 OECD-MA keine Self-Executing-Wirkung hat.30 Der Appell der Vorschrift richtet sich direkt an die Vertragspartner des jeweiligen DBA. Damit sind diese in ihren nationalen Regelungen beschränkt. Einkommenskorrekturen bedürfen daher immer der unilateralen Gesetzgebung in den Rechtsordnungen der beteiligten Vertragsstaaten, die jedoch den Regelungsgehalt des Art.  9 Abs.  1 OECD-MA nicht verletzen dürfen.31 Von diesem Recht hat die Bundesrepublik Deutschland unter anderem durch die Einführung des §  1 AStG Gebrauch gemacht.32 Danach wurde eine Gewinnkorrekturvorschrift zur Anpassung der Einkünfte im Sinne einer Gewinnerhöhungsvorschrift in Deutschland kodifiziert. Auch wurde ausdrücklich dem Fremdvergleichsgrundsatz in § 1 Abs. 1 S. 1 AStG Raum gegeben. Dieser Gleichklang von Art. 9 Abs. 1 OECD-MA einerseits und § 1 Abs. 1 S. 1 AStG wird jedoch durch § 90 Abs. 3 AO gestört. § 90 Abs. 3 AO kodifiziert zusätzliche Anforderungen nur für den Fall, dass Geschäftsvorfälle zwischen einem Steuerpflichtigen und einer nahestehenden Person stattfinden. Solche zusätzlichen Anforderungen sind dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nicht zu entnehmen. Bei § 90 Abs. 3 AO handelt sich um eine Regelung des Verfahrensrechts. Fraglich ist, ob Art. 9 Abs. 1 OECD-MA Regelungen zu Verfahrensfragen treffen kann. Eigelshoven sieht in Art. 9 Abs. 1 OECDMA kein Verfahrensrecht und verweist insoweit auf die Anwendbarkeit der nationalen Bestimmungen für Fragen des Verfahrens.33 Sollte diese Auffassung zutreffend sein, so liegt kein konkurrierender Regelungsgehalt zwischen Art. 9 Abs. 1 OECD-MA und § 90 Abs. 3 AO vor. Folgerichtig kann 26 BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, DStR 2016, 359 (364). 27 BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, DStR 2016, 359 (364); Pohl in Blümich zu § 1 AStG Rz.23; Drüen in Tipke/Kruse AO/FGO, § 2 AO Rz. 1a mwN. 28 BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, DStR 2016, 359 (364) ausdrücklich zu § 2 AO; Gosch, AO/FGO § 2 AO Rz. 73. 29 Baumhoff/Liebchen, Rz. 4.16f. 30 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl. 2019, Art. 9 Rz. 19 mwN. 31 Ditz, aaO. 32 Zu weiteren Regelungen siehe Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl. 2019, Art. 9 Rz. 20. 33 Eigelshoven in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, zu Art. 9 Rz. 131.

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dann auch keine Verletzung der Schranken des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA durch die Dokumentationsanforderungen des § 90 Abs. 3 AO erfolgt sein und die Dokumentationsanforderungen, wie seitens des bundesdeutschen Gesetzgebers etabliert, wären der rechtlichen Überprüfung anhand des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA entzogen. Auch könnte es kein konkurrierendes Verhältnis zwischen diesen Vorschriften geben. b) Grenzen und Reichweite des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA Leider begründet Eigelshoven seine Auffassung nicht. Auch ist ansonsten hierzu keine ausreichend tragbare Begründung zu finden.34 Daher hilft die Abgrenzung über die Einordnung als materielle oder verfahrensrechtliche Vorschrift nicht weiter. Von der Rechtsnatur her ist Art.  9 Abs.  1 OECD-MA eine Gewinnkorrekturvorschrift.35 Die Regelung verfolgt namentlich zwei Ziele:36 – Schutz vor der Verlagerung von Steuersubstrat und – Verhinderung der willkürlichen oder unbegründeten Gewinnkorrektur durch einen der Vertragsstaaten. Es ist nicht ohne weiteres ersichtlich, dass die Dokumentationsvorschriften an sich dem Ziel der Vermeidung der Verlagerung von Steuersubstrat von einem Staat in einen anderen Staat entgegenstehen könnten. Allerdings kann die formelle Anforderung an die Dokumentation dazu geeignet sein, einen dem Fremdvergleichsgrundsatz angemessenen Verrechnungspreis nicht zum Abzug zu zulassen, da die formellen Anforderungen an die Dokumentation nicht erfüllt wären.37 Überdies kann die Nichterfüllung der formellen Anforderungen auch die Gewinnkorrektur erst möglich machen. Insoweit ist insbesondere bei Einräumung von Ermessen seitens der Einhaltung der Dokumentationsvorschriften für die Finanzverwaltung, aus rein formalen Gründen eine willkürliche oder unbegründete Gewinnkorrektur denkbar. Die Willkür würde sich in einem solchen Fall durch die im Lichte des Ziels des Art.  9 Abs. 1 OECD-MA unzutreffende Erwägung der Finanzbehörde ergeben, auch wenn diese nach deren nationalen Verfahrensvorschriften rechtens wäre. Überdies hat der EuGH im Bereich der Umsatzsteuer den Einfluss von Verfahrensrecht auf die Durchsetzung von materiellem Recht anerkannt.38 Hierzu fühlte sich 34 Vgl. Schwenke in Wassermeyer, DBA, Art.  24 Rz.  98 der auf die Verletzung von Art.  24 Abs. 5 OECD-MA hinweist, dies aber als im Ergebnis nicht tragend darstellt, da es sich bei den Dokumentationspflichten nicht um „ähnliche Unternehmen“ handele. 35 Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl. 2019, Art. 9 Rz. 2. 36 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl. 2019. 37 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl. 2019, Art. 9 Rz. 26 der allgemein von formalen Anforderungen und deren Wirkung auf Verrechnungspreise spricht; für formale Anforderungen siehe auch BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046. 38 Von Streit/Streit, Neues Verfahrensrecht für die Umsatzsteuer, UR 2018, 813; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, 2018, § 3 Rz. 45; EuGH v. 21.11.2018 – C -664/16, MwStR 2019, 31 (33) mit Verweis auf die ständige Rechtsprechung.

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der EuGH gezwungen, da nach seiner Ansicht einzelne Staaten durch nationales ­Verfahrensrecht die effektive Anwendung der Vorschriften der Umsatzsteuersystemrichtlinie umgehen konnten. Insofern hat er trotz nicht der EU zugewiesener Rechtszuständigkeit für das Verfahrensrecht, zu Fragen des Verfahrensrechts Stellung nehmen müssen, um dem materiellen Recht zur Geltung zu verhelfen. Insofern dieser Gedanke auf den Regelungszweck des Art. 9 OECD-MA übertragen würde, müsste die Rechtsnatur der jeweiligen nationalen Vorschrift unerheblich sein. Beurteilungsmaßstab kann und sollte immer die Frage sein, ob das Ziel der Regelung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA verhindert werden kann. Dabei darf nicht übersehen werden, dass auch die Anwendung des allgemeinen Verfahrensrechts in Bezug auf den jeweils zu beurteilenden Sachverhalt zur Zielverfehlung des Art.  9 Abs.  1 OECD-MA führen könnte. Dies wäre nach hier vertretener Auffassung allerdings unerheblich, da die Anwendung des Verfahrensrechts latent immer das Risiko in sich trägt, den materiellen Gehalt der konkreten Rechtsanwendung nichtzutreffend abzubilden, unabhängig davon, ob der konkreten Transaktion ein Näheverhältnis zwischen den Vertragsparteien innewohnt oder auch nicht. Dieses Risiko sollte aber von Art. 9 Abs. 1 OECD-MA erkennbar nicht vermieden werden. Art. 9 Abs. 1 OECD-MA möchte nur die unzutreffende Besteuerung aufgrund des Näheverhältnisses zu vermeiden helfen. Andere Ursachen werden vom Regelungsbereich nicht umfasst.39 Im Ergebnis ist nach diesseitiger Auffassung nicht von einem Ausschluss der Messung von Verfahrensrecht an der Norm des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA auszugehen. Es besteht mithin die Möglichkeit einer Gesetzeskonkurrenz zwischen Art.  9 Abs.  1 OECD-MA und § 90 Abs. 3 AO. c) Konkurrenzverhältnis zwischen Art. 9 Abs. 1 OECD-MA und § 90 Abs. 3 AO Es könnte durch die Regelungen des § 90 Abs. 3 AO zu einem Treaty-Override des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA gekommen sein.40 Hierfür müsste § 90 Abs. 3 AO eine spätere abweichende Regelung für den gleichen Sachverhalt vorsehen, wie dies Art. 9 Abs. 1 OECD-MA vorsieht.41 Art 9 Abs. 1 OECD-MA hat den Zweck die gleichen Wettbewerbsbedingungen zwischen verbundenen und unverbundenen Unternehmen herzustellen.42 Weiterhin soll eine unzutreffende Gewinnfestsetzung aufgrund des Näheverhältnis verhindert werden.43 §  90 Abs.  3 AO regelt diesen Fall nicht unmittelbar. Vielmehr stellt §  90 Abs.  3 AO Anforderungen an die Aufzeichnung eines Steuerpflichtigen für den Fall des Vorliegens von Geschäftsbeziehungen i.S.d. §  1  Abs.  4 39 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl. 2019, Art. 9 Rz. 1. 40 Zur Zulässigkeit des treaty override bei DBA siehe BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, DStR 2016, 359 (369). 41 Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Grundlagen Rz. 194 mit einem Beispiel zur Freistellung. 42 BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, DStR 2019, 1034 für das DBA Belgien. 43 Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl. 2019, Art. 9 Rz. 2.

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AStG auf. Damit bestünde zunächst keine Regelungskonkurrenz, denn §  1  Abs.  4 AStG regelt nicht die Einhaltung des Fremdvergleichsgrundsatzes. § 1 Abs. 4 AStG bezieht sich jedoch ausdrücklich durch die Formulierung „Geschäftsbeziehungen im Sinne dieser Vorschrift…“ auf die Vorschrift des § 1 AStG. Dort ist in § 1 Abs. 1 S. 1 AStG die Gewinnkorrektur im Falle des Abweichens vom Fremdvergleich geregelt. Insofern scheint über diese Kette der Regelungsgehalt von Art. 9 Abs. 1 OECD-MA und § 90 Abs. 3 AO deckungsgleich zu sein. Beide Vorschriften regeln die schuldrechtlichen Beziehungen zwischen nahestehenden Personen/verbundenen Unternehmen. Jedoch kodifiziert § 90 Abs. 3 AO gerade nicht die Gewinnmaßstäbe zwischen verbundenen Unternehmen in Bezug auf die kaufmännischen und finanziellen Verhältnisse, sondern ausschließlich die Verpflichtung des inländischen Steuerpflichtigen gesonderte Aufzeichnungen zu führen. Hiervon werden die kaufmännischen Bedingungen nicht beeinflusst. Ganz im Gegenteil steht der Regelungsbereich des § 90 Abs. 3 AO der Regelung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA neutral gegenüber. Die Dokumentationsvorgabe soll es lediglich der deutschen Finanzverwaltung erleichtern, die Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz zutreffender ermitteln zu können. Damit liegt kein Konkurrenzverhältnis der beiden Vorschriften vor. 3. Nationale Legitimation der Dokumentation durch Art. 9 Abs. 1 OECD-MA Ferner stellt sich die Frage, ob die Diskussion nicht schon deshalb obsolet ist, da die OECD selber von Dokumentationserfordernissen mit Bindung oder Legitimation für das deutsche Recht ausgeht. Zwar lässt sich hier im Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA keinerlei Hinweis darauf finden, aber auch sonstige Verfahrensvorschriften werden dort nicht angesprochen. Insoweit ist die Systematik der Inkraftsetzung der Regelung des OECD-MA in der Bundesrepublik Deutschland durch das Zustimmungsgesetz zu berücksichtigen. Durch das Zustimmungsgesetz wird regelmäßig der Text des DBA selber sowie etwaige Protokolle in nationales Recht transformiert.44 Mangels entsprechenden Wortlautes wäre damit eine Dokumentationsanforderung nach Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nicht gedeckt. Sie könnte aber mittelbar gegeben sein, da die OECD selber im MK zum OECD-MA auf die Transfer-Pricing-Guideline verweist.45 Solche zusätzlichen Dokumente wären wohl nach dem Verständnis der OECD, der deutschen Finanzverwaltung46 und der

44 BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, DStR 2016, 359, das nur die Zustimmung selbst anspricht, aber nicht auf den Umfang eingeht; Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Grundlagen Rz. 53. 45 Art. 9 OECD-MK Rz. 1. 46 BMF v. 27.12.2011, BStBl. I 2012, 119 zum DBA Großbritannien; BMF v. 18.10.2001, BStBl. I 2001, 777 zum DBA Russland; BMF v. 14.9.2006, BStBl. I 2006, 532 allgemein zu DBA in Bezug auf Arbeitslohn; BMF v. 13.10.2010, BStBl.  I 2010, 774 Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung; BMF v. 12.11.2014, BStBl. I 2014, 1467 Arbeitslohn bei DBA; BMF v. 18.4.2019, BStBl. 2019, 456 zur Grenzgängerregelung mit Österreich; BMF v. 3.5.2018, BStBl. I 2018, 643 Arbeitslohn bei DBA.

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Bestimmungen des Völkerrechtes in Deutschland im Rahmen der Auslegung auch über den Wortlaut des DBA maßgeblich.47 Der BFH sieht dies jedoch nicht so.48 Der BFH möchte wohl ebenso den Musterkommentar zur Auslegung heranziehen.49 Der Wortlaut des DBA bildet jedoch dabei die äußerste Auslegungsgrenze.50 Eine vom Wortlaut abweichende Auslegung ist im Rahmen der teleologischen Reduktion im Ausnahmefall dann vorzunehmen, falls der Wortlaut offensichtlich „dem Willen des Gesetzgebers widerspricht und die wörtliche Auslegung erkennbar ein sinnwidriges Ergebnis zur Folge hat“.51 Allerdings hat der BFH nicht auf das deutsche Recht Bezug genommen, sondern jeweils auf die WVK.52 Mithin ist derzeit kein Fall ersichtlich, in dem sich der BFH ausdrücklich gegen den Wortlaut des DBA-Textes entschieden hat. Letztlich scheint der BFH dies wohl auch grundsätzlich nicht vornehmen zu wollen.53 4. Stellungnahme Die Auffassung des BFH überzeugt, da sie Demokratie- und Rechtsstaatsverständnis in der Bundesrepublik Deutschland unter Respektierung des GG als oberste Orientierung des bundesdeutschen Rechts entsprechen. Hierzu hatte das Bundesver­ fassungsgericht erst im Jahre 2015 in Bezug auf ein DBA umfassend Stellung genommen.54 Die dort vorgenommene Argumentation des entscheidenden Senats überzeugt vollständig, da ansonsten für den Bürger und für die Verwaltung auch mit den Regeln der Auslegung im Lichte des GG keine handhabbare Rechtsanwendung machbar erscheint. Auch würde der verfassungsrechtlich gebotene Gesetzesvorbe47 Zum Meinungsstand der OECD und den Regelungen des WVK wird hier nicht Stellung genommen, da etwaige Auswirkungen auf die Anwendung in der Bundesrepublik Deutschland bereits bei den Darstellungen zur Auffassung der Finanzverwaltung und des BFH berücksichtigt wurden. Darüber hinaus gehende Erwägungen führen in Deutschland nicht zur Veränderung der Rechtseinschätzung. 48 Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Grundlagen Rz. 107c mwN.; BFH v. 2.9.2009, BStBl. II 2010, 387. 49 Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Grundlagen Rz. 124 f.; BFH v. 18.12.2002 – I R 96/01, IStR 2003, 537 (538). 50 BFH v. 30.5.2018 – I R 62/16, DStRE 2018, 1491 (1494); BFH v. 2.9.2009 – I R 111/08, DStR 2009, 2235 (2237); Kußmaul/Schäfer/Palm/Engel, Auslegung im Abkommensrecht am Beispiel unselbständig tätiger Sportler – Zeigt Art. 13b DBA-Frankreich der Grenzgängerregelung die Rote Karte?, BB 2019, 670. 51 BFH v. 21.1.1988 – I R 241/83, BStBl. II 1988, 574; BFH v. 20.8.2008 – I R 39/07, DStRE 2009, 152 (154); in beiden Fällen hat sich der BFH allerdings gegen die teleologische Reduktion ausgesprochen und damit in Inbezugnahme auf Art. 32 Buchstabe b WVK nicht durchdringen lassen. 52 BFH wie vor in Fn 51. 53 Vgl. BFH v. 30.5.2018 – I R 62/16, DStRE 2018, 1491 (1496); Kußmaul/Schäfer/Palm/Engel, aaO; zur Auslegung nach der WVK Dörr in Vienna Convention on the Law of Treaties, Second Edition, 2018, Art.  31  ff.; zum Meinungsstand der Auslegung in Deutschland Schönfeld/Häck in Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl. 2019, Einleitung, F. Auslegung von DBA. 54 BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, DStR 2016, 359.

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halt im Rahmen der Eingriffsverwaltung unterwandert und sich der Steuerbürger einer nicht vom GG gedeckten Beliebigkeit gegenübersehen.55 Mithin findet der OECD-MK und die OECD-Transfer-Pricing Guideline auch nicht mittelbar über die Auslegung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA in Deutschland Anwendung. Ferner ist auch keine legitimierende Ausstrahlung auf andere Vorschriften des nationalen Rechts zu sehen, da wie dargestellt die OECD Dokumentationsanforderungen keinen Niederschlag im Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA gefunden haben.

II. Verstoß gegen Art. 24 OECD-MA Es könnte durch die deutschen Dokumentationsvorschriften ein Verstoß gegen Art.  24 OECD-MA vorliegen. Diese Vorschrift regelt keinen Gleichbehandlungsgrundsatz wie Art. 3 GG sondern ein Diskriminierungsverbot.56 In Frage kommen die Absätze 4 und 5 von Art. 24 OECD-MA da sich beide mit Unternehmen befassen und nebeneinander anzuwenden sind.57 1. Art. 24 Abs. 4 OECD-MA Art.  24 Abs.  4 OECD-MA stellt sicher, dass etwaige Betriebsausgaben die ein Un­ ternehmen in einem Staat aufwendet auch von diesem mit steuerlicher Wirkung ­abgezogen werden können, wenn dies bei nationalem Sachverhalt zwischen zwei Unternehmen auch der Fall sein würde.58 Hierdurch soll Wettbewerbsneutralität sicher­ gestellt werden.59 Ausnahmsweise gilt dies nach Art. 24 Abs. 4 S. 1 OECD-MA nicht in den Fällen des Art. 9 Abs. 1, Art. 11 Abs. 6 oder Art. 12 Abs. 4 OECD-MA. Die Einschränkung in Bezug auf Art. 9 Abs. 1 OECD-MA gilt jedoch nur insoweit, als der Fremdvergleichsgrundsatz nicht eingehalten wurde. In den Fällen, in denen ­diesem Grundsatz Rechnung getragen wurde, ist Art.  24 Abs.  4 OECD-MA anzuwenden.60 61 Rust will entsprechendes nur dann gelten lassen, wenn dadurch in diskriminierender Weise die Betriebsausgaben nicht zum Abzug zugelassen werden.62 55 Gosch, Über die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, ISR 2013, 87. 56 Rust in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Art. 24 Rz. 1 u. 14. 57 Rust in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Art. 24 Rz. 6; Schwenke in Wassermeyer, DBA Art. 24 Rz. 2b; BFH v. 16.1.2014 – I R 30/12, IStR 2014, 345 (348). 58 Rust in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Art. 24 Rz. 136. 59 Bruns in Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl. 2019, Art. 24 Rz. 127. 60 Rust in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Art. 24 Rz. 138 Damit begründet er die Anwendung des Diskriminierungsverbotes mit der Diskriminierung selber. Insofern der Tatbestand des Art. 24 Abs. 4 OECD-MA erfüllt ist, ist die Diskriminierung gegeben und braucht nicht mehr gesondert festgestellt zu werden; Bruns in Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl. 2019, Art. 24 Rz. 136.. 61 Zu den europarechtlichen Maßstäben siehe Rust in Vogel/Lehner, DBA, 6.  Aufl. 2015, Art. 24 Rz. 138 unter Hinweis auf die Entscheidungen Lankhorst-Hohorst und SGI. 62 Rust in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Art. 24 Rz. 138.

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Er räumt jedoch die Anwendbarkeit ein, wenn die Entgelte dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen und eine Differenzierung nach dem Ort der Ansässigkeit erfolgt.63 Er möchte aber dem Art. 24 Abs. 4 OECD-MA keine eigenständige Bedeutung für Verrechnungspreisfälle von verbundenen Unternehmen mit dem Verweis auf die Wirkung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA als innerstaatliche Begrenzung beimessen.64 Ferner konstatiert er die Anwendbarkeit des Art. 24 Abs. 4 OECD-MA im Falle des Ausschlusses der Anwendbarkeit von Art. 9 Abs. 1 OECD-MA für entsprechende Entgelte.65 Bruns möchte Art. 24 Abs. 4 OECD-MA bei verbundenen Unternehmen entweder gar nicht oder nur eingeschränkt anwenden. Er begründet dies mit der nicht möglichen Inlandsfiktion im Falle von verbundenen Unternehmen.66 Widersprüchlich hierzu scheint die Anmerkung von Bruns zu sein, dass im Rahmen des Fremdvergleichsgrundsatzes Zahlungen bzw. Schulden wie in einem Inlandsfall abziehbar sein müssten.67 Schwenke geht auf das Verhältnis zwischen Art. 24 Abs. 4 und Art. 9 Abs. 1 OECDMA nur insoweit ein, als er Art. 9 Abs. 1 einen Vorrang einräumt.68 Hageböke stellt nur eine klarstellende Wirkung des Art.  24 Abs.  1 S.  1 OECD-MA fest, da bei Gewinnberichtigungen i.S.d. der Verletzung des Fremdvergleichsgrundsatzes keine Diskriminierung vorläge.69 Gemeinsam ist allen vier zuvor genannten Auffassungen, dass sie zunächst der Anwendung von Art. 24 Abs. 4 OECD-MA auf Fälle von verbundenen Unternehmen kritisch gegenüberstehen. In ihren Argumentationen scheinen jedoch Widersprüche enthalten zu sein. So sieht Rust die Anwendung von Art. 24 Abs. 4 OECD-MA für die Fälle der Einhaltung des Fremdvergleichsgrundsatzes als möglich an. Gleichwohl schließt er die Anwendung unter Verweis auf die nichteigenständige Anwendbarkeit des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA aus. Bruns betrachtet die Anwendbarkeit des Art. 24 Abs. 4 OECD-MA in den Grenzen des Fremdvergleichsgrundsatzes als gegeben. Lehnt sie aber nachfolgend vollständig oder partiell mit dem Hinweis auf den Ausschluss einer Inlandsfiktion bei verbundenen Unternehmen ab. Die Auffassungen überzeugen insgesamt nicht, insoweit sie die Anwendbarkeit des Art.  24 Abs.  4 OECD-MA vollständig ausschließen. Zum einen würden sie den 63 Rust in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Art. 24 Rz. 139. 64 Rust in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Art. 24 Rz. 139. 65 Rust in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Art. 24 Rz. 140. 66 Bruns in Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl. 2019, Art. 24 Rz. 139. 67 Bruns in Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl. 2019, Art. 24 Rz. 136. 68 Schwenke in Wassermeyer, DBA Art. 24 Rz. 79. 69 Hageböke in Strunk/Kaminski/Köhler, Außensteuergesetz Doppelbesteuerungsabkommen, Art. 24 Rz. 88.

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Wortlaut des Artikels außer Acht lassen. Dieser statuiert seine Nichtanwendbarkeit nur für den Fall, dass Artikel 9 Abs. 1 OECD-MA anzuwenden ist. Es heißt dort: „Sofern nicht Artikel 9 Absatz 1 … anzuwenden ist“. Art. 9 Abs. 1 OECD-MA regelt jedoch nicht generell den Fall der verbundenen Unternehmen, sondern räumt nur die Berechtigung zur Korrektur des Gewinns unter engen Voraussetzungen ein.70 Sollte der in Art.  9 Abs.  1 OECD-MA genannte Fremdvergleichsgrundsatz nicht verletzt sein, ist die Vorschrift nicht einschlägig. Andernfalls könnte mit der entsprechenden Begründung die Anwendung von Art. 24 Abs. 4 OECD-MA auch auf unverbundene Unternehmen abgelehnt werden, da diese in Art.  9 Abs.  1 OECD-MA ebenso genannt sind. Dies scheint absurd, da die Anwendung von Art.  9 Abs.  1 OECD-MA unstreitig auf unverbundene Unternehmen nicht stattfindet.71 Das Nichtvorhandensein von Tatbestandsmerkmalen des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA würde mithin einmal zum Ausschluss der Anwendbarkeit von Art. 24 Abs. 4 OECD-MA führen und einmal nicht, was willkürlich erscheint. Sachgerecht scheint vielmehr die Einordnung danach zu sein, ob der Tatbestand des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA insgesamt erfüllt ist. Nur dann ist ein Ausschluss des Art. 24 Abs. 4 OECD-MA gegeben. Ist nur ein Tatbestandsmerkmal des Art. 9 Abs. 1 OECDMA bei der Subsumtion des konkreten Sachverhaltes nicht erfüllt, bleibt Art.  24 Abs. 4 OECD-MA anwendbar. Nur so kann auch die von Bruns postulierte „Wettbewerbsneutralität“ erreicht werden.72 Dies dürfte aber dem Ziel und Zweck des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA, namentlich der Herstellung von gleichen Wettbewerbsbedingungen zwischen unabhängigen und verbundenen Unternehmen sicher zu stellen,73 nicht entsprechen. 2. Verbotsmaßstab des Art. 24 Abs. 4 OECD-MA Der Anwendungsbereich des Art. 24 Abs. 4 OECD-MA gebietet die Anwendung der gleichen Bedingungen bei den dort genannten Zahlungen.74 Diese Bedingung sind dann nicht eingehalten, wenn die Ursache für die Schlechterstellung des Steuerpflichtigen die Ansässigkeit im anderen Vertragsstaat ist.75 Oder in den Worten der „Gegenprobe“ gefasst, müsste der Betriebsausgabenabzug bei einem reinen Inlandssachverhalt gegeben sein.76 Vorbehaltlich etwaiger anderer Korrekturnormen wird für die inländische Situation keine Verrechnungspreisdokumentation zwischen verbundenen Unternehmen verlangt, um den Betriebsausgabenabzug zu gewährleisten. §§ 90 Abs. 3, 162 Abs. 3 u. 4 AO beziehen sich ausdrücklich nur auf Geschäftsvorfälle zwi70 Vgl. Eigelshoven in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Art. 9 Rz. 3. 71 Vgl. Eigelshoven in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Art. 9 Rz. 31. 72 Bruns in Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl. 2019, Art. 24 Rz. 127. 73 Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, DStR 2019, 1034 (1037). 74 Auf die Diskussion zum Umfang der Zahlungen und zur Ausführung dieser soll hier nicht eingegangen werden. Insofern wird auf die umfassende Darstellung bei von Bruns in Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl. 2019, Art. 24 Rz. 133 verwiesen. 75 Rust in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Art. 24 Rz. 145. 76 Rust in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Art. 24 Rz. 48 u. 145 der dies die „Gegenprobe“ nennt.

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schen nahestehende Personen i.S.d. §  1 Abs.  4 AStG und damit auf internationale Sachverhalte. 3. Art. 24 Abs. 5 OECD-MA Diese Norm regelt den reinen Inbound-Fall. Voraussetzung ist, dass das Kapital an dem inländischen Unternehmen von einer im anderen Vertragsstaat ansässigen Person gehalten oder kontrolliert wird.77 Anders als Art. 24 Abs. 4 OECD-MA gibt es keine Ausnahmen von der Anwendbarkeit. Dies wird ausdrücklich für die Art.  9 Abs. 1 u. 11 Abs. 6 OECD-MA klargestellt. Der BFH hat dies mit Art. 9 Abs. 1 OECDMA vergleichbaren Vorschriften der DBA Schweiz und DBA USA klargestellt. 78 4. Verbotsmaßstab des Art. 24 Abs. 5 OECD-MA Art. 24 Abs. 5 OECD-MA verlangt eine Gleichbehandlung im Vergleichspaar des inländischen gehaltenen (kontrollierten) mit dem ausländisch gehaltenen (kontrollierten) Unternehmen.79 Danach darf die Behandlung nicht „anders“ oder „belastender“ sein Art.  24 Abs.  5 OECD-MA. Der Schutzzweck ist sehr umfassend und verlangt keine höhere Steuerfestsetzung oder eine andere Zusatzbelastung. Selbst eine andere Rechtsgrundlage für die Besteuerung soll schon zur Verletzung der Norm führen. Umfasst werden ebenso Formalitäten.80 Überdies ist nicht die konkrete Benachteiligung gefordert, sondern die Benachteiligung im Rahmen eines hypothetischen Vergleichs ist ausreichend. 81 Einen Verstoß hiergegen stellen die Regelungen der §§ 90 Abs. 3 u. 162 Abs. 3 u. 4 AO dar. Insoweit sieht Schwenke einen Verstoß gegen den Wortlaut des Art. 24 Abs. 5 OECD-MA. Diesen Verstoß lässt er aber nicht für eine endgültige Verletzung der Norm ausreichen, da es sich bei den Dokumentationspflichten nicht um „ähnliche Unternehmen“ handele. 82 Bruns,83 Hageböke84 und Rust85 sehen ebenso wie der OECD-MK Art.  24.  Rz.  80 durch die Dokumentationspflichten keinen Verstoß gegen Art.  24 Abs.  5 OECD77 Schwenke in Wassermeyer, DBA, Art. 24 Rz. 86; Rust in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Art. 24 Rz. 161; auf die Einzelheiten des Tatbestandes des Art. 24 Abs. 5 OECD-MA soll hier nicht weiter eingegangen werden als dies zur Erörterung des Problemkreises erforderlich erscheint. Insoweit wird zur Vertiefung auf Rust, aaO verwiesen. 78 Rust in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Art. 24 Rz. 165a; vgl. BFH v. 8.9.2010 – I R 6/09, DStRE 2011, 94 (95) für das DBA-Schweiz; BFH v. 16.1.2014 – I R 30/12, DStR 2014, 734 (737) für das DBA-USA. 79 Vgl. Schwenke in Wassermeyer, DBA, Art. 24 Rz. 98; Bruns in Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl. 2019, Art. 24 Rz. 157. 80 Bruns in Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl. 2018, Art. 24 Rz. 162, 64. 81 Schwenke in Wassermeyer, DBA, Art. 9 Rz. 98, 20. 82 Schwenke in Wassermeyer, DBA, Art. 24 Rz. 98. 83 Bruns in Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl. 2019, Art. 24 Rz. 162 ohne nähere Begründung. 84 Hageböke in Strunk/Kaminski/Köhler, Außensteuergesetz Doppelbesteuerungsabkommen, Art. 24 Rz. 88.  85 Rust in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Art. 24 Rz. 162 der auch keine Begründung anführt. Lediglich ein Verweis auf die US-Regulations mit dem Bemerken es handele sich im Grunde nicht um eine weitergehende Berichtspflicht ist erfolgt.

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MA.86 Leider geben alle keine Gründe für ihre Auffassungen an, sondern verweisen lediglich auf die hier bekannten Fundstellen. Der Auffassung von Schwenke ist nach diesseitiger Ansicht insoweit zu zustimmen als durch die deutschen Dokumentationsvorschriften eine Verletzung des Art.  24 Abs. 5 OECD-MA erfolgt. Bei der Bildung des Vergleichspaares kann keine Dokumentationspflicht im Inland erkannt werden. Findet ein Leistungsaustausch zwischen einer im Inland ansässigen Tochtergesellschaft und ihrer Mutter, die ebenfalls im Inland ansässig ist, statt, so bedarf es mangels Rechtsgrundlage in Deutschland keiner Verrechnungspreisdokumentation. Wie zuvor bereits dargestellt bezieht sich § 90 Abs. 3 AO nur auf Auslandsbeziehungen. Die Anfertigung und das Vorhalten der entsprechenden Dokumentation stellt jedoch in der Praxis eine erhebliche Belastung dar. Die Mitwirkungspflichten im Inland ergeben sich aus dem Rahmen der §§ 88 und 90 Abs. 1 AO. Hingegen kann die Ablehnung einer Verletzung des Art. 24 Abs. 5 OECD-MA unter Verweis auf die Tatsache, dass es sich bei den Dokumentationspflichten nicht um „ähnliche Unternehmen“ handele nicht nachvollzogen werden. Die Dokumentation dürfte im Rahmen des Tatbestandes den Begriffen „anders“ oder „belastender“ zugeordnet werden. Der Begriff des ähnlichen Unternehmens selbst, stellt ein eigenes Tatbestandsmerkmal dar und kennzeichnet den Vergleich mit einem hypothetischen inländischen Unternehmen. Ferner kann im Rahmen der Auslegung eine Verletzung des Art. 24 Abs. 5 OECDMA nicht verneint werden. Unabhängig davon, ob man internationale Auslegungsregelungen nach der WVK in Deutschland gelten lässt oder nicht, haben der BFH und das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass der Wortlaut eines Gesetzes die Grenze der Auslegung markiert. Der Wortlaut des Art. 24 Abs. 5 OECD-MA lässt keinen Raum offen für eine Auslegung im Sinne der Erlaubnis von belastenden Maßnahmen im Rahmen des Vergleichspaares unabhängig von sonstigen Motiven. Auch ist eine Rechtfertigung wie im Europarecht nicht zulässig. 5. Rechtsfolge Aufgrund des abstrakten Vorliegens von Diskriminierungen von Zahlungen zwischen verbundenen Unternehmen auch für den Fall der Einhaltung des Fremdvergleichsgrundsatzes i.S.d. Art. 9 Abs. 1 OECD-MA, kann keine Dokumentation der Verrechnungspreise unter Berücksichtigung der Regelungen des Art. 24 Abs. 4 u. 5 OECD-MA verlangt werden, soweit dies nicht ebenso im inländischen Sachverhalt verlangt würde.87 Im Inlandsfall wird in der Bundesrepublik Deutschland keine Ver-

86 OECD-MK Art. 24 Rz. 80 lautet: „Bei Ermittlungen über Fragen der Verrechnungspreise stellen nach Ansicht fast aller Mitgliedsländer zusätzliche, über die normalen Mitwirkungspflichten hinausgehende Pflichten zur Information und selbst eine Beweislastumkehr keine Diskriminierung dar.“ 87 Vgl. zur Rechtsfolge Bruns in Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl. 2019, Art. 24 Rz. 147.

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rechnungspreisdokumentation verlangt. Weder für den Fall der Einhaltung noch für den Fall der Verletzung des Fremdvergleichsgrundsatzes.88

III. Gesetzeskonkurrenz Nach der hier vertretenen Auffassung besteht einerseits nach den §§ 90 Abs. 3, 162 Abs. 3 u. 4 AO eine gesetzliche umfassende allgemeine Anordnung zur Vornahme von Verrechnungspreisdokumentationen für in Deutschland ansässige Unternehmen. Andererseits besteht nach den Art. 24 Abs. 4 und 5 OECD-MA ein Diskriminierungsverbot, dass für die jeweiligen in den Absätzen enthaltenen Fallgestaltungen das Verlangen nach einer Diskriminierung, hier in Gestalt der Verrechnungspreisdokumentation, untersagt. In beiden Fällen handelt es sich um einfache Bundesgesetze. Die AO-Vorschriften stellen einfaches Bundesrecht dar. Das DBA wird durch Zustimmungsgesetz in einfaches Bundesrecht transformiert. Ein etwaiger Regelungswiderspruch ist durch die allgemeinen Regelungen zur Lex-Specialis und Lex-Posterior aufzulösen.89 Die Grundsätze des Treaty-Overrides, so dieser noch relevant ist, sollen hier nicht erörtert werden.90 Nach der Regel des lex posterior derogat legi prior hebt jüngeres Recht älteres Recht auf derselben Gesetzesstufe auf. Weitere Voraussetzungen sind für die Anwendung nicht ersichtlich außer, dass ein spezielles Gesetz dem allgemeineren selbst dann vorgeht, wenn es älter als das allgemeinere sein sollte.91 Problematisch daran ist, der ständig fortschreitende Prozess der Erneuerung von DBA, da dadurch ständig neuere DBA vorhanden sind. Insoweit müsste bei Anwendung der Lex-Posterior-Regel fortlaufend in verfassungsrechtlich zulässiger Weise, damit qua Gesetzes, ein Festhalten am älteren, das DBA insoweit überschreibenden Gesetzes, kodifiziert werden.92 Der Beurteilung dieser Herausforderung hat sich das Bundesverfassungsgericht nicht angenommen.93 Der BFH konnte sich im Nachgang mit dieser Frage auseinandersetzen.94 Dort wurde die Anwendung der Lex-Specialis-Regel vor der Lex-Posterior-Regel für DBA generell bejaht. Begründet wird dies mit mangelnder Ersichtlichkeit des Willens des Gesetzgebers, ausgedrückt durch das Zustimmungsgesetz, das Treaty-­ Override außer Kraft zu setzen. Allerdings wurde diese Schlussfolgerung des BFH unter Verweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes mit Hinweis des dort streitgegenständlichen §  50d Abs.  8 EStG erleichtert. Überdies bezog sich der BFH auf die ausdrückliche Absicht des Gesetzgebers, die DBAs insoweit nicht ohne weiters anzuwenden. In dieser Vorschrift wird mit hinreichender Klarheit für den 88 Vgl. Wünsch in Koenig, AO § 90 Rz. 25. 89 Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 2 Rz. 2 mwN. 90 Hierzu grundlegend mit der Darstellung des Meinungsstandes Gosch, AO/FGO §  2 AO Rz. 83 ff. 91 Müller in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Rz. 28.33. 92 Vgl. zum Problemkreis insgesamt Schwenke, Treaty Override im Lichte des Demokratieprinzips, DStR 2018, 2310 (2313). 93 BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, DStR 2016, 359 (364). 94 BFH v. 25.5.2016 – I R 64/13, IStR 2016, 770 mit Anmerkung Mitschke.

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BFH und das BVerfG der Vorrang des § 50d Abs. 8 EStG generell vor DBAs durch die Formulierung „ungeachtet des Abkommens“ kenntlich gemacht.95 Inwieweit dies bei einer weniger deutlichen Formulierung noch dem Treaty-Override zur Geltung verhelfen würde, blieb indes offen. Für die Beurteilung der Gesetzeskonkurrenz im Falle des § 90 Abs. 3 AO mit Art. 24 Abs. 4 u. 5 OECD-MA stellt sich mithin die Frage, ob § 90 Abs. 3 AO den Doppelbesteuerungsabkommen vorgehen sollte? Aus der Vorschrift selber ist dies anders als bei § 50d Abs. 8 EStG nicht erkenntlich. Auch in der Gesetzesbegründung zur Einführung der Vorschrift sind keinerlei Hinweise auf die Abänderung von Doppelbesteuerungsabkommen zu erkennen. Es gibt dort lediglich einen Hinweis auf die Empfehlung der OECD zu Verrechnungspreisen. Überdies wird noch dargestellt, dass die Mehrzahl der OECD-Mitgliedstaaten im Jahre 1995 Dokumentationspflichten geschaffen hätten. 96 Aus alldem ist eine Abänderungsabsicht des Gesetzgebers in Bezug auf Art. 24 Abs. 4 u. 5 OECD-MA weder explizit noch indirekt zu schließen. Mithin erscheint die Zubilligung einer das OECD-MA insoweit ändernden Gesetzgebung durch §  90 Abs.  3 AO nicht vertretbar. Letztlich verbleibt es bei den vom BVerfG und dem BFH aufgestellten Grundsätzen der Anwendbarkeit von Lex-Posterior und Lex-Specialis. Die Regelung des § 90 Abs. 3 AO ist allgemeiner und weitergehender als die Regelungen von Art. 24 Abs. 4 OECD-MA – diese bezieht sich auf die dort genannten Zahlungen und Schulden – und Art. 24 Abs. 5 OECD-MA – diese bezieht sich nur auf inländische Unternehmen mit ausländischen Anteilseignern. Allgemeine Regelungen zum Verbot von Dokumentationen in Bezug auf Auslandsbeziehungen bei Anwendung der DBA werden nicht getroffen. Wohingegen § 90 Abs. 3 AO jegliche geschäftlichen Beziehungen zwischen verbundenen Unternehmen (nahestehenden Personen) dokumentieren möchte. Insoweit scheint die Regelung des Art. 24 Abs. 4 u. 5 OECD-MA spezieller zu sein. Sollte dies jedoch nicht überzeugen, so ist der Frage nach der Anwendung des Lex-Posterior-Grundsatzes zu stellen.97 Das BVerfG stellt überdies nicht dar, dass dieser Grundsatz nur als „Einbahnstraße“ Anwendung finden würde, sondern verweist allgemein für das Verhältnis zwischen Zustimmungsgesetz und nationalem Treaty-Override auf die Anwendung des Lex-Posterior-Grundsatzes.98 Damit dürften alle deutschen DBAs, insoweit sie nach dem Steuervergünstigungsabbaugesetz durch Zustimmungsgesetz in nationales Recht überführt wurden, den §§ 90 Abs. 3, 162 Abs. 3 u. 4 AO aus zeitlicher Sicht vorgehen. Die dies ausschließenden Gedanken seitens des BFH finden keine Anwendung,99 da weder im Wortlaut des § 90 Abs. 3 AO noch in der Gesetzesbegründung ein Hinweis auf die Abänderung der deutschen DBAs enthalten ist. 95 BFH v. 25.5.2016 – I R 64/13, IStR 2016, 770 (772). 96 Vgl. Bundestags Drucksache 15/119 v. 2.12.2002, S. 52 zu Nummer 5. 97 BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, DStR 2016, 359 (364). 98 Vgl. BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, DStR 2016, 359 (364). 99 BFH v. 25.5.2016 – I R 64/13, IStR 2016, 770 mit Anmerkung Mitschke.

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IV. Schlussfolgerung Der deutsche Gesetzgeber hat mit der Einführung der Dokumentationsvorschriften im Jahr 2003 und den anschließenden Aktualisierungen die Regelungen der bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen aus den Augen verloren. Der Gesetzgeber, die Verwaltung und nicht zuletzt auch die Rechtsprechung haben gleichwohl die Anwendbarkeit trotz Darstellung in der Literatur zu Art. 24 OECD-MA nicht thematisiert. Dies scheint verwunderlich, da Art. 24 Abs. 4 u. 5 OECD-MA in dem jeweiligen durch Zustimmungsgesetz in der Bundesrepublik Deutschland umgesetzten DBA als geltendes Recht besteht. Der BFH selber hat die Vorschrift in anderen Fällen jedoch gleichwohl angewandt. Damit dürfte es zumindest an der Beachtungswürdigkeit des abkommensrechtlichen Diskriminierungsverbotes keinerlei Zweifel geben. Es bleibt abzuwarten, ob die deutschen Gerichte sich bei Gelegenheit, sich über die deutschen Regelungen zur Verrechnungspreisdokumentation Gedanken zu machen, nicht nur auf Europarecht, sondern auch auf nationales Recht in Form von Doppelbesteuerungsabkommen besinnen.

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EU Joint Transfer Pricing Forum contribution Inhaltsübersicht I. Improvement of the functioning of the Arbitration Convention 1. Specificities of the Arbitration Convention 2. Contributions of the JTPF to improve the functioning of the Arbitration Convention a) The 2004 Code of Conduct on the AC revised in 2009 b) The Report on potential approaches to non-EU triangular cases c) The 2014 Report on secondary ­adjustments d) The 2015 Report on Improving the Functioning of the Arbitration ­Convention 3. Monitoring tools to improve the ­functioning of MAPs and arbitration 4. A solid basis for the drafting of the ­Directive II. Propose pragmatic solutions addressing other TP issues 1. Dispute avoidance and administrative cooperation: the contribution of the JTPF in the field of advance pricing agreements and transfer pricing controls within the EU

a) APAs b) TP controls 2. The extensive contribution of the JTPF to implement common and cost-effective practices on TP practical issues a) Code of Conduct concerning ­documentation requirements for transfer pricing within the EU b) Guidelines on low-value-adding ­intra-group services c) Report on Small and Medium Enterprises (SMEs) and TP d) Report on Cost Contribution ­Arrangements on Services not ­creating Intangible Property (IP) e) Report on Compensating Adjustments f) Report on the Use of Comparables in the EU g) Report on the Use of Economic ­Valuation Techniques in TP h) Report on the application of the profit split method within the EU

Grasping the achievements of the European Union Joint Transfer Pricing Forum (“JTPF”) requires going back a few years ago to a time at which the framework applicable to transfer pricing and international tax dispute resolution was far less structured than it is today. Although the implementation of the arm’s length principles as set forth in the OECD1 principles is rather old2, tackling the issue of the consequences of the application of said rules by each of the States in a coordinated way at an international level is more recent.

1 Organisation for Economic Co-operation and Development. 2 The first Draft Model Tax Convention published in 1963 by the OECD already included an article 9 allowing contracting states to reassess the profits of an enterprise in order to place related enterprises in the position they would be in if the disputed transactions had been carried out between independent enterprises.

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In its 23 October 2001 Communication “Toward an internal market without tax obstacles – A strategy for providing companies with a consolidated corporate tax base for their EU-wide activities”3, the EU Commission explained its strategy based on a two tracks approach: targeted measures, which included the creation of a Joint Forum on Transfer Pricing, and a more comprehensive approach, with the project of a consolidated corporate tax base. Transfer pricing and, in particular, the elimination of double taxation resulting from transfer pricing reassessments, was seen as one of the targeted measures to be dealt with urgently. The European union (“EU”) has long been tackling dispute resolution in relation with the correction of profits of associated companies. This work started in November 1976 when the European Commission proposed to the European Council to adopt a directive on the Elimination of Double Taxation in Connection with the Adjustment of Transfer of Profits Between Associated Enterprises4. This draft directive was based on the fact that double taxation resulting from adjustments of profits are likely to cause distortions on competition conditions and movements of capital and therefore may have a direct impact on the functioning of the common market. Member States were however reluctant as, on the one hand, the recourse to an indepen­ dent arbitration advisory commission which would render a decision binding the States raised the problem of fiscal sovereignty and, on the other hand, the nature of the instrument dealing with the elimination of double taxation within the European community was questioned. After a long period of stagnation, the discussions resumed on the basis of a convention, which was ultimately adopted on 23 July 1990 and published in the Official Journal of the European Communities on 20 August 19905. The Convention 90/436/ EEC on the Elimination of Double Taxation in Connection with the Adjustment of Profits of Associated Enterprises (the “Arbitration Convention” or the “AC”), based on Article 220 of the European Community Treaty, was signed by the Member States and entered into force on 1 January 1995. Initially concluded for a 5-year period, the Arbitration Convention was amended by a Protocol6 which renewed it for a further 5-year period in 1999 and provided for its automatic renewal for successive periods of 5 years unless a Member State objects in writing no later than 6 months before the expiry of the period concerned.7 The purpose of the Arbitration Convention is in line with the adoption of tax mutual agreement procedure (“MAP”) / arbitration provisions in tax treaties since the 1990s. 3 COM(2001) 582 Final. 4 COM/76/611 Final, OJ 21 December 1976 C-301/4. 5 O.J. L 225/10. 6 Protocol of 25 May 1999 amending the convention of 23 July 1990 on the elimination of double taxation in connection with the adjustment of profits of associated enterprises. 7 It is worth noting that the Joint Transfer Pricing Forum contributed to the re-entry into force of the Arbitration Convention and to the elaboration of the treatment of the interim period (see Report on the re-entry into force of the Arbitration Convention, Doc. JTPF/019/REV 5/2004, 30 May 2005).

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However, the dispute resolution mechanism it has implemented and its multilateral nature made it an innovative tool for the time: automatic arbitration procedure, specific provisions as regards deadlines, constitution and composition of the advisory commission, etc. The JTPF was set up in June 2002 by a Communication from the EU Commission to the European Council, the European Parliament and the Economic and Social Committee stating that: “[t]he Commission will in the first half of 2002 convene a standing ‘Joint Forum on Transfer Pricing’ with Member States and business representatives in order to – examine the issues which can be addressed without legislative initiatives, e.g. develop and exchange best practice on Advance Pricing Agreements and documentation requirements, – consider the scope for improving and rendering more uniform transfer pricing methodologies within the OECD guidelines, – examine necessary improvements to the Arbitration Convention with a view to presenting a formal proposal for a Directive in 2003, thus turning it into an instrument of Community legislation”.8 The JTPF mission, as described by the Register of Commission Expert Groups and Other Similar Entities, was to “create a platform where national tax administration experts and non-government experts can discuss transfer pricing issues which constitute obstacles to cross-border business activities within the European Union.”9 Its tasks are defined as follows: “Assist the Commission in the preparation of legislative proposals and policy initiatives” and “assist and advise the Commission in finding practical solutions in order to achieve a more uniform application of transfer pricing rules within the European Union.” In accordance with its goal and related functions, the JTPF has “work[ed] within the framework of the OECD TPG [transfer pricing guidelines] and [operated] on the basis of consensus to propose to the Commission pragmatic, non-legislative solutions to practical problems posed by transfer pricing practices in the EU.” 10 The JTPF supports the EU Commission works and is managed by an EU Commission secretariat. It met for the first time in October 2002.  The last meeting of its 8 COM(2001) 582 final 23 October 2001, “Towards an Internal Market without tax obstacles – A strategy for providing companies with a consolidated corporate tax base for their EU-wide activities”. – for a more detailed description of the full content of the Communication see B. Gibert, A French Reaction to the Communication from the Commission “Towards an Internal Market without tax obstacles”, in European Taxation, August 2002, pp. 309–316. 9 https://ec.europa.eu/transparency/regexpert/index.cfm?do=groupDetail.groupDetail&​ group​ID=951&NewSearch=1&NewSearch=1. 10 https://ec.europa.eu/taxation_customs/business/company-tax/transfer-pricing-eu-context/​ joint-transfer-pricing-forum_en#heading_1.

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2015–2019 mandate took place in March 2019.  Seventeen years of experience and works developed across the JTPF mandates have provided the opportunity to go back on its significant contributions to dispute resolution matters and legal certainty purpose in relation with transfer pricing (“TP”). Part of the efficiency of the JTPF in its field of actions resulted from the panel of its members. It has been composed of one representative from each Member State’s tax administrations, eighteen non-government organization members and has been chaired by an independent chairperson. The JTPF has also welcomed representatives from the OECD and from candidate countries as observers. Although non-government organization members were individuals, for the last two mandates, the members have been legal entities (multinationals, law firms, associations, etc.). The JTPF is the only forum which puts together on equal footing Members States, businesses, academia and civil society. Its composition allows the JTPF to provide practical and technical improvements in relation with TP problematics at the EU level. Given that the JTPF gathers representatives of taxpayers and tax authorities of the Members States, its efforts must represent improvements for “both side of the table”11. Another part of the efficiency of the JTPF results from its decision-making process: only consensus-based decisions have been adopted by the JTPF. Seventeen years of practice have led to the conclusion that “[a]lthough consensus was not always easy, detailed discussions led to valuable output. The resulting bottom-up approach to identifying relevant topics and reaching consensus on these topics was seen as particularly valuable. The stability of membership has allowed continuity in the composition and output of the group across mandates.12” Furthermore, even if the reports of the JTPF are soft law instruments, they have generally been adopted by the EU Commission and endorsed by the Council, which made them binding in practice within EU Member States (all the more than in certain circumstances, the suggestions made in the reports published by the JTPF were “transposed” into domestic law by the Member States). The purpose of this contribution is to highlight how the JTPF has been a driving force in the TP area and has proposed pragmatic solutions supporting the OECD guidelines and EU measures, pursuing a dual objective consisting in reducing the number of tax disputes and MAPs while strengthening tax certainty. This contribution analyses the work of the JTPF in accordance with the objectives it has been assigned: improve the functioning of the Arbitration Convention (1.) and propose pragmatic solutions addressing other TP issues common to EU Member States (2.). 11 Bruno Gibert and Xavier Daluzeau, EU Joint Transfer Pricing Forum: Overview of Pending Mutual Agreement Procedures under EU Arbitration Convention and of Advance Pricing Agreement Possibilities, in International Transfer Pricing Journal, November-December 2008, pp. 251–260. 12 54th Meeting of the EU Joint Transfer Pricing Forum (JTPF), summary record by the Secretariat – JTPF/005/2019/EN (21 March 2019).

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I. Improvement of the functioning of the Arbitration Convention This first part will outline the specificities of the Arbitration Convention (the “AC”) (1.1.) and capture the decisive contributions of the JTPF to improve the functioning of the AC mainly through the AC Code of Conduct and the Report on Improving the Functioning of the Arbitration Convention (1.2.), but also thanks to monitoring tools (1.3.). This innovative instrument, as improved over the years, provided a solid basis for the drafting of the Directive (1.4.). 1. Specificities of the Arbitration Convention The Arbitration Convention has been an innovative instrument in the landscape of international tax dispute resolution.13 Firstly, it ensures a mandatory binding resolution mechanism for the elimination of double taxations, which has partially inspired more recent instruments, such as article 5 of article 25 of the OECD Model convention in 2008, the Council Directive (EU) 2017/1852 of 10 October 2017 on tax dispute resolution mechanisms in the European Union (the “Directive”) or the Multilateral Convention to Implement Tax Treaty Related Measures to Prevent BEPS concluded in November 2016 (the “MLI”). When a dispute involving Member States has not been resolved by the competent authorities using the MAP, the AC provides for automatic mandatory binding arbitration within two years of the date on which the case was first submitted to one of the competent authorities of the Member States involved. During this two-year arbitration phase, an advisory commission composed of five members (a president, two member states representatives, and two independent persons of standing) is appointed and has six months to provide an advice on the case. The competent authorities of the Member States involved may apply the advice or benefit from an additional sixmonth period to seek another agreement to eliminate double taxation; in the absence of such agreement, the advice of the advisory commission is binding on the competent authorities. Therefore, the AC guarantees that the double taxation between enterprises of different Member States resulting from a transfer pricing reassessment will be eliminated and this, in principle, within a three-year period. Thereby, the AC solved a significant problem encountered at that time with MAPs under tax treaties concluded in accor­ dance with the OECD Model Tax Convention on Income and on Capital, namely the fact that States were only obliged to “endeavor” to resolve cases of double taxation14. Secondly, its scope is specific. The AC establishes a procedure to resolve instances of double taxation where such double taxation (1) occurs between enterprises of different Member States and (2) results from a TP reassessment of an enterprise in one 13 At the time it was adopted in 1990, only the Germany-United States Income and Capital Tax Treaty (1989) and the France-Germany Income and Capital Tax Treaty (1959), as amended by a Protocol of 28 September 1989, provided for an arbitration procedure. 14 Article 25 § 2 and 3.

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Member State. The AC only applies to disputes regarding the adjustment of profits of associated enterprises (i.e., TP issues) and the attribution of profits to permanent establishments. The AC scope is thus narrower as compared to double tax treaties, the Directive or the MLI today. Thirdly, even though each Member State of the EU has signed the AC, such convention is not properly a direct instrument of EU law. There is a debate on the nature of the convention – some may argue that the Convention is not part of the acquis Communautaire but is instead a multilateral convention under international public law15 – and its scope of application: shall it continue to apply to a State which is not any more an EU Member State? This debate has been revealed in the context of the United Kingdom procedure to exit the EU and is notably reflected by the fact that the instrumentum used to improve the Arbitration Convention (i.e. the JTPF and the European Council adopting its recommendations) is singular because disconnected from the body that has adopted it (i.e., the AC “Contracting States”).16 2. Contributions of the JTPF to improve the functioning of the Arbitration Convention a) The 2004 Code of Conduct on the AC revised in 2009 On 7 December 2004, the European Council adopted the JTPF proposed code of conduct17 (the “2004 Code of Conduct”) on the AC. It aimed at providing a ‘‘more ­effective and uniform application” of the AC using a more practical procedure (including defined timelines and starting points), transparency and taxpayer participation. The 2004 Code of Conduct specified timelines’ starting points and provided for detailed MAP and arbitration phases. With respect to starting point periods, the 2004 Code of Conduct established that the starting point of the three-year period, for the purpose of Article 6(1) of the AC, which is the deadline for a company subject to double taxation to present its case to the relevant Member State’s tax authorities (point 1), is “[t]he date of the ‘first tax assessment notice or equivalent which results or is likely to result in double taxation within the meaning of Article 1, e.g. due to a transfer pricing adjustment’”. It further stated that the starting point of the two-year period, for the purpose of Article 7(1) of the AC, during which the tax authorities of the Member States must attempt to reach an agreement that eliminates the double taxation (point 2), is the latest of the following dates: “a) the date of the tax assessment notice, i.e. a final decision of the tax administration on the additional income, or equivalent; b) the date on which the competent authority receives the request and the minimum information as stated under point 2(i) 15 See Commission Initiative To Improve Dispute Settlement Mechanisms within the European Union –The EU Arbitration Convention (90/436) – H.M. Pit, in European Taxation, November 2016.  16 See Les conséquences fiscales du « Brexit » – Guglielmo Maisto and Jacques Malherbe, in Revue de droit fiscal n°29, 21 July 2016 comm. 458. 17 OJ C176 (28 July 2006).

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[listing all the information that must be submitted by the taxpayer in order for the case to be regarded as submitted according to Article 6(1)]”. With respect to MAP phase, the 2004 Code of Conduct recalled the aim to resolve cases as quickly as possible having regard to the complexity of the issues and recommended to consider any appropriate means for reaching mutual agreement as expeditiously as possible, while requiring not to impose any inappropriate or excessive compliance costs on the person requesting the MAP or involved. It clarified practical aspects of the procedure and its transparency: choice of a common working language, confidentiality and exchanges between the competent authority and the taxpayer. Finally, it detailed the exchange of position papers procedure. With respect to the arbitration phase, the 2004 Code of Conduct specified the establishment and functioning of the advisory commission. Finally, the 2004 Code of Conduct recommended the Member States to suspend tax collection during cross-border dispute resolution procedures under the AC. On 22 December 2009, the European Council adopted a revised code of conduct18 (the “2009 Revised Code of Conduct”), including clarification on specific provisions of  the AC. This revision was motivated by the recognition that, “[a]s a result of a moni­toring exercise on the application of the existing Code of Conduct”, “the three-year target for resolution specified within the Code of Conduct was difficult to achieve and further work was needed to clarify the process to facilitate resolution within the threeyear time frame”19. The 2009 Revised Code of Conduct provided guidance and specifications on the scope of the AC (which also includes triangular EU cases and thin capitalization ­cases), serious penalties in respect of which “Member States are recommended to ­clarify or revise their unilateral declaration in the Annex to the Arbitration Convention in order to better reflect that a serious penalty should only be applied in exceptional cases like fraud” and MAPs. It further provided practical details on the proceedings during the second phase of the AC (such as the deadline for setting up the advisory commission and independence criterion applicable to the arbitrators) and interest to be charged or credited by tax administrations in the context of AC proceedings. b) The Report on potential approaches to non-EU triangular cases On 25 January 2011, the Commission adopted a Communication including a Report on non-EU triangular cases20. This Report complements EU-triangular cases dealt with by the Code of Conduct on the AC. The Report aimed at providing dispute resolution tools to triangular situations in cases where a third country outside the EU is concerned. The Report recommends 18 OJ C322 (30 December 2009). 19 COM(2009) 472 final, 14 September 2009 – point 6. 20 COM(2011) 16 final.

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extending the tax treaty network to triangular cases or enabling rolling back the results of an advanced pricing agreement to provide certainty in such cases. Furthermore, it suggested a flexible application of certain procedures to encompass non-EU triangular cases. c) The 2014 Report on secondary adjustments The JTPF drafted a report on secondary adjustments adopted by the EU Commission on 4 June 201421. The Report addresses the issue of secondary adjustments further to the conclusion of a MAP in the context of the EU Parent-Subsidiary Directive. The way it was drafted reflects the practical anchoring of the JTPF. As stated in paragraph 2.1 of the EU Commission’s communication, “[a] JTPF questionnaire […] revealed that there are different legal provisions and practices with respect to secondary adjustments which may lead to double taxation within the EU.” Secondary adjustments may arise as a result of an initial tax adjustment or a MAP. Depending on their qualification, they may benefit from the EU Parent-Subsidiary Directive. The Report provided that “[given] the additional complications they raise, it is recommended that within the EU Member States characterise secondary adjustments as constructive dividends or constructive capital contributions rather than as constructive loans, as long as there is no repatriation.” It further provided for recommendations aiming at avoiding double taxation while solving disputes. Assuming that the taxpayer is acting in good faith, the report suggested that “Member States in which secondary adjustments are not compulsory [would] refrain from making them in order to avoid double taxation and Member States in which secondary adjustments are compulsory [would] provide ways and means to avoid double taxation.” d) The 2015 Report on Improving the Functioning of the Arbitration Convention Furthermore, during its 2011–2015 mandate, the JTPF carried out a comprehensive monitoring exercise of the practical functioning of the AC and the 2009 Revised Code of Conduct. In April 2015, the JTPF published a Report on Improving the Functioning of the Arbitration Convention22 (the “2015 Report”). The 2015 Report amended the 2009 Revised Code of Conduct, as follows. Among the recommendations provided, the JTPF specified the scope of the AC: a reassessment which did not lead to an actual payment or tax due to losses carried forward or group relief shall nevertheless be in the scope of the AC. In addition, a change in the taxpayer’s status further to a merger or restructuring for instance shall 21 Communication from the EU Commission to the European Parliament, the Council and the European Economic and Social Committee on the work of the EU Joint Transfer Pricing Forum (JTPF) in the period July 2012 to January 2014. 22 JTPF/002/2015/EN.

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not alter the benefit of the AC. The 2015 Report also clarified how MAPs shall be combined between the AC and tax treaties to avoid denial access and recommended Member States to use domestic legal remedies to supervise denial of access. From a procedural standpoint, the JTPF provided additional guidance on exchanges between competent authorities and taxpayers during the MAP phase and on positions papers during the arbitration phase. It finally clarified the deadline for requesting a procedure under the AC and the functioning of the advisory commission. The work of the JTPF, from the 2004 Code of Conduct to the 2015 Report has aimed to ensure a more effective and uniform application of the AC, while establishing procedural rules to enable a smooth and timely progression through the ACs various phases. The guidance gives flexibility to competent authorities on important aspects of the AC and is generally well received by both competent authorities and practitioners. 3. Monitoring tools to improve the functioning of MAPs and arbitration For monitoring purposes, the JTPF has first relied on Member States reports delivered in accordance with the final provisions of the 2004 Code of Conduct and the 2009 Revised Code of Conduct which state that “[i]n order to ensure the even and effective application of the Code, Member States are invited to report to the Commission on its practical functioning every two years. On the basis of these reports, the Commission intends to report to the Council and may propose a review of the provisions of the Code.” Second, the JTPF yearly monitors the implementation of the AC, which is a useful tool for analysing double taxation dispute resolution within the EU. As of 2006, the JTPF has annually published statistics on the AC. In 2018, 727 new cases were initiated and the ending inventory on 31 December 2018 reports 1988 pending cases23, with 45 cases to be sent to arbitration, 2 cases in arbitration and 78 cases settled in principle and awaiting exchange of closing letters for MAP. The overall trend over the years is that the number of cases dealt with under the AC’s procedure is steadily rising, in line with an international trend of an increasing number of pending international tax disputes24. It also “indicates increased confidence by taxpayers in the efficiency of the AC process” 25, which is an achievement for the JTPF. The statistics made available by the JTPF on pending MAPs also provide an overview of the number of cases that are pending two years after initiation and the reasons hereof, the number of cases rejected and the basis for such rejection (expiration of the three-year period, existence of serious penalty, case is not within the scope of the AC, etc.). The average time to close a case under the AC ranges between 16 and 23 EU JTPF, Overview of numbers submitted for Statistics on Pending Mutual Agreement Procedures (MAPs) under the Arbitration Convention (AC) at the End of 2018 – Taxus/D2, Brussels, July 2019.  24 See for comparison statistics provided by the OECD on a yearly basis. 25 COM(2009) 472 final, 14 September 2009 – point 44. 

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50 months. The fact that both the number of cases is rising and the average time to close a case increases would require tax administrations to increase their capacity. 4. A solid basis for the drafting of the Directive Within the European Union, arbitration was identified as one of the issues to be addressed by the 2015 Action Plan for a Fair and Efficient Corporate Tax System adopted on 17 June 2015.26 A draft Directive was published on 25 October 2016.  This Directive, which was adopted in less than a year builds on the AC and the various reports of the JTPF. Its purpose is to broaden the scope of the AC and make existing procedural mechanisms provided under the AC more efficient, thus addressing the shortcomings of the AC and improving its effectiveness. The Directive has a scope which is broader than the AC in terms of taxpayers concerned, cases addressed, and taxes covered. It provides for remedies in the event of denials of access or delays during MAP or arbitration phases. Finally, it provides for more flexible arbitration methods under the supervision of the Member States. The AC has also inspired the OECD, which introduced in 2008 a new paragraph 5 dedicated to arbitration in Article 25 of its Model Tax Convention on Income and Capital and inserted Part VI on arbitration in the MLI.

II. Propose pragmatic solutions addressing other TP issues From an EU perspective, the existing gaps in international tax rules and standards hinder the smooth functioning of the internal market which encompasses 28 different tax regimes. The different regimes applicable to TP issues may result in uncertainty, increased costs and potential double taxation or double non-taxation, which may impact negatively the smooth functioning of the internal market and taxpayers’ rights. In a single market, where freedom of movement is the rule, the 12, then 15 and now 28 Member States parties to the AC have stronger interests leading to favor a greater degree of security and precision. Keeping in mind these concerns, the JTPF has provided significant improvements conducive to prevent dispute and foster administrative cooperation (2.1). It has also proposed responses to practical challenges raised by TP (2.2).

26 COM(2015) 302 final.

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1. Dispute avoidance and administrative cooperation: the contribution of the JTPF in the field of advance pricing agreements and transfer pricing controls within the EU Advance Pricing Agreements (“APAs”) and transfer pricing controls are determinant tools to prevent lengthy procedures with respect to international tax disputes and provide taxpayers with increased tax certainty. If APAs are useful as a preventive ­approach to avoid TP disputes, simultaneous or joint transfer pricing controls (“TP controls”) are useful as a preventive approach to avoid MAPs/arbitration – they may even be considered as TP audits encompassing de facto a MAP phase before the issuance of the taxpayer’s notice of reassessment resulting from the TP control. a) APAs The JTPF soon turned its attention to the subject of APAs. On 26 February 2007, the JTPF adopted a Communication including guidelines for APAs within the EU.27 The 2007 APAs Guidelines were endorsed by the EU Council of Ministers of Economy and Finance (ECOFIN) on 5 June 2007. An APA provides a taxpayer tax certainty with respect to its transfer pricing policy and enables tax administrations and taxpayers to reach an a priori agreement with respect to the TP remuneration of the taxpayer, in return for a substantial degree of transparency on the side of the taxpayer. The 2007 APA Guidelines established best practices to ensure the efficiency of bi- and multilateral APAs. They set the prerequisites for the initiation of an APA (tax administration office in charge, documentation to be provided, complexity thresholds to apply), and specified the process to be followed and how each step of such process should be conducted within a tentative timeline of 18 months. The four stages of the APA process identified were the pre-filing stage/informal application, the formal application, the evaluation and negotiation of the APA and finally the formal agreement. The 2007 APAs Guidelines further addressed specific items derived from the practices of Member States already concluding APAs, such as the possibility to have anonymous preliminary meetings and the benefit of rollbacks. The APA process has further been monitored by the JTPF through statistics. The 2018 statistics on APAs published by the JTPF28 reported that at the end of 2018 there were 116 EU and 155 non-EU bi-or multilateral APAs in force concluded by the Member States. The statistics also provided other information with respect to the number of APA requests received, rejected, withdrawn, and the average time to negotiate an APA. They further monitored unilateral APAs. 27 Guidelines for Advance Pricing Agreements (APAS) in the European Union, annex to COM(2007) 71 final of 26 February 2007 – paragraph 2 – the “2007 APAs Guidelines”. 28 EU JTPF, Statistics on APAs in the EU at the End of 2018 – Taxus/D2, Brussels, July 2019. 

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b) TP controls TP controls have been addressed in different reports of the JTPF, first in the Communication from the Commission on the work of the EU Joint Transfer Pricing Forum in the field of dispute avoidance and resolution procedures dated 26 February 200729, then in the Report on Transfer Pricing Risk Management30 dated 4 June 2014, and finally in the report entitled “A coordinated approach to transfer pricing controls within the EU”31 dated October 2018. In 2007, simultaneous audits were considered by the JTPF as an area creating few opportunities to resolve disputes. This analysis has changed over the time. In its 2014 report, the JTPF recommended to adopt simultaneous controls on the basis of the Directive on Administrative Cooperation (2011/16/EU) (“DAC”) or joint audits in the transfer pricing context considering the bi- or multilateral nature of TP. In a context of growing disputes, notably on TP issues, the JTPF assessed in its Program of Work for its 2015 to 2019 mandate that it would be helpful to develop a legal framework for this type of audit and propose practical useful recommendations for bi- or multilateral controls32. On 18 February 2016, the joint audit pilot project between Germany and the Netherlands was presented before the JTPF. The project had started in 2012 and the first joint audit started in 2013 based on DAC. In 2016, both tax administrations considered that the implementation of joint audits had led to a “win-win” result. On 26 June 2018 the joint audit pilot project between Germany and Italy was presented to the Forum: it was also a success for all the stakeholders. In its 2018 Report on TP Controls, the JTPF encouraged cooperation at two levels: (i) between tax administrations amongst themselves and (ii) between tax administrations and the taxpayer, and aimed at strengthening the existing framework applicable to transfer pricing audits. It provided for a set of best practices addressing organizational issues relevant to cross-border audits and specifying taxpayers’ rights and obligations, while making recommendations on the different phases of the audit process. The JTPF was a “pioneer” in the TP control area and inspired the OECD in its 2010 and 2019 Forum on Tax Administration Reports aiming at tax audits and enhancing tax cooperation and improving tax certainty.

29 COM(2007) 71 final. 30 Communication on the work of the EU Joint Transfer Pricing Forum (JTPF) in the period July 2012 to January 2014 COM(2014) 315.  31 JTPF/013/2018/EN – October 2018 – the “2018 Report on TP Controls”. 32 EU JTPF, JTPF Program of work 2015–2019 (“Tools for the Rules”), meeting of 25 June 2015 – JTPF/005/Final/2015/EN – point 3.3; 2018 Report on TP Controls – point 1.2. 

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2. The extensive contribution of the JTPF to implement common and ­cost- effective practices on TP practical issues a) Code of Conduct concerning documentation requirements for transfer pricing within the EU The Code of conduct on Transfer Pricing Documentation (“EU TPD”) was adopted by the Council on 27 June 200633. It aimed as harmonising within the EU the documentation to be provided by taxpayers to tax administration and thus reducing TP compliance costs for taxpayers. This should also represent a gain in time for tax administrations in the analysis of TP documentation provided by taxpayers in the course of an audit. The EU TPD was construed as a documentation composed of two sets of information: a masterfile and a country-specific documentation. It specified the items to be provided under each of the documents. The Code of Conduct on EU TPD was successfully introduced into some Member States’ laws, such as Germany, France and Italy, and remains applicable today (even though amended to take into consideration new requirements). The model provided also served as a basis for the OECD works on TP documentation in the OECD Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises and Tax Administrations (“OECD Guidelines”). b) Guidelines on low-value-adding intra-group services On 25 January 2011, the Commission adopted a Communication on the work of the JTPF from April 2009 to June 2010 including proposed guidelines on low-value-adding intra-group services34 (“Guidelines”). The work of the JTPF on this matter resulted from the need to efficiently allocate costs to justify taxpayers’ TP remunerations. A simplified approach to justifying the remuneration of low-value-adding services was thus sought for. The Guidelines specify the types of services that can be considered as low-value-adding services. The arm’s length remuneration recommended is based on experience, which “shows that typically agreed mark ups fall within a range of 3–10%, often around 5%”. The Guidelines also address notably cost pool issues, invoicing, allocation keys and on-call services. They further detail the content of shareholder costs. The work of the JTPF on this matter was extended by the OECD through its BEPS Action 8–10 Report and incorporated into its 2017 Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises and Tax Administrations. The OECD Guidelines now provide that a 5% mark-up shall be applicable to low-value-adding services.

33 OJ C/2006/176 of 28/07/2006, p. 1. 34 COM(2011) 16 final.

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c) Report on Small and Medium Enterprises (SMEs) and TP On 19 September 2012 the Commission adopted a Communication on the Report on SMEs and TP35 (“Report on SMEs and TP”). On 4 December 2012, the conclusions of the Council of the EU welcomed the Report on SMEs and TP. The Report on SMEs and TP aims at reducing the administrative burden on SMEs while ensuring that tax administrations can duly apply their respective tax policies. The Report on SMEs and TP examines the specific issues of SMEs in the field of transfer pricing and suggests how to address them through best practices and recommended guidelines. The subjects dealt with are pre-audit, audit and dispute resolution. Proportionality and flexibility should prevail: SMEs should be guided to have access to necessary information notably at pre-audit stage and simplification measures should be implemented during audit and dispute resolution, notably through fast track dispute resolution for non-complex low value SME claims. d) Report on Cost Contribution Arrangements on Services not creating Intangible Property (IP) On 19 September 2012 the Commission adopted a Communication on the Report on Cost Contribution Arrangements (“CCA”) on Services not creating Intangible Property (IP) (“2012 Report”).36 This 2012 Report complemented the work of the JTPF on low-value-adding services (as presented above). It presented the arm’s length features of a CCA and set a list of information items that should meet the arm’s length requirement. The 2012 Report aimed at differentiating CCAs from intragroup services. It further addressed specific topics, including the expected benefit test, allocation keys applicable to participant’s contribution, measurement of contributions in kind, anticipated vs. actual benefit and accounting standards applied. Documentation to be provided to justify CCAs is governed by the EU TPD guideline (cf. above). e) Report on Compensating Adjustments On 4 June 2014, the Commission adopted a Communication on the JTPF report on compensating adjustments.37 The guidance in said report is applicable to compensating adjustments which are made in the taxpayer’s accounts and explained in the taxpayer’s TP documentation.

35 COM/2012/516. 36 COM/2012/516. 37 COM/2104/315.

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The need for a report arose from the fact that Member States had different practices in this matter which could lead to double taxation as well as double non-taxation. A compensating adjustment (upward or downward) initiated by a taxpayer should be acceptable provided that the taxpayer’s approach toward the adjustment is consistent over the time and as compared to the related enterprise concerned by the flow, and duly justified to achieve an arm’s length outcome. f) Report on the Use of Comparables in the EU In March 2017, the JTPF agreed a Report on the Use of Comparables in the EU38, further to the issuance of the Study on Comparable data used for Transfer Pricing in the EU in December 201639 (“2016 Study”). This theme was not totally new for the JTPF in 2016 since it had already been referred to in the Communication from the Connection which has prepared the Code of Conduct on EU TPD40, which had agreed to issue conclusions on the use of database searches for the purpose of comparable searches justifying the arm’s length ­nature of intra-group transactions. At the time, the acceptability of pan-European database searches had been debated between tax administration and businesses. The 2016 Study focused on the assessment of the availability and quality of comparables used in the EU. It concluded that “the use of internal data is less frequent than the use of external data under both the CUP method and the TNMM. […] Depending on the nature of the transactions, external data under CUP method also often provides a helpful alternative as their quality and quantity are generally sufficient within the EU […] [under] TNMM […] [analysis] has shown that the use of a pan-European approach, or any otherwise defined relevant market, may be needed to compensate for the lack of sufficient comparable data at the level of a specific Member State.” The Report on the Use of Comparables in the EU “[aimed] at increasing in practice the objectivity and transparency of comparable searches in the EU”. It provided for detailed recommendations applicable to comparable searches and addressed specific aspects of internal and external comparables, as well as comparability adjustments. g) Report on the Use of Economic Valuation Techniques in TP In September 2017, the JTPF agreed a final Report on the Use of Economic Valuation Techniques in TP.41 Said report provides clarification with respect to valuation techniques which are relevant for TP purposes and explanation on how to use valuation techniques in the TP context to achieve an arm’s length outcome.

38 JTPF/007/2016/FINAL/EN. 39 TAXUD/2014/CC/126. 40 COM(2005) 543 final. 41 JTPF/003/2017/FINAL/EN.

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The report recommends documenting the application of a valuation technique in TP and specifies that where the amount at stake or the potential implications on where profits are generated requires it, “a ‘sanity’ check should be made”. Transparency, proportionality and consistency should govern the use of valuation techniques by taxpayers and their review by tax administrations. It further details the practical application of the economic valuation techniques which are based on discounting future economic benefits and provides practical recommendations, such as on the discount rate. h) Report on the application of the profit split method within the EU In March 2019, the JTPF agreed a final Report on the application of the Profit Split Method (“PSM”) within the EU.42 Based on a survey on the experiences of the Member States, its aim “was to take stock of how the PSM is applied within the EU and work towards a common approach to addressing the relevant challenges arising under the current OECD framework.” The Report on the application of the PSM reveals that the PSM is rarely used in practice, and that due to its complexity it is mostly used in the context of APAs. It also developed on the concepts of “unique and valuable contributions” and “high level of business integration”, thus complementing the OECD Guidelines recently amended further to BEPS Actions 8–10 Reports. Finally, it drew up an indicative inventory of profit splitting factors on the basis of the Member States’ experiences.

42 JTPF/002/2019/EN.

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Die Jagd nach Verrechnungspreis Compliance – Neue Wildarten im Revier? Inhaltsübersicht I. Steuerliche Compliance Systeme 1. Steuerliche CMS im Allgemeinen 2. Steuerliche CMS im Bereich ­Verrechnungspreise

II. Aktuelle Entwicklungen der OECD III. Aktuelle Entwicklungen in Deutschland IV. Rangkämpfe im Jagdrevier? V. Fazit

Bereits 1979 veröffentlichte die OECD einen ersten Bericht zu Verrechnungspreisen und ihrer möglichen steuerlichen Relevanz für multinationale Unternehmen. Zu diesem Zeitpunkt existierten weder internationale noch nationale Regelungen zu Verrechnungspreisen, sodass sie noch kein Thema der steuerlichen, unternehmensberatenden Praxis darstellten. Dies sollte sich erst mit der Einführung von verbindlichen Regelungen in den USA 1992/1993 ändern.1 Auf internationaler Ebene wurde der erste Entwurf der „OECD Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises and Tax Administrations“ („OECD Richtlinien“) am 27. Juni 1995 veröffentlicht. Im Rahmen der OECD- Konferenz in Ottawa 1998 wurden – unabhängig von Verrechnungspreisen - Prinzipien einer fairen Besteuerung entwickelt. Hierzu gehörte Einfachheit, Effektivität, Fairness und Flexibilität als Merkmale des anzustrebenden Regelwerks („Ottawa-Prinzipien“).2 In dieser Gemengelage begann Heinz-Klaus Kroppen 1989 seine steuerlich-beratende Tätigkeit. Sein knapp 10 Jahre später veröffentlichtes Handbuch Internationale Verrechnungspreise3 gilt noch heute als eine der prägenden deutsch-sprachigen Veröffentlichungen zum Themenbereich der Verrechnungspreise. Dreißig regelmäßige Aktualisierungen des Werkes zeugen dabei von der sowohl akademisch als auch politisch getriebenen Dynamik der Materie. Bedenkt man dabei, dass zu diesem Zeitpunkt nur wenig an verbindlichen Rechtsgrundlagen vorgelegen hat, kann man mit Fug und Recht behaupten, dass der Jubilar hier die ersten Pflöcke eingeschlagen und auch im Nachgang in erheblichem Maße an der Hege dieses Rechtsgebiets beteiligt gewesen ist. 1 Roland Davis − The New Transfer Pricing Tax Regulations: Now That They’re Here What Should You Do, Santa Clara High Technology Law Journal, January 1994, Vol. 10, Issue 1, S. 196. 2 OECD, A Borderless World: Realizing the Potential of Global Electronic Commerce, 1998; auch: OECD, Final Report 2015, Addressing the challenges of the digital economy, Action 1, S. 152. 3 Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise (Grundwerk), Köln 1999.

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Seitdem sind auf nationaler und internationaler Ebene eine Vielzahl an Vorschriften entstanden, welche verrechnungspreisrelevante Fragestellungen regulieren. Die Entwicklungen wurden maßgeblich durch die OECD mit der fortlaufenden Überarbeitung der OECD-Richtlinien begleitet. Mit dem Base Erosion and Profit Shifting  – Projekt („BEPS“) der OECD haben die Richtlinien in ihrer Fassung von 2017 die vermutlich größte Überarbeitung der letzten Jahre erfahren. Das BEPS-Projekt sollte im Kern zu einer angemessenen Verteilung von Besteuerungsgrundlagen führen und ungerechtfertigte Gewinnverlagerungen multinationaler Unternehmen verhindern. Entsprechend sollte durch BEPS die Transparenz und Konsistenz des internationalen Steuerrechts gestärkt werden. Als Werkzeug zur Umsetzung dieser Ziele hat die OECD 15 Maßnahmenpakete, die durch die Nationalstaaten in bilaterale Steuerabkommen umgesetzt werden sollen, vereinbart. Ein Multilaterales Instrument („MLI“) wurde am 24.  November 2016 verabschiedet und wurde seitdem von über 78 Staaten unterzeichnet. Es trat im Juli 2018 in Kraft. Von gesetzgeberischer Seite sollen viele der neuen Verrechnungspreis-­Grundsätze der 2017er OECD-Richtlinien über das ATAD-Umsetzungsgesetz vom 10.12.2019 Berücksichtigung finden.4 Damit hat sich das regulatorische Umfeld für Verrechnungspreise während der Tätigkeit des Jubilars von einem weißen Blatt Papier hin zu einem detaillierten, international anerkannten Katalog von Anforderungen weiterentwickelt, deren Einhaltung durch ebenso hohe Compliance-Anforderungen flankiert wird. Eigentlich könnte man annehmen, dass die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte und insbesondere auch das BEPS-Projekt dazu geführt haben, dass alle wichtigen Fragen geklärt und sozusagen das Gleichgewicht im (Jagd-)Revier hergestellt ist. Ist also nicht nur das Ende des Arbeitslebens des Jubilars, sondern auch das Ende der Diskussion um die Zuweisung von Besteuerungsrechten, den Fremdvergleichsgrundsatz und die Wahl von Methoden zur Bestimmung von angemessenen Verrechnungspreisen absehbar? Dies ist mitnichten so, denn jedes Revier muss fortlaufend gehegt und gepflegt werden. Dies gilt umso mehr, wenn aufgrund von Klimawandel und Wanderungsbewegung neue, bisher nicht vorkommende Tierarten auftreten, die das bestehende Ökosystem ins Wanken bringen können. Dem vergleichbar sind die in den letzten Jahren durch die zunehmende Digitalisierung entstandenen oder stark gewachsenen Technologiekonzerne wie Apple, Microsoft, Amazon, Facebook oder Twitter. Diese großen Technologiekonzerne sind aus Sicht vieler Staaten nicht ausreichend besteuert und/oder verlagern ihre Erträge in niedrig besteuerte Jurisdiktionen. Auf der Jagd nach Verrechnungspreis-Compliance muss der Jäger, wie auch bei der echten Pirsch, zunächst mit den Grundregeln der Jagdausübung vertraut sein, diese verstehen und verinnerlichen und zudem durch den Erwerb eines Jagdscheins entsprechend nachweisen. Erst dann kann er sich auf die Pirsch begeben und die im 4 Vgl. Referentenentwurf des ATAD-Umsetzungsgesetzes vom 10.12.2019.

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Die Jagd nach Verrechnungspreis Compliance – Neue Wildarten im Revier?

Revier vorhandenen Wildarten identifizieren, ansprechen und schlussendlich erlegen. In Analogie zur Jagd auf Verrechnungspreis-Compliance möchten die Autoren zunächst darstellen, welche Grundreglen der Jagdausübung zu beachten sind, um im Folgenden darauf einzugehen, welche Herausforderungen sich aktuell für den Steuerjäger ergeben.

I. Steuerliche Compliance Systeme Die steuerlichen Grundregeln der Jagdausübung fußen auf der steuerlichen Com­ pliance. Im Allgemeinen versteht Compliance sich als die Einhaltung von gesetzlichen Vorgaben und unternehmensinternen Richtlinien durch eine Unternehmensorganisation.5 Die Mindestanforderung an ein im Allgemeinen steuerlich „compliant“ handelndes Unternehmen lässt sich derart definieren, dass es rechtlich definierte Steueranmeldungen bzw. -erklärungen fristgerecht und inhaltlich zutreffend erstellt und übermittelt. Anmeldungen und Erklärungen dürfen hierbei insbesondere keine Fehler enthalten, die zu einer leichtfertigen Steuerverkürzung i.S.d. § 378 Abs. 1 AO oder im schlimmsten Fall zu einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung i.S.d. § 370 Abs. 1 AO führen. Gemeinsamer Nenner ist in jedem Fall eine inhaltlich zutreffende Erklärung. Diese setzt eine möglichst vollständige Kenntnis der Sachlage durch das Management eines Unternehmens voraus. Für Verrechnungspreisfragen herrscht die Fiktion des doppelt ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführers  – sowie die Fiktion, dass die Unternehmensleitung über sämtliche wirtschaftlich relevanten Vorgänge informiert wird um adäquate Entscheidungen zu treffen.6 Diese Transparenzfiktion ist jedoch in der Literatur auf erhebliche Kritik gestoßen,7 da auch miteinander in Vertragsbeziehung tretende Dritte nicht über die volle Transparenz über die Entscheidungssituation des Vertragspart5 IDW, Prüfungsstandard: Grundsätze ordnungsmäßiger Prüfung von Compliance Management Systemen (IDW PS 980), IDW Verlautbarungen 71. EL September 2019, Rz. 5; Rohner in Gummert, Münchner Anwaltshandbuch Personengesellschaftsrecht, 3.  Aufl., München 2019, §  3  Rz.  7; Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, 3 Aufl., München 2016, § 1 Rz. 2; siehe auch: Deutscher Corporate Governance Kodex Tz. 4.1.3. 6 BFH, Urteil v. 17.5.1995 – I R 147/93, DStR 1995, 1749; BMF, Schreiben betr. Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung bei international verbundenen Unternehmen (Verwaltungsgrundsätze 83) BStBl. I 1993, 218, Tz. 2.1.8.; auch: Thier, Die Rechtsfigur des doppelt ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters und deren Auswirkungen auf die Bestimmung des Verrechnungspreises in Verlagerungsfällen, IStR 2012, 495; Schwenke/Greil in Wassermeyer, DBA, 146. EL Juli 2019, Art. 9 OECD-MA Rz. 108; Pohl in Blümich, AStG, 149. EL 2019, § 1 AStG Rz. 42 f. 7 Beispielhaft m.w.N.: Baumhoff in Festgabe Wassermeyer, Doppelbesteuerung, 2015, §  34 Rz.  9; Baumhoff/Liebchen in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, AStG, Stand Sep. 2019, § 1 Rz. 352; Gosch in Gosch, KStG, 3. Aufl. 2015, § 8 Rz. 290 ff.; Gosch, Von Äpfeln und Birnen – Ein steuerjuristischer Essay zum Maß des „Fremdvergleichs“ im Konzern, DStR 2019, 2441 (2442).

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ners verfügen. So ist die Aufklärung des Sachverhalts auch für die weitere (steuer-) rechtliche Bewertung von Geschäftsvorfällen ausschlaggebend. Hier ist beispielsweise auch und insbesondere an wettbewerbs- und kartellrechtliche Fragestellungen zu denken. In der Realität wird in den allermeisten Fällen eine Entscheidung unter Risiko oder Unsicherheit zu treffen sein, sodass eine vollständige Sachverhaltsaufklärung immer erst ex-post möglich ist. Für die Steuer Compliance bedeutet dies, dass Vorsorge getroffen sein muss, dass die allgemeinen Sorgfaltspflichten der Unternehmensleitung hinsichtlich der Maßnahmen zur Sicherstellung der Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen erfüllt werden. Denn Regelverstöße können in empfindlichen Strafen für ein Unternehmen und seine Organe resultieren. Prozesse und Systeme sollten deshalb permanent auf ­ die Einhaltung regulatorischer Anforderungen hin überprüft werden. Die Schaffung und Optimierung eines wirksamen steuerlichen Compliance Management Systems („CMS“) kann hierzu gerade hinsichtlich der Verrechnungspreise einen entscheidenden Beitrag leisten. Zielsetzung eines CMS muss insbesondere die Abwendung von Schäden für das Unternehmen selbst, und darüber hinaus die Vermeidung einer ­persönlichen Haftung von Organmitgliedern (Aufsichtsrat, Vorstand, Geschäftsführung) sein. Diese Funktion hat auch die deutsche Finanzverwaltung erkannt und mit dem Anwendungserlass des BMF vom 23. Mai 2016 zu § 153 AO ist die Implementierung eines innerbetrieblichen Kontrollsystems, das der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dient, in den Fokus der steuerlichen Beratung gerückt. 1. Steuerliche CMS im Allgemeinen Die Finanzverwaltung stellt im Rahmen des Erlasses im Hinblick auf die erforderliche Abgrenzung zwischen der Berichtigung einer fehlerhaften Steuererklärung und einer strafbefreienden Selbstanzeige fest, dass die Einrichtung eines innerbetrieblichen Kontrollsystems ein Indiz sein könne, das gegen das Vorliegen eines Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit spreche. Wichtig ist an dieser Stelle festzustellen, dass aus dem Fehlen eines steuerlichen CMS nicht auf das Vorliegen eines Vorsatzes oder auf Leichtfertigkeit geschlossen werden kann. Die Errichtung und Dokumentation eines steuerlichen CMS ist somit keine steuerrechtliche Pflicht. Allerdings können sich neben rein steuerrechtlichen Implikationen für die Unternehmensleitung auch Konsequenzen aus dem Gesetz gegen Ordnungswidrigkeiten (OWiG) ergeben. Dieses fordert in § 130 die Einrichtung von Aufsichtsmaßnahmen, die sicherstellen, dass Zuwiderhandlungen gegen Pflichten unterbleiben, die den Inhaber treffen und deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist. Die Verpflichtung trifft alle Unternehmen und alle Unternehmensbereiche, somit auch den Steuerbereich. Ferner wird auch in den Grundsätzen zur ordnungsgemäßen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD vom 14.11.2014) ein internes Kontrollsystem gefordert, welches die Einhaltung der Vorschriften des §146 AO fordert. 234

Die Jagd nach Verrechnungspreis Compliance – Neue Wildarten im Revier?

Auch wenn das Vorhandensein eines dokumentierten steuerlichen CMS nicht von einer Prüfung des jeweiligen Einzelfalls befreit, ist die Einrichtung eines solchen den Steuerpflichtigen dringend angeraten, da die Unternehmensleitung durch die Dokumentation des steuerlichen CMS einen Nachweis erbringen kann, Maßnahmen ergriffen zu haben, um ihre gesetzlichen Verpflichtungen zu erfüllen. Bleibt die Frage nach einer sachgerechten Umsetzung der Vorschriften. Das IDW hat zum 31.  Mai 2017 den IDW-Praxishinweis „Ausgestaltung und Prüfung eines Tax Compliance Management Systems gemäß IDW PS 980“ veröffentlicht. Ein steuerliches CMS wird darin als ein auf die Einhaltung steuerlicher Vorschriften gerichtetes System definiert, das aus einer Reihe von einzelnen, aufeinander abgestimmten Bearbeitungs- und Kontrollschritten zur Fehlervermeidung und -aufdeckung sowie zur Risikominimierung besteht. Die Vorgaben des IDW sind hierbei nicht als starre Anforderungskriterien, sondern eher im Sinne eines Rahmenkonzepts zu verstehen, in dem absichtlich Handlungs- und Gestaltungsspielräume gelassen werden, um das steuerliche CMS speziell auf die unternehmensspezifischen Anforderungen auszurichten. Einheitliches Ziel ist die Erstellung und fristgerechte Einreichung richtiger Steuererklärungen sowie die Erfüllung der übrigen steuerlichen Pflichten. Alle weiteren Ziele hängen stark vom jeweiligen Unternehmen ab und können in einer eigenen Richtlinie ausformuliert werden. Die darin enthaltenen Grundsätze sollten für das gesamte Unternehmen gelten, sind aber naturgemäß besonders wichtig für die Steuerabteilung. In der Richtlinie kann der Vorstand bzw. die Geschäftsführung zum Beispiel verfügen, welche Aufgaben er an die Steuerabteilung delegiert. Damit macht er bzw. sie deutlich, dass er/sie sich seiner/ihrer Verantwortung bewusst ist, die tägliche Arbeit jedoch von fachkundigen Mitarbeitern erledigen lässt. Weiterhin kann die Steuerabteilung verpflichtet werden, sich regelmäßig mit Vertretern anderer Bereiche zu treffen, um diese hinsichtlich steuerlicher Thematiken zu sensibilisieren oder zu schulen. 2. Steuerliche CMS im Bereich Verrechnungspreise Im Bereich der Verrechnungspreise fehlt es grundsätzlich an einer für das Gebiet spezifischen Anmeldung oder Erklärung, soweit die Verrechnungspreise nicht unmittelbar in die Daten über Umsätze und Erträge einfließen. Einzig mit der Verrechnungspreisdokumentation und dem Country-by-Country-Reporting sind hier zwei formale Vorgaben zu erfüllen. Damit erstreckt sich die Compliance-Pflicht primär auf die materiell-rechtlichen Anforderungen an Verrechnungspreise. Konkret bedeutet dies, dass der Steuerpflichtige sein ernsthaftes Bemühen, sich fremd­üblich zu verhalten und damit angemessene Verrechnungspreise zu setzen, dokumentieren muss. In formeller Hinsicht erfüllt er diese Pflicht durch die Verrechnungspreisdokumentation gem. § 90 Abs. 3 AO, materiell erfolgt der Nachweis durch das Vorhalten der zur Verrechnungspreisbestimmung genutzten Rechenwerke. Die OECD hat verschiedentlich festgehalten, Verrechnungspreise seien „not an exact science“, da es nicht immer möglich sei, einen einzigen korrekten Fremdvergleichs­ preis zu ermitteln; vielmehr müsse der korrekte Preis möglicherweise innerhalb einer 235

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Bandbreite akzeptabler Werte geschätzt werden.8 Diese Definition der OECD lässt bereits darauf schließen, dass sich Verrechnungspreise weder einheitlich definieren noch regeln lassen. Es kommt immer – so auch für ein steuerliches CMS – auf den spezifischen Einzelfall an. Für viele Außenstehende wirken die Regelungen zu Verrechnungspreisen damit als ein besonders undurchdringlicher Teil des steuerrechtlichen Urwaldes. Dabei sollte nicht unterschätzt werden, dass die Regelungen für Verrechnungspreise keine dem Jagdrecht vergleichbaren Grad an Eindeutigkeit bzw. Konkretisierung haben. Dementsprechend verlassen sich die mit Verrechnungspreisen befassten bei der Auslegung teilweise auf ihre eigene Erfahrung, die Erfahrung ihrer Berater oder setzen darauf, dass „es ja bisher immer gut gegangen sei“. Und so halten es viele Steuerleiter mit einem Tax Compliance Management System im Bereich der Verrechnungspreise so wie manch einer mit dem Jagdschein. Man verschiebt den Erwerb eines solchen auf später (z.B. auf den Ruhestand). So sei die Implementierung eines steuerlichen CMS für Verrechnungspreise doch sehr zeitaufwendig und nur etwas für Passionierte. Als „Freibrief “ ist die mangelnde Eindeutigkeit jedoch auf keinen Fall zu verstehen. Volumina im Verrechnungspreisbereich können teilweise sehr hoch und somit auch hochsensibel für Fehleranfälligkeit sein. Selbst kleinere Umsetzungsfehler im Rahmen der Verrechnungspreisermittlung, Buchung oder Anpassung können eine wesentliche Auswirkung auf das deutsche Steuersubstrat entfalten. Fehler führen somit regelmäßig zu unrichtigen Steuererklärungen und müssen – sofern sie überhaupt erkannt werden - aufwändig nach §153 AO berichtigt werden. Als Fundament zur Errichtung eines steuerlichen CMS müssen sich Unternehmensleitung und Steuerleiter zunächst Fragen, in welchen Arbeits- und Prozessschritten die größten Risiken für unrichtige Steuererklärungen bestehen. Erfahrungsgemäß haben sehr viele Steuerpflichtige bereits eine eigene Verrechnungspreis-Richtlinie, welche generische Transaktionsgruppen, Funktions- und Risikoprofile, anzuwendende Verrechnungspreismethoden sowie Gewinnelemente enthält. Regelmäßig enthält eine solche Richtlinie auch Grundsätze, wann Verrechnungspreise anzupassen sind. Ein CMS relevantes Problem entsteht durch die Aufgabenverteilung im multinationalen Konzern. Obwohl die Steuerabteilung regelmäßig die Verrechnungspreis-Richtlinie definiert, obliegt deren operative Umsetzung meist dem Controlling-Bereich. Die nachfolgende Abbildung, das „Haus des Verrechnungspreismanagements“, illus­ triert die wesentlichen Prozesselemente eines erfolgreichen Verrechnungspreismanagements und dient als Grundstein eines Verrechnungspreis-CMS. 

8 OECD Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises and Tax Administrations, July 2017, Kap. I Tz. 1.13, Kap. III Tz. 3.55, Kap. IV Tz. 4.8.

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Die Jagd nach Verrechnungspreis Compliance – Neue Wildarten im Revier?

Verantwortungsbereich

TP Compliance

Steuern

Budgetierung • strategische Planung • jährliche Budgetplanung

Controlling

• • • •

TP Dokumentation Betriebsprüfungen Verständigungsverfahren Advance Pricing Agreements

Preissetzung

Monitoring

Korrekturen

Außerordentliches

• Standardkosten • strategische Preise • IPU-/ KonditionsManagement

• ManagementSicht: Bruttomarge • Steuersicht: segmentierte GuV

• zukünftig (ex-ante) • rückwirkend (year-end)

• ad-hoc-Entscheidungen • regulatorische Änderungen

Controlling

Controlling

Controlling

Controlling

TP-Parameter Steuern

• Transaktionsmatrix • TP-Methoden • Funktions- und Risikoprofile

Abbildung 1  „Haus des Verrechnungspreismanagements“

Die Basis bilden unverändert die Verrechnungspreis-Richtlinie und die darin enthaltenen Vorgaben zu verrechnungspreisspezifischen Parametern. Diese sind regelmäßig auf Übereinstimmung mit den aktuellen Richtlinien der OECD abzugleichen und gegebenenfalls zu aktualisieren. Besonders CMS relevant ist hierbei die Sicherstellung der Aktualität des Wissensstandes der gruppeneigenen Mitarbeiter. Die Publikationsflut auf Seiten der OECD sogt mittlerweile dafür, dass Steuerpraktiker schwerlich einen Überblick über alle neuen Entwicklungen behalten können. Für Zwecke des steuerlichen CMS ist somit eine Strategie zu entwickeln, wie die eigenen Mitarbeiter „up to date“ gehalten werden können. Umsetzungsmöglichkeiten können hierbei vom regelmäßigen Besuch von Fachkonferenzen, Durchführung hausinterner Trainings bis zur Involvierung externer Berater reichen. Sofern der Aus- und Weiterbildungsaspekt geregelt (und somit die erste Beute erlegt) wurde, kann sich der jagdliche Fokus auf die Schnittstelle zwischen Steuer- und Controlling Bereich richten. Die erste Säule, die Budgetierung, ist der Startpunkt der Analyse. Hier fließen die Vorgaben der Verrechnungspreis-Richtlinie in die operative Planung der Gruppe ein. Umsetzungsfehler (z.B. falsche Kostenbasis) lassen sich oft bereits im Budgetierungsprozess identifizieren. Zudem sind bestimmte Elemente des 237

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Planungsprozesses oftmals hoch relevant für die spätere Verrechnungspreisdokumentation, da der Planungsprozess und die zugehörigen Daten zum späteren Nachweis von Entscheidungsprozessen (Substanz) und Planungsannahmen (z.B. Umsatz- und Kostenplanung) verwendet werden kann. Oftmals bestehen bereits Prozessbeschreibungen für Planungs- und Budgetprozesse, welche bei entsprechender Relevanz um steuerliche Vorgaben ergänzt werden können. Der Preissetzungsprozess schließt sich nahtlos dem Planungsprozess an. Im Optimalfall wurde bereits bei Erstellung der Verrechnungspreis-Richtlinie mit dem Con­ trolling Bereich abgestimmt, wie die Verrechnungspreissetzung „operationalisiert“ werden kann (z.B. Verwendung von Standardkosten mit Mark-up oder Listenpreisen abzüglich eines Discounts). Sofern die Verrechnungspreisrichtlinie bereits die Con­ trolling-relevanten Parameter enthält (Kostenbasis, Systemschlüssel, Preislisten), besteht in diesem Bereich regelmäßig wenig Kontrollbedarf. Anders verhält es sich im Bereich des Monitorings und der Korrektur von Verrechnungspreisen. Nicht nur die deutschen Verrechnungspreisvorschriften verlangen vom Steuerpflichtigen, sich ernsthaft zu bemühen, den Fremdvergleichsgrundsatz einzuhalten.9 Eine rein rückwirkende Analyse der Verrechnungspreise ist in vielen Fällen somit nicht empfehlenswert und auch zwischen fremden Dritten nur in wenigen Fällen zu beobachten. Vielmehr beobachten auch fremde Dritte ihre jeweilige Geschäftsentwicklung und versuchen – im Rahmen der „options realistically available“ gegebenenfalls nachzuverhandeln. Auf der anderen Seite sind spontane oder rückwirkende Verrechnungspreisanpassungen zwischen fremden Dritten sehr selten zu beobachten.10 Je nach Geschäftsmodell erfordert ein permanentes Monitoring von z.B. Verrechnungspreismargen einen sehr hohen Arbeitsaufwand „rein für steuerliche Zwecke“ und ist somit regelmäßig nicht verhältnismäßig.11 Erfahrungen der Autoren zeigen, dass in diesem Bereich oftmals Streit mit der Betriebsprüfung besteht, insb. bei Jahresendanpassungen zu Lasten des deutschen Steuersubstrats. Aus Sicht des Steuerleiters ist im Rahmen des steuerlichen CMS somit zu überlegen, inwiefern vorab klar definierte Regeln helfen können, zukünftige Streitigkeiten zu minimieren. Sind die Regeln jedoch definiert, ist im Rahmen des CMS auch deren Umsetzung zu kontrollieren. Auf die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen ist in jedem Fall zu achten.

9 Vögele/Vögele in Vögele/Borstell/Engler, Verrechnungspreise, 4. Aufl. 2015, Kap. E Rz. 163; Roger in FS Wassermeyer, 2005 S. 396. 10 OECD, Public Discussion Draft BEPS Action 8 - 10 Financial Transactions Tz. 19, 49, 54; vgl. FG Münster v. 7.12.2016 − 13 K 4037/13, anhängig beim BFH I R 4/17. 11 BFH, Urteil v. 28.10.2009 − VIII R 78/05 Baumhoff/Ditz/Greinert, Grundsätze der Dokumentation internationaler Verrechnungspreise nach der Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung (GAufzV), DStR 2004, 157 (159); Fischer/Looks/Schlaa, Dokumentationspflichten für Verrechnungspreise  – Aktuelle Erfahrungen mit der Betriebsprüfung und zukünftige Entwicklungen, BB 2010, S. 157; Gläser/Birk, Grenzenlose Pflicht zur Verrechnungspreisdokumentation?, IStR 2014, 99; Engler/Elbert in Vögele/Borstell/Engler, Verrechnungspreise, 4. Aufl. 2015, Rz. 13 ff.

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Die Jagd nach Verrechnungspreis Compliance – Neue Wildarten im Revier?

Die letzte Säule birgt erfahrungsgemäß das größte Fehler- und somit Risikopotenzial im Verrechnungspreisbereich. Nachdem der Steuerleiter sichergestellt hat, dass seine Mitarbeiter ausreichend Kompetenzen aufweisen, um steuerliche Fehler zu vermeiden oder zumindest steuerliche Risiken zu identifizieren, kann er dies regelmäßig für die operativen Geschäftsbereiche nicht sicherstellen. Um steuerliche Compliance zu gewährleisten muss der Steuerbereich allerdings Kenntnis von Geschäftsvorgängen aus dem operativen Geschäft erhalten. Und hier liegt in der Praxis ein großes Problem. Operative Entscheidungen werden unter Zeitdruck und nach Vorgabe von wichtigen Kunden direkt getroffen ohne mögliche steuerliche Auswirkungen zu bedenken. Wird der Steuerbereich nicht involviert, lassen sich die Geschäftsvorfälle auch nicht sachgerecht abbilden. Neben falschen Steuererklärungen können hier auch signifikante finanzielle Risiken drohen (z.B. Exit-Besteuerung, Bruch von Steuerrulings/APAs/Haltefristen etc.). Im Rahmen der Hege des steuerlichen Jagdreviers ist somit sicherzustellen, dass die Steuerabteilung frühestmöglich in geschäftsrelevante Vorgänge einbezogen wird. Mit den unterschiedlichen Bausteinen des „Haus des Verrechnungspreismanagements“ ist der Steuerleiter bestens für die steuerliche Pirsch gewappnet. Doch auch die Regelungstiefe der Jagdausübung ist unzweifelhaft komplex, kommt es doch auf eine genaue Kenntnis der detaillierten Regelungen an. Zumindest in Deutschland sind die rechtlichen Anforderungen an den Jäger transparent und deren Kenntnis schon in der Jägerprüfung nachzuweisen. Zwar gibt es auch hier Unterschiede zwischen den Bundesländern, aber zumeist unterscheiden sich die Regeln lediglich pro Wildart. Im steuerlichen Compliance-Revier spiegelt sich diese eindeutige Regelungslage im Bestimmtheitsgebot und Rückwirkungsverbot wider. Damit ist der Gesetzgeber gehalten genau darzulegen, welche Sachverhalte wie und ab wann einer Besteuerung unterworfen werden. Neben den Rahmenbedingungen spielt bei der Jagd nach Verrechnungspreis-Compliance allerdings auch die praktische Anwendung eine entscheidende Rolle. Und hier ist die OECD aktuell dabei neue Wildarten zu identifizieren und unter das Jagdrecht zu stellen. Ob diese in den aktuellen Regelungskatalog passen?

II. Aktuelle Entwicklungen der OECD Aus Sicht der Jagd nach Compliance könnte man erstaunt festhalten, dass die Tierart der digitalen bzw. digitalisierten Unternehmen bisher nicht vom „Jagdrecht“ erfasst wird. Im Gegenteil: In den letzten Jahren scheinen viele dieser Unternehmen als unter besonderen Schutz gestellt. Nun da sie bereits die ersten Vorgärten umgegraben haben, sieht man sich zum Handeln gezwungen und versucht Fehlentwicklungen durch eine strikte (Abschuss-)Quote zu korrigieren. Die Analysen der OECD im Rahmen von Action Item 1 haben verdeutlicht, dass digitalisierte und digitale Geschäftsmodelle von geltenden Regelungen und auch von den bereits eingeführten Regelungen unter BEPS nicht oder nur teilweise erfasst werden. Daher haben sich die OECD Staaten darauf geeinigt ein Programm of Work 239

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(„PoW“), innerhalb des Inclusive Framework on BEPS zu etablieren und zwei Säulen eines Besteuerungsregelwerks zu entwickeln. Seit Gründung sind vier Vorschläge vorgelegt worden, wie das Besteuerungssystem zukünftig zu gestalten sei, um zum einen den steuerlichen Herausforderungen der Digitalisierung gerecht zu werden und um zum anderen verbleibende BEPS-Herausforderungen zu lösen. Drei Vorschläge nehmen die Ergebnisse und Empfehlungen des Zwischenberichts12 auf und entwickeln neue Regelungen zum Nexus bzw. zur Gewinnallokation (Vorschläge der  USA, Großbritanniens und Indiens13). Ein vierter Vorschlag sieht weiteren Handlungsbedarf in Folge der BEPS-Initiative und schlägt die Einführung einer globalen Mindestbesteuerung vor (gemeinsamer Vorschlag Deutschlands und Frankreichs14).15 Inzwischen hat die OECD sowohl zu Pillar 116, als auch zu Pillar 217 Diskussionsentwürfe vorgelegt. Der Diskussionsentwurf des OECD Sekretariats vom 9.  Oktober 2019 im Rahmen des PoW für das „Inclusive Framework on BEPS“ („Pillar 1“) ist dabei ein erstes Ergebnis der Beschäftigung mit der durch die OECD als schädlich wahrgenommenen „Tierart“ des digitalisierten bzw. digitalen Geschäftsmodells. Die Zielsetzung des Entwurfs ist eine (aus Sicht der OECD) angemessene Besteuerung von sog. Digitalunternehmen herbeizuführen. Um dies zu bewerkstelligen, soll nicht die physische Präsenz eines Unternehmens in Form einer ansässigen Gesellschaft oder Betriebsstätte als Anknüpfungspunkt für die Steuerpflicht von Erträgen dienen; vielmehr soll auf die Herkunft des Kunden abgestellt werden, um einen Besteuerungsanspruch zu begründen. Kernstück des Vorschlags ist eine neue Gewinnverteilungsregelung, die über das bisher als allgemeinen Standard akzeptierte Fremdvergleichsprinzip wesentlich hinausgeht. Bisher hat die OECD hierzu lediglich eine grobe dreigliedrige Verteilung vorgeschlagen: Betrag A soll nach dem Willen der OECD durch eine formelmäßige Aufteilung eines Teiles eines angenommenen globalen Residualgewinns, Staaten ein Besteuerungsrecht einräumen, soweit lediglich Kunden und nicht das Unternehmen selbst in diesem Staat ansässig sind. Die OECD hat sich bisher noch nicht zu genauen prozentualen Anteilen geäußert, aber vorgeschlagen die Berechnung auf Basis der Generally 12 Vgl. OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Interim Report 2018 – Inclusive Framework on BEPS v. 16.3.2018 Tz. 815. 13 Vgl. HRMC, Corporate tax and the digital economy: position paper update, März 2018 Tz. 3.54 ff.; OECD, Addressing The Tax Challenges Of The Digitalisation Of The Economy v. 13.2.2019. 14 OECD, Addressing The Tax Challenges Of The Digitalisation Of The Economy v. 13.2.2019, Tz. 89 ff. 15 Zu den Vorschlägen im Detail: Becker/van der Hamm, OECD: Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung, IWB 2019, 217. 16 OECD, Public consultation document: Secretariat Proposal for a “Unified Approach” under Pillar One, 9.10.2019. 17 OECD, Public consultation document: Global Anti-Base Erosion Proposal (“GloBE”)  – ­Pillar Two, 8.11.2019.

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Accepted Accounting Principles („GAAP“) oder International Financial Reporting Standards („IFRS“) durchzuführen. Betrag B soll eine feste, im Vorhinein zu vereinbarende Gewinnmarge darstellen, mit der Routinefunktionen (bspw. Marketing- und Vertriebstätigkeiten) pauschal vergütet werden sollen. Durch diesen Schritt soll insbesondere der steigenden Anzahl an Fällen begegnet werden, bei denen zwischen Steuerbehörden Streitigkeiten um die Vergütung von Routinefunktionen entstehen. Betrag C soll solche Tätigkeiten vergüten, die nicht im Rahmen von Betrag A oder Betrag B abgegolten worden sind. Mithin unterfallen Betrag C solche Tätigkeiten die nicht als Routinefunktion eingeordnet werden können. Betrag C soll mittels „traditioneller“ Verrechnungspreismethoden als Aufschlag zu bereits zugewiesenen Beträgen A und B ermittelt werden. Auf die bereits erwähnten Ottawa-Prinzipien nimmt der Diskussionsentwurf wiederholt Bezug. Während ursprünglich lediglich Digitalunternehmen, d.h. Unternehmen mit einem digital geprägten Geschäftsmodel wie beispielsweise Google, Facebook oder andere „Plattform-Economy“-Unternehmen wie Airbnb in den Blick genommen wurden, hat die Arbeitsgruppe die Definition hinsichtlich der betroffenen Unternehmen erheblich ausgeweitet. Im Fokus stehen nun sog. verbraucherorientierte Unternehmen, d.h. alle Unternehmen die unmittelbar mit Endverbrauchern Geschäfte eingehen, sollen nach Auffassung der OECD, von den Regelungen betroffen sein. Die Ausweitung auf verbraucherorientierte Unternehmen löst damit eine grundsätzliche Schwachstelle früherer OECD Vorschläge, da durch die Beschränkung auf bestimmte konsumentenorientierte (digitale) Geschäftsmodelle keine neue Allokation von Besteuerungsrechten in Marktstaaten nur für eine bestimmte Indus­ trie vorsieht, sondern damit auch traditionellere Marktteilnehmer erfasst sind.18 Mithin ist insbesondere das Ottawa-Kriterium der Fairness und Flexibilität der Besteuerung gewahrt, da eine durch die Digitalisierung veränderte Wertschöpfungskette wieder bzw. erstmals einer Besteuerung unterworfen wird. Aus Sicht des Leistungsfähigkeitsprinzips ist der Vorschlag hingegen nicht unproblematisch da eine Anknüpfung an Umsätze in Zusammenhang mit diesen Umsätzen entstandene Aufwendungen unberücksichtigt ließe. Zwar werden bisher lediglich feste Prozentsätze der so ermittelten hypothetischen Umsätze einer Besteuerung unterworfen, allerdings wäre es dann folgerichtig Aufwendungen auch zu gleichen Teilen als abzugsfähige Betriebsausgaben zu behandeln. Wie die Umsetzung dieser neuen Jagdregeln erfolgen soll, ist derzeit noch unklar. Wahrscheinlich erscheint, dass dies nach dem Willen der OECD wieder über ein MLI erfolgen wird. Gefordert sind aber auch die nationalen Gesetzgeber, die die neuen Regelungen ähnlich wie einige Ergebnisse des BEPS-Projektes weitgehend harmo-

18 Noch kritisch: Becker/van der Ham, Das neue (digitale) ABC der Verlagerung von Besteuerungsrechten in die Marktstaaten, DB 2019, S. 2540.

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nisch in nationale Vorschriften umsetzen müssten (hier sei nur auf die nahezu weltweite Vereinheitlichung der Verrechnungspreis-Dokumentationen verwiesen).

III. Aktuelle Entwicklungen in Deutschland Deutschland hat bei der Umsetzung des BEPS MLIs einen Sonderweg eingeschlagen bei dem dessen Ratifizierung nicht am Beginn sondern am Ende der Umsetzung steht.19 Entsprechend bestehen nach wie vor – gerade in Deutschland – Lücken in der Umsetzung oder umgesetzte Maßnahmen haben keinen oder wenig „Erfolg“ gebracht. Zeitgleich zu den grundsätzlichen Überlegungen der OECD hat die Europä­ ische Union („EU“) bereits damit begonnen konkrete Regelungen einzuführen. Das Ergebnis dieses Prozesses ist die EU Anti-Tax-Avoidance-Richtlinie („ATAD“).20 Zwischen den Vorstellungen der EU und der OECD gibt es manche Schnittmengen, allerdings auch gravierende Unterschiede. Die bisher nur als Referentenentwurf vom 10.12.2019 vorliegende Umsetzung der ATAD in deutsches Recht würde zu einer weitgehenden Umsetzung von im Rahmen des BEPS-Projektes entwickelten Regelungen führen.21 Diese führen allerdings auch zu fundamentalen Änderungen in den Grundlagen des deutschen internationalen Steuerrechts. Der Entwurf würde den, aus den OECD Guidelines 2017 entlehnten,22 DEMPE-Ansatz im Rahmen des neu zu schaffenden § 1 Abs. 3c AStG in nationales Steuerrecht überführen. Im Rahmen dessen würde hinsichtlich der Vergütung von immateriellen Wirtschaftsgütern auf die für Entwicklung, Verbesserung, Erhaltung, Schutz und Verwertung maßgeblichen (Personal-) Funktionen abgestellt.23 Dies bedeutet eine Abkehr von der Rechtsfigur des wirtschaftlichen Eigentums und damit einhergehend eine abweichende Zurechnung von Erträgen. Offensichtlich in Reaktion auf die Urteile des BFH zur Teilwertabschreibung bei Darlehen24 sieht der Gesetzgeber darüber hinaus die Schaffung eines neuen § 1a AStG vor. Der neue §  1a AStG legt neue Jagdregeln für Finanzierungsbeziehungen zwischen nahestehenden Personen fest und ist als Treaty Override ausgestaltet. Ziel des

19 Lehner, Neue Regelungsebenen und Kompetenzen im Internationalen Steuerrecht, IStR 2019, 277 (280); Benz/Böhmer, Zwei Jahre BEPS-Abschlussberichte: Bericht über den aktuellen Stand der BEPS-Arbeiten, DB 2017, 2951; Reimer, Meilenstein des BEPS-Programms: Das Multilaterale Übereinkommen zur Umsetzung der DBA-relevanten Maßnahmen, IStR 2017, 1. 20 Council Directive (EU) 2016/1164 of 12 July 2016 laying down rules against tax avoidance practices that directly affect the functioning of the internal market, 19.7.2016. 21 Vgl. Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie v. 10.12.2019. 22 OECD Verrechnungspreisrichtlinien 2017, Tz. 6.48. 23 Vgl. Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen des Gesetzes zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie, S. 67. 24 BFH, Urteile v. 27.2.2019 – I R 73/16; 27.2.2019 – I R 81/17; 27.2.2019 – I R 51/17.

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Die Jagd nach Verrechnungspreis Compliance – Neue Wildarten im Revier?

Gesetzgebers ist laut des Entwurfs Rechtssicherheit zu schaffen.25 Nach Ansicht des Gesetzgebers sei bisher auf internationaler Ebene kein eindeutiger Konsens entstanden, wie diese Finanzierungsbeziehungen mit Blick auf den Fremdvergleich zu ­behandeln seien. Damit fehle auch eine Auslegungshilfe zur Interpretation von Artikel 9 Absatz 1 OECD-Musterabkommen nachgebildeter Artikel im jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen. Dementsprechend sei es notwendig, dass § 1a AStG klare Regelungen aufstelle, wann eine Finanzierungsbeziehung dem Grunde und der Höhe nach fremdüblich sei. Dem Grunde nach sei Fremdüblichkeit insbesondere daran zu messen, ob die Finanzierung notwendig sei und muss dem Unternehmenszweck diene. Zwecks Nachweises der Fremdüblichkeit eines Zinssatzes der Höhe nach soll nach dem Willen des Gesetzgebers auf das Konzernrating abgestellt werden. Allerdings soll es weiterhin möglich sein den Nachweis zu führen, dass ein anderer Zinssatz fremdüblich ist.26 Damit zeigt sich, dass der nationale (bzw. in Form der EU transnationale) Gesetzgeber, d.h. die Jagdbehörde, bereit ist „im Kleinen“ also nur für einzelne Reviere oder Staaten die Regeln für den „Abschuss“ bereits vor einer konsensualen Einigung im Rahmen der OECD zu ändern, um einem als vordringlich wahrgenommenen Pro­ blem Herr zu werden. Für den Jäger nach Compliance ist dies eher eine Schreckensnachricht: Bereits jetzt gleicht die Regelungsdichte eher einem Urwald als einem gepflegten und gehegten Hochwald. Für den Jäger wird die Jagdausübung dadurch nochmals komplexer.

IV. Rangkämpfe im Jagdrevier? Sowohl Pillar 1 als auch das ATAD-Umsetzungsgesetz rütteln am Fundament des deutschen Steuerrechts. Die geplanten Änderungen betreffen hierbei insbesondere die Neuregelung der Zurechnung von Einkünften; und dies nicht nur für Unternehmen mit digitalisiertem oder digitalem Geschäftsmodell. Einkünfte sind grundsätzlich demjenigen zuzurechnen, der den Einkunftstatbestand verwirklicht.27 Dies ist regelmäßig derjenige, der die mit der Einkunftsquelle verbundenen Risiken und Chancen trägt und sie gestalten kann. Daraus folgt, dass der maßgebliche Anknüpfungspunkt für die steuerliche Beurteilung nur die zivil- und gesellschaftsrechtliche Ausgestaltung eines Sachverhalts sein kann.28 25 Vgl. Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen des Gesetzes zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie zu § 1a Abs. 1 S. 1 AStG, S. 69. 26 Vgl. Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen des Gesetzes zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie zu § 1a Abs. 1 S. 1 AStG, S. 70. 27 Allg.: Ratschow in Blümich, EstG, KStG, GewStG, 149. EL 2019, § 2 EStG Rz. 80 f.; bspw. für Kapitaleinkünfte: ders., § 20 EstG Rz. 30. 28 Lehner, Wirtschaftliche Betrachtungsweise und Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Zur Möglichkeit einer teleologischen Auslegung der Fiskalzwecknorm,

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Bei digitalisierten oder digitalen Geschäftsmodellen sind immaterielle Wirtschaftsgüter vielfach die primäre Einkunftsquelle.29 Aus deutscher steuerlicher Sicht sind Einkünfte grundsätzlich dem rechtlichen und wirtschaftlichen Eigentümer zuzurechnen, es sei denn, dieser hat einem Anderen ein Nutzungsrecht eingeräumt oder es besteht eine Sonderkonstellationen (z.B. Treuhand).30 Diese Auffassung vertritt auch der BFH in ständiger Rechtsprechung.31 Die seitens der OECD erarbeiteten „DEMPE-Funktionen“ haben aktuell auf die Einkünftezurechnung nach deutschem nationalem Steuerrecht keinen direkten Einfluss. Der angesprochene Gesetzesentwurf des ATAD-Umsetzungsgesetzes würde dies ändern und mit § 1 Abs. 3c AStG DEMPE-Funktionen in deutsches Steuerrecht inte­ grieren. In finaler Konsequenz steht somit das Prinzip der Einkommenszurechnung zum rechtlichen bzw. wirtschaftlichen Eigentümer auf dem Spiel. So führt der Entwurf des ATAD-Umsetzungsgesetzes aus, dass der Inhaber oder der Eigentümer eines immateriellen Werts nicht zwingend berechtigt sei, die Erträge aus einem immateriellen Wert für sich zu „behalten“. Im Extremfall könne sogar kein Ertrag mehr bei  diesem verbleiben.32 Damit wird in Fällen mit Auslandsbezug das Prinzip des wirtschaftlichen Eigentums gem. § 39 Abs. 2 AO zugunsten einer Zuordnung nach DEMPE-­Funktionen beiseitegeschoben. In grenzüberschreitenden Konstellationen kann der Steuerjäger nunmehr den Rangkampf zwischen DEMPE-Konzept sowie Amount A des Pillar I der OECD beobachten. Die OECD ist mit ihren Vorschlägen zu Pillar I und II schon recht weit in jagdliches Neuland vorgeprescht. Mit dem ATAD-Umsetzungsgesetz geht das BMF nun noch einen Schritt weiter. Der Referentenentwurf und Pillar 1 der OECD verfolgen augenscheinlich vergleichbare Ziele. Eine inhaltliche Kohärenz ist jedoch nicht zu erkennen. Während das BMF mit Einführung des „funktionalen Eigentums“ bestehende steuerliche Anknüpfungspunkte nutzten möchte, um Steuersubstrat zu allokieren, fingiert der Ansatz des Pillar I mit Amount A eine DEMPE unabhängige Einkommensverteilung. Eine denkbare Lösung könnte ggf. in der Kombination beider Modelle bestehen. Die durch nationale Gesetzgebung und Rechtsprechung weiterentwickelten und konkretisierten Verrechnungspreisregularien könnten zum Beispiel nur noch im Rahmen von Betrag C Anwendung finden. Entsprechende Pläne zur HarmoFS Tipke, 1995, 237; Ratschow in Blümich, EstG, KStG, GewStG, 149. EL 2019, § 2 EStG Rz. 50 f. 29 Becker/van der Ham/Mühlhausen, Grundfragen der Ertragsbesteuerung digitaler Geschäftsmodelle, BB 2019, 1623 (1624); Kelm/Müller, Die Vorschläge der EU-Kommission zur Besteuerung der „digitalen Wirtschaft“  – eine lohnende Therapie?, WPg 2018, 587 (589). 30 Brühl in Pfirrmann/Rosenke/Wagner, BeckOK AO, Stand 1.10.2019, §  39 Rz.  74, 86; ­Ratschow in Klein AO, 14. Aufl. 2018, § 39 Rz. 13, 15; Koenig in Koenig, AO, 3 Aufl. 2014, § 39 Rz. 10, 13. 31 BFH v. 12.12.1973 – II R 29/69; BFH v. 14.5.2002 − VIII R 30/98, BStBl. II 2002, 741; BFH v. 20.11.2003  – III R 4/02; BFH v. 24.6.2004 − III R 42/02, BFH/NV 2005, 164; BFH v. 13.10.2016 − IV R 33/13, BB 2017, 430. 32 Vgl. Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen des Gesetzes zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie zu § 1 Abs. 3c S. 4 AStG, S. 67.

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Die Jagd nach Verrechnungspreis Compliance – Neue Wildarten im Revier?

nisierung der Konzepte sind aktuell nicht bekannt. So kann der Steuerjäger den Rangkampf lediglich geduldig beobachten und auf einen praktikablen Ausgang hoffen.

V. Fazit Deutsche Steuerpflichtige unterliegen bereits heute weitreichenden Dokumentations- und Mitwirkungspflichten, deren Missachtung erhebliche steuerliche Folgen bis hin zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen haben kann.33 Mit dem ATAD-­ Umsetzungsgesetz ist zudem geplant, Escape Klauseln bei Funktionsverlagerungen ersatzlos entfallen zu lassen. Für den Steuerjäger bestehen somit bereits heute diverse „Compliance-Fallgruben“, in die er im Rahmen seiner Pirsch schnell gefallen sein kann. Bisher sind Anforderungen an die Verrechnungspreis Compliance und materiell-rechtliche Vorgaben des deutschen Gesetzgebers über die letzten Jahre kontinuierlich und „miteinander“ gewachsen. Die aktuellen Entwicklungen auf Ebene der EU sowie der OECD führen in jagdliches Neuland und somit auch zu einem Ausei­ nanderfallen zwischen den nach wie vor bestehenden strengen Compliance-Anforderungen und weitgehend fehlenden materiell-rechtlichen Vorgaben mit Blick auf die Vorschläge der OECD. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es weitgehend unklar welche Unternehmen und damit analog welche Wildarten überhaupt unter das neue Jagdrecht der OECD fallen sollen. Dabei scheint es als praktiziere die OECD eher eine Einordnung pro einzelnem, individuellem Tier denn pro Wildart. Problematisch ist hierbei, dass dem Jäger in der praktischen Anwendung kein Erkennen von Unterschieden zwischen verschiedenen Tieren derselben Art möglich sein wird. So bleibt die Frage der praktischen Umsetzung der OECD-Vorschläge offen und wird erst durch die nationalen Gesetzgeber, weitere Verlautbarungen der OECD oder schlussendlich erst durch die Rechtsprechung beantwortet werden müssen. Die Jagdstrategie der Stunde kann damit lediglich die Minimierung von Risiken durch möglichst genaues identifizieren und dokumentieren von steuerlich relevanten Vorgängen sein. Einen wesentlichen Beitrag zu dieser Aufgabe kann ein Tax Compliance Management im Allgemeinen und für die hier dargestellten Fälle der Verrechnungspreise im Besonderen liefern. Insbesondere in Zeiten der Unsicherheit empfehlen die Autoren, die Etablierung von Tax Compliance Management Systemen für Verrechnungspreise ohne Verzögerung „aufs Korn“ zu nehmen. In keinem Falle sollte dies auf die lange Bank oder gar den Ruhestand geschoben werden. Letzterer eignet sich nämlich wesentlich besser für den Erwerb eines Jagdscheines. In diesem Sinne: Waidmannsheil! 33 Bader/Vögele, Systematik der Schätzung von Verrechnungspreisen, IStR 2002, 354; Baumhoff/Ditz/Greinert, Grundsätze der Dokumentation internationaler Verrechnungspreise nach der Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung (GAufzV), DStR 2004, 157; En­ gelen, Ausgewählte Aspekte und Erwägungen zur neugefassten Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung, DStR 2018, 370.

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Stefan Greil*

Fußball, Digitalisierung und Fremdvergleichsgrundsatz – marketing intangibles in Eintracht mit dem Fremdvergleich? Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Vorschläge zur Besteuerung der Digitalen Wirtschaft 1. Einleitung 2. Konsultationspapier und Programme of Work 2019 a) User Participation b) Marketing intangibles c) Significant Economic Presence 3. Unified Approach III. Geschäftsmodell Fußball 1. Überblick 2. Klassische Einnahmesäulen a) Spielbetrieb

b) TV-Vermarktung c) Werbung d) Merchandising e) Transfergeschäfte f) Conference, Catering und Sonstiges 3. Digitalisierung des Sports IV. Besteuerung heute und morgen 1. Besteuerung von grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen 2. Besonderheit: marketing intangibles 3. Onlineshops und virtuelle Communities 4. Potenziell denkbare Auswirkungen des Unified Approach V. Fazit

I. Einleitung Der Jubilar gehört zu den bekanntesten deutschen Verrechnungspreisspezialisten1, welcher Jahre lang dafür plädierte, den Fremdvergleichsgrundsatz beizubehalten und nur in verschiedenen Teilbereichen seine Anwendungsweise zu verbessern. Lange Zeit war er skeptisch, dass ein Wechsel zu einem alternativen Prinzip, bspw. dem ­formulary apportionment, von Vorteil sein würde.2 In seinem Beitrag „Die Zukunft der internationalen Verrechnungspreise“3 war es für ihn dann aber „an der Zeit, über die derzeitigen Grundsätze der Verrechnungspreisregelungen hinauszugehen und über einen neuen Ansatz nachzudenken“. Hintergrund ist wohl, dass „[d]ie Anwendung des Fremdvergleichsprinzips als Grundlage für die Gewinnverteilung innerhalb eines MNE4 […] in der Praxis kaum mehr als zuverlässiger Grundsatz angesehen * Dieser Beitrag ist nicht in dienstlicher Eigenschaft verfasst und die in diesem Beitrag dargelegte Meinung gibt lediglich seine private Auffassung wieder. Der Autor bedankt sich für wertvolle Hinweise bei Hartmut Förster, Eva Greil, Andrea Jakob und Lars Wargowske. 1 https://www.juve.de/nachrichten/namenundnachrichten/2017/03/ausserplanmaessiger-​ wechsel-bekannter-steuerpartner-wird-neuer-deutschland-chef-bei-pwc-legal; Alle Internet­ links wurden Ende Januar 2020 abgerufen. 2 Vgl. Kroppen/Dawid/Keil, TPI 2019, 98; Kroppen/Dawid/Schmidtke, Fundamentals of international transfer pricing in law and economics (2010), 267. 3 Kroppen/Dawid/Keil, TPI 2019, 98. 4 Multinational Enterprises.

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werden [kann], um die MNE vor signifikanten Anpassungen der Besteuerungsbasis, Doppelbesteuerung und lästigen Streitigkeiten mit Finanzverwaltungen zu schützen.“5 Mit dem vorliegenden Beitrag wird nicht versucht, die Befürchtungen des Jubilars auszuräumen, sondern die derzeitigen Diskussionen zur Besteuerung der Digitalen Wirtschaft6 zum Anlass zu nehmen, aufzuzeigen, dass ein Teil der internationalen Steuerrechtsordnung ins Wanken geraten ist und gewisse Vorschläge – je nach deren Interpretation – sehr weitreichend sein können. Als Beispiel dient ein Geschäftsmodell, das in der Verrechnungspreisliteratur eher unbeleuchtet scheint und im Rahmen der Diskussionen zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft bisher in keiner Hinsicht Berücksichtigung gefunden hat: der Fußball. Zum einen eint den Jubilar und den Verfasser ein Interesse an diesem Sport, wenn auch (leider und kaum nachvollziehbar) für zwei unterschiedliche Teams; der Verfasser wird sich aber im Weiteren nicht über Lüdenscheid-Nord7 auslassen. Zum anderen eignet sich insbesondere der Fußballsport im Allgemeinen gut für eine greifbare Darstellung des sog. marketing intangible approach und daraus folgend des Unified Approach, da der Fußball im Mittelpunkt der Kommerzialisierung des Sports steht und als „universales Konsumgut mit hohem gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Einfluss und Stellenwert“8 gilt. Fußballclubs haben sich zu Unternehmen entwickelt, die mit ihrer ökonomischen Dimension mit mittelständischen Unternehmungen vergleichbar sind.9 Ebenfalls adressiert werden dabei auch die eher „typischen“ Verrechnungspreisprobleme, wie etwa „Spielertransfers“ zwischen nahestehenden Personen oder die Gewinnabgrenzung zu Niederlassungen (bspw. in Form von Betriebsstätten oder Tochtergesellschaften) im Ausland. Nicht adressiert werden, wenn auch für die grenzüberschreitende Gewinnabgrenzung mitunter relevant, Zahlungen von verbundenen Unternehmen über dem Zeitwert im Sinne des Artikels 58 Ziff. 3 UEFA-Reglement zur Klublizenzierung und zum finanziellen Fairplay.10 Diese sog. Einkommenstransaktionen mit verbundenen Parteien umfassen zum Beispiel Einnahmen aus Sponsoringvereinbarungen oder beliebige Geschäftsvorfälle mit verbundenen Parteien, im Rahmen derer der Klub Wa 5 Kroppen/Dawid/Keil, TPI 2019, 98 (108). 6 Z.B. https://www.oecd.org/tax/oecd-leading-multilateral-efforts-to-address-tax-challenges-​ from-digitalisation-of-the-economy.htm. 7 https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.revierderby-zwischen-schalke-und-dortmundherne-west-gegen-luedenscheid-nord.399c3fea-3c1b-46c6-86a4-dec331dc9f55.html. 8 Keller, Steuerung von Fußballunternehmen, Berlin 2008, 2. 9 Vgl. Keller, Steuerung von Fußballunternehmen, Berlin 2008, 5. 10 Es muss bestätigt werden, dass Geschäftsvorfälle mit verbundenen Parteien zu Bedingungen erfolgten, die Geschäftsvorfällen zwischen unabhängigen Parteien entsprechen, wenn diese Bedingungen belegt werden können. Anhang VI, E.1.j) S. auch Anhang X, A.1.k), und A.2.f). Die Begriffe „verbundene Partei“, „Geschäftsvorfälle mit verbundenen Parteien“ und „Zeitwert des Geschäftsvorfalls mit verbundenen Parteien“ werden in Teil F des Anhangs X definiert.

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Fußball, Digitalisierung und Fremdvergleichsgrundsatz

ren oder Dienstleistungen bereitstellt.11 Relevante Einnahmen und Ausgaben von verbundenen Parteien müssen angepasst werden, um den Zeitwert dieser Geschäftsvorfälle abzubilden.12 Mithin vermögen diese Aufzeichnungen auch für steuerliche Zwecke bedeutsam sein. Im Folgenden werden zunächst die derzeitigen Vorschläge zur Besteuerung der Digitalen Wirtschaft sowie das Geschäftsmodell Fußball in ihren Grundzügen vorgestellt und mit dem Geschäftsmodell Fußball verknüpft. Darauf aufbauend wird aufgezeigt, welche Konsequenzen sich einstellen könnten und dargelegt, dass dies mit einem nach dem heutigen Fremdvergleichsgrundsatz erzielten Ergebnis nicht in Eintracht zu bringen ist. Die Beurteilung, welche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sein könnten, seien dann dem Jubilar überlassen, wobei auch hier, frei nach Marcel Reif gilt: „Je länger das Spiel dauert, desto weniger Zeit bleibt.“13

II. Vorschläge zur Besteuerung der Digitalen Wirtschaft 1. Einleitung Die Besteuerung der digitalen Wirtschaft steht seit Jahren in besonderem Fokus.14 Die Diskussionen mündeten im Mai 2019 im „Programme of Work to Develop a Consensus Solution to the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy”15 (Genehmigung im Juni 2019 durch die Finanzminister und Staats- und Regierungschefs der G20), das im Zusammenhang mit BEPS Aktionspunkt 1 „Besteuerung der digitalen Wirtschaft“16 und dem öffentlichen Konsultationspapier vom 13.2.201917 zu sehen ist. Letzteres enthielt Vorschläge zur Neuverteilung von Besteuerungsrechten und Maßnahmen zur Sicherstellung einer effektiven Mindestbesteuerung, die sich auch im Arbeitsprogramm wiederfinden. Anfang Oktober 2019 hat das OECD-Sekretariat dann das Konzept eines sogenannten „einheitlichen Ansatzes“ (Unified Approach; UA)18 vorgestellt, der im Januar 2020 vom Inclusive Framework19 begrüßt wurde und

11 S. Anhang X, B.k). Siehe bzgl. Ausgaben Anhang X, C.f). 12 S. zu diesem Thema Stopper, SpuRt 2013, 2. 13 https://www.spiegel.de/kultur/zwiebelfisch/zwiebelfisch-je-laenger-das-spiel-dauert-desto-​ weniger-zeit-bleibt-a-391727.html. 14 Z.B. Report des CFA “A Borderless World: Realising the Potential of Electronic Commerce” aus dem Jahr 1998 (Declaration of Ottawa). 15 OECD (2019), Programme of Work to Develop a Consensus Solution to the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy, OECD/G20 Inclusive Framework on BEPS. 16 OECD (2015), Addressing the Tax Challenges of the Digital Economy, Action 1 – 2015 Final Report. 17 OECD (2019a), Public Consultation Document − Tax Challenges of the Digitalisation of the Economy 2019. 18 OECD (2019b), Public Consultation Document − Secretariat Proposal for a “Unified Approach” under Pillar One. 19 https://www.oecd.org/tax/beps/flyer-inclusive-framework-on-beps.pdf.

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die Basis für weitere Arbeiten bildet.20 Erklärtes Ziel ist es, bis Ende 2020 Empfehlungen für eine Besteuerung der sogenannten digitalen Wirtschaft zu er­arbeiten, wobei immer wieder festgestellt wird, dass es unmöglich erscheine, die digitale Wirtschaft eindeutig zu adressieren bzw. sich nur auf diese zu beziehen (ring-­fencing).21 2. Konsultationspapier und Programme of Work 2019 Das von der OECD veröffentlichte Konsultationspapier22 enthielt drei verschiedene Konzepte zur Neuverteilung von Besteuerungsrechten: user participation, marketing intangibles und significant economic presence.23 Den drei Konzepten ist gemein, dass sie zu einer Neuverteilung der Besteuerungsrechte führen, der Anknüpfungspunkt der Besteuerung um „etwas“ erweitert werden soll, sie mit einer Änderung der Gewinnzuordnungsregelungen einhergehen und auf eine globale Gewinnaufteilung – neben den bestehenden Gewinnzuordnungsregeln – abstellen.24 Das dann veröffentlichte Arbeitsprogramm25 enthielt dazu verschiedene Ansätze und Techniken (modified resi­ dual profit split, fractional apportionment und distribution based approach), die für Zwecke dieses Beitrags nicht darlegungswürdig erscheinen.26 a) User Participation Das Konzept der user participation wurde von Großbritannien vorgestellt und zielt auf bestimmte Geschäftsmodelle, wie Social Media Plattformen, Suchmaschinen und Onlinemarktplätze, ab. Hier wird die Auffassung vertreten, dass der Wertbeitrag von Nutzern dieser Geschäftsmodelle nicht in den Steuerhoheitsgebieten der Nutzer erfasst werde.27 Für diese Unternehmen soll ein Teil des Gewinns auf Länder aufgeteilt werden, in denen sich die aktiven Nutzerbasen befinden, unabhängig davon, ob das Unternehmen in diesen Ländern über eine lokale Präsenz verfügt.28 b) Marketing intangibles Die USA stellen hingegen auf das Konzept der marketing intangibles ab. Im Gegensatz zu dem Vorschlag Großbritanniens werden damit grundsätzlich alle Geschäfts20 Vgl. OECD (2020), Statement by the OECD/G20 Inclusive Framework on BEPS on the Two-Pillar Approach to Address the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy – January 2020, OECD/G20 Inclusive Framework on BEPS, OECD, Paris. www. oecd.org/tax/beps/statement-by-the-oecd-g20-inclusive-framework-on-beps-january-­​2020.​ pdf, Tz. 1. 21 Vgl. OECD (2019), Tz. 2. 22 OECD (2019a). 23 S. auch Kroppen/Dawid/Keil, TPI 2019, 98 (104 f.); Esakova, ISR 2019, 150 ff.; Hentschel/ Kraft, Ubg 2019, 673 (677 f.). 24 Vgl. OECD (2019a), Tz. 56. 25 OECD (2019). 26 S. dazu Greil, DStR 2019, 1653. 27 Vgl. OECD (2019a), Tz. 19 f. 28 Vgl. Kroppen/Dawid/Keil, TPI 2019, 98 (105).

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Fußball, Digitalisierung und Fremdvergleichsgrundsatz

modelle erfasst, wobei wohl insbesondere business to consumer Geschäftsmodelle im Zentrum der Betrachtung stehen könnten.29 Ein Grund hierfür ist, dass nach Ansicht der USA der Bereich Marketing und Vertrieb für steuerlich motivierte Investmentgestaltung und Gewinnverlagerungen besonders genutzt werden könne.30 Darüber hi­ naus unterscheidet sich das marketing intangible vom user participation Konzept noch in einem weiteren erheblichen Merkmal: Großbritannien stellt auf einen Wertbeitrag von Nutzern für das Unternehmen ab. Die USA hingegen bleiben mit ihrer Argumentation im bisherigen System: Besteuert werden sollen Renditen aus Inves­ titionen des Unternehmens.31 Zugleich geht der Vorschlag davon aus, dass eine weltweit operierende Unternehmensgruppe ihr digitales Geschäftsmodell in der jewei­ ligen Jurisdiktion, entweder rein digital oder über eine risiko-/funktionsarme physische Präsenz, wie etwa einem Low-Risk-Distributor (LRD), in hinreichender Art und Weise ausübt.32 Hinsichtlich der Definition der marketing intangibles wird auf OECD-Verrechnungspreisleitlinien (OECD-TPG) verwiesen.33 Danach ist ein marketing intangible ein solcher immaterieller Wert „that relates to marketing activities, aids in the commercial exploitation of a product or service and/or has an important promotional value for the product concerned. Depending on the context, marketing intangibles may in­ clude, for example, trademarks, trade names, customer lists, customer relationships, and proprietary market and customer data that is used or aids in marketing and selling goods or services to customers”.34 Diese werden dann in zwei Gruppen von relevanten marketing intangibles unterschieden:35 Zum einen in Handels- und Markennamen. Diese entstehen als „Geistesblitz“ in den Köpfen der Kunden (intrinsic link) und damit direkt in dem jeweiligen Marktstaat. Die andere Gruppe umfasst bspw. Kundenlisten, die aus den Geschäftsaktivitäten in dem jeweiligen Marktstaat resultieren bzw. aus der ersten Gruppe abgeleitet werden. Davon sind trade intangibles, wie etwa Patente, abzugrenzen, die unabhängig vom jeweiligen Marktstaat sind.36 Die Idee der marketing intangibles ist damit grundsätzlich nicht neu und wird auch heute schon in der Praxis mitunter extensiv gelebt: So qualifiziert Indien die spezifischen Merkmale des indischen Marktes wie Standortvorteile, Marktzugang, umfangreiche Kundenbasis, Marktprämien und Kaufkraft indischer Kunden als marketing intangibles. Die indischen Steuerbehörden gehen davon aus, dass solche immateriellen Vermögenswerte eine eigene Vergütung rechtfertigen. Ähnliche Entwicklungen 29 Vgl. OECD (2019a), Tz. 29. 30 Vgl. OECD (2019a), Tz. 35 ff. 31 S.  dazu Grinberg, https://www.law.uchicago.edu/files/2018-11/grinberg_chicago_2018_ conference_paper_102918_for_circulation_to_partici; ders., https://scholarship.law.george​ town.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=3120&context=facpub; Greil, https://ssrn.com/abs​ tract=3379092; Langbein/Fuss, The International Lawyer 2018, 259; Vann, WTJ 2010, 291. 32 Vgl. OECD (2019a), Tz. 30.  33 Vgl. OECD (2019a), Tz. 29. 34 OECD Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises and Tax Administrations 2017, Tz. 6.6 sowie Glossar marketing intangibles. 35 Vgl. OECD (2019a), Tz. 31. 36 Vgl. OECD (2019a), Tz. 34.

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sind in den USA zu beobachten. Der IRS versucht, die Gewinne ausländischer Unternehmensgruppen für Verrechnungspreiszwecke entsprechend anzupassen.37 Einen bedeutenden Unterschied gibt es jedoch: Bisher ist zumindest ein steuerlicher Anknüpfungspunkt in Form einer Betriebsstätte oder einer Gesellschaft im Marktstaat notwendig. Dies wäre nach dem marketing intangible approach allerdings nicht mehr geboten; hier würde ein neuer Anknüpfungspunkt festgelegt werden, der unabhängig von den derzeit geltenden Erfordernissen wäre. Entsprechend wäre den Marktstaaten ein Teil der Einkünfte aus den immateriellen Werten zuzuordnen, und zwar unabhängig davon, welche verbundenen Unternehmen Funktionen in Bezug auf die immateriellen Werte ausüben.38 c) Significant Economic Presence Das Konzept der significant economic presence knüpft inhaltlich im Wesentlichen an den gleichlautenden Ansatz der OECD an, der im Rahmen des BEPS Aktionspunkt 1 „Besteuerung der digitalen Wirtschaft“39 angeführt worden ist.40 Hiernach soll ein Besteuerungsrecht deswegen zugewiesen werden, weil es im digitalen Zeitalter möglich sei, Marktstaaten aufgrund neuer Technologien zu durchdringen, ohne in diesem Marktstaat eine physische Präsenz etablieren zu müssen. Schließlich steht dann der Kunde im Vordergrund. Dabei soll aber die Existenz lokaler Umsätze alleine nicht ausreichen, innerhalb einer Jurisdiktion eine significant economic presence zu begründen. Mindestens einer der folgenden sechs Faktoren muss zu der notwendigen Bedingung des nachhaltigen signifikanten Umsatzes hinzutreten:41 1) Existenz einer Nutzerbasis, die Nutzerbeiträge generiert; 2) Umfang der aus der Jurisdiktion bezogenen Datenmengen; 3) Rechnungsstellung/Zahlungsabwicklung in lokaler Währung oder in einer lokal üblichen Art und Weise; 4) Vorhaltung einer Website in Landessprache; 5) Finale Verantwortung für die Warenlieferung oder die Bedingungen für andere Nebenleistungen, wie etwa after-sales-services oder Reparatur und Wartung; 6) Nachhaltige Marketing- und Verkaufsaktivitäten, die nicht zwingend nur online erfolgen. Wenn aber die Ertragsbesteuerung von Unternehmen darauf basiert, dass die Rendite einer Investition besteuert werden soll,42 dann erscheint die Idee einer significant economic presence damit auf den ersten Blick kaum vereinbar. Mithin müssten die im 37 Vgl. Kroppen/Dawid/Keil, TPI 2019, 98 (104). 38 Vgl. auch Fellinger, TPI 2019, 334 (338). 39 Vgl. OECD (2015), Tz. 277 ff. 40 Vgl. OECD (2019a), Tz. 50. 41 Vgl. OECD (2019a), Tz. 51. 42 Vgl. Schön, BIT 2018, 278 (289).

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Inland getätigten Investitionen (bspw. Aufbau eines Onlineshops) als für das und im Ausland getätigt fingiert und entsprechend zugeordnet werden. 3. Unified Approach Da keiner der drei genannten Vorschläge eine Aussicht auf politischen Erfolg zu haben schien, war das OECD-Sekretariat bemüht, einen Kompromissvorschlag zu entwickeln. Manch einer ist an dieser Stelle vielleicht geneigt, Heribert Faßbender mit „Sie s­ ollten das Spiel nicht zu früh abschalten. Es kann noch schlimmer werden.“43 zu zitieren. Der sog. Unified Approach (UA) soll nun44 das bestehende System der Unternehmensbesteuerung ergänzen. Im Kern sieht der UA zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Beitrages vor, den Marktstaaten das Recht zu gewähren, einen Teil der Gewinne von Unternehmen(sgruppen) zu besteuern – und zwar unabhängig davon, ob sie im Marktstaat eine physische Präsenz in Form eines verbundenen Unternehmens oder einer Betriebstätte aufweisen. Zu diesem Zweck sollen die Gewinne von Unternehmen zwischen deren Sitz- und Absatzländern auf Basis der erzielten Umsätze aufgeteilt werden.45 Dieser UA besteht aus drei „Beträgen“: – Amount A weist einen Teil der Beteuerungsrechte an den Unternehmensgewinnen den Marktstaaten zu, und zwar unabhängig davon, ob das Unternehmen im Marktstaat auch eine physische Präsenz aufweist. Amount A definiert jedoch ausschließlich Besteuerungsrechte an sog. Residualgewinnen (residual profits). – Amount B soll mittels eines Eingriffs in das derzeit bestehende System die Zuordnung von Gewinnen einer Unternehmensgruppe zu Vertriebsgesellschaften mit sog. Basisfunktionalitäten (baseline marketing and distribution activities) regeln. Die Regelung zielt damit insbesondere auf funktions- und risikoschwache Vertriebsgesellschaften ab. Der UA sieht dabei vor, dass solchen Gesellschaften für die Ausübung dieser Funktion ein Mindestertrag bzw. ein safe harbour-Ertrag zusteht, den der Staat der Vertriebsgesellschaft der Besteuerung unterwerfen kann. – Amount C soll daneben für eine über Amount B hinausgehende Gewinnzuordnung auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes sowie für die Anwendung des Amount A wirksame Verfahren zur Vermeidung und Beilegung von Konflikten über die Aufteilung der Besteuerungsrechte vorsehen. Dieser Ansatz soll allerdings nicht alle Unternehmen betreffen, sondern nur solche, die die nachfolgenden Kriterien erfüllen: – Umsatzschwelle: Das Unternehmen bzw. die Unternehmensgruppe müsste einen Umsatz von mehr als z.B. 750 Mio. Euro aufweisen.46 43 https://www.spiegel.de/kultur/zwiebelfisch/zwiebelfisch-je-laenger-das-spiel-dauert-desto-​ weniger-zeit-bleibt-a-391727.html. 44 OECD (2019b); OECD (2020), Annex 1. 45 Für eine Beurteilung s. u.a. Wissenschaftlicher Beirat Steuern EY, DB Beilage 2019, Nr. 02, 3; Förster/Greil/Hilse, ITPJ 2020, No. 1. S. ferner u.a. Lammers, TNI 2019, 611. 46 OECD (2020), Annex 1, Tz. 35.

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– „Branchenschwelle“: Die Anwendung soll auf consumer-facing businesses47 sowie automated digital services48 beschränkt werden. Darunter würden Unternehmen fallen, die Konsumgüter produzieren und vertreiben, sowie Unternehmen, die an Konsumenten gerichtete Dienstleistungen anbieten; der Vertrieb muss dabei nicht direkt erfolgen. Entsprechend wird die Nähe zum marketing intangble approach und die Bedeutung von marketing intangibles offenbar.49 Ebenso Unternehmen, die eher digitale Leistungen, wie Social Media Plattformen oder Onlinemarktplätze anbieten. Dementsprechend wird auch der user participation approach berücksichtigt.50 – „Branchenbezogene“ Umsatzschwelle: Der UA soll nur dann angewendet werden, wenn der Umsatz aus dem consumer-facing business und den automated digital services eine bestimmte Schwelle überschreitet.51 – Absatzschwelle: Ein Marktstaat, in dem ein Unternehmen keine physische Präsenz aufweist, soll nur dann das Recht erhalten, einen Anteil an den Residualgewinnen besteuern zu dürfen, wenn das entsprechende Unternehmen in dem Staat Umsätze generiert, die einen bestimmten Grenzwert überschreiten. Bei der Festsetzung dieses Grenzwerts soll die Größe bzw. Wirtschaftskraft des Marktes berücksichtigt werden. Allerdings ist derzeit unklar, ob die Anwendung von Amount B und damit auch Amount C ganz generell gelten soll oder tatsächlich auch nur für die Unternehmen, die die Voraussetzungen für Amount A erfüllen. Zumindest zu Beginn war angedacht, dass derzeitige Verrechnungspreissystem generell rechtssicherer auszugestalten.52 Mit der Idee aus den USA, die Anwendung des UA optional auszugestalten,53 wäre dies allerdings nur schwer vereinbar. Die Gewinnverteilung im Hinblick auf Amount A ist wie folgt angedacht und führt auch zu weiteren Einschränkungen des Anwendungsbereiches:54 – Ausgehend vom Gewinn der Unternehmensgruppe wäre dieser (nach einer für Amount A spezifischen Definition) nach Segmenten zu untergliedern und die jeweilige Profitabilität zu bestimmen. 47 OECD (2020), Annex 1, Tz. 19 und 24 ff. Z.B. Luxusgüter, kundenorientierte Services wie Hotels, Automobilindustrie oder Markenprodukte. 48 OECD (2020), Annex 1, Tz. 18, 22 f. Z.B. Onlinesuchmaschinen, Social Media Plattformen, Onlinemarktplätze oder Cloud Computing. 49 So auch Fellinger, TPI 2019, 334 (340). 50 Entsprechend auch die Wortwahl für die Schaffung eines Anknüpfungspunktes der Besteuerung, OECD (2020), Annex 1, Tz. 38. 51 OECD (2020), Annex 1, Tz. 35. 52 Vgl. OECD (2019b), Tz. 15. 53 https://www.nytimes.com/reuters/2019/12/06/business/06reuters-france-us-tax.html; https:​ //​www.faz.net/aktuell/wirtschaft/amerika-stellt-globalen-steuerkompromiss-in-frage-​165​ 21009.html. 54 OECD (2020), Annex B.

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– Anschließend wäre der deemed residual profit eines jeden Segmentes zu bestimmen. Hierfür wäre jeweils ein deemed routine profit als eine Art Freibetrag zu berücksichtigen, sodass nur diejenigen Segmente in die weitere Betrachtung und in dem Umfang einzubeziehen sind, wie die Segmentprofitabilität den deemed routine profit übersteigt. – Anschließend würden die deemed residual profits der einzelnen Segmente addiert; überschreiten diese nicht eine bestimmte Grenze, so kommt es auch nicht zur Anwendung des Amount A. – Dabei ist beabsichtigt, dass der deemed residual profit anhand eines bestimmten Schlüssels zu unterteilen ist in einen Anteil, der den Ansässigkeitsstaaten verbleibt, und einen Anteil, der auf die Markt-/Quellenstaaten verteilt werden soll – entsprechendes war explizit noch im Diskussionsentwurf zum UA enthalten55 und entspricht auch dem Gedanken des marketing intangible approaches56 -. – Dieser „verbleibende“ deemed residual profit ist dann unter Nutzung eines wohl umsatzbasierten Verteilungsschlüssels, auf die Marktstaaten aufzuteilen. Das Inclusive Framework hat sich im Zuge der Diskussionen zur Besteuerung der Digitalen Wirtschaft nunmehr dazu bekannt, weiter an dem UA zu arbeiten und einen Konsens bis Ende 2020 herbeizuführen.57 Zwischenzeitlich geraten die Arbeiten jedoch scheinbar mit einem ungewissen Ausgang ins Stocken.58

III. Geschäftsmodell Fußball 1. Überblick Im Fußball herrscht eine pyramidale Organisation vor. So hat sich der Weltfußballverband „FIFA zur Aufgabe gemacht, den internationalen Fußball zu organisieren und zu kontrollieren.“59 Um dieser Aufgabe nachzukommen, wurden verschiedene

55 OECD (2019b), Tz. 55 ff. 56 Wohl auch Fellinger, TPI 2019, 334 (340). 57 OECD (2020), Tz. 1. 58 https://www.reuters.com/article/us-usa-trade-digital/u-s-pulled-out-of-talks-on-digitalservices-taxes-lighthizer-idUSKBN23O36B; https://www.oecd.org/tax/oecd-secretary-gen​ eral-angel-gurria-has-reacted-to-recent-statements-and-exchanges-regarding-the-ongo​ ing-negotiations-to-address-the-tax-challenges-of-the-digitalisation-of-the-economy.htm; https://www.handelsblatt.com/dpa/wirtschaft-handel-und-finanzen-scholz-und-le-maire-​ besteuerung-von-digital-unternehmen-noch-2020/25939798.html?ticket=ST-3380018-​ eZbbAH2OusS2TkFTVq9h-ap2. 59 Dalinger, Der Vertragsbruch des Berufsfußballspielers und die Rechtsfolgen nach Art. 17 FIFA-RSTS, 29.  S.  auch Keller, Steuerung von Fußballunternehmen, Berlin 2008, 166  f.; Hardenacke/Muhle, Business-to-Business Marketing im Profifußball, hrsg. v. Bieling/Esch­ weiler/Hardenacke, 272 f.

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Regularien erlassen, die für alle Fußballclubs60 und professionellen Spieler gilt. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) ist Mitglied der FIFA und kraft der Mitgliedschaft den Bestimmungen der FIFA unterworfen. Zweck des DFB ist die Förderung des Sports. Dieser Satzungszweck wird insbesondere gemäß §  4 Nr.  1g) DFB-Satzung durch die Bundesliga und die 2. Bundesliga verwirklicht. Diese Aufgabe übertrug der DFB-Bundestag auf den Ligaverband (Die Liga – Fußballverband e.V.).61 Der Ligaverband ist der Zusammenschluss der lizenzierten Vereine und Kapitalgesellschaften der Fußball-Lizenzligen Bundesliga und 2. Bundesliga (vgl. § 1 Nr. 1 Satzung Ligaverband). Aufgabe ist es, die ihm zur Nutzung vom DFB exklusiv überlassenen Vereinseinrichtungen Bundesliga und 2.  Bundesliga zu betreiben und in Wettbewerben der Lizenzligen den deutschen Fußballmeister des DFB und die Teilnehmer an den internationalen Wettbewerben zu ermitteln (§ 4 Nr. 1a) Satzung Ligaverband). Um seine in einer Satzung festgelegten Aufgaben zu erfüllen, hat der Ligaverband die Deutsche Fußball Liga GmbH (DFL GmbH) gegründet und ihr sein operatives Geschäft übertragen (§ 4 Nr. 2 Satzung Ligaverband). Neben der Durchführung des Spielbetriebs gehören die Lizenzierung der 36 Proficlubs und die Vermarktung sowie die Weiterentwicklung der Marke Bundesliga. Über ihre Tochter­ gesellschaft DFL Sports Enterprises zeichnet die DFL GmbH vor allem für die Rechtevermarktung der Spiele der Lizenzligen für TV-, Hörfunk- und Internetübertragungen im In- und Ausland verantwortlich.62 Klassische Einnahmesäulen eine Fußballclubs sind Spielbetrieb, TV-Vermarktung, Werbung, Transfergeschäfte, Merchandising sowie Conference, Catering und Sonstige.63 Die wirtschaftlichen Aktivitäten eines Fußballclubs sind auf die relevanten Zielgruppen ausgerichtet: Fans, Mitglieder und Geschäftspartner. Entsprechend sollen die Produkte und Dienstleistungen diese Zielgruppen bestmöglich bedienen. Gerade aber die Fans stellen das Stammklientel eines Fußballclubs und sind aufgrund ihrer Loyalitätsneigung zugleich das kostbarste Gut eines Fußballclubs. Sie fungieren u.a. als potenzielle Abnehmer der durch Sponsoren beworbenen Produkte und Dienstleistungen und Medienunternehmen profitieren über höhere Nutzungsquoten.64 60 Die meisten Fußballvereine haben dabei ihren Profibetrieb in Kapitalgesellschaften ausgegliedert. Seitens des DFB sind Kapitalgesellschaften zum Spielbetrieb in der ersten und zweiten Bundesliga zugelassen, vgl. § 16c DFB-Satzung. Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA ist dabei als einzige Mannschaft an der Börse notiert. S. ferner Hoffmann, BC 2006, 129; Singbartl/Dziwis, JA 2014, 407; Dalinger, Der Vertragsbruch des Berufsfußballspielers und die Rechtsfolgen nach Art. 17 FIFA-RSTS, 40. Entsprechend umfasst der Begriff Fußballclub in diesem Beitrag sowohl den eingetragenen Verein als auch die Kapitalgesellschaft. 61 http://www.dfb.de/news/detail/dfb-bundestag-strukturreform-einstimmig-verabschiedet-​ 204/. 62 https://www.dfb.de/bundesliga/liga-information/dflligaverband/. Zu den Aufgaben der DFL u.a. Hardenacke/Muhle, Business-to-Business Marketing im Profifußball, hrsg. v. Bieling/Eschweiler/Hardenacke, 284. 63 Keller, Steuerung von Fußballunternehmen, Berlin 2008, 3  f.; s. auch Geschäftsbericht Borussia Dortmund 2017/2018, 40. 64 Vgl. Keller, Steuerung von Fußballunternehmen, Berlin 2008, 174–176.

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Dabei kann ein Fußballclub wirtschaftlich aber nur erfolgreich sein, wenn dieser auch langfristig sportlich erfolgreich ist. Der sportliche Erfolg trägt dazu bei, die Attraktivität des Fußballclubs in der Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit und die Medien zu erhöhen. So kann der sportliche Erfolg zu erhöhter Nachfrage in verschiedenen Bereichen führen, die sich untereinander verstärken: Es können sich positive Impulse auf die Zuschauernachfrage am Spieltag ergeben und die mediale Präsenz aufgrund des Erfolgs wirkt maßgeblich auf das Sponsoring und auch auf die TV-­ Vermarktung. Diese Einnahmequelle ist direkt an den sportlichen Erfolg geknüpft: Neben der Verteilung eines erfolgsunabhängigen Sockelbetrags erhalten die Fußballclubs sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene einen variablen Erfolgsanteil der vermarkteten Übertragungsrechte.65 Je omnipräsenter ein Fußballclub ist, desto stärker können Werbepartner und Sponsoren von ihrem Engagement profitieren; entsprechend steigt die Nachfrage. Das Medien- sowie Zuschauer­ interesse wirkt wiederum auf den Bereich Merchandising.66 Um zumindest kurzfristige sportliche Schwankungen auszugleichen, treiben Fußballclubs ihre nationale und internationale Vermarktung ihres Markennamens vo­ ran.67 Um eine nachhaltige Abgrenzung gegenüber der Konkurrenz zu erzielen, ist ein eigenständiges Profil des Fußballclubs entscheidend. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Clubmarke, die einen Einfluss auf die Fanbindung hat. Eine starke Clubmarke kann den Fußballclub durch eine treue Anhängerschaft unabhängiger vom sportlichen Erfolg machen.68 So beeinflusst die Markenstärke den Zuschauerschnitt sowie den wirtschaftlichen Erfolg und stellt einen zentralen Erfolgsfaktor für die Fußballclubs dar.69 Als zentrale Treiber des Markenimages gelten begleitende Leistungskomponenten, wie das Stadion, die Vereinsgeschichte, die Fans und die Vereinsfarben. Der wahrgenommene Nutzen der Fans setzt sich aus Aspekten wie Identifikation, soziale Anerkennung und Emotionen zusammen. Die Fanloyalität beinhaltet sowohl die innere Verbundenheit der Anhänger sowie das tatsächliche Verhalten der Fans.70 2. Klassische Einnahmesäulen a) Spielbetrieb Das eigentliche Sportereignis bildet das Kernstück des Geschäftsmodells. Dieses Wertangebot wird durch die in den Stadien ausgetragenen Spiele möglich. Hier wer65 S.  u.a. Grundmann/Hardenacke/Rüßmann, Business-to-Business Marketing im Profifußball, hrsg. v. Bieling/Eschweiler/Hardenacke, 328 f. 66 Keller, Steuerung von Fußballunternehmen, Berlin 2008, 52 f., 170 f. 67 S. Geschäftsbericht Borussia Dortmund 2017/2018, 40. S. zudem Pfeiffer/Freienstein, Business-to-Business Marketing im Profifußball, hrsg. v. Bieling/Eschweiler/Hardenacke, 138, 144 f. 68 S. dazu u.a. Bristow/Sebastian, The Journal of Consumer Marketing 2001, Nr. 3, 256. 69 Vgl. Bauer/Sauer/Schmitt, Die Erfolgsrelevanz der Markenstärke in der 1. Fußball-Bundesliga, Wissenschaftliche Arbeitspapiere Nr.: W 075, Mannheim 2004. 70 Vgl. Bauer/Exler/Sauer, Der Beitrag des Markenimage zur Fanloyalität, Wissenschaftliche Arbeitspapiere Nr.: W 081, Mannheim 2004.

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den Emotionen hautnah erlebt und das Fandasein71 ausgelebt. In den – eher negativen – Schlagzeilen72 finden sich dabei häufig die sog. Ultras. Hierbei handelt es um Personen, die sich unter den Fangruppen als besonders aktive Unterstützer eines Vereins verstehen. Es handelt sich dabei um keine Freizeitbeschäftigung, sondern um einen Lebensstil, bei welchem alles dem Fußball und dem unterstützten Verein untergeordnet wird.73 Sie zeichnen sich durch eine überdurchschnittliche Präsenz bei Heim- und Auswärtsspielen aus und treten durch koordiniertes Auftreten hervor. So werden ihre Fangesänge von sog. Capos initiiert und sie organisieren mitunter eindrucksvolle Choreographien74. Aber gerade auch diese Fangesänge und Choreographien tragen zu einer einzigartigen Stimmung und entsprechend zum Stadionerlebnis bei: „Das Stadion ist ein Ort kollektiver Begeisterung. Wie in einer Art modernem Tempel zelebrieren Menschen dort ihre Religion Fußball. Oft inszeniert sich das ­Publikum dabei selbst – vor allem durch Choreografien“75. Die Stadionatmosphäre ist wiederum bedeutend für Firmenkunden im Hinblick auf Anbahnung und Pflege von Geschäftskontakten und hat einen Einfluss auf die sportliche Leistungsfähigkeit des Teams.76 Insbesondere gepaart mit einem entsprechenden sportlichen Erfolg zieht es Menschen in die Stadien und fördert die Identifikation des Zuschauers mit dem Fußballclub.77 Die höchste Resonanz erzielten daher auch die sportlich erfolgreichsten Mannschaften: Zu den Heimspielen von Borussia Dortmund kommen im Schnitt 81.000 Zuschauer, dahinter folgt der FC Bayern München mit 75.000 Besuchern.78 Betrachtet man aber zugleich den Geschäftsbe71 Zu den verschiedenen Fantypen u.a. Keller, Steuerung von Fußballunternehmen, Berlin 2008, 174 ff.; Hofmeister, Ultras – Eine Fankultur im Spannungsfeld unterschiedlicher Subkulturen, 197; Bertrams/Bieling/Eschweiler, Business-to-Business Marketing im Profifußball, hrsg. v. Bieling/Eschweiler/Hardenacke, 172. Zu den gesundheitlichen Aspekten Newson et al., Devoted fans release more cortisol when watching live soccer matches, https://doi.org/10.1002/smi.2924. 72 https://www.derwesten.de/sport/fussball/bvb/borussia-dortmund-bvb-krawalle-panik-​ union-berlin-fans-ultras-id226948891.html; https://de.statista.com/infografik/19577/durch-​ dfb-strafen-entstandener-finanzieller-schaden/. 73 Vgl. Brechbühl, Eskalation versus Nicht-Eskalation von Fangewalt im Fussball Auslöser und Dynamiken aus verschiedenen Perspektiven, Bern 2016, 6; Steinsiek, SpuRt 2013, 11; Duttler/Haigis, Ultras – Eine Fankultur im Spannungsfeld unterschiedlicher Subkulturen, 11 f., 30; Luzar, Ultras – Eine Fankultur im Spannungsfeld unterschiedlicher Subkulturen, 288. 74 https://www.spox.com/de/sport/fussball/europaleague/1902/Diashows/eintracht-frank​ furt-​choreos/sge-international-die-verrueckten-fan-choreographien-im-europapokal. html; https://​www.ran.de/fussball/europa-league/bildergalerien/eintracht-frankfurt-in-­der-­ europa-league-die-fan-choreographien-in-der-commerzbank-arena; Adam sowie Trattner, Ultras – Eine Fankultur im Spannungsfeld unterschiedlicher Subkulturen, 70, 229. 75 https://rp-online.de/sport/fussball/bundesliga/der-fussball-lebt-von-der-faszination-fan​ kurve_aid-15036275. S. zum Erlebnismarketing, Pfaff, Erlebnismarketing für die Besucher von Sportveranstaltungen – Erlebnisstrategien und -instrumente am Beispiel der Fußballbundesliga, Göttingen, 2003. 76 Vgl. Keller, Steuerung von Fußballunternehmen, Berlin 2008, 174 f. 77 Vgl. Keller, Steuerung von Fußballunternehmen, Berlin 2008, 178. 78 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/556/umfrage/zuschauerschnitt-der-vereine-­ der-​1-bundesliga/.

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richt von Borussia Dortmund, so lässt sich feststellen, dass der Anteil des Bereiches Spielbetrieb am Gesamtumsatz gerade einmal bei 9,12% (7,90%) im Geschäftsjahr 2018/2019 (2017/2018) beträgt.79 Indirekt wird aber zur Bekanntheit und Markenbildung des „Vereins“ beigetragen. So ist bspw. die „gelbe Wand“ über die Grenzen hi­ naus bekannt und wird auch nur mit einem Fußballclub assoziiert.80 b) TV-Vermarktung Das Erleben der eigentlichen Spiele kann aber auch orts-/zeitungebunden über das Radio, Fernsehen oder Internet erfolgen.81 Gemäß § 4 Nr. 1 e) seiner Satzung ist es Zweck und Aufgabe des DFL e.V., die wirtschaftlichen Interessen der Mitglieder als Solidargemeinschaft gegenüber Verbänden und Dritten wahrzunehmen. Um dies zu erreichen, ist der DFL e.V. nach § 6 Nr. 2 a) seiner Satzung berechtigt, die sich aus dem Betrieb des Lizenzfußballs ergebenden Vermarktungsrechte wie auch die Ligasymbolik exklusiv und in eigenem Namen zu verwerten. Entsprechendes gilt auch für die Rechte bezüglich aller anderen Bild- und Tonträger, künftiger technischer Einrichtungen jeder Art und in jeder Programm- und Verwertungsform insbesondere des Internets, der Online-Dienste und Anwendermedien sowie möglicher Vertragspartner (vgl. auch § 9 Nr. 1 Ordnung für die Verwertung kommerzieller Rechte). Die DFL GmbH ist – wie zuvor angeführt – mit der Wahrnehmung dieser Aufgaben beauftragt. Das Recht, für Spiele in den internationalen Klubwettbewerben der FIFA und UEFA Verträge über die Fernseh- und Hörfunkübertragungen zu schließen, nehmen die jeweils teilnehmenden lizenzierten Clubs des DFL e.V. wahr, solange die FIFA bzw. UEFA dieses Recht nicht selbst ausübt oder auf den Nationalverband oder den DFL e.V. überträgt (§ 9 Nr. 2 Ordnung für die Verwertung kommerzieller Rechte). Die Einnahmen aus der Vermarktung von Spielen entsprechend § 9 Nr. 1, die sich im Verantwortungsbereich des DFL e.V. befinden, stehen dem DFL e.V. zu. Die Einnahmen werden nach Zufluss an die lizenzierten Clubs als Entgelt für die Teilnahme am Spielbetrieb ausgekehrt (§  17 Nr.  1 Ordnung für die Verwertung kommerzieller Rechte). Demzufolge schreibt die DFL zentral die Übertragungsrechte an der 1. und 2.  Bundesliga aus und verteilt anschließend die Einnahmen an die teilnehmenden Clubs.82 Die vorliegende Zentralvermarktung ist dadurch gekennzeichnet, dass mehrere Rechte, besonders von Fernsehverwertungs- und Marketingrechten, an verschiedenen Veranstaltungen für einen bestimmten Zeitraum zu einer exklusiven Vermarktung zentral gebündelt und dann zentral abgegeben werden. Auch im internationalen 79 Vgl. Geschäftsbericht Borussia Dortmund 2017/2018 (2018/2019), 118 (124). 80 https://www.bundesliga.com/en/news/Bundesliga/yellow-wall-wiki-borussia-dortmundsignal-iduna-park-bvb-474447.jsp. 81 S.  dazu Bieling/Eschweiler/Hardenacke, Business-to-Business Marketing im Profifußball, hrsg. v. Bieling/Eschweiler/Hardenacke, 7.  82 Stopper, ZWeR 2008, 412.

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Kontext ist ein entsprechendes Vorgehen festzustellen.83 Im Regelfall fungieren Verbände als Zentrale, z. B. bei der britischen Premier League der britische Ligaverband oder bei der UEFA Champions League die UEFA.84 Die Bundesliga und damit die Meisterschaft ist das Produkt und nicht jedes einzelne Spiel, denn gerade der Wettbewerb und die Zusammenfassung der einzelnen Spiele in einer Tabelle, der Kampf um Meisterschaft, die Champions League und Europa League Plätze, aber auch der Kampf gegen den Abstieg bilden den übergeordneten Rahmen, der die Rechte überhaupt erst in dieser Form wirtschaftlich vermarktbar macht.85 Darüber hinaus kann nur durch eine Zentralvermarktung mit Finanzausgleich Chancengleichheit zwischen den beteiligten Fußballclubs und damit ein inte­ ressanter Ligawettbewerb erreicht werden.86 Durch den Ligakontext wird demzufolge ein Mehrwert geschaffen, der nur bei zentraler Vermarktung realisiert werden kann. Die Erlöse aus internationaler und nationaler TV-Vermarktung sind stark abhängig von der Performance bzw. des sportlichen Erfolgs und stellen eine der wichtigsten Einnahmequellen für die DFL und die Bundesligavereine dar.87 So repräsentieren die Umsatzerlöse aus TV-Vermarktung bei Borussia Dortmund einen Anteil in Höhe von 34,19% (22,81%) der gesamten Umsatzerlöse im Geschäftsjahr 2018/2019 (2017/​ 2018).88

83 Zum Beispiel aber in Spanien vermarkten sich die Vereine selbst. Frick sowie Grundmann/ Hardenacke/Rüßmann, Business-to-Business Marketing im Profifußball, hrsg. v. Bieling/ Eschweiler/Hardenacke, 86, 338. 84 Siehe dazu u.a. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, 3. Teil, Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrech, Rz. 110; Paschke/ Berlit/Meyer, Hamburger Kommentar Gesamtes Medienrecht, 3. Aufl. 2016, 13. Abschnitt: Das Kartellverbot, Rz.  109–111; Wildmann/Castendyk, MMR 2012, 75; Stopper, ZWeR 2008, 412; Keller, Steuerung von Fußballunternehmen, Berlin 2008, 170 f.; Kruse/Quitzau, Fußball-Fernsehrechte:Aspekte der Zentralvermarktung, Diskussionspapier Nr. 18, August 2003; Grundmann/Hardenacke/Rüßmann, Business-to-Business Marketing im Profifußball, hrsg. v. Bieling/Eschweiler/Hardenacke, 337. So stiegen die Einnahmen der UEFA durch die Übertragungsrecht der UEFA Europa L ­ eague von 2009/2010 bis 2017/2018 von 182,61 Mio. Euro bis 324 Mio. Euro. https://de.statista. com/statistik/daten/studie/221365/umfrage/uefa-europa-league-uebertragungs​rechte/. Die Gesamteinnahmen der UEFA Champions League stiegen von 2007/2008 bis 2017/2018 von 821,9 Mio. Euro bis 2.136,6 Mio. Euro. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/​ 221355/umfrage/einnahmen-durch-die-uefa-champions-league/. 85 S. auch Enderle, Rechtehandel und -verwertung im Sport, in: Schierl, Handbuch Medien, Kommunikation und Sport, 230–242; Hardenacke/Hummelsberger, Business-to-Business Marketing im Profifußball, hrsg. v. Bieling/Eschweiler/Hardenacke, 52 f.; Bertrams/Bieling/ Eschweiler, Business-to-Business Marketing im Profifußball, hrsg. v. Bieling/Eschweiler/ Hardenacke, 171. 86 Stopper, ZWeR 2008, 412. 87 Vgl. Kirsch/Weber/Gallasch, DStR 2013, 541. Bei der Premier League stammen in der Saison 2017/2018 ca. 59% und bei der Bundesliga ca. 39% aus TV-Einnahmen. Deloitte, Annual Review of Football Finance 2019, 9. 88 Geschäftsbericht Borussia Dortmund 2017/2018 (2018/2019), 118 (124).

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Insbesondere die Auslandsvermarktung erlangt an Bedeutung und die Bundesliga wird mitunter als „Top-Medienrecht im internationalen Sport-Business anerkannt“89. So stiegen die Einnahmen der 1. Bundesliga aus der TV-Auslandsvermarktung von 2004/2005 bis 2014/2015 von 12 Mio. Euro bis 71,6 Mio. Euro.90 Die Internationalisierungsbemühungen gehen einher mit Auslandswerbereisen91, Freundschafts-/Testspielen vor Ort,92 Bundesliga Experience Touren oder dem Aufbau von Repräsentanzen. So ist bspw. die DFL in den USA und China präsent und ist eine strategische Partnerschaft zur Entwicklung der Marke Bundesliga und zur Förderung des Fußballsports in Indien eingegangen. Damit hat die DFL  – inkl. dem Heimatmarkt Deutschland – einen direkten Zugang zu vier der sieben größten Volkswirtschaften weltweit.93 Auch die Präsentation der Homepage des jeweiligen Vereins in einer für (potenzielle) ausländische Anhänger verständlichen Sprache, die Verpflichtung und der Einsatz von internationalen Topstars sowie Sponsoringpartnerschaften mit global agierenden Unternehmen gehören zur Internationalisierungsstrategie. Sowohl die Ligen als auch die Fußballclubs versprechen sich steigende Einnahmen beim Verkauf von TV-Rechten und Fanartikeln sowie neue Erlösquellen durch Sponsoring­ deals mit ausländischen Konzernen.94 Ein hohes Marktpotenzial wird dabei insbesondere in Asien gesehen.95

89 https://www.handelsblatt.com/dpa/sport/fussball/sport-murdoch-konzern-zeigt-bundesliga-in-asien-und-amerika/8929996.html?ticket=ST-1102412-YkYbjzEhUSgkpj7WdWdo-​ ap6; Abruf 12.1.2020. S. ferner https://www.bundesliga.com/de/bundesliga/news/dfl-steigert-auslandsumsaetze-­ um-50-prozent-und-eroeffnet-asien-pazifik-repraesentanz_0000203741.jsp. 90 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/247147/umfrage/tv-einnahmen-der-bundes​ liga-aus-der-auslandsvermarktung/. 91 https://www.faz.net/aktuell/sport/fussball/bundesliga/borussia-dortmund-eroeffnet-­sichmit-china-reise-perspektiven-14358342.html. 92 So werden bspw. seit 2007 einige Spiele der NFL in Europa ausgetragen, was auch auf anderen Teilen der Welt zu einem Anstieg von Fans führt. Siehe dazu Köhler/Söllner, Digitale Geschäftsmodelle im Profisport − Eine Ist-Analyse am Beispiel der National Football League, https://pdfs.semanticscholar.org/72ef/c0b49a4ef8bce7fd60bd7f288358b93af11a.pdf. 93 https://www.dfl.de/de/aktuelles/neue-repraesentanz-in-peking-dfl-mit-eigenem-buero-­ und-personal-im-bevoelkerungsreichsten-land-der-erde/. So betreiben auch mehrere Bundesligaclubs bspw. Büros, Niederlassungen oder Tochtergesellschaften in Asien oder den USA. Quirling/Kainz/Haupt, Sportmanagement: Ein anwendungsorientiertes Lehrbuch mit Praxisbeispielen, 304.  S.  auch https://www.eintracht.de/ news/artikel/eintracht-gruendet-tochtergesellschaft-in-china-68938/; http://german.china.​ org.cn/txt/2019-04/28/content_74731986.htm; https://www.dw.com/de/bayern-und-­wolfs​ burg-er%C3%B6ffnen-china-b%C3%BCros/a-38066066-0. 94 https://www.handelsblatt.com/sport/fussball/asien-reise-der-dfb-geht-auf-werbetour/​ 3185018.html; https://www.handelsblatt.com/dpa/sport/fussball/sport-murdoch-konzernzeigt-bundesliga-in-asien-und-amerika/8929996.html?ticket=ST-1102412-YkYbjzEhUSg​ kpj7WdWdo-ap6. 95 https://www.dfl.de/de/aktuelles/dfl-eroeffnet-china-repraesentanz-in-peking/. S. auch Keller, Steuerung von Fußballunternehmen, Berlin 2008, 249.

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c) Werbung „Die ‚mediale Omnipräsenz‘ des Fußballs erklärt dessen Attraktivität als Werbe- und Sponsoringplattform.“96 Die Umsatzerlöse aus dem Bereich Werbung resultieren aus verschiedenen Quellen. Insbesondere hierzu gehören insbesondere das Trikot- und Ärmelsponsoring, der Ausrüster, Namensrechtegeber bspw. für das Stadion oder die Bandenwerbung. Für die werbenden Unternehmen ist der wichtigste Effekt eine Verbesserung ihrer Markenwahrnehmung. Notwendig hierfür ist Medienpräsenz des Fußballclubs. Darüber hinaus kann sich sportlicher Erfolg auch auf den Sponsor übertragen.97 Die Fußballclubs wiederum können sportliche Erfolge und lokale wie globale Medienpräsenz bei Verhandlungen mit ihren (möglichen) Sponsoren geltend machen. Entsprechend können sich die zuvor angeführten Internationalisierungsbemühungen  – nicht nur auf die Vermarktung von TV-Rechten  – positiv auswirken. Die Erlöse aus Werbung betragen z.B. bei Borussia Dortmund 19,78% (17,53%) der gesamten Umsatzerlöse im Geschäftsjahr 2018/2019 (2017/2018).98 d) Merchandising Eine weitere Einnahmesäule stellt das Merchandising, also der Verkauf von Fanartikel dar. Fans bzw. Zuschauer99 werden dabei selbst externe „Kontaktträger der Clubmarke“ bzw. „Botschafter des Vereins“, wenn sie ihre Zugehörigkeit zum Fußballclub durch das Tragen von Fanartikeln demonstrieren.100 In der Saison 2016/2017 setzten die 18 Bundesliga-Clubs rund 191,8 Mio. Euro mit Merchandisingartikeln um.101 Auch hier stellen die Einnahmen aus dem Ausland mittlerweile einen bedeutenden Faktor dar. Von der halben Million Trikots, die Borussia Dortmund in der vergangenen Fußballsaison verkaufte, fanden rund 75.000 im Ausland einen neuen Eigentümer.102

96 Keller, Steuerung von Fußballunternehmen, Berlin 2008, 3. S. Kloch, Controlling im Profi-Fußball, 9; Welling, Business-to-Business Marketing im Profifußball, hrsg. v. Bieling/ Eschweiler/Hardenacke, 41. 97 S. auch Keller, Steuerung von Fußballunternehmen, Berlin 2008, 186 ff. 98 Geschäftsbericht Borussia Dortmund 2017/2018 (2018/2019), 118 (124). 99 „Fans sind keine Zuschauer […] Zuschauer kommen ins Stadion, um sich unterhalten zu lassen. Fans hingegen […] weil sie singen und brüllen, weil sie Akteure sind, im besten Fall sogar der 12. Mann, der mithilft das Spiel umzubiegen. Sie haben etwas zu geben, nämlich ihre Leidenschaft und ihre Begeisterung für den Verein.“ Coddou/Köster, 11 Freunde. Magazin für Fußball-Kultur, 6 (6/7), 36 zitiert nach Duttler/Haigis, Ultras – Eine Fankultur im Spannungsfeld unterschiedlicher Subkulturen, 25. 100 Vgl. Keller, Steuerung von Fußballunternehmen, Berlin 2008, 248. https://www.dw.com/ de/merchandising-im-fu%C3%9Fball-womit-vereine-den-umsatz-steigern-k%C3%B6n​ nen/a-3792768. 101 https://www2.deloitte.com/content/dam/Deloitte/de/Documents/consumer-business/CB-­ DT-­FML-2018-MERCHANDISING.pdf. 102 https://www.faz.net/aktuell/sport/fussball/bundesliga/borussia-dortmund-eroeffnet-­sich-­ mit-china-reise-perspektiven-14358342.html.

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e) Transfergeschäfte Eine weitere klassische Einnahmesäule stellt das Transfergeschäft dar. Ein Berufsfußballspieler ist ein Arbeitnehmer, der mittels eines befristeten Arbeitsvertrages an einen bestimmten Fußballclub gebunden ist. Ist seitens des Spielers beabsichtigt, den Club vorzeitig, also vor Ablauf des Vertrags, zu verlassen, benötigt dieser regelmäßig die Zustimmung seines Arbeitgebers. Als Transfer wird daher dann der Wechsel eines Spielers von einem Fußballclub zu einem anderen bezeichnet, der sich sowohl nach staatlichem Recht als auch nach Verbandsvorschriften bestimmt.103 Bei einem solchen Wechsel fällt regelmäßig die Zahlung einer Ablösesumme an.104 Die Transferausgaben (Transfererlöse) der Fußballclubs der Bundesliga sind von 5,8 Mio. Euro auf 685,79 Mio. Euro (6,24 Mio. Euro auf 600,09 Mio. Euro) im Zeitraum von 1980 bis 2018 angestiegen.105 Die Transfererlöse betragen z.B. bei Borussia Dortmund im Geschäftsjahr 2018/2019 (2017/2018) 24,55% (41,55%) der gesamten Umsatzerlöse.106 In den Schlagzeilen finden sich insbesondere Rekordsummen für Transfers zwischen internationalen Spitzenclubs.107 Dabei sind die Transfersummen insgesamt angestiegen.108 Ein Grund dafür sind die Erlöse aus TV-Vermarktungsrechten in Europas Ligen. Ob aber die Ablösesumme ökonomisch vorteilhaft ist, basiert grundsätzlich auf zwei Faktoren: Der Anteil des Spielers am sportlichen Erfolg des Clubs und die Vermarktung des Spielers. Mitunter bringen Spieler, insbesondere Starspieler, bei denen ein Personenkult und Boulevardjournalismus beobachtbar ist,109 eigene Fans mit und sorgen für einen Absatzanstieg bei den Trikot- und Ticketverkäufen.110 Demzufolge kann sich dies auch auf die Konditionen mit Sponsoren oder Ausrüstern auswirken, denn auch für diese können Kooperationen dann lukrativ sein. Mitunter werden sogar Reaktionen an Aktienmärkten ausgelöst.111 f) Conference, Catering und Sonstiges Dieser Geschäftsbereich besteht zum großen Teil aus Umsätzen durch Vorverkaufsgebühren, Vermietung und Verpachtung, Veranstaltungen sowie der Bewirtung. Hie103 Vgl. Dalinger, Der Vertragsbruch des Berufsfußballspielers und die Rechtsfolgen nach Art. 17 FIFA-RSTS, 45. S. ferner Keller, Steuerung von Fußballunternehmen, Berlin 2008, 169. 104 Vgl. Dalinger, Der Vertragsbruch des Berufsfußballspielers und die Rechtsfolgen nach Art. 17 FIFA-RSTS, 50; Diller, SpuRt 2010, 137. 105 https://de.wikipedia.org/wiki/Transfer_(Sport); https://de.statista.com/statistik/daten/stu​ die/​36027/umfrage/transferausgaben-und--einnahmen-der-klubs-der-fussball-bundesliga/. 106 Geschäftsbericht Borussia Dortmund 2017/2018 (2018/2019), 118 (124). 107 https://www.transfermarkt.de/statistik/transferrekorde. 108 https://www.transfermarkt.de/statistik/transferrekorde. 109 Vgl. Keller, Steuerung von Fußballunternehmen, Berlin 2008, 178; Bieling/Eschweiler/Hardenacke, Business-to-Business Marketing im Profifußball, hrsg. v. Bieling/Eschweiler/ Hardenacke, 14 f. 110 Vgl. Keller, Steuerung von Fußballunternehmen, Berlin 2008, 246. 111 https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/cristiano-ronaldo-juventus-turin-aktie-­ durch-wechsel-mehr-als-verdoppelt-a-1227735.html.

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runter gehören beispielsweise auch Einnahmen mit Firmenkunden, die am Hospitality-Angebot, wie etwa Logen und Business Seats, partizipieren und als Instrument zur Kundenbindung und -akquise eingesetzt wird.112 3. Digitalisierung des Sports „Fußball ist und bleibt immer eine analoge Angelegenheit – der Ball muss ins Tor“113. Durch die zunehmende Digitalisierung ergeben sich dennoch Herausforderungen sowie Chancen für im Profisport involvierten Verbände, Ligen, Vereine und Spieler.114 In der Vergangenheit fand die Kundenbeziehung zu den Fans hauptsächlich persönlich statt; also z.B. während dem Besuch im Stadion oder im Ticket-/Fanshop. Die Kundenbeziehung und das Merchandising können aber nunmehr virtuell, zeitund ortsungebunden erfolgen.115 Onlineshops werden heutzutage standardmäßig angeboten. Auch das Abrufen von Zusatzangeboten zu jeder Zeit und von jedem Ort eröffnet neue Bindungsmöglichkeiten. Hier kann als Beispiel NFL Fantasy Football116 genannt werden. Hierbei handelt es sich um ein auf realen NFL Statistiken basierendes Spiel, in dem Menschen mit virtuell zusammengestellten Mannschaften gegen­ einander antreten. Darüber hinaus wird standardmäßig ein Zugriff auf Sportinformationen zu jeder Zeit und von jedem Ort aus ermöglicht. Mithin können Informationen und (Video)-inhalte z.B. über Spieler, Trainer, Livestatistiken und Neuigkeiten117 auf der jeweiligen Internetseite oder Videoplattformen118 und mit mobilen Applikationen abgerufen werden; die Bereitstellung kann dabei individuell auf Interessen anpassbar sein. Zugleich eröffnet sich durch eSport  – unmittelbare Wettkampf zwischen menschlichen Spieler/innen unter Nutzung von geeigneten Video- und Computerspielen an verschiedenen Geräten und auf digitalen Plattformen unter festgelegten Regeln –119 ein neuer Geschäftsbereich.120 Daneben kann eine Steigerung des Gemeinschaftsgefühls durch virtuelle Communities geschaffen werden, die über die eigene Internetseite oder mittels mobiler Applikationen für Fans von einzelnen Vereinen angeboten werden können.121 Darüber ­hinaus verfügen Fußballclubs über eine sehr hohe Anzahl an Fans und Followern 112 Vgl. Keller, Steuerung von Fußballunternehmen, Berlin 2008, 181. 113 https://www.wirtschaftsrat.de/wirtschaftsrat.nsf/id/die-digitale-entwicklung-der-eintracht-​ frankfurt-de. 114 Siehe dazu Köhler/Söllner, Digitale Geschäftsmodelle im Profisport − Eine Ist-Analyse am Beispiel der National Football League, https://pdfs.semanticscholar.org/72ef/c0b49a4ef8b​ ce7fd60bd7f288358b93af11a.pdf. 115 S. auch Bertrams/Bieling/Eschweiler, Business-to-Business Marketing im Profifußball, hrsg. v. Bieling/Eschweiler/Hardenacke, 178. 116 https://fantasy.nfl.com/. 117 Zum Beispiel https://tv.eintracht.de/de/. 118 https://newsroom.tiktok.com/de-de/tiktok-wird-offizieller-partner-von-borussia-dort​ mund/. 119 https://esportbund.de/esport/was-ist-esport/. 120 https://virtual.bundesliga.com/. 121 So z.B. Steelers Nation Unite, https://www.steelersnationunite.com/.

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Fußball, Digitalisierung und Fremdvergleichsgrundsatz

in  den gängigen sozialen Netzwerken, die zur Markenbildung genutzt werden. Die Spannbreite ist dabei erheblich. So verfügt der DFB bei Twitter über 130.000 Follower, Eintracht Frankfurt über 490.000, die UEFA über 1,2 Mio., Borussia Dortmund über 3,5 Mio. und Real Madrid über 34 Mio.122 Mitunter haben selbst die Maskottchen der Vereine, wie etwa die Biene Emma, die als zwölfter Mann mit den Spielern auf den heiligen Rasen aufläuft und nach dem Schlusspfiff mit ihnen und den Fans Triumphe feiert oder bei Niederlagen ein wenig Trost schenkt,123 einen ­Account.124 Interessanterweise haben einige professionelle Sportorganisationen damit eine größere Anzahl an Fans und Followern als bei den Endkunden bekannte Marken wie etwa Nike (8,2 Mio.), Audi (2 Mio.) oder BMW (2 Mio.).125 Die gängigen sozialen Netzwerke sowie die spezifischen virtuellen Communities ermöglichen daher den Fans weltweit und losgelöst vom Aufenthaltsort eine soziale Interaktion untereinander und mit ihrem Lieblingsclub. So haben sie die Möglichkeit, noch intensiver an einer Gemeinschaft teilzunehmen. Dies wiederum bietet Unternehmen den idealen Ausgangspunkt, um eine Beziehung zu den Fans unabhängig von Grenzen aufzubauen.126 Gerade in der Professionalität der Internetauftritte,127 der Visibilität in und Pflege von sozialen Netzwerken sowie der Etablierung eigener virtueller Communities liegt ein großes Potential zur Fanbindung und zur besseren Vermarktung des Fußballs. Zugleich kann das Stadionerlebnis durch digitale Unterstützung intensiviert werden. Smart Connected Stadiums128 ermöglichen ein gesteigertes Maß an digitaler Vernetzung, Infotainment, Komfort und Kundenservice. Andererseits hat Virtual Reality das Potenzial, den Stadionbesuch zu ersetzen.129 Darüber hinaus ermöglicht virtuelle Werbung neue Erlöspotenziale: So kann TV-Zuschauern im Ausland, bspw. in Asien, andere Reklame auf den Banden angezeigt werden als den Fans auf der Tribüne oder vor den Bildschirmen im Inland oder in Europa. Die Werbung wird dafür eigens am Computer erzeugt. Sie überdeckt die tatsächlich vor Ort sichtbaren Botschaften, ohne dass die Betrachter dies merken.130

122 https://twitter.com/dfb, https://twitter.com/uefa, https://twitter.com/BVB, https://twitter. com/Eintracht, https://twitter.com/realmadrid; Abruf: 26. Juni 2020. 123 https://www.bvb.de/News/Hintergrund/Eine-Biene-namens-EMMA. 124 https://www.instagram.com/maskottchenemma/?hl=de. 125 https://twitter.com/nike; https://twitter.com/audi; https://twitter.com/bmw; Abruf: 26. Juni 2020. 126 Siehe dazu Köhler/Söllner, Digitale Geschäftsmodelle im Profisport – Eine Ist-Analyse am Beispiel der National Football League, https://pdfs.semanticscholar.org/72ef/c0b49a4ef8b​ ce7fd60bd7f288358b93af11a.pdf. 127 Siehe dazu Lelek/Klein, Sport und Management 2011, 15. 128 https://www.infosys.com/engineering-services/white-papers/Documents/smart-connec​ ted-stadiums.pdf; https://www.intel.com/content/dam/www/public/us/en/documents/IoT/​ iot-smart-stadiums-brief.pdf. 129 https://www.sueddeutsche.de/sport/stadion-virtual-reality-fussball-1.4076919. 130 https://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/personalisierte-wer​ bung-so-verdient-borussia-dortmund-mit-reklame-fuer-chinesen/23770242.html?ticket​ =ST-50832372-iu7SjZg1VORfSDH9XleA-ap5.

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Die Digitalisierung lässt sich aber auch zur Steigerung des sportlichen Erfolgs und damit wiederum zur Steigerung des wirtschaftlichen Erfolgs nutzen. So gibt es Systeme, die mit Hilfe von sog. künstlicher Intelligenz131 Daten, wie die der eigenen Spiele und Spieler, aber auch die der Gegner, erfassen und somit die Erarbeitung des Matchplans unterstützen. Mittels sog. künstlicher Intelligenz können so das Verhalten sowie die Spielideen des Gegners analysiert und die Aktionen, Reaktionen sowie die Taktik des eigenen Teams perfektioniert werden. Schließlich sind eine gute und umfassend ausgebaute IT-Infrastruktur und die durch die Nutzung von digitalen Angeboten erfassten und ausgewerteten Nutzerdaten über Fans Schlüsselressourcen für Fußballclubs.

IV.

Besteuerung heute und morgen

1. Besteuerung von grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen Werden Einkünfte eines Steuerpflichtigen aus einer Geschäftsbeziehung bzw. Transaktion zum Ausland mit einer ihm nahestehenden Person bzw. einem verbundenen Unternehmen dadurch gemindert, dass der Fremdvergleichsgrundsatz nicht eingehalten wird, sind die Einkünfte so anzusetzen, wie sie unter den zwischen voneinander unabhängigen Dritten vereinbarten Bedingungen angefallen wären. Demnach hat eine entsprechende Gewinnkorrektur zur erfolgen. Dieser Fremdvergleichsgrundsatz ist explizit im § 1 AStG sowie in Artikel 9 Absatz 1 OECD-Musterabkommen nachgebildeter Artikel im jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen enthalten. Schließlich sollen Unternehmensgewinne dort besteuert werden, wo sie wirtschaftlich entstehen bzw. wo die Wertschöpfung generiert wird und damit soll auch dafür Sorge getragen werden, dass gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen verbundenen und unverbundenen Unternehmen gelten.132 Entsprechend bedarf es der Korrektur der Einkünfte, die aufgrund eines fehlenden Interessengegensatzes zustande gekommen sind.133 Die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes erfordert daher derzeit eine physische Präsenz, sei es in Form einer nahestehenden Legaleinheit oder einer Betriebsstätte, im In- und Ausland. §  1 Absatz 2 AStG definiert abschließend, was unter einer nahestehenden Person i. S. d. § 1 AStG zu verstehen ist.134 Neben der wesentlichen Beteiligung ist es ausreichend, dass die Person auf den Steuerpflichtigen oder umgekehrt der Steuerpflichtige auf die Person einen beherrschenden Einfluss unmittelbar oder mittelbar ausüben kann. Beherrschend ist der Einfluss, wenn dem Steuerpflichtigen bzw. der Person in seiner Folge kein wesentlicher Entscheidungsspielraum bei der Vereinbarung der konkreten Geschäftsbeziehung verbleibt.135 Genügend ist auch sowohl die wesentli131 S. dazu u.a. Wirtz/Weyerer, WiSt 2019, Heft 10, 4. 132 Vgl. BFH v. 27.2.2019 − I R 73/16, BStBl II 2019 S. 394, Rz. 28. 133 Vgl. Kraft/Kraft, 2. Aufl. 2019, AStG § 1 Rz. 171. 134 S. dazu Blümich/Pohl, 149. EL August 2019, AStG § 1 Rz. 57 ff. 135 So auch Blümich/Pohl, 149. EL August 2019, AStG § 1 Rz. 63.

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che Beteiligung bzw. ein beherrschender Einfluss eines Dritten an der Person als auch an dem Steuerpflichtigen. Ausreichend ist dabei die Kombination von wesentlicher Beteiligung und Beherrschung.136 So ist wohl zum Beispiel die Red Bull GmbH an der RasenBallsport Leipzig GmbH, Red Bull do Brasil Ltda., FC Red Bull Salzburg oder der Red Bull New York, Inc. beteiligt,137 sodass die genannten Fußballclubs zueinander nahestehend sein dürften, was für Transfergeschäfte von besonderer Bedeutung ist.138 Augenscheinlich relevant sind die Beteiligungen auch für Sponsoringverträge,139 wie hier bspw. das Trikotsponsoring und der Recht am Stadionnamen140. Besonderes Augenmerk gilt daher den hinter den Fußballclubs befindlichen Investoren. Aus Sicht eines deutschen Fußballclubs vermag ein überhöhter Sponsoringvertrag einer Korrektur gemäß §  1 AStG nicht zugänglich sein, allerdings vermag es auch in Deutschland steuerpflichtige Sponsoren geben, die nahestehende ausländische Fußballclubs finanzieren. Ist die Person oder der Steuerpflichtige imstande, bei der Vereinbarung der Be­ dingung einer Geschäftsbeziehung auf den jeweils anderen einen außerhalb dieser Geschäftsbeziehung begründeten Einfluss auszuüben, liegt ebenfalls ein Nahestehen vor. Im Ergebnis kann daher die Einflussmöglichkeit auch durch eine andere Geschäftsbeziehung begründet sein. In der Literatur werden diesbzgl. Marktbindungsverträge, Konkurrenzausschlussabsprachen oder Vertriebsbindungen genannt.141 Schließlich führt Absatz 2 noch das eigene Interesse an der Erzielung der Einkünfte des anderen an (Interessenidentität142). Das Interesse kann sowohl wirtschaftlicher als auch persönlicher Natur sein.143 Dabei wird z.B. eine Interessengemeinschaft bestehen müssen, um ein Eigeninteresse des Steuerpflichtigen bejahen zu können.144 Betrachtet man nun die unter Abschnitt III.1 beschriebene pyramidale Struktur des Fußballs145 samt der Verflechtungen, der eigens gegebenen Satzungen und der eigenen Sportgerichtsbarkeit,146 wird deutlich, dass kein Fußballclub in der Lage ist, die geforderten Leistungen isoliert zu erbringen. So bedarf z.B. die Erstellung des Pro136 So auch Kraft/Kraft, 2. Aufl. 2019, AStG § 1 Rz. 184. A.A. Blümich/Pohl, 149. EL August 2019, AStG § 1 Rz. 65. 137 https://de.wikipedia.org/wiki/Red_Bull_GmbH. 138 http://www.kicker.de/659116/slideshow; https://www.sportbuzzer.de/artikel/eine-dosezwei-vereine-so-ahnlich-sind-sich-rb-leipzig-und-red-bull-salzburg/. S.  auch Schacherbauer, SpuRt 2014, 143.  Zudem Anhang X, F.7 UEFA-Reglement zur Klublizenzierung und zum finanziellen Fairplay. Zum FIFA Reglement bezüglich Status und Transfer von Spielern, s. Dalinger, Der Vertragsbruch des Berufsfußballspielers und die Rechtsfolgen nach Art. 17 FIFA-RSTS, 45 ff. 139 http://fussball.info/2674/sponsoren-und-investoren-im-fussball-ist-erlaubt/. 140 https://www.sponsors.de/news/fussball/rb-leipzig-neue-sponsoren-struktur. 141 Vgl. Kraft/Kraft, 2. Aufl. 2019, AStG § 1 Rz. 188. 142 Vgl. Kraft/Kraft, 2. Aufl. 2019, AStG § 1 Rz. 167. 143 Vgl. BFH v. 19.1.1994 − I R 93/93, BStBl II, 725.  144 Vgl. Kraft/Kraft, 2. Aufl. 2019, AStG § 1 Rz. 195. 145 S. dazu u.a. Hardenacke/Muhle, Business-to-Business-Marketing im Profifußball, hrsg. v. Bieling/Eschweiler/Hardenacke, 271 ff. 146 https://www.dfb.de/verbandsservice/verbandsrecht/sportgerichtsbarkeit/.

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duktes „Meisterschaft“ einer horizontalen Kooperation wirtschaftlich und rechtlich selbständiger Wirtschaftssubjekte. Damit sind die Fußballclubs einerseits innerhalb des geschlossenen Systems „Liga“ Konkurrenten, andererseits ist ihr gemeinsames Ziel, den Meister zu ermitteln und den entsprechenden Weg dorthin zu vermarkten, nur innerhalb des geschlossenen Systems realisierbar. Entsprechend herrscht ein assoziativer Wettbewerb vor,147 der eine Interessenidentität in sich trägt. Dies zeigt sich auch in der Zentralvermarktung der TV-Rechte (Abschnitt III.2.c) und dem Verteilungsschlüssel, der eine Chancengleichheit zwischen den beteiligten Fußballclubs und damit ein interessanter Ligawettbewerb sicherstellen soll. Im rein innerstaatlichen Kontext, wie Bundesliga, vermag dies für Zwecke des § 1 AStG noch von untergeordneter Bedeutung sein. Dasselbe gilt allerdings auch für die UEFA Euro League und UEFA Champions League, die naturgemäß einen grenzüberschreitenden Charakter in sich trägt und damit auch für § 1 AStG relevant wird. Damit könnte insofern kein freier Markt für Spielertransfers vorliegen. Gepaart mit den finanziellen Möglichkeiten von Investoren werden mitunter Transferentschädigungen entrichtet,148 die einem Fremdvergleich nicht mehr standhalten mögen, was im Einzelfall zu prüfen wäre. Auch die Abstellung von Spielern für Auswahlmannschaften149 – „Arbeitnehmerüberlassung“ – vermag in diesem Lichte zu würdigen sein. Ebenfalls relevant ist bspw. der Finanzaufwand im Zusammenhang mit Fremdkapitalfinanzierung durch eine nahestehende Person, bspw. eines Investors150, sowie bei beliebigen Geschäftsvorfällen mit nahestehenden Personen, im Rahmen derer der Fußballclub Waren oder Dienstleistungen bereitstellt.151 Inwieweit sich eine etwaige steuerliche Verrechnungspreiskorrektur auf Artikel 58 Ziff. 3 UEFA-Reglement zur Klublizenzierung und zum finanziellen Fairplay auswirken würde, wird an dieser Stelle nicht weiter erörtert und bedürfte einer weitergehenden Betrachtung. Für börsennotierte Fußballclubs gilt es zugleich, die Erfordernisse der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II)152 in Bezug auf Geschäfte mit nahestehenden Personen, umgesetzt in § 111a bis c AktG, zu beachten. Auch die Wechselwirkung mit der steuerlichen Gewinnabgrenzung bedarf einer außerhalb dieses Beitrags liegenden Betrachtung.

147 Hardenacke/Muhle, Business-to-Business-Marketing im Profifußball, hrsg. v. Bieling/ Eschweiler/Hardenacke, 274. 148 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/12465/umfrage/rekordtransfers-die-10-teu​ ersten-transfers-im-fussball/; http://fussball.info/2674/sponsoren-und-investoren-im-­fuss​ ball-ist-erlaubt/; https://www.welt.de/sport/article165267060/Warum-die-Millionen-noch-­ schneller-fliessen-werden.html. 149 Vgl. dazu Baumeister/Becher/Eschweiler, Business-to-Business-Marketing im Profifußball, hrsg. v. Bieling/Eschweiler/Hardenacke, 306 ff. 150 https://www.zeit.de/hamburg/fussball/2014-08/kuehne-hsv-darlehen. 151 S. auch Stopper, SpuRt 2013, 2. 152 Richtlinie (EU) 2017/828 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.5.2017 zur Änderung der Richtlinie 2007/36/EG im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Mitwirkung der Aktionäre, ABl. L 132 v. 20.5.2017, 1.

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2. Besonderheit: marketing intangibles Im Hinblick auf den Aspekt der marketing intangibles ist insbesondere die Gewinnabgrenzung zu Niederlassungen (bspw. in Form von Betriebsstätten oder Tochtergesellschaften) im Ausland interessant, die u.a. dafür sorgen sollen, die Marke des Fußballclubs bekannter zu machen bzw. zu etablieren (s. Abschnitt III.2.b). So eröffnete z.B. Eintracht Frankfurt Anfang Januar 2020 ein Büro in New York City als zentraler Hub für alle Aktivitäten der Eintracht in Nordamerika in den Räumlichkeiten ihres Hauptsponsors. Dabei wird von einem riesigen Mehrwert ausgegangen.153 In den vergangenen Jahren hat Eintracht Frankfurt zudem bereits Kooperationen in China abgeschlossen und auch eine Tochtergesellschaft dort gegründet. Partner sind insbesondere Bildungsinstitutionen. Die Vereinbarung beinhaltet die Unterstützung der Eintracht bei der Trainer- und Lehrerausbildung und der Entwicklung von Fußballtrainingsprogrammen sowie Studentenaustauschprogramme, Weiterbildungsseminare und eine Medienkooperation.154 Auch andere Fußballclubs sind in bestimmten Ländern stetig präsent155 und/oder weiten Vermarktungsaktivitäten durch spezielle Reisen aus (s. Abschnitt III.2.b). Trägt ein verbundenes Unternehmen bzw. eine Betriebstätte bspw. durch Marketingoder Vertriebsaktivitäten zum Wert einer Marke, deren Inhaber eine andere Unternehmenseinheit ist, bzw. eines marketing intangibles bei, ist fraglich ob und wie eine Vergütung zu erfolgen hat (OECD-TPG, Tz. 6.76 ff.).156 Zur Bestimmung von fremd­ üblichen Verrechnungspreisen zwischen dem Fußballclub im Inland und seinen im Ausland befindlichen Niederlassungen ist das Funktions- und Risikoprofil maßgebend.157 Im Hinblick auf die Zuordnung von Erträgen aus immateriellen Werten ist die konkrete Ausübung von Funktionen, die mittels einer sog. DEMPE-Analyse ermittelt werden, relevant.158 So ist maßgebend, welche Funktionen und Risiken von den Beteiligten in Bezug auf die Entwicklung und Pflege der Marke bzw. der marketing intangibles tatsächlich ausgeübt bzw. kontrolliert und welche Vermögenswerte dabei eingesetzt werden. Dazu 153 https://www.eintracht.de/news/artikel/den-times-square-gerockt-77649/. 154 https://www.eintracht.de/news/artikel/eintracht-gruendet-tochtergesellschaft-in-china-​ 68938/. 155 So betreiben mehrere Bundesligaclubs bspw. Büros, Niederlassungen oder Tochtergesellschaften in Asien oder den USA. Quirling/Kainz/Haupt, Sportmanagement: Ein anwendungsorientiertes Lehrbuch mit Praxisbeispielen, 304.  S.  auch http://german.china.org. cn/txt/2019-04/28/content_74731986.htm; https://www.dw.com/de/bayern-und-wolfs​ burg-​er%C3%B6ffnen-china-b%C3%BCros/a-38066066-0. 156 S.  dazu auch Maier in: Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, 30. Lieferung 10.2019, Rz. 417. 157 OECD-TPG, Tz. 1.33 ff. 158 OECD-TPG, Tz. 6.48 ff. DEMPE steht dabei für Development (Entwicklung), Enhancement (Verbesserung), Maintenance (Wartung), Protection (Schutz) und Exploitation (Verwertung). Für diese Analyse ist eine eigene Funktions- und Risikoanalyse erforderlich. S. dazu auch Schwarz/Stein, Steuerliche Verrechnungspreise – Ein fallbasierter Einstieg, hrsg. v. Greil, im Erscheinen, Kapitel 6.

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ist eine Funktions- und Risikoanalyse hinsichtlich der für die Entwicklung, Weiterentwicklung, Pflege und den Schutz des jeweiligen immateriellen Werts relevanten Aktivitäten der beteiligten Unternehmen durchzuführen. Im Rahmen dieser Analyse ist die vertraglich vereinbarte Aufgabenallokation zu überprüfen und festzustellen, wer die markenbildenden bzw. markenerhaltenden Maßnahmentatsächlich konzipiert, plant und steuert, sowie schließlich durchführt.159 Nachfolgend ist der Beitrag zur immateriellen Wertschöpfung zu bestimmen, der sich erwartungsgemäß aus den Tätigkeiten ergibt. Sind die Aktivitäten im Ausland eher unterstützender Natur und damit eher funktions- und risikoarm, hält sich auch der Wertschöpfungsbeitrag in Grenzen. Entsprechend käme eine eher geringere Dienstleistungsgebühr in Betracht.160 Die lokalen Marketingstrategien leiten sich aus der globalen Marketingstrategie ab und sind oftmals die taktische Umsetzung globaler strategischer Vorgaben im Rahmen der Operationalisierung. In Abhängigkeit der globalen Bekanntheit der Marke und der damit verbundenen Wirkung für den lokalen Markt, sind die Marketingaktivitäten der lokalen Niederlassung zu würdigen. Üben diese mehr als klassische operative Marketingtätigkeiten aus, sondern sind maßgeblich in die taktische und strategische Markenentwicklung involviert und leisten einen maßgeblichen Beitrag zum Aufbau bzw. dem Erhalt des Bekanntheitsgrads der Marke unter Tragung erheblicher eigener Kosten, so kann diesen eine Ertragsberechtigung aus der Marke zugerechnet werden.161 Neben der Betrachtung der Aktivitäten, die unmittelbar in die Schaffung von Marketingwerten eingehen, ist zugleich zu beachten, dass auch andere „Funktionen“ regelmäßig zur Werthaltigkeit einer Marke beitragen. So trägt bei einem Fußballclub insbesondere auch der sportliche Erfolg – und damit der andauernde Markterfolg des „Produkts“ – zur Werthaltigkeit bei, wobei eine starke Clubmarke den Fußballclub durch eine treue Anhängerschaft unabhängiger vom sportlichen Erfolg machen kann. Wie unter Abschnitt II.2.b angeführt, qualifiziert z.B. Indien die spezifischen Merkmale des indischen Marktes wie Standortvorteile, Marktzugang, umfangreiche Kundenbasis, Marktprämien und Kaufkraft indischer Kunden als marketing intangibles. Die indischen Steuerbehörden gehen davon aus, dass solche immateriellen Vermögenswerte eine eigene Vergütung rechtfertigen. Entsprechend hat Indien, aber auch bspw. China im United Nations Practical Manual on Transfer Pricing for Developing Countries (2017)162 ihre unterschiedlichen Sichtweisen zur Verrechnungspreisbestimmung zum Ausdruck gebracht und die Bedeutung ihrer Märkte, der Vermark-

159 Maier in: Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, 30. Lfg. 10.2019, Rz. 424 ff. 160 Dazu auch Borstell, Verrechnungspreise, 4. Aufl. 2015, Kapitel B: Internationales Recht, Rz. 161. 161 S.  umfassend Maier in: Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, 30. Lieferung 10.2019, Rz. 439 ff. Dazu auch Borstell, Verrechnungspreise, 4. Aufl. 2015, Kapitel B: Internationales Recht, Rz. 161; Dolezel, Verrechnungspreise, 4. Aufl. 2015, Kapitel U: Verrechnungspreise in Österreich, Rz. 178. 162 https://www.un.org/esa/ffd/wp-content/uploads/2017/04/Manual-TP-2017.pdf.

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tung immaterieller Werte und der standortspezifischer Vorteile betont.163 So wird auch ein größerer Schwerpunkt auf Vermarktung (Promotion-Aktivitäten) von ausländischen immateriellen Werten, wie Marken, und Produkten auf dem chinesischen Markt gelegt; also in Ergänzung zu DEMPE noch eine zusätzliche Funktion „P“.164 Daneben erachtet China Marktprämien als durch die Anstrengungen des Unternehmens in China erlangte Vorteile.165 Demzufolge wird eine angemessene Kompensation dafür gefordert, die mitunter höher liegen mag, als nach OECD-Standards. Ähnliche Entwicklungen sind aber auch in den USA zu beobachten.166 Argumentativ vermag dies erklärlich sein: Fans sind aufgrund ihrer Loyalitätsneigung das kostbarste Gut eines Fußballclubs. Als potenzielle Abnehmer der durch Sponsoren beworbenen Produkte und Dienstleistungen und von Medienunternehmen angebotenen Services werden Marktstaaten argumentieren, dass sie zum wirtschaftlichen Erfolg des Fußballclubs beitragen, was mit einer entsprechenden Kompensation – gerade im Bereich TV-Vermarktung und Merchandising – einherzugehen hat. Der Fußballclub fungiert dabei als Plattform und profitiert dabei von Netzwerk­ effekten167. Aber auch die Beteiligung an Transfers von internationalen Topstars sowie Sponsoringpartnerschaften mit global agierenden Unternehmen vermag argumentativ hierunter fallen. Die unter Abschnitt II dargestellte Diskussion zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft dürfte im Grunde diese Sichtweisen noch zusätzlich bestärken und eine erhöhte Zuordnung von Besteuerungsrechten an Marktstaaten aufgrund von marketing intangibles und user participation nach sich ziehen. Ob die Auslandsinvestitionen dabei über eine Betriebsstätte oder eine Tochtergesellschaft ausgeübt wird, sollte im Hinblick auf die Zuordnung von Besteuerungsrechten aufgrund des Authorized OECD Approach (AOA) im Grunde unerheblich sein. Allerdings wenden im Gegensatz zu Deutschland (§ 1 Absatz 5 AStG) einige Staaten, insbesondere UN-Staaten, den AOA nicht an, was zu Doppelbesteuerung führen kann. 3. Onlineshops und virtuelle Communities Hierneben ergibt sich schließlich aber noch die Fragestellung im Hinblick auf die grenzüberschreitende Gewinnabgrenzung von Fußballclubs u.a. betriebenen Online163 Vgl. Wagh, BIT 2015, No. 9; Li/Ji, BIT 2017, No. 5. Ferner auch Abschnitt D.2.4.5.1 sowie D.3.10 UN Manual TP. 164 Vgl. Lang et al. (Hrsg.), Transfer Pricing and Intangibles, 12; https://www.international​ taxreview.com/article/b1f7nb15cznbhk/tp-in-china-all-the-data-in-the-world. 165 Vgl. Lang et al. (Hrsg.), Transfer Pricing and Intangibles, 38. S. auch Devonshire-Ellis et al. (Hrsg.), Transfer Pricing in China, 40. 166 Vgl. Kroppen/Dawid/Keil, TPI 2019, 98 (104). 167 S. zu Netzwerkeffekten in medialen Sportangeboten, van Berkel, Journal für Sportkommunikation und Mediensport 2017, 30. S. ferner Saldsieder, Ordnungsfragen zweiseitiger Märkte im professionellen Fußballsport, 326.

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shops, Webseiten und virtuellen Communities gegenüber dem Marktstaat. Hier lässt sich (noch) festhalten, dass sich das Erfordernis einer Gewinnabgrenzung nicht stellen dürfte. Auch die Tatsache, dass Fans bspw. die Möglichkeit haben, ihre Fanutensilien, wie etwa Trikots, zu personalisieren, oder der Onlineshop bzw. die Webseite in verschiedenen Sprachen angeboten wird, oder sich die Fans in virtuellen Communities austauschen können und mitunter Daten an den Fußballclub übertragen und von diesem schließlich ausgewertet werden, ändert hieran nichts. Nach dem derzeit geltenden Recht wird hierdurch kein Anknüpfungspunkt der Besteuerung vermittelt, sodass eine Gewinnabgrenzung nicht erforderlich ist. Etwas anderes würde gelten, wenn der Fußballclub sich vor Ort bspw. Auslieferungslagern/Warenlagern bedient bzw. den Onlineshop von einem anderen Staat und aus betreibt bzw. dort über eine Server-Betriebsstätte verfügt. Darüber hinaus würde der unter Abschnitt II.2.c dargestellte Ansatz der significant economic presence relevant werden, sofern er von Staaten umgesetzt würde. Neben der Erzielung eines Umsatzes müsste bspw. lediglich die Vorhaltung des Onlineshops in Landessprache oder die Existenz einer Nutzerbasis, die Nutzerbeiträge generiert, hinzutreten, um diese zu begründen. So bietet der FC Bayern München z.B. seinen Onlineshop in drei und die Webseite in acht Sprachen an168 und verfügt über ca. 291.000 Mitglieder.169 Ebenso beachtenswert sind die Entwicklungen zur von der EU vorgeschlagenen signifikanten digitalen Präsenz170 und je nach Ausgestaltung etwaiger Digital Service Taxes171. 4. Potenziell denkbare Auswirkungen des Unified Approach Betracht man die unter Abschnitt II.3 angeführten und zum Stand des Verfassens dieses Beitrags172 im Raum stehenden Voraussetzung des UA sowie das Geschäftsmodell Fußball, so wird man zuerst und unstreitig feststellen können, dass es sich bei  einem Fußballclub um ein consumer facing business handeln dürfte. Daneben wird mitunter auch die Voraussetzung der automated digital services erfüllt (s. Abschnitt III.3). Selbiges dürfte allerdings auch für die Verbände und Ligen gelten. Knackpunkt in der Anwendung könnte die Umsatzschwelle sein. Da derzeit eine Anwendung ab 750 Mio. Euro diskutiert wird, würde nach derzeitigem Stand lediglich

168 https://fcbayern.com/shop/de/; https://fcbayern.com/de − Bairisch wurde nicht als Sprache gewertet. S. auch Bertrams/Bieling/Eschweiler, Business-to-Business Marketing im Profifußball, hrsg. v. Bieling/Eschweiler/Hardenacke, 178. 169 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/3828/umfrage/die-beliebtesten-fussball​clubs-​ weltweit/. 170 COM(2018) 147 final, https://ec.europa.eu/taxation_customs/sites/taxation/files/proposal_​ significant_digital_presence_21032018_de.pdf. 171 Siehe zum Beispiel Vorschlag der EU-Kommission: COM(2018) 148 final, https://ec.euro​ pa.eu/taxation_customs/sites/taxation/files/proposal_common_system_digital_services_ tax_21032018_de.pdf. 172 Januar 2020.

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Real Madrid diese Schwelle erreicht haben.173 Allerdings steigen die Umsätze von (bestimmten) Fußballclubs seit Jahren an174 und darüber hinaus ist eine politische Vereinbarung auf eine bestimmte und theoretisch nicht fundierte Umsatzschwelle nicht stabil. Sie ist abhängig von den jeweiligen politischen Bestrebungen und kann sich jederzeit ändern. Entsprechend verhält es sich auch mit einer Vereinbarung über eine formelhafte und damit starre Aufteilung von Unternehmensgewinnen.175 Als ein Beispiel kann die Schwelle für das Country-by-Country Reporting herangezogen werden. Nach nicht einmal fünf Jahren steht die Schwelle von 750 Mio. Euro zur Diskussion.176 Daneben diskutierte bspw. das Europäische Parlament, das öffentliche Country-by-Country Reporting ab 40 Mio. Euro einzuführen.177 Im Grunde besteht daher das Potenzial, dass alle Fußballclubs erfasst werden. Im Hinblick zum Beispiel auf Ligen, wie Bundesliga, Premier League, oder Verbände, wie UEFA oder FIFA, sind die derzeit zur Diskussion stehenden Schwellen schon heute überschritten.178 Auch ein Blick in die USA zeigt auf, dass zum Beispiel für die National Football ­League (NFL) als wichtigste Sportmarke in den Vereinigten Staaten mit einem Umsatz von ca. 13 Mrd. $ im Jahr 2016179 die Grenze von 750 Mio. keinerlei Bedeutung entfaltet. Die NFL hat darüber hinaus für das Jahr 2027 ein Umsatzziel von 27 Mrd. $ ausgerufen.180 Dabei wird die Ausweitung des digitalen Angebots eine zentrale Rolle einnehmen. Daneben müsste nun noch eine bestimmte Absatzschwelle im Marktstaat erreicht werden. Hierzu werden derzeit noch keine Zahlen diskutiert, aber die Ausgestaltung könnte in Abhängigkeit der Wirtschaftskraft des Marktes erfolgen. In diesem Zusammenhang stellt sich aber das Problem der zuvor angeführten Zentralvermarktung der TV-Rechte bspw. der Bundesliga durch die DFL oder der UEFA Champions League durch die UEFA. Mithin werden bestimmte Umsätze durch einen Intermediär erzielt, der den Wettbewerb und nicht das einzelne Spiel oder einen einzelnen Fußballclub vermarktet. Der hieraus resultierende Umsatz wäre dann entweder auf den einzelnen Fußballclub runterzurechnen – bspw. anhand der schon praktizierten Verteilungsschlüssel – oder dem Intermediär zuzurechnen. Marktstaaten werden sicher173 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/173770/umfrage/rundfunkeinnahmen-von-­ fussballclubs/; https://www.spiegel.de/sport/fussball/deloitte-football-money-league-das-­ sind-die-umsatzstaerksten-fussballklubs-europas-a-1249668.html. 174 Deloitte, Annual Review of Football Finance 2019, 10, 16. 175 Siehe für eine flexible Gewinnaufteilung, Förster/Greil/Hilse, ITPJ 2020, No. 1. 176 OECD, Public consultation document: Review of Country-by-Country Reporting (BEPS Action 13), https://www.oecd.org/tax/beps/public-consultation-document-review-coun​ try-by-country-reporting-beps-action-13-march-2020.pdf. 177 https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/BRIE/2017/595867/EPRS_BRI(2017)​ 595867_EN.pdf. 178 Deloitte, Annual Review of Football Finance 2019, 9; DFL Wirtschaftsreport 2019.  179 https://howmuch.net/articles/sports-leagues-by-revenue;  https://de.wikipedia.org/wiki/ Liste_der_Sportligen_nach_Umsatz. 180 https://eu.usatoday.com/story/sports/nfl/super/2014/01/30/super-bowl-nfl-revenue-den​ ver-broncos-seattle-seahawks/5061197/. Es wird dabei nicht verkannt, dass es sich zum Teil um non-profit Organisationen handelt, die keinen Gewinn ausweisen dürfen, den es zu verteilen gelte.

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lich die Variante bevorzugen, die ihnen mehr Besteuerungsrechte zusichert. Die Frage des Umgangs mit Intermediären stellt eine Herausforderung in diesem System dar und ist bisher nur rudimentär adressiert worden. Zugleich ist an dieser Stelle auf die Ausführungen unter Abschnitt IV.1 zu verweisen. Aufgrund der pyramidalen Struktur des Fußballs, der vorhandenen rechtlichen Strukturen und der über die Ligen zum Ausdruck kommenden gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen bezüglich der Verwertungsrechte vermögen nahestehende Personen vorliegen. Würde daher im UA auf das Erfordernis des Nahestehens abgestellt und nicht auf das Erfordernis eines Konzerns, so wären die Voraussetzungen auf Ebene des Vermarkters zu prüfen und diesen nicht als Intermediär zu behandeln. Mithin würde die Liga und ihre Fußballclubs als eine wirtschaftliche Einheit behandelt werden, was eine „Segmentierung“ nach Fußballclubs nach sich ziehen könnte. Damit könnten also sowohl die Fußballclubs als auch die Verbände und Ligen (je nach Ausgestaltung) grundsätzlich in den Anwendungsbereich des UA gelangen. Neu wäre damit, dass hier einer unternehmensexternen Quelle, nämlich den Fans in den jeweiligen Marktstaaten, ein steuerlich relevanter, wertschöpfungssteigernder Beitrag zugerechnet wird.181 Wenn aber „der Fan […] nicht mehr nur Kunde des Unternehmens Profifußball“182 ist und er zum Partner bzw. zum 12. Mann wird, vermag dies auch aus bestimmten Perspektiven heraus erklärlich erscheinen. Der Fußballclub als Werbe- und Sponsoringplattform ist abhängig vom sportlichen Erfolg, aber auch von der Fanbasis, die auch (positiv wie negativ183) zur Markenbildung beitragen. In den Anwendungsbereich des UA gelangt, wäre ab Überschreiten einer politisch bestimmten Profitabilitätsschwelle (entspricht einem sog. Routinegewinn) ein sog. Residualgewinn an die Marktstaaten anhand eines bspw. umsatzbasierten Allokationsschlüssels zu verteilen (Amount A), der dann dort entsprechend zu versteuern wäre. Gegebenenfalls wäre für Zwecke der Anwendung des Amounts A eine Segmentierung vorzunehmen, um entsprechend die profitablen Segmentgewinne zu verteilen und Verzerrungen durch weniger profitable Segmente zu vermeiden; mithin würden selbst dann „Segmentgewinne“ verteilt werden, wenn der Fußballclub insgesamt keinen Gewinn erzielt. Bei einem Fußballclub erschiene es zumindest nicht abwegig, die Segmentierung nach den klassischen Einnahmesäulen (Abschnitt II.2) vorzunehmen. Da jedoch nicht der komplette Residualgewinn an die Marktstaaten zu verteilen wäre, müsste in einem weiteren Schritt noch eine Unterteilung in einen dem Ansässigkeitsstaat gehörigen Residualgewinn und in einen den Marktstaaten gehörigen

181 Ehlermann, DB 2019, M4-M5. 182 Keller, Steuerung von Fußballunternehmen, Berlin 2008, 175. S. auch Bertrams/Bieling/ Eschweiler, Business-to-Business Marketing im Profifußball, hrsg. v. Bieling/Eschweiler/ Hardenacke, 177. 183 https://www.fr.de/eintracht-frankfurt/roms-buergermeisterin-spricht-bestien-10947822. html; https://www.eintracht.de/news/artikel/studien-ermitteln-eintracht-beliebt-wie-­nie-​ 77886/; https://www.welt.de/sport/article199416332/Europa-League-Eintracht-Frankfurt-​ ist-Vorbild-fuer-deutsche-Klubs.html.

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Residualgewinn vorgenommen werden. Hier werden zumindest ebenfalls politische Allokationsschlüssel diskutiert, die mit der o.g. Unbeständigkeit einhergehen.184 Da der UA nicht die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes (und damit die Anwendung der Artikel 7 und 9 OECD-Musterabkommen) ersetzen soll, wäre auch weiterhin die unter Abschnitt IV.1 beschriebene Gewinnabgrenzung bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen vorzunehmen. Hier könnte aber die Anwendung des Amount B relevant werden, wenn Fußballclubs in anderen Staaten über Vertriebseinheiten – in Form von rechtlich selbständigen Gesellschaften oder Betrieb­ stätten  – verfügen, die lediglich Basisfunktionalitäten ausüben. Bisher fehlen noch technische Details, aber denkbar wäre, dass eine Basisfunktionalität bspw. der Funktionalität eines LRD entspricht und damit insbesondere nicht Inhaber von immateriellen Werten ist und keine oder wenige Risiken übernimmt. Dabei gilt es aber zu bedenken, dass es hierfür keine weltweit einheitliche und konkret genügende Definition gibt und insbesondere die Frage, ob immaterielle Werte vorliegen, streitbehaftet ist. In dem Falle, dass Amount B greifen sollte, so ist angedacht, dass Vertriebseinheiten für die Ausübung der Basisfunktionalitäten eine feste Rendite erhalten, die der Staat der Vertriebseinheiten der Besteuerung unterwerfen kann und der selbst nicht mehr infrage gestellt wird. Die Diskussion über die Vergütung der Höhe nach könnte sich insoweit erübrigen, jedoch nicht die Diskussion über dem Grunde nach. Diese Diskussion sowie die Vergütung für Funktionalitäten, die über die Basisfunktionalitäten hinausgehen, sollen dann Gegenstand des Amount C und damit von effektiven Streitbeilegungsverfahren sein. Ob aber mit jedem Staat eine Schiedsklausel vereinbart werden sollte, sollte kritisch diskutiert werden. So stellte sich dann bspw. die Frage, auf welcher Basis Schiedsverfahren mit China oder Indien geführt werden sollten. Die Auffassungen dieser Staaten vermögen mitunter erheblich von der deutschen sowie der OECD-Sichtweise abzuweichen, was auch entsprechend im UN-TPManual185 dokumentiert ist. Zu Amount C sollte dann auch die Interaktion mit dem Amount A und die hieraus resultierende Doppelbesteuerung gehören. Da bisher jedoch keine fundierte Begründung für Amount A gegeben wurde und damit nicht ersichtlich wird, für was eine Vergütung erfolgt und welches Problem gelöst werden soll, ist auch fraglich wie eine Doppelbesteuerung vermieden werden kann. Unterstellt man, dass Amount A marketing intangibles erfasst, dann sollte eine erneute Erfassung dieser im Rahmen des Fremdvergleichsgrundsatzes ausscheiden und wäre entsprechend auch aus Kapitel VI der OECD-TPG rauszunehmen. Dann ist aber fraglich, weshalb es des Amount A überhaupt bedarf, da eine Berücksichtigung heute schon erfolgt; nur lediglich nicht in den Fällen, in denen heute keine physische Präsenz gegeben ist. Da Amount A aber auch unabhängig von einer bestehenden Präsenz im Marktstaat hinzutreten soll, also mithin auch neben eine bestehende Präsenz, kann eine Vergütung der marketing intangibles an sich nicht unter Amount A fallen. Damit kämen u.a. drei Begründungen in Betracht, wenn man Amount A nicht 184 Für eine kritische Analyse s. Förster/Greil/Hilse, ITPJ 2020, No. 1. 185 https://www.un.org/esa/ffd/wp-content/uploads/2017/04/Manual-TP-2017.pdf.

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lediglich als Resultat eines Verteilungskampfes über Besteuerungsrechte186 auffassen will: 1.) Die Zuordnung von Gewinnen, die bisher nicht im Fremdvergleich erfasst wurden, wie etwa Vorteile des Marktes und der Unternehmensgruppe oder Erträge bestimmter immaterieller Werte, die sich nicht in Vergleichsdaten abbilden lassen. Bei diesen immateriellen Werten könnte es sich etwa um Netzwerkeffekte, Kundendaten, Nutzerbeiträge zur Wertschöpfung oder location specific advan­ tages handeln. Aufgrund ihrer Immaterialität sind sie nicht eindeutig zuordenbar und werden mitunter nicht angemessen vergütet. Diese Annahme zugrunde gelegt, könnte eine pauschale Vergütung in Abhängigkeit der Profitabilität der Unternehmensgruppe für diese Werte aufgenommen werden. 2.) Die Verteilung von Übergewinnen, da ein Mindestroutinegewinn Voraussetzung für die Anwendung von Amount A ist. Übergewinne187 werden erzielt, wenn eine Gesamtkapitalrendite erwirtschaftet wird, die größer ist als die gesamten Kapitalkosten der Unternehmensgruppe; also mehr Wert generiert wird als die Ressourcengeber erwarten und als Kompensation verlangen. 3.) Die Verteilung von Monopolrenten188; also die Rente, die ein Monopolist im Vergleich zum vollkommenen Wettbewerb zusätzlich erhält, weil er seine Preise unabhängig vom Wettbewerb gewinnmaximierend festlegen kann.189 Für bestimmte Unternehmensgruppen mag diese Argumentation zutreffen, aber dies gleichwohl nicht in jedem Einzelfall. Zudem würde die Umverteilung bedingt dazu beitragen, die Marktmacht von Monopolen zu begrenzen, da durch die Umverteilung mitunter die Steuerlast solcher Unternehmensgruppen im Vergleich zum Status quo sinken könnte und mithin ein komparativer Vorteil generiert würde. Diese Argumentationen würden aber dazu führen, dass keine Interaktion zwischen Amount A und dem Fremdvergleichsgrundsatz existiert und damit auch keine Doppelbesteuerung resultieren kann, die es zu vermeiden gelte. Entsprechend könnten  auch weiterhin Staaten eine (mitunter ausufernde) Vergütung für marketing intangibles verlangen (Abschnitt IV.2).190 Würde man eine solche Interaktionen aber sehen, dann würden Verrechnungspreiskorrekturen in Außenprüfungen eine Rückwirkung auf Amount A haben191 und das System erheblich verkomplizieren.

186 Dazu auch Schön, BIT 2018, 278 (288); Lammers, TNI 2019, 611 (614). 187 S.  dazu u.a. Stähler, Geschäftsmodelle in der digitalen Ökonomie, 49  ff.; Töpfer/Duchmann, Wertorientiertes Management, hrsg. v. Schweickart/Töpfer, 31. 188 S. wohl auch Lammers, TNI 2019, 611 (621). 189 http://www.vwl-online.ch/ploneglossary.2009-03-16.8052689907/ploneglossarydefinition.​ 2009-07-16.6539754315. 190 Wohl a.A. OECD (2020), Annex 1, Tz. 56. 191 OECD (2020), Annex 1, Tz. 57.

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V. Fazit Insgesamt weisen die Entwicklungen im Bereich der Besteuerung der digitalen Wirtschaft in eine Richtung, in der für die Besteuerung der Unternehmen(-sgruppen) nicht mehr länger der Ort der Wertschöpfung als primärer Anknüpfungspunkt für die Besteuerung berücksichtigt wird. Stattdessen sollen Endkunden bzw. marktorientierte Größen bei der Besteuerung stärker ins Gewicht fallen.192 Wenn aber bei der Unternehmensbesteuerung eine solche Ausdehnung des Bestimmungsprinzips und ein Zurückdrängen des Ursprungsprinzips zu erwägen ist, so sollte dies deshalb erfolgen, weil die Besteuerung am Ort der Leistungserbringung weniger anfällig ist für internationale Steuerplanung durch Verlagerung von Investitionen und Gewinnen. Andererseits ebnete die OECD mit ihrer wertschöpfungsorientierten Betrachtungsweise auch den Weg, die Nachfrageseite einzubeziehen.193 Gerade Fußballclubs, Ligen und Verbände, die eine internationale Ausrichtung verfolgen, könnten von den diskutierten Ansätzen und den geweckten steuerlichen Begehrlichkeiten der Staaten betroffen sein.194 Wenn man zugleich berücksichtigt, dass Ertragsteuern bei Unternehmen auch erhoben werden, um die Betriebe an den Kosten der von ihnen genutzten öffentlichen Infrastruktur zu beteiligen, ist es fragwürdig, Unternehmen, die im Marktstaat diese Infrastruktur kaum oder überhaupt nicht nutzen, dort steuerlich zu belangen.195 Gerade im Bereich des Fußballs stehen Polizeieinsätze für diverse Spiele immer wieder im Zentrum der Betrachtung. Diese werden aber überwiegend (noch) nicht von den Fußballclubs getragen,196 sondern mit Steuern des Staates, in dem die Austragung erfolgt, finanziert. Aufgrund einer etwaigen Neuallokation könnte aber der deutsche Haushalt durch ein niedrigeres Steueraufkommen insoweit belastet werden und der ausländische Staat erhielte zugleich risikolos und ohne Infrastrukturmaßnahmen Besteuerungsrechte zugewiesen. Vertreter der OECD erwähnen in verschiedenen Veranstaltungen,197 dass der Fremdvergleichsgrundsatz mittlerweile absurd komplex und in der Praxis kaum anwendbar sei. Die zum Zeitpunkt des Verfassens des Beitrags seitens der OECD angedachte Antwort auf die Herausforderungen der Digitalisierung löst jedoch kein einziges Problem. Ganz im Gegenteil: Die heute schon in der Praxis bestehenden Probleme bspw. bei der Behandlung von immateriellen Werten werden nicht angegangen, statt192 Kroppen/Dawid/Keil, TPI 2019, 98 (105). 193 Greil, The Arm’s Length Principle in the 21st Century – Alive and Kicking?, https://, ssrn. com/abstract=3379092. 194 Entsprechendes gilt auch für andere Sportarten, wie Basketball, Football oder Handball. 195 Ehlermann, DB 2019, M4-M5. 196 S.  dazu bspw. https://www.spiegel.de/sport/fussball/dfl-begleicht-bremer-gebuehrenbe​ scheide-im-streit-um-polizeikosten-im-fussball-a-1286060.html, https://www.sueddeut​ sche.de/sport/bundesliga-polizeikosten-1.3876488, https://www.dfl.de/de/aktuelles/polizei​ kosten-fragen-und-antworten-zum-rechtsstreit-zwischen-der-freien-hansestadt-bremen-​ und-der-dfl/. 197 Zum Beispiel BDI/Business at OECD/OECD–International Tax Conference, https://bdi. eu/media/user_upload/Agenda_BDI_BIAC_International_Tax_Conference_2020.pdf.

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dessen werden neue Probleme geschaffen. Allein die Diskussion über den UA und marketing intangibles wird Staaten veranlassen, diesen eine höhere Bedeutung bei der Gewinnallokation zuzumessen, was kaum mit dem Fremdvergleichsgrundsatz in Eintracht zu bringen ist. Daher muss man dem Jubilar zumindest bedingt bedenklich beipflichten, dass der Fremdvergleichsgrundsatz in der Praxis nicht mehr bzw. nur bedingt als zuverlässiger Grundsatz angesehen werden kann.198 Man fragt sich allerdings, warum die OECD bestrebt ist, ein zweites System der Gewinnallokation zu etablieren und die wirklichen Herausforderungen der digitalen Wirtschaft hingegen nicht angeht. Mithin scheint die dahinter liegende Strategie der schleichende Einstieg in formulary apportionment199. Mit dem Handeln eines ehrlichen Maklers wäre das nicht vereinbar. Der Gesetzgeber sollte dies beachten, wenn er den Empfehlungen der OECD folgt. Schließlich ist zum Abschluss ein Zitat von Adi Preißler im übertragenen Sinne sehr passend: „Grau is’ im Leben alle Theorie – aber entscheidend is’ auf ‘m Platz.“200

198 Kroppen/Dawid/Keil, TPI 2019, 98 (108). S. im Hinblick u.a. auf Rechtsicherheitsaspekte Greil/Olbert/Müller, WTJ 4/2019. 199 Dazu u.a. Kiesewetter/Steigenberger/Stier, JBE 2018, Vol. 88 (9), 1029; Clausing/Lahav, Journal of International Accounting, Auditing and Taxation 2011, Vol. 20 (2), 97; De Mooij/Liu/Prihardini, IMF Working Paper, WP/19/213. 200 https://www.bvb.de/News/Uebersicht/Adi-Preissler-BVB-Legende-wuerde-heute-seinen-​ 90.-Geburtstag-feiern.

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Schenkungsteuer bei Zuwendungen an nichtverwandte Dritte Inhaltsübersicht I. Zuwendungsformen II. Schenkungsteuertatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 1. Grundsätze 2. Nutzungsüberlassung von Sachen 3. Darlehensgewährung 4. Erbringung von Dienst- und Werkleistungen a) Grundsätze b) Kreuzfahrt-Entscheidung im Besonderen 5. Eigene Stellungnahme

a) Grundfall der Nutzungsüberlassung von Sachen und Erbringung von Dienst- und Werkleistungen b) Sonderfall: Frei verfügbarer Anspruch mit Vermögenswert III. Steuerbefreiungen 1. Einfache Gebrauchsgegenstände 2. Unterhalts- und Ausbildungs­ zuwendungen a) Unterhaltszuwendungen b) Ausbildungszuwendungen 3. Übliche Gelegenheitsgeschenke IV. Zusammenfassung

Die Kreuzfahrt-Entscheidung des Finanzgerichts Hamburg1 hat das Interesse2 an der Frage verstärkt, unter welchen Voraussetzungen der Schenkungsteuertatbestand erfüllt ist, wenn jemand einem nichtverwandten Dritten unentgeltliche Zuwendungen macht oder Aufwendungen tätigt, die im weiteren Sinne dem Lebenswandel des Dritten zugutekommen. Im Kreuzfahrt-Fall hatte der Kläger seine Lebensgefährtin zu einer fünfmonatigen knapp 550.000 Euro teuren Kreuzfahrt eingeladen, wofür das Finanzamt rund 100.000 Euro Schenkungsteuer festsetzte. Für Aufsehen in den Medien sorgte auch der Fall einer Moderatorin, die ihre beachtliche Sammlung an Designerkleidern und -schuhen freimütig der Öffentlichkeit mit dem Hinweis präsentierte, diese großteils von einem bekannten Fußballnationalspieler als Geschenk erhalten zu haben, worauf das Finanzamt sie zur Schenkungsteuer herangezogen haben soll.3 Der bedachte Dritte hat dabei oft die Stellung eines (langjährigen) Lebenspartners. Denkbar sind aber auch Zuwendungen an Ziehkinder, Freunde und Bekannte. Die Klärung der Schenkungsteuerpflicht ist deswegen bedeutsam, weil für Schenkungen an Dritte in einem Zeitraum von zehn Jahren nur ein Freibetrag von 20.000 Euro zur Verfügung steht (§ 16 Absatz 1 Nr. 7 ErbStG), zwischenzeitliche Schenkungen nach § 14 ErbStG zusammenzurechnen sind, der Steuersatz mindestens 30 % be1 FG Hamburg, Urt. v. 12.6.2018 − 3 K 77/17, juris. 2 Daragan, ZErb 2019, 171; Halaczinsky, UVR 2018, 265; Lange, ZEV 2018, 475; Lange, DStR 2019, 953; Lutter, EFG 2018, 1564; Mensch, DStRK 2018, 259. 3 Dazu: Stoklassa/Feldner, ErbStB 2014, 69.

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trägt (§ 19 Absatz 1 ErbStG) und die Festsetzungsfrist für die Schenkungsteuer erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Schenker gestorben ist, zu laufen beginnt, sofern das Finanzamt vorher keine Kenntnis von der Schenkung erlangt hat (§ 171 Absatz 5 Nr. 1 AO). Nicht erörtert werden sollen nachstehend Zuwendungen, die in den Bereich geschäftlicher Beziehungen fallen und vielfach unter dem Thema Sponsoring und Mäzenatentum erörtert werden.4

I. Zuwendungsformen Die Zuwendungsformen sind äußerst vielfältig.5 Die Zuwendung kann etwa darin bestehen, dass jemand einem Dritten eine Bestandswohnung zu Eigentum überträgt oder zur Nutzung überlässt oder dem Dritten eine Wohnung anmietet; oder dass anstelle einer Wohnung ein Kraftfahrzeug zu Eigentum übertragen oder zur Nutzung überlassen wird, wobei es sich um ein Bestandsfahrzeug des Zuwendenden oder um ein Fahrzeug handeln kann, welches für die Nutzungsüberlassung an den Dritten erst angemietet oder geleast wird. Denkbar ist auch die Zuwendung von Schmuck, Bekleidung und Möbeln, indem diese Sachen zu Eigentum übertragen oder zur Nutzung überlassen werden. Ferner kann das Zuwendungsobjekt in Dienst- oder Werkleistungen bestehen. Denkbar ist der Abschluss von Dienst- oder Werkverträgen zugunsten des Dritten, die auf den Erwerb einer bestimmten Ausbildung, die Erbringung von Hilfeleistungen im Haushalt, die Ausrichtung eines Festes oder die Durchführung einer Reise gerichtet sind. Darüber hinaus ist vorstellbar, dass dem Dritten die finanziellen Mittel für den Erwerb oder die Nutzung von Gütern (zB Wohnung, Kraftfahrzeug) zur Verfügung gestellt werden; wenn etwa dem Dritten die Miete einer Wohnung bezahlt wird bzw. die Mietkosten erstattet werden; oder wenn die Miete oder Leasinggebühr für ein Kraftfahrzeug bezahlt bzw. die diesbezüglichen Kosten dem Dritten erstattet werden. Auch können die Mittel zum Erwerb bestimmter Dienst- oder Werkleistungen gewährt werden. Eine besondere Form der Zuwendung ist wiederum dann gegeben, wenn der Dritte die Güter, Dienst- oder Werkleistungen nicht frei nach seinen Vorstellungen, sondern nur gemeinsam mit dem Zuwendenden in Anspruch nehmen kann. Das ist etwa der Fall, wenn der Zuwendende den Dritten in seine Wohnung aufnimmt, den Dritten in seinem Haushalt verköstigt, ihn zu gemeinsamen Restaurant-, Opernoder Konzertbesuchen einlädt, mit dem Dritten Bälle oder andere kostenpflichtige Veranstaltungen besucht oder mit ihm gemeinsame Reisen unternimmt, wie es im Kreuzfahrtfall des FG Hamburg geschehen ist. 4 Dazu etwa Steiner, ErbStB 2007, 110, 113; Milatz, in: Burandt/Rojahn, Erbrecht, 3.  Aufl. 2019, § 7 ErbStG Rz. 26. 5 Vgl. auch Steiner, ErbStB 2007, 110; Lange, DStR 2019, 953 Fn. 75.

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Schenkungsteuer bei Zuwendungen an nichtverwandte Dritte

In einer anderen Variante werden dem Dritten finanzielle Mittel als zinsloses oder gering verzinsliches Darlehen zugewendet, wobei es sich um Einmalbeträge oder um laufende Zuwendungen größeren oder kleineren Umfangs handeln kann.

II. Schenkungsteuertatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG Während bei einer Zuwendung mittels Eigentumsübertragung das Vorliegen einer steuerbaren Schenkung nicht weiter zweifelhaft ist, sind die Voraussetzungen weniger klar, wenn es um die Überlassung von Sachen zur Nutzung oder die Erbringung von Dienst- und Werkleistungen geht. Nachfolgend wird zunächst anhand der Rechtsprechung mit Hinweisen auf Finanzverwaltung und Literatur dargelegt, welche Grundsätze zur Auslegung des Schenkungsteuertatbestandes entwickelt wurden und was hieraus für die Überlassung von Sachen zur Nutzung und die Erbringung von Dienst- und Werkleistungen hergeleitet wird, bevor eine eigene Stellungnahme des Verfassers hierzu erfolgt. 1. Grundsätze Einschlägig für die steuerliche Beurteilung ist § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, wonach jede freigebige Zuwendung unter Lebenden als Schenkung gilt, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird. Nach der Rechtsprechung des BFH gelten für den Schenkungssteuertatbestand des §  7 Abs.  1 Nr.  1 ErbStG folgende Grundsätze: – Eine freigebige Zuwendung verlangt in objektiver Sicht, dass die Leistung zu einer Bereicherung des Bedachten auf Kosten des Zuwendenden führt und dass die Zuwendung objektiv unentgeltlich ist, wobei in subjektiver Hinsicht der Wille des Zuwendenden zur Freigebigkeit hinzukommen muss.6 – Erforderlich ist eine Vermögensverschiebung, d. h. eine Vermögensminderung auf der Seite des Zuwendenden und eine Vermögensmehrung auf der Seite des Bedachten.7 – Ob eine Bereicherung des Empfängers vorliegt und welche Personen als Zuwendende und als Bedachte an einer freigebige Zuwendung beteiligt sind, bestimmt sich ausschließlich nach der Zivilrechtslage.8

6 BFH, Urt. v. 30.8.2017 − II R 46/15, juris, Rz. 29; BFH, Urt. v. 29.6.2016 − II R 41/14, juris, Rz. 9; BFH, Urt. v. 23.6.2015 − II R 52/13, juris, Rz. 14; BFH, Urt. v. 27.8.2014 − II R 43/12, juris, Rz. 37; BFH, Urt. v. 18.7.2013, juris, Rz. 12. 7 BFH, Urt. v. 30.8.2017 − II R 46/15, juris, Rz. 29; BFH, Urt. v. 29.6.2016 − II R 41/14, juris, Rz. 9; BFH, Urt. v. 23.6.2015 − II R 52/13, juris, Rz. 14; BFH, Urt. v. 27.8.2014 − II R 43/12, juris, Rz. 37; BFH, Urt. v. 18.9.2013 − II R 29/11, juris, Rz. 11. 8 BFH, Urt. v. 30.8.2017 − II R 46/15, juris, Rz. 29; BFH, Urt. v. 23.6.2015 − II R 52/13, juris, Rz. 14; BFH, Urt. v. 27.8.2014 − II R 43/12, juris, Rz. 37; BFH, Urt. v. 18.7.2013, juris, Rz. 12.

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Hieraus könnte geschlossen werden, dass der Schenkungsbegriff des § 516 BGB mit dem Schenkungssteuertatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG identisch ist. Dies ist aber bekanntlich nicht der Fall. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG nimmt eine eigenständige Abgrenzung seines Regelungsgegenstandes vor.9 Während es für eine Schenkung iSd § 516 BGB einer beiderseitigen Einigung über die Unentgeltlichkeit bedarf, reicht für eine freigebige Zuwendung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG aus, dass der Zuwendende den einseitigen Willen hat, dem Empfänger die Bereicherung schenkweise zu verschaffen.10 Der subjektive Tatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ist erfüllt, wenn sich der Zuwendende über die Unentgeltlichkeit seiner Leistung bewusst ist; ein auf die Bereicherung des Empfängers gerichteter Wille im Sinne einer Bereicherungsabsicht ist nicht erforderlich und es ist unerheblich, welche konkreten Motive für den Zuwendenden im Vordergrund standen.11 Der Wille zur Freigebigkeit ist dann gegeben, wenn der Zuwendende in dem Bewusstsein handelt, zu der Vermögenshingabe weder rechtlich verpflichtet zu sein noch dafür eine mit seiner Leistung in einem synallagmatischen, konditionalen oder kausalen Zusammenhang stehende (gleichwertige) Gegenleistung zu erhalten.12 Darüber hinaus ist der Schenkungssteuertatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG auch in anderer Hinsicht weiter gefasst als der Schenkungsbegriff des §  516 BGB, wie nachfolgend die Fälle der Nutzungsüberlassung von Sachen, der Darlehensgewährung und der Zuwendung von Dienst- und Werkleistungen zeigen. 2. Nutzungsüberlassung von Sachen Das Zivilrecht sieht in der bloßen vorübergehenden Gebrauchsüberlassung einer Sache in der Regel keine das Vermögen mindernde Zuwendung, die für eine Schenkung gemäß § 516 Abs. 1 BGB erforderlich wäre.13 Wer sich vertraglich verpflichtet, einem anderen den Gebrauch der Sache unentgeltlich zu gestatten, begründet vielmehr einen formlos zulässigen Leihvertrag gemäß §  598 BGB.14 Dies soll ebenso für ein schuldrechtliches Wohnrecht gelten15, selbst wenn es auf lange Dauer gewährt wird.16 Auf dieser Grundlage hat auch der BFH die Voraussetzungen des §  7 Abs.  1 Nr.  1 ErbStG in einem Fall verneint, in dem der Eigentümer mehrerer Mietwohngrundstücke seinem Sohn eine Wohnung zur Selbstnutzung überlassen hatte.17 9 Gebel, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, Januar 2013, Einf. Rz. 29. 10 Curdt, ZEV 2016, 685, 686. 11 BFH, Urt. v. 4.3.2015 − II R 19/13, juris, Rz. 20. 12 BFH, Urt. v. 9.12.2009 − II R 22/08, juris, Rz. 20. 13 BGH, Urt. v. 11.12.1981 − VZR 247/80, juris, Rz. 11; BGH, Urt. v. 11.7.2007 − IV ZR 218/06; BGH, Urt. v. 27.1.2016 − XII ZR 33/15, juris, Rz. 17; MK-Koch, BGB, 8. Aufl. 2019, § 516 Rz. 6. 14 BGH, Urt. v. 11.12.1981 − VZR 247/80, juris, Rz. 11; BGH, Urt. v. 27.1.2016 − XII ZR 33/15, juris, Rz. 17. 15 BGH, Urt. v. 11.12.1981 − VZR 247/80, juris, Rz. 11. 16 Urt. v. 11.7.2007 − IV ZR 218/06; BGH, Urt. v. 27.1.2016 − XII ZR 33/15, juris, Rz. 17. 17 BFH, Urt. v. 29.11.1983, juris, Rz. 24.

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Schenkungsteuer bei Zuwendungen an nichtverwandte Dritte

Weniger eindeutig stellt sich die Situation auf der Finanzgerichtsebene dar. Zwar hat das FG München für den Fall der Einräumung eines Mitbenutzungsrechtes an einer Wohnung den Tatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG verneint.18 Eine striktere Ansicht vertritt aber das Finanzgericht Rheinland-Pfalz. Zwar soll auch nach diesem Gericht die für § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG erforderliche Vermögensminderung bei der bloßen Überlassung von Wohnräumen oder anderen Grundstücksteilen zur Selbstnutzung meist fehlen.19 Eine Vermögensminderung kann aber nach Ansicht des Senats dann vorliegen, wenn nach der Verwendungsplanung des überlassenden Eigentümers andernfalls eine erwerbswirtschaftliche Nutzung erfolgt wäre, wobei von einer dahingehenden Verwendungsplanung bei leicht vermietbaren Wohnungen regelmäßig auszugehen sei.20 Eine Entreicherung durch die unentgeltliche Wohnungsüberlassung sei indes zu verneinen, wenn (wie im vom Gericht zu entscheidenden Fall) lediglich die Mitbenutzung einer Wohnung gestattet wird, die auch vom Eigentümer aufgrund seines originären Nutzungsrechts für eigene Wohnzwecke genutzt wird.21 Dem wird im Schrifttum weitgehend gefolgt.22 Weitergehend hält das FG Hamburg eine freigebige Zuwendung iSd § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG auch dann für möglich, wenn der Mieter eines Apartments einen Dritten über einen mehrmonatigen Zeitraum mit in seinem Apartment wohnen lässt; die Zuwendung soll dann in einem Verzicht auf einen Wertersatzanspruch bestehen können.23 Ferner wird grundsätzlich von einer freigebigen Zuwendung ausgegangen, wenn der Eigentümer dem Dritten ein dingliches Nutzungsrecht einräumt24; denn hierbei handele es sich der Sache nach um eine dauerhafte Abspaltung eines Teils der Eigentumsrechte im Sinne eines „Eigentumssplitters“.25 Anders soll es nach den Urteilen des FG Rheinpfalz26 und des FG München27 nur dann sein, wenn es sich um ein bloßes Mitbenutzungsrecht handelt, das mit Auflösung einer Lebensgemeinschaft endet. 3. Darlehensgewährung Noch weiter entfernt sich der Schenkungssteuertatbestand vom Schenkungsbegriff des § 516 BGB im Zusammenhang mit der Darlehensgewährung. Unzweifelhaft stellt 18 FG München, Urt. v. 13.4.2005 − 4 K 4430/01, juris, Rz. 50. 19 FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 2.4.2002 – 4 K 1869/01, juris, Rz. 18. 20 FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 2.4.2002 − 4 K 1869/01, juris, Rz. 18. 21 FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 2.4.2002 − 4 K 1869/01, juris, Rz. 18. 22 Gebel, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, April 2019, § 7 Rz. 28; Esskandari, in: von Oertzen/Loose, ErbStG, 2019, § 7 Rz. 210 f.; Steiner, ErbStB 2007, 110, 113; Milatz, in: Burandt/Rojahn, Erbrecht, 3. Aufl. 2019, § 7 ErbStG Rz. 4; aA Curdt, ZEV 2016, 685, 687; Geck, in: Kapp/Ebeling, Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz, Mai 2019, § 7 Rz. 11, 12. 23 FG Hamburg, Urt. v. 12.6.2018 − 3 K 77/17, juris, Rz. 67. 24 Gebel, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 7 Rz. 29; Steiner, ErbStB 2007, 110, 113. 25 Curdt, ZEV 2016, 685, 687. 26 FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 2.4.2002 – 4 K 1869/01, juris, Rz. 18. 27 FG München, Urt. v. 22.3.2006 − 4 K 1631/04, juris, Rz. 15; dazu: Fumi, EFG 2006, 1264 f.

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ein zinsloses Darlehen zivilrechtlich keine Schenkung dar. Das zinslose Darlehen ist vielmehr in § 488 BGB geregelt28 und im Rahmen einer Darlehensgewährung immer dann anzunehmen, wenn die Parteien keine Verzinsung vereinbart haben.29 Gleichwohl sieht der BFH bei einem zinslosen oder zinsgünstigen Darlehen den Schenkungssteuertatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG als gegeben an. Der Empfänger eines zinslosen Darlehens erfährt nach dem BFH durch die Gewährung des Rechts, das als Darlehen überlassene Kapital unentgeltlich zu nutzen, eine Vermögensmehrung, die der Schenkungsteuer unterliegt, wobei die Minderung des Vermögens des Zuwendenden darin besteht, dass er auf einen Ertrag verzichtet, den er bei verkehrsüblichem Verhalten gezogen hätte.30 Dabei ist es nach dem BFH unerheblich, dass zivilrechtlich in der bloßen vorübergehenden Gebrauchsüberlassung einer Sache in der Regel keine das Vermögen mindernde Zuwendung liegt, wie sie für eine Schenkung gemäß § 516 Abs. 1 BGB erforderlich ist31; denn der Begriff der freigebigen Zuwendung sei weiter als derjenige einer Schenkung im zivilrechtlichen Sinn.32 Als Gegenstand der Zuwendung sieht der BFH33 bei einer zinslosen Darlehensgewährung den kapitalisierten Nutzungsvorteil an, nicht dagegen den Differenzbetrag zwischen dem Darlehensbetrag und der abgezinsten Rückzahlungssumme, wie es in der Literatur zum Teil vertreten wird.34 Der Jahreswert des Nutzungsvorteils wird nach § 15 Abs. 1 BewG mit 5,5 % bemessen, wenn kein anderer Wert feststeht.35 Wird das Darlehen auf unbestimmte Zeit zinslos gewährt, so soll der Kapitalwert nach §  13 Abs.  2, 2.  Alt. BewG mit dem 9,3-fachen des Jahreswertes anzusetzen sein.36 Weist der Steuerpflichtige nach, dass der marktübliche Zinssatz für die Aufnahme eines vergleichbaren Darlehens unter dem gesetzlich festgelegten Zinssatz von 5,5 % 28 MK-Koch, BGB, 8. Aufl. 2019, § 516 Rz. 1. 29 Staudinger-Freitag, BGB, Mai 2015, §  488 Rz.  180; Seltenreich, in: Preißler/Rödl/Seltenreich, Erbschaft- und Schenkungsteuer, 3.  Aufl. 2018, §  7 Rz.  79; Gebel, in: Troll/Gebel/ Jülicher/Gottschalk, ErbStG, April 2019, § 7 Rz. 30; Geck, in: Kapp/Ebeling, Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz, Mai 2019, §  7 Rz.  12; aA MK-Berger, BGB, 8.  Aufl. 2019, §  488 Rz. 55. 30 BFH, Urt. v. 27.10.2010 − II R 37/09, juris, Rz. 18; BFH, Urt. v. 27.11.2013 − II R 25/12, juris, Rz. 13; BFH, Urt. v. 4.3.2015 − II R 19/13, juris, Rz. 17 sowie bereits BFH, Urt. v. 12.7.1979 − II R 26/78, juris; BFH, Urt. v. 30.3.1994 − II R 105/93, juris. 31 BFH, Urt. v. 27.10.2010 − II R 37/09, juris, Rz. 20; BFH, Urt. v. 27.11.2013 − II R 25/12, juris, Rz. 13; BFH, Urt. v. 4.3.2015 − II R 19/13, juris, Rz. 17. 32 BFH, Urt. v. 27.10.2010 − II R 37/09, juris, Rz. 20. 33 BFH, Urt. v. 27.10.2010 − II R 37/09, juris, Rz. 18; BFH, Urt. v. 27.11.2013 − II R 25/12, juris, Rz. 14; BFH, Urt. v. 4.3.2015 − II R 19/13, juris, Rz. 18. 34 Gebel, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, April 2019, § 7 Rz. 28. 35 BFH, Urt. v. 27.10.2010 − II R 37/09, juris, Rz. 18; BFH, Urt. v. 27.11.2013 − II R 25/12, juris, Rz. 14; BFH, Urt. v. 4.3.2015 − II R 19/13, juris, Rz. 18. 36 Geck, in: Kapp/Ebeling, Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz, Mai 2019, § 7 Rz. 11.6.

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Schenkungsteuer bei Zuwendungen an nichtverwandte Dritte

liegt, soll für die Bewertung des Nutzungsvorteils von dem nachgewiesenen Zinssatz ausgegangen werden.37 Angesichts des niedrigen Zinsniveaus wird überdies eine Entreicherung des Zuwendenden zu verneinen sein, wenn ein Zinssatz zwischen 3 % und 5,5 % vereinbart ist.38 4. Erbringung von Dienst- und Werkleistungen a) Grundsätze Auch bei der Beurteilung von Dienst- und Werkleistungen bestehen Unterschiede zwischen dem Schenkungsrecht und dem Tatbestand des §  7 Abs.  1 Nr.  1 ErbStG. Arbeits- und Dienstleistungen werden vom BGH nicht als Schenkungen im Sinne des § 516 BGB angesehen, weil diese eine Zuwendung voraussetzen, durch die der Schenker die Substanz seines Vermögens vermindert und das Vermögen des Beschenkten entsprechend vermehrt.39 An einer derartigen Zuwendung fehle es aber bei Arbeits- und Dienstleistungen, weil sie keine Vermögenseinbuße bewirken.40 Unter Zuwendung versteht das BGB nach Ansicht des BGH nur die Übertragung von Vermögenssubstanz, nicht aber das Zur-Verfügung-Stellen von Arbeitskraft.41 Allerdings zieht der BGH eine Schenkung für den Fall in Betracht, dass der Zuwendende seine Arbeitskraft anderweitig gegen Ertrag hätte einsetzen können, auf diesen Nutzen aber zugunsten des Bedachten verzichtet.42 Dem wird jedoch entgegengehalten, dass eine solche Sichtweise nicht nur mit dem Wortlaut des § 516 Abs. 1 BGB (… eine Zuwendung aus seinem Vermögen…) und den Gesetzesmaterialien schwer zu vereinbaren ist, sondern dass ihr auch § 517 BGB entgegensteht, wonach das Unterlassen eines vorteilhaften Vermögenserwerbs ausdrücklich keine Schenkung sein soll.43 Nur der Erlass einer entstandenen Vergütungsschuld könne als Schenkung im Sinne des § 516 Abs. 1 BGB angesehen werden.44 Demgegenüber sieht der BFH als Gegenstand einer freigebigen Zuwendung iSd § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG bereits die ersparte Vergütung an, die für derartige Leistungen üblicherweise gezahlt wird.45 Danach würde eine Einigung über die Unentgeltlichkeit der Leistung den Tatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG nicht ausschließen, sondern als Verzicht auf den bei Leistungserbringung entstehenden Vergütungsanspruch eine 37 FinMin Schleswig-Holstein, koordinierter Ländererlass v. 28.2.2018, BeckVerw 353756. 38 Gebel, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, April 2019, § 7 Rz. 32. 39 BGH, Urt. v. 1.7.1987 − IVb ZR 70/86, juris, Rz. 13; MK-Koch, BGB, 8. Aufl. 2019, § 516 Rz. 7; Staudinger-Chiusi, BGB, April 2013, § 516 Rz. 23; Palandt-Weidenkaff, BGB, 79. Aufl. 2020, § 516 Rz. 5. 40 BGH, Urt. v. 1.7.1987 − IVb ZR 70/86, juris, Rz. 13. 41 BGH, Urt. v. 13.7.1994 − XII ZR 1/93, juris, Rz. 11. 42 BGH, Urt. v. 1.7.1987 − IVb ZR 70/86, juris, Rz. 13. 43 MK-Koch, BGB, 8. Aufl. 2019, § 516 Rz. 6; Staudinger-Chiusi, BGB, April 2013, § 516 Rz. 23; Soergel-Eckert, BGB, 13. Aufl. 2014, § 516 Rz. 8. 44 MK-Koch, BGB, 8. Aufl. 2019, § 516 Rz. 6; Staudinger-Chiusi, BGB, April 2013, § 516 Rz. 23; Soergel-Eckert, BGB, 13. Aufl. 2014, § 516 Rz. 8. 45 BFH, Urt. v. 30.8.2017 − II R 46/15, juris, Rz. 31.

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freigebige Zuwendung iSd § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG beinhalten. Allerdings soll nach einer Literaturansicht auch im Rahmen des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG eine freigebige Zuwendung mangels Vermögensminderung ausscheiden, wenn der Zuwendende argumentieren kann, die Arbeits- und Dienstleistungen lediglich auf Kosten seiner Freizeit erbracht, ohne auf eine andere Erwerbsmöglichkeit verzichtet zu haben.46 Eine Dienst- oder Werkleistung kann zivilrechtlich überdies mittelbar zugewendet werden, indem der Zuwendende einen anderen verpflichtet, eine dem Zuwendenden geschuldete Leistung unmittelbar einem Dritten zukommen zu lassen. Bei einem solchen Vertrag zugunsten Dritter (§  328 BGB) sind Bereicherungs- und Entreicherungsgegenstand nicht identisch und das Zuwendungsobjekt stammt nicht unmittelbar aus dem Vermögen des Zuwendenden.47 Für den Schenkungsbegriff des §  516 BGB genügt es jedoch, dass der Dritte den Schenkungsgegenstand auf Kosten des Vermögens des Zuwendenden erwirbt.48 Eine derartige mittelbare Zuwendung wird auch schenkungsteuerlich anerkannt, wobei die Zuwendung bereits dann nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG ausgeführt ist, wenn der Dritte ein wirksames Forderungsrecht nach 328 BGB erlangt und nicht erst, wenn der Dritte die geschuldete Leistung empfangen hat.49 Voraussetzung soll dabei sein, dass der begünstigte Dritte einen frei verfügbaren Anspruch auf die Leistung gegen den Versprechenden erwirbt.50 b) Kreuzfahrt-Entscheidung im Besonderen Der Gesichtspunkt der (fehlenden) freien Verfügbarkeit über den Anspruch war für das Finanzgericht Hamburg bedeutsam in der eingangs erwähnten Kreuzfahrt-Entscheidung.51 Im fraglichen Fall hatte der Kläger – wie dargelegt – seine Lebensgefährtin zu einer fünfmonatigen Weltreise auf einem Kreuzfahrtschiff eingeladen, für die er knapp 550.000 Euro aufzuwenden hatte. Das Finanzamt setzte rund 100.000 Euro Schenkungsteuer fest, wogegen sich der Kläger wendete. Das Finanzgericht Hamburg gab der Klage statt, weil die Lebensgefährtin des Klägers nicht hinreichend frei über ihren Anspruch aus dem Reisevertrag habe verfügen können.52 46 Gebel, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, April 2019, § 7 Rz. 35; Esskandari, in: von Oertzen/Loose, ErbStG, 2019, § 7 Rz. 215. 47 MK-Koch, BGB, 8.  Aufl. 2019, §  516 Rz.  10; Soergel-Eckert, BGB, 13.  Aufl. 2014, §  516 Rz. 16. 48 MK-Koch, BGB, 8.  Aufl. 2019, §  516 Rz.  10; Soergel-Eckert, BGB, 13.  Aufl. 2014, §  516 Rz. 16. 49 BFH, Urt. v. 20.1.2005 − II R 20/03, juris, Rz. 14; Gebel, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, April 2019, §  7 Rz.  129; Esskandari, in: von Oertzen/Loose, ErbStG, 2019, §  7 Rz. 220. 50 BFH, Urt. v. 20.1.2005 − II R 20/03, juris, Rz. 14; BFH, Urt. v. 18.7.2013 − II R 37/11, juris, Rz. 12; Esskandari, in: von Oertzen/Loose, ErbStG, 2019, § 7 Rz. 220; Milatz, in: Burandt/ Rojahn, Erbrecht, 3. Aufl. 2019, § 7 ErbStG Rz. 3. 51 FG Hamburg, Urt. v. 12.6.2018 − 3 K 77/17, juris. 52 FG Hamburg, Urt. v. 12.6.2018 − 3 K 77/17, juris, Rz. 45.

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Der Lebensgefährtin sei lediglich eine Mitnahme auf die Kreuzfahrt eingeräumt worden, unter der Voraussetzung, dass das eheähnliche Verhältnis zum Kläger bis zum Ende der Reise aufrechterhalten bleibe.53 Es habe sich um eine überwiegend im eigenen Interesse des Klägers liegende reine Gefälligkeit zugunsten der Lebensgefährtin gehandelt.54 Die Lebensgefährtin konnte gegenüber dem Kläger keine eigenen Entscheidungen über das Ob der gemeinsamen Reisedurchführung treffen, insbesondere konnte sie den Kläger aus der ihm gebührenden Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die eigene Rechtsposition nicht ausschließen.55 Insofern habe es mangels einer Vermögensverschiebung an einer Bereicherung der Lebensgefährtin gefehlt.56 Eine Vermögensverschiebung sei auch nicht dadurch eingetreten, dass die Lebensgefährtin die Leistung, auf die ihr Anspruch aus dem Reisevertrag gerichtet war, mit Durchführung der Kreuzfahrt tatsächlich erhalten hat.57 Zwar solle die Steuerpflicht mit dem Erwerb der versprochenen Leistung durch den Dritten eintreten, wenn es um den Vollzug einer vom Schenker angeordneten Auflage oder der Erfüllung einer solchen Bedingung iSd § 7 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG geht.58 Bei dieser Regelung habe man aber den Vollzug einer Vermögensverschiebung im Rechtssinne vor Augen, zB eine Übereignung, nicht aber eine „sich verbrauchende“ Leistung, wie im Fall der Durchführung einer Kreuzfahrt.59 Eine Bereicherung der Lebensgefährtin ergebe sich auch nicht daraus, dass der Steuerpflichtige auf einen bereicherungsrechtlichen Wertersatzanspruch verzichtet habe.60 Denn die Lebensgefährtin sei nach § 818 Abs. 3 BGB entreichert, da es sich um Luxusaufwendungen handelte, die sich die Lebensgefährtin sonst nicht geleistet hätte61; der Einwand der Entreicherung sei vorliegend nicht gemäß § 819 Abs. 1 BGB durch die Kenntnis der Lebensgefährtin vom Mangel des Rechtsgrundes ausgeschlossen, da der Zuwendende hiervon selbst Kenntnis nach § 814 BGB gehabt habe.62 Mangels ersparter Aufwendungen sei auch kein Ausgleichsanspruch aufgrund eines quasi-entgeltlichen Verhältnisses entsprechend BFH BFH II R 46/15 entstanden, auf den habe verzichtet werden können.63 Eine Besteuerung „gemeinsamen Konsums“ sei überdies aufgrund eines verfassungswidrigen Erhebungsdefizits problematisch, da von einem hohen Anteil nicht angezeigter bzw. nicht aufgegriffener Fälle auszugehen wäre.64 53 FG Hamburg, Urt. v. 12.6.2018 − 3 K 77/17, juris, Rz. 46. 54 FG Hamburg, Urt. v. 12.6.2018 − 3 K 77/17, juris, Rz. 47. 55 FG Hamburg, Urt. v. 12.6.2018 − 3 K 77/17, juris, Rz. 47. 56 FG Hamburg, Urt. v. 12.6.2018 − 3 K 77/17, juris, Rz. 41. 57 FG Hamburg, Urt. v. 12.6.2018 − 3 K 77/17, juris, Rz. 55. 58 BFH, Urt. v. 20.1.2005 − II R 20/03, juris, Rz. 15. 59 FG Hamburg, Urt. v. 12.6.2018 − 3 K 77/17, juris, Rz. 58. 60 FG Hamburg, Urt. v. 12.6.2018 − 3 K 77/17, juris, Rz. 48 ff. 61 FG Hamburg, Urt. v. 12.6.2018 − 3 K 77/17, juris, Rz. 50. 62 FG Hamburg, Urt. v. 12.6.2018 − 3 K 77/17, juris, Rz. 51 ff. 63 FG Hamburg, Urt. v. 12.6.2018 − 3 K 77/17, juris, Rz. 54 iVm 56. 64 FG Hamburg, Urt. v. 12.6.2018 − 3 K 77/17, juris, Rz. 63 ff.

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Auch ein Wertersatzanspruch wegen ersparter Mietaufwendungen, auf den der Kläger verzichtet habe, lasse sich nicht annehmen. Dafür hätte ein Reisevertrag mit überwiegend mietvertraglichen Bestandteilen abgeschlossen werden müssen, zB bei einem mehrmonatigen Apartmentaufenthalt mit unwesentlichen Zusatzleistungen.65 Nur dann wäre es denkbar gewesen, dass die Lebensgefährtin durch die Reise insgesamt eigene Mietaufwendungen erspart hätte.66 Auch wertungsmäßig sei die Reise als Ausnahmefall zur normalen Versorgung mit Grundbedürfnissen des Lebensunterhaltes und nicht als deren Ersetzung zu sehen, sodass für eine Anrechnung bzw. Aufwandsersparnis kein Raum sei.67 5. Eigene Stellungnahme Die weitreichenden Ausführungen des FG Hamburg zum gemeinsamen Konsum machen es erforderlich, sich näher mit dem Tatbestand der freigebigen Zuwendung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG auseinanderzusetzen einschließlich der daraus herzuleitenden schenkungsteuerlichen Folgerungen für die Überlassung von Sachen zur Nutzung sowie die Erbringung von Dienst- und Werkleistungen. a) Grundfall der Nutzungsüberlassung von Sachen und Erbringung von Dienst- und Werkleistungen Die Bestimmungen des ErbStG sind ausgehend vom Wortsinn nach ihrem Zweck auszulegen68, wobei die Entstehungsgeschichte und Gesichtspunkte der Praktikabilität zu berücksichtigen sind.69 Insoweit ist bedeutsam, dass das ErbStG den Substanzzugewinn erfassen will70, der sich aus einem Wechsel der personellen Vermögenszuständigkeit ergibt71, wie er mit dem wirtschaftlichen Vorgang des Substanzüberganges im Zuge der Erbfolge und bei Schenkungen verbunden ist.72 Besteuert werden soll der Vermögensanfall (vgl. § 2 Absatz 1 Nr. 1 und Nr. 2, § 10 Absatz 1 Satz 2 ErbStG) im Sinne des konkreten Vermögenszuwachses beim Erben/Beschenkten.73 Es muss eine Vermögensminderung beim Zuwendenden und eine Vermögensmehrung beim Erwerber aus dem Vermögen des Zuwendenden erfolgen.74

65 FG Hamburg, Urt. v. 12.6.2018 − 3 K 77/17, juris, Rz. 67. 66 FG Hamburg, Urt. v. 12.6.2018 − 3 K 77/17, juris, Rz. 67. 67 FG Hamburg, Urt. v. 12.6.2018 − 3 K 77/17, juris, Rz. 68. 68 Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG, 17. Aufl. 2018, Einführung Rz. 14. 69 Viskorf/Schuck/Wälzholz, Erb- und Schenkungsteuergesetz, 5. Aufl. 2017, Einf. Rz. 35. 70 BVerfG, Beschluss v. 7.11.2006 − 1 BvL 10/02, juris, Rz. 105. 71 Gebel, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, Januar 2012, Einführung Rz. 1; Milatz, in: Burandt/Rojahn, Erbrecht, 3. Aufl. 2019, Vorb. Rz. 1. 72 Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. 2018, § 7 Rz. 40; Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG, 17. Aufl. 2018, Einführung Rz. 13. 73 Gottschalk, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, Mai 2012, § 10 Rz. 1. 74 Halaczinsky, ErbStB 2006, 275.

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aa) Keine Vermögensmehrung Ein solcher Vermögenserwerb ist bei Erbringung einer Werkleistung unstreitig dann anzunehmen, wenn diese an einem Gegenstand des Empfängers erbracht wird und dessen Wert erhöht. Abgesehen von diesem Sonderfall lässt sich die erforderliche Vermögensmehrung jedoch nicht schon darin sehen, dass der Zuwendungsempfänger eine Sache selbst nutzen kann oder dass er Dienst- oder Werkleistungen empfängt. Denn während der Empfänger eines Darlehens die Rechtsinhaberschaft an den Darlehensmitteln erlangt75, geht bei der Überlassung von Sachen zur Nutzung oder bei der Erbringung von Dienst- oder Werkleistungen grundsätzlich keine Rechtsposition auf den Empfänger über im Sinne eines Substanzzugewinns, Vermögensanfalls oder Vermögenszuwachs.76 Das gleiche gilt auch dann, wenn sich der Zuwendungsempfänger durch die Nutzung der Sache sonst angefallene eigene Aufwendungen erspart. Bei der Ersparnis von Aufwendungen handelt es sich um keinen Substanzzugewinn, Vermögensanfall oder Vermögenszuwachs, den der Zuwendungsempfänger erlangt hat. Die Ersparnis von Aufwendungen verhindert lediglich eine Minderung des bereits vorhandenen Vermögens. An eine Vermögensmehrung wäre nur dann zu denken, wenn man im Rahmen einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise beim Zuwendungsempfänger allgemein auf die Vor- und Nachteile der geschaffenen Situation abstellen und hierbei die ersparten Aufwendungen in die Saldierung einbeziehen könnte. Eine wirtschaftliche Betrachtungsweise ist im ErbStG aber ausgeschlossen77, es sei denn der Steuertatbestand lässt hinreichend klar erkennen, dass nicht der rechtliche, sondern der wirtschaftliche Erfolg des Vorganges, der Regelungsgegenstand ist, erfasst werden soll.78 Dass § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG auf den wirtschaftlichen Erfolg des Vorganges abstellen will, ist nicht erkennbar. Wollte man die unentgeltliche Überlassung von Sachen zur Selbstnutzung oder die unentgeltliche Erbringung von Dienst- und Werkleistungen als freigebige Zuwendung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG qualifizieren, würde man sich auch zu weit vom Zweck der Schenkungsteuer entfernen.79 Denn deren Zweck ist in erster Linie darauf gerichtet, eine Umgehung der Erbschaftsteuer zu verhindern, indem statt eines steuerpflichtigen Vermögensüberganges von Todes wegen auf eine steuerfreie lebzeitige Zuwendung ausgewichen wird.80 Mit dieser prinzipiellen Zielsetzung erscheint es nicht vereinbar, den Steuertatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG auf den Grundfall der unentgeltlichen Nutzungsüberlassung von Sachen sowie der unentgeltlichen Erbringung von Dienst- und Werkleistungen auszudehnen, weil es zu einer grundlegenden Änderung der Steuerlandschaft kommen würde, da die Vorgänge weit verbreitet sind und demgemäß Milliardenwerte der Besteuerung unterworfen 75 So zutreffend Curdt, ZEV 2015, 685, 687 f.; anders noch: Crezelius, BB 1978, 621, 625. 76 Vgl. auch Cornelius/Loleit, ErbStB 2014, 226. 77 BFH, Urt. v. 30.6.1960 − II 254/57 U, juris, Rz. 4. 78 Gebel, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, Januar 2013, Einführung Rz. 31. 79 Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG, 17. Aufl. 2018, § 7 Rz. 10. 80 Gebel, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, Januar 2012, Einführung Rz. 1.

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würden.81 Auch wenn sich die Schenkungsteuer zwischenzeitlich nicht mehr auf den Zweck, eine Umgehung der Erbschaftsteuer zu verhindern, beschränkt,82 wäre eine derartige Ausdehnung der Steuerbarkeit mit dem dargelegten Schenkungsteuerkonzept des Gesetzgebers nicht mehr vereinbar83; abgesehen davon, dass von einem hohen Anteil nicht angezeigter bzw. nicht aufgegriffener Fälle und damit unter Umständen von einem verfassungswidrigen Erhebungsdefizit auszugehen wäre.84 Auch ist im Hinblick auf die verfassungsrechtlich geschützte Privatsphäre eine entsprechende „sozialadäquate Reduktion“ des Schenkungsteuertatbestandes vorzunehmen.85 bb) Keine Vermögensminderung Darüber hinaus fehlt es im Grundfall der unentgeltlichen Nutzungsüberlassung von Sachen sowie der unentgeltlichen Erbringung von Dienst- und Werkleistungen auch an der erforderlichen Vermögensminderung auf Seiten des Zuwendenden. Denn in diesen Fällen kommt es prinzipiell zu keinem Übertragungsvorgang von Rechten. Dies gilt selbst dann, wenn eine Werkleistung an einem Gegenstand des Empfängers erbracht wird und dessen Wert erhöht. Insofern verhält es sich anders als bei einer Darlehensgewährung, die zu einem Wechsel der Rechtsinhaberschaft hinsichtlich der Darlehenssumme führt. Nicht gangbar erscheint es, die nach §  7 Abs.  1 Nr.  1 ErbStG steuerbare freigebige Zuwendung in dem Verzicht auf einen Bereicherungsanspruch aus § 812 BGB wegen einer rechtsgrundlosen Leistung zu sehen, wie es beim Finanzgericht Hamburg in der Kreuzfahrtentscheidung anklingt.86 Denn Kennzeichen derartiger Gefälligkeitsverhältnisse ist es, dass sie einen Rechtsgrund für das Behaltendürfen der erbrachten Leistung schaffen.87 Insoweit scheidet ein bereicherungsrechtlicher Ersatzanspruch unabhängig davon aus, ob Luxusaufwendungen oder einfache Aufwendungen zur Deckung der normalen Grundbedürfnisse des Lebensunterhaltes vorliegen.88 Auch kann eine freigebige Zuwendung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG nicht in einem Verzicht auf die übliche Vergütung gesehen werden. Denn wenn die Parteien von vornherein (gegebenenfalls konkludent) vereinbaren, dass der Zuwendende die Nutzungsüberlassung oder die Dienst- bzw. Werkleistung ohne Vergütung erbringt, fehlt es von vornherein an einem Vergütungsanspruch, auf den verzichtet werden

81 Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG, 17. Aufl. 2018, § 7 Rz. 10. 82 Seltenreich, in: Preißler/Rödl/Seltenreich, Erbschaft- und Schenkungsteuer, 3. Aufl. 2018, § 1 Rz. 5. 83 Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG, 17. Aufl. 2018, § 7 Rz. 10. 84 FG Hamburg, Urt. v. 12.6.2018 − 3 K 77/17, juris, Rz. 63 ff.; Lutter, EFG 2018, 1564, 1565. 85 Steiner, ErbStB 2007, 110, 112. 86 FG Hamburg, Urt. v. 12.6.2018 − 3 K 77/17, juris, Rz. 54 iVm Rz. 56; Lange, DStR 2019, 953, 954. 87 Palandt-Grüneberg, BGB, 79. Aufl. 2020, Einf. V. § 241 Rz. 8; MK-Bachmann, BGB, 8. Aufl. 2019, § 241 Rz. 163; Staudinger-Olzen, BGB, Oktober 2019, § 241 Rz. 73. 88 Wie hier offenbar auch Daragan, ZErb 2019, 171, 173.

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könnte. Der Verzicht auf den künftig entstehenden Vergütungsanspruch stellt keine Vermögensminderung beim Zuwendenden dar. Allerdings überzeugt es nicht, bei einem gemeinsamen Konsum gegen eine Vermögensminderung anzuführen, der Zuwendende handele hierbei überwiegend im eigenen Interesse89, sodass eine „nicht steuerbare Schenkung an sich selbst“ vorliege.90 Hierbei geht es allein um die Motive des Zuwendenden, die wie dargelegt für das Vorliegen des Schenkungsteuertatbestandes prinzipiell keine Bedeutung haben. b) Sonderfall: Frei verfügbarer Anspruch mit Vermögenswert Auch wenn im Grundfall der unentgeltlichen Überlassung von Sachen zur Nutzung sowie der unentgeltlichen Erbringung von Dienst- und Werkleistungen der Schenkungsteuertatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG nicht erfüllt ist, kann dies im Sonderfall gegeben sein. aa) Nutzungsüberlassung von Sachen So wird man von der für eine freigebige Zuwendung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG erforderlichen Vermögensverschiebung bei der Überlassung von Sachen auszugehen haben, wenn dem Dritten ein schuldrechtlicher Nutzungsanspruch eingeräumt wird, der gegebenenfalls zur Fremdvermietung oder -verpachtung der Sache berechtigt. Dann liegt beim Zuwendungsempfänger eine Vermögensmehrung und beim Zuwendenden eine Vermögensminderung vor, jeweils in Höhe des objektiven Miet- bzw. Pachtzinses. Ist der Nutzungsanspruch auf die Selbstnutzung der Sache gerichtet, handelt es sich um einen höchstpersönlichen Anspruch, der nicht verkehrsfähig ist und daher nach § 9 Absatz 2 BewG keinen Wert hat.91 Denn nach dem maßgeblichen § 9 Abs. 2 Satz 1 BewG wird der gemeine Wert durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Ein höchstpersönlicher Anspruch, der nicht veräußert werden kann, hat keinen derartigen Wert.92 Entsprechendes gilt, wenn dem Dritten ein Nutzungsanspruch zugewendet wird, der einem anderen (zB dem Eigentümer einer Ferienimmobilie) gegenüber besteht. Sofern der Dritte über den Anspruch frei verfügen kann, liegt bei ihm als Zuwendungsempfänger eine Vermögensmehrung und beim Zuwendenden eine Vermögensminderung vor, und zwar in Höhe des objektiven Miet- bzw. Pachtzinses. Handelt es sich demgegenüber um einen nicht frei verfügbaren, also höchstpersönlichen Anspruch des Dritten, fehlt es gemäß §  9 Absatz 2 BewG an der Verkehrsfähigkeit des Anspruchs, sodass diesem kein Wert beizumessen ist. 89 So aber FG Hamburg, Urt. v. 12.6.2018 − 3 K 77/17, juris Rz. 47. 90 Halaczinsky, UVR 2018, 265; Lange, DStR 2019, 953, 959. 91 Daragan, ZErb 2019, 171, 173. 92 Daragan, ZErb 2019, 171, 173.

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Sofern der Dritte anders als in den vorstehenden Fällen ein dingliches Nutzungsrecht erlangt hat, ist dessen objektiver Wert auch dann maßgeblich, wenn der Dritte hierüber schuldrechtlich nicht frei verfügen kann; denn bei dinglichen Rechten sind derartige Verfügungsbeschränkungen – anders als bei schuldrechtlichen Ansprüchen – nach § 9 Absatz 3 BewG unbeachtlich. Beschränkt sich das Nutzungsrecht auf einen Anspruch zur Mitbenutzung, so wird es sich meist um einen höchstpersönlichen, also nicht frei übertragbaren Anspruch handeln, dem mangels einer rechtlichen Verkehrsfähigkeit nach § 9 BewG kein Wert beizumessen ist. Sollte im Ausnahmefall die freie Übertragbarkeit des Anspruchs gegeben sein, hängt es von den Umständen ab, ob der Mitbenutzungsanspruch auch tatsächlich verkehrsfähig ist, sodass ihm gemäß § 9 Absatz 2 BewG ein Wert beigemessen werden kann. Die Widerruflichkeit des eingeräumten Nutzungsrechtes oder der Umstand, dass dieses mit Auflösung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft endet, ändert entgegen FG Rheinland-Pfalz93 und FG München94 nichts an der Steuerbarkeit des Nutzungsrechtes. Denn es ist allgemein anerkannt, dass die freie Widerruflichkeit einer Schenkung nichts an deren Steuerbarkeit ändert, solange der Widerruf nicht erklärt ist.95 Wird das Nutzungsrecht auf unbestimmte Zeit gewährt, so ist der Kapitalwert nach § 13 Absatz 2, 2. Alt. BewG mit dem 9,3-fachen des Jahreswertes anzusetzen. bb) Erbringung von Dienst- und Werkleistungen Die vorstehenden Grundsätze gelten entsprechend, wenn es um die unentgeltliche Erbringung von Dienst- und Werkleistungen geht. Diese beinhalten dann eine freigebige Zuwendung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, wenn dem Zuwendungsempfänger ein frei verfügbarer Anspruch auf die Dienst- oder Werkleistung eingeräumt ist und diesem Anspruch ein objektiver Wert zukommt. Dann liegt eine freigebige Zuwendung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG vor, auch wenn der Zuwendende die Dienst- oder Werkleistung lediglich auf Kosten seiner Freizeit erbracht hat, ohne auf eine andere Erwerbsmöglichkeit verzichtet zu haben; denn die Vermögensminderung ist darin zu sehen, dass der Zuwendende einen vermögenswerten Anspruch geschaffen und diesen ohne Entgelt weggegeben hat. Fehlt es dagegen an einem frei verfügbaren Anspruch auf die Dienst- oder Werkleistung, so scheidet eine freigebige Zuwendung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG mangels einer Vermögensverschiebung aus. Denn ein nicht frei verfügbarer, mithin höchstpersönlicher Anspruch kann nicht veräußert werden, sodass ihm nach § 9 Absatz 2 BewG kein Wert beizumessen ist. 93 FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 2.4.2002 − 4 K 1869/01, juris, Rz. 18. 94 FG München, Urt. v. 22.3.2006 – 4 K 1631/04, juris, Rz. 15. 95 BFH, Urt. v. 13.9.1989 − II R 67/86, juris, Rz. 15; BFH, Urt. v. 28.6.2007 − II R 21/05, juris, Rz. 23.

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Der Umstand, dass ein frei verfügbarer Anspruch, der auf eine vermögenswerte Leistung gerichtet ist, gegebenenfalls vor der Leistungserbringung veräußert und damit zu Geld gemacht werden kann, erklärt auch, warum ein derartiger Anspruch selbst dann als freigebige Zuwendung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG anzusehen ist, wenn die Leistung mit ihrer Erbringung verbraucht wird, während eine freigebige Zuwendung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ausscheidet96, wenn die sich verbrauchende Leistung zwar empfangen wird, hierauf aber kein Anspruch (wie bei der Kreuzfahrt-Entscheidung) bestanden hat. Denn im Fall eines frei verfügbaren Anspruchs, dem ein objektiver Vermögenswert zukommt, liegt eine Vermögensmehrung in Gestalt dieses durch Veräußerung in Geld umwandelbaren Anspruchs vor, die bei bloßer Inanspruchnahme der sich im Moment der Leistungserbringung verbrauchenden Leistung nicht gegeben ist. Liegt ein frei verfügbarer Anspruch, der auf eine vermögenswerte Leistung gerichtet ist, vor, so ist entgegen dem FG Hamburg97 für das Vorliegen einer freigebigen Zuwendung nicht entscheidend, ob es sich um Luxusaufwendungen oder um einfache Aufwendungen zur Deckung der normalen Grundbedürfnisse des Lebensunterhaltes handelt. Denn für die erforderliche Vermögensmehrung beim Leistungsempfänger und die Vermögensminderung beim Zuwendenden ist allein entscheidend, dass die Leistung über einen Vermögenswert verfügt. Sofern sich der Anspruch auf einen gemeinsamen Konsum mit dem Zuwendenden oder einem anderen beschränkt, wird es sich meist um einen höchstpersönlichen, nicht frei übertragbaren Anspruch handeln, dem mangels rechtlicher Verkehrsfähigkeit nach § 9 Absatz 2 BewG kein Wert beizumessen ist. Sollte im Ausnahmefall die freie Übertragbarkeit des Anspruchs gegeben sein, hängt es von den Umständen ab, ob dem Anspruch auf gemeinsamen Konsum auch tatsächlich nach §  9 BewG ein Wert beigemessen werden kann (denkbar zB bei Lunch mit einem prominenten Fußballspieler). Es lässt sich aber nicht generell feststellen, dass bei gemeinsamem Konsum eine freigebige Zuwendung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ausscheidet. Fehlt es dagegen an einem frei verfügbaren Anspruch auf die Dienst- oder Werkleistung, so scheidet eine freigebige Zuwendung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG selbst dann aus, wenn die Leistung den Wert einer Sache des Empfängers erhöht (zB Werterhöhung eines Hausgrundstücks durch Nachbarschaftshilfe beim Dachdecken) und der Zuwendende dafür eine andere Erwerbsmöglichkeit nicht ergreift. Zwar liegt dann offenkundig eine Vermögensmehrung beim Empfänger vor, es fehlt aber an einer Vermögensminderung des Zuwendenden, da dessen Vermögen durch das Nichtergreifen der anderen Erwerbsmöglichkeit nicht vermindert, sondern lediglich nicht erhöht wurde. In dem bloßen Unterlassen liegt keine Zuwendung iSd § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG.98

96 Ebenso Lange, DStR 2019, 953, 956. 97 FG Hamburg, Urt. v. 12.6.2018 − 3 K 77/17, juris, Rz. 50. 98 Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG, 17. Aufl. 2018, § 7 Rz. 10.

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III. Steuerbefreiungen Auch wenn man der hier vertretenen Auslegung des Begriffs der freigebigen Zuwendung im Sinne des § 7 Absatz 1 Nr. 1 ErbStG folgt, wird sich in verschiedenen Kon­ stellationen das Vorliegen einer steuerbaren Schenkung nicht verneinen lassen, etwa wenn dem Bedachten Sachen zu Eigentum übertragen werden. Dann erlangen die Steuerbefreiungen für einfache Gebrauchsgegenstände (§ 13 Abs. 1 Nr. 1c ErbStG), für angemessene Unterhaltszuwendungen und für Ausbildungszuwendungen (§  13 Abs. 1 Nr. 12 ErbStG) sowie für übliche Gelegenheitsgeschenke (§ 13 Abs. 1 Nr. 14 ErbStG) Bedeutung. 1. Einfache Gebrauchsgegenstände Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1c ErbStG bleiben beim Erwerb durch Personen der Steuerklasse III steuerfrei Hausrat einschließlich Wäsche und Kleidungsstücke und andere bewegliche körperliche Gegenstände, soweit deren Wert insgesamt 12.000 Euro nicht übersteigt. Zum Hausrat gehören alle Gegenstände des privaten Umfelds, vornehmlich die Wohnungseinrichtung, Wäsche und Kleidungsstücke, aber auch die Reinigungs- und Pflegegeräte für Wohnung und Garten sowie Haustiere.99 Ein privat genutzter PKW fällt entweder als Hausrat oder als „anderer beweglicher körperlicher Gegenstand“ unter die Freibetragsregelung.100 Kunstgegenstände sind dem Hausrat zuzuordnen, wenn sie ihrer Art nach zum Ausschmücken der Wohnung geeignet sind101, anderenfalls sind sie als bewegliche körperliche Gegenstände von der Freibetragsregelung erfasst. Soweit allerdings Kunstgegenstände und Sammlungen, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse liegt, unter die Freibetragsregelung des § 13 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG fallen, greift die Steuerbefreiung für einfache Gebrauchsgegenstände des § 13 Abs. 1 Nr. 1c ErbStG nicht ein. Nach § 13 Abs. 1 Satz 2 ErbStG gilt die Befreiung nicht für Gegenstände, die zum land- und forstwirtschaftlichen Vermögen, zum Grundvermögen oder zum Betriebsvermögen gehören, und nicht für Zahlungsmittel, Wertpapiere, Münzen, Edelmetalle, Edelsteine und Perlen. Schmuckstücke sind aber von der Befreiungsregelung des § 13 Abs. 1 Nr. 1c ErbStG als „andere bewegliche körperliche Gegenstände“ erfasst. Außerdem findet die Befreiungsregelung des §  13 Abs.  1 Nr.  1c ErbStG nach den Grundsätzen der mittelbaren Schenkung Anwendung, wenn Geld mit der Bestimmung übergeben wird, hiermit bestimmte Gebrauchsgegenstände zu erwerben, die von der vorstehenden Befreiungsregelung erfasst sind.102 99 Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG, 17. Aufl. 2018, § 13 Rz. 3. 100 Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG, 17. Aufl. 2018, § 13 Rz. 3. 101 Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, Juni 2017, §  13 Rz.  9; Milatz, in: Burandt/Rojahn, Erbrecht, 3. Aufl. 2019, § 13 ErbStG Rz. 5. 102 Milatz, in: Burandt/Rojahn, Erbrecht, 3. Aufl. 2019, § 13 ErbStG Rz. 3; Meincke/Hannes/ Holtz, ErbStG, 17.  Aufl. 2018, §  13 Rz.  6; Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk,

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Bei dem oben genannten Betrag von 12.000 Euro handelt es sich um einen sog. Freibetrag, sodass anders als bei einer Freigrenze nur der überschießende Wert zu versteuern ist, wenn die Zuwendung den Betrag von 12.000 Euro übersteigt.103 Mehrere Zuwendungen innerhalb eines Zehnjahreszeitraums werden nach §  14 ErbStG zusammengerechnet.104 2. Unterhalts- und Ausbildungszuwendungen a) Unterhaltszuwendungen Nach § 13 Absatz 1 Nr. 12 ErbStG bleiben sodann steuerfrei Zuwendungen unter Lebenden zum Zwecke des angemessenen Unterhalts des Bedachten. Erfasst werden Unterhaltszuwendungen, die ohne eine bestehende Unterhaltsverpflichtung erbracht werden105, wie es bei Zuwendungen an nichtverwandte Dritte regelmäßig der Fall ist. Erforderlich ist ferner die Unterhaltsbedürftigkeit des Bedachten.106 Daran fehlt es, wenn der Bedachte seinen Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen oder eigenem Vermögen bestreiten kann107, oder wenn der Ehegatte des Bedachten in der Lage ist, den Unterhaltsbedarf zu decken.108 Entscheidend für das Vorliegen von Unterhaltszuwendungen ist es, ob die Zuwendung dazu dient, den gegenwärtigen Lebensunterhalt des Bedachten zu bestreiten oder ob hiervon unabhängig die Vermögensbildung des Bedachten, wie bei einer Vermögensnachfolge durch Erbgang oder bei vorweggenommener Erbfolge, im Vordergrund steht.109 Demzufolge muss eine Verknüpfung der Zuwendung mit der konkreten Bedarfslage des Bedachten bestehen.110 Das ist typischerweise der Fall, wenn laufende Zuwendungen für einen kurzen überschaubaren Zeitraum gewährt werden, innerhalb dessen nicht mit einer Änderung der Verhältnisse zu rechnen ist, welche für die ZuwenErbStG, Juni 2017, §  13 Rz.  16; Kiebele, in: Preißler/Rödl/Seltenreich, Erbschaft- und Schenkungsteuer, 3. Aufl. 2018, § 13 Rz. 28. 103 Kiebele, in: Preißler/Rödl/Seltenreich, Erbschaft- und Schenkungsteuer, 3. Aufl. 2018, § 13 Rz. 21. 104 Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, Juni 2017, §  13 Rz.  7; Kiebele, in: Preißler/Rödl/Seltenreich, Erbschaft- und Schenkungsteuer, 3. Aufl. 2018, § 13 Rz. 22. 105 Schienke-Ohletz, in: von Oertzen/Loose, ErbStG, 2019, § 13 Rz. 69; Geck, in: Kapp/Ebeling, Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz, Februar 2018, § 13 Rz. 108. 106 Viskorf/Schuck/Wälzholz, Erb- und Schenkungsteuergesetz, 5.  Aufl. 2017, §  13 Rz.  126; Böge, in: Tiedtke, ErbStG, 2009, § 13 Rz. 267. 107 Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG, 17. Aufl. 2018, § 13 Rz. 60. 108 Geck, in: Kapp/Ebeling, Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz, Februar 2018, §  13 Rz. 123. 109 RFH, Urt. v. 11.4.1935, RStBl. I 1935, 904; Geck, in: Kapp/Ebeling, Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz, Februar 2018, § 13 Rz. 107. 110 Böge, in: Tiedtke, ErbStG, 2009, § 13 Rz. 270.

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dung maßgebend waren.111 Hieran fehlt es im Prinzip, wenn eine Verpflichtung zu lebenslangen Rentenzahlungen eingegangen wird112, es sei denn, dass aufgrund des Alters des Zuwendungsempfängers feststeht, dass die Rente nicht über die Gewährung angemessenen Lebensunterhalts hinausgeht.113 Ihrer Form nach kann die Zuwendung in Geld, Naturalleistungen oder Nutzungsrechten bestehen114, wobei im Fall der Übereignung von Sachen Voraussetzung ist, dass sie einem relativ kurzen Verschleiß unterliegen und in ihrer Lebensdauer vo­ raussichtlich nicht über die Dauer der zu erwartenden Unterhaltsbedürftigkeit des Beschenkten hinausgehen.115 Außerhalb dieses Bereichs ist aber die Übereignung von Sachen nicht von der Befreiungsregelung umfasst; dies gilt auch für die Finanzierung des Erwerbs von Sachen oder die Überlassung finanzieller Mittel zum Erwerb solcher Sachen.116 Angemessen ist eine Unterhaltszuwendung, wenn sie den Vermögensverhältnissen und der Lebensstellung des Bedachten entspricht (§ 13 Absatz 2 ErbStG). Dabei wird die Lebensstellung volljähriger Kinder mit eigenem Haushalt nicht von der Lebensstellung und dem Vermögen der Eltern geprägt117, sodass auch die Lebensstellung nichtverwandter Dritter nicht von derjenigen des Zuwendenden geprägt wird, solange der Dritte über einen eigenen Haushalt verfügt. Sofern sich der Unterhalt seiner Höhe im Rahmen der Sozialhilfe hält, kann dessen Angemessenheit nicht zweifelhaft sein.118 Im Übrigen ist die Angemessenheitsgrenze an § 1610 BGB zu orientieren, der ebenfalls auf die Lebensstellung des Bedürftigen abstellt.119 Die Grenze ist dort zu ziehen, wo Zuschüsse einen so hohen Wert haben, dass sie vom Standpunkt des allgemeinen Empfindens als übermäßig angesehen werden120, auch wenn sie in Kreisen des Bedachten als üblich erscheinen.121 Vor diesem Hintergrund hat der Reichsfinanzhof Zuwendungen, die zwischen 1927 und 1929 monatlich in Höhe von 2.500 RM geleistet wurden, als nicht angemessen 111 BFH, Urt. v. 13.2.1985 − II R 227/81, juris, Rz. 12; FG Nürnberg, Urt. v. 12.9.1989 − VI 408/84, juris, Rz. 31. 112 RFH, Urt. v. 4.11.1930, RStBl. I 1930, 819. 113 BFH, Urt. v. 13.8.1954 − III 87/54 U, juris, Rz. 5. 114 FG München, Urt. v. 4.11.1971, EFG 1972, 78; Kien-Hümbert, in: Moench-Weimann, ErbStG 68/04.14, § 13 Rz. 77; Viskorf/Schuck/Wälzholz, Erb- und Schenkungsteuergesetz, 5. Aufl. 2017, § 13 Rz. 129. 115 FG München, Urt. v. 4.11.1971, EFG 1972, 78. 116 Kien-Hümbert, in: Moench-Weimann, ErbStG 68/04.14, §  13 Rz.  77; Böge, in: Tiedtke, ErbStG, 2009, § 13 Rz. 272; Schienke-Ohletz, in: von Oertzen/Loose, ErbStG, 2019, § 13 Rz. 69. 117 RFH, Urt. v. 2.6.1933, RStBl. I 1933, 796; Böge, in: Tiedtke, ErbStG, 2009, § 13 Rz. 266. 118 Kien-Hümbert, in: Moench-Weimann, ErbStG 68/04.14, § 13 Rz. 77; Viskorf/Schuck/Wälzholz, Erb- und Schenkungsteuergesetz, 5. Aufl. 2017, § 13 Rz. 130. 119 Kien-Hümbert, in: Moench-Weimann, ErbStG 68/04.14, § 13 Rz. 77; Viskorf/Schuck/Wälzholz, Erb- und Schenkungsteuergesetz, 5. Aufl. 2017, § 13 Rz. 130. 120 Geck, in: Kapp/Ebeling, Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz, Februar 2018, § 13 Rz. 118. 121 Schienke-Ohletz, in: von Oertzen/Loose, ErbStG, 2019, § 13 Rz. 69.

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angesehen122, während der BFH die Angemessenheit bejaht hat für Zahlungen, die zwischen 1953 und 1957 in Höhe von monatlich 300 DM von einem Mann an seine langjährige Geliebte geleistet wurden.123 Denn ein solcher Betrag habe den Verdienstmöglichkeiten und den Lebenshaltungskosten einer alleinstehenden Arbeiterin, zu denen außer den üblichen Aufwendungen für Nahrung, Wohnung und Kleidung auch die Bildung einer bescheidenen Rücklage zur Sicherung gegen die Wechselfälle des Lebens gehört, entsprochen.124 Übersteigen die Zuwendungen ein angemessenes Maß, so sind sie insgesamt steuerpflichtig (§ 13 Absatz 2 ErbStG). b) Ausbildungszuwendungen Steuerfrei bleiben ferner gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 12 ErbStG auch Zuwendungen zur Ausbildung des Bedachten. Die Angemessenheit der Zuwendungen wird anders als bei Unterhaltszuwendungen hierbei nicht vorausgesetzt.125 Erforderlich soll dagegen auch bei Ausbildungszuwendungen sein, dass der Bedachte der Zuwendung bedarf, dass also weder der Bedachte selbst noch die zu seinem Unterhalt verpflichteten Personen in der Lage sind, die Ausbildungskosten aufzubringen.126 Dieses Erfordernis eines Zuwendungsbedarfs ist jedoch abzulehnen; denn hierfür gibt der Wortlaut der Befreiungsvorschrift keinen Anhalt127 und auch nach dem Zweck der Befreiungsvorschrift ist nicht erkennbar, weswegen ein Zuwendungsbedarf erforderlich sein sollte. Es gut denkbar, dass eine im Interesse der Allgemeinheit liegende Ausbildung ohne Steuerbefreiung unterbleibt, weil der Betroffene seine verfügbaren Mittel für andere Zwecke einsetzen würde und der potentiell Zuwendende die Ausbildungszuwendung dann (wenn hierfür Schenkungsteuer zu entrichten ist) unterlässt. Der Begriff der Ausbildung ist weit auszulegen und umfasst die Ausbildung an Allgemeinwissen vermittelnden Schulen, die Ausbildung in Lehrberufen und ein Studium an Fachschulen, Fachhochschulen und Universitäten.128 Ein Postgraduierten-Stu­ dium, für welches der Bedachte bei Selbsttragung Werbungskosten absetzen könnte, soll allerdings als bloße Fortbildung nicht von der Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 12 ErbStG gedeckt sein.129 122 RFH, Urt. v. 2.6.1933, RStBl. I 1933, 796, 797. 123 BFH, Urt. v. 1.7.1964 − II 180/62, BeckRS 1964, 21007089. 124 BFH, Urt. v. 1.7.1964 − II 180/62, BeckRS 1964, 21007089. 125 Schienke-Ohletz, in: von Oertzen/Loose, ErbStG, 2019, § 13 Rz. 70; Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG, 17. Aufl. 2018, § 13 Rz. 62. 126 Geck, in: Kapp/Ebeling, Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz, Februar 2018, § 13 Rz. 118; Schienke-Ohletz, in: von Oertzen/Loose, ErbStG, 2019, § 13 Rz. 70; Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG, 17. Aufl. 2018, § 13 Rz. 62. 127 Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, Mai 2018, § 13 Rz. 145. 128 Kiebele, in: Preißler/Rödl/Seltenreich, Erbschaft- und Schenkungsteuer, 3. Aufl. 2018, § 13 Rz. 225. 129 So aber Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, Mai 2018, § 13 Rz. 145.

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Die Zuwendung selbst kann vielfältige Kosten umfassen, wie zB Studien- und Prüfungsgebühren, Lehrmaterial, Fahrtkosten sowie auswärtige Aufenthaltskosten.130 Wird zusätzlich der Grundbedarf des Bedachten durch Unterhaltszuwendungen gedeckt, so ist insoweit deren Angemessenheit zu wahren.131 Wenn Zahlungen bereits entstandene Ausbildungsaufwendungen nachträglich ab­ decken sollen, greift die Steuerbefreiung nicht ein.132 3. Übliche Gelegenheitsgeschenke Schließlich sind nach § 13 Absatz 1 Nr. 14 ErbStG steuerbefreit die üblichen Gelegenheitsgeschenke. Historisch geht die Vorschrift auf § 42 Nr. 2 ErbStG 1919 zurück, der Schenkungen im Sinne des § 534 BGB steuerfrei stellte.133 Die vorstehende Bestimmung erfasst Schenkungen, durch die einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen wird; derartige Schenkungen unterliegen keiner Rückforderung und keinem Widerruf. Zweck des heutigen §  13 Absatz 1 Nr.  14 ErbStG ist es, solche Geschenke von der Besteuerung auszunehmen, denen sich oftmals weder Schenker noch Beschenkte entziehen können.134 Hiernach soll ein übliches Gelegenheitsgeschenke vorliegen, wenn die Zuwendung nach Art, Anlass und Wert der Zuwendung als üblich anzusehen ist, wobei es entsprechend § 534 BGB auf eine Einzelfallbetrachtung ankommen soll.135 Bei dieser Betrachtung sind zusätzlich zu berücksichtigen die persönliche Beziehung zwischen Schenker und Beschenktem, die Einkommen- und Vermögensverhältnisse von Schenker und Beschenktem und die soziale Schicht der Beteiligten.136 Hinsichtlich der Art der Schenkung kommen prinzipiell bewegliche körperliche Gegenstände jeder Art in Betracht, während Grundvermögen und Betriebsvermögen ihrer Art nach als übliche Gelegenheitsgeschenke ausscheiden, da sie üblicherweise 130 Kiebele, in: Preißler/Rödl/Seltenreich, Erbschaft- und Schenkungsteuer, 3. Aufl. 2018, § 13 Rz. 225. 131 Geck, in: Kapp/Ebeling, Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz, Februar 2018, §  13 Rz. 128; Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, Mai 2018, § 13 Rz. 146. 132 Geck, in: Kapp/Ebeling, Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz, Februar 2018, §  13 Rz. 129; Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, Mai 2018, § 13 Rz. 145. 133 Böge, in: Tiedtke, ErbStG, 2009, § 13 Rz. 284. 134 Geck, in: Kapp/Ebeling, Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz, Februar 2018, §  13 Rz.  138; Viskorf/Schuck/Wälzholz, Erb- und Schenkungsteuergesetz, 5.  Aufl. 2017, §  13 Rz. 142. 135 Hess. FG, Urt. v. 24.2.2005 − 1 K 3480/03, juris, Rz. 19; FG Köln, Urt. v. 8.5.2001 − 9 K 4175/99, BeckRS 2001, 21013784; Viskorf/Schuck/Wälzholz, Erb- und Schenkungsteuergesetz, 5. Aufl. 2017, § 13 Rz. 145; Kien-Hümbert, in: Moench-Weimann, ErbStG 68/04.14, § 13 Rz. 86. 136 Hess. FG, Urt. v. 24.2.2005 − 1 K 3480/03, juris, Rz. 20; FG Köln, Urt. v. 8.5.2001 − 9 K 4175/99, BeckRS 2001, 21013784; Viskorf/Schuck/Wälzholz, Erb- und Schenkungsteuergesetz, 5. Aufl. 2017, § 13 Rz. 142; Kien-Hümbert, in: Moench-Weimann, ErbStG 68/04.14, § 13 Rz. 86.

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nur im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge übertragen werden.137 Ebenso wie Zuwendungen zur vorweggenommenen Erbfolge keine Unterhaltszuwendungen sind, können sie auch nicht als übliche Gelegenheitsgeschenke qualifiziert werden.138 Denn Hauptziel der Schenkungsteuer ist es, eine Umgehung der Erbschaftsteuer durch Maßnahmen der vorweggenommenen Erbfolge zu verhindern. Anlass der Schenkung können regelmäßig wiederkehrende Ereignisse sein, wie Weihnachten, Geburtstage, Hochzeiten, aber auch einmalige Ereignisse wie Abitur, Abschlussprüfungen, Hochzeit, Konfirmation.139 Bedeutsame einmalige Anlässe rechtfertigen tendenziell wertvollere Geschenke als regelmäßig wiederkehrende Anlässe.140 Auszuscheiden haben aber Geschenke, die zum fraglichen Anlass nicht erwartet werden können, weil sie keine bloße Aufmerksamkeit mehr darstellen, sondern weitere Ziele verfolgen, wie etwa eine Vermögensverschiebung oder Unterhaltssicherung.141 Ferner lässt sich feststellen, dass ein Geschenk tendenziell umso wertvoller sein kann, je enger die Beziehung des Schenkers zum Beschenkten ist. Auch ist davon auszugehen, dass ein Geschenk tendenziell umso wertvoller sein kann, je besser gestellt Schenker und Beschenkter nach Einkommen, Vermögen und sozialer Schicht sind. Denn § 13 Absatz 1 Nr. 14 ErbStG will – wie dargelegt – Geschenke von der Besteuerung ausnehmen, denen sich oftmals weder Schenker noch Beschenkte entziehen können. Je größer Einkommen und Vermögen der Beteiligten sind und je hochgestellter ihre soziale Schicht ist, umso größer wird der Wert des erwarteten Geschenks sein. Insofern kann es entgegen anderslautender Formulierungen142 nach dem Regelungszweck des § 13 Absatz 1 Nr. 14 ErbStG nicht darauf ankommen, ob es sich um Geschenke handelt, die nach ihrem Wert in überwiegenden Kreisen der Bevölkerung verbreitet sind. Maßgeblich müssen vielmehr die Kreise sein, in denen sich die Beteiligten bewegen. Auch bei großem Wohlstand der Beteiligten, insbesondere des Schenkers, ist jedoch eine Grenze anzunehmen, jenseits derer nach der allgemeinen Auffassung über die Üblichkeit nicht mehr von einem üblichen Gelegenheitsgeschenk auszugehen ist.143 137 Böge, in: Tiedtke, ErbStG, 2009, § 13 Rz. 285; Viskorf/Schuck/Wälzholz, Erb- und Schenkungsteuergesetz, 5.  Aufl. 2017, §  13 Rz.  144; Kien-Hümbert, in: Moench-Weimann, ErbStG 68/04.14, § 13 Rz. 86. 138 Geck, in: Kapp/Ebeling, Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz, Februar 2018, §  13 Rz. 138. 139 Böge, in: Tiedtke, ErbStG, 2009, § 13 Rz. 286; Viskorf/Schuck/Wälzholz, Erb- und Schenkungsteuergesetz, 5.  Aufl. 2017, §  13 Rz.  143; Kien-Hümbert, in: Moench-Weimann, ErbStG 68/04.14, § 13 Rz. 86. 140 Böge, in: Tiedtke, ErbStG, 2009, § 13 Rz. 286; Viskorf/Schuck/Wälzholz, Erb- und Schenkungsteuergesetz, 5. Aufl. 2017, § 13 Rz. 143. 141 Böge, in: Tiedtke, ErbStG, 2009, § 13 Rz. 287. 142 Hess. FG, Urt. v. 24.2.2005 − 1 K 3480/03, juris, Rz. 19; FG Köln, Urt. v. 8.5.2001 − 9 K 4175/99, BeckRS 2001, 21013784, unter 2. 143 FG Köln, Urt. v. 8.5.2001 − 9 K 4175/99, BeckRS 2001, 21013784, unter 2.; Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG, 17. Aufl. 2018, § 13 Rz. 65; Viskorf/Schuck/Wälzholz, Erb- und Schenkungsteuergesetz, 5.  Aufl. 2017, §  13 Rz.  145; Kien-Hümbert, in: Moench-Weimann,

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Eine solche Obergrenze ist auch geboten, um eine Umgehung der Besteuerung des Erbfalls mittels vorweggenommener Erbfolge zu verhindern. Dagegen wird man entgegen verschiedentlicher Hinweise eine Obergrenze nicht aus dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung herleiten können; denn sachlicher Anknüpfungspunkt für die Üblichkeit des Geschenks ist die sich jeweils aus den besonderen Umständen des Einzelfalls ergebende Situation der Beteiligten.144 Vor diesem Hintergrund hat das FG Köln ein übliches Gelegenheitsgeschenke in einem Fall verneint, in dem der Schenker seiner Nichte und deren Ehemann insgesamt 34 % seines Vermögens zuwendete145, und das Hessische FG hat in 1999 ein übliches Gelegenheitsgeschenke in einem Fall verneint, in dem als Weihnachtsgeschenk eine Geldzuwendung von 80.000 DM für Haus- und Gebäuderenovierung sowie ein Pkw im Wert von über 73.000 DM dargebracht wurden.146 Andererseits hat das FG Hamburg in 1966 eine Schenkung festverzinslicher Wertpapiere im Wert von 10.000 DM, die der Ehemann an seine Ehefrau zum 40.  Hochzeitstag vornahm, als übliches Gelegenheitsgeschenk qualifiziert147 und der BFH hat 1964 festgestellt, dass wertvolle Geschenke, wie Fernsehapparat, Polstergarnitur usw., die unter Berücksichtigung eines lang dauernden persönlichen Liebesverhältnisses zu besonderen Anlässen (wie etwa Weihnachten, Geburtstag und ähnlichen festliche Ereignissen) gemacht werden, noch als angemessene Gelegenheitsgeschenke erscheinen.148 Auch wird in der Literatur angeführt, dass es heute nicht unüblich ist, dass ein Vater seinem Sohn zum Abitur einen Kleinwagen und zum Examen einen Mittelklassewagen schenkt.149 Ebenso wird man die Zuwendung einer Armbanduhr im Wert von 10.000–15.000 Euro noch als übliches Gelegenheitsgeschenk qualifizieren können; vorausgesetzt der Schenker muss hierfür nicht jahrelang ansparen oder einen Kredit mit jahrelanger Laufzeit aufnehmen.150 Wird die Üblichkeit des Geschenks überschritten, so ist das Geschenk in vollem Umfang steuerpflichtig.151 Halten die Geschenke sich im üblichen Rahmen, so scheidet bei mehreren üblichen Gelegenheitsgeschenke zu unterschiedlichen Anlässen eine

ErbStG 68/04.14, § 13 Rz. 86; Geck, in: Kapp/Ebeling, Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz, Februar 2018, § 13 Rz. 138. 144 Vgl. auch Viskorf/Schuck/Wälzholz, Erb- und Schenkungsteuergesetz, 5. Aufl. 2017, § 13 Rz. 148. 145 FG Köln, Urt. v. 8.5.2001 − 9 K 4175/99, BeckRS 2001, 21013784. 146 Hess. FG, Urt. v. 24.2.2005 − 1 K 3480/03, juris. 147 FG Hamburg, Urt. v. 31.10.1966 − II 151/66, EFG 1967, 132. 148 BFH, Urt. v. 1.7.1964 − II 180/62, BeckRS 1964, 21007089. 149 Hess. FG, Urt. v. 24.2.2005 − 1 K 3480/03, juris Rz. 23; Geck, in: Kapp/Ebeling, Erbschaftund Schenkungsteuergesetz, Februar 2018, § 13 Rz. 138; Böge, in: Tiedtke, ErbStG, 2009, § 13 Rz. 288. 150 Stoklassa/Feldner, ErbStB 2014, 69, 70. 151 Böge, in: Tiedtke, ErbStG, 2009, § 13 Rz. 290.

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Zusammenrechnung nach § 14 ErbStG aus, während bei mehreren Geschenken zum selben Anlass eine Zusammenrechnung erfolgt, um die Üblichkeit zu ermitteln.152 Steht einwandfrei und klar fest, dass ein übliches Gelegenheitsgeschenke vorliegt, so bedarf es keiner Anzeige bei der Finanzverwaltung entsprechend § 30 ErbStG.153

IV. Zusammenfassung Soweit unentgeltliche Zuwendungen an nichtverwandte Dritte steuerpflichtig sind, kann dies wegen des niedrigen persönlichen Freibetrages von 20.000 Euro und des Mindeststeuersatzes von 30 % zu einer empfindlichen Belastung mit Schenkungsteuer führen. Streitig ist, unter welchen Voraussetzungen die Überlassung von Sachen zur Nutzung und die Zuwendung von Dienst- und Werkleistungen den Schenkungsteuertatbestand des 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG erfüllt. Nach der hier vertretenen Ansicht erfüllt die unentgeltliche Nutzungsüberlassung dann den vorstehenden Schenkungsteuertatbestand, wenn der Dritte ein dingliches Nutzungsrecht erlangt oder wenn ihm ein frei verfügbarer Nutzungsanspruch eingeräumt wird, dem ein Vermögenswert zu kommt, gleichviel ob es sich um ein Recht zur Alleinnutzung oder zur bloßen Mitnutzung zusammen mit dem Zuwendenden handelt. Ebenso wird §  7 Abs. 1 Nr.  1 ErbStG bei der unentgeltlichen Zuwendung von Dienst- und Werkleistungen nur dann erfüllt, wenn dem Dritten ein frei verfügbarer Anspruch eingeräumt wird, dem ein Vermögenswert zukommt. Dass der Dritte Aufwendungen erspart, reicht für den Schenkungsteuertatbestand nicht aus, auch wenn es dabei um Luxusaufwendungen geht. Ist der Schenkungsteuertatbestand im Einzelfall erfüllt, so ist zu prüfen, ob eine Steuerbefreiung eingreift, die nach § 13 Abs. 1 ErbStG für einfache Gebrauchsgeschenke (Nr. 1c), für angemessene Unterhalts- und Ausbildungsaufwendungen (Nr. 12) sowie für übliche Gelegenheitsgeschenke (Nr. 14) gewährt wird. Vielfach wird unklar sein, ob die Voraussetzungen der jeweiligen Steuerbefreiung vorliegen.

152 Böge, in: Tiedtke, ErbStG, 2009, § 13 Rz. 290. 153 Geck, in: Kapp/Ebeling, Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz, Februar 2018, §  13 Rz. 139.

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Verrechnungspreise in der Automobilindustrie Inhaltsübersicht I. Volkswirtschaftliche Bedeutung der ­Automobilindustrie II. Geschäftsmodelle 1. Fahrzeughersteller (PKW) 2. Fahrzeughersteller (LKW) 3. Zulieferer III. Branchenspezifische Verrechnungspreisfragen in der Automobilindustrie 1. Fahrzeughersteller a) Fahrzeugproduktion b) Fahrzeugvertrieb c) Finanzierung und Leasing 2. Zulieferer a) Grundlagen

b) Verrechnungspreisfragen c) Lösungsansätze 3. Datenbankanalysen in der Automobil­ industrie a) Produktion b) Vertrieb c) Finanzierung und Leasing IV. Ausblick V. Nachtrag: Verrechnungspreise und die Corona-Krise 1. Transparenz 2. Risikoverteilung 3. Verluste 4. Datenbankanalysen

Die Automobilindustrie ist eine der am meisten globalisierten Branchen Deutschlands. Konzerne wie z.B. die Daimler AG (396 ausländische Tochtergesellschaften 20181) unterhalten Tochtergesellschaften in fast allen Staaten weltweit. Die Produkte des Volkswagen-Konzerns sind in 153 Ländern erhältlich2 Vor diesem Hintergrund ist es nicht nur nachvollziehbar, sondern zwingend, dass die steuerliche Prüfung der Verrechnungspreise bei Konzernen der Automobilindustrie seit vielen Jahren im Zentrum jeder Betriebsprüfung steht. Heinz-Klaus Kroppen begleitet die großen Unternehmen der Automobilindustrie seit vielen Jahren als Berater auch in Verrechnungspreisangelegenheiten. Der Verfasser wiederum ist seit 30 Jahren im Referat „Fahrzeugbau“ der Bundesbetriebsprüfung im Bundeszentralamt für Steuern tätig und befasst sich dort mit der Prüfung von Verrechnungspreisen, den daraus ggf. resultierenden Verständigungsverfahren (Mutual Agreement Procedures, MAP) und mit Advance Pricing Agreements (APA). Deswegen ist es nicht überraschend, dass sich die Wege von Heinz-Klaus Kroppen und des Verfassers des Öfteren gekreuzt haben, naturgemäß auf den gegenüberliegenden Seiten eines Tisches. Diese Begegnungen führten immer zu intensiven, aber immer auch fruchtbaren Diskussionen.

1 Daimler AG, Geschäftsbericht 2018, 255. 2 https://www.volkswagenag.com/de/group/portrait-and-production-plants.html#, abgerufen am 26.10.2019.

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In diesem Beitrag sollen branchentypische Eigenheiten der Verrechnungspreise in der Automobilindustrie dargestellt werden3.

I. Volkswirtschaftliche Bedeutung der Automobilindustrie Weltweit werden in mehr als 50 Staaten Fahrzeuge (PKW und LKW) produziert.4 2018 belief sich die Produktion auf fast 100 Millionen Fahrzeuge.5 15 Automobilhersteller (Original Equipment Manufacturer, OEM) aus 7 Staaten der Erde decken ca. 80% der weltweiten Automobilproduktion ab.6 Bei der Produktion von PKW liegt die EU an zweiter Stelle hinter China.7 Innerhalb der EU wiederum führt Deutschland mit großem Abstand vor Spanien und Frankreich.8 Der weltweit von der Automobilindustrie generierte Umsatz beträgt etwa 1,9 Billionen Euro.9 Schon diese Zahl macht deutlich, in welch großem Umfang konzerninterne Transaktionen stattfinden und welchen Herausforderungen sich Unternehmen, Beratung und die Finanzverwaltungen stellen müssen, um fremdübliche Verrechnungspreise innerhalb eines Konzerns sicherzustellen.

II. Geschäftsmodelle Zum besseren Verständnis der Verrechnungspreisfragen in der Kfz-Industrie sollen im Folgenden kurz die typischen Geschäftsmodelle von OEM und Kfz-Zulieferunternehmen dargestellt werden: 1. Fahrzeughersteller (PKW) Das Geschäftsmodell der Automobilhersteller weltweit beruht auf der Führung in eigenen Kernkompetenzen (insbesondere Motorenbau) und Rückgriff auf spezialisierte Zulieferunternehmen, die über Wissen und Technologien verfügen, die beim OEM nicht mehr vorhanden sind. Die eigene Fertigungstiefe eines OEM liegt bei etwa 25%.10 Der größte Teil der eigenen Wertschöpfung erfolgt in den Bereichen Forschung und Entwicklung (Entwicklung des gesamten Fahrzeugs, Fahrzeugdesign) 3 Der Beitrag gibt nur die persönliche Meinung des Verfassers wieder und wurde nicht in dienstlicher Eigenschaft verfasst. 4 https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_countries_by_motor_vehicle_production, abgerufen am 26.10.2019. 5 European Automobile Manufacturers Association, (ACEA), https://www.acea.be/statistics/ tag/category/world-production, abgerufen am 26.10.2019. 6 International Organization of Motor Vehicle Manufacturers (OICA), Production Statistics 2017, http://www.oica.net/category/production-statistics/2018-statistics/, abgerufen am 26.10.2019. 7 https://www.acea.be/statistics/article/top-10-car-producing-countries-worldwide-and-eu. 8 A.a.O. (Fn. 5). 9 http://www.oica.net/category/economic-contributions/facts-and-figures/. 10 Verband der Automobilindustrie, Jahresbericht 2015, 60.

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und in der Endmontage des zu fertigenden Fahrzeugs. Aus diesen Gegebenheiten heraus besteht eine gegenseitige Abhängigkeit von OEM und Zulieferer. Der OEM verkauft seine Fahrzeug im Inland an einen unabhängigen Einzelhändler oder einen konzernzugehörigen Agenten, der das Fahrzeug dem Endkunden nur vermittelt. Zu exportierende Fahrzeuge werden an konzernzugehörige Großhandelsgesellschaften im Ausland verkauft. Diese wiede­rum verkaufen die Fahrzeuge an unabhängige Einzelhändler, die den Kontakt zum Endkunden pflegen. 2. Fahrzeughersteller (LKW) Weltweit werden wesentlich weniger LKW produziert als PKW. Die Fertigungstiefe bei LKW-Herstellern ist deutlich höher als bei PKW. Grund dafür ist, dass sich, anders als bei der PKW-Produktion, aufgrund der niedrigeren Stückzahl eine kleinteilige Auf­ splitterung der des Produktionsvorgangs auf OEM und Zulieferer nicht rechnet. Alles im Folgenden Geschriebene bezieht sich auf die PKW-Industrie, ist jedoch gleichermaßen, wenn auch in weniger ausgeprägtem Umfang, in der LKW-Industrie anzutreffen. 3. Zulieferer Zulieferer sind direkt vom Absatzerfolg der OEM abhängig. Verkauft sich das vom OEM entwickelte und hergestellte Fahrzeug gut oder schlecht, ist der Zulieferer direkt am unternehmerischen Erfolg oder Misserfolg beteiligt. Jeder Zulieferer geht das Risiko ein, Rohstoffe einzukaufen, Bauteile und/oder Baugruppen (Komponenten) zu entwickeln und für mehrere Jahre zu produzieren (ein PKW wird 5–7 Jahre ohne wesentliche Veränderungen angeboten, bei LKW kann dies 10 Jahre oder länger sein), ohne den Erfolg des fertigen Fahrzeugs am Markt wesentlich beeinflussen zu  können. Obwohl sich der Zulieferer damit einem hohen ökonomischen Risiko aussetzt, üben die OEM starken Preisdruck aus. Solange der Zulieferer über keine starken Alleinstellungsmerkmale verfügt (z.B. besondere Innovationen), wird er sich dem Preisdruck regelmäßig beugen. Der Einsatz solcher „machtstrukturierter Preisbildungsmethoden“11 wird von Vertretern der OEM allerdings nicht bestätigt. Allen Zulieferern ist gemeinsam, dass sie über langjährig aufgebautes Know-how verfügen, das dem OEM fehlt. Im Normalfall ist die Zentralgesellschaft eines Zu­ lieferkonzerns auch Trägerin des gesamten Konzern-Know-hows. Sofern Entwicklungsleistungen bei Tochtergesellschaften stattfinden, werden sie, meistens auf Cost

11 Pfäfflin/Biehler/Schwarz-Kocher/Krzywdzinski, in Schwarz-Kocher/Krzywdzinski/Korflür, Standortperspektiven in der Automobilzulieferindustrie: Die Situation in Deutschland und Mittelosteuropa unter dem Druck veränderter globaler Wertschöpfungsstrukturen, Study der Hans-Böckler-Stiftung, No. 409, 38.

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plus  – Basis, an die Zentralgesellschaft abgerechnet und das Entwicklungsergebnis auf diese übertragen. Die 100 größten Zulieferer weltweit haben 2018 Umsätze von insgesamt ca. 890 Milliarden Euro erzielt. Auf deutsche Zulieferer entfällt dabei ein Umsatz von ca. 200 Milliarden Euro.12 Auch hier machen die Zahlen deutlich, dass Verrechnungspreise einen der größten steuerlichen Risikofaktoren darstellen und dem entsprechend großer Aufmerksamkeit durch unternehmensinterne Steuerabteilungen, Beratern und Betriebsprüfung bedürfen.

III. Branchenspezifische Verrechnungspreisfragen in der Automobilindustrie 1. Fahrzeughersteller a) Fahrzeugproduktion Die Gründung von Produktionswerken im Ausland hat zum Absatzerfolg der deutschen Automobilhersteller entscheidend beigetragen. So hat sich z.B. der Absatz der BMW AG in den USA nach Gründung des Werks in Spartanburg, South Carolina in 199413 deutlich erhöht. Neben der Nähe zu Absatzmärkten helfen Werke im Ausland auch, Währungsrisiken zu reduzieren („natural hedging“) und nutzen Standortvorteile wie Subventionen, niedrige Löhne oder Energiepreise. Die Automobilindustrie ist mehr als 100 Jahre alt. Aufgrund dessen haben Aufkäufe von Automobilproduzenten durch andere Automobilproduzenten in den letzten Jahren eher selten stattgefunden. Zusammengeschlossen haben sich Daimler und Chrysler 1998, die sich bereits nach wenigen Jahren in 2007 wieder trennten14 und danach Fiat und Chrysler.15 aa) Funktionen und Risiken Produktionswerke im Ausland werden als eigene Kapitalgesellschaften gegründet. Ihr Funktions- und Risikoprofil entspricht im Regelfall dem eines Lohn- oder Auftragsfertigers:16 – Das Produkt-Know-how, also das Wissen über die Konstruktion und technische Beschaffenheit des Fahrzeugs liegt allein und in vollem Umfang bei der Muttergesellschaft. 12 Wikipedia, Liste der größten Automobilzulieferer, https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_ größten_Automobilzulieferer, abgerufen am 26.10.2019. 13 https://www.bmwusfactory.com/manufacturing/production-overview/, Abruf am 26.10.2019. 14 https://www.daimler.com/konzern/tradition/geschichte/1995-2007.html, Abruf am 26.10.2019. 15 https://de.wikipedia.org/wiki/Fiat_Chrysler_Automobiles, abgerufen am 26.10.2019. 16 Hinweis auf das Glossar „Verrechnungspreise“, Stichwort „Auftragsfertiger“, BMF v. 19.5.2014 – IV B 5 - S 1341/07/10006-01, BStBl 2014 I, 838.

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– Das Produktions-Know-how, also das Wissen über die Organisation und tatsächliche Durchführung des Produktionsprozesses einschließlich der Planung sowie ggf. Konstruktion und Bestellung der zu verwendenden Maschinen wird dem Produktionswerk von der Muttergesellschaft unentgeltlich überlassen. – Entwicklungstätigkeiten finden beim Produktionswerk nur statt, wenn sie für die Optimierung der Produktion notwendig sind. Darüber hinaus gehende Entwicklungsergebnisse, die weiter verwendbar sein können, gehen üblicherweise entgeltlich ins Eigentum der Muttergesellschaft, die das gesamte Know-how zentralisiert verwaltet, über. – Selbständiger und eigenverantwortlich durchgeführter Wareneinkauf findet nur im Bereich Hilfs- und Betriebsstoffe statt. Schon im letzten Jahrhundert hat sich gezeigt, dass sich durch eine konzernweit zentralisierte Beschaffung in der sehr materialintensiven Automobilindustrie ein wesentlicher Gewinntreiber realisieren lässt. Ca. 75% des Werts eines Fahrzeugs wird zugekauft. – Die Produktionswerke verfügen über keinen eigenen Vertrieb. Die fertigen Fahrzeuge werden buchhalterisch an die Muttergesellschaft verkauft, jedoch direkt an den Abnehmer geliefert. Das Absatzrisiko wird von der Muttergesellschaft übernommen. – Währungsrisiken werden üblicherweise von den Muttergesellschaften getragen, entweder durch die Fakturierung in Landeswährung oder durch ein von der Muttergesellschaft oder von Schwestergesellschaften durchgeführtes und verantwortetes Hedging. bb) Verrechnungspreismethoden Für Auftragsfertiger ist aus Sicht der Finanzverwaltung die Kostenaufschlagsmethode die zutreffende Verrechnungspreismethode17. Die fremdübliche Höhe des Kostenaufschlags kann, zumindest in Ansätzen, auf der Basis von Datenbankanalysen ermittelt werden. In internationalen Verhandlungen zwischen Finanzverwaltungen hat sich gezeigt, dass, abhängig von der jeweiligen Chancen- und Risikoverteilung zwischen Muttergesellschaft und Produktionswerk, ein Aufschlag im niedrigen einstelligen Bereich international konsensfähig ist. Kein eindeutiger Konsens, weder zwischen Unternehmen und Betriebsprüfung, noch zwischen Staaten, besteht in der Frage, in welchem Umfang zwischen fremden Dritten die Kosten des Produktionsmaterials mit Gewinn beaufschlagt werden würden. Bei direkten Zulieferungen der Muttergesellschaft oder von Schwestergesellschaften an das Produktionswerk ist es noch eher unstreitig, dass fremde Dritte einen Gewinn­ 17 Tz. 2.2 der Veraltungsgrundsätze 1983, BMF v. 23.2.1983 − IV C 5 - S 1341 - 4/83, BStBl I S.  218. Tz. 3.4.10.3 der Verwaltungsgrundsätze Verfahren, BMF v. 12.4.2005 − IV B 4 S 1341 - 1/05, BStBl I S. 570 auch Tz. 2.45 ff., OECD-Verrechnungspreisleitlinien für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen 2017, OECD Publishing, Paris.

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aufschlag auf diese Zulieferungen nicht akzeptieren würden.18 Grund dafür ist der Kaskadeneffekt, durch den Gewinn auf Gewinn aufgeschlagen würde, ohne dass das Produktionswerk dafür wertschöpfend tätig ist. In diesem Zusammenhang stellt sich dann natürlich die Frage, ob nicht die gleiche Schlussfolgerung zu ziehen ist, wenn Produktionsmaterial zwar formal von Dritten eingekauft wird, der Einkaufspreis, die Qualität und die übrigen Nebenbedingungen aber von der Muttergesellschaft mit den Lieferanten verhandelt und in Rahmenverträgen verbindlich vereinbart wurden. Das Produktionswerk ist insoweit vom Preisrisiko freigestellt. Ein Mengenrisiko besteht ohnehin nicht, da bei den heute üblichen Just-in-time und Just-in-sequence – Lieferketten gerade so viel Material angeliefert wird, wie in den nächsten Stunden bzw. Tagen benötigt wird. Es liegt der Gedanke nahe, dass ein Dritter in diesem Fall einen Gewinnaufschlag nicht akzeptieren würde, da das Produktionswerk auch insoweit keine wertschöpfende Tätigkeit erbringt. Die Beschaffung von Material zwischen fremden Dritten über Rahmenverträge des Auftraggebers kommt nur in besonderen Fällen (z.B. exotische oder edle Metalle) vor. Es ist auch versucht worden, Verrechnungspreise mit Produktionswerken durch kapitalbezogene Methoden (Eigenkapitalrendite, Verzinsung des Aktivvermögens usw.) zu verproben. Alle diese Methoden basieren allerdings auf Bilanzkennzahlen. Aus den Datenbanken bzw. den veröffentlichten Jahresabschlüssen lassen sich jedoch keine tiefer gehenden Aussagen der Vergleichsunternehmen zu Bilanzpolitik, Werte abgeschriebenen Wirtschaftsgüter, Bilanzierung immaterieller Wirtschaftsgüter, Abschreibungsmethoden, Umfang geleaster Wirtschaftsgüter usw. finden. Damit sind auch nur halbwegs zuverlässige Aussagen zur Vergleichbarkeit dieser Werte mit ­Bilanzkennzahlen des Produktionswerks nicht gegeben. Aus diesem Grund werden kapitalbasierte Methoden eher selten zur Verprobung der Verrechnungspreise von Produktionswerken angewandt. Im Einzelfall können sie als „sanity check“ zur Verprobung von Ergebnissen der Kostenaufschlagsmethode herangezogen werden. cc) Lösungsansätze Die aus dieser Frage resultierende Konflikte konnten dadurch gelöst werden, dass entweder ein Kostenaufschlag auf die Vollkosten (mit Materialeinkauf) vorgenommen wurde, dieser aber rechnerisch aus einer Kostenbasis ohne Materialeinkauf umgerechnet wurde oder dass ein am unteren Ende einer Bandbreite von Kostenaufschlägen liegender Wert als fremdüblich angenommen wurde. b) Fahrzeugvertrieb In der Automobilbranche hat sich als „best practice“ herausgebildet, dass die Wertschöpfungskette von Forschung und Entwicklung über die Produktion bis zum Großhandel im Konzern verbleibt. Einzig der Einzelhandel als Ansprechpartner des 18 Rz. 207 der Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung, BMF v. 13.10.2010 − IV B 5 S 1341/08/10003, BStBl I S. 774.

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Endkunden vor Ort wird im Regelfall von konzernunabhängigen Einzelhändlern durchgeführt. Im Ausland sind die deutschen OEM durch Importeursgesellschaften (genannt „National Sales Company“, NSC) vertreten, die dort die Fahrzeuge von der Muttergesellschaft ein- und an unabhängige Einzelhändler verkaufen. Nur der Import in kleine Märkte wird noch von unabhängigen Unternehmen durchgeführt. Sobald jedoch der Absatz eine gewisse Größenordnung erreicht, werden diese Unternehmen vom OEM übernommen. Die weltweit wenigen Ausnahmen (wie z.B. die D’Ieteren SA in Bel­ gien) begründen sich aus historischen Entwicklungen oder spezifischen Marktbedingungen im Ausland. Ausländische OEM importieren und verkaufen ihre Fahrzeuge in Deutschland nach dem gleichen Geschäftsmodell. Einzelne OEM unterhalten, abhängig von der Entfernung zwischen Zentralgesellschaft und Märkten, noch Zwischenholdings, die die Aktivitäten der NSC in mehreren Märkten koordinieren und unterstützen. Auf das Ersatzteilgeschäft wird hier nicht im Einzelnen eingegangen, da es dem Neuwagengeschäft folgt und keine vom Neuwagengeschäft abweichenden Geschäftsmodelle vorliegen. Importeursgesellschaften sind in der gesamten Industrie, also sowohl im Inland als auch im Ausland üblicherweise als funktions- und risikoarme Routineunternehmen zu qualifizieren. Dies beruht auf den folgenden Sachverhalten, die sich sowohl in Inbound- als auch in Outbound-Fällen finden: aa) Eingesetzte Wirtschaftsgüter – Zum Betrieb einer NSC ist kein wesentliches besonderes Anlagevermögen erforderlich. Grundsätzlich können alle dafür benötigten Wirtschaftsgüter auch gemietet bzw. geleast werden. – Zur Versorgung des Marktes mit Ersatzteilen unterhält die NSC ein Ersatzteillager, das überwiegend mit schwer marktgängigen Teilen bestückt ist, die die Einzelhändler nicht auf Lager haben müssen. Die Bevorratung mit Ersatzteilen ist jedoch auch eine der Hauptfunktionen des Einzelhändlers, da nur so ein reibungsloser, den Kunden zufriedenstellenden Service gewährleistet werden kann – Die NSC verfügen über keine eigenen besonders werthaltigen immateriellen Wirtschaftsgüter. Der Markterfolg eines Fahrzeugs wird wesentlich vom Image, der Marke, seinen technischen Qualitäten und dem Design bestimmt. Da heute die Fahrzeuge technisch immer ähnlicher werden, ist die Marke ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Die Bedeutung der Marke speist sich im Wesentlichen aus der Dauer ihrer Existenz im Markt (also wie lange sie schon dem Endkunden bekannt ist), einem positiven Image (Zuverlässigkeit, Sportlichkeit usw.) und dem Grad markenschädlicher Vorkommnisse (wie z.B. Rückrufaktionen wegen Serienschäden oder die spektakuläre öffentliche Zerstörung von Sportwagen durch unzufriedene Kunden in Asien). Die Marke wiederum steht im alleinigen Eigentum der Muttergesellschaft und wird von dieser überwacht, kontrolliert, gesteuert und verteidigt. 309

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Die NSC hat auf die Gestaltung der Marke nur sehr geringen Einfluss. Ihre Marketingaktivitäten sind nur von ergänzender Natur und tragen nicht dazu bei, den Wert der Marke zu steigern. Lizenzen für die Nutzung der Marke oder anderer immaterieller Wirtschaftsgüter werden der NSC nicht in Rechnung gestellt, sondern sind mit dem Kaufpreis des Fahrzeugs abgegolten. Soweit davon abweichend in einzelnen Märkten der Einkaufspreis auf Marke und Fahrzeug aufgespalten wird, dient dies der Zollersparnis und sollte mit den Zollbehörden abgesprochen sein. Die Lizenzzahlungen mindern die Bemessungsgrundlage für den Zoll und damit die Zollbelastung. – Es könnte argumentiert werden, dass das Händlernetz, also die Vertriebsvereinbarungen mit den Einzelhändlern, ein immaterielles Wirtschaftsgut darstellt. Allerdings werden die Auswahlkriterien für Vertragshändler von der Muttergesellschaft vorgegeben. Die Laufzeit der Händlerverträge ist eher kurz, eine Kündigung ist problemlos möglich. Da die Praxis zeigt, dass ein Händlernetz regelmäßig umstrukturiert wird und Händler kündigen, gekündigt werden und neue Händler gesucht werden, dürfte das Vertragsbündel ökonomisch zu flüchtig sein, um ernsthaft als immaterielles Wirtschaftsgut im verrechnungspreistechnischen Sinn angesehen zu werden. bb) Funktionen – Aufgabe der NSC ist der Import der Fahrzeuge und die Belieferung der Händler. Daneben sammeln sie in unterschiedlichem Umfang (je nach den Besonderheiten des lokalen Marktes) Daten für die Marktforschung und die Wettbewerbsanalyse und beobachten und kommunizieren geplante und tatsächliche Veränderungen im lokalen Markt (neue Abgasvorschriften oder Zulassungsbedingungen, Einführung neuer Modell durch Wettbewerber in den Markt usw.). – Die NSC muss die Fahrzeuge bei der Muttergesellschaft einkaufen. Ihr Einkaufspreis bildet sich vom Markt her, also vom Preis, den der Endkunde zu zahlen bereit ist. Der Endkundenpreis ist zu mindern um die auf den Einzelhändler und die NSC entfallenden Margen. Der Endkundenpreis ist stark abhängig vom Wettbewerb im lokalen Markt und von den Eigenschaften des Fahrzeugs. Beide Faktoren kann die NSC nicht beeinflussen. – Die NSC hat keinen Kontakt zum Endkunden. Für eine zuverlässige Absatzplanung muss auf Informationen und Einschätzungen der Einzelhändler zurückgegriffen werden. Zielvorgaben werden von der Muttergesellschaft geplant und anschließend zwischen NSC und den Händlern diskutiert. Entscheidungskompetenz und finale Verantwortung für die Absatzplanung liegen bei der Muttergesellschaft. – Markterschließung, Marketing und Marktpflege sind grundsätzlich Aufgabe der NSC. Die Durchführung dieser Aufgaben findet allerdings ihre Grenzen in Vorgaben durch den Konzern, in der zentralen Beauftragung von oft weltweit tätigen Werbeagenturen durch die Muttergesellschaft und der Verwendung nur von Materialien (Texte, Bilder, Videos, Filme), die von der Muttergesellschaft freigegeben worden sind. 310

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cc) Risiken – Das Marktrisiko der NSC ist als gering einzustufen, da der größte Teil der importierten Fahrzeuge bereits bestellt ist, entweder von den Einzelhändlern vorkonfiguriert („built to stock“) oder von den Endkunden individuell konfiguriert („built to order“). Der eigene Bestand an Fahrzeugen der NSC („Lagerfahrzeuge“) ist eher gering. Oft werden die Fahrzeuge direkt vom Ankuftsort im Land zu den Einzelhändlern geliefert und laufen nur technisch durch die Bücher der NSC. Sollte sich eine größere Lücke zwischen den geplanten und den tatsächlichen Absatzzahlen ergeben, unterstützt die Muttergesellschaft die NSC durch Anpassung der Absatzplanung oder durch Marketingzuschüsse, Preisnachlässe o.Ä., um den Absatz zu fördern. – Ein Produkt- bzw. Qualitätsrisiko der NSC existiert nicht. Dieses Risiko liegt entweder bei der Muttergesellschaft oder der Gesellschaft, die das Fahrzeug produziert hat. Die NSC kann die Mängelfreiheit des Produkts nicht beeinflussen. Natürlich findet die Abwicklung und Erledigung von Garantiefällen vor Ort (beim Einzelhändler im lokalen Markt) statt, hier handelt es sich jedoch um eine Dienstleistung, die eine typische Aufgabe einer NSC darstellt und keinen besonderen Mehrwert schafft. Soweit NSC dennoch Garantierückstellungen bilden, wird dies bei der Bildung des Einkaufspreises mindernd berücksichtigt. – Ein Zahlungs- oder Forderungsausfallrisiko besteht nicht, da die wirtschaftliche Situation der Einzelhändler von der NSC stetig überwacht wird und das Liefersystem so ausgestaltet ist, dass der Einzelhändler die Verfügungsmacht über ein Fahrzeug erst erhält, wenn die NSC den Kaufpreis oder andere Sicherheiten erhalten hat. – Die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 hat gezeigt, das OEM nicht bereit sind, einen Markt, in dem sie vertreten sind, wieder aufzugeben. So wurden NSC und andere Tochtergesellschaften von den Muttergesellschaften in vielfältiger Art und Weise (Bürgschaften, Risikoübernahmen, tatsächlich gezahlte Zuschüsse usw.) und nötigenfalls in großem Umfang unterstützt. dd) Verrechnungspreismethode Es wurde versucht, die Verrechnungspreise durch Vergleich der Abgabepreise der Muttergesellschaft an abhängige NSC und unabhängige Großhändler zu überprüfen. In der Praxis scheiterte der interne Preisvergleich daran, dass – In einem Markt nur eine NSC oder nur ein unabhängiger Importeur existieren, – die Märkte in einzelnen Staaten trotz Globalisierung kaum vergleichbar sind (z.B. stark unterschiedliche Verkehrssteuern), – sich Fahrzeuge konstruktiv für einzelne Märkte unterscheiden (stärkere Heizungen für Nordeuropa, stärkere Klimaanlagen für Südeuropa usw.), – die Grundausstattung eines Fahrzeugs für einzelne Märkte unterschiedlich ist und 311

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– die den Einzelhändlern empfohlenen Verhandlungsspielräume gegenüber dem Endkunden marktabhängig unterschiedlich sind und damit den Abgabepreis an den Einzelhändler marktabhängig beeinflussen. – Letztendlich sind auch die Risikosituationen von NSC und unabhängigem Im­ porteur nicht vergleichbar. Die unabhängigen Importeure sind Vollerwerbsunternehmen (Entrepreneure), die auch mit Anpassungsrechnungen nicht mit einer NSC vergleichbar gerechnet werden können. Dies bedingt unterschiedliche, unvergleichbare Abgabepreise. Verrechnungspreistheoretisch ist für ein Großhandelsunternehmen die Wiederverkaufspreismethode die Methode der Wahl. Die Anwendung dieser Methode scheitert allerdings daran, dass der „Rohgewinn“, auf den sich diese Methode bezieht, international nicht einheitlich definiert ist. Sowohl nach IFRS als auch z.B. nach US-GAAP können, anders als im HGB, z.B. Teile der Vertriebskosten in die „cost of sales“ einbezogen werden. Damit ist, wenn man auf Datenbankanalysen zurückgreifen will, die Wiederverkaufspreismethode keine zuverlässige Verrechnungspreismethode. Aufgrund dessen sind international viele Finanzverwaltungen übereingekommen, die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode (transactional net margin method, TNMM19) zur Verprobung der Verrechnungspreise heranzuziehen. Bei besonders risikoarmen NSC, die als reiner Dienstleister angesehen werden können, wäre die Anwendung der Berry Ratio, also das Verhältnis von Rohgewinn („gross profit“) zu operativen Kosten („operating expenses“) als Gewinnvergleichskennzahl, zu überlegen.20 ee) Lösungsansätze Gewinne der NSC können unter der Anwendung der TNMM auf ihre Fremdüblichkeit hin untersuchte werden. Ausgangsbasis können Umsatzrenditen unabhängiger großer Kfz-Einzelhandelsunternehmen (siehe 3.) sein. Aufgrund der unterschiedlichen Funktion und Risiken der Einzelhändler können Kompromisse in den unteren Quartilen der Bandbreite gesucht werden, die sich aus einer Datenbankanalyse von Kfz-Einzelhandelsunternehmen ergibt. Zur Einschränkung von Bandbreiten ist international immer noch die Interquartilsmethode die gängigste Methode. Statistische Methoden wie die Tschebyscheffsche Ungleichung21 oder die Verwendung von Dezilen22 sind bis jetzt nicht zur Anwendung gekommen.

19 Glossar „Verrechnungspreise“, Stichwort „Geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode“, a.a.O (Fn. 16). 20 Przysuski/Lalapet, A Comprehensive Look at the Berry Ratio in Transfer Pricing, Tax N ­ otes Int’l, November 21, 2005, 759 (763). 21 https://de.wikipedia.org/wiki/Tschebyscheffsche_Ungleichung. 22 https://de.wikipedia.org/wiki/Empirisches_Quantil#Dezile.

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Das Australian Taxation Office („ATO“) hat am 23.11.2018 den Entwurf einer Richtlinie zum Thema Profitabilität inländischer Vertriebsgesellschaften sowie dem damit verbundenen Risiko einer zukünftigen Verrechnungspreisüberprüfung durch die australische Steuerverwaltung veröffentlicht und diesem mit Wirkung zum 13.3.2019 zugestimmt23. Das ATO macht damit interne Risikoeinschätzungen, die die Wahrscheinlichkeit einer Verrechnungspreisprüfung bei Vertriebsgesellschaften zum Gegenstand haben, öffentlich. Die Einstufung in eine Risikoklasse hängt von der durchschnittlichen Ebit-Marge der Vertriebsgesellschaft der letzten fünf Jahre ab. Für Automobilimporteure (also NSC) teilt das ATO die Risikoklassen für eine Verrechnungspreisprüfung ein wie folgt:24 Hohes Risiko bei einer Ebit-Marge von 0%–2% Mittleres Risiko bei einer Ebit-Marge von 2%–4,3% Geringes Risiko bei einer Ebit-Marge von mehr als 4,3%. Es ist dazu anzumerken, dass diese risikoreduzierenden Ebit-Margen weit oberhalb dessen liegen, worauf sich Deutschland in den letzten 10 Jahren mit einer Vielzahl von Staaten im Rahmen von Verständigungs- oder APA-Verfahren geeinigt hat. Der australische Automobilmarkt ist einer der wettbewerbsintensivsten Märkte der Welt (mehr als 50 Marken bieten ca. 400 Modelle an25). Wie unter diesen Umständen höhere Gewinne erzielt werden sollen als in anderen Teilen der Welt, erschließt sich nicht. Anscheinend versucht das ATO, durch indirekten Druck auf die OEM in der Hoffnung auf „vorauseilenden Gehorsam“ Steuersubstrat nach Australien zu ziehen. Ob sich andere Staaten diesem Verhalten, und vor allem diesen Maßstäben, anschließen werden, bleibt abzuwarten. Immerhin soll nach Aussage des ATO diese Risikoeinschätzung nicht die Prüfung des Fremdvergleichsgrundsatzes und der Umstände des Einzelfalls ersetzen.26 c) Finanzierung und Leasing aa) Grundlagen Der Vertrieb der fertigen Fahrzeuge wird unterstützt durch günstige Angebote von konzernzugehörigen Banken oder Leasinggesellschaften (sog. Captives) für Fahrzeugfinanzierung oder Fahrzeugleasing. Die OEM offerieren über den Einzelhändler dem Endkunden Konditionen, die unter dem Preis unabhängiger Finanzierungsoder Leasinggesellschaften liegen. Ermöglicht wird das durch unterstützende Zah23 Roeder/Schurr, Die Richtlinie des Australian Taxation Office im Hinblick auf „Inbound“-­ Vertriebsstrukturen, IWB Nr. 6 v. 29.3.2019, 222. 24 Practical Compliance Guideline PCG 2019/1, https://www.ato.gov.au/law/view/document​ ?DocID=COG/PCG20191/NAT/ATO/00001#P84. 25 https://peterlloyd.com.au/car-brands-in-australia/ abgerufen am 26.10.2019. 26 https://www.ato.gov.au/law/view/document?LocID=%22COG%2FPCG20191EC%2F​ NAT%2FATO%2F00001%22&PiT=99991231235958.

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lungen der NSC an die Captives, die den Unterschied zwischen offeriertem Angebot und Marktpreis ausgleichen. Letztendlich haben die Captives hier weniger eine echte Finanzierungsfunktion, sondern sollen in erster Linie den Absatz der Fahrzeuge fördern. Dadurch, dass der Einzelhändler bereits im Autohaus dem Kunden Finanzierung und Leasing anbieten kann, haben die Captives einen nicht zu unterschätzenden Vorteil gegenüber unabhängigen Wettbewerbern, da diese den potentiellen Kunden erst dazu bewegen müssen, initiativ zu werden und mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Die unterstützenden Zahlungen an die Captives stellen für die NSC Vertriebskosten dar. Mit dem NSC-Geschäft zusammenhängende grenzüberschreitende Transaktionen zwischen den Captives und anderen Konzerngesellschaften finden i.A. nicht statt. Je nachdem, wie exakt die Unterschiede zu den Marktbedingungen und die Entwicklung der Rücknahmepreise kalkuliert werden, können aufgrund der Subventionszahlungen bei den Captives beträchtliche Gewinne anfallen, die zumindest zum Teil zu Lasten der NSC gehen. Aus diesem Grund sind diese Subventionszahlungen in die Beurteilung der Verrechnungspreise der NSC einzubeziehen, auch wenn insoweit keine direkten Transaktionen zwischen In- und Ausland stattfinden. bb) Funktionen Aufgabe der Captives ist es, dem Kunden günstige Zinssätze oder Leasingraten anzubieten und die Bonität des Kunden zu beurteilen, um das Ausfallrisiko des Finanzierungs- oder Leasingvertrages zu minimieren. An Stelle eines Preisnachlasses durch die NSC beim Verkauf des Fahrzeugs werden durch die o.g. Vergünstigungen die Subventionszahlungen der NSC an den Kunden weitergegeben. cc) Risiken – Das Ausfallrisiko ist als eher gering einzustufen. Sowohl Einkommens- als auch Vermögenssituation der Darlehens- oder Leasingnehmer werden EDV-gestützt einer Prüfung unterzogen, bei der auch auf die Bonitätseinschätzungen externer Dienstleister zurückgegriffen wird. Zudem ist ein Zugriff auf das Fahrzeug selbst möglich. – Das größte Risiko stellt eine negative Entwicklung im Gebrauchtwagenmarkt dar. Verfallen die Werte der Leasingrückläufer, können sehr schnell sehr hohe Verluste entstehen, wie die Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 gezeigt hat. Reduziert wird das Risiko in manchen Fällen durch Beteiligung der NSC an den Gewinnen und Verlusten aus dem Geschäft mit den Leasingrückläufern.

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dd) Verrechnungspreismethode Da die Captives bankähnliche Funktionen ausüben, wären grundsätzlich kapitalorientierte Methoden einschlägig. Mögliche Gewinnkennzahlen wäre die Verzinsung des Eigenkapitals, des Gesamtkapitals oder die Verzinsung des Aktivvermögens, ggf. mit Anpassungsrechnungen. Allerdings ist die Verprobung der Captives außerordentlich problematisch. Weltweit existieren keine unabhängigen Unternehmen mit einem auch nur annähernd vergleichbaren Funktions- und Risikoprofil, die Vergleichsdaten veröffentlichen. Die Banken der Automobilwirtschaft in Deutschland beispielsweise sind alle einem Konzern zugehörig.27 ee) Lösungsansätze Es ist denkbar, die Captives aufgrund ihrer den Vertrieb unterstützenden Funktion als Dienstleister einzuordnen und sie mit der Kostenaufschlagsmethode zu verproben. Auch in diesem Fall wird sich die Frage nach vergleichbaren Unternehmen stellen, aber die Chance, auf diesem Weg zu verwendbaren Ergebnissen zu kommen, erscheint größer als durch Vergleiche mit bankähnlichen Unternehmen. 2. Zulieferer a) Grundlagen Zulieferer und OEM bilden einen engen Markt. Regelmäßig verlangen die OEM, dass sich die Zulieferer mit Werken in der Nähe der Werke der OEM ansiedeln, um eine just-in-time – Belieferung sicherstellen zu können. Üblicherweise rechnen die Zulieferwerke ihre Lieferungen mit den Produktionswerken der OEM ab. Anders als bei den OEM findet eine buchhalterische Rücklieferung der produzierten Teile an die Muttergesellschaft und ein anschließender Verkauf an das Produktionswerk des OEM nicht statt. Die Zuliefererwerke nutzen allerdings Know-how der Muttergesellschaft und greifen auf Dienstleistungen der Muttergesellschaft, oft in den Bereichen Beschaffung und Vertrieb, zurück. Vergütet wird dies im Regelfall durch vom Umsatz abhängige Zahlungen, wobei oft nicht differenziert wird, für welches Know-how oder welche Leistungen im Einzelnen die Vergütung erfolgt. Die Zuliefererwerke werden deshalb gerne als „Lizenzfertiger“ bezeichnet, auch wenn der Begriff weder in den OECD-Verrechnungspreisleitlinien noch in den von der deutschen Finanzverwaltung veröffentlichten Verwaltungsgrundsätzen auftaucht. Gesonderte Vertriebseinheiten (vergleichbar den NSC der OEM) sind bei Zulieferern aufgrund des engen Marktes die Ausnahme. Grundsätzlich verhandeln die Muttergesellschaften des Zulieferkonzerns und des OEM die Verträge. Aus der o.g. Situation ergeben sich im Produktionsbereich bei den Zulieferern Besonderheiten, die bei den OEM in dieser Form nicht auftreten:

27 http://www.autobanken.de/mitglieder, abgerufen am 26.10.2019.

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b) Verrechnungspreisfragen aa) Vergütung von Anpassungsentwicklungen Es ist in der Industrie üblich, dass marktreif entwickelte Produkte an das Fahrzeugmodell, in das sie eingebaut werden sollen, angepasst werden müssen. Die Kosten dieser Anpassungsentwicklung können beträchtlich sein. Bezahlt wird die Anpassungsentwicklung vom OEM entweder gesondert oder durch einen Aufschlag auf den Serienpreis des eingekauften Teils. Auch in der Zulieferindustrie sind Forschung und Entwicklung zentralisiert, meistens bei der Muttergesellschaft. Oft findet die Anpassungsentwicklung bei der Muttergesellschaft, die den Kontakt zum Kunden hat und hält, statt. Werden die Entwicklungskosten vom Kunden über den Teilepreis bezahlt, besteht die Gefahr, dass der Anteil, der auf die Entwicklungskosten entfällt, nicht bei dem Unternehmen erfasst wird, das die Entwicklungskosten getragen hat. bb) Nutzung von Alt-Know-how Sofern bei ausländischen Tochtergesellschaften Entwicklungsabteilungen angesiedelt sind, die z.B. die Anpassungsentwicklungen selbst betreiben, ist darauf hinzuweisen, dass diese Entwicklungen nicht im „luftleeren Raum“ stattfinden. Auch die Zuliefer­ industrie kann auf eine lange Industriegeschichte zurückblicken. 2017 waren die drei größten Zulieferunternehmen weltweit die Robert Bosch GmbH, die Continental AG und die Denso Corporation. Gegründet wurden sie 1886, 1871 und 1949.  Entwicklungsleistungen bauen in den meisten Fällen auf Vorentwicklungen auf. Das Rad wird selten neu erfunden. Aufgrund dessen ist darauf zu achten, dass die Nutzung des bei der Muttergesellschaft bestehenden Alt- oder Grundlagen-Know-hows vergütet wird. cc) Globallizenzen und Dienstleistungsentgelte Oftmals verzichten Muttergesellschaft und Zuliefererwerk auf die Vereinbarung gesonderter Vergütungen für die Nutzung immaterieller Wirtschaftsgüter (Know-how, Marke), Dienst- und Unterstützungsleistungen, sondern vereinbaren eine „Globallizenz“ die alle diese Themen abdecken soll. Sie wird als Prozentsatz vom Fremdumsatz berechnet. Alle Dienstleistungen sowie das überlassene Know-how müssen dann nachvollziehbar definiert sein. Dabei ist auf die Erfassung aller betroffenen Kostenstellen bzw. Kostenarten zu achten. Wird diese Globallizenz nicht regelmäßig unternehmensintern hinsichtlich Höhe und Umfang überprüft, kann sich schnell das Risiko nicht fremdüblicher Vergütung ergeben.

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dd) Verbundene Aufträge und Preisnachlässe Auf Zulieferer wird von ihren Kunden ständig Preisdruck ausgeübt. Hat sich ein Produkt in ungeplant hohen Stückzahlen verkauft, verlangen die OEM Preisnachlässe bei Folgeprodukten. Oft wird erwartet, dass der Zulieferer für den Erhalt eines Auftrags in Vorleistung geht, sei es in Form einer Sonderzahlung an den OEM oder in Form eines Preisnachlasses bei einem bereits laufenden Produktionsvertrag. Sofern diese Preisnachlässe von anderen verbundenen Unternehmen, die in anderen Staaten ansässig sind, geleistet werden müssen oder Neuaufträge Schwestergesellschaften zu Gute kommen, ist darauf zu achten, dass eine ordnungsgemäße interne Abrechnung erfolgt und Vorteile und Nachteile den betroffenen Unternehmen durch interne Ausgleichszahlungen fremdüblich zugeordnet werden. ee) Zuordnung von Standortvorteilen („location savings“) Die Behandlung von Standortvorteilen bei der Beurteilung von Verrechnungspreisen wird seit der Öffnung Osteuropas im letzten Jahrtausend immer wieder diskutiert. Nachdem sich China als Produktionsstandort geöffnet hat, hat diese Diskussion wieder an Bedeutung gewonnen. Aufgrund des starken Wettbewerbs und des daraus resultierenden Preisdrucks produzieren sowohl OEM als auch die Zulieferer zunehmend in Staaten, in denen die Löhne niedrig sind und die Standortsubventionen gewähren. Soweit Zuliefererwerke als „Lizenzfertiger“ geführt werden, stellt sich die Frage, wie mit Standortvorteilen bei der Bildung von Verrechnungspreisen umzugehen ist. In Diskussionen mit der deutschen Finanzverwaltung wird mitunter nicht nur von Unternehmen, sondern auch von anderen Staaten auf das Urteil des FG Münster vom 16.3.200628 hingewiesen. In diesem Urteil wurde entschieden, dass fremde Dritte sich den Standortvorteil des niedrigen Lohns im Verhältnis 50:50 teilen würden. Der dem Urteil zu Grunde liegende Einzelfall lässt sich keinesfalls verallgemeinern, das Urteil ist kein Wegweiser zur Zuordnung von Standortvorteilen. In der Literatur wird die Meinung vertreten, dass fremde Dritte Standortvorteile grundsätzlich untereinander aufteilen. 29 Eine große Rolle spielt dabei die jeweilige Verhandlungsstärke der am Geschäft beteiligten Parteien. Je leichter ein Auftragnehmer austauschbar ist, weil er nur Routinefunktionen ausübt und über keine besonderen immateriellen Wirtschaftsgüter verfügt, mit denen er sich von Wettbewerbern abheben kann, desto höher wird der Anteil an den Standortvorteilen sein, den der Auftraggeber an sich ziehen kann. Zwischen fremden Dritten lässt sich in der Automobilindustrie feststellen, dass es den OEM gelingt, den ökonomischen Wert von Standortvorteilen in vollen Umfang zu ihren Gunsten bei Preisverhandlungen durchzusetzen. 28 FG Münster v. 16.3.2006 – 8 K 2348/02 E, IStR 2006, 794. 29 Wohl zuletzt: Hülshorst/Ackerman/Simoneit, Berücksichtigung von Standortvorteilen im Rahmen einer fremdvergleichskonformen Vergütung konzerninterner Transaktionen, IStR 2016, 377 m.w.N.

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c) Lösungsansätze aa) Verprobung In der Praxis wird oft versucht, die Fremdüblichkeit einer Globallizenz anhand von Datenbankanalysen zu dokumentieren. Dies ist allerdings nicht zielführend, da – Globallizenzen, die ein Bündel individuell unterschiedlicher Transaktionen abdecken, aufgrund fehlender Informationen in den Datenbanken nicht verglichen werden können und – immaterielle Wirtschaftsgüter als jeweils einzigartig anzusehen sind und allein schon aufgrund dessen unvergleichbar sind.30Dementsprechend sind auch dafür gezahlte Entgelte nicht vergleichbar. Mehr Erfolg verspricht der Ansatz, die Produktionsgesellschaft mit der Kostenaufschlagsmethode zu verproben und ggf. über Routine hinausgehende Funktionen durch einen höheren Kostenaufschlag zu berücksichtigen. bb) Absauglizenzen Die Auslastung der Zuliefererwerke hängt direkt am Absatzerfolg des OEM. Bei Minderauslastung drücken Leerkosten die Gewinne, überhohe Auslastung z.B. durch Sonderschichten, erschweren ebenfalls die Steuerung der Verrechnungspreise. Kroppen hat schon vor vielen Jahren vorgeschlagen, dass Bandbreiten definiert werden könnten, innerhalb derer die Ergebnisse der Zuliefererwerke als fremdüblich angesehen werden. Durch Ausgleichszahlungen („Absauglizenzen“) sollte das Einhalten der Bandbreite gewährleistet sein. Dieses durchaus praktikable Modell wurde vor kurzem wieder in Erinnerung gerufen.31 Es birgt jedoch das Risiko, von Finanzverwaltungen als nicht fremdüblich verworfen zu werden, da es zweifelhaft erscheint, ob fremde Dritte eine derartige Vereinbarung abschließen würden. Eine Absicherung durch ein APA sollte in Betracht gezogen werden. 3. Datenbankanalysen in der Automobilindustrie Datenbankanalysen sollen anhand des Vergleichs von Kennzahlen des handelsrechtlichen Jahresabschlusses zeigen, dass die für Transaktionen innerhalb eines Konzerns vereinbarten Verrechnungspreise zu Ergebnissen führen, wie sie auch von unabhängigen Unternehmen erzielt werden, also fremdüblich sind.32 Sie dienen insbesondere

30 Rasch, Lizenzen: Die Bestimmung fremdvergleichskonformer Lizenzen – oder: die Qua­ dratur des Kreises?, ISR 2013, 31 (36), Hinweis auf OECD-Guidelines 2017 Rz. 6.130 m.w.N. 31 Renz, Absauglizenzen in der Automobilindustrie, PWC Transfer Pricing Perspective Deutschland Ausgabe 34 Mai 2017, 13. 32 Kolb, Datenbankanalysen zu internationalen Verrechnungspreisen − Erfahrungen aus der Betriebsprüfung, IWB 12 v. 24.6.2009, 587, zuletzt wohl Bollermann/Crößmann/Hörner, Über den Umgang mit Verlusten in Fremdvergleichsstudien, IWB 15 v. 16.8.2019, 618.

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bei der Anwendung der Verrechnungspreismethode TNMM dazu, fremdübliche Bandbreiten von Gewinnvergleichskennzahlen zu ermitteln. International sind sich die Finanzverwaltungen einig, dass bei einer Datenbankanalyse die Vergleichsunternehmen unabhängig sein müssen. In der automobilen Wertschöpfungskette existieren jedoch kaum unabhängige Unternehmen, die hinsichtlich Funktionen und Risiken mit Konzernunternehmen vergleichbar sind und Daten veröffentlichen. a) Produktion Von den OEM unabhängige Produktionsunternehmen, die für die OEM Fahrzeuge herstellen, existieren (z.B. Magna-Steyr in Österreich, Valmet Automotive in Finnland). Allerdings ist z.B. Magna ein eigener, auch als Zulieferer tätiger Konzern mit eigenen immateriellen Wirtschaftsgütern. Auch Valmet ist Entrepreneur und nicht mit einem Auftragsfertiger vergleichbar. Insbesondere im amerikanischen Wirtschaftsraum (USA, Kanada, Mexiko…) wird dazu tendiert, börsennotierte US-amerikanische Produktionsunternehmen als Vergleichsunternehmen heranzuziehen. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass börsennotierte Unternehmen mit Unternehmen, die als Lohn- oder Auftragsfertiger zu qualifizieren sind, nur sehr eingeschränkt vergleichbar sind. Da ein unabhängiges Produktionswerk seine eigenen Ressourcen nutzt, um die Beschaffung als gewinntreibende Funktion zu nutzen, stellt dies bei der Durchführung einer Datenbankanalyse einen wesentlichen Unterschied in der Vergleichbarkeit33 der Unternehmen mit Produktions- oder Zuliefererwerken der Automobilindustrie dar. Dieser Unterschied ist durch eine Anpassungsrechnung zu beseitigen. Da bei den Vergleichsunternehmen nicht ermittelt werden kann, welcher Anteil ihres Gewinns auf die Funktion „Beschaffung“ entfällt, bei dem zu untersuchenden Unternehmen jedoch klar ist, dass es keine (wesentliche) Beschaffungsfunktion ausübt, ist es folgerichtig, den Materialeinkauf, der auf Basis der von der Muttergesellschaft geschlossenen Rahmenverträge erfolgt ist, nicht mit Gewinn zu beaufschlagen. b) Vertrieb Die unabhängigen Importeure sind oft international tätige Familiengesellschaften mit Aktivitäten im Import, Neu- und Gebrauchtwagenhandel, in Finanzierung und Leasing und im Werkstattgeschäft tätig und veröffentlichen nur zusammengefasste Daten. Ihre Spartenrechnungen sind nicht öffentlich. In Datenbanken auffindbar sind allerdings Unternehmen, die einen Großhandel mit Ersatzteilen oder mit anderen Produkten betreiben, oder Unternehmen des Kfz-Einzelhandels. Damit stellt sich immer die Frage der Vergleichbarkeit der Vergleichsunternehmen mit dem zu untersuchenden Unternehmen und konzentriert sich auf die Entscheidung, welche Unternehmen besser (bzw. weniger schlecht) mit einer NSC vergleichbar sind: Unterneh33 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017, a.a.O. (Fn. 17), Tz. 3.1 ff.

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men, die ähnliche Funktionen ausüben, oder Unternehmen, die mit gleichen Produkten auf einer anderen Handelsstufe handeln? Diese Diskussion kann dann in der Frage kumulieren, ob die Funktionen und Risiken eines Großhändlers mit Schwimmbadzubehör oder eines Baustoff-Großhändlers mit dem Funktions- und Risikoprofil einer NSC vergleichbar sind. Zur Vergleichbarkeit von Ersatzteil-Großhändlern mit NSC ist anzumerken, dass die Gewinne der Ersatzteil-Großhändler höher sind als die Gewinne der Händler mit Neufahrzeugen, da sie einem wesentlich geringerem Wettbewerbsdruck ausgesetzt sind. Hat sich der Kunde für ein Fahrzeug entschieden, ist die Auswahl an Teilehändlern deutlich geringer als bei der Auswahl des Neufahrzeugs. Bei den NSC wiederum macht das Ersatzteilgeschäft nur einen Bruchteil des Neuwagengeschäfts aus. International wurden Einigungen auf der Basis der Renditen von großen Automobil-Einzelhändlern gefunden. Da diese auch Werkstattgeschäft und Finanzierungsund Leasingvermittlung betreiben und, im Gegensatz zu einer NSC, alle unternehmerischen Risiken tragen, war die Lösung in Bereichen unterhalb des Medians der Umsatzrenditen zu suchen. c) Finanzierung und Leasing Auch hier lassen sich mit den Captives vergleichbare unabhängige Unternehmen in Datenbanken nicht finden. Vergleiche mit börsennotierten Unternehmen, die Kredite an Personen ausreichen, die keine Kreditkarten von Banken mehr erhalten oder mit Unternehmen, die nur alte Gebrauchtfahrzeuge finanzieren, sind aufgrund der sehr stark unterschiedlichen Risikosituationen nicht zielführend. Zudem bestehen auch hier die Unsicherheiten kapitalbasierter Gewinnvergleichskennzahlen, ähnlich wie bei den Produktionswerken. International wurden Einigungen nur in einem Gesamtkontext erzielt.

IV. Ausblick In der OECD werden Konzepte, die die Verrechnungspreisermittlung auf der Basis von Funktionen und Risiken um weitere Faktoren ergänzen, diskutiert.34 Die USA haben mit einem eigenen Modell einen weiteren Stein ins Wasser geworfen.35 Es bleibt abzuwarten, wie hoch die (Diskussions-)Wellen sein werden, die diese Vorschläge auslösen. Die Verrechnungspreiswelt wird jedenfalls damit noch unsicherer, und ob sich Lösungen auf der Basis der neuen Ansätze leichter finden lassen, bleibt dahingestellt. 34 https://www.oecd.org/tax/beps/public-consultation-document-secretariat-proposal-unified-­ approach-pillar-one.pdf. 35 Koborsi/Webber, INSIGHT: Understanding IRS’s New Transfer Pricing Functional Cost ­Diagnostic Model, https://news.bloombergtax.com/daily-tax-report/insight-9?utm_source​ =rss&utm_medium=DTNW&utm_campaign=0000016d-2c00-d433-a3ef-ef706a440000, abgerufen am 26.10.2019.

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V. Nachtrag: Verrechnungspreise und die Corona-Krise36 Zur Minimierung der Ansteckungsgefahr wurde weltweit die Automobilproduktion der OEM gestoppt und erst nach einigen Wochen wieder langsam hochgefahren. Der Verkauf neuer Automobile brach weltweit um mindestens 40% ein37. Keiner der großen Absatzmärkte blieb unbeeinflusst. Derzeit ist noch nicht absehbar, in welchem Umfang Umsätze und Gewinne innerhalb der gesamten automobilen Wertschöpfungskette darunter leiden werden. Vieles wird davon abhängen, wie schnell sich die Nachfrage nach Fahrzeugen (PKW und LKW) wieder einem den Produktionskapazitäten entsprechenden Umfang annähert und stabilisiert. Auf Basis der Erfahrungen aus der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/200938 empfiehlt sich aus Sicht der Betriebsprüfung das Folgende zu berücksichtigen: 1. Transparenz Im Interesse von Nachvollziehbarkeit und Prüfung der Fremdüblichkeit der Verrechnungspreise sollten die zur Bewältigung der Corona-Krise getroffenen unternehmerischen Entscheidungen und die ihnen zu Grunde liegenden Annahmen umfassend dokumentiert werden. Fremdübliches Verhalten in Krisensituationen beinhaltet auch das Risiko von Entscheidungen, die sich im Nachhinein als falsch herausstellen können. Sind jedoch die Faktenlage und die Einschätzungen, auf deren Basis die Entscheidungen getroffen wurden, klar dokumentiert, wird sich damit die Fremdüblichkeit der Entscheidung belegen lassen. Sollten aus konzerninternen Gründe Entscheidungen getroffen werden müssen, die möglicherweise nicht offensichtlich mit den Fremdvergleichsgrundsatz in Einklang stehen, sollte dies so früh als möglich offen mit den betroffenen Finanzbehörden im In- und Ausland erörtert werden. Nur so lassen sich Missverständnisse vermeiden, deren Auflösung nötigenfalls durch Verständigungsverfahren oder APA sehr zeitaufwändig und arbeitsintensiv werden kann. 2. Risikoverteilung Die Struktur von Automobilkonzernen ist in der Regel geprägt von einer starken Muttergesellschaft, die auch die wesentlichen immateriellen Werte verantwortet, und von funktions- und risikoarmen Tochtergesellschaften, die nur genau definierte Teilbereiche der Wertschöpfungskette (z.B. Produktion oder Großhandel) abdecken. Dies gilt unabhängig davon, ob sich die Muttergesellschaft im Inland oder im Aus36 Stand: 12.6.2020. 37 https://www.best-selling-cars.com/international/2020-march-international-global-car-sa​ les-market-analysis/, abgerufen am 12.6.2020. 38 So z.B. Engler, Änderung von Verrechnungspreisen in der Rezession, IStR 2009, 685, Mori/ Mert-Beydilli/Poole, Transfer Pricing in Troubled Times, BNA Tax Management Transfer Pricing Report Vol. 18 No. 1 v. 14.5.2009, abrufbar unter https://www.nera.com/publica​ tions/archive/2009/transfer-pricing-in-troubled-times.html.

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land befindet. Diese Strukturen bestehen mitunter schon seit Jahrzehnten. In der Krise sollte nicht versucht werden, die Risikoverteilung zu ändern oder Verrechnungspreissysteme, die in den „guten Jahren“ zu Anwendung kamen, ohne sehr gute ökonomische Gründe zu verändern39. 3. Verluste Noch ist nicht absehbar, ob tatsächlich in einzelnen Märkten, oder sogar konzernweit, Automobilkonzerne 2020 in eine Verlustsituation geraten werden. Vieles deutet jedoch darauf hin, da Corona, anders als die wirtschaftlichen Probleme der Banken 2008/2009, den gesamten Kundenkreis verunsichert und die Nachfrage bremst. Zudem ist auch Asien, insbesondere China, dessen Nachfrage den Absatzeinbruch in den USA und Europa 2008/2009 deutlich abgemildert hat, von der Corona-Krise betroffen. Soweit Verluste bei funktions- und risikoarmen Tochtergesellschaften entstehen, ist zu dokumentieren, worauf sie zurückzuführen sind40. Erst dann kann darüber entschieden werden, ob und in welchem Umfang sie durch die Muttergesellschaft zu kompensieren sind. Dies kann bei Auftrags- oder Lohnfertigern durch Subventionen der Fixkosten erfolgen, bei Vertriebsgesellschaften sind Werbekostenzuschüsse oder andere Zahlungen zur Erhaltung der lokalen Marktsituation denkbar. Auch dabei ist darauf zu achten, dass die Höhe dieser Stützungsmaßnahmen auf Fakten und nachvollziehbaren Annahmen beruhen muss. Verlustübernahmen im Konzern nach dem „Gießkannenprinzip“ dürften nicht fremdüblich sein. Weiter sollten möglichst Strategien formuliert werden, die es den Tochtergesellschaften ermöglichen, in absehbarer Zeit die Verluste zu kompensieren und in die Gewinnzone zurückzukehren. Haben Tochtergesellschaften in einzelnen Märkten in der Vergangenheit hohe Gewinne erzielt, ist zu beachten, dass dies fremdüblicherweise auch mit höheren Risiken einhergeht, so dass Stützungsmaßnahmen eher kritisch gesehen werden könnten. 4. Datenbankanalysen Die Krise der Jahre 2008/2009 war für die Automobilindustrie relativ schnell überstanden. Ab 2010 gab er bereits wieder deutlich gestiegene Absatzzahlen. Bei Datenbankanalysen, die diesen Krisenzeitraum mit umfassten, kannte man sich damit behelfen, dass, abhängig von der Situation in den einzelnen Ländern, entweder diese Jahre einfach ausgeklammert wurden und stattdessen möglichst aktuelle Jahre in die Analyse mit einbezogen wurden. Alternativ wurden längere Analysezeiträume als die

39 Vgl. Endert/Ritter, Herausforderungen im Bereich Verrechnungspreise durch Corona, IWB Nr. 9 v. 15.5.2020, 357. 40 Vgl. dazu Ditz/Quilitzsch, Auswirkungen der Corona-Krise für die Bestimmung, Prüfung und Dokumentation internationaler Verrechnungspreise, DB 2020, 971.

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üblichen 3–5 Jahre gewählt, um den Effekt der Krise auf die Vergleichsdaten abzuschwächen41. Sollten die Marktverwerfungen aufgrund der Corona-Krise längere Zeit andauern, ist klar, dass dann Daten aus der Zeit vor der Krise nicht als Vergleichsdaten für Jahre der Krise herangezogen werden können. Aus Sicht des Praktikers wird abzuwarten sein, bis Daten für einen Zeitraum nach dem Abflauen der Corona-Krise vorliegen, denen eine relativ stabile ökonomische Situation zu Grunde liegt, ggf. auf niedrigerem Niveau als 2019. Möglicherweise bieten auch die ökonomischen Wissenschaften Modelle für Anpassungsrechnungen an, die eine Krisensituation abbilden können42. Kritisch dabei ist jedoch, dass zumindest in der Automobilindustrie nur in sehr seltenen Fällen ausreichend zuverlässige Informationen vorliegen, die eine auch nur annähernd positive Aussage über die Zuverlässigkeit von Anpassungsrechnungen erlauben. Andernfalls wird doch nur Kaffeesatz auf die Glaskugel gestreut…

41 Engler, a.a.O. (Fn. 38), 688. 42 Heidecke/Wilmanns, Verrechnungspreise im Lichte der Corona-Pandemie – Kurz-, mittelund langfristige Perspektiven, ifst-Schrift 535 (2020), 88 ff.

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Verrechnungspreisdokumentation und (Public-) Country-by-­ Country Reporting: Fluch oder Segen? – Gleichzeitig eine Überprüfung der Vereinbarkeit mit dem ­Verfassungsrecht – Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Dokumentation von Verrechnungs­ preisen 2.0 1. Entwicklung der Dokumentations­ pflichten national und international 2. Country-by-Country Reporting – ­Hintergrund a) Inhaltsabriss b) Wesentliche Kritikpunkte 3. Public Country-by-Country Reporting

III. Verfassungsrechtliche Vereinbarkeit des CbCR 1. Recht auf informationelle Selbst­ bestimmung würde verletzt a) Schutzbereichsverletzung b) Eingriff in den Schutzbereich c) Rechtfertigung des Eingriffs 2. Ergebnis IV. Weitere Überprüfungsmaßstäbe V. Schlussbetrachtung in Thesen

I. Einleitung Das Thema Public Country-by-Country Reporting hat in jüngerer Zeit wieder an Fahrt aufgenommen. Fast hätte das Public country-by-country reporting (CbCR) unbemerkt seinen Weg in das COVID-19 Pandemic Relief Bill1 des US-Kongresses gefunden.2 Das wäre schon fast amüsant gewesen, wenn der Staat, der dem CbCR bisher so überwiegend kritisch gegenüberstand, mit einer unerwartet plötzlichen gesetzlichen Umsetzung geglänzt hätte. Das allerdings bedeutet nicht, dass die Vorschrift nicht doch noch Eingang in eines der folgenden US Gesetze bekommen kann. Aber auch in der Europäischen Union wird auf eine Umsetzung des Public CbCR im zweiten Halbjahr gedrängt.3 Nicht besonders überraschend hat UK in dem Zusammenhang deutlich gemacht, dass ein Public CbCR nicht akzeptiert wird, solange die

1 Coronavirus Aid, Relief and Economic Security (CARES) Act, (H.R. 748), Public Law No. (P.L.) 116-136, US Congress v. 27.3.2020, https://www.congress.gov/bill/116th-congress/ house-bill/748?q=%7B%22search%22%3A%5B%22H.R.+748%22%5D%7D&s=1&r=1.  Am 23.3.2020 hatte das House Ways and Means Committee ein 65-seitiges Memorandum mit Vorschlägen für den Take Responsibility for Workers and Familie Act (H.R. 6379). Dieser fand Eingang in Sec. 407 des Take Responsibility for Workers and Familie Act (H.R. 6379), S.  737, abrufbar unter: https://www.congress.gov/bill/116th-congress/house-bill/6379/text. Im ­CARES Act (so) v. 27.3.2020 war sec. 407 allerdings nicht mehr enthalten. 2 Vgl. Gouldner, Close Encounters with Public CbC Reporting, Tax Notes International, April 2020, 109 (109). (=Tax Notes, 7 April 2020, https://www.taxnotes.com/tax-notes-today-­ international/tax-policy/close-encounters-public-cbc-reporting/2020/04/07/2cc8g). 3 Vgl. noch II.3.

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Datenqualität und Konsistenzprobleme nicht beseitigt werden.4 Auch die alles beherrschende COVID-19 Krise im ersten Halbjahr 2020 „befeuert“ das Thema. Tatsächlich wird im Rahmen der Corona-Hilfsprogramme politisch die Forderung aufgestellt, dass Unternehmen Informationen über Geldflüsse mit Niedrigsteuerstaaten und andere Informationen offenlegen, sofern Unternehmen Hilfsprogramme in Anspruch nehmen müssen.5 Die Probleme mit dem „einfachen“ CbCR sind darüber hinaus auch noch nicht gelöst. Das Thema Verrechnungspreise und dabei natürlich auch die Dokumentation6 von Verrechnungspreisen hat in der Beratungstätigkeit des Jubilars sowohl in der Praxis als auch in seinem wissenschaftlichen Wirken eine beherrschende Rolle gespielt, neben allen anderen Tätigkeitsfeldern. Umso mehr ist es dem Verfasser nach fast zwei Jahrzehnten gemeinsamer Tätigkeit – beginnend 2000 als Referendar in der Wahlstation, später als Partner – eine besondere Ehre, das Themengebiet der Dokumentation für die spezielle Thematik CbCR insgesamt zu beleuchten, allerdings auch unter einem erweiterten Blickwinkel, nämlich dem des Verfassungsrechts.

II. Dokumentation von Verrechnungspreisen 2.0 1. Entwicklung der Dokumentationspflichten national und international Die Geburtsstunde der Dokumentation von Verrechnungspreisen in Deutschland kann man in der wohl nach wie vor wichtigsten Entscheidung des Bundesfinanzhofs in Verrechnungspreisfragen vom 17.10.20017 verorten. Zwar stellte der erste Se-

4 Johnston, Tax Notes, 7 May 2020. 5 Vgl. etwa die Berichterstattung, FAZ v. 2.5.2020, S. 22 „Geschäfte in Panama“. 6 Aus der Literatur des Jubilars zum Thema Dokumentation: Kroppen/Eigelshoven, IWB 2000, 101; Kroppen/Eigelshoven, IWB 2001, 1745; Kroppen/Rasch/Roeder, IWB 2001, 1133  ff.; Kroppen/Rasch/Roeder, Tax Notes International, 10 December 2001, S.  1111  ff.; Kroppen/ Reis, IWB 2002, 1623; Kroppen/Rasch, Tax Notes International, 18 November 2002, S. 666 ff.; dies., IWB 2003, 1921 ff.; dies., IWB 2003, 1970 ff.; dies., IWB 2003, 1955 ff.; dies., IWB 2003, Aktuell, S. 1035 f.; dies., IWB 2004, 2057 ff.; dies., IWB 2005, 2113 ff.; dies., IWB 2005, 2091; dies., IWB 2013, p. 830 ff.; dies., ISR 2014, 348 ff. 7 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BFHE 197, 68 = BStBl. II 2004, 171 = DB 2001, 2474 = StRK AO 1977 § 162 R. 66, unter III. A. 2. d). Der Fall hat eine beträchtliche Prozessgeschichte und ist bereits mit divergierenden Entscheidungen in den erstinstanzlichen Entscheidungen verhandelt worden (vgl. FG Düsseldorf v. 8.12.1998 – 6 K 3661/93, DStRE 1999, 787 ff.; vgl. dazu u.a. auch Borstell/Prick, International Tax Review 1999, 9 ff.; Kroppen/Eigelshoven, IWB Fach 3 Deutschland, Gruppe 1, 1587 ff.; Kroppen/Eigelshoven, International Transfer Pricing Journal 2000, 156 ff.; Kuckhoff/Schreiber, IStR 1999, 513 ff.; Schnorberger, IStR 1999, 523 ff.; Wassermeyer, WPg 2002, 10 ff. und den AdV-Verfahren (BFH v. 10.5.2001 – I S 3/01, BFHE 194, 360 = DB 2001, 1180 ff.; vgl. dazu Kroppen/Eigelshoven, IWB Fach 3 Deutschland, Gruppe 1, 1745  ff.; Kroppen/Eigelshoven, International Transfer Pricing Journal 2001, 226  ff.; Strunk/Kaminski, IWB Fach 3 Deutschland, Gruppe 1, 1749 ff.).

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Verrechnungspreisdokumentation und (Public-) Country-by-­Country Reporting

nat8 in diesem Urteil noch das Gegenteil fest, dass es nämlich keine spezifischen Dokumentationspflichten für Verrechnungspreise gab.9 Der Jubilar hatte seinerzeit jedoch bereits gesagt, das Urteil werde „Steine statt Brot“ bringen, weil der Gesetzgeber reagieren würde bzw. reagieren müsse.10 Und die Zeit sollte ihm schneller Recht geben, als vielen Recht war. Am 1.1.2003 trat bekanntlich § 90 Abs. 3 AO11 in Kraft,12 der die bis dahin bestehenden Mitwirkungspflichten für grenzüberschreitende Fragestellungen, insbesondere in § 90 Abs. 2 AO deutlich um die Mitwirkungspflicht für Aufzeichnungen für grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen erweiterte und damit wohl die umfassendste „Verrechtlichung“ im Bereich der Dokumentation13 und der Verrechnungspreise insgesamt einläutete. 8 Vgl. dazu die zahlreichen Veröffentlichungen: Andresen, Tax Management Transfer Pricing, (vol. 10) 2001, 173 ff.; Andresen, RIW 2002, 134 ff.; Baumhoff, IStR 2001, 751 ff.; Baumhoff, IStR 2002, 1 (2 ff.); Crezelius, BB 2002, 1121 ff.; Crezelius, IStR 2002, 433 ff.; Gosch, StBp 2001, 361 f.; Grützner, StuB 2002, 22 ff.; Hoffmann, GmbH-StB 2002, 117 ff.; Hollatz, NWB, Fach 4, 4625; Kaminski/Strunk, IWB Fach 3 Deutschland, Gruppe 1, 1831  ff.; Kroppen/ Rasch/Roeder, IWB Fach 3 Deutschland, Gruppe 1, 1787; Kroppen/Rasch/Roeder, Tax Notes International, (vol. 24) 2001, 1111  ff.; Kroppen/Rasch/Roeder, Tax Management Transfer Pricing (vol. 10) 2002, 835  ff.; Kuckhoff/Schreiber, IWB Fach 3 Deutschland, Gruppe 1, 1863 ff.; Roser, EStB 2002, 106 ff. 9 Zu dieser Frage, ob den allgemeinen Mitwirkungspflichten der Steuerpflichtigen eine Verpflichtung folgt, die Grundlagen über die Preisfestsetzung zu dokumentieren, bestätigte der BFH seine Auffassung, die er bereits im Verfahren zur Aussetzung der Vollziehung vertreten hatte (BFH v. 10.5.2001 – I S 3/01, BFHE 194, 360 = DB 2001, 1180 ff. = StRK KStG 1977 § 8 Abs. 3 R. 196). Demzufolge kannte das deutsche Steuerrecht unter der zum Zeitpunkt der Entscheidung gültigen Rechtslage keine spezifischen Dokumentationsanforderungen für Verrechnungspreise. Die gegebenen gesetzlichen Verpflichtungen zur Aufzeichnung waren den §§ 140 ff. AO und §§ 238 ff. HGB zu entnehmen. Der Steuerpflichtige war demnach lediglich verpflichtet, existente Bücher, Unterlagen und Geschäftspapiere vorzulegen und Auskünfte zu erteilen. So bereits: Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 346 (382). 10 Kroppen/Rasch/Roeder, IWB 2001, 1133 (1142). 11 Vgl. BT-Drucks. 15/119, 52: In der Begründung des Gesetzentwurfs zu § 90 Abs. 3 AO wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich aus dem existierenden § 90 Abs. 2 AO „nicht mit hinreichender Klarheit“ ergibt, dass die Steuerpflichtigen im Rahmen der Aufklärung von Auslandssachverhalten eine „Pflicht zur Erstellung von Aufzeichnungen für die Prüfung von Verrechnungspreisen“ haben. Die Rechtsprechung habe das Bestehen einer solchen Verpflichtung verneint. Demnach sah sich der Gesetzgeber offensichtlich zum Handeln gezwungen, um die Aufzeichnungspflicht verbindlich zu regeln. 12 Vgl. zu §§ 90 Abs. 3, 162 Abs. 3, 4 AO und der Rechtsverordnung i.S.d. § 90 Abs. 3 Satz 5 AO: Kroppen/Rasch, IWB 2003, 1921 ff.; Kroppen/Rasch, Worldwide Tax Daily March 2003, 2003 WTD 46-6; Kroppen/Rasch, Tax Management Transfer Pricing (vol. 11) 2003, 885 ff.; Kroppen/Rasch, Tax Notes. International 2002, 466 ff.; Kroppen/Rasch, IWB Aktuell, 1035 f.; Rasch/Roeder, Tax Management Transfer Pricing (vol. 11) 2002, 731 ff.; Rasch/Roeder, IWB 2003, 1933 f., Schnorberger, DB 2003, 1241 ff. 13 Die Konkretisierung der Aufzeichnungspflichten im Sinne von Art, Inhalt und Umfang kam mit der Rechtsverordnung, der sog. Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung (GAufzV), Verordnung zu Art, Inhalt und Umfang von Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Abs. 3 der Abgabenordnung (Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung – GAufzV), v. 13.11.2003, BGBl. I 2003, 2296, geändert durch Gesetz v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912, und

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Das alles war aber im Vergleich zu dem sog. BEPS Projekt nachrangig. Mit dem BEPS Projekt wollte die OECD etwa ab 2012/2013 eine Art globalisierten Verrechnungspreiskodex schaffen, einschließlich umfassender Empfehlungen zur Dokumentation.14 Das Projekt hatte in dem Sinne Erfolg, dass viele Staaten die Empfehlungen umsetzten. Deutschland hat die Vorgaben zur Dokumentation ebenfalls in das nationale Recht transformiert.15 Maßnahme 13 des BEPS Action Plan („Re-examine transfer pricing documentation“) hatte eine Überarbeitung der Grundregeln für die Verrechnungspreisdokumentation zum Ziel.16 Der am 5.10.2015 veröffentlichte finale Bericht hat Eingang in das neue Kapitel V der OECD Leitlinien17 gefunden und ersetzt die alte Fassung der Leitlinien aus dem Jahr 1996 vollständig.18 Grundgedanke bei der Ausarbeitung der neuen Leitlinien war nach dem BEPS Action Plan: „… (die) Erarbeitung von Regeln zur Verrechnungspreisdokumentation mit dem Ziel einer Verbesserung der Transparenz für Steuerverwaltungen unter Berücksichtigung der Compliance-Kosten für Unternehmen. Die zu entwickelnden Regelungen können eine Verpflichtung von global agierenden Unternehmen enthalten, allen maßgeblichen Staaten die erforderlichen Informationen über die weltweite Verteilung der Einkünfte, der wirtschaftlichen Tätigkeit und der gezahlten Steuern auf die verschiedenen Staaten zur Verfügung zu stellen.“

Bereits im Juli 2013 wurde ein sog. White Paper zur Dokumentation vorgestellt19 und nur wenige Monate nach der Veröffentlichung des OECD-Maßnahmen-Plans hatte die OECD dann am 30.1.2014 einen ersten Entwurf zur Verrechnungspreisdokuden sog. Verwaltungsgrundsätzen-Verfahren, Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung zwischen nahestehenden Personen mit grenzüberschreitenden Geschäftsbe­ ziehungen in Bezug auf Ermittlungs- und Mitwirkungspflichten, Berichtigungen sowie auf Verständigungs- und EU-Schiedsverfahren BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05, BStBl. I 2005, 570 (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren). 14 OECD (2015), Leitlinien zur Verrechnungspreisdokumentation und länderbezogenen Berichterstattung, OECD Publishing, Paris. http://dx.doi.org/10.1787/9789264231283-de. 15 Die Überarbeitung des Kapitels V der OECD-Leitlinien im Rahmen der BEPS-Initiative und der Umsetzung des Aktionspunktes 13 nahm der Gesetzgeber zum Anlass im sog. Anti-BEPS-I UmsetzungsG v. 20.12.2016 (Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EUAHiRL und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen, BGBl. I 2016, 3000) die Änderungen nachzuvollziehen. So wurde § 90 Abs. 3 AO ergänzt, § 117c AO eingeführt und die Sanktionen des § 162 Abs. 3 und 4 AO angepasst. 16 OECD (2015), Guidance on Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting – Final Report 2015, Abrufbar unter: www.oecd-library.org/docserver/download/​ 2315381e.pdf ?expires=1467634069&id=id&accname=guest&checksum=69FD110B​ 8F2EF20​748FDE8DAB7840780. 17 OECD (2017), OECD Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises and Tax ­Administrations 2017, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/tpg-2017-en. 18 Ausführlich zur Darstellung und Erläuterung, vgl. die Kommentierung von Mank/Tomson in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. V. Zum Hintergrund der Entwicklung vgl. Mank, ebenda, Vorbemerkungen, Anm. 5. 19 OECD (2013), Public Consultation: White Paper on Transfer Pricing Documentation, abrufbar unter: www.oecd.org/ctp/transfer-pricing/white-paper-transfer-pricing-documenta​ tion.pdf.

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Verrechnungspreisdokumentation und (Public-) Country-by-­Country Reporting

mentation und zum Country-by-Country Reporting veröffentlicht20, verbunden mit der Aufforderung zur Stellungnahme. Auf über 3500 Seiten kommentierten Wirtschaft und Wissenschaft die Vorschläge.21 Zusammen mit den anderen ersten Ergebnissen wurde dann am 16.9.2014 die „Guidance on Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting“22 veröffentlicht, die einen ersten Vorschlag für das neue Kapitel V enthielt.23 Punkt 13 des OECD-Aktionsplans enthält einen dreiteiligen, standardisierten Ansatz für die Verrechnungspreisdokumentation, einschließlich eines Mindeststandards für die länderbezogene Berichterstattung (Country-by-Country Reporting). Die Leitlinien zur Verrechnungspreisdokumentation verlangen von multinationalen Unternehmen zum einen, dass sie übergeordnete Informationen über ihre weltweite Geschäftstätigkeit und Verrechnungspreispolitik erstellen, die in der „Stammdokumentation“ („Master File“) zusammenzufassen sind, die allen zuständigen Steuerverwaltungen zur Verfügung gestellt werden muss. Des Weiteren verlangen die OECD-Leitlinien im neuen Kapitel V OECD-Leitlinien – das aus dem Aktionspunkt 13 hervorgegangen ist –, dass eine stärker geschäftsvorfallbezogene Verrechnungspreisdokumentation geliefert wird, und zwar in einer für jeden Staat zu erstellenden landesspezifischen Dokumentation („Local File“), in der alle wesentlichen Geschäftsvorfälle mit nahestehenden Dritten, die Volumen der Beträge, um die es bei diesen Geschäftsvorfällen geht, sowie die Analysen der Verrechnungspreisbestimmung, die das multinationale Unternehmen in Bezug auf diese Geschäftsvorfälle vorgenommen hat, genannt sind. Schließlich müssen große multinationale Unternehmen einen Country-by-Country Report vorlegen, der jährlich und für alle Jurisdiktionen, in denen sie einer Geschäfts20 OECD (2014), Public Consultation: Discussion Draft on Transfer Pricing Documentation and CbC Reporting, abrufbar unter: www.oecd.org/ctp/transfer-pricing/discussion-draft-­ transfer-pricing-documentation.pdf. Zum OECD Discussion Draft vgl. Rasch, IWB 2014, 124 f. 21 In fünf öffentlichen Sitzungen und drei Webcasts mit mehr als 10 000 Beobachtern wurden die Kommentare diskutiert und der Entwurf überabeitet. 22 OECD (2014), Guidance on Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, OECD/G20 Base Erosion and Profit Shifting Project, OECD Publishing. Abrufbar unter: http://dx.doi.org/10.1787/9789264219236-en. 23 In Ergänzung hat die OECD am 6.2.2015 den Bericht „Guidance on the Implementation of Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting“ (www.oecd.org/ ctp/beps-action-13-guidance-implementation-tp-documentation-cbc-reporting.pdf) veröffentlicht, der weitere Hinweise zur Implementierung der Dokumentationsanforderungen sowie des CbCR gibt. Dazu kam ein „Implementierungpaket“ v. 29.6.2015 (www.oecd.org/ tax/guidance-on-the-implementation-of-country-by-country-reporting-beps-action-13. pdf), welches ein Muster für die gesetzliche Regelung zur Abgabe des CbCR sowie drei Vorschläge zum Austausch der Informationen des CbCR zwischen den Finanzverwaltungen enthält. Alle Ergänzungen beschäftigen sich inhaltlich im Wesentlichen mit weiter­ führenden und erläuternden Ausführungen zum Country-by-Country Reporting (der finale Bericht v. 5.10.2015 entspricht im Wesentlichen dem Entwurf v. 16.9.2014.  Der Entwurf wurde jedoch um den Inhalt der Papiere v. 6.2.2015 und 29.6.2015 ergänzt. Detaillierte Ausführungen zur Implementierung der Verrechnungspreisdokumentation und zum CbCR sind nun in Abschnitt E sowie Anhang IV von Kapitel V enthalten.).

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tätigkeit nachgehen, über die Höhe ihrer Einkünfte, ihrer Vorsteuergewinne sowie ihrer bereits gezahlten und noch zu zahlenden Ertragsteuern Auskunft gibt. Die Country-by-Country Reports sollten im Staat der obersten Muttergesellschaft eingereicht und über den zwischenstaatlichen Informationsaustausch automatisch weitergeleitet werden. Unter bestimmten Umständen können zur Ergänzung Zweitmechanismen (secondary mechanism) wie die Einreichung der Dokumentation in den verschiedenen betroffenen Staaten eingesetzt werden. Ein vereinbarter Umsetzungsplan soll sicherstellen, dass die Finanzverwaltungen die Informationen zeitnah erhalten, dass die Vertraulichkeit der gelieferten Informationen gewahrt bleibt, und dass die Country-by-Country Reports sachgerecht genutzt werden. Während die Vorschläge zum Master File24 und Local File25 im Kern nur die bis dahin bereits geübte Praxis umsetzte26, war das Country-by-Country Reporting27 gänzlich neu. 2. Country-by-Country Reporting – Hintergrund Sinn und Zweck des CbCRs soll es laut OECD sein, Verrechnungspreisrisiken zu analysieren, d.h. Gewinnverlagerungen durch die Gestaltung von Verrechnungsprei-

24 Erstmals bei Kroppen/Rasch, ISR 2014, 358 ff.; umfassend Mank/Tomson in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. V, Tz. 5.18 ff. Anm. 43 ff. bzw. Rasch in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, GAufzV, Vorbemerkungen, Anm. 24 ff. 25 Vgl. Mank/Tomson in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. V, Tz. 5.22 f. Anm. 52 ff. 26 In Europa wurde in Form eines Code of Conduct zur Verrechnungspreisdokumentation (EU-TPD - EU Transfer Pricing Documentation) bereits 2006 ein zweistufiger Ansatz verabschiedet. Der Rat der europäischen Union ist damit seinerzeit dem Vorschlag des EU Joint Transfer Pricing Forums („EU JTPF“) mit dem Ziel gefolgt, die „Befolgungskosten“ im Zusammenhang mit der Verrechnungspreisdokumentation für verbundene Unternehmen zu senken. Der Verhaltenskodex schlägt eine standardisierte und teilweise zentralisierte Verrechnungspreisdokumentation in der Europäischen Union vor, die (vergleichbar mit den neuen Regelungen in Kapitel V) aus zwei Teilen bestehen soll. Vgl. Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten v. 27.6.2006 zu einem Verhaltenskodex zur Verrechnungspreisdokumentation für verbun­ dene Unternehmen in der Europäischen Union (EU TPD), Amtsblatt der Europäischen Union v. 28.7.2006, C 176/01; vgl. dazu Mank/Tomson, in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. V, Tz. 5.16 Anm. 41. 27 Aus der Literatur ua: Rasch/Mank/Tomson, IStR 2015, 424; Nientimp/Stein/Schwarz, Ubg 2016, 399; Bärsch/Engelen/Färber, DB 2016, 972; Kunert/Strothenke, StuB 2017, 772; van Lück, BB 2017, 2524: Brockman, CbCR Surrogate parent entity − good idea, but will it work, ITR 2016, 3; Brockman, EU CbCR: What is the vision?, TPIR 04/17, 3; Brockman, Investors and BEPS: A precarious balance, ITR Nov. 2016, 3; Buge, Der Konzern 2016, 490; Burow, CbC Could Be a ‘Nightmare‘ for Corporate Tax Departments, TNI 2015, 674; Busch/Peters, BMF-Schreiben zum Country-by-Country Reporting veröffentlicht, DB 2017, 1875.

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sen zu identifizieren, sowie weitere Risiken im Zusammenhang mit Base Erosion und Profit Shifting festzustellen.28 Die dem CbCR zugrundeliegende Idee wurde erstmalig für Unternehmen aus der Rohstoffindustrie entwickelt, von denen man erwartete, Zahlungen an rohstoffreiche Staaten nachzuweisen.29 Dies begründete sich auf einer Reihe von empirischen Studien, die einen Zusammenhang zwischen Rohstoffreichtum und relativ geringem Wirtschaftswachstum dokumentierten.30 Daraus entwickelten sich zwei Initiativen31 – die Publish What you Pay (PWYP)-Kampagne32 und die Extractive Industries Transparency Initiative (EITI).33 Die Verpflichtung zum CbCR wurde erstmals 2010 mit 28 Tz. 5.25 OECD Leitlinien; vgl. Tomson in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. V, Tz. 5.23 Anm. 56. 29 Umfassend zum Hintergrund und der Entwicklung des CbCR:  Evers/Hundsdoerfer, Country-­by-Country Reporting: Eine neue Rechnungslegung über länderspezifische Wertschöpfung und Ertragsteuern?, Sep. 2014, 3  ff., abrufbar unter http://edocs.fu-berlin.de/ docs/servlets/MCRFileNodeServlet/FUDOCS_derivate_000000003922/discpaper2014​ _20.pdf. Ferner Tomson in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. V, Tz. 5.23 Anm. 57. 30 Vgl.  Sachs/Warner, European Economic Review 2001, 827, m.w.N.;  Gylfason, European Economic Review 2001, 847; Sachs/Warner, NBER Working Paper 5398/1995, 1997. 31 Vgl. www.publishwhatyoupay.org; http://eiti.org. 32 Die Publish What you Pay (PWYP)-Kampagne wurde 2002 in Großbritannien von einer Gruppe NGOs ins Leben gerufen. Der Vorschlag der Gründer sah vor, sämtliche Zahlungen an Regierungen und öffentliche Institutionen ressourcenreicher Ländern offenzulegen („publish what you pay“) und einer unabhängigen Prüfung zu unterziehen. Zudem sollten auch die beteiligten Länder ihre Einnahmen aus dem Abbau der Bodenschätze offenlegen („publish what you earn“) und angeben, wohin diese Gelder investiert wurden („publish how you spend it“). Diese Initiative wird mittlerweile weltweit von mehr als 800 Organisationen unterstützt. Anhand der veröffentlichten Informationen soll die Bevölkerung insbesondere von Entwicklungsländern mit reichen Rohstoffvorkommen in die Lage versetzt werden, nachzuvollziehen, wie die Einnahmen aus der Ausbeutung dieser Ressourcen ­verwendet werden. Ziel der Initiative ist es, Unterschlagung oder Missbrauch der Gelder zu  verhindern und dadurch die Armut durch Korruption und die Verbesserung des ­wirtschaftlichen Wachstums in rohstoffreichen Ländern zu bekämpfen. Vgl. Tomson in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. V, Tz. 5.23 Anm. 57; Evers/Hundsdoerfer, Fn. 29, Sep. 2014, 3 (14). 33 Im Jahr 2003 entwickelte sich aus der PWYP-Kampagne die Initiative für Transparenz in der Rohstoffindustrie − „Extractive Industries Transparency Initiative“ (EITI). Länder, die sich der Initiative angeschlossen haben, verpflichten sich, einen von der EITI entwickelten Transparenz-Standard zu erfüllen. Dieser umfasst die regelmäßige Veröffentlichung von Berichten zu den Einnahmen der Regierungen als auch zu den Zahlungsströmen aus der Rohstoffgewinnung privater und öffentlicher Rohstoffunternehmen an die EITI-Mitgliedsländer. Für die Teilnahme an der Initiative können sich die Staaten freiwillig bewerben, allerdings wird die Veröffentlichung der entsprechenden Informationen durch Aufnahme für die in diesen Ländern agierenden Unternehmen zwingend. Evers/Hundsdoerfer, Fn.  29, Sep. 2014, 3 (5). Am 8.5.2019 hat der internationale Vorstand der EITI nach einem aufwendigen Validierungsverfahren entschieden, dass Deutschland bereits mit seinem ersten Bericht alle Anforderungen des EITI-Standards erfolgreich umgesetzt hat. Deutschland war damit das

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der Unterzeichnung des Dodd-Frank Wall Street Reform and Consumer Protection Acts34 gesetzlich verankert. Hiernach sollte jedes an der US-Börse notierte Rohstoff­ unternehmen aus den Branchen Bergbau, Erdöl und Erdgas dazu verpflichtet sein, jährlich Angaben zu Zahlungen an amerikanische und ausländische Regierungen, inklusive Steuern, Lizenzen, Bonuszahlungen und Dividenden, für den Abbau und die Verarbeitung von Erdöl, Erdgas und anderen Bodenschätzen zu machen.35 Im Jahr 2013 hat die EU mit zwei Richtlinien die Pflicht zu einer länderbezogenen Berichterstattung (Country-by-Country Reporting) für Unternehmen eingeführt. Dies betrifft Unternehmen der „mineralgewinnenden Industrie“ (Mineralien-, Erdölund Erdgas-Industrie)36 und der Forstwirtschaft. Die betroffenen Unternehmen sind nach der Richtlinie verpflichtet, sämtliche Geld- und Sachleistungen, die aufgrund operativer Tätigkeiten an nationale, regionale oder lokale Behörden eines Mitgliedstaates oder eines Drittlandes gezahlt wurden, in einem jährlichen, separaten Bericht offenzulegen.37 Die geforderten Angaben sind sehr weitgehend und umfassen Steuerzahlungen, Produktionszahlungsansprüche, Nutzungsentgelte, Dividenden, Unterzeichnungs-, Entdeckungs- und Produktionsboni sowie Lizenz-, Miet- und Zugangsgebühren inklusive sonstiger Gegenleistungen für Lizenzen und Konzessionen und Zahlungen für die Verbesserung der Infrastruktur.38 Des Weiteren wurde eine Richtlinie mit der Pflicht zum CbCR für den europäischen Bankensektor39 verabschiedet. Diese Richtlinie hat Deutschland mit Gesetz vom achte von 52 EITI-Mitgliedsländern und das erste EU-Mitglied, das dieses Prädikat er­ halten hat. Vgl. BMWi, Transparenz in der rohstoffgewinnenden Industrie, https://www. bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Industrie/gewinnung-heimischer-rohstoffe-transparenz-​ 06.html. 34 111. Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika, H.R. 4173, 2010. Tomson in Kroppen/ Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. V, Tz. 5.23 Anm. 59. 35 In den jährlichen Berichten wird desweiteren eine Aufschlüsselung der Gesamtsumme aller Zahlungen nach Projekten gefordert (vgl. Securities and Exchange Commission, RIN 3235AK85, 77 Federal Register v. 12.9.2012, 56365 ff.). Betroffen sind alle beim US-Wertpapierund Börsenausschuss (SEC) registrierten Unternehmen. Dies sind nicht nur Rohstoffkonzerne mit Sitz in den USA sondern auch solche, die in anderen Staaten ansässig sind. Aufgrund Anfechtung der Richtlinie des Dodd-Frank Acts durch das American Petroleum Institute, dem Industrieverband der US-Ölindustrie, wurde diese mit gerichtlicher Entscheidung v. 2.7.2013 vorerst außer Kraft gesetzt (United States District Court for the district of Columbia, Civil Action No. 12-1668 (JDB) v. 2.7.2013, 1  ff.). Insgesamt Evers/ Hundsdoerfer, Fn. 29, Sep. 2014, 3 (7). 36 Bilanzrichtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.6.2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates mit Änderungsrichtlinie 2014/95/EU, ABl. L 182 v. 29.6.2013, S. 19. 37 RL 2013/34/EU, Fn. 36, S. 24, Rz. 44 und S. 52, Art. 41. 38 RL 2013/34/EU, Fn. 36, S. 52, Art. 41, Nr. 5. 39 Eigenkapitalrichtlinie (CRD IV) 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.6.2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung

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28.8.2013 in nationales Recht umgesetzt.40 Nach § 26a KWG müssen alle deutschen Kreditinstitute und Wertpapierfirmen berichten, in welchem Land sie welche Steuern in welcher Höhe zahlen. Daneben müssen Angaben zu der Firmenbezeichnung, der Art der Tätigkeit und der geografischen Lage aller Niederlassungen der Institute gemacht werden. Weiterhin sind Informationen zum Umsatz, zur Anzahl der Lohnund Gehaltsempfänger, zum Gewinn oder Verlust vor Steuern und zu den erhaltenen öffentlichen Beihilfen erfasst. Aufgeschlüsselt werden die Angaben nach den Mitgliedsstaaten der EU und den Drittstaaten, in denen die Institute Niederlassungen haben. Diese Informationen sind seit dem 1.1.2015 im Anhang zum Jahresabschluss zu veröffentlichen und somit der Öffentlichkeit zugänglich.41 In Deutschland wurde eine länder- und projektbezogene Berichtspflicht für deutsche Unternehmen aller Branchen erstmals am 17.10.2012 von Bündnis 90/Die Grünen gefordert.42 Dieser Antrag wurde jedoch abgelehnt.43 Im Juni 2013 folgte gleichwohl ein weiterer Antrag für einen Gesetzesentwurf der Fraktionen SPD und Bündnis 90/ Die Grünen an die Bundesregierung, mit dem alle großen deutschen Kapitalgesellschaften gem. § 267 HGB verpflichtet werden, länderspezifisch ihre Steuerzahlungen, Gewinne, Umsätze, Beschäftigten und Kapitalbestände offenzulegen.44 Dieser Antrag wurde ebenfalls abgelehnt.45 Der Deutsche Bundestag hatte sich allerdings ausdrücklich für die Implementierung einer länderspezifischen Rechnungslegungspflicht für multinationale Unternehmen in den OECD-Leitlinien ausgesprochen.46 Im Zuge des G8-Gipfeltreffens von Lough Erne im Juni 2013 wurde das CbCR sodann als geeignetes Mittel zur Aufdeckung von Gewinnverschiebungen zwischen den Ländern erachtet und schließlich im Rahmen des BEPS Aktionsplans der OECD als Maßnahme 13

von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG, ABl. L 176 v. 27.6.2013, S. 339, dort. Art. 89 zur länderspezifischen Berichterstattung, S. 384 f. 40 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2013/36/EU v. 28.8.2013, BGBl. I 2013, 3395 ff. 41 Vgl. Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2013/36/EU, BGBl. I 2013, 3395 ff., 3429-3430, 3446. 42 BT-Drucks. 17/11075 v. 17.10.2012. 43 BT-Drucks. 17/11695 v. 28.11.2012, 2. 44 BT-Drucks. 17/13717 v. 4.6.2013, 2. 45 BT-Drucks. 17/14185 v. 26.6.2013, 3. SPD und CDU hatten sich im Koalitionsvertrag darauf verständigt, in Anlehnung an die europäischen Regelungen eine länderspezifische Berichterstattung im Bankenbereich und im Rohstoffhandel insbesondere über erzielte Gewinne, entstandene Verluste und gezahlte Steuern zwischen den Steuerverwaltungen einzuführen. CDU/CSU/SPD, Koalitionsvertrag 2013, 65.  3.  Eine verpflichtende Veröffentlichung der Angaben im Jahres- bzw. Konzernabschluss war, ebenso wie eine Rechnungslegung auf Länderbasis für Konzerne weiterer Branchen, zum Zeitpunkt der Vereinbarung des Koa­ litionsvertrages nicht beabsichtigt. Vgl. Evers/Hundsdoerfer, Fn. 29, Sep. 2014, 9; Tomson in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. V, Tz. 5.23 Anm. 62. 46 BT-Drucks. 17/4668, 3 f.

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aufgenommen.47 Schließlich wurde das CbCR als dritter Bestandteil der Verrechnungspreisdokumentation in Kapitel V der OECD-Leitlinien etabliert.48 In Anerkennung der Tatsache, dass mit BEPS Aktionspunkt 13 neue Wege beschritten wurden, sah die OECD nach fünf Jahren ein Monitoring der eingeführten Maßnahme vor. Diese fünf Jahre sind im Jahr 2020 vorbei. Die geplante öffentliche Konsultation musste wegen der COVID-19 Krise abgesagt werden, gleichwohl gingen 80 Kommentare ein.49 Es wird abzuwarten sein, wie die OECD mit den Ergebnissen umgeht.50 a) Inhaltsabriss In dem CbCR51 sollen, zusätzlich zur Dokumentation der jeweiligen konzerninternen Transaktionen im Local File und den allgemeinen Unternehmensinformationen des Master Files, weitere Informationen der gesamten Unternehmensgruppe zusam47 OECD, Action Plan on Base Erosion and Profit Shifting, Juli 2013; Pinkernell, FR 2014, 964 (968); vgl. auch Dawid/Metzner/Schwerdt, IWB 2013, 671 (674 ff.) zum OECD „White Paper on Transfer Pricing Documentation“ v. 30.7.2013; zum Hintergrund vgl. ferner Keller/ Schmid, BB 2014, 2283 f. Am 3.10.2013 veröffentlichte die OECD zunächst ein Memoran­ dum zum Thema CbCR. Vgl. OECD, Memorandum on Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, 2013. Nach einer öffentlichen Konsultation im November 2013 veröffentlichte die OECD am 30.1.2014 den ersten Diskussionsentwurf zur Verrechnungspreisdokumentation und zum CbCR. OECD, Discussion Draft on Transfer Pricing and CbC Reporting v. 30.1.2014. Weitere umfassende Ausführungen bei Tomson in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. V, Tz. 5.23 Anm. 63 f. 48 OECD, Transfer Pricing Guidelines 2017, Chapter V, Tz. 5.16 ff. 49 https://www.oecd.org/tax/beps/public-comments-received-on-the-2020-review-of-country-­ by-country-reporting-beps-action-13-minimum-standard.htm. 50 Viele der eingereichten Kommentare äußerten sich zu ähnlichen Themen und stellten fest, dass die CbC-Berichterstattung eine Compliance Belastung für die Unternehmen darstelle, und schlugen vor, mehrere der erforderlichen Datenfelder zu straffen. Mehrere Gruppen meinten, es sei verfrüht, große Änderungen am Dokumentationssystem vorzunehmen. Der US National Foreign Trade Council führt aus, dass das CbCR sich erst im dritten Zyklus (oder weniger) befinde, und die Auswertung der Daten noch am Anfang stehe. Es erscheint verfrüht, weitgehende Änderungen am Inhalt des CbC-Berichts vorzunehmen, wenn die Staaten noch Erfahrungen sammelten und, was ebenso wichtig sei, während die Gestaltung des OECD-Programms zur Digitalisierung der Wirtschaft noch andauert. Daher sei es wichtig, dass bei allen vorgeschlagenen Änderungen am CbC-Bericht zunächst die Ergebnisse der laufenden OECD-Arbeiten zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft berücksichtigt werden. Vgl. Schultz, NFTC, “Comment Letter on the Public Consultation Document: Review of Country-by-Country Reporting (BEPS Action 13)”. Vgl. auch Gouldner, Close Encounters with Public CbC Reporting, Tax Notes International, April 2020, 109 (112). 51 Aus der Literatur, je mwN: Rasch/Mank/Tomson, IStR 2015, 424; Nientimp/Stein/Schwarz, Ubg 2016, 399; Bärsch/Engelen/Färber, DB 2016, 972; Kunert/Strothenke, StuB 2017, 772; van Lück, BB 2017, 2524: Brockman, ITR 2016, 3; Brockman, TPIR 04/17, 3; Brockman, ITR Nov. 2016, 3; Buge, Der Konzern 2016, 490; Burow, TNI 2015, 674; Busch/Peters, DB 2017, 1875; Mank/Salihu, IWB 2017, 902; Mank/Totzek, IWB 2017, 922ff.; Rasch, IWB 2016, 1 ff.

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mengefasst und ausgewiesen werden, so dass die Finanzverwaltungen einen umfassenden Überblick über die wirtschaftliche Tätigkeit des multinationalen Unternehmens in allen betroffenen Staaten gewinnen können. Ein vereinbarter Umsetzungsplan sollte sicherstellen, dass die Steuerverwaltungen die Informationen zeitnah erhalten, dass die Vertraulichkeit der gelieferten Informationen gewahrt bleibt und dass die Country-by-Country Reports sachgerecht genutzt werden. Zum Zweck der Umsetzung der OECD-Empfehlungen hinsichtlich der länderspezifischen Berichterstattung wurde im nationalen Recht §  138a AO52 mit der Überschrift „Mitteilungspflichten multinationaler Unternehmen“ eingefügt. Es war beabsichtigt, hiermit sowohl den Mindeststandard für die länderbezogene Berichterstattung als auch die Berichtspflichten nach der Änderung der EU-Amtshilferichtlinie umzusetzen.53 Unter bestimmten Voraussetzungen können zur Ergänzung Zweitmechanismen (secondary mechanism) wie die Einreichung der Dokumentation in den verschiedenen betroffenen Staaten eingesetzt werden.54 In BEPS Aktionspunkt 13 ist keine Veröffentlichung der CbCR vorgesehen. Vielmehr soll ein automatischer Informationsaustausch zwischen den Finanzbehörden der beteiligten Staaten stattfinden. In Deutschland unterliegen die Daten grundsätzlich dem Schutz des Steuergeheimnisses nach § 30 AO. Darüber hinaus hat sich Deutschland nach §  5 des Multilateral Competent Authority Agreement (MCAA)55 zur Geheimhaltung verpflichtet. Wie dazu das Public CbCR passt, ist nicht erklärlich (dazu noch zu II. 3).

52 Mit dem „Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen“ (BEPS-Umsetzungsgesetz, BGBl. I 2016, 3000) wurde durch die Aufnahme des § 138a in die Abgabenordnung das CbCR in nationales Recht umgesetzt. 53 Am 8.12.2015 (RL (EU) 2015/2376) und 25.5.2016 (RL (EU) 2016/881) beschlossen die europäischen Mitgliedstaaten die entsprechenden Änderungen an der EU-Amtshilferichtlinie, welche diese BEPS-Empfehlung zum Country-by-Country-Reporting innerhalb der EU einheitlich umsetzt. 54 Zum 31.12.2018 gilt auch erstmals die Verpflichtung für einbezogene inländische Gesellschaften oder inländische Betriebsstätten eines ausländischen Unternehmens i.S.d. § 138a Abs. 4 Satz 5 AO, einen CbCR beim BZSt einzureichen, wenn das BZSt nicht bereits einen CbCR erhalten hat. Dies ist der sog. „Secondary Mechanism“, der in Deutschland in § 138a Abs. 4 AO geregelt und für Wirtschaftsjahre anzuwenden ist, die nach dem 31.12.2016 begonnen haben (vgl. Art. 97 § 31 Satz 2 EGAO). Die Frist zur Einreichung des CbCR im Rahmen des „Secondary Mechanism“ ist identisch zu den Fällen einer inländischen Konzernobergesellschaft oder einer beauftragten inländischen Gesellschaft. Nach § 138a Abs. 6 AO ist der CbCR spätestens ein Jahr nach Ablauf des Wirtschaftsjahres einzureichen, für das der länderbezogene Bericht zu erstellen ist; bei kalendergleichem Wirtschaftsjahr somit bis spätestens zum 31.12.2018 (bei abweichendem Wirtschaftsjahr verschiebt sich die Frist entsprechend). Des Weiteren enthält § 138a Abs. 5 AO ebenfalls für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2016 begonnen haben, eine Pflicht für inländische Unternehmen/Betriebsstätten, bestimmte Angaben in der Steuererklärung zum CbCR anzugeben. 55 Multilateral Competent Authority Agreement on automatic exchance of financial account information, unterzeichnet am 29.10.2014 von 61 Staaten.

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b) Wesentliche Kritikpunkte Zentrale Herausforderung bei der Implementierung des CbCR ist es, die Aussagefähigkeit und Vergleichbarkeit der offenzulegenden Informationen zu gewährleisten und Fehlinterpretationen zu vermeiden. Dies setzt klare, allgemein zugängliche und leicht verständliche Definitionen der verwendeten Berichtskategorien voraus. Dies ist der OECD nur bedingt gelungen. Die Aussagekraft der anzugebenden Kennzahlen im CbCR ist fraglich und lässt nur bedingt Rückschlüsse auf mögliche Verschiebungen von Steuersubstrat zu.56 Das CbCR enthält einige Inkonsistenzen, wie beispielsweise bei der örtlichen Zuordnung der Einkünfte einer Betriebsstätte zum Staat des Stammhauses einerseits und der Steuerzahlungen je Staat andererseits. Dasselbe gilt für Dividendenzahlungen, die nicht bei der Darstellung der Umsätze berücksichtigt werden sollen, hierauf allerdings ggf. vom Empfänger Steuern zu entrichten sind. Der Zusammenhang zwischen den länderspezifisch gezahlten Steuern und dem Länderergebnis eines Geschäftsjahres ist an so vielen Stellen temporär oder permanent durchbrochen, dass diese beiden Größen zumindest für ein einzelnes Geschäftsjahr nicht sinnvoll zueinander in Beziehung gesetzt werden können. Zudem sind die Definitionen der OECD nicht eindeutig, so dass zu erwarten ist, dass verschiedene Positionen des CbCR unterschiedlich ausgelegt werden. Wünschenswert wäre eine Orientierung an der Terminologie anerkannter Rechnungslegungsstandards gewesen. Etliche Aspekte lässt die OECD bewusst offen und stellt sie in das Ermessen der Steuerpflichtigen, wie beispielsweise die Wahl der Quelle, aus der die Daten für das CbCR entnommen werden sollen. Im Ergebnis wird dies zu einer inkonsistenten Implementierung auf jeweils nationaler Ebene führen, so dass die Aussagekraft noch weiter eingeschränkt sein könnte. Es besteht daher das Risiko, dass die Wertung der Informationen des CbCR durch die Finanzverwaltungen zu vielen Fällen der Doppelbesteuerung führen wird.57 Die Finanzverwaltungen sollen nach dem Willen der OECD sicherstellen, dass keine vertraulichen Informationen (wie etwa Geschäfts- oder Forschungsgeheimnisse) und andere sensible Wirtschaftsdaten aus dem Master File, Local File und CbCR an die Öffentlichkeit gelangen. Dies muss dem Steuerpflichtigen auch durch die Finanzverwaltungen zugesichert werden. Falls eine Offenlegung beispielsweise im Rahmen eines Gerichtsverfahrens notwendig wird, sollen die Finanzverwaltungen alles tun, um sicherzustellen, dass die Vertraulichkeit gewahrt und eine Offenlegung nur in dem Umfang erfolgt, in dem sie auch tatsächlich notwendig ist. Der Aspekt der Geheimhaltung ist für die Steuerpflichtigen nicht nur im Hinblick auf steuerlich relevante Daten bedeutend, sondern insbesondere auch im Hinblick auf Geschäftsgeheimnisse und vertrauliche Finanzdaten. Für Unternehmen ist es für den Erfolg ihrer geschäftlichen Aktivitäten entscheidend, dass diese Daten nicht in die Hände der Konkurrenz geraten. In den Eingaben zum Discussion Draft der OECD 56 Rasch/Mank/Tomson, IStR 2015, 424 (428); Tomson in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. V, Tz. 5.25 Anm. 84. 57 Rasch/Mank/Tomson, IStR 2015, 424 (428); Pinkernell FR 2014, 964 (971).

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zur BEPS Maßnahme 13 v. 30.1.201458 wurde dieser Aspekt daher immer wieder besonders hervorgehoben. Im Zuge des internationalen Informationsaustauschs zwischen den Finanzbehörden stellen sich im Hinblick auf die Wahrung des Steuergeheimnisses weitere Fragen. Eine entsprechende Geheimhaltung sensibler Daten durch ausländische Staaten ist keineswegs gesichert. Vielmehr bestehen zwischen den einzelnen Ländern erhebliche Unterschiede im Hinblick auf die Reichweite des Steuergeheimnisses. In einigen Staaten (beispielsweise Frankreich, Finnland, Nor­ wegen und Schweden) ist eine Offenlegung steuerlicher Informationen nach innerstaatlichem Recht zulässig, so dass Steuerinformationen einzelner Steuerpflichtiger problemlos abgefragt werden können. Wenn Unterlagen in einem öffentlichen Gerichtsverfahren benötigt werden, gehen die OECD-Leitlinien davon aus, dass diese überlassen werden müssen. In diesem Fall sollen die notwendigen Bemühungen unternommen werden, um die Geheimhaltung der Informationen nichtsdestotrotz zu gewährleisten. Dies kann nur so interpretiert werden, dass Informationen, die in einem Gerichtsverfahren bereits veröffentlicht worden sind, nicht mehr der Geheimhaltung unterliegen. Die Behandlung und der Umgang mit vertraulichen Informationen durch die Finanzverwaltung sollen sich an den OECD-Leitlinien „Keeping It Safe“ orientieren, welche auch Vorgaben für den Austausch von steuerlichen Informationen enthalten. In diesen Leitlinien macht die OECD Vorschläge zur vertraulichen Behandlung von Informationen sowohl innerhalb der Finanzverwaltung als auch im Umgang mit dem Informationsaustausch zwischen den Finanzverwaltungen der einzelnen Länder. 3. Public Country-by-Country Reporting Am 12.4.2016 hat die EU-Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Rechnungslegungsrichtlinie (RL 2013/34/EU vom 26.6.2013) im Hinblick auf die Offenlegung von Ertragsteuerinformationen durch bestimmte Unternehmen und Zweigniederlassungen vorgelegt.59 Dieser soll es multinationalen Unternehmensgruppen mit obersten Mutterunternehmen in EU-Mitgliedstaaten sowie EU-Tochterunternehmen und EU-Zweigniederlassungen von obersten Nicht-EU-Mutterunternehmen vorschreiben, jährlich einen Bericht über die weltweiten Geschäftstätigkeiten sowie über die Verteilung von Umsatzerlösen, Gewinnen, Ertragsteuerzahlungen und von weiteren Unternehmensdaten auf einzelne Steuerhoheitsgebiete zu erstellen und diesen Ertragsteuerinformationsbericht öffentlich zugänglich zu machen. Für diese Ertragsteuerberichterstattung ist ein neues Kapitel 10a in der Rechnungslegungsrichtlinie (Artikel 48a bis Art. 48i) mit der Überschrift „Ertragsteuerinformationsbericht“

58 Vgl. Fn. 20. 59 Vorschlag der Europäischen Kommission v. 12.4.2016 zur Änderung der Richtlinie 2013/34/EU im Hinblick auf die Offenlegung von Ertragssteuerinformationen durch bestimmte Unternehmen und Zweigniederlassungen, COM(2016) 198 final, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX:52016PC0198.  Dazu etwa Grotherr, IWB 2016, 854 ff; 892 ff; Kleinmanns, StuB 2016, 547 ff.; Lagarden/Schreiber/Simons/Sureth-Sloane, ITPJ 2020, 91 ff.; Rasch, IWB 2016, 438 f.

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vorgesehen.60 Es erstaunt, dass der Richtlinien-Änderungsvorschlag dabei auch in der englischsprachigen Fassung nicht den Begriff Country-by-Country Report verwendet, um den es sich gerade dreht, sondern den Begriff Report on Income Tax Information.61 Die EU Kommission stützt diesen Vorschlag auf Art.  50 AEUV und dieser kann mit dem sog. ordentlichen Gesetzgebungsverfahren nach Art. 294 AEUV mit qualifizierter Mehrheit i.S.v. Art. 16 Abs. 3 AEUV erlassen werden.62 Grund für den Vorschlag der EU ist, dass die EU Kommission offensichtlich die rein steuerlichen Country-by-Country Reports als nicht ausreichend ansieht, um die Bekämpfung von Steuervermeidung und aggressiver Steuerplanung voranzutreiben. Sowohl auf EU- als auch auf globaler Ebene zählt es zu den politischen Prioritäten der Europäischen Kommission.63 Als Teil einer umfassenderen Strategie für eine faire und effiziente Unternehmensbesteuerung in der EU soll öffentliche Kontrolle sicherstellen helfen, dass Gewinne tatsächlich dort besteuert werden, wo sie entstehen. Diese öffentliche Kontrolle wiederum könne das Vertrauen der Öffentlichkeit stärken und bewirken, dass Unternehmen mehr soziale Verantwortung übernehmen, indem sie Steuern dort zahlen, wo sie ihre Geschäfte betreiben, und so zum Wohlstand des betreffenden Landes beitragen. Darüber hinaus soll öffentliche Kontrolle auch eine sachkundigere Debatte über mögliche Mängel im Steuerrecht befördern können. Am 22.10.2019 debattierte das Europäische Parlament und reichte einen Entschließungsantrag ein, um den Druck auf die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten bezüglich des anhängigen Entwurfs zum Public CbCR zu erhöhen.64 Am 20.12.2019 veröffentlichte die finnische EU-Präsidentschaft im Anschluss an die Debatten im Rat „Wettbewerbsfähigkeit“ und im Rat „Wirtschaft und Finanzen“ einen neuen Kompro-

60 Der Vorschlag der EU Kommission führt eine Berichtspflicht für multinationale Unternehmen ein, unabhängig davon, ob ihr Hauptsitz innerhalb oder außerhalb der EU liegt. Wo ein multinationaler Konzern seinen Hauptsitz außerhalb der EU hat, müssen seine mittleren und großen Tochtergesellschaften und Niederlassungen in der EU einen CbCR-Bericht für den gesamten Konzern einreichen, es sei denn, die Nicht-EU-Muttergesellschaft macht die entsprechenden Informationen öffentlich zugänglich. Der Vorschlag sieht vor, dass die Informationen in verständlicher und umfassender Form vorzulegen sind und sich auf die Aktivitäten eines Unternehmens in jedem Mitgliedstaat beziehen. Die Informationen müssen für jeden Mitgliedstaat und für jede Steuerjurisdiktion zur Verfügung gestellt werden, die auf einer Liste von Jurisdiktionen aufgeführt ist, die nach Ansicht der EU bestimmte Kriterien für gute Standards des verantwortungsvollen Handelns im Steuerbereich nicht erfüllen. Daten für alle anderen Nicht-EU-Steuergebiete können aggregiert werden. 61 Grotherr, IWB 2016, 854 (855). 62 Dafür benötigt es nach Art. 16 Abs. 4 S. 1 AEUV die Zustimmung von mind. 55% der Mitglieder des Rats, gebildet aus mindestens 15 Mitgliedern, sofern die von diesen vertretenen Mitgliedstaaten zusammen mindestens 65% der Bevölkerung der Union machen. 63 COM(2016) 198 final, Fn. 59, S. 2; Grotherr, IWB 2016, 854 (855). 64 Zwei Tage später wurde die nicht bindende Resolution im Europäischen Parlament mit 572 Ja-Stimmen, 42 Gegenstimmen und 21 Enthaltungen angenommen. Allerdings hat der von der Europäischen Kommission vorgeschlagene öffentliche CbCR die EU-Mitgliedstaaten von Anfang an gespalten.

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misstext des Rates zum öffentlichen CbCR mit Änderungen der Präambel.65 Nach Ansicht der finnischen EU-Präsidentschaft sollte die Änderung dieser Erwägungsgründe Ziel und Inhalt des Vorschlags klären und könnte Bedenken hinsichtlich der Rechtsgrundlage des Vorschlags ausräumen und den Weg für weitere Verhandlungen im Rat ebnen.66

III. Verfassungsrechtliche Vereinbarkeit des CbCR Das zentrale Anliegen des CbCR ist – wie dargestellt (vgl. oben II. 2. a) b)) – aus Sicht der Staaten, ein sog. Risk Management Tool für die effiziente Durchführung von Betriebsprüfungen zu erhalten, die Gerechtigkeit bei der Steuererhebung zu erhöhen und Transparenz bzgl. der Anwendung von Steuersparmodellen multinationaler Unternehmen zu erlangen. Die Datenerhebung im Rahmen des CbCR ist damit wohl für Gemeinwohlbelange von Bedeutung.67 Zur Erfüllung dieser Gemeinwohlbelange ist erforderlich, dass im Rahmen des CbCR Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse offengelegt werden müssen. Hierbei stellt sich aber die Frage, ob zumindest durch ein Public CbCR das Grundgesetz verletzt werden könnte, in dem die Empfehlung der OECD überschießend umgesetzt würde. Die OECD verlangt kein öffentlich zugängliches CbCR. Die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des CbCR ergibt sich, insbesondere vor dem Hintergrund des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art.  2 Abs.  1 i.V.m. Art.  1 Abs.  1 GG), des Grundrechts auf Berufsfreiheit (Art.  12 GG) und  – nachrangig – aus der Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3) bzw. des Grundrechts auf Eigentumsschutz (Art. 14 GG). Im Vordergrund steht hier die Prüfung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. 1. Recht auf informationelle Selbstbestimmung würde verletzt Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) gibt dem „Einzelnen die Befugnis, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen“.68 Die Vertrau65 Erwägungsgründe 2, 6b, 10 und 12 im „Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council amending Directive 2013/34/EU as regards disclosure of income tax information by certain undertakings and branches“, 15285/19, 20.12.2019. 66 Denkbar ist, dass die Umsetzung im Rahmen der kroatischen Präsidentschaft bis 1.7.2020 oder durch die deutsche Ratspräsidentschaft im 2. Halbjahr 2020 weiterverfolgt wird. Die neue EU Kommission unter der Präsidentin von der Leyen hatte „größtmögliche Unterstützung für eine rasche Annahme des öffentlichen CbCR-Vorschlags“ erklärt. 67 Vgl. BVerfG, Beschluss v. 13.6.2007 – 1 BvR 1550/3, BVerfGE 118, 168 zu einer vergleichbaren Fragestellung bei der Kontenabfrage. 68 BVerfG, Beschluss v. 13.6.2007 – 1 BvR 1550/03, BVerfGE 118, 168 (Rz. 86) – Kontostammdaten; BVerfG, Beschluss v. 11.6.1991 – 1 BvR 239/90, BVerfGE 84, 192 (Rz. 10) – Offenbarungspflicht; BVerfG, Urteil v. 15.12.1983 – 1 BvR 209/83, BVerfGE 65, 1 (Rz. 146, 149) – Volkszählung.

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lichkeit der Daten ist die verfassungsrechtliche Regel, die Weitergabe an andere, insbesondere an die Öffentlichkeit sind ohne Einwilligung der Betroffenen Ausnahmen, die jeweils gesteigerten Rechtfertigungshürden unterliegen.69 Mindestens ein Public CbCR würde dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis verfassungswidrig verkehren. Die Verarbeitung von Daten und die in dieser Hinsicht vorhandenen Möglichkeiten der Verarbeitung haben, insbesondere in den letzten Jahren, deutlich zugenommen.70 Es ist daher erforderlich, dass die Grundrechte bereits vor grundrechtlichen Gefährdungen, also im Vorfeld konkreter Bedrohungen, Schutzwirkung entfalten.71 Das Bundesverfassungsgericht hebt hervor, dass „der Schutzumfang des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung“ sich „nicht auf Informationen, die bereits ihrer Art nach sensibel sind und schon deshalb grundrechtlich geschützt werden“ beschränkt. „Auch der Umgang mit personenbezogenen Daten, die für sich genommenen nur geringen Informationsgehalt haben, kann, je nach seinem Ziel und den bestehenden Verarbeitungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten, grundrechtserhebliche Auswirkungen auf die Privatheit und Verhaltensfreiheit des Betroffenen haben. Insofern gibt es  unter den Bedingungen der elektronischen Datenverarbeitung kein schlechthin, also ungeachtet des Verwendungskontextes, belangloses personenbezogenes Datum.“72 Diese Aussage hat das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahre 1983 im Rahmen des Volkszählungsurteils gemacht und sollte – betrachtet man die Gegenwart und die heutige Debatte – sehr wohl Recht behalten. a) Schutzbereichsverletzung Der Schutzbereich der informationellen Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art.  1 Abs.  1 GG umfasst den Schutz gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe der individualisierten oder individualisierbaren Daten.73 So soll jeder in der Lage sein, selbst über die Preisgabe und Verwendung per-

69 Vgl. G. Kirchhof zur Frage der Vereinbarkeit eines öffentlichen Zugangs zum Transpa­ renzregister mit dem GG, Stellungnahme, Finanzausschuss des Deutschen Bundestages, Öffentliche Anhörung am 24.4.2017 zum Entwurf eines „Geldwäschegesetzes“ (BT-Drs. 18/11555), S. 5; abrufbar unter https://www.bundestag.de/ausschuesse/ausschuesse18/a07/ anhoerungen/110--501856. 70 BVerfG, Urteil v. 27.2.2008 – 1 BvR 370/07, BVerfGE 120, 274 (Rz. 169, Zitat: 181) – Online-Durchsuchung. G. Kirchhof, Gutachten, Finanzausschuss, Fn. 69, S. 2. 71 BVerfG, Beschluss v. 13.6.2007 – 1 BvR 1550/03, BVerfGE 118, 168 (Rz. 87 f.) – Konto­ stammdaten; BVerfG, Urteil v. 15.12.1983 – 1 BvR 209/83, BVerfGE 65, 1 (Rz. 147 ff.) – Volkszählung; siehe unter III. 2. m.w.N. Vgl. auch noch unten III.1a) Grundrechtliche Gefährdung durch Datenverarbeitung. 72 Vgl. grundlegend BVerfG, Urteil v. 15.12.1983 – 1 BvR 209/83, BVerfGE 65, 1 (Rz. 152 f.) – Volkszählung. 73 BVerfG, Urteil v. 15.12.1983  – 1 BvR 209/83, BVerfGE 65, 1 (43)  – Volkszählung. Vgl. auch Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Öffentliche Country-by-Country Reports über Besteuerungsgrundlagen von Unternehmen, Welche rechtlichen Grenzen setzen das Steuer- und Geschäftsgeheimnis?, Ausarbeitung WD 4 3000 - 068/16 v. 23.6.2016, S .7. 

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sönlicher Daten zu bestimmen.74 Vom Schutzbereich dieser Norm werden alle Angaben erfasst, die ein Steuerpflichtiger im Rahmen seiner Erklärungspflicht abgeben muss.75 Eine Einschränkung ist nur im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes gerechtfertigt. Die Einschränkung darf nicht weiter gehen als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich ist.76 Zugleich ergeben sich prinzipielle Grenzen für die Verwendung und Weitergabe solcher Angaben: Das gegenwärtige gesetzliche Abgabenrecht – so das Bundesverfassungsgericht – verpflichtet den Betroffenen, allein zum Zwecke der Besteuerung Angaben zu machen; zu einer Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe individualisierter oder individualisierbarer Daten zu anderen Zwecken ermächtigen die Steuergesetze grundsätzlich nicht.77 Anwendbarkeit des Schutzbereichs auf CbCR juristischer Personen Grundsätzlich ist der Grundrechtsschutz für juristische Personen nicht gleich weitgehend wie der Grundrechtsschutz natürlicher Personen.78 Gemäß Art. 19 Abs. 3 GG gelten die Grundrechte jedoch auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Gleichwohl handelt es sich nicht um eine allgemeine Anwendung, sondern bedarf einer differenzierten Beurteilung in Bezug auf die Schutzgutverletzung.79 Das Bundesverfassungsgericht stellt fest, dass in Bezug auf das Recht eines selbstbestimmten Umgangs mit Daten, der Grundrechtsschutz von Organisationen möglich sei, sofern etwa durch staatliche Datenabfragen die betroffene Organisation „einer Gefährdung hinsichtlich ihrer spezifischen Freiheitsausübung“80 ausgesetzt sei. Dies kann sich, insbesondere auf schützenswerte Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse beziehen.81 Das CbCR enthält wohl unstreitig sensible Unternehmensdaten, die grundsätzlich Rückschlüsse auf die Rentabilität sowie spezifische Geschäftstätigkeiten der Konzernunternehmen und weitere Details erlauben. Das kann für sich zu Wettbewerbsnachteilen gegenüber anderen Marktteilnehmern führen.82 Die Öffnung des Schutzbereichs für juristische Personen kann daher nicht im Zweifel stehen.

74 BVerfG, Beschluss v. 12.4.2005 – 2 BvR 1027/02, BVerfGE 113, 29 (Rz. 82) – Anwaltsdaten. 75 Oppel, IWB 2017, 359 (362). 76 BVerfG, Urteil v. 17.7.1984 – 2 BvE 11, 15/83, BVerfGE 67, 100 (Rz. 182) – Flick-Untersuchungsausschuss. 77 BVerfG, Urteil v. 17.7.1984 – 2 BvE 11, 15/83, BVerfGE 67, 100 (Rz. 183) – Flick-Untersuchungsausschuss. 78 Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rz. 103. 79 BVerfG, Beschluss v. 13.6.2007  – 1 BvR 1550/03, 2357/04, 603/05, BVerfGE 118, 168 (Rz. 152) – Kontostammdaten. 80 BVerfG, Beschluss v. 13.6.2007  – 1 BvR 1550/03, 2357/04, 603/05, BVerfGE 118, 168 (Rz. 157) – Kontostammdaten; Gutachten Wiss. Dienst, Fn. 73, S. 8. 81 So auch Grotherr, IWB 2016, 892 (897). Zur Definition vgl. etwa BVerfG, Beschluss v. 14.3.2006 – 1 BvR 2087/03, 1 BvR 2111/03, Rn. 87. Gutachten Wiss. Dienst, Fn. 73, S. 10. 82 Vgl. etwa Grotherr, IWB 2016, 892 (897).

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Grundrechtliche Gefährdung durch Datenverarbeitung Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hat angesichts der sich verändernden Bedingungen der Datenverarbeitung eine herausragende und wachsende Bedeutung. Die moderne Datentechnik erhöht die grundrechtliche Gefährdung. Der individual-rechtliche Schutz greift daher bereits „auf der Stufe der Persönlichkeitsgefährdung“ also „im Vorfeld konkreter Bedrohungen benennbarer Rechtsgüter“.83 Das Bundesverfassungsgericht stellt weiter fest, dass aus „der Bedeutung der Nutzung Informa­ tionstechnischer Systeme für die Persönlichkeitsentfaltung und aus den Persön­ lichkeitsgefährdungen, die mit dieser Nutzung verbunden sind“ ein „grundrechtlich erhebliches Schutzbedürfnis“ folgt.84 b) Eingriff in den Schutzbereich Der Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts wird teilweise auf der Basis des Arguments verneint, dass zahlreiche Daten bereits über den HGB-Abschluss bzw. den Konzernabschluss (sogar) öffentlich verfügbar sind.85 Es wird auch argumentiert, die Daten, die im CbCR abgefragt werden, stellten schon gar keine Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse dar.86 Einem Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung steht nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts „nicht entgegen, dass es sich bei den Daten um bereits anderweitig erhobene Daten handelt, denn sie werden nach eigenen Kriterien zusammengeführt und aufbereitet, um sie anderen Behörden als denen, die sie erhoben haben, zu deren Zwecken zur Verfügung zu stellen.“87 Auch in  Fällen, in denen die im CbCR aufgeführten Daten teilweise in anderen Quellen öffentlich zugänglich sind, bewirkt das CbCR potentiell eine eigene grundrechtliche Betroffenheit. Die Daten werden anderen Behörden und im Fall des Public CbCR öffentlich zur Verfügung gestellt. Das Bundesverfassungsgericht betont des Weiteren, dass in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen wird, wenn öffentlich verfügbare Daten elektronisch zusammengetragen werden. Aufgrund der Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung können aus bestehenden Daten weitere Informationen gewonnen und neue Schlüsse gezogen werden. Das CbCR soll gerade diesen Mehrwert 83 Vgl. BVerfG, Beschluss v. 13.6.2007 – 1 BvR 1550/03, BVerfGE 118, 168 (Rz. 87 f.) – Kontostammdaten; BVerfG, Urteil v. 15.12.1983  – 1 BvR 209/83, BVerfGE 65, 1 (Rz.  147)  – Volkszählung. 84 BVerfG, Urteil v. 27.2.2008 – 1 BvR 370/07, BVerfGE 120, 274 (Rz. 169, Zitat: 181) – Online-Durchsuchung. 85 Gutachten Wiss. Dienst, Fn. 73, S. 8 f. 86 Vgl. etwa Gouldner, Close Encounters with Public CbC Reporting, Tax Notes International, April 2020, 109 (111) – „not trade secrets… contained in a tax return… more analogous to a financial statement.“ 87 BVerfG, Urteil v. 24.4.2013 – 1 BvR 1215/07, BVerfGE 133, 277 (Rz. 95) – Anti-Terrordatei. Vgl. auch BVerfG, Urteil v. 27.2.2008 – 1 BvR 370/07, BVerfGE 120, 274 (Rz. 171 ff.) – Online-Durchsuchung.

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schaffen (vgl. bereits zuvor II. 2. b)). Das CbCR sammelt sensible Informationen über Vermögen, wirtschaftliche Verhältnisse und damit auch über Strukturen von Unternehmen. Diese Daten können im Wettbewerb maßgeblich sein, insbesondere wenn ein Unternehmen in andere Branchen investiert oder sein Geschäftsmodell verändert. Diese erhebliche grundrechtliche Betroffenheit wird durch die Verarbeitungsund Verknüpfungsmöglichkeiten der Daten gesteigert. Daher ist auch das Argument, die Daten aus dem CbCR seien schon keine Betriebsoder Geschäftsgeheimnisse und daher veröffentlichungsfähig, nicht durchgreifend. An sich genommen sind die Informationen im Regelfall wahrscheinlich tatsächlich keine Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse. Eine Einschränkung mag sich in Einzelfällen ergeben, was auch durch Informationen zu einzelnen Industriebereichen relevant sein kann. Durch Verarbeitung und die Kombination mit anderen Informationen kann die Veröffentlichung von Daten jedoch in den Schutzbereich eingreifen. c) Rechtfertigung des Eingriffs Es gibt keine schrankenlose Gewährung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung. Es ist vielmehr abzuwägen zwischen Gemeinwohlbelangen und der datenschutzrechtlichen Betroffenheit (s. zuvor zu b) bzw. 1). Die erheblichen und sich erweiternden Möglichkeiten moderner Datenverarbeitung intensivieren den grundrechtlichen Schutz, fordern daher einen behutsamen Umgang mit Daten.88 Zu unterscheiden ist hier zwischen dem CbCR und dem Public CbCR. In der bisherigen öffentlichen Diskussion89 wird sich auf das existierende Steuergeheimnis mit dem Hinweis berufen, dass die Daten von öffentlichen Stellen gerade nicht weitergegeben werden. Hier kann man aber eine überschießende Tendenz des Gesetzes ausmachen. Zwar mag das Steuergeheimnis im jeweils nationalen Recht die Weitergabe stark einschränken bzw. aufgrund von Strafbewertheit auch faktisch ausschließen. Das Datenschutzrecht in einzelnen Ländern (zB Skandinaviens) steht dem aber aufgrund der dortigen Informationsfreiheit entgegen (vgl. auch III. 2. b)). Auch ist nicht sichergestellt, dass einzelne Länder Informationen nicht weitergehend verwenden und damit quasi-öffentlich machen. Sofern nur ein Land die Vertraulichkeit der Daten verletzt, sind die Daten des CbCR faktisch öffentlich. Demgegenüber stehen die Ziele des Informationsinteresses und die Anforderungen an die Steuerehrlichkeit der Gesellschaft. Die Abwägung muss sich mE auch an den Vorgaben des Steuergeheimnisses des § 30 AO orientieren. Der Eingriff durch eine Öffentlichmachung der für die Unternehmen sensiblen Informationen im Lichte des weiten Schutzbereichs überwiegt daher in dieser Hinsicht.

88 Vgl. BVerfG, Beschluss v. 13.6.2007 – 1 BvR 1550/03, BVerfGE 118, 168 (Rz. 87 f.) – Kontostammdaten; BVerfG, Urteil v. 15.12.1983  – 1 BvR 209/83, BVerfGE 65, 1 (Rz.  147)  – Volkszählung; BVerfG, Urteil v. 27.2.2008 – 1 BvR 370/07, BVerfGE 120, 274 (Rz. 169) – Online- Durchsuchung. 89 Vorrangig Gutachten Wiss. Dienst, Fn. 73, S. 9.

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Dies gilt, insbesondere für das sog. Public CbCR, das auf europäischer Ebene diskutiert wird. Man wird diese Abwägung aber auch auf nationaler Ebene unter dem § 138a AO vertreten können. Allerdings gibt es in dieser Hinsicht kein steuerliches Präjudiz. Auch hilft hier keine Teilveröffentlichung der Daten90, die bereits im Jahresabschluss veröffentlicht werden müssen. Zwar geht damit keine weitergehende Veröffentlichung sensibler und bisher nicht veröffentlichter Daten einher. Es ist aber nicht erkennbar, was eine zusätzliche Veröffentlichung an Mehrerkenntnis ermöglichen würde; mit anderen Worten: die eigentlichen Ziele des Informationsinteresses würden nicht erreicht werden. Es würde schlicht Mehraufwand für die Unternehmen ohne weitergehenden Wert hervorrufen. Die vorliegenden Überlegungen des Verfassers kratzen offensichtlich nur an der Oberfläche und bedürfen einer Abwägung mit Überlegungen zur Steuergerechtigkeit und einer damit verbundenen Forderung nach Transparenz. Dazu gehört auch, dass zB der US-IRS im Jahr 2017 berichtete, dass U.S.-amerikanische Konzerne mit Hauptsitz in den USA 32 Milliarden USD an Gewinnen in Steueroasen wie den Bermudas hielten, wobei dort von den Unternehmen insgesamt nur etwa 550 Mitarbeiter gemeldet worden sein. Nach Ansicht von Befürwortern einer Offenlegung könnten Details, wie diese bei der Entwicklung von Volkswirtschaften, die sich mit der Besteuerung wirtschaftlicher Aktivitäten schwertun, helfen. Auch sei das arm’s length principle nicht mehr ausreichend, um der zutreffenden Allokation und damit der Besteuerung konzerninterner Transaktionen gerecht zu werden. Argumentiert wird auch, dass die interne Unternehmenssteuerplanung nicht genügend erforscht ist, um sinnvolle und zutreffende Schlussfolgerungen zu ziehen. Daher könne das öffentliche CbCR helfen, diese Debatte durch die Bereitstellung dringend benötigter Daten über das hinaus, was zB in den SEC-filings verfügbar ist, zu befördern.91 Diese Überlegungen sind zutreffend und können nicht grundsätzlich unbeachtet bleiben in der Abwägung der Anforderungen an eine transparente und gleichmäßige Besteuerung im Verhältnis zum grundrechtlich geschützten Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Allerdings muss man sich auch davor hüten, die steuerpolitische Ausrichtung mit der Frage des grundrechtlichen Schutzes zu vermischen. Die Steuergerechtigkeit als Ziel ist unbestritten Ausfluss des Grundsatzes der gleichmäßigen Besteuerung, der in Art. 3 Abs. 1 GG verankert ist und steht hier nicht in Frage. Trennen muss man aber dieses Ziel von der hier in Rede stehenden Frage des Eingriffs des Public CbCR in die grundrechtlich geschützten Rechte der Unternehmen. Da lassen sich die Ziele – unbeachtet der Wertung dieser – nach hier vertretener Auffassung nicht miteinander beliebig kombinieren und als Rechtfertigung anführen.

90 So der Vorschlag im Gutachten Wiss. Dienst, Fn. 73, S. 9. 91 Vgl. etwa Gouldner, Close Encounters with Public CbC Reporting, Tax Notes International, April 2020, 109 (111).

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2. Ergebnis Mit der Verfügbarmachung der Daten würde eine erhebliche datenschutzrechtliche Betroffenheit einhergehen. Es sollte vertretbar sein, dass in der Abwägung der betroffenen Güter das Grundrecht unverhältnismäßig verletzt wird. Für die Unternehmen steht in Frage das Recht auf Wahrung der Geheimnisse bzw. der Verhinderung, Daten durch Kombination vollumfänglich öffentlich verfügbar zu machen und damit Wettbewerbsnachteile zu begründen (vgl. bereits zuvor zu III. 1 a)).

IV. Weitere Überprüfungsmaßstäbe Nur zur Vervollständigung muss die Prüfung im Rahmen des Grundgesetzes weiterhin, insbesondere die mögliche Verletzung der Berufsausübungsfreiheit i.S.d. Art. 12 GG (Verletzung von Berufs- und Geschäftsgeheimnissen) und des Art. 14 Abs. 1 GG (Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs gegen wettbewerbsverzerrende Maßnahmen des Staats) berücksichtigen. Der Schutzbereich der Berufsfreiheit gilt als verletzt, wenn Wettbewerbsbeeinflussungen die Ausübung der beruflichen Tätigkeit beeinträchtigen. Es scheint vertretbar, den Eingriff anzunehmen, wenn Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse anderen Staaten weitergegeben werden und diese vor Ort nicht ausreichend gesichert sind.92 Bei Art. 14 Abs. 1 GG sollte die Beurteilung folgerichtig ähnlich ausfallen, wenn aus der Preisgabe von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen eine Beeinträchtigung des Gewerbebetriebs zu folgern ist. Die Frage, ob Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse i.S.d. Art. 12 Abs. 1 und mittelbar für die wettbewerbsverzerrenden Maßnahmen i.S.d. Art. 14 Abs. 1 GG vorliegen, bedarf einer weitergehenden, separaten Betrachtung. Die Prüfung am Maß des Grundgesetzes sollte darüber hinaus ergänzt werden um die Prüfung an Hand der Europäischen Menschenrechtskonvention93, der Europäischen Grundrechtecharta94 und an weiteren supranationalen Vorgaben des Europarechts95.

V. Schlussbetrachtung in Thesen 1. Das CbCR ist in der derzeitigen Form aus praktischer Sicht wenig hilfreich. Die erhobenen Daten sind teilweise höchst aggregiert. Der Erkenntnisgewinn daraus erschließt sich nur teilweise. Dabei muss anerkannt werden, dass die CbCR in der 92 So auch Oppel, IWB 2017, 359 (362). 93 Vgl. dazu EGMR, Urteil v. 21.7.2015 – 931/13, AfP 2016, 346 (Rz. 71 ff.) – Veröffentlichung von Steuerdaten. 94 Vgl. nur EuGH, Urteil v. 9.11.2010  – C-92/09 und C-93/09, ABl. EU 2011, Nr.  C 13, 6 (Rz. 58, 77, 83, 86) – Agrarbeihilfen. 95 EuGH, Urteil v. 9.11.2010 – C-92/09 und C-93/09, ABl. EU 2011, Nr. C 13, 6 (Rz. 58, 77, 83, 86) – Agrarbeihilfen; EuGH, Urteil v. 16.12.2008 – C-524/06, ABl. EU 2009, Nr. C 44, 5 (Rz. 58, 61) zentrales Ausländerregister.

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jetzigen Form ein Kompromiss der OECD Verhandlungen zu Aktionspunkt 13 sind. Es bleibt abzuwarten, ob das Monitoring 2020 Veränderungen bringen wird. Es ist aber auch zu berücksichtigen, dass das CbCR erhöhten „Compliance“-Aufwand für die Unternehmen bedeutet, der nicht als unerheblich anzusehen ist. Sinn und Zweck ist die Erhöhung der Transparenz und die Möglichkeit für die Finanzverwaltung, ein Risk Management Tool für die Betriebsprüfungen zu haben. Ob sich das durchhalten lässt, wenn im Rahmen des Pillar 1 der sog. Amount A bestimmt werden soll, ist ebenfalls abzuwarten. 2. Es gibt natürlich qualitative Unterschiede zwischen dem „einfachen“ CbCR und dem Public CbCR. Allerdings zeigt die tiefergehende Betrachtung nach der hier vertretenen Auffassung, dass sich in der Sache und für die Schutzgutverletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung keine Unterschiede einstellen. Im „einfachen“ CbCR besteht die große Gefahr der faktischen Veröffentlichung, wenn andere Staaten weniger strenge Regeln im Vergleich zum § 30 AO haben. Im Public CbCR ist das offensichtlich. 3. Das CbCR erzeugt durch neue Verknüpfungs- und Verarbeitungsmöglichkeiten und damit – selbst wenn die Daten bereits öffentlich zugänglich sind und nur einen geringen Informationsgehalt hätten  – eine eigene grundrechtliche Betroffenheit, die verfassungsrechtlich zu rechtfertigen wäre. 4. Das CbCR erfasst zuweilen neue Daten, führt aber auch bereits in anderen öffentlich zugänglichen Unterlagen verfügbare Informationen elektronisch zusammen. Das CbCR bewirkt nach hier vertretener Auffassung auch in dieser Zusammenführung eine eigene grundrechtliche Betroffenheit, weil es neue Verarbeitungen und Verknüpfungen der Daten ermöglicht. 5. Ein öffentlich verfügbares CbCR würde diesen Grundrechtseingriff in hohem Maße intensivieren. Jeder könnte potentiell die gespeicherten Daten nutzen, mit bereits bekannten Daten abgleichen und sensible Informationen über Vermögen und Geschäftsmodelle erlangen. Die Ziele, die durch den allgemeinen Zugang zum Public CbCR verfolgt werden sollen, können die Intensivierung des grundrechtlichen Eingriffs durch die Öffnung für jeden nicht rechtfertigen. Aus den Erfahrungen der zwanzigjährigen Zusammenarbeit mit dem Jubilar und in dem Wissen, dass Heinz-Klaus Kroppen in seiner beruflichen Tätigkeit immer dafür eingetreten ist, dass der hoheitliche – steuerlich motivierte – Eingriff stets das möglichst mildeste Mittel darzustellen hat, nimmt der Verfasser die Hoffnung, mit den dargelegten Gedanken zumindest das Interesse des Geehrten erweckt zu haben. Um abschließend die Frage der Überschrift zu beantworten: ein Segen ist das CbCR in der Praxis mit Sicherheit nicht.

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Streitvermeidung durch Joint Audit – Eine Bestandsaufnahme Inhaltsübersicht I. Einführung II. Joint Audit – Rückblick und Bestandsaufnahme 1. Begriffsverständnis 2. Joint Audits und die Tax Certainty ­Agenda der OECD a) Vorabverständigungsverfahren − ­Advance Pricing Agreements (APAs)

b) Kooperative Compliance Programme c) Risk Assessment Konzepte III. International Koordinierte Außen­ prüfungen IV. Schlussbemerkungen

I. Einführung „Dynamic environments demand proactive thinking. Like a pilot navigating an aircraft through turbulent weather, revenue authorities must manage the immediate problems ahead, as well as adopt proactive steps for challenges on the horizon.” (David Swenson 2012) Die fortschreitende Globalisierung stellt Steuergesetzgeber und -verwaltungen sowie Unternehmen vor nicht zu unterschätzende Herausforderungen. Diese umfassen die stetig anwachsende Anzahl von Steuerzahlern, das anwachsende Volumen von grenz­ überschreitenden Warenlieferungen und Serviceleistungen, die Entwicklung der digitalen Wirtschaft, den Einsatz von immer anspruchsvolleren Finanzinstrumenten und Finanzierungsstrukturen und den Verlust von Steuersubstrat durch aggressive Formen der Steuervermeidung und -hinterziehung.1 Im September 2013 billigten die Staats- und Regierungschefs der G20 den ehrgeizigen und umfassenden „Base Erosion and Profit Shifting“ (BEPS)-Aktionsplan, der gemeinsam mit OECD-Mitgliedern entwickelt wurde. Dieser enthält in fünfzehn Aktionspunkten neue oder verstärkte internationale Standards sowie konkrete Maßnahmen, die den Staaten helfen sollen, BEPS entgegenzuwirken. Die zwischenzeitlich aufgetretene Frage, ob das BEPS Projekt wegen der divergierenden Interessen der einzelnen Staaten oder aufgrund internationaler Krisen sein Momentum verlieren würde und damit vor dem Scheitern stünde2, durfte zwei Jahre später verneint werden. Anfang Oktober 2015 veröffentlichte die OECD ihre insgesamt ca. 2000 Seiten 1 Burgers/Criclivaia, World Tax Journal 2016, 307 f. mit weiterführenden, detaillierten statistischen Informationen und Quellenangaben. 2 Pohl, in JbFSt 2015, 2016, S. 354, 367.

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umfassenden fünfzehn Abschlussberichte zum BEPS Projekt3. Davon beschäftigt sich ein Abschlussbericht auf 50 Seiten mit dem Thema Streitbeilegung (‚Dispute Reso­ lution‘). Kein Abschlussbericht widmet sich dem Thema Streitvermeidung (‚Dispute Prevention‘). Heinz-Klaus Kroppen habe ich in dieser Zeit als scharfen und pointierten Analytiker kennengelernt, der von Anbeginn an auf die Web- und Designfehler sowie dogmatischen Ungenauigkeiten dieses Projektes aufmerksam machte. Bei der Eröffnungssitzung in Kyoto, Japan, im Juli 2016 gab es 82 Mitglieder des ‚OECD/G20 Inclusive Framework on BEPS‘. Aktuell arbeiten 137 Länder zusammen, um Steuervermeidungsstrategien ein Ende zu setzen, die Lücken und Diskrepanzen in den Steuervorschriften ausnutzen, um Steuern zu vermeiden. Über 85 Länder haben das Multilaterale Instrument zum BEPS Projekt unterzeichnet. Zu Beginn des Jahres 2019 hat die OECD BEPS 2.0 angestoßen. Nachdem die OECD im September 2010 ihren ersten, den ‚Joint Audit 2010 Report‘4 veröffentlicht, und die IFA im Jahr 2013 als ein Schwerpunktthema „Exchange of information and cross-border cooperation between tax authorities“ gewählt hat, erschien im März 2019 der zweite, der ‚Joint Audit 2019 Report‘. Dieser verarbeitet Informationen von lediglich 20 Steuerverwaltungen5, die an der Erstellung dieses Berichts beteiligt waren. Der erste OECD Tax Certainty Day fand im September 2019 statt. Eine gewisse Asymmetrie in politischer Unterstützung, Entwicklung und Umsetzung von Streitvermeidungsinstrumenten im Vergleich zum BEPS Programm der OECD, ist leider nicht zu verleugnen. Als Unternehmensvertreter fühle ich mich an den Lyriker Ogden Nash erinnert „Der Fortschritt mag ja gut und schön sein, aber er dauert zu lange.“

II. Joint Audit – Rückblick und Bestandsaufnahme 1. Begriffsverständnis Der Begriff Joint Audit wurde erstmalig mit dem OECD ‚Joint Audit 2010 Report‘ verwendet6 und hat sich mit dem ‚Joint Audit 2019 Report‘ weiterentwickelt. So wie die Joint Audit Reports keine Rechtsnormqualität besitzen, existiert derzeit auch keine Legaldefinition. Nach dem Verständnis der OECD kann ein Joint Audit wie folgt umrissen werden:

3 http://www.oecd.org/tax/beps/beps-actions/; eine Übersicht der BEPS Aktionspunkte bietet Vögele/Borstell/Bernhardt, Verrechnungspreise, D29. 4 OECD Forum on Tax Administration, Joint Audit Report und Joint Audit Participants Guide, September 2010. 5 Diese sind: Belgien, Kanada, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Ungarn, Irland, Italien, Japan, Niederlande, Norwegen, Portugal, Russland, Singapore, Südafrika, Spanien, Großbritannien und die USA. An der Erstellung des ‚Joint Audit 2010 Report‘ waren 13 Steuerverwaltungen beteiligt. 6 OECD, Joint Audit Report (2019), S. 16.

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Streitvermeidung durch Joint Audit – Eine Bestandsaufnahme Joint Audit 2010 Report7

Joint Audit 2019 Report8

• two or more countries joining together to form a single audit team to

• two or more tax administrations joining together to

• examine an issue(s) / transaction(s) of one • examine an issue(s)/transaction(s) of one or more related taxable persons (both or more related taxable persons (both ­legal entities and individuals) with cross-­ ­legal entities and individuals) with cross-­ border business activities, perhaps includ­ border business activities, perhaps includ­ ing cross-border transactions involving ing cross-border transactions involving related affiliated companies organized in related affiliated companies organized in the participating jurisdictions, and in the participating countries and in which which the tax administrations have a the countries have a common or comple­common or complementary interest mentary interest • proceeding in a pre-agreed and co-ordi­ nated manner guaranteeing a high level of integration in the process and including the presence of officials from the other tax administration • where the tax administrations jointly • the taxpayer jointly makes presentations e­ ngage with the taxpayer, enabling the and shares information with the countries; taxpayer to share information with them and jointly and • the joint audit team will include Competent Authority representatives, joint audit team leaders and examiners from each country.

• the teams include Competent Authority representatives from each tax adminis­ tration for the exchange of information.

Mittlerweile ist der Begriff Joint Audit im allgemeinen Sprachgebrauch fest etabliert. International wird die Bezeichnung Joint Audit nicht einheitlich, und zwar sowohl spezifisch im Sinne des o.g. OECD Begriffsverständnisses aber auch als Sammel­ begriff für internationale Betriebsprüfungsaktivitäten benutzt.9 Eine gemeinsame Rechtsgrundlage existiert nicht, vielmehr sind diese unvollständig. Nationale und internationale verfahrensrechtliche Regeln sind unvollständig, nicht harmonisiert und nicht aufeinander abgestimmt. Die Entwicklung eines solchen multilateralen rechtlichen Rahmens wird von Literatur10 und Praxis nachdrücklich empfohlen. In der gegenwärtigen Praxis kombiniert ein Joint Audit die Elemente einer Simultanprüfung mit den Merkmalen der Anwesenheit von Angehörigen der Finanzverwaltung im Ausland und wird gemeinsam von zwei oder mehr hoch integrierten Teams durchgeführt, die sich gemeinsam mit dem Prüfungssubjekt / Steuerpflichtigen befassen. 7 OECD, Joint Audit Report (2010), S. 7. 8 OECD, Joint Audit Report (2019), S. 22. 9 Eisgruber/Oertel, Joint Audit: Zum „Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfung mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete“ vom 6.1.2017, ISR 2017, 270. 10 Burgers/Criclivaia, Joint Tax Audits: Which Countries May Benefit Most?, WTJ 2016, 306.

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2. Joint Audits und die Tax Certainty Agenda der OECD Nach Christoph Wilhelm Hufeland ist Vorbeugen besser als Heilen. So wie in der Medizin sollte Prävention auch ein wichtiger Baustein der Streitbeilegung im Steuerrecht sein. Steuerstreitigkeiten sollten idealerweise zum frühestmöglichen Zeitpunkt gelöst werden, wenn Informationen für Finanzverwaltungen und Steuerpflichtigen noch leicht verfüg- und erinnerbar sind und sich Positionen noch nicht verfestigt haben. Einzelne Instrumente zur Streitvermeidung und Streitbeilegung systematisiert die OECD wie folgt11: Unilateral APA

Bilateral / Multilateral APA

legal

Binding APA

Bilateral / Multilateral co-operative compliance

de facto

Co-operative compliance outcomes

Unilateral risk assessment

Co-ordinated risk assessment

Multilateral risk assessment (ICAP)

de facto

Risk assessment outcomes

Unilateral audit

Co-ordinated / Joint audit

legal

Towards tax certainty

Dispute prevention

Unilateral co-operative compliance

Dispute resolution

Audit outcomes legal MAP

legal Arbitration

Die OECD betont, dass kein einziges der o.g. Instrumente geeignet ist, alle potenziellen Streitfälle zu lösen. Diese sind vielmehr komplementär zu verstehen. Ein Blick in des Steuerpflichtigen Werkzeugkasten offenbart, dass die Anzahl der verfügbaren Instrumente im Bereich Streitvermeidung, die eine zeitnahe rechtliche, und nicht nur eine ‚de facto‘ Sicherheit erzielen können, stark limitiert ist. Zudem ist ein rechtlicher 11 OECD Joint Audit Report (2019), S. 25.

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Streitvermeidung durch Joint Audit – Eine Bestandsaufnahme

Rahmen nicht immer verfügbar und die Dauer bis zur Erreichung von rechtlicher Sicherheit zum Teil sehr lang. a) Vorabverständigungsverfahren − Advance Pricing Agreements (APAs) Der Abschluss eines APA ist ein präventives, ex ante wirkendes Instrument der Streitvermeidung. Es dient der Vermeidung von Risiken vor Sachverhaltsverwirklichung12. Eine einheitliche Definition für den Begriff APA existiert nicht. Die deutsche Finanzverwaltung versteht unter einem APA eine Vereinbarung, zwischen einem oder mehreren Steuerpflichtigen und einer oder mehreren Finanzverwaltungen, in der Verrechnungspreismethode, weitere Kriterien für die Verrechnungspreisbestimmung und sog. Gültigkeitsbedingungen im Hinblick auf künftige Ereignisse („Critical ­Assumptions“) für einen bestimmten Zeitraum fest vereinbart werden.13 Dieses ­Verständnis ist in großen Teilen deckungsgleich mit der Definition in Tz. 4.134 der OECD-Leitlinien sowie den vom EU-JTPF entwickelten Leitlinien für Verrechnungspreiszusagen (APA) in der Europäischen Union. Als Rechtsgrundlage wird von der h.M.14 das Verständigungsverfahren i.e.S.  nach Art. 25 Abs. 2 OECD-MA angenommen. Eine Vielzahl von Ländern hat eigene Regelungen für APA implementiert oder im Rahmen von allgemein verbindlichen Auskünften geregelt.15 Zweck und Inhalt eines APA ist die einvernehmliche Festlegung von Regelungen ­entsprechend dem Fremdvergleichsgrundsatz, nach denen Verrechnungspreise für künftige Transaktionen oder Gewinnabgrenzung zwischen Organisationseinheiten grenz­über­schreitend agierender Einheitsunternehmen in der Zukunft zu bestimmen sind. Steuerpflichtigen und Finanzverwaltung soll in diesen Fragen Rechtssicherheit verschafft werden.16 In diesem Sinne ist das primäre Ziel von APA die Vermeidung von Verrechungspreiskonflikten und daraus bestehende Doppelbesteuerungen. Diese inhaltliche Limitierung ist zugleich Stärke und erste Schwäche eines APA. Andere, über Verrechnungspreise hinausgehende Risiken können mittels APA nicht mitigiert werden. Der Verfahrensablauf in Deutschland für APAs folgt einer klaren Struktur. 17 Die Entscheidung darüber, ob das Verständigungsverfahren eröffnet wird oder nicht, steht im Ermessen des BZSt. Dieses ist pflichtgemäß auszuüben. Die Laufzeit eines APA ist international nicht einheitlich geregelt. Üblicherweise beträgt diese zwischen

12 Greil, ifst-Schrift 512, 10; Liebchen, Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA, 506. 13 BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 – S 1341 – 38/06 – Merkblatt APA, BStBl. I 2006, 594, Tz. 1.2. 14 Lehner, Vogel/Lehner, Art. 25 OECD-MA Rz. 327 und 341; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rz. 19.105; Kramer, IStR 2007, 175 f.; Schnorberger, ITPJ 2007, 111. 15 Kroppen/Rasch, Handbuch internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. IV, 392 m.w.N. 16 SEC (2017) 246 final v. 26.2.2007, Abschn. 1 Rz. 3 und 5; Liebchen, Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA, Rz. 509. 17 BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 – S 1341 – 38/06 – Merkblatt APA, BStBl. I 2006, 594, Tz. 1.2 Abs. 2.

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drei und fünf Jahren.18 Die Vorgaben der deutschen Finanzverwaltung entsprechendem. Die Laufzeit sollte demnach nicht weniger als drei und nicht mehr als fünf Jahre betragen, wobei dem APA eine angemessene Laufzeit zugrunde gelegt werden soll.19 Dabei sollen berücksichtigt werden: – die Dauerhaftigkeit und Stabilität der zu Grunde liegenden Geschäftsbeziehungen, – das Interesse des Steuerpflichtigen an und die Bedenken der Finanzverwaltung gegenüber einer langfristigen Bindung sowie – die ausgeübte Praxis des zu beteiligenden anderen Staates. Die durchschnittliche Verfahrensdauer für in Deutschland abgeschlossene APA Verfahren mit EU-Mitgliedstaaten dauerte in 2018 im Durchschnitt 52 Monate bzw. 45 Monate für Verfahren mit Nicht-EU-Mitgliedsstaaten. Im Vergleich dazu betrug die Verfahrensdauer für die Jahre 2016 bis 2018 im Durchschnitt 43 Monate für Verfahren mit EU-Mitgliedstaaten bzw. 49 Monate für Verfahren mit Nicht-EU-Mitgliedstaaten.20 Die durchschnittliche Verfahrensdauer unterschreitet damit nicht dreieinhalb Jahre und ist aus Unternehmenssicht sehr unbefriedigend. Hierin kann man eine weitere Schwäche dieses Instruments erkennen. Es ist nur schwer vermittelbar, unternehmensinterne Entscheidungen und Sachverhaltsverwirklichungen in einer VUCA-Welt (Volatility, Uncertainty, Complexity and Ambiguity) über einen solchen Zeitraum aufzuschieben und umzusetzen. b) Kooperative Compliance Programme Kooperative Compliance wurde auf internationaler Ebene erstmalig in 2008 mit Veröffentlichung des OECD Reports „Study into the Role of Tax Intermediaries“ diskutiert.21 Der Report ermutigt Finanzverwaltungen Beziehungen zu Steuerpflichtigen aufzubauen, die von Vertrauen und Kooperation geprägt sind. Die OECD spricht in diesem Zusammenhang von „basic und enhanced relationship“, welche die Zusammenarbeit zwischen Steuerpflichtigem und Finanzverwaltung der Konfrontation vorzieht und mehr auf gegenseitigem Vertrauen als auf durchsetzbaren Verpflichtungen beruht. 22 Der Report spricht sich für einen risikoorientierten Prüfungsansatz der Finanzverwaltung aus, der die Art und Weise, wie Finanzbehörden ihre Ressourcen nutzen und allokieren, beeinflusst. Informationen, Transparenz und Offenlegung sowie ein funktionierendes steuerliches internes Kontrollsystem werden in diesem Zusammenhang als wesentlich erachtet. 18 Liebchen, Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA, Rz. 535 mit üblichen Laufzeiten von APA’s, die Möglichkeiten von roll-backs und die Verlängerungsoptionen von bereits abgeschlos­ senen APA’s in den wichtigsten Industriestaaten. 19 BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 – S 1341 – 38/06 – Merkblatt APA, BStBl. I 2006, 594, Tz. 3.8 Abs. 5. 20 EU JTPF (2019), Statistics on APAs in the EU at the end of 2018, 3, abrufbar unter: https:// ec.europa.eu/taxation_customs/sites/taxation/files/apa-and-map-2019. 21 http://www.oecd.org/tax/administration/39882938.pdf. 22 OECD Study into the Role of Tax Intermediaries (2008), Chapter 8 – The enhanced rela­ tionship.

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Streitvermeidung durch Joint Audit – Eine Bestandsaufnahme

In 2013 veröffentlichte die OECD einen weiteren Report mit dem Titel „Cooperative Compliance: A Framework, From Enhanced Relationship to Cooperative Compli­ ance“ und setzte damit ihre Arbeit an diesem Thema fort.23 Konzeptionell ist dieser von der Idee des quid pro quo, Rechtssicherheit gegen Transparenz geprägt. Derzeit sind in Europa in über 30 Ländern kooperative Compliance Programme pilotiert bzw. implementiert.24 Table 1 – Overview of cooperative compliance programmes in Europe Country

Start date

Name/Regulation

Austria

2011

Pilot Programme

2019

Horizontal monitoring

Belgium

2018

Cooperative Tax Compliance Program; no regulation

Croatia1

2016

Cooperative compliance program; Cooperative compliance framework

France

2013

Relationship of trust

Ireland

2014

Cooperative compliance programme

Italy

2015

Regime di adempimento collaborativo, legislated

Netherlands

2012

Cooperative compliance program; Horizontal monitoring

2

Poland

Cooperation Agreement, legislated, draft

Russia

2015

Cooperative compliance program; Tax monitoring

Spain

2010 2016

Code of good tax practices (Código de Buenas Prácticas Tributarias); Tax law expanded with regard to good governance

United 2006 ­Kingdom

Framework for Cooperative Compliance

1 EY Tax Insights, Croatia: taxpayers granted special status under cooperative compliance framework, available at https://taxinsights.ey.corn/archive/ archive-news/croatia--taxpayers-­ granted-special-status-under-cooperative-compliance-framework.aspx (accessed 25 January 2019). 2 Irish Tax and Customs, Co-operative Compliance, available at https://www. revenue.ie/en/ companies-and-charjties/cooperative-compliance/index.aspx (accessed 25 January 2019).

23 https://www.oecd.org/publications/co-operative-compliance-a-framework-9789264​200​ 852-​en.htm. 24 Bronzewska/Majdanska, The New Wave of Cooperative Compliance Programmes and the Impact of New Technology, IBFD European Taxation, S. 100.

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Als Beispiel für kooperative Compliance wird als Referenzmodell oftmals das Horizontal Monitoring der Niederlande angeführt. Diesem steht das traditionelle Konzept des Vertical Monitoring gegenüber. Die niederländische Finanzverwaltung hat den Weg des Horizontal Monitoring bereits sehr frühzeitig im Jahr 2005 beschritten. Danach sind Unternehmen, die insbesondere durch die Implementierung von in­ ternen steuerlichen Risiko- und Kontrollsystemen als gesetzestreu und steuerehrlich ­erachtet werden, berechtigt, Vereinbarungen mit der Finanzverwaltung in Form rechts­verbindlicher Zusagen (sog. Covenants) zu treffen. Die Einhaltung von Steuervorschriften soll durch Kooperation zwischen den teilnehmenden Steuerpflichtigen und Finanzbehörden sichergestellt werden. Basis sollen Vertrauen, wechselseitiges Verständnis und Transparenz sein. Aus Perspektive der Verwaltungsökonomie „sollten die Finanzbehörden in zunehmendem Maße auf unternehmensinterne Qualitätssicherungs- und Kontrollsysteme zurückgreifen können, um ihre Personalressourcen bestmöglich einsetzen und gleichzeitig den administrativen Aufwand für Unternehmen senken zu können.“25 Zentrales Element des Konzepts Horizontal Monitoring sind Covenants, welche privatrechtliche Verpflichtungszusagen darstellen. Diese können grundsätzlich für alle Steuerarten geschlossen werden. Eine gesetzliche Grundlage sowie eine transparente Verwaltungspraxis bestehen derzeit nicht. Darin liegt auch einer der häufig angeführten Kritikpunkte. Ein Streitbeilegungsmechanismus fehlt. Die privatrechtlichen Vereinbarungen können jederzeit einseitig von einer der Vertragsparteien beendet werden. Für den Fall, dass die Finanzverwaltung ihren Verpflichtungen nicht nachkommt, hat der Steuerpflichtige nur die Möglichkeit Rechtsschutz vor den ordentlichen Gerichten zu ersuchen. „Dieser prozessuale Ausweg steht freilich kaum im Einklang mit den im Zuge von Horizontal Monitoring propagierten Zielen von Vertrauen und Transparenz.“26 c) Risk Assessment Konzepte aa) Der australische Streamlined Assurance Review als Beispiel für ein unilaterales Risk Assessment Das Australien Tax Office (ATO) begann im Juli 2016 mit der Umsetzung eines von der australischen Regierung finanzierten Programms zur Überprüfung der „Top 1.000“ Unternehmen, welche einen Jahresumsatz größer 250 Mio. Dollar ausweisen.27 Der Reviewprozess trägt den Namen Streamlined Assurance Review (SAR) und basiert auf dem Konzept der sog. Justified-Trust Initiative. Im Jahr 2017 veröffentlicht das ATO einen Leitfaden zum Steuerrisikomanagement und zur Überprüfung der Unternehmensführung („Tax Risk Management and Governance Review Guide“) sowie typische, im Rahmen eines SAR gestellte Fragen. Der Leitfaden enthält Grundsätze für Verantwortlichkeiten auf Vorstands- und Managementebene mit Beispielen von Belegen, die Unternehmen vorlegen können, um die Gestaltung und ope25 Sanders, Brandl/Macho/Schrottmeyer/Vock, Begleitende Kontrolle, Alternative zur Betriebsprüfung, S. 10. 26 Sanders, Brandl/Macho/Schrottmeyer/Vock, Begleitende Kontrolle, Alternative zur Betriebsprüfung, S. 13. 27 https://www.ato.gov.au/Business/Large-business/Top-1,000-Tax-Performance-Program/.

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Streitvermeidung durch Joint Audit – Eine Bestandsaufnahme

rative Wirksamkeit ihres Tax Control Frameworks (TCF) nachzuweisen. Mit dem SAR möchte das ATO Aufschluss über die folgenden steuerlichen Kernbereiche erlangen und verwendet für deren Bewertung verschiedene Rating Kategorien: – Die Existenz und Anwendung angemessener steuerliche Risiko- und Governance-­ Rahmenbedingungen (Tax Governance), – dass keines der spezifischen Steuerrisiken, die das ATO dem Markt aufgezeigt hat, vorhanden ist, – die steuerliche Behandlung von atypischen, neuen oder großen Transaktionen angemessen sind und – jede Diskrepanz zwischen Steuer- und Buchhaltungsergebnissen erklärbar und angemessen ist und der richtige Steuerbetrag auf Gewinne aus Transaktionen, die Australien betreffen, allokiert wird. Das ATO erwartet damit offensichtlich, dass sich die betroffenen Steuerpflichtigen im Voraus auf den SAR vorbereiten. Steuerpflichtige haben nur ein enges Zeitfenster (in der Regel etwa drei bis vier Monate), um dem ATO nachzuweisen, dass ihr TCF ein hohes Rating rechtfertigt. Niedrige oder mittlere Tax Assurance Ratings führen zu einer höheren Wahrscheinlichkeit einer weiteren Prüfung bzw. laufenden Kon­ trolle durch das ATO. Fristverlängerungen werden nur in Ausnahmefällen gewährt. Prüfungsschwerpunkte lassen sich wie folgt zusammenfassen28:

Financial information

Governance & risk

Restructures

Funding

CFCs

Support papers

Group structure

Acquisitions

TOFA

Branches & PEs

Tax effect

New business

Asset disposal

Tax Losses

TP dokuments

28 Financial information and tax reconciliation, Supporting working papers to the tax return and schedules, Information on tax losses, Tax governance and risk management, Group structure, New businesses and transactions, Restructures, Acquisition of an interest in ­another entity, Asset disposal, Funding , Taxation of financial arrangements (TOFA), Tax effect accounting, Controlled foreign companies (CFCs) , Offshore branches or permanent

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Erste Ergebnisse von über 280 Reviews wurden im März 2019 mit dem Streamlined Tax Assurance Report (STAR) veröffentlicht.29 Dieser soll den Steuerzahlern helfen, zu verstehen, wie das ATO das Konzept des ‚Justified Trust‘ anwenden und umsetzen möchte. Die Ergebnisse konstatieren, dass das Bestreben des ATO nach Verbesserung der steuerlichen Governance, zwar von einem großen Teil der Steuerzahler aufgegriffen wurde, jedoch noch Verbesserungspotential verbleibt. Dies illustriert der Review im Bereich Tax Governance sehr anschaulich. Danach haben 5% der Steuerpflichtigen das Rating „Red Flag“ erhalten, da entweder keine ausreichenden Beweise dafür vorgelegen haben, dass ein TCF existiert oder erhebliche Bedenken bezüglich des vorhandenen TCF vorgelegen haben. 70% der Steuerpflichtigen haben ein sog. ‚Stage 1‘ Rating erhalten, wonach der Nachweis erbracht wurde, dass ein TCF existiert. Für 24% der Steuerpflichtigen wurde ein sog. ‚Stage 2‘ Rating vergeben, da Beweise vorgelegen haben, dass ein TCF existiert und effektiv gestaltet wurde. Nur 1% der Steuerpflichtigen hat ein sog. ‚Stage 3‘ Rating erhalten, da Beweise dafür vorgelegen haben, dass ein TCF existiert, effektiv ausgestaltet wurde und in der Praxis effektiv funktioniert. Neben dem Bereich Tax Governance wurden Verrechnungspreise als stark risikobehaftet identifiziert.30 Insgesamt erhielten die meisten überprüften Steuerzahler eine mittlere Zuverlässigkeitsbewertung. Darin spiegelt sich die größenbedingte Komplexität dieser Unternehmen wider. Aus Sicht des ATO bedeutet dies, dass es mehr Arbeit leisten muss, um eine insgesamt hohe Sicherheit zu erreichen. Es ist zuversichtlich, dass diese zusätzliche Arbeit das Gesamtniveau der hohen Zuverlässigkeit erheblich steigern wird. Das ATO hat im STAR die nächsten Schritte dargelegt, die der Steuerzahler unternehmen muss, um bei der nächsten Überprüfung seiner Steuerangelegenheiten eine hohe Zuverlässigkeitsgewähr zu erhalten. Das ATO hat jüngst ein Team beauftragt, die nächsten Schritte für Steuerpflichtigen mit dem Rating „hohes (Steuer-) Risiko zu erarbeiten. Steuerzahler, die insgesamt eine niedrige Zuverlässigkeitsbewertung erhalten haben, können demnach erwarten, dass das ATO weitere Maßnahmen ergreifen wird, um auf die identifizierten Risiken einzugehen. bb) Das ICAP 2.0 Programm der OECD als Beispiel für ein multilaterales Risk Assessment Das International Compliance Assurance Programme (ICAP) ist ein freiwilliges Programm für eine multilaterale, kooperative Beurteilung / Bewertung von steuerlichen Risiken in einem Unternehmen bzw. einer Unternehmensgruppe. Das erste ICAP Piestablishments (PE’s) and Transfer pricing (TP) documents, https://www.ato.gov.au/Busi​ ness/Large-business/In-detail/What-we-look-for-to-obtain-assurance/. 29 https://www.ato.gov.au/uploadedFiles/Content/LB_I/downloads/Top_1000_Findings_Re​ port.​pdf. 30 Other areas include: Thin Cap, Consolidation, R&D, Tax Losses, Inbound and outbound holding structures.

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Streitvermeidung durch Joint Audit – Eine Bestandsaufnahme

lotprojekt wurde in 2018, unter Teilnahme von acht Steuerverwaltungen initiiert.31 Der Fokus lag hierbei auf der Analyse von Verrechnungspreis- und Betriebsstätten­ risiken.32 Das zweite ICAP Pilotprojekt wurde im Jahr 2019 initiiert.33 Der Fokus des Risk Assessments soll, über die zuvor genannten auch andere Kategorien steuerlicher Risiken erfassen. Beispielhaft genannt sind hybride Gestaltungen, Quellensteuern und abkommensrechtliche Vorteile.34 Der Anzahl der teilnehmenden Steuerverwaltungen hat sich auf siebzehn erweitert.35 Die OECD hat zu ICAP 2.0 ein umfangreiches Handbuch veröffentlicht, dass sie als Arbeitsdokument versteht, welches im Laufe des Programms aktualisiert werden kann.36 Darin werden die zentralen Treiber / Motive / Ziele von ICAP wir folgt zusammengefasst: – MNEs soll schnell und effektiv ein erhöhtes Maß an Steuerrechts- und Planungssicherheit für ihre Geschäftstätigkeit gewährt werden.37 Das ICAP Programm bietet diese im Gegenzug für Transparenz und Zusammenarbeit. – Die Anzahl von MAPs soll reduziert werden, indem potenzielle Doppelbesteuerungskonflikte durch eine kooperative Zusammenarbeit zwischen Steuerpflichtigem und Finanzverwaltung frühzeitig aufgelöst werden. – International etablierte Tax Compliance Standards sollen Anwendung finden. Das Programm soll durch eine frühzeitige Problemlösung auch verhindern, dass sich Positionen verfestigen und Unterlagen, wichtige Entscheidungsträger und Mitarbeiter mit Kenntnissen und Verständnis der jüngsten Transaktionen nahezu in Echtzeit zur Verfügung stehen. – Die Zusammenarbeit zwischen den Finanzverwaltungen auf internationaler Ebene hat sich in jüngster Zeit verbessert und intensiviert. Diese soll im Rahmen von ICAP zum Einsatz gebracht werden. 31 https://www.oecd.org/tax/eight-fta-members-kick-off-multilateral-tax-risk-assurance-­ programme-to-provide-early-certainty-for-tax-administrations-and-mnes.htm. 32 ICAP 1.0 mit ausführlichem ‚Pilot Handbook‘, https://www.oecd.org/tax/forum-on-tax-­ administration/publications-and-products/international-compliance-assurance-program​ me-­pilot-handbook.pdf. 33 https://www.oecd.org/tax/leading-global-tax-administrations-agree-collective-actions-­ontax-certainty-co-operation-and-digital-transformation.htm. 34 https://www.oecd.org/tax/forum-on-tax-administration/publications-and-products/inter​ national-compliance-assurance-programme-pilot-handbook-2.0.pdf, S. 17. 35 Die teilnehmenden Länder an ICAP 1.0 waren: Australien, Kanada, Italien, Japan, Niederlande, Spanien, Großbritannien und die USA. Volk, Kobiella, ICAP 2.0 – das International Compliance Assurance Programme der OECD, IWB 2019, 637.  Nachdem Deutschland aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken am ersten ICAP-Pilotprojekt nicht teilnahm und nur Beobachter war (vgl. BT-Drucks. 19/3842), wurde die Teilnahme an ICAP 2.0 zugesagt. Des Weiteren sind nun auch Österreich, Belgien, Dänemark, Finnland, Irland, Luxemburg, Norwegen und Polen unter den Teilnehmern. 36 ICAP 2.0 mit ausführlichem ‚Pilot Handbook‘, https://www.oecd.org/tax/forum-on-tax-­ administration/publications-and-products/international-compliance-assurance-program​ me-pilot-handbook-2.0.pdf. 37 Strohm, Das International Compliance Assurance Programme der OECD, ISR 2019, 2018; Heidecke/Lülf/Panchenko, IWB 2018, 284 (288) sprechen von „APA light“.

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– Die gemeinsame Analyse von standardisierten Informationen bezüglich von Verrechnungspreisrisiken. Als ein Ergebnis aus der Umsetzung des BEPS Aktionspunktes 13 stehen den Finanzverwaltungen standardisierte Daten in Form des Country-by-Country Reporting (CbCR), Master – und Local File zur Verfügung. Diese Informationen sollen im Rahmen von ICAP zielgerichtet verwendet werden. Steuerpflichtige sollen die Möglichkeit haben, CbCR-Daten im direkten Austausch mit den Finanzverwaltungen zu erläutern. – Schließlich soll ICAP das Treffen von Entscheidungen auf Basis von zuvor genannten standardisierten Daten in Konsultation mit anderen Steuerverwaltungen unterstützen. ICAP 2.0 findet auf MNEs und für Wirtschaftsjahre Anwendung, die am oder nach dem 1.1.2016 begonnen haben. Es kann über diesen Veranlagungszeitraum hinaus zwei weitere Veranlagungszeiträume erfassen, soweit den zu bewertenden Geschäftsvorfällen keine materiellen Veränderungen zu Grunde liegen (sog. roll-forward period). Das Programm durchläuft vier Verfahrensschritte und endet mit einem ICAP Ergebnisschreiben, dem sog. outcome-/ completion letter. Aus Sicht von MNEs dürfte dieser ein wesentliches Element des Programmes sein. Die Ergebnisse der ICAP

4 to 8 weeks

Stage I: Pre-entry

Stage II: Scoping

4 to 8 weeks

c.20 weeks

MNE to prepare and submit main documentation package

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Stage III: Risk assessment …

… and issue resolution

Stage VI: Outcomes

Streitvermeidung durch Joint Audit – Eine Bestandsaufnahme

Bewertung werden darin näher erläutert. Sofern darin ein zu beurteilendes Risiko als niedrig bzw. nicht vorhanden bewertet wurde, können dem Steuerpflichtigen Zusagen gemacht werden. Deren Inhalt hängt vom konkreten Ergebnis der individuellen Risikobewertung ab. Nach dem Konzept der OECD könnte diese z.B. eine Feststellung sein, wonach nicht vorgesehen ist, ein Risiko in näherer Zeit erneut zu prüfen. Der completion letter entfaltet keine nationale Bindungswirkung.38 Bei allen Vorteilen dieser ‚eye-catching‘ Initiative liegt darin auch eine seiner Schwächen.39

III. International Koordinierte Außenprüfung Grenzüberschreitende Sachverhalte können für einen Staat insoweit problematisch sein, als sein Recht, sich selbst hierzu Informationen zu beschaffen, grundsätzlich an den Staatsgrenzen endet. Es gilt das Territorialitätsprinzip.40 Roman Seer konstatiert in diesem Zusammenhang ein defizitäres Steuerverfahrensrecht, dass internationalisiert werden muss.41 Internationale Prüfungsanordnungen sind verfahrensrechtlich nicht vorgesehen. „Durch ein „Baukastensystem“, d.h. durch eine Kombination verschiedener Rechtsnormen eröffnen sich den Betriebsprüfern vielfältige Möglichkeiten zur Informationsgewinnung im Ausland.42 Derzeit stehen den Finanzverwaltungen verschiedene Instrumente zum Informationsaustausch zur Verfügung. Auf Ebene der Europäischen Union sind Rechtsgrundlagen die EU-Amtshilferichtlinie vom 15.2.2011 (EU-AHiRL oder Directive on Admanistrative Cooperation  – DAC) sowie die MwSt-Zusammenarbeits VO vom 7.10.2010. Ziel der EU-AHiRL ist, den grenzüberschreitenden Informationsaustausch zwischen den Verwaltungsbehörden durch einheitlich geltende Regeln zu erleichtern. Dadurch soll das Funktionieren der nationalen Steuergesetze sichergestellt werden.43 Die EU-AHiRL wurde unmittelbar mit dem EU-Amtshilfegsetz vom 20.6.2013 umgesetzt. Ergänzt werden die Regelungen der EU-AHiRL und des EUAHiG durch § 117 AO. Im Verhältnis zu Drittstaaten gilt das multilaterale Übereinkommen des Europarates und der OECD vom 25.1.1988 zusammen mit dem Zusatzprotokoll vom 27.5.2010 (Convention on mutual administrative assistance in tax matters – CMAA). Daneben können bilateral zwischenstaatliche Verwaltungsmaßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung vereinbart werden, z.B. nach dem sog. Tax Information Exchange Agreement (TIEA). Dieses hat die OECD im Jahr 2002 veröffentlicht. Das TIEA hat keine rechtliche Bindungswirkung, hat jedoch in den letzten Jahren als Modell für 38 Macho, Verrechnungspreise im Zeitalter von ICAP 2.0, TPI 2019, 268. 39 Majdanska/Leigh-Pemberton, The OECD’s International Compliance Assurance Programme (Part II), TPI 2018, 178. 40 Schönfeld/Ditz, DBA, Systematik Rz. 62. 41 Seer, International koordinierte Außenprüfung, 577. 42 Bleschick/Oertel/Mohr, Grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Finanzbehörden in den EU-Mitgliedstaaten, Ubg 2018, 295 (301). 43 Vgl. Rz. 1 der Erwägungsgründe der EU-AHiRL.

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den Abschluss von steuerlichen Informationsabkommen in mehr als 700 bilateralen Abkommen gedient.44 2015 wurde das TIEA durch ein Protokoll ergänzt. Art.  26 DBA ist die Grundlage für die in den DBA verankerte Pflicht der Staaten, steuerliche Informationshilfe zu gewähren. Die Durchführung des Informationsaustausches nach den TIEAs ist im BMF-Schreiben vom 10. November 2015 geregelt.45 Im Rahmen der zwischenstaatlichen Amtshilfe können koordinierte bi- und multilaterale steuerliche Außenprüfungen durchgeführt werden. Diese lassen sich unterscheiden als gleichzeitige Prüfung (Simultanprüfung) sowie gemeinsame steuerliche Außenprüfung (Joint Audit oder Multilateral Control).46 Das EUAHiG findet nur im Verhältnis von EU-Mitgliedstaaten Anwendung. Für gemeinsame steuerliche Außenprüfungen mit Drittstaaten ist Art. 26 OECD-MA oder Art. 9 des Amtshilfeabkommens Rechtsgrundlage. Der Grad an Kooperation lässt sich grafisch wie folgt illustrieren47: Joint Tax Audits STE with active presence STE with passive presence STE (Simultaneous Tax Examinations) Presence of Tax Officers abroad Exchange of Information (EoI)

44 Schönfeld/Ditz, DBA, Tax Information Exchange Agreement, Rz. 1. 45 BMF-Schreiben „Anwendung der Abkommen über den steuerlichen Informationsaustausch“ vom 10.11.2015 − IV B 6 – S 1301/11/10002, BStBl I 2016 S. 138. 46 BMF-Schreiben „Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete“ vom 9.1.2017 − IV B 6 – S 1315/16/10016 :002, BStBl I 2017 S. 89, Rz. 1.  47 OECD, Joint Audit Report (2019), S. 19.

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Unmittelbar nach Inkrafttreten des EUAHiG gründete Bayern im Juli 2013 das Internationale Steuerzentrum (IStZ) in München. Die Gründung erfolgte dabei mit der Zielsetzung „Joint Audits sollen alltäglich werden!“ Mit dem IStZ wurde eine neue Arbeitsplattform für internationale Verwaltungszusammenarbeit geschaffen. Mit dieser soll die Zusammenarbeit zwischen bayerischen und europäischen Steuerbeamten forciert und Maßnahmen zu koordiniert werden. „Bayern forciert mit diesem Zentrum die internationale Verwaltungszusammenarbeit in Steuersachen. Insbesondere sollen gleichzeitige und gemeinsame Steuerprüfungen („Joint Audits“) international aufgestellter Unternehmen intensiviert und beschleunigt werden.“48 Im Oktober 2018 folgte Baden-Württemberg mit der Gründung des Zentrums für internationale Betriebsprüfungen Baden-Württemberg (ZiBp BW) und damit des zweiten Steuerzentrums in Deutschland.49 Das BMF hat das BZSt als zentrales Verbindungsbüro i.S.d. §  4 Abs.  2 EU-AHiRL benannt.50 Damit hat das BZSt die Funktion der zuständigen Behörde auf dem Gebiet der steuerlichen Amtshilfe, § 5 Abs. 1 Nr. 5 FVG. Dieses übernimmt die Koordination der Joint Audits und die Kommunikation mit den anderen EU-Mitgliedstaaten sowie eingehende und ausgehende Prüfungsvorschläge. Gemeinsame steuerliche Außenprüfungen eignen sich zur Klärung sämtlicher Sachverhalte mit grenzüberschreitendem Bezug, insbesondere für Verrechnungspreisfragen, Betriebsstättenfragen, Ermittlung grenzüberschreitender Steuergestaltungs- und Steuervermeidungsmodelle und zur Ermittlung komplexer Unternehmensumstrukturierungen.51 Ziel ist, während der Außenprüfungen unter Beteiligung ausländischer Bediensteter zu einer einvernehmlichen Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts zu gelangen.52 Durch Informationstransparenz und -Synchronität sollen Doppelbesteuerungen als auch doppelte Nichtbesteuerung vermieden werden. Ein solches Vorgehen erweist sich insbesondere im Verrechnungspreisbereich als ­äußerst vorteilhaft, da einer Verrechnungspreiskorrektur oftmals ein zunächst nur unilateral ermittelter Sachverhalt zu Grunde liegt. Soweit der Sachverhalt einvernehmlich festgestellt werden kann, ziehen die beteiligten Finanzverwaltungen unabhängig voneinander jeweils ihr nationalen rechtlichen Schlussfolgerungen. Die einvernehmliche Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts kann dazu beitragen, dass Doppelbesteuerungskonflikte und daraus folgende Verständigungsverfahren entweder vermieden oder vereinfacht bzw. verkürzt werden können. Da­ 48 Merx, Außenprüfung: Gründung des „Internationalen Steuerzentrums“ in München, ISR 2013, 328; siehe auch Oertel/Merx/Reimann, Das Internationale Steuerzentrum  – Eine Plattform für effiziente internationale Verwaltungszusammenarbeit, ISR 2015, 154. 49 https://fm.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse-und-oeffentlichkeitsarbeit/pressemit​ teilung/pid/zentrum-fuer-internationale-betriebspruefungen-baden-wuerttemberg-­gehtan-den-start/. 50 BMF-Schreiben „Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete“ vom 9.1.2017 − IV B 6 – S 1315/16/10016 :002, BStBl I 2017 S. 89, 3.1. 51 Rz. 3.5. 52 1.1 Ziele koordinierter Außenprüfungen.

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rüber hinaus kann die einvernehmliche Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts Grundlage für die Beantragung eines Advance Pricing Agreements (APA) sein. Charakteristisch für eine gemeinsame steuerliche Außenprüfung ist, dass sie nicht nur zeitgleich, sondern in enger Abstimmung mit der jeweiligen ausländischen Finanzverwaltung durchgeführt wird. Sie sind ein Faktencheck vor Ort.53 Die Schwerpunkte der Prüfung, z.B. die Prüfungszeiträume sowie die zu prüfenden Gesellschaften, Arbeitssprache (in der Regel Englisch) und eine Fallbeschreibung werden einvernehmlich festgelegt. Eine Strategie für die Ermittlungsmaßnahmen wird gemeinsam erarbeitet. Die zu prüfenden Veranlagungszeiträume müssen verfahrensrechtlich noch änderbar sein. Nach Angabe des BZSt können bilaterale gemeinsame steuerliche Außenprüfungen innerhalb von weniger als einem Jahr abgeschlossen werden. Komplexere Joint Audits dauern erfahrungsgemäß länger, wobei ein Zeitraum von mehr als achtzehn Monate nur selten überschritten wird. Aus Sicht der Praxis ist die zeitliche Dauer zweifelsfrei ein starkes ‚Verkaufsargument‘.54 Das Joint Audit soll mit einem zwischen den jeweiligen Finanzverwaltungen abgestimmten Ergebnisprotokoll über die gemeinsame steuerliche Außenprüfung abgeschlossen werden, was in der Praxis der Regelfall ist. Das Ergebnisprotokoll enthält die gemeinsam festgestellten Sachverhalte und die jeweils national rechtlichen Würdigungen unter Einbeziehung des anwendbaren DBA. Das Joint Audit ist keine weitere Prüfung, die neben oder über eine Außenprüfung i.S.d. §§ 193 ff. AO hinaus durchgeführt wird. Vielmehr prüft jede Finanzverwaltung im jeweils eigenen Hoheitsgebiet eigenständig. Die erforderlichen Ermittlungen werden durch die ausländische Finanzbehörde nach dem für diese maßgebenden nationalen Recht durchgeführt, § 195 AO. Damit ist das Joint Audit kein neues Instrument des Verfahrensrechts, sondern eine besondere Form des Informationsaustausches. Zwischenstaatliche Amtshilfe stellt grundsätzlich einen Eingriff in die Rechte des betroffenen inländischen Beteiligten dar. Der Steuerpflichtige und alle weiteren vom Informationsaustausch betroffenen inländischen Beteiligten sind daher grundsätzlich rechtzeitig zu hören, § 117 Abs. 4 Satz 3 AO i.V.m. § 91 AO Der Singular „Joint Audit“ ist daher terminologisch irreführend, da es sich um ein abgestimmtes Nebeneinander von mindestens zwei Verwaltungsverfahren, der deutschen und der jeweils ausländischen Betriebsprüfung, handelt.55 Ein gesetzlich nor53 Bleschick, Oertel, Mohr, Ubg 2018, 303, Grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Finanzbehörden in den EU-Mitgliedstaaten: Zulässigkeit einer Prüferentsendung nach Schweden, Anm. zu FG Köln, Beschl. v. 20.10.2017 – 2 V 1055/17. 54 Gemäß Studie des BDI aus 2019 belasten lange Prüfungsdauern Unternehmen und sind ein Standortnachteil. Danach dauern 37% der steuerlichen Betriebsprüfungen zwischen 1 und 3 Jahre, 40% zwischen 3 und 5 Jahre und 13% zwischen 6 und 10 Jahre, https://bdi.eu/pub​ likation/news/steuerliche-betriebspruefungen/. 55 Becker/Kimpel/Oestreicher/Reimer, Das Verfahrensrecht der Verrechnungspreise, S. 50.

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miertes Antragsrecht des Steuerpflichtigen auf ein Joint Audit existiert leider nicht und ist aus Sicht der Praxis wünschenswert. Dem Steuerpflichtigen verbleibt lediglich die Möglichkeit, durch entsprechende Hinweise an seine zuständige Finanzverwaltung ein solches zu initiieren. § 11 i.V.m. § 10 des EUAHiG ermöglicht gemeinsame Prüfungshandlungen mit Beamten aus einem anderen EU-Mitliedstaat. § 10 Anwesenheit von Bediensteten anderer Mitgliedstaaten im Inland (1) Das zentrale Verbindungsbüro kann zum Zweck des Informationsaustauschs mit einem anderen Mitgliedstaat vereinbaren, dass unter den von der Finanzbehörde festgelegten Voraussetzungen befugte Bedienstete des anderen Mitgliedstaats 1. in den Amtsräumen zugegen sein dürfen, in denen deutsche Finanzbehörden ihre Tätigkeit ausüben, sowie 2. bei den behördlichen Ermittlungen zugegen sein dürfen, die auf deutschem Hoheitsgebiet durchgeführt werden. (2) Bei dem Informationsaustausch gemäß Absatz 1 stellt die Finanzbehörde sicher, dass Bediensteten der anderen Mitgliedstaaten nur solche Informationen offenbart werden, die nach § 4 übermittelt werden dürfen. Sind die erbetenen Informationen in den Unterlagen enthalten, zu denen die Finanzbehörde Zugang hat, so werden den Bediensteten des anderen Mitgliedstaats Kopien dieser Unterlagen ausgehändigt. (3) Die Vereinbarung nach Absatz 1 kann vorsehen, dass Bedienstete der anderen Mitgliedstaaten im Beisein inländischer Bediensteter Personen befragen und Aufzeichnungen prüfen dürfen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Personen der Befragung und Prüfung zustimmen. Verweigert eine Person die Mitwirkung, gilt diese Verweigerung wie eine Verweigerung gegenüber inländischen Bediensteten. (4) Befugte Bedienstete des anderen Mitgliedstaats müssen, wenn sie sich nach Absatz 1 auf deutschem Hoheitsgebiet aufhalten, jederzeit eine schriftliche Vollmacht vorlegen können, aus der ihre Identität und dienstliche Stellung hervorgehen. Damit wird ein aktives Prüfungsrecht gewährt, sofern ein inländischer Beamter bei den Prüfungshandlungen anwesend ist und der Steuerpflichtige zustimmt, §  10 Abs. 3 EUAHiG. Sollte eine solche Zustimmung nicht gegeben werden, darf der ausländische Bedienstete bei den behördlichen Ermittlungen auf deutschem Hoheitsgebiet nur passiv anwesend sein, § 10 Abs. 1 Nr. 2 EUAHiG. In der Regel wird der Steuerpflichtige seine Zustimmung gewähren und den beteiligten Finanzverwaltungen damit die Möglichkeit gegeben, ihre Ermittlungshandlungen mit größtmöglicher Effizienz durchzuführen. Während des Joint Audits erhaltene Informationen werden zwischen den Verwaltungen ausgetauscht, sofern diese für die Besteuerung im jeweils anderen EU-Mitgliedstaat von Relevanz sind, §§ 1, 4, 6, 8 und 12 EUAHiG. Reisekosten für Joint Audits mit EU-Mitgliedstaaten können in der Regel aus Haushaltsmitteln der EU finanziert werden. Die EU stellt den Mitgliedstaaten hierzu Mit363

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tel aus dem Programm FISCALIS 2020 zur Verfügung. Joint Audits sind damit für die mitwirkenden Finanzverwaltungen ressourcenschonend. 56 Der Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATAD-Umsetzungsgesetz) ordnet in § 89a Abs. 7 Satz 7 AO an, dass eine Gebühr für Vorabverständigungsverfahren dann um 75 Prozent zu reduzieren ist, wenn für den zu beurteilenden Sachverhalt bereits eine koordinierte bilaterale oder multilaterale steuerliche Außenprüfung stattgefunden hat, die zu einem übereinstimmend festgestellten Sachverhalt und zu einer übereinstimmenden steuerlichen Würdigung führte. Das Vorabverständigungsverfahren reduziert sich demnach lediglich auf die Fortschreibung des Ergebnisses für die Zukunft.57

IV. Schlussbemerkungen Aus Unternehmenssicht sind Joint Audits ein sehr wirksames präventives verfahrensrechtliches Instrument zur Vermeidung von Besteuerungskonflikten. Sie bieten Steuerpflichtigen ein probates Mittel, um zeitnah Sachverhalts- und in vielen Fällen auch Rechtssicherheit zu gewinnen. Vorabverständigungs- und Verständigungsverfahren bieten im Vergleich aufgrund ihrer zum Teil sehr langwierigen Verfahrensdauer nur bedingte Abhilfe.58 Steuerliche Entwicklungen wie BEPS 1.0 und 2.0 sowie volkswirtschaftliche Krisen, wie aktuell durch COVID-19, lassen einen sich weiterhin verschärfenden Steuerwettbewerb sowie eine steigende Anzahl von Steuerstreitfällen in der Zukunft befürchten. Strukturreformen und ein Kulturwandel erscheinen daher mehr denn je notwendig, um ein defizitäres internationales Steuerverfahrensrecht zu überarbeiten und Designfehler zu reparieren. Ein breiterer internationaler politischer Wille, Potentiale wie kooperative Compliance, Risikoorientierte Prüfungsansätze wie ICAP und SAR in der Zukunft stärker zu nutzen und weiterzuentwickeln, um damit dem Steuerpflichtigen nachhaltige und effiziente Lösungen im Bereich der Streitvermeidung anzubieten sind erforderlich. Heinz-Klaus Kroppen hat in beachtenswerter Art und Weise darauf stets aufmerksam gemacht. Nicht allein dafür verdient er meinen tiefen Respekt.

56 Macho, ISR 2017, 93; Programme Fiscalis 2020. 57 https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_Gesetzes​ vorhaben/Abteilungen/Abteilung_IV/19_Legislaturperiode/Gesetze_Verordnungen/ ATADUmsG/0-Gesetz.html. 58 Siehe MAP Statistik der OECD: https://www.oecd.org/tax/dispute/mutual-agreement-pro​ cedure-statistics.htm.

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Wunsch und Wirklichkeit – Ökonomische Theorie und Verrechnungspreise Inhaltsübersicht I. Problemstellung II. Wertschöpfung und Fremdvergleichs­ grundsatz 1. Entwicklung des Konzepts Wertschöpfung in der ökonomischen Theorie 2. Besteuerung nach der Wertschöpfung und Fremdvergleich 3. Vermeintlicher Widerspruch von Kosten und Wert am Beispiel der Kostenumlage

III. Fremdvergleich und Unsicherheit 1. Risiko und Übernahme von Einkommensunsicherheiten aus ökonomischer Sicht 2. Behandlung von Risiko im Rahmen der OECD-Guidelines 3. Entwicklung der OECD-Position im Nach-Regulierungsprozess 4. Fragwürdige ökonomische Substanz der OECD-Regulierungen IV. Schlussbetrachtung

I. Problemstellung Heinz-Klaus Kroppen hat sich während seines beruflichen Schaffens über Jahrzehnte mit der internationalen Besteuerung und vor allem mit steuerlichen Verrechnungs­ preisen auseinandergesetzt. Als einer der profiliertesten Experten auf diesem Gebiet hat er sich auch immer wieder kritisch mit den ökonomischen Grundlagen und der Zukunft des Fremdvergleichsgrundsatzes beschäftigt.1 Bei den Regulierungen zum Fremdvergleich findet sich gemeinhin die innigste Verbindung zwischen Steuerrecht und Ökonomie. Zugleich stellt aber diese Konstellation an der Grenze zwischen Einkommensermittlung und Einkommensverwendung eine theoretisch besonders anspruchsvolle Kombination aus Steuerrecht und ökonomischer Theorie dar. Dies beruht zum einen darauf, dass internationale Steuerrechtssetzer sich vermeintlich klar definierter ökonomischer Konzepte zu bedienen suchen und diese zumeist wenig reflektiert in nationale Steuerrechte einbauen. Zum anderen ermöglichen diese methodischen Schwächen der Rechtsetzung Steuerpflichtigen erfolgreiche Ausweichhandlungen gegen die bestehenden steuerlichen Regulierungen. So entsteht immer wieder ein evolutorischer Prozess von Regulierungen, Ausweichhandlungen und Nachregulierungen. Diese Handlungsmuster finden sich auch bei Rechtsetzungen zu Verrechnungspreisen im Zusammenhang mit zwei prominenten ökonomischen Begriffen, nämlich mit „Wert“ und „Risiko“. So ist die Häufigkeit der Verwendung des Begriffs „Wert“ in Konzepten wie „Wertschöpfung“ oder „value creation“ sowie in damit zusammenhängenden Konzepten 1 Siehe nur Kroppen/Dawid/Schmidtke in Schön/Konrad (Hrsg.), Fundamentals of Inter­ national Transfer Pricing 2010, S. 267 ff.; Kroppen/Dawid/Keil, IWB 2019, S. 590 ff.

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wie „value chain“ oder „Wertschöpfungsbeitragsanalyse“ insbesondere durch die Diskussionen zu BEPS kontinuierlich angestiegen. Nicht zuletzt der OECD BEPS Action Plan aus dem Jahr 2013 legt für Verrechnungspreisregeln einen Fokus auf „value ­creation in highly integrated groups“2, um die globalen Wertschöpfungsketten besser zu berücksichtigen. Der finale OECD/G20 BEPS Report zu den Aktionspunkten 8–10 heißt gar „Aligning Transfer Pricing Outcomes with Value Creation“.3 Diese Betonung der besonderen Bedeutung von Wertschöpfung für die Bestimmung fremd­ üblicher Verrechnungspreise findet sich auch in den OECD Guidelines 2017 wieder.4 Der OECD/G20 Zwischenbericht zu den steuerlichen Herausforderungen der Digitalisierung aus dem Jahr 2018 beschäftigt sich sehr intensiv mit Wertschöpfungsketten von digitalen Geschäftsmodellen und dabei auch allgemein mit dem Wertschöpfungsprozess.5 Dabei erscheint die Verwendung der genannten Begriffe vielfach erstaunlich unreflektiert und bar weitergehender theoretischer Fundierung. Häufig werden sie dann im Kontext der internationalen Unternehmensbesteuerung in recht allgemeinen Aussagen verwendet; beispielsweise der, dass die Besteuerung von Gewinnen dort erfolgen soll, wo die ökonomische Aktivität und die Wertschöpfung stattfindet.6 Als sprachlich positiv besetzter Begriff füllt „Wert“ argumentative Lücken, welche einer definitorisch sorgsameren Behandlung bedurft hätten. Der Begriff „Risiko“ hingegen nimmt ökonomisch eine zentrale Stellung im Zu­ sammenhang mit der Bewertung unsicherer künftiger Zahlungsströme und der Übernahme von Einkommensunsicherheiten ein. Zwar finden sich in verschiedenen Bereichen berufsständische Empfehlungen oder gesetzliche Vorgaben zur Durchführung von Bewertungen, doch gibt es einerseits kein einheitliches methodisches Konzept und zum anderen basieren alle Berechnungen bzw. Bewertungen letztlich wesentlich auf Schätzungen und Erwartungen der Bewerter über künftige Ereignisse. Solche Schätzungen bzw. Erwartungen sind einer intersubjektiven Nachprüfbarkeit nur sehr bedingt zugänglich. Zugleich können Risiken zwischen voneinander un­ abhängigen Marktteilnehmern durch schlichte vertragliche Disposition wirksam übertragen werden. Diese Kombination aus methodisch induzierter Subjektivität und geringen Transaktionskosten bietet insofern nahezu ideale Bedingungen zur Verwirklichung legaler Steuerausweichhandlungen. Im folgenden Abschnitt II wird die oben angesprochene Problematik des vermeintlich einfachen rechtlichen Rekurses auf ein wirtschaftliches Konzept zunächst am Beispiel des Begriffs „Wert“ nachgezeichnet. Anschließend beschreibt Abschnitt III das evolutorische Regulierungsmuster am Beispiel der einschlägigen Regulierungen 2 OECD, Action Plan on Base Erosion and Profit Shifting, 2013, S. 14, das folgende dort, S. 18. 3 OECD, Aligning Transfer Pricing Outcomes with Value Creation, Action 8–10 Final Reports, 2015. 4 Etwa: „it is important to understand how value is generated by the group as a whole […] and the contribution that the associated enterprises make to that value creation“, Rz. 1.51 OECD Guidelines 2017. 5 OECD, Tax challenges arising from digitalisation – interim report 2018, 2018, insb. S. 35–83. 6 Vgl. OECD, Addressing the Tax Challenges of the Digital Economy, Action 1 – 2015 Final Report, OECD/G20 Base Erosion and Profit Shifting Project, 2015, S. 3.

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im Hinblick auf den Begriff „Risiko“. Eine zusammenfassende Schlussbetrachtung findet sich in Abschnitt IV.

II. Wertschöpfung und Fremdvergleichsgrundsatz 1. Entwicklung des Konzepts Wertschöpfung in der ökonomischen Theorie Die OECD verortet den Beginn der theoretischen Auseinandersetzung mit der unternehmerischen Wertschöpfung zeitlich auf die Mitte der 1980er Jahre. Als Ausgangspunkt der Diskussion wird Michael Porters Veröffentlichung zur Wertschöpfungskette im Jahre 1985 genannt.7 Versteht man Wertschöpfung dagegen umfassend im Sinne einer Werttheorie, welche die Gründe der Entstehung von wirtschaftlichem Erfolg und wirtschaftlichem Austausch über Märkte erklärt, so findet sich ein deutlich früherer Ausgangspunkt: Erste Ausführungen zu Wertschöpfung und Werttheorie lassen sich bereits in der griechischen Antike nachweisen und halten – von wenigen Unterbrechungen abgesehen – bis in die Neuzeit an. So lassen sich bereits bei Aristoteles im vierten Jahrhundert vor Christus Überlegungen zum Gebrauchswert im Sinne einer gesellschaftlichen Nützlichkeit und zum Tauschwert von Gütern nachweisen.8 Zudem verbindet er den Wert einer Sache mit deren relativer Seltenheit und erklärt damit beispielsweise Wertunterschiede zwischen edlen und unedlen Metallen. Dabei begreift Aristoteles jedoch den Wert eines Gutes noch wesentlich als eine diesem Gut per se innewohnende Eigenschaft.9 In der theologisch inspirierten Diskussion der Scholastik rücken normative Gedanken in den Mittelpunkt. Der Wert einer Sache soll sich aus ihrer Nützlichkeit ergeben. Dazu trat als weiterer Erklärungsgrund die Seltenheit einer Sache hinzu, was wiederum dem Gedankengut der Antike entsprach. Für die Denker dieser Zeit ist zudem die Vorstellung eines gerechten Preises und eines gerechten Tausches prägend, zu welchem Waren gleichen Wertes ausgetauscht werden. Neben der Nützlichkeit der Sache selbst wird auch der Ersatz von Produktionskosten, beispielsweise der Kosten der eingesetzten Arbeit, zur Rechtfertigung des Wertes herangezogen.10 Erhebt man den gerechten Tausch zu einer wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeit, so kann zusätzlicher Wert bzw. ein höherer Preis grundsätzlich nicht aus dem Tauschakt selbst resultieren, sondern nur aus zusätzlichem Faktoreinsatz und damit insbe­ sondere aus Arbeit geschaffen werden. Aus dieser produktionskostenorientierten Perspektive bedürfen Gewinne, welche auf Preisunterschieden beruhen, die nicht 7 Vgl. OECD (Fn. 5), S. 35 Rz. 66 ff.; Porter, Competitive Advantage Creating and Sustaining Superior Performance, 1985. 8 Vgl. Schneider, Betriebswirtschaftslehre. Band 4: Geschichte und Methoden der Wirtschaftswissenschaft, 2001, S. 673. 9 Vgl. Kraus, Die aristotelische Werttheorie in ihren Beziehungen zu den Lehren der modernen Psychologenschule. Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 1905, 573 (582–589). 10 Vgl. Schreiber, Die volkswirtschaftlichen Anschauungen der Scholastik seit Thomas v. Aquin, 1913, S. 85 ff.

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durch unterschiedliche Faktoreinsatzkosten gerechtfertigt werden können, z. B. Handelsgewinne, einer besonderen moralphilosophischen Begründung. Anders gewendet scheint hier auch deutlich ein kulturell inspiriertes abendländisches Werturteil durch, welches zusätzliches, lediglich aus marktbedingten Preissteigerungen resultierendes Einkommen eines Wirtschaftssubjektes negativ konnotiert. Erst Preissteigerungen und damit Einkommenssteigerungen, welche auf zusätzliche durch den Anbieter selbst erbrachte Leistungen zurückgehen, erschienen moralisch gerechtfertigt. Merkantilistisch inspirierte Autoren des 16. und 17. Jahrhunderts sahen dagegen primär den Handel mit seinen auf Preisunterschieden beruhenden Gewinnen als zen­ trale Quelle der Wertschöpfung. Soweit damit marktmäßig gebildete Preise Wertschöpfung beeinflussen, richtet sich das Interesse auf preisbeeinflussende Faktoren. Dazu zählt in erster Linie die Nachfrage, welche sich wiederum aus der Wertschätzung einer Sache ableiten ließ. Dabei erkennt beispielsweise Bernardo Davanzati,11 dass der Preis eines Gutes von seiner Nützlichkeit und seiner Verfügbarkeit abhängen. Dieser Gedanke wird erweitert durch Geminiano Montanari, welcher feststellt, dass die Verfügbarkeit eines Gutes relativ und nicht absolut betrachtet werden muss und durch sich im Zeitablauf ändernde Faktoren, etwa Geschmack oder Mode, beeinflusst werden kann.12 Den nächsten Schritt fort von einer objektivierten Wertvorstellung hin zu einer subjektivierten Betrachtung vollziehen dann Nicholas Barbon und John Locke. Zunächst verwirft Barbon die Ansicht, dass der Gebrauchswert eine objektive Eigenschaft des Gutes selbst darstellt. Vielmehr ergeben sich Nachfrage und damit Marktpreise aus dem individuellen Gebrauchsnutzen des Gutes.13 Ähnlich argumentiert auch John Locke, welcher den Gebrauchswert einer Sache nicht als objektiviertes Wesensmerkmal dieser Sache ansieht, sondern als ein Merkmal, welches sich erst aus der Beziehung eines Menschen zu dieser Sache ergibt.14 Um die konkrete Höhe eines Wertes oder eines Marktpreises im Einzelnen zu erklären, hilft diese Erkenntnis jedoch nur bedingt weiter. Klassische Autoren stellen dagegen ab dem 18.  Jahrhundert wieder die Produktionsseite der Wertschöpfung in den Vordergrund und betrachten insbesondere den Faktor Arbeit als wertbildend.15 Sowohl die auf der eigenen Produktionsstufe aufgewendete Arbeit als auch alle Arbeit bzw. andere Vorleistungen, welche in die vorherigen Produktionsstufen eingeflossen sind, sollen den wahren Tauschwert eines Gutes bestimmen.16 Dabei stellen diese Autoren auf den sog. natürlichen Preis eines Gutes 11 Vgl. Davanzati, Lezione monete (1589), abgedruckt in Scrittori delle classici italiani di economia politica, parte antica, tom. III, hrsg. von P. Custodi. Milano 1803–1804, nach Schumpeter, Geschichte der ökonomischen Analyse, 1965, S. 381. 12 Vgl. Screpanti/Zamagni, An Outline of the History of Economic Thought. 2.  Aufl. 2005, Kapitel 1.2.6. 13 Vgl. Barbon, A Discourse of Trade, 1690. 14 Vgl. Schneider (Fn. 8), S. 674 f.; dort auch das Folgende. 15 Vgl. z. B. Whitaker, History and Criticism of the Labor Theory of Value in English Political Economy, 1904, S. 9 ff. 16 Vgl. Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, 1776, S. 133.

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ab, welcher anders als der Marktpreis nicht von Marktfaktoren wie Nachfrage beeinflusst wird und damit auch wieder objektiv ermittelt werden kann.17 Die endgültige Abwendung von der Vorstellung eines objektiven, dem Gut innewohnenden Wertes erfolgt dann im 19. Jahrhundert im Rahmen der Neoklassik. In dieser Phase setzt sich die Anwendung des Marginalprinzips, d. h. das Denken in Änderungen ökonomischer Größen, durch. Dabei sehen die frühen Vertreter der Neoklassik noch den Nutzen eines Gutes als den wesentlichen wertbestimmenden Faktor an. Die Erklärung von Wertschöpfung über die Verbindung von Produktionskosten (Angebot) und Nutzen (Nachfrage) von Gütern gelingt schließlich Alfred Marshall. Er betont die gegenseitige Abhängigkeit der beiden Variablen. Zwar können für die Angebots- wie für die Nachfrageseite abhängig von der Länge des Betrachtungszeitraums Konstellationen identifiziert werden, in denen einer der beiden Seiten eine stärkere Bedeutung zukommt, doch letztlich wirken beide stets zusammen.18 Der verwirklichte Marktpreis bezeichnet damit im Sinne Marshalls den Wert der von einer Unternehmung am Markt erfolgreich umgesetzten Sachen, Dienstleistungen und Verfügungsrechte und misst zugleich die Einnahmen bzw. den Ertrag als eine der beiden Bestimmungsgrößen des Einkommens einer Unternehmung. Der zweite Bestimmungsfaktor, d. h. Ausgaben, Aufwand oder Kosten, ergibt sich aus den Aktivitäten der Unternehmung an deren Beschaffungsmärkten in Verbindung mit ihrer eigenen Marktzufuhrleistung. Es bleibt zweifelhaft, ob der Rückgriff der OECD19 auf die Arbeiten von Michael Porter und andere auf ihm aufbauende Autoren20 tatsächlich einen Erkenntnisgewinn darstellt. So definiert auch Michael Porter Wert als den verwirklichten Marktpreis für die Produkte einer Unternehmung.21 Er betont die Bedeutung von Einkommen22 im Sinne einer positiven Differenz aus durch die Unternehmung geschaffenem Wert und den Kosten der Unternehmung. Zwar verweist auch Porter ausführlich auf die Notwendigkeit, die Preise auf dem Absatzmarkt der Unternehmung durch verschiedene Differenzierungsaktivitäten zu steigern und so eine Wertsteigerung zu erzielen. Allerdings deutet er diese Wert- bzw. Preissteigerungen wiederum ganz wesentlich als Kosteneinsparungen für Kunden der Unternehmung, welche selbst unternehme17 Vgl. Schneider (Fn. 8), S. 685 f. 18 Vgl. z. B. die Metapher von den beiden Schneiden einer Schere, vgl. Marshall, Principles of Economics, 8. Aufl., 1890, S. 203 f. 19 Auch einschlägige deutsche Erlasse scheinen erheblich durch Porters Model inspiriert zu sein, so z.  B. Rz.  3.4.11.5 Verwaltungsgrundsätze-Verfahren: „Die Wertschöpfung (der Wertschöpfungsbeitrag) eines Konzerns, Unternehmens bzw. eines Unternehmensbereichs ergibt sich aus der Differenz zwischen dem Wert, den der Abnehmer für eine erhaltene Leistung zu zahlen bereit ist (Marktpreis der erbrachten Leistung), und den vom Leistungserbringer bezogenen Vorleistungen. Die Wertschöpfung lässt sich auch aus den Kosten der Leistungserbringung zuzüglich eines Gewinnzuschlags errechnen.“ 20 Vgl. Porter, Competitive Advantage, 2004 sowie beispielsweise Stabell/Fjeldstad, Configuring Value for Competitive Advantage: On Chains, Shops, and Networks, Strategic Managment Journal 1998 (413). 21 Vgl. Porter (Fn. 20), S. 36 f. 22 Vgl. ebenda wobei Porter den Begriff „Margin“ verwendet.

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risch tätig sind.23 Private Konsumenten und die Determinanten ihrer Nachfrage ­stehen nicht im Zentrum von Porters Überlegungen. Zudem postuliert er stets die Verknüpfung zwischen den Aktivitäten der Unternehmung, d. h. letztlich ihren Produktionskosten und deren Einfluss auf die Zahlungsbereitschaft der Kunden. Externe Faktoren wie beispielsweise Nachfrageschwankungen bleiben unberücksichtigt. Damit betont Porter insgesamt die Produktionsseite von Wertschöpfungsprozessen24 und bleibt insofern in einem gewissen Maße hinter den Erkenntnissen der Neoklassiker zurück. Fraglich ist also, was die Beschäftigung mit den Begriffen Wert und Wertschöpfung für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes im Steuerrecht für einen Erkenntnisgewinn bringt. „Das was sich Wert-, Nutzen-, Preis-, Produktions-, und Kostentheorie nennt, bietet überwiegend zur Erklärung von Marktprozessen und Marktzufuhr nur Fehlabstraktionen“.25 Im Ergebnis ermöglicht die alleinige Diskussion von Wertschöpfung ohne ein genau definiertes Verständnis von „Wert“ und „Schöpfung“ keinen Erkenntnisgewinn. Ohne einen Bezug auf den Absatzmarkt scheint eine Definition von Wert nicht sinnvoll. Im Ergebnis führt dieser Gedanke allerdings zum Ausgangspunkt zurück, dass Wertschöpfung der Wert ist, der durch vollendete Marktzufuhrhandlungen entsteht. Der Wunsch, die Gewinne dort zu besteuern, wo Wertschöpfung stattfindet,26 ist dann, insbesondere wenn man es nicht auf die Besteuerung dem Grunde nach, sondern auch auf die Besteuerung der Höhe nach bezieht, nur eine andere Formulierung für das Werturteil, dass die Besteuerungsrechte so aufgeteilt werden sollen, wie Märkte den Steuerpflichtigen Einkommen über Preise als Marktteilnehmer allokiert hätten, also dem Fremdvergleichsgrundsatz. 2. Besteuerung nach der Wertschöpfung und Fremdvergleich Nach den Vorstellungen der OECD und wiederholten Bekundungen nationaler Gesetzgeber soll die Idee der Wertschöpfung im Prozess der Bestimmung von Verrechnungspreisen, ihrer Dokumentation und ihrer Prüfung eine zentrale Rolle einnehmen. So sieht beispielsweise der deutsche Gesetzgeber seit dem Jahre 2003 vor, dass Wertschöpfungskette und Wertschöpfungsbeiträge grundsätzlich in der Verrechnungspreisdokumentation darzustellen sind.27 Eine Vorgabe, welche nur sinnvoll erscheint, wenn sich aus den dokumentierten Informationen zur Wertschöpfung tatsächlich relevante Schlüsse auf Verrechnungspreissetzung und -prüfung ableiten lassen könnten. Befürworter dieser Sichtweise argumentieren regelmäßig, dass eine höhere Wertschöpfung in einer Jurisdiktion auch einen höheren Anteil am steuerpflichtigen Gesamteinkommen einer multinationalen Unternehmensgruppe rechtfertige und umgekehrt. Da das Einkommen verbundener Unternehmen letztlich maßgeblich durch Verrechnungspreise beeinflusst wird, müssten zutreffende, d.  h. fremdübliche Verrechnungspreise letztlich die geographische Verteilung der Wert23 Vgl. Porter (Fn. 20), S. 52. 24 Zum gleichen Ergebnis kommen auch Stabell/Fjeldstad (Fn. 20) S. 419. 25 Vgl. Schneider (Fn. 8) S. 668. 26 Siehe auch Fn. 6. 27 Vgl. § 4 Nr. 3b GAufzV 2003 sowie § 4 Abs. 1 Nr. 3b GAufzV 2017.

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schöpfung in einer Unternehmensgruppe widerspiegeln. Anders gewendet ließe sich insoweit von der Verteilung der Wertschöpfung auf die Verteilung des Konzerneinkommens und mittelbar auf die Angemessenheit der Verrechnungspreise schließen. Es bleibt unklar, ob dies ein ökonomisch sinnvolles Verständnis von Wertschöpfung im Rahmen einer Einkommensbesteuerung leisten kann. Wie oben herausgearbeitet wurde, ergibt sich ökonomischer Wert bzw. Wertschöpfung aus erfolgreichem Markthandeln einer Unternehmung als Preise für Sachen, Dienstleistungen oder Verfügungsrechte auf ihren Absatzmärkten. Dabei entspricht der Wert dem erzielten Preis und das Einkommen der Unternehmung der – hoffentlich – positiven Differenz von Preis und Produktionskosten bzw. -aufwand. Das Entstehen von Wert oder Wertschöpfung setzt daher die Existenz eines Marktes voraus, auf dem sich der Wert als Preis bilden kann. Eine isolierte Betrachtung der aus der Produktionsperspektive bestimmten Angebotsseite reicht insofern nicht aus. Erst durch das Zusammenwirken mit der Nachfrageseite entstehen Preis und Wert. Eine Prognose des Wertes auf Grundlage von Informationen über die Produktion der betreffenden Sachen, Dienstleistungen oder Verfügungsrechte ist daher auch nur sehr eingeschränkt möglich. Wesentliche Einflussgrößen wie beispielsweise Preisänderungen aufgrund von Nachfrageschwankungen lassen sich aus der Analyse der Produktionsseite grundsätzlich nicht erkennen. Und selbst, soweit es einer Unternehmung im Einzelfall gelingen mag, beispielsweise durch eigene Marketingmaßnahmen nachfrageerhöhende Impulse zu erzeugen, stehen diese Impulse einer Vielzahl weiterer gegenläufig wirkender unternehmensexterner Einflussfaktoren gegenüber. Da sich Märkte im vorstehend beschriebenen Sinne nur für den Konzern insgesamt identifizieren lassen, kann auch nur dem Konzern als der Gesamtheit aller verbundenen Unternehmen ökonomisch verstandener Wert zugeordnet werden. Zwischen den verbundenen Unternehmen kann schon mangels echten Markthandelns zwischen diesen definitionsgemäß kein Wert ermittelt werden. Unterstellt man zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes einen hypothetischen Markt zwischen den einzelnen Steuerpflichtigen, ergibt sich die (hypothetische) Wertschöpfung eines Steuerpflichtigen aus dem, was auf einem Markt hierfür bemessen worden wäre, was wiederum nur eine Beschreibung des Fremdvergleichsgrundsatz mit anderen Worten ist. So bleiben im Rahmen des Fremdvergleichsparadigmas lediglich zwei Anwendungsbereiche, in denen die Konzepte Wert bzw. Wertschöpfung zur Einkommensmessung verbundener Steuerpflichtiger unmittelbar und ökonomisch begründet beitragen können. Zum einen erlaubt das Nachzeichnen der konzerninternen Wertschöpfungskette innerhalb des Konzerns eine Identifikation der zur Wertschöpfung des Gesamtkonzerns dem Grunde nach beitragenden Steuerpflichtigen. Eine nachvollziehbare Einkommenszuordnung kann nur auf Steuerpflichtige bzw. auf Jurisdiktionen erfolgen, in welchen wertschöpfende Aktivitäten des Konzerns stattfinden, d.h. Elemente der Produktionsfunktion ausgeführt werden, welche schließlich zu einer absatzfähigen Sache, Dienstleistung oder einem Verfügungsrecht werden. Dabei handelt es sich um ein ähnliches Problem, wie es bereits im Rahmen der ersten Regulierungen zur Hinzurechnungsbesteuerung Anfang der 1970er Jahre zu lösen war. Durch Vorgaben dem Grunde nach sollen steuerlich unerwünschte bzw. als unerheblich eingestufte Dispositionen zur Verteilung von Elementen der Wertschöpfungskette eines Kon371

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zerns bei der Verteilung des Konzerneinkommens auf die beteiligten Staaten neutralisiert werden. Folgerichtig bieten die OECD-Guidelines 2017 eine Reihe von Vorgaben, welche Mindestanforderungen an die personelle, materielle und kapitalmäßige Ausstattung von Steuerpflichtigen definieren sollen und ggfs. so auch zu nicht-fremd­ üblichen Preisen führen können. Jedoch bleibt für diesen Anwendungsbereich letztlich der Nutzen der Verwendung von Wert bzw. Wertschöpfung begrenzt, da sie lediglich eine binäre Messung dem Grunde nach zulassen. Insofern können sie zwar zur Vermeidung von Missbrauch beitragen, nicht aber zur konkreten Einkommensmessung der Höhe nach. Eine solche Regelung würde sich dann aber nicht aus dem Fremdvergleichsgrundsatz ableiten lassen, sondern wäre eine neben diesem stehende Ergänzung mit dem Ziel der Missbrauchsvermeidung. Der zweite Anwendungsbereich betrifft die Imitation von Marktpreisen zwischen den Konzerngesellschaften. Auch wenn eine beobachtbare Wertschöpfung der einzelnen Einheiten im Konzern definitionsgemäß nicht erfolgen kann, so kann doch ein umfassendes Verständnis der Wertschöpfungskette, d. h. der Verteilung der Produktionsaktivitäten auf die beteiligten Steuerpflichtigen dazu beitragen insbesondere in Fällen, in denen es an aussagekräftigen Fremdvergleichswerten fehlt, Marktpreis­ imitationen28 und damit steuerliche Verrechnungspreise zu bestimmen. Damit geht dieser Anwendungsbereich jedoch konzeptionell nicht grundsätzlich über entsprechende Überlegungen des OECD Reports 1979 hinaus: „Some familiarity with the structure and organisation of the group and some know­ledge of which entities undertake the risks and responsibilities for the various activities are essential for tax authorities to help them in assessing when a profit is likely to arise and roughly what sort of profit it is likely to be.“29

Insofern unterstützt das Verständnis der Konzernwertschöpfung lediglich die Anwendung etablierter Verrechnungspreismethoden, ohne eine zusätzliche eigenständige Erkenntnisquelle oder darüberhinausgehende Operationalisierung30 zu bieten. Nach steuerlichen Vorgaben zu bestimmende fremdübliche Verrechnungspreise stellen mithin nicht nur Imitationen von Marktpreisen, sondern auch Imitationen innerkonzernlicher (Teil-) Wertschöpfung dar. 3. Vermeintlicher Widerspruch von Kosten und Wert am Beispiel der Kostenumlage Ein Musterbeispiel31 für ein ökonomisch verfehltes Verständnis von Wert bieten die Diskussionen und aktuellen Empfehlungen der OECD zu Kostenumlagen. Auch in diesen Regulierungen schlägt die normative Vorstellung durch, dass bereits lediglich 28 Kritisch zur Simulation von Marktpreisen aus praktischer Sicht: Kroppen/Dawid/Keil (Fn. 1), S. 592 ff.; allg. etwa Nientimp, Steuerliche Gewinnabgrenzung in internationalen Unternehmen, 2003, S. 158 ff.; Schneider, DB 2003, S. 53 ff.; Schön, IStR 2011, 777. 29 Siehe Rz. 17 OECD Report 1979. 30 Zu den konzeptionsbedingten Hindernissen Wertschöpfung aus Daten der Unternehmensrechnung abzuleiten vgl. auch Hergert/Morris in Strategic Management Journal 1989, 175. 31 Vgl. dazu auch ausführlich Hoffmann/Kuzmina/Roeder, IStR 2020, 454.

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innerbetriebliche Marktzufuhrhandlungen, grundsätzlich zu einer Wertschöpfung über die Kosten solcher innerbetrieblichen Aktivitäten und damit zu Einkommen führen müssen. Dabei wird verkannt, dass der Ausgangspunkt zum Eingehen von Kostenumlagevereinbarungen gerade in der Absicht der Teilnehmer besteht, über die Koordination innerbetrieblicher Marktzufuhrhandlungen eine gemeinsame Kostenersparnis bzw. gemeinsame Verringerung von Einkommensunsicherheiten zu erzielen. Mithin ergeben sich einzelwirtschaftliche Vorteile von Kostenumlagevereinbarungen grundsätzlich bereits aus einer isolierten Optimierung der innerbetrieblichen Marktzufuhrhandlungen. Ausgehend von einer ökonomisch fundierten Imitation von Marktpreisen über die Modellierung einer hypothetischen einzelwirtschaftlichen Verhandlung, soll im Folgenden dieses regulatorische Missverständnis aufgezeigt werden. Kostenumlagevereinbarungen zur Entwicklung immaterieller Werte sind eine seit Jahrzehnten etablierte Form der konzerninternen Organisation32 und schienen im Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz. Gleichwohl entwickelten sie sich im Laufe der Zeit zu einem verbreiteten Instrument der Steuerplanung, da sie die Beteiligung von Konzerngesellschaften an den immateriellen Werten des Konzerns lediglich zu anteiligen Kosten ermöglichten. Die Frage, ob die missbräuchliche Verwendung der Kostenumlagevereinbarungen nicht eher durch deren laxe Teilnahmevoraussetzungen ausgelöst wurde, wird im Folgenden nicht weiter untersucht. Im Rahmen des BEPS-Projekts der OECD wurden nicht nur die Teilnahmevoraussetzungen deutlich gestrafft, sondern es wurde auch versucht, eine reine Kostenverrechnung zu erschweren33 – jedenfalls soweit Kosten keine verlässliche Basis für die Messung der Wertbeiträge der Teilnehmer darstellen würden.34 Der grundsätzliche Zweifel, dass Kosten und Wert einander entsprechen können, scheint auch an anderen Stellen der OECD-Guidelines durch.35 Auch die Deutsche Finanzverwaltung hängt der Vorstellung an, dass Wert bzw. Wertschöpfung regel­ mäßig die Kosten der Leistungserbringung übersteigen – jedenfalls wenn man von der Annahme positiver Gewinnaufschläge ausgeht.36 Da die neuen Vorgaben der OECD-Guidelines37 durch den deutschen Erlassgeber per Verweis38 in der Praxis unmittelbare Wirkung entfalten, wird im Folgenden der Aspekt des Wertes der Beiträge an einer Kostenumlagevereinbarung zu Entwicklungszwecken näher betrachtet. Vereinfachend sei davon ausgegangen, dass der Kostenumlagevereinbarung zutreffend 32 Siehe Kroppen/van der Ham in FS Lüdicke, 2019, S. 421 (421). 33 Vgl. Kroppen/van der Ham (Fn. 32), S. 428 f. 34 Vgl. z. B. OECD (Fn. 2) S. 162; siehe auch Greil, ISR 2019, 299. 35 Vgl. zum Beispiel Rz. 6.79 OECD-Guidelines 2017. 36 Vgl. beispielsweise Verwaltungsgrundsätze Verfahren 2005, Tz. 3.4.11.5: „Die Wertschöpfung lässt sich auch aus den Kosten der Leistungserbringung zuzüglich eines Gewinnzuschlags errechnen.“ 37 Vgl. Kapitel 8 OECD-Guidelines 2017. 38 Vgl. BMF-Schreiben: Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung durch Umlageverträge zwischen international verbundenen Unternehmen vom 5.7.2018; siehe hierzu Greil (Fn. 34).

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zwei Teilnehmer angehören, von denen lediglich einer über das Personal und die Ausstattung verfügen möge, die anfallenden Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten tatsächlich auszuführen. Zugleich sollen beide Teilnehmer über eigenständige Nutzungsrechte an den immateriellen Werten verfügen, welche zur Durchführung der Entwicklungstätigkeiten und einer späteren Nutzung der daraus resultierenden Ergebnisse erforderlich sind. Um an einer Kostenumlagevereinbarung zur Entwicklung immaterieller Werte teilnehmen zu können, muss, nach Meinung der OECD, der Steuerpflichtige die Kon­ trolle über wesentliche Funktionen, die sog. DEMPE-Funktionen, im Zusammenhang mit den zu entwickelnden immateriellen Werten haben. Kontrolle bedeutet in diesem Zusammenhang, nicht nur die Fähigkeit des Steuerpflichtigen entsprechende Entscheidungen treffen zu können, sondern auch über eine ausreichende finanzielle Ausstattung zur Risikotragung zu verfügen.39 Soweit den Steuerpflichtigen so wesentliche künftige immaterielle Werte und die damit verbundenen Risiken zuzu­ ordnen sind, sind alle Teilnehmer an einer Kostenumlagevereinbarung letztlich als residualeinkommensberechtigte Entrepreneure und nicht als Routineunternehmen anzusehen.40 Die Ermittlung der Verrechnungspreise für Entwicklungsleistungen im Rahmen der Kostenumlagevereinbarung auf Grundlage der transaktionsbezogenen Nettomargenmethode scheidet mithin aus. Stehen auch sonst keine Fremdvergleichsdaten zur Anwendung anderer Verrechnungspreismethoden zur Verfügung, käme nach deutschem Recht der hypothetische Fremdvergleich zur Anwendung.41 Die Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs setzt die Bestimmung des sog. Einigungsbereichs voraus. Ausgehend von entsprechenden Planrechnungen werden zwei Preise bestimmt: Der Preis, den der Leistende mindestens verlangen wird (Mindestpreis) und der Preis, welchen der Leistungsempfänger maximal bereit ist, zu zahlen (Höchstpreis). Methodisch basiert die Ableitung des fremdüblichen Preises im Rahmen eines hypothetischen Fremdvergleichs somit auf der Imitation einer einzelwirtschaftlichen Verhandlung. Mindest- und Höchstpreis ergeben sich aus dem jeweils entgangenen Einkommen, welches den beiden Entscheidern dadurch entgeht, dass sie ihre jeweils nächstbesten Handlungsmöglichkeiten nicht verwirklichen. Sie entsprechen damit dem Opportunitätskostenkalkül, auf welches auch die OECD in Rz. 8.27 OECD-Guidelines 2017 verweist. Die Ermittlung des Mindestpreises für die Teilnehmer, welche Entwicklungsleistungen erbringen, setzt daher die Identifikation ihrer Handlungsalternativen voraus. Auf Dauer angelegte Unternehmungen und damit für Zwecke des hypothetischen Fremdvergleichs auch alle verbundenen Konzerngesellschaften bedürfen grundsätzlich einer kontinuierlichen Entwicklungstätigkeit, um auf ihren Absatzmärkten stets wettbewerbsfähige Produkte anbieten zu können. Dies betrifft insbesondere Branchen, in 39 Vgl. dazu im Einzelnen die Ausführungen im folgenden Abschnitt. 40 Siehe hierzu Verwaltungsgrundsätze Verfahren 2005, Rz. 3.4.10.2. 41 Der hypothetische Fremdvergleich nach § 1 Abs. 3 ASG entspricht darüber hinaus auch in seiner Grundkonzeption dem verhandlungsorientierten Profitsplit nach Rz. 2.128 OECD-­ Guidelines 2017.

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denen auch bestehende Produkte laufend an sich ändernde Kundenwünsche oder sich ändernde gesetzliche Vorgaben anzupassen sind. Vor diesem Hintergrund sind Unternehmen darauf angewiesen, die erforderlichen Entwicklungstätigkeiten durchzuführen, um die Basis ihrer dauerhaften Marktteilnahme und damit ihrer unternehmerischen Existenz sicherzustellen. Die erforderlichen Entwicklungstätigkeiten können zunächst durch die eigenen Entwickler durchgeführt werden. Alternativ könnten die erforderlichen Entwicklungsleistungen auch anderweitig z.  B. über fremde Auftragsentwickler am Markt beschafft werden, so dass die Kapazitäten der eigenen Entwickler wiederum alternativ verwendet können, d.  h. beispielsweise ihrerseits am Markt als Auftragsentwickler angeboten werden können. Soweit die Sach- und Personalkosten der eigenen Entwicklung denen der extern zugekauften Auftragsentwicklung entsprechen, steht jedoch zu vermuten, dass der Beschaffungspreis für die zugekaufte Auftragsentwicklung regelmäßig über den eigenen Kosten liegen wird. So wird ein externer Auftragsentwickler neben eigenen Gewinnaufschlägen auch kalkulatorische Zuschläge für sein Auslastungsrisiko und Ähnliches in seiner Angebotspreiskalkulation berücksichtigen. Im günstigsten Falle gelänge es dann dem teilnehmenden Unternehmen, die eigenen Entwicklungskapazitäten zu den gleichen Preisen und in der gleichen Menge am Markt abzusetzen, wie entsprechende Leistungen extern eingekauft würden. Beide Handlungsalternative würden somit im Ergebnis zu Entwicklungskosten in gleicher Höhe führen. Insofern wären im Rahmen eines Opportunitätskostenkalküls von einem aktiv entwickelnden Teilnehmer an einer Kostenumlagevereinbarung dessen gesamte Entwicklungskosten bei der Ermittlung seines Mindestpreises zugrunde zu legen. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass diese Entwicklungskosten wie oben dargestellt grundsätzlich Fixkostencharakter haben. Bei gegebenem Entwicklungsziel ist es dem entwickelnden Teilnehmer nicht möglich, diese Kosten zu vermeiden. Mathematisch ergeben sich damit Grenzkosten für die Entwicklungstätigkeiten in Höhe von Null, d. h. die Entwicklungskosten ändern sich nicht mit der aktuellen oder späteren Ausbringungsmenge oder anders gewendet verursacht die Erhöhung bzw. Reduzierung der Ausbringungsmenge eine Änderung der Entwicklungskosten von Null. Insofern ergibt sich für den leistenden Teilnehmer der Kostenumlagevereinbarung ein Grenzbzw. Mindestpreis für dessen Teilnahme in Höhe von Null, da eine gemeinsame Entwicklung mit anderen Unternehmen im Rahmen der Kostenumlagevereinbarung weder einen Einfluss auf die Höhe der Entwicklungskosten insgesamt hat, noch zu einer inkrementellen Veränderung führt. Jede zusätzliche von Null verschiedene Vergütung im Rahmen der Kostenumlagevereinbarung wäre daher für den Teilnehmer, welcher die Entwicklungsleistungen erbringt, wirtschaftlich vorteilhaft. Eine solche Vergütung würde unter sonst gleichen Bedingungen zu einer Reduzierung der für diesen Teilnehmer relevanten Entwicklungskosten führen. Teilnehmer an der Kostenumlagevereinbarung, welche selbst keine Entwicklungstätigkeiten erbringen, verfügen – neben der Teilnahme an der Kostenumlagevereinbarung – ebenfalls über weitere Handlungsalternativen: Sie könnten beispielsweise ein eigenes Entwicklungsteam aufbauen oder die entsprechende Entwicklung als Dienstleistung zukaufen. Ein eigenes Entwicklungsteam könnte die erforderlichen Entwick375

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lungsleistungen zu Kosten ohne Gewinnaufschlag erbringen.42 Der Zukauf von Entwicklungsdienstleistungen wiederum würde mutmaßlich einen um den fremden kalkulatorischen Gewinn- bzw. Risikoaufschlag höheren Marktpreis und damit höheren Aufwand nach sich ziehen. Daher würden für den leistungsempfangenden Teilnehmer an der Kostenumlagevereinbarung die erwarteten erforderlichen eigenen Entwicklungskosten seine Preisobergrenze im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleiches bilden. Auch dieser Teilnehmer wird seine Entwicklungskosten vor dem Hintergrund eines gegebenen Entwicklungsziels und seiner langfristigen Marktteilnahme als Fixkosten ansehen. Für die Durchführung des hypothetischen Fremdvergleichs zur Ermittlung der Höhe der Beiträge der beiden Teilnehmer zur Kostenumlage ergibt sich damit ein Mindestpreis von Null (Grenzkosten des Teilnehmers mit vorhandenem Entwicklungsteam) und ein Höchstpreis in Höhe der gesamten Entwicklungskosten (Grenzkosten für den Teilnehmer ohne eigenes Entwicklungsteam). Als fremdüblicher Preis wäre nach deutschen steuerlichen Vorgaben der Wert im Einigungsbereich zu wählen, der dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der höchsten Wahrscheinlichkeit entspricht. Im obigen Beispiel spricht vieles dafür, dass sich Teilnehmer an der Kostenumlagevereinbarung den Einigungsbereich im Verhältnis ihrer erwarteten Vorteile, d. h. im Verhältnis der erwarteten Tragfähigkeit aufteilen würden.43 Damit macht das Beispiel der Kostenumlage deutlich, dass ein als Marktpreis verstandener Wertbegriff sowohl im Verständnis der neoklassischen Theorie wie auch im Verständnis Porters tatsächlich regelmäßig zu einer kostenorientierten Verrechnung der Entwicklungskosten im Rahmen einer Kostenumlagevereinbarung führen sollte. Soweit es für den Konzern keine Alternative zur Durchführung der Entwicklungsleistung gibt, wovon in der Regel auszugehen ist, führen auch Erwägungen zu Opportunitätskosten zu keinem anderen Ergebnis: Zwingende Entwicklungsleistungen führen entscheidungstheoretisch zu Fixkosten der Teilnehmer und damit in einem einzelwirtschaftliche Verhandlungen imitierenden Verrechnungspreiskalkül zu einem Mindestpreis von Null sowie einem kostenorientierten Höchstpreis.

III. Fremdvergleich und Unsicherheit 1. Risiko und Übernahme von Einkommensunsicherheiten aus ökonomischer Sicht In der traditionellen Diskussion steuerlicher Verrechnungspreise wird neben Funk­ tionen und immateriellen Werten stets auch Risiko als wesentlicher Faktor bei der Bestimmung eines fremdüblichen Preises genannt. In einem allgemeinen ökono­ mischen Verständnis bezeichnet der Begriff „Risiko“ den Umstand, dass Wirtschaftssubjekte regelmäßig mit Abweichungen zwischen ihren Prognosen und den tatsäch42 Aus Vereinfachungsgründen seien hier Transaktionskosten im Zusammenhang mit dem Aufbau eines neuen eigenen Entwicklerteams vernachlässigt. 43 Diese Lösung stellt im Übrigen auch Rz. 8.27f. OECD-Guidelines 2017 als Sonderfall dar.

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lich eintretenden Geschehnissen konfrontiert werden.44 Beschränkt man sich auf die Betrachtung der zahlenmäßigen Abbildung der Realität in Form von (periodisierten) Zahlungen, so manifestiert sich Risiko sowohl in positiven wie auch in negativen Abweichungen zu den prognostizierten Werten. Im allgemeinen Sprachgebrauch und auch im Zusammenhang mit steuerlichen Verrechnungspreisen wird der Begriff Risiko dagegen zumeist lediglich auf negative Abweichungen zwischen Ist- und Planwerten bezogen, d.  h. auf Konstellationen, in denen das tatsächlich erzielte Ergebnis niedriger als das geplante Ergebnis ausfällt. Die Herausforderung für Planer und Entscheider besteht dabei auch darin, nicht nur die möglichen künftigen Zustände der Realität zu ermitteln und deren Eintrittswahrscheinlichkeit abzuschätzen, sondern auch Vorsorge für die Fälle zu treffen, in denen sich gänzlich unerwartete Zukunftslagen einstellen. Jeder Entscheider ist im Rahmen seines Wirtschaftens Risiko im obigen Sinne ausgesetzt. Die Höhe des künftigen Einkommens der Wirtschaftssubjekte ist grundsätzlich unsicher. Zudem können durch rechtliche Dispositionen und die Verwendung spezifischer Verfügungsrechte Einkommensunsicherheiten und mithin Risikotragung zwischen Wirtschaftssubjekten verlagert werden. Teile der betriebswirtschaftlichen Theorie zählen die Übernahme von Einkommensunsicherheiten auch zu den wesentlichen Funktionen einer Unternehmung.45 Eine so verstandene Unternehmerfunktion weist sich in diesem Zusammenhang nicht als passives Abwarten des Eintritts der unsicheren Ergebnisse sondern vielmehr als aktiver Prozess und planvoller Versuch durch angepasstes eigenes Handeln Unsicherheit einkommenserhöhend zu verringern.46 Die Übernahme von Einkommensunsicherheiten beschränkt sich daher nicht auf die Übernahme von Risiken im engeren Sinne, wie beispielsweise durch Versicherungsverträge, sondern ganz allgemein durch verschiedenste schuldrechtliche und gesellschaftsrechtliche Vereinbarungen, z. B. Anstellung gegen eine feste monatlich zu zahlende Vergütung bei gesetzlichem Kündigungsschutz, Hingabe eines Darlehens mit fester Verzinsung oder die Gründung einer Kapitalgesellschaft. In allen Beispielen ergibt sich die implizite Risikoübernahme durch die vereinbarten Verfügungsrechte: So erhält der Arbeitnehmer seine vertraglich vereinbarte feste Vergütung weitgehend unabhängig vom finanziellen Erfolg seines Arbeitgebers und die Anteilseigner der Kapitalgesellschaft verlieren im Falle der Insolvenz maximal ihre Einlage in die Gesellschaft. Das letzte Beispiel zeigt aber zugleich, dass selbst die Übernahme von Einkommensunsicherheiten kein Wirtschaftssubjekt absolut risikolos stellt. Entscheider, welche wirtschaftliche Risiken an andere Wirtschaftssubjekte abgeben, tauschen letztlich ihre ursprüngliche Einkommensunsicherheit gegen die Unsicherheit hinsichtlich der Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen durch den Risikoübernehmer. Risikoverteilung bzw. die Übernahme von Einkommensunsicherheiten beeinflussen die zwischen Marktteilnehmern ausgehandelten Preise für Sachen, Dienstleistungen und Verfügungsrechte. Für die Übernahme von Risiken im engeren Sinne stellt der 44 Vgl. Schneider (Fn. 8) S. 511 f. 45 Vgl. Schneider (Fn. 8) S. 510. 46 Vgl. Schneider (Fn. 8) S. 511 f.

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vereinbarte Preis insgesamt das Entgelt für die Übernahme der Einkommensunsicherheiten im Sinne einer Risikoprämie dar. In anderen Fällen kann es einen Einfluss auf die Ermittlung individueller Grenzpreise haben. Soweit ein Entscheider seine Grenzpreise, z.B. seinen Mindestpreis, kostenorientiert ermittelt, führt die Übernahme zusätzlicher Einkommensunsicherheiten aus buchhalterischer Sicht unter sonst gleichen Bedingungen zu zusätzlichen bedingten Kosten für die Unternehmung. Wie ein Entscheider die hinsichtlich Zeitpunkt und Höhe unsicheren Zahlungen in seinem Planungs- und Entscheidungskalkül berücksichtigt, wird im Wesentlichen von der relevanten Eintrittswahrscheinlichkeit, seinem Gesamtvermögen und seiner Risikoneigung abhängen. Geht man von einem risikoaversen Entscheider aus, so wird dieser regelmäßig bereit sein, für die Reduzierung seiner eigenen Einkommensunsicherheit eine Verringerung seines maximal erwarteten Einkommens zu akzeptieren. Ein kostenorientiert ermittelter Mindestpreis für die von ihm angebotenen Sachen, Dienstleistungen oder Verfügungsrechte würde sinken. Übernimmt dagegen ein ri­ sikoaverser Entscheider mit der Überlassung von Sachen, Dienstleistungen oder ­Verfügungsrechten zusätzliche Einkommensunsicherheiten, so sollte dessen kostenorientierter Mindestpreis steigen. Dabei ist zu beachten, dass die, durch die Risikoübernahme ausgelösten erwarteten Einkommensänderungen der beteiligten Unternehmen in der Regel nicht von gleicher Höhe sein werden. Zudem gilt es, bei der Ermittlung der Grenzpreise ggfs. auch bestehende Marktpreise für die Risikoübernahme zu berücksichtigen, welche von den Kosten der Risikoübernahme eines individuellen Entscheiders abweichen können. 2. Behandlung von Risiko im Rahmen der OECD-Guidelines Vor dem zuvor ausgeführten Hintergrund der ökonomischen Theorie zum Einfluss von Risiko bzw. Einkommensunsicherheit auf die Preisbildung zwischen Marktteilnehmern kann es nicht verwundern, dass auch die OECD-Guidelines diesen Aspekt berücksichtigen. Tatsächlich diskutiert die OECD dieses Thema mit im Laufe der Zeit zunehmendem Detailreichtum und erarbeitet über die Jahre Kriterien, wie unverbundene Unternehmen Risiken und damit verbundene Einkommensunsicherheiten übernehmen würden. (1) So finden sich im OECD-Report von 197947 zunächst eher kurze und allgemeine Erwägungen im Zusammenhang mit der Berücksichtigung von Risiko. So wird da­ rauf hingewiesen, dass eine gewisse Kenntnis erforderlich sei, welche Konzernunternehmen die Risiken und Verantwortung im Hinblick auf die verschiedenen Aktivitäten der Gruppe übernehmen. Zudem wird erläutert, dass im Hinblick auf dieselben Funktionen die Risikoverteilung in der Gruppe unterschiedlich ausgestaltet sein kann, beispielsweise im Vertrieb ein Geschäftsherr oder Prinzipal mit umfangreichen Risiken einem Handelsvertreter mit sehr beschränkten Risiken gegenüberstehen kann. Daneben verweist die OECD auch auf ein mit beschränktem Risiko einhergehendes Gewinnpotential.48 Insgesamt erscheinen diese frühen Ausführungen der 47 Vgl. OECD (Fn. 29). 48 Vgl. OECD (Fn. 29), Rz. 17.

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OECD jedoch eher deskriptiv, d.  h. sie beschränken sich auf die Beschreibung, dass verschiedene Risiken bestehen, die einen Einfluss auf die Preisbildung haben können und den beteiligten Unternehmen in unterschiedlichem Maße zuzurechnen sind. (2) Umfassendere Ausführungen finden sich dann in den OECD-Guidelines aus dem Jahr 2010. So wird auf den zuvor dargestellten Zusammenhang zwischen Risikoübernahme und Preis hingewiesen und erläutert, dass in Transaktionen zwischen unverbundenen Unternehmen der Preis üblicherweise die von den beteiligten Parteien ausgeübten Funktionen unter Berücksichtigung der eingesetzten Wirtschaftsgüter und übernommenen Risiken widerspiegelt.49 Richtigerweise erfolgt dieser Hinweis jedoch einschränkend, da Marktpreise die Kosten der Anbieter nicht in jedem Fall decken müssen. Darüber hinaus nennen die Guidelines Beispiele für relevante Risiken: Preisschwankungen an Beschaffungs- und Absatzmärkten, Forschungs- und Entwicklungsrisiken, Schwankungen bei Wechselkursen oder Zinsen usw.50 Tatsächlich bieten die OECD-Guidelines 2010 jedoch mehr als eine im Vergleich zum OECD-Report 1979 detailreichere Beschreibung. So wird auch der Aspekt erörtert, dass die tatsächlich beobachtete Preissetzung nicht mit der sich aus der schriftlichen Vereinbarung der Parteien ergebenden impliziten bzw. expliziten Risikozuordnung51 im Einklang steht.52 Zwischen unverbundenen Unternehmen würde sich aus Sicht der OECD eine solche Konstellation grundsätzlich nicht ergeben. Aufgrund des bestehenden Interessengegensatzes würden die Parteien Einkommensänderungen, welche mit dem schriftlich Vereinbarten nicht im Einklang stehen, nicht  – zumindest nicht ohne Gegenleistung  – akzeptieren.53 Ob eine empirische Überprüfung diese These der OECD bestätigen würde, bleibe hier dahingestellt. Insofern erscheint es nur folgerichtig, dass die OECD nun auch Kriterien festlegt, nach denen sich die Verteilung von Risiken bzw. die Übernahme von Einkommensunsicherheiten zwischen fremden Dritten richten würde. Genannt wird in diesem Zusammenhang zum einen das relative Ausmaß an Kontrolle über das betreffende Risiko. Je besser ein Unternehmen ein Risiko kontrollieren kann, desto mehr würde es dieses Risiko tatsächlich übernehmen.54 Die Fähigkeit zur Risikokontrolle ist dabei verbunden mit der Perspektive des risikoübernehmenden Unternehmens, da sie zugleich einen Einflussfaktor für die Kosten der Risikoübernahme darstellt. Zumindest im Zusammenhang mit Funktionsverlagerungen setzt die OECD Risikokontrolle mit der Fähigkeit, Entscheidungen über die Übernahme von Einkommensunsicherheiten zu treffen, gleich.55 Aus Sicht der OECD versagt dieser Ansatz jedoch in den Fällen, in denen es um Risiken geht, die einer Kontrolle durch die Konzernunternehmen nicht zugänglich seien. 49 Vgl. z.B. Rz. 1.45, Rz. 9.10 oder Rz. 9.39 Buchst. c) OECD-Guidelines 2010. 50 Vgl. Rz. 1.46 OECD-Guidelines 2010. 51 Vgl. Rz. 1.52 OECD-Guidelines 2010. 52 Vgl. Rz. 1.48 OECD-Guidelines 2010. 53 Vgl. Rz. 1.53 OECD-Guidelines 2010. 54 Vgl. Rz. 1.49 OECD-Guidelines 2010. 55 Vgl. Rz. 9.23 OECD-Guidelines 2010.

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Als Beispiel werden konjunkturelle Schwankungen im Geschäftsablauf genannt, welche jedem der verbundenen Unternehmen zugeordnet werden können.56 Allerdings bleibt fraglich, ob das Abstellen auf ein solches umfassendes Risiko tatsächlich trägt oder ob sich konjunkturelle Risiken nicht vielmehr in einer Anzahl unterschiedlicher Einzelrisiken, wie z.  B. Preisschwankungen auf Beschaffungs- oder Absatzmärkten, manifestieren.57 Zum anderen stellt die OECD auf die Fähigkeit der beteiligten Unternehmen ab, die übernommenen Einkommensunsicherheiten auch finanziell zu tragen.58 Ökonomisch stellt dieses Kriterium letztlich auf die Wahrscheinlichkeit ab, dass der Risikoträger im Falle des Eintritts der übernommenen Einkommensunsicherheiten, seine vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen vermag. Seine finanzielle Ausstattung bzw. sein Risikokapital59 beeinflussen insofern die Zahlungsbereitschaft des risikoabgebenden Entscheiders und sind vergleichbar mit Überlegungen zur Bonität von Darlehensnehmern. Entsprechend finden sich diese Vorgaben auch als gesetzliche Regulierungen in Branchen, in denen die Übernahme von Einkommensunsicherheiten im engen Sinne im Zentrum des Geschäftsmodells steht, wie im Falle von Versicherungen oder Kreditinstituten.60 (3) Die jüngsten Überlegungen der OECD zum Risiko finden sich schließlich in den OECD-Guidelines 2017.  Es handelt sich überwiegend um weitere Verfeinerungen bzw. vertiefte Erläuterungen von Überlegungen, welche bereits in den OECD-Guidelines 2010 enthalten waren. Während sich die Ausführungen zum Risiko in den OECD-Guidelines 2010 noch auf zwei Kapitel verteilt finden, wurden sie 2017 im Kapitel I konsolidiert. Insbesondere erfolgt die Operationalisierung der im Jahr 2010 eingeführten Kriterien zur Zuordnung von Risiken, d.  h. eine Operationalisierung von Risikokontrolle und finanzieller Tragfähigkeit. Die OECD definiert Risiko nun ausdrücklich im Sinne negativer, also einkommensmindernder Abweichungen tatsächlicher Ergebnisse von geplanten oder prognostizierten Werten.61 Risikokontrolle als unternehmerische Funktion umfasst danach zum einen die Fähigkeit Entscheidungen zu treffen, risikobehaftete Investitionen zu übernehmen oder abzulehnen oder bereits bestehende Einkommensunsicherheiten weiterzugeben. Zum anderen umfasst sie Entscheidungen, ob und wie mit bestehenden bzw. über-

56 Vgl. Rz. 1.49 und Rz. 9.28 OECD-Guidelines 2010. 57 So auch Rz. 9.28 OECD-Guidelines 2010 mit dem Hinweis, dass auch in Fällen nicht zu kontrollierender Risiken Unternehmen die Möglichkeit haben, solche Risiken gänzlich zu vermeiden. 58 Vgl. Rz. 9.29 OECD-Guidelines 2010. 59 Vgl. Schneider, Investition, Finanzierung und Besteuerung, 7. Aufl. 1992, S. 51 ff. 60 Vgl. auch Rz. 1.56 Fn. 1 OECD-Guidelines 2017. 61 Vgl. Rz. 1.57 OECD-Guidelines 2017: „opportunities carry uncertainty that the required resources to pursue the opportunities either will be greater than expected or will not ­generate the expected returns”; allerdings ergibt sich ein gewisser Widerspruch zur Aussage in Rz. 1.71 OECD-Guidelines 2017: „Risk is associated with opportunities and does not have downside connotations alone“.

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nommenen Einkommensunsicherheiten zu verfahren ist.62 Da das Treffen von Entscheidungen für eine so verstandene Risikokontrollfunktion zentraler Bestandteil der Definition ist, nennt die OECD auch Anforderungen an den Entscheidungsprozess.63 So haben Entscheidungsträger über entsprechende Qualifikation und relevante Informationen zu verfügen, welche ihnen eine Entscheidung erst ermöglichen. Hinsichtlich der zur Risikotragung erforderlichen Finanzkraft muss der Risikoträger über ausreichende Mittel verfügen, die mit dem Risiko im Zusammenhang stehenden Ausgaben zu tragen.64 Im Einzelnen sind dies Ausgaben bei der Übernahme oder der Weitergabe des Risikos, Ausgaben zur laufenden Minimierung des Risikos und insbesondere Ausgaben, die sich ergeben, falls das übernommene Risiko tatsächlich eintritt. Dabei ist nicht nur auf im Zeitpunkt der Risikoübernahme bereits vorhandene Mittel abzustellen, sondern auch auf Mittel, welche zum Zeitpunkt des tatsächlichen Eintritts des Risikos realistischerweise zusätzlich zur Verfügung stehen können. 3. Entwicklung der OECD-Position im Nach-Regulierungsprozess Über die Zeitspanne von 38 Jahren zwischen der Veröffentlichung des OECD-Reports 1979 und der OECD-Guidelines 2017 lassen sich die verschiedenen Stufen eines Nach-Regulierungsprozesses ablesen. Startpunkt war in diesem Fall die schlichte Bezeichnung der Tatsache, dass sich im Konzernverbund Steuerpflichtige mit unterschiedlich ausgeprägten Risikoprofilen bzw. in unterschiedlichem Ausmaß übernommenen Einkommensunsicherheiten gegenüberstehen.65 Diese Feststellung wurde verbundenen mit der besonderen Betonung der Bedeutung der tatsächlichen Transaktion als Ausgangspunkt zur Beurteilung der Fremdüblichkeit und dem Hinweis auf die zulässige Vielfalt vertraglicher Gestaltungen zwischen verbundenen Unternehmen.66 Im Zuge von Steuerplanungsüberlegungen wurden Einkommensverlagerungen im Hinblick auf risikoinduzierte Preisbestandteile zwischen Konzerngesellschaften vielfach lediglich durch Änderung bestehender vertraglicher Dispositionen begründet. Die Ergänzungen der OECD-Guidelines 2010 stellten dann einen ersten Nach-Regulierungsschritt dar, um solcherart unerwünschte Dispositionen der Steuerpflichtigen zu verhindern. Wie oben ausgeführt bestand die erste Nach-Regulierung sowohl in der Relativierung der Bedeutung des zwischen verbundenen Unternehmen schriftlich Vereinbarten, als auch in der Konkretisierung von Kriterien im Hinblick auf die Übernahme von Einkommensunsicherheiten unter fremdüblichen Bedingungen, wie die Ausübung von Risikokontrolle und ausreichende Finanzkraft.

62 Vgl. Rz. 1.65 OECD-Guidelines 2017. 63 Vgl. Rz. 1.66 OECD-Guidelines 2017. 64 Vgl. Rz. 1.64 OECD-Guidelines 2017. 65 Vgl. Rz. 17 OECD-Report 1979. 66 Vgl. Rz. 23 f. OECD-Report 1979.

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Allerdings zeigt auch hier der bislang letzte Nach-Regulierungsschritt im Jahre 2017, dass Steuerpflichtige wohl trotz der Verschärfung der Regulierungen Gestaltungen wählten, Konzernunternehmen Risiken in unerwünschter Weise zuzuordnen. Die Ausführungen in den OECD-Guidelines 2017 lassen vermuten67, dass es sich dabei zum einen um die Verwendung von formalisierten Prozessen zur abschließenden Genehmigung risikobehafteter Entscheidungen handelte. Zum anderen wurde auf konkretisierte Vorgaben des mutmaßlichen risikokontrollierenden Unternehmens abgestellt, welche den vermeintlich risikoreduzierten Konzernunternehmen einen Rahmen für deren im Tagesgeschäft erforderliche Entscheidungen setzten. Es scheint nicht sehr wahrscheinlich, dass mit dem nunmehr erreichten Regulierungsniveau unerwünschte Ausweichhandlungen seitens der Steuerpflichtigen tatsächlich ausgeschlossen werden können. Eine abschließende Beurteilung dieser Frage wird letztlich nur im Nachhinein möglich sein. 4. Fragwürdige ökonomische Substanz der OECD-Regulierungen Unabhängig von der Entwicklung der konkreten Regulierung im Zeitablauf stellt sich jedoch auch die Frage, ob die Vorgaben der OECD-Guidelines 2017 tatsächlich rechtssicher zu einer fremdüblichen Zuordnung von Risiken zwischen verbundenen Unternehmen führen können. So erscheint die OECD-Definition von Risikokontrolle eigenwillig. Risikokontrolle erfolgt durch die Steuerpflichtigen, welche innerhalb eines Konzerns relevante Entscheidungen zur Risikoübernahme treffen bzw. deren Personal die entsprechende Funktion ausübt. Geht man davon aus, dass in einem Konzern die Verantwortlichkeiten zur Entscheidungsfindung eindeutig verteilt sind, so wäre jedes Risiko im Ergebnis eindeutig einer Konzerngesellschaft zuzuordnen. Damit würden zugleich Überlegungen zur Risikotragung der Höhe nach überflüssig, denn entweder ist einem Konzernunternehmen eine Entscheidung zuzurechnen oder nicht. Für Überlegungen, dass ein größeres Maß an Kontrolle auch zu einer größeren Risikotragung führe68, bliebe dann kein Raum mehr. Jenseits von gemeinschaftlich organisierten Entscheidungen (z.  B. im Rahmen von Kostenumlagevereinbarungen) bliebe nach der OECD-Definition dann grundsätzlich auch kein Raum mehr für eine gemeinsame Risikotragung. Dies widerspricht jedoch empirisch beobachtbaren Verteilungen von Einkommensunsicherheiten zwischen unverbundenen Unternehmungen. Zudem stellt die schlichte Beobachtung der relevanten Entscheidung, d.  h. das Feststellen welche Mitarbeiter des Konzerns Entscheidungen zur Übernahme von Einkommensunsicherheiten treffen, keine geeignete Operationalisierung fremdüblichen Verhaltens dar. Für das Verhalten fremder Dritter festzustellen, dass Risikotragung gemeinsam mit einer entsprechenden Entscheidung über Risikotragung auftritt erscheint trivial bis tautologisch. Erkenntnisfördernd ist dagegen vielmehr die Frage, 67 Vgl. Rz. 1.66 OECD-Guidelines 2017. 68 Vgl. Rz. 1.49 und 9.23 OECD-Guidelines 2010.

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Wunsch und Wirklichkeit – Ökonomische Theorie und Verrechnungspreise

welche wirtschaftlichen Umstände dazu führen, dass jene Marktteilnehmer Einkommensunsicherheiten übernehmen und andere nicht. Ein Ansatz zur Beantwortung dieser Frage kann sich aus Überlegungen zu den mit der Übernahme der Einkommensunsicherheit verbundenen entscheiderspezifischen Kosten ergeben. So wäre ein Entscheider bereit, Einkommensunsicherheiten am Markt gegen Zahlung einer Risikoprämie auszulagern bzw. zu vermeiden, falls die zu zahlende Risikoprämie kleiner als die erwarteten Kosten der eigenen Risikotragung wären. Umgekehrt wären Unternehmen grundsätzlich bereit, Einkommensunsicherheiten gegen Entgelt zu übernehmen, falls dieses Entgelt die erwarteten übernommenen Risikokosten übersteigt. Mathematisch formalisiert könnten die vom jeweiligen Entscheider erwarteten individuellen Risikokosten auch vereinfacht als n



ausgedrückt werden.

EWt · (1 + it + rt)–t t=1

Dabei bezeichnet EWt den Erwartungswert der künftigen mit dem Risiko verbundenen Kosten, it den risikolosen Zinssatz und rt die entscheiderspezifische Risikoprämie. Preis­erklärende Unterschiede zwischen risikoabgebendem und risikoübernehmendem Unternehmen ergeben sich im Wesentlichen in der Ausprägung der Parameter EWt und rt. Dabei wird EWt zum einen durch operative Vorteile wie zum Beispiel Produktionsprozesse mit geringerer Ausschussquote, stabilere Prozesse, überlegene Algorithmen bei der Kreditvergabe oder stärkere Marken beeinflusst. Zum anderen können sich Einflüsse aus Arbitragevorteilen aufgrund der gleichzeitigen Tätigkeit in verschiedenen Märkten oder aus Portfolioeffekten (z. B. Zusammenfassung einer ausreichenden Zahl von Einzelrisiken) ergeben. Darüber hinaus sind auch Kombinationen denkbar. Die zweite grundsätzliche Einflussgröße auf die individuellen Risikokosten ergibt sich aus der im Kalkulationszinsfuß zur Anwendung kommenden Risikoprämie rt. Sie spiegelt insbesondere auch die individuelle Risikoneigung des jeweiligen Entscheiders wider. Selbst zwischen Unternehmen eines einheitlichen Konzerns wären hier Unterschiede möglich, welche sich beispielsweise aus der grundsätzlich geringeren Risikoaversion bei größerem Vermögen erklären lassen.69 Soweit Marktpreise für die Übernahme konkreter Einkommensunsicherheiten beobachtbar wären, wären diese im individuellen Kalkül der Entscheider ggfs. als Handlungsalternative zu berücksichtigen. Da das OECD Konzept zur Zuordnung von Risiko letztlich lediglich auf die Verteilung der entsprechenden Entscheidungen zur Risikotragung im Konzern abstellt, führt es nur zufällig zu einem Gleichklang mit einer durch Überlegungen zu den Risikokosten ökonomisch begründeten Verteilung von Einkommensunsicherheiten zwischen den Steuerpflichtigen eines Konzerns. Somit erscheint es fraglich, ob die 69 Vgl. Roeder, Ubg 2008, 202 (207).

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von der OECD vorgesehene Risikozuordnung tatsächlich zu einer fremdüblichen Zuordnung von Risiko zwischen verbundenen Unternehmen führt.70 Es steht zu vermuten, dass Steuerpflichtige in ihren Reaktionen auf die aktuelle Nachregulierung diese Inkonsistenz zu neuerlichen Dispositionen mit dem Ziel legaler Steuerausweichhandlungen nutzen werden.

IV. Schlussbetrachtung In den meisten nationalen Steuerrechtssystemen folgt die Bemessungsgrundlage der Gewinnbesteuerung grundsätzlich dem durch die steuerpflichtige Unternehmung durch Markthandeln realisierten Einkommen. Für grenzüberschreitend tätige Konzerne fallen Steuersubjekte und wirtschaftliches Entscheidungssubjekt auseinander. Um eine gleichmäßige Besteuerung durch eine unverzerrte Messung der Einkommensentstehung zu gewährleisten, sehen nationale Steuerrechtssysteme seit Jahrzehnten den Fremdvergleichsgrundsatz zur Ermittlung marktpreisimitierender steuerlicher Verrechnungspreise vor. Vor diesem Hintergrund kommt eine im Sinne des steuerlichen Gleichmäßigkeitsgrundsatzes gebotene sachgerechte Operationalisierung des Fremdvergleichsgrundsatzes nicht ohne den fundierten Rückgriff auf ökomische Begriffe und ein Grundverständnis von Märkten und Markthandlungen aus. Wie im Rahmen des vorliegenden Beitrags dargestellt, fallen jedoch gesetzgeberischer Wunsch und ökonomische Wirklichkeit regelmäßig auseinander. Die floskelhafte und unreflektierte Übernahme von Begriffen wie „Wertschöpfung“ oder „Risikokontrolle“ in steuerliche Regulierungen zu Verrechnungspreisen helfen nicht, einen tatsächlichen oder vermeintlichen gestalterischen Missbrauch zu verhindern. Ihre Verwendung erweckt lediglich den Anschein einer gehaltvollen Diskussion und sachlichen Begründung, verbirgt aber letztlich nur Werturteile im politischen Prozess. Ein evolutorischer Wettlauf aus Regulierung, Ausweichhandlung und immer detailreicheren Nachregulierungen trägt ein Übriges dazu bei, den zur internationalen Gewinnabgrenzung akzeptierten und etablierten Fremdvergleichsgrundsatz langfristig zu untergraben.

70 Zum gleichen Ergebnis kommen auch Eigelshoven/Retzer in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Der Fremdvergleichsgrundsatz, Anm. 149.

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Ist die Besteuerungshoheit Deutschlands innerhalb der EU noch gewährleistet? EuGH-Urteil ‚Hornbach‘ und BFH-Rechtsprechung Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Grundproblem: Ungleichbehandlung von Inlands- u. Auslandssachverhalten 1. Beispiele für die Ungleichbehandlung von Inlands- u. Auslandssachverhalten 2. Bisherige Rechtsprechung zur Ungleichbehandlung von Auslandssachverhalten a) BFH-Beschl. vom 21.1.2001 b) EuGH-Urteil vom 21.1.2010 (SGI) c) BFH-Urteil vom 25.6.2014 d) Vorlagebeschluss des FG Rheinland-­ Pfalz aus 2016 I II. EuGH-Urteil ‚Hornbach‘ vom 31.5.2018 1. Entscheidung und Begründung a) Zur Frage der Vergleichbarkeit ­zwischen Inlands- u. Auslands­ sachverhalten b) Zur Beschränkung der Nieder­ lassungsfreiheit und der Geeignetheit des § 1 AStG, die Besteuerungshoheit zu wahren c) Zur Frage der Erforderlichkeit des § 1 AStG u. zum Nachweis ­wirtschaftlicher Gründe

d) Zur Frage der Verhältnismäßigkeit des § 1 AStG (Korrekturhöhe) 2. Kritische Würdigung des EuGH-Urteils ‚Hornbach‘ a) Vergleichbarkeit zwischen Inlandsu. Auslandssachverhalten b) Geeignetheit des § 1 AStG, die ­Besteuerungshoheit der EU-Staaten zu wahren c) Erforderlichkeit des § 1 AStG und Nachweis wirtschaftlicher Gründe d) Korrekturhöhe: Ist die Korrektur auf den Median einer Preisbandbreite EU-konform? e) Zwischenfazit IV. Reaktion von BMF und BFH 1. BMF-Schreiben vom 6.12.2018, ­BStBl I 2018, 1305 2. BFH-Urteil v. 27.2.2019 – I R 73/16, ­BStBl 2019 II S. 394 a) Wirtschaftliche Gründe b) Drittstaatenkonstellationen V. Fazit und Ausblick

I. Einleitung Der Fremdvergleichsgrundsatz ist bisher die tragende Säule für die grenzüberschreitende Gewinnabgrenzung sowohl zwischen rechtlich selbständigen verbundenen Unternehmen als auch  – jedenfalls seit Einführung des ‚Authorized OECD Ap­ proach‘ – zwischen Betriebsstätten einer Unternehmensgruppe. Er ist jedoch mittlerweile massiv gefährdet und in die Kritik geraten, weil er

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– rechtstheoretisch fragwürdig ist1 und als ein Relikt aus einer Zeit erscheint, in der der Begriff ‚Globalisierung‘ noch ein Fremdwort war, – für Unternehmen und Finanzbehörden einen hohen Aufwand verursacht, jedoch kaum praktikabel ist und trotz der Regelungsflut seit der OECD-BEPS-Initiative nur wenig Rechtssicherheit schafft2, – durch einseitige nationale Abzugsbeschränkungen für Betriebsausgaben3, die als Maßnahmen zur Verhinderung von Gewinnverlagerungen etikettiert werden, tatsächlich aber häufig dem Protektionismus geschuldet sind, zunehmend sinnentleert wird, – nunmehr scheinbar auch noch durch die EuGH-Rechtsprechung in der Rs. ‚Hornbach‘ auf die Verhinderung rein künstlicher Konstruktionen zur Steuerumgehung – was auch immer dies sein mag – ausgehöhlt wird. Trotz all dieser Gegebenheiten wird er vorerst weiterhin als Instrument zur Aufteilung von Besteuerungsbefugnissen eine gewisse Bedeutung behalten, weil er von der internationalen Staatengemeinschaft als Minimalkonsens respektiert wird und ein besseres Ersatzinstrument bisher nicht sichtbar ist. Auch die neueren Überlegungen des ‚OECD/G20 Inclusive Framework on BEPS‘, dem mittlerweile 135 Staaten angehören (Stand: Oktober 2019) ändern hieran nichts. Diese Überlegungen zielen auf eine Umverteilung von Besteuerungsrechten hin zu den Marktstaaten (Pillar 1), in denen der Absatz von Waren u. Dienstleistungen stattfindet sowie auf die Einführung einer globalen Mindestbesteuerung (Global Anti-Base Erosion Tax – ­GloBE), jedoch soll der Fremdvergleichsgrundsatz nicht etwa abgeschafft, sondern in das neue System eingebunden werden.4 Seit dem EuGH-Urteil5 ‚Hornbach‘ steht jedoch die Frage im Raum, ob die Praktizierung des Fremdvergleichsgrundsatzes bei grenzüberschreitenden Aktivitäten von Unternehmen innerhalb der EU noch durchgehend geboten oder wegen der Un1 Vgl. Schreiber/Fell, FS Endres, 2016, 387; Schneider, DB 2003, 53; Ditz, FR 2015, 115; Schön, IStR 2011, 777. 2 Vgl. u.a. Kroppen/Dawid/Keil, IWB 2019, 590.39; Kuckhoff/Schreiber, IWB 2002, Fach 3, Gruppe 1, S. 1863 ff. 3 Vgl. Sopp/Richter/Tasheva/Katra, Zu den Auswirkungen der Abzugsbeschränkung von Aufwendungen für Rechteüberlassungen in Deutschland, Österreich und Polen, BFuP 2019, 151; Macho/Steiner, Hat der Fremdvergleichsgrundsatz ein Ablaufdatum?, SWK 36/2017, 1547; Pinkernell, „GILTI“ as charged? Auswirkungen der US-Steuerreform auf §  4j EStG, IStR 2018, 239. 4 Vgl. Secretariat Proposal for a “Unified Approach” under Pillar One v. 9.10.2019 und Global Anti-Base Erosion Proposal (“GloBE”) − Pillar Two v. 9.11.2019.  Siehe hierzu Pinkernell/ Ditz, ISR 2020, 1; Hidien/Versin, FR 2020, 10; Greil, DStR 2019, 1653; Zinowsky, IStR 2019, 811; Heidecke/Lappe/Pandeya-Koch/Wilmanns, IWB Nr.  23/2019, 931; Müller/Bauerfeld, IWB Nr. 23/2019, 941; Schön, IStR 2019, 647; Becker/van der Ham, DB 2019, 502; Mammen, Ubg 2019, 394; Hentschel/Görnicke/Kraft, Ubg 2019, 673; Schildgen, ISR 2019, 400; Holsten, DB 2019, 1697; Ditz/Pinkernell, ISR 2019, 377. 5 Vgl. EuGH v. 31.5.2018 – Rs. C-382/16 ‚Hornbach‘, IStR 2018, 461.

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gleichbehandlung von Inlands- u. Auslandssachverhalten eingeschränkt bzw. obsolet geworden ist. Zwar hat der EuGH im ‚Hornbach‘-Urteil die Notwendigkeit betont, dass eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den EU-Mitgliedstaaten gewahrt werden müsse. Auch hat er erkannt, dass eine ausgewogene Aufteilung der ­Besteuerungsbefugnisse zunichte gemacht wird, wenn es gebietsansässigen Gesellschaften erlaubt wäre, ihre Gewinne unversteuert auf verbundene Unternehmen in anderen EU-Staaten zu verlagern. Deshalb seien Vorschriften wie § 1 AStG, die die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf grenzüberschreitende Sachverhalte gesetzlich vorschreiben, im Grundsatz mit EU-Recht vereinbar. Nichtsdestotrotz hat der EuGH im ‚Hornbach‘-Urteil aber auch betont, dass Preisgestaltungen, die dem Fremdvergleichsgrundsatz widersprechen, steuerlich anerkannt werden „könnten“, wenn vom Stpfl. wirtschaftliche Gründe für die Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz nachgewiesen werden. Der eigentliche Paukenschlag im EuGH-Urteil liegt darin, dass wirtschaftliche Gründe, die im Gesellschaftsverhältnis (z.B. Gewinnausschüttungsinteresse) begründet sind, nicht von vornherein ausgeschlossen werden dürften. Damit konterkariert der EuGH jedoch die von ihm zuvor noch als legitim erachtete Zielsetzung, Gewinnverlagerungen in andere EU-Staaten zu verhindern und widerspricht sich letztlich selbst. Wenn das Interesse an Gewinnausschüttungen als Rechtfertigung für marktunübliche Preise anzusehen ist, können Gewinnerverlagerungen ins Ausland immer gerechtfertigt werden, da eine Muttergesellschaft dieses Interesse naturgemäß stets hat.6 Im Ergebnis lässt der EuGH somit die Antwort auf die Frage, ob der Fremdvergleichsgrundsatz der Verhinderung von Gewinnverlagerungen ins Ausland und damit der Wahrung der nationalen Besteuerungshoheit oder nur noch der Verhinderung künstlicher Steuerumgehungsgestaltungen dienen soll, in dichtem Nebel stehen. Einem etwaigen Ansinnen des EuGH, die Axt an den Fremdvergleichsgrundsatz zu legen und ihn nur noch zur Verhinderung missbräuchlicher Steuerumgehungen he­ ranzuziehen, ist der BFH nunmehr jedoch in mehreren Urteilen klar und eindeutig entgegen getreten.7 Das Vorbringen wirtschaftlicher Gründe führt lt. BFH keineswegs automatisch dazu, dass die territorialen Besteuerungsrechte der Mitgliedstaaten durchgängig verdrängt werden. Der Vorsitzende Richter des 1. Senats des BFH legt das ‚Hornbach‘-Urteil, wonach wirtschaftliche Gründe marktunübliche Preise rechtfertigen „könnten“ in seinen Kommentierungen vielmehr dahingehend aus, dass die Wahrung des Fremdvergleichsgrundsatzes „vorrangig“ sei.8

6 So auch die Urteilskritik von Wacker, FR 2019, 449 (456): „Nur schwer verständliche Erwägungen des EuGH.“ 7 Vgl. BFH-Urteil v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl 2019 II S. 394 und v. 27.2.2019 – I R 51/17, DB 2019, 1999 u. v. 27.2.2019 – I R 81/17, IStR 2019, 791. 8 Vgl. Wacker, FR 2019, 449 (456); ders. in FS Lehner, Territorialität und Personalität, Köln 2019, 247 (259).

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Es bleibt die spannende Frage, ob der EuGH in einem evt. künftigen Verfahren diesem Verständnis folgen wird.

II. Grundproblem: Ungleichbehandlung von Inlandsu. Auslandssachverhalten 1. Beispiele für die Ungleichbehandlung von Inlandsu. Auslandssachverhalten Der Große Senat des BFH hat am 26.10.1987 entschieden, dass nur bilanzierungs­ fähige Wirtschaftsgüter Gegenstand einer Einlage sein können, nicht hingegen Nutzungsvorteile und Dienstleistungen.9 Hierdurch wollte der BFH verhindern, dass durch eine Überbewertung von Nutzungsvorteilen u. Dienstleistungen (z.B. Geschäftsführertätigkeit des Gesellschafters) Bilanzkosmetik betrieben und die wahre Vermögenslage eines Unternehmens verschleiert wird. Der Gesetzgeber hat auf diese Entscheidung nicht reagiert. Damit hat er die Ungleichbehandlung von Inlands- u. Auslandstransaktionen zementiert und Zweifel an der Vereinbarkeit des §  1 AStG mit den Diskriminierungsverboten des EU-Rechts hervorgerufen. Während in Inlandsfällen die unentgeltliche bzw. verbilligte Nutzungsüberlassung eines Wirtschaftsguts (bspw. Markenrechte, Patente, Maschinen) sowie unentgeltliche bzw. verbilligte Dienstleistungen eines Gesellschafters steuerlich mangels Korrekturrechtsnorm unbeanstandet bleiben, kommt es bei vergleichbaren grenz­ überschreitenden Sachverhalten zu Einkunftserhöhungen gemäß §  1 Abs.  1 Satz 1 AStG: – bei grenzüberschreitenden unentgeltlichen bzw. verbilligten Nutzungsüberlassungen (z.B. Darlehen, materielle, immaterielle Wirtschaftsgüter etc.) wird die Differenz zwischen dem Fremdvergleichspreis und dem bisher vereinbarten Preis dem Einkommen des Gesellschafters außerbilanziell gemäß § 1 AStG hinzugerechnet; – bei grenzüberschreitenden unentgeltlichen bzw. verbilligten Dienstleistungen aller Art (z.B. Management/IT-Dienstleistungen, Auftragsforschung bzw. -produktion) wird die Differenz zwischen dem Fremdvergleichspreis und dem bisher vereinbarten Preis dem Einkommen des Gesellschafters außerbilanziell hinzugerechnet (§ 1 AStG); – bei der grenzüberschreitenden unentgeltlichen bzw. verbilligten Übertragung von materiellen und immateriellen Wirtschaftsgütern (Maschinen, Waren, Patente etc.) erfolgt beim Gesellschafter auf der ersten Stufe eine bilanzielle Einkunftserhöhung zum Teilwert der Wirtschaftsgüter (= verdeckte Einlage) und auf der zweiten Stufe eine weitere außerbilanzielle Einkunftserhöhung gem. § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG in Höhe der Differenz zwischen dem Teilwert und dem Fremdpreis.

9 BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348.

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Ist die Besteuerungshoheit Deutschlands innerhalb der EU noch gewährleistet?

Daneben stehen im deutschen Ertragsteuerrecht weitere Diskriminierungen von Auslandssachverhalten gegenüber vergleichbaren Inlandssachverhalten im Raum, z.B. bei: – Funktionsverlagerungen zwischen verbundenen Unternehmen, – Geschäftsvorfällen zwischen Betriebsstätten eines Unternehmens, – verdeckten Gewinnausschüttungen einer inländischen Kapitalgesellschaft an ihren inländischen Gesellschafter (Korrekturmaßstab = gemeiner Wert) gegenüber Gewinnausschüttungen an den ausländischen Gesellschafter (Korrekturmaßstab gem. § 1 Abs. 3 S. 4 AStG = Median der Preisbandbreite). Nach all dem lautet der Befund, dass eine der tragenden Säulen des deutschen Ertragsteuerrechts die Ungleichbehandlung vergleichbarer Inlands- u. Auslandssachverhalten ist. Es wurde deshalb bereits seit langem auf die Gefahr hingewiesen, dass die Vorschrift des §  1 AStG von den Gerichten als EU-widrig verworfen werden wird.10 2. Bisherige Rechtsprechung zur Ungleichbehandlung von Auslandssachverhalten a) BFH-Beschl. vom 21.1.2001 Der BFH hatte wegen der Ungleichbehandlung von Inlands- und vergleichbaren Auslandssachverhalten mit Beschluss vom 21.1.2001 ernstliche Zweifel an der Unionsrechtskonformität des § 1 AStG geäußert11, die im Schrifttum überwiegend geteilt wurden.12 b) EuGH-Urteil vom 21.1.2010 (SGI) Die durch den vorgenannten BFH-Beschluss befeuerte Diskussion über die EU-Konformität des § 1 AStG beruhigte sich infolge der EuGH-Entscheidung ‚Societe de Gestion Industrielle S.A.‘ (SGI)13 zunächst. Mit dem ‚SGI‘-Urteil vom 21.1.2010 hatte der EuGH eine im belgischen Steuerrecht vorgesehene steuerliche Ungleichbehandlung von Inlands- u. Auslandssachverhalten im Grundsatz als unionsrechtskonform gebilligt. Im Streitfall hatte eine belgische Muttergesellschaft, die wirtschaftlich schlechter aufgestellt war als ihre französische Tochtergesellschaft, dieser ein zinsloses Darlehen gewährt. Der EuGH kam zum Ergebnis, dass die belgische Vorschrift, die in grenzüberschreitenden Fällen eine Korrektur auf den marktüblichen Zins vorsah, wohingegen im Inlandsfall keine Korrekturmöglichkeit bestand, eine Einschrän10 Siehe u.a.: Eigelshoven, IWB 2001, F. 3 Gr. 1 S. 1761; Borstell/Brüninghaus/Dworaczek, IStR 2001, 757; Kroppen/Rehfeld, IWB Nr. 23 v. 11.12.2002, F. 11a S. 617; Bauschatz, IStR 2002, 291 (Teil 1) u. 333 (Teil 2); Köplin/Sedemund, IStR 2002, 120; Menck, IWB 2002, F.2 S. 715. 11 Vgl. BFH v. 21.1.2001 – I B 141/00, BFH/NV 2001, 1169. 12 Vgl. u.a. Rödder, DStR 2004, 1629 und Englisch, IStR 2010, 139. 13 Vgl. EuGH v. 21.1.2010 – Rs. C-311/08, SGI, BFH/NV 2010, 571.

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kung der Niederlassungsfreiheit bewirke. Dies gelte unabhängig von der Möglichkeit zur Durchführung eines Verständigungsverfahrens. Jedoch sei eine solche Einschränkung der Niederlassungsfreiheit nur dann gerechtfertigt, wenn es darum gehe, – die Ausgewogenheit der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den EU-Mitgliedstaaten zu wahren oder – rein künstliche steuerliche Gestaltungen zur Steuerumgehung zu verhindern. Es drohe eine Beeinträchtigung der Besteuerungshoheit der EU-Mitgliedstaaten, wenn es gebietsansässigen Gesellschaften erlaubt würde, ihre Gewinne in andere EU-­ Mitgliedstaaten zu verlagern, z.B. durch zinslose Darlehen an Tochtergesellschaften. Allerdings verlangte der EuGH, dass die maßgebliche Gesetzesvorschrift zur Erreichung der vorgenannten Ziele geeignet und verhältnismäßig sein müsse. Bei Verrechnungspreiskorrekturen, d.h. bei der Verhinderung von Gewinnverlagerungen ins Ausland dürfe deshalb nur der fremdunübliche Teil eines vereinbarten Preises korrigiert werden.14 Wenn es um die Verhinderung künstlicher Gestaltungen gehe, müsse dem Stpfl.  – ohne ihn übermäßigen Verwaltungszwängen zu unterwerfen – die Möglichkeit eingeräumt werden, Beweise für etwaige wirtschaftliche Gründe für die Gestaltung beizubringen.15 Schon damals ist in der Literatur eindringlich vor den Folgewirkungen dieser EuGH-Entscheidung gewarnt worden,16 wofür insbesondere folgende Aspekte ursächlich waren: – Ein Konzern bzw. eine Unternehmensgruppe bilde sich deshalb, weil Effizienzgewinne durch eine hierarchisch organisierte und auf Dauer angelegte Organisation erzielt werden können. Diese seien nicht erreichbar, wenn man nur punktuell Leistungen untereinander austausche und hierbei wie mit einem fremden Dritten agiere. Zudem bestehe innerhalb eines Konzerns häufig ein Zwang, Leistungen oder Waren konzernintern einzukaufen, um möglichst große Synergieeffekte zu erzielen. Eine Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse anhand des Fremdvergleichsgrundsatzes sei daher schon im Ansatz verfehlt, weil eine Unternehmensgruppe von vornherein nicht darauf ausgerichtet sei – und für ihren Erfolg auch gar nicht darauf ausgerichtet sein könne – sich gruppenintern fremdüblich zu verhalten. Zudem könnten Integrationsvorteile nicht schlüssig verursachungsgerecht aufgeteilt werden. Ein Fremdvergleich sei allenfalls dann geeignet, wenn die Unternehmensgruppe dezentral organisiert sei.17 14 Vgl. EuGH v. 21.1.2010 – Rs. C-311/08, SGI, BFH/NV 2010, 571 (dort Rz 72). 15 Vgl. EuGH v. 21.1.2010 – Rs. C-311/08, SGI, BFH/NV 2010, 571 (dort Rz 71). 16 Vgl. Schön, IStR 2011, 777.  17 Vgl. Schön, IStR 2011, 777 (778) und Schneider, DB 2003, 53 und Endres/Oestreicher, IStR 2003, 1 in Beihefter zu Heft 15.  Zur Kritik s. zuletzt auch Greil, StuW 2018, 184  ff. und Kroppen/Dawid/Keil, IWB 2019, 590.

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– Im EuGH-Urteil ‚SGI‘ sei dem Fremdvergleich die Funktion zugewiesen worden, eine Unterscheidung zwischen realen Wirtschaftsvorgängen im Wettbewerb am Markt und manipulativen Missbräuchen zu ermöglichen und ggfs. durch Einkommenskorrekturen zu verhindern18. Damit habe der EuGH den Fremdvergleichsgrundsatz im internationalen Steuerrecht einerseits zwar gefestigt, seine Anwendung zugleich aber auf missbräuchliche Gestaltungen verengt. Demgegenüber habe die eigentliche rechtspolitische Zielsetzung der Gesetzgeber in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten wie auch in den OECD-Staaten19 darin bestanden, nicht nur missbräuchliche Gestaltungen abzuwehren, sondern eine steuerliche Gleichbehandlung zwischen unabhängigen Unternehmen und konzernzugehörigen Unternehmen herzustellen und für eine sachgerechte Aufteilung von Konzerngewinnen auf die einzelnen Konzernglieder zu sorgen. Mittels Art. 7 u. 9 Abs. 1 OECD-MA sollten Besteuerungsrechte nach dem Fremdvergleichsgrundsatz als Rechtsfiktion aufgeteilt werden. Ziel sei, dass Unternehmensgewinne dort besteuert werden, wo sie wirtschaftlich entstehen. Die Verhinderung künstlicher Gestaltungen zur Steuerumgehung sei lediglich ein Reflex bzw. Nebenzweck.20 – Wenn der EuGH wirtschaftlich motivierte Gründe für Abweichungen von markt­ üblichen Preisgestaltungen (z.B. wegen einer effizienten Steuerung von Herstellungs- u. Absatzprozessen) anerkenne, könne eine große Bandbreite von Preisen legitimiert werden, die in ihrer Grundtendenz nicht mit Marktpreisen im Sinn des Fremdvergleichsgrundsatzes übereinstimmen. Dies führe zu einer systematischen Erosion des Fremdvergleichsgrundsatzes und des damit verfolgten Gesetzeszwecks.21 c) BFH-Urteil vom 25.6.2014 Mit Urteil vom 25.6.2014 entschied der BFH, dass § 1 AStG nicht unionsrechtswidrig ist.22 Dem EuGH-Urteil ‚SGI‘ vom 21.1.201023 sei zu entnehmen, dass eine Regelung wie § 1 AStG – trotz der Ungleichbehandlung von Inlands- und Auslandsfällen – mit der Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV vereinbar sein könne, wenn sie der Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten und der Notwendigkeit der Verhinderung einer Steuerumgehung dient. Eine steuerliche Korrektur einer unentgeltlichen Darlehensgewährung auf der Grundlage des Fremdvergleichs, der zwar den Einfluss der wirtschaftlichen Verflechtung zwischen den Geschäftspartnern auf die Preisbildung, nicht aber sachbezogene wirtschaftliche Gründe der Parteien ausschließt, sei als Maßnahme zur Wahrung ei-

18 Vgl. Schön, IStR 2011, 777 (779). So auch EuGH v. 13.12.2005 – Rs. C-446/03‚ Marks & Spencer, IStR 2006, 19. 19 Vgl. OECD-Guidelines 2010, Abschn. 1.14 – 1.15. 20 Vgl. Baßler, Steuerliche Gewinnabgrenzung im Europäischen Binnenmarkt, 2011, 20 u. Becker/Sydow, IStR 2010, 195 (197). 21 Vgl. Schön, IStR 2011, 777 (780). 22 BFH v. 25.6.2014 – I R 88/12, BFH/NV 2015, 57. 23 Vgl. EuGH v. 21.1.2010 – Rs. C-311/08, SGI, BFH/NV 2010, 571.

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ner ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsrechte geeignet und nicht unverhältnismäßig. d) Vorlagebeschluss des FG Rheinland-Pfalz aus 2016 Schließlich hatte dann das FG Rheinland-Pfalz mit Beschluss vom 28.6.2016 den EuGH angerufen24, um im Weg eines Vorabentscheidungsersuchens klären zu lassen, ob § 1 AStG i.d.F. des StVergAbG25 unionsrechtskonform ist. Im Streitfall hatten die niederländischen Tochtergesellschaften der inländischen Hornbach-Baumarkt AG ein negatives Eigenkapital und waren für die Renovierung bestehender Baumärkte sowie für beabsichtigte Neubauten auf Bankkredite i.H.v. rd. 25 Mio. Euro angewiesen. Die finanzierende (Fremd-)Bank hatte die Gewährung der Kredite von Garantieerklärungen durch die AG abhängig gemacht. Die inländische Finanzbehörde ging davon aus, dass aufgrund der – unentgeltlich – abgegebenen Garantieerklärungen Geschäftsbeziehungen im Sinn von § 1 AStG begründet wurden und die Einkünfte der Hornbach-Baumarkt AG deshalb um ein angemessenes Entgelt (= rd. 37.000 Euro) für ihre Garantien zu erhöhen seien, da voneinander unabhängige Dritte eine Vergütung für die Risikoübernahme vereinbaren würden. Das FG Rheinland-Pfalz wies in seinem Vorlagebeschluss zutreffend darauf hin, dass § 1 AStG eine unentgeltliche – und damit an sich marktunübliche – Leistungsbeziehung steuerlich ausnahmsweise anerkennt, wenn auch fremde Dritte in einer vergleichbaren Situation auf das marktübliche Entgelt verzichtet hätten. Fremde Dritte verzichten ausnahmsweise dann auf marktübliche Entgelte, wenn es hierfür eigenbetriebliche Gründe gibt.26 Solche Ausnahmefälle können z.B. bei der Lieferung von Waren zu einem verbilligten Preis vorliegen, um den eigenen Absatz zu fördern (Dumpingpreise) oder um eine in Not geratene Vertriebstochtergesellschaft wegen ihrer unentbehrlichen Kundenkontakte in einem bestimmten Auslandsmarkt zu stützen. Gleiches gilt für die Stützung einer in Not geratenen Tochtergesellschaft in Form eines zinslosen Darlehens, um eigene Verluste in Form von TW-AfA auf Beteiligung und Forderungen zu vermeiden. § 1 AStG eröffnet die Möglichkeit des Nachweises von wirtschaftlichen Gründen im eigenbetrieblichen Bereich. Dies ergibt sich daraus, dass der Wortlaut des § 1 AStG nicht darauf abstellt, wie bestimmte Geschäfte zwischen Fremden üblicherweise abgewickelt werden, sondern ausschließlich da­ rauf abstellt, was fremde Dritte „unter gleichen oder vergleichbaren Verhältnissen“ vereinbart „hätten“. Daraus ergibt sich eindeutig, dass der Fremdpreis i.S. des § 1 AStG nicht zwangsläufig ein objektiver Wert ist, sondern auch außergewöhnliche betriebliche Verhältnisse u. Interessen berücksichtigt. Ein an sich marktunüblicher Preis (z.B. vorübergehend verbilligter Warenpreis) führt deshalb nicht zwangsläufig zu einer Korrektur nach § 1 AStG. 24 Vgl. FG Rheinland-Pfalz v. 28.6.2016 – 1 K 1472/13, IStR 2016, 675. 25 StVergAbG v. 16.5.2003, BGBl. I 2003, 660. 26 Vgl. FG Rheinland-Pfalz v. 28.6.2016  – 1 K 1472/13, IStR 2016, 675 (dort Rz.  32) unter Verweis auf Glahe, IStR 2015, 97 (98).

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Dass marktunübliche Preise durch eigenbetriebliche Rechtfertigungsgründe steuerlich anerkannt werden können, wurde in der Vergangenheit auch bereits vom FG Düsseldorf und von Angehörigen der Finanzverwaltung vertreten.27 Auch der BFH hatte im Urteil vom 23.6.2010 entschieden, dass die Anwendung des § 1 AStG bei einem unverzinslichen Darlehen u.a. dann ausscheidet, wenn das Darlehen auch zwischen fremden Dritten unverzinslich gewährt worden wäre. Letzteres könne anzunehmen sein, wenn die Darlehensgewährung in erster Linie im Interesse des Darlehensgebers erfolgt sei.28 Dieser Linie folgte auch das BFH-Urteil vom 25.6.2014, wonach der in § 1 AStG verankerte Fremdvergleich zwar den Einfluss der wirtschaftlichen Verflechtung zwischen den Geschäftspartnern auf die Preisbildung ausschließt, nicht aber sachbezogene wirtschaftliche Gründe.29 Im ‚Hornbach‘-Fall hätte es nahe gelegen, eigenbetriebliche Gründe der Hornbach AG für die unentgeltlichen Patronatserklärungen zu untersuchen. Es war nämlich eine Ausweitung der Konzernaktivitäten im Ausland geplant (Eröffnung neuer Filialen und Renovierung bereits bestehender Filialen). Eine Ausweitung des Konzernumsatzes u. damit des Wareneinkaufs führt regelmäßig zu einer größeren Verhandlungsmacht gegenüber den Lieferanten und damit zu günstigeren Einkaufsmöglichkeiten für die gesamte Unternehmensgruppe  – somit auch für die inländische Hornbach AG selbst. Mithin wäre es u.U. möglich gewesen, einen Businessplan vorzulegen, in dem die Vorteilhaftigkeit der unentgeltlichen Garantieerklärungen für die AG selbst aufgezeigt wird. Die Frage, die das FG Rheinland-Pfalz bewogen hatte, ein Entscheidungsersuchen an den EuGH zu richten, ging jedoch dahin, ob wirtschaftliche Gründe für einen markt­ unüblichen Preis auch dann anerkannt werden können, wenn sie in der gesellschaftsrechtlichen Verbundenheit der beteiligten Unternehmen liegen. Da § 1 AStG solche Gründe nicht als wirtschaftlichen Grund anerkenne, sondern gerade ausschließen wolle, stelle sich die Frage, ob § 1 AStG unionsrechtswidrig sei. § 1 AStG lasse unberücksichtigt, dass der Gesellschafter ein „wirtschaftliches Eigeninteresse am geschäftlichen Erfolg ‚seiner‘ Gesellschaft hat, weil er an diesem geschäftlichen Erfolg über Gewinnausschüttungen partizipiert.“30 Das FG Rheinland-Pfalz hielt im Streitfall hinreichende wirtschaftliche Gründe für die unentgeltlichen Patronatserklärungen für gegeben31 und begründete dies wie folgt: 27 Vgl. FG Düsseldorf v. 11.7.1996, EFG 1996, 566 zur nachträglichen Gewährung eines Lieferrabatts und Hruschka, IStR 2013, 123 und Becker/Sydow, IStR 2010, 195. 28 So auch Urt. Niedersächsisches FG v. 23.3.1999 – VI 357/95, IStR 2000, 312. 29 BFH v. 25.6.2014 – I R 88/12, BFH/NV 2015, 57. 30 Vgl. FG Rheinland-Pfalz v. 28.6.2016 – 1 K 1472/13, IStR 2016, 675 (dort Rz. 33). 31 Vgl. FG Rheinland-Pfalz v. 28.6.2016 – 1 K 1472/13, IStR 2016, 675 (dort Rz. 39): „Denn in Anbetracht dessen, dass die ausländischen Konzerngesellschaften über ein negatives Eigenkapital verfügt haben und die finanzierende Bank die Gewährung der … erforderlichen Kredite von der Gestellung von Patronatserklärungen … abhängig gemacht hat, wären wirtschaftliche Gründe … für ein Abweichen vom Fremdüblichen nach Auffassung des vorlegenden Senats gegeben.“

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– die ausländischen TGs seien für die Erweiterung ihres Geschäftsbetriebs mangels ausreichendem Eigenkapital auf die Zuführung von Kapital angewiesen gewesen32; – zudem sei fraglich, ob in Fällen, in denen die Tochtergesellschaft unzureichend mit Eigenkapital ausgestattet sei, eine unentgeltliche Darlehensgewährung bzw. Patro­ natserklärung als „rein künstliche Konstruktion zu steuerlichen Zwecken“ angesehen werden könne33; – schließlich sei zu berücksichtigen, dass die ausländischen TGs bereits an die finanzierende Bank Kreditzinsen zahlen „und durch die Zahlung eines Entgelts für die Abgabe der Patronatserklärung zusätzlich wirtschaftlich belastet würden.34“ Erstaunlicherweise ging das FG Rheinland-Pfalz auf den Fremdvergleichsgrundsatz gar nicht explizit ein, sondern beschäftigte sich mit der Frage, ob eine unentgeltliche Patronatserklärung als eine „rein künstliche Konstruktion“ zu steuerlichen Zwecken angesehen werden könne. Dies ergibt sich aus dem Hinweis des FG, dass die niederländischen TGs doppelt belastet wären, wenn sie neben den Zinsen an die kreditgebende Bank auch noch Patronatsgebühren an die Hornbach AG zahlen müssten. Dieser Hinweis ergibt nur dann Sinn, wenn man sich vom Fremdvergleich loslöst und nur noch der Frage nachgehen will, ob eine künstliche Steuerumgehungskon­ struktion vorliegt. Unter Fremdvergleichsgesichtspunkten ist der Hinweis des FG unverständlich, da im freien Wirtschaftsleben nicht interessiert, wie oft ein Leistungsempfänger belastet ist. Deshalb müssen z.B. Autohändler neben dem Kaufpreis für die PKW regelmäßig noch Zinsen, Versicherungsgebühren-, Reinigungs-, Energie- u. Inseratskosten sowie Miete bzw. AfA für die Verkaufsräume aufwenden, auch wenn sie hierdurch mehrfach wirtschaftlich belastet sind. Auch folgendes Beispiel mag verdeutlichen, dass sich die Überlegungen des FG vom Fremdvergleichsgrundsatz gelöst haben: Wenn ein Kreditinstitut für ein unbesichertes Darlehn einen Zinssatz von 10% und für ein besichertes Darlehen nur einen Zinssatz von 7% verlangen würde, dürfte demnach derjenige, der das Darlehen durch eine Garantie abgesichert hat, für das hierdurch übernommene Risiko kein Entgelt verlangen, weil der Darlehensnehmer ansonsten wirtschaftlich doppelt belastet wäre. Damit wird deutlich, dass sich die Überlegungen des FG nicht an realen wirtschaftlichen Gegebenheiten orientieren. Offenbar ist das FG von der Unionswidrigkeit des § 1 AStG ausgegangen und wollte den Fremdvergleich nur noch als Vehikel zur Verhinderung missbräuchlicher Gestaltungen einsetzen.

32 Vgl. FG Rheinland-Pfalz v. 28.6.2016 – 1 K 1472/13, IStR 2016, 675 (dort Rz. 35). 33 Vgl. FG Rheinland-Pfalz v. 28.6.2016 – 1 K 1472/13, IStR 2016, 675 (dort Rz. 35). 34 Vgl. FG Rheinland-Pfalz v. 28.6.2016 – 1 K 1472/13, IStR 2016, 675 (dort Rz. 36).

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III. EuGH-Urteil ‚Hornbach‘ vom 31.5.201835 1. Entscheidung und Begründung a) Zur Frage der Vergleichbarkeit zwischen Inlands- u. Auslandssachverhalten Werden Transaktionen zwischen zwei verbundenen inländischen Unternehmen zu marktunüblichen Preisen abgerechnet (z.B. überhöhte Darlehenszinsen), verbleiben die Einkünfte innerhalb des deutschen Hoheitsgebiets, sodass die Steuerhoheit ungehindert ausgeübt werden kann. Die deutsche Regierung und der Generalanwalt Bobek36 hatten deshalb eine Vergleichbarkeit von Inlands- u. Auslandssachverhalten negiert. Der EuGH ist dieser Argumentation nicht gefolgt, weil sie nicht auf die Frage der Vergleichbarkeit der Situationen ziele. Vielmehr gehe es um Rechtfertigungen, die auf den Grundsatz der Territorialität bzw. auf die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten gestützt seien.37 b) Zur Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und der Geeignetheit des § 1 AStG, die Besteuerungshoheit zu wahren Sodann knüpft der EuGH an das ‚SGI‘-Urteil38 aus dem Jahr 2010 an und nimmt eine Prüfung am Maßstab der Niederlassungsfreiheit vor. Diese Freiheit werde behindert, wenn Transaktionen mit einer ausländischen EU-Tochtergesellschaft ungünstiger besteuert würden als mit einer gebietsansässigen TG.39 Genau wie im SGI-Urteil wird betont, dass eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt werden könne, wenn die ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse innerhalb der EU in Gefahr gerate, indem Gewinnverlagerungen auf verbundene EU-Gesellschaften erlaubt würden. Sodann kommt der EuGH zu dem (Zwischen-)Ergebnis, dass die Regelung in § 1 AStG, die verhindern soll, dass die in Deutschland erzielten „Gewinne im Wege von Geschäften, die nicht auf Marktbedingungen beruhen, unversteuert … hinaus transferiert werden, … geeignet“ ist, „die Wahrung der Aufteilung der Steuerhoheit zwischen den Mitgliedstaaten sicherzustellen.“40 c) Zur Frage der Erforderlichkeit des § 1 AStG u. zum Nachweis wirtschaftlicher Gründe Nachfolgend bezieht sich der EuGH erneut auf das ‚SGI‘-Urteil. Dort sei festgestellt worden, dass eine gesetzliche Regelung, die eine Prüfung vorsieht, ob eine rein künst35 Vgl. EuGH v. 31.5.2018 – Rs. C-382/16, IStR 2018, 461. 36 ECLI:EU:C:2017:974. 37 Vgl. EuGH v. 31.5.2018 – Rs. C-382/16, IStR 2018, 461 (Rz 38–40). 38 Vgl. EuGH v. 21.1.2010 – Rs. C-311/08, SGI, BFH/NV 2010, 571. 39 Vgl. EuGH v. 31.5.2018 – Rs. C-382/16, IStR 2018, 461 (dort Rz. 31–35). 40 Vgl. EuGH v. 31.5.2018 – Rs. C-382/16, IStR 2018, 461 (dort Rz. 44–47).

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liche Konstruktion zu steuerlichen Zwecken vorliegt, nicht über das hinausgeht, was zur Wahrung der Besteuerungshoheit und zur Verhinderung von Steuerumgehungen erforderlich ist, wenn dem Stpfl., ohne ihn übermäßigen Verwaltungszwängen zu unterwerfen, die Möglichkeit des Nachweises eingeräumt wird, dass wirtschaftliche Gründe für den Geschäftsabschluss vorlagen.41 Bevor der EuGH sich der Frage nach dem Vorliegen wirtschaftlicher Gründe widmet, hebt er die aus seiner Sicht wichtigen Sachverhaltsgegebenheiten hervor, demzufolge42 – die niederländischen Konzerntochtergesellschaften über ein negatives Eigenkapital verfügten u. für die Fortführung u. Erweiterung ihres Geschäftsbetriebs auf Kredite angewiesen waren, – die finanzierende (Fremd-)Bank die Kreditgewährung von einer Patronatserklärung der deutschen Konzernmuttergesellschaft abhängig gemacht hatte, – die deutsche Regierung weder das Vorliegen einer rein künstlichen Gestaltung noch eine Absicht der deutschen Hornbach AG, ihre in Deutschland steuerpflichtigen Gewinne zu mindern, geltend gemacht habe, – die Hornbach AG ein wirtschaftliches Eigeninteresse am geschäftlichen Erfolg ihrer niederländischen Tochtergesellschaften habe, weil sie an deren Erfolg über Gewinnausschüttungen profitiert, – die Hornbach AG eine „gewisse Verantwortung … für die Finanzierung“ der ausländischen Tochtergesellschaften trage. Sodann gelangt der EuGH zum Ergebnis, dass „unter diesen Umständen“ wirtschaftliche Gründe, die mit der von der Hornbach AG eingenommenen Stellung als Gesellschafterin zusammenhängen, die „nicht fremdüblichen Bedingungen“ (hier: Unentgeltlichkeit der Patronatserklärung) rechtfertigen „könnten“, obgleich „voneinander unabhängige Gesellschaften eine Haftungsvergütung für solche Garantien vereinbart hätten.“ 43 d) Zur Frage der Verhältnismäßigkeit des § 1 AStG (Korrekturhöhe) Schließlich weist der EuGH wie auch schon im ‚SGI‘-Urteil darauf hin, dass eine gesetzliche Regelung, die die Besteuerungshoheit wahren und Steuerumgehungen verhindern soll, nur dann verhältnismäßig ist, wenn sich die steuerliche Berichtigung auf den fremdunüblichen Teil des vereinbarten Preises beschränkt.44

41 Vgl. EuGH v. 31.5.2018 – Rs. C-382/16, IStR 2018, 461 (dort Rz. 49). 42 Vgl. EuGH v. 31.5.2018 – Rs. C-382/16, IStR 2018, 461 (dort Rz. 53–56). 43 EuGH ‚Hornbach‘ v. 31.5.2018 – Rs. C-382/16, IStR 2018, 461 (dort Rz. 56). 44 Vgl. EuGH ‚Hornbach‘ v. 31.5.2018 – Rs. C-382/16, IStR 2018, 461 (dort Rz. 49).

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2. Kritische Würdigung des EuGH-Urteils ‚Hornbach‘ Das EuGH-Urteil ‚Hornbach‘ ist in vielerlei Hinsicht unverständlich und daher kritisch zu sehen. Zu beanstanden ist zunächst, dass die dort gefundenen Entscheidungen teilweise nicht begründet werden, obwohl gewichtige Gegenargumente vorgebracht wurden, u.a. vom Generalanwalt. Zudem sind Erwägungen u. Begründungen nicht schlüssig, teils sogar widersprüchlich. Hinzu kommt, dass der EuGH die Kernfrage – ob die durch § 1 AStG angeordnete Verhinderung von Gewinnverlagerungen ins Ausland mit dem Unionsrecht vereinbar ist – letztlich unbeantwortet lässt. Zwar bejaht er diese Frage zunächst, öffnet sodann aber die Schleusen für die Rechtfertigung von Gewinnverlagerungen scheinbar schrankenlos so weit, dass der Rechtsanwender ratlos vor der Frage steht, zu welchem Ergebnis sich der EuGH durchgerungen hat und in welchen Fällen Gewinnverlagerungen steuerlich noch korrigiert werden können. Während manche Literaten das ‚Hornbach‘-Urteil so interpretieren, dass § 1 AStG Europarechtskonform, kommen andere45 zum Schluss, dass „der EuGH die Europarechtswidrigkeit von § 1 AStG … festgestellt“ habe, auch „wenn sich dies in dieser Deutlichkeit so nicht voll und ganz in dem Entscheidungstenor wiederfindet.“ Letztlich gibt der EuGH seine bisherige Rechtsprechung auf, wonach wirtschaftliche Gründe nur als Gegenbeweis für den Vorwurf missbräuchlicher Gestaltungen, nicht jedoch zur Vermeidung von Gewinnkorrekturen bei marktunüblichen Preisen dienen können. Eine Begründung für diesen Schwenk sucht man im Urteil vergebens. a) Vergleichbarkeit zwischen Inlands- u. Auslandssachverhalten Der EuGH ist der Argumentation hinsichtlich der mangelnden Vergleichbarkeit von Inlands- u. Auslandssachverhalten nicht gefolgt. Er setzt sich damit allerdings in Widerspruch zu seinen Urteilen in den Rechtssachen Nordea Bank und Timac Agro, in denen das Territorialitätsprinzip bereits bei der Vergleichbarkeitsprüfung berücksichtigt wurde und legt eine inkonsistente Vorgehensweise bei der Prüfung der objektiven Vergleichbarkeit an den Tag.46 b) Geeignetheit des § 1 AStG, die Besteuerungshoheit der EU-Staaten zu wahren Aus dem Umstand, dass der EuGH ohne Einschränkungen entschieden hat, dass § 1 AStG geeignet ist, eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse und damit die Steuerhoheit der EU-Mitgliedstaaten sicherzustellen, könnte gefolgert werden, dass damit die Frage, ob § 1 AStG unionsrechtskonform ist, bejaht worden ist. Nachfolgend wird jedoch aufgezeigt, dass dies ein Trugschluss ist. 45 Siehe Ditz/Quilitzsch, DB 2018, 2009. 46 So auch Eisendle, ISR 2018, 284 (286) und Glahe, DStR 2018, 1535 (1536).

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c) Erforderlichkeit des § 1 AStG und Nachweis wirtschaftlicher Gründe – wirtschaftliche Gründe als Gegenbeweis für rein künstliche Gestaltungen In der Rechtssache ‚SGI‘ hatte der EuGH für die Fälle, in denen dem Stpfl. seitens der Finanzbehörden eine rein künstliche Gestaltung zur Steuerumgehung vorgeworfen wird, eine Nachweismöglichkeit des Stpfl. bezüglich des Vorliegens wirtschaftlicher Gründe für die gewählte Gestaltung gefordert. Das Erfordernis eines solchen Gegenbeweises ist schlüssig und einsichtig, geht es doch bei rein künstlichen, d.h. missbräuchlichen Gestaltungen neben den steuerlichen Folgen u.U. auch um strafrechtlich relevante Aspekte. Deshalb muss dem Stpfl. die Möglichkeit offen stehen, sich zu exkulpieren, indem er vernünftige, u.U. betriebswirtschaftlich fundierte Gründe für seine Sachverhaltsgestaltung darlegt. Es wäre allerdings hilfreich gewesen, wenn der EuGH klare Konturen für den Tatbestand eines „Gestaltungsmissbrauchs“ gezeichnet hätte.47 Die Frage geht z.B. dahin, ob es zwischen EuGH auf der einen Seite und EU-Kommission sowie Mitgliedstaaten auf der anderen Seite ein deckungsgleiches Verständnis hierzu gibt oder ob dieser Begriff durch den EuGH enger ausgelegt wird.48 In der Literatur wurde schon zum ‚SGI‘-Urteil49 angemerkt, dass der Fremdvergleichsgrundsatz eingeschränkt werde, wenn Abweichungen vom Fremdvergleichs­ preis durch wirtschaftliche Gründe gerechtfertigt werden könnten. Das Verhältnis von Regel und Ausnahme werde sich schnell umkehren, da der EuGH die effiziente Allokation von Ressourcen im EU-Binnenmarkt und die organisatorische Freiheit grenzüberschreitender Aktivitäten in der EU schützen wolle und bereit sei, dafür die Reichweite des Fremdvergleichsgrundsatzes auf missbräuchliche Gestaltungen zu beschränken. Würde der Stpfl. glaubhaft vortragen, dass seine Verrechnungspreise dazu dienten, die internen Herstellungs- u. Absatzprozesse effizient zu steuern, besäßen sie eine wirtschaftliche Legitimation und könnten nicht als künstliche Konstruktionen abqualifiziert werden.50

47 Lt. EuGH v. 7.9.2017 in der Rs. C 6/16 (‚Eqiom und Enka‘), BeckRS 2017, 123556 oder NWB DAAAG-60421 (dort Rz. 30) liegt Gestaltungsmissbrauch vor, wenn „rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Konstruktionen zu dem Zweck“ errichtet werden, „ungerechtfertigt einen Steuervorteil zu nutzen.“ Siehe hierzu auch EuGH-Urteile v. 12.9.2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, C-196/04, IStR 2006, 670 sowie v. 5.7.2012, SIAT, C-318/10, EU:C:2012:415, Rz. 40) sowie v. 26.2.2019 – verb. Rs. C-115/16, C-118/16, C-119/16 u. C-299/16, ECLI:EU:C:2019:134 (Rz.  138) sowie v. 26.2.2019  – C-135/17, ECLI:EU:C:2018:389. Siehe in der Literatur hierzu Biebinger, Ubg 2019, 421 u. Günther, AO-StB 2019, 46 u. Linn/Pignot, IWB 2019, 386 u. Schnitger, IStR 2019, 304 u. Drüen, ISR 2020, 98. 48 Vgl. Lampert, Global Taxes, TAX & LEGAL EXCELENCE-031-2018. 49 Vgl. EuGH v. 21.1.2010 – Rs. C-311/08 (‘SGI’), BFH/NV 2010, 571. 50 Vgl. Schön, IStR 2011, 777 (780); ders., in: Allocating Taxing Powers within in the European Union, S. 96. 

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Der EuGH übertrifft diese Befürchtungen noch, indem er nunmehr auch eine Nachweismöglichkeit für wirtschaftliche Gründe bei marktunüblichen Preisgestaltungen fordert u. damit weit über die ‚SGI‘-Entscheidung hinausgeht.51 Der BFH-Richter Schwenke mutmaßt, dass dies auf einen „technischen Übertragungsfehler“ zurückzuführen sein könnte.52 Hintergrund hierfür ist wohl, dass EuGH-Urteile in mehrere Sprachen übersetzt werden müssen. Es ist deshalb üblich, dass Passagen aus älteren Urteilen in neue Entscheidungen eingefügt werden, um Diskussionen zu verhindern, ob mit neuen Formulierungen auch inhaltliche Änderungen verbunden sind oder ob es sich lediglich um redaktionelle, sprachliche Änderungen handelt. Tatsächlich handelt es sich aber wohl nicht um einen Irrtum des EuGH, sondern um eine gewollte Rechtsprechungsänderung. Hierfür mag als Beleg dienen, dass in Rz.  56 des ‚Hornbach‘-Urteils die Rede davon ist, dass grenzüberschreitend erbrachte unentgeltliche Garantieleistungen zwischen Nahestehenden steuerlich unbeanstandet bleiben sollen, „obgleich voneinander unabhängige Gesellschaften eine Haftungsvergütung für solche Garantien vereinbart hätten.“ Dass eine unentgeltliche Garantieerklärung eine missbräuchliche Gestaltung sein soll, ist nicht ersichtlich und der EuGH hatte zuvor in Rz.  55 ausdrücklich herausgestellt, dass „die deutsche Regierung … das Vorliegen einer rein künstlichen Gestaltung“ nicht angeführt habe. Somit hat der EuGH nicht etwa versehentlich Passagen aus dem „SGI‘-Urteil übernommen, sondern es geht ihm tatsächlich um die steuerliche Anerkennung von Preisgestaltungen, die zwar marktunüblich sind, ohne jedoch rechtsmissbräuchlich zu sein. Jedoch bedarf ein derartig fundamentales Abweichen von der bisherigen, gefestigten EuGH-Rechtsprechung und ein derartig massiver Eingriff in die Besteuerungshoheit  – die zu schützen der EuGH kurioserweise im gleichen Urteil ausdrücklich als legitim erachtet  – einer ausführlichen und überzeugenden Begründung. Richtigerweise stellt der BFH-Richter Wacker heraus, dass das Vertrauen in eine gefestigte Rechtsprechung solange zu schützen ist, bis sich die für eine Rechtsprechungsänderung sprechenden „besseren Sachgründe geradezu aufdrängen“ und „eine Bereinigung des bisherigen Verständnisses“ erfordern.53 Im vorliegenden Fall sind jedoch keine besseren Sachgründe für die Rechtsprechungsänderung ersichtlich, die sich aufdrängen. Sie wurden vom EuGH auch nicht dargelegt. Nach all dem muss das Vertrauen in die Verlässlichkeit der EuGH-Rechtsprechung Schaden erleiden.54 51 Ausführlich hierzu der BFH-Richter Schwenke, DB 2018, 2329. Ebenso Gosch, DStR 2019, 2441 (2444): „Verlangte der EuGH in der Rechtssache SGI noch, dass wirtschaftliche Gründe vorzutragen sind, die ein letztlich rechtsmissbräuchliches Abweichen vom Fremdvergleich ausschließen, … hat er in der nachfolgenden Rechtssache Hornbach Baumarkt diese Einschränkung fallenlassen.“ 52 Vgl. Schwenke, DB 2018, 2329 (2332). 53 Vgl. Wacker, FR 2019, 449 (455). 54 Siehe hierzu auch Gosch, DStR 2019, 2441: Der Eingriff „in die Verläßlichkeit der Rechtsprechung verlangt, soll die Akzeptanz der „Rechtsinstitution“ nicht Schaden leiden, kraftvolle

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– wirtschaftliche Gründe für marktunübliche Preise Abgesehen davon, dass der EuGH nicht darlegt, was ihn zur Rechtsprechungsänderung bewogen hat, vermögen auch die von ihm genannten Gründe, die zur steuerlichen Anerkennung marktunüblicher Preise führen sollen, nicht zu überzeugen. – Dass ein Unternehmen über ein negatives Eigenkapital verfügt und Kredite benötigt, ist im freien Wirtschaftsleben zwischen fremden Dritten kein hinreichender Grund, auf Entgelte zu verzichten. Überzeugend wäre gewesen, wenn das Gericht sich mit den Fragen beschäftigt hätte, ob und ggfs. in welcher Höhe stille Reserven vorhanden waren und inwieweit das negative Eigenkapital durch Maßnahmen des Gesellschafters bewusst herbeigeführt worden ist (Verluste infolge unangemessener Verrechnungspreise? Keine dem Geschäftszweck entsprechende ausreichende Eigenkapitalausstattung? Gewinnausschüttungen?). – Dass die finanzierende Bank die Kreditgewährung von einer Patronatserklärung der deutschen Konzernmuttergesellschaft abhängig gemacht hatte, erklärt, dass die gewünschte Erklärung abgegeben wurde. Es erklärt aber nicht, warum die Muttergesellschaft auf das marktübliche Entgelt für die Garantieerklärung verzichtet hat. – Die Vorschrift des § 1 AStG stellt allein darauf ab, ob es zu Gewinnminderungen gekommen ist, die zwischen Fremden unter vergleichbaren Verhältnissen nicht entstanden wären. Ob eine Gewinnminderung absichtlich herbeigeführt wurde oder ob eine rein künstliche Gestaltung vorliegt, ist für die Anwendung der Vorschrift somit irrelevant. Von daher hatte die deutsche Regierung keine Veranlassung, hierzu vorzutragen. Es ist daher nicht erklärlich, warum der EuGH sein Urteil auf einen fehlenden, jedoch nach deutschem Recht irrelevanten Sachvortrag stützt. – Dass eine Konzernobergesellschaft ein Interesse am geschäftlichen Erfolg ihrer Tochtergesellschaften und an deren Gewinnausschüttungen hat ist eine Selbstverständlichkeit. Welche Muttergesellschaft hat dieses Interesse nicht? Zudem hat jede Konzerngesellschaft – nicht nur die Konzernobergesellschaft – ein Interesse am geschäftlichen Erfolg der anderen konzernzugehörigen Unternehmen wie auch am geschäftlichen Erfolg des Konzerns insgesamt. – Dass der Gesellschafter „eine gewisse Verantwortung“ für die Finanzierung seiner Tochtergesellschaften trägt, mag zutreffen, erklärt aber nicht, warum er auf marktübliche Leistungsentgelte verzichten soll. Weiterhin ist zu kritisieren, dass der EuGH zwar mehrere – nicht überzeugende – Gründe für die Anerkennung marktunüblicher Preise beispielhaft nennt, aber offen lässt, ob diese Gründe kumulativ vorliegen müssen oder ob es ausreicht, wenn einer bzw. mehrere (welche?) dieser Gründe vorliegen. Wenn das Interesse am geschäftlichen Erfolg anderer Konzerngesellschaften oder das Gewinnausschüttungsinteresse Überzeugung. Ist solche gegeben, mag die ‚Rechtsprechungsvolte‘ gerechtfertigt sein, andernfalls ist sie das nicht.“

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für sich allein schon ausreichen sollte, könnte jede marktunübliche Preisgestaltung gerechtfertigt werden, weil dieses Interesse im Konzern immer gegeben ist.55 Zudem gibt der EuGH auf die im Vorlageersuchen des FG Rheinland-Pfalz gestellte Frage nach der Relevanz gesellschaftsrechtlich bedingter Gründe für marktunübliche Preise keine aussagekräftigen Antworten: – Das EuGH-Urteil besagt lediglich, dass Umstände im Gesellschaftsverhältnis als wirtschaftliche Gründe für marktunübliche Preise anzusehen sein „könnten“. Damit bleibt offen, ob er im Streitfall die geltend gemachten wirtschaftlichen Gründe als hinreichend ansieht, um die Unentgeltlichkeit der Garantieerklärung anerkennen zu können. Letztlich spielt der EuGH Ping Pong mit dem FG, indem er ihm den Ball zurückspielt und feststellt, dass die Prüfung, ob hinreichende wirtschaftliche Gründe vorliegen „Sache des vorlegenden Gerichts“ sei.56 – Der EuGH legt das Entscheidungsersuchen des FG Rheinland-Pfalz – ohne dass das FG tatsächlich hiernach gefragt hätte – dahin aus, dass es dem vorlegenden Gerichts insbesondere darum gehe, ob die wirtschaftlichen Gründe auch solche umfassen können, die sich aus dem „alleinigen“ Vorliegen der gesellschaftsrechtlichen Verflechtungen zwischen der Hornbach AG und den niederländischen Tochtergesellschaften ergeben.57 Kurioserweise geht der EuGH sodann aber auf die – von ihm selbst aufgeworfene – Frage nicht ein. Er stellt lediglich fest, dass gesellschaftsrechtliche Gründe nicht von vornherein ausgeschlossen werden dürfen.58 Es war im Übrigen gerade die Intention des deutschen Gesetzgebers, durch die Gewinnkorrekturvorschriften des nationalen Rechts (vE, vGA, §  1 AStG) Gewinnverlagerungen ins Ausland, die – ganz oder teilweise – durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sind, zu verhindern59. Vorgänge in der betrieblichen Sphäre sollten gerade nicht mit Vorgängen in der gesellschaftsrechtlichen Sphäre vermischt werden. – Im vorliegenden Fall ist zwar nachvollziehbar, dass die deutsche MG eine Pa­ tronatserklärung abgegeben hat, damit die niederländischen TGs den Geschäftsbetrieb fortführen und erweitern konnten und die gewünschten Bankkredite erlangen konnten. Es ist jedoch nicht ohne weiteres einsichtig, warum die Pa­ tronatserklärungen deshalb vollumfänglich unentgeltlich abgegeben werden mussten. Der EuGH beschäftigt sich mit dieser Frage nicht. Dabei liegt die Frage auf der Hand, warum die ausländischen TGs, nachdem sie Bankmittel von mehr als 20 Mio Euro erhalten hatten, nicht – trotz ihres negativen Eigenkapitals – in der Lage gewesen sein sollen, eine Patronatsgebühr zu zahlen. Im vorliegenden Fall stand ein Betrag von lediglich rd. 37.000 Euro im Raum. 55 So zutreffend auch Ditz/Quilitzsch, DB 2019, 2009. 56 Vgl. EuGH ‚Hornbach‘ v. 31.5.2018 – Rs. C-382/16, IStR 2018, 461 (dort Rz. 58). 57 Vgl. EuGH ‚Hornbach‘ v. 31.5.2018 – Rs. C-382/16, IStR 2018, 461 (dort Rz. 51). 58 Vgl. EuGH ‚Hornbach‘ v. 31.5.2018 – Rs. C-382/16, IStR 2018, 461 (dort Rz. 57). 59 Siehe zu § 1 AStG das BFH-Urt. v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl 2019 II S. 394. Zur vGA siehe BFH v. 24.10.2018 – I R 78/16, BStBl II 2019, 570. Zur vE siehe BFH-Urt. v. 15.10.1997 – I R 80/96, BFH/NV 1998, 624. Zur Betriebsstättengewinnabgrenzung siehe BFH-Urteil v. 20.7.1988, BStBl. II 1989, 140. 

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– Der Fremdvergleichsgrundsatz hat u.a. die Ziele, eine Besteuerung am Ort der Wertschöpfung und gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen unabhängigen und verbundenen Unternehmen zu gewährleisten. Zwischen voneinander unabhängigen Unternehmen werden aber keine marktunüblichen Preise, die gesellschaftsrechtlich veranlasst sind, vereinbart. Insofern würde eine Anerkennung marktunüblicher Preise, die gesellschaftsrechtlich veranlasst sind, bereits zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Konzernunternehmen könnten Gewinne unversteuert in Niedrigsteuerländer transferieren, wenn gesellschaftsrechtliche Gründe (z.B. Gewinnausschüttungsinteressen) marktunübliche Preisgestaltungen rechtfertigen „könnten.“ Zu welchen kuriosen Interpretationsmöglichkeiten das vage und unbestimmte EuGH-Urteil führt, ergibt sich auch daraus, dass in der Literatur bereits gefordert wird, „den strikten Fremdvergleich in Konzern­ strukturen zu relativieren“, weil das „Konzernübliche zum Fremdüblichen“ gehöre.60 d) Korrekturhöhe: Ist die Korrektur auf den Median einer Preisbandbreite EU- konform? In der Rs. Hornbach hatte die deutsche Regierung lt. Sachverhaltsschilderung des EuGH „unwidersprochen geltend gemacht“, dass sich die Berichtigungen, die die deutschen Steuerbehörden in solchen Fällen vornähmen, „auf den Teil beschränkten, der über das hinausgehe, was ohne die gegenseitige Verflechtung zwischen den betreffenden Unternehmen vereinbart worden wäre.“ Der Streitfall betraf das Jahr 2005 und deshalb war nicht die Fassung des § 1 AStG lt. UnStRefG 2008, die eine Korrektur auf den Median einer Preisbandbreite vorschreibt, sondern noch §  1 AStG in der Fassung des StVergAbG61 einschlägig. Zur Korrekturhöhe gab es in dieser Fassung des AStG lediglich für Fälle, in denen wegen Mitwirkungsverletzungen des Stpfl. Schätzungen nach § 162 (2) AO vorzunehmen waren, spezielle Regelungen. Für Fälle ohne Verletzung der Mitwirkungspflicht durch den Stpfl. musste sich gemäß BFH-Urteil vom 17.10.2001 eine Gewinnkorrektur an dem für den Stpfl. jeweils günstigsten Ober- oder Unterwert der Bandbreite von Fremdvergleichsdaten orientieren. Der BFH stützte dies auf die Überlegung, dass innerhalb der letztlich maßgeblichen Bandbreite jeder Wert dem Fremdvergleich entspricht.62 Als Reaktion auf dieses BFH-Urteil hatte der Gesetzgeber mit dem Unternehmensteuerreformgesetz63 (UntStRefG 2008) eine Regelung in § 1 Abs. 3 Satz 4 AStG eingebaut, wonach nunmehr in den Fällen, in denen der vom inländischen Stpfl. vereinbarte Preis für grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen außerhalb der Bandbreite liegt, für die Korrektur nicht mehr der für den Stpfl. günstigste Wert der Bandbreite, sondern der Median maßgeblich ist. 60 Ausführlich hierzu Gosch, DStR 2019, 2441. 61 StVergAbG v. 16.5.2003, BGBl. I 2003, 660. 62 Vgl. BFH v. 17.10.2001  – I R 103/00, BStBl.  II 2004, 171.  Bestätigt durch BFH-Urt. v. 6.4.2005 – I R 22/04, DStR 2005, 1307. 63 UntStRefG 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912 = BStBl. I 2007, 630.

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Durch die Beschränkung dieser Neuregelung auf grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen wurde erneut eine Ungleichbehandlung (hier: Schlechterstellung) gegenüber reinen Inlandsfällen, in denen nach wie vor das BFH-Urt. vom 17.10.2001 einschlägig ist – d.h. eine Mediankorrektur nicht vorzunehmen ist – geschaffen. Da die EuGH-Urteile ‚SGI‘64 und ‚Hornbach’65 jedoch besagen, dass angesichts der im deutschen Ertragsteuerrecht noch bestehenden Ungleichbehandlung von Inlands- u. Auslandsfällen nur eine Korrektur auf den fremdunüblichen Teil, d.h. auf den für den Stpfl. jeweils günstigsten Bandbreitenwert durchgeführt werden darf, dürfte die in §  1 (3) AStG vorgesehene Korrektur auf den Median diesen Urteilen zufolge unverhältnismäßig und EU-rechtswidrig sein66, sofern die Regelung in § 1 (3) S. 4 AStG nicht als Treaty Override angesehen werden kann. Schaubild Eine deutsche Kapitalgesellschaft überlässt ihre IWG an ihre Anteilseigner (AE) gegen Zahlung einer Lizenzgebühr i.H.v. 1 %. Die fremdübliche Lizenzbreite beträgt 2–5 %. • Bei ausländischem AE erfolgt die Korrektur auf den Median lt. § 1 (3) S. 4 AStG. Bei inländischem AE erfolgt die Korrektur auf den günstigsten Bandbreitenwert. Lt. EuGH darf jedoch nur die Differenz zwischen vereinbartem und fremdüblichem Preis korrigiert werden. Treaty override in § 1 AStG? 5% 3,8 %

2% 1% AE im Inland: vGA

AE im Ausland: § 1 AStG

64 EuGH-Urt. v. 21.1.2010 – C-311/08, BFH/NV 2010, 571. 65 EuGH, Urt. v. 31.5.2018 – C-382/16, ECLI:EU:C:2018:366 – Hornbach-Baumarkt AG, IStR 2018, 461. Siehe hierzu Eisendle, ISR 2018, 284; Graw, DB 2018, 2655; Jacobsen/Schwechel, DStR 2018, 2563 (Teil I) u. 2716 (Teil II); Schreiber/Greil, DB 2018, 2527; Schwenke, DB 2018, 2329; Wacker, FR 2019, 449; Mitschke/Uterhark/Nagler/Schnitger, IStR 2018, 461; Ditz/Quilitzsch, DB 2018, 2009; Rasch/Chwalek/Bühl, ISR 2018, 275; Schönfeld/Kahlenberg, IStR 2018, 498; Glahe, DStR 2018, 1535; Greil/Gebhardt/Trossen, Ubg 2018 403. 66 So auch der BFH-Richter Graw in seiner schriftlichen Vortragspräsentation für das „IWB-Verrechnungspreisforum“ am 7.5.2019 in Düsseldorf: „Beschränkung der Korrektur auf das ‚Unüblichkeits-Delta‘ (d.h. nur Anpassung an den unteren Bandbreitenwert, nicht Me-

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e) Zwischenfazit Der EuGH hat im ‚Hornbach‘-Urteil seine Rechtsprechung dahin geändert, dass der Stpfl. nunmehr nicht nur bei rein künstlichen Gestaltungen, sondern auch bei markt­ unüblichen Preisgestaltungen Korrekturen vermeiden kann, indem er wirtschaftliche Gründe nachweist. Hierbei ist bemerkenswert, dass der EuGH nicht nur betriebliche, sondern auch wirtschaftliche Gründe, die sich aus der Gesellschafterstellung ergeben, zulässt. In diesem Zusammenhang erwähnt er sogar das Interesse des Gesellschafters an Gewinn­ ausschüttungen, das jedoch immer gegeben ist. Letztlich widerspricht sich der EuGH damit selbst, da er es einerseits als legitim ansieht, dass die EU-Mitgliedstaaten gesetzliche Regelungen schaffen, die der Gewinnverlagerung durch marktunübliche Preisgestaltungen entgegenwirken. Andererseits hat es den Anschein, dass er Gewinnverlagerungen ins Ausland legitimiert, indem er das Gewinnausschüttungsinteresse eines Gesellschafters, das ja immer gegeben ist, als Rechtfertigungsgrund ins Spiel bringt.67 Weder begründet der EuGH seine Rechtsprechungsänderung noch konkretisiert er die gesellschaftsrechtlichen Rechtfertigungsgründe. Er setzt sich auch in Widerspruch zu seinem Urteil in der Rs. ‚SGI‘, da dort auf die Bedingungen des freien Markts abgestellt, d.h. auf das Verhalten vonei­ nander unabhängiger Dritter abgestellt wurde und von Gesellschafterinteressen keine Rede war.68 Im Ergebnis wird durch die Hornbach-Entscheidung nicht etwa Klarheit, sondern im Gegenteil mehr Rechtsunsicherheit geschaffen.69 Anscheinend soll der Fremdvergleichsgrundsatz nach dem Verständnis des EuGH nur noch dazu dienen, missbräuchliche Steuergestaltungen zu identifizieren und zu verhindern. Auf diese gravierende Einschränkung des Fremdvergleichsgrundsatzes hatte bereits Generalanwalt Bobek in seinen Schlussanträgen hingewiesen: Wenn alleinige Gründe aus der Gesellschafterstellung marktunübliche Preisgestaltungen rechtfertigen könnten, wäre die Folge, dass alle geschäftlichen Transaktionen mit Tochtergesellschaften von der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes ohne Weiteres und vollständig ausgenommen wären, da eine Muttergesellschaft immer ein Interesse daran habe, dass ihre Tochtergesellschaft erfolgreich ist und Gewinnausschüttungen vornehmen kann. Es sei daher von vornherein stets eine Rechtfertigung für markt­ unübliche Preise gegeben und der Fremdvergleichsgrundsatz eingeschränkt.70 Bemerkenswert ist auch, wie die Aushöhlung der Besteuerungshoheit in der Literatur kommentiert wird. So erkennt Kraft an, dass der Generalanwalt Bobek „aus formaler Sicht“ durchaus berechtigt darauf hingewiesen habe, dass durch die Möglichkeit des Vorbringens gesellschaftsrechtlicher Gründe stets (!) eine Rechtfertigung für markt­ diankorrektur i.S.v. § 1 Abs. 3 S. 4 AStG)“. Ebenso Rasch/Chwalek/Bühl, IStR 2018, 275. Ebenso Gosch, DStR 2019, 2441 (2447). 67 Vgl. EuGH v. 31.5.2018 – Rs. C-382/16, IStR 2018, 461 (dort Rz. 56 u. 57). 68 EuGH v. 21.1.2010 – Rs. C-311/08 ECLI:EU:C:2010:26, BFH/NV 2010, 571 (Rz. 71). 69 So auch Eggert, BB 2019, 417 (420). 70 ECLI:EU:C:2017:974. So im Ergebnis zutreffend auch Wacker, FR 2019, 449.

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unübliche Preise gegeben sei. Die hierdurch bewirkte Aushöhlung des Fremdvergleichsgrundsatzes sowie der Besteuerungshoheit ändere aber nichts daran, dass diese Konsequenzen des EuGH-Urteils „in soliden unionsrechtlichen Boden gepflanzt“ seien.71 Ob nunmehr auch grenzüberschreitende Gewinnverlagerungen zwischen Schwestergesellschaften und Gewinnverlagerungen von Tochter- auf Muttergesellschaften durch gesellschaftsrechtliche Gründe gerechtfertigt werden können (Wohlergehen der Gesamtgruppe und sich daraus ergebende Synergien und Finanzierungsmöglichkeiten), wird die Zukunft zeigen. Bei einem unentgeltlichen unbesicherten Darlehen an eine EU-TG entsteht zudem das Problem, dass einerseits von der Finanzverwaltung wegen des marktunüblichen Zinslosigkeit zunächst ein fiktiver Zinsertrag nach §  1 AStG in Höhe des üblichen Zinses angesetzt wird (der u.U. einen Risikozuschlag wegen der Nichtbesicherung inkludiert) und anschließend eine TW-AfA auf die unbesicherte Darlehensforderung versagt wird.72

IV. Reaktion von BMF und BFH 1. BMF-Schreiben vom 6.12.2018, BStBl I 2018, 1305 Wegen der hohen fiskalischen Bedeutung hat das BMF zügig auf das EuGH-Urteil ‚Hornbach‘ reagiert und hierzu das BMF-Schreiben vom 6.12.2018 erlassen.73 Demzufolge „hat eine Korrektur nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG zu unterbleiben, soweit der Stpfl. sachbezogene wirtschaftliche Gründe nachweisen kann, die eine vom Fremdvergleichsgrundsatz abweichende Vereinbarung erfordern“, um entweder die ansonsten „bedrohte wirtschaftliche Existenz der Unternehmensgruppe als solcher oder der dem Stpfl. nahestehenden Person zu sichern (sanierungsbedingte Maßnahme).“ In der Literatur ist das BMF-Schreiben kritisch aufgenommen worden. Hauptzielscheibe der Kritik war, dass das BMF den Anwendungsbereich des ‚Hornbach‘-­ Urteils allzu zu stark verengt habe, da als ausreichende wirtschaftliche Gründe für  unübliche Preise nur noch sanierungsbedingte Maßnahmen angesehen werden könnten. Demgegenüber habe der EuGH nicht erst den Sanierungsfall, sondern schon das negative Eigenkapital einer Auslandsgesellschaft als einen Beispielsfall genannt, bei dem wirtschaftliche Gründe für Unterstützungsleistungen in Form unentgeltlicher bzw. verbilligter Leistungen vorliegen „könnten.“74

71 Vgl. Kraft, NWB Nr. 40 v. 1.10.2018, 2930 (2935). 72 Vgl. Gebel, DStR 2019, 1896 (1899). 73 BMF-Schreiben v. 6.12.2018 – IB B 5 – S 1341/11/20004-09, BStBl I 2018, 1305. 74 Siehe u.a. Rasch, ISR 2019, 1; Kahlenberg, IStR 2019, 335; Ditz/Quilitzsch, DB 2019, 456; Bühl/ Tomson, IWB 2019, 212; Heidecke/Machalitza/Passas, Ubg 2019, 141; Eggert, BB 2019, 417. 

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2. BFH-Urteil v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl 2019 II S. 394 a) Wirtschaftliche Gründe Der BFH ist mit seinem Urteil vom 27.2.2019 dem vorgenannten BMF-Schreiben v. 6.12.2018 entgegengetreten, weil die dort genannten wirtschaftlichen Gründe für marktunübliche Preise zu weit gefasst worden seien. Die vom EuGH im ‚Hornbach-Urteil genannten wirtschaftlichen Gründe – wie z.B. die Finanzierungsverantwortung u. Partizipation des Gesellschafters am Erfolg der TG über Gewinnausschüttungen – dürften nicht „im Sinne eines Automatismus dazu führen, dass die Wahrung der territorialen Besteuerungsrechte der Mitgliedstaaten (durchgängig) verdrängt“ werde. „Aus den Formulierungen des Urteils (vgl. dort Rz 54, 56 f: ‚können‘)“ ergebe „sich vielmehr zweifelsfrei, dass das nationale Gericht Gründe dieser Art zu berücksichtigen und damit im Rahmen einer Abwägung daran zu messen hat, mit welchem Gewicht die jeweils zu beurteilende Abweichung vom Maßstab des Fremdüblichen in den Territorialitätsgrundsatz und die hierauf gründende Zuordnung der Besteuerungsrechte eingreift … .“75 Diese vom BFH geforderte einzelfallabhänge Abwägung ist sachlich gerechtfertigt und vertretbar, zumal der EuGH betont hatte, dass es legitim ist, die Verlagerung unversteuerter Gewinne ins EU-Ausland zu verhindern und „die Wahrung der Aufteilung der Steuerhoheit … sicherzustellen“.76 Damit hat der BFH wieder Rechtssicherheit geschaffen, nachdem die ‚Hornbach‘-Entscheidung des EuGH mehr Fragen als Antworten hinterlassen hat. Dass die Inter­ pretation der Formulierungen im EuGH-Urteil durch den BFH in der Fachliteratur nicht unumstritten ist, liegt in der Natur der Sache.77 Es ist zu erwarten, dass der BFH in künftigen Urteilen präzisiert, woran zu messen ist, wie tief in den Territorialitätsgrundsatz eingegriffen wird und inwieweit dies zulässig ist oder nicht.

75 BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl 2019 II S. 394 (dort Rz. 33). Bestätigt durch Urteile v. 27.2.2019 – I R 51/17, DB 2019, 1999 und v. 27.2.2019 – I R 81/17, IStR 2019, 791. Gl.A. zur gebotenen Einzelfallabwägung Graw, DB 2018, 2655 (2657); Rasch/Chwalek/Bühl, ISR 2018, 275 (279); Schreiber/Greil, DB 2018, 2527 (2534). 76 Vgl. EuGH v. 31.5.2018 – Rs. C-382/16, IStR 2018, 461 (dort Rz. 44–47). 77 Vgl. Wacker, FR 2019, 449; ders. in FS Lehner, Köln 2019, 247; Rasch, ISR 2019, 409; Gosch, DStR 2019, 2441; Kraft/Hohage, FR 2019, 1115; Maetz, IStR 2019, 481; Stein/Schwarz, Ubg 2019, 403–409; Gebel, DStR 2019, 1896; Kahlenberg/Kempelmann, DB 2019, 1752; Schrall/ Steiner/Ullmann, Ubg 2019, 212; Heinsen/Adrian, WPg 2019, 854; Ungemach, DStZ 2019, 581; Moritz, DB 2019, 2323.

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b) Drittstaatenkonstellationen In der Fachliteratur wurde diskutiert, ob die Hornbach-Entscheidung auch in Drittstaatenfällen anwendbar ist, um die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) zu schützen. Der BFH hat im Urteil vom 27.2.2019 hierzu jedoch entschieden, dass die grundsätzlich auch im Verkehr mit Drittstaaten geschützte Kapitalverkehrsfreiheit (Art.  63 AEUV) wegen der sog. Standstill-Klausel des Art. 64 Abs. 1 AEUV) auf die Rechtsfolgen des § 1 Abs. 1 AStG nicht anwendbar sei. Die Standstill-Klausel sei in den Anwendungsfällen des §  1 Abs.  1 AStG einschlägig, weil diese Vorschrift bereits am 31. Dezember 1993 bestanden habe und in ihrem Kern unverändert geblieben sei.

V. Fazit und Ausblick 1) Würde das EuGH-Urteil ‚Hornbach‘ lediglich darauf abzielen, eigenkapitalersetzende Maßnahmen78 aus den – einer steuerlichen Korrektur i.S. des § 1 AStG zugänglichen – Geschäftsbeziehungen auszuschließen, wäre dies sinnvoll und akzeptabel. Bei der Zufuhr von Eigenkapital bzw. bei einer funktional gleichwertigen Finanzierungsmaßnahme wird nämlich die Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den EU-Mitgliedstaaten nicht tangiert.79 Auch nach der BFH-Rspr. sind eigenkapitalersetzende Maßnahmen nicht als Geschäftsbeziehung zu qualifizieren, weil sie einem Fremdvergleich nur schwerlich zugänglich sind.80 2) Es sprechen jedoch zahlreiche Gesichtspunkte dafür, dass der EuGH nicht nur eigenkapitalersetzende Maßnahmen, sondern auch marktunübliche Preisgestaltungen zwischen verbundenen Unternehmen einer steuerlichen Korrektur entziehen will. Der EuGH fordert nämlich, dass dem Stpfl. der Nachweis ermöglicht werden müsse, dass seine marktunüblichen Preise durch wirtschaftliche Gründe verursacht sind. Hierbei dürften gesellschaftsrechtliche Gründe – in diesem Zusammenhang rekurriert der EuGH sogar auf die Interessen am geschäftlichen Erfolg einer TG sowie auf das Gewinnausschüttungsinteresse eines Gesellschafters, die immer gegeben sind – nicht ausgeschlossen werden. Die Folge wäre, dass Serviceleistun78 Hinweis in diesem Kontext auf das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) v. 23.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026). Das Rechtsinstitut des eigenkapitalersetzenden Darlehens wurde abgeschafft. Die Behandlung von Gesellschafterdarlehen findet sich nunmehr in der InsO wieder. 79 So auch Ditz/Quilitzsch, DB 2018, 2009 (2012) und Eisendle, ISR 2018, 284 (287). Ebenso Beiser, DStZ 2019, 37 (dort Tz VI), wonach über unentgeltliche Garantie- u. Patronatserklärungen der deutschen Mutter keine Gewinne verlagert werden. Gegenstand der Ertragsteuern sei lediglich die durch einen Leistungsaustausch am Markt realisierte Leistungsfähigkeit. 80 BFH v. 30.5.1990 – I R 97/88, DB 1990, 2000; v. 29.11.2000 – I R 85/99, DB 2001, 903; v. 27.8.2008 – I R 28/07, BFH/NV 2009, 123; v. 29.4.2009 – I R 26/08, BFH/NV 2009, 1648; v. 25.6.2014 – I R 88/12, BFH/NV 2015, 57 (gegen FG Schleswig-Holstein, Urt. v. 29.11.2012 – 1 K 118/07, EFG 2013, 279).

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gen, Finanzierungen, Lizenzierungen und Betriebsverlagerungen ins EU-Ausland unentgeltlich bzw. verbilligt erfolgen können. Auch bei Warenlieferungen könnte der deutsche Fiskus leer ausgehen, weil diese zum Teilwert (so die Regelung im EStG) anstatt zum Fremdpreis erfolgen dürften. Ob der EuGH tatsächlich so weit gehen will, ist dem nebulösen ‚Hornbach‘-Urteil nicht zu entnehmen. Aufhorchen lässt, dass sich der EuGH mit der Argumentation des Generalanwalts Bobek, dass durch die steuerliche Anerkennung von gesellschaftsrechtlichen Gründen der Fremdvergleichsgrundsatz und damit letztlich die Besteuerungshoheit ausgehöhlt werde, mit keiner Silbe befasst hat. 3) Das ‚Hornbach‘-Urteil betrifft vordergründig nur Transaktionen (hier: Patronatserklärungen) einer Muttergesellschaft mit ausländischen Tochtergesellschaften. Wenn die Schleusen jedoch einmal geöffnet und gesellschaftsrechtliche Gründe als Rechtfertigung für marktunübliche Preise herangezogen werden dürfen, stellt sich die Frage, warum dies dann nicht auch für Transaktionen zwischen Schwestergesellschaften und für Transaktionen von Tochtergesellschaften mit ihren Muttergesellschaften gelten soll. Auch hier besteht ein Interesse am geschäftlichen Erfolg anderer Konzerngesellschaften bzw. des Gesamtkonzerns, an dem zwar nicht durch Gewinnausschüttungen, aber durch Synergieeffekte (z.B. Zwang, Dienstleistungen u. Waren gruppenintern einzukaufen) und einen besseren Zugang zu Finanzmitteln partizipiert werden kann. 4) Hinzu kommt, dass die in § 1 (3) Satz 4 AStG verankerte Pflicht zur Korrektur auf den Median einer Preisbandbreite in den Augen des EuGH wohl gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt und somit unionsrechtswidrig ist.81 Demnach wäre es steuerlich nicht zu beanstanden, wenn ein Unternehmen zum Nachteil des deutschen Fiskus für alle Exporte von Waren und Dienstleistungen an verbundene Unternehmen im EU-Ausland den niedrigsten Wert und für alle Importe den höchsten Wert einer Preisbandbreite vereinbaren würde. Ob grenzüberschreitende Karusselgeschäfte als Gestaltungsmissbrauch anzusehen wären, ist ­ungeklärt. Möglicherweise will der EuGH einen gemeinsamen EU-Haushalt ansteuern. Dies mag erstrebenswert sein, darf in einem demokratischen System aber nicht vom EuGH, sondern nur durch freie Wahlen herbeigeführt werden. Auch der frühere Verfassungsrichter Prof. Dr. Paul Kirchhof mahnt, dass die der EU zugewiesenen Kompetenzen nicht durch richterliche Vertragsausdehnung erweitert werden dürfen. In ungewöhnlich deutlicher Form kritisiert er, dass der EuGH den EU-Vertrag „stetig zur Stärkung der Unionsorgane ausgedehnt“ und „die Grundrechte nicht nur zur Machtbegrenzung, sondern auch zur Machtbegründung der Union eingesetzt habe.“ Der EuGH verstehe „sich als Motor der Integration, der die Kompetenzen und Finanzmacht der Union mehren“ solle. Eine Rückkehr zum Recht sei geboten.82 81 So bereits das ‚SGI‘-Urt. des EuGH v. 21.1.2010 – C-311/08, BFH/NV 2010, 571 und nunmehr auch das ‚Hornbach‘-Urt. v. 31.5.2018, IStR 2018, 461. 82 Vgl. Interview mit Kirchhof, RHEINISCHE POST v. 27.5.2020, Wirtschaft B3. Kritisch zur Ausweitung der EU-Rechte durch den EuGH und einem möglichen Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland auch der Ökonom und frühere Chef des Ifo-Instituts Sinn in

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5) Nach all dem ist offenkundig, dass die ‚Hornbach-Entscheidung von größter fiskalischer Bedeutung ist und einen tiefen Einschnitt in die deutsche Besteuerungshoheit bewirkt. Wegen dieser fundamentalen Bedeutung für das Steueraufkommen und für das deutsche Außensteuerrecht ist das Urteil in der Literatur auf ein großes Echo gestoßen.83 6) Der BFH hat mit seinen Urteilen vom 27.2.2019 die Formulierungen des ‚Hornbach‘-Urteils so ausgelegt, dass die Intention der EU-Mitgliedstaaten, die Besteuerungsrechte nach dem Fremdvergleichsgrundsatz aufzuteilen, respektiert wird. So sollen lt. BFH gesellschaftsrechtliche Gründe keineswegs immer jedwede marktunübliche Preisgestaltung rechtfertigen können. Vielmehr müsse in jedem Einzelfall das Interesse der Unternehmen an der Gleichbehandlung von Inlands- u. Auslandssachverhalten (= diskriminierungsfreie Besteuerung in der EU) gegen das Interesse der EU-Mitgliedstaaten an der Verhinderung von Gewinnverlagerungen ins Ausland (= Wahrung der Besteuerungshoheit der EU-Mitgliedstaaten) sorgfältig gegeneinander abgewogen werden.84 Damit hat der BFH dem Gesetzgeber vorerst etwas Luft verschafft. Unumstritten ist die Auslegung des BFH indessen nicht. So merkt Kraft zur BFH-Rechtsprechung v. 27.2.2019 süffisant an, dass außer Frage stehen dürfte, dass der BFH „weit mehr getan“ habe, als die Grundsätze des ‚Hornbach‘-Urteils zu exemplifizieren. Wenn man die Auslegung durch den BFH als Weiterentwicklung der EuGH-Rechtsprechung bezeichne, sei diese Formulierung „noch zurückhaltend gewählt.“ 85 Ein ehemaliger BFH-Richter ruft sogar dazu auf, „ein beherztes FG“ anzusteuern, das „den EuGH auffordert“, im Nachgang zur Rechtssache ‚Hornbach‘ sein Verständnis der wirtschaftlichen Gründe aufzufächern und den strengen Fremdvergleichsgrundsatz im Konzern zu relativieren.86 Hierdurch soll letztlich bezweckt Handelsblatt v. 22./23./24.5 2020, S. 64: Europa ist „eine Rechtsgemeinschaft, die nicht durch eine ausufernde Rechtsprechung des EuGH … weiterentwickelt werden kann, sondern nur durch die souveränen Staaten selbst.“ 83 Vgl. u.a. Wacker, FR 2019, 449; Schreiber/Greil, DB 2018, 2527; Rasch/Chwalek/Bühl, ISR 2018, 275; Jacobsen/Schwechel, DStR 2018, S. 2563 (Teil I) u. S. 2716 (Teil II); Eisendle, ISR 2018, 284; Schwenke, DB 2018, 2329; Gosch, DStR 2019, 2441; Graw, DB 2018, 2655; Ditz/ Quilitzsch, DB 2018, 2009; Uterhark/Nagler/ u. Schnitger und Mitschke in IStR 2018, 461 ff.; Greil u. Gebhardt u. Trossen, Ubg 2018, 407 ff.; Schönfeld/Kahlenberg, IStR 2018, 498; Glahe, DStR 2018, 1535; Cloer/Hagemann, DStR 2018, 1226; Bühl/Retzer, IWB 2018, 562; Kraft, NWB Nr. 40/2018, 2930; Kunert/Eberhardt, StuB 2018, 622; Wilke, PIStB 2018, 240; Hoffmann, IStR 2019, 580. 84 BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl 2019 II S. 394 (dort Rz 33). Bestätigt durch Urteile v. 27.2.2019 – I R 51/17, DB 2019, 1999 und v. 27.2.2019 – I R 81/17, IStR 2019, 791.  85 Vgl. Kraft, Ubg 2019, 605 (610). 86 Vgl. Gosch, DStR 2019, 2441 (2449). Kritisch auch der BFH-Richter a.D. Moritz, DB 2019, 2323, weil der BFH im Urteil v. 27.2.2019 (I R 51/17) zu stark auf die Darlehensbesicherung abgestellt u. andere Gesichtspunkte (Bonität, Rating, strategische Bedeutung des Kreditnehmers für eine Unternehmensgruppe etc.) vernachlässigt habe. Zudem würden Darlehen mit kurzfristigen Laufzeiten nicht selten ohne Besicherung ausgereicht.

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werden, das konzernübliche als fremdüblich zu betrachten und damit den Fremdvergleichsgrundsatz als Instrument für die Aufteilung der Besteuerungshoheit weiter auszuhöhlen. 7) Dass die Ungleichbehandlung von Inlands- u. Auslandssachverhalten die Fachwelt u. Gerichte noch lange beschäftigen wird, ist offenkundig, nachdem nunmehr gegen das oben unter IV.2 dargestellte BFH-Urteil v. 27.2.201987 Verfassungsbeschwerde erhoben wurde (Az. beim BVerfG: 2 BvR 1161/19). Diese Beschwerde wurde damit begründet, dass – ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG vorliege. Teilwertabschreibungen auf Darlehen zwischen nahestehenden Personen könnten bis 2007 in grenzüberschreitenden Fällen nach §  1 AStG neutralisiert werden, in Inlandsfällen hingegen nicht; – die EU-Konformität des § 1 AStG nicht so offenkundig zu bejahen sei, dass ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH unterbleiben durfte. Somit sei die Steuerpflichtige (= Beschwerdeführerin) in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt worden. 8) Der Gesetzgeber steht mehr denn je vor der Frage, ob er die bislang bestehenden Ungleichbehandlungen von Inlands- und Auslandssachverhalten beendet und dadurch seine Besteuerungshoheit, die nach dem EuGH-Urteil ‚Hornbach‘ nicht mehr gewährleistet ist, wieder herstellt. Überlegungen über entsprechende gesetzliche Änderungen sind schon im Vorfeld auf Kritik gestoßen, weil eine Gleichbehandlung zwar einerseits Vereinfachungseffekte, andererseits aber auch weitere Verkomplizierungen im Steuerrecht nach sich ziehen würden.88 Jedoch wenden auch andere EU-Staaten (z.B. Niederlande) den Fremdvergleich und die Mediankorrektur gleichermaßen in Inlandsfällen wie auch in Auslandsfällen an und haben sich dadurch  – mangels Diskriminierung von Auslandssachverhalten – ihre Besteuerungshoheit bereits gesichert. Nach all dem ist der von Kroppen/Rehfeld schon im Jahr 2002 aufgestellte Befund aktueller denn je89: „Es ist an der Zeit, das gesamte System der … Korrekturvorschriften im Lichte des Europarechts zu prüfen, zu vereinheitlichen und zu systematisieren. Ansonsten läuft die Bundesrepublik Deutschland Gefahr, dass steuerliche Korrekturen … mit dem Makel der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit behaftet sind“ und deshalb nicht durchgeführt werden dürfen.

87 I R 73/16, BStBl 2019 II S. 394. 88 So Ditz/Quilitzsch, DB 2018, 2009 (2013) u. Kunert/Eberhardt, StuB 2018, 622 (627) u. Gebhardt, Ubg 2018, 409. 89 IWB Nr. 23 v. 11.12.2002, F. 11a S. 617.

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Erste Erfahrungen mit den Regelungen zum Authorized OECD-Approach (AOA)1 Inhaltsübersicht Vorwort I. Einleitung II. Der AOA und seine nationale Umsetzung in Deutschland 1. Entwicklung des AOA 2. Grundzüge des AOA 3. Umsetzung des AOA in Deutschland 4. Grundzüge des § 1 Abs. 5 AStG 5. BsGaV und VWG BsGa I II. Kritik am AOA 1. Zurechnung von Gewinnen/Verlusten ohne Gewinn- oder Verlustrealisation im Außenverhältnis 2. Keine internationale Akzeptanz 3. Einkünftekorrekturen zu Gunsten des deutschen Fiskus IV. Internationale Umsetzung des AOA 1. OECD-Mitgliedstaaten 2. UN-Mitgliedstaaten

V. Erfahrungen der letzten Jahre 1. Keine besonderen Vorkommnisse 2. Personallose Betriebsstätte 3. Bankbetriebsstätten a) Internationale Einordnung b) Dotationskapital 4. Versicherungsbetriebsstätten a) Internationale Einordnung b) Hauptbevollmächtigter c) Schwankungsrückstellungen 5. Bau- und Montagebetriebsstätten a) Internationale Einordnung b) Bau- und Montagebetriebsstätten als widerlegbare fiktive Routinedienstleister c) Bestimmung der Kostenbasis für die kostenbasierte Verrechnungs­ preismethode VI. Fazit

Vorwort Herr Professor Dr. Kroppen und ich haben uns über die Verständigungs- und Schiedsverfahren kennengelernt, die 2004 vom Bundesministerium der Finanzen in Berlin an das Bundeszentralamt für Steuern in Bonn delegiert worden sind. Das zuständige Referat im BZSt war noch sehr klein, so dass sämtliche Fälle über meinen Tisch liefen, d.h. auch alle Verrechnungspreisfälle, für die Herr Professor Dr. Kroppen beratend tätig war. So trafen wir uns recht häufig zu Vor- und Zwischenbesprechungen über die anhängigen Fälle, die für das Verständnis der Branche, des Geschäftsablaufs und der Funktionen und Risiken eines multinationalen Konzerns so wichtig sind. Wir haben damals intensive und kontroverse Diskussionen in einer stets angenehmen und offenen Atmosphäre geführt. Hierbei ist insbesondere der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses wichtig, da solche Vor- und Zwischengespräche seitens der Berater nicht nur mit der deutschen zuständigen Behörde, sondern auch mit der aus1 Dieser Beitrag gibt die Auffassung der Autorin wieder und nicht notwendigerweise die der Finanzverwaltung.

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ländischen geführt werden. Beide zuständigen Behörden müssen auf demselben Informationsstand sein, keiner Seite dürfen wichtige Details für die bilaterale Verständigungsverhandlung fehlen, um einen Fall erfolgreich abschließen zu können. Herr Professor Dr. Kroppen hat diesen Balanceakt mit hervorragendem nationalen und internationalen Fachwissen, mit dem notwendigen diplomatischen Geschick, mit großer Beharrlichkeit und Geduld sowie mit Originalität und Einfallsreichtum geschafft. In meiner Zeit, in der ich für die Verständigungsverfahren/Schiedsverfahren und APAs zunächst beim BMF und dann beim BZSt zuständig war (2003–2008), haben wir so eine Anzahl an Verständigungsverfahren und APAs erfolgreich beendet. Keines der europäischen Verfahren endete in einem Schiedsverfahren. Herr Professor Dr. Kroppen hat damals zudem mit dafür geworben, im Falle von Doppelbesteuerungen Anträge auf diese Verfahren beim BZSt zu stellen. So ist durch das Bekanntwerden der erfolgreichen Beendigung der geführten Verfahren die anfängliche Skepsis über deren Effizienz mittlerweile verflogen. Deutschland ist damit seit einigen Jahren in der OECD das Land, das die meisten Verständigungsverfahrensfälle führt und beendet.2 Bei den bilateralen APA, hierfür sind nur Statistiken der EU einsehbar, führt Deutschland die Tabelle der EU-MS an.3 Deutschland ist damit international eines der führenden Länder in der Verhinderung der Doppelbesteuerung von deutschen multinationalen Konzernen sowie von ausländischen Konzernen, die in Deutschland investieren. Diese für den deutschen Investitionsstandort so wichtige Leistung ist nicht ohne das im BZSt notwendige im DBA-Recht und vor allen Dingen in den Verrechnungspreisen und dem Unternehmensbewertungsrecht und der verhandlungssicheren englischen Sprache ausgebildete Personal zu erreichen. Herr Professor Dr. Kroppen hat sich zu meiner Zeit und auch bis heute in vielen Gesprächen mit dem BMF für die notwendige und vor allen Dingen auch konstante Personalausstattung im BZSt eingesetzt. Gerade auch hierfür bin ich ihm besonders dankbar. Ich wünsche Herrn Professor Dr. Kroppen alles Gute zu seinem 60. Geburtstag.

I. Einleitung Zur Beseitigung internationaler Auslegungsunterschiede bei der Betriebsstättenbesteuerung hat die OECD 2010 den Authorized OECD-Approach (AOA, siehe auch den OECD-Betriebsstättenbericht 20084 ) in Artikel 7 Abs. 2 des OECD-Musterabkommens (OECD-MA) 2010 umgesetzt. Er sieht die nahezu vollständige Verselbständigung der Betriebsstätte für steuerliche Zwecke vor und damit die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes für jegliche „Liefer- oder Leistungsbeziehungen“ 2 https://www.oecd.org/tax/dispute/mutual-agreement-procedure-statistics-2018-per-juris​ diction-inventory.htm. 3 https://ec.europa.eu/taxation_customs/sites/taxation/files/apa-and-map-2019-3.pdf. 4 Report on the attribution of profits to permanent establishments, 17 July 2008, https://www. oecd.org/ctp/transfer-pricing/41031455.pdf.

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innerhalb eines Unternehmens, d.h. in der Terminologie der Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung (BsGaV)5, zwischen einem übrigen Unternehmen und seiner Betriebsstätte. 2013 wurde der AOA mit Wirkung für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2012 beginnen, in Deutschland in nationales Recht (§ 1 Abs. 5 AStG), umgesetzt. Dem folgten die BsGaV vom 13. Oktober 2014 sowie für die Finanzverwaltung bindend die Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung (VWG BsGa) vom 22.12.20166. Die Anwendung der AOA-Regelungen ist demnach bereits seit knapp sieben Jahren in Deutschland zu befolgen und wird von der deutschen Betriebsprüfung geprüft. Allerdings steht sie unter dem Vorbehalt der Geltung des AOA in anderen Staaten, entweder aufgrund nationalen Rechts und/oder aufgrund der DBA und deren Auslegung entsprechend dem AOA. Fehlt es an einer solchen Geltung (vor allem bei OECD-Nichtmitgliedstaaten (OECD-NMS)), sind gem. § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG die (im Großen und Ganzen alten) DBA-Regelungen in der Auslegung durch die alten Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze (der s.g. Weihnachtserlass)7 zu beachten. Nach einem Überblick wird im Folgenden untersucht, inwieweit sich die AOA- Regeln inzwischen international durchgesetzt haben und von welchen ersten Erfahrungen bei der Anwendung des AOA international sowie in Deutschland berichtet wird.

II. Der AOA und seine nationale Umsetzung in Deutschland 1. Entwicklung des AOA Die OECD hat 2008 ihren Bericht über einen geänderten Ansatz zur Betriebsstättengewinnaufteilung veröffentlicht (Authorized OECD-Approach, AOA). Hintergrund des Berichtes war die Feststellung, dass OECD- Mitgliedstaaten (OECD-MS) und auch OECD-NMS unterschiedliche Konzepte der Betriebsstättengewinnaufteilung auf Grundlage des seit dem OECD-MA 2000 geltenden Art. 7 anwendeten. Nach Art. 7 Abs. 1 OECD-MA werden Unternehmensgewinne grundsätzlich in dem Staat besteuert, in dem dieses ansässig ist, es sei denn das Unternehmen unterhält in einem anderen Staat eine Betriebsstätte. In diesem Fall darf der andere Staat die Betriebsstättengewinne besteuern, aber nur insoweit, als die Gewinne dieser Betriebsstätte zugerechnet werden können. Ergänzend lautete Art.  7 Abs.  2 OECD-MA grundsätzlich seit dem Jahr 2000: Übt ein Unternehmen eines Vertragsstaats seine Geschäftstätigkeit im anderen Vertragsstaat durch eine dort gelegene Betriebstätte aus, so werden vorbehaltlich des Absatzes 3 in jedem Vertragsstaat dieser Betriebstätte die Gewinne zugerechnet, die sie hätte erzielen können, wenn sie eine gleiche oder ähnliche Geschäftstätigkeit unter gleichen oder ähnlichen Bedin5 BGBl I 2014, S. 1603. 6 BStBl I 2017, S. 182. 7 Schreiben betr. Grundsätze der Verwaltung für die Prüfung der Aufteilung der Einkünfte bei Betriebsstätten international tätiger Unternehmen (Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze) v. 24.12.1999, BStBl. I S. 1076, mit weiteren Änderungen (s.g. Weihnachtserlass).

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Katharina Becker gungen als selbständiges Unternehmen ausgeübt hätte und im Verkehr mit dem Unternehmen, dessen Betriebstätte sie ist, völlig unabhängig gewesen wäre.

Da Abs.  3 des OECD-MA (in der Fassung vor 2010) Abs.  2 relativiert hat, indem Aufwandsverrechnungen für Geschäftsführungs- und Verwaltungsaufwendungen zugelassen wurden, wurde der in Abs. 2 geforderte Fremdvergleichsgrundsatz in einigen OECD-MS und OECD-NMS, auch Deutschland,8 lediglich eingeschränkt angewendet (s.g. Relevant Business Approach). Diese Staaten sahen das Unternehmen und seine Betriebsstätte als eine Einheit an, dessen Gesamtgewinn aufzuteilen war (siehe auch Art. 7 Abs. 4 OECD-MA in der Fassung vor 2010). Folglich wurde bei diesen Staaten der Fremdvergleichsgrundsatz größtenteils auf Warenbewegungen angewendet, während Nutzungsüberlassungen und/oder Dienstleistungen auf Kostenbasis verrechnet wurden (in Deutschland nach dem Veranlassungsprinzip). Denn Warenbewegungen zwischen einem Unternehmen und seiner Betriebsstätte führen aufgrund der Weiterveräußerung an Dritte zu (externen) Gewinn- oder Verlustrealisierungen, während nach dem Fremdvergleichsgrundsatz abgerechnete Nutzungsüberlassungen oder Dienstleistungen zu unternehmensinternen Gewinnen oder Verlusten führen, die sich nicht bzw. allenfalls nur langfristig (durch Abschreibungen, sonstige Aufwendungen, sonstige Erlöse) wieder ausgleichen. Im Jahr 2008 wurde der Relevant Business Approach von der Mehrheit der OECDMS nicht mehr unterstützt. Sie verständigten sich in ihrem Betriebsstätten-Bericht auf den „Functionally Separate Entity Approach“ (Authorized OECD-Approach=​ AOA), d.h. auf die Selbständigkeitsfiktion einer Betriebsstätte in sämtlichen Transaktionen mit dem übrigen Unternehmen und auf die grundsätzliche Geltung des Fremdvergleichsgrundsatzes bei diesen Dealings. Die Vorteile dieses Ansatzes lagen auf der Hand: – Vereinheitlichung von Art. 7 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 1 OECD-MA; – Erleichterung der Gewinnermittlung für den Quellenstaat, da dieser nicht die Aufteilung des Gesamtgewinns des ausländischen Unternehmens nachvollziehen muss, sondern nun den Gewinn der Betriebsstätte autonom bestimmt; – Verhinderung von Doppel- und Nichtbesteuerung durch die unterschiedliche Interpretation von Art. 7 OECD-MA in der Fassung vor 2010; – Verhinderung von Steuergestaltungen durch die rechtliche Ausgestaltung der Auslandsinvestition. Als Folge des OECD-Berichts von 2008 unternahm die OECD folgende Schritte: – Überarbeitung des Kommentars zum OECD-MA 2008 mit weitestgehender AOA-Angleichung unter Beibehaltung der Fassung des Art. 7 OECD-MA aus dem Jahr 2000; 8 Schreiben betr. Grundsätze der Verwaltung für die Prüfung der Aufteilung der Einkünfte bei Betriebsstätten international tätiger Unternehmen (Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze) v. 24.12.1999, BStBl. I S. 1076, mit weiteren Änderungen.

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– Vollständige Umsetzung des AOA durch Neukonzeption der Art.  7 Abs.  2 und Abs. 3 OECD-MA 2010 sowie seines Kommentars; – Veröffentlichung des lediglich redaktionell geänderten OECD-Betriebsstättenberichts 2008 im Jahr 2010 (OECD-Betriebsstättenbericht 2010), mit angepassten Verweisen auf die neuen Art. 7 Abs. 2, 3 OECD-MA.9 Art. 7 Abs. 2 und 3 lauten seit 2010 wie folgt: Abs. 2 Bei der Anwendung dieses Artikels sowie von Artikel 23 A, 23 B sind die Gewinne, die der in Absatz 1 genannten Betriebstätte in jedem Vertragsstaat zuzurechnen sind, die Gewinne, die sie hätte erzielen können, insbesondere im Verkehr mit anderen Teilen des Unternehmens, dessen Betriebstätte sie ist, wenn sie als selbstständiges und unabhängiges Unternehmen eine gleiche oder ähnliche Geschäftstätigkeit unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen ausgeübt hätte; dabei sind die vom Unternehmen durch die Betriebstätte und durch andere Unternehmensteile ausgeübten Funktionen, eingesetzten Wirtschaftsgüter und übernommenen Risiken zu berücksichtigen. Abs. 3 Ändert ein Vertragsstaat die einer Betriebsstätte eines Unternehmens eines Vertragsstaates zuzurechnenden Gewinne in Übereinstimmung mit Absatz 2 und besteuert er dementsprechend Gewinne des Unternehmens, die bereits im anderen Staat besteuert worden sind, so nimmt der andere Staat eine entsprechende Änderung der von diesen Gewinnen erhobenen Steuer vor, soweit dies zur Beseitigung einer Doppelbesteuerung erforderlich ist. Bei dieser Änderung werden die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten einander erforderlichenfalls konsultieren.

Die Absätze drei bis sechs (alt) wurden gestrichen. 2. Grundzüge des AOA Die Entwicklung des AOA basiert auf der Entscheidung der OECD, einer Betriebsstätte die Gewinne bzw. Verluste zuzurechnen, die sie als selbständiges Unternehmen unter Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes erzielt hätte. Eine der wichtigen Konsequenzen daraus ist die, dass eine Betriebsstätte Gewinne oder Verluste erzielen kann, unabhängig davon, ob im Gesamtunternehmen eine Gewinn- oder Verlustrealisation erfolgt. Eine Aufteilung des Gesamtgewinns bzw. -verlusts, wie ihn der Relevant Business Approach fordert, findet nicht mehr statt. Allerdings soll langfristig das Ergebnis des AOA nicht von dem Ansatz des Relevant Business Approaches abweichen. Notwendig für die Anwendung des AOA ist die Gewinnaufteilung in zwei Schritten: Schritt 1 (Gewinnabgrenzung dem Grunde nach): Der Betriebsstätte werden Wirtschaftsgüter, Risiken und (Dotations-)kapital (assets, risks and capital) auf der Grundlage von Personalfunktionen (people functions) zugeordnet. Diese Zuordnung aufgrund der Personalfunktionen ist erforderlich, da einer Betriebsstätte rein rechtlich 9 2010 Report On The Attribution Of Profits To Permanent Establishments, https://www.oecd. org/ctp/transfer-pricing/45689524.pdf.

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keine Wirtschaftsgüter, keine Risiken und auch kein Kapital zugeordnet werden können. Die Personalfunktionen bilden damit die Verbindung zu den OECD-Verrechnungspreisleitlinien und bilden die Grundlage für die nach den OECD-Verrechnungspreisleitlinien zu erfolgende Vergleichbarkeitsanalyse.10 Schritt 2 (Gewinnabgrenzung der Höhe nach): Der Gewinn/Verlust der Betriebsstätte wird auf Basis von fiktiven Transaktionen (dealings) zwischen den Unternehmensteilen unter analoger Anwendung der OECD-Verrechnungspreisleitlinien berechnet. Dies gilt entsprechend für Transaktionen zwischen der Betriebsstätte und verbundenen Unternehmen. Der finale Betriebsstättenbericht aus 2010 enthält in Teil I allgemeine Ausführungen zur Auslegung des Art. 7 OECD-MA und erörtert in Teil II und IV Besonderheiten der Betriebsstätten von Banken und Versicherungsunternehmen. Teil III befasst sich mit den Besonderheiten der Gewinnabgrenzung beim grenzüberschreitenden Handel mit Finanzinstrumenten (Global Trading). 3. Umsetzung des AOA in Deutschland Bis zum Jahr 2006 gab es in Deutschland mit Ausnahme der spärlichen Regelungen in § 4 Abs. 4 und § 50 Abs. 1 S. 1 EStG keine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für die Gewinnaufteilung zwischen einem Unternehmen und seiner Betriebsstätte. Insbesondere fehlten gänzlich Vorschriften für die Zuordnung von Wirtschaftsgütern und Kapital. Für die Überführung von Wirtschaftsgütern galt die vom BFH ent­ wickelte „Theorie der finalen Entnahme“. Danach ist die Überführung eines Wirtschaftsguts in die in einem anderen Vertragsstaat belegene Betriebsstätte fiktiv wie eine Entnahme aus dem Betriebsvermögen i.S. von § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG behandelt worden, die zur Aufdeckung der stillen Reserven führte. Die Steuerverwaltung richtete sich zudem nach dem s.g. „Weihnachtserlass“11, nach dem Nutzungen und Leistungen auf Kostenbasis abzurechnen waren. 2006 wurde mit dem SEStEG12 eine gesetzliche Regelung für die finale Entnahme g­ eschaffen, indem die §§  4 Abs.  1, 6 Abs.  1 Nr.  4 EStG und §  12 Abs.  1 KStG um ­spezielle Entstrickungsvorschriften erweitert wurden. Die Entstrickungsvorschriften wurden durch die Einführung des § 4g EStG abgemildert. Diese Vorschrift ermöglicht es, die steuerlichen Folgen der sofortigen Versteuerung der nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG aufgedeckten stillen Reserven durch eine Verteilung auf fünf Jahre zu verhindern und damit eine europarechtskonforme Entstrickungsbesteuerung zu gewährleisten. Allerdings gab der BFH bereits 2008 seine Theorie der finalen Entnahme mit der Begründung auf, dass das Wirtschaftsgut vor wie nach Überführung in die Auslandsbetriebsstätte Bestandteil des Betriebsvermögens des Unternehmens bleibe. Aus Abkommenssicht büße der abgebende Vertragsstaat sein 10 Siehe OECD Verrechnungspreisleitlinien 2017, Kapitel I, Tz 1.36–1.41 sowie Kapitel III. 11 Siehe Fn. 7. 12 Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG), v. 7.12.2006 (BGBl. I 2006, 2782; BStBl. I 2007, 4).

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Besteuerungsrecht an dem überführten Wirtschaftsgut nicht ein. Ihm bleibe der Zugriff auf die stillen Reserven, die bis zum Überführungsstichtag in seinem Territo­ rium aufgelaufen seien, uneingeschränkt erhalten. Insofern stehen die §§  4 Abs.  1 Sätze 3 und 4 EStG und 12 Abs. 1 KStG nunmehr in der Kritik. Denn das Gesetz begründet den Besteuerungszugriff mit dem „Ausschluss“ oder der „Beschränkung“ des Besteuerungsrechts Deutschlands. Gerade ein „Ausschluss“ oder eine „Beschränkung“ liegen nach Auffassung des BFH nicht vor. Deutschland würde abkommensrechtlich zugestanden, seinen Anspruch auf Teilhabe an den im Inland erwirtschafteten stillen Reserven nachträglich zu erfassen.13 Nachdem sich die OECD 2008 auf den AOA geeinigt hatte, fehlte es in Deutschland an einer steuerbegründenden Regelung für Nutzungs- und Leistungsbeziehungen zwischen einem Unternehmen und seiner Betriebsstätte. Diese Regelungslücke wurde 2013 durch die Einfügung von § 1 Abs. 4–6 AStG geschlossen.14 2014 folgte die BsGaV und 2016 die VWG BsGa. 2013 wurde die Neufassung von Art. 7 OECD-MA 2010 in die deutsche Verhandlungsgrundlage15 aufgenommen. Damit setzte sich Deutschland zum Ziel, bei zukünftigen Verhandlungen über bestehende DBA die Änderung von Art.  7 zu verfolgen bzw. bei neuen DBA die Einfügung des Art.  7 OECD-MA 2010 vorzuschlagen. 4. Grundzüge des § 1 Abs. 5 AStG § 1 Abs. 5 AStG beinhaltet die Grundsätze des Authorized OECD-Ansatzes: Auf anzunehmende schuldrechtliche Geschäftsbeziehungen16 zwischen einem Unternehmen und seiner Betriebsstätte wird der Fremdvergleichsgrundsatz angewendet. Weichen die vereinbarten Bedingungen solcher Geschäftsbeziehung von denen ab, die voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder vergleichbaren Umständen vereinbart hätten, ist eine dem Fremdvergleich entsprechende Einkünftekorrektur vorzunehmen.17 §  1 Abs.  5 AStG ist damit eine Korrektur- und keine Gewinnermittlungsvorschrift für Betriebsstätten. Entsprechend den OECD-Vereinbarungen (Art. 7 Abs. 3 OECD-MA wie auch in Art. 9 Abs. 1 OECD-MA für verbundene Unternehmen) erfolgt eine solche Korrektur aus Konsistenzgründen regelmäßig nur im Falle einer Gewinnerhöhung. Dies ist der Fall, wenn inländische Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen gemindert oder ausländischen Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen erhöht werden.18 In gegenläufigen Fällen kann eine Gegenkorrektur zu Gunsten des Steuerpflichtigen vorgenommen werden, wenn ein anderer Staat eine für ihn gewinnerhöhende Korrektur vornimmt. 13 BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464, siehe auch Gosch, Betriebsstätte und AOA, ISR 2018, 411. 14 AmtshilfeRLUmsG 2013; siehe auch die anhängige Revision XI R 24/15. 15 Schreiben betr. Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen im Bereich der Steuern vom Einkommen und Vermögen v. 17.4.2013, (BMF IV B 2 – S 1301/10/10022-​ 32). 16 Siehe zu schuldrechtlichen Beziehungen § 1 Abs. 4 Nr. 2 AStG. 17 Siehe § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG. 18 Siehe § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG.

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Die Betriebsstätte wird für Zwecke der Gewinnzuordnung wie ein selbstständiger Rechtsträger behandelt.19 Hierfür werden ihr auf der Grundlage von Personalfunktionen Vermögenswerte, Chancen, Risiken und daraus abgeleitet, auch ihr Dotationskapital zugeordnet.20 Auf dieser Grundlage werden in einem zweiten Schritt die Verrechnungspreise für die Geschäftsbeziehungen (dealings) wischen dem Unternehmen und der Betriebsstätte bestimmt.21 Allerdings sind nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG die in § 1 AStG enthaltenen Korrekturen „unbeschadet anderer Vorschriften“ durchzuführen. Damit haben die der allgemeinen Entstrickungsregelungen (§  4 Abs.  1 Satz 3 EStG, § 12 Abs. 1 KStG, § 16 Abs. 3a EStG) Anwendungsvorrang. Nach § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG haben alte Abkommen Vorrang vor der Anwendung des § 1 Abs. 5 AStG, wenn der Steuerpflichtige die entsprechende Handhabung im ausländischen Staat nachweist. Denn sollte ein Staat den AOA noch nicht implementiert haben bzw. ihn nicht anwenden, käme es ansonsten zu kaum lösbaren Doppelbesteuerungen. Insofern handelt es sich bei der Vorschrift nicht um einen treaty-override, wie bisweilen geäußert wird.22 Bei der Nachweispflicht des Steuerpflichtigen handelt es sich um übliche erhöhte Mitwirkungsplichten bei Auslandssachverhalten. 5. BsGaV und VWG BsGa Die ergänzenden Regelungen der BsGaV dienen der verbindlichen technischen Umsetzung der Ziele der OECD. Dagegen sind die VWG BsGa für die Auslegung der BsGaV aus Sicht der Finanzverwaltung bestimmt. Die BsGaV enthält, anders als der AOA- Bericht 2010 der OECD, auch Regelungen zur Behandlung der Bau- und Montagebetriebsstätten sowie der Förderbetriebsstätten. Insoweit haben die diesbezüglichen Bestimmungen keine ausdrückliche OECD-Grundlage.

III. Kritik am AOA Nach der Umsetzung des AOA in Deutschland fehlte es in der deutschen Wirtschaft und Beraterschaft nicht an Kritik: 1. Zurechnung von Gewinnen/Verlusten ohne Gewinn- oder Verlustrealisation im Außenverhältnis Zentraler Kritikpunkt war, dass der AOA die Besteuerung nicht realisierter Gewinne ermöglicht.23 Dies trifft zu, denn der Betriebsstätte kann auch dann ein Gewinn/Verlust zugerechnet werden, wenn es zu keiner Gewinn- oder Verlustrealisation im Au19 Siehe § 1 Abs. 5 Satz 2 AStG. 20 Siehe § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG. 21 Siehe § 1 Abs. 5 Satz 4 AStG. 22 Siehe z.B. Schaumburg in: Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. 2017, Kapitel 21 Grundsätze internationaler Einkünftezuordnung, Tz 21Wie 23.  23 U.a. Niehaves in: Haase, AStG/DBA, 3. Aufl. 2016, Art. 7 Unternehmensgewinne (OECDMA 2010), Tz 293; Schaumburg, ISR 2013, 199.

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ßenverhältnis kommt. Die Besteuerung wird gerade nicht mehr durch den Gewinn/ Verlust des Gesamtunternehmens begrenzt. Allerdings ist es einhellige OECD-Auffassung, dass interne Gewinn- oder Verlustrealisierungen sich im Zeitablauf neutralisieren sollten.24 2. Keine internationale Akzeptanz Ein weiterer Kritikpunkt betraf die Erwartung, dass sich der AOA international nicht durchsetzen würde, da die DBA- Umsetzung, wenn überhaupt, viele Jahre dauern würde.25 Wie jedoch die Länderanalyse in Kapitel IV zeigt, wenden die meisten OECD-MS den AOA bereits national an. Es dürften sich demnach kaum Konfliktfälle ergeben, bei denen die Anwendung des AOA an einer mangelnden Umsetzung in einem DBA scheitert. Eine DBA-Umsetzung hat allerdings dann Bedeutung, wenn ein AOA-Fall vor einem deutschen Gericht anhängig würde. Mangels Rechtskraft des OECD-Kommentars zum OECD-MA bzw. aufgrund der statischen Auslegung der DBA und des OECD-Kommentars zum OECD-MA (sollte dieser zu Rate gezogen werden)26, würden deutsche Finanzgerichte die Anwendung der deutschen AOA-Regelungen nur dann anerkennen, wenn sie auch im entsprechenden DBA enthalten wären. Allerdings ist bisher noch kein nationales Gerichtsverfahren zu einem AOAFall bekannt geworden. Es sollte sich diesbezüglich die gleiche Tendenz wie bei den Verrechnungspreisfällen zwischen rechtlich selbständigen Unternehmen ergeben: Doppelbesteuerungsfälle werden eher in Verständigungs- und Schiedsverfahren gelöst als vor den nationalen Finanzgerichten. Im Rahmen der Verständigungs- und Schiedsverfahren wird ein AOA-Fall anhand des aktuellen OECD-Kommentars zu Art. 7 OECD-MA gelöst, dem die Mehrzahl der OECD-MS gem. der Länderanalyse im Kapitel IV folgen. 3. Einkünftekorrekturen zu Gunsten des deutschen Fiskus Ein weiterer Diskussionspunkt betrifft die von 1 Abs. 5 AStG erfassten Einkünftekorrekturen, die zu einer Erhöhung der inländischen Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen oder zu einer Minderung der ausländischen Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen führen. Es sei ein einseitig profiskalischer Regelungsmechanismus, der so nicht von der OECD vorgesehen sei.27 Diese Auffassung stimmt nicht mit Art. 7 Abs. 3 OECD-MA 2017, der selbst ausdrücklich von einer „Gewinnerhöhungs24 OECD-Bericht 2008, Report on the attribution of profits to permanent establishments, 17 July 2008, Tz 70, https://www.oecd.org/ctp/transfer-pricing/41031455.pdf. 25 Hentschel/Kraft/Moser, Germany − Permanent Establishment Taxation in Germany in a  Post-AOA-Implementation Era: A Primer on Exceptions and Problem Areas, Euro­ pean Taxation, 2018 (Volume 58), No. 2/3; Andresen in: Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstättengewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht, Betriebsstätten Handbuch, 2. Aufl. 2017, Rz. 4217−4221; Hemmelrath/Kepper, Die Bedeutung des „Authorized OECD Approach” (AOA) für die deutsche Abkommenspraxis, IStR 2013, 37. 26 BFH Urteil v. 11.7.2018 − I R 44/16. 27 Nientimp/Schwarz/Stein, Einkünfteermittlung nach dem AOA – Plädoyer für eine einheitliche Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes, IStR 2016, 489. 

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korrektur“ spricht und nicht mit der internationalen Absprache über die Richtung von Verrechnungspreiskorrekturen überein. Eine einseitige Korrektur zu Gunsten des Steuerpflichtigen könnte international zu Verwerfungen, d.h. zu einer möglichen Nichtbesteuerungen führen, da es für Gewinnminderungen in dem einen Staat keinen Mechanismus für eine entsprechende Gewinnerhöhung in dem anderen Staat gibt. Dies gilt im Übrigen auch für die Korrekturen gem. § 1 Abs. 1 AStG entsprechend Art. 9 Abs. 1 OECD-MA bei verbundenen Unternehmen.

IV. Internationale Umsetzung des AOA 1. OECD-Mitgliedstaaten Im Jahr 2008 hat sich die Mehrheit der OECD-MS auf den „Functionally Separate Entity Approach“ geeinigt und den OECD-Kommentar zu Art. 7 OECD-MA bereits in diesem Sinne geändert (mit Ausnahme der Überlassung von immateriellen Werten). Erst 2010 wurde Art. 7 OECD-MA geändert und sein Kommentar ergänzt. Mit Ausnahme der Staaten, die einen Vorbehalt gegen den ab 2010 geltenden Art. 7 Abs. 2 und 3 OECD-MA und seinem Kommentar eingelegt haben28 ist davon auszugehen, dass alle anderen OECD-MS den AOA anwenden.29 Folgende Positionen der einzelnen Staaten sind bekannt: Belgien: Folgt national dem AOA.30 Bulgarien: Bulgarien wendet den Fremdvergleichsgrundsatz für die Gewinn­ aufteilung zwischen einem Unternehmen und seiner ausländischen Betriebsstätte an.31 Chile: Anwendung des AOA nur im Falle eines DBA.32 Dänemark: Dänemark hat den AOA national umgesetzt.33

28 OECD-MA 2017, Tz. 95, 96, 99 und 100. 29 Siehe VwG BsGa, Tz 427, so auch die Auffassung der Niederlande und Portugal, siehe z.B. Lucia Sahin und Bart le Blanc, Netherlands − The Dutch Approach to the Attribution of Profits to Permanent Establishments, European Taxation, 2011 (Volume 51), No. 6, Abs. 4. 30 Isabel Verlinden/Jonas Van de Gucht/Bram Markey, Tax Treatment of Intra-Group-­Dealings, Belgium − Transfer Pricing − Country Tax Guides (Last Reviewed: 1 March 2019), Kapitel 10. 31 Maria Yancheva/Jean-Edouard Duvauchelle, Bulgaria − Transfer Pricing – IBFD Country Tax Guides (Last Reviewed: 15 August 2019), Kapitel 10. 32 Perla Torres Guerrero, Tax Treatment of Intra-Group-Dealings, Chile − Transfer Pricing – IBFD Country Tax Guides (Last Reviewed: 1 September 2019), Kapitel 10. 33 Kromann Reumert, Denmark − Transfer Pricing  – IBFD Country Tax Guides (Last Re­ viewed: 1 October 2019), Kapitel 10.

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Finnland: Folgt national dem AOA.34 Griechenland: Keine nationalen Regelungen bzw. Verwaltungsanweisungen über die Betriebsstättengewinnaufteilung. Griechenland wendet den AOA entsprechend dem OECD-Betriebsstättenbericht 2010 an.35 Frankreich: Keine nationalen Regelungen bzw. Verwaltungsanweisungen über die Betriebsstättengewinnaufteilung. Frankreich wendet den AOA entsprechend dem OECD-Betriebsstättenbericht 2010 an.36 Großbritannien und Nordirland: Keine nationalen Regelungen bzw. Verwaltungsanweisungen über die Betriebsstättengewinnaufteilung. Großbritannien wendet den AOA entsprechend dem OECD-Betriebsstättenbericht 2010 an.37 Irland: Keine nationalen Regelungen bzw. Verwaltungsanweisungen über die Betriebsstättengewinnaufteilung. Irland wendet den AOA entsprechend dem OECD-­ Betriebsstättenbericht 2010 an.38 Israel: Israel wendet national den Fremdvergleichsgrundsatz für die Betriebsstättengewinnaufteilung an. Wo es an Regelungen fehlt, z.B. für Banken, folgt Israel dem OECD-Betriebsstättenbericht 2010.39 Italien: Hat den AOA bereits national umgesetzt.40 Japan: Hat den AOA national mit Wirkung vom 1. April 2014 umgesetzt.41 Kanada: Folgt dem AOA.42

34 Merja Raunio, General principles on attribution of profit to a permanent establishment, Finland, BFD Country Tax Guides, (Last Reviewed: 16 September 2019), Kapitel 10.  35 Effie Adamidou, Greece − Transfer Pricing – IBFD Country Tax Guides (Last Reviewed: 15 March 2019), Kapitel 10.  36 Pierre Escaut, Jean-Edouard Duvauchelle, France − Transfer Pricing − Country Tax Guides, (Last Reviewed: 15 September 2019), Kapitel 10.  37 Andrew J. Casley, Tax Treatment of Intra-Company Dealings, United Kingdom − Transfer Pricing – IBFD Country Tax Guides (Last Reviewed: 28 February 2019), Kapitel 10. 38 Shane Hogan/Caroline Austin/Rijkele Betten, Ireland − Transfer Pricing − Country Tax ­Guides (Last Reviewed: 30 September 2019), Kapitel 10. 39 Jacky Houlie, Shlomo Hubscher, Anuschka Bakker, Israel − Transfer Pricing − Country Tax Guides (Last Reviewed: 1 October 2019), Kapitel 10. 40 Raffaele Russo/Edoardo Pedrazzini/Caterina Innamorato/Giulia Gallo, Italy − Permanent Establishments – IBFD Country Tax Guides (Last Reviewed: 16 September 2019), Kapitel 3.  41 Karl Gruendel/Katsuko Shioya/Mark Brandon/Ken Okawara, General principles on attribution of profit to a permanent establishment, Japan − Transfer Pricing − Country Tax Guides (Last Reviewed: 1 January 2019), Kapitel 10.1.  42 J. Scott Wilkie/Pooja Mihailovich (Samtani), Canada − Transfer Pricing − Country Tax ­Guides (Last Reviewed: 11 October 2019), Kapitel 10. 

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Korea: Hat den AOA national mit Wirkung ab 2014 umgesetzt.43 Lettland: Keine nationalen Regelungen bzw. Verwaltungsanweisungen über die Betriebsstättengewinnaufteilung. Lettland wendet den AOA entsprechend dem OECD-­Betriebsstättenbericht 2010 an.44 Luxemburg: Keine nationalen Regelungen bzw. Verwaltungsanweisungen über die Betriebsstättengewinnaufteilung. Luxemburg wendet den AOA entsprechend dem OECD-Betriebsstättenbericht 2010 an.45 Mexiko: Mexiko hat den AOA national umgesetzt.46 Niederlande: Umsetzung des AOA durch ein Schreiben des niederländischen Finanzministeriums.47 Deutsches DBA mit den Niederlanden (2012) mit dem Wortlaut des Art. 7 des OECD-MA 2010.  Neuseeland: Keine nationale Anwendung des AOA. Neuseeland wendet weiterhin den „Relevant Business Approach“ an.48 Norwegen: Norwegen hat keine speziellen nationalen Regelungen für die Gewinn­ aufteilung zwischen einem Unternehmen und seiner ausländischen Betriebsstätte. Der norwegische oberste Gerichtshof hat allerdings entschieden, das norwegische Steuerrecht nach dem OECD-MA und seinem Kommentar auszulegen. Alle neueren DBA Norwegens enthalten Art. 7 des OECD-MA 2010,49 so auch das DBA mit Deutschland. Österreich: Österreich beabsichtigt den AOA in neue bzw. zu revidierende DBA aufzunehmen. Bisher ist jedoch noch kein DBA mit dem neuen Art. 7 OECD-MA abgeschlossen worden. Österreich folgt daher auch national dem Kommentar zum OECD-MA 2008 mit weitestgehender AOA-Auslegung.50 43 Stefan L. Moller/T.Y. Nam/S.H. Lee/B.K. Cho, Tax Treatment of Intra Group Dealings, Korea (Rep.) Transfer Pricing – IBFD Country Tax Guides (Last Reviewed: 20 September 2019), Kapitel 10.  44 Tatjana Koncevaja, Latvia − Transfer Pricing – IBFD Country Tax Guides (Last Reviewed: 19 March 2019), Kapitel 10. 45 Marc Rasch, Tax Treatment of Intra-Company-Dealings, Luxembourg − Transfer Pricing – IBFD Country Tax Guides (Last Reviewed: 15 September 2019), Kapitel 10. 46 Gerardo Omar Lopez Salazar/Ricardo Rosero/Bernardo Solano/Carlos Burgos/Martín Márquez, Tax Treatment of Intra-Group-Dealings, Mexico − Transfer Pricing − Country Tax Guides (Last Reviewed: 22 February 2019), Kapitel 10. 47 Lucia Sahin/Bart le Blanc, Fn. 28, Kapitel 10. 48 Leslie Prescott-Haar/Stefan Sunde/Sophie Day, Tax Treatment of Intra-Company-Dealings, New Zealand − Transfer Pricing  – IBFD Country Tax Guides (Last Reviewed: 15 April 2019), Kapitel 10. 49 Joachim Bjerke/Bjørnar Bruskeland, General principles on attribution of profit to a permanent establishment, Norway, Transfer Pricing – IBFD Country Tax Guides (Last Reviewed: 15 September 2019), Kapitel 10.  50 Sabine Bernegger/Werner Rosar/Theresa Tanzer, Tax Treatment of Intra-Company-­Dealings, Austria − Transfer Pricing – IBFD Country Tax Guides (Last Reviewed: 5 October 2018), Kapitel 10. 

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Polen: Keine nationalen Regelungen bzw. Verwaltungsanweisungen über die Betriebsstättengewinnaufteilung. Polen wendet den AOA entsprechend dem OECD-­ Betriebsstättenbericht 2010 an.51 Portugal: Hat den AOA national umgesetzt.52 Rumänien: Keine nationalen Regelungen bzw. Verwaltungsanweisungen über die Betriebsstättengewinnaufteilung. Rumänien wendet den AOA entsprechend dem OECD-Betriebsstättenbericht 2010 an.53 Schweden: Keine nationalen Regelungen bzw. Verwaltungsanweisungen über die Betriebsstättengewinnaufteilung. Schweden wendet den AOA entsprechend seinen DBA und dem OECD-Betriebsstättenbericht 2010 an.54 Schweiz: Keine nationalen Regelungen bzw. Verwaltungsanweisungen über die Betriebsstättengewinnaufteilung. Die Schweiz wendet den AOA entsprechend dem OECD-Betriebsstättenbericht 2010 an.55 Slowakische Republik: Eingeschränkte Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes, Relevant Business Approach.56 Slowenien: Keine nationalen Regelungen bzw. Verwaltungsanweisungen über die Betriebsstättengewinnaufteilung. Slowenien wendet den AOA entsprechend dem OECD-Betriebsstättenbericht 2010 an.57 Tschechische Republik: Bisher noch keine nationale Umsetzung des AOA. Einige nationale Abweichungen zum Art. 7 OECD-MA 2010 sind noch vorhanden. Die Steuerverwaltung richtet sich in manchen Fällen nach dem OECD-Kommentar zum OECD-MA 2010 zu Art. 7. In manchen Fällen ist der Abschluss eines DBA mit dem neuen Wortlaut des OECD-MA abzuwarten.58 51 Mariusz Aleksandrowicz/Mikołaj Bieniasz/Paweł Chodziński/Marta Ignasiak, Tax Treatment of Intra-Company-Dealings, Poland − Transfer Pricing – IBFD Country Tax Guides (Last Reviewed: 31 May 2019), Kapitel 10. 52 Manuela Duro Teixeira, Portugal − Permanent Establishments, IBFD Country Tax Guides (Last Reviewed: 15 September 2019), Kapitel 4.  53 Sorin Adrian Anghel/Jean-Edouard Duvauchelle, Tax Treatment of Intra Company D ­ ealings, Romania − Transfer Pricing  – IBFD Country Tax Guides (Last Reviewed: 1 September 2019), Kapitel 10.  54 Richard Arvidsson/Olov Persson/Sharvari Kale/Carolina Vaca Bohorquez, Tax Treatment of Intra-Company-Dealings, Sweden − Transfer Pricing  – IBFD Country Tax Guides (Last Reviewed: 30 September 2019), Kapitel 10. 55 Balthasar Denger, Tax Treatment of Intra Company Dealings, Switzerland − Transfer ­Pricing − Country Tax Guides (Last Reviewed: 1 March 2019), Kapitel 10. 56 Branislav Ďurajka/Martin Zima, Tax Treatment of Intra-Company-Dealings, Slovak Republic − Transfer Pricing – Country Tax Guides (Last Reviewed: 31 August 2019), Kapitel 10.  57 Blaž Pate, Tax Treatment of Intra-Company-Dealings, Slovenia − Transfer Pricing – IBFD Country Tax Guides (Last Reviewed: 1 February 2019), Kapitel 10. 58 Yeroshenko Xeniya, LLM, PhD, Tax Treatment of Intra Company Dealings, Czech Republic − Transfer Pricing − Country Tax Guides (Last Reviewed: 1 January 2019), Kapitel 10. 

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Türkei: Die Türkei hat keine speziellen nationalen Regelungen für die Gewinnaufteilung zwischen einem Unternehmen und seiner ausländischen Betriebsstätte. Die Türkei wendet den AOA entsprechend dem OECD-Betriebsstättenbericht 2010 an.59 Ungarn: Ungarn hat den AOA national umgesetzt.60 USA: Die USA haben den AOA in ihr DBA-Muster aufgenommen und wenden ihn auf Grundlage des Art.  7 (2) des Abkommens mit Deutschland und dem OECD-Kommentar zu Art. 7 OECD-MA im Verhältnis mit Deutschland an.61 Staaten, die noch keine nationale Umsetzung vorgenommen haben, haben sie sich durch ihre Zustimmung zum OECD- Kommentar international dazu verpflichtet, Fälle spätestens in Verständigungsverfahren62 auf der Grundlage des AOA zu lösen. OECD-MS, die sich das Recht vorbehalten haben, die Betriebsstättengewinnabgrenzung in der Form vorzunehmen, wie sie im OECD-MA 2008 und dem bis dahin geltenden Kommentar aufgenommen waren, sind die Folgenden: Australien, Chile, Griechenland, Lettland, Mexiko, Neuseeland, Österreich, Slowakische Republik und die Türkei. OECD-MS, die den AOA ohne Einschränkung anwenden, sind damit: Belgien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Irland, Island, Israel, Italien, Japan, Kanada, Korea, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Polen, Portugal, Slowenien, die Schweiz, Spanien, die Tschechische Republik, Ungarn, das Vereinigte Königreich und Nordirland und die Vereinigten Staaten. Der AOA hat sich folglich in den meisten OECD-MS durchgesetzt, so dass es nur in wenigen Fällen zur Anwendung der Escape-Klausel des § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG kommen dürfte. Da DBA-Verhandlungen langwierig sind, wurde die seit 2010 geltende Version des Artikels 7 OECD-MA bisher lediglich in folgende DBA aufgenommen: DBA Frankreich (zuletzt geändert 2016); DBA Großbritannien und Nordirland (zuletzt geändert 2014); DBA Irland (zuletzt geändert 2014); 59 Özlem Güç Alioğlu/Burcu Canpolat/Ezgi Türkmen/Cem Aracı/Barış Yalçın/Mehmet Devrim Aşkın, Tax Treatment of Intra-Company-Dealings, Turkey − Transfer Pricing  – IBFD Country Tax Guides (Last Reviewed: 8 March 2019), Kapitel 10.  60 Judit Jancsa-Pék, Tax Treatment of Intra-Company-Dealings, Hungary − Transfer Pricing − IBFD Country Tax Guides (Last Reviewed: 1 February 2019), Kapitel 10.  61 Diane M. Ring, Permanent Establishments, IBFD Country Tax Guides, United States − Chapter 3: Taxation of Income and Avoidance of Double Taxation. 62 Siehe Art. 25 OECD-MA.

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DBA Japan (2015); DBA Luxemburg (2012); DBA Norwegen (zuletzt geändert 2013). 2. UN-Mitgliedstaaten Das UN-Musterabkommen 2017 enthält in seinem Art. 7 Formulierungen, die denen des Art. 7 im OECD-MA 2008 ähneln. Die UN-MS, mit Ausnahme der OECD-MS, haben sich demnach weiterhin für den Relevant Business Approach ausgesprochen. Für eine international konsistente Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes bleibt zu hoffen, dass es diesbezüglich in Zukunft noch zu einer Angleichung der Auffassungen der UN- und der OECD-MS kommt.

V. Erfahrungen der letzten Jahre 1. Keine besonderen Vorkommnisse In der Literatur und der sonstigen öffentlichen Wahrnehmung scheint es um den AOA ruhig geworden zu sein. Was „normale“ Betriebsstättenfälle betrifft, gibt es keinerlei Berichte über besondere Schwierigkeiten oder kontrovers geführte Verfahren. Es ist zudem national kein Finanzgerichtsverfahren zum AOA bekannt. Es scheint daher so, dass die Anwendung der AOA-Regelungen sowie deren Prüfung ge­ räuschloser vollzogen werden, als erwartet. Einige aktuelle Diskussionspunkte gibt es hinsichtlich bestimmter Themen wie die personallosen Betriebsstätten sowie hinsichtlich der Branchen, für die es Sonderregelungen gibt, wie die Banken- Versicherungs- und Bau- und Montagebetriebsstätten: 2. Personallose Betriebsstätte Für die Ermittlung des Gewinns/Verlusts einer Betriebsstätte in Bezug auf ihre Geschäftsbeziehungen mit dem übrigen Unternehmen sind die Personalfunktionen von übergeordneter Bedeutung. Denn sie stellen den wesentlichen Anknüpfungspunkt für die Zuordnung von Vermögenswerten, Chancen und Risiken zur Betriebsstätte bzw. dem übrigen Unternehmen sowie für die Identifizierung der Geschäftsvorfälle zwischen beiden Unternehmensteilen dar. Der Begriff der Personalfunktion ist in § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AStG definiert. Personalfunktionen sind demnach „Funktionen des Unternehmens, die durch ihr Personal ausgeübt werden“. Können einer Betriebsstätte keine Personalfunktionen zugeordnet werden (insbesondere in Fällen wie z.B. Pipelines, Internetservern, Windkraftanlagen o.Ä.,), da am Ort der Betriebsstätte kein Personal vorhanden ist, scheidet folglich nach Auffassung der OECD63 sowie der deutschen Finanzverwaltung eine Gewinn- bzw. Verlustzuordnung zu dieser Be63 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Kapitel I, Tz 66.

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triebsstätte aus.64 Diese Schlussfolgerung ergibt sich aus der langjährigen OECD-Auffassung, dass Wertschöpfung immer das Resultat menschlicher Aktivitäten ist. Insofern besteht Übereinstimmung mit den OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017, siehe insbesondere Kapitel I, D, Funktionsanalyse. Auch hier steht außer Frage, dass Funktionen und Risiken rechtlich selbständiger verbundener Unternehmen von ­Personal auszuüben bzw. zu managen sind. Die bis zu der Revision der OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017 bestehende bisherige Diskrepanz zwischen Art. 9 und Art. 7 Abs. 2 OECD-MA hat sich durch die eindeutige Aussage, dass Risikozuordnungen im Konzern nicht mehr vertraglich festgelegt werden können, aufgelöst. Würde also ein rechtlich selbständiges verbundenes Unternehmen kein Personal haben, wäre das Ergebnis das gleiche, wie bei der personallosen Betriebsstätte. Die Frage der physischen Präsenz von Personal stellt sich daher nicht nur bei Betriebsstätten, sondern auch bei Kapitalgesellschaften. 3. Bankbetriebsstätten a) Internationale Einordnung Der AOA und die jeweiligen nationalen Regelungen zur Betriebsstättengewinnaufteilung haben eine besondere Relevanz für die Kreditwirtschaft, da diese ihr Auslandsgeschäft oftmals aus regulatorischen Gründen in Form von Betriebsstätten ­betreibt. Aus diesem Grund wurden von der OECD Sonderregelungen für Bankbetriebsstätten geschaffen,65 an denen sich grundsätzlich die §§ 18 ff. BsGaV orientieren. Zu diesen Sonderregelungen sind auf nationaler Ebene bisher keine Gerichtsverfahren bekannt, erste Doppelbesteuerungsfälle werden von der Betriebsprüfung berichtet. In der internationalen Steuerliteratur gibt es keine nennenswerten Beiträge zu Bankbetriebsstätten und dem AOA. Ein erstes interessantes Finanzgerichtsverfahren ist jedoch zur Frage der Gewinnaufteilung zwischen Banken und ihren ausländischen Betriebsstätten geführt worden: Es handelt sich um den Fall der Irish Bank Resolution/Irish Nationwide Building ­Society (the taxpayer) vs. HMRC (the tax authorities) zur Frage der Dotationskapitalausstattung der britischen Betriebsstätten der beiden irischen Banken vor dem United Kingdom First-tier Tribunal (Tax Chamber).66 In diesem Fall versagte die britische Finanzverwaltung den britischen Betriebsstätten den Abzug von Zinsaufwendungen, die sie an die übrigen Unternehmen leisteten, mit der Begründung, dass die Kapitalausstattung der Betriebsstätten nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprochen hätte. Der Fall ist auch deshalb interessant, weil er die Steuerjahre 2003–2007 betrifft und sich die Frage stellte, ob das Gericht den Artikel zu den Unternehmensgewinnen (Artikel 8) des britisch-irischen Abkommens aus dem Jahr 1976 statisch oder dynamisch interpretieren, d.h. ob es sich der 64 Siehe auch Girlich/Müller/Naumann, Erste Praxiserfahrungen mit dem Authorised OECD-­ Approach, ISR 2017, 229−235. 65 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Kapitel II. 66 Case Number: [2017] UKFTT 702 (TC), Date of decision: 22 September 2017. 

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neuen OECD-Auslegung aus dem Jahr 2008 anschließen würde oder der alten Auslegung aus dem Jahr vor 2008. Die britische Finanzverwaltung argumentierte, dass die nationalen britischen Vorschriften die Anwendung des Fremdvergleichs für die Bestimmung des Dotationskapitals forderten und diese nicht im Widerspruch zu Art. 8 des britisch-irischen Abkommens stünden. Die Steuerpflichtigen vertraten die Auffassung, dass die nationale Regelung nicht mit Art. 8 des britisch-irischen DBA vereinbar sei. Die nationale britische Regelung lautet wie folgt: “(2) There shall be attributed to the permanent establishment the profits it would have made if it were a distinct and separate enterprise, engaged in the same or similar activities under the same or similar conditions, dealing wholly independently with the non-resident company. (3) In applying subsection (2) – (a) it shall be assumed that the permanent establishment has the same credit rating as the non-resident company; and (b) it shall also be assumed that the permanent establishment has such equity and loan capital as it could reasonably be expected to have in the circumstances specified in that subsection. No deduction may be made in respect of costs in excess of those that would have been incurred on those assumptions.”

Artikel 8 des britisch-irischen DBA, soweit relevant, lautet wie folgt: “1. The profits of an enterprise of a Contracting State shall be taxable only in that State unless the enterprise carries on business in the other Contracting State through a permanent establish­ ment situated therein. If the enterprise carries on business as aforesaid, the profits of the enterprise may be taxes in the other State but only so much of them as are attributable to that permanent establishment. 2. Subject to the provisions of paragraph 3 of this Article, where an enterprise of a Contracting State carries on business in the other Contracting State through a permanent establishment situated therein, there shall in each Contracting State be attributed to that permanent establish­ ment the profits which it might be expected to make if it were a distinct and separate enterprise engaged in the same or similar activities under the same or similar conditions and dealing at arm’s length with the enterprise of which it is a permanent establishment.”

Er stimmt damit grundsätzlich mit Art. 7 Abs. 1 und 2 OECD-MA 2008 überein. Die britische Finanzverwaltung argumentierte, dass ihre Auffassung mit dem geänderten OECD-Kommentar zu Art.  7 Abs.  2 OECD-MA 2008 übereinstimme und dass die Bestimmung des Dotationskapitals nach dem Fremdvergleichsgrundsatz daher möglich sei, ohne dass Art. 8 des Abkommens mit Irland geändert werden müsse. Die Steuerpflichtigen trugen vor, dass das Gericht Art.  8 des britisch-irischen Abkommens statisch, d.h. nach dem OECD-MA-Kommentar von vor 2008 auslegen müsse. Das Gericht kam zu der Schlussfolgerung, dass der Fremdvergleichsgrundsatz bereits in Art. 7 Abs. 2 des OECD-MA 2008 enthalten sei. Wenn auch die Kommentierung 429

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zu Art. 7 Abs. 2 des OECD-MA bis zum Jahr 2008 zu der Bestimmung des Dotationskapitals explizit keine Aussage mache, so sei diese Schlussfolgerung doch implizit aus den OECD-Materialien zu ziehen, dass es nach dem Fremdvergleichsgrundsatz zu bestimmen sei. Die Gerichtsentscheidung stützt daher die Auffassung der deutschen Finanzverwaltung, dass auch Abkommen, die noch nicht den neuen Art. 7 OECD-MA 2010 enthalten, gemäß dem Kommentar zu Art. 7 OECD-MA 2008 ausgelegt werden können (sollte ein betreffender Vertragsstaat den AOA noch nicht national umgesetzt haben). b) Dotationskapital Für Diskussionen sowohl zwischen der Betriebsprüfung und den Steuerpflichtigen als auch in der nationalen Steuerliteratur sorgen die deutschen Regelungen zur Dotationskapitalausstattung von Bankbetriebsstätten: Die §§ 20 (Inboundfall) und 21 (Outboundfall) BsGaV bilden den Rechtsrahmen für die Zuordnung von Dotationskapital der Bankbetriebsstätten. Für inländische Betriebsstätten ausländischer Kreditinstitute, die im Ausland bankenaufsichtsrechtlichen Kapitalvorschriften unterliegen (Inbound-Fall) ist die auch im OECD-Betriebsstättenbericht 2010 beschriebene Kapitalaufteilungsmethode vorgesehen (§ 20 Abs. 1 BsGaV). Im Falle einer ausländischen Bankbetriebsstätte eines inländischen Kredit­ instituts, die im Betriebsstättenstaat zwingenden bankenaufsichtsrechtlichen Mindestkapitalvorschriften unterliegen (Outbound-Fall) wird auf den von der OECD vorgesehenen Quasi-Unterkapitalisierungsansatz (Mindestkapitalausstattungsmethode) zurückgegriffen (§  21 Abs.  1.  BsGaV). Diese unterschiedliche Behandlung wurde im Schrifttum überwiegend kritisiert.67 Sie stehe im Widerspruch zum Fremdvergleichsgrundsatz.68 Die Kapitalausstattung nach der „Mindestkapitalausstattungsmethode“ im Outbound-Fall soll jedoch vermeiden, dass ausländische Betriebsstätten zu geringe Verbindlichkeiten mit der Folge ausweisen, dass Zinsaufwand im deutschen Stammhaus abgezogen wird (Begründung zu § 13 Abs. 1 BsGaV). Die Zuordnung eines höheren Dotationskapitals bei der ausländischen Betriebsstätte ist jedoch zulässig, soweit dieses höhere Dotationskapital zu einem Ergebnis führt, „das dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht“ (§ 13 Abs. 2 BsGaV). Diese Vorgehensweise sollte verhindern, dass es zu Doppelbesteuerungen infolge zu geringen zugelassenen Zinsaufwands in Deutschland kommt. Tatsächlich ist bisher auch kein Doppelbesteuerungsfall in Hinblick auf das Dotationskapital von Bankbetriebsstätten bekannt geworden, der nicht gelöst worden ist.

67 Kraft/Hentschel/Borchert, Ubg 2016, 469 (482); Engelen/Tcherveniachki, IWB 2018, 129; Schmitt/Persch/Jung, IWB 2016, 440, Kroppen, Kommentierung zu Art.  7 OECD-MA, Rz.  132/22, in: Gosch/Kroppen/Grotherr (Hrsg.), DBA-Kommentar; Kußmaul/Delarber/ Müller, IStR 14, 466 (473). 68 Engelen/Tcherveniachki, IWB 2018, S. 129 (136).

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4. Versicherungsbetriebsstätten a) Internationale Einordnung Auf internationaler Ebene gibt es in Hinblick auf Versicherungsbetriebsstätten keine nennenswerten Veröffentlichungen, Klageverfahren sind nicht bekannt. Auf natio­ naler Ebene jedoch kommt es zu kontroversen Diskussionen zwischen der Betriebsprüfung und den Unternehmen, auch die Steuerliteratur beschäftigt sich mit dem Thema. Von Seiten der Betriebsprüfung ist zu vernehmen, dass es zu ersten Verrechnungspreiskorrekturen und zu Verständigungsverfahren gekommen ist. Diskussionspunkte, auch in der Literatur, sind insbesondere die Regelungen zu den Hauptbevollmächtigten und der Schwankungsrückstellung: b) Hauptbevollmächtigter Gem. § 24 Abs. 1 BsGaV wird bei Versicherungsunternehmen der Zeichnungsprozess (underwriting) als die unternehmerische Risikoübernahmefunktion definiert. Dies stimmt mit dem OECD-Bericht 2010 überein.69 Weiterhin bestimmt § 24 Abs. 5 BsGaV, dass bei inländischen Versicherungsbetriebsstätten widerlegbar zu vermuten ist, dass die unternehmerische Risikoübernahmefunktion in Deutschland ausgeführt wird, da der aufsichtsrechtlich zu bestellende Hauptbevollmächtigte gem. §  106 Abs. 3 S. 3 VAG70 ( a.F.) dazu befugt ist, Versicherungsverträge abzuschließen. Dieses aufsichtsrechtliche Erfordernis, den Hauptbevollmächtigten mit einer umfassenden Vertretungsmacht auszustatten (z.B. Abschluss, Änderung und Aufhebung von Versicherungsverträgen), dient u.a. dem Schutz der Versicherungsnehmer im jeweiligen Betriebsstättenstaat. Diese sollen sich darauf verlassen können, dass Erklärungen der Betriebsstätte Rechtswirkung für und gegen den Versicherer entfalten und damit für ihn verbindlich sind. Die Vertretungsmacht für den Hauptbevollmächtigten kann aber im Innenverhältnis eingeschränkt werden. Rechtsgeschäfte können z.B. an die Zustimmung der Organe des Versicherungsunternehmens gebunden werden. Aus diesem Grunde kann das Versicherungsunternehmen die Vermutung widerlegen, dass die unternehmerische Risikoübernahmefunktion in Deutschland ausgeführt wird. Hierzu soll es nach § 24 Abs. 5 Satz 2 BsGaV den Nachweis erbringen, dass Ȥ die unternehmerische Risikoübernahmefunktion, d.h. die Teilprozesse des Zeichnungsprozesses mit der größten Bedeutung, tatsächlich nicht in der inländischen Versicherungsbetriebsstätte ausgeübt wird und Ȥ dieser Sachverhalt übereinstimmend der deutschen Versicherungsaufsichtsbehörde und der jeweiligen Versicherungsaufsichtsbehörde im Ausland mitgeteilt wird.

Nach der Begründung zum BsGaV-Verordnungsentwurf soll die Mitteilung gegenüber der deutschen und der ausländischen Versicherungsaufsichtsbehörde erfolgen, um  – unabhängig von den jeweiligen Rechtsfolgen  – einen übereinstimmenden 69 Siehe OECD Betriebsstättenbericht 2010, Teil IV, Insurance Companies, S.  176: Under­ writing insured risk. 70 Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen.

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Sachverhalt für die steuerrechtliche und die versicherungsaufsichtsrechtliche Behandlung sicherzustellen.71 Die Kritik an dieser Regelung betrifft vor allem den erhöhten Dokumentationsaufwand und die Vermengung von aufsichtsrechtlichen und steuerrechtlichen Dokumentationspflichten (Informationspflicht an die ausländische und an die inländische Aufsichtsbehörde) zur Widerlegung der gesetzlichen Vermutung.72 Dieser Kritik kann nicht gefolgt werden. Denn das deutsche Steuerrecht folgt zivilrechtlichen oder sonstigen rechtlichen Bestimmungen, soweit eine eigene steuerliche Definition nicht erforderlich ist oder sofern es nicht zwingende Gründe gibt, davon abzuweichen (§ 42 AO, § 1 AStG).73 Insofern folgt der Gesetzgeber auch im Falle des Hauptbevollmächtigten dem Aufsichtsrecht, das ausdrücklich festlegt, dass Hauptbevollmächtigte Versicherungsverträge abschließen. Er übernimmt die aufsichtsrechtlichen Bestimmungen dann nicht, wenn die tatsächlichen Verhältnisse, die hier für die Bestimmung des Fremdvergleichspreises erforderlich sind, etwas anderes aussagen. Damit sollte dem Schutz des Steuerpflichtigen Genüge getan sein. c) Schwankungsrückstellungen Das Problem der Schwankungsrückstellungen ergibt sich daraus, dass sie national nach § 341h HGB zu bilden sind, während sie recht häufig im Ausland, z.B. bei einer Rechnungslegung nach IFRS, nicht bekannt sind. Dies führt dazu, dass das Dotationskapital der inländischen Betriebsstätte niedriger sein kann, als es im Verhältnis zum übrigen Unternehmen sein sollte. Denn das Dotationskapital von Versicherungsbetriebsstätten wird gem. § 25 Abs. 1 und 2 BsGaV nach der modifizierten Kapitalaufteilungsmethode74 ermittelt. Für die Aufteilung der Vermögenswerte zwischen dem übrigen Unternehmen und seiner Betriebsstätte sind demnach die versicherungstechnischen Rückstellungen des gesamten Unternehmens maßgeblich. Der Anteil der deutschen Betriebsstätte bemisst sich nach dem Verhältnis der sich nach ausländischen Rechnungslegungsstandards (die größtenteils keine Schwankungsrückstellungen kennen) ergebenden versicherungstechnischen Rückstellungen für Versicherungsverträge, die der deutschen Betriebsstätte zuzuordnen sind, zu den gesamten versicherungstechnischen Rückstellungen des übrigen Unternehmens. Von den zugeordneten Vermögenswerten sind danach gem. §  25 Abs.  2 BsGaV in Deutschland die nach deutschem Handelsrecht zu bestimmenden versicherungstechnischen Rückstellungen und die aus Versicherungsverhältnissen entstandenen Verbindlichkeiten und Rechnungsabgrenzungsposten abzuziehen, um das Dotationskapital der Versicherungsbetriebsstätte zu erhalten.75

71 BR-Drs. 401/14. 72 Busch, DB 2014, S. 2494, Andresen, BB 2013, S. 2911.  73 Seer in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. 2018, Steuerrecht als Teil der Rechtsordnung. 74 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil IV, Tz. 131−152. 75 Vgl. Oliver Busch, Die Bestimmung des Dotationskapitals bei Versicherungsbetriebsstätten gemäß BsGaV, IStR 2014, 757 (758).

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Dieses kann negativ werden, da die der inländischen Betriebsstätte zuzuordnenden Kapitalanlagen zusätzlich um Schwankungsrückstellung zu verringern sind. Gleichzeitig wird der der inländischen Versicherungsbetriebsstätte zuzuordnende Gewinn regelmäßig gemindert. Ob der Gesetzgeber dieses für ausländische Versicherungsunternehmen äußerst erfreuliche Ergebnis so beibehalten wird, bleibt abzuwarten. B.a.W. ist es von der deutschen Betriebsprüfung zu akzeptieren. 5. Bau- und Montagebetriebsstätten a) Internationale Einordnung Der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 enthält keine gesonderten Regeln für die Bau- und Montageindustrie. International finden zudem Bau- und Montagebetriebsstätten im Zusammenhang mit dem AOA im Schrifttum kaum Beachtung. Laufende Gerichtsverfahren sind nicht bekannt. Für Deutschland sind jedoch Bau- und Montagebetriebsstätten von wirtschaftlicher Bedeutung. So beträgt der Weltmarktanteil des deutschen Großanlagebaus ca. 15%, es werden in Deutschland 54.000 hochqualifizierte Mitarbeiter sowie weitere 100.000 an internationalen Standorten beschäftigt.76 Die deutsche Bau- und Montageindustrie hat es daher begrüßt, dass Regelungen bzw. Anweisungen in die BsGaV (§§ 30 – 34) und in die VWG BsGa (Tz. 341–385) bezüglich der steuerlichen Gewinnaufteilung zwischen Bau- und Montageunternehmen und ihren Betriebsstätten aufgenommen worden sind.77 Allerdings folgte in der deutschen Steuerliteratur prompt die Kritik, dass die deutschen Regelungen nicht OECDweit abgestimmt sind.78 Dem kann nur entgegnet werden, dass es bei der OECD wenigen Staaten gelingt, für nationale Besonderheiten auch internationale Einigungen zu erzielen (siehe derzeit den Versuch der USA, die US-GILTI-Regelungen79 international durch Mindestbesteuerungsregeln, wie den OECD-Vorschlag in Pillar II80, durchzusetzen). Die deutschen Delegierten werden sicherlich darauf gedrungen haben, werden aber kaum Zustimmung seitens anderer OECD-MS für die Einbeziehung der Bau- und Montagebetriebsstätten erhalten haben. 76 VDMA, https://agab.vdma.org/documents/105849/36295246/Lagebericht%20Grossanlagen​ bau_1561455216755.pdf/fa41058b-1b55-1509-dc2b-cb1739265747. 77 Seeleitner/Sennewald/Müller, Praktische Fragestellungen bei der Anwendung des AOA auf Bau- und Montagebetriebsstätten, IStR 2017, 1013. 78 Z.B. Heinsen, DB 2017, 88. 79 Global Intangible Low-Taxed Income (GILTI), siehe auch Deutscher Bundestag, Überblick zur US-Steuerreform für US-amerikanische Kapitalgesellschaften, WD 4 - 3000 - 008/18, Absatz 9. 80 Siehe Deutscher Bundestag, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Florian Toncar, Christian Dürr, Frank Schäffler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP, – Drucksache 19/12441 – Einigung der G7 zu Mindestbesteuerung und Digitalsteuer − Antworten auf Fragen Nr. 2 und 6. 

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Trotz der deutschen international unabgestimmten Regelungen und Anweisungen ist die steuerliche Lage bei Bau- und Montagebetriebsstätten in den letzten Jahren jedoch sehr ruhig geblieben. Klageverfahren sind nicht bekannt und von nennenswerten Doppelbesteuerungsfällen wird seitens der deutschen Betriebsprüfung nicht berichtet. In aktuellen Diskussionen treten insbesondere zwei Fragen auf, erstens, kann der deutsche widerlegbare Ansatz durchgesetzt werden, dass Bau- und Montagebetriebsstätten eine Routinefunktion erfüllen und zweitens, welche Kosten gehören in die Kostenbasis für die Berechnung der Vergütung der Routinefunktion: b) Bau- und Montagebetriebsstätten als widerlegbare fiktive Routinedienstleister Da Bau- und Montagebetriebsstätten zeitlich begrenzt bestehen und im Großen und Ganzen als Dienstleister für das übrige Unternehmen anzusehen sind81 gilt eine Bauund Montagebetriebsstätte gem. § 32 Abs. 1 BsGaV widerlegbar als fiktiver Routinedienstleister, dessen Dienstleistung an das übrige Unternehmen mit einer kostenorientierten Verrechnungspreismethode zu berechnen ist. Gem. §  33 BsGaV sind die Verrechnungspreise zwischen dem Unternehmen und der Bau- und Montagebetriebsstätte jedoch nach der Gewinnaufteilungsmethode zu berechnen, wenn die Personalfunktionen der Betriebsstätte keine Routinetätigkeit darstellen bzw. wenn von dem übrigen Unternehmen und von der Betriebsstätte einzigartige immaterielle Werte selbst entwickelt oder erworben werden. Die widerlegbare Vermutung der fiktiven Routinefunktion der Bau- und Montagebetriebsstätte begründet sich aus der Tatsache, dass in der Bau- und Montageindustrie größtenteils die risikobehafteten Funktionen, wie die Auftragsgewinnung82, die Baufinanzierung und -versicherung, das Genehmigungsverfahren, die Bauausführungsplanung sowie die Materialbeschaffung vom übrigen Unternehmen wahrgenommen werden.83 Die Bau- und Montagebetriebsstätte hingegen erbringt i.d.R. technische Dienstleistungen in Form von Bautätigkeiten und der Montage sowie der Inbetriebnahme von technischen Anlagen und Einrichtungen. Die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode unter Verweis auf die allgemeinen Verrechnungspreisgrundsätze ist daher sachgerecht. Diese Methode ermöglicht es der Baubetriebsstätte, konsistent zu dem vermeintlich geringen Funktions- und Risikoprofil bei einem üblichen Geschäftsverlauf ihre Kosten zu decken und einen geringen, aber relativ stabilen Gewinn zu realisieren.84 Sicherlich gibt es Ausnahmen, wofür §  33 BsGaV die Gewinnaufteilungsmethode vorsieht. In den Tz 379/380 der VWG BsGa wird hierzu beispielhaft beschrieben, wie im Rahmen einer Wertschöpfungsanalyse die Wertschöpfungsbeiträge des übrigen 81 Vgl. VWG BsGa, Tz 341.  82 Siehe VWG BsGa, Tz 353. 83 Siehe auch Freudenberg/Stein/Trost, Gewinnabgrenzung bei Bau- und Montagebetriebsstätten − Umsetzung aus Sicht der Beratungspraxis, ISR 2016, 159 (165). 84 Freudenberg/Stein/Trost, Fn. 82, S. 166. 

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Unternehmens und der Bau- und Montagebetriebsstätte gegenübergestellt werden können. In der deutschen Steuerliteratur wird kritisiert, dass dieser Ansatz nicht der Realität entspricht und daher für jede Bau- und Montagebetriebsstätte das Funktions- und Risikoprofil zu überprüfen ist85 und das Ausland diesen Ansatz nicht nachvollziehen und sich gegen die Zuordnung von Routinegewinnen wehren wird.86 Weiterhin wird argumentiert, dass Deutschland sich mit diesen Regelungen von internationalen Standards abweiche.87 Dem kann nicht zugestimmt werden. Nach der GAufzV88 haben Steuerpflichtige wie die Unternehmen der Bau- und Montageindustrie umfangreiche Dokumentationspflichten und sind bereits von daher dazu verpflichtet, die Funktionen und die Risiken der Betriebsstätte, die Geschäftsbeziehungen zum übrigen Unternehmen sowie ggf. die Funktionen und Risiken des Unternehmens aufzuführen. Die deutsche in Verrechnungspreisen und im AOA gut geschulte Betriebsprüfung wird die Verrechnungspreisdokumentation überprüfen. Hierbei gibt es wie bei den verbundenen Unternehmen kein Schwarz und kein Weiß, sondern sehr viele unterschiedliche Funktions- und Risikoprofile zu würdigen, bei denen sich die Frage stellen wird, ob diese noch einem Routinedienstleister entsprechen oder ob eine gewinnorientierte Methode anzuwenden ist. Allerdings ist dies tägliches Brot der Verrechnungspreisdokumentation und -prüfungen auch bei verbundenen Unternehmen und stellt keine Besonderheit der deutschen Regelungen für Bau- und Montagebetriebsstätten dar. c) Bestimmung der Kostenbasis für die kostenbasierte Verrechnungspreismethode In die Kostenbasis für die Anwendung einer kostenbasierten Verrechnungspreismethode (Kostenaufschlagsmethode) gehören nach § 32 Abs. 1 S. 3 BsGaV insbesondere auch alle erforderlichen Personalkosten, die unmittelbar durch die Erbringung von Personalfunktionen in der Bau- und Montagebetriebsstätte verursacht werden (z. B. eigene Montagetätigkeit, selbst durchgeführte Bauüber­wachung, Integration von Subunternehmern durch eigenes Personal usw.). Nach Tz. 358 der VWG BsGa gelten alle direkten Kosten der Personalfunktionen (z. B. Bruttolöhne, Sozialabgaben, Zuführungen zu Pensionsrückstellungen, Reisekosten), die der Bau- und Montagebetriebsstätte nach § 4 BsGaV zuzuordnen sind, als unmittelbare Kosten.89 Demgegenüber gelten nach der Gesetzesbegründung zu § 32 Abs. 1 Satz 3 BsGaV die Voll85 Ditz, VWG BsGa: Gewinnermittlung bei Bau- und Montagebetriebsstätten nach den VWG BsGa, ISR 2017, 163 (168). 86 Seeleitner/Sennewald/Müller, Praktische Fragestellungen bei der Anwendung des AOA auf Bau- und Montagebetriebsstätten, IStR 2017, S. 1020.  87 Treidler/Grothe/Zepuntke, Der Standardfall einer risikoarmen Bau- und Montagebetriebsstätte − Die (un-) widerlegbare Vermutung der BsGaV, BB 2017, 1437.  88 Verordnung zu Art, Inhalt und Umfang von Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Absatz 3 der Abgabenordnung (Gewinnabgrenzungsaufzeichnungs-Verordnung – GAufzV). 89 VWG BsGa, Tz. 358.

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kosten als unmittelbare Kosten für die Personalfunktionen, die der Bau- und Montagebetriebsstätte nach § 4 zuzuordnen sind.90 Ein Streitpunkt zwischen der Betriebsprüfung und der Steuerpflichtigen ist daher die Frage der Bestimmung der Kostenbasis. Aus Sicht der Finanzverwaltung ist die Sache klar, da sowohl die BsGaV als auch die VWG BsGa eindeutig sind: Die Gemein­ kosten (z.B. Kosten der Geschäftsführung, der Personalabteilung, des Controllings, des Betriebsrates, die bei dem übrigen Unternehmen anfallen) werden nicht in die Kostenbasis aufgenommen. Es sind Kosten des übrigen Unternehmens, die kaum zur Wertschöpfung der Bau- und Montagebetriebsstätte beitragen. Dem Verrechnungspreisgedanken folgend, müsste das übrige Unternehmen die anteiligen Leistungen der Personalabteilung, des Controllings, des Betriebsrats etc. der Betriebsstätte fiktiv in Rechnung stellen (als dealing). Jedoch auch in diesem Fall tragen diese Kosten nicht zur Wertschöpfung der Betriebsstätte bei. Eine Zuordnung kann nur dann erfolgen, wenn bestimmte Leistungen (Personalfunktionen) der Personalabteilung bzw. des Controllings tatsächlich bei der Betriebsstätte länger als 30 Tage ausgeübt werden.91 Die Steuerpflichtigen berufen sich auf die Gesetzesbegründung und auf die Stimmen in der Literatur, die die Einbeziehung der Gemeinkosten fordern.92 Eine Lösung ist hier bisher noch nicht in Sicht. Bisherige Betriebsprüfungen sind in diesen Fällen allerdings einvernehmlich gelöst worden.

VI. Fazit Die Anwendung des AOA hat sich in den letzten Jahren OECD-weit durchgesetzt. Sowohl international als auch national scheint es bisher keine nennenswerten streitbehafteten Klage- oder Verständigungsverfahren zu geben. So hat sich der AOA bei den Steuerpflichtigen wie auch in der Finanzverwaltung als praktische Handhabung für die Gewinnaufteilung zwischen Unternehmen und Betriebsstätten gezeigt. Insofern wäre eine UN-weite Verbreitung des AOA wünschenswert. Ein paar technische Mängel bzw. Zweifelsfragen sind noch nicht behoben bzw. beantwortet. Hierzu sollte es in den nächsten Jahren Antworten geben.

90 Siehe Gesetzesbegründung zu §  32 Abs.  1 Satz 3 BsGaV, Bundesrat, Drucksache 401/14 v. 28.8.2014.  91 § 4 Abs. 1 S. 2 BsGaV. 92 Bendlinger, Hilfsbetriebsstätten in BEPS Action 7, SWI 2016, 188 (196); Ditz, VWG BsGa: Gewinnermittlung bei Bau- und Montagebetriebsstätten nach den VWG BsGa, ISR 2017, 163 (171).

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Ein Plädoyer für den Gewinn der personallosen Betriebsstätte Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Personallose Betriebsstätte als ­Anknüpfungspunkt des Besteuerungsrechts des Quellenstaats III. Der Betriebsstättengewinn nach ­nationalem Recht 1. Betriebliche Veranlassung a) Technische Veranlassung

b) Mehrheit innerbetrieblicher ­Veranlassungen c) Ortsbezug 2. Zwischenergebnis IV. Das Betriebsstättenergebnis nach ­Abkommensrecht 1. Veranlassungsprinzip 2. AOA V. Ergebnis

I. Einleitung Seit langem schon tritt der Jubilar für die Behandlung von Stammhaus und Betriebsstätte wie selbständige Unternehmen ein1. Dabei scheut er auch nicht davor zurück klar Position zu beziehen, z.B. weil er es für richtig hält, Betriebsstätte und Tochtergesellschaft gleich zu behandeln. Diese Eigenschaft, klar Position zu beziehen und für eine Meinung einzustehen, ist ein ehrenwertes und nicht überall selbstverständliches Verhalten. Trotz aller inhaltlicher Schwierigkeiten, zu denen es kommen kann, wenn wir einmal nicht einer Meinung sind – und dazu kommt es von Zeit zu Zeit – schätze ich diese Offenheit und Klarheit sehr. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, lieber Herr Prof. Kroppen, weiterhin viel Energie und Kraft beim Vertreten Ihrer stets (leider) so gut begründeten Standpunkte. Ob ich beim folgenden Thema Widerspruch ernte, bin ich mir gar nicht so sicher. Dennoch möchte ich im Folgenden der Frage nachgehen, ob seit Einführung des AOA unter dem Dogma der „significant people function“ personallose Betriebsstätten noch einen Gewinn haben können.

II. Personallose Betriebsstätte als Anknüpfungspunkt des Besteuerungsrechts des Quellenstaats Ausgangspunkt der Überlegung ist die beschränkte Steuerpflicht gewerblicher Einkünfte i.S.v. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG i.V.m. § 12 AO bzw. das Besteuerungsrecht des Quellenstaats bei Unternehmensgewinnen, wenn das ausländische Unter-

1 Kroppen, IStR 2005, 74 (74).

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nehmen im Quellenstaat über eine Betriebsstätte verfügt (Art.  7 Abs.  1 S.  2 OECD-MA i.V.m. Art. 5 OECD-MA). Im Grundtatbestand verlangen sowohl § 12 S. 1 AO als auch Art. 5 Abs. 1 OECD-MA lediglich eine feste Geschäftseinrichtung, die dem Unternehmen dient bzw. durch die die Haupttätigkeit des Unternehmens wenigstens teilweise ausgeübt wird. Personal ist für die Betriebsstätteneigenschaft nach h.M.2 nicht erforderlich. Ist eine feste Geschäftseinrichtung vorhanden, können daher auch vollautomatische Anlagen wie z.B. Pipeline-Pumpstationen3, Solar- bzw. Windkraftanlagen4 oder aber auch ein Computerserver5 eine Betriebsstätte begründen.6 Solche rein technischen Betriebsstätten können und sollen auch als Anknüpfungspunkt für eine Gewinnzuordnung fungieren. Speziell vor diesem Hintergrund wurde mit Wirkung ab dem 1.1.2016 der  Begriff des Inlands auf die ausschließliche Wirtschaftszone ausgedehnt, um u.a.  die Energieerzeugung aus Wasser, Strömung und Wind besteuern zu können (vgl. § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG; § 1 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b KStG; § 2 Abs. 7 S. 1 Buchst b GewStG). Ziel dieser Regelung war die Vermeidung steuerlicher Vorteile ausländischer Steuerpflichtiger im Offshore-Bereich im Vergleich zu inländischen Steuerpflichtigen.7 Verlangt nunmehr der AOA i.S.d. § 1 Abs. 5 AStG, dass Personalfunktionen erforderlich sind, um einer Betriebsstätte Vermögenswerte und im Weiteren Gewinne zuordnen zu können (§ 1 Abs. 5 S. 3 AStG), kann man die Zuordenbarkeit von Gewinnen zu personallosen Betriebsstätten bezweifeln. Dahingehend äußerte sich auch die Verwaltung noch in Rz.  49 des Entwurfs der VWG-BsGa, wo sie feststellte, dass einer personallosen Betriebsstätte kein oder bestenfalls ein sehr geringer Gewinn zuzuordnen sei.8 Im endgültigen BMF-Schreiben vom 22.12.20169 war diese Aussage nicht mehr enthalten. Mit Schreiben v. 17.12.201910 wurde jedoch eine neue Tz. 6a aufgenommen, nach der personallose Betriebsstätten eine abweichende Behandlung erforderlich machen können. Abkommensrechtlich verlangt Art. 5 OECD-MA (2017) nur eine feste Geschäftseinrichtung, durch die wenigstens ein Teil der Haupttätigkeit des Unternehmens erle 2 Vgl. BFH v. 30.10.1996 – II R 12/92, BStBl. II 1997, 12; FG Düsseldorf v. 10.9.1991 – 9 K 524/86, EFG 1992, 717; FG Schleswig-Holstein v. 6.9.2001 − II 1224/97, DStRE 2002, 518; BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99 – Betriebsstätten-VWG, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 4.8; Öst BMF EAS 2881, SWI 2007, 105; Görl in V/L6, Art. 5 OECD-MA Rz. 28; Bendlinger in Bendlinger/Kanduth-Kristen/Kofler/Rosenberger, Internationales Steuerrecht, 2.  Aufl., Wien 2019, 564; a.A: Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, DBA Art.  5 OECDMA, Rz. 33.  3 Vgl. BFH v. 30.10.1996 – II R 12/92, BStBl. II 1997, 12. 4 Bendlinger, a.a.O Fn. 2, 565. 5 FG Schleswig-Holstein v. 6.9.2001 − II 1224/97, DStRE 2002, 518. 6 OECD-MK (2017) zu Art. 5 Rz. 127. 7 BT/Drs 18/4902 v. 13.5.2015, 41. 8 So: Schoppe, IStR 2016, 615 (617). 9 BMF v. 22.12.2016 − (VWG-BsGa) IV B 5 – S 1341/12/10001-03, BStBl I 2017, 182. 10 BMF v. 17.12.2019 – IV B 5 - S 1341/19/10010 :003, BStBl I 2020, 84.

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digt wird. Seit Einführung des AOA und der damit verbundenen „significant people function“ in Art. 7 OECD-MA (2010) sieht die OECD grundsätzlich Personal in der Betriebsstätte als notwendig an, um ihr einen Gewinn zuordnen zu können. Fraglich ist damit, ob der personallosen Betriebsstätte national und abkommensrechtlich doch ein Gewinn zugeordnet werden kann.

III. Der Betriebsstättengewinn nach nationalem Recht Erstreckt sich die Sphäre des Gewerbebtriebs über das Hoheitsgebiet eines Staates hinaus, bedarf es zusätzlich neben der Abgrenzung zwischen privater und betrieblicher Sphäre eines weiteren Kriteriums, nämlich eines bestimmten verfestigten Ortsbezugs, um die Besteuerungshoheiten voneinander abgrenzen zu können.11 Normativ wird der Ortsbezug in § 34d EStG für ausländische und in § 49 EStG für inländische betriebliche Einkünfte definiert. Er führt dazu, dass innerhalb der (aa) subjektbezogenen Einkünfteermittlung eine (bb) ortsbezogene Zuordnung der Gewinnelemente (Wirtschaftsgut, Aufwand, Ertrag) zu erfolgen hat. Die Zuordnung zur Betriebsstätte regeln § 34c Abs. 1 S. 4 EStG bzw. § 50 Abs. 1 S. 1 EStG, welche einen wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen Betriebsstättentätigkeit und Wirtschaftsgut, Aufwand oder Ertrag verlangen. Hierdurch wird der betriebliche Sphärenbezug territorial eingegrenzt. 1. Betriebliche Veranlassung Subjektbezogen geht der wirtschaftliche Zusammenhang des § 34c Abs. 1 S. 4 EStG bzw. § 50 Abs. 1 S. 1 EStG auf das in § 4 Abs. 4 EStG geregelte Veranlassungsprinzip zurück. Dieses bestimmt, dass Aufwendungen nur als Betriebsausgaben abgezogen werden dürfen, wenn sie betrieblich veranlasst sind. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass privat veranlasste Aufwendungen nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden dürfen. Diese Zuordnungsfrage beantworten zu können, ist die Funktion des Veranlassungsprinzips. Als solches ist es maßgebliches Prinzip zur Abgrenzung der Erwerbssphäre von der Privatsphäre.12 Nach der Rechtsprechung ist diese betriebliche Veranlassung dann gegeben, wenn die Aufwendungen mit der Einkünfteerzielung objektiv zusammenhängen und ihr subjektiv zu dienen bestimmt sind, d.h. wenn sie in wirtschaftlichem Zusammenhang mit einer der Einkunftsarten des EStG stehen.13 Maßgeblich ist die – wertende – Beurteilung des die betreffenden Aufwendungen „auslösenden Moments“. 14 Dabei ist der steuerrechtliche Veranlassungszusammenhang nicht nur durch die (naturwissenschaftliche) Kausalität, sondern bei 11 Statt aller: Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Grundlagen Rz. 11. 12 Vgl. Weber, StuW 2009, 184. 13 BFH, Beschluss v. 21.9.2009 − GrS 1/06, BStBl II 2010, 672; v. 4.7.1990 – GrS 2/88, BFHE 161, 290, BStBl. II 1990, 817. 14 BFH, Beschluss v. 21.9.2009 − GrS 1/06, BStBl II 2010, 672; v. 4.7.1990 – GrS 2/88, BFHE 161, 290, BStBl. II 1990, 817.

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verschiedenen, miteinander konkurrierenden Ursachen durch das Prinzip der wertenden Selektion, welche Ursache die prägende war, gekennzeichnet.15 Stehen die Gewinnelemente in mehreren Veranlassungszusammenhängen16, ist zunächst zu prüfen, ob sich diese den unterschiedlichen Ursachen zuordnen lassen. Ist eine anteilige Zuordnung nicht möglich, ist der vorrangige Veranlassungszusammenhang maßgeblich.17 Danach sind Aufwendungen der Einkunftsart zuzuordnen, die im Vordergrund steht und die Beziehungen zu den anderen Einkünften verdrängt. Maßgebend sind insoweit die Gesamtumstände des jeweiligen Einzelfalls.18 Entstehen Aufwendungen für mehrere steuerrechtlich unterschiedlich zu beurteilende Tätigkeiten, setzt die Zuordnung eine Gewichtung der verschiedenen Anlässe voraus.19 Hiervon ausgehend sind die anteiligen Aufwendungen ggf. im Schätzwege im betrieblichen Bereich zu berücksichtigen, sofern es um die Abgrenzung zu anderen Einkünften geht.20 Nur bei anteiliger privater Mitveranlassung kann das Aufteilungsverbot gem. § 12 Nr. 1 EStG zum Tragen kommen.21 Dieses Prinzip umfasst im Grundsatz auch die Zuordnung von Einnahmen.22 Zwar ist das Aufteilungsverbot des § 12 Nr. 1 EStG nur auf Aufwendungen und nicht Einnahmen anzuwenden. 23 Jedoch darf nicht übersehen werden, dass Einnahmen in ­jeder Einkunftsart die bloße Folge einer entstandenen und als Wirtschaftsgut grundsätzlich unteilbaren Forderung sind. Nur soweit sich der Gesamtbetrag aus verschiedenen (und damit rechtlich teilbaren) Forderungen räumlich zusammensetzt (z.B. betrieblicher Schadenersatz neben privatem Schmerzensgeld), sind die jeweiligen Teilbeträge nach dem Prinzip der wertenden Selektion dem betrieblichen oder privaten Bereich eindeutig und vollumfänglich zuzuordnen. Maßgeblich muss insoweit sein, in welcher Sphäre die Anspruchsgrundlage entstanden ist. Diese Unteilbarkeit von Wirtschaftsgütern findet ihren Niederschlag in den Überführungsregeln des § 6 Abs. 5 S. 1 EStG bzw. den Einlage-/Entnahmeregeln des § 4 Abs. 1 S. 2 bzw. S. 8 Hs. 1 EStG, die eine anteilige Zuordnung von Wirtschaftsgütern verbieten. Wurde z.B. der Ertrag durch einen zweiten Faktor beeinflusst, etwa weil Wirtschaftsgüter des Privatvermögens neben solchen des Betriebsvermögens in einem einheitlichen Vertrag24 veräußert wurden, ist in einem ersten Schritt zu entscheiden, ob es sich um einen privaten oder einen betrieblichen Vorgang handelt. War der betriebliche Anlass prä15 BFH v. 27.3.2013 – I R 14/12, BFH/NV 2013, 1768. 16 S.u.I.A.1.b). 17 BFH v. 15.1.2015 –  I  R 48/13, BStBl  II 2015,  713; v.  7.12.2005 –  I  R 34/05,  BFH/NV 2006, 1068. 18 Z.B. BFH v. 16.11.2011 – VI R 97/10, BStBl. II 2012, 343; v. 25.11.2010 – VI R 34/08, ­BStBl. II 2012, 24; v. 7.2.2008 – VI R 75/06, BStBl. II 2010, 48; v. 5.4.2006 – IX R 111/00, BStBl. II 2006, 654. 19 Märtens in Gosch/KStG, 3. Aufl. 2015, § 5 Rz. 71. 20 Lohschelder in Schmidt/EStG, 38. Aufl. 2019, § 4 Rz. 29. 21 Vgl. GrS 1/06 v. 21.9.2009, BStBl II 2010, 672.  22 BFH v. 13.12.1973 – I R 136/72, BStBl II 1974, 210. 23 So: Lohschelder in Schmidt/EStG, 38. Aufl. 2019, § 4 Rz. 444. 24 Ohne rechtliche und betragsmäßige Aufteilung der einzelnen, verkauften Gegenstände.

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gend, sind die Wirtschaftsgüter des Privatvermögens zunächst in das Betriebsvermögen gem. § 4 Abs. 1 S. 8 Hs. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG einzulegen, ehe sie dann mit den Wirtschaftsgütern des Betriebsvermögens einheitlich als betrieblicher Vorgang verkauft werden. Diese eindeutige Zuordnung nach dem Veranlassungsprinzip betrifft nicht nur Forderungen, sondern sämtliche Wirtschaftsgüter. So gehören Wirtschaftsgüter zum notwendigen Betriebsvermögen, wenn sie dem Betrieb dergestalt unmittelbar dienen, dass sie objektiv erkennbar zum unmittelbaren Einsatz im Betrieb selbst bestimmt sind; dabei wird jedoch nicht vorausgesetzt, dass sie für den Betrieb notwendig i.S.  von „erforderlich“ sind.25 Wertend entspricht diese „Erforderlichkeit“ dem „auslösenden Moment“. Risikotragung spielt für das Veranlassungsprinzip indes keine Rolle. Denn – wie soeben dargestellt – geht es bei Veranlassung um die Ursächlichkeit, d.h. den Grund eines Zustands oder Handelns. Hingegen beschreibt das Risiko die Folge des Zustands oder Handelns. a) Technische Veranlassung Wie schon gezeigt, kommt es für die Annahme einer Betriebsstätte nicht auf das Vorhandensein bzw. Tätigwerden von Personal an. Zu klären ist aber, ob auch für dies auch für die Veranlassung der Gewinnelemente Aufwand, Ertrag und Wirtschaftsgut gilt, m.a.W. ob auch technische Betriebsstätten Gewinne oder Verluste veranlassen können. Im Unterschied zum AOA kennt das Veranlassungsprinzip des § 4 Abs. 4 EStG eben so wenig wie der Betriebsstättenbegriff ein Personalerfordernis. Bedenkt man ferner, dass Wirtschaftsgüter ohne menschliches Zutun Wertminderungen bzw. -steigerungen erfahren können, können sie auslösendes Moment für steuerrechtliche Erträge und Aufwendungen sein. Dies folgt aus Tatsache, dass auch personallose Ursachen wie z.B. höhere Gewalt als auslösendes Moment der betrieblichen bzw. privaten Sphäre zugeordnet werden müssen.26 Beispielhaft seien für Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens hier nur die Teilwertabschreibung bzw. Wertaufholung gem. §  6 Abs. 1 Nr. 1 S. 2–4 bzw. Nr. 2 S. 2–3 EStG genannt, die ihr auslösendes Moment in der Wertveränderung des betrieblichen Vermögens haben. Aber auch der maschinelle Herstellungsprozess führt zu Substanzwertveränderungen an den einzelnen Wirtschaftsgütern, sei es durch die Abschreibung von Anlagevermögen gem. §§ 7ff EStG oder die Aktivierung von Herstellungskosten i.S.v. §§ 4, 5 Abs. 1, 6 Abs. 1 Nr. 1–2 EStG i.V.m. § 255 Abs. 1 HGB, m.a.W. insoweit indizieren die steuerlichen Bewertungsvorschriften einen wirtschaftlichen Veranlassungszusammenhang der maschinellen Leistung mit dem jeweiligen Wirtschaftsgut. 25 Ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, vgl. nur BFH v. 4.2.1998 − XI R 45/97, BStBl II 1998, 301; v. 31.5.2001 − IV R 49/00, BStBl II 2001, 828; v. 26.1.2011 − VIII R 19/08, BFH/ NV 2011, 1311. 26 Vgl. Loschelder in Schmidt/EStG, 38. Aufl 2019, § 4 Rz. 520 „Verlust“.

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Besteht ein steuerrechtliches Ansatzverbot, wie etwa § 5 Abs. 2 EStG für die Herstellungskosten selbst geschaffener immaterieller Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, ändert dies an dem Zusammenhang zwischen Leistungsbeitrag und Wirtschaftsgut nichts, denn es beseitigt nicht den Zusammenhang, sondern verbietet lediglich den materiellen Ausweis des Wirtschaftsguts. Dies folgt aus einem Vergleich von § 5 Abs. 2 EStG mit § 255 Abs. 2a HGB, nach dem die nämlichen Wirtschaftsgüter handelsbilanziell mit ihren Herstellungskosten angesetzt werden dürfen. Zum anderen kommt die Wertschöpfung durch die Teilhabe der Betriebsstätte am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr (i.S.v. § 15 Abs. 2 EStG) in Betracht. Denn sie führt nach dem Realisationsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 Hs. 2 HGB) zum Ausweis von Forderung und Gewinn. Voraussetzung hierfür ist, dass der Steuerpflichtige Güter oder Leistungen am allgemeinen Markt anbieten kann. 27 Dies wiederum erfordert den Abschluss eines Vertrags und dessen Erfüllung. Fraglich ist, ob diese Funktion auch von technischen Einrichtungen erfüllt werden kann, da ein Angebot i.S.v. § 145 BGB als eine Form der Willenserklärung (§§ 116 ff BGB) menschliches Handeln vo­ raussetzt.28 Im Rahmen der zunehmenden Digitalisierung des Alltags übernehmen inzwischen immer häufiger technische Einrichtungen die Kommunikation mit dem Konsumenten und wickeln die Geschäfte vollumfänglich ab. So lässt sich inzwischen sogar im zivilrechtlichen Bereich an einen autonomen Vollzug von Verträgen denken.29 Dort wird im elektronischen Geschäftsverkehr unterschieden zwischen elek­ tronisch (übermittelten) Willenserklärungen, automatisierten Willenserklärungen und sog. Computererklärungen z.B. smart contracts. 30 Von einer elektronischen Willenserklärung ist die Rede, wenn der Anwender seine Willenserklärung persönlich unter Verwendung des Internets abgibt.31 Bei einer automatisierte Willenserklärung erstellt das IT-System automatisch aufgrund von menschlichen Voreinstellungen des Systems zum konkreten Inhalt der Willenserklärung die Erklärung und übermittelt sie dann an den Empfänger; diese Willenserklärung ist nur dann nach §§ 116 ff. BGB wirksam, wenn aufgrund der Voreinstellungen des Systems der menschliche Willen noch ausreichend in der Erklärung zum Ausdruck kommt. Typische Anwendungsbereiche stellen die Annahmen gem. §§  133, 147 BGB in Form von Onlinebestätigungen der Leistungsanbieter im Internethandel dar.32 Bei der Computererklärung wird der Inhalt der Willenserklärung durch das intelligente IT-System selbst erstellt, d.h. die menschlichen Vorgaben für durch das System 27 Statt aller: Wacker in Schmidt/EStG, 39. Aufl. 2019, § 15 Rz. 20. 28 Schmidt in Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts (HWB EuP 2009), „Rechtsgeschäft“ 1, abrufbar unter http://hwb-eup2009.mpipriv.de/index.php/Handwörterbuch_des_​ Europäischen_Privatrechts. 29 So etwa: Heckelmann, NJW 2018, 504 (504). 30 Szabo, www.fon.hum.uva.nl/rob/Courses/InformationInSpeech/CDROM/Literature/LOT​ winterschool2006/szabo.best.vwh.net/idea.html. 31 Mehrings in Hoeren/Sieber/Holznagel Multimediarecht (MMR), 48. Aufl. 2019, Kap. 13.1, Rz. 22f. 32 Vgl. BGH v. 16.10.2012 − X ZR 37/12, NJW 2013, 598 m. Anm. Hopperdietzel.

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erstellte Willenserklärung sind nur allgemeiner Natur; der menschliche Wille kommt in den Computererklärungen nur noch in Ansätzen zum Ausdruck. Gleichwohl wird auch diese Erklärung anerkannt, weil das IT-System auch nur solche Willenserklärungen generieren kann, die sich im Rahmen der vorangegangenen menschlichen Programmierung halten; dieser menschliche Einfluss sei für die Wirksamkeit ausreichend. 33 Typischer Anwendungsfall ist die Angebotsabgabe gem. §§ 133, 145 BGB bei sog. „smart contracts“ unter Anwendung der Blockchain-Technologie.34 Beispielhaft ist dies der programmierte Kühlschrank, der das Fehlen typischer Inhalte (Milch, Butter o.ä.) erkennt und die entsprechende Ware ohne weiteres menschliches Zutun bestellt sowie ggf. bezahlt. In den beiden zuletzt genannten Fällen wird das unmittelbare Geschäft ohne weiteres menschliches Zutun verrichtet. Das menschliche Handeln beschränkt sich dort auf die generell abstrakte Programmierung. Im Alltag, in dem die vom Nutzer dieser Systeme erwirtschaftete Wertschöpfung stattfindet, spielt der Mensch nur noch im Krisenfall35 (z.B. im Bereich der Schadensabwicklung) eine Rolle, m.a.W. auch technische Einrichtungen können am wirtschaftlichen Verkehr wirksam teilhaben. Ist dieses technische Handeln der Betriebsstätte zuzuordnen, können ihr Erträge aufgrund aktiven Handelns zugeordnet werden. Praktisch betroffen sind hiervon z.B. Onlinehändler, die ihre Wirtschaftsgüter über Online-Plattformen vertreiben und die Ware in vollautomatisierten Warenlagern, die teilweise autonom den fehlenden Warenbestand nachordern, vorhalten, auf Bestellung des Kunden zusammenstellen, verpacken und an Drittfirmen zur Auslieferung überlassen. Ähnlich ist die Situation bei Streaming-Diensten oder Onlineanbietern von Software. Im Weiteren können technische Einrichtungen auch rein unternehmensinterne Leistungsbeiträge erbringen, die sich nicht unmittelbar bilanziell auswirken. In Betracht kommen hier jegliche sachbezogenen Vorteile, d.h. Nutzungen, die nur mittelbar in einen Ertrag im steuerrechtlichen Sinne münden. Diese Leistungen können beispielsweise mechanischer Natur wie das Pumpen von Gas oder Öl sein aber auch in der Umwandlung natürlicher Energiequellen (Strömung, Licht) in Strom bestehen. Nichts anderes gilt m.E. für Computer, die IT nutzen, z.B. um sog. Kryptowährungen zu generieren oder sonstige geldwerte Leistungen erbringen. Weitere Anhaltspunkte für auslösende Momente finden sich m.E. in den möglichen Wertschöpfungsbeiträgen in Bezug auf immaterielle Wirtschaftsgüter in den sog. DEMPE-Funktionen, nach denen als zentrale Funktionen „Entwicklung, Verbesserung, Erhaltung sowie Schutz und Verwertung“ zu berücksichtigen sind.36 Keine „Funktion“ im tatbestandlichen Sinn stellt nach Ansicht der OECD die reine Beschaffungs- und Bereitstellungs-

33 So etwa: Heckelmann, NJW 2018, 504 (504); ebenso Müller, Arten und Abgrenzung elek­ tronischer Willenserklärungen, http://wiki.hs-schmalkalden.de/RechtderDigitalisierung​ ElektrWEArten. 34 Heckelmann, NJW 2018, 504 (504). 35 Vgl. BGH v. 16.10.2012 − X ZR 37/12, NJW 2013, 598 m. Anm. Hopperdietzel. 36 Puls/Heravi, IStR 2018, 721 (723).

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funktion finanzieller Mittel dar.37 Diese Leistungsbeiträge wirken sich zwar nicht unmittelbar in einer Bilanzposition aus, jedoch geht deshalb nicht zwingend das auslösende Moment für den mittelbaren Ertrag verloren.38 Zusammenfassend ist daher auf einen wirtschaftlichen Veranlassungszusammenhang zwischen technischer Leistung und Wirtschaftsgut zu schließen, wenn die (maschinelle) Leistung (un-)mittelbare bilanzielle Veränderungen an Wirtschaftsgütern auslöst, die in den nämlichen Bilanzen auszuweisen sind. b) Mehrheit innerbetrieblicher Veranlassungen Werden betriebliche Erträge unter Einsatz von Personal und Maschine geschaffen, ist die Zuordnung der Beiträge wegen der umfassenden Steuerpflicht des Steuersubjekts zunächst unbeachtlich. Etwas anderes gilt nur, wenn die Steuerpflicht territorial begrenzt ist, sei es wegen des notwendigen Inlandsbezugs im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht oder wegen der Ausgrenzung ausländischer Einkünfte auf Grund von DBA‘s. Denn auch nach dem Veranlassungsprinzip müssen in diesem Fall die Gewinnelemente innerbetrieblich den beteiligten Standorten eindeutig zugeordnet werden.39 Vor Untersuchung des Ortsbezugs ist daher die Frage zu untersuchen, ob der technische Veranlassungszusammenhang verlorengeht, wenn an dem unternehmensinternen Wertschöpfungsprozess neben Maschinen auch Personal mitwirkt. Wie schon erwähnt ist der Veranlassungszusammenhang bei verschiedenen, mitei­ nander konkurrierenden Ursachen durch das Prinzip der wertenden Selektion, welche Ursache die prägende war, gekennzeichnet.40 Dabei ist zunächst zu prüfen, ob eine anteilige Zuordnung möglich ist. Ist dies zu verneinen, ist der vorrangige Veranlassungszusammenhang maßgeblich.41 Maßgebend sind insoweit die Gesamtumstände des jeweiligen Einzelfalls. In der Praxis entscheidend ist insoweit das Gewicht der Leistungsbeiträge. Dies bedeutet, dass Hauptfunktionen Hilfs- und Unterstützungsleistungen überwiegen. Zwischen miteinander konkurrierenden, verschiedenen Hauptfunktionen (z.B. Produktion und Vertrieb) ist dann nochmals nach der größeren Gewichtigkeit im Vergleich zueinander zu differenzieren. aa) Technische Leistung als nachrangige Hilfsleistung Nutzt etwa ein ausländischer Online-Händler (E-Tailer) einen im Inland befindlichen, dedizierten Internetserver42 zum Zweck von elektronischen Willenserklärun37 Siehe OECD-Verrechnungspreisrichtlinien 2017, Tz.  6.61;  Hoor, Tax Notes International 2018, 530. 38 Siehe unten: Mehrheit innerbetrieblicher Veranlassungszusammenhänge I.A.1.b). 39 Für Beteiligungen siehe nur: BFH v. 29.11.2017 – I R 58/15, DStR 2018, 657; so auch schon Hruschka/Lüdemann, IStR 2005, 76; a.A. Wassermeyer, IStR 2005, 84. 40 BFH v. 27.3.2013 – I R 14/12, BFH/NV 2013, 1768. 41 BFH v. 15.1.2015 –  I  R 48/13, BStBl  II 2015,  713; v.  7.12.2005 –  I  R 34/05,  BFH/NV 2006, 1068. 42 Siehe hierzu: Tappe, IStR 2010, 870 (871).

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gen43 (1. Fall), dient die technische Betriebsstätte lediglich dem Transport der persönlichen Willenserklärung, m.a.W. die technische Betriebsstätte erfüllt in Bezug auf den Vertrag lediglich die Hilfsfunktion, die persönliche Leistung (Willenserklärung) zu transportieren. Denn entscheidend für das Zustandekommen des Vertrages ist in diesem Fall das konkrete, einzelfallbezogene Handeln der Person. Ihr ist der Vertrag zuzuordnen, weil ihr Verhalten die wesentlichen Inhalte des zustande gekommenen Vertrages ausgelöst hat. bb)  Technische Leistung als Hauptleistung Anders ist dies zu beurteilen, wenn z.B. die technische Leistung der Betriebsstätte im Vordergrund steht. Beispielhaft sei hier nur der von einer inländischen Windkraftanlage eines beschränkt Steuerpflichtigen produzierte Strom erwähnt (2. Fall). Die Windkraftanlage produziert ihren Strom ohne weiteres menschliches Zutun, denn die Wartung dieser Anlagen wird typischerweise durch Fremdfirmen erledigt. Zum Absatz des produzierten Stroms bedarf es ebenfalls keiner weiteren menschlichen Leistung, denn ungeachtet ihres Bedarfs müssen die Betreiber öffentlicher Netze allen Strom, der von in Deutschland einschließlich der deutschen  ausschließlichen Wirtschaftszone betriebenen Anlagen nach dem EEG gewonnen wird (§ 2 Nr. 1 EEG), mit Vorrang vor solchem Strom abnehmen, der aus anderen Energiequellen erzeugt wird. Für diesen Strom wird eine feste Einspeisevergütung gezahlt, d.h. auch Preisverhandlungen scheiden aus. Mag man dagegenhalten, dass der Einspeisevertrag vom Betreiber der Anlage abgeschlossen worden ist. Jedoch handelt es sich hierbei um einen einmaligen Vorgang, während das Windrad während seiner gesamten Lebensdauer Strom produziert und einspeist. Bei wertender Betrachtung ist dieser einmalige Akt im Vergleich zur ständigen Produktion und Lieferung von Strom durch das Windrad sowohl in zeitlicher als auch in wirtschaftlicher Hinsicht nachrangig und daher im Beispielsfall als unmaßgebliche Unterstützungsleistung zu qualifizieren. Denn nicht das Personal, sondern die Maschine schafft den marktfähigen Wert „Energie“; die Maschine ist das Objekt, das die natürliche Ressource schöpft. Daran ändert sich selbst dann nichts, wenn in dem Unternehmen Personal tätig wird, etwa, sei es um die Anlage zu errichten und zu betreiben oder um die Energie zu verkaufen. Die wesentliche Wertschöpfung als solche erfolgt in dem Beispiel durch die natürliche Ressource Wind, aus der die Anlage (Windkraftanlage) die Energie schöpft und in Strom umwandelt. Im Vergleich zu etwaigen sog. Leitungsentscheidungen – von der Standort­ auswahl bis hin zur Errichtung und Inbetriebnahme – stellt die „Urproduktion“ den wesentlichen Beitrag dar. Denn sie ist unverzichtbare Voraussetzung. Sie ist das unmittelbare, auslösende Moment für die Wertschöpfung, die durch den Transformationsprozess von natürlicher Energie in Strom in der Anlage stattfindet. Dies gilt ebenso für den Vertrieb. Denn die menschliche Wertschöpfung hängt stets von der natürlichen Ressource ab, mit anderen Worten, „ohne Wind kein Strom“ und damit weder Leitungsentscheidung noch Vertrieb. 43 S.o. I.A.1.a).

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Vergleichbar ist der Fall zu beurteilen, dass eine Betriebsstätte in Form eines Maschinenparks vollautomatisch Wirtschaftsgüter herstellt44. Technisch ist es sogar möglich, dass diese inzwischen die hergestellte Ware autonom vertreibt und an den Kunden ausliefert. Im Bereich des automatisierten Handels (3. Fall) ist dies etwa der Fall, wenn in der Betriebsstätte der gesamte Vertrieb abgewickelt wird, z.B. die Waren in einem vollautomatischen Hochregallager bis zum Verkauf aufbewahrt werden und der Vertrieb als solches über Internetplattformen betrieben wird, auf denen das Unternehmen mit automatisierten Willenserklärungen agiert, m.a.W. in den Einzeltransaktionen zwischen Unternehmen und Kunde i.d.R. keinerlei Personal eingebunden ist und die Auslieferung durch Drittfirmen erfolgt. An diesem Übergewicht der Vertriebsseite ändert auch ein Einkauf durch Personal, das von einem anderen Standort tätig wird, nichts. Denn nach dem Realisationsprinzip (§  252 Abs.  1 Nr.  4 HGB) entsteht die Forderung und mit ihr der Gewinn erst mit dem Verkauf und der Auslieferung. Funktional bringt gerade auch der erhebliche Einsatz technischer Ressourcen die überwiegende Bedeutung der rein technischen Betriebsstätte hinreichend zum Ausdruck. Das Argument, die unternehmensinterne Personalleistung, die in der Programmierung der technischen Betriebsstätte steckt, überwiege die rein technische Abwicklung, greift nicht, da die Programmierung kein Gegenstand des zu beurteilenden Geschäftsmodells „Handel“ ist, insbesondere wenn die Programmierleistung von Seiten des Unternehmens angeschafft worden ist. Anderenfalls müssten Gewinne aus dem Handel mit Waren allein deshalb dem Stammhaus zugeordnet werden, weil die Betriebsstätte seine Kunden mit vom Stammhaus hergestellten Lieferwägen bedient. Das Übergewicht zugunsten der technischen Betriebsstätte verschiebt sich noch weiter, wenn auch auf der Beschaffungsseite das eingesetzte Personal immer weiter reduziert wird und diese Aufgabe von Computerprogrammen übernommen wird, z.B. indem diese im Falle des Absinkens des Warenbestands in der Betriebsstätte unter ein bestimmtes Niveau autonom für Nachschub sorgen (siehe oben sog. Computererklärung). In der täglichen Praxis wird dieses Modell im Bereich des Rechtevertriebs (Musik, Film, Software, Datenbanken u.ä,) bereits sichtbar. Oftmals ist die eigene Personalleistung in diesem Bereich auf ein Minimum reduziert oder gar auf Drittfirmen ausgelagert. Rechteerwerb und Überlassung finden eher mehr als weniger vollautomatisch ohne jegliche Personaleinbindung statt. Verteilt sich in diesen Fällen die Leistungserbringung auf verschiedene Standorte, z.B. weil der Sitz des Unternehmens im Ausland ist, jedoch der Computerserver, auf dem sich die Software befindet, im Inland steht, sind. Bedeutsam ist diese Gewichtung jedoch nur, wenn das Ergebnis der Leistungsbeiträge nicht aufgeteilt werden kann.

44 Es wird unterstellt, dass die Wartung des Maschinenparks durch Drittfirmen erledigt wird.

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c) Ortsbezug aa) Veranlassungsprinzip Örtlich verlangt das Veranlassungsprinzip des § 34c Abs. 1 S. 4 EStG bzw. § 50 Abs. 1 S. 1 EStG grundsätzlich45 das Vorhandensein einer Betriebsstätte i.S.v. § 12 AO im Quellenstaat (§ 34d Nr. 2 Buchst. a EStG, § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG). Dem entsprechend sind in die Ermittlung des Betriebsstättengewinns nur solche betrieblichen Gewinnelemente einzubeziehen, deren auslösendes Moment in der Betriebsstätte zu finden ist. Im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht handelt es sich bei dem Inlandsbezug um ein Einkünfte begründendes Tatbestandsmerkmal. Denn § 49 EStG definiert abschließend den Katalog der steuerpflichtigen, inländischen Einkünfte von Steuerausländern. Negativ formuliert müssen bei der Betriebsstättengewinnermittlung solche betrieblichen Einkunftselemente unberücksichtigt bleiben, deren auslösendes Moment zwar im Betrieb, aber außerhalb der Betriebsstätte liegt. Als Konkretisierung des objektiven Veranlassungsprinzips ist diese ortsbezogene Zuordnung keiner subjektiven Willensentscheidung zugänglich, 46 denn ein objektiver Maßstab verlangt allgemein gültige Prinzipien, die als solche eine hiervon abweichende subjektive Zuordnungsentscheidungen verbieten. Dies gilt spiegelbildlich für den wirtschaftlichen Zusammenhang i.S.d. § 34c Abs. 1 S. 4 EStG. Für die Zuordnung der unteilbaren Leistungsbeiträge ist damit entscheidend, wo die gewichtigste Leistung in Bezug auf die bilanzielle Auswirkung erbracht wurde. Letztlich folgt dies aus der Tatsache, dass die Betriebsstätte lediglich ein unselbständiger Bestandteil des Betriebs und damit stets nur ein Teilausschnitt desselben ist.47 Dieser Ausschnitt definiert im Fall der beschränkten Steuerpflicht gem. §§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, 50 Abs. 1 S. 1 EStG den Umfang der Steuerpflicht und im Fall der unbeschränkten Steuerpflicht gem. §§ 34d Nr. 2 Buchst. a, 34c Abs. 1 S. 4 EStG den Auslandsbezug für Zwecke der Anrechnung. Eine Gewinnaufteilung nach Fremdvergleichskriterien kennt das reine Veranlassungsprinzip nicht. Denn wie schon gesagt geht es bei Veranlassung nur um Ursächlichkeit ohne Rücksicht auf Risikotragung.48 Deutlich wird das Fehlen der Fremdüblichkeit u.a. auch bei einem Blick in das Gew­ StG. Dort wird die Gewinnaufteilung zwischen verschiedenen inländischen Betriebsstätten gem. §§ 28ff GewStG ebenfalls unabhängig von konkreten Leistungsbeiträgen oder Risikotragungen grds. nur auf Basis von Arbeitslöhnen oder bei rein technischen Betriebsstätten anderer technischer Aufteilungsmaßstäbe vollzogen. Eine ortsbezogene, quantitative Aufteilung der Leistungsbeiträge kennt das reine Veranlassungsprinzip nicht49.

45 Ausnahmen vom Betriebsstättenerfordernis regeln z.B. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b–g EStG. 46 Wacker, DStR 2019, 836 (843); ders., FR 2018, 558 (564); a.A. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA, DBA 2013, Art. 7 Rn. 128. 47 Z.B. Bs-VWG v. 24.12.1999 − IV B 4  – S 1300- 111/99, (Bs-VWG) BStBl I 1999, 1076ff Tz. 5.1.2. 48 S.o. I.A.1. 49 So aber: Wassermeyer, IStR 2005, 84; a.A. Hruschka/Lüdemann, IStR 2005, 76.

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Für den 1. Fall (E-Tailer) bedeutet dies, dass der Ertrag dem Standort der menschlichen Hauptleistung zuzuordnen ist, da Hilfsleistung der Serverbetriebsstätte im Vergleich zur Hauptleistung nachrangig ist. Im Fall 2 (Stromproduktion) konkurrieren verschiedene Hauptleistungen (Produktion und Vertrieb) miteinander. Wie oben beschrieben50 ist in diesem Fall der Produktionsprozess wirtschaftlich als gewichtiger einzuordnen. Dies gilt um so mehr, wenn sich die Vertriebsfunktion auf den Abschluss eines gesetzlich vordefinierten eines Rahmenvertrags beschränkt. Im Fall 3 (automatisierter Handel) steht die automatisierte Vertriebsfunktion als solche im Vordergrund, denn erst sie kann einen Ertrag im Unternehmen auslösen. Dies muss insbesondere dann gelten, wenn die Beschaffungsfunktion ebenfalls technisch abgewickelt wird oder auf ein anderes Unternehmen outgesourct ist. bb) Entstrickungsregeln Mit Wirkung ab dem 1.1.2006 wurde das allgemeine Veranlassungsprinzip um die sog. Entstrickungsregeln gem. § 4 Abs. 1 S. 3 EStG, § 6 Abs. 1 Nr. 4 S. 1 Hs. 2 EStG i.V.m. § 4 Abs. 1 S. 4 EStG bzw. § 4 Abs. 1 S. 8 Hs. 2, § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG bzw. § 12 Abs. 1 KStG ergänzt. Hierbei handelt es sich um innerbetriebliche Realisationstatbestände,51 die gem. § 4 Abs. 1 S. 4 EStG insbesondere dann greifen, wenn ein bisher einer inländischen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen zuzuordnendes Wirtschaftsgut einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen ist. Diese Regeln bewirken, dass seitdem die einzelnen unternehmensinternen Beiträge im Falle einer grenzüberschreitenden Leistungserbringung nicht mehr nur noch veranlassungsgerecht zugeordnet (sog. Prinzip der aufgeschobenen Gewinnrealisierung), sondern grundsätzlich mit dem gemeinen Wert52 realisiert werden. Dem entsprechend müssen die einzelnen, an den verschiedenen Standorten des Unternehmens in Bezug auf das Gewinnelement erbrachten Leistungsbeiträge identifiziert, zugeordnet und bei grenz­ überschreitender, unternehmensinterner Leistungserbringung bewertet53 werden. Dem Wortlaut des § 4 Abs. 1 S. 3 EStG folgend betrifft dies nur Wirtschaftsgüter und sachbezogene Nutzungen, nicht aber Dienstleistungen.54 Maßgeblich ist der Preis, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zu erzielen wäre (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 S. 1 Hs. 2 EStG). Dafür sind alle Umstände, die den Preis beeinflussen, zu berücksichtigen (§ 9 Abs.  2 BewG). Sachlich einzubeziehen sind folglich sämtliche standortbezogenen Wertschöpfungsbeiträge, die zur Entstehung des Wirtschaftsguts, Aufwands oder Ertrags beigetragen haben. Ebenso kann hier die Funktion der Risikotragung einbezogen werden.

50 S.o. I.A.1.b)(bb). 51 Lohschelder in Schmidt/EStG, 38. Aufl. 2019, § 4 Rz. 329.  52 Reine Selbstkosten sind nur bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen bzw. beim Import von Nutzungen anzusetzen. 53 § 6 Abs. 1 Nr. 4 S. 1 Hs. 2 EStG, § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG. 54 So auch: Pfirrmann in Blümich/KStG § 12 Rz. 35. 

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Auf den 1. Fall (E-Tailer) bezogen bedeutet dies, dass die Nutzungen, die die technische Betriebsstätte dem Standort überlässt, in dem das Personal seine Willenserklärung abgibt, als Nutzungsentnahme mit dem gemeinen Wert zu berücksichtigen ist.55 Auf den 2. Beispielsfall (Stromproduktion) bezogen bedeutet dies, dass der technisch produzierte Strom von der Betriebsstätte unter Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr vertrieben wird. Soweit ausländisches Personal zu dieser Leistung einen Vertriebsbeitrag geleistet hat, handelt es sich um eine Dienstleistung des ausländischen Unternehmensteils an die inländische Betriebsstätte. Da § 4 Abs. 1 S. 8 Hs. 2 EStG die Verstrickung zum gemeinen Wert nur bei Wirtschaftsgütern kennt, können in der inländischen Betriebsstätte lediglich die Personalkosten als Leistungsbeitrag Einkünfte mindernd berücksichtigt werden (§ 50 Abs. 1 S. 1 EStG). Im 3. Fall (automatisierter Handel) sind die einzelnen Funktionen Standort bezogen zu bewerten und bei unternehmensinterner grenzüberschreitender Leistungserbringung zu realisieren. Für den Entstrickungs-/Verstrickungswert kann daher auch die Risikotragung berücksichtigt werden. Je weniger Personal in dem gesamten Unternehmen tätig ist, desto unbeachtlicher wird allerdings dieser Aspekt. Besondere Bedeutung bekommt dieser Aspekt, wenn z.B. die Personalfunktion auf andere Gesellschaften ausgelagert ist. cc) AOA Im OECD-MA 2010 wurde der „functionally separate entity approach“ als der von der OECD anerkannte Ansatz (Authorized OECD Approach = AOA) durch die Neufassung von Art.  7 umgesetzt. Durch den ergänzenden Verweis auf Art.  7 Abs.  2 OECD-MA in Art. 7 Abs. 1 S. 2 OECD-MA soll die Selbständigkeits- und Unabhängigkeitsfiktion der Betriebsstätte gestärkt und mit ihr die Gleichbehandlung mit einer Tochtergesellschaft erreicht werden.56 Auf die Gewinnermittlung der Betriebsstätte wirkt sich dieser Ansatz in Form des sog. 2. Step Approach aus. Ausgehend von den in den verschiedenen Unternehmensteilen ausgeübten Funktionen sollen in einem ersten Schritt die mit diesen verbundenen Wirtschaftsgüter sowie die mit den Funktionen verbundenen Risiken zugeordnet und in einem zweiten Schritt die Innentransaktionen identifiziert und bewertet werden. Ausgangspunkt hierfür sind die sog. „significant people functions“.57 Im Kern schaffen diese einen Personal bezogenen Ankerpunkt, an den die schon während des allgemeinen Veranlassungsprinzips geltenden Funktionen geknüpft werden. Insoweit engt der AOA das allgemeine Veranlassungsprinzip ein, indem er das auslösende Moment an die Bedingung „Personal“ knüpft. 55 Wg. der Reichweite von § 12 AO ist es unbeachtlich, dass der dedizierte Server nur Hilfsund Unterstützungsleistungen erbringt. 56 Veröffentlicht im Betriebsstättenbericht 2010 der OECD, https://www.oecd.org/ctp/trans​ fer-pricing/45689524.pdf; Einführung in Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010; Wassermeyer, IStR 2012, 277; für eine Zusammenfassung siehe Wellmann, Festgabe Franz Wassermeyer zum 75. Geburtstag, 2015, 235 ff. 57 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA 2. Aufl. 2019, Art. 7 (2008) Rz. 100. 

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Innerstaatlich hat der Gesetzgeber diesen Ansatz im Abkommensrecht durch die Neufassung des § 1 AStG mit Wirkung ab dem 1.1.2013 umgesetzt (§ 21 Abs. 20 S. 3 AStG).58 Flankiert wird die Regelung von der Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung (BsGaV) v. 13.10.2014,59 die mit Wirkung für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2014 beginnen, anzuwenden ist (§  40 BsGaV) und den Verwaltungsgrundsätzen Betriebsstättengewinnaufteilung (VWG BsGa) vom 22.12.2016.60 Inhaltlich hat sich der deutsche Gesetzgeber den Vorstellungen der OECD angeschlossen. Daher ist eine Betriebsstätte zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes grundsätzlich wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln (§  1 Abs.  3 S.  2 AStG).  Um die Betriebsstätte wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln, ist der Betriebsstättengewinn im Wege eines 2 stufigen Verfahrens zu ermitteln (§ 1 Abs. 5 S. 3 und 4 AStG, §§ 4–17 BsGaV). Ausgangspunkt für das Verfahren sind die Personalfunktionen, die im Unternehmen ausgeübt werden (§ 1 Abs. 5 S. 3 Nr. 1 AStG). Gem. § 2 Abs. 3 S. 1 BsGaV ist eine Personalfunktion eine Geschäftstätigkeit, die von eigenem Personal des Unternehmens für das Unternehmen ausgeübt wird. Ist diese Personalfunktion Ausgangspunkt für die Zuordnung der Vermögenswerte, die zur Funktionsausübung eingesetzt werden (§ 1 Abs. 5 S. 3 Nr. 2 AStG) kann es begrifflich keine Betriebsstätte in Form einer rein technischen, personallosen festen Geschäftseinrichtung geben. Denn die feste Geschäftseinrichtung ist nichts anderes als eine Sachgesamtheit von Vermögensgegenständen, die dem Betrieb dienen (§ 12 S. 1 AO) bzw. durch die die Haupttätigkeit des Unternehmens wenigstens teilweise ausgeübt wird (Art. 5 Abs. 1 OECDMA (2017)). Übersehen wird dabei allerdings, dass §  1 Abs.  5 S.  2 AStG einen Vorbehalt zu diesem Ansatz und damit auch zur Personalfunktion enthält, nämlich „sofern die Zugehörigkeit der Betriebsstätte zum Unternehmen eine andere Behandlung erfordert.“ Nach dem historischen Willen des Gesetzgebers war die Selbständigkeitsfiktion auf diese Weise einzuschränken, um internationale Besteuerungskonflikte oder Besteuerungslücken zu vermeiden: 61 Denn auch nach dem OECD-Betriebsstättenbericht könne der Umstand, dass eine Betriebsstätte rechtlich und tatsächlich nur ein unselbständiger Teil des Unternehmens ist, auch für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes nicht vollständig negiert werden.62 Zwar ging es bei dem Vorbehalt in erster Linie um das Kreditranking und potentielle Darlehensbeziehungen innerhalb des Unternehmens63, jedoch ist diese Einschränkung im Wortlaut des Gesetzes nicht enthalten. Vielmehr ist der Vorbehalt offen formuliert und daher auch auf rein technische Betriebsstätten anwendbar. Für die Anwendung dieses Vorbehalts auf personallose Betriebsstätten spricht der Zweck des Gesetzes, dass der Existenz der personallosen Betriebsstätte dem Grunde nach auch ein Gewinn der Höhe nach

58 Durch G v. 26.6.2013, BGBl I, 1809. 59 BGBL I 2014, 1603. 60 VWG-BsGa a.a.O. Fn. 9. 61 BT-Drs 17/10000 v. 19.6.2012, 64. 62 BT-Drs 17/10000 v. 19.6.2012, 64. 63 BT-Drs 17/10000 v. 19.6.2012, 64.

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Ein Plädoyer für den Gewinn der personallosen Betriebsstätte

folgen sollte. Denn es wäre doch ein überraschendes Ergebnis, dem Quellenstaat ein Besteuerungsrecht einzuräumen, welches Null beträgt.64 Offen ist damit aber noch die Frage, wie in solchen Fällen der Betriebsstättengewinn zu ermitteln ist. Ausgangspunkt ist auch hier das nationale Recht, d.h. insbes. bei Vorliegen einer inländischen Betriebsstätte i.S.v. § 12 AO sind die beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte i.S.v. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG gem. § 50 Abs. 1 S. 1 EStG zu ermitteln. Insoweit kommt das Veranlassungsprinzip zur Anwendung, d.h. Wirtschaftsgüter, Aufwand und Ertrag sind der personallosen Betriebsstätte nach ihrem auslösenden Moment zuzuordnen. Dafür ist von den in der Betriebsstätte vorhandenen Wirtschaftsgütern auszugehen und die Erträge zuzuordnen, die ihr auslösendes Moment in den dort zugeordneten Wirtschaftsgütern haben. Diese Grundsätze der Gewinnermittlung wurden durch die Einführung des § 1 Abs. 5 AStG nicht beseitigt. Auch die Entstrickungsregeln gelten fort. 65 Schließlich handelt es sich bei den Vorschriften des §  1 AStG und der BsGaV nur um sog. Einkünftekorrekturvorschriften66, die lediglich neben die sog. Entstrickungsregeln treten, diese aber nicht verdrängen. 67 Auch darf nicht übersehen werden, dass § 1 AStG nur greift, soweit die Rechtsfolge zu einer Erhöhung der inländische Einkünfte führt. 68 Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Denn die zwingende Voraussetzung von Personal in der Betriebsstätte würde zumindest bei inländischen Betriebsstätten stets zu einer Beseitigung, d.h. Minderung, des inländischen Betriebsstättengewinns führen. Damit sind technischen Einrichtungen auch nach Einführung des AOA veranlassungsgerecht Gewinnelemente zuzuordnen und ggf. unternehmensinterne, grenzüberschreitende Leistungsbeiträge nach den Entstrickungsregeln zu realisieren. Für Auslandsbetriebsstätten gilt dies gem. § 34c Abs. 1 S. 4 EStG sinngemäß. Im Ergebnis sind damit die Gewinne der inländischen Betriebsstätten in den Fällen 1, 2 und 3 auch nach Einführung des AOA unter Berücksichtigung des Veranlassungsprinzips und der Entstrickungsregeln zu ermitteln. 2. Zwischenergebnis Nach nationalem Recht können technische Einrichtungen sowohl im Rahmen der rein unternehmensinternen Wertschöpfung als auch bei der Gewinnverwirklichung im Geschäftsverkehr einkommensrelevante Beiträge veranlassen/leisten, d.h. ihnen, bzw. rein technischen Betriebsstätten, die über keinerlei Personal verfügen, können veranlassungsgerecht Gewinne und Verluste erwirtschaften. Dies gilt unabhängig davon, ob das reine Veranlassungsprinzip, die sog. Entstrickungsregeln oder der AOA zur Anwendung kommen.

64 So auch: BMF v. 17.12.2019 – IV B 5 - S 1341/19/10010 :003, BStBl I 2020, 84; a.A. Ditz/ Tcherveniachki, ISR 2020, 145. 65 VWG-BsGa a.a.O. Fn. 9, Rz. 20. 66 VWG-BsGa a.a.O. Fn. 9, Rz. 10. 67 VWG-BsGa a.a.O. Fn. 9, Rz. 20. 68 VWG-BsGa a.a.O. Fn. 9, Rz. 10 bzw. Rz. 20.

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IV. Das Betriebsstättenergebnis nach Abkommensrecht 1. Veranlassungsprinzip Bis zum OECD-MA 2008 galt der für das Abkommensrecht der sog. „relevant business acitivity approach“, der die Betriebsstätte grundsätzlich als unselbständigen Bestandteil des Rechtsträgers versteht, der lediglich für Zwecke von Leistungsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte gem. Art. 7 Abs. 2 OECD-MA (2008) als selbständig zu behandeln ist.69 Dem entsprechend sind in diesem Fall die Wirtschaftsgüter, ihnen folgend die Aufwendungen sowie die am Markt realisierten ­Geschäfte nach Veranlassungskriterien zuzuordnen. 70 Nur sofern es zu Leistungsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte kommt, ist der Fremdvergleichsgrundsatz anzuwenden.71 Hierzu kommt es jedoch nur, wenn zunächst die feste Geschäftseinrichtung als Betriebsstätte i.S.d. Art.  5 OECD-MA (2008) anzuerkennen ist. Dies wiederum verlangt, dass in der festen Geschäftseinrichtung wenigstens ein Teil der Haupttätigkeit verrichtet wird. Beschränkt sich die dortige Tätigkeit auf Vorbereitungs- oder Hilfstätigkeiten begründet die feste Geschäftseinrichtung kein Besteuerungsrecht des Quellenstaats (Art. 5 Abs. 4 OECD-MA). Im Fall 1 (E-Tailer) ist daher der gesamte Unternehmensgewinn gem. Art. 7 Abs. 1 S. 1 OECD-MA (2008) dem Ansässigkeitsstaat zuzuweisen, da der dedizierte Server, der nur dem Transport der Willenserklärung des Unternehmers dient, nur eine feste Geschäftseinrichtung i.S.d. Art.  5 Abs.  4 OECD-MA (2008), nicht jedoch eine Betriebsstätte i.S.d. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA (2008) darstellt. Für die Fälle 2 (Stromproduktion) und 3 (automatisierter Handel) bedeutet dies, dass das veranlassungsgerecht ermittelte Betriebsstättenergebnis um die Funktions- und Risikobeiträge72 des Stammhauses zu korrigieren ist. Dies galt auch schon vor Einführung des AOA.73 2. AOA Mit Art.  7 OECD-MA (2010) wurde der AOA im Musterabkommen verankert.74 Deutschland hat diesen Ansatz bereits in einzelnen DBA umgesetzt. 75 Dem entspre69 Vgl. Förster, IStR 2007, 398 (399). 70 Bs-VWG a.a.O. Fn. 47, Tz. 2.2. 71 Bs-VWG a.a.O. Fn. 47, Tz. 2.6, 3.1–3.4; Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl. 2019, Art. 7 (2008) Rz. 90. 72 Sofern in dem gesamten Unternehmen wg. Auslagerung auf eine Drittfirma kein Personal vorhanden ist, dass das Risiko persönlich trägt, kann m.E. die Überlegung, dass die technische Betriebsstätte im Vergleich zum Stammhaus kein Risiko trägt, keine Rolle spielen. 73 S.o. Fn. 70. 74 S.o. I.A.2 75 DBA Großbritannien 2010/2014, Liechtenstein 2011, Luxembourg 2012, Niederlande 2012, Norwegen 1991/2013, USA 1989/2006. 

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Ein Plädoyer für den Gewinn der personallosen Betriebsstätte

chend läuft das Zwischenergebnis nach nationalem Recht, Betriebsstättengewinn auch ohne Personal, leer, soweit die neuen Vorschriften des DBA zwingend Personal in der Betriebsstätte voraussetzen. Ziel des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA (2017) ist es, der Betriebsstätte, den Gewinn zuzuordnen, den ein selbständiges Unternehmen in der vergleichbaren Situation erwirtschaftet hätte.76 Dem entsprechend ist die Betriebsstätte zur Gewinnaufteilung im Verhältnis zum Stammhaus wie ein selbständiges Unternehmen zu behandeln; dabei sind die vom Unternehmen durch die Betriebsstätte und durch andere Unternehmensteile ausgeübten Funktionen, eingesetzten Wirtschaftsgüter und übernommenen Risiken zu berücksichtigen. Geht man von diesem Wortlaut des Abkommens aus, widerspricht die veranlassungsgerechte Zuordnung nach innerstaatlichem Recht nicht den Wertungen des Abkommens. Nach den Wertungen des OECD-MK 2017 sind der Betriebsstätte im 1. Schritt im Rahmen der Funktions- und Risikoanalyse die Rechte und Pflichten aus Außentransaktionen zuzuordnen sowie die wesentlichen Personalfunktionen zu identifizieren, die zur Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums an den Wirtschaftsgütern erforderlich sind.77 Zu Art. 5 führt der OECDMK (2017) insoweit aus, z.B. ein dedizierter Server eine Betriebsstätte begründen kann, selbst wenn dort kein Personal zum Betrieb des Servers und der dort vorgehaltenen Software tätig wird. 78 Eben so wenig ist die schlichte Anwesenheit von Per­ sonal an diesem Ort notwendig, wenn tatsächlich kein Personal erforderlich ist, um die Tätigkeit vor Ort zu verrichten. 79 Dies gilt gleichermaßen für den Bereich des E-Commerce wie für die Tätigkeit von Maschinen zur Verrichtung von Leistungen wie etwa das Pumpen von Flüssigkeiten oder die Ausbeutung natürlicher Quellen (insb. Wind, Strömung oder Sonne). 80 Etwas anderes gilt für die Annahme einer Betriebsstätte, wenn die technische Einrichtung lediglich Hilfs- bzw. Vorbereitungstätigkeiten verrichtet. Als solche Tätigkeit eines Servers wird insbesondere das schlichte Bereitstellen eines Kommunikationswegs zwischen Lieferanten und Kunden, die reine Werbetätigkeit oder etwa die Sammlung von Daten angesehen. Solche Tätigkeiten können keine Betriebsstätte i.S.d. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA begründen.81 Sofern also die Technik selbst die Funktionen erledigt, ist das Personal für deren Erfüllung nicht wesentlich. Das bedeutet aber nicht, dass die Betriebsstätte funktionslos ist oder nur unwesentliche Funktionen erfüllt. Um welche Funktionen es geht, definiert weder das OECD-MA (2010) noch der OECD-MK (2017). Die wesentlichen Ausführungen zu diesem Thema finden sich im Betriebsstättenbericht 2008.82 Die dort genannten, maßgeblichen Funktionen wurden in § 2 Abs. 3 BsGaV aufgenommen. Im Abkommensrecht sind demnach ebenso wie im nationalen Recht u.a. die 76 OECD-MK (2017) zu Art. 7 Rz. 15. 77 OECD-MK (2017) zu Art. 7 Rz. 21. 78 OECD-MK (2017) zu Art. 5 Rz. 127. 79 OECD-MK (2017) zu Art. 5 Rz. 127. 80 OECD-MK (2017) zu Art. 5 Rz. 127. 81 OECD-MK (2017) zu Art. 5 Rz. 127. 82 Vgl. OECD Report on the Attribution of Profits to permanent establishments; vgl. hierzu: Förster, IStR 2008, 800.

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Nutzung, Anschaffung, Herstellung und Veräußerung als maßgebliche Geschäftstätigkeiten anzusehen.83 Genau diese Funktionen können aber auch technische Einrichtungen ohne menschliches Zutun erledigen. Im Vergleich hierzu können die menschlichen Leistungsbeiträge unwesentlich sein. Für die Gewinnabgrenzung nach Art 7 Abs. 2 OECD-MA (2010) bedeutet dies: Verrichten Maschinen, die eine feste Geschäftseinrichtung darstellen, Betriebsstätten begründende Tätigkeiten, müssen diesen Tätigkeit auch Gewinne zugeordnet werden können. Für den Fall 1 (E-Tailer) bedeutet dies, dass die wegen der reinen Hilfstätigkeit des Servers keine Betriebsstätte vorliegt und deshalb der gesamte Gewinn dem Standort zugeordnet werden muss, an dem das Personal tätig ist. Für die Fälle 2 (Stromproduktion) und 3 (automatisierter Handel) bedeutet dies, dass die wesentlichen Funktionen auch nach Einführung des AOA von Maschinen verrichtet werden und diesen ein funktionsadäquater Gewinn zuzuordnen ist.84

V. Ergebnis Sowohl nach nationalem als nach Abkommensrecht können technische Einrichtungen eine Betriebsstätte begründen. In Abhängigkeit von der Tätigkeit können derartige, rein technische Betriebsstätten wertschöpfende Leistungsbeiträge erbringen, die im Vergleich zur Gesamttätigkeit des Unternehmens erhebliche Bedeutung haben. Dies betrifft nicht nur den Bereich der Produktion, sondern auch den des automatisierten Handels. Sowohl nach dem reinen Veranlassungsprinzip als auch nach den Entstrickungsregeln und dem AOA ist diesen Betriebsstätten ein Gewinn zuzuordnen. Dies gilt auch für das Abkommensrecht. Das Betriebsstättendogma des AOA „no people, no profit“ hat daher keine Berechtigung. Insofern hat die Verwaltung gut daran getan, die Tz. 6a in das BMF-Schreiben aufzunehmen und dies klarzustellen.

83 Vgl. Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2008, Rz. 104–125. 84 Zum risikoabhängigen Gewinnanteil siehe Fn. 71.

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Gewinnabgrenzung nach dem AOA – ein gut gemeinter Beitrag zur Harmonisierung mit Haken? Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Die Bedeutung der Betriebsstätte im Steuerrecht I II. Der AOA im Abkommensrecht 1. Historie 2. Gleichmäßige Besteuerung von Betriebsstätten und Tochterkapitalgesellschaften 3. Motive zur Einführung des AOA 4. „Significant people functions“ als Konkretisierung des Veranlassungsprinzips 5. Anwendung des AOA auf Personen­ gesellschaften

IV. AOA im innerstaatlichen Recht 1. Einleitung 2. Umsetzung des AOA im deutschen Rechtskreis 3. Zuordnung von Wirtschaftsgütern zu ­einer Betriebsstätte infolge des AOA 4. Selbständigkeitsfiktion bei der Einkünfte­ ermittlung 5. Dealings als Tatbestand zur Gewinn­ realisierung V. Zusammenfassung

I. Einleitung Heinz-Klaus Kroppen ist ein Mann deutlicher Worte und klarer Prinzipien. Seine Eigenschaften machen ihn zu einem verlässlichen und freundschaftlich verbundenen ehemaligen Partnerkollegen. Gradlinigkeit war auch die Ausgangsbasis für sein akademisches Wirken im Steuerrecht, welches durch die konsequente Verfolgung steuerlicher Grundsätze geprägt war. Seine Bemühungen um ganzheitliche Lösungen zeigten sich besonders bei seinem primären wissenschaftlichen Wirken im Bereich der Verrechnungspreise, ein Gebiet, in dem er auch seine langjährigen Erfahrungen aus der Praxis einbringen konnte. Heinz Klaus-Kroppen begleitete daher auch viele Diskussionen auf internationaler Ebene wie die Entwicklung und Einführung von Regelungen zur steuerlichen Abgrenzung von Gewinnen zwischen Stammhaus und Betriebsstätten nach dem AOA, was auch vor dem Hintergrund seiner sonstigen Verpflichtungen der Leitung der Steuerpraxis einer großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft bemerkenswert ist. Die Prinzipien des AOA sollen daher zur Ehrung des Jubilars und seiner außergewöhnlichen Leistungen nachfolgend untersucht und einer Würdigung unterzogen werden.

II. Die Bedeutung der Betriebsstätte im Steuerrecht Die Betriebsstätte als rechtlich unselbständiger Betriebsteil eines Unternehmens wird im deutschen nationalen Recht bekanntlich in § 12 AO definiert. Abkommensrecht455

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lich findet sich die Betriebsstättendefinition in Art. 5 OECD-MA.1 Damit ein Betriebsstättenstaat Einkünfte erfassen darf, ist es regelmäßig erforderlich, dass sowohl eine Betriebsstätte nach nationalem Recht und als auch nach Abkommensrecht gegeben ist. Die Betriebsstätte wird als Anknüpfungspunkt zur Bestimmung der Steuerpflicht nicht erst seit gestern verwendet. Bereits im preußischen Gesetz v. 27.7.1885 wurde der Begriff erstmalig betreffend Ergänzung und Abänderung einiger Bestimmungen über Erhebung der auf das Einkommen gelegten direkten Kommunalabgaben i.R.d. innerstaatlichen Gesetzgebung und abkommensrechtlich in dem DBA zwischen der Habsburger Doppelmonarchie mit Preußen verwendet.2 Die Betriebsstätte war damit im internationalen Kontext seit jeher3 der Gradmesser, um eine erforderliche wirtschaftliche Verflechtung eines Unternehmens mit einem anderen Staat zu bestimmen, welche die Erhebung eines Besteuerungsanspruchs rechtfertigt. Nur lose Beziehungen eines Unternehmens zu einem ausländischen Staat reichen damit nach bisheriger Sichtweise nicht aus, um nach dem abkommensrechtlichen Grundsatzes des sog. „Betriebsstättenprinzips“ eine Legitimation für eine Besteuerung im Quellenstaat zu begründen.4 Bis zum heutigen Tag hat die Betriebsstätte nichts an ihrer Bedeutung für die Verteilung von Besteuerungsrechten verloren. Sie ist auch in einer digitalen Welt bisher (noch) das entscheidende Kriterium für eine „gerechte“ Aufteilung der Besteuerungsrechte zwischen den Staaten.5 Zwar hat die Besteuerung von Unternehmen im Bereich des E-Commerce eine Debatte ausgelöst, inwieweit der althergebrachte Begriff der Betriebsstätte in einer digitalen Welt noch ausreicht, um eine „gerechte“ Besteuerung zu gewährleisten. Die Entwicklung alternativer Konzepte zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft wurde dabei von der OECD6 sowie der EU7 i.R.d. BEPS-Pro1 Weiterführend zur Definition der Betriebsstätte vgl. Jacobs/Endres/Spengel, Internationale Unternehmensbesteuerung, 8. Aufl. 2016, S. 308 ff.; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 1 ff.; Esterer in Festgabe Wassermeyer, 2015, S. 137 ff. 2 Nachweise bei Reimer, IStR 2009, 378 f. 3 Überblick bei Skaar, Permanent Establishment. Erosion of a Tax Treaty Principle (1991), 71 ff.; sowie Görl in Vogel/Lehner, 6. Aufl. 2015, Art. 5 OECD-MA Rz. 4. 4 Vgl. Görl in Vogel/Lehner, 6. Aufl. 2015, Art. 5 OECD-MA Rz. 2. 5 Vgl. Pinkernell/Ditz, FR 2001, 1193 ff. und 1271 ff. 6 Vgl. OECD, Addressing the Tax Challenges of the Digital Economy, Action 1, 2015 Final Report; OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Interim Report 2018; OECD, OECD/G20 Inclusive Framework on BEPS: Progress Report July 2017 – June 2018; sowie das Konsultationsdokument OECD, Addressing the Tax Challenges of the Digitalisation of the Economy – 13 February – 6 March 2019. 7 Vgl. Schlussbericht der Commission Expert Group on Taxation of the Digital Economy, Report 2014; European Commission, A Fair and Efficient Tax System in the European Union for the Digital Single Market, Communication 2017; European Parliament, Understanding the OECD tax plan to address ‘base erosion and profit shifting’ – BEPS, 2017; European Commission, Proposal of the European Commission for a Council Directive on the common system of a digital services tax on revenues resulting from the provision of certain digital services, COM (2018) 148 final; European Commission, Proposal for a Council Directive laying down rules relating to the corporate taxation of a significant digital presence, COM (2018) 147 final.

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jekts zwar diskutiert; ein Konsens über die Einführung alternativer Maßstäbe zur Verteilung der Ertragsteuern konnte jedoch bisher nicht gefunden werden. Allerdings bemüht sich die OECD bzw. das Inclusive Framework anknüpfend an diese Diskussionen jüngst erneut um die Bestimmung neuer Prinzipien zur Verteilung von Gewinnen für multinational agierende Unternehmen anhand einer formelhaften Verteilung, um so die Besteuerung eines Teils der Wertschöpfung in Marktstaaten trotz fehlender Betriebsstätte zu erlauben (sog. „Pillar One“).8 Dies ändert jedoch nichts an der Fortgeltung der abkommensrechtlichen Verteilungsnorm des Art.  7 OECD-MA und damit dem Grundsatz der Besteuerung nach dem Betriebsstättenprinzip, welches als Ausgangsgröße bei der Gewinnverteilung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte auch nach dieser Neuausrichtung der Verteilung der Besteuerungsrechte erhalten bleibt. Tatsächlich ist zudem zu erwarten, dass die Anzahl der Betriebsstätten zukünftig international zunehmen wird, da der Betriebsstättenbegriff z.B. durch die Änderungen für Vertreterbetriebsstätten, welche die Schwelle für die abkommensrechtlich zuläs­ sige Annahme einer Betriebsstätte senken,9 sowie Weiterentwicklungen in der Rechtsprechung10 zunehmend eine Erweiterung erfährt. Diese Ausweitung ist Anlass zur Sorge, dass infolge von Qualifikationskonflikten hinsichtlich der Beurteilung des Bestehens von Betriebsstätten eine Doppelbesteuerung entstehen kann.11 In jedem Fall ist dieser Trend jedoch Anlass, sich mit der Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte erneut auseinanderzusetzen.

III. Der AOA im Abkommensrecht 1. Historie Neben der Frage, ob eine Betriebsstätte vorliegt, ist die viel bedeutendere Frage, welcher Gewinn der Betriebsstätte zuzuweisen ist. Dieser Frage widmete sich die OECD im Rahmen der Arbeiten an dem sogenannten „Authorised OECD Approach“ (AOA). Die Arbeiten am AOA gehen zurück auf das Jahr 2001. In diesem veröffentlichte die OECD die ersten Diskussionsentwürfe zur Besteuerung von Betriebsstätten aufgrund 8 Vgl. OECD, Secretary Proposal for a “Unified Approach” under Pillar One, 2019. 9 Vgl. OECD (2015), Preventing the Artificial Avoidance of Permanent Establishment Status, Action 7 − 2015 Final Report, 16; Art. 5 Abs. 5 und 6 OECD-MA i.d.F. 2017; wenn auch Deutschland diese Änderungen i.R.d. MLI nicht gewählt hat, vgl. die Vorbehalte Deutschlands gegen die Neufassung im OECD-MA (r. 213 und r. 215 zu Art. 5 OECD-MA).Vgl. auch Kroppen/van der Ham, IWB 2017, 257 (262). 10 Vgl. nur BFH v. 24.8.2011 – I R 46/10, BStBl. II 2014, 764 zum Bestehen einer Verfügungsmacht bei Auslagerung einer Tätigkeit mittels Managementvertrags auf eine dritte Gesellschaft sowie BFH v. 9.1.2019 – I B 138/17, BFH/NV 2019, 681 ff. zur Qualifikation eines Schließfaches als Betriebsstätte. 11 Vgl. Görl in Vogel/Lehner, 6.  Aufl. 2015, Art.  5 OECD-MA Rz.  3; Haas, IStR 2011, 353 (361).

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der Arbeitshypothese der Besteuerung nach dem sog. Functionally Separate Entity Approach (FSEA).12 Grundkonzept des FSEA war dabei das damalige Novum, Betriebsstätten bei der Gewinnabgrenzung als fiktiv selbständige Einheiten zu behandeln. Dieser Versuch zur selbständigen Behandlung eines rechtlich unselbständigen Unternehmensteils war bereits deswegen bemerkenswert, da die Völkerbundentwürfe eines Musterabkommens aus dem Jahre 1927 Tochtergesellschaften noch als Betriebsstätten ihrer Muttergesellschaften behandelten.13 Der FSEA ist schließlich in den finalen Berichten des Jahres 2008 in der revidierten Fassung des OECD-Kommentars sowie im Bericht des Jahres 2010 enthalten, der auch den Wortlaut des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA veränderte.14 2. Gleichmäßige Besteuerung von Betriebsstätten und Tochterkapital­ gesellschaften Mittels des AOA sollte eine Gleichmäßigkeit der Besteuerung von Betriebsstätten und Tochterkapitalgesellschaften insbesondere im Hinblick auf die Anwendung der Verrechnungspreisvorschriften erreicht werden: “In this context, it should be noted that the aim of the authorised OECD approach is not to achieve equality of outcome between branch and subsidiary in terms of profits but rather to apply the same transfer pricing principles that apply to associated enterprises when attributing profits to a PE.” 15

Die Zielsetzung ist vor dem Hintergrund des gem. Art. 3 Abs. 1 GG zu beachtenden Gleichheitssatzes verständlich.16 Auch trägt die Präzisierung der Regelung zur Gewinnabgrenzung durch den FSEA der Befolgung des Willkürverbots17 als Ausprägung des Gleichheitssatzes Rechnung. Gleichwohl endet die Pflicht zur Gleichbehandlung, wenn die Vergleichbarkeit von Betriebsstätten und Tochterkapitalgesellschaften eingeschränkt ist.18 Denn der verfassungsrechtlich in Art.  3 Abs.  1 GG verbürgte Gerechtigkeitsgedanke erfordert, dass nur Gleiches gleich behandelt wird.19 Daher sind Betriebsstätten und Tochterkapitalgesellschaften hinsichtlich ihrer hinreichenden Vergleichbarkeit zu untersuchen, um zu bestimmen, inwieweit gleiche Grundsätze für sie gelten können. Dem entspricht es, dass auch die OECD anerkennt, dass Betriebsstätten und Tochterkapitalgesellschaften nicht in jeglicher Hinsicht vollständig vergleichbar sind und 12 Vgl. Hemmelrath/Kepper, IStR 2013, 37.  13 Vgl. Wassermeyer, DBA, Art. 9 OECD-MA Rz. 8. 14 Vgl. OECD, Attribution of Profits to Permanent Establishments, 2008; OECD, Attribution of Profits to Permanent Establishments, 2010. 15 Vgl. OECD, Report on the attribution of profits to permanent establishments, 2010, Part I Rz. 55, Part II Rz. 4, Part III Rz. 25. 16 Vgl. BVerfG v. 17.1.1957 – 1 BvL 4/54, BVerfGE 6, 55, 70. 17 Vgl. Rüfner in Bonner Kommentar, Art. 3 Abs. 1 GG, Rz. 16 ff. 18 Grundlegend BVerfG v. 17.12.1953 – 1 BvR 147/52, BVerfGE, 3, 58, 135. 19 Grundlegend BVerfG v. 17.12.1953 – 1 BvR 147/52, BVerfGE, 3, 58, 135.

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Gewinnabgrenzung nach dem AOA

den Anwendungsbereich des AOA sachlich in solchen Fällen begrenzt, bei denen die Gleichbehandlung infolge der unterschiedlichen rechtlichen Ausgestaltung von Betriebsstätten und Tochterkapitalgesellschaften ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz begründen würde. Plastischstes Beispiel ist hier die Behandlung von Bürgschaften, sowohl in Form von internen als auch externen Garantien. Nach Ansicht der OECD können diese zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht als sog. „Dealings“ bestehen, da eine Betriebsstätte stets das gleiche Kreditrating wie das Unternehmen besitzt.20 Weiterhin können nach den Vorgaben der OECD Dealings in nur sehr ausgewählten Situationen angenommen werden. Diese sind erst beim Überschreiten einer bestimmten Schwelle anzunehmen, da anders als bei Tochtergesellschaften keine rechtlich bindenden Verträge geschlossen werden können.21 Insbesondere für interne Finanzierungsbeziehungen ist dies von Bedeutung, da diese bei der Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte außerhalb der Finanzindustrie nur ausnahmsweise anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen i.S.e. Dealings darstellen und stattdessen regelmäßig als Dienstleistung zu qualifizieren sind.22 Auch unionsrechtlich ist eine vollständige Gleichbehandlung von Betriebsstätten und Tochterkapitalgesellschaften wie im AOA vorgesehen zumindest nicht zwingend geboten. Gedanklich könnte man zwar als Basis das sog. Prinzip der freien Rechtsformwahl hierfür zunächst heranziehen, welches die klassische Diskriminierungsprüfung grenzüberschreitender und innerstaatlicher Vorgänge weiterentwickelt und stattdessen den Vergleich der Besteuerung verschiedener grenzüberschreitender Niederlassungsformen, namentlich von Tochtergesellschaften und Betriebsstätten, in den Blick genommen hat.23 Dieses in der Rechtsprechung24 für Inbound-Sachverhalte angelegte Prinzip wurde jedoch insbesondere in Outbound-Sachverhalten25 nie 20 Vgl. OECD, Report on the attribution of profits to permanent establishments, 2010, Part I Rz.  103.  Zudem auch Buchholz, Grenzüberschreitende Kreditgeschäfte durch Bankbetriebsstätten, 2014, S. 85; Andresen, DB 2012, 879 (882); Hemmelrath/Kepper, IStR 2013, 37 (38); Greier/Persch, BB 2012, 1318 (1324). 21 Vgl. OECD, Report on the attribution of profits to permanent establishments, 2010, Part I Rz. 34 ff. 22 Vgl. auch § 17 Abs. 2 S. 1 BsGaV. 23 Daher wird terminologisch auch von einer Erweiterung der „vertikalen“ hin zu einer „horizontalen“ Vergleichspaarbildung gesprochen. Vgl. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 2002, S. 832; Dörr, Der Konzern 2003, 604 (607); Cordewener/Dahlberg/Pistone/Reimer/Romano, ET 2004, 218 (230 f.); Kofler/Schindler, ET 2005, 530 (531); sowie eingehend Schnitger, Die Grenzen der Einwirkung der Grundfreiheiten des EG-Vertrages auf das Ertragssteuerrecht, 2006, S. 277 ff.; Friese, Rechtsformwahlfreiheit im Europäischen Steuerrecht, 2010. 24 Vgl. EuGH v. 28.1.1986 – Rs. C-270/83 – avoir fiscal, Slg. 1986, 273 ff., Rz. 22; v. 21.9.1999 – Rs. C-307/97  – Compagnie de Saint-Gobain, Slg. 1999, I-6161  ff., Rz.  42 und 43; v. 23.2.2006 – Rs. C-253/03 – CLT-UFA, IStR 2006, 200 f., Rz. 15. 25 Generalanwalt Maduro wendete sich in seinen Schlussanträgen in der Rs. Marks & Spencer etwa deutlich gegen die Anwendung des Prinzips der freien Rechtsformwahl i.R.d. Niederlassungsfreiheit. Vgl. SA des GA Maduro v. 7.4.2005 – Rs. C-446/03 – Marks & Spencer, Der Konzern 2005, 322 ff., Rz. 49.

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vollständig weiterentwickelt. Stattdessen wurde ihm letztlich vom EuGH in dem Urteil in der Rs. X-Holding eine klare Absage erteilt, wonach „[…] sich Betriebsstätten in einem anderen Mitgliedstaat und gebietsfremde Tochtergesellschaften […] im Hinblick auf die Aufteilung der Besteuerungsbefugnis nicht in einer vergleichbaren Situation befinden […] und der Herkunftsmitgliedstaat somit nicht verpflichtet [ist], gebietsfremde Tochtergesellschaften ausländischen Betriebsstätten steuerlich gleichzustellen.“26

Somit lässt sich feststellen, dass trotz der grundsätzlich bestehenden Intention eines Gleichlaufs der Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte mit der Bestimmung von Verrechnungspreisen zwischen verbundenen Unternehmen der Gleichstellung von Betriebsstätten und Konzerngesellschaften i.R.d. AOA als Grundlage für die Bestimmung der Gewinnaufteilung im Abkommensrecht Grenzen gesetzt sind. Insoweit bestehen bereits erste Schwachstellen der Konzeption des AOA, Betriebsstätten und Konzerngesellschaften gleichzustellen. 3. Motive zur Einführung des AOA Zudem sollte mit dem AOA die Gewinnabgrenzung vereinheitlicht werden.27 Denn nach allgemeinen Beobachtungen wurde bis zur Einführung des AOA die Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus- und Betriebsstättenstaaten von den jeweiligen Vertragsstaaten sehr unterschiedlich gehandhabt: “Practical experience has shown, however, that there was considerable variation in the interpretation of these general principles and of other provisions of earlier versions of Article 7.” 28

Infolgedessen ergab sich das Erfordernis zur Einführung einheitlicher Grundsätze bei der Gewinnabgrenzung von Betriebsstätten und Stammhaus, um die Planungssicherheit zu erhöhen: „The Committee acknowledged the need to provide more certainty to taxpayers” 29

und dem Problem einer Doppelbesteuerung entgegenzuwirken: “This lack of a common interpretation created problems of double taxation and non-taxation.” 30

Die Unterschiede und Unsicherheiten bei der Zuordnung von Gewinnen zu einer Betriebsstätte bis zur Einführung des AOA basierten auf nur sehr eingeschränkten ausdrücklichen Vorgaben zur ertragsteuerlichen Gewinnabgrenzung. Im Wesentlichen orientieren sich diese an dem allgemeinen Veranlassungsprinzip, welches die 26 EuGH v. 25.2.2010 – Rs. C-337/08 – X-Holding, Slg. 2010, I-1215 ff., Rz. 40. 27 Ebenso die Zielsetzung des § 1 Abs. 5 AStG, der nach den Vorstellungen des Gesetzgebers die Gewinnabgrenzung für Betriebsstätten im innerstaatlichen Recht „klar“ regeln soll. Vgl. BT-Drucks. 17/10000, 66. 28 OECD, Report on the attribution of profits to permanent establishments, 2010, Part I Rz. 2. 29 OECD, Report on the attribution of profits to permanent establishments, 2010, Part I Rz. 3. 30 OECD, Report on the attribution of profits to permanent establishments, 2010, Part I Rz. 3.

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Kausalbeziehung zwischen einer finalen Handlung und dem Erfolg in Form bezo­ gener Einkünfte zum Gegenstand hatte.31 Eine weitere Konkretisierung dieses Grundsatzes für den deutschen Rechtsraum mittels tauglicher Kriterien war der Rechtsprechung überlassen,32 wobei allgemeingültige Faktoren zur Bestimmung des erforderlichen Veranlassungszusammenhangs kaum denkbar sind, sondern im jeweiligen Einzelfall zu bestimmen sind.33 Die hierdurch entstehenden Schwierigkeiten wurden während der letzten Jahren in der Rechtsprechung des BFH sowie der sich daran entzündenden Kritik34 deutlich. Exemplarisch stehen hier die Ausführungen des BFH i.R.d. Auslegung des wirtschaftlichen Zusammenhangs gem. § 34c Abs. 1 S. 4 EStG, der sich ebenso am Veranlassungszusammenhang ausrichtet: „Der Veranlassungszusammenhang ist mithin nicht durch die (naturwissenschaftliche) Kausalität, sondern durch das Prinzip der wertenden Selektion der Aufwandsursachen gekennzeichnet […]. Stehen Ausgaben in mehreren Veranlassungszusammenhängen, ist zunächst zu prüfen, ob sich die Ausgaben den unterschiedlichen Ursachen zuordnen lassen. Ist eine anteilige Zuordnung nicht möglich, ist der vorrangige Veranlassungszusammenhang maßgeblich […]. Maßgebend sind insoweit die Gesamtumstände des jeweiligen Einzelfalls […].“35

Insoweit muss konstatiert werden, dass der von der OECD mit dem AOA verfolgte Ansatz, ein allgemeines Prinzip festzuschreiben, dass für die eine Gewinnaufteilung erforderliche Bestimmung der Risikoverteilung maßgeblich ist, lobenswert ist. 4. „Significant people functions“ als Konkretisierung des Veranlassungsprinzips Grundlegende Frage bei der Ausgestaltung des AOA war es, anhand welcher Kriterien die Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte erfolgen sollte. Da eine rechtliche Abgrenzbarkeit von Stammhaus und Betriebsstätte nicht möglich war, musste sich die Zuordnung von Wirtschaftsgütern und Gewinnen konsequenterweise stärker an wirtschaftlichen Gegebenheiten ausrichten. Dabei wurde von der OECD die nachvollziehbare Grundthese aufgestellt, dass Menschen grundsätzlich die wesentlichen Wertetreiber einer Geschäftstätigkeit darstellen, da durch diese sich wertbegründende Aktivitäten ausgeführt werden. Dementsprechend richtete sich die Verortung der wertbegründenden Aktivitäten nach dem AOA nach den sog. „significant people functions“ (also der Belegenheit der wesentlichen Personalfunktionen),

31 Vgl. Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. 2018, § 8 Rz. 208. 32 Vgl. Leonhardt/Tcherveniachki in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, §  1 AStG Rz. 2806; Berner, Betriebsstättenbesteuerung nach dem AOA, 2016, S. 19 ff. 33 Vgl. Loschelder in Schmidt, 38. Aufl. 2019, § 50 EStG Rz. 7, 29; Gosch in Kirchhof, 18. Aufl. 2019, § 50 EStG Rz. 19a; Gosch in Kirchhof, 18. Aufl. 2019, § 49 EStG Rz. 15. 34 Vgl. Töben in FS Lüdicke, 2019, S. 591 (593) zu BFH v. 29.11.2017 – I R 58/15, IStR 2018, 355 sowie Mroz/Wellmann FR 2018, 740 (743); Tschatsch/Umlauff, NWB 2018, 3079 (3082 f.) zu BFH v. 18.4.2018 – I R 37/16. 35 BFH v. 18.4.2018 – I R 37/16, BStBl. II 2019, 73, unter 2.d.aa).

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was als vorzugswürdigster Ansatz zur Bestimmung der Wertschöpfung angesehen wurde.36 Fast 20 Jahre später stellt sich angesichts der immer stärker im Vordringen befindlichen Digitalisierung allerdings die Frage, ob diese Grundthese immer noch richtig ist. Denn Trends wie „Machine Learning“ und neurale Netze, welche als selbst lernende Systeme die Basis für eine sich weiter entwickelnde künstliche Intelligenz darstellen, zeigen auf, dass zukünftig ggf. auch ohne die Mitwirkung von Menschen wertbegründende Entscheidungen getroffen werden können. Zumindest sicher scheint zu sein, dass zum Zeitpunkt der Einführung des AOA durch die OECD im Jahr 2001 niemand eine derart rasante Entwicklung der automatisierten Durchführung und Entwicklung von Geschäftsmodellen vorhersehen konnte. Von daher würde es nicht wundern, wenn auch das Abstellen auf die significant people functions als hauptsächlicher Wertetreiber bei der Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte zukünftig immer schwieriger wird, wenn Tätigkeiten im Wege der Automatisierung zunehmend ohne direkten menschlichen Einfluss durchgeführt werden können.37 5. Anwendung des AOA auf Personengesellschaften Eine weitere Frage ist, wieso die Grundsätze des AOA nicht auch für Personengesellschaften gelten. Schließlich unterliegen diese in vielen Staaten, aber auch nach deutschem Verständnis, nicht selbst der Besteuerung, sondern vermitteln demjenigen Gesellschafter für abkommensrechtliche Zwecke eine Betriebsstätte, der die mittels der Betriebsstätte veranlassten Einkünfte erzielt.38 Eine ausdrückliche Erklärung für diese Ausnahme von Personengesellschaften vom Anwendungsbereich des AOA geben die OECD-Materialien nicht. Allerdings muss gesehen werden, dass anders als im Verhältnis von Stammhaus zur Betriebsstätte Vertragsbeziehungen zwischen Gesellschafter und Personengesellschaft infolge der eigenständigen Rechtspersönlichkeit letzterer bestehen können. Insoweit ergab sich zunächst keine Notwendigkeit für die Anwendung der Selbständigkeitsfiktion des FSEA im Abkommensrecht und der Annahme fiktiver Dealings, da die bestehenden Rechtsbeziehungen zwischen Gesellschafter und Personengesellschaft ein sehr viel konkreterer Anhaltspunkt für die Gewinnabgrenzung darstellen.39 36 “Instead, the focus was on formulating the most preferable approach to attributing profits to a  permanent establishment under Article 7 given modern-day multinational operations and trade.” OECD-Report on the attribution of profits to permanent establishments, 2010, Part I, Rz. 3. 37 In dem Richtlinien-Entwurf der Europäischen Kommission zur Einführung einer signifikanten digitalen Präsenz (vgl. Fn. 7) wird z.B. anstelle der „people functions“ auf „economically significant activities“ abgestellt. 38 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, 2. Aufl. 2015, Rz. 2.33; BMF, Schr. v. 26.9.2014, BStBl. I 2014, 1258 Rz. 2.2.3. 39 Diese rechtlichen Vertragsbeziehungen zwischen Gesellschafter und Personengesellschaft sind dabei vorbehaltlich etwaiger unilateraler Sonderbestimmungen wie §  50d Abs.  10 EStG bei der Anwendung der Verteilungsnormen nach der Rechtsprechung auch maßgeb-

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Allerdings ist diese Ausnahme von Personengesellschaften von der Anwendung des AOA gleichzeitig ein weiterer Ansatzpunkt für eine Ungleichbehandlung. Denn für die Geschäftsbeziehungen zwischen Gesellschafter und Personengesellschaft ist Art. 9 OECD-MA anwendbar, welcher nicht dem Prinzip der significant people func­ tions folgt. Diese Unterscheidung drückt sich auch darin aus, dass sich nach Ansicht der OECD die Gewinnzuordnung gem. Art.  7 OECD-MA von der Korrektur von Geschäftsbeziehungen zwischen verbundenen Unternehmen gem. Art. 9 OECD-MA unterscheidet.40 Um eine Kohärenz der Gewinnabgrenzung i.R.d. Art. 7 OECD-MA in Bezug auf Betriebsstätten und Personengesellschaften zu erreichen, bedarf es demnach einer weiteren Maßnahme. Diese mag in den i.R.d. Aktionspunkte 8–10 des BEPS-Projekts vorgesehenen Prinzipien zur Bestimmung der Verrechnungspreise für „intangibles“ gesehen werden, welche ebenso nicht allein dem rechtlichen Eigentum folgen, sondern den ausgeübten Funktionen sowie der Kontrolle von Risiken über Wirtschaftsgüter bei der Bestimmung der Verrechnungspreise gem. Art. 9 OECD-MA Bedeutung beimessen.41 Eine Angleichung der Gewinnabgrenzung folgt insofern, da die dort aufgestellten Kriterien zur Bestimmung der Verrechnungspreise regelmäßig von der Verortung der handelnden Personen abhängen, welche die Funktionen und Kontrollen ausgehend von ihrer fachlichen Eignung ausführen.42 Anders formuliert finden die Verteilungsprinzipien nach den significant people functions insoweit auf anderem Weg Eingang in die Bestimmung der Verrechnungspreise. Auch der deutsche Gesetzgeber folgt dem von der OECD vorgegebenen Ansatz, ­Personengesellschaften vom AOA auszunehmen, da in § 1 Abs. 5 S. 7 AStG sowohl vermögensverwaltende Personengesellschaften als auch die gewerblichen Mitunternehmerschaften vom Anwendungsbereich des innerstaatlich umgesetzten AOA ausgeschlossen werden. Allerdings ist diese Entscheidung für den deutschen Rechtskreis insoweit inkonsequent, als dass der Gesetzgeber Sondervergütungen aus gewerbesteuerlichen Gründen mittels § 15 Abs. 1 S. 2 EStG den Einkünften aus Gewerbebetrieb zuordnet und in grenzüberschreitenden Sachverhalten bei bestehenden DBA mittels § 50d Abs. 10 EStG im Wege eines Treaty Overrides dafür Sorge trägt, dass die Sonderbetriebseinnahmen eines beschränkt Steuerpflichtigen auch abkommensrechtlich besteuert werden können. D.h. die rechtliche Trennung von Mitunternehmer und Mitunternehmerschaft wird für steuerliche Zwecke wieder aufgehoben; für vermögensverwaltende Personengesellschaften besteht diese infolge der Zurechnung von Wirtschaftsgütern und Einkünften gem. § 39 AO sowieso nicht. Daher ist fraglich. Vgl. BFH v. 8.9.2010 – I R 74/09, BStBl. II 2014, 788; BFH v. 8.11.2010 – I R 106/09, BStBl. II 2014, 759. 40 Vgl. OECD, Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises and Tax Adminis­ trations, 2010 Rz. 9.11.  41 Vgl. OECD, Aligning Transfer Pricing Outcomes with Value Creation, 2015, Actions 8–10: 2015 Final Reports. 42 Vgl. OECD, Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises and Tax Adminis­ trations, 2017 Rz. 1.86, auch Rz. 6.34; Menninger in FS Endres, 2016, S. 245 ff. sowie Greinert/Metzner, Ubg 2014, 307 (308, 311 f.).

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lich, wieso die Grundsätze des AOA nicht angewendet werden, wenn die für die schuldrechtlichen Beziehungen bestehenden steuerlichen Folgen vom deutschen Gesetzgeber nicht vollumfänglich akzeptiert werden.

IV. AOA im innerstaatlichen Recht 1. Einleitung Ein daneben bestehendes grundlegendes Problem ist, in welcher Form die Grundsätze des AOA bzw. die Besteuerungsprinzipien des FSEA auf das innerstaatliche Recht durchschlagen. Diese Frage war nicht Gegenstand der Arbeiten der OECD, welche sich nur der abkommensrechtlichen Anwendung des AOA, also der Verteilung der Besteuerungsrechte und der Vermeidung der Doppelbesteuerung bei Anwendung der Art. 7 und 23 OECD-MA widmete. Die daneben stehenden Fragen, welche weitere Folgen bei der gebotenen Umsetzung des AOA sowie der Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte in innerstaatliches Recht entstehen, wurden nicht betrachtet, wie in den entsprechenden OECD-Berichten festgestellt wurde: “The authorised OECD approach does not dictate the specifics or mechanics of domestic law, but only sets a limit on the amount of attributable profit that may be taxed in the host country of the PE.”43

Infolgedessen muss nach dem innerstaatlichen Recht der Vertragsstaaten diese Bestimmung erfolgen, welche weitergehenden Folgen die Selbständigkeitsfiktion bei der Ermittlung des Einkommens eines Steuerpflichtigen hat. 2. Umsetzung des AOA im deutschen Rechtskreis § 1 Abs. 5 AStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG44, setzt den AOA in das deutsche innerstaatliche Recht um und die BsGaV45 konkretisiert die Anwendungsprinzipien weiter. Diese innerstaatliche Umsetzung war notwendig, da die nach den DBA vorgesehene Möglichkeit zur Besteuerung von Gewinnen einer Betriebsstätte keine „Self executing“-Wirkung entfaltet.46 Denn die DBA erlauben als Schrankenrecht nur eine Besteuerung von Unternehmensgewinnen durch die Vertragsstaaten. Inwieweit dieses Besteuerungsrecht aber auch tatsächlich durch die Staaten genutzt wird, richtet sich ausschließlich nach innerstaatlichen steuerlichen Normen. Bemerkenswert ist, dass §  1 Abs.  5 AStG in mehrfacher Hinsicht unbestimmt ist. Dies beruht insbesondere auf dem Umstand, dass die Rechtsfolgen der Vorschrift nur sehr rudimentär geregelt sind. Der Gesetzgeber sieht in § 1 Abs. 5 AStG nur eine analoge Anwendung der Absätze 1, 3 und 4 der Vorschrift vor. Der dabei besonders rele43 OECD, Report on the attribution of profits to permanent establishments, 2010, Part I Rz. 9. 44 Vgl. BGBl. I 2013, 1809. 45 Vgl. BGBl. I 2014, 1603. 46 Vgl. Kaeser in Wassermeyer, DBA, Art. 7 OECD-MA Rz. 690.

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vante § 1 Abs. 1 S. 1 AStG führt rechtsfolgenseitig nur zu einer Erhöhung der Einkünfte. Eine korrespondierende Minderung von Einkünften ist nach der Vorschrift sowohl für Zwecke der Verrechnungspreise als auch für Zwecke des AOA nicht vorgesehen. Insbesondere fehlt es an der für Verrechnungspreise bedeutsamen Vorschrift der verdeckten Einlage gem. § 8 Abs. 3 S. 3 KStG, welche eine korrespondierende Reduktion von Einkünften bei nicht vertragskonformen Vertragsbeziehungen zwischen Gesellschaften erlaubt. I.R.d. AOA wird nur nach § 1 Abs. 5 S. 8 AStG i.V.m. DBA von einer Erhöhung der Einkünfte abgesehen, wenn das einschlägige DBA den AOA nicht vorsieht und ohne Anwendung des FSEA andernfalls eine Doppelbesteuerung drohen würde. Diese halbherzige Umsetzung des AOA hat daher zu Recht die Kritik des Jubilars angezogen.47 Der AOA nach innerstaatlichem Recht stellt damit eine Vorschrift zur einseitigen Berichtigung von Einkünften bei verbundenen Unternehmen zu Lasten des Steuerpflichtigen dar und ist insbesondere nicht Bestandteil der Vorschriften zur Ermittlung und Abgrenzung des Gewinns.48 3. Zuordnung von Wirtschaftsgütern zu einer Betriebsstätte infolge des AOA Weiterhin stellt sich die Frage, inwieweit die Erhöhung der Einkünfte gem. § 1 Abs. 5 AStG auch zu einer Änderung der Zuordnung von Wirtschaftsgütern zu einer Betriebsstätte führt, die von der Zuordnung nach allgemeinen Prinzipien des Veranlassungszusammenhangs abweicht. Eigentlich sollte man davon ausgehen, dass dies der Fall ist, da die Zurechnung der Einkünfte der Verteilung von Chancen und Risiken eines Wirtschaftsguts zwischen Stammhaus und Betriebsstätte folgt, welche auf der Zuordnung des Wirtschaftsguts beruht.49 Nach dem Gesetzeswortlaut des § 1 Abs. 5 S. 1 AStG scheidet eine abweichende Zuordnung von Wirtschaftsgütern infolge des AOA gleichwohl aus. Denn tatbestandlich knüpft die Norm gerade an die bestehenden Geschäftsbedingungen an, vor deren Annahme denklogisch die Zuordnung des Eigentums steht. Anschließend ordnet die Norm rechtsfolgenseitig die Korrektur der nicht angemessenen Verrechnungspreise durch die Verweisung auf die analoge Anwendung des § 1 Abs. 1 S. 1 AStG an, um eine Erhöhung der inländischen Einkünfte zu erreichen. Weitergehende Rechtsfolgen wie die Änderung der steuerlichen Zuordnung von Wirtschaftsgütern sind hingegen in § 1 Abs. 5 S. 1 AStG nicht ausdrücklich vorgesehen. Die BsGaV sieht infolge des in innerstaatliches Recht umgesetzten AOA allerdings offenbar weitreichendere Rechtsfolgen vor, wenn in den §§ 5 ff. BsGaV davon ausge47 Vgl. Kroppen, DB 2014, 2134 f.; zum AOA allg. vgl. Kroppen in FS Herzig, 2010, S. 1071 ff. 48 Vgl. Kaeser in FS Endres, 2016, S.  179 (183); Wassermeyer, IStR 2012, 277; Nientimp/ Schwarz/Stein, IStR 2016, 487, (488); Lüdicke in Brunsbach/Endres/Lüdicke/Schnitger, Deutsche Abkommenspolitik, IFSt-Schrift Nr. 480 (2012), S. 63 f. 49 Die Zuordnung hat auch für eine Reihe von Folgefragen wie z.B. die nach der Anwendung einer Entstrickungsbesteuerung aber auch nach der Möglichkeit einer Anrechnung ausländischer Steuern im Nicht-DBA-Fall Bedeutung.

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gangen wird, dass eine Zuordnung der verschiedenen Wirtschaftsgüter zu einer Betriebsstätte ausgehend von den definierten Grundsätzen des AOA zu erfolgen hat.50 Gleichwohl regelt § 1 Abs. 1 BsGaV, dass § 1 Abs. 5 AStG lediglich „[f]ür die steuerliche Zurechnung von Einkünften“ bedeutsam ist. Auch die Verwaltungsgrundsätze zur Betriebsstättengewinnaufteilung, schränken die Reichweite der Selbständigkeitsfiktion des Functionally Separate Entity Approach ein, wenn sie feststellen, dass: […] „eine Betriebsstätte für die Gewinnaufteilung im Verhältnis zu dem Unternehmen, zu dem sie gehört, weitgehend einem diesem nahe stehenden Unternehmen gleich gestellt [wird]. Zu diesem Zweck ist es erforderlich zu entscheiden, welche Funktionen, Vermögenswerte, Chancen und Risiken des Unternehmens der Betriebsstätte zuzuordnen sind und welcher Anteil des Eigenkapitals des Unternehmens (Dotationskapital) der Betriebsstätte zuzuordnen ist […].“ (Anm. d. Verf.: Hervorhebungen nur hier).51

Insbesondere ist jedoch fraglich, wie eine umfassende Änderung der Zuordnung von Wirtschaftsgütern folgen soll, wenn § 1 Abs. 5 S. 1 i.V.m. Abs. 1 AStG nur eine Erhöhung von inländischen Einkünften nach den Vorgaben des AOA als Rechtsfolge vorsieht. Wäre Rechtsfolge auch eine abweichende Zuordnung der zugrundeliegenden Wirtschaftsgüter, würde eine Minderung inländischer Betriebsstätteneinkünfte bereits nach innerstaatlichem Recht folgen. Anders formuliert bedürfte es nicht der Freistellung der Einkünfte gem. des in den Art. 7 i.V.m. Art. 23 OECD-MA 2010 entsprechenden DBA enthaltenen AOA im Rahmen der Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte.52 Insbesondere wäre dann auch für den Fall, dass kein DBA besteht, eine Minderung inländischer Einkünfte nach den Grundsätzen des AOA möglich. All dies spricht dafür, dass der in innerstaatliches Recht umgesetzte AOA keine vom Veranlassungsprinzip abweichende Zuordnung von Wirtschaftsgütern, sondern nur eine punktuelle Erhöhung inländischer Einkünfte anordnet. Diese in § 1 Abs. 5 AStG enthaltene „halbherzige“ Umsetzung des AOA ist scharf zu kritisieren und alles andere als folgerichtig. Denn gleichzeitig nimmt der deutsche Gesetzgeber in gewohnter Weise die Rolle des „Weltpolizisten“ mittels des § 1 Abs. 5 S.  8 AStG ein. Diese Vorschrift erkennt zwar grundsätzlich die Schutzwirkung der DBA an, welche den AOA noch nicht vorsehen53 und daher einer Erhöhung der Einkünfte gem. § 1 Abs. 5 S. 1 AStG entgegenstehen, wenn Einkünfte z.B. nach dem DBA im Inland infolge der abkommensrechtlich vereinbarten Freistellungsmethode nicht besteuert werden dürfen. Gleichzeitig wird diese Schutzwirkung jedoch im Wege eines Treaty Overrides unter die Bedingung gestellt, dass der Steuerpflichtige nach50 Für eine weitergehende Rechtsfolge des AOA, die auch zu einer abweichenden Zuordnung von Wirtschaftsgütern und Einkünften führen vgl. Jacobs/Endres/Spengel, Internationale Unternehmensbesteuerung, 8. Aufl. 2016, 669 f. 51 VWG-BsGa, BStBl. I 2017, 182 Rz. 2. 52 Zur Minderung der Einkünfte nach den in den DBA vorgesehenem AOA Schnitger, IStR 2012, 633 (634); Leonhardt/Tcherveniachki in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 1 AStG Rz.  2813; Kahle/Kindich in Haun/Kahle/Goebel/Reiser, §  1 Abs.  5 AStG Rz.  109a; Girlich/Müller, ISR 2015, 169 (170). 53 Also DBA, welche noch nicht dem OECD-MA 2010 folgen bzw. nach dem OECD-MK 2008 abgeschlossen wurden.

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weist, dass der andere DBA-Staat sein Besteuerungsrecht entsprechend den Bestimmungen des DBA ausübt. Anders formuliert beansprucht Deutschland das aus der Anwendung des AOA resultierende Besteuerungsrecht zu seinen Gunsten auch dann, wenn das anwendbare DBA diesen AOA nicht umsetzt, der ausländische Staat das ihm eigentlich zustehende Besteuerungsrecht z.B. infolge innerstaatlicher Steuerbefreiung nicht ausübt. Wenn ein Staat aber so vehement eine Anwendung der AOA-­ Grundsätze zu seinen Gunsten beansprucht, wäre es nur konsequent, diese Grundsätze ebenso umfassend bei der Zuordnung der den Einkünften zugrundeliegenden Wirtschaftsgütern umzusetzen, auch wenn dies mit einem Verzicht auf Besteuerungssubstrat in bestimmten Situationen verbunden ist. 4. Selbständigkeitsfiktion bei der Einkünfteermittlung Die Frage, welche weiteren Folgen die Umsetzung der Selbständigkeitsfiktion von Betriebsstätten nach dem AOA in innerstaatliches Recht hat und wie die unter dem Functionally Separat Entity Approach anzunehmenden schuldrechtlichen Geschäftsbeziehungen („Dealings“) zu qualifizieren sind, wurde vom deutschen Gesetzgeber bedauerlicherweise nicht adressiert. Denn aus der Verortung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG kann ebenso wenig wie aus dem Wortlaut der Vorschrift gefolgert werden, wie die einer anzunehmenden schuldrechtlichen Geschäftsbeziehung zugrundeliegenden Einkünfte zu qualifizieren sind. Dass die OECD dieser Frage nicht nachgeht, erklärt sich daraus, dass der AOA im Abkommensrecht nur eine Vorschrift zur Abgrenzung von Gewinnen darstellt und auch die Annahme von „Dealings“ nur in diesem abkommensrechtlichen Kontext zu sehen ist.54 Dies sieht man auch in Form der von der OECD vertretenen Auffassung zur Qualität von fingierten Lizenzzahlungen als Dealings, wonach diese nur ein Mittel sind, die richtige Gewinnabgrenzung i.R.d. Art. 7 OECD-MA zu vollziehen. Hingegen lässt sich dieser Fiktion nicht entnehmen, dass durch den Betriebsstättenstaat abkommensrechtlich Quellensteuern auf „Dealings“ erhoben werden dürfen.55 Die Qualifikation von Dealings nach innerstaatlichem Recht hat jedoch insbeson­ dere Bedeutung, wenn für die im Außenverhältnis erzielten Einkünfte steuerliche ­außerbilanzielle Korrekturen z.B. in Form von Steuerbefreiungen bestimmter Einnahmen oder Abzugsverboten für Betriebsausgaben vorliegen. Dann stellt sich nämlich die Frage, ob z.B. für eine als Dienstleistung zu qualifizierende anzunehmende schuldrechtliche Beziehung ebenso (ggf. anteilig) eine außerbilanzielle Korrektur erfolgt.56

54 Ausdrücklich OECD, Report on the attribution of profits to permanent establishments, 2010 Rz.  173: „However, the authorised OECD approach is based on the premise that the ­internal dealings are postulated solely for the purposes of attributing the appropriate amount of profit to the PE.“. 55 Vgl. OECD, Report on the attribution of profits to permanent establishments, 2010, Part I, Rz. 203.  56 Vgl. Beispiel bei Schnitger, IStR 2012, 633 (643).

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Geht man davon aus, dass der AOA auch nach innerstaatlichem Recht zur Abgrenzung der Gewinne von Stammhaus und Betriebsstätte führt, bleibt es bei der An­ wendung der außerbilanziellen Korrektur bzw. es kommt infolge der Annahme einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung nicht zu einer Umqualifikation der Einkünfte. Da der in innerstaatliches Recht umgesetzte AOA jedoch nicht Teil der Vorschriften der Gewinnermittlung ist, sondern in § 1 Abs. 5 AStG positioniert wurde, verbleiben Unsicherheiten, ob mit ihm nicht auch weitreichendere Konsequenzen verbunden sein könnten. Auch bestehen verfassungsrechtlich per se keine Grenzen für den Gesetzgeber, eine solche Umqualifikation der Einkünfte einzuführen. Allerdings spricht die Rechtsfolge der Vorschrift (Erhöhung der Einkünfte) letztlich doch gegen eine solche weitere Wirkung. Denn für eine umfassendere Umsetzung der Selbständigkeitsfiktion inklusive einer Umqualifikation der Einkünfte hätte es einer klaren gesetzlichen Anordnung bedurft. Vor dem Hintergrund des Erhalts der Rechtssicherheit bedarf es hier gleichwohl dringend einer weiteren Konkretisierung der Rechtsfolgen des im innerstaatlichen Recht gem. § 1 Abs. 5 S. 2 AStG umgesetzten AOA hinsichtlich des Umfangs der niedergelegten Selbständigkeitsfiktion. 5. Dealings als Tatbestand zur Gewinnrealisierung Bei der Beurteilung der Rechtsfolgen eines anzunehmenden Dealings zwischen Stammhaus und Betriebsstätte wird auch regelmäßig die Frage aufgeworfen, inwieweit solche zur sofortigen Realisierung des betroffenen Wirtschaftsguts führt. Dies ist insoweit nachvollziehbar, da die Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte die Basis dafür ist, dass die dauerhafte Überführung eines Wirtschaftsguts zwischen Stammhaus und Betriebsstätte wie ein fiktiver Verkauf zwischen zwei Rechtsträgern zu qualifizieren ist, was die intendierte Gleichstellung der Gewinnabgrenzung von Stammhaus und Betriebsstätte mit der Bestimmung der Verrechnungspreise zwischen verbundenen Unternehmen befördern würde. Dem entspricht es, dass nach ganz überwiegender Literaturansicht,57 Verwaltungsauffassung58 aber wohl auch Rechtsprechung59 die nach dem AOA anzunehmenden „Dealings“ die Basis für eine Ent­ strickungsbesteuerung bei der dauerhaften Überführung eines Wirtschaftsguts vom Inland in eine ausländische Betriebsstätte darstellt. Da Dealings nur fiktive Vorgänge darstellen, ist diese Qualifikation naturgemäß aber nicht gesichert. Bereits aus abkommensrechtlicher Sicht ist unklar, inwieweit der AOA tatsächlich die Grundlage für eine Entstrickungsbesteuerung darstellen kann, die letztlich „nur“ die vorgezogene Besteuerung zukünftiger Einkünfte, welche sich in den stillen Reserven manifestieren, darstellt.60 Auch die OECD ist bei der Mög57 Vgl. Kaeser in FS Endres, 2016, S. 179 (183). A.A. jedoch Schnitger, Die Entstrickung im Steuerrecht, IFSt-Schrift Nr. 487 (2013), S. 54; Herbort, FR 2013, 781 (785). 58 Vgl. BMF, Schr. v. 22.12.2016, BStBl. I 2017, 182 Rz. 46, 77, 169. 59 Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464.  60 Vgl. Schnitger, Die Entstrickung im Steuerrecht, IFSt-Schrift Nr. 487 (2013), S. 22 ff.; BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 Rz. 48 f.

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lichkeit, mittels eines Dealings einen Verkauf zur frühzeitigen Entstrickungsbesteuerung anzunehmen, ambivalent.61 Dies erklärt sich daraus, dass „Dealings“ lediglich ein Instrument zur sachgerechten Gewinnaufteilung sind, also nur festlegen, ob ein Staat besteuern darf (Besteuerung der Höhe nach). Hingegen wird über die Annahme eines Dealings keine Aussage dazu getroffen, wann ein Staat besteuern darf (Zeitpunkt der Steuererhebung), da abkommensrechtlich lediglich die Verteilung der Besteuerungsrechte und nicht die Festlegung des Zeitpunkts der Besteuerung nach dem nationalen Steuerrecht der Vertragsstaaten bedeutsam ist: „However, the authorised OECD approach is based on the premise that the internal dealings are postulated solely for the purposes of attributing the appropriate amount of profit to the PE.” [Anm. d. Verf.: Hervorhebungen nur hier]62

Wenn man wie voranstehend beschrieben zudem der Ansicht folgt, dass § 1 Abs. 5 AStG nicht zu einer abweichenden Zuordnung von Wirtschaftsgütern führt,63 kann der innerstaatlich umgesetzte AOA ebenfalls keine Grundlage für eine Entstrickungsbesteuerung bieten. Nur kursorisch soll darauf hingewiesen werden, dass eine solche Entstrickungsbesteuerung nach der Rechtsprechung des BFH64 auch eigentlich nicht erforderlich ist, da zumindest im Bereich der Besteuerung von Unternehmensgewinnen gem. Art. 7 OECD-MA im Fall der physischen Verlagerung von Wirtschaftsgütern in ausländische Betriebsstätten kein Verlust des deutschen Besteuerungsrechts droht.65 Losgelöst davon sowie dem Umstand, dass § 4 Abs. 1 S. 3 f. EStG sowie § 12 Abs. 1 KStG bereits eine Rechtsgrundlage für die Besteuerung der Verlagerung von Wirtschaftsgütern in ausländische Betriebsstätten bieten, ist es schon bemerkenswert, dass ein so weitreichender Eingriff des Staates in das Eigentum des Steuerpflichtigen in Form einer Entstrickungsbesteuerung durch den AOA als gegeben angesehen wird, eine klare Regelung in § 1 Abs. 5 AStG hierzu jedoch fehlt. Ein weiteres Beispiel für die zwar gut gemeinte aber nicht immer klar und stringent vollzogene Gleichstellung von Betriebsstätten mit Tochtergesellschaften.

61 „Under the authorised OECD approach, internal dealings should have the same effect on the attribution of profits between the PE and other parts of the enterprise as would be the case for a comparable provision of services or goods (either by sale, licence or lease) between independent enterprises.” [Anm. d. Verf.: Hervorhebungen nur hier]. OECD, Report on the attribution of profits to permanent establishments, 2010, Part I Rz. 173. 62 Vgl. OECD, Report on the attribution of profits to permanent establishments, 2010, Part I Rz. 173. 63 Vgl. unter IV 3. 64 Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 unter 3.b)bb); v. 28.10.2009 – I R 28/08, BFH/NV 2010, 432. 65 Vgl. Schnitger, Die Entstrickung im Steuerrecht, IFSt-Schrift Nr. 487 (2013), S. 49 ff.

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V. Zusammenfassung Die Einführung des AOA kann als gut gemeinter Ansatz zur Behebung der Unsicherheiten bei der Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte gesehen werden. Gleichwohl ergeben sich viele Wertungswidersprüche sowie bleibt es bei der Grundfrage, ob Betriebsstätten und Tochtergesellschaften wirklich ausreichend vergleichbar sind, um eine steuerliche Fiktion des Fully Separate Entity Approach zu rechtfertigen. Diese Fiktion wirft eine Reihe von Folgefragen auf, welche insbesondere bei der Umsetzung in das innerstaatliche Steuerrecht beantwortet hätten werden müssen. Hier legte der deutsche Gesetzgeber leider nicht die eigentlich gebotene Sorgfalt an den Tag, um diesen notwendigen Schritt zu vollziehen. Stattdessen erscheint der §  1 Abs.  5 AStG auch in systematischer Hinsicht als eine profiskalisch ausgerichtete Vorschrift, welche zwar einerseits die Erhöhung inländischer Einkünfte anordnet, andererseits einen Besteuerungsverzicht nur dann vorschreibt, wenn dies nach den DBA und der Inanspruchnahme des Besteuerungsrechts durch einen ausländischen Staat unumgänglich ist. Ein solch einseitiges Vorgehen wäre insbesondere dem ständig um Gerechtigkeit bemühten Jubilar ein Dorn im Auge gewesen. Von daher mag es für ihn beruhigend sein, dass er zukünftig seinen Blick auch auf andere Dinge des Lebens lenken kann, nachdem er über Jahre hinweg die fachliche Diskussion und Weiterentwicklung des Steuerrechts mitgeprägt hat. Der kundige Leser wird aber wissen, dass er auch in diesen neuen Wirkungskreisen „keine halben Sachen machen wird“, sondern sich leidenschaftlich neu vertiefen wird. Ad multos annos! Hoch soll er leben!

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Finale Verluste − kein Ende in Sicht Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Beschränkung der Niederlassungsfreiheit 1. Abkommensrecht/Symmetriethese 2. Verletzung der Fusionsrichtlinie 3. Tatbestandliche Ungleichbehandlung inund ausländischer Verluste 4. Zwischenergebnis III. Rechtfertigung

1. Gründe 2. Insbesondere: Finalität a) Memira Holding und Holmen b) Nachweis des Ausschlusses der Verlustnutzung durch Tochtergesellschaft/Betriebsstätte oder Dritte c) Vorgetragene Verluste IV. Zusammenfassung und Ausblick

I. Einleitung Die Berücksichtigung von Verlusten einer in einem EU-Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft bei der inländischen Muttergesellschaft oder einer in einem EU-Mitgliedstaat errichteten Betriebsstätte beim inländischen Stammhaus ist nach wie vor nicht rechtssicher geklärt. Die Rechtsprechung des EuGH hat zwar durch eine Reihe von Entscheidungen gewisse Prüfungsschritte mit unterschiedlicher Akzentuierung vorgegeben. Grundlegend ist immer noch die Entscheidung Marks & Spencer1. Sie betrifft das Verhältnis von Mutter- und ausländischer EU/EWR Tochterkapitalgesellschaft. Der EuGH knüpft auch in seinen neuesten Entscheidungen an die Grundsätze von Mark & Spencer an.2 Die dort entwickelten Grundsätze wendet der EuGH nach seiner Entscheidung in Sachen Lidl Belgium auch auf das Verhältnis Stammhaus und ausländische EU/EWR Betriebsstätte an.3 Für den Rechtsanwender, insbesondere den betroffenen Unternehmer besteht die Unsicherheit, dass bei wirtschaftlichen Engagements im EU/EWR-Ausland mögliche Verluste auf der Strecke bleiben und letztlich nicht berücksichtigt werden können. Es besteht zwar Einigkeit darüber, dass ein endgültiger, anderweitig nicht mehr nutzbarer Verlust berücksichtigt werden muss. Wann aber „Finalität“ in diesem Sinne im konkreten Fall zu bejahen ist, ist nicht eindeutig zu beantworten. Hinzu kommt, dass der BFH entgegen einer früher eher großzügig angenommenen Finalität von Verlusten in seiner letzten Entscheidung schon tatbestandsmäßig davon ausgeht, dass sich eine EU-Freistellungsbetriebsstätte in einer anderen Situation befindet als eine in­ ländische Betriebsstätte und schon deshalb eine Berücksichtigung der Auslandsver1 EuGH v. 13.12.2005 − C-446/03, ECLI:EU:C2005:763. 2 EuGH v. 19.6.2019 − C 607/17, ECLI:EU:C2019:510 Memira Holding; EuGH v. 19.6.2019 – C-608/17 – ECLI:EU:C:2019:511 Holmen. 3 EuGH v. 15.5.2008 − C-414/06, ECLI:EU:C:2008:278 − Lidl Belgium.

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luste ausscheidet.4 Die Auffassung des BFH, die aus einer vielleicht vorschnellen Interpretation des EuGH-Urteils in Sachen Timac Agro5 resultierte, ist aber nach der neuesten Rechtsprechung des EuGH schon wieder überholt.6 Die nachfolgende Darstellung unternimmt den Versuch, den derzeitigen Rechtszustand nach der Rechtsprechung des EuGH aufzuzeigen. Sie folgt dabei dem Prüfungsschema des EuGH zur Beschränkung von Grundfreiheiten und deren Rechtfertigung. Hierbei bedarf es zunächst der Prüfung, ob der zu beurteilende Sachverhalt in den Schutzbereich der Grundfreiheit – hier Niederlassungsfreiheit - fällt. Sodann ist zu prüfen, ob der rein nationale Sachverhalt mit dem grenzüberschreitenden Sachverhalt objektiv vergleichbar ist und wenn ja, ob eine Ungleichbehandlung zu Lasten des grenzüberschreitenden Sachverhalts vorliegt. Liegt eine Ungleichbehandlung vor, kann diese gerechtfertigt sein.

II. Beschränkung der Niederlassungsfreiheit Die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit7 verbieten es, dass der Herkunftsmitgliedsstaat die Niederlassung eines seiner Staatsangehörigen oder einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft in einem anderen Mitgliedsstaat behindert. 1. Abkommensrecht/Symmetriethese Deutschland vermeidet im Verhältnis zu den EU/EWR-Staaten die Doppelbesteuerung durch Freistellung der ausländischen Einkünfte von der deutschen Bemessungsgrundlage. Da sich der Begriff „Betriebsstätteneinkünfte” in den Doppelbesteuerungsabkommen8 auf einen Nettobetrag bezieht, sind neben den Betriebsstättengewinnen auch die Betriebsstättenverluste aus der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen, sog. Symmetriethese.9 Gewinne und Verluste der ausländischen Betriebsstätte werden nur im Rahmen des Progressionsvorbehaltes gem. § 32b Abs.1 Satz 1 Nr.3 und Satz 2 Nr. 2 EStG berücksichtigt.10 Verluste ausländischer Tochtergesellschaften bleiben bei der Besteuerung der inländischen Mutterkapitalgesellschaft schon deshalb außer Betracht, weil die ausländische Tochterkapitalgesellschaft ein selbständiges Steuersubjekt ist und eine Organschaft über die Grenze nach nationalem Recht nicht vorgesehen ist.11 Inländische Betriebsstättenverluste können dagegen mit dem Ergebnis des Stammhauses verrechnet bzw. in das Ergebnis des Stammhauses einbezogen werden. Das 4 BFH v. 22.2.2017 – I R 2/15, BStBl. II 2017, 709. 5 Urteil v. 17.12.2015 – C-388/14 – Timac Agro. 6 EuGH v. 12.6.2018 − C-650/16, ECLI:EU:C:2018:424 − Bevola. 7 Art. 49, 54 AEUV. 8 Vgl. z.B. Art. 7 DBA Österreich 2000. 9 Vgl. z.B. BFH, Urteil v. 5.2.2014 − I R 48/11, IStR 2014, 377, BFH/NV 2014, 963. 10 Für Drittstaaaten vgl. § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 iVm Abs. 2 (Aktivitätsklausel). 11 § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG.

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bedeutet, dass bereits die Regelungen der abgeschlossenen Doppelbesteuerungs­ abkommen gegen die Niederlassungsfreiheit verstoßen könnten. Bei inländischen Tochterkapitalgesellschaften ist – jedenfalls im Fall der Organschaft – eine Verlustverrechnung möglich. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Ansässigkeitsstaat grundsätzlich nicht verpflichtet, Verluste ausländischer Tochtergesellschaften oder Betriebsstätten zu berücksichtigen, wenn das einschlägige DBA die Einkünfte von der Besteuerung freistellt. Die abkommensrechtliche Konzeption der Tochtergesellschaft/Betriebs­ stätte als selbständige Einheit entspricht der internationalen rechtlichen Praxis, wie sie sich etwa im OECD-Musterabkommen12 widerspiegelt. Insoweit hat der EuGH festgestellt, dass es für die Mitgliedsstaaten nicht sachfremd ist, sich zum Zweck der Aufteilung der Steuerhoheit an der internationalen Praxis und den von der OECD erarbeiteten Musterabkommen zu orientieren.13 Die Mitgliedsstaaten bleiben in Ermangelung unionsrechtlicher Vereinheitlichungs- oder Harmonisierungsmaßnahmen befugt, insbesondere zur Beseitigung der Doppelbesteuerung die Kriterien für die Aufteilung ihrer Steuerhoheit vertraglich oder einseitig festzulegen. Die Wahrung dieser Aufteilung ist ein vom Europäischen Gerichtshof anerkanntes legitimes Ziel.14 2. Verletzung der Fusionsrichtlinie Da das Unionsrecht mit der Fusionsrichtlinie15 eigene Rechtsnormen für die steuerlichen Rechtsfolgen grenzüberschreitender Zusammenschlüsse von Gesellschaften enthält, sind im Hinblick auf Verlustnutzungen insbesondere zwischen Mutter- und Tochterkapitalgesellschaften zunächst diese spezielleren Vorschriften zu prüfen. Der EuGH hat mehrfach entschieden, dass jede nationale Regelung in einem Bereich, der auf Unionsebene abschließend harmonisiert wurde, anhand der fraglichen Harmonisierungsmaßnahmen und nicht anhand des Primärrechts (Grundfreiheiten) zu beurteilen ist.16 Selbst wenn man aber die Fusionsrichtlinie insoweit als abschließende Harmonisierung versteht und danach im Einzelfall eine Verlustnutzung nicht möglich ist, ist es erforderlich, die Richtlinie primärrechtskonform auszulegen und gegebenenfalls inzident auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten zu prüfen. So hat der EuGH entschieden, dass das Verbot von Beschränkungen des freien Dienstleis12 Vgl. dort insbesondere in Art. 5 und 7. 13 EuGH, Urteile v. 23.2.2006 − van Hilten-van der Heijden, C-513/03; v. 15.5.2008 − Rs. C-414/06 − Lidl Belgium, DStR 2008, 1030 m.w.N.; v. 6.9.2012 – Rs. C 18/11 − Philips Electronics. 14 EuGH, Urteil v. 17.7.2014 − C-48/13 − Nordea Bank Danmark A/S ./. Skatteministeriet, IStR 2014, 563. 15 Richtlinie 90/434/EWG des Rates v. 23.7.1990 über das gemeinsame Steuersystem für Fu­ sionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von ­Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, Amtsblatt Nr. L 225 v. 20.8.1990, S. 0001−0005. 16 EuGH v. 8.3.2017 – C-14/16 − Euro Park, EU:C:2017:177, Rz. 19; v. 12.11.2015 − C-198/14 − Visnapuu, EU:C:2015:751, Rz. 40; v. 11.12.2003 − C-322/01 − Deutscher Apothekerverband, EU:C:2003:664, Rz. 64.

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tungsverkehr nicht nur für nationale Maßnahmen, sondern auch für Maßnahmen der Unionsorgane gilt17. Die Verträge als Primärrecht haben Grundlage, Rahmen und Grenze aller Rechtsakte der Union18. Sollte die Fusionsrichtlinie und entsprechende nationale Regelung keinen grenzüberschreitenden Verlustübergang zulassen, ist daher ergänzend zu prüfen, ob die europäischen Grundfreiheiten − hier insbesondere die Niederlassungsfreiheit − eine finale Verlustnutzung gebietet. 3. Tatbestandliche Ungleichbehandlung in- und ausländischer Verluste Da Verluste von inländischen Betriebsstätten anders als Verluste von EU/EWR Freistellungsbetriebsstätten bei einem in Deutschland ansässigen Stammhaus steuerlich berücksichtigt werden können, stellt sich die Frage, ob diese unterschiedliche Behandlung von in- und ausländischen Betriebsstätten mit der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49,54 AEUV vereinbar ist. Nach der Rechtsprechung des EuGH wird die Niederlassungsfreiheit behindert, wenn nach einer Regelung eines Mitgliedsstaats eine gebietsansässige Gesellschaft, die eine Tochtergesellschaft oder eine Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedsstaat oder in einem anderen Staat des EWR-Abkommens unterhält, gegenüber einer gebietsansässigen Gesellschaft mit einer Betriebsstätte oder einer Tochtergesellschaft im erstgenannten Mitgliedsstaat in nachteiliger Weise steuerlich unterschiedlich behandelt wird.19 Aus unionsrechtlichen Gründen ist daher eine sogenannte Vergleichspaarbildung sowohl in Stammhaus-Betriebsstätten-Konstellationen als auch in Konzernsituationen erforderlich.20 Die Berücksichtigung von Verlusten einer gebietsfremden Betriebsstätte bei der Ermittlung der steuerpflichtigen Einkünfte der Gesellschaft, zu der diese Betriebsstätte gehört, stellt dabei einen Steuervorteil dar.21 Nach der Rechtsprechung des EuGH ist eine Beschränkung durch Ungleichbehandlung statthaft und daher mit der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49,54 AEUV vereinbar, wenn sie Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist.22

17 EuGH v. 2.9.2015 − C-386/14 − Groupe Steria, EU:2015:524, Rz. 39; v. 18.9.2003 − C-168/01 − Bosal, EU:C:2003:479, Rz.  25 und 26; v. 23.2.2006 − C-471/04 − Keller Holding, EU:C:2006:143, Rz. 45; v. 12. 12.2006 − C-446/04 − Test Claimants in the FII Group Liti­ gation, EU:C:2006:774, Rz. 46; v. 29.2.1984 − C-37/83 Rewe Zentrale; EU:C:1984:89, Rz.18. 18 EuGH v. 5.10.1978 – C-26/78 – Viola, EU:C:1978:172, Rz. 9. 19 EuGH, Urteil v. 17.7.2014 − C-48/13 − Nordea Bank Danmark A/S Skatteministeriet, IStR 2014, 563. 20 Kraft, NWB v. 13.8.2018, Nr. 33, S. 2384. 21 EuGH, Urteil v. 17.7.2014 − C-48/13 − Nordea Bank Danmark A/S Skatteministeriet, IStR 2014, 563. 22 Vgl. Urt. v. 6.9.2012 − C-18/11, Rz. 17 − Philips Electronics UK; Urt. v. 17.7.2014 − C-48/13, Rz. 23 − Nordea.

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In den meisten nach Marks & Spencer entschiedenen Fällen im Zusammenhang mit finalen Verlusten, ist der EuGH auf das Kriterium der Vergleichbarkeit nicht näher eingegangen.23 Später differenzierte der EuGH und betonte, dass es auf die Vergleichbarkeit der Sachverhalte ankommt.24 Unstreitig ist die Vergleichbarkeit gegeben, wenn mit dem ausländischen Staat die Doppelbesteuerung durch Anrechnung der ausländischen Steuer auf die dort erzielten Einkünfte vermieden wird. Folge davon ist, dass auch ausländische Betriebsstättenverluste bei der inländischen Besteuerung des Stammhauses berücksichtigt werden. In der Rechtssache Nordea25 war dies der Fall. In Fällen, in denen daher zwischen den betroffenen Staaten die Doppelbesteuerung durch Anrechnung und nicht durch Freistellung vermieden wird, befinden sich Stammhaus und ausländische Betriebsstätte in einer vergleichbaren Situation. Die im Ergebnis gleichen Grundsätze sind dem Urteil in der Rechtssache Kronos zu entnehmen, wonach eine objektive Vergleichbarkeit von Gebietsansässigen und Gebietsfremden im Hinblick auf die Besteuerung von Dividenden nicht gegeben ist, wenn der Ansässigkeitsstaat des Empfängers die Dividenden in voller Höhe von der Besteuerung ausnimmt.26 Schließlich hat der EuGH diese Überlegungen sehr deutlich in der Entscheidung Timac Agro artikuliert. Dort führt der EuGH aus: „Hinsichtlich der Vergleichbarkeit der Situationen ist in Rn. 27 des vorliegenden Urteils darauf hingewiesen worden, dass sich eine in einem anderen Mitgliedstaat belegene Betriebsstätte in Bezug auf Maßnahmen eines Mitgliedstaats, die zur Vermeidung oder Abschwächung einer Doppelbesteuerung der Gewinne einer gebietsansässigen Gesellschaft dienen, grundsätzlich nicht in einer mit der Situation einer gebietsansässigen Betriebsstätte vergleichbaren Situation befindet.“27 Erstaunlicherweise nimmt der EuGH hier auch Bezug auf seine Entscheidung in Sachen Nordea, obwohl es sich dort um einen Fall handelt, bei dem die Doppelbesteuerung durch Anwendung der Anrechnungsmethode vermieden wird. Die Entscheidung in Sachen Timac Agro ist von Teilen der Literatur28 und vor allem vom BFH29 als Wendepunkt der EuGH-Rechtsprechung in dem Sinne angenommen worden, dass der EuGH die Berücksichtigung finaler Verluste schon wegen der fehlenden Vergleichbarkeit inländischer und ausländischer Freistellungsbetriebsstätten ausschließt. Hierzu der BFH: „In der Urteilsbegründung hat der EuGH hierzu ausgeführt, dass im Fall der abkommensrechtlichen Freistellung der ausländischen Einkünfte im Sitzstaat wegen der fehlenden Besteuerungsbefugnis (als Anknüpfungspunkt für einen Steuervorteil – s. Schluss23 Vgl. Urt. v. 13.12.2005 − C-446/03 − Marks & Spencer; Urt. v. 23.10.20008 − C-157/07 − KR Wannsee. 24 Vgl. Urteil v. 17.7.2015 − C-48/13 − Nordea. 25 Vgl. Urteil v. 17.7.2015 − C-48/13 −Nordea. 26 Vgl. Urteil v. 11.9.2014 − C-47/12, Rz. 81 – Kronos. 27 Rz. 64 des Urteils v. 17.12.2015 – C-388/14 – Timac Agro. 28 Z.B. Benecke/Staats, IStR 2016, 80; Mitschke, FR 2016, 132; Forchhammer, EFG 2016, 1233; Schulz-Trieglaff, NWB Unternehmensteuern und Bilanzen −StuB− 2016, 918. 29 BFH v. 22.2.2017 – I R 2/15, BStBl. II 2017, 709 Rz. 38.

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anträge des Generalanwalts Wathelet vom 3.  September 2015 in der Rs. C-388/14, EU:C:2015:533, IStR 2015, 738, dort Rz 74) bei der Prüfung eines Verstoßes gegen das Beschränkungsverbot nunmehr schon tatbestandlich eine Vergleichbarkeit mit der Behandlung reiner Inlandsfälle abzulehnen sei (s. dort Rz 64 f. und Rz 27). Dies hat zur Folge, dass die Prüfungsebene der Rechtfertigungsgründe (als „Standort“ der Verhältnismäßigkeitsprüfung und der Rechtsfigur der finalen Verluste) entfallen ist. Insoweit hat der EuGH zwar die gegenläufigen Aussagen seines Urteils Marks & Spencer30 nicht ausdrücklich aufgegeben; vielmehr ist diese Entscheidung zur ersten Vorlagefrage weiterhin herangezogen worden (kritisch Niemann/ Dodos, Deutsches Steuerrecht —DStR— 2016, 1057; s.a. z.B. Schlücke, FR 2016, 130). Jedoch hat er der sog. Symmetriethese die Eignung zugesprochen, eine Beschränkung von Grundfreiheiten von vornherein auszuschließen.“ Legt man diese Auffassung der Prüfung, ob finale Verluste berücksichtigt werden können, zu Grunde, scheidet eine solche Berücksichtigung von vorneherein aus. Ob der EuGH so weit gehen wollte, war nicht klar, aber eher unwahrscheinlich, da sie das „Aus“ für finale Verluste bedeutet hätte. Nunmehr hat die Große Kammer des EuGH in der Rechtssache Bevola/Trock31 grundsätzlich zu der Frage der Vergleichbarkeit Stellung genommen. Der Fall betraf eine dänische Kapitalgesellschaft (Bevola), die zu einem Konzern gehörte (Jens W. Trock ApS) und in Finnland eine Betriebsstätte unterhielt. Die Betriebsstätte machte Verluste, die in Finnland nicht genutzt werden konnten. Daher begehrte Bevola die Verluste in Dänemark von der Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer abzuziehen. Zur Vergleichbarkeit führt der EuGH aus: „In den Urteilen vom 17. Juli 2014, Nordea Bank Danmark (C-48/13, EU:C:2014:2087), und vom 17. Dezember 2015, Timac Agro Deutschland (C-388/14, EU:C:2015:829), hat der Gerichtshof lediglich festgestellt, dass für ihn keine Notwendigkeit besteht, sich mit dem Zweck der fraglichen nationalen Bestimmungen zu befassen, wenn diese für die im Ausland belegenen und für die im Inland belegenen Betriebsstätten dieselbe steuerliche Behandlung vorsehen. Der Gesetzgeber eines Mitgliedstaats erkennt nämlich dadurch, dass er diese beiden Niederlassungsformen bei der Besteuerung der von ihnen erzielten Gewinne gleich behandelt, an, dass zwischen ihnen in Bezug auf die Modalitäten und Voraussetzungen dieser Besteuerung kein Unterschied in der objektiven Situation besteht, der eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen könnte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Januar 1986, Kommission/Frankreich, 270/83, EU:C:1986:37, Rn. 20). Die Urteile vom 17. Juli 2014, Nordea Bank Danmark (C-48/13, EU:C:2014:2087), und vom 17. Dezember 2015, Timac Agro Deutschland (C-388/14, EU:C:2015:829), können aber nicht dahin verstanden werden, dass zwei Sachverhalte, die das nationale Steuerrecht unterschiedlich behandelt, nicht als vergleichbar angesehen werden können. Der Gerichtshof hat nämlich entschieden, dass die Anwendung unterschiedlicher Steuerregelungen auf eine inländische Gesellschaft, je nachdem, ob sie eine gebietsansässige oder eine gebietsfremde Betriebsstätte hat, kein zulässiges Kriterium für die Beurteilung der objektiven Vergleichbarkeit der Situationen sein kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30 V. 13.12.2005 − C-416/03, EU:C:2005:763. 31 EuGH v. 12.6.2018 − C-650/16, ECLI:EU:C:2018:424 − Bevola.

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22. Januar 2009, STEKO Industriemontage, C-377/07, EU:C:2009:29, Rn. 33). Im Übrigen würde Art. 49 AEUV seines Sinnes entleert, wenn ein Mitgliedstaat in jedem Fall eine Ungleichbehandlung allein deshalb vornehmen könnte, weil sich die Betriebsstätte einer gebietsansässigen Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat befindet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25.  Februar 2010, X Holding, C-337/08, EU:C:2010:89, Rn. 23). Mithin ist die Vergleichbarkeit der Situationen entsprechend der in den Rn. 32 und 33 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung unter Berücksichtigung des Zwecks der fraglichen nationalen Bestimmungen zu prüfen. Zur Konstellation inländisches Stammhaus und ausländische Freistellungsbetriebsstätte führt der EuGH aus: „Insoweit hat der Gerichtshof zu Maßnahmen eines Mitgliedstaats, die der Vermeidung oder Abschwächung der Doppelbesteuerung der Gewinne einer gebietsansässigen Gesellschaft dienen, entschieden, dass sich Gesellschaften mit einer Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedstaat grundsätzlich nicht in einer Situation befinden, die mit der Situation von Gesellschaften mit einer gebietsansässigen Betriebsstätte vergleichbar wäre (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17.  Juli 2014, Nordea Bank Danmark, C-48/13, EU:C:2014:2087, Rn.  24, und vom 17.  Dezember 2015, Timac Agro Deutschland, C-388/14, EU:C:2015:829, Rn. 27). In Bezug auf Verluste einer gebietsfremden Betriebsstätte, die jede Tätigkeit eingestellt hat und deren Verluste nicht von ihrem steuerpflichtigen Gewinn in dem Mitgliedstaat, in dem sie tätig war, abgezogen werden konnten und nicht mehr abgezogen werden können, unterscheidet sich die Situation einer gebietsansässigen Gesellschaft, die eine solche Betriebsstätte hat, in Anbetracht des Ziels, den doppelten Abzug der Verluste zu vermeiden, jedoch nicht von der Situation einer gebietsansässigen Gesellschaft mit einer gebietsansässigen Betriebsstätte.“ Der EuGH hat darüber hinaus die Vergleichbarkeit der Situation zwischen gebietsansässigen und ausländischen Betriebsstätten auch daraus abgeleitet, dass die Leistungsfähigkeit (des Stammhauses) in gleicher Weise durch Verluste ausländischer Betriebsstätten beeinträchtigt werde wie durch inländische Betriebsstätten. Das gilt zwar nicht für laufende Verluste, wohl aber für finale Verluste.32 Der Gesichtspunkt der Leistungsfähigkeit dürfte aber nur für Stammhaus und Betriebsstätte gelten. Er ist auf Konzernstrukturen mit Mutter- und Tochterkapitalgesellschaften wegen der jeweils eigenen Rechtspersönlichkeit nicht übertragbar.33 Das bedeutet, dass nach Auffassung des EuGH eine inländische Betriebsstätte und eine ausländische Freistellungsbetriebsstätte objektiv miteinander vergleichbar sind, wenn die

32 Zum Leistungsfähigkeitsprinzip vgl. Heckerodt, IWB 2018, 521, 527; krit. Brandis, DStR 2018, 2051, 2055. 33 Vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 10.1.2019 – C-607/17, ECLI:EU:C:2019:8 − Memira.

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– ausländische Betriebsstätte ihre Tätigkeit eingestellt und – verbleibende Verluste der ausländischen Betriebsstätte nicht mehr abgezogen werden können. In der Rechtssache Marks & Spencer II34 hatte der EuGH bezogen auf die Verrechnung von Verlusten nicht gebietsansässiger Tochtergesellschaften ausgeführt, dass die Verluste einer gebietsfremden Tochtergesellschaft dann endgültig seien, wenn die Tochtergesellschaft im Mitgliedstaat ihres Sitzes keine Einnahmen mehr erziele. Solange sie nämlich weiterhin – wenn auch minimale – Einnahmen erziele, bestehe noch die Möglichkeit, die Verluste mit künftigen Gewinnen, die im Mitgliedstaat des Sitzes erzielt werden, zu verrechnen. Gemeinschaftsrechtlich nicht zu beanstanden sei es allerdings, wenn durch nationale Vorschriften bestimmte Anforderungen im Hinblick auf den Zeitpunkt der Feststellung der "Finalität" sowie einzuhaltende Antragsfristen aufgestellt würden. Danach kann jedenfalls unter schlichtem Hinweis auf die fehlende Vergleichbarkeit von inländischen Betriebsstätten und ausländische Freistellungsbetriebsstätten eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nicht verneint werden. Der EuGH hält an der Vergleichbarkeitsprüfung fest, wie die Entscheidung der Großen Kammer in Sachen Bevola/Trock zeigt. Dem Vorschlag der Generalanwältin Kokott35, das Kriterium der objektiven Vergleichbarkeit aufzugeben, folgt der EuGH nicht. Der BFH wird demnächst Gelegenheit haben, seine Auffassung zu überdenken. Das Finanzgericht Hessen hat mit Urteil vom 4.9.201836 entschieden, dass es die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gebietet, dass von einem unbeschränkten Steuerpflichtigen in einem anderen Mitgliedstaat erzielte Verluste abgezogen werden können, wenn aufgrund der Einstellung der Tätigkeit in dem anderen Mitgliedstaat dort dauerhaft kein Abzug der Verluste mehr möglich sein wird. Unter Hinweis auf die Entscheidung Bevola – so das hessische FG – habe der EuGH im Ergebnis ausgeführt, dass sich eine inländische und ausländische Betriebsstätte, die Verluste erzielt, hinsichtlich der Abzugsfähigkeit der Verluste von (anderen) Gewinnen des Steuerpflichtigen im Grundsatz in der gleichen Situation befindet, sodass es eine im Grundsatz durch die Niederlassungsfreiheit verbotene Ungleichbehandlung darstellt, wenn nur die Verluste der inländischen Betriebsstätte von anderen im Inland steuerpflichtigen Gewinn abgezogen werden könnten. In dem vom Hessischen Finanzgericht entschiedenen Fall hatte das inländische Stammhaus, eine eingetragene Wertpapierhandelsbank, die in Großbritannien errichtete Zweigniederlassung, die nur Verluste erzielt hatte, eingestellt. Aufgelaufene Verluste konnten nicht mehr vorgetragen werden. Entsprechende Überlegungen gelten auch für das Verhältnis inländischer Mutterkapitalgesellschaft und ausländischer Tochterkapitalgesellschaft. Es kann deshalb eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit vorliegen, wenn eine nationale Regelung 34 Urteil v. 3.2.2015 − C-172/13, ABl EU 2015, Nr. C 107, 2. 35 Schlussanträge v. 10.1.2019 in den Rechtssachen C-607/17 − in Sachen „Memira Holding“ und C-608-17 Holmen, Rz. 38. 36 FG Hessen v. 4.9.2018 – 4 K 385/17, Rev. BFH I R 32/18.

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die interpersonelle Verlustverrechnung zwischen einer gebietsansässigen Muttergesellschaft und einer ebenfalls gebietsansässigen Tochtergesellschaft zulässt, zwischen einer gebietsansässigen Muttergesellschaft und einer sonstigen im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Tochtergesellschaft aber nicht. Daraus kann eine gemeinschaftsrechtswidrige Ungleichbehandlung resultieren, wenn sich die inländische und die ausländische Tochtergesellschaft in einer objektiv vergleichbaren Situation befinden. Dabei kann sich eine fehlende Vergleichbarkeit nicht allein daraus ergeben, dass hinsichtlich der Gewinne der ausländischen Tochtergesellschaft keine Besteuerung durch den Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft (also des Staates, in dem gegebenenfalls die Verlustverrechnung erfolgen soll) erfolgt.37 Eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit scheidet nur dann von vornherein aus, wenn der Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft eine Art Gruppenbesteuerungsregime, wie zum Beispiel die deutsche Organschaft38, nicht vorsieht. Fehlt ein derartiges System, kann bereits keine Beschränkung geltend gemacht werden. Für deutsche Muttergesellschaften ist daher relevant, ob die deutsche Organschaftsregelung EU-rechtskonform ist.39 4. Zwischenergebnis In- und ausländische Betriebsstätten sind miteinander vergleichbar, jedenfalls dann, wenn die ausländische Betriebsstätte ihre Tätigkeit eingestellt hat und keinerlei Einnahmen mehr erzielt werden, mit denen die aufgelaufenen Verluste noch verrechnet werden können. Das gilt mit Rücksicht auf die deutschen Organschaftsregelungen auch für das Verhältnis von inländischer Mutterkapitalgesellschaft und ausländischer EU/EWR Tochterkapitalgesellschaft und Enkelkapitalgesellschaften, wenn Enkelund Tochtergesellschaften ihren Sitz im selben Staat haben.40

III. Rechtfertigung 1. Gründe In der Rechtssache Marks & Spencer hat der EuGH eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit für gerechtfertigt gehalten, wenn sie – zur Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten erforderlich ist – eine doppelte Verlustberücksichtigung verhindert oder – einer drohenden Steuerflucht entgegenwirkt. Der EuGH hält es für ausreichend, wenn von den drei genannten Gründen zwei vorliegen. Die ersten beiden Gründe werden von den beteiligten Staaten bereits durch 37 FG Schleswig-Holstein v. 13.3.2019 – 1 K 218/15. 38 §§ 14 ff. KStG. 39 Vgl. FG Schleswig-Holstein v. 13.3.2019 – 1 K 218/15. 40 EuGH v. 19.6.2019 – C-608/17 − Holmen.

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die vereinbarten Doppelbesteuerungsabkommen dargetan werden können. Deshalb fügt der EuGH noch die Aspekte der Verhältnismäßigkeit und Finalität hinzu. In Ausnahmefällen, nämlich wenn bei der Tochtergesellschaft sog. „finale“ Verluste entstanden seien, könnten sich solche Regelungen als unverhältnismäßig darstellen. Das sei dann der Fall, wenn die Muttergesellschaft nachweise, dass die gebietsfremde Tochtergesellschaft die in ihrem Sitzstaat für den von dem Abzugsantrag erfassten Steuerzeitraum sowie frühere Steuerzeiträume vorgesehenen Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Verlusten – gegebenenfalls durch Übertragung dieser Verluste auf einen Dritten oder ihrer Verrechnung mit Gewinnen, die die Tochtergesellschaft in früheren Zeiträumen erwirtschaftet habe – ausgeschöpft habe und auch keine Möglichkeit bestehe, die Verluste der ausländischen Tochtergesellschaft in ihrem Sitzstaat für künftige Zeiträume von ihr selbst oder von einem Dritten, insbesondere im Fall der Übertragung der Tochtergesellschaft auf ihn, zu berücksichtigen. 2. Insbesondere: Finalität a) Memira Holding und Holmen In seinen jüngsten Entscheidungen Memira Holding41 und Holmen42 nimmt der EuGH – bedingt durch die Vorlagefragen – im besonderen Maße zu dem Begriff der Finalität Stellung. Die beiden Urteile betrafen das Verhältnis zwischen Mutter- und Tochterkapitalgesellschaften. Nach der grundlegenden Entscheidung in Sachen Lidl Belgium43 gelten diese Grundsätze entsprechend auch für das Verhältnis Stammhaus und Betriebsstätte. In Sachen Memira Holding handelt sich um ein Vorabentscheidungsersuchen des obersten schwedischen Verwaltungsgerichtshofs zur Klärung der Fragestellung, ob das Unionsrecht es gebietet, Verluste, die eine ausländische Tochterkapitalgesellschaft erwirtschaftet hat, grenzüberschreitend bei der inländischen Muttergesellschaft zu berücksichtigen. Es ging um eine in Schweden ansässige Mutterkapitalgesellschaft, die zu 100 % an der deutschen Tochterkapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in Deutschland beteiligt war. Die Tochtergesellschaft erwirtschaftete nur Verluste, die festgestellt und vorgetragen wurden. Die Muttergesellschaft plant eine grenz­ überschreitende Verschmelzung durchzuführen, bei der die Tochtergesellschaft aufwärts auf die Muttergesellschaft verschmolzen werden soll. Das schwedische Steuerrecht räumt der übernehmenden Muttergesellschaft die Möglichkeit ein, die Verluste der übertragenen Gesellschaft geltend zu machen, sofern letztere zumindest mit einem Teil ihrer Einkünfte in Schweden steuerpflichtig ist. Das deutsche Steuerrecht hingegen sieht eine solche Regelung nicht vor. Er stellte sich die Frage, ob die in Deutschland erwirtschafteten Verluste der Tochtergesellschaft nach der geplanten Fusion durch die Muttergesellschaft genutzt werden können.

41 EuGH v. 19.6.2019 – C-607/17, ECLI:EU:C:2019:510, IStR 2019, 597. 42 EuGH v. 19.6.2019 – C-608/17, ECLI:EU:C:2019:511 – Holmen. 43 EuGH v. 15.5.2008 − C-414/06, ECLI:EU:C:2008:278 − Lidl Belgium.

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Die Vorlagefragen lauteten: „1. Ist bei der Beurteilung der Frage, ob ein Verlust einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft im Sinne etwa des Urteils vom 21. Februar 2013, A  (C-123/11, EU:C:2013:84), endgültig ist und die Muttergesellschaft somit nach Art. 49 AEUV diesen Verlust abziehen darf, relevant, dass gemäß den im Mitgliedstaat der Tochtergesellschaft geltenden Regelungen für andere Rechtssubjekte, die mit der Gesellschaft, bei der die Verluste entstanden sind, nicht identisch sind, die Möglichkeit zum Verlustabzug beschränkt ist? 2. Sollte eine Beschränkung im Sinne von Frage 1 relevant sein, ist dann zu berücksichtigen, ob es im konkreten Fall im Mitgliedstaat der Tochtergesellschaft tatsächlich noch ein anderes Rechtssubjekt gibt, das einen Verlustabzug hätte vornehmen können, wenn dies dort zulässig wäre?“ Nach Auffassung des EuGH können endgültige Verluste nur dann angenommen werden, wenn tatsächlich gar keine Möglichkeit mehr bestehe, sie im Sitzstaat der Tochtergesellschaft zu berücksichtigen. Daran scheitert es jedoch, wenn sich die erwirtschafteten Verluste auf einen Dritten übertragen lassen. In diesem Fall kann die Gesellschaft die Verluste zumindest wirtschaftlich nutzen. Ob damit auch eine tatsächliche Verlustnutzung einhergehe, sei hingegen unbeachtlich, sodass allein die rechtliche Möglichkeit der Verlustübertragung ausreichend sei. Entscheide sich der Steuerpflichtige bewusst gegen eine Übertragung, so sei die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nicht unverhältnismäßig, da nicht alle Versuche zur Verlustnutzung ausgeschöpft worden seien. Die Darlegungslast liege bei der Muttergesellschaft. Die Leitsätze des EuGH lauten: „1. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Verluste einer gebietsfremden Gesellschaft im Sinne von Rn.  55 des Urteils vom 13.  Dezember 2005, Marks & Spencer (C-446/03, EU:C:2005:763), endgültig sind, ist der Umstand, dass der Sitzmitgliedstaat der Tochtergesellschaft bei einer Fusion keine Übertragung der Verluste einer Gesellschaft auf einen anderen Steuerpflichtigen zulässt, während der Sitzmitgliedstaat der Muttergesellschaft bei der Fusion inländischer Gesellschaften eine solche Übertragung vorsieht, nicht entscheidend ist, sofern nicht die Muttergesellschaft nachweist, dass es ihr unmöglich ist, diese Verluste, insbesondere durch eine Übertragung, so geltend zu machen, dass sie bei einem Dritten für künftige Zeiträume steuerlich berücksichtigt werden können. 2.  Für den Fall, dass der in der ersten Frage genannte Umstand relevant sein sollte, kommt es nicht darauf an, dass es im Sitzstaat der Tochtergesellschaft kein anderes Rechtssubjekt gibt, das die Verluste im Rahmen einer Fusion hätte geltend machen können, wenn dort ein Abzug zulässig gewesen wäre.“ Die Rechtssache Holmen44 betraf ebenfalls ein Vorabentscheidungsersuchen des obersten schwedischen Verwaltungsgerichtshofs. Es ging um eine in Schweden ansässige Muttergesellschaft, die über eine spanische Tochtergesellschaft zwei Enkelge44 EuGH v. 19.6.2019 – C-608/17.

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sellschaften in Spanien hielt. Die spanischen Gesellschaften bildeten eine Steuergruppe. Nach spanischem Recht können innerhalb dieser Steuergruppe Gewinne und Verluste beliebig verrechnet werden. Wird jedoch die Steuergruppe aufgelöst, dürfen die Verluste nur bei den Gruppeneinheiten genutzt werden, die sie auch tatsächlich erwirtschaftet haben. Da die spanischen Gesellschaften erhebliche Verluste erwirtschafteten, stellte die Muttergesellschaft ihre wirtschaftliche Tätigkeit in Spanien ein und plant eine Liquidation der Enkelgesellschaften. Es stellte sich die Frage, ob die Muttergesellschaft die erwirtschafteten Verluste geltend machen kann. Die Vorlagefragen lauteten: „1. Setzt die Berechtigung einer Muttergesellschaft in einem Mitgliedstaat – wie sie sich u. a. aus dem Urteil Marks & Spencer ergibt –, aufgrund von Art. 49 AEUV endgültige Verluste einer Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat in Abzug zu bringen, voraus, dass die Tochtergesellschaft von der Muttergesellschaft direkt gehalten wird? 2. Ist ein Verlust auch insoweit als ein endgültiger Verlust anzusehen, als er aufgrund der Rechtsvorschriften im Sitzstaat der Tochtergesellschaft nicht mit den in einem bestimmten Jahr dort erzielten Gewinnen verrechnet werden konnte, sondern stattdessen vorgetragen wurde, um möglicherweise in einem kommenden Jahr abgezogen werden zu können? 3. Ist bei der Beurteilung, ob ein Verlust endgültig ist, die Tatsache zu berücksichtigen, dass die Abzugsmöglichkeit eines anderen Beteiligten als desjenigen, bei dem der Verlust entstanden ist, aufgrund der Rechtsvorschriften im Sitzstaat der Tochtergesellschaft beschränkt ist? 4. Wenn eine Beschränkung wie die in Frage 3 genannte zu beachten ist: Muss berücksichtigt werden, inwieweit die Beschränkung dazu geführt hat, dass ein Teil der Verluste faktisch nicht mit den Gewinnen eines anderen Beteiligten verrechnet werden konnte?“ Hinsichtlich der Finalität führt der EuGH im Wesentlichen die Grundsätze der Rechtssache Memira Holding auf. Dabei betont er, dass keine endgültigen Verluste vorliegen, wenn nicht alle Möglichkeiten zur Verlustnutzung ausgeschöpft worden seien. Der Umstand, dass nach nationalem Recht die Verluste nur bei denjenigen Gruppenmitgliedern genutzt werden könnten, die sie auch erwirtschaftet haben, sei nicht ausschlaggebend, da weiterhin die Möglichkeit bestehe, die Verluste auf Dritte zu übertragen. Erst, wenn nachgewiesen werde, dass selbst diese Option ausgeschlossen sei, handele es sich um finale Verluste. Diesen Nachweis hätte die Muttergesellschaft bisher nicht erbracht. Die Leitsätze des EuGH lauten deshalb: „1.  Der Begriff der endgültigen Verluste einer gebietsfremden Tochtergesellschaft im ­Sinne von Rn.  55 des Urteils vom 13.  Dezember 2005, Marks & Spencer (C-446/03, EU:C:2005:763), ist nicht auf eine Enkelfiliale anwendbar, sofern nicht alle Gesellschaften, die zwischen der den Konzernabzug beantragenden Muttergesellschaft und der Enkelgesellschaft stehen, bei der berücksichtigungsfähige Verluste entstehen, die als endgültig angesehen werden können, ihren Sitz im selben Mitgliedstaat haben. 484

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2. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Verluste einer gebietsfremden Gesellschaft im Sinne von Rn.  55 des Urteils vom 13.  Dezember 2005, Marks & Spencer (C-446/03, EU:C:2005:763), endgültig sind, ist der Umstand, dass der Sitzmitgliedstaat der Tochtergesellschaft im Jahr einer Abwicklung keine Übertragung der Verluste einer Gesellschaft auf einen anderen Steuerpflichtigen zulässt, nicht entscheidend, sofern nicht die Muttergesellschaft nachweist, dass es ihr unmöglich ist, diese Verluste, insbesondere durch eine Übertragung, so geltend zu machen, dass sie bei einem Dritten für künftige Zeiträume berücksichtigt werden können. 3. Für den Fall, dass der in Nr. 2 dieses Tenors genannte Umstand relevant sein sollte, kommt es nicht darauf an, inwieweit aufgrund des Rechts des Sitzstaats der Tochtergesellschaft, bei der Verluste entstehen, die als endgültig angesehen werden können, ein Teil dieser Verluste nicht mit laufenden Gewinnen der verlustbringenden Tochtergesellschaft oder eines anderen Rechtssubjekts desselben Konzerns verrechnet werden durfte.“ b) Nachweis des Ausschlusses der Verlustnutzung durch Tochtergesellschaft/ Betriebsstätte oder Dritte Mit Rücksicht auf die Ausführungen des EuGH in den Urteilen Marks & Spencer, Memira Holding und Holmen hat der Steuerpflichtige nachzuweisen, dass die gebietsfremde Tochtergesellschaft/ Betriebsstätte in ihrem Sitzstaat alle vorgesehenen Möglichkeiten zur Verlustnutzung ausgeschöpft hat und auch keine Möglichkeit besteht, die Verluste von ihr selbst oder von einem Dritten, insbesondere im Fall der Übertragung der Tochtergesellschaft/Betriebsstätte auf ihn, zu berücksichtigen. Das bedingt nachfolgende Prüfungsschritte. aa) Verlustnutzung durch Tochtergesellschaft/Betriebsstätte Die gebietsfremde Tochtergesellschaft/Betriebsstätte muss alle Möglichkeiten der laufenden Verlustnutzung und eines möglichen Verlustrücktrags ausgeschöpft haben. Zur laufenden Verlustnutzung gehört es auch, dass die Tochtergesellschaft/Betriebsstätte vorhandene stille Reserven auflöst, um diese mit laufenden Verlusten zu verrechnen.45 Auch eine Verlustnutzung in künftigen Steuerjahren muss ausgeschlossen sein. Deshalb erfordert die Geltendmachung finaler Verluste, dass die Tochtergesellschaft/Betriebsstätte ihre wirtschaftliche Aktivität eingestellt hat und eine künftige Aktivität ausgeschlossen ist. bb) Verlustnutzung durch Dritte Nach Auffassung des EuGH ist die Finalität des Verlustes auch dann zu verneinen, wenn nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass ein Dritter die Verluste der Tochtergesellschaft in deren Sitzstaat steuerlich berücksichtigen kann, etwa nachdem diese gegen einen Preis, der den Wert des in der künftigen Abzugsfähigkeit 45 Kahlenberg, ISR 23019, 331 unter Hinweis auf EUGH v. 21.2.2013 – C-123/11, ECLI:EU:​ C:2013:84-A.

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der Verluste bestehenden Steuervorteils einbezieht, übertragen wurde.46 Leider konkretisiert der EuGH nicht näher, ob er damit eine Unternehmensveräußerung durch einen „Share Deal“ oder einen „Asset Deal“ meint.47 Der EuGH will mit diesem Erfordernis offensichtlich unter allen Umständen verhindern, dass der Verlust wirtschaftlich doppelt, also sowohl im Quellenstaat als auch im Ansässigkeitsstaat genutzt wird.48 Man wird daraus schließen müssen, dass ein finaler Verlust auf jeden Fall dann nicht vorliegt, wenn rechtlich noch die Möglichkeit der Verlustübertragung auf Dritte besteht, unabhängig davon, ob der Steuerpflichtige hiervon Gebrauch macht oder nicht. In der Rechtssache Memira bezieht sich der EuGH ausdrücklich auf die Nrn. 65–70 der Schlussanträge der Generalsanwältin49. Die Generalsanwältin weist zunächst da­ rauf hin, dass für die Beurteilung der Finalität eines Verlustes zwischen rechtlichen und faktisch nicht verwertbaren Verlusten differenziert werde. Verluste, die deshalb nicht nutzbar sind, weil sie im Mitgliedstaat der Entstehung rechtlich nicht anerkannt oder aufgrund rechtlicher Beschränkungen nicht verwertbar seien, seien schon deshalb keine finalen Verluste, weil dies der Autonomie der Steuerrechtsordnungen entgegenstehen würde. Grundfreiheiten könnten nicht zur Folge haben, den Mitgliedstaat des Sitzes der Muttergesellschaft zu verpflichten, eine Verlustberücksichtigung zu deren Gunsten mit einem Betrag vorzusehen, der seinen Ursprung allein im Steuersystem eines anderen Mitgliedstaats habe, da sonst die Steuerautonomie des erstgenannten Mitgliedstaats durch die Ausübung der Steuerhoheit des anderen Mitgliedstaats beschränkt würde. Die Generalsanwältin bezweifelt ferner, ob es rechtlich verwertbare, aber faktisch nicht verwertbare Verluste überhaupt geben könne. Der einzige Fall sei ein insgesamt defizitäres Unternehmen, welches nie ausreichend Gewinn erwirtschaftet habe, auch nachdem alle Wirtschaftsgüter veräußert wurden. In diesem Fall würde sich auch der Verlust des letzten Jahres trotz Verlustrücktragsmöglichkeit faktisch nicht auswirken können. Aber auch in diesem Fall bestünde immer noch die Möglichkeit, diese Verluste mit der Veräußerung des Unternehmens im Ergebnis auf einen Käufer zu übertragen, sofern der Sitzmitgliedstaat dies zulässt. Der Käufer wird den Wert der bestehenden Verluste über den Kaufpreis des Unternehmens berücksichtigen, sodass der Verkäufer insoweit diese Verluste realisiert. Wenn die jeweilige Rechtsordnung eine Übertragung der Verluste auf andere Personen ermöglicht, dann ist eine Verwertung dieser Verluste immer auch faktisch möglich. Sie ist vielleicht im Einzelfall nicht von besonderem Erfolg gekrönt, weil der Erwerber eines defizitären Unternehmens nicht unbedingt viel Geld für ein solches ausgeben wird. Dieses ändere aber nichts an einer faktischen Verwertbarkeit des Verlustes.

46 C-607/17, Rz. 26 – Memira-Holding; C-608/17, Rz. 38 – Holmen. 47 Kopec/Wellmann, IWB 2019, 702, 709. 48 Vgl. die Rechtssache Lidl Belgium: Dort wurde der „finale“ Verlust in der Betriebsstätte einige Jahre später mit Gewinnen verrechnet. 49 EuGH v. 19.6.2019 − C-607/17 – Memira-Holding.

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Die Argumentation der Generalanwältin, die offensichtlich der EuGH übernimmt, lautet in Kurzform: Verluste, die aus Rechtsgründen im Ansässigkeitsstaat der Betriebsstätte oder Tochtergesellschaft nicht geltend gemacht werden können (z.B. in Deutschland gem. § 8c KStG), sind deshalb gerechtfertigt, weil dies die Steuerautonomie der Mitgliedstaaten gebietet. Ist der Verlust im Mitgliedstaat der Betriebsstätte oder Tochtergesellschaft dagegen rechtlich verrechenbar, muss der Nachweis erbracht werden, dass er auch wirtschaftlich nicht verwertbar ist. Wirtschaftlich ist er immer verwertbar, wenn rechtlich die Übertragungsmöglichkeit auf Dritte besteht. Denn der Veräußerer (Stammhaus, Muttergesellschaft) wird sich in diesem Fall den Verlust vergüten lassen. Eine solche Auffassung macht den Nachweis der Finalität praktisch unmöglich und ist daher abzulehnen. Sie nähert sich sehr stark der früher auch von der Verwaltung vertretenen Auffassung. Danach liegt ein finaler Verlust nur vor, wenn Stammhaus und Betriebsstätte aufgegeben werden.50 Demgegenüber hat der BFH die Aufgabe der Betriebsstätte als ausreichend erachtet51 und die Auffassung der Verwaltung abgelehnt. An einer "Finalität" fehle es zwar, wenn der Betriebsstättenstaat nur einen zeitlich begrenzten Vortrag von Verlusten zulässt. Daran fehle es jedoch nicht, wenn der Betriebsstättenverlust aus tatsächlichen Gründen nicht mehr berücksichtigt werden könne, z.B. bei Umwandlung der Auslandsbetriebsstätte in eine Kapitalgesellschaft, ihrer entgeltlichen oder unentgeltlichen Übertragung oder ihrer „endgültigen“ Aufgabe.52 Allerdings lässt sich die Auffassung des BFH im Lichte von Memira Holding und Holmen nicht mehr halten, da es an dem Prüfungsschritt der Drittverwertung fehlt. c) Vorgetragene Verluste Generalanwältin Kokott hat sich gegen die Berücksichtigung von vorgetragenen Verlusten als finale Verluste ausgesprochen.53 Im Ergebnis spricht sich die Generalsanwältin dafür aus, dass ausschließlich der Verlust, der im Finalitätsjahr erwirtschaftet wird, als finaler Verlust berücksichtigungsfähig ist. Der EuGH folgt dem nicht.54 Nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH ist der Abzug finaler Betriebsstättenverluste nicht im Veranlagungszeitraum des Entstehens der Verluste, sondern in jenem Veranlagungszeitraum vorzunehmen, in welchem sie „final“ geworden sind. Das impliziert auch die Berücksichtigung vorgetragener Verluste.55 Die Berücksichtigung vorgetragener Verluste dürfte in der Praxis nicht unerhebliche Schwierigkeiten bereiten. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass bei ausländischen 50 Bayr. Landesamt für Steuern, Vfg. v. 19.2.2010, DStR 2010, 444. 51 BFH v. 9.6.2010 − I R 100/09; Vorinstanz FG Düsseldorf v. 8.9.2009 − 6 K 308/04 K; BFH v. 9.6.2010 − BFH I R 107/09; Vorinstanz FG Hamburg v. 18.11.2009 − 6 K 147/08. 52 BFH v. 9.6.2010 − I R 107/09; entgegen BMF‑Schreiben v. 13.7.2009, BStBl I 2009, 835; vgl. auch Kessler/Philipp, IStR 2010, 865. 53 Schlussanträge v. 10.1.2019 in der Rechtssache C-607/17 − Memira Holding, Rz. 57. 54 EuGH v. 19.6.2019 − C-607/17, ECLI:EU:C:2019:510 − Memira Holding AB. 55 BFH v. 9.6.2010 − I R 100/09; BFH v. 9.6.2010 − BFH I R 107/09; ebenso wie BMF‑Schreiben v. 13.7.2009, BStBl I 2009, 835.

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Freistellungsbetriebsstätten die Verluste dazu führen, dass sie im Wege des negativen Progressionsvorbehalts nach §  32b EStG berücksichtigt werden können. Will man vorgetragene Verluste berücksichtigen, müsste daher nachträglich insoweit eine Korrektur der Jahre vorgenommen werden, in denen der negative Progressionsvorbehalt berücksichtigt worden ist. Will man vorgetragene Verluste berücksichtigen, wäre auch zu erwägen, ob man nicht zusätzlich prüfen muss, ob der Steuerpflichtige über die gesamte Periode seines wirtschaftlichen Engagements betrachtet, einen Gesamtverlust erzielt hat. Denn in Gewinnjahren steht ja das Besteuerungsrecht dem Tätigkeitsstaat zu. Ob und unter welchen Voraussetzungen vermieden werden kann, dass die Verluste ggf. mehrfach abgezogen werden, falls im Quellenstaat in den Folgejahren doch noch eine Verlustberücksichtigung in Betracht kommt (beispielsweise für den Fall einer späteren Neubegründung einer Betriebsstätte in jenem Staat unter Weiternutzung der in der Vergangenheit aufgelaufenen Verluste), hat der BFH dahingestellt sein lassen56. Diesen Aspekt könne man nur berücksichtigen, wenn hierfür Anhaltspunkte im Sachverhalt bestünden. Sollte ein solcher Fall der späteren Verlustnutzung tatsächlich eintreten, würde die „Finalität“ der Verluste nachträglich entfallen, da ein rückwirkendes Ereignis vorliegen dürfte, das über § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO eine Bescheidänderung ermögliche. Es ist zweifelhaft, ob diese Auffassung des BFH noch in Einklang mit der EuGH Rechtsprechung steht, weil dann wohl nicht nachgewiesen ist, dass eine Verlustnutzung unter allen Möglichkeiten ausgeschlossen ist.

IV. Zusammenfassung und Ausblick Der EuGH greift in seinen jüngsten Entscheidungen Bevola, Memira Holding und Holmen wieder auf seine in Marks & Spencer entwickelten Grundsätze zurück. EU/ EWR Betriebsstätten eines deutschen Stammhauses und EU/EWR Tochterkapitalgesellschaften deutscher Muttergesellschaften befinden sich in einer vergleichbaren Lage wie deutsche Betriebsstätten und deutsche Tochtergesellschaften, jedenfalls dann, wenn die ausländischen Betriebsstätten/Tochtergesellschaften ihre betriebliche Aktivität endgültig eingestellt haben. Eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit liegt daher vor. Diese ist unverhältnismäßig, wenn es sich um einen finalen Verlust handelt. Ein solcher finaler Verlust liegt vor, wenn dieser unter keinen Umständen sowohl beim Steuerpflichtigen als auch von einem Dritten geltend gemacht werden kann. Rechtliche Hindernisse der Verlustnutzung reichen nicht aus um einen finalen Verlust zu begründen. Dies entspricht der Steuerautonomie der Mitgliedstaaten. Es muss ausgeschlossen werden, dass der Verlust tatsächlich nicht genutzt werden kann. Dies ist bei ausländischen Freistellungsbetriebsstätten z.B. Fall, wenn die ausländische Betriebsstätte endgültig eingestellt ist und auch eine Übertragung auf Dritte mangels Vermögensmasse ausscheidet. Einen solchen Fall hat das FG Hessen mit Ur-

56 BFH v. 9.6.2010 – I R 100/09; BFH v. 9.6.2010 – I R 1207/09; ebenso BMF-Schreiben v. 13.7.2009, BStBl. I 835.

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teil vom 4.9.201857 entschieden. Die anhängige Revision gibt dem BFH Gelegenheit, seine Auffassung, wonach inländische und ausländische Betriebstätte sich nicht in einer vergleichbaren Situation befinden, zu revidieren. Zugleich gibt das Revisionsverfahren auch die Gelegenheit, zu der umstrittenen Frage der Ausstrahlung finaler Verluste auf die Gewerbesteuer Stellung zu nehmen. Entscheidender Prüfungsmaßstab muss letztlich sein, dass in einem EU/EWR Auslandssachverhalt der Fall nicht schlechter behandelt werden darf als bei einem Inlandssachverhalt aber auch nicht besser. Das bedingt, dass etwaige Vorteile aus der Inanspruchnahme laufender Verluste im Rahmen des negativen Progressionsvorbehalts bei der Bemessung der finalen Verluste berücksichtigt werden müssen. Diese Prüfung war im Fall des FG Hessen nicht erforderlich, weil das dortige Stammhaus als Aktiengesellschaft keinem progressiven (Körperschaftsteuer-)Tarif unterlag. Mit Rücksicht auf das anhängige Revisionsverfahren ist daher zu empfehlen, einschlägige Fälle bezüglich der Einkommensteuer bzw. Körperschaftsteuer sowie der Gewerbsteuer offen zu halten.58 In Konzernfällen gelten die gleichen Grundsätze wie bei Betriebsstätten. Allerdings ist auch bei inländischen Tochtergesellschaften eine Verlustverrechnung nur unter den Voraussetzungen einer Organschaft möglich. Deshalb kommt ein finaler Verlust der EU/EWR Tochtergesellschaft, den die inländische Muttergesellschaft verrechnen kann, nur unter den entsprechenden Voraussetzungen einer Organschaft in Betracht. Der BFH wird Gelegenheit haben, auch zu diesem Thema zeitnah Stellung zu nehmen. Das FG Schleswig-Holstein hat mit Urteil vom 13. März 201959 zu dem Thema Stellung genommen und eine Verrechnung an die Voraussetzung geknüpft, dass eine verbindliche schuldrechtliche Vereinbarung zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft vorliegt, die jedenfalls eine Verpflichtung zur Verlustübernahme durch die Muttergesellschaft für den Fall der Verlustentstehung der Tochtergesellschaft beinhalten muss. Auch insoweit ist es ratsam, einschlägige Fälle offen zu halten. Aktivitäten des nationalen Gesetzgebers, die oftmals gefordert werden60, dürften nicht zu erwarten sein. Das ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass die derzeitige EuGH Rechtsprechung einen finalen Verlust zwar grundsätzlich anerkennt, aber die Hürden dafür doch sehr hoch legt. Der Gesetzgeber, der auch immer Haushaltsgesetzgeber ist, wird mit der augenblicklichen Situation, so unbefriedigend sie für die Steuerpraxis ist, leben können.

57 FG Hessen v. 4.9.2018 – 4 K 385/17, Rev. BFH I R 32/18. 58 Neben der Revision gegen das Urteil des FG Hessen Rev. BFH I R 32/18 sind noch weitere Revisionsverfahren anhängig, vgl. I R 17 /16 Vorinstanz FG Hamburg v. 6.8.2014; I R 48/17 Vorinstanz FG Münster v. 28.3.2017 und I R 49/17 Vorinstanz FG Münster v. 28.3.2017. 59 1 K 218/15, Rev. BFH I R 26/19. 60 Brandis, DStR 2018, 2051, 2058. 

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Der Fremdvergleichsgrundsatz und die Hinzurechnungsbesteuerung Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Grundlagen der Hinzurechnungs­ besteuerung III. Der Fremdvergleich als Teil des ­Substanztests 1. Vorgaben des § 8 Abs. 2 AStG de lega lata a) Implikation der Cadburry Schweppes-­ Entscheidung des EuGH b) Nachweis der erforderlichen Substanz (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AStG) c) Zuordnung von Einkünften (§ 8 Abs. 2 Satz 5 AStG) 2. Substanztest gem. § 8 Abs. 2 AStG in der Fassung des Referentenentwurfs eines ATAD-Umsetzungsgesetzes

3. Auswirkungen der Säule 2 des Inclusive Framework on BEPS IV. Der Fremdvergleich im Rahmen der ­Bestimmung des Hinzurechnungsbetrags gem. § 10 Abs. 3 AStG 1. Vorrang der internationalen Einkünfte­ abgrenzung 2. Anwendung des § 1 AStG 3. Doppelbesteuerung bei Einkünfte­ korrekturen und Anwendung der ­Hinzurechnungsbesteuerung V. Entstrickung im Rahmen der ­Hinzurechnungsbesteuerung VI. Ergebnis

I. Einleitung Heinz-Klaus Kroppen hat sich wissenschaftlich, aber auch in seiner Beratungspraxis intensiv mit dem Fremdvergleichsgrundsatz im Zusammenhang mit der Bestimmung, Prüfung und Dokumentation von Verrechnungspreisen zwischen international verbundenen Unternehmen und der internationalen Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte beschäftigt. Vor allem seine Kommentierung zu Art. 7 OECD-MA1 hat den Autor dieser Zeilen bei der Abfassung seiner Dissertation2 vor knapp 20 Jahren geprägt. Der Jubilar hatte schon damals eine uneingeschränkte Anwendung der Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte für Zwecke ihrer internationalen Gewinnabgrenzung systematisch korrekt und überzeugend abgeleitet.3 Das Konzept der uneingeschränkten Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte für Zwecke ihrer internationalen Gewinnabgrenzung wurde später sowohl von der 1 Vgl. Kroppen, in: Becker/Höppner/Grotherr/Kroppen, DBA-Kommentar, 1997, Art. 7 OECD-­ MA, Stand: März 2002; Kroppen, in: Herzig/Günkel/Niemann, StbJB 1999/2000, 137 ff. 2 Vgl. Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, Diss., 2003. 3 Vgl. dazu auch Kroppen, in: Herzig/Günkel/Niemann, StbJB  1999/2000, 137  ff.; ders., in: Wassermeyer, W., Körperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung: Festschrift für Franz Wassermeyer zum 65. Geburtstag, 2005, S. 691; ders., IStR 2005, 74; ders., in: Kessler/Förster/Watrin, Unternehmensbesteuerung: Festschrift für Norbert Herzig zum 65.  Geburtstag, 2010, S.  1072; ders., in: Lüdicke/Mellinghoff/Rödder, Nationale und

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OECD4 in das OECD-MA 2010 als auch von dem deutschen Gesetzgeber in § 1 AStG und die BsGaV übernommen („sog. Authorized OECD Approach“). Heinz-Klaus Kroppen hat nicht nur die internationale Einkünfteabgrenzung geprägt, sondern darüber hinaus das internationale Steuerrecht mit all seinen Facetten sowohl praktisch als auch wissenschaftlich begleitet. Das betrifft u.a. auch die Hinzurechnungsbesteuerung.5 Dies möchte der Autor zum Anlass nehmen, das Verhältnis der Hinzurechnungsbesteuerung zum Fremdvergleichsgrundsatz zu untersuchen. Hier stellt sich auch die Frage, inwieweit der durch die internationale Einkünfteabgrenzung geprägte Fremdvergleichsgrundsatz in die Hinzurechnungsbesteuerung „hineinwirkt“. Diese Frage war gerade Gegenstand einer aktuellen Entscheidung des BFH6 und verdient infolgedessen eine besondere Würdigung.

II. Grundlagen der Hinzurechnungsbesteuerung Die Hinzurechnungsbesteuerung gem. §§  7  ff. AStG rechnet  – wie sich bereits aus ihrer Bezeichnung ergibt – unter bestimmten Voraussetzungen Einkünfte einer ausländischen Gesellschaft einer im Inland unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschaft zu und unterwirft sie der inländischen Besteuerung. Hintergrund der Regelung ist, schädliche Einkünfteverlagerungen ins Ausland und die nicht gewollte Ausnutzung von ausländischen Steuervorteilen bei fehlender „Substanz“ vor Ort zu unterbinden. Das Einkünfteerzielungssubjekt bleibt allerdings die ausländische Gesellschaft.7 Die Hinzurechnungsbesteuerung durchbricht die Abschirmwirkung, die grundsätzlich von einer ausländischen Kapitalgesellschaft ausgeht. Ausländische Einkünfte werden der Hinzurechnungsbesteuerung unterworfen, wenn – der inländische, unbeschränkt Steuerpflichtige gem. § 7 Abs. 1 AStG mit mehr als 50 %8 an einer ausländischen Gesellschaft9 beteiligt ist, – die ausländische Gesellschaft Einkünfte aus einer sog. passiven Tätigkeit i.S.d. Negativ-Katalogs des § 8 Abs. 1 AStG erzielt, – diese Einkünfte „niedrig“, d.h. mit weniger als 25 %, besteuert werden (§ 8 Abs. 3 Satz 1 AStG) und

internationale Unternehmensbesteuerung in der Rechtsordnung: Festschrift für Dietmar Gosch zum Ausscheiden aus dem Richteramt, 2016, S. 221 ff. 4 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 5 Vgl. etwa Kroppen, DStJG 30 (2007), 319 ff. 6 Vgl. BFH v. 13.6.2018 – I R 94/15, FR 2018, 1092. 7 Vgl. BFH v. 2.7.1997 – I R 32/95, BStBl. II 1998, 176, Tz. II. 2. a) aa). 8 Sonderregelung für Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter in §  7 Abs.  6 und 6a AStG. 9 Sonderregelung für Betriebsstätten im Ausland in § 20 AStG. Diese Fallgestaltung wird in diesem Beitrag nicht behandelt.

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Der Fremdvergleichsgrundsatz und die Hinzurechnungsbesteuerung

– der Steuerpflichtige nicht nachweist, dass die ausländische Gesellschaft, soweit sie im EU/EWR-Gebiet ansässig ist, dort einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht (§ 8 Abs. 2 AStG, sog. „Substanztest“ oder „Exkulpation).10 Eine ausländische Gesellschaft, auf die die vorgenannten Voraussetzungen zutreffen, wird als „Zwischengesellschaft“ bezeichnet. Sie erzielt sog. „Zwischeneinkünfte“.11 Der Hinzurechnungsbetrag, der dem inländischen Steuerpflichtigen zuzurechnen ist, bemisst sich nach § 10 AStG und grundsätzlich nach den Regelungen des deutschen Steuerrechts.12 Das Verhältnis der Hinzurechnungsbesteuerung zum Fremdvergleichsgrundsatz und damit zur internationalen Einkünfteabgrenzung wurde bislang im Schrifttum wenig diskutiert. Nach dem BFH-Urteil vom 13.6.201813, den BEPS-Initiativen14 und der bevorstehenden Reform der Hinzurechnungsbesteuerung15 wird die Thematik jedoch zunehmend praxisrelevant.

III. Der Fremdvergleich als Teil des Substanztests 1. Vorgaben des § 8 Abs. 2 AStG de lega lata a) Implikation der Cadburry Schweppes-Entscheidung des EuGH In Reaktion auf die EuGH-Entscheidung in der Rs. Cadbury Schweppes16 führte der Gesetzgeber durch das JStG 200817 den § 8 Abs. 2 AStG ein, der die vom EuGH ge10 Weitere Voraussetzung bei Nachweis der erforderlichen Substanz ist, dass zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem ausländischen Staat Amtshilfe (Informationsaustausch) aufgrund einer zwischenstaatlichen Vereinbarung geleistet wird (§ 8 Abs. 2 Satz 2 AStG). Diese Amtshilfebedingung hat jedoch mittlerweile aufgrund der innerhalb der EU national umgesetzten EU-Amtshilferichtlinie und des breit gefächerten Netzes von zwischenstaatlichen Amtshilfe-Verträgen (DBAs, Amtshilfeübereinkommen 1988/2010, TIEAs) an Bedeutung verloren. 11 Sollte eine ausländische Gesellschaft, deren Einkünfte niedrig besteuert werden, neben einer passiven Tätigkeit auch eine aktive Tätigkeit ausüben, so gilt sie nur für die passive Tätigkeit als Zwischengesellschaft. Einkünfte aus der aktiven Tätigkeit sind bei einer Hinzurechnung außen vor zu lassen, vgl. Wassermeyer, in: F/W/B/S, § 10, Rz. 224. 12 Für einen Überblick über die Berechnung des Hinzurechnungsbetrags siehe Edelmann, in: Kraft, AStG, 2. Aufl. 2019, § 10, Rz. 52 und für Details Edelmann, in: Kraft, AStG, 2. Aufl. 2019, § 10, Rz. 100 ff. 13 Vgl. BFH v. 13.6.2018 – I R 94/15, FR 2018, 1092. Für eine detaillierte Besprechung des Urteils siehe Ditz/Engelen/Quilitzsch, DStR 2019, 361. 14 Der BEPS-Aktionspunkt 3 beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Hinzurechnungsbesteuerung (CFC-Regeln). Vgl. zu Einzelheiten Kraft, in: Kofler/Schnitger, BEPS-Handbuch, S. 243 ff. 15 Vgl. Referentenentwurf des BMF zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATAD-Umsetzungsgesetz) v.  10.12.2019 und dazu im Einzelnen Ditz/Bärsch/Engelen/­ Quilitzsch, DStR 2020, 73 (76 ff.). 16 Vgl. EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544. 17 Vgl. JStG 2008 v. 20.12.2007, BGBl. I 2007, 3150.

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forderte Gegenbeweismöglichkeit zur Abwendung einer Hinzurechnungsbesteuerung in nationales Recht umsetzt.18 Der EuGH hatte entschieden, dass eine britische, mit der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung vergleichbare Regelung, auch wenn sie der Missbrauchsbekämpfung diene, gegen die Niederlassungsfreiheit verstoße, wenn sie zugunsten des Steuerpflichtigen keine Möglichkeit vorsehe, den Vorwurf einer künstlichen Gestaltung zu Steuervermeidungszwecken zu widerlegen und so die Hinzurechnungsbesteuerung abzuwenden.19 Der Nachweis müsse die „tatsächliche Ansiedlung“ der auslän­ dischen Gesellschaft in ihrem Ansässigkeitsstaat belegen, um dort einer „wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ nachzugehen.20 Diese Feststellung habe auf objektiven, nachprüfbaren Anhaltspunkten zu basieren, „die sich unter anderem auf das Ausmaß des greifbaren Vorhandenseins der beherrschten ausländischen Gesellschaft in Form von Geschäftsräumen, Personal und Ausrüstungsgegenständen beziehen.“21 Entsprechend dieser europarechtlichen Vorgaben bietet §  8 Abs.  2 AStG nun dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit, nachzuweisen, dass die vermeintliche Zwischengesellschaft nicht aus steuerschädlichen Beweggründen eingeschaltet worden ist (sog. „Substanztest“). Die Exkulpation setzt insb. die beiden nachfolgenden Prüfungsschritte voraus: b) Nachweis der erforderlichen Substanz (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AStG) Der inländische Steuerpflichtige, der Gesellschafter einer vermeintlichen Zwischengesellschaft ist, muss nach § 8 Abs. 2 Satz 1 AStG den Nachweis führen, dass die im Ausland ansässige Gesellschaft einer „tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ in ihrem Ansässigkeitsstaat nachgeht. In diesem Fall gilt die ausländische Gesellschaft nicht als Zwischengesellschaft und eine Hinzurechnungsbesteuerung nach § 7 Abs. 1 AStG unterbleibt. Gleichwohl ist gem. § 18 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz AStG eine Feststellungserklärung abzugeben, wenn nach §  8 Abs.  2 AStG geltend gemacht wird, dass eine Hinzurechnungsbesteuerung nicht erfolgen darf.22 Eine Definition der „tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ enthält das Gesetz nicht. Das BMF hatte schon vor Einführung des § 8 Abs. 2 AStG als Reaktion auf das EuGH-Urteil in der Rs. Cadbury Schweppes ein Schreiben23 erlassen, das konkrete Substanzkriterien benennt. Dazu gehören: aktive, ständige und nachhaltige Teilnahme am Marktgeschehen, die ständige Beschäftigung von geschäftsleitendem und an18 BT-Drucks. 16/6290, 91. 19 Vgl. EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, Rs. Cadbury Schweppes, EuZW-Sonderausgabe 2017, 59, Rz. 54 ff., insb. 70. 20 Vgl. EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, Rs. Cadbury Schweppes, EuZW-Sonderausgabe 2017, 59, Rz. 66. 21 Vgl. EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, Rs. Cadbury Schweppes, EuZW-Sonderausgabe 2017, 59, Rz. 67. 22 Zu den unionsrechtlichen Folgefragen vgl. Kraft, in: Kraft, AStG, 2. Aufl., § 18, Rz. 92. 23 Vgl. BMF v. 8.1.2007 – IV B 4 - S 1351 – 1/07, BStBl. I 2007, 99.

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derem Personal, das Vorhandensein einer den übertragenen Aufgaben entsprechenden Qualifikation des Personals, die Kausalität zwischen eigenen Aktivitäten der Gesellschaft und Einkünfteerzielung und, sofern der Leistungsempfänger eine nahe stehende Person ist, eine wertschöpfende Bedeutung der Leistung der Gesellschaft sowie ein angemessenes Verhältnis von Kapitalausstattung und Wertschöpfung. Nach zutreffender Ansicht übersteigen allerdings diese Substanzkriterien das Maß, das der EuGH in der Rs. Cadbury Schweppes und sodann der nationale Gesetzgeber festgelegt hat. Die Kriterien der Finanzverwaltung sind infolgedessen nicht durch die europarechtlichen Vorgaben des EuGH gedeckt, sondern gehen über diese (deutlich) hinaus.24 Gleichwohl zeigen die Erfahrungen in der Praxis, dass sich die Finanzverwaltung an die im BMF-Schreiben vom 8.1.2007 niedergelegten Kriterien hält. Kann der Steuerpflichtige den Substanznachweis entsprechend dieser Kriterien führen, verhält sich die Finanzverwaltung erfahrungsgemäß kooperativ und verzichtet auf eine Hinzurechnungsbesteuerung. Die Frage nach der „tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ betrifft die Feststellung, ob die Zwischengesellschaft für die von ihr ausgeübte Tätigkeit i.S.d. § 8 Abs. 1 AStG über eine ausreichende wirtschaftliche Substanz verfügt. Übt die Zwischengesellschaft mehrere passive Tätigkeiten aus, muss eine ausreichende Substanz jeweils für jede Tätigkeit vorhanden sein.25 Kriterien, über die in diesem Zusammenhang regelmäßig diskutiert werden, sind  – auch in Anbetracht des BMF-Schreibens vom 8.1.2007 – das Vorhandensein von Geschäftsräumen und Personal, der Umfang der Teilnahme am Marktgeschehen sowie die Ausübung von geschäftsführenden Tätigkeiten.26 Eine erste fallbezogene Auslegung hat das FG Münster im Urteil vom 20.11.201527 unternommen. Im Revisionsverfahren hat der BFH zu dieser Auslegung keine Feststellungen getroffen, sondern den Fall über die Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags gelöst (vgl. Erläuterungen unter Abschnitt IV.1. dieses Beitrags). Inwieweit das Vorliegen dieser oder anderer Kriterien verlangt werden kann, ist in jedem Einzelfall tätigkeitsbezogen zu überprüfen. Angesichts des gegenwärtigen Wandels in der Art des Arbeitens, vom klassischen Tätigwerden in eigenen Räumlichkeiten, mit einem Stab an eigenem Personal, umfangreicher Büroeinrichtung (z.B. Möbel, Drucker, eigene Telefonanschlüsse) hin zu einem Arbeiten an jedem Ort und zu jeder Zeit, ist diese Einzelfallbetrachtung umso wichtiger. Auch die Rechtsprechung und die Finanzverwaltung sollten für eine individuelle und der heutigen, modernen Zeit entsprechende Betrachtungsweise offen sein und nicht in jedem Einzelfall das Unterhalten eines physischen Büros mit Telefonanschluss und Personal verlangen. Denn die klassische Vorstellung von einem Arbeitsumfeld ist mittlerweile überholt, 24 Vgl. Kraft, in: Kraft, AStG, 2. Aufl. 2019, § 8, Rz. 748; ebenfalls zweifelnd Wassermeyer, in: F/W/B/S, Vor §§ 7–14, Rz. 38 u. Grotherr, IWB, 2008, 61 (66); a.A. Richter, IStR 2019, 336 (339). 25 Vgl. Richter, ISR 2019, 336 (339); Schönfeld, in: F/W/B/S, § 8, Rz. 501 ff. 26 Vgl. EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, Rs. Cadbury Schweppes, EuZW-Sonderausgabe 2017, 59, Rz. 67; BMF v. 8.1.2007 – IV B 4 - S 1351 - 1/07, BStBl. I 2007, 99, Tz. 2; Kraft, in: Kraft, AStG, 2. Aufl. 2019, § 8, Rz. 749; ausführlich Schönfeld, in: F/W/B/S, § 8, Rz. 466 ff. 27 FG Münster v. 20.11.2015 – 10 K 1410/12 F, EFG 2016, 453, aufgehoben.

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da Geschäftsführer oder Angestellte je nach Tätigkeitsbereich für ihre tägliche Arbeit teilweise nicht mehr als ein Smartphone und / oder einen Laptop benötigen. Auf den ersten Blick gibt es für die Feststellung einer „tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ i.S.d. zuvor genannten physischen Kriterien keinen Anknüpfungspunkt für den Fremdvergleich. Denn der Fremdvergleich betrifft die Bewertung einer Geschäftsbeziehung zwischen nahe stehenden Personen als dem Grunde und der Höhe nach fremdüblich und nicht die Substanz der die Geschäftsbeziehung eingehenden Gesellschaften. Vereinzelt wird vertreten, dass das Vorliegen einer „tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ der ausländischen Gesellschaft im Wege des Fremdvergleichs zu bestimmen sei.28 Eine Erläuterung, wie diese Bestimmung auf Basis des Fremdvergleichs erfolgen kann, fehlt jedoch. Denkbar wäre zum einen, die Kriterien des Substanztests (Art und Umfang der Ausstattung der Geschäftsräumlichkeiten, Anzahl und Qualifikation des Personals) durch einen Fremdvergleich zu ermitteln. Gefragt werden müsste dann beispielsweise, mit welcher Büroausstattung und mit welchem Personal fremde Dritte üblicherweise eine Tätigkeit ausüben, die mit der von der Zwischengesellschaft ausgeübten Tätigkeit vergleichbar ist. Dies kann schon deswegen nicht sachgerecht sein, da jeder Gesellschafter grundsätzlich darin frei ist, den organisatorischen Aufbau und die funktionale Untergliederung der Unternehmensgruppe sowie die von einer Gesellschaft ausgeübten Tätigkeiten und wahrgenommenen Risiken nach freiem Ermessen zu gestalten. Dieser Grundsatz der unternehmerischen Dispositionsfreiheit wird auch von der Rechtsprechung des BFH betont. Danach ist es „Sache der Gesellschafter, die Aufgaben einer Kapitalgesellschaft zu bestimmen. Sie können den Aufgabenkreis nach eigenem Ermessen weit- oder entziehen. Das Steuerrecht muss die Aufgabenzuweisung durch die Gesellschafter im Grundsatz akzeptieren.“29 Infolgedessen hat die Finanzbehörde die unternehmerische Entscheidung des Steuerpflichtigen anzuerkennen.30 Bereits insofern wird offensichtlich, dass der Fremdvergleichsgrundsatz zur Konkretisierung des Substanztests nicht geeignet ist. Denkbar wäre zum anderen, die Analyse des Fremdvergleichs auf den Substanztest zu übertragen: Zur Durchführung des Fremdvergleichs muss in einem ersten Schritt analysiert werden, welche Funktionen, Risiken und Wirtschaftsgüter die nahe stehenden Personen im Rahmen der untersuchten Geschäftsbeziehung ausüben, übernehmen und eingesetzt werden (sog. Funktions- und Risikoanalyse). Anhand des Ergebnisses der Funktions- und Risikoanalyse kann der Wertschöpfungsbeitrag der an der Geschäftsbeziehung beteiligten Gesellschaften bestimmt werden. Vom Wertschöpfungsbeitrag hängt die Vergütung ab, die im zweiten Schritt, dem eigentlichen 28 Vgl. Hammerschmitt/Rehfeld, IWB 2008, 229 (235). 29 Vgl. BFH v. 18.12.1996 – I R 26/95, FR 1997, 386. S. ferner BFH v. 20.3.2002 – I R 63/99, FR 2002, 1077: „Es obliegt der Entscheidung des Gesellschafters, den Umfang des unternehmerischen Tuns abzustecken.“ Vgl. dazu auch Ditz/Greinert, in: Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, 2014, Rz. 7.3. 30 In diesem Sinne auch BMF v. 13.10.2010 – IV B 5-S 1341/08/10003 (VWG Funktionsverlagerung), BStBl. I 2010, 774, Rz. 145.

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Fremdvergleich, zu ermitteln ist. In diesem zweiten Schritt ist zu untersuchen, welches Entgelt fremde Dritte bei einer vergleichbaren Geschäftsbeziehung, insbesondere bei vergleichbarer Funktionsausübung, Risikoübernahme und Einsatz von Wirtschaftsgütern vereinbaren würden. Denn wirtschaftlich denkende, unabhängige Dritte richten die Vergütung, die sie für eine Leistung oder ein Produkt zu zahlen bereit sind bzw. hierfür verlangen würden, insbesondere daran aus, wie hoch, wie wertschöpfend der Beitrag des Leistenden ist und welche Risiken beide Vertragsparteien im Rahmen ihrer Geschäftsbeziehung tragen. Erfordert eine Leistungserbringung die Ausübung von Funktionen in lediglich geringem Umfang und übernimmt der Leistende wenige Risiken, so würden fremde Dritte hierfür auch ein entsprechend geringes Entgelt vereinbaren. Bei einer Funktionsausübung in geringem Umfang, verbunden mit geringer Wertschöpfung liegt aber auch der Schluss nahe, dass diese Gesellschaft über wenig Substanz verfügt, womit der Kreis zum Substanztest i.R.d. Hinzurechnungsbesteuerung geschlossen wird. Die Feststellung der notwendigen Substanz über eine Funktions- und Risikoanalyse im Sinne des Fremdvergleichs würde sich allerdings im Verhältnis zu der bisherigen, oben skizzierten Substanzbestimmung als gänzlich neue Vorgehensweise darstellen: Während die gegenwärtig beim Substanztest anzulegenden Kriterien eher physischer Natur sind (Vorhandensein und Ausstattung von Büroräumlichkeiten, Anzahl und Qualifikation von Personal und Teilnahme am Markt), käme es bei der Substanzbestimmung auf Basis einer Funktions- und Risikoanalyse i.S.d. Fremdvergleichs auf ausgeübte Funktionen und übernommene Risiken an. Umstände wie Büroausstattung und Anzahl sowie Qualifikation des Personals finden zwar auch bei der Funktions- und Risikoanalyse unter dem Punkt „eingesetzten Wirtschaftsgüter“ (materielle Wirtschaftsgüter wie Büroausstattung oder Maschinen, immaterielle Wirtschaftsgüter wie Know-how) Berücksichtigung, würden dann allerdings an Bedeutung bei der Prüfung verlieren. Das Personal hätte noch mittelbar Einfluss auf die Funktionsanalyse, da Personal grundsätzlich entscheidend für die Funktionsausübung ist (die OECD spricht von „significant people function“). Der Vorteil dieser Herangehensweise beim Substanztest ist die Parallelität zwischen Verrechnungspreisbestimmung bzw. -überprüfung und der Hinzurechnungsbesteuerung statt zwei nebeneinanderstehender, sich unterscheidender Systeme. Dies bedeutet weniger Dokumentations- und Nachweisaufwand für den Steuerpflichtigen sowie weniger Verifikationsaufwand für die Finanzverwaltung. Diese Art der Prüfung i.R.d. Substanztests würde allerdings einen Systemwechsel bedeuten, die in den Feststellungen des EuGH in der Rs. Cadbury Schweppes31, dem BMF-Schreiben vom 8.1.200732 sowie dem aktuellen33 und ggf. dem zukünftigen34 Wortlaut des § 8 Abs. 2 AStG nicht angelegt ist.

31 Vgl. EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, Rs. Cadbury Schweppes, EuZW-Sonderausgabe 2017, 59, Rz. 67. 32 Vgl. BMF v. 8.1.2007 – IV B 4 - S 1351 - 1/07, BStBl. I 2007, 99, Tz. 2. 33 Vgl. auch die Gesetzesbegründung: BT-Drucks. 16/6290, 92. 34 Nach der Neufassung des § 8 Abs. 2 AStG-E werden nunmehr ausdrücklich physische Umstände („sachliche und personelle Ausstattung“) als Kriterien des Substanztests genannt. Vgl. dazu im Einzelnen Abschnitt III.2.

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Insgesamt ist ein „Hineinwirken“ des Fremdvergleichs in den Substanztest der Hinzurechnungsbesteuerung abzulehnen. c) Zuordnung von Einkünften (§ 8 Abs. 2 Satz 5 AStG) Soweit der inländische Steuerpflichtige für die ausländische Gesellschaft eine „tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit“ nachweisen kann, sind dieser Tätigkeit die Einkünfte der ausländischen Gesellschaft zuzuordnen, die sie durch diese tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit erzielt hat (§ 8 Abs. 2 Satz 5 1. Halbsatz AStG). Diese zugeordneten Einkünfte sind von der Hinzurechnungsbesteuerung aufgrund eines wirksamen Substanznachweises auszunehmen. Einkünfte werden allerdings nur insoweit zugeordnet, wie der Fremdvergleichsgrundsatz nach §  1 AStG beachtet worden ist (§ 8 Abs. 2 Satz 5 2. Halbsatz AStG). Die gesetzliche Anordnung, dass nur diejenigen Einkünfte von einer Hinzurechnungsbesteuerung ausgenommen werden, für die der inländische Steuerpflichtige eine ausreichende Substanz der Zwischengesellschaft nachweisen konnte,35 entspricht der segmentierten Betrachtungsweise, nach der für jede passive Tätigkeit die notwendige Substanz zu dokumentieren ist.36 Dass nur diese Einkünfte von der Hinzurechnung ausgenommen werden, ist nur folgerichtig i.S.d. der Missbrauchsbekämpfung: Würde eine tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit ausreichen, eine Exkulpation für weitere, als passiv qualifizierende Tätigkeiten auszulösen, würde der Regelungszweck der Hinzurechnungsbesteuerung, die Missbrauchsvermeidung, verfehlt werden und Umgehungsmöglichkeiten eröffnen.37 In der Literatur werden zum Teil Schwierigkeiten bei der Zuordnung von Einkünften gesehen, wenn die ausländische Gesellschaft mehrere Tätigkeiten ausübt.38 Diese Bedenken sind unbegründet.39 Letztlich geht es um die Zuordnung von Einkünften, die aus einer bestimmten Tätigkeit hervorgehen und deren Umsätze auf bestimmte Geschäftsbeziehungen zurückgehen. Eine separate Betrachtung, je Geschäftstätigkeit bzw. je Geschäftsbeziehung, ist der Verrechnungspreis„welt“ nicht fremd. Segmentierte Betrachtungen, z.B. von Zahlungsströmen, sind hier üblich. Dass daneben, nach § 8 Abs. 2 Satz 5 2. Halbsatz AStG selbstverständlich nur diejenigen Einkünfte von der Hinzurechnungsbesteuerung ausgenommen werden, die die ausländische Gesellschaft durch mit dem Fremdvergleich konform gehende Geschäftsbeziehungen erzielt hat, ist systematisch folgerichtig. Denn eine Exkulpation bei der Hinzurechnungsbesteuerung soll nicht die Anwendung von Verrechnungs­ preiskorrekturen aufgrund eines Verstoßes gegen den Fremdvergleichsgrundsatz ausschließen. Durch das Bestehen des Substanztests weist der Steuerpflichtige zwar 35 Vgl. Details zur „Erzielung durch die tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit“: Schönfeld, in: F/W/B/S, § 8, Rz. 562 ff. 36 Siehe unter Ziffer A.III.1.b) dieses Beitrags. 37 Vgl. Grotherr, IWB 2008, 61 (65). 38 Vgl. Kraft, in: Kraft, AStG, 2. Aufl. 2019, § 8, Rz. 781. 39 Hiervon zu unterscheiden ist der Aufwand, der die fiktive Einkünfteermittlung der Zwischengesellschaft nach deutschen Vorschriften an sich bedeuten kann.

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nach, dass die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft steuerlich nicht missbräuchlich war; die Einschaltung einer mit ausreichender Substanz ausgestatteten ausländischen Gesellschaft bedeutet allerdings nicht zugleich, dass über sie auch korrekte Verrechnungspreise abgerechnet worden sind. Denn wie unter Abschnitt III.1.b) dargelegt, wird im Rahmen des Substanztests gerade kein Fremdvergleich durchgeführt. § 8 Abs. 2 Satz 5 2. Halbsatz AStG ist innerhalb des § 8 AStG systematisch unzutreffend verortet und überflüssig. Selbstredend können nur die Einkünfte der Zwischengesellschaft von der Exkulpation des § 8 Abs. 2 AStG umfasst werden, die ansonsten einer Hinzurechnung unterlegen hätten. Die beiden Beträge sind identisch. Die ­Bestimmung des Hinzurechnungsbetrags ist allerdings bereits in §  10 AStG geregelt. Dabei werden auch bei der Anwendung von § 10 AStG nur die Einkünfte der Zwischengesellschaft den hinzurechnungsfähigen Einkünften zugeordnet, die die Zwischengesellschaft auf Grundlage von fremdüblichen Geschäftsbeziehungen erzielt hat. Insoweit enthält §  8 Abs.  2 Satz  5 2.  Halbsatz AStG keine weitergehende ­Regelung. In systematischer Hinsicht ist die Verortung innerhalb des § 8 AStG verfehlt, weil §  8 Abs.  2 AStG tatbestandsausschließend wirkt, während §  8 Abs.  2 Satz 5 2. Halbsatz AStG der Rechtsfolgenseite zuzuordnen ist. Der eigenständige Zweck des § 8 Abs. 2 Satz 5 2. Halbsatz AStG kann deshalb nur in der Beweislastumkehr liegen. Indem der Betrag, für den der Steuerpflichtige den Substanznachweis führen kann, auf fremdübliche Einkünfte der Zwischengesellschaft beschränkt werden, tritt eine Beweislastumkehr zu Lasten des inländischen Steuerpflichtigen ein.40 Während bei der Bestimmung des Hinzurechnungsbetrags nach § 10 AStG oder bei einer regulären Verrechnungspreisüberprüfung auf Fremdüblichkeit grundsätzlich die Finanzverwaltung die Beweislast für einen Verstoß gegen den Fremdvergleichsgrundsatz trägt,41 muss für Zwecke der Exkulpation der Steuerpflichtige nachweisen, dass die Verrechnungspreise, die die Zwischengesellschaft vereinbart hat, tatsächlich fremdüblich sind. Zwar ist § 8 Abs. 2 Satz 5 2. Halbsatz AStG nicht so zu verstehen, dass das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen der Voraussetzungen einer Einkünftekorrekturvorschrift (§ 1 AStG, vGA, vE) nachgewiesen werden muss, sondern allein die Fremdüblichkeit der Geschäftsbeziehung(en) der Zwischengesellschaft. Allerdings ist die Einhaltung des Fremdvergleichsgrundsatzes Kern einer jeden Einkünftekorrekturvorschrift und oft mit erheblichem Dokumentationsaufwand verbunden. Beispielsweise müssen umfangreiche Datenbankanalysen durchgeführt werden. Besteht die Geschäftsbeziehung der Zwischengesellschaft zum inländischen Steuerpflichtigen selbst, ist die Frage des Aufwands möglicherweise von geringerer Relevanz, weil der Steuerpflichtige diese Unterlagen ohnehin aufgrund seiner Dokumentationspflicht aus § 90 Abs. 3 AO bereits erstellt hat. Anders stellt sich der Fall dar, wenn der Steuerpflichtige nicht an der Geschäftsbeziehung der Zwischengesell40 Vgl. Lehfeld, in: Strunk/Kaminski/Köhler, AStG/DBA, § 8, Rz. 182.31; Köhler/Haun, Ubg 2008, 73 (82). 41 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171; Wassermeyer, in: Wassermeyer/ Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, 2004, Rz. 9.16 ff. m.w.N.

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schaft beteiligt ist. In dem Fall muss er entsprechende Unterlagen (Verträge, Dokumentation der Fremdüblichkeit) aus dem Ausland besorgen oder selbst erstellen. Neben der Frage des Aufwands ist aber vielmehr entscheidend, dass eine non liquet Entscheidung im Rahmen von § 8 Abs. 2 Satz 5 2. Halbsatz AStG zu Lasten des Steuerpflichtigen geht. Diese Beweislastumkehr ist kritisch zu sehen und dürfte auch nicht durch einen Verweis auf die Missbrauchsabwehr gerechtfertigt sein, da Verrechnungspreise, die gegen den Fremdvergleichsgrundsatz verstoßen, nicht per se eine missbräuchliche Gestaltung bedeuten. Vor diesem Hintergrund dürfte die Beweislastumkehr einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit bedeuten. Richtig ist zwar, Einkünfte, die die Zwischengesellschaft aufgrund fremdunüblicher Vereinbarungen erzielt hat, von der Exkulpationswirkung auszunehmen, da auch nur fremd­ übliche Einkünfte der Zwischengesellschaft einer Hinzurechnung unterliegen könnten; beweisbelastet für die Feststellung, welchen Einkünfteteil die Zwischengesellschaft fremdüblich erwirtschaftet hat, muss aber die Finanzverwaltung sein. Hinsichtlich des Zwecks des § 8 Abs. 2 Satz 5 2. Halbsatz wurde zum Teil angenommen, dass der Teil der Einkünfte, der auf fremdunübliche Geschäftsbeziehungen der Zwischengesellschaft zurückgeht, von der Exkulpationsmöglichkeit ausgenommen werde, um diese Einkünfte gleichwohl der Hinzurechnungsbesteuerung unterziehen zu können.42 Der BFH hat in seiner Entscheidung vom 13.6.201843 hierzu zwar nicht ausdrücklich Stellung genommen, er hat allerdings festgestellt, dass der Teil von Einkünften, die die vermeintliche Zwischengesellschaft durch fremdunübliche Vereinbarungen erwirtschaftet hat, jedenfalls nicht von der Hinzurechnungsbesteuerung erfasst wird, sondern Gegenstand einer üblichen Einkünftekorrektur auf Basis einer verdeckten Gewinnausschüttung oder einer verdeckten Einlage ist. Dies gilt unabhängig davon, ob der inländische Steuerpflichtige den Substanznachweis nach §  8 Abs. 2 Satz 1 AStG erbringen konnte. Soweit also die fremdunübliche Geschäftsbeziehung der Zwischengesellschaft zu einer inländischen nahe stehenden Person besteht, ist – wie üblich und vorrangig vor einer Hinzurechnungsbesteuerung44 – eine Einkünftekorrektur auf Basis einer einschlägigen Korrekturvorschrift durchzuführen. Soweit die fremdunübliche Geschäftsbeziehung der Zwischengesellschaft zu einer ausländischen nahe stehenden Person besteht (so in dem dem BFH-Urteil vom 13.6.2018 zugrundeliegenden Sachverhalt), ist die Korrektur über die vGA im Dreieck zu lösen. Je nach Fallgestaltung kann auch kein Raum für eine Korrektur der Einkünfte des inländischen Steuerpflichtigen sein (so im BFH-Urteil vom 13.6.2018). Wird im zweiten Schritt eine Hinzurechnungsbesteuerung geprüft, sind von ihrem Anwendungsbereich die fremdunüblichen Einkünfte auszunehmen, unabhängig davon, ob sie beim Steuerpflichtigen einkünftekorrigierend berücksichtigt werden konnten oder nicht.45

42 Vgl. Sieker, IStR 2009, 341 (342). 43 Vgl. BFH v. 13.6.2018 – I R 94/15, FR 2018, 1092. 44 Vgl. Köhler/Haun, Ubg 2008, 73 (82). 45 Vgl. Ditz/Engelen/Quilitzsch, DStR 2019, 361 (363 ff.).

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2. Substanztest gem. § 8 Abs. 2 AStG in der Fassung des Referentenentwurfs eines ATAD-Umsetzungsgesetzes Aufgrund der Anti-Tax-Avoidance Richtlinie der EU („ATAD“)46 ist eine Reform der Hinzurechnungsbesteuerung in absehbarer Zeit sehr wahrscheinlich.47 Von der Änderung ist voraussichtlich auch der Substanztest des § 8 Abs. 2 AStG betroffen. Nach dem veröffentlichten Referentenentwurf des BMF vom 10.12.2019 hat der Steuerpflichtige nicht nur nachzuweisen, dass die potentielle Zwischengesellschaft einer „tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ nachgeht, sondern einer „wesentlichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AStG-E). Infolgedessen werden die Anforderungen an den Substanztest erhöht. 48 Außerdem ist eine Auslegung der Begrifflichkeit „wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit“ in § 8 Abs. 2 Satz 2 u. 3 AStG-E vorgesehen. Danach setzt eine solche Tätigkeit insbesondere den Einsatz der für die Ausübung der Tätigkeit erforderlichen sachlichen und personellen Ausstattung im Ansässigkeitsstaat der ausländischen (Zwischen-)Gesellschaft voraus. Die Tätigkeit muss außerdem durch hinreichend qualifiziertes Personal selbstständig und eigenverantwortlich ausgeübt werden. Ferner ist die Exkulpationsmöglichkeit nach § 8 Abs. 2 Satz 6 AStG-E nicht eröffnet, wenn die ausländische Zwischengesellschaft ihre wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit überwiegend durch Dritte besorgen lässt. Diese Anforderungen können jedoch weder aus der ATAD noch aus der bisherigen EuGH-Rechtsprechung abgeleitet werden.49 Die weiteren Voraussetzungen bzw. Einschränkungen des § 8 Abs. 2 Satz 5 AStG (Zusammenhang zwischen der wesentlichen wirtschaftlichen Tätigkeit und der von der Hinzurechnungsbesteuerung auszunehmenden Einkünfte sowie Nachweis der Einhaltung des Fremdvergleichsgrundsatzes) sollen de lege ferenda  – zumindest nach dem Referentenentwurf des BMF v. 10.12.2019 – unverändert bleiben.50 Trotz der skizzierten Änderungen nach dem Referentenwurf des BMF bleibt indessen unverändert, dass der Fremdvergleich keine Relevanz für die eigentliche Durchführung des Substanztests hat. Denn es bleibt dabei, dass die „wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit“ anhand physischer Kriterien, der „sachlichen und personellen Ausstattung“ – wie § 8 Abs. 2 Satz 2 AStG-E nun definiert – nachzuweisen ist. Infol46 Vgl. Richtlinie (EU) 2016/1164 v. 19.7.2016, geändert durch Richtlinie (EU) 2017/952 v. 29.5.2017. 47 Vgl. Referentenentwurf des BMF zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATAD-Umsetzungsgesetz) v. 1012.2019 und dazu Ditz/Bärsch/Engelen/Quilitzsch, DStR 2020, 73 ff.; Haase/Nürnberg, Ubg 2020, 1 ff. 48 Vgl. Köhler, ISR 2018, 453 (459); Richter, ISR 2019, 336 (339) 49 Vgl. Ditz/Bärsch/Engelen/Quilitzsch, DStR 2020, 73 (78). 50 Grds. unverändert bleiben auch die Beschränkung der Exkulpationsmöglichkeit auf ausländische Gesellschaften im EU/EWR-Gebiet (§ 8 Abs. 3 AStG-E) und das Amtshilfeerfordernis (§ 8 Abs. 4 AStG-E). Letzteres wird insoweit erleichtert, als dass nicht die Existenz eines in der Praxis funktionierenden zwischenstaatlichen Informationsaustauschs notwendig ist, sondern lediglich vorausgesetzt wird, dass die zur Besteuerung erforderlichen Information ausgetauscht werden.

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gedessen kann auf das Vorstehende verwiesen werden. Die weiteren Regelungen zur Auslegung der „wesentlichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ in §  8 Abs.  2 Satz 2 u. 3 ­AStG-E machen daneben deutlich, dass ein Systemwechsel bei der Durchführung des Substanztests von physischen Kriterien zu einer Funktions- und Risikobetrachtung im Sinne des Fremdvergleichs seitens der Legislative nicht gewollt ist. 3. Auswirkungen der Säule 2 des Inclusive Framework on BEPS Die OECD und die G-20 Staaten (zusammen „Inclusive Framework on BEPS“) haben sich in den vergangenen Jahren intensiv mit der Besteuerung der Digitalwirtschaft und der Eindämmung des zwischenstaatlichen Steuerwettbewerbs beschäftigt. Bis Ende 2020 soll ein Kompromiss gefunden werden. Im Januar 2019 veröffentlichte das Inclusive Forum on BEPS eine „Policy Note“, in der eine Zwei-Säulen-Strategie vorgeschlagen wird, um die effektive Besteuerung international tätiger Digitalunternehmen sicherzustellen und um den zwischenstaatlichen Steuerwettbewerb einzudämmen.51 Die erste Säule betrifft die Neuverteilung von Besteuerungsrechten in Gestalt neuer Anknüpfungsregeln für Quellenstaaten sowie die Gewinnaufteilung.52 Die zweite Säule befasst sich mit einer internationalen Mindestbesteuerung, die sich gegen Gewinnverlagerungen im Konzern und auch gegen den staatlichen Steuerwettbewerb mit Niedrigsteuersätzen richtet.53 Vorgesehen ist eine Mindeststeuerbelastung für anderenfalls niedrig besteuerter Einkünfte. Technisch umgesetzt werden soll diese Mindestbesteuerung durch eine Hinzurechnungsbesteuerung. Die Umsetzung der zweiten Säule des Inclusive Framework on BEPS würde eine deutliche Ausweitung der Hinzurechnungsbesteuerung bedeuten. Denn nach den Vorschlägen des Inclusive Framework on BEPS soll eine Hinzurechnungsbesteuerung jeglicher niedrig besteuerter Einkünfte erfolgen, d.h. insbesondere unabhängig davon, ob aktive oder passive Einkünfte im Ausland erzielt und niedrig besteuert werden. Niedrig besteuerte Einkünfte, egal welcher Art, sollen auf Ebene der Muttergesellschaft auf einen bestimmten Mindeststeuersatz hochgeschleust werden. Eine Exkulpation durch Substanznachweis ist nicht vorgesehen. Mangels Exkulpationsmöglichkeit wird dem Fremdvergleichsgrundsatz in dieser Zukunftsvision weiterhin keine Bedeutung zukommen. Bemerkenswert ist, dass sich die vorgeschlagene Art der Mindestbesteuerung auch von jeglichem Grundgedanken des Fremdvergleichsgrundsatzes entfernt, der bisher Leitlinie der Arbeiten der OECD war: Während die Idee des Fremdvergleichsgrundsatzes ist, Besteuerungssubstrat am Ort der Wertschöpfung zu besteuern, entfernt sich das Konzept der Mindestbesteuerung von dieser Idee.54 Denn unabhängig da51 Vgl. OECD, Addressing the Tax Challenges of the Digitalization of the Economy – Policy Note, as approved by the Inclusive Framework on BEPS on 23 January 2019. 52 Vgl. dazu im Einzelnen Ditz/Pinkernell, ISR 2019, 377 ff.; Becker/van der Ham, IWB 2019, 225  ff.; Hidien/Versin, DK 2019, 245  ff.; Esakova, ISR 2019, 150  ff.; Weggenmann/Blank/ Brunnhübner, IStR 2019, 769 ff. 53 Vgl. dazu im Einzelnen Pinkernell/Ditz, ISR 2020, 1 ff. 54 Vgl. Pinkernell/Ditz, ISR 2020, 1 (9); Schön, IStR 2019, 647 (649); Ditz/Pinkernell, ISR 2019, 377 (382).

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von, ob die ausländische Gesellschaft über Substanz verfügt und einen tatsächlichen und wesentlichen Beitrag zur Wertschöpfung leistet55 – im Gegensatz zur Muttergesellschaft, die unter Umständen nicht einmal in die konkrete Wertschöpfungskette involviert ist –, wird ein Teil des der ausländischen Gesellschaft zuzuordnenden Gewinns auf Ebene und im Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft versteuert. Mit einer Verrechnungspreisbestimmung im Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz hat eine solche Mindestbesteuerung jedenfalls nichts mehr zu tun. Denn auch die auf Basis fremdüblicher Vereinbarung erzielten Einkünfte einer ausländischen Gesellschaft würden auf Ebene der Muttergesellschaft hinzugerechnet und der Mindestbesteuerung unterworfen werden, wenn die Einkünfte der ausländischen Gesellschaft niedrig besteuert werden.

IV. Der Fremdvergleich im Rahmen der Bestimmung des Hinzurechnungsbetrags gem. § 10 Abs. 3 AStG 1. Vorrang der internationalen Einkünfteabgrenzung Der Hinzurechnungsbetrag bemisst sich nach §  10 AStG. Ausgangsvorschrift ist ­dabei § 10 Abs. 3 AStG. Danach sind die dem Hinzurechnungsbetrag zugrunde liegenden Einkünfte in entsprechender Anwendung der Vorschriften des deutschen Steuerrechts zu ermitteln. Nach h.M. gehören hierzu auch die Normen, die eine Einkünftekorrektur aufgrund eines Verstoßes gegen den Fremdvergleichsgrundsatz vorsehen.56 Der Fremdvergleichsgrundsatzes erhält also bei der Bestimmung des Hinzurechnungsbetrags der Höhe nach insoweit Relevanz, als dass nur ein nach dem Fremdvergleichsgrundsatz korrigiertes Ergebnis (steuerliche Einkünfte als Zwischeneinkünfte) der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen können. Dem Fremdvergleichsgrundsatz kommt also auf dieser Ebene eine Abgrenzungsfunktion zu; er wirkt infolgedessen nicht unmittelbar, sondern in die Hinzurechnungsbesteuerung hinein. Dieses skizzierte Verhältnis von Hinzurechnungsbesteuerung und Einkünftekorrektur auf Basis des Fremdvergleichs spiegelt sich sehr anschaulich in dem BFH-Urteil vom 13.6.201857 wider. Die Entscheidung betrifft eine potentielle Zwischengesell55 Zu denken wäre beispielsweise an eine ausländische Gesellschaft, deren Lizenzeinkünfte aufgrund einer Nexus-konformen Patentboxregelung niedrig besteuert werden. Die Gesellschaft kommt gerade nur in den Genuss der Steuervergünstigung, weil sie substanzielle Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten in ihrem Ansässigkeitsstaat durchführt. Gleichwohl würden ihre Lizenzeinkünfte der Muttergesellschaft hinzugerechnet und der Mindestbesteuerung unterworfen werden. 56 Vgl. BFH v. 13.6.2018 – I R 94/15, FR 2018, 1092; Edelmann, in: Kraft, AStG, 2. Aufl. 2019, § 10, Rz. 544 ff.; Vogt, in: Blümich, § 10 AStG, Rz. 68; Wassermeyer/Schönfeld, in: F/W/B/S, AStG, § 10, Rz. 235. 57 Vgl. BFH v. 13.6.2018  – I R 94/15, FR 2018, 1092; für eine detaillierte Besprechung des Urteils siehe Ditz/Engelen/Quilitzsch, DStR 2019, 361; Kahlenberg/Weiß, IStR 2018, 878; Köhler, ISR 2018, 453; Kortendick/Joisten/Ekinci, BB 2018, 3031; Schlücke, ISR 2019, 41.

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schaft auf Zypern (Z-Ltd.), an der die deutsche Muttergesellschaft (D-AG) über eine niederländische Tochtergesellschaft zu 100 % beteiligt war. Geschäftsgegenstand der Z-Ltd. war der Erwerb von Lizenzen an Urheberrechten von Büchern. Diese Urheberrechte hat sie an zwei unmittelbare, ausländische Tochtergesellschaften der D-AG (T1 und T2) unterlizensiert. T1 und T2 sorgten zugunsten der Z-Ltd. für die Beschaffung neuer Buch-Lizenzen, ohne hierfür ein Entgelt zu erhalten. Neue Buch-Lizenzen lizenzierte die Z-Ltd. sodann an die T1 und T2 unter. Während im erstinstanzlichen Verfahren der Fall über die (fehlende) Substanz der Z-Ltd. gelöst wurde (sie unterhielt „nur“ ein kleines Büro und hatte abgesehen von der Geschäftsführerin keine Angestellten),58 sodass sämtliche Einkünfte der Z-Ltd. der Hinzurechnungsbesteuerung unterlagen, entschied der BFH den Fall über die Bestimmung des Hinzurechnungsbetrags: Der Betrag, der einer Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen könnte bzw. für den die D-AG einen Substanznachweis erbringen müsse, bestimme sich unter Anwendung deutscher Einkünfteermittlungsvorschriften (§ 10 Abs. 3 Satz 1 AStG). Die Einkünfte der Z-Ltd. seien bei Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags zu mindern gewesen, da die Lizenzgebühren, die T1 und T2 an die Z-Ltd. entrichtet haben, gegen den Fremdvergleichsgrundsatz verstoßen hätten; die Lizenzgebühren seien unangemessen hoch bemessen gewesen. Fremde Dritte hätten bei der Preisbestimmung berücksichtigt, dass die T1 und T2 durch die Vermittlung der Buch-Lizenzen zugunsten der Z-Ltd. einen erheblichen Beitrag zur Geschäftsbeziehung beigetragen haben. Aus diesem Grund wäre die Lizenzgebühr zwischen fremden Dritten erheblich geringer ausgefallen. Die Z-Ltd. müsse lediglich für die bloße Verwaltung der Lizenzen vergütet werden. Nur die Einkünfte, die eine fremdübliche Lizenz widerspiegelten, könnten Gegenstand einer Hinzurechnungsbesteuerung sein. Für die Tätigkeit der bloßen Lizenzverwaltung würde die Z-Ltd. allerdings unstreitig über die notwendige Substanz verfügen, sodass die Exkulpation des § 8 Abs. 2 AStG greife und eine Hinzurechnungsbesteuerung ausscheide. Die davon separat zu untersuchende Frage sei, inwieweit die fremdunüblichen Lizenzvereinbarungen der Z-Ltd. zu T1 und T2 zu einer (originären) Einkünftekorrektur bei der D-AG führe. Verrechnungspreiskorrekturen zwischen Schwestergesellschaften seien über die vGA im Dreieck zu lösen. T1 und T2 würden den Betrag, der eine fremdübliche Lizenzgebühr übersteige, an die D-AG ausschütten, die diesen Betrag wiederum über die niederländische Tochtergesellschaft in die Z-Ltd. einlege. Ob diese vGA im Dreieck bei der D-AG zu einer Einkünftekorrektur führe, bestimme sich nach den §§ 8 Abs. 3, 8b Abs. 1 KStG. Zusammengefasst urteilte der BFH, dass dies zu verneinen sei, wenn der ausgeschüttete und eingelegte Betrag zumindest einmal effektiv besteuert werde, unabhängig davon, ob die Besteuerung zu einem niedrigen Steuersatz erfolge. Da weder bei T1 und T2 noch bei der Z-Ltd. eine Einkünftekorrektur aufgrund der fremdunüblichen Lizenzvereinbarungen vorgenommen worden sei und die Z-Ltd. den Betrag – wenn auch niedrig – versteuert habe, sei bei der D-AG die Möglichkeit einer Einkünftekorrektur nicht eröffnet. 58 Vgl. FG Münster v. 20.11.2015 – 10 K 1410/12 F, EFG 2016, 453. S. dazu auch Haase, IStR 2016, 767; Linn/Pignot, IWB 2016, 466; Kahlenberg, StuB 2016, 457; Hielscher, BB 2016, 2217.

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Diese Entscheidung ist zutreffend.59 Hintergrund ist, dass weder die Vorschriften, die eine Einkünftekorrektur wegen eines Verstoßes gegen den Fremdvergleich vorsehen, noch die Hinzurechnungsbesteuerung den Zweck verfolgen, im Sinne einer „Global Tax Police“ weltweit für die richtige Einkünfteverteilung und Besteuerung zu sorgen. Wenn ausländische Finanzverwaltungen – aus welchem Grund auch immer – keine Einkünftekorrektur vornehmen, obwohl dies aus deutscher Sicht geboten wäre, kann die deutsche Finanzverwaltung nicht stattdessen tätig werden; es ist schlicht Angelegenheit des ausländischen Staates. Eine „falsche“ Besteuerung im Ausland hat keine Auswirkungen auf die deutsche Einkünfteermittlung und auf das deutsche Steueraufkommen. Die Regelungen der §§ 8 Abs. 3, 8b Abs. 1 KStG stellen lediglich sicher, dass Einkünfte zumindest einmal effektiv besteuert werden. Im Ergebnis gehen die allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften (einschließlich der internationalen Einkünftekorrekturvorschriften) einer Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung vor.60 Der Hinzurechnungsbesteuerung können nur solche Einkünfte unterliegen, die unter Berücksichtigung des Fremdvergleichsgrundsatzes und unter Berücksichtigung der deutschen steuerrechtlichen Vorschriften bestimmt wurden. Infolgedessen hat der Fremdvergleichsgrundsatzes Bedeutung für die Hinzurechnungsbesteuerung, da der Hinzurechnungsbetrag um die Einkünfte gekürzt wird, die die Zwischengesellschaft durch fremdunübliche Geschäftsvereinbarungen erzielt hat bzw. über die Vorrangigkeit einer Einkünftekorrektur: Bei dieser vorrangigen Prüfung, ob die konzerninternen Geschäftsbeziehungen der potentiellen Zwischengesellschaft mit anderen Konzerngesellschaften einen Einkünftekorrekturbedarf hervorruft, wird der Fremdvergleich angewandt und in diesem Zusammenhang auch eine Funktions- und Risikoanalyse durchgeführt. Wie oben bereits erläutert, sind ausgeübte Funktionen und übernommene Risiken ebenfalls ein Maßstab für Substanz. Eine geringe Funktionsausübung und wenig übernommene Risiken bedeuten wenig Substanz in dieser Gesellschaft bezogen auf die untersuchte Geschäftsbeziehung und führen zu einer entsprechend geringeren Gewinnzuweisung. Wenn also nach der Einkünfteermittlung i.S.d. § 10 Abs. 3 AStG ein fremdüblicher Betrag von Einkünften für die potentielle Zwischengesellschaft übrig bleibt, bedeutet dies auch zugleich, dass diese potentielle Zwischengesellschaft für diese zugewiesenen Einkünfte die erforderliche Substanz aufweist. Wenn die Zwischengesellschaft beispielsweise Lizenzeinnahmen von 100 erzielt hat, unter Berücksichtigung ihres Funktions- und Risikoprofils Lizenzeinnahmen von 20 sind fremdüblich, dann verfügt sie auch über die notwendige Substanz, ihr Einkünfte i.H.v. 20 zuzuordnen. Denn ohne eine entsprechende Substanz könnte sie nicht über ein Funktions- und Risikoprofil verfügen, das eine Vergütung i.H.v. 20 als fremdüblich erscheinen lässt. Wenn eine Gesellschaft aber i.S.d. Fremdvergleichs für die ihr zugeordneten Einkünfte die notwendige Substanz aufweist, muss sich gleichzeitig die erforderliche Substanz i.S.d. § 8 Abs.  2 Satz  1 AStG für diese (geminderten) Einkünfte für Zwecke der Hinzurechnungsbesteuerung aufweisen. Hier muss eine Kongruenz herrschen, da die Substanz lediglich von zwei unterschiedlichen Prüfungspunkten (Bestimmung des Hinzurech59 Vgl. Ditz/Engelen/Quilitzsch, DStR 2019, 361 (366); Köhler, ISR 2018, 453 ff. 60 Vgl. auch bereits Köhler/Haun, Ubg 2008, 73 (82).

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nungsbetrags und Erbringung des Substanznachweises) aus untersucht wird. Diese Rückschlüsse decken sich mit den Feststellungen des BFH im Urteil vom 13.6.2018: Die Urteilsgründe prüfen zunächst, ob die Einkünfte der Klägerin (D-AG) aufgrund der Geschäftsbeziehungen der Z-Ltd. zu T1 und T2 über das Rechtskonstrukt der vGA im Dreieck zu korrigieren gewesen wären. Dabei stellt der BFH fest, dass die T1 und T2 jedenfalls zu hohe Lizenzgebühren an die Z-Ltd. gezahlt haben. Die Z-Ltd. habe nicht in einem der Vergütung entsprechendem Umfang Funktionen ausgeübt, insbesondere weil die T1 und T2 für die Z-Ltd. Kontakte für den Erwerb neuer Buchlizenzen hergestellt haben und die Z-Ltd. nur administrative Aufgaben wahrgenommen hat. Die Ausübung dieser administrativen Aufgaben war dabei unstreitig. In den Urteilsgründen finden sich keine konkreten Angaben zur gezahlten und vom BFH als fremdüblich erachteten Lizenzgebühr. In den Urteilsgründen heißt es lediglich, die Zwischeneinkünfte seien in „entsprechender Höhe“ zu mindern gewesen.61 Für den nach der „gebotenen Kürzung“ verbleibenden Hinzurechnungsbetrag sei der Substanznachweis erbracht, da diese Einkünfte auf die administrative Tätigkeit zuzuordnen sei, die eine tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit darstelle.62 Der BFH schließt also reflexartig von der i.R.d. Einkünftekorrektur festgestellten Substanz auf die Substanz i.S.d. Substanztests. Festzuhalten ist, dass der Fremdvergleichsgrundsatz für die Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags relevant ist und so mittelbar in die Hinzurechnungsbesteuerung „hineinwirkt“. Die Wirkung geht so weit, dass er den Substanztest des §  8 Abs.  2 AStG überflüssig macht. Denn wenn vor der Durchführung des Substanztests der Hinzurechnungsbetrag nach § 10 AStG bestimmt wird, um festzustellen, für welchen Hinzurechnungsbetrag überhaupt der Substanznachweis erbracht werden soll, wird gleichzeitig bereits festgestellt, dass die Zwischengesellschaft für diese hinzurechnungsfähigen Einkünfte auch die notwendige Substanz aufweist. Denn Einkünfte werden einer Gesellschaft nach Fremdvergleichsgesichtspunkten nur insoweit zugeordnet, als dass sie hierfür auch die notwendige Substanz hat. Dies bemisst sich bei Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes zwar nach Maßstab einer Funktionsund Risikoanalyse; die Substanzfrage kann aber anschließend bei Durchführung des Substanztests nach § 8 Abs. 2 Satz 1 AStG nicht anders beantwortet werden, da es jeweils um ein- und dieselbe Substanz, lediglich aus unterschiedlichen Prüfungsperspektiven geht. 2. Anwendung des § 1 AStG Im Zusammenhang mit der Bestimmung des Hinzurechnungsbetrags stellt sich die Frage, ob bei der Ermittlung der hinzurechnungsfähigen Einkünfte der Zwischengesellschaft (fiktive) Einkünftekorrekturen nach § 1 AStG möglich sind. Da § 10 Abs. 3 Satz 1 AStG von einer Einkünfteermittlung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des deutschen Steuerrechts spricht, sind nach h.M. auch Korrekturvor-

61 Vgl. BFH v. 13.6.2018 – I R 94/15, FR 2018, 1092, Rz. 15. 62 Vgl. BFH v. 13.6.2018 – I R 94/15, FR 2018, 1092, Rz. 35.

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schriften wie die verdeckte Gewinnausschüttung und die verdeckte Einlage anwendbar.63 Grundsätzlich anwendbar ist deshalb auch § 1 AStG64. Fraglich ist allerdings, ob § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG auch in tatbestandlicher Hinsicht anwendbar ist. Denn § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG setzt eine Geschäftsbeziehung eines inländischen Steuerpflichtigen zu einer ausländischen nahe stehenden Person voraus. Die Zwischengesellschaft ist allerdings eine ausländische Steuerpflichtige mit Geschäftsbeziehungen zu ausländischen nahe stehenden Personen oder, wenn die Geschäftsbeziehung zum deutschen Steuerpflichtigen besteht, zu einer inländischen nahe stehenden Person.65 Außerdem ist entscheidendes Tatbestandsmerkmal des § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG, dass die Einkünfte des deutschen Steuerpflichtigen – also bei entsprechender Anwendung: die Einkünfte der Zwischengesellschaft – aufgrund fremd­ unüblicher Verrechnungspreisvereinbarungen gemindert werden. Bei substanzlosen, niedrig besteuerten Zwischengesellschaften wird der Fall eher so liegen, dass ihre Einkünfte aufgrund fremdunüblicher Verrechnungspreise erhöht sind. Für eine Minderung der Einkünfte des Steuerpflichtigen bietet § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG aber unstreitig keine Rechtsgrundlage – auch wenn dies von Seiten der Steuerpflichtigen seit langem gefordert wird. Mit der h.M. ist deshalb die Anwendung des § 1 AStG bei der Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AStG abzulehnen.66 3. Doppelbesteuerung bei Einkünftekorrekturen und Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung Treffen eine Einkünfteerhöhung aufgrund einer Verrechnungspreiskorrektur und die Hinzurechnungsbesteuerung zusammen, besteht das Risiko einer Doppelbesteuerung. Denn der Betrag, um den die Einkünfte des inländischen Steuerpflichtigen erhöht werden, wird nicht automatisch im Ausland gegenkorrigiert. Zur Veranschaulichung folgendes Beispiel: Die ausländische Zwischen(enkel)gesellschaft (Z-Ltd.) hat ihrer deutschen Muttergesellschaft (M-GmbH) über einen Lizenzvertrag die Nutzung von Markenrechten eingeräumt. Die M-GmbH ist über ihre ebenfalls in Deutschland ansässige Tochtergesellschaft (T-GmbH) mittelbar an der Z-Ltd. beteiligt. Vereinbart ist zwischen der M-GmbH und der Z-Ltd. eine umsatzabhängige Lizenzgebühr von 10  %. Im Jahr 2015 zahlte die M-GmbH Lizenzgebühren i.H.v. TEUR 100 an die Z-Ltd. Weitere Einkünfte generiert die Z-Ltd. nicht. Die inländische Betriebsprüfung bei der M-GmbH 63 Vgl. BFH v. 13.6.2018 – I R 94/15, FR 2018, 1092, Rz. 13. 64 Vgl. Kraft/Bildstein, IStR 2019, 37 (38); Edelmann, in Kraft, AStG, 2.  Aufl. 2019, §  10, Rz. 574; BMF v. 23.2.1983 – BMF IV C 5 – S 1341 – 4/83, BStBl. I 1983, 218 [„VWG 1983“], Tz.  1.5.2; 65 Vgl. BFH v. 20.4.1988  – I R 41/82, BStBl.  II 1988, Tz.  B. 1.  lit. a; AEAStG, Tz. 10.1.1.1; ­Luckey, in: Strunk/Kaminski/Köhler, AStG/DBA, § 10 AStG, Rz. 76. 66 Vgl. BFH v. 20.4.1988  – I R 41/82, BStBl.  II 1988, Tz.  B. 1.  lit. a; AEAStG, Tz. 10.1.1.1; ­Luckey, in: Strunk/Kaminski/Köhler, AStG/DBA, § 10 AStG, Rz. 76.

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stellt fest, dass eine Lizenzgebühr von 10 % nicht fremdüblich sei. Angemessen sei vielmehr eine Gebühr von 4  %, sodass nur Lizenzaufwendungen i.H.v. TEUR 40 steuerlich anerkannt werden könnten.67 Sie erhöht die Einkünfte der M-GmbH gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG um TEUR 60. Daneben unterliegen die Einkünfte der Z-Ltd. bei der T-GmbH der Hinzurechnungsbesteuerung nach §§  7  ff. AStG, da sie nach den Feststellungen der Betriebsprüfung eine Zwischengesellschaft ist und die T-GmbH keinen Substanznachweis nach § 8 Abs. 2 AStG erbringen konnte. Die Betriebsprüfung rechnet die Einkünfte der Z-Ltd. i.H.v. TEUR 100 der T-GmbH zu. Da aber bereits die Einkünfte der M-GmbH aus der Geschäftsbeziehung zur Z-Ltd. um TEUR 60 erhöht worden sind, unterliegen Einkünfte i.H.v. TEUR 60 einer Doppelbesteuerung. Im Urteil vom 19.3.200268 hat der BFH die Auffassung der Finanzverwaltung be­ stätigt, die die Doppelbesteuerung dadurch vermeidet, indem sie bei der Ermittlung der hinzurechnungsfähigen Einkünfte der Zwischengesellschaft eine Gegenkorrektur durchgeführt hat. Im Beispielsfall wären die hinzurechnungsfähigen Einkünfte der Z-Ltd. also um TEUR 60 zu mindern gewesen, sodass bei der T-GmbH noch Einkünfte i.H.v. 40 TEUR der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen.69 Dass nur solche Einkünfte der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen können, die unter Berücksichtigung des Fremdvergleichsgrundsatzes von der Zwischengesellschaft erwirtschaftet wurden, hat der BFH im Urteil vom 13.6.201870 bestätigt. Die Doppelbesteuerung auf Ebene der Hinzurechnungsbesteuerung durch eine Gegenkorrektur zu vermeiden, ist zwar der zutreffende Lösungsweg. Kritisch zu sehen ist allerdings die rechtliche Basis des Ergebnisses: § 10 Abs. 3 Satz 1 AStG ordnet an, dass die hinzurechnungsfähigen Einkünfte der Zwischengesellschaft in entsprechender Anwendung der Vorschriften des deutschen Steuerrechts zu ermitteln sind. Das deutsche Steuerrecht bietet aber gerade keine Rechtsgrundlage für eine Einkünfteminderung aufgrund unangemessen hoher Verrechnungspreise, die für die Gegenkorrektur notwendig wäre; die vorhandenen Korrekturnormen erlauben ausschließlich eine Einkünfteerhöhung. Der BFH stützt die Gegenkorrektur im Urteil vom 19.3.200271 auf eine Billigkeitsentscheidung (§  163 AO). Befriedigend ist diese Lösung nicht, steht sie doch im weiten Ermessen der Finanzbehörde. Im Urteil vom 13.6.2018 benennt der BFH ebenfalls keine Einkünfteermittlungsvorschrift, die er gedanklich bei der Reduzierung des hinzurechnungsfähigen Betrages auf Ebene der Z-Ltd. anwendet. Ohne gesetzlichen Anknüpfungspunkt ist in der Urteilsbegründung lediglich die Rede von einer „gebotenen Kürzung des Hinzurechnungsbe-

67 Es wird angenommen, dass § 4j EStG nicht einschlägig ist. 68 Vgl. BFH v. 19.3.2002 – I R 4/01, DStR 2002, 1477. 69 Nach anderer (damals vertretener) Ansicht, habe § 1 AStG hinter §§ 7 ff. AStG zurücktreten müssen (vgl. Darstellung des Streitstandes in BFH v. 19.3.2002 – I R 4/01, DStR 2002, 1477, Tz. II.3.b) m.w.N.). D.h., im Beispielsfall hätte eine Einkünftekorrektur bei der M-GmbH unterbleiben müssen, und der T-GmbH wären die vollständigen Einkünfte der Z-Ltd. i.H.v. TEUR 100 zugerechnet worden. 70 Vgl. BFH v. 13.6.2018 – I R 94/15, FR 2018, 1092. 71 Vgl. BFH v. 19.3.2002 – I R 4/01, DStR 2002, 1477.

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trags“72. Eine Lösung ohne Rechtsgrundlage ist nicht zufriedenstellend, da der Steuerpflichtige nicht einmal einen Anspruch auf Gegenkorrektur herleiten und in einem Gerichtsverfahren durchsetzen könnte. Die Vermeidung der Doppelbesteuerung hängt allein von der Gewährung einer Billigkeitsmaßnahme ab. Die Billigkeit der Finanzverwaltung für steuerschädliche Zwischengesellschaften könnte sich dabei in Grenzen halten. Die Problematik der fehlenden Rechtsgrundlage für eine Gegenkorrektur verschärft sich, wenn die (fremdunübliche) Geschäftsbeziehung der Zwischengesellschaft nicht zu einer inländischen, sondern zu einer ausländischen Konzerngesellschaft besteht: Im zuvor vorgestellten Beispielsfall ist die M-GmbH nicht in Deutschland, sondern in Österreich ansässig. Variante 1) Die österreichische Finanzverwaltung korrigiert den Lizenzsatz auf 4 % und erhöht die Einkünfte der M-GmbH um TEUR 60. Die deutsche Finanzverwaltung plant, die Zwischeneinkünfte der Z-Ltd. bei der T-GmbH der Hinzurechnungsbesteuerung zu unterwerfen. Ob in dieser Fallvariante eine Billigkeitsentscheidung möglich ist, also die von der österreichischen Finanzverwaltung vorgenommene Einkünftekorrektur bei der Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags gegenkorrigiert wird, und auch vom Finanzamt anerkannt wird, ist fraglich. Denn eine sachliche Unbilligkeit liegt nach der BFH-Rechtsprechung vor, wenn die Festsetzung der Steuer an sich zwar dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten (Einzel-)Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint.73 Dies ist in der skizzierten Fallvariante 1) fraglich, weil eine Doppelbesteuerung aufgrund inkongruenter Steuerfestsetzungen im In- und Ausland grds. über ein Verständigungsver­ fahren gelöst wird. Dabei würde sich im Beispielsfall die komplexe Anschlussfrage stellen, inwieweit diese Doppelbesteuerung überhaupt zum Gegenstand eines Verständigungsverfahrens zwischen Deutschland und Österreich gemacht werden kann, weil die deutsche T-GmbH und die österreichische M-GmbH in keiner Geschäftsbeziehung stehen. Diese Problematik soll in diesem Rahmen nicht weiter diskutiert werden. Deutlich geworden sein sollte aber an dieser Stelle, dass die Lösung über eine Billigkeitsmaßnahme bei einem, neben der Zwischengesellschaft, weiteren Pro­ tagonisten im Ausland an ihre Grenzen stößt. Für eine sachlich und technisch zufriedenstellende Lösung bedarf es einer ausdrücklichen Rechtgrundlage für eine Gegenkorrektur. Variante 2) Die österreichische Finanzverwaltung unternimmt keine Korrekturen. Mangels einer Verrechnungspreiskorrektur in Österreich tritt keine Doppelbesteuerung ein, auch wenn die deutsche Finanzverwaltung die Einkünfte der Z-Ltd. in Höhe der vollen TEUR 100 der T-GmbH zurechnet. Im Lichte des BFH Urteils vom 72 Vgl. BFH v. 13.6.2018 – I R 94/15, FR 2018, 1092. 73 Vgl. BFH v. 21.1.1992 – VIII R 51/88, BStBl. II 1993, 3; Rüsken, in: Klein, AO, 14. Aufl. 2018, § 163, Rz. 35.

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13.6.201874 müssten die Einkünfte der Z-Ltd. gleichwohl für Zwecke der Hinzu­ rechnungsbesteuerung um die fremdunüblichen Einkünfte gemindert werden, da Kernthese des Urteils ist, dass nur fremdübliche Einkünfte der Zwischengesellschaft einer Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen können. Diese Minderung der Einkünfte der Zwischengesellschaft ist auch in systematischer Hinsicht zutreffend: Wie bereits erläutert, kann der Steuerpflichtige nach § 8 Abs. 2 Satz 5 2. Halbsatz AStG eine Hinzurechnungsbesteuerung durch einen Substanznachweis nur für den Teil der Einkünfte der Zwischengesellschaft abwenden, soweit der Fremdvergleichsgrundsatz eingehalten worden ist. Für Zwecke der Exkulpation würde also der potentielle Hinzurechnungsbetrag gemindert werden. Dieser (potentielle) Hinzurechnungsbetrag, für den der Steuerpflichtige den Substanznachweis erbringen kann, muss identisch mit dem Hinzurechnungsbetrag nach §  10 AStG sein, da sich der Steuerpflichte gerade für den Betrag exkulpiert, der ansonsten bei ihm einer Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen würde. Die Systematik der §§ 7 ff. AStG verlangt folglich auch bei Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags eine Minderung der Einkünfte der Zwischengesellschaft, soweit sie auf Basis fremdunüblicher Vereinbarungen erzielt wurden. Es ist nun einmal die Angelegenheit der österreichischen Finanzverwaltung dafür Sorge zu tragen, dass die von der M-GmbH zu viel gezahlten Lizenzgebühren steuerlich in Österreich korrigiert werden. Aus inländischer Sicht besteht das Risiko, dass die deutsche Finanzverwaltung bei Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags, insbesondere auch in Ermangelung einer Rechtsgrundlage, keine Einkünfteminderung bei der Zwischengesellschaft vornimmt. Somit liegt es beim Steuerpflichtigen, die „gebotene Kürzung des Hinzurechnungsbetrags“75  – ohne Rechtsgrundlage – durchzusetzen. Neben der Problematik einer fehlenden Rechtsgrundlage für eine Gegenkorrektur bzw. Einkünfteminderung bei Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags können auch Doppelbesteuerungsprobleme durch divergierende Feststellungen im In- und Ausland entstehen: Variante 3) Die österreichische Finanzverwaltung hält eine Lizenzgebühr von 3  % für angemessen und korrigiert die Einkünfte der M-GmbH um TEUR 70, während die deutsche Finanzverwaltung die „gebotene Kürzung“ des Hinzurechnungsbetrags anhand einer aus ihrer Sicht fremdüblichen Lizenzgebühr von 4 % unternimmt. Rechnet die deutsche Finanzverwaltung der T-GmbH nun Einkünfte der Z-Ltd. i.H.v. TEUR 40 zu, werden TEUR 10 gleichwohl doppelt besteuert. Hier stellt sich dann die bereits unter Fallvariante 1) angerissene Frage, inwieweit diese Doppelbesteuerung einem Verständigungsverfahren zwischen Deutschland und Österreich zugänglich ist. Entsprechende Doppelbesteuerungsprobleme entstehen, wenn die Struktur in den diskutierten Beispielfällen umgedreht ist, d.h., in Deutschland ist die Konzerngesellschaft ansässig, die in einer mit fremdunüblichen Bedingungen ausgestalteten Ge74 Vgl. BFH v. 13.6.2018 – I R 94/15, FR 2018, 1092. 75 Vgl. BFH v. 13.6.2018 – I R 94/15, FR 2018, 1092, Rz. 35.

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schäftsbeziehung zur Zwischengesellschaft steht, und die Muttergesellschaft der Zwischengesellschaft, bei der die Hinzurechnungsbesteuerung greift, ist im Ausland ansässig. Die deutsche Finanzverwaltung würde die Einkünfte der in Deutschland ansässigen Konzerngesellschaft z.B. auf Basis von §  1 Abs.  1 Satz  1 AStG erhöhen. Inwieweit die ausländische Finanzverwaltung diese Einkünfteerhöhung bei ihrer Hinzurechnungsbesteuerung berücksichtigt, ist offen. Aus deutscher Sicht besteht grundsätzlich zunächst einmal kein Grund, eine etwaige Hinzurechnungsbesteuerung im Ausland zu berücksichtigen, da die Einkünftekorrektur nach deutschem Recht der Hinzurechnungsbesteuerung vorgeht.

V. Entstrickung im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung Eine Ausprägung der Abgrenzung internationaler Besteuerungsrechte nach dem Fremdvergleichsgrundsatze ist die Entstrickungsbesteuerung. Unter eine „aktive“ Entstrickung fallen bspw. die Überführung von Wirtschaftsgütern von einem inländischen Stammhaus in eine ausländische Betriebsstätte oder die Verlagerung des Orts der Geschäftsleitung einer Kapitalgesellschaft einschließlich der der Geschäftsleitungsbetriebsstätte zugeordneten Wirtschaftsgüter in das Ausland. Diese Vorgänge führen nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, § 12 Abs. 1 KStG und § 16 Abs. 3a EStG zu einer Besteuerung der in den entsprechenden Wirtschaftsgütern gebundenen stillen Reserven, wenn das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland ausgeschlossen oder beschränkt wird.76 Da die einschlägigen Normen Einkünfteermittlungsvorschriften sind, müssten sie ebenfalls bei der Ermittlung der hinzurechnungsfähigen Einkünfte nach §  10 Abs.  3 Satz  1 AStG Berücksichtigung finden, soweit die Zwischengesellschaft einen entsprechenden Tatbestand verwirklicht hat.77 Da die stillen Reserven in Höhe des gemeinen Werts (§ 9 Abs. 2 BewG) aufgedeckt werden, würde hier zwar nicht der Fremdvergleichsgrundsatz an sich, aber zumindest dessen Grundgedanken Anwendung finden. In der Literatur wird die Berücksichtigung von Entstrickungsvorschriften bei der Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags teilweise kritisiert, da kein Grund bestehe, eine Verhaltensveränderung der Zwischengesellschaft, z.B. die Verlagerung ihres Orts der Geschäftsleitung, durch eine Entstrickungsbesteuerung zu „bestrafen“.78 Neben der aktiven Entstrickung ist nach Ansicht der Finanzverwaltung auch eine sog. „passive“ Entstrickung möglich, d.h. eine Entstrickung ohne Zutun des Steuerpflichtigen.79 Bei der passiven Entstrickung wird das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland unabhängig von einer Handlung des Steuerpflichtigen durch eine Änderung der rechtlichen Ausgangssituation ausgeschlossen oder beschränkt. 76 Zu Einzelheiten vgl. Ditz, in: Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, 2. Aufl. 2018, Rz. 6.35 ff. 77 Weitere Fallgruppen und eine detaillierte Analyse bei Wassermeyer, IStR 2012, 804. 78 Wassermeyer, IStR 2012, 804 (809). 79 BMF v. 26.10.2018 – IV B 5 - S 1348/07/10002-01, BStBl. I 2018, 1104; die Vereinbarung einer passiven Entstrickung mit dem Gesetz ist umstr., zum Meinungsstand vgl. Schnitger/ Oskamp, in: Kessler/Kröner/Köhler, Konzernsteuerrecht, 3. Aufl. 2018, § 8, Rz. 164 ff.

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Zu einer passiven Entstrickung von Wirtschaftsgütern kann es beispielsweise bei erstmaliger Anwendung eines neu abgeschlossenen oder geänderten DBAs kommen, mit der Folge, dass die stillen Reserven der betroffenen Wirtschaftsgüter zwangsrealisiert werden. Auf die rechtliche Zulässigkeit der Berücksichtigung von Entstrickungstatbeständen innerhalb der Hinzurechnungsbesteuerung soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden.80 Es sei nur auf Folgendes hingewiesen: Es spricht vieles dafür, dass die tatbestandliche Anwendbarkeit der möglicherweise einschlägigen Entstrickungsvorschrift auf Seiten der Zwischengesellschaft zu verneinen ist. Die Entstrickungs­ thematik stellt sich bei der Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags. Die hinzurechnungsfähigen Einkünfte der Zwischengesellschaft sind in entsprechender Anwendung der Regelungen des deutschen Steuerrechts zu ermitteln, also möglicherweise auch in entsprechender Anwendung der § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, § 12 Abs. 1 KStG und § 16 Abs. 3a EStG. Bereits unter Abschnitt IV.2. wurde dargelegt, dass trotz der gesetzlichen Anweisung, die Vorschriften des deutschen Steuerrechts „entsprechend“ anzuwenden, der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG durchaus weiterhin wörtlich zu nehmen und bei Anwendung auf die Zwischengesellschaft zu verneinen ist: § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG setzt eine Geschäftsbeziehung eines inländischen Steuerpflichtigen zu einer ausländischen nahe stehenden Person voraus. Die Zwischengesellschaft ist allerdings eine ausländische Steuerpflichtige mit Geschäftsbeziehungen zu ausländischen nahe stehenden Personen oder, wenn die Geschäftsbeziehung zum deutschen Steuerpflichtigen besteht, zu einer inländischen nahe stehenden Person.81 Die entsprechende Anwendung des § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG erlaubt also nach h.M. nicht, die Perspektive zu wechseln und den „inländischen Steuerpflichtigen“ mit der Zwischengesellschaft zu besetzen. In gleicher, weiterhin wörtlicher Weise, müssen dann aus Gründen der Folgerichtigkeit auch alle anderen Regelungen des deutschen Steuerrechts „entsprechend“ angewandt werden. Der Entstrickungstatbestand setzt voraus, dass das Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland ausgeschlossen oder beschränkt wird. Angesichts der gebotenen, weiterhin wörtlichen Anwendung darf, in entsprechender Anwendung, nicht geprüft werden, ob das Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats der Zwischengesellschaft beschränkt worden ist. Vielmehr ist weiterhin auf eine Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland abzustellen. Ein Entstrickungsvorgang bei einer ausländischen Gesellschaft betrifft aber grundsätzlich82 nicht ein deutsches Besteuerungsrecht.83

80 Für eine Analyse vgl. bspw. Wassermeyer, IStR 2012, 804 u. Kraft/Bildstein, IStR 2019, 37. 81 Vgl. BFH v. 20.4.1988  – I R 41/82, BStBl.  II 1988, Tz.  B. 1.  lit. a; AEAStG, Tz. 10.1.1.1; ­Luckey, in: Strunk/Kaminski/Köhler, AStG/DBA, § 10 AStG, Rz. 76. 82 Eine Ausnahme besteht dann, wenn ein Wirtschaftsgut aus einer deutschen Betriebsstätte in das Stammhaus bei der Zwischengesellschaft überführt wird. 83 Vgl. Schnitger, in: IFSt, Nr. 487, 2013, 32 f.

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VI. Ergebnis Der Fremdvergleich wirkt nicht unmittelbar in die Hinzurechnungsbesteuerung hi­ nein. Insbesondere der Substanztest nach § 8 Abs. 2 Satz 1 AStG hat seine eigenen Auslegungskriterien, die sich nicht mit dem Fremdvergleich überschneiden. Mittelbar ist allerdings in zweierlei Hinsicht ein wesentlicher Einfluss des Fremdvergleichsgrundsatzes auf die Hinzurechnungsbesteuerung festzustellen: (1) Zum einen findet der Fremdvergleichsgrundsatz Anwendung bei der Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags nach § 10 Abs. 3 AStG. Denn die hinzurechnungsfähigen Einkünfte der Zwischengesellschaft bestimmen sich unter entsprechender Anwendung der Regelungen des deutschen Steuerrechts. Hierzu gehören auch die Korrekturvorschriften der vGA und verdeckten Einlage, bei deren Prüfung der Fremdvergleichsgrundsatz Anwendung findet. Nach der Rechtsprechung des BFH sind dabei die Einkünfte der Zwischengesellschaft aufgrund fremdunüblicher Verrechnungspreisgestaltungen nicht nur zu erhöhen, sondern auch bei Bedarf zu mindern. Dabei ist fraglich, auf welche Rechtsgrundlage die Einkünfteminderung gestützt werden soll, da die „Regelungen des deutschen Steuerrechts“ eine solche Rechtsgrundlage gerade nicht enthalten.84 Dass im Ergebnis bei der Bestimmung des Hinzurechnungsbetrags fremdunübliche Einkünfte der Zwischengesellschaft von einer Hinzurechnung auszunehmen sind, deckt sich mit der Vorgabe des § 8 Abs. 2 Satz 5 2. Halbsatz AStG, wonach der inländische Steuerpflichtige einen Substanznachweis für die Zwischengesellschaft zur Abwendung einer Hinzurechnungsbesteuerung nur für fremdübliche Einkünfte der Zwischengesellschaft erbringen kann. Denn die Einkünfte, für die der Steuerpflichtige den Substanznachweis erbringen kann, müssen identisch mit den Einkünften sein, die ihm ansonsten nach § 7 Abs. 1 AStG zugerechnet werden würden. (2) Zum anderen ist über die Substanzfrage der potentiellen Zwischengesellschaft entschieden, wenn die hinzurechnungsfähigen Einkünfte der Zwischengesellschaft unter Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes bestimmt wurden. Denn Einkünfte werden einer Gesellschaft nach Fremdvergleichsgesichtspunkten nur insoweit zugeordnet, als dass sie hierfür auch die notwendige Substanz aufweisen. Dies bemisst sich bei Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes zwar nach Maßstab einer Funktions- und Risikoanalyse; die Substanzfrage kann aber anschließend bei Durchführung des Substanztests nicht anders beantwortet werden, da es jeweils um ein- und dieselbe Substanz geht, die lediglich einmal aus der Perspektive der Exkulpationsnorm des § 8 Abs. 2 AStG und einmal aus der Perspektive der Bestimmung des Hinzurechnungsbetrags nach § 10 Abs. 3 AStG geprüft wird.

84 Im Urt. v. 13.6.2018 – I R 94/15, FR 2018, 1092, Rz. 15 stellt der BFH fest, die Einkünfte der Zwischengesellschaft seien für Zwecke der Hinzurechnungsbesteuerung zu mindern. Eine konkrete Rechtsgrundlage benennt er nicht.

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Vor diesem Hintergrund hat der Fremdvergleichsgrundsatz eine wesentliche Bedeutung für die Hinzurechnungsbesteuerung, da der Hinzurechnungsbetrag unter Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes ermittelt wird, was zu einer (erheblichen) Minderung der hinzurechnungsfähigen Einkünfte führen kann. Außerdem ist mit der Bestimmung der fremdüblichen Einkünfte der Zwischengesellschaft auch der Substanztest des § 8 Abs. 2 AStG beantwortet: Soweit der Zwischengesellschaft bei Bestimmung des Hinzurechnungsbetrags Einkünfte als fremdüblich zugeordnet werden, verfügt sie im Rückschluss auch über die notwendige Substanz für die Zuordnung dieser Einkünfte. Eine separate Substanzprüfung nach § 8 Abs. 2 Satz 1 AStG ist überflüssig, da sie nicht zu einem anderen Ergebnis führen kann.

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Entstrickungsbesteuerung im Betriebsvermögen Inhaltsübersicht I. Einführung II. Europarechtliche Vorgaben 1. Primärrecht 2. Sekundärrecht I II. Nationales deutsches Steuerrecht 1. Entstrickung durch Verlagerung betrieblicher Wirtschaftsgüter de lege lata 2. Passive Entstrickung 3. Entstrickung bei Verstärkung des deutschen Besteuerungsrechts?

4. Betriebs- oder Teilbetriebsverlagerung (§ 16 Abs. 3a EStG) 5. Entstrickung bei einem betrieblich ­beteiligten Gesellschafter durch den Wegzug der Beteiligungsgesellschaft IV. Entstrickung im Verhältnis zu Dritt­ staaten V. Ergebnis

I. Einführung Unter Entstrickung sind Vorgänge zu verstehen, die ohne Umsatz- oder anderweitigen Realisierungsakt zu einem Ausschluss oder einer Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder Nutzung eines Wirtschaftsguts führen. Ziel einer hieran knüpfenden Besteuerung ist die Sicherung der deutschen Besteuerung von im Inland gebildeten stillen Reserven oder Nutzungspotenzialen. Diese auf Gewinnabgrenzung gerichtete Zielsetzung entspricht dem Äquivalenzprinzip1 und wird vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Sicherstellung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten und nach dem Territorialitätsprinzip auch innerhalb der EU als Rechtfertigungsgrund für eine Beschränkung der Grundfreiheiten, namentlich der Niederlassungsfreiheit und der Kapitalverkehrsfreiheit, anerkannt, solange es an einer Harmonisierung der Steuersysteme der Mitgliedstaaten fehlt2. Bislang existiert in Deutschland keine allgemeine Entstrickungsbesteuerung. Vielmehr sind die Besteuerungskonsequenzen nach Tatbeständen und Rechtsfolgen stark zersplittert3. Allerdings nehmen die Regelungen in § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG und in § 12 Abs. 1 KStG eine zentrale Stellung ein.

1 Vgl. Schnitger, Die Entstrickung im Steuerrecht, IFSt-Schrift Nr. 487, 2013, 21 f., 23 f. 2 Vgl. EuGH v. 7.9.2006 − C-470/04, N., Slg. 2006, I-7409 Rz.  46; EuGH v. 29.11.2011 − C-371/10, National Grid Indus, DStR 2011, 2334 Rz.  46; EuGH v. 21.5.2015 − C-657/13, Verder Lab Tec, IStR 2015, 440 Rz. 43; vgl. a. BT-Drucks. 16/2710, 25 f., 28. 3 Vgl. Prinz, GmbHR 2012, 195 f.; Förster, FS Gosch, München 2016, 83.

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Der Jubilar hat Entstrickungsfragen im Rahmen der Gewinnabgrenzung von Betriebsstätten eingehend behandelt.4 Daher sollen an dieser Stelle die deutschen Ent­ strickungsregelungen bei der Verlagerung von betrieblichen Wirtschaftsgütern untersucht werden.

II. Europarechtliche Vorgaben 1. Primärrecht Eine Entstrickung von betrieblichen Wirtschaftsgütern kann Folge einer Verlagerung der Wirtschaftsgüter in ausländische Betriebsstätten oder das ausländische Stammhaus sein oder eines Wegzugs, einer Sitzverlegung oder einer Verlegung der Geschäftsleitung des Steuerpflichtigen, die eine veränderte Zuordnung des Wirtschaftsguts bewirkt. Identitätswahrende Verlegungen der Geschäftsleitung oder des Sitzes sowie grenz­ überschreitende Formwechsel und die Verlagerung von Vermögenswerten werden von der Niederlassungsfreiheit geschützt.5 Das gilt auch im Verhältnis zu EWRVertrags­staaten, da Art. 31 EWR-Abkommen diese Freiheit ebenfalls garantiert.6 Die Niederlassungsfreiheit wird beschränkt, wenn anlässlich grenzüberschreitender Wirtschaftsgutverlagerungen oder identitätswahrender Verlegungen von Sitz oder Geschäftsleitung oder beim grenzüberschreitenden Formwechsel eine Steuerpflicht für nicht realisierte Wertzuwächse ausgelöst wird, die im vergleichbaren Inlandsfall nicht eingetreten wäre. Wird allerdings das Besteuerungsrecht des Herkunftsstaats ausgeschlossen oder beschränkt, ist eine Steuerfestsetzung für die nicht realisierten Wertzuwächse europarechtlich gerechtfertigt, um auf der Zeitachse eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten nach dem Territorialitätsprinzip

4 Vgl. Kroppen, FS Herzig, 2010, 1071, 1082 f., 1090 f.; Kroppen in Gosch/Kroppen/Grotherr/ Kraft, DBA, Art. 7 OECD-MA Rz. 145–158 (Jan. 2015). 5 EuGH v. 16.12.2008 − C-210/06, Cartesio, DStR 2009, 121 Rz.  111–113 (Formwechsel); v.  29.11.2011 − C-371/10, National Grid Indus, DStR 2011, 2334 Rz.  33 (Verlegung der ­Geschäftsleitung); v. 12.7.2017 − C-378/10, Vale, DB 2012, 1614 Rz. 24–41 (Formwechsel); v. 6.9.2012 − C-38/10, Kommission/Portugal, IStR 2012, 763 Rz. 23 (Verlegung von Sitz und Geschäftsleitung, Verlagerung von WG); v. 31.1.2013 − C-301/11, Kommission/NL, EU:C:2013:47, berichtigt durch EuGH v. 19.3.2013 − C-301/11, EU:C:2013:177 (wie vor); v. 25.4.2013 − C-64/11, Kommission/Spanien, IStR 2013, 393 (wie vor); v. 18.7.2013 C-261/11, Kommission/Dänemark, EU:C:2013:480, Rz.  28 (Verlagerung von WG); v. 25.10.2017 − C-106/16, Polbud, DStR 2017, 2684 Rz.  32–65 (Satzungssitzverlegung mit Formwechsel); Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, 2018, § 5 Rz. 69. 6 EuGH v. 18.7.2013 − C-261/11, Kommission/Dänemark, EU:C:2013:480, Rz.  28 (Verlagerung von WG). Vgl. a. EFTA-Gerichtshof v. 3.10.2012 − E-15/11, Arcade Drilling, IStR 2013, 195, Rz. 45.

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Entstrickungsbesteuerung im Betriebsvermögen

sicherzustellen.7 Denn einerseits ist der Herkunftsstaat berechtigt, die in seinem Gebiet angewachsenen stillen Reserven zu besteuern, andererseits verliert er das Besteuerungsrecht für künftige Wertsteigerungen der betroffenen Wirtschaftsgüter und es besteht zudem die Gefahr, dass die bei ihm in der Vergangenheit gebildeten stillen Reserven aufgrund von Informationsasymmetrien und Vollstreckungsproblemen nicht mehr erfasst werden können.8 Dagegen ist die Entstrickungsbesteuerung nicht vereinbar mit den Grundfreiheiten, wenn das Besteuerungsrecht des Herkunftsstaats nicht beeinträchtigt wird und im vergleichbaren Inlandsfall keine entsprechende Besteuerung erfolgt.9 Auch im Falle einer gerechtfertigten Steuerfestsetzung bei Beeinträchtigung des Besteuerungsrechts ist aber die sofortige Einziehung der Steuer nicht zulässig. Vielmehr muss dem Steuerpflichtigen die Wahl zwischen einer Sofortbesteuerung der nicht realisierten Wertzuwächse und einem Steueraufschub mit der Folge etwaiger Nachweis­ pflichten belassen werden, wobei der Steueraufschub bei Sachgesamtheiten und einzelnen abnutzbaren Anlagegütern pauschal mit 5 oder 10 Jahren bemessen werden darf.10 Nach Ansicht des FG Köln gilt dies auch für nicht abnutzbare Wirtschaftsgüter, wie z.B. Finanzanlagen.11

7 EuGH v. 29.11.2011 − C-371/10, National Grid Indus, DStR 2011, 2334 Rz.  43–64; v. 6.9.2012 − C-38/10, Kommission/Portugal, IStR 2012, 763 Rz.  21, 29; v. 18.7.2013 − C-261/11, Kommission/Dänemark, EU:C:2013:480, Rz. 36; v. 14.9.2017 − C-646/15, Panayi, EU:C:2017:682, Rz. 50–56; EFTA-Gerichtshof v. 3.10.2012 − E-15/11, Arcade Drilling, IStR 2013, 195, Rz.  97.  Vgl. a. Kessler/Huck, StuW 2005, 209; Musil in Musil/Weber-Grellet, ­Europäisches Steuerrecht, 2019, Art. 49 AEUV Rz. 140; Oellerich in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2020, Rz. 8.92. 8 EuGH v. 29.11.2011 − C-371/10, National Grid Indus, DStR 2011, 2334 Rz. 46–49. Zum Risiko der Nichteinbringung von Steuern auf ins Ausland verbrachte Wirtschaftsgüter vgl. EuGH v. 23.1.2014 − C-164/12, DMC, DStR 2014, 193 Rz.  62; v. 21.5.2015 − C-657/13, Verder Lab Tec, IStR 2015, 440 Rz. 50; Förster, BFuP 2014, 1, 5; Oellerich in Schaumburg/ Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2020, Rz. 8.92; Lampert in Gosch, § 12 KStG Rz. 65, 66, 102. 9 EuGH v. 23.1.2014 − C-164/12, DMC, DStR 2014, 193 Rz. 56, 57; v. 14.9.2017 − C-646/15, Panayi, EU:C:2017:682, Rz. 53; FG Hamburg v. 15.4.2015 – 2 K 66/14, rkr., IStR 2015, 521 (NZB unbegründet, BFH v. 30.9.2015 − I B 66/15, GmbHR 2015, 1286); Gosch, IWB 2014, 186 f.; Linn, IStR 2014, 139; Patzner/Nagler, GmbHR 2014, 217; Förster, FS Gosch, 2016, 83, 92; ders., FS Lüdicke, 2019, 129, 133; Hagemann in Hagemann/Kahlenberg, Art. 5 ATAD Rz. 38. 10 EuGH v. 29.11.2011 − C-371/10, National Grid Indus, IStR 2012, 27 Rz.  73; EuGH v. 18.7.2013 − C-261/11, Kommission/Dänemark, EU:C:2013:480, Rz.  37; v. 23.1.2014 − C-164/12, DMC, DStR 2014, 193 Rz. 64; v. 21.5.2015 − C-657/13, Verder Lab Tec, IStR 2015, 440 Rz.  52; EFTA-Gerichtshof v. 3.10.2012 − E-15/11, Arcade Drilling, IStR 2013, 195, Rz. 100–104; FG Düsseldorf v. 19.11.2015 – 8 K 3664/11 F, Rev. (I R 99/15), EFG 2016, 209 Rz. 100–102; FG Köln v. 16.2.2016 – 10 K 2335/11, rkr., EFG 2016, 793. Vgl. a. Kroppen, BIFT 2015, 294, 295. 11 FG Köln v. 16.2.2016 – 10 K 2335/11, rkr., EFG 2016, 793 Rz. 53. Ebenso Mitschke, IStR 2014, 216; Sydow, DB 2014, 269. A.A. Müller, ISR 2015, 148; Kahle/Beinert, FR 2015, 591 f. m.w.N.; Linn, IStR 2016, 106.

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Guido Förster

Wird die festgesetzte Steuer auf den Entstrickungsgewinn gestundet, dürfen Zinsen und – im Falle eines konkreten Beitreibungsrisikos12 – auch eine Sicherheitsleistung gefordert werden.13 Allerdings sind Zinsen und Sicherheitsleistung nur zulässig, wenn sie auch bei vergleichbaren inländischen Verlagerungsvorgängen vorgesehen sind,14 denn im Ergebnis wird mit der Erhebung von Zinsen der Steueraufschub entwertet15, womit erneut die Niederlassungsfreiheit verletzt wird. Eine Sofortbesteuerung lässt sich auch nicht auf den Rechtfertigungsgrund der Gewährleistung einer effektiven Kontrolle der Erklärungen des Steuerpflichtigen und der effektiven Einziehung von Steuerschulden stützen, da den Mitgliedstaaten für Kontrollzwecke die Instrumente der Amtshilferichtlinie16 und für die Einziehung der Steuerschuld die der Beitreibungsrichtlinie17 zur Verfügung stehen. Mängel bei deren Anwendung rechtfertigen eine Beschränkung der Grundfreiheiten nicht.18 Da beide Richtlinien aber nur die EU-Mitgliedstaaten verpflichten, gilt im Verhältnis zu EWR-Staaten anderes, wenn keine gleichwertige bilaterale Verpflichtung zur gegenseitigen Amtshilfe existiert19 und der Steuerpflichtige nicht im Herkunftsstaat des Wirtschaftsguts verbleibt20.

12 EuGH v. 23.1.2014 − C-164/12, DMC, DStR 2014, 193 Rz.  65–67; EFTA-Gerichtshof v. 3.10.2012 − E-15/11, Arcade Drilling, IStR 2013, 195, Rz. 101, 102, 105; Sydow, DB 2014, 269; Mitschke, IStR 2014, 113; Patzner/Nagler, GmbHR 2014, 217; Linn, IStR 2014, 139; Förster, FS Gosch, 2016, 83, 93. S.a. BFH v. 15.9.2015 I B 57/15, BFH/NV 2016, 212 Rz. 10, 11. 13 EuGH v. 29.11.2011 − C-371/10, National Grid Indus, DStR 2011, 2334 Rz.  73, 74; v. 14.9.2017 − C-646/15, Panayi, EU:C:2017:682, Rz. 57. 14 Beutel/Rehberg, IStR 2012, 96; Kessler/Philipp, DStR 2012, 272; Thömmes/Linn, IStR 2012, 286–288; Gosch, IWB 2012, 784; Schnitger, Die Entstrickung im Steuerrecht, IFSt-Schrift Nr. 487, 2013, 81; Kahle/Beinert, FR 2015, 590; Förster, FS Gosch, 2016, 83, 92 f.; ders., FS Lüdicke, 2019, 129, 132; ders., DStR 2020, 865, 867 f.; Pfirrmann in Blümich, § 12 KStG Rz.  27. A.A. Mitschke, IStR 2012, 10  f.; wohl auch Benecke/Staats in D/P/M, §  12 KStG Rz. 43, 46c (Juni 2017). 15 Vgl. auch EuGH v. 8.3.2001, verb. Rechtssache C-397/98 und C-410/98, Metallgesellschaft und Hoechst, Slg. 2001, I-1727 Rz. 87–89. 16 Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15.2.2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/ EWG, ABl.EU 2011, Nr. L 64, 1. Umgesetzt in Deutschland durch das EUAHiG v. 26.6.2013, BGBl I 2013, 1809. 17 Richtlinie 2010/24/EU des Rates vom 16.3.2010 über die Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern, Abgaben und sonstige Maßnahmen; ABl.EU 2010 Nr. L 84, 1. Umgesetzt in Deutschland durch das EUBeitrG v. 7.12.2011, BGBl I 2011, 2592. 18 EuGH v. 29.11.2011 − C-371/10, National Grid Indus, DStR 2011, 2334 Rz. 78; v. 6.9.2012 − C-38/10, Kommission/Portugal, IStR 2012, 763 Rz. 32. 19 EuGH v. 18.12.2007 − C-101/05, A, Slg. 2007, I-11531 Rz. 60–63; v. 28.10.2010 − C-72/09, Rimbaud, Slg. 2010, I-10659 Rz. 40, 41. Vgl. a. EFTA-Gerichtshof v. 3.10.2012 − E-15/11, Arcade Drilling, IStR 2013, 195, Rz. 102. 20 EuGH v. 18.7.2013 − C-261/11, Kommission/Dänemark, EU:C:2013:480, Rz. 47.

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Entstrickungsbesteuerung im Betriebsvermögen

Der Herkunftsstaat ist nicht verpflichtet, nach der Entstrickung eintretende Wertminderungen zu berücksichtigen – und zwar auch dann nicht, wenn sie im Aufnahmestaat nicht berücksichtigt werden.21 2. Sekundärrecht Die ATAD22 enthält in ihrem Art. 5 Entstrickungsregelungen, die sich erkennbar an der Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit orientieren23 und die gem. Art. 11 Abs. 5 ATAD bis zum 31.12.2019 in nationales Recht umzusetzen waren und ab dem 1.1.2020 anzuwenden sind. Art. 5 Abs. 1 ATAD sieht im Falle der grenzüberschreitenden Übertragung von Vermögenswerten oder Geschäftstätigkeiten einer Kapitalgesellschaft aus einem EU-Mitgliedstaat heraus24 oder der grenzüberschreitenden Sitzverlegung einer Körperschaft die Aufdeckung stiller Reserven und Lasten vor, soweit der bisherige Mitgliedstaat sein Besteuerungsrecht an den betroffenen Vermögenswerten verliert. Die Richtlinie definiert nicht, wann ein Verlust des Besteuerungsrecht eintritt, sondern überlässt es den Mitgliedstaaten, dies festzulegen.25 Aufgrund des Mindestschutzcharakters der Richtlinie (Art. 3 ATAD) und des Zwecks der Entstrickungsbesteuerung eine zeitliche und territoriale Abgrenzung der Besteuerungszugriffe der beteiligten Staaten zu ermöglichen, steht es den Mitgliedstaaten auch frei, lediglich eine Beschränkung des Besteuerungsrechts als Auslöser einer Entstrickungsbesteuerung zu definieren.26 In EU-Fällen steht dem Steuerpflichtigen allerdings das Recht zu, einen ratierlichen Steueraufschub über 5 Jahre zu beantragen. Gleiches gilt auch für EWR-Fälle, sofern mit dem Herkunftsstaat oder der EU ein der Beitreibungsrichtlinie gleichwertiges Abkommen zur Beitreibungshilfe besteht (Art. 5 Abs. 2 ATAD)27. Zwar verkörpert die ATAD nur ein Mindestschutzniveau, sodass der Stundungszeitraum auch kleiner angesetzt werden könnte, jedoch ist aufgrund der Rechtsprechung des EuGH davon auszugehen, dass 5 Jahre nicht unterschritten werden dürfen.28 21 EuGH v. 29.11.2011 − C-371/10, National Grid Indus, DStR 2011, 2334 Rz. 52–61. 22 Richtlinie (EU) 2016/1164 des Rates vom 12.7.2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts, ABl.EU vom 19.7.2016 − L 193/1. 23 Müller/Wohlhöfler, IWB 2016, 665, 667; Musil in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, 2019, Art. 5 ATAD Rz. 2. 24 Art.  2 (6) ATAD. Dazu Dettmeier/Dörr/Neukam/Prodan, NWB 2016, 3082, 3085; Haug, DStZ 2016, 446, 450. 25 Erwägungsgrund (10) der ATAD; Hagemann in Hagemann/Kahlenberg, Art. 5 ATAD Rz. 97. 26 Ebenso Hagemann in Hagemann/Kahlenberg, Art. 5 ATAD Rz. 99–103. A.A. wohl Musil in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, 2019, Art. 5 ATAD Rz. 14. 27 Vgl. Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 46b-46d (Juni 2017). Zu den EWR-Fällen vgl. Hagemann in Hagemann/Kahlenberg, ATAD Kommentar, 2019, Art 5 Rz. 193. Lediglich im Verhältnis Deutschlands zu Island besteht derzeit keine Beitreibungshilfe. 28 Musil in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, 2019, Art. 5 ATAD Rz. 28; Förster, DStR 2020, 865, 867. A.A. Hagemann in Hagemann/Kahlenberg, Art. 5 ATAD Rz. 189 (längere Stundung zulässig).

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Gem. Art 5 Abs. 3 ATAD sind die Mitgliedstaaten berechtigt, Zinsen und – bei einem konkreten Beitreibungsrisiko – die Gestellung von Sicherheiten zu verlangen. Art. 5 Abs. 4 ATAD regelt die vorzeitige Beendigung einer gewährten Stundung und Art. 5 Abs. 5 ATAD enthält zugunsten des Stpfl. eine Wertverknüpfung des Abgangswerts im Herkunftsstaat mit dem Zugangswert im Aufnahmestaat, wobei Letzterer das Recht auf Übereinstimmungsprüfung mit dem Marktwert behält. Art. 5 Abs. 6 ATAD definiert den Marktwert grundsätzlich als Fremdvergleichspreis. Art. 5 Abs. 7 ATAD statuiert Ausnahmen von der Aufdeckung der stillen Reserven, wenn eine Rückführung der entstrickten Wirtschaftsgüter binnen zwölf Monaten vorgesehen ist und die Vermögenswerte in Zusammenhang mit einer Wertpapierfinanzierung, als Sicherheit, zur Erfüllung aufsichtsrechtlicher Anforderungen oder für Zwecke des Liquiditätsmanagements ins Ausland transferiert wurden.

III. Nationales deutsches Steuerrecht 1. Entstrickung durch Verlagerung betrieblicher Wirtschaftsgüter de lege lata Wird durch die Zuordnung eines Wirtschaftsgutes zu einer ausländischen Betriebsstätte oder zum ausländischen Stammhaus des Stpfl. das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung des Wirtschaftsgutes ausgeschlossen oder beschränkt, so steht dies bei einer natürlichen Person einer mit dem gemeinen Wert zu bewertenden Entnahme gleich (§§ 4 Abs. 1 Satz 3, 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Hs. 2 EStG) und gilt bei einer Körperschaft als Veräußerung zum gemeinen Wert (§  12 Abs.  1 Satz 1 KStG). Hieraus kann sich ein Entnahme- oder Veräußerungsgewinn ergeben, aber auch ein -verlust.29 Ein entsprechender Gewinn ist grundsätzlich sofort steuerpflichtig, ein Verlust ausgleichs- und abzugsfähig. Soweit der Gewinn auf die Entstrickung von Anteilen an Kapitalgesellschaften entfällt, können jedoch die Regelungen der §§ 3 Nr. 40, 3c Abs. 2 EStG, 8b Abs. 2 KStG zum Tragen kommen. Die veränderte Zuordnung kann sich auch aus einer identitätswahrenden Sitzverlegung einer Kapitalgesellschaft ergeben. Höchstrichterlich ist bislang allerdings noch nicht geklärt, ob die Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung des Wirtschaftsgutes ausschließt oder beschränkt und damit den Entstrickungstatbestand erfüllt. Der BFH hatte ursprünglich bei der Überführung eines Wirtschaftsgut in eine ausländische Freistellungsbetriebsstätte einen Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts und eine daraus resultierende „finale Entnahme“ angenommen.30 Mit dem SEStEG wurde diese Rechtsansicht im Jahre 2006 in § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 29 Vgl. BFH v. 26.4.2017 − I R 27/15, BStBl II 2017, 1194 Rz. 30. 30 Grundlegend BFH v. 16.7.1969 − I 266/65, BStBl II 1970, 175, 176 f. Vgl. a. Musil in H/H/R, § 4 EStG Rz. 221 (Dez. 2019).

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Entstrickungsbesteuerung im Betriebsvermögen

Abs. 1 KStG auch gesetzlich verankert, wobei von einer klarstellenden Regelung ausgegangen wurde.31 Zugleich wurde der Tatbestand der Entstrickungsregelungen auch auf Fälle ausgedehnt, in denen das deutsche Besteuerungsrecht lediglich beschränkt wurde.32 Mit Urteil vom 17.7.2008 hat der BFH jedoch die Theorie der finalen Entnahme aufgegeben, da die Überführung in eine ausländische Freistellungsbetriebsstätte nicht zum Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung des Wirtschaftsgutes führe; abkommensrechtlich stehe Deutschland das Besteuerungsrecht für die bis zur Überführung entstandenen stillen Reserven gem. Art. 13 Abs. 2 OECD MA auch nach der Überführung weiterhin zu.33 Dies wurde in weiteren Entscheidungen zu Betriebsverlagerungen bestätigt.34 Allerdings sind die Entscheidungen zur Rechtslage vor dem SEStEG ergangen. Der aufkeimenden Diskussion, ob mit der Rechtsprechung auch den neu eingeführten gesetzlichen Normen die Grundlage entzogen sei35, ist der Gesetzgeber mit der Einführung von Regelbeispielen in §§ 4 Abs. 1 Satz 4 EStG, 12 Abs. 1 Satz 2 KStG begegnet, wonach ein Ausschluss oder eine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts insbesondere dann vorliege, wenn ein bisher einer inländischen Betriebsstätte zuzuordnendes Wirtschaftsgut einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen sei. Aus der Gesetzgebungshistorie leitet die überwiegende Meinung ab, dass bei Verlagerung eines Wirtschaftsgutes in eine ausländische Betriebsstätte der Tatbestand der Entstrickungsregeln erfüllt ist.36 Dem wird allerdings entgegen gehalten, dass nach der BFH-Rechtsprechung ein Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts in diesen Fällen gerade nicht gegeben sei und hieran auch das Regelbeispiel nichts ändere.37 31 Vgl. BT-Drucks. 16/2710, 28, 30.  A.A. Bode in Kirchhof/Seer, 18.  Aufl., 2019, §  4 EStG Rz. 106 (konstitutive Regelung). 32 Vgl. BT-Drucks. 16/2710, 28. 33 BFH v. 17.7.2008 − I R 77/06, BStBl II 2009, 464, 469 f. 34 BFH v. 28.10.2009 − I R 99/08, BStBl II 2011, 1019 Rz. 19–31; v. 28.10.2009 − I R 28/08, BFH/NV 2010, 432, 437 f. Vgl. a. BFH v. 20.5.2015 − I R 75/14, IStR 2015, 883 Rz. 8. 35 Vgl. Roser, DStR 2008, 2393  f.; Kahle/Franke, IStR 2009, 406; Köhler, IStR 2010, 337; ­Dürrschmidt, StuW 2010, 142; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 2011, Rz.  5.346 m.w.N.; Kroppen in Gosch/Kroppen/Grotherr/Kraft, DBA, Art.  7 OECD-MA Rz.  153 m.w.N. (Jan. 2015). 36 Vgl. FG Düsseldorf v. 5.12.2013 – 8 K 3664/11 F, EFG 2014, 119; v. 19.11.2015 – 8 K 3664/11 F, Rev. (I R 99/15), EFG 2016, 209 Rz. 33–53; FG Köln v. 16.2.2016 – 10 K 2335/11, rkr., EFG 2016, 793 Rz.  30; BMF v. 18.11.2011 − IV C 6  – S 2134/10/10004, BStBl I 2011, 1278; ­Wacker, in Schmidt, § 16 EStG Rz. 175; Musil, in H/H/R, § 4 EStG Rz. 229, 240 (Dez. 2019); Wied, in Blümich, § 4 EStG Rz. 486c-487a; Seiler, in K/S/M, § 4 EStG Rz. B 118; Benecke/ Staats, in D/P/M, §  12 KStG Rz.  345; Frotscher, in Frotscher/Geurts, §  4 EStG Rz.  375l; Stöcker, in Korn, § 4 EStG Rz. 297.5, 297.8–297.13; Kroppen in Gosch/Kroppen/Grotherr/ Kraft, Art. 7 OECD-MA Rz. 154 (2015); Ditz in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, 2.  Aufl., 2018, Rz.  6.58; Hennrichs in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23.  Aufl., 2018, § 9 Rz. 472; Lampert in Gosch, § 12 KStG Rz. 102c, 102d. 37 Vgl. Gosch, FS Spindler, 2011, 396  f.; ders., in Kirchhof/Seer, 18.  Aufl., 2019, §  36 EStG Rz. 26, § 49 EStG Rz. 16; ders., BFH/PR 2015, 298; ders., IStR 2015, 715; Kolbe, in H/H/R, § 12 KStG Rz. 31, 32, 35; Lenz, in Erle/Sauter, § 12 KStG Rz. 37; Girlich/Philipp, Ubg 2012,

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Vorzugswürdig erscheint jedoch die überwiegende Meinung. Der Gesetzgeber hat sein Ansinnen zur Anwendung der Entstrickungsbesteuerung ausreichend klar im Gesetzeswortlaut verankert. Zugleich macht die Gesetzesbegründung deutlich, dass es auf die Beeinträchtigung des deutschen Besteuerungsrechts an den künftigen Wert­ änderungen des Wirtschaftsguts im Vergleich zu den bisherigen Wertänderungen ­ankommt.38 Diese vergleichende Betrachtung entspricht auch der jüngeren Recht­ sprechung des EuGH.39 Der Fortbestand des deutschen Besteuerungsrechts an den bislang angewachsenen stillen Reserven schließt somit die Erfüllung des Entstrickungstatbestands nicht aus. Aber selbst wenn allein das Schicksal des deutschen Besteuerungsrechts an den bislang angewachsenen stillen Reserven entscheidend wäre, reicht bereits eine bloße Beschränkung dieses Besteuerungsrechts für eine Entstrickung aus. Eine Beschränkung liegt aber vor, wenn die Durchsetzung des fortbestehenden deutschen Besteuerungsrechts im Ausland wesentlich erschwert wird. Zwar ist einzuräumen, dass der Ge­ setzgeber mit dem Beschränkungstatbestand insbesondere auf die Zuordnung von Wirtschaftsgütern zu Anrechnungsbetriebsstätten zielt40, jedoch ist weder der Ge­ setzeswortlaut noch die Gesetzesbegründung („insbesondere“) auf diesen Fall beschränkt. Vor diesem Hintergrund ist eine die Entstrickungsbesteuerung auslösende Beschränkung dieses Besteuerungsrechts im Falle der Zuordnung von Wirtschaftsgütern zu einer ausländischen Betriebsstätte bereits in der abstrakten Gefährdung des deutschen Besteuerungsrechts durch Informations- und Vollzugsdefizite sowie etwaige Besteuerungsansprüche des Zuzugsstaates zu sehen.41 Dem entspricht, dass auch der EuGH in seiner jüngeren Rechtsprechung das Risiko der Nichteinbringung von Steuern auf ins Ausland verbrachte Wirtschaftsgüter bei der Rechtfertigung von Grundfreiheitenbeschränkungen berücksichtigt.42 157 f.; Kahle/Beinert, FR 2015, 585 f.; v. Freeden in R/H/N, KStG § 12 Rz. 62, 63, 65; Schnitger/Oskamp in Kessler/Kröner/Köhler, Konzernsteuerrecht, 3. Aufl., 2018, § 8 Rz. 133–135, 161, 162; zweifelnd auch Loschelder in Schmidt, § 4 EStG Rz. 251. 38 Vgl. BT-Drucks. 17/3549, 15. Ebenso Förster, DB 2007, 72, 73; Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 233, 343, 352; Pfirrmann in Blümich, § 12 KStG Rz. 40; Lampert in Gosch, § 12 KStG Rz. 102c, 113. A.A. Schnitger/Oskamp in Kessler/Kröner/Köhler, Konzernsteuerrecht, 3. Aufl., 2018, § 8 Rz. 131. 39 Vgl. die Nachweise in Fn. 8. 40 Vgl. BT-Drucks. 16/2710, 28, 30; Gosch, IWB 2012, 784 f.; Schnitger/Oskamp in Kessler/ Kröner/Köhler, Konzernsteuerrecht, 3. Aufl., 2018, § 8 Rz. 132. 41 Vgl. FG Düsseldorf v. 19.11.2015 – 8 K 3664/11 F, Rev. (I R 99/15), EFG 2016, 209 Rz. 45– 48; FG Köln v. 16.2.2016 – 10 K 2335/11, rkr., EFG 2016, 793 Rz. 47; Musil, FR 2011, 549; ders., in H/H/R, § 4 EStG Rz. 229; Wied, in Blümich, § 4 EStG Rz. 486c; Mitschke, IStR 2016, 127; Oppel, ISR 2016, 302 (nach Einführung des § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG); vgl. a. Schnitger, Die Entstrickung im Steuerrecht, IFSt-Schrift Nr. 487, 2013, 62. A.A. Gosch, in Kirchhof/ Seer, § 36 EStG Rz. 26, § 49 EStG Rz. 107; ders., IStR 2015, 715; v. Freeden in R/H/N, KStG §  12 Rz.  65; Schnitger/Oskamp in Kessler/Kröner/Köhler, Konzernsteuerrecht, 3.  Aufl., 2018, § 8 Rz. 115. 42 EuGH v. 23.1.2014 − C-164/12, DMC, DStR 2014, 193 Rz.  62; v. 21.5.2015 − C-657/13, Verder Lab Tec, IStR 2015, 440 Rz. 50; Lampert in Gosch, KStG § 12 Rz. 66. Kritisch dazu Linn, IStR 2014, 139. 

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Im Ergebnis kann deshalb festgehalten werden, dass die Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung des Wirtschaftsgutes zumindest beschränkt und daher eine Entstrickung nach §§ 4 Abs. 1 Satz 3, 4 EStG, 12 Abs. 1 KStG auslöst. Gem. § 4g EStG kann der Entstrickungsgewinn auf Antrag auf maximal fünf Jahre über einen wirtschaftsgutbezogenen Ausgleichsposten verteilt werden, sofern der Stpfl. unbeschränkt steuerpflichtig ist, das betroffene Wirtschaftsgut zum Anlagevermögen gehört und einer Betriebsstätte desselben Stpfl. in einem anderen EU-Mitgliedstaat zuzuordnen ist. Für den hierdurch im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung bewirkten Steueraufschub fallen Zinsen nicht an und Sicherheiten müssen nicht geleistet werden. Die Verteilungsregelung wird flankiert durch wirtschaftsgutbezogene Aufzeichnungspflichten sowie Anzeigepflichten über Ersatzrealisationstatbestände, bei deren Verletzung der Ausgleichsposten gewinnerhöhend aufzulösen ist (§ 4g Abs. 4 und 5 EStG). Die Regelung des § 4g EStG ist grundsätzlich als europarechtskonform anzusehen; sie belässt dem Stpfl. in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH und mit Art. 5 Abs. 2 ATAD ein Wahlrecht zwischen einer Sofortbesteuerung und einem Steueraufschub über fünf Jahre.43 Zwar sieht Art.  5 Abs.  2 ATAD einen Steueraufschub im Erhebungsverfahren vor, doch ist der mit § 4g EStG verbundene Steueraufschub im Steuerfestsetzungsverfahren als gleichwertig anzusehen.44 Im Falle von Steuersatzveränderungen können zwischen beiden Methoden zwar begrenzte Unterschiede entstehen, diese wirken sich aber symmetrisch zu Gunsten wie auch zu Ungunsten des Steuerpflichtigen aus. In dem entscheidenden Punkt der Entlastung des Stpfl. von einer Sofortbesteuerung sind beide Methoden dagegen wirkungsgleich und deshalb gleichwertig. Für eine in der Gewinnermittlung angelegte Lösung wie § 4g EStG spricht insbesondere, dass sie auch für die Gewerbesteuer gilt. Allerdings weist die Regelung auch europarechtliche Defizite auf: So ist eine Verteilung des Gewinns gem. § 4g EStG nicht möglich, wenn Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens verlagert werden oder eine Verlagerung in einen EWR-Staat oder einen Drittstaat erfolgt oder der Stpfl. nur beschränkt steuerpflichtig ist. Die daraus resultierende Sofortbesteuerung verletzt die Niederlassungsfreiheit, sofern Wirtschafts­ güter des Anlagevermögens oder des Umlaufvermögens durch einen unbeschränkt oder beschränkt Stpfl. innerhalb der EU bzw. des EWR verlagert werden. Daher ist auch in solchen Fällen ein Steueraufschub zu gewähren.45 43 Musil in H/H/R, § 4 EStG Rz. 226 (Dez. 2019). 44 Vgl. Jochimsen/Zinowsky, ISR 2016, 111; Hagemann in Hagemann/Kahlenberg, Art.  5 ATAD Rz. 188, 301; Förster, FS Lüdicke, 2019, 129, 140 f.; wohl auch Fehling in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2020, Rz. 17.110. A.A. Wacker, DStJG 2018, 423, 458. 45 EuGH v. 6.9.2012 − C-38/10, Kommission/Portugal, IStR 2012, 763 Rz. 22–32; EuGH v. 31.1.2013 − C-301/11, Kommission/NL, BeckRS 2013, 80253, berichtigt durch EuGH v. 19.3.2013 − C-301/11; EuGH v. 25.4.2013 − C-64/11, Kommission/Spanien, IStR 2013, 393; EuGH v. 18.7.2013 − C-261/11, Kommission/Dänemark, EU:C:2013:480; EuGH v.

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Sollte der Gesetzgeber diese Defizite – wie mit dem ATADUmsG geplant46 – beseitigen, wäre die deutsche Entstrickungsbesteuerung im Ergebnis europarechtskonform ausgestaltet. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass die durch den ratierlichen Steuer­ aufschub über fünf Jahre bewirkte Entlastung gegenüber einer Sofortbesteuerung wirtschaftlich nur geringfügig ausfällt: So vermindert sich der Barwert der Steuerzahlungsverpflichtung in Deutschland durch den Aufschub bei einem Kalkulationszinsfuß von 5% p.a. nur um 9,08% und bei einem Kalkulationszinsfuß von 10% um 16,6%.47 Die Entstrickungsbesteuerung wird daher auch in Zukunft ihre strukturkonservierende Wirkung behalten. 2. Passive Entstrickung Umstritten ist, ob der Abschluss eines DBA, welcher zu einem Ausschluss oder einer Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts führt, eine Entstrickung beim Stpfl. auslöst. Die Finanzverwaltung und ein Teil der Literatur bejahen dies mit dem Argument, dass der Wortlaut der §§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, 12 Abs. 1 KStG erfüllt sei; die Regelung setze keine Handlung des Stpfl. voraus.48 Dieses Argument kann sich vordergründig auf den Wortlaut des § 38 AO stützen, wonach die Entstehung des Steueranspruchs die Verwirklichung des Tatbestands voraussetzt, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Allerdings ist im Hinblick auf die Norm des §  38 AO anerkannt, dass von Dritten verwirklichte Sachverhalte nur dann zur Verwirklichung des Steuertatbestands führen, wenn sie dem Stpfl. zugerechnet werden können.49 Hieran fehlt es beim Abschluss eines DBA und dem nachfolgenden Zustimmungsgesetz durch den deutschen Gesetzgeber. Dessen Handlungen können dem Stpfl. nicht zugerechnet werden; sie 21.5.2015 − C-657/13, Verder Lab Tec, IStR 2015, 440 Rz. 35–49; Holzhäuser, in K/S/M, § 4g EStG Rz. A19-A21 (Mai 2015); Benecke/Staats, in D/P/M, § 12 KStG Rz. 44, 46 (April 2015); R/H/N/v. Freeden KStG § 12 Rz. 42.  46 § 4g EStG i.d.F. des ATADUmsG-RefE vom 24.3.2020. 47 Vgl. Herbort, IStR 2015, 21; Förster, FS Endres, 2016, 113, 119 f.; ders., FS Lüdicke, 2019, 129, 141; ders., DStR 2020, 865, 870; Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl., 2017, Rz. 20, 25. Unterstellt werden gleichbleibende Steuersätze, laufende Gewinne und dass die Zahlung der ersten Aufschub-Rate im selben Zeitpunkt erfolgt wie die Zahlung des gesamten Steuerbetrags bei Sofortbesteuerung. 48 BMF v. 26.10.2018 − IV B 5 – S 1348/07/10002, BStBl I 2018, 1104; Ditz in Wassermeyer/ Andresen/Ditz, 2.  Aufl., 2018, Rz.  6.60; Musil in H/H/R, §  4 EStG Rz.  230 (Dez. 2019) m.w.N.; Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 304, 335; Pfirrmann in Blümich, § 12 KStG Rz. 40; Fehling in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2020, Rz. 17.109; Lampert in Gosch, § 12 KStG Rz. 103. 49 BFH v. 16.12.1975 − VIII R 3/74, BStBl II 1976, 246; Schuster in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 38 AO Rz. 15 (Juni 2005); Schmieszek in Gosch, § 38 AO Rz. 22 (April 2012). Vgl. a. Drüen in Tipke/Kruse, § 38 AO Rz. 3 (Jan. 2014).

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sind vielmehr Ausdruck des freien Willens des demokratisch legitimierten Legislativ­ organs. Der Abschluss eines DBA führt daher nicht zu einer dem Stpfl. zurechenbaren Entstrickung.50 Vielmehr ist es der Gesetzgeber, der sein Besteuerungsrecht zurücknimmt. Daher erscheint es widersinnig, dass durch die staatliche Handlung eine Steuer ausgelöst werden soll, die den Fiskus selbst begünstigt. Hierfür spricht auch, dass Art. 5 ATAD den Fall der passiven Entstrickung nicht erfasst51. 3. Entstrickung bei Verstärkung des deutschen Besteuerungsrechts? Eine neue Form der Entstrickung ist in § 4 Abs. 1 Satz 3 Hs. 2 EStG, § 12 Abs. 1 Satz 3 KStG i.d.F. des ATADUmsG-RefE vorgesehen: Danach wird eine Entnahme bzw. eine Veräußerung fingiert, wenn die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland entfällt und in einem anderen Staat eine Besteuerung aufgrund des Ausschlusses oder der Beschränkung des Besteuerungsrechts dieses Staates erfolgt. Die Entnahme bzw. Veräußerung wird gem. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Hs. 2 EStG-E mit dem Wert angesetzt, den der andere Staat der Besteuerung zugrunde legt, höchstens jedoch mit dem gemeinen Wert. Betroffen ist der Fall der Verlagerung eines Wirtschaftsguts aus einer ausländischen Anrechnungsbetriebsstätte in das Inland. Kommt es im Betriebsstättenstaat zu einer Entstrickungsbesteuerung, entsteht auch in Deutschland ein Entstrickungsgewinn. Auf die deutsche Einkommen- oder Körperschaftsteuer ist allerdings unter den Vo­ raussetzungen der §§ 34c Abs. 1 EStG, 26 Abs. 1 KStG die ausländische Steuer an­ zurechnen. Zudem gilt das betroffene Wirtschaftsgut sodann als zum Entnahmebzw. Veräußerungswert als in das inländische Betriebsvermögen eingelegt (§ 4 Abs. 1 Satz 9 EStG-E) bzw. angeschafft (§ 12 Abs. 1a KStG-E). Eine derartige Entstrickungsbesteuerung in Deutschland ist mit der Niederlassungsfreiheit nicht zu vereinbaren, da das deutsche Besteuerungsrecht nicht ausgeschlossen oder beschränkt, sondern – im Gegenteil – sogar verstärkt wird.52 Sie lässt sich auch nicht mit der Wertverknüpfung in Art. 5 Abs. 5 ATAD rechtfertigen, da bei der Umsetzung der Richtlinie die europarechtlichen Grundfreiheiten zu beachten sind.53

50 Förster, DB 2007, 72, 73; Reiter, IStR 2012, 357; Bron, IStR 2012, 904; Hackemann, EY, § 12 KStG Rz. 72; Kudert/Kahlenberg, FR 2019, 250, 251; kritisch auch Kessler/Spychalski, IStR 2019, 193, 198–202 m.w.N. 51 Vgl. zu Art.  5 ATAD Fehling in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2020, Rz. 17.52. 52 EuGH v. 23.1.2014 − C-164/12, DMC, DStR 2014, 193 Rz. 56, 57; v. 14.9.2017 − C-646/15, Panayi, EU:C:2017:682, Rz. 53; FG Hamburg v. 15.4.2015 – 2 K 66/14, rkr., IStR 2015, 521 (NZB unbegründet, BFH v. 30.9.2015 − I B 66/15, GmbHR 2015, 1286); Gosch, IWB 2014, 186 f.; Linn, IStR 2014, 139; Patzner/Nagler, GmbHR 2014, 217; Förster, FS Gosch, 2016, 83, 92; ders., FS Lüdicke, 2019, 129, 133; Hagemann in Hagemann/Kahlenberg, Art. 5 ATAD Rz. 38. 53 Dettmeier/Dörr/Neukam/Prodan, NWB 2016, 3082, 3091; Musil in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, 2019, Art. 5 ATAD Rz. 5.

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4. Betriebs- oder Teilbetriebsverlagerung (§ 16 Abs. 3a EStG) Der Ausschluss oder eine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung sämtlicher Wirtschaftsgüter eines Betriebs oder Teilbetriebs steht gem. § 16 Abs. 3a EStG einer Betriebsaufgabe gleich. Daraus kann ein Aufgabegewinn, aber auch ein Aufgabeverlust entstehen. Eine Betriebsoder Teilbetriebsverlagerung kann sich insbesondere durch einen Umzug des Betriebsinhabers oder eine Verbringung der Wirtschaftsgüter des Betriebs oder Teilbetriebs ergeben. Bei der Verlagerung in einen EU- oder EWR-Staat54 kann die Steuer auf den Aufgabegewinn gem. § 36 Abs. 5 EStG auf Antrag unverzinslich in fünf gleichen Jahresraten entrichtet werden, sofern Amtshilfe im Sinne der Amtshilferichtlinie und Unterstützung bei der Beitreibung im Sinne der Beitreibungsrichtlinie55 geleistet wird. Die Regelung entspricht daher den europarechtlichen Vorgaben.56 Eine Sicherheitsleistung für die Zahlungsstreckung sieht das Gesetz bislang nicht vor. Dies erscheint auch sachgerecht, da die Unterstützung bei der Beitreibung durch den Zuzugsstaat eine wegzugsbedingte Gefährdung der Einziehung des Steueranspruchs ausschließt. Eine regelmäßig erforderliche Sicherheitsleistung würde zudem gegen die europarechtlichen Vorgaben verstoßen, welche die Gestellung von Sicherheiten nur bei Vorliegen eines konkreten Beitreibungsrisikos zulassen. 5. Entstrickung bei einem betrieblich beteiligten Gesellschafter durch den Wegzug der Beteiligungsgesellschaft Auf der Gesellschafterebene löst der Wegzug einer Kapitalgesellschaft wegen der fortbestehenden Identität der Gesellschaft grundsätzlich keine Steuerfolgen aus. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Wegzug in einen EU-, EWR- oder Drittstaat erfolgt. Etwas anderes gilt jedoch, wenn das deutsche Besteuerungsrecht an den Anteilen ausgeschlossen oder beschränkt wird. Werden die Anteile in einem Betriebsver­ mögen gehalten, so unterbleibt eine sofortige Besteuerung im Falle der Sitzverlegung einer SE oder SCE in einen anderen EU-Mitgliedstaat; zugleich verlängert sich das deutsche Besteuerungsrecht an den Anteilen (§ 4 Abs. 1 Satz 5 EStG, § 12 Abs. 1 Hs. 2 KStG, § 15 Abs. 1a EStG, Art. 14 FRL).

54 Entscheidend ist die Zuordnung der Wirtschaftsgüter des Betriebs bzw. Teilbetriebs. 55 Richtlinie 2010/24/EU des Rates vom 16.3.2010 über die Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern, Abgaben und sonstige Maßnahmen; ABl.EU 2010 Nr. L 84, 1. Umgesetzt in Deutschland durch das EUBeitrG v. 7.12.2011, BGBl I 2011, 2592; vgl. a. BMF v. 23.1.2014 − IV B 6 – S 1320/07/10011 :011, BStBl I 2014, 188. 56 EuGH v. 23.1.2014 − C-164/12, DMC, DStR 2014, 193 Rz.  64; EuGH v. 21.5.2015 − C-657/13, Verder Lab Tec, IStR 2015, 440 Rz. 52. 

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In allen anderen Fällen findet eine Sofortbesteuerung statt. Diese Fälle könnten künftig zunehmen, da mit der Umsetzung der Mobilitätsrichtlinie vom 27.11.201957 ein gesellschatfsrechtlicher Rahmen für die grenzüberschreitende Umwandlung von Kapitalgesellschaften geschaffen wird. Die Sofortbesteuerung beschränkt in EU-/EWR-­ Fällen die Niederlassungsfreiheit der Kapitalgesellschaft, indem sie die Anteilseigner davon abhalten kann, ihre Zustimmung zu erteilen.58 Diese Beschränkung ist jedoch europarechtlich nur bei Gewährung eines fünfjährigen ratierlichen Steueraufschubs gerechtfertigt.

IV. Entstrickung im Verhältnis zu Drittstaaten Entstrickungen im Verhältnis zu Drittstaaten haben stets eine Sofortbesteuerung des Entstrickungsgewinns zur Folge (§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, § 12 Abs. 1 KStG). Ein Verstoß gegen etwaig anwendbare DBA liegt hierin nicht.

V. Ergebnis Die deutschen Entstrickungsnormen zum Betriebsvermögen entsprechen weitgehend den europarechtlichen Vorgaben. Dennoch bewirkt das hiermit verbundene Wahlrecht des Stpfl. zum ratierlichen Steueraufschub über fünf Jahre nur eine geringfügige Entlastung gegenüber einer Sofortbesteuerung. Die Entstrickung wird daher auch im EU/EWR-Bereich weiterhin ihre strukturkonservierende Bedeutung behalten. Erst recht gilt dies für Entstrickungen im Verhältnis zu Drittstaaten, die regelmäßig zu einer Sofortbesteuerung führen.

57 Richtlinie (EU) 2019/2121 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.11.2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen, ABl.EU v. 12.12.2019 − L 321/1. Vgl. dazu Bayer/ Schmidt, BB 2018, 2562, 2568–2570; Suchan/Albrecht, WPg 2019, 1181; Schmidt, BB 3/2020, I; Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61. Die Richtlinie ist bis zum 31.1.2023 in nationales Recht umzusetzen. 58 Eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit der Gesellschafter liegt hier nicht vor, da vorrangig die Mobilität der Gesellschaft in Frage steht.

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„Nah und verbunden“ Zum Nahestehen und Verbundensein im Steuerrecht Inhaltsübersicht I. Ein paar einleitende Worte II. Die „nationale“ Befunderhebung und ein „Befundstatus“ 1. Befunderhebung a) § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG b) § 1 Abs. 2 AStG c) § 10 Abs. 5 Nr. 1 iVm. Abs. 4 UStG d) Beispielhafte Auflistung weiterer ­Regelungen 2. „Befundstatus“ III. Einzelne exemplarische Problemfragen und Verständnisannäherungen 1. „Verbundene Unternehmen“ in Art. 9 Abs. 1 OECD-MA und „besondere ­Verhältnisse“ in Art. 11 Abs. 6 und Art. 12 Abs. 4 OECD-MA 2. Abzugsausschlüsse nach § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG 3. Verlustabzugsausschluß bei Übertragung der „Anteilseignerrechte“ an einen ­Erwerber oder einer diesem nahestehende Personen, § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG

4. Nahestehen bei der Abgeltung nach § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a, b und c EStG 5. Abzugsausschlüsse nach § 8a Abs. 2 und 3 KStG: Beteiligungsschwellen bei der sog. Zinsschranke 6. Das Näheverhältnis bei der Lizenzschranke, § 4j EStG 7. „Nähe“ bei Umsetzung der Vorgaben der ATAD I? IV. Weitere Anwendungsbereiche 1. „Eng verbundenes Unternehmen“ in Art. 15 MLI 2. LoB-Klausel in Art. 7 MLI 3. In Planung: § 4k EStG idF des ATADUmsG-E V. Abgrenzend (oder nur „umkehrend“?): Der „Außenstehende“ im Umwandlungssteuerrecht VI. Resümee und Schlußwort

I. Ein paar einleitende Worte Heinz-Klaus Kroppen – kürzelnd, und das seit jeher und nicht erst zeitgeistig aktuell, als „HKK“ geläufig und bekannt – ist ein noch junger Mann. Gerade einmal 60 zarte Lenze erreichen ihn im Juni dieses Jahres (oder haben ihn denn bei Erscheinen dieses Buchs und Beitrags erreicht). Trotzdem riefen seine nahen Wegbegleiter Roman Seer, Jürgen Lüdicke und Stephan Rasch andere, ihm ebenfalls nah verbundene Wegbegleiter auf, sich für ihn doch mit einem Beitrag in einer ihn ehrenden Festschrift bemerkbar zu machen. Ich verhehle es nicht: Mich überkam der Gedanke, ist das nicht vielleicht doch ein wenig zu früh, sozusagen „vor der Zeit“, um, wie es in der Einladung hieß, „das Wirken des Jubilars in Wissenschaft und Praxis eine Würdigung erfahren“ zu lassen? Das habe ich in meiner Zusage denn auch, wie ich das zuweilen tue, freimütig gesagt – und gleichzeitig gemutmaßt, das könne „vielleicht (mit) der vielfachen Ankündigung des künftigen Jubilars (zusammenhängen), jedwede steuerrechtliche Aktivität mit seiner Demission als aktiver Partner zu beenden“. Aber: Ich habe eben 529

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doch zugesagt. Weil „HKK“ es verdient, geehrt zu werden. Schaut man herum, dann bemerkt ein jeder schnell: Im Kreise der „Tax Practitioners“ ist er ein Besonderer. Umtriebig, blitzgescheit, produktiv, weltgewandt, konsequent-individualistisch („der Mann mit den Hosenträgern“), ehrgeizig, erfolgreich – und eben auch wissenschaftlich ein „Kenner und Könner“. Letzteres bezeugen manche tiefsinnige Beiträge aus seiner Feder vor allem zu „seinen“ Themen, den Verrechnungspreisen und den Betriebsstätten, sei es in Zeitschriften, sei es in dem ursprünglich im Jahre 1997 von ihm zusammen mit Helmut Becker, jetzt mit Stephan Rasch im Verlag Dr. Otto Schmidt herausgegebenen Handbuch Internationale Verrechnungspreise, sei es in dem von ihm im Jahre 1995 zusammen mit Helmut Becker, Horst-Dieter Höppner und Siegfried Grotherr mitbegründeten „gelben“ DBA-Kommentar des NWB-Verlags. Apropos: „Gelber“ DBA-Kommentar. Es war und ist mir Ehre wie Freude, diesen Kommentar seit jetzt schon mehr als einem Jahrzehnt zusammen mit ihm, Siegfried Grotherr und zwischenzeitlich auch mit Gerhard Kraft sowie Wendelin Staats herausgeben zu dürfen. Ebenso wie zusammen mit ihm, Roman Seer und neuerlich mit Mathias Hildebrandt und auch hier mit Wendelin Staats das „Offizielle Organ des Young IFA Network“: die Internationalen Wirtschafts-Briefe. Und nicht minder erwähnt sei unser langjähriges Zusammenwirken im Vorstand der Deutschen Sektion der International Fiscal Association. Das alles verbindet. Mehr noch aber tut das manch persönlicher Kontakt, der uns vertrauensvoll nahe gebracht hat. Also alles sehr, sehr gute, beste, ja geradezu zwingende Gründe mitzumachen. Traurig ist allein, daß Jürgen Lüdicke nicht mehr unter uns ist. Bei seiner Absicht, als Herausgeber dabei zu sein, im Herbst 2018, war seine Krankheit zwar schon ausgebrochen, aber er zagte nicht, er war noch voller Zuversicht, voller Kampfeswillen, dem bösen Schicksal ein Schnippchen zu schlagen. Ich sehe ihn vor mir, welche Freude es ihm gemacht hätte, als Mitherausgeber die Laudatio auf „HKK“ zu formulieren und zu halten. Es hat nicht sollen sein. Nun aber (und auch das ganz im Sinne von Jürgen) „zur Sache“: Eigentlich hatte ich den einen oder anderen Themenbereich vor Augen, den ich anpacken wollte, einigermaßen Tiefsinniges aus dem Bereich des Kroppen’schen Steckenpferds zu Papier bringen, den Verrechnungspreisen. Aber dann eilte auf einem Mal wieder die Zeit und das besagte Steckenpferd einerseits und die schon erwähnte Nähe und Verbundenheit andererseits verschmolzen zu einer im wortwörtlichen Sinn ganz naheliegenden Einheit: „Nah und verbunden im Steuerrecht“. Dem sei ein kleiner Streifzug, eher ein Spaziergang „querbeet“, gewidmet.

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II. Die „nationale“ Befunderhebung und ein „Befundstatus“ 1. Befunderhebung Begonnen sei mit einer schlichten (und nicht nach Vollständigkeit trachtenden)1 Befunderhebung: In welchen steuerrechtlichen2 Vorschriften findet sich etwas zu nahestehenden oder verbundenen Personen? Worin liegt Gemeinsames, worin Trennendes? a) § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG Da sind zunächst die klassischen Einkommenskorrekturvorschriften, die mit Hilfe der Rechtsinstitute des Nahestehenden oder Verbundenen danach trachten, die Vergleichsgrößen für den Fremdvergleich zu justieren. Der Nahestehende und der Verbundene, sie beide repräsentieren zu diesem Zweck das „Gegenstück“ zu dem „fremden Dritten“.3 Zu denken ist naturgemäß in erster Linie an die verdeckte Gewinnausschüttung. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG als einschlägige Korrekturnorm enthält zu den entsprechenden Begrifflichkeiten zwar nichts. Die Abgrenzung zwischen betrieblicher und gesellschaftsrechtlicher Veranlassung ist stattdessen ein Ergebnis jahrzehntelanger Rechtsprechung, mit eigener „Dogmatik“ und mit eigenen Abgrenzungen. Und hiernach gilt: „Maßgebend ist, ob unter Berücksichtigung der Gesamtheit der objektiven Gegebenheiten ein den Gleichklang wirtschaftlicher Interessen indizierendes, den Einzelfall bestimmendes Näheverhältnis angenommen werden kann.“4 Ein Nahestehen kann so gesehen begrifflich durch familiäre (verwandtschaftliche; vgl. § 15 AO, auch § 138 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO), aber auch sonstige persönliche Verhältnisse gesellschaftlicher, schuldrechtlicher oder auch rein tatsächlicher Art begründet werden.5 Letztlich genügt jedwede Beziehung eines Gesellschafters der Kapitalgesellschaft zu einer anderen Person, welche den Schluß zuläßt, diese Beziehung habe die Vorteils1 Wer das nachsucht, wird vor allem in der umfassend angelegten Monographie von Stollenwerk, Geschäfte zwischen nahestehenden Personen, 2014, fündig. 2 Unbetrachtet verbleiben sollen hier die Related Party Transactions, wie sie zuvörderst in gesellschaftsrechtlicher Hinsicht von Interesse sind, als Austauschbeziehungen einer Kapi­ talgesellschaft mit oder zugunsten von Personen, die in einem Näheverhältnis zur Gesellschaft stehen und kraft des Näheverhältnisses auf die Willensbildung die Entscheidungsprozesse die Gesellschaft beeinflussen können; vgl. dazu umfassend Ungerer, Prozedurale Regulierung und Transparent von Related Party Transactions in börsennotierten Aktiengesellschaften, 2019, passim, sowie zum Bilanzrecht, dazu Stollenwerk, (Fußn. 1), S. 33 ff. Im Detail unbetrachtet soll desgleichen die „nahestehende Person“ in § 138 InsO bleiben, die vorzugsweise in den Tatbeständen der Insolvenzanfechtung ihrer Hauptanwendungsfälle findet; dazu umfassend wiederum Stollenwerk, (Fußn. 1), S. 9 ff. 3 Siehe Schönberger/Billau, DK 2011, 51 (514 f.) mwN. 4 So die ständige Rechtsprechung zusammenfassend BFH v. 9.5.2017 - IX R 1/16, BStBl II 2018, 94, nachgehend FG Hamburg v. 14.11.2017 - 2 K 184/17, n.v. 5  Umfassend BFH - I R 139/94, BStBl. II 1997, 301.

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zuwendung der Gesellschaft an die andere Person beeinflußt.6 In diesem Sinne können dann auch Partner einer Lebenspartnerschaft7 (siehe wiederum §  138 Abs.  1 InsO, dort Nr. 1a) als einander nahestehend behandelt werden, ggf. auch Personen, die in häuslicher Gemeinschaft mit dem Gesellschafter leben (vgl. § 138 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Es gilt aber stets der Vorbehalt des Einzelfalls. b) § 1 Abs. 2 AStG Positiv-rechtlich weitaus deutlicher, aber auch engmaschiger, agiert das Gesetz in der parallelen Korrekturvorschrift des § 1 Abs. 2 AStG, zumeist in Korrelation zu Art. 9 Abs.  1 (und ggf. Abs.  2) OECD-MA. De lege lata sind hiernach drei verschiedene Gruppen als nahe stehend bestimmt. Eine Person gilt gegenwärtig als dem Steuerpflichtigen nahestehend, sofern sie zu mindestens 25 % an ihm beteiligt ist oder umgekehrt (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG). Zudem ist eine Person dem Steuerpflichtigen nahestehend, sofern ein Dritter sowohl an ihr als auch am Steuerpflichtigen wesentlich beteiligt ist oder auf beide einen beherrschenden Einfluß ausüben kann (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 AStG). Das alles soll in Anlehnung an die Anti Tax Avoidance Directive (ATAD) künftig modifiziert werden und darauf ist sogleich noch einzugehen. Abzugrenzen ist das Nahestehen im Kontext von § 1 Abs. 2 AStG jedenfalls zum Vorliegen einer korrekturauslösenden Geschäftsbeziehung. Denn § 1 Abs. 4 AStG versteht den Begriff der „Geschäftsbeziehung als einzelne oder mehrere zusammenhängende wirtschaftliche Vorgänge (Geschäftsvorfälle) zwischen einem Steuerpflichtigen und einer ihm nahestehenden Person, a) die Teil einer Tätigkeit sind, auf die die §§ 13, 15, 18 oder 21 des Einkommensteuergesetzes anzuwenden sind oder im Fall einer ausländischen nahestehenden Person anzuwenden wären, wenn sich der Geschäftsvorfall im Inland ereignet hätte, und b) denen keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung zugrunde liegt.“ Falls „einem Geschäftsvorfall“ keine schuldrechtlichen Vereinbarungen zugrunde liegen, wird nach § 1 Abs. 4 Satz 2 AStG nF widerlegbar das Vorliegen einer schuldrechtlichen Vereinbarung vermutet. Offenbar soll es unbeschadet der „Definierung“ der Geschäftsbeziehung als Summe von Geschäftsvorfällen in Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a auf eine (formale oder fiktive) schuldrechtliche Grundlegung ankommen.8 Die einschränkende Bestimmung, daß nur dann „Geschäftsvorfälle“ vorliegen, wenn ihnen keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung zugrunde liegt, befindet sich in § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AStG. Legt man das zugrunde, wird klar: Das Nahestehen ist eine Voraussetzung für die Korrektur, jedoch ist dessen „Begründung“ als solche kein Geschäftsvorfall und damit keine Geschäftsbeziehung. Das Nahestehen ist so gesehen eine zweite Position, die neben der Geschäftsbeziehung steht. Nicht zuletzt deshalb wird in den definitori6  Für den besonderen Fall des unentgeltlichen Austritts einer GmbH aus einer Zebragesellschaft Haase/Dorn, BB 2012, 229, 230 f. 7  BFH v. 29.11.2000 - I R 90/99, BStBl. II 2001, 204; einschränkend BMF v. 5.8.2002, BStBl. I 2002, 767; v. 25.7.2002, BStBl. I 2002, 706. 8 S. zur Tendenz auch der OECD, „hinter“ die schuldrechtliche Vereinbarung zu schauen, Nr. 3 lit. b des OECD-MK zu Art. 9 Abs. 1 OECD-MA.

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schen Vorgaben des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AStG denn auch davon abgesehen, § 20 EStG „virtuell“ zu prüfen; diese Vorschrift wird neben den anderen Einkunftsarten nicht mit in Bezug genommen. Zweierlei bleibt anzuschließen: Mit § 1a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AStG idF. des derzeit vorliegende Referentenentwurf des ATADUmsG vom 10.12.2019,9 modifiziert am 24.3.2020, plant der Gesetzgeber eine neuartige unilaterale „Fixierung“ des zu entrichtenden Zinssatzes für grenzüberschreitende Finanzierungsbeziehungen mit einer nahestehenden Person innerhalb einer multinationalen Unternehmensgruppe. Ein solches Nahestehen soll offenbar § 1 Abs. 2 AStG entsprechen, allerdings nicht durch direkten Verweis, sondern mittelbar „über“ § 90 Abs. 3 Satz 4 AO.10 Und in § 1 Abs. 3c Satz 4 AStG-E idF des ATADUmsG ist vorgesehen, daß alle Personen, die dem Eigentümer an einem immateriellen Wert nahestehen und die im Kontext des sog. DEMPE-­ Konzepts der OECD (also Development, Enhancement, Maintenance, Protection und Exploitation) bestimmte Funktionen ausüben, Risiken übernehmen oder Vermögenswerte einsetzen, vom Eigentümer des immateriellen Werts fremdüblich zu vergüten sind, im Zweifel bis hin zur „Ertraglosigkeit“ des Eigentümers. Es überrascht, daß eine Spezifizierung des Nahestehens an dieser Stelle fehlt und der Entwurf das Nahestehen jedenfalls auf § 1 Abs. 2 AStG nicht projiziert. c) § 10 Abs. 5 Nr. 1 iVm. Abs. 4 UStG Für einen „Ertragsteuerrechtler“ vielleicht etwas randseitig, dennoch nicht unerwähnt bleiben sollte an dieser Stelle § 10 Abs. 5 Nr. 1 (iVm. Abs. 4) UStG. Darin wird eine Mindestbemessungsgrundlage bei Lieferungen und sonstige Leistungen festgelegt, welche ua. von Körperschaften an ihre Anteilseigner, Gesellschafter uä. oder diesen nahestehenden Personen erbracht werden. Grund ist die Mutmaßung, daß zueinander Nahestehende zwar womöglich ein schuldrechtliches Band knüpfen, auch einen Preis für das Erbrachte festlegen, jedoch denselben infolge des Nahestehens zu niedrig bemessen. Im Ergebnis wird das korrigiert, nämlich auf jenen Wert, der im Falle gänzlicher Unentgeltlichkeit anzusetzen wäre – wobei jener Wert abweichend vom Ertragsteuerrecht nicht der Fremdvergleichspreis ist, vielmehr sondergesetzlich der nach § 10 Abs. 4 UStG hergeleitete Betrag nach Maßgabe der tatsächlichen Kosten. In letzterem weicht das Umsatzsteuerrecht vom Ertragsteuerrecht ab. Gleichlaufend hier wie dort ist die Mutmaßung eines nähebedingten Preises jedoch indiziell und widerlegbar. Auch das Verständnis dessen, wie das Nahestehen aufzufassen ist, sollte übereinstimmen und sich deswegen an dem Verständnis bei der verdeckten Gewinnausschüttung orientieren.11

9 Abrufbar unter www.bundesfinanzministerium.de. 10 Referentenentwurf v. 10.12.2020, Seite 69. 11 Stollenwerk (Fußn. 1), S.  160  ff. mit gründlicher Auswertung von Rechtsprechung und Schrifttum und der Verwaltungspraxis in R 10.7 Abs. 1 Satz 2 UStR folgend. Das ist aber hochumstritten, s. zB Schuhmann in Rau/Dürrwächter, § 10 UStG Rn. 605 ff.; Stadie, UStG, § 1 Rn. 122 ff.

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d) Beispielhafte Auflistung weiterer Regelungen Nicht nur auf den genannten „Hauptanwendungsfeldern“ der verdeckten Gewinnausschüttung und der Einkünftekorrekturen nach § 1 AStG spielen die Nahestehenden und Verbundenen eine Rolle. Auch andernorts finden beide häufige gesetzliche Erwähnung. Es sei ein, wie schon gesagt, nicht Vollständigkeit erstrebend, Versuch unternommen, das nachfolgend einmal tabellarisch aufzuspüren: Norm

Inhalt

Zweck

§ 8 Abs. 1 Nrn. 3, 4, 5, 6, 7 AStG

Bestimmung der aktiven Tätigkeit von Zwischengesellschaften (Handel, Dienstleitung, Vermietung und Verpachtung, Darlehensvergabe), Einbeziehung von nahestehende Personen iSv. § 1 Abs. 2 AStG

Mißbrauchsvermeidung

§ 8 Abs. 3 Satz 5 KStG

Herstellung der materiellen Korres- Herstellung von Belastungspondenz bei verdeckten Einlagen korrespondenz

§ 8a Abs. 2 und 3 KStG

Sog. Zinsschranke: Anwendungs­ regeln zu den Anwendungsausschlüssen des § 4h Abs. 2 Satz 1 Buchst. b und c EStG für bestimmte qualifizierte Anteilseigner und konzernzugehörige Gesellschafter und ihnen jeweils nahestehenden Personen iSd. § 1 Abs. 2 AStG

Abzugsbeschränkung

§ 8b Abs. 1 Satz 4 KStG

Rückausnahme von der Steuerpflicht bei fehlender Vorbelastung nach § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG

Herstellung von Belastungskorrespondenz

§ 8b Abs. 3 Satz 4 ff. (insbesondere Satz 5)

Abzugsausschluß von Gewinn­ minderungen im Zusammenhang mit Darlehensausleihungen

Mißbrauchsvermeidung

§ 8b Abs. 8 KStG iVm. § 15 AktG

Ausdehnung von Abzugsauschlüssen

Herstellung von Belastungskorrespondenz

§ 8c Abs. 1 Satz 1 KStG

Übertragung von Anteilen an einen Abzugsbeschränkung Erwerber oder diesem nahe stehenMißbrauchsvermeidung den Person

§ 32a Abs. 1 Satz 1 KStG

Herstellung der „formellen Korrespondenz“ bei verdeckter Gewinnausschüttung

Herstellung von Belastungskorrespondenz

§ 3 Nr. 40 Buchst. d Satz 3 EStG

Teileinkünfteverfahren: Rückausnahme von der Steuerpflicht bei fehlender Vorbelastung nach § 3 Nr. 40 Buchst. d Satz 2 EStG

Herstellung von Belastungskorrespondenz

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Mißbrauchsvermeidung

Zum Nahestehen und Verbundensein im Steuerrecht Norm

Inhalt

Zweck

§ 3 Nr. 70 Satz 4 EStG

Steuerpflicht bei Weiterveräußerung an eine nahestehende Person iSv. § 1 Abs. 2 AStG von Wirtschaftsgütern im Zusammenhang mit dem REIT-Gesetz

Mißbrauchsvermeidung

§ 4j Abs. 1 Satz 1 und 2 EStG

Sog. Lizenzschranke: Schuldner unterliegt Präferenzregelung und Gläubiger ist eine ihm nahstehende Person iSv. § 1 Abs. 2 AStG (Satz 1), ggf. auch im Falle einer Lizenz­ weiterleitung (Satz 2)

Mißbrauchsvermeidung

§ 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG

Keine KapESt-Abgeltung bei ­Nahestehen von Gläubiger und Schuldner

Mißbrauchsvermeidung, Korrespondenz

§ 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG

Keine KapESt-Abgeltung bei Kapi­ talgesellschaft oder Genossenschaft als Schuldner und Anteilseigner von min. 10% oder ihm nahestehender Person als Gläubiger

Mißbrauchsvermeidung, Korrespondenz

§ 32d Abs. 2 Nr. 4 EStG

Rückausnahme von dem Vorbelastungserfordernis

Herstellung von Belastungskorrespondenz

§ 36a Abs. 3 EStG

Einbeziehung nahestehender ­Personen bei Prüfung des Min­ destwertänderungsrisikos iZm. Cum/Cum-Geschäften

Mißbrauchsvermeidung

§ 50d Abs. 3 Satz 2 EStG

Entlastungsausschluß nach § 50d Abs. 1 Satz 1 EStG und Substanztest auf Stand-Alone-Basis = „­Außer Betracht-Bleiben“ von ­gesellschaftsnahestehenden Unternehmen iSv. § 1 Abs. 2 AStG

Mißbrauchsvermeidung

§ 50g Abs. 1 Satz 3 iVm. Abs. 3 Nr. 5 Buchst. b EStG

Zins/Lizenz-Richtlinie: Anwendung auf Gebühren an ein mit dem Schuldner verbundenes Unternehmen als Gläubiger

Mißbrauchsvermeidung

Ausschluß von Steuervergünstigungen bei sog. Hybrids oder „­Besteuerungsinkongruenzen“, auch im Zusammenhang mit ­nahestehenden Personen iSv. § 1 Abs. 2 AStG

Einmalbesteuerung, ­Mißbrauchsvermeidung

§ 50j Abs. 3 EStG

Geplant § 4k Abs. 6 EStG-E idF. eines ATADUmsG

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Dietmar Gosch Norm

Inhalt

§ 162 Abs. 3 Satz 3 AO

Behördliche Schätzung der inländischen ­Besteuerungsgrundlagen: Ausnutzen von Preisspannen unter Beachtung des Fremdvergleichspreises bei nichtaufklärbaren Zweifeln, weil eine ausländische, nahe stehende Person ihre Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO oder ihre Auskunftspflichten nach § 93 Abs. 1 AO nicht erfüllt

§ 178a Abs. 1 Satz 1 AO

Gebühren für die Durchführung eines Verständigungsverfahrens nach einem Vertrag iSv. § 2 AO zur einvernehmlichen Besteuerung von noch nicht verwirklichten Geschäften eines Steuerpflichtigen mit nahestehenden Personen iSv. § 1 Abs. 2 AStG

§ 90 Abs. 3 Satz 4 AO iVm. § 1 Abs. 2 AStG

Definition einer multinationalen Unter­ nehmensgruppe als Merkmal der Dokumentationspflichten für Geschäftsbezie­ hungen iSd. § 1 Abs. 4 AStG

§ 138 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AO, § 138b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AO, § 147a Abs. 2 Satz 1 AO, § 171 Abs. 7 AO, § 370 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 AO, jeweils iVm. § 1 Abs. 2 AO

Anzeigen über eine beherrschende Einflußnahme auf eine Drittstaaten-Gesellschaft und entsprechende Mitteilungs- und Auf­ bewahrungspflichten sowie deren Auswirkungen auf die Festsetzungsverjährung und Strafbewehrung

§ 138e Abs. 1 Nr. 3 Buchst. d und e, Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und Nr. 4 Buchst. b und c, Abs. 3 Satz 1, 2 und 3; § 138f Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AO

Anzeigepflicht bei grenzüberschreitenden Steuergestaltungen: Grenzüberschreitende Zahlungen zwischen zwei oder mehr verbundenen Unternehmen

§ 33 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Satz 2 KStG

Ermächtigungseinräumung für besondere Mitwirkungspflichten als Voraussetzung für die Steuerbefreiung nach § 8b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 KStG und abkommensrechtliche Schachtelprivilegien, auch bezogen auf Geschäftsbeziehungen mit nahestehende Personen iSd. § 1 Abs. 2 AStG

Geplant § 17 Abs. 1 Nr. 2 iVm. § 7 Abs. 3 und 4 ­AStG-E idF. eines ATAD-UmsG

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Auskunftserteilungspflichten iZm. ­Zwischengesellschaften bei der Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7 ff. AStG

Zum Nahestehen und Verbundensein im Steuerrecht

2. „Befundstatus“ Schaut man sich die vorstehende „Befunderhebung“ an, ist es zunächst auffällig, daß der Gesetzgeber mal die definitorische Nähe zu § 1 Abs. 2 AStG ausdrücklich nachsucht, mal aber davon absieht und sich mit der schlichten Benennung des Nahestehens begnügt. Absicht oder Zufall? Letzteres sollte bei einem verantwortungsgerecht agierenden Gesetzgeber eigentlich ausgeschlossen sein und daraus sollten sich denn auch entsprechende Verständnisunterschiede ergeben. Doch man wird sehen. In der Sache ergibt sich für das Nahestehen und Verbundensein ein gleichermaßen heterogenes Bild. Grobgefaßt lassen sich ad hoc „zweieinhalb“ Einsatzfelder konstatieren: Zum einen und zum ersten geht es um die Justierung des „objektiven“ Fremdvergleichs. Zum anderen und zum zweiten um den Zweck der Mißbrauchsvermeidung. Und zum dritten „dazwischenliegend“ die Sicherung der „Einmalbesteuerung“ dadurch, daß die steuerliche Vorbelastung den Steuerabzug oder die Erlangung eines Steuervorteils nur einmal ermöglicht und sich ein Steuervorteil nicht mehrfach „herbeigestalten“ läßt. Auch das ist ein tragfähiges Besteuerungsziel, das durch die BEPS-Initiative in den letzten Jahren deutlich an Beachtung gefunden hat. Daneben finden sich sodann noch flankierende Regelungen, vorzugsweise solche verfahrensrechtlicher Natur und solche in anderen regulativen Zusammenhängen, die hier zu vernachlässigen sind. Im einzelnen: Es wird durchgängig vermutet, daß bei besteuerungserheblichen Vorgängen nahestehende Personen oder verbundene Unternehmen eben nicht als Fremde gegenüberstehen und deshalb geneigt sein mögen, ihr Geschäftsgebaren aufeinander abzustimmen.12 Es besteht der typisierte Verdacht, daß ein Mißbrauch im Raum steht. Dieser Verdacht bestimmt eine Vielzahl einschlägiger Vorschriften. Für die Preisbestimmung im Zuge des Fremdvergleichs gilt das, jedenfalls ohne weiteres, nicht. Der Fremdvergleichsgrundsatz drängt danach, objektive Umstände oder Standards auszuloten und anhand solcher Gegebenheiten seine übliche Ausgestaltung von Geschäftsbeziehungen anzusteuern und daran Wettbewerbsbedingungen auszurichten. Die Preisbestimmung, ggf. auch die Bestimmung der sonstigen Vertragskonditionen, sind daraus dann als Resultate zu ziehen und der Besteuerung zugrunde zu legen. Es geht darum, den wirtschaftlichen Gehalt „objektiv“ zu spiegeln, nicht da­ rum, Manipulationen aufzuspüren. Wenn überhaupt, dann läge darin ein Nebeneffekt. Die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes ist als solcher jedoch kein Unterfall der Mißbrauchsbekämpfung, und die Einbeziehung des Nahestehenden ist nur ein Merkmal, um den Fremden gegenüber dem Steuerpflichtigen abzugrenzen und sonach, um die Vergleichskoordinaten zu bestimmen.

12 Vgl. auch zum Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Ungerer (Fußn. 2): „Bei Related Party Transactions steht grundsätzlich zu befürchten, dass sie an dem Geschäft interessierte einflussmächtige Person ihre Position zum eigenen Vorteil ausnutzt und auf Vereinbarungen hinwirkt, die unter unabhängigen Dritten nicht oder jedenfalls nicht zu den gleichen Bedingungen zustande gekommen wären, und dadurch der Gesellschaft verdeckt Vermögen entzieht (sog. tunneling)“.

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Dietmar Gosch

III. Einzelne exemplarische Problemfragen und Verständnis­ annäherungen 1. „Verbundene Unternehmen“ in Art. 9 Abs. 1 OECD-MA und „besondere Verhältnisse“ in Art. 11 Abs. 6 und Art. 12 Abs. 4 OECD-MA Sichtbar verdeutlicht wird letzteres durch Art. 9 Abs. 1 und 2 OECD-MA und hierbei für die Einbeziehung verbundener Unternehmen, also von einem Unternehmen, das unmittelbar oder mittelbar an der Geschäftsleitung, der Kontrolle oder Kapital des anderen Unternehmens beteiligt ist (= vertikale Strukturen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften), oder wenn dieselben Personen unmittelbar oder mittelbar an der Geschäftsleitung, der Kontrolle oder dem Kapital des anderen Unternehmens beteiligt sind (= horizontale Strukturen zwischen Schwestergesellschaften). Hintergrund der Einbeziehung „verbundener Unternehmen“ ist im Kern nur die Abgrenzung des Fremd- vom Eigenvergleich. Denn verbundene Unternehmen stehen, so mutmaßt es das Gesetz, dem handelnden Akteur eben nahe, sie sind nicht im regelhaften Sinne des Fremdvergleichs fremd. Anders gewendet: Das Nahestehende umschreibt die Abgrenzung zu den voneinander unabhängigen, fremden Unternehmen. Im einzelnen richtet sich das Verbundensein mangels abkommensrechtlicher Vorgaben hierbei nach innerstaatlichem Recht, das allerdings zumeist hinter den tatbestandlich sehr weitgehenden Vorgaben in Art. 9 OECD-MA zurückbleibt, beispielsweise bei der Bestimmung von Mindest- oder Höchstgrenzen, wie sie zB § 1 Abs. 2 AStG kennt. Dennoch können und werden die Abkommensvorgaben des Verbundenseins nationale Korrekturvorschriften umgekehrt auch einschränken und insoweit „sperrwirken“.13 Jedenfalls ist festzuhalten: Art. 9 Abs. 1 OECD-MA reduziert das relevante Verbundensein, um den Fremdabgleich bei Unternehmensgewinnen (Art.  7 OECD-MA) auszulösen, auf kaufmännische oder finanzielle Beziehungen; Beziehungen anderer Art sind ausgespart. Das ist im abkommensrechtlichen Kontext keineswegs zwingend. So verlangen zB Art.  11 Abs.  6 OECD-MA für Zinsen und Art.  12 Abs.  4 OECD-MA 2017 für Lizenzen „besondere Verhältnisse zwischen dem Schuldner und dem wirtschaftlich Berechtigten“, um eine korrekturauslösende Preisbeeinflussung anzunehmen. An dieser Stelle eröffnet sich eine Nähe zu dem nationalen Nahestehen: Einzubeziehen sind wie dort Beziehungen mitgliedschaftsrechtlicher, wirtschaftsrechtlicher oder persönlicher Art.14

13 Zu alledem mwN und Argumenten und Fallgruppen Rasch in Gosch/Kroppen/Grotherr/ Kraft, DBA, Art. 9 OECD-MA Rn. 76 ff. 14 FG Köln v. 24.10.2002  - 2 K 26626/96, EFG 2003, 233; Bodda in Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl., Art. 12 DBA Rn. 144; zurückhaltender und Anlehnung an § 1 Abs. 2 AStG suchend Körner, daselbst, Art.  11 DBA Rn.  94; Rasch in Gosch/Kroppen/Grotherr/Kraft, DBA, Art. 9 OECD-MA Rn. 85.

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Zum Nahestehen und Verbundensein im Steuerrecht

2. Abzugsausschlüsse nach § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG Dort die Sätze 4 bis 7: Nach § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG sind bekanntlich Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit dem in Absatz 2 genannten Anteil entstehen, bei der Ermittlung des Einkommens nicht zu berücksichtigen. Und dem schließen sich § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG wie folgt an: „4Zu den Gewinnminderungen im Sinne des Satzes 3 gehören auch Gewinnminderungen im Zusammenhang mit einer Darlehensforderung oder aus der Inanspruchnahme von Sicherheiten, die für ein Darlehen hingegeben wurden, wenn das Darlehen oder die Sicherheit von einem Gesellschafter gewährt wird, der zu mehr als einem Viertel unmittelbar oder mittelbar am Grund- oder Stammkapital der Körperschaft, der das Darlehen gewährt wurde, beteiligt ist oder war. 5Dies gilt auch für diesem Gesellschafter nahestehende Personen im Sinne des § 1 Abs. 2 des Außensteuergesetzes oder für Gewinnminderungen aus dem Rückgriff eines Dritten auf den zu mehr als einem Viertel am Grund- oder Stammkapital beteiligten Gesellschafter oder eine diesem nahestehende Person auf Grund eines der Gesellschaft gewährten Darlehens. 6Die Sätze 4 und 5 sind nicht anzuwenden, wenn nachgewiesen wird, dass auch ein fremder Dritter das Darlehen bei sonst gleichen Umständen gewährt oder noch nicht zurückgefordert hätte; dabei sind nur die eigenen Sicherungsmittel der Gesellschaft zu berücksichtigen. 7Die Sätze 4 bis 6 gelten entsprechend für Forderungen aus Rechtshandlungen, die einer Darlehensgewährung wirtschaftlich vergleichbar sind.“ Wir finden hier in Satz 5 die Ausdehnung einer „steuerschädlichen“ Gewinnminderung auf nahestehende Personen.15 Die Vorschrift dehnt den persönlichen Bereich auf Seiten des Gesellschafter-Darlehensgebers iSv. § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG (= Grundtatbestand) auf (1) diesem nahe stehende Personen iSv. § 1 Abs. 2 AStG sowie auf (2) dritte Personen aus, die auf einen iSv. § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG wesentlich beteiligten Gesellschafter oder auf eine diesem nahe stehende Person aufgrund eines der Kapi­ talgesellschaft gewährten Darlehens rückgreifen können. Die gesellschaftliche Veranlassung wird vom Gesetz im Sinne einer Mißbrauchsvermeidung typisierend unterstellt und der Anwendungsbereich der Neuregelungen beträchtlich ausgeweitet. Nahestehender in diesem Sinne können Personen jedweder Rechtsform sein, nicht nur Körperschaften. Einbezogen sind hiernach auch sog. Sidestream-Darlehen zwischen Schwestergesellschaften gemeinsamer ‚Mütter“ sowie sog. Upstream-Darlehen von der Enkel- an die Tochtergesellschaft. Daß der Darlehens- oder Sicherheitennehmer in diesem Fall mit dem wesentlich Beteiligten oder der diesem nahestehenden Person identisch ist, steht dem nicht entgegen, es ist deshalb auch nicht danach zu unterscheiden, ob an der Muttergesellschaft eine weitere Kapitalgesellschaft beteiligt

15 Bemerkenswert ist, daß der Gesetzgeber in der neugeschaffenen Vorschrift des § 17 Abs. 2a EStG zur „Restitution“ des früheren Regelungszustandes vor dessen „Abschaffung“ durch den BFH (s. zu alledem zB Gosch in Kirchhof, EStG, 19. Aufl., § 17 Rn. 99c mwN.; a.A. Ratschow, GmbHR 2020, 569) von der Einbeziehung nahestehender Personen in die dort gleichgelagerte Fremdvergleichssituation abgesehen hat.

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Dietmar Gosch

ist. Allerdings steht diese Frage in Streit.16 Plastisch wird das an einem schlichten Beispiel: In einer Beteiligungskette von A über B nach C gewährt C ein Darlehen an B, alternativ C ein Darlehen an A. In der 1. Alternative ist C zwar nicht an B beteiligt, doch ist C dem A nahestehend. In der zweiten Alternative liegt es nicht anders. Allerdings wird geltend gemacht, ein solches Ergebnis vertrage sich weder mit dem Regelungstext noch mit dem Regelungssinn.17 Denn zum einen erfordere die Anwendung des § 8b Abs. 3 Satz 5 KStG richtig gelesen die unmittelbare oder mittelbare Beteiligung der nahestehenden Person an dem Darlehensnehmer, und daran fehle es; die Obergesellschaft könne schließlich nicht an sich selbst beteiligt sein. Zum anderen setze die Vorschrift eine Sperre gegen den beliebigen und steuergünstigen Austausch von Fremd- und Eigenkapital. Diesem Zweck entsprechend scheide eine Einbeziehung von Upstream-Darlehen jedoch aus, denn die Untergesellschaften könnten schließlich kein Eigenkapital generieren. Solche Überlegungen mögen in der Sache zutreffend sein. Dem Norminhalt werden sie jedoch nicht gerecht. Nicht einbezogen sind solche Darlehen jedoch insoweit, als an der Muttergesellschaft eine natürliche Person beteiligt ist, weil § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG, dessen Umgehung Satz 5 Halbsatz 1 dient, in einer solchen Konstellation als Grundfall bei Darlehensausreichung der natürlichen Person an die Muttergesellschaft ebenso nicht anwendbar gewesen wäre; insoweit fehlt es an der kraft Gesetzes erforderlichen „Bezugsperson“ für die ausdehnende Anwendung von Satz 5.  Nicht einbezogen sind auch solche Darlehen oder Sicherheiten, welche in einer dreistufigen Struktur von der Enkel- der Obergesellschaft gewährt werden. Denn die darlehensgewährende Untergesellschaft ist dann nur eine dem Gesellschafter allgemein, aber nicht eine dem nach Maßgabe von § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG qualifizierten Gesellschafter nahestehende Person, und deswegen scheidet sie insoweit als ‚schädliche‘ Darlehensgeberin aus. Es wäre zu erwägen, ob in derartigen Darlehenskonstellationen die außerbilanzielle Hinzurechnung gemäß §  8 Abs.  3 Satz 2 KStG ohnehin jener nach §  8b Abs. 3 KStG vorgeht. Denn bei Vorliegen der einschlägigen Voraussetzungen der verdeckten Gewinnausschüttung wird der Unterschiedsbetrag im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG unabhängig davon gemindert, ob sich die verdeckte Gewinnausschüttung dann auf der Rechtsfolgenebene überhaupt auswirkt. § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG greift so gesehen erst auf der zweiten Gewinnermittlungsstufe und beläßt § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG den steuersystematischen Vorrang. Vorteil dieser Prüfungsfolge wäre, daß sich die verdeckte Gewinnausschüttung auf der Ebene der Muttergesellschaft über § 8b Abs. 1 iVm. Abs. 5 KStG auswirkt, was bei einem Vorrang der Hinzurechnung gem. §  8b Abs.  3 Satz 4  ff. KStG auf der Ebene (nur) der Tochtergesellschaft nicht der Fall ist. Allerdings spricht einiges dafür, daß § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG jegliche Wertminderungen erfassen will, die im Zusammenhang mit dem Anteil an der Muttergesellschaft stehen, gleichviel, ob ihnen eine unmittelbare oder aber eine nur 16 S. zB Winhard, FR 2010, 686; Steiner/Ullmann, FR 2018, 1065. 17 Dazu und zu alledem Gosch, KStG, 4. Aufl., § 8b Rn. 279a mwN.

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mittelbare Darlehensbeziehung zugrunde liegt. Im Ergebnis ist diese Sichtweise plausibler, weswegen § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG in den beschriebenen Darlehenssituationen denn doch stets Anwendungsvorrang haben dürfte. 3. Verlustabzugsausschluß bei Übertragung der „Anteilseignerrechte“ an einen Erwerber oder einer diesem nahestehende Personen, § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG „Werden innerhalb von fünf Jahren mittelbar oder unmittelbar mehr als 50 Prozent des gezeichneten Kapitals, der Mitgliedschaftsrechte, der Beteiligungsrechte oder der Stimmrechte an einer Körperschaft an einen Erwerber oder diesem nahe stehende Personen übertragen oder liegt ein vergleichbarer Sachverhalt vor (schädlicher Beteiligungserwerb), sind bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht ausgeglichene oder abgezogene negative Einkünfte (nicht genutzte Verluste) vollständig nicht mehr abziehbar“, so ist es in § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG bestimmt. Was eine nahestehende Person in diesem Sinne sein soll, wird nicht näher umrissen, was dafür spricht, den vGA-spezifischen (und weiten) Terminus auch hier anzusetzen.18 Allerdings konstituiert das Gesetz auch „gleichgerichtete Interessen“ als „schädliche“ Erwerbe, was zuweilen wiederum den Schluß auslöst, der Gesetzgeber müsse denn wohl mit dem Nahestehen etwas anders, Normspezifisches gemeint haben19. Daran mag man zweifeln. Denn die „gleichgerichteten Interessen“ beziehen sich auf „Erwerbergruppen“, und das ist selbstredend etwas ganz anderes als ein einzelner Erwerber. Und deswegen ist es zumindest nicht zwingend, das Näheverhältnis nur in gesellschaftsrechtlichen und schuldrechtlichen Beziehungen zu sichten und solche persönlicher Art davon auszuschließen.20 Richtig ist allerdings, daß es in § 8c KStG bei dem Nahestehen zwar um eine „unziemliche“ Erwerbsbeeinflussung gehen kann, jedoch nicht muß. Das Merkmal läßt sich nicht zwingend beeinflussen. Das Nahestehen ist vielmehr in jedem Fall schädlich und läßt den Verlustabzug scheitern. Ob dem dadurch begegnet werden kann, daß der Finanzverwaltung die Beweislast für die besagte Beeinflussung aufgebürdet wird,21 mag sachgerecht sein, so recht überzeugen kann das indessen kaum. Das Gesetz formuliert an dieser Stelle nicht beweislastbezogen, es läßt das Nahestehen, wie gesagt, für sich genommen schädlich sein, typisierend und absolut und unabhängig von jedweder dadurch bedingten Beeinflussung. Das mag vielfach überschießend wirken, wäre dann aber eine Verfassungs-, jedenfalls keine Auslegungsfrage.

18 Roser in Gosch, KStG, 4. Aufl., § 8c Rn. 356. 19 Roser in Gosch, KStG, 4. Aufl., § 8c Rn. 73. 20 Zum „Radius“ der Erwerbergruppe mit gleichgerichteten Interessen siehe einschränkend FG Köln v. 17.5.2018 - 10 K 2695/15, EFG 2020, 732; zum maßgebenden Zeitpunkt einerseits BMF v. 4.7.2008, BStBl I 2008, 736 Tz. 27, andererseits BFH v. 22.11.2016 - I R 30/15, BStBl II 2017, 921. 21 So zB Stollenwerk (Fußn. 1), S. 234 ff.

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4. Nahestehen bei der Abgeltung nach § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a, b und c EStG Eine vergleichbare Ungewißheit beläßt für den „Gesonderten Steuertarif für Einkünfte aus Kapitalvermögen“ und die dadurch prinzipiell ausgelöste Steuerabgeltung §  32d Abs.  2 Nr.  1 Buchst. a, b und c EStG. Die Einkommensteuer wird hiernach dann nicht abgegolten, wenn Schuldner und Gläubiger einander nahestehen. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll das Nahestehen in diesem Zusammenhang Orientierung an § 1 Abs. 2 AStG suchen, was aber im Text der Norm nicht zum Ausdruck kommt. Das FG Münster22 hat den Begriff des Nahestehens hier allerdings „eng am Gesetzeszweck“ des § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG angelehnt: „Sofern die an dem Darlehensverhältnis beteiligten Personen und die näheren Umstände des Vertragsverhältnisses nicht den sicheren Schluss zulassen, daß Motiv der Darlehensgewährung vordergründig die ertragsorientierte Ausnutzung des Gefälles zwischen dem progressiven Einkommensteuertarif und dem Abgeltungssteuersatz von 25% ist, können Gläubiger und Schuldner keine nahe stehenden Personen i.S. von § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG sein“. In diese Richtung geht denn letzten Endes auch der BFH.23 Ausschlaggebend sei insoweit der gesetzgeberische Wille und danach soll ein Näheverhältnis nur dann vorliegen, wenn die Person auf den Steuerpflichtigen einen beherrschenden Einfluß ausüben oder umgekehrt der Steuerpflichtige auf diese Person einen beherrschenden Einfluß ausüben kann oder eine dritte Person auf beide einen beherrschenden Einfluß ausüben kann oder die Person oder der Steuerpflichtige imstande ist, bei der Vereinbarung der Bedingungen einer Geschäftsbeziehung auf den Steuerpflichtigen oder die nahestehende Person einen außerhalb dieser Geschäftsbeziehung begründeten Einfluß auszuüben oder wenn einer von ihnen ein eigenes wirtschaftliches Inte­ resse an der Erzielung der Einkünfte des anderen hat. Ein „bloßes“ familiäres Näheverhältnis soll nicht ausreichen. Dem mag man folgen;24 das zeigt aber auch die Relativität des Rechtsinstituts des Nahestehens. Es wäre dem Gesetzgeber ein Leichtes gewesen, seinen Willen im Gesetz niederzulegen. Eine normspezifische Reduktion steht in Widerspruch zu der „Sinnhaftigkeit“, das Nahestehen jedenfalls im Steuerrecht und jedenfalls dann, wenn es nicht durch den Querverweis auf die positiv-gesetzte Regelung in § 1 Abs. 2 AStG ergänzt wird, möglichst einheitlich zu begreifen.25

22 FG Münster v. 20.9.2013 − 4 K 718/13 E, EFG 2013, 2007. 23 BFH v. 29.4.2014 - VIII R 9/13, BStBl II 2014, 986; VIII R 35/13, BStBl II 2014, 990; VIII R 44/13, BStBl II 2014, 992; VIII R 31/11, BStBl II 2014, 995. 24 So wie in Änderung seiner Praxis die Finanzverwaltung, BMF v. 18.1.206, BStBl I 2016, 85 Tz. 136; ebenso zB Behrens/Renner, BB 2008, 2319, 2321; a.A. Treiber in Blümich, § 32d EStG Rz 69. 25 Siehe aber auch Stollenwerk (Fußn. 1), passim, der das strukturell „Heterogene“ in den Begrifflichkeiten herausgearbeitet hat.

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Zum Nahestehen und Verbundensein im Steuerrecht

5. Abzugsausschlüsse nach § 8a Abs. 2 und 3 KStG: Beteiligungsschwellen bei der sog. Zinsschranke Abweichend von den beiden vorstehenden Beispielen – § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG und § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a, b und c EStG – „meiden“ andere Vorschriftenden den „Kontakt“ zu § 1 Abs. 2 AStG nicht, um dem Terminus der nahestehenden Person Kontur zu verleihen. So geschieht es etwa bei der sog. Zinsschranke in § 8a KStG, der in seinen Abs. 2 und 3 die Anwendung der Abzugsausschlüsse in § 4h Abs. 2 Satz 1 Buchst. b EStG auf jene Fälle beschränkt, in denen „die Vergütungen für Fremdkapital an einen zu mehr als einem Viertel unmittelbar oder mittelbar am Grund- oder Stammkapital beteiligten Anteilseigner, eine diesem nahestehende Person (§ 1 Abs. 2 des Außensteuergesetzes vom 8.  September 1972  – BGBl. I S.  1713 –, das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 28. Mai 2007 – BGBl. I S. 914 – geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung) oder einen Dritten, der auf den zu mehr als ­einem Viertel am Grund- oder Stammkapital beteiligten Anteilseigner oder eine ­diesem nahestehende Person zurückgreifen kann, nicht mehr als 10 Prozent der die Zinserträge übersteigenden Zinsaufwendungen der Körperschaft im Sinne des § 4h Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes betragen und die Körperschaft dies nachweist.“ Gleiches gilt für § 4h Abs. 2 Satz 1 Buchst. c EStG für die Fremdkapitalvergabe innerhalb eines Konzerns. Man erkennt: Die Inbezugnahme des § 1 Abs. 2 AStG ist hier nicht bloß „statisch“, vielmehr „dynamisch“ ausgestaltet und §  1 Abs.  2 AStG gelangt damit unmittelbar zur Anwendung. Die Maßgaben, die darin gesetzt sind, gelten also uneingeschränkt auch für die Zinsabzugsrestriktionen des § 4h EStG iVm. § 8a KStG. Fragen der Angemessenheit oder der Unangemessenheit der Darlehensvergabe und der Zinshöhe spielen dabei keine Rolle. Die Zinsabzugssperre greift dann, wenn die relevante Beteiligungshöhe erreicht oder überschritten ist. Gestritten wurde allerdings darüber, ob die unterschiedlichen Beteiligungsschwellen für einen „zu mehr als einem Viertel unmittelbar oder mittelbar am Grund- oder Stammkapital beteiligten Anteilseigner oder eine diesem nahe stehende Person“ sperrend wirken, wenn diese Schwelle bei einer mittelbaren Beteiligung nicht „genommen“ wird, jedoch derselbe mittelbar beteiligte Anteilseigner in selbiger Situation als abzugsverhindernde nahestehende Person „qualifiziert“, weil er zu „mindestens einem Viertel“ beteiligt ist – und damit den Anforderungen des § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG genügt. Das sollte nach Sinn und Zweck der Norm zu bejahen sein; die zweite Schwellengröße wäre dann einschlägig. Es ist nicht erkennbar, daß beide Tatbestandsmerkmale sich in einer solchen Situation wechselseitig ausschlössen, beide Merkmale stehen vielmehr gleichberechtigt und unverbunden nebeneinander.26 Der BFH27 hat sich indessen dagegen und damit auch gegen die (wohl mittlerweile aufgegebene frühere) Verwaltungspraxis28 bekannt.

26 Ebenso zB Förster in Gosch, KStG, 3. Aufl., § 8a Rn. 248, 4. Aufl., § 8a Rn. 147a, 165b, 248a; Möhlenbrock, Ubg. 2008, 1, 11. 27 BFH v. 11.11.2015 - I R 57/13, BStBl II 2017, 319. 28 BMF v. 4.7.2008, BStBl I 2008, 718 Rn. 82 Satz 2.

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6. Das Näheverhältnis bei der Lizenzschranke, § 4j EStG Die Lizenzschranke zielt bekanntlich darauf ab, ausländische steuerliche „Präferenzsysteme“ zu unterlaufen. Grund dafür ist zum einen, daß infolge der Zins-/Lizenz-Richtlinie für Lizenzzahlungen innerhalb der Union ein Steuerabzug ausscheidet (vgl. § 50g EStG). Zum anderen, daß Art. 12 OECD-MA das Besteuerungsrecht auf Lizenzgebühren dem Ansässigkeitsstaat des Gebührengläubigers zuordnet und zudem auf Lizenzzahlungen keinen oder allenfalls einen auf 10 % begrenzten Steuerabzug vorsieht. Um dadurch und durch die besagten Lizenzboxen bedingte „Steuer­ optimierungen“ im bi- und multilateralen Bereich vorzubeugen, agiert der deutsche Gesetzgeber einseitig und schafft mit § 4j EStG eine Abzugsbeschränkungsnorm für Aufwendungen für Rechteüberlassungen an nahestehende Personen: „Der Gläubiger muß eine dem Schuldner nahestehende Pers. iSd. § 1 Abs. 1 AStG sein. „Dritte“, diesem Personenkreis nicht zugehörige Personen werden nicht einbezogen, auch nicht über § 42 AO. Durch § 4j Abs. 1 Satz 2 EStG soll absichernd einer gestaltungsmißbräuchlichen Umgehung von Satz 1 durch eine Aufwendungs-Einnahme-Verkettung (im Wege der Unter- oder Weiterlizenzierung) vorgebeugt werden: Der Schuldner leistet „über“ einen „nahestehenden“ Gläubiger oder eine weitere ihm nahestehende Person (nicht aber einen fremden Gläubiger oder eine fremde Person) an Personen, die in einem Hochsteuerland ansässig sind und keinem Präferenzregime unterfallen, an einen seinerseits nahestehenden Gläubiger iSv. §  1 Abs.  2 AStG, der wiederum den Präferenzvorteil in Anspruch nimmt. Durch die – beim „ersten“ Gläubiger erneut aufwendungsgenerierende  – „Weiterreichung“ von Einnahmen ließe sich evtl. das Abzugsverbot unterlaufen. § 4j Abs. 1 Satz 2 EStG soll das verhindern, indem die Reichweite des Verbots bezogen auf „weitere“ Einnahmen ausgedehnt wird (und dadurch eine Regelung zur mißbräuchlichen Verhinderung der Mißbrauchsverhinderung schafft). Voraussetzung dafür, daß das „funktioniert“, ist aber eben, daß erneut ein Nahestehender zwischengeschaltet wird. Ein fremder Dritter genügt nicht. Es ließe sich nachsinnen, ob das der Weisheit letzter Schluß ist. Denn bei Exegese des Normtextes ließe sich das womöglich anders auffassen, nämlich so, daß der in § 4j Abs. 1 Satz 2 EStG angesprochene Gläubiger nach Satz 1 eine jegliche Person ist, unbeschadet eines Näheverhältnisses zum Schuldner, und es sich nur dann um eine dem Schuldner nach Satz 1 nahestehende Person handelt, wenn die Person, der die inkriminierten Aufwendungen entstehen, nicht ein solcher Gläubiger ist.29 Eine solche Lesart mag denkbar sein. „Naheliegend“ ist sie indessen nicht. Denn wenn das Gesetz den „Gläubiger nach Satz 1“ ins Visier nimmt, dann spricht doch weitaus mehr, wenn nicht alles, dafür, daß es sich dann um jenen Gläubiger handeln muß, welcher in Satz 1 mit kumulativen tatbestandlichen Anforderungen „qualifiziert“ wird, und zwar zum einen durch die Steuerpräferenz, zum anderen auch durch das dem Schuldner „Nahestehen“. Beiden Anforderungen muß deshalb auch der Gläubiger i. S. von Satz 2 genügen. Gerade dadurch unterscheidet er sich von einer „anderen dem Schuldner nach Satz 1 nahestehenden Person“, mithin einer solchen Person, wie sie Satz 2 verlangt, die nicht mit dem Gläubiger nach Satz 1 identisch ist.30 29 So denn jetzt in feinsinniger Analyse auch Woitok, DStR 2020, 1228. 30 Gosch in Kirchhof, EStG, 19. Aufl., § 4j Rn. 3, mwN.

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Das Gesetz ist sicherlich alles andere als ein gesetzgeberischer Glücksgriff. Dennoch ist es in diesem Punkt hinreichend klar. Das nach § 4j Abs. 1 Satz 1 EStG „qualifizierte Nahestehen“ des Gläubigers unterscheidet ihn von einer sonstigen  – oder anderen – nahestehenden Person iSv. § 4j Abs. 1 Satz 2 EStG. Folgt man dem, ist es – insoweit ein fiskalischer Wermutstropfen – allerdings möglich, dem in Abs. 1 Satz 2 sanktionierten „Zwischenschaltungsfall“ zu „entgehen“: Die mit den Lizenzaufwendungen verbundenen Einnahmen werden über einen dritten, fremden Gläubiger (durch Durchleitung, Unter- oder Weiterlizenzierung) erzielt; der Gläubiger läßt sich gegen ein (idealerweise geringes) Leistungsentgelt entsprechend „instrumentalisieren“.31 Eine derartige „Gestaltung“ wird von § 4j Abs. 1 Satz 2 EStG tatbestandlich nicht erfaßt.32 7. „Nähe“ bei Umsetzung der Vorgaben der ATAD I? Eine große Rolle spielt die nahestehende Person im AStG, dort zuvörderst in §  1 Abs. 2, die Vorschrift, welche als einzige eine verbindliche definitorische Klarheit liefert. Das wurde bereits gesagt und vorgestellt. Dabei soll es im Grundsatz bleiben. Allerdings schafft der erwähnte Referentenentwurf des ATADUmsG weitere „Nahestehensgründe“: ein Viertel des gezeichneten Kapitals, der Mitgliedschaftsrechte, der Beteiligungsrechte, der Stimmrechte oder des Gesellschaftsvermögens (Abs. 2 Satz 1 Nr.  1 lit.  a), zudem des Gewinns oder der Liquidationserlöse (Abs.  2 Satz  1 Nr.  1 lit. b), und das alles dann auch im Verhältnis zu dritten Personen, also in Dreiecks­ beziehungen (Abs. 2 Satz 1 Nr. 3). Die dadurch bedingte Ausdehnung des Nahestehendenkreises ist beträchtlich, erfaßt dieser dann doch auch zB ganz „normale“ Fremdkapitalbeteiligungen, solange die Kapitalüberlassung nur eine gewinnabhängige Verzinsung vorsieht. Zudem soll § 1 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 AStG-E gewährleisten, daß die einzelnen Nähemerkmale auch zu den jeweiligen unterschiedlichen „Bezugspersonen“ bestehen können. Ausgelöst durch die schon erwähnte ATAD soll der Anwendungsbereich des §  1 Abs. 2 AStG über den Bereich der Korrektur nach § 1 Abs. 1 AStG (sowie nach § 8 Abs. 1 Nrn. 3 bis 7 AStG für die Bestimmung der aktiven Tätigkeit von Zwischengesellschaften, die Handel, Dienstleitung, Vermietung und Verpachtung, Darlehensvergabe betreiben) erweitert werden. Die „Eckdaten“ dafür liefert Art. 7 ATAD, der den „Mindeststandard setzt.33 Daran anlehnend findet sich in dem Referentenentwurf des ATADUmsG in § 7 Abs. 1 und 2 AStG-E die Abkehr vom Konzept der Inländerbeherrschung hin zu einer gesellschafterbezogenen Betrachtungsweise unter Berücksichtigung nahestehender Personen: Bislang gilt der Grundsatz der Deutschbeherrschung: Es genügt ein „Beteiligtsein“ im Inland unbeschränkt Steuerpflichtiger an der Auslandsgesellschaft „zu mehr als der Hälfte“. Die Beteiligten müssen sich dafür 31 Dazu Ditz/Quilitzsch, DStR 2017, 1561 (1563); Richter/John, WPg 2017, 1090 (1092); Pung/ Benz, StbJb. 2017/2018, 181 (191 ff.). 32 Offen: Richter/John, WPg 2017, 1090 (1092). 33 Ausführlich dazu Böhmer/Gebhardt/Krüger in Hagemann/Kahlenberg, Anti Tax Avoidance Directive (ATAD), Kommentar, Artikel 7, passim.

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nicht abstimmen und ihre Rechte entsprechend ausüben, sie müssen auch nicht miteinander verbunden sein oder sich nahestehen.34 Die pure „Existenz“ als Steuerinländer reicht aus. Nunmehr soll eine Beherrschung der ausländischen Gesellschaft vorliegen, wenn einem Steuerpflichtigen allein oder gemeinsam mit nahestehenden Personen entweder (1) mehr als die Hälfte der Stimmrechte, (2) mehr als die Hälfte der Anteile am Nennkapitel unmittelbar oder mittelbar zuzurechnen sind oder (3) ihm/ihnen unmittelbar oder mittelbar ein Anspruch auf mehr als die Hälfte des Gewinns oder des Liquidationserlöses dieser Gesellschaft zusteht. Infolge der expliziten Bezugnahme auf § 1 Abs. 2 AStG in § 7 Abs. 3 AStG-E erübrigen sich an dieser Stelle weitergehende Überlegungen. Zu erwähnen ist allerdings, daß es infolge der Neukonzeption durchaus zu „ungewollten“, hinzurechnungsauslösenden Konstellationen kommen kann. Auch ein nahestehendes (verbundenes) Unternehmen kann Beteiligungen an ausländischen Zwischengesellschaften vermitteln.35 Zudem erweitert der Gesetzesentwurf den Personenkreis auf Personen, die mit dem „Beteiligten“ bezogen auf die Zwischengesellschaft durch abgestimmtes Verhalten zusammenwirken (§  7 Abs.  4 AStG-E). Die Antwort darauf, wann ein solches Zusammenwirken vorliegt, wird dem Rechtsanwender überantwortet. Pauschal, wenn auch widerlegbar, angenommen wird das (nach § 7 Abs. 4 Satz 2 AStG-E) lediglich für Gesellschafter einer Personengesellschaft oder Mitunternehmerschaft, die an einer Zwischengesellschaft beteiligt ist. Personengesellschaft wie Mitunternehmerschaft selbst sollen nach §  7 Abs. 3 Satz 2 AStG-E in der augenblicklich jüngsten Fassung des Referentenentwurfs vom 24.3.2020 zudem nahestehen, wenn sie ihrerseits die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 AStG erfüllen. Das ist indes lediglich klarstellenden Charakters, denn es bedarf dessen im inhaltlichen Einklang mit § 1 Abs. 2 AStG allemal nicht. Namentlich bei Publikumsgesellschaften mit einem breiten und anonymen Gesellschafterkreis schießt die im Gesetz angelegte Mißbrauchsvermutung über das Ziel hinaus. Insofern hat sich zu dem gegenwärtigen Gesetzeszustand gar nicht so viel geändert. Zudem wird es in größeren mehrstufigen Strukturen mehr als schwierig sein, das Gegenteil zu belegen; die Vermutung wirkt so gesehen „faktisch-absolut“. Allerdings: Die ATAD setzt, wie schon erwähnt, nur einen Mindeststandard, strengere nationale Regelungen sind erlaubt. Es besteht hiernach wohl nicht einmal eine Gesetzespflicht, den für Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter in §  7 Abs.  6 AStG enthaltenen Schwellenwert von 1 % anzuheben.36 Allerdings: Ob die erforderliche Quote von 50 % überschritten ist, soll künftig auch unter Einbezug in Deutschland beschränkt steuerpflichtiger Personen erfolgen, außerdem auch mittelbarer Beteiligungen. Vor allem der Einbezug beschränkt Steuerpflichtiger irritiert, sind deren Aktivitäten doch ohne jegliche relevante Inlandsanbindung.37

34 Wenn eine ausländische Zwischengesellschaft Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter erzielt, ist gem. § 7 Abs. 6 Satz 1 AStG sogar eine 1%ige Beteiligung ausreichend. 35 Schnitger/Nitzschke/Gebhardt, IStR 2016, 960, 972; Kahlenberg/Prusko, IStR 2017, 304, 308. 36 Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl., Rn. 17.114. 37 ZB Haase, ISR 2017, 349, 350.

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Anzumerken bleibt, daß die intensivierte Sachverhaltsaufklärungs- und Auskunftspflichten des Steuerpflichtigen im Zusammenhang ua. mit §§ 7 ff. AStG nach Maß­ gabe von §  17 Abs.  1 Nr.  2 AStG-E die Offenbarung der einschlägigen Geschäfts­ beziehungen zwischen der Gesellschaft und einem ihr Nahestehenden inkludiert. Nahestehender in diesem Sinne ist erklärtermaßen dabei ein solcher im Sinne des § 7 Abs. 3 und 4, nicht jedoch des § 1 Abs. 2 AStG-E. Einbezogen ist damit deswegen auch und über das Nahestehen iSv. § 1 Abs. 2 AStG hinausgehend ein Zusammenwirken durch abgestimmtes Verhalten.

IV. Weitere Anwendungsbereiche 1. „Eng verbundenes Unternehmen“ in Art. 15 MLI Verbundene Unternehmen finden sich gleichermaßen verschiedentlich in den Tatbeständen des Multilateralen Instruments (MLI), so beispielsweise in Art. 15 Abs. 1, wo es wie folgt heißt: „Im Sinne eines durch Artikel 12 (Künstliche Umgehung des Betriebsstättenstatus durch Kommissionärsmodelle und ähnliche Strategien) Absatz 2, Artikel 13 (Künstliche Umgehung des Betriebsstättenstatus durch die Ausnahme bestimmter Tätigkeiten) Absatz 4 oder Artikel 14 (Aufteilung von Verträgen) Absatz 1 geänderten unter das Übereinkommen fallenden Steuerabkommens ist eine Person mit einem Unternehmen eng verbunden, wenn allen maßgeblichen Tatsachen und Umständen zufolge die Person das Unternehmen oder das Unternehmen die Person beherrscht oder beide von denselben Personen oder Unternehmen beherrscht werden. In jedem Fall gilt eine Person als mit einem Unternehmen eng verbunden, wenn einer von beiden mittelbar oder unmittelbar mehr als 50 Prozent der Eigentumsrechte am anderen (oder bei einer Gesellschaft mehr als 50 Prozent der Gesamtstimmrechte und des Gesamtwerts der Anteile der Gesellschaft oder der Eigentumsrechte an der Gesellschaft) besitzt oder wenn eine weitere Person mittelbar oder unmittelbar mehr als 50 Prozent der Eigentumsrechte an der Person und dem Unternehmen (oder bei einer Gesellschaft mehr als 50 Prozent der Gesamtstimmrechte und des Gesamtwerts der Anteile der Gesellschaft oder der Eigentumsrechte an der Gesellschaft) besitzt.“ Bemerkenswert ist einmal mehr, daß die „Verbundenheit“ der betreffenden Personen auf gestaltungsmißbräuchliche Situationen verengt ist, und das ausschließlich für die jeweils bestimmten Betriebsstättensachverhalte. Bemerkenswert ist des weiteren, daß bei einer (unmittelbaren oder mittelbaren) Beteiligungsquote von 50 % die Beherrschung unwiderlegbar angenommen wird, gleichermaßen aber auch andere Tatsachen und Umstände ins Visier genommen werden, die eine Beherrschung auslösen können. Einzelheiten zu letzterem spart die Legaldefinition aus. Dazu gehören werden indessen obligatorische Verträge (Treuhandschaften, Gewinnabführung Stimmbindungsabreden), ebenso aber auch faktische Gegebenheiten, die der bekannten „Gesamtwürdigung“ des Rechtsanwenders zu unterwerfen sind. Und es ist klar, daß die Umstände des Einzelfalles des Beherrschungstatbestands eine Beherrschung auch 547

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dann bewirken können, wenn die typisierte Beherrschungsquote von 50 % nicht erreicht wird. Das Verständnis des MLI deckt sich mit der von der OECD im BEPS-Aktionspunkt 7 vorgeschlagenen Neufassung von Art. 5 Abs. 6 OECD-MA, die – ebenfalls (und nur) im Betriebsstättenkontext – wie folgt lautet: „Absatz 5 gilt nicht, wenn die in einem Vertragsstaat für ein Unternehmen des anderen Vertragsstaats tätige Person im erstgenannten Staat eine Geschäftstätigkeit als unabhängiger Vertreter ausübt und im Rahmen dieser ordentlichen Geschäftstätigkeit für das Unternehmen handelt. Ist eine Person jedoch ausschließlich oder nahezu ausschließlich für ein oder mehrere Unternehmen tätig, mit dem beziehungsweise denen sie eng verbunden ist, so gilt diese Person in Bezug auf dieses beziehungsweise diese Unternehmen nicht als unabhängiger Vertreter im Sinne dieses Absatzes.“ Abzugrenzen ist das „eng verbundene Unternehmen“ sonach von den „verbundenen Unternehmen“ nach Maßgabe von Art. 9 Abs. 1 OECD-MA. Ein vergleichbarer Kontext fehlt, und so entspricht das auch der erklärten Absicht der Regelungsgeber in Art. 5 Abs. 6 MLI.38 2. LoB-Klausel in Art. 7 MLI Ähnlich wie in Art. 5 Abs. 6 MLI für die Betriebsstättenvorbehalte klingt es in Art. 7 Abs. 13 Buchst. e (jeweils iVm. Abs. 8 Buchst. b sowie Abs. 10 Buchst. b und c) MLI im Kontext der darin enthaltenen sog. Limitation of Benefits (LoB)-Klausel: „Im Sinne der vereinfachten Bestimmung zur Beschränkung von Vergünstigungen (…) sind zwei Personen ‚verbundene Personen‘, wenn einer der beiden Personen mindestens 50 Prozent der Eigentumsrechte an der anderen Person (oder bei einer Gesellschaft mindestens 50 Prozent der Gesamtstimmrechte und des Gesamtwerts der Anteile der Gesellschaft) unmittelbar oder mittelbar gehören oder einer weiteren Person mindestens 50 Prozent der Eigentumsrechte an jeder Person (oder bei einer Gesellschaft mindestens 50 Prozent der Gesamtstimmrechte und des Gesamtwerts der Anteile der Gesellschaft) unmittelbar oder mittelbar gehören; in jedem Fall ist eine Person mit einer anderen Person verbunden, wenn allen maßgeblichen Tatsachen und Umständen zufolge die eine die andere beherrscht oder beide von derselben Person oder denselben Personen beherrscht werden.“ Besagter Kontext ist hier der sog. Ownership-Test. Dort wird bezogen auf die „Anteile“ des in Bezug genommen Rechtsträgers abermals eine quantitativ bemessene wie zeitbezogene „Intensität“ abgefordert, um den Test zu bestehen. Für die Bezugsgröße der Anteile findet sich im MLI kein vorgegebenes Eigenverständnis, nur ein „Fingerzeig“ in Art. 7 Abs. 13 Buchst. b MLI für die „Hauptgattung von Anteilen“, worunter wiederum „die Gattung oder Gattungen der Anteile einer Gesellschaft (zu verstehen 38 Dazu Brandtel in Haase, Multilaterales Instrument, Art. 15 Rn. 11; Gerstenberg, IWB 2020, 231.

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ist und sind), welche die Mehrheit der Gesamtstimmrechte und des Gesamtwerts der Gesellschaft darstellt beziehungsweise darstellen, oder die Gattung oder Gattungen von Eigentumsrechten eines Rechtsträgers, die insgesamt eine Mehrheit der Ge­ samtstimmrechte und des Gesamtwerts des Rechtsträgers darstellt beziehungsweise darstellen“. Daran haben sich sodann und unter Zugrundelegung des vorrangigen (s. Art. 3 Abs. 2 OECD-MA) abkommensautonomen Verständnisses auch die „Koordinaten“ für Anteile jeglicher Art zu orientieren, auch für Rechtsträger, „die keine Gesellschaften sind“. Darunter versteht Art. 7 Abs. 13 Buchst. d MLI die „mit Anteilen vergleichbaren Rechte“.39 3. In Planung: § 4k EStG idF des ATAD-UmsG-E In Planung ist derzeit, das sei nur ergänzend bemerkt, ein neuer, hochkomplex ausgestalteter § 4k EStG, welcher sich mit Steuervergünstigungen und deren Beschränkungen beschäftigt, ursprünglich und in Übereinstimmung mit Art. 9 ATAD bei sog. Hybrids beschäftigt, in der neuerlichen Fassung des Referentenentwurfs vom 24.3.2020 – in Einklang mit der ATAD40 und durchaus ideenreicher klingend – bei „Besteuerungsinkongruenzen“. Diese Vorschrift gilt gleichermaßen der Herstellung einer steuerlichen Vorbelastung als auch der Mißbrauchsvermeidung. Und auch diese Vorschrift soll, schaut man in den gegenwärtigen Gesetzentwurf, in seinem Abs. 6 eine Anwendungsbeschränkung erhalten: „Die Absätze 1 bis 5 finden nur Anwendung, wenn der Tatbestand dieser Absätze zwischen nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes oder zwischen einem Unternehmen und seiner Betriebsstätte verwirklicht wird oder wenn eine strukturierte Gestaltung anzunehmen ist. Einer Person, die mit einer anderen Person durch abgestimmtes Verhalten zusammenwirkt, werden für Zwecke dieses Absatzes und der Absätze 1 bis 5 die Beteiligung, die Stimmrechte und die Gewinnbezugsrechte der anderen Person zugerechnet.“

V. Abgrenzend (oder nur „umkehrend“?): Der „Außenstehende“ im Umwandlungssteuerrecht Dem Umwandlungssteuerrecht sind spezifische Regeln zu Nahestehenden und Verbundenen unbekannt. Darüber, warum das so ist, läßt sich nur rätseln. Allerdings finden sich Vorschriften über den (womöglich) begrifflichen Widerpart, den „Außenstehenden“, nämlich in §  15 UmwStG zu Aufspaltungen und Abspaltungen. §  11 Abs. 2 UmwStG – und damit auf Antrag der Buch- oder Zwischenwertansatz – ist auf solche Vorgänge grundsätzlich entsprechend anzuwenden (§  15 Abs.  1 Satz 1 UmwStG). Davon ausgenommen sind jedoch (u.a.) nach Abs. 2 Satz 2 der Vorschrift Spaltungen, durch die „die Veräußerung an außenstehende Personen vollzogen wird“. §  15 Abs.  2 UmwStG markiert also eine typisierte Mißbrauchsvermeidung: 39 Zu alledem ausführlich Hackethal in Haase, Multilaterales Instrument, Art. 7 Rn. 62 iVm. Rn. 75. 40 S. ABl. EU v. 7.6.2017 - L 144/14, Rn. 19 ff.

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„Außenstehende“ sollen von der steuersparenden Buchwertverknüpfung nicht profitieren. Das Gesetz geht die „Dinge“ dafür von der anderen Seite an, nicht vom Nahestehenden, sondern eben vom Außenstehenden, meint aber wohl im Ergebnis dasselbe,41 das allerdings unter einer gewissen Verengung des Tatbestands und unter Beachtung des Trennungsprinzips. Dabei wird einem wirtschaftlichen Rechtsverständnis das Wort geredet: „Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift, die auf die personelle Kontinuität auf der Anteilseignerebene abstellt, sind die Anteilseigner der übertragenden Körperschaft, die im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Spaltung beteiligt sind, keine außenstehenden Personen. Veränderungen der Beteiligungsverhältnisse zwischen den Altanteilseignern führen somit nicht zur Anwendung der Regelung. Schon aus diesem Grunde ist eine Verschiebung von Anteilsquoten zwischen den Anteilseignern der übertragenden Körperschaft im Zuge einer nicht verhältniswahrenden Spaltung unschädlich.“42 Unklar ist, ob dieser Befund, dem uneingeschränkt beigepflichtet werden kann, auch auf erwerbende Anteilseigner ausstrahlt, also auf solche Anteilseigner, welche die Anteile zwischen steuerlichem Übertragungsstichtag und Wirksamwerden der Spaltung erwerben. Die Meinungen hierzu sind geteilt. Während die Finanzverwaltung sich dazu bekennt, den neuen Eigner als Außenstehenden anzusehen, plädieren ­manche Schrifttumsmeinungen für die Gegenposition.43 „Außenstehend“ sei eben nur derjenige, der außerhalb des mit der Regelung intendierten und vorausgesetzten Kontinuitätsgedankens stehen. Gesellschaftsrechtlich Verbundene seien deswegen nahestehend und vice versa nicht außenstehend. Maß der Dinge wäre hiernach der Nahestehende, im Zweifel im Sinne des § 1 Abs. 2 AStG. Ob dem, dem reinen Wortlaut nach, gefolgt werden kann, ist nicht zweifelsfrei. Denn dem Gesetzgeber waren und sind die einschlägigen Termini und definitorischen Vorgaben geläufig. Wäre es nicht naheliegend oder gar naheliegender gewesen, die „Umkehrung“ zu der nahestehenden Person, wäre sie tatsächlich gewollt, dann auch deutlich im Gesetzestext anzugeben? Beispielsweise dadurch, daß man explizit auf die Umkehrung zu § 1 Abs. 2 AStG Bezug nimmt? So ist es jedoch nicht geschehen. Außenstehend kann nach dem Gesetz vielmehr auch eine Person sein, die dem Anteilseigner der Überträgerin ­nahesteht.44 Außenstehend ist eben ein dem zugrundeliegenden Vorgang nicht ­„Naher“, vielmehr ein Fremder. Zieht man zudem in Betracht, daß das Telos des 41 Vgl. BFH v. 22.2.2005 - VIII R 24/03, BFH/NV 2005, 1266; BFH v. 18.12.1996 - I R 139/94, BStBl.  II 1997, 301; Schumacher in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 3.  Aufl. 2019, § 15 UmwStG Rn. 231: „In gewisser Weise kann der Begriff der außenstehenden Person als das Gegenteil der ‚nahestehenden‘ Person verstanden werden, die der Gesetzgeber in § 1 Abs. 2 AStG definiert hat oder die von der Rechtsprechung für Zwecke der verdeckten Gewinnausschüttung verwendet wird“. 42 ZB Schumacher in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 3. Aufl. 2019, § 15 UmwStG Rn. 229. 43 Hörtnagl in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, 6.  Aufl., §  15 UmwStG Rn.  199; Schumacher in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 3.  Aufl. 2019, §  15 UmwStG Rn. 230 ff.; Schießl in Widmann/Mayer, § 15 UmwStG Rn. 238. 44 Knopf/Hill in Goutier/Knopf/Tulloch, 1996, §  15 UmwStG Rz.  39; Schießl in Widmann/ Mayer, § 15 UmwStG Rn. 241.

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­ mwandlungssteuerrechts letzten Endes in marktordnungsrechtlichen Strukturen U wurzelt, die nicht an den Normalitäten steuerrechtlicher Verfassungsprinzipien (Leistungsfähigkeit, Realisationsprinzip) zu orientieren sind,45 dann spricht manches, womöglich das Überzeugendere, dafür, den Begriff des Außenstehenden zivilrechtlich aufzufassen. In ähnlicher Weise stellen sich in diesem Kontext Fragen nach der Verbundenheit. Nach Auffassung der Finanzverwaltung46 stellt die Umstrukturierung innerhalb verbundener Unternehmen i.S.d. § 271 Abs. 2 HGB und juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich ihrer Betriebe gewerblicher Art ebenso wie eine Anteilsveräußerung innerhalb des bisherigen Gesellschafterkreises keine schädliche Veräußerung i.S.d. § 15 Abs. 2 Satz 3 und 4 UmwStG dar, es sei denn, es findet im Anschluß an diesen Vorgang eine unmittelbare oder mittelbare Veräußerung an eine außenstehende Person statt. Auch daran, ob das richtig ist, mag man zweifeln. Letzten Endes konterkariert die Finanzverwaltung im Ausgangspunkt ihr eigenes Verständnis, wie es soeben für „außenstehende“ natürliche Personen als Anteilseigner erläutert worden ist. Denn daß auch ein verbundenes Unternehmen ein außenstehendes ist, dürfte zunächst gewiß sein. Eine spezifische Konzernklausel ist dem Gesetz nicht zu entnehmen, und so gesehen bewegt sich die Verwaltungspraxis im Bereich eines Billigkeitserweises. Soweit dieser Erweis seinerseits eingeschränkt wird für Fälle der unmittelbaren oder mittelbaren Anschlußveräußerung, handelt es sich um einen „In sich-Mißbrauchsvorbehalt“.

VI. Resümee und Schlußwort Der Streifzug durch die nationale wie internationale Steuerrechtswelt des Nahestehens und Verbundenseins hat gezeigt, daß es im Steuerrecht ein Nahestehen und ein Verbundensein schlechterdings nicht gibt. Nahestehen ist nicht nahestehen und verbunden ist nicht verbunden (außerdem kennt das UmwStG, wie sich gezeigt hat, zudem noch einen weiteren Unbekannten: den „Außenstehenden“). Die jeweiligen regulatorischen Einsatzbereiche sind, das wurde hier eingangs konstatiert und das hat sich mehr als bestätigt, höchst heterogen, und es kommt immer auf die Einzelregelung, auf den Einzelfall an. Dabei ist die gesetzliche Inbezugnahme des §  1 Abs.  2 AStG nicht konsistent, sie erfolgt fast erratisch, mal so, mal so, ein wegweisender roter Faden fehlt. Und so sich denn ein entsprechender Querverweis findet, wird dieser mal ernstgenommen, mal nicht. Wünschenswert wäre, daß man sich auf die beiden definitorischen Kategorien – jene des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und jene des § 1 Abs. 2 AStG – strikt und stringent beschränken und hier wie dort „Spur halten“ würde. Das sollte so manche Ungewißheit beseitigen.

45 Vgl. Gosch, Handelsblatt Blog v. 28.10.2019, abzurufen unter https://blog.handelsblatt.com/ steuerboard/2019/10/28/darf-das-umwandlungssteuerrecht-prinzipienlos-sein/ 46 Vgl. BMF v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 15.37.

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Vor diesem Hintergrund eines doch brüchigen normativen wie interpretatorischen Unterbaus hat sich herausgestellt, daß es zwei Grundkoordinaten gibt: Beide Rechtsfiguren – jene des Nahestehens und jene des Verbundensein – dienen, je nachdem, zum einen der Justierung des Maßstabs für den Fremdvergleich, zum anderen der Abwehr vermuteter Mißbräuchlichkeiten. Dazwischen steht die Herstellung einer steuerlichen Vorbelastung, und das gewissermaßen „wertfrei“, um eine Keinmalbesteuerung zu vermeiden, zuweilen auch das sicherlich wiederum verbunden mit einer Mißbrauchsabwehr. An diesen Zwecken orientiert sich regelmäßig eine gewisse Beweisumkehr zu Lasten der Steuerpflichtigen, jedenfalls eine indizielle Erschwernis, das Gegenteil zu belegen („widerlegbare Vermutung“). Dieser Effekt ist indessen, wie uns der BFH kürzlich belehrt hat, nicht ohne weiteres umkehrbar: „Die bei Verträgen unter fremden Dritten bestehende Vermutung für das Vorliegen eines entgeltlichen Geschäfts ist im Fall der Übertragung eines Kapitalgesellschaftsanteils, für den der Zuwendende hohe Anschaffungskosten getragen hat, nicht alleine wegen eines Freundschaftsverhältnisses zwischen dem Zuwendenden und dem Empfänger als widerlegt anzusehen. Allenfalls kann bei einander nahestehenden Personen der Nachweis der Unentgeltlichkeit erleichtert sein; denn bei ihnen kann nicht unterstellt ­werden, dass sie Leistung und Gegenleistung im Regelfall nach kaufmännischen Gesichtspunkten ausgehandelt haben“.47 Das steuerliche Nahestehen ist so gesehen eine Einbahnstraße. Heinz Klaus Kroppen will den „Steuerzirkus“ verlassen. Das hat er vielfach bekundet. Er will sich seinen Hobbys und Neigungen widmen, sich des Lebens mit seiner Via erfreuen, er will reisen und manches mehr an Genußvollem tun. Vielleicht ist die Welt nach Corona aber denn doch auf absehbare Zeit eine andere, gerade in dem Punkt des Weltläufigen. Vielleicht werden seine Neugier, sein Intellekt auf Dauer deshalb denn doch der Muße, des Genusses irgendwann überdrüssig (und ohnehin Genuß: er ist – wie wir ja zuweilen, aber doch stetig von ihm erfahren – Nicht-Wein-, sondern bekennender Wassertrinker!), und das läßt erhoffen, daß er sich besinnt und wir noch die eine oder andere Steuerbotschaft von ihm vernehmen. Freuen würde uns das alle. Erste Anstöße dafür mögen ihm die vielen zu seinem runden Geburtstag verfaßten Beiträge in diesem Buch geben.

47 BFH v. 9.5.2017 - IX R 1/16, BStBl II 2018, 94, nachgehend FG Hamburg v. 14.11.2017 − 2 K 184/17. 

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Sanktionsrisiken im Zusammenhang mit den Mitteilungspflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Persönlicher Anwendungsbereich 1. Intermediäre als Mitteilungspflichtige 2. Mitteilungspflicht für Nutzer einer ­Steuergestaltung 3. Kumulation von Sanktionsrisiken a) Bei einem Intermediär b) Bei Intermediären in Form einer ­juristischen Person oder Personen­ gesellschaft c) Mitteilungspflicht mehrerer Inter­ mediäre d) Intermediäre und Nutzer e) Mehrere Nutzer 4. Zuordnung von Sanktionsrisiken III. Sachlicher Anwendungsbereich

1. Mitteilungsinhalt 2. Marktfähige Gestaltungen 3. Berücksichtigung in der Steuererklärung IV. Verfahren zur Mitteilung von Steuer­ gestaltungen 1. Form 2. Fristen 3. Zeitlicher Anwendungsbereich V. Ausgestaltung der Sanktionierung 1. Einstufung als Ordnungswidrigkeit 2. Abschöpfung eines Vorteils 3. Mehrfaches Verhängen einer Sanktion 4. Abschreckende Wirkung der Mitteilungspflichten VI. Fazit

I. Einleitung Mit Veröffentlichung der Richtlinie (EU) 2018/822 des Rates vom 25. Mai 2018 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich des verpflichtenden automatischen Informationsaustausches im  Bereich der Besteuerung über mitteilungspflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen1 im EU-Amtsblatt (ABl. 2018, L 139/1) wurde die Mitteilungspflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen in der Europäischen Union eingeführt. Für Fälle der Missachtung der Mitteilungspflichten gibt die Richtlinie eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionierung vor. Die genaue Ausgestaltung der Sanktionen wird weitestgehend in die Disposition der Mitgliedstaaten gegeben. Das Umsetzungsgesetz2 konkretisiert diese Vorgaben auf deutscher Ebene. Ziel dieses Beitrags ist es, diese Konkretisierung im Kontext der 1 RL (EU) 2018/822 des Rates vom 25. Mai 2018 zur Änderung der RL 2011/16/EU bezüglich des verpflichtenden automatischen Informationsaustausches im  Bereich der Besteuerung über mitteilungspflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen, ABl. 2018 L139. 2 Gesetz zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen, BGBl I 2019, 2875. Siehe hierzu auch den Gesetzentwurf zu dem Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 19/14685 v. 4.11.2019.

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Umsetzungsgesetzgebung und bestehender nationaler Gesetze zu analysieren sowie Problemfelder und Zweifelsfragen herauszuarbeiten.

II. Persönlicher Anwendungsbereich 1. Intermediäre als Mitteilungspflichtige § 138d Abs. 1 AO legt in einem ersten Schritt eine Mitteilungverpflichtung für grenz­ überschreitende Steuergestaltungen für jeden Intermediär fest. Ein Intermediär ist, wer eine grenzüberschreitende Steuergestaltung vermarktet, für Dritte konzipiert, organisiert, zur Nutzung bereitstellt oder ihre Umsetzung durch Dritte verwaltet. Sowohl natürliche Personen als auch juristische Personen und rechtsfähige Personengesellschaften können Intermediäre im Sinne dieser Regelung sein.3 Nach § 138f Abs. 7 AO ist ein Intermediär nur dann zur Mitteilung gegenüber dem Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) verpflichtet, wenn er einen Inlandsbezug über seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt, Sitz oder seine Geschäftsleitung in Deutsch­land hat. Auch betroffen sind Intermediäre, die ihren Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt, Sitz oder ihre Geschäftsleitung in keinem Mitgliedstaat der Euro­ päischen Union haben, jedoch einen anderen inländischen Anknüpfungspunkt über eine Betriebsstätte im Geltungsbereich der Abgabenordnung besitzen, über die Dienstleistungen im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Steuergestaltungsmodellen erbracht werden, oder die in ein inländisches Handelsregister oder ein öffent­ liches berufsrechtliches Register eingetragen sind oder bei einem inländischen Berufsverband für juristische, steuerliche oder beratende Dienstleistungen registriert sind. Eine Betriebsstätte ist nach §  138d Abs.  4 AO sowohl die Betriebsstätte nach § 12 AO als auch die Betriebsstätte nach dem jeweils anwendbaren Doppelbesteuerungsabkommen. Intermediäre, die in Deutschland sowie weiteren Mitgliedstaaten der Europäischen Union aufgrund eines territorialen Anknüpfungspunktes für dieselbe Steuergestaltung zur Mitteilung verpflichtet sind, sind nach § 138f Abs. 8 AO von der Mitteilung befreit, sofern sie nachweisen können, dass sie ihrer Mitteilungspflicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union bereits nachgekommen sind. Intermediäre, die die geforderten Kriterien nicht erfüllen, unterliegen weder der Mitteilungspflicht für Steuergestaltungen in Deutschland noch den hiermit einhergehenden Sanktionsrisiken. Die Mitteilungspflichten treffen gem. § 138f Abs. 9 AO mehrere an derselben Gestaltung beteiligte Intermediäre gleichzeitig. Eine Befreiung von der Mitteilungspflicht ist nur in den Fällen einschlägig, in denen ein Intermediär nachweisen kann, dass bereits ein anderer Intermediär den Mitteilungspflichten für diese Steuergestaltung nachgekommen ist und sämtliche in §  138f Abs.  3 AO bestimmten Informationen einer europäischen Steuerbehörde zur Verfügung gestellt hat.4 Unter Einbezug des 3 Vgl. von Brocke/Nonnenmacher/Przybilka, Mitteilungspflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen, 2019, S. 60. 4 Vgl. Gesetzentwurf (Fn. 2), 44.

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§ 379 Abs. 2 Nr. 1e AO ist daher eine parallele Bußgeld-Sanktionierung aller an einer Gestaltung beteiligten Intermediäre möglich, sofern keiner der Intermediäre die steuergestalterische Maßnahme meldet. Die Begründung zu § 138d Abs. 1 AO5 enthält weitere Erläuterungen zu der Intermediärsdefinition. Hiernach begründen verschiedene Mitwirkungshandlungen an grenz­ überschreitenden Steuergestaltungen die Intermediärsstellung. Als erste Mitwirkungshandlung gilt die Konzeption, d.h. das Planen, Entwerfen oder Entwickeln einer konkreten Steuergestaltung. Die zweite Mitwirkungshandlung ist die Vermarktung einer grenzüberschreitenden Steuergestaltung. Hierunter wird das Angebot am Markt gegenüber Dritten gefasst. Die Organisation einer Steuergestaltung als dritte Mitwirkungshandlung umfasst die systematische Vorbereitung und Planung der Steuer­ gestaltung, die Bereitstellung zur Nutzung und die Zurverfügungstellung für eine konkrete Verwendung. Die Bereitstellung zur Nutzung wird zusätzlich gesondert aufgeführt. Inwieweit die Bereitstellung zur Nutzung als gesonderte Mitwirkungshandlung weitere Handlungen erfasst, ist der Gesetzesbegründung nicht zu entnehmen. Die Bereitstellung zur Nutzung erfordert, dass einem potenziellen Nutzer die für eine Umsetzung einer Steuergestaltung erforderlichen Informationen oder (Vertrags-)Unterlagen verfügbar gemacht werden, ohne dass der Nutzer die Gestaltung tatsächlich umsetzen muss. Da die Organisation das Bereitstellen zur Nutzung ebenfalls umfasst, wird dieses der dritten Mitwirkungshandlung zuzuordnen sein. Als letzte Mitwirkungshandlung gilt die Verwaltung der Umsetzung, die die verantwortliche Leitung der konkreten Steuergestaltungsumsetzung betrifft. Eine Eingrenzung des Personenkreises, etwa auf Berufsträger6 oder eine bestimmte Berufsgruppe7, erfolgt nicht. Die Gesetzesbegründung stellt jedoch klar, dass eine Intermediärsstellung nicht von Personen eingenommen wird, die bei der Verwirklichung einzelner Teilschritte einer grenzüberschreitenden Steuergestaltung mitgewirkt haben, ohne dies zu wissen oder vernünftigerweise erkennen zu müssen.8 Folglich kommt jede Person als Intermediär in Betracht, die eine der Mitwirkungshandlungen ausführt, dies wissentlich tut oder die Mitwirkung erkennen müsste, wenngleich das Umsetzungsgesetz darauf verzichtet, sog. Hilfspersonen, die in der EU-Richtlinie9 explizit als Intermediär aufgeführt werden, als Intermediäre zu benennen. Durch den Verzicht einer expliziten Erwähnung der Hilfspersonen liegt insbesondere im Hinblick auf die ansonsten richtliniennahe Formulierung des Umsetzungsgesetzes der Schluss nahe, dass der Gesetzgeber solchen Hilfspersonen keine Intermediärsfunktion zuweisen und den Kreis der mitteilungspflichtigen Interme­ diäre somit einschränken wollte. Jedoch verbleibt für die betroffenen Personen das Risiko, dass die deutsche Umsetzungsgesetzgebung durch richtlinienkonforme Aus-

5 Vgl. Gesetzentwurf (Fn. 2), 25. 6 Vgl. Herold, GmbH-StB 2019, 163 (164). 7 Vgl. Gesetzentwurf (Fn. 2), 25. 8 Vgl. Gesetzentwurf (Fn. 2), 25. 9 Siehe zur Definition Art. 3 Nr. 9 Abs. 1 Buchst. a Nr. 21 der RL (EU) 2011/16 v. 15.2.2011 idF der RL (EU) 2018/822 v. 25.5.2018 (Fn. 1).

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legung auch Anwendung auf solche Hilfspersonen findet.10 Inwieweit der Ausschluss von Personen, die ihre Mitwirkung an einer Steuergestaltung nicht erkennen, hier Abhilfe schaffen kann, bleibt abzuwarten. Das Risiko für Hilfspersonen, bei Nichtmitteilung einer Sanktion unterworfen zu werden, lässt sich weiterhin nicht vollständig ausschließen. 2. Mitteilungspflicht für Nutzer einer Steuergestaltung Ähnlich geregelt ist die Mitteilungspflicht für Nutzer, die eine grenzüberschreitende Steuergestaltung ohne die Mitwirkung eines Intermediärs konzipieren. Sofern ein Nutzer eine grenzüberschreitende Steuergestaltung für sich selbst konzipiert (sog. Inhouse-Gestaltungen), muss er nach § 138d Abs. 6 AO alle für Intermediäre geltenden Regelungen selbst anwenden (originäre Mitteilungspflicht des Nutzers). Für die Frage des Inlandsbezugs ist beim (selbst konzipierenden) Nutzer jedoch nicht auf § 138f Abs. 6 AO, sondern auf § 138g Abs. 3 AO abzustellen. Wer Nutzer einer grenzüberschreitenden Gestaltung ist, regelt §  138d Abs.  5 AO. ­Einen Nutzer stellt jede natürliche oder juristische Person, Personengesellschaft, ­Gemeinschaft oder Vermögensmasse dar, der eine mitteilungspflichtige grenzüberschreitende Steuergestaltung zur Umsetzung bereitgestellt wird, die bereit ist, eine grenzüberschreitende Steuergestaltung umzusetzen, oder die den ersten Schritt zur Umsetzung einer grenzüberschreitenden Steuergestaltung gemacht hat. Der Begriff des Nutzers ist entsprechend weit gefasst. § 138d Abs. 6 AO schränkt diese im Grundsatz weite Definition jedoch dahingehend ein, dass nur der Nutzer mitteilungspflichtig wird, der eine grenzüberschreitende Steuergestaltung für sich selbst konzipiert. Hieraus folgt, dass weitere Nutzer der grenzüberschreitenden Gestaltung nicht von einer gleichzeitigen oder nachgeordneten Mitteilungspflicht betroffen sind, sofern sie sich nicht an der Konzeption beteiligen. Auch einen Übergang der Mitteilungspflicht auf weitere Nutzer bei Unterlassen der Mitteilung durch den konzipierenden Nutzer sieht das Umsetzungsgesetz nicht vor. In Fällen, in denen die Konzernmuttergesellschaft eine grenzüberschreitende Steuergestaltung entwickelt oder eine Konzerngesellschaft eine Gestaltung für sich selbst konzipiert, trifft diese Gesellschaft die Mitteilungspflicht. Entwickelt eine Konzerngesellschaft eine grenzüberschreitende Steuergestaltung nicht für sich selbst, sondern für weitere Konzerngesellschaften, trifft sie nicht die Mitteilungspflicht als Nutzer dieser Gestaltung, jedoch wird die Konzerngesellschaft Intermediär der Steuergestaltung und ist nach § 138d Abs. 1 AO zur Mitteilung verpflichtet. Für mehrere Nutzer einer grenzüberschreitenden Steuergestaltung regelt der § 138g Abs. 2 AO eine Rangfolge der Mitteilungspflicht. Im Falle der originären Mitteilungspflicht des Nutzers ist die Melderangfolge jedoch nicht anwendbar, da die Gestaltung mit keinem Intermediär ohne Inlandsbezug gem. § 138g Abs. 1 AO vereinbart wur10 Vgl. Podeyn/Tschatsch/Fischler, DB 2018, 3081 (3084).

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de. Sind somit mehrere Nutzer an der Konzeption einer Gestaltung beteiligt und profitieren von dieser, unterliegen sie nebeneinander der Mitteilungspflicht. Sofern ein Intermediär an einer Steuergestaltung beteiligt ist, dieser aber einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegt und der Nutzer den Intermediär nicht von dieser Verpflichtung entbindet, kann die Mitteilungspflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen auf den Nutzer übergehen (subsidiäre Mitteilungspflicht der Nutzer11). Die Mitteilungspflicht des Nutzers umfasst dann die nutzerbezogenen Daten nach § 138f Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, 3 und 10 AO. Der Übergang erfolgt nach § 138f Abs. 6 AO nur dann, wenn der Intermediär den Nutzer von der Möglichkeit einer Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht und dem Übergang der Mitteilungspflicht informiert und dem Nutzer die erforderlichen Angaben (sofern nicht bereits bekannt) und die mitgeteilte Registrier- und die Offenlegungsnummer zur Verfügung gestellt hat. Unterbleibt eine entsprechende Mitteilung durch den Intermediär, stellt er relevante Daten nicht zur Verfügung oder entbindet der Nutzer den Intermediär von der Verschwiegenheit, verbleibt die Mitteilungspflicht auch der nutzerbezogenen Daten beim Intermediär und der Nutzer selbst wird nicht mitteilungspflichtig. Die Informationsverpflichtung und die Pflicht, dem Nutzer zu meldende Informationen zur Verfügung zu stellen, gilt für jeden Nutzer gesondert. Das Umsetzungsgesetz enthält keinen Hinweis, dass es für den Übergang der Mitteilungspflicht auf eine Nutzergruppe ausreichend ist, wenn die Informationsverpflichtung gegenüber dem Nutzer erfüllt wird, der die Gestaltung beim Intermediär beauftragt hat. Versäumt ein Intermediär entsprechend, die gesamte Nutzergruppe zu informieren, verbliebe die Mitteilungspflicht für die nicht informierten Nutzer beim Intermediär. Auch jeder Nutzer müsste den Intermediär von der Verschwiegenheitspflicht hinsichtlich der jeweiligen Nutzerdaten gesondert entbinden, sofern er die Mitteilung nicht selbst vornehmen möchte. Sofern kein Intermediär einen inländischen Anknüpfungspunkt vorweist, liegt die Mitteilungspflicht nach § 138g Abs. 1 AO beim Nutzer, es sei denn, der Nutzer weist nach, dass die Gestaltung bereits durch ihn selbst, einen Intermediär oder einen anderen Nutzer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union im Einklang mit den dort geltenden Rechtsvorschriften angezeigt wurde. Bei einem Übergang der Mitteilungspflicht von Intermediären ohne inländischen Anknüpfungspunkt gilt hinsichtlich der gestaltungsbezogenen Daten nach §  138f Abs.  3 Satz 1 Nr.  4 bis 9 AO sowie der intermediärsbezogenen Daten nach §  138f Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AO vorrangig der Nutzer als mitteilungspflichtig, der eine grenz­ überschreitende Gestaltung mit einem Intermediär vereinbart hat. Nachrangig trifft die Mitteilungspflicht den Nutzer, der die Steuergestaltung verwaltet. Der primär mitteilungspflichtige Nutzer hat nach §138g Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 138f Abs. 5 Satz 4 AO die mitgeteilte Registrier- sowie Offenlegungsnummer den Nutzern mitzuteilen. Gleichzeitig müssen alle Nutzer einer Steuergestaltung (nebeneinander) die Informa11 Vgl. Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert, Mitteilungspflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 2017, S. 124.

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tionen nach §  138f Abs.  3 Satz 1 Nr.  2, 3 und 10 AO mitteilen, sofern der für die ­Gestaltung primär mitteilungspflichtige Nutzer diese Angaben nicht bereits über­ mittelt hat. Von § 138g Abs. 1, 2 AO ausgenommen sind nach Abs. 3 solche Nutzer, die keinen inländischen Anknüpfungspunkt im Geltungsbereich der AO vorweisen. Ein Nutzer hat einen inländischen Anknüpfungspunkt im Geltungsbereich der AO, wenn er seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt, Sitz oder seine Geschäftsleitung in Deutschland hat. Ein inländischer Anknüpfungspunkt liegt auch dann vor, wenn ein Nutzer eine von der Gestaltung steuerlich profitierende Betriebsstätte in Deutschland hat oder dort einer Einkünfteerzielung oder einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht, sofern dies für eine Steuer relevant ist, auf die das EU-Amtshilfegesetz Anwendung findet. 3. Kumulation von Sanktionsrisiken a) Bei einem Intermediär Die Ausgestaltung der gesetzlichen Regelungen birgt das Risiko, dass eine unterbliebene Mitteilung derselben Gestaltung mehrfach sanktioniert wird. Sowohl die EU-­ Richtlinie12 als auch das Umsetzungsgesetz13 sehen unter bestimmten Umständen parallele Mitteilungspflichten derselben Steuergestaltung vor. Bei der Beteiligung nur eines Intermediärs an einer Steuergestaltung ist bei einem Verstoß gegen die Mitteilungspflichten für Steuergestaltungen, unabhängig davon, ob dieser Verstoß vorsätzlich oder leichtfertig erfolgt, dieser Intermediär nach nationalen Vorschriften mit einer Geldbuße infolge der begangenen Ordnungswidrigkeit zu belegen. Fraglich ist jedoch der Fall, in dem ein an einer grenzüberschreitenden Steuergestaltung beteiligter Intermediär, der in Deutschland einen inländischen Anknüpfungspunkt vorweist, nach der deutschen Regelung sowie einer weiteren europäischen Regelung zur Mitteilung der Steuergestaltung verpflichtet wäre. Unterlässt ein solcher Intermediär die Mitteilung in beiden Staaten, könnte dies in mehr als einem Staat sanktioniert werden. Denkbar wäre eine solche Kumulation auch in Fällen, in denen die europäischen Umsetzungsgesetzgebungen hinsichtlich der Notwendigkeit eines inländischen Anknüpfungspunktes im jeweiligen Geltungsbereiches der nationalen Gesetze voneinander abweichen. Soweit ein Umsetzungsgesetz auf diese Voraussetzung verzichtet, kann ein Intermediär in weiteren Staaten mitteilungspflichtig sein. Inwieweit die jeweiligen nationalen Umsetzungsgesetze diesbezüglich Abweichungen aufweisen, vermag an dieser Stelle nicht abschließend beurteilt zu werden. Eine weitere Kumulation von Sanktionsrisiken wäre bei Intermediären denkbar, deren Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt bzw. Geschäftsleitung und Sitz auseinanderfallen und die aus diesem Grund in mehreren Staaten einer Mitteilungspflicht unter-

12 Vgl. Art. 8ab Abs. 4 der RL (EU) 2011/16 v. 15.2.2011 idF der RL (EU) 2018/822 v. 25.5.2018 (Fn. 1). 13 Gesetzentwurf (Fn. 2).

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liegen. Der Wortlaut des deutschen Umsetzungsgesetzes ließe auch hier eine mehrfache Sanktionierung zu. Hierdurch könnte eine Sanktionierung nach den deutschen Vorschriften neben eine Sanktionierung in einem weiteren Mitgliedstaat treten. Es bleibt abzuwarten, ob etwaige zwischenstaatliche Übereinkünfte eine Mehrfachsanktionierung vermeiden können. Durch die freie Ausgestaltung der Sanktionen durch die Mitgliedstaaten ist eine entsprechend unterschiedliche Ausgestaltung der Sanktionsmaßnahmen zu erwarten. Es ist daher möglich, dass zumindest doppelt ansässige Intermediäre erhöhten Sanktionsrisiken unterliegen. b) Bei Intermediären in Form einer juristischen Person oder Personengesellschaft Intermediäre in Form einer juristischen Person oder Personengesellschaft sind nicht selbst in der Lage, eine Ordnungswidrigkeit oder Straftat zu begehen, da es ihnen an der notwendigen Handlungs- und Schuldfähigkeit fehlt.14 Um Wirtschaftskriminalität entgegenzuwirken wurde jedoch der § 30 OWiG eingeführt, der sicherstellt, dass von einer Ordnungswidrigkeit profitierende juristische Personen und Verbände sanktioniert werden können15, indem sie sich das Handeln sog. Leitungspersonen zurechnen lassen müssen.16 Eine juristische Person oder Personengesellschaft kann folglich mit einem Bußgeld für eine Ordnungswidrigkeit ihrer leitenden Personen belegt werden, obgleich sie selbst keine Ordnungswidrigkeit begehen kann.17 Eine Zurechnung des Handelns einzelner Angestellter ohne Leitungsfunktion sieht §  30 OWiG nicht explizit vor, wenngleich eine Verletzung der Aufsichtsmaßnahmen nach § 130 OWiG in Betracht kommen könnte.18 Bei Intermediären, die in Form einer juristischen Person oder Personengesellschaft organisiert sind, stellt sich dennoch die Frage, inwieweit Angestellte eines solchen Unternehmens, mit oder ohne Leitungsfunktion, neben dem Unternehmen selbst eine Intermediärsstellung einnehmen können. Durch die weite Fassung der Bezeichnung eines Intermediärs ist diese Interpretation durchaus eröffnet.19 Sollten Angestellte eines Unternehmens, die im Rahmen ihrer Arbeitstätigkeit an einer Steuergestaltung mitwirken, neben dem Unternehmen selbst eine Intermediärsfunktion einnehmen, so würde bei einem entsprechenden Verstoß auch jeder an der Gestaltung beteiligte Angestellte mit einer entsprechenden Geldbuße belegt werden, da Intermediäre einer gleichzeitigen Mitteilungverpflichtung unterliegen. In Abhängigkeit von der Größe des Unternehmens und des Projektauftrags kann dies zu einem erheblichen Anstieg der Anzahl der beteiligten Intermediäre und der verbundenen Sankti14 Vgl. Meyberg, Beck‘scher Online-Kommentar OWiG, 2019, § 30 OWiG, Rz. 1. 15 Vgl. Meyberg (Fn. 14), § 30, Rz. 1-8. 16 Detailliert hierzu: Meyberg (Fn. 14), § 30 OWiG, Rz. 47 ff.; Krenberger/Krumm, Ordnungswidrigkeitengesetz Kommentar, 5. Aufl. 2018, § 30 OWiG, Rz. 1. 17 Vgl. von Brocke/Nonnenmacher/Przybilka (Fn. 3), S. 155. 18 Vgl. von Brocke/Nonnenmacher/Przybilka (Fn. 3), S. 156. 19 Zustimmend von Brocke/Nonnenmacher/Przybilka (Fn. 3), S. 62.

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onsrisiken führen. Hierbei wäre es unerheblich, welche Mitwirkungshandlung der Angestellte ausübt. Das BMF geht in einem Schreiben zu den Mitteilungspflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen davon aus, dass Erfüllungsgehilfen (z.B. als Arbeitnehmer eines Steuerberaters) keine Intermediäre i.S.d. §  138 Abs.  1 AO sind (siehe dort Teil I, Kap. 3.1.3). Mangels Beschränkung der Intermediärseigenschaft auf Berufsträger20, die vermutlich auf den Einbezug weiterer Berufsgruppen, wie etwa Finanzdienstleister, zurückgeht, ist der Intermediärsbegriff sehr weit gefasst. Auch eine Differenzierung von natürlichen und juristischen Personen und eine etwaige Mitteilungsreihenfolge hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen. Eine gewisse Eingrenzung des Kreises an Interme­ diären ermöglichen lediglich die Mitwirkungshandlungen. Bei der Verwaltung der Umsetzung einer Steuergestaltung fordert die Gesetzesbegründung21 eine verantwortliche Leitung der konkreten Steuergestaltungsumsetzung. Durch die Eingrenzung auf die verantwortliche Leitung bei der Mitwirkungshandlung der Umsetzungsverwaltung einer Steuergestaltung ist davon auszugehen, dass an der Umsetzungsverwaltung beteiligte Angestellte eines Unternehmens eine solche Leitungsfunktion nicht einnehmen, da sich diese Funktion in der juristischen Person oder Personengesellschaft als verantwortliche Person bündeln sollte. Bei den weiteren Mitwirkungshandlungen fehlt ein entsprechender Vermerk. Für die Mitwirkungshandlung der Vermarktung fordert die Gesetzesbegründung22, dass die Gestaltung auf den Markt gebracht und ein Angebot gegenüber Dritten gemacht wird. Auch die Mitwirkungshandlung der Vermarktung wird der juristischen Person oder Personengesellschaft als potenziellem Vertragspartner zuzuordnen sein. Dies sollte ungeachtet davon gelten, ob die Vermarktungsaktivitäten durch natürliche Personen durchgeführt werden, da die natürliche Person die Tätigkeit lediglich im Namen des Intermediärunternehmens ausführt. Es bestehen jedoch Befürchtungen, dass etwa eine Vermittlung eines Klienten an einen Berater, der Steuergestaltungen anbietet, eine solche Vermarktung mit den entsprechenden Folgen darstellen könnte.23 Eine klare Ausgrenzung dieser Fälle lässt die Gesetzesbegründung nicht zu. Die Mitwirkungshandlungen der Konzeption und der Organisation haben nach Auffassung des BMF wohl nicht das Potenzial, Angestellten ebenfalls eine Interme­ diärsfunktion zuzuweisen. Dieses Potenzial könnte grundsätzlich dadurch bestehen, dass der Gesetzgeber bei der Mitteilungspflicht keine Einschränkung, etwa auf zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugte Personen nach § 2, 3 StBerG, vorgesehen hat.24

20 Vgl. Herold, GmbH-StB 2019, 163 (164). 21 Vgl. Gesetzentwurf (Fn. 2), 25. 22 Vgl. Gesetzentwurf (Fn. 2), 25. 23 Vgl. Schnitger/Brink/Welling, IStR 2019, 157 (159). 24 Vgl. Welzer/Dombrowski, FR 2019, 360 (367).

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Der unbestimmte Begriff der Organisation umfasst nach der Gesetzesbegründung25 die systematische Vorbereitung und Planung der Steuergestaltung, die Bereitstellung zur Nutzung und die Zurverfügungstellung für eine konkrete Verwendung. Diese Erläuterung ist zunächst weit gefasst und ermöglicht dadurch, eine Vielzahl an Personen als Intermediär zu qualifizieren. Das Bereitstellen zur Nutzung bedeutet dabei, dass der Intermediär einem potenziellen Nutzer die für eine Umsetzung einer Steuergestaltung erforderlichen Informationen oder (Vertrags-)Unterlagen aushändigt oder anderweitig individuell zugänglich macht. Das Umsetzungsgesetz schränkt die Intermediärsstellung jedoch dahingehend ein, dass eine Mitwirkung an der Verwirklichung einzelner Teilschritte einer grenzüberschreitenden Steuergestaltung, ohne dies zu wissen oder vernünftigerweise erkennen zu müssen, eine Person nicht als Intermediär i.S.d. § 138d Abs. 1 AO qualifiziert. Durch diese Einschränkung werden nun etwa Fälle ausgeschlossen, in denen eine Person lediglich die Versendung einer Steuergestaltung an einen Nutzer übernimmt, was auch die damit einhergehenden Sanktionsrisiken reduziert. Wann ein an einem Teilschritt Beteiligter von seiner Mitwirkung weiß oder hätte wissen müssen, wird in der Umsetzung schwer zu bestimmen sein. Es wäre daher sinnvoll, die Mitwirkungshandlung der Organisation auf Personen zu beschränken, die einen Gesamtüberblick über und Einfluss auf alle maßgeblichen Schritte der Gestaltung haben26 bzw. aktiv und wissentlich auf die Erzielung eines steuerlichen Vorteils hingewirkt haben27, da in diesen Fällen ein gewisses Bewusstsein über die eigenen Handlungen vermutet werden kann. Auch eine Eingrenzung des Intermediärsbegriffes auf einen bestimmten Grad der Aktivität bzw. der Einflussnahme auf eine Gestaltung28 könnte diese Ausweitung der Intermediärsstellungen und die damit einhergehenden Sanktionsrisiken zumindest beschränken. Zwar fordert das Umsetzungsgesetz eine bewusste und aktive Herbeiführung einer Struktur, eines Prozesses oder einer Situation. Inwieweit eine Handlung bewusst oder aktiv erfolgt, wird jedoch Schwierigkeiten in der Feststellung verursachen. Auch wenn Hilfspersonen nach dem nationalen Umsetzungsgesetz29 keiner Mitteilungspflicht unterliegen, würde eine richtlinienkonforme Auslegung des Intermediärsbegriffes den von Sanktionsrisiken betroffenen Personenkreis weiter ausweiten. Insbesondere im grenzüberschreitenden Kontext könnte eine Hilfsperson zwar nach den deutschen Bestimmungen von einer Mitteilung befreit, jedoch in einem anderen EU-Mitgliedstaat nach dessen Recht mitteilungspflichtig sein. Dieses Risiko sollte insbesondere bei in Deutschland ansässigen natürlichen Personen jedoch nur in den Mitgliedstaaten bestehen, die in ihrer Richtlinienumsetzung über die Regelungen der Richtlinie hinausgehen.

25 Vgl. Gesetzentwurf (Fn. 2), 25. 26 Vgl. Lüdicke/Oppel, IWB 2019, 58 (66). 27 Vgl. Podeyn/Tschatsch/Fischler, DB 2018, 3081 (3084). 28 Vgl. Kepp/Schober, BB 2018, 2455 (2459, 2461). 29 Gesetzentwurf (Fn. 2), 25.

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c) Mitteilungspflicht mehrerer Intermediäre § 138f Abs. 9 Satz 1 AO regelt explizit, dass mehrere Intermediäre einer grenzüberschreitenden Steuergestaltung nebeneinander zur Mitteilung verpflichtet sind, sofern sie nicht nachweisen können, dass bereits ein anderer Intermediär die Mitteilung vorgenommen hat. Somit unterliegt jeder Intermediär einer Steuergestaltung einem gesonderten Sanktionsrisiko. Unterbleibt die Mitteilung einer Steuergestaltung, können mangels einer Meldereihenfolge Sanktionen gegen alle beteiligten Intermediäre verhängt werden. Selbst wenn ein Intermediär eine Steuergestaltung meldet, können weitere Intermediäre Sanktionen unterworfen werden, sofern sie keinen Nachweis der Mitteilung besitzen. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass die Steuerbehörde an diesem Punkt bereits das wichtige Ziel der Mitteilungspflichten, von der Steuergestaltung Kenntnis zu erlangen, erreicht hat. Eine Reduktion dieses Risikos einer nebeneinander erfolgenden Sanktionierung ist nicht zu erreichen, da zumindest die Sanktionsrisiken der Nicht-Mitteilung der gestaltungsbezogenen Informationen nicht in der Person des für die Gestaltung verantwortlichen Hauptintermediärs gebündelt werden können. Lediglich das Risiko einer Nicht-Mitteilung der nutzerbezogenen Daten (§ 138f Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, 3 und 10 AO) ließe sich in der Hand des Hauptverantwortlichen bündeln, wenn die Mitteilungspflicht zunächst auf den Nutzer überginge und dieser dann einen Intermediär von der Verschwiegenheit entbindet. Entsprechend müssen sich verschiedene Intermediäre einer Steuergestaltung eines potenziellen Nutzers zukünftig in hohem Umfang untereinander abstimmen, um eine bestehende Mitteilungspflicht zu ermitteln und den erforderlichen Schritten nachzukommen.30 d) Intermediäre und Nutzer Hat ein Intermediär ohne inländischen Anknüpfungspunkt im Sinne des §  138f Abs.  7 AO eine Steuergestaltung für einen Nutzer entwickelt, so muss der Nutzer nach § 138g Abs. 1 AO auch die gestaltungsbezogenen Daten nach § 138f Abs. 3 AO melden. Mangels inländischem Anknüpfungspunkt des Intermediärs ist dieser nicht nach deutscher Norm zur Mitteilung verpflichtet. Der Begriff des Nutzers ist ähnlich weit gefasst wie der des Intermediärs, allerdings enthält § 138g Abs. 2 AO für Nutzer eine Meldereihenfolge. Hierdurch wird zumindest bei der subsidiären Mitteilungspflicht eine gleichzeitige Verpflichtung mehrerer Nutzer nebeneinander für eine Gestaltung ausgeschlossen. § 138f Abs. 6 AO regelt den Übergang der Mitteilungspflicht des Intermediärs auf den Nutzer einer Steuergestaltung für Fälle, in denen der Intermediär einer gesetzlichen Verpflichtung zur Verschwiegenheit unterliegt. Der Intermediär hat die Verpflichtung, den Nutzer über die Möglichkeit einer Entbindung von der Verschwiegenheit und den Übergang der Mitteilungspflicht zu informieren und ihm erforderliche Daten, insbesondere die Registrier- und die Offenlegungsnummer, zur Verfügung zu stellen. Unterlässt der Intermediär diese Unterrichtung bzw. die Bereitstellung der 30 Vgl. Kepp/Schober, BB 2019, 791 (795).

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Mitteilungspflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen – Sanktionsrisiken

Daten, kann mangels Verpflichtung zur Mitteilung31 auch kein Bußgeld bei unterlassener Mitteilung des Intermediärs gegen den Nutzer ausgesprochen werden, da der Nutzer nicht neben dem Intermediär zur Mitteilung verpflichtet ist. Hervorzuheben ist, dass nur die Pflicht zur Übermittlung der personenbezogenen Daten nach § 138f Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, 3 und 10 AO auf den Nutzer übergeht. Die Übermittlungspflicht der weiteren Informationen verbleibt auch in diesem Fall beim Intermediär. Nimmt der Intermediär die Unterrichtung vor und unterlassen sowohl Intermediär als auch Nutzer die Mitteilung oder übermitteln diese nicht fristgerecht, können gegen den Intermediär und dem mitteilungspflichtigen Nutzer Sanktionen verhängt werden, da der Nutzer neben dem Intermediär seine nutzerbezogenen Daten zu übermitteln hat. Da der Intermediär bei einer Information des Nutzers über den Übergang der Mitteilungspflicht im Regelfall das tatsächliche Vorliegen der Verpflichtung bereits bestimmt hat, wird diese Kumulation von Sanktionsrisiken insbesondere bei nicht vollständigen oder nicht fristgerechten Mitteilungen relevant sein. Um das eigene Sanktionsrisiko zu minimieren und ein Nebeneinander der Sanktionsrisiken zu vermeiden, ist es für den Nutzer die risikominimierende Strategie, die Intermediäre von ihrer Schweigepflicht hinsichtlich der Übermittlung der nutzerbezogenen Informationen zu entbinden. e) Mehrere Nutzer Bei Inhouse-Gestaltungen ohne Mitwirkung eines Intermediärs obliegt die Mitteilungspflicht des vollständigen Datensatzes dem Nutzer, der die grenzüberschreitende Steuergestaltung für sich konzipiert hat. Die Mitwirkungshandlung der Konzeption ist nicht auf das verantwortliche Handeln einer Person beschränkt, weshalb mehrere Nutzer an der Konzeption mitwirken und von der Steuergestaltung profitieren können, was auch mehrere Nutzer zur Mitteilung verpflichten könnte. Die Meldereihenfolge des § 138g Abs. 1 AO ist für eine originäre Mitteilungspflicht des Nutzers nicht anwendbar. Infolgedessen kann es bei der Mitteilungspflicht von Inhouse-Gestaltungen auch auf Ebene der Nutzer zu einer Kumulation von Sanktionsrisiken kommen, sofern sich mehrere Nutzer an der Konzeption der Steuergestaltung beteiligen. 4. Zuordnung von Sanktionsrisiken Neben der möglichen Kumulation von Sanktionsrisiken im Zusammenhang mit den Mitteilungspflichten stellt sich die Frage der Zuordnung der Sanktionsrisiken und der Geldbußen. Aufgrund der Ausgestaltung der Mitteilungspflichten wird im Regelfall der Intermediär die Sanktionsrisiken sowie bei Unterlassen einer Mitteilung das verhängte Bußgeld zu tragen haben. Durch die weite Fassung des Intermediärsbegriffes lässt sich dieser nicht klar abgrenzen. Auch Nutzer von Steuergestaltungen werden die eigenen Sanktionsrisiken minimieren. Sofern Intermediäre in eine Steuergestaltung eingebunden sind, haben Nutzer die Möglichkeit, das eigene Sanktionsrisiko vollumfänglich auf den Intermediär zu 31 Zustimmend Welzer/Dombrowski, FR 2019, 360 (363).

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verlagern, etwa indem sie diesen von der Verschwiegenheitsverpflichtung entbinden. Um ein Sanktionsrisiko auszuschließen, müsste der Nutzer diese Entbindung für Nachweiszwecke dokumentieren. Sofern ein Intermediär ohne inländischen Anknüpfungspunkt vorhanden ist, obliegt die Mitteilungspflicht einem Nutzer entsprechend der Meldereihenfolge. Sobald jedoch ein Intermediär mit inländischem Anknüpfungspunkt vorhanden ist, obliegt diesem die Mitteilungspflicht, ohne dass dieser einen bestimmten Aktivitätsgrad aufweisen muss. Entsprechend würden auch geringe Beteiligungen an einer Steuergestaltung sowohl das Sanktionsrisiko als auch die mit der Mitteilung verbundenen Kosten von dem Nutzer auf den Intermediär verlagern. Sind bei Inhouse-Gestaltungen ohne die Einbindung eines Intermediärs mehrere Nutzer an einer Steuergestaltung beteiligt, kommt eine Kumulation von Sanktionsrisiken grundsätzlich ebenfalls in Betracht. Sofern die konzeptorischen Handlungen bei einem Nutzer vereint werden, lassen sich die Sanktionsrisiken für die Nutzer jedoch reduzieren und in einer Hand bündeln.

III. Sachlicher Anwendungsbereich 1. Mitteilungsinhalt Intermediäre haben gem. § 138f Abs. 1 AO nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz die personenbezogenen und gestaltungsbezogenen Informationen zu übermitteln. Die personenbezogenen Daten umfassen die in Tabelle 1 dargestellten intermediärsbezogenen und nutzerbezogenen Daten. Tabelle 1: Übersicht über die personenbezogenen Daten Intermediärsbezogene Daten § 138f Abs. 3 S. 1 Nr. 1, S. 2 AO

Nutzerbezogene Daten § 138f Abs. 3 S. 1 Nr. 2, 3, 10 AO

Name, Vorname, Geburtstag, Geburtsort Name, Vorname, Geburtstag, Geburtsort (nat. Person), Firma bzw. Namen (keine nat. (nat. Person), Firma bzw. Namen (keine nat. Person) Person) Anschrift und Ansässigkeitsstaat des Intermediärs

Anschrift und Ansässigkeitsstaat des ­Nutzers

Steueridentifikationsmerkmal bzw. Steuernummer

Steueridentifikationsmerkmal bzw. Steuernummer des Nutzers (soweit bekannt)

Firma oder Name der verbundenen UnterName, Vorname, Geburtstag, Geburtsort (nat. Person), Firma bzw. Namen (keine nat. nehmen Person) weiterer Intermediäre der Steuergestaltung in der EU (sofern bekannt)

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Mitteilungspflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen – Sanktionsrisiken Intermediärsbezogene Daten § 138f Abs. 3 S. 1 Nr. 1, S. 2 AO

Nutzerbezogene Daten § 138f Abs. 3 S. 1 Nr. 2, 3, 10 AO

Anschrift und Ansässigkeitsstaat der Anschrift und Ansässigkeitsstaat weiterer Intermediäre der Steuergestaltung in der EU ­verbundenen Unternehmen (sofern bekannt) Steueridentifikationsmerkmal bzw. Steuernummer weiterer Intermediäre der Steuergestaltung in der EU (sofern bekannt)

Steueridentifikationsmerkmal bzw. Steuernummer der verbundenen Unternehmen (soweit bekannt)

 

Angaben zu in der EU ansässigen Personen, die voraussichtlich von der Gestaltung ­betroffen sind einschließlich Angabe, zu welchem Mitgliedstaat diese in Beziehung stehen (soweit bekannt)

Neben den personenbezogenen Daten hat der Intermediär auch folgende gestaltungsbezogene Daten zu übermitteln: Tabelle 2: Übersicht über die gestaltungsbezogenen Daten Gestaltungsbezogene Daten § 138f Abs. 3 S. 1 Nr. 4-9 AO Einzelheiten zu den zur Mitteilung verpflichtenden Kennzeichen Zusammenfassung des Inhalts der Steuergestaltung, Name der Steuergestaltung, soweit vorhanden, und einer abstrakt gehaltenen Beschreibung der relevanten Geschäftstätigkeit oder Gestaltung des Nutzers, soweit dies keiner Geheimhaltung unterliegt und die Offen­ legung nicht die öffentliche Ordnung verletzt Datum des ersten Umsetzungsschrittes Einzelheiten zu allen einschlägigen Rechtsvorschriften der betroffenen Mitgliedstaaten als Grundlage der Gestaltung Tatsächlicher oder voraussichtlicher Wert Mitgliedstaaten, die von der Gestaltung betroffen sind

Die geforderten Daten sind nach §  138f Abs.  2 AO innerhalb einer 30-Tage-Frist nach Eintritt des mitteilungspflichtigen Ereignisses zu übermitteln. Werden die Daten nicht oder nicht vollständig innerhalb der Frist übermittelt, werden die Sanktionswirkungen des § 379 Abs. 2 Nr. 1e, 1f AO ausgelöst. Im Hinblick auf den Mitteilungsinhalt stellt sich die Frage, inwieweit das Unterlassen einzelner Mitteilungsbestandteile jeweils für sich einen sanktionswürdigen Tatbestand auslöst. Da auch eine unvollständige Mitteilung einer Steuergestaltung als Sank565

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tionstatbestand festgelegt wurde, ist jedoch nicht zu befürchten, dass je Meldebestandteil eine gesonderte Sanktionierung erfolgen kann. Fraglich ist jedoch, ob die Mitteilung des Datensatzes nach § 138f Abs. 3 S. 1 Nr. 1, 4-9 AO eine von der Mitteilung des Datensatzes nach § 138f Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, 3 und 10 AO losgelöste Mitteilungspflicht darstellt und dadurch jede partielle Mitteilungspflicht bei einem Intermediär gesondert sanktioniert werden könnte, sollte eine entsprechende Übermittlung der Daten unterbleiben oder nicht vollständig sein. Der Wortlaut des §  379 Abs.  2 Nr. 1e AO steht einer entsprechenden Auslegung jedoch entgegen. Die Aufnahme der §§ 138d Abs. 1, 138f Abs. 1-3 oder 138h Abs. 3 AO in einen Ordnungswidrigkeitentatbestand lässt den Schluss zu, dass zwar jede Verfehlung zur Mitteilung einen sanktionswürdigen Tatbestand darstellt, mehrfache Verfehlungen im Zusammenhang mit einer Steuergestaltung jedoch nur eine Ordnungswidrigkeit darstellen und entsprechend nur einfach sanktioniert werden können. Dies erscheint durch die bestehenden Unsicherheiten im Hinblick auf die vielen unbestimmten Rechtsbegriffe32 auch geboten. Eine Erhöhung der Sanktionsrisiken durch die mehrfache Sanktionierung bei einer unterbliebenen Mitteilung der gestaltungsbezogenen und der nutzerbezogenen Daten würde diese Unsicherheiten zulasten der Intermediäre verstärken und den erhöhten Bestimmtheitsanforderungen durch die Bußgeldbewehrung33 entgegenstehen. Im Hinblick auf die Sanktionierung bleibt abzuwarten, inwieweit divergierende Beurteilungen einer Steuergestaltung34 durch verschiedene an einer Gestaltung beteiligte Intermediäre zu Sanktionsmaßnahmen gegen beteiligte Intermediäre führen. Meldet etwa ein Intermediär eine Steuergestaltung, ein anderer legt die unbestimmten Rechtsbegriffe jedoch dahingehend aus, dass eine Gestaltung nicht mitteilungspflichtig ist, kann die Mitteilung des Einen eine Sanktionierung des Anderen auslösen. Hierdurch unterliegen Intermediäre auch Sanktionsrisiken, wenn sie eine gestalterische Maßnahme überprüft und als nicht mitteilungspflichtig eingestuft haben. Dies erhöht die bestehende Gefahr eines Overreporting35. Falsche Wertberechnungen einer Steuergestaltung sollen dahingegen nicht zu einer Sanktionierung führen.36 Dies ist dem Umstand geschuldet, dass § 138f Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 AO lediglich eine Angabe des voraussichtlichen Wertes einer Steuergestaltung erfordert und eine Mitteilung eines falschen Wertes im Gegensatz zu der Nichtmitteilung eines Wertes nicht als Verstoß gegen die Mitteilungspflicht gewertet werden kann. Werden bei Mitteilungen einer Steuergestaltung durch unterschiedliche Intermediäre verschiedene Werteinschätzungen abgegeben, kann dies nicht zulasten der Meldenden sanktioniert werden. Auch wenn durch § 379 Abs. 2 Nr. 1f AO bei Nut32 Vgl. Eilers/Sommer, ISR 2019, 76 (78); Lüdicke/Oppel, IWB 2019, 58 (60). 33 Vgl. Flämig, Beihefter zu DStR 2007, 2 (11); Stöber, BB 2018, 1559 (1560). 34 Vgl. Schnitger/Brink/Welling, IStR 2018, 513 (518). 35 Vgl. Elster, NWB 2018, 1065; Fischer/Riedlinger, IWB 2018, 416 (422); Herold, GmbH-StB 2019, 163 (164). 36 Für die nationalen Mitteilungspflichten – die bislang gesetzlich nicht normiert sind – anderer Ansicht: Hamminger, NWB 2018, 2267 (2273).

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Mitteilungspflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen – Sanktionsrisiken

zern nicht richtige Mitteilungen sanktioniert werden, kann für unzutreffende Werteinschätzungen eines Nutzers nichts Anderes gelten. § 379 Abs. 2 Nr. 1e AO nimmt § 138f Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 AO auch explizit v. einer Sanktionierung aus. 2. Marktfähige Gestaltungen § 138h Abs. 2 AO sieht bei marktfähigen grenzüberschreitenden Steuergestaltungen eine quartalsweise Aktualisierungspflicht bestimmter Daten vor. Die Mitteilungspflicht bei Änderungen und Ergänzungen erstreckt sich auf die in Tabelle 3 näher bezeichneten Daten. Die Aktualisierung bzw. Ergänzung der bestehenden Mitteilung bei marktfähigen Steuergestaltungen ist innerhalb von zehn Tagen nach Ablauf des Kalendervierteljahres vorzunehmen, in dem der mitteilungspflichtige Umstand eingetreten ist. Tabelle 3: Übersicht der aktualisierungspflichtigen Daten bei marktfähigen grenzüberschreitenden Steuergestaltungen Aktualisierungspflichtige Daten § 138h Abs. 3 AO Name, Vorname, Geburtstag, Geburtsort (nat. Person), Firma bzw. Namen (keine nat. ­Person) des Intermediärs Anschrift und Ansässigkeitsstaat des Intermediärs Steueridentifikationsmerkmal bzw. Steuernummer des Intermediärs Name, Vorname, Geburtstag, Geburtsort (nat. Person), Firma bzw. Namen (keine nat. ­Person) des Nutzers Anschrift und Ansässigkeitsstaat des Nutzers Steueridentifikationsmerkmal bzw. Steuernummer des Nutzers (soweit bekannt) Datum des ersten Umsetzungsschrittes Mitgliedstaaten, die von der Gestaltung betroffen sind Angaben zu in der EU ansässigen Personen, die voraussichtlich von der Gestaltung ­betroffen sind einschließlich Angabe, zu welchem Mitgliedstaat diese in Beziehung stehen (soweit bekannt)

Nach § 138h Abs. 1 AO gilt eine Gestaltung als marktfähig, die ohne individuelle Anpassung konzipiert, vermarktet, zur Umsetzung bereitgestellt wird oder umsetzungsbereit ist. Die Regelung ist auf mitteilungspflichtige Nutzer entsprechend anzuwenden, auch wenn der praktische Anwendungsbereich begrenzt sein sollte. Wird diese aktualisierte Mitteilung nicht quartalsweise vorgenommen, obwohl mitteilungspflichtige Änderungen eingetreten sind, ist zu klären, inwieweit je unterlassener Aktualisierung eine Sanktionierung möglich ist und ob unterlassene Aktualisierun567

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gen einer bereits nicht gemeldeten marktfähigen Gestaltung neben der unterlassenen Mitteilung selbst sanktioniert werden können. Die in der Literatur vertretene Auslegung der Richtlinie, dass die periodische Berichtspflicht für marktfähige Gestaltungen eine Erweiterung der Meldeverpflichtung und keine gesonderte Mitteilungspflicht darstellt,37 würde eine gesonderte Sanktionierung einer nicht vorgenommenen Aktualisierung ausschließen. Die Meldeverpflichtung einer grenzüberschreitenden Steuergestaltung schließt dann die Aktualisierung der Mitteilung mit ein. Auch der Gesetzeswortlaut des § 379 Abs. 2 Nr. 1e AO unterstützt die Ansicht, dass es sich bei der Mitteilungspflicht einer Steuergestaltung und deren Aktualisierung um eine zusammenhängende Mitteilungspflicht handelt. Ein entsprechendes Verständnis der Regelung steht den geäußerten Befürchtungen, dass jede einzelne Verletzung der Mitteilungspflicht sanktioniert wird, was insbesondere bei vielfach vertriebenen Produkten zu einer Kumulation von Sanktionen führe38, entgegen. 3. Berücksichtigung in der Steuererklärung § 138k AO verpflichtet die Nutzer, die eine nach nationaler Regelung oder einer Regelung eines anderen Mitgliedstaates als grenzüberschreitend qualifizierte Steuergestaltung verwirklicht haben, diese in der Steuererklärung des Besteuerungszeitraumes bzw. -zeitpunktes anzugeben, in der sich der steuerliche Vorteil erstmalig auswirkt. Eine Angabe der Registrier- und der Offenlegungsnummer ist hierfür ausreichend. Die Sanktionierung nach § 379 Abs. 2 Nr. 1g AO tritt ein, wenn der Nutzer eine grenz­ überschreitende Steuergestaltung verwirklicht hat, die Registrier- und Offenlegungsnummer aber nicht in der entsprechenden Steuererklärung angibt. Die Angabe ist nur in dem Besteuerungszeitraum vorzunehmen, indem sich der steuerliche Vorteil erstmals auswirkt. In den folgenden Jahren kann der Nutzer eine Angabe unterlassen, ohne hierfür einem Sanktionsrisiko zu unterliegen. Sollte eine Steuergestaltung nicht mitgeteilt worden sein, liegt dem Steuerpflichtigen auch keine entsprechende Registrier- und Offenlegungsnummer vor. Erfolgt keine (rechtzeitige) Angabe in der Steuererklärung, kann der Nutzer hierfür keiner weiteren Sanktion unterliegen. Es könnte sein, dass eine Steuergestaltung fälschlicherweise als nicht mitteilungspflichtig eingestuft wird. Die Übermittlung der Registrier- und Offenlegungsnummer in der Steuererklärung setzt die Finanzverwaltung über den Zeitpunkt der erstmaligen Auswirkung des steuerlichen Vorteils in Kenntnis. Inwieweit der zusätzliche Informationsgewinn dieser Angabe eine Rechtfertigung für eine weitere bußgeldbewehrte Verpflichtung der Nutzer einer Steuergestaltung darstellt, erscheint zumindest fraglich. Sofern die Mitteilung der Steuergestaltung selbst alle vom Gesetzgeber geforderten Informationen enthält, liegen der Finanzverwaltung die relevanten Nutzerdaten, wie auch dessen Steuernummer, bei entsprechender Informationsverteilung vor. Eine Zuordnung der 37 Vgl. Schnitger/Brink/Welling, IStR 2019, 157 (165). 38 Vgl. Kepp/Schober, BB 2019, 791 (793).

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Mitteilungspflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen – Sanktionsrisiken

Steuergestaltung zu den betroffenen Steuerpflichtigen ist dann auch ohne Angabe einer Registrier- und Offenlegungsnummer möglich.

IV. Verfahren zur Mitteilung von Steuergestaltungen 1. Form Entsprechend der Formulierung des § 379 Abs. 2 Nr. 1e, 1f AO führt das Unterlassen einer der geforderten Informationen im Datensatz zu einer Sanktionierung, sofern dies vorsätzlich oder leichtfertig geschieht. Die vom Bundeszentralamt für Steuern zugeteilte Registrier- und Offenlegungsnummer ist unverzüglich dem Nutzer der Gestaltung mitzuteilen. Die Mitteilungen haben gemäß §§ 138f Abs. 1, 6, 138g Abs. 1 Satz 1 AO gegenüber dem Bundeszentralamt für Steuern nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz über die amtlich bestimmte Schnittstelle zu erfolgen. Durch Einbezug in die Sanktionskonkretisierung des § 379 Abs. 2 Nr. 1e, 1f AO führt jede Mitteilung einer Steuergestaltung auf anderem Wege grundsätzlich ebenfalls zu einem Sanktionstatbestand im Sinne des § 379 Abs. 2 AO, auch wenn § 379 Abs. 2 AO den § 138f Abs. 6 AO nicht explizit in die Sanktionskonkretisierung mit aufnimmt. Inwieweit die Sanktionen auf diesen Fall Anwendung finden ist daher fraglich. 2. Fristen Die Mitteilung einer Steuergestaltung muss gem. §  138f Abs.  2 AO innerhalb von 30 Tagen nach Ablauf des Tages erfolgen, an dem das erste der nachfolgenden Ereignisse eintritt: Die grenzüberschreitende Gestaltung wird zur Umsetzung bereitgestellt, der Nutzer ist zu der Umsetzung dieser bereit ist oder mindestens ein Nutzer hat den ersten Schritt zur Umsetzung dieser Gestaltung gemacht. § 138f Abs. 6 Sätze 3 und 4 AO regeln die Fristen der Mitteilungspflicht der Nutzer, wenn der Intermediär der Steuergestaltung der Verschwiegenheit unterliegt. Die 30-tägige Mitteilungsfrist des Nutzers beginnt mit Ablauf des Tages, an dem er die erforderlichen Informationen (insbesondere Registrier- und Offenlegungsnummer) erhalten hat. Als Ordnungswidrigkeit gilt nach § 379 Abs. 2 Nr. 1e bis 1g AO neben der nicht erfolgten auch eine nicht rechtzeitig vorgenommene Mitteilung. Für den Fristbeginn ist das erste eingetretene maßgebliche Ereignis im Sinne des § 138f Abs. 2 AO maßgebend. Der Eintritt jedes weiteren Ereignisses führt nicht zu einer erneuten Mitteilungspflicht und kann nicht erneute Sanktionierungen begründen. Probleme bei der Auslegung der Vorschriften sowie der einzelnen Zeitpunkte des Fristbeginns können dazu führen, dass auch hier schwer abschätzbare Sanktionsrisiken bestehen. Bislang ist unklar, ob die Ereignisse, die die Mitteilungspflicht auslösen, eng ausgelegt werden39 oder eine weite Anwendung erfahren. 39 Vgl. Ditz/Bärsch/Engelen, DStR 2019, 815 (821).

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3. Zeitlicher Anwendungsbereich Nach Art. 97 § 33 Abs. 3 EGAO ist der § 379 Abs. 2 Nr. 1e bis 1g und Abs. 7 AO auf alle Fälle anzuwenden, in denen der erste Schritt der Umsetzung einer grenzüberschreitenden Steuergestaltung nach dem 30. Juni 2020 erfolgt. Durch die Einschränkung der Anwendbarkeit wird ein Verstoß gegen die Mitteilungspflichten von grenz­ überschreitenden Steuergestaltungen, deren erster Umsetzungsschritt nach dem 24. Juni 2018, jedoch vor dem 1. Juli 2020 erfolgte, im Ergebnis von einer Sanktionierung ausgenommen.40 Dieses Vorgehen wirkt insbesondere der geäußerten Kritik entgegen, dass eine rückwirkende Mitteilungspflicht nicht genau definierter Inhalte zu Rechtsunsicherheiten hinsichtlich der zu beschaffenden Daten führe.41 Diese Fälle sind nach dem Umsetzungsgesetz bei nicht vorgenommener oder nicht vollständig vorgenommener Mitteilung nicht bußgeldbewehrt.

V. Ausgestaltung der Sanktionierung 1. Einstufung als Ordnungswidrigkeit Das Umsetzungsgesetz sieht als Sanktionsmaßnahme bei einer Verletzung der Pflicht zur Mitteilung von grenzüberschreitenden Steuergestaltungen eine Erweiterung des § 379 Abs. 2 AO vor. Hierdurch wird das Unterlassen der Mitteilung einer grenzüberschreitenden Steuergestaltung als Steuergefährdung eingestuft. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob eine solche Gefährdung vorsätzlich oder leichtfertig erfolgt. Nach § 379 Abs. 2 Nr. 1e AO begeht derjenige eine Ordnungswidrigkeit, der entgegen § 138d Abs. 1, § 138f Abs. 1 bis 3 oder § 138h Abs. 3 eine Mitteilung über eine grenzüberschreitende Steuergestaltung nicht oder nicht in den gesetzlich vorgeschriebenen Fristen macht oder die zur Verfügung stehenden Daten nicht vollständig übermittelt. Mit § 379 Abs. 2 Nr. 1e AO legt der Gesetzgeber die Sanktionen für mitteilungspflichtige Intermediäre fest. Als Ordnungswidrigkeit erfasst wird hierunter sowohl die Nicht-Meldung der grenzüberschreitenden Steuergestaltung selbst als auch einer marktfähigen grenzüberschreitenden Steuergestaltung. § 379 Abs. 2 Nr. 1f AO regelt, dass auch diejenigen ordnungswidrig handeln, die entgegen § 138g Abs. 1 Satz 1 oder § 138h Abs. 3 AO die Übermittlung der Daten nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig vornehmen. § 379 Abs. 2 Nr. 1f AO erfasst die Fälle, in denen die Mitteilungspflicht von einem Intermediär ohne Inlandsbezug auf den Nutzer übergehen. Durch die Aufnahme des §  138h Abs.  3 AO werden hier auch marktfähige grenzüberschreitende Steuergestaltungen erfasst. Der Nutzer unterliegt insoweit auch einer Aktualisierungspflicht. Ein dritter Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit wird in § 379 Abs. 2 Nr. 1g AO geregelt. Hiernach handelt ordnungswidrig, wer entgegen § 138k Satz 1 AO in der Steuererklärung die Angabe der von ihm verwirklichten Steuergestaltung nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig macht. Hierdurch werden die Nutzer sanktioniert, die eine Gestaltung 40 Vgl. Bredow/Gibis, BB 2019, 1303 (1308). 41 Vgl. von Brocke/Nonnenmacher/Przybilka (Fn. 3), 111, 112.

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verwirklicht haben, ohne die entsprechenden Angaben in der Steuererklärung zu machen. Sofern eine Mitteilung unterbleibt, kann nach § 379 Abs. 7 AO eine Geldbuße von bis zu 25.000 Euro festgesetzt werden, sofern die Handlung nicht als leichtfertige Steuerverkürzung gem. §  378 AO verfolgt werden kann. Durch die Einstufung als Ordnungswidrigkeit eröffnet sich gem. § 2 OWiG der Anwendungsbereich des Ordnungswidrigkeitengesetzes. Nach § 17 Abs. 2 OWiG ist bei einem fahrlässigen Unterlassen der Mitteilung die Geldbuße auf die Hälfte des angedrohten Höchstmaßes für vorsätzliches Handeln begrenzt, sofern das Gesetz selbst keine Unterscheidung der Höchstmaße vorsieht. Im Falle der fahrlässig unterlassenen Mitteilung beträgt folglich das Höchstmaß der Sanktionsmaßnahmen 12.500 Euro. Hierdurch erfolgt eine gewisse Differenzierung der Geldbußen in Abhängigkeit von dem zugrundeliegenden Motiv. § 17 Abs. 3 OWiG regelt, dass nach allgemeinen Regeln bei der Bemessung der Geldbuße eine Einzelfallbewertung hinsichtlich der Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und des Vorwurfs, der den Täter trifft, vorzunehmen ist. Dies ermöglicht der sanktionierenden Stelle auch den aus einer Gestaltung entstandenen Steuerschaden innerhalb der gesteckten Bußgeldgrenzen bei der Festsetzung des Bußgeldes miteinzubeziehen.42 §  17 Abs.  3 OWiG eröffnet darüber hinausgehend die Möglichkeit, die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters bei der Sanktionierung zu berücksichtigen, sofern es sich nicht um eine geringfügige Ordnungswidrigkeit handelt. Eine Geringfügigkeit liegt bei Geldbußen unter 55 Euro vor.43 Es ist nicht zu erwarten, dass dies bei einer unterlassenen Mitteilung von Steuergestaltungen der Regelfall sein wird. Aus diesem Grund werden bei den Sanktionen nach § 379 Abs. 2 Nr. 1e bis1g AO im Grundsatz die wirtschaftlichen Verhältnisse des Sanktionierten bei der Festsetzung der Geldbußen zu berücksichtigen sein. Die wirtschaftlichen Verhältnisse umfassen alle Umstände, die die Fähigkeit des Täters beeinflussen, eine bestimmte Geldbuße aufzubringen.44 Sofern die Intermediäre bzw. die Nutzer in der Lage sind, die Geldbuße aufzubringen, ist es nicht zwingend, dass sich Unterschiede der wirtschaftlichen Verhältnisse einzelner Intermediäre oder Nutzer in einen Unterschied der Höhe der Geldbußen übertragen. Eine Differenzierung der festgelegten Geldbußen in Abhängigkeit von der Größe und wirtschaftlichen Lage des jeweiligen Intermediärs hat daher nicht zwingend zu erfolgen, ist aber unter Umständen geboten, um „kleine“ Intermediäre im Vergleich zu „großen“ Intermediären mit der entsprechenden Abschreckungswirkung einer solchen Sanktionsandrohung nicht unverhältnismäßig stark zu belasten. 2. Abschöpfung eines Vorteils § 17 Abs. 4 OWiG sieht vor, dass eine Geldbuße den wirtschaftlichen Vorteil, den der Täter aus einer Ordnungswidrigkeit gezogen hat, übersteigen soll. Wenn ein gesetzli42 Vgl. Hermenns/Modrzejewski/Münch/Rüsch, IStR 2016, 803 (810). 43 Vgl. Mitsch in: Karlsruher Kommentar zum  Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, §  17 OWiG, Rz. 90. 44 Vgl. Mitsch (Fn. 50), Rz. 87.

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ches Höchstmaß hierzu nicht ausreicht, kann dieses überschritten werden. Der wirtschaftliche Vorteil aus einer unterlassenen Mitteilung würde demzufolge die Untergrenze der Geldbuße darstellen, auch wenn die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit grundsätzlich im pflichtmäßigen Ermessen der Behörde liegt. Es besteht keine Verfolgungspflicht.45 Der wirtschaftliche Vorteil einer Nichterfüllung der Mitteilungspflicht deckt sich jedoch selten mit dem wirtschaftlichen Vorteil aus der Steuergestaltung selbst. Vielmehr umfasst der wirtschaftliche Vorteil einer Nichterfüllung lediglich den Vorteil, den ein Intermediär durch die Nichterfüllung der Mitteilungspflicht zusätzlich erzielen kann.46 Ob und wie ein solcher wirtschaftlicher Vorteil bestimmt werden kann47 und inwieweit die Finanzverwaltung diesen bei einer Nichterfüllung der Mitteilungspflicht abschöpfen wird, bleibt abzuwarten. Der wirtschaftliche Vorteil eines Intermediärs aus der Nichterfüllung der Mitteilungspflicht wird bei individualisierten Gestaltungen voraussichtlich gering sein. Bei marktfähigen Gestaltungen hingegen könnte diese Abschöpfungsmöglichkeit relevant werden. Der wirtschaftliche Vorteil einer Nichtmitteilung besteht dann in den aus der Gestaltung eingenommenen Entgelten nach dem Zeitpunkt, an dem der Gesetzgeber tätig geworden wäre, um die entsprechende Gestaltung zu unterbinden.48 Sobald Gestaltungen individuellen Anpassungen unterliegen, handelt es sich nach § 138h Abs. 1 AO um keine marktfähige Steuergestaltung. Entgelte aus den angepassten Steuergestaltungen stellen daher keinen solchen wirtschaftlichen Vorteil aus der Nichterfüllung der Mitteilung dar. Der wirtschaftliche Vorteil einer Nicht-Mitteilung wird für die Steuerbehörden nur schwer zu ermitteln sein. Schwierigkeiten bei der Bestimmung des wirtschaftlichen Vorteils49 verhindern dann die vollständige Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils eines Intermediärs aus einer Gestaltung. Verbleibt einem Intermediär ein wirtschaftlicher Vorteil aus einer unterlassenen Mitteilung, entsteht hierdurch ein Anreiz zu einer bewussten Nicht-Mitteilung50 von Steuergestaltungen. 3. Mehrfaches Verhängen einer Sanktion Nach § 19 OWiG kann eine Handlung nur mit einer Geldbuße belegt werden, auch wenn sie mehrere Gesetze verletzt, nach denen sie als Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann, oder ein solches Gesetz mehrmals verletzt wird. Nach §  19 Abs.  2 OWiG ist die Geldbuße dann nach dem Gesetz festzusetzen, das die höchste Geldbuße vorsieht. Nach § 84 OWiG darf eine Tat nicht mehrmals als Ordnungswidrigkeit bestraft werden. Auch darf eine Ordnungswidrigkeit nicht erneut als Straftat verfolgt 45 Vgl. Gesetzesbegründung zu § 379 Abs. 1e bis 1g AO des Gesetzentwurfes (Fn. 2); Bohnert/ Krenberger/Krumm in: Ordnungswidrigkeitengesetz, § 17 OWiG, Rz. 25–29. 46 Vgl. Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert (Fn. 11), S. 141. 47 Vgl. Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert (Fn. 11), S. 141. 48 Vgl. Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert (Fn. 11), S. 141. 49 Vgl. Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert (Fn. 11), S. 141. 50 Vgl. zu Anreizwirkungen von Steuervorteilen Hermenns/Modrzejewski/Münch/Rüsch, IStR 2016, 803 (809).

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Mitteilungspflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen – Sanktionsrisiken

werden. Dies entspricht dem in Art. 103 Abs. 3 GG geregelten Grundsatz, dass niemand wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden kann und überträgt den ne bis in idem-Grundsatz auf Ordnungswidrigkeiten. Bei Anwendung des § 19 OWiG auf die Mitteilungspflichten nach §§ 138d ff. AO bedeutet dies, dass eine Unterlassungshandlung eines Intermediärs nur einmalig als Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann. Unterlässt ein Intermediär vorsätzlich die Mitteilung einer marktfähigen Steuergestaltung und meldet weder die gestaltungsbezogenen Daten noch die nutzerbezogenen Daten und kommt auch seiner quartalsweisen Aktualisierungspflicht nicht nach, liegt nur eine vorsätzliche Unterlassungshandlung der Mitteilung vor, die nur einmalig sanktioniert werden kann. Insbesondere bei marktfähigen Gestaltungen muss sich zeigen, ob Intermediäre dies bewusst ausnutzen und bei Gestaltungen mit hoher Steuerersparnis von einer Mit­ teilung absehen. Dies würde dem Ziel der Mitteilungspflicht entgegenlaufen, da eine Kenntnis insbesondere dieser Gestaltungen für die Steuerbehörden von Interesse sein dürfte. Inwieweit sich die Teilnehmer des Steuergestaltungsmarktes, die in der Vergangenheit aggressive Steuergestaltungen angeboten haben, von einer solchen Vermarktung und einer Nicht-Mitteilung abschrecken lassen,51 wird stark von dem Entdeckungsrisiko und der Stärke der Sanktionierung abhängen. Sofern sich die abschreckende Wirkung nicht auf steueraggressiv gestaltende Marktteilnehmer erstreckt, trifft die Abschreckungswirkung und die mit der Mitteilungspflicht verbundenen Kosten insbesondere diejenigen, die an einer Einhaltung der Gesetzesregelungen interessiert sind52 und keine aggressiven Steuergestaltungsmodelle vermarkten. Das Ziel, aggressive Steuergestaltungen frühzeitig zu erkennen, könnte bei einer ungleichen Wirkung der Mitteilungspflichten nur schwer erreicht werden. Hinzukommend wird die erwartete Vielzahl an Mitteilungen, die durch die breit gefasste Mitteilungspflicht und die verbundenen Sanktionen bedingt ist, dem Gesetzgeber die Identifikation der Gestaltungen erschweren, gegen die er gesetzgeberische Schritte einleiten muss.53 4. Abschreckende Wirkung der Mitteilungspflichten Insbesondere die in der Richtlinie normierte abschreckende Wirkung der Mitteilungspflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen ist erheblicher Kritik ausgesetzt. Die Mitteilungspflichten richten sich gegen legales Verhalten. Eine abschreckende Wirkung von regelkonformem Verhalten wird verfassungsrechtlich als problematisch angesehen.54 Das Umsetzungsgesetz verzichtet zwar darauf, die Abschreckungswirkung explizit als Ziel zu nennen, was jedoch nicht die Abschreckungswirkung von Sanktionen negieren kann. 51 Vgl. Kepp/Schober, BB 2018, 2455 (2463). 52 Vgl. Kepp/Schober, BB 2018, 2455 (2463). 53 Vgl. Hey, FR 2018, 633 (637); Fischer/Riedlinger, IWB 2018, 416 (422). 54 Vgl. Lüdicke/Oppel, IWB 2019, 58 (60); Osterloh-Konrad, FR 2018, 621 (624); zur Legitimität des Ziels auch Hey, FR 2018, 633.

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Soweit die EU-Richtlinie dem Gesetzgeber zwingende Vorgaben zur Umsetzung macht, ist die resultierende Regelung grundsätzlich einer Überprüfung anhand des nationalen Verfassungsrechts durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Bei in EU-Richtlinien enthaltenen Umsetzungsspielräumen gilt dies jedoch nicht.55 Die EU-Richtlinie zu den Mitteilungspflichten enthält im Hinblick auf die Sanktionsausgestaltung einen solchen Umsetzungsspielraum56, da sie die Ausgestaltung der Sanktionen den Mitgliedstaaten weitestgehend freistellt. Die Ausgestaltung der Sanktionen und die verbundene abschreckende Wirkung der Mitteilungspflichten werden sich folglich in Zukunft einer solchen Überprüfung unterziehen müssen. Eine Abschreckung ist umso wirkungsvoller, je höher die mit einer Handlung verbundenen Sanktionen ausfallen.57 Im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Zweifel an der Abschreckungswirkung erscheint es nachvollziehbar, dass die Höhe der festgesetzten Sanktionen einer Nichtmitteilung nicht die von der Finanzministerkon­ ferenz58 für nationale Gestaltungen angedachte Höhe erreicht. Höhere Strafen können die ohnehin problematische Abschreckung von legalem Verhalten verstärken. Ein Anstieg der Geldbußen bei vorsätzlichen, aber insbesondere bei fahrlässigen Nichtmitteilungen von Steuergestaltungen birgt die Gefahr, sich zu einem Gestaltungsverbot fortzuentwickeln, was das Recht eines jeden Steuerpflichtigen auf eine steueroptimierende Gestaltung seiner Angelegenheiten angreift.59 Neben den ver­ fassungsrechtlichen Fragen muss sich andererseits zeigen, ob die Geldbuße von 25.000 Euro im europäischen Kontext Bestand haben kann oder ob im Hinblick auf höhere Sanktionsmaßnahmen anderer EU-Staaten von Deutschland eine Erhöhung des Sanktionsrahmens gefordert wird.60

VI. Fazit Die sanktionsbewehrten Mitteilungspflichten überlassen Intermediäre, insbesondere steuerliche Berater, einem Spannungsfeld zwischen Haftungsrisiken, sofern sie ihren Klienten nicht die steuerlich günstigste Gestaltung aufzeigen61, und den Sanktions­ risiken, die sich aus einer möglichen Mitteilungspflicht dieser steuergünstigen ­Gestaltungen ergeben. Es wird sich zeigen, ob die Sanktionsrisiken auf alle steuergestaltenden Intermediäre die gleiche abschreckende Wirkung entfalten. So wie die abschreckende Wirkung von Bußgeldern bei Hinterziehungsaktivitäten von unterge-

55 Vgl. Hey, FR 2018, 633 (634). 56 Vgl. Art.  25a der RL (EU) 2011/16 v. 15.2.2011 idF der RL (EU) 2018/822 v. 25.5.2018 (Fn. 1). 57 Vgl. zur ökonomischen Theorie von Strafen Becker, Journal of Political Economy 1968, 169; zu weiteren Faktoren vgl. z.B. Stigler, Essays in the economics of crime and punishment, 1974, S. 56. 58 Finanzministerium Schleswig-Holstein 2018, 3. 59 Vgl. Debus, DStR 2017, 2520 (2525). 60 Vgl. von Brocke/Nonnenmacher/Przybilka (Fn. 3), S. 157. 61 Vgl. Pestke, BB 2017.

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Mitteilungspflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen – Sanktionsrisiken

ordneter Bedeutung sein mag62, kann sich eine entsprechende Entwicklung im Markt der aggressiv steuergestaltenden Intermediäre einstellen. Hinterziehungsaktivitäten selbst werden durch die Mitteilungspflichten voraussichtlich nicht aufgedeckt, da Intermediäre und Nutzer, die bereit sind, Steuern zu hinterziehen, ein solches Modell auch bei einer Mitteilungspflicht nicht an die Behörden melden werden.63 Intermediäre, die aggressive Steuergestaltungen vermarkten und hieraus Profit schlagen, mögen ein entsprechendes Sanktionsrisiko in Kauf nehmen. Sollten die Sanktionsrisiken keine abschreckende Wirkung auf derartige Marktteilnehmer entfalten, wäre das Ziel der Richtlinie, aggressive Steuergestaltungen zu erkennen und zu reduzieren, verfehlt und die Steuerbehörden würden keine Kenntnis von den Steuergestaltungen erhalten, die für sie von besonderem Interesse sind.

62 Vgl. Osterloh-Konrad, FR 2018, 621 (624). 63 Vgl. Höring, StBp 2019, 91 (96).

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Manfred Günkel

Betriebsaufspaltung über die Grenze Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Das Rechtsinstitut der Betriebs­ aufspaltung 1. Personelle Verflechtung 2. Sachliche Verflechtung III. Die grenzüberschreitende Betriebs­ aufspaltung 1. Outbound Fall a) Abkommensrecht b) Einkommensteuer

c) Gewerbesteuer d) Exkurs: Beendigung der Betriebs­ aufspaltung 2. Inbound-Fall a) Abkommensrecht b) Einkommensteuer c) Gewerbesteuer d) Exkurs: Beendigung der Betriebs­ aufspaltung IV. Fazit

I. Einleitung Professor Heinz-Klaus Kroppen und der Autor dieses Beitrages haben über 20 Jahre lang als Partner in der Steuerabteilung einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft eng und vertrauensvoll zusammengearbeitet. Eine gemeinsame Zeit, die uns beide über das berufliche hinaus freundschaftlich verbunden hat. Unser beider fachlicher Schwerpunkt lag dabei unter anderem auf dem Gebiet des internationalen Steuerrechts. Aus diesem Gebiet stammt auch die erste fachliche Veröffentlichung des Autors1 zu dem gleichen Thema dieses Beitrages, wobei sich die steuerrechtlichen Fragestellungen wie auch die Antworten oder Meinungen dazu im Laufe der Zeit, immerhin 40 Jahre (!), verändert haben. Grund genug, den Kreis zu schließen und sich gegen Ende der fachlichen Tätigkeit zu Ehren von Heinz-Klaus Kroppen erneut damit zu beschäftigen. Die Anwendung der Grundsätze der Betriebsaufspaltung auf grenzüberschreitende Sachverhalte ist seit Jahrzehnten im Fachschrifttum umstritten.2 Dabei geht es zum einen um die Frage, ob die durch das Rechtsinstitut der Betriebsaufspaltung erfolgende Qualifikation der Einkünfte aus Betriebsverpachtung als gewerbliche Einkünfte auf die Einordnung der Einkünfte auf der Ebene der Doppelbesteuerungsabkommen „durchschlägt“. Zum anderen betrifft es, insbesondere im Inbound-Fall der ausländischen Besitzgesellschaft mit verpachtetem inländischen Vermögen, die Frage, ob und wie die Einkünfte im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht des § 49 EStG zu erfassen sind. Schließlich ist auch grundsätzlich umstritten, ob die Grundsätze der Be1 Günkel/Kussel, FR 1980, 553. 2 Vgl. schon Günkel/Kussel, FR1980, 553; Piltz, DB 1981, 2044; Kaligin, Wpg 1983, 457; Ruf, IStR 2006, 234; Haverkamp, IStR 2008, 165; Schulze zur Wiesche, BB 2013, 2463.

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triebsaufspaltung bei grenzüberschreitenden Betriebsverpachtungen überhaupt Anwendung finden. Diese Fragen werden aktuell in einem Revisionsverfahren vor dem BFH3 zu einer Entscheidung des Finanzgerichtes Köln4 wieder von Bedeutung sein. Dies ist Anlass, sich auch in dieser Festschrift mit dem Thema erneut zu befassen.5

II. Das Rechtsinstitut der Betriebsaufspaltung Unter einer Betriebsaufspaltung versteht man zivilrechtlich die Aufspaltung eines Unternehmens in eine Besitzgesellschaft, regelmäßig eine Personengesellschaft, und eine Betriebsgesellschaft, regelmäßig eine Kapitalgesellschaft, bei der die wesentlichen Anlagegüter zum Betrieb von der Besitzgesellschaft der Betriebsgesellschaft im Wege der Verpachtung überlassen werden. Stehen hinter der Besitzgesellschaft und der Betriebsgesellschaft wiederum im Wesentlichen dieselben Personen als Gesellschafter und vermögen dieselben Gesellschafter in beiden Gesellschaften ihren Willen durchzusetzen, liegt eine Betriebsaufspaltung im steuerlichen Sinne vor. Diese hat zur Folge, dass das Besitzunternehmen, obwohl vordergründig Einkünfte aus einer Verpachtung generiert werden, steuerlich gewerbliche Einkünfte erzielt, mit denen es auch der Gewebesteuer unterliegt. Außerdem gehören die Anteile an der Betriebsgesellschaft zum notwendigen Betriebsvermögen der Besitzgesellschaft bzw. zum notwendigen Sonderbetriebsvermögen der Gesellschafter der Besitzgesellschaft, falls diese die Anteile direkt halten. Das Rechtsinstitut der Betriebsaufspaltung wurde zu reinen Inlandssachverhalten entwickelt und beruht nicht auf einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, sondern auf Richterrecht6. Deshalb wird es im Fachschrifttum wegen mangelnder Rechtsgrundlage durchaus kritisch gesehen.7 Es hat sich dazu allerdings eine gefestigte Rechtsprechung einschließlich Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes entwickelt, wonach die Betriebsaufspaltung eine zulässige und gebotene Auslegung des Begriffes Gewerbebetrieb darstellt.8 Der BFH sieht darin inzwischen auch Gewohnheitsrecht9, welches dann nur noch durch eine ausdrückliche gesetzliche Regelung rückgängig gemacht werden könnte. Die Betriebsaufspaltung hat inzwischen indirekt und ohne ausdrückliche Verwendung des Begriffes auch in mehreren steuergesetzli-

3 I R 72/16. 4 FG Köln v. 31.8.2016 10 K 3550/14, IStR 2017, 196. 5 Siehe schon Becker/Günkel, Festschrift für Ludwig Schmidt, München 1993, 483. 6 Vgl. Bode in Blümich, EStG, Stand Juli 2019, § 15 Rz. 597 und Gluth in Herrmann/Heuer/ Raupach, EStG, § 15 Anm. 770. 7 Siehe zum Meinungsstand Bode in Blümich, EStG, § 15 Rz. 599 sowie die Kritik bei Dehmer, Betriebsaufspaltung, 4. Aufl. 2018, § 1 A. Rz. 7 ff. 8 Vgl. dazu im einzelnen Bode in Blümich, EStG, § 15 Rz. 599 sowie Gluth in Herrmann/Heuer/​ Raupach, EStG, § 15 Anm. 794. 9 BFH v. 25.5.2011 − I R 95/10, DStR 2011, 1553 unter II. 2. b).

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chen Regelungen Eingang gefunden, siehe z. B. § 50 i Abs. 1 Satz 4 EStG oder § 13 b Abs.4 Nr.1.a) ErbStG. Die Betriebsaufspaltung geht ursprünglich auf eine Rechtsprechung des Reichsfinanzhofes10 zurück, der damit eine Umgehung der Gewerbesteuerpflicht des Besitz­ unternehmens verhindern wollte. Der RFH ging dabei ungeachtet der rechtlichen Trennung von einem wirtschaftlich gesehen einheitlichen Unternehmen von Besitzund Betriebsgesellschaft aus. Der BFH hat diese Rechtsprechung hinsichtlich ihrer Rechtsfolge übernommen.11 Er hat diese aber in einer Entscheidung des Großen Senates12dahingehend modifiziert, dass es sich bei der Besitz- und der Betriebsgesellschaft nicht um ein wirtschaftlich betrachtet einheitliches Unternehmen handelt, sondern die beiden Gesellschaften durch einen einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen verbunden sind, der zur Gewerblichkeit der Verpachtung durch das Besitzunternehmen führt. Durch diesen einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen und die damit verbundene Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr über die Betriebsgesellschaft ergibt sich ein gewerblicher Charakter der Verpachtungstätigkeit. Man unterscheidet zwischen einer echten Betriebsaufspaltung und einer unechten Betriebsaufspaltung. Die echte Betriebsaufspaltung liegt vor, wenn ein bisher in der Rechtsform der Personengesellschaft oder eines Einzelunternehmens betriebenes Unternehmen in ein Besitzpersonenunternehmen und eine Betriebskapitalgesellschaft aufgespalten wird. Dabei verbleiben im Rahmen der Aufspaltung die wesentlichen Betriebsgrundlagen, insbesondere das unbewegliche und bewegliche Anlagevermögen sowie immaterielles Anlagevermögen bei der Besitzgesellschaft und werden aufgrund eines Pachtverhältnisses an die Betriebsgesellschaft überlassen.13 Eine unechte Betriebsaufspaltung liegt vor, wenn nicht ein vorher einheitliches Unternehmen im vorstehenden Sinne aufgespalten wird, sondern zur unternehmerischen Tätigkeit von Beginn an eine Besitzgesellschaft und eine Betriebsgesellschaft bestehen, wobei wiederum die Besitzpersonengesellschaft eine wesentliche Betriebsgrundlage an die Betriebskapitalgesellschaft überlässt.14 Bei den steuerlichen Rechtsfolgen unterscheiden sich die echte und die unechte Betriebsaufspaltung nicht.15

10 RFH v. 1.7.1942 − VI 96/42, RStBl 1942, 1081; RFH v. 16.11.1944 − III 22/44, RStBl 1945, 34. 11 Siehe z.B. BFH v. 9.12.1954 − IV 346/53 U, BStBl III 1955, 88. 12 BFH v. 8.11.1971 − GrS 2/71, BStBl II 1972, 63. 13 Gluth in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 15 Anm. 775. 14 Gluth in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 15 Anm. 776. 15 BFH v. 8.11.1971 − GrS 2/71, BStBl II 1972, 63; BFH v. 17.4.2002 − X R 8/00, BStBl II 2002, 527.

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Voraussetzung für die Annahme einer Betriebsaufspaltung im steuerrechtlichen Sinne sind die personelle und die sachliche Verflechtung zwischen Besitz- und Betriebsgesellschaft. 1. Personelle Verflechtung Die Voraussetzung der personellen Verflechtung ist gegeben, wenn die hinter beiden Gesellschaften stehenden Personen einen einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen entfalten können.16 Dies ist dann gegeben, wenn dieselben Personen beide Gesellschaften in dem Sinne beherrschen, dass sie durch Mehrheitsbeschlüsse ihren Willen in beiden Gesellschaften durchsetzen können. Dies ist ohne weiteres gegeben, wenn die Besitzgesellschaft selbst alle Anteile an der Betriebsgesellschaft hält oder die Gesellschafter beider Gesellschaften identisch sind. Der erforderliche einheitliche geschäftliche Betätigungswille wird in diesen Fällen vermutet.17 Allerdings sind auch bei unterschiedlichen Beteiligungshöhen in Besitz- und Betriebsgesellschaft und bei faktischer Beherrschung beider Gesellschaften die Voraussetzungen für die personelle Verflechtung erfüllt, weil die Rechtsprechung von einem bewusst geplanten Zusammenschluss zur Verfolgung eines gemeinsamen wirtschaftlichen Zwecks ausgeht.18 Dieselben Personen müssen nur in der Lage sein, insbe­ sondere durch Mehrheitsbeschlüsse bezüglich der zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter, dass eine einheitliche Willensbildung stattfindet. 2. Sachliche Verflechtung Die zweite Voraussetzung für eine Betriebsaufspaltung im steuerlichen Sinne ist die sachliche Verflechtung zwischen Besitzpersonengesellschaft und Betriebskapitalgesellschaft durch die pachtweise Überlassung einer wesentlichen Betriebsgrundlage vom Besitzunternehmen an die Betriebsgesellschaft. Der Begriff der wesentlichen Betriebsgrundlage entspricht dem für die Anwendung von § 16 EStG entwickelten. Während aber für eine begünstigte Betriebsveräußerung sämtliche wesentliche Betriebsgrundlagen veräußert oder entnommen werden müssen, reicht es für die Annahme einer Betriebsaufspaltung aus, wenn eine wesentliche Betriebsgrundlage vom Besitzunternehmen an die Betriebsgesellschaft verpachtet wird.19 Ob es sich um eine wesentliche Betriebsgrundlage handelt ist dabei ausschließlich aus der Sicht des Betriebsunternehmens zu beurteilen. Dabei kommt es auf die funktionale Bedeutung des überlassenen Wirtschaftsgutes für das Betriebsunternehmen an.20 Falls alle wesentlichen Grundlagen des Betriebs überlassen werden, handelt es sich um eine Be16 Gluth in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 15 Anm. 796. 17 Siehe Gluth a.a.O. Fn. 15. 18 Vgl. dazu im einzelnen Gluth in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 15 Anm. 797 ff. sowie Krumm in Kirchhof, EStG, § 15 Rz. 90 ff. 19 BFH v. 17.11.1992 − VIII R 36/91, BStBl II 1993, 233; BFH v. 27.9.2006 − X R 28/03, BFH/ NV 2006, 2259. 20 Vgl. dazu im einzelnen Dehmer, Betriebsaufspaltung, 4. Aufl. 2018, § 3 Rz. 7 ff.

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triebsverpachtung im Ganzen, für die der BFH eigene Grundsätze entwickelt hat.21 Diese Grundsätze werden von der Betriebsaufspaltung überlagert22

III. Die grenzüberschreitende Betriebsaufspaltung Die im vorhergehenden Abschnitt dargestellten Grundsätzen sind von der höchst­ richterlichen Rechtsprechung in zahlreichen Entscheidungen für reine Inlands­ sachverhalte entwickelt worden, in denen sowohl Besitz- und Betriebsgesellschaft als auch das pachtweise überlassene Betriebsvermögen im Inland belegen waren. Für die Behandlung der grenzüberschreitenden Betriebsaufspaltung23 liegt eine solche höchstrichterliche Rechtsprechung nicht vor.24 Allerdings hat der BFH in seiner Entscheidung vom 25.5.201125 nicht in Frage gestellt, dass die Grundsätze der sog. mitunternehmerischen Betriebsaufspaltung auch bei ausländischen Besitz- und Betriebsgesellschaften mit im Ausland verpachtetem Betrieb anzuwenden sind und die Einkünfte der Besitzgesellschaft nach deutschem Steuerrecht als gewerbliche Einkünfte zu qualifizieren sind, sofern das anzuwendende Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) Deutschland das Besteuerungsrecht zuweist. Zutreffend stellt der BFH allerdings fest, dass diese Qualifikation nach deutschem Steuerrecht nicht auf die Ebene des Abkommens „durchschlägt“, wie er dies zuvor bereits für die gewerbliche Prägung entschieden hat.26 Die Finanzverwaltung hat sich dieser Auffassung angeschlossen.27 Ebenso haben mehrere Finanzgerichtsentscheidungen28 nicht in Zweifel gezogen, dass die Qualifikation der Einkünfte, die eine inländische Besitzgesellschaft aus der Überlassung eines Betriebes an eine ausländische Betriebsgesellschaft erzielt, nach den Grundsätzen der Betriebsaufspaltung zu erfolgen hat und nach nationalem Recht zu gewerblichen Einkünften führt. Strittig war lange Zeit lediglich bei beschränkter Steuerpflicht der Besitzgesellschaft(er) bis zur Einführung des Tatbestandes des § 49 Abs. 1 Nr. 2. f) EStG ab dem Veranlagungszeitraum 2009, ob die sog. isolierende Betrachtungsweise des §  49 Abs. 2 EStG dazu führen konnte, dass das Vorliegen einer Betriebsaufspaltung über

21 BFH v. 13.11.1963 − GrS 1/63, BStBl III 1964, 124. 22 Gluth in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 15 Anm. 773. 23 Zu den möglichen Vorteilen siehe Kudert/Klippstein/Jarzynska, Discussion Paper No. 277 der European University Viadrina Frankfurt (Oder) Department of Business Administration and Economics, Die steuerliche Vorteilhaftigkeit der grenzüberschreitenden Betriebsaufspaltung bei DBA-Staaten am Beispiel Österreich-Deutschland 24 So Bode in Blümich, EStG, § 15 Rz. 597a. 25 I R 95/10, DStR 2011, 1553. 26 BFH v. 28.4.2010 − I R 81/09, BStBl II 2014, 754; BFH v. 9.12.2010 − I R 49/09, BStBl II 2011, 482; vgl. dazu Lieber in Gosch/Kroppen/Grotherr/Kraft, DBA Kommentar, Art.  7 Rz. 322.  27 BMF v. 26.9.2014, BStBl I 2014, 1258 unter 2.2.1. und 2.3.3.4. 28 FG Baden-Württemberg v. 21.4.2004 – 12 K 252/00, IStR 2005, 172; FG Hessen v. 26.3.2015 − 10 K 2347/09, EFG 2015,1454; FG Köln v. 31.8.2016 − 10 K 3550/14, IStR 2017, 196.

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die Grenze als ausländisches Besteuerungsmerkmal unberücksichtigt bleiben muss.29 Dabei war allerdings fraglich, ob der festzustellende einheitliche geschäftliche Betätigungswille überhaupt ein im Ausland gegebenes Besteuerungsmerkmal ist.30 Falls man dies bejaht, würde die Besitzgesellschaft bzw. der Gesellschafter einer Besitzpersonengesellschaft im Ausland aus der Betriebsverpachtung Einkünfte nach §  49 Abs. Nr. 6 EStG erzielen.31 Anderenfalls lägen gewerbliche Einkünfte im Sinne von § 49 Abs. 1 Nr. 2. a) EStG vor. Diese könnten aber mangels einer Betriebsstätte im Inland nicht besteuert werden. Der verpachtete Betrieb stellt auch bei einer Betriebs­ aufspaltung nicht per se eine Betriebsstätte des Verpächters dar.32 Damit wäre eine Besteuerungslücke gegeben gewesen. Auch bei Anwendung der isolierenden Betrachtungsweise und Einordnung der Einkünfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 6. EStG konnte sich im Fall der Veräußerung des verpachteten Betriebsvermögens eine Besteuerungslücke ergeben, falls die Veräußerung außerhalb der Spekulationsfrist erfolgte. Um diese möglichen Besteuerungslücken zu vermeiden, wurde § 49 Abs. 1 Nr. 2. f) EStG eingeführt. Danach werden gewerbliche Einkünfte aus der Verpachtung von inländischem Grundbesitz oder inländischen Sachinbegriffen wie z. B. das wesentliche Vermögen eines Betriebs auch ohne Vorhandensein einer inländischen Betriebsstätte zur Besteuerung im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht herangezogen. Das gleiche gilt für Veräußerungsgewinne aus dem so angenommenen Betriebsvermögen, §  49 Abs.1 Nr.  2.  f) bb) EStG, ohne dass es auf eine Spekulationsfrist ankommt. Die Vorschrift des § 49 Abs. 1 Nr. 2 f) EStG setzt voraus, dass die Einkünfte aus der Vermietung oder Verpachtung inländischen Grundbesitzes oder Sachinbegriffen, die im Inland genutzt werden, nach deutschem Steuerrecht gewerblichen Charakter haben. Damit angesprochen sind die Einkünfte einer (ausländischen) gewerblich geprägten Personengesellschaft, der gewerbliche Grundstückshandel und die grenz­ überschreitende Betriebsaufspaltung.33 Durch § 49 Abs.1 Nr. 2. f) EStG in der Fassung des JStG 2009 kommt es demnach auf die isolierende Betrachtungsweise im Falle der Betriebsaufspaltung mit ausländischer Besitzgesellschaft nicht mehr an.34 Etwas überraschend ist nunmehr die Frage der Anwendung der Betriebsaufspaltungsgrundsätze bei grenzüberschreitenden Sachverhalten in dem Revisionsverfah29 Zusammenfassend zum Streitstand siehe Clausen in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 49 Anm. 1256. 30 Mroz, IStR 2017, 742. 31 So BMF v. 24.12.1999, BStBl I 1999, 1076 unter 1.2.1.1. 32 BFH v. 28.7.1982 − I R 196/79, BStBl II 1983, 77; BFH v. 10.2.1988 − VIII R 159/84, BStBl II 1988,653; BFH v. 4.7.2012 − II R 38/10, BStBl II 2012, 782. 33 Siehe Gosch in Kirchhof, EStG, 18. Aufl. 2019, § 49 Rz. 43 am Ende; Peffermann in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 49 Anm. 615; SenFin Berlin v. 21.7.2014, DStR 2014, 2569.  34 Clausen in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, §  49 Anm. 1256; Gosch in Kirchhof, EStG, 18.  Aufl. 2019, §  49 Rz.  103 am Ende; Wacker in L. Schmidt, EStG, 38.  Aufl. 2019, §  15 Rz. 862.

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ren I R 72/16 gegen eine Entscheidung des FG Köln35 vom BFH wieder grundsätzlich aufgeworfen worden. In einem Beschluss vom 16.1.201936 wird der BMF zum Beitritt zum Revisionsverfahren aufgefordert. Es komme darauf an, ob die Grundsätze der Betriebsaufspaltung nur in Fällen der „Missbrauchsvermeidung“ anzuwenden sind, wenn ansonsten das (inländische) Steueraufkommen geschmälert würde oder ob die Rechtsprechung so fortentwickelt wurde, dass in diesen Fällen durch den einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen37 stets ein Gewerbebetrieb auf Ebene der Besitzgesellschaft anzunehmen sei, auch wenn die Betriebsaufspaltung teilweise im Ausland vorliegt. Der BFH sieht in dem Beschluss Erörterungsbedarf sowohl für den sog. Inbound-Fall (ausländische Besitzgesellschaft mit inländischer Betriebsgesellschaft) als auch im Outbound-Fall (inländische Besitzgesellschaft mit ausländischer Betriebsgesellschaft), jeweils bei Bestehen eines DBA oder ohne DBA. Der Revisionsfall des FG Köln betraf einen Outbound-Fall in dem eine inländische steuerbefreite Körperschaft einen Betrieb an eine ausländische Betriebsgesellschaft überlassen hatte. Durch die Anwendung der Grundsätze der Betriebsaufspaltung wurde die bis dahin steuerbefreite Körperschaft wegen Gewerblichkeit steuerpflichtig. Es soll daher nachfolgend, die Anwendung des Rechtsinstitutes der Betriebsaufspaltung im Outbound und im Inbound Sachverhalt untersucht werden. Dabei wird der Fall einer Besitzpersonengesellschaft mit natürlichen Personen als Gesellschafter, der alle Anteile an der Betriebskapitalgesellschaft gehören (sog. Einheitsbetriebsaufspaltung38), zugrunde gelegt. Vorab ist aber die im BFH Beschluss aufgeworfene Frage zu klären, ob das Rechtsinstitut der Betriebsaufspaltung generell in grenzüberschreitenden Konstellationen Anwendung findet. Dafür spricht m.E., wie auch der BFH selbst in dem Beschluss bemerkt, dass die ursprüngliche Rechtsprechung des RFH zur Betriebsaufspaltung, die auf Missbrauchsüberlegungen bei Inlandssachverhalten beruhte und eine Vermeidung der Gewerbesteuerpflicht der Besitzgesellschaft verhindern wollte, vom Großen Senat39 und der nachfolgenden Rechtsprechung geändert wurde. Nach der neueren Rechtsprechung geht man nicht mehr von einem bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise einheitlichen Unternehmen aus. Vielmehr wird aufgrund der personellen und sachlichen Verflechtung von Besitz- und Betriebsgesellschaft ein einheitlicher geschäftlicher Betätigungswillen festgestellt, der der Vermögensverwaltung der Besitzgesellschaft durch die Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr mittels der beherrschten ­Betriebsgesellschaft gewerblichen Charakter verleiht. Der Grund für die Gewerb­ lichkeit der Besitzgesellschaft liegt also darin, dass die hinter dem Besitz- und Betriebsunternehmen stehenden Personen einen einheitlichen geschäftlichen Betä­ tigungswillen haben, der über das Betriebsunternehmen auf die Ausübung einer 35 V. 31.8.2016 − 10 K 3550/14, IStR 2017, 196. 36 DStR 2019, 379; Anmerkung Märtens, jurisPR-SteuerR 14/2019 Nr. 4. 37 BFH v. 8.11.1971 − GrS 2/71, BStBl. II 1972, 63. 38 Gluth in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 15 Anm. 783. 39 BFH v. 8.11.1971 − GrS 2/71, BStBl II 1972, 63.

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gewerblichen Betätigung gerichtet ist.40 Diese Begründung für den gewerblichen Charakter der Verpachtung trägt aber auch in den Fällen, in denen eine der Gesellschaften nicht in Deutschland ansässig ist. Es ist kein Grund ersichtlich, warum in diesen Fällen andere Maßstäbe an die Qualifikation der Einkünfte aus der Betriebsverpachtung angelegt werden sollten. Deshalb geht auch die überwiegende Meinung im Fachschrifttum und die bisherige Finanzrechtsprechung von der Anwendung der Grundsätze der Betriebsaufspaltung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten aus.41 Auch die Geprägetheorie bei gewerblich geprägten Personengesellschaften gilt ja zu Recht unabhängig davon, ob es sich bei der das Gepräge verleihenden Kapitalgesellschaft um eine inländische oder eine ausländische handelt.42 Da es rein um die nationale Einordnung von Einkünften mit Inlandsbezug in den Katalog der Einkunftsarten geht und nicht um eine abkommensrechtliche Einordnung (siehe dazu unten unter 1. a) ist es unerheblich, ob der Sachverhalt ganz oder teilweise im Ausland verwirklicht wird. Die einzige Ausnahme bildet die isolierende Betrachtungsweise des § 49 Abs. 2 EStG, der, wie vorstehend erläutert, in bestimmten Fällen der beschränkten Steuerpflicht im Ausland verwirklichte Besteuerungsmerkmale außer Betracht lässt. Allein aus dem Umstand, dass es die Vorschrift des § 49 Abs. 2 EStG gibt, lässt sich ableiten, dass in allen anderen Fällen mit Auslandsbezug die Einordnung der Einkünfte auch unter Berücksichtigung der ausländischen Besteuerungsmerkmale erfolgt. So sind beispielsweise auch beim gewerblichen Grundstückshandel von Steuerausländern und der Einordnung ihrer deutschen Einkünfte unter §  49 Abs.  1 Nr. 2. f) EStG zur Feststellung des Überschreitens der 3 Objekt Grenze, die veräußerten ausländischen Objekte mit einzubeziehen.43 Es ist deshalb nicht begründbar, den einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen bei einer Betriebsaufspaltung für die Subsumption unter § 49 Abs. 1 Nr. 2. f) EStG auszublenden, nur weil eine der beteiligten Gesellschaften, die Besitzgesellschaft, im Ausland ansässig ist. Davon geht erkennbar auch die Finanzverwaltung aus.44 Wenn dies schon für die beschränkte Steuerpflicht gilt, dann erst recht bei unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschaftern einer Besitzgesellschaft und der Frage, ob diese mit der Betriebsverpachtung gewerbliche Einkünfte nach § 15 EStG erzielen. So hat auch der I. Senat des BFH selbst bei einer im nur Ausland verwirklichten mitunternehmerischen Betriebsaufspaltung mit inländischen Gesellschaftern nicht in Frage gestellt, dass die Grundsätze der Betriebsaufspaltung anzuwenden sind und, sofern Deutschland nach dem einschlägigen DBA das Besteuerungsrecht hat, die 40 BFH v. 18.6.1980 − I R 77/77, BStBl 1981, 39; BFH v. 15.1.1998 − IV R 8/97, BStBl II 1998, 478; siehe auch Bode in Blümich, EStG, § 15 Rz. 599; Dehmer, Betriebsaufspaltung, 4. Aufl. 2018, § 3 Rz. 33. 41 Zum Meinungsstand siehe den Beschluss des BFH v. 16.1.2019 − I R 72/16, DStR 2019, 379 unter Rz. 5. 42 Stapperfend in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 15 Anm. 1437; Wacker in L. Schmidt, EStG, § 15 Rz. 216. 43 Siehe Loschelder in L. Schmidt, EStG, 38. Aufl. 2019, § 49 Rz. 56; Peffermann in Herrmann/ Heuer/Raupach, EStG, § 49 Anm. 615 m.w.N. 44 Vgl. SenFin Berlin v. 21.7.2014, DStR 2014, 2569.

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Einkünfte der ausländischen Personengesellschaft als gewerbliche Einkünfte zu besteuern sind.45 Schließlich spricht auch die gesetzliche Regelung in § 50 i Abs. 1 Satz 4 EStG für die hier vertretene Auffassung, dass die Grundsätze der Betriebsaufspaltung auch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten anzuwenden sind, den ansonsten liefe die Vorschrift ins Leere. Der § 50 i EStG will verhindern, dass eine unterbliebene steuerliche Gewinnrealisierung nicht nachgeholt werden kann oder eine laufende Besteuerung als gewerbliche Einkünfte nicht erfolgen kann, weil nach der Rechtsprechung des BFH46, die einer vorherigen Auffassung der Finanzverwaltung entgegenstand, Gewerblichkeitsfiktionen des deutschen Steuerrechts nicht auf das anwendbare DBA „durchschlagen“. Vielmehr sind die dortigen Zuteilungsnormen aus sich heraus und dem Zusammenhang des Abkommens autonom vom deutschen Steuerrecht auszulegen. Die Finanzverwaltung hat sich der Rechtsprechung des BFH inzwischen angeschlossen.47 Aufgrund der früheren Auffassung der Finanzverwaltung waren aber Gewinnrealisierungen in Wegzugsfällen in der Vergangenheit unterblieben, wenn die Anteile an einer ausländischen Gesellschaft oder andere Wirtschaftsgüter in ein inländisches Betriebsvermögen einer gewerblich geprägten Personengesellschaft oder einer Besitzgesellschaft im Rahmen einer Betriebsaufspaltung eingelegt worden waren. Dies wurde vor der BFH Rechtsprechung damit begründet, dass das deutsche Besteuerungsrecht durch die Zugehörigkeit zum Betriebsvermögen und ein deutsches Besteuerungsrecht entsprechend der nach Art. 7 i.V.m. Art 5 OECD Musterabkommen gestalteten deutschen DBA erhalten bliebe. Als sich dies als Trugschluss herausstellte, hat der Gesetzgeber durch eine Art „Treaty Override“ mit § 50 i EStG reagiert. Unabhängig davon, ob die Vorschrift gesetzgeberisch als geglückt angesehen werden kann48 wird durch diese Vorschrift jedoch deutlich, dass der Gesetzgeber auch in grenzüberschreitenden Betriebsaufspaltungsfällen von der Gewerblichkeitsfiktion für die Einkünfte der Besitzgesellschaft ausgeht.49 Aus den vorstehenden Überlegungen ergibt sich m.E. die Anwendbarkeit der Grundsätze der Betriebsaufspaltung auch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, insbesondere soweit es darum geht, die Einkünfte der Besitzgesellschaft nach deutschem Steuerrecht als gewerblich zu qualifizieren.50 Ausgehend von diesem Ergebnis lassen sich im einzelnen folgende Steuerfolgen im Outbound Fall und im Inbound Fall ableiten.

45 BFH v. 25.11.2011 − I R 95/10, DStR 2011, 1553 unter II. 2. b). 46 BFH v. 28.4.2010 − I R 81/09, BStBl II 2014, 754; BFH v. 9.12.2010 − I R 49/09, BStBl II 2011, 482; BFH v. 4.5.2011 − II R 51/09, BStBl II 2014, 751; BFH v. 25.5.2011 − I R 95/10, BStBl II 2014, 760; vgl. dazu Töben, FR 2018, 991/993/994. 47 BMF v. 26.9.2014, BStBl I 2014, 1258 unter 2.2.1. 48 Vgl. dazu Gosch in Kirchhof, EStG, 18. Aufl. 2019, § 50 i Rz. 2. 49 Siehe Gosch in Kirchhof, EStG, 18. Aufl. 2019, § 50 i Rz. 11, 11a. 50 So Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. 2017, Rz. 6.105.

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1. Outbound Fall Für den Outbound Fall wird angenommen, dass eine inländische Personengesellschaft mit im Inland unbeschränkt steuerpflichtigen natürlichen Personen als Gesellschafter alle Anteile an einer ausländischen Kapitalgesellschaft hält und dieser die wesentlichen Betriebsgrundlagen bestehend aus dem im Ausland belegenen Betriebsgrundstück mit aufstehendem Gebäude, den Maschinen und maschinellen Anlagen sowie immaterielle Rechte wie Patente im Wege der Betriebsverpachtung zur Nutzung überlässt. a) Abkommensrecht Bei Bestehen eines DBA entsprechend dem OECD-Musterabkommen zwischen Deutschland und dem Ansässigkeitsstaat der Betriebsgesellschaft ist im ersten Schritt zu untersuchen, ob und nach welcher Zuteilungsnorm Deutschland für die Einkünfte aus der Betriebsverpachtung ein Besteuerungsrecht hat. Dabei ist zunächst festzustellen, dass die Gewerblichkeitsfiktionen des deutschen Steuerrechts wie die Geprägetheorie aber auch die Betriebsaufspaltung, für die Anwendung des DBA keine Rolle spielen. Daher liegen im Falle einer Betriebsaufspaltung nicht deshalb per se Unternehmensgewinne vor, weil das deutsche Steuerrecht von gewerblichen Einkünften ausgeht. Zwar ist der Begriff der Unternehmensgewinne nicht im Abkommen selbst definiert und kann daher für Auslegungszwecke gemäß Art.  3 Abs.  2 OECD-Musterabkommen nach dem Recht des Anwenderstaates ausgelegt werden. Dies gilt nach herrschender Auffassung51 und inzwischen ständiger Rechtsprechung52 und Auffassung der Finanzverwaltung53 nur für die Gewerblichkeit einer Betätigung im Sinne von § 15 Abs. 2 EStG, nicht aber für die rechtlichen Fiktionen der Gewerblichkeit. In Fällen der Betriebsaufspaltung ist auch zu berücksichtigen, dass der verpachtete Betrieb regelmäßig keine Betriebsstätte des Verpächters in Sinne Art.  5 OECD-Musterabkommen darstellt54 und es damit der Zuteilungsnorm des Art.  7 OECD-Musterabkommen am Anknüpfungsmerkmal fehlt. Liegen hinsichtlich der Einkünfte aus Verpachtung keine Unternehmensgewinne vor, so ist für Zwecke der Einordnung unter eine Zuteilungsnorm das Pachtentgelt aufzuteilen in einen Teil für die Überlassung unbeweglichen Vermögens (Art. 6 OECD-­ Musterabkommen), einen Teil für die Überlassung beweglichen Betriebsvermögens (Art. 21 OECD-Musterabkommen) und einen Teil für die Überlassung von immate51 Vgl. z.B. Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, DBA, Stand März 2019, Vor Art. 6 bis 22, Rz. 27,28; Lieber in Gosch/Kroppen/Grotherr/Kraft, DBA, Art. 7 Rz. 322; Ditz in Schönfeld/ Ditz, DBA, 2.  Aufl. 2019, Art.  7 Rz.  55  ff.; Töben, FR 2018, 991/993/994; Jacobs/Endres/ Spengel in Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 8. Aufl. 2016, S. 255. 52 BFH v. 28.4.2010 − I R 81/09, BStBl II 2014, 754; BFH v. 9.12.2010 − I R 49/09, BStBl II 2011, 482; BFH v. 4.5.2011 − II R 51/09, BStBl II 2014, 751; BFH v. 25.5.2011 − I R 95/10, BStBl II 2014, 760. 53 BMF v. 26.9.2014, BStBl I 2014, 1258 in Tz. 2.2.1., 2.3.  54 So Nr. 8, 11 des OECD-Kommentars zu Art. 5 OECD-Musterkommentar; vgl. auch Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, DBA, Stand März 2019, Art. 5 Rz. 32, 52, 57.

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riellen Wirtschaftsgütern („Lizenzen“, Art. 12 OECD-Musterabkommen), insbesondere die Überlassung von Rechten.55 Schließlich ist für die von der Betriebsgesellschaft vereinnahmten Dividenden Art. 10 OECD-Musterabkommen einschlägig. Soweit das Pachtentgelt auf das überlassene unbewegliche Vermögen (Grundstücke und Gebäude) entfällt, weist Art. 6 OECD-Musterabkommen das Besteuerungsrecht dem Belegenheitsstaat zu. Bei der Betriebsaufspaltung im Outbound-Fall ist dies regelmäßig der Ansässigkeitsstaat der Betriebsgesellschaft, wenn diese dort ihren Betrieb unterhält und das unbewegliche Vermögen dort belegen ist. In Deutschland als Ansässigkeitsstaat der Besitzgesellschaft ist das Pachtentgelt insoweit regelmäßig von der Besteuerung freizustellen, Art. 23 A Abs. 1 OECD-Musterabkommen. Soweit das Pachtentgelt auf das bewegliche Betriebsvermögen, z.B. Maschinen und maschinelle Anlagen, entfällt, weist Art. 22 Abs. 1 OECD-Musterabkommen das ausschließliche Besteuerungsrecht dem Ansässigkeitsstaat der Besitzgesellschaft bzw. bei Personengesellschaften wegen deren steuerlicher Transparenz dem der Gesellschafter zu. Der sogenannte Betriebsstättenvorbehalt in Art. 21 Abs. 2 OECD-Musterabkommen kommt gerade nicht zum Tragen, da es sich, wie vorstehend ausgeführt, weder um eine Unternehmenstätigkeit handelt noch dafür im anderen Staat eine Betriebsstätte unterhalten wird. Der Teil des Pachtentgeltes, der auf die Überlassung von Rechten entfällt, kann nach Art.  12 OECD-Musterabkommen nur im Ansässigkeitsstaat der Gesellschafter der Besitzpersonengesellschaft besteuert werden. Der Betriebsstättenvorbehalt des Art. 12 Abs. 2 OECD-Musterabkommen findet wiederum keine Anwendung. Soweit einzelne DBA hier noch dem Quellenstaat, d.h. dem Ansässigkeitsstaat der Betriebsgesellschaft, ein beschränktes Recht zur Quellensteuer einräumen, rechnet Deutschland als Ansässigkeitsstaat der Besitzgesellschaft(er) diese entsprechend § 34 c EStG an. Schließlich sieht Art. 10 OECD-Musterabkommen hinsichtlich der von der Betriebsgesellschaft ausgeschütteten Dividenden eine Besteuerung im Ansässigkeitsstaat der Besitzpersonengesellschaft(er) vor, wobei dem Quellenstaat, also dem Ansässigkeitsstaat der Betriebsgesellschaft ein beschränktes Recht (regelmäßig 15  %) zur Erhebung von Quellensteuer zusteht (Art.  10 Abs.  2 b) OECD-Musterabkommen). Die Quellensteuer ist vom Ansässigkeitsstaat der Besitzpersonengesellschaft(er), im Outbound- Fall Deutschland, anzurechnen. b) Einkommensteuer Im Outbound-Fall unterliegen die im Inland ansässigen Gesellschafter der Besitzpersonengesellschaft der unbeschränkten Steuerpflicht. Soweit das anwendbare DBA Deutschland das Besteuerungsrecht zuweist, sind die Einkünfte wegen des Betriebs­

55 Lt. BFH v. 25.5.2011 − I R 95/10, BStBl II 2014, 760 ist eine entsprechende Aufteilung des Pachtentgeltes vorzunehmen; vgl. auch Wassermeyer, DBA, Stand März 2019, Art. 7 Rz. 32.

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aufspaltungsverhältnisses insgesamt als gewerbliche Einkünfte zu qualifizieren.56 Dies gilt sowohl für die Einkünfte aus der Verpachtung des beweglichen Betriebsvermögens als auch für die Lizenzerträge aus der Überlassung von Rechten als auch für die Dividendenausschüttungen der ausländischen der ausländischen Betriebsgesellschaft. Hinsichtlich der Dividenden bedeutet dies, dass diese nicht der sog. Abgeltungssteuer nach §  32 d Abs.1 EStG, sondern, aufgrund des Vorbehalts von §  20 Abs. 8 EStG, der normalen tariflichen Einkommensteuer der Gesellschafter der Besitzgesellschaft unterliegen, § 32 Abs.1 Satz 1 EStG. Allerdings werden nur 60 % der Dividendenbezüge wegen § 3 Nr. 40 d) EStG der Besteuerung unterworfen. Etwaige im Ausland im Einklang mit dem anwendbaren DBA erhobene Quellensteuern werden entsprechend § 34 c EStG auf die deutsche Einkommensteuer angerechnet. Die freigestellten Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen unterliegen dem Progres­ sionsvorbehalt nach § 32 b Abs. 1 Nr. 3 EStG. c) Gewerbesteuer Auch für gewerbesteuerliche Zwecke gelten die Erträge der Besitzgesellschaft, soweit ein deutsches Besteuerungsrecht aufgrund des anwendbaren DBA besteht, als gewerbliche Erträge.57 Die Voraussetzung einer inländischen Betriebsstätte der Besitzgesellschaft nach §  2 Abs.  1 GewStG ist regelmäßig gegeben, Die Besitzpersonen­ gesellschaft verfügt nämlich über eine Geschäftsleitungsbetriebsstätte58 im Inland, während der verpachtete Betrieb im Ausland keine Betriebsstätte der Besitzgesellschaft darstellt.59 Eine Geschäftsleitungsbetriebsstätte hat jedes gewerbliche Unternehmen.60 Der Gewerbesteuer beim Besitzunternehmen unterliegen demnach grundsätzlich die Erträge aus der Überlassung des beweglichen Betriebsvermögens, die Lizenzeinnahmen aus der Überlassung von Rechten sowie die von der Betriebsgesellschaft ausgeschütteten Dividenden. Für die Dividenden ist allerdings eine Freistellung von der Gewerbesteuer nach dem sog. gewerbesteuerlichen Schachtelprivileg möglich, §  9 Nr. 7, 8 GewStG. d) Exkurs: Beendigung der Betriebsaufspaltung Geht durch die Beteiligung anderer Gesellschafter an der Betriebsgesellschaft die Mehrheit der Stimmrechte an dieser aus Sicht der Besitzgesellschaft(er) verloren, so 56 Vgl. z.B. BFH v. 27.2.1991 − I R 15/89, BStBl II 1991, 444 für Zinsen als Sondervergütungen; Töben, FR 2018, 991/994 weist zutreffend darauf hin, dass die Gewerblichkeitsfiktionen für innerstaatliche Besteuerungszwecke relevant bleiben. 57 Drüen in Blümich, GewStG, § 2 Rz. 90. 58 § 12 Satz 2 Nr. 1 AO; siehe auch Stiller, IStR 2018, 328. 59 Ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH v. 10.6.1966 − VI B 31/63, BStBl. III 1966, 598; BFH v. 4.7.2012 − II R 38/10, BStBl II 2012, 782 Rz. 48; BFH v. 19.3.1981 − IV R 49/77, BStBl II 1981, 538; FG Hessen v. 26.3.2015 − 10 K 2347/09, EFG 2015, 1454 für den Fall der Betriebs­ aufspaltung; FG Münster v. 12.4.2019 − 13 K 3645/16 G, DStRE 2019, 1011. 60 Drüen in Blümich, GewStG, § 2 Rz. 339.

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endet die Betriebsaufspaltung. Dies ist aus steuerlicher Sicht als Betriebsaufgabe im Sinnen von § 16 Abs. 3 EStG zu werten und führt zur steuerlichen Realisierung der stillen Reserven.61 Der dabei entstehende Gewinn unterliegt allerdings als Aufgabegewinn nicht der Gewerbesteuer.62 Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ergibt sich dann, wenn die Besitzgesellschaft nicht nur eine wesentliche Betriebsgrundlage der Betriebsgesellschaft pachtweise zur Verfügung gestellt hat, sondern wenn eine Betriebsverpachtung im Ganzen vorliegt. Die Beendigung der Betriebsaufspaltung führt dann dazu, dass das nach einem Urteil des Großen Senats63 des BFH bestehende Wahlrecht des Verpächters bei einer „normalen“ Betriebsverpachtung zum Zuge kommt, ob er die Aufgabe des Betriebes erklären will oder die Pachteinkünfte weiterhin als gewerbliche Einkünfte versteuern möchte.64 Dieses Wahlrecht muss auch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, hier im Outbound-Fall, zur Anwendung kommen. Ist eine Betriebsaufspaltung anzunehmen oder wird diese im Fall der Betriebsverpachtung erklärt, richtet sich die Zuteilung des Besteuerungsrechts nach Art.  13 OECD-Musterabkommen. Auch wenn abkommensrechtlich keine Veräußerung vorliegt, nach deutschem Steuerrecht aber eine solche angenommen wird, kann Deutschland nur insoweit besteuern, als es dem Ansässigkeitsstaat im Falle der tatsächlichen Veräußerung zustehen würde. Für die Gewinnrealisierung hinsichtlich des unbeweglichen Vermögens steht Deutschland wegen des Belegenheitsprinzips in Art.  13 Abs.  1 OECD-Musterab­ kommen kein Besteuerungsrecht zu. Für alle anderen Wirtschaftsgüter (bewegliche Wirtschaftsgüter, immaterielle Wirtschaftsgüter und die Beteiligung an der Betriebsgesellschaft) steht Deutschland das Besteuerungsrecht nach Art.  13 Abs.  5 OECD-­ Musterabkommen zu. Der Betriebsstättenvorbehalt von Art. 13 Abs. 2 OECD-Musterabkommens kommt mangels Einkünften aus einem Unternehmen und einer Betriebsstätte im anderen Staat nicht zur Anwendung. 2. Inbound-Fall Für den Inbound-Fall wird spiegelbildlich zum Outbound-Fall angenommen, dass eine im Ausland ansässige Personengesellschaft mit dort ansässigen natürlichen Personen als Gesellschafter alle Anteile an einer inländischen Kapitalgesellschaft hält und dieser die wesentlichen Betriebsgrundlagen wie Grundstücke und Gebäude, bewegliche Wirtschaftsgüter in Gestalt von Maschinen und maschinellen Anlagen so-

61 BFH v. 8.2.2007 − IV R 65/01, BStBl II 2009, 699; BFH v. 29.11.2012 − IV R 37/10, BFH/NV 2013, 910; vgl. dazu Bode in Blümich, EStG, § 15 Rz. 647 und Dehmer, Betriebsaufspaltung, 4. Aufl. 2018, § 8 Rz. 4 ff. 62 Dehmer, Betriebsaufspaltung, 4.  Aufl. 2018, §  8 Rz.  7; Drüen in Blümich, GewStG, §  7 Tz. 109. 63 BFH v. 13.11.1963 − GrS 1/63, BStBl III 1963, 124. 64 BFH v. 17.4.2002 – X R 8/00, BStBl II 2002, 527; vgl. Dehmer, Betriebsaufspaltung, 4. Aufl. 2018, § 8 Rz. 15,16; Bode in Blümich, EStG, § 15 Rz. 648 m.w.N.

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wie immaterielle Wirtschaftsgüter wie Rechte im Wege der Betriebsverpachtung zur Nutzung überlässt. a) Abkommensrecht Die Gewerblichkeitsfiktion der Betriebsaufspaltung gilt auch im Inbound-Fall auf Abkommensebene nicht. Vielmehr sind die Zuteilungsnormen autonom auszulegen.65 Dies bedeutet, dass die ausländische Besitzpersonengesellschaft bzw. wegen des Transparenzprinzips deren Gesellschafter keine Unternehmensgewinne im Sinne von Art. 7 OECD-Musterabkommen erzielen. Vielmehr ist das Pachtentgelt aufzuteilen in einen Teil, der auf das im Inland belegene Grundvermögen entfällt. Insoweit steht Deutschland als Belegenheitsstaat nach Art.  6 OECD-Musterabkommen das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte zu. Anders verhält es sich mit dem Teil des Pachtentgeltes, welches auf die zur Nutzung überlassenen beweglichen Wirtschaftsgüter entfällt. Dafür hat nach Art. 21 OECD-­ Musterabkommen ausschließlich der Ansässigkeitsstaat der Besitzpersonengesellschaft(er) das Besteuerungsrecht. Gleiches gilt nach Art. 12 und Art. 10 OECD-Musterabkommen für den Entgeltanteil für die Überlassung immaterieller Wirtschaftsgüter sowie die von der deutschen Betriebskapitalgesellschaft ausgeschütteten Dividenden, wobei die von Deutschland abgeschlossenen DBA regelmäßig einen Quellensteuereinbehalt (Kapitalertragsteuer) zulassen. Die Dividenden der Betriebskapitalgesellschaft gehören nicht zu den Einkünften aus unbeweglichem Vermögen nach Art. 6 OECD-Musterabkommen.66 b) Einkommensteuer Die Gesellschafter der ausländischen Besitzpersonengesellschaft unterliegen in Deutschland der beschränkten Einkommensteuerpflicht im Rahmen der in §  49 EStG genannten Einkünfte. Dies gilt allerdings nur insoweit als das anwendbare DBA Deutschland ein Besteuerungsrecht zuweist. Dies gilt insbesondere für das Pachtentgelt für das in Deutschland belegene unbewegliche Vermögen (Grundstücke und Gebäude). Da es sich wegen der gegebenen Betriebsaufspaltung um Pachteinnahmen mit gewerblichem Charakter handelt, ist § 49 Abs. 1 Nr. 2. f) EStG einschlägig.67 Die Anwendung von § 49 Abs.1 Nr. 2. a) EStG kommt nicht in Betracht, da die Besitzgesellschaft in Deutschland auch im Falle einer Betriebsaufspaltung nicht am Ort des überlassenen Betriebes über eine Betriebsstätte verfügt.68 Der Tatbestand der §  49 Abs.1 Nr.  2 f) EStG geht dem des §  49 Abs.  1 Nr.  6.  EStG bei Gewerblichkeit der Vermietung oder Verpachtung vor. Er erfasst 65 Vgl. die Zitate unter Fn. 47, 48 und 49. 66 Wassermeyer, DBA, Stand März 2019, Art. 7 Rz. 32. 67 Dehmer, Betriebsaufspaltung, 4. Aufl. 2018, § 9 Rz. 4; Gosch in Kirchhoff, EStG, 18. Aufl. 2019, § 49 Rz. 43; Peffermann in Herrmann/Heure/Raupach, EStG, § 49 Anm. 615. 68 Vgl. Fn. 55.

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nicht nur die Vermietung und Verpachtung von unbeweglichen Vermögen, sondern auch von Sachinbegriffen wie einem ganzen Betrieb. Dies umfasst auch die beweglichen Wirtschaftsgüter und Rechte, die mit dem Betrieb überlassen werden. Durch die Einschränkung des deutschen Besteuerungsrechtes durch das anwendbare DBA, hat die Vorschrift hinsichtlich der anderen Gegenstände und Rechte praktisch keine Bedeutung.69 Lediglich hinsichtlich des Lizenzanteils am Pachtentgelt kann sich da­ raus ein begrenzter Quellensteuerabzug ergeben. Auch diese Einkünfte nach §  49 Abs. 1 Nr. 2. f) EStG werden vom Steuerabzug gemäß § 50 a Abs. 1 Nr. 3. EStG erfasst, da dort alle Einkünfte im Sinne der Nr. 2. des § 49 Abs.1 EStG genannt werden, auch die des Buchstaben f).70 Der Steuersatz von 15 % kann durch das DBA eingeschränkt sein. Die Dividendenzahlung der inländischen Betriebsgesellschaft an die ausländische Besitzgesellschaft fällt nicht unter § 49 Abs. 1 Nr. 2. f) EStG. Da es sich wegen der Betriebsaufspaltung auch bei den Dividenden um gewerbliche Einkünfte handelt und das Subsidiaritätsprinzip nach § 20 Abs. 8 EStG auch im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht gelten soll71, stellt sich die Frage, ob diese Einkünfte, selbst wenn das Abkommen ein deutsches Quellensteuerrecht zulässt, überhaupt im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht erfasst werden können. Es handelt sich quasi um betriebsstättenlose gewerbliche Einkünfte, die auch von § 49 Abs. 1 Nr. 2. f) EStG nicht erfasst werden. Allenfalls könnte die Anwendung der isolierenden Betrachtungsweise nach § 49 Abs. 2 EStG dazu führen, doch Einkünfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG anzunehmen. M.E. ist dies aber zweifelhaft, da auf die gewerblichen Einkünfte aus der Betriebsaufspaltung dann uneinheitlich einmal nicht die isolierende Betrachtungsweise zur Anwendung kommt, sonst wäre § 49 Abs. 1 Nr. 2. f) EStG nicht erfüllt, ein anderes Mal für die Dividende aber Anwendung finden würde. Sozusagen eine isolierte Anwendung der isolierenden Betrachtungsweise. c) Gewerbesteuer Die ausländische Besitzgesellschaft und damit deren Gesellschafter unterhalten in Deutschland keine Betriebsstätte im Sinne von § 12 AO. Der verpachtete Betrieb ist nicht zugleich eine Betriebsstätte des Verpächters.72 Die Einordnung der Einkünfte als gewerbliche unter § 49 Abs. 1 Nr. 2. f) EStG hat gewerbesteuerlich keine Auswirkungen. Nach § 2 Abs. 1 Satz 3 GewStG setzt eine Gewerbesteuerpflicht anders als § 49 Abs. 1 Nr. 2. f) EStG immer das Vorhandensein einer Betriebsstätte im Sinne von § 12 AO voraus, der Betriebsstättenbegriff des DBA ist nicht maßgebend.73

69 Reimer in Blümich, EStG, § 49 Rz. 190. 70 Gosch in Kirchhof, EStG, 18. Aufl. 2019, § 50 a Rz. 14. 71 Klein/Link in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, §  49 Anm. 805 und Gosch in Blümich, EStG, § 49 Rz. 75. 72 Siehe die in Fn. 55 zitierte Rechtsprechung. 73 Drüen in Blümich, GewStG, § 2 Rz. 301.

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d) Exkurs: Beendigung der Betriebsaufspaltung Zu den steuerlichen Folgen der Beendigung der Betriebsaufspaltung kann auf die Ausführungen unter III. 1. d) verwiesen werden. Diese gelten grundsätzlich auch bei beschränkter Steuerpflicht der Besitzgesellschaft(er). Es kommt grundsätzlich zu einer Gewinnrealisierung wegen Betriebsaufgabe. Nach Art. 13 Abs.1, 5 OECD-Musterabkommen steht dafür aber Deutschland nur insoweit ein Besteuerungsrecht zu als der Aufgabegewinn auf das unbewegliche Vermögen entfällt. Fraglich ist allerdings, ob ein solcher Aufgabegewinn überhaupt von §  49 Abs.  1 Nr. 2. f) bb) EStG erfasst wird. Die Vorschrift spricht ausdrücklich nur von der Veräußerung, also der entgeltlichen Übertragung an einen Dritten. Reimer74 führt deshalb m.E. zutreffend aus, dass die Aufgabe des Gewerbebetriebs nicht erfasst wird. Die Finanzverwaltung sieht dies anders.75 Es ergebe sich aus den allgemeinen Gewinn­ ermittlungsgrundsätzen, dass Entnahmetatbestände eines Betriebs zu erfassen sind und die Betriebsaufgabe sei eine „Totalentnahme“. In Anbetracht des eindeutigen Wortlautes der Vorschrift, die nur von Veräußerung spricht, kann dieser Sicht nicht gefolgt werden. Gewerbesteuer auf einen Aufgabegewinn kann schon mangels Vorliegen einer inländischen Betriebsstätte nicht entstehen. Der Aufgabegewinn würde aber ohnehin nicht der GewSt unterliegen.76 Handelt es sich um eine Betriebsverpachtung im Ganzen, steht auch dem beschränkt steuerpflichtigen Gesellschafter der Besitzgesellschaft das Wahlrecht zu, entweder weiterhin die Verpachtungseinkünfte als gewerblich zu behandeln oder die Betriebsaufgabe zu erklären.77 In Abhängigkeit von der getroffenen Wahl handelt es sich entweder auch künftig um gewerbliche Vermietungseinkünfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 2. f) EStG oder Vermietungseinkünfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG.

IV. Fazit Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur steuerlichen Betriebsaufspaltung sind auch bei grenzüberschreitenden oder im Ausland verwirklichten Sachverhalten78 anzuwenden. Dies hat zur Folge, dass bei der Besitzpersonengesellschaft bzw. ihren Gesellschaftern keine Vermögensverwaltung, sondern ein Gewerbebetrieb gegeben ist. Dies gilt sowohl im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht hinsichtlich der aus dem Ausland bezogenen Einkünfte aus der Betriebsverpachtung als auch bei beschränkter Steuerpflicht hinsichtlich der im Inland erzielten Verpach74 In Blümich, EStG, § 49 Rz. 189; gl.A. Peffermann in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 49 Anm. 620. 75 SenFin Berlin v. 21.7.2014, DStR 2014, 2569. 76 Siehe Fn. 62. 77 Siehe Fn. 63 und 64. 78 Wie in BFH v. 25.5.2011 − I R 95/10, BStBl II 2014, 760 bei einer im Ausland verwirklichten mitunternehmerischen Betriebsaufspaltung; siehe auch Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. 2017, Rz. 6.105.

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tungseinkünfte. Die in der Vergangenheit strittige Frage nach der Anwendung der isolierenden Betrachtungsweise nach § 49 Abs. 2 EStG auf die von beschränkt Steuerpflichtigen realisierten Verpachtungseinkünfte zwecks Einordnung in den Katalog der Einkunftsarten, die nach § 49 Abs. 1 EStG der beschränkten Steuerpflicht unterliegen, ist durch die Einführung des § 49 Abs. 1 Nr. 2. f) EStG in der Fassung des JStG 2009 nicht mehr relevant. Die Gewerblichkeitsfiktion der Betriebsaufspaltung für die Einkünfte der Besitzgesellschaft ist für die Anwendung der Zuteilungsnormen der DBA nicht maßgeblich. Es liegen nicht per se Unternehmensgewinne im Sinne von Art. 7 OECD-Musterabkommen vor.

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Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung in Drittstaaten nach den Urteilen X-GmbH Inhaltsübersicht I. Die Urteile X-GmbH II. Informationsaustausch als Voraussetzung für eine fehlende Rechtfertigung des ­Eingriffs III. Anforderungen an einen Gegenbeweis im Anwendungsbereich der Kapital­ verkehrsfreiheit

IV. Anwendung auf die allgemeine ­Hinzurechnungsbesteuerung nach § 7 Abs. 1 AStG V. Entwurf eines ATAD-Umsetzungs­ gesetzes VI. Fazit

Heinz-Klaus Kroppen hat sich in seiner aktiven Zeit mit vielen verschiedenen steuerrechtlichen Themen auseinandergesetzt, insbesondere dem Außensteuerrecht. Neben den Verrechnungspreis-Vorschriften im § 1 AStG lag ihm insbesondere die Hinzurechnungsbesteuerung am Herzen. Ich kann mich noch gut an die intensiven Diskussionen mit Prof. Dr. Berndt Runge, seinerzeit nach dem Ausscheiden aus der Bundesfinanzverwaltung Of Counsel bei Deloitte, über die – nach Ansicht von Heinz-­ Klaus Kroppen fehlgehende  – Einführung eines Sondersteuersatzes für die Hinzurechnungsbesteuerung im Steuersenkungsgesetz 2000 erinnern. Wer hätte gedacht, dass diese aufgrund der überholenden Änderung im Jahressteuergesetz 2001 nie effektiv angewendete Regelung uns im Rahmen der Urteile X-GmbH noch einmal beschäftigen würde?

I. Die Urteile X-GmbH Im Beschluss vom 12.10.20161 sieht es der Bundesfinanzhof als zweifelhaft an, ob die Hinzurechnungsbesteuerung von Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter in Drittstaatensachverhalten vollständig mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Der Streitfall betraf eine in Deutschland ansässige X-GmbH, die im Streitjahr 2007 zu 30 % an einer in der Schweiz ansässigen AG beteiligt war, welche Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter i. S. v. § 7 Abs. 6a AStG erzielte. Die Finanzverwaltung unterwarf diese der Hinzurechnungsbesteuerung auf Ebene der X-GmbH. Aufgrund von Zweifeln der in diesem Fall bestehenden Vereinbarkeit der Hinzurechnungsbesteuerung mit der Kapitalverkehrsfreiheit i. S. v. Art. 63 AEUV legte der BFH den Fall dem EuGH vor. Bei der Vorlage ging es zum einen darum, ob die deutschen Hinzurechnungsbesteuerungen der sog. Stand-Still-Klausel des Art.  64 AEUV unterfällt, was 1 BFH, EuGH-Vorlage v. 12.10.2016 − I R 80/14, BStBl II 2017, 615.

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zur Folge hätte, dass die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung in Drittstaatenfällen nicht dem Schutzbereich des Art. 63 AEUV unterfiele. Zum anderen adressierte der BFH an den EuGH die Frage, ob eine Rechtfertigung der Hinzurechnungsbesteuerung darin bestehen könnte, dass zumindest im Streitjahr 2007 keine hinreichende Möglichkeit der deutschen Finanzverwaltung bestanden hätte, Informationen von der Schweizer Finanzverwaltung zur Verifizierung der Angaben des Steuerpflichtigen zu erlangen. Mit Urteil vom 26.2.20192 hat der EuGH die Entscheidung zur Anwendbarkeit der Stand-Still-Klausel weitgehend dem BFH überlassen. Mit Blick auf die Änderungen der Hinzurechnungsbesteuerung durch das Steuersenkungsgesetz 2000 führte der EuGH dem BFH folgend aus, dass dadurch das Hinzurechnungsbesteuerungssystem „von Grund auf neu geordnet“ wurde,3 was grundsätzlich zu einer Nichtanwendung der Stand-Still-Klausel geführt hätte. Durch das Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz 2001 wurde diese Gesetzesänderung allerdings in der Weise überholt, dass die ab dem Feststellungsjahr 2002 zu einer Hinzurechnung führende Regelung des Steuersenkungsgesetzes tatsächlich nie zur Anwendung kam. Dazu überließ es der EuGH dem BFH zu prüfen, ob die Anwendung des Steuersenkungsgesetzes 2000 nach dem nationalen Recht auf einen späteren Zeitpunkt verschoben war, so dass dieses trotz seines Inkrafttretens nicht auf den von Art.  64 Abs.  1 AEUV erfassten Kapitalverkehr anwendbar war.4 Zur Rechtfertigung stellt der EuGH zunächst fest, dass die Hinzurechnungsbesteuerung für Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter unverhältnismäßig in die Kapitalverkehrsfreiheit eingreife. Dem Steuerpflichtigen müsse die Möglichkeit gegeben werden, Anhaltspunkte zu liefern, die belegen, dass seine Beteiligung nicht auf einer rein künstlichen Gestaltung beruhe (im Folgenden auch als „Escape“ oder „Motivtest“ bezeichnet).5 Andererseits sei ein Mitgliedsstaat nicht verpflichtet, Auskünfte zu Tätigkeiten einer im Drittland ansässigen Gesellschaft, an der ein Steuerpflichtiger beteiligt sei, zu akzeptieren, ohne ggf. die Richtigkeit dieser Auskünfte überprüfen zu können.6 Dementsprechend gab der EuGH dem BFH auf, im konkreten Fall zu prüfen, ob zwischen Deutschland und der Schweiz insbesondere vertragliche Verpflichtungen bestünden, die einen hinreichenden rechtlichen Rahmen dafür begründeten, die Richtigkeit der Informationen zu überprüfen, die zum Nachweis dafür vorgelegt würden, dass die Beteiligung nicht auf einer künstlichen Gestaltung beruhe. Mit Urteil vom 22.5.20197 hat der BFH entschieden, dass die Stand-Still-Klausel nach Art. 64 Abs. 1 AEUV nicht greift und die Hinzurechnungsbesteuerung für Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter gem. § 7 Abs. 6a AStG daher uneingeschränkt am Maß2 EuGH-Urteil v. 26.2.2019 − C-135/17 − X-GmbH. 3 EuGH (Fn. 2) − X-GmbH, Rz. 44. 4 EuGH (Fn. 2) − X-GmbH, Rz. 51. 5 EuGH (Fn. 2) − X-GmbH, Rz. 85 ff. 6 EuGH (Fn. 2) − X-GmbH, Rz. 91 ff. 7 BFH v. 22.5.2019 − I R 11/19, BFH/NV 2019, 1376.

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Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung in Drittstaaten

stab der Kapitalverkehrsfreiheit zu messen ist. Dabei genügte es dem BFH, dass die Regelungen des Steuersenkungsgesetzes am 1.1.2001 in Kraft getreten sind ungeachtet dessen, dass diese Regelungen aufgehoben wurden, bevor sie erstmals im Rahmen einer Steuerfestsetzung zur Anwendung kommen konnten. Bei dem durch das Steuersenkungsgesetz implementierten System der Hinzurechnungsbesteuerung habe es sich um eine derart grundlegende Rechtsänderung gehandelt, dass nicht von einer ununterbrochenen Fortgeltung der bisherigen Regelung gesprochen werden könne.8 Im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung urteilte der BFH, dass es keine vertragliche Verpflichtung der Schweiz gegenüber den deutschen Steuerbehörden gebe, die es ermöglichen würde, die Richtigkeit der Angaben des Steuerpflichtigen in Bezug auf die Verhältnisse der Schweizer Gesellschaft und der Umstände, nach denen keine rein künstliche Gestaltung vorliege, zu überprüfen.9 Die in den Streitjahren unter dem damaligen DBA Deutschland-Schweiz anwendbare sog. „kleine“ Auskunftsklausel genüge nicht den Voraussetzungen für einen zur Überprüfung des Vorliegens einer künstlichen Gestaltung hinreichenden Informationsaustausches.10 Für die weitere und über den Urteilsfall hinausgehende Anwendung dieser Rechtsprechung stellen sich nunmehr vier Fragen: – Welche Qualität müssen die vertraglichen Regelungen zum Informationsaustausch haben, um die Rechtfertigung des Eingriffs durch die Hinzurechnungsbesteuerung auszuhebeln? – Welche Voraussetzungen müssen im Rahmen der Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit in Drittstaaten vorliegen, um eine künstliche Gestaltung auszuschließen? – Findet der Schutz durch die Kapitalverkehrsfreiheit auch für Fälle der allgemeinen Hinzurechnungsbesteuerung nach §  7 Abs.  1 AStG in Drittstaaten Anwendung oder wird dieser durch die Niederlassungsfreiheit verdrängt? – Was ist bei der Umsetzung der ATAD in deutsches Recht zu beachten und entsprechen die Regelungen des Referentenentwurfs eines ATAD-Umsetzungsgesetzes diesen Vorgaben?

II. Informationsaustausch als Voraussetzung für eine fehlende Rechtfertigung des Eingriffs Informationsaustausch als Rechtfertigung Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kann eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs nur dann zulässig sein, wenn und soweit sie durch 8 BFH (Fn. 7), Rz. 18 f. 9 BFH (Fn. 7), Rz. 33. 10 BFH (Fn. 7), Rz. 37.

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zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist.11 Im Hinblick auf die Beschränkung der Steuerhoheit eines Mitgliedsstaates hat der Gerichtshof entschieden, dass eine nationale Maßnahme, die den freien Kapitalverkehr beschränkt, durch die Notwendigkeit gerechtfertigt sein kann, der Steuerhinterziehung und Steuerumgehung vorzubeugen, wenn sie sich spezifisch gegen rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen richtet, die zu dem Zweck errichtet werden der Steuer zu entgehen, die normalerweise für die durch Tätigkeiten im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedsstaats erzielten Gewinne geschuldet wird.12 Außerdem kann die Notwendigkeit, die Wirksamkeit der Steueraufsicht zu gewährleisten, ein zwingender Grund des Allgemeininteresses sein, der eine bestimmte Beschränkung des freien Kapitalverkehrs rechtfertigen kann.13 Die Verpflichtung eines Mitgliedsstaates, den Nachweis einer nicht künstlichen Gestaltung zuzulassen, ist aber unter Berücksichtigung der Verfügbarkeit von Verwaltungs- und Regulierungsmaßnahmen, die ggf. eine Überprüfung der Richtigkeit von Angaben des Steuerpflichtigen erlauben, zu beurteilen.14 Ein Mitgliedsstaat ist folglich nicht zur Gewährung einer Exkulpationsmöglichkeit verpflichtet, wenn es sich, insbesondere wegen des Fehlens einer vertraglichen Verpflichtung des Drittstaats zur Vorlage von Informationen, als unmöglich erweist, die Auskünfte die zur Überprüfung der Angaben des Steuerpflichtigen erforderlichen Auskünfte von ihm zu erhalten.15 DBA-Auskunftsklausel Dementsprechend hat es der EuGH dem vorlegenden BFH aufgegeben, zu prüfen, ob im Urteilsfall zwischen Deutschland und der Schweiz eine hinreichende vertragliche Verpflichtung zur Durchführung eines Informationsaustausches bestand.16 In den Streitjahren enthielt das DBA Deutschland-Schweiz in Art. 27 Abs. 1 lediglich eine sog. kleine Auskunftsklausel. Diese Regelung gewährleistet nach Ansicht des BFH keine hinreichend sichere Möglichkeit, die Richtigkeit der vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben zu überprüfen.17 Im Rahmen seiner Prüfung führt der BFH aus, dass die Voraussetzungen des Art. 27 Abs. 1 Bst. a) Satz 1 DBA Schweiz nicht vorlägen, da die erforderlichen Auskünfte nicht − wie in der Vorschrift vorausgesetzt − zur Durchführung dieses Abkommens notwendig seien. Bei der Hinzurechnungsbesteuerung nach den §§  7  ff. AStG handele es sich um eine unilaterale Maßnahme, der durch §  20 Abs.  1 AStG ausdrücklich der Vorrang vor entgegenstehenden abkommensrechtlichen Regelungen eingeräumt werde (Treaty Override).18 11 EuGH v. 21.6.2018 − C-480/16, Fidelity Funds u. a., Rz. 64; EuGH (Fn. 2) − X-GmbH, Rz. 70 mwN, EuGH v. 24.11.2016 − Secil, C‑464/14, Rz. 56.  12 EuGH (Fn. 2) − X-GmbH, Rz. 73; EuGH v. 3.10.2013 – C-282/12, Itelcar, Rz. 34; EuGH v. 12.9.2006 − Cadbury Schweppes - C-196/04, Rz. 51 und 55. 13 EuGH v. 9.10.2014 − C-326/12 − Van Caster, Rz. 46; EuGH (Fn. 2) − X-GmbH, Rz. 74. 14 EuGH (Fn. 2) − X-GmbH, Rz. 91; Urteil v. 10.4.2014 − C-190/12, Emerging Markets, Rz. 85. 15 EuGH, Urteil v. 18.12.2007 − A, C-101/05, Rz. 63; EuGH (Fn. 2), X-GmbH, Rz. 92. 16 EuGH (Fn. 2) − X-GmbH, Rz. 94. 17 BFH (Fn. 7), Rz. 35. 18 BFH (Fn. 7), Rz. 37.

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Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung in Drittstaaten

Mit Wirkung vom 1.  Januar 2011 wurde in das DBA Schweiz die sog. große Auskunftsklausel eingefügt. Art. 27 Abs. 1 DBA Schweiz erlaubt nunmehr − weitestgehend wortgleich mit Art. 26 Abs. 1 OECD-Musterabkommen − einen Austausch von Informationen, die zur Anwendung oder Durchsetzung des innerstaatlichen Rechts betreffend Steuern jeder Art und Bezeichnung […] voraussichtlich erheblich sind, soweit die diesem Recht entsprechende Besteuerung nicht dem Abkommen widerspricht. Eine solche große Auskunftsklausel ist in vielen deutschen DBA enthalten, u.a. in Art. 26 Abs. 1 S. 1 DBA USA. Im DBA USA wird die Hinzurechnungsbesteuerung in Art.  1 Abs.  6 ausdrücklich vorbehalten. Auch Art. 28 der deutschen DBA-Verhandlungsgrundlage sieht u. a. eine explizite Öffnungsklausel für die Hinzurechnungsbesteuerung vor.19 Für das DBA Schweiz hat der BFH mit Blick auf das Verhandlungsprotokoll und Art.  4 Abs.  11 DBA Schweiz bereits frühzeitig entschieden, dass die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung nicht gegen das Abkommen verstößt.20 Darüber hinaus dürften Abkommen mit Staaten auf dem Gebiet der Rechts- und Amtshilfe und des Informationsaustausches (Tax Information Exchange Agreement) den Voraussetzungen für einen hinreichenden Informationsaustausch genügen.21 Keine dem Abkommen widersprechende Besteuerung Ein Informationsaustausch für Zwecke der Anwendung oder Durchsetzung der Hinzurechnungsbesteuerung ist grundsätzlich durch die große Auskunftsklausel gedeckt, vorausgesetzt, dass diese Besteuerung nicht dem Abkommen widerspricht. Hier ist insbesondere die vom BFH bereits im Hinblick auf die Anwendung der kleinen Auskunftsklausel ins Feld geführte Vorschrift des § 20 Abs. 1 AStG zur berücksichtigen, nach der die Vorschriften der Hinzurechnungsbesteuerung durch Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht berührt werden, sog. Treaty Override. Die Einschränkung im letzten Halbsatz der großen Auskunftsklausel einer dem Abkommen widersprechenden Besteuerung soll gerade auf sog. Treaty Override Normen abzielen, weshalb eine Informationshilfe zur Anwendung einer solchen Norm nicht von der Klausel gedeckt sein könnte.22 Der mit dem Musterabkommen 2017 neu eingeführte Art. 1 Abs. 3 stellt allerdings nunmehr fest, dass das Abkommen nicht die Besteuerung einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person durch den Vertragsstaat mit Ausnahme bestimmter Regelungen berührt. Dieses Abkommensverständnis soll mit Blick auf die Hinzurechnungsbesteuerung auch für Abkommen gelten, die eine entsprechende Vorschrift nicht enthalten.23 Eine Regelung, dass eine unilaterale Hinzurechnungsbesteuerung nicht 19 BMF-Schreiben v. 22.8.2013 − IV B 2 - S 1301/13/10009. 20 BFH v. 29.8.1984 − I R 68/81, BStBl II 1985, 120, unter 1; BFH v. 9.11.1983 − I R 120/79, BStBl 1984, 468, unter 2.2. 21 Köhler, ISR 2019, S. 441 (444); Müller, ISR 2019, S. 170 (174); Böhmer/Schewe, FR 2019, 313 (324); Gebhard/Krüger, IWB 2020, 109 (113). 22 Wassermeyer/Hendriks, OECD-Musterabkommen, Kommentar Art. 26, Rz. 33. 23 OECD-Musterabkommenskommentar, Art. 1, Tz. 81. 

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mit dem Abkommen in Konflikt stünde, sei lediglich eine unnötige Klarstellung. Es sei allgemein anerkannt, dass eine solche Hinzurechnungsbesteuerung nicht den Vorschriften des Musterabkommens widerspräche.24 Dieses Verständnis setzt das bislang schon in Tz. 23 der vorhergehenden Musterabkommenskommentare ent­ haltenen Verständnis fort, welches seit einiger Zeit auch seinen Ausdruck in ent­ sprechenden Kommentierungen zu den Artikeln 7 und 10 findet. Diese im OECD-­ Musterabkommenskommentar getroffene Feststellung des fehlenden Widerstreits zwischen den Regelungen des Musterabkommens und lokalen Hinzurechnungsbesteuerungsvorschriften wird in der Literatur zuweilen angegriffen.25 Dem entsprechend wird auch in Anmerkungen zum BFH-Urteil in der Rechtssache X-GmbH ­darauf hingewiesen, dass große Auskunftsklauseln ggf. nicht ausreichend sein könnten.26 Alle Stimmen sind sich aber dahingehend einig, dass ein Widerspruch zum jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen jedenfalls dann nicht vorliegt, wenn die Anwendung der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung ausdrücklich vorbehalten wurde. Auch wo eine solche Vorrangregelung nicht im DBA enthalten ist und auch wenn man dem im OECD-Musterabkommenskommentar in Tz. 81 niedergelegten Verständnis eines fehlenden Widerspruchs zwischen den DBA und der Hinzurechnungsbesteuerung nicht folgt, wäre immer noch in jedem Einzelfall zu prüfen, ob der konkrete Anwendungsfall der Hinzurechnungsbesteuerung dem Abkommen widerspricht. Hier dürfte es eine ganze Reihe von Konstellationen geben, wo das den Informationsaustausch regelnde DBA auf die jeweils der Einkünfteerzielung zugrundeliegenden Transaktionen in Mehrstaatenkonstellationen gar keine Anwendung findet. Erzielt z. B. eine schweizerische Gesellschaft Zinsen aus der Vergabe eines Darlehens an eine ausländische Konzerngesellschaft, so dürfte eine Hinzurechnungsbesteuerung nicht dem DBA Deutschland-Schweiz widersprechen, da dieses auf die von der schweizerischen Gesellschaft erzielten Einkünfte gar nicht anwendbar ist. Ein Auskunftsersuchen sollte daher zulässig sein. In vielen Fälle dürfte deshalb die Hinzurechnungsbesteuerung keine konkret dem DBA widersprechende Besteuerung darstellen. Auch darüber hinaus bestehen aufgrund des OECD Musterabkommens-Kommentars gute Gründe dafür, eine nach dem Recht eines DBA-Staats bestehende Hinzurechnungsbesteuerung nicht als widersprechende Besteuerung anzusehen. Rechtliche Möglichkeit des Informationsaustauschs ausreichend Im Nachgang zur Entscheidung des EuGH in der Rechtssache X-GmbH wurde in einigen Urteilsanmerkungen die Frage erörtert, ob es nur auf die formale Rechtslage hinsichtlich des Informationsaustausches ankommt, sondern ob auch die tatsächli24 OECD-Musterabkommenskommentar (Fn. 23). 25 Z. B. Prokisch in Vogel/Lehner, Doppelbesteuerungsabkommen, Kommentar, Art. 1, Rz. 120u. 26 Märtens, Juris, PR-Steuer R 48/2019 Anm. 2; Schlücke, UbG 2020, 39; ablehnend: Böhmer/ Schewe, FR 2020, 35 (37).

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chen Gegebenheiten zu berücksichtigen sind.27 Dazu wird darauf hingewiesen, dass in einzelnen Fällen sich Staaten immer wieder aus rechtlichen und/oder tatsächlichen Gründen an der Informationsbeschaffung und -übermittlung gehindert sehen.28 In diesem Zusammenhang hat der EuGH29 dem BFH aufgegeben zu prüfen, ob zwischen Deutschland und der Schweiz vertragliche Verpflichtungen bestehen, die einen rechtlichen Rahmen für den Informationsaustausch zwischen den betroffenen nationalen Behörden begründen und die es den deutschen Steuerbehörden tatsächlich ermöglichen können, ggf. die Richtigkeit der Angaben des Steuerpflichtigen zu überprüfen. Insbesondere aus dem Passus „tatsächlich ermöglichen können“ wird hergeleitet, dass es auf das tatsächliche Amtshilfeverhalten im Einzelfall ankommen könne.30 Dies wird von der Mehrheit der Kommentatoren abgelehnt.31 Ob im Einzelnen der Informationsaustausch zwischen den betroffenen Verwaltungen auch tatsächlich durchgeführt werde, spiele für die Ermöglichung des Gegenbeweises hingegen keine Rolle. Aus Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten sie lediglich erforderlich, dass die Möglichkeit zu einem umfassenden Informationsaustausch grundsätzlich bestehe. Tatsächliche Schwierigkeiten, die ausschließlich das Innenverhältnis der beiden Verwaltungen beträfen, dürften dem Steuerpflichtigen nicht angelastet werden.32 So dürfte auch der EuGH zu verstehen sein. Der Steuerpflichtige muss nämlich in die Lage versetzt werden, etwaige wirtschaftliche Gründe für seine Drittstaateninvestition dazutun, wenn ein solcher rechtlicher Rahmen besteht.33 Darüber hinausgehende, tatsächliche Anforderungen werden nicht erwähnt. Bereits früher hat der EuGH mit Blick auf die gegenseitige Amtshilfe im Zusammenhang mit der Rechtfertigung eines Verstoßes gegen die Niederlassungsfreiheit Stellung genommen. Es sei nicht ausgeschlossen, dass das Instrument einer Zusammenarbeit in der Praxis nicht immer zufriedenstellend und reibungslos funktioniere. Die Mitgliedsstaaten könnten jedoch aus etwaigen Schwierigkeiten beim Einholen der erforderlichen Informationen oder aus Defiziten, die bei der Kooperation ihrer Steuerverwaltung auftreten könnten, keine Rechtfertigung für die Beschränkung der durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten herleiten.34 Interessant wird dieses Thema noch einmal mit Blick auf den Entwurf eines ATAD-­ Umsetzungsgesetzes vom 10.12.2019, siehe dazu unten Escape (Motivtest).

27 Oertel, UBG 2020, 41; Böhmer/Schewe (Fn. 26); Schlücke (Fn. 26); Schnitger/Krüger/Nielsen, IStR 2019, 340 (345). 28 Oertel (Fn. 27). 29 EuGH (Fn. 2) − X-GmbH, Rz. 94.  30 Oertel (27); Böhmer/Schewe (Fn. 26). 31 Schlücke (Fn. 26), Schnitger/Krüger/Nielsen (Fn. 27); Kahlenberg/Quilitzsch, IStR 2019, 901 (907); Gebhard/Krüger (Fn. 21). 32 Schlücke (Fn. 26). 33 EuGH (Fn. 2) − X-GmbH, Rz. 95. 34 EuGH-Urteil v. 6.6.2013 − C-383/10, Kommission gegen Belgien, Rz.  53; v. 4.3.2004 − C-334/02, Kommission gegen Frankreich, Rz. 33; v. 12.7.2012 − C-269/09, Kommission/ Spanien, Rz. 72.

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III. Anforderungen an einen Gegenbeweis im Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit Gelangt man unter den im vorhergehenden Abschnitt dargestellten Voraussetzungen zu einer Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit, so stellt sich im Anschluss daran die Frage, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um eine künstliche Gestaltung durch eine Beteiligung an einer Drittstaatengesellschaft im Rahmen der Kapitalverkehrsfreiheit auszuschließen. Mit Blick auf seine Rechtsprechung in der Rechtssache Cadbury-Schweppes35 betont der EuGH, dass es bei der Frage nach den Anforderungen an die Beteiligung um nicht als „rein künstlich“ angesehen zu werden, zu berücksichtigen sei, dass es im Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit nicht auf die Voraussetzungen für eine Niederlassung im Binnenmarkt ankomme, sondern darauf, die Liberalisierung des grenzüberschreitenden Kapitalverkehrs zu verwirklichen.36 Im Kontext des freien Kapitalverkehrs kann der Begriff der rein künstlichen Gestaltung jede Vorkehrung umfassen, bei der das Hauptziel oder eines der Hauptziele darin besteht, durch Tätigkeiten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erzielte Gewinne künstlich in Drittländer mit niedrigem Besteuerungsniveau zu transferieren.37 In diesem Zusammenhang muss dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit gegeben werden, Anhaltspunkte zu liefern, die belegen, dass seine Beteiligung nicht auf einer künstlichen Gestaltung beruht. Dies könnten entweder die wirtschaftlichen Gründe für seine Beteiligung an der Gesellschaft oder die von der Gesellschaft ausgeübte wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit sein.38 Damit liegt der EuGH in einer Linie mit seiner Rechtsprechung zum Missbrauch sekundärrechtlicher Vorschriften in den sog. dänischen Beneficial Ownership Cases.39 Dort hat der EuGH in subjektiver Hinsicht zunächst festgestellt, dass das Bestreben des Steuerpflichtigen, das Steuersystem zu finden, welches für ihn am vorteilhaftesten ist, nicht bereits generell die Vermutung eines Betrugs oder Missbrauchs begründen kann.40 Sofern die betreffende Transaktion wirtschaftlich betrachtet aber eine rein künstliche Gestaltung darstelle und darauf ausgerichtet sei, der Anwendung der Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats zu entgehen, habe der Steuerpflichtige keinen Anspruch auf das Recht oder den Vorteil aus dem Unionsrecht.41 35 EuGH (Fn. 12) – Cadbury-Schweppes. 36 EuGH (Fn. 2) − X-GmbH, Rz. 83. 37 EuGH (Fn. 2) − X-GmbH, Rz. 84. 38 EuGH (Fn. 2) − X-GmbH, Rz. 85. 39 EuGH v. 26.2.2019 − C-116/16 – T Danmark und C-117/16 – Y Denmark Aps; EuGH v. 26.2.2019 − C-115/16 – N Luxembourg 1, C-118/16 – X Denmark, C-119/16 – C Danmark I und C-299/16 – Z Denmark. 40 EuGH v. 26.2.2019 − C-116/16 – T Danmark und C-117/16 – Y Denmark Aps, Rz. 81; v. 12.9.2006, Cadbury Schweppes, C-196/04, Rz.  50, vom 29.11.2011, National Grid Indus, C-371/10, Rz. 84, und (Fn. 11) – Secil, Rz. 60. 41 EuGH v. 26.2.2019 − C-116/16 – T Danmark und C-117/16 – Y Denmark Aps, Rz. 81, und v. 12.9.2006, Cadbury Schweppes, C-196/04, Rz. 51.

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In subjektiver Hinsicht ist für die Praxis die Reduktion der Federal Tax Rate in den USA ab dem 1.1.2018 bedeutsam. Generell dürften vor diesem Zeitpunkt eingegangene Beteiligungen und andere der Kapitalverkehrsfreiheit unterliegende Investments bei einem Steuersatz von 35% zuzüglich Federal Income Tax kaum dem Vorwurf des Gewinntransfers in niedriger besteuerte Drittstaaten unterliegen.42 Objektiv können die in der Rechtssache Cadbury-Schweppes entwickelten Anhaltspunkte im Rahmen der Vorschriften über den freien Kapitalverkehr als Indizien für das Vorliegen einer rein künstlichen Gestaltung dienen, insbesondere wenn es sich als notwendig erweist, den wirtschaftlichen Grund für eine Beteiligung an einer Gesellschaft zu bewerten, die keine eigenen wirtschaftlichen Tätigkeiten entfaltet.43 Hier hat der EuGH in den sog. dänischen Beneficial Ownership Cases etwas nachgeschärft. Ob eine reale wirtschaftliche Tätigkeit fehlt, ist anhand der charakteristischen Merkmale der betreffenden Tätigkeit zu ermitteln. Dabei sind sämtliche relevanten Umstände zu berücksichtigen, insbesondere die Geschäftsführung, die Bilanz, die Kostenstruktur, die tatsächlichen Ausgaben, die Beschäftigten, die Geschäftsräume und die Ausstattung der betreffenden Gesellschaft.44 Neben die wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit der Gesellschaft selbst tritt im Rahmen der Kapitalverkehrsfreiheit alternativ die Möglichkeit des Nachweises von wirtschaftlichen Gründen für das Eingehen der Beteiligung an der Gesellschaft.45 Das bedeutet umgekehrt, dass aus der fehlenden eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit allein nicht auf das Vorliegen einer rein künstlichen Gestaltung geschlossen werden darf.46 Da vorliegend ein Gewinntransfer zur Ausnutzung eines niedrigeren Steuerniveaus im Drittstaat gegen den Vorwurf der Künstlichkeit verteidigt werden sollen, erscheint es nachvollziehbar, als wirtschaftliche Gründe alle nichtsteuerlichen Gründe zuzulassen, also zum Beispiel auch rechtliche und politische Gründe.47 Dafür spricht auch die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Hornbach, in der als ein möglicher wirtschaftlicher Grund die „Verantwortung“ als Gesellschafterin bei der Finanzierung von Tochtergesellschaften genannt wird.48 Als mögliche Beispiele für solche künstlichen Gestaltungen bzw. künstliche Gewinntransfers können z. B. Durchleitungseinheiten dienen, die die erzielten Gewinne unmittelbar weiterleiten müssen49 oder Gestaltungen, bei denen die zur Finanzierung gewährten Mittel anschließend 42 Vgl. Köhler (Fn. 21), 175 (181). 43 EuGH (Fn. 2) − X-GmbH, Rz. 83. 44 EuGH v. 26.2.2019 − C-116/16 – T Danmark und C-117/16 – Y Denmark Aps, Rz. 104. 45 EuGH (Fn. 2) − X-GmbH, Rz. 85; Kahlenberg, DB 2019, 1590 (1593); Schönfeld, IStR 2019, 397, 399; Köhler (Fn. 21), 441 (446), ders., ISR 2019, 175, 179; Müller, ISR 2020, 41 (44). 46 Schnitker/Krüger/Nielsen (Fn. 27); Cloer/Hagemann, DB 2019, 1228 (1233); wohl auch Böhmer/Schewe (Fn. 21), 313 (323); Köhler (Fn. 21), 441 (446), ders., ISR 2019, 175 (178); und Müller, ISR 2020, 41 (44); Kahlenberg (Fn. 45), 1590 (1594) setzt „lediglich irgendeine Tätigkeit“ voraus. 47 Kahlenberg (Fn. 45), 1590 (1594). 48 EuGH v. 31.5.2018 − C-382/16 − Hornbach, Rz. 56. 49 EuGH v. 26.2.2019 − C-116/16 – T Danmark und C-117/16 – Y Denmark Aps, Rz. 104; Kahlenberg, DB 2019, 1590 (1594).

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unmittelbar und betragsgleich wieder an den Gesellschafter zurück gereicht werden.50 Ebenso wenig wie der Rechtsprechung in der Rechtssache Cadbury-Schweppes ist der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache X-GmbH zu entnehmen, dass Anhaltspunkte gegen eine rein künstliche Gestaltung segmentiert für unterschiedliche Arten von Betätigungen der Gesellschaft bestehen müssen.51 Dies hat der Gesetzgeber für den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit in § 8 Abs. 2 AStG anders geregelt. Diese segmentierende Sicht hält Wacker für zutreffend52 während die Vorgaben der ATAD in Art. 7 Abs. 2 a) Unterabsatz 2 wohl in eine andere Richtung gehen.53 Es erscheint fraglich, ob das zumindest im Hinblick auf die eigene wirtschaftliche Tätigkeit der Gesellschaft auch für den Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit gefordert werden kann. Hier ist zu berücksichtigen, dass der beteiligte Gesellschafter im Fall einer gesetzlich vorausgesetzten Portfoliobeteiligung wohl kaum eine Einwirkungsmöglichkeit auf verschiedene Arten der Tätigkeit der Gesellschaft unterstellt werden kann. Sofern sich die Anhaltspunkte gegen eine rein künstliche Gestaltung aber auf wirtschaftliche Gründe beziehen, die auf die Beteiligung an der Gesellschaft abstellen, so dürften sich potenziell verschiedene Beteiligungsvorgänge, z. B. eine Erhöhung der Beteiligung einer Erhöhung einer bereits existierenden Beteiligung, unterscheiden lassen und, in Abhängigkeit von den Umständen, ggf. zusätzlicher wirtschaftlicher Gründe bedürfen. Unabhängig von der Frage nach dem Vorliegen wirtschaftlicher Gründe im engeren Sinne, ist mit Blick auf die Zypern-Entscheidung des BFH54 zu berücksichtigen, dass sich die Anwendung des Außensteuergesetzes beschränkt auf die Einkünfte, die einer Drittstaatengesellschaft, die einer ausländischen Gesellschaft im Hinblick auf ihre Aktivitäten, ggf. nach Korrektur über Grundsätze der verdeckten Gewinnausschüttung oder der verdeckten Einlage, zuzurechnen sind.

IV. Anwendung auf die allgemeine Hinzurechnungsbesteuerung nach § 7 Abs. 1 AStG Die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache X-GmbH bekäme eine erheblich höhere Bedeutung, wenn die Kapitalverkehrsfreiheit nicht nur auf die Hinzurechnungsbesteuerung bei Kapitalanlageeinkünften i. S.  v. §  7 Abs.  6a AStG, sondern auch bei der regulären Hinzurechnungsbesteuerung gem. § 7 Abs. 1 AStG Anwendung fände. Nachdem der Bundesfinanzhof55 im Nachgang zur Entscheidung des EuGH56 entschieden hat, dass die sog. Stand Still-Klausel in Artikel 64 Abs. 1 AEUV 50 Schnitker/Krüger/Nielsen (Fn. 27). 51 Vgl. Kahlenberg (Fn. 45), 1590 (1594). 52 Wacker, IStR 2018, 882 (888). 53 So auch Kahlenberg (Fn. 45), 1590 (1594); anders Wacker (Fn. 52), 882 (888). 54 BFH v. 13.6.2018 − I R 94/15. 55 BFH (Fn. 7). 56 EuGH (Fn. 2) − X-GmbH.

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Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung in Drittstaaten

der Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit auf die Hinzurechnungsbesteuerung nicht entgegensteht und damit dem Steuerpflichtigen das Vorbringen von Einwendungen gegen das Vorliegen einer künstlichen Gestaltung zu ermöglichen ist, könnte bei einer Erweiterung auf die allgemeine Hinzurechnungsbesteuerung gem. §  7 Abs. 1 AStG ein solcher Escape auch für alle weiteren Formen passiver Einkünfte zu gewähren sein. In der Rechtssache X-GmbH hat der EuGH keine Zweifel geäußert, dass in dem zur Entscheidung stehenden Fall einer Beteiligung an einer Drittstaatengesellschaft die Kapitalverkehrsfreiheit auf § 7 Abs. 6a AStG Anwendung findet. Für die allgemeine Hinzurechnungsbesteuerung im Sinne von § 7 Abs. 1 AStG ist nunmehr zu klären, ob diese mit Blick auf Beteiligungen an Gesellschaften in Drittstaaten in den Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit fällt und wie in diesem Zusammenhang die Abgrenzung zur Niederlassungsfreiheit vorzunehmen ist. Abgrenzung der Niederlassungsfreiheit von der Kapitalverkehrsfreiheit Für die Abgrenzung der Niederlassungsfreiheit von der Kapitalverkehrsfreiheit kommen vor allen Dingen zwei Kriterien in Betracht, nämlich die Art der Tätigkeit der Gesellschaft und die Höhe der Beteiligung des Gesellschafters.57 Sowohl die Rechtsprechung als auch die Literatur stellen weitestgehend auf die Höhe der Beteiligung ab. Die Diskussion verläuft dabei nicht immer ganz gradlinig. Dies liegt zum einen daran, dass die Rechtsprechung des EuGH sich in dieser Abgrenzungsfrage kontinuierlich weiterentwickelt hat, und zum anderen daran, dass in der Literatur EU- und Drittstaatenfälle nicht immer sauber voneinander abgegrenzt werden. Nach Art.  49 Abs.  2 AEUV umfasst die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften im Sinne von Art. 54 Abs. 2 AEUV. Der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit umfasst nach Art. 49 Abs. 1 AEUV allerdings nur die jeweiligen Hoheitsbereiche der Mitgliedsstaaten der EU, nicht jedoch Drittstaaten. In den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit fallen Regelungen, die nur auf Beteiligungen anwendbar sind, die es ermöglichen, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidung einer Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen.58 Dem gegenüber schützt die Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 63 Abs. 1 AEUV vor Beschränkungen des Kapitalverkehrs und nach Art. 63 Abs. 2 AEUV Beschränkungen des Zahlungsverkehrs. Im Unterschied zur Niederlassungsfreiheit findet die Kapitalverkehrsfreiheit nicht nur zwischen den Mitgliedsstaaten, sondern auch zwischen den Mitgliedsstaaten und dritten Ländern Anwendung. Kapitalverkehr im Sinne dieser Bestimmung sind insbesondere direkte Investitionen in Form der Beteiligung an einem Unternehmen durch den Besitz von Anteilen, die die Möglichkeit verschaffen, sich tatsächlich an der Verwaltung dieser Gesellschaft und an 57 Schön, IStR-Beihefter 2013, 3, 7. 58 EuGH-Urteil v. 11.9.2014 – C-47/12 − Kronos, Rz. 31, Urteil v. 12.9.2006 − C-446/04, Test Claimants in The FII Group Litigation I, Rz. 37 m.w.N.

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deren Kontrolle zu beteiligen (sog. Direktinvestition), sowie der Erwerb von Wertpapieren auf dem Kapitalmarkt allein in der Absicht einer Geldanlage, ohne auf die Verwaltung und Kon­trolle des Unternehmens Einfluss nehmen zu wollen (sog. Portfolioinvestition).59 In diesem Sinne ist bei der Abgrenzung zwischen der Niederlassungs- und der Kapitalverkehrsfreiheit auf den abstrakten Gegenstand der betreffenden nationalen Regelung abzustellen.60 Ist die Regelung also nur auf Beteiligungen anwendbar, die einen sicheren Einfluss der Gesellschaft ermöglichen und erlauben, deren Tätigkeit zu bestimmen, findet die Niederlassungsfreiheit Anwendung und verdrängt insoweit die Kapitalverkehrsfreiheit. Handelt es sich dagegen bei den betroffenen Formen der ­Beteiligung um Direktinvestitionen oder Portfolioinvestitionen, ohne dass auf die Verwaltung und die Kontrolle des Unternehmens Einfluss genommen werden soll, kommt exklusiv die Kapitalverkehrsfreiheit zur Anwendung.61 Für das Konkurrenzverhältnis zwischen Niederlassungsfreiheit und Kapitalverkehrsfreiheit hat die Rechtsprechung in der Rechtssache Test Claimants in The FII Group Litigation II62 einige richtungsweisende Aussagen getroffen. In dem Urteil hat der EuGH zunächst die zuvor geschilderte Abgrenzung bestätigt. Er hat darüber hinaus für Drittstaatenfälle die Aussage getroffen, dass nationale steuerliche Vorschriften, die nicht abstrakt nach Ihrem Tatbestand auf sicheren Einfluss nehmende oder tätigkeitsbestimmende Beteiligungen im Sinne der o. g. Definitionen abzielen, an der Kapitalverkehrsfreiheit zu messen sind. Nichts anderes ergibt sich aus der Rechtsprechung in der Rechtssache Lasertec.63 In dem dort entschiedenen Fall hat der EuGH die Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit im Verhältnis zu einem Drittstaat für die deutsche Gesellschafterfremdfinanzierung abgelehnt. Diese für Beteiligungen ab 25% geltende Regelung hat der EuGH aus dem Kontext heraus dahingehend interpretiert, dass diese auf beherrschende Beteiligungen abzielt und somit bereits ihrem Gegenstand nach nur der Niederlassungsfreiheit zugänglich ist.64 Fallen also in den Anwendungsbereich einer nationalen Norm sowohl Kontrollbeteiligungen als auch Port­ foliobeteiligungen, ist eine solche Regelung im Drittstaatenfällen ungeachtet der konkreten Beteiligungshöhe am Maßstab der Kapitalverkehrsfreiheit zu messen.65 Diese Rechtsprechung hat der EuGH im Folgenden in verschiedenen Fällen zur Ab-

59 EuGH (Fn. 2) − X-GmbH, Rz. 26; Urteil v. 28.09.2006 − C‑282/04 und C‑283/04 − Kommission/Niederlande, Rz. 18 und 19. 60 EuGH (Fn. 58) − Kronos, Rz. 30; Urteil v. 13.11.2012 − C-35/11, Test Claimants in The FII Group Litigation II, Rz. 90 m.w.N. 61 EuGH (Fn. 2) − X-GmbH, Rz. 26; EuGH (Fn. 58) − Kronos, Rz. 32; EuGH (Fn. 61) − Test Claimants in The FII Group Litigation II, Rz. 91 f.; siehe dazu auch Jacobsen, DStZ 389, 392.  62 EuGH (Fn. 61) − Test Claimants in The FII Group Litigation II. 63 EuGH, Urteil v. 10.5.2007 − C-492/04, Lasertec. 64 EuGH (Fn. 63) − Lasertec, Rz. 19 ff. 65 EuGH (Fn. 61) − Test Claimants in The FII Group Litigaton II, Rz. 99; Schön, IStR-Beihefter, 2013, 3, 19; Jacobsen, DStZ 2019, 389, 392. 

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Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung in Drittstaaten

grenzung zwischen Kapitalverkehrsfreiheit und Niederlassungsfreiheit im Verhältnis zu Drittstaaten herangezogen.66 Dem folgt auch der BFH.67 Abgrenzung im Fall der allgemeinen Hinzurechnungsbesteuerung Was bedeutet dies nun für die Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit für die allgemeine Hinzurechnungsbesteuerung i. S. d. § 7 Abs. 1 AStG? § 7 Abs. 1 AStG setzt lediglich voraus, dass Steuerinländer an einer Gesellschaft zu mehr als der Hälfte beteiligt sind. Die Vorschrift verlangt kein Mindestmaß an Einflussnahme durch einen einzelnen Anteilseigner und erst recht keine Beherrschung der ausländischen Gesellschaft. Dementsprechend können auch Steuerinländer, die (zufällig) nur in Form einer Kleinstbeteiligung an einer ausländischen Gesellschaft beteiligt sind, unter §  7 Abs. 1 AStG fallen und damit der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen. Der Begriff der Inländerbeherrschung ist insoweit irreführend, da er lediglich darauf Bezug nimmt, dass numerisch insgesamt mehr als 50% der Anteile durch Steuerinländer gehalten werden. Die Literatur befürwortet auf breiter Front die Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit auch auf die allgemeine Hinzurechnungsbesteuerung im Sinne von § 7 Abs. 1 AStG und hält deswegen eine Erweiterung des Escapes für den Vorwurf einer künstlichen Gestaltung auch für die allgemeine Hinzurechnungsbesteuerung im Verhältnis zu Drittstaaten für erforderlich. Eine solche Erweiterung wurde bereits vor der Entscheidung des EuGH vertreten.68 Nunmehr ist dieses Thema im Rahmen der Diskussionen um das Urteil des EuGH in der Rechtssache X-GmbH und die Folgeentscheidung des BFH noch einmal verstärkt aufgegriffen und nahezu einheitlich im Sinne eines Schutzes der Kapitalverkehrsfreiheit beantwortet worden.69 Der BFH hat sich dazu zuletzt in einem obiter dictum recht eindeutig positioniert. Für die Abgrenzung der Anwendungsbereiche der Niederlassungsfreiheit und der Kapitalverkehrsfreiheit sei unabhängig davon, ob tatsächlich ein „sicherer Einfluss“ auf die Unternehmensleitung bestanden habe, auf den Tatbestand der betreffenden nationalen Regelung abzustellen. Die Hinzurechnungsbesteuerung i. S. v. § 7 Abs. 1 AStG setze zwar eine „Inländerbeherrschung“ voraus, ziehe die Rechtsfolge aber unabhängig von der konkreten Beteiligungshöhe bei jedem unbeschränkt steuerpflichtigen Beteiligten.70 Auch das FG Baden-Württemberg hat sich in einem obiter dic66 EuGH (Fn.  58) − Kronos, Rz.  37; EuGH (Fn.  12) − Itelcar, (zu Zinsen) Rz.  18  f.; EuGH (Fn. 11) − Secil; EuGH (Fn. 14), Emerging Markets, Rz. 30.  67 BFH (Fn. 1) − IStR, 2017, 316. 68 Schön, JbFStR 2013/2014, 85, 90 f./ IStR-Beihefter 2013, 3, 19; Rättig/Protzen, IStR 2003, 1095, Schönfeld, ISTR 2016, 416, 417; Köhler in: Strunk/Kaminski/Köhler, AStG, Vor §§ 7–14 AStG, Rz. 43.1, 50.  69 Jacobsen, DStZ 2019, 389 (392); Schnitger/Krüger/Nielsen (Fn.  27), 340 (346); Märtens, ­JurisPR-Steuer R 48/2019, Anm. 3; Kortendick, Joisten, Ekinci, BB 2018, 3031 (3035  ff.); Kahlenberg/Weiss, IStR 2018, 878 (880); Köhler, ISR 2018, 453 (459); Kahlenberg, IWB 2019, 8 (11); ders., DB 1590 (1594); Müller, ISR, 2020, 41 (44 f.). 70 BFH (Fn. 54).

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tum zu dieser Frage geäußert. Zwar erfordere § 7 Abs. 1 AStG eine Mindestbeteiligung an der Zwischengesellschaft von mehr als 50 %. Vorausgesetzt werde jedoch nicht, dass zwischen mehreren Anteilseignern eine Rechtsbeziehung oder gleichgerichtete Interessen bestünden. Damit könne bereits eine Kleinbeteiligung ohne jegliche reale Einflussmöglichkeit die Hinzurechnungsbesteuerung auslösen. Die Regelung wäre damit nicht nur auf Beteiligungen anwendbar, die es ermöglichen, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen einer Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen, was für die Bejahung des Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit erforderlich wäre.71 Es deutet einiges darauf hin, dass der EuGH das auch so sehen dürfte. Zwar hat das Gericht im Urteil X-GmbH keine Aussage zur Abgrenzung zwischen Niederlassungsfreiheit und Kapitalverkehrsfreiheit getroffen. In seinen Schlussanträgen hat Generalanwalt Mengozzi aber ausgeführt, dass anlog zu der auf das Urteil Test Claimants ­zurück gehenden Rechtsprechung eine Regelung, die nicht ausschließlich Kontrollbeteiligungen betrifft und die steuerliche Behandlung von Einkünften einer im ­Mitgliedsstaat ansässigen Gesellschaft aus Investitionen in eine Drittlandsgesellschaft regelt, unter dem Gesichtspunkt der Kapitalverkehrsfreiheit beurteilt werden, die konkrete Beteiligung (hier in Höhe von 30 % an einer Schweizer Gesellschaft) müsse in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt werden.72 Dies stimmt überein mit der Rechtsprechung des EuGH seit der Entscheidung Test Claimants73, nach der sich eine Gesellschaft, die eine herrschende Beteiligung an einer Drittstaaten-Gesellschaft hält, dann auf die Kapitalverkehrsfreiheit gem. Art. 63 AEUV berufen kann, wenn es darum geht, die Regelung eines Mitgliedsstaats zu überprüfen, wenn die betreffende nationale Regelung nicht ausschließlich auf Situationen anwendbar ist, in denen die Muttergesellschaft einen entscheidenden Einfluss auf die Drittstaaten-Gesellschaft ausüben kann.74 Wie oben bereits ausgeführt, können auch Steuerinländer, die (zufällig) nur in Form einer Kleinstbeteiligung ohne Einflussmöglichkeit an einer ausländischen Gesellschaft beteiligt sind, unter §  7 Abs.  1 AStG fallen und damit der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen. Damit sind die vom EuGH für die Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit aufgestellten Anforderungen erfüllt. Mit Blick auf die Anwendbarkeit der Rechtsprechung in der Rechtssache Test Claimants in The FII Group Litigation75 wurde diskutiert, ob diese Rechtsprechung zu Dividendenzahlung aus Drittstaaten auch auf die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung anwendbar ist oder ob eine Prüfung der Hinzurechnungsbesteuerung am Maßstab der Kapitalverkehrsfreiheit nicht zu einer Erweiterung der Niederlassungs-

71 FG Baden-Württemberg, Urteil v. 8.5.2018 − 6 K 1775/16, IStR 2019, 107, Rz. 73. 72 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi v. 5.6.2018 − C-135/17, X-GmbH, Rz. 18 f. 73 EuGH (Fn. 61) − The Claimants in The FII Group Litigation II, Rz. 99 und 104. 74 EuGH (Fn. 14) − Emerging Markets, Rz. 30; EuGH (Fn. 58) − Kronos, Rz. 37; EuGH (Fn. 11) − Secil; EuGH (Fn. 12) − Itelcar, Rz. 18 f.; EuGH (Fn. 61) − Test Claimants in The FII Group Litigation II, Rz. 99 und 104. 75 EuGH (Fn. 61) − Test Claimants in The FII Group Litigation II.

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Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung in Drittstaaten

freiheit „durch die Hintertür“ führe und deswegen abzulehnen sei.76 Insoweit erfolgt ein Bezug auf die ständige Rechtsprechung des EuGH, nach der verhindert werden muss, dass die Auslegung von Art. 63 Abs. 1 AEUV in Bezug auf die Beziehung zu Drittstaaten Wirtschaftsteilnehmern, die sich außerhalb des territorialen Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit befinden, erlaubt, in den Genuss dieser Freiheit zu gelangen.77 In seinen Schlussanträgen in der Rechtssache X-GmbH hat Generalanwalt Mengozzi ausgeführt, die Umstände des Urteilsfalls könnten angesichts der fraglichen Bestimmung des AStG die Anwendbarkeit der Kapitalverkehrsfreiheit zugunsten der Niederlassungsfreiheit nicht ausschließen.78 In derartigen Situationen bestünde keine Gefahr des Missbrauchs der Niederlassungsfreiheit. Deutlicher sind die Schlussanträge in der Rechtssache Emerging Markets. Dort stellt der Generalanwalt fest, dass es sich bei der in Rede stehenden steuerlichen Behandlung der Einkünfte ausländischer Fonds nicht um Regelungen handele, die die Voraussetzungen für den Zugang von Investmentfonds eines Drittstaats zum Markt eines Mitgliedsstaats beträfen.79 Er grenzt außerdem zur Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Fidium Finanz80 ab, in der der EuGH die Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit versagt hatte. Im Gegensatz zu der Situation, die dem Urteil Fidium Finanz zugrunde lag, in der es um eine von deutschen Behörden gegenüber einer Schweizer Gesellschaft ausgesprochene Untersagung ging, in Deutschland ansässigen Kunden gewerbsmäßig Kredite zu gewähren, weil die Gesellschaft nicht über die nach deutschem Recht hierfür erforderliche Erlaubnis verfügte, und die der Gerichtshof dem Anwendungsbereich des freien Dienstleistungsverkehrs zugeordnet hat, wird nämlich dadurch, dass Investmentfonds aus Drittstaaten, die von polnischen Gesellschaften ausgeschüttete Dividenden erhalten, von der Steuerbefreiung ausgeschlossen sind, diesen Wirtschaftsteilnehmern nicht der Zugang zum polnischen Markt verwehrt.81 Der EuGH ist dem mit der Begründung gefolgt, dass die in Rede stehende Steuerregelung die steuerliche Behandlung dieser Dividenden betrifft und nicht Voraussetzungen regeln soll, unter denen Wirtschaftsteilnehmer aus Drittstaaten Zugang zum nationalen Markt haben.82 In der Rechtssache Secil83 hat der EuGH einen Fall zu beurteilen, in dem sich eine portugiesische Gesellschaft an Gesellschaften in Tunesien und dem Libanon zu jeweils mehr als 50 % beteiligte. Im Urteilsfall ging es um die zum Inlandsfall unterschiedliche Behandlung von Dividenden aus diesen Gesellschaften. Da die entspre76 Siehe hierzu etwa Sydow und Gosch, Diskussionsbeiträge, Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht, 2013/2014, S. 98 f., unter dem Gesichtspunkt von Marktzutrittsbeschränkungen. 77 EuGH (Fn. 58) − Kronos, Rz. 53, m.w.N.; EuGH (Fn. 14) − Emerging Markets, Rz. 31; EuGH (Fn. 11) – Secil. 78 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi (Fn. 72) − X-GmbH. 79 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi v. 6.11.2013 − C-190/12, Emerging Markets, Rz. 13. 80 EuGH, Urteil v. 3.10.2006 − C-452/04 Fidium Finanz. 81 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi (Fn. 79) − Emerging Markets, Rz. 15. 82 EuGH (Fn. 14) − Emerging Markets, Rz. 33. 83 EuGH (Fn. 11) − Secil.

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chende portugiesische Regelung nicht ausschließlich auf Situationen Anwendung fand, in denen die Gesellschaft, die die Dividenden erhält, entscheidenden Einfluss auf die Gesellschaft ausüben kann, fällt diese unter Artikel 63 AEUV (freier Kapitalverkehr).84 Eine Gefahr der Ausdehnung Niederlassungsfreiheit auf dem Umweg über die Kapitalverkehrsfreiheit sah der EuGH im Urteilsfall nicht. Die einschlägige Regelung betreffe nämlich nicht die Voraussetzung für den Zugang einer in Portugal ansässigen Gesellschaft zum Markt eines Drittstaates, sondern lediglich die steuer­ liche Behandlung von Dividenden, die aufgrund von Investitionen des Empfängers der Dividenden in die Gesellschaft, die die Dividenden ausschüttet, gezahlt werden. Daraus dürfte der Schluss zu ziehen sein, dass negative steuerliche Regelungen im Staat, die das Investment in eine Drittstaatengesellschaft betreffen, nicht als Marktzugangsbeschränkungen zu beurteilen sind, die aufgrund einer „Umgehung“ der für Drittstaaten nicht anwendbaren Niederlassungsfreiheit von der Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit ausgeschlossen werden. Auch unter diesem Gesichtspunkt wird daher die Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit auf die allgemeine Zuwendungsbesteuerung nach § 7 AStG nicht verdrängt.

V. Entwurf eines ATAD-Umsetzungsgesetzes Mit Datum vom 10.12.2019 hat das Bundesministerium der Finanzen einen Referentenentwurf für ein Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie vorgelegt („ATAD UmsG“). In §  8 Abs.  2 AStG-E enthält das Gesetz einen Substanz Escape vor. Dies entspricht den Voraussetzungen der ATAD, die in Art. 7 Abs. 2 a) Unterabsatz 2 eine Nichtanwendung der Hinzurechnungsbesteuerung vorsieht, wenn das beherrschte ausländische Unternehmen gestützt auf Personal, Ausstattung, Vermögenswerte und Räumlichkeiten eine wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit ausübt und dies durch relevante Fakten und Umstände nachgewiesen wird. Der Wortlaut der deutschen Entwurfsfassung stimmt weitgehend mit dem gegenwärtigen §  8 Abs.  2 AStG überein. Allerdings wurde das Erfordernis einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit durch das Verlangen einer wesentlichen wirtschaftlichen Tätigkeit ersetzt. Nach § 8 Abs. 3 AStG-E gilt der Substanz-Escape nur dann, wenn die Gesellschaft Sitz oder Geschäftsleitung in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder des EWR-Abkommens hat. Dies liegt nach Art. 7 Abs. 2 a) Unterabsatz 3 ATAD in der Entscheidungsbefugnis des jeweiligen Mitgliedsstaats. Ein Berufen auf den Substanz-Escape ist auch dann nach § 8 Abs. 4 AStG-E nicht möglich, wenn der Staat, in dem die Gesellschaft ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung hat, im Wege des zwischenstaatlichen Informationsaustausches keine Auskünfte erteilt, die zur Durchführung der Besteuerung erforderlich sind.

84 EuGH (Fn. 11) − Secil, Rz. 41.

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Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung in Drittstaaten

Anwendung auf die allgemeine Hinzurechnungsbesteuerung nach § 7 Abs. 1 AStG-E Das bisherige Konzept der Inländerbeherrschung (dazu s. oben) wird durch ein Konzept der Beherrschung durch einen unbeschränkt Steuerpflichtigen ersetzt. Eine Beherrschung liegt nach § 7 Abs. 2 AStG-E dann vor, wenn dem Steuerpflichtigen allein oder zusammen mit nahestehenden Personen mehr als die Hälft der Stimmrechte oder mehr als die Hälfte der Anteile am Nennkapital unmittelbar oder mittelbar zuzurechnen sind oder unmittelbar oder mittelbar ein Anspruch auf mehr als die Hälfte des Gewinns oder des Liquidationserlöses dieser Gesellschaft zusteht. Zum Begriff des Nahestehens wird in §  7 Abs.  3 AStG-E auf die Definition der nahestehenden Person in § 1 Abs. 2 AStG-E verwiesen. Es stellt sich nunmehr die Frage, ob unter dem neu gefassten Beherrschungskonzept weiterhin der Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit im Verhältnis zu Drittstaaten-Gesellschaften betroffen ist. Die Gesetzesbegründung hält den Ausschluss des Motivtests für Drittstaaten-Gesellschaften für möglich, weil die Beherrschungsvoraussetzungen der ATAD ausschließlich die Niederlassungsfreiheit berühren und nach der Rechtsprechung des EuGH bei Drittstaaten-Sachverhalten die Berufung auf die Kapitalverkehrsfreiheit dann ausgeschlossen ist, wenn die betreffende Regelung allein den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit betrifft. Wie oben bereits detailliert ausgeführt, kann eine Gesellschaft, die eine herrschende Beteiligung an einer Drittstaaten-Gesellschaft hält, sich dann auf die Kapitalverkehrsfreiheit gem. Art. 63 AEUV berufen, wenn es darum geht, die Regelung eines Mitgliedsstaats zu überprüfen, wenn die betreffende nationale Regelung nicht ausschließlich auf Situationen anwendbar ist, in denen die Muttergesellschaft einen entscheidenden Einfluss auf die Drittstaaten-Gesellschaft ausüben kann.85 Auch nach der Rechtsprechung des BFH ist auf den Tatbestand der betreffenden nationalen Regelung abzustellen; im Hinblick auf die Hinzurechnungsbesteuerung nach § 7 Abs. 1 AStG verweist der BFH darauf, dass die Rechtsfolge unabhängig von einer konkreten Beteiligungshöhe bei jedem unbeschränkt Steuerpflichtigen gezogen wird.86 Aus meiner Sicht sind hier insbesondere zwei Konstellationen problematisch. In Beispielfall 1 ist die A-GmbH zu 2 % an der US Corp. beteiligt. Einer der Anteilseigner der A-GmbH ist die B-Limited in Großbritannien, die ihrerseits zu 49 % an der US Corp. beteiligt ist. Mit einer Beteiligung von mindestens 25 % an der A-GmbH gilt die B-Limited als nahestehende Person i. S. v. § 1 Abs. 2 AStG-E mit der Folge, dass die A-GmbH i. S. v. § 7 Abs. 1 und 2 AStG-E zusammen mit der B-Limited die US Corp. beherrscht, da insgesamt eine Beteiligung von 51 % gegeben ist. Ungeachtet der Erfüllung der Beherrschungsvoraussetzung des § 7 Abs. 2 AStG-E hat die A-GmbH keine Möglichkeit, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidung der US Corp. auszuüben oder deren Tätigkeiten zu bestimmen. Als selbst „beherrschte“

85 EuGH (Fn. 58) − Kronos, Rz. 39 ff.; Test Claimants in The FII Group Litigation, Rz. 99 und 104. 86 BFH (Fn. 54).

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Tochtergesellschaft besteht für die A-GmbH auch keine weitergehende Einflussmöglichkeit über die B-Limited. Im Beispielsfall 2 hält die A-GmbH Vorzugsanteile an der US Corp. Diese Vorzugsanteile geben der A-GmbH eine Beteiligung am Stammkapital i. H. v. 15 % und eine Gewinnbeteiligung von 90 %. Die Vorzugsanteile sind jedoch stimmrechtslos; es besteht auch keine Möglichkeit der Bestimmung von Mitgliedern des Management-Boards oder ähnliche Regelungen, die der A-GmbH einen Einfluss auf die Entscheidungen der US Corp. oder auf die Bestimmung ihrer Tätigkeiten ermöglichen würden. Auch in dieser Fallkonstellation besteht keine kontrollierende Einflussmöglichkeit auf die US Corp.87 Anhand dieser beiden Fallgestaltungen wird deutlich, dass §  7 AStG auch in der Neufassung Beteiligungen in den Anwendungsbereich der Hinzuwendungsbesteuerung einbezieht, die keinen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen von Zwischengesellschaften ermöglichen. Damit ist der Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit grundsätzlich eröffnet. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit vorliegend durch Sekundärrecht, d. h. durch die ATAD, gesperrt ist.88 § 7 Abs. 1 und 2 AStG-E beruhen nämlich auf Art. 7 Abs. 1 a ATAD. Hierzu hat der BFH89 in einem obiter dictum ausgeführt, dass eine steuerliche Vorschrift zu einem Bereich gehören kann, der auf Unionsebene abschließend harmonisiert wurde und in Folge dessen nicht anhand der Bestimmungen des Primärrechts zu beurteilen wäre. Der BFH verweist für seine Ansicht auf die Rechtsprechung des EuGH, nach der jeder nationale Regelung in einem Bereich, der auf der Ebene der EU abschließend harmonisiert wurde, anhand der fraglichen Harmonisierungsmaßnahme und nicht anhand des Primärrechts zu beurteilen ist.90 Nach Artikel 3 ATAD soll die Richtlinie nicht die Anwendung nationaler oder vertraglicher Bestimmung zur Wahrung eines höheren Maßes an Schutz der inländischen Körperschaftsteuer Bemessungsgrundlagen verhindern. Vor diesem Hintergrund spricht einiges dafür, dass er Regelungsbereich der Hinzurechnungsbesteuerung durch die ATAD nicht abschließend harmonisiert wird.91 Aber auch bei einer unterstellten vollständigen Harmonisierung wäre dessen ungeachtet der Inhalt der entsprechenden Richtlinie primärrechtskonform auszulegen und ggf. inzident auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten zu prüfen.92 87 Vergleichbare Fallgestaltung in Gebhard/Krüger (Fn. 21), 109 (118). 88 Zum Stand der Diskussion Wacker, in FS BFH, S. 781 (783 ff.). 89 BFH, Urteil v. 30.5.2018 − I R 31/16; Urteil v. 30.5.2018 − I R 35/16; Urteil v. 24.7.2018 − I R 75/16. 90 BFH, Urteil v. 20.12.2017 − Deister Holding (C-504/16) und Juler Holding (C-613/16), Rz. 45.  91 Oppel in Hagemann/Kahlenberg, ATAD, 2018, Art. 3, Rz. 3 m.w.N., Schnitker/Krüger/Nielsen (Fn.  27), 340 (346); a.A. Fehling in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rz. 17.16 Fn. 5. 92 Schlussanträge der General Anwältin Kokott v. 10.1.2019, Rechtssache C-607/17 − Memira Holding, Rz. 24; Urteil v. 2.9.2015 − Groupe Steria, C-386/14, Rz. 39, Urteil v. 18.9.2003 − Bosal, C-168/01, Rz. 25 f.; Test Claimants, in The FII Group Litigation, Rz. 46.

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Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung in Drittstaaten

Nach alldem ist auch die allgemeine Hinzurechnungsbesteuerung nach §  7 Abs.  1 AStG-E an den Vorgaben der Kapitalverkehrsfreiheit im Verhältnis zu Drittstaaten zu messen, so dass auch nach der geplanten Neuregelung dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eingeräumt werden muss, das Nichtvorliegen einer künstlichen Gestaltung nachzuweisen.93 Escape (Motivtest) § 13 AStG-E adressiert Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter nunmehr in einem separaten Paragrafen. In § 13 Abs. 4 AStG-E wird für die Anwendung des Motivtests auf § 8 Abs. 2 AStG-E verwiesen. Die Anwendung von § 8 Abs. 3 AStG-E ist nicht vorgesehen, so dass der Motivtest auch für Beteiligungen an Kapitalanlagegesellschaften in Drittstaaten vorgesehen ist. Die Anwendung von § 8 Abs. 2 AStG-E wird aber auf andere Art und Weise eingeschränkt. Nach § 13 Abs. 4 Satz 2 AStG-E soll ein Escape nämlich dann nicht möglich sein, wenn der Staat, in dem die Zwischengesellschaft ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung hat, im Wege des zwischenstaatlichen Informationsaustausches keine Auskünfte erteilt, die zur Durchführung der Besteuerung erforderlich sind. Insoweit knüpft § 8 Abs. 4 AStG-E an § 8 Abs. 2 Satz 2 AStG an, der bereits heute mit einem etwas anderen Wortlaut die tatsächliche Durchführung des Informationsaustausches im konkreten Einzelfall voraussetzt. Während diese Voraussetzung für den Informationsaustausch innerhalb der EU oder des EWR ggf. nur eingeschränkte Bedeutung haben mag, würde eine solche Regelung bei Erstreckung auf eine Exkulpations­ möglichkeit im Rahmen der Kapitalverkehrsfreiheit mit Drittstaaten eine erheblich höhere praktische Relevanz entfalten. Wie oben bereits dargestellt, hat der EuGH verschiedentlich geurteilt, dass aus etwaigen Schwierigkeiten beim Einholen der erforderlichen Informationen oder aus Defiziten, die bei der Kooperation der Steuerverwaltungen auftreten könnten, keine Rechtfertigung für die Beschränkung der durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten hergeleitet werden kann.94 Obwohl diese Rechtsprechung den Informationsaustausch zwischen EU-Mitgliedsstaaten untereinander betrifft, dürfte doch aus der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache X-GmbH recht deutlich werden, dass es auf die vertraglichen Möglichkeiten zum Informationsaustausch ankommt und nicht auf die Qualität dessen tatsächlicher Durchführung.95 Dem entsprechend ist ein Motivtest auch bei fehlender tatsächlicher Durchführung des Informationsaustausches zuzulassen.

93 Schnitker/Krüger/Nielsen (Fn. 27), 340 (346); Gebhard/Krüger (Fn. 21), 109 (119); Böhmer/ Schewe (Fn. 26); wohl auch Jacobsen, DStZ 2020, 113, 117; dies erwägend auch Weber/Zöller, FR 2020, 288, 295. 94 EuGH, Urteil v. 6.6.2013 − C-383/10 − Kommission gegen Belgien, Rz. 53; v. 4.3.2004 − C-334/02 − Kommission gegen Frankreich, Rz. 33; v. 12.7.2012 − C-269/09 − Kommission/ Spanien, Rz. 72. 95 Schlücke (Fn. 26), Schnitger/Krüger/Nielsen (Fn. 27), 340 (345); Kahlenberg/Quilitzsch, IStR 2019, 901, 907; Gebhard/Krüger (Fn. 21), 109 (113); a.A. Oertel (Fn. 27), Böhmer/Schewe (Fn. 26).

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Volker Käbisch

Wie im vorhergehenden Abschnitt dargestellt ist darüber hinaus ein Escape über die Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter hinaus auch für die sonstigen Formen der Hinzurechnungsbesteuerung nach §  7 Abs.  1 AStG-E zu gewähren. Zwar liegt die Einführung eines Escapes nach Art. 7 Abs. 2 a) Unterabsatz 3 ATAD im Ermessen des jeweiligen Mitgliedsstaates, diese Regelung sollte aber im Lichte der Kapitalverkehrsfreiheit dahingehend zu interpretieren sein, dass ein Escape zu gewähren ist.96 Dem möglichen Einwand einer insoweit abschließenden Harmonisierung wurde bereits im vorhergehenden Abschnitt eine Absage erteilt. Mit dem Verweis in § 13 Abs. 4 AStG-E auf den Escape des § 8 Abs. 2 AStG-E sieht sich das Bundesfinanzministerium ausweislich der Gesetzesbegründung in Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH in der Sache X-GmbH. Wie oben bereits eingehend dargelegt, bestehen jedoch erhebliche Unterschiede zwischen einem Substanz-­ Escape nach Maßgabe der Rechtsprechung Cadbury-Schweppes im Rahmen der ­Niederlassungsfreiheit und einer Exkulpationsmöglichkeit unter Einbeziehung wirtschaftlicher Gründe im Rahmen der Kapitalverkehrsfreiheit. Diesen Erwägungen wird die neu geregelte Hinzurechnungsbesteuerung unter dem ATAD-UmsG Rechnung zu tragen haben.

VI. Fazit In der Rechtssache X-GmbH hat der EuGH die Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit auf die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung vorbehaltlich der Nichtanwendung der sog. Standstill-Klausel dem Grunde nach bejaht. Nachdem der BFH in seinem Folgeurteil die Nichtanwendung der Standstill-Klausel bestätigt hat, ist dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit zu geben, Anhaltspunkte für wirtschaftliche Gründe und damit gegen eine rein künstliche Gestaltung vorzubringen. Dies gilt im Einklang mit jüngsten Äußerungen des BFH auch für die allgemeine Hinzurechnungsbesteuerung im Sinne von §  7 Abs.  1 AStG. Dies wird der Gesetzgeber bei der Umsetzung der ATAD zu berücksichtigen haben. Der gegenwärtig vorliegende Entwurf vom 10.12.2019 genügt diesen Anforderungen nicht.

96 Böhmer/Schewe (Fn. 21), 313 (325); vgl. zur Interpretation sekundärrechtlicher Vorschriften anhand der Grundfreiheiten Schlussanträge der General Anwältin Kokott (Fn.  92) – ­Memira Holding, Rz. 24; Groupe Steria, Rz. 39, Bosal, Rz. 25 f.; Test Claimants, in The FII Group Litigation, Rz. 46.

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Georg Kofler

Die neue Hinzurechnungsbesteuerung in Österreich Inhaltsübersicht

I. Einleitung

II. Persönlicher Anwendungsbereich III. Passiveinkünfte IV. Niedrigbesteuerung



V. Voraussetzungen für eine Hinzu­ rechnung

VI. Durchführung der Hinzurechnung VII. Vermeidung der Mehrfachbesteuerung VIII. Resümee

Die unionsrechtliche Anti-Tax Avoidance Directive (ATAD) verpflichtet die Mitgliedstaaten, eine umfassende Hinzurechnungsbesteuerung (CFC-Regelung) in ihre nationalen Rechtsordnungen umzusetzen. Während Deutschland mit dem AStG diesbezüglich auf eine jahrzehntelange Tradition zurückblicken kann, findet sich seit dem JStG 2018 in Österreich erstmals ein derartiges, seit 2019 anwendbares Besteuerungsregime. Der österreichische Gesetzgeber hat freilich eine maßvolle, am Mindeststandard orientierte Umsetzung gewählt, diese elegant in das Steuersystem eingebettet, Wahlrechte weitgehend zu Gunsten der Steuerpflichtigen ausgeschöpft und umfassende Maßnahmen zur Vermeidung einer Mehrfachbesteuerung ergriffen. Der folgende Beitrag soll einen kurzen Überblick zur österreichischen Regelung geben.

I. Einleitung Die Hinzurechnungsbesteuerung nach § 10a KStG wurde mit dem Jahressteuergesetz (JStG) 20181 geschaffen und stellt damit eine relativ junge Bestimmung im österreichischen Körperschaftsteuerrecht dar. Unter dem Titel „Passiveinkünfte niedrigbesteuerter Körperschaften“ sind in § 10a KStG nunmehr zwei überschneidende Regelungskomplexe – eine „Hinzurechnungsbesteuerung“ sowie ein „Methodenwechsel“ von der Befreiungs- zur indirekten Anrechnungsmethode für Gewinnausschüttungen („Switch Over“) – im Hinblick auf ausländische Beteiligungskörperschaften normiert. Die Hinzurechnungsbesteuerung nach §  10a KStG kommt seit 1.1.20192 zur An­ wendung, wenn eine niedrigbesteuerte „ausländische“ Körperschaft, die von einer „inländischen“ Körperschaft beherrscht wird, gewisse Passiveinkünfte („kategorienbezogener“ statt „transaktionsbezogener“ Ansatz) von mehr als einem Drittel ihrer 1 BGBl I 2018/62, nachfolgend geändert durch das StRefG 2020, BGBl I 2019/103. 2 § 26c Z 68 KStG. Die Vorschriften zur Hinzurechnungsbesteuerung kamen für betroffene Mutter- und Tochtergesellschaften allerdings frühestens zur Anwendung, wenn die Wirtschaftsjahre beider Körperschaften nach dem 31.12.2018 begonnen haben (ausdrücklich ErlRV 190 BlgNR XXVI. GP, 28).

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gesamten Einkünfte erzielt („Bagatellgrenze“), keinen Substanznachweis erbringt und auch nicht die Ausnahme des § 10a Abs. 8 KStG für Finanzunternehmen greift. Das eigentliche Motiv der Gesetzgebung bei Schaffung des § 10a KStG war freilich die Umsetzung des bislang im österreichischen Recht unbekannten – und rechtspolitisch bewusst gemiedenen3  – Modells einer Hinzurechnungsbesteuerung, wie es Art. 7 f. der ATAD („Anti-BEPS-Richtlinie“) der Europäischen Union4 für sämtliche Mitgliedstaaten verpflichtend vorsieht.5 Österreich hat dabei die unionsrechtlichen Vorgaben maßvoll i.S.d. Mindeststandards umgesetzt und Spielräume der Richtlinie weitgehend zu Gunsten der Steuerpflichtigen ausgeschöpft.6 Wegen der vergleichbaren Anwendungsvoraussetzungen wurde in diesem Zuge aber auch eine „bereinigte Form“ der bereits früher existierenden Methodenwechselvorschriften in § 10a Abs. 7 KStG (früher § 10 Abs. 4 bis 6 KStG) eingebettet, der weiterhin – vereinfacht – für Ausschüttungen aus und Veräußerungen von Beteiligungen von zumindest 5% anwendbar ist.7 Zahlreiche Details beider Regime sind in einer – auf der Ermächtigung des § 10a Abs. 10 KStG basierenden – Verordnung des Bundesministers für Finanzen (im Folgenden nur „VO“)8 determiniert und werden aus Sicht der Verwaltungspraxis in den Körperschaftsteuerrichtlinien näher erläutert.9

II. Persönlicher Anwendungsbereich Der persönliche Anwendungsbereich der Hinzurechnungsbesteuerung ergibt sich aus einer Gesamtschau der Anwendungs- und Beherrschungsregelungen des §  10a KStG. Beherrschende Körperschaft und damit Hinzurechnungsempfänger („Hinzurechnungssubjekt“) nach §  10a Abs.  1, 4 Z 2 KStG kann  – entsprechend Art.  1, 7 Abs. 1 ATAD – nur eine Körperschaft nach „§ 1 Abs. 2 oder § 1 Abs. 3 Z 1“ KStG 3 Siehe z.B. den Überblick bei Staringer, SWI 2018, 574 (575), und Marchgraber/Zöchling, ÖStZ 2018, 388 (388), sowie zu einem letztlich nicht weiterverfolgten Diskussionsentwurf eines österreichischen Außensteuergesetzes in den späten 1990er Jahren die Beiträge in Gassner/Lang/Lechner (Hrsg.), Der Entwurf eines österreichischen Außensteuergesetzes (2001). 4 Richtlinie (EU) 2016/1164 des Rates v. 12.7.2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarktes, ABl L 2016/193, 1. 5 Diese Regelung der ATAD haben ihren Hintergrund ersichtlich in Aktionspunkt  3 des OECD-Projekts zu „Base Erosion and Profit Shifting“. Zu diesem ausführlich Kraft, Aktionspunkt 3: Stärkung der Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung (sog. CFC-Regeln), in: Kofler/Schnitger (Hrsg.), BEPS-Handbuch (2019) 243 ff. 6 So auch Staringer, SWI 2018, 574 (575). 7 Siehe ErlRV 190 BlgNR XXVI. GP, 21 und 26 f.; Schlager, SWI 2018, 362 (363). 8 Verordnung des Bundesministers für Finanzen zur Durchführung der Hinzurechnungs­ besteuerung und des Methodenwechsels bei Passiveinkünften niedrigbesteuerter Körperschaften (VO-Passiveinkünfte niedrigbesteuerter Körperschaften), BGBl II 2019/21. 9 Rz. 1248aa ff der KStR 2013 i.d.F. Wartungserlass 2019, BMF-AV 2019/168 (im Folgenden nur „KStR 2013“). Für Analysen siehe Schilcher/Titz, RWZ 2019/82, 379 (379  ff.); Knesl/ Knesl/Canbay, ÖStZ 2020/71, 56 (56 ff.); Riedler, taxlex 2020, 36 (36 ff.).

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sein, also entweder eine unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaft (z.B. AG, GmbH, Genossenschaft oder vergleichbare ausländische Körperschaft)10 oder eine territorial beschränkt steuerpflichtige Körperschaft, die eine Auslandsbeteiligung über eine Inlandsbetriebsstätte hält.11 Nicht betroffen sind demgegenüber z.B. natürliche Personen, Körperschaften öffentlichen Rechts oder beschränkt steuerpflichtige Körperschaften nach § 1 Abs. 3 Z 3 KStG (z.B. gemeinnützige Vereine i.S.d. § 5 Z 6 KStG),12 wobei aber für Privatstiftungen i.S.d. § 5 Z 11 i.V.m. § 13 KStG als Rückausnahme die Anwendbarkeit der Hinzurechnungsbesteuerung spezifisch in § 13 Abs. 2 KStG angeordnet wird. Umgekehrt kann beherrschte „ausländische“ Körperschaft („Hinzurechnungsobjekt“) zunächst jede Körperschaft sein, die nicht im Inland gegründet wurde. Dies umfasst sowohl Körperschaften mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung im Ausland als auch doppelt ansässige Körperschaften mit Sitz im Ausland und Geschäftsleitung im Inland.13 Hinzu tritt sodann die explizite Erweiterung des Anwendungsbereichs durch §  10a Abs.  6 KStG, der sowohl doppeltansässige Körperschaften mit Sitz in ­Österreich, aber abkommensrechtlicher Ansässigkeit im Ausland einbezieht,14 als auch ausländische Betriebsstätten, „auch wenn das Doppelbesteuerungsabkommen eine Befreiung vorsieht“.15 Die Einbeziehung von Betriebsstätten ist konsequent, da 10 Weder die ATAD noch § 10a KStG befasst sich explizit mit doppeltansässigen, in zwei EU Mitgliedstaaten unbeschränkt steuerpflichtigen Muttergesellschaften. Diesfalls kann wohl in beiden Staaten die Hinzurechnungsbesteuerung zur Anwendung kommen, ohne dass die Richtlinie oder § 10a KStG eine Doppelbesteuerung aufgrund dieser Mehrfachhinzurechnung vermeiden würden (dazu auch Orlet, ecolex 2018, 365 [365]). 11 Siehe § 21 Abs. 1 Z 2 lit. a KStG und weiters etwa ErlRV 190 BlgNR XXVI. GP, 23 f.; Schlager, SWI 2018, 362 (362). 12 Dazu etwa Marchgraber/Zöchling, ÖStZ 2018/504, 388 (389); siehe auch Rz.  1248ch KStR 2013. 13 ErlRV 190 BlgNR XXVI. GP, 23; Rz. 1248ad KStR 2013. Hier wird aber eine teleologische Reduktion zumindest des Anwendungsbereichs der Hinzurechnungsbesteuerung auf (befreite) ausländische Einkünfte geboten sein, da solche doppeltansässige Gesellschaften sowohl der inländischen unbeschränkten Steuerpflicht unterliegen als auch i.d.R. abkommensrechtlich im Inland ansässig sind (ebenso Schilcher/Knesl in Renner/Strimitzer/Vock (Hrsg.), KStG (31. Lfg. 2018) § 10a Tz. 20). 14 Das JStG 2018 stellte diesbezüglich noch auf „den Ort der Geschäftsleitung im Sinne des § 27 der Bundesabgabenordnung im Ausland“ ab, was durch das StRefG 2020 durch die Wortfolge „aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens im Ausland ansässig sind“ ersetzt wurde. Die Erweiterung erklärt sich daraus, dass derartige Körperschaften zwar aufgrund der Gründung (Sitz) im Inland „inländisch“ sind, aber aufgrund der typischen, nach wie vor auf den Geschäftsleitungsort abstellenden Tie-Breaker-Regel in DBA auslandsansässig und „damit mit beherrschten ausländischen Gesellschaften vergleichbar“ sind (ErlRV 190 BlgNR XXVI. GP, 26). 15 Siehe zu diesem – von Art. 7 Abs. 1 ATAD geforderten – expliziten „Treaty Override“ im Falle einer abkommensrechtlich vereinbarten Befreiungsmethode etwa Schlager, SWI 2018, 362 (363); Marchgraber/Zöchling, ÖStZ  2018, 388 (393); Mayr/Titz, RdW 2018/246, 317 (326); Schilcher/Knesl in Renner/Strimitzer/Vock (Hrsg.), KStG (31. Lfg. 2018) § 10a Tz. 277; aA Rz.  1248ex KStR 2013 (zulässige Missbrauchsabwehr iSd Art.  1 Rz.  81 OECD-MK 2017).

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andernfalls die Hinzurechnungsbesteuerung durch die Verlagerung der Gewinne in eine abkommensbefreite Betriebsstätte leicht umgangen werden könnte.16

III. Passiveinkünfte § 10a Abs. 2 KStG zählt – abschließend – die als „passiv“ zu beurteilenden Einkünfte auf und wählt damit auf Basis der unionsrechtlichen Vorgaben den sogenannten „­kategorienbasierten Ansatz“ (Art.  7 Abs.  2 Buchst.  a ATAD).17 Dieser stellt auf ­bestimmte Arten von Einkünften und nicht etwa – wie der ebenfalls mögliche „transaktionsbezogene“ Ansatz (Art.  7 Abs.  2 Buchst. b ATAD)  – auf Einkünfte aus unangemessenen Gestaltungen ab:18 Passiveinkünfte sind demnach (1) Zinsen oder sonstige Einkünfte aus Finanzanlagevermögen; (2) Lizenzgebühren oder sonstige Einkünfte aus geistigem Eigentum; (3) Dividenden und Einkünfte aus der Veräußerung von Anteilen; (4) Einkünfte aus Finanzierungsleasing; (5) Einkünfte aus Tätigkeiten von Versicherungen und Banken und anderen finanziellen Tätigkeiten;19 sowie (6) Einkünfte aus Abrechnungsunternehmen.20 Der Wortlaut des §  10a Abs.  2 KStG lehnt sich wörtlich an Art. 7 Abs. 2 Buchst. a ATAD an, enthält aber eine wesentliche Einschränkung: Während nämlich die ATAD sämtliche „Dividenden und Einkünfte aus der Veräußerung von Anteilen“ den Passiveinkünften zuordnet, gilt dies nach § 10a Abs. 2 KStG nur „soweit diese bei der beteiligten Körperschaft steuerpflichtig wären“, wenn sie also auch im Falle eines „Direktbezugs“ bei einer österreichischer Mutterkörperschaft steuerpflichtig wären.21 Würde aber umgekehrt im fiktiven Inlandsfall (wenn also die beteiligungsertragsbeziehende Auslandskörperschaft als inländische Muttergesellschaft fingiert wird) die nationale oder internationale Beteiligungsertragsbefreiung nach § 10 KStG greifen (und nicht etwa die Steuer16 Dazu auch Orlet, ecolex 2018, 365 (365). 17 ErlRV 190 BlgNR 26. GP 22; weiters z.B. Marchgraber/Zöchling, ÖStZ 2018, 388 (389 f.). 18 Für eine umfassende Interpretation der einzelnen Passiveinkünftekategorien siehe Rz. 1248ae ff KStR 2013; Schilcher/Knesl in Renner/Strimitzer/Vock (Hrsg.), KStG (31. Lfg. 2018) § 10a Tz. 25 ff. 19 § 10a Abs. 8 KStG sieht allerdings vor, dass die Hinzurechnungsbesteuerung und der Methodenwechsel für ausländische Finanzunternehmen i.S.d. Art. 2 Abs. 5 ATAD unterbleiben, wenn nicht mehr als ein Drittel der Passiveinkünfte des Unternehmens i.S.d. §  10a Abs. 2 KStG aus Transaktionen mit der inländischen beherrschenden Körperschaft oder deren verbundenen Unternehmen stammen (ausführlich zu dieser Ausnahme Rz. 1248dx ff KStR 2013). 20 Erfasst sind hier nach dem – eng an Art. 7 Abs. 2 lit. a sublit. vi ATAD angelehnten – Gesetzeswortlaut Abrechnungsunternehmen, „die Einkünfte aus dem Verkauf von Waren und der Erbringung von Dienstleistungen erzielen, die von verbundenen Unternehmen erworben und an verbundene Unternehmen verkauft werden, und keinen oder nur geringen wirtschaftlichen Mehrwert bringen“. Unklar ist aber etwa, ob damit im Wesentlichen ohnehin nur reine „Durchfakturierungsunternehmen“ ohne sonstige Funktionen bei den Waren- oder Dienstleistungsfunktionen erfasst sind (dazu Schrottmeyer, SWI 2018, 421 [425]); Schilcher/Knesl in Renner/Strimitzer/Vock (Hrsg.), KStG (31. Lfg. 2018) § 10a Tz. 66 ff.). 21 Dazu auch Schilcher/Knesl in Renner/Strimitzer/Vock (Hrsg.), KStG (31. Lfg. 2018) § 10a Tz. 44 ff.

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pflicht der Veräußerung bei Inlandsbeteiligungen oder die Steuerpflicht ausländischer Beteiligungserträge unter indirekter Anrechnung nach dem Methodenwechsel), gelten diese Einkünfte nicht als passiv,22 und zwar auch nicht für die Drittelgrenze („Bagatellgrenze“) nach § 10a Abs. 4 Z 1 KStG.23

IV. Niedrigbesteuerung Entsprechend Art. 7 ATAD setzt die Hinzurechnungsbesteuerung neben der Erzielung von Passiveinkünften auch die Niedrigbesteuerung voraus. Diese bezieht sich – wie der Titel des § 10a KStG („Passiveinkünfte niedrigbesteuerter Körperschaften“) verdeutlicht24  – auf die (wohl leichter gestaltbare) effektive Steuerbelastung des gesamten Einkommens der Körperschaft und nicht etwa isoliert jene der Passiveinkünfte.25 Nach § 10a Abs. 3 KStG liegt eine Niedrigbesteuerung einer ausländischen Körperschaft vor, „wenn deren tatsächliche Steuerbelastung im Ausland nicht mehr als 12,5% beträgt“,26 womit das österreichische Steuerrecht eine feste Grenze der Niedrigbesteuerung vorgibt. Für die Beurteilung der (niedrigen) Steuerbelastung soll eine Gegenüberstellung des sinngemäß27 nach österreichischen steuerlichen Vorschriften ermittelten Einkommens der ausländischen Körperschaft mit der im Ausland tatsächlich entrichteten Steuer erfolgen, wobei jede Körperschaft isoliert zu betrachten ist.28 § 1 Abs. 1 VO spricht diesbezüglich auch von einer (effektiven) „Durchschnittsteuerbelastung“, die für jedes Wirtschaftsjahr gesondert zu beurteilen ist und damit eine mehrjährige Durchschnittsbetrachtung ausschließt.29 Der ausländische Nominalsteuersatz ist nur dann heranzuziehen, wenn die Gewinnermittlung nach österreichischem Steuerrecht zu einem negativen Gesamtbetrag der Einkünfte führt (§  1 Abs. 5 VO) oder das Einkommen der ausländischen Körperschaft erst anlässlich einer späteren Ausschüttung an der Anteilsinhaber auch bei der Körperschaft selbst besteu22 ErlRV 190 BlgNR XXVI. GP, 22; Schlager, SWI 2018, 362 (364); Bergmann/Gläser, GES 2020, 99 (99 ff.). 23 Dazu unten Kapitel V. 24 Im Begutachtungsentwurf zum JStG 2018 (36/ME XXVI. GP) war hingegen aufgrund des Titels („Niedrigbesteuerte Passiveinkünfte“) und aus den einzelnen vorgeschlagenen Regelungen noch unklar, ob sich die Niedrigbesteuerung auf die ausländische Körperschaft oder nur auf die Passiveinkünfte beziehen hätte sollen (dazu Schlager, SWI 2018, 362 [363]). 25 Ausf. Schilcher/Knesl in Renner/Strimitzer/Vock (Hrsg.), KStG (31.  Lfg. 2018) §  10a Tz. 76 ff. 26 Die in Art. 7 Abs. 1 lit. b ATAD vorgesehene „relative“ Betrachtung („niedriger als die Differenz“ zwischen ausländischer und inländischer Belastung) ließe allerdings auch eine Schwelle von „weniger als 12,5%“ zu (ebenso zB Mayr/Titz, RdW 2018/246, 317 [320]; March­graber/Zöchling, ÖStZ 2018/504, 388 [390]; Schlager, SWI 2018, 362 [365]; siehe zur „dynamischen“ Grenze in der ATAD auch Orlet, ecolex 2018, 365 [368 f.]; Schilcher/Knesl in Renner/Strimitzer/Vock (Hrsg.), KStG (31. Lfg. 2018) § 10a Tz. 77; siehe auch die Darstellung der verschiedenen Ansätze in OECD, Designing Effective Controlled Foreign Company Rules, Action 3 – 2015 Final Report (2015), Rz. 61 ff.). 27 ErlRV 190 BlgNR 26. GP 22. 28 Dazu Schilcher/Knesl in Renner/Strimitzer/Vock (Hrsg.), KStG (31. Lfg. 2018) § 10a Tz. 86. 29 Erläuterungen zum BE-VO, 1.

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ert wird (§ 1 Abs. 3 Z 3 VO; zB in Estland30); die Verwaltungspraxis hat zudem aus Vereinfachungsgründen keine Bedenken gegen die Heranziehung des nominellen Steuersatzes, wenn das Einkommen der ausländischen Körperschaft aufgrund einer Gruppenbesteuerungsregel im Ausland bei einer anderen Körperschaft erfasst wird.31 Die von § 10a Abs. 3 KStG geforderte Ermittlung ausländischer Einkünfte nach österreichischen Vorschriften ist dem Steuerrecht nicht fremd.32 Sie erfordert i.d.R. keine gänzliche Neuermittlung, sondern lediglich eine „Adaptierung“ der im Ausland ermittelten Steuerbemessungsgrundlage an österreichische Vorschriften anhand der wesentlichsten Unterschiede (z.B. im Hinblick auf Abzugsverbote oder Steuerbefreiungen).33 So hat das BMF beispielsweise für die Umrechnung ausländischer Ergebnisse im Bereich der Gruppenbesteuerung nach § 9 KStG (welche aufgrund der in diesem Punkt selben Rechtsfrage nach h.A. auf § 10a KStG übertragbar ist)34 speziell auf Basis von Einzelabschlüssen nach IAS/IFRS eine eigene Information veröffentlicht, welche die etwaig erforderlichen Anpassungsschritte zusammenfasst.35 Für die Hinzurechnungsbesteuerung ergeben sich jedoch auch Sonderfragen dahin gehend, wie weit dieses Erfordernis der Ermittlung nach inländischen Vorschriften reicht bzw. welche Konsequenzen aus dieser gewinnermittlungsrechtlichen „Österreichfiktion“ der Auslandskörperschaft zu ziehen sind. Einige werden in der VO angesprochen: So sind im Inland steuerpflichtige Einkünfte der Auslandskörperschaft (etwa i.d.R. Immobilien, Betriebsstätten) nicht zu berücksichtigen (§ 1 Abs. 2 Z 2 VO), sehr wohl aber Einkünfte aus inländischen Quellen, bei denen Österreich nach dem jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen kein Besteuerungsrecht hat (etwa i.d.R. Einkünfte aus der Veräußerung von inländischen Beteiligungen).36 Für die Anwendung der nationalen und internationalen Beteiligungsertragsbefreiungen des §  10 KStG auf Ausschüttungen von – aus österreichische Sicht – „Enkelgesellschaften“ ist eine „Inlandsansässigkeitsfiktion“ der Auslandskörperschaft (samt allfälliger fiktiver Anwendung des Methodenwechsels) normiert (§ 1 Abs. 2 Z 3 und Z 4 VO);37 dem liegt der Gedanke zu Grunde, dass für diese Zwecke „die ausländische beherrschte 30 Siehe z.B. die Erläuterungen zum BE-VO, 3 f.; Rz. 1248bo KStR 2013; Schilcher/Knesl, RdW 2019/44, 54 (57). 31 So Rz. 1248bn KStR 2013. 32 Z.B. auch in § 2 Abs. 8 Z 1 EStG (etwa für Auslandsbetriebsstätten) und in § 9 Abs. 6 Z 6 KStG (für ausländische Gruppenmitglieder) und schon bisher beim früheren Methodenwechsel nach § 10 Abs. 4 KStG aF (siehe § 3 Z 1 der mittlerweile außer Kraft getretenen Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend die steuerliche Entlastung von Erträgen aus der internationalen Schachtelbeteiligung, BGBl II 2004/295). 33 Siehe allgemein Rz.  191  ff. EStR  2000 und Rz.  1080  ff. KStR  2013; für einen Überblick ­Pinetz/Stefaner in Lang/Rust/Schuch/Staringer (Hrsg.), KStG2 (2016) § 9 Rz. 174 ff.; siehe weiter z.B. auch VwGH v. 16.9.2015 − 2012/13/0042 (zur möglichen Maßgeblichkeit ausländischen Handelsrechts). 34 So etwa Schrottmeyer, SWI 2019, 302 (305), und zur selben Frage im Bereich des früheren Methodenwechsels etwa Kofler in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG (2011) § 10 Tz. 299 f. 35 BMF-Information v. 4.2.2014, Ergebnisumrechnung von IAS/IFRS-Einzelabschlüssen ausländischer Gruppenmitglieder, BMF-010203/0023-VI/6/2014. 36 Rz. 1248az KStR 2013. 37 Rz. 1248ba ff KStR 2013; Schilcher/Knesl, RdW 2019/44, 54 (55).

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Körperschaft bezüglich der Einkommensermittlung wie eine vergleichbare inländische Körperschaft behandelt wird und ihren Sitz fiktiv im Inland hat“.38 Umgekehrt wird aber systematisch auf tatsächlich realisierte Einkünfte abgestellt, sodass die „fiktive“ Anwendung einer Hinzurechnungsbesteuerung im Hinblick auf Einkünfte der Enkelkörperschaften oder anderer Beteiligungskörperschaften (z.B. Urenkel) ausgeschlossen ist (§ 1 Abs. 2 Z 4 VO).39 Dem nach diesen Grundsätzen auf österreichische Vorgaben umgerechneten steuerlichen Ergebnis sind die „im Ausland tatsächlich entrichteten Steuern“ gegenüberzustellen (§ 1 Abs. 1 VO). Relevante ausländische, in den Steuerbelastungsvergleich einzubeziehende Steuern können sowohl Bundes-, Landes- und Gemeindesteuern sein.40 Sie müssen aber hinsichtlich der Bemessungsgrundlage mit der österreichischen Körperschaftsteuer vergleichbar sein (also z.B. auch die deutsche Gewerbesteuer41 und der Solidaritätszuschlag42) und das Einkommen der ausländischen Körperschaft unmittelbar belasten (§ 1 Abs. 3 Z 2 VO). Dies umfasst also nicht nur die „eigentliche“ ausländische Körperschaftsteuer der beherrschten Körperschaft, sondern etwa auch (nicht erstattungsfähige) Quellensteuern dritter Staaten auf deren Einkünfte;43 nicht berücksichtigt werden hingegen allfällige Quellensteuern auf Zahlungen (z.B. Ausschüttungen, Zinsen) der beherrschten Auslands- an die beherrschende Inlandskörperschaft (weil die ausländische Körperschaft dabei regelmäßig nicht Steuerschuldnerin ist)44 oder mittelbare Vorbelastungen auf tieferen Konzernebenen.45 Ebensowenig soll nach Ansicht der Europäischen Kommission eine vorgelagerte ausländische Hinzurechnungsbesteuerung – trotz der höheren Besteuerung – zu einem Entfall des Kriteriums der Niedrigbesteuerung führen.46 An die Körperschaft oder ihre Anteilsinha38 Erläuterungen zum BE-VO, 2. 39 Dazu Schilcher/Knesl, RdW 2019/44, 54 (55 f.), und Schilcher/Knesl in Renner/Strimitzer/ Vock (Hrsg.), KStG (31. Lfg. 2018) § 10a Tz. 101 f. 40 Ebenso Rz. 1248bk KStR 2013 (zur in der Schweiz auf Kantons- und Gemeindeebene erhobenen Körperschaftsteuer). 41 So z.B. die Erläuterungen zum BE-VO, 3; weiters etwa Raab, SWI 2018, 841 (845 f.); Schilcher/Knesl in Renner/Strimitzer/Vock (Hrsg.), KStG (31.  Lfg. 2018) §  10a Tz.  110; siehe zum früheren Methodenwechsel auch Kofler in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG (2011) § 10 Tz. 301, und Fürnsinn/Massoner in Lang/Rust/Schuch/Staringer (Hrsg.), KStG2 (2016) § 10 Rz. 168. 42 So explizit Raab, SWI 2018, 841 (846); wohl auch Rz. 1248bk KStR 2013 („Zuschläge sowie Ergänzungsabgaben zur ausländischen Körperschaftsteuer“). 43 Dazu etwa Kanduth-Kristen, ÖStZ 2019, 81 (84); Schlager, SWI 2018, 362 (366); Schrottmeyer, SWI 2019, 302 (304). 44 Siehe Schilcher/Knesl, RdW 2019, 54 (57); Kanduth-Kristen, ÖStZ 2019, 81 (85). 45 Eine mittelbare Belastung (z.B. der Enkelgesellschaft) wird nur für den Fall des „fiktiven“ Methodenwechsels nach § 1 Abs. 2 Z 4 VO berücksichtigt, da diesfalls die Ausschüttung aus österreichische Sicht bei der ausländischen Tochtergesellschaft steuerpflichtig ist und die Belastung auf Ebene der Enkelgesellschaft indirekt angerechnet wird (siehe § 1 Abs. 3 Z 2 VO und dazu Schlager, RWZ 2019/8, 33 [34]). 46 Siehe dazu Mayr/Titz, RdW 2018/246, 317 (325), und zur Vermeidung der Doppelbesteuerung in einem solchen Fall unten Kapitel VII. Auch die OECD geht für diesen Fall von einer Anwendbarkeit der Hinzurechnungsbesteuerung in beiden Staaten aus (siehe OECD, De-

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ber rückerstattbare Steuern sind von vorneherein nicht zu berücksichtigen (§ 1 Abs. 3 Z 1 VO), es sei denn, in den neun Folgejahren erfolgt keine solche Steuererstattung.47 In zeitlicher Hinsicht ist das Entfallen auf das Wirtschaftsjahr und nicht die tatsächliche Entrichtung entscheidend (§  1 Abs.  3 Z  1 VO), weshalb auf eine wirtschaftlich abgegrenzte periodische Betrachtung und nicht auf Zahlungsflüsse abzustellen ist.48 Verfahrensrechtlich wird die (bloße) Glaubhaftmachung der Steuerbelastung gefordert (z.B. rückgestellte, aber noch nicht entrichtete Steuern); oftmals wird dies ohnehin durch einen Körperschaftsteuerbescheid oder eine Abrechnungsbescheinigung der ausländischen Steuerbehörde erfolgen können.49 Im Falle einer nachträglichen Änderung der tatsächlichen Besteuerungshöhe (z.B. im Zuge einer Betriebsprüfung im Ausland), stellt dies ein rückwirkendes Ereignis nach § 295a BAO dar (§ 1 Abs. 3 Z 1 VO). Das Eingreifen der Hinzurechnungsbesteuerung zu vermeiden gilt es jedoch, wenn eine Niedrigbesteuerung lediglich auf zeitliche – und nicht etwa dem Grunde oder der Höhe nach bestehende  – Verschiebungen zwischen der in- und ausländischen Gewinnermittlung zurückzuführen ist. Dementsprechend enthält § 1 Abs. 4 VO eine Regelung, welche bestimmte Bereiche von einer Umrechnung auf österreichische Vorschriften – zumindest bei der Ermittlung der Durchschnittsteuerbelastung – im Ergebnis ausnimmt:50 Überschreitet die Durchschnittsteuerbelastung nämlich nur deshalb nicht den maßgeblichen Schwellenwert für die Niedrigbesteuerung von 12,5 %, weil das ausländische Steuerrecht abweichende Regelungen für (1) „die Abschreibung von Wirtschaftsgütern und damit zusammenhängende Ausgleichsposten (wie insbesondere § 6 Z 16 des Einkommensteuergesetzes 1988) und Verteilungsregelungen (§ 12 Abs. 3 Z 2 KStG 1988)“ (z.B. unterschiedliche Abschreibungsdauern, keine Siebenjahresverteilung von steuerwirksamen Teilwertabschreibungen von Beteiligungen i.S.d. § 12 Abs. 3 KStG), (2) „die Bildung von Rückstellungen“ (z.B. von in Österreich nach § 9 EStG nicht abzugsfähigen Pauschalrückstellungen) oder (3) „die Verrechnung von Verlusten aus anderen Veranlagungszeiträumen vorsieht“ (z.B. keine 75%-Grenze für die Verlustvortragsverwertung i.S.d. §  8 Abs.  4 Z  2 Buchst.  a KStG, ausländischer Verlustrücktrag), ist keine Niedrigbesteuerung für Zwecke des

signing Effective Controlled Foreign Company Rules, Action 3 – 2015 Final Report (2015), Rz. 48). 47 Die Verordnung hat hier – entsprechend dem Vorbild in § 12 Abs. 1 Z 10 letzter Satz KStG – insbesondere das Anrechnungssystem Maltas im Auge, bei dem die Anteilsinhaber im Ausschüttungsfall auch die vorbelastende maltesiche Körperschaftsteuer zu einem Gutteil erstattet erhalten (Rz.  1248bp  f KStR  2013; siehe weiters Marchgraber/Zöchling, ÖStZ 2018/504, 388 [391]; Raab, SWI 2018, 841 [845]; Schilcher/Knesl, RdW 2019/44, 54 [56 ff.]). Sollte eines solche Erstattung in einem Neunjahreszeitraum nicht stattfinden, stellt dies ein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 295a BAO dar (§ 1 Abs. 3 Z 4 VO). 48 Siehe Schlager, RWZ 2019, 33 (33). 49 Siehe zu diesen Formen der Glaubhaftmachung Rz. 1248bh KStR 2013. 50 Für eine umfassende, mit Beispielen unterlegte Analyse dieser Fragestellungen siehe Jann/ Rasner/Fassl/Moisi, RWZ 2018/60, 316 (316  ff.); siehe zu diesem Themenkomplex auch Rz. 1248br ff KStR 2013 und z.B. Schlager, RWZ 2019/8, 33 (33).

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§ 10a KStG anzunehmen.51 Damit sollte eine vergleichbare Regelung zum früheren Methodenwechsel fortgeführt werden,52 wobei die nunmehrige VO bewusst im Rahmen des unionsrechtlich Zulässigen sogar über die früheren Ausnahmen hinausgeht, indem insbesondere weitere Verteilungsregelungen und die Bildung von Rückstellungen bei der Ermittlung der Durchschnittsteuerbelastung ausgeblendet werden.53

V. Voraussetzungen für eine Hinzurechnung Die kumulativen Voraussetzungen für eine Hinzurechnung werden sodann in § 10a Abs.  4 KStG normiert: Es kommt nur dann zu einer Hinzurechnungsbesteuerung, wenn eine niedrigbesteuerte „ausländische“ Körperschaft, die (1) Passiveinkünfte im Ausmaß von mehr als einem Drittel ihrer gesamten Einkünfte erzielt (Bagatellgrenze), (2) von einer „inländischen“ Körperschaft beherrscht wird (Beherrschungstatbestand) und (3) bezogen auf Personal, Ausstattung, Vermögenswerte und Räumlichkeiten keine wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit ausübt (Substanznachweis). Die Passiveinkünfte sind nach § 10a Abs. 4 Z 1 KStG – entsprechend der Option nach Art. 7 Abs. 3 erster Satz ATAD – nicht schädlich, wenn sie (nachhaltig54) höchstens ein Drittel der gesamten Einkünfte der ausländischen Körperschaft ausmachen. Diese „gesamten Einkünfte“ schließen steuerfreie Dividenden und Veräußerungsgewinne ein, was eine Hinzurechnung von Einkünften vermeidet, die in Österreich wegen §  10 KStG ohnehin befreit wären;55 somit führen etwa geringfügige Zinseinkünfte 51 Der Wortlaut des § 1 Abs. 4 VO scheint anzuordnen, dass diese Ausnahmen nur dann maßgeblich sein sollen, wenn die Durchschnittsteuerbelastung ansonsten unter 12,5 % liegen würde. Das Schrifttum geht jedoch davon aus, dass hier bei bloß zeitlichen Verschiebungen des Ergebnisses schon bei der Einkommensermittlung keine Anpassungen des auslän­ dischen Ergebnisses in diesen Regelungsbereichen vornehmen seien (so etwa Schlager, RWZ 2018, 349 [351]; Kanduth-Kristen, ÖStZ 2019, 81 [85]; Schilcher/Knesl, RdW 2019, 54 [57]; Schrottmeyer, SWI 2019, 302 [305 f.]). 52 Siehe § 3 Z 4 der auf den früheren auf § 10 Abs. 4 KStG gestützten Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend die steuerliche Entlastung von Erträgen aus der inter­ nationalen Schachtelbeteiligung, BGBl  II 2004/295, und ausführlich dazu z.B. Kofler in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG (2011) § 10 Tz. 309, und Fürnsinn/Massoner in Lang/Rust/ Schuch/Staringer (Hrsg.), KStG2 (2016) § 10 Rz. 166. 53 Siehe Schlager, RWZ 2019, 33 (33). 54 Der Begriff der „Nachhaltigkeit“ findet sich weder in der ATAD noch in § 10a KStG, wurde aber in den Materialien ausdrücklich betont (ErlRV 190 BlgNR XXVI. GP, 22). Womöglich über die Vorgaben der ATAD hinaus sollte ein bloß einmaliges oder ausnahmsweises Überschreiten der Drittelgrenze nicht zur Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung führen (siehe z.B. Mayr/Titz, RdW 2018/246, 317 [320]). Die VO löst diese Problematik dahingehend, dass die Drittelgrenze zwar für jedes Wirtschaftsjahr gesondert zu beurteilen ist (§ 2 Z 1 VO), aber nach Wahl des Steuerpflichtigen eine Korridorregelung in Anspruch genommen werden kann, wonach bei Überschreitung der Drittelgrenze um nicht mehr als 25% (also nicht mehr als 41,67% Passiveinkünfte) bzw. negativen Aktiveinkünften die beiden vorangegangenen Wirtschaftsjahre in die Beurteilung miteinbezogen werden können (§ 2 Z 2 VO; siehe dazu Rz. 1248bz KStR 2013; Schlager, RWZ 2019/8, 33 [34]). 55 ErlRV 190 BlgNR XXVI. GP, 22; Mayr/Titz, RdW 2018/246, 317 (321).

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ausländischer Holdinggesellschaften i.d.R. zu keiner Hinzurechnung. Liegen die Passiveinkünfte unter dieser Bagatellgrenze, werden sie als vernachlässigbar betrachtet und führen – auch aus Vereinfachungsgründen – zu keiner Hinzurechnungsbesteuerung.56 Bei der Ermittlung der Passiveinkünfte und der Gesamteinkünfte ist  – wie schon bei der Ermittlung der Niedrigbesteuerung57  – nach österreichischen Vorschriften vorzugehen.58 Der Beherrschungstatbestand des § 10a Abs. 4 Z 2 KStG ist – entsprechend Art. 7 Abs. 1 Buchst. a i.V.m. Art. 2 Abs. 4 ATAD – erfüllt, „wenn die Summe der vom Steuerpflichtigen und seinen verbundenen Unternehmen unmittelbar gehaltenen Beteiligungen mehr als 50% der Stimmrechte oder des Kapitals oder des Gewinnanspruches an der ausländischen Körperschaft vermittelt“ (§  3 VO).59 Als verbundene Unternehmen gelten dabei nach § 10a Abs. 4 Z 2 Buchst. a KStG zunächst solche, an denen die (potentiell beherrschende) Körperschaft unmittelbar oder mittelbar eine Beteiligung in Form von Stimmrechten oder Kapital von mindestens 25 % hält oder bei denen sie Anspruch auf mindestens 25% der Gewinne hat (Verbundenheit in der Beteiligungskette „nach unten“,60 z.B. zur Tochtergesellschaft). Als verbundene Unternehmen gelten nach § 10a Abs. 4 Z 2 Buchst. b KStG weiters juristische oder natürliche Personen oder Personenvereinigungen, die unmittelbar oder mittelbar eine Beteiligung an der (potentiell beherrschenden) Körperschaft in Form von Stimmrechten oder Kapital von mindestens 25 % halten oder die Anspruch auf mindestens 25% der Gewinne dieser Körperschaft haben (Verbundenheit in der Beteiligungskette „nach oben“,61 z.B. zur Muttergesellschaft). Halten verbundene juristische oder natürliche Personen oder Personenvereinigungen solche Beteiligungen an weiteren Unternehmen, gelten auch diese gem. § 10a Abs. 4 Z 2 letzter Satz KStG als verbundene Unternehmen (Verbundenheit in der Beteiligungskette „seitlich“, z.B. zur Schwestergesellschaft). Keine Berücksichtigung finden hingegen mittelbarer Beteiligungen über nicht-verbundene Körperschaften, also z.B. über Körperschaften, an denen eine weniger als 25%ige Beteiligung besteht.62 Die „Beherrschungsquote“ nach §  10a Abs. 4 Z 2 KStG ist freilich streng von der „Hinzurechnungsquote“ nach § 10a Abs. 5 KStG zu unterscheiden: Während es für die Erfüllung des Beherrschungstatbestands auf unmittelbare Beteiligungen abgestellt und damit die additive (und nicht multipli56 Dazu nur ErlRV 190 BlgNR XXVI. GP, 22. 57 Siehe oben Kapitel IV. 58 Siehe den Verweis des § 10a Abs. 4 Z 1 auf § 10a Abs. 3 zweiter Satz KStG. 59 Der Beherrschungstatbestand kann daher – entsprechend Art. 7 Abs. 1 lit. a ATAD – drei verschiedene Ausprägungen haben und sich entweder über die Kapitalbeteiligung, die Stimmrechte oder den Gewinnanspruch manifestieren (ErlRV 190 BlgNR XXVI. GP, 23). Die Hinzurechnung folgt sodann der Beteiligung im Nennkapital bzw. dem Gewinnanspruch (§ 10a Abs. 5 Z 1 KStG; dazu unten Kapitel VI). 60 ErlRV 190 BlgNR XXVI. GP, 23. 61 ErlRV 190 BlgNR XXVI. GP, 23. 62 Dies ergibt sich daraus, dass § 3 VO auf die Summe der „unmittelbaren“ Beteiligungen des Steuerpflichtigen und „seiner verbundenen Unternehmen“ abstellt. Siehe z.B. auch Rz. 1248cc KStR 2013; Mayr/Titz, RdW 2018/246, 317 (324); zuvor a.A. etwa Orlet, ecolex 2018, 365 (367).

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kativ durchgerechnete) Berücksichtigung der Beteiligung verbundener Unternehmen an der beherrschten Auslandskörperschaft gefordert wird (§ 3 VO),63 kommt es für das Ausmaß der Hinzurechnung auf die Höhe der von der jeweiligen beherrschenden Körperschaft unmittelbar oder mittelbar über ihre verbundenen Unternehmen (also aliquot bzw. multiplikativ durchgerechnet) gehaltenen Beteiligung an (§ 5 Z 1 VO).64 Eine Hinzurechnungsbesteuerung bei der beherrschenden Körperschaft ist schließlich – entsprechend Art. 7 Abs. 2 Buchst. a ATAD – dann ausgeschlossen, wenn die beherrschte (in einem EU-, EWR- oder Drittstaat65 ansässige) Auslandskörperschaft bezogen auf Personal, Ausstattung, Vermögenswerte und Räumlichkeiten eine wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit ausübt (§ 10a Abs. 4 Z 3 KStG). Dieser „Substanznachweis“ ist von der beherrschenden Körperschaft zu erbringen. Während ursprünglich noch unklar war, ob nach diesem Kriterium lediglich rein künstliche Gestaltungen i.S.v. Cadbury Schweppes66 in die Hinzurechnungsbesteuerung einzubeziehen wären,67 ist mittlerweile durch § 4 VO eine Präzisierung erfolgt:68 Entscheidend ist zunächst das „Gesamtbild der Verhältnisse unter Einbeziehung aller aktiven und passiven Einkünfte“,69 sodass nicht bloß auf die passiven Tätigkeiten zu fokussieren ist. Sodann setzt eine wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit voraus, „dass die ausländische Körperschaft über jenes Ausmaß an Personal, Ausstattung, Vermögenswerte und Räumlichkeiten verfügt, das in einem angemessenen wirtschaftlichen Verhältnis zu den behaupteten wirtschaftlichen Tätigkeiten steht“. Darüber hinaus wird bei gewissen Tätigkeiten vermutet, dass sie noch keine wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit begründen; diese Tätigkeiten dies sind (1) „das bloße Halten von Betei63 Siehe auch ErlRV 190 BlgNR XXVI. GP, 24 ff. 64 Siehe dazu sogleich unten Kapitel V. und für Beispiele unten Kapitel VII. 65 Nach der ATAD besteht ein Wahlrecht der Mitgliedstaaten, Drittstaatsgesellschaften vom Substanztest auszuschließen (dazu auch Schlager, SWI 2018, 362 [366]; Marchgraber/ Zöchling, ÖStZ 2018/504, 388 [392]). Allerdings stellt Art. 7 ATAD nicht nur auf Kontrollkriterien (Beteiligung, Stimmrechte), sondern auch auf das Nicht-Kontrollkriterium des Gewinnanspruchs ab, was dafür sprechen könnte, dass auch der grundfreiheitsrechtliche Maßstab der Kapitalverkehrsfreiheit im Hinblick auf Drittstaaten einschlägig ist. Es scheint daher im Lichte von X GmbH argumentierbar, dass Mitgliedstaaten Drittstaatsgesellschaften dann nicht vom „Substanznachweis“ ausschließen dürfen, wenn mit dem jeweiligen Drittstaat eine umfassende Amtshilfemöglichkeit besteht (EuGH v. 26.2.2019 − C-135/17, X GmbH, EU:C:2019:136). 66 EuGH v. 12. 9. 2006 − C-196/04, Cadbury Schweppes, EU:C:2006:544. 67 So Marchgraber/Zöchling, ÖStZ 2018/504, 388 (393); Staringer, SWI 2018, 574 (576  ff.); zweifelnd Mayr/Titz, RdW 2018/246, 317 (325 f.); offen bei Schlager, SWI 2018, 362 (366). 68 Dazu ausführlich Rz. 1248cr ff KStR 2013; siehe auch Schlager, RWZ 2019/8, 33 (34); Schilcher/Knesl, RdW 2019/44, 54 (58 f.); Klokar, SWI 2020, 67 (67 ff.); zuvor bereits ausführlich Schilcher/Knesl in Renner/Strimitzer/Vock (Hrsg.), KStG (31.  Lfg. 2018) §  10a Tz.  186  ff. Für  eine kritische Analyse der Beweislastverteilung siehe Oberrader/Bendlinger, ÖStZ 2020/282, 246 (246 ff.). 69 Im Falle der Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung auf Betriebsstätten ist ausschließlich auf die Betriebsstätte abzustellen und damit eine gemeinsame Betrachtung mit dem Stammhaus ausgeschlossen (§ 4 Z 1 zweiter Satz VO; siehe auch Schlager, RWZ 2019/8, 33 [34]).

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ligungen und ihre Veräußerung“, (2) „das Durchleiten von Vermögenswerten“ und – i.S. eines Nexus-Ansatzes70 – (3) „das Bündeln von unkörperlichen Wirtschaftsgütern, für deren Herstellung die ausländische Körperschaft nicht im Wesentlichen selbst die Aufwendungen getragen hat“. Übt die ausländische Körperschaft mehrere Tätigkeiten aus, besteht umgekehrt die Vermutung, dass die wirtschaftlichen Tätigkeiten wesentlich sind, „wenn Personal, Ausstattung, Vermögenswerte und Räumlichkeiten mindestens zu einem Drittel für diese wirtschaftlichen Tätigkeiten eingesetzt werden“ und „mindestens ein Drittel der gesamten Einkünfte aus diesen wirtschaftlichen Tätigkeit erzielt werden“.

VI. Durchführung der Hinzurechnung Die Durchführung der Hinzurechnung wird sowohl hinsichtlich des Ausmaßes („Hinzu­rechnungsquote“), des Betrages und des Zeitpunktes in § 10a Abs. 5 KStG geregelt. – Das Ausmaß (Quote) der Zurechnung bestimmt sich gem. § 10a Abs. 5 Z 1 KStG nach der von der jeweiligen beherrschenden Körperschaft unmittelbar und mittelbar (anteilig bzw. aliquot) über ihre verbundenen Unternehmen gehaltenen Beteiligung am Nennkapital71 der beherrschten Auslandsgesellschaft.72 Anders als bei der Ermittlung der Beherrschungsquote hat dabei eine bloß anteilige (multiplikative) Durchrechnung bei mittelbar gehaltenen Beteiligungen zu erfolgen (§  5 Z  1 VO); zudem sind Quoten übergeordneter verbundener Unternehmen nicht zu berücksichtigen.73 Die „Hinzurechnungsquote“ muss daher nicht zwingend mit der „Beherrschungsquote“ nach § 10a Abs. 4 Z 2 KStG übereinstimmen. – Hinzuzurechnen sind nach § 10a Abs. 5 Z 2 KStG nur die Passiveinkünfte der ausländischen beherrschten Körperschaft. Es erfolgt also – anders als beim Methodenwechsel nach §  10a Abs.  7 KStG  – keine „Alles-oder-Nichts“-Betrachtung unter Einbeziehung auch von Aktiveinkünften. Die hinzuzurechnenden Passiveinkünfte  erhöhen somit die Bemessungsgrundlage der beherrschenden Körperschaft im Ausmaß der ermittelten Hinzurechnungsquote; sie sind bei der beherrschenden Körperschaft steuertechnisch als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu erfassen (§  5

70 Siehe die Erläuterungen zum BE-VO, 5, wonach sich die Bestimmung „am OECD-BEPS-Aktionsplan Nr. 5 zum modifizierten Nexus-Ansatz für IP-Regime“ orientiert. 71 Maßgeblich ist – trotz der unklaren Vorgabe des Art. 8 Abs. 3 ATAD – grundsätzlich die Beteiligung am Nennkapital, außer der Gewinnanspruch weicht davon ab (Gedanke einer „vorweggenommenen Gewinnausschüttung“; § 10a Abs. 5 Z 1 zweiter Satz KStG; ­ErlRV 190 BlgNR XXVI. GP, 24; ausführlich dazu Marchgraber/Zöchling, ÖStZ 2018, 388 [392]; Petritz-Klar/Petritz, taxlex 2018, 204 [210 ff.]). 72 Siehe auch § 5 Z 1 VO, wo über den Gesetzestext hinaus auch klargestellt wird, dass nicht jede mittelbare Beteiligung (z.B. über eine bloß 10%ige Tochtergesellschaft), sondern nur jene „über ihre verbundenen Unternehmen“ maßgeblich ist. 73 ErlRV 190 BlgNR XXVI. GP, 24 ff.

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Z 3 VO).74 § 10a Abs. 5 Z 3 KStG sieht – entsprechend Art. 8 Abs. 1 erster Satz ATAD – vor, dass die hinzuzurechnenden Passiveinkünfte nach den Regelungen des österreichischen Steuerrechts zu ermitteln sind. Bei den hinzuzurechnenden Einkünften handelt es sich dementsprechend um eine Nettogröße nach Abzug wirtschaftlich zusammenhängender Aufwendungen (unter Berücksichtigung österreichischer Abzugsverbote, z.B. gem. § 12 KStG) und aliquoter neutraler, also nicht im ausschließlichen Zusammenhang mit den Aktiveinkünften stehender Aufwendungen.75 Die Hinzurechnung betrifft – entsprechend Art. 8 Abs. 1 zweiter Satz ATAD – ausschließlich positive Einkünfte, Verluste sind davon nicht erfasst; allerdings sind positive und negative Passiveinkünfte bei der Einkünfteermittlung auszugleichen,76 während Aktiveinkünfte unberücksichtigt bleiben (§ 5 Z 2 VO). – Nach § 10a Abs. 5 Z 2 KStG sind – entsprechend Art. 8 Abs. 4 ATAD – die Passiv­ einkünfte zeitlich in jenem Wirtschaftsjahr der beherrschenden Körperschaft zu erfassen, „in das der Bilanzstichtag des Wirtschaftsjahres der ausländischen Körperschaft fällt“.77 Betroffen wären von der Hinzurechnungsbesteuerung nach der Vorgabe des Art. 7 Abs.  2 ATAD prinzipiell nur „nicht ausgeschüttete Einkünfte“. Um einer „Umgehung“ der Hinzurechnungsbesteuerung durch eine allenfalls nach § 10 KStG beteiligungsertragsbefreite Ausschüttung einen Riegel vorzuschieben, sieht § 7 Z 2 VO vor, dass „[d]ie Hinzurechnung von Passiveinkünften eines Wirtschaftsjahres […] auch [erfolgt], wenn diese vor oder mit Ablauf dieses Wirtschaftsjahres ausgeschüttet werden“. Eine der Vermeidung einer Doppelbesteuerung dienende Ausnahme gilt jedoch für den Fall, dass diese Passiveinkünfte auf Grund dieser Ausschüttung bereits dem Methodenwechsel unterlagen (§ 7 Z 2 VO). Zu betonen ist schließlich, dass sich die Hinzurechnungsbesteuerung „lediglich“ auf die anteiligen Passiveinkünfte bezieht, es aber nicht zu einem generellen Übergang zur Steuerwirksamkeit auch der Veräußerungsgewinne, Veräußerungsverluste bzw. sonstigen Wertänderungen kommt.78 Handelt es sich bei der Beteiligung an der ­beherrschten Auslandskörperschaft nämlich  – aufgrund der unterschiedlichen Anwendungsvoraussetzungen  – nicht um eine dem Methodenwechsel unterliegende Beteiligung (§  10a Abs.  7 KStG) und wurde auch vom Steuerpflichtigen nicht zur Steuerwirksamkeit optiert (§ 10 Abs. 3 KStG), kann daher einerseits weiterhin steu74 Praktisch bedeutsam ist dies für Privatstiftungen nach § 13 KStG, für die die Gewerbebetrieblichkeitsfiktion des § 7 Abs. 3 KStG nicht anwendbar ist, zumal durch die Anordnung des § 5 Z 3 KStG ausgeschlossen wird, dass die hinzuzurechnenden Passiveinkünfte (lediglich) der Zwischenbesteuerung unterliegen (dazu Rz. 1248dw KStR 2013; Schilcher/Knesl, RdW 2019/44, 54 [59 f.]). 75 Rz. 1248ds f KStR 2013. 76 Übersteigen die negativen die positiven Passiveinkünfte, kann – entsprechend Art. 8 Abs. 1 zweiter Satz ATAD – der „übersteigende Betrag in Folgejahren mit den positiven Passiveinkünften ausgeglichen werden (Wartetaste)“ (§ 5 Z 2 VO; dazu etwa Rz. 1248du KStR 2013; Schlager, RWZ 2019/8, 33 [34 f.]; Schilcher/Knesl, RdW 2019/44, 54 [59]). 77 Dazu ausführlich Rz. 1248dq f KStR 2013. 78 Siehe auch Raab, SWI 2018, 841 (849).

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erfrei veräußert werden und sind andererseits Teilwertabschreibungen und Veräußerungsverluste nicht steuerwirksam.

VII. Vermeidung der Mehrfachbesteuerung Im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung kann sich sowohl eine Doppelbesteuerung im Inland als auch eine Doppelbelastung mit der inländischen Körperschaftsteuer und vergleichbaren ausländischen Steuern ergeben. Drei Aspekte sind bereits in Art. 8 Abs. 5 bis 7 ATAD angesprochen und werden auch in § 10a KStG aufgegriffen: – In Umsetzung des Art. 8 Abs. 5 ATAD unterbleibt ein Methodenwechsel „insoweit, als Passiveinkünfte nachweislich bereits im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung erfasst wurden“ (§ 10a Abs. 7 Z 2 KStG), sodass eine Ausschüttung insoweit nach § 10 KStG steuerfrei bleibt; die bereits zugerechneten Passiveinkünfte werden dafür „von der für den Methodenwechsel maßgeblichen Bemessungsgrundlage abgezogen“ (§ 7 Z 1 VO). – Bei Veräußerung der beherrschten Körperschaft ist – entsprechend Art. 8 Abs. 6 ATAD  – der Veräußerungserlös befreit, insoweit in diesem Gewinne enthalten sind, die bereits hinzugerechnet wurden (§ 10a Abs. 9 Z 2 KStG), was aufgrund der prinzipiellen Steuerfreiheit der Veräußerung ausländischer Schachtelbeteiligungen nach österreichischem Recht (§ 10 Abs. 3 KStG) lediglich Beteiligungen betreffen kann, bei denen entweder der Steuerpflichtige zur Steuerwirksamkeit optiert hat oder die dem Methodenwechsel unterliegen.79 – Entsprechend Art. 8 Abs. 7 ATAD wird die auf die Passiveinkünfte entfallende tatsächlichen Steuerbelastung der ausländischen beherrschten Körperschaft bzw Betriebsstätte auf Antrag auf die inländische Steuerschuld angerechnet („indirekte Doppelbesteuerung“; § 10a Abs. 9 Z 3 KStG), wobei vor allem im Hinblick auf Verlustsituationen sogar ein Anrechnungsvortrag vorgesehen ist (§ 10a Abs. 9 KStG). Allerdings können im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung weitere, nicht von der ATAD angesprochene Fälle einer – wohl schwerlich intendierten – Doppelbelastung eintreten: – Der erste wesentliche Fall betrifft Situationen, in denen zwei oder mehrere beherrschende Körperschaften im Inland Hinzurechnungsempfänger sind; hier unterbleibt nach § 10a Abs. 9 Z 1 KStG die Hinzurechnung bei mittelbar beteiligten beherrschenden Körperschaften insoweit, als die Passiveinkünfte bereits bei einer unmittelbar oder mittelbar näher80 beteiligten beherrschenden Körperschaft im Inland hinzugerechnet werden. 79 Schlager, SWI 2018, 362 (371). 80 Bereits in der durch das JStG 2018 (BGBl I 2018/62) geschaffenen Stammfassung des § 10a Abs. 9 Z 1 KStG war eine solche Vermeidung der Mehrfachhinzurechnung im Inland für den Fall der „unmittelbar“ beteiligten beherrschenden Körperschaft vorgesehen. Mit dem

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Die neue Hinzurechnungsbesteuerung in Österreich Beispiel 1: Die österreichische A GmbH hält 90% an der österreichischen B GmbH und 1% unmittelbar an der ausländischen, niedrigbesteuerten X Ltd. („CFC“); die B GmbH hält 50% an der X Ltd. Die A GmbH und B GmbH sind aufgrund der zumindest 25%igen Beteiligung verbundene Unternehmen (§ 10a Abs. 4 Z 3 KStG). Sowohl die A GmbH als auch die B GmbH erfüllen den Beherrschungstatbestand („mehr als 50%“): Die A GmbH hält selbst 1 % unmittelbar und mittelbar über die B GmbH 50% an der X Ltd (Verbundenheit in der Beteiligungskette nach „unten“; § 10a Abs. 4 Z 3 lit. a KStG). Die B GmbH hält selbst un­ mittelbar 50 % und mittelbar über die A-GmbH 1% an der X Ltd (Verbundenheit in der Beteiligungskette nach „oben“; § 10a Abs. 4 Z 3 lit. b KStG). Die additive Beherrschungsquote beträgt daher jeweils 51%. Demgegenüber divergieren aufgrund der multiplikativen Durchrechnung die Zurechnungsquoten nach § 10a Abs. 5 Z 1 KStG; jene für die A GmbH beträgt 46% (1% unmittelbar und 90%•50% = 45% mittelbar) und jene für die B GmbH 50% (50% unmittelbar und ohne weitere Berücksichtigung der Quoten übergeordneter verbundener Unternehmen).81 Eine 46%ige Hinzurechnung zur A GmbH und eine 50%ige Hinzurechnung zur B GmbH würde freilich eine Doppelbesteuerung hervorrufen. Dementsprechend unterbleibt nach § 10a Abs. 9 Z 1 KStG die Zurechnung zur A GmbH, soweit bereits eine Zurechnung zur B GmbH erfolgt. An die A GmbH werden daher entsprechend der Direktbeteiligung lediglich 1% (46% ./. 45%) zugerechnet.82

– Der zweite wesentliche Fall besteht darin, dass eine vorgelagerte beherrschende Tochterkörperschaft im Ausland existiert, die bereits der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegt; zumal dies nach Ansicht der Europäischen Kommission nicht etwa zu einem Entfall des Niedrigbesteuerungskriteriums führt,83 sondern es bei der Hinzurechnungsbesteuerung bei der österreichischen Mutterkörperschaft bleibt, wird  – im Lichte des Erwägungsgrundes  5 der ATAD  – auf Antrag auch „eine auf diese entfallende vergleichbare ausländische vorgelagerte Hinzurechnungsbesteuerung angerechnet“ (§ 10a Abs. 9 Z 3 KStG). Beispiel 2: Die österreichische A GmbH hält 30% an der deutschen B GmbH und 30% unmittelbar an der ausländischen, niedrigbesteuerten X Ltd. („CFC“); die deutsche B GmbH hält 70% an der X Ltd. Die A GmbH und B GmbH sind aufgrund der zumindest 25%igen Beteiligung verbundene Unternehmen (§ 10a Abs. 4 Z 3 KStG). Die inländische A GmbH erfüllt den Beherrschungstatbestand („mehr als 50%“) mit einer Beherrschungsquote von 100% (30% unmittelbar und additiv mittelbar 70% über die deutsche B GmbH). Die Zurechnungsquote nach § 10a Abs. 5 Z 1 KStG beträgt demgegenüber lediglich 51% (30% unmittelbar und 30% · 70% = 21% mittelbar).84 Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ist in weiterer Folge aber nicht nur – entsprechend Art. 8 Abs. 7 ATAD – die Körperschaftsteuer-

StRefG 2020 (BGBl I 2019/103) wurde dies um die Wortfolge „oder mittelbar näher“ ergänzt, um inländische Mehrfachhinzurechungen auch dann zu vermeiden, wenn keine Inlandskörperschaft unmittelbar an der beherrschten Auslandskörperschaft beteiligt ist (dazu etwa Knesl, ÖStZ 2019/701, 526 [526]). 81 Siehe auch Beispiel 4 in ErlRV 190 BlgNR XXVI. GP, 25. 82 ErlRV 190 BlgNR XXVI. GP, 27; Rz. 1248fd KStR 2013; ebenso auch Schlager, SWI 2018, 362 (370); Raab, SWI 2018, 841 (848 f.); Schilcher/Knesl in Renner/Strimitzer/Vock (Hrsg.), KStG (31. Lfg. 2018) § 10a Tz. 364 f.; a.A. Petritz-Klar/Petritz, taxlex 2018, 204 (212), wonach für die Hinzurechnung an die A GmbH wegen der höheren Zurechnungsquote an die B GmbH kein Raum mehr bleibe. 83 Siehe Mayr/Titz, RdW 2018/246, 317 (325). 84 Siehe auch Beispiel 5 in ErlRV 190 BlgNR XXVI. GP, 25; Rz. 1248do KStR 2013.

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Georg Kofler belastung der X Ltd, sondern – womöglich über die ATAD hinaus85 – auch eine allfällige deutsche Hinzurechnungssteuerbelastung der B GmbH anzurechnen.

VIII. Resümee Art 7 f. der ATAD verpflichtet sämtliche Mitgliedstaaten zur Einführung einer Hinzurechnungsbesteuerung, bei der unter gewissen Voraussetzungen die Abschirmwirkung ausländischer Körperschaften durchbrochen und ungeachtet einer Ausschüttung eine Hinzurechnung von Einkünften erfolgt. Österreich hat ein solches Besteuerungsregime bisher bewusst gemieden, mit §  10a KStG nunmehr aber eine ausgewogene und maßvolle Umsetzung bewerkstelligt. In der Rechtspraxis wird dies wohl eher Abschreckwirkung haben, deren Anwendung i.d.R. planerisch vermieden werden wird.86 Neben der Hinzurechnungsbesteuerung besteht weiterhin der „Methodenwechsel“ von der Befreiungs- zur indirekten Anrechnungsmethode für Gewinnausschüttungen („Switch Over“), der auch auf Portfoliobeteiligungen von zumindest 5% Anwendung findet und dessen Tatbestandsmerkmale darüber hinaus im Einzelnen auch von jenen der Hinzurechnungsbesteuerung abweichen.87 Hier mussten Gesetz- und Verordnungsgeber koordinierend tätig werden. Koordinierungsbedarf wird es auch in anderen Bereichen und vor allem international geben. So hat der österreichische Gesetzgeber mittlerweile z.B. das offenkundige Problem eines möglichen Kumulierens des Abzugsverbotes für Zins- und Lizenzzahlungen an niedrig ­besteuerte Konzerngesellschaften nach §  12 Abs.  1 Z  10 KStG einerseits und einer Hinzurechnungsbesteuerung nach § 10a KStG andererseits erkannt88 und mit dem StRefG 202089 das Abzugsverbot aufgegeben, wenn „die Zinsen oder Lizenzgebühren aufgrund der Hinzurechnungsbesteuerung gemäß §10a oder einer vergleichbaren ausländischen Regelung nachweislich keiner Niedrigbesteuerung [d.h., weniger als 10%] unterliegen“.

85 So wohl Orlet, ecolex 2018, 365 (368). 86 In diese Richtung auch Staringer, SWI 2018, 574 (575), der zudem darauf hinweist, dass zum bisherigen Methodenwechsel in über 20 Jahren kein Fall vom Höchstgericht entschieden wurde. 87 So besteht z.B. beim Methodenwechsel keine Möglichkeit des Substanznachweises (§ 10a Abs. 4 Z 3 KStG). Umgekehrt erfordert der Methodenwechsel einen passiven Unternehmensschwerpunkt (§ 10a Abs. 7 KStG), während bei der Hinzurechnungsbesteuerung nur eine „Drittelgrenze“ als Bagatellregelung vorgesehen ist (§ 10a Abs. 4 Z 1 KStG). 88 Ausführlich dazu bereits Blum, SWI 2018, 586 (586 ff.). 89 BGBl I 2019/103.

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Ungeklärte Problembereiche der Besteuerungssystematik ausländischer Familienstiftungen unter besonderer Berücksichtigung von Trust-Konstruktionen des angloamerikanischen Rechtskreises Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Historische und betriebswirtschaftliche Überlegungen zum Einsatz von Familien­ stiftungen und Trust-Konstruktionen 1. Historische Einbettung 2. Ökonomische Erwägungen III. Ausgewählte Problembereiche allgemeiner Natur im Kontext der Regelungs­ materie ausländischer Familienstiftungen 1. Person des Stifters 2. Unionsrechtliche Rezeption von Familien­ stiftungen a) Grundproblem b) Judikatur zu Stiftungen

c) Unionsrechtlicher Ausblick d) Erbschaft- und Schenkungsteuer IV. Trusts 1. Konstruktionsprinzipien von Trusts 2. Transparenz vs. Intransparenz – Ein ­besonders gelagerter Typenvergleich 3. Freibetragsvervielfachung durch ­Errichtung einer Vielzahl von Trusts 4. Doppelbesteuerungsproblematik der Ausschüttungen eines US-Trusts als Schenkung bei paralleler ertragsteuer­ licher Erfassung V. Fazit

I. Einleitung Der Stiftungs-Boom der letzten Jahre hat dazu geführt, dass dieses Instrument und vergleichbare Rechtsinstitute nicht nur in der Kautelarpraxis einen stetigen Bedeutungszuwachs erfahren, sondern auch in der Praxis der Finanzverwaltung und der Rechtsprechungsentwicklung an Bedeutung gewinnen. Da der mit dieser Festschrift Geehrte in seiner beruflichen Befassung nahezu sämtliche Klaviaturen der internationalen (wie auch nationalen) Unternehmensbesteuerung beherrscht, sind die nachfolgend angestellten Überlegungen bewusst nicht aus einem seiner Spezialthemen, nämlich dem Feld der Verrechnungspreise, gewählt. Vielmehr werden einige grundsätzliche wie aktuelle Aspekte einer Thematik beleuchtet, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in der zukünftigen internationalen Steuerlandschaft hohe Zuwachsraten in Bezug auf ihre Bedeutung erfahren werden. Es geht um ausländische Familienstiftungen und daraus resultierende Steuerfragen, wenn Familienmitglieder international in verschiedenen Jurisdiktionen ansässig sind. Dass dabei Aspekte eine zentrale Rolle spielen werden, auf die der Geehrte immer wieder hingewiesen hat, überrascht wenig. Denn er hat stets betont, wie schwierig das Zusammenspiel von nationalem Recht, Unions- bzw. EG-Recht und DBA-Vor631

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schriften geworden ist.1 Die zentrale Problematik aus den Diskriminierungsverboten innerhalb Europas wurzelnden Fragestellungen tauchen dabei immer wieder in unterschiedlichen Facetten auf. Daher gilt heute mehr denn je, dass „eine umfassendere Durchdringung der Problematik notwendig“ ist, „um zu akzeptablen Ergebnissen zu kommen.“2

II. Historische und betriebswirtschaftliche Überlegungen zum Einsatz von Familienstiftungen und Trust-Konstruktionen 1. Historische Einbettung Der Einsatz von Familienstiftungen und Trust-Konstruktionen lässt sich möglicherweise aus zivilrechtlicher Perspektive als vergleichsweise gut durchdrungen charakterisieren. In steuerlicher Hinsicht lassen sich demgegenüber einige Zweifelsfragen identifizieren, partiell auch deshalb, weil Stiftungskonstruktionen in jüngerer Zeit eine Art „relaunch“ erlebt haben.3 Es sollte in diesem Kontext nämlich nicht aus den Augen verloren werden, dass die Stiftung als Rechtsform auf eine jahrhundertelange Tradition zurückblicken kann.4 Bereits in vorchristlicher Zeit lassen sich stiftungsartige Institutionen nachweisen, und zwar als Erscheinungen religiöser, sozialer und auch rechtlicher Bedeutung. Gebräuchlich als Terminus sind die Begriffe „Stiftung“ und „Stift“ wohl erst seit dem Hochmittelalter.5 Ebenso lassen sich Trust-Konstruktionen seit langem nachweisen. So wird immer wieder betont6, dass die treuhänderische Konstruktion des Trust ihre Entstehung den Kreuzzügen zu verdanken haben soll und im Mittelalter hauptsächlich dazu benutzt wurde, feudale Lasten nach Lehensrecht zu umgehen, die mit dem Grundbesitz verknüpft waren.7 Der feudalzeitliche Ursprung von Trust und Trustrecht ist mithin im England des 12. und 13. Jahrhunderts festzumachen. Die diesbezügliche Grundidee basiert auf nüchternen ökonomischen Erwägungen, benötigte doch der an einem Kreuzzug teilnehmende feudale Grundeigentümer einen geeigneten und verlässlichen Verwalter der Güter während seiner Abwesenheit. Dieser musste ausreichende Vertretungs- und Verfügungskompetenzen, in der Sprache moderner Ökonomie, „managerial power and competencies“ haben. Geregelt wurden diese im Rahmen eines „set“ von Rechtsbeziehungen. Innerhalb dieser Rechtsbeziehungen übertrug der feudale Grundeigentümer sein Eigentum an einen Verwalter – nämlich den Trustee – mit der bindenden Auflage, dieses Eigentum nach seiner Rückkehr wieder an den ehemaligen Eigentümer zurück zu übertragen. Somit wurde der am Kreuzzug teilnehmende vorherige Eigentümer der Güter zum Begünstigten (Beneficiary) aus der Absprache. Typischer1 Z.B. Kroppen, IStR 2005, 74 (75). 2 So wörtlich Kroppen, IStR 2005, 74 (75). 3 Vgl. beispielsweise von Oertzen, BB 2019, 2647. 4 Vgl. für Trusts statt vieler Habammer, DStR 2002, 425. 5 Nachweise bei v. Campenhausen, in Richter, Stiftungsrecht, 1. Aufl. 2019, § 3 Rz. 4. 6 Vgl. für Trusts statt vieler Habammer, DStR 2002, 425. 7 Aufbereitet bei Verstl, Der internationale Trust als Instrument der Vermögensnachfolge, 2000, S. 18.

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weise dürften als Trustee bevorzugt Personen aus dem Bekannten- und Freundeskreis des Feudalherrn eingesetzt worden sein. Insbesondere das 16. Jahrhundert kann für die Entwicklung des europäischen Stiftungswesens sowohl aus kontinentaleuropäischer als auch aus britisch-amerikanischer Optik als von überragender Bedeutung für das moderne Stiftungs- und Trustwesen bezeichnet werden. Grund dafür ist, dass im nach-reformatorischen England die Weichen für das ausgeprägte nicht-staatliche und vielfach Stiftungscharaktertragende Wohlfahrtswesen gestellt wurden. Diese mündeten letztlich in das rechtlich relativ enge, in der Praxis aber sehr ausgeprägte amerikanische Stiftungswesen. Denn trotz des dezidierten Bruchs mit den Gebräuchen der „alten Welt“, den die Auswanderer nach Nordamerika beabsichtigten, lässt sich insoweit ein gerader Weg zu den trusts und foundations anglo-amerikanischer Prägung im 20.  Jahrhundert nachzeichnen.8 Insbesondere in den USA werden Trusts bekanntermaßen häufig zur Gestaltung der Nachfolge eingesetzt. Umfangreiche, insbesondere unternehmerisch fundierte und deshalb häufig sehr große Vermögen oder auch – im Übrigen oftmals auch international tätige – Familienunternehmen in ihrer Gänze werden in den USA über mehrere Generationen in Trusts gehalten.9 2. Ökonomische Erwägungen Entwicklungsgeschichtlich betrachtet hat der Einsatz von Stiftungen und Trusts  – über deren rechtliche Dimensionen hinaus – stets auf manifesten ökonomischen Erwägungen beruht. Nur stichwortartig sollen hier die wesentlichen Erwägungen ins Licht gehoben werden, die Stiftungs- und Trust-Arrangements aus der Perspektive betriebswirtschaftlicher Vorteilhaftigkeit zu geeigneten Instrumenten werden lassen können. So wird als Argument angeführt, mit dem Instrument der Stiftung solle verhindert werden, dass sich die Nachfahren des Stifters anlässlich einer Erbauseinandersetzung zerstreiten.10 Im Kontext der haftungsmäßigen Abschirmung von Vermögensgegenständen  – in anglisierter Terminologie mitunter mit „asset protection“ umschrieben – kann darauf hingewiesen werden, dass insbesondere im Rahmen der Verwaltung größerer Privatvermögen neben der renditeorientierten Anlage häufig auch der möglichst weitgehende Schutz dieses Vermögens vor dem Zugriff etwaiger Gläubiger sowie die Nachfolgeregelung im Vordergrund stehen.11 Schließlich wird immer wieder darauf hingewiesen, dass der Einsatz von Stiftungen und Trusts gewissermaßen eine Testamentsvollstreckung12 „ad infinitum“13 ermöglichen kann und damit der unternehme 8 Vgl. Graf Strachwitz/Mercker (Hrsg.), Stiftungen in Theorie, Recht und Praxis, Handbuch für ein modernes Stiftungswesen, Berlin 2005, S. 39 und 938 ff. 9 Vgl. Werder/Wystrcil, BB 2015, 412. 10 Vgl. Kraft/Kraft, StStud 2011, S. 712. 11 Vgl. Heß, NWB 2017, 450. 12 Vgl. Wigand/Haase-Theobald/Heuel/Stolte, Stiftungen in der Praxis, Recht, Steuern, Beratung, 4., überarbeitete Aufl., 2015, S. 19, 23, 33 und passim. 13 Mitunter auch als „Macht der Toten Hand“ charakterisiert.

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rische Stifterwille perpetuiert wird.14 Dieser Aspekt kann, muss aber nicht zwangsläufig, ökonomisch rationalen Erwägungen entspringen. Immerhin scheint doch erhebliche empirische Evidenz dafür zu existieren, dass das unternehmerische Motiv der Sicherung und Erhaltung des Lebenswerks, sei es nun aus ökonomischer Sicht als rational oder irrational zu beurteilen, als ein zentraler Treiber für die Stiftungserrichtung zutage zu fördern ist. Denn auch in der öffen­ tlichen Wahrnehmung werden Stiftungen vielfach als Weg der Unternehmenssicherung gepriesen.15 Diese Einschätzung dürfte sowohl für Stiftungen, Trusts und ­stiftungsähnliche Einsatzformen sowohl innerhalb als auch außerhalb des unternehmerischen Bereichs Berechtigung beanspruchen. Dass Stiftungen als Instrument der Vermögensnachfolgeplanung laufend an Bedeutung gewinnen, ist mittlerweile Allgemeingut.16 Zahlreiche weitere ökonomische Überlegungen sprechen für den Einsatz von Stiftungen. So wird darauf hingewiesen17, dass die Stiftung – zielentsprechend konzipiert – in besonderem Maße die Unternehmenskultur des stiftungsgetragenen Unternehmens befördern könne. Dies kann beispielsweise erfolgen durch die Etablierung der Stiftung als „guter Geist“ des Unternehmens, durch die Identifizierung der Mitarbeiter mit der Stiftung verknüpft etwa mit der Möglichkeit der Mitarbeiter, sich in die Stiftungsarbeit einzubringen sowie der allgemeinen Einbindung der Stiftung in die Unternehmenskultur. Schließlich kann es im Einzelfall naheliegen, die Kompetenz für die Kommunikations- und Informationspolitik des Unternehmens im Kontext von Stiftungskonzeptionen der Stiftung zu delegieren. Dies mag – und dürfte häufig – die Stärkung der Governance-Struktur aufgrund rechtsformspezifischer Schutzmechanismen und kontrollrelevanter Besonderheiten der Stiftung sowie die Verminderung von principal-agent-Konflikten durch den Einsatz von Stiftungen zur Folge haben.18 Schließlich sind ökonomische sowie unternehmerische Motive allgemeiner Natur anzuführen, wobei insbesondere zu denken ist an die Erhaltung des Unternehmens, die Vermeidung von Liquiditätsabflüssen, die Vermeidung eines Unternehmensverkaufs, die Sicherung der Kontinuität des Unternehmens, die Sicherung der Kontinuität der Unternehmensführung, die Festlegung bestimmter Unternehmensoder Führungsgrundsätze sowie die Sicherung der Finanzierung.19

14 Vgl. Kraft/Kraft, StStud 2011, S. 712. 15 Vgl. Schiffer, ZErb 2004, 115. 16 Vgl. Wigand/Haase-Theobald/Heuel/Stolte, Stiftungen in der Praxis, Recht, Steuern, Beratung, 4., überarbeitete Aufl., 2015, S. 219; Fleschutz, Die Stiftung als Nachfolgeinstrument für Familienunternehmen, Wiesbaden 2008, S. 41 ff. 17 Vgl. Fleschutz, Die Stiftung als Nachfolgeinstrument für Familienunternehmen, Wiesbaden 2008, 232 ff. 18 Vgl. Schmidt-Schmiedebach, Stiftung und Governance Kodex, Wiesbaden 2016, 56 ff. 19 Vgl. von Löwe, Familienstiftung und Nachfolgegestaltung, 2. Aufl. 2016, § 3 IV.

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III. Ausgewählte Problembereiche allgemeiner Natur im Kontext der Regelungsmaterie ausländischer Familienstiftungen In Bezug auf ausländische Familienstiftungen – so die Terminologie des Gesetzes – sind auch nach vielen Dekaden steuerlicher Befassung immer noch oder immer wieder neu auftretende Problembereiche auszumachen. Deren Ungeklärtheit erfordert argumentative Stellungnahmen, zumal Unsicherheiten der steuerlichen Behandlung in diesen Bereichen materiell teilweise prohibitive Auswirkungen nach sich ziehen können. 1. Person des Stifters Wer aus persönlicher Hinsicht als Stifter in Betracht kommen kann, ist nicht in sämtlichen Verästelungen geklärt. Der Wortlaut des § 15 AStG scheint zunächst lediglich natürliche Personen im Blick zu haben, geht Abs. 1 dieser Bestimmung doch davon aus, dass Vermögen und Einkünfte einer Familienstiftung dem Stifter, wenn er unbeschränkt steuerpflichtig ist, zugerechnet werden. Subsidiär, also bei nicht gegebener unbeschränkter Steuerpflicht des Stifters, werden Vermögen und Einkünfte einer Familienstiftung den unbeschränkt steuerpflichtigen bezugsberechtigten oder anfallsberechtigten Personen entsprechend ihrem Anteil zugerechnet. Bereits die Bezeichnung „Familienstiftung“ mag natürliche Personen als Handelnde im Interesse einer Familie suggerieren. § 15 Abs. 2 ist geeignet, eine solche Einschätzung zu verstärken, denn diese Bestimmung konkretisiert und definiert den Terminus der „Familienstiftung“. Danach sind „Familienstiftungen … Stiftungen, bei denen der Stifter, seine Angehörigen und deren Abkömmlinge zu mehr als der Hälfte bezugsberechtigt oder anfallsberechtigt sind.“ Angehörige im Sinne des § 15 Abs. 1 AO sind die dort genannten  – natürlichen  – Personen, also beispielsweise neben Verlobten, Ehegatten oder Lebenspartnern noch Verwandte und Verschwägerte gerader Linie und die weiteren dort enumerierten Personen. Da nur natürliche Personen in einem derartigen Verwandtschaftsverhältnis zum Stifter stehen können, ist die Schlussfolgerung sicherlich nicht abwegig, dass der Stifter ebenfalls eine natürliche Person sein muss.20 Eine derartige Schlussfolgerung ist im Schrifttum indessen durchaus umstritten. Diesbezügliche Zweifel nährt das Gesetz selbst. Denn § 15 Abs. 10 AStG geht tatbestandlich davon aus, dass zumindest eine ausländische Familienstiftung gleichsam Bezugsberechtigte und/oder Anfallsberechtigte einer „Unterstiftung“ sein kann. Ob daraus zu schließen ist, dass eine ausländische Familienstiftung Errichterin „einer anderen ausländischen Stiftung“ sein kann, ist dem Gesetz nicht direkt zu entnehmen. Gleichwohl werden rechtsfolgeseitig nach der Norm des § 15 Abs. 10 AStG einer ausländischen Familienstiftung unter bestimmten Voraussetzungen Vermögen und Einkünfte einer anderen ausländischen Stiftung entsprechend ihrem Anteil zugerechnet. Diese Voraussetzungen bestehen im Wesentlichen darin, dass die ausländische Familienstiftung allein oder zusammen mit den in § 15 Abs. 2, 3 AStG bestimmten Personen zu mehr als der Hälfte unmittelbar oder mittelbar bezugsberechtigt oder anfalls20 Vgl. Kraft, AStG-Kommentar, 2. Aufl. 2019, § 15 AStG, Rz 194.

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berechtigt ist. Bei diesen Personen unterstellt das Gesetz ein Näheverhältnis zur ausländischen „Oberstiftung“ bzw. zum Stifter der ausländischen Oberstiftung, handelt es sich doch um den Stifter selbst sowie dessen Angehörige und deren Abkömmlinge. Der Gesetzgeber scheint somit zumindest für ausländische Familienstiftungen ohne weiteres davon auszugehen, dass eine ausländische „Oberstiftung“ eine andere ausländische Stiftung, eben die „Unterstiftung“, als Stifterin im Sinne des § 15 AStG errichten kann. Damit ist noch Stellung dazu zu beziehen, ob auch im Inland gegründete und im Regelfall typischerweise unbeschränkt steuerpflichtige Stiftungen als Stifter im Sinne des § 15 AStG in Betracht kommen. Abgesehen von der insoweit entgegenstehenden Wortlautfassung des § 15 Abs. 2 AStG scheint dies nicht ausgeschlossen. Denn immerhin ist zu konzedieren, dass der Wortlaut des § 15 Abs. 1 AStG auch in der Weise verstanden werden kann, dass der Anwendungsbereich dieser Norm nicht auf natürliche Personen zu beschränken ist.21 Denn dort wird lediglich auf die unbeschränkte Steuerpflicht abgestellt, die nicht nur von natürlichen Personen, sondern auch von juristischen Personen verwirklicht werden kann. Daneben spricht die Parallelität von Unternehmensstiftungen im Sinne des §  15 Abs.  3 AStG und Familienstiftungen im Sinne des §  15 Abs.  2 AStG dafür, auch nicht-natürliche Personen als Stifter einer ausländischen Familienstiftung in Betracht kommen zu lassen. Denn der Wortlaut des § 15 Abs. 3 AStG lässt neben Unternehmern und Mitunternehmern auch Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen als Errichter einer ausländischen Unternehmensstiftung zu. Da eine solche Unternehmensstiftung nach § 15 Abs. 3 AStG wie eine Familienstiftung behandelt wird, lassen sich kaum überzeugende Gründe dafür ausmachen, warum eine Unternehmensstiftung von nicht-natürlichen Personen errichtet werden können soll, Familienstiftungen hingegen nicht. Schließlich scheint die normative Kraft des Faktischen für die Stifterqualität nicht-natürlicher Personen in Bezug auf nach ausländischem Recht errichtete Stiftungen, insbesondere Familienstiftungen, angeführt werden zu können. Es sind Fälle bekannt geworden, in denen weder die Stiftungsaufsichtsbehörden noch die Finanzbehörden Anstoß daran genommen hätten, wenn eine im Inland unbeschränkt steuerpflichtige privatnützige Familienstiftung eine weitere „Unterstiftung“ mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung im Ausland errichtet hat. Demgemäß ist nach aktuellem Stand davon auszugehen, dass die Ansicht, lediglich natürliche Personen könnten Stifter einer ausländischen Familienstiftung im Sinne des § 15 AStG sein, nicht mehr zu halten ist. 2. Unionsrechtliche Rezeption von Familienstiftungen a) Grundproblem Historisch stand die Zurechnungsbesteuerung nach §  15 AStG auf dem ständigen Prüfstand der Unionsrechtskonformität. Ein diesbezügliches – mittlerweile aufgrund 21 Vgl. jedenfalls das Verständnis von SKK/Rundshagen § 15 AStG Rz. 32.

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gesetzgeberischen Einlenkens eingestelltes  – Vertragsverletzungsverfahren der EU-­ Kommission gegen Deutschland zu § 15 AStG hatte die Relevanz dieser Problematik zusätzlich unterstrichen.22 Das legislatorische Einlenken bestand in der Einführung der EU/EWR-Exkulpationsklausel des § 15 Abs. 6 AStG.23 Auch nach der Fundamentalreform im Rahmen des AmtshilfeRLUmsG verbleiben noch einige unionsrechtlich nicht vollumfänglich bedenkenfreie Kritikpunkte bestehen. Denn die auf § 15 AStG basierende Zurechnungsbesteuerung könnte sowohl gegen die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV als auch gegen die in Art. 63 AEUV verbürgte Kapitalverkehrsfreiheit verstoßen. Der Frage nach der einschlägigen Grundfreiheit kommt bekanntermaßen Bedeutung für die Reichweite der unionsrechtlichen Prüfung zu. Die Niederlassungsfreiheit wirkt nur innerhalb der Union. Der Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit verbietet nach Art. 63 Abs. 1 AEUV alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedsstaaten sowie zwischen Mitgliedsstaaten und dritten Ländern. Dieses sogenannte „erga-omnes-Prinzip“ dehnt den Schutzbereich somit auf den Kapitalverkehr mit Drittstaaten aus. Von der Kapitalverkehrsfreiheit begünstigt sind alle in einem Mitgliedsstaat oder Drittstaat ansässigen natürlichen Personen. Personell erstrecken könnte sich der potenzielle Schutzbereich insoweit mithin sowohl auf den Stifter als auch auf die Bezugsoder Anfallsberechtigten einer ausländischen Familienstiftung. b) Judikatur zu Stiftungen Stiftungen können im Grundsatz auch insoweit Kapitalverkehrsfreiheit genießen, als sie keinen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb und keine wirtschaftliche Vermögensverwaltungstätigkeit unterhalten. Diese Einschätzung beruht auf der Überlegung, dass die Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 63–66 AEUV gewissermaßen objektbezogen die Kapitalbewegungen als solche schützt und nicht – wie dies etwa im Kontext der Niederlassungsfreiheit nach Art. 54 Abs. 2 AEUV der Fall ist – unter dem Vorbehalt eines Erwerbszwecks steht.24 Durchweg unter die Kapitalverkehrsfreiheit fallen Maßnahmen der Vermögensverwaltung einer Stiftung. 25

22 Vgl. FinSen Berlin, Rund-Erlass v. 1.2.2005, III A 3 – S 1361-3/2004, IStR 2005, 174 sowie DStR 2005, 625; Az. 2003/4610 EU-Kommission. 23 Bis zum Tätigwerden des Gesetzgebers ging lediglich eine Mindermeinung im Schrifttum von der Unionsrechtskonformität des §  15 aus, vgl. die Nachweise bei Kraft/Hause, DB 2006, 414.  Die ganz überwiegende Literaturauffassung hielt die Vorschrift des früheren § 15 AStG für unionsrechtlich bedenklich, vgl. FWBS § 15 AStG Rz. 170; Moser, Hinzurechnungsbesteuerung/Familienstiftungen, 197 ff.; Hey, IStR 2009, 181; Kraft/Schulz, ZSt 2009, 122; Lühn, Intertax 2008, 520; Kraft/Schulz, ET 2010, 2015; Kraft/Hause, DB 2006, 414; Moser/Hentschel, TNI 2014, 749; SKK/Rundshagen § 15 AStG Rz. 30; Blümich/Vogt, § 15 AStG Rz. 30 ff. 24 Vgl. Geibel, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online.GROSSKOMMENTAR, § 80 BGB, Rz. 857. 25 Vgl. Geibel, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online.GROSSKOMMENTAR, § 80 BGB, Rz. 858.

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Der EuGH hat bislang mehrfach zu Stiftungen Stellung beziehen können. In einschlägigen Fallkonstellationen, die nicht notwendigerweise ausschließlich Stiftungsstrukturen zum Gegenstand hatten, gleichwohl aufgrund der Parallelität ihrer Problematik als paradigmatisch eingeschätzt werden können, nahm der EuGH eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit an. Diese bestand im Regelfall darin, dass eine Steuervergünstigung, die aufgrund der bestehenden Rechtslage einer im Inland unbeschränkt steuerpflichtigen Stiftung an sich zu gewähren gewesen wäre, einer in einem anderen Mitgliedstaat der EU niedergelassenen und als gemeinnützig anerkannten Stiftung pauschal wegen deren ausländischen Sitzes verweigert wurde.26 Einen nicht den Gemeinnützigkeitsstatus betreffenden Fall, sondern den einer sogenannten Familienprivatstiftung hatte der EuGH ebenfalls zu beurteilen.27 Danach fallen Zuwendungen einer in einem Mitgliedsstaat gegründeten Privatstiftung an in anderen Mitgliedsstaaten ansässige Begünstigte unter den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr. Da im konkreten Fall die österreichische Privatstiftung konzeptionell als Familienstiftung zu verstehen war, dürfte diese Einschätzung des EuGH auch im Rahmen der unionsrechtlichen Beurteilung des § 15 AStG greifen. Demzufolge muss sich die Norm am Maßstab der Kapitalverkehrsfreiheit messen lassen. In der Folge internationalisierter und globalisierter Familienstrukturen besteht insoweit eingedenk der sich auf Drittstaaten erstreckenden Schutzwirkung der Kapitalverkehrsfreiheit erheblicher Forschungs- und Analysebedarf. Denn tangiert von der Judikatur des EuGH ist nicht nur die Ansässigkeit der nach dem Recht von Dritt- und Unionsmitgliedstaaten gegründeten Familienstiftungen. Auch die von der Bestimmung erfassten Stifter, Anfalls- oder Bezugsberechtigte sind gegenständlich vom Erstreckungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit erfasst. Hinzuweisen ist darauf, dass auch der BFH in Bezug auf die einschlägige Grundfreiheit dem EuGH folgt.28 Nach der Diktion des BFH beschränkt § 15 Abs. 1 S. 1 AStG zwar den freien Kapitalverkehr, wobei indessen die Beschränkung im Einzelfall gerechtfertigt sein kann. c) Unionsrechtlicher Ausblick Aufgrund der allerorten konstatierten Bedeutungszunahme und der Attraktivität von Drittstaatendomizilen für die Ansiedelung von Familienstiftungen dürften künftige Befassungen sowohl des EuGH als auch des BFH mit unionsrechtlichen Fragestellungen ausländischer Familienstiftungen eher ansteigende als absteigende Tendenz aufweisen. Eine wie auch immer geartete Ungleichbehandlung der Begünstigten bei inländischen und bei ausländischen Familienstiftungen dürfte die Anfangsein26 Vgl. zB EuGH, Urt. v. 14.9.2006  – C-386/04, Slg. 2006, I-8234, 8246 = NJW 2006, 3765 Rz. 26–28 – Centro di Musicologia Walter Stauffer; EuGH, Urt. v. 27.1.2009 – C-318/07, Slg. 2009, I-359 = NJW 2009, 823 Rz. 24 – Persche; EuGH, Urt. v. 10.2.2011 – C-25/10, Slg. 2011, I-497 = IStR 2011, 192 – Missionswerk Heukelbach. 27 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.9.2015 – C-589/13, NZG 2015, 1440 Rz. 39 – Familienprivatstiftung Eisenstadt. 28 Vgl. BFH v. 22.12.2010 – I R 84/09, BStBl. II 2014, 361.

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schätzung nähren, wonach die Unionsrechtskonformität der Zurechnungsbesteuerung des § 15 AStG auch in der aktuellen und gegebenenfalls in künftig modifizierten Wortlautfassungen kritisch zu hinterfragen ist bzw. sein wird. Denn außer Frage steht, dass der Regelungsgehalt des § 15 AStG auch in seiner gegenwärtigen Fassung und angesichts der Einführung eines unionsrechtlichen „Escape“ in Form der Exkulpationsklausel des § 15 Abs. 6 AStG eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit darstellen dürfte. Die künftige analytische Kärrnerarbeit wird daher im Bereich der Anwendung der Rechtfertigungslehre liegen. Vor dem Hintergrund der mit der Norm des § 15 AStG verfolgten Zielsetzung – immerhin geht es um Missbrauchsbekämpfung und die Vermeidung von Steuerumgehungen29 – wird die Auseinandersetzung der steuerlichen Dogmatik wie der Anwendungspraxis vor diesen Fragestellungen nicht ausweichen können. d) Erbschaft- und Schenkungsteuer Die Errichtung einer Familienstiftung wird von § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG begünstigt, sofern diese wesentlich im Interesse einer Familie oder bestimmter Familien im Inland errichtet wird.30 Die Begünstigung liegt darin, dass entsprechende Stiftungsgeschäfte nicht der für juristische Personen als Erwerber geltende Steuerklasse III zur Anwendung kommt. Vielmehr ist der Besteuerung die Steuerklasse nach dem Verwandtschaftsverhältnis des nach der Stiftungsurkunde entferntest Berechtigten zu dem Erblasser oder Schenker zugrunde zu legen. Nicht der Regelung des § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG hingegen unterliegen ausländische Familienstiftungen. Demzufolge kommt bei diesen stets die Steuerklasse III zur Anwendung.31 Dieser Ausschluss von ausländischen Familienstiftungen wird mindestens dann als erheblichen unionsrechtlichen Zweifeln32 ausgesetzt zu beurteilen sein, wenn eine ausländische Familienstiftung mit Ansässigkeit in der EU zur Beurteilung ansteht.33 Ob sich darüber hinaus ausländische Familienstiftungen mit Ansässigkeit in Drittstaaten auf unionsrechtliche, insbesondere kapitalverkehrsfreiheitsrechtliche Erwägungen berufen können, erscheint nicht ausgeschlossen. Denn immerhin beurteilt der EuGH – wie oben herausgearbeitet – Familienstiftungen generell am Maßstab der auch im Drittstaatenkontext einschlägigen Kapitalverkehrsfreiheit.34

29 Vgl. statt vieler Kraft/Hause, DB 2006, 418; ebenso Moser, Hinzurechnungsbesteuerung/ Familienstiftungen, 197 ff. 30 Vgl. Längle/Kobor in Fischer/Pahlke/Wachter, ErbStG-Kommentar, 6. Aufl., § 15 Rz. 50. 31 Vgl. Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 15 Rz. 110; Längle/Kobor in Fischer/Pahlke/Wachter, ErbStG-Kommentar, 6. Aufl., § 15 Rz. 51. 32 Vgl. Götz Pach-Hanssenheimb, Handbuch der Stiftung (3. Aufl.), Rz. 595. 33 Vgl. Götz, in Wilms/Jochum, ErbStG, § 15 Rz. 108 ff. 34 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.9.2015 – C-589/13, NZG 2015, 1440 Rz. 39 – Familienprivatstiftung Eisenstadt.

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IV. Trusts 1. Konstruktionsprinzipien von Trusts Trusts sind in kontinentaleuropäischen Rechtssystemen nicht verwurzelt. Im anglo-­ amerikanischen Rechtskreis kommt ihnen – wie bereits ausgeführt – eine lange Tradition zu. Sie sind im deutschen Recht als Institut nicht verankert, aber auch nicht unbekannt35, denn immerhin beschäftigen sie die Finanzrechtsprechung schon seit bald acht Dekaden.36 Typischerweise basiert der Trust auf einem rechtlichen Dreiecksverhältnis37, wobei der Errichter und Gründer (settlor) eines Trusts Teile seines Vermögensstammes auf einen Vermögensverwalter (trustee) überträgt. Als Inhaber des Trust-Vermögens ist der Verwalter aktiv- und passivlegitimiert,38 wobei zu betonen ist, dass der Trust selbst keine eigene Rechtspersönlichkeit hat. Anders gewendet ist der Trust – und zwar weder aus deutscher noch aus US-Sicht – rechtsfähig, anders als eine Stiftung ist der Trust keine juristische Person.39 Auch der BFH geht davon aus, dass einem Trust als nichtrechtsfähige Vermögensmasse die Fähigkeit fehlt, Träger von Rechten und Pflichten zu sein.40 Am ehesten wird der Trust als mit der deutschen Treuhand vergleichbar angesehen. Das Eigentum am Trustvermögen erwirbt nicht der Trust als solcher. Dem Trust zugewendetes Vermögen wird mithin vom Übertragenden bzw. Errichter (settlor) auf den oder die Trustees übertragen, wobei das Trustvermögen zu Gunsten des Begünstigten (beneficiary) von den Trustees verwaltet wird. Details derartiger Rechtsverhältnisse sind typischerweise in der „trust deed“ geregelt, also der Trust-Urkunde. Die verschiedenen Ausgestaltungen von Trusts im Hinblick auf die Widerruflichkeit oder die Unwiderruflichkeit der Übertragung des Trustvermögens (revocable bzw. irrevocable), im Hinblick auf den Umfang der Vorgaben an den Trustee und der Leistungsansprüche der beneficiaries sind im Standardfall ebenfalls in der „trust deed“ oder auch in Dokumenten geregelt, die am ehesten die Qualität sogenannter Beistatuten haben. Insoweit wird gemeinhin unterschieden zwischen „discretionary trusts“ und „non-discretionary trusts“. Bei ersterem sind die Entscheidungsbefugnisse des bzw. der „trustees“ um Vieles weitreichender als bei den auch als „fixed interest trusts“ bezeichneten Typen, bei denen der oder die trustees keine eigenen Entscheidungskompetenzen im Hinblick auf die Zuwendungen an die Begünstigten zukommen.

35 Vgl. geringfügig anders akzentuiert Zeller-Müller, EFG 2019, 1235. 36 Vgl. RFH v. 24.9.1935, IIIe A 37/35, RStBl 1935, 1366; Habammer, DStR 2002, 425. 37 Vgl. (Auswahl) Werder/Wystrcil, BB 2015, 412; Habammer, DStR 2002, 425; Verstl, Der internationale Trust als Instrument der Vermögensnachfolge, 2000, S. 18. 38 Vgl. Habammer, DStR 2002, 425; Otto, RIW 1982, 491, 492. 39 Vgl. Werder/Wystrcil, BB 2015, 412 (413). 40 Vgl. BFH, Urteil v. 5.11.1992 − I R 39/92, BStBl. 1993 II 388.

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2. Transparenz vs. Intransparenz – Ein besonders gelagerter Typenvergleich Wie ausgeführt werden Trusts – im Gegensatz zu dem Gros aller Stiftungen41 – als nicht mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet angesehen, und zwar weder nach US-Steuerrecht noch nach deutschem Steuerrecht.42 Gleichwohl ist es für die deutsche Besteuerung von erheblicher Bedeutung, ob der Trust als transparent oder als intransparent anzusehen ist. Die Frage, ob ein Trust, der nach den Regeln eines dem anglo-amerikanischen Rechtssystem zuzuordnenden Staats errichtetet wurde, für deutsche Steuerzwecke als transparent oder als intransparent zu würdigen ist, tritt immer wieder auch in diesbezüglichen Verfahren der Finanzgerichtsbarkeit auf. Sie war jüngst von Bedeutung in den mittlerweile beim BFH unter II R 13/1943 sowie II R 31/1944 anhängigen Verfahren der Vorinstanzen. Im Revisionsverfahren zur letztgenannten Entscheidung wird die Frage der steuerlichen Behandlung von Ausschüttungen eines US-Trusts – und damit verknüpft – das Verhältnis von § 15 Abs. 1 Satz 2 AStG zu § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 ErbStG zentral im Vordergrund stehen. Schließlich verdient eine kürzlich bereits veröffentlichte Entscheidung des BFH45 besondere Erwähnung, in der erkannt wurde, dass eine transparente Stiftung dadurch gekennzeichnet ist, dass deren Vermögen wegen Durchbrechung des Trennungsprinzips dem Stifter zuzurechnen ist. An dieser Durchbrechung des Trennungsprinzips bei der Stiftung, ihrer Qualifizierung als transparente Stiftung und damit der Zurechnung des Stiftungsvermögens zu einer natürlichen Person ändert nach der BFH-Entscheidung auch der Tod der natürlichen Person nichts. Die Lösung der Transparenzproblematik im konkreten Fall erfordert letztlich eine Art „Typenvergleich“. Dieser hat darauf abzustellen, ob ein nach dem Recht einer dem anglo-amerikanischen Rechtskreis zuzurechnender Jurisdiktion errichteter Trust als transparent nach dem Modell des § 39 AO oder als intransparent nach dem Modell des § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 ErbStG bzw. § 15 AStG zu behandeln ist. § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 ErbStG setzt eine „Vermögensmasse ausländischen Rechts voraus, deren 41 Die im deutschen Zivilrecht nicht unbekannte, indessen vergleichsweise wenig verbreitete unselbständige Stiftung unterscheidet sich von der selbständigen Stiftung darin, dass die unselbständige Stiftung keine juristische Person ist. Sie kann deshalb nicht selbst Träger von Rechten und Pflichten sein. Die unselbständige Stiftung bedarf damit eines rechtsfähigen Trägers (Stiftungsträgers), um handeln zu können. Vgl. näher Götz Pach-Hanssenheimb, Handbuch der Stiftung (3. Aufl.), Rz. 336. Klinkner/Jaenecke, Die Familienstiftung, Ein steuerlicher Praxisleitfaden, Wiesbaden 2019, S. 3, weisen darauf hin, dass anders als die selbstständige Stiftung nach §§ 80 bis 89 BGB die nicht-rechtsfähige Stiftung, die synonym auch als „Treuhandstiftung“, „unselbstständige Stiftung“ oder „fiduziarische Stiftung“ bezeichnet wird, keine Rechtsform im eigentlichen Sinne, sondern ein Treuhandvermögen ist. Daher setze die Handlungsfähigkeit jeder nicht-rechtsfähigen Stiftung einen Stiftungsträger (= Treuhänder) voraus. 42 Vgl. Werder/Wystrcil, BB 2015, 412 (413). 43 Vgl. Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil v. 23.1.2019 − 3 K 41/17, EFG 2019, 982. Die Fragestellung findet sich dort indessen im abgekürzten Urteilstatbestand nicht, vgl. aber die Version der Entscheidung wie abgedruckt unter BeckRS 2019, 7928.  44 Vgl. FG München, Urteil v. 15.5.2019 − 4 K 2033/16, EFG 2019, 1233. 45 Vgl. BFH, Urteil v. 5.12.2018 − II R 9/15.

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Zweck auf die Bindung von Vermögen gerichtet ist“. Nach § 15 Abs. 4 AStG stehen den Stiftungen sonstige Zweckvermögen, Vermögensmassen und rechtsfähige oder nichtrechtsfähige Personenvereinigungen gleich. Inzidenter wird bei der Unterscheidung zwischen transparenten und intransparenten Trusts mithin darauf zu rekurrieren sein, ob ein nach ausländischem Recht errichtetes Gebilde eher dem Typus einer „bloßen“ Treuhand vergleichbar ist oder als Vermögensmasse zwar keine Rechtsfähigkeit, gleichwohl ein gewisses Maß an wirtschaftlicher Verselbständigung einnimmt. So wird auch in der Judikatur des BFH davon ausgegangen, dass eine Vermögensmasse, die keine eigene Rechtsfähigkeit besitzt, (nur) dann körperschaftsteuerpflichtig ist, wenn sie wenigstens wirtschaftliche Selbständigkeit besitzt.46 In der Literatur47 wird dies dadurch paraphrasiert, dass das in einem Trust gehaltene Vermögen sich – trotz der fehlenden eigenen Rechtsfähigkeit des Trust – als selbstständige Masse darstellt mit der Konsequenz, dass eine Zurechnung an eine der beteiligten Personen nicht möglich sei. Zum Zweck einer derartigen Einordnung des Trusts ist entscheidend auf die Rechtsstellung von settlor und beneficiaries hinsichtlich der Verwaltung des Trustvermögens und der Auskehrung der Erträge abzustellen.48 Da bei einem transparenten Trust das Trustvermögen dem settlor oder dem beneficiary zugerechnet wird, sind die Grundsätze der steuerlichen Behandlung einer Treuhand maßgeblich. Ist das Trustvermögen demgegenüber weder dem settlor noch dem beneficiary zuzurechnen, qualifiziert der Trust als intransparent. Im Schrifttum49 wird darauf hingewiesen, dass sich die Finanzverwaltung zur Zuordnung des Trustvermögens und Qualifikation von Trusts bislang noch nicht unmittelbar geäußert hat. Allerdings findet sich eine – etwas versteckte – Handreichung, in der dazu Stellung bezogen wurde, nach welchen Grundsätzen Vermögen ausländischen Stiftungen zuzurechnen ist.50 Nach den dort anzutreffenden Weichenstellungen soll das Vermögen nur dann der Stiftung und nicht dem Stifter zuzurechnen sein, wenn in Bezug auf das Vermögen kein (unechtes) Treuhandverhältnis vorliegt.51 Dies bedingt, dass der Empfänger des Vermögens tatsächlich und rechtlich frei über das Vermögen verfügen können muss. Ist der Empfänger des Vermögens – wie empirisch durchaus in Trust-Konstruktionen anzutreffen – zur Herausgabe des überlassenen Vermögens verpflichtet, soll eine Zurechnung zur Stiftung nach der Lesart der Finanzverwaltung nicht in Betracht 46 Vgl. BFH, Urteil v. 5.11.1992 − I R 39/92, BStBl. 1993 II 388 47 Vgl. Wienbracke, Trusts in Deutschland, Zivilrecht – Steuerrecht, Wiesbaden 2012, S. 46. 48 Vgl. Zeller-Müller, EFG 2019, 1235. 49 Vgl. Werder/Wystrcil, BB 2015, 412 (414). 50 Vgl. BMF v. 20.7.2004 – IV A 4 – S 1928-94/04, DStR 2004, 1387, und v. 16.9.2004 – IV A 4 – S 1928/120/04, BeckVerw 063919, jeweils Frage 19. Zur Übertragbarkeit auf trusts, Jülicher, Der Internationale Erbfall, 2008, S.  544; s. auch Werder/Wystrcil, BB 2015, 412 (414). 51 Vgl. zu Wegen der Einflussnahme des Stifters auf die Stiftung und den Folgen für das Verhältnis zwischen Stifter und Stiftung nach deutscher Zivilrechtslage Schulte, Rechtsbeziehungen zwischen Stifter und Stiftung, Wiesbaden 2017, S. 137 ff.

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kommen. Die Besteuerung wäre dann nach dem Treuhand-Modell durchzuführen. Konkretisiert wird insoweit noch, dass eine Verfügungsbefugnis über das Vermögen dann zu bejahen ist, wenn der Errichter die Vermögensübertragung jederzeit wieder rückgängig machen kann.52 Entsprechendes gilt, wenn er selbst über das Vermögen verfügen kann oder wenn der Verwalter allgemein oder jedenfalls in Bezug auf Anlageentscheidungen Weisungen oder Vorgaben des Errichters in einem letter of wishes unterliegt. Ein weiteres Indiz sieht die Finanzverwaltung darin, dass der Errichter den Verwalter kündigen oder ablösen kann.53 Die Praxis in Veranlagung und Betriebsprüfung dürfte dieser Vorgabe folgen. Die Beurteilung der konkreten Einordnung einer Trust-Konstruktion im konkreten Fall erfordert somit nach Auffassung der Finanzverwaltung eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls.54 Neben der Vertragsgestaltung im Rahmen der trust deed soll der tatsächlichen Durchführung, also auch dem tatsächlichen Verhalten der Beteiligten, Bedeutung beizumessen sein. Dieser von der Grundüberlegung des Problems sicher nicht unzutreffende Ansatz wird sowohl für die Beteiligten als auch für die Finanzverwaltung eine durchaus beachtliche Herausforderung hinsichtlich sowohl der Datengewinnung als auch der Verifikation bedeuten. 3. Freibetragsvervielfachung durch Errichtung einer Vielzahl von Trusts Nach derzeitiger Rechtslage sollte es möglich sein, durch die Errichtung einer Vielzahl von Trusts durch ein und denselben Errichter mit dem jeweils selben Begünstigten eine Vervielfachung von Freibeträgen zu beanspruchen. Dieses Phänomen wird in der Literatur nicht unkritisch gesehen.55 Den normativen Ausgangspunkt dafür bildet die Bestimmung des § 15 Abs. 2 Satz 2 ErbStG (in Verbindung mit § 16 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Der Anwendungsbereich der Fiktion des § 15 Abs. 2 Satz 2 ErbStG erstreckt sich – und beschränkt sich – nämlich auf die Ermittlung der Steuerklasse und des Freibetrags.56 Es ist zwar nicht zu er­ warten, dass der BFH im Verfahren II R 31/1957 zur Frage der Vervielfachung der Freibeträge Stellung beziehen wird, da diese nicht Gegenstand des genuin zu entscheidenden Rechtsproblems ist. Ob es darüber tatsächlich – wie im Schrifttum58 angeregt – wünschenswert wäre, dass der Ausgang der Entscheidung des BFH in der 52 Vgl. BMF v. 20.7.2004 – IV A 4 – S 1928-94/04, DStR 2004, 1387, und v. 16.9.2004 – IV A 4 – S 1928/120/04, BeckVerw 063919, jeweils Frage 19. 53 Vgl. BMF v. 20.7.2004 – IV A 4 – S 1928-94/04, DStR 2004, 1387, und v. 16.9.2004 – IV A 4 – S 1928/120/04, BeckVerw 063919, jeweils Frage 19. 54 Vgl. BMF v. 20.7.2004 – IV A 4 – S 1928-94/04, DStR 2004, 1387, und v. 16.9.2004 – IV A 4 – S 1928/120/04, BeckVerw 063919, jeweils Frage 19. Zur Übertragbarkeit auf trusts, Jülicher, Der Internationale Erbfall, 2008, S.  544; s. auch Werder/Wystrcil, BB 2015, 412 (414). 55 Vgl. Zeller-Müller, EFG 2019, 1233. 56 Vgl. Längle/Kobor in Fischer/Pahlke/Wachter, ErbStG-Kommentar, 6. Aufl., § 15 Rz. 61 mit Nachweisen aus der BFH-Rechtsprechung. 57 Vgl. FG München, Urteil v. 15.5.2019 − 4 K 2033/16, EFG 2019, 1233. 58 Vgl. Zeller-Müller, EFG 2019, 1233.

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Rechtssache II R 31/19 einen Anlass darstellen sollte, diese durchaus großzügige Privilegierung einer kritischen Prüfung zu unterziehen, wird der Entscheidung des Gesetzgebers vorbehalten sein. 4. Doppelbesteuerungsproblematik der Ausschüttungen eines US-Trusts als Schenkung bei paralleler ertragsteuerlicher Erfassung In der Datenbank „Anhängige Verfahren“ des BFH59 ist im Verfahren II R 31/19 die Rechtsfrage formuliert, wie die steuerliche Behandlung von Ausschüttungen eines US-Trusts insbesondere vor dem Hintergrund des Verhältnisses von §  15 Abs.  1 Satz 2 AStG zu § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 ErbStG zu entscheiden ist. Anders gewendet geht es darum, ob Ausschüttungen eines US-Trusts als Schenkung auch bei (teilweiser) ertragsteuerlicher Erfassung § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 ErbStG unterfallen. Die diesbezügliche Entscheidung der Vorinstanz60 hat es ohne weiteres für möglich gehalten, dass Ausschüttungen eines intransparenten US-Trusts sowohl der Schenkungsteuer als auch der Einkommensteuer – basierend auf § 15 AStG – unterliegen.61 Die quantitativen Dimensionen der diesbezüglichen Fallkonstellationen sind zugegebenermaßen noch nicht geeignet, erhebliche Störgefühle in Bezug auf verfassungsrechtliche Dimensionen, etwa Art. 14 GG, auszulösen. Das FG München hat hierzu betont, aus Art.  14 GG sei keine allgemein verbindliche, absolute Belastungsobergrenze im Sinne eines „Halbteilungsgrundsatzes“ abzuleiten und darauf hingewiesen, dass nach der Judikatur des BFH selbst eine Gesamtbelastung von (rund) 60 % des erworbenen Vermögens nicht gegen das Übermaßverbot verstoße.62 Unter Verweis auf die sich aus dem entschiedenen Sachverhalt ergebende Tatsache, dass die Gesamtsteuerbelastung (bestehend aus SchenkSt und ESt) im einstelligen Prozentbereich lag, ist die Einschätzung des FG auf Zustimmung in der Literatur gestoßen. Es darf daher mit Spannung erwartet werden, ob der BFH in seiner Revisionsentscheidung auf das prinzipielle Problem der Doppelbesteuerung mit Erbschaft- und Einkommensteuer nach § 15 AStG eingeht oder ob der II. Senat im Sinne einer pragmatischen Sichtweise die im zu entscheidenden Fall mit Sicherheit aus verfassungsrechtlicher Sicht bedenkenfreie Gesamtbelastung stärker in den Blick nimmt. Immerhin ist zuzugeben, dass der BFH63 die Steuerpflicht nach § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 Halbsatz 2 ErbStG für laufende Ausschüttungen durch Vermögensmassen ausländischen Rechts, hier US-Trusts, bejaht.64 Als richtungsweisend wird sich die Entscheidung des BFH in jedem Fall erweisen.

59 Vgl. https://www.bundesfinanzhof.de/anhaengige-verfahren/revisionsverfahren, besucht am 19.4.2020. 60 Vgl. FG München, Urteil v. 15.5.2019 − 4 K 2033/16, EFG 2019, 1233. 61 Vgl. Zeller-Müller, EFG 2019, 1235. 62 Vgl. FG München, Urteil v. 15.5.2019 − 4 K 2033/16, EFG 2019, 1233 unter Verweis auf BFH, Beschluss v. 22.8.2017 − II B 93/16, BFH/NV 2018, 40. 63 Vgl. BFH, Urteil v. 27.9.2012 – II R 45/10, BStBl. II 2013, 84. 64 Vgl. Orth, ZStV 2019, 182.

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V. Fazit Der vorliegende Beitrag sollte einige aktuelle wie grundsätzliche Aspekte der inter­ nationalen Familienstiftungs- und Trust-Besteuerung auffächern. Es konnte gezeigt werden, dass fortschreitende Internationalisierung selbst bis in den Familienkreis hineinreichende steuerliche Fragestellungen aufwirft. Exponentielles Wachstum dieser Materie dürfte wahrscheinlich sein. Die relevanten Fragestellungen wurzeln in ungeklärten Problembereichen sowohl in der Ertragsbesteuerung als auch im Rahmen der Besteuerung von Nachfolgevor­ gängen. Sie erstrecken sich mitunter auch auf das komplexe Zusammenspiel dieser beiden Regelungsbereiche. Dass derartige Entwicklungen dem vom mit dieser Festschrift Geehrten immer wieder erhobenen Desiderat nach Systematik und Ein­ fachheit des ohnehin schon extrem komplexen internationalen Besteuerungsumfelds diametral zuwiderlaufen, steht außer Frage. Es bleibt zu hoffen, dass die zentralen Petita von Heinz-Klaus Kroppen, der Planbarkeit, Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit der steuerlichen Behandlung internationalsteuerlicher Transaktionen, künftig wieder stärker in den Fokus normsetzender Institutionen rücken werden.

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Die Urproduktion im Internationalen Steuerrecht Inhaltsübersicht I. Vorbemerkung II. Der grenzüberschreitende landwirtschaftliche Betrieb eines Steuerinländers im nationalen Steuerrecht 1. Der landwirtschaftliche Betrieb im Sinne von § 13 EStG 2. Bestimmung der Gewinnermittlungsart für grenzüberschreitende Betriebe 3. Einheitliche Gewinnermittlung sowie Ver- und Entstrickungsregelungen III. Der grenzüberschreitende landwirtschaftliche Betrieb in den Doppel­ besteuerungsabkommen

1. Art. 6 OECD-MA als Ausgangspunkt 2. Kein Erfordernis (und freilich auch ­keine Möglichkeit) einer abkommensrechtlichen Betriebsstätte 3. Konkretisierung der Einkünfte aus ­landwirtschaftlichen Betrieben und ihres Umfangs 4. Aufteilung der Einkünfte aus einem landwirtschaftlichen (grenzüberschreitenden) Betrieb 6. Irrelevanz des § 1 Abs. 5 AStG 7. Direkte oder indirekte Methode? IV. Resümee

I. Vorbemerkung Ich habe mein rechtswissenschaftliches Studium an der Ruhr-Universität in Bochum absolviert und im Wintersemester 2000/2001 eine meine weitere berufliche Laufbahn prägende Entscheidung getroffen: Mein „Wahlpflichtfach“ (die „kleinen Vorgänger“ der heutigen Schwerpunktbereiche) sollte das Steuerrecht werden. Wie so oft bei inhaltlichen Weichenstellungen im Studium hat nicht nur das Interesse an der Sachmaterie selbst diese Entscheidung geprägt, sondern es waren auch die Personen, die diese Materie im Hörsaal repräsentierten. Dies waren im Wintersemester 2000/2001 vier Personen, nämlich mein späterer akademischer Lehrer Roman Seer, sein damaliger Wissenschaftlicher Assistent und unser heutiger Kollege in München Klaus-Dieter Drüen, der leider bereits verstorbene, damals noch als Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof aktive Walter Drenseck, und der Jubilar, der mit viel Engagement das Interesse der Studierenden an den steuerrechtlichen Fragen grenzüberschreitender Sachverhalte geweckt hat. Dafür gebührt ihm großer Dank. Das von mir gewählte Thema der „landwirtschaftlichen Urproduktion“ mag auf den ersten Blick etwas überraschen. Land- und Forstwirtschaft gilt doch gemeinhin als etwas Eigentümliches, Sonderliches. Dabei sind die Betriebsgrundlagen und vor allem das „Urprodukt“ mit seiner Abhängigkeit von den Naturkräften indes nur auf den flüchtigen Blick etwas Besonderes. Bei genauem Hinsehen zeigt sich schnell, dass es auch hier „nur“ um Wirtschaftsgüter und die Identifizierung und Zuordnung von Wertschöpfungsvorgängen geht. Es ist die Abstraktionsleistung von Recht und Rechtsdogmatik, mit der sich Lösungen für vermeintlich spezielle Probleme auch 647

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jenseits bereits ausgetretener Pfade aus allgemeinen Grundsätzen heraus entwickeln lassen. Vor allem können „besondere Konstellation“ auch dazu dienen, gesetzliche Vorgaben und ihre Konkretisierung, die vor allem im Lichte „typischer Konstellationen“ diskutiert und formuliert werden, noch einmal aus einem anderen Blickwinkel zu reflektieren. Der landwirtschaftliche Betrieb mit seinen Urprodukten ist hierfür ein schönes Beispiel: Obwohl ein landwirtschaftlicher Betrieb, wie jedes andere Unternehmen auch, eine ökonomisch-organisatorische Einheit darstellt und sich daher grundsätzlich dieselben Fragen wie bei „normalen Unternehmen“ stellen (müssten), gilt für den landwirtschaftlichen Betrieb typischerweise nicht Art.  7 OECD-MA, sondern Art. 6 OECD-­MA. Der landwirtschaftliche Betrieb wird wegen seines Bodenbezugs dem Artikel überantwortet, der ansonsten die „Vermietungseinkünfte“ erfasst.

II. Der grenzüberschreitende landwirtschaftliche Betrieb eines Steuerinländers im nationalen Steuerrecht 1. Der landwirtschaftliche Betrieb im Sinne von § 13 EStG Im Mittelpunkt dieses Beitrages steht der landwirtschaftliche Betrieb im Sinne von § 13 EStG, der Urprodukte mit Hilfe der Naturkräfte gewinnt, und der innerhalb der Flächengrenzen des § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG auch die Tierzucht und Tierhaltung umfassen kann. Die meisten dieser Betriebe verfügen nur über inländische Flächen und werfen daher typischerweise keinen Bezug zum Internationalen Steuerrecht auf. In den Grenzregionen ist dies allerdings nicht selten anders. Dies betrifft vor allem die deutsch-niederländische Grenze, wo grenzüberschreitende Betriebe mit in- und ausländischen Flächen bzw. Betriebsteilen anzutreffen sind.1 Der grenzüberschreitende Bezug betrifft in der Regel nicht die Frage, ob überhaupt ein landwirtschaftlicher Betrieb vorliegt. Denn ob Felder diesseits oder jenseits der Grenze bewirtschaftet werden, ist für § 13 Abs. 1 Nr. 1 EStG irrelevant. Auch hinsichtlich der Abgrenzung zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb ergeben sich letztlich keine Besonderheiten. Viele Abgrenzungskriterien knüpfen zwar an betriebliche „Eigenschaften“ an, weshalb sich die Frage stellt, ob insoweit nur auf die inländischen Betriebsteile oder auf den Gesamtbetrieb abzustellen ist. So muss z. B. im Falle der Tierzucht die Frage beantwortet werden, ob auch die im Ausland belegenen Flächen für die nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 f. EStG vorzunehmende Abgrenzung zwischen landwirtschaftlicher Tierzucht/-haltung einerseits und gewerblicher Tierzucht/-haltung andererseits einzubeziehen sind. Das wird aber zu Recht bejaht.2 Ferner sind die Verhältnisse des (grenzüberschreitenden) Gesamtbetriebes auch maßgebend für die 1 Siehe zur vorgelagerten Frage, ob ein Betrieb oder zwei Betriebe vorliegen Krumm in Kirchhof/Mellinghoff/Kube, § 13 EStG Rz. B 7 (Januar 2017). Allein der Umstand, dass eine grenz­ überschreitende Aktivität vorliegt, führt jedenfalls nicht zu zwei eigenständigen Betrieben. 2 Giere in Felsmann, Einkommensbesteuerung der Land- und Forstwirte, Rz. A 40 (September 2016).

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Frage, ob ein Nebenbetrieb im Sinne von § 13 Abs. 2 Nr. 1 EStG vorliegt3, ob die Warenvermarktung oder die Erbringung von Dienstleistungen den landwirtschaftlichen Charakter unberührt lässt oder zu einem Gewerbebetrieb führt4, ob ein Erwerbsbetrieb oder Liebhaberei anzunehmen ist5, oder ob wegen schädlichen Zukaufs die Grenze zum Gewerbebetrieb überschritten wurde. Das ergibt sich schon einfach-­ rechtlich aus der Betriebsbezogenheit der jeweiligen Abgrenzungsanlässe, aber spätestens im unionsrechtlichen Kontext auch aus den Grundfreiheiten, sofern durch eine isolierte Betrachtung der inländische Betriebsteil des grenzüberschreitenden Betriebes schlechter stehen sollte als der rein inländische Betrieb. 2. Bestimmung der Gewinnermittlungsart für grenzüberschreitende Betriebe Vergleichbare Fragen müssen unter Umständen ferner in Ansehung der Gewinnermittlung beantwortet werden. Auch für die Landwirte gilt, dass sich das Welteinkommen auf die Einkünfte im deutschen Sinne bezieht und sie daher ihre Einkünfte im Sinne von § 13 EStG nach deutschen Vorschriften „einheitlich“ für ihren gesamten („grenzüberschreitenden“) landwirtschaftlichen Betrieb zu ermitteln haben.6 Damit stellen sich aber wiederum Fragen, die insbesondere den ausländischen Betriebsteil betreffen: Landwirte sind – wegen der bis heute fortwirkenden Dichotomie von Handelsstand einerseits und Bauernstand andererseits – typischerweise keine Kaufleute7 (sofern sie sich nicht nach § 3 Abs. 2 HGB freiwillig dem Handelsrecht unterwerfen), weshalb die maßgebliche Weichenstellung für die Frage der Gewinnermittlung die Buchführungspflicht nach Maßgabe des §  141 AO ist. Für den Bezugspunkt des Umsatzes und des Gewinns in § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bzw. 5 AO dürfte es für den Steuerin­ länder unstreitig sein, dass damit der Gesamtumsatz bzw. -gewinn des grenzüberschreitenden Betriebes gemeint ist.8 Für Landwirte enthält § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO allerdings (bis zum 31.12.2024) einen weiteren Schwellenwert: selbstbewirtschaftete land- und forstwirtschaftliche Flächen mit einem Wirtschaftswert im Sinne von § 46 BewG von mehr als 25.000 €. Das Problem in Ansehung der ausländischen Flächen besteht da­rin, dass für sie kein Wirtschaftswert existiert. Ein solcher existiert nur für inländische Flächen. Gleichwohl werden die ausländischen Flächen des Steuerinländers zu Recht miteinbezogen und zwar mit einem (geschätzten) adäquaten Wert.9 3 Hierzu statt vieler Krumm (Fn. 1), § 13 EStG Rz. C 1 ff. (Januar 2017). 4 Zu dieser Abgrenzungsfrage Krumm (Fn. 1), § 13 EStG Rz. B 110 ff. (Januar 2017). 5 Vgl. BFH v. 7.11.2001 – I R 14/01, BStBl. II 2002, 861 = FR 2002, 634. 6 Vgl. nur BFH v. 13.9.1989 – I R 117/87, BStBl. II 1990, 57 = FR 1990, 58; Andresen in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, 2. Aufl. 2018, Rz. 4.6. 7 Röhricht in Röhricht/von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 3 HGB Rz. 17; K. Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, 4. Aufl. 2016, § 3 Rz. 29; eingehend zu dieser historischen Zweiteilung Kornblum, Festschrift für E. Kaufmann, 1993, S. 193 (194 ff.). 8 BFH v. 7.10.2009 – II R 23/08, BStBl. II 2010, 219. 9 FG Düsseldorf v. 21.5.1986 – IV 237/82, EFG 1986, 534; Drüen in Tipke/Kruse, § 141 AO Rz. 6 (Oktober 2015).

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Besteht keine Buchführungspflicht nach § 141 AO und werden auch nicht freiwillig Bücher geführt, dann stellen sich vergleichbare Fragen in Ansehung des Zugangs zur Durchschnittssatzgewinnermittlung des §  13a EStG. Die gegenwärtige Fassung des § 13a EStG (geändert mit Gesetz vom 22.12.201410) knüpft diese privilegierte Gewinnermittlungsart an bestimmte Flächengrößen, die nicht überschritten werden dürfen (vor allem: landwirtschaftliche Nutzung nicht mehr als 20 Hektar und forstwirtschaftliche Nutzung nicht mehr als 50 Hektar). Insoweit dürfte (nunmehr) Konsens dahin gehend bestehen, dass die Summe aus inländischen und ausländischen Flächen maßgeblich ist.11 Für die Altfassung des § 13a EStG, die noch auf den Einheitswert abgestellt hatte, war dies hingegen sehr umstritten. Richtigerweise war aber auch damals schon auf den Gesamtbetrieb abzustellen. Zwar mag § 13a a.F. mit dem Einheitswert an ein Spezifikum des deutschen Rechts angeknüpft haben.12 Eine derart auf die steuertechnische Vorbedingung der Einheitsbewertung abstellende Sonderbehandlung kann aber keine Unterscheidung rechtfertigen. Denn ebenso wie bei §  141 Abs.  1 Nr.  3 AO ist es möglich einen adäquaten Wert für die ausländischen Flächen zu ermitteln. 3. Einheitliche Gewinnermittlung sowie Ver- und Entstrickungsregelungen Betrachtet man sodann die Gewinnermittlung im Einzelnen, gelten die allgemeinen Regeln der jeweiligen Einkünfteermittlungsart (Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs.  1 EStG, Überschussrechnung nach §  4 Abs.  3 EStG, Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen nach Maßgabe des § 13a EStG), allerdings unter Berücksichtigung der Ent- und Verstrickungsregelungen in § 4 Abs. 1 Satz 3 f. und Satz 8 EStG.13 10 BGBl I 2014, 2417; zur Entwicklungsgeschichte Krumm in Kirchhof/Mellinghoff/Kube, § 13a EStG Rz. A 23 (Dezember 2018). 11 Lieber in Flick/Wassermeyer/Kempermann, DBA Deutschland-Schweiz, Art. 6 Rz. 31 (November 2015); Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, § 13a EStG Rz. 9 (Mai 2017); Krumm (Fn. 10), § 13a EStG Rz. A 16 (Dezember 2018); Riegler/Riegler, IStR 2015, 185 (191); anders als bei den Schwellenwerten des § 140 AO (vgl. Drüen [Fn. 9], § 141 AO Rz. 6 [Oktober 2015]) gilt dies sowohl für den unbeschränkt steuerpflichtigen Landwirt wie auch für den nur beschränkt Steuerpflichtigen, der einen grenzüberschreitenden Betrieb unterhält und auch Flächen im Ausland bewirtschaftet (BMF v. 10.11.2015, BStBl I 2015, 877 Tz. 1; Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, § 13a EStG Rz. 9 [Mai 2017]). 12 Dies war für die vormals herrschende Meinung das entscheidende Argument, warum ausländische Flächen außer Betracht zu bleiben haben, z. B. Debatin, DB 1988, 1285 (1286); Kanzler, DStZ 1999, 682 (683); BFH v. 17.12.1997 – I R 95/96, BStBl. II 1998, 260 = FR 1998, 474 hatte diese Frage offengelassen. 13 Richtigerweise sind auf der Gewinnermittlungsebene „nur“ diese Regelungen maßgeblich und nicht auch bereits § 1 Abs. 5 AStG; zur Einordnung des § 1 Abs. 5 AStG als Einkünftekorrekturnorm (und nicht als Einkünfteermittlungsvorschrift) meines Erachtens überzeugend Gosch, Festschrift 100 Jahre BFH, 2018, S. 1027 (1034 f.); Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. 2017, Rz. 21.22; wohl auch die Finanzverwaltung in Tz. 1.2.1. VWG BsGa, BMF v. 22.12.2016, BStBl. I 2017, 182; a. A. Berner, Betriebsstättenbesteuerung nach dem AOA, 2016, S. 63 ff.; Leonhardt, IStR 2019, 677 (678 ff.); Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 1 AStG Rz. 67 [Juni 2015]); auf § 1 Abs. 5 AStG wird daher erst unter III. 6. eingegangen).

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§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG fingiert eine Sachentnahme, wenn Deutschland das Besteuerungsrecht in Ansehung des Veräußerungsgewinns eines Wirtschaftsgutes  – gleich ob Anlage- oder Umlaufvermögen  – verliert. Nach Satz 4 soll dies „insbesondere“ dann der Fall sein, wenn ein bisher einer inländischen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen zuzuordnendes Wirtschaftsgut einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen ist. Zu bewerten ist die Entnahme mit dem gemeinen Wert (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Hs. 2 EStG). Bei einer Verlagerung von Anlagevermögen ins EU-Ausland darf der Steuerpflichtige allerdings den Entnahmegewinn auf fünf Jahre verteilen (mittels eines Ausgleichsposten nach § 4g EStG).14 Den umgekehrten Fall regelt demgegenüber § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG: Einer Einlage steht die Begründung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung einer Wirtschaftsgutes („Verstrickung“) gleich. Der Eintritt des Wirtschaftsgutes in die deutsche Besteuerung erfolgt zum gemeinen Wert (§  6 Abs.  1 Nr.  5a EStG). Der deutschen (Veräußerungs- und Entnahmegewinn-) Besteuerung unterliegt damit nur noch die Differenz aus diesem Eingangswert und dem späteren Veräußerungspreis bzw. Entnahmewert. Ferner erfasst § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG den Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts des Gewinns aus der Nutzung eines Wirtschaftsguts. Die Norm dürfte so zu verstehen sein, dass damit der Gewinn bzw. der Teil des Gewinns gemeint ist, der (auch) unter Einsatz eines (gleichwohl weiterhin „inländischen“) Wirtschaftsgutes erwirtschaftet wird, der aber nicht (Freistellungsmethode) bzw. nicht uneingeschränkt (Anrechnungsmethode) der deutschen Besteuerung unterliegt.15 Nicht unter § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG fallen hingegen reine Dienstleistungen, da es hier an dem Bezugspunkt eines Wirtschaftsgutes fehlt.16 Es dürfte heute weitgehend Konsens sein, dass die Rechtsfolge dieser Nutzungsentnahme nicht auf die Aufdeckung der stillen Reserven des genutzten Wirtschaftsgutes gerichtet ist, sondern nur auf den ge­ winnerhöhenden Ansatz eines Marktentgeltes (Fremdvergleichsgrundsatz) für die Nutzung (selbst). Es muss ermittelt werden, was ein Dritter für die Nutzung der Maschine als Entgelt verlangt hätte.17 Es geht im Ergebnis also um eine (sachgerechte) Aufteilung der Besteuerungsrechts dergestalt, dass der Güterverzehr im Zusammenhang mit dem im Ausland genutzten Wirtschaftsgut (vor allem Absetzungen für Abnutzung) zwar die inländische Bemessungsgrundlage mindern, dem aber ein fremdvergleichskonformes Nutzungsentgelt gegenübergestellt wird.

14 Zur hier nicht weiter vertieften Unionsrechtskonformität siehe z. B. Wied in Blümich, § 4g EStG Rz. 2 (Mai 2019); Oellerich in Weber-Grellet/Musil, Europäisches Steuerrecht, 2019, § 4 EStG Rz. 33. 15 Kahle/Eichholz/Kindlich, Ubg 2016, 132 (134); Looks in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung, 3. Aufl. 2017, Rz. 994; Schnitger, Die Entstrickung im Steuerrecht, IFSt-Schrift 487, 2013, S. 14. 16 Ditz in Wassermeyer/Andresen/Ditz (Fn. 6), Rz. 6.47, 6.77; Kahle/Eichholz/Kindlich, Ubg 2016, 132 (140). 17 Ditz in Wassermeyer/Andresen/Ditz (Fn. 6), Rz. 6.78; Kahle/Eichholz/Kindlich, Ubg 2016, 132 (134); Looks in Looks/Heinsen (Fn. 15), Rz. 995; Loschelder in Schmidt, 38. Aufl. 2019, § 4 EStG Rz. 250; Schnitger (Fn. 15), S. 24; ferner R 4.3 Abs. 2 Satz 3 EStR.

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Bereits auf einen ersten, flüchtigen Blick drängen sich hier in Ansehung sowohl von Sach- als auch Nutzungsentstrickung Beispiele im Zusammenhang mit einem grenz­ überschreitenden landwirtschaftlichen Betrieb auf: Man denke nur an die Ernte mit „inländischen“ Maschinen auf ausländischen Flächen und die Verbringung der Ernte in die inländische Hofstelle. Dies alles ist auch in die andere Richtung denkbar, wenn der Steuerpflichtige die Hofstelle im Ausland unterhält. Ob und inwieweit hier wirklich § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG verwirklicht wird, kann freilich sinnvollerweise erst diskutiert werden, wenn auch die abkommensrechtlichen Besonderheiten eines landwirtschaftlichen Betriebes (vor allem: Art.  6 OECD-MA, typischerweise Fehlen einer abkommensrechtlichen Betriebsstätte) geklärt sind. Die Beispiele werden daher erst später wieder aufgegriffen. Zumindest zum Anwendungsbereich dieser Regelungen lässt sich allerdings bereits eine Aussage treffen. Diese Ent- und Verstrickungsregelungen gelten aus der Perspektive des nationalen Steuerrechts  – also vorbehaltlich der Abkommensanwendung  – jedenfalls für solche Landwirte uneingeschränkt, die ihren Gewinn durch ­Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG ermitteln. Bei der Durchschnittssatzgewinnermittlung nach Maßgabe des § 13a EStG muss man hingegen Einschränkungen formulieren. Denn §  13a EStG entbindet weitgehend von der Betrachtung einzelner Geschäftsvorfälle und trägt gemessen an seinem eigenen Anspruch bereits eine normative Angemessenheitsvermutung in sich.18 Daher kann die Regelung nicht für die Urprodukte (also das Umlaufvermögen) gelten. Insoweit ist § 13a EStG gegenüber der Entstrickung von Umlaufvermögen und auch gegenüber der Nutzungsentnahme die speziellere Norm, die § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG verdrängt.19 Anders verhält es sich demgegenüber beim Anlagevermögen. Hier bleibt § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG anwendbar (insoweit: „Sondergewinne“ im Sinne von § 13a Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 EStG).

III. Der grenzüberschreitende landwirtschaftliche Betrieb in den Doppelbesteuerungsabkommen 1. Art. 6 OECD-MA als Ausgangspunkt Die Doppelbesteuerungsabkommen knüpfen typischerweise primär an die „Wirtschaftsgrundlage“ des Landwirts an, nämlich an die von ihm bewirtschafteten Flächen. Wegen dieses Bodenbezugs bildet den Ausgangspunkt die Regelung in Art. 6 OECD-MA. Dort heißt es in Absatz 1, dass „Einkünfte, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unbeweglichem Vermögen (einschließlich der Einkünfte aus landund forstwirtschaftlichen Betrieben) bezieht, das im anderen Vertragsstaat liegt, im anderen Staat besteuert werden können.“ In Absatz 2 Satz 2 findet sich dann noch folgende Konkretisierung, die hier relevant ist: „Ausdruck [unbewegliches Vermögen] 18 Die Betonung liegt auf dem „eigenen Anspruch“, also der vom Gesetzgeber formulierten Erwartung, dass die Gewinne realitäts- und damit auch im Verhältnis zu den Einkünften anderer Steuerpflichtiger relationsgerecht erfasst werden. Ob dies tatsächlich der Fall ist, ist eine andere Frage (siehe Krumm [Fn. 10], § 13a EStG Rz. A 37 [Dezember 2018]). 19 Gleiche Ansicht Andresen in Wassermeyer/Andresen/Ditz (Fn. 6), Rz. 4.14.

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umfasst in jedem Fall das Zubehör zum unbeweglichen Vermögen, das lebende und tote Inventar land- und forstwirtschaftlicher Betriebe, […].“ Folgt das konkret-einschlägige DBA diesem Vorbild – was typischerweise der Fall ist –, kann als geklärt gelten, dass sich die Vertragsparteien für eine Zuordnung der „Einkünfte aus einem landwirtschaftlichen Betrieb“ zu den Einkünften aus unbeweglichem Vermögen entschieden haben. Dabei ist unerheblich, ob die Landwirtschaft auf Eigentums- oder Pachtflächen betrieben wird.20 Einigkeit besteht schließlich auch darüber, dass die Zuordnung zu  Art.  6 OECD-MA rechtsformunabhängig und damit auch losgelöst von der  national-rechtlichen Einkünftequalifikation erfolgt. Deshalb erzielen auch eine Körperschaft, auf die § 8 Abs. 2 KStG Anwendung findet, und eine GmbH & Co. KG, für die § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG gilt, mit ihrer landwirtschaftlichen Tätigkeit abkommensrechtlich Einkünfte im Sinne von Art. 6 OECD-MA.21 Diskussionswürdig kann die Zuordnung zum „Grundstücksartikel“ jedoch dann werden, wenn der konkret einschlägige Artikel die Einkünfte aus Landwirtschaft nicht ausdrücklich erwähnt. So sind durchaus Formulierungskonstellationen anzutreffen, in denen ein ansonsten Art.  6 OECD-MA nachgebildeter Artikel weder in Abs. 1 den Klammerzusatz enthält noch in Abs. 2 das lebende und tote Inventar der landwirtschaftlichen Betriebe nennt. Zum Teil wird dann eine Auslegung dahin gehend bevorzugt, dass auch die landwirtschaftliche Tätigkeit zu originären Unter­ nehmensgewinnen im Sinne von Art.  7 OECD-MA führt.22 Überzeugend ist dies ­allerdings nicht. Denn auch ohne ausdrückliche Bezugnahme des Grundstücksartikels auf einen landwirtschaftlichen Betrieb wohnt diesem Artikel typischerweise der Bodenbezug als entscheidendes Zuordnungskriterium inne und dieses Kriterium ist bei der landwirtschaftlichen Tätigkeit stets einschlägig.23 Eine Zuordnung zu Art. 7 OECD-MA kommt daher nur dann in Betracht, wenn ein Doppelbesteuerungsabkommen dies ausdrücklich anordnet (was soweit ersichtlich in keinem Abkommen geschieht) oder wenn sich eine Zuordnung zu den Unternehmensgewinnen zumindest im Umkehrschluss aus anderen Artikeln ableiten lässt (z. B. durch die Aufnahme landwirtschaftlich genutzter Flächen in den Betriebsstättenartikel; denn eine solche Regelung macht – das werden die nachfolgenden Ausführungen zu 2. zeigen – ohne eine Zuordnung zu den Unternehmensgewinnen keinen Sinn).24 Für den hier interessierenden grenzüberschreitenden Betrieb, der naturgemäß nur in deutschen Grenzregionen liegen kann, kommt es auf diese Auslegungsfragen praktisch nicht an. Denn die Doppelbesteuerungsabkommen, die Deutschland mit seinen unmittelbaren Nachbarstaaten abgeschlossen hat, folgen Art.  6 OECD-MA. Dies sind namentlich Art. 6 DBA Deutschland-Niederlande 2012, Art. 6 DBA Deutsch20 Wassermeyer in Wassermeyer/Drüen, Art. 6 DBA Rz. 16 (Januar 2007); Fischer in Gosch/ Kroppen/Grotherr/Kraft, Art. 6 DBA-MA Rz. 322 (Stand: 2016); Lieber in Schönfeld/Ditz, 2 Aufl. 2019, Art. 6 DBA-MA Rz. 63. 21 Wassermeyer (Fn. 20), Art. 6 DBA-MA Rz. 3, 38 (Januar 2007). 22 Z. B. Debatin, DB 1988, 1285 (1291). 23 BFH v. 12.12.1990 – I R 127/88, BFH/NV 1992, 104. 24 Reimer in Vogel/Lehner, 6.  Aufl. 2015, Art.  6 DBA Rz.  52; im Ergebnis auch BFH v. 13.5.1993 – IV R 69/92, BFH/NV 1994, 100 zum DBA Australien 1972.

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land-Polen 2003, Art.  6 DBA Deutschland-Österreich 2000, Art.  3 DBA Deutschland-Frankreich 1959, Art.  6 DBA Deutschland-Tschechien (Tschechoslowakei 1980), Art.  6 DBA Deutschland-Dänemark 1995 und Art.  6 DBA Deutschland-­ Schweiz 1971. Die landwirtschaftlichen Einkünfte sind entweder explizit im Absatz 1 (im Klammerzusatz) genannt oder zumindest ordnet Abs.  2 dem unbeweglichen Vermögen das tote und lebende Inventar eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes zu. Mit Ausnahme des DBA Deutschland-Schweiz, das die Anrechnungsmethode vorsieht, sehen die Abkommen die Freistellungsmethode vor. 2. Kein Erfordernis (und freilich auch keine Möglichkeit) einer abkommensrechtlichen Betriebsstätte Art. 6 OECD-MA knüpft ausschließlich an das Vorhandensein von unbeweglichem Vermögen an, das entweder als Eigentümer oder Nutzungsberechtigter bewirtschaftet wird. Ob eine Betriebsstätte im Sinne von Art. 5 OECD-MA vorliegt, ist hingegen irrelevant. Eine solche könnte durch ein landwirtschaftlich genutztes Grundstück im Zuordnungsbereich des Art. 6 OECD-MA letztlich auch gar nicht begründet werden. Der Bundesfinanzhof hat diese Frage – die z. B. dann relevant wird, wenn die Gewährung der Freistellungsmethode an das Vorliegen einer Betriebsstätte geknüpft wird (vgl. z. B. Art. 22 Abs. 2 Buchst. b vii DBA Spanien 2011) – jedenfalls verneint. Er stellt dabei maßgeblich auf den systematischen Zusammenhang zwischen Art.  5 OECD-MA und Art. 7 OECD-MA ab: In einer abkommensrechtlichen Betriebstätte müsste die Tätigkeit des Unternehmens ausgeübt werden, was wiederum ein Unternehmen im Sinne von Art.  7 OECD-MA voraussetze.25 Wegen dieser spezifischen abkommensrechtlichen Argumentation kann aber dennoch eine Betriebsstätte im Sinne von § 12 AO vorliegen (was vor allem für § 32b EStG relevant sein kann). Bei bewirtschafteten Flächen wird dies auch typischerweise der Fall sein: Der Grund und Boden stellt eine feste Geschäftseinrichtung dar, die der Tätigkeit des Landwirts dient; er bildet die wesentliche Grundlage der von § 13 Abs. 1 EStG erfassten Urproduktion.26 3. Konkretisierung der Einkünfte aus landwirtschaftlichen Betrieben und ihres Umfangs Ist eine landwirtschaftliche Tätigkeit abstrakt dem Art.  6 OECD-MA zuzuordnen, führt dies zu der Frage, was überhaupt die landwirtschaftliche Tätigkeit umfasst und dies gerade in Abgrenzung zu Art. 7 OECD-MA. Insoweit kann man entweder die in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 OECD-MA enthaltene Verweisung auf das Recht des Belegenheitsstaates in den Vordergrund rücken27 oder hiervon losgelöst den Klammerzusatz in Art. 6 Abs. 1 OECD-MA zum Ausgangspunkt der Auslegung machen. Letzteres 25 BFH v. 27.10.2011 – I R 26/11, BStBl II 2012, 457, 459 = FR 2012, 738; Hruschka in Schönfeld/Ditz, 2. Aufl. 2019, Art. 5 DBA Rz. 175; a. A. Debatin, DB 1988, 1285 (1291); Reimer (Fn. 24), Art. 6 DBA Rz. 43a, 200. 26 BFH v. 2.4.2014 – I R 68/12, BStBl. II 2014, 875. 27 Schaumburg (Fn. 13), Rz. 16, 224, Reimer (Fn. 24), Art. 6 Rz. 66.

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wiederum kann man über Art.  3 Abs.  2 OECD-MA unter anderem unter Berücksichtigung des Rechts des Anwenderstaates tun28, aber auch abkommensautonom und damit eben nicht (primär) nach dem innerstaatlichen Recht. Meines Erachtens ist die abkommensautonome Betrachtungsweise vorzugswürdig. Die entscheidende Frage muss daher lauten, ob die zu beurteilende Tätigkeit ihrer Art nach eine landwirtschaftliche Tätigkeit ist. Wegen der Bodenprägung von Art. 6 OECD-MA kann dies nur angenommen werden, wenn die Nutzung der natürlichen Kräfte des Bodens im Vordergrund steht.29 Praktisch dürfte diese Frage freilich für die meisten landwirtschaftlichen Tätigkeiten wenig Relevanz haben. Denn gerade die von § 13 Abs. 1 Nr. 1 EStG erfassten landwirtschaftlichen Tätigkeiten dürften mit der landwirtschaftlichen Tätigkeit im Sinne von Art. 6 OECD-MA deckungsgleich sein.30 Dies gilt jedenfalls uneingeschränkt für den Ackerbau. Auch für den Weinbau dürften insoweit jedenfalls in Ansehung des Urproduktes „Traube“ keine Zweifel bestehen (zur Weinherstellung erst sogleich). Abweichungen scheinen indes bei der Tierhaltung und Tierzucht denkbar. Im nationalen Recht erfolgt die Abgrenzung typisierend nach Maßgabe des § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 ff. EStG mittels Vieheinheitengrenzen: Werden diese Grenzen nicht überschritten, unterstellt das Gesetz, dass eine typisch landwirtschaftliche Tierzucht bzw. Tierhaltung vorliegt, deren Grundlage nämlich die Bodenbewirtschaftung (Verwendung selbst erzeugter Pflanzen als Futter) ist.31 Diese Vieheinheitengrenzen können im Einzelfall eine brauchbare Orientierung für Art. 6 OECD-MA bieten, entfalten aber keine Bindungswirkung. Abkommensrechtlich ist vielmehr die typologische Zuordnung dem Einzelfall überantwortet und es muss losgelöst von starren Grenzen die Frage beantwortet werden, ob die Tierzucht bzw. Tierhaltung auf der Nutzung der natürlichen Ressourcen des Bodens beruht.32 Damit ist freilich nur die Tätigkeit umschrieben, aber noch nicht gesagt, welche landund forstwirtschaftlichen Sachverhalte genau erfasst sind. Daher muss noch Art.  6 Abs. 3 OECD-MA in den Blick genommen werden, der Absatz 2 dahingehend konkretisiert, dass mit den Einkünften aus unbeweglichen Vermögen die Einkünfte „aus der unmittelbaren Nutzung, der Vermietung oder Verpachtung sowie jeder anderen Art der Nutzung unbeweglichen Vermögens“ gemeint sind. Für das hiesige Thema ist vor allem die „unmittelbare Nutzung“ von Bedeutung: Es geht um Einkünfte, die einen direkten Bodenbezug aufweisen. Dieser direkte Bodenbezug ist jedenfalls bei der Bewirtschaftung des Grund und Bodens in Gestalt von Ackerbau und Gartenbau gegeben. Von Art. 6 OECD-MA erfasst 28 Vgl. Wassermeyer (Fn. 20), Art. 6 DBA Rz. 16 (Januar 2007); Fischer (Fn. 20), Art. 6 DBA Rz. 323 (2016). 29 Galke/Haase in Haase, 3. Aufl. 2016, Art. 6 DBA Rz. 75; insoweit auch Übereinstimmung mit Reimer (Fn. 24), Art. 6 DBA Rz. 35, 66. 30 Ebenso Galke/Haase (Fn. 28), Art. 6 DBA Rz. 77; Lieber (Fn. 11), Art. 6 Rz. 65 (November 2015). 31 Dazu nur Krumm (Fn. 1), § 13 EStG Rz. B 24 (Januar 2017). 32 Vgl. Reimer (Fn. 24), Art. 6 Rz. 36.

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werden also die Einkünfte aus dieser Bewirtschaftungstätigkeit und dies reicht von der Bestellung des Feldes, über die Ernte bis zur Vermarktung der hierdurch gewonnen Urprodukte.33 Dies ist eine wichtige und vor allem auch für die weiteren Fragen (siehe zur Gewinnabgrenzung der Höhe nach III. 6.) essentielle Erkenntnis: Die Vermarktung der eigenen Urprodukte durch den Landwirt stellt eine Tätigkeit dar, die Art. 6 OECD-MA unterfällt. Für einen Landwirt, der seine auf inländischen Flächen selbst erzeugten Produkte im Ausland in einer festen Geschäftseinrichtung verkauft, gilt daher umfassend Art.  6 OECD-MA. Dass er im Ausland gegebenenfalls (der ­Sache nach) eine Betriebsstätte begründet, ist mangels Einschlägigkeit des Art.  7 OECD-­MA für die Zuweisung des Besteuerungsrechts irrelevant. Ist – wie so häufig  – die Freistellungsmethode vereinbart, so kann also nur der Staat besteuern, in dem die Grundstücke belegen sind, auf denen die Urprodukte geerntet worden sind. Einen Grenzfall bildet der Weinbau. Denn Weinbau im Sinne von § 13 Abs. 1 Nr. 1 EStG ist nicht nur die Herstellung von Trauben durch Bodenbewirtschaftung (insoweit dürfte der unmittelbare Bodenbezug unzweifelhaft sein, siehe oben), sondern auch die Verarbeitung dieser Trauben zu Wein (Keltern, kellermäßige Behandlung) und zu Traubensaft34, wenn Gegenstand der Kelterung und kellermäßigen Bearbeitung Weintrauben sind, die im Wege der eigenen Urproduktion gewonnen wurden.35 Die Weinherstellung vollzieht sich dann im landwirtschaftlichen Haupt- und nicht (lediglich) im Nebenbetrieb36 (anders bei Herstellung von Sekt: typischerweise Nebenbetrieb37). Entsprechendes gilt für die Vermarktung des Urprodukts „Wein“.38 Aus der nationalrechtlichen Perspektive ist dies deshalb überzeugend, weil §  13 Abs.  1 Nr. 1 EStG den Weinbau ausdrücklich erwähnt und damit an den Typus des Weinbaus anknüpft. Abkommensrechtlich fehlt ein solcher Anknüpfungspunkt hingegen, weshalb sich die Frage stellt, ob die Wein­herstellung noch den unmittelbaren Bodenbezug im Sinne von Art. 6 OECD-MA aufweist oder ob es sich bereits um eine ihrer Art nach unternehmerische Verarbeitungstätigkeit handelt. Das Finanzgericht Rhein­ land-­Pfalz hat sich in Ansehung des Art. 3 DBA Frankreich ohne Diskussion dieser Frage im Ergebnis für das letztgenannte Verständnis entschieden. In dem Streitfall wurden die in Frankreich geernteten Trauben in Deutschland zu Wein verarbeitet 33 Krumm in Leingärtner, Besteuerung der Landwirte, Kap. 2 Rz.  67 (April 2019); Reimer (Fn. 24), Art. 6 Rz. 52. 34 BFH v. 27.2.1987 – III R 270/83, BFH/NV 1988, 85; BFH v. 11.10.1988 – VIII R 419/83, BStBl II 1989, 284 (285); BFH v. 29.11.2001 – IV R 91/99, BStBl II 2002, 221 (223); BFH v. 8.5.2008  – VI R 76/04, BStBl II 2009, 40 (42) (zu §  40a Abs.  3); Wiegand in Felsmann (Fn. 2), Rz. A 19f. (September 2017); Krumm (Fn. 1), § 13 EStG Rz. B 18 f. (Januar 2017). 35 BFH v. 11.10.1988 – VIII R 419/83, BStBl II 1989, 284 (286). 36 Krumm (Fn. 1), § 13 EStG Rz. B 19 (Januar 2017); Kreckl in Leingärtner (Fn. 33), Kap. 5 Rz. 18 (Oktober 2015); Wiegand in Felsmann (Fn. 2), Rz. A 19f. (September 2017). 37 Krumm (Fn. 1), § 13 EStG Rz. B 19 (Januar 2017); Kube in Kirchhof/Seer, 19. Aufl. 2020, § 13 EStG Rz. 13; Nacke in Blümich, § 13 EStG Rz. 174s (August 2018); Paul in Herrmann/ Heuer/Raupach, § 13 EStG Rz. 107 (Januar 2017); im Ergebnis ebenso BMF v. 18.11.1996, BStBl I 1996, 1434. 38 BFH v. 29.11.2001 – IV R 91/99, BStBl II 2002, 221 (223); Krumm (Fn. 1), § 13 EStG Rz. B 18 (Januar 2017); Nacke (Fn. 37), § 13 EStG Rz. 174w (August 2018); Paul (Fn. 37), § 13 EStG Rz. 66 (Januar 2017).

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und der Wein wurde dann vermarktet. In der Entscheidung heißt es zwar, dass im Hinblick auf Art.  3 DBA Frankreich die Einkünfte ermittelt werden müssten, „die mit den dort gelegenen weinbaulich genutzten Grundstücken erzielt werden“.39 Sodann sucht das Gericht aber nach einem Aufteilungsmaßstab für den von der Traubenproduktion bis zur Vermarktung des Weins erzielten Gesamtgewinn und findet diesen – vereinfacht gesagt – in dem Marktpreis der unverarbeiteten Trauben.40 Damit erkennt das Finanzgericht Rheinland-Pfalz im Ergebnis das (alleinige) Besteuerungsrecht Frankreichs (Freistellungsmethode) nur in Ansehung des Urprodukts „Traube“ an. Die weitere Wertschöpfung in Gestalt des Kelterns soll hingegen dem deutschen Besteuerungsrecht unterliegen. Das ist im Ergebnis ein zutreffendes Verständnis des Art. 3 DBA Frankreich im Besonderen bzw. des Art. 6 OECD-MA im Allgemeinen. Ohne eine anderslautende Regelung kann nicht angenommen werden, dass die Vertragsparteien die Besteuerung eines so wesentlichen Wertschöpfungsvorgangs wie des Kelterns an den Grund und Boden binden wollten. Es handelt sich der Sache nach um einen Verarbeitungsvorgang, der keinen unmittelbaren Bezug zum Boden mehr aufweist. Ferner erlaubt die Teildefinition des unbeweglichen Vermögens in Abs. 2 einen weiteren Rückschluss darauf, was der Bezugspunkt für den unmittelbaren Bodenbezug ist. Nach Art. 6 Abs. 2 OECD-MA umfasst der Ausdruck unbewegliches Vermögen „in jedem Fall […] das lebende und tote Inventar land- und forstwirtschaftlicher Betriebe […].“ Unzweifelhaft erfasst werden von dieser sog. Inventarregelung das bewegliche Arbeitsgerät und die Tiere41, d. h. vor allem die hiermit gewonnenen Produkte (bei den Tieren also Milch und Fleisch). Aber auch die Veräußerung des lebenden und toten Inventars unterfällt – anders als die Veräußerung des unbeweglichen Vermögens selbst (insoweit: Art. 13 OECD-MA) – unter Art. 6 OECD-MA.42 Im Randbereich ist die Reichweite dieser Inventarregelung allerdings umstritten. Dies betrifft vor allem Zinsen und Dividenden, die innerstaatlich Teil der Einkünfte aus Landund Forstwirtschaft im Sinne von § 13 EStG sind. Jedenfalls die h. M. will sie abkommensrechtlich nicht dem Art. 6 OECD-MA zuweisen.43 Ein besonders Problem weisen schließlich die dem deutschen Recht bekannten sog. Nebenbetriebe auf. Die damit angesprochene Regelung in § 13 Abs. 2 Nr. 1 EStG ordnet Einkünfte aus Nebenbetrieben trotz ihres gewerblichen Charakters den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft zu, wenn (und weil) die Verbindung zwischen landwirtschaftlichen Hauptbetrieb und (eigentlich) gewerblichen Nebenbetrieb keine zufällige, vorübergehende und ohne Nachteil für den Hauptbetrieb leicht lösbare,

39 FG Rheinland-Pfalz v. 22.6.2016 – 2 K 2412/14, EFG 2016, 1594 Rz. 35. 40 FG Rheinland-Pfalz v. 22.6.2016 – 2 K 2412/14, EFG 2016, 1594 Rz. 46. 41 Reimer (Fn. 24), Art. 6 DBA Rz. 85; Lieber (Fn. 20), Art. 6 DBA Rz. 64 f. 42 Fischer (Fn. 20), Art. 6 DBA-MA Rz. 257 (Stand: 2016); Lieber (Fn. 20), Art. 6 DBA-MA Rz. 64 f.; Reimer (Fn. 24), 6. Aufl. 2015, Art. 6 DBA-MA Rz. 65 ff.; Wassermeyer (Fn. 20), Art. 6 DBA-MA Rz. 57 (Januar 2007). 43 Zur Diskussion statt vieler Krumm (Fn. 33), Kap. 2 Rz. 68 (April 2019); Reimer (Fn. 24), Art. 6 DBA Rz. 85 f.

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sondern eine planmäßige und im Interesse des Hauptbetriebs gewollte ist.44 Die Doppelbesteuerungsabkommen nehmen sich dieser Frage hingegen nicht gesondert an (eine Ausnahme der alte Art. 4 Abs. 2 DBA Niederlande 1959/80/91/2004, im aktuellen DBA-Niederlande 2012 indes nicht mehr enthalten). Ob auch der Nebenbetrieb Art. 6 DBA OECD-MA unterfällt, ist daher eine Frage der Auslegung. Hierfür gibt es zwei Ansatzpunkte: Man kann entweder über den Verweis des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 OECD-MA auf das nationale Recht abstellen und damit aus deutscher Sicht auf § 13 Abs. 2 Nr. 1 EStG, d. h. der abkommensrechtliche Umfang folgt insoweit dem national-rechtlichen Umfang.45 Oder man präferiert  – was vorzugswürdig erscheint  – (auch hier) eine abkommensautonome Auslegung und dann bleibt es bei dem bereits den Zugang zu Art.  6 OECD-MA eröffnenden Bodenbezug: Es muss sich also der Art nach um landwirtschaftliche Einkünfte handeln.46 Typische Nebenbetriebstätigkeiten sind dann in der Regel Art. 7 OECD-MA zuzuordnen. Eine Ausnahme kann sich allerdings in Bagatellfällen aus der Attraktivkraft des seiner Art nach landwirtschaftlichen Betriebes ergeben, wenn z. B. die nicht originär landwirtschaftlichen Einkünfte wirtschaftlich von so geringem Gewicht sind, dass ihre Abspaltung von den Einkünften aus unbeweglichem Vermögen künstlich wirken und die zwischenstaatliche Aufteilung des Steueraufkommens nicht nennenswert verändern würde.47 4. Aufteilung der Einkünfte aus einem landwirtschaftlichen (grenzüberschreitenden) Betrieb Sodann muss der nach nationalem Recht einheitlich nach § 4 Abs. 1 EStG, § 4 Abs. 3 EStG oder § 13a EStG ermittelte Gewinn nach Maßgabe des Doppelbesteuerungsabkommens aufgeteilt werden (Gewinnabgrenzung der Höhe nach): Wenn der Betrieb mit seinen Flächen entweder nur im Inland oder nur im Ausland liegt, ergeben sich wenig Abgrenzungsprobleme. Beim grenzüberschreitenden Betrieb erreicht man hingegen das Problem schlechthin. Die Beispiele sind auf den ersten Blick banal und sind bereits oben unter II. 3. angeklungen: Der Steuerinländer hat z. B. seine Hofstelle in Deutschland und bewirtschaftet mit den auf der inländischen Hofstelle stationierten Landmaschinen seine Felder sowohl im Inland als auch im Ausland. Der Gewinn aus der Art. 6 OECD-MA zuzuordnenden Tätigkeit muss dann zwischen den beteiligten Staaten aufgeteilt werden. Aus Sicht Deutschlands als Ansässigkeitsstaates geht es also um die Frage, welcher Teil des Gewinns aus der landwirtschaftlichen Tätigkeit dem ausländischen „unbeweglichen Vermögen“ zuzurechnen ist und daher in Deutschland steuerfrei zu stellen ist (zur Erinnerung: die 44 Grundlegend RFH v. 10.5.1927  – I A 318/26, RFHE 21, 176 (178); weiterführend nur Krumm (Fn. 1), § 13 EStG Rz. C 1 ff. (Januar 2017). 45 So z. B. Fischer (Fn. 20), Art. 6 DBA Rz. 326 (2016); Wassermeyer (Fn. 20), Art. 6 DBA Rz. 16 (Januar 2007); Kerssenbrock/Wagner in Strunk/Kaminski/Köhler, Art. 6 DBA Rz. 44 (Juli 2017). 46 Lieber (Fn. 20), Art. 6 DBA Rz. 65; Reimer (Fn. 24), Art. 6 DBA Rz. 41; Roth/Pfeffermann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 49 EStG Rz. 122 (August 2019). 47 Reimer (Fn. 24), Art. 6 DBA Rz. 41a, 194; wohl auch Galke/Haase (Fn. 29), Art. 6 DBA Rz. 50.

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meisten Doppelbesteuerungsabkommen mit den Nachbarstaaten sehen die Freistellungsmethode vor). Bemerkenswerterweise äußerst sich Art. 6 OECD-MA zu dieser Frage nicht ausdrücklich. Eine Aufteilungsregelung, die einen klaren Maßstab benennt, findet sich hier nicht. Die Frage lautet daher: Welche impliziten Anhaltspunkte für eine Maßstabsformulierung gibt es? In einer jüngeren Entscheidung des FG Rheinland-Pfalz, das zu dem bereits erwähnten Weinbaufall ergangen ist und – soweit ersichtlich – sich erstmals mit dieser Frage streitig befassen musste, finden wir eine Orientierung an den Grundsätzen, die zu Art. 7 OECD-MA entwickelt worden sind.48 Dem dürfte unausgesprochen die Ausgangsthese zugrunde liegen, dass auch der landwirtschaftliche Betrieb (Weinbaubetrieb) eine ökonomisch-organisatorische Einheit ist, die sich im Grunde nicht von einem Unternehmen im Sinne von Art. 7 OECD-MA unterscheidet. Was für Unternehmen im Sinne von Art. 7 OECD-MA gilt, müsse dann auch für „Unternehmen“ im Sinne von Art. 6 OECD-MA gelten. Dass sich landwirtschaftliche Betriebe der Sache nach von einem „normalen“ Unternehmen nicht unterscheiden, ist eine Beobachtung, die sich in der Tat nicht bestreiten lässt. Die abkommensrechtliche „Gleichstellung“ ist allerdings nicht unproblematisch. Denn dazu müsste man zuerst einmal Klarheit über die für Art. 7 OECD-MA maßgeblichen Gewinnabgrenzungsgrundsätze haben. Dies ist aber mitunter gar nicht so einfach. So unterliegt die Betriebsstättengewinnabgrenzung seit 2008 einem inhaltlichen Wandel und zwar von der eingeschränkten Selbständigkeitsfiktion einer Betriebsstätte bis hin zur – freilich auch schon früher zum Teil vertretenen49 – uneingeschränkten Selbständigkeitsfiktion („Functionally Separate Entity Approach“). Im Grunde geht es bei der gesamten Diskussion, die im Kontext der Unternehmensgewinne im Sinne von Art. 7 OECD-MA geführt wird, um die Frage, ob und inwieweit es zum Fremdvergleichspreis zu verrechnende Leistungsbeziehungen zwischen Stammhaus und ausländischer Betriebsstätte geben kann: Während bei der eingeschränkten Selbständigkeitsfiktion nicht jede interne Leistungsbeziehung zum Fremdvergleichspreis abzurechnen ist, sondern in Teilbereichen auch nur eine nach dem Veranlassungsprinzip („wirtschaftliche Verursachung“) vorzunehmende Aufwandsverteilung vorzunehmen ist, muss bei einer uneingeschränkten Selbständigkeitsfiktion jede interne Leistungsbeziehung zum Fremdvergleichspreis (d. h. stets inklusive Gewinnaufschlag) abgerechnet werden. Wer „das“ Konzept des Art. 7 OECD-MA auf Art. 6 OECD-MA übertragen will, müsste daher erst einmal konkretisieren, welches der beiden – vorstehend äußerst vereinfacht wiedergegebenen – Konzepte er meint. Richtigerweise muss man den Gewinnaufteilungsmaßstab aus Art.  6 OECD-MA selbst entwickeln. Die Vertragsparteien haben den landwirtschaftlichen Betrieb eben bewusst nicht Art.  7 OECD-MA überantwortet. Natürlich existieren bei Art.  6 OECD-­MA in Bezug auf die landwirtschaftlichen Betriebe vergleichbare Fragestellungen wie bei Art. 7 OECD. Weil der Normbefund aber ein anderer ist als bei Art. 7 48 FG Rheinland-Pfalz v. 22.6.2016 – 2 K 2412/14, EFG 2016, 1594 Rz. 39. 49 Nachweise bei Ditz (Fn. 20), Art. 7 DBA Rz. 91 ff.; Kraft in ders., 2. Aufl. 2019, § 1 AStG Rz. 586; Kroppen, Festschrift für Norbert Herzig, 2010, S. 1071 (1074).

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OECD-MA a. F. und Art. 7 OECD-MA n. F., können die Antworten aber anders ausfallen: Dabei ist vor allem der Bodenbezug als prägendes Merkmal des Art. 6 OECD-MA zu beachten. Wenn die Verwertung der Urprodukte zu den Einkünften aus der unmittelbaren Nutzung des Bodens gehört (III.3.), dann kommt es zum Beispiel auf eine Unterscheidung zwischen Produktions- und Vertriebsfunktion nicht an. Das wäre bei Art. 7 OECD MA wohl anders. Das zeigt vor allem die uneingeschränkte Selbständigkeitsfiktion: Wenn im Ausland produziert wird und der inländische Betriebs­ teil den Vertrieb übernimmt, können je nach Konstellation die Veräußerungserlöse dem inländischen Betriebsteil zuzurechnen sein und zuvor hätte man eine Lieferung des ausländischen Betriebsteils an den inländischen Betriebsteil fingiert und bei der Bewertung dieser „Warenlieferung“ wäre dem Umstand Rechnung zu tragen, welche Art von Vertrieb vorliegt (zwecks Zuweisung des Bestands-, Preis- und Gewährleistungsrisikos).50 Bei Art. 6 OECD-MA ist dies hingegen nicht vorgesehen. Wenn die Bewirtschaftungserträge umfassend dem Belegenheitsstaat zugewiesen werden, dann passt dies schon konzeptionell nicht zu einer uneingeschränkten Selbständigkeitsfiktion, leugnet eine solche Zuweisung nämlich den (durchaus bestehenden) Wertschöpfungsbeitrag insbesondere einer im anderen Staat belegenen Hofstelle, von der aus der Landwirt die auf die Produktion (Feldbestellung bis Ernte) nachfolgenden Funktionen (z. B. Herbeiführung der Lagerfähigkeit, Einlagerung, Reifevorgang, Vertrieb) ausübt. Der Bodenbezug ist daher nicht nur Zuordnungskriterium, sondern auch der prägende Aufteilungsmaßstab. Damit ist zugleich auch eine negative Abgrenzung vollzogen: Art. 6 OECD-MA erfasst keine über die unmittelbare Bodennutzung hinausgehende, nur mittelbar mit dieser zusammenhängende Wertschöpfungsbeiträge. Es geht also stets um die unmittelbar „aus der Bodenbewirtschaftung“ resultierenden Erträge und die hiermit zusammenhängenden Aufwendungen. Die „Unmittelbarkeit“ wird dabei von Art. 6 OECD-MA selbst konkretisiert. Das zeigt auch die Inventarregelung, die lediglich die dienende Funktion des Inventars für den Grund und Boden zum Ausdruck bringt und damit ebenfalls die Unmittelbarkeit konkretisiert: Wenn Milchkühe im Ausland gehalten werden, dann muss man sich eben nicht fragen, ob die Milch noch ein unmittelbares Produkt des Bodens ist; die Inventarregelung stellt dies letztlich (im Ergebnis überzeugend) klar. Was diese abstrakten Aussagen konkret bedeuten – vor allem im Zusammenspiel mit § 4 Abs. 1 Satz 3 f., Satz 8 EStG –, wird besonders deutlich, wenn man nach der Aufteilungsrelevanz der bereits erwähnten innerbetrieblichen Leistungsbeziehungen fragt: Beispiel 1: Der Steuerinländer A unterhält seine Hofstelle in Deutschland. Er bewirtschaftet Flächen in Deutschland und in den Niederlanden, auf denen er Kartoffeln anbaut. Die Kartoffeln in den Niederlanden werden mit einem betriebseigenen Kar50 Vgl. z. B. Andresen (Fn. 6), Rz. 5.10 (zur Selbständigkeitsfiktion), 5.29 (zur Zuweisung von Risikien); Ditz (Fn. 20), Art. 7 DBA Rz. 202 ff.

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toffelroder durch eigenes Personal geerntet und mit eigenen Schleppern in Ladeanhängern abtransportiert. Sie werden direkt nach Deutschland verbracht, kommen dort in ein Lager, werden dort gegen das Keimen besprüht und dann erfolgt der Verkauf an einen deutschen Abnehmer. A muss den Gewinn seines Gesamtbetriebes nach inländischen Gewinnermittlungsvorschriften ermitteln. Nach Art. 6 DBA Niederlande haben die Niederlande das Besteuerungsrecht in Ansehung der Veräußerung der auf den niederländischen Flächen geernteten Kartoffeln und dies ungeachtet der Frage, wo verkauft wird und welche weiteren „Vertriebsschritte“ noch in Deutschland stattfinden. Diskussionswürdig ist hier sodann u. a. der Einsatz „inländischer“ Maschinen nebst Personal auf den ausländischen Flächen. Zumindest der Einsatz des eigenen Personals auf den ausländischen Flächen wird von § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG schon tatbestandlich nicht erfüllt (siehe II. 3.). Hinsichtlich der Nutzung des Kartoffelroders, der Schlepper und der Anhänger kommt es indes zu einer Nutzungsentnahme51, weil deren Einsatz auf den ausländischen Flächen (= Nutzung) zu einem Gewinn führt, den Deutschland nicht besteuern darf (= Gewinn aus der Veräußerung der Kartoffeln). Diese Nutzungsentnahme ist mit dem gemeinen Wert zu bewerten, was hier der fremdüblichen Miete für den Kartoffelroder entspricht. Nach hier vertretener Ansicht liegt Art.  6 DBA Niederlande allerdings keine uneingeschränkte Selbständigkeitsfiktion zugrunde. Art. 6 DBA Niederlande erfasst nur die Einkünfte aus der unmittelbaren Bodennutzung. Hierzu gehören meines Erachtens aber nicht die Ertragspotentiale der zur Bodenbewirtschaftung eingesetzten Wirtschaftsgüter. Die entgeltliche Überlassung solcher Wirtschaftsgüter an Dritte  – um nichts anderes geht es gedanklich bei der Nutzungsentnahme – ist bezogen auf das Bodenkriterium lediglich ein mittelbarer Wertschöpfungsbeitrag. Folgt man dem, so entfaltet Art. 6 DBA Niederlande gegenüber der Nutzungsentnahme nach §  4 Abs.  1 Satz 3 EStG Abkommensschutz.52 Es findet keine fremdvergleichskonforme Abrechnung einer fiktiven Leistungsbeziehung statt (sondern nur eine Aufteilung nach Veranlassungsgesichtspunkten, dazu sogleich). Des Weiteren muss das Verbringen der auf den niederländischen Flächen geernteten Kartoffeln nach Deutschland gewürdigt werden. Durch diesen Vorgang wird §  4 Abs.  1 Satz 8 EStG nicht verwirklicht. Denn Deutschland hat an einem ­gedachten Veräußerungsgewinn hinsichtlich der Kartoffeln (also Verkaufspreis ./. Buchwert) kein Besteuerungsrecht erlangt. Das Besteuerungsrecht steht vielmehr den Niederlanden als Belegenheitsstaat zu und dies ungeachtet der Frage, wo sich die Kartoffeln befinden bzw. wo sie veräußert werden. Der Beispielsfall zeigt, dass die hier beschriebene Konstellation aus deutscher Sicht vor allem eine Gewinnaufteilungsfrage nach dem Veranlassungsprinzip ist. Das bedeutet, dass den im Ausland 51 Die Zuordnung dieser Wirtschaftsgüter zum „Inland“ dürfte den gleichen funktionalen Gesichtspunkten folgen, die auch für Betriebsstätten im Übrigen gelten (dazu nur Ditz [Fn.  20], Art.  7 DBA Rz.  164). Daher werden die Landmaschinen typischerweise der Hofstelle zuzurechnen sein. Eine anteilige Zuordnung ist bei materiellen Wirtschaftsgütern jedenfalls nicht möglich (vgl. zur BsGaV auch BMF v. 22.12.2016, BStBl. II 2017, 182 Tz. 76, 84). 52 Für den vergleichbaren Fall in Ansehung des Art. 7 OECD-MA mit nur eingeschränkter Selbständigkeitsfiktion ebenso Rasch/Wenzel, ISR 2015, 128 (131 f.).

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geernteten Kartoffeln auch die hierdurch veranlassten Kosten zugerechnet werden müssen. Deutschland muss also nicht hinnehmen, dass sich die insoweit zurechenbaren Anbau-, Ernte-, Lager- und Vertriebskosten den deutschen Teil des Gewinns mindern. Beispiel 2: Der Steuerausländer B unterhält seine Hofstelle in den Niederlanden. Er bewirtschaftet Flächen in den Niederlanden und in Deutschland, auf denen er Futtermais anbaut. Der Mais wird von einem Lohnunternehmer geerntet und von diesem auch in die Niederlande zur Hofstelle des B transportiert. Ein Teil der Ernte wird an das eigene Vieh des B (Tierzucht) verfüttert; der Rest wird verkauft. B ist beschränkt steuerpflichtig (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Fraglich ist, inwieweit hier die Entstrickungs- und Verstrickungsregelungen erfüllt werden. Betrachten wir dazu zuerst den Teil des Futtermais, der zum Verkauf bestimmt ist: Allein das Verbringen des Mais in die Niederlande reicht für § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG allerdings nicht aus. Satz 3 ist nicht einschlägig, weil Deutschland sein Besteuerungsrecht nicht verliert. Das Besteuerungsrecht für den Bewirtschaftungsertrag steht nach Art. 6 DBA Niederlande umfassend Deutschland zu. Angesichts dieser eindeutigen Regelung kommt es auch nicht darauf an, ob § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG als Gefährdungstatbestand konzipiert ist und daher die bloße Möglichkeit des Verlustes oder der Beschränkung des Besteuerungsrechts ausreichend ist.53 Satz 4 wiederum dürfte ebenfalls nicht einschlägig sein. Mit der ausländischen Hofstelle existiert zwar eine Betriebsstätte im Sinne von § 12 AO und es dürfte wohl auch zu einem „Zuordnungswechsel“ zwischen inländischer („Acker“) und ausländischer Betriebsstätte („Hofstelle“) kommen. Denn bei Fertigwaren (wozu auch die Urprodukte gehören dürften, die der Landwirt selbst nicht mehr verarbeitet) erfolgt grundsätzlich eine Zuordnung zur Personalfunktion „Vertrieb“54 und diese Vertriebsfunktion dürfte bei lebensnaher Betrachtung bei der Hofstelle anzusiedeln sein. Allerdings wird man §  4 Abs.  1 Satz 4 EStG hier einschränkend auslegen müssen. Dem Regelbeispiel des Satz 4 dürfte nämlich die Erwartung zugrunde liegen, dass ein Zuordnungswechsel typischerweise („Gefährdungstatbestand“) für die Zuweisung des Besteuerungsrechts relevant ist. Dies ist aber bei Art. 6 OECD-MA hinsichtlich des zur Veräußerung bestimmten Urproduktes nie (!) der Fall. Anders als bei den Unternehmensgewinnen, bei denen letztlich nicht abschließend geklärt ist, ob und inwieweit ein deutsches Besteuerungsrecht nach dem Verbringen „fortwirkt“55 – was auch ein Grund für die mit dem JStG 2010 eingefügte Fiktion des Satz 4 war56 –, besteht hier keinerlei Sicherungsbedürfnis. 53 So die herrschende Meinung, siehe nur FG Köln v. 16.2.2016 – 10 K 2335/11, EFG 2016, 793 Rz.  47; Musil in Herrmann/Heuer/Raupach, §  4 EStG Rz.  229 (Juni 2016); Wassermeyer, DB 2006, 1176; Wied (Fn. 14), § 4 EStG Rz. 486c (November 2017). 54 Looks (Fn. 15), Rz. 936; Andresen (Fn. 6), Rz. 4.86. 55 Vgl. nur BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464: bei Freistellungsmethode sei die Gewinnaufteilung nach Verursachungsbeiträgen möglich und daher behielte Deutschland sein Besteuerungsrecht, soweit die fraglichen stillen Reserven aus der Zeit vor der Überführung stammen; zur Diskussion dieser Frage im Übrigen nur Wied (Fn.  14), §  4 EStG Rz. 486c (November 2017) mit weiteren Nachweisen. 56 Vgl. BT-Drs. 17/2823, S. 3.

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Meines Erachtens führt daher die Verbringung des Futtermais in die Niederlande nicht zu einer fingierten Entnahme, soweit der Futtermais zum Verkauf bestimmt ist. Im Übrigen gilt auch hier, dass die Gewinnabgrenzung nach dem Veranlassungsprinzip zu erfolgen hat: Der – der deutschen Besteuerung unterliegende – Gewinn aus der Veräußerung des Futtermais muss auch durch die hiermit zusammenhängen Aufwendungen gemindert werden (hier z. B. die Kosten für das Lohnunternehmen). Fraglich ist, ob dies alles auch dann gilt, wenn die selbsterzeugten Urprodukte nicht veräußert, sondern verarbeitet oder – wie im hier im Beispielsfall – verfüttert werden sollen und die nachfolgende Wertschöpfung nicht der deutschen Besteuerung unterliegt. Dies betrifft vor allem den Veräußerungsgewinn hinsichtlich der durch innerbetriebliche Weiterverarbeitung oder Verbrauch entstehenden Wirtschaftsgüter. Im Beispielsfall hat Deutschland jedenfalls weder am Vieh selbst noch an den mittels des Viehs gewonnenen Produkten (wie z. B. der Milch bei Milchkühen) ein Besteuerungsrecht. Dieses steht – klargestellt durch die Inventarregelung des Art. 6 Abs. 3 DBA Niederlande (siehe bereits III. 3.) – allein den Niederlanden zu. In einer solchen Konstellation dürfte § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG in der Tat verwirklicht sein. Denn wenn das Wirtschaftsgut, auf das sich das deutsche Besteuerungsrecht bezieht, untergeht, wird man nicht annehmen können, dass das deutsche Besteuerungsrecht partiell im neuen Produkt oder seinen Erzeugnissen „fortwirkt“. So wie das Wirtschaftsgut untergeht, geht dann wohl auch deutsche Besteuerungsrecht verloren. Es kommt in den Verarbeitungs- und Verfütterungsfällen also zu einer fingierten Entnahme nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, die mit dem Marktpreis des Urprodukts (hier: des Futtermais) zu bewerten ist. Abkommensrechtlich ist diese fingierte Entnahme zudem auch von Art. 6 DBA Niederlande gedeckt. Denn der Veräußerungsgewinn steht Deutschland zu und es ist Sache des deutschen Rechts, darüber zu befinden, wann eine Realisierung der stillen Reserven stattfindet. Diesen Zeitpunkt verlagert §  4 Abs.  1 Satz 3 EStG „lediglich“ nach vorne. Diese Sichtweise entspricht der h. M. zu Art. 7 OECDMA57 und lässt sich auf Art. 6 OECD-MA übertragen. 6. Irrelevanz des § 1 Abs. 5 AStG Mit der Erkenntnis, dass Art. 6 DBA-MA nur die Einkünfte aus der unmittelbaren Bodennutzung erfasst, folglich Abkommensschutz gegenüber einer nach Fremdvergleichspreisen abzurechnenden Nutzungsentnahme besteht und sich damit § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG insoweit (!) abkommensrechtlich nicht durchsetzen kann (III. 5.), wird nunmehr § 1 Abs. 5 AStG virulent. Die Frage lautet: Wird die vorstehende Erkenntnis von dieser Norm „ausgehebelt“? Denn §  1 Abs.  5 AStG stellt  – anders als §  4 Abs. 1 Satz 3 EStG – ein sog. treaty override dar. Die Regelung ordnet letztlich für alle Innenbeziehungen den Fremdvergleichsgrundsatz (mit Gewinnaufschlag an) und würde dementsprechend auch die hier in Rede stehenden Nutzungen erfassen (letztlich sogar noch mehr: auch fingierte Dienstleistungen wären zu berücksichtigen).

57 Andresen (Fn. 6), Rz. 6.30 f., 6.98, 6.238 f.; Looks (Fn. 15), Rz. 920, 934 ff.

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§ 1 Abs. 5 AStG dürfte angesichts des Fehlens einer klaren Beschränkung auf gewerbliche Einkünfte im Ausgangspunkt durchaus auch die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft im Sinne § 13 EStG erfassen.58 Allerdings dürfte hier stets die in § 1 Abs. 5 AStG selbst angelegte Selbstbeschränkung einschlägig sein, nämlich § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG. Hiernach hat – losgelöst von der Beweislastregel formuliert – das Doppelbesteuerungsabkommen gleichwohl Vorrang, wenn dessen Regelungen den Sätzen 1 bis 7 (also dem uneingeschränkten Selbständigkeitsgrundsatz) widersprechen und es deshalb zu einer Doppelbesteuerung kommt. § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG will Kollisionen verschiedener „Konzepte der Betriebsstättengewinnabgrenzung“ erfassen und der insoweit relevante konzeptionelle Unterschied bezieht sich gerade auf die Aufteilungsrelevanz von Innenbeziehungen.59 Dementsprechend wird gemeinhin davon ausgegangen, dass § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG bei Nicht-AOA-DBAs eingreift.60 Hierbei hat man freilich immer nur Art. 7 OECD-MA im Blick, aber dies muss für Art. 6 OECD-MA ebenso (bzw.: erst recht) gelten. Denn Art. 6 OECD-MA folgt eben einem anderen Konzept als Art. 7 OECD-MA n. F. (siehe bereits III. 5.). Im „Normalfall“ findet also § 1 Abs. 5 AStG keine Anwendung. Allerdings enthält die Norm eine spezifische Rückfallklausel: § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG verlangt, dass der andere Staat sein Besteuerungsrecht entsprechend der kollidierenden DBA-Norm ausübt, d. h. der andere Staat muss von dem Vorgang wissen und auch tatsächlich besteuern.61 7. Direkte oder indirekte Methode? Zu guter Letzt steht die Frage im Raum, wie man den Gewinnabgrenzungsgrundsätzen des Art. 6 OECD-MA praktisch Rechnung tragen kann. Die sog. direkte Methode versucht sich in der Zuordnung eines Anteils der einzelnen Erträge und Aufwendungen des Gesamtunternehmens zu einer Betriebsstätte bzw. hier eines Grundstücks und hat daher auch den Anspruch, die innerbetrieblichen Leistungsbeziehungen direkt zu erfassen. Die indirekte Methode geht hingegen davon aus, dass man den Gesamtgewinn nach einem sachgerechten Maßstab auf die Betriebsstätte und das übrige Unternehmen aufteilt.62 Tragender Gedanke ist hier die Einheit des Unternehmens. Schließlich kann sich auch die Notwendigkeit ergeben, beide Methoden zu „vermischen“, d. h. einige Geschäftsvorfälle können unmittelbar zugeordnet werden und für den „Rest“ hat man einen sachgerechten Maßstab heranzuziehen.63 Jedenfalls dort, wo die uneingeschränkte Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte gilt, kommt nur noch die direkte Methode zur Anwendung. Dies liegt in der Logik 58 Gleiche Ansicht Gosch (Fn. 13), S. 1027 (1036); Leonhardt/Tcherveniachki in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 1 AStG Rz. 2844 (April 2017). 59 Berner (Fn. 13), S. 154 ff. 60 Vgl. BT-Drucks. 17/13033, S.  86; Leonhardt/Tcherveniachki (Fn.  58), §  1 AStG Rz.  2893 (April 2017). 61 Zu Recht Berner (Fn. 13), S. 159; a. A. Schnitger, IStR 2012, 633 (642). 62 Leonhardt/Tcherveniahki (Fn. 58), § 1 AStG Rz. 2808 (April 2017). 63 Leonhardt/Tcherveniahki (Fn. 58), § 1 AStG Rz. 2808 (April 2017).

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der Selbständigkeitsfiktion begründet: Der Gewinn der Betriebsstätte ist losgelöst vom Gesamtunternehmen zu ermitteln. Hier ist schon konzeptionell gar nicht mehr sichergestellt, dass der Betriebsstättengewinn zuzüglich des Stammhausgewinns den Gesamtgewinn des Unternehmens ergibt. Vielmehr kann sich ein Betriebsstättengewinn ergeben, der zusammen mit dem Stammhausgewinn höher ist als der Gesamtgewinn des Unternehmens. Das ist vor allem die gegenwärtige Erkenntnis zu Art. 7 OECD-MA n. F.64 Wie sieht es aber bei Art. 6 OECD-MA aus? Meines Erachtens gibt es keinen Grund, der gegen die Heranziehung der indirekten Methode oder zumindest weitgehend indirekter Aufteilungselemente spricht. Richtig ist zwar, dass Wirtschaftsgutüber­ führungen wegen § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG Steuerfolgen auslösen können – das betrifft neben dem Zuordnungswechsel von Anlagevermögen vor allem die unter III. 6. beschriebene Konstellation der Verbringung des Urproduktes zwecks Verarbeitung oder Verfütterung. Dies sind aber durchweg Vorgänge, denen man auch bei einer indirekten Methode Rechnung tragen kann: Beim Anlagevermögen gilt dies deshalb, weil man solche Entnahmegewinne (nicht anders als Veräußerungsgewinne auch) vorab ausscheiden kann. Beim Umlaufvermögen gilt dies meines Erachtens deshalb, weil sie auch nur die Veräußerung vorwegnehmen und damit den aufzuteilenden Bewirtschaftungserfolg abbilden. Und im Übrigen sind die sonstigen internen Leistungsbeziehungen (also Nutzungsüberlassungen aufgrund des Abkommensschutzes und Dienstleistungen mangels Erfassung von § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG) schließlich sogar insgesamt irrelevant. Von dieser Einsicht ist auch die deutsch-niederländische Verständigungsverein­ barung vom 30.11.2001 nach Art.  25 DBA-Niederlande a. F. geprägt65: Danach ist der  Gewinn von den Steuerbehörden des Ansässigkeitsstaates auf der Grundlage des  gesamten Betriebsergebnisses festzustellen, der dann den Grundstücken im ­Be­legenheitsstaat anteilig zugeordnet wird. Bei der Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen erfolgt die Aufteilung idR nach dem Verhältnis der deutschen und ­niederländischen Flächen. Wird der Gewinn durch Buchführung oder Überschussrechnung ermittelt, ist ein Teil des festgestellten Gesamtgewinns vorab dem Hof zuzurechnen und der Rest nach dem Verhältnis der deutschen und niederländischen Flächen aufzuteilen. Dem Hof kann vorab ein Anteil bis zur Hälfte des Gesamt­ gewinns zugerechnet werden. Sollte die vereinbarte Aufteilung zu Unbilligkeiten ­führen, kann davon abgewichen werden. Das ist insbesondere bei Grundstücks­ veräußerungs- oder -entnahmevorgängen der Fall. Bemerkenswerterweise haben Deutschland und die Niederlande an dieser Regelung auch unter Geltung des neuen DBA Niederlande 2012 festgehalten66 und dies in Kenntnis des Umstandes, dass das neue DBA Niederlande 2012 dem AOA-Ansatz folgt. Dementsprechend scheint auch die deutsche Finanzverwaltung davon auszugehen, dass § 1 Abs. 5 AStG hier keine Anwendung findet (siehe bereits III. 6.). 64 Kroppen in Gosch/Kroppen/Grotherr/Kraft, Art. 7 DBA-MA Rz. 133 (2016). 65 BMF v. 30.11.2001, BeckVerw 098797. 66 BMF v. 16.12.2015, BStBl. I 2015, 1085.

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Marcel Krumm

IV. Resümee Dieser Beitrag hat zweierlei aufgezeigt. Erstens, der für Einkünfte aus landwirtschaftlichen Betrieben typischerweise maßgebliche Art. 6 OECD-MA gilt zwar universell für alle Einkünfte mit Bodenbezug (also auch Vermietung und Verpachtung), enthält aber ungeachtet dieser Universalität auch viele Ansatzpunkte für eine sachgerechte Konkretisierung in Bezug auf die besondere Materie der Landwirtschaft. Vor allem lässt sich aus Art. 6 OECD-MA auch ein Gewinnaufteilungskonzept der Höhe nach entwickeln: Der unmittelbare Bodenbezug prägt nicht nur den Zugang zu Art.  6 OECD-MA, sondern ist auch der maßgebliche Aufteilungsmaßstab. Dies bedeutet u. a., dass das Besteuerungsrecht hinsichtlich der Veräußerung des Urproduktes an die Belegenheit des Erntegrundstücks gebunden wird (= Einkünfte aus unmittelbarer Bodennutzung) und im Übrigen (Nutzungen, Dienstleistungen) lediglich eine Aufteilung nach Veranlassungsgesichtspunkten gilt. Zweitens, fällt (gerade deshalb) auf, dass der deutsche Gesetzgeber die Regelungen „seines“ Internationalen Steuerrechts typischerweise aus der Perspektive der Unternehmensgewinne des Art. 7 OECD-MA und der insoweit (vermeintlich) bestehenden Regelungsbedürfnisse formuliert. Dies betrifft namentlich die Entstrickungsregelung in § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG, aber auch § 1 Abs. 5 AStG. Angesichts des umfassenden Geltungsanspruchs dieser Regelungen für alle Gewinneinkünfte bleiben landwirtschaftliche Betriebe im Sinne von §  13 EStG nicht außen vor. Dagegen gibt es grundsätzlich nichts zu erinnern. Allerdings dürfte der Gesetzgeber dabei übersehen haben, dass man dann auch die Perspektive des Art. 7 OECD-MA verlässt. Denn insoweit gilt Art. 6 OECD-MA und damit bis zur Vermarktung des Urprodukts die Besteuerungszuständigkeit nach der Belegenheit des „Erntegrundstücks“ sowie in Bezug auf Nutzungen und Dienstleistungen das bereits erwähnte Veranlassungskonzept. Dies führt zu Widersprüchen mit § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG.

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Michael Lang*

DBA-Auslegung nach der Wiener Vertragsrechtskonvention versus nach Art. 3 Abs. 2 OECD-MA? Inhaltsübersicht I. Vorrang der WVK oder des Art. 3 Abs. 2 OECD-MA? II. Art. 31 ff. WVK 1. Die Bedeutung der Art. 31 ff. WVK für die DBA-Auslegung

2. Der Inhalt der Art. 31 ff. WVK I II. Art. 3 Abs. 2 OECD-MA 1. Die „Lex Fori“-Klausel 2. Bedeutung des Zusammenhangs IV. Zusammenfassende Würdigung

I. Vorrang der WVK oder des Art. 3 Abs. 2 OECD-MA? Heinz-Klaus Kroppen gehört seit vielen Jahren zu den führenden Experten des Internationalen Steuerrechts. Er prägt die Praxis entscheidend mit und fördert durch seine Beiträge die wissenschaftliche Durchdringung dieses Rechtsgebiets. Besondere Verdienste kommen ihm auf dem Gebiet der Verrechnungspreise zu. Er trägt wesentlich dazu bei, diese überwiegend von der betriebswirtschaftlichen Praxis geprägte Thematik auch aus juristischer Sicht zu vertiefen. Ein deutliches Zeichen dieser Entwicklung ist die wachsende Zahl von gerichtlichen Urteilen, die sich mit Verrechnungspreisfragen beschäftigt. Diskussionen zwischen Unternehmen und deren Beratern einerseits und der Finanzverwaltung andererseits wurden auf diesem Gebiet früher primär zu Fragen des maßgebenden Sachverhalts geführt. In den seltenen Fällen, in denen es um Rechtsfragen ging, fehlte häufig das Vertrauen in die Richter, zu einer fundierten Entscheidung zu gelangen. Oft wurden deshalb Kompromisse zwischen den Verfahrensparteien gefunden, um zu verhindern, dass die Sache gerichtsanhängig wird. Dies ist mitunter auch heute noch so. Aber immer öfter geht es um Rechts- und nicht bloße Sachverhaltsfragen und immer häufiger legen Unternehmen ihre Scheu ab, mit diesen Rechtsfragen dann auch Finanzgerichte und den BFH zu beschäftigen. Höchstgerichtliche Urteile zu wichtigen strittigen Rechtsfragen geben der Praxis wiederum Sicherheit. Eines der Urteile zu Verrechnungspreisen, das in letzter Zeit größere Aufmerksamkeit gefunden hat, ist die Entscheidung des BFH v. 27.2.2019 − I R 73/16. Der BFH beschäftigte sich mit der Bedeutung des Art. 9 OECD-MA und der Reichweite der dort vorgesehenen „Sperrwirkung“. Der BFH revidierte bei dieser Gelegenheit seine bisherige Rechtsprechung. Dementsprechend hat das Urteil Aufmerksamkeit in der * Frau Desiree Auer und Herrn Philipp Scharizer danke ich für die Unterstützung bei Lite­ raturrecherche, Erstellung des Anmerkungsapparats und der Fahnenkorrektur. Das Ma­ nuskript habe ich am 1.8.2019 abgeschlossen.

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Michael Lang

Fachwelt gefunden1. Auf die im Vordergrund stehende Rechtsfrage will ich aber nicht eingehen. Vielmehr möchte ich mich mit den methodischen Prämissen beschäftigen, auf denen diese Entscheidung beruht: Der BFH hat nämlich sein Ergebnis sowohl aus § 1 Abs. 1 AStG als auch aus dem Wortlaut und dem Zweck des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA – im konkreten Fall des Art. 9 Abs. 1 DBA-Belgien – abgeleitet. Daran hat er die Formulierung geknüpft, „dass der Senat einer abschließenden Entscheidung darüber enthoben ist, ob der Auslegung des Art.  9 DBA-Belgien 1967 die Grundsätze des WÜRV oder gemäß Art. 3 Abs. 2 DBA-Belgien 1967 (sog. lex-foriKlausel) das Recht des Anwenderstaats zugrunde zu legen ist ([…]).“2 Der BFH geht offenbar davon aus, dass es zwischen den in der WVK festgelegten Auslegungsgrundsätzen und den Art.  3 Abs.  2 OECD-MA nachgebildeten Abkommensvorschriften zumindest ein Spannungsverhältnis gibt, das er aber in diesem Urteil nicht klären musste, weil beide Vorschriften im konkreten Fall zum selben Ergebnis geführt haben. Der Frage, ob tatsächlich ein Spannungsverhältnis oder gar ein Normenkonflikt zwischen den beiden Vorschriften besteht, möchte ich hier nachgehen. Dabei will ich sowohl auf Art. 31 ff. WVK als auch auf Art. 3 Abs. 2 OECD-MA und den dieser Regelung entsprechenden DBA-Vorschriften eingehen, um dann zu beurteilen, in welchem Verhältnis diese Regelungen zueinander stehen.

II. Art. 31 ff. WVK 1. Die Bedeutung der Art. 31 ff. WVK für die DBA-Auslegung Der BFH zieht in seiner Rechtsprechung zu den DBA oft die in der WVK kodifizierten Auslegungsgrundsätze heran3. Zu überlegen ist aber, worin die rechtliche Grundlage dafür besteht. Die WVK selbst ist auch ein völkerrechtlicher Vertrag, der als ­solcher völkerrechtlich und auch innerstaatlich – weil im Wege eines Zustimmungsgesetzes transformiert – auf derselben Ebene wie die DBA steht. Die WVK als völkerrechtlicher Vertrag ist einem DBA daher auch nicht übergeordnet. Die Vertragsstaaten sind daher jedenfalls nicht durch die WVK auf völkervertragsrechtlicher Ebene gebunden, die Anwendung der in der WVK enthaltenen Auslegungsregelungen auf DBA vorzusehen. Will man das Verhältnis zwischen diesen völkerrechtlichen Verträgen – nämlich der WVK als multilateralem völkerrechtlichen Vertrag einerseits und DBA als bilateralen völkerrechtlichen Verträgen andererseits  – klären, ist zwischen unterschiedlichen Konstellationen zu unterscheiden: Eine Fallgruppe betrifft jene DBA, die vor Inkraft1 Zu dieser Entscheidung vgl. näher Maetz, IStR 2019, 481 (481  ff.); sowie Märtens, jurisPR-SteuerR 2019, 27 Anm. 1. 2 Vgl. BFH v. 27.2.2019 − I R 73/16, Rz. 29.  3 Siehe ua BFH v. 7.7.2015 – I R 38/14, Rz. 22: „Völkerrechtliche Vereinbarungen und die darin enthaltenen Begriffe sind primär autonom nach Maßgabe völkerrechtlicher Grundsätze auszulegen“; vgl. hierzu auch BFH v. 11.12.2013 – I R 4/13, Rz. 38. 

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DBA-Auslegung nach der WVK versus nach Art. 3 Abs. 2 OECD-MA?

treten der WVK abgeschlossen wurden. Dazu regelt Art. 4 WVK selbst, dass unbeschadet „der Anwendung der in diesem Übereinkommen niedergelegten Regeln, denen Verträge unabhängig von dem Übereinkommen auf Grund des Völkerrechts unterworfen wären“ die WVK nicht anwendbar ist. Stichtag ist für Deutschland daher der 20.8.1987. An diesem Tag ist die WVK für Deutschland in Kraft getreten4. Zutreffend hat der BFH daher entschieden, „dass das Wiener Übereinkommen (nach dessen Art. 4) ohnehin nur auf Verträge Anwendung findet, die von Staaten geschlossen werden, nachdem das Übereinkommen für sie in Kraft getreten ist – und damit, ohne dass dem weiter nachzugehen wäre, nach Lage der Dinge nicht für das DBASchweiz 1971 –“5. Interessant ist allerdings, dass das aus 1971 stammende DBA Deutschland – Schweiz später – als die WVK bereits sowohl für Deutschland als auch für die Schweiz bereits in Kraft stand – geändert wurde6. Der BFH ging trotz dieser Änderung davon aus, dass es sich um ein Altabkommen handelte, das nicht von der WVK erfasst ist. Es wäre nicht undenkbar gewesen, aufgrund der Änderung dann das ganze Abkommen als unter die WVK fallend anzusehen.7 Offenbar erachtet der BFH  – wenn überhaupt – die Auslegungsregeln der WVK nur für die nach dem Inkrafttreten der WVK geänderten DBA-Vorschriften für maßgebend. Die Protokolle, mit denen das ursprüngliche DBA geändert wurde8, sind eigene völkerrechtliche Verträge, die jedenfalls nach Art. 4 WVK unter den Anwendungsbereich der WVK fallen können. Klar ist, dass die Anwendung der WVK als völkerrechtlicher Vertrag nur dann für ein DBA in Betracht kommt, wenn für beide Staaten die WVK zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bereits in Kraft gewesen ist. Es genügt also nicht, dass die WVK für Deutschland alleine in Kraft stand. So wird wohl auch die zitierte Aussage des BFH zu verstehen sein, und dieses Verständnis ergibt sich aus Art. 4 WVK selbst9. Jede andere Auffassung würde auch zu einem Ziel und Zweck der Abkommen widersprechenden „gespaltenen“ Verständnis führen10: Wenn für die Rechtsanwendung im einen Staat die Auslegungsregeln der WVK heranzuziehen wären, für den anderen Staat aber nicht, könnte dies dazu führen, dass dieselbe Bestimmung, die einmal unter Heranziehung der Art. 31 ff. WVK und das andere Mal unter Berufung auf andere Auslegungsgrundsätze interpretiert wird, in beiden Staaten einen anderen Inhalt hätte. Somit ist die WVK als völkerrechtlicher Vertrag jedenfalls auf DBA, die 4 Dazu BFH v. 12.10.2011 – I R 15/11, Rz. 16. 5 Vgl. BFH v. 10.6.2015 – I R 79/13, Rz. 24.  6 Dazu auch Lang in Drüen/Hey/Mellinghoff (Hrsg.), Festschrift 100 Jahre Bundesfinanzhof, 2018, S. 3.  7 Vgl. BFH v. 10.6.2015 – I R 79/13, Rz. 24. 8 Vgl. hierzu DBA-Schweiz geändert durch das Revisionsprotokoll v. 12.3.2002 zum Abkommen i.d.F. des Protokolls v. 21.12.1992 (BGBl. 2003 Teil II S. 68, S. 436, BStBl 2003 Teil I S. 166, S. 329). 9 Vgl. dazu Reinisch, Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, 5. Aufl. 2013, 50 ff. 10 Vgl. aber BFH v. 20.8.2008 – I R 39/17: In diesem Urteil zum DBA Deutschland-USA betont der BFH das Inkrafttreten der WVK für Deutschland am 20.8.1987, setzt sich in der Folge mit ihren Auslegungsvorschriften auseinander, obwohl die USA bis heute die WVK nicht ratifiziert hat.

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Deutschland mit Staaten abgeschlossen hat, für die erst nach dem Abschluss des DBA die WVK in Kraft getreten ist oder die nach wie vor nicht die WVK ratifiziert haben, gar nicht anwendbar. Somit verbleiben jene DBA, die zwischen Staaten nach Inkrafttreten der WVK für beide Staaten geschlossen wurden. Nach Art.  4 WVK ist die WVK auf diese DBA anwendbar. Aber auch hier gilt: Die WVK ist als multilateraler Vertrag später abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträgen keineswegs übergeordnet. Ein DBA könnte regeln, dass die Auslegungsvorschriften der WVK für dieses DBA nicht in Betracht kommen. Eine ausdrückliche Vorschrift dieser Art findet sich zwar in keinem der von Deutschland abgeschlossenen DBA. Hier stellt sich aber die Frage, ob es solch einer ausdrücklichen Regelung überhaupt bedarf. Es wäre beispielsweise denkbar, dass sich aus dem Regelungsinhalt eines DBA die Notwendigkeit einer Auslegung ergibt, die anders als jene nach der WVK ist11. Selbst wenn man eine ausdrückliche Regelung verlangt, könnte in den Art. 3 Abs. 2 OECD-MA nachgebildeten Abkommensvorschriften solche Regelungen gesehen werden12. Zumindest nach dem zum Ausgangspunkt dieser Überlegungen genommenen Urteil des BFH steht Art. 3 Abs. 2 OECD-MA möglicherweise in einem Spannungsverhältnis zu den Art. 31 ff. WVK stehenden Auslegungsregeln13. Dass die Vertragsstaaten, die ein DBA abschließen, durch die Übernahme des Art. 3 Abs. 2 OECD-MA eine Regelung geschaffen haben, mit der sie für das jeweilige DBA die Anwendung der Auslegungsregeln der WVK ausschließen, könnte vor diesem Hintergrund zumindest erwogen werden. In der WVK selbst ist das Verhältnis zwischen völkerrechtlichen Verträgen ausdrücklich angesprochen: Nach Art. 30 Abs. 4 Buchst. a WVK findet zwischen Staaten, die Vertragsparteien beider Verträge sind, dann, wenn nicht alle Vertragsparteien des früheren Vertrags zu den Vertragsparteien des späteren Vertrags gehören – und dies ist die Konstellation bei der früher für beide Staaten in Kraft getretener WVK und dem danach abgeschlossenen bilateralen DBA – Art. 30 Abs. 3 WVK Anwendung. Nach Art. 30 Abs. 3 WVK „findet der frühere Vertrag nur insoweit Anwendung, als er mit dem späteren Vertrag vereinbar ist“. Ob diese Regelungen allerdings das Verhältnis zwischen dem für Deutschland und den anderen Staat bereits in Kraft getretenem multilateralen Vertrag WVK und dem später geschlossenen DBA verbindlich regeln können, ist fraglich. Wiederum gilt nämlich: Die WVK ist als multilateraler Vertrag den anderen völkerrechtlichen Verträgen  – und damit auch den DBA – nicht übergeordnet.14 Ihr fehlt es an einer Zuständigkeit, das Verhältnis zwischen ihr selbst und einem späteren Vertrag abschließend und bindend zu regeln. 11 Vgl. dazu auch Reimer, Juristische Methodenlehre, 5. Aufl. 2016, 46. 12 Zum lex specialis-Charakter von Art. 3 Abs. 2 OECD-MA im Verhältnis zu Art. 31 ff. WVK auch Engelen, Interpretation of Tax Treaties Under International Law, 2004, 549. 13 Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, Rz. 29: „Aus dem Vorstehenden sowie dem prinzipiellen Einklang mit den Erläuterungen zu § 1 AStG ergibt sich weiterhin, dass der Senat einer abschließenden Entscheidung darüber enthoben ist, ob der Auslegung des Art. 9 DBA-Belgien 1967 die Grundsätze des WÜRV oder gemäß Art. 3 Abs. 2 DBA-Belgien 1967 (sog. lex-foriKlausel) das Recht des Anwenderstaats zugrunde zu legen ist“. 14 Siehe hierzu Zuleeg, Vertragskonkurrenz im Völkerrecht Teil I: Vertrage Zwischen Souveränen Staaten, German Yearbook of International Law, 1977, 246 ff.

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DBA-Auslegung nach der WVK versus nach Art. 3 Abs. 2 OECD-MA?

Orientiert man sich dennoch an den aus Art. 30 Abs. 3 und 4 WVK hervorleuchtenden Wertungen, ist auf diese Weise keineswegs die vollständige Maßgeblichkeit der in den Art.  31  ff. WVK enthaltenen Auslegungsregeln ausgemacht. Beispielsweise könnten die Vorschriften des Art.  31 Abs.  3 WVK, wonach spätere Übereinkünfte zwischen den Vertragsparteien und die spätere Übung bei der Anwendung des Vertrages auch bei der Auslegung zu berücksichtigen ist, als mit dem Wesen von DBA unvereinbar angesehen werden: DBA unterliegen in vielen Staaten strengen rechtsstaatlichen Anforderungen, sodass eine durch Verwaltungsbehörden geprägte Weiterentwicklung des Inhalts eines DBA nicht adäquat erscheinen könnte.15 Dieses Beispiel ist nicht zufällig gewählt, denn die Rechtsprechung des BFH steht Art. 31 Abs. 3 WVK zurückhaltend gegenüber16. Konsequent zu Ende gedacht: Die Art.  3 Abs.  2 OECD-MA nachgebildeten Abkommensvorschriften könnten zwar zulassen, DBA nach Art.  31 Abs.  1, 2, 4 und Art.  32 f WVK auszulegen, nicht aber nach Art.  31 Abs. 3 Buchst. a und b WVK. Art. 31 Abs. 3 Buchst. a und b WVK könnte als nicht „mit dem späteren Vertrag vereinbar“ angesehen werden. Ebenso wäre aber denkbar, die Art. 3 Abs. 2 OECD-MA nachgebildeten Abkommensvorschriften als abschließend zu verstehende Auslegungsvorschriften anzusehen, die für die Anwendung der Art. 31 ff. WVK gar keinen Platz lassen. Die Art. 31 ff. WVK wären dann zur Gänze nicht mit dem späteren Vertrag – dem DBA – vereinbar. Der BFH zieht die in der WVK enthaltenen Auslegungsvorschriften aber in manchen Entscheidungen deshalb heran, weil er sie als kodifiziertes Völkergewohnheitsrecht ansieht17. Diese Begründung könnte helfen, den Art. 31 ff. WVK in den Fällen Bedeutung beizumessen, in denen die WVK als völkerrechtlicher Vertrag nicht anwendbar ist. Dies betrifft beispielsweise DBA mit Staaten, die die WVK nicht ratifiziert haben. Auch nach dieser Argumentation ist aber nicht gesichert, dass die Auslegungsregeln der WVK für die DBA-Interpretation maßgebend sind. Denn auch dann, wenn man die Regelungen der WVK zum Völkergewohnheitsrecht zählt, sind sie einem völkerrechtlichen Vertrag wie einem DBA nicht übergeordnet18. Ein konkretes DBA und die darin enthaltenen Vorschriften können daher genauso Vorrang vor sonst völkergewohnheitsrechtlich geltenden Auslegungsregeln wie vor sonst geltenden Auslegungsregeln eines multilateralen völkerrechtlichen Vertrages haben19. Der BFH selbst hat in seinem Urteil v. 7.7.2015 – I R 38/14 für allgemeine Regeln des Völkerrechts bei der Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages keinen Platz gese15 Vgl. Wassermeyer in Mössner/Blumenwitz (Hrsg.), Doppelbesteuerungsabkommen und nationales Recht (1995), 61 (85 ff.); und auch Barfuß in Mayer (Hrsg.), Staatsrecht in Theorie und Praxis, Festschrift für Robert Walter, S. 25 (33). 16 So zB Urteile des BFH v. 11.7.2018 – I R 44/16; v. 1.2.1989 – I R 74/86; v. 21.8.1996 – I R 80/95; und v. 15.9.2004 – I R 67/03.  17 Ua dazu BFH v. 25.10.2006  – I R 81/04, Rz.  20 und BFH v. 11.11.2009  – I R 15/09, Rz. 26. Ausführlich dazu auch Lang in Drüen/Hey/Mellinghoff (Hrsg.), Festschrift 100 Jahre Bundesfinanzhof, 2018, S. 3. 18 Vgl. zB Potacs, Rechtstheorie, 1. Aufl. 2015, 65: „Die meisten Regeln des Gewohnheitsrechts können als dispositives Recht abgeändert oder aufgehoben werden, zB durch desuetudo oder völkerrechtliche Verträge.“ 19 Vgl. auch Engelen, Interpretation 35.

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hen20: „Dieser Auslegung […] kann die Revision auch nicht den allgemeinen Rechtsgrundsatz des Verbots missbräuchlichen Verhaltens bzw. des „venire contra factum proprium“ (im Völkerrecht als „Estoppel-Prinzip“ bezeichnet, vgl. hierzu bereits 1935 grundlegend Friede, Das Estoppel-Prinzip im Völkerrecht, ZAOERV 1935, 517) entgegenhalten. […] Und es entspricht der Rechtsprechung des BVerfG, dass allgemeine Regeln des Völkerrechts nicht Völkervertragsrecht auszuhebeln vermögen ([…]), dementsprechend vermittelt ein unterstelltes rechtsmissbräuchliches Verhalten eines Vertragsstaates geltendem Recht keinen anderen inhaltlichen Bedeutungsgehalt.“ Der BFH hat den allgemeinen Rechtsgrundsatz des Verbots des missbräuchlichen Verhaltens nicht im auszulegenden Vertrag selbst verankert gesehen, und daher keine Möglichkeit gesehen, dass dieser Grundsatz im Wege des allgemeinen Völkerrechts für die Interpretation des völkerrechtlichen Vertrags Bedeutung erlangt21. Diese Argumentation hat aber  – konsequent zu Ende gedacht  – weitreichende Konsequenzen: Wenn im allgemeinen Völkerrecht enthaltene Regelungen sich nicht auch aus dem auszulegenden völkerrechtlichen Vertrag selbst gewinnen lassen, können sie auch nicht bei der Auslegung dieses Vertrages berücksichtigt werden. Wenn sie aber aus dem völkerrechtlichen Vertrag selbst gewonnen werden können, sind sie aus diesem Grund – und nicht aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum allgemeinen Völkerrecht – von Bedeutung. Letztlich ist daher nur der völkerrechtliche Vertrag selbst relevant. Allgemeines Völkerrecht ist für die Auslegung des völkerrechtlichen Vertrags irrelevant. Für die Annahme, dass die Auslegungsregeln der WVK als Teil des Völkergewohnheitsrechts für die DBA-Auslegung Bedeutung haben könnten, bleibt daher – zumindest nach dem in diesem Urteil entwickelten Maßstäben – kein Raum. 2. Der Inhalt der Art. 31 ff. WVK Die Rechtsgrundlage für die Anwendung der Art. 31 ff. WVK bei der DBA-Auslegung ist somit fraglich. Die Relevanz dieser Frage hängt aber auch davon ab, welche selbständige normative Bedeutung diese Regeln aber überhaupt haben. Oder anders formuliert: Auslegung ist nicht zwingend regelungsbedürftig. In vielen Rechtsordnungen gibt es nur in manchen Rechtsgebieten oder aber überhaupt keine positivierten Auslegungsregeln. Wenn die Art.  31  ff. WVK für die DBA-Auslegung nicht unmittelbar angewendet werden können: Sind DBA-Vorschriften dann anders auszulegen? Dazu bedarf es einer Beantwortung der Frage, welche Anordnungen Art. 31 ff. WVK trifft. Bei der Auslegung geht es um die Ermittlung des Inhalts einer Vorschrift. Aufgabe des Interpreten ist es zu ermitteln, was der Normsetzer nach den Regeln der (Sprach-) Konvention als gemeint gegen sich gelten lassen muss22. In der Fachliteratur ist umstritten, ob sich Auslegung überhaupt durch Rechtsvorschriften regeln lässt. Entscheidende Bedeutung kommt bei dieser Diskussion der Frage zu, ob Auslegung ­Erkennen im Sinne eines exakten Wissenschaftsbegriffs ist, dessen Methode aus20 BFH v. 7.7.2015 – I R 38/14, Rz. 27. 21 Dazu auch schon Lang in Drüen/Hey/Mellinghoff (Hrsg.), Festschrift 100 Jahre Bundesfinanzhof, 2018, S. 3. 22 Dazu Rill, ZfV 1985, 461 (461 ff.).

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DBA-Auslegung nach der WVK versus nach Art. 3 Abs. 2 OECD-MA?

schließlich vom Gegenstand des Erkennens (der Auslegung) und nicht von positiven Festlegungen wie staatlichen Rechtsgesetzen abhängig ist23. Denn die zum interpretationsziel führenden Wege werden häufig als Gegenstand einer spezifischen Hermeneutik betrachtet, die sich ihrerseits kaum rechtlich regeln lässt: Dass man den Willen des Gesetzgebers vor allem anhand der Worte ermittelt, die er verwendet hat, anhand der Zwecke, die er verfolgt hat, anhand der Regelungen, die er anderenorts erlassen hat oder anhand von Äußerungen, die er früher gemacht hat, folgt selbst aus keiner Norm, sondern gehört zu den Gesetzmäßigkeiten des Kommunizierens und Verstehens, die sich menschlicher Normsetzung entziehen24. Dazu kommt, dass auch Auslegungsregeln der Interpretation bedürfen und sie schon aus logischen Gründen über ihre eigene Auslegung nichts sagen können25. Auslegung bedarf zumindest nicht unbedingt ausdrücklicher Regeln. Bestehen solche Vorschriften, handelt es sich um „default rules“26. In keinem Fall ist Auslegung ein formalisierbarer Vorgang27. Sie entzieht sich daher letztlich einer jedes Detail betreffenden Regelung. Auslegungsregeln können nur Aspekte herausgreifen, die bei der Interpretation jedenfalls zu beachten sind. Eine generelle erschöpfende Rangordnung der einzelnen Auslegungskriterien kann nicht festgelegt werden, sodass die verschiedenen Auslegungsmethoden nicht mechanisch hintereinander angewendet werden dürfen. Der Rang der Auslegungskriterien lässt sich nicht generell und definitiv festlegen. Es lassen sich nur einige, nicht erschöpfende Regeln darüber aufstellen28. Gesetzliche Vorgaben für die Interpretation stoßen daher zwangsläufig an Grenzen29. Daher sind auch die Art. 31 ff. WVK – wie alle anderen positivierten Auslegungsregeln – nicht als Vorschriften zu verstehen, die den Denkvorgang der Interpretation abschließend determinieren.30 Nach Art. 31 Abs. 1 WVK ist „ein Vertrag … nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Ziels und Zwecks auszulegen“. Damit betont Art. 31 Abs. 1 WVK wichtige Aspekte, die auch sonst bei der Auslegung eine Rolle spielen: Wenn der BFH regelmäßig „Wortlaut, Vorschriftenzusammenhang und Zweck eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung“31 berücksichtigt, geht er bei der DBA-Auslegung nicht anders vor als in anderen Rechtsgebieten.

23 Dazu Vollmer, Auslegung und „Auslegungsregeln“, 1988, 27 f. 24 So zB Wendehorst, RabelsZ 2011, 730 (734). 25 Dazu Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl. 2011, 80. 26 Barak, Purposive Interpretation in Law, 1. Aufl. 2005, 48. 27 Vgl. Gardiner, Treaty Interpretation, 2008, 29. 28 Vgl. Kodek in Rummel/Lukas, ABGB, 4. Aufl. 2015, § 6 Rz. 128.  29 Vgl. Kodek in Rummel/Lukas, ABGB, § 6 Rz. 6. 30 Dazu Köck, Vertragsinterpretation und Vertragsrechtskonvention: Zur Bedeutung der Artikel 31 und 32 der Wiener Vertragsrechtskonvention 1969, 1976, 96 f. 31 Vgl. BFH v. 21.8.2015 – I R 63/13.

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Auf den ersten Blick dürfte hingegen nach der WVK der historischen Auslegung nur eingeschränkte Bedeutung zukommen.32 Nach Art. 32 WVK können nämlich ergänzende Auslegungsmittel, „insbesondere die vorbereitenden Arbeiten und die Umstände des Vertragsabschlusses“, herangezogen werden,“ um die sich unter Anwendung des Artikels 31 ergebende Bedeutung zu bestätigen oder die Bedeutung zu bestimmen, wenn die Auslegung nach Artikel 31 […] die Bedeutung mehrdeutig oder dunkel lässt oder […] zu einem offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis führt.“ Allerdings kann die Rechtsentwicklung auch über Art. 31 Abs. 4 WVK Bedeutung erlangen33: „Eine besondere Bedeutung ist einem Ausdruck beizulegen, wenn feststeht, dass die Vertragsparteien dies beabsichtigt haben.“ Auch der BFH zögert nicht, die „Entstehungsgeschichte“ in die DBA-Interpretation einzubeziehen34. Somit zeigen sich auch hier keine Besonderheiten. Hingegen lassen sich – wie bereits angedeutet – Art. 31 Abs. 3 Buchst. a und b WVK nicht ohne Weiteres mit herkömmlichen Zugängen zur Interpretation in Einklang bringen. Nach diesen Vorschriften sind außer dem Zusammenhang in gleicher Weise zu berücksichtigen: „jede spätere Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung des Vertrags oder die Anwendung seiner Bestimmungen“ sowie „jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrags, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht“. Der BFH hat sich gegenüber der Anwendung dieser Vorschriften zurückhaltend gezeigt und dargelegt, dass er in ihnen keine Grundlage sieht, bei der DBA-Auslegung zwischen den Verwaltungsbehörden abgeschlossene Verständigungsvereinbarungen oder nach dem Abschluss eines DBA veröffentlichte Fassung des OECD-Kommentars über die Wortlautgrenze hinaus zu berücksichtigen.35 In beiden Konstellationen stellen sich erhebliche rechtsstaatliche Probleme, denn Verständigungsvereinbarungen entstehen genauso wie der OECD-Kommentar ohne Mitwirkung des Gesetzgebers.36 Allerdings bestehen gute Argumente, diesen Akten auch auf Grundlage des Art. 31 Abs. 3 WVK keine oder eine nur sehr eingeschränkte Bedeutung beizumessen37: Der OECD-Kommentar ist ein Ergebnis der Arbeiten des OECD-Steuerausschuss, der gewöhnlich in eine – rechtlich unverbindliche – Empfehlung der OECD mündet38,

32 Vgl. Arnauld, Völkerrecht, 3. Aufl. 2016, 96. 33 Dazu auch Ault in Alpert/van Raad (Hrsg.), Essays on international taxation: To Sidney l. Roberts, 1993, S. 61 (65). 34 Dazu BFH v. 11.11. 2009 – I R 15/09. 35 ZB BFH v. 1.2.1989 – I R74/8; vgl. dazu insbesondere auch vor dem Hintergrund des § 2 Abs. 2 AO Lehner in Lüdicke/Mössner/Hummel (Hrsg.), FS Frotscher zum70. Geburtstag, 2013, S. 391. 36 Dazu Lang, Doppelbesteuerungsabkommen und innerstaatliches Recht, 1992, S.  86  f.; Lang, IWB 2011, 281 (284). 37 Vgl. Lang in Mössner/Blumenwitz, Doppelbesteuerungsabkommen und nationales Recht, 1995, S. 61 (87). 38 Siehe Lang in Gassner/Lang/Lechner (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen im lnternationalen Steuerrecht, 1994, S. 11 (13).

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aber keine Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien39. Ebenso wenig entsteht eine „Übung“ nach Art. 31 Abs. 3 Buchst. b WVK durch Beschluss der OECD oder durch Abschluss einer Verständigungsvereinbarung. Vielmehr bedarf es dazu einer übereinstimmenden, flächendeckenden, von Rechtsüberzeugung getragener und rechtlich nicht bestrittenen Praxis der zuständigen Organe, also im Regelfall der Finanzämter und der Gerichte40. Wenn eine Frage gerichtsanhängig wird, ist dies ein Indiz dafür, dass eine solche Übung dazu nicht besteht. Auch unterscheidet die WVK zwischen der Auslegung und der Änderung des völkerrechtlichen Vertrages41. In Art. 31 Abs. 3 WVK geht es um die Auslegung, was der Bedeutung späterer Übereinkünfte oder Übungen schon von Vorneherein Grenzen setzt42. Art. 31 Abs. 3 WVK ermöglicht auch eine differenzierende Anwendung: Es kann daher einen Unterschied machen, ob es um eine Rechtsfrage geht, die lediglich das Verhältnis zwischen den beiden Staaten betrifft, oder ob deren Beantwortung auch Auswirkungen auf Dritte hat, wie das typischerweise im Steuerrecht der Fall ist43. Schließlich darf auch nicht übersehen werden, dass die in Art. 31 Abs. 3 WVK genannten „Übereinkünfte“ sowie die „Übung“ nur zu „berücksichtigen“ sind. Dies ermöglicht ebenfalls, die Argumente nach ihrer Überzeugungskraft im Einzelfall zu gewichten, und ihnen gegebenenfalls nur eingeschränkte oder keine Bedeutung beizumessen44. Der BFH müsste daher nicht die – methodisch fragwürdige45 – Wortlautgrenze bemühen, um Verständigungsvereinbarungen und spätere Versionen des OECD-Kommentars bei der DBA-Auslegung weitgehend auszublenden. Aus Art. 31 Abs. 3 WVK selbst können bessere Argumente gewonnen werden, die dieses Ergebnis rechtfertigen. Insgesamt zeigt sich somit, dass die Frage, ob und für welche DBA die in der WVK kodifizierten Auslegungsregeln anzuwenden sind, von untergeordneter Bedeutung ist. Die dort niedergeschriebenen Interpretationsvorschriften unterscheiden sich nämlich nicht grundlegend von der auch sonst bei der Auslegung gebotenen Vorgangsweise. Immer geht es darum zu ermitteln, was der Normsetzer als gemeint gegen sich gelten lassen muss46. Dazu sind neben dem Wortlaut, die Systematik, die Teleologie und die Rechtsentwicklung heranzuziehen. 39 Dazu bereits Lang in Gassner/Lang/Lechner (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen im Interna­ tionalen Steuerrecht, 1994, S. 11 (25 f.). oder Lang, IWB 2011, 281 (283). 40 Dazu auch Lang, ÖStZ 2006, 203 (203 ff.). 41 Vgl. Karl, Vertrag und spätere Praxis im Völkerrecht, 1983, S. 45 (45 f.); und Ress in Bieber/ Ress (Hrsg.), Die Dynamik des europäischen Gemeinschaftsrechts  – The dynamics of ­EC-law, 1987, S. 49 (62). 42 Siehe Wassermeyer in Mössner/Blumenwitz (Hrsg.), Doppelbesteuerungsabkommen und nationales Recht, 1995, S. 61 (85 ff.); vgl. auch Thaler in Mayer (Hrsg.), Staatsrecht in Theorie und Praxis, Festschrift für Robert Walter, 1991, S. 683 (693 f.). 43 Vgl. Lang, Doppelbesteuerungsabkommen und innerstaatliches Recht, 1992, 86 f. 44 Siehe Lang in Mössner/Blumenwitz (Hrsg.), Doppelbesteuerungsabkommen und nationales Recht, 1995, 61 (87) und Lang in Ismer/Reimer/Rust/Waldhoff (Hrsg.), Territorialität und Personalität, Festschrift für Moris Lehner zum 70. Geburtstag, 2019, S. 210. 45 Kritisch Lang in Drüen/Hey/Mellinghoff (Hrsg.), Festschrift 100 Jahre Bundesfinanzhof, 2018, S. 19 f. 46 Dazu Rill, ZfV 1985, 461 (461 ff.); dazu auch Vogel/Prokisch in IFA, Cahiers de Droit Fiscal lnternational [CDFI], Vol. LXXVIlla, S. 55 (66 ff.); Engelen, Interpretation 57.

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Vor diesem Hintergrund ist es auch überzeugender, nicht von der „Anwendung“ der in der WVK verankerten Auslegungsregeln zu sprechen. Denn sowohl vor dem Hintergrund des Völkervertragsrechts als auch des Völkergewohnheitsrechts ist fraglich, ob und in welchen Fällen dafür überhaupt eine Rechtsgrundlage besteht. Vielmehr ist die WVK als ein Dokument zu verstehen, das seit 1969 den DBA-Verhandlern bekannt war. Einiges spricht dafür, dass DBA seitdem in der Erwartung abgeschlossen worden, dass sich ihre Auslegung an den in der WVK bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge angesprochenen Grundsätze orientieren wird. Die Beschreibung dieser Grundsätze in den Art.  31  ff. WVK war für die mit Abschluss und Anwendung  der DBA Befassten Bestätigung, dass auch bei der DBA-Auslegung dieselbe Vorgangsweise wie bei der Interpretation anderer Vorschriften zum Tragen kommt. Damit lassen sich die in der WVK angesprochenen Gesichtspunkte bei der DBA-Auslegung – auch rechtlich begründet – berücksichtigen, ohne dass aber die Rechtsanwender der Verpflichtung ausgesetzt sind, die einzelnen Vorschriften „anwenden“ und damit auch darlegen zu müssen, unter welche der Absätze der Art. 31 ff. WVK die Heranziehung eines bestimmten Arguments fällt, und in welchem Verhältnis die einzelnen Absätze dieser Vorschriften zueinanderstehen. Eine „Auslegung“ der in der WVK verankerten Regelungen selbst ist damit entbehrlich. Dies erleichtert es noch zusätzlich, der Entstehungsgeschichte einer DBA-Norm „trotz“ Art. 32 WVK bei entsprechendem Gewicht des aus ihr bezogenen Arguments auch erhebliche Bedeutung beizumessen, und umgekehrt sich durch Art.  31 Abs.  3 Buchst. b WVK nicht davon abbringen zu lassen, an den herkömmlichen Auslegungsgrundsätzen festzuhalten.

III. Art. 3 Abs. 2 OECD-MA 1. Die „Lex Fori“-Klausel Die Art. 3 Abs. 2 OECD-MA nachgebildeten Abkommensvorschriften sind aus der bisherigen Analyse weitgehend ausgeklammert worden. Der BFH hat in seinem Urteil v. 27.2.2019 – I R 73/16, das den Ausgangspunkt für diese Überlegungen bildet, dieser Vorschrift offenbar die Bedeutung beigemessen, das innerstaatliche Recht Deutschlands – im konkreten § 1 AStG – für die Auslegung des Art. 9 DBA Deutschland-Belgien heranzuziehen. Vor diesem Hintergrund hat sich ein Widerspruch zu einer Auslegung aufgetan, die sich an den Art. 31 ff. WVK orientiert und bemüht ist, aus dem Wortlaut, dem Vorschriftenzusammenhang, dem Zweck und der Entstehungsgeschichte des Abkommens ein Interpretationsergebnis zu gewinnen. Die Rechtsprechung des BFH zu Art. 3 Abs. 2 OECD-MA schwankt: Ähnlich wie im Urteil v. 27.2.2019  – I R 73/16, hat der BFH auch schon in anderen Urteilen, Art.  3 Abs. 2 OECD-MA als Ermächtigung verstanden, für die Auslegung der abkommensrechtlichen Ausdrücke „Betriebsvermögen“ oder „unselbständige Arbeit“ auf deutsches Steuerrecht zurückzugreifen47. Umgekehrt hat der BFH beispielsweise bei der 47 Vgl. zum „Betriebsvermögen“ BFH v. 13.2.2008 – I R 63/06, Rz. 42 und für den Ausdruck „unselbständige Arbeit“ BFH v. 24.9.2013 – VI R 6/11, Rz. 10.

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Auslegung der Worte „Ruhegehälter“, „Unternehmen“ oder „stammen“  – von Einkünften aus unselbständiger Arbeit – eine Maßgeblichkeit des nationalen Rechts verneint und ein Auslegungsergebnis aus dem Abkommenszusammenhang gewonnen48. Wer Art. 3 Abs. 2 OECD-MA als kaum oder gar nicht eingeschränkten Verweis auf nationales Recht versteht, muss sich mehreren Fragen stellen: Zunächst ist umstritten, welcher der beiden Vertragsstaaten als „Anwendestaat“ gilt. Nach einer von Avery Jones begründeten Auffassung ist als Anwendestaat immer der Quellenstaat zu verstehen49. Er geht davon aus, dass nur oder in erster Linie der Quellenstaat das Abkommen anwendet und der andere Staat – der Ansässigkeitsstaat – dann an die Qualifikation des Quellenstaates gebunden wäre. Die Auffassung, wonach nur der Quellenstaat das Abkommen anwendet, überzeugt aber nicht: Wenn der Ansässigkeitsstaat dann den Methodenartikel des Abkommens (Art. 23 OECD-MA) anwendet, muss er ebenso auf die Verteilungsnormen des Abkommens zurückgreifen und daher im Ergebnis auch die Verteilungsnormen des Abkommens anwenden. Somit wenden beide Staaten das Abkommen an50. Fraglich ist, wie vorzugehen ist, wenn der Abkommensrechtsbegriff im nationalen Steuerrecht gar nicht verwendet wird. Mit dieser Situation war der BFH in seinem Urteil v. 4.5.2011 – II R 51/09 zur Auslegung der vermögensteuerlichen Verteilungsnormen des DBA Deutschland  – Schweiz konfrontiert51: Der BFH erläuterte zunächst, dass nach dem Abkommen „bewegliches Vermögen, das Betriebsvermögen einer Betriebsstätte eines Unternehmens darstellt oder das zu einer der Ausübung eines freien Berufes dienenden festen Einrichtung gehört, in dem Vertragsstaat besteuert werden [kann], in dem sich die Betriebsstätte oder die feste Einrichtung befindet. Der Begriff ‚Unternehmen‘ im Sinne dieser Vorschrift ist im DBA-Schweiz nicht definiert, insbesondere auch nicht in dessen Art. 3 Abs. 1 Buchst. f, und daher nach Art. 3 Abs. 2 DBA-Schweiz für Zwecke der deutschen Besteuerung in der Bedeutung zu verwenden, die ihm nach dem Recht der Bundesrepublik über die Steuern zukommt, welche Gegenstand des DBA-Schweiz sind, soweit der Zusammenhang des DBA-Schweiz nichts anderes erfordert“.52 Letztlich hat der BFH die Heranziehung nationalen Rechts verweigert: „Der Rückgriff auf das deutsche Vermögensteuerrecht führt indes nicht weiter; denn weder das VStG noch §§ 95, 97 und 121 BewG oder andere Vorschriften des VStG oder des BewG definieren den Begriff ‚Unternehmen‘. […] Der Begriff ist danach aus dem Zusammenhang des DBASchweiz heraus auszulegen. Diese Auslegung ergibt, dass eine vermögensverwaltende 48 Siehe für den Begriff „Ruhegehälter“ BFH v. 8.12.2010 – I R 92/09, Rz. 24; zum Begriff „Unternehmen“ BFH v. 4.5.2011 – II R 51/09, Rz. 26 und für den Ausdruck „stammen“ BFH v. 17.11.2010 – I R 76/09, Rz. 39. 49 Siehe Avery Jones et al., British Tax Review 1984, 14(50); Avery Jones in Beisse/Lutter/Närger (Hrsg.), Festschrift für Karl Beusch zum 68. Geburtstag, 1993, S. 43 (47 ff.). 50 Lang, IWB 2011, 281 (288); siehe auch Vogel in Beyerlin (Hrsg.), Recht zwischen Umbruch und Bewahrung, Festschrift für Rudolf Bernhardt, S. 1143 (1155 f.); Vogel/Lehner in Vogel/ Lehner, DBA-Kommentar, 6. Aufl. 2015, Art. 3 Rz. 65 f. 51 Siehe BFH v. 4.5.2011 – II R 51/09. 52 BFH v. 4.5.2011 – II R 51/09, Rz. 26.

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Personengesellschaft auch dann kein ‚Unternehmen‘ i.S.  des Art.  22 Abs.  2 DBASchweiz ist oder hat, wenn sie i.S. des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG gewerblich geprägt ist. Die gewerbliche Prägung einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft spielt abkommensrechtlich keine Rolle“.53 Der BFH hat also den Zusammenhang des Abkommens für relevant erachtet, weil der Rückgriff auf das deutsche Steuerrecht nicht weiter geführt hat. Damit hat er die üblicherweise aus Art. 3 Abs. 2 OECD-MA abgeleitete Reihenfolge, wonach zuerst nach einer Abkommensdefinition zu suchen ist, dann der Abkommenszusammenhang heranzuziehen ist und erst subsidiär nationales Recht maßgebend ist, letztlich umgedreht54. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich aus dem Umstand, dass DBA oft mehrere authentische Vertragssprachen kennen. Ein typisches Beispiel ist wiederum das den Ausgangspunkt für diese Überlegungen bildende BFH-Urteil zu Art. 9 DBA Deutschland-Belgien, das die den deutschen, den französischen und den niederländischen Wortlaut des Abkommens für „gleichermaßen verbindlich“ erklärt55. Der BFH hat sich nur mit dem deutschen Wortlaut des Abkommens auseinandergesetzt und eine Entsprechung in § 1 AStG gefunden. Auf Basis der französischen und der niederländischen Sprachfassung hätte sich verständlicherweise gar kein weiterführender Ausdruck im deutschen Recht gefunden. Kritisch könnte man sich fragen, ob es für Zwecke des Art.  3 Abs.  2 OECD-MA reicht, bloß eine der authentischen Sprachen heranzuziehen. Gerade zum DBA Deutschland – Belgien hat der BFH in einem früheren Urteil betont, dass „die niederländische als auch die französische Fassung, […] bei der Auslegung der Bestimmungen des DBA-Belgien in gleichem Maße wie die deutsche Fassung heranzuziehen sind“56. Noch schwieriger wird es bei einem DBA wie jenem zwischen Deutschland und China, das folgende Formulierung enthält57: „Geschehen zu Berlin am 28. März 2014 in zwei Urschriften, jede in deutscher, chinesischer und englischer Sprache, wobei jeder Wortlaut verbindlich ist. Bei unterschiedlicher Auslegung des deutschen und des chinesischen Wortlauts ist der englische Wortlaut maßgebend“. Wenn der englische Text Vorrang hat, stellt sich noch mehr die Frage, ob dann aufgrund des möglicherweise zufälligen identischen Ausdrucks in der deutschsprachigen Fassung des DBA und im nationalen Recht auf das nationale Steuerrecht zurückgegriffen werden darf. Noch komplexer wird es, wenn man berücksichtigt, dass die auf das OECD-MA zurückgehenden Regelungen ursprünglich in englischer und französischer Sprache zur Verfügung gestellt wurden. In seiner Entscheidung vom 12. Oktober 2011 hatte der

53 BFH v. 4.5.2011 – II R 51/09, Rz. 27 f. 54 Zur Kritik vgl. bereits Lang in Drüen/Hey/Mellinghoff (Hrsg.), Festschrift 100 Jahre Bundesfinanzhof, 2018, S. 11. 55 BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, Rz. 27. 56 BFH v. 5.3.2008 – I R 54, 55/07. 57 Siehe Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen v. 28.3.2014 (DBA China 2014).

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BFH das DBA Deutschland – Frankreich auszulegen und führte wie folgt aus58: „In der Fassung des Zusatzabkommens in BGBl II 1990, 771, BStBl I 1990, 414 ist Art. 13 Abs. 4 Nr. 1 DBA-Frankreich an die Formulierung der 183-Tage-Regelung des Art. 15 Abs.  2 des Musterabkommens der Organisation for Economic Cooperation and ­Development (OECD) aus dem Jahr 1977 --OECD-MustAbk-- angenähert worden. Der Wortlaut des OECD-MustAbK wurde dadurch in dem hier in Rede stehenden Passus (‚sich im anderen Staat … aufhält‘) ohne Änderungen übernommen. Das spricht dafür, dass die Vertragsstaaten auch das dortige Abkommensverständnis übernommen haben, welches auf der Grundlage der englischsprachigen Fassung des Art. 15 Abs. 2 Nr. 1 OECD-MustAbk (‚the recipient is present in the other state‘) bzw. der französischsprachigen Fassung (‚le bénéficiare séjourne dans l‘autre Etat‘) dahin geht, die Zählung nach den Tagen physischer Anwesenheit vorzunehmen“. Der BFH hat somit seiner Auslegung nicht nur die französische Fassung des Textes, sondern auch dessen englische Version zugrunde gelegt, obwohl die englische Sprachfassung nach diesem Abkommen nicht authentisch war. Diese Vorgangsweise überzeugt59: Gerade bei Regelungen, die dem OECD-Musterabkommen nachgebildet sind, ist es wichtiger, auf die englische und französische Fassung dieses Abkommens zurückzugreifen. Schließlich kommt in diesen Sprachen der Inhalt der Vorschrift zum Ausdruck, an den das jeweilige bilaterale Abkommen – im Falle der vollständigen Übernahme des Textes der Vorschrift des OECD-Musterabkommen  – anknüpft60. Dies wirft aber die Frage auf, wodurch es gerechtfertigt ist, die deutschsprachige Übersetzung eines aus dem OECD-MA übernommenen Ausdrucks – auch wenn die deutsche Sprache die oder eine der authentischen Vertragssprachen ist – zum Anlass zu nehmen, den dort nicht definierten Ausdruck im Sinne des Verständnisses des deutschen Steuerrechts zu verstehen. Avery Jones hat sich dafür ausgesprochen, für Zwecke des Art. 3 Abs. 2 OECD-MA nicht zu verlangen, dass der im Abkommen nicht definierte Ausdrucke im Recht des Anwendestaates vorkommt, sondern sich auch damit zu begnügen, dass das nationale Recht einen ähnlichen Ausdruck kennt61. Das erweitert zwar die Möglichkeiten, wirft aber die Frage auf, wonach sich die Ähnlichkeit bestimmt. Ein Maßstab dafür ist nicht zu finden. Die Frage, welches nationale Verständnis in einem solchen Fall relevant sein soll, lässt sich dann kaum mehr beantworten. 58 BFH v. 12.10.2011 – I R 15/11, Rz. 14. 59 Vgl. Lang in Drüen/Hey/Mellinghoff (Hrsg.), Festschrift 100 Jahre Bundesfinanzhof, 2018, S. 5. Hierzu auch Lang, IStR 2011, 403 (406 ff.). 60 Dazu Lang in Maisto/Nikolakakis/Ulmer (Hrsg.), Essays on Tax Treaties: A Tribute to ­David A. Ward, 2013, S. 15 (15 f.). 61 Vgl Avery Jones et al., British Tax Review 1984, 14 (20): “One might expect that Art 3(2) directs one to the internal law for the meaning of an identical item, but the US tax court has given it a wider meaning of that of any term achieving a similar purpose. But since there was no internal law use of the exact expression “specific exemption” it would have been easier for the court to have decided the case of the basis of the non-internal law meaning of whatever mechanism was provided for exempting small estates from tax. This would have been con­ sistent with the courts finding that the context required the expression to be read in a broad sense.”

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2. Bedeutung des Zusammenhangs Diese aufgezeigten Schwierigkeiten in der Auslegung des Verweises des Art. 3 Abs. 2 OECD-MA auf das Recht des Anwendestaates sind bereits Argumente dafür, diesen Verweis möglichst eng zu verstehen. Der Wortlaut der entscheidenden Passage des Art. 3 Abs. 2 OECD-MA – „wenn der Zusammenhang nichts anderes erfordert“ – ist selbst interpretationsbedürftig. Die überzeugenderen Argumente sprechen dafür, dieser Wortfolge große Bedeutung beizumessen und wann immer möglich zu versuchen, aus dem Zusammenhang des Abkommens Auslegungsergebnisse zu gewinnen62. Nur in höchst seltenen Ausnahmefällen, in denen aus dem Zusammenhang des Abkommens überhaupt keine Lösung gewonnen werden kann, ist es zulässig, das innerstaatliche Recht des jeweiligen Anwendestaates heranzuziehen. Der in Art.  3 Abs. 2 OECD-MA angesprochene Zusammenhang des Abkommens ist weit genug, um Interpretationsergebnisse zu ermöglichen. Er umfasst nicht nur die Abkommenssystematik, sondern auch die Berücksichtigung von Ziel, Zweck und Rechtsent­ wicklung miteinschließt. Genauso wie der Interpret sonst bei der Auslegung von Rechtsvorschriften im Regelfall nicht scheitert, wenn er neben dem Wortlaut auch systematische, teleologische und historische Argumente berücksichtigt, spricht auch nichts dafür, dass er bei der Abkommensinterpretation scheitern wird und deshalb hilfsweise auf das innerstaatliche Recht zurückgreifen muss63. Vielmehr sprechen Ziel und Zweck der DBA-Regelungen für eine autonome – aus dem Abkommen he­ raus erfolgende – Interpretation: Wenn nämlich Abkommensvorschriften in den beiden Staaten nach dem jeweiligen Recht des Anwendestaates verstanden werden, dann führt dies geradezu zwangsläufig zu unterschiedlichen Abkommensauslegungen in beiden Staaten. Werden aber die Abkommensvorschriften in den beiden Vertragsstaaten unterschiedlich verstanden, können die Doppelbesteuerungsabkommen ihren Zweck – die Besteuerungszuständigkeiten einheitlich abzugrenzen – nicht erfüllen. Diesem Zweck des Abkommens kann nur dann Rechnung getragen werden, wenn sich Rechtsanwender und Behörden in beiden Vertragsstaaten bemühen, zu einer einheitlichen auf dem Zusammenhang des Abkommens basierenden Abkommensauslegung zu gelangen64. Die Abkommenssystematik bestätigt ebenfalls das Ergebnis, wonach Art.  3 Abs.  2 OECD-MA so zu verstehen ist, dass diese Vorschrift die autonome Interpretation des Abkommens aus sich heraus unterstreicht65: Zahlreiche Abkommensregelungen ken62 Siehe Lang, Finanzjournal 1988, 72 (72 f.); Lang, Doppelbesteuerungsabkommen und innerstaatliches Recht (1992), 109; Lang in Burmester/Endres (Hrsg.), Festschrift für Helmut Debatin, 1997, S. 283 (290); siehe auch Debatin, DB 1985, 1 (5); und Mössner, Neue Auslegungsfragen bei Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen, Institut für ausländisches Finanz- und Steuerwesen, 1987, S. 15; Gloria, RIW 1986, 970 (978); kritisch Loukota in Lang/Loukota /Lüthi (Hrsg.), Weiterentwicklung, S. 53 (70). 63 Dazu Lang in Ismer/Reimer/Rust/Waldhoff (Hrsg.), Territorialität und Personalität, Festschrift für Moris Lehner zum 70.  Geburtstag, 2019, S.  216; ähnlich Lehner in Lüdicke/ Mössner/Hummel (Hrsg.), FS Frotscher zum 70. Geburtstag, 2013, 400 f. 64 Siehe Lang, IWB 2011, 281 (288). 65 Dazu auch Lang in Burmester/Endres (Hrsg.) Außensteuerrecht, Doppelbesteuerungsabkommen und EU-Recht im Spannungsverhältnis, FS für Helmut Debatin, 1997, 283 (297); und Lang, IWB 2011, 281 (289).

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nen nämlich ausdrückliche Verweise auf das innerstaatliche Recht des Anwende­ staates oder der Anwendestaaten. Dazu zählt zB Art.  6 Abs.  2 OECD-MA oder Art.  10 Abs.  3 OECD-MA. Ebenso enthielt die Fassung des OECD-MA 1963 in Art.  11 Abs.  3 OECD-MA einen derartigen Verweis auf das innerstaatliche Recht. Derartige Verweise wären überflüssig, wenn sich bereits die Maßgeblichkeit des innerstaatlichen Rechts ganz allgemein aus Art. 3 Abs. 2 OECD-MA ergeben würde. Diese ausdrücklichen Verweise auf das innerstaatliche Recht der Anwendestaaten können daher nur vor dem Hintergrund verstanden werden, dass Art.  3 Abs.  2 OECD-MA in allen anderen Fällen die abkommensautonome Interpretation fordert. Zusätzlich stärken auch historische Argumente die Auffassung, wonach Art. 3 Abs. 2 OECD-MA im Sinne einer abkommensautonomen Interpretation zu verstehen und der Formulierung „wenn der Zusammenhang nichts anderes erfordert“ daher große Bedeutung beizumessen ist66: Im Schrifttum ist nachgewiesen worden, dass sich eine Art. 3 Abs. 2 OECD-MA vergleichbare Abkommensvorschrift zuerst im DBA zwischen Großbritannien und den USA aus dem Jahr 1945 gefunden hat.67 Als diese Regelung in dieses DBA erstmals aufgenommen wurde, sollten damit offenbar keineswegs die sonst anwendbaren Grundsätze der Abkommensinterpretation ausgehebelt werden. Der Umstand, dass diese Aufnahme in das Abkommen stillschweigend erfolgt ist, lässt darauf schließen, dass dem auch inhaltlich keine große Bedeutung beigemessen wurde68. Aus diesem Grund spricht auch nichts dafür, dass die Übernahme einer derartigen Regelung in das OECD-MA dann grundlegende Postulate der autonomen Abkommensinterpretation durchbrochen hätte. Aus all diesen Gründen ist davon auszugehen, dass Art.  3 Abs.  2 OECD-MA die Heranziehung innerstaatlichen Rechts nur im seltenen Ausnahmefall zulässt69. Art. 3 Abs. 2 OECD-MA bestätigt somit eine Interpretation aus dem Zusammenhang des Abkommens. Nur wenn diese scheitert, darf ersatzweise auf das nationale Recht des Anwendestaates zurückgegriffen werden. Vorrang haben aber Wortlaut, der Vorschriftenzusammenhang, Ziel und Zweck sowie die Entstehungsgeschichte des Abkommens. Die Art.  3 Abs.  2 OECD-MA nachgebildeten Abkommensvorschriften stellen diesen „Zusammenhang“ in den Vordergrund und bestätigen damit die Notwendigkeit einer Auslegung, wie sie sich auch aus den völkerrechtlichen Auslegungsgrundsätzen ergäbe. Vor dem Hintergrund, dass nicht für alle DBA eine gesicherte Rechtsgrundlage besteht, bei ihrer Auslegung Art. 31 ff. WVK unmittelbar anzuwenden, kann Art. 3 Abs. 2 OECD-MA die Bedeutung zukommen, diese Lücke zu schließen. 66 Vgl. Lang in Burmester/Endres (Hrsg.) Außensteuerrecht, Doppelbesteuerungsabkommen und EU-Recht im Spannungsverhältnis, FS für Helmut Debatin, 1997, 283 (288). 67 Siehe Avery Jones et al., British Tax Review 1984, 14 (18). 68 Dazu Lang in Gassner/Lang/Lechner (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen im lnternationalen Steuerrecht, 1994, S. 11 (35 f.); vgl. auch Lang in Burmester/Endres (Hrsg.) Außensteuerrecht, Doppelbesteuerungsabkommen und EU-Recht im Spannungsverhältnis, FS für Helmut Debatin, 1997, 283 (288). 69 Siehe Lang in Burmester/Endres (Hrsg.), FS für Helmut Debatin zum 80. Geburtstag 1997, S. 283 (290); Lang, IWB 2011, 281 (289).

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Durch das OECD-MA 2017 ist der Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 OECD-MA modifiziert worden: Das Recht des Anwendestaates kann nach der neuen Formulierung nur dann herangezogen werden, wenn nicht nur der Zusammenhang nicht anderes erfordert und wenn sich die zuständigen Behörden nicht im Wege eines Verständigungsverfahrens nach Art. 25 OECD-MA auf eine abweichende Definition einigen. Die Neufassung des Art. 3 Abs. 2 OECD-MA kann klarerweise nur für jene DBA Bedeutung haben, in die es aufgenommen wird. Das vorhin gewonnene Ergebnis ändert sich aber auch auf Grundlage der Neufassung des Art. 3 Abs. 2 OECD-MA nicht: Das Recht des Anwendestaates verliert allenfalls noch weiter an Bedeutung, weil vor dessen Heranziehung noch die Festlegung des Inhalts des Abkommensausdrucks durch Verständigungsvereinbarung in Betracht kommt70. Am Vorrang der Interpretation aus dem Zusammenhang rüttelt hingegen auch die geänderte Fassung des Art.  3 Abs.  2 OECD-MA nichts.71 Im Gegenteil: Die neue Formulierung stellt die Verständigungsvereinbarung neben den Zusammenhang72. Daher ist nach dieser Version des Art. 3 Abs. 2 OECD-MA noch klarer, dass zuerst aus dem Wortlaut, dem Vorschriftenzusammenhang, dem Zweck und der Entstehungsgeschichte ein Auslegungsergebnis gesucht werden muss, bevor  – wenn sich das als nicht möglich erweist – an die Festlegung des Inhalts der Vorschrift durch eine Verständigungsvereinbarung gedacht werden kann. Der neugefasste Wortlaut des Art.  3 Abs.  2 OECD-MA verdeutlicht somit, dass die in Art. 31 Abs. 3 Buchst. a angesprochenen späteren Übereinkünfte keinesfalls zum „Zusammenhang“ nach dieser Vorschrift gehören.

IV. Zusammenfassende Würdigung Die hier angestellten Überlegungen zeigen, dass sich die in der WVK verankerten Auslegungsgrundsätze und die Art.  3 Abs.  2 OECD-MA nachgebildeten Abkommensvorschriften nicht in einem Spannungsverhältnis befinden. Die völkerrechtlichen Auslegungsgrundsätze legen eine Interpretation des DBA aus dem Zusammenhang nahe. Die dabei gebotene Vorgangsweise unterscheidet sich nicht von der Interpretation anderer Normen: Der Wortlaut, der Vorschriftenzusammenhang, der Zweck der Regelung und ihre Entstehungsgeschichte sind zu berücksichtigen. Art. 3 Abs. 2 OECD-MA betont – richtig verstanden – ebenfalls den Zusammenhang des Abkommens und bestätigt daher diese Grundsätze. Da zumindest bei manchen DBA fraglich ist, ob eine Rechtsgrundlage besteht, die Auslegungsregeln der WVK unmittelbar anzuwenden, können den Art.  3 Abs.  2 OECD-MA nachgebildeten Abkommensvorschriften auch die Bedeutung beigemessen werden, im Ergebnis die auch aus der WVK ableitbaren Grundsätze zu bestätigen. 70 Dazu Lang in Ismer/Reimer/Rust/Waldhoff (Hrsg.) Territorialität und Personalität, Festschrift für Moris Lehner zum 70. Geburtstag, 2019, S. 220 f. 71 Siehe Lang in Ismer/Reimer/Rust/Waldhoff (Hrsg.) Territorialität und Personalität, Festschrift für Moris Lehner zum 70. Geburtstag, 2019, S. 221. 72 Siehe Lang in Ismer/Reimer/Rust/Waldhoff (Hrsg.) Territorialität und Personalität, Festschrift für Moris Lehner zum 70. Geburtstag, 2019, S. 221.

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Zur Reichweite der beschränkten Steuerpflicht bei Immobilien und Immobiliengesellschaften Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Vermietung und Verpachtung von ­inländischen Immobilien 1. Vermietung und Verpachtung nach ­nationalem Recht a) Grundsätze der Besteuerung b) Besteuerung im Detail 2. Einschränkung durch Doppel­ besteuerungsabkommen III. Veräußerung von inländischen ­Immobilien 1. Veräußerung nach nationalem Recht a) Natürliche Person b) Personengesellschaft und Kapital­ gesellschaft

2. Einschränkung durch Doppel­ besteuerungsabkommen IV. Gewinne aus Forderungsverzicht 1. Nationales Recht 2. Einschränkung durch Doppel­ besteuerungsabkommen V. Veräußerung von Gesellschaften mit ­inländischem Immobilienvermögen 1. Veräußerung nach nationalem Recht a) Rechtslage bis einschließlich 2018 b) Rechtslage ab 2019 2. Einschränkung durch Doppel­ besteuerungsabkommen a) Regelung des OECD-MA 2014 b) OECD-Update 2017 c) Ausblick

I. Einleitung Mit dem Jubilar bin ich seit Ende der neunziger Jahre/Anfang diesen Jahrtausends – neben der beruflichen Tätigkeit bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft – über die Kommentierung zu Art.  7 OECD-MA im Gosch/Kroppen/Grotherr/Kraft (früher Becker/Höppner/Grotherr/Kroppen) verbunden. Er ist seit Beginn Herausgeber des DBA-Kommentars und war Gründungsautor. Er hatte damals die Kommentierung von Art. 7 OECD-MA überarbeitet und mich dann in die Besonderheiten bei Personengesellschaften im internationalen Steuerrecht eingebunden. Im Zusammenhang mit meiner beruflichen Tätigkeit habe ich mich immer mehr der Besteuerung von Immobilien gewidmet – insbesondere mit internationalem Bezug. Der nachfolgende Beitrag beschreibt die ertragsteuerlichen Folgen eines Investments in inländischen Grundbesitz durch einen ausländischen Investor. Bei diesem Investor kann es sich um eine natürliche Person, eine aus deutscher Sicht transparente Personengesellschaft oder um eine juristische Person (Körperschaft, insbesondere Kapitalgesellschaft) mit Sitz und/oder Geschäftsleitung im Ausland handeln. Aus­ ländische Investoren haben dabei neben Wohnimmobilien vor allem Büro- und Gewerbeimmobilien wie Einkaufszentren, Logistikimmobilien und Hotels im Blick. Im Regelfall werden ausländische Objektgesellschaften beim Erwerb inländischer Im683

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mobilien eingesetzt. Dies dient zum einen der Vermeidung von Kapitalertragsteuern und zum anderen der Vermeidung von Gewerbesteuer. Während die Gewerbesteuerbefreiung bei deutschen Objektgesellschaften grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen der sog. erweiteren Kürzung möglich ist (Ausnahme: vermögensverwaltende Personengesellschaft wie die gewerblich entprägte GmbH & Co. KG), ist es bei ausländischen Objektgesellschaften regelmäßig so, dass die Gesellschaft über keine Betriebsstätte in Deutschland verfügt und deshalb bereits dem Grunde nach von der deutschen Gewerbesteuer befreit ist.

II. Vermietung und Verpachtung von inländischen Immobilien 1. Vermietung und Verpachtung nach nationalem Recht a) Grundsätze der Besteuerung Deutschland unterwirft die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung grds. der beschränkten Einkommensteuerpflicht gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a oder Buchst. f EStG (gewerbliche Einkünfte) oder gem. § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG (Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung) bzw. der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht (§§  2 Nr. 1, 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 49 EStG). Zu einer Gewerbesteuerpflicht kommt es nur dann, wenn die Einkünfte einer inländischen Betriebsstätte zugeordnet werden können (§ 2 Abs. 1 Satz 3 GewStG i.V.m. § 12 AO). Nach ständiger Rspr. des BFH ist als Geschäftseinrichtung oder Anlage i.S. des § 12 Satz 1 AO jeder körperliche Gegenstand bzw. jede Zusammenfassung körperlicher Gegenstände zu behandeln, der (die) geeignet sind, Grundlage einer Unternehmenstätigkeit zu sein.1 Die Geschäftseinrichtung oder Anlage „dient“ der Tätigkeit des Unternehmens i.S. des § 12 Satz 1 AO, wenn der Unternehmer diese für eine gewisse Dauer zu unternehmerischen Zwecken benutzt.2 Die vermietete oder verpachtete Immobilie begründet per se keine Betriebsstätte, weil es an der Verfügungsmacht des Vermieters bzw. Verpächters an der Betriebsstätte fehlt.3 Somit führt die bloße (langfristige) Vermietung eines inländischen Grundstücks nicht zu einer inländischen Betriebstätte des Vermieters durch den vermieteten Gegenstand, weil es an der tatsächlichen Verfügungsmacht des Vermieters über den vermieteten Gegenstand fehlt und dieser nicht unmittelbar dem Betrieb des Vermieters dient.4 Dies gilt selbst bei Leerstand. Im Grundsatz begründet auch die Tätigkeit eines Subunternehmers keine Betriebsstätte. Insofern ist auch die bloße Übertragung von typischen, im dem inländischen Grundstück zusammenhängenden Tätigkeiten (wie insbesondere Property-, Asset- und Facility-Management) auf einen Subunternehmer und die Durchführung dieser Tätigkeiten in den (eigenen oder angemieteten) Büroräumen des Subunternehmers keine Betriebsstätte für den 1 Vgl. BFH v. 2.4.2014 – I R 68/12, BStBl II 2014, 875. 2 Vgl. BFH v. 30.10.1996 – II R 12/96, BStBl II 1997, 12. 3 Vgl. BFH v. 30.6.2005 – III R 76/03, BStBl II 2006, 84; v. 13.6.2006 – I R 84/05, BFH/NV 2006, 233; FG Münster, Urt. v. 12.4.2019 – 13 K 3645/16, FR 2019, 723 m. Anm. Weiss. 4 Vgl. BFH v. 10.2.1988  – VIII R 159/84, BStBl II 1988, 688 (Gaststättenverpachtung); v. 13.6.2006 – I R 84/05, BStBl II 2007, 94 (Tankstellenverpachtung).

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ausländischen Immobilieneigentümer.5 Eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht muss allerdings nicht zwingend rechtlich abgesichert sein (z.B. Eigentum, Miet- oder Pachtverhältnis), sondern kann auch tatsächlicher Art sein. Es genügt, wenn aufgrund der allgemeinen rechtlichen Absicherung die Geschäftseinrichtung dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zur ständigen Nutzung zur Verfügung steht.6 Für das Erfordernis einer nicht nur vorübergehenden Verfügungsmacht sind allerdings zwei BFH-Entscheidungen aus 2011 zu berücksichtigen. In dem der Entscheidung vom 23.2.20117 zugrunde liegenden Sachverhalt hatten eine mit dem Erwerb und der Verwaltung von niederländischen Bürogebäuden betraute FondsKG und ihre Komplementärin keine eigenen Geschäftsräume in Deutschland. Der BFH rechnete dem Immobilien-Fonds die Büroräume und das Personal der personell verflochtenen Management-Gesellschaften als eigene Betriebsstätte zu. Dass der Fonds-KG hinsichtlich dieser Einrichtungen kein vertraglich eingeräumtes Nutzungsrecht zugestanden hatte, war unerheblich. Eine solche Zurechnung der Fremd-­ Betriebsstätte eines Subunternehmers liegt auch dem BFH-Urteil vom 24.8.20118 ­zugrunde. Der substanzlose Private Equity-Fonds war nur durch Nutzung des sachlichen und personellen Apparats der Managementgesellschaft in der Lage, seiner operativen Tätigkeit nachzugehen und hatte infolgedessen „Zugriff “ auf die Räumlichkeiten des Subunternehmers. Auch hier war der Managementvertrag ausreichend, um Verfügungsmacht über die feste Einrichtung des Subunternehmers zu begründen. b) Besteuerung im Detail aa) Natürliche Person Eine natürliche Person mit Wohnsitz im Ausland, die eine inländische Immobilie vermietet oder verpachtet, erzielt grundsätzlich inländische Einkünfte gem. §  49 Abs. 1 Nr. 6 EStG. Die Einkünfte sind der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten (§§ 8 bis 9a EStG). Dies gilt allerdings nur, wenn die natürliche Person keine Betriebstätte bzw. keinen ständigen Vertreter im Inland unterhält. Andernfalls liegen gewerbliche Einkünfte gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG vor. Dann werden die Einkünfte nach den Regelungen für gewerbliche Einkünfte gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG erzielt. Ob und welche Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten zu erfüllen sind, hängt von der Art und dem Umfang der im Inland steuerbaren Einkünfte ab.

5 Siehe Töben/Lohbeck/Fischer, Aktuelle steuerliche Fragen im Zusammenhang mit Inbound-­ Investitionen in deutsches Grundvermögen – Vermietungseinkünfte, Veräußerungsgewinne, Gewerbesteuer, Zinsschranke, FR 2009, 151 (155 m.w.N.). 6 Vgl. BFH v. 3.2.1993 – I R 80-91/91, BStBl II 1993, 462; v. 14.7.2004 – I R 106/03, BFH/NV 2005, 154. 7 BFH v. 23.2.2011 – I R 52/10, BFH/NV 2011, 1354. 8 BFH v. 24.8.2011 – I R 46/10, BFH/NV 2011, 2165.

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bb) Personengesellschaft Ausländische Personengesellschaften können in unterschiedlichen Ausprägungen inländische Vermietungseinkünfte erzielen. Dabei kann die Personengesellschaft als solche nicht beschränkt steuerpflichtig sein, sondern nur die Gesellschafter. Eine ausländische Personengesellschaft, die einer deutschen Personengesellschaft entspricht, wird bei der deutschen Besteuerung auch dann als Personengesellschaft behandelt, wenn sie nach dem Recht des Ansässigkeitsstaats als Körperschaft besteuert wird. Diese Frage ist ausschließlich aus Sicht des deutschen Rechts zu beantworten. Die Einordnung nach dem Zivil- oder Steuerrecht des Sitzstaates der Gesellschaft ist nicht maßgebend. Im Rahmen des sog. Typenvergleichs sind Rechtsstruktur und ­Organisation der Gesellschaft mit den wesentlichen Merkmalen einer deutschen ­Personen- sowie einer deutschen Kapitalgesellschaft zu vergleichen.9 Entspricht die Personenvereinigung in ihrer konkreten Ausgestaltung mehr einer deutschen Personengesellschaft (insb. unbeschränkte Haftung mindestens eines Gesellschafters, personalistische Struktur, Übertragung von Gesellschaftsanteilen nur mit Zustimmung) und steuerlichen Mitunternehmerschaft, dann wird sie nach innerstaatlichem Recht und auch abkommensrechtlich grds. (vorbehaltlich von Sonderregelungen in einzelnen DBA) als eine solche behandelt. Die Betriebsstättenverwaltungsgrundsätze10 bieten im Anhang (Tab. 1 und 2) eine Übersicht über Rechtsformentypen ausländischer Unternehmen und ihre Vergleichbarkeit mit inländischen Gesellschaftsformen; entscheidend ist jedoch die konkrete Ausgestaltung der ausländischen Gesellschaft, d.h. die gesetzlichen Regelungen und die Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag.11 Eine ausländische Personengesellschaft mit inländischen Vermietungseinkünften kann sowohl gewerblich tätig als auch gewerblich geprägt i.S. des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG sein.12 Dann erzielen die Gesellschafter gewerbliche Einkünfte, wobei sich die Gewerblichkeit auch durch die Tätigkeit des Gesellschafters selbst oder die Person des Gesellschafters, der die Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 3 EStG erfüllt, ergeben kann. Die Personengesellschaft kann aber auch vermögensverwaltend tätig sein. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn eine „Kommanditgesellschaft“ entprägt wird, indem einer der Kommanditisten in die Geschäftsführung aufgenommen wird oder der Kommanditist anstelle der Komplementärin gesellschaftsvertraglich zur Ge 9 Vgl. RFH v. 12.2.1930 − VI A 899/27, RStBl 1930 S. 444 (Venezuela-Entscheidung); BFH v. 17.7.1968 − I 121/64, BStBl II 1968, 695; v. 6.11.1980 − IV R 182/77, BStBl II 1981, 222; v. 3.2.1988 − I R 134/84, BStBl II 1988, 588; v. 23.6.1992 − IX R 182/87, BStBl II 1992, 972; v. 20.8.2008 − I R 34/08, BStBl  II 2009, 263; v. 26.6.2013 − I R 48/12, IStR 2013, 881; BMF-Schreiben v. 19.3.2004, BStBl I 2004, 411; BMF-Schreiben v. 26.9.2014, BStBl I 2014, 1258, Tz. 1.2. 10 BMF-Schreiben v. 24.12.1999, BStBl I 1999, 1076, geändert durch BMF-Schreiben v. 25.8.2009, BStBl I 2009, 888, sowie BMF-Schreiben v. 20.6.2013, BStBl I 2013, 980. 11 Vgl. BFH v. 20.8.2008 − I R 34/08, BStBl II 2009, 263 zu einer US-amerikanischen LLC; BMF-Schreiben v. 19.3.2004, BStBl I 2004, 411, Tz.  IV  f.; OFD Frankfurt v. 12.2.2014 − S 2241 A – 107 – St 213. 12 Vgl. BFH v. 14.3.2007 – XI R 15/05, BStBl II 2007, 924.

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schäftsführung gefugt wird.13 Bei einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft werden die Wirtschaftsgüter im Gesamthandsvermögen steuerlich nicht mehr der Personengesellschaft zugerechnet, sondern den Gesellschaftern zu Bruchteilen nach Maßgabe von § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO. Bei einer KG gilt die Vermutung, dass wegen §  164 HGB die Geschäftsführung grundsätzlich durch die Komplementärin erfolgt und dass die inländische Geschäftsleitungsbetriebsstätte damit über die Tätigkeit des Komplementärs im Inland begründet wird. Der Austausch der Komplementär-GmbH durch eine ausländische Kapitalgesellschaft (z.B. luxemburgische S.à.r.l. oder niederländische B.V.) mit dem Ziel der Verlagerung der Geschäftsleitung in das Ausland führt nicht dazu, dass die gewerbliche Prägung i.S.  des §  15 Abs.  3 Nr.  2 EStG entfällt,14 ist aber aus gesellschaftsrechtlicher Sicht mit Unsicherheiten behaftet. Verlegt eine nach deutschem Recht gegründete Personengesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz (steuerlich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung i.S. von § 10 AO), kann es zur Auflösung der Gesellschaft kommen, weil sie ihre Identität als deutsche KG verliert.15 Die einkommen-und körperschaftsteuerlichen Folgen hängen dabei von der Rechtsform der Gesellschafter ab.16 cc) Kapitalgesellschaft Die Einkünfte von beschränkt steuerpflichtigen ausländischen Kapitalgesellschaften aus der Vermietung von inländischem Grundbesitz sind gewerbliche Einkünfte i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG, wenn die Kapitalgesellschaft eine Betrieb­ stätte oder einen ständigen Vertreter im Inland unterhält.17 Ist Letzteres nicht gegeben, werden solche Einkünfte mit der Regelung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 1 Doppelbuchst. aa EStG durch das JStG 200918 zu Einkünften aus Gewerbebetrieb umqualifiziert. Bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 2008 wurden diese Einkünfte als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nach Maßgabe von §  49 Abs.  1 Nr.  6 i.V.m. §  21 EStG erfasst. Sie waren nur dann inländische gewerbliche Einkünfte, wenn sie durch eine inländische Betriebsstätte oder mittels eines inländischen Vertreters i.S. des Buchstaben a von § 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG erzielt wurden. Mit der Einbeziehung der laufenden Einkünfte aus der Vermietung und Verpachtung in die gewerblichen Einkünfte sollte ein Gleichklang mit den Einkünften aus der Veräußerung der inländischen Immobilie durch ausländische Körperschaften ohne Betriebsstätte und ständigen Vertreter im Inland geschaffen werden. Bis einschließlich 13 Bei dem Kommanditisten kann es sich auch um eine Kapitalgesellschaft handeln. So R 15.8 Abs.  6 EStR 2012; Stapperfend in Herrmann/Heuer/Raupach, §  15 EStG Rz.  1444; a.A. ­Wacker in Schmidt, 38. Aufl. 2019, § 15 EStG Rz. 222. 14 Vgl. BFH v. 14.3.2007 – XI R 15/05, BStBl II 2007, 924. 15 Vgl. OLG Schleswig v. 14.11.2011 – 2 W 48/11, NZG 2012, 775. 16 Sollte die KG als Personengesellschaft fortbestehen, und ausschließlich Kapitalgesellschaften als Gesellschafter haben, kann es nicht zum Wegfall der gewerblichen Prägung i.S. von § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG kommen. 17 Vgl. BFH v. 7.12.2016 – I R 76/14, BStBl II 2017, 704. 18 JStG 2009 v. 19.12.2008, BGBl. I 2008, 2794; BStBl I 2009, 74.

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2008 wurden die Vermietungseinkünfte nach den Grundsätzen des § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten nach dem Zufluss-Abfluss-Prinzip ermittelt. Infolge der Umqualifizierung seit 2009 sind die Vermietungseinkünfte entweder durch Betriebsvermögensvergleich gemäß §§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 EStG oder durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung nach § 4 Abs. 3 EStG zu ermitteln. Eine Buchführungspflicht mit der Konsequenz der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich kann sich aus § 141 AO ergeben. Danach entsteht die Verpflichtung, wenn die Umsätze 600.000 Euro (bis einschließlich 2015 500.000 Euro) bzw. der Gewinn aus Gewerbebetrieb 60.000 Euro (bis einschließlich 2015 50.000 Euro) im Kalenderjahr übersteigt (sog. Buchführungsgrenzen). Die Verpflichtung zur Buchführung wird allerdings erst mit Beginn des Wirtschaftsjahres wirksam, das auf die Aufforderung zur Erstellung durch die Finanzverwaltung folgt (vgl. § 141 Abs. 2 Satz 1 AO). In der Praxis ist eine solche Aufforderung in einer Reihe von Fällen verschickt worden, häufig wurde auch schon ab 2009 freiwillig die Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich gewählt. Das BMF vertrat allerdings schon 201119 die Auffassung, dass auch ausländische Rechtsnormen eine Buchführungspflicht nach § 140 AO begründen können. Würde beispielsweise Luxembourgoder Dutch-GAAP als eine ausländische, die Buchführungspflicht begründende Rechtsnorm verstanden, dann hätte die Gewinnermittlung bereits mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2009 durch Betriebsvermögensvergleich erfolgen müssen. Dieser Auffassung widersprach die Praxis der Finanzämter, die im jeweiligen Einzelfall bei Überschreiten der Grenzen des § 141 AO zur Buchführungspflicht aufgefordert haben.20 Zwischenzeitlich hat der BFH entschieden, dass auch ausländische Buchführungspflichten nach § 140 AO für die Besteuerung von Bedeutung sind.21 Im Streitfall war eine Liechtensteiner AG nach ausländischem Recht buchführungspflichtig. Das FA wollte die AG zur inländischen Buchführung nach §  141 Abs.  2 Satz 1 AO verpflichten. Streitig war die Rechtmäßigkeit der Aufforderung zur Buchführung für den inländischen Gewerbebetrieb. Der BFH verneinte eine originär steuerrechtliche Buchführungspflicht nach § 141 AO, weil dafür wegen der vorrangigen abgeleiteten Buchführungspflicht nach § 140 AO kein Raum mehr bestand. Somit können nach Auffassung des BFH auch ausländische Buchführungspflichten zu steuerrechtlichen Pflichten nach §  140 AO transformiert werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass jede Buchführung nach ausländischem Recht die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG ausschließt. Nur wenn die ausländische Buchführungspflicht ohne größere Probleme (Überleitungsrechnungen) die Werte für einen Bestandsvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG liefert und somit für die inländische Einkünfteermittlung nicht modifiziert werden muss, ist eine Gewinnermittlung durch Überschuss nach § 4 Abs. 3 EStG ausgeschlossen.22 19 Vgl. BMF-Schreiben v. 16.5.2011, BStBl I 2011, 530, Rz. 3. 20 So auch Gläser/Birk, Einkünfte aus der Vermietung und Verpachtung beschränkt Steuerpflichtiger, IStR 2011, 762. 21 BFH v. 14.11.2018 – I R 81/16, BStBl II 2019, 390. 22 Vgl. Drüen, Inländisches Gewinnermittlungswahlrecht trotz ausländischer Buchführungspflicht – Zugleich Anmerkungen zu den Konsequenzen des BFH-Urteils v. 14.11.2018 – I R 81/16, IStR 2019, 833.

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Wurde bereits zu Beginn des Veranlagungszeitraums 2009 zum Betriebsvermögensvergleich optiert, kommt es nicht zu einer Ermittlung eines Übergangsgewinns. Denn soweit aus der Zeit bis zum 31.12.2008 noch Forderungen und Verbindlichkeiten bestehen, werden die entsprechenden Einnahmen bzw. entsprechenden Ausgaben bei Zu- bzw. Abfluss weiterhin als Einkünfte i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG erfasst.23 Das ist vor dem Hintergrund konsequent, dass die Änderung der Einkunftsart und damit die Gewinnermittlung durch das Gesetz erfolgt ist und der Zeitpunkt der Zahlung nichts an der ursprünglichen Einkunftsart ändert. Insofern ist der Sachverhalt nicht mit einem Übergang der Gewinnermittlung von § 4 Abs. 3 EStG auf die Ermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG durch den Steuerpflichtigen vergleichbar. Wurde bereits mit Beginn des Veranlagungszeitraums 2010 oder später von der Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG auf die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG umgestellt  – entweder freiwillig oder infolge einer Mitteilung der Finanzverwaltung nach § 141 AO, erfolgt regelmäßig eine Überleitungsrechnung mit Gewinnkorrekturen und Aufstellung einer Übergangsbilanz.24 2. Einschränkung durch Doppelbesteuerungsabkommen Für Einkünfte aus der Nutzung unbeweglichen Vermögens wird dem Staat, in dem das Vermögen belegen ist, nach Art. 6 Abs. 1 OECD-MA ein vollumfängliches Besteuerungsrecht zugewiesen. Das Besteuerungsrecht des Quellenstaats wird mit der finanzwissenschaftlichen Erwägung gerechtfertigt, dass das Grundvermögen eng mit dem Belegenheitsstaat verbunden ist.25 Für die Bestimmung und den Umfang des unbeweglichen Vermögens wird auf das Recht des Quellenstaats Bezug genommen (Art.  6 Abs.  2 Satz 1 OECD-MA). Die Steuerberechtigung des Quellenstaats gilt selbst dann, wenn das unbewegliche Vermögen zu einem Unternehmen gehört (Art. 6 Abs. 4 OECD-MA). Dadurch wird erreicht, dass Einkünfte aus dem Immobilienvermögen auch dann in dem Staat besteuert werden, in dem sich das Vermögen befindet, wenn das Vermögen nicht zu einer in diesem Staat gelegenen Betriebsstätte gehört. Die DBA Deutschlands mit den wichtigsten Industriestaaten sehen eine dem Vorbild des Art.  6 OECD-MA entsprechende Regelung vor,26 so dass das Besteuerungsrecht für die Vermietung und Verpachtung inländischer Immobilien in der Regel bei Deutschland liegt. Wie der Ansässigkeitsstaat des Steuerausländer die Doppelbesteuerung vermeidet – Freistellung oder Anrechnung – richtet sich nach dem jeweiligen Methodenartikel (vgl. Art. 23 A oder B OECD-MA). Zinseinkünfte fallen nicht unter Art. 6 OECD-MA, sondern unter den Zinsartikel (Art. 11 OECD-MA) und sind somit im Ansässigkeitsstaat des Gläubigers zu besteuern. Auch Zinsen, die mit Vermietungseinkünften in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen (z.B. aus der kurzfristigen Anlage von Liquidationsüberschüssen, Instandhaltungsrücklagen) sind 23 Vgl. BMF-Schreiben v. 16.5.2011, BStBl. I 2011, 530, Tz. 8; Reimer in Blümich, § 49 EStG Rz. 191, 290. 24 Vgl. R 4.6 mit Anlage 1 und R 13.5 Abs. 2 EStR 2012. 25 Vgl. Art. 6 Rz. 1 Satz 2 OECD-MK. 26 Vgl. Lieber in Schönfeld/Ditz, 2. Aufl. 2019, Art. 6 OECD-MA Rz. 104 ff.; Reimer in Vogel/ Lehner, 6. Aufl. 2015, Art. 6 OECD-MA Rz. 88 ff.

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Einkünfte aus der Nutzung von Kapital und nicht Einkünfte aus der Nutzung von unbeweglichem Vermögen.27 Selbst Zinseinkünfte aus der Vergabe grundpfandrechtlich gesicherter Darlehen qualifizieren nicht als Einkünfte i.S.  des Art.  6 Abs.  1 OECD-MA. Lediglich Art. 6 Abs. 2 Satz 2 DBA-Ägypten weist zurzeit noch das Besteuerungsrecht für solche Zinseinkünfte dem Belegenheitsstaat der Immobilie zu.

III. Veräußerung von inländischen Immobilien 1. Veräußerung nach nationalem Recht a) Natürliche Person Veräußert eine im Ausland ansässige natürliche Person eine inländische Immobilie, die sich in ihrem Privatvermögen befindet, ist diese Veräußerung grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 Nr. 8 EStG steuerbar. Dieser verweist auf die Regelungen über private Veräußerungsgeschäfte in § 22 Nr. 2 EStG und damit auf die zehnjährige Spekulationsfrist in §  23 Abs.  1 Satz 1 Nr.  1 EStG. Außerhalb der „Spekulationsfrist“ unterliegt die Veräußerung durch eine natürliche Person nur dann der beschränkten Steuerpflicht, wenn diese Person gewerblich tätig ist und sich die Immobilie im Betriebsvermögen befindet. Dann kann sich die Steuerpflicht aus § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG – sofern eine Betriebsstätte oder ein ständiger Vertreter im Inland besteht – oder aus § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Doppelbuchst. bb EStG ergeben, nämlich wenn der Steuerausländer gewerblich tätig ist. Hierfür gelten die allgemeinen Grundätze zur Abgrenzung der gewerblichen Tätigkeit von der Vermögensverwaltung.28 Eine gewerbliche Tätigkeit kann sich auch aus einem gewerblichen Grundstückshandel ergeben. Unabhängig von der grundsätzlich maßgeblichen Drei-Objekt-Grenze kann bereits die Veräußerung eines Objekts einen gewerblichen Grundstückshandel begründen, sofern eine unbedingte Veräußerungsabsicht nachgewiesen werden kann.29 Die Beurteilung (insb. Drei-Objekt-Grenze) richtet sich nach den deutschem Steuerrecht, für die Beurteilung sind jedoch auch die Grundstücksverkäufe im Ausland heranzuziehen.30 Die isolierende Betrachtungsweise gem. § 49 Abs. 2 EStG steht dem nicht entgegen, weil danach ausländische Besteuerungsmerkmale nur dann nicht berücksichtigt werden können, wenn bei ihrer Einbeziehung inländische Einkünfte nicht angenommen werden können.31

27 Vgl. BFH v. 28.4.2010 – I R 81/09, BStBl II 2014, 754; BMF-Schreiben v. 26.9.2014, BStBl I 2014, 1258; krit. Salzmann, IStR 2010, 333 f. 28 Vgl. Wacker in Schmidt, 38. Aufl. 2019, § 15 EStG Rz. 46 ff. 29 St. Rspr. des BFH; vgl. BFH v. 17.12.2008 – IV R 77/06, BStBl II 2009, 791 m.w.N. 30 Vgl. BMF-Schreiben v. 15.12.1994, BStBl I 1994, 883; aufgehoben durch BMF-Schreiben v. 12.9.2013, BStBl I 2013, 1163; Wacker in Schmidt, 38. Aufl. 2019, § 15 EStG Rz. 55; Buge in Herrmann/Heuer/Raupach, § 15 EStG Rz. 1132. 31 Vgl. Reimer in Blümich, § 49 EStG Rz. 184; Gosch in Kirchhof, 18. Aufl. 2019, § 49 EStG Rz. 43.

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Unter Veräußerungsgewinne i.S.  von §  49 Abs.  1 Nr.  2 Buchst. f Doppelbuchst. bb EStG fallen nur solche Vorgänge, bei denen das rechtliche und wirtschaftliche Eigentum am Grundbesitz entgeltlich übertragen wird.32 Somit fallen unter den Begriff „Veräußerung“ neben dem Kauf auch der Tausch, die Erbauseinandersetzung und die vorweggenommene Erbfolge gegen Entgelt. Auch die Einbringung in einer Per­ sonen- oder Kapitalgesellschaft wird erfasst. Keine Veräußerung ist auch die Aufgabe des Gewerbebetriebs. Durch die Ergänzung durch das InvStRefG33 fallen auch ­Gewinne aus der Veräußerung von Personengesellschaftsanteilen unter § 49 Abs. 1 Buchst. f EStG, wenn zum Gesellschaftsvermögen eine Immobilie gehört (Verweis auf § 23 Abs. 1 Satz 4 EStG in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG). b) Personengesellschaft und Kapitalgesellschaft Die Veräußerung von in inländischem unbeweglichem Vermögen durch andere Steuerausländer (Personengesellschaft oder Kapitalgesellschaft) ohne Betriebsstätte oder ständigen Vertreter im Inland ist nach §  49 Abs.  1 Nr.  2 Buchst. f Doppelbuchst. bb EStG steuerbar. Besteht eine inländische Betriebstätte oder ist ein ständiger Vertreter im Inhalt bestellt, wird die beschränkte Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG begründet. Die Steuerpflicht für Immobilien-Veräußerungsgewinne – unabhängig von inländischer Betriebstätte/ständigem Vertreter – wurde durch das StMBG vom 21.12.199334 mit Wirkung ab dem VZ 1994 eingeführt. Davor waren Veräußerungsgewinne nur innerhalb der 10-jährigen Spekulationsfrist nach § 49 Abs. 1 Nr. 8 EStG steuerbar. Dieser Beschränkung sollte ausweislich der Gesetzesbegründung entgegengewirkt werden, zumal Deutschland nach den einschlägigen DBA regelmäßig das Be­ steuerungsrecht zugewiesen war. Für ausländische Körperschaften, die inländischen Körperschaften i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 KStG vergleichbar sind, wird die Gewerblichkeit fingiert (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 3 EStG). Die Gewerblichkeits­ fiktion gilt auch dann, wenn die Einkünfte nicht unmittelbar, sondern mittelbar unter Zwischenschaltung einer Immobilienpersonengesellschaft erzielt werden, und zwar unabhängig davon, ob es sich bei der Immobilienpersonengesellschaft um eine vermögensverwaltende, eine gewerblich tätige oder eine gewerblich geprägte Personengesellschaft handelt. Die Fiktion hat allerdings nicht zur Folge, dass auch die Immobiliengesellschaft selbst als gewerblich gilt, sondern setzt allein auf Gesellschafter­ ebene an. Gewinne aus der Veräußerung von inländischen Immobilien unterliegen somit seit 1994 der beschränkten Steuerpflicht gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Doppelbuchst. bb EStG. Wird die Immobilie veräußert, ist der Veräußerungsgewinn nach den allgemeinen Grundsätzen der §§ 4 ff. EStG zu ermitteln. Bei Anschaffung der Immobilie 32 Vgl. BFH v. 5.6.2002 – I R 81/00, BStBl II 2004, 344. 33 Gesetz zur Reform der Investmentbesteuerung v. 19.6.2016, BGBl. I 2016, 1730; vgl. auch FG München v. 29.7.2013 – 7 K 190/11, rkr., EFG 2013, 1852.  34 Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz v. 21.12.1993, BGBl. I 1993, 2310; BStBl. I 1994, 50.

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vor dem 1.1.1994 bestimmt sich der Gewinn als Differenz zwischen dem Veräußerungserlös und dem Einlagewert zum 1.1.1994. Bei Anschaffung nach dem 1.1.1994 sind die Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten um die Abschreibungen zu mindern, die während der Haltedauer der Immobilie in Anspruch genommen wurden.35 Diese Ermittlung sollte unabhängig von der Gewinnermittlung für die Vermietungstätigkeit sein, weil kein einheitlicher Gewerbebetrieb vorliegt, sondern lediglich zwei verschiedene Einkünfteerzielungshandlungen (Einkunftsquellen) als gewerblich qualifiziert werden.36 2. Einschränkung durch Doppelbesteuerungsabkommen Die Besteuerung der Einkünfte aus der Veräußerung unbeweglichen Vermögens wird nach dem Vorbild des Art. 13 Abs. 1 OECD-MA regelmäßig dem Belegenheitsstaat (hier: Deutschland) zugeordnet. Das beruht auf dem Gedanken, dass dem Belegenheitsstaat eine enge wirtschaftliche Beziehung zu dem unbeweglichen Vermögen als Einkunftsquelle zukommt. Mit der Anknüpfung der Veräußerungsgewinnbesteuerung an das Belegenheitsprinzip wird eine Parallele zu der Regelung für laufende Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen geschaffen (vgl. Art. 6 Abs.1 OECD-MA). Das Belegenheitsprinzip gilt grds. auch für die Gewinne aus der Veräußerung von unbeweglichem Betriebsvermögen, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Anlage- oder Umlaufvermögen handelt.37

IV. Gewinne aus Forderungsverzicht 1. Nationales Recht Bei einer Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich erfassen die für Zwecke der Ermittlung der Einkünfte von beschränkt Steuerpflichtigen nach §  49 Abs.  1 Nr.  2 Buchst. f EStG eingesetzten Wirtschaftsgütern auch die Forderungen und Verbindlichkeiten, die sich auf die Vermietungstätigkeit als solche beziehen (z.B. ausstehende Mietforderungen, Steuerverbindlichkeiten, Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen). Der formelle Ausweis von Verbindlichkeiten für die Fremdfinanzierung der Immobilienakquisition führt nicht dazu, dass diese Verbindlich­

35 Vgl. BFH v. 5.6.2002 – I R 81/00, BStBl II 2004, 344; BMF-Schreiben v. 15.12.2004, BStBl I 1994, 883. 36 Vgl. Töben/Lohbeck/Fischer, Aktuelle steuerliche Fragen im Zusammenhang mit Inbound-­ Investitionen in deutsches Grundvermögen – Vermietungseinkünfte, Veräußerungsgewinne, Gewerbesteuer, Zinsschranke, FR 2009, 151 (154); Mensching, Der Ausschluss der erweiterten Kürzung nach §  9 Nr.  1 Satz 5 Nr.  1a GewStG, DStR 2009, 98; a.A. wohl die FinzVerw., vgl. BMF-Schreiben v. 16.5.2011, BStBl I 2011, 530, Tz. 9. 37 Vgl. Reimer in Vogel/Lehner, 6.  Aufl. 2015, Art.  13 OECD-MA Rz.  50; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 13 OECD-MA Rz. 21; Schütte in Haase, 3. Aufl. 2016, Art. 13 OECDMA Rz. 25; BFH v. 23.3.1972 – I R 128/70, BStBl II 1972, 984 zum DBA-Italien 1925.

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keiten als (negatives) Betriebsvermögen zu erfassen sind.38 Insofern waren zwar Finanzierungskosten bei der Ermittlung der Vermietungseinkünfte als Betriebsausgaben abzugsfähig. Wertveränderungen hinsichtlich der Verbindlichkeiten für den Immobilienerwerb erfüllten aber nicht den Tatbestand des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Doppelbuchst. aa oder bb EStG. Ein im Rahmen von § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG gewerblich fingierten Einkünften aus Vermietung und Veräußerung inländischen Grundbesitzes ausländischer Körperschaften anfallender Ertrag aus einem Forderungsverzicht ist somit nicht steuerbar.39 Durch das JStG 201840 wurde § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG um einen Satz 4 ergänzt. Danach gehören zu den Einkünften aus der Veräußerung von inländischem unbeweglichem Vermögen auch Wertveränderungen von Wirtschaftsgütern, die mit diesem Vermögen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Diese Regelung will Gewinne aus einem Forderungsverzicht erfassen und damit das BFH-Urteil vom 7.12.201641 außer Kraft setzen. In dieser Entscheidung hatte der BFH klargestellt, dass eine Verbindlichkeit im Zusammenhang mit der inländischen Immobilie nicht steuerverstrickt ist und damit Wertveränderungen der Verbindlichkeit keine Auswirkungen auf die deutsche Besteuerung haben. In dem der Entscheidung zugrunde­ liegenden Sachverhalt war eine deutsche Immobilie durch eine ausländische Kapitalgesellschaft mit dem Darlehen erworben worden. Der Verzicht auf das Darlehen erfolgte mehrere Monate nach dem Verkauf der Immobilie. Der BFH hatte zwar einen wirtschaftlichen Zusammenhang des Darlehens mit der Vermietungs- und Veräußerungstätigkeit gesehen, dieser war jedoch nicht ausreichend, um eine Steuer­ barkeit des Verzichtsgewinns in Deutschland anzunehmen. Insbesondere lag nach Auffassung des BFH keine Gegenleistung für die Übertragung des Eigentums am Grundstück vor, so dass eine Versteuerung des Verzichtsgewinns als Teil des Veräußerungsgewinns ausschied.42 Nach der Gesetzesbegründung von „Satz 4“ soll das für die Anschaffung oder Herstellung der inländischen Immobilie aufgenommene Darlehen „steuerverstrickt“ werden.43 Ausweislich der Gesetzesbegründung sind mit den Wirtschaftsgütern, die mit dem inländischen unbeweglichem Vermögen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, vor allem die Verbindlichkeiten zur Finanzierung zum Erwerb der Immobilie gemeint. Nach dem Gesetzeswortlaut müssen die Wirtschaftsgüter in wirtschaftlichem Zusammenhang mit dem Immobilienvermögen stehen. Eine nach der 38 So auch Fischer, Vermietungseinkünfte beschränkt Steuerpflichtiger ab 2009, StBW 2011, 554 (556); a.A. wohl BMF-Schreiben v. 16.5.2011, BStBl I 2011, 530, Tz. 8. 39 Vgl. BFH v. 7.12.2016 – I R 76/14, BStBl II 2017, 704. 40 JStG 2018 v. 11.12.2018, BGBl. I 2018, 2338. 41 BFH v. 7.12.2016 – I R 76/14, BStBl II 2017, 704. 42 Vgl. BFH v. 7.12.2016 – I R 76/14, BStBl II 2017, 704, Rz. 32. 43 Vgl. BT-Drucks. 19/4455, 92  f.; krit. zu der Wirksamkeit der gesetzlichen Formulierung Wagner, JStG 2018 – Erweiterung des Umfangs der beschränkten Steuerpflicht bei Immobilieninvestments, DB 2018, 2659 ff.; Cloer/Hagemann/Lichel, Änderungen für Einkünfte mit Bezug zu deutschem Grundbesitz im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht, BB 2018, 1751 (1755).

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Veräußerung verbleibende Verbindlichkeit kann keinen Zusammenhang mit der Immobilie mehr haben. Die Immobilienfinanzierung wird regelmäßig aus dem Verkaufserlös getilgt oder zumindest zeitnah aus dem Veräußerungserlös zurückgeführt. 2. Einschränkung durch Doppelbesteuerungsabkommen Im BFH-Fall brauchte nicht entschieden zu werden, ob der Forderungsverzichtsgewinn überhaupt nach den DBA in Deutschland zu besteuern ist. Nach Art. 6 Abs. 3 OECD-MA, dem die weit überwiegende Anzahl der deutschen DBA entspricht, wird die unmittelbare Nutzung, die Vermietung oder Verpachtung sowie jede andere Art der Nutzung unbeweglichen Vermögens erfasst. Nutzung ist die zeitlich begrenzte Bewirtschaftung des Vermögensgegenstands. Die Vermietung und Verpachtung wird gekennzeichnet durch die zeitlich begrenzte Überlassung des Vermögensgegenstands an einen Dritten. Mit der anderen Art der Nutzung sollen Sachverhalte erfasst werden, die nicht schon unmittelbare Nutzung oder Vermietung/Verpachtung sind, wie z.B. die Erbbaurechtsbestellung gegen Zahlung eines einmaligen oder laufendem Erb­ zinses. Der Forderungsverzicht fällt jedenfalls nicht unter die „Nutzung von unbeweglichem Vermögen“. Auch der BFH44 hat im Zusammenhang mit Liquiditätsüberschüssen aus Vermietungstätigkeit entschieden, dass die Zinsen unter den Zinsartikel (Art. 11 OED-MA) und nicht unter die Vermietungseinkünfte auf der Grundlage des Belegenheitsprinzips nach Art. 6 OECD-MA fallen. Veräußerung und nicht mehr Nutzungsüberlassung liegt vor, wenn der zur Nutzungsüberlassung Verpflichtete zwar zivilrechtlich Eigentümer des Grundbesitzes bleibt, jedoch wirtschaftlich seine Herrschaftsgewalt endgültig und in vollem Umfang verliert. Der Forderungsverzicht ist keine Veräußerung von unbeweglichem Vermögen i.S. von Art. 13 OECD-MA und steht auch abkommensrechtlich nicht im Zusammenhang mit einer solchen. 45

V. Veräußerung von Gesellschaften mit inländischem Immobilienvermögen 1. Veräußerung nach nationalem Recht a) Rechtslage bis einschließlich 2018 Die Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften, die zum Betriebsvermögen einer inländischen Betriebsstätte gehören, durch einen Steuerausländer wird von § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG erfasst. Das gilt sowohl für ausländische Kapitalgesellschaften als auch ausländische natürliche Personen. 44 BFH v. 28.4.2010 – I R 81/09, BStBl. II 2014, 754; BMF-Schreiben v.  26.9.2014, BStBl. I 2014, 1258, Tz.  2.3.2; krit. Salzmann, IStR 2010, 333 f. 45 Im Ergebnis ebenso Cloer/Hagemann/Lichel, Änderungen für Einkünfte mit Bezug zu deutschem Grundbesitz im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht, BB 2018, 1751 ff.

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Alle von einem Steuerausländer im Privatvermögen gehaltenen Kapitalgesellschaftsanteile können, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen, zu inländischen Einkünften nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG führen. Danach müssen die Einkünfte unter den Vorrausetzungen von § 17 EStG erzielt worden sein. Das bedeutete bis einschließlich 31.12.2018, dass die Kapitalgesellschaft ihren Sitz (§ 11 AO) oder ihre Geschäftsleitung (§ 10 AO) im Inland haben musste (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. aa EStG). Der Veräußerer muss innerhalb der letzten fünf Jahre mittelbar oder unmittelbar zu mindestens 1 % an der Kapitalgesellschaft beteiligt sein (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG). Auch die Veräußerung von Anteilen an einer Personengesellschaft, die Anteile i.S.  von §  17 EStG an einer inländischen Kapitalgesellschaft hält, kann die beschränkte Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG auslösen. Bestimmte Vorgänge – wie z.B. die verdeckte Einlage von Anteilen in eine Kapitalgesellschaft – werden der Veräußerung gleichgestellt (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 und Abs. 4 EStG). Außerdem ist einer Veräußerung gleichgestellt die Verlegung des Sitzes und des Orts der Geschäftsleitung bei Beschränkung oder Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts (§ 17 Abs. 5 Satz 1 EStG). Hält der Steuerausländer die Anteile im Betriebsvermögen eines ausländischen Betriebs, so liegen mangels Zugehörigkeit zu einer inländischen Betriebsstätte keine inländischen Einkünfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG vor. Aufgrund der isolierenden Betrachtungsweise des § 49 Abs. 2 EStG ist jedoch beschränkte Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG gegeben.46 Bei ausländischen Kapitalgesellschaften, die Anteile an Kapitalgesellschaften mit inländischem Immobilienvermögen veräußern richtet sich die Besteuerung nach §  8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Das bedeutet, dass der Beteiligungsgewinn nach § 8b Abs. 2 KStG steuerfrei ist. Die sog. Schachtelstrafe gemäß § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG findet für beschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften dann keine Anwendung, wenn die veräußernde Kapitalgesellschaft im Inland über keine Betriebsstätte und keinen ständigen Vertreter verfügt.47 Bei Beteiligung über eine ausländische Personengesellschaft besteht die beschränkte Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a oder nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG unabhängig davon, ob die Beteiligung der Gesellschaft oder dem Gesellschafter zuzurechnen ist.48 b) Rechtslage ab 2019 Bis einschließlich 2018 wurde nur die Veräußerung von Immobilien-Kapitalgesellschaften mit Sitz oder Geschäftsleitung im Inland erfasst (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. aa EStG). Damit wurden Kapitalgesellschaften, die weder ihren Sitz noch ihre Geschäftsleitung im Inland haben nicht erfasst. 46 Allg. M.; vgl. Gosch in Kirchhof, 18. Aufl. 2019, § 49 EStG Rz. 35; Reimer in Blümich, § 49 EStG Rz. 175; Loschelder in Schmidt, 38. Aufl. 2019, § 49 EStG Rz. 48. 47 Vgl. BFH v. 31.5.2017 – I R 37/15, BStBl II 2018, 144. 48 Vgl. auch Link in Herrmann/Heuer/Raupach, § 49 EStG Anm. 577.

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Durch das JStG 201849 wurde mit der Einfügung von § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. cc EStG die beschränkte Steuerpflicht um die Veräußerung von Anteilen an ausländischen Immobilienkapitalgesellschaften erweitert. Der Gesetzgeber be­ absichtigte damit, die dem Belegenheitsstaat von Immobilien begünstigende Fort­ entwicklung des OECD-MA nachzuvollziehen. Danach sind Gewinne aus Anteilsveräußerungen i.S. von § 17 EStG auch dann steuerpflichtig, wenn der Anteilswert unmittelbar oder mittelbar zu mehr als 50  % auf inländischem Vermögen beruht. Zeitlich ist grundsätzlich auf den Veräußerungszeitpunkt abzustellen. Alternativ ist nach der Neuregelung aber auch ausreichend, dass die Voraussetzungen zu irgendeinem Zeitpunkt während der 365 Tage vor der Veräußerung erfüllt waren, und sei es auch nur für kurze Zeit. In Betracht kommen dabei nur die Zeitpunkte und Phasen, in denen die Anteile dem Veräußerer zuzurechnen waren. Hat der Steuerpflichtige die Anteile erst weniger als ein Jahr vor der Veräußerung erworben und beruhte der Wert der Anteile zu diesem Zeitpunkt nicht zu mehr als der Hälfte auf inländischen Immobilienvermögen, greift § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. cc EStG auch dann nicht ein, wenn inländisches Immobilienvermögen zu einem früheren Zeitpunkt innerhalb des 365-Tage-Zeitraums noch dominiert hatte.50 Zudem werden nach der Anwendungsregelung in § 52 Abs. 45a Satz 1 EStG nur nach dem 31.12.2018 eintretende Wertveränderungen erfasst. Somit werden die bereits entstandenen stillen Reserven der Anteile an ausländischen Immobiliengesellschaften steuerlich nicht verstrickt. 2. Einschränkung durch Doppelbesteuerungsabkommen a) Regelung des OECD-MA 2014 Art. 13 Abs. 1 OEDC-MA weist das Besteuerungsrecht für Gewinne aus der Veräußerung von unbeweglichem Vermögen dem Belegenheitsstaat zu. Dagegen wurden Gewinne aus der Veräußerung von Gesellschaftsanteilen nach früheren Fassungen des OECD-MA allein dem Ansässigkeitsstaat zugewiesen, auch wenn die Gesellschaft als Immobilienkapitalgesellschaft ausschließlich oder überwiegend Eigentümerin von Grundbesitz im Belegenheitsstaat war. Eine sog. „Immobiliengesellschaftsklausel“ wurde erst im Jahr 2003 als Art. 13 Abs. 4 in das OECD-MA eingefügt.51 Diese Regelung setzt das Belegenheitsprinzip des Art. 13 Abs. 1 OECD-MA für Anteile an Gesellschaften, deren Vermögen wertmäßig zu mehr als 50 % aus unbeweglichem Vermögen, fort. Bei diesen sog. Immobiliengesellschaften führt die Abschirmwirkung der Kapitalgesellschaft dazu, dass unbewegliches Vermögen dadurch der Besteuerung im Belegenheitsstaat entzogen werden kann, dass es anstelle eines direkten Investments mittelbar über eine Kapitalgesellschaft gehalten wird. Für die Veräußerung der 49 JStG 2018 v. 11.12.2018, BGBl. I 2018, 2338; seit dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung – BT-Drucks. 19/4455 v. 24.9.2018 – umbenannt in Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften. 50 Vgl. auch BT-Drucks. 19/4455, 49. 51 Vgl. Lieber in Schönfeld/Ditz, 2. Aufl. 2019, Art. 13 OECD-MA Rz. 12; Haase, Grundfragen der Immobilienklausel in Art. 13 Abs. 4 OECD-MA, Ubg 2019, 361 (363 f.).

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Kapitalgesellschaftsbeteiligung gilt im Grundsatz Art. 13 Abs. 5 OECD-MA, in Ausnahmefällen Art. 13 Abs. 2 OECD-MA, nämlich bei Zurechnung der Beteiligung zu einer Betriebsstätte. Folglich ordnen ältere DBA – wie z.B. das DBA-Belgien (Art. 13 Abs. 3), das DBA-Italien (Art. 13 Abs. 4) sowie das DBA-Schweiz (Art. 13 Art. 3) – das Recht für Besteuerung der Gewinne aus der Veräußerung einer Immobilienkapi­ talgesellschaft mit Sitz oder Geschäftsleitung im Belegenheitsstaat dem Ansässigkeitsstaat des Veräußerers zu. Mit Einführung von Art. 13 Abs. 4 OECD-MA sollte diese Möglichkeit der Verschiebung von Besteuerungsrechten beseitigt werden. Viele neuere DBA enthalten inzwischen eine „Immobiliengesellschaftsklausel nach dem Vorbild von Art. 13 Abs. 4 OECD-MA wie z.B. das DBA-Großbritannien (Art. 13 Abs. 2), das DBA-Spanien (Art. 13 Abs. 2), das DBA-USA (Art. 13 Abs. 2 Buchst. b). Nicht immer entsprechen diese Klauseln vollumfänglich dem Vorbild des OECD-MA, es gibt mehr oder weniger starke Abweichungen.52 So wird zum Beispiel im DBA-Österreich (Art. 13 Abs. 2) für Ermittlung des (überwiegenden) unbeweglichen Vermögens nicht auf den Wert der Anteile, sondern auf das „Aktivvermögen“ der Gesellschaft abgestellt. Die Höhe des Aktivvermögens bestimmt sich nach der letzten, vor der Veräußerung der Aktien und sonstigen Anteile zu erstellenden Handelsbilanz (Protokoll Nr. 4 zu Art. 13 Abs. 2 DBA-Österreich 2000). Auch die Grundbesitzklausel im DBA-Niederlande weist einige Besonderheiten auf. Nach Art. 13 Abs. 2 DBA-Niederlande 2012 können Gewinne aus der Veräußerung von Aktien bzw. vergleichbaren nicht notierten Anteilen, deren Aktivvermögen zu mehr als 75 % mittelbar oder unmittelbar aus im anderen Vertragsstaat gelegenem unbeweglichem Vermögen besteht, im Belegenheitsstaat besteuert werden. Nicht in die Ermittlung des Werts des Immobilienvermögens einbezogen wird unbewegliches Vermögen, in dem die Gesellschaft oder die Inhaber dieser Anteile ihre Geschäftstätigkeit ausüben. Mit dem Inhaber „dieser Anteile“ sind alle unmittelbaren Gesellschafter der Gesellschaft, deren Anteile veräußert werden, gemeint. Eine Beschränkung auf den Inhaber der Anteile, die konkret veräußert werden, entspricht nicht dem Zweck der Ausnahme, das operativ genutzte Immobilienvermögen aus der Wertermittlung für die 75 %-Grenze aus­zuklammern und führt nicht zu sachgerechten Ergebnissen.53 Zudem wird das Besteuerungsrecht des Belegenheitsstaats von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht. b) OECD-Update 2017 Nach dem Update des OECD-MA 2017 werden neben Anteilen an juristischen Personen auch vergleichbare Rechte, wie insbesondere Rechte an einer Personengesellschaft oder einem Trust/Treuhandvermögen, erfasst. Nach dem Update 2017 greift die Immobilienklausel des Art.  13 Abs.  4 OECD-MA bereits dann ein, wenn der Wert der Anteile oder vergleichbaren Rechte den Schwellenwert von mehr als 50 % 52 Vgl. dazu Lieber, Abkommensrechtliche Grundbesitzklausel auf dem Vormarsch – Unterschiedliche Ausgestaltung in den einzelnen DBA, ISR 2012, 123 ff.; Meining, Gesellschaft mit überwiegend aus Grundbesitz bestehendem Vermögen i.S.d. deutschen Doppelbesteue­ rungsabkommen im Inbound-Fall, Ubg 2017, 34. 53 Vgl. Kessler/Arnold, Unbewegliches Vermögen im neuen DBA-Niederlande, IStR 2012, 519 (523 f.) mit einem instruktiven Beispiel.

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Immobilienvermögen während der 365 Tage vor Veräußerung der Anteile an der Gesellschaft/Vermögensmasse überschritten hat. Dabei ist jeder einzelne Zeitpunkt innerhalb der 365 Tage vor der Veräußerung relevant. Damit soll erreicht werden, dass nicht kurz vor der Veräußerung der Gesellschaftsanteile der Gesellschaft Vermögen zugeführt (z.B. Einlagen) oder entzogen wird, um die entsprechende Immobilienquote je nach Interessenlage zu über- oder unterschreiten. Durch diesen Zeitraum­ bezug kommt es zu Problemen, wenn der Grundbesitz selbst bereits vor der Veräußerung der Gesellschaftsanteile veräußert wurde. Dann hat der Belegenheitsstaat zunächst das Besteuerungsrecht für den Veräußerungsgewinn aus dem Grundbesitz selbst nach Art. 13 Abs. 1 OECD-MA und später das Besteuerungsrecht für die Veräußerung der „leeren“ Gesellschaftsanteile, d.h. wenn die Gesellschaft die maßgebliche Immobilienquote nicht mehr erfüllt. c) Ausblick Im Hinblick darauf, dass sich der Gesetzeswortlaut von § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. cc EStG am Wortlaut von Art. 13 Abs. 4 OECD-MA orientiert, ist die Reichweite im Hinblick auf bestehende DBA begrenzt. DBA, die dem OECD-Update 2017 folgen, gibt es – soweit ersichtlich – noch nicht. DBA ohne aktuelle Immobilienklausel, die der Erweiterung der beschränkten Steuerpflicht durch die deutsche Neuregelung entgegenstehen, wird es daher weiterhin geben. Erfasst werden in jedem Fall die Steuerausländer ohne Abkommensschutz (z.B. natürliche Person mit Wohnsitz in Monaco).54 Auch wenn §  49 Abs.  1 Nr.  2 Buchst. e Doppelbuchst. cc EStG die beschränkte Steuerpflicht bei Fehlen von Abkommensschutz für den Anteilsinhaber oder bei Anwendbarkeit einer abkommensrechtlichen Immobilienklausel teilweise ausdehnt, verbleiben eine Reihe von Fällen, in denen das anwendbare DBA überhaupt keine Immobiliengesellschaftsklausel enthält, oder diese (weit) hinter dem OECD-Update 2017 zurückbleibt. Insofern können Gestaltungen interessant sein, bei denen Anteile auf Kapitalgesellschaften übertragen werden, die in einem Vertragsstaat ansässig sind, in dessen DBA noch keine (aktuelle) Immobilienklausel enthalten ist.55 Hinzu kommt, dass sich die Regelung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG zur Veräußerung von Anteilen an Gesellschaften mit inländischem Immobilienvermögen faktisch nur bei beschränkt steuerpflichtigen natürlichen Personen auswirkt. Beschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften ohne Betriebsstätte und ständigen Vertreter im Inland unterliegen mit dem Anteilsveräußerungsgewinn in der Regel § 8b Abs. 2 KStG, der zu 100 % und lediglich zu 95 % steuerfrei ist. Das pauschale 5 %ige Betriebsausgabenabzugsverbot findet keine Anwendung, weil es an einem Inlandsbetrieb und einer fingierten Inlandbetriebsstätte mangelt. Objekt der Besteuerung ist ausschließlich der Veräußerungsgewinn gemäß § 17 Abs. 2 EStG.56 54 Vgl. zu einem entsprechenden Beispiel Salzmann/Heufelder, Ausweitung der beschränkten Steuerpflicht auf die Veräußerung von ausländischen Immobilienkapitalgesellschaften, IStR 2019, 67 (69 f.). 55 Vgl. Salzmann/Heufelder, Ausweitung der beschränkten Steuerpflicht auf die Veräußerung von ausländischen Immobilienkapitalgesellschaften, IStR 2019, 67 (69 f.). 56 Bestätigt durch BFH v. 31.5.2017 – I R 37/15, BStBl II 2018, 144.

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Globalisiertes Steuerrecht – Anspruch und Verantwortung: Einbeziehung ausländischer Hinzurechnungseinkünfte in die gewerbesteuerliche Bemessungsgrundlage Inhaltsübersicht I. Problemaufriss II. Kürzung des Hinzurechnungsbetrags gem. § 9 Nr. 7 GewStG III. Vorgaben der sog. Mutter-Tochter-­ Richtlinie

IV. Verstoß gegen Grundfreiheiten des AEUV V. Verstoß der Hinzurechnung gegen ­verfassungsrechtliche Prinzipien VI. Zusammenfassung

I. Problemaufriss Mit Urteil vom 11.3.2015 hat der BFH entschieden, dass es sich bei dem Hinzurechnungsbetrag nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AStG um einen Teil des Gewerbeertrags eines inländischen Unternehmens handelt, der auf eine nicht im Inland belegene Betriebsstätte entfällt; der Gewinn des inländischen Unternehmens ist deswegen um diesen Betrag nach § 9 Nr. 3 Satz 1 GewStG zu kürzen.1 Die obersten Finanzbehörden der Länder haben im Einvernehmen mit dem BMF auf das Urteil am 14.12.2015 mit einem sog. Nichtanwendungserlass reagiert, wonach die Grundsätze des Urteils über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht anzuwenden sind.2 In der Folge sind bei den Finanzgerichten und inzwischen auch schon beim BFH in der Revision diverse Verfahren wiederaufgenommen bzw. rechtshängig, bei denen es in der Sache in unterschiedlichen Sachverhaltskonstellationen um dieselbe Rechtsfrage geht: Ist der Hinzurechnungsbetrag gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 AStG in der Gewerbesteuer zu erfassen? Neben der vom BFH fruchtbar gemachten Kürzungsvorschrift in § 9 Nr. 3 GewStG, über deren Anwendung in der Literatur bereits ausführlich gestritten wurde,3 ist nach der hier vertretenen Auffassung auch eine Kürzung des Hinzurechnungsbetrages gem. § 9 Nr. 7 GewStG möglich. Voraussetzung für eine Kürzung ist jedoch in beiden Fällen, dass der Hinzurechnungsbetrag im Gewinn aus Gewerbebetrieb gem. §  7 Satz 1 GewStG enthalten ist. Steuertechnisch ist das sicherlich der Fall, da der Hinzurechnungsbetrag gem. § 10 Abs. 2 Satz 1 AStG zu den Einkünften i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehört und gem. § 10 Abs. 2 Satz 2 AStG einer Gewinneinkunftsart 1 BFH v. 11.3.2015 – I R 10/14, BStBl. II 2015, 1049. 2 BStBl. I 2015, 1090. 3 Vgl. Gosch in Blümich, GewStG, § 9 Nr. 3, Rz. 221a ff. mit einem umfassenden Überblick zum Sach- und Streitstand.

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i. S. von § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG zugeordnet wird, wenn sich die Anteile an der ausländischen Zwischengesellschaft in einem inländischen Betriebsvermögen befinden. Handelt es sich dabei um eine funktionale Zuordnung zum Betriebsvermögen eines inländischen Gewerbebetriebs, führt die außerbilanzielle Zurechnung des Hinzurechnungsbetrags zur einkommen- oder körperschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage des Gewerbetreibenden gleichzeitig zum Eingang in den Gewerbeertrag i. S.  von §  7 Satz 1 GewStG als Besteuerungsgrundlage der Gewerbesteuer gem. §  6 GewStG. Neben der einfachgesetzlichen Dimension einer etwaigen Kürzung des Hinzurechnungsbetrags vom Gewerbeertrag gem. § 9 Nrn. 3, 7 GewStG hat die aufgeworfene Rechtsfrage zusätzlich eine verfassungsrechtliche und eine europarechtliche Komponente. Zum einen wird nachfolgend eine Kollision der gewerbesteuerlichen Erfassung des Hinzurechnungsbetrags mit den Vorgaben der sog. Mutter-Tochter-Richtlinie sowie den Gewährleistungen der Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit dargestellt. Zum anderen wird die Frage nach der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der gewerbesteuerlichen Erfassung des Hinzurechnungsbetrags im Lichte des sog. Äquivalenzprinzips erörtert, das der Gewerbesteuer eine verfassungsrechtliche Fundierung gibt.

II. Kürzung des Hinzurechnungsbetrags gem. § 9 Nr. 7 GewStG Gesetzestechnisch folgt die Hinzurechnungsbesteuerung gem. §§ 7 ff. AStG dem sog. Ausschüttungskonzept, wonach § 10 Abs. 2 Satz 1 f. AStG fingiert, dass der Hinzurechnungsbetrag – je nach Zuordnung der Anteile an der ausländischen Zwischengesellschaft zum Privat- oder Betriebsvermögen des unbeschränkt Steuerpflichtigen – entweder zu den Einkünften gem. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG oder den Gewinneinkünften gem. §  2 Abs.  2 Satz 1 Nr.  1 EStG gehört und unmittelbar nach Ablauf des Wirtschaftsjahres der ausländischen Zwischengesellschaft als zugeflossen gilt. Gesetzessystematisch ergibt sich die Ausschüttungsfiktion auch aus der expliziten Anordnung zur Nichtanwendung von § 3 Nr. 40 EStG und § 8b KStG über die Dividendenfreistellung im Teileinkünfte- und Freistellungsverfahren durch § 10 Abs. 2 Satz 3 AStG sowie der einkommensteuerlichen Freistellung von Ausschüttungen der ausländischen Zwischengesellschaft gem. § 3 Nr. 41 Buchst. a) EStG. Der BFH führt in einem Urteil vom 11.2.2009 folgendes aus: „Er [Anm. d. Verf.: der Hinzurechnungsbetrag] wird nach der Regelungskonzeption des Außensteuergesetzes insoweit als Quasi-Ausschüttung angesehen und fiktiv entsprechenden Rechtsfolgen unterworfen.“4 Nach der hier vertretenen Auffassung ist durch die sog. Ausschüttungsfiktion auch die Anwendung der gewerbesteuerlichen Kürzungsvorschrift in § 9 Nr. 7 GewStG auf den Hinzurechnungsbetrag eröffnet. Einer vorherigen Hinzurechnung gem. § 8 Nr. 5 GewStG bedarf es nicht; vgl. §  10 Abs.  2 Satz 3 AStG. Der Wortlaut von §  9 Nr.  7 GewStG – „Gewinne aus Anteilen an einer Kapitalgesellschaft mit Geschäftsleitung 4 BFH v. 11.2.2009 – I R 40/08, BStBl. II 2009, 594.

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und Sitz außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes“ steht einer Kürzung nicht entgegen, da im Einklang mit der Rechtsprechung des BFH insoweit eine weite Auslegung geboten ist: „Zu den Gewinnen aus Anteilen i. S.  von §  9 Nr.  2a GewStG (1984) rechnen alle wirtschaftlichen Vorteile, die aus dem Besitz der Anteile gezogen werden.“.5 Beispielhaft subsumiert auch die FinVerw sog. verdeckte Gewinnausschüttungen gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG unter § 9 Nr. 7 GewStG; vgl. R 9.5 Satz 3 GewStR. Auch hierbei handelt es sich nicht um Gewinne aus Anteilen im gesellschaftsrechtlichen Sinn. Insoweit ist ein, der Subsumtion unter § 9 Nr. 7 GewStG entgegenstehender, qualitativer Unterschied zum Hinzurechnungsbetrag i. S. von § 10 Abs. 2 AStG nicht erkennbar bzw. begründbar. Nachdem der EuGH die bisher geltende Fassung des § 9 Nr. 7 GewStG mit seinen zusätzlichen Aktivitätsvoraussetzungen mit Urteil v. 20.9.2018 (Rs. C-685/16, ECLI-­ Identifikator: ECLI:EU:C:2018:743) für unvereinbar mit der Kapitalverkehrsfreiheit gem. Art. 63 ff. AEUV erklärt hat und § 9 Nr. 7 GewStG n. F. keine erhöhten tatbestandlichen Hürden mehr aufbaut, unterliegt die Kürzung des Hinzurechnungsbetrags gem. § 9 Nr. 7 GewStG für alle noch offenen Fälle denselben Anforderungen wie die Kürzung von Inlandsdividenden gem. § 9 Nr. 2a GewStG. Bis zur Neuregelung hat der gleichlautende Erlass der obersten Finanzbehörden der Länder zur unionsrechtskonformen Auslegung von § 9 Nr. 7 GewStG v. 25.1.2019 die alte Fassung mit ihren im Unterschied zu §  9 Nr.  2a GewStG zusätzlichen Voraussetzungen für eine Kürzung in allen offenen Fällen suspendiert (BStBl.  2019 I, S.  91). Einzig die Mindestbeteiligungsquote an der ausländischen Zwischengesellschaft ist zu beachten. Schließlich hat der Gesetzgeber eine Einbeziehung von § 9 Nr. 7 GewStG in § 7 Satz 7 bis 9 GewStG unterlassen, was angesichts der übrigen handwerklichen Fehler der Neuregelung nicht weiter verwundert. Insofern verbleibt auch für alle Fälle ab dem Ermittlungszeitraum 2017 eine Kürzung des Hinzurechnungsbetrags gem. § 9 Nr. 7 GewStG.6

III. Vorgaben der sog. Mutter-Tochter-Richtlinie Die Richtlinie 2011/96/EU des Rates über das gemeinsame Steuersystem der Mutterund Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten in der Neufassung vom 30.11.2011 – sog. Mutter-Tochter-Richtlinie – zielt darauf ab, Dividendenzahlungen und andere Gewinnausschüttungen von Tochtergesellschaften an ihre Muttergesellschaften von Quellensteuern zu befreien und die Doppelbesteuerung derartiger Einkünfte auf Ebene der Muttergesellschaft zu beseitigen.7 Die Präambel zur Mutter-Tochter-Richtlinie führt hierzu aus, dass „Zusammenschlüsse von Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten notwendig sein können, um binnenmarktähnliche 5 BFH v. 25.1.2006 – I R 104/04, BStBl. II 2006, 844; BFH v. 22.2.2006 – I R 30/05, BFH/NV 2006, 1659. 6 A.A. Gosch in Blümich, GewStG, § 9 Nr. 3, Tz. 221b. 7 Richtlinie 2011/96/EU des Rates v. 30.11.2011 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, Abl. L 345/8 v. 29.12.2011, Präambel, Tz. 3.

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Verhältnisse in der Union zu schaffen und damit das Funktionieren eines solchen Binnenmarktes zu gewährleisten. Sie sollten nicht durch Beschränkungen, Benachteiligungen oder Verfälschungen, insbesondere aufgrund von steuerlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten, behindert werden. Demzufolge müssen wettbewerbsneutrale steuerliche Regelungen für diese Zusammenschlüsse geschaffen werden, um die Anpassung von Unternehmen an die Erfordernisse des Binnenmarktes, eine Erhöhung ihrer Produktivität und eine Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf internationaler Ebene zu ermöglichen.“8 Materiell-rechtlich bestimmt Art.  4 Abs.  1 Mutter-Tochter-Richtlinie sinngemäß, dass in Fällen, in denen einer EU-Muttergesellschaft aufgrund der Beteiligung an einer EU-Tochtergesellschaft Gewinne zufließen, der Mitgliedstaat der EU-Muttergesellschaft diese Gewinne entweder nicht besteuert oder im Falle einer Besteuerung die ausländische Ertragsteuer vollständig zur Anrechnung zulässt. Letzteres ist bei der gewerbesteuerlichen Erfassung der Hinzurechnungsbeträge nicht gewährleistet, da eine Anrechnung ausländischer Steuern über die körperschaftsteuerliche Belastung von 15% hinaus auf die Gewerbesteuer nicht möglich ist; vgl. § 12 Abs. 1 AStG. Da die tatbestandliche Schwelle der Niedrigbesteuerung gem. § 8 Abs. 3 AStG bei 25% liegt, kann es hier zu einer durchgerechneten Mehrbelastung im ­Einzelfall von bis zu 10% kommen; vgl. sehr praxisrelevant z. B. die effektive Ertragsteuerbelastung in den Niederlanden von ca. 24,98%. Daneben findet eine Steuerfreistellung von der Hinzurechnungsbesteuerung nachfolgenden tatsächlichen Dividendenausschüttungen an die deutsche Muttergesellschaft gem. § 3 Nr. 41 Buchst. a) EStG nur innerhalb von sieben Jahren statt. Ein sachlicher Grund ist hierfür nicht erkennbar, zumal die zeitliche Begrenzung auch gegen das uneingeschränkte Anrechnungsgebot in Art.  8 Abs.  5 der Richtlinie (EU) 2016/1164 des Rates vom 12.7.2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts – sog. ATAD-I-­ Richtlinie – verstößt.9 Schließlich steht der Anwendung der Mutter-Tochter-Richtlinie auf den Hinzurechnungsbetrag auch nicht entgegen, dass selbiger keine Dividende im Rechtssinne ist. Insoweit sprechen der o. g. Sinn und Zweck der Richtlinie im Kontext der sog. Ausschüttungsfiktion der Hinzurechnungsbesteuerung eine eindeutige Sprache für eine systematische Einbeziehung in den Anwendungsbereich. Auch die Vorgaben der ATAD-I-Richtlinie zur kohärenten Ausgestaltung einer Hinzurechnungsbesteuerung in den EU-Mitgliedstaaten widerstreiten der Mutter-Tochter-Richtlinie insoweit nicht, da dort insbesondere auf die Vermeidung der Doppelbesteuerung durch Maßnahmen nationaler Hinzurechnungsbesteuerung geachtet wird. Art. 8 Abs. 7 Satz 1 ATAD-I-Richtlinie bestimmt hierzu: 8 Richtlinie 2011/96/EU des Rates v. 30.11.2011 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, Abl. L 345/8 v. 29.12.2011, Präambel, Tz. 4. 9 Richtlinie (EU) 2016/1164 des Rates v. 12.7.2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts, Abl. L 193/1 v. 19.7.2016.

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„Der Mitgliedstaat des Steuerpflichtigen lässt einen Abzug der von dem Unternehmen oder der Betriebsstätte entrichteten Steuer von der Steuerschuld des Steuerpflichtigen in dem Land seines Steuersitzes oder Steuerstandorts zu.“ Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen!

IV. Verstoß gegen Grundfreiheiten des AEUV Nach der hier vertretenen Auffassung verstößt die schematische Erfassung des Hinzurechnungsbetrags bei der Gewerbesteuer in folgenden Fällen auch gegen Grundfreiheiten des AEUV: – Hinzurechnungsbesteuerung von Einkünften einer in einem Drittstaat ansässigen Betriebsstätte einer EU-Tochtergesellschaft verstößt bis einschließlich Ermittlungszeitraum 2016 gegen die Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV; – Hinzurechnungsbesteuerung von Tochtergesellschaften in Drittstaaten außerhalb der EU bzw. des EWR verstößt gegen die Kapitalverkehrsfreiheit gem. Art.  63 AEUV. Im ersten Fall führt die Hinzurechnungsbesteuerung von Einkünften der Drittstaaten-Betriebsstätte einer EU-Tochter-Kapitalgesellschaft zu einer Diskriminierung gegenüber einer deutschen Tochter-Kapitalgesellschaft mit Drittstaaten-Betriebsstätte, da es zwar im Vergleichsfall gem. § 20 Abs. 2 AStG zu einem DBA-Methodenwechsel kommt, für die Gewerbesteuer aber die Kürzungsvorschrift des §  9 Nr.  3 GewStG auf  die Einkünfte der Drittstaaten-Betriebsstätte angewendet wird. Mithin wird das  Investment über eine EU-Kapitalgesellschaft in eine Drittstaaten-Betriebsstätte gegenüber einem rein nationalen Investment über eine deutsche Tochter-Kapitalgesellschaft diskriminiert. Da auch der Substanznachweis für die Tätigkeit der Drittstaaten-Betriebsstätte gem. § 8 Abs. 2 Satz 4 AStG ausgeschlossen ist, verbleibt es bei der gewerbesteuerlichen Erfassung des Hinzurechnungsbetrags in diesen Fällen. Seit der Ergänzung von § 7 GewStG um die Sätze 7 bis 9 durch das sog. BEPS-UmsetzungsG v. 20.12.201610 ab dem Erhebungszeitraum 2017 ist diese Diskriminierung zwar faktisch beseitigt, da gem. § 7 Satz 8 GewStG die Einkünfte gem. § 20 Abs. 2 Satz 1 AStG als in einer inländischen Betriebsstätte erzielt gelten und damit eine gewerbesteuerliche Erfassung auch in Fällen einer deutschen Tochtergesellschaft mit Drittstaaten-Betriebsstätte vorgenommen wird. Die gesetzliche Fiktion in § 7 Satz 8 GewStG führt jedoch zu dem gesetzessystematisch paradoxen Ergebnis, dass die körperschaftsteuerliche Erfassung der ausländischen Betriebsstätten-Einkünfte weiterhin durch den Wechsel von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode mittels sog. Treaty Override in § 20 Abs. 2 Satz 1 AStG vollzogen wird, um dann dieselben Einkünfte fiktiv im Gewerbeertrag einer inländischen Betriebsstätte zwecks Erfassung in der Gewerbesteuer zu verorten. 10 BGBl. I 2016, 3000.

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Mit der Entscheidung des EuGH v. 26.2.201911 in der Rs. C-135/17 (X GmbH/Finanzamt Stuttgart – Körperschaften) und dem daran anschließenden Urteil des BFH v. 22.5.201912 dürfte sich die statische Hinzurechnungsbesteuerung für EU-­TochterKapitalgesellschaften mit Drittstaaten-Betriebstätten und reine Drittstaaten-Tochter-Kapitalgesellschaften allerdings in vielen Fällen als gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstoßend herausstellen. Zunächst hat der EuGH und im Anschluss daran auch der BFH festgestellt, dass die Anwendung der sog. Stand-Still-Klausel in Art.  64 Abs. 1 AEUV auf die Hinzurechnungsbesteuerung in der geltenden Fassung abzulehnen sei.13 Weiterhin hat der EuGH in seinem Urteil in der Rs. C-135/17 (X GmbH/ Finanzamt Stuttgart – Körperschaften) die sog. Cadbury-­Schweppes-Rechtsprech­ ung14 auch auf Sachverhalte mit Drittstaaten-Bezug appliziert. Hiernach hat eine Hinzurechnungsbesteuerung grundsätzlich beschränkende Wirkung für die betroffenen inländischen Steuerpflichtigen mit Bezug zur Ausübung der in Art.  63 AEUV verbürgten Kapitalverkehrsfreiheit. Dieser grundfreiheitliche Eingriff kann nur zwecks Verhinderung einer Steuerumgehung in Fällen rein künstlicher Gestaltungen gerechtfertigt werden. Im Cadbury Schweppes-Urteil hat der EuGH festgestellt, dass die Niederlassung einer Gesellschaft in einem Mitgliedstaat eine „rein künstliche Gestaltung“ darstellt, wenn auf der Grundlage objektiver, von dritter Seite nachprüfbarer Anhaltspunkte festgestellt wird, dass diese Gesellschaft eine fiktive Ansiedlung ist, da sie keine wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats entfaltet, wobei das Ausmaß ihres greifbaren Vorhandenseins in Form von Geschäftsräumen, Personal und Ausrüstungsgegenständen zu berücksichtigen ist.15 Diese Definition wird inzwischen in ständiger Rechtsprechung durch den EuGH angewendet.16 Eine Modifikation erfährt die Definition durch den EuGH in dem aktuellen Urteil in der Rs. C-135/17 (X GmbH/Finanzamt Stuttgart – Körperschaften) in Tz. 84 dahingehend, dass im Kontext des freien Kapitalverkehrs auch jede Vorkehrung umfasst sein kann, bei der das Hauptziel oder eines der Hauptziele darin besteht, durch Tätigkeiten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erzielte Gewinne künstlich in Dritt­ länder mit niedrigem Besteuerungsniveau zu transferieren.17 Insoweit ist jedoch das Attribut „künstlich“ hervorzuheben und im Kontext der Cadbury-Schweppes-Rechtsprechung auszulegen. Mithin dürfen wirtschaftlich substanzielle Sachverhalte nicht schematisch sanktioniert werden. Wie man sich auch dreht und wendet; es muss dem Steuerpflichtigen möglich sein, sich im Einzelfall zu exkulpieren.

11 EuGH v. 26.2.2019  – Rs. C-135/17 (X GmbH/Finanzamt Stuttgart – Körperschaften), EU:C:2019:136. 12 BFH v. 22.5.2019 – I R 11/19, bisher n.V. 13 EuGH v. 26.2.2019  – Rs. C-135/17 (X GmbH/Finanzamt Stuttgart – Körperschaften), EU:C:2019:136, Tz. 25 ff.; BFH v. 22.5.2019 – I R 11/19, bisher n.V., Tz. 16 ff. 14 EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 (Cadbury Schweppes), EU:C:2006:544. 15 EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 (Cadbury Schweppes), EU:C:2006:544, Tz. 67 f. 16 EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 (Cadbury Schweppes), EU:C:2006:544, Tz. 70 ff. 17 EuGH v. 26.2.2019  – Rs. C-135/17 (X GmbH/Finanzamt Stuttgart – Körperschaften), EU:C:2019:136.

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Nach Tz. 87 des EuGH-Urteils muss eine nationale Regelung, damit sie in einem angemessenen Verhältnis zum Ziel der Verhinderung von Steuerhinterziehung und Steuerumgehung steht, in jedem Fall, in dem künstliche Vorgänge nicht auszuschließen sind, den Steuerpflichtigen, ohne ihn übermäßigen Verwaltungszwängen zu unterwerfen, in die Lage versetzen, Anhaltspunkte für etwaige wirtschaftliche Gründe für den Abschluss des betreffenden Geschäfts beizubringen. Letzteres ist für Drittstaaten-Fälle bei dem aktuellen Stand der Hinzurechnungsbesteuerung nicht der Fall, da der sog. Substanznachweis in § 8 Abs. 2 AStG nur innerhalb der EU anwendbar ist. Elementar für den materiellen Substanznachweis ist nach Auffassung des EuGH die verfahrensrechtliche Überprüfungsmöglichkeit des Sachverhalts durch die deutsche Finanzverwaltung i. S. eines unabhängigen Beweisverfahrens ohne Beteiligung des Steuerpflichtigen. Insoweit fordert der Gerichtshof zwingend eine rechtliche Fundierung der Amtshilfe zwischen Deutschland und dem Ansässigkeitsstaat der Zwischengesellschaft, z. B. durch eine große Auskunftsklausel im DBA oder ein bilaterales Amtshilfeabkommen. Das ist sachgerecht und nicht zu beanstanden, zumal in der Praxis in vielen Fällen bereits solche bilateralen verfahrensrechtlichen Möglichkeiten inkorporiert sind. Zusammenfassend lässt sich daher feststellen, dass vorbehaltlich der Existenz einer zwischenstaatlichen Möglichkeit des Informationsaustauschs mit dem Ansässigkeitsstaat der ausländischen Zwischengesellschaft über die tatbestandlichen Anforderungen des Substanznachweises im Einzelfall, eine Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung auf die Ergebnisse einer ausländischen Zwischengesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in einem Drittstaat außerhalb der EU wegen eines Verstoßes gegen die Kapitalverkehrsfreiheit ausscheidet, wenn es sich nicht um eine rein künstliche Konstruktion handelt. Lediglich Betriebsstätten deutscher Unternehmen in Drittstaaten außerhalb der EU sowie mittelbar auch Drittstaaten-Betriebsstätten von EU-Tochtergesellschaften inländischer Anteilseigner bleibt der Substanznachweis verschlossen, da die bisher ständige Rechtsprechung des EuGH insoweit von einem  die tatbestandliche Anwendbarkeit der Kapitalverkehrsfreiheit ausschließenden Vorrang der nur in der EU bzw. dem EWR anwendbaren Niederlassungsfreiheit ausgeht18 bzw. im Fall der Drittstaaten-Betriebsstätte einer EU-Tochtergesellschaft die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch die Einführung von §  7 Satz 8 GewStG ab dem Ermittlungszeitraum 2017, wenn auch methodisch fragwürdig, beseitigt worden ist. Sollte der deutsche Steuergesetzgeber diese Ungleichbehandlung von Betriebsstätten gegenüber Direktinvestments in Kapitalgesellschaften nicht aus eigenem Antrieb beseitigen, steht dem Steuerpflichtigen gleichwohl eine Restrukturierung seiner substanziellen Aktivitäten offen.

18 EuGH v. 6.11.2007  – Rs. C-415/06 (Stahlwerk Ergste-Westig GmbH/Finanzamt Düsseldorf-Mettmann), ECLI:EU:C:2007:651.

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V. Verstoß der Hinzurechnung gegen verfassungsrechtliche Prinzipien Die Gewerbesteuer ist als Realsteuer fundiert, d. h. sie knüpft an die Ertragskraft des stehenden Gewerbebetriebs für Zwecke der Besteuerung an; vgl. § 3 Abs. 2 AO i. V. m. § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG.19 Ihre verfassungsrechtliche Rechtfertigung erlangt die Gewerbesteuer gemeinsam mit der Grundsteuer durch ihre kommunale Finan­ zierungsfunktion; vgl. Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG i. V. m. Art. 106 Abs. 6 GG, die den Gemeinden im Rahmen der Finanzautonomie eine mit Hebesatzrecht versehene wirtschaftsbezogene Steuerquelle zugestehen.20 Gleichwohl ist der Real- bzw. Objektsteuer-Charakter der Gewerbesteuer in der konkreten gesetzlichen Ausgestaltung fortwährend kritisch zu reflektieren, da der Gesetzgeber immer wieder in die Systematik der überkommenen Vorschriften eingreift und ertragsteuerliche Elemente implementiert.21 Ein treffendes Beispiel hierfür ist die Erfassung von Hinzurechnungsbeträgen gem. § 10 Abs. 2 Satz 1 AStG im Gewerbeertrag gem. §§ 6, 7 GewStG, da sie mit dem Real- bzw. Objektsteuer-Charakter der Gewerbesteuer nicht in Einklang zu bringen ist. Seine Grundhaltung zur fortwährenden gewerbesteuerlichen Erfassung des Hinzurechnungsbetrages hat der Steuergesetzgeber auch noch einmal durch die „rechtsprechungskorrigierende“ Einführung von § 7 Satz 7 bis 9 GewStG ab dem Erhebungszeitraum 2017 untermauert,22 nachdem der BFH mit Urteil v. 11.3.2015 entschieden hat, dass es sich bei dem Hinzurechnungsbetrag um einen Teil des Gewerbeertrags eines inländischen Unternehmens handelt, der auf eine nicht im Inland belegene Betriebsstätte entfällt und der Gewinn des inländischen Unternehmens deswegen um diesen Betrag nach § 9 Nr. 3 Satz 1 GewStG zu kürzen ist.23 Für mich stellt sich die vorgreifende Frage, ob nicht verfassungsrechtliche Prinzipien einer Erfassung des Hinzurechnungsbetrags in der Gewerbesteuer entgegenstehen und damit die materiell-rechtliche Frage einer Einkünfteallokation zu einer in- oder ausländischen Betriebsstätte des Gewerbesteuerpflichtigen obsolet ist. Grundsätzlich hat der Steuergesetzgeber einen weiten Ermessensspielraum bei der Auswahl von Steuerquellen; gleichwohl muss er die einmal getroffene Belastungsentscheidung in Tatbestand und Rechtsfolge folgerichtig umsetzen; soweit die ständige Rechtsprechung des BVerfG.24 Methodisch folgt die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Gewerbesteuer dem sog. Äquivalenzprinzip, wonach die Gewerbesteuer den Gemeinden einen besonderen Lastenausgleich ermögliche, welchen die Betriebe des Handwerks, der Industrie und des Handels im Gemeindegebiet verursachen.25 Trotz einer einschränkenden Rechtsprechung des BVerfG hat der Gedanke, dass die Gewerbesteuer einen besonderen Ausgleich für die Infrastrukturlasten bietet, die durch 19 Vgl. BVerfG v. 15.1.2008 – 1 BvL 2/04, BVerfGE 2008, 1, Tz. 77. 20 Vgl. BVerfG v. 15.1.2008 – 1 BvL 2/04, BVerfGE 2008, 1, Tz. 73 ff. 21 Vgl. BVerfG v. 15.2.2016 – 1 BvL 8/12, BStBl. II 2016, 557, Tz. 33: „ertragsorientierte Objektsteuer”. 22 Vgl. Gosch in Blümich, GewStG, § 9 Nr. 3, Rz. 221b f. zur Zweckverfehlung der Neuregelung wg. handwerklicher Mängel von Gesetzeswortlaut und -systematik. 23 BFH v. 11.3.2015 – I R 10/14, BStBl. II 2015, 1049. 24 Vgl. BVerfG v. 15.1.2008 – 1 BvL 2/04, BVerfGE 2008, 1, Tz. 82. 25 Vgl. BVerfG v. 15.1.2008 – 1 BvL 2/04, BVerfGE 2008, 1, Tz. 100.

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die Ansiedlung von Gewerbebetrieben verursacht werden, nach wie vor Bestand.26 Mit Blick auf die traditionelle, pauschale Rechtfertigung der Gewerbesteuer aus dem Äquivalenzprinzip erweist sich nach Auffassung des BVerfG exemplarisch die He­ rausnahme der freien Berufe sowie Land- und Forstwirte aus der Gewerbesteuer nicht als willkürlich.27 In der zitierten Entscheidung führt das BVerfG ausführlich durch sachliche Erwägungen begründet aus, dass gerade Gewerbetreibende erhöhte Lasten für die Gemeinden erzeugen, die nicht allein durch Gebühren und Beiträge zu decken sind, während insbesondere Freiberufler mit traditionellem Berufsbild ohne substanzielle gemeindliche Ressourcennutzung ihrer Einkunftserzielung nachgehen würden.28 Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des Steuergesetzgebers zur Einbeziehung von hinzurechnungssteuerpflichtigen Einkünften in die gewerbesteuerliche Bemessungsgrundlage als sachwidrig zu bezeichnen und verstößt damit gegen das Äquivalenzprinzip und das Gebot der Systemkonsequenz und Folgerichtigkeit. Das gilt insbesondere in Fällen von Einkünften ausländischer Zwischengesellschaften mit Sitz in einem Drittstaat, da hier nach geltender Gesetzeslage keine Exkulpation von der Hinzurechnungsbesteuerung durch Substanznachweis gem. §  8 Abs.  2 AStG möglich ist. Im Umkehrschluss werden damit in Drittstaaten-Fällen nicht nur rein künstliche Konstruktionen i. S.  der sog. Cadbury-Schweppes-Rechtsprechung des EuGH in die gewerbesteuerliche Bemessungsgrundlage des inländischen Anteilseigners einbezogen, sondern auch solche Fälle mit Gewerbesteuer belegt, in denen ein inländischer Infrastrukturverbrauch i. S. d. Äquivalenzprinzips nicht vorliegt. Gerade substanzhaltige Gesellschaften mit operativ lebendigen und produktiven Geschäftsmodellen nutzen die Infrastruktur ihres Ansässigkeitsstaats und haben prima facie keinen wie auch immer gearteten Bezug zu deutscher gemeindlicher Infrastruktur. Folglich ist eine gewerbesteuerliche Erfassung sicherlich zu rechtfertigen, wenn es sich im Einzelfall bei der ausländischen Zwischengesellschaft um eine rein steuerlich getriebene Struktur ohne wirtschaftliche Substanz handelt. Diese Systematik wird vom Steuergesetzgeber jedoch weder für Drittstaaten-Tochtergesellschaften noch für Drittstaaten-Betriebsstätten inländischer Gewerbebetriebe nachvollzogen. Vielmehr ignoriert der Gesetzgeber diese sich geradezu aufdrängenden Fakten und gibt den Äquivalenzgedanken zugunsten einer kapitalexportneutralen Betrachtungsweise bei der Besteuerung des Hinzurechnungsbetrags preis. Es wird eine Heraufschleusung der ausländischen Steuerbelastung der Hinzurechnungsbeträge auf das inländische Steuerniveau von Körperschaft- und Gewerbesteuer vollzogen, wobei es durch die fehlende Anrechnung ausländischer Steuern auf die Gewerbesteuer bei einer Steuerbelastung im Ansässigkeitsstaat der ausländischen Zwischengesellschaft von mehr als 15% sogar zu einer Doppelbesteuerung kommen kann. Im Lichte der eingangs benannten Vorgaben des BVerfG zur Systemkonsequenz und Folgerich­ tigkeit von Steuergesetzen im Allgemeinen sowie dem Äquivalenzprinzip für die Realsteuern im Besonderen halte ich die verfassungsrechtliche Kompatibilität dieses 26 Vgl. BVerfG v. 15.1.2008 – 1 BvL 2/04, BVerfGE 2008, 1, Tz. 101. 27 Vgl. BVerfG v. 15.1.2008 – 1 BvL 2/04, BVerfGE 2008, 1, Tz. 102. 28 Vgl. BVerfG v. 15.1.2008 – 1 BvL 2/04, BVerfGE 2008, 1, Tz. 92 ff., 103 ff.

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Vorgehens für höchst fragwürdig. Wenn es nach Auffassung des BVerfG nicht zu beanstanden ist, dass der deutsche Steuergesetzgeber unter dem Äquivalenzgedanken Freiberufler sowie Land- und Forstwirte nicht der Gewerbesteuer unterwirft, kann die Einbeziehung von Steuersubstrat einer ausländischen Zwischengesellschaft deren einziger Inlandsbezug in ihrer inländischen Gesellschafterstruktur besteht nur als willkürlich bezeichnet werden.

VI. Zusammenfassung Ein wesentliches Ziel der EU ist die Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes durch die umfassende Garantie der fünf Grundfreiheiten  – Warenverkehrsfreiheit, Arbeitnehmerfreizügigkeit, Dienstleistungsfreiheit, Niederlassungsfreiheit und Kapitalverkehrsfreiheit; vgl. Art. 26 AEUV. Inzwischen ist es auch eine jahrzehntelang geübte Praxis in der Rechtsprechung des EuGH die den Grundfreiheiten innewohnenden Gewährleistungen  – insbesondere das Diskriminierungsverbot  – auch auf das Ertragsteuerrecht der EU-Mitgliedstaaten anzuwenden. Dieser Allgemeinplatz hat allerdings keinesfalls dazu geführt, dass der deutsche Steuergesetzgeber eine umfassende Anpassung der deutschen Steuerrechtsordnung an die grundfreiheitlichen Gewährleistungen vorgenommen hat. Bereits in den 1990er Jahren kursierten regelmäßig sog. Negativlisten mit potentiell europarechtswidrigen Vorschriften des deutschen Steuerrechts. Gleichwohl ist die Beharrlichkeit des BMF beachtlich sowohl die inzwischen ständige Rechtsprechung des EuGH zum Primärrecht zu ignorieren als auch die ihm auferlegten Vorgaben von sekundärrechtlichen Richtlinien zugunsten des Steuerpflichtigen nur kleinlich und kleinteilig auszulegen bzw. umzusetzen. Umgekehrt gelingt dem deutschen Steuergesetzgeber die Umsetzung von den Steuerpflichtigen belastenden Regelungen in absoluter Rekordgeschwindigkeit; beispielhaft ist die Implementierung der sog. DAC 6 Richtlinie29 über die Meldepflicht von Steuergestaltungen zu nennen, die sich anschickt, unabhängig von der zur Diskussion gestellten überschießenden Anwendung auf rein nationale Sachverhalte, in Deutschland in der Unternehmenspraxis ein weiteres Bürokratiemonster zu erschaffen. Im Ergebnis genauso verhält es sich bei der gewerbesteuerlichen Erfassung von Hinzurechnungsbeträgen und Auslandsdividenden. Die diskriminierungsfreie Anpassung des § 9 Nr. 7 GewStG an den rein inländischen Sachverhalt in § 9 Nr. 2a GewStG wurde vom Gesetzgeber erst auf Geheiß des EuGH vollzogen, obwohl die Rechtsnorm nicht nur materiell, sondern auch verfahrensrechtlich eine offensichtliche Schlechterstellung von grenzüberschreitenden Direktinvestitionen in Drittstaaten außerhalb der EU, welche von der Kapitalverkehrsfreiheit geschützt sind, darstellt. Gleiches gilt für die einkommen- und körperschaftsteuerliche Erfassung von Hinzurechnungsbeträgen gem. § 10 Abs. 2 Satz 1 AStG. Diesbezüglich steht schon seit der 29 Richtlinie (EU) 2018/822 des Rates v. 25.5.2018 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich des verpflichtenden automatischen Informationsaustauschs im Bereich der ­Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen, Abl. L 139/1 v. 5.6.2018.

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Ausländische Hinzurechnungseinkünfte in der gewerbesteuerlichen BMG

sog. Cadbury-Schweppes-Rechtsprechung aus dem Jahr 2006 fest, dass unwiderlegbare Missbrauchsvermutungen im nationalen Ertragsteuerrecht keine Zukunft haben. Auch hier brauchte es eines erneuten EuGH-Urteils aus dem Jahre 2019, um dem deutschen Fiskus zu bescheinigen, dass er in der Sache seit Jahrzehnten danebenliegt. Schlussendlich wird nun auch wieder die Rechtsprechung final klären müssen, ob eine bereits einmal ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung des BFH aus dem Jahre 2015 endlich auch allgemein anzuwenden ist. Die Politik des BMF mit einem sog. Nichtanwendungserlass auf nicht genehme Urteile zu reagieren, führt dabei in diesem konkreten Fall zusätzlich zu der unerfreulichen Nebenfolge, dass im Falle eines erneuten Unterliegens des Bundes die Kommunen mit den zusätzlichen Zinslasten auf die zu erstattende Gewerbesteuer leben müssen. Schlussendlich bleibt festzustellen, dass es nicht verwundern kann, wenn die EU und ihre Institutionen keine Akzeptanz in der Bevölkerung finden, wenn der deutsche Staat die Zeichen der Zeit nicht nur nicht erkennt, sondern einer rechtlichen Integration aktiv und nachhaltig entgegensteuert. Ein bedenklicher Zustand ist diese Geisteshaltung für die europäische Integration. Wenn man – dem Titel der Festschrift folgend – aus der Entstehung eines globalisierten Steuerrechts einen Anspruch und eine Verantwortung der handelnden Legislativ- und Exekutivorgane formulieren mag, dann ist dieses Verständnis bei den handelnden Personen jedenfalls (noch) nicht erkennbar bzw. angekommen. Schließen möchte ich meine Ausführungen mit einem Zitat von der Homepage des BMF aus einem Interview mit dem aktuellen Leiter der Steuerabteilung des BMF:30 „Vor kurzem fand ein großes Steuerforum der Finanzverwaltung statt. Welche Themen standen im Mittelpunkt? Das erste Steuerforum der Finanzverwaltung fand am 17./18. September 2019 statt und wurde vom BMF zusammen mit der Bundesfinanzakademie durchgeführt. Die beiden Tage boten einerseits steuerfachliche Vorträge durch Kolleginnen und Kollegen aus der Finanzverwaltung, der Rechtsprechung und der Wissenschaft. Gleichzeitig schuf es eine einmalige Gelegenheit für den Austausch unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Legislative, Exekutive und Judikative sowie Angehörigen der steuerberatenden Berufe. […] Der zweite Tag war vom internationalen Steuerrecht geprägt. Hier standen die Reform des Außensteuergesetzes, die Besteuerung der digitalen Wirtschaft und die aktuelle Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Fokus. Gerade Letztere ist ein Dauerthema für die Verwaltung. Die sofortige Umsetzung der europäischen Rechtsprechung durch die Finanzverwaltung und gegebenenfalls den Gesetzgeber wird häufig von großer Unsicherheit begleitet. Ein Beispiel sind die sogenannten finalen Verluste. Von diesem Thema haben wohl fast alle in der Finanzverwaltung schon einmal gehört. Eine Übersetzung der verwickelten Rechtsprechung des EuGH in klare Anweisungen für die Finanzverwaltung schien bisher aussichtslos.“

Das von mir hervorgehobene Zitat zeigt deutlich die im Ministerium offensichtlich kursierende Grundhaltung zur Umsetzung der Gewährleistungen des EU-Rechts im 30 Quelle: Bundesfinanzministerium, 25.10.2019, #BMFintern: Dr. Rolf Möhlenbrock im Interview.

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Lars Rehfeld

nationalen Steuerrecht. Eine Übernahme von Verantwortung für die europäische Integration kann darin nicht gesehen werden. Allenfalls der Anspruch die Dinge nur auf Druck der Rechtsprechung zu reparieren. Hier mag sich jeder seinen Teil zur Zukunft eines globalisierten Steuerrechts im gemeinschaftsrechtlichen Kontext denken.

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Erträge und Aufwendungen aus Währungskurssicherungsgeschäften und § 8b KStG Inhaltsübersicht I. Fragestellung II. Beispiel III. Einschlägige Rechtsprechung vor dem 10.4.2019 IV. Das aktuelle Urteil des BFH v. 10.4.2019 – I R 20/16



V. Bedeutung der Entscheidung – geklärte und ungeklärte Fragen

VI. Auswirkungen auf die Fälle des § 8b Abs. 3 Sätze 4 ff. KStG VII. Zusammenfassung

Heinz-Klaus Kroppen ist ein besonderer Steueranwalt mit besonderer Persönlichkeit: Geradeheraus, mit festen Überzeugungen und deshalb auch nicht immer einfach, ­eigenständig und deshalb auch oft „querdenkend“, aber auch verlässlich, sich ver­ antwortlich fühlend und kümmernd. Auch ist er in besonderem Maße international: In Ausbildung und praktischer Tätigkeit haben ihn grenzüberschreitende und glo­ bale fachliche Fragestellungen intensiv geprägt. Deshalb liegt es nahe, zu Ehren von Heinz-Klaus Kroppen, mit dem der Verfasser freundschaftlich verbunden ist, eine international-steuerliche Frage aufzugreifen, die für die Praxis von sehr großer Bedeutung ist, seit vielen Jahren in hohem Maße von Rechtsunsicherheit geprägt ist und durch eine aktuelle Entscheidung des BFH1 eine sehr wichtige Wendung genommen hat: Die Frage des Einbezugs von Erträgen und Aufwendungen aus Währungskurssicherungsgeschäften in den Anwendungsbereich des § 8b KStG.

I. Fragestellung In der Praxis insbesondere größerer multinationaler Konzerne werden nicht selten Investments in Beteiligungen in Nicht-€-Staaten durch Währungskurssicherungsgeschäfte abgesichert. Die Beträge, um die es dabei geht, sind häufig außerordentlich hoch. Exemplarisch dafür stehen revolvierende Devisentermingeschäfte, die bspw. den €-Gegenwert einer Akquisition hinsichtlich des Wechselkursrisikos absichern. Handelsbilanziell werden diese Sicherungsgeschäfte regelmäßig gemeinsam mit der gesicherten Beteiligung in einer Bewertungseinheit gem. § 254 HGB abgebildet. Kommt es bei Beendigung der Bewertungseinheit zu Erträgen oder Aufwendungen aus dem Sicherungsgeschäft, stellt sich die Rechtsfrage der Berücksichtigung von Erträgen und Aufwendungen aus Währungssicherungsgeschäften im Rahmen des § 8b 1 BFH v. 10.4.2019 – I R 20/16, DStR 2019, 2191. 

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Abs. 2 Satz 1 u. 2 KStG bzw. des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG. Dieser Rechtsfrage wird nachstehend nachgegangen.

II. Beispiel2 Die deutsche X-AG hat in 2002 auf US-Basis eine 100 %-Beteiligung an der Y-Inc. erworben. Sie schloss unmittelbar nach Erwerb umfassende Devisentermingeschäfte zur Sicherung des mit der Akquisition verbundenen Wechselkursrisikos ab und bildete handelsrechtlich eine Bewertungseinheit bestehend aus der Beteiligung und den Devisentermingeschäften. Die Devisentermingeschäfte wurden immer wieder revolvierend abgeschlossen; aus ihnen resultierten Gewinne. In 2004 und 2005 wurde die Beteiligung in Tranchen z.T. mit Gewinn und z.T. mit Verlust veräußert. Es bestand von vorneherein Wiederveräußerungsabsicht. X-AG Erwerb auf US-$-Basis in 2002

Verkäufe in 2004/2005 z.T. mit Gewinn, z.T. mit Verlust

Devisentermingeschäfte zur Kurssicherung

Devisentermingeschäfte bis Verkauf revolviert

Bewertungseinheit

Aus Termingeschäften Gewinne

Wiederveräußerungsabsicht Y-Inc.

III.  Einschlägige Rechtsprechung vor dem 10.4.2019 § 8b Abs. 2 Satz 1 u. 2 KStG lautet: „Bei der Ermittlung des Einkommens bleiben Gewinne aus der Veräußerung eines Anteils an einer Körperschaft … außer Ansatz. Veräußerungsgewinn im Sinne des Satzes 1 ist der Betrag, um den der Veräußerungspreis oder der an dessen Stelle tretende Wert nach Abzug der Veräußerungskosten den Wert übersteigt, der sich nach den Vorschriften über die steuerliche Gewinnermittlung im Zeitpunkt der Veräußerung ergibt (Buchwert).“

§ 8b Abs. 3 Satz 3 KStG lautet: „Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit dem in Absatz 2 genannten Anteil entstehen, sind bei der Ermittlung des Einkommens nicht zu berücksichtigen.“ 2 In Anlehnung an das aktuelle Urteil des BFH v. 10.4.2019 – I R 20/16, DStR 2019, 2191. 

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Erträge und Aufwendungen aus Währungskurssicherungsgeschäften und § 8b KStG

Ein Veräußerungsverlust gehört dabei zu den Gewinnminderungen i.S.d. § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG und ist nicht etwa ein negativer Veräußerungsgewinn i.S.d. § 8b Abs. 2 Satz 1 u. 2 KStG.3 Für die Anteile an den Tochterkapitalgesellschaften selbst hat der BFH  – symmetrisch – entschieden, dass wechselkursbedingte Wertänderungen der Anteile in den Gewinn oder Verlust i.S. des § 8b Abs. 2 Satz 1 u. 2 KStG und des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG eingehen4. „Erwirbt eine Körperschaft eine Beteiligung an einer Aktiengesellschaft, führen wechselkursbedingte Wertveränderungen im Veräußerungsfall zu Steuerbilanzgewinnen oder -verlusten bzw. können im Bewertungsfall eine Teilwertabschreibung rechtfertigen. ­Außerbilanzielle Kürzungen oder Hinzurechnungen gemäß § 8b Abs. 2 und Abs. 3 Satz 3 KStG sind dann die zwingende Folge. Dass die realisierten Wertveränderungen wechselkursbedingt sind, rechtfertigt es nicht, sie vom Anwendungsbereich dieser Regelungen auszunehmen. Für eine isolierte steuerliche Behandlung wechselkursbedingter Wertveränderungen ist kein Raum.“ Auch unionsrechtlich sei das wegen der bestehenden Regelungssymmetrie nicht zu beanstanden.

Für Währungskurssicherungsgeschäfte in diesem Zusammenhang hat der BFH aufgrund des wirtschaftlichen Zusammenhangs eine Berücksichtigung von Aufwendungen aus einem Sicherungsgeschäft als Veräußerungskosten i.S.  des §  8b Abs.  2 Satz 2 KStG5 bejaht: „Zwar stehen die Zertifikategeschäfte einerseits und die Aktiengeschäfte andererseits in lediglich wirtschaftlichem Zusammenhang und sind als solche voneinander unabhängige, selbständige Geschäfte. Die Zertifikategeschäfte sind aber von vornherein nur zur „Gegenfinanzierung“ der Veräußerungsgewinne eingegangen worden; sie sind ihrem wirtschaftlichen Sinn nach unmittelbar auf die Veräußerung der Beteiligungen bezogen und machen isoliert gesehen „keinen Sinn“. Die gebotene wertende Zuordnung offenbart sonach eine größere Nähe zu den einzelnen Veräußerungsvorgängen als zum allgemeinen Geschäftsbetrieb, und dementsprechend sind die Verluste aus den kompensatorischen Sicherungsgeschäften Aufwand, um den Veräußerungsgewinn zu erzielen.“

Damit sind die Aufwendungen aus dem Sicherungsgeschäft (was auch für Aufwendungen aus einem Währungssicherungsgeschäft gelten sollte) im Ergebnis nicht (bzw. zu 95 %) steuerlich abzugsfähig. Die Frage nach dem Einbezug von Erträgen aus einem Währungssicherungsgeschäft in den nach § 8b Abs. 2 Satz 1 u. 2 KStG freizustellenden Veräußerungsgewinn (bzw. den nach §  8b Abs.  3 Satz 3 KStG außer Ansatz bleibenden Veräußerungsverlust) hatte dagegen das FG Berlin-Brandenburg als Vorinstanz in dem w.o. geschilderten aktuellen Beispielsfall6 selbst im Fall einer Bewertungseinheit i.S.  des §  5 Abs.  1a EStG verneint. Im Kern argumentierte das Finanzgericht im Einklang mit der Auf3 Vgl. BFH v. 13.10.2010 – I R 79/09, BStBl. II 2014, 943. 4 Vgl. BFH v. 21.9.2016 – I R 63/15, BStBl. II 2017, 357 (Auslassungen etc. im Zitat nicht gekennzeichnet). 5 Vgl. BFH v. 9.4.2014 – I R 52/12, BStBl. II 2014, 861 (Auslassungen etc. im Zitat nicht gekennzeichnet). 6 FG Brandenburg v. 10.2.2016 – 11 K 12212/13, EFG 2016, 1629.

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fassung der Finanzverwaltung7, dass Bewertungseinheiten nur für die steuerliche Gewinnermittlung, nicht aber für die Einkommensermittlung maßgeblich seien. „Bewertungseinheiten sind zwar für die steuerliche Gewinnermittlung, nicht aber für die Einkommensermittlung maßgeblich. § 8b Abs. 2 KStG kommt die Funktion zu, für die Ermittlung des steuerpflichtigen Einkommens bestimmte Korrekturen an dem vom Körperschaftsteuerpflichtigen erzielten Gewinn vorzunehmen, indem die Vorschrift bestimmte Teile des Gewinns vom steuerpflichtigen Einkommen ausnimmt. Welche Teile des Gewinns dies betrifft, entscheidet sich indes allein nach § 8b KStG, nicht aber nach § 254 HGB in Verbindung mit § 5 Abs. 1a EStG.“8

Im Ergebnis waren damit nach Auffassung des FG Berlin-Brandenburg die Erträge aus dem Sicherungsgeschäft voll steuerpflichtig. Eine Regelungssymmetrie mit dem Fall von Aufwendungen aus dem Sicherungsgeschäft sei, so das FG Brandenburg, nicht geboten. Der BFH hatte diese Frage indes noch nicht entschieden. Im Urteil vom 6.3.20139, nach dem eine vereinnahmte Stillhalterprämie aus einem Optionsgeschäft, das als Sicherungsgeschäft mit Anteilen zu einer Bewertungseinheit zusammengefasst war, bei Ausübung der Option und Veräußerung der Anteile nicht unter die Steuerfreistellung fällt, war diese Frage nicht entscheidungserheblich. Der BFH hatte die Anwendung des § 8b Abs. 2 KStG vielmehr verneint, weil die Einräumung von Optionsrechten keine Veräußerung von Anteilen darstellt.

IV.  Das aktuelle Urteil des BFH v. 10.4.2019 – I R 20/16 Der BFH urteilte nun zu dem unter II. geschilderten Beispielsfall wie folgt:10 „Welchen Einfluss eine steuerbilanziell anzuerkennende Bewertungseinheit bei Beendigung der Bewertungseinheit durch Erfüllung des Grund- und des Sicherungsgeschäfts (hier: durch Veräußerung der Aktien und Ausführung der Devisentermingeschäfte) auf die steuerliche Gewinn- bzw. Einkommensermittlung hat, wird unterschiedlich beurteilt (…). Der Senat hält es – jedenfalls für die Zeit vor Geltung des § 5 Abs. 1a EStG n.F. – für zutreffend, dass die Regelungen des § 8b Abs. 2 KStG jeweils isoliert auf die in die Bewertungseinheit einbezogenen Wirtschaftsgüter anzuwenden sind. Verluste aus Devisentermingeschäften, die ausschließlich zum Ausschluss bzw. zur Minderung des Währungskursrisikos einer konkret geplanten, in Fremdwährung abzuwickelnden Anteilsveräußerung abgeschlossen worden sind, mindern als Bestandteil der Veräußerungskosten i.S. von § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG den Veräußerungsgewinn. Eine „asymmetrische“ Einbeziehung nur von Verlusten aus zur Währungskurssicherung abgeschlossenen Geschäften, nicht aber von spiegelbildlichen Gewinnen in die Steuerfreistellung nach § 8b Abs. 2 KStG würde die Kapitalverkehrsfreiheit beschränken, weil sie einen poten­ tiellen Anleger davon abhalten könnte, in ausländische Beteiligungen zu investieren… 7 Vgl. BMF v. 25.8.2010, DB 2010, 2024. 8 FG Brandenburg, a.a.O. (Auslassungen etc. im Zitat nicht gekennzeichnet). 9 BFH v. 6.3.2013 – I R 18/12, BStBl. II 2013, 588. 10 BFH v. 10.4.2019 – I R 20/16, DStR 2019, 2191 (Reihenfolge der Textpassagen z.T. geändert).

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Erträge und Aufwendungen aus Währungskurssicherungsgeschäften und § 8b KStG Bei der Bemessung des nach § 8b Abs. 2 Satz 1 KStG steuerfreien Veräußerungsgewinns aus einem in Fremdwährung abgewickelten Anteilsverkauf ist (deshalb) der Ertrag aus einem Devisentermingeschäft, das der Veräußerer vor der Veräußerung zum Zweck der Minimierung des Währungskursrisikos in Bezug auf den Veräußerungserlös abgeschlossen hat, als Bestandteil des Veräußerungspreises i.S. des § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG gewinnerhöhend zu berücksichtigen…“

Der BFH erkennt also zwar einerseits keinen Einfluss einer steuerbilanziell anzuerkennenden Bewertungseinheit bei Beendigung der Bewertungseinheit durch Erfüllung des Grund- und des Sicherungsgeschäfts (hier: durch Veräußerung der Aktien und Ausführung der Devisentermingeschäfte) auf die steuerliche Gewinn- bzw. Einkommensermittlung jedenfalls für die Zeit vor Geltung des § 5 Abs. 1a EStG.11 Auf der anderen Seite sind aber nach seiner Auffassung Erträge aus Devisentermingeschäften bei der Berechnung des nach § 8b Abs. 2 Satz 1 KStG steuerfreien Veräußerungsgewinns aus dem Verkauf der Anteile zu berücksichtigen, wenn und soweit die Devisentermingeschäfte tatsächlich zur Abwendung des Währungskursrisikos in Bezug auf die zu erwartenden Verkaufserlöse abgeschlossen und deshalb hierdurch veranlasst gewesen sind (Teil des Veräußerungspreises). Das folge daraus, dass Verluste aus Währungskurssicherungsgeschäften als Bestandteil der Veräußerungskosten den Veräußerungsgewinn mindern können; dann müssten im Rahmen des §  8b Abs.  2 KStG aber auch Gewinne aus diesen Geschäften ­gewinnerhöhend berücksichtigt werden können („Symmetrie“).12/13 Auch unions11 S. dazu auch näher w.u. unter V. 12 Zwar seien Devisengeschäfte, mit denen der Veräußerer den Anteilskaufpreis absichert, nach dem Urteil des BFH v. 2.4.2008 – IX R 73/04, BFH/NV 2008, 1658, im Rahmen der Bemessung des Veräußerungspreises nach § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG „irrelevant“ (was zweifelhaft sei, weil ein auf die Absicherung des Fremdwährungskaufpreises eines bestimmten Veräußerungsgeschäfts gerichtetes Währungssicherungsgeschäft aus Sicht des Veräußerers letztlich dazu diene, den inländischen Gegenwert des Veräußerungspreises durch Herausnahme des Währungskursrisikos zu fixieren, auch wenn das Sicherungsgeschäft nicht mit dem Vertragspartner des Veräußerungsgeschäfts, sondern mit einem unabhängigen Dritten abgeschlossen worden sei). Darauf komme es hier aber nicht an. Denn unabhängig davon sei jedenfalls § 8b Abs. 2 KStG dahin auszulegen, dass der Ertrag aus einem Währungskurssicherungsgeschäft bei der Berechnung des steuerfreien Veräußerungsgewinns als Bestandteil des Veräußerungspreises zu berücksichtigen sein könne. 13 Auch in anderen Zusammenhängen habe der BFH Veräußerungen und Währungskurssicherungsgeschäfte als wirtschaftliche Einheiten gewertet (z.B. BFH v. 22.6.2011  – I R 103/10, BStBl II 2012,115, zur Berücksichtigung eines Währungstermingeschäfts im Rahmen der Ermittlung der ausländischen Einkünfte nach § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG). Der relevante Veranlassungszusammenhang lasse sich auch aus der Bestimmung des § 15 Abs. 4 Satz 2 ff. EStG ableiten. Das dort geregelte Verlustausgleichs- und -abzugsverbot gelte nämlich gemäß § 15 Abs. 4 Satz 4 EStG u.a. dann nicht, wenn die Termingeschäfte der Absicherung von Geschäften des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs dienen. Erst der Sicherungszweck des Termingeschäfts und der Zusammenhang mit dem abgesicherten Grundgeschäft führen demnach dazu, dass der Verlust aus dem Termingeschäft steuerlich voll berücksichtigungsfähig ist. Auf Differenzausgleich gerichtete Devisentermingeschäfte, die nicht der Sicherung eines gegenläufigen Grundgeschäfts dienen, seien demgegenüber wirtschaftlich nichts anderes als Wettgeschäfte und aus diesem Grund vom Gesetz (§ 15 Abs. 4 Satz 3

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rechtlich sei eine „symmetrische“ Handhabung von Wechselkurverlusten und -gewinnen geboten. Was den erforderlichen Veranlassungszusammenhang betrifft, so erfordert der Einbezug der Erträge (und Aufwendungen) aus Währungskurssicherungsgeschäften in den Anwendungsbereich des § 8b Abs. 2 und 3 KStG nach Auffassung des BFH eine größere Nähe zum Veräußerungsvorgang als zum laufenden Gewinn.14

V.  Bedeutung der Entscheidung – geklärte und ungeklärte Fragen Entscheidend ist zunächst, dass der BFH in seinem beschriebenen aktuellen Urteil aufgrund des Veranlassungszusammenhangs nunmehr nicht nur eine Berücksichtigung der Aufwendungen aus dem Sicherungsgeschäft als Veräußerungskosten i.S.d. § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG bejaht,15 sondern den gleichen Veranlassungszusammenhang auch im Fall von Erträgen aus dem Sicherungsgeschäft für möglich hält. Dies macht die enorme praktische Bedeutung der Entscheidung aus. Sowohl in diesem Sinne qualifizierende Aufwendungen als auch Erträge sind danach bei der Ermittlung des Gewinns bzw. Verlustes i.S. des § 8b Abs. 2 KStG bzw. des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG zu berücksichtigen. Diese Auslegung führt zu einem konsistenten System der Berücksichtigung von gegenläufigen Effekten aus Währungssicherungsgeschäften im Rahmen des § 8b Abs. 2 u. 3 KStG.16 Trotzdem lässt die Entscheidung des BFH noch viele praktisch sehr relevante Fragen offen. Einige dieser Fragen und die aus Sicht des Verfassers naheliegenden Antworten werden nachstehend skizziert. Konkretisierung des erforderlichen Veranlassungszusammenhangs Es ist nach Einschätzung des Autors noch nicht ausreichend klar, wie der erforder­ liche Veranlassungszusammenhang genau zu verstehen ist. Der BFH formuliert, wie bereits erwähnt, dass der Einbezug der Erträge (und Aufwendungen) aus Währungskurssicherungsgeschäften in den Anwendungsbereich des §  8b Abs.  2 und 3 KStG eine größere Nähe zum Veräußerungsvorgang als zum laufenden Gewinn erfordert. Der BFH ergänzt, dass der erforderliche Veranlassungszusammenhang zwischen Grund- und Sicherungsgeschäft in der Konstellation eines „antizipativen“ Siche-

EStG) mit den steuerlichen Verlustausgleichs- und Verlustabzugsbeschränkungen sanktioniert worden. 14 S. dazu auch näher w.u. unter V. 15 Vgl. BFH v. 9.4.2014 – I R 52/12, BStBl. II 2014, 861. 16 S. zu diesem grundsätzlichen Verständnis auch z.B. Drüen, DK 2019, 156; Schnitger, IStR 2019, 965; Rödder/Schumacher, DStR, 2018, 705; Herlinghaus in Rödder/Herlinghaus/Neumann, 2015, § 8b KStG Rz. 244.

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rungsgeschäfts17 nur gegeben sei, wenn der Zweck der Devisentermingeschäfte ausschließlich auf Minimierung des Währungskursrisikos in Bezug auf die konkret erwarteten Veräußerungserlöse ausgerichtet war („Micro Hedges“); unspezifische globale Absicherungen für Währungskursrisiken einer Vielzahl von Grundgeschäften („Macro“- oder „Portfolio Hedges“) seien in diesem Zusammenhang nicht zu berücksichtigen. Dazu ist zunächst festzuhalten, dass es in der Praxis verschiedene Arten von Sicherungszusammenhängen i.Z.m. Nicht-€-Auslandsbeteiligungen gibt. Neben dem Sicherungszusammenhang im o.a. Beispielsfall (antizipative Absicherung der kompletten Anschaffungskosten und damit des kompletten Beteiligungsbuchwerts) können die Beteiligungsbuchwerte bspw. auch nur teilweise abgesichert werden,18 dies kann auch nach Akquisition erfolgen, oder es werden nur die Dividendenforderungen abgesichert. Auch kann bspw. eine konkret erwartete Forderung aus einer Veräußerung abgesichert werden. Beim Micro-Hedging wird ein Risiko durch ein einzelnes Gegenrisiko neutralisiert. Beim Macro-Hedging bzw. Portfolio-Hedging geht es um Absicherung mehrerer gleichartiger Risiken durch ein oder mehrere Sicherungsinstrumente.19 Der erforderliche Veranlassungszusammenhang setzt, wenn man die Auffassung des BFH zugrunde legt, einerseits jedenfalls bei einer antizipativen Sicherung das Vorliegen eines Micro-Hedges voraus. Zum anderen müssen konkret erwartbare Veräußerungserlöse abgesichert werden, was offensichtlich auch der Fall sein soll, wenn in Höhe des Beteiligungsbuchwerts ganz oder anteilig künftige erwartete Veräußerungserlöse abgesichert werden. Der BFH formuliert im Tatbestand: „Die im Jahr 2002 (vor Erwerb) abgeschlossenen und zwischenzeitlich mehrmals verlängerten (revolvierenden) Kurssicherungsgeschäfte ermöglichten es der X-AG, den in US-Dollar vereinnahmten Kaufpreis zu den in den Devisentermingeschäften vorab festgelegten Umtauschkursen in Euro zu tauschen.“20 Eine konkrete Wiederverkaufsabsicht schon bei Akquisition der Beteiligung und Abschluss des Sicherungsgeschäfts, wie das im BFH-Urteilsfall der Fall war, ist für die Bejahung des ausreichenden Veranlassungszusammenhangs nach Auffassung des Verfassers danach nicht erforderlich. Die größere Nähe zu einem künftigen Veräußerungsvorgang ist auch dann gegeben, wenn der Wille zur Aufrechterhaltung der Sicherungsbeziehung bis zu einer Veräußerung dokumentiert ist, ohne dass schon eine konkrete Veräußerungsabsicht besteht. Dies sollte bspw. durch die dokumentierte

17 Eine antizipative Absicherung ist eine solche einer mit hoher Wahrscheinlichkeit erwarteten Transaktion. 18 In der Praxis eher selten ist die Devisenkurssicherung des Marktwerts einer Beteiligung. 19 Hennrichs in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl., § 9 Rz. 273. 20 A.a.O. (Klammerzusatz ergänzt).

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Absicht zum Ausdruck gebracht werden können, die Sicherungsgeschäfte bis zu einer Veräußerung der Beteiligung (des Grundgeschäfts) aufrechtzuerhalten.21 Eine Veranlassung in diesem Sinne ist dagegen nicht gegeben, wenn nur künftige oder bereits entstandene Dividendenforderungen abgesichert werden. Insoweit stellt sich allerdings ähnlich die Frage, ob die (i.d.R.) zu 95 % steuerbefreiten Dividenden­ erträge durch die Erträge oder Aufwendungen aus dem Sicherungsgeschäft beeinflusst werden oder ob das nicht der Fall ist.22 Die pauschale Aussage des BFH, dass in Fällen von Macro- oder Portfolio-Hedges der erforderliche Veranlassungszusammenhang nicht gegeben sei, teilt der Verfasser so nicht. Auch insoweit kommt es auf den Einzelfall an. Werden z.B. drei erworbene Nicht-€-Auslandsbeteiligungen gemeinsam durch Devisentermingeschäfte im vorstehend erläuterten Sinne abgesichert, kann der erforderliche Veranlassungszusammenhang offensichtlich auch gegeben sein.23 Der erforderliche Veranlassungszusammenhang ist nach hier vertretener Auffassung auch dann gegeben, wenn die bilanziellen Folgen hinsichtlich des Anteils in einem anderen Wirtschaftsjahr eintreten als die bilanziellen Folgen des Währungssicherungsgeschäfts. Denn die Ermittlung des Gewinns oder Verlusts gem. § 8b Abs. 2 u. 3 KStG erfolgt bezogen auf den Veräußerungszeitpunkt.24 Bedeutung von § 254 HGB i.V.m. § 5 Abs. 1a S. 2 EStG Der BFH hat es jedenfalls für die Zeit vor Einführung des §  254 HGB i.V.m. §  5 Abs.  1a S.  2 EStG abgelehnt, dass schon aus der Einbeziehung des Sicherungsgeschäfts in eine Bewertungseinheit mit der Beteiligung25 der Einbezug der Erträge aus dem Sicherungsgeschäft in den Anwendungsbereich des §  8b Abs.  2 KStG folge. Fraglich ist, ob das für die Zeit nach Einführung des § 254 HGB i.V.m. § 5 Abs. 1a S. 2 EStG anders zu sehen sein könnte. Der BFH führt zur alten Rechtslage Folgendes aus: „Welchen Einfluss eine steuerbilanziell anzuerkennende Bewertungseinheit bei Beendigung der Bewertungseinheit durch Erfüllung des Grund- und des Sicherungsgeschäfts (hier: durch Veräußerung der Aktien und Ausführung der Devisentermingeschäfte) auf die steuerliche Gewinn- bzw. Einkommensermittlung hat, wird unterschiedlich beurteilt. Nach Auffassung der 21 Zu ähnlichen Überlegungen bzgl. der Anforderung der Fristenkongruenz an eine Bewertungseinheit s. Hennrichs, WPg 2010, 1186.  22 S. dazu z.B. Teiche, DStR 2014, 1737; Schnitger, IStR 2019, 965.  23 Wenn z.B. bei einer solchen Absicherung mehrerer Beteiligungen die Absicht dokumentiert ist, die Sicherungsgeschäfte bis zur Veräußerung der Grundgeschäfte aufrechtzuerhalten und bei Veräußerung bspw. einer Beteiligung den Umfang der Sicherungsgeschäfte entsprechend anzupassen. 24 Vgl. BFH v. 12.3.2014 – I R 55/13, BStBl II 2015, 658. 25 S. dazu grundlegend PwC, Derivative Finanzinstrumente in Industrieunternehmen, 4. Aufl. 2008, S. 184 f. S. auch Hennrichs, WPg 2010, 1186 ff.

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Erträge und Aufwendungen aus Währungskurssicherungsgeschäften und § 8b KStG Vorinstanz, des FG Düsseldorf26, der Finanzverwaltung27 und eines Teils der Literatur28 hat die bilanzielle Bewertungseinheit Bedeutung lediglich für die Bewertung der Wirtschaftsgüter. Würden Verluste und Gewinne tatsächlich realisiert, seien diese Vorgänge nicht mehr unter Bewertungs-, sondern unter Realisationsgesichtspunkten zu beurteilen. Außerdem seien vom Regelungsbereich der Bewertungseinheiten die Gewinnermittlung, die Einkommensermittlung und die Verlustverrechnung, insbesondere auch § 8b KStG, strikt zu trennen, da diese Regelungen auf tatsächliche Betriebsvermögensmehrungen und -minderungen abstellten. Andere halten es für sachgerecht und geboten, § 8b Abs. 2 KStG nicht auf die einzelnen Elemente der Bewertungseinheit, sondern auf deren Ergebnis im Ganzen anzuwenden29. Der Senat hält – jedenfalls für die Zeit vor Geltung des § 5 Abs. 1a EStG n.F. – die erstgenannte Auffassung für zutreffend. Die über § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG für die steuerliche Gewinnermittlung maßgeblichen handelsrechtlichen GoB haben vor Geltung des § 254 HGB die Bildung von Bewertungseinheiten nur erlaubt, wenn die strikte Befolgung des Einzelbewertungsgrundsatzes (§ 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB) i.V.m. dem Imparitätsprinzip des § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB dazu führen würde, dass ein den tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen des Unternehmens widersprechendes Bild entsteht. Insofern erschöpfen sich Bedeutung und Wirkung der Bewertungseinheit darin, dass für Zwecke des Betriebsvermögensvergleichs während des fortdauernden Risikoausschlusses zwischen noch nicht realisiertem Grundgeschäft und ebenfalls noch schwebendem Sicherungsgeschäft die allgemeinen Bilanzierungsgrundsätze (insbesondere der Einzelbewertungsgrundsatz sowie das Realisations- und Imparitätsprinzip) suspendiert werden. Ist jedoch der Sicherungsverbund aufgrund der Realisierung des Grund- und/ oder des Sicherungsgeschäfts beendet, entfällt damit zugleich der Grund für den Verzicht auf die imparitätische Bewertung30. Dafür, dass die Bewertungseinheit über die zeitweilige Suspendierung des bilanzrechtlichen Imparitätsgrundsatzes hinaus auch auf die Ermittlung des steuerlichen Veräußerungsgewinns im Rahmen des § 8b Abs. 2 KStG – mithin auf die Ebene der außerbilanziellen Korrektur des Steuerbilanzgewinns  – einwirken könnte, bedürfte es einer gesetzlichen Grundlage, die in §  5 Abs.  1 Satz 1 EStG (i.V.m. den handelsrechtlichen GoB) nicht gesehen werden kann.“

Dies könnte nun anders sein. Im Fall von in eine Bewertungseinheit nach § 254 HGB i.V.m. § 5 Abs. 1a S. 2 EStG einbezogenen Nicht-€-Auslandsbeteiligungen und Devisentermingeschäften ist nach Auffassung des IDW auch die Beendigung der Sicherungsbeziehung erfolgsneutral über § 254 HGB i.V.m. § 5 Abs. 1a S. 2 EStG zu behandeln, weil es sich bei dem Grund- und Sicherungsgeschäft auch noch im Zeit­punkt der Beendigung der Sicherungsbeziehung um Komponenten der Bewertungs­einheit

26 Urteil v. 13.12.2011 − 6 K 1209/09 F, EFG 2012, 1496. 27 BMF v. 25.8.2010, DB 2010, 2024; Verfügung der OFD Frankfurt v. 22.3.2012, DStR 2012, 1389. 28 Der BFH zitiert u.a. Drüen in Großkomm. HGB, 5. Aufl., § 254 Rz 13. 26; Blümich/Krumm, § 5 EStG Rz 239; Meinert, DStR 2017, 1447, 1451 f.; Schnitger in Schnitger/Fehrenbacher, KStG, 2. Aufl., § 8b Rz 287; Herzig/Briesemeister, Ubg 2009, 157, 160, jeweils zu § 5 Abs. 1a EStG n.F. 29 Der BFH zitiert z.B. Hahne, StuB 2008, 181, 184 ff.; Glaser/Kahle, Ubg 2015, 113, 117; Hick in Herrmann/Heuer/Raupach, § 5 EStG Rz 1738; Teiche, DStR 2014, 1737, 1739, wiederum jeweils zu § 5 Abs. 1a EStG n.F. 30 Der BFH zitiert z.B. Drüen in Großkomm HGB, 5. Aufl., § 254 Rz 13; Meinert, DStR 2017, 1447, 1452; Blümich/Krumm, § 5 EStG Rz 239.

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handelt. 31/32 Die Beteiligung wird durch das Sicherungsgeschäft mit einem gegenüber den ursprünglichen Anschaffungskosten veränderten Buchwert aus der Bewertungseinheit entlassen. Dann aber entstehen aus der Beendigung des Sicherungsgeschäfts buchtechnisch überhaupt keine Erträge oder Aufwendungen. Dies könnte nicht nur für die Handelsbilanz, sondern – wegen der in § 5 Abs. 1a S. 2 EStG insoweit geregelten konkreten Maßgeblichkeit  – auch für die steuerliche Gewinner­ mittlung gelten. Denn der Gesetzgeber wollte mit der Einführung des §  5 Abs.  1a EStG eine Differenzierung von Handels- und Steuerrecht im Bereich der Bewertungseinheiten gerade vermeiden.33 Für den effektiven Teil der Bewertungseinheit käme dann eine steuerwirksame Auflösung von Grund- und Sicherungsgeschäft und eine Separierung der bspw. von § 8b KStG erfassten Bestand­teile der Bewertungseinheit nicht in Betracht. Nach der hier vertretenen Einschätzung ist es zwar nicht sehr wahrscheinlich, dass der BFH so urteilen wird, wenn man seine vorstehenden Urteilsausführungen liest und in Rechnung stellt, dass er wesentlich Literatur zu § 5 Abs. 1a EStG n.F. zitiert. Richtig wäre eine ablehnende Entscheidung des BFH nach Auffassung des Verfassers aus den beschriebenen Gründen aber nicht.34 Es ist auch unzutreffend, dass der BFH sich auch in diesem Zusammenhang nur mit dem Begriff des Veräußerungspreises, nicht dagegen mit dem Begriff des Buchwerts i.S.v. § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG beschäftigt hat. Der Buchwert der Anteile ist ebenfalls Bestandteil des Veräußerungsgewinns i.S.d. § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG. Der Gesetzeswortlaut ist insoweit eindeutig. Und: Im Fall einer Bewertungseinheit wird nach den in §  5 Abs.  1a EStG zum Ausdruck kommenden Vorschriften über die steuerliche Gewinnermittlung im Zeitpunkt der Veräußerung der Buchwert unter bestimmten Voraussetzungen wie erläutert erfolgsneutral durch das Ergebnis des Sicherungsgeschäfts gemindert.35 31 Vgl. IDW RS HFA 35, IDW-FN 2011, 445, Tz. 86 f. Buchungstechnisch werden handelsrechtlich die sog. Einfrierungsmethode (bei der die Werte der gesicherten Positionen eingefroren und nicht entsprechend der Währungskurs­änderung angepasst werden) oder die sog. Bruttomethode (bei der die Wertänderungen beiderseits durchgebucht werden, wodurch sie sich im Ergebnis saldieren) als zulässig angesehen. Der Zwecksetzung des § 254 HGB, wonach das gesicherte Risiko nicht ergebniswirksam werden soll, entspricht es dabei am besten, wenn die Effekte ohne Be­rührung der GuV verarbeitet werden (vgl. IDW RS HFA 35, IDW-FN 2011, 445 Tz. 81; Hennrichs, WPg 2010, 1188 f.). Dass dies handelsrechtlich nicht nur während der Dauer der Sicherungsbe­ziehung, sondern auch noch bei deren Beendigung gilt (s. auch Hennrichs, WPg 2010, 1191 f.), wird damit begründet, dass anderenfalls, also bei er­ folgswirksamer Abrechnung der Bewertungseinheit, deren Zweck (Erfolgsneutrali­tät der gegenläufigen Wertänderungen) am Ende doch verfehlt würde. 32 Vgl. auch BT-Drucks. 16/10067, 59. 33 BT-Drucks. 16/634, 10. 34 S.  auch das eine Bewertungseinheit zwischen Verpflichtung aus einer Umtauschanleihe und Aktiendeckungsbestand akzeptierende Urteil BFH v. 27.3.2019 – I R 20/17, DStR 2019, 1963. S. dazu auch Meinert, DStR 2019, 2561; kritisch zu der BFH-Entscheidung Briesemeister/Dinkelbach, StuB 2019, 891. 35 S. auch Rödder/Schumacher, DStR 2018, 705. Erneut Hinweis auch auf IDW RS HFA 35, IDW-FN 2011, 445, Rz. 86 f.

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Zumindest aber gilt, und dies scheint dem Verfasser besonders bedeutend zu sein:36 Wird die der Bewertungseinheit zugrundeliegende Sicherungsbeziehung in vorstehendem Sinne so motiviert und die entsprechende Sicherungsabsicht und Designa­ tion der Sicherungsbeziehung so dokumentiert, dass das Sicherungsgeschäft bis zu einer Veräußerung des Grundgeschäfts (der Beteiligung) durchgehalten werden soll, dann sollte die Bewertungseinheit auch unabhängig von der soeben diskutierten Frage auch den vom BFH geforderten Veranlassungszusammenhang zwischen Sicherungsgeschäft und dem § 8b KStG unterfallenden Veräußerungsvorgang dokumentieren.37 Erträge und Aufwendungen bei Prolongation der Sicherungsgeschäfte Fraglich ist weiter, ob Zahlungen aus der „Zwischenabrechnung“ des Sicherungsgeschäfts im Zusammenhang mit einer revolvierenden Prolongation des Sicherungsgeschäfts steuerlich erfolgsneutral im Rahmen der Bewertungseinheit oder erfolgswirksam nach dem Einzelbewertungsgrundsatz abzubilden sind. Nach hier vertretener Ansicht führt eine Zwischenabrechnung mit Prolongation der Sicherungsbeziehung nicht nur handelsrechtlich nicht zur Realisation von Gewinnen oder Verlusten.38 Vielmehr gilt dies über den Maßgeblichkeitsgrundsatz auch für die Steuerbilanz (§ 5 Abs. 1a Satz 2 EStG). Auch in dem vom BFH entschiedenen aktuellen Fall sind die Devisentermingeschäfte revolvierend vorgenommen worden, ohne dass dies der BFH besonders proble­ matisiert hätte. Dies ist auch zutreffend. Wenn der Veranlassungszusammenhang zwischen Sicherungsgeschäft und Veräußerung der Beteiligung im vorstehend beschriebenen Sinne gegeben ist, dann gilt das nicht nur, wie bereits erläutert, Wirtschaftsjahr-übergreifend. Es gilt auch bei revolvierender Prolongation des Sicherungsgeschäfts. Beendigung nur des Sicherungsgeschäfts Fraglich ist auch, wie der erforderliche Veranlassungszusammenhang zu verstehen bzw. ob eine Bewertungseinheit für steuerliche Zwecke rückwirkend nicht anzuerkennen ist, wenn nur das Sicherungsgeschäft beendet wird, nicht aber auch gleichzeitig das Grundgeschäft (die Nicht-€-Auslandsbeteiligung) veräußert wird.

36 S. auch Drüen, DK 2019, 167. 37 Dagegen meint Meinert, DStR 2019, 2561, ohne weitere Differenzierung, die Anforderungen an den Veranlassungszusammenhang seien strenger als die an eine Bewertungseinheit. 38 Siehe auch IDW RS HFA 35, IDW-FN 2011, 445, Rz. 32, 82, 84; Hick in Herrmann/Heuer/ Raupach, § 5 EStG, Rz. 1737; Hennrichs, WPg 2010, 1189 f. A.A. Herzig/Briesemeister, Ubg 2009, 159. 

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Es ist naheliegend und wahrscheinlich, dass in diesen Fällen die (ggf. aufgelaufenen) Erträge und Aufwendungen aus dem Sicherungsgeschäft unabhängig von § 8b KStG steuerlich zu erfassen sind. 39 Dabei ist es nach hier vertretener Auffassung gut vertretbar, dass im Falle der Beendigung eines prolongierten Sicherungsgeschäfts mit zahlungswirksamen Zwischenabrechnungen ohne gleichzeitige Beendigung des Grundgeschäfts, wenn bis dahin die Bewertungseinheit zu bejahen war (die Beendigung des Sicherungsgeschäfts aus neuen wirtschaftlichen Gründen erfolgt), nur der veranlagungszeitraumübergreifende Saldo aus den Zwischenabrechnungen und der Endabrechnung des Sicherungsgeschäfts „normal“40 der Ertragsbesteuerung unterworfen wird. Beendigung nur des Grundgeschäfts Auch die Veräußerung nur der Beteiligung bei Aufrechterhaltung des Sicherungsgeschäfts führt zu einer nachfolgenden isolierten Bewertung des Sicherungsinstruments nach allgemeinen Grundsätzen. Der Buchwert des veräußerten Grund­ geschäfts und des Sicherungsgeschäfts werden korrespondiert angepasst.41 Im Sonderfall eines Verkaufs einer Nicht-€-Beteiligung bei gleichzeitiger Akquisition einer neuen entsprechenden Beteiligung mit entsprechendem „Übertrag“ des Sicherungsgeschäfts und der Sicherungsbeziehung sollte die Wertung steuerlich wie eine gleichzeitige Beendigung des ersten Grundgeschäfts gemeinsam mit dem Sicherungsgeschäft und die Etab­lierung einer neuen entsprechenden Sicherungsbeziehung mit dem neuen Grundgeschäft sein. Ein Sonderfall ist außerdem die Einbringung einer gesicherten Beteiligung. Wegen der Rechtsträgerbezogenheit des Ertragsteuerrechts ist einerseits davon auszugehen, dass in diesem Fall ein relevanter Sicherungszusammenhang nicht mehr gegeben sein kann, er also mit der Einbringung endet. Andererseits ist aber auch eine Buchwerteinbringung eine Veräußerung, so dass sich die Frage stellt, ob der Buchwert der Beteiligung durch die bis dahin aufgelaufenen Erträge und Aufwendungen aus dem Sicherungsgeschäft beeinflusst bleibt oder die Erträge und Aufwendungen aus dem Sicherungsgeschäft „normal“ (saldiert; s.o.) besteuert werden müssen. Letzteres ist wahrscheinlich. Rechtsfolgen, wenn der erforderliche Veranlassungszusammenhang nicht gegeben ist Gewinne aus der Abrechnung des Währungskurssicherungsgeschäfts würden dann, wenn der erforderliche Veranlassungszusammenhang nicht gegeben ist, der normalen Besteuerung mit Körperschaft- und Gewerbesteuer unterliegen, während Wäh39 S.  dazu auch die kontroverse handelsrechtliche Diskussion bei Hennrichs, WPg 2010, 1191 f. 40 Dazu, was das heißt, s.w.u. 41 S. dazu auch IDW RS HFA 35, IDW-FN 2011, 445, Tz. 88.

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rungskurssicherungsverluste nur im Rahmen von § 15 Abs. 4 Satz 3 EStG abzugsfähig wären. Fraglich ist, ob insoweit Veränderungen eintreten könnten, wenn die ursprünglich gesicherte Beteiligung nach Beendigung des Veranlassungszusammenhangs später doch veräußert wird. Nach hier vertretener Auffassung kann dann ein nachträglicher Einbezug der Erträge bzw. Aufwendungen aus dem Sicherungsgeschäft in § 8b KStG nicht mehr erfolgen.

VI.  Auswirkungen auf die Fälle des § 8b Abs. 3 Sätze 4 ff. KStG Falls – wie von der h.M. vertreten42 – auch Wechselkursänderungen von § 8b Abs. 3 Sätze 4 ff. KStG erfasst werden, gilt Vorstehendes nach hier vertretener Auffassung43 entsprechend hinsichtlich von Fremdwährungsforderungen eines Gesellschafters, die von dieser Regelung erfasst werden. Allerdings sollte eine Gewinnminderung aufgrund einer Wechselkursänderung richtigerweise überhaupt nicht von § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG erfasst werden. Denn die Norm soll nur Gesellschafterdarlehen erfassen, die nicht fremdüblich sind, d.h. gesellschaftsrechtlich veranlasst sind.44 Wechselkursänderungen sind jedoch offenkundig nicht gesellschaftsrechtlich veranlasst, sondern stellen einen exogenen Faktor dar, der von den Beteiligten weder antizipiert noch beeinflusst werden kann. Zudem sind Gewinne aufgrund von Wechselkursänderungen – anders als bei Anteilen – nicht steuerfrei, so dass erhebliche Zweifel an der verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Zulässigkeit einer Versagung der Abzugsfähigkeit von Währungsverlusten bestehen. All dies spricht für eine teleologische Reduktion der Vorschrift.45 Das Problem ist auch an den Gesetzgeber herangetragen worden. Die entsprechende Initiative im Bundesrat hat aber bisher noch nicht zu einer entsprechenden gesetzgeberischen Reaktion geführt.46

VII. Zusammenfassung In der Praxis insbesondere größerer multinationaler Konzerne werden nicht selten Investments in Beteiligungen in Nicht-€-Staaten durch Währungskurssicherungsge42 Vgl. Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 8b KStG Rz. 225 m.w.N. 43 S. auch Rödder/Schumacher, DStR 2018, 705.  44 Vgl. BT-Drs. 16/6290, 73. 45 Vgl. auch Schnitger, IStR 2019, 965; Badde, BB 2019, 347; Niedling/Gsödl, Ubg 2017, 429; Watermeyer in Herrmann/Heuer/Raupach, § 8b KStG Rz. 111; Winhard, IStR 2011, 237; Zinowsky/Jochimsen, DStR 2016, 2839; Buschmann, DB 2015, 1856. 46 S. BR-Drs. 356/1/19: „Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob Gewinnminderungen aufgrund von Wechselkursverlusten im Zusammenhang mit einer Darlehensforderung vom Anwendungsbereich des § 8b Absatz 3 Satz 4 KStG ausgenommen werden können, wenn nachgewiesen wird, dass das Wechselkursrisiko fremdüblich abgesichert worden ist.“

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schäfte abgesichert. Handelsbilanziell werden diese Sicherungsgeschäfte regelmäßig gemeinsam mit der gesicherten Beteiligung in einer Bewertungseinheit gem. § 254 HGB abgebildet. Kommt es bei Beendigung der Bewertungseinheit zu Erträgen oder Aufwendungen aus dem Sicherungsgeschäft, stellt sich die Rechtsfrage der Berücksichtigung von Erträgen und Aufwendungen aus Währungssicherungsgeschäften im Rahmen des § 8b Abs. 2 Satz 1 u. 2 KStG bzw. des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG. Der BFH hat in seinem beschriebenen aktuellen Urteil aufgrund des Veranlassungszusammenhangs nunmehr nicht nur eine Berücksichtigung der Aufwendungen aus dem Sicherungsgeschäft als Veräußerungskosten i.S.d. § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG bejaht, sondern hält den gleichen Veranlassungszusammenhang auch im Fall von Erträgen aus dem Sicherungsgeschäft für möglich. Dies macht die enorme praktische Bedeutung der Entscheidung aus. Sowohl in diesem Sinne qualifizierende Aufwendungen als auch Erträge sind danach bei der Ermittlung des Gewinns bzw. Verlustes i.S. des § 8b Abs. 2 KStG bzw. des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG zu berücksichtigen. Diese Auslegung führt zu einem konsistenten System der Berücksichtigung von gegenläufigen Effekten aus Währungssicherungsgeschäften im Rahmen des § 8b Abs. 2 u. 3 KStG. Trotzdem lässt die Entscheidung des BFH noch viele praktisch sehr relevante Fragen offen. Einige dieser Fragen und die aus Sicht des Verfassers naheliegenden Antworten wurden vorstehend skizziert. Das betrifft die Konkretisierung des erforderlichen Veranlassungszusammenhangs, die Bedeutung von § 254 HGB i.V.m. § 5 Abs. 1a S. 2 EStG, die Behandlung von Erträgen und Aufwendungen bei Prolongation der Sicherungsgeschäfte, bei Beendigung nur des Sicherungsgeschäfts und bei Beendigung nur des Grundgeschäfts sowie die Rechtsfolgen, wenn der erforderliche Veranlassungszusammenhang nicht gegeben ist. Erörtert werden auch die Auswirkungen auf die Fälle des § 8b Abs. 3 Sätze 4 ff. KStG. Der Verfasser hat die Hoffnung, damit auch das Verständnis von Heinz-Klaus Kroppen getroffen zu haben.

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Herausgeberschaften: Kroppen/Gosch/Grotherr/Kraft, DBA-Kommentar ohne Fortsetzungsbezug, NWB, Loseblatt Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Verlag Dr. Otto Schmidt, Loseblatt Aufsätze und Anmerkungen: Kroppen/Dawid/Keil, Die Zukunft der internationalen Verrechnungspreise, in: IWB 2019, S. 590 Kroppen/van der Ham, Kostenumlagen − Requiescat in Pace?, in: Festschrift für Jürgen Lüdicke, Verlag C.H. Beck 2019, S. 421 Kroppen/van der Ham, Die digitale Betriebsstätte, in: IWB 2018, S. 334 Kroppen, § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG − vGA trotz Einhaltung des Fremdvergleichs, in: JbFfSt 2017/2018, S. 942 Kroppen/van der Ham, Neue OECD-Richtlinien zur Gewinnaufteilung bei Vertreterbetriebsstätten, in: IWB 2017, S. 257 Kroppen/Ruhmer-Krell/Sommer, Kostenumlagevereinbarungen, in: IStR 2017, S. 667 Kroppen, Sonderbetriebsausgaben II bei KG-Beteiligung beschränkt Steuerpflichtiger, in: JbFfSt 2016/2017, S. 986 Kroppen, Neues zur Betriebsstätte unter Berücksichtigung der Vorschläge der OECD vom 31.10.2014 und vom 15.5.2015, Nationale und internationale Unternehmensbesteuerung in der Rechtsordnung (Festschrift für Dietmar Gosch zum Ausscheiden aus dem Richteramt), 2016, S. 221 Kroppen/Rasch/Rehfeld, Unternehmerische Tätigkeit im OECD-Musterabkommen, in: NWB 2016, S. 387 Kroppen, Behandlung immaterieller Wirtschaftsgüter unter BEPS – Besteuerung internationaler Unternehmen (Festschrift für Dieter Endres zum 60. Geburtstag), 2016, S. 199 Kroppen, Neues zur Betriebsstätte unter Berücksichtigung der Vorschläge der OECD vom 31.10.2014 und vom 15.5.2015, in: Nationale und Internationale Unternehmensbesteuerung in der Rechtsordnung: Festschrift für Dietmar Gosch zum Ausscheiden aus dem Richteramt München, Verlag C.H. Beck 2016, S. 221 725

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Kroppen/Seer: Dietmar Gosch – Die Ära eines Bundesrichters, in: IWB 2016, S. 1 Kroppen, Aktuelle Fragen aus dem Bilanzsteuerrecht und der Betriebsprüfung, Erscheinungsjahr, in: Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht 2016/2017: Aktuelle steuerrechtliche Beiträge, Referate und Diskussionen der 67. Steuerrechtlichen Jahresarbeitstagung, in: NWB 2016, S. 889 Kroppen, Malta Finanzierungs- und Holdingsgesellschaften und AStG, in: JbFfSt 2015/2016, S. 945 Kroppen/Rasch, Immaterielle Vermögenswerte − Neudefinition des Fremdvergleichsgrundsatzes?, in: IWB 2015, S. 828 Kroppen/Rasch, Funktionsverlagerung & Business Restructuring, in: Verlag Dr. Otto Schmidt 2015, S. 667 Kroppen/Schreiber/Rehfeld, Aktuelle Fragen aus dem Bilanzsteuerrecht und der Betriebsprüfung, in: Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht 2015/2016: Aktuelle steuerrechtliche Beiträge, Referate und Diskussionen der 66. Steuerrechtlichen Jahresarbeitstagung, in: NWB 2015, S. 865 Kroppen, Vertreterbetriebsstätte in komplexen Vertriebsstrukturen, in: JbFfSt 2014/​ 2015, S. 873 Kroppen, Aufteilungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte auf Basis von Personalfunktionen?, in: DER BETRIEB 2014, Heft 38 Kroppen/Eigelshoven, Commentary on German Transfer Pricing, Impressum: Frankfurt, PricewaterhouseCoopers, 2014 Kroppen/Rasch, Country-by-Country Reporting: Die neue Sichtweise der OECD zur Verrechnungspreisdokumentation, in: ISR 2014, S. 358 Kroppen/Dehne/Morlock, Aktuelle Fragen aus dem Bilanzsteuerrecht und der Betriebsprüfung, in: Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht 2014/2015: Aktuelle steuerrechtliche Beiträge, Referate und Diskussionen der 65. Steuerrechtlichen Jahresarbeitstagung, in: NWB 2014, S. 821 Kroppen, Aufteilung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte auf Basis von Personalfunktionen?, in: DER BETRIEB 2014, S. 2134 Kroppen, Internationale Aspekte einer Reform der Unternehmensbesteuerung, in: Erneuerung des Steuerrechts, DStJG Band 37, Verlag Dr. Otto Schmidt 2014, S. 259 Kroppen, Steuerfreistellung für US-Betriebsstätten mit teilweise steuerfreien Einkünften, in: JbFSt 2013/2014, S. 811 Kroppen/Rasch, Zehn Jahre Aufzeichnungspflichten für Verrechnungspreise – Eine Bestandsaufnahme, in: IWB 2013, S. 830 726

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Kroppen, Hin- und Herzahlung statt Forderungsverzicht, in: JbFSt 2012/2013, S. 938 Kroppen/Dawid/Schmidtke, Profit Split, the Future of Transfer Pricing? Arm’s Length Principle and Formulary Apportionment Revisited from a Theoretical and a Practical Perspective, in: Fundamentals of International Transfer Pricing Law and Economics, Springer Verlag 2012, S. 267 Kroppen, Funktionsverlagerung: Rückwirkende Anwendung auf Altfälle?, in: JbFSt 2011/2012, S. 839 Kroppen/Nientimp, Generalthema I: Funktionsverlagerung, in: IStR 2011, S. 650 Kroppen/Nientimp, Erwiderung zu Naumann Seite 835, in: IStR 2011, S. 837 Kroppen, Ertragsteuerliche Organschaft  – Faktische Auflösung  – Übernahme von Verlusten, in: JbFSt 2010/2011, S. 841 Kroppen/Rasch, Anmerkungen zu den Verwaltungsgrundsätzen Funktionsverlagerung vom 13.10.2010, in: IWB 2010, S. 824 Kroppen, Funktionsverlagerung und kein Ende, in: Steuerrundschau des BDI, 06/2010, S. 2 Kroppen/Rasch, Funktionsverlagerung – der nächste Akt – Ergänzung der Escapeklausel des § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG, in: IWB 2010, S. 316 Kroppen/Rasch, Germany’s next step – revision of business relocation rules, in: International Transfer Pricing Journal, 06/2010, S. 4 Kroppen, Business Restructuring und Funktionsverlagerung, in: Brennpunkte im deutschen Internationalen Steuerrecht, Verlag Dr. Otto Schmidt 2010, S. 149 Kroppen, Der „Authorized OECD Approach“ zur Gewinnaufteilung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte, in: Unternehmensbesteuerung, Festschrift für Norbert Herzig, Verlag C.H. Beck 2010, S. 1071 Kroppen, Übertragung eines Verlustvortrages bei Verschmelzung, in: JbFSt 2009/2010, S. 791 Kroppen/Rasch, Regulation on Business Restructuring: Decree-Law on the Relocation of Functions, in: International Transfer Pricing Journal 2009, S. 63 Kroppen/Rasch, German draft administrative principles on business relocations, in: Tax Planning International Transfer Pricing, 10/2009, S. 15 Kroppen/Rasch, Funktionsverlagerung − Entwurf der Verwaltungsgrundsätze (II), in: IWB 2009, F. 3, Deutschland, Gr. 1, S. 2455 Kroppen/Rasch, Funktionsverlagerung – Entwurf der Verwaltungsgrundsätze (I), in: IWB 2009, F. 3, Deutschland, Gr. 1, S. 2439 727

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Kroppen, Funktionsverlagerung nach dem neuen § 1 Abs. 3 AStG, in: Steuerzentrierte Rechtsberatung, Festschrift für Harald Schaumburg, Verlag Dr. Otto Schmidt 2009, S. 857 Kroppen, Fremdvergleichsgrundsatz bei Konzernfinanzierungsgesellschaften, in: ­JbFSt 2008/2009, S. 783 Kroppen/Nientimp, Absonderlichkeiten bei der Funktionsverlagerung, in: IWB 2008, F. 3, Deutschland, Gr. 1, S. 2355 Kroppen/Rasch, Die Funktionsverlagerungsverordnung, in: IWB 2008, F. 3, Deutschland, Gr. 1, S. 2339 Kroppen, EU  – Gemeinsames Verrechnungspreisforum  – Harmonisierungsbestrebungen für Verrechnungspreisvorschriften in der EU, in: Wirtschaftsprüfung im Wandel, Festgabe 100 Jahre Südtreu / Deloitte, Verlag C.H. Beck 2008, S. 515 Kroppen, Wertaufholung und § 50c EStG, in: JbFSt 2007/2008, S. 658 Kroppen/Rasch/Eigelshoven, Die Behandlung der Funktionsverlagerungen im Rahmen der Unternehmenssteuerreform 2008 und der zu erwartenden Verwaltungsgrundsätze-Funktionsverlagerung, in: IWB 2007, F. 3, Deutschland, Gr. 1, S. 2201 Kroppen, Hinzurechnungsbesteuerung von Einkünften aus Kapital, in: Einkommen aus Kapital, DStJG Band 31, Verlag Dr. Otto Schmidt 2007, S. 319 Kroppen, Anschaffungsnebenkosten bei Private Equity Erwerb, in: JbFSt 2006/2007, S. 687 Kroppen, Treuhandmodell bei GmbH und Co. KG, in: JbFSt 2005/2006, S. 679 Kroppen, Neue Entwicklungen bei der Betriebsstätte nach Abkommensrecht, in: Körperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung, Festschrift für Franz Wassermeyer, Verlag C.H. Beck 2005, S. 691 Kroppen, Betriebsstätte  – Quo vadis?, in: IWB 2005, F. 10, International, Gr. 2, S. 1865 Kroppen/Rasch, New German Draft Ordinance on Transfer Pricing Documentation, in: Tax Notes International 2005, S. 197 Kroppen/Rasch, Aufzeichnungspflichten für internationale Verrechnungspreise  – Verwaltungsgrundsätze Verfahren, in: IWB 2005, F. 3, Deutschland, Gr. 1, S. 2113 Kroppen/Rasch, Die Konkretisierung der Aufzeichnungspflichten für internationale Verrechnungspreise in den Verwaltungsgrundsätzen Verfahren, in: IWB 2005, F. 3, Deutschland, Gr. 1, S. 2091

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Kroppen, Verrechnungspreise – Vermeidung von Doppelbesteuerung – Arbeiten des JTPF, in: Aktuelle Entwicklungen im nationalen und internationalen Steuerrecht, Boorberg Verlag 2005, S. 89 Kroppen, Betriebsstättengewinnermittlung, in: IStR 2005, S. 74 Kroppen, Funktionsverlagerung ins Ausland und Hinzurechnungsbesteuerung nach AStG, in: JbFSt 2004/2005, S. 686 Kroppen/Rasch, Ecofin considers draft Transfer Pricing Code of Conduct, in: International Tax Review, 06/2004, S. 46 Kroppen/Rasch, Letter from Ministry of Finance: Cooperation Issues regarding Transfer Pricing, in: International Transfer Pricing Journal 2004, S. 222 Kroppen/Rasch, Das Anwendungsschreiben zum Urteil des BFH vom 17.10.2001, in: IWB 2004, F. 3, Deutschland, Gr. 1, S. 2057 Kroppen/Rasch, Entwurf des Verhaltenskodexes zur effektiven Durchführung des EU-Schiedsübereinkommens, in: IWB 2004, Aktuell 2004, S. 441 Kroppen/Hagemeier, Hinzurechnungsbesteuerung bei neuen Vertriebsstrukturen, in: IWB 2004, F. 3, Gr. 2, S. 1137 Kroppen/Rasch, Interpretation of the Arm’s Length Principle under Art.  9 of the OECD Model Tax Treaty: Does the Arm’s Length Principle Cover Formal Requirements?, in: International Transfer Pricing Journal 2004, S. 26 Kroppen, Finanzierungskosten als Sonderbetriebsausgaben bei mehrstöckigen Personengesellschaften, in: JbFSt 2003/2004, S. 721 Kroppen, Vorsteuerabzug bei der Erschließung von Gewerbegrundstücken durch Projektentwickler, in: JbFSt 2003/2004, S. 709 Kroppen, Sportlerwerbung und deutsche Abzugssteuer, in: JbFSt 2003/2004, S. 679 Kroppen/Rasch, Practical Guidance on Germany’s New Documentation Rules, in: Tax Management Transfer Pricing Report 2003, S. 642 Kroppen/Rasch, Die Aufzeichnungspflichten für internationale Verrechnungspreise, in: IWB 2003, F. 3, Deutschland, Gr. 1, S. 1977 Kroppen/Himmelsbach/Dika, Geplante Strafmaßnahmen bei Verrechnungspreisen nach dem Steuervergünstigungsabbaugesetz, in: IWB 2003, F. 3, Deutschland, Gr. 1, S. 1965 Kroppen/Rasch, Entwurf der Rechtsverordnung zu § 90 Abs. 3 AO vom 12.06.2003, in: IWB 2003, F. 3, Gr. 1, S. 1955

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Kroppen/Rasch, Germany Adopts Transfer Pricing Documentation Requirements and Penalties, Deloitte Touche Tohmatsu Transfer Pricing Alert, 30 April 2003 Kroppen/Rasch, Federal Council to Decide on German Transfer Pricing Documentation Regulations, in: Worldtax Daily, 10 March 2003, 2003-WTD 46-6 Kroppen/Rasch, Germany Modifies Legislation, Uncertain Future Still Lies Ahead, in: Tax Management Transfer Pricing Report 2003, S. 885 Kroppen/Rasch, Das SteVAG und die Dokumentation von Verrechnungspreisen  – Entwurf der Rechtsverordnung im Sinne des § 90 Abs. 3 AO-E, in: IWB 2003, Gr. 1, F. 3, S. 1921 Kroppen/Rasch, US Finanzverwaltung verschärft Verrechnungspreispraxis, in: IWB 2003, Transfer Pricing News, S. 145 Kroppen/Rehfeld, German Transfer Pricing Rules’ Compatability with EC Law: Court’s Rulings Indicate Need for Germany to Make Reforms, in: Tax Management Transfer Pricing Report 2003, S. 786 Kroppen, § 8 Abs. 4 KStG und Anlaufverluste, in: JbFSt 2002/2003, S. 676 Kroppen, Betriebsausgaben/Sonderbetriebseinnahmen bei Leistungen aus Schwestergesellschaften, in: JbFSt 2002/2003, S. 704 Kroppen/Rasch, Germany Introduces Draft Transfer Pricing Documentation and Penalties Legislation, in: Tax Notes International, Worltax Daily, 13 November 2002, 2002-WTD 219-1 Kroppen/Rehfeld, Vereinbarkeit der deutschen Verrechnungspreisvorschriften mit EU-Recht, in: IWB 2002, F. 11a, S. 617 Kroppen/Reis, Neuer Entwurf zu Dokumentationsvorschriften für Verrechnungs­ preise innerhalb der PATA-Länder, in: IWB 2002, F. 10, International, Gr. 2, S. 1623 Kroppen/Rasch/Roeder, German Transfer Pricing on the Move: Legislation, Guidance, in: Tax Management Transfer Pricing Report 2002, S. 835 Kroppen/Rasch/Roeder, German Ministry of Finance Releases Final Regulations on Employee Secondments, in: Tax Notes International 2002, S. 511 Kroppen/Rasch, Die Reformierung der Unternehmensbesteuerung in der Euro­ päischen Union, in: IWB 2002, F. 11, Europäische Gemeinschaften, Gr. 2, S. 495 Kroppen/Rasch, Aktuelle Verrechnungspreisentwicklung in den Niederlanden, in: IWB 2002, F. 5, Niederlande, Gr. 2, S. 351 Kroppen/Rasch/Roeder, Neue Verwaltungsgrundsätze des BMF zur Arbeitnehmer­ entsendung, in: IWB 2002, F. 3, Deutschland, Gr. 1, S. 1821

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Kroppen, Körperschaftsteuer/Umstrukturierung, in: JbFSt 2001/2002, S. 651 Kroppen/Rasch/Roeder, Bedeutende Entscheidung des BFH in Verrechnungspreisfragen, in: IWB 2001, F. 3, Deutschland, Gr. 1, S. 1787 Kroppen/Schnell, New German Regulations on Access to Digital Data During Tax Audits have Transfer Pricing Consequences, in: Tax Notes International 2001, S. 77 Kroppen/Eigelshoven, Keine Dokumentationspflichten bei der Bestimmung von Verrechnungspreisen?, in: IWB 2001, F. 3, Deutschland, Gr. 1, S. 1745 Kroppen/Rasch/Roeder, German Federal Tax Court Issues Landmark Transfer ­Pricing Decision, in: Tax Notes International 2001, S. 1111 Kroppen/Schnell, Verrechnungspreisauswirkungen der neuen Grundsätze zum digitalen Datenzugriff der Finanzverwaltung, in: IWB 2001, F. 3, Gr. 1, S. 1769 Kroppen/Rasch, Zu den Voraussetzungen für die Anwendung des § 1 AStG bei kapitalersetzenden Maßnahmen, in: IWB 2001, Transfer Pricing News, S. 484 Kroppen/Rasch, Die neuen Verrechnungspreisbestimmungen der Niederlande, in: IWB 2001, F. 5, Niederlande, Gr. 2, S. 321 Kroppen/Roeder, Indischer Gesetzentwurf zu Verrechnungspreisen, in: IWB 2001, Transfer Pricing News, S. 275 Kroppen/Eigelshoven, Landmark Federal Tax Court Decision: No Transfer Pricing Documentation Requirements under Tax Law, in: International Transfer Pricing Journal 2001, S. 226 Kroppen/Eigelshoven, Gesetzliche Neuregelung der Verrechnungspreisgrundsätze in Portugal, in: IWB 2001, Transfer Pricing News, S. 171 Kroppen/Roeder, BFH hebt Lizenzurteil auf, in: IWB 2001, Transfer Pricing News, S. 51 Kroppen, Internationales Steuerrecht – Arbeitgeberbegriff nach DBA, in: JbFSt 2000/​ 2001, S. 633 Kroppen, Körperschaftsteuerrecht  – Mehrabführungen bei Organschaft, in: JbFSt 2000/​2001, S. 673 Kroppen/Eigelshoven, Die Bestimmung angemessener Verrechnungspreise mit Hilfe des externen Betriebsvergleichs, in: IWB 2000, F. 3, Deutschland, Gr. 1, S. 1587 Kroppen/Eigelshoven, Internationale Entwicklungen bei Advance Pricing Arrangements, in: IWB 2000, F. 10, International, Gr. 2, S. 1467 Kroppen/Eigelshoven, Argentinien: Neuer Entwurf eines Erlasses zu Verrechnungs­ preisen, in: IWB 2000, Transfer Pricing News, S. 1092 731

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Kroppen/Eigelshoven, German Court Rules on Payments for Trademarks, in: Tax Notes International, Worldtax Daily, 26 July 2000, 2000-WTD 144-9 Kroppen/Roeder, Niederlande planen neue Regeln zu Verrechnungspreisen, in: IWB 2000, Transfer Pricing News, S. 1203 Kroppen/Roeder, Arbeitnehmerentsendung, in: IWB 2000, Transfer Pricing News, S. 979 Kroppen/Eigelshoven/Roeder, Mitwirkungspflichten nach deutschem Steuerrecht vs. Mitwirkungswünsche der deutschen Finanzverwaltung im neuen Entwurf der Verwaltungsgrundsätze, in: IWB 2000, F. 3, Deutschland, Gr. 2, S. 925 Kroppen/Roeder, Erfahrungsbericht des IRS zu Advance Pricing Arrangements, in: IWB 2000, Transfer Pricing News, S. 467 Kroppen/Roeder, Germany Tackles Secondments Issues and Transfer Pricing, in: Tax Management Transfer Pricing Report 2000, S. 434 Kroppen/Eigelshoven, Erweiterung der OECD Richtlinien zu Advance Pricing Arrangements, in: IWB 2000, Transfer Pricing News, S. 163 Kroppen/Eigelshoven, Tax Court Ruling on Transfer Prices and External Gross ­Margin Analyses, in: International Transfer Pricing Journal 2000, S. 156 Kroppen/Eigelshoven, Einführung von Dokumentations- und Bußgeldvorschriften für Verrechnungspreise in Polen, in: IWB 2000, F. 5, Polen, Gr. 2, S. 101 Kroppen/Eigelshoven, BMF-Schreiben zu Verrechnungspreisen, in: IWB 2000, Vorschau und Standpunkte, S. 707 Kroppen, Ausgewählte Fragen zum Betriebsstättenerlass, in: Steuerberaterjahrbuch 1999/2000, S. 137 Kroppen/Kleine, Außensteuerrecht, in: JbFSt 1999/2000, S. 656 Kroppen/Roeder, German Cost Sharing Guidelines: An International Comparison, in: Tax Management Transfer Pricing Report 2000, S. 1000 Kroppen/Roeder, Germany – Changes in Cost Sharing Guidelines, in: European Taxation 2000, S. 381 Kroppen, Verwaltungsgrundsätze zu Umlageverträgen neu geregelt, in: IWB 2000, Transfer Pricing News, S. 49 Kroppen/Roeder, Draft German Transfer Pricing Documentation, APA Guidelines, in: Tax Management Transfer Pricing Report 2000, S. 122 Kroppen/Schreiber, International relevante Aspekte des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002, in: IWB 1999, F. 3, Deutschland, Gr. 3, S. 1227 732

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Kroppen/Höppner/Hernler/Günkel, Außensteuerrecht, in: JbFSt 1998/1999, S. 145 Kroppen/Lübker, The Application of German Income Correction Rules to Partner­ ships having International Transactions, in: International Transfer Pricing Journal 1999, S. 33 Kroppen/Eigelshoven, Transfer Pricing Planning in Germany, in: Tax Management Transfer Pricing Report 1998, S. 104 Kroppen, Internationale Aspekte des Umwandlungssteuererlasses, in: Fischer, Besteuerung des Internationalen Unternehmenskaufs, Verlag Dr. Otto Schmidt 1999, S. 1 Kroppen, Außensteuerrecht  – Funktionsänderung der Vertriebstochtergesellschaft zum Kommissionär, in: JbFSt 1997/1998, S. 152 Kroppen/Hüffmeier, The Tax Treatment of Shareholder Costs, in: International Transfer Pricing Journal 1997, S. 10 Kroppen/Hüffmeier, Funktionsänderung der Vertriebstochtergesellschaft zum Kommissionär, in: IWB 1997, F. 3, Gr. 2, S. 745 Kroppen, Anwendung von § 160 AO bei Grundstücksgeschäften, in: JbFSt 1996/1997, S. 181 Kroppen/Hüffmeier, The German Commissionaire as a Permanent Establishment under the OECD Model Treaty, in: Intertax 1996, S. 133 Kroppen/Günkel, Verrechnungspreise – Markteinführung und Lizenzgebühr, in: ­JbFSt 1995/1996, S. 194 Kroppen/Hüffmeier, Der Kommissionär als Betriebsstätte nach dem OECD-Musterabkommen, in: IWB 1995, F. 3, Gr. 2, S. 637 Kroppen, Advanced Pricing Agreement in den USA, in: IWB 1994, F. 8, USA, Gr. 2, S. 795 Kroppen, Germany’s new thin capitalization law, in: Tolley’s Overseas Tax Reporter 1993, S. 81 Kroppen, Schachtelprivileg bei schweizerischer Domizilgesellschaft, in: IWB 1992, F. 3a, Gr. 1, S. 275 Kroppen/Günkel, Taxation of investments in German real estate by foreign corporate investors, in: Intertax 1991, S. 325 Kroppen, Ausländische Grundstücksinvestitionen, in: IWB 1991, F. 3, Gr. 3, S. 967

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