Inklusiver Unterricht aus Sicht von Grundschullehrkräften: Die Bedeutung von persönlichen Ressourcen [1. Aufl. 2019] 978-3-658-26174-0, 978-3-658-26175-7

Gamze Görel geht der Frage nach, welche Bedeutung persönliche Ressourcen von Lehrkräften für die Gestaltung von inklusiv

667 58 7MB

German Pages XII, 173 [183] Year 2019

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Inklusiver Unterricht aus Sicht von Grundschullehrkräften: Die Bedeutung von persönlichen Ressourcen [1. Aufl. 2019]
 978-3-658-26174-0, 978-3-658-26175-7

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XII
Einleitung (Gamze Görel)....Pages 1-4
Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund (Gamze Görel)....Pages 5-76
Forschungsdesiderata (Gamze Görel)....Pages 77-83
Empirische Studie (Gamze Görel)....Pages 85-140
Diskussion der Ergebnisse (Gamze Görel)....Pages 141-150
Back Matter ....Pages 151-173

Citation preview

Gamze Görel

Inklusiver Unterricht aus Sicht von Grundschullehrkräften Die Bedeutung von persönlichen Ressourcen

Inklusiver Unterricht aus Sicht von ­Grundschullehrkräften

Gamze Görel

Inklusiver Unterricht aus Sicht von Grundschullehrkräften Die Bedeutung von persönlichen Ressourcen

Gamze Görel Institut für Erziehungswissenschaft ­Universität Paderborn Paderborn, Deutschland Zgl. Dissertation an der Universität Paderborn, 2018

ISBN 978-3-658-26174-0 ISBN 978-3-658-26175-7  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-26175-7 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa­ tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Danksagung An dieser Stelle möchte ich den Personen danken, die mich während meiner Promotion unterstützt haben. Mein Dank gilt zunächst meinem Erstgutachter Herrn Prof. Dr. Frank Hellmich für seine umfassende Betreuung und Unterstützung sowie viele anregende Gespräche. Auch Frau Prof. Dr. Susanne Schwab möchte ich herzlich für ihr Zweitgutachten danken. Ein besonderer Dank gilt zudem meiner Familie, die mir stets mit großer Unterstützung, unerschöpflicher Geduld und Ermutigung zur Seite stand. Außerdem möchte ich meinen Kolleginnen und .ollegen für viele hilfreiche Gespräche und Rückmeldungen sowie für die tolle Arbeitsatmosphäre danken. Danke!

Inhaltsverzeichnis  1 Einleitung ...........................................................................................................1 2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund .............................5 2.1 Problemhintergrund – von der Extinktion zur Inklusion ............................6 2.1.1 Extinktion ...........................................................................................9 2.1.2 Exklusion ...........................................................................................9 2.1.3 Segregation/Separation ....................................................................10 2.1.4 Integration und Inklusion .................................................................10 2.1.5 Zusammenfassung............................................................................16 2.2 Qualität inklusiven Unterrichts .................................................................17 2.2.1 Theorien und Modelle der Unterrichtsqualität .................................17 2.2.2 Qualität inklusiven Unterrichts ........................................................24 2.2.3 Ausgewählte Merkmale guten Unterrichts ......................................26 2.2.4 Forschungsbefunde zur Qualität von (Grundschul-)Unterricht .......31 2.2.5 Zusammenfassung............................................................................32 2.3 Selbstwirksamkeitserwartungen und die Qualität inklusiven Unterrichts 33 2.3.1 Theorie und Konzeption der Selbstwirksamkeit ..............................34 2.3.2 Lehrerselbstwirksamkeit ..................................................................39 2.3.3 Einflussfaktoren auf die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Lehrkräften.......................................................................................40 2.3.4 Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Lehrkräften und die Gestaltung von (inklusivem) Unterricht ..........................................41 2.3.5 Zusammenfassung............................................................................45 2.4 Einstellungen und die Qualität inklusiven Unterrichts .............................47 2.4.1 Definition und Konzeption der Einstellung .....................................48 2.4.2 Funktionen von Einstellungen .........................................................52 2.4.3 Einstellungsgenese und -änderung ...................................................53 2.4.4 Einflussfaktoren auf die Einstellungen von Lehrkräften zur Inklusion ..........................................................................................55 2.4.5 Einstellungen zur Inklusion und die Gestaltung inklusiven Unterrichts .......................................................................................59 2.4.6 Zusammenfassung............................................................................62

VIII

Inhaltsverzeichnis

2.5 Motivation von Lehrkräften und die Qualität inklusiven Unterrichts ......63 2.5.1 Theorie und Konzeption der Motivation..........................................64 2.5.2 Lehrermotivation..............................................................................69 2.5.3 Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, Einstellungen und Motivation 70 2.5.4 Motivation von Lehrkräften und die Gestaltung von (inklusivem) Unterricht .........................................................................................72 2.5.5 Zusammenfassung............................................................................75 3 Forschungsdesiderata .....................................................................................77 4 Empirische Studie ...........................................................................................85 4.1 Design der Studie......................................................................................85 4.1.1 Stichprobe und Durchführung..........................................................85 4.1.2 Messinstrumente ..............................................................................86 4.1.3 Skalenanalyse der eingesetzten Instrumente ....................................94 4.1.3.1 Skalenanalyse der Instrumente: Selbstwirksamkeit, Motivation und Einstellungen ...................................................94 4.1.3.2 Skalenanalyse der Instrumente: Strukturierung, Klarheit, lernförderliches Klima, Umgang mit Heterogenität ................107 4.2 Überprüfung der Hypothesen .................................................................117 4.2.1 Überprüfung der Unterscheidungshypothese .................................118 4.2.2 Überprüfung der Zusammenhangshypothese ................................120 4.3 Zusammenfassung der Ergebnisse..........................................................138 5 Diskussion der Ergebnisse ............................................................................141 Literaturverzeichnis .........................................................................................151

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1. Abbildung 2. Abbildung 3. Abbildung 4. Abbildung 5. Abbildung 6. Abbildung 7. Abbildung 8. Abbildung 9. Abbildung 10. Abbildung 11.

Abbildung 12.

Abbildung 13. Abbildung 14.

Angebots-Nutzungs-Modell nach Helmke (2012, S. 71) ........... 22 Modell professioneller Handlungskompetenz (Baumert & Kunter, 2006, S. 482) ................................................................. 23 Unterschied zwischen Selbstwirksamkeits- und Ergebniserwartungen (Bandura, 1977, S. 193) .......................... 35 Quellen und Effekte der Selbstwirksamkeit (in Anlehnung an Berry & West, 1993, S. 354) ...................................................... 38 Drei-Komponenten-Modell der Einstellung nach Rosenberg und Hovland (1969, S. 3, eigene Übersetzung).......................... 48 Theorie des geplanten Verhaltens (nach Ajzen & Madden, 1986, S. 458) .............................................................................. 51 Das Grundmodell der „klassischen“ Motivationspsychologie (Rheinberg & Vollmeyer, 2012, S. 70) ...................................... 65 Erweitertes kognitives Motivationsmodell (Heckhausen & Rheinberg, 1980; Rheinberg, 2010, S. 374) ............................... 69 Hypothetisches Modell ............................................................... 83 Screeplot zu den 31 Items der persönlichen Ressourcen (Einstellungen, Selbstwirksamkeit, Motivation) ........................ 98 Screeplot zu den 22 Items der unterrichtlichen Intentionen und Sichtweisen von Lehrkräften (Umgang mit Heterogenität, Klarheit, Strukturierung, lernförderliches Klima) .................... 109 Mittelwertunterschiede in den unterrichtlichen Intentionen bzw. Sichtweisen über Merkmale von gutem inklusiven Unterricht bei Lehrkräften in Abhängigkeit ihrer Erfahrungen aus dem integrativen bzw. inklusiven Unterricht (mit 1=„Trifft gar nicht zu“ bis 5=„Trifft voll zu“) ......................................................... 119 Modifiziertes hypothetisches Strukturgleichungsmodell ......... 122 Strukturgleichungsmodell zum Zusammenhang zwischen persönlichen Ressourcen von Lehrkräften und ihren Intentionen und Sichtweisen zum inklusiven Unterricht............................. 129

X

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 15. Strukturgleichungsmodell – Zusammenhänge zwischen Selbstwirksamkeit, Einstellungen und Motivation................... 131 Abbildung 16. Strukturgleichungsmodell – Zusammenhänge zwischen persönlichen Ressourcen und den unterrichtlichen Intentionen bzw. Sichtweisen ...................................................................... 132 Abbildung 17. Strukturgleichungsmodell – Zusammenhänge zwischen den unterrichtlichen Intentionen bzw. Sichtweisen ........................ 133 Abbildung 18. Mediationsanalyse 1 (Selbstwirksamkeit, Einstellungen, Motivation) ............................................................................... 135 Abbildung 19. Mediationsanalyse 2 (Selbstwirksamkeit, Motivation, Umgang mit Heterogenität) ...................................................... 136 Abbildung 20. Mediationsanalyse 3 (Einstellungen, Motivation, Umgang mit Heterogenität) .................................................................... 137 Abbildung 21. Mediationsanalyse 4 (Motivation, Umgang mit Heterogenität, Lernförderliches Klima) ........................................................... 138

Tabellenverzeichnis Tabelle 1  Tabelle 2  Tabelle 3  Tabelle 4  Tabelle 5  Tabelle 6  Tabelle 7  Tabelle 8  Tabelle 9  Tabelle 10 Tabelle 11 Tabelle 12 Tabelle 13 Tabelle 14 Tabelle 15 Tabelle 16 Tabelle 17 Tabelle 18 Tabelle 19 Tabelle 20 Tabelle 21 Tabelle 22 Tabelle 23 Tabelle 24 Tabelle 25

Merkmale guten Unterrichts nach Helmke (2012) und nach Meyer (2011) ...............................................................................20 Erfahrungen der Lehrkräfte .........................................................86 Skala Selbstwirksamkeit .............................................................87 Skala Motivation .........................................................................88 Skala Einstellungen .....................................................................89 Skala Strukturierung ....................................................................90 Skala Klarheit ..............................................................................91 Skala Umgang mit Heterogenität ................................................92 Skala Lernförderliches Klima .....................................................93 KMO-Koeffizient und Bartlett-Test ............................................96 Erklärte Gesamtvarianz (persönliche Ressourcen) .....................97 Parallelanalyse zu den Items der persönlichen Ressourcen ........99 MAP-Test zu den Items der persönlichen Ressourcen ..............100 Faktorladungen der Items zu den persönlichen Ressourcen .....101 Reliabilitätsanalyse der Skala Motivation .................................105 Reliabilitätsanalyse der Skala Selbstwirksamkeit .....................106 Reliabilitätsanalyse der Skala Einstellungen .............................107 KMO-Koeffizient und Bartlett-Test ..........................................108 Erklärte Gesamtvarianz (unterrichtliche Intentionen und Sichtweisen) ..............................................................................108 Parallelanalyse zu den Items der unterrichtlichen Intentionen und Sichtweisen.........................................................................110 MAP-Test zu den Items der unterrichtlichen Intentionen und Sichtweisen................................................................................110 Faktorladungen der Items zu unterrichtlichen Intentionen und Sichtweisen................................................................................111 Reliabilitätsanalyse der Skala Umgang mit Heterogenität ........113 Reliabilitätsanalyse der Skala Lernförderliches Klima .............114 Erneute Reliabilitätsanalyse der Skala Lernförderliches Klima .........................................................................................114

XII Tabelle 26 Tabelle 27 Tabelle 28 Tabelle 29 Tabelle 30 Tabelle 31

Tabellenverzeichnis Reliabilitätsanalyse der Skala Klarheit .....................................115 Erneute Reliabilitätsanalyse der Skala Klarheit ........................116 Reliabilitätsanalyse der Skala Strukturierung ...........................116 Zusammenfassender Überblick über die Variablen ..................117 Interkorrelationen der latenten Variablen .................................121 Schiefe und Kurtosis der Itemparcels........................................127

1 Einleitung Die Frage nach gutem Unterricht ist ein seit Jahrzehnten aktuelles Thema der Schul- und Unterrichtsforschung. Mit Blick auf das deutsche Bildungssystem, das sich zurzeit im Wandel befindet und die gemeinsame Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit und ohne sonderpädagogischem/n Förderbedarf anstrebt, stellen sich Fragen, die Bedingungen für eine erfolgreiche Umsetzung des inklusiven Unterrichts betreffen. Dabei kommt mit der Implementierung inklusiver Lehr-Lern-Konzepte primär dem Umgang mit Heterogenität und den in diesem Zusammenhang erforderlichen Kompetenzen der Lehrkräfte eine besondere Bedeutung zu. Der Umgang mit heterogenen Lernausgangslagen von Schülerinnen und Schülern galt schon immer als eine besondere Herausforderung im deutschen Bildungssystem – insbesondere mit dem Blick auf die Gestaltung von LehrLern-Umgebungen für alle Kinder in der Grundschule (vgl. Einsiedler, Martschinke & Kammermeyer, 2008). Zugleich stellt die Heterogenität von Schülerinnen und Schülern ein „zentrale[s] Merkmal der Moderne“ (Einsiedler et al., 2008, S. 330) dar. Die Salamanca-Erklärung im Jahr 1994 hat dazu geführt, dass sich 92 Regierungen für die Implementierung integrativer Konzepte in ihrem jeweiligen Schulsystem bereit erklärt haben (UNESCO, 1994). Mit der Behindertenrechtskonvention der Vereinigten Nationen wurde im März 2009 auch in der Bundesrepublik Deutschland die inklusive Bildung eingeführt. Der inklusive Unterricht soll allen Kindern mit ihren unterschiedlichen Lern- und Leistungsvoraussetzungen gerecht werden, sodass „[a]lle Kinder und Jugendlichen [...] Zugang zu den verschiedenen Lernumgebungen und Lerninformationen [erhalten]“ (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland [KMK], 2011, S. 9). Was Inklusion in der Unterrichtspraxis konkret bedeutet, wird jedoch unterschiedlich definiert. Im Vergleich zu den integrativen Entwicklungen der vergangenen Jahre in Deutschland wird Inklusion z. B. als „optimierte und umfassend erweiterte Integration“ angesehen (Sander, 2004, S. 242). Demgegenüber gibt es auch ein synonymes Verständnis von beiden Konzepten (Sander, 2004). Neben diesen Definitionen kann aber auch von einem grundlegenden Paradigmenwechsel ausgegangen werden: Wäh© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 G. Görel, Inklusiver Unterricht aus Sicht von Grundschullehrkräften, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26175-7_1

2

1 Einleitung

rend bei der Integration das Lernen nebeneinander im Vordergrund steht, fokussiert Inklusion auf ein Lernen miteinander (Hinz, 2002). Ziel ist es, Kinder mit und ohne sonderpädagogischem/n Förderbedarf gemeinsam in der Grundschule zu unterrichten – unabhängig von ihren individuellen Eingangsvoraussetzungen. Um dieser Herausforderung gerecht werden zu können, ist es notwendig, dass Lehrkräfte den Unterricht so gestalten, dass Entwicklungen bei allen Kindern erzielt werden. Es stellt sich hierbei die Frage, wie Unterricht gestaltet werden muss, um für alle Kinder wirksam zu sein. Im Detail geht es um die Frage nach einem Unterricht, der die fachlichen sowie überfachlichen Kompetenzen und die sozial-emotionale Entwicklung aller Kinder fördert und den Bedürfnissen aller Kinder gerecht wird. Wodurch kennzeichnet sich guter Unterricht für heterogene Lerngruppen? Unterscheidet sich inklusiver Unterricht von einem gewöhnlichen Unterricht? Merkmale oder Kriterien guten Unterrichts im Allgemeinen sind schon seit einiger Zeit Gegenstand der Unterrichtsforschung (z. B. Helmke, 2012; Meyer, 2011). Die Forschung hat gezeigt, dass Merkmale wie Klassenführung, Klarheit, Strukturierung etc. sowohl die fachliche als auch überfachliche Entwicklung von Schülerinnen und Schülern begünstigen (siehe z. B. Helmke, 2012). Unterricht wird nach Helmke (2012) als ein Angebot der Lehrperson verstanden, das von den Schülerinnen und Schülern unterschiedlich wahrgenommen und interpretiert wird. Die Qualität des Angebots hängt jedoch von der Person der Lehrkraft ab, von ihrem Wissen, ihren professionellen Kompetenzen, aber auch ihrer Persönlichkeit (Helmke, 2012). Mit der Veränderung der Unterrichtsbedingungen durch stärkere Heterogenität und größere Diskrepanzen in den Lernausgangslagen der Schülerinnen und Schüler, stellt sich die Frage, welche Kompetenzen Lehrkräfte benötigen, um den Herausforderungen von inklusivem Unterricht gerecht werden zu können. Nach dem Modell professioneller Handlungskompetenz von Baumert und Kunter (2006) wird davon ausgegangen, dass neben fachlichem, pädagogischem und didaktischem Wissen auch Einstellungen, Überzeugungen und motivationale Orientierungen von Lehrkräften ihr professionelles Handeln und damit ihren Umgang mit der Lerngruppe sowie ihre Unterrichtsgestaltung beeinflussen. In diesem Zusammenhang haben sich bezüglich der Implementierung integrativer bzw. inklusiver Lehr-Lern-Konzepte die Einstellungen von Lehrkräften zur Inklusion als bedeutender Prädiktor für die erfolgreiche Umsetzung erwiesen (Sze, 2009). Basierend auf dem Modell von Baumert und Kunter (2006) wird in der

1 Einleitung

3

vorliegenden Dissertation davon ausgegangen, dass Einstellungen zur Inklusion und weitere motivationale Überzeugungen wie Selbstwirksamkeitserwartungen und Motivation im Zusammenhang mit Intentionen und Sichtweisen von Lehrkräften bezüglich ihrer Gestaltung inklusiven Unterrichts stehen. Die Frage nach der Qualität inklusiven Unterrichts und deren Zusammenhang mit persönlichen Ressourcen von Lehrkräften wird im Rahmen der Dissertation durch eine quantitative Querschnittsstudie mit N=168 Grundschullehrkräften untersucht. Ziel der vorliegenden Arbeit ist vor diesem Hintergrund die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen persönlichen Ressourcen von Grundschullehrkräften und ihren Einschätzungen zur Gestaltung des inklusiven Unterrichts. Die Arbeit gliedert sich in einen theoretischen (Kapitel 2-3) und einen empirischen Teil (Kapitel 4). Kapitel 2.1 dieser Arbeit setzt sich zunächst mit unterschiedlichen Paradigmen von der Extinktion bis zur Inklusion auseinander. Die Motive und Paradigmenwechsel werden anhand von historischen gesellschaftlichen Situationen verdeutlicht. Um in der vorliegenden Arbeit von einem konkreten Ansatz sprechen zu können, wird die kontroverse Diskussion um die begriffliche Abgrenzung von Integration und Inklusion aufgegriffen und eine Trennung zwischen den beiden Termini vorgenommen. In Kapitel 2.2 geht es um die Qualität inklusiven Unterrichts. An dieser Stelle werden Grundlagen der Unterrichtsforschung vorgestellt und ausgewählte Merkmale, die für den inklusiven Unterricht abgeleitet werden, näher beschrieben. Kapitel 2.3 handelt von Selbstwirksamkeitserwartungen von Lehrkräften und ihrer Bedeutung für die Gestaltung des (inklusiven) Unterrichts. Einstellungen von Lehrkräften zur Inklusion und ihr Zusammenhang mit der Qualität inklusiven Unterrichts sind Gegenstand des nächsten Kapitels (2.4). Hierbei werden Grundlagen aus der Einstellungsforschung präsentiert und Befunde über Einstellungen im Kontext von Inklusion sowie ihre Bedeutung für unterrichtliche Intentionen bzw. unterrichtliches Verhalten von Lehrkräften diskutiert. In Kapitel 2.5 wird die Motivation von Lehrkräften ebenfalls theoretisch wie empirisch beleuchtet und die Bedeutung für den (inklusiven) Unterricht thematisiert. Kapitel 3 gibt eine Zusammenfassung von vorliegenden Befunden und die Ableitung der eigenen Forschungshypothesen wieder. Im empirischen Teil dieser Arbeit wird die mit Grundschullehrkräften durchgeführte quantitative Studie vorgestellt. Nach der Überprüfung der eingesetzten Instrumente werden anschließend die Forschungshypothesen getestet. Im fünften Kapitel erfolgt eine Diskussion der vorliegenden Ergebnisse vor dem

4

1 Einleitung

theoretischen wie empirischen Hintergrund. Darüber hinaus wird die durchgeführte Studie unter Berücksichtigung methodologischer und konzeptioneller Aspekte diskutiert.

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund In diesem Teil der Arbeit werden theoretische Grundlagen und Befunde aus Untersuchungen zur inklusiven Beschulung fokussiert. Dabei werden neben einem historischen Abriss zum Umgang mit Menschen mit sonderpädagogischem Förderbedarf verschiedene Paradigmen von der Extinktion zur Inklusion dargestellt. Zum einen wird der Frage nachgegangen, wie und aus welchen Gründen sich der inklusive Gedanke in Schulen etabliert hat, zum anderen sollen die Bedeutung und Rolle von Lehrpersonen für den inklusiven Unterricht herausgearbeitet werden. Eine Differenzierung zwischen Integration und Inklusion ist in der Hinsicht wichtig, als dass dadurch konkrete Konzepte für die Praxis entwickelt werden können. Aktuell ist die Frage nach Parametern eines guten inklusiven Unterrichts groß. Aus diesem Grund wird in der vorliegenden Arbeit der Fokus auf den inklusiven Unterricht und die Rolle von Lehrpersonen gelegt. Das Interesse richtet sich dabei insbesondere auf den Zusammenhang zwischen persönlichen Ressourcen von Lehrpersonen und der Qualität inklusiven Unterrichts. Hierbei wird versucht, eine konzeptionelle Einordnung des inklusiven Unterrichts in der allgemeinen Unterrichtsforschung zu finden. Weiterhin werden grundlegende Theorien und Befunde aus Untersuchungen zu den Bereichen Einstellungen, Selbstwirksamkeit, Motivation und ausgewählten Merkmalen guten Unterrichts wie Umgang mit Heterogenität, Strukturierung, Klarheit und lernförderliches Klima vorgestellt. So wird in diesem Teil der Arbeit zunächst der theoretische Rahmen bei der Frage nach Unterrichtsqualität gefestigt, indem anerkannte Modelle und Indikatoren guten Unterrichts thematisiert werden. Anschließend werden Persönlichkeitseigenschaften von Lehrkräften wie Einstellungen, Selbstwirksamkeit und Motivation und ihre Bedeutung für die Qualität inklusiven Unterrichts fokussiert.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 G. Görel, Inklusiver Unterricht aus Sicht von Grundschullehrkräften, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26175-7_2

6

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

2.1 Problemhintergrund – von der Extinktion zur Inklusion

“Looking at education through an inclusive lens implies a shift from seeing the child as a problem to seeing the education system as a problem.“ (UNESCO, 2005, S. 26)

Spätestens seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention 2009 stehen Lehrkräfte in Deutschland vor der Herausforderung, Kinder mit und ohne sonderpädagogischem/n Förderbedarf im Rahmen der Inklusion gemeinsam in einer Regelklasse zu unterrichten. Die Idee der Inklusion ist jedoch nicht ganz neu. Ein Blick auf die Entwicklung des Bildungssystems zeigt, dass die ersten integrativen Ansätze auch schon etwas früher vorzufinden sind. Innerhalb der historischen Entwicklung von Schule und Unterricht lassen sich verschiedene pädagogische Phasen bzw. Paradigmen im Umgang mit Heterogenität erkennen, die im vorliegenden Kapitel vorgestellt werden. Wocken (2010) unterscheidet die Paradigmen Extinktion, Exklusion, Separation, Integration sowie Inklusion und weist darauf hin, dass diese keine chronologische Entwicklung darstellen. Er kritisiert daher auch die Bezeichnung als Entwicklungsphasen und spricht stattdessen von einer „gestufte[n] Werthierarchie“ (Wocken, 2010, S. 221), deren Stufen durch unterschiedliche Werte in Bezug auf Menschenrechte und Anerkennung gekennzeichnet sind. Mit jeder weiteren Stufe nehmen die Rechte der Menschen dabei hochwertigere Formen an. Die Gegenüberstellung solcher Modelle macht unterschiedliche Einordnungen von Phasen oder Stufen deutlich. Während Wocken (2010) vor der Stufe der Exklusion zusätzlich noch die Extinktion berücksichtigt, stellt die höchste Stufe nach Sander (2002) nicht die Inklusion dar, sondern die allgemeine Pädagogik, in der Heterogenität und Unterschiede zwischen Schülerinnen und Schülern der Regelfall sind (siehe auch Hinz, 2004). Ein Blick auf die Geschichte der Sonderpädagogik oder auf die Entwicklung des Umgangs mit Menschen mit Förderbedarf ist sinnvoll, da „die historische Betrachtungsweise Erkenntnisse über Motive und Interessen liefern könnte, die zur Herausbildung gegenwärtiger Strukturen geführt haben, und die darüber aufklären könnte, warum bestimmte Ideen und Entwicklungen sich letztlich nicht

2.1 Problemhintergrund – von der Extinktion zur Inklusion

7

durchzusetzen vermochten“ (Ellger-Rüttgardt & Tenorth, 1998, S. 439). Der lange Weg bis zur Anerkennung von Menschen mit sonderpädagogischem Förderbedarf ist durch verschiedene Stadien gekennzeichnet, die im Folgenden thematisiert werden. Ellger-Rüttgardt (2012) macht darauf aufmerksam, dass schon Comenius in seiner „Didacta Magna“ (1657) von einem Bildungsrecht aller Menschen spricht. Erste deutliche Entwicklungs- und Realisierungsansätze zur Bildung von Menschen mit sonderpädagogischem Förderbedarf gestalten sich jedoch erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts mit der „Entdeckung der Bildbarkeit Behinderter“ (Ellger-Rüttgardt & Tenorth, 1998, S. 438), welche bis zu dieser Zeit nicht als bildungsfähig anerkannt waren. Im Rahmen des pädagogischen Jahrhunderts war es das Ziel, Menschen aus armen Verhältnissen „durch Erziehung und Arbeit zur bürgerlichen Brauchbarkeit“ heranzuführen (Ellger-Rüttgardt & Tenorth, 1998, S. 439). Mit der Einsicht in die Existenz und Funktion ihrer vorhandenen kognitiven Fähigkeiten wurden zunächst taubstumme und blinde Menschen als bildungsfähig anerkannt. Die ersten institutionellen Umsetzungen der sonderpädagogischen Förderung erfolgten mit dieser Einsicht durch zunächst private und später staatliche Taubstummen- oder Blindenanstalten. Der Unterricht in diesen Einrichtungen war teilweise gekennzeichnet durch neue Methoden, die speziell für die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen entwickelt wurden. Man ging davon aus, dass sie anderer spezieller Methoden als im normalen Unterricht bedürfen. Die anschließende Verstaatlichung dieser Institute hatte zur Folge, dass die pädagogischen Zielsetzungen eher die Erwerbstätigkeit der Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf fokussierten als sie in ihrer persönlichen Entwicklung zu unterstützen. Die starke Zunahme von Einrichtungen, welche Bildungsmöglichkeiten für Menschen mit sonderpädagogischem Förderbedarf offerierten, führte jedoch keine gesellschaftsdeckende Bildung herbei, da lediglich ein verhältnismäßig geringer Teil der Menschen mit Förderbedarf Zugang zu diesen Instituten erhielt (Ellger-Rüttgardt, 2012). Die erste Idee einer ansatzweise integrativen oder inklusiven Schule, die jedoch nicht realisiert werden konnte, wird im 19. Jahrhundert deutlich (EllgerRüttgardt, 2012). Diese Idee bezog sich auf die Gruppe der Kinder mit den Förderschwerpunkten Sehen und Hören und es wurde geplant,

8

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund ein Elementarschulwesen zu schaffen, das auch den sinnesbehinderten Kindern zugänglich sein sollte, das durch Kombination von Spezial- und Volksschulen frühzeitige und behindertengerechte Bildung vermitteln, durch ein Höchstmaß an Gemeinsamkeit von behinderten und nicht behinderten Kindern soziales Lernen befördern und Exklusion verhindern sollte und das eine Lehrerbildung anstrebte, in der eine spezielle Pädagogik ein integraler Bestandteil derselben werden sollte. (Ellger-Rüttgardt, 2012, S. 35)

Angesichst der Probleme in den Volksschulen wurden schließlich Hilfsschulen eingerichtet, mit der Idee, die Volksschulen zu entlasten. Mit der Gründung der Hilfsschule wurde im Gegensatz zu den Nachhilfeklassen, deren Konzept darin lag, schwache Kinder und Jugendliche aus Volksschulen zu fördern (EllgerRüttgardt, 2012), nun auch die Vorbereitung der Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf auf einen Beruf und ihre Erziehung zu loyalen Mitgliedern der Gesellschaft anvisiert (Werning & Lütje-Klose, 2012). Während der Zeit des Nationalsozialismus bewegte sich die Entwicklung der Pädagogik für Menschen mit Förderbedarf schlagartig zurück, begleitet von einer auf der Idee der Rassenhygiene basierenden Vernichtung von Menschen mit Förderbedarf (Ellger-Rüttgardt, 2012). Im Jahr 1960 erfolgte schließlich mit dem „Gutachten zur Ordnung des Sonderschulwesens“ von der Kultusministerkonferenz (KMK, 1960) eine strenge Ausdifferenzierung der Sonderschule in zwölf unterschiedliche Formen wie die Blindenschule, Sehbehindertenschule, Gehörlosenschule etc., wobei eine Schule für den Förderschwerpunkt geistige Entwicklung zu dieser Zeit noch nicht vorgesehen war (Ellger-Rüttgardt, 2012). Die Entwicklungen im Bildungssystem zeigen, dass lange Zeit die Selektion von Schülerinnen und Schülern nach Beeinträchtigungen mit der Annahme, dass sie einer speziellen Förderung bedürfen, für diese als hilfreich oder lernwirksamer angesehen wurde und auch den Unterricht an allgemeinen Schulen entlasten sollte. Im Beschluss der Kultusministerkonferenz aus dem Jahr 1994 mit Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung wird die Möglichkeit der sonderpädagogischen Förderung auch an Regelschulen postuliert (KMK, 1994). Zusammen mit der Salamanca-Erklärung im Jahr 1994 werden so konkrete Pläne und Forderungen in Richtung einer inklusiven Bildung deutlich. Im Folgenden werden die fünf Paradigmen, die sich in Bezug auf den Umgang mit Menschen mit sonderpädagogischem Förderbedarf herausstellen, beschrieben. Wocken (2010) bezeichnet diese als Qualitätsstufen, in denen Menschen mit sonderpädagogischem Förderbedarf unterschiedliche Rechte und An-

2.1 Problemhintergrund – von der Extinktion zur Inklusion

9

erkennungsformen gewährt werden. Die fünf Stufen umfassen die Extinktion, Exklusion, Separation, Integration und Inklusion (Wocken, 2010) und werden nachfolgend terminologisch und konzeptionell näher beleuchtet.

2.1.1 Extinktion Die nach Wocken (2010) unterste Stufe der Extinktion (lat. exstinctio = Auslöschen, Zerstörung) 1 zeichnet sich durch eine ablehnende Haltung gegenüber Menschen mit Behinderungen in der Gesellschaft aus, in der ihnen jegliche Rechte verwehrt bleiben und sie auf ein „lebensunwertes Leben“ (Wocken, 2010, S. 220) herabgestuft werden. Die Extinktion von Menschen mit sonderpädagogischem Förderbedarf wurde in Deutschland z. B. auch zur Zeit des Nationalsozialismus im Rahmen von Euthanasieprogrammen praktiziert (EllgerRüttgardt, 2012).

2.1.2 Exklusion Exklusion (lat. exclusio = Ausschluss, Abweisung) bzw. soziale Ausgrenzung lässt sich definieren als „Prozess, durch den bestimmte Personen an den Rand der Gesellschaft gedrängt und durch ihre Armut bzw. wegen unzureichender Grundfertigkeiten oder fehlender Angebote für lebenslanges Lernen oder aber infolge von Diskriminierung an der vollwertigen Teilhabe gehindert werden“ (Europäische Kommission, 2004, S. 12). In dieser Stufe existiert im Gegensatz zur Extinktion jedoch „ein gesetzlich garantiertes Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ für Menschen mit sonderpädagogischem Förderbedarf (Wocken, 2010, S. 220). Allerdings wird ihnen das Recht auf Bildung vorenthalten, da die Annahme vorliegt, dass ihnen grundlegende Fähigkeiten zur Bildung fehlen würden. Zudem kann die heutige Exklusion beispielsweise nach Kronauer (2010, S. 41, Hervorhebungen im Original) eher „als Ausgrenzung in der Gesellschaft verstanden werden“ als eine „Ausgrenzung aus der Gesellschaft“.

1

für diese und die folgenden Übersetzungen aus dem Lateinischen siehe: Langenscheidt (LateinDeutsch)

10

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

2.1.3 Segregation/Separation Die Begriffe Segregation (lat. segregare = absondern, trennen) oder Separation (lat. separare = absondern, trennen) bezeichnen eine Absonderung bzw. Trennung innerhalb des Bildungssystems. Diese Stufe ist dadurch gekennzeichnet, dass den Menschen mit sonderpädagogischem Förderbedarf das Recht auf Bildung gewährt wird (Wocken, 2010). Auch wenn beide Begriffe oftmals synonym verwendet werden, können darunter auch unterschiedliche Konzepte aufgefasst werden. So ist für Powell (2009, S. 214) unter der Segregation eine „Trennung zwischen Gebäuden“ zu verstehen, wohingegen bei der Separation eine „Trennung innerhalb eines Gebäudes“ erfolgt. Segregation oder Separation werden auch oft als Pendant zu Integration und Inklusion gesehen (Strasser, 2006, S. 7). Dabei werden Schülerinnen und Schüler vom Regelunterricht und nach ihren individuellen Förderbedarfen getrennt in bestimmten Fördereinrichtungen unterrichtet. Der Zuweisung zu diesen Fördereinrichtungen liegt eine Selektion zugrunde, da Schülerinnen und Schüler für eine adäquate Förderung diagnostiziert und klassifiziert werden müssen. Strasser (2006) verdeutlicht die Ambivalenz einer solchen Diagnostik damit, dass auf der einen Seite zwar eine Klärung, auf der anderen Seite jedoch eine Stigmatisierung erzielt wird.

2.1.4 Integration und Inklusion Im Folgenden werden die Termini Integration und Inklusion näher betrachtet. In der langjährigen Debatte um integrative oder inklusive Konzepte im deutschen Bildungssystem tauchen unterschiedliche Perspektiven auf. Eine Perspektive ist die einheitliche bzw. synonyme Verwendung der beiden Begriffe. Demgegenüber steht die Ansicht, dass es sich bei der Integration und Inklusion um zwei grundlegend unterschiedliche Paradigmen handelt (Wocken, 2010). In einer anderen Definition wird Inklusion sogar als „optimierte und umfassend erweiterte Integration“ (Sander, 2004, S. 242) verstanden. Diese kontroversen Diskussionen und Auffassungen liegen zum Teil auch in fehlerhaften Übersetzungen aus englischsprachigen Schriften wie der Salamanca-Erklärung und der UNBehindertenrechtskonvention begründet (Wocken, 2010, S. 204). Wocken (2010, S. 204) spricht in diesem Zusammenhang von einer „babylonischen Sprachverwirrung“. Darüber hinaus weist Sander (2004) darauf hin, dass der Begriff In-

2.1 Problemhintergrund – von der Extinktion zur Inklusion

11

tegration beibehalten werden könne, wenn ein Konzept de facto integrativ sei. Der Begriff der Inklusion liege jedoch im Trend (Sander, 2004, S. 240). Innerhalb dieser Diskussion tritt die Frage nach einheitlichen Begrifflichkeiten in den Vordergrund, die die Etablierung einheitlicher Qualitätskriterien für die Praxis unterstützen können. Integration lässt sich auf das lateinische Wort integratio = Wiederherstellung zurückführen. Erste offizielle bildungspolitische Maßnahmen zur Umsetzung integrativer Konzepte im Bildungssystem wurden im Jahr 1973 vom deutschen Bildungsrat mit der Empfehlung zum gemeinsamen Unterricht in Gang gesetzt (Sander, 2004). Integration bezeichnet nach Wocken (2006, S. 99) die „gemeinsame Unterrichtung behinderter und nichtbehinderter Kinder in allgemeinen Schulen“. Diese Definition berücksichtigt dabei drei Bedingungen. Es geht um eine „(1) allseitige Förderung (2) aller Kinder (3) durch gemeinsame Lernsituationen“ (Wocken, 2006, S. 99). In diesem Zusammenhang kann „Integrationsfähigkeit“ nach Wocken (2006, S. 99) nicht als persönliches Merkmal von Menschen aufgefasst werden. Vielmehr gehe es dabei um die Kompatibilität von individuellen Bedürfnissen und den zur Verfügung stehenden Ressourcen (Wocken, 2006, S. 99). Die Inklusion, die dem lateinischen Wort inclusio = Einschließung entstammt, stellt je nach Ansicht eine Weiterentwicklung der Integration oder ein gänzlich neues Paradigma dar. Der wissenschaftliche Diskurs um die gleichberechtigte Eingliederung von Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf in das Regelschulsystem weist Kontroversen bezüglich der konzeptionellen und strukturellen Umsetzung dieser Prämisse auf. Die Kontroversen zeigen sich in der uneinheitlichen Definition von Inklusion und Integration. Mit der Salamanca-Erklärung und dem Aktionsrahmen zur Pädagogik für besondere Bedürfnisse im Jahr 1994 sowie der Verabschiedung der UNBehindertenrechtskonvention wird die Inklusion seit 2009 auch im deutschen Bildungssystem sukzessive implementiert. Insbesondere Artikel 24 macht auf die Forderung der Konvention der Vereinten Nationen aufmerksam: „Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein integrati-

12

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

ves Bildungssystem auf allen Ebenen [...]“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2011). Die Salamanca-Erklärung beginnt mit der Anerkennung der „Notwendigkeit und Dringlichkeit, Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit besonderen Förderbedürfnissen innerhalb des Regelschulwesens zu unterrichten“ (UNESCO, 1994) und schlägt für die Umsetzung integrative Konzepte in allen Bildungssystemen vor. Im darauf folgenden Aktionsrahmen wird für die Entwicklung eines integrativen Bildungssystems unter Einbezug von Faktoren, die für eine erfolgreiche Implementierung berücksichtigt und geplant werden müssen, plädiert (UNESCO, 1994). Im Beschluss „Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen“ der Kultusministerkonferenz vom 20.10.2011 wird Inklusion definiert als „ein umfassendes Konzept des menschlichen Zusammenlebens. Inklusion in diesem Sinne bedeutet für den Bereich der Schule einen gleichberechtigten Zugang zu Bildung für alle und das Erkennen sowie Überwinden von Barrieren“ (KMK, 2011, S. 3). Diese Definition von Inklusion fokussiert insbesondere die gleichen Bildungsrechte für alle Menschen. Darüber hinaus wird die Bedeutung möglicher Barrieren für Menschen mit Förderbedarf betont. Hinz (2006, S. 98) hingegen definiert Inklusion „als allgemeinpädagogische[n] Ansatz, der auf der Basis von Bürgerrechten argumentiert, sich gegen jede gesellschaftliche Marginalisierung wendet und somit allen Menschen das gleiche volle Recht auf individuelle Entwicklung und soziale Teilhabe ungeachtet ihrer persönlichen Unterstützungsbedürfnisse zugesichert sehen will“. Dies erfordert eine Distanz von Stigmatisierung: „Inklusion wird also nicht mit bestimmten kategorisierten, klar abgrenzbaren Personengruppen verbunden, sondern als generelles Prinzip in jeglicher Gruppierung verstanden [...]“ (Hinz, 2006, S. 98). Hinz (2006) verweist in seiner Definition insbesondere auf die Vermeidung von Kategorisierungen und die Bedeutung der sozialen Teilhabe sowie die Bedürfnisse aller Menschen. Einer Definition von Biewer (2010, S. 193) zufolge [bezeichnet] [i]nklusive Pädagogik [...] Theorien zur Bildung, Erziehung und Entwicklung, die Etikettierungen und Klassifizierungen ablehnen, ihren Ausgang von den Rechten vulnerabler und marginalisierter Menschen nehmen, für deren Partizipation in allen Lebensbereichen plädieren und auf eine strukturelle Veränderung der regulären Institutionen zielen, um der Verschiedenheit der Voraussetzungen und Bedürfnisse aller Nutzer/innen gerecht zu werden.

2.1 Problemhintergrund – von der Extinktion zur Inklusion

13

Auch bei Biewer (2010) ist die Rede von marginalisierten Menschen und ihren Bedürfnissen. Er betont ebenfalls die Bedeutung der sozialen Partizipation in allen Lebensbereichen. Den dargelegten Definitionen nach ist Inklusion insbesondere durch die Aufhebung von Etikettierung und Klassifizierung charakterisiert und zielt auf die gleichberechtigte Partizipation aller Menschen ab. Auch Eberwein und Knauer (2009, S. 19) plädieren dezidiert gegen eine normative Betrachtung von Menschen nach ihren Defiziten: „Sie sind als Ganzheit zu begreifen in all ihren subjektiven Seinsschichten, in ihrer biografischen Gewordenheit sowie in ihren lebensweltlichen und gesellschaftlichen Bezügen. Diese ganzheitliche Sichtweise verbietet Kategorisierungen, Einstufungen und Ausgrenzungen“. Eine strukturierte und differenzierte Herangehensweise an den Begriff Inklusion legen Ainscow et al. (2006) vor, indem sie zunächst auf den Unterschied zwischen einer deskriptiven und präskriptiven Definition aufmerksam machen. Somit würde eine deskriptive Definition die verschiedenen Formen von Inklusion, die in der Praxis umgesetzt werden und vorzufinden sind, beschreiben, während eine präskriptive Definition die Inklusion so wiedergäbe, wie sie konzeptionell im Optimalfall erwünscht ist (Ainscow et al., 2006, S. 14). In einem weiteren Schritt stellen sie sechs verschiedene Definitionen bzw. Auffassungen von Inklusion vor. Die erste Definition lautet: „Inclusion as a concern with disabled students and others categorised as ’having special educational needs’“ (Ainscow et al., 2006, S. 15). An dieser Stelle ist eine Definition der Inklusion im engeren Sinne zu erkennen. So wird Inklusion vordergründig im Sinne von Unterricht mit Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf aufgefasst. Die Autoren bezweifeln den Nutzen eines solchen Inklusionsverständnisses, in dem Förderbedarfe mehr beachtet werden als Bedingungen einer generellen gleichberechtigten Teilhabe für alle Schülerinnen und Schüler. Separierende Konzepte sowie Etikettierungen von Schülerinnen und Schülern verhindern nach Ainscow et al. (2006) ein weites Verständnis von Inklusion. Anstelle der Etikettierung von Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf sollte den Autoren nach der Fokus auf Bedingungen für ein erfolgreiches Lernen und die Teilhabe aller Schülerinnen und Schüler gelegt werden. In einer zweiten Form beschreiben sie Inklusion auf der Basis einer Definition der Exklusion: „Inclusion as a response to disciplinary exclusion“ (Ainscow et al., 2006, S. 15) und machen auf ein reziprokes Verhältnis von Inklusion und Exklusion aufmerksam. Demnach werden

14

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

durch Inklusion Ausschlussprozesse vermindert und die soziale Teilhabe gefördert. Inklusion wäre in diesem Sinne ein Konzept, das auf der Reduktion und Vermeidung von Exklusionsprozessen wie Diskriminierung in Schule und Gesellschaft beruht. In der dritten Definition „Inclusion in relation to all groups seen as being vulnerable to exclusion“ (Ainscow et al., 2006, S. 15) geht es um Personen, die von Exklusion gefährdet sind. In einem engen Verständnis wären es Kinder und Jugendliche mit Verhaltensschwierigkeiten, wohingegen das weite Verständnis von Inklusion jedoch auch Schülerinnen und Schüler umfasst, die z. B.aufgrund sozioökonomischer und familiärer Bedingungen keinen gesicherten Zugang zur Bildung haben. Darüber hinaus definieren die Autoren Inklusion als Entwicklung einer Schule für alle (Ainscow et al., 2006, S. 15) und machen auf institutionelle Segregation durch z. B. Privatschulen aufmerksam. Inklusion kann des Weiteren als Bildung für alle verstanden werden (Ainscow et al., 2006, S. 15). In diesem Zusammenhang sollte Inklusion in einem weiten Verständnis nicht auf eine bestimmte Gruppe beschränkt sein. Die sechste Definition „Inclusion as a principled approach to education and society“ (Ainscow et al., 2006, S. 15) beschreibt schließlich ein inklusives Verständnis als Grundprinzip in Bildung und Gesellschaft. Eine eindeutige oder einheitliche Definition von Inklusion in Abgrenzung zur Integration ist in der Literatur eher rar vorzufinden. Auch die kontroversen Diskussionen darüber, ob die Integration sich von der Inklusion unterscheidet oder ob beide Begriffe dieselben Konzepte implizieren, erschweren dies. Sander (2004) stellt in einem Artikel verschiedene Definitionen der Inklusion in Abgrenzung zur Integration dar und macht ebenfalls deutlich, wie unterschiedlich Inklusion aufgefasst wird. Einleitend gibt er eine kurze Definition von Inklusion als „eine Weiterentwicklung von integrativer Pädagogik in Ländern, die bereits über eine feste Basis an Integration verfügen“ (Sander, 2004, S. 240). Im Weiteren stellt er drei Definitionen der Inklusion heraus: Die erste Definition setzt Integration und Inklusion gleich. In der zweiten Definition kann Inklusion als „optimierte Integration“ (Sander, 2004, S. 242) verstanden werden, welche sich von separierenden Formen in der Integrationspraxis distanziert. Die dritte Definition von Inklusion als „optimierte und umfassend erweiterte Integration“ (Sander, 2004, S. 242) geht davon aus, dass der Unterricht durch Inklusion verändert wird, „weil die Unterschiedlichkeit der Kinder nicht mehr als Störfaktor betrachtet wird, sondern als Ausgangslage und auch als Zielvorstellung der pädagogi-

2.1 Problemhintergrund – von der Extinktion zur Inklusion

15

schen Arbeit“ (Sander, 2004, S. 242). Dieser Definition nach richtet sich im inklusiven Unterricht der Fokus nicht nur auf Kinder mit Förderbedarf, sondern auf die individuellen Bedürfnisse aller Schülerinnen und Schüler (Sander, 2004). Infolgedessen fordert Sander (2004, S. 242) von der Allgemeinen Pädagogik einen Perspektivwechsel und die Akzeptanz der Heterogenität von Schülerinnen und Schülern, da sich die Allgemeine Pädagogik so nicht mehr von der Inklusiven Pädagogik unterscheiden würde. Prengel (2012, S. 175) begründet die Etablierung des Begriffs Inklusion damit, dass in integrativen Klassen „– entgegen der Konzeption der Integrationspädagogik – interne Separation praktiziert wird“ und daher ein neuer Terminus eingeführt wurde, „[u]m Distanz zu dieser Fehlentwicklung zu signalisieren“. Den Unterschied zwischen Integration und Inklusion in der Praxis verdeutlicht Hinz (2002) in einer vergleichenden Gegenüberstellung mit 15 Merkmalen. Nach Hinz (2002, S. 359) ist die Integration durch ein „differenziertes System [...]“ in Abhängigkeit von der Art der Beeinträchtigung gekennzeichnet, wobei die Inklusion diesem gegenüber ein „umfassendes System für alle“ darstellt. Ein weiterer Unterschied liegt nach Hinz (2002) in dem Heterogenitäts- bzw. Gruppenverständnis. Demnach basiert die Praxis der Integration auf einer „ZweiGruppen-Theorie“ und einem „individuumszentrierte[n] Ansatz“, wobei die Inklusion durch einen „systemische[n] Ansatz“ mit der Theorie einer allgemeinen heterogenen Gruppe gekennzeichnet ist (Hinz, 2002, S. 359). In Bezug auf die individuelle Förderung unterscheiden sich beide Perspektiven darin, dass in der integrativen Praxis Kinder mit Förderbedarf eine spezielle Förderung erhalten und in der inklusiven Praxis demgegenüber ein „gemeinsames und individuelles Lernen für alle“ (Hinz, 2002, S. 359) angestrebt wird. Die Rolle von sonderpädagogischer Unterstützung ist in beiden Perspektiven ebenfalls unterschiedlich. In der integrativen Praxis spielen Sonderpädagogen/innen für das individuelle Kind mit Förderbedarf eine Rolle, da diese ausschließlich für die Unterstützung der Kinder mit Beeinträchtigungen verantwortlich sind. In der inklusiven Praxis werden Sonderpädagogen/innen als Kräfte zur Unterstützung von Klassenlehrkräften, Klassen und Schulen gesehen (Hinz, 2002, S. 359). Hinz (2002, S. 358) spricht davon, dass Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Rahmen der Zwei-Gruppen-Theorie der Integration „offiziell etikettiert werden“, da sie als eine gesonderte Gruppe neben der Gruppe der Regelschülerinnen und -schüler zusammengefasst werden. In der Gegen-

16

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

überstellung von Hinz (2002) werden die zugrunde liegenden Ansätze und konzeptionellen Merkmalsunterschiede von integrativen und inklusiven Settings im Unterricht deutlich. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird basierend auf diesem Verständnis von zwei unterschiedlichen Konzepten ausgegangen, wenn von Integration und Inklusion gesprochen wird.

2.1.5 Zusammenfassung Die kontroversen Diskussionen hinsichtlich des Verständnisses von Inklusion sowie die unterschiedlichen Definitionen dieser können auch zu Unterschieden in der Umsetzung inklusiven Unterrichts führen. Die Gegenüberstellung von Integration und Inklusion nach Hinz (2002) verdeutlicht zudem, dass inklusive Unterrichtspraxis andere Kriterien erfordert als integrative Unterrichtspraxis, welche von einer Zwei-Gruppen-Theorie in der Klasse ausgeht. Da ein Kernmerkmal der Inklusion die Vermeidung von Etikettierung ist und inklusiver Unterricht auf die gemeinsame Bildung aller Schülerinnen und Schüler sowie ihre soziale Partizipation abzielt, stellt sich die Frage, wie diese Bedingungen erfüllt werden können. Wenn Inklusion einen gemeinsamen Unterricht für alle Kinder und ihre soziale Teilhabe darstellt, dann stellt sich auch die Frage, inwiefern sich inklusiver Unterricht von gewöhnlichem Unterricht unterscheidet. Ein guter allgemeiner Unterricht könnte demnach gleichgesetzt werden mit gutem inklusiven Unterricht. Hiermit ist wiederum die Frage verknüpft, wodurch ein guter allgemeiner Unterricht bzw. inklusiver Unterricht gekennzeichnet ist und welche Kompetenzen von Seiten der Lehrkräfte für einen guten inklusiven Unterricht und insbesondere für einen erfolgreichen Umgang mit Heterogenität im Unterricht erforderlich sind.

2.2 Qualität inklusiven Unterrichts

17

2.2 Qualität inklusiven Unterrichts Im folgenden Kapitel steht die Qualität von (inklusivem) Unterricht in der (Grund-)Schule im Fokus. In diesem Kontext stellt sich die Frage, an welchen Kriterien (inklusiver) Unterricht bewertet werden kann. Hierbei soll die Bedeutung der Qualität von Lehr-Lern-Umgebungen für die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler, insbesondere auch für leistungsschwächere Lernende verdeutlicht werden. Lipowsky (2007a) weist vor dem Hintergrund von empirischen Untersuchungen darauf hin, dass die Qualität von Lehrkraft und Unterricht gerade für leistungsschwächere Kinder in der Grundschule von besonderer Bedeutung ist. Es wird der Frage nachgegangen, wodurch sich qualitativ hochwertiger Unterricht im Allgemeinen auszeichnet und ob ein inklusiver Unterricht weiterer oder anderer spezifischer Qualitätskriterien bedarf. Gibt es z. B. bestimmte Unterrichtsmerkmale, die für heterogene Lerngruppen wie im Rahmen des inklusiven Unterrichts hervortreten? In diesem Zusammenhang wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit vordergründig der Frage nachgegangen, welche Rolle die Lehrperson für die Qualität von inklusivem Unterricht spielt. Inwieweit sind beispielsweise Eigenschaften und persönliche Ressourcen von Lehrpersonen bedeutsam für ihr unterrichtliches Handeln? In diesem Kapitel werden Grundlagen aus der Unterrichtsforschung vorgestellt und vor diesem Hintergrund eine Auswahl von Merkmalen für einen guten inklusiven Unterricht getroffen, die im Rahmen der vorliegenden Studie im Zusammenhang mit persönlichen Ressourcen von Lehrkräften näher untersucht werden.

2.2.1 Theorien und Modelle der Unterrichtsqualität Qualität von Unterricht nimmt in der allgemeinen Schul- und Unterrichtsforschung eine zentrale Rolle ein. Im Detail geht es zum einen um die Frage, wodurch guter Unterricht gekennzeichnet ist und zum anderen, welche Bedingungsfaktoren zu einem guten bzw. effektiven Unterricht führen. Die Qualität von Unterricht kann dabei aus zwei Perspektiven, der prozess- und der produktorientierten Perspektive, betrachtet werden (Helmke, 2012). Eine prozessorientierte Betrachtung von Unterrichtsqualität findet auf der Basis von beobachtbaren Merkmalen statt, mit denen die „Beschaffenheit“ des Unterrichts beschrieben wird (Helmke, 2012, S. 22). In diesem Zusammenhang wird zwischen Sicht- und

18

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

Tiefenstrukturen unterschieden. Während Sichtstrukturen die äußeren Rahmenbedingungen und die organisatorische Gestaltung des Unterrichts kennzeichnen, stellen Tiefenstrukturen die inhaltliche Gestaltung des Unterrichts bezogen auf Lehr-Lern-Prozesse dar und somit die Art und Weise wie Unterrichtsinhalte behandelt und wie Beziehungen zwischen Peers und zwischen Lehrkraft und Schülerinnen und Schülern gestaltet werden (Kunter & Voss, 2011, S. 87). Im Gegensatz zu einer prozessorientierten Betrachtung würde eine produktorientierte Sichtweise das Output, d. h. beispielsweise die Lernleistungen der Schülerinnen und Schüler als Kriterium heranziehen und somit die Qualität des Unterrichts anhand dessen Wirkungen bewerten (Helmke, 2012). In diesem Kontext sollten jedoch nicht ausschließlich die Lernleistungen der Schülerinnen und Schüler als Kriterium verwendet werden, sondern insbesondere auch ihre überfachlichen Kompetenzen (Ditton, 2000). Kriterien eines guten Unterrichts können sich demnach auf „die fachliche, motivationale und/oder emotionale Entwicklung der Lernenden“ beziehen (Lipowsky, 2007b, S. 26). Die Erfassung von Unterrichtsqualität sollte auf Grundlage beider Perspektiven, d. h. unter Berücksichtigung von Prozessen sowie Produkten erfolgen, was sich im Optimalfall in sowohl gutem (Prozess) als auch effektivem Unterricht (Produkt) äußert (Helmke, 2012), da ansonsten die reine prozessorientierte Betrachtung die Wirkungen des Unterrichts wie beispielsweise die Lernentwicklung der Schülerinnen und Schüler außer Betracht lässt. Neben dieser Vorgehensweise, dem ProzessProdukt-Paradigma gibt es auch das Experten-Paradigma, was nach Helmke (2012, S. 47) eine Erweiterung im Sinne einer ganzheitlichen Perspektive darstellt und im Zusammenhang mit gutem Unterricht die professionellen Kompetenzen von Lehrkräften fokussiert. Die ersten Überlegungen im Zusammenhang mit Unterrichtsqualität gehen auf die Arbeiten von Carroll (1963) und Bloom (1973) zurück (Einsiedler, 2017). Dem Modell von Carroll (1963, S. 730) liegt die Annahme zugrunde, dass Lernleistungen von Schülerinnen und Schülern als Verhältnis von investierter und benötigter Lernzeit verstanden werden können (siehe auch Einsiedler, 2017, S. 274). Carroll (1963) geht davon aus, dass die Schülerinnen und Schüler eine höhere Lernzeit benötigen, wenn z. B. die Unterrichtsqualität sowie ihre Fähigkeit, den Unterricht zu verstehen, gering sind. Bloom (1973) stellt neben individuellen Fähigkeiten und affektiven Eingangsmerkmalen von Schülerinnen und Schülern die Unterrichtsqualität als weiteren Prädiktor zur Erklärung der schuli-

2.2 Qualität inklusiven Unterrichts

19

schen Leistung dar und schätzt, dass ca. 25% der Unterschiede in den Schülerleistungen auf die Qualität von Unterricht zurückgeführt werden können. Im Anschluss an diese Modelle sind zahlreiche weitere Konzepte entstanden, die sich mit der Frage nach Bedingungsfaktoren für Schülerleistungen sowie nach gutem Unterricht befasst haben. Im Folgenden werden einige dieser Modelle und Theorien von Unterrichtsqualität dargestellt (für eine Übersicht siehe z. B. Helmke & Schrader, 2008). Das QAIT-Modell von Slavin (1987, 1994), welches auf der Basis von Carroll’s Modell (1963) entwickelt wurde, setzt sich aus vier Komponenten zusammen, die unmittelbar von Lehrperson und Schule beeinflusst werden können: Unterrichtsqualität (quality of instruction), angemessenes Unterrichtsniveau (appropriate levels of instruction), Anreiz (incentive) und Zeit (time). Anhand von empirischen Befunden fundiert Slavin (1994) die jeweiligen Komponenten mit konkreten Merkmalen. So ist die Unterrichtsqualität beispielsweise durch Aspekte wie Strukturierung, sprachliche Klarheit oder anschauliche Darstellungen gekennzeichnet. Slavin (1994, S. 143-144) vergleicht die Komponenten zudem mit den Gliedern einer Kette und rekurriert auf die gleichwertige Bedeutung dieser Variablen. Effektiver Unterricht kann demnach erreicht werden, wenn alle vier Komponenten hoch ausgeprägt sind. Ausgehend von dem QAIT-Modell hat Ditton (2000) ebenfalls auf der Basis von empirischen Befunden eine Übersicht mit Merkmalen dieser vier Komponenten erstellt. So umfasst nach Ditton (2000, S. 82) die Qualität von Unterricht beispielsweise Aspekte wie Strukturierung und Klarheit, während ein angemessenes Unterrichtsniveau beispielsweise Adaptivität und individuelle Förderung betrifft. Die Komponente Anreiz hingegen bezieht sich auf die Motivierung der Schülerinnen und Schüler, welche z. B. durch die Etablierung eines positiven Klassenklimas erreicht werden kann. Weitere Zusammenstellungen von Prinzipien für einen effektiven Unterricht lassen sich z. B. bei Brophy (2000) sowie Klieme und Kollegen (Klieme, Lipowsky, Rakoczy & Ratzka, 2006; Klieme & Rakoczy, 2008; Klieme, Schümer & Knoll, 2001) vorfinden. Des Weiteren liegen Metaanalysen von beispielsweise Hattie (2009) sowie Seidel und Shavelson (2007) vor, die die Effektivität einzelner Merkmale untersuchen. Klieme und Kollegen (2001, 2006, 2008) systematisieren Merkmale guten Unterrichts zu einem Modell mit drei Basisdimensionen. Diese sind Klassenführung, unterstützendes Unterrichtsklima und kognitive Aktivierung und wurden

20

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

2001 im Rahmen der TIMSS-Studie von Klieme, Schümer und Knoll als Grunddimensionen von Unterrichtsqualität formuliert. Klassenführung umfasst dabei Merkmale wie Klarheit und Strukturierung im Unterricht. Das unterstützende Unterrichtsklima bezieht sich auf einen von Wertschätzung und Respekt geprägten Umgang zwischen Lehrkraft und Schülerinnen und Schülern sowie positivem Feedback durch die Lehrperson. Mit kognitiver Aktivierung sind Lerngelegenheiten gemeint, die durch anspruchsvolle und anregend gestaltete Unterrichtsangebote ein vertieftes Verständnis und Lernen fördern (Klieme & Rakoczy, 2008). Diese drei Dimensionen sind vergleichbar mit den international untersuchten drei Faktoren emotional support, classroom organization und instructional support nach Pianta und Kollegen (Pianta & Hamre, 2009; Pianta, La Paro & Hamre, 2008). National sind darüber hinaus die aus jeweils zehn Merkmalen bestehenden Merkmalskataloge guten Unterrichts von Helmke (2012) und von Meyer (2011) bekannt, die sich teilweise überschneiden, aber auch unterschiedliche Bereiche hervorheben (vgl. Tabelle 1). So tauchen die Merkmale Klarheit, Strukturierung und lernförderliches Klima bei beiden Autoren auf. Während Helmke (2012) die beiden Merkmale Klarheit und Strukturierung zusammenfasst, betrachtet Meyer (2011) sie getrennt als zwei unterschiedliche Merkmale. Tabelle 1 Merkmale guten Unterrichts nach Helmke (2012) und nach Meyer (2011)

Merkmale guten Unterrichts nach Helmke (2012) 1. Klassenführung 2. Klarheit und Strukturiertheit 3. Konsolidierung und Sicherung 4. Aktivierung 5. Motivierung 6. Lernförderliches Klima 7. Schülerorientierung 8. Kompetenzorientierung 9. Umgang mit Heterogenität 10. Angebotsvariation

Merkmale guten Unterrichts nach Meyer (2011) 1. Klare Strukturierung des Unterrichts 2. Hoher Anteil echter Lernzeit 3. Lernförderliches Klima 4. Inhaltliche Klarheit 5. Sinnstiftendes Kommunizieren 6. Methodenvielfalt 7. Individuelles Fördern 8. Intelligentes Üben 9. Transparente Leistungserwartungen 10. Vorbereitete Umgebung

2.2 Qualität inklusiven Unterrichts

21

Die Merkmale lassen sich nach Helmke (2012) inhaltlich gruppieren. So sind die Merkmale Klarheit und Strukturiertheit, Konsolidierung und Sicherung sowie Aktivierung dadurch gekennzeichnet, „dass sie sich direkt auf die Förderung der Informationsverarbeitung beziehen“ (Helmke, 2012, S. 169, Hervorhebung im Original). Die Merkmale Motivierung, lernförderliches Klima und Schülerorientierung haben einen indirekten Bezug auf Lernerfolg und fokussieren die Lernbereitschaft (Helmke, 2012, S. 169). Die letzten beiden Merkmale Umgang mit Heterogenität und Angebotsvariation berücksichtigen dahingegen die „Unterschiedlichkeit von Bildungszielen, fachlichen Inhalten und individuellen Lernvoraussetzungen“ (Helmke, 2012, S. 169). Im Gegensatz zu den Variablen von Slavin (1994) müssen die Merkmale nicht gleichzeitig und in hoher Ausprägung vorhanden sein, da der Fokus auf die Merkmale in Hinblick auf die Bildungsziele variieren kann (Helmke & Schrader, 2008). Helmke und Schrader (2008) verweisen auf die Kritik von Mühlhausen (2008), dass eine Liste von Kriterien oder Merkmalen keine angemessene Grundlage zur Beurteilung von Unterrichtsqualität sei. Auf diese Kritik antworten die beiden Autoren damit, dass die Merkmale keine Handlungsanleitung für den Unterricht darstellen, sondern ein Steuerungswissen, „das zur Reflexion und Analyse des Unterrichts dienen kann, nicht aber dazu, das Handeln in konkreten Unterrichtssituationen zu lenken“ (Helmke & Schrader, 2008, S. 27). Die Bereitschaft von Lehrkräften, das eigene unterrichtliche Handeln zu reflektieren, stellt ein zentrales Element für ihre professionelle Entwicklung dar (Helmke, 2012, S. 116). In den Standards für die Lehrerbildung (KMK, 2014) ist die Reflexion und Evaluation von Unterricht als Kernaufgabe von Lehrkräften verankert: „Ihre Kernaufgabe ist die gezielte und nach wissenschaftlichen Erkenntnissen gestaltete Planung, Organisation und Reflexion von Lehr- und Lernprozessen sowie ihre individuelle Bewertung und systemische Evaluation. Die berufliche Qualität von Lehrkräften entscheidet sich an der Qualität ihres Unterrichts“ (KMK, 2014, S. 3). Einen im deutschsprachigen Raum sehr bekannten und umfassenden theoretischen Rahmen über den Zusammenhang von Faktoren, die auf den Unterricht und auf das Lernen von Schülerinnen und Schülern einwirken, liefert Helmke (2012) mit seinem Angebots-Nutzungs-Modell (vgl. Abbildung 1). Unterricht wird hier als ein von der Lehrperson ausgehendes Angebot verstanden, dessen Nutzung auf Seiten der Schülerinnen und Schüler von ihren individuellen Voraussetzungen sowie den schulischen Rahmenbedingungen abhängig ist. Die

22

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

Qualität des Angebots wird dabei von spezifischen Kompetenzen der Lehrperson beeinflusst. Dazu zählen neben dem Professionswissen beispielsweise die fachlichen, didaktischen und diagnostischen Kompetenzen der Lehrkraft.

FAMILIE strukturelle Merkmale (Schicht, Sprache, Kultur, Bildungsnähe); Prozessmerkmale der Erziehung und Sozialisation

LEHRPERSON

Professionswissen fachliche, didaktische, diagnostische und KlassenführungsKompetenz pädagogische Orientierungen Erwartungen und Ziele

LERNPOTENZIAL UNTERRICHT (Angebot)

Vorkenntnisse, Sprache(n), Intelligenz, Lern- und Gedächtnisstrategien; Lernmotivation, Anstrengungsbereitschaft, Ausdauer, Selbstvertrauen

Prozessqualität des Unterrichts

LERNAKTIVITÄTEN

-  fachübergreifend -  fachspezifisch

Wahrnehmung und Interpretation

Qualität des LehrLern-Materials

WIRKUNGEN

(Nutzung)

(Ertrag)

aktive Lernzeit im Unterricht

fachliche Kompetenzen

außerschulische Lernaktivitäten

fachübergreifende Kompetenzen

Engagement, Geduld, Humor

erzieherische Wirkungen der Schule Unterrichtszeit

KONTEXT kulturelle Rahmenbedingungen

regionaler Kontext

Schulform, Bildungsgang

Klassenzusammensetzung

didaktischer Kontext

Schulklima, Klassenklima

Abbildung 1. Angebots-Nutzungs-Modell nach Helmke (2012, S. 71)

In diesem Modell sind zudem Wechselwirkungen innerhalb der einzelnen Elemente verdeutlicht. Die Lernaktivitäten der Schülerinnen und Schüler werden neben Mediationsprozessen wie z. B. der individuellen Wahrnehmung und Interpretation des Unterrichts (Helmke, 2012, S. 71-72), auch durch ihr jeweiliges Lernpotenzial und den schulischen Kontext wie Klassenklima, Klassenzusammensetzung etc. beeinflusst. Der Ertrag, der auf Basis dieser Lernaktivitäten erreicht wird, wirkt sich wiederum auf die Lernpotenziale aus, die eine Voraussetzung für die Nutzung des von der Lehrkraft ausgehenden Lernangebots sind und damit zu angemessenen Lernaktivitäten führen. Dem Modell nach ist das Unterrichtsangebot insbesondere von den Eigenschaften der Lehrkraft abhängig,

2.2 Qualität inklusiven Unterrichts

23

die sich in Form von unterrichtsrelevanten Kompetenzen, lehr-lernbezogenen Überzeugungen, aber auch Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und der Bereitschaft, das eigene professionelle Handeln zu reflektieren, äußern (Helmke, 2012). Im Zusammenhang mit den professionellen Kompetenzbereichen, über die eine Lehrkraft verfügen sollte, wurde von Baumert und Kunter (2006, S. 482) das Modell zur professionellen Handlungskompetenz von Lehrkräften entwickelt (vgl. Abbildung 2). In diesem Modell wird davon ausgegangen, dass neben einem angemessenen Professionswissen, welches sich beispielsweise in pädagogisches, Fach- oder fachdidaktisches Wissen unterteilt, bestimmte Persönlichkeitsbereiche von Lehrpersonen ebenfalls relevant für ein erfolgreiches unterrichtliches Handeln sind. Dazu zählen dem Modell nach Überzeugungen wie beispielsweise epistemologische Überzeugungen oder subjektive Theorien. Darüber hinaus werden neben selbstregulativen Fähigkeiten von Lehrkräften auch ihre motivationalen Orientierungen aufgeführt, welche die intrinsische Motivation und Selbstwirksamkeitsüberzeugungen umfassen (Baumert & Kunter, 2006). Vor dem Hintergrund dieser Modelle können Eigenschaften von Lehrpersonen als zentrale Determinanten für das Gelingen von Unterricht betrachtet werden.

Überzeugungen/ Werthaltungen

Motivationale Orientierungen

Selbstregulative Fähigkeiten

Professionswissen

Wissensbereiche (Wissen und Können)

Pädagogisches Wissen

Fachwissen

Fachdidakt. Wissen

Organisationswissen

Beratungswissen

Wissensfacetten

Abbildung 2. Modell professioneller Handlungskompetenz (Baumert & Kunter, 2006, S. 482)

24

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

2.2.2 Qualität inklusiven Unterrichts Die Frage nach einem guten inklusiven Unterricht ergibt keine einfache Antwort. Insbesondere die Frage, ob Inklusion eine spezifische Didaktik benötigt, wird kontrovers diskutiert. So wird von vielen – auch auf empirischer Grundlage – die Ansicht vertreten, dass inklusiver Unterricht generell nicht vom Regelunterricht abweiche und auch nicht durch eine bestimmte inklusive Didaktik gekennzeichnet sei (siehe hierzu Heinrich, Urban & Werning, 2013, S. 83-84). Allerdings zeichnet sich hierbei die Bedeutung von individualisierenden und differenzierenden Aspekten für den inklusiven Unterricht ab, z. B. durch weitere Übungsmöglichkeiten für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf (siehe hierzu Heinrich et al., 2013, S. 83). Unter der Prämisse einer gemeinsamen Beschulung aller Schülerinnen und Schüler verweist auch Lütje-Klose (2011, S. 13) darauf, dass inklusive Didaktik „nicht als eine spezifische, auf bestimmte Schülergruppen zugeschnittene Konzeption“ verstanden werden kann. Als ein wesentliches Merkmal guten inklusiven Unterrichts werden jedoch die Berücksichtigung von Heterogenität und zugleich die Förderung der sozialen Integration hervorgehoben, was sich in einem ausgewogenen Verhältnis von Individualisierung bzw. innerer Differenzierung und Gemeinsamkeit äußert (Lütje-Klose, 2011). Daneben wird der Grad der Öffnung bzw. Strukturierung des Unterrichts als weiteres wichtiges Element inklusiven Unterrichts genannt (Lütje-Klose, 2011). Darüber hinaus kann inklusiver Unterricht als ein Unterricht verstanden werden, der den individuellen Lernvoraussetzungen und dem Leistungspotenzial aller Schülerinnen und Schüler gerecht wird und alle in einer gerechten Weise fordert und fördert. Der Unterricht sollte nach Kahlert und Heimlich (2014, S. 113) demnach so gestaltet sein, dass er „dem Zusammenspiel unterschiedlicher sozialer, emotionaler, sensomotorischer und kognitiver Fähigkeiten, Bedürfnisse und Entwicklungsmöglichkeiten Rechnung trägt“. Nach dem Beschluss der KMK (2011) ist inklusiver Unterricht daher durch sowohl innere als auch äußere Differenzierung gekennzeichnet. Erforderlich sind diagnostische Maßnahmen sowie die Adaptierung von Inhalten und Lehr-Lern-Materialien unter verschiedenen Gesichtspunkten wie Optik, Akustik, Sprache etc. (KMK, 2011). Prengel (2012, S. 175) verdeutlicht zudem, dass ein gemeinsamer Unterricht noch lange kein guter inklusiver Unterricht ist: „Ausgangspunkt inklusiven Unterrichts ist die Anwesenheit aller Kinder in einer Schule. Dabei ist der gemeinsame Zugang zu einer Schule

2.2 Qualität inklusiven Unterrichts

25

auf der institutionellen Ebene zwar eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung für das Gelingen inklusiven Unterrichts“. Für einen gelingenden inklusiven Unterricht stellt sie sieben Thesen auf (Prengel, 2012, S. 176181): 1. 2. 3.

4. 5.

6. 7.

„Inklusiver Unterricht beruht auf einer Halt gebenden und responsiven LehrerSchüler-Beziehung“ „Im inklusiven Unterricht werden respektvolle Peer-Beziehungen gepflegt“ „Zum inklusiven Unterricht gehört eine differenzierende Didaktik, die individualisierungsfähige gestufte Standards und Offenheit für die Themen der Kinder und Jugendlichen kombiniert“ „Im inklusiven Unterricht werden didaktische Materialien angeboten, die Differenzierung ermöglichen“ „Im inklusiven Unterricht wird eine pädagogische Diagnostik praktiziert, die im Sinne des Assessment for Learning auch Selfassessment und Peer-assessment einschließt“ „Im inklusiven Unterricht wird ein mehrperspektivischer Leistungsbegriff angewendet“ „Im inklusiven Unterricht kooperieren multiprofessionelle Teams“

In diesen sieben Thesen sind die Bereiche Lehrer-Schüler- sowie SchülerSchüler-Beziehung, Differenzierung, Diagnostik, ein neuer Leistungsbegriff und Team-Teaching enthalten, die zu einem gelingenden inklusiven Unterricht beitragen sollen. Diagnostik stellt hier die Voraussetzung für die Didaktik des Unterrichts dar, um den Schülerinnen und Schülern individuelle Lernangebote ermöglichen zu können (Prengel, 2012, S. 179). Die Lehrer-Schüler- sowie PeerBeziehungen und ein mehrperspektivisches Verständnis von Leistung können dem Aspekt eines lernförderlichen Klassenklimas zugeordnet werden. In diesen Ausführungen zum inklusiven Unterricht wird deutlich, dass die Bereiche Umgang mit Heterogenität (Individualisierung und Gemeinsamkeit) und ein positives Klima als essenzielle Bedingungsfaktoren guten inklusiven Unterrichts angenommen werden.

26

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

2.2.3 Ausgewählte Merkmale guten Unterrichts Die in Kapitel 2.2.1 und 2.2.2 vorgestellten Modelle bzw. theoretischen Konzeptionen zur Qualität von allgemeinem sowie speziell von inklusivem Unterricht weisen Überschneidungen auf. Von vielen Autoren werden Aspekte von Strukturierung und Klarheit – entweder in Form einzelner Merkmale oder als Elemente der Klassenführung – als wichtige Merkmale guten Unterrichts genannt (z. B. Brophy, 2000; Ditton, 2000; Helmke, 2012; Klieme & Rakoczy, 2008; Meyer, 2011; Slavin, 1994). Ebenfalls oft vorzufinden sind ein angemessener Umgang mit Heterogenität oder individuelle Förderung (z. B. Ditton, 2000; Helmke, 2012; Lütje-Klose, 2011; Meyer, 2011; Prengel, 2012; Slavin, 1994). So wird Differenzierung als wichtiger Bestandteil von inklusivem Unterricht beschrieben (z. B. KMK, 2011; Prengel, 2012). Darüber hinaus wird beispielsweise mit wertschätzenden Lehrer-Schüler- bzw. Peer-Beziehungen sowie emotionaler Unterstützung ein positives Klima in der Klasse für das Gelingen von (inklusivem) Unterricht hervorgehoben (z. B. Brophy, 2000; Ditton, 2000; Helmke, 2012; Klieme & Rakoczy, 2008; Meyer, 2011; Pianta et al., 2008; Prengel, 2012). Vor diesem Hintergrund werden die folgenden Merkmale von Unterrichtsqualität nach Helmke (2012), die im Rahmen der vorliegenden Arbeit untersucht werden, definiert und ihre Bedeutung für den (inklusiven) Unterricht anhand von empirischen Befunden beleuchtet: Umgang mit Heterogenität, lernförderliches Klima, Strukturierung, Klarheit. Im Zuge der Implementierung von inklusivem Unterricht rückt der Aspekt des adäquaten Umgangs mit Heterogenität in den Fokus, da die ohnehin schon vorhandene Heterogenität der Schülerinnen und Schüler in der Grundschule mit der Entwicklung eines inklusiven Bildungssystems zunimmt. Heterogenität kann sich dabei auf verschiedene Dimensionen wie beispielsweise Vorwissen, Migrationshintergrund, Entwicklungsstand oder Lernstil beziehen (Helmke, 2012, S. 252). Von den Lehrkräften wird infolgedessen ein differenzierender und individualisierender Umgang mit Heterogenität im Unterricht gefordert (Kluczniok, Große & Roßbach, 2014, S. 198). In diesem Zusammenhang wurde bereits in den 1970er Jahren im Rahmen der Entwicklung integrativer Formen von Beschulung für die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler als zentrale Leitlinie plädiert (Klieme & Warwas, 2011). Durch das Formulieren von individuellen Lernzielen für alle Kinder erwartet beispielsweise Sander (2004) neben

2.2 Qualität inklusiven Unterrichts

27

der individuellen Lernentwicklung außerdem eine Entlastung der Lehrkraft, denn dadurch, so Sander (2004, S. 244), „[wendet sich] [i]nklusiver Unterricht [...] ab von dem die Lehrenden wie die Lernenden frustrierenden Versuch, die Klasse im Gleichschritt lernen zu lassen“. Ein angemessener Umgang mit Heterogenität im Unterricht erfordert insbesondere eine Balance zwischen Unter- und Überforderung für die Schülerinnen und Schüler (Helmke, 2012, S. 249). Dies ist auch in dem Angebots-Nutzungs-Modell nach Helmke (2012, S. 71) ersichtlich. Für den inklusiven Unterricht bedeutet dieses Modell, dass nach der Prämisse einer individuellen Förderung im inklusiven Unterricht, individuelle Angebote auf der Basis der Lernpotenziale der Schülerinnen und Schüler gemacht werden sollten bzw. die unterschiedlichen Lernpotenziale bei der Gestaltung der Angebote bzw. des Unterrichts stärker berücksichtigt werden müssten, wenn eine adäquate Wahrnehmung und Interpretation von Seiten der Schülerinnen und Schüler aufgrund kognitiver oder emotional-sozialer Beeinträchtigungen nicht immer möglich ist. Generell können nach Weinert (1997) vier Reaktionsformen zum Umgang mit heterogenen Lern- und Leistungsständen unterschieden werden (Helmke, 2012, S. 250-251): Lehrpersonen können eine passive Reaktionsform zeigen, indem sie Leistungsunterschiede in der Klasse ignorieren und keinen speziellen bzw. differenzierenden Umgang mit Heterogenität anstreben. Mit einer substitutiven Reaktionsform wird eine Anpassung der Schülerinnen und Schüler an den Unterricht anvisiert. Im Gegensatz dazu würde eine aktive Reaktionsform darauf abzielen, durch Differenzierungsmaßnahmen den Unterricht adaptiv zu gestalten und den heterogenen Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler anzupassen. Eine proaktive Reaktionsform betrifft Diagnose- und Fördermaßnahmen, auf deren Basis eine individuelle Förderung stattfinden kann. Auch die überarbeitete Fassung der Standards für die Lehrerbildung (KMK, 2014, S. 2) fokussiert stärker die Berücksichtigung der Heterogenität von Schülerinnen und Schülern und postuliert einen „achtsame[n], konstruktive[n] und professionelle[n] Umgang mit Vielfalt“. So ist im Kompetenzbereich Unterrichten in der neuen Fassung der Standards für die Lehrerbildung (KMK, 2014) die Rede von der „Berücksichtigung unterschiedlicher Lernvoraussetzungen und Entwicklungsprozesse [...]“ für die Planung und Gestaltung des Unterrichts (Kompetenz 1, S. 7). Der Kompetenzbereich Erziehen wurde um die Kenntnis der Lehrkräfte über „etwaige Benachteiligungen, Beeinträchtigungen und Barrieren von und für Schülerinnen und Schüler(n)“ (Kompetenz 4, S. 9) sowie um die

28

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

Bedeutung von positiven Einstellungen gegenüber der Heterogenität (Kompetenz 5) ergänzt. Im Detail sollen die Absolventen des Lehramtsstudiums beispielweise erkennen, dass eine positive Einstellung zur Heterogenität das Lehren und Lernen begünstigt. Für den Kompetenzbereich Beurteilen werden in der neuen Fassung (KMK, 2014) u. a. zusätzlich das Wissen über die Eigenschaften von Heterogenität sowie über unterschiedliche Bedingungen des Lernens im Zusammenhang mit der Leistungsentwicklung (Kompetenz 7) gefordert. Darüber hinaus wird im Kompetenzbereich Innovieren der überarbeiteten Fassung (KMK, 2014) von den Absolventen des Lehramtsstudiums u. a. die Reflexion über „die professionellen Anforderungen des Umgangs mit Diversität und Heterogenität“ (Kompetenz 10, S. 13) erwartet. Ein lernförderliches Klima in der Klasse kann als Voraussetzung für das Gelingen von Inklusion gesehen werden. Dieses Konstrukt wird von vielen Autoren als ein wichtiges Merkmal guten (inklusiven) Unterrichts aufgeführt (z. B. Brophy, 2000; Helmke, 2012; Klieme & Rakoczy, 2008; Meyer, 2011; Prengel, 2012). Ein lernförderliches Klima ist dadurch gekennzeichnet, dass die Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler durch eine angenehme und entspannte Atmosphäre im Unterricht unterstützt werden (Helmke, 2012). So werden Fehler von Lernenden „als selbstverständlicher Teil des Lernprozesses“ verstanden (Helmke, 2012, S. 229). Darüber hinaus zeichnet sich ein lernförderliches Klima durch den Abbau von Angst aus, der beispielsweise durch eine wertschätzende Beziehung zwischen Lehrkraft und Schülerinnen und Schülern sowie durch ermutigende Rückmeldungen erreicht werden kann (Helmke, 2012, S. 233). Ein weiteres zentrales Element des lernförderlichen Klimas ist ein angemessenes Unterrichtstempo mit beispielsweise ausreichenden Wartezeiten für mündliche Schülerbeiträge (Helmke, 2012). Auch in den Standards für die Lehrerbildung (KMK, 2014) wird von Lehrkräften die Gestaltung eines positiven Unterrichtsklimas gefordert. Im Kompetenzbereich Erziehen werden beispielsweise kommunikative Kompetenzen zur Herstellung von gelingenden Interaktionen zwischen Schülerinnen und Schülern und Lehrkräften hervorgehoben (Kompetenz 6, S. 10). Während Fauth, Decristan, Rieser, Klieme und Büttner (2014) darüber berichten, dass ein unterstützendes Klima im Unterricht prädiktiv für das Interesse der Schülerinnen und Schüler ist, zeigen weitere Studien, dass insbesondere

2.2 Qualität inklusiven Unterrichts

29

leistungsschwächere Kinder oder Kinder mit Verhaltensschwierigkeiten besonders von der emotionalen Unterstützung der Lehrkraft bzw. einem positiven Klassenklima profitieren (Hamre & Pianta, 2005; Wilson, Pianta & Stuhlman, 2007). Die Studie von Hamre und Pianta (2005) zeigt, dass Kinder, die am Ende der Kindergartenzeit im Vergleich zu ihren Peers z. B. niedrigere Leistungen oder Verhaltensauffälligkeiten aufwiesen und somit der Risikogruppe zugeordnet wurden, diese Schwächen durch eine emotionale Unterstützung der Lehrkraft im Laufe des ersten Schuljahres kompensieren konnten. Die emotionale Unterstützung der Lehrkraft führte demnach dazu, dass sich die Kinder aus der Risikogruppe leistungsbezogen und in der Lehrer-Schüler-Beziehung ähnlich entwickelten wie ihre Peers, die nicht der Risikogruppe zugeordnet waren. Hingegen wiesen Kinder aus der Risikogruppe, die sich nicht in solch einer Unterrichtsumgebung befanden, eine negativere Entwicklung auf als ihre Peers, die nicht der Risikogruppe zugeordnet waren. Wilson et al. (2007) konnten ebenfalls zeigen, dass insbesondere Kinder aus der Risikogruppe von einem Unterricht mit hoher emotionaler und instruktionaler Unterstützung profitieren und stärkere soziale Kompetenzen entwickeln als Kinder aus der Risikogruppe, die sich in Klassen mit niedrig ausgeprägter emotionaler und instruktionaler Unterstützung befinden. Das Merkmal Strukturierung betrifft Maßnahmen im Unterricht, die die Organisation der Lerninhalte und des Wissens bei den Schülerinnen und Schülern fördern (Helmke, 2012, S. 197). Strukturierung im Unterricht kann sich auf verschiedene Aspekte beziehen. Wesentlich für einen strukturierten Unterrichtsablauf sind die drei Phasen Einstieg, Erarbeitung und Ergebnissicherung, auch bezeichnet als „methodische[r] Grundrhythmus des Unterrichts“ (Meyer, 2011, S. 27). Der Unterricht sollte schlüssig und kohärent sein, d. h. die einzelnen Phasen aufeinander aufbauen und in einem Zusammenhang stehen sowie einen roten Faden aufweisen (Helmke, 2012, S. 198). Nach Meyer (2011) kann Unterricht auch nach verschiedenen Aspekten wie beispielsweise der Abstraktion oder Komplexität der Inhalte strukturiert werden, sodass die Inhalte des Unterrichts z. B. auf einem abstrakten Niveau beginnen und sukzessive konkreter werden oder auf einem einfachen Niveau beginnen und mit jedem Schritt schwieriger werden oder auch umgekehrt (Meyer, 2011, S. 28). Strukturierung im Unterricht bedeutet beispielweise aber auch, dass die Unterrichts- und Lernziele sowie Leistungserwartungen den Schülerinnen und Schülern transparent gemacht wer-

30

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

den (Helmke, 2012, S. 198). Darüber hinaus stehen die Verknüpfung von Vorwissen und neuen Inhalten sowie die Formulierung von Fragen im Vordergrund, die eine intensive Auseinandersetzung mit den Themen anvisieren (Helmke, 2012, S. 198). Strukturierung im Unterricht scheint für heterogene Lerngruppen ein effektives Merkmal zu sein, wie in der Studie von Möller, Jonen, Hardy und Stern (2002) gezeigt werden konnte. Möller et al. (2002) sind in ihrer Studie zum Sachunterricht in der Grundschule zu dem Ergebnis gekommen, dass ein strukturierter Unterricht gerade für lernschwächere Kinder von Bedeutung ist. Auch nach Lipowsky (2002, S. 133) kann angenommen werden, dass leistungsschwächere Kinder stärkere Strukturierungsmaßnahmen z. B. im offenen Unterricht benötigen, da sie aufgrund fehlender selbstregulativer Fähigkeiten ihre Lernprozesse nicht erfolgreich steuern können und „offene Lernsituationen und den eigenen Lernprozess vermutlich diffuser und weniger bewusst wahr[nehmen] [...]“. Das Merkmal Klarheit im Unterricht bezieht sich auf die Bereiche Akustik, Sprache, Inhalt und Fach (Helmke, 2012, S. 191). Inhaltliche Klarheit ist nach Meyer (2011, S. 55) gegeben, „wenn die Aufgabenstellung verständlich, der thematische Gang plausibel und die Ergebnissicherung klar und verbindlich gestaltet worden sind“. Eine nicht unerhebliche Rolle für die Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler spielt neben der akustischen Verständlichkeit die klare Sprache der Lehrkraft. Sprachliche Klarheit ist beispielsweise durch einfache Satzstrukturen, prägnante Darstellungen sowie eine übersichtliche und anregende Sprache gekennzeichnet (Helmke, 2012, S. 196-197; siehe auch Langer, Schulz von Thun & Tausch, 1974). In der Längsschnittstudie SCHOLASTIK („Schulorganisierte Lernangebote und Sozialisation von Talenten, Interessen und Kompetenzen“) haben sich die Merkmale Klassenführung, Strukturierung, individuelle fachliche Unterstützung, Variabilität der Unterrichtsformen, Klarheit sowie Motivierungsqualität als prädiktiv für die Leistungsentwicklung von Kindern im Mathematikunterricht der Grundschule gezeigt, wohingegen soziales Klima keinen signifikanten Zusammenhang zum Leistungszuwachs in Mathematik oder Rechtschreiben aufwies (Helmke & Weinert, 1997). Auf der Basis von Unterrichtsprofilen der erfolgreichen Klassen konnten Helmke und Weinert (1997) zeigen, dass die Merkmale in

2.2 Qualität inklusiven Unterrichts

31

diesen Klassen bis auf zwei Klassen insgesamt sehr unterschiedlich ausgeprägt sind und sich kein einheitliches Muster erkennen lässt. Lediglich das Merkmal Klarheit war in allen erfolgreichen Klassen überdurchschnittlich stark ausgeprägt (Helmke & Weinert, 1997). In einer anderen Auswertung der SCHOLASTIKStudie wurden die untersuchten Klassen in Abhängigkeit von fünf Zielkriterien, die sich auf die fachliche, affektive und motivationale Entwicklung bezogen, in die drei Cluster Negativgruppe, Mittelgruppe und Optimalgruppe eingeteilt und somit erfolgreiche, weniger erfolgreiche und durchschnittliche Lehrerprofile gebildet (Weinert & Helmke, 1996). Der Vergleich zwischen der Negativgruppe und der Optimalgruppe verdeutlichte, dass Optimalgruppen u. a. durch stärkere Klarheit bzw. Strukturiertheit und individuelle Unterstützung im Unterricht gekennzeichnet waren (Weinert & Helmke, 1996).

2.2.4 Forschungsbefunde zur Qualität von (Grundschul-)Unterricht Die oben genannten Merkmale wurden national wie auch international in vielen Untersuchungen im Zusammenhang mit ihren sowohl fachlichen als auch motivationalen oder emotionalen Wirkungen auf die Schülerinnen und Schüler erforscht. Dabei konnte gezeigt werden, dass insbesondere leistungsschwächere Lernende durch die Qualität des Unterrichts bessere Entwicklungsverläufe aufweisen können (vgl. Kapitel 2.2.3). Hattie (2009) hat in seiner Metaanalyse herausgestellt, welche Faktoren erfolgreiches Lernen in der Schule begünstigen. Ein salientes Ergebnis der Untersuchung in Bezug auf den Lernerfolg von Schülerinnen und Schülern ist dabei die Rolle der Lehrperson (Hattie, 2009). Mit einer Effektstärke von d=0.49 stellt sie den bedeutsamsten Faktor zur Erklärung schulischen Erfolgs dar, d. h. sie scheint den größten Effekt auf den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler zu haben (Hattie, 2009). Hattie (2003) verweist auf Schul- und Unterrichtsforschungen, die gezeigt haben, dass Lehrpersonen mit ihrem professionellen Wissen, ihrer Gestaltung des Unterrichts und ihrem Umgang mit den Schülerinnen und Schülern eine große Rolle für die Lern- und Leistungsentwicklung von Schülerinnen und Schülern spielen. Dementsprechend lassen sich nach den individuellen Faktoren der Schülerinnen und Schüler die Unterschiede in ihren Leistungen zu 30% auf die Lehrperson zurückführen (Hattie, 2003). Im Detail erweisen sich nach Hattie (2009) die Merkmale Micro-

32

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

Teaching (d=0.88), Klarheit der Lehrkraft (d=0.75) und die Lehrer-SchülerBeziehung (d=0.72) als die effektstärksten Faktoren, die von der Lehrkraft ausgehen. Abgesehen von der Rolle der Lehrkraft konnte Hattie (2009) auch für den inklusiven Unterricht einen Effekt von d=0.28 finden, welcher als kleiner bis mittlerer Effekt einzustufen ist. Im Kontext dieser Befunde stellt sich die Frage, wie sich Merkmale der Lehrkraft auf ihr unterrichtliches Handeln auswirken. Generell wird davon ausgegangen, dass die Gestaltung des Unterrichts von den professionellen Eigenschaften der Lehrkraft abhängt. So wie im Angebots-Nutzungs-Modell von Helmke (2012) oder dem Modell professioneller Handlungskompetenz (Baumert & Kunter, 2006) dargestellt, kann angenommen werden, dass das professionelle Wissen von Lehrkräften ihre Unterrichtsgestaltung beeinflusst. Kleickmann, Vehmeyer und Möller (2010) berichten beispielsweise über Zusammenhänge zwischen bestimmten fachspezifischen lehr-lernbezogenen Vorstellungen von Grundschullehrkräften und ihren im naturwissenschaftlichen Unterricht eingesetzten Scaffoldingmaßnahmen. Darüber hinaus konnte in vielen Studien gezeigt werden, dass die verschiedenen Wissensbereiche nach dem Modell der professionellen Handlungskompetenz (Baumert & Kunter, 2006) wie z. B. das fachdidaktische Wissen im Zusammenhang mit dem unterrichtlichen Handeln der Lehrkräfte stehen (z. B. Baumert et al., 2010; Kunter et al., 2013). Lenske et al. (2016) stellen fest, dass das pädagogisch-psychologische Wissen von Lehrkräften Effekte auf die Qualität der Klassenführung hat. Des Weiteren scheinen konstruktivistische Überzeugungen von Lehrkräften prädiktiv für die Gestaltung eines adaptiven Unterrichts in der Grundschule zu sein (Warwas, Hertel & Labuhn, 2011).

2.2.5 Zusammenfassung Deutlich wird an den theoretischen Darstellungen und empirischen Befunden, dass für das erfolgreiche Lernen von (leistungsschwächeren) Schülerinnen und Schülern bestimmte Qualitätsmerkmale guten Unterrichts in den Vordergrund treten. Strukturierte Lernumgebungen scheinen demnach bedeutend für das Lernen leistungsschwacher Kinder zu sein (Lipowsky, 2002; Möller et al., 2002). Prengel (2012) postuliert, dass ein guter inklusiver Unterricht u. a. durch ein

2.3 Selbstwirksamkeitserwartungen und die Qualität inklusiven Unterrichts

33

wertschätzendes positives Klima und durch differenzierenden Unterricht gekennzeichnet sei. Ferner werden ein angemessener Umgang mit Heterogenität sowie ein ausgewogenes Verhältnis von Individualisierung und Gemeinsamkeit als zentrale Kennzeichen von inklusivem Unterricht verstanden (Lütje-Klose, 2011). Vor diesem Hintergrund werden für die vorliegende Untersuchung die folgenden Merkmale guten Unterrichts nach Helmke (2012) ausgewählt und auf den inklusiven Unterricht bezogen: Umgang mit Heterogenität, Klarheit, Strukturierung und lernförderliches Klima. Die professionellen Kompetenzbereiche wie das fachliche, fachdidaktische und pädagogische Wissen nach dem Modell von Baumert und Kunter (2006) werden als wesentliche Determinanten für einen guten Unterricht angenommen und stellen Prädiktoren für das unterrichtliche Handeln von Lehrkräften dar (z. B. Baumert et al., 2010; Kunter et al., 2013). In der vorliegenden Studie sollen im Gegensatz zum fachlichen, fachdidaktischen oder pädagogischen Wissen die persönlichen Ressourcen wie Einstellungen, Selbstwirksamkeit und Motivation von Lehrkräften fokussiert werden. Ziel dieser Untersuchung ist es, den Zusammenhang zwischen persönlichen Ressourcen von Lehrkräften und ihren Sichtweisen über die Qualität inklusiven Unterrichts bzw. ihren Intentionen hinsichtlich der Gestaltung von inklusivem Unterricht zu ermitteln.

2.3 Selbstwirksamkeitserwartungen und die Qualität inklusiven Unterrichts Auf die Frage nach den professionellen Handlungskompetenzen von Lehrkräften werden neben pädagogischer und fachlicher Expertise auch persönliche Ressourcen wie Einstellungen und motivationale Orientierungen genannt (Baumert & Kunter, 2006). Welche Bedeutung persönliche Ressourcen von Lehrkräften für ihr professionelles Agieren in Schule und Unterricht einnehmen, wird in den folgenden Kapiteln thematisiert. Gegenstand dieses Kapitels sind daher die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Lehrkräften und Fragen wie: Wodurch zeichnet sich die Selbstwirksamkeit von Lehrkräften aus? Inwiefern spiegelt sich die Zuversicht der Lehrpersonen in ihre Fähigkeiten auch in ihrer Unterrichtsgestaltung und ihrem Umgang mit Schülerinnen und Schülern wider? Nach einer allgemeinen konzeptionellen Darstellung der Theorie der Selbstwirksamkeit, wird im nächsten Schritt die Lehrerselbstwirksamkeit fokussiert. Im Anschluss

34

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

an die Darstellung zentraler Einflussfaktoren der Lehrerselbstwirksamkeit, schließt das Kapitel mit Befunden aus der empirischen Forschung über die Effekte der Selbstwirksamkeit von Lehrkräften auf ihr unterrichtliches Handeln ab.

2.3.1 Theorie und Konzeption der Selbstwirksamkeit Das Konstrukt der Selbstwirksamkeitsüberzeugung geht auf die sozial-kognitive Theorie des Psychologen Albert Bandura (1977, 1997) zurück. Unter Selbstwirksamkeitserwartungen werden Überzeugungen verstanden, erforderliche Handlungen für das Erreichen eines Ziels oder die Bewältigung einer Herausforderung durchführen zu können (Bandura, 1997). Herausforderungen sind Situationen, die für eine Person neue oder schwierige Aufgaben darstellen und daher einen gewissen Grad an Anstrengung und Ausdauer erfordern (Schwarzer & Jerusalem, 2002, S. 35). Charakteristisch für die Selbstwirksamkeit ist insbesondere in solchen neuen oder herausfordernden Situationen die Zuversicht in die eigenen Fähigkeiten zur Erfüllung der Anforderungen. Selbstwirksamkeitsüberzeugungen werden daher auch als ein „Spezialfall von Optimismus“ (Schwarzer & Jerusalem, 2002, S. 29) bezeichnet. Sie gelten als essenzielle Voraussetzung für eine innovative und kreative sowie von Ausdauer gekennzeichnete Bewältigung von Herausforderungen (Schwarzer & Jerusalem, 2002, S. 36). Dabei kann zwischen Konsequenz- bzw. Ergebniserwartungen und Selbstwirksamkeitserwartungen differenziert werden (Schwarzer & Jerusalem, 2002; vgl. Abbildung 3). Konsequenzerwartungen, auch Handlungs-ErgebnisErwartungen genannt, betreffen generelle Überzeugungen von Zusammenhängen und damit die Frage, durch welches Verhalten ein angestrebtes Ziel im Allgemeinen erreicht werden kann, ohne dabei zunächst die eigenen Fähigkeiten zur Erreichung dieses Zieles zu berücksichtigen. Diese Art von Erwartung basiert auf der Annahme, dass ein Ergebnis von einem bestimmten Verhalten abhängig ist. Selbstwirksamkeitserwartungen hingegen beziehen sich auf die individuelle Wahrnehmung einer Person darüber, ob sie sich selbst in der Lage sieht, dieses Verhalten für das erwünschte Ziel ausführen zu können. Zentral werden hierzu die Einschätzungen der eigenen Kapazitäten zugrunde gelegt (Schwarzer & Jerusalem, 2002).

2.3 Selbstwirksamkeitserwartungen und die Qualität inklusiven Unterrichts

Person

Verhalten

Wirksamkeitserwartungen

35

Ergebnis

Ergebniserwartungen

Abbildung 3. Unterschied zwischen Selbstwirksamkeits- und Ergebniserwartungen (Bandura, 1977, S. 193)

Persönlich festgelegte Ziele können dabei in Abhängigkeit der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen variieren. So wird davon ausgegangen, dass „sich selbstwirksame Personen höhere Ziele [setzen] als nicht selbstwirksame Personen“ (Schwarzer & Jerusalem, 2002, S. 37). Der Beginn einer Handlung sowie das Ausmaß der Anstrengung und die Ausdauer, die eine Person für die Bewältigung von Herausforderungen zeigt, hängen ebenfalls von ihren Selbstwirksamkeitserwartungen ab (Bandura, 1977). Je selbstwirksamer sich eine Person wahrnimmt, desto stärkere Anstrengung und Ausdauer wendet sie für die Bewältigung einer Aufgabe auf und nimmt diese als Herausforderung wahr. Umgekehrt versuchen weniger selbstwirksame Personen Situationen zu vermeiden, deren Bewältigung sie als schwierig einschätzen (Bandura, 1977). Die Selbstwirksamkeit hat also eine selbstregulative und handlungssteuernde Funktion und fördert die Motivation von Personen (Köller & Möller, 2010; Schwarzer & Jerusalem, 2002). Damit wirkt sie sich in einem nicht unerheblichen Maß auf die Leistung einer Person aus. Unabhängig von ihren Fähigkeiten weisen Personen mit hohen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen „größere Anstrengung und Ausdauer, ein höheres Anspruchsniveau, ein effektiveres Arbeitszeitmanagement, eine größere strategische Flexibilität bei der Suche nach Problemlösungen, bessere Leistungen, eine realistischere Einschätzung der Güte ihrer eigenen Leistung und selbstwertförderlichere Ursachenzuschreibungen“ (Schwarzer & Warner, 2011, S. 497) auf als diejenigen mit geringeren Überzeugungen. Hohe Selbstwirksamkeitsüberzeugungen resultieren nach Schunk (1995, S. 113) jedoch nicht unmittelbar in

36

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

einer erfolgreichen Leistung, solange eine Person nicht über die dafür notwendigen Kompetenzen verfügt. Schunk (1995, S. 113) weist darauf hin, dass diesbezüglich die Selbstwirksamkeit in Hinblick auf das Lernen bedeutsam ist und die Kompetenzentwicklung von Personen durch die Förderung ihrer Motivation begünstigt. Darüber hinaus scheinen Personen mit hohen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen resistenter gegenüber Stresssituationen zu sein als weniger selbstwirksame Personen. Eine mögliche Erklärung hierfür ist nach Schwarzer und Jerusalem (2002), dass Selbstwirksamkeitsüberzeugungen die Informationsverarbeitung von Personen beeinflussen. Demnach sehen selbstwirksame Personen eher die positiven Aspekte einer herausfordernden Situation wie z. B. mögliche Erfolgschancen und den persönlichen Nutzen im Gegensatz zu weniger selbstwirksamen Personen, die sich eher ihre fehlenden Kompetenzen vor Augen führen (Schwarzer & Jerusalem, 2002, S. 39). Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Personen können sowohl generell auf das Leben bezogen sein als auch bestimmte Lebensbereiche oder aber auch einzelne konkrete Situationen betreffen (Schwarzer & Jerusalem, 2002). Diese drei Ebenen stellen auf einem Kontinuum von spezifisch bis allgemein die Überzeugungen in Bezug auf entweder bestimmte Situationen und Handlungen, auf einen bestimmten Bereich wie den Beruf als Lehrkraft oder auf alle denkbaren Bereiche im Leben dar. Von der individuellen Selbstwirksamkeit einer Person lässt sich zudem die kollektive Überzeugung unterscheiden, wie z. B. kollektive Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Lehrerkollegien. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass sie „überindividuelle Überzeugungen von der Handlungskompetenz einer Gruppe“ betreffen (Schwarzer & Jerusalem, 2002, S. 41). Dieser Überzeugung liegt zugrunde, dass individuelle Ressourcen von Gruppenmitgliedern durch Zusammenarbeit effektiv genutzt werden können. So würde beispielsweise ein Lehrerkollegium mit dem Vertrauen in die gemeinsamen Ressourcen, also mit hoch ausgeprägten kollektiven Selbstwirksamkeitserwartungen, der Implementierung von Reformzielen mit größerem Selbstvertrauen begegnen (Schwarzer & Jerusalem, 2002, S. 41). Hinsichtlich der Frage, wie sich Selbstwirksamkeitsüberzeugungen entwickeln, nennt Bandura (1977, 1997) vier zentrale Einflussfaktoren (siehe auch Schwarzer & Jerusalem, 2002): Erfahrungen durch selbst erlebte Erfolge und Misserfolge haben dabei den größten Einfluss auf die Entwicklung der Selbstwirksamkeit. Dies kann z. B. in Leistungssituationen das Erreichen eines positi-

2.3 Selbstwirksamkeitserwartungen und die Qualität inklusiven Unterrichts

37

ven Ergebnisses sein, welches als Erfolgserfahrung wahrgenommen wird. Umgekehrt kann das Nicht-Erreichen dieses Ziels dementsprechend als Misserfolgserfahrung erlebt werden. Wenn z. B. Lehrkräfte positive Erfahrungen mit der Gestaltung von Unterricht in heterogenen Klassen oder dem Umgang mit Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf gesammelt haben, kann dies zu hohen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen in Bezug auf die Durchführung inklusiven Unterrichts führen. Zu einem weiteren Einflussfaktor für Selbstwirksamkeitserwartungen zählen Erfahrungen, die aus Beobachtungen von Modellen resultieren. Hierzu können beispielsweise Vorbilder entsprechend den eigenen festgelegten Zielen herangezogen werden. Vorbilder, die dem Beobachter ähneln und die von ihm erwünschten Ziele oder ähnliche schon erreicht haben, können die Selbstwirksamkeit des Beobachters stärken. Ein weiterer, jedoch weniger effektiver Einflussfaktor ist das Verbalisieren der Überzeugung durch das Individuum selbst oder durch andere. Die Selbstwirksamkeit kann dabei beispielsweise durch verbalen Zuspruch und positives Feedback gestärkt werden. Der vierte Einflussfaktor betrifft die individuelle emotionale Reaktion auf Situationen. Die wahrgenommenen positiven oder negativen Gefühle des Individuums in einer Situation, die sich z. B. in Angst oder Nervosität äußern, können die Selbstwirksamkeit der Person für diese Situation beeinflussen. Das Gefühl von Unsicherheit könnte dann auf mangelnde Kompetenzen zurückgeführt werden und die Selbstwirksamkeitserwartung der Person hemmen. Zur Förderung von Erfolgserfahrungen und der Bewältigung von Situationen, wird daher das Formulieren von Nahzielen vorgeschlagen (Schwarzer & Jerusalem, 2002, S. 45). Etappenweise festgelegte Nahziele, die für die Person kurzfristig oder leichter zu bewältigen sind als größere Zielanforderungen und somit eher Erfolgserlebnisse ermöglichen, können die Entwicklung positiver Selbstwirksamkeitsüberzeugungen fördern. Die vier genannten Einflussfaktoren sind zwar bedeutend für die Entwicklung von Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, jedoch ist die persönliche Wahrnehmung einer Situation oder dieser Faktoren, z. B. die Wahrnehmung der Modellperson oder des Feedbacks, ebenso entscheidend für die Entwicklung der Selbstwirksamkeit (Schwarzer & Jerusalem, 2002). In Abbildung 4 sind die vier Quellen sowie die Effekte der Selbstwirksamkeit auf Verhalten und Leistung veranschaulicht.

38

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

Quellen

Effekte

Erfolgserfahrung Aufgabenwahl Stellvertretende Erfahrung (Beobachtung)

Verbale Überzeugung

Selbstwirksamkeit

Anstrengung, Ausdauer

Leistung

Ziele (Annäherung/ Vermeidung)

Emotionale Reaktion

Abbildung 4. Quellen und Effekte der Selbstwirksamkeit (in Anlehnung an Berry & West, 1993, S. 354)

Zu unterscheiden ist die Selbstwirksamkeit darüber hinaus vom Selbstkonzept, welches „das mentale Modell einer Person über ihre Fähigkeiten und Eigenschaften“ (Moschner & Dickhäuser, 2010, S. 760) darstellt. Selbstwirksamkeitserwartungen hingegen sind durch eine hohe Komplexität gekennzeichnet (Bandura, 1997, S. 11). So können die Überzeugungen einer Person im Zusammenhang mit verschiedenen Tätigkeitsbereichen und sogar innerhalb desselben Tätigkeitsbereichs in Abhängigkeit der geforderten Schwierigkeitsgrade unterschiedlich ausgeprägt sein. Auch die Umstände einer Situation können diese Überzeugungen verändern. Außerdem können Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, so Bandura (1997), das Verhalten von Personen im Gegensatz zum Selbstkonzept genauer und differenzierter vorhersagen. Ferner grenzt sich die Selbstwirksamkeit einer Person auch vom Selbstwert in der Hinsicht ab, dass sie sich eher auf die eigenen Fähigkeiten und das eigene Leistungspotenzial bezieht und nicht die Einschätzung des Selbstwerts betrifft. Demnach erfordert das Erreichen von Zielen weniger einen hohen Selbstwert als das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten (Bandura, 1997, S. 11).

2.3 Selbstwirksamkeitserwartungen und die Qualität inklusiven Unterrichts

39

2.3.2 Lehrerselbstwirksamkeit Wie in dem Modell der professionellen Handlungskompetenz nach Baumert und Kunter (2006) angenommen wird, stellen neben fachlichen oder didaktischen Kompetenzen auch persönliche Ressourcen von Lehrkräften wichtige Teilkomponenten ihrer beruflichen Professionalität dar. Dazu zählen beispielsweise neben Einstellungen, Überzeugungen und der Motivation auch die Selbstwirksamkeitserwartungen von Lehrpersonen. Diese können verschiedene Facetten der beruflichen Anforderungen in Schule und Unterricht betreffen wie z. B. die Gestaltung von Unterricht oder den Umgang mit Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf. Sie beschreiben die Zuversicht in die eigenen Kompetenzen in herausfordernden Situationen und somit die „Überzeugungen von Lehrern, schwierige Anforderungen ihres Berufslebens auch unter widrigen Bedingungen erfolgreich zu meistern“ (Schwarzer & Jerusalem, 2002, S. 40). Die Bedeutung der Selbstwirksamkeitserwartungen für den schulischen Kontext zeigt sich zum einen durch ihren Einfluss auf das Lehrerhandeln. Demnach scheinen die Anstrengung von Lehrkräften, die sie für das Unterrichten zeigen, ihre Zielsetzungen und ihr Anspruchsniveau, ihre Ausdauer bei auftretenden Schwierigkeiten sowie ihre Resilienz durch ihre Selbstwirksamkeit beeinflusst zu werden. Zum anderen weist die Selbstwirksamkeit der Lehrkräfte aber auch mit schülerbezogenen Variablen wie der Leistung, Motivation und Selbstwirksamkeit von Schülerinnen und Schülern Zusammenhänge auf (vgl. TschannenMoran & Woolfolk Hoy, 2001). Die verhaltensregulierende Funktion von Selbstwirksamkeitsüberzeugungen wurde bei Lehrkräften vielfach untersucht und zeigt ihre Bedeutung sowohl für die beruflichen Anforderungen als auch für die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler. Wenn Lehrerinnen und Lehrer zuversichtlich in Bezug auf ihre beruflichen Kompetenzen sind, so zeigen sie eine größere Bereitschaft für die Verwendung innovativer Unterrichtsmethoden (Guskey, 1988). Des Weiteren stehen ihre Selbstwirksamkeitsüberzeugungen in einem reziproken Verhältnis mit der Leistungsentwicklung ihrer Schülerinnen und Schüler. Einerseits wirken sie sich auf die Leistungsentwicklung aus, andererseits haben letztere wiederum über die Zeit Effekte auf die Selbstwirksamkeit der Lehrkräfte (Caprara, Barbaranelli, Steca & Malone, 2006). Darüber hinaus geben Studien Hinweise darauf, dass die Zuversicht in die eigenen Fähigkeiten eine präventive Funktion für die

40

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

Psyche haben kann (Schwarzer & Warner, 2011; siehe auch Schwarzer & Hallum, 2008). Lehrkräfte, die über eine hohe Selbstwirksamkeit verfügen, fühlen sich zufriedener mit ihrem Beruf (Caprara et al., 2006; Klassen et al., 2009) und zeigen weniger Anzeichen von Burnout (Fernet, Guay, Senécal & Austin, 2012; Schiefele, Streblow & Retelsdorf, 2013; Schwarzer & Hallum, 2008; Skaalvik & Skaalvik, 2007) als Lehrkräfte mit niedrig ausgeprägter Selbstwirksamkeit.

2.3.3 Einflussfaktoren auf die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Lehrkräften Nach Bandura (1977, 1997) hängt die Entwicklung von Selbstwirksamkeitserwartungen von vier wesentlichen Faktoren ab (vgl. Kapitel 2.3.1). Der erste und größte Einflussfaktor sind persönliche Erfahrungen in Form von Erfolg und Misserfolg. Tschannen-Moran und Woolfolk Hoy (2007) haben die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Lehrkräften hinsichtlich ihrer Berufserfahrung untersucht. In diesem Zusammenhang konnten sie feststellen, dass Lehrpersonen mit sehr geringer Berufserfahrung über niedrigere Selbstwirksamkeitsüberzeugungen verfügen, als Lehrkräfte, die sich über mindestens vier Jahre im Beruf befinden. Darüber hinaus wurden in dieser Studie die Erfolgserfahrungen der Lehrkräfte berücksichtigt, die als die Zufriedenheit mit vorherigen beruflichen Leistungen operationalisiert wurden und sich als bedeutsamer Prädiktor für die Selbstwirksamkeit beider Lehrergruppen herausstellten. Ferner scheint die allgemeine Selbstwirksamkeit eine stabile Persönlichkeitseigenschaft zu sein, die mit weiteren spezifischen und über die Zeit veränderbaren Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Lehrpersonen zusammenhängt (Schmitz, 1998). Während Schmitz (1998) im Gegensatz zu Tschannen-Moran und Woolfolk Hoy (2007) keine Zusammenhänge mit der Berufserfahrung der Lehrkräfte finden konnte, berichten Klassen und Chiu (2010) über ein ungleichmäßiges Verhältnis von Erfahrung und Selbstwirksamkeit. Demnach scheint die Selbstwirksamkeit von Lehrkräften in den ersten 23 Jahren im Beruf zu steigen und anschließend mit weiterer Berufserfahrung zu sinken. Untersuchungen zu Selbstwirksamkeitsüberzeugungen im Zusammenhang mit inklusivem Unterricht stützen die Annahme, dass Erfahrungen mit Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf oder mit inklusivem Unterricht mit höheren Selbstwirksamkeitserwartungen von (angehenden)

2.3 Selbstwirksamkeitserwartungen und die Qualität inklusiven Unterrichts

41

Lehrkräften einhergehen. Malinen et al. (2013) haben in ihrer Studie die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Lehrkräften in China, Finnland und Südafrika verglichen. Dabei zeigte sich, dass die Selbstwirksamkeit der befragten Lehrkräfte in Bezug auf den inklusiven Unterricht durch ihre Unterrichtserfahrungen mit Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf erklärt werden konnte. Die Bedeutung von Erfahrungen lässt sich auch in Untersuchungen mit angehenden Lehrkräften, die sich noch in der Ausbildungsphase befinden, erkennen. So berichten Lehramtsstudierende, die bereits Unterrichtserfahrungen mit Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf sammeln konnten, über höhere Selbstwirksamkeit als Studierende ohne vorherige Erfahrungen (Bosse & Spörer, 2014; Forlin, García Cedillo, RomeroContreras, Fletcher & Rodríguez Hernández, 2010; Loreman, Sharma & Forlin, 2013; Schwab, Hellmich & Görel, 2017). Des Weiteren scheint auch der Kontakt zu Menschen mit sonderpädagogischem Förderbedarf mit hohen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen zur Gestaltung von inklusivem Unterricht zusammenzuhängen, wie in einigen Untersuchungen mit Lehramtsstudierenden berichtet wurde (Ahsan, Sharma & Deppeler, 2012; Forlin et al., 2010). Zusätzlich stellen Urton, Wilbert und Hennemann (2014) die Bedeutung der Schulleitung und des Kollegiums heraus. In ihrer Studie konnten sie Unterschiede zwischen Kollegien in Bezug auf ihre individuellen und kollektiven Selbstwirksamkeitsüberzeugungen feststellen. Weiter berichten die Ergebnisse der Studie, dass die kollektive Selbstwirksamkeit durch die Schulleitung erklärt wird, wohingegen keine signifikanten Effekte auf die individuelle Selbstwirksamkeit gefunden wurden.

2.3.4 Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Lehrkräften und die Gestaltung von (inklusivem) Unterricht Selbstwirksamkeitsüberzeugungen als Teil der Lehrerprofessionalität stellen eine wesentliche Bedingung für die adäquate und erfolgreiche Ausübung des Lehrerberufs dar. Sie beeinflussen die Planung und Gestaltung von Unterricht sowie Lehrer-Schüler-Interaktionen in einem nicht unerheblichen Maße, wie Schwarzer und Jerusalem (2002, S. 40) beschreiben:

42

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund Wenig selbstwirksame Lehrer beispielsweise neigen dazu, einfache aber sichere Unterrichtsaktivitäten zu bevorzugen, da sie sich durch innovative oder komplexe Planungen leicht überfordert fühlen, sie kümmern sich kaum um lernschwache Schüler und sind insgesamt wenig motiviert, guten und verständlichen Unterricht zu halten, da sie sich auch wenig zutrauen. Lehrer mit hoher Selbstwirksamkeit gestalten einen insgesamt herausfordernden Unterricht, sie unterstützen Schüler bei der Erzielung von Lernfortschritten und haben mehr Geduld sowie Zuwendung für lernschwache Schüler, weil sie sich selbst mehr zutrauen, stärker motiviert sind und eine hohe Verantwortung für einen erfolgreichen und verständlichen Unterricht empfinden.

Zahlreiche Untersuchungen haben sich mit der Bedeutung der Selbstwirksamkeit von Lehrkräften für ihr professionelles Handeln und die Qualität von Lehr-LernUmgebungen befasst. Gibson und Dembo (1984) haben in ihrer Studie eine Selbstwirksamkeitsskala bestehend aus der individuellen LehrerSelbstwirksamkeit (personal teaching efficacy) und der Lehrer-Wirksamkeit (teaching efficacy) validiert und konnten Zusammenhänge zum unterrichtlichen Handeln der Lehrkräfte finden. Während die individuelle LehrerSelbstwirksamkeit die Überzeugung über die eigenen Fähigkeiten kennzeichnet, beschreibt die Lehrerwirksamkeit die allgemeine Überzeugung, inwiefern Lehrkräfte generell durch ihr professionelles Handeln etwas bewirken können (Gibson & Dembo, 1984). So gibt es aus dieser Studie Hinweise dafür, dass Lehrkräfte mit hohen (Selbst-)Wirksamkeitsüberzeugungen ihre Unterrichtszeit anders nutzen als Lehrkräfte, die über niedrig ausgeprägte Überzeugungen verfügen. Des Weiteren weisen die Ergebnisse dieser Studie darauf hin, dass Lehrkräfte mit niedrigen (Selbst-)Wirksamkeitsüberzeugungen häufiger Kritik bei falschen Schülerantworten ausüben und den Schülerinnen und Schülern im Gegensatz zu selbstwirksameren Lehrpersonen weniger Möglichkeiten geben, sich zu korrigieren. In ihrer Untersuchung mit 128 Grundschullehrkräften haben Brownell und Pajares (1999) im Rahmen einer Pfadanalyse zeigen können, dass die Selbstwirksamkeitserwartungen von Lehrkräften in Bezug auf den inklusiven Unterricht ihren wahrgenommenen Erfolg in der Durchführung gemeinsamen Unterrichts erklären. Lehrerinnen und Lehrer, die über hohe Selbstwirksamkeitsüberzeugungen berichten, nehmen sich in der Gestaltung inklusiven Unterrichts demnach auch als erfolgreicher wahr.

2.3 Selbstwirksamkeitserwartungen und die Qualität inklusiven Unterrichts

43

Wertheim und Leyser (2002) befragten in ihrer Fragebogenstudie 191 Lehramtsstudierende aus Israel zu ihren Selbstwirksamkeitsüberzeugungen. Zusätzlich wurden die Studierenden anhand von 59 Items zu verschiedenen Unterrichtspraktiken befragt, die zentral für die erfolgreiche Realisierung inklusiven Unterrichts sind. Hierzu wurden sie gebeten, Angaben darüber zu machen, inwieweit sie die Nutzung dieser Praktiken in ihrem eigenen Unterricht beabsichtigen würden und wie sie deren Effektivität einschätzen. Die Ergebnisse der Studie zeigen signifikante positive Korrelationen zwischen den Selbstwirksamkeitsüberzeugungen der Studierenden und ihren Angaben über die Nutzung dieser Unterrichtspraktiken, die die Differenzierung, Diagnostik, den Umgang mit Schülerverhalten sowie die Kommunikation mit Kollegium, Schulleitung, Eltern und Schülerinnen und Schülern betreffen. Demnach beabsichtigen Studierende mit höherer Selbstwirksamkeit auch stärker die Nutzung von beispielsweise individuellen Differenzierungsformen im Unterricht als weniger selbstwirksame Studierende. Weiterhin schätzten sie die verschiedenen Unterrichtspraktiken für effektiver ein als Studierende mit geringeren Selbstwirksamkeitsüberzeugungen. In ihrer Längsschnittstudie mit 155 Mathematiklehrkräften und Schülerinnen und Schülern aus der Sekundarstufe haben Holzberger, Philipp und Kunter (2013) den Zusammenhang zwischen der Selbstwirksamkeit von Lehrkräften und der Qualität des Mathematikunterrichts untersucht. Die Unterrichtsqualität wurde dabei sowohl aus Lehrersicht als auch aus Schülersicht erhoben. Zur Erfassung der Unterrichtsqualität wurden die drei Dimensionen kognitive Aktivierung, Klassenführung und individuelle Lernunterstützung zugrunde gelegt. Mit dieser Untersuchung konnten zu beiden Messzeitpunkten signifikante positive Korrelationen zwischen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Lehrkräften und der Qualität ihres Unterrichts festgestellt werden. Hinsichtlich der Frage nach der Wirkrichtung des Zusammenhangs gibt es keine eindeutigen Ergebnisse aus dieser Studie. Die Selbstwirksamkeit hatte lediglich einen Einfluss auf die ein Jahr später von den Lehrkräften selbst berichtete individuelle Lernunterstützung der Schülerinnen und Schüler. In Bezug auf andere Komponenten der Unterrichtsqualität wie kognitive Aktivierung oder Klassenführung ließ sich kein signifikanter Einfluss der Selbstwirksamkeit nachweisen. Dies erklären die Autoren mit der Anlage der Studie, die durch eine lange Zeitspanne von einem Jahr und somit durch eine Messung in zwei unterschiedlichen Jahrgangsstufen (Klasse 9 und 10) charakterisiert ist. Es konnten jedoch umgekehrt Effekte von der

44

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

Klassenführung der Lehrkräfte sowie der aus Schülersicht angegebenen kognitiven Aktivierung auf ihre spätere Selbstwirksamkeit gefunden werden. Diese Ergebnisse geben Hinweise darauf, dass nicht nur von einer Wirkrichtung, sondern von einem reziproken Zusammenhang zwischen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und Unterrichtsqualität ausgegangen werden kann. In einer weiteren, querschnittlichen Untersuchung mit dieser Stichprobe konnten Holzberger, Philipp und Kunter (2014) ebenfalls Zusammenhänge zwischen den Selbstwirksamkeitsüberzeugungen der Lehrpersonen und der Qualität ihres Unterrichts finden. Im Detail war die Selbstwirksamkeit der Lehrerinnen und Lehrer prädiktiv für die aus Schülersicht erfasste kognitive Aktivierung und Klassenführung. Darüber hinaus erwies sich die Selbstwirksamkeit nur in Interaktion mit der wahrgenommenen Erfüllung intrinsischer Bedürfnisse der Lehrpersonen als signifikanter Prädiktor für die Lehrer-Schüler-Beziehung. Demnach haben die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen der Lehrkräfte dann einen positiven Effekt auf die Lehrer-Schüler-Beziehung, wenn die Lehrpersonen zugleich ihre intrinsischen Bedürfnisse als erfüllt wahrnehmen. Schiefele et al. (2013) stellen in ihrer Studie ebenfalls fest, dass die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Lehrkräften prädiktiv für die Qualität ihres Unterrichts sind. Je selbstwirksamer sich die Lehrkräfte wahrnahmen, desto stärker nutzten sie ihren Angaben nach Maßnahmen zur inneren Differenzierung und kognitiven Aktivierung in ihrem Unterricht. Zusätzlich stellte sich ihre Selbstwirksamkeit als signifikanter Prädiktor für ihre Freude an ihrem Beruf heraus. Auch in der Studie von Schiefele und Schaffner (2015) zeigte sich ein Zusammenhang zwischen der Selbstwirksamkeit von Lehrkräften und ihren Angaben über Lernzielorientierung und kognitive Aktivierung in ihrem Unterricht. Wolters und Daugherty (2007) berichten über ähnliche Ergebnisse. Mit einer Online-Befragung von Lehrkräften konnten sie in ihrer Studie zeigen, dass deren Selbstwirksamkeit mit einer lernzielorientierten Unterrichtsgestaltung für die Schülerinnen und Schüler zusammenhängt. Auch die Ergebnisse der Untersuchung von Muijs und Reynolds (2002) weisen darauf hin, dass effektive Lehrkräfte über eine höhere Selbstwirksamkeit verfügen, welche mit ihrer Unterrichtsgestaltung zusammenhängt. Im Rahmen einer Längsschnittstudie untersuchten Künsting, Neuber und Lipowsky (2016) die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Lehrkräften im Zusammenhang mit ihrer selbstberichteten Unterrichtsqualität. Hierzu wurden

2.3 Selbstwirksamkeitserwartungen und die Qualität inklusiven Unterrichts

45

203 Lehrkräfte verschiedener Schulformen zu drei Messzeitpunkten befragt. Dabei zeigte sich, dass die Selbstwirksamkeit über einen Zeitraum von sechs Jahren relativ stabil bleibt. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Selbstwirksamkeit von Lehrkräften sowohl aus dem Jahr 2001 als auch aus dem zweiten Messzeitpunkt im Jahr 2008 die selbstberichtete Unterrichtsqualität im Jahr 2011 erklärt. Die Befunde der Studie von Künsting et al. (2016) lassen darauf schließen, dass die Unterrichtsqualität durch die Selbstwirksamkeit der Lehrkräfte beeinflusst wird. Je selbstwirksamer sich Lehrkräfte im Jahr 2001 bzw. 2008 einschätzten, desto positiver waren auch ihre Angaben im Jahr 2011 über ein lernförderliches Klassenklima, eine effektive Klassenführung sowie über kognitiv aktivierenden Unterricht. Im Detail waren die Effekte der Selbstwirksamkeit auf das Klassenklima am stärksten ausgeprägt. Die Bedeutung der Selbstwirksamkeit von Lehrpersonen für das Klassenklima sowie für die Lehrer-Schüler-Interaktion hat sich auch in weiteren Studien herausgestellt. Guo, McDonald Connor, Yang, Roehrig und Morrison (2012) haben in ihrer Studie mit Schülerinnen und Schülern der fünften Klasse zeigen können, dass die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen der Lehrkräfte prädiktiv für ein positives und unterstützendes Klassenklima sind. Demnach gestalten Lehrpersonen, die über eine höhere Selbstwirksamkeit verfügen, Lernumgebungen, die das Lernen unterstützen und durch positive Lehrer-Schüler-Interaktionen gekennzeichnet sind. In einer Studie von Morris-Rothschild und Brassard (2006) konnte zudem ein positiver Zusammenhang zwischen den Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Lehrkräften und ihrem Umgang mit Konflikten in der Klasse gefunden werden.

2.3.5 Zusammenfassung Die Selbstwirksamkeitserwartung ist ein zentrales Konstrukt in der Psychologie, welches die Zuversicht einer Person in ihre Fähigkeiten beschreibt. Sie erklärt, warum Menschen sich bei der Bewältigung einer Aufgabe mehr oder weniger stark anstrengen, wie viel Ausdauer sie bei Schwierigkeiten zeigen und welche Ziele sie sich setzen. Selbstwirksame Personen sind überzeugt davon, ein bestimmtes Verhalten zur Erreichung eines Ziels ausführen zu können und visieren im Gegensatz zu weniger selbstwirksamen Personen höhere Ziele an. Die

46

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

Lehrerforschung zeigt, dass die Selbstwirksamkeit von Lehrkräften mit ihrem beruflichen Wohlbefinden zusammenhängt. Darüber hinaus zeichnen sich (angehende) selbstwirksame Lehrerinnen und Lehrer durch eine qualitativ hochwertigere Unterrichtsgestaltung aus als weniger selbstwirksame Lehrpersonen, wie in den vorherigen Ausführungen deutlich wurde. Sie vermeiden beispielsweise negatives Feedback (Gibson & Dembo, 1984), intendieren stärker adaptive und differenzierende Formen für den Unterricht (Wertheim & Leyser, 2002) oder nutzen mehr Formen der inneren Differenzierung (Schiefele et al., 2013). Weiterhin zeigen sich Zusammenhänge zwischen ihrer Selbstwirksamkeit und Qualitätsmerkmalen ihres Unterrichts wie Klassenführung oder kognitive Aktivierung (Holzberger et al., 2014; Künsting et al., 2016; Schiefele & Schaffner, 2015; Schiefele et al., 2013). Daneben scheint die Selbstwirksamkeit auch positive Effekte auf das Klassenklima und die Lehrer-Schüler-Interaktion zu haben (Guo et al., 2012; Künsting et al., 2016; Morris-Rothschild & Brassard, 2006). Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Lehrerinnen und Lehrern können vor diesem Hintergrund als wichtiger Prädiktor für die Qualität ihres Unterrichts verstanden werden. In der Studie von Wertheim und Leyser (2002) konnten signifikante Korrelationen zwischen den Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Lehramtsstudierenden und ihren Intentionen über die Gestaltung von Unterricht gezeigt werden. Vor diesem Hintergrund wird in der vorliegenden Studie der Zusammenhang zwischen der Selbstwirksamkeit von Grundschullehrkräften und ihren Intentionen und Sichtweisen hinsichtlich der Gestaltung inklusiven Unterrichts untersucht. Ferner wurden in der Studie von Wertheim und Leyser (2002) individuelle Differenzierung, Diagnostik und Umgang mit Schülerverhalten fokussiert. Hierbei stellt sich die Frage, in welchem Zusammenhang die Selbstwirksamkeit von Lehrkräften mit weiteren Unterrichtsmerkmalen steht. In vielen Studien wurden hierzu die drei Basisdimensionen als Kriterium von Unterrichtsqualität zugrunde gelegt (z. B. Holzberger et al., 2014; Künsting et al., 2016). In der vorliegenden Arbeit werden die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Lehrkräften hinsichtlich der Gestaltung inklusiven Unterrichts als Prädiktor für ihre Handlungsintentionen bzw. Sichtweisen in Bezug auf den inklusiven Unterricht angenommen, welche sich im Detail auf ausgewählte Merkmale nach Helmke (2012) wie Umgang mit Heterogenität, Klarheit, Strukturierung und lernförderliches Klima beziehen.

2.4 Einstellungen und die Qualität inklusiven Unterrichts

47

2.4 Einstellungen und die Qualität inklusiven Unterrichts Die Gestaltung von adäquaten Lehr- und Lernumgebungen stellt eine umfassende Aufgabe für Lehrkräfte dar. Um den individuellen Lernvoraussetzungen einer heterogenen Gruppe gerecht werden zu können, sind vielfältige Kompetenzen erforderlich. Neben pädagogischem, didaktischem und fachlichem Wissen werden auch Einstellungen und Überzeugungen als Teil der professionellen Handlungskompetenz verstanden (Baumert & Kunter, 2006). In diesem Zusammenhang haben sich in der Forschung Einstellungen von Lehrkräften zur Inklusion und Integration als wichtige Prädiktoren für eine erfolgreiche Implementierung von inklusiven bzw. integrativen Lehr-Lern-Prozessen herausgestellt (Sze, 2009). Die Europäische Agentur für Entwicklungen in der sonderpädagogischen Förderung (2012) hat hierzu ein Profil für inklusive Lehrkräfte entwickelt, in dem ebenfalls die Bedeutung von Einstellungen hervorgehoben wird. Neben der Bereitschaft zur Kooperation sowie der professionellen Weiterentwicklung stellen die „Wertschätzung der Diversität der Lernenden“ und die „Unterstützung aller Lernenden“ zwei der vier Werte des Profils dar (Europäische Agentur für Entwicklungen in der sonderpädagogischen Förderung, 2012, S. 13). Diese Werte werden als grundlegend zentrale Merkmale für inklusive Lehr-Lern-Prozesse verstanden. Der erste Aspekt „Wertschätzung der Diversität der Lernenden“ (Europäische Agentur für Entwicklungen in der sonderpädagogischen Förderung, 2012, S. 13) postuliert eine positive Haltung, welche Heterogenität als Normalfall und Zugewinn für Bildungsprozesse versteht. Als zu entwickelnde Fähigkeiten hierfür werden unter anderem die Fähigkeit zur Selbstreflexion genannt. Dazu gehört „die kritische Überprüfung der eigenen Einstellungen und Überzeugungen und deren Einfluss auf das Handeln“ (Europäische Agentur für Entwicklungen in der sonderpädagogischen Förderung, 2012, S. 14). Ferner werden von den Lehrkräften in diesem Zusammenhang weitere Kompetenzen wie beispielsweise ein angemessener Umgang mit Heterogenität erwartet (Europäische Agentur für Entwicklungen in der sonderpädagogischen Förderung, 2012). Im Rahmen dieses Kapitels wird daher das Konstrukt der Einstellungen unter konzeptionellen und funktionalen Aspekten näher beleuchtet und ihre Bedeutung für das unterrichtliche Handeln von Lehrkräften auf theoretischer sowie

48

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

empirischer Grundlage dargestellt. Hierzu wird insbesondere auf die Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen, 1985) Bezug genommen.

2.4.1 Definition und Konzeption der Einstellung Einstellungen von Personen sind zentraler Gegenstand der Sozialpsychologie. Sie können nach Eagly und Chaiken (1993, S. 1) definiert werden als eine psychologische Tendenz, die durch die Bewertung einer speziellen Entität in Form von Zuneigung oder Abneigung ausgedrückt wird. Die Entität bzw. das Einstellungsobjekt kann Verschiedenes umfassen wie Personen, Gegenstände, aber auch abstrakte Konstrukte oder Werte sowie Verhalten. Des Weiteren stellen Einstellungen einen Zustand dar, der zwischen Reiz und Reaktion vermittelt. Dieser Zustand, welcher zumindest für eine kurze Zeit besteht, kann das Verhalten der Person beeinflussen (Eagly & Chaiken, 1993). Darüber hinaus wird angenommen, dass sich das Konstrukt der Einstellung aus verschiedenen Komponenten zusammensetzt, die im nachfolgenden Modell abgebildet sind.

        

"

( .&%+ "%#+ ( &"+ ( %% - "% ",/

        

       

#  '"  & ' "  

#&%   "%

#

% # 

% %!%   "

"



% +  ""

Abbildung 5. Drei-Komponenten-Modell der Einstellung nach Rosenberg und Hovland (1969, S. 3, eigene Übersetzung)

In diesem Modell werden Variablen bei der Messung von Einstellungen in abhängige und unabhängige Variablen unterteilt (vgl. Abbildung 5). Reize wie

2.4 Einstellungen und die Qualität inklusiven Unterrichts

49

Individuen oder Situationen können als unabhängige Variable bestimmte Einstellungen hervorrufen. Die Einstellung setzt sich nach diesem Modell aus den drei Komponenten Affekt, Kognition und Verhalten zusammen. Die Erfassung und Beobachtung der Einstellungen ist demnach durch diese drei Variablen bzw. durch z. B. verbale affektive Aussagen, verbale Meinungsäußerungen oder Aussagen über das Verhalten möglich. Rosenberg und Hovland (1969, S. 3) definieren diese Komponenten als „types of response“, also als Arten von Reaktionen auf die jeweiligen Reize. Hierbei stellt sich die Frage, ob die Reaktionen gleichzeitig auftreten können oder müssen. Für die Beantwortung dieser Frage ist es wichtig, zunächst die drei Komponenten genauer zu betrachten: Die affektive Komponente bildet den Kern der Einstellung, reicht jedoch als alleinige Komponente zur Bewertung eines Einstellungsobjekts nicht aus, da dieses erkannt und eingeordnet werden muss, um es bewerten zu können. Dies erfordert einen kognitiven Anteil beim Bewerter (Katz & Stotland, 1959, S. 429). Die affektive Komponente ist gekennzeichnet durch positive oder negative Gefühle in Verbindung mit dem jeweiligen Objekt (Triandis, 1971). Die kognitive Komponente hingegen stellt das Wissen über ein Einstellungsobjekt bzw. Überzeugungen und Beliefs darüber dar (Katz & Stotland, 1959). Sie allein gibt noch keine Einstellung wieder, sondern erst das Zusammenwirken der kognitiven und affektiven Komponente führt zu einer Einstellung (Katz & Stotland, 1959). Dieser Definition nach können also Beliefs und Einstellungen nicht als Synonyme verstanden werden. Erst die Verknüpfung von Beliefs mit einer weiteren affektiven Bewertung bildet demnach eine Einstellung ab. Die affektive Komponente zu einem Einstellungsgegenstand entwickelt sich in Abhängigkeit der Bedeutung der kognitiven Komponente für das Indivdiuum (Triandis, 1971). Je erstrebenswerter oder wichtiger etwas für eine Person erscheint, desto positivere Gefühle werden damit verbunden und die affektive Komponente ist entsprechend positiver ausgeprägt (Triandis, 1971). Die Verhaltenskomponente bezieht sich darauf, wie eine Person sich einem Einstellungsobjekt gegenüber verhalten würde. Dabei können die drei Einstellungskomponenten trotz ihres Zusammenhangs untereinander auch Inkonsistenzen aufweisen (Triandis, 1971). Dies wäre der Fall, wenn eine Person ein Verhalten aus Notwendigkeit ausführt, obwohl sie keine positiven Gefühle mit dem Einstellungsobjekt verbindet (Triandis, 1971). So könnte es sein, dass beispielsweise eine Lehrkraft inklusiven

50

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

Unterricht durchführt, weil dies an ihrer Schule vorgesehen ist, sie aber keine positiven Einstellungen dazu hat. Im Gegensatz zum Drei-Komponenten-Modell setzen Fishbein und Ajzen (1975, S. 11) die Einstellungen mit dem Affekt gleich und gehen dabei von einem bipolaren affektiven Kontinuum aus. Den kognitiven Aspekt bezeichnen sie als Beliefs. Einstellungen und Beliefs unterscheiden sich nach Fishbein und Ajzen (1975) in der Hinsicht, dass erstere die emotionale Bewertung eines Einstellungsobjekts beschreiben und es sich bei Beliefs um Informationen über das Objekt und die Verknüpfung dessen mit Eigenschaften handelt. Darüber hinaus unterscheiden die Autoren zwischen Verhaltensabsichten (Konation) und Verhalten. Den Autoren nach setzt sich die Einstellung insofern nicht aus mehreren Komponenten zusammen. Affekt, Kognition und Verhalten bzw. Verhaltensabsicht sind dagegen eher als einzelne Aspekte, die miteinander zusammenhängen, zu verstehen. So werden Einstellungen nach Fishbein und Ajzen (1975) auf der Grundlage der Beliefs, die eine Person über ein Objekt besitzt, gebildet. Diese Einstellungen wiederum bestimmen die Verhaltensabsichten der Person gegenüber dem Objekt. Das Verhalten der Person wird schließlich von ihren Verhaltensabsichten beeinflusst. Die Vorhersage eines speziellen Verhaltens beschreiben die Autoren mit ihrer Theorie des überlegten Handelns (Theory of reasoned action), in dem die Beliefs über die Konsequenzen eines Verhaltens auch die Einstellungen zu diesem Verhalten bestimmen. Je nachdem, ob die Person positive oder negative Konsequenzen mit dem Verhalten assoziiert, entwickelt sie positive oder negative Einstellungen diesem gegenüber. Gleichzeitig spielen normative Beliefs, d. h. die wahrgenommenen Überzeugungen anderer Personen darüber, ob die jeweilige Person eine Handlung ausführen sollte oder nicht, eine wichtige Rolle. Sie determinieren die subjektiven Normen der Person in Bezug auf das Verhalten. Die Einstellungen und die subjektiven Normen bestimmen schließlich die Verhaltensabsicht der Person und diese wiederum erklärt das Verhalten. Inwiefern sich das Verhalten durch die Intention einer Person vorhersagen lässt, hängt dabei von dem zeitlichen Abstand zwischen Intention und Verhalten ab. Je länger diese Zeitspanne ist, desto geringer fällt die Vorhersagekraft der Intention über das Verhalten aus (Ajzen, 1985, S. 12). Ferner können Intentionen, die mit hoher Überzeugung vertreten werden, das Verhalten besser vorhersagen als Intentionen, denen keine starke Überzeugung zugrunde liegt (Ajzen, 1985, S. 21). Da weitere Faktoren, auf die eine Person wenig Einfluss

2.4 Einstellungen und die Qualität inklusiven Unterrichts

51

hat, die Ausübung eines beabsichtigten Verhaltens erschweren oder verhindern können, wurde die Theorie des überlegten Handelns zur Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen, 1985) erweitert. Ajzen (1985) geht in dieser Theorie (vgl. Abbildung 6) davon aus, dass die Verhaltensabsicht, welche das darauf folgende Verhalten erklärt, nicht nur durch die Einstellungen und die subjektiv wahrgenommenen Normen bestimmt wird. Als weiterer Prädiktor wird daher die individuell wahrgenommene Verhaltenskontrolle einer Person berücksichtigt, worunter die Selbstwirksamkeitserwartungen von Personen gefasst werden können (Ajzen & Madden, 1986, S. 457). So wirken sich Überzeugungen von Personen darüber, ob sie sich in der Lage sehen, ein Verhalten ausführen zu können oder nicht, auf zwei Wegen auf das Verhalten aus. Zum einen beeinflusst die wahrgenommene Verhaltenskontrolle das Verhalten indirekt über die Verhaltensabsicht, zum anderen wird auch ein direkter Einfluss auf das Verhalten angenommen (Ajzen & Madden, 1986). Ausgehend von den Annahmen dieser Theorie können die Einstellungen von Lehrkräften zur Inklusion und ihre wahrgenommenen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen als Prädiktoren für ihre Verhaltensabsichten in Bezug auf die Gestaltung des inklusiven Unterrichts gesehen werden.

        

    

 

   

           

Abbildung 6. Theorie des geplanten Verhaltens (nach Ajzen & Madden, 1986, S. 458)

52

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

2.4.2 Funktionen von Einstellungen Die Bereitschaft, ein Einstellungsobjekt anzunehmen oder abzulehnen, entsteht aus individuellen Motiven und Gründen. Die Einstellungen von Personen sind durch unterschiedliche Ziele und Funktionen gekennzeichnet, was ein möglicher Erklärungsansatz dafür ist, wieso sich einige Einstellungen nur schwer ändern lassen. Der Funktionsansatz von Katz (1960) legt dar, aus welchen Gründen Menschen bestimmte Einstellungen haben und diese nicht leicht ändern. Die Gründe sind dem Autoren nach durch die Motivation von Personen zu erklären und nicht durch äußere Faktoren (Katz, 1960, S. 170). Katz (1960) hat hierzu vier Funktionstypen von Einstellungen herausgestellt, die im Folgenden vorgestellt werden: Bei der Bewertung eines Einstellungsobjekts verbinden Menschen diese mit bestimmten Konsequenzen, wie positiven (Belohnung) oder negativen Folgen (Bestrafung). Das hat zur Folge, dass Individuen im Falle einer negativen Erwartung eine negative Einstellung entwickeln und versuchen, das Einstellungsobjekt zu vermeiden. Im gegensätzlichen Fall, wenn eine „Belohnung“ mit einem Einstellungsobjekt zu erwarten ist, würde das Individuum diesem gegenüber eine positive Einstellung entwickeln (Katz, 1960). Dies bezeichnet Katz (1960) als Anpassungsfunktion bzw. als instrumentelle oder utilitaristische Funktion. Dabei findet die Entwicklung einer positiven oder negativen Einstellung in Abhängigkeit von der wahrgenommenen Bedeutung und Relevanz hinsichtlich der jeweiligen Bedürfnisse des Individuums statt (Katz, 1960). Die instrumentelle Funktion könnte die negative Einstellung einer Lehrperson zur Inklusion mit der Angst vor neuen Herausforderungen, welche mit Unsicherheit und vielfachem Aufwand verbunden ist, erklären. Die Ich-Verteidigungsfunktion von Einstellungen verdeutlicht, dass Menschen versuchen, ihr Selbstbild zu schützen. So werden z. B. andere Personen abgewertet, um sich selbst aufzuwerten (Gollwitzer & Schmitt, 2009, S. 152). Während bei der Anpassungsfunktion das Einstellungsobjekt im Vordergrund steht, entwickeln sich Einstellungen hier aufgrund von inneren emotionalen Konflikten des Individuums (Katz, 1960). Die Wertausdrucksfunktion dient der Selbst- bzw. Persönlichkeitsdefinition. Einstellungen und bevorzugte Werte werden von Personen explizit deutlich gemacht. Hierbei geht es um die Bestätigung der eigenen Identität und Klarheit

2.4 Einstellungen und die Qualität inklusiven Unterrichts

53

der eigenen Persönlichkeit (Katz, 1960, S. 173). So haben Personen „das Bedürfnis, die eigenen Einstellungen im sozialen Kontext zu explizieren [...]“ (Gollwitzer & Schmitt, 2009, S. 153). Dadurch können sich Menschen gegenseitig besser einschätzen. Sie können zum einen das Verhalten einer Person besser einschätzen, wenn diese ihre Einstellungen bekanntgibt. Zum anderen kann das Wissen über die Reaktion anderer Personen auf das eigene Verhalten bewusst genutzt werden, um einen bestimmten Eindruck bei diesen Personen zu hinterlassen (Gollwitzer & Schmitt, 2009). Im Alltag vereinfachen Einstellungen darüber hinaus z. B. die Einschätzung von Situationen, Gefahren oder Personen. So kann eine Einschätzung dazu führen, dass Personen sich in eine Situation begeben oder im Falle einer negativen Einschätzung, diese Situation vermeiden. Einstellungen dienen in diesem Fall der Orientierung in der Umwelt und bereits erworbene Einstellungen vereinfachen die Informationsverarbeitung, denn „[s]ehr viel effizienter ist es, sich einmal zu einem bestimmten Objekt oder Verhalten ein Urteil zu bilden und dieses dann auf vergleichbare Fälle anzuwenden“ (Gollwitzer & Schmitt, 2009, S. 151). Diese Funktion der Einstellung wird nach Katz (1960) als Wissensfunktion bezeichnet.

2.4.3 Einstellungsgenese und -änderung Erworbene Einstellungen können relativ stabil gegenüber Veränderungen sein, wenn sie z. B. sehr stark ausgeprägt oder wichtig für eine Person sind (Eagly & Chaiken, 1993). In Bezug auf die Frage, wie Einstellungen sich entwickeln bzw. verändern, gibt es eine Reihe von Theorien. Im Folgenden werden hierzu ausgewählte Theorien wie die Balancetheorie, affektiv-kognitive Konsistenztheorie und die Theorie der kognitiven Dissonanz vorgestellt. Diese Theorien sind durch die Grundannahme gekennzeichnet, dass Inkonsistenzen in Einstellungen und Verhalten zu einem Spannungsgefühl führen und Personen aus diesem Grund versuchen, wieder Konsistenz herzustellen (Stahlberg & Frey, 1997, S. 214). Ausgangspunkt der Balancetheorie von Heider (1946, 1958) ist das von einem Individuum wahrgenommene Gleichgewicht in Beziehungen (Stahlberg & Frey, 1997). Es handelt sich dabei um die von einer Person wahrgenommene Beziehung zu einer weiteren Person und einem Objekt bzw. einer Situation oder

54

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

einer dritten Person. Solche Beziehungssysteme werden nach Heider auch Triaden genannt, bei denen Individuen eine Balance innerhalb der Beziehungen anstreben (Stahlberg & Frey, 1997). Wenn kein Gleichgewicht herrscht, also Inkonsistenzen vorliegen, tendieren Personen dazu, wieder eine Balance zu erreichen. Um Gleichgewicht herzustellen, würde das Individuum dann entweder versuchen, die Person von seiner eigenen Meinung zu überzeugen oder die eigene Einstellung zu hinterfragen und eventuell zu ändern (Stahlberg & Frey, 1997). Beispielsweise könnte es um Gleichgewichtszustände in den Beziehungen zwischen einer Lehrkraft, Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf und dem inklusiven Unterricht gehen. Im Fall von Gleichgewicht im System würde die Lehrkraft positive Einstellungen zu Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf und auch zum inklusiven Unterricht aufweisen. Falls die Lehrkraft zwar eine positive Einstellung den Kindern mit Förderbedarf gegenüber hat, aber nicht zum inklusiven Unterricht, liegt Ungleichgewicht im System vor. In diesem Fall würde es zu einer Einstellungsänderung von der Lehrkraft kommen, um Gleichgewicht zu erreichen. Die affektiv-kognitive Konsistenztheorie von Rosenberg (1969) kennzeichnet sich durch Beziehungen zwischen der affektiven und kognitiven Komponente von Einstellungen. Individuen ist es wichtig, dass die beiden Komponenten ihrer Einstellungen übereinstimmen und sowohl die emotionale als auch kognitive Bewertung eines Einstellungsobjekts einander entsprechen. Falls keine Übereinstimmung zugrunde liegt, wird eine der beiden Komponenten verändert bzw. führt die Veränderung einer Komponente auch zu einer Änderung der anderen Komponente, bis eine konsistente Einstellung erreicht wird (Stahlberg & Frey, 1997). Die Theorie der kognitiven Dissonanz nach Festinger (1957) beschäftigt sich ebenfalls mit dem Gleichgewicht im kognitiven System einer Person. Es geht um Beziehungen von Kognitionen, also Meinungen oder dem Wissen einer Person, die konsonant oder dissonant sein können (Frey & Benning, 1997). Eine konsonante Beziehung liegt vor, wenn eine Kognition beispielsweise aus der anderen folgt. Demgegenüber wird unter dem Begriff Dissonanz ein Widerspruch zwischen zwei Kognitionen verstanden. Im Fall einer dissonanten Beziehung wird das Individuum versuchen, Konsonanz herzustellen, also wieder für Harmonie zu sorgen. Ein Beispiel für eine dissonante Beziehung wäre, wenn eine Person Rauchen für ungesund hält und trotzdem raucht (Frey & Benning, 1997, S. 147).

2.4 Einstellungen und die Qualität inklusiven Unterrichts

55

Konsonant wäre die Beziehung, wenn die besagte Person nicht rauchen würde (Frey & Benning, 1997, S. 147). Im Detail kann bei der kognitiven Dissonanztheorie zwischen Dissonanz nach Entscheidungen, forcierter Einwilligung, selektiver Informationssuche und sozialer Unterstützung unterschieden werden (Frey & Benning, 1997). Von einer Dissonanz nach Entscheidungen ist die Rede, wenn eine Entscheidung zwischen verschiedenen Alternativen getroffen wurde. Hierbei entsteht Dissonanz, da auf die Vorteile der nicht gewählten Alternative verzichtet wird und die Nachteile der gewählten Alternative akzeptiert werden müssen (Frey & Benning, 1997, S. 148). Um Konsonanz herzustellen, kann die Person schließlich versuchen, die Attraktivität der getroffenen Auswahl zu erhöhen und die der nicht gewählten Alternative abzuwerten. Des Weiteren kann sie sich darin versichern, dass sie sich für die richtige Wahl entschieden hat oder nach Informationen suchen, die mit der eigenen Entscheidung übereinstimmen (Frey & Benning, 1997). Die forcierte Einwilligung stellt ein Vorgehen dar, bei der die Person in Abhängigkeit von der erwarteten Belohnung oder Bestrafung entgegen der eigenen Einstellung eine Entscheidung fällt bzw. handelt. Die Person kann versuchen, Konsonanz herzustellen, indem sie ihre Einstellung dem ausgeführten Verhalten anpasst (Frey & Benning, 1997). Die selektive Informationssuche ist eine weitere Möglichkeit, Konsonanz nach gefallener Entscheidung herzustellen. Hierbei versucht die Person nach getroffener dissonanter Entscheidung, gezielt konsonante Informationen zu suchen und dissonante Informationen zu vermeiden, um die Richtigkeit der Entscheidung zu bestärken (Frey & Benning, 1997). Eine andere Möglichkeit, Dissonanz zu mindern, stellt die soziale Unterstützung dar. Dabei würde die Person weitere Personen suchen, die dieselbe Meinung vertreten wie sie (Frey & Benning, 1997).

2.4.4 Einflussfaktoren auf die Einstellungen von Lehrkräften zur Inklusion Im Zusammenhang mit der Etablierung inklusiver Lehr-Lern-Prozesse sind die Einstellungen von (angehenden) Lehrkräften zur Inklusion in den Vordergrund der Forschung gerückt. De Boer, Pijl und Minnaert (2011) haben in ihrer Reviewstudie festgestellt, dass Grundschullehrkräfte eher neutrale oder negative Einstellungen zur Inklusion haben. Basierend auf der Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen, 1985; Ajzen & Madden, 1986) kann davon ausgegangen

56

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

werden, dass Einstellungen das unterrichtliche Handeln der Lehrkräfte bestimmen und damit den Erfolg des inklusiven Unterrichts beeinflussen können. Mit der Bedeutung von Einstellungen für das unterrichtliche Handeln, stellt sich unmittelbar die Frage nach den Ursachen für die jeweilige Einstellungsgenese. So sind Erklärungsfaktoren für die Einstellungen von Lehrpersonen zur Integration und Inklusion vielfach untersucht worden. Während in einigen Studien geschlechtsspezifische Unterschiede gefunden wurden, die darauf hindeuten, dass Lehrerinnen positivere Einstellungen zur Inklusion haben als Lehrer, konnte dieses Ergebnis in anderen Untersuchungen nicht nachgewiesen werden (für eine Übersicht siehe z. B. Avramidis & Norwich, 2002; de Boer et al., 2011). Des Weiteren gibt es Hinweise darauf, dass die Einstellungen der (angehenden) Lehrkräfte in Abhängigkeit von Förderbedarfen der Schülerinnen und Schüler variieren und z. B. in Bezug auf den Förderschwerpunkt Lernen oder emotionale und soziale Entwicklung negativer ausgeprägt sind als gegenüber dem Förderschwerpunkt motorische Entwicklung (Avramidis & Norwich, 2002; de Boer et al., 2011; Gebhardt et al., 2011; Schwab & Seifert, 2015). Als bedeutungsvolle Determinante für die Einstellungen haben sich unter anderem Erfahrungen von Lehrerinnen und Lehrern erwiesen. Es hat sich jedoch herausgestellt, dass jüngere Lehrkräfte oder Lehrpersonen mit weniger Berufserfahrung, eine positivere Einstellung zur Inklusion aufweisen als Lehrkräfte mit längerer Erfahrung in Schule und Unterricht (Center & Ward, 1987; de Boer et al., 2011; Leyser, Kapperman & Keller, 1994; Savolainen, Engelbrecht, Nel & Malinen, 2012). Hingegen zeigen Lehrpersonen mit mehr Erfahrungen mit inklusivem Unterricht auch positivere Einstellungen zur Inklusion (de Boer et al., 2011). So weisen Lehrkräfte, die Erfahrungen in der Durchführung gemeinsamen Unterrichts haben bzw. Lehrkräfte aus Schulen mit integrativen/inklusiven Konzepten positivere Einstellungen auf als Lehrpersonen, die nicht über diese Erfahrungen verfügen (z. B. Avramidis, Bayliss & Burden, 2000a; Avramidis & Kalyva, 2007). Ferner wird berichtet, dass Lehrkräfte, die eine Ausbildung mit inklusionsspezifischen Inhalten erhalten oder an solchen Fortbildungen teilgenommen haben, über signifikant positivere Einstellungen verfügen als Lehrpersonen, die nicht oder nur kurzzeitig an Fortbildungen teilgenommen haben (z. B. Avramidis & Kalyva, 2007). Praisner (2003) zeigt zudem, dass insbesondere die Qualität der Erfahrungen Auswirkungen auf die Einstellungen von Lehrpersonen haben kann. In ihrer Querschnittsstudie konnte sie einen signifikanten Zusam-

2.4 Einstellungen und die Qualität inklusiven Unterrichts

57

menhang zwischen positiven Erfahrungen mit Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf und der positiven Einstellung von Schulleiterinnen und Schulleitern zur Inklusion nachweisen. Als ein weiterer besonders bedeutsamer Erklärungsfaktor für die Einstellungen zur Inklusion hat sich die Selbstwirksamkeitserwartung von Lehrkräften hinsichtlich der Durchführung und Gestaltung von inklusivem Unterricht herausgestellt. Studien stützen die Annahme, dass Lehrkräfte mit höheren Selbstwirksamkeitsüberzeugungen eher bereit sind, Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu unterrichten. In vielen Untersuchungen konnte sowohl bei Lehrkräften (z. B. Abegglen, Streese, Feyerer und Schwab, 2017; Savolainen et al., 2012; Sokal & Sharma, 2014; Weisel & Dror, 2006; Yada & Savolainen, 2017) als auch bei Lehramtsstudierenden (z. B. Ahsan et al., 2012; Bosse & Spörer, 2014; Hellmich, Görel & Schwab, 2016) ein signifikanter positiver Zusammenhang zwischen ihren Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und Einstellungen gefunden werden, der darauf hindeutet, dass je selbstwirksamer sich (angehende) Lehrkräfte in Bezug auf den inklusiven Unterricht wahrnehmen, desto positiver ihre Einstellungen zur Inklusion sind. Im Rahmen von Regressionsanalysen wurde dabei verdeutlicht, dass Selbstwirksamkeitsüberzeugungen einen signifikanten Prädiktor für Einstellungen darstellen. Urton, Wilbert und Hennemann (2015) sind zu dem Ergebnis gekommen, dass sich die Einstellungen von Grundschullehrkräften durch ihre individuelle, aber auch durch die kollektive Selbstwirksamkeit des Kollegiums erklären lassen. Weisel und Dror (2006) konnten signifikante Korrelationen der beiden Subskalen Selbstwirksamkeit (self-efficacy) und Lehrerwirksamkeit (teaching efficacy) mit Einstellungen finden. Zudem waren die beiden Subskalen auch prädiktiv für die Einstellungen zur Inklusion. Insbesondere die individuelle Selbstwirksamkeitserwartung hatte den größten Erklärungswert für Einstellungen. Savolainen et al. (2012) stellten für Lehrkräfte in Finnland und Südafrika fest, dass ihre Einstellungen insbesondere durch die Selbstwirksamkeit in Bezug auf die Kooperation vorhergesagt werden können, jedoch in keinem der beiden Länder durch die Subskala efficacy to use inclusive instruction. Abegglen et al. (2017) konnten ähnliche Befunde für Lehrkräfte aus Deutschland, Österreich und der Schweiz finden. Vergleichbare Ergebnisse liefern Hecht, Niedermair und Feyerer (2016) für Lehramtsstudierende und Lehrpersonen im Berufseinstieg. Für Lehramtsstudierende konnte darüber hinaus in weiteren Untersuchungen

58

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

gezeigt werden, dass ihre Selbstwirksamkeitsüberzeugungen prädiktiv für ihre Einstellungen zur Inklusion sind (Bosse & Spörer, 2014; Hellmich et al., 2016). Die Befunde aus der Studie von Soodak, Podell und Lehman (1998) zeigen, dass Lehrkräfte, die eine hohe Lehrerwirksamkeitserwartung (teaching efficacy) aufweisen und zugleich adaptive Maßnahmen in ihrem Unterricht nutzen, der Inklusion gegenüber weniger abgeneigt sind als Lehrkräfte, die zwar hohe Wirksamkeitserwartungen haben, aber keinen individualisierenden Unterricht durchführen. Ferner zeigten Lehrkräfte mit geringer Wirksamkeitsüberzeugung, ungeachtet dessen, ob sie Differenzierungen im Unterricht vornehmen oder nicht, weniger Aufnahmebereitschaft gegenüber Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Darüber hinaus gibt es aus dieser Studie Hinweise darauf, dass hohe individuelle Selbstwirksamkeitsüberzeugungen mit weniger Angst der Inklusion gegenüber im Zusammenhang stehen. Während ein Großteil der Studien in diesem Kontext querschnittlich angelegt ist (z. B. Abegglen et al., 2017; Ahsan et al., 2012; Bosse & Spörer, 2014; Hellmich et al., 2016; Savolainen et al., 2012; Sokal & Sharma, 2014; Weisel & Dror, 2006; Yada & Savolainen, 2017) sind Bosse et al. (2016) der Frage nachgegangen, inwiefern sich Einstellungen von Lehrkräften im Längsschnitt durch ihre Selbstwirksamkeit beeinflussen lassen. Im Rahmen einer Onlinebefragung von 321 Grundschullehrkräften konnten sie einen Zusammenhang zwischen Einstellungen und Selbstwirksamkeitserwartungen im Querschnitt finden; jedoch ließ sich ein längsschnittlicher Einfluss nicht nachweisen. Ferner kann jedoch davon ausgegangen werden, dass der Zusammenhang zwischen Selbstwirksamkeitserwartungen und Einstellungen von Lehrkräften hinsichtlich der Gestaltung von inklusivem Unterricht über die Zeit stabil ist (Bosse et al., 2016; Bosse, Jäntsch & Spörer, 2015). Die aufgeführten Untersuchungen und Befunde zu Einflussfaktoren für die Einstellungen verdeutlichen, dass verschiedene Faktoren Effekte auf die Einstellungen haben können. Im nächsten Kapitel soll herausgestellt werden, welche Bedeutung Einstellungen von Lehrkräften zum inklusiven Unterricht haben und inwiefern sie eine Rolle für die didaktischen und pädagogischen Prozesse der Unterrichtsgestaltung spielen.

2.4 Einstellungen und die Qualität inklusiven Unterrichts

59

2.4.5 Einstellungen zur Inklusion und die Gestaltung inklusiven Unterrichts Nach der Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen, 1985; Ajzen & Fishbein, 2005; Ajzen & Madden, 1986) können Einstellungen von Lehrkräften zur Inklusion als wichtiger Prädiktor für ihre Unterrichtsgestaltung betrachtet werden und nehmen im Rahmen der Umsetzung inklusiver Bildungsprozesse daher eine bedeutende Rolle ein. Es kann nach der Theorie des geplanten Verhaltens angenommen werden, dass Einstellungen von Lehrkräften zu heterogenen Lerngruppen und integrativem bzw. inklusivem Unterricht die Art und Weise, wie sie mit heterogenen Schülergruppen umgehen und wie sie infolgedessen den Unterricht gestalten, nicht unerheblich beeinflussen. Untersuchungen verdeutlichen, dass die erfolgreiche Implementierung der Inklusion im Zusammenhang mit Einstellungen steht. So verweisen Avramidis, Bayliss und Burden (2000b) darauf, dass insbesondere die Einstellungen von Lehrkräften ein großes Hindernis für die gelungene Umsetzung des gemeinsamen Unterrichts sein können. Einstellungen von Lehrkräften können damit als wichtige Prädiktoren eines erfolgreichen inklusiven Unterrichts aufgefasst werden (Sze, 2009). Die Ergebnisse der Studie von Ben-Yehuda, Leyser und Last (2010) lassen darauf schließen, dass es einen Zusammenhang zwischen den Einstellungen von Lehrkräften und dem Erfolg bzw. der Qualität ihres inklusiven Unterrichts geben kann. Hierzu wurden auf der Basis soziometrischer Befragungen in Klassen, erfolgreiche und weniger erfolgreiche Lehrkräfte im inklusiven Unterricht festgestellt. Diese Lehrkräfte wurden hinsichtlich ihrer Beliefs und Unterrichtspraktiken befragt. Es konnten Hinweise dafür gefunden werden, dass erfolgreiche Lehrkräfte über positivere Einstellungen und höhere Selbstwirksamkeitsüberzeugungen verfügen als weniger erfolgreiche Lehrkräfte. In einer Studie von Segall und Campbell (2012) wurden die Einstellungen von Lehrkräften, Schulleitungen, Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen sowie Schulpsychologen zur Inklusion von Schülerinnen und Schülern mit Autismus-Spektrum-Störungen erhoben. Zusätzlich wurde anhand einer Liste von 37 Unterrichtspraktiken, die eine gelungene Inklusion von Schülerinnen und Schülern mit AutismusSpektrum-Störungen kennzeichnen, erfasst, ob die Befragten diese kennen, in ihrem Unterricht nutzen und wie sie deren Effektivität einschätzen. Segall und Campbell (2012) berichten in ihren Ergebnissen von einem signifikant positiven Zusammenhang zwischen den Einstellungen von Regelschullehrkräften (N=49)

60

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

und ihrer Nutzung von Maßnahmen für eine gelungene Inklusion von Lernenden mit Autismus-Spektrum-Störungen. Schwab et al. (2015) konnten in ihrer Studie zeigen, dass die Einstellungen von Lehrkräften zur Inklusion in Bezug auf verschiedene Förderbedarfe mit ihren Zielen im Unterricht zusammenhängen. Im Detail korrelierten die Einstellungen der Lehrkräfte insbesondere mit dem Ziel der Berücksichtigung von Individualität. Je positiver die Einstellungen der Lehrkräfte ausgeprägt waren, desto wichtiger schätzten sie die Beachtung der Schülerindividualität im Unterricht ein. Bosse et al. (2015) konnten einen Zusammenhang von Einstellungen und Selbstwirksamkeitserwartungen mit dem Belastungserleben der Lehrkräfte finden. Je positiver die Einstellungen der Lehrkräfte waren bzw. je selbstwirksamer sie sich wahrnahmen, desto geringer war die empfundene berufliche Belastung. Darüber hinaus berichten die Autoren, dass Einstellungen und Selbstwirksamkeitserwartungen der Lehrkräfte im Längsschnitt mit ihrem Wissen über individuelle Förderung zusammenhängen. Die Studie von Bender, Vail und Scott (1995) gibt Hinweise dafür, dass die Einstellungen von Lehrkräften zum gemeinsamen Unterricht und ihre Selbstwirksamkeit mit der Qualität ihres inklusiven Unterrichts zusammenhängen. Im Rahmen dieser Fragebogenstudie mit 127 Lehrkräften der Klassenstufen 1 bis 8 wurden die Einstellungen der Lehrkräfte zum gemeinsamen Unterricht, ihre Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und ihre selbstberichtete Nutzung von Unterrichtspraktiken, die die Gestaltung eines gemeinsamen Unterrichts begünstigen, erfasst. Die Skala zur Unterrichtsgestaltung bezog sich auf Maßnahmen der Individualisierung sowie der kognitiven Unterstützung der Schülerinnen und Schüler. Neben der Berechnung von Korrelationen wurden die Lehrkräfte in Abhängigkeit ihrer Einstellungen in zwei Gruppen geteilt. Die Ergebnisse zeigen zum einen signifikante Korrelationen zwischen den Einstellungen der Lehrkräfte und ihrer Unterrichtsgestaltung. Je positiver die Einstellungen der Lehrpersonen waren, desto stärker scheinen sie inklusionsbegünstigende Maßnahmen wie Individualisierung in ihrem Unterricht einzusetzen. Ebenso stellte sich eine signifikante positive Korrelation zwischen ihrer Selbstwirksamkeit und ihrer Individualisierungspraxis heraus. Ferner berichten die Autoren über signifikante Unterschiede in der Individualisierungspraxis zwischen Lehrkräften mit positiven und negativen Einstellungen.

2.4 Einstellungen und die Qualität inklusiven Unterrichts

61

Der Zusammenhang zwischen den Einstellungen von Lehrkräften zur Inklusion und ihrer Unterrichtsgestaltung wurde in vielen Studien im Rahmen der Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen, 1985) untersucht. In diesem Kontext wurde insbesondere die Bedeutung von Einstellungen und Selbstwirksamkeitsüberzeugungen für das unterrichtliche Handeln sowie Handlungsintentionen von Lehrpersonen fokussiert. Stanovich und Jordan (1998) gehen davon aus, dass das Gelingen von Unterricht in nicht unerheblichem Maße von beispielsweise Einstellungen und Überzeugungen von Lehrkräften abhängig ist. In ihrer Studie haben sie basierend auf der Theorie des geplanten Verhaltens Lehrkräfte und Schulleitungen in Kanada zu ihren Beliefs und Einstellungen befragt sowie Unterrichtsbeobachtungen durchgeführt. Neben zwei quantitativen Skalen zu Einstellungen und Beliefs haben die Autoren mit den Lehrkräften zusätzlich ein Interview durchgeführt, in dem Beliefs auf einer Skala von pathognomonisch bis interventionistisch erfasst wurden. Erstere kennzeichnen sich dadurch, dass Lern- oder Verhaltensschwierigkeiten als schülerimmanente Aspekte verstanden werden. Interventionistische Beliefs hingegen beziehen sich auf die Überzeugung, dass Lernschwierigkeiten Ergebnisse der Interaktion zwischen Schülerinnen und Schülern und dem Unterricht sind. In den Befunden dieser Studie stellte sich heraus, dass zwar die quantitativ erhobenen Einstellungen und Beliefs der Lehrkräfte sowie ihre Selbstwirksamkeitsüberzeugungen keine signifikanten Prädiktoren für effektiven Unterricht waren, jedoch ihre mittels Interview erhobenen Beliefs über Behinderungen. Kuyini und Desai (2007) konnten in ihrer Untersuchung mit Grundschulleitern und -lehrkräften in Ghana, basierend auf der Theorie des geplanten Verhaltens nach Ajzen (1985), zeigen, dass Einstellungen zur und das Wissen über Inklusion prädiktiv für die Nutzung adaptiver Maßnahmen der Lehrkräfte im Unterricht sind. Während in den Untersuchungen von Stanovich und Jordan (1998) sowie Kuyini und Desai (2007) das Verhalten der Lehrkräfte über Beobachtungen erhoben wurde, erfassten MacFarlane und Woolfson (2013) das Verhalten der Lehrkräfte in einem Selbstbericht über einen Fragebogen und berücksichtigten zusätzlich die Intentionen der Lehrerinnen und Lehrer in Bezug auf den inklusiven Unterricht. Im Detail wurden hierzu ebenfalls vor dem Hintergrund der Theorie des geplanten Verhaltens Lehrkräfte aus Schottland zur Inklusion von Kindern mit dem Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung befragt. Die Autoren konnten feststellen, dass die Verhaltensintention der Lehrkräfte für den inklusiven Unterricht durch ihre Einstel-

62

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

lungen und ihre Selbstwirksamkeitsüberzeugungen erklärt wird. Für das selbstberichtete konkrete Verhalten im Unterricht waren jedoch nur die aus Lehrersicht wahrgenommenen Erwartungen der Schulleitungen prädiktiv. In Bezug auf die Intention von Lehrkräften kommen Ahmmed, Sharma und Deppeler (2014) in ihrer Studie mit Lehrerinnen und Lehrern aus Bangladesch zu ähnlichen Ergebnissen. Die Autoren berichten über die prädiktive Rolle von Einstellungen und Selbstwirksamkeitsüberzeugungen für die Intention der Lehrkräfte, Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu unterrichten. Sharma und Jacobs (2016) berichten in ihrer Untersuchung mit Lehrpersonen aus Indien und Australien ebenfalls, dass Intentionen von Lehrkräften bezüglich des inklusiven Unterrichts durch ihre Einstellungen und Selbstwirksamkeitserwartungen vorhergesagt werden können. Batsiou, Bebetsos, Panteli und Antoniou (2008) konnten in ihrer Studie eine signifikante Korrelation zwischen den Einstellungen von Lehrkräften aus Griechenland und Zypern und ihren Intentionen, inklusiv zu unterrichten, finden. Poulou und Norwich (2002) haben sich mit den Intentionen von Lehrkräften in Bezug auf den Unterricht mit Schülerinnen und Schülern mit einem Förderbedarf im Bereich der emotional-sozialen Entwicklung beschäftigt. Im Rahmen ihrer Studie wurde den befragten Lehrkräften eine Schülervignette, die diesen Förderbedarf beschreibt, vorgelegt. Die Autoren konnten zeigen, dass die Selbstwirksamkeit und die Gefühle der Lehrkräfte diesen Schülerinnen und Schülern gegenüber ihre Intention, ihnen zu helfen, erklären. Diese Intention wiederum war prädiktiv für das unterrichtliche Verhalten der Lehrkräfte. Abgesehen von der Theorie des geplanten Verhaltens gibt es Hinweise darauf, dass sich die Intentionen in Bezug auf das Unterrichten von Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf in Abhängigkeit der Erfahrungen mit diesen Schülerinnen und Schülern unterscheiden können (Subban & Mahlo, 2017).

2.4.6 Zusammenfassung In diesem Kapitel wurde das Konstrukt der Einstellung vorgestellt. In den theoretischen und empirischen Ausführungen zeichnet sich ihre Bedeutung für Verhaltensabsichten und konkretes Verhalten ab. Im Kontext inklusiver Bildung können die Einstellungen von Lehrkräften als zentrale Bedingungsfaktoren für ihr Verhalten oder ihre Verhaltensabsichten für den inklusiven Unterricht gese-

2.5 Motivation von Lehrkräften und die Qualität inklusiven Unterrichts

63

hen werden. Viele Untersuchungen weisen darauf hin, dass Einstellungen von Lehrkräften zur Inklusion im Zusammenhang mit ihrer Unterrichtsgestaltung stehen (z. B. Bender et al., 1995; Segall & Campbell, 2012). Während Kuyini und Desai (2007) auf der Grundlage der Theorie des geplanten Verhaltens das unterrichtliche Handeln von Lehrkräften durch ihre Einstellungen zur Inklusion erklären können, lässt sich dieses Ergebnis in der Studie von MacFarlane und Woolfson (2013) nicht bestätigen. Im Gegensatz dazu berichten MacFarlane und Woolfson (2013) jedoch, dass die Verhaltensintentionen der Lehrkräfte für den Unterricht durch ihre Einstellungen und Selbstwirksamkeitsüberzeugungen vorhergesagt werden können. Dieser Befund lässt sich auch in weiteren Studien finden, die sich mit Verhaltensabsichten von Lehrkräften in Bezug auf den inklusiven Unterricht auseinandersetzen (Ahmmed et al., 2014; Poulou & Norwich, 2002; Sharma & Jacobs, 2016). Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird die Einstellung von Lehrkräften zur Inklusion vor dem Hintergrund der Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen, 1985; Ajzen & Madden, 1986) als Prädiktor für ihre prospektiven Verhaltensabsichten für den inklusiven Unterricht und ihre Einschätzungen über die Bedeutung von ausgewählten Qualitätsmerkmalen des inklusiven Unterrichts angenommen. Darüber hinaus berichten zahlreiche Untersuchungen über einen signifikanten positiven Zusammenhang zwischen den Einstellungen und Selbstwirksamkeitserwartungen von (angehenden) Lehrkräften; zudem hat sich ihre Selbstwirksamkeit als bedeutsamer Prädiktor für ihre Einstellungen erwiesen (z. B. Abegglen et al., 2017; Bosse & Spörer, 2014; Hecht et al., 2016; Hellmich et al., 2016; Savolainen et al., 2012; Sokal & Sharma, 2014; Urton et al., 2015; Weisel & Dror, 2006; Yada & Savolainen, 2017). Basierend auf dem vorgestellten Forschungsstand wird in der vorliegenden Arbeit die Selbstwirksamkeit der Lehrkräfte in Bezug auf die Gestaltung inklusiven Unterrichts als Prädiktor für ihre Einstellungen modelliert.

2.5 Motivation von Lehrkräften und die Qualität inklusiven Unterrichts Neben Selbstwirksamkeitserwartungen und Einstellungen kann auch die Motivation von Lehrkräften als essentielle Bedingung für die Bewältigung von beruflichen Anforderungen gesehen werden (Baumert & Kunter, 2006). Mit der Implementierung inklusiver Lehr-Lern-Konzepte treten für Lehrkräfte neue berufli-

64

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

che Herausforderungen in den Vordergrund. Die zunehmende Heterogenität in den Lernbedürfnissen der Schülerinnen und Schüler erfordert im Rahmen des inklusiven Unterrichts differenzierte und adaptive Lehr- bzw. Lernformen. Für die Bewältigung dieser Aufgaben ist es für Lehrkräfte unumgänglich, ihre Kompetenzen für die Gestaltung von inklusivem Unterricht kontinuierlich weiterzuentwickeln. Folglich stellt sich die Frage, inwieweit Lehrkräfte motiviert sind, sich mit inklusionsbezogenen Inhalten zu befassen und aus welchen Gründen sie dies tun. Liegt es beispielsweise daran, dass sie interessiert an inklusiven Unterrichtsformen sind oder weil eine Weiterbildung von der Schulleitung vorgesehen ist? Inwiefern sind insbesondere Grundschullehrkräfte motiviert, sich mit diesen Themen zu beschäftigen und inwiefern spiegelt sich ihre Motivation in ihren Verhaltensabsichten hinsichtlich der didaktischen und pädagogischen Gestaltung von inklusivem Unterricht wider? Vor dem Hintergrund dieser Forschungsfragen wird in diesem Kapitel zunächst dargestellt, wodurch sich Motivation kennzeichnet und welche Rolle motivationale Aspekte von Lehrkräften für die Qualität ihres Unterrichts spielen. Im Rahmen dieses Kapitels wird sowohl vor theoretischem als auch empirischem Hintergrund das Konstrukt Motivation in den Forschungskontext der vorliegenden Arbeit eingeordnet und ihr Zusammenhang mit den Selbstwirksamkeitserwartungen sowie Einstellungen von Lehrkräften zum inklusiven Unterricht herausgestellt. Darüber hinaus wird der Frage nachgegangen, welche Bedeutung die Motivation von Lehrkräften für ihre Unterrichtsgestaltung hat.

2.5.1 Theorie und Konzeption der Motivation In der Lehrerforschung stellt die Motivation ein erst seit einigen Jahren verstärkt in den Fokus gerücktes Konstrukt dar (Kunter, 2011). Sie kann nach Rheinberg und Vollmeyer (2012, S. 16) verstanden werden als „die aktivierende Ausrichtung des momentanen Lebensvollzuges auf einen positiv bewerteten Zielzustand“. In diesem Zusammenhang geht es bei der Motivation also um zielorientiertes Verhalten (Schunk, Meece & Pintrich, 2014, S. 5). Sie betrifft die Frage, wieso eine Person ein bestimmtes Verhalten zeigt. Aus welchen Gründen beschäftigt sich beispielsweise eine Lehrperson mit inklusionsspezifischen LehrLern-Materialien? Liegt es daran, dass sie persönlich an der Thematik interes-

2.5 Motivation von Lehrkräften und die Qualität inklusiven Unterrichts

65

siert ist und mehr erfahren möchte? Oder ist die professionelle Weiterbildung bzw. die Pflicht, inklusiven Unterricht durchzuführen, ein Grund für die Auseinandersetzung mit inklusionsdidaktischen Aspekten? Neben der Frage nach den Ursachen von Verhalten, umfasst die Motivation die „Richtung, Ausdauer und Intensität von Verhalten“ (Rheinberg & Vollmeyer, 2012, S. 13). Je nach Ausprägung ihrer Motivation würde sich eine Lehrperson dementsprechend mehr oder weniger umfassend und intensiv mit inklusionspädagogischen und -didaktischen Aspekten auseinandersetzen. Die Motivation lässt sich aus zwei Perspektiven beschreiben. Zum einen bezieht sie sich auf Motivierungsprozesse, d. h. die Lenkung des Verhaltens in der jeweiligen Situation (Krapp, Geyer & Lewalter, 2014). Diese Prozesse umfassen z. B. die Wahl von Tätigkeiten sowie die Anstrengung und Ausdauer (Schunk et al., 2014, S. 5). Zum anderen betrifft die Motivation die Eigenschaften von Personen wie z. B. Motive oder Interessen (Krapp et al., 2014).

  

    

   

         Abbildung 7. Das Grundmodell der „klassischen“ Motivationspsychologie (Rheinberg & Vollmeyer, 2012, S. 70)

66

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

Nach dem Grundmodell der klassischen Motivationspsychologie (vgl. Abbildung 7) ist die aktuelle Motivation einer Person Ausgangspunkt für ein spezifisches Verhalten. Das von Personen ausgeführte Verhalten entsteht demnach aus der „Wechselbeziehung zwischen einer bestimmten Person und einer bestimmten Situation“ (Rheinberg & Vollmeyer, 2012, S. 42). Generell haben Menschen allgemeine Vorstellungen und Erwartungen von Situationen, die durch frühere Erfahrungen geprägt sind. Diese Motive sind persönliche Neigungen und stabile individuelle Persönlichkeitsmerkmale, die die Wahrnehmung und Einordnung von Situationen bestimmen. Situationen stellen potenzielle Anreize dar, die individuell unterschiedliche Motive von Personen anregen können. Wenn eine Person sich in einer ihren Motiven entsprechenden und diese aktivierenden Situation befindet, entwickelt sich hieraus die aktuelle Motivation, sich in einer bestimmten Weise zu verhalten. Sie ist somit das Ergebnis des reziproken Verhältnisses von Motiv und Situation. Aus dieser Motivation folgt schließlich das entsprechende Verhalten, das von der Person ausgeübt wird. Der Prozess vom Motiv zum Verhalten gestaltet sich dabei auch zeitlich flexibel und hängt von den situativen Gegebenheiten ab (Rheinberg & Vollmeyer, 2012). In der Motivationsforschung wird generell zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation unterschieden. Eine intrinsisch motivierte Handlung wird um ihrer selbst willen ausgeführt, „weil die Handlung selbst als interessant, spannend, herausfordernd usw. erscheint“ (Schiefele & Köller, 2010, S. 336). Dies wäre der Fall, wenn eine Lehrkraft sich aufgrund von persönlichem Interesse über Inklusion informiert und sich mit entsprechenden Inhalten und Materialien auseinandersetzt. Extrinsisch motiviertes Verhalten hingegen erfolgt, „um damit positive Folgen herbeizuführen oder negative Folgen zu vermeiden“ (Schiefele & Köller, 2010, S. 337). In diesem Fall würde eine Lehrperson sich mit inklusionsspezifischen Inhalten befassen, weil dies z. B. im Rahmen einer obligatorischen Fortbildung erforderlich ist. Intrinsische und extrinsische Motivation sind jedoch nicht immer einfach voneinander zu unterscheiden. Es kann sein, dass Personen für ein intrinsisch motiviertes Ziel auch Handlungen durchführen müssen, die für sich allein nicht aus intrinsischer Motivation erfolgen und „nur instrumentellen Charakter haben“ (Schiefele & Köller, 2010, S. 337). Darüber hinaus können beide Motivationsformen gleichzeitig auftreten, sodass einem Verhalten unterschiedliche Ursachen zugrunde liegen. An dieser Stelle ist nach

2.5 Motivation von Lehrkräften und die Qualität inklusiven Unterrichts

67

Schiefele und Köller (2010) daher die Frage nach dem Verhältnis zwischen beiden Motivationsformen bedeutsam. Im Rahmen ihrer Selbstbestimmungstheorie gehen Deci und Ryan (1993; Ryan & Deci, 2000a, 2000b) davon aus, dass die intrinsische Motivation aus der Erfüllung von drei grundlegenden Bedürfnissen von Menschen folgt. Demnach steigt die intrinsische Motivation von Personen, wenn sie Kompetenzgefühl, Selbstbestimmung und soziale Eingebundenheit bei einer Handlung erleben. Wichtig dabei ist, dass das Kompetenzgefühl allein nicht ausreichend ist, sondern Personen sich insbesondere auch als autonom wahrnehmen müssen. Die Autoren gehen zudem davon aus, dass die intrinsische Motivation angeboren ist und durch bestimmte Situationen, die die Grundbedürfnisse befriedigen, in Erscheinung tritt und gefördert werden kann (Ryan & Deci, 2000b). Motivation kann als Bedingung für erfolgreiches Handeln betrachtet werden, was Ryan und Deci (2000b, S. 69) sehr prägnant beschreiben: „Motivation produces“. So kann Motivation die Ausdauer und Zielgerichtetheit bei einer Handlung regulieren. Darüber hinaus variiert die Qualität der Leistungen, die Personen erbringen, in Abhängigkeit von intrinsischer oder extrinsischer Motivation (Ryan & Deci, 2000a). Zusätzlich zur quantitativen Unterscheidung von Motivation hinsichtlich ihrer Stärke, werden im Rahmen der Selbstbestimmungstheorie qualitative Unterschiede angenommen. Diese Qualität von motiviertem Handeln wird auf einer Skala von Selbstbestimmung bis Kontrolliertheit der Handlungen determiniert. Eine selbstbestimmt motivierte Handlung, die aufgrund autonomer Entscheidung stattfindet, stellt dabei die höchste Form der qualitativen Ausprägung dar. Hingegen sind Handlungen, die auf der Basis externer Entscheidungen getätigt werden, eher den unteren Stufen zuzuordnen (Deci & Ryan, 1993). Die intrinsische Motivation gilt dabei als „Prototyp selbstbestimmten Handelns“ (Deci & Ryan, 1993, S. 226). Sie impliziert nach der Selbstbestimmungstheorie Merkmale wie Interesse, Freude und Zufriedenheit bei der Handlung (Ryan & Deci, 2000a, 2000b). Intrinsisch motivierte Personen handeln somit aus freier Entscheidung und Interesse. Extrinsische Motivation hingegen, die sich nach Deci und Ryan (1993; Ryan & Deci, 2000a, 2000b) in vier Formen unterteilen lässt und hinsichtlich des Selbstbestimmungsgrades variiert, ist geprägt durch ihre instrumentelle Funktion. Ryan und Deci (2000b, S. 69) machen zudem darauf aufmerksam, dass die Motivation gerade bei bestimmten Berufsgruppen wie z. B. Lehr-

68

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

kräften sehr bedeutsam ist, da diese Einfluss auf das Verhalten anderer Menschen haben. Ein weiteres Modell zur Erklärung der Motivation ist das Erwartungs-WertModell (Eccles & Wigfield, 2002), welches umfassend in der Pädagogischen Psychologie Anwendung gefunden hat. In diesem Modell wird davon ausgegangen, dass die Motivation für ein Verhalten von der individuellen Erfolgserwartung und dem wahrgenommenen Wert der Handlung abhängig ist (Eccles & Wigfield, 2002). Diese Erwartung und der beigemessene Wert einer Tätigkeit beeinflussen demnach die Auswahl von Handlungen sowie die Leistung und Ausdauer bei ihrer Ausübung. Die Motivation einer Person kann dementsprechend als „Produkt von Erfolgserwartung und subjektiver Bewertung des Handlungsergebnisses“ (Krapp et al., 2014, S. 198) definiert werden. Die individuellen Erfolgserwartungen entsprechen dabei den Selbstwirksamkeitserwartungen einer Person (Eccles & Wigfield, 2002). Ein weiteres Modell im Rahmen der Erwartungs-Wert-Theorie wurde von Heckhausen (1977; Heckhausen & Rheinberg, 1980) konzipiert. Grundidee des erweiterten kognitiven Motivationsmodells (vgl. Abbildung 8) sind verschiedene Erwartungen einer Person, die ihren Motivationsprozess kennzeichnen. Das Modell stellt eine Handlungssequenz dar, welche in Situation, Handlung, Ergebnis und Folgen unterteilt ist. Vor dem Hintergrund der Situations-Ergebnis-Erwartung befasst sich die Person demnach mit möglichen Konsequenzen, die auftreten, wenn sie nicht handelt. So wird jegliche Handlung als überflüssig angesehen, wenn die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten des erwünschten Ergebnisses unabhängig vom eigenen Handeln sehr hoch ist. Infolgedessen nimmt die Handlungsbereitschaft bei einer hoch ausgeprägten Situations-Ergebnis-Erwartung ab (Rheinberg, 2010). Eine andere Erwartungsebene betrifft die Handlungs-Ergebnis-Erwartung. Sie beschreibt in diesem Zusammenhang die Einschätzung einer Person über die Wahrscheinlichkeit, inwiefern mit dem eigenen Verhalten Einfluss auf das Ergebnis genommen werden kann (Rheinberg, 2010). Die Handlungs-ErgebnisErwartung ist an dieser Stelle vergleichbar mit den Selbstwirksamkeitsüberzeugungen einer Person. Schließlich bezieht sich die Ergebnis-Folge-Erwartung auf die Einschätzung der möglichen Konsequenzen des Handlungsergebnisses (Rheinberg, 2010). Die Bereitschaft einer Person zum Handeln kann in Abhängigkeit der Höhe ihrer Ergebnis-Folge-Erwartung variieren, wobei dies eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung ist. Zusätzlich spielt auch der

2.5 Motivation von Lehrkräften und die Qualität inklusiven Unterrichts

69

individuelle Anreiz der Folge eine bedeutsame Rolle, der zusammen mit der Ergebnis-Folge-Erwartung Einfluss auf den wahrgenommenen Wert des Ergebnisses hat (Rheinberg, 2010).

 

  

   

  

 

 

 

Abbildung 8. Erweitertes kognitives Motivationsmodell (Heckhausen & Rheinberg, 1980; Rheinberg, 2010, S. 374)

Rheinberg (1989, 2010) unterscheidet zusätzlich zu den Folgeanreizen auch Anreize, die sich auf die Ausführung der Tätigkeit an sich beziehen. Demnach können Handlungen nicht nur in Abhängigkeit der Folgeanreize, sondern auch durch die Stärke der Tätigkeitsanreize beeinflusst werden. Tätigkeitsanreize beziehen sich hierbei auf die ursprüngliche Bedeutung von intrinsischer Motivation, „die im Vollzug der Tätigkeit lieg[t]“ (Rheinberg, 2010, S. 373). Folgeanreize können entsprechend der extrinsischen Motivation zugeordnet werden (Rheinberg, 2010).

2.5.2 Lehrermotivation Die Motivation von Lehrkräften wurde vielfach mit dem Fokus auf die Gründe für die Berufswahl untersucht (Kunter, 2011; Retelsdorf & Möller, 2012; Watt et al., 2012). Darüber hinaus kann die Lehrermotivation nicht als ein eindimensionales Konstrukt betrachtet werden. Vielmehr stellt sie ein multidimensionales Konstrukt dar, das sich aus verschiedenen motivationalen Aspekten wie Berufswahlmotiven, Enthusiasmus, Interesse, Selbstwirksamkeit und Zielorientierun-

70

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

gen zusammensetzt, die Unterschiede im Verhalten der Lehrkräfte erklären können und bedeutsame Faktoren für erfolgreiches Lehrerhandeln darstellen (Kunter, 2011). Da der Lehrerberuf durch eine hohe Selbststeuerung und eigenverantwortliche Organisation gekennzeichnet ist, scheinen motivationale Aspekte daher die Bewältigung der vielfältigen Anforderungen zu bestimmen (Kunter, 2011). Nach de Jesus und Lens (2005) ist die Motivation von Lehrpersonen ein wichtiger Faktor, wenn es um Schülermotivation, aber auch um die Entwicklung und Implementierung von Bildungsreformen geht. Darüber hinaus wird angenommen, dass Lehrermotivation mit dem beruflichen Wohlbefinden und der Gesundheit zusammenhängt, also mit Faktoren, die die erfolgreiche Ausübung des Berufes bedingen. So weisen Untersuchungen auf einen positiven Zusammenhang zwischen dem Enthusiasmus von Lehrkräften und ihrer Berufs- und Lebenszufriedenheit hin (z. B. Kunter, Frenzel, Nagy, Baumert & Pekrun, 2011). Außerdem zeigen Lehrkräfte geringere Anzeichen von Burnout oder emotionaler Erschöpfung, je intrinsisch motivierter oder enthusiastischer sie sind (Fernet et al., 2012; Fernet, Senécal, Guay, Marsh & Dowson, 2008; Kunter et al., 2011; Roth, Assor, Kanat-Maymon & Kaplan, 2007). Abgesehen von Zusammenhängen mit dem beruflichen Wohlbefinden, weist die Motivation von Lehrkräften Zusammenhänge mit weiteren Variablen der Lehrerprofessionalität wie Einstellungen und Selbstwirksamkeitsüberzeugungen auf. Darüber hinaus hat die Motivation bedeutsame Effekte hinsichtlich der Qualität von Lernumgebungen. Im Folgenden wird die Motivation zunächst im Zusammenhang mit weiteren Variablen der Lehrerprofessionalität wie Einstellungen und Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und anschließend hinsichtlich ihrer Effekte in Bezug auf Unterrichtsqualität thematisiert.

2.5.3 Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, Einstellungen und Motivation Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, Einstellungen und Motivation werden als Teil der professionellen Handlungskompetenz von Lehrkräften verstanden (Baumert & Kunter, 2006). In der Selbstbestimmungstheorie nehmen Ryan und Deci (2000a, 2000b) an, dass die intrinsische Motivation von Personen steigt, wenn sie sich bei der Durchführung einer Handlung als kompetent oder wirksam wahrnehmen und autonom handeln können. Untersuchungen zeigen, dass

2.5 Motivation von Lehrkräften und die Qualität inklusiven Unterrichts

71

Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Personen eine bedeutsame Rolle für ihre Motivation spielen (Schunk, 1995; Schunk et al., 2014). So kann die Zuversicht in die eigenen Fähigkeiten dazu führen, dass Personen sich für oder gegen die Aufnahme einer bestimmten Tätigkeit entscheiden. Ferner können diese Überzeugungen die Anstrengung und Ausdauer bei der Handlung beeinflussen, sodass Personen, die davon überzeugt sind, eine Handlung erfolgreich bewältigen zu können, sich stärker anstrengen und länger dabei bleiben als Personen, die über geringere Selbstwirksamkeitserwartungen verfügen (Bandura, 1997; Schunk, 1995; Schunk et al., 2014). Bandura (1997) geht davon aus, dass die Selbstwirksamkeitsüberzeugung einen wesentlichen Faktor für motiviertes Verhalten darstellt. In Abhängigkeit der Höhe ihrer Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, setzen sich Personen unterschiedliche Ziele. So motiviert eine hohe Zuversicht in die eigenen Fähigkeiten Personen dazu, ihre individuellen Ziele zu steigern. Hingegen können Personen, die über niedrigere Selbstwirksamkeitsüberzeugungen verfügen, eine geringere Motivation für weitere Anstrengungsbereitschaft verspüren und ihre Zielsetzungen senken. Die Überzeugung darüber, eine Anforderung bewältigen zu können, kann die Anstrengungsbereitschaft einer Person trotz auftretender Hindernisse und Schwierigkeiten stärken und über eine lange Zeit aufrechthalten. Des Weiteren findet auch die Auswahl von Herausforderungen in Abhängigkeit der eigenen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und Einschätzungen über die eigenen Kapazitäten statt (Bandura, 1997). Im Rahmen von Erwartungs-Wert-Modellen werden Selbstwirksamkeitsüberzeugungen ebenfalls als wichtiger Prädiktor für die Motivation einer Person angenommen (Eccles & Wigfield, 2002; Heckhausen, 1977; Heckhausen & Rheinberg, 1980). Bei Lernenden wurden vielfach Zusammenhänge zwischen ihren Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und ihrer Motivation gefunden, die darauf hindeuten, dass höhere Selbstwirksamkeitsüberzeugungen mit höherer Anstrengungsbereitschaft und Ausdauer einhergehen und einen bedeutsamen Prädiktor für die Motivation darstellen (Zimmerman, 2000). In ihrer Untersuchung mit Lehrkräften berichten Fernet et al. (2008) über einen positiven Zusammenhang zwischen der intrinsischen Motivation von Lehrkräften hinsichtlich unterschiedlicher Aufgabenbereiche ihres Berufs wie z. B. Unterrichten, Klassenführung etc. und ihren Selbstwirksamkeitsüberzeugungen. De Jesus und Lens (2005) konnten in ihrem integrativen Modell über die Lehrermotivation zeigen, dass Selbwirksamkeitsüberzeugungen der Lehrkräfte prädiktiv für ihre intrinsische Motivation sind.

72

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

Kunter et al. (2011) berichten zudem über einen positiven Zusammenhang zwischen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Lehrkräften und ihrem Enthusiasmus. Darüber hinaus kommen weitere Studien zu dem Ergebnis, dass zwischen dem Interesse von Lehrkräften und ihren Selbstwirksamkeitsüberzeugungen ebenfalls Zusammenhänge bestehen. So hängen das Fachinteresse sowie das erzieherische und didaktische Interesse von Lehrkräften mit ihren beruflichen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen zusammen (Schiefele & Schaffner, 2015; Schiefele et al., 2013). In einer Studie von Hellmich et al. (2016) konnten Zusammenhänge zwischen Einstellungen, Selbstwirksamkeit und Motivation von Lehramtsstudierenden aus Deutschland und Österreich gefunden werden. Dabei waren die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen der österreichischen Studierenden in Bezug auf die Gestaltung von inklusivem Unterricht prädiktiv für ihre Einstellungen zur Inklusion und ihre Motivation, sich mit inklusionsbezogenen Aspekten zu befassen. Für die deutsche Stichprobe hingegen zeigte sich lediglich ein Effekt der Selbstwirksamkeit auf die Einstellungen der Studierenden zur Inklusion, jedoch nicht auf ihre Motivation. Darüber hinaus waren die Einstellungen der Studierenden zur Inklusion in beiden Stichproben signifikante Prädiktoren für ihre Motivation zur Beschäftigung mit inklusionspädagogischen Inhalten. Schüle, Schriek, Besa und Arnold (2016) kommen zu ähnlichen Ergebnissen in Bezug auf Einstellungen und Motivation, wobei die Autoren die Motivation als Intention für die Beschäftigung mit inklusionsspezifischen Inhalten operationalisieren. Die Autoren berichten über signifikant positive Zusammenhänge zwischen der Motivation von Lehrkräften mit ihren Einstellungen zur Inklusion sowie ihrer Selbstwirksamkeit. Im Rahmen eines Strukturgleichungsmodells konnte jedoch lediglich eine signifikante Vorhersagekraft der Einstellungen von Lehrkräften auf ihre Motivation gefunden werden, während sich die Selbstwirksamkeit nicht als signifikanter Prädiktor für die Motivation herausstellte.

2.5.4 Motivation von Lehrkräften und die Gestaltung von (inklusivem) Unterricht Nach dem Grundmodell der klassischen Motivationspsychologie wird Motivation als aktivierende Größe und Ausgangspunkt von Verhalten definiert (Rheinberg & Vollmeyer, 2012). Vor dem Hintergrund dieser Annahme kann im

2.5 Motivation von Lehrkräften und die Qualität inklusiven Unterrichts

73

Kontext von Schule und Unterricht die Lehrermotivation als wichtige Bedingung für die Gestaltung qualitativ hochwertigen Unterrichts verstanden werden. Zum Zusammenhang zwischen Lehrermotivation und unterrichtlichem Handeln von Lehrkräften lassen sich Hinweise aus Untersuchungen finden, die beispielsweise den Enthusiasmus von Lehrerinnen und Lehrern fokussieren. Kunter et al. (2008) definieren Enthusiasmus als affektive Teilkomponente der Lehrermotivation und als Indikator der intrinsischen Motivation. In ihrer Studie unterscheiden sie zwischen dem Enthusiasmus von Lehrkräften für die Tätigkeit des Unterrichtens und dem Enthusiasmus, der das Unterrichtsfach als Themengebiet betrifft. Im Rahmen einer Befragung von Mathematiklehrkräften und Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe konnten sie zeigen, dass insbesondere der Enthusiasmus über das Unterrichten als Tätigkeit ein signifikanter Erklärungsfaktor für die Qualität des Unterrichts ist. Demnach berichteten Lehrkräfte, die enthusiastisch hinsichtlich der Tätigkeit des Unterrichtens sind, über häufigere Maßnahmen in Bezug auf Klassenführung und soziale Unterstützung in ihrem Mathematikunterricht. Auch die Schülerinnen und Schüler nahmen im Unterricht dieser Lehrkräfte stärkere Klassenführung, kognitive Herausforderung und soziale Unterstützung wahr. In einer späteren Untersuchung konnten Kunter et al. (2013) ebenfalls Zusammenhänge zwischen dem Enthusiasmus der Lehrkräfte und der Qualität ihres Unterrichts finden. In diesem Zusammenhang stellte sich der Lehrerenthusiasmus als bedeutsamer Prädiktor für die Lernunterstützung der Schülerinnen und Schüler sowie für die Klassenführung heraus. Holzberger, Philipp und Kunter (2016) haben den Zusammenhang zwischen Enthusiasmus und Unterrichtsqualität näher untersucht und sind der Frage nachgegangen, in welcher Form Lehrerenthusiasmus die Qualität des Unterrichts bedingt. Die Autoren nehmen an, dass Enthusiasmus sich in quantitativ und qualitativ unterschiedlichem Arbeitsverhalten äußert. In ihrer Studie mit Lehramtsanwärterinnen und -anwärtern kommen sie zu dem Ergebnis, dass Enthusiasmus sowohl über qualitative als auch quantitative Faktoren die Unterrichtsqualität bestimmt. Im Detail zeigte sich, dass der Zusammenhang zwischen Enthusiasmus und Unterrichtsqualität durch Anstrengung (quantitativ) und Nutzung von Lerngelegenheiten (qualitativ) mediiert wird. Die Motivation von Lehrkräften scheint darüber hinaus bedeutsame Effekte auf die Lernmotivation von Schülerinnen und Schülern zu haben. Müller, Andreitz und Palekcic (2008) konnten in ihrer Untersuchung Hinweise dafür

74

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

liefern, dass sich die Motivation von Lehrkräften auf ihre Unterrichtsgestaltung auswirkt. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass selbstbestimmt motivierte Lehrkräfte in ihrem Unterricht Wert auf die Unterstützung der Autonomie und Kompetenz der Schülerinnen und Schüler sowie ihre soziale Einbindung legen. Pelletier, Séguin-Lévesque und Legault (2002) konnten ebenfalls feststellen, dass die selbstbestimmte Lehrermotivation prädiktiv für ihre selbstberichtete Unterrichtsgestaltung in Form von motivationsförderlichen Lernumgebungen, die die Autonomie der Schülerinnen und Schüler unterstützen, ist. Über ähnliche Ergebnisse berichten Roth et al. (2007) in ihrer Studie mit Grundschullehrkräften und deren Schülerinnen und Schülern. Die Studie zeigt einen Zusammenhang zwischen der autonomen Motivation der Lehrkräfte und der von den Schülerinnen und Schülern wahrgenommenen Qualität des Unterrichts, die sich durch eine autonomiefördernde Gestaltung äußert. Abgesehen von diesen Befunden geht die Motivation von Lehrkräften auch mit weiteren Formen der Unterrichtsgestaltung einher. So konnten Hein et al. (2012) einen Zusammenhang zwischen der intrinsischen Motivation von Sportlehrkräften und ihrem selbstberichteten Unterrichtsstil finden, der den Schluss nahelegt, dass je intrinsisch motivierter Lehrkräfte sind, desto eher sie einen schülerzentrierten und produktiven Unterricht gestalten und weniger lehrerzentriert unterrichten. Schiefele (2017) konnte Zusammenhänge zwischen dem Lehrerinteresse und der Qualität ihres Unterrichts finden. Die Befunde weisen darauf hin, dass das erzieherische Interesse von Grundschullehrkräften ein signifikanter Prädiktor für die aus Schülersicht wahrgenommene Klassenführung und lernzielorientierte Praktiken im Unterricht ist. Weiterhin konnten auch Schiefele et al. (2013) in ihrer Untersuchung mit Lehrkräften aus verschiedenen Schulformen Zusammenhänge zwischen dem Interesse der Lehrpersonen und ihrer unterrichtlichen Praxis finden. Im Detail erwies sich insbesondere das didaktische Interesse der Lehrkräfte als prädiktiv für lernzielorientierte Praktiken, innere Differenzierung und kognitive Aktivierung im Unterricht. Schüle et al. (2016) haben in ihrer Studie im Zusammenhang mit der Theorie des geplanten Verhaltens die drei Konstrukte Einstellungen zur Inklusion, Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und Motivation von Lehrkräften näher untersucht. Das Konstrukt der Motivation von Lehrkräften wird dabei von den Autoren als Intention operationalisiert. Die Befunde dieser Studie zeigen, dass sowohl die Einstellungen als auch die Selbstwirksamkeit der Lehrkräfte wider Erwarten

2.5 Motivation von Lehrkräften und die Qualität inklusiven Unterrichts

75

der Autoren keine signifikanten Prädiktoren für ihre Unterrichtspraxis darstellen. Das selbstberichtete unterrichtliche Handeln der Lehrkräfte hinsichtlich der Individualisierung lässt sich in dieser Untersuchung lediglich durch ihre Motivation erklären. Darüber hinaus konnten die Autoren zeigen, dass die Motivation der Lehrkräfte die Effekte ihrer Einstellungen auf die unterrichtliche Praxis mediiert.

2.5.5 Zusammenfassung Vor dem Hintergrund des Modells der professionellen Handlungskompetenz nach Baumert und Kunter (2006) wird neben Einstellungen und Selbstwirksamkeit auch die Motivation der Lehrkräfte, sich mit inklusionsspezifischen Inhalten auseinanderzusetzen, als zentrales Element für die professionelle Handlung im inklusiven Unterricht angenommen. Das Verhalten von Personen wird in der Motivationspsychologie als Konsequenz aus ihrer individuellen Motivation verstanden (Rheinberg & Vollmeyer, 2012). Demnach kann im Rahmen der Implementierung von inklusiven Bildungsprozessen, die Motivation von Lehrkräften als wichtige Bedingung für ihr unterrichtliches Handeln im inklusiven Klassenzimmer betrachtet werden. In der Forschung hat sich gezeigt, dass motivierte Lehrkräfte ihren Unterricht anders gestalten als Lehrkräfte, deren Motivation geringer ausgeprägt ist. Dies wurde im Rahmen verschiedener motivationaler Theorien und Konstrukte wie intrinsische Motivation, Enthusiasmus und Interesse untersucht. Die Befunde lassen darauf schließen, dass Enthusiasmus (Holzberger et al., 2016; Kunter et al., 2013; Kunter et al., 2008), Interesse (Schiefele, 2017; Schiefele et al., 2013) und intrinsische Motivation (z. B. Hein et al., 2012; Schüle et al., 2016) von Lehrpersonen mit der Qualität ihrer Unterrichtsgestaltung zusammenhängen. So geben die Befunde u. a. Hinweise auf stärkere soziale Unterstützung sowie innere Differenzierung und Individualisierung durch motivierte Lehrkräfte. Vor dem Hintergrund dieser Befundlage wird angenommen, dass die Motivation von Lehrkräften, sich mit inklusionsbezogenen Fragestellungen auseinanderzusetzen, einen wichtigen Erklärungsfaktor für ihre Intentionen und Sichtweisen in Bezug auf die Gestaltung des inklusiven Unterrichts darstellt.

76

2 Theoretische Grundlagen und empirischer Hintergrund

'DUEHUKLQDXVZHUGHQDXIGHU*UXQGODJHGHUHPSLULVFKHQ%HIXQGH=XVDPPHQ KlQJH GHU 0RWLYDWLRQ PLW (LQVWHOOXQJHQ XQG 6HOEVWZLUNVDPNHLWVEHUzeugungen angenommen (z. B. de Jesus & Lens, 2005; Fernet et al., 2008; Hellmich et al., 2016).

3 Forschungsdesiderata Anliegen der vorliegenden Studie ist es, vor dem Hintergrund des Modells der professionellen Handlungskompetenz nach Baumert und Kunter (2006), die persönlichen Ressourcen von Grundschullehrkräften im Zusammenhang mit inklusivem Unterricht zu untersuchen. Die Implementierung inklusiver Bildungsprozesse stellt eine besondere Herausforderung im Bildungswesen dar. Lehrpersonen stehen vor der Aufgabe, einen Unterricht zu gestalten, der den individuellen Bedürfnissen aller Schülerinnen und Schüler gerecht wird. Auf Grundlage dieser Prämisse stellt sich die Frage, wie solche Lehr-Lern-Prozesse realisiert werden können. Es geht hierbei insbesondere auch um die Frage, inwiefern persönliche Ressourcen von Lehrkräften eine Rolle für die erfolgreiche Umsetzung des inklusiven Unterrichts spielen. Neben didaktischem, fachlichem oder pädagogischem Wissen werden persönliche Ressourcen wie Einstellungen, Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und die Motivation von Lehrkräften als nicht unwesentliche Determinanten ihrer professionellen Handlungskompetenz verstanden (Baumert & Kunter, 2006). Zahlreiche Forschungsbefunde weisen auf die handlungsregulierende Funktion dieser Ressourcen hin und legen die Schlussfolgerung nahe, dass sie die Ausübung des Berufs und den Umgang mit beruflichen Anforderungen bei Lehrkräften bestimmen (vgl. Kapitel 2.3, 2.4 und 2.5). Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Lehrerinnen und Lehrern beschreiben ihre individuelle Einschätzung darüber, inwiefern sie sich in der Lage sehen, berufliche Anforderungen mit Erfolg bewältigen zu können (Schwarzer & Jerusalem, 2002). Vor dem Hintergrund der vorliegenden Befunde kann davon ausgegangen werden, dass die Selbstwirksamkeit von Lehrkräften mit ihrem unterrichtlichen Handeln zusammenhängt (vgl. Kapitel 2.3). So konnten Gibson und Dembo (1984) zeigen, dass selbstwirksame Lehrkräfte negatives Feedback in Bezug auf nicht korrekte Schülerbeiträge vermeiden. Wertheim und Leyser (2002) haben in ihrer Studie Studierende in Bezug auf ihre unterrichtlichen Intentionen untersucht. Die Studierenden wurden gebeten, einzuschätzen, inwieweit sie verschiedene Unterrichtspraktiken in ihrem Unterricht nutzen würden. Die Autoren konnten hierbei signifikante Korrelationen zwischen den Selbst© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 G. Görel, Inklusiver Unterricht aus Sicht von Grundschullehrkräften, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26175-7_3

78

3 Forschungsdesiderata

wirksamkeitsüberzeugungen der Studierenden und ihren Intentionen über die Nutzung der Unterrichtspraktiken feststellen. Weitere Untersuchungen befassten sich mit den Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Lehrkräften im Zusammenhang mit ihrer selbstberichteten Unterrichtspraxis. Hier zeigten sich beispielsweise Zusammenhänge zwischen ihrer Selbstwirksamkeit und einem differenzierenden und kognitiv aktivierenden Unterricht (Schiefele & Schaffner, 2015; Schiefele et al., 2013). Auch im Längsschnitt wurde berichtet, dass Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Lehrkräften ihre Unterrichtsqualität vorhersagen (Künsting et al., 2016), wenn auch die Studie von Holzberger et al. (2013) keine eindeutigen Ergebnisse dazu finden konnte und Hinweise auf einen wechselseitigen Zusammenhang zwischen Selbstwirksamkeit und Unterrichtsqualität gibt. Auf der Grundlage dieser empirischen Befunde wird in der vorliegenden Untersuchung angenommen, dass die Selbstwirksamkeit einen signifikanten Prädiktor für die prospektiven Intentionen der befragten Lehrkräfte hinsichtlich der Gestaltung inklusiven Unterrichts darstellt. Einstellungen als weitere persönliche Ressource, stellen eine psychologische Tendenz dar, die sich in Form von Zuneigung oder Ablehnung äußern kann (Eagly & Chaiken, 1993). Es wird in Anlehnung an den Forschungsstand davon ausgegangen, dass die Selbstwirksamkeit der Lehrkräfte ein signifikanter Prädiktor für ihre Einstellungen zur Inklusion ist (z. B. Bosse & Spörer, 2014; Hellmich et al., 2016; Urton et al., 2015; Weisel & Dror, 2006; vgl. Kapitel 2.4). Im Rahmen der Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen, 1985) stellen Einstellungen von Personen bedeutsame Prädiktoren für ihre verhaltensbezogenen Intentionen dar, welche wiederum das ausgeführte Verhalten determinieren (vgl. Kapitel 2.4). Basierend auf dieser Theorie werden in der vorliegenden Arbeit die Einstellungen von Lehrkräften zur Inklusion als Prädiktor für ihre Verhaltensabsichten im inklusiven Unterricht angenommen. Wie in Kapitel 2.4 deutlich wurde, liegen einige Studien vor, die diese Annahme im Kontext von inklusivem Unterricht stützen (z. B. Ahmmed et al., 2014; MacFarlane & Woolfson, 2013; Sharma & Jacobs, 2016). Im Detail geben die Befunde der Untersuchungen Hinweise darauf, dass die Verhaltensintentionen von Lehrkräften in Bezug auf den inklusiven Unterricht durch ihre Einstellungen zur Inklusion und ihre Selbstwirksamkeitsüberzeugungen vorhergesagt werden können. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwieweit die Einstellungen von Grundschullehrkräften ihre unterrichtlichen Intentionen und Sichtweisen hinsichtlich kon-

3 Forschungsdesiderata

79

kreter Unterrichtsmerkmale wie Umgang mit Heterogenität, Strukturierung etc. erklären. Die dritte persönliche Ressource in dieser Studie stellt die Motivation von Lehrkräften für die Beschäftigung mit inklusionsspezifischen Inhalten dar (vgl. Kapitel 2.5). Motivation wird dabei als Ausgangspunkt für Verhalten verstanden (Rheinberg & Vollmeyer, 2012). Es wird davon ausgegangen, dass Selbstwirksamkeitsüberzeugungen eine zentrale Determinante von Motivation darstellen (Bandura, 1997; Schunk, 1995; Schunk et al., 2014; Zimmerman, 2000). Ferner wird in Untersuchungen mit Lehrkräften über einen Zusammenhang ihrer Selbstwirksamkeit mit ihrer intrinsischen Motivation (de Jesus & Lens, 2005; Fernet et al., 2008), ihrem Enthusiasmus (Kunter et al., 2011) und ihrem Interesse (Schiefele & Schaffner, 2015; Schiefele et al., 2013) berichtet. Darüber hinaus gibt es Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen den Einstellungen von (angehenden) Lehrkräften zur Inklusion und ihrer Motivation, sich mit inklusionsspezifischen Themen zu befassen (Hellmich et al., 2016; Schüle et al., 2016). Auf der Basis dieser Befunde wird davon ausgegangen, dass die Selbstwirksamkeit der Lehrkräfte neben den Einstellungen auch ihre Motivation zur Auseinandersetzung mit inklusionsspezifischen Fragestellungen erklärt. Die Einstellungen der befragten Lehrerinnen und Lehrer werden ebenfalls als Prädiktor für ihre Motivation angenommen. Weiterhin weisen Studien darauf hin, dass die Motivation von Lehrkräften eine bedeutsame Determinante für ihr unterrichtliches Verhalten ist. Kunter et al. (2008) konnten in ihrer Studie zeigen, dass der Enthusiasmus von Lehrkräften für das Unterrichten prädiktiv für die Qualität des Mathematikunterrichts ist. Hein et al. (2012) berichten zudem über einen Zusammenhang zwischen der intrinsischen Motivation von Lehrkräften und einem schülerzentriert gestalteten Unterricht. In der Studie von Schiefele et al. (2013) wird darüber hinaus berichtet, dass das didaktische Interesse von Lehrkräften prädiktiv für beispielsweise innere Differenzierung im Unterricht ist. Schüle et al. (2016) konnten des Weiteren feststellen, dass die Individualisierungspraxis von Lehrkräften durch ihre Motivation erklärt wird. Vor dem Hintergrund des Forschungsstandes wird die Motivation von Grundschullehrkräften zur Auseinandersetzung mit inklusionsspezifischen Inhalten als bedeutsamer Prädiktor für ihre Verhaltensintentionen und Sichtweisen in Bezug auf den inklusiven Unterricht angenommen.

80

3 Forschungsdesiderata

In der vorliegenden Studie werden in Anlehnung an die Theorie des geplanten Verhaltens die Intentionen und Sichtweisen von Grundschullehrkräften hinsichtlich der Gestaltung inklusiven Unterrichts im Zusammenhang mit ihren persönlichen Ressourcen untersucht. Befunde aus empirischen Untersuchungen geben Hinweise dafür, dass die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Lehrkräften eine prädiktive Rolle für ihre Unterrichtsgestaltung oder ihre unterrichtlichen Intentionen einnehmen (z. B. Ahmmed et al., 2014; Holzberger et al., 2013; Holzberger et al., 2014; Künsting et al., 2016; MacFarlane & Woolfson, 2013; Schiefele & Schaffner, 2015; Schiefele et al., 2013; Wolters & Daugherty, 2007). Für die Einstellungen von Lehrkräften zur Inklusion gibt es ähnliche Befunde. Viele Studien unterstützen die Annahme, dass Einstellungen von Lehrkräften mit ihrer Unterrichtsgestaltung bzw. unterrichtlichen Intentionen zusammenhängen sowie diese vorhersagen (z. B. Ahmmed et al., 2014; Ben-Yehuda et al., 2010; Kuyini & Desai, 2007; MacFarlane & Woolfson, 2013; Segall & Campbell, 2012; Sharma & Jacobs, 2016). Die Motivation von Lehrkräften für den Unterricht stellt sich ebenfalls als Prädiktor für ihre Unterrichtsgestaltung heraus. Im Detail deuten die Befunde darauf hin, dass der Enthusiasmus von Lehrkräften für das Unterrichten (Holzberger et al., 2016; Kunter et al., 2013; Kunter et al., 2008), ihr Interesse (Schiefele, 2017; Schiefele et al., 2013) sowie ihre intrinsische Motivation (z. B. Hein et al., 2012; Schüle et al., 2016) Zusammenhänge mit der Qualität ihres Unterrichts aufweisen. Im Kontext inklusiven Unterrichts bleibt jedoch weitgehend ungeklärt, inwieweit neben Einstellungen und Selbstwirksamkeitsüberzeugungen auch die Motivation von Lehrkräften mit ihren Intentionen und Sichtweisen bezüglich der Gestaltung eines inklusiven Unterrichts zusammenhängt. Auf der Grundlage dieser Befunde wird in der vorliegenden Untersuchung davon ausgegangen, dass die Selbstwirksamkeitsüberzeugung, die Einstellung und die Motivation von Grundschullehrkräften hinsichtlich des inklusiven Unterrichts signifikante Prädiktoren für ihre Intentionen und Sichtweisen in Bezug auf die Gestaltung inklusiven Unterrichts darstellen. Hierzu werden ausgewählte Merkmale nach Helmke (2012) zugrunde gelegt und auf den inklusiven Unterricht adaptiert. Fokussiert werden dabei folgende Merkmale: Umgang mit Heterogenität, Klarheit, Strukturierung und lernförderliches Klima. Ziel ist es dabei, die prospektiven Intentionen und Sichtweisen von Lehrkräften zur Gestaltung von inklusivem Unterricht anhand dieser Merkmale zu erfassen. Wie in dem theoretischen Abschnitt der Arbeit dargestellt wurde,

3 Forschungsdesiderata

81

sind persönliche Ressourcen durch ihren handlungssteuernden Charakter gekennzeichnet. Nach der Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen, 1985) stellen Einstellungen und Selbstwirksamkeitsüberzeugungen Determinanten von Verhaltensabsichten dar. In Anlehnung an diese Theorie wird in der vorliegenden Arbeit ein Modell entwickelt, in dem die persönlichen Ressourcen von Lehrkräften (Einstellungen, Selbstwirksamkeit und Motivation) als Prädiktoren für ihre Intentionen und Sichtweisen in Bezug auf den inklusiven Unterricht (Umgang mit Heterogenität, Klarheit, Strukturierung, lernförderliches Klima) angenommen werden. Zusätzlich wird zunächst explorativ überprüft, ob sich die befragten Lehrkräfte in Abhängigkeit ihrer Erfahrungen mit Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf in ihren Intentionen und Sichtweisen über die Gestaltung von inklusivem Unterricht unterscheiden. Die Studie von Subban und Mahlo (2017) gibt Hinweise darauf, dass Intentionen in Bezug auf den inklusiven Unterricht in Abhängigkeit von Erfahrungen mit Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf differieren können. Vor diesem Hintergrund wird in der vorliegenden Studie vermutet, dass sich Lehrkräfte in Abhängigkeit ihrer Erfahrungen mit gemeinsamem Unterricht auch hinsichtlich ihrer Intentionen und Sichtweisen zum inklusiven Unterricht unterscheiden. Aus diesem Überblick lassen sich folgende Hypothesen ableiten:

Unterscheidungshypothese: H1: Lehrkräfte, die Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf unterrichten, unterscheiden sich von ihren Kolleginnen und Kollegen, die keine Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf in ihrer Klasse unterrichten. Erstere stimmen der Nutzung von Maßnahmen für den Umgang mit Heterogenität, für lernförderliches Klima, Klarheit und Strukturierung in ihrem inklusiven Unterricht stärker zu als ihre Kolleginnen und Kollegen, die keine Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf in ihrer Klasse unterrichten.

82

3 Forschungsdesiderata

Zusammenhangshypothese: H2: Die persönlichen Ressourcen der Lehrkräfte (Einstellungen, Selbstwirksamkeit und Motivation) stellen signifikante Prädiktoren für ihre unterrichtlichen Intentionen bzw. Sichtweisen über die Qualität von inklusivem Unterricht (Umgang mit Heterogenität, Strukturierung, Klarheit und lernförderliches Klima) dar. Die Überprüfung der Hypothese H2 erfolgt im Rahmen eines Strukturgleichungsmodells. In Abbildung 9 ist das hypothetische Modell dargestellt, in dem von zwei Bereichen ausgegangen wird. Die Konstrukte wurden dabei als latente Variablen modelliert. Der erste Teil des Modells fokussiert persönliche Ressourcen wie Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, Einstellungen und die Motivation von Lehrkräften. Im zweiten Teil des Modells werden Kriterien modelliert, die sich auf Qualitätsmerkmale eines guten inklusiven Unterrichts aus der Sicht der befragten Lehrerinnen und Lehrer beziehen. In dem Gesamtmodell werden die Zusammenhänge innerhalb und zwischen diesen beiden Bereichen überprüft. Auf der Grundlage des aufgezeigten Forschungsstandes werden die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen der Lehrkräfte als exogene Variable modelliert, welche die weiteren persönlichen Ressourcen wie Einstellungen zur Inklusion und die Motivation zur Auseinandersetzung mit inklusionsbezogenen Themen erklärt. Ferner wird die Selbstwirksamkeit als Prädiktor für die Sichtweisen und Intentionen der Lehrkräfte in Bezug auf die Gestaltung des inklusiven Unterrichts angenommen. Weiterhin wird davon ausgegangen, dass die Einstellungen und die Motivation, die sowohl als abhängige als auch unabhängige Variable fungieren, ebenfalls prädiktiv für unterrichtliche Intentionen und Sichtweisen sind. Zusätzlich werden die Einstellungen der Lehrkräfte als Prädiktor für ihre Motivation modelliert. Darüber hinaus wird angenommen, dass die Handlungsabsichten und Sichtweisen der Lehrkräfte in Bezug auf Klarheit, Strukturierung und lernförderliches Klima in ihrem inklusiven Unterricht durch ihre Sichtweise zum Umgang mit Heterogenität erklärt werden können.

3 Forschungsdesiderata

83



  #  

 

   

 

Abbildung 9. Hypothetisches Modell



 #   

4 Empirische Studie Der empirische Teil dieser Arbeit gliedert sich in die Beschreibung der Studie und die Darstellung der Ergebnisse. In diesem Kapitel werden zunächst die Stichprobe und die Methode der quantitativen Studie vorgestellt. Anschließend werden die Skalenanalysen der eingesetzten Instrumente berichtet und die aus der bisherigen Forschung abgeleiteten Hypothesen untersucht. Die Berechnungen erfolgen mit den Programmen SPSS und AMOS 23 (Arbuckle, 2014).

4.1 Design der Studie 4.1.1 Stichprobe und Durchführung Die Stichprobe der Untersuchung setzt sich aus insgesamt N=168 Lehrkräften aus zufällig ausgewählten Grundschulen in Nordrhein-Westfalen zusammen. Im Detail handelt es sich dabei um 157 Grundschullehrerinnen (93,5%) und 11 Grundschullehrer (6,5%). Das Durchschnittsalter der befragten Lehrkräfte liegt bei M=42,54 Jahren (SD=12,18 Jahre), wobei die jüngste Lehrperson 24 und die älteste 64 Jahre alt ist. Die befragten Lehrkräfte befinden sich im Mittel seit 15,73 Jahren im Schuldienst (SD=12,35 Jahre), wobei der längste angegebene Schuldienst 41 Jahre und der kürzeste weniger als ein Jahr beträgt. Von den befragten Personen haben 122 Lehrkräfte (72,6%) in unterschiedlichen Umfängen schon an Fortbildungen zu integrations- bzw. inklusionsspezifischen Themen teilgenommen und sechs Personen (3,6%) eine sonderpädagogische Zusatzqualifikation erlangt. 81% der Lehrkräfte haben bereits Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf unterrichtet und 50,6% der Befragten geben an, dies aktuell zum Zeitpunkt der Befragung zu tun. Darüber hinaus haben oder hatten 93,5% der befragten Lehrerinnen und Lehrer bereits Kontakt zu Menschen mit sonderpädagogischem Förderbedarf (vgl. Tabelle 2). Die Befragungen fanden in der Zeit von Frühjahr 2013 bis Sommer 2015 statt. Hierzu wurde den Lehrkräften ein Paper-Pencil-Fragebogen vorgelegt. Die Rekrutierung der Stichprobe

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 G. Görel, Inklusiver Unterricht aus Sicht von Grundschullehrkräften, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26175-7_4

86

4 Empirische Studie

erfolgte durch Lehramtsstudierende, die im Rahmen ihrer Abschlussarbeit den Fragebogen an zufällig ausgewählten Grundschulen verteilten. Tabelle 2 Erfahrungen der Lehrkräfte

Haben Sie bereits Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf unterrichtet? (adaptiert von Lelgemann, Lübekke, Singer & Walter-Klose, 2012) Unterrichten Sie aktuell Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Ihrer Klasse? (adaptiert von Lelgemann et al., 2012) Haben oder hatten Sie bereits Kontakt zu Menschen mit sonderpädagogischem Förderbedarf? (adaptiert von Lelgemann et al., 2012, Antwortoptionen geändert)

Ja 136 (81%)

Nein 31 (18,5%)

85 82 (50,6%) (48,8%) 157 11 (93,5%) (6,5%)

Anmerkung. Die Prozentangaben ergeben bei Frage 1 und 2 aufgrund eines fehlenden Wertes nicht 100%.

4.1.2 Messinstrumente Die vorliegende Untersuchung ist eine querschnittlich angelegte Studie. Auf der Basis des vorliegenden Forschungstandes und bereits entwickelter Befragungsinstrumente wurde ein Fragebogen für Grundschullehrkräfte konzipiert, der aus Skalen zur Erfassung persönlicher Ressourcen (Selbstwirksamkeit, Einstellungen, Motivation) sowie Skalen über prospektive Einschätzungen der Qualität des (eigenen) inklusiven Unterrichts bzw. Intentionen hinsichtlich der Gestaltung inklusiven Unterrichts (Strukturierung, Klarheit, Umgang mit Heterogenität, lernförderliches Klima) besteht. Auf der Grundlage bereits vorhandener Messinstrumente wurden die Skalen durch Zusammenstellung aller relevanten Instrumente entwickelt. Anschließend wurden die Skalen auf Items, die bedeutsam für die eigene Studie sind, reduziert. Einige Items wurden dabei selbst entwickelt. Allen Skalen liegt ein fünfstufiges Antwortformat mit 1=„Trifft gar nicht zu“, 2=„Trifft eher weniger zu“, 3=„Ich weiß es nicht“, 4=„Trifft eher zu“ und 5=„Trifft voll zu“ zugrunde, bei dem die Lehrkräfte gebeten wurden, Auskunft

4.1 Design der Studie

87

darüber zu geben, wie sehr sie den Aussagen zustimmen. Im Folgenden werden die im Fragebogen eingesetzten Skalen mit den jeweiligen Items vorgestellt.

Skala Selbstwirksamkeit Die Skala zur Selbstwirksamkeit erfasst die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Lehrkräften in Bezug auf die Durchführung inklusiven Unterrichts und wurde unter Bezugnahme bereits vorhandener Instrumente von Kopp (2009), Jerusalem und Schwarzer (1999) sowie Schwarzer und Schmitz (1999) entwickelt. Die Items wurden dabei den Belangen der Studie entsprechend adaptiert. Tabelle 3 Skala Selbstwirksamkeit

Frage: Wie sehr stimmen Sie den Aussagen zu? Nr. Itemwortlaut 1 Ich kann das Klassenklima so beeinflussen, dass Kinder ihren Mitschülern helfen und sie unterstützen, auch wenn letztere unter Umständen extrem langsam arbeiten. (adaptiert von Kopp, 2009) 2 Ich bin mir sicher, dass ich inklusiven Unterricht so organisieren kann, dass leistungsstärkere Kinder von leistungsschwächeren Kindern profitieren können und umgekehrt. (adaptiert von Kopp, 2009) 3 Ich bin mir sicher, dass ich auch bei größeren Leistungsunterschieden für jedes Kind ein angemessenes Lernangebot im inklusiven Unterricht bereithalten kann. (adaptiert von Kopp, 2009) 4 Ich bin mir sicher, dass ich Schüler, die mir im inklusiven Unterricht durch Störungen Probleme bereiten, als Person schätzen kann. (adaptiert von Kopp, 2009) 5 Wenn sich im inklusiven Unterricht Widerstände auftun, finde ich Mittel und Wege, mich durchzusetzen. (adaptiert von Jerusalem & Schwarzer, 1999) 6 Schwierigkeiten im inklusiven Unterricht sehe ich gelassen entgegen, weil ich meinen Fähigkeiten immer vertrauen kann. (adaptiert von Jerusalem & Schwarzer, 1999) 7 Was auch immer im inklusiven Unterricht passiert, ich werde schon klarkommen. (adaptiert von Jerusalem & Schwarzer, 1999) 8 Wenn im inklusiven Unterricht ein Problem auf mich zukommt, habe ich meist mehrere Ideen, wie ich es lösen kann. (adaptiert von Jerusalem & Schwarzer, 1999)

88

4 Empirische Studie 9

Ich kann auch gegenüber Kollegen, die der Inklusion skeptisch gegenüber treten, neue Ideen in der Schule durchsetzen. (adaptiert von Schwarzer & Schmitz, 1999)

Skala Motivation (intrinsisch) Die Skala zur Motivation erfasst die intrinsische Motivation von Lehrkräften in Bezug auf die eigenständige Beschäftigung mit inklusionsspezifischen Fragestellungen. Diese Skala wurde größtenteils selbst entwickelt und besteht aus acht Items. Ein Item stammt ursprünglich von Wild, Krapp, Schiefele, Lewalter und Schreyer (1995), welches dem Skalenhandbuch des SMILE-Projekts von Schiefele, Moschner und Hustegge (2002) entnommen und angepasst wurde. Tabelle 4 Skala Motivation

Frage: Bitte geben Sie an, wie sehr die folgenden Aussagen auf Sie zutreffen: Nr. Itemwortlaut 1 Ich habe mich bereits mit dem Thema „Inklusion“ aufgrund meines großen Interesses befasst (eigenständige Literaturrecherche, Einholung von Informationen). (selbstentwickelt) 2 Ich bin sehr interessiert daran, mehr über inklusionsspezifische Unterrichtsmethoden zu erfahren. (selbstentwickelt) 3 Ich möchte mich über die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf und deren Behinderungen informieren. (selbstentwickelt) 4 Ich finde es interessant, etwas über Inklusion zu lernen. (selbstentwickelt) 5 Ich bin daran interessiert, guten Unterricht für alle Kinder zu organisieren. (selbstentwickelt) 6 Ich habe kein Interesse daran, zusätzliches Material für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu beschaffen. (selbstentwickelt) 7 Ich habe kein Interesse daran, mich mit besonderen inklusionsspezifischen Unterrichtsmethoden oder Materialien zu befassen. (selbstentwickelt) 8 Ich beschäftige mich mit Inklusion, weil ich die Inhalte für sehr bedeutsam halte. (adaptiert von Schiefele et al., 2002; siehe auch Wild et al., 1995)

4.1 Design der Studie

89

Skala Einstellungen Die Skala zur Erfassung der Einstellungen von Lehrkräften zur Inklusion wurde unter Bezugnahme auf Items von Lelgemann et al. (2012) sowie Kunz, Luder und Moretti (2010) erstellt. Acht der insgesamt 14 Items wurden selbst entwickelt. Die Skala besteht aus Items, die überwiegend der kognitiven Komponente von Einstellungen zugeordnet werden können. Tabelle 5 Skala Einstellungen

Frage: Wie sehr sind Sie mit den folgenden Sätzen einverstanden? Nr. Itemwortlaut 1 Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu unterrichten, entspricht nicht meinem Berufswunsch. (selbstentwickelt) 2 Ich arbeite gerne mit Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf zusammen. (selbstentwickelt) 3 Ich stehe der Inklusion sehr skeptisch gegenüber. (selbstentwickelt) 4 Ich sehe Heterogenität als Chance des Zusammenlebens. (selbstentwickelt) 5 Alle Kinder sind willkommen, unabhängig von ihrer kulturellen oder sozialen Herkunft. (selbstentwickelt) 6 Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf bringen im Unterricht noch mehr Belastungen. (selbstentwickelt) 7 Für mich hat ein inklusives Schulsystem keine Zukunft. (selbstentwickelt) 8 Inklusion bedeutet für mich zusätzliche Arbeit, die nicht vergütet wird. (selbstentwickelt) 9 Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf beanspruchen im Vergleich zu Kindern ohne sonderpädagogischen Förderbedarf mehr Zeit der Lehrkraft. (adaptiert von Lelgemann et al., 2012) 10 Kinder ohne sonderpädagogischen Förderbedarf können in einer inklusiven Klasse ihr Leistungspotenzial nicht voll ausschöpfen. (adaptiert von Lelgemann et al., 2012) 11 Wenn Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in der Regelklasse sind, hat das auch für die anderen Kinder Vorteile – trotz möglicher Schwierigkeiten. (adaptiert von Kunz et al., 2010) 12 Der Regelklassenunterricht bietet für Kinder mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen bedeutsamere Lernmöglichkeiten als eine Kleinklasse oder Sonderschule. (Kunz et al., 2010)

90 13

14

4 Empirische Studie Der Regelklassenunterricht bietet für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf bedeutsamere Lernmöglichkeiten als eine Förderschule. (adaptiert von Kunz et al., 2010) Je mehr Zeit Kinder mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen in einer Regelklasse verbringen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich die Qualität ihrer schulischen Förderung verbessert. (Kunz et al., 2010)

Skala Strukturierung Die prospektiv eingeschätzte Strukturierung im eigenen inklusiven Unterricht wurde mit einer Skala erfasst, die sich aus vier Items zusammensetzt. Sie wurde in Anlehnung an Meyer (2011) sowie den rheinland-pfälzischen Bogen „Einblicknahme in Lehr- und Lern-Situationen (ELL)“ entwickelt, welcher von Helmke und der Agentur für Qualitätssicherung, Evaluation und Selbstständigkeit von Schulen (AQS) konzipiert wurde (vgl. Helmke, 2010). Im Detail geht es um Möglichkeiten der Strukturierung von Lerngegenständen im inklusiven Unterricht. Tabelle 6 Skala Strukturierung

Frage: Wie sehr treffen die folgenden Aussagen auf Sie zu? Meinen inklusiven Unterricht werde ich so strukturieren, dass ... Nr. Itemwortlaut 1 ... der Stoff in aufeinander aufbauenden Sequenzen vermittelt wird. (selbstentwickelt) 2 ... der Lernstoff für alle Kinder strukturiert wird. (adaptiert aus dem rheinlandpfälzischen Bogen ELL, vgl. Helmke, 2010, S. 292/295) 3 ... der Stoff sich schrittweise vom Leichten zum Komplizierten bewegt. (entwickelt in Anlehnung an Meyer, 2011, S. 28) 4 ... der Stoff vom Konkreten zum Abstrakten verläuft. (entwickelt in Anlehnung an Meyer, 2011, S. 28)

4.1 Design der Studie

91

Skala Klarheit Die Skala zur Erfassung der prospektiv eingeschätzten Klarheit im eigenen inklusiven Unterricht besteht aus fünf Items und wurde in Anlehnung an Helmke (2010, 2012) und Meyer (2011) entwickelt. Zudem orientiert sie sich an bestehenden Fragebögen aus dem EMU-Programm2 (Evidenzbasierte Methoden der Unterrichtsdiagnostik und -entwicklung) von Helmke et al. (2011) und Lenske et al. (2013) bzw. von der Seite http://www.unterrichtsdiagnostik.de/. Hier geht es um die Klarheit als ein Merkmal von Unterrichtsqualität nach Helmke (2010, 2012), welches sich insbesondere auf die sprachliche Klarheit der Lehrkraft im Unterricht bezieht. Tabelle 7 Skala Klarheit

Frage: Wie sehr sind Sie mit den folgenden Aussagen einverstanden? Im inklusiven Unterricht werde ich ... Nr. Itemwortlaut 1 ... meine Arbeitsanweisungen klar und deutlich formulieren. (entwickelt in Anlehnung an Meyer, 2011) 2 ... so sprechen, dass sowohl Kinder mit als auch ohne sonderpädagogischem/n Förderbedarf alle Worte verstehen können. (adaptiert von Lenske et al., 2013; http://www.unterrichtsdiagnostik.de/) 3 ... so erklären, dass alle Kinder mich verstehen. (adaptiert von Lenske et al., 2013; http://www.unterrichtsdiagnostik.de/) 4 ... darauf achten, kurze und einfache Satzstrukturen zu verwenden. (entwickelt in Anlehnung an Helmke, 2010, 2012, S. 196) 5 ... darauf achten, dass allen Kindern klar ist, was sie in dieser Stunde lernen sollen. (adaptiert von Helmke et al., 2011; http://www.unterrichtsdiagnostik.de/)

2

http://www.unterrichtsdiagnostik.de/

92

4 Empirische Studie

Skala Umgang mit Heterogenität Die Skala Umgang mit Heterogenität im eigenen inklusiven Unterricht wurde in Anlehnung an das Instrument von Schrader und Helmke (2008) erstellt und besteht aus sechs Items. Im Fokus steht hierbei insbesondere der prospektiv eingeschätzte Umgang mit Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Tabelle 8 Skala Umgang mit Heterogenität

Frage: Wie sehr treffen die Aussagen auf Sie zu? In meinem inklusiven Unterricht ... Nr. Itemwortlaut 1 ... werde ich gezielte Zusatzaufgaben anbieten, wenn Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf etwas nicht verstanden haben. (adaptiert von Schrader & Helmke, 2008) 2 ... werde ich für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf zusätzliche Unterstützungen anbieten. (adaptiert von Schrader & Helmke, 2008) 3 ... werde ich Extraaufgaben für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf anbieten, durch die sie gefördert werden. (adaptiert von Schrader & Helmke, 2008) 4 ... werden Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf deutlich mehr Zeit für die Bearbeitung ihrer Aufgaben erhalten. (selbstentwickelt) 5 ... werden Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf zusätzliche Hilfestellungen durch mich erhalten. (entwickelt in Anlehnung an Schrader & Helmke, 2008) 6 ... werden Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf nach ihrem individuellen Lerntempo arbeiten können. (selbstentwickelt)

4.1 Design der Studie

93

Skala Lernförderliches Klima Die Skala zum prospektiv eingeschätzten lernförderlichen Klima im eigenen inklusiven Unterricht besteht aus sieben Items und wurde in Anlehnung an den rheinland-pfälzischen Bogen „Einblicknahme in Lehr- und Lern-Situationen (ELL)“ entwickelt, welcher von Helmke und der Agentur für Qualitätssicherung, Evaluation und Selbstständigkeit von Schulen (AQS) konzipiert wurde (vgl. Helmke, 2010). Darüber hinaus ist die Skala an Thiel und Achterberg (2006) sowie einen Fragebogen vom Landesschulamt und Lehrkräfteakademie orientiert. Tabelle 9 Skala Lernförderliches Klima

Frage: Wie sehr stimmen Sie den folgenden Aussagen zu? Guter inklusiver Unterricht zeichnet sich dadurch aus, dass ... Nr. Itemwortlaut 1 ... mein Umgangston mit allen Schülerinnen und Schülern wertschätzend ist. (adaptiert aus dem rheinland-pfälzischen Bogen ELL, vgl. Helmke, 2010, S. 292) 2 ... der Umgangston zwischen allen Kindern freundlich ist. (adaptiert aus dem rheinland-pfälzischen Bogen ELL, vgl. Helmke, 2010, S. 292) 3 ... die Lernatmosphäre für alle Kinder entspannt ist. (adaptiert aus dem rheinlandpfälzischen Bogen ELL, vgl. Helmke, 2010, S. 292) 4 ... ich mit Schülerfehlern verständnisvoll umgehe. (adaptiert aus dem rheinlandpfälzischen Bogen ELL, vgl. Helmke, 2010, S. 292) 5 ... ich mit Schülerfehlern so umgehe, dass sie eine Lernchance darstellen. (adaptiert aus dem rheinland-pfälzischen Bogen ELL, vgl. Helmke, 2010, S. 292) 6 ... ich die Ausübung von Leistungsdruck vermeide. (adaptiert von Thiel & Achterberg, 2006) 7 ... sich alle Kinder gegenseitig im Unterricht unterstützen. (adaptiert aus dem Lehrerfragebogen Sekundarstufe I, Landesschulamt und Lehrkräfteakademie)

94

4 Empirische Studie

4.1.3 Skalenanalyse der eingesetzten Instrumente Im Folgenden werden die vorgestellten Skalen mittels einer Faktoren- und Reliabilitätsanalyse in Bezug auf ihre Güte untersucht, bevor die im vorherigen Kapitel formulierten Hypothesen überprüft werden.

4.1.3.1 Skalenanalyse der Instrumente: Selbstwirksamkeit, Motivation und Einstellungen Zunächst werden die drei personenbezogenen Skalen Selbstwirksamkeit, Motivation und Einstellungen im Rahmen einer explorativen Faktorenanalyse bezüglich ihrer Strukturen überprüft. Zur Bestimmung der Anzahl zu extrahierender Faktoren werden zunächst das Eigenwertkriterium und der Scree-Test zugrunde gelegt. Da nach Bühner (2011) verschiedene Kriterien für die Ermittlung der Anzahl der Faktoren berücksichtigt werden sollten, werden zusätzlich die Parallelanalyse und der MAP-Test durchgeführt. Unter Faktorenanalysen werden Verfahren verstanden, die der Datenreduktion und Gruppierung von zusammenhängenden Items dienen (Rost, 2013, S. 223), sodass „Variablen gemäß ihrer korrelativen Beziehungen in voneinander unabhängige Gruppen klassifiziert werden“ (Bortz & Schuster, 2010, S. 386). Ziel ist es dabei, „Zusammenhänge der Items untereinander durch eine geringere Anzahl dahinter liegender homogener Faktoren zu erklären“ (Bühner, 2011, S. 296). Hierbei können generell zwei Herangehensweisen voneinander unterschieden werden: die explorative und die konfirmatorische Faktorenanalyse. Während die explorative Faktorenanalyse eine Struktur der Items ohne vorherige theoretische Annahmen vorgibt, wird mit der konfirmatorischen Faktorenanalyse eine zuvor festgelegte und theoretisch angenommene Struktur der Items auf ihre Passung überprüft (Bühner, 2011, S. 296). Bei letzterer werden Items den Faktoren zugeordnet und diese Zuordnung überprüft. Mit Verweis auf Gorsuch (1988, S. 235) betont Rost (2013, S. 225) jedoch, dass eine explorative Faktorenanalyse ebenfalls zur Überprüfung der theoretischen Annahmen herangezogen werden kann und somit eine sehr konservative Methode darstellt. Die im Rahmen der Skalenanalyse durchgeführte explorative Faktorenanalyse erfolgt auf Basis der Hauptkomponentenanalyse, welche zu einer wechselseitigen Unabhängigkeit der Faktoren und einer (sukzessiven) maximalen Vari-

4.1 Design der Studie

95

anzaufklärung durch diese führt (Bortz & Schuster, 2010, S. 391). Als Rotationstechnik wird die Varimax-Methode verwendet, womit „auf analytischem Weg eine möglichst gute Einfachstruktur für die q bedeutsamen Faktoren“ gebildet werden kann (Bortz & Schuster, 2010, S. 419). Diese wird dadurch erreicht, dass die Variablen hohe Ladungen auf einem Faktor und gleichzeitig niedrige Ladungen auf den anderen Faktoren aufweisen. Zur Durchführung von Faktorenanalysen wird u. a. vorausgesetzt, dass die Items substanzielle Korrelationen aufweisen, d. h. signifikant und hoch genug miteinander korrelieren. Diese Voraussetzung kann mit dem Kaiser-MeyerOlkin-Koeffizienten (KMO) untersucht werden (Bühner, 2011). Mit dem Bartlett-Test wird diese Korrelationsmatrix dann auf Signifikanz überprüft (Bühner, 2011, S. 355). Zusätzlich kann der Measure-of-Sample-Adequacy-Koeffizient (MSA) betrachtet werden, welcher im Gegensatz zum KMO-Koeffizienten nicht die „Eignung der Korrelationsmatrix für die Faktorenanalyse“ angibt, „sondern auf die Frage der Eignung eines jeden einzelnen Items“ eingeht (Bühner, 2011, S. 347). Um zu überprüfen, ob sich die Items für eine Faktorenanalyse eignen, wird im Folgenden der Bartlett-Test durchgeführt sowie der KMO- und die MSA-Koeffizienten betrachtet. KMO-Koeffizient und Bartlett-Test Der KMO-Koeffizient sowie der Bartlett-Test bestätigen die Eignung der 31 Items (Selbstwirksamkeit, Motivation, Einstellungen) für eine Faktorenanalyse, da substanzielle Korrelationen vorliegen (vgl. Tabelle 10). Mit einem Wert von .85 ist der KMO dabei als gut einzustufen (Bühner, 2011, S. 347) und somit können substanzielle Korrelationen angenommen werden. Auch die Ergebnisse des Bartlett-Tests zeigen, dass sich die Korrelationen der Items untereinander höchst signifikant von Null unterscheiden (χ2=2221.87, df=465, p≤.001). Die berechneten MSA-Koeffizienten, die an dieser Stelle nicht abgebildet sind, weisen mit Werten über .70 (Bühner, 2011) ebenfalls darauf hin, dass die Items gut für eine faktorenanalytische Auswertung geeignet sind.

96

4 Empirische Studie

Tabelle 10 KMO-Koeffizient und Bartlett-Test

Maß der Stichprobeneignung nach Kaiser-Meyer-Olkin Bartlett-Test auf Sphärizität Ungefähres Chi-Quadrat df Signifikanz nach Bartlett

.85 2221.87 465 ≤.001

Explorative Faktorenanalyse In Tabelle 11 sind die Eigenwerte der Faktoren für die 31 Items dargestellt. Unter dem Eigenwert eines Faktors wird der Anteil an der Gesamtvarianz der Items verstanden, der durch den jeweiligen Faktor erklärt wird (Bortz & Schuster, 2010, S. 393). Gebildet wird dieser, indem zunächst die einzelnen Ladungen auf dem jeweiligen Faktor quadriert und anschließend aggregiert werden (Bühner, 2011, S. 321). Inhaltlich gibt der Eigenwert eines Faktors Auskunft darüber, inwieweit die „Unterschiede in der Beantwortung aller Items“ durch diesen Faktor erklärt werden können (Bühner, 2011, S. 321). Im Rahmen von Faktorenanalysen spielen Eigenwerte eine wesentliche Rolle für die Extraktion von Faktoren, da nach diesem Kriterium, welches auch als Kaiser-Guttman-Kriterium bezeichnet wird, nur diejenigen Faktoren extrahiert werden sollten, deren Eigenwert über eins liegt und sie somit „mehr Varianz auf[klären], als ein standardisiertes Item besitzt“ (Bühner, 2011, S. 321). Da dieses Kriterium in einer überschätzten Anzahl der zu extrahierenden Faktoren resultieren kann (Bühner, 2011; Moosbrugger & Schermelleh-Engel, 2008), erscheint die Berücksichtigung weiterer Kriterien für die Extraktion der Faktoren wie z. B. der Scree-Test notwendig. Eine Überschätzung lässt sich auch in Tabelle 11 erkennen. An dieser Stelle könnten nach dem Eigenwert-Kriterium sechs Faktoren extrahiert werden, deren Eigenwerte über eins liegen und die zusammen ca. 61% der Gesamtvarianz erklären (vgl. Tabelle 11). Eine dreifaktorielle Lösung gemäß der Skalen Selbstwirksamkeit, Motivation und Einstellungen erklärt der Tabelle nach dabei ca. 48% der Gesamtvarianz, wobei ca. 62% davon auf den ersten Faktor, ca. 21% auf den zweiten Faktor und ca. 17% auf den dritten Faktor zurückzuführen sind.

4.1 Design der Studie

97

Tabelle 11 Erklärte Gesamtvarianz (persönliche Ressourcen)

Faktor

Eigenwert

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 ... 27 28 29 30 31

9,11 3,08 2,57 1,58 1,38 1,18 0,98 0,93 0,88 0,80 ... 0,23 0,20 0,14 0,13 0,12

Aufgeklärte Varianz durch den Faktor (in Prozent) 29,37 9,93 8,30 5,11 4,45 3,80 3,17 3,00 2,82 2,59 ... 0,73 0,64 0,46 0,41 0,38

Kumulierte Varianz (in Prozent) 29,37 39,31 47,61 52,72 57,17 60,97 64,14 67,14 69,96 72,55 ... 98,12 98,75 99,21 99,62 100,00

Scree-Test Der im folgenden aufgeführte Scree-Test bestätigt eine dreifaktorielle Struktur der Items. Der Scree-Test von Cattell (1966) ist ein weiteres Verfahren zur Ermittlung der Anzahl der Faktoren. Er ist gekennzeichnet durch eine grafische Darstellung der Eigenwerte in einem Koordinatensystem. Dabei werden die Eigenwerte in Betracht gezogen, die sich vor dem sogenannten „Knick“ befinden (Bortz & Schuster, 2010, S. 416). Der Scree-Test als vielfach angewandte Methode wird jedoch aufgrund der geringen Objektivität bei der Interpretation als kritisch angesehen (Bühner, 2011, S. 322). Dies liegt daran, dass der sogenannte Knick sich nicht immer eindeutig interpretieren lässt. Es werden die Knicke berücksichtigt, ab denen die nachfolgenden Faktoren sich asymptotisch der xAchse nähern und gegen Null laufen. In dem dargestellten Screeplot ist ein Knick am vierten Faktor zu erkennen (vgl. Abbildung 10). Die Eigenwerte der nachfolgenden Faktoren verlaufen ungefähr parallel zur x-Achse bzw. nähern sie

98

4 Empirische Studie

sich ihr asymptotisch an. In diesem Fall liefert der Scree-Test eine dreifaktorielle Lösung.

  

  

% # !   



"

$

&    " $ &    " $ &   



Abbildung 10. Screeplot zu den 31 Items der persönlichen Ressourcen (Einstellungen, Selbstwirksamkeit, Motivation)

Parallelanalyse nach Horn (1965) Neben dem Scree-Test wird auch mithilfe der Parallelanalyse3 nach Horn (1965) die Anzahl der Faktoren, die extrahiert werden sollen, ermittelt. Sie beruht auf der Idee, „den Eigenwerteverlauf der empirisch ermittelten Korrelationsmatrix mit dem Eigenwerteverlauf der Korrelationen zwischen normalverteilten Zufallsvariablen zu vergleichen“ (Bortz & Schuster, 2010, S. 416). Es wird von einer Abweichung zwischen dem Eigenwertverlauf von empirischen Daten und dem Eigenwertverlauf von zufällig gebildeten Zahlen ausgegangen, die dadurch entsteht, dass die empirisch ermittelten Werte aufgrund von untereinander bestehenden Zusammenhängen zu einem anfänglich stärker abfallenden Eigenwertverlauf führen und sich dadurch die ersten Eigenwerte deutlich von den zufälligen Eigenwerten unterscheiden (Bühner, 2011, S. 323). Die letzte Spalte in Tabelle 12 gibt an, dass 95% der zufällig erzeugten Eigenwerte für den jeweiligen Faktor kleiner als der hier angegebene Eigenwert sind und dass somit die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die zufälligen Eigenwerte größer sind, bei 5% liegt 3

Die Parallelanalyse wurde mit der Syntax von O’Connor (2000) berechnet (siehe hierzu auch Bühner, 2011, S. 360-363).

4.1 Design der Studie

99

(Bühner, 2011). Mit dieser Methode „werden dann nur Faktoren [extrahiert], deren empirisch beobachtete Eigenwerte über einem Eigenwertverlauf von Zufallszahlen liegen“ (Bühner, 2011, S. 323). In diesem Fall deutet die Parallelanalyse auf eine dreifaktorielle Lösung hin. Dies lässt sich daran erkennen, dass die ersten drei empirisch ermittelten Eigenwerte (9,11; 3,08 und 2,57) höher als die zufälligen Eigenwerte (2,13; 1,95 und 1,83) sind und somit deutlich von einem 95%-igen Großteil der zufälligen Eigenwerte abweichen, die kleiner als der angegebene Eigenwert sind (vgl. Tabelle 12). Tabelle 12 Parallelanalyse zu den Items der persönlichen Ressourcen

Root 1,00 2,00 3,00 4,00 ...

Raw Data Eigenvalue 9,11 3,08 2,57 1,58 ...

Means 2,00 1,85 1,74 1,65 ...

Percentile Random Data Eigenvalue 2,13 1,95 1,83 1,73 ...

Velicer’s Minimum Average Partial Test (MAP-Test) Der MAP-Test4 ist eine weitere Methode zur Ermittlung der Anzahl an Faktoren. Bei diesem Test werden sukzessive die Komponenten aus der Korrelationsmatrix der Items auspartialisiert und aus den Partialkorrelationen, die nach Entfernung der jeweiligen Komponenten übrig bleiben, die durchschnittliche quadrierte Partialkorrelation bestimmt (Bühner, 2011, S. 325). Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass ihre Werte mit jedem weiteren Schritt zunächst ab- und nach einem gewissen Schritt wieder zunehmen. Wie an dem Namen dieses Tests ersichtlich, gibt die minimalste durchschnittliche quadrierte Partialkorrelation die Anzahl der zu extrahierenden Faktoren an: „Genau an diesem Punkt, an dem die mittlere quadrierte Partialkorrelation minimal wird, ist die systematische Varianz 4

Der MAP-Test wurde mit der Syntax von O’Connor (2000) berechnet (siehe hierzu auch Bühner, 2011, S. 363-365).

100

4 Empirische Studie

der Korrelationsmatrix ausgeschöpft, und so viele Komponenten werden dann extrahiert“ (Bühner, 2011, S. 325). Der MAP-Test gibt an dieser Stelle für die 31 Items eine Anzahl von vier Faktoren vor. Dies lässt sich daran erkennen, dass die ersten mittleren quadrierten Partialkorrelationen bis 0,016 kleiner werden und anschließend wieder höhere Werte annehmen (vgl. Tabelle 13). Da es in Folge der Auspartialisierung des vierten Faktors zu dieser minimalsten mittleren quadrierten Partialkorrelation kommt, ist dies ein Hinweis für eine vierfaktorielle Lösung. Tabelle 13 MAP-Test zu den Items der persönlichen Ressourcen

0,00 1,00 2,00 3,00 4,00 5,00 ...

Squared 0,087 0,030 0,025 0,019 0,016 0,017 ...

Power4 0,016 0,003 0,002 0,001 0,001 0,001 ...

Ergebnisse der Hauptkomponentenanalyse Zur Bestimmung der Anzahl der Faktoren sollten nach Bühner (2011, S. 320) mehrere Kriterien zugrunde gelegt sowie die inhaltliche Plausibilität berücksichtigt werden. Da die Parallelanalyse und der Scree-Test im Gegensatz zum MAPTest eine dreifaktorielle Lösung nahelegen und dies auch gemäß der Skalenkonstruktionen plausibel erscheint, werden im Folgenden die Ergebnisse der Faktorenanalyse dargestellt, die mit einer vorgegebenen Anzahl von drei Faktoren durchgeführt wurde. Die Items Mot_intr_6, Mot_intr_7, Einst_1, Einst_3, Einst_6, Einst_7, Einst_8, Einst_9, Einst_10 wurden aufgrund negativ gerichteter Formulierungen recodiert. Nach Rost (2013, S. 226) sind für die Faktorladungen Werte von .45 bis .54 als befriedigend und von .55 bis .62 als gut einzustufen. Im Folgenden werden in Anlehnung an Backhaus, Erichson, Plinke und Weiber (2016) alle Faktorladungen über .50 berücksichtigt. Darüber hinaus werden Items, die nicht eindeutig auf einem Faktor laden bzw. Ladungen unter .50

4.1 Design der Studie

101

aufweisen, aus weiteren Auswertungen eliminiert. Dies trifft auf die Items Nr. 8, 9, 17, 18, 19, 27, 29, 30 und Nr. 31 zu. Insgesamt lassen sich die Items den drei extrahierten Faktoren relativ eindeutig zuordnen. Faktor 1 kann als Motivation, Faktor 2 als Selbstwirksamkeitserwartungen und Faktor 3 als Einstellungen der Lehrkräfte bezeichnet werden. Die theoretisch erwartete Struktur von drei Faktoren und die Zuordnung der jeweiligen Items zu diesen drei Faktoren lässt sich somit an dieser Stelle bestätigen. Tabelle 14 Faktorladungen der Items zu den persönlichen Ressourcen Nr. 1

2

3

4

Itemkennwort Mot_intr_3

Mot_intr_2

Mot_intr_7_rec

Mot_intr_6_rec

5

Mot_intr_4

6

Mot_intr_5

7

Mot_intr_8

8

Einst_1_rec

9

Einst_5

10

Selbstwirk_6

11

Selbstwirk_7

12

Selbstwirk_8

Itemwortlaut Ich möchte mich über die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf und deren Behinderungen informieren. Ich bin sehr interessiert daran, mehr über inklusionsspezifische Unterrichtsmethoden zu erfahren. Ich habe kein Interesse daran, mich mit besonderen inklusionsspezifischen Unterrichtsmethoden oder Materialien zu befassen. Ich habe kein Interesse daran, zusätzliches Material für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu beschaffen. Ich finde es interessant, etwas über Inklusion zu lernen. Ich bin daran interessiert, guten Unterricht für alle Kinder zu organisieren. Ich beschäftige mich mit Inklusion, weil ich die Inhalte für sehr bedeutsam halte. Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu unterrichten, entspricht nicht meinem Berufswunsch. Alle Kinder sind willkommen, unabhängig von ihrer kulturellen oder sozialen Herkunft. Schwierigkeiten im inklusiven Unterricht sehe ich gelassen entgegen, weil ich meinen Fähigkeiten immer vertrauen kann. Was auch immer im inklusiven Unterricht passiert, ich werde schon klarkommen. Wenn im inklusiven Unterricht ein Problem auf

1

2

3

.76

.31

.04

.74

.36

-.04

.72

.07

.18

.71

.09

.21

.68

.41

.11

.68

-.14

.06

.66

.42

.16

.45

.19

.44

.43

-.27

.24

-.01

.78

.20

.10

.72

.10

.17

.71

.06

102

13

14

15

16

17

18

19

20

21

4 Empirische Studie

Selbstwirk_3

Selbstwirk_5

Selbstwirk_2

Selbstwirk_9

Mot_intr_1

Selbstwirk_4

Selbstwirk_1

Einst_13

Einst_12

22

Einst_6_rec

23

Einst_14

24

Einst_4

25

Einst_11

mich zukommt, habe ich meist mehrere Ideen, wie ich es lösen kann. Ich bin mir sicher, dass ich auch bei größeren Leistungsunterschieden für jedes Kind ein angemessenes Lernangebot im inklusiven Unterricht bereithalten kann. Wenn sich im inklusiven Unterricht Widerstände auftun, finde ich Mittel und Wege, mich durchzusetzen. Ich bin mir sicher, dass ich inklusiven Unterricht so organisieren kann, dass leistungsstärkere Kinder von leistungsschwächeren Kindern profitieren können und umgekehrt. Ich kann auch gegenüber Kollegen, die der Inklusion skeptisch gegenüber treten, neue Ideen in der Schule durchsetzen. Ich habe mich bereits mit dem Thema „Inklusion“ aufgrund meines großen Interesses befasst (eigenständige Literaturrecherche, Einholung von Informationen). Ich bin mir sicher, dass ich Schüler, die mir im inklusiven Unterricht durch Störungen Probleme bereiten, als Person schätzen kann. Ich kann das Klassenklima so beeinflussen, dass Kinder ihren Mitschülern helfen und sie unterstützen, auch wenn letztere unter Umständen extrem langsam arbeiten. Der Regelklassenunterricht bietet für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf bedeutsamere Lernmöglichkeiten als eine Förderschule. Der Regelklassenunterricht bietet für Kinder mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen bedeutsamere Lernmöglichkeiten als eine Kleinklasse oder Sonderschule. Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf bringen im Unterricht noch mehr Belastungen. Je mehr Zeit Kinder mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen in einer Regelklasse verbringen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich die Qualität ihrer schulischen Förderung verbessert. Ich sehe Heterogenität als Chance des Zusammenlebens. Wenn Kinder mit sonderpädagogischem Förder-

.14

.65

.11

.02

.65

.03

.06

.61

.25

.17

.57

.26

.43

.45

.19

.36

.36

.14

.22

.23

.23

-.14

.25

.73

-.07

.35

.66

.14

.09

.62

-.34

.16

.62

.37

-.07

.60

.16

.04

.57

4.1 Design der Studie

26

27 28

Einst_10_rec

Einst_3_rec Einst_9_rec

29

Einst_7_rec

30

Einst_2

31

Einst_8_rec

103 bedarf in der Regelklasse sind, hat das auch für die anderen Kinder Vorteile – trotz möglicher Schwierigkeiten. Kinder ohne sonderpädagogischen Förderbedarf können in einer inklusiven Klasse ihr Leistungspotenzial nicht voll ausschöpfen. Ich stehe der Inklusion sehr skeptisch gegenüber. Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf beanspruchen im Vergleich zu Kindern ohne sonderpädagogischen Förderbedarf mehr Zeit der Lehrkraft. Für mich hat ein inklusives Schulsystem keine Zukunft. Ich arbeite gerne mit Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf zusammen. Inklusion bedeutet für mich zusätzliche Arbeit, die nicht vergütet wird.

.32

.09

.54

.22

.49

.53

.19

.04

.52

.44

.09

.50

.40

.34

.48

.18

.23

.43

Reliabilitätsanalyse Die Reliabilität bildet zusammen mit der Objektivität und Validität die drei Hauptgütekriterien, die an einen Test gestellt werden, und kennzeichnet die „Messgenauigkeit eines Tests“ (Bühner, 2011, S. 142). Definiert wird sie „als Verhältnis der Varianz der wahren Werte zur Varianz der beobachteten Werte [...]“ (Bühner, 2011, S. 144), sodass von einer perfekten Reliabilität gesprochen werden kann, wenn nur die wahren Werte gemessen werden und keine zufälligen Messfehler bei der Testung existieren (Schermelleh-Engel & Werner, 2012, S. 120). Umgekehrt würde das Vorhandensein zufälliger Messfehler die Reliabilität eines Tests verringern (Schermelleh-Engel & Werner, 2012, S. 120). Die Messgenauigkeit eines Tests kann zum einen unter dem Aspekt der Stabilität überprüft werden. Hierbei sollte ein Test, der von der gleichen Stichprobe zu einem zweiten Zeitpunkt bearbeitet wird, bei einer hohen Retest-Reliabilität zu den gleichen Ergebnissen wie bei der ersten Testung führen bzw. eine gewisse Stabilität in den Ergebnissen oder systematische Veränderungen zeigen. Die Ergebnisse beider Messzeitpunkte sollten einen hohen Zusammenhang aufweisen. Eine weitere Möglichkeit ist der Einsatz von zwei parallelen Testversionen bei einer Stichprobe. Auch hier sollte ein ausreichend hoher Zusammenhang zwischen beiden Formen erkennbar sein. Eine andere Möglichkeit zur Überprü-

104

4 Empirische Studie

fung der Messgenauigkeit stellt die Split-Half-Methode dar. Dabei wird ein Test in zwei Hälften aufgeteilt und anschließend aus den Testhälften die Reliabilität für die Gestamttestlänge ermittelt (Schermelleh-Engel & Werner, 2012, S. 122128). Im Folgenden wird die Reliabilität auf der Basis der internen Konsistenz untersucht, welche mit dem Cronbach’s Alpha (α)-Koeffizienten quantifiziert wird. Diese kann als „eine Erweiterung der Testhalbierungsmethode“ gesehen werden, bei der „sich ein Test nicht nur in Testhälften, sondern in so viele ‚kleinste‘ Teile zerlegen lässt, wie er Items enthält“ (Bortz & Döring, 2006, S. 198), sodass die Items einzelne Testteile darstellen (Schermelleh-Engel & Werner, 2012, S. 131). Grundlage für die Berechnung der internen Konsistenz sind die Korrelationen zwischen den Items (Bühner, 2011; Schermelleh-Engel & Werner, 2012). Im Gegensatz zu den anderen Reliabilitätskoeffizienten ist die interne Konsistenz durch einen geringeren methodischen Aufwand gekennzeichnet. Der Test muss weder zu einem weiteren Zeitpunkt erneut durchgeführt werden, noch ist die Konzeption einer parallelen Version des Tests oder die Teilung in zwei äquivalente Hälften nötig (Schermelleh-Engel & Werner, 2012, S. 132). Bei der Beurteilung der Reliabilität gelten Werte ab .90 als hoch, Werte zwischen .80 und .90 als mittel und Werte unterhalb von .80 als niedrig (Bühner, 2011, S. 81, siehe auch Fisseni, 2004, S. 80). Eine perfekte Reliabilität würde bei einem Reliabilitätskoeffizienten von 1 vorliegen, wenn ohne zufällige Messfehler gemessen wird (Schermelleh-Engel & Werner, 2012, S. 121). Beispielsweise würde man bei einem Wert von .90 davon ausgehen, dass der Anteil der fehlerbehafteten Messung bei 10% liegt. Nach Mummendey und Grau (2014, S. 102) ist bei Fragebögen, die die Einstellung von Personen messen, jedoch ein Wert von etwa .80 ausreichend. Auch Schermelleh-Engel und Werner (2012, S. 135) weisen darauf hin, dass Persönlichkeitstests Skalen mit einer Reliabilität von .70 aufweisen können. Nach Nunnally (1978, S. 245) kann ebenfalls ein Wert ab .70 als ausreichend betrachtet werden. Bei der Frage nach der Reliabilität sind zusätzlich auch die Trennschärfen der einzelnen Items zu berücksichtigen, da „die innere Konsistenz [...] von den Trennschärfen der einzelnen Items [abhängig ist]“ (Mummendey & Grau, 2014, S. 101). Die Trennschärfe bezieht sich auf den Zusammenhang eines einzelnen Items mit dem Gesamtwert des zu messenden Konstrukts (Bortz & Döring, 2006, S. 219; Mummendey & Grau, 2014). Sie „gibt an, wie gut ein einzelnes

4.1 Design der Studie

105

Item das Gesamtergebnis eines Tests repräsentiert“ und wird in rit angegeben, wobei i das jeweilige Item kennzeichnet und t den korrigierten Gesamttestwert, bei dem das jeweilige Item auspartialisiert wurde (Bortz & Döring, 2006, S. 219). Die Höhe der Trennschärfe gibt Auskunft darüber, inwieweit sich die Antworten der Personen in Bezug auf das Item unterscheiden und inwiefern das Item somit zur Differenzierung „zwischen Personen mit hoher und niedriger Ausprägung [...]“ beitragen kann (Mummendey & Grau, 2014, S. 98). Von einer niedrigen Trennschärfe wird gesprochen, wenn der Wert unter .30 liegt. Bei Werten zwischen .30 und .50 handelt es sich um eine mittlere und bei Werten größer als .50 um eine hohe Trennschärfe (Bühner, 2011, S. 81, siehe auch Fisseni, 2004, S. 80). In der unten aufgeführten Tabelle 15 sind die Ergebnisse der Reliabilitätsanalyse der Skala Motivation dargestellt und deuten mit einem Cronbach’s α von .89 auf eine mittlere bis gute Reliabilität dieser Skala hin. Die Werte der Trennschärfen liegen ebenfalls in einem zufriedenstellenden Bereich und geben an, dass die einzelnen Items eine gute Differenzierung zwischen Lehrkräften mit höherer und niedrigerer Motivation ermöglichen. Anhand der Mittelwerte, die über dem theoretischen Skalenmittelwert von 3 liegen, wird deutlich, dass die Motivation der befragten Lehrkräfte, sich mit inklusionsspezifischen Inhalten zu befassen, im Mittel weitgehend hoch ist. Tabelle 15 Reliabilitätsanalyse der Skala Motivation

Nr. 1 2 3 4 5 6 7

Itemkennwort Mot_intr_2 Mot_intr_3 Mot_intr_4 Mot_intr_5 Mot_intr_6_rec Mot_intr_7_rec Mot_intr_8

M* 3,90 3,97 3,93 4,70 4,26 4,27 3,69

SD 1,05 0,97 0,93 0,47 0,94 0,94 1,08

Min 1,00 1,00 1,00 3,00 1,00 1,00 1,00

Max 5,00 5,00 5,00 5,00 5,00 5,00 5,00

rit .78 .76 .76 .47 .60 .68 .73

α** .86 .86 .86 .89 .88 .87 .86

Anmerkungen. Cronbach’s Alpha=.89 * Die Antwortskala reicht von 1 bis 5 mit 1=Trifft gar nicht zu, 2=Trifft eher weniger zu, 3=Ich weiß es nicht, 4=Trifft eher zu, 5=Trifft voll zu ** Interne Konsistenz der Skala bei Entfernung des jeweiligen Items

106

4 Empirische Studie

Auch die Skala Selbstwirksamkeit weist mit α=.85 eine mittlere Reliabilität auf. Die Items sind mit Werten von rit=.53 bis rit=.70 durch hohe Trennschärfen gekennzeichnet, welche auf eine gute Differenzierung dieser Items zwischen Lehrpersonen mit hohen und niedrigen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen hinweisen (vgl. Tabelle 16). Die Mittelwerte zwischen M=2,58 und M=3,45 deuten auf einem theoretischen Skalenmittelwert von 3 auf eher moderate Selbstwirksamkeitsüberzeugungen der Lehrkräfte in Bezug auf die Gestaltung eines inklusiven Unterrichts hin. Die Standardabweichungen hingegen zeigen, dass eine nicht unwesentliche Streuung im Antwortverhalten der Befragten vorliegt.

Tabelle 16 Reliabilitätsanalyse der Skala Selbstwirksamkeit

Nr. 1 2 3 4 5 6 7

Itemkennwort Selbstwirk_2 Selbstwirk_3 Selbstwirk_5 Selbstwirk_6 Selbstwirk_7 Selbstwirk_8 Selbstwirk_9

M* 3,36 3,04 3,45 2,89 2,58 3,04 2,79

SD 0,90 1,14 0,80 1,09 1,01 0,92 1,04

Min 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00

Max 5,00 5,00 5,00 5,00 5,00 5,00 5,00

rit .56 .60 .53 .70 .64 .67 .54

α** .83 .83 .84 .81 .82 .82 .84

Anmerkungen. Cronbach’s Alpha=.85 * Die Antwortskala reicht von 1 bis 5 mit 1=Trifft gar nicht zu, 2=Trifft eher weniger zu, 3=Ich weiß es nicht, 4=Trifft eher zu, 5=Trifft voll zu ** Interne Konsistenz der Skala bei Entfernung des jeweiligen Items

Die Skala Einstellungen zur Inklusion weist mit α=.78 im Vergleich zu den beiden anderen Konstrukten eine geringere interne Konsistenz auf, die jedoch den Anforderungen noch genügt. Nach Schermelleh-Engel und Werner (2012, S. 135) können Persönlichkeitstests eine Reliabilität von .70 aufweisen. Auch die Trennschärfen sind überwiegend mittelmäßig ausgeprägt (vgl. Tabelle 17). Die Standardabweichungen verdeutlichen auch hier, dass das Antwortverhalten der befragten Lehrkräfte nicht unwesentlich variiert.

4.1 Design der Studie

107

Tabelle 17 Reliabilitätsanalyse der Skala Einstellungen

Nr. 1 2 3 4 5 6 7 8

Itemkennwort Einst_4 Einst_6_rec Einst_9_rec Einst_10_rec Einst_11 Einst_12 Einst_13 Einst_14

M* 3,89 2,18 1,70 3,39 3,73 2,83 2,86 2,94

SD 0,88 1,08 0,84 1,24 0,89 1,00 1,02 0,82

Min 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00

Max 5,00 5,00 5,00 5,00 5,00 5,00 5,00 5,00

rit .46 .48 .42 .45 .45 .57 .57 .45

α** .75 .75 .76 .76 .76 .73 .73 .76

Anmerkungen. Cronbach’s Alpha=.78 * Die Antwortskala reicht von 1 bis 5 mit 1=Trifft gar nicht zu, 2=Trifft eher weniger zu, 3=Ich weiß es nicht, 4=Trifft eher zu, 5=Trifft voll zu ** Interne Konsistenz der Skala bei Entfernung des jeweiligen Items

4.1.3.2 Skalenanalyse der Instrumente: Strukturierung, Klarheit, lernförderliches Klima, Umgang mit Heterogenität Im Folgenden werden die vier Skalen Strukturierung, Klarheit, lernförderliches Klima und Umgang mit Heterogenität mit einer explorativen Faktorenanalyse untersucht. Dem KMO-Koeffizienten und dem Bartlett-Test nach (vgl. Tabelle 18) sind die Items für eine Faktorenanalyse geeignet (KMO=.87, χ2=2025.01, df=231, p≤.001). Auch die MSA-Koeffizienten, die an dieser Stelle nicht abgebildet sind, weisen mit Werten über .75 darauf hin, dass die Items für eine Faktorenanalyse geeignet sind. Die Festlegung der genauen Anzahl der Faktoren erfolgt auch hier auf Basis der Eigenwerte, des Scree-Tests, der Parallelanalyse sowie des MAP-Tests.

108

4 Empirische Studie

Tabelle 18 KMO-Koeffizient und Bartlett-Test

Maß der Stichprobeneignung nach Kaiser-Meyer-Olkin Bartlett-Test auf Sphärizität Ungefähres Chi-Quadrat df Signifikanz nach Bartlett

.87 2025.01 231 ≤.001

Explorative Faktorenanalyse Den Eigenwerten nach lassen sich fünf Faktoren extrahieren, die gemeinsam eine Gesamtvarianz von etwa 71% aufklären. Eine Überschätzung der Faktoren wie bei der vorherigen Faktorenanalyse in Kapitel 4.1.3.1 lässt sich auch hier erkennen. Der fünfte Eigenwert übertrifft den kritischen Wert von eins nur knapp und wird daher nicht weiter berücksichtigt. Vier Faktoren – wie theoretisch angenommen – erklären der Tabelle 19 nach eine Varianz von etwa 66%. Etwa 52% der erklärten Varianz lassen sich dabei auf Faktor 1, ca. 21% auf Faktor 2, ca. 15% auf Faktor 3 und ca. 12% auf Faktor 4 zurückführen. Somit lässt sich die theoretisch angenommene Struktur von vier Faktoren bestätigen. In der folgenden Tabelle sind die Eigenwerte der 22 Items und die Varianzen, die durch diese aufgeklärt werden, in einfacher und kumulierter Weise dargestellt. Tabelle 19 Erklärte Gesamtvarianz (unterrichtliche Intentionen und Sichtweisen)

Faktor

Eigenwert

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

7,51 3,09 2,14 1,76 1,05 0,76 0,72 0,68 0,60 0,47

Aufgeklärte Varianz durch den Faktor (in Prozent) 34,11 14,06 9,73 8,01 4,77 3,47 3,26 3,11 2,73 2,14

Kumulierte Varianz (in Prozent) 34,11 48,17 57,90 65,91 70,68 74,15 77,41 80,52 83,25 85,39

4.1 Design der Studie 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22

0,41 0,39 0,37 0,34 0,30 0,27 0,24 0,22 0,20 0,19 0,15 0,13

109 1,85 1,79 1,70 1,57 1,35 1,21 1,10 1,01 0,89 0,85 0,70 0,60

87,24 89,03 90,73 92,29 93,65 94,86 95,96 96,97 97,85 98,71 99,40 100,00

Scree-Test Auch der Screeplot bestätigt die vierfaktorielle Lösung mit einem Knick am fünften Faktor (vgl. Abbildung 11). Die nachfolgenden Faktoren nach dem vierten Faktor nähern sich asymptotisch der x-Achse an.

 

  

% # !    

 ! " # $ % &  !"#$%&   

Abbildung 11. Screeplot zu den 22 Items der unterrichtlichen Intentionen und Sichtweisen von Lehrkräften (Umgang mit Heterogenität, Klarheit, Strukturierung, lernförderliches Klima)

110

4 Empirische Studie

Parallelanalyse nach Horn (1965) Die Parallelanalyse bestätigt ebenfalls eine vierfaktorielle Lösung für die Items (vgl. Tabelle 20). Die ersten vier Eigenwerte (7,51; 3,09; 2,14; 1,76) liegen über dem 95-Prozent-Perzentil der zufälligen Eigenwerte (1,89; 1,72; 1,59; 1,50). Tabelle 20 Parallelanalyse zu den Items der unterrichtlichen Intentionen und Sichtweisen

Root 1,00 2,00 3,00 4,00 5,00 ...

Raw Data Eigenvalue 7,51 3,09 2,14 1,76 1,05 ...

Means 1,76 1,62 1,52 1,43 1,35 ...

Percentile Random Data Eigenvalue 1,89 1,72 1,59 1,50 1,42 ...

Velicer’s Minimum Average Partial Test (MAP-Test) Auch der MAP-Test legt eine vierfaktorielle Lösung dar. Nach Auspartialisierung des vierten Faktors wird die kleinste mittlere quadrierte Partialkorrelation von 0,027 erreicht (vgl. Tabelle 21). Die revidierte Fassung des MAP-Tests hingegen, die ebenfalls in den Auswertungen ausgegeben wird, schlägt eine Faktorenanzahl von fünf vor. Tabelle 21 MAP-Test zu den Items der unterrichtlichen Intentionen und Sichtweisen

0,00 1,00 2,00 3,00 4,00 5,00 6,00 ...

Squared 0,121 0,061 0,040 0,032 0,027 0,028 0,031 ...

Power4 0,033 0,010 0,005 0,004 0,004 0,003 0,004 ...

4.1 Design der Studie

111

Ergebnisse der Hauptkomponentenanalyse Da der Scree-Test sowie die Parallelanalyse und teilweise der MAP-Test auf eine vierfaktorielle Struktur dieser Konstrukte hinweisen und dies theoretisch auch plausibel für die vier Skalen erscheint, wird im Rahmen der Faktorenanalyse eine Hauptkomponentenanalyse mit einer vorgegebenen Anzahl von vier Faktoren berechnet. Die Ergebnisse bestätigen die theoretisch angenommene Struktur und Zuordnung der jeweiligen Items zu diesen vier Faktoren. Aufgrund der hohen Faktorladungen ohne bedeutsame Nebenladungen auf weiteren Faktoren können alle Items den jeweiligen Faktoren zugeordnet werden und es müssen keine Items entfernt werden. Faktor 1 stellt die Intentionen der Lehrkräfte im Umgang mit Heterogenität dar, Faktor 2 die Sichtweise über ein lernförderliches Klima in der inklusiven Klasse, Faktor 3 die Verhaltensabsicht hinsichtlich Klarheit und Faktor 4 die Verhaltensabsicht der Lehrpersonen in Bezug auf die Strukturierung im inklusiven Unterricht. Tabelle 22 Faktorladungen der Items zu unterrichtlichen Intentionen und Sichtweisen

Nr. 1

2

3

4

5

Itemkennwort Heterog_2

Heterog_3

Heterog_5

Heterog_6

Heterog_1

Itemwortlaut In meinem inklusiven Unterricht werde ich für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf zusätzliche Unterstützung anbieten. In meinem inklusiven Unterricht werde ich Extraaufgaben für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf anbieten, durch die sie gefördert werden. In meinem inklusiven Unterricht werden Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf zusätzliche Hilfestellungen durch mich erhalten. In meinem inklusiven Unterricht werden Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf nach ihrem individuellen Lerntempo arbeiten können. In meinem inklusiven Unterricht werde ich gezielte Zusatzaufgaben anbieten, wenn Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf etwas nicht verstanden haben.

1

2

3

4

.86

.07

.16

.16

.85

.08

.17

.10

.79

.07

.18

.22

.78

.15

.22

-.04

.78

.07

.23

.17

112 6

7

8

9

10

11

12

13

14

4 Empirische Studie Heterog_4

lernföKli_4

lernföKli_3

lernföKli_2

lernföKli_5

lernföKli_7

lernföKli_1

lernföKli_6

Klar_2

15

Klar_3

16

Klar_5

17

18

19

Klar_1

Klar_4

Strukt_4

In meinem inklusiven Unterricht werden Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf deutlich mehr Zeit für die Bearbeitung ihrer Aufgaben erhalten. Guter inklusiver Unterricht zeichnet sich dadurch aus, dass ich mit Schülerfehlern verständnisvoll umgehe. Guter inklusiver Unterricht zeichnet sich dadurch aus, dass die Lernatmosphäre für alle Kinder entspannt ist. Guter inklusiver Unterricht zeichnet sich dadurch aus, dass der Umgangston zwischen allen Kindern freundlich ist. Guter inklusiver Unterricht zeichnet sich dadurch aus, dass ich mit Schülerfehlern so umgehe, dass sie eine Lernchance darstellen. Guter inklusiver Unterricht zeichnet sich dadurch aus, dass sich alle Kinder gegenseitig im Unterricht unterstützen. Guter inklusiver Unterricht zeichnet sich dadurch aus, dass mein Umgangston mit allen Schülerinnen und Schülern wertschätzend ist. Guter inklusiver Unterricht zeichnet sich dadurch aus, dass ich die Ausübung von Leistungsdruck vermeide. Im inklusiven Unterricht werde ich so sprechen, dass sowohl Kinder mit als auch ohne sonderpädagogischem/n Förderbedarf alle Worte verstehen können. Im inklusiven Unterricht werde ich so erklären, dass alle Kinder mich verstehen. Im inklusiven Unterricht werde ich darauf achten, dass allen Kindern klar ist, was sie in dieser Stunde lernen sollen. Im inklusiven Unterricht werde ich meine Arbeitsanweisungen klar und deutlich formulieren. Im inklusiven Unterricht werde ich darauf achten, kurze und einfache Satzstrukturen zu verwenden. Meinen inklusiven Unterricht werde ich so strukturieren, dass der Stoff vom Konkreten zum Abstrakten verläuft.

.77

.20

.02

.10

.07

.83

.13

.20

.06

.82

.15

.16

-.05

.79

.11

.20

.23

.77

.08

-.01

.13

.71

.06

.06

.09

.69

.23

.10

.10

.60

-.02

-.12

.18

.18

.85

.07

.14

.15

.82

.13

.32

.09

.72

.14

.31

.25

.70

.18

.05

.03

.68

.14

.17

.16

.05

.84

4.1 Design der Studie 20

21

22

Strukt_1

Strukt_3

Strukt_2

113

Meinen inklusiven Unterricht werde ich so strukturieren, dass der Stoff in aufeinander aufbauenden Sequenzen vermittelt wird. Meinen inklusiven Unterricht werde ich so strukturieren, dass der Stoff sich schrittweise vom Leichten zum Komplizierten bewegt. Meinen inklusiven Unterricht werde ich so strukturieren, dass der Lernstoff für alle Kinder strukturiert wird.

.07

.06

.16

.80

.13

.11

.14

.79

.23

.08

.34

.58

Reliabilitätsanalyse Die Skala Umgang mit Heterogenität weist mit einem Cronbach’s α von .91 auf eine hohe Reliabilität hin. In Tabelle 23 sind die Mittelwerte, Standardabweichungen, Trennschärfen und der Cronbach’s α bei Entfernung des jeweiligen Items abgebildet. Hohe Mittelwerte deuten auf eine hohe Zustimmung zu den einzelnen Aussagen hin. Die Standardabweichungen zeigen, dass die Streuung um die Mittelwerte zwar variiert, jedoch insgesamt über dem theoretischen Skalenmittelwert liegt. Ausgehend von den Trennschärfen und des hohen Cronbach’s α-Wertes können alle Items in dieser Skala beibehalten werden. Tabelle 23 Reliabilitätsanalyse der Skala Umgang mit Heterogenität

Nr. 1 2 3 4 5 6

Itemkennwort Heterog_1 Heterog_2 Heterog_3 Heterog_4 Heterog_5 Heterog_6

M* 4,34 4,32 4,35 4,13 4,27 4,30

SD 0,63 0,68 0,67 0,77 0,68 0,69

Min 2,00 2,00 2,00 2,00 2,00 2,00

Max 5,00 5,00 5,00 5,00 5,00 5,00

rit .75 .82 .79 .68 .78 .71

α** .90 .88 .89 .91 .89 .90

Anmerkungen. Cronbach’s Alpha=.91 * Die Antwortskala reicht von 1 bis 5 mit 1=Trifft gar nicht zu, 2=Trifft eher weniger zu, 3=Ich weiß es nicht, 4=Trifft eher zu, 5=Trifft voll zu ** Interne Konsistenz der Skala bei Entfernung des jeweiligen Items

114

4 Empirische Studie

Die Skala Lernförderliches Klima hat einen Cronbach’s α von .85, welcher auf eine mittlere Reliabilität hinweist. Die Mittelwerte, die in Tabelle 24 abgebildet sind, liegen auch hier deutlich über dem theoretischen Skalenmittelwert. Die Trennschärfen weisen insgesamt zufriedenstellende Werte auf. Durch Eliminierung von Item 6 kann der Cronbach’s Alpha erhöht werden. Tabelle 24 Reliabilitätsanalyse der Skala Lernförderliches Klima

Nr. 1 2 3 4 5 6 7

Itemkennwort lernföKli_1 lernföKli_2 lernföKli_3 lernföKli_4 lernföKli_5 lernföKli_6 lernföKli_7

M* 4,85 4,71 4,77 4,75 4,69 4,36 4,61

SD 0,38 0,47 0,45 0,43 0,50 0,76 0,58

Min 3,00 3,00 3,00 4,00 3,00 2,00 2,00

Max 5,00 5,00 5,00 5,00 5,00 5,00 5,00

rit .59 .69 .76 .75 .70 .43 .62

α** .84 .82 .82 .82 .82 .88 .83

Anmerkungen. Cronbach’s Alpha=.85 * Die Antwortskala reicht von 1 bis 5 mit 1=Trifft gar nicht zu, 2=Trifft eher weniger zu, 3=Ich weiß es nicht, 4=Trifft eher zu, 5=Trifft voll zu ** Interne Konsistenz der Skala bei Entfernung des jeweiligen Items

Eine erneute Reliabilitätsanalyse mit Eliminierung von Item Nr. 6 führt zu einem höheren Cronbach’s α-Wert von .87 (vgl. Tabelle 25). Die Reliabilitätsanalyse gibt eine weitere Verbesserung vor, wenn Item lernföKli_7 entfernt wird. Auf die Entfernung dieses Items wird an dieser Stelle jedoch verzichtet, da es sich um eine geringfügige Verbesserung des α-Wertes handelt. Tabelle 25 Erneute Reliabilitätsanalyse der Skala Lernförderliches Klima

Nr. 1 2 3 4

Itemkennwort lernföKli_1 lernföKli_2 lernföKli_3 lernföKli_4

M* 4,84 4,70 4,78 4,76

SD 0,38 0,47 0,45 0,43

Min 3,00 3,00 3,00 4,00

Max 5,00 5,00 5,00 5,00

rit .64 .70 .76 .80

α** .86 .85 .84 .84

4.1 Design der Studie 5 6

lernföKli_5 lernföKli_7

115 4,69 4,60

0,50 0,59

3,00 2,00

5,00 5,00

.67 .58

.86 .88

Anmerkungen. Cronbach’s Alpha=.87 * Die Antwortskala reicht von 1 bis 5 mit 1=Trifft gar nicht zu, 2=Trifft eher weniger zu, 3=Ich weiß es nicht, 4=Trifft eher zu, 5=Trifft voll zu ** Interne Konsistenz der Skala bei Entfernung des jeweiligen Items

Die Skala Klarheit hat einen Cronbach’s α von .85. Dieser Wert kann durch die Eliminierung von Item Nr. 4 erhöht werden (vgl. Tabelle 26). Tabelle 26 Reliabilitätsanalyse der Skala Klarheit

Nr. 1 2 3 4 5

Itemkennwort Klar_1 Klar_2 Klar_3 Klar_4 Klar_5

M* 4,61 4,40 4,39 4,22 4,42

SD 0,54 0,66 0,71 0,78 0,73

Min 3,00 2,00 2,00 2,00 2,00

Max 5,00 5,00 5,00 5,00 5,00

rit .69 .78 .74 .51 .66

α** .82 .79 .80 .87 .82

Anmerkungen. Cronbach’s Alpha=.85 * Die Antwortskala reicht von 1 bis 5 mit 1=Trifft gar nicht zu, 2=Trifft eher weniger zu, 3=Ich weiß es nicht, 4=Trifft eher zu, 5=Trifft voll zu ** Interne Konsistenz der Skala bei Entfernung des jeweiligen Items

Nach Ausschluss des Items Nr. 4 weist die Skala Klarheit einen Cronbach’s α von .87 auf, welcher auf eine mittlere Reliabilität hindeutet (vgl. Tabelle 27). Auch hier liegen die Itemmittelwerte über dem theoretischen Skalenmittelwert. Die Trennschärfen der Items befinden sich in einem zufriedenstellenden Bereich.

116

4 Empirische Studie

Tabelle 27 Erneute Reliabilitätsanalyse der Skala Klarheit

Nr. 1 2 3 4

Itemkennwort Klar_1 Klar_2 Klar_3 Klar_5

M* 4,61 4,40 4,39 4,42

SD 0,54 0,66 0,71 0,73

Min 3,00 2,00 2,00 2,00

Max 5,00 5,00 5,00 5,00

rit .68 .77 .78 .69

α** .85 .82 .81 .85

Anmerkungen. Cronbach’s Alpha=.87 * Die Antwortskala reicht von 1 bis 5 mit 1=Trifft gar nicht zu, 2=Trifft eher weniger zu, 3=Ich weiß es nicht, 4=Trifft eher zu, 5=Trifft voll zu ** Interne Konsistenz der Skala bei Entfernung des jeweiligen Items

Die Skala Strukturierung hat einen Cronbach’s α von .82 und deutet somit auf eine mittlere Reliabilität hin. In Tabelle 28 sind die einzelnen Werte abgebildet. Hier ist ebenfalls ersichtlich, dass die Mittelwerte über dem theoretischen Skalenmittelwert liegen. Die vier Items verfügen zudem über hohe Trennschärfen. Tabelle 28 Reliabilitätsanalyse der Skala Strukturierung

Nr. 1 2 3 4

Itemkennwort Strukt_1 Strukt_2 Strukt_3 Strukt_4

M* 4,13 4,29 4,13 4,15

SD 0,76 0,72 0,85 0,77

Min 2,00 2,00 2,00 2,00

Max 5,00 5,00 5,00 5,00

rit .67 .51 .65 .73

α** .76 .82 .76 .73

Anmerkungen. Cronbach’s Alpha=.82 * Die Antwortskala reicht von 1 bis 5 mit 1=Trifft gar nicht zu, 2=Trifft eher weniger zu, 3=Ich weiß es nicht, 4=Trifft eher zu, 5=Trifft voll zu ** Interne Konsistenz der Skala bei Entfernung des jeweiligen Items

Die Reliabilitätsanalysen zeigen, dass die internen Konsistenzen der Skalen insgesamt zufriedenstellend sind. Es wurde lediglich ein Item bei der Skala Klarheit und bei der Skala Lernförderliches Klima entfernt. In Tabelle 29 befindet sich ein zusammenfassender Überblick über die sieben Konstrukte, die im Weiteren zur Hypothesenprüfung verwendet werden. Anhand der Mittelwerte ist zu sehen, dass die befragten Lehrkräfte weitgehend motiviert zu sein scheinen,

4.2 Überprüfung der Hypothesen

117

sich mit inklusionsspezifischen Inhalten zu beschäftigen. Ihre Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und Einstellungen hingegen sind im Mittel eher neutral ausgeprägt, wobei die Standardabweichungen eine nicht unwesentliche Streuung im Antwortverhalten der Lehrkräfte verdeutlichen. Die Mittelwerte der unterrichtlichen Intentionen und Sichtweisen sind insgesamt hoch ausgeprägt und liegen deutlich über dem theoretischen Skalenmittelwert. Tabelle 29 Zusammenfassender Überblick über die Variablen

Itemanzahl

M*

SD

Md

Min

Max

α

N

Motivation

7

4,10

0,72

4,14

1,43

5,00

.89

166

Selbstwirksamkeit

7

3,01

0,72

3,00

1,17

5,00

.85

168

Einstellungen Umgang mit Heterogenität Lernförderliches Klima Klarheit

8

2,93

0,62

3,00

1,29

4,63

.78

168

6

4,28

0,57

4,27

2,00

5,00

.91

166

6

4,73

0,37

5,00

3,67

5,00

.87

168

Variable

Strukturierung

4

4,46

0,56

4,50

2,50

5,00

.87

167

4

4,18

0,62

4,00

2,75

5,00

.82

164

Anmerkungen. * Die Antwortskala reicht von 1 bis 5 mit 1=Trifft gar nicht zu, 2=Trifft eher weniger zu, 3=Ich weiß es nicht, 4=Trifft eher zu, 5=Trifft voll zu

4.2 Überprüfung der Hypothesen Ziel dieses Kapitels ist die Überprüfung der in Kapitel 3 formulierten Hypothesen. Zunächst wird für die Unterscheidungshypothese ein t-Test durchgeführt. Die Überprüfung der Zusammenhangshypothese erfolgt im Rahmen eines Strukturgleichungsmodells.

118

4 Empirische Studie

4.2.1 Überprüfung der Unterscheidungshypothese H1: Lehrkräfte, die Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf unterrichten, unterscheiden sich von ihren Kolleginnen und Kollegen, die keine Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf in ihrer Klasse unterrichten. Erstere stimmen der Nutzung von Maßnahmen für den Umgang mit Heterogenität, für lernförderliches Klima, Klarheit und Strukturierung in ihrem inklusiven Unterricht stärker zu als ihre Kolleginnen und Kollegen, die keine Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf in ihrer Klasse unterrichten. Zur Überprüfung der Unterscheidungshypothese wird ein t-Test gerechnet. Mit diesem Test wird überprüft, „ob sich zwei empirisch gefundene Mittelwerte systematisch voneinander unterscheiden“ (Rasch, Friese, Hofmann & Naumann, 2014, S. 33). Für die Durchführung von t-Tests werden Intervallskalierung, Normalverteilung sowie Varianzhomogenität der Stichproben vorausgesetzt. Generell ist der t-Test ein robustes Verfahren. Wenn die beiden Teilstichproben, die miteinander verglichen werden, etwa gleich groß sind, reagiert der t-Test robust gegenüber der Verletzung dieser Annahmen (Rasch et al., 2014, S. 43). Da hier annähernd gleich große Stichproben in beiden Gruppen (n1=85; n2=82) vorliegen, wird der t-Test durchgeführt. In diesem Zusammenhang wird das Ergebnis auf Signifikanz getestet und damit überprüft, wie groß die Wahrscheinlichkeit dafür ist, die Nullhypothese abzulehnen, obwohl sie richtig ist (Bortz & Schuster, 2010). Mit der Nullhypothese wird davon ausgegangen, dass kein Unterschied oder Zusammenhang vorliegt (Bortz & Schuster, 2010, S. 98). Als Grenze für das Signifikanzniveau, welches in p angegeben wird, haben sich hierbei das 5%- sowie 1%-Niveau etabliert (Bortz & Schuster, 2010). Wenn die Irrtumswahrscheinlichkeit unter 1% (p≤.01) liegt, kann von einem hoch signifikanten Ergebnis gesprochen werden; bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit unter 0,1% (p≤.001) von einem höchst signifikanten Ergebnis.

4.2 Überprüfung der Hypothesen

119



Unterrichten Sie aktuell Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Ihrer Klasse? (vgl. Lelgemann et al., 2012)

 

 "

!$% !#$

!!  ! 

!"&

! 

!"

!

!





             

 

  

Abbildung 12. Mittelwertunterschiede in den unterrichtlichen Intentionen bzw. Sichtweisen über Merkmale von gutem inklusiven Unterricht bei Lehrkräften in Abhängigkeit ihrer Erfahrungen aus dem integrativen bzw. inklusiven Unterricht (mit 1=„Trifft gar nicht zu“ bis 5=„Trifft voll zu“)

In Abbildung 12 sind die Mittelwerte für die unterrichtlichen Intentionen bzw. Sichtweisen der Lehrkräfte über Merkmale von einem guten inklusiven Unterricht abgebildet. Es wird zwischen Lehrkräften, die zur Zeit der Befragung Kinder mit Förderbedarf in ihrer Klasse unterrichten, und ihren Kolleginnen und Kollegen, die keine inklusive Klasse unterrichten, unterschieden. Aus den Ergebnissen des t-Tests lässt sich ein signifikanter Unterschied zwischen Lehrkräften mit und ohne aktuelle/n Lehrerfahrungen hinsichtlich ihrer Sichtweise vom Umgang mit Heterogenität im inklusiven Unterricht erkennen. Lehrpersonen, die Kinder mit Förderbedarf unterrichten, schätzen die Nutzung von differenzierenden Maßnahmen in ihrem (zukünftigen) inklusiven Unterricht signifikant höher ein als Lehrkräfte, die keine Kinder mit Förderbedarf unterrichten (Mja=4,43; SD=0,45; n=84 versus Mnein=4,13; SD=0,64; n=81; t(143.34)=3.52; p≤.001; d=.55). Hierbei kann dem Levene-Test nach keine Varianzhomogenität angenommen werden. Bezüglich ihrer Sichtweise von einem lernförderlichen Klima im inklusiven Unterricht ist zwischen beiden Gruppen kein signifikanter Unter-

120

4 Empirische Studie

schied zu erkennen (Mja=4,78; SD=0,32; n=85 versus Mnein=4,67; SD=0,41; n=82; t(152.72)=1.80; p=.07; d=.28). Auch hier weist der Levene-Test darauf hin, dass keine Varianzhomogenität vorliegt. Hinsichtlich ihrer Sichtweise von Klarheit im inklusiven Unterricht lässt sich ein signifikanter Unterschied erkennen. Auch hier liegt dem Levene-Test nach keine Varianzhomogenität vor. Lehrkräfte mit aktuellen Lehrerfahrungen stimmen der Nutzung von Maßnahmen für Klarheit in ihrem inklusiven Unterricht signifikant stärker zu als ihre Kolleginnen und Kollegen, die keine Kinder mit Förderbedarf unterrichten (Mja=4,59; SD=0,46; n=85 versus Mnein=4,32; SD=0,62; n=82; t(149.66)=3.18; p≤.01; d=.49). Hinsichtlich ihrer Intention, inwieweit sie ihren inklusiven Unterricht strukturieren werden, unterscheiden sich die befragten Lehrkräfte mit und ohne aktuelle/n Lehrerfahrungen mit Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf nicht signifikant voneinander (Mja=4,25; SD=0,61; n=85 versus Mnein=4,10; SD=0,63; n=79; t(162)=1.54; p=.13; d=.24). In Bezug auf das Merkmal Strukturierung kann dabei nach dem Levene-Test von einer Varianzhomogenität ausgegangen werden. Insgesamt konnten lediglich in den Bereichen Umgang mit Heterogenität und Klarheit im inklusiven Unterricht signifikante Unterschiede zwischen Lehrkräften mit und ohne aktuelle/n Erfahrungen festgestellt werden und die Hypothese somit nur zum Teil bestätigt werden.

4.2.2 Überprüfung der Zusammenhangshypothese Zur Überprüfung der Hypothese H2 wurden in einem ersten Schritt Korrelationen berechnet, welche in Tabelle 30 für die sieben Variablen abgebildet sind. Korrelationen beschreiben lineare Zusammenhänge zwischen zwei Variablen. Die Stärke dieses Zusammenhangs wird mit dem Korrelationskoeffizienten r angegeben, der Werte von -1 bis +1 annehmen kann. Eine Korrelation von r=+1 beschreibt einen perfekt positiven und r=-1 einen perfekt negativen Zusammenhang, wohingegen r=0 auf das Fehlen eines Zusammenhangs deutet. Eine Korrelation ist jedoch von einem kausalen Zusammenhang zu unterscheiden, da sie keine Hinweise auf die Wirkrichtung zwischen den Variablen gibt (Bortz & Schuster, 2010).

4.2 Überprüfung der Hypothesen

121

Tabelle 30 Interkorrelationen der latenten Variablen

(1) Motivation

(2)

(3)

(4)

(5)

(6)

(7)

.46***

.36***

.32***

.18*

.10

.05

.39***

.25***

.06

.17*

.00

(2) Selbstwirksamkeit (3) Einstellungen (4) Umgang mit Heterogenität (5) Lernförderliches Klima (6) Klarheit

.16*

.09

.01

.03

.30***

.47***

.35***

.36***

.27*** .38***

(7) Strukturierung Anmerkung. *p≤.05; ** p≤.01; ***p≤.001 Listenweiser Fallausschluss N=162

Insgesamt sind zwischen allen Variablen positive Korrelationen vorhanden. Die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen der Lehrerinnen und Lehrer stehen in einem höchst signifikanten Zusammenhang mit ihren Einstellungen zur Inklusion (r=.39; p≤.001) und ihrer Motivation (r=.46; p≤.001). Je selbstwirksamer sich Lehrpersonen wahrnehmen, desto positiver scheinen ihre Einstellungen zur Inklusion zu sein. Darüber hinaus weisen diese Lehrkräfte auch eine höhere Motivation auf, sich mit inklusionsspezifischen Inhalten auseinanderzusetzen. Ferner korrelieren die Einstellungen der Lehrkräfte mit ihrer Motivation (r=.36; p≤.001). Je positiver die Einstellungen der Lehrpersonen sind, desto höher ist demnach auch ihre Motivation. Weiterhin stehen die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen in einem eher moderaten höchst signifikanten Zusammenhang mit dem Umgang mit Heterogenität (r=.25; p≤.001). Je selbstwirksamer sich die Lehrkräfte wahrnehmen, desto stärker scheinen auch ihre Intentionen hinsichtlich der Differenzierung im inklusiven Unterricht zu sein. Zwischen den Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und der Klarheit besteht eine auf dem 5%-Niveau signifikante schwache Korrelation (r=.17; p≤.05). Die Einstellungen hängen schwach, aber auf dem 5%-Niveau signifikant mit dem Umgang mit Heterogenität zusammen (r=.16; p≤.05). Die Motivation korreliert auf moderater Ebene mit dem Umgang mit Heterogenität (r=.32; p≤.001). Demnach zeigen Lehrkräfte, die über eine hohe intrinsische Motivation verfügen, eine stärkere Intention hinsichtlich der Differenzierung im

122

4 Empirische Studie

inklusiven Unterricht. Eine geringe, aber auf der 5%-Ebene signifikante Korrelation ist mit r=.18 zwischen Motivation und lernförderlichem Klima zu erkennen. Der Umgang mit Heterogenität korreliert darüber hinaus höchst signifikant mit dem lernförderlichen Klima (r=.30; p≤.001), der Klarheit (r=.47; p≤.001) und der Strukturierung (r=.35; p≤.001). Das lernförderliche Klima steht im Zusammenhang mit Klarheit (r=.36; p≤.001) und Strukturierung (r=.27; p≤.001). Die Klarheit und Strukturierung korrelieren ebenfalls auf dem 0,1%-Niveau miteinander (r=.38; p≤.001). Die Überprüfung der Hypothese H2 erfolgt weiterhin im Rahmen eines Strukturgleichungsmodells. Ausgehend von den Ergebnissen der Interkorrelationsmatrix wird das ursprünglich angenommene hypothetische Strukturgleichungsmodell aus Abbildung 9 modifiziert. Aufgrund der sieben nicht signifikanten Korrelationen werden die angenommenen Zusammenhänge über die Variablen reduziert und folgende Hypothesen (siehe Abbildung 13) untersucht:



  #  

 

   

 

Abbildung 13. Modifiziertes hypothetisches Strukturgleichungsmodell



 #   

4.2 Überprüfung der Hypothesen

123

In diesem Modell wird angenommen, dass die Einstellungen und die Motivation der Lehrkräfte durch ihre Selbstwirksamkeitsüberzeugungen vorhergesagt werden können. Darüber hinaus wird davon ausgegangen, dass sich ihre Motivation auch durch ihre Einstellungen erklären lässt. Die drei persönlichen Ressourcen werden zudem als Prädiktoren für die Intention der Lehrkräfte in Bezug auf den Umgang mit Heterogenität modelliert. Des Weiteren werden Effekte der Selbstwirksamkeit auf die Intentionen der Lehrkräfte hinsichtlich der Klarheit in ihrem inklusiven Unterricht sowie Effekte der Motivation auf ihre Sichtweise über ein lernförderliches Klima erwartet. Außerdem wird davon ausgegangen, dass die Intention der Lehrkräfte in Bezug auf den Umgang mit Heterogenität ihre weiteren Intentionen und Sichtweisen hinsichtlich Klarheit, Strukturierung und lernförderliches Klima vorhersagt. Zur Überprüfung der Hypothesen wird ein Strukturgleichungsmodell in AMOS 23 (Arbuckle, 2014) berechnet. Strukturgleichungsmodelle sind „eine Kombination aus Pfadanalyse und konfirmatorischer Faktorenanalyse“ (Bühner, 2011, S. 380) und stellen eine Methode zur Analyse von Zusammenhängen zwischen mehreren Variablen dar. Weiber und Mühlhaus (2014, S. 7) definieren Strukturgleichungsmodelle wie folgt: „Strukturgleichungsmodelle (SGM) bilden a-priori formulierte und theoretisch und/oder sachlogisch begründete komplexe Zusammenhänge zwischen Variablen in einem linearen Gleichungssystem ab und dienen der Schätzung der Wirkungskoeffizienten zwischen den betrachteten Variablen sowie der Abschätzung von Messfehlern“. Im Rahmen von Strukturgleichungsanalysen ist oftmals synonym die Rede von Kausalanalysen, wobei dies zu Missverständnissen führen kann, da kausale Schlussfolgerungen bei Querschnittstudien nicht korrekt sind (Kline, 2011, S. 8). Grundlegend setzen sich Strukturgleichungsmodelle aus drei Teilmodellen zusammen: dem Strukturmodell, dem Messmodell der latenten exogenen Variablen und dem Messmodell der latenten endogenen Variablen (Backhaus, Erichson & Weiber, 2015, S. 79). Messmodelle stellen die Operationalisierung der latenten Variablen dar und kennzeichnen somit die Beziehung bzw. Zuordnung der manifesten Variablen zu den latenten Variablen. Die manifesten Variablen fungieren in diesen Modellen als Indikatoren der latenten Variablen (Backhaus et al., 2015, S. 75). Hierbei werden reflektive und formative Messmodelle voneinander unterschieden. Bei reflektiven Messmodellen wird davon ausgegangen, dass die Indikatoren aus der latenten Variable folgen bzw. von ihr „verursacht

124

4 Empirische Studie

werden“ (Backhaus et al., 2015, S. 76, Hervorhebung im Original). Umgekehrt wird mit der Bildung formativer Messmodelle angenommen, dass die latente Variable eine Folge der entsprechenden Indikatoren ist (Weiber & Mühlhaus, 2014, S. 256). Exogene Variablen stellen dabei die unabhängigen und die endogenen Variablen die abhängigen Variablen dar (Backhaus et al., 2015, S. 68). Die Analyse mit einem Strukturgleichungsmodell findet in fünf Schritten statt (Backhaus et al., 2015, S. 80): Zunächst werden Hypothesen gebildet. Anschließend wird auf der Basis dieser Hypothesen das Modell spezifiziert und im nächsten Schritt identifiziert. Als nächstes erfolgen die Schätzung der Parameter und die Beurteilung der Schätzergebnisse. Für die Lösbarkeit des Modells wird dabei vorausgesetzt, dass „die Zahl der Gleichungen mindestens der Zahl der zu schätzenden Parameter entspricht“ (Backhaus et al., 2015, S. 86; Hervorhebung im Original). Die Anzahl der zu schätzenden Parameter ist hierbei abhängig von der Anzahl der latenten Variablen und der Anzahl ihrer jeweiligen Indikatoren. Dementsprechend müssen bei vielen Items bzw. Indikatoren pro Konstrukt entsprechend viele Parameter geschätzt werden. Aus diesem Grund wird eine ausreichend große Stichprobengröße für Strukturgleichungsmodellierungen vorausgesetzt. Backhaus et al. (2015, S. 113) weisen darauf hin, dass die Differenz zwischen der Stichprobengröße und der Anzahl der zu schätzenden Parameter größer als 50 oder die Stichprobe fünf mal so groß wie die Anzahl der zu schätzenden Parameter sein sollte. Wenn auch kontrovers diskutiert, bietet sich in Fällen mit nicht sehr großen Stichproben wie im vorliegenden Fall die Methode des sogenannten ItemParceling an. Parcels stellen Indikatoren in Form von Aggregaten mehrerer Items dar. Strukturgleichungsmodelle mit Parcels unterscheiden sich in der Hinsicht von typischen Strukturgleichungsmodellen, dass die Messmodelle der latenten Variablen nicht durch einzelne Items abgebildet werden, sondern ihre Operationalisierung durch Aggregate von Items erfolgt (Bagozzi & Edwards, 1998). Der Grund für die Verwendung von Item-Parcels bei kleinen Stichproben liegt in der Reduzierung der Anzahl der Parameter und der Abnahme von Messfehlern (Bagozzi & Edwards, 1998, S. 53). Da in Modellen mit einzelnen Items als Indikatoren der latenten Variablen folglich die Schätzung einer größeren Anzahl an Parametern erforderlich ist, können durch den Einsatz von Parcels auch Modelle mit kleineren Stichproben geschätzt werden (Bagozzi & Edwards, 1998). Für die Verwendung von Item-Parcels spricht des Weiteren, dass diese u. a. durch eine

4.2 Überprüfung der Hypothesen

125

höhere Reliabilität und günstigere Verteilungen gekennzeichnet sind (Bühner, 2011, S. 387; siehe auch Little, Cunningham, Shahar und Widaman, 2002, S. 154). Bandalos (2002) konnte in ihrer Untersuchung zudem zeigen, dass mit Item-Parcels bessere Fit-Werte erzielt werden und diese zu weniger Verzerrungen führen. Nach Little et al. (2002, S. 151) bietet sich die Bildung von Parcels insbesondere dann an, wenn das vordergründige Ziel einer Untersuchung nicht darin besteht, die Beziehungen von Items zu analysieren, sondern die Beziehungen von Konstrukten zu untersuchen. Für die Bildung von Parcels sollten die Konstrukte eindimensional sein (Little et al., 2002). Da aufgrund der teilweise hohen Anzahl an Items pro Konstrukt auch folglich mehr Parameter geschätzt werden müssen und sich das Modell als zu komplex erweisen würde bzw. eine größere Stichprobe nötig wäre, bietet sich an dieser Stelle das Item-Parceling an. Im Folgenden werden die Items hierzu auf zwei Item-Parcels pro latenter Variable reduziert. Die Parcels werden auf der Basis der Trennschärfewerte der Items eines Konstrukts gebildet, sodass zwei Item-Parcels eines Konstrukts durchschnittlich ähnliche Trennschärfewerte aufweisen (vgl. Hellmich, 2005). Die Schätzung des Strukturgleichungsmodells erfolgt mit der MaximumLikelihood (ML)-Methode, welche dadurch gekennzeichnet ist, dass sie „die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die modelltheoretische Varianz-Kovarianz- bzw. Korrelationsmatrix die betreffende empirische Varianz-Kovarianz- bzw. Korrelationsmatrix erzeugt hat, [maximiert]“ (Backhaus et al., 2015, S. 102). Da fehlende Werte vorhanden sind, wird die hierfür spezifizierte Full-InformationMaximum-Likelihood (FIML)-Methode (Arbuckle, 1996) verwendet, die sich dadurch auszeichnet, dass unvollständige Fälle für die Schätzung weder listenweise oder paarweise entfernt noch imputiert werden müssen, sondern „für jeden einzelnen Fall – nur unter Berücksichtigung der jeweils beobachteten Werte – die Likelihood berechnet [wird]“ (Lüdtke, Robitzsch, Trautwein & Köller, 2007, S. 112). Das Modell wird somit anhand der beobachteten Werte von allen Fällen geschätzt. In vielen Simulationsstudien konnte gezeigt werden, dass insbesondere die Maximum-Likelihood-Methode im Gegensatz zu anderen Verfahren wie dem listenweisen oder paarweisen Ausschluss relativ wenig verzerrte Ergebnisse liefert, wenn fehlende Werte vorhanden sind (Backhaus & Blechschmidt, 2009; Enders & Bandalos, 2001). Auch Arbuckle (1996, S. 275) betont, dass die MLMethode anderen Verfahren zur Behandlung fehlender Werte wie dem paarwei-

126

4 Empirische Studie

sen oder listenweisen Fallausschluss vorgezogen werden sollte: „ML estimation with incomplete data is feasible and should be the preferred method of treating missing data when the alternative is PD [pairwise deletion] or LD [listwise deletion]“. Im Folgenden werden die Parcels auf Normalverteilung geprüft. Wenn diese normalverteilt sind, kann die ML-Methode angewandt werden (Kline, 2011, S. 179). Zur Überprüfung der Parcels auf Normalverteilung werden ihre Schiefe und Kurtosis berücksichtigt. Nach Weiber und Mühlhaus (2014) „[liegt] eine exakt normalverteilte Variable [...] vor, wenn Schiefe und Wölbung einer manifesten Variablen einen Wert von Null aufweisen“ (S. 180, Hervorhebung im Original). Die Schiefe, auch Skewness genannt, stellt die Asymmetrie einer Verteilung dar und die Wölbung, auch Kurtosis genannt, bezieht sich auf die Dichte einer Verteilung (Weiber & Mühlhaus, 2014, S. 180). Als Richtwerte für die Annahme einer Normalverteilung haben sich für die Schiefe ein Wert von |