Metaphern für die Stadt: Zur Bedeutung von Denkmodellen in der Architekturtheorie [1. Aufl.] 9783839421918

Architekten denken Städte in Metaphern - von der Stadtlandschaft und dem urbanen Palimpsest zur Siedlungszelle oder dem

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Metaphern für die Stadt: Zur Bedeutung von Denkmodellen in der Architekturtheorie [1. Aufl.]
 9783839421918

Table of contents :
Inhalt
Einleitung
Zum Thema
Architektur und Sprache
Theorien über Metaphern: Substitution, Interaktion, Denken und Handeln, Kreativität
Architekturtheorie, Stadt und Metaphern
Camillo Sitte als Ausgangspunkt
Die Stadt als Haus
Zimmer: Innenräume, Geschlossenheit, Wände, Zimmerfluchten
Familie: Hausgemeinschaft, das Private und das Öffentliche, Haus als Stadt
Die Stadt als Lebewesen
Organismus: Funktion, Evolution, Organische Einheit
Anatomie: Körperteile, Blutkreislauf, Systeme, Zellen
Krankheiten: Chirurgen, Todesopfer, Tumore, Monster
Geschlecht: Weiblichkeit, Mutter, Sex
Die Stadt als Natur
Wildnis: Freie Natur, Unter Wilden, Naturkatastrophen, Chaos
Landschaft: Naturwahrnehmung, Park
Habitat: Refugium, Garten, Biotop
Die Stadt als Maschine
Apparate: Disziplin, Das Mechanische, Funktionalität, Belebte Maschinen
Technik: Raster, Diagramm
Die Stadt als Theater
Bühnenbild: Prospekte, Kulissen
Choreographie: Spektakel, Schauspieler, Regisseure, Illusion
Die Stadt als Gedächtnis
Monument: Denkmal, Museum, Monumentalität
Gedächtnis: Erinnern, Vergessen, Rekonstruktion
Geschichte: Lesen, Sprache, Erzählung
Die Stadt als Kunstwerk
Kunst: Kunstwerk, Künstler, Kunsthandwerk, Gesamtkunstwerk
Musik: Harmonie, Symphonie, Sound
Malerei: Bild, Das Malerische, Betrachtung, Tourismus
Schlussbetrachtung
Transfer: woher – wohin?
Metaphern im Prozess: Neue Metaphern, neue Interpretationen, Beharrungstendenzen, Kombinationen, Grenzen
Bibliographie
Index

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Sonja Hnilica Metaphern für die Stadt

Architekturen | Band 15

Sonja Hnilica (Dipl.-Ing., Dr.) forscht und lehrt zur Geschichte und Theorie der Architektur an der Technischen Universität Dortmund. Sie hat zu Stadtmetaphern bei Camillo Sitte an der Technischen Universität Wien promoviert und dort auch die Redaktion der Camillo-Sitte-Gesamtausgabe betreut.

Sonja Hnilica

Metaphern für die Stadt Zur Bedeutung von Denkmodellen in der Architekturtheorie

Mit freundlicher Unterstützung von: Camillo Sitte Gesellschaft, Technische Universität Wien, Fakultät Architektur und Bauingenieurwesen, Technische Universität Dortmund. Wir haben uns bemüht, alle Bildrechte zu klären. In den Fällen, in denen die Rechteinhaber bis zur Drucklegung nicht ermittelt werden konnten, bleiben die Honoraransprüche selbstverständlich gewahrt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat: Tanja Jentsch, Bottrop Satz: Sonja Hnilica Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2191-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Einleitung | 7 Zum Thema | 11 Architektur und Sprache | 11 Theorien über Metaphern: Substitution, Interaktion, Denken und Handeln, Kreativität | 14 Architekturtheorie, Stadt und Metaphern | 22 Camillo Sitte als Ausgangspunkt | 25 Die Stadt als Haus | 29 Zimmer: Innenräume, Geschlossenheit, Wände, Zimmerfluchten | 29 Familie: Hausgemeinschaft, das Private und das Öffentliche, Haus als Stadt | 39 Die Stadt als Lebewesen | 53 Organismus: Funktion, Evolution, Organische Einheit | 54 Anatomie: Körperteile, Blutkreislauf, Systeme, Zellen | 61 Krankheiten: Chirurgen, Todesopfer, Tumore, Monster | 81 Geschlecht: Weiblichkeit, Mutter, Sex | 94

Die Stadt als Natur | 103 Wildnis: Freie Natur, Unter Wilden, Naturkatastrophen, Chaos | 104 Landschaft: Naturwahrnehmung, Park | 121 Habitat: Refugium, Garten, Biotop | 129 Die Stadt als Maschine | 143 Apparate: Disziplin, Das Mechanische, Funktionalität, Belebte Maschinen | 144 Technik: Raster, Diagramm | 167

Die Stadt als Theater | 177 Bühnenbild: Prospekte, Kulissen | 178 Choreographie: Spektakel, Schauspieler, Regisseure, Illusion | 188 Die Stadt als Gedächtnis | 201 Monument: Denkmal, Museum, Monumentalität | 202 Gedächtnis: Erinnern, Vergessen, Rekonstruktion | 210 Geschichte: Lesen, Sprache, Erzählung | 225 Die Stadt als Kunstwerk | 233 Kunst: Kunstwerk, Künstler, Kunsthandwerk, Gesamtkunstwerk | 233 Musik: Harmonie, Symphonie, Sound | 249 Malerei: Bild, Das Malerische, Betrachtung, Tourismus | 260

Schlussbetrachtung | 279 Transfer: woher – wohin? | 280 Metaphern im Prozess: Neue Metaphern, neue Interpretationen, Beharrungstendenzen, Kombinationen, Grenzen | 283

Bibliographie | 291 Index | 317

Einleitung Der Wiener Architekt und Stadtbautheoretiker Camillo Sitte schreibt in einem Artikel für das Neue Wiener Tagblatt 1891, eine Stadt sei »wahrhaft ein Stück lebendiger Natur, wie Berg und Wald, wo die lieben Thierlein alle ihre erbgesessenen Nester haben; sie ist ein Stück Geschichte, wie ein alter Dom, dessen Mauern, Denksteine, Statuen und Bilder den Beschauer zurückversetzen in längst entschwundene Zeiten; sie ist ein großes Familienhaus, das als liebes, treu gehütetes Vermächtniß von Generation zu Generation sich vererbt hat.«1 Dieses Zitat ist typisch. Architekten denken Städte in Metaphern. Städte werden imaginiert als Gesamtkunstwerk, Bühne des Lebens, Problem organisierter Komplexität, Großstadtdschungel, steingewordene Geschichte oder Diagramm, in dem Menschen leben. Ihre Einzelteile werden als Verkehrsadern, Wohnmaschinen, Siedlungszellen, Straßennetze und malerischen Platzbilder gedacht. August Endell nannte 1908 die Großstadt in einem Atemzug ein »Märchen, bunter, farbiger, vielgestaltiger als irgendeines, das je ein Dichter erzählte« und eine »Mutter, die täglich überreich verschwenderisch ihre Kinder mit immer neuem Glück überschüttet«.2 Bei Le Corbusier oszillierte 1925 die Stadt zwischen »Arbeitswerkzeug« und »BESTIE«.3 Schon diese eher zufällig herausgegriffenen Beispiele zeigen die außerordentliche Bandbreite an Metaphern, die Architekten für die Stadt verwenden. Städte waren und sind als Phänomene so komplex, dass wir sie nur schwer denken können. Im urbanistischen Diskurs, der sich mit Städten und deren Errichtung wesentlich beschäftigt, ist die Suche nach einer adäquaten Beschreibung der Stadt inhärent. Die Frage nach dem explizit »städtischen« Charakter großer Agglomerationen bewegt die Disziplin seit ihrer Entstehung und muss von allen Akteuren immer neu beantwortet werden. Endgültige Antworten auf die Frage »Was ist die Stadt?« und daraus folgend »Wie ist gute städtische Architektur beschaffen?« sind nicht in Sicht. Die kontinuierliche Interpretationsarbeit findet ihren Ausdruck nicht nur im Gebauten, sondern auch in immer neuen sprachlichen Bildern, von der Stadtlandschaft und dem urbanen Palimpsest über die 1 | Sitte, »Kunst des Städtebauens«, 1891, CSG 2, S. 313. 2 | Endell 1995, S. 171f. 3 | Le Corbusier 1979, S. VII, 134.

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Patchwork Metropolis zur City of Bits. Der urbanistische Diskurs scheint von immer neuen Metaphern geradezu überschwemmt. Die Untersuchung basiert auf einer Lektüre der städtebaulichen Schriften des Wiener Architekten Camillo Sitte, dessen Hauptwerk Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen (1889) einen bedeutenden frühen Versuch darstellt, die moderne Großstadt in den krisenhaften Umwälzungen durch die Industrialisierung neu zu denken. Textpassagen Sittes werden mit Äußerungen weiterer maßgeblicher Architekten, von Vitruv bis Rem Koolhaas, kontrastiert, wobei das Hauptinteresse auf dem 19. und 20. Jahrhundert liegt. So werden für die verschiedenen Bildfelder Traditionen herausgearbeitet, aber auch Bedeutungsverschiebungen und Interpretationskollisionen. Die Metaphern stehen, das wird deutlich, in einem direkten Zusammenhang mit urbanistischen und architektonischen Konzepten. Camillo Sittes Schaffenszeit fällt in eine historisch bewegte Phase. Die rasant wachsenden neuen Großstädte widersetzten sich der traditionellen Wahrnehmung und Beschreibung. In der Literatur über die Stadt, ob Philosophie, Kunst, Wissenschaft oder Architekturtheorie, mussten neue Worte gesucht werden. Camillo Sitte kommt das Verdienst zu, in seinem Buch Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen von 1889 die Bestrebungen des neuen Fachs erstmals formuliert zu haben. Die neuen »Städtebauer«, von ihrer Ausbildung und ihrem Zugang her Architekten, zielten auf die bauliche Gestaltung des urbanen Raums. In einem hart umkämpften Feld musste sich die neue Disziplin erst etablieren, man stand unter hohem Rechtfertigungsdruck und musste auf divergente Fachtraditionen zurückgreifen. Situationen des Umbruchs und der Krise geben einen guten Nährboden für neue Metaphernschöpfungen ab, indem Methoden und Modelle aus anderen, erfolgreicheren Disziplinen in die eigene transferiert werden. Metaphorische Entlehnungen gestatteten es, Gedanken oder Ahnungen zu formulieren, die in den spezifischen Fachsprachen noch nicht benannt werden konnten; sie wirkten andererseits über den Verweis auf anerkanntere Disziplinen selbst als Argumente. Aus den Naturwissenschaften entlehnte Konzepte haben die Organismus-Metapher zu einem Paradigma des funktionalistischen Städtebaus gemacht. Damit wurde eine in der Architektur traditionsreiche Metapher ganz neu gedeutet. Die Organismus-Metapher zeigt jedoch auch Probleme auf. Die bereits von Sitte formulierte und später weiterentwickelte Vorstellung, der Verkehr zirkuliere in Adern wie das Blut im menschlichen Körper, begünstigte in der Nachkriegszeit eine Verkehrsplanung, die heute allgemein als Fehlschlag angesehen wird. Dem Import von Ideen aus anderen Disziplinen über Metaphern verdankt die Architekturtheorie wesentliche Anregungen, allerdings auch einige zählebige Missverständnisse. Manche Metaphern wurden hingegen innerhalb der Architekturtheorie über die Jahrhunderte hinweg immer wieder um neue Facetten erweitert. Sittes Konzept

E INLEITUNG

eines bühnenbildgleichen Stadtraums etwa betonte die Wahrnehmung räumlicher Situationen durch den flanierenden Betrachter. Wenig später wurde die Kulissenhaftigkeit der historistischen Architektur von Protagonisten der Moderne als Täuschung bekämpft. In der Postmoderne wurde die Metapher als Inszenierung gedeutet und damit erneut ins Positive gewendet. Camillo Sitte erweist sich als Lieferant wichtiger Ideen der Postmoderne. Dass die Metaphern für die Stadt und die daraus abgeleiteten Bedeutungen oder Eigenschaften sich fortwährend wandeln, mitunter regelrecht oszillieren, schmälert ihre Wirksamkeit nicht. Der urbanistische Diskurs erhielt entscheidende Impulse nicht nur durch die Einführung neuer, sondern oftmals durch die Umwertung oder Neuinterpretation bereits bestehender Metaphern. Metaphern schaffen Ähnlichkeiten und etablieren Verbindungen. Wenn Konzepte aus anderen Fachdiskursen entlehnt werden, so ist das nicht unbedingt eine einseitige Beziehung. Die von Sitte mitgeprägte Metapher der Stadt als Erinnerung impliziert nicht nur einen vollkommen anderen Umgang mit der überlieferten baulichen Substanz als die vorher genannten. Es lässt sich nachzeichnen, wie Metaphern Verbindungen in zwei Richtungen etablieren: Architekten sehen die Stadt als Gedächtnis und Psychologen und Neurologen das Gedächtnis als Stadt. Ich werde dafür argumentieren, dass Metaphern nicht nur der Beschreibung der Stadt dienen, sondern – explizit oder implizit – deren Wahrnehmung strukturieren. Das Denken in Metaphern bestimmt, welche Probleme formuliert und welche möglichen Lösungen überhaupt gedacht werden. Metaphern können in der Architekturtheorie eine Rolle einnehmen, die der von wissenschaftlichen Modellen ähnelt. Sie beeinflussen Entwurfentscheidungen von Architekten. Es lohnt also, dem Phänomen nachzugehen und seine Wirkungsweisen zu erforschen. Zwar bergen Metaphern durchaus Gefahren, doch können unkonventionelle Metaphern in kreativen Prozessen eine Eigendynamik entfalten, die es gezielt und reflektiert zu nutzen gilt. Dieses Buch basiert auf meiner 2006 an der TU Wien abgeschlossenen Dissertation. Mein besonderer Dank gilt meinen Doktorvater Prof. Dr. Kari Jormakka, Abteilung Architekturtheorie an der TU Wien, der mich in allen Phasen der Entstehung meiner Dissertation mit großer Fachkenntnis und Engagement betreut, beraten und unterstützt hat. Des Weiteren danke ich Prof. Dr. Klaus Semsroth, TU Wien, und Prof. Dr. Wolfgang Sonne, TU Dortmund, die mir die Arbeit an der Dissertation und die weitreichende Überarbeitung des Manuskripts für die Publikation ermöglichten. Jörg Burkhard vom transcript Verlag hat die Drucklegung versiert begleitet. Die Finanzierung des Buchs haben die Camillo Sitte Gesellschaft Wien und die Fakultät für Architektur und Bauingenieurwesen der Technischen Universität Dortmund großzügig unterstützt. Für hilfreiche Hinweise inhaltlicher Art danke ich außerdem: Kristian Faschingeder, Volker Gessendorfer, Gareth Griffith, Ruth Hanisch, Silke Haps, Brigitte

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und Klaus sowie Irmtraud und Simon Hnilica, Markus Jager, Bente Knoll, Dörte Kuhlmann, Bernhard Langer, Jürgen Lenk, Julia Manneck, Alexander Pellnitz, Anke Philipp, Erich Raith, Brigitte Ratzer, Ebru Simsek, Robert Stalla, Tosca Wendt, Regina Wittmann. Mein besonderer Dank gilt meiner Familie, die mich über Jahre hinweg in vielerlei Hinsicht unterstützt und inspiriert hat.

Zum Thema Der Architekt und Pritzker-Preisträger Rem Koolhaas, antwortete auf die Frage, was denn eigentlich sein Beruf sei: »Eigentlich, denke ich, Schriftsteller. Als Schriftsteller oder als Architekt glaube ich, mit Wörtern und Konzepten zu arbeiten; dass das Ganze auf eine Manipulation von Konzepten und Wörtern zurückgeht.«1Welche Bedeutung können Wörter für die Architektur haben? Man könnte die Ansicht vertreten, es lohne sich nicht, als Architektin über Metaphern nachzudenken, weil diese sozusagen in zweifacher Weise von der »wirklichen« Architektur entfernt seien. Der geschriebene Text wäre dabei die erste, die Sprachfigur die zweite Stufe der Verfremdung. Wenn Metaphern als rhetorische Ornamente verstanden werden, um Texte auszuschmücken, die Architektur beschreiben, mag das Thema als peripher erscheinen. Es geht aber nicht um eine Interpretation der Interpretation, sondern schlicht darum, wie Architekten denken. In den vergangenen Dezennien ist in vielen Fachgebieten ein großes Interesse an Metaphern zu verzeichnen. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts erschienen jährlich nahezu 800 Veröffentlichungen zu Metaphern, die überwiegend den Disziplinen Philosophie und Sprachwissenschaft, Psychologie und Wissenschaftsforschung, Religions- und Kognitionswissenschaften zuzuordnen sind.2 Bereits Ende der 70er Jahre wurde ironisch kommentiert, dass »bei gleichbleibender Wachstumsrate von Metapherntheorien die Anzahl der Metaphernforscher die der Weltbevölkerung eines Tages überschreiten könnte«.3 Auf die Architekturtheorie, deren Texte an Metaphern so reich sind, trifft dies nicht zu. Wo liegen die Gründe für diese bemerkenswerte Vernachlässigung der Metapher durch die bauende und über Gebautes schreibende Zunft?

A RCHITEK TUR UND S PR ACHE Der Architekturhistoriker Adrien Forty konstatierte in Words and Buildings, die Architekten der Moderne hätten die Meinung aufgebracht, dass das Medium Schrift 1 | Siegert 1999. 2 | Vgl. Cacciari/Glucksberg 1994, S. 447. 3 | Debatin 1995, S. 1.

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nichts Substantielles über Architektur aussagen könne.4 Es dominiere seither die Ansicht, dass jede Kunstgattung auf spezifische Sinne wirke. Und die Architektur sei eben ausschließlich über das Sehen, Bewegen und den Tastsinn erfahrbar. Die einzig tauglichen Mittel zur Beschreibung von Architektur seien daher die Zeichnung oder das Modell. Jedoch sind viele moderne Architekten nicht nur für ihr gebautes, sondern auch für ihr geschriebenes Werk bekannt. Le Corbusier beispielsweise hätte ohne sein schriftliches Werk niemals einen so nachhaltigen Eindruck hinterlassen.5 Und ebenso wenig vertrauten alle Architekten gleichermaßen der Zeichnung als vorrangiges Medium. Walter Gropius konnte nicht zeichnen und bezahlte Kollegen dafür, dass sie seine Entwürfe zu Papier brachten.6 Der wortgewaltige Adolf Loos erklärte in gewohnt provokanter Weise, es sei für ihn nicht notwendig, seine Entwürfe zu zeichnen, denn gute Architektur könne auch geschrieben werden. Man könne den Parthenon schreiben.7 Abb. 1.1 Zu allen Zeiten gab es Architekten, die das Sprechen und Schreiben über Architektur hoch schätzten. 2000 Jahre alt sind die Zehn Bücher über die Baukunst des Vitruv. Seither ist uns eine große Zahl von Schriften zur Architektur in diversen Textgattungen überliefert: Architekturtheorie, Geschichte, Beschreibungen, Kritiken, Pamphlete, technische Unterweisungen, Lehrbücher, Gesetzestexte, Dichtung.8 Der Architekt und Theoretiker Thomas A. Markus betonte die verschiedenen Ebenen, auf denen Sprache für das Verständnis von Architektur bedeutsam ist: »Language is at the core of making, using and understanding buildings.«9 Nicht nur die Interpretation eines Architekturwerks im Kontext eines künstlerischen Diskurses, auch der Gebrauch, die alltägliche Wahrnehmung, ja das gesamte Denken über Architektur ist in hohem Maße sprachlich vermittelt. In Texten zur Architektur werden Klassifikationen vorgenommen, Machtverhältnisse formuliert, Werte vermittelt und identitätsstiftende Geschichten erzählt.10 Jeffrey Kipnis behauptete gar, dass ein theoretischer Artikel genauso Architektur sei, wie ein Gebäude 4 | Forty 2000, S. 11ff. 5 | Le Corbusier hatte Probleme mit dem Schreiben und entwickelte seinen abgehackten Stil aus dieser Notlage heraus. Brooks 1982. 6 | In einem Brief an seine Mutter vom 21. Oktober 1907 schrieb der 24-jährige Gropius von seiner vollkommenen Unfähigkeit, auch das simpelste Ding zu Papier zu bringen. Er könne keine gerade Linie zeichnen. Es sei ihm eine physische Unmöglichkeit, er bekomme sofort einen Krampf, wenn er einen Bleistift in die Hand nehme. Isaacs 1992, S. 23. 7 | Loos, »Sparsamkeit«, 2010, S. 604. 8 | Die Forschungsliteratur zu den verschiedenen Textgattungen ist umfänglich u.a. Forty 2000, Markus/Cameron 2002, Nerdinger 2007, Sonne 2011. Einen Überblick zur Architekturtheorie allgemein bieten Kruft 1995, Moravánszky 2003, Jormakka 2006, Mallgrave 2006/2008. Hinzu kommen Anthologien wie Hays 1998, Neumeyer 2002, Bruyn/Trüby 2003, Lampgnangi et al. 2004. 9 | Markus 1993, S. 4. 10 | Vgl. Markus/Cameron 2002.

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Abbildung 1.1: Schrift und Bild sind gleichberechtigt in dieser Allegorie der Künste der architektonischen Repräsentation von G.B. Leonardi, 1699. (Ciampini 1699, Universitätsbibliothek Heidelberg, Sammlung alter Drucke)

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Teil des Architekturdiskurses. Auch die Interpretation eines Werkes könne als Teil des Kunstwerks gesehen werden, das seine Bedeutungstiefe und -facetten erst mit der Zeit durch seine zahllosen Interpretationen erhält.11 Forty ist der Auffassung, dass Sprache als Medium der Architekturdarstellung gegenüber der Zeichnung neue Möglichkeiten eröffne. Sprache erlaube Unschärfen, Nuancen und Doppeldeutigkeiten, wie im Medium der Zeichnung höchstens die Skizze. Sprache könne gleichzeitig präzise sein und zusätzliche, andere Bedeutungen transportieren.12 Zwar wird jeder, der schon einmal eine Wettbewerbspräsentation gezeichnet hat, mit mir übereinstimmen, dass Zeichnungen ebenfalls nicht neutral und objektiv sind, sondern sehr wohl Geschichten erzählen. Forty hat jedoch überzeugend gezeigt, dass die Architektur der Moderne, die die Rhetorik scheinbar so verachtete, auf ganz bestimmten Schlüsselworten fußt. Im Folgenden werde ich zunächst einige philosophische Überlegungen zum Verhältnis von Denken, Wirklichkeit und Sprache schildern und die Bedeutung von Metaphern herausarbeiten. Metaphern können die Funktion von Modellen oder Paradigmen übernehmen, die die Weltsicht von Architekten konstruieren. Auf diese Weise strukturieren Metaphern ihre Wahrnehmung von Problemen und gleichzeitig deren mögliche Lösungen. Ich werde zeigen, wie die Metaphern für die Stadt, die im städtebaulichen bzw. architektonischen Diskurs geprägt werden, letztlich Architektur produzieren.

THEORIEN ÜBER M E TAPHERN Die Metapher gilt als klassisches Stilmittel der Rhetorik. Der Ausdruck »Metapher« geht etymologisch zurück auf das griechische metaphorá, zusammengesetzt aus metá (»über«) und phérein (»tragen«). Alle Metaphern gründen sich auf der nicht immer ausgesprochenen Grundstruktur: »Dies ist das.« Damit wird gleichzeitig eine zweite Feststellung getroffen: »Dies ist das nicht.« Eine metaphorische Übertragung liegt also nur dann vor, wenn gleichzeitig bewusst ist, dass Bildspender und Bildempfänger nicht gleich sind.13 (Wobei sich diese Frage nicht immer eindeutig beantworten lässt, aber dazu später mehr.) Besonders schwierig abzugrenzen ist die Metapher gegen die Nebenbegriffe Allegorie, Simile, Symbol, Bild und Vergleich. Es ist auch schwer, die kleinste oder größtmögliche Figur festzulegen, die als Metapher gelten kann. Möglich ist je nach Definition fast alles: von Wortteilen und bildlichen Vorstellungen über Sätze bis hin zu einer ganzen Erzählung oder ganzen Vorstellungskomplexen. Auch hinsichtlich ihres Innovationsgrades sind Metaphern schwierig einzugrenzen. Manche Metaphern sind so konventionalisiert, dass sie gar nicht mehr als 11 | Kipnis 1986, S. 97ff.; vgl. auch Bonta 1979. 12 | Forty 2000, S. 37ff. 13 | Vgl. Schmitz-Emans o.J.; Kurz 1982, S. 21.

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solche wahrgenommen werden (z.B. »Tischbein« oder »Motorhaube«) und somit aus den neueren Metaphern-Definitionen schon wieder herausfallen, da sie ihre Metaphorizität verloren haben; das sind sogenannte »lexikalisierte« oder »tote« Metaphern. Andere wieder sind so unkonventionell, dass sie deswegen kaum als Metaphern gelesen werden können, in der Lyrik beispielsweise ist der Bildempfänger oft gar nicht eindeutig zu bestimmen. Dabei geht es häufig nicht mehr um eine scharfe Unterscheidung, Bildspender und -empfänger können sich sogar vermischen. Max Black hat – in einer Weiterentwicklung der Gedanken von Ivor Armstrong Richards – alle Metaphern-Theorien grundsätzlich in zwei Modelle eingeteilt, die er als »Substitutionstheorie« und »Interaktionstheorie« bezeichnete.14 Sie unterscheiden sich hinsichtlich ihres grundsätzlichen Verständnisses von Sprache und deren Bezug zu einer »Wirklichkeit«. Am ältesten und im Alltagsgebrauch immer noch am weitesten verbreitet sind Substitutionsmodelle, denen zufolge die Metapher einen »eigentlichen« oder »wörtlichen« Ausdruck durch einen anderen ersetzt (substituiert). Demgegenüber betonen Interaktionsmodelle, dass eine Metapher eben gerade nicht durch einen »eigentlichen« Ausdruck ersetzt werden kann, es sei denn um den Preis eines Verlusts an Bedeutung. Wir bringen beim Gebrauch einer Metapher zwei unterschiedliche Vorstellungen in einen gegenseitigen aktiven Zusammenhang. Zwischen einer Metapher und ihrem Kontext besteht semantische Inkongruenz, ein wechselseitiger Interpretationsprozess muss einsetzen (deswegen: »Interaktion«).

Substitution Nach der Definition von Aristoteles ist die Metapher die Ersetzung des »eigentlichen« durch einen metaphorisch »uneigentlichen« Ausdruck. Zwischen dem eigentlichen und dem fremden Wort besteht eine Ähnlichkeit.15 Aristoteles stellte fest, dass metaphorische Wendungen semantische Leerstellen im sogenannten »eigentlichen« Wortschatz füllen können.16 Eine Form der Substitutionstheorie ist die – ebenfalls bereits von Aristoteles vertretene – Ansicht, die Metapher sei ein verkürzter Vergleich, da dabei davon ausgegangen wird, dass der metaphorische Ausdruck ohne Bedeutungsverlust durch den Vergleich ersetzt werden könne.17 Die Unterscheidung zwischen »eigentlichem« und »uneigentlichem« Ausdruck setzt ein klassisches Verständnis von Sprache voraus, das davon ausgeht, dass die Sprache die Welt abbildet. Worte sind so etwas wie Abbilder und beziehen sich direkt auf gegenständliche Dinge. Wird nun ein solches sprachliches Abbild von einem unabhängig davon bereits vorher existierenden Ding nachträglich quasi 14 | 15 | 16 | 17 |

Black, »Die Metapher«, 1996, S. 61ff.; Richards 1996, S. 34, 43. Aristoteles, Poetik, 1457b7ff. Ebd., Kap. 21, 1457b. Vgl. Black, »Die Metapher«, 1996, S. 66. Aristoteles, Rhetorik, 1413a.

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gelöst und auf ein anderes übertragen, so liegt ein »deplatzierter« Ausdruck vor, eine Metapher. Diese Konzeption von Sprache ist die Voraussetzung für die Idee, dass eine Aussage wahr ist, wenn sie mit der Welt korrespondiert. Hieraus folgt die traditionelle Zuordnung der Metapher in das Reich der Rhetorik und der literarischen Produktion. Es ist dann naheliegend, zu fordern, dass die Philosophie und die exakten Wissenschaften, die ja bekanntlich nach Wahrheit streben, sich lieber möglichst »direkter« Ausdrücke bedienen sollten. Kritiker an der Metapher – und diese sind zahlreich – gehen in der Regel von diesem Substitutionsmodell aus. Während Aristoteles der Metapher grundsätzlich positiv gegenüberstand, weil sie in der poetischen Sprache angenehme Empfindungen hervorrufe,18 hatte sein Lehrer Platon die gesamte Rhetorik mit Argwohn betrachtet. Er verbannte die Dichtung aus seiner Utopie Politeia, weil sie keine Wahrheit berge, sondern sich von dieser in dreifacher Nachahmung entferne. Sie schüre nur die Emotionen und mache blind für die wirkliche Wahrheit.19 Diese »Uneigentlichkeit« der Metapher machte sie auch den mittelalterlichen Theologen verdächtig. Thomas von Aquin kritisierte bildhaftes Sprechen als unzuverlässig und uneindeutig.20 Er reagierte damit auf die von Augustinus geprägte Exegese, die davon ausging, dass alles, was in der Bibel stehe, göttlich inspiriert sei und also wahr sein müsse. Scheinbar absurde oder einander widersprechende Textstellen wurden als Allegorien oder Gleichnisse gedeutet, über die Gott zu den Menschen spreche. Thomas Hobbes hielt Metaphern für irreführend. Wer nach der Wahrheit suche, dürfe sich solcher Ausdrücke nicht bedienen. Paradoxerweise kleidete er seine Ablehnung in eine Metapher: »Metaphern dagegen und unsinnige zweideutige Wörter gleichen den ignes fatui [den Irrlichtern]. Wenn man sich von ihnen leiten lässt, wandelt man zwischen lauter Unsinn und endet bei Streit, Aufruhr und Ungehorsam.«21 Georg Friedrich Wilhelm Hegel betrachtete die Metapher als entbehrliches Ornament, das eigentlich eher störe: »Die Metapher aber ist immer eine Unterbrechung des Vorstellungsganges und eine stete Zerstreuung, da sie Bilder erweckt und zueinanderstellt, welche nicht unmittelbar zur Sache und zur Bedeutung gehören und daher ebenso sehr auch von derselben fort zu Verwandtem und Fremdartigem herüberziehen.«22 Bemerkenswerterweise hinderte die Geringschätzung von Metaphern deren Kritiker nicht daran, selbst in solchen zu schwelgen. Samuel Parker, Bischof von Oxford, resümierte 1666 seine Metaphern-Skepsis folgendermaßen: »All those Theories in Philosophie which are expressed only in metaphorical Termes, are not Truths, but the meer Products of Imagination, dress’d up (like Childrens babies) in a few spangled empty words. […] Thus their wanton & luxuriant fancies climbing up into the Bed of Reason, do not only defile it by unchast and illegitimate Embraces, 18 | 19 | 20 | 21 | 22 |

Aristoteles, Rhetorik, 1410b. Platon, Politeia, 10, 595a–607c. Thomas von Aquin 2006, q. 2, a. 3–5. Vgl. Schmitz-Emans o.J. Hobbes 1965, S. 36. Hegel 1953, II 3, B, 3a, Bd. 12, S. 539.

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but instead of real conceptions and notices of Things, impregnate the mind with nothing but Ayerie and Subventaneous Phantastmes.«23

Interaktion Eine andere Art von Kritik beschäftigt sich nicht mit dem Problem der mangelnden »Direktheit« oder »Wahrheit« der Metapher, sondern mit der Unmöglichkeit der Unterscheidung zwischen »eigentlichem« und »uneigentlichem« Ausdruck. Bereits seit dem englischen Empirismus und Immanuel Kant wurde darüber diskutiert, dass man, um den Wahrheitsgrad einer Aussage zu ermitteln, nicht auf sprachunabhängige Sachverhalte rekurrieren kann, um sie mit der Aussage auf ihre Korrespondenz hin zu vergleichen. Denn um zwei Dinge zu vergleichen, muss man sie versprachlichen; es ist also prinzipiell unmöglich, zu überprüfen, ob eine sprachliche Aussage mit einem nicht-sprachlichen Sachverhalt deckungsgleich ist. Wenn aber zwischen »eigentlicher« und »uneigentlicher« Rede nicht mehr unterschieden werden kann, ist ein rhetorisches – oder literarisches – Sprechen unvermeidlich. Friedrich Nietzsches Sprachkritik war wegweisend. In seinem Essay Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne von 1873 erklärte er, dass alles Wissen sich auf Operationen gründe, die wir als rhetorisch bezeichnen. In einer berühmten Passage folgerte er: »Was ist also Wahrheit? Ein bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen, kurz eine Summe von menschlichen Relationen, die, poetisch und rhetorisch gesteigert, geschmückt wurden, und die nach einem langen Gebrauch einem Volke fest, canonisch und verbindlich dünken: die Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, dass sie welche sind, Metaphern, die abgenutzt und sinnlich kraftlos geworden sind, Münzen, die ihr Bild verloren haben und nun als Metall, nicht mehr als Münzen in Betracht kommen.«24 Er verstand damit die Sprache als ursprünglich metaphorisch, allerdings in einem eigenwilligen Sinne. (Eine »Metapher« ist nach Nietzsche die Übertragung eines Nervenreizes in ein Bild, eine weitere die vom Bild in den sprachlichen Laut.) Wichtig ist jedoch Nietzsches These, dass jede Wirklichkeit sprachlich vermittelt und als solche immer bereits überformt ist. Neue Metaphern hielten die Sprache lebendig, Sprachbildung sei zugleich »Welt«-Bildung und Metaphern-Bildung damit ein grundlegender, vitaler Impuls. In der Philosophie des 20. Jahrhunderts hat der linguistic turn die Wertschätzung der Metapher stark befördert. Viele Autoren schreiben der Metapher schöpferische Kraft zu. Wenn die »Wirklichkeit« selbst metaphorisch verfasst ist, gibt es nur einen Weg, sich der »Macht der Metapher« zu entziehen: das reflektierte Bekenntnis zum Metaphorischen, die Vervielfältigung der Interpretationen und

23 | Parker 1666, S. 75f. 24 | Nietzsche »Wahrheit und Lüge«, 1980, S. 880f.

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Perspektive, das Spiel der Interpretationen.25 Daher können alle postmodernen Ansätze, die die Konstruiertheit von Wirklichkeit betonen, zu den sogenannten »Interaktionstheorien« gezählt werden.

Denken und Handeln Ob ein Ausdruck überhaupt als metaphorisch anzusehen ist oder nicht, hängt davon ab, ob ein Ausdruck Bilder evozieren kann, es geht um Bedeutungen, weniger um Grammatik oder Syntax.26 Interpretiert werden kann eine Metapher also nur in ihrem jeweiligen Kontext. Nach Max Black ist es ein methodischer Fehler, nach eindeutigen Kennzeichen für das Vorliegen einer Metapher zu suchen. Ein Wort kann simultan sowohl wörtlich als auch metaphorisch sein, oder verschiedene Metaphern unterstützen und damit viele Bedeutungen in einer verschmelzen. Ein einfaches Beispiel: Der Ausspruch »Boys will be boys!« ist gleichzeitig eine Tautologie und eine Metapher. Diese Vieldeutigkeit ist eine notwendige Nebenerscheinung der Beziehungsvielfalt der Metapher.27 Max Black hat darauf hingewiesen, dass Metaphern nicht vorhandene »Ähnlichkeiten« abbilden, sondern diese überhaupt erst herstellen, indem sie verschiedene Dinge zueinander in Beziehung setzen. Die Interpretation der Metapher »homo hominem lupus« hängt sowohl von den Bedeutungen ab, die ich Menschen, als auch von denen, die ich Wölfen zuschreibe. Durch die Metapher werden einige Aspekte beider Konzepte betont, andere unterdrückt. Die Metapher organisiert so unsere Ansichten sowohl über Menschen als auch über Wölfe.28 Im Spiel sind sowohl sozial und kulturell geprägte Alltagsbedeutungen als auch spezielle Bedeutungen, die ich mit den beiden Konzepten verbinde. Über Metaphern können neuartige Implikationszusammenhänge eingeführt werden.29 Metaphern können deshalb kraftvoller als Vergleiche sein, ihre Hervorbringung und Interpretation verlangt Anstrengung, da sie den Gebrauch von Begriffen verändern. Wie bereits Aristoteles schreibt Black deshalb der Metapher die Fähigkeit zu, neues Wissen hervorzubringen. Metaphern seien nicht »wahr« oder »falsch«. Jedoch könnten Metaphern Einsichten in ihre jeweiligen Bezugsysteme vermitteln und auf diese Weise eine tiefere Einsicht darüber hervorbringen, wie die Dinge »in Wirklichkeit seien«. Sam Glucksberg und Boaz Keysar argumentieren sogar, dass Menschen, wenn sie Metaphern benutzen, ganz »eigentlich« das sagen, was sie meinen.30 Metaphern seien keine impliziten Vergleiche, sondern Bestätigungen von Kategorisie25 | 26 | 27 | 28 | 29 | 30 |

Vgl. Schmitz-Emans o.J. Vgl. Black, »Die Metapher«, 1996, S. 60. Black, »Mehr über die Metapher«, 1996, S. 395. Black, »Die Metapher«, 1996, S. 68, 71f. Black, »Mehr über die Metapher«, 1996, S. 393; im Folgenden ebd., S. 405, 411f. Glucksberg/Keysar 1993, S. 401–424.

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rungen. Man könne Vergleiche dadurch stärken, dass man sie als Metaphern ausdrücke, umgekehrt funktioniere diese Verstärkung nicht. Die Aussage »John ist nicht wie ein Baum, er ist ein Baum« wirkt verstärkend, »John ist kein Baum, er ist wie ein Baum« ist dagegen eine Abschwächung. Nelson Goodman hat die Bedeutung von Metaphern für den Prozess des Strukturierens und Interpretierens der Erfahrungswelt betont. Aus dieser Perspektive erscheint die Metapher als wichtiges Instrument zur ökonomischen Orientierung in der Komplexität der Dinge: »Jede Art von gewöhnlichem oder speziellem Diskurs ist von Metaphern durchsetzt, und es würde uns sehr schwer fallen, irgendwo eine rein wörtliche Passage zu finden. In diesem letzten, durchaus prosaischen Satz zähle ich fünf sichere oder mögliche – wenn auch ermüdete – Metaphern. Dieser unablässige Gebrauch von Metaphern hat seinen Grund nicht nur in der Liebe zur literarischen Farbigkeit, sondern in dem dringenden Bedürfnis nach Ökonomie. Wenn wir nicht in der Lage wären, Schemata ohne Schwierigkeiten zu übertragen, um neue Gruppierungen vorzunehmen oder neue Anordnungen zu bewirken, dann müssten wir uns selbst mit einer nicht zu bewältigenden Anzahl verschiedener Schemata belasten, und zwar entweder dadurch, dass wir ein ungeheures Vokabular elementarer Begriffe übernehmen, oder dadurch, dass wir zusammengesetzte in ungeheurer Anzahl ausarbeiten müssten.«31 George Lakoff und Mark Johnson behaupten, dass Metaphern nur sekundär eine sprachliche Angelegenheit seien, vielmehr werde zuerst unser gesamtes Denken und Handeln von Metaphern strukturiert.32 Sie gehen davon aus, dass viele unserer Aktivitäten ihrem Wesen nach metaphorisch sind – beispielsweise beruhen die Ausdrücke »mit der Zeit haushalten« oder »ein Argument abschmettern« auf den metaphorischen Konzepten »Zeit ist Geld« und »Argumentieren ist Krieg«. Die für diese Aktivitäten charakteristischen metaphorischen Konzepte strukturierten unsere gegenwärtige Realität. »Wir klassifizieren Erfahrungen nach erfahrenen Gestalten, die wir in unserem Konzeptsystem haben. Dabei müssen wir unterscheiden zwischen: (1) der Erfahrung an sich und wie wir sie strukturieren und (2) den Konzepten, die wir anwenden, um die Erfahrung zu strukturieren, d.h. den vieldimensionalen Gestalten wie Unterhaltung und Argumentation. […] Jede einzelne Dimension weist eine bestimmte Korrelation zwischen dem Konzept Unterhaltung und den Aspekten der konkreten Aktivität des Unterhaltens auf. […] Dadurch, dass wir unsere Erfahrungen in dieser Weise konzeptualisieren, greifen wir die »wichtigen« Aspekte einer Erfahrung heraus. Und dadurch […] können wir die Erfahrung kategorisieren, verstehen und sie erinnern.«33

31 | Goodman 1973, S. 89f. 32 | Lakoff/Johnson 2004, S. 177. 33 | Ebd., S. 100.

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Dinge, die keine Einzelgebilde sind und keine scharfen Grenzen haben, so Lakoff und Johnson, kategorisieren so, als ob sie diese scharfen Eigenschaften besäßen.34 Wir müssen Phänomene als Entitäten mit scharfen Oberflächen imaginieren, damit wir mit unseren Erfahrungen umgehen und bestimmte Ziele erreichen können. Trotz dieser phänomenologischen Komponente sind Metaphern kulturell und biographisch bedingt und damit veränderbar. Bestimmte Konzepte oder Gestalten beschreiben Lakoff und Johnson als fast vollständig metaphorisch strukturiert. Das Konzept »Liebe« etwa könne als »Reise«, als »Magie«, als »Krieg« oder als »Physik« aufgefasst werden. Einige Beispiele dazu: »Zwischen uns hat es gefunkt.« (Physik) »Sie wird von Verehrern belagert.« (Krieg) »Er ist bezaubernd!« (Magie) »Die Beziehung ist an einem Scheideweg angelangt.« (Reise) Diese metaphorischen Strukturierungen seien alle partiell.

Kreativität »Neue Metaphern haben die Kraft, neue Realitäten zu schaffen«, schreiben Lakoff und Johnson. »Dieser Prozess kann an dem Punkt beginnen, an dem wir anfangen, unsere Erfahrungen von einer Metapher her zu begreifen, und er greift tiefer in unsere Realität ein, sobald wir von einer Metapher her zu handeln beginnen. Wenn wir in unser Konzeptsystem eine neue Metapher aufnehmen, dann verändern sich dadurch das Konzeptsystem wie auch die Wahrnehmungen und Handlungen, die dieses System hervorbringt.«35 Meine Herangehensweise an ein Streitgespräch wird sich beispielsweise grundlegend ändern, wenn ich dieses nicht als »Krieg«, sondern als »Tanz« auffasse. Von einer Metapher geleitetes Handeln passt zu der entsprechenden Metapher, wodurch diese wiederum in ihrer Fähigkeit gestärkt wird, unsere Erfahrungen kohärent zu machen. In dieser Hinsicht kann eine Metapher zu einer selbst erfüllenden Prophezeiung werden.36 Kreativ angewandte Metaphern bergen ein enormes produktives Potential. Nelson Goodman schreibt dazu: »Metaphorische Wirksamkeit erfordert eine Verbindung von Neuigkeit mit Angemessenheit, eine Kombination des Ungewöhnlichen mit dem Offensichtlichen. Eine gute Metapher befriedigt durch ihren Überraschungseffekt. Eine Metapher ist dann am durchschlagendsten, wenn das transferierte Schema eine neue und bemerkenswerte Organisation anstatt die bloße Reetikettierung einer alten bewirkt.«37 Dieses kreative Potential machen sich die Künste, und die Wissenschaften zu Eigen. Max Black vermutete, dass »jede Metapher […] die Spitze eines untergetauchten Modells« sei.38 Theoretische Modelle bestünden zwar nicht aus Sprache, doch »the heart of the 34 | 35 | 36 | 37 | 38 |

Ebd., S. 35–36, 41. Ebd., S. 167–168. Ebd., S. 179. Goodman 1973, S. 89. Black, »Mehr über die Metapher«, 1996, S. 396.

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method consists in talking in a certain way«.39 Ein Modell müsse nicht notwendig gebaut, sondern lediglich beschrieben werden. Wissenschaftliche Modelle, wie etwa Maxwells Feldlinien, bezögen ihre innovative Kraft daraus, dass man vergesse, dass es sich »nur« um ein Modell handle. Gute Modelle stellten Analogien zu bekannten Gefilden her, woraus sich neue Handlungsperspektiven ergäben, wenn das Modell eben gut passe. »Perhaps every science must start with metaphor and end with algebra.«40 Modelle wie auch Metaphern sind in Blacks Augen daher notwendig unbeständig. Theoriewechsel seien davon begleitet, dass einige der relevanten Metaphern wechseln und mit ihnen die entsprechenden Teile im Netzwerk der Ähnlichkeiten, die sie mit der Welt verbinde. Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp etwa hat gezeigt, wie Charles Darwin beim Zeichnen seiner Diagramme zur natürlichen Auslese in Origin of Species (1859) zunächst an Korallen gedacht hatte. Seine frühen Skizzen ähneln Gestrüppen mit vielfältigen, ungerichteten Verbindungen. Diese Idee verwarf Darwin wenig später zugunsten eines Baumdiagramms, das auf die althergebrachte Metapher des christlichen Lebensbaums rekurrierte, und dadurch seinem Modell zu einer gewissen Legitimation verhalf. Stammbäume oder Lebensbäume, wirklich als Bäume mit Blättern dargestellt, haben in der christlichen Bildkunst eine lange Tradition, so dass das Baumdiagramm den Sehgewohnheiten entgegenkommt. Die Bezugnahme auf den Baum, der viel hierarchischer strukturiert ist als eine Koralle, ermöglichte die besänftigende Assoziation, dass der Mensch weiterhin die Krone der Schöpfung und die Evolution irgendwie eben trotz allem zielgerichtet sei.41 Thomas S. Kuhn äußerte einige Jahre nach dem Erscheinen seines Hauptwerks Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen (1962) ebenfalls die Vermutung, dass Metaphern analoge Funktionen zu wissenschaftlichen Modellen innerhalb wissenschaftlicher Revolutionen übernehmen könnten, da beide interaktive, Ähnlichkeiten erzeugende Prozesse in Gang setzten.42 Kuhn beschrieb die Geschichte des (wissenschaftlichen) Denkens als in »Paradigmen« organisiert. In frühen Phasen einer Wissenschaft, bevor noch ein Paradigma entstanden sei, gebe es noch keine Übereinkunft über die richtigen Methoden und Definitionen. Komplizierte theoretische Begründungen – oft im weltanschaulichen Bereich – würden aufgestellt, um individuelle Vorgehensweisen zu rechtfertigen. Unterschiedliche, widerstreitende Schulen würden gegründet. Das sei die Zeit, in der man Bücher und Abhandlungen verfasse, die über lange Zeit Gültigkeit behielten.43 Sei dann einmal ein Paradigma gefunden, könne sich ein Fachgebiet formieren, das sich dabei auf die implizite Metaphorik des Paradigmas stillschweigend verlasse. 39 | 40 | 41 | 42 | 43 |

Black 1962, S. 229. Ebd., S. 242. Bredekamp 2005. Kuhn 1993, S. 538ff. Kuhn 1976, S. 28, 31, 34.

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Ein Paradigma sei mehr als die Summe der theoretischen Vorannahmen. Es wirke sich auf tieferen Ebenen aus, indem es die Wahrnehmung der Wissenschaftler strukturiere. »Normale Wissenschaft« ist nach Kuhn Rätsellösen, wobei die zu lösenden Rätsel durch das Paradigma vorgegeben werden. Häuften sich dabei die Schwierigkeiten, so nähmen Konflikte und Grundsatzdiskussionen langsam zu. Erst wenn über einen längeren Zeitraum hinweg an zentralen Stellen Widersprüche aufgetreten oder Entdeckungen gemacht worden seien, die sich nicht vor dem Hintergrund des Paradigmas einordnen ließen, beginne eine Phase der »außerordentlichen Wissenschaft«. Dann würden wieder die Grundlagen selbst diskutiert und möglicherweise in Frage gestellt, was in einen Paradigmenwechsel münden könne. Im Gegensatz zu Karl Popper behauptete Kuhn, dass Paradigmen nicht falsifiziert werden können. Ein Paradigma werde erst dann aufgegeben, wenn es durch ein anderes ersetzt werden könne. Die kognitive Dimension von Paradigmen unterstrich Kuhn, indem er Paradigmenwechsel mit Gestaltwechseln verglich.44 Diese kennzeichnet ein plötzlicher Wechsel von einer zu einer anderen Wahrnehmung. Ein bekanntes Beispiel ist die Ablösung des geozentrischen durch das heliozentrische Weltbild. Menschen, die solche Revolutionen auslösen, so Kuhn, seien oft entweder sehr jung oder kämen aus Randgebieten oder anderen Disziplinen. Sie seien dadurch weniger den herrschenden Sichtweisen verbunden.45 Der polnische Mediziner Ludwig Fleck, aus dessen Werk Kuhn einige zentrale Gedanken bezog, hatte schon früher die Bedeutung von Worten betont, die in theoretischen, wissenschaftlichen Formulierungen gebraucht werden. Laut Fleck werden die Worte zu Schlagworten und ändern damit ihren denksozialen Wert. Sie erwerben quasi magische Kraft, durch ihre bloße Gegenwart wirkten sie bis in die Tiefe der wissenschaftlichen Forschung.46 Je nach ihren theoretischen Vorannahmen sähen Mediziner ganz unterschiedliche Dinge und übersähen andere, weil sie nicht in ihren Denkstil passten. Ein voraussetzungsloses Beobachten gab es für Fleck nicht. Fleck thematisierte also bereits ein Vierteljahrhundert vor Kuhn die Rolle des Denkkollektivs bei der wissenschaftlichen Erkenntnisproduktion.47

A RCHITEK TURTHEORIE , S TADT UND M E TAPHERN Lakoff und Johnson haben in ihren Ausführungen über Konzepte, die fast vollständig metaphorisch strukturiert sind, die »Stadt« nicht als Beispiel erwähnt, obwohl alle genannten Kriterien zutreffen. Die europäische Stadt hat mit dem Fall der Stadtmauern und dem Stadtwachstum während der Industrialisierung ihre festen Grenzen verloren. Sie ist ein hochkomplexes, heterogenes und in sich 44 | 45 | 46 | 47 |

Ebd., S. 98. Ebd., S. 103. Fleck 1999, S. 59. Vgl. Felt et al. 1995, S. 127.

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widersprüchliches Gebilde. Eine architektonische Strategie müsste sich ändern, je nachdem ob ich eine Stadt als »gigantische Maschine« oder als »bedrohtes Tier« betrachte. Metaphern können Erfahrungen strukturieren und dadurch Wahrheiten schaffen. Eine Metaphern-Analyse urbanistischer Texte müsste so einerseits Einsichten über Charakteristika der Stadt selbst bieten, vor allem aber Aufschluss über implizite Vorannahmen der Autoren geben, beziehungsweise über Mechanismen der Produktion von Architektur. Mich interessiert die unsere Erfahrung strukturierende und Bedeutungen erzeugende Metapher, die wie von Black angedeutet als »Spitze des Eisbergs« auf tiefer liegende Modelle oder Paradigmen hinweist. Viele der von Kuhn beschriebenen Strukturen lassen sich auf den Architekturdiskurs umlegen. Dabei möchte ich ausdrücklich betonen, dass die Architekturtheorie zwar wissenschaftliche Züge trägt, sofern man sie als systematisches Nachdenken über Architektur versteht. Beileibe nicht jede Theorie über Architektur entspringt jedoch einem wissenschaftlichen Erkenntnisinteresse. Das Feld changiert zwischen analytischen Arbeiten und normativen Aussagen darüber, wie Architektur beschaffen sein sollte. Erst recht darf bezweifelt werden, dass das Entwerfen eine Wissenschaft sei, wenngleich immer wieder Architekten das als Anspruch formulieren. Kuhns Beschreibung von Gründungsphase und Krisenzeiten erscheint trotzdem als passend für den urbanistischen Diskurs. Anders als derzeit die Naturwissenschaften kann der urbanistische Diskurs als konstant multiparadigmatisch charakterisiert werden. Das bedeutet, dass sich die zu einer Zeit vorherrschenden Auffassungen nicht einem Paradigma unterordnen lassen. Architekturtheorie, das Nachdenken über Architektur und ihre Bewertung spiegelt die Kontroversen der Akteure. Es ist für die Architekturtheorie charakteristisch, dass verschiedene Schulen miteinander im Streit über die sinnvollsten Interpretationen liegen. Es ist eine Sache, Metaphern neu zu prägen, aber eine ganz andere, diesen Vorgang zu thematisieren und auf eine Metaebene zu reflektieren. Die Neuprägungen sind in der Architektur außerordentlich zahlreich, die Reflexionen darüber weitaus seltener. Systematische Reflexionen von Architekten über die Bedeutung von Metaphern für Ihre Entwürfe sind besonders rar. Richard Coyne, Adrian Snodgrass und David Martin führten 1995 mit Studierenden eine kleine empirische Studie über Metaphern im architektonischen Entwurfsprozess durch. Gelegentlich erzählen Architekten darüber, wie eine Metapher einen ganz bestimmten Entwurf inspiriert hat. Für ein Wettbewerbsprojekt für Les Halles in Paris 2004 ließ sich das Büro OMA von der Metapher eines Eisbergs inspirieren.48 Die im Untergrund verborgenen Aktivitäten sollten wenigstens mit einer kleinen Spitze an die Oberfläche, in den Stadtraum ragen. Die Metapher wurde in einem programmatischen Diagramm dargestellt, aus diesem der Schnitt entwickelt. Im Lichte entrüsteter 48 | Büropartner Floris Alkemade schilderte den Prozess in einem Vortrag »OMAMO: The Black Box. […] The Architecture of the Diagram and Metaphor«, am 14. Mai 2008 an der Universität Gent.

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Reaktionen der Anwohner haben die Entwerfer die Form mit der Zeit umgedeutet: die Spitzen erschienen ihnen nicht mehr als Eisberge, sondern begannen mittelalterlichen Gefechtstürmen zu ähneln, mit denen die Bewohner der Banlieues, die an der Station Les Halles unter der Erde in die Metro umsteigen, das gutbürgerliche Viertel um Les Halles belagern. Die beiden Metaphern sind nur über die formale Ähnlichkeit verbunden und bedingen eine ganz unterschiedliche Interpretation des Entwurfs. Virgil C. Aldrich hat die Ansicht formuliert, dass die Funktionsweise sprachlicher Metaphern auf visuelle Metaphern übertragen werden könne.49 Den Vorgang kann man dabei als das Sehen von »etwas« als »eines« und zugleich als »anderes« beschreiben, so wie es in der von Ludwig Wittgenstein angeführten Zeichnung geschieht, die sowohl als Entenkopf als auch als Hasenkopf gedeutet werden kann. Nach Wittgenstein führt das »Sehen als« die Alternative eines anderen Sehens mit sich. Das »als« steht für die Bewusstheit der Deutbarkeit des Gegenstands. Das »Sehen als« ändert in der Folge die Begriffsverwendung.50 Die Forschungsliteratur zu Metaphern in der Architekturtheorie ist weit weniger umfangreich, als man vermuten könnte. Im Kapitel zur Architektur und Sprache wurden bereits die wichtigen Analysen zu Sprachbildern in der Architekturtheorie von Forty und Markus benannt. Peter Collins untersuchte schon früher in seinem Buch Changing Ideals in Modern Architecture 1750–1950 (1965) biologische, mechanische, gastronomische und linguistische Analogien. Er beschrieb präzise die Übertragung verschiedener Prinzipien aus anderen Disziplinen in die Architektur durch Wörter, verwendete jedoch nicht den Terminus »Metapher«. Zu einzelnen Metaphern liegen Detailstudien vor, wie Khaled Saleh Paschas Dissertation zur Architektur als »gefrorene Musik« (2004). Sie sollen an dieser Stelle nicht alle gelistet werden, sondern finden in den entsprechenden Kapiteln Erwähnung. Zumeist wird in diesen Studien nicht auf neuere linguistische Theorien eingegangen, außerdem konzentrieren sich die Analysen nicht auf Metaphern für die Stadt. Oswald Mathias Ungers strich 1982 in seinem Buch Morphologie. City Metaphors die Bedeutung von Stadt-Metaphern für das Entwerfen heraus und präsentierte eine Sammlung von Bildern. In Bildvergleichen stellte er morphologische Ähnlichkeiten her, beispielsweise zwischen Stadtgrundrissen und Naturformen. Diese assoziativen Gegenüberstellungen kommentierte er nur rudimentär, so dass das Buch eher als Anregung für Praktiker einzuschätzen ist denn als wissenschaftliche Analyse. Andere Autoren erwähnen die Bedeutung von Stadt-Metaphern im Rahmen allgemeinerer Untersuchungen, beispielsweise Silvain Malfroy (1986) und – in aller Kürze – Nan Ellin (1999). Eine umfassende Untersuchung zu StadtMetaphern im urbanistischen Diskurs unter Einbezug aktueller Theorien zur Metapher steht bislang noch aus. Diese Forschungslücke soll mit dieser Arbeit ein Stück weit geschlossen werden. 49 | Aldrich 1996. 50 | Wittgenstein 1993, S. 518ff.

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C AMILLO S IT TE ALS A USGANGSPUNK T Die hier vorgelegte Metaphern-Analyse nimmt als Ausgangspunkt die Lektüre der städtebaulichen Schriften des Wiener Architekten Camillo Sitte (1843–1903). Camillo Sitte zählt zu jenen Architekten, die praktisch ausschließlich für ihr schriftliches Werk bekannt sind. Und hier wieder kennt man eigentlich nur sein schmales Buch Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen. Bereits wenige Wochen nach seinem Erscheinen im Mai 1889 war das in kleiner Auflage erschienene Buch vergriffen – ein Zeichen dafür, dass niemand einen derart durchschlagenden Erfolg des Werkes erwartet hatte. Bereits im Juni desselben Jahres wurde es ein zweites Mal aufgelegt. Bis heute erschien es in elf Auflagen auf Deutsch und wurde in 15 Sprachen übersetzt.51 Sittes Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen kann damit als weltweit bekanntes und über 100 Jahre hin von Theoretikern wie Praktikern kontinuierlich rezipiertes Standardwerk bezeichnet werden. Sitte zählt damit zu den wichtigsten Städtebautheoretikern, ja er wird als ein theoretischer Begründer der Disziplin Städtebau angesehen. Sittes geschriebenes Œuvre erweist sich im Hinblick auf Stadt-Metaphern als sehr ergiebig, was angesichts seiner Entstehungszeit nicht unbedingt verwundert. Sittes Schaffenszeit fällt in eine historisch bewegte Phase. Die im Zuge der Industrialisierung geradezu explodierenden Städte widersetzten sich der traditionellen Wahrnehmung. Im Denken über die Stadt fehlten schlicht die Worte. Situationen des Umbruchs und der Krise geben einen guten Nährboden für neue Metaphernschöpfungen ab. Nach Kuhn kommen Anregungen für eine Disziplin in Krisenzeiten außerdem oft von Außenseitern. Camillo Sitte praktizierte zwar als Architekt, verdiente seinen Lebensunterhalt aber zeitlebens als Schuldirektor der k.k. Staatsgewerbeschule, zunächst in Salzburg, dann in Wien. Der städtebauliche Diskurs erhielt in der Anfangszeit eine Reihe entscheidender Beträge von Nicht-Architekten: Robert Owen war Unternehmer, Patrick Geddes Biologe, Charles Fourier Ladengehilfe, Ebenezer Howard Stenograph im englischen Parlament. Sittes städtebauliche Theorien wurden einerseits euphorisch empfangen, andererseits heftig attackiert. In der Regel wird Sittes Beitrag zur Wiener Architekturdebatte um 1900 als ästhetischer Traditionalismus etikettiert, und Sitte als Gegenspieler zu Otto Wagner geschildert.52 In seiner Heimatstadt Wien unter51 | Folgende Auflagen und Übersetzungen sind bekannt: deutsch (1889, 1889, 1901, 1909, 1922, 1965, 1972, 1983, 1998, 2002, 2003) französisch (1902, 1918, 1980, 1984, 1990), russisch (1925, 1993), spanisch (1926, 1980), amerikanisch (1945, 1965, 1980, 2006), italienisch (1953, 1982, 1990, 1997), serbisch (1967), schwedisch (1982), japanisch (1983), niederländisch (1991), griechisch (1992), rumänisch (1992), tschechisch (1995), slowenisch (1997), portugiesisch und finnisch (2001). Siehe dazu auch: Collins/ Collins 1986, S. 71–90; Reining 1972. 52 | Vgl. Schorske 1994, S. 23–110; Moravánszky 1988, S. 23–36.

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lag Sitte dem deutlich erfolgreicheren Kollegen Wagner schließlich fachlich wie persönlich. Wagner gelang es im Gegensatz zu Sitte nicht nur, aktiven Einfluss auf den Umbau der Hauptstadt zu nehmen und zahlreiche Bauten zu realisieren, die das Stadtbild bis heute prägen; zu Sittes Enttäuschung bekam er auch die Professur an der Akademie, um die Sitte sich vergeblich beworben hatte.53 Seine wenigen eigenen städtebaulichen Projekte realisierte Sitte überwiegend in der Provinz, in Kleinstädten in Böhmen und Mähren. In Deutschland genoss Sitte hingegen hohes Ansehen, er wurde als Juror und Gutachter geladen und breit rezipiert. Auf sein Buch bezogen sich Reformarchitekten, Denkmalpfleger sowie Heimatschützer und Nationalisten. Karl Henrici, um nur einen wichtigen Namen herauszugreifen, verband mit Sitte eine romantische, deutlich nationalistisch angehauchte Mittelalterbegeisterung.54 Sittes Schriften wurden international wahrgenommen. Noch zu Sittes Lebzeiten erschien eine französische Übersetzung, die allerdings von Camille Martin in entstellender Form in Text und Bild überarbeitet und ergänzt wurde. Im angelsächsischen Raum wurden Sittes Ideen von den Protagonisten der Gartenstadtbewegung geschätzt, wobei besonders Raymond Unwin hervorzuheben ist. Werner Hegemann dienten Sittes Städtebauprinzipien zur Grundlage der einflussreichen amerikanischen Entwurfslehre The American Vitruvius (1922), die die Sitte-Rezeption in den USA entscheidend prägte.55 Die avantgardistische Moderne reagierte mit programmatischer Ablehnung. Le Corbusier, der in jungen Jahren in München 1910/11 Sittes Buch und die deutschsprachige Debatte um malerischen Städtebau und Heimatschutz genau studiert hatte, äußerte sich später ausgesprochen abfällig.56 Sigfried Giedion beschrieb Sitte als »eine Art Troubadour, der mit seinen mittelalterlichen Liedern das Getöse der modernen Industrie übertönen wollte.«57 Die Rezeptionsgeschichte von Sittes Städtebauschrift wurde weiterhin von Ambivalenzen geprägt. Als im Laufe der 1970er und 80er Jahre die Kritik am modernistischen Städtebau zunahm, wurden sitte’sche Ideen wieder aufgegriffen. Im deutschsprachigen Raum berief sich etwa Rob Krier früh explizit auf Sitte als Vorbild; weitere Kritiker des modernistischen Städtebaus folgten. Sitte wurde für eine ganze Generation von Architekten wieder zur Pflichtlektüre. Auch in der Denkmalpflege fand Sittes Wertschätzung der Altstädte mit ihren ganz normalen Wohnbauten und unregelmäßigen Stadtbildern Beachtung.58 53 | Vgl. Mönninger 2008, S. 38f. 54 | Henrici, »Camillo Sitte als Begründer«, 1904; ders., »Beiträge zur praktischen Ästhetik«, 1904; Koch 1903; Fischer 1904; Feldegg 1923, Hegemann 1925. Zur Rezeption vgl. Fehl 1995; Sonne 2005; Wilhelm 2001; Posch 2010. 55 | Zur Sitte-Rezeption in den USA vgl. Collins 2005; Bohl 2008. 56 | Vgl. Brooks 1982; Schnoor 2008. 57 | Giedion 1984, S. 464f. 58 | Krier 1975 ; Ven 1977 ; Choay 1997.

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Parallel dazu mehrten sich die historischen und theoretischen Untersuchungen. Arbeiten zu Sittes Leben und Werk sowie zur Rezeptionsgeschichte liegen in breitem Umfang vor. Auf Metaphern wird in der Forschungsliteratur nur kursorisch eingegangen.59 Seit 2010 sind Sittes Schriften in einer kritischen kommentierten Gesamtausgabe zugänglich.60 Für die vorliegende Analyse wurden sämtliche nachgelassenen Schriften und ausgewählte Briefe ausgewertet.61 Aus dem umfangreichen Textkorpus wurden zunächst metaphorische Passagen herausgefiltert, diese dann thematisch gruppiert und auf Haupt-Metaphern zurückgeführt. Dabei ergab sich eine große thematische Breite: die Stadt als Haus, Lebewesen, Natur, Maschine, Theater, Gedächtnis und Kunstwerk. Die Lektüre von Camillo Sittes Schriften wird zum Ausgangspunkt genommen, um über die herausgefilterten Metaphern-Felder in einem breiteren Zusammenhang nachzudenken: in der Zusammenschau mit vorangegangenen und nachfolgenden Autoren wird das Potential der einzelnen Metaphern artikuliert. Dabei werden für jede Metapher spezifische Schwerpunkte gesetzt. Alle jemals geprägten Stadt-Metaphern erschöpfend abhandeln zu wollen, wäre vermessen und hätte den Rahmen dieses Buches gesprengt. Ich werde mich vielmehr auf Aspekte konzentrieren, die bei Sitte relevant und heute bedeutsam sind. Diese Untersuchung gilt also nicht einer stilistischen oder literarischen Analyse von Sittes Schriften und auch nicht Sitte als Autor, sondern Diskursformationen. Michel Foucault hat in die Ordnung der Dinge postuliert, dass ein Diskurs – als die Summe sprachlicher Aussagen zu einem bestimmten Thema – das Wahrnehmen, Denken und Handeln von Individuen steuert. Die Möglichkeiten des Diskurses und damit des Sagbaren, werden immer von Doktrinen, Methoden, Verboten und 59 | Vgl. Collins/Collins 1986 (1965); Wurzer 1970; Wurzer 1972; Zeuchner 1978 ; Wieczoreck 1989; Wurzer 1989; Zucconi 1992; Fehl 1995; Mönninger 1998; Wihelm 2001; Reiterer 2003; Wilhelm 2001; Wilhelm 2003; Semsroth u.a. 2005; Jormakka, Camillo Sitte, 2006; Wilhelm 2006; Mönninger 2008; Hanisch/Sonne, »Welt der Kleinen Dinge«, 2008; Hanisch/ Sonne, »Beweglichkeit seines Geistes«, 2008; Posch 2010; Schwarz 2010; Stalla 2010. 60 | In seinen Schriften äußert Sitte sich nicht nur zu aktuellen Fragen in Architektur und Städtebau, sondern auch zu Musik, Malerei, Kunstgeschichte, Kunstgewerbe und Fachdidaktik. Camillo Sitte, Gesamtausgabe in sechs Bänden, im Folgenden: CSG, Bd. 1–5, Wien 2003–10. Band 6 steht noch aus. Hg. Von Klaus Semsroth, Michael Mönninger und Christiane C. Collins. Redaktion u.a. Sonja Hnilica. 61 | Der Nachlass von Camillo Sitte befindet sich im Besitz des Institut für Städtebau der TU Wien, im Archiv der TU Wien (Katalog des Sitte-Archivs: Lacina 1979). Der besseren Handhabbarkeit halber beziehen sich alle Verweise auf Sittes Schriften auf die Gesamtausgabe (im Folgenden CSG) und nicht auf die Manuskripte oder Erstpublikationen, die verstreut und teils schwer zugänglich sind. Dies, obwohl die Bände der Gesamtausgabe 2006, zum Zeitpunkt der Fertigstellung meiner Dissertation, auf der dieses Buch basiert, noch nicht erschienen waren.

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Ritualen eingegrenzt. Die zugehörigen Diskursformen bilden diese Regeln und Grenzen ab und konstituieren sich gleichzeitig.62 Die machtvolle Produktion und Formation von Wissen findet innerhalb spezialisierter Diskurstypen statt. Diese diskursiven Formationen sind untereinander durch Beziehungen verbunden, die die Übertragung von Methoden, Begriffen oder Techniken gestatten.63 Foucault versteht dabei die Wissensordnung nicht als Abbild einer außen stehenden Wirklichkeit, sondern schreibt sie der Materialität der Diskurse selbst zu, also den Aussage- und Zeichensequenzen, die in diskursiven Praktiken entstehen und durch deren Wiederholung die Wirklichkeit konstituiert wird.64 Metaphern können unter diesem Blickwinkel als Mittel oder Ausdruck der Überschneidung einzelner Diskursstränge oder Spezialdiskurse gesehen werden, die einen Austausch von Werten, Methoden, Interpretationen und Bedeutungen initiieren. Um städtebauliche Metaphern für die Stadt zu analysieren, reicht es also nicht aus, ausschließlich städtebauliche Literatur heranzuziehen. Auch Literatur, Politik, Religion, Naturwissenschaften und Medizin, Psychoanalyse, die Tourismusindustrie oder das Kino haben Einfluss darauf, wie Architekten die Stadt begreifen.

62 | Foucault 1974; Foucault 1998. 63 | Foucault 1981, S. 225ff. 64 | Vgl. Keller 2001, S. 12. Der foucault’sche Diskursbegriff und die Methode der Diskursanalyse hat inzwischen zahlreiche Modifizierungen, Weiterentwicklungen und Ausdifferenzierungen erfahren, die für die vorliegende Untersuchung nicht von spezieller Bedeutung sind. Einen Überblick bietet z.B. Jäger 2001, S. 120ff.

Die Stadt als Haus In einem Vortrag vor dem Österreichischen Ingenieur- und Architektenverein führte Sitte 1889 aus: »Es verhält sich mit einem Platze geradeso, wie mit einem Zimmer. Zu einem Zimmer gehört nicht mit Nothwendigkeit, dass es auch möblirt sei. Es gibt auch leerstehende, unmöblirte Zimmer. Aber ein Zimmer, in dem eine Wand fehlt, ist kein Zimmer; es muss geschlossen sein.«1 Stadtplätze als Zimmer zu sehen, ist eine mit Camillo Sitte eng verbundene Metapher.2 Die Zimmer-Metapher ist eine Ableitung der Metapher der Stadt als Haus. Diese wiederum hat eine lange Tradition, die bis in die Antike zurückreicht. Architekturtheoretiker wie Leon Battista Alberti oder Andrea Palladio haben dazu beigetragen, wie in diesem Kapitel erläutert werden soll. Die Metapher der Stadt als Haus ermöglicht andere Ableitungen, nicht nur zur Morphologie städtischer Räume, sondern auch zur Stadtgemeinschaft und deren innerer Organisation. Ein Haus wird im Allgemeinverständnis von einer Familie bewohnt. Damit eröffnen sich Fragen nach sozialen Hierarchien und politischen Ideologien zur Stadtgesellschaft. In diesem Zusammenhang muss auf Umwälzungen technischer und sozialer Natur eingegangen werden, die das Verständnis von Privatheit und Familie drastisch verändert haben – und damit die Vorstellung vom öffentlichen Raum. Metaphern erzeugen Ähnlichkeiten zwischen Bildspender und Bildempfänger. So ist es kaum verwunderlich, dass die metaphorische Verbindung reziprok wirkt. Auch die Metapher vom Haus als Stadt war im Architekturdiskurs produktiv und muss daher Erwähnung finden.

Z IMMER Innenräume Manchmal verwandeln sich Innenräume tatsächlich in Plätze. Beim zu groß geplanten Dom in Siena wurden die Bauarbeiten am Hauptschiff im 14. Jahrhundert aufgegeben. (Innen-)Wände, Portal und ein Seitenschiff des nie fertig 1 | Sitte, »Über alte und neue Städteanlagen«, 1889, CSG 2, S. 260. 2 | Vgl. Neumeyer 2002, S. 300.

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gestellten Kirchenraums bilden seither die Fassaden eines Platzes, während das Querschiff zum Hauptschiff umfunktioniert wurde (Abb. 2.1). Sitte zeigte in seinem Städtebau-Buch vier Kirchplätze aus Siena, den Domplatz erwähnte er interessanterweise nicht.3

Abbildung 2.1: Innenraum als Außenraum. Das Hauptschiff des Doms von Siena wurde zum Platz, nachdem die Bauarbeiten daran im 14. Jahrhundert aufgegeben worden waren. (Foto 2005)

Plätze wie Zimmer zu behandeln, ist in Sittes Schriften ein durchgängiges Motiv. Dabei bildet das antike Forum die paradigmatische Form: »[D]as Forum der Römer und Griechen ist ja eigentlich nach unseren Begriffen gar kein Platz gewesen, sondern ein Saal. Wenn wir uns z.B. das Forum zu Pompeji vergegenwärtigen, wo ringsherum öffentliche Bauten aufgestellt waren, wo aber nur ein einziger, der Tempel des Jupiter herausblickte, während alle übrigen Gebäude mit zweistöckigen Säulengalerien zum Herumgehen überzogen sind, und uns diesen Einblick vorstellen, so müssen wir sagen, dass das ganze am ehesten einem modernen Concertsaale ohne Decke gleicht. Ein solcher Saal ohne Decke im Gegensatze zu unseren modernen Räumen ist auch das antike Theater und auch das antike Haus mit seinem Atrium gewesen. Und wir wissen, dass auch die alten Tempel hypetral gebaut wurden, so dass der freie Himmel hereinsah. Ein solcher hypetraler Festsaal war das Forum.«4 In Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen zitierte Sitte als Vater dieses Gedankens Vitruv, der das Forum gemeinsam mit den Basiliken, Theatern, Ringbahnen und Thermen abhandelte, also zu den öffentlichen Gebäuden zählte, statt sie den stadtplanerischen Themen zuzuordnen.5 3 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 58. 4 | Sitte, »Über alte und neue Städteanlagen«, 1889, CSG 2, S. 259. 5 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 6.

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Einen Nachfolger fand Sitte in Herman Sörgel (der ab 1927 das AtlantropaProjekt entwickelte, um durch Absenkung des Mittelmeeres einen neuen Großkontinent zu schaffen). In seiner Theorie der Baukunst von 1921 bezeichnete er Plätze als »Räume unter freiem Himmel«.6 Sörgel führte aus, und folgte dabei seinem Vorbild Sitte bis in die Wortwahl: »Der Platz oder die Straße als ›Raum‹ schließen sich unter diesem Gesichtspunkt an die umgebenden Bauten, wie ein Zimmer an das andere an. So spricht man denn von Platz›räumen‹ und Straßen›räumen‹. Gerade im Hohlraumvolumen, nicht im materiellen Körperkubus, besteht das eigentliche architektonische Kunstwerk. […] Im Altertum sind Markt sowohl wie Theater, Wohnhaus so wie Hypäthraltempel alle oben offen, ähnlich wie die nischenförmige Umstellung und Gestaltung eines zentralen Hofraumes. […] Was für das Einzelhaus das Atrium ist, wird für die Stadt der Hauptraum, nämlich Versammlungsort, Festplatz, Markt usw.« Aus der Zimmer-Metapher leitete Sitte konkrete Kriterien für die Gestaltung von Plätzen ab: So werde der Zugang auf das Forum zu Pompeji durch »Türen« oder Tore architektonisch ausformuliert: »Auf der einen Seite des Forums münden drei Strassen gar nicht; sie gehen sackförmig aus. Sämmtliche anderen Strassen sind vergittert, und die zwei Hauptstrassen sind mit Triumphbögen abgeschlossen, so dass man durch eine abgeschlossene Portalöffnung den festlichen Platz betreten konnte.«7 Plätze sollten eingerichtet werden wie Zimmer. Sitte empfahl der Stadt Reichenberg 1901, für die künstlerische Ausgestaltung eines ausgewählten Platzes im Zentrum keinen Aufwand zu scheuen, denn »die sogenannte gute Stube des Bauernhauses, der Salon der bürgerlichen Wohnung [ist] nie gänzlich schmucklos«, sondern vereine alles, »was an Bildern, an Familienerbstücken etc., an Denkwürdigem und Schönem man besitzt«. Dasselbe gelte für »alles künstlerisch Monumentale einer Stadt: Denkmäler, Brunnen, Colonnaden, Prunkpforten etc.«.8 Zu diesem »Hausrath des Städtebaues« zählen für Sitte des Weiteren Arkaden, Feldherrenhalle, Siegesthor, Propyläen, Ruhmeshalle, Kolossalstatuen und Obelisken.9 Wobei er sich durchaus der Tatsache bewusst war, dass diese Elemente eben doch keine Möbel sondern Immobilien sind: »Könnte man die Gebäude und Monumente einer Stadt so nach Belieben herumschieben, wie die Möbel und Bilder einer Wohnung, hei!, welche Lust!«10 Für die Aufstellung dieser »Möbel« leitet Sitte seine Grundsätze ebenfalls aus der Zimmer-Metapher ab: »Die Mittel zur Erzielung des freien Ausblickes über die auf einen Platz angehäuften Monumente, Brunnen und Gebäude sind bei den alten Meistern noch einfacher. Sie lassen sich alle in die einzige Regel zusammenfassen: einfach alles (Monumente und Bauwerke) wie in einem wohleingerichteten 6 | Sörgel 1921, S. 212f. Folgende Zitate ebd. 7 | Sitte, »Über alte und neue Städteanlagen«, 1889, CSG 2, S. 259. 8 | Sitte, Lageplan für Reichenberg, 1901, S. 28. 9 | Sitte, »Ferstel, Hansen, Schmidt«, 1892, CSG 2, S. 367. 10 | Sitte, »Stadterweiterung und Fremdenverkehr«, 1891, CSG 2, S. 334.

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Zimmer an den Wänden herum aufzustellen.«11 Entgegen der zu Sittes Zeiten üblichen Positionierung von Denkmälern in der geometrischen Mitte des Platzes oder wenigstens in einer wichtigen Symmetrieachse, sei die Platzmitte für die Akteure freizuhalten: »Sämmtliche Monumente und Statuen stehen am Rande des Forums, und die Mitte des Platzes ist leer. – Die Mitte des Platzes gehörte nicht den Statuen, sondern den Gladiatoren und Volksversammlungen.«12

Geschlossenheit Eine angemessene Möblierung sei wünschenswert, wenn auch nicht unbedingt notwendig. Unter keinen Umständen dürfe man bei einem Platz die Wände weglassen. »Ein Zimmer, in dem eine Wand fehlt, ist kein Zimmer; es muss geschlossen sein.«13 Sittes Forderung nach der Geschlossenheit der Plätze wurde als einer der wichtigsten Beiträge zur Raumtheorie des 20. Jahrhunderts bezeichnet.14 Nun ist ein baulich durch Wände eingefasster Raum nicht unbedingt dasselbe, wie ein visuell geschlossener Raum, denn ein geschlossener Eindruck kann ja bereits durch wesentlich schwächere architektonische Mittel als Wände entstehen. Sitte beschreibt unterschiedliche Stadien der physischen und visuellen Geschlossenheit: »Dieser Begriff der Geschlossenheit der Plätze verflüchtigt sich immer mehr, je näher wir unserer Zeit entgegenschreiten. In den mittelalterlichen und Renaissancestädten ist diese Geschlossenheit der Plätze noch als ein tüchtiges Motiv der Wirkung behandelt worden, wo die Strassen so eigenthümlich und klug geführt wurden, dass der Blick des Beschauers nirgends durch Spalten hinausstreifen kann. Der Platz ist also immer scheinbar geschlossen.«15 Sitte vergleicht die Straßeneinschnitte in den Platzwänden mit Fugen, die von Tischlern traditionell durch Schlagleisten visuell kaschiert würden. Damit treibt er die Übertragung von kleinem Maßstab in großen noch weiter, der Platz wird nicht nur mit einem Zimmer, sondern gar mit einem Möbel verglichen.16 In eine ganz andere Richtung weist die von Sitte mit der visuellen Geschlossenheit von Plätzen in einem Atemzug genannte »geschlossene künstlerische Einheit« eines Platzes oder das »harmonisch geschlossene Ganze«.17 Diese Formulierung zielt auf die Definition eines Kunstwerks als in sich abgeschlossener Organismus hin, die im Kapitel über die Stadt als Kunstwerk näher behandelt wird. An dieser Stelle sei lediglich bemerkt, dass klassische Kunstwerksdefinitionen den Aspekt visueller Geschlossenheit durchwegs beinhalten. Nach Aristoteles 11 | 12 | 13 | 14 | 15 | 16 | 17 |

N.N., »Camillo Sitte über moderne Städtebauten«, 1889. Sitte, »Über alte und neue Städteanlagen«, 1889, CSG 2, S. 254. Ebd., S. 260. Ven 1977, S. 102. Ebd., S. 259. Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 38. Ebd., S. 63.

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ist eine Bedingung der Schönheit, dass das ganze Ding mit einem Blick erfasst werden kann.18 In dieser spezifischen Eigenschaft überkreuzen sich die Metapher des Platzes als Kunstwerk und des Platzes als Zimmer – ein erstes Beispiel für die partielle Strukturierung von Konzepten durch mehrere Metaphern, wie sie von Lakoff und Johnson charakterisiert wurde. Verschiedene AutorInnen haben übrigens darauf hingewiesen, dass Sitte als erster Architekt das Motiv der durch einfassende Wände geschlossenen Raumes als Kur gegen die neuartige »Stadtkrankheit« der Agoraphobie empfohlen habe.19 Interessant ist die Überschneidung von öffentlichen und privaten Motiven, da Agoraphobie sich in der Regel nur auf öffentliche (Stadt-)räume bezieht. Das häusliche, abgeschlossene Zimmer ist ja gerade der Ort, an dem man vor der Angst vor weiten Plätzen am sichersten ist (und wo einen allenfalls die Klaustrophobie befallen könnte). Agoraphobie galt als typische »Ehefrauenkrankheit«, die erwachsene, meist gut situierte bürgerliche Frauen erst nach der Hochzeit befiel, also genau diejenigen Frauen, denen der Aufenthalt im öffentlichen Raum als unschicklich galt. Esther da Costa Meyer bezeichnet daher Agoraphobie als Krankheit, bei der die Kranken ihre Ängste metaphorisch auf räumliche Codes übertragen.20

Wände Camillo Sitte nutzte die Zimmer-Metapher, um zu artikulieren, dass ein städtischer Platz als Positivform aufgefasst werden solle, der aus der Häusermasse herausgeschnitten wird, und nicht als Restflächen oder Zwickel zwischen den Baukörpern: »ein blos unverbauter Fleck [ist] noch kein Stadtplatz.«21 Er wendete sich mit seiner Metapher gegen die gründerzeitliche Praxis, die zwischen den geometrischen Baukörpern übriggebliebenen unregelmäßigen Restflächen als Plätze auszugestalten. Früher, so Sitte, habe man das andersherum gemacht. »Die Alten haben das Winklige und Dreieckige verbaut und haben als Platz, weil er für sie Festsaal und Zimmer war, das möglichst wirkungsvollste Format herausgeschnitten.«22 Architekten, die Bauwerke auf unregelmäßigen Parzellen errichteten, hätten es sogar verstanden, diese Unregelmäßigkeiten im Inneren der Wohnräume nicht spürbar werden zu lassen – etwa durch unterschiedliche Mauerstärken oder geschickte Einpassung kleiner Nebenräume in die Zwickel. 18 | Aristoteles, Poetik, 1451a l. 19 | Ven 1977, S. 105, FN 9; Meyer 1995; McDonough 1999; Vidler 2005. 20 | Vgl. Meyer 1995, S. 11. Sigmund Freud hatte unterstellt, Agoraphobie entstehe dadurch, dass Frauen die heimliche sexuelle Phantasie hegten, sich auf der Straße zu prostituieren (Freud 1986, S. 265). In jedem Falle scheint der Konnex zwischen Phobie und Verbot, und deren Übertragung auf den Raum plausibel. Bis heute stellt der öffentliche Raum für Frauen eine Quelle der Verunsicherung da. 21 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 35, 92. 22 | Sitte, »Über alte und neue Städteanlagen«, 1889, CSG 2, S. 263.

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Giambattista Nolli hat in seinem berühmten La pianta grande di Roma 1748 den öffentlichen Raum als Abfolge von Gängen und Zimmern dargestellt, wobei er zwischen öffentlichen Innenräumen, etwa in Kirchen, halbprivaten Außenräumen wie Höfen und öffentlichen Räumen wie Straßen und Plätzen nicht unterschied (Abb. 2.2). Indem Sitte sich gedanklich durch das »Gebäude Stadt« wie durch eine Flucht von Zimmern bewegte, wurden die Bauwerke zu Wänden. In den kleinen Grundrissskizzen, mit denen Sitte sein Städtebau-Buch illustrierte, könnte man die Plätze als Zimmer deuten. Die umgebenden Bauten stellte Sitte mit Schnittkante und Schraffur genauso dar, wie es in Grundrissplänen für geschnittenes Mauerwerk üblich ist.

Abbildung 2.2: Der öffentliche Raum als Abfolge von Plätzen, Höfen, Gängen und Zimmern. »La pianta grande di Roma« von Giambattista Nolli, 1748 (Ausschnitt). (http://nolli.uoregon.edu)

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Abbildung 2.3: Neue Zimmer für die Stadt Wien. Sittes 1889 publizierter Entwurf für die Umgestaltung der Wiener Ringstraße in eine Abfolge von Plätzen. (Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3)

Die Zimmer-Metapher inspirierte Sittes Projekt gebliebenen Entwurf für die Wiener Ringstraße.23 Die 57 Meter breite, von monumentalen Solitären flankierte Straße unterteilte er in eine Abfolge unterschiedlicher Plätze für Parlament, Rathaus, Burgtheater, Universität und Votivkirche. Sitte plante im Detail die Platzräume mit den umgebenden Fassaden, während er kaum Aussagen zu den Bauwerken machte, die sich daraus ergaben. Er sinnierte sogar darüber, was man in so ungewöhnlich geformten Kubaturen überhaupt unterbringen könne. Noch dazu sollten die Bauten unterschiedliche Fassaden aufweisen, um beispielsweise auf der einen Seite auf die neogotische Votivkirche und auf der anderen Seite auf den Neorenaissance-Stil der Universität zu reagieren. Sitte bemerkte dazu, er habe den Stilkonflikt im Außenraum aufgehoben, indem er die Stilgrenzen ins Innere der Gebäude verlegt habe. (Abb. 2.3) 23 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 154–174.

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Abbildung 2.4: Platzwände. Die Fassaden der Bürgerhäuser am Marktplatz von Tel schmücken individuell gestaltete Blendgiebel, ein einheitlicher Arkadengang fasst die Einzelbauten zusammen. (Foto 2009)

Es lohnt sich, noch einen Moment bei der Frage zu verweilen, welche Konsequenzen die Zimmer-Metapher für die Wände hat, also für die Bauwerke der Stadt. Es erscheint in dieser Perspektive fast selbstverständlich, für einzelne Plätze Bauvorschriften zu beschließen, damit die aus den verschiedenen den Platz umschließenden Häusern gebildeten Wandteile zueinanderpassen. Derartige Bestrebungen sind etwa für das mittelalterliche Italien belegt, Sittes großes Vorbild. Eine 1297 beschlossene Verordnung regelte die gleichmäßige Gestaltung der Fenster rund um den Campo in Siena.24 Die Wand-Metapher bedeutet vom Einzelhaus her betrachtet außerdem, dass es eine grundlegende Funktion jedes Hauses ist, dem angrenzenden Stadtraum eine gute Wand zu sein. Dem entspricht klassischerweise die Fassade. Diese kann an einer Seite vor das Bauwerk montiert werden, wie man das bei vielen italienischen Kirchen sieht, deren seitliche oder rückwärtige Wände dann ziegelsichtig blieben; oder die Fassade kann oben über das Dach überstehen, um imposanter zu wirken, wie die Blendgiebel von Bürgerhäusern in deutschen Hansestädten seit dem Mittelalter. Auch muss der obere Abschluss, die Trauflinie, nicht notwendigerweise mit dem dahinter liegenden Dach korrespondieren. (Abb. 2.4) Sitte kritisierte mit seiner Zimmer-Metapher den gründerzeitlichen Städtebau dafür, dass er das Verhältnis zwischen verbauter und leerer Grundfläche umgedreht habe.25 Dabei deutete sich zu Sittes Zeiten diese Tendenz gerade erst an, die erst Jahrzehnte später zu voller Blüte kommen sollte. In moderner Logik soll ein Bauwerk von innen heraus organisch entworfen und am Ende allseitig von 24 | Vgl. Braunfels 1988, S. 250. 25 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 93.

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Abbildung 2.5: Figur-Grund-Wechsel in der Moderne. Freistehende Baukörper statt gefasster Stadträume in Le Corbusiers »Plan Voisin« für das Stadt zentrum von Paris, 1922. (Corbusier 1979)

einer Hülle oder Haut umschlossen werden. Diese Haut könnte sich, um in der Metapher zu bleiben, mittels Poren oder Öffnungen eine Interaktion zwischen Innen und Außen ermöglichen. Eine raumbildende Fassade passt nicht zu diesem Konzept, obwohl das Wort »Fassade« eigentlich vom lateinischen facies, »Gesicht« abstammt, und ein solches durchaus Teil eines Gebäudeorganismus sein könnte. Otto Wagner sprach 1895 vom »Schwindelhafte[n], von Lügen Strotzende[n], an Potemkinsche Dörfer Erinnernde[n]« der Wiener Architektur des 19. Jahrhunderts.26 Eine aus Pappe oder Leinwand gefertigte Kulisse, die vor das eigentliche Haus gestellt wurde, das ist klar ein Negativbild, von dem sich Otto Wagner folglich absetzen will. Die Kulissen-Metapher könnte positiv als wirkungsvoll inszenierter Bühnenprospekt gedeutet werden, wie im Kapitel zur Bühnen-Metapher ausgeführt wird. In den modernistischen Städtebauvisionen des 20. Jahrhunderts wurden frei gruppierte Volumina im fließenden Stadtraum zum Standard. Colin Rowe und Fred Koetter haben in ihrem Buch Collage City 1978 den Wechsel vom umschlossenen Stadtraum der alten Stadt zum Städtebau der Moderne mit seinen frei auf weiten Flächen verteilten Baukörpern als Umkehrung von Figur und Grund interpretiert. Das ist ein klassischer Gestaltwechsel, die Figur wird zum Grund und umgekehrt, vergleichbar dem Umspringen des bekannten Bildes von der Vase, die aus den Profilen zweier sich küssender menschlicher Gesichter zusammengesetzt ist.27 Als Beispiel dafür zeigen sie Le Corbusiers Plan Voisin für Paris von 1922, auf dem beide Arten des öffentlichen Raums nebeneinander stehen. (Abb. 2.5) 26 | Wagner 1902, S. 138. 27 | Rowe/Koetter 1984, S. 88f.

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Interessanterweise verwendeten später sogar diejenigen Modernisten die Zimmer-Metapher, gegen deren Raumkontinuen diese sich eigentlich richtete: So etwa Jacob Berend Bakema, dessen gemeinsam mit Johannes Hendrik van den Broek entworfene Fußgängerzone Lijnbaan in Rotterdam (1949–1953) geradezu ein Paradebeispiel für den fließenden Stadtraum ist, wie ihn die Architekten des CIAM (Congrès Internationaux d’Architecture Moderne) schätzen. Man könne sagen, schrieb Bakema 1962, dass ein Haus viele private Räume habe, von denen manche kein Dach hätten (beispielsweise ein Patio). Und man könne sagen, dass eine Stadt viele öffentliche Räume enthalte, von denen manche ein Dach hätten (zum Beispiel ein gedeckter Markt oder ein Arkadengang).28 Bakema suchte nach eigenen Worten mit der Zimmer-Metapher nach Möglichkeiten, die auseinandergefallenen architektonischen Komponenten Stadt und Haus zu versöhnen.

Zimmerfluchten In einem Artikel für das Neue Wiener Tagblatt 1891 baute Sitte seine Metapher weiter aus, indem er einzelne Teile des Wohnungsgrundrisses und des Stadtgrundrisses analogisierte. Im Mittelalter bildete, so Sitte, das Stadttor in der Stadtmauer noch ein deutliches »Entréemotiv«, das jeder Besucher der Stadt passieren musste.29 Dieses Ankommen in der Stadt habe sich mit der Industrialisierung verändert, da die meisten Menschen mit den neuen Verkehrsmitteln in einer Stadt ankämen. Deshalb sei neuerdings der Bahnhofsvorplatz »für die ganze Stadt dann dasselbe, was für das Einzelhaus oder den Palast das Vestibule ist«. Die prächtige Straße von diesem »Eintrittsplatz« ins Stadtzentrum entspreche somit dem Treppenhaus, und der Übergang zum Hauptplatz müsse ähnlich inszeniert werden, wie der Eingang in den Salon vom Gang des Hauses her. Sitte sah den öffentlichen Raum mit den Augen eines fiktiven Gastes, der eine fremde Wohnung betritt. Das ermöglichte ihm, sich die Abfolge von Räumen aus Perspektive des Besuchers vorzustellen. Sitte nutzte den Vergleich mit einer (gutbürgerlichen oder herrschaftlichen) Wohnung auch, um eine funktionale Trennung von repräsentativen und dienenden öffentlichen Räumen zu rechtfertigen. Die zentralen Plätze einer Stadt als »die Festsäle, die Empfangssalons der Stadt«30 übernähmen repräsentative Funktionen: »Im Interesse öffentlicher monumentaler Kunstpflege wäre es an der Zeit, daß man für große städtische Gemeinwesen die Ausgestaltung künstlerischer Plätze endlich auch als eine öffentliche Nothwendigkeit erkennen möchte; ebenso wie Niemand die repräsentative Nothwendigkeit eines Salons als Bestandtheil jeder besseren Privatwohnung bestreiten dürfte.«31 Andere Straßen könnten dienende Verkehrswege sein: »Eine gute Idee in diesem Sinne war es bei uns daher, neben 28 | 29 | 30 | 31 |

Bakema 2005, S. 175. Sitte, »Station Wien«, 1891, CSG 2, S. 338; folgende ebd. 339f. Sitte, »Lageplan für Reichenberg«, 1901, S. 28. Sitte, »So geht’s nicht!«, 1891, CSG 2, S. 311.

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der Ringstraße als Repräsentanzstraße eine Lastenstraße anzulegen; geradeso, wie man in großen Gebäuden Haupttreppen und Diensttreppen nebeneinander unterscheidet.«32 Die Metapher dient dazu, innerhalb des formalen und funktionalen Gesamtzusammenhangs des Stadtraums Differenzierungen vorzunehmen: »Man bedenke doch, dass der Bau einer ganzen Stadt im Wesentlichen dem Baue eines einzelnen Gebäudes ähnlich ist. Für den Bau eines Rathhauses z.B. genügt es ja durchaus nicht, blos einige Hauptaxen, Höfe oder Hauptstiegen allein vorher in Aussicht zu nehmen und alles Übrige der lieben Zukunft anheimzustellen. […] Einen Stadtplan in ähnlicher Weise ohne Programm zu verlangen, wäre gerade so, als ob Jemand seinem Architekten sagte: ›Hier habe ich einen Bauplatz und hier 500.000 fl., bauen Sie mir dafür etwas.‹ Wenn dann auf alle Fragen des Architekten, ob der Bau ein Zinshaus oder eine Fabrik oder eine Villa etc. werden soll, vom Bauherrn stets mit ›nein‹ geantwortet wird, dann kann überhaupt nicht zu bauen angefangen werden.«33 Sitte wendete sich gegen die Praxis, neutrale Parzellen in einem rasterförmigen Straßengrundriss auszuweisen. Er wollte vorab festlegen, wo welche öffentlichen Gebäude liegen, um Straßen und Plätze darauf im Stadtgrundriss wirkungsvoll ausrichten zu können. In diesem Zusammenhang bezeichnete Sitte die Bauwerke als Möbel in der Stadt-Wohnung: »Die Blocktheilung des Lageplanes hängt ebenso von den Bautrakttiefen und den wichtigsten Ausmaßen der zu bauenden Wohnhaustypen in Bezug auf Fensteraxen, Entfernung und Fensterzahl und somit Gassenfront-Länge etc. ab, wie ein guter Wohnungsgrundriss von der Größe, Zahl und Aufstellung der Möbel abhängt.«34 Die Möbel-Bauwerke benötigten für ihre gute Wirkung dringend einen ihnen angemessenen Standort in einem wohlgestalteten Zimmer. Die Bauten des Südbahnhofs »müßten untereinander architektonisch verbunden werden, damit sie nicht so unvermittelt schief dastehen, wie Schubladkasten bei einem Tandlerausverkauf«.35

F AMILIE Hausgemeinschaft Die Analogie zwischen Stadt und Haus hat in der Architekturtheorie eine bis in die Antike zurückreichende Tradition. Zwei Deutungen sind möglich: einerseits die hermetische Idee einer Korrespondenz zwischen Makrokosmos und Mikrokosmos. In diesem Falle würde die Metapher nichts anderes bedeuten, als dass 32 | Sitte, »Wien der Zukunft. Regulirungsprojekte«, 1894, CSG 2, S. 431. 33 | Sitte, »Das Wien der Zukunft«, 1891, CSG 2, S. 302. 34 | Sitte, »Lageplan für Reichenberg«, 1901, S. 5. 35 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 30; ders., »Station Wien«, 1891, CSG 2, S. 342.

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sich große Strukturen in den kleinen wiederholen. In diesem Falle muss das Haus nicht unbedingt ein Privathaus sein, sondern jede Art von Gebäude könnte zu Analogien Anlass geben. Bei Aristoteles und vielen Nachfolgern hingegen folgte die Analogie zwischen Stadt und Haus aus der Analogie zwischen der Polis und dem Haushalt als soziale Einheiten.36 Andrea Palladio definierte in seinen Vier Büchern, dass »die Stadt gewissermaßen nichts anderes ist als ein großes Haus und – dementsprechend – ein Haus eine kleine Stadt ist«.37 Alberti hatte zuvor festgestellt, dass »der Staat, nach einem Grundsatze der Philosophen, ein großes Haus ist, und ein Haus hinwiederum ein kleiner Staat ist«.38 Dies ist ein klassischer Fall, wie über eine Metapher Verbindungen hergestellt werden zwischen einer sozialen oder politischen Struktur (Familie und Staat) und einer baulicher Struktur (Haus und Stadt). Sitte bezeichnete die Plätze der Griechen als »Hauptsäle von Wohnhäusern«.39 Und tatsächlich nennt Sitte die Stadt an anderer Stelle ein großes »Familienhaus«.40 Die Haus-Metapher verspricht, eine Gemeinschaft der Stadtbürger zu kreieren. In sozialreformerischen und utopischen Konzepten wie der Familistière nach Charles Fourier, begonnen in Frankreich 1859, fällt es schwer zu entscheiden, ob es sich metaphorisch gesehen um eine Stadt im Haus oder ein Haus als Stadt handelt. In diesen sozialen Experimenten wurden Arbeiten wie Hauswirtschaft und Kindererziehung, die traditionell innerhalb eines wie auch immer gearteten Familienverbands organisiert sind, von der ganzen Kommune übernommen, was sich in der Architektur spiegelt. Charles Fourier hatte sein zunächst Phalastère benanntes Projekt detailliert entwickelt. Die ideale Größe der Kommune legte er mit 1620 Personen fest, die gemeinsam 250 Hektar Land bewirtschaften und in einem großen gemeinsamen Gebäude wohnen sollten (das von seiner Anlage her große Ähnlichkeiten mit dem Schloss Versailles aufweist). Sein Modell übte große Faszination aus, in verschiedenen Ländern wurden rund 50 Projekte in Angriff genommen. Jean Baptiste Godin, ein Fabrikant aus Guise, baute schließlich eine etwas bescheidenere adaptierte Variante für seine Arbeiter, in der jedoch die Familien jeweils beieinander wohnten und nicht nach Altersgruppen getrennt wie im Originalentwurf, weshalb sie Familistière genannt wurde. Ab 1880 wurde das Projekt gemeinsam mit der zugehörigen Fabrik in einer Kooperative verwaltet. Andere Beispiele sind die Lebensgemeinschaften der Shaker in den USA oder Robert Owens Siedlung New Harmony. Der englische Fabrikant Owen entwarf einen Plan, nach dem sich eine Gemeinschaft von etwa 1200 Personen in 36 | Aristoteles kritisierte Platon, der zwischen einem großen oikos und einer kleinen polis keinen Unterschied gemacht hatte. Er legt eine Stufenfolge der Gemeinschaften fest, vom Haus über das Dorf zur Polis. Aristoteles, Politik, I 2 1252b 10–20 und II 2 12561a 15–25. 37 | Palladio 2001, II, Kap. 12, S. 163. 38 | Alberti 1991, I, 9, S. 47. 39 | Sitte, »Wiener Goethe-Denkmal«, 1889, CSG 2, S. 276. 40 | Sitte, »Die Kunst des Städtebauens«, 1891.

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einer quadratischen Siedlung als selbstversorgende Einheit organisieren sollte. Die Wohnungen von Eltern mit Kleinkindern waren von denen der Kinder und Jugendlichen getrennt, hinzu kamen zahlreiche Gemeinschaftseinrichtungen, Produktionsstätten und Freizeitanlagen. Nachdem er sein Projekt in England nicht in dieser Form realisieren konnte, erwarb er 1825 ein Grundstück in Indiana. Sein Village of Unity scheiterte schon nach wenigen Jahren an den örtlichen Gegebenheiten.41 (Abb. 2.6)

Abbildung 2.6: Eine ganze Stadt als Hausgemeinschaft. Modell einer Kommune nach den Prinzipien von Robert Owen, 1830. (Withwell 1830)

Obwohl die hier geschilderten und viele ähnliche Versuche letztendlich alle aufgegeben wurden, wurden in ihnen Ideale formuliert, an denen sich Konzepte gemeinschaftlicher Organisation bis heute abarbeiten, von den Versuchen zur kooperativen Hauswirtschaft des späten 19. Jahrhunderts über sozialistische Experimente zur Vergesellschaftung der Hauswirtschaft bis zu den Landkommunen der 68er-Generation. Metaphern, die eine Stadt- oder Dorfgemeinschaft als Familie titulieren, haben immer ein gewisses totalitäres Moment, das auch den eben geschilderten sozialreformerischen Utopien anhaftet. Familien-Metaphern wurden verwendet, um politische Ambitionen zur Herstellung einer »Volksgemeinschaft« oder Ähnliches zu legitimieren. Im Nationalsozialismus beispielsweise war diese Argumentation beliebt, darauf wird im Kapitel zur Organismus-Metapher näher eingegangen. Derartige Argumentationen berufen sich in der Regel auf eine naturgegebene Aufgabenteilung innerhalb der Familie, um gesellschaftliche Hierarchien wie gender, class und race als naturgegeben darzustellen. Damit soll vor allem der eigene Machtanspruch als »Oberhaupt der Familie« untermauert werden. Diese Strategie zeigt sich schon bei Aristoteles, der die Hierarchie 41 | Vgl. Benevolo 2000, S. 804ff.; Kruft 1995, S. 372f.; Hayden 2000.

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zwischen dem Familienvater und Gatten und seiner Frau beziehungsweise den Kindern, und zwischen Herr und Sklaven zur Grundlage der Familie wie der Gesellschaft erklärte.42

Das Private und das Öffentliche Im Haus der Stadtfamilie haben die öffentlichen Plätze als »hypetrale Versammlungssäle des Volkes«43 besondere Bedeutung. Der öffentliche Raum ist in der europäischen Tradition in idealer Weise gedacht als ein allen Bürgern frei zugänglicher Raum, in dem durch persönliche Begegnung und freie Rede Grundregeln ausgehandelt werden, auf denen die Demokratie ruht. Paradigmatisches Vorbild dafür ist die Agora von Athen. Der öffentliche Platz in seiner architektonischen Form ist die räumliche Voraussetzung für diese politische Debatte und gleichzeitig ein Symbol für die Demokratie an sich. Hier zeichnet sich für die Stadtfamilien-Metapher eine Interpretationskollision ab. Das Öffentliche, das sich im Hauptsaal des Hauses Stadt abspielt, ist per Definition genau das Gegenteil dessen, was sich in einem Familienhaus abspielt, das ja genau kein öffentlicher, sondern ein privater Ort ist. Die agora war ein Ort der Freiheit, des Handelns, der politischen Debatte unter Gleichen. Nach Arendt offenbaren Menschen ihre spezifische Identität durch die Handlung des Sprechens in der Öffentlichkeit. Die agora sei die paradigmatische Übersetzung dieser politischen Öffentlichkeit unter Gleichen. Erst dieses Sprechen mache den Menschen wirklich zum Menschen. Das Konzept von Öffentlichkeit ist als Teil einer Dichotomie konstruiert, es braucht seinen ihm untergeordneten Gegenpart, das Private, wie schon Hannah Arendt betont hat.44 In der griechischen Antike war das Private der oikos, ein Ort der Familie, aber auch der Arbeit. Er war von den Notwendigkeiten des biologischen Überlebens, von Unfreiheit und Hierarchie geprägt. Im Privaten leben bedeutete nach Ahrendt, »in einem Zustand leben, in dem man bestimmter, wesentlicher menschlicher Dinge beraubt ist«.45 Als Gleiche unter Gleichen bewegten sich in der Öffentlichkeit nicht alle Menschen, sondern nur Stadtbürger, was bedeutet, dass Frauen, Sklaven und Landbevölkerung davon ausgeschlossen waren. Eva Keuls hat die Praktiken des Ausschlusses von Frauen aus dem öffentlichen Leben im antiken Athen 42 | »[S]o steht es dem Vater und Gatten zu, über das Weib wie über die Kinder zu herrschen, und zwar über beide als freie.« (Aristoteles, Politik, I 12 1259a); »Wer von Natur nicht sein, sondern eines anderen, aber ein Mensch ist, der ist ein Sklave von Natur.« (Ebd. I 4, 1254a) Im Unterschied zu Platon vertrat Aristoteles die Ansicht: »Der Sklave hat das Vermögen zu überlegen überhaupt nicht, das Weibliche hat es zwar, aber ohne die erforderliche Entschiedenheit.« (Ebd. I 13, 1260a) 43 | Sitte, »Wiener Goethe-Denkmal«, 1889, CSG 2, S. 276. 44 | Arendt 1998, S. 33ff, S. 47. 45 | Ebd., S. 33ff., 78, 300f.

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detailliert beschrieben. Unter anderem zählten dazu Redeverbote, Ausgehverbote und Kleidungsvorschriften.46 Die beiden Sphären werden durch soziales und politisches Handeln aktiv hergestellt und durch architektonische Strukturen verstärkt. Gesetze, Mythen und soziale Normen spielen eine wichtige Rolle zur Herstellung dieser hierarchischen Trennung. Die Geschichte dieser Zuschreibungen und Einordnungen kann bis in die bürgerliche Tradition fortgeschrieben werden. Die Einschränkungen, die sich für Frauen daraus immer noch ergeben, sind von Elizabeth Wilson, Marianne Rodenstein, Kerstin Dörhöfer, Ulla Terlinden und anderen herausgearbeitet worden.47 Heute existieren Ausschlussmechanismen von Frauen aus dem öffentlichen Raum fort, sie sind allerdings etwas subtiler geworden.48 Der Begriff von Öffentlichkeit mit Berufung auf die Antike und die Agora, wie ihn Sitte verwendet, rekurriert auf eine Öffentlichkeit bürgerlicher Männer. Die Metapher der Stadt als Haus kann unhinterfragt die klassischen griechischen Hierarchien zwischen öffentlich und privat, zwischen polis und oikos reproduzieren, und zwischen den einzelnen Mitgliedern des oikos: Mann-Frau, Herr-Sklave. Über die Betonung der gemeinschaftlichen Qualität, wie sie mit der Metapher der Familie verbunden ist, werden diese Hierarchien verschleiert. Sitte hat diese Problematik kaum beschäftigt, dennoch sah er den öffentlichen Charakter der Plätze bedroht. Es werde nicht mehr auf der Agora diskutiert, wie seinerzeit bei den alten Griechen, stellte Sitte fest. Die städtischen Plätze hätten ihre Funktion als Versammlungssäle der Gemeinschaft der Stadtbürger verloren, da die öffentliche Debatte sich in die Printmedien verlagert habe.49 Sitte selbst schrieb regelmäßig im Feuilleton großer Tageszeitungen – speziell dem deutschliberalen Neuen Wiener Tagblatt – und in Fachzeitschriften, die er einmal sogar als »Sprechsaal« bezeichnete.50 Er setzte also selbst auf das Medium, das dem öffentlichen Raum der Stadt seine wichtigste Funktion genommen hatte, um sich an der Debatte über den Wiener Stadtumbau zu beteiligen. Bereits 1840 hatte John Stuart Mill argumentiert, dass die technischen Fortschritte in der Kommunikation es ermöglichten, die politische Erfahrung der Athenischen Demokratie neu zu schaffen: »The newspapers and the railroads are solving the 46 | Vgl. Keuls 1993. 47 | Wilson 1993; Rodenstein 1994; Dörhöfer/Terlinden 1998. S. 151ff. 48 | Vgl. Becker 1996. 49 | Sitte»Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 112–113. 50 | Sitte, »Unser gewerbliches Unterrichtswesen«, 1899, CSG 4, S. 446. Das Neue Wiener Tagblatt, in dem auch Kronprinz Rudolf bis zu seinem Freitod im Jahre 1889 mitunter unter Pseudonym veröffentlichte, wurde unter der Führung von Moritz Szeps neben der Neuen Freien Presse zum führenden fortschrittlichen Presseorgan der Monarchie. Der Kontakt Sittes lief über seinen Schulfreund Viktor Schembera, unter dessen Namen einige Artikel von Sitte über Gottfried Semper erschienen. Vgl. Posch 2010, S. 14ff.; Wilhelm 2006, S. 69.

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problem of bringing the democracy of England to vote, like that of Athens, simultaneously in one agora.«51 Die technischen Erfindungen des 19. Jahrhunderts machten es möglich, dass Sprecher und Hörer (oder Schreiber und Leser) nicht mehr zur selben Zeit im selben physischen Raum anwesend sein mussten, eine Entwicklung, die sich selbstverständlich im Laufe des 20. Jahrhunderts durch die neuen Technologien des Internets und der Telekommunikation noch potenziert hat.52 Theoretiker wie Vilém Flusser oder Paul Virillio vertraten die These, dass Städte als Kulturphänomene bestimmten Funktionen dienen sollten, die im Informationszeitalter nicht mehr benötigt würden. Damit zeichne sich ab, dass die althergebrachte Stadt verschwinden werde. Flusser schreibt: »Die Kommunikationsrevolution reißt die Stadtmauern ein, ihre Kanäle durchlöchern die Dächer, ihre Kabel überdecken die öffentlichen Räume und lassen sie verschwinden. Die elektromagnetischen virtuellen Räume und Zeiten wehen durch die Gegend, um die städtische Zeit hinwegzublasen und den städtischen Raum abzuräumen.«53 Flusser bezeichnete die traditionelle Vorstellung von städtischen Räumen in einem Vortrag 1989 als »Bild«, wobei er mit »Bild« ausdrücklich solche bildlichen Vorstellungen meint, wie sie für die Formierung von Paradigmen notwendig sind. »Das Bild, das wir uns gewöhnlich von der Stadt machen, sieht ungefähr so aus: Häuser, wirtschaftliche Privaträume, umgeben von einem Marktplatz, einem politischen öffentlichen Raum, und darüber, auf einem Hügel, steht ein Tempel, ein theoretischer Sakralraum.«54 Jeder Raumtyp stehe also für eine gesellschaftliche Funktion oder Sphäre. Man könne diese drei Raumtypen nun auf unterschiedliche Art koppeln, entweder diene die Ökonomie der Politik und diese wiederum der Theorie (griechische Antike), oder die Ökonomie und die Theorie der Politik (Renaissance), oder die Politik und die Theorie der Ökonomie (Gegenwart). Flusser las die Stadt mit ihren Räumen selbst als Metaphern für Wertesysteme und soziale und politische Beziehungen. Er fährt fort: »Sehen wir uns dieses Bild einmal an. Es ist nicht mehr zu gebrauchen. Die drei Stadträume greifen jetzt wie Fuzzy sets ineinander. Der öffentliche Raum dringt in den privaten dank Kabel (im Falle des Fernsehens). Der Privatraum dringt in den öffentlichen dank Apparaten (wie Autos). Es gibt in der Stadt nichts tatsächlich Öffentliches und nichts tatsächlich Privates mehr. […] Das hergebrachte Stadtbild mit seinen drei Räumen kann ad acta gelegt werden. […] Wir sind jedoch denk- und einbildungsfaul und klammern uns an alte Bilder.« Das alte Stadtbild fuße zudem auf einem veralteten Menschenbild. In der traditionellen Stadt kamen Individuen zusammen, doch es gebe auch keine Individuen mehr. Der Mensch müsse stattdessen als eine dichte Streuung von Teilchen angesehen werden. »[…] es nützt nichts,« folgert Flusser, 51 | 52 | 53 | 54 |

Mill 1977, S. 165. Vgl. Jormakka 2003, S. 226. Flusser 1991, S. 22. Flusser 2003, S. 182ff.; alle folgenden Zitate ebd.

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Abbildung 2.7: Rückgang von Aktivitäten auf öffentlichen Plätzen, bereits zu Camillo Sittes Zeiten. Der Hohe Markt in Wien 1715 und 1898. Stich von Johann Adam Delsenbach bzw. Foto von August Stauda. (Fischer von Erlach 1719 bzw. Laurencic 1898)

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»wir müssen in den sauren Apfel der Stadt als Feldkrümmung beißen.« Diese neue Metapher sei immateriell, geographisch nicht mehr lokalisierbar, doch nur auf den ersten Blick verwirrend. Die »neuen Städte« sind in diesem Bild »Wellentäler« in Netzen zwischenmenschlicher Beziehungen. Auch wenn man Flusser ganz so weit nicht folgen will, unsere Auffassung von Öffentlichkeit und Privatheit hat sich durch die modernen Kommunikationsmittel verändert. So bedeutet Privatsphäre heute im Alltagsverständnis idealerweise einen von der sozialen Kontrolle abgeschirmten Rückzug, der als Bereich der persönlichen Freiheit erfahren wird. Der öffentliche Stadtraum hat damit weite Teile seiner Funktion als Kommunikationsraum eingebüßt. Es ist durchaus diskussionswürdig, was mit dem Begriff des öffentlichen Raums eigentlich noch gemeint sein kann. Zu dieser Frage scheiden sich die Geister. Marshall McLuhan hatte bereits 1962 den Begriff des Global Village geprägt und prognostiziert, dass die moderne Welt durch elektronische Vernetzungen zusammenwachsen werde. Dieser Metapher ist neben der Betonung des Zusammenrückens weit entfernter Personen in einem Dorf der Verlust des Städtischen inhärent. Schon Sitte beobachtete, dass die Nutzung öffentlicher Plätze in jeder Hinsicht abnahm: »In unserem öffentlichen Leben hat sich aber Vieles unwiderruflich geändert, was manchen alten Bauformen ihre einstige Bedeutung entzieht, und daran lässt sich eben nichts ändern.«55 Die organische Verbindung zwischen urbaner Form und den Ritualen bürgerlichen Lebens sei in den modernen Zeiten verloren gegangen: »Wir können es nicht ändern, dass der Verkehr aus hygienischen und anderen Rücksichten sich von den Marktplätzen in die Markthallen zurückzieht. Wir können es nicht ändern, dass nicht mehr unsere Mägde, schön geschürzt, mit ihren Kübeln zum Marktbrunnen schreiten, vielmehr in jeder Küche bereits die Wasserleitung functionirt.«56 (Abb. 2.7) Sitte hielt trotzdem an öffentlichen Plätzen als Bedeutungsträgern fest. Eine Bestätigung könnte Sittes Strategie vielleicht in der Einschätzung von Arthur C. Danto finden, dass architektonische Räume durch ihre metaphorische Kraft bei den Nutzern bestimmte Verhaltensweisen unterstützen. Der Campus der Colum-bia University (McKim, Mead und White 1894–98), – sei ein »architectural reenact-ment of a Renaissance reenactment of a dreamt classical city, believed to be real«.57 Anstatt beispielsweise mit Anklängen an ein mittelalterliches Kloster die Studierenden zu Mönchen in Klausur zu stilisieren, hätten McKim, Mead und White die Studierenden und Lehrenden zum Teil der Stadt gemacht, offen für ökonomische, politische und künstlerische Belange der Welt. Als die Studenten 1968 in politischer Entrüstung auf der Lower Plaza zusammenströmten, hätten sie sozusagen den Tumult auf der Piazza nachgespielt, die Triebkraft politischen Umbruchs in der Renaissance. Der imaginative Gehalt ihrer Handlungen sei den Akteuren 55 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 112–113. 56 | Sitte, »Über alte und neue Städteanlagen«, 1889, CSG 2, S. 268. 57 | Danto 1984, S. 99.

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vielleicht damals nicht bewusst gewesen, doch sei ihr theatralischer Aufstand in der ganzen Welt wiederholt worden. Der Campus der Columbia University sei ein Paradigma für den Erfolg einer symbolischen Transformation ihrer Benutzer, da die Nutzung des Bauwerks dessen Metapher bestätigt habe. Die Formen von 1968 seien, so Danto, letztendlich McKim, Mead und White zu verdanken. Diese Interpretation erscheint vielleicht etwas überspitzt. Trotzdem ist zu konstatieren, dass die 68er-Bewegung den öffentlichen Raum wieder als Ort für politische Debatte ins Spiel gebracht hat. Seit einigen Jahren sehen wir eine neue Generation agieren; die Antiglobalisierungsbewegung hat den Methoden der 68er zu neuem Leben verholfen. Und im Jahr 2011 erlebte man in Europa ungläubig über das Internet mit, wie in den arabischen Städten Demonstranten mit ihrer Präsenz auf den Straßen gleich eine ganze Reihe despotischer Machthaber zu Fall brachten. Sitte seinerseits dachte den öffentlichen Raum nicht als Ort, in dem sich soziale oder politische Unruhen kristallisieren.58 Ganz anders als Baron Haussmann, dessen Plan für Paris mit seinen breiten Boulevards Barrikaden, wie sie während der Revolution von 1848 errichtet wurden, in Zukunft unmöglich machen sollte. Diese Gedanken waren ja bei der Anlage der Wiener Ringstraße anstelle der ehemaligen Stadtbefestigungen im Spiel gewesen. Nach 1848 stürmte der bedrohlichste Feind eben nicht mehr von außen gegen die Festungsmauern der Stadt, sondern lauerte unsichtbar in ihrem Innern.

Haus als Stadt Zwei Jahrzehnte nach Sitte nahm Josef Frank (der über Alberti dissertierte) die andere Hälfte der klassischen Formulierung auf und interpretierte das Haus als Stadt. »Ein gut organisiertes Haus ist wie eine Stadt anzulegen mit Straßen und Wegen, die zwangsläufig zu Plätzen führen, welche vom Verkehr ausgeschaltet sind, so dass man auf ihnen ausruhen kann. […] Es ist sehr wichtig, dass dieser Weg ohne auffallende Mittel, ohne dekorativ-plakatartige Mittel vorgezeichnet wird, so dass der Besucher nie auf den Gedanken kommen kann, dass er geführt wird. Ein gutes Haus gleicht jenen schönen alten Städten, in denen sich der Fremde sofort auskennt und, ohne danach zu fragen, Rathaus und Marktplatz findet.«59 Die Ähnlichkeiten, die durch die metaphorische Beziehung zwischen den Konzepten Haus und Stadt konstruiert werden, sind nicht einseitig, das wird deutlich. Sie wirken in beide Richtungen. Die Stadt als Haus zu betrachten, das eröffnet gleichzeitig neue Blicke auf das Haus. Komplexere Bauten als »kleine Städte« oder »Stadt im Kleinen« zu bezeichnen, ist eine recht abgegriffene Metapher. Beziehen kann man sich dabei etwa auf Grundrissorganisation und innere Erschließung oder den Grad der Öffentlichkeit von Innenräumen. Viele Architekten bezeichneten Innenräume als »Piazza« oder »innere Straße« So zum 58 | Sitte, »Brief an Alfred Lichtwark«, 1903; Wilhelm/Jessen-Klingenberg 2006, S. 150. 59 | Frank 1931, S. 318f.

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Abbildung 2.8: Stadt im Haus. Der Wolkenkratzer als utopisches Instrument zur unbegrenzten Gewinnung von Neuland. Cartoon eines Towers mit 84 Ebenen, publiziert in Life, 1909. (Koolhaas 1999)

Beispiel Alvar Aalto, der den zentralen Raum seines Geschäftshauses Rautatalo (Helsinki, 1951–55) als »italienische Piazza« für das in Finnland notorisch schlechte Wetter bezeichnete, oder Le Corbusier, dessen Unité von »Straßen« erschlossen wird. Die 2003 fertig gestellte Niederländische Botschaft in Berlin von Rem Koolhaas ist als eine »Stadt im Haus« um eine 200 Meter lange mäandrierende »Binnenstraße« konzipiert, wie eine Rezension in der Neuen Zürcher Zeitung ausführt: »Im Gebäudeinnern setzt sie [die Straße] sich als Gang fort, der sich vom Foyer bis aufs Dach schlängelt. Dieser inszeniert als Lebensader der Botschaft eine Art Strassenleben: Räume, Menschen, Innen- und Aussenwelt, Aussichten und Einblicke, alles ist über die eine, zweihundert Meter lange Binnenstrasse miteinander verbunden.«60 Eine andere mögliche Interpretation wäre, dass ein Haus so groß, vielfältig und unübersichtlich wird wie eben eine Stadt. Koolhaas hat in diesem Sinne 1978 in Delirious New York die frühen Wolkenkratzer New Yorks als neue Prototypen

60 | Schwartz 2003.

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Abbildung 2.9: Neuauflage eines alten Traums: »Highrise of Homes« sollte Privatheit und Urbanität versöhnen, Projekt von James Wines für New York City, 1981. (The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florenz)

urbanen Bauens beschrieben: »Wenn die 39 Etagen des Equitable [von E.R. Graham, 1915] eine ›Stadt für sich‹ bilden, dann ist das 100stöckige Bauwerk [das eine Gruppe von Planern unter Theodore Starrett ab 1911 plante] eine eigenständige Metropole […] Allein schon seine Größe wird das normale Lebensgefüge sprengen. […] Die Reise nach oben wird alle 20 Stockwerke durch öffentliche Plazas unterbrochen, die zur Abgrenzung der verschiedenen funktionalen Bereiche dienen: Gewerbe im untersten Viertel, Büros im zweiten, Wohnungen im dritten und ein Hotel im vierten. Der 20. Stock ist ein Markt, der 40. eine Ansammlung von Theatern, der 60. ein ›Einkaufsviertel‹, der gesamte 80. ein Hotel und der 100. ein ›Vergnügungspark mit Dachgarten und Schwimmbad‹.«61 Koolhaas zeigte in seinem Buch dazu einen bereits 1909 gezeichneten Cartoon, der einen Wolkenkratzer mit 84 Ebenen als utopisches Instrument zur unbegrenzten Gewinnung von Neuland entwarf.62 (Abb. 2.8) 61 | Koolhaas 1999, S. 86. 62 | Zit. in Koolhaas 1999, S. 80.

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Abbildung 2.10: Eine ganze Stadt in einem Haus. Unité d’Habitation in Marseille von Le Corbusier, 1946–52, für 1400 Bewohner geplant, mit öffentlichen Bereichen und Versorgungseinrichtungen im Inneren und auf dem Dach. (Benevolo 2000)

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Auch James Wines ließ sich von diesem Cartoon inspirieren. Er entwickelte 1981 das Projekt »Highrise of Homes«. Wines stellte sich eine »vertikale Gemeinschaft« vor, »in der die gegensätzlichen Bedürfnisse der Menschen untergebracht werden können, damit diese die Vorteile eines urbanen Zentrums nutzen können, ohne dafür jedoch die individuelle Privatsphäre eines Vorstadthauses mit Garten aufgeben zu müssen«.63 Er plante eine Stahlbetonkonstruktion für ein U-förmiges Gebäude mit acht bis zehn Geschossen und zentralem Versorgungskern im dichten innerstädtischen Bereich. Die Bauträger sollten Parzellen innerhalb des Baus verkaufen, wobei auf jede Parzelle ein individuell errichtetes Haus mit Garten passe. (Abb. 2.9) Die beiden zuletzt beschriebenen Projekte mögen als ironische Kommentare erscheinen, nicht als echte Option im Städtebau. Ganz ähnlich hatte allerdings Le Corbusier bei seiner Unité d’Habitation gedacht. Diese kann man ebenfalls als eine Art senkrecht gestellte Einfamilienhaussiedlung sehen. (Abb. 2.10) Le Corbusier sprach den Gedanken auch aus: »Ein Wolkenkratzer ist ein in die Höhe gebautes Stadtviertel.«64 Allerdings folgen die Wohneinheiten dabei einem einheitlichen Plan. Die Unités haben den Wohnungsbau in großem Maßstab und auf allen Kontinenten inspiriert und inspirieren ihn bis heute, wobei häufig an den semi-öffentlichen Bereichen und der Infrastruktur gespart wird. Die Stadt im Haus hat also längst aufgehört, eine Phantasie auf dem Papier zu sein. Wenn Häuser zu Städten werden, bleibt die Frage, was aus dem sie umgebenden Raum der Stadt wird. Koolhaas folgerte pessimistisch: »Von nun an will jedes neue Gebäude der mutierten Art eine ›Stadt in der Stadt‹ sein. Dieser halsstarrige Ehrgeiz verwandelt die Metropole in eine Ansammlung architektonischer Stadtstaaten, die sich potentiell bekriegen. [Hervorhebung i.O.]« 65 Der ehemals öffentliche Raum werde zur umgebenden Landschaft degradiert, Innenräume übernähmen die ehemals urbanen Funktionen. Das Atrium in John Portmans Atlanta Mariott beschreibt Koolhaas als »ersatz downtown [Hervorhebung und Deutsch i.O.]«.66 Diese Entwicklung wurde für die USA häufig beschrieben, wo in den Suburbs Malls die Funktion von Stadtzentren übernommen haben – nur dass diese Räume eben nicht mehr öffentlich, sondern in privatem Besitz sind. Die Haus-Metapher stellt Ähnlichkeiten her, die in beide Richtungen auszulegen sind. In diesem Fall gehören beide Konzepte, öffentlicher Raum und das Haus, in den Wirkungsbereich einer Disziplin, der Architektur. Bei allen Ähnlichkeiten zwischen Stadt und Haus bleibt doch unbestritten, dass beide im Grunde zwei verschiedene Dinge sind. Zu Sittes Zeiten befanden sich beide Kon63 | 64 | 65 | 66 |

Zit. in McQuaid 2003, S. 220. Le Corbusier 1979, S. 149. Koolhaas 1999, S. 85. Koolhaas, »Atlanta«,1995, S. 843.

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zepte bereits in Bewegung, da ja sowohl die gewachsene Stadt mit sozial und räumlich klar definierten Grenzen nicht mehr existierte, wie auch das über die Generationen vererbte städtische Familienhaus bereits der Vergangenheit angehörte. Im 20. Jahrhundert ist dann zu beobachten, wie sich in der architektonischen Praxis über die Metapher die Funktionen von Stadt und Haus auf Kosten des öffentlichen Raums mehr und mehr vermischen.

Die Stadt als Lebewesen Sitte verwendete häufig die Metapher der »Verkehrsader«. In einer Artikelserie für das Neue Wiener Tagblatt, in der er 1894 die Weiterentwicklung der Verkehrsinfrastruktur der Hauptstadt (Schifffahrt, Eisenbahn und Straßenanlagen) diskutierte, führte Sitte dazu aus: »Mit dem Verkehre einer großen Stadt verhält es sich nämlich genau so wie mit der Blutzirkulation im lebenden Körper; Alles strebt von außen zum Herzen und von diesem wieder zurück nach außen.«1 LebewesenMetaphern sind vielleicht die bedeutsamsten für den Städtebau überhaupt. Die Organismusdebatte eröffnet derart vielfältige und komplexe Bedeutungsfelder, dass es im Rahmen dieses Buches unmöglich ist, einen vollständigen Überblick zu versuchen. Über die Stadt als Organismus ließen sich Bände füllen. Seit der Antike sind sie mit einer Vielzahl von Bedeutungen aufgeladen worden. Im 20. Jahrhundert ist die Biologie gar zu einer Art Leitdisziplin für den Städtebau geworden. In der Organismus-Metapher überkreuzen sich so unterschiedliche Absichten und Strömungen wie die Gartenstadtbewegung, Futurismus, CIAM, nationalsozialistische Planungen, New Urbanism und die Ökobewegung. Camillo Sitte, Ildefonso Cerda, Patrick Geddes, Frank Lloyd Wright, Raymond Unwin, Le Corbusier, Lewis Mumford, Hans Bernhard Reichow, Hugo Häring und Ludwig Hilberseimer (Mumford und Geddes übrigens ausgebildete Biologen!) und viele andere haben in Begriffen der Organismus-Metapher Probleme formuliert. Selbstverständlich hängt die Auslegung von den jeweiligen Naturvorstellungen ab. Die Ansatzpunkte reichen von der antiken Idee der Kunst als Nachahmung der Natur über religiös motivierte Vorstellungen anthropomorpher Proportionen bis zu den modernen Naturwissenschaften und der Medizin mit ihrem spezifischen Blick auf den menschlichen Körper und seine Krankheiten. Die Metapher impliziert die Existenz einer wie auch immer gearteten Ordnung im unübersichtlichen Stadtgefüge. Ein Organismus bleibt in sich grundsätzlich stabil und kann sich trotzdem im Laufe der Zeit wandeln. Bewahrt die Stadt in ihrer (»genetischen«) Struktur die Spuren ihres Bildungsprozesses und enthält sie gar einen Plan ihres kommenden Wachstums? Eine Überidentifikation birgt allerdings die Gefahr, die Stadt zu »naturalisieren«, ihr ein effektives Leben zuzuschreiben, das sie verlieren könnte, ihren 1 | Sitte, »Wien der Zukunft. Regulirungsprojekte«, 1894, CSG 2, S. 424.

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Gesundheitszustand zu diagnostizieren, das Verzeichnis ihrer Krankheit zu erstellen, sie zu personalisieren – mit dem mehr oder weniger beabsichtigten Ziel, zu verschleiern, dass Stadtplanung zumeist das Ergebnis politischer Entscheidungen oder ökonomischer Interessen ist.2 Silvain Malfroy vertrat 1986 die Ansicht, dass die Metapher trotz aller Gefahren nach wie vor produktives Potential entfalte: »Was verändert sich in unserer Art, die Stadt wahrzunehmen und auf sie einzuwirken, wenn wir akzeptieren, sie als einen Organismus zu betrachten und nicht etwa als »technisches Instrument« oder als Dschungel (einmal angenommen, diese Metaphern wären momentan vorherrschend und regelten unser Verhalten)? […] Sagen wir vorläufig […] dass eine Stadt, die im Unterschied zum Dschungel als Organismus betrachtet wird, als organisierte Ganzheit erfassbar wird und sich methodisch analysieren lässt (da es eine Wissenschaft der lebenden Organismen gibt, muss es auch möglich sein, eine Wissenschaft der Dinge zu denken, die diesen in einigen Aspekten zumindest analog sind). […] Andererseits wird die Anerkennung des organischen Charakters der Stadt im Gegensatz zu ihrem Bild als technisches Instrument zu einer Konzeption eines der Stadt innewohnenden Wachstumsprinzips führen.«3

O RGANISMUS Funktion Der Ausdruck »Organismus« meint in der Biologie und Medizin ein individuelles Lebewesen; das kann eine Pflanze, ein Tier oder ein Mikroorganismus sein. Die Wortherkunft vom griechischen Organon, »Werkzeug«, verdeutlicht, dass dieses Lebewesen als ein System aus mehreren Organen gedacht wird, die sich in ihren Funktionen gegenseitig zu einem Ganzen fügen, das mehr ist als die Summe seiner Teile. Eine ganze Reihe von Fragen tun sich auf: Wann kann ein System überhaupt als eine von ihrer Umgebung klar abzugrenzende unabhängige Einheit angesehen werden? Wie sind die einzelnen Elemente definiert und um welche Art von Einheit handelt es sich folglich? Außerdem wurde kontrovers diskutiert, ob die unterschiedlichen Ausprägungen auf eine gemeinsame Urform rückführbar seien. Wenn die Existenz einer Urform angenommen wird, dann beinhaltet das im Grunde die Idee einer allem Leben innewohnenden Essenz oder eines göttlichen Plans. Im Grundsatz wurden diese Fragen bereits in der Antike formuliert. Durch naturkundliche Studien im 18. und 19. Jahrhundert gewann die Debatte eine neue Dynamik.4 Frühe Klassifikationen (Georges Louis Leclerc Comte Buffon, Histoire Naturelle, 1749, und Carl von Linné, Species Plantarum, 1753) hatten die Arten nach der 2 | Vgl. Malfroy 1986, S. 121, 155f. 3 | Malfroy 1986, S. 119. 4 | Collins 1998, S. 149ff.

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formalen Anordnung ihrer Organe eingeteilt. Im ausgehenden 18. Jahrhundert wurden in der neu begründeten Biologie die Organe in ihrer Funktionsweise und ihrem Verhältnis zueinander analysiert. Für den Buffon-Schüler Jean Baptiste de Lamarck, der die Methoden und Erkenntnisse aus der Botanik auf die Zoologie übertrug (und für die Verbindung der beiden bis dahin getrennten Disziplinen um 1800 den Begriff »Biologie« prägte), war »Funktion« ein Schlüsselkonzept. Sein Lehrer Buffon hatte die These vertreten, dass alle Arten sich von einer einzigen Art her entwickelt hätten – sein System war also regressiv. Lamarck kam nun zur Überzeugung, dass die Entwicklung ganz im Gegenteil progressiv sei. Er erklärte die Weiterentwicklung der Arten mit den Veränderungen, die sich in den einzelnen Individuen unter dem Einfluss der Außenwelt, des »Milieus«, vollzögen. Neue Organe bildeten sich, so Lamarck, als Folge neuer Bedürfnisse aus und als Folge jener Tätigkeiten, die durch diese Bedürfnisse verursacht würden. Diese Auffassung bildete eine wichtige Grundlage für die Auffassung von »organischer« oder »funktionalistischer« Architektur. In einer berühmten Passage formulierte der amerikanische Architekt Louis Sullivan 1896: »Whether it be the sweeping eagle in his flight, or the open apple-blossom, the toiling work-horse, the blithe swan, the branching oak, the winding stream at its base, the drifting clouds, over all the coursing sun, form ever follows function, and this is the law. Where function does not change form does not change.«5 Auch soziale Prozesse konnten in diesem Sinne interpretiert werden. Peter Collins hat darauf hingewiesen, dass soziale bzw. politische Prozesse ein Auslöser für die Theorie selbst gewesen sein mögen. Im Kontext der Französischen Revolution und in einer Zeit allgemeinen Forschrittsglaubens mussten Lamarcks Thesen wesentlich mehr Überzeugungskraft haben als die von Buffon.6 In der Naturwissenschaft wurde Lamarck bald von Charles Darwin (Origin of the Species, 1859) widerlegt, nach dem die Evolution auf die Selektion bereits vorhandener, zufällig entstandener Arten zurückgeht, oder, um es anders auszudrücken, auf die Eliminierung obsoleter Formen. In der Architektur bleibt der Gestaltungsleitsatz »form follows function« und damit die Idee, dass die Form aus der Funktion quasi zwangsläufig entsteht, bis ins 21. Jahrhundert hinein relevant. Der Anatom Félix Vicq d’Azyr hatte Ende des 18. Jahrhunderts neun organische Funktionen definiert: Verdauung, Nahrung, Zirkulation, Atmung, Ausscheidung, Knochenbau, Erzeugung, Reizbarkeit und Sensitivität. Er formulierte die These, dass alle unterschiedlichen Organe zueinander in einem gegenseitigen Verhältnis stünden, beispielsweise die Zähne mit dem Verdauungstrakt und den Extremitäten.7 Baron Georges Cuvier führe diese Untersuchungen über das Zusammenspiel zwischen dem Ganzen und seinen Teilen weiter (Recherches sur les ossements fossiles, 1812). Die Form eines Organismus werde durch die Funktion determiniert, denn: 5 | Sullivan 1896, S. 408. 6 | Collins 1998, S. 150. 7 | Vgl. Ebd., S. 153.

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alle lebenden Kreaturen seien von Gott nur mit denjenigen Organen ausgestattet, die sie zum Überleben benötigen. Ein Organismus besäße folglich keine unnötigen Organe, die formale Struktur ergibt sich damit aus der Funktion. Kein Teil könne geändert werden, ohne dass sich dadurch alle anderen verändern. Anhand eines Zahnes könne man auf die Struktur der Extremitäten oder des Verdauungstraktes schließen, behauptete er. Cuviers These wurde später von vielen Architekten aufgegriffen. Viollet-le Duc behauptete 1866 in seinem Dictionnaire raisonné de l’architecture française: »Und so wie man aus dem Blatt einer Pflanze auf die ganze Pflanze schließen kann, aus dem Gebein eines Tieres auf das ganze Tier, so kann man auch in der Architektur vom Profil auf das Bauteil und vom Bauteil auf das ganze Bauwerk schließen.«8 Die naturwissenschaftliche Kontroverse zwischen Cuvier und seinem Gegenspieler Geoffroy Saint-Hilaire, ob Funktion oder Form das ordnende Prinzip sei, löste sich schon in den 1840er Jahren in Nichts auf, als neue, stärkere Mikroskope erfunden wurden. Von da an wurden Organismen nicht mehr als sinnvoll konstruierte Mechanismen betrachtet, sondern als Zellhaufen. In der Architektur war Cuviers Idee, die von seinen Kollegen so schnell entkräftet worden war, ausgesprochen zählebig. Hier fingen die Theorien von Cuvier und Lamarck erst Ende des 19. Jahrhunderts an, ihre Wirkung zu entfalten. Erst im 20. Jahrhundert kamen sie zu voller Blüte. Loos behauptete 1919, wenn von einem untergegangenen Volk nichts weiter als ein einzelner Knopf übrigbleibe, so könne man von diesem ausgehend die ganze Lebensweise dieses Volkes erschließen.9 Ludwig Hilberseimer wandte 1927 den Gedanken auf die Stadt an mit seiner Forderung, dass »das groszstädtische Bauwerk […] als Zelle, der groszstädtische Organismus als Teil einer Einheit wesentliche architektonische Eigenhaften aufweisen [müsse], die durch die Wesenheit Groszstadt bedingt« seien. »Daher muss sich der Unterschied der Groszstadt von anderen Stadtformen auch beim einzelnen Gebäude zeigen.«10 Und Hannes Meyer fragte 1928: »[…] wie ersteht der entwurf eines stadtplanes? oder eines wohnplanes? komposition oder funktion? kunst oder leben????? bauen ist ein biologischer vorgang. bauen ist kein aesthetischer prozeß. elementar gestaltet wird das neue wohnhaus nicht nur eine wohnmaschinerie, sondern ein biologischer apparat für seelische und körperliche bedürfnisse.«11 Die neuen Baumaterialien müssten »funktionell-biologisch« organisiert werden, dann »erstehen selbsttätig und vom leben bedingt die einzelform, der gebäudekörper, die materialfarbe und die oberflächenstruktur«. Als Funktionen des Wohnens definierte er bekanntermaßen: »01. Geschlechtsleben, 02. Schlafgewohnheit, 03. Kleintierhaltung, 04. Gartenkultur, 05. Körperpflege, 06. Wetterschutz, 8 | Viollet-le-Duc, »Stil«, 1993, S. 26. 9 | Loos, »Antworten auf Fragen aus dem Publikum«, 2010, S. 505. 10 | Hilberseimer 1978, S. 99,100, 101. 11 | Meyer 1928, S. 12; folgende Zitate ebd., S. 13.

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Abbildung 3.1: Eine organisch gegliederte Stadt – wie ein Flugzeug oder ein Vogel. »Plano Piloto« im Wettbewerb für die Hauptstadt Brasília von Lucio Costa, 1957. (Casa de Lucio Costa)

07. Wohnhygiene, 08. Autowartung, 09. Kochbetrieb, 10. Erwärmung, 11. Besonnung, 12. Bedienung.« Bauen – von Architektur sprach er bewusst nicht, um seine Ablehnung des Künstlerischen zu demonstrieren – definierte Meyer als »die überlegte organisation von lebensvorgängen«. Auf dem vierten CIAM-Kongress 1933 auf dem Schiff Patris II definierten die versammelten Architekten der Moderne die vier Funktionen der Stadt als Wohnen, Arbeiten, Erholung und Verkehr. In der unter Federführung von Le Corbusier entwickelten Charta von Athen wurde die »Funktionelle Stadt« in 95 Paragraphen kodifiziert. Besonders wichtig schien es den Unterzeichnern, den Stadtgrundriss seinen Funktionen entsprechend zu zonieren, um diese dadurch voneinander zu trennen. Der »Funktionalismus« wurde im Städtebau zum allgemeinen Standard, mit Nachwirkungen bis heute. Faszinierend ist an der Funktions-Metapher die große Zeitverzögerung beim Import naturwissenschaftlicher Konzepte in die Architekturtheorie. Das verstört gerade bei Architekten wie Hannes Meyer, der Architektur so ausdrücklich nicht als Kunst, sondern als Wissenschaft verstanden wissen wollte. Und doch entstanden aus dem funktionalistischen Diskurs heraus visionäre städtebauliche Entwürfe. Lucio Costas Plano Piloto von 1957 sah die neue Hauptstadt Brasìlia als Flugzeug oder Vogel, der in eine verheißungsvolle Zukunft fliegt. Der zeichenhafte Grundriss ist der Inbegriff einer organisch gegliederten Stadt. Jedem Organ kommt eine spezifische Form und Funktion zu: in Kopf und Leib die öffentlichen Bauten, während die Wohnquartiere die Schwingen bilden. (Abb. 3.1)

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Evolution Im 19. Jahrhundert hatte sich die Organismus-Metapher in der Architektur eher auf die Frage bezogen, wie Formen entstehen (»wachsen«) und weniger auf den Zusammenhang zwischen Form und Funktion. Gottfried Semper, den Sitte sehr verehrte, formulierte zentrale Ideen, auf die die Funktionalisten später aufbauten. Semper wurde eigenen Angaben zufolge durch Cuviers zoologisches Museum im Jardin des Plantes inspiriert, das er während seiner Lehrjahre in Paris oft besucht hatte. Dort habe er angesichts der großen Zahl variierender Skelette erkannt, dass »die Natur trotz ihres Abwechslung und ihres unermesslichen Reichtums doch in ihren Fundamentalformen und Motiven äußert sparsam und ökonomisch bleibt«.12 Semper klassifizierte künstlerische Tätigkeiten analog zu Cuvier nach funktionalen Komponenten und versuchte, sie auf wenige Urformen zurückzuführen. In diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn Semper von »organisch aus sich selbst emporgewachsen[en]« Städten der griechischen Antike sprach.13 Sempers Auffassung zur Entstehung der Formen aus Material und Funktion prägen – in einem allerdings etwas simplifizierten Verständnis und damit auch verfälschender Interpretation – Camillo Sittes Schriften zum Kunsthandwerk.14 Zwar benutzte Sitte im Bezug auf den Städtebau das Wort »organisch« kaum, doch sprach er von »wie von selbst aus dem Boden gewachsenen Altstädte[n]« und verwendete den Terminus »Urform«.15 Dann wieder bezeichnete Sitte die Ausdifferenzierung verschiedenen Möbeltypen, die er in einer Art Stammbaum sich verzweigend graphisch darstellte, als »natürliche Züchtung«.16 Das ist einer der Schlüsselbegriffe in Darwins Deszendenztheorie, der seinerseits die Metapher der »natürlichen Zuchtauswahl« geprägt hatte, um biologische Prozesse in Analogie zu agronomischen Methoden zu erklären.

Organische Einheit Doch zurück zu Sempers Idee einer Urform, die in Richtung der Naturwissenschaften weist und gleichzeitig auf die Kunsttheorie der Romantik Bezug nimmt. Das Vorbild für Semper war Johann Wolfgang von Goethe. Dieser hatte als Kritik 12 | Semper, »Entwurf eines Systems«, 1979, S. 260f. In diesem Aufsatz äußert Semper den Vorsatz, einen »Cuvier der Kunstwissenschaft« zu verfassen (S. 263). 13 | Semper, »Vorläufige Bemerkungen«, 1979, S. 221. 14 | Vgl. Sittes Untersuchung der »Stammmotive der Ornamentik«: »Die technische konstruktive Bedeutung dieses Motives hat G. Semper aufgedeckt und damit zugleich […] nachgewiesen, dass die Decoration aus der Nothwendigkeit entspringt.« (Sitte, »Ledertechnik«, 1877, CSG 1, S. 316) In seinen Schriften zur Schmiedekunst und zum Möbelbau bezog Sitte sich ebenfalls auf Semper; vgl. Hanisch/Sonne, »Welt der kleinen Dinge«, 2008, S. 130. 15 | Sitte, »Kunst des Städtebauens«, 1891, CSG 2, S. 313; ders., »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1989, CSG 3, S. 15. 16 | Sitte, »Grundformen im Möbelbaue«, 1888, CSG 1, S. 607.

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an den biologischen Klassifikationen von Linné, Buffon und Cuvier in seinen morphologischen Studien die Idee der Urpflanze entwickelt. »Eine solche muss es doch geben! Woran würde ich sonst erkennen, dass dieses oder jenes Gebilde eine Pflanze sei, wenn sie nicht alle nach einem Muster gebildet wären?«17 Die Urpflanze verweise auf ein Prinzip, das allem organischen Material innewohne, innerhalb dessen alle Variationen entstanden seien. Dasselbe Prinzip wollten Goethe und andere deutsche Romantiker auf die Kunst anwenden. Der Philosoph Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling formulierte die prägnantesten Aussagen zum Organismus-Begriff im architekturtheoretischen Diskurs der deutschen Romantik. Er verstand die Architektur als Darstellung der organischen Form im Anorganischen. Daraus leitete er zwei Grundforderungen ab: einerseits die nach geometrischer Regelmäßigkeit in der Architektur, andererseits eine Proportionsauffassung in Analogie zum menschlichen Körper.18 In Nachfolge Schellings kritisierte Carl Schnaase in erbittertem Disput mit seinem Kollegen Franz Kugler 1844 in Über das Organische in der Baukunst die allzu modische Verwendung des Begriffs »organisch« für die Architektur. Er wies darauf hin, dass dieser eigentlich gleichbedeutend mit dem Begriff »Funktionalismus« sei: »Denn wenn man überall nur auf das ›Organische‹, auf die Zweckbestimmung und den Zusammenhang der Glieder (nicht blos durch innere Gedanken, sondern in äußerer Erscheinung) dringt, und in consequenter Entwicklung dieser Ansicht gegen das Ornament immer strenger wird, so wird man zuletzt von der dürftigen Auffassung der Architektur unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit nicht gar weit entfernt sein.«19 Dies ist nun interessant, Schnaase formuliert bereits zentrale Kritikpunkte am Funktionalismus, bevor dieser überhaupt richtig in Erscheinung getreten ist. Der wichtigste Vertreter des romantischen Organizismus im angelsächsischen Raum ist Samuel Taylor Coleridge, der Ideen von August Wilhelm Schlegel weiterentwickelte. Eine Form sei als »mechanisch« anzusehen, führte er in einer Vorlesung 1811 aus, wenn dem Material eine bestimmte Form aufgezwungen werde, die sich nicht aus den Eigenschaften des Materials ableite. Eine »organische« Form dagegen entwickle sich aus dem Inneren heraus. Die Dichotomie »mechanisch«-»organisch«, mit der Coleridge arbeitete, findet sich genauso bei Sitte und wird im Kapitel über die Stadt als Maschine näher diskutiert. Coleridge schrieb dem Organischen vier Attribute zu: 1. Die einzelnen Teile seien ohne das Ganze nicht überlebensfähig. 2. Eine organische Form weise Spuren ihres Wachstumsprozesses auf. 3. Ein Organismus verarbeite Elemente von außen, verdaue sie und mache sie zum Teil seiner eigenen Substanz. 4. Die äußere Form entwickle sich aus einer inneren Notwendigkeit heraus.20 Diese transzendentale Auslegung prägte etwa Frank Lloyd Wrights Definition 17 | Goethe 1996, 17. April 1787, S. 276f. 18 | Schelling 1976; vgl. Kruft 1995, S. 344f. 19 | Zit. in Kruft 1995, S. 347. 20 | Coleridge entwickelte diese Kriterien aus seiner Analyse Shakespeare’scher Theaterstücke heraus. Coleridge 1987, S. 495f.; vgl. Eck 1994, S. 183f.

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Abbildung 3.2: Organische Einheit. »Stadtorganismus Düsseldorf« von Hochbauamt und Stadterweiterungsamt der Stadt Düsseldorf, 1927. (Stadtmuseum Landeshauptstadt Düsseldorf)

des Organischen: »The word organic denotes in architecture not merely what may hang in a butcher shop, get about on two feet, or be cultivated in a field. The word organic refers to entity […]. As originally used in architecture, organic means partto-whole-as-whole-is-to-part.«21 Im Gegensatz zu Schlegel war Coleridge religiös motiviert und legte so den Grundstein für Theoretiker wie Ruskin.22 (Abb. 3.2) Das Prinzip der organischen Einheit nach funktionalen Gesichtspunkten, wie es bereits von Aristoteles formuliert wurde, ist bis heute maßgeblich für die abendländische Kunsttheorie. (Wobei diese Definition damals weniger aus der Naturkunde, sondern aus der Rhetorik gespeist wurde, wie Caroline van Eck gezeigt hat.23) Einem vollendeten Kunstwerk sei nichts wegzunehmen und nichts hinzuzufügen, jedes einzelne Element muss notwendig sein, man muss das Kunstwerk auf einen Blick erfassen können. Sitte dachte sicherlich an diese Definition, wenn er etwa vom »inneren, organischen, naturnothwendigen Zusammenhang eines Werkes in allen seinen 21 | Wright 1953, S. 347. 22 | Eck 1994, S. 183ff. 23 | Ebd.

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Theilen« sprach.24 Die Organismus-Metapher kann anstelle der Verschiedenheit der Glieder den Gedanken der Einheit in den Vordergrund rücken. Der Historiker Jacob Burckhardt zeichnet von der griechischen Polis das Bild eines Organismus, in dem individuelle Interesse dem Gemeinwohl untergeordnet werden müssen: »Die griechische Polis […] geht von vorneherein vom Ganzen aus, welches früher vorhanden sei als der Teil, nämlich das einzelne Haus, der einzelne Mensch.«25 Der deutsche Architekt und Stadtplaner Hans Bernhard Reichow publizierte 1948 mit Organische Stadtbaukunst ein Standardwerk der Nachkriegsplanung. Er zählte eine Reihe von Assoziationen auf, die die Metapher des Organischen im Städtebau ermögliche. Das Organische beinhalte »die Einheit des Seins und der Erscheinung, die Gliederung mit dem Ziel einer funktionellen Zu- und Unterordnung, sinnfälliger Bindung, Ein- und Anpassung, wie die Anpassung schlechthin.«26 Auch auf die organische Einheit des Kunstwerks spielt er an: Eine organisch gegliederte Großstadt bleibe trotz ihrer Größe »im Sinne Lessingscher Kunstbetrachtung auch noch mit einem Blick erfahrbar […] – wie etwa die Wiener Stadtlandschaft vom Kahlen Berg«.27 Damit resümiert er eigentlich alle in diesem Kapitel bisher diskutierten Aspekte. Im Grunde wurde in der Architekturdebatte über das gesamte 20. Jahrhundert hinweg die Organismus-Metapher konstituierend. Zwar gab es innerhalb des Funktionalismus einige wenige Architekten, die speziell als Vertreter der organischen Form galten, beispielsweise Hans Scharoun oder Alvar Aalto, woraus man schließen könnte, dass der ganze Rest kein organisches Konzept verfolgte. Doch stand die Metapher ganz allgemein für die ökonomische Organisation der einzelnen Teile und eine perfekte Übereinstimmung von Funktion und Form. Inzwischen sollte deutlich geworden sein, dass hierbei mitunter Konflikte ausgetragen wurden, die in der Lehndisziplin, den Naturwissenschaften, aufgrund neuerer Erkenntnisse bereits obsolet geworden war.

A NATOMIE Körperteile Architekten haben auf vielfältige Art Anleihen bei der Medizin genommen, besonders bei der Anatomie. Schon Filarete hatte den Architekten als Arzt bezeichnet, der kranke und sterbende Gebäude heilen müsse. Umgekehrt sahen Anatomen Knochen als Wände und Festungsmauern.28 Auch Le Corbusier blätterte 24 | 25 | 26 | 27 | 28 |

Sitte, »Komische Oper«, 1874, CSG 2, S. 168. Burckhardt 1898, S. 80. Reichow 1948, S. III. Reichow 1948, S. 189. Filarete 1972, I,f. 6r., Bd. 1, S. 29; Vesalius 1964, I, S. 1; vgl. Burioni 2005, S. 58.

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offenbar gerne in anatomischen Büchern. Er selbst erwähnte in seinem Buch Urbanisme 1925, dass er urbanistische Metaphern in Anatomiebüchern bestätigt fand.29 Eine Illustration zum Transport von Nährstoffen im Blutkreislauf vom Dünndarm weg durch das Herz beschrieb er als Transportsystem mit den Begriffen »Sammler, Hauptdurchgang, Umschlagbahnhof«.30 Die Stadt Paris war schon früher Gegenstand anatomischer Betrachtungen gewesen: »Paris étant un grand corps, j’ai essayé d’en faire l’anatomie«, kündigte der Schriftsteller Maxime du Camp 1875 an.31 Sitte hatte sich intensiv mit Anatomie beschäftigt. Er besuchte Anatomievorlesungen bei Josef Hyrtl, der sich mit künstlerischen Knochenpräparaten nach bekannten Skulpturen (beispielsweise der Laokoongruppe) einen Namen gemacht hatte. Hyrtl suchte mit seinen Präparaten nachzuweisen, dass die innere Struktur des Knochenskeletts mit dem äußeren künstlerischen Ausdruck einer Plastik korrespondiere. Sitte selbst fertigte eine »Topographische Anatomie« an, eine Serie waagerechter Schnitte durch den menschlichen Körper.32 Die Absichten, die ihn zu diesem ungewöhnlichen Projekt motiviert haben, liegen im Dunkeln. Karin Wilhelm stellte eine Beziehung her zwischen Sittes Interesse an Anatomie und seiner Methodik zur Analyse städtischer Strukturen. Die »Darstellungstechnik [in Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen] ermöglichte es, ein morphologisches Regelwerk der künstlerisch geordneten Platzfiguren gleichsam aus dem Skelettaufbau des Stadtraumes ad oculos zu generieren – ein Verfahren, das im 20. Jahrhundert vom postmodernen Urbanismus als Instrument der Raumanalyse wieder sehr geschätzt wurde«.33 Die Stadt zu sezieren ist jedenfalls eine gebräuchliche Metapher, man denke nur an das 1992 postum erschienene Buch von Spiro Kostof Die Anatomie der Stadt, das im Original allerdings The City Assembled heißt.34 Mithilfe der AnatomieMetapher kann die Unterteilung der Stadt in Organe oder funktionale Einzelteile betont werden. In Le Corbusiers Aussage wird die Intention deutlich, die unüberschaubare, konturlose und dynamische Stadt zu gliedern, handhabbar zu machen: »Die Stadt ist ein Wirbel, doch hat sie jedenfalls einen Körper, der abgeteilte Organe besitzt und einen Umriß.«35 Die zahlreichen Metaphern dieser »Stadtorgane« sind im heutigen Sprachgebrauch fest verankert, so dass sie zum Klischee geworden sind (sogenannte tote Metaphern). Die Metapher der »Lunge«36 als Grünraum verwendet Sitte in seinem bekannten Aufsatz Großstadt-Grün (1900). Die Stadt – metonymisch für deren Bewohner 29 | 30 | 31 | 32 | 33 | 34 | 35 | 36 |

Le Corbusier 1979, S. 255ff. Ebd., S. 259. Du Camp 1875, Bd. 1, S. 5. Vgl. Stalla 2010, S. 59–64. Wilhelm, »Ordnungsmuster«, 2006, S. 35ff., 42f. Kostof 1993. Le Corbusier 1979, S. 61. Sitte, »Großstadt-Grün«, 1900, S. 233.

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gesetzt – würde ohne sie ersticken. Sitte nimmt die Metapher ernst, er zitiert Zahlen zum menschlichen Sauerstoffbedarf und zum Sauerstoffgehalt von Stadt- und Waldluft. Richard Sennett malt in seinem Buch Fleisch und Stein die Metapher aus: Regent’s Park in London (1812 von John Nash) beruhe auf dem Prinzip, dass Menschen, die durch die Straßen-Arterien der Stadt gingen, um den eingeschlossenen Park herum zirkulieren und seine frische Luft einatmen sollten, so wie das Blut durch die Lunge aufgefrischt werde. Dazu sei die Bebauung entlang dieser Straßen einheitlich gestaltet worden.37 Ebenso konventionalisiert ist die Metapher des Machtzentrums als »Herz« der Stadt, die sich bei Sitte ebenfalls findet.38 Ohne das Herz kann die Stadt nicht überleben, das Herz gibt für alle einzelnen Teile den Takt vor und muss von außen her mit Blut versorgt werden. Nach alter Vorstellung ist das Herz der Sitz der Emotionen oder der Persönlichkeit eines Menschen. Le Corbusier spricht daneben von der »Seele der Stadt«, bei Sitte findet sich diese Formulierung nicht.39 Die Stadt als menschlichen Körper aufzufassen hat eine weit zurück reichende Tradition. Bereits Vitruv hatte Proportionsregeln vom menschlichen Körper hergeleitet: »Denn kein Tempel kann ohne Symmetrie und Proportion eine vernünftige Formgebung haben, wenn seine Glieder nicht in einem bestimmten Verhältnis zueinander stehen, wie die Glieder eines wohlgeformten Menschen.«40 Francesco di Giorgio Martini übertrug die anthropomorphe Proportionslehre im 15. Jahrhundert auf alle Maßstabsebenen (Abb. 3.3). Eine Stadt, schrieb er, solle wie ein großer Mann organisiert sein: das nobelste Glied, das alle anderen beherrsche, sei der Kopf beziehungsweise die Burg, in der ein umsichtiger Herrscher wohnt. Die Arme seien die Mauern, Hände und Füße seien die Türme der Stadtmauer, die Kathedrale bilde das Herz. Der (Markt-)Platz wird zum Nabel, von dem aus die Stadt ernährt wird.41 Die metaphorische Verbindung zwischen menschlichem Körper und Stadt war in der Philosophie bereits umgekehrt geknüpft worden; unter anderem hatte Platon den menschlichen Körper mit einer befestigten Stadt verglichen.42 Wir finden, wie schon bei der Haus-Metapher, die Tendenz, dass sich Gebautes und soziale Strukturen in der Metapher überlagern. Der »Staatskörper« oder »Volkskörper« wird dann über den »Stadtkörper« behandelt. Angesichts dessen mag es kaum mehr verwundern, dass auch die Körper-Metapher in die andere Richtung wirkte. Rudolf Virchow, Begründer der Zellpathologie, arbeitete sich an der Metapher vom liberalen Staat ab. Die vielen Zellen des menschlichen Organismus seien gleichsam die Bürger, Individuen, aus denen sich die »Republik« Körper zusammensetze.43 37 | 38 | 39 | 40 | 41 | 42 | 43 |

Sennett 1997, S. 402ff. Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 65. Le Corbusier 1979, S. 52. Vitruvius 1996, II, 1, S. 137. Francesco di Giorgio 1967, S. 3f. Platon, Timaios, 60a. Vgl. Sander 2011.

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Abbildung 3.3: Nach des Menschen Maß. Anthropomorpher Stadtgrundriss von Francesco di Giorgio Martini, Cod. Torinese Saluzziano 148, fol. 3, 15. Jahrhundert. (Francesco di Giorgio 1967)

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Die Betonung der unterschiedlichen Organe kann funktionale Differenzierungen begründen. Sitte forderte, die fortgeschrittene Arbeitsteilung und Spezialisierung solle sich in einer »organische[n], gesunde[n] Mannigfaltigkeit« der städtischen Räume ausdrücken.44 Häufig erfüllen Organismus-Metaphern eine strategische Funktion innerhalb der Argumentation, wie das folgende Zitat von Leon Battista Alberti unterstreicht: »Denn wie bei einem Lebewesen Glied zu Glied, so soll auch bei einem Bauwerk Teil zu Teil passen.«45 Nicht nur ästhetische Prinzipien können so in den Rang von Naturgesetzen erhoben und dadurch legitimiert werden wie in der Kunsttheorie. Auf die Stadt oder den Staat umgelegt, geht es meist um politische Machtverhältnisse und soziale Normen.46 Das organische Konzept beruht auf einer Hierarchisierung der miteinander in Beziehung gesetzten Einzelteile. Das Zentrum (Herz, Kopf, Seele) ist Sitz der Macht, es wird gegen die Peripherie abgesetzt und herrscht über diese. Die Metapher zementiert oder legitimiert damit bestehende Klassenunterschiede. Sitte hatte die gesellschaftlichen Unterschiede nicht grundsätzlich in Frage gestellt: »Der Mannigfaltigkeit der Lebensverhältnisse muss durch eine dementsprechende Mannigfaltigkeit der Zinsforderungen Rechnung getragen werden, das heißt, man muss den gesunden, geschichtlich gewachsenen Status quo möglichst erhalten.«47 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war die Stadt Wien in räumlich klar definierte Sektoren geteilt. Vermittelt durch die Wirkungsweise der Grundrente, hatte die fortschreitende Arbeitsteilung und Ausdifferenzierung sich in räumlicher Segregation von Nutzungen und Bevölkerungsgruppen niedergeschlagen.48 Der erste Bezirk gehörte dem alten Hochadel, dem Klerus und der Bourgeoisie. In den Mittelstädten innerhalb des Gürtels lebte das Bürgertum (4. Bezirk: Kleinadel, Bezirke 5 bis 8: Kaufleute, Kleinbürger, mittlere Beamtenschaft, 9. Bezirk: Ärzte und Universitätslehrer). Außerhalb des Linienwalls lag die Vorstadt, slumartige Quartiere für Proletariat, Zugewanderte, Prostituierte, Kriminelle und die Ärmsten. Diese Vorstadt wurde von den reichen Bewohnern der inneren Stadt kaum jemals als Teil der Stadt wahrgenommen, geschweige denn aufgesucht, sondern als das »Äußere«, das »Andere« imaginiert.49 Die Architektin Margarete Schütte-Lihotzky schrieb in ihren Lebenserinnerungen, sie habe im Rahmen ihres sozialen Engagements während des Ersten Weltkriegs Wiener Arbeiterkinder aus den Außenbezirken kennen gelernt, die noch nie den Stephansdom gesehen hätten.50 44 | 45 | 46 | 47 | 48 | 49 | 50 |

Sitte, »Wien der Zukunft. Regulirungsprojekte«, 1894, CSG 2, S. 430. Alberti 1991, I, 9, S. 48. Vgl. Grosz 1992, S. 247. Sitte, »Discussion General-Regulirungsplan«, 1896, CSG 2, S. 466. Vgl. Banik-Schweitzer 1982, S. 88. Vgl. Maderthaner/Musner 2000, S. 68ff. Schütte-Lihotzky 2004, S. 43.

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Auch die Einbindung der Stadt in das umgebende Land oder den Staat wird mit dieser hierarchisierenden Metapher gefasst: Die Großstadt, schrieb Le Corbusier, sei »das Herz, das treibende Zentrum des Blutumlaufs«, und »das Hirn, das richtunggebende Zentrum des Nervensystems«, »das Hauptorgan« »in der Biologie der Länder«.51 Mit dieser Metapher fasste Le Corbusier eine landläufig akzeptierte funktionale Definition von Stadt. Leonardo Benevolo hat die Stadt entlang hierarchischer Machtverhältnisse und Produktionsbedingungen definiert als Sitz der herrschenden Klasse, die das Land und die unteren Klassen gleichermaßen ausbeute.52 Der schwäbische Romantiker und Arzt Justinus Kerner dichtete um 1875: »[…] Dem deutschen Körper gab zum Kopfe Gott Berlin,/Als Herz doch legt’ er Wien, das herzliche, in ihn.«53 Der Mythos vom »gemütlichen Wien«, dessen Wurzeln bis ins 15. Jahrhundert zurückreichen, bestimmen bis heute Selbst- und Fremdbild der Stadt.54 Er muss im Zusammenhang mit Berlin, der jungen preußischen Hauptstadt gesehen werden, mit der Wien durch das 19. Jahrhundert hindurch in einer Konkurrenz um die Vormacht im Deutschen Reich stand. Das in seiner technisch-wirtschaftlichen Entwicklung Berlin unterlegene Wien gab sich gemütlich, der Kunst und dem leiblichen Genuss verpflichtet. Berlin, das in kultureller Hinsicht mit der Wiener Tradition keinesfalls mithalten konnte, stilisierte sich als vernünftig und rational. Manche Metaphern erzeugen also »Gegenspieler« und entwickeln so in Abgrenzung zueinander eine eigene Dynamik. Beide Städte pflegten ihnen zugeschriebene Charakteristika mit Stolz. Von den jeweils anderen wurden sie dafür hämisch kritisiert, aber insgeheim auch bewundert. Heute wird das Image in Wien von Seiten der Politik, der Stadtplanung und der Tourismuswirtschaft gezielt gepflegt und vermarktet. Eine Metapher kann eine kulturbildende Struktur konstruieren.

Blutkreislauf Eine weitere im allgemeinen Sprachgebrauch verbreitete Metapher ist die »Verkehrsader«, zu der Sitte ausführte: »Mit dem Verkehre einer großen Stadt verhält es sich nämlich genau so wie mit der Blutzirkulation im lebenden Körper; Alles strebt von außen zum Herzen und von diesem wieder zurück nach außen.«55 Sitte greift einen Aspekt der Metapher heraus, die Zirkulation des Bluts, und leitet daraus direkte planerische Konsequenzen für seine Heimatstadt ab: »Die wenigen Hauptschlagadern müssen […] unbedingt radial angelegt werden.«56 Sie sollen von den Außenbezirken ins »Herz« der Stadt führen, also ins Stadtzentrum. 51 | 52 | 53 | 54 | 55 | 56 |

Le Corbusier 1979, S. 84. Benevolo 2000, S. 5f. Zit. in Kaufmann 2004, S. 43. Vgl. ebd. Sitte, »Wien der Zukunft. Regulirungsprojekte«, 1894, CSG 2, S. 424. Sitte, »Discussion General-Regulirungsplan«, 1896, CSG 2, S. 466.

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Dieser stetige Versorgungsfluss darf nicht unterbrochen werden: »Eines geht aber mit zwingender Deutlichkeit aus der ganzen Erörterung hervor, daß Bahnhofanlagen grundsätzlich nie quer über die Radialstraßenzüge gelegt werden sollten, denn diese sind stets die Hauptadern des Verkehrs, die nicht unterbunden werden dürfen.«57 Im nächsten Schritt wird die Metapher zum Argument gegen das größte und prestigeträchtigste städtebauliche Projekt, das Sitte in Wien miterlebte: die Wiener Ringstraße, die nach kaiserlichem Willen ab 1857 anstelle der ehemaligen Stadtbefestigung errichtet wurde. 1861 wurde dazu die Umwandlung des Linienwalls in eine äußere Ringstraße, den sogenannten Gürtel, beschlossen. Ringstraßen, so Sitte, seien unsinnig und unökonomisch. »Und das alles noch obendrein blos zu dem Zweck, daß sich an der Peripherie einzeln herumwimmelnd alle Jahre einmal ein paar Gevattersleute besuchen können. Ringe nehmen rasch an Zweckmäßigkeit ab, je mehr sie nach außen rücken, und gleichzeitig nehmen dabei ihre Kosten unverhältnißmäßig zu. […] Ähnlich wie die Außenringe sind auch die Diagonalstraßen, zum Prinzip erhoben, nur eine theoretische Schrulle, denn es ist einfach nicht wahr, daß man von jedem beliebigen Punkt des Stadtganzen zu jedem beliebigen andern Punkt in Kürze soll gelangen können, denn die Menschen haben der Quere nach nur in seltenen Ausnahmefällen etwas zu thun, und da sollen sie sich zu Gunsten anderer viel wichtigerer Stadtbaufragen nur einen kleinen Umweg ausnahmsweise einmal gefallen lassen, und sie lassen sich ihn auch gefallen.«58 Mit dieser Argumentation erweist Sitte sich als direkter Vorreiter moderner städtebaulicher Konzepte. Die Zirkulations-Metapher wurde in der gesamten Architekturdebatte der Moderne zu einer Leit-Metapher. Forty schreibt Viollet-leDuc zu, diese Metapher geprägt zu haben, der sie 1872 in seinen Entretiens sur l’architecture verwendete und dort deren physiologischen Ursprung hervorhob; das wäre knapp 20 Jahre vor Sitte.59 Die Zirkulations-Metapher betont die physische Bewegung von Menschen, Objekten, Energie, deren Bewegung im Raum wiederum die Architektur prägt – bzw. den Raum, der selbst zu »fließen« beginnt. Außerdem wird die Geschlossenheit eines Systems betont, anders als beispielsweise durch Analogien zu »atmen«. Beim Atmen tauscht ein Organismus Stoffe mit der Umwelt aus. Diese imaginierte Geschlossenheit, die so gut die Vorstellung vom organischen Ganzen unterstützt, sowie die postulierte »Wissenschaftlichkeit« des Terminus macht Forty für dessen großen Erfolg in der Moderne verantwortlich. Mag die Annahme eines abgeschlossenen Systems schon bei einem Einzelgebäude schwierig sein, so ist sie im Städtebau höchst fragwürdig. Eine auf der Zirkulations-Metapher beruhende Verkehrsplanung begünstigt eine verengte Wahrnehmung des tatsächlichen Verkehrsaufkommens innerhalb der Städte. Die 57 | Sitte, »Wien der Zukunft. Regulirungsprojekte«, 1894, CSG 2, S. 424. 58 | Ebd., S. 426. 59 | Forty 2000, S. 87f.

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Vorstellung des Verkehrssystems einer Stadt als geschlossener Kreislauf erscheint nicht nur aus heutiger Sicht als wenig passend. Seit jeher wurden Städte darüber definiert, dass sich dort wichtige überregionale Verkehrswege kreuzten. Sie sind Handelsknotenpunkte, die sowohl mit dem näheren Umland als auch mit weit entfernten Städten in Austausch stehen, oder Herrschaftssitze, die über ein größeres Gebiet verfügen. Großstädte wie Wien, Berlin oder Paris würden heute ohne ihre Ringstraßen und Ringautobahnen im Verkehrschaos völlig untergehen. Man stelle sich vor, der gesamte Durchgangsverkehr müsste am Stefansdom vorbeigeschleust werden! Diese Probleme hätten auch Sitte schon auffallen können. Sitte hob noch einen anderen Aspekt der Metapher hervor, indem er Forderungen zur Breite der Straßen ableitete: In einer Festrede anlässlich der Eingemeindung der Vororte mit dem Titel Das Wien der Zukunft sprach er 1891 über »[…] die natürlichen Verkehrsverhältnisse. [Hervorhebung i.O.] Historisch gewordene Strassenzüge folgen geschmeidig den Bodenverhältnissen wie die natürlichen Wassergerinne und nicht minder den durch den Bedarf gegebener Verkehrsrichtungen in mannigfacher Verästelung von verschiedener Strassenbreite, ähnlich dem Geäder des Blutumlaufes im thierischen Körper.«60 Hier bringt Sitte offensichtlich eine zweite Metapher ins Spiel: zur »Verkehrsader« kommt der »Verkehrsfluss«. Mit der Fluss-Metapher kann Sitte Breitenabstufungen ausdrücken, vom »Gerinne« über den »Hauptstrom« zum »Ringstrassen-Delta«.61 Sie ist von der Adern-Metapher eindeutig verschieden, und doch ähneln sich die Konzepte in mehrfacher Hinsicht: beide sind, im Gegensatz zu Straßen, nicht vom Menschen geschaffene, sondern natürliche Phänomene und können damit eine legitimierende Funktion übernehmen, wie bereits beschrieben wurde. Außerdem sind beide linienförmige Behälter für Flüssigkeiten in Bewegung; in ihnen fließt Blut oder Wasser so wie in den Straßen der Verkehr, womit wir bei der Hauptähnlichkeit wären, die alle drei Konzepte verbindet. Die Fluss-Metapher scheint zusätzlich attraktiv, weil deren Lauf zwar wie die Adern im Körper von der Natur gemacht, menschliches Eingreifen aber nicht ausgeschlossen ist. Sitte erlebte die große Donauregulierung in den 1870er Jahren und die Einwölbung des Wienflusses in den 1890er Jahren. Die Fluss-Metapher eröffnete also Handlungsspielräume. Obwohl die beiden Metaphern nicht konsistent sind (d.h. nicht ein und dasselbe Bild hervorrufen), sind sie kohärent (d.h. sie passen zusammen), weil sie eine wichtige gemeinsame Ableitungsebene haben. Eingangs wurden Lakoff und Johnson zitiert, die am Beispiel des Konzepts »Liebe« zeigten, wie bestimmte Konzepte partiell metaphorisch strukturiert sind. Wenn ein Konzept nach mehr als einer Metapher strukturiert ist, dann passen die verschiedenen metaphorischen Strukturierungen im Allgemeinen kohärent zusammen.62 Kohärenz entsteht 60 | Sitte, »Wien der Zukunft«, 1891, CSG 2, S. 298. 61 | Ebd., S. 289; ders., »Wien der Zukunft. Regulirungsprojekte«, 1894, CSG 2, S. 428; ders., »Über alte und neue Städteanlagen«, 1889, CSG 2, S. 261. 62 | Lakoff/Johnson 2004, S. 102.

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Abbildung 3.4: Lehren aus der Anatomie. Zirkulation zwischen Herz und Lunge als Anleitung für die Verbindung von Vororten und Stadtzentrum von Le Corbusier, zwei Illustrationen aus »Urbanisme«, 1925. (Corbusier 1979)

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durch die Überschneidung metaphorischer Ableitungen, hier können Metaphern sich auch mischen. Die Überschneidung der Metaphern führt dazu, dass Sitte schließlich eine weitere planerische Empfehlung ableitete, die mit der Adern-Metapher allein nicht zu formulieren gewesen wäre: Er schlug vor, dass bei Kreuzung mehrerer Straßen die Einmündungen versetzt werden sollten, »weil die senkrecht sich kreuzenden Verkehrsadern an der wichtigen Kreuzungsstelle gerade sich gegenseitig den Verkehr unmöglich machen, weil das ebenso unnatürlich ist, wie die Vorstellung, daß zwei Flüsse sich in ihrem Laufe irgendwo senkrecht durchschneiden«.63 Es sollte immer nur eine Straße an einer Stelle in eine andere einmünden. Sitte argumentierte, dass sich mit jeder hinzukommenden Straße an einem Kreuzungspunkt die möglichen Wagenbegegnungen potenzierten, und dass dadurch Verkehrsregelung durch Polizisten notwendig werde (die erste Ampel in Wien wurde 1926 an der Opernkreuzung aufgestellt).64 Eigentlich nahm Sitte eine Idee vorweg, die später mit der Anlage von Kreisverkehren und vor allem Autobahnkreuzen zu Ende gedacht wurde. Beides sind Verkehrslösungen, die man nicht unbedingt mit Sitte verbindet, und die kaum in seinem Sinne gewesen wären. Zirkulation spielte bei den Idealstadtplanungen von Le Corbusier eine große Rolle. Das Verhältnis zwischen Gartenstadt und City illustriert Le Corbusier mit einer Abbildung des Blutkreislaufs zwischen Herz und Lunge.65 Verkehrssysteme skizzierte er in Zirkulationsdiagrammen und schwärmte davon, dass in der Stadt der Zukunft Untergrundbahnen, unendlich viele Autos und sogar Flugzeuge in ungehinderter Geschwindigkeit direkt zum Bahnhof im Zentrum der Stadt gelangen könnten. Züge aus den Vororten sollten »in ununterbrochener Folge« die Reisenden zur Arbeit ins Zentrum bringen.66 Dieses stetige Fließen ist eine Illusion, das tatsächliche Verkehrsaufkommen in Städten entspricht dem keineswegs. (Abb. 3.4) Reichow dachte Sittes kombinierte Adern-Fluss-Metapher zu Ende. In seinem bereits erwähnten Buch Organische Stadtbaukunst (1948) – dem 1959 ein weiteres mit dem Titel Die autogerechte Stadt folgte – benannte er den Verkehr als das »Kreislauforgan« einer Stadt: »Wie in der belebten Natur die großen Massen nur durch eine biologisch bis ins kleinste zweckvolle Gliederung und Durchblutung lebensfähig sind, so auch in der organischen Stadt: Ihre Lebens- und Bewegungsvorgänge, ihr Verkehr und seine Bahnen bestimmen die Struktur und Ordnung der Stadtlandschaft von innen heraus. Aus Masse wird Organismus!«67 (Abb. 3.5) Reichows Buch liest sich wie eine Ausformulierung der Gedanken, die Sitte nur angerissen hatte: »Wo immer die organische Natur Flächen erschließt, versorgt, durchpulst oder durchblutet, geschieht dies nach dem System der 63 | Sitte, »Thurm-Freiheit«, 1896, CSG 2, S. 464. 64 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 100f., 134. 65 | Le Corbusier 1979, S. 260. Reichow bildet diese Illustration übrigens auch ab, ohne die Quelle zu nennen. Reichow 1948, S. 42. 66 | Le Corbusier 1979, S. 147ff. 67 | Reichow 1948, S. 115, 66.

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Abbildung 3.5: Verkehrsadern. Organische Stadtlandschaft mit Kapillaren und Grünzügen von Hans Bernhard Reichow, 1948. (Reichow 1948)

Verästelung.«68 Verästelungen könnten sich der Topographie anpassen, Ringstraßen seien unnötig, es gebe in diese Richtung kaum Verkehrsaufkommen. Seine Prinzipen des ungestörten Verkehrsflusses, der Vermeidung von Knotenpunkten, der Trennung der verschiedenen Verkehrsformen und der Terrainerschließung durch Stichstraßen wurden schnell zum Standard. (Abb. 3.6) Radiale Verkehrssysteme, die morgens Berufstätige und Waren ins Zentrum bringen, und abends zurück in die Wohnquartiere im Grünen, decken nicht gleichermaßen die Bedürfnisse aller Verkehrsteilnehmer. Sie sind ganz auf die Bedürfnisse berufstätiger Männer der Mittelklasse ausgerichtet, die in den Vororten wohnen und im Zentrum arbeiten. Wege von Frauen, Kindern, Nichtberufstätigen und Angehörigen der unteren Schichten werden nicht berücksichtigt. Es ist schwierig auszumachen, ob die Adern-Metapher mit dem damit verbundenen Zentrum-PeripherieKonzept aus der Alltagserfahrung der planenden Männer erwachsen ist, oder ob die planenden Männer aufgrund dieser Metapher zu ihrer verengten Wahrnehmung 68 | Ebd., S. 44.

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Abbildung 3.6: Organische Verästelung. Oswald Mathias Ungers verglich in seinem Buch »Morphologie. City Metaphors« Bernhard Reichows Schema einer zellengegliederten Nachbarschaft von 1948 mit der Äderung eines Eichenblatts. (Ungers 1987)

des Verkehrsaufkommens gelangt sind. Reichow und Le Corbusier, so unterschiedlich ihre Hintergründe sind, stehen gleichermaßen für die Auflösung des Stadtraums und den Glauben an das Auto. Straßen wurden als Organe betrachtet, die die ungehinderte Zirkulation des motorisierten Verkehrs gewährleisten sollten. Es zeigt sich, dass die Metaphern, die das Fließen des Verkehrs in den Vordergrund stellen, ganz bestimmte Kriterien für eine erfolgreiche Lösung eines planerischen Problems produzieren, das erst mit ihrer Hilfe überhaupt formuliert wurde. Alle Dimensionen einer Straße, außer der Geschwindigkeit und Menge des Verkehrs, werden ausgeblendet. Sitte hätte das nicht gewollt. Jane Jacobs hat bereits in den frühern 1960er Jahren die Zirkulations-Metapher hinterfragt und die Multidimensionalität von Straßen herausgearbeitet. Geschwindigkeit mag ein sinnvolles Kriterium für die Planung einer Autobahn sein, aber nicht notwendigerweise für städtische Straßen, die ja zugleich auch urbane Lebensräume sind, also Orte für Aufenthalt, Begegnungen, Handel, Kinderspiel und vieles mehr.69 Der Soziologe Hans Paul Bahrdt schrieb 1961: »Die Straßen von heute haben sich in ein Röhrensystem verwandelt.« Sie dienten nur noch dazu, den Verkehrsfluss in Gang zu halten, während sie früher Orte der Öffentlichkeit und der Begegnung gewesen seien.70

Systeme Eine ganz andere Metapher für den Verkehr ist das Straßennetz. Zu Sittes Zeiten waren Netze aus Fäden geknüpft, mit gleichmäßigen Maschen, wie ein Fischernetz.71 69 | Jacobs 1992, S. 29ff. 70 | Bahrdt 1961, S. 99. Bahrdt bezog sich übrigens ausdrücklich auf Camillo Sitte (S. 98, FN 4). 71 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 100.

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Abbildung 3.7: Maschen bilden eine gleichförmige Textur, ein Gewebe. Dem Plan der Stadt Canton von 1665 stellte Oswald Mathias Ungers in seinem Buch »Morphologie. City Metaphors« ein Stück Strickware gegenüber. (Ungers 1987)

Die weiteren oder engeren Maschen eines ausgebreiteten Netzes erinnerten Sitte an das monotone und ungegliederte gründerzeitliche Blockraster. Im Gegensatz zum Organismus sind die Maschen eines Netzes unhierarchisch und nach allen Seiten erweiterbar. (Abb. 3.7) Heute kann man damit auch das Netzwerk assoziieren, wie es in der Kybernetik definiert wird. Diese Konnotation konnte Sitte noch nicht im Kopf haben. Norbert Wiener leitete den Begriff Kybernetik 1947 von kybernétes ab, griechisch für »Steuermann«. Die Kybernetik erforscht die Struktur komplexer Systeme, insbesondere deren Steuerungsmechanismen. Dynamische, selbstregulierende Systeme halten sich über Rückkopplungsschleifen im Gleichgewicht. Nach Ernst von Glasersfeld ist Kybernetik »ein metadisziplinäres (das heißt übergeordnetes) Gebiet, kein interdisziplinäres, da sie Begriffe und Begriffsmuster entwickelt und klärt, die neue Erkenntniswege in einer Vielfalt von Erfahrungsbereichen eröffnen«.72 Als komplexe Systeme werden so unterschiedliche Sachverhalte wie das Internet, Ökosysteme, soziale Beziehungen und die Ausbreitungsdynamik von Epidemien beschrieben. Konzepte aus der Systemtheorie werden in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen angewendet, so der Informatik, Physik, Elektrotechnik, Chemie, Medizin, Mathematik, Wirtschaft und Soziologie – und, das mag kaum verwundern, seit längerem auch im Urbanismus. Exemplarisch sei die Definition einer Stadt von Elizabeth Grosz zitiert, die als State of the Art gelten kann: »By city I understand a complex and interactive network which links together, often in an unintegrated and de facto way, a number of disparate social activities, processes, and relations, with a number of imaginary and real, projected or actual architectural, geographic, civic, and public relations. The city brings together economic and 72 | Glasersfeld 1997, S. 237f.

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Abbildung 3.8: Ein Netzwerk ist nicht gleichförmig, sondern bildet eine hochkomplexe Struktur. Karte des World Wide Web mit 32.000 nodes von Stephen Coast, 2001. (https://www.fractalus.com/steve/stuff/ipmap/elec.jpg)

informational flows, power networks, forms of displacement, management, and political organization, interpersonal, familial, and extra-familial social relations, and an aesthetic/economic organization of space and place to create a semipermanent but ever-changing built environment or milieu.«73 Heute widerspricht die Netz-Metapher der Organismus-Metapher nicht mehr. Längst werden auch Organismen als offene Systeme gedeutet, da Lebewesen zu ihrem Erhalt in ständigem Stoff- und Energieaustausch mit der Umgebung stehen müssen. Der Biologe Humberto Romesín Maturana entwickelte das Konzept der Autopoiese, um lebende Systeme im Gegensatz zu unbelebten zu charakterisieren: »Das Produkt ihrer Organisation [sind] sie selbst […], das heißt, es gibt keine Trennung zwischen Erzeuger und Erzeugnis. Das Sein und das Tun einer autopoietischen Einheit sind untrennbar, und dies bildet ihre spezifische Art von Organisation.«74 73 | Grosz 1992, S. 244. 74 | Maturana/Varela 1987, S. 56.

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Abbildung 3.9: Aufwändig gestaltet sich in der Nachkriegsmoderne die Entwirrung »gordischer Knoten« im Verkehrsnetz, wie Bernhard Reichow anhand einer Kreuzung in Stockholm ausführte. (Reichow 1948)

Sitte gebrauchte die Netz-Metapher zu seiner Zeit, um das gründerzeitliche Blockund Straßenraster zu kritisieren: » [B]ei der Lageplanverfassung aller modernen Großstädte […] [werde] zuerst nur das Straßennetz festgelegt […] in Rücksicht auf die Annahme eines nach allen Richtungen hin ungehemmten freien Verkehres.«75 An anderer Stelle kritisierte er das »Straßennetzentwerfen, wobei man meint, daß jede Straße, auch bloße Wohnstraßen ohne jeden belangreichen Verkehr, beiderseits glatt fortlaufen müsse, und daß Dasjenige, was zwischen diesem, einem blos theoretisch angenommenen Verkehr dienenden Straßennetz restlich übrigbleibt, Baublöcke sind.«76 Sitte assoziierte mit dem Netz eine mangelnde Hierarchisierung, sowohl der Straßenbreiten, als auch des Straßenverlaufs. Die Fäden eines Netzes treffen sich – so nannte es auch Sitte – in »Knotenpunkten«.77 Knotenpunkte machen die Stärke eines Netzwerks aus, je mehr Knoten, desto besser, je mehr Fäden zusammentreffen, desto hochrangiger ist der Knotenpunkt (node, Abb. 3. 8). Sitte lehnte Sternplätze als hochrangige Verkehrsknoten ab: »Denn wenn wirklich ein reger Verkehr von so vielen Seiten kommend, sich dort [auf dem Platz] kreuzt, so muss ja die bekannte Rettungsinsel mit dem Wachmann dort errichtet werden, um den Kneuel des Verkehres wieder zu entwirren.«78 In seinem Lageplan für Privoz ließ er die Straßen alle an unterschiedlichen Stellen in den Platz münden, »und zwar aus rein verkehrstechnischer Rücksicht, welche eine 75 | Sitte, »Die Ergebnisse der Vorconcurrenz«, 1902, CSG 2, S. 537. 76 | Sitte, »Eine Kunstfrage«, 1901, CSG 2, S. 522. 77 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 100f., 134. 78 | Sitte, »Lageplan für Reichenberg«, 1901, S. 19.

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Auflösung des Verkehres verlangt, aber nicht ein Zusammenführen desselben auf einen einzigen Punkt, so dass dort ein Knäuel entsteht«.79 In dieser Deutung der Netz-Metapher folgte Reichow Sitte direkt nach. Die »anorganischen Straßennetze« der Industrialisierungszeit, so Reichow, gründeten sich auf die »›alles fressende‹ Großstadtstraße in netzartiger Vermaschung […] in verwirrender Funktion und Erscheinung […]«.80 Jede Straße finde nur für sich Anfang und Ende, zusammen ergebe sich ein völlig verworrenes Bild. Mitunter führten die so planlos angelegten Verkehrsnetze gar zu »gordischen Knoten«, die mit den Mitteln moderner Verkehrsplanung nur schwer zu zerschlagen seien, wie er an einem Beispiel aus Stockholm illustrierte. (Abb. 3.9)

Zellen Der britische Naturforscher Robert Hooke betrachtete 1665 ein Stück Kork durch ein selbstgebautes Mikroskop. Die Struktur, die er erblickte, war eine dichte Anordnung von abgegrenzten Hohlräumen. Hooke prägte dafür in seinem Werk Micrographia den Begriff »Zellen«. Inspiriert hatte ihn dazu die Vorstellung einer Reihe von Mönchszellen in einem Kloster.81 Knapp 200 Jahre später, 1838 formulierten die Anatomen Matthias Schleiden und Theodor Schwann die bis heute gültige Zelltheorie: Alle Lebewesen bestehen aus den gleichen Grundeinheiten. Zellen bilden die strukturelle und funktionelle Basis für alle Gewebe und Organe von Tieren und Pflanzen. Zwar haben Zellen spezialisierte Funktionen, wie etwa Stoffwechsel oder Informationsverarbeitung, doch haben dabei alle den gleichen Grundbauplan, bestehend aus Zellkern, Zellplasma und Zellmembran. Viel später kehrte der Begriff in die Architektur zurück, allerdings aufgeladen mit einer Reihe von neuen Bedeutungsfacetten. Mit der »Wohnzelle« verband man in der Moderne die industrielle Serienproduktion standardisierter Kleinwohnungen, die man massenhaft zu größeren Strukturen addieren konnte. Peter Sloterdijk hat herausgearbeitet, wie die Metapher die Individualisierung des modernen Subjekts betont, gewissermaßen als räumlicher Ausdruck von dessen »Nichtangewiesensein auf andere«. Er beschreibt das Apartment als »Einraumwohnung mit dem alleinlebenden Einwohner als Zellkern seiner privaten Weltblase« und »Container für die Selbstverhältnisse des Bewohners«.82 Kisho Kurokawa hat diese Idee im Nakagin Capsule Tower in Tokyo 1972 bildhaft in eine Skulptur aus einzelnen vorgefertigten Wohnkapseln umgesetzt. Le Corbusier war vom Gedanken an ein Leben in Zellen so fasziniert, dass er in jungen Jahren von einer Studienreise aus Italien an seinen Lehrer Charles 79 | 80 | 81 | 82 |

Sitte, »Monumentalbauten von Privoz«, 1895, S. 33. Reichow 1948, S. 115. Hooke 1667, Observation 18, S. 112ff., Taf. 11. Sloterdijk 2004, S. 27f.

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L’Éplattenier schrieb, er würde gerne sein Leben lang eine Zelle bewohnen wie die Mönche der Kartause Ema in Galluzzo.83 In seinen Unités d’habitation hat er die Metapher architektonisch umgesetzt. Das folgende Zitat erhellt die Beziehung zwischen Zellen und Stadt: »dies Einzelne – das ist hunderttausendmal ein Haus. Das ist die ganze Stadt. Die ganze Stadt kristallisiert sich also im Zustand ihrer Zellen […].«84 Die Zellen-Metapher, wie Le Corbusier sie verwendet, impliziert, dass die Wohneinheiten zwar Individuen vereinzeln, sich aber trotzdem zu einer größeren Struktur ordnen lassen. Camillo Sitte hat die Zellen-Metapher nicht verwendet. Er sei eben ein Anatom gewesen, konstatierte Karin Wilhelm, und habe damit in einem Gegensatz zu mit Organismus-Metaphern arbeitenden Hygienikern gestanden, die sich eher an der Epidemiologie und der Bakteriologie orientierten. Der Organismus Stadt sei diesen erschienen als verwildertes Durchzugsgebiet für giftige Stoffe, bakterielle Fremdbesiedlungen und nomadisierende Populationen.85 Dennoch hatte Sitte die wissenschaftlichen Methoden der Hygieniker als notwendig erachtet. Er betont wiederholt die Wichtigkeit guter Datengrundlagen und Statistiken und zitierte, beispielsweise in seinem Artikel »Großstadt-Grün«, entsprechende Studien. Tatsächlich ist die Zelle eine im 20. Jahrhundert unter den Urbanisten aller politischen Lager äußerst beliebte Metapher. Le Corbusiers »Wohnzelle« wurde bereits zitiert, häufiger noch wurde von der »Siedlungszelle« gesprochen. Reichows Stadtlandschaft setzt sich aus solchen Zellen zusammen. Diese »zellengegliederten Nachbarschaften« sind bis zu einem gewissen Grad selbstständig, ordnen sich aber dem Gesamtorganismus unter.86 Die Zelle steht für eine überschaubare Stadtteilgemeinschaft, in der – im Gegensatz zur Großstadt – soziale Bindungen noch existieren und sich im Gebauten spiegeln. Bereits an Reichows persönlicher Biographie zeigt sich, wie das Konzept der Zellen unbeschadet die politischen und weltanschaulichen Umwälzungen überdauern konnte. Beeinflusst von den organischen Bauten Erich Mendelsohns, bei dem Reichow als junger Architekt im Büro gearbeitet hatte, hatte Reichow als Stadtplaner während des Zweiten Weltkriegs sein Konzept einer aufgelockerten und funktionsentmischten, organischen Stadtlandschaft für das NS-Regime entwickelt. Kurz nach Kriegsende publizierte er dann sein bereits mehrfach zitiertes Buch Organische Stadtbaukunst und setzte damit Maßstäbe für den Wiederaufbau, ganz zu schweigen von seinen Planungen für Wolfsburg, Bremen und Bielefeld. Dieser beeindruckenden Kontinuität soll noch etwas weiter nachgegangen werden. Gottfried Feder, ein Nazi der ersten Stunde und seit 1934 Professor in Berlin, entwickelte das Konzept einer »Stadtplanungskunst aus der Sozialstruktur der Bevölkerung«. Die einzelnen »Stadtzellen« (oder »Glieder«, hier vermischen sich die 83 | 84 | 85 | 86 |

Le Corbusier an L’Éplattenier, 19. September 1907, zit.n. Brooks 1997, S. 106. Le Corbusier 1979, S. 62, 68. Wilhelm 2006, S. 35ff., 42. Reichow 1948, S. 105.

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Maßstäbe und biologischen Klassifikationskonzepte), sollten sich zu einem »lebensvollen Gesamtorganismus zusammenfügen«. »Dieser Stadtorganismus wird sich zusammensetzen aus einer ganzen Reihe von Zellen, die sich dann zu Zellverbänden innerhalb verschiedener Unterkerne um den Stadtmittelpunkt herum gruppieren. […] Die Gliederung jedes einzelnen Zellkerns muß so gestaltet sein, dass sich das Leben jeden Ortsteiles klar auf seinen Mittelpunkt orientiert und von da aus weiterfließen kann zu den nächsthöheren Kernbildungen bis zum Stadtmittelpunkt. Von hier aus muß die Stadt an den wiederum höheren Organismus des Landes und des Reiches angeschlossen sein.«87 Im nächsten Schritt stellte Feder der städtischen Zelle ihr soziales Pendant bei. Die Verbindung von Sozialstruktur und baulicher Struktur wurde mittels der Metapher des menschlichen Körpers und seiner Organe naturalisiert. Die »lebendige Urzelle der Volksgemeinschaft« sei die Familie. Aus statistischem Material leitete Feder sodann die »Notwendigkeiten ab, denen der Stadtorganismus zu dienen hat«. Eine Volksschule mit 500 bis 600 Kindern sei beispielsweise »eine kernbildende Kraft«, die zu Gemeinschaften von etwa 3500 Bewohnern führe. Vorausgesetzt wurde, dass die »Urzellen« eine »gesunde« Wachstumsrate aufweisen. Dabei sollte nichts dem Zufall überlassen werden. Innerhalb der überschaubaren Einheiten, »Nachbarschaften«, sollte der »Blockleiter« durch entsprechende Gestaltung und Steuerung des gesellschaftlichen Lebens eine gezielte Heiratspolitik betreiben.88 Werner Durth und Nils Gutschow konstatierten, dass die in der Nazi-Ära entwickelten stadtplanerischen Konzepte in einer bemerkenswerten (auch personellen) Kontinuität in die Nachkriegszeit hinübergerettet wurden. So konnte neben Reichow auch Roland Rainer, der während des Krieges im Auftrag der Deutschen Akademie für Städtebau, Reichs- und Landesplanung ein Konzept für verdichteten Flachbau entwickelt hatte, dieses in Österreich nach dem Krieg nahezu unverändert umsetzen. 1957 propagierte er eine »gegliederte und aufgelockerte Stadt, die in »Stadtzellen« organisiert sein solle – städtebaulich, architektonisch wie sozial und verwaltungstechnisch. Diese sollten »bis zu einem gewissen Grade zu einem Eigenleben fähig sein und sich trotzdem in ihrer Gesamtheit zu einem größeren Ganzen fügen müssen«.89 Bereits 1947 hatte Rainer ebenerdige Kleinhäuser als ideal für den Wiederaufbau geschildert: »Das Wohnhaus ist die häufigste, wichtigste und in einem wörtlichen Sinne maßgebende Zelle des städtischen Organismus. Wie sein Bewohner von seiner Umwelt abhängt […], so hängt die Entwicklung und die jeweilige Gestalt des Wohnhauses von dessen Umwelt, den städtebaulichen Voraussetzungen ab.«90 1944 war Rainers Ausführungen noch ein Vorwort von Reinhold Niemeyer vorangestellt, der die von Rainer entwickelte Bauform als den »neuzeitlichen volks87 | 88 | 89 | 90 |

Feder 1939, S. 2; folgende Zitate ebd. Z.B. Bohm 1943. Göderitz et.al. 1957, S. 23. Rainer 1947, S. 71.

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biologischen Anforderungen« entsprechend lobte, da Rainer die »Zusammenhänge zwischen Rasse und Wohnform« beachtet habe, wie dies »nationalsozialistischer Grundanschauung« entspreche.91 Rainer selbst formulierte gemäßigter und sprach von einer »biologisch vollwertigen Hausform«. Eine in Schulbezirke »organisch gegliederte Stadt […] besitzt nicht nur alle biologischen Voraussetzungen für eine gesunde Entwicklung der Bewohner, sondern führt ihnen auf Schritt und Tritt die soziale Ordnung vor Augen, und ruft ihnen damit ihre Zugehörigkeit zur Gemeinschaft ins Bewusstsein«. Durth und Gutschow führen diese neue Salonfähigkeit alter Konzepte auch auf die aus der Biologie entlehnten Metaphern zurück, die – lediglich um einige besonders rassistische Termini bereinigt – nahezu beibehalten worden seien.92 Eine ähnliche Metaphorik wurde ja von den Architekten des CIAM verwendet, was die Rehabilitierung zusätzlich erleichterte. Die Zellen-Metapher suggeriert hier wie dort eine von politischen Absichten und gesellschaftlichen Zwängen befreite Planung, innerhalb derer die Planer eine wissenschaftlich-objektive Rolle einnehmen, und an der Gesundung des Stadtkörpers nach naturgegebenen Gesetzen arbeiten. Diese Haltung birgt immer die Gefahr in sich, soziale oder politische Hierarchien zu naturalisieren und damit zu legitimieren und unhinterfragbar zu machen. Eine weitere Gruppe von Akteuren ist zu nennen: Der Worpsweder Gartenarchitekt Max Karl Schwarz ging 1947 davon aus, dass die deutschen Städte überhaupt nicht wiederaufgebaut, sondern viele Deutsche künftig von Subsistenzwirtschaft leben würden: »Der Städter wird Gartenbürger.«93 Der Gartenbau solle Vorrang vor dem Wohnungsbau haben, die Nation könne nur »vom Boden her« moralisch gesunden. Angesichts dieser Diktion könnte man meinen, einen Vertreter nationalistischer Blut-und-Boden-Ideologie vor sich zu haben, doch war Schwarz ein Lebensreformer, der eher auf Verinnerlichung im Einklang mit der Natur zielte: »Der Garten wird zum Erzieher für ein vollwertiges Leben, das nicht nur in der Berufsausübung seine Erfüllung sieht.« Auf den von ihm konzipierten Gärtnerhöfen von zweieinhalb bis vier Hektar sollte von Lebens- und Arbeitsgemeinschaften biologisch-dynamischer Landbau betrieben werden (Abb.  3.10). Schwarz’ Lehrer waren der Gartenarchitekt Leberecht Migge und der Begründer der Anthroposophie Rudolf Steiner. Den Grundriss seiner Anlagen leitete Schwarz von Pflanzenzellen ab, außerdem bezeichnete er Wasser als »Blut der Landschaft«, Mutterboden als »Fleisch der Landschaft«, Gestein als deren »Knochen«, Tageszeiten als »Pulsschlag« und den Wald als ihr »Herz-Lungen-Organ.« Die OrganismusMetaphern verweisen in diesem Fall auf eine spirituell gedeutete Naturverbundenheit. Schwarz wurde mit seinem Engagement für die Gärtnerhof-Gesellschaft zu einem Vorreiter der Ökobewegung. 91 | Rainer 1944, Vorwort Reinhold Niemeyer, S. 5; vgl. Durth/Gutschow 1993, S. 62. Folgende Zitate Rainer 1944, S. 27, 26. 92 | Durth/Gutschow 1993, S. 261, 301. 93 | Schwarz 1947, S. 4ff.; folgende Zitate ebd., 16ff.

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Abbildung 3.10: Der Gartenhof als Zelle. »Entwicklung des Ordnungsprinzips für den Aufbau eines Siedlungsorganismus« von Max Karl Schwarz, 1947. (Schwarz 1947)

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K R ANKHEITEN Chirurgen Vielen Zeitgenossen Sittes erschien das Stadtwachstum als Pathologisierungsprozess am Stadtkörper; Sozialreformer verglichen die Elendsquartiere von London mit Geschwüren, Lepra und Pest. Diese Metaphern beziehen sich wieder parallel auf die Gesellschaft wie auf die bauliche Struktur. Es folgten Anstrengungen, die hygienische Situation in den Arbeitervierteln zu verbessern. Der britische Premierminister Benjamin Disraeli ermöglichte in seiner zweiten Amtszeit mit dem Artisans Dwelling Act von 1875 den Lokalbehörden, Slums großflächig abzureißen. Der im selben Jahr erlassene Public Health Act sollte den Zugang zu frischem Wasser und Kanalisation regeln. Für Le Corbusier war der gebaute Stadtkörper erkrankt. Ein bedrohlicher Krebs habe die Stadt befallen, überwuchere sie und werde sie ersticken. »Paris […] schreit mit seinen Wunden nach Ordnung, Geraden und rechten Winkeln«.94 Er forderte: »Chirurgie im Zentrum. Medizin an der Peripherie.« Medizin stand dabei für »Voraussicht«, etwa für Bauordnungen; Chirurgie bedeute »Entschlossenheit«, wie sie Ludwig XIV., Napoleon I. und Baron Haussmann gezeigt haben. Wenn im Zentrum keine großen Straßen auf die Bahnhöfe zuführten, dann »muss man später schneiden (Chirurgie).« Auch Reichow diagnostizierte den »chaotisch verbauten, am schwersten erkrankten Innenstädten«, dass sie dringend »chirurgische Eingriffe und Sanierungen« nötig hätten.95 Camillo Sitte war eher ein Gegner des chirurgischen Eingriffs, man könnte sagen, er setzte auf die Selbstheilungskräfte der Stadt, oder vielleicht auf sanfte Medizin: »Es kann darauf aufmerksam gemacht werden, dass sowohl die Altstadt, als auch ein großer Theil der Vororte ihre Strassenzüge noch der Periode des allmäligen Werdens an der Hand der Natur und eines langsam wachsenden Bedürfnisses verdankt. Dieser Schatz an vorhandenen naturgemässen Linienzügen braucht blos sorgsam gehütet und nicht zugegeben zu werden, dass die zweifelhafte Kunst des Messtisches hierin zu wüthen anfängt, so wird sich organisch der alte Stadtkern mit den umliegenden Orten wie von selbst verbinden.«96 Der niederländische Architekt Wiel Arets beschrieb 1994 nicht unironisch den Architekten ebenfalls als Chirurgen eines erkrankten Stadtkörpers: »Architektur schneidet durch die Haut der Stadt. […] Sie macht Einschnitte, um das Leben verständlicher zu machen. Architektur mit ihren chirurgischen Eingriffen entspricht der Biologie als einer das Leben darstellenden Wissenschaft. Wie ein Virus den menschlichen Organismus radikal verändern kann, so kann ein Gebäude den Organismus einer Stadt radikal verändern, und genauso, wie ein Körper eine funktionierende Ansammlung 94 | Le Corbusier 1979, S. 213 ; folgende Zitate ebd., S. 218ff. 95 | Reichow 1948, S. VII, 34. 96 | Sitte, »Wien der Zukunft«, 1891, CSG 2, S. 304.

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von Organen ist, so ist eine Stadt eine funktionierende Ansammlung von Gebäuden. Es ist angemessen von Verkehrsadern und Verkehrsströmen zu sprechen, vom Herz und den Lungen einer Stadt, aber die Stadt kann noch in vielerlei Hinsicht mit dem menschlichen Körper verglichen werden. Architektur ist für die Stadt, was ein künstliches Organ für den menschlichen Körper ist. Wir alle stimmen zu, dass die Stadt krank ist und eine Behandlung braucht. Sie funktioniert nicht mehr spontan, sondern ruft nach Prothesen und chirurgischen Operationen.«97 Man kann davon ausgehen, dass Arets unter Chirurgie nicht mehr dasselbe versteht wie 50 Jahre zuvor Le Corbusier. Chirurgie könnte hier eher für sehr kleinteilige und präzise Eingriffe stehen, die eine große Wirkung entfalten – mit dem Skalpell (oder gar minimal-invasiv) und nicht mit der Axt. Le Corbusiers Vorschlag für Paris würde dann im Rückblick vielleicht eher als grobe Metzgerei zu bezeichnen sein. Und die Prothese, die Arets vorschlägt, hat im Zeitalter der Cyborgs nicht mehr den negativen Beigeschmack wie sie ihn für den 1887 geborenen, in Paris lebenden Le Corbusier gehabt haben muss. Im Ersten Weltkrieg hatten zwei Drittel aller jungen französischen Männer wenn nicht ihr Leben, so zumindest einen Arm beziehungsweise ein Bein verloren. Mit den im Alltag allgegenwärtigen Prothesen der Kriegsversehrten waren traumatische Erlebnisse einer ganzen Nation verbunden.98 Im ausgehenden 20. Jahrhundert wurden hingegen die Menschen als Cyborgs beschrieben, als kybernetische Hybride aus Organismus und Maschinen. Technische Implantate im Dienste der Medizin wie Herzschrittmacher, CochleaImplantate oder Prothesen verbinden seit längerem Menschen mit komplexen technischen Elementen. Immer attraktiver wird es, den gesunden Körper zur Verbesserung oder Überwindung seiner natürlichen Eigenschaften gewissermaßen »upzugraden«.99 Im Licht des Cyborg-Mythos, der in der Science-FictionLiteratur viele der heutigen Möglichkeiten vorwegnahm, können Prothesen als willkommene Erweiterung des ohnehin seiner Natürlichkeit entledigten Körpers aufgefasst werden.

Todesopfer Die Metapher des Schneidens ins »Fleisch der Stadt« kann weitere negative Assoziationen wecken. In einem kämpferischen Artikel für das Neue Wiener Tagblatt schrieb Sitte 1891, die Altstadt von Wien würde »ausgeweidet«, »so wie man einen todten Hasen ausweidet«. Diese »bautechnischer Metzgerei« vermehre jedes Jahr »dem Kunstfreunde seine Todtenliste«.100 Sitte beklagt die Demolierung einer 97 | Arets 2004, S. 307. 98 | Scarry 1985. 99 | Keller 2004. 100 | Sitte, »Ausweidung Wiens«, 1891, CSG 2, S. 348. Siehe auch: Sitte, »Thurm-Freiheit«, 1896, CSG 2, S. 464.

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Reihe wertvoller Gebäude aus Mittelalter, Renaissance und Barock im Zuge von Straßenverbreiterungen. Er griff auf dasselbe Bildfeld schon in Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen zurück, wo er betrauerte, dass »Schönheiten des Stadtbaues geradezu hekatombenweise abgeschlachtet«101 würden. An anderer Stelle sprach er von den »Barbareien des Straßendurchlegens über ehrwürdige alte Kunstdenkmale« und stellte fest, der Graben (eine Straße im Zentrum Wiens) werde vom Verkehr »todtgeschlagen«.102 Im Vormärz war die gewaltige Umbautätigkeit von den Wienern noch mit Begeisterung kommentiert worden, ohne Wehmut und Nostalgie gegenüber der demolierten Bausubstanz. Im Übergang zum 19. Jahrhundert wurde diese Erneuerungsrhetorik durch eine erwachende Aufmerksamkeit gegenüber der Stadt und ihren alten Bauten ergänzt, die sich zunächst in peniblen historischen Dokumentationen niederschlug. Zu dieser gesellten sich bald die Verklärung, Erinnerung und Nostalgie. In der Tagespresse trauerte man in emotionalen Reportagen abgerissenen Häusern wie geliebten verstorbenen Menschen nach, die so zu Identitätsträgern und Projektionsflächen für Sehnsuchtsbilder wurden.103 Der Buchhändler und Chronist Franz Gräffer schrieb 1845: »Jahrelang haben wir Umgang gehabt mit diesem oder jenem Hause. Wir waren gute Freunde; aneinander gewohnt; das Haus und wir waren Du und Du […].«104 Stefan Zweig erinnerte sich in Die Welt von Gestern: »Und wie haben wir als Studenten mit Petitionen, mit Demonstrationen, mit Aufsätzen darum gekämpft, dass Beethovens Sterbehaus nicht demoliert würde! Jedes dieser historischen Häuser in Wien war wie ein Stück Seele, das man uns aus dem Leibe riss.«105 Auch Anklänge an den Schutz bedrohter Arten wurden strapaziert. Sitte beschrieb den Überlebenskampf alter Bauwerke 1891 in Begriffen des survival of the fittest: »Überblickt man diesen rastlosen Kampf des jungen Lebens gegen das Alte, so wird man schier erfaßt von leisem Grauen, und auch in den kaum erstandenen Werken meint man Todtgeweihte zu sehen. Es ist wahr: das gewaltige Ringen und Kämpfen um die Existenz in großen Städten verträgt keine Sentimentalität.«106 Bezogen auf den Erhalt von Baudenkmälern impliziert Darwins Evolutionstheorie eigentlich die gegenteilige Strategie, als diejenige, die Sitte normalerweise zugeschrieben wird. Nämlich, dass sich das Lebensfähige ohnehin von alleine durchsetzen wird, und sich auch durchsetzen soll, und es kontraproduktiv wäre, sich gegen den natürlichen Lauf der Dinge zu stellen. Die alte Stadt mit ihrer historischen Bausubstanz als gefährdetes Lebewesen zu schildern, mündet in der Regel eher in die Forderung nach deren Schutz. Man könnte eine Art »Reservat zum Schutz 101 | 102 | 103 | 104 | 105 | 106 |

Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 114. Sitte, »Wien der Zukunft. Regulirungsprojekte«, 1894, CSG 2, S. 433. Vgl. Békési 2004, S. 38. Gräffer 1845, S. 205. Zweig 2003, S. 32f. Sitte, »Ausweidung Wiens«, 1891, CSG 2, S. 351.

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bedrohter Tierarten« einrichten. Auch das wurde erwogen. Der bereits zitierte Gräffer schlug 1849 vor, einen Stadtteil namens »Alt-Wien« zu errichten, der von Bewohnern in historischen Kostümen bespielt werden sollte, um einen Eindruck von jener vergangenen Zeit sichtbar zu machen.107 Den Abriss von Architektur als Tötung zu bezeichnen, weckt in jedem Fall die Schuldfrage. War es eine notwendige Schlachtung, niederträchtiger Mord oder ein heroischer Kampf unter ebenbürtigen Gegnern mit tödlichem Ausgang? Sitte bezeichnete ein altes Bauwerk, das abgerissen werden soll, als »Opferlamm«, womit er ihm gleichzeitig Unschuld attestiert und den Metzgern (»Parzellenmetzgerei«) unterstellt, dass sie eigentlich Mörder sind.108 Bereits in der Frührenaissance beschrieb man Rom mit seinen verlassenen, ruinösen Monumenten der Antike als geschändete Leiche, als »verstümmelt« oder »skelettiert«. In einem Brief an Papst Leo X. beklagte Raffael um 1516, dass er »den Leichnam dieser Seele, der edlen Stadt [Rom], die einst Königin des Erdenkreises war, so schändlich zerfleddert sehe«. Die berühmten Bauwerke seien von »grausamen Bestien« zerstört worden, übrig geblieben seien nur noch »die Knochen des Körpers ohne das Fleisch«.109 Man müsse gegenüber den Altertümern Roms Pietät üben, statt sie als Steinbruch für die Kalkmühlen und Fundgrube für architektonische Bauteile zu missbrauchen. Mit dem zunehmenden zeitlichen Abstand wurde der Blick auf die antiken Monumente archäologischer. Semper nannte sie »Mammutsknochen erstorbener Vorzeit«.110 Er wollte mit der Skelett-Metapher seine Position im Streit untermauern, ob die antiken Tempel steinsichtig oder farbig bemalt gewesen seien. Der Klassizismus ahme in seiner Farblosigkeit lediglich die Skelette der Bauten der Alten nach und hielte diese dabei »für etwas ganzes und Lebendes«, dabei hätten die überlieferten Bauten im Laufe der Jahrhunderte ihr Fleisch längst verloren. Sempers zeigt in seiner Wortwahl eine erstaunliche Übereinstimmung mit dem bereits erwähnten Naturforscher Buffon. Dieser hatte in Sibirien entdeckte Mammutfossilien als »antike Monumente« bezeichnet, um so seine Thesen zur Entwicklung der Arten zu untermauern.111 Verstümmelungs-Metaphern können sich auf Assoziationen zu der bekannten Praxis des Mutilierens von Kunstwerken stützen, beispielweise von bei auf Kriegszügen erbeuteten Trophäen. Plastiken werden geköpft, geschoren, geblendet, kastriert oder gebrandmarkt oder auf andere Art verstümmelt, erst vor zehn Jahren sprengten Taliban im Tal von Bamiyan zwei riesige, 1500 Jahre alte Buddhastatuen und schockierten damit die Weltöffentlichkeit. Den Rahmen für solche drastischen 107 | Gräffer 1849, S. 20f. 108 | Sitte, »Ausweidung Wiens«, 1891, CSG 2, S. 348, 434. 109 | Zit. in Burioni 2005, S. 60; vgl. auch Choay 1997, S. 43ff. 110 | Semper sprach von den antiken Ruinen auch als »übrig gebliebene, entseelte Knochengebäude alter Kunst«. Ders., »Vorläufige Bemerkungen«, 1979, S. 229; folgende Zitate ebd. 111 | Zit. in Collins 1998, S. 149.

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»Bestrafungen« von Kunstwerken bieten einschneidende politische und soziale Umschwünge, Revolutionen und Kriege oder Religionskonflikte. Der Denkmalsturz ist eine Form des Ikonoklasmus, die in Europa in zuletzt mit den Relikten der kommunistischen Ära nach dem Fall des Eisernen Vorhangs heftige Debatten verursacht hat. Auch das Ringen um die repräsentative Mitte Berlins mit den aufeinanderfolgenden Demolierungen von Stadtschloss und Palast der Republik und die Debatte um den Wiederaufbau des Ersteren unter den wechselnden Regimes kann man in diesem Sinne als Ikonoklasmen deuten. Aktuell sind es in unseren Breitengraden die Bauten der ungeliebten Nachkriegsmoderne, die symbolisch geopfert bzw. exekutiert werden, wobei man die Sprengungen solcher »Schandmale« als Spektakel für tausende von Schaulustigen inszeniert.112 Im 20. Jahrhundert wurde der Begriff Urbicide für das gewalttätige Zerstören von Städten geprägt. Damit wird der Akt des Tötens aus der Sphäre des religiösen Opfers und der gerechten Bestrafung in die Sphäre der Kriegsverbrechen verschoben. In den 1960er Jahren wurden damit großflächige städtische Sanierungsmaßnahmen in US-amerikanischen Städten kritisiert. An Tiefe gewann der Terminus allerdings erst angesichts der Belagerung von Sarajevo im Bürgerkrieg nach dem Zerfall Jugoslawiens. Die Architekten der Stadt Sarajevo, die zu Zeugen der Kriegshandlungen wurden, dokumentierten die Verluste am Kulturerbe der Stadt in vielfältiger Form, so etwa der Architektenverband in einer Ausstellung Urbicide Sarajevo 1994.113 Die Wortschöpfung impliziert Parallelen zwischen dem Genozid an Bosniern und der absichtsvollen Zerstörung von Bauten, die mit den bosnischen Muslimen und ihrer Geschichte verbunden werden. Der serbische Architekt Bogdan Bogdanovic hat die mutwilligen Zerstörungen in bewegenden Essays als »rituelles Städtemorden« gebrandmarkt, versammelt 1993 in einem Band mit dem Titel Die Stadt und der Tod.114 Die Trauer über den Tod geliebter Personen entspricht der Trauer und dem Entsetzen angesichts der Zerstörung geliebter und bewunderter Bauten. Die ausgebrannte Ruine der National- und Universitätsbibliothek wurde zum Symbol der Auslöschung der multiethnischen Kultur und Geschichte der Stadt.

Tumore Die erkrankte Stadt kann ein guter und entschlossener Arzt hingegen erfolgreich behandeln. Im 19. Jahrhundert war die bevorzugte Vergleichskrankheit für kranke Städte die Tuberkulose, im 20. Jahrhundert Krebs. Susan Sontag hat darauf hingewiesen, dass wenige Krankheiten so stark metaphorisch aufgeladen wurden wie diese – inzwischen abgelöst von AIDS. Es sind tödliche Krankheiten, deren Ausbreitung Rätsel aufgibt, und die sich der Beherrschbarkeit durch die Medizin 112 | Vgl. Gamboni 2009, S. 331; Hoorn 2009, S. 39ff., S. 45. 113 | Vgl. Hoorn 2009, S. 58ff. 114 | Bogdanovic 1993, S. 33ff.

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entziehen. Sie zehren den Körper aus, so die medizinische Definition vor den revolutionären Entdeckungen der molekularen Pathologie. (Vor der Entdeckung des Tuberkulosebazillus 1882 durch Robert Koch wurde die Tuberkulose für einen Tumor gehalten.)115 Tuberkulose war außerdem eine Krankheit der Armen. Sie galt als eine »feuchte« Krankheit: Feuchtigkeit des Körpers der Erkrankten (»Feuchtigkeit in den Lungen«), erzeugt durch die Feuchtigkeit schlechter Wohnungen und Stadtteile, ohne wärmendes Licht und trocknende Luft. Insofern konnte schon ein Ortswechsel den Patienten heilen, dachte man. Das Streben nach Sonne und guter Luft für alle wurde zu einem Leitprinzip der Hygienebewegung. Dabei stand die Krankheit von Körpern und Gebäuden in einem funktionalen Zusammenhang; das alte, dunkle, feuchte und einengende Haus mache die Bewohner krank. Doch wurde die Krankheit der Bewohner metaphorisch auf deren Häuser übertragen, die »schwindsüchtigen Häuser« zum »Krebsschaden« der ganzen Stadt. Beatriz Colomina konstatiert, dass die Architekten der Moderne für ein Leben im Krankenhaus plädierten und das Lungensanatorium für alle zum städtebaulichen Leitbild erklärten: nach der Sonne ausgerichtete Zeilenbauten, durch Pilotis von der feuchten Erde abgehoben, hell und sauber mit ihren großzügigen Verglasungen, mit Sportgelegenheiten und Sonnentrassen auf den Dächern.116 Mit jeder neuen »Leitkrankheit« erhalte einerseits die Architektur als ordnende Kraft eine neue Bedeutung, die Architektur entwerfe anderseits das neue Körperbild gleich mit. Der Arzt Pierre Winter, der Le Corbusier verordnete, jede Woche mit ihm gemeinsam Basketball zu spielen, um sich gesund zu halten, schrieb in Le Corbusiers Zeitschrift L’Esprit Nouveau: »Der Körper wird nackt unter der Sonne neu entstehen, gesäubert, muskulös, geschmeidig.«117 Seine Worte über den neuen Körper erinnern an die bekannte Definition von Le Corbusier: »Architektur ist das kunstvolle, korrekte und großartige Spiel der unter dem Licht versammelten (Bau) Körper.«118 Winter bewunderte übrigens Le Corbusiers städtebauliche Entwürfe und sympathisierte später mit den Faschisten. Schon Sitte hatte vom »fortwährend weiterfressenden Krebsübel der Vielbauerei«119 gesprochen, doch erst die Generation nach ihm baute die Metapher voll aus. Rezipiert wurden jetzt die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse der Mikrobiologie. Eliel Saarinen beschrieb 1943 Slums, Suburbs und Satellitenstädte als Krebszellen, Tumore und Metastasen – in Text und Bild (Abb. 3.11). Unter Berufung auf eine allgemeingültige »gesunde« und »organische Ordnung«, die sowohl für Zellgewebe als auch für städtische Agglomerationen gelte, warnte er davor, dass Slums sich wie Geschwüre ausbreiteten und das gesunde »Zellgewebe« zersetzten, 115 | 116 | 117 | 118 | 119 |

Sontag 2003, S. 9ff. Colomina 1997, S. 60. Winter 1922, S. 1755. Le Corbusier 1963, S. 38. Sitte, »Kahlenberg-Pläne«, 1872, CSG 2, S. 162.

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Abbildung 3.11: Gesunde und kranke Zellen. Vergleiche zwischen Städten und menschlichem Zellgewebe von Eliel Saarinen, 1943. (Saarinen 1971)

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wenn man dem nicht durch gute Stadtplanung Einhalt gebiete.120 Ungers hat Saarinens Bild der Zellstrukturen für sein Buch über Stadt-Metaphern verwendet, ohne sich dabei für Saarinens Vergleich zwischen gesunden und kranken Zellen zu interessieren. Vielmehr stellte er die gesunden Zellen Saarinens dem Generalplan von Riverside (1890) gegenüber und wählte dafür den Übertitel »Zellstruktur«.121 Im Falle bösartiger Geschwüre war die Diagnose klar. Hier musste ein Stadtchirurg tätig werden, er musste den bösen Tumor innerhalb des gutartigen Gewebes isolieren. Das Bild hat planerische Strategien im Umgang mit wilden oder heruntergekommenen Siedlungen geprägt. Man kam zu dem naheliegenden Schluss, dass Slums aus dem Stadtgewebe herausgeschnitten und komplett neu angelegt werden müssten, weil sie sonst auf die gesunde Stadt übergreifen und diese töten könnten. Die Metapher definiert hier bereits die Problemstellung, wie Donald Schön gezeigt hat.122 In den USA hatte bis in die 1950er Jahre die oben beschriebene Geschwür-Metapher die Sozialpolitik bestimmt. Danach setzte sich allmählich die Ansicht durch, dass Slums für ihre Bewohner eine Art »natürliches Habitat« seien, in dem diese eine Gemeinschaft bilden, die stark an traditionelle Volkskulturen erinnere, und die stark zur Identitätsbildung der Bewohner beitrage. Aus diesem Blickwinkel war plötzlich jede Störung des fragilen Gleichgewichts fatal. Schön zeigte, wie die Wahl der Leit-Metapher das zu lösende Problem definierte. Jede Metapher konstruierte ihre eigene Erzählung. Im einem Fall muss eine Krankheit kuriert, im anderen Fall eine aus dem Gleichgewicht geratene natürliche Gemeinschaft geschützt werden. Im Falle der »Krankheit« ist es wichtig, nicht nur Symptome zu behandeln, es bedarf beherzter chirurgischer Eingriffe oder einer vorausschauenden Prophylaxe, es ist an den ganzen Körper zu denken etc. Im Falle der »bedrohten Art« wären drastische Eingriffe geradezu unverantwortlich, man muss behutsam vorgehen, die Konsequenzen jeder einzelnen kleinen Maßnahme genau überdenken, da sie einen nicht wieder gutzumachenden Schaden auslösen könnte. Man sollte überdies alle »künstlichen« Eingriffe vermeiden, die das »natürliche Gleichgewicht« stören könnten. Schön zeigt, dass durch eine Restrukturierung des metaphorischen framings Dilemmas sich plötzlich auflösen, ganz neue Zugänge möglich werden. Wenn, wie im Fall der Slums als Geschwüre, der Staat nicht in der Lage ist, ausreichend neue Quartiere zur Verfügung zu stellen, hilft es nichts, wild entstandene Siedlungen dem Erboden gleichzumachen oder von der Infrastruktur abzuschneiden. Erst die Idee, die Slums anders zu betrachten, ihre Potentiale zu nutzen, brachte eine Verbesserung. In den 1970er Jahren versuchten Planer in Lima, die Bewohner der Slums als eigenverantwortliche Geschäftspartner anzusehen. Sie setzten auf 120 | Saarinen 1971, S. 15ff. 121 | Ungers 1982, S. 76f.; die Abbildung wurde zuerst von Eliel Saarinen in diesem Zusammenhang verwendet. Saarinen 1971, S. 15ff. 122 | Schön 1993, S. 143ff.

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die Eigenleistung der meist jungen, arbeitswilligen Bevölkerung der Slums, die bereit war, Arbeit und Geld in die Verbesserung ihrer Situation zu investieren. Sie konnten dabei ihre guten Kontakte vor Ort nutzen, und so viel effizienter arbeiten als staatliche, zentral geplante Bauprogramme. Von planerischer Seite wurden Grundstücke oder deren Legalisierung, Beratung, kleine Kredite, günstiges Baumaterial und fallweise die nötige Infrastruktur angeboten (»Sites and Services«). Die Bewohner errichteten ihre Häuser in Eigenleistung sukzessive über längere Zeiträume hinweg.123

Monster Sitte beschrieb die moderne Stadt gelegentlich als »endlos wachsende[s] und landverzehrende[s] Stadtungeheuer«.124 Die Metapher der Stadt als Monster kann auf verschiedene Aspekte zielen. »Monster«, vom lateinischen monstrum, »Mahnzeichen«, ist ein Ausdruck für Dinge, die außergewöhnlich groß, stark oder hässlich sind. Das Monster als phantastische Kreatur entspringt Albträumen oder Mythen und konkretisiert Ängste, die so leichter erfasst werden können. So kann über die Monster-Metapher Angst vor der Stadt thematisiert werden, vor ihrer Größe, Dynamik, Unberechenbarkeit, Ungestalt. Andererseits kann die MonsterMetapher die Abweichungen einer Missgeburt von einer naturgegebenen Norm brandmarken, womit die Metapher einen moralischen Unterton bekommt, doch dazu später mehr. Sitte stellte fest: »[E]in Detailregulirungsplan […] ist nicht nur unmöglich zu konzipiren für einen Einzelnen, sondern unmöglich auszuführen, weil sich bei einem großen rasch lebenden Stadtkörper die Bedingungen hiefür täglich ändern«.125 Sitte verleiht seinem Gefühl der Machtlosigkeit Ausdruck. Der Architekt sei zum Zusehen verdammt, während ununterbrochen »wie von selbst, Parcellirungen und Strassendurchbrüche zur Ausführung kommen.«126 Die Stadt als Ungeheuer zu personifizieren impliziert, dass diese einen eigenen Willen hat und handlungsfähig ist. Und diesem Monster muss der Planer Herr werden, es zähmen. Die der Stadt und ihren Freiräumen implizit unterstellte Handlungsabsicht könnte sich sowohl gegen ihre einzelnen Bauwerke richten als auch gegen das Umland, die Bewohner oder den Architekten, der ihr zu Leibe rücken will. Die fließenden Grenzen zwischen Stadt und Land wurden als unaufhaltsames Wuchern und Ausufern erlebt. Der belgische Poet Emile Verhaeren prägte 1895 den Ausdruck der villes tentaculaires für die polypenhaft ausgreifenden Riesenstädte.127 Die Gruppe Archigram hat 1964 die Schreckensvision des Stadtmonsters ironisch 123 | 124 | 125 | 126 | 127 |

Ebd., S. 152ff. Sitte, »Großstadt-Grün«, 1900, S. 236. Sitte, »Wille des Stadtbauamtes«, 1893, CSG 2, S. 408. Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 113f. Vgl. Frank 2003, S. 47f.

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Abbildung 3.12: Invasion der Städte durch walking units für eine große Population mobiler world traveller-workers. Ron Herron, »Walking City in New York«, 1964. (Cook u.a. 1972)

zugespitzt. Die »Walking City« von Ron Herron ähnelt zwar krabbelnden Rieseninsekten, stellt aber keine Invasion außerirdischer Riesenameisen dar (Abb. 3.12). Die mobilen Einheiten, die von richtiggehenden »Beinen« getragen werden, stehen für die Reaktion auf die Erfordernisse der Mobilität und die flexible Anpassung der Architektur an die jeweiligen Bedürfnisse ihrer Bewohner. Es verwundert nicht, dass im Wien der Gründerzeit die Dynamik des Stadtwachstums als aggressiv wahrgenommen wurde. Dies ist angesichts der rasanten Veränderung nicht nur der baulichen, sondern auch der sozialen und kulturellen Struktur der Stadt nur zu nachvollziehbar. Die Einwohnerzahl Wiens wuchs binnen eines Menschenlebens von 440.000 im Jahr 1850 auf zwei Millionen im Jahr 1910. Dieser Anstieg resultierte auf Migrationsbewegungen, um die Jahrhundertwende betrug der Anteil der nicht in Wien geborenen Bevölkerung über 65 Prozent.128 Großprojekte wie die Schleifung der Festungsanlagen und die Überbauung des Glacis, riesige neue Quartiere mit Zinshäusern in den ehemals ländlich-beschaulichen Vororten, Donauregulierung, Eisenbahn, elektrische Beleuchtung, Kanalisation veränderten das Lebensumfeld dramatisch. Sitte erlebte diese bauliche Umwälzung seiner Heimatstadt hautnah mit. Das paradigmatische Stadtmonster des 19. Jahrhunderts war Paris. Victor Hugo wortgewaltiger Roman Notre-Dame de Paris (Der Glöckner von Notre-Dame) beschrieb 1831 das Wachstum von Paris als monströs. Geboren auf einer großen Seine-Insel, die die Form einer Wiege habe, sei Paris rasch gewachsen. Tatsächlich war Paris schon im Mittelalter sehr groß. »Die mächtige Stadt hat wie ein Kind, das Jahr für Jahr seine Kleider verwächst, vier Gürtel nacheinander gesprengt.« Die Stadt sei daraufhin mit einer Kette von Türmen gefesselt worden, woraufhin 128 | Vgl. Maderthaner/Musner 2000, S. 66.

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Abbildung 3.13: Der Bestie die Eingeweide herausgeschnitten. Sanierung der Île de la Cité unter Baron Haussmann. Generalplan der Verbesserungen der Seineufer und der Umbauten der Innenstadt, 1858 (Ausschnitt). (Bibliothéque nationale de France, Paris)

die Häuser aufwärts drängten. »Jedes wollte den Kopf über den Nachbarn erheben, um etwas mehr Luft und Licht zu erhaschen.« Die Straßen zogen sich enger zusammen, die Häuser »sprangen […] über die Mauer Philipp Augusts hinweg, und gebärdeten sich fröhlich wie entsprungene Gefangene und zerstreuten sich ohne Plan und Ordnung in der Ebene. Sie spreizten sich, schnitten sich aus den Feldern Gärten zurecht und machten es sich bequem […].«129 Der Ausbau der Stadt hatte mit der Bevölkerungsentwicklung nicht Schritt gehalten, die Dichte war extrem, die hygienischen Verhältnisse katastrophal. Auch die Verkehrsverhältnisse waren zunehmend unerträglich. Georges-Eugène Haussmann rückte als Präfekt des Départements Seine dem Stadtmonster Paris im Auftrage Napoleons III. ab 1853 beherzt zu Leibe. Er schlitzte der Stadt mittels einer großen, zentralen Schneise den Bauch auf, indem er Stück für Stück dieses fast unpassierbaren Gewirrs von Gassen durchbrach: »C’était l’éventrement du Vieux Paris, du quartier des émeutes, des barricades, par une large voie centrale, perçant, de part en part, ce dédale presque impracticable 129 | Hugo 2001, S. 157f.

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[…].«130 Haussmanns Grande Croisée implementierte mittels 200 km neuen Boulevards ein neues Zentrum in die alte Stadtstruktur. Dafür wurden 27.000 Gebäude abgerissen und 100.000 neue errichtet. Die Île de la Cité, das als Hort des Verbrechens berüchtigte mittelalterliche Herz der Stadt, wurde »ausgeweidet«. Rund um die freigestellte Kirche Notre Dame schuf man mit einer Reihe von Monumentalbauten ein Verwaltungsdistrikt.131 (Abb. 3.13) Le Corbusier bewunderte Haussmann für seine großen Gesten und die geraden Schneisen. Und er dachte Paris in den gleichen Metaphern. Sein Kampf gegen die Stadt, der starke Züge eines Kampfes gegen seine persönliche Stadtneurose trägt, ist legendär.132 Eine Großstadt städtebaulich gestalten, das war für Le Corbusier eine »fürchterliche Schlacht« liefern. »Alles Schlag auf Schlag, atemlos, um der Bestie die Spitze zu bieten. Die BESTIE, die Großstadt, ist sehr viel stärker als alles dies. Sie braucht nur zu erwachen.«133 Paul Schultze-Naumburg kritisierte in seinen Kulturarbeiten 1906 »das unselige Weiterwachsen unserer Riesenstädte« als »Entartung«. »Die grossen Kulturzentren zählten, von einigen Ausnahmen der dem Verfall nahenden Städten wie Rom und Babylon abgesehen, zur Zeit ihrer Blüte kaum mehr als hunderttausend Menschen; unsere Grosstädte aber zählen nach Millionen. Es drängt sich einem die Frage auf, was diese Millionenzahl zu bedeuten hat, ob ihr das Wesen der Großstadt liegt oder ob wir im Gegenteil in ihr nichts als eine Hypertrophie des Städtewachstums zu betrachten haben, die den Körperumfang zwar in ausserordentlicher Weise vergrössert, zu gleicher Zeit aber seine Gesundheit herabsetzt und überall mehr Schaden als Nutzen bringt.«134 »Hypertrophie« ist der medizinische Terminus für die übermäßige Vergrößerung von Geweben und Organen infolge der Vergrößerung der Zellen. Städte, so Schultze-Naumburg, seien Organismen, deren Maße sich wie die des Menschen durch Anpassung an die Lebensbedingungen auf der Erde im Laufe von Jahrtausenden herausgebildet hätten. Wichtig für einen Stadtorganismus seien der Fürst mit seinem Hofe, Beamte, Kunst, Wissenschaft, Heer und Kaufleute. Wenn sich rundherum immer größere Massen von Arbeitern in einer Art »Fettansammlung« ansiedelten, dann schade das der »Gesundheit des ganzen Organismus, ohne seine Leistungsfähigkeit und seine Macht entsprechend der Zahl zu erhöhen«. Den Dinosauriern sei ihre Größe zum Verhängnis geworden – der Mensch mit seiner mittleren Größe sei heute der Herr der Erde. Ein zu schmächtiger Körper habe nicht genügend Kapazitäten, seine geistigen Einfälle auszuführen. Ein »Fettkoloss« werde durch seine Leibesfülle daran gehindert.135 130 | 131 | 132 | 133 | 134 | 135 |

Haussmann 1893, S. 54. Vgl. De Cars/Pinon 1991. Vgl. Z.B. Vidler 2005, S. 271f. Le Corbusier 1979, S. 134. Schultze-Naumburg 1906, S. 5ff., 17. Ebd. S. 7ff.

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Wo enden Krankheiten, die man eventuell noch kurieren kann, und wo beginnen Monster? In der Renaissance enthielten die meisten Abhandlungen über die Fortpflanzung ein Kapitel über Monster. Missgeburten galten sozusagen als Unfälle in der Generationenfolge, in denen »die Natur ihr Ziel verfehlte«.136 Solche Unfälle fordern die Idee heraus, dass die Natur ihrem eigenen, ehernen Gesetz folgt. Was als Monster oder monströs betrachtet wird, hängt von unserer Definition des Normalen ab; Aristoteles erklärte, dass schon ein Kind, das seinen Eltern nicht ähnele, eine Art Monster sei.137 John Locke vertrat die Ansicht, dass es keine Monster gebe, denn was wir als Monster betrachteten, hänge ausschließlich von unserem subjektiven Standpunkt ab. Leibnitz war dagegen der Ansicht, dass es keine Monster geben könne, da wir alle Teil der scala naturae seien. Nichts passiere ohne Grund, auch monströse Geburten nicht. Besonders gut eignet sich die Monster-Metapher natürlich, um sie als Negativfolie gegen die Organismus-Metapher zu setzen. Le Corbusier, der New York hasste und von anthropomorphen Proportionsregeln viel hielt (und mit seinem Modulor selbst eine neue Proportionslehre entwarf), beschrieb die Wolkenkratzer als missgestaltete Halbstarke des Maschinenzeitalters. Man müsse sich einen Mann vorstellen, der von einer mysteriösen Krankheit befallen sei, bei der der Rumpf normal bleibe, aber die Beine wüchsen, bis sie zehn- oder zwanzigmal so lang seien.138 Sitte kritisierte den Platz vor der Votivkirche mit den Worten: »Schon wegen seiner öden Formlosigkeit und wegen des höchst ungünstigen Druckes, den er auf den wundervollen Kirchenbau ausübt, sollte dieses Platzmonstrum je eher, je lieber aus der Welt geschafft werden.«139 Als Grund führte er an: »Unsere prächtige Votivkirche ist durchaus nicht so filigran, wie sie auf diesem unsinnig großen leeren Raum aussieht; Platz ist das eben nicht, denn dieses Monstrum hat keinerlei ästhetische Gliederung.«140 In seinem Entwurf fasste er den Platz vor der Kirche mit an allen Seiten umlaufenden gotisierenden Arkaden symmetrisch ein (passend zur neogotischen Votivkirche). Auch der Karlsplatz sei kein Platz, »sondern nur eine gleichsam zerplatzte Riesenstraße mit kolossalen Ausbuchtungen hierhin und dorthin.«141 Werden die Prinzipien des Städtebaus nicht eingehalten, so führt das in Sittes Augen zu Monstern. Überhaupt habe jede Kunstgattung ihre eigenen Prinzipien, deren Überschreitung zu Ungetümen führe.142 136 | Vgl. Wolfe 2005. 137 | Aristoteles, Generation of Animals, IV 3, 767b. 138 | Le Corbusier 1947, S. 89. 139 | Sitte, »Wiener Goethe-Denkmal«, 1889, CSG 2, S. 280. 140 | Sitte, »Thurm-Freiheit«, 1896, CSG 2, S. 462. 141 | Sitte, »Wien der Zukunft. Regulirungsprojekte«, 1894, CSG 2, S. 441. 142 | In seinem Bericht von der Weltausstellung 1878 in Paris widmete Sitte ein Kapitel den »Ausstellungs-Ungeheuern«: »Solche Bestien antidiluvianischer Formation gedeihen nur im Ocean der Weltausstellungen. Hier aber gedeihen sie so vortrefflich, dass man eine Naturgeschichte derselben schreiben könnte, angefangen von den Hunderttausendliter-Fässern und

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Abbildung 3.14: St. Georgs Kampf gegen das Stadtmonster, das personifizierte Böse. Postkarte des Council for the Preservation of Rural England, 1928. (Frank 2003)

Die Metapher des Stadtmonsters kann noch in anderer Hinsicht einen moralischen Unterton haben, wenn nämlich das Leben in der Großstadt grundsätzlich als unnatürlich und degeneriert angesehen wird. Diese Auffassung klingt bei SchultzeNaumburg ja schon deutlich an, für den die optimale Lebensform die Kleinstadt ist. Verschiedene Reformbewegungen werden sich im Verlauf des 20. Jahrhundert dem Ziel verschreiben, in der Großstadt dorfähnliche Strukturen zu schaffen. Eine Postkarte, die der Council for the Preservation of Rural England 1928 produzierte, zeigt unter dem Slogan »Save the Countryside« den heiligen Georg, wie er gegen einen Drachen kämpft. Im Christentum stehen Drachen für den Teufel, für das Böse schlechthin. Der Stadtdrache wird von den urbanen Gefahren begleitet: Fabriken, Autos Alkohol, etc. Als heiligen Wert verteidigt Georg auf Seite des Landes die Familie. (Abb. 3.14)

G ESCHLECHT Weiblichkeit Als Francesco di Giorgio Martini dachte, dass eine Stadt wie ein Mensch organisiert sein solle (wie bereits ausgeführt), dachte er dabei eigentlich an einen Mann. Seit der Renaissance wurde Vitruv meist dahingehend interpretiert, dass diese menschlichen Idealmaße dezidiert männliche seien. Cennino Cennini setzte das in seinem zimmergrossen Riesenkesseln […], welche zu den gemeinen Ungeheuern gehören, […] bis zu dem nobleren Gethier seltenerer Art, als da sind die musizirenden Spritzen und musikalischen Bratspiesse.« Sitte, »Pariser Weltausstellung«, 1878/79, CSG 1, S. 419.

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Handbuch über die Malerei explizit voraus: »Merke Dir, bevor wir weitergehen, die genauen Maße eines Mannes, die ich Dir jetzt angeben werde. Die der Frau übergehe ich ganz, denn sie hat keine vollkommenen Verhältnisse.«143 In dieser Logik ist es nur folgerichtig, die idealen Proportionen der Stadt als Mann zu denken. Bei Sitte ist Wien eine Frau: »Frau Vindobona«.144 Die Stadt ist im deutschen weiblich, wie im Französischen (la cité) oder Lateinischen (urbs). Das ist nicht nur eine zufällige grammatikalische Eigenart. Städte als weiblich zu imaginieren hat eine lange Tradition. Sigrid Weigel analysierte Weiblichkeitsvorstellungen in literarischen Stadtbildern deutscher Autoren des 20. Jahrhunderts. Die Stadt Berlin erscheint als Mutter, Dirne, Hexe, Tote, Menschenfresserin, Vamp oder Göttin.145 Die verschiedenen Frauentypen decken dabei unterschiedliche Aspekte ab. Als Beispiel können die weiblichen griechischen Gottheiten angeführt werden, die diese Teilung in verschiedene Funktionen widerspiegeln: Demeter (die Mutter), Aphrodite (Göttin der Liebe und der sexuellen Begierde), Athene Parthenos (die jungfräuliche Manngöttin). Sittes Stadt benimmt sich wie eine Frau: »Die gewaltige Umwälzung ist so riesig, so plötzlich über uns gekommen, sozusagen über Nacht, daß Frau Vindobona selbst sich nicht gleich drein finden konnte und anfangs noch halb schlafestrunken nicht wußte, ob dies alles Wirklichkeit wäre oder nur ein sonderbarer Traum. […] Frau Vindobona aber hat sich endlich den Schlaf aus den Augen gerieben, sieht, daß es kein Traum, sondern leibhaftige Wirklichkeit ist, daß jetzt der letzte Ringwall falle und die letzte große Ausbildung Wiens zur modernen Weltstadt anheben soll, und wenn auch anfangs beklommener Stimmung, denn sie liebt ihre Leute und ihr gewohntes behagliches Hausen, muß ihr doch das Herz lachen vor heller Freude darüber, daß Alles so gekommen ist [Hervorhebung S.H.]!«146 Sitte gibt der im Schlaf überraschten Frau einen wohlgemeinten Rat: »Nicht soll Vindobona vor dem großen Seehelden verschämt an der Schürze zupfend stehen bleiben, sondern froh und festen Muthes hinaussehen in die offene Bahn, denn hier liegt die Zukunft Wiens.«147 Der alten Stadt werden Eigenschaften zugeschrieben, die traditionell weiblich konnotiert sind. Sie ist passiv, bewahrend und schutzbedürftig. Es mangelt ihr an Mut, Tatkraft und Weitsicht. Sitte war der Auffassung, dass »das Weib seiner tief innersten Natur nach conservativ« sei, ging mit den traditionellen Zuschreibungen also konform.148 Im Bild der Stadt als Patientin wird diese Passivität zusätzlich überhöht. Interessant ist die englische Übersetzung einer Passage von Le Corbusier, da im 143 | Cennini 1916, S. 63. Vgl. auch Kuhlmann 2003, S. 95ff. 144 | Sitte, »Neu-Wien«, 1891, CSG 2, S. 356. 145 | Weigel 1990, S. 150–152. 146 | Sitte, »Neu-Wien«, 1891, CSG 2, S. 356. 147 | Sitte, »Neue Stadterweiterung«, 1891, CSG 2, S. 325. 148 | Sitte, »Richard Wagner und die Deutsche Kunst«, 1875, CSG 1, S. 256. Vgl. Wilhelm 2001, S. 95f.

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Englischen, im Gegensatz zum Deutschen und zum französischen Original, »the city« nicht grammatikalisch feminin ist: »I am afraid for her [die Stadt Paris, Hervorhebung S.H.]. [… […] At this moment the city is racketed with disease; it is becom-ing impotent [sic!] and senile on all sides. No Colbert to prescribe for it, no surgeon to operate.«149 Der Architekt zeichnet sich als Arzt, der seiner kranken Patientin Stadt gegenübersteht. Bemerkenswert ist die gleichzeitige Bezeichnung der Stadt als weiblich und impotent in einem Satz. Wie Elisabeth Bronfen gezeigt hat, ist das Verhältnis von männlichem Arzt und weiblicher Patientin (die am Ende meistens stirbt) seit dem 18. Jahrhundert ein beliebtes Motiv in der Literatur.150 Die kranke Frau sei für den Arzt doppelt interessant, einerseits raube ihr die Krankheit ein Stück Vitalität, das mache sie weniger gefährlich, andererseits sei sie durch ihre Krankheit, Ausgeliefertheit und den nahenden Tod besonders sexualisiert. In der modernen Literatur wurde die Medizin zum Projektionsfeld, in dem die Autoren die bedrohte Männlichkeit ihrer Protagonisten verhandeln. Ihre Arztfiguren versuchen, sich in einer als bedroht empfundenen »männlichen« Rolle zu behaupten, indem sie als »weiblich« titulierte Anteile pathologisieren und auf die Patientinnen projizierten. In der Literatur der frühen Moderne scheitern diese Versuche in der Regel.151 Diese in der Literatur verhandelten Themen der bedrohten Männlichkeit, des Machtverlusts, der Projektion und Pathologisierung eines als gefährlich empfundenen Gegenübers könnten als Interpretationsanleitung für urbanistische Texte dienen.

Mutter Die Metapher der Stadt als Mutter begegnet uns im Worte Metropolis (griechisch für »Mutterstadt«) schon in der Antike. Eine Mutter liebt ihre Kinder. Also bemüht der Architekt August Endell ein allgemein akzeptiertes Bild, wenn er schreibt, die Stadt sei »eine Heimat, eine Mutter, die täglich überreich verschwenderisch ihre Kinder mit immer neuem Glück überschüttet«.152 Goethe betonte in seiner Beschreibung Venedigs in der Italienischen Reise 1786 das bergende, mütterliche Element: »[…] ich hoffe, die Lagunen und die dem Meer vermählte Herrscherin bei schöner Tageszeit zu erblicken und aus ihrem Schoß meine Freunde zu begrüßen«.153 Sittes »Frau Vindobona« tut das Selbige (siehe oben). Es versteht sich angesichts dieser positiven Eigenschaften fast von selbst, dass Sitte die alte Stadt, nicht die moderne Großstadt meint, obwohl letztere oft als weiblich aufgefasst wurde. 149 | 150 | 151 | 152 | 153 |

Le Corbusier 1967, S. 99. Bronfen 1987, S. 87–116. Vgl.Hnilica, Irmtraud 2006. Endell 1995, S. 171f. Goethe 1996, 27. September 1786, S. 59.

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Abbildung 3.15: Eine stolze »Frau Vindobona« präsentiert die Rotunde der Weltausstellung. Karikatur in »Die Bombe«, 1. Mai 1873.

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In Thea von Harbous Metropolis, der Romanvorlage zum berühmten Stummfilm ihres Ehemanns Fritz Lang (1927), verschlingt die Mutter ihre Kinder: »Die große, herrliche, fürchterliche Stadt Metropolis brüllt auf und verkündet, dass sie Hunger hat nach neuem Menschenmark und Menschenhirn, und das lebendige Futter wälzt sich wie ein Strom in die Maschinensäle, die Tempeln gleichen, und die Verbrauchten werden ausgespien.«154 (In der englischen Übersetzung wird die Geschlechtermetaphorik übrigens verstärkt, da trotz des grammatikalischen Neutrums von »the city« in der Folge das Pronomen im Femininum, »she«, verwendet wird.) Die Metapher wird noch weiter ausgemalt: Der Herrscher (»das Gehirn« der Stadt) sitzt in einem gigantischen, alles überragenden Turm in der Mitte (der »Hirnschale« der Stadt). Dieser Turm ist ein immer wieder reproduziertes Motiv in der Science Fiction (etwa in 1984, Blade Runner, Das fünfte Element etc.), während unter der Erde das Unterbewusste, die unterjochte Arbeiterschaft, agiert. Das »Herz« von Metropolis, die Maschine, die die Stromversorgung sicherstellt, wird von einem Mann bewacht. Die Geschlechtermetaphorik in Buch wie Film wäre eine ausführliche Analyse wert, was hier zu weit führen würde. Auffallend ist die Überlagerung von Weiblichkeits- mit Monster-Metaphern, die sich auch anderswo findet. Yvan Goll beginnt seinen Roman Sodom Berlin (1929) mit den Worten: »Berlin, Stadt des Nordens, Todesstadt, wo vereiste Fenster starren wie der Todkranken Augen, wo rissige Steine sich häufen, wo der Boden klafft wie der Wöchnerinnen Schoß. […] Alte Menschenfresserin, deine schlaffen Brüste kollern unter papiernem Hemd, du bist erblindet in geheimnisvollem Schlamm.«155

Sex Die Stadt war für Sitte andererseits erotisch wie eine Geliebte: »Ach, wenn es nur nicht gar so schmerzlich wäre für ein armes Wiener Herz, das so dumm ist, sich sein liebes Wien so groß und so herrlich zu denken, wie ein Freier seine Geliebte; so majestätisch und gewaltig, daß sie als Krone der Städte genannt würde.«156 (Abb. 3.15) Besonders oft wurde Paris als erotische junge Frau dargestellt. Haussmanns Zeitgenossen beschrieben dessen Stadtumbauten als sexuell aufgeladenen, rauschhaften männlichen Angriff auf einen weiblichen Stadtkörper, ja gar als Vergewaltigung. Durch planvolle Gestaltung des Stadtraumes sollten deren weiblich imaginierten Eigenschaften wie Unberechenbarkeit, Emotionalität und Leidenschaft gebändigt werden.157 Dieser Interpretation entspricht einer zeitgenössischen Karikatur, in der eine Armee von kleinen Bauarbeitern mit Spitzhacken auf die passiv daliegende Frau Paris einhämmert. (Abb. 3.16) 154 | 155 | 156 | 157 |

Harbou 1984, S. 26; folgende ebd., S. 15. Goll 1985, S. 5. Sitte, »Wien der Zukunft. Regulirungsprojekte«, 1894, CSG 2, S. 445. Z.B. Emile Zolas Die Beute von 1871; vgl. Frank 2003, S. 204ff.

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Abbildung 3.16: Die Schlafende Frau Paris überrascht von den »Grands Travaux« des Baron Haussmann. Zeitgenössische Karikatur von Edmont Morin. (Cars/Pinon 1991)

Auch fremde, zu erobernde Städte wurden als Frauen imaginiert. In einem Volkslied wird die Eroberung der Stadt Lille durch Prinz Eugen 1708 als Liebeswerben beschrieben: »Lilge, Du allerschönste Stadt/Die Du so schön und glatte/schaue meine Liebesflammen, Ich lieb Dich vor allen Damen […].«158 Ernst Jünger, der für seine literarische Ästhetisierung der Kamphandlungen im Ersten Weltkrieg bekannt ist, beschrieb Paris in einem Tagebucheintrag 1944 als willfährig: »Ich sah die Steine in der heißen Sonne zittern wie in der Erwartung neuer historischer Umarmungen. Die Städte sind weiblich und nur dem Sieger hold.«159 Schon in der Flugschriftenliteratur des Dreißigjährigen Krieges wurden eroberte Städte personifiziert und als Jungfrauen dargestellt.160 Erotische Städte können schöne, unberührte junge Mädchen oder Femmes fatales, sogar Huren sein. Die gebräuchliche Metapher der »Hure Babylon« geht zurück auf die Offenbarung des Johannes. Hier wird die »Hure, die an vielen Wassern sitzt« beschrieben, »mit welcher Unzucht getrieben haben die Könige auf Erden. ]…] Und das Weib war bekleidet mit Purpur und Scharlach und übergoldet mit Gold und edlen Steinen und Perlen und hatte einen goldenen Becher in der Hand, voll Gräuel und Unflat ihrer Hurerei, und an ihrer Stirn war geschrieben ein Name, ein Geheimnis: 158 | Zuccalmaglio 1840, Bd. 2, S. 308f. 159 | Jünger 1995, 8. August 1944, S. 293. 160 | Vgl. Weigel 1990, S. 173.

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Das große Babylon, die Mutter der Hurerei und aller Gräuel auf Erden.«161 Im 19. Jahrhundert wurde das mythenumrankte Babylon als Metapher für die modernen Großstädte attraktiv. London wurde »great black Babylon« genannt, neben der Größe verband man mit der Metapher verschwenderischen Luxus und Verruchtheit, den Verfall der Sitten.162 Babylon musste fallen, damit die neue Stadt Jerusalem entstehen konnte: »Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabfahren, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann.« Die Gestalt dieser »jungfräulichen« Stadt ist keusch und rein: absolut symmetrisch und von einer großen und hohe Mauer umgrenzt. Und doch gibt es noch Reste sexueller Kraft. Die Stadt lädt ein: »Und der Geist und die Braut sprechen: Komm!« Elizabeth Wilson hat in ihrer wegweisenden Studie Begegnung mit der Sphinx herausgearbeitet, wie sich in der Großstadt eine vergeschlechtlichte Raumordnung entwickelte.163Die unbegrenzte Natur, die Wildnis, wurde tendenziell als weiblich angesehen und mit dem wilden und bedrohlichen Anteil des Weiblichen verglichen. Das begrenzte, zivilisierte und eroberte Territorium entsprach seinem domestizierten Anteil. Beim Übergang von der Stadt zur Großstadt, mit dem Fall der Stadtmauern kehrte der wilde Anteil ins Innere der Stadt zurück. Besonders für Frauen und Kinder wurde deshalb bald das Leben im Grünen als das einzig Wahre angesehen, bei ihnen konnte sich abends der Ehegatte erholen und moralisch stärken für seinen nächsten Tag in der gefährlichen Stadt. 1907 wurde der Londoner Vorort Golders Green an die U-Bahn angeschlossen, und so als Quartier für wohlhabende Pendler interessant. Binnen weniger Jahre entstand aus einem unbedeutenden Weiler ein ausgedehnter Vorort mit Einfamilienhäusern im Cottage-Stil. Ein bekanntes Werbeplakat für die neue U-Bahn trägt als Motto sechs Zeilen aus dem Gedicht The Task von William Cowper: »Tis pleas-ant, throug the loopholes of retreat,/To peep at such a world: to see the Stir/Of the great Babel, and not feel the crowd;/To hear the roar she sends through all her gates/ At a safe distance, where the dying sound/falls a soft murmur on the uninjured ear [Hervorhebungen S.H.].« Im Vordergrund sieht man eine Familie in ländlicher Idylle. Die U-Bahn-Station im Hintergrund verweist auf die nahe und doch ferne Großstadt, die nur noch der Ehemann zur Arbeit aufsuchen muss. (Abb. 3.17) Der metaphorischen Aufladung des städtischen Raumes als weiblich, erotisch und verderbt stand eine soziale Realität gegenüber. Die patriarchale Geschlechterordnung des 19. Jahrhunderts hatte bürgerliche Frauen in die Privatsphäre verwiesen. Sittliche Frauen hatten sich in der Wohnung aufzuhalten, die Straße war der Ort für Männer, leichte Mädchen und Prostituierte. Die Verfolgung sexueller Ziele außerhalb der Wohnung wurde für bürgerliche Männer zu einer durchaus wichtigen Beschäftigung. Das Verbotene, zugleich am 161 | Neues Testament, Offenbarung des Johannes, 17, 18; folgende Zitate ebd. 21, 22; vgl. auch Frank 2003, S. 27ff. 162 | Tennyson 1981, Bd. 1, S. 157; vgl. Girouard 1987, S. 343ff. 163 | Wilson 1993.

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Abbildung 3.17: Idyllischer Zufluchtsort im Garten, fern der gefährlichen Großstadt. Werbeplakat für die U-Bahn nach Golders Green von »Transport for London«, 1908. (London Transport Museum)

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meisten Gefürchtete und Gewünschte wurde plötzlich möglich.164 Stefan Zweig erlebte die Prostitution in seiner Jugendzeit als allgegenwärtig: »Von der ungeheuren Ausdehnung der Prostitution in Europa bis zum [Ersten] Weltkriege hat die gegenwärtige Generation kaum mehr eine Vorstellung. Während heute auf Großstadtstraßen Prostituierte so selten anzutreffen sind wie Pferde auf der Fahrbahn, waren damals die Gehsteige derart durchsprenkelt mit käuflichen Frauen, dass es schwerer hielt, ihnen auszuweichen, als sie zu finden. […] In jeder Preislage und zu jeder Stunde war damals weibliche Ware offen ausgeboten, und es kostete einen Mann eigentlich ebenso wenig Zeit und Mühe, sich eine Frau für eine Viertelstunde, eine Stunde oder eine Nacht zu kaufen wie ein Paket Zigaretten oder eine Zeitung.«165 Insofern ist das Bild des männlichen Flaneurs, der sich durch eine weibliche Großstadt treiben lässt, nicht nur auf metaphorische Verbindungen angewiesen. Walter Benjamin berichtete davon, dass er in den labyrinthischen Straßen Berlins die Liebe kennen gelernt habe. »Das Labyrinth, dessen Bild dem flaneur in Fleisch und Blut eingegangen ist, erscheint durch die Prostitution gleichsam farbig gerändert. Das erste Arkanum, über das sie verfügt ist also der mythische Aspekt der Großstadt als Labyrinth.«166Die Doppelbödigkeit bürgerlicher Moralvorstellungen wird hier deutlich. Frauen konnten nur entweder Ehepartnerinnen oder sexuell attraktiv sein, während Männer beides vereinen konnten. Um ihre Ehre zu bewahren, mussten bürgerliche Frauen die öffentlichen Räume, in denen ihre Ehemänner, Väter und Söhne mit den sogenannten »ehrlosen« Frauen verkehrten, meiden. Sie konnten diese wenn überhaupt nur in männlicher Begleitung aufsuchen. Andererseits muss betont werden, dass sich diese Verbote auf eine kleine Schicht von Frauen beschränkte, die Realität der Frauen aus den niederen Schichten sah ganz anders aus. Sie hielten sich große Teile ihrer Zeit auf der Straße auf: Dienstbotinnen und Arbeiterinnen mussten täglich große Wegstrecken zu Fuß zurücklegen, aufgrund der überbelegten Wohnungen spielten Kinder beiderlei Geschlechts auf der Straße, Arbeiterinnen verbrachten im Gegensatz zu bürgerlichen Frauen ihre Freizeit an öffentlichen Vergnügungsorten, und nicht zuletzt suchten Prostituierte ihre Kunden häufig auf der Straße. Außerdem bot gerade die Großstadt für bürgerliche Frauen die Möglichkeit, Grenzen zu überschreiten, weil sich die traditionellen Familienstrukturen immer mehr auflösten. Die Vormachtstellung von Familienvater und Gatten herausfordernd, konnten bürgerliche Frauen ihre Handlungsspielräume erweitern.

164 | Vgl. ebd. 165 | Zweig 2003, S. 104. 166 | Benjamin, »Zentralpark«, 1991, S. 688; vgl. auch Boyer 2003.

Die Stadt als Natur Die Stadt sei »eben wahrhaft ein Stück lebendiger Natur, wie Berg und Wald, wo die lieben Thierlein alle ihre erbgesessenen Nester haben […]«, kann man bei Sitte lesen.1 Sieht man die Stadt als Natur, fasst man sie metaphorisch als ihr Gegenteil auf. Klassischerweise wird die Stadt als Ort der Zivilisation gesehen, stärker noch, als Inbegriff oder Verkörperung der Kultur, womit sie den Gegenpol zur Natur bildet. Unter »Natur« versteht man in westlichen Kulturkreisen im Allgemeinen das, was nicht von Menschen geschaffen wurde, das noch Ungeformte. In dieser Dichotomie Natur-Kultur ist eine Wertung enthalten: Bereits in der Bibel steht, dass der Mensch sich die Natur untertan machen solle. Die Frage ist, ob die Naturstadt als erstrebenswerte oder beängstigende Perspektive erscheint. Handelt es sich um öde Wildnis, undurchdringliches Chaos, in dem unbestimmte Gefahren lauern? Oder den bergenden Schoß von Mutter Natur, einen ursprünglichen Zustand, in den man gerne zurückkehren würde? Der Naturbegriff hat sich in der Neuzeit stark gewandelt. Die längste Zeit erschien die Natur als unerschöpflich, machtvoll und bedrohlich. Sie musste zivilisiert und unterworfen werden. Aus heutiger Sicht ist die unberührte Natur ein fragiles Gut, das es zu schützen gilt und mit dem romantische Sehnsüchte verbunden werden. In der städtebaulichen Debatte spiegelt sich dieser Bedeutungswandel wieder. Eine wichtige Rolle spielt der Blick der Städter auf den ländlichen Raum, der auf das Land und seine Bewohner einerseits Vorstellungen von Unkultiviertheit projiziert, anderseits Idealbilder der von der Zivilisation unverdorbenen Naturmenschen beschwört. Letzteres kam zu Sittes Lebzeiten in Mode, im gleichen Maße, wie die wachsenden Großstädte zunehmend als schmutzig, gesundheitsschädlich und verrucht wahrgenommen wurden. Die Alpen, wilde und schwer zugängliche Naturlandschaften, wurden seit Mitte des 19. Jahrhunderts für ein urbanes Publikum touristisch erschlossen und verloren damit an Bedrohlichkeit. Zunehmend verschwammen die Grenzen zwischen den einst klar geschiedenen Kategorien. Die vermeintlichen Gegensätze von Kultur und Natur finden in sogenannten Kulturlandschaften zusammen. Der Kulminationspunkt gezähmter und künstlerisch veredelter Natur ist der Park oder Garten. Die Gartenstadt wurde zu einem der einflussreichsten städtebaulichen Metaphern des 20. Jahrhunderts. Zuletzt 1 | Sitte, »Kunst des Städtebauens«, 1891, CSG 2, S. 313.

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kann die Stadt als Ökosystem oder natürliches Habitat des Menschen wahrgenommen werden, womit der Gegensatz schließlich ganz aufgehoben wird.

W ILDNIS Freie Natur In Sittes Landschafts-Metaphern erscheint Natur als wild und bedrohlich. »Es ist hier gleichsam die Ringstrasse geplatzt, hierhin und dorthin fliesst ihr Rauminhalt aus, wie ein grosser, in das Meer mündender Strom bei seinem Delta, wo die Gelehrten sich abmühen, den Hauptarm herauszufinden. Es ist dies geradezu ein ›Ringstrassen-Delta‹.«2 Für Sitte floss nicht nur der Verkehr, sondern der Raum selbst, deshalb mündeten Straßen mitunter in einem »formlosen Platzmeer«.3 Der Raum braucht Fassung, ein Flussbett, sonst rinnt er aus und schafft unwirtliche Gegenden. Sitte rief das Bild des Ozeans noch an anderer Stelle auf, wenn er vom »endlosen« oder »ununterbrochenen« Häusermeer sprach.4 Den Platz vor der neu erbauten Votivkirche in Wien bezeichnete er als »Sandwüste«.5 Sitte fand in der industrialisierten Großstadt offenbar Aspekte vor, die bis dahin der unzivilisierten Natur vorbehalten gewesen waren. Unstrukturierte, unübersichtliche und vor allem große Naturräume, deren Maßstab für den Menschen, der sich in ihnen zurechtfinden muss, beängstigend ist, werden als Bilder angeboten. Sitte klassifizierte diese Stadtwildnis als für den Menschen unwirtlich, ja lebensfeindlich und sprach von der »öden Menschenleere« moderner Platzanlagen.6 (Abb. 4.1) Eine Wildnis, so kann man in Grimms Wörterbuch lesen, ist eine »unbewohnte, unwegsame gegend; der vorstellung des waldes, des gebirges und der wüste nahestehend.« Seit dem 15. Jahrhundert wird mit »Wildnis« eine Landschaft assoziiert, die trostlos, unbewohnbar, kulturlos und nutzlos ist.7 Die ungezähmte Natur außerhalb der Städte erzeugte generell eher Angst. Wir haben heute ein gänzlich anderes Verständnis von »Wildnis« als die Generationen vor der Industrialisierung. Die Erkenntnis, dass die natürlichen Ressourcen endlich sind, und die Menschheit der Natur bereits schweren Schaden zugefügt hat, musste das Verhältnis von Stadt und freier Natur verändern. Die »unberührte Natur«, Reste primärer Urlandschaften sind selten geworden und werden inzwischen als Naturschutzgebiete geschützt. So kommt es zu dem Paradox, dass die letzten »wilden« Gebiete heute, da sie so fragil 2 | Sitte, »Über alte und neue Städteanlagen«, 1889, CSG 2, S. 261. 3 | Sitte, »Wiener Goethe-Denkmal«, 1889, CSG 2, S. 280. 4 | Sitte, »Großstadt-Grün«, 2003, S. 231, 240; ders., »Lageplan für Reichenberg«, 1901, S. 10. 5 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 161–162. 6 | Ebd., S. 106. 7 | Grimm/Grimm 1854ff., Bd. 30, Sp. 108.

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Abbildung 4.1: Häusermeer Chicago. Vogelschau anlässlich der Weltausstellung 1893. (Benevolo 2000)

erscheinen, besonders reglementiert sind. Die Wildnis mutierte zum Sehnsuchtsort, auf die romantische Vorstellungen von Unverfälschtheit und Echtheit projiziert wurden – Werte, von denen das moderne Leben entfremdete. Zu Sittes Zeiten wurden diese Vorstellungen zwar schon populär, und mit ihnen der Alpentourismus, nichtsdestotrotz musste Wildnis für Sitte noch unendliche und potentiell gefährliche Weite bedeuten. Nur selten fasste Sitte beengende Räume in Wildnis-Metaphern. Einmal bezeichnete er eine Straßenflucht als »Gebirgsschlucht, wie eine sogenannte Klamm«.8 Diese Metapher hat er nicht erfunden. Joachim Heinrich Campe hatte bereits 1789 seine Ankunft in Paris folgendermaßen beschrieben: »Wir kamen in Straßen, welche kaum so breit sind, dass zwei Wagen oder Cabriolets […] neben einander hinfahren können; und diese engen, schmutzigen […] Straßen, fanden wir auf beiden Seiten mit […] Häusern bebaut, welche fünf bis sieben Stockwerke hoch empor ragen und dann noch oben drein mit einer Menge hoher Schornsteine gekrönt sind, die zu breiten Mauern verbunden, wie schroffe Felswände gen Himmel starren.« Den Himmel selbst könne man »in diesen beklemmenden Straßen, welche tiefen Abgründen gleichen«, kaum sehen.9 Rund 150 Jahre später kam ein junger Architekt aus der Schweiz in Paris an und hatte denselben Eindruck. Le Corbusier war schockiert von den »schwarzen Schluchten der Pariser Straßen«, die er bald inbrünstig hasste: »Eine Straße; meistens schmale oder breite Bürgersteige. Senkrecht aufsteigende Hauswände: Dachluken oder Blechrohre bilden die gegen den Himmel sich abzeichnende geschmacklose Silhouette. Die Straße befindet sich in einer Niederung, in ewigem 8 | Sitte, »Thurm-Freiheit«, 1896, CSG 2, S. 461. 9 | Campe 1790, S. 41f.; vgl. Bisping 2001, S. 184.

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Abbildung 4.2: Gebirgsartige Baumassen, die sich bei optimaler Ausnutzung des Zoning Law in New York City ergeben würden. Kohlezeichnung von Hugh Ferris, 1929. (Sonne 2003)

Halbdunkel. Das Blau des Himmels ist ein sehr ferner Hoffnungsschimmer. Die Straße ist eine Rinne, eine tiefe Spalte, ein enger Gang.« In diesen Schluchten sei »das Rinnsal der Pferdefuhrwerke« neuerdings zum »Amazonas der Autos« angeschwollen.10 Le Corbusier stellte dieser Schreckensvorstellung den Plan Voisin entgegen, wo sich den Bewohner aus den Wolkenkratzern ein weiter Blick über eine grüne, parkartige Stadtlandschaft eröffnen sollte. Straßen im herkömmlichen Sinne sollte es dort keine mehr geben: »Sie befinden sich unter Bäumen, umgeben von Wiesen. Überall ringsum weite grüne Flächen. […] Gesunde Luft, fast gar kein Lärm. Sie sehen keine Häuser mehr! Aber wieso denn? Durch das Geäst der Bäume, durch die schönen Arabesken des Laubwerks sehen Sie in großen Abständen riesige Kristallmassen aufragen.« In New York, wo die Gebäude ja noch ungleich höher sind, stellten Thomas Adams und die Verfasser des Regional Plan fest, dass es an sich nicht problematisch sei, dass Manhattan seine künstlichen Gebirgszüge besitze, sondern lediglich, dass diese »Gebäudemassive« zu dicht beieinander stünden, so dass Licht und Luft von Straßen und einzelnen Gebäuden ferngehalten würden.11 Tatsächlich definierte das New Yorker Zoning Law von 1916 die maximale bauliche Ausnutzung von Grundstücken so, dass zurückspringende »bergartige« Baumassen die Regel wurden. Hugh Ferriss hat die optimale Ausnutzung dieser Gesetzgebung in meh10 | Le Corbusier 1964, S. 183f.; folgendes Zitat ebd. 11 | Adams 1931, S. 99ff.; vgl. Koolhaas 1999, S. 117.

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reren Kohlezeichnungen visualisiert und beschrieb in seinem 1929 publizierten The Metropolis of Tomorrow das Manhattan der Zukunft als »eine weite Ebene, nicht ohne Vegetation, auf der sich in größeren Abständen gewaltige Berggipfel erheben«.12 (Abb. 4.2) Der italienische Architekt Paolo Portoghesi fügte 1978 der Gebirgs-Metapher eine neue Nuance hinzu, indem er morphologische Ähnlichkeiten von architektonischen und natürlichen Formationen aus Stein untersuchte, und für Straßenräume Schluchten zum Vorbild nahm. Monumentale Kirchen oder das Stadtbild prägende Türme verglich er mit der beeindruckenden Schönheit natürlicher Felsformationen. Portoghesi wies darauf hin, dass besonders prägnante Gebirgszüge oder Täler nicht selten mit Namen belegt werden, die aus dem Topos der Stadt stammen, wie etwa eine imposante Kalklandschaft nahe der spanischen Stadt Cuenca mit Namen »Ciudad Encantada«.13 Portoghesi wies außerdem darauf hin, dass Städte sehr oft ihre charakteristischen Formen und wirkungsvollsten Räume durch das Zusammenspiel von urbanem und Naturraum gewinnen. Viele Städte gewännen ihren Reiz durch ihre Lage hoch oben auf einem steilen Hügel, am Hang einer Meeresbucht oder dem Ufer eines Flusses. Architektur und Natur werden nicht als Gegensatz gesehen, sondern gehen eine fruchtbare Symbiose ein. (Abb. 4.3) Oswald Mathias Ungers hat praktisch zeitgleich Berlin als »grünes Städtearchipel« gedeutet, und so dem städtischen Ozean eine positive Lesart abgerungen. Ein Archipel ist eigentlich ein geographisches Gebilde: eine Meeresregion mit vielen Inseln. In der damals schrumpfenden Großstadt Westberlin sollten Gebiete von besonderer historischer, sozialer und künstlerischer Bedeutung ausgewählt werden, um dann die spezifische urbane Identität dieser »Stadtinseln« architektonisch herauszuarbeiten, während die dazwischen liegenden, wertlosen Strukturen der Natur überlassen werden sollten. In diesen ungeordneten Naturgebieten könnten alle an das Auto gebundenen Funktionen wie Autobahnen, Supermärkte, Einfamilienhausanlagen, Sportplätze, Industrieparks sowie Landwirtschaft und modernes Nomadentum Raum finden.14 Mit diesem Entwurf ordnet Ungers viele Strukturen und Aktivitäten der Natur zu, die im Allgemeinverständnis durchaus als städtisch gelten. Ungers’ damaliger Mitarbeiter Rem Koolhaas hatte ursprünglich noch Extremeres im Sinn gehabt: Wenn sich in den verwilderten Parks wieder Tiere ansiedelten, dann könnten Touristen mitten in Berlin auf Safaris gehen. In seinen eigenen Projekten dachte Koolhaas ebenfalls über urbane Wildheit nach. In der Studie Delirious New York griff er die Gebirgs-Metapher auf und beschrieb Manhattan als »eine stille metropolitane Prärie, aus der bloß noch die in sich geschlossenen Universen der Berge herausragen«.15 Er arbeitete damit, wie 12 | 13 | 14 | 15 |

Ferriss 1986, S. 109.; vgl. Koolhaas 1999, S. 114. Portoghesi 2000, S. 470. Ungers 2005. Koolhaas 1999, S. 185.

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Abbildung 4.3: Straßen als Schluchten. Paolo Portoghesi, Vittorio Gigliotti, »Roma Interrotta«, Projekt 1978. (Architekturbiennale Venedig 2008)

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schon Sitte und Le Corbusier, den Gegensatz zur traditionellen europäischen Stadt heraus. Der öffentliche Raum habe seine ehemalige Bedeutung verloren, seine Nutzungen sich in Innenräume verlagert. (Abb. 4.4) Koolhaas beschrieb einen Vorschlag von Harvey Wiley Corbett von 1923 zur Lösung der New Yorker Verkehrsprobleme. Der Plan sah vor, die Bodenfläche den Automobilen zu überlassen und im ersten Stock Fußgängerwege durch in die Gebäude gefräste, über Brücken verbundene Arkaden zu schaffen. Corbett wollte so die Verkehrskapazitäten um 700 Prozent steigern. New York werde so ein »von Grund auf modernisiertes Venedig, eine Stadt der Arkaden, der Plätze und Brücken, mit Kanälen statt Straßen, bloß dass in diesen Kanälen kein Wasser fließt, sondern der Verkehr, wobei die Sonne auf den schwarzen Verdecken der Autos funkelt und die Gebäude die wogende Flut der schnell dahinfließenden Fahrzeuge widerspiegeln«.16 Koolhaas entwickelte Corbetts Ideen dahingehend weiter, dass »jeder Block zu einer Insel mit einem eigenen Leuchtturm geworden« sei. »Die von Block zu Block reisende Bevölkerung Manhattans würde letztendlich – und wortwörtlich – einen künstlichen metropolitanen Archipel aus 2.028 Inseln bewohnen.« Die Verfasser des Regional Plan für Manhattan hätten eingesehen, dass es unmöglich sei, die Probleme der Stadt planerisch lösen zu wollen und dass die einzige Lösung für Manhattan in der Fortschreibung seiner »monströsen Geschichte« bestünde. Die Stadt in ihrer sei ohnehin verloren. Die einzig mögliche Strategie sah Koolhaas darin, der Stadt ein neues metaphorisches Modell überzustülpen, das eine Planung im eigentlichen Sinn durch eine Form poetischer Kontrolle ersetze.17 Knapp 20 Jahre später schlug er vor, Atlanta als Wald aufzufassen. Atlanta weise keine »klassischen Symptome einer Stadt« auf. Es sei nicht dicht, sondern ein sparsam besiedelter Teppich, eine suprematistische Kombination kleiner Felder, formlos und ohne Zentrum. Die stärksten gliedernden Elemente seien die Wälder, die alles mit einer dicken Schicht Idylle zutapezierten, und die Straßen.18 Der deutsche Architekt Thomas Sieverts prägte in den 1990er Jahren den einflussreich gewordenen Begriff der »Zwischenstadt«, die er als »verstädterte Landschaft« oder »verlandschaftete Stadt« charakterisierte.19 Die metaphorische Vermengung von Stadt und Landschaft markiert den Versuch, mit den nicht mehr im traditionellen Sinne als städtisch wahrgenommenen peripheren Zonen der Stadt umzugehen. Der Fall der Stadtmauern habe im Sichtbaren die Tatsache vollzogen, dass die funktionalen Grenzen der Städte sich immer weiter ausdehnen, beginnend bei der Nahrungsversorgung, über die Energieträger bis zum Wohnungs- und Arbeitsmarkt. Die moderne Stadt habe keine scharfen Grenzen mehr, beziehungsweise hörte sie an ihren Grenzen nicht auf, diese seien nicht mehr physisch wahrnehmbar, sondern rein administrativer Natur. Sieverts sieht hier einen 16 | 17 | 18 | 19 |

Adams 1931, S. 308–310; vgl. Koolhaas 1999, S. 119. Koolhaas 1999, S. 120. Koolhaas, »Atlanta«, 1995, S. 835f., 855. Sieverts 1997, S. 7; ders. 2000.

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Abbildung 4.4: Öffentlicher Raum als Steppe. 70 Prozent der Grundfläche des Zentral District von Houston/Texas werden von Parkplätzen eingenommen. (Kostof 1993)

Figur-Grund-Wechsel: nicht mehr die Figur der Stadt sei in eine sich endlos ausdehnende Landschaft eingefasst, sondern die offene Landschaft sei in den großen Agglomerationen zur Binnenfigur vor dem Hintergrund der Siedlungsfläche geworden (Abb. 4.5). Denke man diesen Gedanken weiter, so eröffne sich ein neuer Blick auf die Stadt als »ökologisches und kulturelles Kontinuum einer gebauten Struktur«. In den hochindustrialisierten Ländern Mitteleuropas gebe es kein Milieu, auf das die Bezeichnung »Wildnis« eher zutreffe als die Zwischenstadt.20

Unter Wilden Die Philosophen Gilles Deleuze und Félix Guattari entwickelten das Konzept des »glatten Raums« (espace lisse). In Tausend Plateaus (1980) unterschieden sie zwischen dem glatten und dem gekerbten Raum (espace strié). Glatte Räume seien 20 | Sieverts 1997, S. 52, 56.

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Abbildung 4.5: Umkehrung der Verhältnisse. Die Landschaft wird zur Binnenfigur, eingebettet in Stadt. Historische Entwicklung der Siedlungsfläche Londons (1820, 1910, 1960, 2010). (Reicher 2011)

beispielsweise das Meer, die Steppe, das Eis und die Wüste, die klassische Wildnis also.21 Glatter Raum sei amorph, formlos und unstrukturiert. Erst die Einkerbung kreiere homogenen Raum. Das Meer sehen sie als Archetyp für einen ursprünglich glatten Raum, der durch Einkerbung (durch die Verbesserung der Navigationssysteme) gezähmt wurde. Diese Unterscheidung läuft parallel mit der Unterscheidung zwischen Nomaden und Sesshaften. Die Stadt sei die Einkerbungskraft schlechthin, die alle anderen Räume einkerbe. Einkerbung steht also für Zivilisation, Ordnung, Kultur. Allerdings gingen auch von der Stadt mitunter glatte Räume aus, »gewaltige kurzlebige Elendsviertel, Nomaden und Höhlenbewohner, Metall- und Stoffreste, Patchwork, die nicht einmal mehr für die Einkerbungen des Geldes, der Arbeit oder des Wohnungsbaus interessant sind«. Deleuze und Guattari sahen in diesen neuen »wilden« Räumen »eine geballte Kraft für einen Gegenschlag«, sie verbanden räumliche mit sozialen, technischen und politischen Entwicklungen, und vor allem mit Machtstrukturen.22 Die Lektüre von Deleuze und Guattari war in den 1990er Jahren unter Architekten ausgesprochen in Mode. Dabei ist ihre Metapher so neu nicht. 1906 erschien unter dem Titel The Jungle ein Roman des amerikanischen Journalisten Upton Sinclair über die Ausbeutung der Arbeiter in den Schlachthöfen 21 | Deleuze/Guattari 1992, S. 663f. 22 | Ebd., S. 667.

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Chicagos, der schnell zum Klassiker der sozialkritischen Literatur wurde. Der Großstadtdschungel war schon zu Sinclairs Zeit ein gängiges Bild. Bereits in den 1870er Jahren bereiste Gustave Doré die Armenviertel Londons, die anklagenden Illustrationen seines Reiseberichts sind berühmt. Seine Erkundung von Whitechapel mutet wie eine Expedition an: »Forlorn men, women, and children, and a spacious township peopled with them, from cellars to attics, from the resort of the sewer rat to the nest of the sparrow in the chimney-stack, make up that realm of suffering and crime which adventurous people visit. […] You adopt rough clothes. You select two or three companions who will not flinch even before the humours and horrors of Tiger Bay: and you commit yourself to the guidance of one of the intelligent and fearless heads of the detective force. He mounts the box of the cab about eight o’clock: and the horse’s head is turnedeast. When we move out of Fleet Street towards Smithfield, we leave familiar London in a few minutes, and reach the lanes and byeways, dark and noisy, and swarming with poor […]«23 Slums oder Elendsquartiere wurden häufig als gefährliches unzivilisiertes Dickicht beschrieben. Für Bürgerliche waren diese Distrikte, die sie nie betraten, obwohl sie vor der Haustür lagen und ihre Angestellten dort wohnten, fern und exotisch – ein unverständlicher »dunkler Kontinent«. William Booth, der Begründer der Heilsarmee, leitete sein Buch mit der rhetorischen Frage ein: »As there is a darkest Africa, is there not also a darkest England?«24 Für ihn existierten Ähnlichkeiten zwischen den Schrecken der Wälder am Äquator und denen, die nur einen Steinwurf von der eigenen Türschwelle entfernt seien. Sozial Engagierte unternahmen richtiggehende »Forschungsreisen« in die Armenviertel. Arthur Sherwell schrieb 1897 in der Einleitung zu seiner Sozialstudie über Westlondon: »It is probable that there is no district in London so comparatively unknown as that portion of West London which is comprised within the area of Soho, and the immediately surrounding district. […] So far as the more intimate facts of its moral and social life are concerned, Soho remains to a very large extent a terra incognita to the outsider.«25 Zum Mythos der Wildnis gehören die »Wilden«. Die in den Slums lebenden Menschen wurden – wie jene in den überseeischen Kolonien – als niedrigere Stufe der Entwicklung dargestellt, oder gar als wilde Tiere. Jack London beschrieb seine Recherchen in den Londoner Slums 1903: »Es war eine Menagerie bekleideter Zweifüßler, eine Kreuzung zwischen Mensch und Bestie. […] Straßen und Häuser, Gassen und Höfe sind ihre Raubgebiete, so wie einst Tal und Berg, Wald und Feld den wilden Naturvölkern als Jagdgrund diente. Die Stadt ist ihr Dschungel, in dem sie leben und rauben.«26 (Abb. 4.6) 23 | 24 | 25 | 26 |

Doré/Jerrold 1872, S. 141f. Booth 2004, S. 9f. Sherwell 1897, S. 2. London 1981, S. 223f.

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Abbildung 4.6: Großstadtdschungel. Slums als gefährlich-exotisches Ziel von Forschungsreisenden. »Wentworth Street, Whitechapel« von Gustave Doré aus »London: A Pilgrimage«, 1872. (Doré/Jerrold 1872)

Trotz heute als nicht mehr politisch korrekt empfundener Diktion hatten diese Autoren einen sozialreformerischen Anspruch. Mit ihren Texten über die ungesunden und von Gewalt geprägten Lebensverhältnisse der Arbeiterschaft wollten sie aufrütteln. Doch haben diese Metaphern problematische Wurzeln, den Blick der europäischen Eroberer auf die zu kolonisierenden Kontinente und die westliche Definitionsmacht. Postkoloniale Theoretiker betonen die Macht der Sprache im Prozess der Kolonialisierung. Eine Kultur erobert die andere und formt sie gewaltsam nach ihrem Bilde um. Es ist eine imperialistische Strategie, fremde Völker als Natur zu bezeichnen, um sie anschließend zu unterwerfen und entweder gewaltsam zu zivilisieren oder als Ressource auszubeuten. Die Wildnis-Metapher kann darauf anspielen, dass die betreffenden Stadtquartiere nicht (mehr) unter öffentlicher Kontrolle sind, also keine staatlichen

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Gesetze mehr gelten (»das Gesetz des Dschungels« ist gleichzusetzen mit Anarchie). Der US-amerikanische Sicherheitsexperte Richard Norton hat 2003 den Terminus der feral cities, der »wilden/verwilderten Städte«, geprägt.27 Er bezeichnete damit große Metropolen, in denen das staatliche Machtmonopol nicht oder nicht mehr durchgesetzt werden könne, wie Mogadischu oder Bagdad. Es existierten einige geschützte, abgegrenzte Stadtteile mit intakter technischer Infrastruktur und Verbindung zur Außenwelt, während in anderen Stadtteilen Infrastruktur, soziale Dienste und Rechtsordnung zusammengebrochen seien. Dort herrschten wie in failed states Warlords, Clans und Banden, die die wenigen verbliebenen wirtschaftlichen Verbindungen trügen oder ermöglichten. Diese wilden Städte könnten mit herkömmlichen militärischen Mitteln nicht eingenommen werden. Große Teile der Weltbevölkerung lebten unter großer Armut in wilden oder verwilderten Städten, folgerte er in einem nächsten Schritt, denn derartige Bedingungen herrschen nicht nur in Krisengebieten, sondern in den Slums der Megastädte weltweit. Nortons Konzept der feral cities wurde unter anderem von Stephen Graham kritisiert. Der Vergleich mit Kriegsschauplätzen wie Mogadischu stelle die informellen Siedlungen in den Megacities der südlichen Hemisphäre als existenzielle Bedrohung der Zivilisation dar. Es sei ohne Zweifel ein dramatisches Problem, dass so viele Menschen in den Slums von Gesundheitsversorgung, formellen Arbeitsverhältnissen und staatlicher Infrastruktur abgeschnitten seien, doch sei eine militärische »Rückeroberung« dieser Gebiete keine Option.28 Hier zeichnet sich offenbar ein neuerliches Ringen um passende Leit-Metaphern ab, das den von Donald Schön beschriebenen Prozess fortsetzt, wie er im Kapitel »Tumore« beschrieben wurde. Weltweit leben heute rund eine Milliarde Menschen in Slums, viele davon in sogenannten Megacities.29 2011 gab es 26 Städte mit über zehn Millionen Einwohnern, von denen mit Paris und London nur mehr zwei in Europa liegen.

Naturkatastrophen In Paris sah Victor Hugo schon vor 180 Jahren das Ende der alten Ordnung gekommen, symbolisiert durch den Untergang der Stadtmauern in den Fluten: Man konnte noch »hier und dort im Häusermeer alte zerfallene Türme sehen, Überreste der alten Stadtmauern, die wie Hügelspitzen aus einer Überschwemmung, wie Inseln des alten Paris aus der verschlingenden Flut der neuen Stadt aufragten«.30 Die Metapher der Meeresfluten wurde häufig genutzt, um das Phänomen des 27 | Norton 2003; vgl. Rötzer 2006, S. 138ff. 28 | Graham 2010, 53ff. 29 | UN-Habitat: »State of the World’s Cities 2010/2011«, www.unhabitat.org/content. asp?cid=8051&catid=7&typeid=46 (November 2011). 30 | Hugo 2001, S. 158.

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Stadtwachstums zu fassen. Sherwell schrieb 1897: »There is nothing in the entire life of a city at once so pathetic and remorseless as the law and habits of its growth. A city is like a great, hungry sea, which flows on and on, filling up every creek, and then overspreads its borders, flooding the plains beyond; only, unlike the sea, a city leaves its driftwood behind it.«31 Auch andere Naturgewalten boten sich an. Paul Schultze-Naumburg dachte 1909 an feuerspeiende Vulkane: »[U]nsere Grosstädte sind wie riesenhafte Feuerstätten, die durch ihre Glut meilenweit im Umkreis das freie grüne Land gleichsam verbrennen und versengen. Wie Vulkane, die nach außen ihre Lavaschlacken vor sich herschieben, so sind unsere Städte stets bestrebt, das, was im inneren als unliebsam angesehen wird, herauszuwerfen und an ihrer Peripherie vor sich herzuschieben.«32 Natur-Metaphern wir Flut, Vulkan, Orkan oder Lawine schienen geeignet, die Umwälzungen katastrophischen Ausmaßes zu beschreiben, denen Architekten hilflos zusehen mussten, statt gestaltend einzugreifen, was sie ja eigentlich als ihre Aufgabe sahen. Bei Le Corbusier wurde der technische Fortschritt, den er eigentlich so schätzte, zur Naturgewalt, die sich gegen die alte Stadt wendete: »Autos, Autos, schnell, schnell! […] Man hat Teil an dieser Macht. […] Ihre Kraft gleicht einem Bergstrom, von Wolkenbrüchen geschwellt: Furie der Zerstörung. Die Stadt zerbröckelt, die Stadt kann nicht weiterbestehen, die Stadt ist eine Unmöglichkeit. Die Stadt ist zu alt. Der Bergstrom hat kein Bett. So wird er zur Sintflut. […] Jeder fühlt jetzt die Gefahr. […] Eine ungeheure, blitzschleudernde, brutale Entwicklung hat die Brücken zu der Vergangenheit abgerissen.«33 Camillo Sitte hatte des Öfteren seine Ohnmachtsgefühle angesichts des Stadtwachstums artikuliert, wie im Kapitel »Monster« ausgeführt wurde. Wolfgang Sonne hat herausgestellt, dass die Beschreibung der Großstadt als Natur, in der der winzig kleine Mensch den Naturgewalten hilflos ausgeliefert sei, einerseits auf die zunehmende Ohnmächtigkeit der Stadtplaner angesichts der schieren Größe der industrialisierten Stadt hindeuten könne, der Dynamik ihres Wachstums, der Dominanz ökonomischer Interessen. Aber auch die entgegengesetzte Lesart sei nicht ausgeschlossen, dass der Planer sich in Anbetracht der neuen technischen Möglichkeiten zum gottähnlichen Herrscher über die Natur stilisieren wolle.34 Le Corbusier betonte genau diese heroische Rolle des Architekten: »Eine Stadt! Sie ist die Beschlagnahme der Natur durch den Menschen. Sie ist eine Tat des Menschen wider die Natur.«35 Herrscher über eine derartig widerspenstige Natur zu sein heiße, sie gewaltsam zu bezwingen. »Der Mensch untergräbt und zerhackt die Natur. Er widersetzt sich ihr, er zwingt sie nieder, er richtet sich in ihr ein. 31 | 32 | 33 | 34 | 35 |

Sherwell 1897, S. 2. Schultze-Naumburg 1906, S. 12. Le Corbusier 1979, S. IXf. Sonne 2003, S. 231–233. Le Corbusier 1979, S. VII.

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Kindliche und großartige Arbeit!«36 Le Corbusier stilisiert den Architekten gar zum gottähnlichen Herrscher und schildert architektonisches Schaffen als Streben nach Transzendenz. »In die chaotische Natur hinein schafft der Mensch zu seiner Sicherheit eine eigene Umwelt, eine Schutzzone, die im Einklang zu dem steht, was er ist und was er denkt; er bedarf der Merkzeichen, der befestigten Plätze, darin er sich in Sicherheit fühlt; er bedarf Dinge seiner Begriffswelt. Was er macht, ist eine Schöpfung, und diese widerspricht um so mehr seiner natürlichen Umwelt, je näher sein Ziel seinem geistigen Ich liegt und je weiter es sich von seinem körperlichen Ich trennt. Man kann sagen, je weiter sich die menschlichen Werke vom unmittelbar Greifbaren entfernen, desto mehr neigen sie zur reinen Geometrie.«37 Die Vorstellung von Gott als Baumeister, das sei nur nebenbei bemerkt, ist alt. Alanus ab Insulis beschrieb im 12. Jahrhundert Gott als elegans architectus, der den Kosmos als »königlichen Palast« schuf. Mithilfe seines Zirkels habe der Schöpfergott die Maße des Universums ausgelotet und es gemäß den Gesetzen der Geometrie und den heiligen Proportionen geschaffen.38

Chaos Sitte nannte die nicht nach künstlerischen Grundsätzen komponierte Großstadt ein »Gestrüpp des Unharmonischen«.39 Architektonische Eingriffe erscheinen folglich metaphorisch als Kultivierung oder als Rodung einzelner »Lichtungen« dieses Urwalds: »Wenn man die alten Plätze studirt, so findet man, dass diese nicht zuerst da waren, sondern dass zuerst ein Häusergewirre oder ein leerer Raum war; dann kam eine Kirche oder ein Rathhaus hinzu, und dieses Gebäude hat sich seinen Platz selbst geformt. Entsprechend diesem Gebäude wurde der Platz aus dem Häusermeere herausgeschnitten.«40 Le Corbusier sprach vom »riesigen Häusergewirr« und bezeichnete Paris als Maccia (ein dorniger Buschwald auf den Berghängen der Insel Korsika).41 (Abb. 4.7) Grimms Wörterbuch führte zum Eintrag »Wildnis« aus, dass das Wort ursprünglich nicht nur eine Landschaft bezeichne, sondern »wirr, seltsam, häszlich, unrein« bedeute, oder bildhaft für »üppigwuchernde fülle, hemmende noth, geistige verwirrung« stehen könne.42 Sitte diente die Wildnis-Metapher in diesem Sinne als Negativfolie zur Organismus-Metapher, wobei die erstere für Unstrukturiertheit und Hässlichkeit steht, und die zweite für Gliederung und Schönheit: »Die 36 | Ebd., S. 21. 37 | Ebd., S. 19f. 38 | Vgl. Simson 1959, S. 170ff. 39 | Sitte, »Komische Oper«, 1874, CSG 2, S. 171. 40 | Sitte, »Über alte und neue Städteanlagen«, 1889, CSG 2, S. 262. 41 | Le Corbusier 1979, S. 216. Das Wort »Maccia« kommt in der deutschen Übersetzung nicht vor,sondern nur im französischen Original: Le Corbusier 1966, S. 254. 42 | Grimm/Grimm 1854ff, Bd. 30, Sp. 107–113.

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Abbildung 4.7: Schneisen durch die Maccia. Le Corbusier imaginierte Paris als Chaos, 1925. (Corbusier 1979)

einzige Rettung, um die Monotonie eines endlos gleichartigen Häusermeeres zu bändigen und eine organische, gesunde Mannigfaltigkeit hinein zu bringen«, sei die funktionale Differenzierung der öffentlichen Räume in beispielsweise Monumentalplätze, Marktplätze, Festplätze, in repräsentative und dienende Räume.43 Das »Gewirre« bedürfe einer ordnenden Hand: »In diese zerrissene Fülle von gestaltlosem leeren Raum müsste zunächst Geschlossenheit und Rhythmus gebracht werden […].«44 In seinem Artikel für das Neue Wiener Tagblatt 1891 anlässlich des anstehenden großen Wettbewerbs um einen neuen Generalregulierungsplan sinnierte Sitte über die richtige Verfahrensweise beim Anlegen von Städten. Er fasste die schwierige Aufgabe in die Worte: »Das Chaos soll Form nehmen, soll zum Kunstwerk sich gestalten.«45 Das aus dem griechischen stammende Wort Chaos ist der Gegenbegriff zu Kosmos, dem griechischen Begriff für die (Welt-)Ordnung. Es bedeutet »klaffender Raum« oder »gähnende Leere« und meint den Urzustand vor der Schöpfung der Welt, eben des Kosmos. Mit seiner Wortwahl befand sich Sitte in ungewohnter Nähe zu Le Corbusier, der allerdings – was kaum verwundern dürfte – extremer formulierte. Zwischen der Natur und der gewachsenen Stadt machte Corbusier keinen großen Unterschied. Er wollte »Geometrie hineintragen […] in die Natur oder in das Chaos, das sich ›auf natürlichem Wege‹ durch die Anhäufung der 43 | Sitte, »Wien der Zukunft. Regulirungsprojekte«, 1894, CSG 2, S. 430. 44 Sitte, »Wiener Goethe-Denkmal«, 1889, CSG 2, S. 278. 45 | Sitte, »Neue Stadterweiterung«, 1891, CSG 2, S. 322.

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Menschen in den Stadtzusammenballungen bildet.«46 Es wurde bereits erwähnt, dass er den Architekten als »Schöpfer« imaginierte. In der Genesis wird beschrieben, wie der Schöpfergott in sieben Tagen die Welt erschuf. Davor war die Erde wüst und wirr. In Le Corbusiers Phantasie formt sich die Großstadt unter der Hand des allmächtigen Architekten: »Inmitten des Wirrwarrs tauchen reine Kristallisationen auf, stärkende, beruhigende Formen […].« (Abb. 4.8)

Abbildung 4.8: Der Blick von einer Terrasse in eine gerahmte und geordnete Landschaft. Im Park arrangierte Hochhäuser der »Ville Contemporaine« von Le Corbusier, 1922. (Corbusier 1979)

Der deutsche Kirchenbaumeister Rudolf Schwarz antwortete 1949 auf Le Corbusiers Allmachtsphantasien: »Was macht er (der) es sich so schwer? Warum will er aus der Erde einen Kristall machen, all das Wirre in eine durchsichtige Ordnung verklären? Die Erde, so wie sie beschaffen ist, wird sich nicht klären […]. Wie Wolkenhimmel am Meer baut und löst sich die Welt in Gestaltungen, die in einer übergreifbaren Weise zusammenklingen, ineinander verklingen. Warum spielt denn der Mensch nicht mit? […] Warum fehlt gerade ihm, dem finsteren Tyrannen der Sinn für die Anmut der Wirren?«47 Der kluge Planer wisse, »dass es der Tod wäre, würde alles Kristall. […] Er weiß, die Geschichte braucht, um fruchtbar zu bleiben, einen unverbrauchten Vorrat von Wirrem und nimmt die Wirrnis ins eigenen Werk ein, dass es konkret werde […]. Er weiß, es gedeiht aus dem Humus der welkenden, zerfallenden Dinge […]. Er nistet sein Werk in Ruinen ein und freut sich ihres reichen Vorrats an Zeit.« Die poetischen Bilder, die Schwarz findet, nehmen viel vorweg. Die von Menschen noch ungeordneten Teile der Welt, die Wildnis, begriff er als »Freiräume«, die Möglichkeiten für künftiges und Abseitiges offen lassen. Die Abneigung gegen kristallklare, alles überstrahlende und universal gültige Ordnungen, neben denen nichts anderes mehr Platz hat, muss man im historischen Kontext betrachten. Zwischen den Texten von Le Corbusier und Schwarz liegen 24 unheilvolle Jahre und der Zweite Weltkrieg. Wiederholt warnte Schwarz vor den Idealisten, die mit ihren alles erklärenden

46 | Le Corbusier 1979, S. VII. 20, 81. 47 | Schwarz 1949, S. 229f.

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Ideen die Erde verwüstet hätten und sogar »Völker ihrem Wahnsinn opferten«.48 Er schätzte Wirrnis als Komplexität und setzte diese über eine einfache, ideale Ordnung. Gleichzeitig beschrieb er sie als das Ergebnis von Dauer und einer Vielzahl von über lange Zeitspannen ausgeführten Handlungen und Ereignissen. Schwarz steht nicht alleine, von allen Seiten wurde plötzlich dem Chaos Wertschätzung entgegengebracht. Das britische Architektenduo Alison und Peter Smithson plädierte 1957 für eine »Cluster City«. Der Cluster (deutsch »Traube«, »Schwarm« oder »Haufen«), ist eine eng verwobene, komplizierte, häufig auch in Bewegung befindliche Zusammenballung, aber eine Zusammenballung mit einer ausgeprägten Struktur. Durch dieses komplexere, dynamischere Modell wollten sie Le Corbusiers Plan Voisin, den sie ein »kolossales, axial organisierte Schachbrett« nannten, ersetzen.49 Kurz darauf veröffentlichte die amerikanische Journalistin Jane Jacobs ihr Aufsehen erregendes Buch The Death and Life of Great American Cities (1961), in dem sie die städtebaulichen Leitbilder des CIAM als eindimensional kritisierte. Es sei ein Irrglaube, Städte nach den Funktionen Wohnen, Arbeit und Erholung in Gebiete einteilen zu können. Planer hätten versucht, die Stadt in einfache Probleme zu fassen, denen sich die Stadt widersetzte, woraufhin sie sie als dunkles, unheimliches Chaos beschrieben.50 Jacobs referierte umfänglich, dass Naturwissenschaftler seit den 1930er Jahren des 20. Jahrhunderts erkannt hätten, dass es nicht nur einfach lösbare Probleme gebe, die man mit zwei Variablen formulieren könne, und auf der anderen Seite das totale Chaos. In den Biowissenschaften könne man viele Fragen als Probleme »organisierter Komplexität« definieren, in denen eine benennbare Zahl von Faktoren in Beziehung zu einem organischen Ganzen stehe.51 Eine große Stadt, folgerte Jacobs, sei ebenso ein Problem »organisierter Komplexität«. Eine Nachbarschaftsstraße diene, führt sie die Analogie aus, nicht nur dem Verkehrsfluss (dass Jacobs der Metapher der Verkehrsader kritisch gegenüberstand, wurde bereits erwähnt), sondern auch der Kinderbetreuung, der Sicherheit, dem öffentlichen Leben, der zufälligen Begegnung und dem Handel.52 Die Übertragung, die Jacobs so ungewöhnlich offen und reflektiert vornimmt, ist ein Musterbeispiel dafür, wie in Krisenzeiten Konzepte aus erfolgreicheren Disziplinen in die eigene transferiert werden. Habe man das scheinbare Chaos einmal als System organisierter Komplexität verstanden, sähe es schlagartig anders aus. Man könne dann getrost aufhören, nach einfachen Strukturen zu suchen, die man ohnehin niemals finden würde.53 1963 entdeckte der Meteorologe Edward Lorenz bei der Arbeit an einer Wettervorhersage ein Phänomen, das er »deterministisches Chaos« nannte, später 48 | 49 | 50 | 51 | 52 | 53 |

Ebd., S. 238f. Smithson/Smithson 2005, S. 173. Jacobs 1992, S. 436. Ebd., S. 429ff. Ebd., S. 434. Ebd., S. 376

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auch »Schmetterlingseffekt«. Bei komplexen, nichtlinearen Systemen können winzige Änderungen der Anfangsbedingungen zu unvorhersehbaren, völlig unterschiedlichen Ergebnissen führen. Im Volksmund ist diese Theorie als Chaostheorie bekannt. Mitte der 1970er Jahre war diese Theorie wissenschaftlicher Standard geworden. Man vertrat allgemein die Auffassung, dass im Kosmos Nichtlinearität normal und Linearität die Ausnahme sei. Nichtlinearität, scheinbares Chaos, bedeutet aber nicht, dass keine Ordnung existiert, sondern dass Ordnung eben kompliziert und schwierig zu erkennen ist. Das Chaos bekommt so eine neue Bedeutung. Die Komplexitätsforschung beschäftigt sich seither mit so unterschiedlichen Bereichen wie dem Wetter, Wirtschaftskreisläufen und neuronalen Netzen. Diverse Begriffe aus der Komplexitätsforschung sind aus dem Urbanismus nicht mehr wegzudenken, so etwa Selbstorganisation, Emergenz, Phasenübergang, Rückkopplung, Randbedingung, adaptive Systeme, Autopoiese.54 Robert Venturi plädierte 1966 für Komplexität und Widerspruch in der Architektur und zitierte August Heckscher: »Rationalismus erweist sich in Zeiten der Umwälzung als unangemessen. […] Gespür für das Paradoxe erlaubt es, scheinbar völlig verschiedene Dinge nebeneinander bestehen zu lassen, gerade aus ihrer Nicht-Übereinstimmung einer besonderen Art der Wahrheit zur Vorstellung zu verhelfen.«55 Charles Jencks postulierte die Komplexität als Paradigma der postmodernen Architektur. Dabei streicht er heraus, dass die Protagonisten der Postmoderne zahlreiche Anleihen aus den Naturwissenschaften gemacht haben, aber auch aus der Kunsttheorie. Organisatorische Tiefe sei ein Kriterium für Schönheit, etwa einer Symphonie.56 Um Komplexität und organisatorische Tiefe zu erzeugen, brauche man ein kohärentes Programm und genügend Rechenzeit. Jencks verglich die Zeit, die ein Computer benötigt, eine komplizierte Modellierung zu berechnen mit der Zeit, die eine große Zahl anonymer Baumeister an der Kathedrale von Chartre arbeiteten (150 Jahre). Diese Zeit sei nötig, um künstlerischen Wert zu produzieren. Jencks schlug vor, dass postmoderne Architekten organisatorische Tiefe in ihre Entwürfe bringen, indem sie Konzepte aus der Netzwerktheorie und avancierte Modellierungsprogramme nutzen. Interessanterweise hatte Sitte ähnlich über diese Problematik gedacht, doch konnte er noch nicht auf die entsprechenden technischen Hilfsmittel zurückgreifen. Einen städtebaulichen Entwurf müsse man entwerfen »genau so, als ob eine Jahrhunderte lange allmälige Entwicklung das wie von selbst zu Stande gebracht hätte. Was bei den alten Städten in Wirklichkeit naturgemäß gewachsen ist, das muß heute auf dem Papiere eben so wachsen.«57 54 | 55 | 56 | 57 |

Vgl. Mainzer 2004. Venturi 1978, S. 25. Jencks 1998, S. 59ff. Sitte, »Neue Stadterweiterung«, 1891, CSG 2, S. 320.

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L ANDSCHAF T Natur wahrnehmung Laut dem Wörterbuch der Deutschen Sprache von Joachim Heinrich Campe (1809) ist eine Landschaft »eine Gegend auf dem Lande, so wie sie sich dem Auge darstellet«.58 Landschaft bezeichnet also das Bild einer Wildnis oder einer Kulturlandschaft. Georg Simmel hat 1913 den Prozess, der Natur zur Landschaft macht, beispielhaft beschrieben: »Unzählige Male gehen wir durch die freie Natur und nehmen, mit den verschiedensten Graden der Aufmerksamkeit, Bäume und Gewässer wahr, Wiesen und Getreidefelder, Hügel und Häuser und allen tausendfältigen Wechsel des Lichtes und Gewölkes – aber darum, dass wir auf dies einzelne achten oder auch dies und jenes zusammenschauen, sind wir uns noch nicht bewusst, eine ›Landschaft‹ zu sehen. […] ›Ein Stück Natur‹ ist eigentlich ein innerer Widerspruch; die Natur hat keine Stücke, sie ist die Einheit eines Ganzen, und in dem Augenblick, wo irgend etwas aus ihr herausgestückt wird, ist es nicht mehr ganz und gar Natur, weil es eben nur innerhalb jener grenzstrichlosen Einheit, nur als Welle jenes Gesamtstromes ›Natur‹ sein kann. Für die Landschaft aber ist gerade die Abgrenzung […] wesentlich, […] ein vielleicht optisches, vielleicht ästhetisches, vielleicht stimmungsmäßiges Für-sich-Sein, eine singuläre, charakterisierende Enthobenheit aus jener unzerteilbaren Einheit der Natur.« Ein Stück Boden und das, was darauf wachse, als Landschaft anzusehen, bedeute einen Ausschnitt aus der Natur als Einheit zu betrachten, was dem Begriff der Natur eigentlich entgegenstehe. Dies sei eine geistige Tat, resümierte Simmel: »Wo wir wirklich Landschaft und nicht mehr eine Summe einzelner Naturgegenstände sehen, haben wir ein Kunstwerk in statu nascendi.«59 Die ästhetische Wahrnehmung der freien Natur ist relativ jung. Der Historiker Simon Schama schildert die unberührte »Naturlandschaft« als eine kulturelle Erfindung der Neuzeit. Landschaften seien Kultur gewesen, »bevor sie Natur« wurden, »Konstrukte der Phantasie, die auf Wald, Wasser und Fels projiziert wurden«.60 Im Mittelalter wurde die freie Natur nicht als schön wahrgenommen. In der Neuzeit wurde die Natur durch die Wissenschaften entzaubert und durch die Industrialisierung immer effizienter als Ressource ausgebeutet. In gleichem Maße wurde die Wildnis ästhetisiert. Allerdings sei der Traum der Wildnis, so Schama, bei den meisten Menschen eher der Traum von Arkadien, mehr einem englischen Park ähnlich als einem Urwald. Arkadien, die schroffe Hügelkette auf dem Peloponnes, wurde zur träumerischen Utopie, die vorchristliche, naturnahe Daseinsformen verherrlichte, mit flötenspielenden Hirten, dösenden Schafen, und dem bocksbeinigen Gott Pan als 58 | Campe 1809, S. 23. 59 | Simmel 1913, S. 635ff. 60 | Schama 1996, S. 74.

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Abbildung 4.9: Silhouette einer Industriestadt zur Landschaft komponiert. »Manchester from Kersal Moor«, Aquarell von William Wyld, 1851. (Girouard 1985)

Staffage. Der römische Dichter Vergil hatte seine Idyllen in ein mythisches Zeitalter zurückverlegt und so den Mythos des seligen Landlebens geprägt. Arkadien war schon in der Antike eine ästhetische Vision. In der Renaissance wurde sie wieder aufgegriffen und bis ins 19. Jahrhundert ständig weiterentwickelt. Ausgehend von Dichtung und Malerei wurde die Landschaft Arkadiens, von antiken Ruinen durchsetzt, zum Leitmotiv der neuzeitlichen Gartenkunst. Die Ästhetisierung der Natur, wie sie im Landschaftsbild und Landschaftsgarten zum Ausdruck komme, diente dabei im weitesten Sinne mythologischen Zwecken, vom individuellen Trost bis zur Schaffung einer nationalen oder sozialen Identität. Dieser romantisierende Blick auf die Natur setzte Distanz voraus: Es waren Künstler, Fürsten, Städter und nicht Bauern, die sich in die Wildnis träumten. Die Konventionen der Wahrnehmung von Landschaft durch Städter wirkten wiederum auf die Stadt zurück. (Abb. 4.9)

Park Sitte lobte 1891 den englischen Landschaftsgarten als besonders »natürlich« und empfahl ihn als Vorbild für den Städtebau: »Unser Herz hängt weit mehr an der reinen Natur, und der sogenannte englische Park ist es, der unserer Empfindung mehr entspricht und überall bei Neuanlagen bevorzugt wird. Ähnlich verhält es sich auch bei Stadtanlagen. Das geometrische Häuserkastenwerk wird allerdings weder bewundert, noch geliebt, weil es ja weder den Anforderungen der Kunst, noch denen der Natur […] entspricht.«61 Offensichtlich bezieht sich Sitte auf Marc-Antoine Laugier, der 1753 befand, Paris sei »eine Art riesiger Wald, der sich abwechselnd über Ebenen und Hügel erstreckt, 61 | Sitte, »Kunst des Städtebauens«, 1891, CSG 2, S. 354.

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in der Mitte geteilt durch einen großen Fluss.«62 Diesen Wald zum Park zu veredeln, das sei die große Aufgabe eines Architekten. Laugier fährt fort, man müsse dazu wie André Le Notre in Versailles (1699) einen Plan voller Geschmack und Ideen entwerfen, damit man dort gleichzeitig Ordnung und Ausgefallenes, Symmetrie und Abwechslung finde. »Nehmen wir einmal an, ein Künstler wäre völlig frei, ganz nach seinem Gutdünken einzuteilen und zu beschneiden, wie sehr würde er sich diese vorteilhafte Vielfalt zunutze mache! Wieviele glückliche Einfälle, wie viele geniale Wendungen, was für eine Abwechslung im Ausdruck, […] wie viele ausgefallene Zusammenhänge, was für geistige Gegensätze, welches Feuer, welche Kühnheit und welch verblüffende Komposition!« Im französischen Barockgarten war nicht mehr die organische Einheit das leitende Prinzip, wie noch in der Gartenkunst der Renaissance, sondern die Vielheit unterschiedlicher Reize nebeneinander. Die Idee des Parterres ließ beliebige Addition zu, die hohe Kunst bestand im milden Abstufen und Nuancieren der einzelnen Teile. Genauso müsse, forderte Laugier, in einer großen Stadt in jedem Viertel etwas Neues zu entdecken sein, aus einer großen Zahl regelmäßiger Teile müsse sich »der Gesamteindruck einer gewissen Regellosigkeit und von Chaos ergeben, der so gut zum Charakter einer großen Stadt passt.« Hier wird klar, dass die Stadt als Landschaft ein Gegenkonzept zur Stadt als Organismus ist. Obwohl sie das Stadtganze gestalten will, erlaubt sie die Addition einzelner Situationen und setzt die organische Einheit nicht mehr absolut.63 Die Landschafts-Metapher wurde attraktiv, weil die Gartenkunst mit dem großartigen Park von Versailles, dem »Weltwunder«, die anderen Kunstgattungen gerade in den Schatten stellte, wie Laugier selbst anmerkte.64 Mit der Metapher stellt er eine Verbindung zu einer gerade als dominant empfundenen Disziplin her, um neue Konzepte und Legitimation zu importieren. Gleich darauf kritisierte er die zuvor so hoch gelobte französische Gartentradition. Die barocken Prachtgärten seien in ihrer Regelmäßigkeit viel zu streng, die einfache Landschaft biete mehr Reize. Ihm gefallen, fährt er fort, die schönen Aussichtspunkte und »das geglückte Zufällige, das die Natur bringt«. Niemals dürfe man gegen die Natur arbeiten, vor allem müsse man die Topographie nutzen und dort Bäume wie auf einem Gemälde verteilen, so wie es in chinesischen Gärten geschehe.65 Damit ergreift Laugier Partei für die zu seiner Zeit neu aufkommenden englischen Landschaftsgärten. Im englischen Landschaftsgarten des 18. Jahrhunderts wurde die Natur zum Bild arrangiert nach dem Vorbild der gerade erst bekannt gewordenen chinesischen Gärten und deren als Sharawadgi bezeichneten Wirkung auf den Betrachter, überlagert von den Kriterien des picturesque.66 Der Dichter William Shenstone behauptete, der Landschaftsmaler sei der beste Landschaftsgärtner. Sein Landgut 62 | 63 | 64 | 65 | 66 |

Laugier 1989, S. 178; folgende Zitate ebd. Vgl. Tafuri 1976, S. 4ff. Laugier 1989, S. 183. Ebd., S. 185ff. Kruft 1995, S. 291ff.

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»The Leasowes« gestaltete er demgemäß nach den Kompositionsprinzipien Massengleichgewicht (balance) statt Symmetrie, geschwungene Linien (serpentine line) und die Rahmung von Ausblicken. Im Sinne größtmöglicher Vielfalt (variety) bezog er auch Ruinen in die Gestaltung ein, um eine historische Dimension einzubringen. Er ging so weit, wichtige Aussichtspunkte durch Bänke und Inschriftentafeln zu markieren, deren Texte die gewünschten Assoziationen unterstreichen sollten, die man beim Anblick des dort inszenierten Landschaftsbilds haben sollte.67 Stephen Switzer trat in seiner 1715–18 verfassten Ichnographia Rustica für eine Anpassung des Gartens an das vorhandene Gelände ein und empfahl, durch gebaute Ruinen den Stimmungswert der Landschaft zu erhöhen.68 William Chambers ging in seinem Traktat Dissertation on Oriental Gardening von 1772 noch weiter und forderte neben variety noch novelty und effect.69 Der Besucher sollte auf gekrümmten oder im Zickzack geführten Wegen von einer wohlkomponierten Aussicht zur nächsten geleitet werden, wobei Fernsichten mit engen, dunklen Passagen, wilde und geometrische, liebliche und schroffe, ebene und hügelige Passagen abwechseln sollten. Die Aussichten wurden speziell für bestimmte Tages- und Jahreszeiten komponiert. Ihm schwebte vor, romantische, überraschende und übernatürliche Szenen zu schaffen, in denen die Parkbesucher Elektroschocks, künstlichem Regen und Wind, Erdbeben und Explosionen, atmosphärischer Musik von unterirdischen Wasserorgeln und dem Geschrei von Tieren ausgesetzt werden, um alle Sinne anzusprechen. Dann wieder sollten Konkubinen dem Besucher exotische Früchte zu Essen anbieten und ihn in ihre Gemächer einladen. Szenerien, die gegensätzliche Emotionen (pleasing, terrible und surprising) hervorriefen, sollten sich gegenseitig abwechseln.70 Laugier bezog sich offensichtlich auf diese Debatten: In der Stadt wie im Garten brauche es Regelmäßigkeit und Fantastisches, Verbindungen und Gegensätze, Zufälligkeiten, die Abwechslung brächten, eine große Ordnung in den Details und außerdem Verwirrung, Aufruhr und Tumult im Ensemble.71 Wer wisse, wie man einen Park anlege, so Laugier, werde ohne Schwierigkeiten eine Stadt entwerfen. »Die Straßen der ersteren sind die Schneisen des letzteren und müssen ebenso angelegt werden.«72 Dies scheint nun wieder eine Anspielung auf den Barockgarten zu sein. Für sogenannte Jagdsterne wurden Schneisen in den Wald geschlagen, die sich in einem Punkt trafen. Von dort aus hatte der Jäger in alle Richtungen freien Blick auf das Wild. André Le Notre erhob diese zunächst eher zweckorientierten Schneisen in Versailles zur Kunstform. Dieses Vorgehen hat eine Parallele im Städtebau des Barock, wenn man etwa an die Achsen denkt, die Sixtus V. in 67 | 68 | 69 | 70 | 71 | 72 |

Vgl. ebd., S. 295. Vgl. Kruft 1995, S. 294. Chambers 1972, S. 14. Ebd., S. 22ff, 73ff., 35ff. Laugier 1765, 312f. Laugier 1989, S. 176f.

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Rom anlegte, um die sieben großen Pilgerkirchen zu verbinden. Die Metapher impliziert jedenfalls, dass diese Schneisen durch einen gleichförmigen wilden Wald oder eben durch das »Häuserdickicht« geschlagen werden. Der barocke und der romantische Park unterscheiden sich, wie Laugier ja bereits feststellte, ganz grundsätzlich in ihrem Umgang mit dem Vorgefundenen. Im Barockgarten war der vorgefundene Wald nur das Rohmaterial, um Perspektivachsen hineinzuschneiden, der einzelne wild gewachsene Baum war nicht von Interesse. Terrains wurden aufwändig korrigiert, Wasserbecken regelmäßig angelegt, Pflanzen in geometrische Formen geschnitten. In einem romantischen Landschaftsgarten arbeitete man dagegen mit der vorgefunden Topographie und Vegetation, die man durch geschickte Eingriffe zu Bildern inszenierte und künstlerisch veredelte. Dies bedeutet im Umkehrschluss für die Stadt als Landschaftspark, dass die vorhandenen Bauten und Situationen durch architektonische Eingriffe veredelt und inszeniert werden.

Abbildung 4.10: Stadtraum nach Regeln der Gartenkunst. Blick zur geplanten Bauakademie von der Schlossbrücke her. Kupferstich nach einer Zeichnung von Karl Friedrich Schinkel, 1831. (Schinkel 1841)

Der deutsche Architekt Karl Friedrich Schinkel übernahm Laugiers Gestaltungsgrundsätze und konnte sie an prominenter Stelle exemplarisch umsetzen. Als Architekt für den preußischen König ordnete er ab 1816 das Zentrum der jungen preußischen Hauptstadt Berlin neu. Das Quartier um Unter den Linden und den Lustgarten gestaltete er in einen fließenden durchgrünten Raum um, in dem er Baukörper als Solitäre positionierte. Mit Brücken, Denkmälern, Straßen, Plätzen und Grün schuf er Raumfolgen mit unterschiedlichen Perspektiven, in denen Bürger flanieren und sich bilden konnten. Auf eine gestalterische Betonung und Verstärkung der großen Achsen verzichtete er bewusst. (Abb. 4.10) Schinkel formulierte seine Grundsätze an anderer Stelle schriftlich. In seinem Gutachten für Krefeld beklagte er 1834 die Monotonie rechtwinkliger Straßenraster und Baublöcke, deren größter Fehler der »Mangel an Hindernissen« sei. Er bezog sich noch nicht auf gründerzeitliche Stadterweiterungen, wie später Sitte, sondern auf barocke Rasterstädte wie die Berliner Friedrichstadt. Man

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Abbildung 4.11: Stadtlandschaft als fließender Raum. Wettbewerb zur Hauptstadt Berlin von Hans Scharoun, 1957/58. (Kleihues 1993)

könne nur auf die Natur hoffen, auf Topographie und gewundene Flussläufe, um diese Monotonie aufzubrechen. Man müsse »alles irgend Eigentümliche, Schöne, Vorteilbringende einer zu bebauenden Gegend aufsuchen und als feststehend annehmen«, schöne Ausblicke oder schöne alte Bauwerke, selbst wenn sie Ruinen seien. Dadurch ergebe sich eine »Menge von Motiven«, die für Abwechslung sorge.73 Letztere Vorschläge Schinkels könnten den englischen Traktaten zur Gartenkunst entnommen sein. Sitte stellte sich in diese Tradition, wenn er in seinem Artikel Großstadt-Grün empfahl, bei der Anlage von Stadtplänen grundsätzlich jeden schönen alten Baum zu schonen, wie auch alte Denkmäler, alte Brunnen mit herrlichen Baumgruppen, Reste alter Privatgärten oder Stadttore oder Kapellen mit malerischer Umgebung in das neue Stadtbild harmonisch einzufügen.74 So ergäben sich reizvolle Störungen im Raster. Sitte rief, wie schon oft festgestellt wurde, das gesamte Repertoire des picturesque auf und prägte dafür den Ausdruck des »malerischen« Städtebaus, auf den im Kapitel »Malerei« näher eingegangen wird. Über die Landschafts-Metapher ergeben sich direkte Verbindungen über die Moderne in aktuelle urbanistische Debatten. In der Nachfolge von Schinkel erklärte Hans Scharoun kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in seiner Funktion als Stadtrat für Bau- und Wohnungswesen Berlins die »Stadtlandschaft« zum Leitbild für den Wiederaufbau: »Was blieb, nachdem Bombenangriffe und Endkampf […] das Stadtgebiet aufrissen? Das, was blieb, gibt uns die Möglichkeit, eine ›Stadtlandschaft‹ daraus zu gestalten. Die Stadtlandschaft ist für den Städtebauer ein Gestaltungsprinzip […], Unüberschaubares, Maßstab73 | Schinkel 1968, S. 10. 74 | Sitte, »Großstadt-Grün«, 1900, S. 237f.

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loses in übersehbare und maßvolle Teile aufzugliedern und diese Teile so zueinander zu ordnen, wie Wald, Wiese, Berg und See in einer schönen Landschaft zusammenwirken.«75 (Abb. 4.11) Diese Stadtlandschaft gleiche nicht mehr der herkömmlichen, geschlossenen Stadt. Im unter Scharouns Schirmherrschaft 1946 in der Ruine des zerstörten Stadtschlosses präsentierten »Kollektivplan« für den Wiederaufbau Berlins wurden Topographie und Flussläufe als Ausgangspunkt einer Vision für ein neues Berlin genommen. Die noch bestehende Bebauung sollte weitgehend abgetragen werden – fast scheint es angesichts dieses Plans, als sei Berlin nie gebaut gewesen. Der Plan blieb Utopie, doch Scharouns Vorstellung der Stadtlandschaft als fließender Raum mit im Grünen positionierten Solitären kommt bis heute im Berliner Kulturforum räumlich zum Ausdruck, obwohl sein Entwurf nie vollständig umgesetzt wurde. Auch wenn Scharoun sich nicht ausdrücklich auf Schinkels landschaftliches Konzept bezog, in der Komposition ist das Vorbild mehr als nur zu erahnen.76 Die Stadtlandschaft war zu dieser Zeit für alle politischen Lager attraktiv. Die Stadtplaner im Nationalsozialismus hatten sie ebenfalls zu einer Leit-Metapher gemacht, wie aus einer Denkschrift hervorgeht, die 1940 für den Dienstgebrauch reichsweit an Baubehörden, Verwaltungsstellen und Architekturbüros verschickt wurden: »Die ›Stadtlandschaft‹ ist als eine neue städtebauliche Organisationsidee zu betrachten, die folgenden Zielen des nationalsozialistischen Reiches dienen soll: 1. Einer neuen Gemeinschaftsbildung unseres Volkes auf Grund und in Anlehnung an seine politische Neugliederung. 2. Einer gesunden, das Wachstum der Bevölkerung und die Liebe zur Heimat fördernden Siedlungsweise. 3. Einer möglichst weitgehenden dezentralisierten und volksnahen Verwaltung. 4. Einer luftangriffsicheren Gliederung größerer Siedlungsgebilde.«77 Die »Stadtlandschaft« steht, wie Wilhelm Wortmann 1941 formulierte, für niedrige Bauhöhen und –dichten, Durchsetzung mit Grünzügen und zellenförmigen Aufbau »im Gedanken an die Volksgemeinschaft und in lebendiger Beziehung zur Landschaft. In der Siedlungszelle steht der einzelne Mensch wieder in einem erfühlbaren Zusammenhang mit dem Ganzen.«78 Zur Verwirklichung dieses Konzepts wurde es sogar als Chance gesehen, dass ein großer Teil der Innenstädte Deutschlands unter den Bombenangriffen der Alliierten gerade in Schutt und Asche fiel. Mitte der 1990er Jahre wurde das Konzept der Stadtlandschaft schließlich im angelsächsischen Raum erneut aufgegriffen. Eine Gruppe von US-amerikanischen Architekten prägte den Begriff des landscape urbanism als Gegenpol zum new urbanism. Die Protagonisten wollen der Realität des urban sprawl mit seinen 75 | Scharoun 2005, S. 40. 76 | Vgl. Sohn 2008, S. 80ff. 77 | »Der Reichsstatthalter in Hamburg. Der Architekt des Elbufers. Ortsgruppe als Siedlungszelle. Vorschlag zur Methodik der großstädtischen Stadterweiterung« (1940), S. 1, zit. in Durth/Gutschow 1993, S. 239. 78 | Wortmann 1941, S. 15.

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ausgebreiteten Infrastrukturen Rechnung tragen, womit US-amerikanische Städte eben eher Landschaften als Städten im traditionellen Sinne glichen. In der sich neu formierenden Disziplin eines landscape urbanism ersetze Landschaft Architektur als Grundbaustein des Urbanismus. Charles Waldheim formulierte 2005 pro-grammatisch: »[L]andscape has become a lens through which the contemporary city is represented and a medium through which it is constructed.«79 Eine heterogene Gruppe zeitgenössischer, überwiegend angelsächsischer Architekten und Hochschullehrer mit einem bunten Strauß von Zugängen, Methoden und Zielen beruft sich ein weiteres Mal auf das große Potential der Landschaft Stadt. Einigen der Architekten dient der Bezug auf Landschaft dabei offenbar als Rechtfertigung für Entwurfstechniken wie Mapping, Surface Modelling und Layering. Freie, der natürlichen Topographie ähnelnde Formen können so gegen den Rückbezug auf historische Stile verteidigt werden, wie er im new urbanism praktiziert wird. Gleichzeitig ist die Landschafts-Metapher attraktiv für Architekten, die den Leitbildern von Ökologie und Nachhaltigkeit folgen. Das Konzept der Nachhaltigkeit stammt bekanntlich aus der Forstwirtschaft des 18. Jahrhunderts und fand in den 1980er Jahren als sustainability seinen Weg in die internationale Umweltpolitik. Regenerierbare lebende Ressourcen sollen nur in dem Maße genutzt werden, wie Bestände natürlich nachwachsen. In formaler Hinsicht kann man daraus erst einmal recht wenig ableiten. Der Landschaftsarchitekt James Corner, einer der Protagonisten des landscape urbanism, subsumiert unter den Begriff die »high-tech eco-metropolis«, die »green cities« und den »postindustrial meta-urbanism«, wie er in einem Buch seines Kollegen Mostafavi mit dem metapherngesättigten Titel Landscape Urbanism. A Manual for a Machinic [sic!] Landscape aufzählt.80 Angesichts dieser Liste kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, dass die programmatischen Metaphern nicht nur komplex und paradox sind, wie Corner selbst feststellte, sondern etwas inflationär werden. Die Protagonisten des landscape urbanism berufen sich weniger auf die bislang dargestellten deutschsprachigen Debatten, sondern unter anderem auf Kenneth Frampton, der in seinem Artikel Toward an Urban Landscape 1995 ein pessimistisches Bild von der Lebensrealität in der US-amerikanischen Stadt zeichnete, die alle Qualitäten des Urbanen längst verloren habe. Architekten hätten wenig Macht, diese Strukturen zu ändern. Frampton sah den einzigen Ausweg aus einer rein marktbasierten urbanen Ordnung in der Beschäftigung mit den ortspezifischen Fragmenten der urbanen Topographie. Man solle sich statt auf das einzelne Gebäude auf den Raum zwischen den Bauten konzentrieren, und mittels dieser landscaped form so gut als möglich die destruktiven gebauten Strukturen des Kapitals kompensieren.81 79 | Waldheim 2005, S. 15. 80 | Corner 2003, S. 19. 81 | Frampton 1994, S. 90,ff.

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H ABITAT Refugium Sitte sprach in seinem bekannten, ab der vierten Auflage an sein Städtebau-Buch hinten angefügten Artikel Großstadt-Grün (1900) vom »Heimweh nach der freien Natur«, das Großstadtbewohner in ihrem »Kerker« Stadt entwickeln müssten.82 Die Stadt erscheint nicht als angemessenen Lebensstätte für eine menschliche Gemeinschaft, sondern im Gegenteil als unwirtlicher Ort: »Unsere Vorfahren waren seit undenklichen Zeiten Waldmenschen; wir sind Häuserblockmenschen. Daraus allein schon erklärt sich der unwiderstehliche Naturtrieb des Großstadtbewohners hinaus ins Freie […] ins Grüne der freien Natur.« Diese Passagen rufen das rousseau’sche Ideal vom »guten Wilden« auf. Jean Jacques Rousseau hatte 1762 in Emile oder Über die Erziehung die Auffassung vertreten, dass der Mensch von Natur aus gut sei, und sein Charakter durch Erziehung nur verdorben werden könne. Kultur fasste er als Pervertierung des »Naturzustandes« auf. Kinder sollten lieber von der Natur lernen statt innerhalb der Kulturinstitutionen verdorben zu werden.83 Diese kulturkritische Haltung wurde um die Wende zum 20. Jahrhundert von einer Vielzahl lebensreformerischer Bewegungen aufgegriffen, die auf unterschiedliche Weise wieder näher an und in der Natur leben wollten: Freikörperkultur, Wandervögel, Alpinisten, Reformpädagogen etc. Die Ideen fanden unter Architekten Widerhall. Die unglücklichen Menschen, die in den »Steinwüsten« der neuen Stadterweiterungen leben müssten, seien eines wichtigen Teils ihres Menschseins beraubt, schreibt der Architekt Paul SchultzeNaumburg 1909 noch grundsätzlicher.84 Es gebe in den unterirdischen Grotten des Karsts eine Molchart. Diese habe durch Anpassung an die äußeren Gegebenheiten mit der Zeit das Augenlicht verloren. So gehe es den Menschen in der Großstadt. Kinder würden in der Großstadt der Natur entfremdet, sie würden keine Erde mehr kennen, keine Jahreszeiten, keine körperliche Bewegung etc. Adolf Loos forderte, alle Kinder auf dem Lande aufwachsen zu lassen, und warb für ein Schulprojekt der Pädagogin Eugenie Schwarzwald am Semmering.85 Die Schädlichkeit des modernen Großstadtlebens für die Gesundheit war zuvor von medizinischer, psychologischer und soziologischer Seite beschrieben worden. Der Soziologe Georg Simmel hatte in seinem Referat Die Großstädte und das Geistesleben auf der Dresdner Städtebauausstellung 1903 die psychischen Veränderungen auf die Reizüberflutung in der Großstadt zurückgeführt, aus der eine Nervosität und »Blasiertheit« der Großstadtbewohner resultiere.86 Insofern 82 | 83 | 84 | 85 | 86 |

Sitte, »Großstadt-Grün«, 2003, S. 233, 235; folgendes Zitat ebd., S. 231. Rousseau 1963. Schultze-Naumburg 1906, S. 13f. Loos, »Stadt und Land«, 2010. Simmel 1995.

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konnte das Leben in der Stadt generell als Entfremdung von einem Naturzustand angesehen werden. Während Schultze-Naumburg die Großstadt am liebsten ganz abgeschafft hätte, waren Sitte derart revolutionäre Ideen fremd. Er plädierte, sehr wienerisch, für die kleinen Fluchten im Alltag. Durch lauschige Platzanlage und abgeschirmte Gärten wollte in der technisch beschleunigten Großstadt eine Art »Therapieräume« für die gestressten »Grosstadtmelancholiker« schaffen.87 Der mittelalterliche Heiligenkreuzerhof im Zentrum Wiens war bereits zu Sittes Zeiten ein Relikt. Sitte beschrieb den Ort nicht nur als Idyll »in seiner stillen, ländlichen Einsamkeit«, sondern als »lauschige[s] Stückchen Paradies mit seiner nervenberuhigenden Wirkung mitten im Tumulte der Großstadt.«88 Sitte dachte den Heiligenkreuzerhof als einen mittelalterlichen hortus conclusus, als umfriedeten Ort kultivierter Natur. Therapeutisch wirkten, so Sitte, nicht nur speziell gestaltete Räume, sondern auch einzelne »Bilder«. Bereits ein einzelner Baum evoziere die Erinnerung an die Natur.89 Ein anderer Weg war es, den Städtern die Flucht aufs Land durch die entsprechende Infrastruktur zu erleichtern. Sitte kommentierte das Phänomen der Flucht der Städter aufs Land an den Wochenenden und im Sommer aufmerksam: »Der moderne Großstädter strebt mit all’ seiner Sehnsucht ans Meer, ins Gebirge, in die Wälder.«90 Immer mehr Villen würden von Städtern auf dem Land gebaut werden, und die jeweils neuen Villensiedlungen schöben sich immer weiter hinaus. Die Reichweite wuchs mit dem Ausbau der Eisenbahnlinien bis weit in die Alpen hinein. Eine besondere Stellung nimmt für Wien die von Carl Ritter von Ghega ab 1848 realisierte Semmeringbahn ein, die als erste Hochgebirgsbahn nicht nur eine bedeutende technische Innovation war, sondern den Wienern die Alpen als Ausflugsgebiet erschloss. Die traditionellen Orte der Sommerfrische rückten der Stadt ganz nah, man konnte den Semmering binnen zwei Stunden erreichen. Einerseits inszenierte die Streckenführung die als »schaurig-schön« empfundene Alpenlandschaft in spektakulären Ausblicken für die Insassen. Andererseits fügten sich die Brückenbauten im Stil römischer Aquädukte nach dem Vorbild englischer Landschaftsgärten in die Gebirgslandschaft ein.91 Sitte benannte die strukturellen Veränderungen, die der Tourismus in ehemals schwer zugänglichen ruralen Regionen verursachte. Urbane Lebensgewohnheiten und Komfort kämen mit den Touristen bis in die entfernten Alpentäler, damit gingen auf der anderen Seite Beschäftigung und Wohlstand einher.92 87 | Sitte, »Großstadt-Grün«, 2003, S. 235. Vgl. Wilhelm 2001, S. 105f. 88 | Sitte, »Regulierung des Stubenviertels«, 1893, CSG 2, S. 403. 89 | Sitte, »Großstadt-Grün«, 2003, S. 236. 90 | Sitte, »Wiener Villenzone«, 1893, CSG 2, S. 411. 91 | Das wildromantische Motiv des Viadukts über die Kalte Rinne mit der felsigen Rax im Hintergrund ist allen Österreichern geläufig, es zierte früher die 20-Schilling-Scheine. Vgl. Schwarz 1992, S. 509ff. 92 | Sitte, »Waldviertel«, 1893, CSG 2, S. 420; ders., »Wiener Villenzone«, 1893, CSG 2, S. 411ff.

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Ludwig Hirschfeld charakterisierte um 1930: »Das ist kein Ort, sondern es ist eben der Semmering, der trotz seiner Entfernung und trotz seiner tausend Meter Höhe gleichsam eine Bergvorstadt von Wien ist, eine mit allem Komfort versehene alpine Einsamkeit […].«93 Der Komponist Ernst Rudorff kämpfte hingegen seit 1880 gegen den Tourismus, der in alle noch unberührten Gegenden vordringe und diese zerstöre. Luxus und Vergnügungssucht verstellten den Blick auf die Natur. Als Inbegriff der Oberflächlichkeit und Vergnügungssucht galt ihm das Luxushotel Kulm am Rigi im Kanton Schwyz, wo auf 1800 Meter Seehöhe die mit der Eisenbahn bequem angereisten Städter ihre Zeit mit »Hummersalat, Champagner, Billardspiel und Conversation« verbrächten.94 Darüber hinaus führe der Tourismus zu einer zunehmenden »sittlichen Verkommenheit« der Landbewohner und entfremde sie von ihrem Eigenen. Wer die Natur genießen wolle, solle die Berge in Einsamkeit und zu Fuß erklimmen, dann könne die Naturempfindung reinigend und erhebend auf das Gemüt wirken. Die Natur in ihrer ursprünglichen Naivität und Einfachheit könne man nicht verschönern, nur schonen oder durch Pflege unterstützen. Er plädierte gegen Flurbereinigung, Stalltierhaltung, Landschaftsparks, Denkmäler wie den Kyffhäuser, Ausflugslokale, Reklameschilder, Flussbegradigungen, Eisenbahntrassen, Talsperren und Aussichtstürme. Rudorff wurde mit seinen Schriften zu einem wichtigen Vorkämpfer des Naturschutzes. Dabei betonte er das Nationale, die spezifischen Eigenschaften der deutschen Landschaft, ihre Poesie und Romantik. 1904 gründete Rudorff den Deutschen Bund Heimatschutz. Sitte hingegen befürwortete es, Ferienvillen auf dem Land zu errichten. Er plante sogar selbst eine Villensiedlung für einen während der 1890er Jahre projektierten künstlichen Stausee im Wienerwald, der allerdings nie realisiert wurde. An dessen Ufern sollte eine »dörfchenartige Besiedlung« aus Villen, Kuranlagen und Hotels entstehen. Diese »Villencolonie« sollte gute Infrastruktur (Bahn- und Telefonverbindung nach Wien) aufweisen, denn »das Contingent derjenigen, welche geneigt sind, als Bahnbrecher sich in Einsamkeit und Wildnis zu begeben, ist offenbar sehr gering«.95 Woran Sitte teilhatte, waren, wie wir heute wissen, nur die Anfänge der »Eroberung der Landschaft« durch die Städter. Wien weist bis heute im europäischen Vergleich eine besonders große Ausflugsrate an den Wochenenden auf. Dabei geht es nicht mehr nur um Erholung oder erbauliche Naturbetrachtung. Der Alpentourismus ist heute in Österreich ein zentraler Wirtschaftszweig. Längst wird die Gebirgslandschaft als Kulisse für Sport, Wellness etc. inszeniert. Dabei blendet man in der Regel aus, dass die intensive touristische Nutzung der Alpen längst zu einer Infrastruktur geführt hat, die in ihrer Dichte städtische Züge annimmt, wie 93 | Hirschfeld 1927, S. 56; vgl. Rapp 1992. 94 | Rudorff 1880, S. 265ff.; folgende Zitate ebd. 95 | Sitte, »Vorläufige approximative Calculation zu Marienthal«,1896.

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Abbildung 4.12: Verstädterung des Gebirges. »TirolCity« von YEAN, 2005. (YEAN 2005)

die Gruppe YEAN das exemplarisch für das Inntal dargestellt hat, das sie programmatisch in TyrolCITY umbenannte.96 (Abb. 4.12) Michael Zinganel hat die »Urbanisierung der Alpen« beschrieben: »Heute teilen sich die alpinen Agglomerationen gemeinsam mit den mediterranen Küstenregionen saisonal abwechselnd die Rolle dislozierter Freizeitparks für den europäischen Mittelstand. Die Alpen sind vor allem im Winter deren kollektives Fun- und Sportgerät, das zwar von lokalen Akteuren gemanagt, das aber von den urbanen Subkulturen mit ihren wechselnden Erwartungshaltungen und Sehnsüchten gespeist wird.«97 Dabei träfen heute keineswegs mehr mobile Reisende auf sesshafte Einheimische, Touristen wie der Dienstleister agierten transnational. Längst bemühe man sich nicht mehr um die Blickinszenierung pittoresker Gipfel bei Eisenbahntrassen oder Bergstraßen. Man choreographiere nicht mehr die einsame Grenzerfahrung der Bergsteiger und deren kontemplatives Erleben einer erhabenen Natur. Die Landschaft werde für Skipisten und Entertainmentzonen modelliert. »Der ganze Berg, das interaktive Sport- und Kommunikationsgerät, wird zur Bühne.« Längst sei dieser Prozess kein Einseitiger mehr, der Urbanisierung der Alpen entspreche eine Alpisierung der urbanen Zentren. Während kleine Bergdörfer saisonal zu mittelgroßen Städten anwüchsen, also temporär »urban« würden, zeigten sich die traditionell urbanen Quellregionen der Touristen außerhalb der Ferienzeiten zunehmend porös, sowohl was ihre bauliche Dichte als auch was ihren sozialen Zusammenhalt beträfe. Der alpine Wintertourismus habe 96 | YEAN 2005. 97 | Zinganel 2008; folgende Zitate ebd., S. 36f.

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inzwischen die Städte erobert. Die »Kolonisierung der Städte und Zwischenstädte« reiche von Gastspielen alpiner Sport- und Spaßereignisse bis zum Export ganzer Architekturen. Künstliche Berge für Snowboardpisten werden auf städtischen Plätzen errichtet, Langkaufloipen durch Altstädte geführt und Großdiskotheken in Stadlform errichtet. Der Import des Alpinen in die Städte im Zuge populärer Kultur ist allerdings keineswegs neu, wie Zinganel ganz richtig feststellt. In Weltausstellungen und Erlebnisparks dienten alpine Ensembles bereits der Massenunterhaltung, als sie für den Großteil der städtischen Bevölkerung noch außer Reichweite lagen.98

Garten Wenn man nicht genügend Land in die Stadt holen kann und aus der Stadt nicht massenhaft aufs Land flüchten will, so könnte der Ausweg darin bestehen, die Stadt zum Land zu machen. Sittes Zeitgenosse, der Brite William Morris hatte zuvor in seinen News from nowhere (1890) diagnostiziert, England, einst ein »Land der lieblichen Lichtungen zwischen Wäldern und Wüsteneien« sei zum »Land ungeheurer giftiger Werkstätten und noch giftigerer Spielhöllen«99 verkommen. Morris entwickelte die Utopie eines Lebens ohne Großstädte und Industrie: »Jetzt ist England ein Garten, in dem nichts öde, nichts verwahrlost ist, mit den nötigen Wohnungen, Scheunen und Werkstätten, die über das ganze Land zerstreut sind, alle schmuck, gesund und bequem.« London sei rückgebaut worden. »Häuser standen ringsum – die einen am Wege, die anderen zwischen den Feldern; reizende Heckenpfade führten zu ihnen hinab, und üppige Gärten schlossen sie ein. Alle diese Häuser waren zierlich und zugleich fest ausgeführt, machten dabei aber einen ganz ländlichen Eindruck.« Fast habe man sich ins 14. Jahrhundert zurückversetzt geglaubt, so der Mitbegründer der Arts-and-Crafts-Bewegung. Der Parlamentsstenograph Ebenezer Howard kritisierte vor allem die Arbeitermassenquartiere und Slums, die unkontrollierbar rund um die großen englischen Industriestädte wuchsen und zu Brutstätten von Volkskrankheiten wie der Tuberkulose und von Epidemien wurden. Als Gegenkonzept schlug er vor, rund um die Kernstädte einen Ring von neuen, gesunden Wohnstädtchen zu gründen. Howard stellte 1898 fest: »Wir sind Gebilde der Natur und müssen wieder zu ihr zurückkehren. Sie nährt und kleidet uns, sie erwärmt und beherbergt uns. An ihrem Busen ruhen wir uns aus.«100 Howard wollte das städtische Gebiet nach Funktionen zonieren, wobei die Wohngebiete aus mehreren freistehenden kleinen Häusern mit Gärten überschaubare Einheiten mit 30–50.000 Einwohnern bilden sollten, also eine quasi-dörfliche Struktur. Diese Perlenkette aus Wohnstädtchen sollte wiederum durch Grüngürtel eingefasst werden. 98 | Vgl. Storch 2008. 99 | Morris 1980, S. 106; folgende Zitate ebd, S. 56, 106. 100 | Howard 1907, S. 57.

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1898 hieß Howards Buch, in dem er diese Ideen ausführte, noch Tomorrow – a peaceful path to real reform, womit Howard auf die genossenschaftssozialistische Lösung der Bodenfrage abzielte. Die zweite Auflage nannte sich dann Gardencities of tomorrow; und unter dem Namen »Gartenstadt« wurde Howards Konzept zu einer der einflussreichsten städtebaulichen Ideen des 20. Jahrhunderts. Mit dem Wort »Garten« verbanden Howards Zeitgenossen eine ganze Reihe positiver Assoziationen. Alfred Richard Sennett machte diese 1905 explizit: »A Garden City! To the summer toilers in our smoke-beshrouded towns, half suffocated in their narrow stagnant streets. […] How refreshing the name! […] How we desert the lanes of Nature for the cities […], we desert quietude, happiness and integrity for bustle, unrest and insincerity!«101 Der Garten ist als Ort und Sinnbild für die Sehnsucht nach dem (verlorenen) inneren Frieden ein wichtiger Topos der abendländischen Kultur. Der »Garten Eden«, wird im Buch Genesis als der Ort beschrieben, wo Adam und Eva im mythischen Einklang mit der Natur lebten – bis zum Sündenfall. Das Wort »Paradies«, häufig synonym mit dem »Garten Eden« verwendet, beschreibt im Persischen einen von Mauern umschlossenen, wasserreichen, üppig grünen und blühenden Obstgarten als Kontrast zur Wüstenhölle. Als sinngebender Kontrapunkt zur irdischen Mühsal war er auch spirituell begründet. Die persischen Gärten wurden zum Vorbild des mittelalterlichen hortus conclusus, der gleichzeitig eine Rekonstruktion des verlorenen Paradieses auf Erden sein sollte. Seine geometrische Ordnung verbildlicht den Wunsch nach geordneten Gedanken und Gefühlen. Durch den Frieden im Garten sollte man das innere Gleichgewicht finden. Schmuckgärten blieben lange Zeit ein Privileg von Klerus und Adel, anderorts dienten private Nutzgärten der Selbstversorgung. Im 19. Jahrhundert wandelte sich auch die Funktion privater Gärten. Im Biedermeier wurden Hausgärten zum Ort des privaten Rückzugs, in den das etablierte, aber zutiefst verunsicherte Bürgertum vor den Nachwirkungen der politischen Erschütterungen flüchtete. In England bildete sich schnell eine Bewegung aus Wohnreformern, das garden city movement.102 Als erste Gartenstadt wurde 1920 Letchworth von Raymond Unwin und Barry Parker realisiert. Deren malerische Anlage ließ sich eigentlich nicht auf die von Howard entwickelten streng geometrischen Schemata zurückführen. In Letchworth dominierten gewundene, an die Topographie angepasste Straßen und traditionelle Baustile im Geist der Arts-and-Crafts-Bewegung. Trotzdem wurde sie für Gartenstädte zum Standard. Der malerische Städtebau entsprach offenbar den allgemeinen Vorstellungen einer Stadt als Garten oder Stadt aus Gärten. Unwin und Parker beriefen sich dabei auf Sittes malerischen Städtebau, obwohl dieser eigentlich viel dichtere Ensembles vor Augen gehabt hatte. Auch in den USA entfalteten Unwins Ideen breite Wirkung.103 101 | Sennett 1905, Bd. 1, S. 1f. 102 | Vgl. Lampugnani 2010, Bd. 1, S. 24ff. 103 | Vgl. Collins 2005; Bohl/Lejeune 2008.

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Abbildung 4.13: Stadt als Land. Broadacre City von Frank Lloyd Wright, Modell 1933. (Wright 1966)

Lewis Mumford, ein prominenter Verfechter der Gartenstadtidee in den USA, betonte in Sticks and Stones 1924 die Verbindung von der baulichen Struktur des Dorfes und der dörflichen Gemeinschaft. Bezeichnenderweise nannte er eine modellhafte Gemeinde in Anspielung an den Garten schlechthin »Neu-Eden«.104 Wichtig ist in der Garten-Metapher die Verbundenheit zwischen Mensch und Natur, die über das von einem Garten umgebene, freistehende Einfamilienhaus repräsentiert wird, die Überschaubarkeit der Gemeinschaft und die Verwurzelung in lokale Traditionen. Mumford verwendete für diese Eigenschaften die Metapher eines Baumes, der festverwurzelt im Dorf steht.105 Die aus Europa importierten Ideen überlagerten sich mit US-amerikanischen Traditionen. Der Architekt Frank Lloyd Wright entwickelte in den 1930er Jahren eine Vision für die Zukunft der amerikanischen Stadt, die er in Texten und Modell ausführte (Abb. 4.13). Seine Broadacre City ist eine Utopie, in dem jede USFamilie einen acre (ca. 4000 m²) Land zugeteilt bekommen sollte, als wahrhaft amerikanisches und demokratisches Gegenmodell zur kapitalistischen Großstadt. 104 | Mumford 1997, S. 276. 105 | Vgl. Linder 1992, S. 97.

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Abbildung 4.14: Wohnen im Einfamilienhaus als Strukturproblem. Urban Sprawl in den USA. (Foto 2010)

In The Disappearing City (1932) verwarf Frank Lloyd Wright die Großstadt grundsätzlich als unheilbar krank und monströs verbildet; wie ein »malignant tumor« habe sie den menschlichen Maßstab verloren und sei ein ständiger »roar of congestion, confusion« und »spasmodic movement«.106 Wright proklamierte eine »Neugeburt« des Landes in Form einer dezentralen, ballungsraumfreien Agrarlandschaft, bewohnt von selbstbestimmten Menschen, die ihr eigenes Land bewirtschaften, und autark leben sollten. Dafür entwickelte er Bausysteme für preisgünstige Häuser. Wichtige Voraussetzung war der motorisierte Individualverkehr in Form von Automobilen. Die Prärie sah er als Basis nationaler Kultur. Mit seinem Konzept führte Wright in modifizierter Form die amerikanische Praxis der Landausteilung fort. Nach der Land Ordinance of 1785 sollten die zu besiedelnden Gebiete im Westen systematisch in survey townships geteilt werden, nach einem vorgegebenen Raster von 36 sections zu 640 acres. Diese Einheiten mussten sich nicht mit den Gemeinden decken. Wrights dezentrale Broadacre City, in der ständig weite Wege mit dem Auto zurückgelegt werden mussten, erscheint heute als Vorwegnahme einer Entwicklung, die als sprawl bezeichnet wird. Heute lebt der größte Teil der Amerikaner in suburbanen Regionen, mit nach wie vor steigender Tendenz. Bis heute, diagnostiziert Dolores Hayden, spiegelten die Einfamilienhäuser räumliche Konventionen und soziale Erwartungen, die im frühen 19. Jahrhundert zur Errichtung der ersten Suburbs geführt hätten. Häuser und Gärten seien aufgeladen mit christlichen und jüdischen Familienwerten und kündeten gleichermaßen von der Verheißungen einer auf Konsum begründeten Gesellschaft: Als privates Bollwerk gegen die Verführungen der 106 | Wright 1932, S. 21f.

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Großstadt und Hort des Individualismus seien sie gleichzeitig Statussymbol der Mittelklasse und Einnahmequelle für Developer.107 Der Landverbrauch dieser Siedlungsform ist immens, die daraus resultierenden Probleme zahlreich: US-Amerikaner verbringen mehrere Stunden täglich im Auto auf für Fußgänger unüberwindlichen Verkehrsschneisen – auf dem Weg zwischen monotonen und ethnisch segregierten Einfamilienhausteppichen, abends völlig ausgestorbenen Bürozentren und von riesigen Parkplätzen umgebenen Shopping-Malls. (Abb. 4.14) Im deutschsprachigen Raum entfaltete die Gartenstadtidee ebenfalls Wirkung. Sie konnte auf Vorläufer aufbauen, repräsentative Villenvierteln, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts in einigen Großstädten entstanden (etwa Marienthal in Hamburg, oder Lichterfelde in Berlin). In Wien war 1873/74 das Cottageviertel nach englischem Vorbild auf die Initiative von Rudolf von Eitelberger und Heinrich von Ferstel hin errichtet worden. Diese gutbürgerlichen Villen waren als Antwort auf die Errichtung kostspieliger »Zinspaläste«, beispielsweise an der Ringstraße, konzipiert. Sitte schätzte Villenquartiere: »Der gartenumgebene Villenbau ist eben an sich ein gutes Motiv, was stets in die Statur paßt, stets einen freundlichen Eindruck macht und demzufolge auch überall in seiner Anwendung zu einem befriedigenden Resultat führte.«108 1902 wurde in Berlin die Deutsche Gartenstadt-Gesellschaft gegründet. Anders als ihr britisches Vorbild versammelte sie die unterschiedlichsten Akteure: Lebensreformer, Sozialisten, Genossenschaftler, Künstler, Kulturkritiker, Nationalisten und Heimatschützer. Vereint wurden die Akteure in ihrer Ablehnung der Großstädte, der »gebauten Gemeinheiten«, wie Bruno Taut sie 1920 in Die Auflösung der Städte nannte.109 Protagonisten der verschiedenen Strömungen deuteten das Konzept in ihrem Sinne um. Die ersten Gartenstädte in Deutschland waren Hellerau bei Dresden ab 1906 und die Margaretenhöhe in Essen ab 1909. Im Ruhrgebiet wurden zahlreiche paternalistische Werkssiedlungen als Gartenstädte angelegt. Die Kunstgewerbebewegung suchte handwerkliche Tradition und soziale Gesinnung in der malerischen Gartenstadt zusammenzuführen. Die Sozialisten entwickelten das Konzept in der Zwischenkriegszeit im Siedlungsbau weiter, von Ernst May in Frankfurt oder Fritz Schumacher in Hamburg, Bruno Taut in Berlin oder die zunächst aus wilden Landnahmen entstandenen Siedlungen im Roten Wien. In Zeiten des Mangels bekamen die Gärten wieder verstärkt wirtschaftliche Bedeutung als Nutzflächen für die Selbstversorgung. Die heimattreuen Konservativen adaptierten das Konzept für sich. Paul Schultze-Naumburg, der gemeinsam mit Rudorff den Deutschen Bund Heimatschutz gegründet hatte, vertrat, wie bereits dargestellt, die Auffassung, nur das Leben in Dorf oder Kleinstadt sei dem Menschen angemessen. Das bescheidene, aber solide freistehende Einfamilienhaus mit geneigtem Dach wurde deutschen Patrioten zum 107 | Hayden 2003, S. 17. 108 | N.N., »Camillo Sitte über moderne Städtebauten«, 1889. 109 | Taut 1920, S. 1.

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Inbegriff guten Wohnens. Zum Symbol dafür wurde das Gartenhaus von Goethe in Weimar, von Paul Mebes in seinen einflusseichen Band Um 1800 aufgenommen. Es verkörperte deutsche Art, Gediegenheit und gemütvolle Innigkeit gegenüber Ausschweifungen aller Art.110 Hier ist der umgebende Garten nicht nur geschützter Aufenthaltsort für die Familie, er bildet gleichzeitig eine Art Schutzzone um das Haus, die die Familie, das Private vom Rest der Welt trennt. Auch im Wiederaufbau wurde auf das bewährte Konzept zurückgegriffen. Max Taut schlug vor, die Trümmer der Berliner »Mietskasernen« einzuebnen und auf den ehemaligen Blöcken große Gärten anzulegen. Auf den ehemaligen breiten Straßen sollten zu beiden Seiten eines schmalen Fahrdamms neue kleine Häuser errichtet werden. (Abb. 4.15) Wie Sitte selbst sich zu diesen Fragen positioniert hätte, kann nicht restlos geklärt werden. Zwar hatte er 1901 vom »mit Recht so begeistert angestrebten Einfamilienhaus mit Garten« gesprochen. »Gewiss! Nichts ist herrlicher für eine ganze Familie als der Besitz einer solchen eigenen Heimstätte, eines eigenen Familienhauses.«111 Doch da Sitte starb, bevor die Gartenstadtbewegung und Heimatschutzbewegung sich voll entfalteten, müssen alle Aussagen diesbezüglich im Spekulativen bleiben.112

Biotop Die Gartenstadt basierte zwar auf der Idee einer Verschmelzung von Stadt und Land, setzte eine grundsätzliche Trennung der Kategorien gleichzeitig voraus. Gibt man die Unterscheidung zwischen Stadt und Natur auf, so eröffnet sich eine ganze Reihe neuer Möglichkeiten. Zum Beispiel könnten auch die von den Menschen am stärksten überformten Gegenden schützenswerte Natur beinhalten. Sieverts schlug vor, Bauwerke als »künstliche Felsen« zu interpretieren, die bestimmte Pflanzen und Tiere beherbergen können.113 Wir finden eine alte Metapher unkonventionell neu gedeutet. Helga Fassbender prägte für diesen Zugang 2002 den Ausdruck biotope city. Ausgehend von der Feststellung, dass die Biodiversität in großen Städten längst größer sei als in der monokulturell geprägten Landwirtschaft, schlägt sie vor, die Stadt als »felsige Landschaft mit Spuren von Grün« zu verstehen, die Habitat für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten sei.114 Mit seiner Auslegung der Wildnis-Metapher bot Sieverts eine produktive neue Sichtweise an. Mit diesem neuen Verständnis von Natur wurde beispielsweise in den 1990er Jahren im Ruhrgebiet auf einer 200 ha großen Industriebrache der 110 | Vgl. Lampugnani 2010, Bd. 1, 251ff.; Pehnt 2006, S. 53f. 111 | Sitte, »Lageplan für Reichenberg«, 1901, S. 13. Auch vorher schon hatte er Villenvierteln vor Mietwohnungsquartieren den Vorzug gegeben. Sitte, »Kunst des Städtebauens«, 1891, CSG 2, S. 315. 112 | Vgl. Posch 2010, S. 26ff. 113 | Sieverts 1997, S. 53. 114 | www.biotope-city.net (Januar 2012)

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Abbildung 4.15: Leben im Garten. Vision für den Wiederaufbau Berlins von Max Taut, 1946. (Taut 1946)

Landschaftspark Duisburg Nord errichtet, einem durch den Strukturwandel stillgefallenen Stahlwerk. In den Ruinen und Vorratsbunkern mit ihrem speziellen Milieu hatten sich spontan seltene Pflanzengesellschaften angesiedelt, die als Teil des Konzeptes erhalten und als »Wald« bewirtschaftet wurden. Durch verschiedene Eingriffe wie Brücken, Klettersteige etc. wurden die Ruinen als naturähnliche Freizeiträume inszeniert: Im Löschwasserbecken finden heute Tauchkurse statt, an den Wänden der Vorratsbunker trainiert der Alpenverein.115 James Corner, Vertreter des bereits geschilderten landscape urbanism formulierte: »To me, a city is an ecology – it’s an ecology of money, an ecology of infrastructure, an ecology of people.«116 Die Stadt als Lebensraum einer Artengemeinschaft, zu der die Menschen selbst gehören, weist noch in eine andere Richtung. Anders als kulturkritische Nachfolger Sittes unterstellen mögen, sah dieser Stadt und Natur nicht als Widerspruch, ganz im Gegenteil: Sitte dachte die Stadt als den ursprünglichsten und natürlichsten Lebensraum der Tierart Mensch: »Wenn man […] die historisch wie von selbst aus dem Boden gewachsenen Altstädte mit dem Unterscheidungsnamen ›Naturstädte‹ bezeichnen würde, so weiß Jeder, was er sich dabei zu denken hat. Diese Stadt ist eben wahrhaft ein Stück lebendiger Natur, wie Berg und Wald, wo die lieben Thierlein alle ihre erbgesessenen Nester haben […].«117 Sitte verwies in der Einleitung von Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen auf Aristoteles, der gefordert habe, Städte sollten Menschen zugleich sicher 115 | Vgl. Dettmar 1997; Rossmann 1996. 116 | Zit. in Sullivan, Robert: Wall-E Park, 23. November 2008, http://nymag.com/news/ features/52452/index1.html (Januar 2012) 117 | Sitte, »Kunst des Städtebauens«, 1891, CSG 2, S. 313.

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und glücklich machen.118 Aristoteles hatte den Menschen als zoon politikon bezeichnet: »Es ist offensichtlich, dass der Staat ein Werk der Natur ist und der Mensch von Natur aus ein staatenbildendes Lebewesen.«119 Den Menschen sah er als Herdentier an wie Bienen oder Ameisen. Indem Aristoteles die natürliche Bewegung als auf die Natur eines Dings hin gerichtet interpretierte, kam er zu dem Schluss, dass gutes Leben nur in der Stadt möglich sei. Sie sei das letzte Stadium einer Entwicklung, die von der Familie oder dem Haushalt über das Dorf zur Polis führe.120 Nicht nur Sitte bezog sich auf die Ideen von Aristoteles. Reichow stellte seinen Ausführungen zur Stadtlandschaft ein Zitat von Jacob Burckhardt als Motto voran: »Die Polis ist ein höheres Naturprodukt, entstanden ist sie, damit Leben möglich sei, sie existiert aber weiter, damit richtig, glücklich, edel, möglichst nach der Trefflichkeit gelebt werden kann.«121 Lewis Mumford bezeichnet die Stadt als Tatsache der Natur wie Höhle, Makrelenschwarm oder Ameisenhaufen und gleichzeitig als bewusstes Kunstwerk.122 Hilberseimer nannte die Großstadt »die natürliche und notwendige Folge der Industrialisierung der Welt« und »die bisher höchste Stufe der menschlichen Gemeinschaftsbildungen«.123 Wird die Stadt als »natürliches Habitat des Menschen« gesehen, so erodieren die Grenzen zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit. Claude Lévi-Strauß hat das in Traurige Tropen umrissen: »Noch kostbarer vielleicht, liegt die Stadt an der Grenze zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit. Als Gemeinschaft tierischer Wesen, die ihre biologische Geschichte in den städtischen Grenzen einschließen und dieser Geschichte gleichzeitig den Stempel denkender Wesen aufdrücken, entsteht die Stadt, ihrer Genesis und Form nach, sowohl aus der biologischen Fortpflanzung wie aus der organischen Entwicklung und der ästhetischen Schöpfung. Sie ist sowohl Naturobjekt als auch Kultursubjekt; Individuum und Gruppe; Erlebnis und Traum: das Menschliche schlechthin.«124 Als »naturgemäßen Städtebau« beschrieb Sitte denjenigen, »der die historischen Denkmäler ehrt, der die wahren Verkehrsbedingungen kennt, nicht blos geometrische Einbildungen, und der auch ein behagliches bürgerliches Wohnen und die Weihe der Kunst nicht missachtet«.125 So gesehen ist es nicht unbedingt ein Paradox, wenn er schrieb, »ben die neue Stadt, wie ein Naturprodukt als wahres Kunstwerk erstehen soll«.126 »Natürlich« und »künstlerisch« werden nicht nur in einem Atemzug, sondern gewissermaßen synonym verwendet. 118 | 119 | 120 | 121 | 122 | 123 | 124 | 125 | 126 |

Sitte, Der Städtebau, S. 2. Aristoteles, Politik, II 2 1253a. Ebd., I 2 und III 6. Burckhardt 1898, Bd. 1, S. 80, zit. in Reichow 1948, S. 100. Mumford 1938, S. 5. Hilberseimer 1978, S. 1. Lévi-Strauß 1978, S. 114. Sitte, »Thurm-Freiheit«, 1896, CSG 2, S. 464. Sitte, »Neue Stadterweiterung«, 1891, CSG 2, S. 321.

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Sitte führte aus, dass der Künstler das Werden der Natur auf dem Papier imitieren sollte: »[D]er Stadtplan darf der vorhandenen Natur nicht gewaltsam aufgenöthigt werden nach irgend einer willkürlich vorgefaßten Meinung, sondern er muß aus der Natur selbst heraus entwickelt werden […]. Was bei den alten Städten in Wirklichkeit naturgemäß gewachsen ist, das muß heute auf dem Papiere eben so wachsen.«127 Das Konzept der Mimesis, der Naturnachahmung, ist neben der organischen Einheit das zweite klassische Konzept der abendländischen Kunsttheorie (ars imitatur naturam). Während Platon die imitativen Künste als minderwertig ansah, glaubte Aristoteles, dass die Künste die essentiellen Qualitäten der Natur in reinerer Form ausdrücken können. Aristoteles unterschied zwischen der Materie als »Mutter aller Dinge« und der Form, wobei erst letztere jedem Ding eine Existenz, eine spezifische Eigenart verleihe. Die Möglichkeit des Seins liege in der Materie beschlossen (im Samenkorn beispielsweise liege bereits die Potenz der Ähre), doch erst durch die hinzutretende Form werde sie verwirklicht (Akt). So beschreibt er den Prozess des Seins auf verschiedenen Stufen einer Seinshierarchie. Die Hierarchie der Schöpfung baue sich auf diesem Prinzip auf. Die niedrigsten Formen haben schon die Potenz zur höheren Daseinsform der »gemischten« Körper in sich. Diese streben wiederum auf solche, die eine Seele enthalten, zu. So seien alle Teile der Natur mit einem zielbewussten Streben nach der Verwirklichung ihrer Potenz beseelt und trügen so zur Vollendung der Ganzheit bei. Dieses Streben auf ein Endziel (telos) hin hat Aristoteles mit dem Begriff der Entelechie umschrieben. Je höher ein Ding auf der Stufenleiter des Daseins stehe, so geringer sei seine Potenz zu neuen Formen. Die Form eines Dings sei begrenzt und lasse sich deshalb erkennen und beschreiben.128 Daniel Wieczoreck auf einen zweiten Aspekt von Sittes Argumentationsstrategie aufmerksam gemacht. Die »menschliche Natur« übernehme als Diskursfigur neben der allgemeinen Aufwertung des Operationsmodells eine wichtige Funktion: Sie halte die Dynamik des Textes auf und hebe ihn aus der geschichtlichen Zeit. Das historische Vorbild als höchste Form einer »natürlichen« Stadtanlage werde zum Paradigma, umgekehrt sei ein Platz erst dann naturgemäß, wenn er dem antiken Vorbild getreu nachgebildet sei.129 Im deutschsprachigen Diskurs über die Baukunst des ausgehenden 18. und des 19.  Jahrhunderts findet sich diese Argumentation häufig. Im Gegensatz zu Sitte werben die Autoren in der Regel für einen bestimmten Stil, entweder die Antike oder das Mittelalter.130 Christian Ludwig Stieglitz empfahl in seiner Geschichte der Baukunst der Alten 1792 der Architektur das Studium der alten Griechen als einzigen Weg, um groß zu werden. Der griechischen Architektur erkannte Stieglitz edle Einfalt, Erhabenheit und Größe zu, womit er sich auf Johann Joachim 127 | 128 | 129 | 130 |

Ebd., S. 320. Vgl. Pochat 1986, S. 176f. Wieczoreck 1989, S. 42. Vgl. Kruft 1995, S. 331.

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Winckelmann berief, der 1764 den Griechen die größte Nähe zum Wesentlichen und Wahren zugeschrieben hatte, und auf den Camillo Sitte sich immer wieder bezog.131 Auch der Archäologe Aloys Hirt sah in seiner Schrift Baukunst nach den Grundsätzen der Alten von 1809 in der griechischen Architektur das Ideal der Baukunst schlechthin. Wer das Wesen der Konstruktion richtig erkenne, müsse automatisch griechisch bauen.132 Arthur Schopenhauer schließlich postulierte im 1844 erschienen zweiten Band seines Hauptwerkes Die Welt als Wille und Vorstellung die Grundgesetze der Künste als »Objektivation des Willens der Natur«; für die Architektur seien ausschließlich die Gesetze der Schwerkraft relevant. Da die griechische Architektur hierin nicht mehr gesteigert werden könne, dürfe sich der moderne Architekt von den Griechen nicht wesentlich entfernen.133

131 | Ebd., S. 210. 132 | Ebd., S. 334f. 133 | Schopenhauer 1960, Kap. 35, zit. in Kruft 1995 S. 345f.

Die Stadt als Maschine Sitte kritisierte in Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen ein Stadterweiterungsgebiet als »Fabrikswaare, das ist auch hier wieder der Stempel des Modernen, Alles nach dem Dutzend herausgestanzt aus demselben Modell«.1 Es macht einen Unterschied, ob man die Stadt als technisches Problem auffasst, das mit Mitteln der Mechanik gelöst werden kann, oder die Stadt selbst als große Maschine begreift. Die Stadtmaschine kann eine gnadenlose sein, in deren Getriebe der einzelne Mensch mit seinen individuellen Bedürfnissen zermahlen wird. Doch gibt es Traditionen, in denen die Maschine als Vorbild für die perfekte Organisation von Stadt oder Staat galt, nicht nur in der Architektur und im Urbanismus, sondern auch in anderen Diskursen wie der Physik, der Politik oder der Ökonomie. Maschinen wurden wegen ihrer technischen Präzision bewundert, besonders Uhrwerke. Die Maschinen-Metapher steht dann für gutes Funktionieren, störungsfrei und ohne Energieverluste. Dass die Maschinen-Metapher im 19. und frühen 20. Jahrhundert mit der Einführung von Dampfmaschinen und der darauf folgenden Industriellen Revolution einen großen Aufschwung erlebte, dürfte kaum verwundern. Die Architekten der Moderne machten die Maschine bekanntermaßen zu einer ihrer Leit-Metaphern. In den Augen von Hannes Meyer, Ludwig Hilberseimer, Le Corbusier und vielen anderen bot die Maschinenstadt perfekten Komfort für den modernen Lebenswandel durch die Errungenschaften der modernen Technik. Maschinen und technische Erzeugnisse – besonders das Automobil – wurden zu Vorbildern für Architektur und Städtebau, nicht nur im Hinblick auf Produktionsweisen, Technologie und Effizienz, sondern auch ästhetisch. In diesem Zusammenhang sind technische Methoden und Darstellungsformen relevant wie das Raster und das Diagramm. Aktuell ist eine neue Wende zu beobachten. Im Zeitalter von selbstlernenden Rechnern und computergesteuerten Apparaten aller Art kann der klassische Gegensatz zwischen (menschlicher) Intelligenz und bloß mechanisch ausführender Maschine nicht ohne Weiteres aufrecht erhalten werden. Längst werden Mensch und Maschine nicht mehr unbedingt als Gegensatz aufgefasst. Vielfältige Möglichkeiten der Verschmelzung, die im Science Fiction schon vor Jahrzehnten imaginiert wurden, werden immer mehr zur Realität. Diese Umwertungen des Maschinenbegriffs spiegeln sich in Stadt-Metaphern wieder. 1 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 77.

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A PPAR ATE Disziplin Camillo Sitte hat Maschinenmetapern fast immer im negativen Sinne verwendet. So nannte er die Großstadt beispielsweise einmal eine »Staubmühle«.2 Der Mensch werde, so Sitte, unter der Herrschaft der Geometer zu einer »Maschine« im »mathematisch abgezirkelten […] Leben«.3 Maschinen, vom griechischen mechané (Gerüst, Vorrichtung, List), nehmen Antriebsenergie auf und wandeln diese mechanisch in Bewegungsabläufe um. Maschinen wurden schon lange vor der Industrialisierung konstruiert und eingesetzt, ohne Dampfmaschine, Verbrennungsmotor und Elektrizität blieb die Effizienz ein ständiges Problem. Aus der Renaissance sind Zeichnungen von Apparaten überliefert, die Kräfte übertragen, etwa wassergetriebene Mühlen oder Pumpen. Leonardo da Vincis Zeichnungen von Apparaten spiegeln alte Menschheitsträume, etwa von körperlicher Arbeit entlastet zu werden oder fliegen zu können. Viele dieser Konstruktionen fielen eher in den Bereich der mirabilia, die Staunen vor den geheimen Kräften wecken sollten, die die Welt bewegten. Zu den kompliziertesten Mechanismen gehörten Uhrwerke. Der Begriff der Effizienz in Zusammenhang mit Maschinen entstammt dem Militärwesen, genauer gesagt, der Kunst der Taktik. Von 1600 an veränderten sich durch die Erfindung der Muskete die Techniken der Kriegsführung. Da die Salvenfeuer synchron ausgeführt werden mussten, musste eine neuartige Disziplin innerhalb des Heeres durchgesetzt werden. Mittels Exerzierübungen wurden die Soldaten gedrillt, sich in einen komplexen arbeitsteiligen Ablauf einzufügen. Die Metapher für dieses reibungslose Funktionieren vieler einzelner Teile in einem größeren Verband war die Maschine. (Abb. 5.1) Diese taktische Disziplin wurde zum Vorbild für den Staat.4 Jacques-AntoineHippolyte de Guibert forderte 1770 in seiner einflussreichen Schrift über militärische Taktik die Disziplin zu einer nationalen Sache zu machen, dann werde der Staat wie eine Maschine funktionieren.5 Die Maschinen-Metapher steht für positive Werte, wie aus der Formulierung von Adam Smith von 1759 hervorgeht: »Die menschliche Gesellschaft erscheint wie eine große, ungeheuere Maschine, deren regelmäßige und harmonische Bewegungen tausend angenehme Wirkungen hervorbringen.«6 Die bauliche Umsetzung dieses Prinzips ist, wie Michel Foucault in Überwachen und Strafen analysiert hat, das Panopticon. Jeremy Bentham betrachtete sein Panopticon (1787) als wirksamen Apparat, um sein Ziel des größten Glücks der größten Zahl zu verwirklichen. In dem kreisrunden Gebäude sind von hinten belichtete 2| 3| 4| 5| 6|

Sitte, »Großstadt-Grün«, 1900, CSG 3, S. 231. Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 113. Reichert 1996. Guibert 1774, S. 50. Smith 1977, S. 526.

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Abbildung 5.1: Die Stadt als (Kriegs-)Maschine, von Militäringenieuren berechnet und konstruiert. Festungswerk von Johann Franz Griendel von Ach, 1678. (Griendel von Ach 1678)

Zellen rund um einen Innenhof angeordnet. In der Mitte steht der Turm des Wächters, der alle Gefangenen gleichzeitig sehen kann, selber aber unsichtbar bleibt. Die Gefangenen sehen weder den Wächter, noch können sie zueinander Kontakt aufnehmen. Sie sind damit keine Subjekte einer Kommunikation, sondern lediglich Objekte einer Information. Der sporadische und wahllose Einsatz von Strafen bewirkt, dass alle Inhaftierten permanent mit Strafe rechnen müssen, da ja immer die Möglichkeit besteht, selbst gerade im Blick des Wärters zu sein. Allein diese Möglichkeit führt dazu, dass die Gefangenen sich ununterbrochen selbst überwachen, auch wenn gar kein Wächter mehr anwesend ist. Sie internalisieren das Machtverhältnis. Die Anordnung von Körpern im Raum und die ungleiche Verteilung von Blicken stellt eine Asymmetrie her und macht die Architektur zu einer Disziplinierungsmaschine. Liane Lefaivre hat das Panopticon als Beispiel für die funktionale »Mechanisierung des Grundrisses« bezeichnet.7 Der englische Architekt Augustus Welby Northmore Pugin beklagte den architektonischen und moralischen Niedergang im Zeitalter der Industrialisierung 1836 in einer Illustration, die zwei Entwicklungsstadien einer »Catholic town in 1440 and 1840« gegenüberstellte: 1840 ist die Stadtmauer gefallen, die vorher zahlreichen Kirchen wurden von Fabriken verdrängt, deren Schlote anstelle der alten

7 | Vgl. Bentham 1995; Foucault 1977, S. 257ff.; Lefaivre 1985, S. 25.

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Abbildung 5.2: Eine utilitaristische Stadt mit Fabriken und panoptischem Gefängnis. »Eine christliche Stadt in den Jahren 1440 und 1840« in den »Contrasts« von Augustus Welby Northmore Pugin, 1836. (Pugin 1836)

Kirchtürme die neue Skyline bilden, und den Vordergrund dominiert ein riesiges panoptisches Gefängnis.8 Pugin stellte einen Zusammenhang her zwischen der Architektur der Großstadt, den Fabriken und den verschiedenen Formen der Disziplinierung einer »Gesellschaftsmaschine«. (Abb. 5.2) Die gegenteiligen Erwartungen hegte der französische Architekt Tony Garnier, der für sein utopisches Projekt mit dem Namen Cité industrielle bekannt wurde. Auf 164 Tafeln publizierte er 1917 in großen, farbigen Vogelschauen seine bis zum Einzelhaus ausgearbeitete Stadtvision, die zwar nicht gebaut wurde, aber unter Architekten sehr bekannt war und so großen Einfluss erlangte. Le Corbusier beispielsweise hatte Garnier 1907 besucht, um seine Entwürfe zu sehen, und erwarb das Buch gleich nach Erscheinen. Garnier entwarf eine ideale Industriestadt mit getrennten Funktionen, in der die Arbeiter im Grünen wohnen sollten, ohne trennende Zäune, da Grund und Boden sich in Gemeinschaftsbesitz befanden. Sein Entwurf war gleichzeitig eine Sozialutopie. In Garniers Industriestadt sollte es keine Gefängnisse, Kirchen und Polizei geben, diese Institutionen sollten sich angesichts des guten Lebens in der Stadt einfach erübrigen.9 In der urbanistischen Literatur wird die Maschinen-Metapher häufig mit militärischen Metaphern vermengt. Von vielen Architekten wurde das Militärische positiv bewertet. Nicht nur die Futuristen waren bekanntermaßen von Kriegsbegeisterung ergriffen, Sittes großer Kontrahent Otto Wagner beispielsweise begrüß8 | Pugin 1836, S. 107. 9 | Vgl. Kruft 1995, S. 455.

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te das »Militärische« als Ausdruck seiner Zeit.10 Man muss sich die Tatsache vor Augen führen, dass der Begriff des »Militarismus« im ausgehenden 19. Und beginnenden 20. Jahrhundert nicht zwangsläufig den negativen Beigeschmack hatte, der ihm zwei desaströse Weltkriege später so unweigerlich anzuhaften scheint. Die Deutschen im Kaiserreich verehrten militärische Männer. Das Militärische stand für Tugenden wie Durchsetzungskraft, Mut, Stärke, Männlichkeit, Ehre, Kampfgeist und Kameradschaft. Es transportierte außerdem mit Maschinen assoziierte und im Allgemeinen den Preußen zugeschriebene Werte wie Pünktlichkeit, Effizienz, Ordnung, und Disziplin. Der Uniformismus wilhelminischer »Schulkasernen« war kein Zufall, sondern folgte der erklärten politischen Absicht, die »kleinen Rekruten« militärischem Drill zu unterziehen.11 Sittes Formulierungen wie »nüchternes Casernenviertel« oder »Arbeiter-Kaserne« indizieren hingegen ein von oben diktiertes Leben, in dem der Einzelne mit seinen individuellen Bedürfnissen völlig in der Masse untergeht, verstaut im »Menschenmagazin«.12 Der Begriff »Mietskaserne« brandmarkt den Zinshausbau durch Spekulanten als Ausdruck eines neuartigen Systems sozialer Vereinzelung in der Großstadt. Die darin »kasernierten«, vom Lande zugewanderten verarmten Arbeiter und Tagelöhner erlebten eine bis dahin ungekannte soziale Isolierung, und das in großer Zahl auf engstem Raum zusammengepfercht. Theodor Goecke, Sittes Koherausgeber der Zeitschrift Der Städtebau, hatte den »Casernenstil« nicht nur des Mietshausbaus, sondern auch der Schulen, Krankenhäuser etc. kritisiert.

Das Mechanische Sitte kritisierte, wie bereits zitiert, den gründerzeitlichen Städtebau als »Fabrikswaare. […] Alles nach dem Dutzend herausgestanzt aus demselben Modell.«13 Die Metapher des Mechanischen diente ihm als Negativfolie, gegen die er seine Vorstellung eines »naturgemäßen« oder »organischen« Städtebaus entwickelte. Dieses Gegensatzpaar erinnert an den bereits erwähnten englischen Romantiker Coleridge. Um zu betonen, dass die organische Form sich von innen heraus entwickle, setzte Coleridge, wie ebenfalls bereits geschildert, das Bild der »mechanischen« Form dagegen: »The form is mechanic, when on any given material we impose a pre-determined form, not arising out of the properties of the material, as when to a mass of clay we give whatever shape we wish it to retain when hardened.«14 Das Mechanische steht für eine From, die einem Material willkürlich und ohne Beachtung seiner inneren Struktur aufgepresst wird. 10 | Wagner 1914, S. 49. 11 | Vgl. Hnilica 2003, S. 8, 89ff. 12 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 139; ders., »Lageplan für Reichenberg«, 1901, S. 5; ders., »Wien der Zukunft«, 1891, CSG 2, S. 300. 13 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 77. 14 | Coleridge 1987, S. 495.

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Diese Assoziationen wurden im Verlauf der folgenden Jahrzehnte zum Gegenstand erbitterter Kontroversen. Die Assoziationen, die mit Maschinen verknüpft wurden, veränderten sich mit der sogenannten industriellen Revolution grundlegend, die zwischen 1750 und 1850 in Großbritannien stattfand und von dort aus auf den Kontinent übergriff. Der Wirtschaftshistoriker David S. Landes hat die industrielle Revolution durch drei Prozesse charakterisiert. Erstens sei Handarbeit durch Maschinen mechanisiert worden. Zweitens sei die dafür notwendige mechanische Energie vor allem durch Dampfmaschinen erzeugt worden, für deren Herstellung und Betrieb drittens die mineralischen Grundstoffe Kohle und Eisen massenhaft verwendet wurden.15 Verwendbare Dampfmaschinen wurden zu Beginn des 18. Jahrhunderts konstruiert und in dessen Verlauf zu ökonomisch immer rentableren Wirkungsgraden weiterentwickelt. Die Dampfmaschine war die technische Voraussetzung für eine technische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung von außerordentlicher Dynamik. In Fabriken konnten Massenwaren arbeitsteilig und unter Maschinennutzung mit verhältnismäßig wenig und gering qualifiziertem Personal schnell und billig hergestellt werden. Schinkel, der 1826 die Britischen Inseln bereiste, um als Begleiter des Leiters der preußischen Gewerbeverwaltung Christian Beuth den industriellen Fortschritt zu dokumentieren, war beeindruckt. Über eine Flachsspinnerei in Leeds notierte er begeistert, sie habe »vorzügliche Maschinen u[nd] Bearbeitung, schöne Mädchen unter den Arbeiterinnen, Gewölbtes Gebäude, Wasserreservoir, große Dampfmaschine, 75 Pferdekraft. – Eisenweg, wo 28 Wagen mit Steinkohle von einer Maschine fortbewegt werden.«16 Er dokumentierte auch die Ingenieurbauten mit ihren ökonomischen Eisenkonstruktionen, Gebäudetechnik und Infrastrukturbauten. Die totale Ökonomisierung des Bauwesens stimmte ihn allerdings bedenklich: »Seit dem Kriege sind in Lancestershire 400 neue Fabrikanlagen gemacht worden […] Es macht einen schrecklich unheimlichen Eindruck ungeheure Baumassen von nur Werkmeistern ohne Architectur und fürs nackte Bedürfnis allein und aus rothem Backstein ausgeführt.« (Abb. 5.3) Angesichts der neuen Maschinen waren Menschen mit der Erkenntnis konfrontiert, dass menschliche Fertigkeiten und Anstrengungen durch eine präzise und unermüdliche Maschine ersetzt werden konnten, die schneller und gleichmäßiger funktionierte als jeder Handwerker. Wiederholung und Präzision charakterisierten die Maschine, Einzigartigkeit und kleine Fehler das Handwerk, oder – davon abgeleitet – das Leben. John Ruskin kritisierte in The Stones of Venice 1853, dass die Bauhandwerker ihre Freiheit verloren hätten. Durch die Arbeitsteilung führe der Handwerker lediglich die Pläne eines anderen aus, alles worauf er sich noch konzentrieren könne, sei die Perfektion in der Ausführung. Die handwerklichen Erzeugnisse des Mittelalters, also in der von Ruskin als vollkommenster Baustil bezeichneten Gotik, zeigten eine gewisse Imperfektion, eine Nachlässigkeit in der 15 | Vgl. Landes 1973, S. 52, 205. 16 | Schinkel 1990, Eintrag 30. Juni 1826, S. 144; folgendes Zitat ebd., 17. Juli 1826, S. 160.

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Abbildung 5.3: Diktat der Ökonomie. Fabrikgebäude in der Union Street neben dem Rochdale Kanal in Manchester, gesehen von Karl Friedrich Schinkel am 17. Juli 1826. (Schinkel 1990)

Ausführung, da ihre Kräfte hauptsächlich in die Konzeption flossen. In Zeiten der Arbeitsteilung werde der Handwerker zum Sklaven der Produktion, zur Maschine und produziere: »Choose whether you will pay for the lovely form or the perfect finish, and choose at the same moment whether you will make the worker a man or a grindstone.«17 Bei jedem Ornament müsse man sich fragen: »Was it done with enjoyment – was the carver happy, while he was about it?«18 Zu perfekte Gegenstände seien tot. Ruskin richtet sich besonders gegen gegossene und maschinengefertigte Ornamente sowie gegen bemalte Oberflächen, die ein anderes Material vortäuschen. William Morris und die Arts-and-Crafts-Bewegung griffen diese Ideen auf. Die industrielle Revolution kam in Deutschland eher spät an und in Österreich noch später. Die deutschsprachige Soziologie und Philosophie war von Beginn an von tiefer Skepsis geprägt, anders als Franzosen oder Briten, die (von Ruskin einmal abgesehen) den wissenschaftlich-technischen Fortschritt als Voraussetzung einer vernunftgeleiteten Zivilisation ansahen. Hegel überlegte 1801/02: »In der Maschine hebt der Mensch selbst diese seine formale Thätigkeit auf und läßt sie ganz für ihn arbeiten. Aber jeder Betrug, den er gegen die Natur ausübt […], rächt sich gegen ihn selbst; […] je mehr er sie unterjocht, desto niedriger wird er selbst […] und das Arbeiten, das ihm übrig bleibt, wird selbst maschinenmässiger.«19 Hegels Menschenbild war geformt nach dem Ideal des mittelalterlichen Handwerkers, des freien Bauern oder des Renaissancekünstlers in seiner freien Auseinandersetzung mit der Natur. In diesem Wertesystem galten Ingenieure als unvermeidliche 17 | Ruskin 1898, Bd. 2, Kap. VI, § 20, S. 166. 18 | Ruskin 1989, Kap. V, § 24, S. 181f. 19 | Hegel 1975, Fragment 22, S. 321.

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Hilfskräfte des bedrohlichen technischen Fortschritts und damit auch dessen Repräsentanten mit allen ihm zugeschriebenen negativen Eigenschaften. Ein dementsprechend niedriges Ansehen hatte dieser Berufsstand im deutschsprachigen Raum, während in Frankreich der ingenieur als geistreicher Erfinder galt. Das ist paradox angesichts der Tatsache, dass Deutschlands Macht und Reichtum sich heute ganz wesentlich auf Ingenieurleistungen gründen. Sitte formulierte die Sehnsucht nach vorindustriellen Produktionsbedingungen in einem Artikel über die Burg Kreuzenstein, die Graf Johann Nepomuk Wilczek als kuriose Mischung von Spolien aus ganz Europa und neu angefertigten Teilen in der Nähe von Wien errichten ließ. Für den Bau hatte er Handwerker aus ganz Europa angeworben, die nach alten Techniken arbeiteten und nach dem Muster mittelalterlicher Handwerker eine Lebensgemeinschaft bildeten, wie Sitte hervorstrich.20 In einem Artikel über denkmalpflegerische Arbeiten am Dom zu Gurk kritisierte Sitte 1892 ganz im Sinne Ruskins die modernen Produktionstechniken, die eine leblose Architektur erzeugten: »Der arme Malergehilfe, welcher heute mit der Patrone in der Hand das Gerüst besteigt, ist nur der lebende Bestandtheil einer Maschinerie und die Erzeugnisse dieser Maschine sind Massenproducte, Industrie-Artikel mit allen Merkmalen derselben: der Frostigkeit, Gemüthlosigkeit, die nie und nirgends zum Herzen spricht. […] Wahre Kunstwerke sind aber immer die Hervorbringungen der Alten trotz aller Zeichenfehler und wenn es auch hie und da nur Bauernkunstwerke niedersten Ranges sind, wie die Chormusik einer Dorfkirche, so sprechen sie doch voll und ganz zum Herzen, weil sie voll und ganz vom Herzen kommen.«21 In Großbritannien bildete sich Mitte des 19. Jahrhunderts in Reaktion auf die veränderten Produktionsbedingungen die Arts-and-Crafts-Bewegung, maßgeblich initiiert von Ruskin und William Morris. Hermann Muthesius vermittelte Ideen der englischen Bewegung nach Deutschland. Er forderte Gebrauchsgegenstände, die den Bedingungen der modernen Zeit folgen sollten. Das war auch die Grundmotivation des Deutschen Werkbunds, der 1907 auf Anregung von Muthesius von Künstlern, Architekten, Industriellen und Gewerbetreibenden gegründet wurde. Das Ziel war, die Qualität des im Verfall befindlichen Kunstgewerbes zu heben durch eine Rückkehr zur Einfachheit. Die Motivation war nicht nur ethischer und künstlerischer, sondern auch wirtschaftlicher Natur. Morris hatte wie vor ihm Ruskin die Maschinenproduktion für die unbefriedigende Situation der Arbeiter verantwortlich gemacht. Der Werkbund nahm eine offenere Haltung gegenüber der industriellen Produktion ein. Angemessenes Design für massenproduzierte Waren sollte das Ansehen der deutschen Produktion auf dem Weltmarkt heben. Man suchte nach einer durch Zweck, Material und Konstruktion bedingten neuen Formgebung für Kunstgewerbe, Architektur und Industrieproduktion gleichermaßen. Beispielhaft war die Zusammenarbeit von Peter 20 | Sitte, »Burg Kreuzenstein«, 1898, CSG 2, S. 507. 21 | Sitte, »Erhaltung des Gurker Domes«, 1892, S. 390.

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Abbildung 5.4: Die Stadt als Industrieprodukt. Die Siedlung Hellerhof von Mart Stam, 1929–35, in einer Reklame der Baufirma Philipp Holzmann AG. (Mumford 2000)

Behrens mit der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft (AEG). Behrens schuf für die AEG einen Firmenstil, der von der Graphik über die hergestellten elektrischen Geräte bis zur Architektur der Firmengebäude reichte. Behrens formulierte in einem Manifest 1907 folgende Gestaltungsgrundsätze: Man solle handwerkliche Arbeit, historische Stilformen und andere Materialien nicht kopieren (wie rund 50 Jahre vorher bereits Gottfried Semper gefordert hatte). Stattdessen müsse man die technische Herstellungsart künstlerisch betonen seine Gestaltungsmethoden an den Gesetzen der Massenfabrikation orientieren.22 22 | Vgl. Kruft 1995, S. 424ff.

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1914 kam es auf der Werkbund-Ausstellung in Köln zur sogenannten »Typisierungsdebatte«, als Muthesius seine programmatischen Leitthesen verkündete. Seine zehn Thesen eröffnete er mit den Worten: »1. Die Architektur und mit ihr das ganze Werkbundschaffensgebiet drängt nach Typisierung und kann nur durch sie diejenige allgemeine Bedeutung wiedererlangen, die ihr in Zeiten harmonischer Kultur eigen war.«23 Der Werkbund wolle die Qualität und Form der Massenprodukte verbessern, die Ansprüche der Verbraucher heben und so dazu beitragen, eine nationale Kultur auszubilden. Le Corbusier hatte die Typisierungsdebatte in Köln verfolgt und spitzte sie noch zu, indem er Haus, Industrieprodukt, Maschine und Typ gleichsetzte. In Vers une architecture stellte er dem Parthenon einen Sportwagen von 1921 gegenüber. Das Ringen der Architekten um Kunst und Industrieproduktion mündete in Deutschland bekanntermaßen in die Gründung des Bauhauses 1919, initiiert von Walter Gropius, der auch Werkbundmitglied war. Gropius bekannte sich ausdrücklich zur Massenproduktion, da sie den Bedürfnissen entspreche: »Bauen bedeutet Gestaltung von Lebensvorgängen. Die Mehrzahl der Individuen hat gleichartige Lebensbedürfnisse. Es ist daher logisch und im Sinne eines wirtschaftlichen Vorgehens, diese gleichgearteten Massenbedürfnisse einheitlich und gleichartig zu befriedigen.«24 Mechanische Herstellungsprozesse und daraus abgeleitete Formen für von Sitte noch kritisierte »Massenwaaren« waren endgültig zu Vorbildern für die Architektur geworden. (Abb. 5.4) Otto Wagner hatte die Uniformität von Mietshauquartieren schon 25 Jahre zuvor positiv gesehen, das die von einer immer rationeller werdenden Bauindustrie errichteten Miethäuser die »einander ähnlicher werdende[n] Lebensweise[n]« ihrer Bewohner spiegelten.25 Sitte bewertete zur gleichen Zeit Uniformität völlig anders. In den neu errichteten Stadtvierteln würden Menschen in Baublöcke verpackt, »wie die Häringe in der Tonne«.26 Bis heute wird Kritik am standardisierten Massenwohnungsbau in die Maschinen-Metapher gekleidet, wofür exemplarisch eine Äußerung von Léon Krier angeführt sei: »Unter dem barbarischen Einfluss der Maschine, die Städte und Land mit dürftigen Wohnungen und Kisten kolonialisiert, wird jedermann zum Verlierer.«27 Goecke kritisierte die Bauten seiner Zeit als »Actengestelle und Fächerrechen«.28 In diesen Regalen, so impliziert die Metapher, werden Menschen zu Nummern, aus ihrem Kontext herausgerissen und vereinzelt, von einem erbarmungslosen Apparat verwaltet, der Individuen wie Dinge abstellen und umherschieben kann. Die Stadt 23 | Zit. in Kruft 1995, S. 428. 24 | Gropuis, Walter: »Systematische Vorarbeit für rationellen Wohnungsbau«, in: Bauhaus 2, 1927, zit. in Kruft 1995, S. 444. 25 | Wagner 1902, S. 139. 26 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 137. 27 | Krier 1998, S. 85. 28 | Goecke 1895, S. 39.

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wird als eine rational organisierte, einförmige Struktur gedacht – als Gestell, in das kleinere Einheiten nach Belieben eingehängt werden können. Goeckes Metapher mutierte ein halbes Jahrhundert später zu einem inspirierenden Gedanken, obwohl sicherlich nicht alle Architekten Martin Heideggers Vortrag über das »Gestell« gehört und inhaltlich durchdrungen hatten: »Nach der gewöhnlichen Bedeutung meint das Wort ›Gestell‹ ein Gerät, z.B. ein Büchergestell. […] Ge-stell heißt das Versammelnde jenes Stellens, das den Menschen stellt, d.h. herausfordert, das Wirkliche in der Weise des Bestellens als Bestand zu entbergen. Ge-stell heißt die Weise des Entbergens, die im Wesen der modernen Technik waltet und selber nichts Technisches ist. Zum Technischen gehört dagegen alles, was wir als Gestänge und Geschiebe und Gerüste kennen und was Bestandstück dessen ist, was man Montage nennt. Diese fällt jedoch samt den genannten Bestandstücken in den Bezirk der technischen Arbeit, die stets nur der Herausforderung des Ge-stells entspricht, aber niemals dieses selbst ausmacht oder gar bewirkt.«29

Abbildung 5.5: Die Stadt als Gestell für flexible Megastrukturen. Stadtmodell von Eckhardt Schulze-Fielitz, Foto 1962. (A:AI Archiv für Architektur und Ingenieurbaukunst NRW, TU Dortmund)

Cedric Price, Eckhardt Schulze-Fielitz, Yona Friedman, die Gruppe Archigram, die japanischen Metabolisten und zahlreiche andere Architekten entwickelten seit den 1960er Jahren Megastrukturen, die Gerüste für flexibel addierbare Module bilden. Diese sollten nicht nur gereiht, sondern zumeist in große Höhen gestapelt werden. Diese utopischen Entwürfe assoziierten mit dem Regal nicht entmenschlichendem Konformismus, sondern Individualität, Flexibilität und Freiheit. (Abb. 5.5) 29 | Heidegger 1962.

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Funktionalität Der amerikanische Bildhauer und Theoretiker Horatio Greenough unterschied in seinem einflussreichen Aufsatz American Architecture 1843 zwischen organischen und monumentalen Bauten. Erstere erfüllten die Bedürfnisse ihrer Bewohner, zweite richteten sich nach den Vorlieben, dem Glauben und dem Geschmack der Menschen. In ersteren gehorchten Struktur und Proportionen abhängig von objektiven Bedürfnissen einem nachvollziehbaren Gesetz. »They may be called machines each individual of which must be formed with reference to the abstract type of ist species.«30 Greenough nahm Maschinen zum Vorbild für seine »organische« Architektur, besonders den Schiffsbau: »Could we carry into our civil architecture the responsibilities that weigh upon our shipbuilding, we should here long have edifices as superior to the Pantheon […].« (Hier findet sich bereits die später durch Le Corbusier bekannt gewordene Analogie von griechischen Tempeln und Maschinen.) Für Greenough zeichnete sich der Schiffsbau dadurch aus, dass die Form sich wie bei einer Maschine von innen nach außen entwickle. Er verband mit der Maschinen-Metapher genau die gegenteiligen Eigenschaften wie Coleridge, Morris und Sitte, die als »mechanisch« genau diejenigen Formen bezeichnet hatte, die ohne logischen inneren Zusammenhang von außen aufgepresst werden. Greenough machte, mit einem Rückgriff auf die Naturwissenschaften, die Funktion zum Angelpunkt aller Architektur, sie bestimme Schönheit, Nützlichkeit und Charakter: »The many-sided and full and rich harmony of nature is a many-sided response to the call for many functions.«31 Frank Lloyd Wright, der in ausdrücklicher Abgrenzung zu Morris eine ausgesprochen positive Haltung zur Maschine vertrat, nannte diese 1901 in einem Vortrag eine Vorläuferin der Demokratie, die den »organischen Gesetzen« gehorche. Im gleichen Artikel besang Wright auch das Bürohaus, den Automotor, die Großstadt und den ganzen Kosmos als wunderbare Maschinen.32 Dieser Rundumschlag mag zunächst widersprüchlich erscheinen, doch spiegelt er bei näherer Betrachtung recht stimmig die verschieden Facetten der Metapher wieder, von denen einige bereits beleuchtet wurden, andere noch zu diskutieren sind. Für städtebauliche Fragen scheint letztere Metapher der kosmischen Maschine besonders relevant, da der Maßstab so passend scheint. Schon Lukrez hatte von der machina mundi, der Weltmaschine, gesprochen, und seit dem Mittelalter war der Kosmos als Maschine eine zentrale theologische Metapher, wie Regine Kather dargestellt hat. Hildegard von Bingen hatte den Kosmos mit seinen ewig kreisenden Gestirnen als »Weltenrad« charakterisiert.33

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Greenough 1947, S. 65; folgende Zitate ebd., 62. Ebd., S. 71, 74. Wright 1960, S. 73. Bingen 1965, S. 83; vgl. Kather 1995.

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Als im 14. Jahrhundert mechanische Uhren eingeführt wurden, konnte der Takt der Zeit mechanisch bestimmt werden, statt den Naturrhythmen des Weltenrads zu folgen. Die technische Vollkommenheit der mechanischen Uhrwerke, die Regelmäßigkeit ihres Ganges und das nahtlose Ineinandergreifen der einzelnen Rädchen und Federn machte sie bald zur Metapher für das ganze göttliche Universum, wie in Nikolaus von Oresmes Traktat über den Himmel aus dem 14. Jahrhundert. Die Feder des Weltuhrwerks war einst von einem allmächtigen Uhrmachergott aufgezogen worden und hatte das komplizierte Werk in Gang gesetzt, das nun unabhängig von seinem allmächtigen Erbauer weiterlief. Die Metapher hatte das Potential, theologische Dogmen und die aufkommenden naturwissenschaftlichen Anschauungen zu integrieren, wodurch sie in der Neuzeit noch an Bedeutung gewann. Der Weg war frei, das Räderwerk der Natur analytisch zu untersuchen und die Maschine für sich nutzbar zu machen. Dem Naturforscher Robert Boyle offenbarte sich Gott 1686 im Universum, das von seinem Schöpfer so klug ersonnen sei, wie die Uhr des Straßburger Münsters.34 Gottfried Wilhelm Leibnitz griff die Uhrwerks-Metapher ein weiteres Mal auf, wobei er die Weltuhr gleichzeitig – und hier schließt sich der Kreis – als große Stadt auffasste.35 Die Architekten der Moderne mussten beim Gedanken an Maschinenstädte die Maschinen des Industriezeitalters vor Augen haben – Dampfmaschinen, Autos, Fabriken. Und doch kann man beobachten, dass die theologisch inspirierte UhrwerksMetapher überlebte. So schreibt Le Corbusier: »Die Menschen scheinen im allgemeinen wie Zahnräder einer Maschine eine genau vorgeschriebene Bahn zu verfolgen. Ihre Arbeit ist regelmäßig, […] ihr Stundenplan ist unerbittlich exakt«36 Hier greift Le Corbusier nicht nur die alte Uhrwerks-Metapher auf, sondern stellt sich gleichzeitig in die utilitaristische Tradition des Staats als Maschine. Natürlich kann die Stadt bei ihm auch moderne Fabrik sein, worauf später noch zurückzukommen sein wird. In Europa hatte Viollet-le-Duc Maschinen als Vorbild für Architektur eingeführt. »La locomotive est presque un être, et sa forme extérieure n’est que l’expression de sa puissance. Une locomotive donc a du style […] la physionomie vraie de sa brutale energie […].«37 Die Dampfmaschine weckte unter Zeitgenossen nicht nur Skepsis, wie schon erwähnt, sondern ganz überwiegend Bewunderung. Für die Architektur wurde sie vorbildhaft, auch in städtebaulichem Maßstab. Der Berliner Stadtbaurat Martin Wagner schrieb 1929: »Diese Masse, die wir heute in der Gestalt von Wohnhäusern zu formen haben, will ganz entkleidet sein von all dem aufgespeicherten leblosen dekorativen Reichtum. Sie will fettlos in Erscheinung treten, wie ein Flugzeug, eine D-Zug-Lokomotive, ein Motor usw.«38 (Abb. 5.6) 34 | Boyle 1772, S. 163. 35 | Leibnitz 1996, Zweites Schreiben von Leibnitz an Clarke, S. 87; Leibnitz 1994, § 57, S. 26; vgl. Kather 1995. 36 | Le Corbusier 1979, S. 41. 37 | Viollet-le-Duc 1977, Bd. 1, S. 186. 38 | Zit. in Scarpa 1986, S. 42.

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Abbildung 5.6: Künstlerische Assoziationen zur modernen Großstadt als Maschine. »Ohne Titel (Die Stadt)« von Karl Steiner, Fotocollage 1925. (IVAM, Centro Julio González, Valencia)

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Sitte konnte Maschinen keine ästhetische Bewunderung abgewinnen. Assoziationen oder formale Ähnlichkeiten von Architektur und Maschinen lehnte Sitte ab, wie er noch 1903 formulierte: »Das Warenlager, das Massenzinshaus, die ganze sogenannte landwirtschaftliche Baukunst, der Kasernenbau etc. haben mit reiner, idealer Kunst ebenso wenig zu schaffen, als ledigliche Gebrauchsgegenstände, wie etwa eine Dampfmaschine, ein Ackerpflug oder irgend ein Werkzeug.«39 Kunst und Nützlichkeit waren für Sitte in Nachfolge Kants ein Antagonismus.40 Ein Bauwerk als Lokomotive zu bezeichnen, bedeutete eine vernichtende Kritik. In einer Rezension der Wettbewerbsentwürfe für ein Museum am Karlsplatz warf Sitte seinem Kontrahenten Wagner vor, den Monumentalbau fälschlicherweise »im Eisenbahnstyl der Wiener Verkehrsanlagen durchgebildet« zu haben.41 Sitte assoziierte mit Wagners Bau »einen Eisenbahnzug, der auf der einen Seite ins Museum hineinfährt und auf der anderen Seite wie aus einem Tunnel wieder herauskommt, um dann bei dem Glashaus zwischen assyrischen Pylonen jählings abzustürzen.«42 Gegenüber den Möglichkeiten und Risiken der modernen Technik war Sitte grundsätzlich misstrauisch. Diese Skepsis brachte er auch den neuen Baumaterialien Glas und Eisen entgegen. Verkehrsbauten, Fabrikhallen, Wassertürme, Brücken, Silos etc. waren im 19. Jahrhundert meist schmucklos. Die sogenannten Ingenieurbauten galten als zu minder, als dass sich Architekten, Baukünstler, damit beschäftigt hätten. Die Ingenieure arbeiteten so materialsparend wie möglich, ökonomische Interessen und technischen Erfordernisse diktierten die Form. Sitte traute den ingenieurtechnischen Innovationen nicht zu, zum Motor eines neuen zeitgemäßen Baustils zu werden. Otto Wagner wurde von Sitte stellvertretend für alle, die sich anmaßten, aus neuen Materialien eine neue Architektur kreieren zu wollen, kritisiert: »Diesmal sollte sie demokratisch sein und jenes gewaltige Etwas ausdrücken, das in der modernen Seele des modernen Menschen noch ungehoben schlummert und sich vorläufig nur in Fabriksschloten, Maschinen- und Markthallen, Bahnhöfen und dergleichen als eine neue Welt der Baukunst ankündigt.«43 Er warf Wagner vor, Semper falsch verstanden zu haben, der ja eben »von Bau-Kunst und nicht von Bau-Technik [Hervorhebung i.O.]« gesprochen habe. Wagners Architekturvisionen gingen folglich am Kern der Sache vorbei: »Das hat ja Alles mit Kunst rein gar nichts zu thun, sondern nur mit dem Fabriksbau, dem Erwerbsbau, dem leidigen Geldverdienen, aber nie und nimmer mit Kunst, mit dem Welträthsel, mit den innersten, heiligsten Gefühlen der Menschheit.«44 Otto Wagner hatte dagegen bereits 1896 in Moderne 39 | Sitte, »Sezession und Monumentalkunst«, 1903, CSG 2, S. 567. 40 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 118. 41 | Sitte, »Am Carlsplatz«, 1902, CSG 2, S. 536. 42 | Sitte, »Eine Kunstfrage«, 1901, CSG 2, S. 527. 43 | Sitte, »Am Carlsplatz«, 1902, CSG 2, S. 534f. 44 | Sitte, »Am Carlsplatz«, 1902, CSG 2, S. 535; die betreffende Passage Wagners findet sich in: Wagner 1902, S. 99f.

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Architektur, Gottfried Semper zitierend, »Bedürfnis, Zweck, Konstruktion und Idealismus« als »Urkeime« des künstlerischen Lebens bezeichnet. Somit wurde bei ihm Funktionalität auch zum ästhetischen Kriterium: »Etwas unpraktisches kann nicht schön sein.«45 Le Corbusier ließ sich von Industriebauten und Maschinen, von Silos, Autos, Flugzeugen und Ozeandampfern inspirieren. Er formulierte: »Das Haus ist eine Wohnmaschine.«46 Diese Maschine zum Wohnen bedeute: »Bäder, Sonne, heißes und kaltes Wasser, Temperatur, die man nach Belieben einstellen kann, Aufbewahrung der Speisen, Hygiene, Schönheit durch gute Proportionen.« Sie steht damit für ein Leben auf der Höhe der technischen und wissenschaftlichen Standards, für Effizienz, Komfort, Gesundheit, Demokratie und eine »ehrliche« Architektur. Die Wohnung als Maschine könne dem Individuum seine Freiheit zurückgeben. Maschinen standen außerdem für Präzision, Funktionalität und ökonomische Herstellungsart.47 Schon Walter Gropius hatte, wie bereits zitiert, nach standardisierten Lösungen für den Wohnungsbau gesucht. Er sammelte überdies Photographien von Industrieanlagen, besonders von den großen Getreidesilos in den US-amerikanischen Agrarzentren war er beeindruckt. Hannes Meyer, Gropius’ Nachfolger am Bauhaus, stellte fest: »Bauen ist ein technischer, kein ästhetischer Prozess, und der zweckmäßigen Funktion eines Hauses widerspricht je und je die künstlerische Komposition. Idealerweise und elementar gestaltet, wird unser Wohnhaus eine Maschinerie.«48 Es erscheint folgerichtig, die ganze Stadt als große Maschine aufzufassen, wie es Le Corbusier formulierte: »Die Stadt ist ein Arbeitswerkzeug.«49 Stanislaus von Moos beschrieb Le Corbusiers Ville Contemporaire von 1922 insgesamt als metaphorisch: »The metaphors that come to mind relate to the machine. The project looks like a giant motor, an accumulator of sorts or an air-filtering device that serves to heat, to cool or perhaps just to disinfect. […] More adequate perhaps, given the dimensions at stake, is the image of the factory: the whole presents itself as a colossal industrial plant with a huge assembly line in its central axis, where everything depends on punctuality and order […]. Indeed the city is a metaphor of the Ford plant itself, as it looked around 1920, with its factory-owned railway bringing coal to the blast furnaces in much the same way as the Voisins and Delages bring the businessmen to their offices in Le Corbusier’s diorama view.«50 Passenderweise war Le Corbusiers Plan Voisin, in dem er seine Konzeption der Ville Contemporaire auf Paris anwendete, nach dem Sponsor, dem Autohersteller Voisin benannt. 45 | 46 | 47 | 48 | 49 | 50 |

Wagner 1902, S. 95, 70. Le Corbusier 1984, S. 88; folgendes Zitat ebd., S. 80. Vgl. Forty 1989, S. 7. Meyer 1980, S. 29. Le Corbusier 1979, S. VII. Moos 1993, S. 124f.

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Abbildung 5.7: Die Stadt als technisches Problem. »Stadtaggregate verschiedener Größe an einem Fluss entlang« von Ludwig Hilberseimer, 1963. Die einzelnen Funktionen sind streng getrennt, sie können beliebig kombiniert und an die Topographie angepasst werden; in den fächerförmigen Gemeinden liegen die luftverunreinigenden Industrien. (Hilberseimer 1963)

Die maschinenähnlichen Stadtutopien, die seither entstanden, sind zu zahlreich, um hier aufgezählt zu werden. Dabei gehören nicht alle utopischen Stadtmaschinen der kapitalistischen Welt an, das soll allerdings noch erwähnt werden. Auch nach der Oktoberrevolution 1917 in Russland wurde das Maschinelle verherrlicht. Die Begeisterung für zukünftige technische Möglichkeiten ließ eine Reihe von Stadtvisionen entstehen, die buchstäblich den angestammten Boden verließen und neues Terrain erobern: fliegende, schwimmende und gleitende Städte waren bildhafter Überhöhung einer befreiten proletarische Kultur. So etwa Anton Lawinskis »Stadt auf Stoßdämpfern« (1921), Lasar Chidekels schwimmende Städte (1924–26)

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oder Georgi Krutikows fliegende Stadt (1928). Die zahlreichen realisierten neuen Städte in der Sowjetunion waren in der Mehrzahl zwar durchaus maschinenhaft, doch deutlich weniger poetisch als die vorgenannten. Von den Utopien zurück in die Wirklichkeit gekehrt, impliziert die Metapher der Stadt als Maschine, dass nicht Künstlerarchitekten, sondern rational kalkulierende Ingenieure für ihre Konstruktion gefordert sind. Sigfried Giedion betrachtete in Raum, Zeit, Architektur 1941 die »Stadt als technisches Problem«.51 In dieser Formulierung kommt die Überzeugung der Moderne zum Ausdruck, dass man jedes Problem exakt wissenschaftlich definieren kann. Und, das ist ebenso wichtig, dass man jedes Problem mit technischen Mitteln lösen kann. (Abb. 5.7) Der bedingungslose Glaube an den technischen Fortschritt, der den Urbanismus, genauso wie viele andere Diskurse beseelte, ist seit dem Zweiten Weltkrieg grundlegend in Frage gestellt. Auch der Glaube an wissenschaftliche Objektivität wurde stark erschüttert. Jane Jacobs’ Kritik an dieser vereinfachenden Haltung wurde schon im Kapitel zum Chaos diskutiert. In ihren Augen waren Le Corbusier und seine Nachfolger keine kühnen Techniker, die die Probleme der Menschheit lösen, sondern gleichen eher Kindern, die von technischen Spielzeugen fasziniert sind, und gleichzeitig um die Aufmerksamkeit ihrer Mutter buhlen. »His city was like a wonderful mechanical toy. […] It was so orderly, so visible, so easy to understand. It said everything in a flash, like an advertisement. […] No matter how vulgarized or clumsy the design, how dreary and useless the open space […] an imitation of Le Corbusier shouts ›Look what I made!‹ […] But as to how the city works, it tells […] nothing but lies.«52 Peter Collins fasste treffend die drei problematischen Konsequenzen zusammen, die in der Moderne aus der Maschinen-Metapher gezogen wurden. Erstens, dass jedes Problem, wenn es wohl definiert sei, auch gelöst werden könne. Zweitens, dass alle Menschen aufgrund ihrer gleichartigen biologischen Organisation die gleichen Bedürfnisse hätten. Und drittens, dass Architektur ein Produkt kompetitiver Selektion sein solle, entlang von Standards, die aus logischer Analyse und wissenschaftlichem Experiment folgten.53

Belebte Maschinen Le Corbusier nannte die Stadt einen »Motor mit Grippe«.54 Dies erscheint auf den ersten Blick als Katachrese. Man muss sich vor Augen führen, dass Le Corbusier den lebenden Organismus als perfekte Maschine sah und umgekehrt. René Descartes sprach 1641 von der »Körpermaschine« (la machine du corps humain). Er verdeutlichte damit seine Unterscheidung zwischen Körper und Geist. Er sei ein denkendes 51 | 52 | 53 | 54 |

Giedion 1984, S. 455. Jacobs 1992, S. 23. Collins 1998, S. 165. Le Corbusier 1979, S. 82f.

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Abbildung 5.8: Industriebau als Vorbild für die Medizin. »Der Mensch als Industriepalast« von Fritz Kahn, 1926. (Kahn 1926)

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Ding, nicht das Gefüge von Gliedern, das man Körper nenne, diese Maschine, die aus Knochen, Nerven, Adern, Blut und Haut zusammengesetzt sei.55 Die Analogie zwischen Organismus und Maschine entstammt der Aufklärung und wurde auch in der Biologie und Medizin gepflegt. Hübners Handlungslexikon gab 1712 folgende Definition: »Unser ganzer Leib […] ist […] eine Machina, wie die neuen Medici solchen vielfältig Machinam corporis humani betitteln.«56 Die Verbindung zwischen der Organismus- und der Maschinen-Metapher ist offensichtlich die optimal abgestimmte Funktion der einzelnen Teile. Was die beiden Konzepte trennt, ist eben der Geist oder die Seele, die nur Lebewesen innewohnt, während die Maschine nach klassischer Definition ja gerade keinen eigenen Willen hat, sondern fremdorganisiert ist. Sie funktionieren, ohne dabei eine eigene Absicht zu verfolgen, sondern gehorchen dem Willen dessen, der sich ihrer bedient. Die Maschine im Sinn der blind vollzogenen Regel ist daher seit dem christlichen Mittelalter eine Metapher für Willen- und Gnadenlosigkeit. So heißt es in Grimms Wörterbuch: »Andrerseits heiszt auch ein mensch, der ohne eigene geistige thätigkeit nur den befehlen eines andern gehorcht, eine maschine.«57 Der Berliner Arzt und Wissenschaftsautor Fritz Kahn veranschaulichte in den 1920er Jahren in seiner gefeierten Reihe Das Leben des Menschen, den Bau und die Funktionsweise des Menschen mit spektakulär modernen Mensch-MaschineAnalogien. Darin zeigte er unter anderem, wie ein »Mensch als Industriepalast« funktioniert, wobei der Palast leider nicht architektonisch ausformuliert wird. Bis heute werden in der Medizin viele Maschinen-Metaphern verwendet. Diese Metaphern prägen ganz entscheidend das Alltagsverständnis vom menschlichen Körper. (Abb. 5.8) Dies spiegelt sich in den Stadt-Metaphern: Belebte Maschinen finden sich allerorts, wobei man diese Belebtheit gleichzeitig fordert und fürchtet. Der Schriftsteller und Kulturhistoriker Egon Friedell schrieb 1912 über die junge deutsche Hauptstadt Berlin (die er als Vorbild für das rückwärtsgewandte Wien ansah): »Berlin ist eine wundervolle Maschinenhalle, ein riesiger Elektromotor, der mit unglaublicher Präzision, Schnelligkeit und Energie eine Fülle von komplizierten mechanischen Arbeitsleistungen vollbringt. Es ist wahr: diese Maschine hat vorläufig noch keine Seele.«58 Die Maschinen-Metapher betont die cartesianische Unterscheidung zwischen Körper und Geist. Frank Lloyd Wright imaginierte in einer geradezu halluzinatorischen Passage den Blick auf eine moderne nächtliche Großstadt, als Blick auf das große Monster Leviathan, dessen Fleisch sich ins Unendliche ausbreitet, mit unzähligen Augen, stinkendem Atem und ständigem Puls. Ihr Nervenknoten sei die Kraftwerkzentrale, die die unablässige Produktion in den Stahlwerken und Autofabriken steuere. Wright schließt: »[…] and the roar! – how the voice of this 55 | 56 | 57 | 58 |

Descartes 1992, Meditation II, VI, 16. Hübner 1712, Sp. 766. Grimm/Grimm 1854ff., Bd. 12, Sp. 1696–1697. Friedell 1912, S. 260.

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Abbildung 5.9: Futuristische Stadtmaschine. Flughafen und Bahnhof mit Bahnen und Aufzügen auf drei Ebenen von Antonio Sant’Elia, 1914. (Sant’Elia 1987)

monstrous thing, this greatest of machines, a great city, rises to proclaim the marvel of the units of its structure […] Thus is the thing into which the forces of Art are to breathe the thrill of ideality! A SOUL!«59 Wrights Maschine war dabei schon deutlich ins Monströse gewachsen. Le Corbusier prophezeite: »Die kommende Stadt hat in sich einen furchtbaren Mechanismus, einen mächtigen Stier, einen Hochofen exakter und zahlloser Maschinen, einen gebändigten Typhon.«60 Dieselben Anklänge finden sich bei Antonio Sant’Elia 1914: »Wir müssen die futuristische Stadt wie einen riesigen, lärmenden Bauplatz planen und bebauen, beweglich und dynamisch in allen ihren Teilen, und das futuristische Haus wie eine gigantische Maschine. […] Die Aufzüge müssen sich wie Schlangen aus 59 | Wright 1960, S. 73; folgende Zitate ebd. S. 72f. 60 | Le Corbusier 1979, S. 57.

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Eisen und Glas an den Fassaden hinaufwinden. […] Dieses Haus muss sich am Rande eines lärmenden Abgrundes erheben: die Straße, die sich nicht mehr wie ein Fußteppich auf der Höhe der Portierlogen dahinzieht, sondern die mehrere Geschosse tief in die Erde hinabreicht, und diese Geschosse werden für die erforderlichen Übergänge durch Metall-Laufstege und sehr schnelle Rolltreppen verbunden sein.«61 (Abb. 5.9)

Abbildung 5.10: Leiterplatte eines Computers als Stadt mit Twin Towers. Werbeanzeige von Lg&f für Antivirus Software von Cobis »Some day your computer might become a target«, 2006. (Lg&f für Cobis)

Heute denkt man bei belebten Maschinen weniger an Mechanik denn an Mikroelektronik. Halbleiter, Speicherplätze, integrierte Schaltkreise werden zu naheliegenden Assoziationen, die Referenzgröße ist der Computer (Abb. 5.10). Der Schweizer Architekt Fritz Haller, der Bausysteme in allen Maßstäbe entwarf, vom Möbel bis zur Stadt, stellte 1968 Modelle einer totalen Stadt vor. »E4«, eine Stadt für 120 Millionen Einwohner, beschreibt er in den Begriffen »H4 Hardware vierter Ordnung (Industriegroßzentren für Energie- und Güterproduktion), »S3 Software vierter Ordnung (Informations-Großzentren etc.)«. Der von Haller verwendete Ausdruck »Relaisstation« wird heute mit elektromagnetischen Schaltern assoziiert, wichtige Bauteile für Halbleiter.62 Ein Relais war früher eine Poststation zum Auswechseln von Reit- oder Kutschpferden, es handelt sich um eine der zahlreichen Architektur-Metaphern in die Computertechnologie, wo man gemeinhin von der »Architektur« informationstechnischer Systeme spricht. (Abb. 5.11) 61 | Sant’Elia 1966, S. 219. 62 | Haller 1989, S. 256.

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Abbildung 5.11: Totales System Stadtmaschine. »E4 Einheit vierter Ordnung 120.000.000 Einwohner« von Fritz Haller, 1968. (Haller 1989)

Im Zeitalter der Computer können Maschinen intelligent sein und komplexe Abläufe steuern. Die allgemeine Verfügbarkeit von Informationen im World Wide Web, in dem wir mit intelligenten Suchmaschinen navigieren, hat die allgemeine Auffassung von Maschinen weiter verändert. Gleichzeitig werden Lebewesen in zunehmendem Maße technisch erzeugbar – beziehungsweise werden fast alle elementaren Lebensprozesse mit technischen Mitteln manipulierbar – von der Geburt bis zum Tod. Das reicht von der künstlichen Befruchtung und diversen gentechnischen Manipulationen noch vor der Geburt über die Schönheitschirurgie, vielfältigen Arten der Transplantation und Prothesen

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bis zu einer neuen Definition des Sterbens im Zeitalter der Intensivmedizin (nicht mehr der Herzstillstand, sondern das Erlöschen der Hirnaktivität gilt als Todeszeitpunkt). Donna Haraway hat 1985 in Ein Manifest für Cyborgs die Menschen des ausgehenden 20. Jahrhunderts als kybernetische Hybride aus Organismus und Maschinen beschrieben. Im Zeitalter der modernen Bio- und Kommunikationstechnologien, des Postkapitalismus und der Globalisierung hätten sich tradierte Dichotomien zwischen Organismus und Maschine aufgelöst.63 Bernulf Kanitscheider formulierte 1993: »Ein Lebewesen ist ein Stück hardware, und sein Festwertspeicher ist die DNS […].«64 Dieser Paradigmenwechsel spiegelt sich in den Stadt-Metaphern wider. Matthew Gandy wirbt für die Metapher der Cyborg City. Die Cyborg-Metapher ermögliche es, die komplexen Realitäten der postindustriellen Stadt neu zu denken, in Abgrenzung zum hierarchisch gegliederten Stadtorganismus der Moderne mit seinen klar definierten Funktionen: »[T]he cyborg can be read as an alternative way of conceptualizing the growth and development of cities that serves to destabilize the pervasive narratives of dematerialization, spatial malleability and virtualization.«65 Dabei bewahrt der traditionsreiche Mythos der belebten Maschine trotz völlig verändertem Maschinenverständnis eine erstaunliche Kontinuität zu den romantischen Technikfantasien und –ängsten der Moderne. In Metropolis ist eine riesige Maschine das Herz eines menschenfressenden Stadtmonsters. Neuere Science-Fiction-Romane und Filme wie Newromancer von William Gibson (1984), der die Stadt in Analogie zu neuronalen Netzen denkt, oder Blade Runner von Ridley Scott (1982) spinnen diese Motive fort und haben den urbanistischen Diskurs um wirkmächtige Bilder bereichert. Das Cyborg-Konzept in seinen weitesten Auslegungen fasst alle technischen Apparate, die die Reichweite des Körpers vergrößern, als Prothesen auf, also nicht nur Hörgeräte, sondern auch Smartphones oder Autos. Man könnte die Wohnung mit ihrer künstlichen Klimatisierung, Kanalisation und Verkabelung ebenfalls als technischen Apparat zur Erweiterung des Körpers denken (im Sinne der Wohnmaschinen der oben zitierten Modernisten). Für Gandy betont die Metapher der Cyborg City die Überschneidungen der virtuellen Netzwerke (WWW, globale Finanzmärkte etc.) und der physischen Welt (»distributed cognition«), durch die die Grenzen zwischen dem Individuum und der Stadt zunehmend verwischen.66 Von hier ist es nicht mehr weit zur Vorstellung des »urban space as a prosthetic extension to the human body«, womit die Stadt selbst zum Teil der sie belebenden Cyborgs würde.67 63 | 64 | 65 | 66 | 67 |

Haraway 1995. Kanitscheider 1993, S. 69; vgl. Kather 1995. Gandy 2004, S. 28. Gandy 2004, S. 33ff. Ebd., S. 29

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TECHNIK Raster Die Debatte um die »Maschinenmäßigkeit« von Stadt wirkte selbstverständlich in die Debatte über die Formgebung und Komposition hinein. Sitte zeichnete in diesem Zusammenhang die Planer als lediglich erfüllende Gehilfen einer noch größeren Maschine: »Tüchtige Architekten haben wir in Hülle und Fülle, aber alle ersticken förmlich in dem derzeit die Geister bannenden Milieu, in der seit Decennien eingelebten Zinskasernenbauerei, in dem gänzlich unkünstlerischen ertödtenden Einerlei der Baublockrastra unserer seit Decennien landesüblichen Lageplanfabrik.«68 Sitte interpretierte das den gründerzeitlichen Stadterweiterungen zugrunde gelegte Straßenraster als ambitionslos: »Man sollte meinen, dass dies sonnenklar ist, und doch konnte man sich beim modernen Städtebau nicht zu detaillirten Programmen entschliessen. Die nothwendige Folge davon war das moderne Schachbrettsystem, was eben blos die nüchterne geometrische Formel darstellt für all dieses Nichtwissen, all dieses Nichtwollen.«69 Das Raster war unter den Zeitgenossen Sittes umstritten. Jean-Nicolas-Louis Durand hatte als Lehrer an der neu gegründeten École Polytechnique eine Entwurfsmethode entwickelt. Anstelle von Renderings, wie sie von den Absolventen der École des Beaux Arts hergestellt wurden, ließ Durand seine Schüler vorgegebene architektonische Elemente auf Karopapier methodisch anordnen. Mittels eines abstrakten, nur für Fachleute verständlichen Codes aus Punkten, Linien und Flächen auf Karopapier.70 Durands Technik des Kombinierens von nur für Fachleute verständlichen Codes aus Punkten, Linien und Flächen im Raster bildete die Grundlage für die Darstellungskonventionen der Moderne, sie war ökonomisch und kam andererseits der Ästhetik und dem postulierten Rationalismus der Moderne entgegen. Sittes Vorbild Semper sprach sich gegen das Raster als Kompositionsgrundlage – im Kleinen wie im Großen – aus. Er kritisierte die durand’sche Entwurfslehre als banales »Stickmuster«, das es ermögliche, binnen sechs Monaten Techniker auszubilden, die nichts anderes könnten, als mechanisch innerhalb des vorgegebenen Rasters Bauteile aneinander zu fügen. Als Inbegriff für diese von ihm als »geistlos« bezeichnete Technik benannte Semper interessanterweise in einem ganz anderen Maßstab gedachte städtebauliche Kompositionen, die Stadtanlagen des Barock in Mannheim und Karlsruhe.71 Rasterstadtpläne wurden nicht erst im Barock erfunden, sondern sind bereits aus der Antike überliefert und wurden in verschiedenen Teilen der Welt zu allen Zeiten gebaut. Sie finden sich in Europa in Römerstädten und mittelalterlichen 68 | 69 | 70 | 71 |

Sitte, »Eine Kunstfrage«, 1901, CSG 2, S. 525. Sitte, »Wien der Zukunft«, 1891, CSG 2, S. 302. Durand 1975. Semper, »Vorläufige Bemerkungen«, 1979, S. 216.

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Gründungen genauso wie in Renaissance und Barock. Sittes Zeitgenosse, der Katalane Ildefons Cerdà entwarf 1860 für die Erweiterung und Sanierung der extrem überbevölkerten Stadt Barcelona eine großes Raster. Der Entwurf des politisch engagierten Bauingenieurs war vom Gedanken an eine demokratische Stadt motiviert. Cerdàs monumentales Schachbrett, dessen Blöcke alle 113 x 133 Meter messen und abgeschrägte Ecken haben, erstreckt sich über siebeneinhalb Quadratkilometer. Es wird auf einer Seite vom Meer begrenzt und von zwei diagonalen Avenuen durchschnitten. Obwohl die Blöcke um ein Vielfaches dichter überbaut wurden, als ursprünglich geplant, hat sich das System bis heute als äußerst robust erwiesen. Sitte bezeichnete das Raster hingegen als primitiv: »Es scheint aber in der Natur des menschlichen Denkvermögens begründet zu sein, daß alle derartigen Erstlingsversuche einer Beherrschung der Natur durch Lineal und Zirkel schachbrettartig, rechtwinklig ausfallen. Überall, wo das Städtebauen hastig, in großem Umfange und somit nach vorgefaßtem Plan in Angriff genommen wurde, verfiel man zunächst auf dasselbe Rezept.«72 Das zeige sich an ältesten bekannten Stadtplänen Mesopotamiens ebenso wie an frühen Landkarten, auf denen sich die in Wahrheit unregelmäßigen Küstenlinien stets den Hauptachsen annäherten. »Mit geradezu elementarer Gewalt, zwingend wie ein Naturgesetz« seien immer dann Rastersysteme aufgetreten, wenn zu eilig zu große Pläne gemacht würden. »Das Rechtwinkelschema erscheint in diesem Falle wie der Ausfluß eines Naturdenkprozesses, eine Form, in der die Weltseele denkt; überall die gleichen Erscheinungen, als ob es gar nicht anders gemacht werden könnte.« Vielleicht kann eine Begründung für Sittes Verachtung gegenüber einfachen Geometrien in seiner Berufsbiographie gefunden werden. Sitte war ein Verfechter der von Ernst Haeckel popularisierten Rekapitulationstheorie, derzufolge Onto- und Phylogenese gleichzusetzen sind.73 Er kombinierte diese Theorie mit den evolutionsbiologischen Ideen Herbert Spencers und zog daraus Schlussfolgerungen für seine Unterrichtspraxis. Jeder Schüler entwickele sich beim Zeichnen durch die Stadien der Menschheitsgeschichte, von den Höhlenmalereien über die alten Ägypter und Griechen und die Renaissance (mit der Erfindung, in Sittes Diktion »Entdeckung« der Perspektive) bis heute.74 Sitte hat mehrere fachdidaktische Werke für den Zeichenunterricht an Gewerbeschulen verfasst, anhand derer sich nachvollziehen lässt, dass seine Zeichenkurse mit einfachen, rechtwinkligen Formen begannen, die dann Schritt für Schritt komplexer wurden.75 Sitte betonte in diesem Zusammenhang, dass die primitivste Stufe des Zeichnens eine Mischung aus Aufsicht und Ansicht sei (das entspricht dem »ägyptischen« Stadium), die es im perspektivischen Zeichnen 72 | Sitte, »Kunst des Städtebauens«, 1891, CSG 2, S. 314; folgende Zitate ebd. 73 | Haeckel 1879, S. 30. 74 | Sitte, »Geschichte des elementaren Körperzeichnens«, 1884, CSG 4, S. 178; vgl. auch Mönninger 1998, S. 120ff. 75 | Vgl. Sitte, »Geschichte des elementaren Körperzeichnens«, 1884, CSG 4; ders., »Methodik des Zeichenunterrichtes«, 1885, CSG 4.

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zu überwinden gelte. Der häufigste Fehler beim perspektivischen Zeichnen bestehe darin, »alles perspektivisch Gesehene in unbewusster Geistesthätigkeit sogleich in seine wahre (orthogonale) Gestalt und Länge aufzulösen«.76 Im Allgemeinen gilt die Darstellung in Grundriss, Aufriss und Schnitt als technische Errungenschaft, da sie nicht nur leicht zu erlernen sei, sondern präzise Längenmaße wiedergebe und den Forschungstrieb anrege. Das betonte auch der »Erfinder« der Darstellenden Geometrie, Gaspard Monge zugeschrieben, dem Gründungsleiter der École Politechnique, an der auch Durand unterrichtete. Monge bezeichnete seine Erfindung als »für den Ingenieur unerlässliche nothwendige Sprache«.77 Sitte lehnte die an Ingenieurschulen geübte zeichnerische Praxis auf Grundlage der Darstellenden Geometrie ab. Sie habe eine »jahrtausende alte Praktik« der perspektivischen Darstellung gewaltsam vernichtet.78 Sitte warnte vor Darstellungskonventionen, die die Wahrnehmung der Architekten beim Entwurf verengten. Symmetrische Grundrisskonzeptionen seien nur am Grundrissplan als solche sichtbar, nicht aber aus der normalen Augenhöhe von Fußgängern. Sie seien für städtebauliche Ensembles in Wahrheit bedeutungslos.79 »Die herrlichen Stadtbilder alter Städte […] wurden alle an Ort und Stelle in freier Natur erfunden und nach dem Augenschein ausgeführt, aber niemals am Reißbrett ersonnen, denn Reißbrett und Schiene wirken immer ernüchternd, ja gefühlsmörderisch, wenn sie nicht vom großen Meister blos als allerniedrigste Sclaven behandelt werden.«80 Sitte sprach abschätzig vom »geometrische[n] Häuserkastenwerk«, das »weder bewundert, noch geliebt« werde, »weil es ja weder den Anforderungen der Kunst, noch denen der Natur […] entspricht«.81 Le Corbusier beurteilte einfache Geometrien völlig anders: »Das Menschentier ist, gleich der Biene, ein Konstrukteur geometrischer Zellen.«82 Wie für viele Zeitgenossen beweisen in den Augen von Le Corbusier die Gesetze der Kristallbildung, dass Geometrie ein Naturgesetz ist. Geometrie steht gleichzeitig für Zivilisation, Schönheit und Perfektion und für die »wahre Natur« des Menschen: »Die Stadt ist reine Geometrie. In der Freiheit neigt der Mensch zur reinen Geometrie. Er schafft dann, was man Ordnung nennt. […] Auf der höchsten Stufe des Schaffens streben wir zur allerreinsten Ordnung: zum Kunstwerk.«83 Über seine Ville Contemporaire schreibt Le Corbusier geradezu schwärmerisch: »[D]urch die schönen Arabesken des Laubwerks sehen sie in großen Abständen voneinander riesige Kristallmassen aufragen – höher als irgendein Gebäude in der Welt. Kristall, das im azurnen Blau 76 | 77 | 78 | 79 | 80 | 81 | 82 | 83 |

Sitte, »Methodik des Zeichenunterrichtes«, 1885, CSG 4, S. 191. Monge 1900, S. 185. Sitte, »Zur Lehrmittel-Ausstellung der Gewerbe-Schule«, 1875, CSG 4, S. 80. Sitte, »Thurm-Freiheit«, 1896, CSG 2, S. 461. Ebd., S. 460. Sitte, »Kunst des Städtebauens«, 1891, CSG 2, S. 315. Le Corbusier 1979, S. 23. Ebd., S. 19ff.

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schillert und unter dem grauen Winterhimmel leuchtet – Kristall, das schwerelos in der Luft zu schweben scheint, das am Abend funkelt und glitzert – elektrischer Zauber. […] die majestätischen Kristallprismen, gigantisch und durchsichtig. Festigkeit, Unbeweglichkeit, Raum, blauer Himmel, Licht! Freude.«84

Diagramm Die Architekturhistorikerin Sibyl Moholy-Nagy gab ihrem 1968 publizierten Buch über die Geschichte der Stadt den Titel Matrix of Man. Sie widmete das Buch »Man-hattan, my inspiration and my love«. Die Metapher der Matrix ist ausgesprochen treffend gewählt, entfaltet sie doch schillernde Bedeutungsebenen, die den Inhalt des Buches bereits treffend zusammenfassen. Lateinisch für »Gebärmutter«, weckt Matrix biologische Assoziationen der Stadt als »Brutstätte«, als nährenden Ort absoluter Geborgenheit, die Stadt ist Mutter ihrer Kinder und biologisches Schicksal der Menschheit. Im Englischen ist eine Matrix auch eine »Gussform« für technische Erzeugnisse. Gleichzeitig bedeutet sie das Anordnen von Daten in einer Tabelle. Die Stadt ist sozusagen Abdruck des Menschen und gleichzeitig sein Behälter. MoholyNagys Abhandlung verteidigte dichte, gewachsene Städte weltweit gegen die Eingriffe moderner Stadtplanung – als höchstes Kulturgut und Grundlage der menschlichen Existenz. Sie unterschied fünf Grundstrukturen (oder Matritzen): geomorph, konzentrisch, orthogonal-verbindend, orthogonal-modular (Raster), linear und in Gruppen.85 Man könnte den Stadtgrundriss als formalen Abdruck einer Gesellschaft interpretieren – oder die Stadt als Diagramm, das menschliche Aktivitäten anordnet. Sitte hatte gründerzeitliche Rasterpläne optisch und strukturell einer Tabelle verglichen, denn »nichts anderes als Bauparcellen-Verkaufsprotokolle sind unsere modernen quadratischen Muster nach dem Systeme von Mannheim. Es gibt aber Nichts, was einem Gemälde von Raphael oder den Markusplatze in Venedig weniger ähnlich sieht, als ein Protokoll.«86 Sitte verwendet zwar nicht das Wort »Diagramm«, sondern »Protokoll«, aber was er schildert, ist die geometrische Anordnung von Daten auf einem Papier. In einer Tabelle geschieht das für gewöhnlich innerhalb eines rechtwinkligen Linienrasters. Im griechischen wurden »Steuerregister«, »Listen« oder »Tabellen« auch als diagrámma bezeichnet, ein Ausdruck, der wörtlich »alles mit Linien umzogene« bedeutet.87 Auf die Spitze getrieben ist dieses Verfahren in den bereits erwähnten Stadtplänen der hispano-amerikanischen Kolonien. Der Plan von Buenos Aires (1583) ist zugleich Plan, Register und Kataster (Abb. 5.12). Daten werden in einem Raster unter bestimmten »Adressen« an den ihnen zugewiesenen Plätzen abgespeichert.88 84 | 85 | 86 | 87 | 88 |

Ebd., S. 184f. Moholy-Nagy 1970. Sitte, »Über alte und neue Städteanlagen«, 1889, CSG 2, S. 274. Vgl. Pape 1954, S. 574f; Bonhoff 1993, S. 7–27. Vgl. Siegert 2003, S. 93, 98f.

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Abbildung 5.12: Ein Rasterstadtplan als Tabelle, Register und Kataster. Plan von Buenos Aires, von Juan de Garay, kopiert von D. Agustin Ibanez, 1583. (Archives of the Indies)

Sitte hat das Gründerzeitraster treffend charakterisiert. Offensichtlich kritisierte er die Dominanz der Bodenspekulation als den Stadtgrundriss gestaltende Kraft genauso wie die entstehenden Formen. Grundsätzlich stellte sich Sitte nicht gegen Statistiken und Protokolle als Grundlage für Stadtplanungen, im Gegenteil betonte er, dass gute Datengrundlagen notwendig seien, um die Planung auf die Bevölkerungsentwicklung abstimmen zu können. Er trennte allerdings das Sammeln der Datengrundlagen streng vom künstlerischen Entwurf.89 Sitte lässt sich von seiner Metapher zu folgender Aussage verleiten: »Dennoch können wir von diesen Protokollen nicht Umgang nehmen. Es würde nur ein einziges Heilmittel geben, um aus den Folgen dieser Protokolle hinauszukommen, indem man nämlich in diese Protokolle auch kleine Rubriken für ästhetische Angaben aufnehmen würde. Aber alle diese Rubriken haben die gemeinsame Eigenthümlichkeit, dass sie bekanntlich nicht ausgefüllt werden. Protokolle sind eben meistentheils leer. Für eine stete vollständige Ausfüllung der Kunstrubrik im Stadtplanprotokolle müsste gleichfalls vorgesorgt und von Amtswegen stets auch der künstlerische Standpunkt vertreten werden [Hervorhebung S.H.].«90 Man könnte meinen, dass Sitte vorschlagen wollte, im Rasterstadtplan einzelne Blöcke freizuhalten, um sie der Kunst zu widmen. So könnte man etwa den Central Park in Manhattan als ein Stück Natur ansehen, das ins Straßenraster eingetragen wurde. Sitte war strikt gegen die Anlage von Plätzen 89 | Z.B. Sitte, »Das Wien der Zukunft«, 1891, CSG 2, S. 300f. 90 | Sitte, »Über alte und neue Städteanlagen«, 1889, CSG 2, S. 274f.

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oder Parks auf freigelassenen Baublöcken, offenbar wurde er von seiner eigenen Metapher hinweggetragen.91 In der Bezeichnung von Architektur als Diagramm ist, wie ersichtlich wurde, häufig eine negative Wertung enthalten, die einen Entwurf als reduktiv und schematisch charakterisiert. Für lange Zeit waren Diagramme Instrumente, um Ideales oder Typisches abstrakt zu visualisieren. Bei Platon sind diagámmata geometrische Abbilder ewiger idealer mathematischer Gesetze. Mit Diagrammen könnten in der Mathematik und Astronomie Gedankengänge evoziert werden, die sprachlich nur kompliziert zu fassen sind.92 In der Moderne wurde das Diagramm neu bewertet. Als technisch erzeugtes, quasi »errechnetes Bild« kam es dem Bedürfnis nach, wissenschaftlich zu entwerfen.93 Innerhalb dieses Begründungsmusters argumentierte der Architekt Hannes Meyer in seiner Beschreibung des Projekts für den Völkerbundpalast Genf (1927), über das er behauptete, der Entwurf sei kein künstlerisches Projekt, sondern ein wissenschaftlich-technisches. Die Abmessungen errechneten sich zwangsläufig aus Nutzerzahlen und Akustik, die Typologie aus den Funktionen etc. »Selbst die lage der baulichkeiten im gelände wird nur niederschlag der verkehrsdiagramme, belichtungsdiagramme, besonnungsdiagramme.«94 Meyer fasste die gebaute Architektur selbst als eine Art Diagramm auf, als er in einem Vortrag 1938 den Prozess des Bauens als ein bewusstes Anordnen oder Gestalten der sozio-ökonomischen, der technisch-konstruktiven und der psycho-physiologischen Elemente im sozialen Lebensprozess bezeichnete.95 Meyers Ausführungen sind symptomatisch für die Suche nach neuen Begründungsmustern. Im bewussten Bruch mit den Traditionen waren historische Begründungen tabu, während die Naturwissenschaften hohes Ansehen genossen. Die Wissenschaftshistoriker Lorraine Daston und Peter Galison haben beschrieben, dass in den aufkommenden Naturwissenschaften zunächst das Typische ins Bild gesetzt worden war, das der vernunftbegabte Mensch von der Vielfalt der Naturerscheinungen abstrahierte. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert wurde eine neue visuelle Objektivität durch neue Technologien generiert. Die mechanisch erzeugten Bilder waren nicht mehr Abbilder der Natur, sondern wurden gewissermaßen zu »Datenspuren«. Ziel war es, Interpretation und menschliche Irrtümer auszuschalten.96 91 | »Ist darnach nur erst ein Bebauungsbezirk schön säuberlich durch gradlinige parallele Straßen schach brettartig in Baublöcke zerlegt und wünscht man irgendwo einen öffentlichen Garten oder Kinderspielplatz, so lässt man einen oder mehrere Blöcke unbebaut und übergibt sie dem Stadtgärtner und der Square ist fertig.« Sitte, »Großstadt-Grün«, 1900, CSG 3, S. 243. 92 | Platon, Menon 83b–85e, Theaitetos 169a u.a.; vgl. Bonhoff 1993, S. 12–16. 93 | Vgl. Hnilica 2011. 94 | Meyer/Wittwer 1989, S. 110. 95 | Hannes Meyer, »Education of an architect« (Vortrag 1938), zit. in Hays 1992, S. 27f. 96 | Vgl. Daston, Galison 2007; Mersch 2005, S. 332ff.

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Mit zunehmendem Unbehagen am Funktionalismus und der Vorherrschaft von Ökonomie und Technik in der Architektur wurde die postulierte Objektivität kritisch hinterfragt. Gerade die vorgebliche Zwangsläufigkeit der architektonischen Lösung einer wissenschaftlichen Fragestellung wurde problematisiert. Die Auswahl und technische Registratur von Daten bedeutet ja bereits eine Intervention, ganz zu schweigen von deren Umsetzung in einen architektonischen Entwurf. Das Diagramm wurde unter Kritikern zur Metapher funktionalistischer Planungskonzepte. Gordon Cullen klagte 1961, wenn man Statistiken aus der Vollständigkeit des Lebens herauspicke und in Pläne verwandle, werde das Resultat »nichts anderes sein als ein dreidimensionales Diagramm, in dem Menschen leben sollen. […] Diagrammstädte.«97 Klaus Herdeg betitelte sein Buch über das »Bauhaus-Erbe und seinen amerikanischen Verfall« 1983 als The decorated Diagram.98 Wenig später ist eine neue Wende in der Bewertung von Diagrammen zu verzeichnen, die sich wesentlich aus der postmodernen Philosophie speiste. Gille Deleuze nahm 1986 das Panopticon, wie es Michel Foucault 1975 beschrieben hatte, zum Anlass für seine Reflexionen über das Diagramm. Foucault nannte das Panopticon von Jeremy Bentham »das Diagramm eines auf seine ideale Form reduzierten Machtmechanismus«.99 Deleuze beschrieb in der Folge den foucault’schen Diagrammbegriff als eine (unter anderem auch räumliche) Anordnung von Machtmechanismen: »Jede Gesellschaft besitzt ihr Diagramm […].«100 Dieses philosophische Konzept wurde schnell in die Architekturtheorie transferiert. Mit dieser Lesart war der Weg frei, das Diagramm von neuem als fruchtbares Instrument für den Architekturentwurf zu bewerten. Stan Allen beispielsweise schrieb 1998, das Diagramm sei eine Methode, um über Organisation nachzudenken. Es verbinde das Programm und seine Verteilung im Raum. Damit überwinde es die Dichotomie zwischen Form und Funktion.101 Das kreative Potential trat damit immer mehr in den Vordergrund, wobei die wissenschaftliche Legitimation, die seit der Moderne den Architekturdiagrammen anhaftet, nie vollständig verblasste. Einen spielerisch-ironischen Umgang mit der Problematik der Beziehung zwischen Funktion und Form im Diagramm führten MVRDV mit ihren Datascapes vor, um nur ein Beispiel zu nennen. In computergenerierten Modellen wurden aus Parametern wie Bauvorschriften, Bevölkerungszahlen, Parkplatzgrößen, Sonneneinstrahlung etc. Formen generiert. MVRDV wählten als Ausgangspunkt beispielsweise Vorschriften aus der Bauordnung, Lärmpegelgraphiken, Sonneneinstrahlung, Parkplatzgrößen oder Müllbeseitigungssysteme. Für das Quartier Hoornse Kwadrant in Delft (1992) verteilten sie in einem Raster nach 97 | Cullen 1991, S. 12. 98 | Herdeg 1988. 99 | Foucault 1977, S. 264. 100 | Deleuze 1992, S. 54; folgende Zitate ebd., S. 52, 55f., 59. 101 | Allen 1998, S. 16.

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Abbildung 5.13: Diagrammstadt. Für das Quartier Hoornse Kwadrant in Delft verteilten MVRDV 1992 Nutzungen/Flächen/Volumina bei maximaler Verdichtung. Modul für das Raster war der Parkplatz. (Arch+ 134/135.)

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festgelegten Prozentzahlen Nutzungen/Flächen/Volumina bei maximaler Verdichtung (Abb. 5.13). Modul für das Raster war der Parkplatz.102 Kreativität werde hier, so urteilte ihr Kollege Stan Allen, nicht ausgedrückt in der Erfindung neuer Formen, sondern als Reformulierung existierender Beschränkungen. Die Regel werde in einer reinen Form präsentiert und mit einer eisernen Logik ad absurdum geführt und gehe damit über künstlerische Intuition und bekannte Geometrien hinaus. MVRDV mache so die unsichtbaren Regeln (sei es eine Bebauungsvorschrift oder die ökonomischen Ansprüche unserer Zeit) sichtbar, die heute unsere Gebäude formen, sie seien eine Visualisierung abstrakter Systeme.103 Die Projekte von MVRDV überraschen nicht nur durch neuartige Formen, sie haben einen kritischen, oft provokanten Gehalt. Darin liegt der qualitative Unterschied zwischen Sittes Tabelle und den Datascapes. Diese zuletzt geschilderten Positionen korrelieren abseits der deleuz’schen Rhetorik mit einer gewandelten Auffassung von Objektivität in den Naturwissenschaften in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dort betrachtete man die vorgebliche Objektivität mechanisch erzeugter Bilder mit zunehmendem Unbehagen. Ein »geschultes Urteil« durch den denkenden, kreativen und intuitiv agierenden Menschen sei notwendig, um die Datenspuren zu interpretieren.104 Hier rückt die Wissenschaft der Architektur näher. Caroline Bos charakterisierte 2007 die Bedeutung von Diagrammen für UN Studio folgendermaßen: Diagramme würden benutzt, um Information zu quantifizieren und zu qualifizieren, so dass ein bestimmtes Problem herausgehoben werde. Gleichzeitig tue das Diagramm etwas, wenn man es betrachte. Es enthülle parallel zu den vertrauten Mustern, auf denen es basiere, eine verborgene Realität. Und weiter stellt Bos fest, dass man sich in dieser Praxis nicht mehr in einem wissenschaftlichen, sondern in einem künstlerischen Feld bewege.105 Stan Allen zielt auf ähnliche Qualitäten, wenn er schreibt, Diagramme seien nicht bloß Reduktionen bereits existierender Ordnungen, sondern würden durch Abstraktion zum Instrument. Inhalte würden nicht eingebettet oder verkörpert, sondern hervorgehoben und multipliziert. Vereinfachend und in hohem Maße graphisch, unterstützten Diagramme vielfältige Lesarten. Dabei beruft sich Allen nicht nur auf wissenschaftliche Vorbilder, sondern auf dezidiert künstlerische Praktiken und zitiert unter anderem Michael Serres und Yannis Xenakis.106 Obwohl Deleuzes Konzepte von den wenigsten Architekten vollständig durchdrungen wurden, waren sie höchst einflussreich. Céline Jouin beispielsweise bescheinigte dem viel gelesenen Buch von Peter Eisenman Diagramm Diaries (1990) »Dilettantismus«: Eisenman setze große Namen ein wie Logos in der Werbung, doch ergäben seine theoretischen Ausführungen bei näherer Betrachtung 102 | 103 | 104 | 105 | 106 |

Maas et.al. 1996, S. 40ff. Allen 1997, S. 27ff., 38. Vgl. Daston/Galison 2007, S. 366. Bos 2007, S. 197. Allen 1998, S. 16; ders. 1999, S. 100, 102.

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keinerlei Sinn.107 Die von Jouin kritisierte Vorgangsweise ist ganz typisch für den metaphorischen Import von Konzepten, wie in Verlauf dieser Analyse schon an vielen Stellen deutlich geworden sein sollte. Das Diagramm wurde zur Metapher für Entwurfshaltungen, denen – so unterschiedlich sie auch sind – gemeinsam ist, dass sie sich von tektonischen und typologischen Traditionen und einer klassischen Formensprache abwenden. Davon abgesehen werden, je nach Kontext, unter diagrammatisches Entwerfen, so unterschiedliche Entwurfszugänge wie Animate Form, parametrisches Design, Mapping, Datascapes oder die sogenannten Dekonstruktivisten subsummiert.108 Toyo Ito prägte 1996 für Bauten von Kazuyo Sejima den Ausdruck »Diagramm-Architektur« und meinte das, im Gegensatz zu Cullen oder Herdeg, als Lob.109

107 | Jouin 2001. 108 | Vidler 2000, S. 1f. 109 | Ito 1996, S. 18.

Die Stadt als Theater Städte, schreibt Camillo Sitte, seien die »Dramen und Epen der bildenden Kunst«.1 Diese Metapher wirft Fragen auf nach den Akteuren und der Choreographie des Theaterstücks Stadt auf. Man kann nach dem Publikum und dem Regisseur dieses Schauspiels fragen. Noch naheliegender ist es, den architektonischen Stadtraum als Bühne zu begreifen. Sitte schrieb über den Markusplatz in Venedig, dass »kein Theater noch je Sinneberückenderes gesehen [habe] an architektonischen Hintergründen«.2 Diese Metapher funktioniert in beide Richtungen. Einerseits kann man eine städtebauliche Situation in seiner Wirkung mit einem Bühnenprospekt vergleichen. Andererseits werden in klassischen Bühnenbildern oft Stadträume als Ort der Handlung dargestellt. Die Analogien können sowohl formal als auch funktional interpretiert werden. Da viele Architekten auch als Bühnenbildner tätig waren, gibt es zahlreiche Möglichkeiten des Austauschs zwischen den Disziplinen. Karl Friedrich Schinkel etwa verdiente seinen Lebensunterhalt jahrelang als Panoramenmaler und entwarf im Laufe seiner Karriere über 100 Bühnenbilder. Er schuf neuartige, asymmetrisch frei gestaltete Bühnenräume für die klassische deutsche Dramen- und Opernliteratur. Sitte erwähnte Schinkels Prospekte als Vorbild für die perspektivische Gliederung städtebaulicher Ensembles in einer bereits während seiner Studienzeit verfassten, bis vor kurzem unveröffentlichten Schrift Beobachtungen über bildende Kunst, besonders über Architectur, vom Standpuncte der Perspective.3 Große generative Kraft entfaltete außerdem die Frage, ob Inszenierung und Illusion – im Theater üblich – legitime Mittel der Architektur sind. Darf Architektur um der größtmöglichen Effekte willen wie das Schauspiel mit Masken oder (optischen) Täuschungen arbeiten? Oder soll der Architekt Ehrlichkeit oder Wahrheit in Material und Konstruktion anstreben? Diese Frage wurde zu verschiedenen Zeiten höchst unterschiedlich beantwortet. Die Architekten des Barock brachten theaterhaft-perspektivische Illusionen zur Blüte, in der Moderne wurde der Terminus »Kulissenarchitektur« zur Schmähung, während in der Postmoderne 1 | Sitte, »Thurm-Freiheit«, 1896, CSG 2, S. 461. 2 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 65. 3 | Sitte, »Beobachtungen über bildende Kunst«, 1868, CSG 5, S. 135.

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Inszenierung und Spektakel neue Wertschätzung erfuhren. Die Stadt als Bühne wird so zum exemplarischen Beispiel für die wechselhafte Interpretation von Metaphern in der Architekturdebatte und im Urbanismus.

B ÜHNENBILD Prospekte Sitte schrieb über den Markusplatz in Venedig, dass »kein Theater noch je Sinneberückenderes gesehen [habe] an architektonischen Hintergründen«.4 Sitte charakterisierte folgende morphologische Ähnlichkeiten zwischen öffentlichen Plätzen und Bühnen: »Der bühnenbildartige Raum, auf drei Seiten geschlossen, an der vierten (der Zuschauer-)Seite hin offen,« sei das Hauptmotiv nordeuropäischer Platzanlagen.5 Um perspektivische Effekte hervorzurufen sei Raum zum Zurücktreten erforderlich, »ein Platz von ähnlicher Bildung, wie beim Theater die Bühne, […] in dessen Hintergrund die zu überschauende Façade angebracht sein müsste«. Markante Bauwerke sollten durch eine entsprechende räumliche Gestaltung »ins rechte Licht gestellt werden«.6 Sitte leitet aus dem Bühnenbild städtebauliche Gestaltungskriterien ab und folgert im Umkehrschluss, dass Städte ein gutes Bühnenbild abgeben. Diese Qualitäten finde man, so Sitte, nur in alten Städten, niemals werde »ein moderner Stadttheil als Bühnendecoration gewählt, denn das wäre denn doch gar zu langweilig«.7 Kann man daraus schließen, dass bestimmte städtebauliche Ensembles als Bühnenbilder prädestiniert sind? Kann man diese Ensembles Epochen zuordnen? Und von welcher Seite der Metapher gehen die Impulse aus, von der Bühne oder von der Stadt? Ein kurzer Blick in die Theatergeschichte ist aufschlussreich. Das Besondere an einem Bühnenbild ist die Kombination aus illusionistischen zweidimensionalen Perspektivteilen und bespielbarem Bühnenraum, die im Idealfall miteinander verschmelzen. Die Hochzeit perspektivischer Bühnenbilder liegt im Barock und der Romantik, doch wurden bereits in der Antike mitunter hinter den drei Toren der scenae frons illusionistische Perspektivmalereien aufgestellt. Unterschiedliche architektonische und landschaftliche Hintergründe korrespondierten mit unterschiedlichen Genres, wie bei Vitruv nachzulesen ist: »Es gibt aber drei Arten von Dekorationen […]. Ihr Schmuck ist unterschiedlicher Art, weil die tragischen Dekorationen mit Säulen, Giebeln, Bildsäulen, und den übrigen Gegenständen, die zu einem Königspalast gehören, gebildet wird. Die komische Dekoration bietet den 4| 5| 6| 7|

Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, 65. Ebd., S. 81. Sitte, »Thurm-Freiheit«, 1896, CSG 2, S. 460. Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, 65.

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Abbildung 6.1: Stadträume in Bühnenprospekten. »Della Scena Tragica« und »Della Scena Comica« von Sebastiane Serlio, 1545. (Serlio 1584, Universitätsbibliothek Heidelberg, Sammlung alter Drucke)

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Anblick von Privathäusern, Erkern und durch Fenster gegliederten Vorsprüngen in Nachahmung nach der Art der gewöhnlichen Häuser. Die satyrische Dekoration wird mit Bäumen, Grotten, Bergen und anderen Gegenständen ausgeschmückt, wie man sie in der Landschaft antrifft, nach Art eines gemalten Landschaftsbildes.«8 Dem Ernst des tragischen Stoffs und seiner läuternden Wirkung entsprach eine erhabene (Palast-)Architektur. Die Komödie dagegen, die die menschlichen Schwächen ihrer oft niederen Gesellschaftsschichten entstammenden Protagonisten in Szene setzt, wird dem Privaten und Alltäglichen zugeordnet, während das heitere, unproblematische Satyrspiel mit seinen mythischen Protagonisten außerhalb der Stadt in der freien Natur angesiedelt wurde. Es wurden also architektonische Elemente verwendet, allerdings wurden damit keine perspektivischen Illusionsräume erzeugt, sondern ein Ambiente simuliert, das dem Inhalt und der Struktur des aufgeführten Stücks und dessen Charakteren entsprach. Mit der Einführung des einheitlich-zentralperspektivischen Bildraumes und der Wiederentdeckung der antiken Theaterliteratur waren im Italien der Renaissance die Voraussetzungen für die Entwicklung eines neuen Bühnentypus geschaffen: den durch gemalte Prospekte perspektivisch aufgeweiteten Raum. 1519 schuf Raffael anlässlich der Aufführung der Suppositi des Ariost in Rom ein zentralperspektivisch angelegtes Bühnenbild mit der Ansicht Ferraras im Hintergrund. Sebastiano Serlio beschreibt diesen Stand mit seinen bekannten auf Vitruv zurückgehenden, nun perspektivisch umgesetzten Typendekorationen für die verschiedenen Genres in seinem Zweiten Buch über Perspektive (1545).9 Die »tragische Szene« ist nun nach dem Vorbild der Idealstädte der Renaissance gedeutet. In der »komischen Szene« finden wir einen unregelmäßigen Stadtraum, wie in den italienischen Städten des Mittelalters. Die »satirische Szene« ist ein Landschaftsraum mit einigen primitiven Hütten (Abb. 6.1). Für umgangssprachliche Stücke wurden idealisierte Ansichten italienischer Städte üblich.10 Die Stadt als Ort menschlichen Lebens und Agierens schien jedenfalls ein geeigneter Hintergrund für dessen künstlerische Deutung im Theater, wobei weiterhin bestimmte städtebauliche Situationen mit bestimmten Themen oder Emotionen korrespondierten. Andrea Palladio schuf für das Teatro Olimpico in Vicenza (ab 1580) eine Bühnenwand mit Triumphbogenmotiv in Anlehnung an die frons scaenae mit einem unverkürzten Spielpodium davor. Dahinter lag eine perspektivische Stadtinstallation mit ansteigendem Boden. In diesem idealisierten Theben fluchteten sieben Straßen (zu den sieben Toren Thebens) in unterschiedliche Richtungen, den Abschluss bildete ein bemalter Himmelsprospekt (Abb. 6.2). Vincenzo Scamozzi modifizierte diesen Entwurf 1588 für das Teatro Olimpico in der Planstadt Sabbioneta. Hier bündelte sich die Perspektive in der Loge des Fürsten und Stadtgründers Vespasiano Gonzaga Colonna, der in Sabbioneta eine ideale Stadt nach seinen Vorstellungen geschaffen 8 | Vitruvius 1996, V, VI, 9, S. 235. 9 | Serlio 1584, S. 138ff. 10 | Vgl. Albrecht 1991.

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Abbildung 6.2: Dreidimensionale Bühnenstadt. Bühne des Theatro Olimpico in Vicenza von Andrea Palladio, ab 1580. (Foto 2007)

hatte. Sein Blick wurde ungebrochen, ohne vorgestellte Bühnenwand, in die Tiefe einer einzelnen Straßenflucht gelenkt, als sei der Raum nach außen geöffnet. Der Fürst blickte im Theater seiner idealen Stadt auf eine ideale Stadtkulisse. Theater und Stadt in Sabbioneta wurden häufig verglichen. Kurt Forster hat gezeigt, dass die Stadt Sabbioneta bereits von Zeitgenossen als theatralisch empfunden wurde. Vespasiano habe die Fassaden von Häusern und Palästen bemalen lassen, dass es danach so schien, als ob »la città cangiata in un teatro per la veghezza della comparsa«, so die Worte des Chronisten Federigo Amadei 1737.11 Gerrit Confurius interpretierte das gegenseitige Verhältnis von Stadt und Bühne in Sabbioneta als reziprok: »In dem theatralischen Abbild des Lebens stellen sich Stadt und Staat als begriffen und idealisiert dar, indem sie ihre Mechanismen und ihr Prinzip offenbaren. Umgekehrt verwandelt Planung durch die Anordnung der Stadt als eine auf den Herzog ausgerichtete Bühne das Leben selbst in eine Aufführung.«12 Noch weiter ging Hanno-Walter Kruft, der über die Stadt als Theaterinszenierung ausführte: »Die Stadt ist ein Monolog über das Wesen der idealen Stadt durch den Herrscher, der zugleich der Hauptakteur der Szene ist: Vespasiano Gonzaga. Das Stück endet folgerichtig mit dem Tod des Herzogs. […] Die Stadt, die zurückgeblieben ist, hat Kulissencharakter. Die Bewohner sind Statisten. Sabbioneta zeigt […] dass eine Stadt, die aus der Konzeption eines einzelnen hervorgeht, 11 | Amadei 1956, Bd. 3, S. 51; vgl. Forster 1969, S. 27. 12 | Confurius 1981, S. 692.

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Abbildung 6.3: Stadtraum in dramatischer Übereckperspektive. Spätbarockes Bühnenbild von Giuseppe Galli Bibiena, 1740. (Schumann 2009).

auf Dauer nicht lebensfähig ist.«13 Offenbar wurden in der Renaissance Bühnenstädte als Spiegel und Spielwiese städtebaulicher Ideen angesehen. Im Barock wurden im Bühnenbild dann architektonische Gestaltungsprinzipien in Idealform ausgeführt. Um 1606 erfand Giovanni Battista Aleotti das Kulissensystem, bei dem mehrere Leinwandflächen räumlich gestaffelt sind. So trug das Bühnenbild der barocken Freude an der Durchgestaltung gewaltiger zentraler Raumachsen und übersteigerter Perspektiven Rechnung. Sitte sah das barocke Bühnenbild als Vorbild für den Städtebau: »Die Meister der Barocke haben eben sehr verstanden, gute Situationen zu schaffen. Sie haben die monumentalen Bauten in den Hintergrund eines solchen atriumartigen Vorplatzes hineingestellt, um so den Hintergrund wie eine Decoration im Theater vollständig zur Geltung zu bringen. Eines der herrlichsten Beispiele befindet sich bei Wien, das prächtige Schloss Schönbrunn.«14 Sittes Wertschätzung des Barock wurde von vielen Interpreten unterschlagen. So hat Sittes Übersetzer in Französische im Zuge einer sehr schöpferischen Übersetzung nicht nur den Wienbezug des Buchs weitgehend getilgt, sondern alle Verweise auf den Barock. Stattdessen hob Martin die Beispiele aus dem Mittelalter und das Plädoyer für krumme Straßen übermäßig hervor.15 Den letzten Entwicklungsschritt zu einem in der Raumwirkung ungehemmten Bühnenbild tat im Spätbarock die Bühnenbildner-Dynastie der Galli-Bibiena, die mittels Übereckperspektive spannungsgeladene Räume auf die Bühne brachten (Abb. 6.3). Giuseppe Galli-Bibiena schuf im Bühnenbild polygonale Raumsysteme, die Einblicke in verschiedene Geschosse, Treppenhäuser, riesige Nebenräume, Ga13 | Kruft 1989, S. 70. 14 | Sitte, »Über alte und neue Städteanlagen«, 1889, CSG 2, S. 265. 15 | Vgl. Collins/Collins 1986, S. 78ff.

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lerien, Kolonnaden und Raumfluchten vortäuschten.16 An diese Traditionen knüpfte Sitte an, wenn er für eine konkave Organisation in die Tiefe gestaffelter Raumschichten plädierte.17 Die Perspektivwirkung werde durch Motive wie Rampen, Durchblicke und perspektivische Fernsichten erhöht. Sittes Wertschätzung für den Barock wird wohl auch deshalb übersehen, weil seine Plädoyers für das Malerische ungleich häufiger zitiert wurden. Auch hier erwähnt Sitte Bühnenbilder. Als Gestaltungsmittel im Städtebau empfahl er in diesem Zusammenhang das »Durcheinander von Innen- und Außenmotiven«, »kräftige Risalite, öftere Fluchtstörungen, gebrochene oder gewundene Straßenzüge, ungleiche Straßenbreiten, verschiedene Haushöhen, Freitreppen, Loggen, Erker und Giebel und was sonst noch den malerischen Hausrath der Bühnenarchitektur ausmacht«.18 (Abb. 6.4)

Kulissen Im Barock wurde die Fassade kulissenartig eingesetzt, wie bei der berühmten Pariser Place Louis le Grand (heute: Place Vendôme), wo die Platzfassaden zunächst als architektonischer Rahmen und Festarchitektur für ein Reiterstandbild Ludwig XIV. errichtet wurden (Abb. 6.5). Erst später folgten dahinter feste Bauten. Alle Sichtund Gebäudeachsen waren auf das Zentrum – den Herrscher – ausgerichtet, sie brachten damit die absolutistische Herrschaftsauffassung adäquat zum Ausdruck. Eine ganze Reihe solcher Königsplätze schmückt die Stadt Paris, die Place Royale wurde als erfolgreichen Typus in zahlreiche Städte der französischen Provinz exportiert. Als Folge war der König in Form eines Stadtbildes in streng geordnetem Umfeld in jeder wichtigeren Stadt des Landes präsent, die Stadträume wurden zum Repräsentationsfeld der absolutistischen Herrschaft. (Abb. 6.6) Dem Ausdruck »Kulissenarchitektur« haftet heute ein schaler Beigeschmack von Kunst als schöner Schein an, der die Wirklichkeit verschleiert und falsche Tatsachen vortäuscht. Diese Interpretation entstammt dem 19. Jahrhundert. Otto Wagner sprach 1895 vom »Schwindelhafte[n], von Lügen Strotzende[n], an Potemkinsche Dörfer Erinnernde[n]« der Wiener Architektur des 19. Jahrhunderts.19 Drei Jahre später verglich Loos die Ringstraße mit einer potemkin’schen Stadt: »Ob man aus Leinwand, Pappe und Farbe Holzhütten darzustellen sucht, in denen glückliche Bauern leben oder aus Ziegeln und Cementguß vorgeblich Steinpaläste errichtet, in denen feudale Großherren ihren Sitz haben könnten, im Princip bleibt es das Gleiche. Über der Wiener Architektur dieses Jahrhunderts schwebte der Geist Potemkins.«20 16 | Bibiena 1740; vgl. Tintelnot 1950. 17 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 145. 18 | Ebd., S. 116f. 19 | Wagner 1902, S. 138. 20 | Loos, » Potemkin’sche Stadt«, 2010, S. 190. Interessanterweise ist es bis heute populär, sich auf Potemkin zu beziehen. Vgl. z.B. Koolhaas, »Singapore Songlines«, 1995, S. 1077, 1083; Koolhaas 2002.

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Abbildung 6.4: Malerische Bühnenarchitektur. Filmset für »Der junge Medardus« nach einem Drama von Arthur Schnitzler (Stummfilm, Österreich 1923, Regie: Mihaly Kértesz). Die Kulissenbauten am Laaerberg zeichneten das Wien zur Zeit Napoleons als ausgesprochen pittoresk, erkennbar lediglich an der Karlskirche im Hintergrund. (Filmarchiv Austria)

Die Kulissen-Metapher impliziert eine Unterscheidung zwischen Schauspiel und Wirklichkeit. Man sollte darüber nicht vergessen, dass das Konzept des »potemkin’schen Dorfs« selbst eine Lügengeschichte ist, die von Georg von Helbig, einem sächsischen Gesandten zu St. Petersburg in die Welt gesetzt wurde: Prinz Grigory Aleksandrovich Potemkin hat niemals gefälschte Dörfer entlang der Reiseroute von Katherina der Großen 1787 zur Krim errichtet. Vielmehr gründete Potemkin, nachdem Russland 1783 die Krim erobert hatte, die Hafenstadt von

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Sevastopol und einige weitere, baute eine beachtliche Kriegsflotte aus, brachte zehntausende Siedler, um die neuen russischen Gebiete im Süden zu kolonisieren, und baute landwirtschaftliche Unternehmungen und Manufakturen auf. Es gibt zunächst wenig Grund, von Helbig ernst zu nehmen, wenn er behauptet, dass Potemkin außerdem den Auftrag zur Konstruktion ganzer Kulissendörfer entlang des Dnjepr erteilte, und Bauern und Schafherden aus tausenden von anderen Dörfern zusammenzog, um ein Spektakel des Wohlstands zu inszenieren, das dann wiederum Hungersnöte im entvölkerten Hinterland auslöste, oder dass er, sobald die Prozession vorbeigezogen war, die ganze Maschinerie demontierte, um sie einige Meilen stromabwärts wieder aufzubauen und dort den Hof von Neuem zu beeindrucken. Gerhard Schulze vermutete zuletzt, dass die potemkin’schen Dörfer zwar existiert haben könnten, aber eher als spielerischer Bluff zu interpretieren seien, den Katharina die Große durchschaute und für den sie insgeheim dankbar war. Vielleicht habe die ganze Reisegesellschaft die an den Ufern aufgestellten Attrappen gepflegter und fortschrittlicher Dörfer von lügnerischen Kulissen in spielerische umgedeutet.21 Loos und Wagner kritisieren nicht die Tatsache einer bühnenartig effektvoll inszenierten Architektur als solche, sondern die Architektursprache des Historismus. Die großbürgerlichen Mietwohnungen an der Ringstraße mit ihrem modernen Komfort bedienten sich in der Fassadengestaltung der Formensprache des Hochadels, nach außen wirkten sie wie Paläste. Es sei nur am Rande angemerkt, dass Adolf Loos dem Theatralischen in der Architektur alles andere als fern stand.22 Auch die Sockelzone von Adolf Loos’ Haus am Michaelerplatz (1909–11) ist durch Repräsentation, Propaganda und Rhetorik gekennzeichnet. Die (laut Kritik nicht-, laut Loos selbst jedoch immerhin mit-tragenden) Säulen sind Symbole für Repräsentation schlechthin. In dieser Hinsicht stehen Otto Wagner und Adolf Loos, wenn auch auf andere Art als Sitte, in der für das Wien der Jahrhundertwende typischen Tradition von Repräsentanz, Rhetorik und Ornat. Bühnenhaftigkeit kann in dieser Lasart kaum mit der unzulässigen Vorspiegelung falscher Tatsachen gleichgesetzt werden.23 Um auf die Kritik an der historistischen Fassade zurückzukommen, sei angemerkt, dass neben der Kulisse häufig das Bild der Maskerade oder Verkleidung steht. Antonio Sant’Elia sprach von »karnevalesken Schmuckinkrustationen«, mit denen 21 | Schulze 2000. 22 | In seiner Zeitschrift Das Andere imaginierte Loos Szenen häuslicher Melodramen, die sich in einem von Olbrich oder van de Velde entworfenen Zimmer entfalten: etwa den Todeskampf einer Mutter im Kindbett oder die letzten Gedanken einer jungen Frau, die gerade Selbstmord begeht; vgl. Loos, »Das Andere«, S. 288f. Beatriz Colomina beschrieb die Raumpläne der Häuser Moller (Wien, 1928) und Müller (Prag, 1930) als Theater, in dem die BewohnerInnen zugleich Schauspieler und Zuschauer der Familienszene, gewissermaßen des »häuslichen Dramas«, seien. (Colomina 1992, S. 79ff.) 23 | Vgl. Kapfinger 1993, S. 85ff.

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Abbildung 6.5: Kulissenarchitektur. Die Platzfassaden der Place Vendome wurden vor den Gebäuden errichtet, wie man auf dem Plan von Paris von Michel-Étienne Turgot (1739) sehen kann. (Bretez 1739)

Abbildung 6.6: Strenge Choreographie auf der Place Royale. Die heutige Place des Vosges in Paris wurde von Henry IV 1605 als Festarchitektur in Auftrag gegeben. Das Gemälde »Roman des chevaliers de la Gloire« (um 1612, anonym), zeigt Reiterspiele anlässlich der Hochzeit von Louis XIII. mit Anne von Österreich. (Musée Carnevalet, Paris)

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die tatsächliche Konstruktion aus Zement und Eisen »verkleidet« werde.24 Warum ist die Metapher so negativ belegt, ist doch die Verkleidung im Karneval kaum als niederträchtiger Täuschungsversuch zu werten, sondern eher als lustvolles Spiel mit der Illusion? Die Ursprünge von Masken liegen im religiösen Kultus, ihr Träger verkörperte Götter oder Geister in rituellen Handlungen. Mögen im 19. Jahrhundert die Karnevalsrituale in Alpen und Rheinland als unkultiviert gebrandmarkt worden sein; es ist hinlänglich bekannt, dass gerade die moderne Kunst entscheidende Inspiration aus afrikanischen und ozeanischen Masken bezogen hat. Sogenannte primitive Kultgegenstände aus den Kolonien waren um die Jahrhundertwende zu begehrten Sammlerobjekten geworden. Der schlechte Ruf der Maskerade liegt offenbar weniger im Topos des Karnevals begründet, sondern muss aus der Architekturdebatte heraus erklärt werden: Die Ehrlichkeit von Material und Konstruktion bildete eines der konstituierenden Credos der Moderne. Adrien Forty weist darauf hin, dass dieses Motiv der Ehrlichkeit oder Wahrheit beileibe keine Neuschöpfung war, sondern die Architekten der Moderne eigentlich Ideen reproduzierten, die bereits im 19. Jahrhundert formuliert wurden und die eigentlich recht verschiedene Blickwinkel hatten, welche in der Moderne später alle mehr oder weniger vermischt wurden.25 Es ging dabei nicht nur um ehrliche Konstruktion, sondern um den wahrhaftigen Ausdruck der inneren Essenz eines Gebäudes sowie darum, in angemessener Weise den Geist der Zeit auszudrücken.26 In Renaissance und Barock hatte man keinen Widerspruch darin gesehen, dass Architektur das Auge täuschende Effekte hervorrufen und zugleich ehrlich sein könne. Der Genuss an Architektur entspringe eben deren Fähigkeit zur Sinnestäuschung, die Anpassung der Realität an die Bedürfnisse schien Pflicht. Edmund Burke schrieb noch 1757, scheinbare Größe sei immer wichtiger als tatsächliche Größe: »A true Artist should put a generous deceit on the spectators. […] No work of art can be great, but as it decieves«27 Erst ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde diese Kombination zum Paradox, und zwar, weil der Begriff der »Ehrlichkeit« neu definiert wurde, zunächst nicht innerhalb der Architekturdebatte, sondern in den Naturwissenschaften und der Philosophie. Die wissenschaftlichen Entdeckungen hatten das Bild der Welt revolutioniert, mit Kants Kritik der Urteilskraft (1790) wurden Ethik und Ästhetik zu getrennten Bereichen und Wahrheit zu einem engeren Konzept. In der Architekturtheorie formulierte Carlo Lodolí (1690–1761), dessen Gedanken uns nur durch posthume Schriften seiner Schüler überliefert sind, die erste Kritik an den Ausschweifungen des Barock und plädierte für Ehrlichkeit des Materials: So wie eine Perücke niemals schönes Haar ersetzen könne oder Wangenrouge die frische Röte auf den Wangen einer schönen Frau, so könne es niemals 24 | 25 | 26 | 27 |

Sant’Elia 1966, S. 217. Forty 2000, S. 289ff. Vgl. z.B. Gropius 1965, S. 82. Burke 1987, S. 76.

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erfolgreich sein, Marmor wie Holz erscheinen zu lassen.28 Francesco Milizia verband diese Idee mit Laugiers Prinzipen des »Natürlichen« und feilte sie weiter aus, Quatremère de Quincy argumentierte dagegen. Karl Friedrich Schinkel schließlich schrieb um 1825 in seinem unveröffentlichten Lehrbuch, Architektur sei Konstruktion. In der Architektur müsse alles ehrlich sein, jede Täuschung in der Konstruktion sei ein Fehler.29 In England war Pugin ein großer Verfechter der architektonischen Wahrheit, die er im gotischen Stil verkörpert sah. Die malerischen neogotischen Bauwerke seiner Zeitgenossen kritisierte er als »mere masks« und »ill-concieved lie«.30 Pugins Verachtung richtete sich nicht nur gegen unehrliche Konstruktion, er verband den moralischen Niedergang der Gesellschaft mit deren falscher Architekturauffassung. Diese Vermischung wurde von seinen Gefolgsleuten John Ruskin und William Morris weitergetragen. Ein weiterer wichtiger Name, der für Ehrlichkeit in der Architektur steht, ist natürlich Eugène-Emmanuel Viollet-le-Duc, der in seinen Entretiens sur l’architecture (1877) Ehrlichkeit im Programm und in der Konstruktion forderte.31 Seine Auffassung hatte größten Einfluss auf die gerade in Entwicklung begriffenen neuen Bauweisen in Eisen und Eisenbeton und so bis in die Moderne hinein. Eine ähnliche Notion von Wahrheit vertraten später so unterschiedliche Autoren wie John Ruskin und Louis Sullivan.32

C HOREOGR APHIE Spektakel Für postmoderne Denker ist das Postulat der Ehrlichkeit in vielen seiner Facetten, wie sie im 18. Jahrhundert formuliert und so vehement von den Protagonisten der Moderne vertreten wurden, nicht mehr relevant. Die radikalste Position wurde von Jean Baudrillard formuliert, der behauptet, dass heutzutage alle Zeichen nur wieder auf andere Zeichen referieren und dahinter keine Realität verborgen liege. Wir lebten überall nur mehr in einer Art »ästhetischen« Halluzination von Realität.33 Gibt es keinen Unterschied zwischen Inszenierung und Wirklichkeit mehr, so liegt hinter den Repräsentationen keine ursprüngliche Wirklichkeit verborgen, sondern diese Wirklichkeit wird durch performative Akte erst konstituiert. Auf dieser Basis konnte die Bühnen-Metapher in der Postmoderne ganz neu interpretiert werden. 28 | 29 | 30 | 31 | 32 | 33 |

Memmo 1834, Bd. 2, S. 81f. Schinkel 1979, S. 115; vgl. Forty 2000, S. 297. Pugin 1841, S. 49; vgl. Forty 2000, S. 298. Forty 2000, S. 299. Ebd., S. 300f. Baudrillard 1983, S. 148.

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Abbildung 6.7: Die Skyline von New York als Inbegriff des Spektakels. Architekten führten, als ihre eigenen Wolkenkratzer verkleidet, beim Beaux-ArtsKostümball im Hotel Astor am 23. Januar 1931 das Ballett »Skyline von New York« auf. Im Bild: A. Steward Walker als Fuller Building, Leonard Schultze als Waldorf-Astoria, Ely Jacques Kahn als Sqibb Building, William Van Alen als Chrysler Building, Ralph Walker als One Wall Street, D.E. Ward als Metropolitan Tower, Joseph H. Freedlander als Museum of the City of New York. (Tafuri 1999)

Sie wurde, in Abgrenzung zur Moderne, nun positiv gesehen und um viele spannende Facetten erweitert. Noch vor Baudrillard hatte Guy Debord erklärt, dass spätkapitalistische Gesellschaften um das Spektakel organisiert seien und argumentierte, alles was einst direkt gelebt wurde, sei zu bloßer Repräsentation geworden.34 Die Stadt des ultimativen Spektakels kann nur Las Vegas sein. Denise Scott Brown und Robert Venturi entdeckten ihr Interesse an dekorierten Schuppen in den späten 1960ern. Die Bauten am Strip von Las Vegas versteckten sich hinter riesigen Billboards, bestünden also nur aus Zeichen. »Wenn man die Zeichen wegnimmt, gibt es keine Stadt mehr.«35 Während früher die Architektur durch ornamentale Ausschmückung ihre Aufgabe zum Ausdruck gebracht habe, sei das Ornament in der Moderne ganz verschwunden, mit dem Ergebnis, dass das ganze Gebäude zum Ornament werde (prototypisches Beispiel ist eine Bratentenbude in Form einer Ente). Scott Brown und Venturi plädierten für eine Abkehr von diesem uneingestandenen Symbolismus der Moderne. Sie forderten, sich wieder auf die Ausdruckskraft architektonischer Zeichen zu besinnen. Vorbilder dafür fanden sie in von der Hochkultur als banal klassifizierter Architektur, den »dekorierten Schuppen«. 34 | Debord 1978, S. 1. 35 | Venturi/Scott Brown/Izenour 2003, S. 25.

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Abbildung 6.8: Paradigmatische Großstadtkulisse. Bühnenbild für die Filmstadt »Metropolis« im Bau (Stummfilm, Deutschland 1927, Regie: Fritz Lang, Bühnenbild: Otto Hunte, Erich Kettelhut, Karl Vollbrecht). (Foto: Horst von Harbou, Deutsche Kinemathek)

Rem Koolhaas schlug in die gleiche Kerbe, als er behauptete, die Großstadt habe schon immer nach dem Prinzip des Spektakels funktioniert. Er untersuchte 1978 in Delirious New York die kulissenhafte Illusionstechnik von Vergnügungsparks wie Coney Island – und erklärte sie rückwirkend zum Leitsatz urbaner Architektur: »Daß die Infrastruktur, einer Wirklichkeit dient, die zum größten Teil aus Pappe besteht, ist der springende Punkt. Im Luna Park nimmt erstmals ein Fluch Gestalt an, der den Architektenstand bis ans Ende seiner Tage verfolgen soll, die Formel ›Technologie + Pappe (oder irgendein anderes billiges Material) = Wirklichkeit‹. […] Dieser Park ist eine Metapher für das Leben in der Metropole, deren Bewohner ein einziges Ensemble sind, das in einer unendlichen Anzahl an Stücken agiert«.36 (Abb. 6.7) Es verwundert wenig, dass die Skyline von Manhattan ihrerseits die Kulissenarchitektur inspiriert hat. Der Regisseur Fritz Lang wollte 1924 eine Reise zu den Filmstudios in Hollywood unternehmen. Die amerikanische Einwanderungsbehörde auf Ellis Island hielt den Deutschen über Nacht an Bord des Schiffes fest. Lang versank in den Anblick der nächtlichen Skyline der nahen und für ihn doch so fernen Stadt: »The buildings seemed to be a vertical veil, shimemring, almost weightless, a luxurious cloth hung from the night sky to dazzle, distract and hypno36 | Koolhaas 1999, S. 42, 51.

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tize. At night the city did not give an impression of being alive; it lived as illusions lived. Something which was completely new and nearly fairy-tale-like for a European in those days, and this impression gave me the first thought for a town of the future.«37 Nach seiner Rückkehr begann er die Arbeit an seinem berühmtesten, bereits mehrfach erwähnten Film Metropolis, dessen starke Bilder ihrerseits die Vorstellungen der modernen Großstadt geprägt haben. Langs Filmstadt breitete sich nicht in die Fläche aus, sondern war extrem dicht und bis in große Höhen gestaffelt. Die in akribischer Stop-Motion-Technik gefilmte Stadt pulsierte offensichtlich voller Energie rund um die Uhr, mit Autos und Bahnen auf Hochstraßen und darüber kreisenden Flugzeugen. (Abb. 6.8)

Schauspieler Karin Wilhelm erklärte Sitte zum Vorläufer konstruktivistischer Theorien. Sitte denke die Stadträume gewissermaßen als Bühne der Städter, »die mit ihren alltäglichen Verrichtungen und in ihrer ›natürlichen‹ wechselnden Geräusch- und Handlungskulisse das Ton-Schauspiel Stadt immer wieder nach den Regeln einer sozial verhandelten kulturellen Dramaturgie erneut vollziehen.«38 Wilhelm spricht nicht nur von formalen, sondern auch von funktionalen Ähnlichkeiten zwischen Bühne und Stadt. Sie bringt zum Ausdruck, was viele postmoderne Architekten an Sitte fasziniert. Der Vergleich zwischen Theater und Städtebau kann betonen, dass in den öffentlichen Räumen der Stadt Menschen agieren, die den Stadtraum wiederum beständig und kontinuierlich durch ihr Handeln verformen. Kulissen sind, in diesem Sinn, »gemeinsam erschaffene und ständig weiterentwickelte Projektionsflächen für Gefühle, Wünsche, Phantasien, das Menschsein überhaupt. Eine Kernidee des Theaters ist auf das gesamte Alltagsleben übergesprungen; Kulissen sind allgegenwärtig geworden. […] [S]ie täuschen nicht, sondern wollen gestalten; sie sind eine unserer Kultur eigentümliche Form von Wirklichkeit. Das Wesen dieser Form besteht darin, dass Menschen sich selbst wirklich machen, indem sie sich in Szene setzen.«39 Das Theater ist in dieser Interpretation am Leben orientiert, anders als die Literatur, die nur auf dem Papier existiert, die »Bühne« steht damit für das Leben, das sich dort abspielt, und für kontinuierliche Veränderung. In Sittes Worten wird das zu einer Kritik an der gängigen Stadtplanung: »Wie es in der Poesie endlich zum sogenannten ›Literaturdrama‹ kam, so haben wir heute eine ›Reißbrettarchitektur‹, die, wie jenes, sich nur auf dem Papier gut ausnimmt, bei der Aufführung aber die Wirkung versagt. […] So wie der echte Bühnendichter die Mittel seiner Kunst sich nicht aus Büchern sammelt, sondern auf der lebendigen Bühne, so der 37 | Zit. in Sanders 2003, S. 106. 38 | Wilhelm 2001, S. 99. In ihrem 2006 erschienenen Buch baut Wilhelm die Bühnenmetapher noch weiter aus. Wilhelm 2006, S. 28f. 39 | Schulze 2000, S. 11.

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Städtebauer nicht in Plänen und Protokollen, sondern in ausgeführten Städten, in diesen Dramen und Epen der bildenden Kunst.«40 Welche Relation besteht zwischen gesellschaftlichem Leben und dem Theater? Theater kann als Spiegel der Gesellschaft gesehen werden, in dem allgemeine Werte und Gewohnheiten verhandelt werden in einer vereinfachten und idealisierten Form. Wenn das soziale Leben als Spiel aufgefasst wird, so kann man das Theater als Spiel des Spieles und seine Wiederholung auffassen. Der Unterschied zwischen Leben und Theater ist demnach nur ein gradueller. Im Theater können allerdings die Rollen selbst gewählt werden. Lewis Mumford bezeichnete das Drama als typische Tätigkeit in der antiken Stadt: »Die antike Stadt ist also vor allem ein Theater, in welchem das tägliche Leben selber Züge eines Drama annimmt, das durch Kostüm und Szenerie in jeder Hinsicht noch dramatisiert wird; denn der Rahmen verstärkt die Stimmen und vergrößert die Statur der Schauspieler. […] Situation, Verwicklung, Konflikt, Krise und Auflösung – dergestalt übersetzt das Drama das neue Leben, das man in der Stadt lebt […].«41 Der Schriftsteller Heimito von Doderer, übrigens Sohn eines Architekten, schilderte in seinem bekannten Roman Die Strudlhofstiege ebendiese Stiegenanlage von Theodor Jäger (1910) als Bühne, auf der sich die Leben seiner Protagonisten immer wieder kreuzen, wobei diese Begegnungen entscheidende Wendepunkte in ihrem Leben darstellen: »Hier schien ihm [dem Protagonisten René Stangeler] eine Bühne des Lebens aufgeschlagen, auf welcher er eine Rolle nach seinem Geschmacke zu spielen sich sehnte, und während er die Treppen und Rampen hinabsah, erlebte er schnell und zuinnerst schon einen Auftritt, der sich hier vollziehen könnte, einen entscheidenden natürlich, ein Herab- und Heraufsteigen und Begegnen in der Mitte, durchaus opernhaft.«42 Die Freitreppe, die einen Geländesprung im neunten Wiener Gemeindebezirk überbrückt, erschien Doderer als ein Stück wahrer Stadtbaukunst. Doderer schätzte offensichtlich die animierende Komponente des künstlerisch gestalteten Stadtraums. Der Architekt Hermann Czech plädierte hingegen 1971 für Zurückhaltung: »Architektur ist nicht das Leben. Architektur ist Hintergrund. Alles andere ist nicht Architektur [Hervorhebung i.O.].«43 Die Architektur sei kein Selbstzweck, sondern solle den Menschen die Hauptrolle überlassen. Der Architekt Kevin Lynch betonte 1960 mit der Bühnen-Metapher gerade die aktive Rolle der Stadtbewohner und damit das demokratische Element: »Die beweglichen Elemente einer Stadt – insbesondere die Menschen und ihre Tätigkeiten – sind genauso von Bedeutung wie die stationären physischen Elemente. Wir sind nicht einfach Beobachter dieses Schauspiels – wir spielen selber mit und bewegen uns auf der Bühne gemeinsam mit den anderen Spielern. […] Die Stadt ist nicht nur ein 40 | 41 | 42 | 43 |

Sitte, »Thurm-Freiheit«, 1896, CSG 2, S. 461. Mumford 1963, S. 137. Doderer 2003, S. 129; vgl. Kapner 1984, S. 20ff.; Winterstein 2010. Czech 1971, S. 143.

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Abbildung 6.9: Schauplatz des Lebens. Filmstills zum Skandal auf der Strudlhofstiege aus »Melzer oder die Tiefe der Jahre« nach Heimito von Doderers berühmten Roman. (Zweiteiliger Fernsehfilm, Österreich 1987, Regie: Georg Madeja)

Objekt, das von Millionen von Menschen […] wahrgenommen wird, sie ist auch das Produkt vieler Baumeister, die ihre Struktur ständig ändern.«44 Lynchs Schauspieler sind nicht nur auf der Bühne aktiv, sie gestalten diese Bühne beständig um. Sie übernehmen quasi die Rolle von Schauspielern, Bühnenbildner, Dramenschreiber und Regisseur in einem. Die Metapher ist hier uneindeutig. Der Architekt Aldo Rossi spielte in seinem Buch Die Architektur der Stadt (1966) ebenfalls auf das tägliche Leben der Bewohner an. Die öffentliche und private Sphäre seien »integrierende Bestandteile der Stadtarchitektur als der 44 | Lynch 1989, S. 10f.

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beständigen Bühne des menschlichen Lebens, auf der sich öffentliche Ereignisse und private Tragödien abspielen und die von den Gefühlen ganzer Generationen durchtränkt ist. […] Sie [die Stadt] besteht aus zahllosen Einzelwesen, die sich ihre eigene kleine Welt schaffen wollen, um damit ihren eigenen Wünschen zu entsprechen und sich zugleich der allgemeineren Umwelt anzupassen. Die Wohnbauten und die Grundstücke, auf denen sie stehen, sind in ihrer dauernden Veränderung Zeichen dieses Alltagslebens. Zerstörung und Abriss, Enteignung und plötzlicher Wechsel in der Nutzung von Grund und Boden werden ebenso wie Spekulation und Verslumung vor allem als Ausdruck städtebaulicher Dynamik betrachtet […].«45 Aus dem Leben der Bewohner resultierte die Architektur der Stadt in einem kontinuierlichen Bauvorgang.

Regisseure Gordon Cullen spricht vom »Environment-Spiel« und der Stadt als »dramatischem Ereignis«: »Das Hauptziel für die Ordner des Environment ist, ihr Publikum zu erreichen, nicht demokratisch, sondern emotional. Wie der große Max Miller einst an einem dämmrigen Abend über das Rampenlicht hinweg bemerkte, ›Ich weiß, ihr seid da, ich höre euch atmen.‹«46 Die Bühnen-Metapher lässt offen, ob die Stadtbewohner das Publikum stellen oder auf der Bühne agieren, und das macht die Metapher des Architekten als Regisseur der Stadt so verstörend. Es ist nicht klar, ob damit der Architekt sich als Demiurg versteht, der heimlich das Leben der Stadtbewohner choreographiert, oder ob er lediglich das städtische Publikum unterhalten möchte. Die Metapher der Stadt als Regiestück kann äußerst negative Assoziationen wecken. Die Nationalsozialisten nutzten das Konzept mit großer Konsequenz. Mit den Feiern der Nazis in Berlin – die Maifeiern der Jahre 1933–1936, die Olympiade 1936, die »700-Jahr-Feier der Reichshauptstadt« und der Staatsbesuch Benito Mussolinis 1937 – entstand eine neuartige theatrale Praxis, in der der Stadtraum als politischer, medialer und ästhetischer Raum gezielt als Kulisse des massenwirksamen Spektakels eingesetzt wurde. Rudolf Wolters, rechte Hand Albert Speers und später Leiter des Arbeitsstabs für den Wiederaufbau zerstörter Städte, sagte, ein Gang durch die Reichskanzlei von Albert Speer, sei, wie einem »gigantischen Theaterstück« zuzusehen.47 Die Verbindung des eigenen Lebens mit einem Schauspiel kann die verstörende Vorstellung eines Regisseurs evozieren, der anderer Leute Leben wie in einem Film arrangiert, wie im Film The Truman Show (1998). Gedreht wurde der Film in Seaside, der in den 1980er Jahren errichteten ersten new town von Andres Duany und Elizabeth Plater-Zyberk, die mit ihrem new urbanism Sittes Prinzipien und Aristoteles’ Auffassung der polis auf zweifelhafte Weise für sich interpretierten. Es 45 | Rossi 1973, S. 13. 46 | Cullen 1991, S. 7, 15. 47 | Taylor 1974, S. 134.

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sei in diesem Zusammenhang an Celebration erinnert, die von Disney Corporation errichtete Stadt, in der der Unterhaltungskonzern das Leben von 20.000 ausgewählten Bewohnern inszeniert. In einem aus einem Guss gefertigten Setting, das an eine Kleinstadt aus dem 19. Jahrhundert erinnert, proben diese die heile Welt und nehmen dafür in Kauf, dass mit den sozialen Problemen auch die politische Debatte und ihre persönliche Entscheidungsfreiheit aus dem »Stadtgebiet« verbannt sind.48 Das Motiv Main Street, U.S.A. ist das Zentrum der Disneyparks; erfolgreich in den 50ern, als die weiße Mittelschicht aus den Städten in Suburbs zog. Heute kennen viele keine echten main streets mehr, d.h. sie kennen nur das Bild, das ihnen Disney in den Parks vermittelt.49 So verkauft Disney mit Celebration seinen Kunden die Kopie einer Kopie – einen bewohnbar gewordenen Abzug des in seinen Themenparks geschaffenen Idealbildes. Erlebniswelten wie Shopping Malls und Urban Entertainment Centers inszenieren für ihre Kunden einen urbanen Alltag. Egal ob in der Innen- oder Vorstadt angesiedelt, so Anette Baldauf, »die streng choreographierten Unterhaltungszonen werden mit ästhetischen Verweisen auf Plätze, Promenaden und Märkte sowie konzeptionellen urbanen Konzepten wie Dichte und Vielfalt versehen. UCEs [Urban Entertainment Centers] strapazieren ein innerstädtisches Zeichensystem. […] Gleichzeitig befriedigen sie Ängste vor dem unbekannten Anderen mit einem ausgefeilten Überwachungs- und Kontrollsystem.«50 Der Erfinder der Shopping Mall Victor Gruen (Eröffnung der ersten gedeckten Mall 1956 in Edina, Minnesota) hatte seinerzeit gedacht, in der Mall mit dem Kommerz soziale und kulturelle Aktivitäten verbinden zu können und sie damit zu einem neuen Ort des öffentlichen Lebens zu machen, einem autofreien Ort – alles unter einem Dach als Ersatz für die fehlenden Stadtzentren in den amerikanischen Vorstädten.51 Schon bald sah Gruen das Scheitern seiner Idee ein und forderte stattdessen mehr Fußgängerzonen in den historischen Stadtkernen. Tatsächlich bewegen sich in den vergangenen Jahren die Einkaufszentren in diese Richtung. Derzeit entstehen in Deutschland großvolumige Malls nicht auf der grünen Wiese, sondern in den Innenstädten. In den USA haben die neueren Einkaufswelten sogar kein gemeinsames Dach mehr. The Grove, 2002 in Los Angeles eröffnet, imitiert ein kleines Stadtzentrum. Gebäude in historisierenden Stilen gruppieren sich um einige Plätze und Straßen, die von einer nostalgischen Straßenbahn durchquert werden. Der Übergang von öffentlichen auf privaten Boden kann von den Besuchern kaum nachvollzogen werden. In den nur scheinbar öffentlichen Räumen kann der Hausherr entscheiden, welche Personen oder Aktivitäten dort erwünscht sind, und welche nicht. Problematisch wird es, wenn sich immer größere Teile des (öffentlichen) Lebens in Shopping Malls verlagern, wie 48 | 49 | 50 | 51 |

Vgl. Frantz/Collins 2000. Vgl. Roost 2003, S. 54. Baldauf 2003, S. 35f.; folgende Zitate ebd. Vgl. Gruen/Smith 1960.

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das in den USA schon lange der Fall ist. In Deutschland hat etwa die Stadt Leverkusen 2010 ihr Rathaus aufgegeben und wurde stattdessen zum Ankermieter eines Einkaufszentrums. Hier gibt die öffentliche Hand die Kontrolle über ihre wichtigsten Einrichtungen an private Investoren ab. Der deutsche Stadtplaner Thomas Sieverts plädierte dafür, die Bespielung öffentlicher Räume nicht dem Kommerz zu überlassen. Da die Urbanität in den großen städtischen Agglomerationen verloren gegangen sei und nur noch als Mythos existiere, müsse deren Herstellung aktiv von politischer Seite verfolgt werden. »Vielleicht muß es neben dem Theaterintendanten auch den Stadtintendanten geben, der die öffentlichen Räume der Stadt bespielt?«52 Er warnte gleichzeitig davor, dass es darüber nicht zu einer »Festivalisierung« der Politik kommen dürfe. Die österreichische Regierung scheint diesen Gedanken etwas zu direkt verstanden zu haben, als sie anlässlich des Staatsvertragsjubiläums 2005 den öffentlichen Raum als Kulisse für inszenierte »Geschichte zum Angreifen« nutzte. Theaterindendanten sollten die Ereignisse des Jahres 1945 als Eins-zu-Eins-Inszenierungen im öffentlichen Raum dramatisch aufbereiten: Ton-Licht-Installationen simulierten die Bombennächte, Patrouillen der Besatzungsmächte wurden von Schauspielern nachgestellt und Kartoffelfelder sollten auf dem Heldenplatz angelegt werden – als eine selektiv inszenierte, wiedererlebte kollektive Erinnerung. Das Projekt stieß allerdings auf weniger Resonanz als erhofft. Kommerzielle Inszenierungen scheinen die professionelleren zu sein und vorerst die Oberhand gewonnen zu haben.

Illusion Eine wesentliche Erscheinung des Theaters ist die Illusion, der sich das Publikum hingeben kann bis zum Rausch. Camillo Sitte hatte schon 100 Jahre vor Koolhaas die Kulissenarchitektur geadelt. In einer Rezension der Bauten der Internationalen Musik- und Theaterausstellung von 1892 im Wiener Prater begeisterte er sich für das 1:1-Modell eines Wiener Stadtplatzes. Der Hohe Markt war dafür vom Architekten Oskar Marmorek und dem Bühnenmaler Gilbert Lehner nach einer Vogelschau Wiens von Jakob Hoefnagel aus 1683 (die allerdings nur eine Hälfte des Platzes zeigte) nachgebildet worden (Abb. 6.10). Das kommerziell höchst erfolgreiche Ensemble kombinierte gemalte Perspektiven und verputzte und bemalte Holzbauten; es wurde von Wiener Geschäften und Lokalen bespielt, die Personal in historischen Kostümen einsetzten. Sitte schlug vor, mittels solcher Ausstellungsbauten die Wirkungen von Stadträumen zu testen, und damit wirtschaftlich rentable Volksbelustigung mit städtebaulicher Forschung zu verbinden: »Nach Zweck und Ausführung eine plastische Theaterdekoration ersten Ranges, in welcher das Publikum gleichsam selbst mitzuspielen berufen ist, dient dieses Schaustück doch zugleich anderen ernsteren Fragen 52 | Sieverts 1997, S. 37.

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Abbildung 6.10: Altstadt als Kulisse im Vergnügungspark. »Alt-Wien« auf der »Internationalen Musik- und Theaterausstellung« 1892 im Wiener Prater. Im Vordergrund die rekonstruierten Häuserzeilen des Hohen Markts, im Hintergrund die Rotunde der Weltausstellung. Kolorierte Photographie 1892. (Wien Museum)

des Bauwesens.«53 Solche ephemeren Bauten waren im 19. Jahrhundert äußerst beliebt. In Hochschaubahnen, auf Kostümbällen oder eben in bespielten Kulissen konnte man sich in ferne Zeiten oder an fremde Orte, nach Afrika, auf den Mond etc. versetzen. Marmoreks bekanntestes Werk war Venedig in Wien, ein populärer Vergnügungsort im Wiener Prater, für den er 1895 ein Ensemble aus verkleinerten Kopien venezianischer Bauwerke kreierte, das von echten Kanälen durchzogen war.54 Auch an Sittes städtebaulichen Projekten kann man die Wertschätzung ablesen, die er der Illusion entgegenbrachte. Für die Ringstrasse choreographierte er, wie bereits erläutert, eine Abfolge gefasster (Platz-)Räume, die jeweils ein öffentliches Bauwerk in Szene setzen. Das neogotische Rathaus beispielsweise wollte Sitte in der atmosphärischen Kulisse eines mittelalterlichen Markts inszenieren und zu diesem Zweck den davor liegenden Platz stark verkleinern und mit niedrigen Arkaden baulich rahmen. Diese Architekturkulisse dachte er sich thematisch bespielt und träumte davon, »wie colossal diese grosse, mächtige Façade, diese mächtigen Pfeiler, diese Thürme wirken würden. Das Ganze erfüllt von einer erdrückenden Menge, Goldschmieden, Juwelieren, Bazars, gleichwie im Palais Royal in Paris, der Hof mit Menschen erfüllt und von den Klängen heiterer Musik, vom Lärm der 53 | Sitte, »Bauwerke der Ausstellung«, 1892, CSG 2, S. 375. Vgl. Storch 2004. In Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen schlägt Sitte übrigens vor, sein Projekt für den Platz vor der Votivkirche als 1:1-Modell zu bauen. (S. 178) 54 | Vgl. Kristan 1996; Robey/Schönwald 1996.

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Feste und zu nächtlicher Stunde von den weissen Strahlen der Mondesscheibe beleuchtet – eine packende Wirkung!«55 Die Architektur wirkt in dieser Vorstellung mit den Bewohnerinnen und Bewohnern und sogar dem Wetter zusammen und kann als Schauspiel wahrgenommen werden, in diesem speziellen Fall womöglich sogar als Musiktheater. (Sitte empfahl in einem anderen Text zum selben Projekt die Errichtung zweier Musikpavillons, um eine regelmäßige Platz-Musik zu betreiben.)56 Natürlich stellt sich auch hier die Frage des Publikums. Sind die Bewohner Schauspieler und Publikum zugleich, oder gibt es externe Betrachter, die sich Sittes Illusion vom Mittelalter hingeben? Die Bühnen-Metapher lässt an sich beide Interpretationen zu, doch wer könnten diese Betrachter sein – Regenten, Kunstliebhaber oder Touristen? Der von Sitte so geschätzte Richard Wagner brachte in seinen Opern Musik und illusionistische Räume zur Synthese. Eigentlich schwebte Wagner eine temporäre Architektur vor, die nach dem Festspiel wieder abgerissen werden sollte. Die Architektur sollte sich ganz zurücknehmen, ja improvisiert und volkstümlich wirken, alles konzentrierte sich auf das Bühnengeschehen. Neu waren der völlig abgedunkelte Zuschauersaal und das versenkte Orchester in seinem »mystischen Abgrund«, wodurch die ganze Aufmerksamkeit auf die Bühne mit ihren Kulissen und Lichteffekten gelenkt wurde. Die Wirkung dieser optischen und akustischen Illusionen auf das Publikum war seinerzeit, vor der Einführung des Kinos, überwältigend. Das Verbergen und Verklären von Herstellungsprozessen zur Steigerung der künstlichen Wirkung hat über Wagners Opern hinaus Bedeutung. Unterschiedliche Positionen gibt es dazu, ob durch diese Illusion die Augen für das Wahre, die innere Wirklichkeit geöffnet werden können. Das Theater zielt ja nicht nur auf Vergnügen und Unterhaltung, sondern soll zu einem Erkenntnisgewinn führen. Theodor W. Adorno warf der Illusionsmaschinerie Wagners Manipulation vor und prägte in seiner Beschreibung von Wagners »mystischem Abgrund« das berühmte Wort von der »Verdeckung der Produktion durch die Erscheinung des Produkts«.57 Das von Bertolt Brecht entwickelte epische Theater verwarf die Illusionsbühne und die Scheinrealität. Brecht wollte die großen gesellschaftlichen Konflikte wie Kriege, Ökonomie und Revolutionen durchschaubar machen und die Zuschauer dazu bewegen, die Gesellschaft zum Besseren zu verändern. Camillo Sitte war ein begeisterter »Wagnerianer« und besuchte vermutlich die Festspiele in Bayreuth. In der bereits erwähnten Internationalen Musik- und Theaterausstellung hatte der von Sitte hoch geschätzte, ansonsten eher unbekannte Landschaftsmaler und Bühnenbildner Joseph Hoffmann (der im Kapitel über die Betrachter der Stadt als Kunstwerk noch eine Rolle spielen wird) einen Pavillon errichtet. Dafür hatte Hoffmann ein für den Ring des Nibelungen entworfenes 55 | Sitte, »Über alte und neue Städteanlagen«, 1889, CSG 2, S. 270. 56 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 167. 57 | Adorno 1998, S. 82.

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Bühnenbild in ein begehbares Modell umgewandelt. Sitte lobte das abstruse Werk als »Stimmungsarchitektur«, obwohl er gleichzeitig feststellte, dass das Bauwerk nichts mit den aktuellen archäologischen Erkenntnissen über germanische Bauweisen zu tun habe.58 Die zu Sittes Lebzeiten auf den Fundamenten einer älteren Ruine errichtete pseudo-mittelalterliche Burg Kreuzenstein bei Wien trieb den Gedanken noch etwas weiter. Das Museum für mittelalterliche Kunst gab vor, selbst mittelalterlich zu sein. Sitte fühlte sich an Parzival erinnert, einen mittelalterlichen Versroman, der von Richard Wagner für die Bühne adaptiert wurde.59 Kunstwerke in dazu passenden Stimmungsräumen zu präsentieren, ist indes ein museologisches Konzept, das um 1800 im revolutionären Paris entwickelt wurde, um aus den zerstörten Kirchen gerettete Kunstwerke in einem zu ihnen passenden Rahmen zu präsentieren. Auch das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg, das Zürcher Schweizerische Landesmuseum und das Nationalmuseum in Helsinki reinszenierten identitätsbildende Epochen, wobei sie mitunter Spolien aus Abbruchhäusern integrierten. Ludwig Hoffmann entwickelte das Konzept im Märkischen Museum in Berlin (1896–1908) noch weiter. Ein Konglomerat unterschiedlicher Gebäudeteile bezieht sich auf historische Vorbilder aus der Mark Brandenburg und stellt so verschiedene historische Situationen nach, von der gotischen Kapelle zur RenaissanceWohnstube. Diese Stimmungsräume sollten ein umfassendes kulturhistorisches Bildungserlebnis bieten, wobei man in Kauf nahm, dass der museale Charakter der Exponate für Laien kaum erkennbar war. Sitte schätzte solche architektonische Inszenierung, für die das gesamte illusionistische Repertoire ausgenutzt wurde. Die »Stimmungsarchitektur« wirke, so Sitte, durch Assoziationen: »Hier spielen offenbar eine Menge von Ideenassociationen mit; […] das Gefühl des Behagens einer warmen holzgetäfelten Stube, des Geborgenseins vor Wind und Wetter draußen; die Erinnerung an frohe Landaufenthalte; die Verehrung der Werke unserer Väter. Das Mitwirken solcher Ideenassociation ist durchaus nichts Unkünstlerisches, sondern macht sogar einen sehr großen Vorrath der unentbehrlichen Hilfsmittel, besonders derjenigen Künste aus, die eben hauptsächlich Gefühlssache sind.«60 Sitte empfahl das »als ob« als künstlerische Strategie: So seien zwar die Städte nicht mehr über die Jahrhunderte gewachsen, doch solle der Stadtbaukünstler 58 | Sitte, »Bauwerke der Ausstellung«, 1892, CSG 2, S. 379. »Das Ganze ist eben als dekoratives Kunstwerk lediglich auf Stimmung berechnet, geradeso wie die Bühnendekoration selbst, welche diesem naturgroßen Modell zugrunde liegt. […] Irrig aufgefaßt wäre die Absicht daher auch, wenn man glauben würde, daß eine archäologische Rekonstruktion altgermanischer Holzbauten versucht wurde. Nicht um das handelt es sich hier, sondern um eine sozusagen musikalisch richtige Stimmung.« Hoffmann selbst nahm hingegen für sich in Anspruch, eine ernsthafte historische Rekonstruktion vorgenommen zu haben. Hoffmann 1892. 59 | Sitte, »Burg Kreuzenstein«, 1898, CSG 2, S. 477. 60 | Sitte, »Farbenharmonie«, 1900, CSG 5, S. 393.

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zumindest versuchen, den Lauf der Dinge am Plan täuschend ähnlich nachzuahmen, »genau so, als ob eine Jahrhunderte lange allmälige Entwicklung das wie von selbst zu Stande gebracht hätte. Was bei den alten Städten in Wirklichkeit naturgemäß gewachsen ist, das muß heute auf dem Papiere eben so wachsen.«61 Vielleicht könnte man Sitte dahingehend interpretieren, dass er für ein architektonisches Äquivalent zu Hans Vaihinger neo-kantianischer Philosophie des Als-Ob werben möchte, für eine Fiktion des »als ob«?62 Vaihinger ging in seinem 1876 bis 1878 entstandenen, erst 1911 veröffentlichten Werk davon aus, dass man über den Umweg des »als-ob«, über bewusst falsche Annahmen, oft Richtiges erreichen könne. Solche nützliche Fiktionen (darunter verstand er beispielsweise wissenschaftliche Erdichtungen zu praktischen Zwecken bzw. inadäquate, subjektive, bildliche Vorstellungsweisen) erhielten ihre Legitimation durch den lebenspraktischen Zweck, sie seien damit für viele Bereiche unentbehrlich. An anderer Stelle wendete sich Sitte gegen die Imitation gewachsener Stadtbilder. »Es ist nicht möglich, bei unseren neuen Stadtplänen so krummverzogene Gassen und Platzwinkel, wie etwa im alten Nürnberg, zur Anlage zu bringen. Es ist nicht möglich, uns selbst eine erlogene Geschichte und erlogene Naivetät zu geben, blos den alten Städtebildern zuliebe.«63 Seine Aussagen stehen in direktem Widerspruch. Wie kann die ambivalente Haltung Sittes zum »als ob« interpretiert werden? Es könnte hilfreich sein, sich in Erinnerung zu rufen, dass metaphorische Strukturierungen komplexer Konzepte notwendig partiell bleiben. Im Sinne der Bühnen-Metapher kann das »als ob« für die perfekte Illusion stehen und ist somit legitimes Ergebnis künstlerischer Bemühungen, Resultat einer gelungenen Inszenierung, ganz im Sinne von Sittes großem Vorbild Richard Wagner. Denkt man die Stadt dagegen in der Metapher des Gedächtnisses (dem das nächste Kapitel gewidmet ist), so liegt der gegenteilige Schluss nahe. Folgerichtig plädierte Sitte in diesem Kontext für Authentizität: In der Logik der Geschichts-Metapher entspräche das »als ob« einer Vorspiegelung falscher Tatsachen, Lüge oder Heuchelei.

61 | Sitte, »Neue Stadterweiterung«, 1891, CSG 2, S. 320. 62 | Vaihinger 1986. 63 | Sitte, »Über alte und neue Städteanlagen«, 1889, CSG 2, S. 267f.

Die Stadt als Gedächtnis Sitte schrieb, eine gewachsene Stadt sei »ein Stück Geschichte, wie ein alter Dom, dessen Mauern, Denksteine, Statuen und Bilder den Beschauer zurückversetzen in längst entschwundene Zeiten«.1 Bogdan Bogdanovic hat rund 100 Jahre später Städte »Depots angesammelter Erinnerung« genannt, die im Bürgerkrieg absichtsvoll zerstört worden seien.2 Das Erinnern oder eben Vergessen der Städte ist seit jeher Gegenstand von Verhandlungen – und sogar von gewalttätigen Konflikten. Wir finden neben verschiedenen Arten der Rekonstruktion von Vergangenheit, Geschichte oder Erinnerung auch die Amnesie und den Traum von der tabula rasa. Gegenwärtig zählt die Stadt als Gedächtnis zu den dominanten Metaphern im urbanistischen Diskurs. Die Stadt kann als Ansammlung von Denkmälern gesehen und als Museum interpretiert werden, das seine Besucher wahlweise belehrt oder unterhält. Wenn gar die gesamte Stadt ein großes Denkmal ist, so eröffnet das wiederum zahlreiche, nicht immer unproblematische Interpretationen. Die Stadt kann als Identitätsträger aufgefasst werden, sie kann eine Geschichte erzählen und damit zum Text werden. Die Architektur der Stadt als Sprache zu denken, eröffnet die Frage nach dem Autor bzw. Leser städtischer Texte und deren Handlungsmöglichkeiten. Wer schreibt wessen Geschichte in welcher Sprache? Die Metapher der Stadt als Gedächtnis wurde seit der Antike von verschiedenen Seiten her gespeist. Architekten, Soziologen, Historiker und Denkmalpfleger sehen die Stadt als Gedächtnis – und Philosophen, Psychologen und Neurologen imaginieren das Gedächtnis als Stadt. Beide Konzepte, sowohl die Stadt als auch das Gedächtnis, sind dabei ständig in Bewegung. Hier zeigt sich, wie unterschiedliche Fachdiskurse sich in der Überkreuzung durch Metaphern wechselseitig beeinflussen. Gewandelte Konzepte von Erinnerung und Geschichte sowie bahnbrechende Erkenntnisse der Neurowissenschaften haben die Gedächtnis-Metapher in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend verändert. Diese Neuerungen bahnen sich erst allmählich den Weg in die derzeit sehr aufgeheizte Debatte in der Architekturtheorie. 1 | Sitte, »Kunst des Städtebauens«, 1891, CSG 2, S. 313, 2 | Bogdanovic 1993, S. 42f.

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M ONUMENT Denkmal Die Stadt kann als Denkmal oder Monument (von lateinisch monere, »erinnern«) aufgefasst werden, dessen Aufgabe es ist, an bestimmte Werte zu erinnern, an für die Nation wichtige Ereignisse oder Personen, Riten, Religion, an Techniken, Kunst etc. Adolf Loos betonte den Erinnerungswert der Architektur: »Nur ein ganz kleiner Teil der Architektur gehört der Kunst an: das Grabmal und das Denkmal.«3 Sitte schrieb der ganzen Stadt die Qualitäten eines Denkmals zu, wie sie ein alter Dom habe.4 Vielleicht hat er dabei an Victor Hugo gedacht, der in seinem berühmten Roman schrieb: Große Bauwerke wie Notre-Dame seien eine »Art Naturerzeugnis. Jede Zeitwelle spült neues an; jede Generation häuft eine neue Schicht auf das werdende Denkmal, jeder einzelne Mensch trägt seinen Stein herbei. So machen es die Biber; so machen es die Bienen; so machen es auch die Menschen. Babel, das große Sinnbild der Baukunst, ist ein Bienenstock. Die Großen Gebäude sind gleich den großen Gebirgen ein Werk der Jahrhunderte. […] Die Zeit ist der Baumeister, das Volk ist der Maurer.«5 Sitte hatte im Laufe seines Lebens mitangesehen, wie sich die Bevölkerung seiner Heimatstadt Wien vervierfachte. Großprojekte wie die Schleifung der Festungsanlagen und der Bau der Ringstraße veränderten das Lebensumfeld dramatisch, es blieb buchstäblich kein Stein auf dem anderen. Große Teile der mittelalterlichen und barocken Bebauung im Stadtzentrum waren Neubauten gewichen, die Stadtbefestigung gefallen, zahlreiche Straßen erweitert und begradigt worden. Sitte formulierte dieses Gefühl: »Man muß selbst ein alter Wiener geworden sein, um Neu-Wien aus der Wurzel von Alt-Wien heraus richtig verstehen zu können. Was hat sich alles verändert in der kurzen Spanne Zeit von 1851 bis 1891! Die gewaltige Umwälzung ist so riesig, so plötzlich über uns gekommen, sozusagen über Nacht.«6 Die meisten Beobachter feierten die Modernisierungen und den damit einhergehenden Fortschritt und Komfort enthusiastisch, doch mehrten sich die Stimmen, die Verluste betrauerten. Wie bereits beschrieben wurden alte Bauten wie verstorbene Freunde betrauert oder bedrohten Tierarten gleichgesetzt. Es wuchs das Bewusstsein, dass nichts wieder so sein würde wie vorher. (Abb. 7.1) Wenn Sitte 1891 die Stadt als Denkmal bezeichnete, so war das noch kein Allgemeinplatz. Es gab damals in Österreich noch keine institutionalisierte Denkmalpflege. Einzelne Bestrebungen konzentrierten sich auf den Erhalt ausgewählter Monumente wie Kirchen oder Schlösser, normale Wohnbebauung oder gar ganze Straßenzüge wurden noch nicht als schützenswert betrachtet. Die Idee, dass 3| 4| 5| 6|

Loos, »Architektur«, 2010, S. 402. Sitte, »Kunst des Städtebauens«, 1891, CSG 2, S. 313. Hugo 2001, S. 155f. Sitte, »Neu-Wien«, 1891, CSG 2, S. 356.

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Abbildung 7.1: Monumente und andere Bauten. Demolierung der Häusergruppe am Dom zwischen Graben und Stefansplatz in Wien, Photographie von Oscar Kramer, 1866. (Wien Museum)

alte, monumentale Bauwerke es wert sind, erhalten zu werden, selbst wenn sie ihre Funktion verloren haben, wurde in der Renaissance geboren. Der italienische Maler Raffael schrieb 1520 einen Brief an Papst Leo X., dass man die Ruinen des römischen Imperiums bewahren solle. Bis dahin waren die riesigen Ruinen in der geschrumpften Stadt Rom als Steinbrüche genutzt worden. Spolien aus Rom zierten in ganz Europa Kirchen und Paläste. Erst die steigende Aufmerksamkeit für die antike Kunst beendete diese Praxis. Rom wurde zum Ziel von Forschern und Künstlern, die die antiken Monumente studierten, um sich verlorenes Wissen über Ornament, Proportion und Konstruktion anzueignen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden auch prominente Bauwerke anderer Epochen zum Gegenstand des Interesses. Der französische Architekt Eugène-Emmanuel Viollet-le-Duc studierte ab der Jahrhundertmitte die Schönheit gotischer Kathedralen und initiierte die Katalogisierung mittelalterlicher Kunstschätze in Frankreich.

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Camillo Sitte begann, sich nicht nur für Monumentalbauten zu interessieren, sondern für bürgerliche Wohnbauten, malerische Plätze und enge Gässchen. Er fand die Schönheit im unregelmäßigen Straßenmuster und betonte das durch seinen Vergleich einer Stadt mit anerkannten Denkmalen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildete sich in der Habsburgermonarchie eine Denkmalschutzbewegung heraus, die gefährdete Baudenkmäler zuerst einmal dokumentieren wollte, sich aber zunehmend entschiedener für deren Erhalt einsetzte. In einem berühmten Aufsatz grenzte 1903 Sittes Zeitgenosse, der Wiener Kunsthistoriker Alois Riegl das Baudenkmal vom Denkmal ab: Das Denkmal sei etwas gewolltes, ein Baudenkmal werde erst a posteriori zum Denkmal.7 Riegl, der erste Generalkonservator der k.k. Monarchie, systematisierte verschiedene Werte, die ein Denkmal ausmachten. Denkmäler haben einerseits einen historisch-dokumentarischen Wert, sie stehen mit ihrer Substanz als Urkunden für historische Ereignisse, Bautechniken etc. Zusätzlich dazu vermittle der Alterswert, als Spuren des Verfalls für jeden Menschen unmittelbar erlebbar, das Vergehen der Zeit. Baudenkmäler wurden zunehmend im Kontrast zur Moderne inszeniert, als Verkörperungen der verlorenen Welt der vergangenen Tage. Willibald Sauerländer kritisierte 1975 die moderne Auffassung von Denkmälern, die als Urkunden für die Nachkommen »sozusagen archiviert« werden, als zu eng: »Vergangenheit aber können wir nicht nur schützen und bewahren, sie muss fortgelebt werden, sonst verkrustet sie zum musealen Fragment in einer amorphen Umgebung.«8

Museum Man begann, die alten Stadtkerne als seltene, empfindliche Objekte zu betrachten, die wie Kunstwerke im Museum aus dem Kreis des Lebens herausgenommen werden mussten (Abb. 7.2). Françoise Choay macht die Grenzen der Metapher deutlich, wenn sie schreibt, dass man einem Museumsobjekt Altstadt eben keine Glasglocke überstülpen könne.9 In dieser Hinsicht ist der Terminus »Musealisierung« negativ belegt und steht für herausgeputzte Innenstädte, die nur noch für Touristen interessant sind, aber im Leben der Bevölkerung keine bedeutende Rolle mehr spielen. Die Traditionen sind abgebrochen, es existiert keine vitale Verbindung mehr zur Gegenwart. Egon Fridell warnte 1912 davor, »diese Stadt mit dem Begriff ›alte Kultur‹ zu assoziieren und sich vorzustellen, sie bilde in unserer Welt eine Enklave jener versunkenen Lebensschönheit, nach der so viele Menschen sich zurücksehnen«. Die alten Kulturen seien groß geworden, eben »weil sie aus der unmittelbaren Gegenwart des Tages entstanden waren. Heute sind sie tot und gehören bestenfalls ins Museum.«10 7 | Riegl 1988, S. 43–45. 8 | Sauerländer 1975, S. 122, 129. 9 | Choay 1997, S. 143f. 10 | Friedell 1912, S. 258f.

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Abbildung 7.2: Die Stadt als zerbrechliches Objekt in den schützenden Händen ihres Stadtpatrons St. Geminianus. Altarbild von Taddeo di Bartolo, spätes 14. Jahrhundert (Musei Civici, San Gimignano)

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Die Stadt, die einem Kunstgegenstand gleichgesetzt und mit einem Museumsstück verglichen wird, ist nicht zu verwechseln mit einer Museumsstadt, in der viele Kunstwerke versammelt sind. Der Legende nach hat Napoleon I. erwogen, ganz Paris in eine ville-musée zu verwandeln. Dabei sollte die Stadt gewissermaßen zu einer bewohnbaren Ausstellung werden, zu einer Stadt ständiger Mahnungen, die die Bewohner und Besucher erbauen sollten. Der Kern der Unterweisung sollte eine Art historisches Panorama, nicht nur von der Größe und Beständigkeit der französischen Nation, sondern auch von vergleichbaren Beiträgen Europas sein.11 Sueton schilderte in seinen Kaiserbiographien, wie viele Denkmäler Kaiser Augustus in seiner Stadt hinterlassen und Rom so von einer Lehmziegelstadt zu einer marmornen gemacht habe: »Öffentliche Bauten errichtete er in großer Zahl. […] Den Marstempel hatte er in dem zur Rache für seinen Vater unternommenen Krieg bei Philippi gelobt. […] Den Tempel des Jupiter Tonans weihte er nach Befreiung aus Gefahr. […] Auch animierte er andere führende Persönlichkeiten immer wieder, die Stadt nach Maßgabe ihrer Kräfte durch Neubau, Wiederherstellung und Verschönerung von Bauwerken zu zieren. Viele Gebäude sind damals von vielen gebaut worden […].«12 In diesem Sinne wird die Museums-Metapher heute häufig für Rom verwendet. (Abb. 7.3) Sitte verglich die Stadt Wien mehrmals mit einem Museum, und zwar durchaus im positiven Sinne als Ort, an dem Touristen die Schönheiten der Stadt bewundern könnten.13 (Abb. 7.4) Und sein Sohn Heinrich, Archäologe, fragte ganz unverblümt: »Soll […] Wien aufhören, ein Museum zu sein?«14 Für Sitte kam Monumenten eine wichtige Funktion im öffentlichen Raum zu. Er interpretierte den Stadtkern als Verdichtung von Zeichen: »Die Burg des Fürsten, Paläste, grosse Monumente hervorragender Staatsmänner und historischer Erinnerungszeichen fanden sich hier nebeneinander gereiht.«15 Die Akropolis in Athen sei »die zu Stein gewordene Mythe des hellenischen Volkes« und »die Versinnlichung der Weltanschauung eines grossen Volkes«.16 Sitte steht ganz in der Tradition von Quatremère de Quincy, der 1803 die Pyramiden als Bewahrer von Gebräuchen, Errungenschaften, Ruhm, Philosophie und Politik und des Nationalgefühls bezeichnet hatte.17 Monumente machen den Stadtraum zum Bedeutungsträger, der nationale Geschichte, bürgerliche Werte und patriotische Gefühle transportiert. 11 | Vgl. Rowe/Koetter 1984, S. 185. Für den Plan Napoleons nennen die Autoren allerdings keine Quelle. 12 | Sueton 1993, Kap. 28–30; vgl. auch Behrwald 2009. 13 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 130; ders., »Stadterweiterung und Fremdenverkehr«, 1891, CSG 2. 14 | Sitte, Heinrich, 1910, S. 29. 15 | Sitte, »Über alte und neue Städteanlagen«, 1889, CSG 2, S. 252. 16 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 11. 17 | Quatremère de Quincy 1803, S. 59.

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Abbildung 7.3: Museumsstadt. Giovanni Paolo Pannini präsentierte »Roma Antica« (1754/57) und das zeitgenössische Rom (1759) mittels Vedouten in fiktiven Gemäldegalerien. (Staatsgalerie Stuttgart, Inv. Nr. 3315 bzw. Museum of Fine Arts, Boston)

Sittes Äußerungen könnten als Vorläufer semiotischer Theorien gedeutet werden. Roland Barthes hat das wie folgt herausgearbeitet, wobei er ähnliche Worte findet wie Sitte 100 Jahre zuvor: »In Übereinstimmung mit der Grundströmung westlicher Metaphysik, für die das Zentrum der Ort der Wahrheit ist, sind darüber hinaus jedoch die Zentren unserer Städte durch Fülle gekennzeichnet: an diesen ausgezeichneten

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Abbildung 7.4: Wien als Museum für Touristen. Sehenswürdigkeiten und touristische Infrastruktur sind eingezeichnet. »Monumental-Plan der Haupt- und Residenzstadt Wien« von Ladislaus Eugen Petrovits, 1887. (Petrovits 1887)

Orten sammeln und verdichten sich sämtliche Werte der Zivilisation: die Spiritualität (mit den Kirchen), die Macht (mit den Büros), das Geld (mit den Banken), die Ware (mit den Kaufhäusern), die Sprache (mit den Agoren: den Cafés und Promenaden).«18

Monumentalität Die Architektin Gerdy Troost, NSDAP-Mitglied der ersten Stunde, plädierte für Monumentalität und bezog sich dabei auf Hitlers Ausspruch, Architektur sei das »Wort aus Stein«: »Seit den frühen Deutschen Domen entstehen erstmals wieder Gemeinschaftsbauten, die völlig von jeder Zweckbestimmung des Alltags losgelöst sind, Selbstdarstellung der ureigensten Kulturkräfte eines erwachten, rassebewussten Volkes, Stein gewordene Verkörperung eines Glaubens. In diesen Bauten formt der Führer das Ebenbild der edelsten Wesenszüge der deutschen Gemeinschaft. In ihnen wird die Baukunst zum neuen Erzieher eines neuen Volkes.«19 Adolf Hitler betonte, »dass er baue, um seine Zeit und ihren Geist der Nachwelt zu überliefern. Letztlich würden an die großen Epochen der Geschichte doch nur noch deren monumentale Bauwerke erinnern,« berichtete Albert Speer.20 Hitler bezog sich damit auf klassische Autoren, denen zufolge eine Stadt daran ge18 | Barthes 1981, S. 47. 19 | Troost 1938, S. 10, 12; vgl. Dörhöfer 2004, S. 146ff. 20 | Speer 1993, S. 68.

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messen werden sollte, welche Ruinen sie einst zurücklasse. So sagte Thucydides voraus: »Man setze den Fall, die Stadt Lakedämon [Sparta] verödete und nur die Tempel und die Stadtfundamente blieben stehen; so würde, glaube ich, in ferner Zukunft kein Mensch für möglich halten, dass die Stadt so mächtig gewesen sei. […] Wenn Athen dagegen jenem Schicksal verfiele, würde man es nach seinem äußeren Anblick für doppelt so mächtig halten als es ist, weil der Anblick der Stadt so großartig ist.«21 Der Ruhm des perikleischen Athen als Paradigma und Wiege der westlichen Philosophie, des Dramas, der Plastik und der Architektur gründet sich auf den Ruinen der Akropolis. Ruinen sind, metaphorisch gesprochen, »tote Gebäude«, die ihre Funktion verloren haben, die Verbindung zum Leben der Menschen, ihre Integrität und Stabilität. Ruinen können gleichermaßen das Thema der Vergänglichkeit illustrieren wie das der Dauer. Ruinen sind es, die die Zeiten überdauern, wenn alle anderen Zeichen einer vergangenen Zivilisation ausgelöscht sind. Speer entwickelte aus dieser Beobachtung eine ganze Architekturtheorie. Hitler paraphrasierend fragte Speer weiter: »Was sei denn von den Imperatoren des römischen Weltreiches geblieben? Was würde für sie heute noch zeugen, wenn nicht ihre Bauten? In der Geschichte eines Volkes gebe es immer wieder Schwächeperioden; dann aber würden die Bauwerke von der einstigen Macht zu sprechen beginnen. Natürlich sei ein neues Nationalbewusstsein nicht dadurch allein zu erwecken. Aber wenn nach einer langen Periode des Niedergangs der Sinn für nationale Größe erneut entzündet würde, dann seien jene Denkmäler der Vorfahren die eindrücklichsten Mahner. So würden es heute die Bauten des römischen Imperiums Mussolini ermöglichen, an den heroischen Geist Roms anzuknüpfen, wenn er seine Ideen eines modernen Imperiums seinem Volk populär machen wolle. Auch einem Deutschland der kommenden Jahrhunderte müssten unsere Bauwerke ins Gewissen reden.«22 Speer entwickelte daraus die Theorie vom Ruinenwert, dem zufolge Monumentalbauten nicht aus Stahlbeton, sondern aus Stein errichtet und statisch so konzipiert sein sollten, dass sie nach Verfall des Reiches eindrucksvolle Ruinen abgäben. Die faschistischen Interpretationen hatten das Konzept der Monumentalität nachhaltig diskreditiert. Von vielen Protagonisten der Moderne wurde sie grundsätzlich abgelehnt. Monumentalität wurde mit totalitären Systemen verknüpft, eine demokratische Gesellschaft, deren Gesellschaft dynamischen Charakter habe, habe kein Verlangen nach Monumenten.23 Zudem hatten die westlichen Regierungen nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr so starkes Interesse an Architektur als Propagandamittel, sondern verfolgten ihre Ziele zunehmend über die neuen Massenmedien. Doch wurde auch von Protagonisten der Moderne ein Bedürfnis nach Monumentalität formuliert. Bereits 1943 organisierte Giedion gemeinsam mit Louis Kahn, Josep Lluís Sert und anderen eine Konferenz über eine neue 21 | Thucydides 1957, I 10, S. 10. 22 | Speer 1993, S. 68f. 23 | Behrendt 1938, S. 182.

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(demokratische) Monumentalität. Giedion legte, ebenfalls 1943, zusammen mit Fernand Lèger und Joseph Lluís Sert Nine Points on Architecture vor, in denen die Wichtigkeit von Monumenten betont wird: »Das Volk wünscht, dass die Bauten, die sein soziales und gemeinschaftliches Leben ausdrücken, mehr als funktionale Erfüllung bieten.«24

G EDÄCHTNIS Gedächtnis Seit der Antike haben Philosophen und Psychologen Architektur oder Städte als Metaphern verwendet, um kognitive Aspekte des Gedächtnisses zu beschreiben. Für Cicero war Raum ein wichtiger Faktor, da Erinnerungen den Orten innewohnten: »Groß ist die Kraft der Erinnerung, die den Orten innewohnt.«25 Dieser Satz kann in zwei Richtungen gelesen werden: Verbindet eine Person ihre Erinnerung mit Orten oder erinnert der Ort selbst? Cicero leitete von diesem doppelsinnigen Bild seine Mnemotechnik ab. Er empfahl, sich die wichtigsten Elemente einer Rede als Gegenstände vorzustellen, die man in einer Abfolge städtischer Räume platziert. Seither haben Generationen von Rhetorikern die Stadt Rom im Geiste durchwandert, Objekte zwischen den antiken Monumenten verteilend und in der gleichen Reihenfolge wieder einsammelnd. Melchiorre Sessa illustrierte in seiner Ausgabe von Johann Host von Romberchs Congestorium artificiosae memoriae (1533) ein solches der Gedächtniskunst dienendes Stadtschema. (Abb. 7.5) Die Verbreitung immer neuer Medien zur Speicherung von Erinnerungen ließ die Bedeutung des Memorierens zunehmend schwinden. Im Laufe der Zeit hat sich damit das Konzept von Gedächtnis mehrfach entscheidend gewandelt. Die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assman betont in ihrem Buch Erinnerungsräume (1999), dass das Gedächtnis – wie die Stadt – generell in Metaphern gedacht wird. Die Art und Weise, wie man den Akt des Erinnerns imaginiere, folge üblicherweise der dominanten Technik der Informationsspeicherung, wie Schrift, Druck oder Photographie.26 Mit der Photographie korreliert etwa die Vorstellung, ein Bild habe sich ins Gedächtnis »eingebrannt«, als sei statt der Netzhaut ein Film belichtet worden. Assman unterscheidet zwei Arten von Gedächtnis: das Funktionsgedächtnis sei selektiv, es enthalte nur einen kleinen Teil aller theoretisch möglichen Erinnerungen, so dass eine bedeutungsvolle Geschichte konstruiert werde. Das Funktionsgedächtnis sei immer mit einer Gruppe und deren Werten verbunden und zukunftsorientiert. Im Gegensatz dazu habe das Speichergedächtnis (unter welches Assmann 24 | Zit. in Frampton 1995, S. 191. 25 | Cicero 1960, V, 1–2, S. 396. 26 | Assmann 1999, S. 149.

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Abbildung 7.5: Stadt im Dienste der Mnemotechnik. Links die Ansicht eines Klosters mit der sie umgebenden Stadt, rechts ein Reihe von Objekten, die gedanklich in Aula, Bibliothek und Kapelle des Klosters abgestellt werden sollten. Melchiorre Sessa, 1533. (Romberch 1533)

die Geschichtsschreibung subsumiert) keine vitale Verbindung zur Gegenwart. Information werde gesammelt als eine Art Reservoir für Funktionsgedächtnisse der Zukunft. Assmanns Speichergedächtnis setzt die Existenz eines außerhalb des Körpers liegenden Speichermediums voraus. In oralen Kulturen kann es demzufolge kein Speichergedächtnis geben, da das Erinnern so aufwändig ist. Doch mit der Kulturtechnik des Schreibens wurde es möglich, mehr Erinnerungen zu speichern, als eine Person memorieren kann. Assmann hat am Beispiel der bundesdeutschen Hauptstädte Bonn und Berlin die Bedeutung von Architektur als ein solches externes Speichermedium untersucht.27

Erinnern Ruskin formulierte 1849: »We may live without her [Architektur], and worship without her, but we cannot remember without her.«28 In der Architektur überlieferten sich nicht nur die Gedanken und Gefühle der Väter, sondern die Arbeit ihrer Hände. Ruskin leitete aus der Gedächtnis-Metapher eine Verpflichtung gegenüber vergangenen und kommenden Generationen ab. Einerseits müsse man das Gedächtnis an 27 | Bonn charakterisiert sie dabei als musealisiertes Provisorium und Berlin als Palimpsest. Assmann 2007, S. 96ff. 28 | Ruskin 1989, Kap. VI, §II, S. 186.

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die Väter bewahren, habe also kein Recht, deren Bauwerke zu verändern. »We have no right whatever to touch them. They are not ours.«29 Der Soziologe Maurice Halbwachs formulierte 1925 den Gedanken, dass die geteilten Erinnerungen einer Gemeinschaft sich zu einem kollektiven Gedächtnis akkumulieren. Dieses kollektive Gedächtnis sei über Riten, Gebräuche und Traditionen mit der baulichen Umgebung dieser Gemeinschaft verbunden. Halbwachs ging allerdings nicht soweit zu behaupten, dass die städtischen Räume selbst die Gedächtnisfunktion übernähmen.30 Rossi entwickelte daraus in 1966 in selektiver Lesart die Idee, dass das kollektive Gedächtnis analog der Erinnerung einer Person funktioniere, und er übertrug die Erinnerungsfunktion gleichzeitig auf die Architektur selbst. Trotz der Inkonsistenz seines Konzepts, wurde seine Metapher vom »Gedächtnis der Stadt«31 im Urbanismus zum Standard. Bis heute wird diese Metapher des Gedächtnisses selten in Frage gestellt. Für Rossi war die Metapher der Stadt als kollektives Gedächtnis von zentraler Bedeutung. Rossi wollte seiner Aussage nach die Stadt als kontinuierlichen Bauvorgang verstehen und damit als ein menschliches Artefakt, in dem Geschichte und Gegenwart koexistieren. In diesem kontinuierlichen Prozess des Umbaus verkörpere Architektur die gelebte und erlebbare bauliche Gestalt des kollektiven Gedächtnisses. Die Stadt selbst sei das kollektive Gedächtnis ihrer Bewohner und sei wie das Gedächtnis verbunden mit Objekten und Orten. Die Stadt sei der locus des kollektiven Gedächtnisses. In diesem Sinne flößen die Ideen durch die Geschichte der Stadt und gäben der Stadt Form.32 Damit argumentierte Rossi, dass jeder bauliche Eingriff in eine Stadt nicht nur deren physische Gestalt verändere, sondern die Identität ihrer Bewohner. Rossi zitierte in seinem Buch Lewis Mumford, der 1938 in The Culture of Cities ebenfalls eine weitgehende Wechselwirkung zwischen Stadtgestalt und Bewohnern angenommen hatte. Das Denken nehme in der Stadt Gestalt an, die Stadtgestalt bedinge ihrerseits das Denken. Denn ebenso wie der Raum werde die Zeit in der Stadt kunstvoll reorganisiert. Eine Stadt sei gleichzeitig physisches Mittel zur Organisation kollektiven Lebens und Symbol dieser kollektiven Absichten und Zwänge.33 In The City in History führte Mumford 1961 aus: »Die Gebäude sprechen und handeln nicht weniger als die Menschen, die darin wohnen. Dank der greifbaren Bauwerke der Stadt bleiben vergangene Ereignisse, längst getroffene Entscheidungen und geschaffene Werte lebendig und üben ihren Einfluss aus.«34 (Abb. 7.6) Camillo Sitte war bereits von Wechselwirkungen zwischen baulicher Umgebung und Psyche ausgegangen, indem er schrieb, die Architektur der Städte wirke 29 | 30 | 31 | 32 | 33 | 34 |

Ebd., Kap. VI, §X, XX, S. 195f., 206f. Halbwachs 1966; ders. 1985; Rossi 1973, S. 117f. Rossi 1973, S. 49. Ebd., S. 117. Mumford 1938, S. 5. Rossi hat diese Passage zitiert (1973, S. 21, FN 1). Mumford 1963, S. 134.

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Abbildung 7.6: Stadtgedächtnis. Das römisches Amphitheater in Lucca hat seine Funktion vor langer Zeit verloren und wurde in Wohnhäuser transformiert. Es ist in der Textur der Stadt immer noch lesbar. (Forty 2000)

»auf das Gemüth der Menschen mit sanfter, unwiderstehlicher Gewalt«.35 Die räumliche Organisation einer Stadt sei mit deren sozialer Organisation untrennbar verbunden: »Die Hauptregel der Antike war, dass der Platz selbst, die Gebäude, welche an diesem Platze standen, die Monumente und das tägliche Leben, welches 35 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 1.

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auf diesem Platze sich abspielte, immer ein einziges harmonisches Ganzes untereinander bildeten.«36 Mit der bereits zitierten Aussage, die Akropolis in Athen sei »die zu Stein gewordene Mythe des hellenischen Volkes«37, evoziert Sitte sogar das Bild von Architektur als Stein gewordenes Denken. Architektur und das Denken sind in vielerlei Hinsicht metaphorisch verbunden. Wir verwenden zahlreiche architektonische Metaphern, wenn wir über Gedanken»gebäude« sprechen, beispielsweise die »Begründung« oder »tragende Säulen« eines Arguments.38 John Onians zieht gar den Schluss, dass die Architektur einer Epoche über Metaphern die kognitiven Prozesse ihrer Erbauer und Bewohner sowohl spiegelt als auch steuert. Der Turm zu Babel habe beispielsweise das christliche Gottesverständnis geprägt, und das Motiv der Säule sei zentral für das Konzept der britischen konstitutionellen Monarchie.39 Paul Connerton argumentierte, dass soziale Praktiken und Rituale zwar an bestimmte Orte gebunden seien, aber erst durch ihre Praktiken der Inkorporierung wirksam werden und weniger durch die »Einschreibung« von Erinnerungen an einen Ort.40 Wie dem auch sein, man kann in jedem Falle festhalten, dass Architektur Individuen räumlich verortet. Architektur kann somit Territorien markieren, räumliche Hierarchien etablieren oder Personen verbinden oder trennen – sei es visuell, akustisch oder physisch. Sitte betonte darüber hinaus, dass die Architektur beim Erinnern mit anderen Formen der Überlieferung zusammenwirkt: »Der Ölbaum der Athene war ein ganz gewöhnlicher Ölbaum, […] aber die dichterische Phantasie hatte ihn geheiligt und das ganze Volk ließ sich dieses Gaukelspiel der Phantasie gerne gefallen.«41 Die symbolische Bedeutung, mit der die Architektur aufgeladen wird, kann man nur mit dem entsprechenden kulturellen Hintergrund verstehen. Die Bedeutungen werden in der Literatur, Religion, in Mythen oder der Politik geprägt. Diese Sichtweise unterscheidet sich wesentlich von den Ansätzen, die Architektur als universal verständliche Sprache begreifen. Es finden sich in der Architekturgeschichte zahlreiche Beispiele von Bauwerken, die zu unterschiedlichen Zeiten verschiedene symbolische Bedeutungen hatten. Die berühmte Kuppel der Hagia Sophia beispielsweise wurde von der wichtigsten christlichen Kirche zum Paradigma einer Moschee. Man kann beobachten, wie rivalisierende Gruppen um die Interpretationshoheit kämpfen, oft gewaltsam. Das Brandenburger Tor in Berlin beispielsweise wurde im Laufe des 20. Jahrhunderts von unterschiedlichen Regimes mit den verschiedensten Bedeutungen aufgeladen, als beispiellos gewaltsamer Akt 36 | 37 | 38 | 39 | 40 | 41 |

Sitte, »Über alte und neue Städteanlagen«, 1889, CSG 2, S. 251. Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 11. Vgl. Hollier 1998. Onians 1992. Connerton 1989. Sitte, »Großstadt-Grün«, 2003, S. 237.

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einer Uminterpretation bleibt der ganzen Welt der Anschlag auf das World Trade Center in Erinnerung.

Vergessen Friedrich Nietzsche schrieb 1874, es sei möglich, nahezu ohne Erinnerungen zu leben, doch es sei absolut unmöglich, ohne die Fähigkeit des Vergessens zu überleben.42 Sigmund Freud griff, um die Nützlichkeit des Vergessens zu beschreiben, auf das bewährte Bild der Stadt als Gedächtnis zurück. Er erzählte in einem Vortrag 1909 von einer Person, die bei ihrem täglichen Gang durch die Stadt vor jedem Denkmal stehen bliebe, um sich dort längst vergangener und von der Allgemeinheit vergessener Ereignisse zu erinnern, um das Verhalten von Hysterikern und Neurotikern zu beschreiben.43 Wie Halbwachs betonen Nietzsche und Freud damit den sinnkonstruierenden Charakter des Erinnerns, das Identitäten von Individuen wie von Gruppen stabilisiert. Stellt man sich die Stadt in den Begriffen von Aleida Assmann als Speichergedächtnis und Speichermedium vor, so kann man mit Ruskin und anderen folgern, dass die Stadt so viele Dokumente wie möglich für die kommenden Generationen bewahren muss. Mumford hat diesen Aspekt in Worte gefasst: »Dank ihrer Speichermöglichkeiten (in Gebäuden, Gewölben, Archiven, Denkmälern, Inschriften und Büchern) war die Stadt imstande, eine komplexe Kultur von Generation zu Generation weiterzureichen. […] Das bleibt die größte Gabe der Stadt.«44 Wenn man die Stadt als Funktionsgedächtnis imaginiert, dann müsse sie, um eine stimmige Identität zu konstruieren, auch in der Lage sein, zu vergessen. Die jeweils relevanten Erinnerungen müssten städtebaulich inszeniert und mit neuen architektonischen Zeichen zu einer stimmigen Erzählung kombiniert werden – eine in der Geschichte des Städtebaus ja durchaus übliche Strategie. Man denke nur an die Planungen von Sixtus V. für Rom oder die Inszenierung vergangener Größe im postrevolutionären Paris, in dem Monumentalbauten freigelegt und am Ende neuer Straßenfluchten als points de vue inszeniert wurden.45 Nach dem Kollaps des Dritten Reiches wurde die Erinnerungsdimension des Stadtraums zu einem zentralen Problem in der Diskussion um den Wiederaufbau. Otto Bartning plädierte im Frühjahr 1946 im Angesicht der zerstörten Stadtkerne gegen einen Wiederaufbau deutscher Städte: »[S]tellen Sie sich ganze Plätze und Straßenzüge solcher Kulissen, solcher Lügen vor. Denn Kulisse und Lüge bleibt, was – auch bei bestem Wissen und Wollen – im günstigsten Falle selbst nach den Plänen früherer Zeit rekonstruiert würde, ohne den Saft und Geist jener Zeit! Und gerade das ist es, wovor wir unsere Enkel bewahren müssen. Denken Sie an den 42 | 43 | 44 | 45 |

Nietzsche, »Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben«, 1980. Freud, »Über Psychoanalyse«, 1999, S. 11f. Mumford 1963, S. 665. Vgl. auch Sonne 1993, S. 96.

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Zwinger in Dresden. Kann er, darf er als museale Lüge auferstehen, als riesenhafte Totenmaske? Verloren. Und dass wir’s verloren gehen ließen, müssen wir unseren Enkeln eingestehen. Die Ruinen – man denke an das Forum, an das Kolosseum in Rom – werden eine starke und wahre Sprache sprechen; Rekonstruktionen – je echter desto schlimmer. Angenommen, die Akropolis wäre ›auf echt‹ renoviert, – dann, erst dann wäre Phidias tot!«46 Die Rekonstruktion der im Bombenkrieg verloren gegangenen Baukunstwerke kam für ihn einer Lüge gleich, die über das selbst verursachte Desaster hinwegtäuschen sollte. Bruchlos an die im Dritten Reich konstruierten nationalen Erinnerungen anzuschließen, war für Bartning keine Option, wogegen ein bewusster Bruch mit architektonischen Traditionen zum Ausdruck eines ideologischen Neuanfangs wurde. Den Ruinen des Reichs kam damit die Rolle von Mahnmalen zu, die kommenden Generationen von der Katastrophe künden sollten. In einem Nachkriegsaufruf von 1947, den außer Bartning unter anderem Fritz Schumacher, Lilly Reich, Heinrich Tessenow und Egon Eiermann unterzeichneten, wurden Forderungen formuliert, die deutlich zum Ausdruck bringen, wie stark die Akteure urbane Form und kollektive Erinnerung zusammendachten: »Der Zusammenbruch hat die sichtbare Welt unseres Lebens und unserer Arbeit zerstört. […] Heute nach zwei Jahren erkennen wir, wie sehr der sichtbare Einsturz nur Ausdruck unserer geistigen Zerrüttung ist, und könnten in Verzweiflung verharren. […] Das zerstörte Erbe darf nicht historisch rekonstruiert werden, es kann nur für neue Aufgaben in neuer Form entstehen. […] 5. Für Wohnbauten und für unsere öffentlichen Gebäude […] suchen wir […] das Einfache und Gültige.«47 In diesem Dokument kommt der Wille zum Ausdruck, mit den alten Bauten und Bauformen auch die verhängnisvolle Ideologie und Geschichte hinter sich zu lassen. Die hier geschilderte Katharsis ging im Wiederaufbau Deutschlands eine Allianz ein mit der modernistischen Idee der tabula rasa, unter der der Verlust der alten Stadtkerne als einmalige Chance zur Modernisierung der Städte erscheinen konnte. Eine Reihe modernistischer Architekten hatten schon früher im 20. Jahrhundert von der Möglichkeit des totalen Vergessens im Städtebau geträumt: einer tabula rasa (Abb. 7.7). Der Ausdruck tabula rasa stammt von den antiken Wachstäfelchen. Platon und Aristoteles hatten die Seele mit einer Wachstafel verglichen, in die ein Bild eingeritzt werde.48 Die Metapher impliziert, dass es möglich ist, Erinnerungen aus dem Gedächtnis spurlos auszuradieren, wie man eben die Schreibtafel immer wieder abschabt und ihren Ursprungszustand wiederherstellt. Drastisch ist diese Idee verkörpert in Le Corbusiers Plan Voisin, in dem er anstelle des Stadtzentrums von Paris freistehende Punkthochhäuser in einer großzügigen Parkanlage errichten wollte. 46 | Bartning 1946, S. 71. 47 | Bartning 1947, S. 29. 48 | Platon, Theaitetos 191c; Aristoteles, De Anima III 4, 429b29–430a2.

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Abbildung 7.7: tabula rasa. Illustration zum Wiederaufbau Londons, »Purpose« von Oswald Barrett, 1945. (Purdom 1945)

Sigmund Freud, ein Wiener Zeitgenosse von Camillo Sitte, stellte die Idee des Gedächtnisses als tabula rasa in Frage, da er glaubte, dass kein Erlebnis jemals aus dem Gedächtnis eines Menschen ganz verschwinden könne. Es sei dort lediglich »verschüttet«, »der Verfügung des Individuums unzugänglich gemacht«.49 Die Psyche seiner Patienten verglich er mit einer »verschütteten Stadt«.50 Archäologische Metaphern ziehen sich durch Freuds gesamtes Werk.51 Damit fügte Freud der Metapher der Stadt als Gedächtnis eine neue Dimension hinzu. Man könne sich das Gedächtnis wie die Stadt Rom vorstellen, 49 | Freud, »Konstruktionen in der Analyse«, 1999, S. 45f. 50 | Freud 1972, S. 295. 51 | Vgl. Stockreiter 1998.

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Abbildung 7.8: Altes und Neues. Das Theater des Marcellus in Rom (1. Jahrhundert v. Chr.) war Steinbruch, bevor es im Mittelalter in einen befestigten Wohnplatz umgebaut wurde, weitere Umbauten folgten. Ein Foto des Zustands um 1865 zeigt im Erdgeschoss Werkstätten und Läden, das Straßenniveau ist deutlich angestiegen. Bis heute ist das Theater in Teilen bewohnt, der im Foto dokumentierte Bereich wurde rückgebaut. (Kostof 1993)

mit seiner langen und glorreichen Geschichte, wo nichts, was jemals entstanden sei, vergehe. »Die friedlichste Entwicklung einer Stadt schließt Demolierungen und Ersetzungen von Bauwerken ein, und darum ist die Stadt von vorneherein für einen solchen Vergleich mit einem seelischen Organismus ungeeignet.« Es blieben Ruinen, »Überreste des alten Rom als Einsprengungen in das Gewirre einer Großstadt«.52 Bruchstücke aus Kindheitserinnerungen seien in Träume der Erwachsenenzeit eingewoben wie Spolien antiker Ruinen in Ba52 | Freud 1955 S. 426ff.

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rockpaläste.53 Altes und Neues, wieder verbaute Spolien, Verschüttetes und Demoliertes seien unentwirrbar miteinander verwoben und stünden zueinander in einem dynamischen Verhältnis. Dazu gehörten auch Reste, die man heute gar nicht mehr sehe: »Manches Alte ist gewiß noch im Boden der Stadt oder unter ihren modernen Bauwerken begraben.«54 (Abb. 7.8) Interessanterweise hatte der Architekt Sitte die tabula rasa kurz zuvor mit dem gleichen Argument kritisiert. Er mokierte sich darüber, dass beim Bau der Ringstraße Bauschäden auftraten, da Häuser halb auf den Fundamenten der alten Festung und halb im losen Erdreich standen: »Die Wiener Erfahrungen bei der ähnlichen Auflassung der Festungswerke haben gelehrt, daß es sehr unpractisch wäre hier wie auf einer Zeichentafel mit dem Schwamm die Festungswerke einfach wegzulöschen und nun den Platz als leere gleichartige Ebene zu betrachten auf welcher beliebige Häuserquadrate angelegt werden könnten. Ein solcher Baugrund ist eben kein gleichartiger, denn in der Erde stecken noch die alten felsenfesten Fundamente, und wehe dem Bauherrn, dessen Hausmauern zum Theil auf diesen unnachgiebigen Grundfesten, zum Theil in den tiefen Stadtgräben stehen.«55 Die unteren, unsichtbaren und vergessenen Schichten hatten immer noch starken Einfluss auf das aktuelle Geschehen.

Rekonstruktion Freud verglich die Arbeit des Psychoanalytikers mit der eines Archäologen, der ein zerstörtes oder verschüttetes Bauwerk der Vergangenheit ausgrabe. Beide müssten ihre Schlüsse aus »Erinnerungsbrocken« ziehen, beiden bleibe dabei »das Recht zur Rekonstruktion durch Ergänzung und Zusammenfügung der erhaltenen Teile unbestritten«. Die Rekonstruktion müsse nicht unbedingt »wahr« sein, um therapeutisch zu wirken.56 Was der Psychoanalytiker so lapidar feststellte, war in der anderen Disziplin im 19. Jahrhundert üblich, als viele Architekten phantastische Rekonstruktionen der Altertümer zu Papier brachten. Der »Retter der Gotik« Eugène-Emmanuel Viollet-le-Duc idealisierte Kathedralen und Burgen im Zuge seiner Restaurierungen: »C’est le rétablir das un état complet qui peut n’avoir jamais existé a un moment donné.«57 Festgehalten werden sollte, dass seit Freud das Erinnern als aktive Tätigkeit vorgestellt werden kann, als Prozess der, so wörtlich, »Rekonstruktion«. Freud mag bei seiner Metapher an die Fragmente des antiken Romplans gedacht haben, die Forma Urbis Romae. Dieser monumentale Plan des antiken Roms (203–211 n. Chr.) auf Marmorplatten wurde im 16. Jahrhundert wiederentdeckt, in Bruchstücke zerfallen und fragmentiert. Bis heute sind nur etwa 15 Prozent des 53 | 54 | 55 | 56 | 57 |

Freud 1987, S. 496. Freud 1955 S. 426ff. N.N., »Camillo Sitte über moderne Städtebauten«, 1889. Freud, »Konstruktionen in der Analyse«, 1999, S. 45f. Viollet-le-Duc 1868, Bd. 8, S. 14 (Artikel »Restauration«).

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Abbildung 7.9: Erinnerungsbrocken einer Stadt. Fragmente der »Forma Urbis Romae« dokumentiert von Giovanni Battista Piranesi, 1756. (Piranesi 1784)

Gesamtplans bekannt. Giovanni Battista Piranesi rekonstruierte Mitte des 18. Jahrhundert aus den ihm bekannten Fragmenten in Überlagerung mit dem gerade neu erschienenen Nolli-Plan den Grundriss des antiken Rom. Piranesi stützte seine Rekonstruktion auf seine ausgezeichnete Kenntnis historischer Quellen und auf Ergebnisse von Ausgrabungen und archäologischen Aufnahmen. In seinen berühmten Ichnographia entwickelte er daraus Pläne und Ansichten des Marsfeldes, in denen er seine archäologischen Erkenntnisse mit barocker Lust ins Phantastische steigerte. Die nachfolgenden Topographien behielten Piranesis Zuordnungen im Wesentlichen bei, bis Guglielmo Gatti, der sein Leben lang die Fragmente der Forma Urbis umsortierte, im 20. Jahrhundert einige der Scherben an andere Stellen verschob und so die Topographie der römischen Monumente umschrieb.58 (Abb. 7.9) Heute bietet das von Freud eingeforderte »Recht auf Rekonstruktion« in der Archäologie und Denkmalpflege einigen Zündstoff. Zu den Prinzipien der Denkmalpflege zählt nach der Charta von Venedig (1964) der Verzicht auf hypothetische Konstruktion: Verlorenes wiederherzustellen soll laut Paragraph 9 die Ausnahme bleiben und »gründet sich auf die Respektierung des überlieferten Bestandes und auf authentische Dokumente. Sie findet dort ihre Grenze, wo die Hypothese beginnt.« Die Autoren der Charta misstrauten Rekonstruktionen, da 100 Jahre denkmalpflegerischer Praxis gezeigt hatten, dass die »Pflege« von Baudenkmalen oft bedeutet hatte, große Teile der Originalsubstanz zu zerstören, die als weniger wertvoll angesehen wurden. Es ist deshalb allgemein akzeptiert, dass eine Restauration nicht versuchen soll, einen angenommenen Originalzustand wiederherzustellen, 58 | Piranesi 1784; Vgl. Grafton/Most/Settis 2010, S. 365.

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sondern alle Veränderungen im Lauf der Geschichte als Teil des Bauwerks akzeptieren soll. Interventionen sollen »ablesbar«, also als zeitgenössische Hinzufügungen erkennbar, und außerdem nach Möglichkeit reversibel sein. Die Charta kodifizierte im Wesentlichen Grundsätze, die bereits zu Beginn des Jahrhunderts – also zu Freuds Lebzeiten – formuliert worden waren. Alois Riegl hatte den grundsätzlichen Konflikt zwischen der Erhaltung der Originalsubstanz, widerstreitenden Ansprüchen an das visuelle Erscheinungsbild und Nutzungsanforderungen der Gegenwart umrissen.59 Georg Dehio hatte sich mit seinem Schlachtruf »konservieren, nicht restaurieren!« gegen jede Art der Wiederherstellung eines angenommenen »ursprünglichen« Erscheinungsbilds von Bauwerken ausgesprochen; ein Denkmal habe Urkundencharakter.60 Camillo Sitte ging mit diesen Auffassungen grundsätzlich konform.61 Zwar träumte er einmal von der Rekonstruktion einer nur als Ruine erhaltenen mittelalterlichen Burg, stellte jedoch fest, dass eine solche Rekonstruktion nur auf dem Papier stattfinden könne.62 Totalrekonstruktionen würden nach klassischer Auffassung gar nicht in den Bereich der Denkmalpflege fallen, da ja keine Originalsubstanz mehr existiert, die geschützt werden müsste. Ganz so einfach ist die Sache allerdings nicht. In den 1980er Jahren wurde der Wiederaufbau in Deutschland zunehmend als Fehlschlag angesehen, man begann, das verlorene kulturelle Erbe zu betrauern. Die lange geschmähten Altbauquartiere wurden zu begehrten Wohnlagen, Laieninitiativen beschäftigten sich mit deren Sanierung, in den neuen Stadtteilen vermisste man urbanes Leben. Der Architekt Josef Paul Kleihues prägte den Terminus »kritische Rekonstruktion« im Rahmen der Internationalen Bauausstellung in Berlin.63 »Kritisch« steht dabei für das Anknüpfen an die Qualitäten der vormodernen Stadträume, ohne die Geschichte zu kopieren. Kleihues warnte im gleichen Atemzug davor, die Moderne als bloßes Intermezzo abzutun und einfach zur Vergangenheit zurückzukehren. »Flucht in illusionäre Kulisse, wie sie ›Postmoderne‹ und ›Neoklassizismus‹ wie Romantizismus betreiben, ist tatsächlich die Kapitulation, vor der Le Corbusier gewarnt hat.«64 Kleihues suchte vielmehr den Dialog zwischen Tradition und Moderne, die »Kontradiktion der Moderne nicht im Sinne eines Bruchs, sondern der sichtbar bleibenden Entwicklung über die Stationen von Ort und Zeit«. (Abb. 7.10) Seither ist das öffentliche Bedürfnis nach der Rekonstruktion alter Stadträume keineswegs schwächer geworden. Überlegungen in der Denkmalpflege reflektieren die neuen Bedürfnisse. Wilfried Lipp betonte 1993 neben dem »Substanzwert« den »Schauwert« von Denkmälern. Die Postmoderne, die Begriffe wie Original und 59 | 60 | 61 | 62 | 63 | 64 |

Riegl 1988. Dehio 1914, S. 280, 275. Vgl. Schwarz 2010, S. 140ff.; Sitte, »Erhaltung des Gurker Domes«, 1892, CSG 2. Sitte, »Waldviertel«, 1893, CSG 2, S. 420. Kleihues 1993. Ders. 1991, S. 9, folgendes Zitat ebd., S. 7.

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Fälschung in Frage stelle, und stattdessen Elementen wie Zitat, Simulation und Ironie neue Wertschätzung gebracht habe, biete für die Denkmalpflege faszinierende neue Möglichkeiten an. Denkmalpflege müsse »sinnstiftungsorientiert« sein.65 Michael Petztet benannte ganz in diesem Sinne als Palette denkmalpflegerischer Möglichkeiten ein verbreitertes Spektrum vom Konservieren über das Instandhalten, Restaurieren, Teilrekonstruktion, Kopie, bis zur Totalrekonstruktion, wobei er als obersten Grundsatz das Konservieren historischer Substanz bekräftigte.66 Aktuell sind in zahlreichen deutsche Städte unter großem Einsatz von Seiten der Bevölkerung Totalrekonstruktionen von Bauten oder Quartieren zu erleben, die im Zweiten Weltkrieg oder in den Nachkriegsjahren zerstört wurden. Bekanntestes Beispiel ist die bis 2005 wiederaufgebaute Dresdner Frauenkirche, die den Auftakt zu einer ganzen Reihe rekonstruierter Stadtplätze bildete. In Frankfurt diskutiert man aktuell eine Rekonstruktion des Krönungswegs; für eine Teilrekonstruktion des Berliner Stadtschlosses entschied 2002 der Deutsche Bundestag. Ganz offensichtlich werden diese Debatten nicht von Architekten oder Denkmalpflegern entschieden, sondern auf politischem Wege. Die deutschsprachige Fachöffentlichkeit – Denkmalpfleger, Architekten und Stadtplaner – streitet währenddessen, wie mit dieser Dynamik umzugehen ist.67 So betont Winfried Nerdinger, ein Faksimile sei keine Fälschung, sondern in der Geschichte der Kunst seit Jahrhunderten gängige Praxis – auch in der Architektur.68 Oft haben sich an der Stelle der ehemaligen Bauwerke bereits andere bedeutsame Strukturen entwickelt, die – so die Gegenseite – den »Denkmal-Simulationen« dann weichen müssen.69 Das Wiederherstellen des einen Denkmals bedeutet gleichzeitig die Vernichtung des anderen. Die Debatten um die Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses anstelle des inzwischen abgerissenen Palasts der Republik der DDR zeigen das Problem der Deutungshoheit, um die zwischen unterschiedlichen Interessengruppen – und in diesem Falle politischen Regimes – gekämpft wird. Bei der Rekonstruktion des Leipziger Platzes in Berlin entschied man sich als Basis für die Wiederherstellung (hier wurde keine Totalrekonstruktion vorgenommen, sondern eine zeitgemäße Interpretation in den alten Kubaturen und Materialien), für den Zustand des Platzes im 18. Jahrhundert. Damit wurde die Erinnerung an bourgeoise Traditionen von Berlin über andere historisch bedeutsame Ereignisse und damit verbundene Erinnerungen gestellt, deren Spuren im städtischen Raum im gleichen Zuge ausgelöscht werden, wie etwa den Fall der Berliner Mauer.70 Wessen Geschichte wird erinnert?

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Lipp 1994, S. 9f. Petztet 1994. Vgl. Hassler/Nerdinger 2010. Nerdinger 2010, S. 10. Habich 2011, S. 16. Hennecke 2006.

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Abbildung 7.10: Kritische Rekonstruktion. Masterplan für die IBA Berlin von Josef Paul Kleihues, 1984. (Kahlfeldt u.a. 2003)

Die Metapher des Gedächtnisses hat den Städtebau sichtlich befruchtet, scheint jedoch die Debatte mitunter auf falsche Fährten zu führen. Gegenwärtig bietet die Neurophysiologie ein erneuertes Verständnis vom Prozess des Erinnerns an. Der Neurowissenschaftler Eric Kandel, der als Jugendlicher vor den Nazis aus Wien in die USA fliehen musste, hatte dem Geheimnis des Erinnerns zunächst als Psychoanalytiker nachspüren wollen, wandte sich in den 1950er Jahren aber den Neurowissenschaften zu und untersuchte Lernprozesse auf zellulärer Ebene. Erinnerungen werden nicht in Schichten im Gehirn »abgelagert« und viel später wieder »ausgegraben«, sondern das Erinnern wird als ein dynamischer Prozess aufgefasst, in dem Information ständig neu sortiert, verbunden und kombiniert wird. Zwar gebe es, was die Biologie des Erinnerns anbelangt, trotz bahnbrechender Erkenntnisse der Hirnforschung immer noch mehr Fragen als Antworten. Doch sei, so Kandel, das Erinnern »ein kreativer Prozess. Was das Gehirn speichert, ist nach allgemeiner Auffassung nur eine Kernerinnerung. Beim Abruf aus dem Gedächtnis wird diese Kernerinnerung dann ausgearbeitet und rekonstruiert – nicht ohne Abzüge, Hinzufügungen, Ausschmückungen

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und Verzerrungen.«71 Der Übergang vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis ist besonders dynamisch und störanfällig. Während Erinnerungen im Kurzzeitgedächtnis auf vorübergehende chemische und elektrische Vorgänge in den Gehirnzellen zurückzuführen sind, gehen Erinnerungen im Langzeitgedächtnis mit anatomischen Veränderungen und der Bildung neuer Synapsen im Hippocampus einher. Wenn diese längere Zeit nicht genutzt werden, bilden sie sich wieder zurück. Könnte diese Vorstellung vielleicht neue Sichtweisen auf die Stadt eröffnen? Faszinierenderweise spielen Raum und Orte beim Erinnern eine große Rolle. So hat man festgestellt, dass Londoner Taxifahrer, die zur Ausübung Ihres Berufs den Stadtplan memorieren müssen, nach zwei Jahren Berufspraxis einen deutlich größeren Hippocampus als entsprechende Vergleichspersonen aufweisen (zumindest galt das bis zur allgemeinen Verbreitung von Navigationssystemen).72 Der Hippocampus von Ratten enthält, wie in den 1970er Jahren nachgewiesen wurde, eine komplexe räumliche Repräsentation, von Hirnforschern als »innere Karte« bezeichnet, die sich in jeder Umgebung neu bildet. Um dieses Phänomen zu erklären, zitiert Kandel die eingangs erwähnte Passage von Cicero, womit sich ein Kreis schließt. Außerdem fallen die Ähnlichkeiten auf zwischen diesem von Erkenntnissen der Hirnforschung geprägtem Verständnis des menschlichen Gedächtnisses und den neuen digitalen Speichermedien. Um Assmanns These weiterzudenken, kann man sagen, dass die Gedächtnis-Metapher gegenwärtig mit den dominanten Techniken der Datenspeicherung korreliert. Der Hirnforscher Wolf Singer arbeitet mit dem Architekten Wolf Prix derzeit am Projekt einer brain city, das auf Ähnlichkeiten der Selbstorganisation komplexer Systeme und neuronaler Netze abzielt, und nicht auf das Erinnern.73 Andere aktuelle Publikationen unterstreichen zwar die Bedeutung von Architektur für kognitive Prozesse, gehen aber auf den Städtebau und das kollektives Gedächtnis nicht ein.74 Gerade in der bundesdeutschen Debatte, die so verfahren erscheint, könnte eine den aktuellen Stand der Wissenschaft aufgreifende Neuinterpretation der Gedächtnis-Metapher vielleicht Wege aus dem Dilemma eröffnen. Wobei bei alldem nicht vergessen werden darf, dass es sich beim Gedächtnis Stadt um eine Metapher handelt, die zwar eine Reihe produktiver Assoziationen freisetzt, aber die auch an ihre Grenzen kommen kann. Wenn sie in eine Sackgasse führt, so könnte es besser sein, sie einfach loszulassen, und sich eine Zeit lang einer ganz anderen Metapher zuzuwenden.

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Kandel 2007, S. 307. Vgl. ebd., S. 332ff. Vgl. Singer 1997; N.N., »Die Stadt als Gehirn«, 2008. Vgl. Mallgrave 2010; Eberhard 2009.

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G ESCHICHTE Lesen 1831 hatte Victor Hugo den Gedanken formuliert, dass die Erfindung der Druckerpresse die Architektur zerstöre: »Dieses wird jenes töten. Das Buch wird das Gebäude töten.«75 In einer häufig zitierten Passage seines Glöckners von Notre Dame hatte Hugo die Kathedrale als Buch aus »marmornen Buchstaben« und »granitnen Seiten« beschrieben. Die Baukunst sei bis Gutenberg »das große Buch der Menschheit« gewesen, »die allgemeine Schrift, die Weltschrift«. Am Anfang seien Menhire, einzelne Buchstaben gestanden. Dann seien die Denkmäler im Laufe der Zivilisation immer komplexer geworden, vom Buchstaben der Menhire zu Wörtern, Sätzen, Büchern. Die großen Tempel und Kathedralen schließlich seien »die großen Schriftzüge der Menschheit, und das in des Wortes vollster Bedeutung; denn nicht nur die religiösen Symbole sind darin ausgedrückt, sondern jeder menschliche Gedanke hat in diesem Riesenbuch seine Seite und sein Denkmal.« Wenn Architektur Stein gewordene Geschichte ist, dann kann man folgern, dass es möglich sein muss, diese in das Straßennetz, das Stadtbild, die Landschaft »eingeschriebene« Geschichte wieder zu entziffern. Aus sonderbaren Krümmungen oder unregelmäßigen Formen in Stadtplänen könne man fast immer auf einen einstmals zweckmäßigen Bestand schließen, und somit auf die Geschichte eines Ortes, beispielsweise auf ehemalige Wasserläufe, Bauwerke oder Wegverbindungen.76 Gerundete Plätze, in deren Mitte zuweilen gotische Kirchen plaziert seien, interpretierte Sitte beispielsweise als Überbleibsel aufgelassener Friedhöfe, die einst die Kirchen umgaben.77 Camillo Sittes Projekt einer »Stadtlektüre« macht die Transformationen in der Topographie sichtbar, konstruiert eigentlich eine kontingente Geschichte der Stadt. Mitunter beginnen sogar (personifizierte) Teile der Stadt jedem, der bereit ist zuzuhören, über ihre Vergangenheit zu erzählen: »Dieser Rathhausplatz hat eben auch […] seine Geschichte, und diese Geschichte sagt, dass er ursprünglich ein Exerzierplatz gewesen ist. Und das ist er faktisch heute noch: Ein Exerzierplatz in Pension.«78 Das erinnert an Thomas de Quincey, der 1845 annahm, das Gedächtnis sei wie ein Palimpsest, ein Stück Pergament, das in mehreren Schichten übereinander beschrieben wurde. Die Tinte der älteren Texte wurde dafür gelöscht, in der Antike und im Mittelalter eine übliche Praxis, teures Pergament zu sparen. Im 19. Jahrhundert ermöglichten es technische Erfindungen, die älteren Schichten mithilfe von Chemikalien wieder sichtbar zu machen. Die Idee, das etwas, das längt verloren und vergessen ist, ohne Verluste wiederhergestellt werden kann, faszinierte de Quincey, er übertrug 75 | 76 | 77 | 78 |

Hugo 2001, S. 229; folgende Zitate ebd., S. 226, 230f., 235. Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 55. Ebd., S. 70, 74. Sitte, »Über alte und neue Städteanlagen«, 1889, CSG 2, S. 273.

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Abbildung 7.11: Stadt als Palimpsest. Die von Krieg und Teilung hinterlassenen Brachen im Zentrum von Berlin erinnern an die abgeschabten Stellen eines Pergaments. Potsdamer Platz. (Foto 1995)

diese Idee auf das menschliche Gedächtnis: »Such a palimpsest is my brain […]! Everlasting layers of ideas, images, feelings, have fallen on your brain as softly as light. Each succession has seemed to bury all that went before. And yet in reality no one has been extinguished.«79 Diese Metapher impliziert, dass die Geschichte oder die Erinnerungen unter der Oberfläche verborgen warten, vielleicht momentan unentdeckt, aber ansonsten unverändert. Man muss nur in der Lage sein, sie zu »lesen«. Die Metapher des uban palimpsest steht unter Architekten derzeit hoch im Kurs. Andreas Huyssen beschreibt das Berlin der Nachwendezeit als Palimpsest. Ein disparater Stadt-Text entstehe, der neu geschrieben werde, während gleichzeitig der vorherige Text erhalten bleibe, Spuren wiederhergestellt und Ausgelöschtes dokumentiert werde. Die Notion von Berlin als Palimpsest mit all seinen Leerstellen, unlesbaren und ausradierten Partien, offen für Neues, ergebe ein reichhaltiges Bild, das einer monozentrischen, vergangenheitsbezogenen Konzeption vorzuziehen sei.80 Das Interessante an dieser Metapher ist ja, dass die einzelnen Schichten eines Palimpsests sich nicht aufeinander beziehen. (Abb. 7.11) 79 | Quincey 2006. 80 | Huyssen 2003, S. 81, 84.

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Sprache In seinem Artikel Der neue Wiener Styl für das Neue Wiener Tagblatt 1881 bezeichnete Sitte die verschiedenen Baustile als Sprachen: »Ferstel ist ebensowohl Gothiker und drückt sich auch in deutscher Renaissance wie in der italienischen, sozusagen wie in einer Muttersprache aus.«81 Dahinter steht die Idee, dass der Architekt durch sein Bauwerk »sprechen« kann, und dabei sowohl etwas über seine Herkunft als auch über seine Persönlichkeit aussagt: »Diese architektonische Vielsprachigkeit hindert aber doch nicht, dass man Ferstel in jedem seiner Werke erkennt. So wie man den Italiener oder Engländer erkennt, auch wenn er deutsch spricht, so erkennt man die spezifische Empfindung des Künstlers in seinen Werken, denn es gibt außer dem Style des Jahrhunderts oder dem Style eines großen Kunstplatzes noch einen Styl des Individuums und dieser individuelle Styl ist es, der jedem Werke eines echten Meisters die Signatur gibt, an der man jedes seiner Werke auch sofort als ein Gebilde seines Geistes erkennt.« Die Sprach-Metapher ist in der Geschichte der Architektur ganz zentral. Dabei wird diese Analogie völlig unterschiedlich interpretiert, wie Forty gezeigt hat.82 Ähnlichkeiten können entweder auf semantische oder syntaktische Aspekte (also entweder auf Bedeutungen oder auf Ähnlichkeiten mit Struktur und Grammatik) zielen. Zweitens kann Architektur entweder mit Literatur verglichen werden, die Kompositionen innerhalb einer gegebenen Sprache entwickelt, oder als Sprache, im Sinne eines generellen linguistischen Phänomens. Außerdem wandelt sich die Metapher durch die historischen Veränderungen des Verständnisses von Sprache als solche. So hat der linguistic turn des 20. Jahrhunderts nachhaltige Auswirkungen auf das Verständnis von Architektur gehabt. Jean-Nicolas-Louis Durand vertrat in seinen Précis des leçons d’architecture 1819 die Auffassung, man könne Architektur wie eine Sprache erlernen, und präsentierte dafür eine Art Grammatik.83 Er hatte darin viele Gefolgsleute, beispielsweise Christopher Alexander mit seinem A Pattern Language 1977. Alexander präsentierte eine Architektur-Anleitung, die auch für Laien verständlich sein sollte. Dahinter stand unter anderem die Idee, dass jeder diese Architektursprache erlernen kann, wenn sie systematisch unterrichtet wird. Diese Metapher kratzt damit am Mythos des genialen Künstler-Architekten.84 Diese Auslegung kann auch als konservatives Argument gegen Innovationen gebraucht werden. Beispielsweise wird betont, dass es unsinnig sei, jedes Mal eine völlig neue Sprache erfinden zu wollen, wenn man ein neues Gebäude errichte. Originalität drücke sich nicht in der Erfindung neuer Worte aus, ein begnadeter 81 | 82 | 83 | 84 |

Sitte, »Der neue Wiener Styl«, 1881, CSG 2, S. 189; folgendes Zitat ebd. Vgl. Forty 2000, S. 63ff. Ebd., S. 79f. Alexander 1995.

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Redner wisse sich innerhalb der überlieferten Sprache auszudrücken, schrieb z.B. John Ruskin in seinen Seven Lamps.85 Mitunter soll die Sprach-Metapher Architektur als universal verständlich behaupten. Quatremère de Quincy stellte die These auf, dass Architektur und Sprache als universelle Fähigkeiten des Menschen sich parallel entwickelt hätten (1803).86 Johann Gottfried Herder behauptete, es existiere eine poetischen Ursprache (Abhandlung über den Ursprung der Sprachen, 1772), in der die dunklen Schichten des Bewusstseins ausgedrückt würden. Dieser Ursprache entspreche die bildende Kunst.87 Jacob Grimm zeigte 1822 mit seinem Gesetz der Lautverschiebung, dass sich die germanischen Sprachen aus einer gemeinsamen »Ursprache«, dem Indogermanischen, entwickelt hatten. Gottfried Semper machte dann in Der Stil (1860–63) nach eigenen Worten den Versuch, die Kunstgeschichte analog zur Sprachgeschichte zu verstehen, die dabei sei, über gemeinsame Elemente aller Sprachen zu deren »Urform« zu gelangen (offenbar eine zweite Argumentationslinie, zusätzlich zu seinem Bezug auf Cuvier und der Rückführung der Arten auf wenige »Urformen«).88 Von den Modernisten wurden Analogien zu Sprache auf das Schärfste verworfen. Dieses Embargo wurde erst wieder nach dem Zweiten Weltkrieg angezweifelt, ausgehend von Italien, wo marxistische Theoretiker einen Gegenentwurf zur Moderne suchten, deren Protagonisten sich in Italien der Kollaboration mit den Nazis schuldig gemacht hatten. Manfredo Tafuri vertrat 1968 die Überzeugung, dass Architektur eine Sprache in einer »semantischen Krise« sei.89 Semiotische und strukturalistische Annäherungen an die Architektur der Stadt waren gespeist von der Unzufriedenheit mit der rigiden Bedeutungsleere der Moderne. Gillo Dorfles schrieb 1959, die Probleme der Architektur als Sprache bildeten die Basis für eine neue Strömung, die Architektur wie Informations- und Kommunikationstheorien behandle. Architektur müsse, wie jede andere Kunst, als organisches Ganzes und bis zu einem gewissen Grade als institutionalisiertes Ensemble von Zeichen gesehen werden, die teilweise mit anderen linguistischen Strukturen gleichgesetzt werden könnten.90 In den 1960er Jahren wandte sich die semiotische Architekturdebatte, in der theoretisch interessierte Architekten und Linguisten aufeinander trafen, der Stadt als Analysegegenstand zu. Roland Barthes schrieb, wer sich durch die Stadt bewege, sei eine Art Leser, um zu illustrieren, dass es niemals eine einzige definitive Lesart geben könne.91 Michel de Certeau benutzte das gleiche Bild: Die 85 | 86 | 87 | 88 | 89 | 90 | 91 |

Ruskin 1989, Kap. VII, § IV, S. 213; vgl. Forty 2000, S. 65 f. Quatremère de Quincy 1803, S. 12. Pochat 1986, S. 428. Semper 1860, S. 1; vgl. Forty 2000, S. 69ff. Tafuri 1980, S. 173ff.; vgl. Forty 2000, S. 71ff. Dorfles 1959; vgl. Forty 2000, S. 80f. Barthes 1997.

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Abbildung 7.12: Neubauten als Erzählung ins Buch der Stadt geschrieben. Der Plan des neuen Potsdamer Stadtteils Kirchsteigfeld von Rob Krier, 1992–97, ist Teil einer Skulptur am Eingangsplatz. (Krier 1997)

Körper der Fußgänger in der Stadt fügen sich »dem Druck und Haarstrich eines ›Stadt-Textes‹, den sie schreiben, aber nicht lesen können. […] Die Gespinste dieser sich vorwärtsbewegenden, sich kreuzenden ›Schriften‹ setzen sich zu einer vielfältigen Geschichte zusammen, die keinen Autor und keinen Beobachter hat […].«92 Die Stadt als lesbarer Text sei ein Trugbild, das nur ein Betrachter vom Turm aus oder ein Städtebauer, der mit Plänen hantiere, sich von der Stadt machen könne. De Certeau wandte sich mit seiner Interpretation der Metapher gegen totalisierende Konzeptionen der Stadt, betont die Handlungsebene der Stadtbewohner und suchte nach Möglichkeiten, Raum für subversive Praktiken zu eröffnen. Der Akt des Gehens in der Stadt sei vergleichbar mit dem Sprechakt oder dem Akt des Schreibens. De Certeau sprach von einer »Rhetorik des Gehens«. Dabei komme dem von Stadtplanern und Architekten geschaffenen geometrischen Raum in etwa die Bedeutung eines »genauen Wortsinns« zu, den Linguisten konstruierten, um eine Norm zu gewinnen, auf die sich etwaige Abweichungen beziehen ließen.

Erzählung Die Metapher des Architekten, der ein neues Kapitel in das Buch der Geschichte einer Stadt schreibt, eröffnet die Frage nach der sogenannten Wahrheit oder Authentizität dieser Geschichte. Wie bereits deutlich wurde, ist der Glaube an die Wahrheit einer einzig gültigen Geschichte längst nicht mehr ungebrochen. Camillo Sitte nahm zu dieser Frage eine ambivalente Haltung ein. Wie bereits im Kapitel zur Stadt als Bühne gezeigt wurde, plädierte er einerseits für eine Strategie des »als 92 | Certeau, Michel de 1978, S. 292. Der Artikel wurde von de Certeau später in ähnlicher Form als Kapitel »Gehen in der Stadt« in sein Buch Kunst des Handelns (1980) aufgenommen.

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ob«. Der Architekt sollte den Prozess auf dem Papier imitieren, in dem die alten Städte über die Jahrhunderte von selbst wuchsen. Viele seiner Nachfolger haben diese Strategie direkt umgesetzt und neue Wohnquartiere mit »mittelalterlich« gewundenen Straßen entworfen. (Abb. 7.12) Sitte dachte nicht so eindimensional. In direktem Widerspruch zu seiner »als ob«-Strategie plädierte er auf der anderen Seite für Authentizität: »Es ist nicht möglich, uns selbst eine erlogene Geschichte und erlogene Naivetät zu geben, blos den alten Städtebildern zuliebe.«93 Diese Geschichte könne nicht im Nachhinein simuliert werden. Das simple Nachbilden alter Strukturen könne deswegen nicht funktionieren, auch dann nicht, wenn das um der Kunst willen wünschenswert wäre. Der Ausdruck »erlogene Geschichte« weist auf Sittes Vorbild Gottfried Semper, der 1842 argumentiert hatte, dass neue Kirchen nicht wie Schöpfungen des Mittelelters oder der Renaissance aussehen sollten, denn »man begeht sonst ein Plagiat an der Vergangenheit und belügt die Zukunft. Am schmählichsten aber behandelt man die Neuzeit, denn man spricht ihr sie selbständige Schaffenskraft ab und beraubt sie der künstlerischen Urkunden.«94 Der Vorwurf der Unehrlichkeit an die Architektur des Historismus ist ein ausgesprochen moderner Gedanke. So attackierte Sittes Kontrahent Otto Wagner 1895 die »Schwindelhafte, von Lügen Strotzende« Architektur der Wiener Ringstraße.95 Sitte konnte am Bauen in historischen Stilen nichts Verwerfliches finden, wie ja in seiner Planung für die Ringstraße deutlich wird, wo er die Einfassung jedes Platzes in einem anderen Stil vorsah. Im Städtebau wog das Argument der Ehrlichkeit für ihn stärker. Um die Wirkungen der alten Meister hervorzubringen, »müssten allerlei Krummziehungen, Strassenwinkel, Unregelmässigkeiten künstlich im Plane vorgesehen werde; also erzwungene Ungezwungenheiten; beabsichtigte Unabsichtlichkeiten. Kann man aber Zufälligkeiten, wie sie die Geschichte im Laufe der Jahrhunderte ergab, am Plane eigens erfinden und construieren? Könnte man denn an solcher erlogenen Naivität an einer solchen künstlichen Natürlichkeit wirkliche, ungeheuchelte Freude haben? Gewiss nicht.«96 Sittes Ambivalenz zwischen künstlerischer Wirkung und Authentizität des Stadtraums ist aufschlussreich. Sie spiegelt direkt den Gegensatz wieder, der zwischen dem von Assmann beschriebenen Speicher und Funktionsgedächtnis aufgespannt wird, oder, um es in andere Worte zu fassen, zwischen Erinnerung und Geschichte. Es existiert ein Projekt von Camillo Sitte, in dem er beide Konzepte widerspruchsfrei vereinte. In seinem bekannten posthum in der von ihm mitgegründeten Zeitschrift Der Städtebau erschienenen Artikel Enteignungsgesetz und Lageplan zeigte Sitte am Beispiel der Eilenriede in Hannover, wie eine 93 | 94 | 95 | 96 |

Sitte, »Über alte und neue Städteanlagen«, 1889, CSG 2, S. 268. Semper 1845, S. 28f. Wagner 1902, S. 138. Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 119.

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Abbildung 7.13: Ein »auf dem Paper gewachsener« Stadtgrundriss. Camillo Sittes Alternativvorschlag für einen Bebauungsplan der Eilenriede in Hannover (publiziert 1904) orientiert sich an den bestehenden Flurgrenzen. (Sitte, »Enteignungsgesetz und Lageplan«, 1904, CSG 2)

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Stadterweiterung entlang bestehender Grundstücksgrenzen geplant werden könne (Abb. 7.13). Entgegen der in der Gründerzeit üblichen Praxis wollte er die Grundbesitzer nicht enteignen, um dann den üblichen regelmäßigen Rastergrundriss über das ganze Planungsgebiet zu legen. Stattdessen führte Sitte die Straßen orthogonal zu den bestehenden Grundstücksgrenzen, in diesem Fall Streifenfluren. Einerseits erspare das aufwändige Enteignungen und Entschädigungszahlungen, so Sittes ökonomisches Argument, andererseits entständen dadurch unregelmäßige Straßenzüge. Diese waren aber nicht willkürlich einphantasiert, sondern sie resultierten aus historisch gewachsenen Eigentumsverhältnissen und Wegeverbindungen in Kombination mit ökonomischen und hygienischen Anforderungen der Gegenwart. Sie haben funktionale, ökonomische und historische Bedeutung.97 Wie Wilfried Posch ausführt, meldete sich der von Sitte attackierte Joseph Stübben im gleichen Jahr mit einer Gegenrede im Städtebau zu Wort, Sitte habe sein Urteil ohne Kenntnis der örtlichen Bedingungen gefällt.98 Seine Gegenvorschläge für Hannover und Köln seien zwar gut gemeint, aber »für Ortskundige unannehmbar«. Dennoch räumte Stübben ein, dass er nach einem Vierteljahrhundert seit der Verfassung des ursprünglichen Kölner Vorschlags den betreffenden Lageplan heute nicht mehr so gestalten würde. Offenbar inspirierte Sittes Entwurf Stübben dazu, über das »Anschmiegen« von Neuplanungen an die vorhandene Bodenordnung nachzudenken.99 Nach einer langen Latenzperiode tauchte diese Auffassung schließlich in der Parzellentheorie der Berliner Stadtbaudebatte nach 1990 wieder auf.100

97 | Sitte, »Enteignungsgesetz und Lageplan«, 1904, CSG 2. 98 | Posch 2010, S. 85. 99 | Stübben 1904, S. 127f. 100 | Hoffmann-Axthelm 1993, S. 198ff.

Die Stadt als Kunstwerk In der Einleitung zu Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen erklärte Sitte, die Akropolis in Athen sei »nicht mehr blos Teil einer Stadtanlage in gewöhnlichem Sinne, sondern ein zum reinen Kunstwerk herangereiftes Werk von Jahrhunderten.«1 Er plädierte dafür, den Stadtbau nicht »als technisches Problem«, sondern als »Kunstwerk« aufzufassen.2 Mit dieser Metapher hat Sitte viele Autoren inspiriert, zum Beispiel den finnischen Architekten Gustaf Strengell, der 1924 ein Buch mit dem Titel Staden som konstwerk (»Die Stadt als Kunstwerk«) publizierte. Die komplexe Metapher hat zahlreiche Facetten, wie das Kunstwerk, den Künstler und das Publikum des Kunstwerks Stadt. Außerdem kommen verschiedene Kunstgattungen ins Spiel. So wurde die Stadt als Musik, Gemälde, Kunsthandwerk und Gesamtkunstwerk beschrieben. Besonders häufig zitierte Sitte Metaphern aus dem Bereich der Malerei. Nicht wenige würden sicherlich abstreiten, dass es sich bei der Stadt als Kunstwerk überhaupt um eine Metapher handelt, da doch die Architektur selbst eine Kunstgattung ist. Und was anderes sollten Architekten als Städtebauer dann produzieren als eben Kunst? Diese Frage ist nicht eindeutig zu beantworten.

K UNST Kunstwerk Die Stadt als Kunstwerk zu betrachten, scheint auf den ersten Blick wenig plausibel. Ein paradigmatisches Kunstwerk, wie die Mona Lisa oder die Fünfte Symphonie, ist ein organisches Ganzes, sowohl in der Konzeption als auch in der Wahrnehmung durch den Betrachter. Es hat seine eigene Realität, die uns ästhetisch so perfekt erscheint, dass jede kleinste Änderung uns als Änderung zum Schlechteren vorkäme.3 Diese Bedingung der perfekten Harmonie wurde von Alberti 1 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 11. 2 | Ebd., S. 90. 3 | So die gängige Definition, z.B. in Greene 1940, S. 9–12, 369.

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formuliert,4 der wiederum an Aristoteles anknüpfte, der definiert hatte: »Man pflegt daher beim Anblick vollendeter Kunstwerke zu urteilen: ›hier ist nichts wegzunehmen und nichts hinzuzufügen‹, erkennt also an, daß ein Zuviel und ein Zuwenig die Harmonie zerstört.«5 Offenbar kann ein Kunstwerk nur deshalb eine so starke Einheit sein, weil es nach der Vision eines einzigen Autors geformt ist, und weil das Werk ein vollendetes Objekt ist, sich nicht mehr in einem Prozess der Veränderung befindet. Im Gegensatz dazu ist eine Stadt niemals das Werk einer einzigen Person und schon gar kein stabiles Objekt, sondern eine sehr komplizierte kollektive Unternehmung, ein hoch komplexer Prozess ohne klaren Anfang oder ein absehbares Ende mit unzähligen beteiligten Akteuren, die auf unvorhersehbare Weise agieren. Jane Jacobs betonte dies und stellte fest: »A city cannot be a work of art.«6 Eine Stadt hat selten eine eindeutige Struktur, auch kann sie kaum wie ein Kunstwerk erlebt werden. Nach Aristoteles ist eine Bedingung der Schönheit, dass das ganze Ding mit einem Blick erfasst werden kann, deshalb können zu kleine oder zu große Dinge nicht als schön erlebt werden.7 Das wäre sicher bei der Stadt der Fall. Sitte führte in Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen sein von diesen klassischen Konventionen geprägtes Konzept von Schönheit und Kunst aus: »Ein Strassennetz dient immer nur der Communication, niemals der Kunst, weil es niemals sinnlich aufgefasst, niemals überschaut werden kann, ausser am Plan. […] Künstlerisch wichtig ist nur Dasjenige, was überschaut, was gesehen werden kann; also die einzelne Strasse, der einzelne Platz.«8 Dass Verkehrsnetze und –achsen nicht von künstlerischem Belang sein sollen, erscheint fragwürdig, wenn man an die italienischen Idealstädte der Renaissance denkt oder an Pierre L’Enfants Plan für Washington D.C. mit seinen monumentalen Straßenachsen. Sittes Konzept von Straßen ist, wie bereits ausgeführt wurde, von der Zirkulations-Metapher geprägt. Sichtachsen oder Symmetrien im Plan passen nicht in dieses Bild. Denkt man Sittes Argument weiter, dann kann eine Stadt als Ganzes nur aus der Vogelperspektive als Kunstwerk erlebt werden, wie in der Darstellung der Stadt Würzburg des Architekten Balthasar Neumann. Die Gesamtansicht der barocken Neugestaltung der Stadt Würzburg (1723) zeigt deutlich, dass Architekt Balthasar Neumann und sein Bauherr Johann Philipp Franz von Schönborn den Anspruch hatten ein Kunstwerk zu erschaffen. Die Neuanlage wurde aus einer Hand gestaltet, auf einen Blick erfassbar dargestellt und einem Kunstwerk entsprechend gerahmt. (Abb. 8.1) 4 | Vgl. Alberti 1991, VI, 2, S. 293; vgl. ebd., I, 9, S. 48–50; II, 3, S. 74. 5 | Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1106b 10–15; vgl. Aristoteles, Poetik, 1451a, 32–35. 6 | Jacobs 1992, S. 372. 7 | Aristoteles, Poetik, 1451a l. 8 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 97. Bislang wurden diese Aussagen meist im Hinblick auf Sittes Beschäftigung mit Wahrnehmungstheorien interpretiert. Vgl. etwa Reiterer 2003.

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Abbildung 8.1: Die Stadt als organisches Kunstwerk. Gesamtansicht der barocken Neugestaltung der Stadt Würzburg von Balthasar Neumann, 1723. (Mainfränkisches Museum Würzburg)

Für die Wahrnehmung der realen Stadt bedeutet das, dass man einen Aussichtsturm erklimmen muss, einen Fesselballon besteigen oder, im Falle von Wien, das Riesenrad. In der normalen Erfahrung der Stadt ist dieser panoramische Blick selten möglich, wie Sitte auch feststellt, weswegen er Vogelperspektiven städtebaulicher Ensembles ablehnte und stattdessen für das Spazierengehen plädierte.9 Aldo Rossi diagnostizierte, Sitte habe den Schritt, die gesamte Stadt als Kunstwerk zu betrachten, nicht getan, sondern diese nur als Ansammlung einzelner Kunstwerke gesehen – als einzelne zum Kunstwerk ausgestaltete überblickbare Einheiten.10 Diese Interpretation ist insofern plausibel, als Sitte Wien mehrfach mit einem Museum verglich.11 9 | »[…] wobei nicht vergessen werden darf, dass derlei gezeichnete Vogelperspectiven immer einen angenehmen Eindruck machen wegen der Freude an der Kunst der Darstellung und weil man alle symmetrischen Entsprechungen deutlich wahrnehmbar vor sich am Papiere liegen hat, was alles aber bei einem Rundgange zwischen den ausgeführten Baublöcken spurlos verschwindet. Das ist es ja eben, auf was bei Lageplanverfassung heute immer wieder vergessen wird, dass nämlich die symmetrische oder geometrisch regelrechte Anordnung von Baublöcken nur im Plane ersichtlich wird […]. Ebendeshalb sind uns Modernen die alten naiven Meister des Städtebaues künstlerisch und praktisch so riesig überlegen, weil sie an Ort und Stelle spazieren gehend entworfen haben.« Sitte, »Die Ergebnisse der Vorconcurrenz«, 1902, CSG 2, S. 559. 10 | Rossi 1973, S. 25f. 11 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 130; ders., »Stadterweiterung und Fremdenverkehr«, 1891, CSG 2, S. 332f.

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Außerdem vertrat er die Auffassung, dass nur Kirchen und Denkmäler den höchsten Grad reiner Kunst erreichen können. Festungsbauten, Schlösser, Paläste, Museen, Theater etc. seien lediglich halb-künstlerisch. Alle anderen Bauten und damit große Teile der Stadt, sind nach Sitte definitiv nicht als der Kunst zugehörig zu betrachten.12 Man muss in diesem Zusammenhang im Kopf behalten, dass Sitte die Architektur als »Sphinx« betrachtete, »halb Tier halb Mensch. Das was der Baukünstler schafft, dient teilweise nur dem gemeinen Bedürfnisse und nur teilweise wirklich den hohen Idealen der Kunst als künstlerischer Selbstzweck.«13 Obwohl also in vielerlei Hinsicht die Metapher der Stadt als Kunstwerk implausibel ist, werden durch sie andererseits wichtige Aspekte betont, die einen näheren Blick lohnen: Die Stadt als Kunstwerk kann als solche ästhetisch erlebt und nach ästhetischen Grundsätzen beurteilt werden. Auf diese Weise spielen Aspekte der menschlichen Wahrnehmung eine signifikante Rolle im Städtebau. Elemente, die gemeinsam wahrnehmbar sind, können »komponiert« werden. Er war natürlich nicht der erste, der vorschlug, die Stadt als Kunstwerk aufzufassen. Bereits Alberti wies auf die Wahrnehmung der Fassaden durch Spaziergänger hin. Er betonte, dass die Häuser zu beiden Seiten einer Straße gleich hoch und in einer geraden Linie angeordnet, darüber hinaus die Eingänge aller Häuser einheitlich gestaltet sein sollten.14 Alberti betrachtete die Gestaltung eines Hauses und der Stadt als Einheit. Dabei ging er vom generellen Plan der Stadt zum individuellen Gebäude und seinen einzelnen Details – Lage, Zug und Ausdehnung der Straßen, Plätze und einzelnen Bauten – vor. Seine Idee eines Gesamtplans stand in starkem Kontrast zur mittelalterlichen Praxis und wurde erst im barocken Paris zur Realität. 1765 veröffentlichte Pierre Patte Entwürfe für eine Ausschmückung der Stadt Paris mit Ehrenplätzen und Denkmälern für Louis XV., zehn Jahre nach Laugiers Traktat, das ebenfalls bereits eine Verschönerung der Gesamtstadt gefordert hatte. Patte seinerseits dokumentierte über 50 Wettbewerbsbeiträge für eine place royale in Paris, die er auf einem synoptischen Stadtplan einfügte und untereinander verband. So verschmolzen die Einzelentwürfe zur polyzentrischen Gesamtanlage.15 (Abb. 8.2) Herrmann Lotze schloss 1868 nicht aus, dass die Großstadt ein Kunstwerk sein könne: »Große Städte wollen als große Städte schön sein; sie sind es niemals, wenn ihre einzelnen schönen Bestandteile so ineinander verwirrt sind, dass es nirgends in ihnen einen orientirenden Mittelpunkt und klare Ansichten über die Massen gibt […]. An einzelnen wohlverteilten Brennpunkten müssen die monumentalen Bauwerke stehen, die mit aller Consequenz und allem Reichthum des herrschenden Styles die ewigen idealen Aufgaben der Cultur verherrlichen […].«16 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden in den USA mehrere Pläne für ganze 12 | 13 | 14 | 15 | 16 |

Sitte, »Sezession und Monumentalkunst«, 1903, CSG 2, S. 567. Ebd. Alberti 1991, VIII, Kap. 6, S. 435–436. Patte 1765. Lotze 1868, S. 549; vgl. Sonne 2003, S. 208.

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Abbildung 8.2: System von Denkmalsplätzen zur Verschönerung der Gesamtstadt. »Projet d’Embellissemens für Paris« von Pierre Patte 1765. (Patte 1765)

Städte konzipiert, wie die White City in Chicago 1893 oder die Washington Mall 1902. Im Plan von Chicago 1909 von Jules Guérin wurde die gesamte Stadt, mehr noch, die gesamte Region einer ästhetischen Gesamtstrategie unterzogen. Charles Moore schrieb über die City Beautiful-Bewegung rückblickend: »[…] the entire city shall be planned as a Work of Art.«17 Sitte steht mit seiner Auffassung in guter Tradition. Kant definierte 1794 in Kritik der Urteilskraft Schönheit als »Zweckmäßigkeit ohne Zweck«.18 Bezogen auf Architektur bedeutete das, dass ein Bauwerk nur dann ein Kunstwerk sein könne, »wenn es nur nicht eine Kirche sei«, wenn es keinem Zweck folge. Bei der Baukunst sei »ein gewisser Gebrauch des künstlerischen Gegenstands die Hauptsache, worauf als Bedingung die ästhetischen Ideen eingeschränkt werden«. Forty attestiert, dass der Großteil der deutschen ästhetischen Theoretiker Kant folgte und sein Embargo gegen die Nützlichkeit als konstituierend für ästhetische Beurteilung von Architektur akzeptierte. Daraus ergab sich das Problem, ob Architektur eine Kunst sein könne. Die einzige Ausnahme stellte Gottfried Semper dar. Adolf Loos schrieb noch 1909: »Nur ein ganz kleiner Teil der Architektur gehört der Kunst an: das Grabmal und das Denkmal.«19 Die Frage des Gebrauchs blieb ein Tabu bis in die 1920er Jahre, als im Neuen Bauen die Zweckmäßigkeit zum neuen Maß erhoben wurde. Bauen wurde nicht mehr als künstlerischer Ausdruck eines Individuums verstanden, sondern sollte die Gesellschaft mit ihren kollektiven Bedürfnissen als Ganzes repräsentieren 17 | Moore 1931, S. 69. 18 | Kant 2004, 1., 1., I, §15, S. 691ff.; folgende Zitate ebd., I, §16, S. 694, II, §51, S. 777. 19 | Loos, »Architektur«, 2010, S. 402.

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(»Neue Sachlichkeit«) und doch Kunst bleiben. Bruno Taut schrieb 1929 in Die Neue Baukunst, Schönheit entstehe aus der direkten Verbindung von Bauwerk und Zweck, Brauchbarkeit werde ihre eigenen ästhetischen Gesetze formen. »Der Architekt, der das leistet, wird zu einem Schöpfer ethischer und sozialer Art; die Leute, die ein solches Haus für irgendeinen Zweck gebrauchen, werden durch die Anlage dieses Hauses zu einer besseren Haltung in ihrem gegenseitigen Umgang und in ihren gegenseitigen Beziehungen geführt. Die Architektur wird so zur Schöpferin neuer gesellschaftlicher Formen.«20

Künstler Man darf nicht vergessen, dass die Kunstwerk-Metapher noch in einer anderen argumentativen Absicht eingesetzt wird: »Einen Plan, der ein Kunstwerk sein soll, kann nur ein Künstler machen.«21 Dieser Satz Sittes impliziert, dass Städtebau nicht eine Frage ökonomischer oder technischer Organisation ist, sondern eine Frage des künstlerischen Potentials. Wenn die Stadt ein Kunstwerk sein kann, dann benötigt Städtebau mehr als technische Expertise, und nur Architekten mit einem Sinn für Kunst sind dafür qualifiziert. Le Corbusier formulierte später, etwas an der Stadt werde bleiben: »Das wird Baukunst sein, die das alles in sich fasst, was jenseits der Berechnung liegt. [Hervorhebung i.O.]«22 Der Prüfstein des Architekten sei die Durchbildung der Form: »Die Durchbildung der Form läßt den Mann der Praxis, den kühnen und intellektuellen Menschen fallen, sie ruft nach dem bildenden Künstler.« Bereits der Kunsthistoriker Albert Erich Brinckmann sah 1908 den Städtebauer als Raumkünstler, der allein fertig bringe, was die Wissenschaft leisten könne: »Städte bauen heißt: mit dem Hausmaterial Raum gestalten! Die neugierige Frage nach der neuen Form vermag der Historiker nicht zu beantworten. […] Nur die künstlerische Kraft vermag diesen geistig-körperlichen Prozess im gestaltenden Schaffen durchzumachen[…].«23 (Abb. 8.3) Angesichts der Übermacht der Ingenieure, Hygieniker, Verkehrsplaner, Politik und Verwaltung, ganz zu schweigen von der Rolle der Bauspekulanten in der gründerzeitlichen Stadterweiterung, war die Lage der Architekten tatsächlich prekär – eine Situation, in der sich Architekten heute wiederfinden. Rem Koolhaas formulierte diesen seiner Ansicht nach vollkommenen Kontrollverlust 1995: »The professionals of the city are like chess players who lose to computers. A perverse automative pilot constantly outwits all attempts at capturing the city, exhausts all ambitions of its definition, ridicules the most passionate assertions of its present failure and future impossibility, steers it implacably further on its flight forward.«24 20 | 21 | 22 | 23 | 24 |

Taut 1979, S. 7. Sitte, »Neue Stadterweiterung«, 1891, CSG 2, S. 321. Le Corbusier 1979, S. 47; folgendes Zitat ebd., S. 159f. Brinckmann 2000, S. 170. Koolhaas, »What ever happened to Urbanism?«, 1995, S. 961f.

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Abbildung 8.3: Die Stadt als Plastik. »Suprematistische Ornamente. Stadt« von Kasimir Malewitsch, 1927. Rekonstruktion aus sieben Originalteilen und elf rekonstruierten Teilen aus Gips. (Centre Georges Pompidou/ MNAM-CCI, Paris)

Camillo Sitte dachte als Ausweg eine Aufgabenteilung an: »Einen Plan, der ein Kunstwerk sein soll, kann nur ein Künstler machen. Richtig! Aber das hier zu Leistende ist so übermenschlich groß, daß die Aufgabe von einem Einzelnen gar nicht bewälthigt werden kann. Auch dafür scheint der Ausweg schon gefunden, denn man spricht schon allenthalben von Kommissionen und amtlichen Vorarbeiten geradeso wie von großartigen Konkurrenzausschreibungen zum Behufe der Ermittlung der richtigen Künstler.«25 Das nötige statistische Material und alle Planungsgrundlagen »müsste[n] unbedingt von einem vielgliedrigen und entsprechend zusammengesetzten amtlichen Apparat erwartet werden; die harmonische Zusammenfassung zu einem künstlerischen Ganzen müsste aber der Inspiration Einzelner überlassen bleiben, und an dieser Stelle hätte die Vornahme einer Concurrenz erst platzzugreifen.«26 Ist die Stadt kein Kunstwerk, sondern nur einzelne Teile der Stadt, so folgt daraus entweder, dass der Architekt kein Künstler ist, oder dass er für große Teile der Stadt eben doch nicht zuständig ist. Sitte folgte letzterem Gedanken, wenn er den Architekten als nicht zuständig für große Teile aller Planungsaufgaben erklärt. Er hielt, das schrieb er immer wieder, in der modernen Zeit eine vollständig den Grundsätzen der Kunst gehorchende Stadt nicht mehr für möglich. Stattdessen bot er Kompromisse an: Es genüge, wenn Geometer, Bauspekulanten und Verkehrsplaner dem Künstler einige wenige zentrale Plätze zur künstlerischen Gestaltung abtreten.27 Damit schränkte sich 25 | Sitte, »Neue Stadterweiterung«, 1891, CSG 2, S. 321. 26 | Sitte, »Wien der Zukunft«, 1891, CSG 2, S. 301. 27 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 98.

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allerdings das Wirkungsfeld seiner Zunft wieder stark ein. Die Vermutung liegt nahe, es könne sich womöglich um einen strategischen Rückzug handeln.

Kunsthandwerk Die Kunstwerk-Metapher zielt noch in eine weitere Richtung: Für den künstlerischen Städtebauer verwendete Sitte den Ausdruck »Poet«.28 Er verglich die Akropolis in Athen mit einer griechischen Tragödie, Städtebau mit Poesie und Pompeji mit Musik.29 Man könnte das als Statement in der Debatte um den Status der freien und der untergeordneten Kunstgattungen interpretieren, wie sie von Gottfried Semper initiiert wurde. Semper hatte die traditionelle Hierarchie umgekehrt und das Kunsthandwerk als »ursprünglichste« Kunstform entscheidend aufgewertet. In der britischen Arts-and-Crafts-Bewegung, die die Wiener Secession stark beeinflusste, erlebte es eine neue Blüte. Sitte hingegen bekräftigte die traditionelle Hierarchie der Kunstgattungen und sah das Kunstgewerbe in Abhängigkeit der »monumentalen Kunst«.30 Das Kunstgewerbe als Kunst der kleinen Dinge, mit dem Sitte wiederholt den von ihm für Monumentalbauten auf das heftigste abgelehnten »Secessionsstyl« verband, verlange im Gegensatz zur großen Kunst »Beweglichkeit, Abwechslung, Neuheit, Individualität, Hervortreten des Autors«.31 Bezüglich des Städtebaus vermerkte er bitter: »Nicht einmal in der jeden kleinsten Kram behandelnden modernen Kunstgeschichte wurde dem Städtebau ein bescheidenes Plätzchen vergönnt, während doch Buchbindern, Zinngiessern und Costumeschneidern bereits Raum neben Phidias und Michelangelo gewährt wurde.«32 Dabei war Sitte, das darf man nicht vergessen, sein Leben lang selbst im Kunstgewerbe tätig als Lehrer, Schulleiter und publizierte in seiner Salzburger Zeit unter anderem über Bauernmajolika, Silberschmieden und Ledertechnik. Mitunter transferierte er Kompositionsprinzipien aus dem Kunstgewerbe auf den Städtebau. Sitte entwickelte Lehrmaterialien für das Ornamentenzeichnen und verglich die Konzeption einer Stadterweiterung mit dem Komponieren von Ornamenten auf asymmetrischen Flächen.33 Ruth Hanisch hat herausgearbeitet, dass er fachdidak28 | Sitte, »Ferstel, Hansen, Schmidt«, 1892, CSG 2, S. 366. 29 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 10– 11; ders., »Großstadt-Grün«, 2003, S. 237; ders., »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 2. 30 | Sitte, »Zur Ausstellung im neuen Museum«, 1871, CSG 1; ders., »Sezession und Monumentalkunst«, 1903, CSG 2. 31 | Sitte, »Sezession und Monumentalkunst«, 1903, CSG 2, S. 568. 32 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 90. 33 | »Die Ursache, daß die Rechnung nirgends Null für Null aufgehen wollte, liegt darin, daß eine symmetrische Anordnung auf bereits gänzlich unsymmetrisch durcheinandergeworfener Grundlage schlechterdings nicht möglich ist. Sogar jeder tüchtiger Ornamentiker kennt die

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tische Methoden, die er für den Kunstgewerbeunterricht entwickelt hatte, in seinem berühmten Buch auf den Städtebau übertrug.34 Sitte verglich den Städtebau sogar mit dem Blumenstecken, einer typischen Hausfrauentätigkeit: Bei einem »wohlgesteckten Stadtplanbouquet« sitze alles am rechten Fleck.35 Zum Kunstgewerbe zählt auch das Nähen. Sitte sprach vom »Sonntagskleid« und »Werktagskleid« der Stadt.36 Eine zeitgenössische Karikatur zeigt Paris als Frau, die ein neues Kleid trägt, das Baron Haussmann ihr geschneidert hat. In Paris, der Stadt der Mode, wird Haussmann damit nicht unbedingt zum kleinen Schneider abgewertet. Haute Couture aus Paris wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Weltmarke, und der Schöpfer einer dieser kortbaren Kreationen durfte sich Grand Couturier nennen. (Abb. 8.4) Die Kleider-Metapher hat in der Architekturtheorie eine lange Tradition, die bis zu Vitruv zurückreicht.37 So spricht man etwa vom Festungsgürtel einer Stadt oder ihrer Mauerkrone (Abb. 8.5). Die Metapher wird aber häufiger auf einzelne Gebäude als auf die ganze Stadt bezogen. Im 15. Jahrhundert wurde die KleidungsMetapher verwendet, um über Angemessenheit des Dekors zu sprechen. Jeder solle sich so kleiden und so wohnen, wie es seinem Stande entspreche, befand beispielsweise Filarete.38 Diese Auslegung der Metapher verlor an Bedeutung, als im 19. Jahrhundert die Klassenunterschiede nicht mehr strikt in Kleidervorschriften mündeten. Viollet-le-Duc widmete in seinem Dictionnaire Raisonné du Mobilier francais der Kleidung großen Raum. Er bezeichnete dort explizit Architektur als Kleidung, denn beide suchten den rationalsten Weg, die Struktur zu bekleiden. Architektur wie Kleidung hätten, so Viollet-le-Duc, ihre Hochblüte im 13. Jahrhundert gehabt, die Kleidung dieser Zeit verheimliche keine physischen Defekte und das sei das höchste, das man einem Kleid zubilligen könne.39 Sehr einflussreich war Sempers Bekleidungstheorie, in der dieser die Wand aus der Webkunst herleitete. In den Zelten der Nomaden wurden senkrechte Raumteilungen durch abgehängte Teppiche hergestellt, die Wand stamme also vom Teppich ab, was sich symbolisch in ihrer Ornamentation erhalten habe. Das Bekleiden und Maskieren sei so alt wie die menschliche Zivilisation. Es sei eine der Architektur inhärente Eigenschaft, die realen Materialen zu maskieren, wenn man Regel, daß unsymmetrische Flächen nur mit unsymmetrischen Motiven gefüllt werden können, und jeder Architekt weiß sich im Falle verschrobenen Terrains und sonstiger der strengen Symmetrie widerstrebender Bedingungen an deren Stelle durch bloßes Massengleichgewicht zu helfen.« Sitte, »Wien der Zukunft. Regulirungsprojekte«, 1894, CSG 2, S. 437f. 34 | Hanisch 2005. 35 | Sitte, »Neue Stadterweiterung«, 1891, CSG 2, S. 322f. 36 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 98. 37 | Vitruv hatte die Kanneluren ionischer Säulen als »Falten der Gewänder nach Frauenart« beschrieben. Vitruvius 1996, Buch IV, 1, 9, S. 121. 38 | Filarete 1972, VII,f. 48v., Bd. 1, S. 189f. 39 | Viollet-le-Duc 1858–1875, Bd. 4, S. 429; vgl. Forty 1989, S. 1–14, 110f.

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Abbildung 8.4: Stadtkleid. Baron Haussmann hat Mlle. Lutèce ein prächtiges neues Kleid geschneidert, doch das modebewusste Fräulein zeigt ihm die kalte Schulter. Karikatur in »Paris Comique«, 1870. (Cars/Pinon 1991)

einmal die primitivste Stufe verlassen habe. Die Kunst bestehe darin, Themen aus einem Material in ein anderes zu übersetzen.40 In der Moderne wurde die Kleider-Metapher sowohl positiv als auch negativ interpretiert. Man wollte sozusagen das rüschenbesetzte, einschnürende alte Gewand ablegen und stattdessen einen schlichten reinweißen Mantel anlegen. Kleider und 40 | Semper 1860, S. 257f.

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Bauwerke hüllen den Körper ein, schützen ihn vor der Witterung (man spricht von Architektur als der »dritten Haut« des Menschen). Architekten der Wiener Werkstätten entwarfen für Mäzeninnen wie Sonja Knips nicht nur Häuser samt Einrichtung (und sogar das Grab als letzte Ruhestätte), sondern auch dazugehörige Kleider.41 Henry van de Velde suchte nach einer Erneuerung der Kunst durch die Rückkehr zum Ursprünglichen, zu den notwendigen nützlichen Dinge wie die Kleidung oder das Haus. Die Rückbesinnung auf diese Bereiche, zu denen die schönen Künste noch nicht vorgedrungen seien, führe zu der Ästhetisierung des Lebens, nach dem alle Menschen von Natur aus strebten.42 Seine Theorien konnte van de Velde 1906–08 mit dem für Karl Ernst Osthaus errichteten Hohenhof unter Mitwirkung der Künstler Ferdinand Hodler, Edouard Vuillard und Henri Matisse verwirklichen. (Osthaus ist der Gründer des Museums Folkwang und der Folkwangschule, mit dem er in der Industrieregion Ruhrgebiet für Volksbildung durch Kunst sorgen wollte.) In diesem »Gesamtkunstwerk« passten schließlich nicht nur die Türklinken zum Besteck, sogar die Kleidung von Frau Osthaus (ebenfalls von van de Velde entworfen) harmonierte mit den Teppichen, und der Speiseplan wurde auf das Muster des Porzellans abgestimmt. Adolf Loos verglich Fassaden bekanntermaßen mit Kleidern, um Zurückhaltung in deren Dekor zu fordern. Das Vorbild für moderne Fassaden sei der dezente Frack, der sich seit 1800 übrigens kaum verändert habe, nur dass man ihn heute nicht mehr mit goldenen, sondern mit schwarzen Knöpfen trage. »Modern gekleidet ist der, der am wenigsten auffällt.«43 Dagegen hielt Henrici seine Kritik am »nivellierenden Frack«, in seinem Fall bezogen auf die gerade Straße, die allemal schlechter sei als die »wirklich nationale Tracht«.44 Karen Franck empfahl die Kleider-Metapher zur Jahrtausendwende als produktiv und anregend: Die Metapher betone Aspekte wie Kurven und das Fließende, Überlagerung und Transparenz oder die Vielfalt an Materialien. Die Möglichkeit, sich selbst darzustellen, die emotionale Bindung, die durch den Gebrauch entstehe, wenn das Ding zu einem Stück persönlicher Geschichte werde. Außerdem betone die Metapher die sinnliche Wahrnehmung der Architektur, wenn Architektur »angezogen« werde, könne man sie mit allen Sinnen erfahren, den Körper darin spüren. Auch dem Phänomen der schnelllebigen Mode, in der Architektur in der Regel als Vorwurf verwendet, müsse man nicht skeptisch gegenüberstehen.45 Der Vergleich von Städtebau mit Kleidung oder Mode zielt auch auf die Assoziation von modischer Kleidung als Konsumartikel. Diese Thematik hat in der Architekturdebatte unter dem Schlagwort Branding um die Jahrtausendwende neue Dynamik gewonnen. 41 | 42 | 43 | 44 | 45 |

Miller 2004. Velde 1899, S. 265. Loos, »Architektur«, 2010, S. 400. Henrici 1893, S. 14. Franck 2000.

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Abbildung 8.5: Mauerkrone. Tyche, die Stadtgöttin von Antiochia. Römische Kopie einer Statue aus dem 3. Jh. v. Chr. (Kostof 1993)

Die Bekleidungs-Metapher und das Handwerks des Nähens dienten Sitte nicht als Vorbild für den Städtebau: Sitte kritisierte, das Bauamt wolle den Generalregulierungsplan aus Einzelteilen »zur bunten Jacke des Wiens der Zukunft«46 zusammennähen. Das kann interpretiert werden als Bild für planlos zusammengesetztes »Flickwerk«, also hastige Arbeit ohne übergeordnetes Konzept. Oder ist Nähen an sich vielleicht eine minderwertige, weil keinesfalls monumentale Handwerkskunst? Für Deleuze und Guattari war das »Patchwork« ein paradigmatisches Beispiel für ihr Konzept des smooth space. Die Quilttechnik der Siedlerinnen in Nordamerika habe sich während deren Wanderbewegungen verändert: »Entsprechend der Migration 46 | Sitte, »Wien der Zukunft. Regulirungsprojekte«, 1894, CSG 2, S. 442f.

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und ihrer Affinität zum Nomadentum bekam das Patchwork nicht nur die Namen von Migrationsrouten, sondern es ›repräsentierte‹ Migrationsrouten, wurde untrennbar von der Geschwindigkeit oder von der Bewegung in einem offenen Raum.«47 Patchwork sei eine amorphe Ansammlung nebeneinander gelegter Stücke, die auf unendlich viele Arten zusammengesetzt werden könnten und damit ein Paradebeispiel für einen riemann’schen Raum seien. Patchwork ist heutzutage üblicherweise eine positiv bewertete Metapher, doch dabei fügen sich die disparaten Einzelteile am Schluss in einen Plan, wenn auch nicht in einen sehr starren. Das Flickwerk wird damit zu einem Muster höherer Ordnung. Willem Jan Neutelings proklamierte 1990, die Stadt als Einheit habe aufgehört zu existieren, und empfahl die »Patchwork-Metropolis«: »Auf dieser diversifizierten Oberfläche gehören die Fragmente zu einer komplexen, nicht-physischen Ordnung […]. Aus diesen Fragmenten bilden die Bewohner dieses Teppichs ihre eigene persönliche Stadt. […] der einzige Weg der uns bleibt, ist die Transformation von Fragmenten. Die Patchwork-Decke ist ein Transformationsmodell. […] Ziel ist es, Programme so zu positionieren, dass sie ein neues Gleichgewicht kreieren, um so die Qualität der Decke als Ganzes zu steigern.«48 Die von Sitte geprägte Metapher mag ursprünglich Kritik transportiert haben, heute eröffnet sie zahlreiche inspirierende Lesarten.

Gesamtkunstwerk Schwierig zu deuten ist die metaphorische Strukturierung von Sittes Stadt als Gesamtkunstwerk, die, gelinde gesagt, inkohärent erscheint. Man muss vor Augen haben, dass das Konzept des Gesamtkunstwerks nicht zwingend eine Fusion verschiedener Kunstgattungen bedeutet, obwohl es meist so verstanden wird. Es kann genauso die Obsession charakterisieren, die Welt als Einheit zu verstehen und im täglichen Leben eine Art organische Ganzheit zu konstruieren. Damit ist das Gesamtkunstwerk bei weitem nicht auf den Bereich der bildenden Kunst beschränkt, es können auch politische Utopien oder wissenschaftliche Systematiken darunterfallen. Wird diese Einheit vom (Kunst-)Werk auf das eigene Leben des Künstlers übertragen, spricht man auch von Totalkunst. Soll dieser Einheitsanspruch womöglich im Leben aller Menschen verwirklicht werden, wird die Obsession zum Totalitarismus.49 So plädierte beispielsweise Walter Gropius eine »totale Architektur«, um ein umfassendes architektonisches Design zu bezeichnen, vom Sofakissen bis zum Städtebau.50 Der unglückliche Slogan der »totalen Architektur«, den Gropius bis an sein Lebensende wiederholte, klingt nicht nur fatal nach der Diktion der Nationalsozialisten von der totalen Gesellschaft, er bedeutet mehr oder 47 | 48 | 49 | 50 |

Deleuze/Guattari 1992, S. 661. Stichting Rotterdam-Maaskant Foundation 1991, S. 40. Vgl. Brock 1983. »Vom Sofakissen bis zum Städtebau« war einer der Slogans des Deutschen Werkbundes.

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weniger dasselbe: die Gleichschaltung der Umwelt nach dem Willen des Architekten.51 In diese Richtung ausgelegt, kann die Metapher der Stadt als Kunstwerk in einer Tradition der Ästhetisierung des Alltagslebens gesehen werden, die in den 1930er Jahren kulminierte. Walter Benjamin warf dem Faschismus vor, einen ästhetischen Zugang dazu zu missbrauchen, um ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen und darüber gleichzeitig Widersprüche in der Gesellschaft zu verschleiern. Der Faschismus ästhetisiere die Politik, indem er die Mittel der Kunst zur Ritualisierung seiner Macht einsetze, und lasse alle Bemühungen um die Ästhetisierung der Politik im Krieg gipfeln.52 Richard Wagner hatte die Idee des Gesamtkunstwerks schon früher vertreten. Obwohl man hier die Position Nietzsches herauszuhören meint, geht Wagners »Kunstwerk der Zukunft« eigentlich zurück auf sein Konzept einer gegen Kants Kunstauffassung gerichteten Fusion aller Kunstarten in eine Art mittelalterliche Ekstase. Wagner versuchte, die unterschiedlichen Wahrnehmungsaktivitäten, die durch die historisch entstandenen Spezialisierungen der einzelnen Kunstgattungen unnatürlich vereinzelt worden seien, wieder zusammenzuführen. Für die Realisierung des Gesamtkunstwerks im wagner’schen Sinne war es darüber hinaus notwendig, dass das Publikum seine Rolle einnahm und sich ebenso wie der Künstler selbst dem einheitlichen Weltbild unterwarf. Als großer Verehrer Richard Wagners hatte Sitte dessen Begriff des Gesamtkunstwerks für sich adaptiert. Er forderte, den Städtebau als »bedeutsames, seelenvolles Kunstwerk« aufzufassen, »und zwar ein Stück großer, echter Volkskunst, was umso bedeutsamer in die Wagschale fällt, als gerade in unserer Zeit ein volkstümliches Zusammenfassen aller bildenden Künste im Dienste eines großen nationalen Gesamtkunstwerkes fehlt«.53 Dieses Gesamtkunstwerk Stadt ist allerdings eine wesentlich extremere Mixtur als die Wagneropern, da ein Gesamtkunstwerk Stadt nicht im Theater stattfindet, das alle Zuschauer nach der Vorstellung wieder verlassen können. Die Stadt ist mit dem Leben aller ihrer Bewohner untrennbar verbunden. Und wie bereits dargelegt, musste jedes Gesamtkunstwerk, das über eine klar abgegrenzte Bühnenrealität hinausgeht, indem eine politische Handlungsanleitung für das Alltagsleben der Menschen postuliert wird und die Lebensrealität jeder und jedes Einzelnen geformt werden soll, in Totalitarismus münden.54 Sitte scheint in diese Richtung gedacht zu haben, als er schrieb: »[S]o wissen wir, dass die Hauptregel der Antike war, dass der Platz selbst, die Gebäude, welche an diesem Platze standen, die Monumente und das tägliche Leben, welches auf diesem Platze sich abspielte, immer ein einziges harmonisches Ganzes unterein51 | Vgl. z.B. Gropius 1967, S. 15. 52 | Benjamin 1977, S. 42ff. 53 | Sitte, »Großstadt-Grün«, 2003, S. 249. 54 | Auch Sonne stellt fest, dass eine als Gesamtkunstwerk aufgefasste Stadt nicht nur die anderen Kunstgattungen unterordne und sich dabei Technik und Wissenschaft einverleibe, sondern das soziale Leben, das Leben jedes Einzelnen forme. Sonne 2003, S. 227.

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ander bildeten.«55 Trotzdem ist Sittes Städtebau als Gesamtkunstwerk nicht in dieses totalitäre Konzept einzuordnen. Wieczoreck hat Sittes betont unideologisches Städtebaukonzept hervorgehoben, das eben gerade ohne die totalitären Elemente einer sozialen Utopie auskommt, die den städtebaulichen Diskurs traditionell prägen.56 Sitte blieb hier begrifflich zwiespältig. Einerseits entstehe ein großes Stadtbaukunstwerk, wie Sitte angesichts der zweiten Wiener Stadterweiterung schrieb, »durch die Größe der Motive selbst, durch ihre Originalität, ihre ureigene Wucht, durch wahre künstlerische Phantasie in Größe des Könnens und Größe des Wollens; nicht mit Pappe und Löthe elend zusammengeflickt, nicht in zwangvoller Plage zusammengetappert als Zwergentand, sondern in einem Guß aus innerer Nothwendigkeit des Schaffens heraus ganz und groß erfunden, so muß das wahrhaft Großstädtische erdacht werden.«57 Hier forderte er einen von einem Künstlergenie erdachten »großen Wurf« im Sinne der klassischen Kunstwerksdefinition wie organische Einheit etc., der wie Wagners Opernwerke die verschiedenen beteiligten Kunstgattungen in sich vereint. Andererseits schrieb Sitte in seinem letzten Lebensjahr in Sezession und Monumentalkunst, dass ein echtes Volkskunstwerk anonym über eine lange Zeitperiode hinweg entstehe: »Das echte, große Volkskunstwerk ist naiv und weiß nichts von Autor und Zuhörer. Es ist […] ein < scheinbar < Ewiges, wie die Natur selbst.«58 Das Volkskunstwerk fällt damit aus der klassischen Definition eines Kunstwerks heraus – ja es könne, so Sitte, gar nicht von einem Einzelnen geschaffen werden, sondern müsse aus der Gesamtheit des Volkes hervor»wachsen«. Michael Mönninger folgerte, dass die volkstümliche Kunst bzw. das Kunstgewerbe Sitte als Vorbild für seine Definition des Volkskunstwerks gedient haben.59 Zwar gilt die vernakulare Kunst als naiv, anonym und über lange Zeiträume tradiert. Doch entwickelte Sitte seine Definition des monumentalen Volkskunstwerks in deutlicher Abgrenzung zum Kunstgewerbe und zur vernakularen Kultur.60 Als Volkskunstwerke bezeichnete er neben Wagners Opern Shakespeares Dramen und Goethes Faust. Am Volkskunstwerk der homerschen Gesänge habe das ganze Volk durch viele Jahrhunderte gedichtet. Mit anderen Worten: das »Wachsen« des Kunstwerks aus dem Volk ist einmal mehr metaphorisch zu sehen, es hat nichts zu tun mit der tatsächlichen Autorschaft. Nur ein besonders begnadetes Künstlergenie, so Sitte, sei überhaupt dazu in der Lage, die 55 | Sitte, »Über alte und neue Städteanlagen«, 1889, CSG 2, S. 251. 56 | Wieczoreck 1989, S. 43f. 57 | Sitte, »Wien der Zukunft. Regulirungsprojekte«, 1894, CSG 2, S. 442. 58 | Sitte, »Sezession und Monumentalkunst«, 1903, CSG 2, S. 568 59 | Mönninger 1997, S. 149f. Zwar attestierte Sitte dem Kunstgewerbe, dass es im Gegensatz zur Monumentalkunst dem gesunden Volksempfinden entspreche; doch als Stilvorbild für die monumentale Kunst lehnte er das Kunstgewerbe ab. Sitte, »Kunstgewerbe und Styl«, 1898, CSG 1. 60 | Zur Konjunktur des Vernakularen sowie zur »Volkskunst« in Abgrenzung zur »Hochkunst« in der Wiener Architektur um 1900 vgl. Aigner 2010.

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Gedanken und den Willen eines ganzen Volkes stellvertretend zu artikulieren, indem er Helden kreiere, die die Ideale der Nation verkörpern. Gelinge dem Künstler eine Erzählung, in der viele Menschen ihre Vorstellung der Welt repräsentiert sehen, so löse sich die Aussage vom historischen Urheber ab und werde zu einer anonymen mythosähnlichen Erzählung.61 Sittes Vorbild Richard Wagner wählte als Stoffe von vorneherein urheberlos gewordene Mythen und proklamierte, dass seine Kunstwerke aus dem Kunstwollen des ganzen Volkes entstanden seien. Dieses Volk sei, so Wagner, der wahre Künstler der Zukunft: »Wer wird aber demnach der Künstler der Zukunft sein? Der Dichter? Der Darsteller? Der Musiker? Der Plastiker? – Sagen wir es kurz: das Volk. Das selbige Volk, dem wir heutzutage das in unserer Erinnerung lebende, von uns mit Entstellung nur nachgebildete, einzig wahre Kunstwerk, dem wir die Kunst überhaupt einzig verdanken.«62 Der ehemalige Revolutionär Wagner erweist sich als viel radikaler als Sitte, der die anarchistische Komponente der Kunstphilosophie seines großen Vorbilds scheinbar einfach ausblendete. Bei Sitte bleibt das Volk konservativ und auf das visionäre Künstlergenie angewiesen.63 Da das Gesamtkunstwerk, um das es in dieser Untersuchung geht, kein Bühnenwerk, sondern eine ganze Stadt ist, bleibt die Schlüsselfrage: Welche Rolle ist den Stadtbewohnern zugedacht – Autoren, Publikum oder Teil des Kunstwerks? Hier gibt es keine eindeutige Antwort. Stattdessen muss einmal mehr betont werden, dass die Stadt als Gesamtkunstwerk partiell metaphorisch strukturiert ist. Die metaphorische Verbindung der Konzepte Stadt und Kunstwerk, wie sie weiter oben aufgezeigt wurde, überschneidet sich im »Gesamtkunstwerk Stadt« mit der Subkategorisierung von Städtebau als einer Kunstgattung. Während das metaphorische Konzept die Annahme voraussetzt, dass eine Stadt und ein Kunstwerk grundsätzlich unterschiedlich sind und nur als partielle Strukturierung unter Verwendung ganz bestimmter Aspekte funktionieren, bedeutet Subkategorisierung, dass Städtebau und damit städtebauliche Strukturen Teil der Kunstwelt sind. Nun kann eine Subkategorisierung nicht immer eindeutig von einer Metapher geschieden werden, weil die Frage, ob zwei Dinge von derselben Art sind, oft nicht eindeutig zu beantworten ist. Man kann diese beiden Fälle als Extrempunkte eines Kontinuums betrachten, in dem alle Mischformen möglich sind. Aldo Rossi diagnostizierte, wie bereits erwähnt, Sitte habe eben den Schritt, die gesamte Stadt als Kunstwerk zu betrachten, nicht getan: »Sittes Anschauung [enthält] aber auch etwas Missverständliches, nämlich dass die Stadt als Kunstwerk sich aus künstlerischen Einzelheiten und deren Deutung zusammensetze und deshalb nicht auf konkrete Erfahrung zurückzuführen sei. Dagegen bin ich der Auffassung, dass das Ganze wichtiger ist, als seine Teile und dass dieses Ganze aus allen städtebaulichen Phänomenen besteht, vom Straßensystem und der Stadttopographie bis 61 | Sitte, »Richard Wagner und die Deutsche Kunst«, 1875, CSG 1, S. 263ff. 62 | Wagner 1983, S. 148. 63 | Sitte, »Richard Wagner und die Deutsche Kunst«, 1875, CSG 1, S. 256ff.

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zu den Dingen, die man erfährt, wenn man auf einer Straße auf- und abspaziert.«64 Ich würde zustimmen, dass Sittes enge Kunstwerksdefinition es eigentlich nicht erlaubt, diese auf eine ganze (Groß-)Stadt zu transferieren.65 Sitte hielt, das betonte er immer wieder, in der modernen Zeit eine vollständig den Grundsätzen der Kunst gehorchende Stadt nicht mehr für möglich angesichts der widerstreitenden Interessen von Wirtschaft, Technik, Politik und Kunst. Stattdessen bot Sitte Kompromisse an: Es genüge, wenn Geometer, Bauspekulanten und Verkehrsplaner dem Künstler einige wenige zentrale Plätze zur künstlerischen Gestaltung abtreten: »[A]lles Übrige mag er gerne dem Verkehr und den täglichen materiellen Bedürfnissen preisgeben. Die breite Masse der Wohnstätten sei der Arbeit gewidmet, und hier mag die Stadt im Werktagskleide erscheinen, die wenigen Hauptplätze und Hauptstrassen sollten aber im Sonntagskleide erscheinen können zum Stolz und zur Freude der Bewohner […].«66 Soll man Sittes Aussage nun als simples Desinteresse an den praktischen Bedürfnissen des Alltagslebens interpretieren? Als Kapitulation angesichts der Übermacht des Kapitals, oder gar als strategische Finte? Nimmt Sitte hier die Position von Koolhaas vorweg, wenn letzterer in S, M, L, XL schreibt: Bigness »proposes a new economy in which no longer, ›all is architecture‹, but in which a strategic position is regained through retreat and concentration, yielding the rest of a contested territory to the enemy forces. […] Beyond signature, Bigness means surrender to technologies; to engineers, contractors, manufacturers; to politics; to others. It promises architecture a kind of post-heroic status – a realignment with neutrality.«67 Wie passt das zum Konzept des Gesamtkunstwerks? Wie auch immer man diese Fragen beantwortet, Sittes Texte zeigen, dass er weit davon entfernt war, als gottgleicher Planer die ganze Stadt mit ihren Bewohnern zum Gesamtkunstwerk zu formen.

M USIK Harmonie In Sittes Augen strömte auf dem Forum in Pompeji dem Betrachter »eine Fülle von Harmonien« entgegen, »wie die schönste Musik in vollen reinen Klängen«.68 In Der Städtebau finden sich noch zahlreiche weitere Metaphern, die von Sittes 64 | Rossi 1973, S. 25f. 65 | »Die Architektur ist gleichsam eine Sphinx, halb Tier halb Mensch. Das was der Baukünstler schafft, dient teilweise nur dem gemeinen Bedürfnisse und nur teilweise wirklich den hohen Idealen der Kunst als künstlerischer Selbstzweck.« Sitte, »Sezession und Monumentalkunst«, 1903, CSG 2, S. 567. 66 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 98. 67 | Koolhaas, »Bigness«, 1995, S. 510f, 514. 68 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 2.

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Liebe zur Musik befruchtet worden sein mögen. Julius Koch schrieb in seinem Nachruf auf Camillo Sitte: »Dem Verfasser vermochte, gleich vielen anderen die Übereinstimmung von Architektur und Musik nie recht verständlich werden, aber bei Sitte gab es zwischen diesen keine Grenze, er empfand musikalisch und schuf als bildender Künstler […].«69 Sittes Leidenschaft für die Musik und speziell für Richard Wagner ist allgemein bekannt. Er war Mitglied des löwenburgischen Sängerknabenkonvikts, trat als »hoffnungsvoller Cellist« gelegentlich mit Schulfreunden in öffentlichen Kammerkonzerten auf und pflegte die Hausmusik in seinem Musikzimmer, »dessen Wände und Plafond durch eine daran in Entfernung angebrachte, von ihm entworfene Tapete einen kolossalen Resonanzboden ergab. Wenn Sitte mit seinen zwei Söhnen dort eine Symphonie aufführte, ein Sohn am Klavier, der zweite Hans Richter zu Ehren Trompete blies, Camillo selbst Violoncell spielte, so ergab dies eine kolossale orchestral[e] Klangwirkung, wie ich sie nie vernommen.«70 An Richard Wagner adressierte Sitte einen (anonymen) Brief, in dem er ihn auf akustische Mängel in den Plänen für sein neues Opernhaus in Bayreuth hinwies.71 Eine biographische Nähe zwischen Städtebau und Musik war also bei Sitte sicherlich gegeben. Außerdem gilt Wien traditionell als Musikstadt, da es Heimat und Wirkungsstätte zahlreicher berühmter Komponisten, Musiker und Gattungen (Wiener Walzer) ist. Im Folgenden werden strukturellen Analogien im Vordergrund stehen, die Musik-Metaphern nicht nur für Sitte, sondern für Vorgänger, Zeitgenossen und Nachfolger plausibel und produktiv machten. Eine bis in die Antike zurückreichende Tradition haben unterschiedliche formale Analogien kompositorischer Regeln, die zwischen Tonkunst und Raumkunst postuliert werden. Immer wieder diente die Musik als Vorbild und Inspiration für andere Kunstgattungen. Als speziell für die Großstadt typische Metapher wurde die Symphonie abgeleitet, und nicht zuletzt spielt die Frage der akustischen Wahrnehmung der Stadt eine Rolle. Die Bauten der Ringstraße kritisierte Sitte mit den Worten: »Es ist als ob man gute Musik auf einem gänzlich verstimmten Klavier spielte. […] Man hat schon oft gesagt und Hegel gab den Anstoß, Architektur sei versteinerte Musik. Wenn dem so ist, so sind unsere Architekten Musiker, welche oft ganz gute Kompositionen liefern, dieselben aber auf verstimmten Instrumenten vorspielen und nun ist das Ganze nicht zum Anhören, oder eigentlich diesfalls nicht zum Ansehen. Es flimmert unruhig und das Auge ist beleidigt, gerade so peinlich wie das Ohr von falscher Musik.«72 Friedrich Hegel erwähnte die Metapher 69 | Koch 1903, S. 671. 70 | Adler, Hans: »Lebens-Erinnerungen« (o.J.), zit. in Mönninger 1998, S. 82. 71 | Sitte, »Brief an Richard Wagner«,1873, CSG 1. 72 | Sitte, »Komische Oper«, 1874, CSG 2, S. 169. Die Passage »und Hegel gab den Anstoß« ist in einem im Sitte Nachlass Archiv befindlichen, handschriftlich redigierten Exemplar (Sitte Archiv TU Wien, Sign. SN: 147-129/2) gestrichen, vermutlich von Siegfried Sitte, der alle Texte seines Vaters durchredigierte, im Rahmen der von beiden Söhnen noch zu Lebzeiten

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der Architektur als »gefrorne Musik« in seinen Vorlesungen über die Ästhetik von 1835–38, doch er würdigte Friedrich Schlegel als Urheber: »Friedrich v. Schlegel hat die Architektur eine gefrorne Musik genannt, und in der That beruhen beide Künste aus einer Harmonie von Verhältnissen, die sich auf Zahlen zurückführen lassen […].«73 Hegel betont eher die Unterschiede zwischen den Gattungen. »In beiden Künsten geben zwar die quantitativen und näher die Maaßverhältnisse die Grundlage ab, das Material jedoch, das diesen Verhältnissen gemäß geformt wird, steht sich direkt gegenüber. Die Architektur ergreift die schwere sinnliche Masse in deren ruhigem Nebeneinander und räumlichen äußeren Gestalt, die Musik dagegen die aus der räumlichen Materie sich freiringende Tonseele in den qualitativen Unterschieden des Klangs und in der fortströmenden zeitlichen Bewegung.«74 Bereits 1802/03 hatte Friedrich Wilhelm Schelling das Diktum geprägt, Architektur sei »erstarrte Musik« und »concrete Musik«. Goethe variierte diesen Ausspruch und bezeichnete die Architektur als »verstummte Tonkunst«. Schopenhauer schließlich nannte die Architektur »versteinerte Musik«.75

Abbildung 8.6: Architektur wie Musik komponiert. »Mozart D-Moll Quartett, 1. Satz« von Erich Mendelsohn, Skizze um 1920. (Staatliche Museen zu Berlin – Kunstbibliothek) ihres Vaters projektierten und nach seinem Tode weiterbearbeiteten, aber nie erschienenen Gesamtausgabe. 73 | Hegel 1953, Bd. 13, III 1, 2. Kap., 1c, S. 306. Im 19. Jahrhundert galt im Allgemeinen Schlegel als Erfinder der Metapher, doch ist der exakte Wortlaut nicht nachzuweisen. Für eine detaillierte Diskussion siehe: Khaled 2004, S. 25ff. 74 | Hegel 1953, Bd. 14, III 3, 2. Kap., 1a, S. 133. 75 | Schelling 1976, S. 576, 577; Goethe 1956, S. 474; Schopenhauer 1960, S. 582.

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Schelling zum Beispiel leitete aus der Metapher ab, dass Architektur und Musik sich glichen, da beide eine rhythmische, eine harmonische und eine melodische Komponente hätten: Ein Gebäude sei nichts anderes als eine mit dem Auge empfundene Musik, ein Konzert, das nicht zeitlich komponiert sei, sondern in einer (simultanen) räumlichen Abfolge harmonischer Verbindungen.76 Sitte scheint dieses Motiv aufgegriffen zu haben, wenn er seinen Gang durch die Akropolis von Athen beschreibt: »Das untere Eingangsthor, die mächtige Freitreppe, die wundervoll durchgeführten Propyleen, sind der erste Satz dieser in Marmor, Gold und Elfenbein, Bronze und Farbe ausgeführten Symphonie.«77 Schelling folgerte außerdem: »Der ursprünglichste Schematismus ist die Zahl, wo das Geformte, Besondere durch die Form oder das Allgemeine selbst symbolisirt wird. Was also in dem Gebiet des Schematismus liegt, ist der arithmetischen Bestimmung unterworfen in der Natur und Kunst, die Architektur, als die Musik der Plastik, folgt also nothwendig arithmetischen Verhältnissen, da sie aber die Musik im Raume, gleichsam die erstarrte Musik ist, so sind diese Verhältnisse zugleich geometrische Verhältnisse.«78 Die verborgenen mathematischen Gesetze musikalischer wie architektonischer Schönheit waren die zentralen Fragen von Claude Bragdon, Architekt, Theosoph und enger Freund von Louis Sullivan. Er hielt Architektur und Musik für die beiden Seiten ein und derselben Münze und dachte, dass alle architektonischen Formen und Arrangements, die Vergnügen bereiten, in ihrer Essenz musikalisch seien. Jede wohlkomponierte Fassade produziere Harmonie in drei Dimensionen, jede gut gestaltete Dachkontur singe eine Melodie gegen den Himmel.79 (Abb. 8.6) Andere Autoren argumentierten mittels der Musik-Metapher für einen bestimmten Stil, besonders für die Gotik. In seinem Essay über Notre Dame d’Amiens kontrastierte Walter Pater 1894 die bloße Melodik griechischer Architektur (»the sense as it were of music in the opposition of successive sounds«) «) mit der Harmo-nie der Gotik (»the richer music generated by opposition of sounds in one and the same moment«).80 Insofern kann die Übertragung von Motiven in einen anderen Stil durch Musik-Metaphern illustriert werden, so wie Arthur C. Danto Art Deco als jazzige Adaption aztekischer Rhythmen beschrieb.81 Andere schlugen vor, dass Architektur nationale Werte verkörpern könne, wie sie in traditioneller Volksmusik ausgedrückt würden. Theophil von Hansen beschrieb die Redoute in Budapest von Frigyes Feszl als gefrorene »Czardas«.82 In ähnlicher Weise ist es wohl zu verstehen, wenn heute beispielsweise Samba als Metapher für eine den lokalen 76 | 77 | 78 | 79 | 80 | 81 | 82 |

Schelling 1976, S. 594f. Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 11. Schelling 1976, S. 576. Bragdon 1910, S. 86, 92. Pater 2011, S. 114. Danto 1984, S. 100. Zit. in Moravánszky 1988, S. 141.

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Verhältnissen angemessene Strategie zur Aufwertung der Elendsquartiere von Rio de Janeiro angeboten wird.83 Bei Sitte entfaltete die Musik-Metapher keine derartige generative Kraft. Sie dient lediglich als Folie für seinen Kommentar über die mangelnde Harmonie. An anderen Stellen erklärte er, dass drei perfekt gruppierte Bauwerke einen »vollkommen reine[n] Dreiklang« bilden, während in weniger gut komponierten Ensembles »jedes Bauwerk gleichsam eine andere Melodie in anderer Tonart« spielt; sieht man alle gleichzeitig, »ist es nicht anders, als ob man eine Fuge von S. Bach, ein grosses Finale aus einer Mozart’schen Oper und ein Couplet von Offenbach zu gleicher Zeit anhören sollte. Unerträglich!«84 Hier scheint die Analogie etwas zu entgleisen, denn eine Fuge, ein Opernfinale und das Couplet unterscheiden sich ja nicht nur in Melodie und Tonart, sondern vor allem in Stil und Form. Doch bezieht Sittes Kritik sich tatsächlich auf die Stilfrage, also auf die unterschiedlichen Stile der historistischen Ringstraßenbauten (die Universität in Renaissancemanier und die neogotische Votivkirche). Ein wichtiger Begriff war für Sitte die »Stimmung«.85 Sein großes Vorbild für gelungene Stimmungskompositionen war der bereits erwähnte Joseph Hoffmann. Sitte schrieb über ihn: »Dem Stylisten sind aber Bäume, Felsen, Wurzeln, Gräser, Wolken nur dasjenige, was dem Musiker die zwölf Töne seiner Skala, es sind die einfachsten Elemente, die er, frei schaffend, zu wunderbaren Melodien vereinigt. In Landschaften dieser Art gibt es auch Takt, gleichsam auch Tonarten, Vorbereitungen, Übergänge, Kadenzen, Schlußsätze, wie in der Musik […]. Die Wirkung, die er [ J. Hoffmann] aber damit hervorbringt, ist eine sichere, immer gleiche, unmittelbar jeden Beschauer bezwingende, und man pflegt sie dadurch anzudeuten, daß man solchen Landschaften ›Stimmung‹ zuschreibt. Ein bezeichnendes Wort, das der musikalischen Nomenklatur entlehnt, das alles hinter sich birgt, was es sagen will, sowohl die Wirkung, als auch deren verborgene Ursache. Die Hoffmann’schen Bilder sind Stimmungsbilder ganz in derselben Weise wie viele Tonsätze von Schumann, ja selbst eine Äußerlichkeit haben Beide gemein, die übrigens tiefer mit dem Wesen ihrer Kompositionen verflochten zu sein scheint.«86 Es gibt noch andere Aspekte als Harmonie und Stimmung, die Sitte aus der Musik-Metapher schöpfte. Das »Musikalische« hatte nicht nur im Städtebau, sondern auch in der Malerei des Fin-de-Siècle hohe Konjunktur, wo es die Literatur als Vorbild ablöste. »La musique avant toute les choses«, erklärte Paul Verlaine, und Pater behauptete, dass alle Kunst sich immer nach dem Zustand der Musik 83 | Barke et al. 2001. 84 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 129, 158. 85 | Vgl. Mönninger 1998, S. 56ff. 86 | Sitte, »Hoffmann’s Landschaften«,1873, CSG 1, S. 200. Sitte wählte einen ganz ähnlichen Vergleich fast 20 Jahre später noch ein zweites Mal für denselben Maler. Sitte, »Ausstellung im Künstlerhause«, 1892, CSG 1, S. 280.

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sehne.87 Als Beispiel führte Pater an, dass venezianische Maler ihre lokale Landschaft zu ein paar wenigen abstrakten Eigenschaften destillierten, wie kühle Farben und ruhige Linien, und Details wie braune Türmchen und strohgelbe Felder nur als Noten einer Musik verwendeten – »presenting us with the spirit of essence only of a certain sort of landscape – a country of the pure reason or half-imaginative memory«.88 An dieser Stelle sei kurz angemerkt, dass Sitte in einer Abhandlung unter dem bezeichnenden Titel Über Farbenharmonie 1900 zahlreiche Musik-Metaphern verwendet.89 Kurt Schawelka betonte, dass Maler weder Musik machten, noch Musik malten, sondern in ihren Bildwerken eine der Musik vergleichbare Wirkung erstrebten, indem sie nicht mehr auf intellektuelle Dechiffrierung, sondern auf stimmungsmäßiges Nachempfinden zielten. Er benennt als charakteristische Prinzipien den Handlungsverzicht zugunsten ikonenhafter, dauernder, diagrammartiger Veranschaulichung von Grundgegebenheiten, Flächigkeit statt räumlicher Effekte sowie den Einsatz von Ornamenten. Schon Semper habe festgestellt, dass die Komposition von Melodien den gleichen Gesetzen unterworfen sei wie die von Ornamenten.90 Diese Aufzählung macht den metaphorischen Charakter des Begriffs deutlich – metaphorische Strukturierungen sind immer partiell –, denn es können wohl kaum Prinzipien wie der Verzicht auf Dreidimensionalität und räumliche Effekte das »Musikalische« im Städtebau ausmachen. Es müssen andere Ähnlichkeiten sein, auf die sich Musik-Metaphern für die Stadt gründen. Folgende Analogien werden in städtebaulichen Schriften der Jahrhundertwende genannt: die rhythmische Gliederung einer großen Menge disparater Einzelteile und deren Gruppierung zu »Akkorden«, Wiederholungen, Abwechslung und Einheit in der Mannigfaltigkeit, sowie Akzente und Gliederungen, Zäsuren und Interpunktionen.91

Symphonie In einem Brief an Alfred Lichtwark schrieb Sitte 1903: »Städtebau ist ja die Vereinigung aller bildenden Künste zu einer großen architektonischen Symphonie.«92 Karl Henrici lobte 1897 in einem Vortrag über das »Malerische« [sic!] in der Architektur die »symphonische Architekturdichtung« der alten Städte und forderte, den Plan zur Stadt zu machen, »wie die Partitur zu einer Symphonie«.93 Die komplexe und viel87 | Pater 1980, S. 106. 88 | Ebd., S. 107. 89 | Sitte verwendete den Begriff des »Farbensymphonikers«. Außerdem erläuterte er die Ähnlichkeiten zweischen den Gattungen in Bezug auf Komplexität der Komposition, Stimmung und Gefühle. Sitte, »Farbenharmonie«, 1900, CSG 5, S. 393, 398, 404. 90 | Schawelka 1993. 91 | Pfeifer 1904; Schmidtkunz 1905, S. 92f.; vgl. Sonne 2003, S. 226f. 92 | Sitte, »Brief an Alfred Lichtwark«, 1903, S. 150. 93 | Henrici, »Das Malerische«, 1904, S. 50.

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stimmige Form der Symphonie schien geeignet, die moderne Großstadt zu beschreiben. Heute scheint die Metapher, die einem Film von Walter Ruttmann 1927 seinen Titel gab (Berlin. Die Sinfonie der Großstadt), etwas abgedroschen. Die Kritik lobte seinerzeit vor allem dessen neuartige Form: den einer Sinfonie nachempfundenen Querschnitt durch den Ablauf eines Tages in der Großstadt, den Verzicht auf eine Spielhandlung und die den Rhythmus betonende Montage. Die Großstadt könne nur qua Rhythmus und musikalischer Motivtechnik adäquat erzählt werden. Unter einer »Symphonie« versteht man klassischerweise ein Instrumentalwerk für ein Orchester, ohne dass dabei Solisten besonders herausgehoben würden. Die Kompositionen sind vielstimmig, komplex und variantenreich, doch werden dabei gewisse formale Rahmenbedingungen eingehalten: Eine Symphonie besteht meist aus vier Sätzen in unterschiedlichen Tempi und beginnt und endet in einer Grundtonart. Diese Prinzipien schienen auch auf den Städtebau anwendbar zu sein. Camillo Sitte legte die Metapher in diese Richtung aus, wenn er die gängige Praxis der Stadterweiterung ohne übergeordneten Masterplan kritisierte: »Das ist genau so, als ob Einer glauben würde, gleichsam die große Symphonie oder Oper einer Millionenstadt im Gegensatze zum einfachen Liede eines Marktfleckens so ihrer Größe entsprechend komponiren zu können, daß er alle möglichen musikalischen und dekorativen Einzelmotive einfach auf einen großen Haufen zusammen trüge; hier einen Trauermarsch und da ein Ballet, hier ein Schmachtliedchen und dort ein Kouplet u.s.f.; nein, meine Herren! So macht man keine Wagner-Oper, keinen »Fidelio«, keinen »Don-Juan«, und ebensowenig macht man auf diese Art ein großes Stadtbaukunstwerk; sondern durch die Größe der Motive selbst, durch ihre Originalität, ihre ureigene Wucht, durch wahre künstlerische Phantasie in Größe des Könnens und Größe des Wollens«.94 Der englische Architekt A. Trystan Edwards kritisierte 1929 mittels Symphonie-Metapher Le Corbusiers städtebauliche Konzepte als eindimensional: »M. Le Corbusier’s solution is to do away with the complexity. This complexity, however, is part of the subject of civic design. The modern great city is like a large orchestra which often plays an inferior piece of music, and in which the instruments themselves may occasionally even be out of tune. It is the business of a reformer to improve the music and the instruments, but not to cut down the range of the orchestra, nor the number of musical effects that are aimed at by it. M. Le Corbusier has not the patience to attempt this, but substitutes for this orchestra a single tin whistle with about five notes, with which he plays a perfectly rhythmical tune. But it is not enough.«95> Das Motiv wurde 1973 von Victor Gruen aufgegriffen, als er eine Partitur für die Komposition eines Stadtzentrums vorlegte: »Die Orchestrierung einer Symphonie oder einer Oper sollte Planer inspirieren. Hier finden wir das Zusammenspiel einer großen Anzahl einzelner Instrumente (Funktionen) mit verschiedenen 94 | Sitte, »Wien der Zukunft. Regulirungsprojekte«, 1894, CSG 2, S. 442. 95 | Edwards 1929, S. 138.

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Abbildung 8.7: Sinfonie Stadt. Partitur für die »Komposition eines Zentrums« von Victor Gruen 1973. (Gruen 1973)

Eigenheiten auf allen Stufen der Skala nach Zeitmaß, Position, Stärke (Qualität und Quantität) genau festgelegt.«96 (Abb. 8.7) Gruens Verwendung der Symphonie-Metapher impliziert nicht nur, dass eine Stadt ein sehr großes und komplexes Ding ist, das im Zusammenwirken vieler unterschiedlicher Akteure entsteht, sondern auch, dass der Künstler trotzdem das Unmögliche wagen und ihr eine Struktur nach seinem eigenen künstlerischen Willen geben kann. 96 | Gruen 1973, S. 140f.

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Sound Eine gänzlich andere Interpretation der MusikMetapher ist es, die Geräusche der Stadt als Musik zu deuten. Schon im 18. Jahrhundert zeugen Stadtbeschreibungen davon, dass Besucher von den vielfältigen Geräuschen der Großstadt geradezu überwältigt waren. Georg Christoph Lichtenberg schrieb 1775 in einem Brief über London: »In der Mitte der Straße rollt Chaise hinter Chaise, Wagen hinter Wagen und Karren hinter Karren. Durch dieses Getöse, und das Summen und Geräusch von Tausenden von Zungen und Füßen, hören Sie das Geläute von Kirchtürmen, die Glocken der Postbediensteten, die Orgeln, Geigen, Leyern und Tambourinen englischer Savoyarden, und das Heulen derer, die an den Ecken der Gasse unter freiem Himmel kaltes und warmes feil halten.«97 Victor Hugo hat 1831 dazu aufgefordert, dem »Gesang« der Stadt zu lauschen, den man Sonntags, hoch oben auf den Türmen von Notre-Dame stehend hören könne: »Am Tage spricht die Stadt, in der Nacht atmet sie, jetzt aber [wenn die Kirchenglocken läuten] singt sie. Horcht dem Zusammenklang aller Glocken, dem sich das Gemurmel einer halben Million Menschen, die ewigen Klagen des Flusses, die unendlichen Seufzer des Windes, das ferne ernste Rauschen der vier Wälder gesellt, die riesigen Orgeln gleich auf den Hügeln am Horizonte stehen.«98 Die Generationen nach Sitte haben diese Lesart noch wesentlich weiter getrieben. Der Berliner Architekt und Lehrer August Endell beschrieb diesen Hörgenuss in seiner Schrift über die Schönheit der großen Stadt von 1908: »Man muss nur einmal hinhören und den Stimmen der Stadt lauschen. Das helle Rollen der Droschken, das schwere Poltern der Postwagen, das Klacken der Hufe auf dem Asphalt, das rasche, scharfe Stakkato des Trabers, die ziehenden Tritte des Droschkengaules, jedes hat seinen eigentümlichen Charakter […]. Diese Geräusche sind uns vertraut wie alte Bekannte. Oft freilich allzu laut, betäubend in nächster Nähe. Aber fast immer schön, wenn sie sich entfernen und allmählich leiser werdend in der Ferne verklingen. […] Wie vielfältig sind die Stimmen der Automobile, ihr Sausen beim Herannahen, der Schrei der Hupen, und dann, allmählich hörbar werdend, der Rhythmus der Zylinderschläge, bald rauschen, bald grob stoßend, bald fein in klarem Takte, metallisch klingend. Und schließlich ganz in der Nähe die Sirenentöne der Räder, deren Speichen schlagen und das leise rutschende Knirschen der Gummireifen.«99 Der Komponist Luigi Russolo erklärte in »L’Arte dei rumori« von 1916 die neuen Geräusche der Industrialisierung – der Großstadt, der Industrie und des Krieges – zum ästhetischen Ausdruck der Epoche: »Beethoven und Wagner haben während vieler Jahre unsere Nerven erschüttert und Herzen bewegt. Heute sind wir ihrer überdrüssig und geniessen es viel mehr, die Geräusche der 97 | Zit. in Bollerey 2006, S. 54. 98 | Hugo 2001, S. 177. 99 | Endell 1995, S. 177.

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Abbildung 8.8: Die Musik der Straße. »La Strada entra nella Casa« von Umberto Boccioni, 1911. (Kunstmuseum Hannover mit Sammlung Sprengel)

Tram, der Explosionsmotoren, Wagen und schreienden Menschenmengen in unserer Vorstellung zu kombinieren, als beispielsweise die ›Eroica‹ oder die ›Pastorale‹ wiederzuhören. […] Durchqueren wir eine grosse moderne Hauptstadt, die Ohren aufmerksamer als die Augen, und wir werden daran Vergnügen finden, die Wirbel von Wasser, Luft und Gas in den Metallrohren zu unterscheiden, das Gemurmel der Motoren, die unbestreitbar tierisch schnaufen und pulsieren, das Klopfen der Ventile, das Hin-und-her-laufen der Kolben, das Kreischen der mechanischen Sägen, das Holpern der Tramwagen auf ihren Schienen, die Schnalzer der Peitschen, das Knistern der Vorhänge und Fahnen. Wir werden uns damit unterhalten, das Getöse der Rolläden der Händler in unserer Vorstellung zu einem Ganzen zu orchestrieren, die auf- und zuschlagenden Türen, das Stimmengewirr und das Scharren der Menschenmengen, die verschiedenen Getöse der Bahnhöfe, der Eisenhütten, der Webereien, der Druckereien, der Elektrozentralen und der Untergrundbahnen.«100 Mit Kompositionen wie »Das Erwachen einer Stadt«, deren Erstaufführung mit selbstkonstruierten Geräuschinstrumenten 1914 in Mailand in einer Schlägerei endete, wurde Russolo zum gewichtigen Vorreiter im Musikdiskurs. (Abb. 8.8) 100 | Russolo 1999, S. 11f. Wortgleich bereits 1913 veröffentlicht als »Futuristisches Manifest«.

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Im 20. Jahrhundert schwanden die Grenzen zwischen Geräusch und Musik, Musik wurde als organisiertes Geräusch oder organisierter Ton definiert. Damit kann jedes Geräusch als Musik wahrgenommen oder zum Teil einer Komposition werden: »Jede Äusserung unseres Lebens wird von Geräuschen begleitet. Das Geräusch ist also unserem Ohr vertraut, und es hat das Vermögen, uns das Leben selbst zurückzurufen. Während der stets musikalische Ton, der dem Leben äusserlich gegenübersteht, als Ding für sich, als zufälliger und nicht unerlässlicher Bestandteil, nunmehr für unser Ohr geworden ist, was dem Auge ein allzu bekannter Anblick ist, erschliesst sich uns das Geräusch, das uns, von der Verwirrung und Unregelmässigkeit des Lebens ausgehend, verwirrt und unregelmässig erreicht, nie gänzlich und hält uns zahllose Überraschungen bereit. Wir sind daher sicher, dass wir durch Auswählen, Koordinieren und Beherrschen aller Geräusche die Menschen mit einem neuen, unerwarteten Genuss bereichern werden.«101 In den 1960er Jahren trug der kanadische Komponist R. Murray Schafer die Vorschläge Russolos in die Straßen Vancouvers zurück. Er schlug vor, die akustischen Environments als soundscape aufzufassen, bestimmt durch akustische Spaziergänge in der Stadt, die die Basis für einen »akustischen Urbanismus« bilden.102 Die verschiedensten Spuren in ihren Überlagerungen der alltäglichen Situationen bilden die sogenannte soundscape aus. Der Hörer wird zum Mitkomponist seiner Umwelt, insofern er die Aufmerksamkeit auf ein von ihm ausgewähltes Merkmal legt. Bei Sitte finden sich keine derartigen Ansätze, seine Musikauffassung war klassisch. Dem Musikliebhaber und Opernfreund Sitte dienten mindere musikalische Geräusche wie »Signalpfeife« oder »Haustorklingel« nur zur Abgrenzung seiner Definition der hohen Kunst: »Es fehlt uns der Städtebau als Kunstwerk. Das ist aber geradeso, als ob uns Musik als Kunstwerk an sich fehlen würde und sie nur bis zu derjenigen Grenze geduldet wäre, bis zu welcher sie den Nützlichkeitsnachweis zu erbringen vermag; also höchstens noch bis zu Tanzmusik und Marsch, in der Regel aber doch nur als Signalpfeife, Trommel oder Hausthorklingel, überhaupt nur dort, wo sie dem gemeinen Leben als Hausmagd dient, aber beileibe nicht dort, wo musikalische Töne sich anmaßen, als höherer künstlerischer Selbstzweck zu gelten [Hervorhebung i.O.].«103 Seine Vision des von regem Leben und Treiben erfüllten Wiener Rathausplatzes als Schauspiel hat zwar eine akustische Komponente, doch bleibt Sittes Musikauffassung konventionell. Er spricht von »den Klängen heiterer Musik« und vom »Lärm der Feste«.104 Die Geräusche der Großstadt kommen bei Sitte dennoch vor, sie sind aber als Lärm mit einer klar negativen Wertung versehen. Den »rasselnden Trödelkram 101 | 102 | 103 | 104 |

Ebd. Schafer 1977. Sitte, »Ferstel, Hansen, Schmidt«, 1892, CSG 2, S. 367. Sitte, »Über alte und neue Städteanlagen«, 1889, CSG 2, S. 270.

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des Alltagslebens«, oder spezieller das »nirgends rastende Wagengerassel«, sollten Stadtbewohner so oft wie möglich hinter sich lassen.105 Sittes akustische Kompositionen im Städtebau bestanden im Wesentlichen aus Lärmberuhigung. Parks sollten durch Baukörper oder hohe Mauern von den Strassen abgeschottet werden, Denkmäler auf Plätzen abseits des Verkehrs errichtet und kontemplative Kirchenplätze von störenden Geschäften und Verkaufsbuden freigehalten werden. Wie so oft erweist sich Sitte hierin immerhin als Vorreiter. Die Lärmfrage wurde im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts zu einem wichtigen Teil der interdisziplinären Debatte über Stadthygiene. Der deutsche Publizist Theodor Lessing gründete 1908 in Hannover einen »Antilärmverein«, dessen Wiener Ortsgruppe unter anderem Hugo von Hoffmannsthal und Alfred Herrmann Fried angehörten. Trotz hoher medialer Resonanz musste der Verein seine Arbeit bereits 1911 wieder einstellen, aufgrund von zu geringer Mitgliederzahl und notorischer Geldnot. Eine der wichtigsten baulichen Lärmberuhigungsmaßnahmen gegen den allgegenwärtigen Verkehrslärm war es, das holprige Kopfsteinpflaster durch Asphalt oder Holzstöckelpflaster zu ersetzen, um 1900 existierten davon in Wien allerdings erst rund 93.000 Quadratmeter, gegenüber 842.000 in Berlin und 1.800.000 in Paris. An besonders sensiblen Zonen, etwa vor Krankenhäusern, warf man zur Dämpfung Stroh auf die Straße. Andere Schutzmaßnahmen zielten nicht auf die Lärmquelle, sondern den Empfänger: 1907 wurde »Ohropax« erfunden.106

M ALEREI Bild Die Plätze im Herzen Venedigs seien so schön, schrieb Sitte, dass nicht einmal Tizian und Veronese »in ihren frei componirten Stadtbildern […] etwas noch Herrlicheres zu ersinnen vermocht« hätten.107 In Lucca gebe es »drei Plätze und drei Stadtbilder, ein jedes anders und jedes ein in sich harmonisch geschlossenes Ganzes«.108 Das eine Stadt darstellende Gemälde und das malerische Stadtbild werden gleichgesetzt. Wir finden außerdem die bereits erwähnten klassischen Kunstwerksdefinitionen wieder: Autorschaft, Geschlossenheit der Anschauung, organische Einheit. Camillos Sohn Heinrich fand 1908 in einem Zeitungsartikel, der im Wesentlichen eine Paraphrase der Ideen seines Vaters darstellt, deutliche Worte: »Ein die künstlerische Bezeichnung Platz verdienendes Gebilde der Baukunst muß die allen Kunstwerken durchaus wesentliche Grundeigenschaft der 105 | Sitte, »So geht’s nicht!«, 1891, CSG 2, S. 310; ders., »Die Ergebnisse der Vorconcurrenz«, 1902, CSG 2, S. 538. 106 | Vgl. Payer 2005, S. 571ff. 107 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 65. 108 | Ebd., S. 63.

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Einheit in sich aufweisen, der sinnlich – nicht bloß intellektuell – erfassbaren Einheit eines in sich abgeschlossenen Ganzen.«109 Die Geschlossenheit der Plätze ist wohl der am häufigsten zitierte künstlerische Grundsatz aus Camillo Sittes berühmtem Buch. Dabei wird die metaphorische Dimension meist außer Acht gelassen, die Rezeption richtet sich vorwiegend auf Sittes Einbeziehung von wissenschaftlichen Erkenntnissen zur menschlichen Wahrnehmung visuell gefasster Räume. Tatsächlich machte Sitte den Versuch, seine Metapher wissenschaftlich zu untermauern: Da die Netzhaut zweidimensionale Bilder räumlicher Konstellationen vermittle, seien der Raum und dessen zweidimensionales Bild in unserer Wahrnehmung untrennbar verbunden: »Nur weil das Auge selbst schon ein Apparat ist, welcher die drei Dimensionen des Raumes auf die zwei des perspectivischen Netzhautbildes reducirt, nur deszhalb kann die Malerei dasselbe bereits in ihrer Bildfläche vollbringen. […] Für einen Sehapparat, der mit allen drei Dimensionen des Raumes arbeitet, wäre ein Gemälde, eine Photographie gerade unverständlich, so eigentlich.«110 Diese Erklärung ist allerdings obskur, ein zweidimensionales Gemälde ist nicht mit dem Abbild des Sehreizes auf der Netzhaut gleichzusetzen. Sitte betrachtete den Maler als Experten für die Komposition realer »Stadtbilder«: »Wer soll über die perspektivischen Wirkungen, über Silhouetten, über die Einfügung des Naturschönen […] ein gewandteres Urtheil haben als das Auge des Malers, dessen Lebensaufgabe es ist, solche Dinge von allen Seiten her aufzufassen und künstlerisch zu verarbeiten?«111 Er rühmte Joseph Hofmann, da keiner es wie dieser verstehe, »mit förmlichem Feldherrnblick« den richtigen Augpunkt für Bilder von an sich vertrauten Orten zu finden, und außerdem seine »Darstellung, die den Beschauer förmlich lehrt und lenkt, wie und was er sehen soll«.112 Durch die meisterliche Wahl von Perspektive und Ausschnitt, und dessen Komposition zum Bild werden Landschaften und Städte veredelt. »Man sieht förmlich die Wanderung und die nimmermüde Sorgfalt des Belauschers; das Suchen nach dem richtigen Fleck, von dem aus die Sache gefaßt werden muß. […] Orte, die man ganz wohl in der Erinnerung hat, sehen hier viel formreicher, viel plastischer aus; man möchte gleich noch einmal hinwandern, um es auch so günstig, so schön sehen zu können, denn hier ist jedes Stück zu einem Motiv für ein wohlgeordnetes Bild geworden, mit einer Fülle interessanter Raumgruppirungen, Terrainentwicklungen, perspektivischen Tiefen und Verschneidungen voll Harmonie des Linienflusses. Das ist die wahre Meisterschaft des Sehens, großgezogen an den alten Meistern.«113 Manchmal sind die Stadtplätze für Sitte nicht Bild, sondern dessen Rahmen. Freigestellte Monumentalbauten ohne passende Umgebung verglich Sitte mit einem Bild, dem der Rahmen fehle. Man solle sich den Petersplatz in Rom vor 109 | 110 | 111 | 112 | 113 |

Sitte, Heinrich, 1910, S. 24. Sitte, »Geschichte des perspectivischen Zeichnens«, o.J., CSG 5, S. 676. Sitte, »Wien der Zukunft. Regulirungsprojekte«, 1894, CSG 2, S. 446. Sitte, »Joseph Hoffmann«, 1900, CSG 1, S. 288. Sitte, »Josef Hoffmann’s Reisebilder«, 1886, CSG 1, S. 269f.

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Augen führen, dann wisse man, wie wichtig der passende Rahmen für ein Bauwerk sei.114 Heinrich Sitte nannte die das Kunstwerk Platz einfassenden Bauwerke dessen »Rahmen«, womit er die Metapher seines Vaters zu Ende dachte.115

Das Malerische An dieser Stelle muss nun endlich der Begriff genannt werden, den Sitte so häufig verwendete und der mit ihm noch häufiger verbunden wird: das »Malerische«. Um ein malerisch wirksames Stadtbild zu schaffen, müsse man »die Farben der Alten auf die Palette setzen«.116 Sitte nahm städtebauliche Situationen ähnlich wie Bilder wahr, er beschrieb sie mit den gleichen Worten und komponierte sie auch ähnlich. Es seien »Stadtbilder« zu gestalten, »welche charakteristisch wirken und die Orientirung erleichtern […]; daß vorhandene Fernsichten und sonstige Schönheiten zur Geltung gebracht werden und überhaupt die ganze Flächen- und Raumgliederung auch nach künstlerischen Grundsätzen erfolgt; daß Silhouetten, Verschneidungen und Perspektiven berücksichtigt werden«.117 Diese Stadtbilder müssen einen Vorder-, einen Mittel- und einen Hintergrund haben, wobei der erstere in Ermangelung eines echten Bilderrahmens den Blick adäquat einfassen soll und der letztere möglichst eine Fernsicht einschließen sollte, zum Zwecke der Perspektivwirkung.118 In seinem Lageplan für Privoz situierte Sitte die Kirche »im Hintergrund des Platzbildes« und sprach von der »Einrahmung dieser Bildwirkung« durch einen vorspringenden Erkerbau als Gasthof auf der einen und das Rathaus auf der anderen Seite.119 Geradezu abgedroschen war Sittes Vorliebe für krumme, »sich schlangenförmig am Gelände hinziehende« Straßen, über die er ausdrücklich sagte: »die krumme Straße ist unter allen Umständen schöner und praktischer als die gradlinige«.120 Die Ansicht der Burg Kreuzenstein bei Wien schilderte er als malerisch, wegen der »gefühlsmäßig nothwendige[n] und wohlthuende[n] Unsymmetrie in der Durchbildung«, die dem Prinzip der symmetrischen Massenverteilung folge, und des wichtigen Prinzips der »strengste[n] Einheit bei möglichster Mannigfaltigkeit«.121 Außerdem nannte er: »kräftige Risalite, öftere Fluchtstörungen, gebrochene oder gewundene Straßenzüge, ungleiche Straßenbreiten, verschiedene Haushöhen, Freitreppen, Loggen, Erker und Giebel.«122 114 | 115 | 116 | 117 | 118 | 119 | 120 | 121 | 122 |

Sitte, Der Städtebau, S. 176. Sitte, Heinrich, 1910, S. 26. Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 119. Sitte, »Neue Stadterweiterung«, 1891, CSG 2, S. 320. Vgl. z.B. Sitte, »Lageplan für Reichenberg«, 1901, S. 16. Sitte, »Monumentalbauten von Privoz«, 1895, S. 35. Sitte, »Lageplan für Reichenberg«, 1901, S. 16. Sitte, »Burg Kreuzenstein«, 1898, CSG 2, S. 479. Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 117.

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Der Begriff des »Malerischen«, im Sinne von picturesque wie Sitte ihn verstand, wurde vom Gartenbau auf die Architektur übertragen, wie im Kapitel zur Stadt als Landschaft bereits ausgeführt. Malerisch ist nach dieser Auffassung ein Modus der Wahrnehmung – weite Perspektive, Wechsel von Szenen, Nebeneinander von Stilen, eine radikal neue Sichtweise, eine neue Ästhetik.123 Ákos Moravánszky weist auf die Unterscheidung zwischen painterly und picturesque hin, die mit dem gemeinsamen Ausdruck »malerisch« nicht wiedergegeben werden kann. Während picturesque auf die Bildhaftigkeit hinzielte, wurde »das Malerische« im Sinne von painterly als Abgrenzung zwischen den Kunstgattungen (malerisch im Gegensatz zu plastisch) gebraucht. August Wilhelm Schlegel hatte in seinen Wiener Vorlesungen 1809–11 den Begriff des Malerischen verwendet, um den Gegensatz zwischen der Klassik und der Romantik aufzuzeigen. Das Romantische sei durch das Christentum mit der Malerei eingeführt worden, während die Klassik ihren idealen Ausdruck in der Plastik gefunden habe.124 Mit Uvedale Price wurde der Begriff des picturesque zum Schlüsselwort, um Kunstwerke zu interpretieren, die aufgrund ihrer Unregelmäßigkeit mit klassischen Schönheitsbegriffen nicht gefasst werden konnten. Er veröffentlichte 1794 seinen Essay on the Picturesque, in dem er ebenfalls sein Vorbild in der Landschaftsmalerei fand. Von Edmund Burke, der das erhabene (sublime) und das schöne (beautiful) als komplementär zueinander definiert hatte,125 ausgehend, versuchte Price, das picturesque als in der Mitte zwischen diesen beiden Begriffen zu etablieren – weniger schaudererregend als das Erhabene und emotionsgeladener als das Schöne. Wie vor ihm William Gilpin nannte er als Eigenschaften des Malerischen roughness, dazu kamen sudden variation und irregularity.126 Price beschrieb die malerische Komposition als Ergebnis eines Zufalls, wenn ein Gärtner einige Bäume kappe, um Holz zu machen, sei die malerische Wirkung der Baumgruppe unbeabsichtigt. Herrmann Lotze bemerkte 1868, dass das Malerische zustande komme, wenn die Formen eine Geschichte haben, durch Unvollkommenheiten, Abnutzung und Paradoxien.127 John Ruskin schlug vor, das Malerische als »parasitäre« Erhabenheit zu verstehen, da sie von Zufällen abhänge.128 Sitte stimmte dem zu, wenn er einschränkte, dass für neuangelegte malerische Stadtbilder künstliche Unregelmäßigkeiten im Plan vorgesehen werden müssten, »erzwungene Ungezwungenheiten«, »erlogene Naivetät«, an der man keine Freude haben könne.129 »Vollends unübersetzbar aus dem Ideal in die Wirklichkeit ist 123 | 124 | 125 | 126 | 127 | 128 | 129 |

Vgl. Moravánszky 2005, S. 53ff. Ebd., S. 52f. Burke 1987. Vgl. Kruft 1995, S. 300. Lotze 1868, S. 578; vgl. Moravánszky 2005, S. 56. Ruskin 1989, Kap. VI, § XII, S. 198. Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 119.

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aber jene große Gruppe malerischer Details, bei welchen der Reiz auf dem unvollständigen, dem Ruinenhaften beruht.«130 Die Assoziationstheorie, wie sie 1790 von Archibald Alison formuliert wurde, rechtfertigte das Schöne im Pittoresken. Beim Anblick eines Kunstwerks werde der Geist des Betrachters von einfachen Gefühlen ergriffen, die mentale Assoziationen provozieren; diese wiederum erzeugten, wenn sie entsprechend neu, zahlreich und ausgewogen seien, im Betrachter ein Gefühl der Schönheit. So möge beispielsweise eine alltägliche Szene formal nicht schön sein. Doch wenn es sich etwa um das Geburtshaus eines Freundes handele, mische sich die Freude, mit der man die Spuren seines Lebens nachvollziehe, unbewusst mit den Emotionen, die die Szenerie wachrufe; und die Bewunderung, die diese Erinnerung hervorrufe, verwandle jedes Ding, das mit der Person verbunden gewesen zu sein scheine, in Schönheit.131 Die Stadt Rom sei schön, weil sie die Heimat Cäsars, Ciceros und Vergils sei. Nehme man dem Betrachter diese Assoziationen, oder verheimliche ihm, dass es Rom sei, das er sehe, so wären seine Emotionen ganz andere. Dieses Überlagern von Assoziationen und Erinnerungsbildern mit dem momentanen visuellen Eindruck zu ermöglichen, ist nach Sitte eine besonders wichtige Funktion des Stadtraums.132 In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Metapher der zu Assoziationen anregenden Stadtbilder von Kevin Lynch wiederbelebt. Spezifische Stadtbilder seien nötig, um den Bewohnern die Orientierung zu erleichtern, ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln und Identifikation zu ermöglichen. Bildhafte Bauten könnten Vorstellungsbilder evozieren und dadurch unverwechselbare, bedeutsame Orte schaffen.133 In seinem bekannten Buch The Image of the City kritisierte Lynch die »Funktionelle Stadt« der CIAM-Architekten als zu einförmig und forderte die Architekten auf, sich wieder als Gestalter zu verstehen. Als zentrales Element malerischen Städtebaus im Sinne von Camillo Sitte gelten im Allgemeinen krumme oder gewundene Straßen. Zu seinem Lageplan für Reichenberg schreibt Sitte, bei der Planverfassung »kommt man naturgemäß auf krummlinige Straßenzüge, aber das ist in keiner Weise ein Fehler, sondern ein Glück; denn die krumme Straße ist unter allen Umständen schöner und praktischer als die gradlinige […].«134 Die Geradlinigkeit der städtischen Straßen setzte Sitte mit der Seelenlosigkeit ihrer Bewohner gleich und zitierte dazu Marschall Mac-Mahon, den Präsidenten der 3. Republik (1873–79): »Die gerade Linie lässt keine Erregung aufkommen. So konnte man auch im Jahre 1870 beobachten, dass die ganz regelmässig gebauten Städte sich von drei Ulanen einnehmen liessen, während recht alte und winkelige Städte ganz bereit waren, sich auf’s Äusserste zu vertheidigen.«135 130 | 131 | 132 | 133 | 134 | 135 |

Ebd., S. 117. Alison 1825, S. 25., 42f. Sitte, »Großstadt-Grün«, 2003, S. 237. Lynch 1989, S. 10ff. Sitte, »Lageplan für Reichenberg«, 1901, S. 16. Sitte, »Über alte und neue Städteanlagen«, 1889, CSG 2, S. 265.

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Zwar plädierte Sitte für krumme oder gewundene Straßen, doch legte er darauf bei Weitem nicht so viel Wert, wie das sein französischer Übersetzer Camille Martin oder sein deutscher Interpret Karl Henrici glauben machen. Sitte war bekanntlich auch nicht der erste, der für gewundene Straßen plädierte. Schon Alberti fand, dass die Straßen in der Stadt in weicher Biegung gekrümmt sein sollten, damit »sich einem beim Spazierengehen auf Schritt und Tritt allmählich immer neue Gebäudeansichten darbieten, so daß jeder Hauseingang und jede Schauseite mit ihrer Breite mitten auf der Straße aufmarschiert.«136 Reinhard Baumeister, dessen 1876 erschienenes Buch Stadterweiterungen in technischer, baupolizeilicher und wirthschaftlicher Beziehung als das erste systematisierende Werk zum Städtebau im deutschsprachigen Raum gilt, argumentierte für gekrümmte Straßen. In einem Vortrag führte er 1887 aus, dass zwar die Hauptströme des Verkehrs auf geradem Wege gelenkt werden sollten, forderte aber für Stadterweiterungen auch Schönheit: »[E]rinnern wir uns an die malerische Wirkung, welche so manche alterthümliche Straße vermöge ihrer Windungen und wechselnden Breiten, ihrer vor- und zurückspringenden Häuser ausübt […].«137 In bewegtem Terrain seien gewundene Straßen schon aus verkehrstechnischen Gründen erforderlich, in anderen Gebieten müsse ein Kompromiss zwischen Verkehrsanforderungen und künstlerischem Wert gesucht werden. In dieser Passage sind viele Aussagen vorweggenommen, die im Allgemeinen Sitte zugeschrieben werden. Baumeister, der in Abgrenzung vom »Stadtbaukünstler« Sitte häufig als technokratischer »Stadtplaner« charakterisiert wird, erweist sich in den zitierten Äußerungen eher als dessen Vordenker.138 Gebaut wurden krumme Straßen ebenfalls schon vor Sittes Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen, etwa im Londoner Regent’s-Park-Village von 1826 oder in Riverside, Chicago 1869. Sogar Otto Wagner erklärte, dass zwar die Gerade grundsätzlich zu bevorzugen sei (»Zeit ist Geld«), man diese nicht überall verwenden solle, da »die Kurve, die polygone Linie« dazu beitrügen »das Stadtbild abwechslungsreicher und, wenn sie gut sind, auch interessanter zu gestalten.«139 Le Corbusiers Rezeption von Sittes Plädoyer für krumme Straßen ist bereits erschöpfend analysiert worden, kann an dieser Stelle aber trotzdem nicht unerwähnt bleiben. In seinem Fragment gebliebenen und bis vor kurzem unveröffentlichten Manuskript La Construction des villes von 1910/11 hatte sich der junge Le Corbusier, der sich damals noch Charles-Edouard Jeanneret nannte, ausführlich mit Sitte, Henrici, Schultze-Naumburg und anderen deutschsprachigen Akteuren auseinandergesetzt. Er plädierte ausdrücklich für gekrümmte Straßen: 136 | Alberti 1991, IV, 5, S. 201. 137 | Baumeister 1887, S. 8f. 138 | Sitte hat Baumeister allerdings in einigen Punkten ausdrücklich kritisiert, siehe dazu: Fehl 1995, S. 26–54. 139 | Wagner 1902, S. 144f. Kari Jormakka hat den allgemein akzeptierten Antagonismus von Sittes und Otto Wagners Auffassung über die Gestaltung des Stadtraums als zumindest in Teilen übertrieben dargestellt. Jormakka, Camillo Sitte, 2006, S. 8ff.

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»Sofort werden die Ansichten unendlich variiert; die konkave Straßenwand bietet dem Auge eine aufwendige Abwicklung ihrer Oberfläche und ermöglicht, dass der Passant jedes einzelne Haus wahrnimmt, während die konvexe Straßenwand durch die Rundungen ihrer Fläche unterhaltsam ist, indem sie schnelle und wechselnde Fluchten bietet.«140 Er forderte außerdem, vom Esel zu lernen, der stets in Kurven bergan gehe.141 1925 publizierte Le Corbusier dann unter dem Titel Urbanisme ein ganz anderes Werk und kehrte sein Argument ins Gegenteil. Nun warb er für reine Geometrie, rechte Winkel und gerade Linien: »Der Mensch schreitet geradeaus, weil er ein Ziel hat […] Der Esel geht im Zickzack, döst ein wenig, blöder von der Hitze und zerstreut […] Nun, eine moderne Stadt lebt, praktisch, von der Geraden: […] Der Verkehr fordert die Gerade. Die Gerade ist gesund auch für die Seele der Städte. Die Kurve ist verderblich, schwierig und gefährlich. Sie lähmt.«142 Ganz offensichtlich hat Le Corbusier sich nicht nur von Sitte losgesagt, sondern von den Idealen seiner Jugend und damit von seiner persönlichen Vergangenheit. Man muss dazu erwähnen, dass zwischen Le Corbusier begeisterter Rezeption der deutschsprachigen Debatte und dem Erscheinen seines französischsprachigen Buchs Urbanisme der Erste Weltkrieg lag, der die traditionelle deutsch-französische Feindschaft für weitere Jahrzehnte verfestigt hatte. Ein Ausgleich zwischen den beiden Polen war zu dieser Zeit aus vielen Gründen kein sehr naheliegendes Projekt. In einer offensichtlich falsch verstandenen Nachfolge von Sitte wurde gerade die gewundene Straße als Inbegriff des malerischen Städtebaus für andere zum Dogma. Karl Henrici, der viel für die Verbreitung von Sittes Ideen in Deutschland getan hatte, war ein großer Befürworter der malerischen Kurve, die er außerdem als besonders deutsch empfand. Politische Gruppierungen verschiedener Richtungen interpretierten den eigentlich betont unpolitischen Sitte je nach Bedarf ideologisch um.143 Nicht erst mit Rem Koolhaas’ PICTURESQUE© verlässt das Malerische die kunsttheoretische Debatte und wird zur populistischen Strategie.144 In Deutschland waren die Bestrebungen stark, die unregelmäßigen Kleinstädte des Mittelalters zum einzig wahren Ausdruck des Deutschtums zu stilisieren. Befördert wurde diese Lesart durch das erfolgreiche Werk von Julius Langbehn Rembrandt als Erzieher. Von einem Deutschen von 1890. Karl Henrici verband mit dem malerischen Städtebau nationale deutsche Eigenarten, wie das Gemütvolle und Individuelle. Einen 1904 herausgegebenen Sammelband seiner Schriften Im Kampfe um deutsches Wesen im deutschen Städtebau widmete er Camillo Sitte.145 Paul 140 | Schnoor 2008, S. 300. 141 | Ebd., S. 317ff. 142 | Le Corbusier 1979, S. 5, 10. 143 | Vgl. Fehl 1995, S. 109f.; Sonne 2005. 144 | Chung et al. 2001, S. 390; vgl. Moravánszky 2005, S. 58. 145 | Henrici, »Beiträge zur praktischen Ästhetik«, 1904, S. 1; ders. 1891; vgl. Sonne 2005, S. 69f.

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Schultze-Naumburg verknüpfte die malerischen Kleinstadt mit einem konservativen Familienideal.146 Ernst Rudorff verglich eine Gruppe mittelalterlicher Häuser einer deutschen Kleinstadt mit einem großstädtischen Mietshaus: »Wovon redet der eine, wovon redet der andere? Dort Familiensinn, bürgerliche Tüchtigkeit, Gemütlichkeit, Schlichtheit, Friede und Freude, Genügsamkeit und Genügen, Humor und Gottesfurcht; hier Strebertum, Scheinwesen und Aufgeblasenheit, elegante Rennomisterei, vollkommene Nüchternheit, Kälte und Blasiertheit.«147 Gerhard Fehl hat aufgrund dieser Rezeptionsgeschichte Sitte als Vorreiter des nationalistischen Kleinstadtidylls bezeichnet – ein Vorwurf, von dem Sitte in der jüngeren Zeit von verschiedener Seite rehabilitiert wurde.148

Betrachtung Die Straße sei für die Fortbewegung, der Platz zum Verweilen da, argumentierte Sitte, und nur während des Verweilens könne man die Stadt als Bild genießen. »[E]in gut componirter Platz von genau entsprechender Größe, nicht zu klein, aber auch ja nicht zu groß und von richtiger Grundrißform […] gestattet hie und da ruhig stehen zu bleiben zum Behufe des Schauens, was in der Verkehrsstraße zum Mindesten mißlich ist; ein solcher Platz allein gibt den nöthigen Luftraum und einen passenden Bildrahmen für das große architektonische Schaustück.«149 Hermann Jansen beschrieb 1910 seinen Entwurf für Groß-Berlin: »Nicht Straßenlinien, sondern Straßenbilder wollen entstehen. Diese vorzubereiten, sie wachsen zu lassen und schließlich zu einem harmonischen, künstlerischen Höhepunkt auszubauen, das ist die erste Kunst des Städtebaues. Die weitere und schwierigere Kunst ist die, solche Höhepunkte in geeigneter Folge zu schaffen, sie gegeneinander abzustimmen und zu ruhigen indifferenten Straßenzügen auf geeignete Länge in Gegensatz zu bringen.« Man solle nun aber nicht einfach alle Straßen krümmen, denn dann drängten zu viele Bilder hintereinander, das wirke ermüdend. Stattdessen solle »nur alle 4–600 m, das ist alle 4–7 Minuten sich ein vollwertiges Architekturbild vor uns auftun«.150 Die Stadt kann so beim Spazierengehen in Art einer Diashow am Betrachter vorbeiziehen. August Endell plädierte in seiner bereits erwähnten Schrift Die Schönheit der großen Stadt von 1908 für einen neuen Blick auf die Stadt. Er fand Schönheit an Plätzen, die eigentlich als hässlich galten. Er empfahl mit dem unvoreingenommenen

146 | Schultze-Naumburg 1906, S. 3f. 147 | Rudorff 1994, S. 25. 148 | Fehl 1995. Gegen diese Einschätzung argumentierten u.a.: Wilhelm 2003; Sonne 2005; Posch 2010. 149 | Sitte, »Thurm-Freiheit«, 1896, CSG 2, S. 461. 150 | N.N., Wettbewerb Gross-Berlin, 1910, S. 222f.

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Abbildung 8.9: Impressionistisches Stadtbild. »Savignyplatz mit Stadtbahnbrücke« von Curt Herrmann, 1911/12. (Stadtmuseum Berlin)

Blick eines Impressionisten durch die Stadt zu gehen, und die Stadt wie eine Landschaft zu betrachten.151 Die Schönheit entstehe durch das Wetter, die Tages- und Jahreszeiten – den Nebel, die Dämmerung, das Licht der Gaslampen, die Sonne – noch in den hässlichsten Gegenden. »Wundervoll der Friedrichstraßen-Bahnhof, wenn man auf dem Außenperron über der Spree steht, wo man von der ›Architektur‹ nichts sieht, sondern nur die Riesenfläche der Glasschürzen vor Augen hat, und den Kontrast zwischen dem kleinlichen Gewirr der Häuser ringsum. Besonders schön, wenn die Dämmerung die zerrissene konfuse Umgebung durch Schatten einheitlich verschmilzt und dann die vielen kleinen Scheiben das Abendrot zu spiegeln beginnen, die ganze Fläche buntes, schimmerndes Leben wird, weithin überspannt den niedrigen, dunklen, nächtigen Spalt, aus dem die breiten Körper der Lokomotiven drohend sich vorschieben.« Wichtig waren für Endell auch die Menschen, die gemeinsam mit den Bauten den Stadtraum erst bildeten: »Die Straße als architektonischer Raum ist heute noch ein elendes Produkt. Luft und Licht verbessern ihn, aber die gehenden 151 | Endell 1995, S. 177; folgende Zitate S. 191, 198, 200.

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Menschen teilen ihn neu, beleben ihn, weiten ihn, erfüllen die tote Straße mit der Musik rhythmisch wechselnden Raumlebens. Aber noch mehr: da die Menschen ungleich die gleichartige Straße begehen, anders und andere am Morgen, die ins Geschäft eilen, anders die Frauen, die einkaufen, anders am Vormittag, anders am Abend, so scheiden die Straßen sich in stille, in laute, in hastig begangene, in schlendernd schauend beschrittene. […] Wer den Raum empfinden kann, seine Richtungen und seine Maße, wem diese Bewegung des Leeren Musik bedeutet, dem ist der Zugang zu einer beinahe unbekannten Welt erschlossen, zur Welt des Architekten und des Malers.« (Abb. 8.9) Sittes Schönheitsbegriff zielte nicht auf derartige Seherlebnisse. Er stand den impressionistischen Tendenzen in der Malerei ablehnend, ja in einem Maße verständnislos gegenüber, das aus heutiger Sicht erstaunt, wie seine spöttische Kritik an der Nonne im Laubengang von Paul Hoecker deutlich zeigt.152 Seine Vorliebe galt dem klassisch komponierten Bild. Es verwundert kaum, dass Sitte die Schönheit der Stadt ebenso sah. Ein komponiertes Stadtbild, auch ein malerisches, muss eine gewisse Einheitlichkeit haben. Kleine Irritationen mögen es bereichern, doch zu große Brüche würden den Bildaufbau zerstören, den Rahmen sprengen. Das Betrachten solcherart wohlkomponierter Stadtbilder ist dann ein kontemplativer Kunstgenuss, wie bei Gemälden in einer Galerie, er setzt nicht nur den richtigen Rahmen, sondern auch einige Arbeit voraus. Einerseits muss durch den Städtebau das Profane ausgeschieden und eine Atmosphäre der Ruhe und die Geschlossenheit der Eindrücke geschaffen werden,153 andererseits muss der Betrachter den richtigen Standpunkt aktiv suchen, um wirkungsvoll sehen zu können, was Sitte auch tat: »Ich bin auch unzählige Male um das Rathhaus herumgegangen, und als geeignetster Platz zur Betrachtung erschien mir immer die seitliche Gartenanlage, von wo aus allein sich eine wirkungsvolle Ansicht des Thurmes darbietet. Da steht der Thurm, wie in einer Märchen-Illustration von Doré, und diese Wirkung hat er nur an diesem Punkte allein und nicht von der Ringstrasse aus.«154 Von hier ist es nur mehr ein kurzer Schritt, das so erzeugte Bild zu dokumentieren, zum Beispiel mit einem Fotoapparat. Sitte hat selbstverständlich zahlreiche Reiseskizzen angefertigt, von denen nur wenige erhalten sind. Vom Markusplatz in Venedig besaß er, »14 verschiedene Photographien dieser Platzgruppirung, von denen jede einzelne ein besonderes eigenes Stadtbild gibt«. Auf den Plätze in Italien gehörten »Photographen, Vedutenzeichner und Aquarellisten zu den ständigen Erscheinungen«.155 »Von einem heutigen Platze würde ich mir nicht getrauen, drei Photographien zu machen, die man nicht als die Abbildung ein und desselben Platzes erkennen würde.«156 (Abb. 8.10) 152 | 153 | 154 | 155 | 156 |

Sitte, »Ausstellung im Künstlerhause«, 1892, CSG 1, S. 278f. Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 15. Sitte, »Über alte und neue Städteanlagen«, 1889, CSG 2, S. 271. Sitte, »So geht’s nicht!«, 1891, CSG 2, S. 309. Sitte, »Über alte und neue Städteanlagen«, 1889, CSG 2, S. 263.

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Abbildung 8.10: Ein Platz, viele Bilder. Die Platzgruppe um San Marco in Venedig in oft gesehenen Ansichtskartenmotiven. (Diverse Postkarten)

Ein Kunstwerk Stadt setzt nicht nur einen Autor, einen Künstler, sondern einen Betrachter, ein Publikum voraus. Wer war das Publikum in Sittes Stadt als Kunstwerk? Wer hatte die Muße, durch die Stadt zu spazieren und dabei die Schönheit des Stadtraumes ganz absichtslos zu genießen, wie Sitte es sich vorstellte? Doch eher nicht die Stadtbewohner auf ihren alltäglichen Wegen, die überdies die verschiedenen Räume mit ganz unterschiedlichen persönlichen Erfahrungen, sozialen Strukturen und politischen Interessen verbanden. In der Reiseliteratur des 18. Jahrhunderts wird der Ausdruck »Stadtbild« häufig verwendet und weist, wie Susanne Hauser ausführt, auf die als angemessen empfundene Form der Wahrnehmung der traditionellen Stadt nach festgelegten Konven-

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tionen mittels des geschulten Auges hin.157 Johann Wolfgang Goethe formulierte in seiner Italienischen Reise: »Dies war auch ein angenehmes Bild, das wir durch kurzes Stillhalten erwarben.«158 Sitte betonte im Vorwort seines Städtebau-Buches seinen Grundsatz, dass er nur »Selbstgesehenes« besprechen werde.159 Die moderne Großstadt ließ sich auf diese Art nicht mehr erfassen. Die gegen Ende des Jahrhunderts zahlreich errichteten Aussichtstürme in den Städten ermöglichten den Besuchern, die Stadt als zwar großes, aber doch einheitliches Objekt zu sehen.160 Der Blick von einem Turm bot die Möglichkeit, den Wahrnehmungsgegenstand Stadt zu begrenzen, ihn sozusagen in einen passenden Rahmen zu setzen. Der größte und prominenteste davon war natürlich der Eiffelturm, in Wien wurde 1896–97 das berühmte Riesenrad mit derselben Funktion errichtet. Sitte hatte selbst die Angewohnheit, eine Stadt auf dem Plan zu studieren (der perfekte Blick von oben), dann von einem Turm zu betrachten, um sie in ihrer Gesamtheit zu erfassen, bevor er sich den einzelnen Details – sprich den Plätzen der Innenstadt – widmete.161 Über den panoramischen Blick von oben, von außen, wird ein homogenes Objekt hergestellt und die ansonsten unüberschaubare Großstadt wieder in eine adäquaten Rahmen gesetzt. Der Ausdruck »Panorama« ist dabei kein altes, aus dem griechischen überliefertes Wort für das Sehen von einem erhöhten Punkt, wie man leicht glauben könnte, sondern eine Neuschöpfung aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert. Es bezeichnete ursprünglich ein landschaftliches Rundgemälde mit einem 360º-Winkel und wurde erst später auf die Wahrnehmung der »echten« Landschaft übertragen.162 Der irische Porträtmaler Howard Barker hatte 1787 die Idee, in einem kontinuierlichen Bild alles zu malen, was er vom Gipfel des Carlton Hill in Edinburgh aus sehen konnte. Er übertrug seine Zeichnungen auf eine große Leinwand und stellte diese in einem Rund von 7,5 Meter Durchmesser auf. 1794 stellte er eine Rundansicht von London in einem eigens errichteten Gebäude am Leicester Square in London aus. Der Reiz des Panoramas bestand nicht unbedingt darin, sich an einen anderen Ort zu versetzen, auch das Bekannte konnte neu gesehen werden. 1823 musste die Kuppel der St. Paul’s Cathedral saniert werden, das zu diesem Zweck errichtete Gerüst inspirierte den Zeichner Thomas Hornor dazu, von dort 157 | Hauser 1990, S. 101ff. 158 | Goethe 1996, 23. März 1787, S. 240. 159 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. IV. Zu Sittes Bewunderung für Könnerschaft im Sehen siehe folgendes Zitat über den Maler und Weltreisenden Eduard Hildebrandt: »Es ist staunenswerth, mit welcher Unbefangenheit Hildebrandt gesehen hat […], immer ist es die klar aufgefaßte und frei angesehene Natur selbst, welche die Haltung des Ganzen, den Farbton und alles Übrige angibt.« Sitte, »Hildebrandt’s Reise«, 1873, CSG 1, S. 208. 160 | Jormakka 2005. 161 | Hooker 1904, S. 6. 162 | Vgl. Oettermann 1980, S. 7f.; im Folgenden 100ff.

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Abbildung 8.11: Die Stadt im Panorama. London von St. Pauls aus gesehen von Thomas Hornor, Rundgemälde ausgestellt ab 1829 im Colosseum am Regent’s Park. (Oettermann 1980)

aus ein neues Panorama von London anzufertigen. Seine äußerst detaillierte Darstellung mit großer Tiefenschärfe übertraf alles bislang Dagewesene. In dem mit 2300 qm Fläche riesigen Rundgemälde, für das ein Gebäude am Regent’s Park errichtet wurde, war die Stadt viel genauer zu erkennen, als das in der Realität je möglich gewesen wäre. (Abb. 8.11) Panoramen mit heimischen, aber auch exotischen und historischen Motiven wurden binnen kurzer Zeit extrem populär, zahlreiche Betreiber tourten durch die Städte Europas und machten Panoramen zu einem Massenmedium. Sitte lieferte eine geradezu euphorische Beschreibung eines Panoramas anlässlich der bereits erwähnten Internationalen Musik- und Theaterausstellung: »Ein hervorragendes Stück ersten Ranges, welches gleichfalls noch der bildenden Kunst angehört, ist das

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Abbildung 8.12: Die Stadt im Kosmorama. »Malaga, aufgenommen von der maurischen Festung Gibel Faro« von Hubert Sattler, 1868. (Salzburg Museum)

Panorama des berühmten Hamburger Marinemalers Hans Petersen. […] Es stellt die Ankunft des Bremer Dampfers »Lahn« im Hafen von New-York vor. Die Betrachter des Panoramas befinden sich auf dem Hinterdeck des Schiffes, fahren also selbst mit, und diese drastisch wirkende Idee ist so trefflich durchgeführt, daß nirgends ein nur stecknadelgroßes Ding zu sehen ist, das die Illusion stören könnte. […] Dabei sind die zahlreichen Dampfer und Segelbote, die im Nebel bläulich wie ein Luftbild dastehende Freiheitsstatue und alles Übrige so drastisch naturwahr dargestellt, daß man es in Wirklichkeit zu sehen glaubt und das leicht bewegte Meer glitzert durch die von Kohlendampf erfüllte Luft derart, daß es sich zu bewegen scheint. Das ganze ist ein Meisterwerk in seiner Art.«163 Sitte schrieb der raffinierten optischen Illusion die Qualitäten eines echten Kunstwerks zu. Der Berliner Kritiker Ludwig Pietsch nannte das Werk dagegen spöttisch »Reklame-Panorama des Norddeutschen Lloyd«.164 Schon als Jugendlicher war Sitte begeistert von den Kosmoramen Hubert Sattlers, die er als Schüler oft besuchte. Sattler hatte bereits als junger Mann die Welt bereist und anhand seiner Skizzen Städteansichten, Gebirgspanoramen und architektonische Prospekte in Öl angefertigt, die er ab 1842 in österreichischen Städten zeigte. Die Schaustücke gewannen durch die Ausstellung in beleuchteten Guckkästen mit optischen Linsen eine äußerst realistische Perspektivwirkung.165 Die Erzählungen des mit dem Maler mitgereisten Dieners gaben dem jungen Sitte Stoff, in fiktiven Reiseerlebnissen zu schwelgen: »Wenn man unter solchen Gesprächen 163 | Sitte, »Bauwerke der Ausstellung«, 1892, CSG 2, S. 376f. 164 | Zit. in Oettermann 1980, S. 213. 165 | Vgl. Storch 2008, S. 90ff.

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durch das kleine Guckfensterchen des Kosmoramas über den Hafen von Genua oder das Häusermeer von New-York blickte, erfaßte es die junge Seele, wie der Zauber einer Märchenwelt, man glaubte durchs Fenster in die wirkliche Welt hinauszusehen, man glaubte selbst dort gewesen zu sein; es war berauschend. […] wo ist heute das Publicum, […] welches das Kunstwerk phantastisch mitschaffend ergänzt bis zur wirklichen Illusion!«166 (Abb. 8.12) Neben Sittes Begeisterung für optische Illusionen zeichnet sich ein weiterer Aspekt ab. Der am Blick in den Guckkasten geschulte Blick ist wie der touristische Blick gekennzeichnet durch die Entfremdung des Betrachters vom Objekt.

Tourismus Sitte zahlreiche Reisen können nicht gesichert nachvollzogen werden, da seine Reisepässe verschollen sind. In seinem Curriculum Vitae und verschiedenen Briefen, in Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen und diversen Artikeln erwähnte er immer wieder seine Reiseziele. Klassische touristische Ziele, die Sitte bespricht, sind neben einer großen Zahl von italienischen Städten und Athen zum Beispiel Dresden, Nürnberg oder Rothenburg ob der Tauber. Auch eine Reise nach Ägypten im Jahre 1891 ist belegt. In seinem Buch brachte er Beispiele aus Österreich, Deutschland, Italien und Frankreich. Reiseführer verwendete er gerne.167 In einem Brief an Albert Ilg erzählte er, dass er seinen älteren Sohn »als Cicerone« durch Venedig geführte habe, um ihm die Stadt »ordentlich zu zeigen«.168 Innerhalb von Sittes Ausstellungsrezensionen nehmen Reisebilder vergleichsweise großen Raum ein, neben Hoffmann und Sattler erwähnte Sitte beispielsweise Joseph Sellény, der 1859 an der österreichischen Novara-Expedition in die Arktis teilgenommen hatte, oder den mit Alexander von Humboldt befreundeten Eduard Hildebrandt, der 1862–64 eine Weltreise unternommen hatte. Wie sehr Sittes eigene Wahrnehmung fremder Städte, seiner Untersuchungsgegenstände, durch touristische Konventionen geprägt war, zeigt sich in einem Artikel, in dem Sitte die Wichtigkeit von Bahnhöfen diskutiert, die als neues »Entree« die Stadttore abgelöst haben: »Wer in Rom mit der Nordbahn Abends anlangt, genießt bei schönem Wetter und richtiger Jahreszeit ein Schauspiel von solcher Erhabenheit in der Wirkung, daß man es zeitlebens nicht mehr vergißt. Schon von Ferne hebt sich die Riesenkuppel von St. Peter in zartesten Lufttinten, wie ein Luftgebilde, wie ein Feenpalast von dem abendlich glühenden Horizonte ab. Niemals mehr erscheint die gewaltige Kuppel so groß, so herrlich, als in diesem Augenblicke, nicht einmal, wenn man sie auf der Kirchendachterrasse stehend unmittelbar vor sich hat.«169 Wir begegnen 166 | 167 | 168 | 169 |

Sitte, »Joseph Hoffmann«, 1900, CSG 1, S. 287. Sitte, »Kunst des Städtebauens«, 1891, CSG 2, S. 313. Sitte, Brief an Albert Ilg, 29. Oktober 1895. Sitte, »Station Wien«, 1891, CSG 2, S. 342;.folgendes Zitat ebd.

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hier dem Motiv des Schauspiels wieder, allerdings ist die Stadt diesmal nicht Bühne, sondern Hauptdarstellerin. Wie wichtig bei diesem Erleben die erwartungsvolle, durch Reiseliteratur und bekannte Bilder geprägte Vorfreude ist, zeigt sich, wenn Sitte fortfährt: Wer in Rom nicht auf der Hauptroute einfahre, sondern »auf einem der kleinen schmutzigen Südbahnhöfe absteigt, der ist auf sein eigenes pathetisches Gefühl, den Boden Roms zu betreten, allein angewiesen«. An dieser Stelle sollte man sich nochmals die ersten Sätze von Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen vergegenwärtigen: »Zu unseren schönsten Träumen gehören angenehme Reiseerinnerungen. Herrliche Städtebilder, Monumente, Plätze, schöne Fernsichten ziehen vor unserem geistigen Auge vorüber, und wir schwelgen noch einmal im Genusse alles des Erhabenen oder Anmuthigen, bei dem zu verweilen wir einst so glücklich waren.«170 Diese Reiseerfahrungen haben Auswirkungen darauf, wie Sitte seine Heimatstadt wahrnimmt: »[W]enn wir nach wochenlangem Aufenthalte in Italien wieder in die Heimat zurückkehren, dann merken wir plötzlich einen starken Unterschied.« Doch dann müsse man einsehen, »dass Vieles, was wir an den alten Städten bewundern und wovon wir schwärmen, wenn wir von einer Reise heimkommen, heute nicht mehr möglich ist«.171 Mit dem Aufkommen des Tourismus wurden Städte in konsumierbare Güter transformiert. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das aus zwei Entwicklungen heraus besonders schmackhaft: der Erfindung der Photographie und der Institution der Weltausstellungen. Beginnend in London 1851, wetteiferten die Nationen, ihre Attraktionen und Produkte anzupreisen. Sitte selbst lieferte einen ausführlichen Bericht über die Weltausstellung 1878 in Paris.172 Hatte zunächst die Grand Tour den Adel und die Söhne des Bildungsbürgertums zu kanonischen Orten, den klassischen Altertümern geführt, so entstand zu Sittes Zeiten der Tourismus als Massenphänomen. Was man von einer Stadt gesehen haben muss (vgl. den Ausdruck »Sehenswürdigkeiten«), wissen Touristen eigentlich schon vorher – aufgrund der berühmten, schon unendlich oft gesehenen Motive, sei es auf Postkarten, in Reiseführern oder Panoramen (Abb. 8.13). Es sind entweder berühmte Bauwerke mit hohem Wiedererkennungswert (z.B. die Akropolis in Athen), eindeutig markierte Plätze (z.B. Goethes Geburtshaus in Frankfurt a.M.) oder »typische« Szenen (z.B. eine kleine Brücke über einen Kanal in Venedig unter dem gerade eine Gondel hindurch fährt). Innerhalb dieses spezifischen kulturellen Rahmens werden auf Reisen dieselben visuellen Eindrücke und die erwartungsgemäß dazu passenden Empfindungen endlos reproduziert. Im Wettbewerb der Städte als touristische Ziele müsse Wien sich anstrengen nicht den Anschluss zu verlieren, betonte Sitte immer wieder, und deswegen seine Glanzstücke gut in Szene setzen, um den Touristen bleibende Erinnerungsbilder 170 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 1. 171 | Sitte, »Über alte und neue Städteanlagen«, 1889, CSG 2, S. 267. 172 | Sitte, »Pariser Weltausstellung«, 1878/79, CSG 1.

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Abbildung 8.13: Die Stadt als Ansammlung von Sehenswürdigkeiten. »Topographische Erklärung des Panoramas von Wien« mit einer Legende zu den wichtigsten Bauwerken, 1804. (Wien Museum)

zu bieten. Wien solle »einzig in seiner Art« dastehen und »zu den merkwürdigsten und schönsten aller Städte der Welt zählen […]; von erhabenster Schönheit, aber auch merkwürdig, ja seltsam«, und »zur tadellosen Schönheit« müsse sich »die Originalität gesellen, eine Eigenschaft, die ja gerade heutzutage, wo fast alles abgedroschen erscheint, von besonderem Werth ist«.173 Sitte wünschte sich für Wien »ein Stadtbild, das jeden Vergleich aushielte, das man gesehen haben müsste!«174 Sitte kalkulierte die touristischen Rituale bereits bei der Planung ein: »Man denke sich das Mozart-Denkmal bereits an seinem Platz [neben der Oper]. Von wo aus wird man es halbwegs gut, ohne überfahren zu werden, betrachten können? Nur von der sogenannten Rettungsinsel aus. Dort wird sich auch zu diesem Behufe täglich eine Gruppe Andächtiger einfinden, und wollte man diesen ganz zu Diensten sein, so müßte dort noch auf erhobenem Sockel ein monumentales 173 | Sitte, »Thurm-Freiheit«, 1896, CSG 2, S. 462. 174 | Sitte, »Stadterweiterung und Fremdenverkehr«, 1891, CSG 2, S. 336.

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Fremdenkanapé errichtet und hinter der Figur alltäglich zu bestimmter Stunde ein großer Jutevorhang aufgezogen werden zur Bildung eines neutralen passenden Hintergrundes; […] und so gäbe es dann alle Tage eine schöne MozartDenkmal-Produktion.«175 Er forderte für das Stadtbild und dessen Betrachter das passende framing. Sitte verglich Wien, wie bereits erwähnt, mit einem Museum, wobei er dieses auch nach seinem Unterhaltungswert beurteilte. Die Exponate sollten angenehm zu konsumieren sein: »Dem Vergnügungsreisenden kann man ja nicht Spezialstudien zumuthen, nicht die technologische Sammlung des Polytechnikums zeigen oder das militär-geographische Institut, […] denn derlei eignet sich nicht zum Ansehen, sondern nur zum Studiren. […] Soll die Schaulust befriedigt werden, so müssen die vorhandenen Schätze, wenn schon nicht pompös, so doch übersichtlich, faßlich ausgestellt sein, wie die technologische Sammlung in Paris oder die Handzeichnungen und Stiche in den Uffizien.«176 Sitte verglich Bauten mit in einem Schaufenster ausgestellten Waren, die möglichst vorteilhaft präsentiert werden sollten.177 Stéphane Mallarmé hatte Paris mit einem Warenhaus verglichen. Er schrieb in seiner Zeitschrift La Dernière Mode 1874, Paris sei die Summe des ganzen Universums, gleichzeitig Museum und Warenhaus.178 Der Flaneur ließ sich durch die Straßen treiben und verlor sich in einer ganzen Kette fragmentierter Bilder. Alle diese Metaphern leben von Vertauschungen des Maßstabs. In den Straßen spiegelt sich die ganze Welt, und gleichzeitig ist die ganze Stadt selbst ein Objekt. Für Walter Benjamin spiegelten die Passagen von Paris die ganze Stadt, ja die ganze die Welt, während das Panorama die ganze Stadt in einem Haus zeige. Die Straße eröffne sich dem Flaneur als Landschaft und umschließe ihn gleichzeitig als Stube.179 Expressionisten wie George Grosz und Ludwig Meidner brachten die verstörende, unheilvolle Seite dieser Fragmentierung zum Ausdruck. Die Dynamik der Zerstreuung suchenden Massen wurde ihnen zum Spiegelbild des Chaos in der Seele des getriebenen Großstadtmenschen. Die Idee der Fragmentierung der Stadt in der menschlichen Wahrnehmung ist allerdings schon älter. Leibnitz hatte wohl nicht zufällig die Stadt als Beispiel gewählt, um die Perspektivenvielfalt der verschiedenen Menschen auf die Welt zu charakterisieren: »Und wie eine und dieselbe Stadt, von verschiedenen Seiten betrachtet immer wieder anders und gleichsam perspektivisch vervielfältigt erscheint, so geschieht es auch, dass es wegen der unendlichen Menge der einfachen Substanzen gleichsam ebenso viele verschiedene Welten gibt, die gleichwohl nichts anderes sind als die perspektivischen 175 | Sitte, »So geht’s nicht!«, 1891, CSG 2, S. 312. 176 | Sitte, »Stadterweiterung und Fremdenverkehr«, 1891, CSG 2, S. 332f. 177 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 30; ders., »Station Wien«, 1891, CSG 2, S. 342. 178 | Zit. in Hamon 1992, S. 96. 179 | Benjamin, Passagen-Werk, 1991, S. 45, 83, 525, 661.

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Ansichten des einzigen Universums, ja nach den verschiedenen Gesichtspunkten der Monade.«180 Es geht die Legende, dass Victor Gruen sich für sein Konzept der Shopping Mall durch die Ringstraße seiner ehemaligen Heimatstadt Wien entscheidend inspirieren ließ.181 Jormakka stellt die These auf, dass man die Wiener Ringstraße mit ihren historistischen Monumentalbauten, die alle in unterschiedlichen Stilen gehalten sind, auch als kreisförmiges Panorama betrachten könne. Oder, könnte man weiterdenken, als Weltreise im Kleinen, deren Stationen nur durch wenige Schritte getrennt sind, und wie man sie heute in Themenparks arrangiert. Sitte verschloss sich derartigen Gedankengängen nicht, er konnte sich mitten in Wien auf die Akropolis versetzt denken, wenn er den richtigen Aussichtspunkt gefunden hatte. Stehe man im Winter beim Theseustempel im Volksgarten, die Kronen der Bäume ohne Laub, »sieht man das Parlamentshaus in seiner Fernwirkung; vorher hat man es nicht gesehen! Da steht es in richtiger perspectivischer Entfernung – eine Gruppe von erhabenen, griechischen Tempeln.«182 Damit könnte sich Sitte quasi als Prophet heutiger Stadtinszenierungen im Zeichen des Konsums erweisen. Der von Sitte gewünschte Effekt, den Städter am Erfahrungsraum des Reisenden teilhaben zu lassen, ist durch die postmoderne Verwischung der Grenzen mittlerweile Realität geworden. Einerseits werden die für den Massentourismus inszenierten Innenstädte mit ihren Sehenswürdigkeiten einander immer gleicher, die immer extravaganteren Ziele bieten immer die gleichen Zeichen und Images, auf dass sich Touristen überall heimisch fühlen könnten. Der touristische Blick ist andererseits so sehr mit allen möglichen Arten sozialer und kultureller Praxis verbunden, dass er von ihnen ununterscheidbar geworden ist. Besonders die Shopping Mall ist durch den Tourismus mitstrukturi-ert.183 John Urry resümiert: »People are much of the time tourists whether they like it or not.«184

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Leibnitz 1994, § 57, S. 26. Vgl. Baldauf 2003, S. 31. Sitte, »Über alte und neue Städteanlagen«, 1889, CSG 2, S. 272. Vgl. Langer 2005, S. 108. Urry 1990, S. 74.

Schlussbetrachtung Die Untersuchung ging von der These aus, dass Architekten die Stadt in ihrer Komplexität metaphorisch denken. Metaphern wurden dabei als interaktiv und wirklichkeitskonstituierend verstanden. In den Texten Camillo Sittes konnte eine Vielzahl von Metaphern für die Stadt nachgewiesen werden, die in Bedeutungsfelder gegliedert wurden. In Gegenüberstellung mit Beispielen anderer Autoren wurden für einzelne Metaphern Traditionen und Kontinuitäten nachgezeichnet, Bedeutungsverschiebungen erschlossen und Interpretationskollisionen herausgearbeitet. Zentrale Traditionen und Kontroversen des urbanistischen Diskurses rückten dabei ins Blickfeld. Aus dem gesetzten Schwerpunkt folgte, dass viele, aber sicherlich nicht alle Metaphern erschöpfend behandelt wurden, die den aktuellen Diskurs über die Stadt strukturieren. Eine Analyse weiterer Metaphern könnte die in dieser Untersuchung zutage geförderten Bilder der Stadt sicherlich noch weiter bereichern. Metaphern tragen dazu bei, unterschiedliche Perspektiven zu etablieren. So fordert die Stadt als vom Krebs befallene Patientin einen Chirurgen mit scharfem Skalpell, während die Stadtbühne einen visionären Regisseur verlangt, der das Drama interpretiert, und ein Ensemble, das die Bühne bespielt. Grundannahmen und Vorstellungsbilder konnten freigelegt werden, die städtebauliche und architektonische Entscheidungen wesentlich motivieren. Das Monster muss mit harter Hand gezähmt, das Kunstwerk gestaltet, das Räderwerk der Maschine geölt, die Dokumente im Archiv konserviert und der verwilderte Park umsichtig gehegt und kultiviert werden. Über die Metaphern konnten Rückschlüsse auf die den Argumentationen zugrunde liegenden Modelle und Paradigmen gezogen werden. Die eingangs zitierten Vermutungen von Black und Kuhn können also grundsätzlich bestätigt, müssen aber in Bezug auf die Architekturtheorie modifiziert werden. Es wäre eine Vereinfachung, Metaphern im Architekturdiskurs und Modelle bzw. Paradigmen in den Naturwissenschaften pauschal gleichzusetzen. Es ist in der Architekturtheorie offensichtlich möglich, ja sogar üblich, verschiedene Metaphern innerhalb desselben Paradigmas zu verwenden. Dies zeigt sich schon an dem Umstand, dass in den Schriften eines einzigen Autors, Camillo Sitte, alle hier diskutierten Metaphern nachzuweisen sind. Nicht alle davon, das muss betont werden, waren für Sitte produktiv oder haben ihn dazu inspiriert,

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unkonventionelle Verbindungen herzustellen, Ähnlichkeiten zu finden oder die Stadt anders zu sehen. Für den architekturtheoretischen Diskurs ist festzustellen, dass die Wahl einer bestimmten Metapher noch nicht automatisch die Entscheidung für ein bestimmtes Paradigma bedeutet. Die Sache ist komplexer. Im Gegensatz zu den Naturwissenschaften, in denen sich der Großteil der Wissenschaftler auf hegemoniale Paradigmen verständigen kann, konkurrieren in Architektur und Städtebau ständig die unterschiedlichsten Strömungen und Schulen. Architektur und Städtebau sind multiparadigmatische Diskurse. Metaphern wechselten Bedeutungen nicht nur im Laufe der Zeit, wie es etwa für die Maschinen-, Natur- oder die Organismus-Metapher nachgezeichnet wurde. Sie wurden häufig zu einer Zeit von verschiedenen Akteuren mit unterschiedlichen Bedeutungen belegt. So bewerteten etwa die Zeitgenossen Camillo Sitte und Otto Wagner um 1900 »Uniformität« im Städtebau völlig unterschiedlich. Sitte und Adolf Loos hatten etwa zeitgleich gänzlich verschiedene Assoziationen zum Begriff der »Stadtkulisse«. Der Grad der Metaphorizität ist insgesamt ebenfalls als fließend einzustufen. Nicht alles an einem Paradigma ist metaphorisch. Nicht immer ist es möglich, zwischen »buchstäblicher« und metaphorischer Bedeutung scharf zu trennen. Dies mag bei Konzepten wie »Die Stadt ist ein Haus« noch eher offensichtlich sein, da beide Konzepte ja dem Reich der Architektur angehören, und sich hauptsächlich im Maßstab unterscheiden. Bei der Gartenstadt, der Diagrammstadt oder der Stadt als Denkmal würden nicht mehr alle Interpreten von Metaphern sprechen. Beim Gesamtkunstwerk Stadt schließlich ist die Metaphorizität durch die verschiedenen komplexen Bedeutungsüberlagerungen schwieriger zu erkennen, wie am Beispiel des Platzbildes deutlich wurde. Sogar der Begriff der organischen Einheit kann fallweise als Metapher aufgefasst werden. Die Interpretation des metaphorischen Gehalts einer Formulierung ist nur im Kontext möglich. Es ist nicht zielführend, die Möglichkeit absoluter Trennschärfe überhaupt anzunehmen. Auch können grammatikalische Spitzfindigkeiten nicht weiterhelfen, denn die Metaphorizität eines Begriffs liegt immer auf der Ebene der Bedeutung.

TR ANSFER : WOHER – WOHIN ? Man kann den Eindruck bekommen, dass der Städtebaudiskurs von Metaphern geradezu überflutet ist. Angesichts dieser Dynamik kann man sich fragen, ob die Architekturtheorie immer nur von allen Seiten einsaugt. Susanne Hauser sieht eine Antwort in der Disziplin selbst und ihrer Art des Erkenntnisgewinns begründet. Architektur sei eine Integrationsdisziplin. Bereits bei Vitruv sei nachzulesen, dass die Architektur aus allen möglichen Wissensbereichen Elemente und Strukturen aufnehme. Ausgehend von aktuellen Problemlagen, denen sich

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die Architektur ausgesetzt sähe, würden wechselnde Bezüge zu den Wissensbeständen anderer Disziplinen, Techniken und Technologien hergestellt. Über Jahrhunderte gelangten so Bilder, Stichworte, Vorstellungen oder Theoreme aus anderen Wissensbeständen in die architektonische Praxis. Architektur sei keine Disziplin, so Hauser, die diese verschiedenen Wissenstypen nur anwende. Sie setze sie um in neue Entwürfe und definiere dadurch die Bedingungen für unterschiedlichste gesellschaftliche Vollzüge. Die Produkte dieser Praxis, also die Bauten, würden im Allgemeinen nicht als Ergebnisse von Forschung verstanden, sondern als Ergebnisse künstlerisch-technischer Praxis. Das Interesse der Architektur bestehe nicht darin, mit der Spezialisierung anderer Bereiche von der Naturwissenschaft bis zur Kunsttheorie in Wettstreit zu treten, sondern für bestimmte Probleme des Entwurfs Lösungen zu erzeugen. Gerade in der Kompetenz, die unterschiedlichsten Wissensformen zu bündeln, zu aktualisieren und in einen Entwurf zu überführen, läge die spezifische Kompetenz der Architektur, so Hauser: »Zu einem angebbaren Zeitpunkt wird aus einem hochkomplexen und heterogenen Diskursmaterial, aus Wissen, Techniken, aus Bildern, aus Erfahrungen, nach Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen und Interessen, im Entwurf ein Modell, ein Plan. Bis dahin findet ein Prozess der Integration und Abgleichung, der Synthese und der Aushandlung statt, in dem die Heterogenität hinreichend bewältigt worden ist. In jedem Entwurf ist also sehr viel mehr integriert als nur interdisziplinäres Wissen.«1 Metaphern, das möchte ich hinzufügen, sind in diesem Prozess des Strukturierens wichtige Instrumente. So treffend Hausers Beschreibung des Entwerfens erscheint, es bleibt die Frage, ob deshalb der Austausch zwischen den Disziplinen notwendig ein einseitiger ist. In den Metaphern-Analysen erscheint das Verhältnis zwischen Lehnund Empfängerdiskursen dynamisch. Besonders deutlich wurde dies am Beispiel der Zellen-Metapher. Der Naturforscher Robert Hooke hatte beim Anblick eines Korkpräparats durch das Mikroskop an Mönchszellen gedacht, 250 Jahre später reimportierten Architekten das vermeintlich naturwissenschaftliche Konzept in die Architekturdebatte. Metaphern können als Ausdruck der Überschneidung der Diskursstränge einzelner Spezialdiskurse gesehen werden, die einen Austausch von Werten, Methoden, Interpretationen und Bedeutungen initiieren. Sie stützen sich nicht auf bereits vorhandene Ähnlichkeiten, sondern setzen Dinge in Beziehung, dabei entsteht eine wechselseitige Dynamik. Nicht ausschließlich übertragen dabei Architekten Konzepte auf die Stadt, häufig fungiert die Stadt in anderen Fachdiskursen als Begriffspender. Das Bühnenbild wurde durch die Einführung der Perspektiveffekte und die Erfindung der Kulissenbühne für den Städtebau interessant, von Beginn an wurde die Stadt auch als Motiv für Bühnenhintergründe genutzt. Die Metapher der Stadt als Erinnerung wurde in philosophischen, 1 | Hauser 2009.

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soziologischen und psychoanalytischen Diskursen geprägt. Die Vorliebe Freuds, Psychoanalyse als Archäologie und Städte als Gedächtnis zu betrachten, gab als Nebeneffekt der Gedächtnis-Metapher in der Architekturtheorie besondere Legitimation. Hier wird deutlich, dass es sich bei metaphorischen Prozessen immer um wechselseitige Beziehungen handelt. Die metaphorische Verbindung strukturiert nicht nur das Konzept des Bildempfängers, sondern auch das des Bildspenders. Die Beziehungen zwischen den Disziplinen ließen sich bis in aktuelle Debatten hinein verfolgen, wo über die Systemtheorie Analogien zwischen Stadtplanung und Hirnforschung gezogen werden. Bemerkenswerterweise verläuft parallel dazu eine hoch kontroverse Debatte über Stadtraum und Erinnerung, Denkmalwerte und Rekonstruktion, die stark auf metaphorische Konzepte des Erinnerns gründet und leider von den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen nicht profitiert. Einen Sonderfall stellt die Metaphern-Konstellation Haus-Stadt dar, weil beide Begriffe demselben Diskurs entspringen. Innerhalb der Disziplin war eine wechselseitige Beziehung zu beobachten, wobei die Grenzen zwischen den Begriffen zunehmend verwischen. Häuser können so groß wie Städte werden und übernehmen in zunehmendem Maße deren Funktionen, die Grenzen zwischen privat und öffentlich sind in Bewegung. In gewisser Weise gelten diese Beobachtungen auch für die Begriffe Stadt und Natur, die in den vergangenen Jahrzehnten gleichermaßen unter Druck geraten sind, und sich als Kategorien ebenfalls immer weniger scharf voneinander trennen lassen. Eine Ausgangsthese war, dass insbesondere in Krisenzeiten neue Metaphern aus erfolgreichen Diskursen in die eigene Disziplin transferiert werden. In Krisenzeiten geraten die Paradigmen, auf die sich eine Disziplin stillschweigend verlässt, ins Wanken, Widersprüche und Konflikte treten auf, Grundsatzdebatten häufen sich. Nach Kuhn werden in solchen Zeiten neue Ideen aus anderen Disziplinen importiert, die weniger an die dominanten Sichtweisen gebunden seien. Camillo Sittes Schaffenszeit wurde im Sinne Kuhns als Krisenzeit gedeutet, da sich die Disziplin sich ja vollkommen neu formieren musste. Außerdem bin ich davon ausgegangen, dass diese Krise eigentlich nie ein Ende haben kann, weil davon auszugehen ist, dass die Architektur bis auf Weiteres ein multiparadigmatischer Diskurs mit widerstreitenden Anschauungen bleiben wird. Viele der untersuchten Metaphern untermauern diese These. Das Palimpsest wurde in dem Moment als Metapher des Erinnerns interessant, als eine technische Innovation es möglich machte, die tiefer gelegenen Schichten zu entziffern. Als Metapher für die Stadt Berlin wurde das Palimpsest nach der Wende attraktiv, als man sich mit den Brachen beschäftigte, die nach Kriegszerstörungen und der gewaltsamen Teilung das disparate Stadtbild prägten. Erfolgreiche Disziplinen fungieren jedenfalls häufig als Bildspender. Das wurde für die Naturwissenschaften seit dem 18. Jahrhundert gezeigt, für die Gartenkunst des Barock, die Technik in der industriellen Revolution und viele andere mehr.

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Anhand der Metaphern der Stadt als Organismus oder der Stadt als intelligente Maschine wurde gezeigt, dass Paradigmenwechsel in der Lehndisziplin den Begriff verändern können. Die Revolutionen in der Biologie und der Informationstechnologie verschoben die Bedeutung der Metaphern und ermöglichten neue Assoziationen. Dadurch veränderte sich der Blick von Architekten auf die Stadt. Im 20. Jahrhundert hatten darüber hinaus die Netzwerktheorie, die Semiotik und die Chaostheorie große Ausstrahlung in eine ganze Reihe anderer Disziplinen. Kulturelle Praktiken wie der Tourismus haben die Wahrnehmung der Stadt ebenfalls verändert. Heute fordern nicht nur erfolgreiche Wissenschaftszweige wie die Gentechnik unser Verständnis heraus, sondern auch geopolitische Veränderungen, die Informationsgesellschaft und Wirtschaftskrisen. Offenbar sind manche Diskurse so dominant, dass sie über das Alltagsverständnis auf andere Fachdiskurse einwirken. Nicht alle neuen Stadt-Metaphern entstanden als direkte Reaktion auf Krisen in Städtebau und Architektur. Oft werden die als Bildspender aus anderen wissenschaftlichen Diskursen entlehnten Begriffe in der Architekturtheorie in einem selektiven Alltagsverständnis interpretiert. Auch in der Lehndisziplin längst veraltete Konzepte halten sich so mitunter hartnäckig. Das zeigt, dass das Interesse an den Wissenschaften von Seiten der Architekturtheoretiker selbst kein wissenschaftliches ist. Es geht eher um mit der persönlichen Weltanschauung und Architekturauffassung korrespondierende, starke Bilder, die geeignet sind, den Gegenstand subjektiver Welterfahrung »Stadt« zu strukturieren und praktische Handlungsanleitungen zu generieren, als um korrekte wissenschaftliche Analyse und Erkenntnis oder tiefere Einsichten über den Forschungsgegenstand. In diesem unbekümmerten Umgang entwickeln wissenschaftliche Metaphern im Design oft eine ganz eigene Dynamik »kreativer Missverständnisse«. Ihre Legitimation erhalten diese Praktiken und Metaphern aus der Seriosität der Lehndisziplin.

M E TAPHERN IM P ROZESS Die Stadt-Metaphern, die diskutiert wurden, können nicht nur entlang von Bedeutungsfeldern gegliedert werden, wie es hier geschehen ist. Es wäre auch möglich, sie anhand ihrer Funktion im Prozess des Nachdenkens über Stadt in Kategorien zu unterteilen. Im Folgenden möchte ich die wichtigsten Prozesse zusammenfassen, die in den thematischen Einzeluntersuchungen deutlich wurden: Starke Impulse können 1. von neu geprägten Metaphern ausgehen, es können 2. auch altbekannte Metaphern auf überraschende Weise neu interpretiert werden. Bemerkenswert ist in beiden Fällen, dass 3. nebenbei beharrlich die alten Metaphern beziehungsweise veraltete Interpretationen weiter bestehen bleiben und sich nicht selten mit den neueren vermischen. Schließlich können 4. verschiedene Metaphern kombiniert werden, woraus sich eine ganz eigene Dynamik ergibt.

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Neue Metaphern Es ist zu beobachten, wie über kraftvolle neue Metaphern Paradigmenwechsel herbeigeführt werden können. So griffen zahlreiche Nachfolger Sittes Metapher eines malerischen Städtebaus auf. Die Metapher kam vielen Architekten entgegen, die sich zwischen technischen Anforderungen und ökonomischem Druck auf verlorenen Posten fühlten, denn sie stärkte das Gewicht des Künstlerischen im Städtebau. Sie konnte auf bedeutsame Vorbilder aufsatteln, und bot die Möglichkeit, in Richtung eines romantisch verbrämten Nationalstils weiterentwickelt zu werden. Rossis Gedächtnis der Stadt, um ein weiteres erfolgreiches Beispiel zu nennen, ist zwar hochgradig inkonsistent, hat sich aber über die letzten 50 Jahre zu einem kaum mehr hinterfragten Standard entwickelt. Ähnliches lässt sich für die aufgelockerte Stadtlandschaft in der Mitte des 20. Jahrhunderts festhalten. Diese Beobachtung steht soweit im Einklang mit der Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, wie sie Kuhn beschrieben hat. Neue Metaphern zu prägen, ist derzeit in der Architekturtheorie ein etwas inflationäres Phänomen. In großer Zahl übertiteln Ausdrücke wie urban landscape, urban palimpsest, patchwork metropolis, cyborg city Statements von Architekten. Oft werden modische Diskurse aufgegriffen. Man hat mitunter das Gefühl, die gut klingenden Wörter sind zuerst da, um die Inhalte wird erst in der Folge gerungen. Die meisten dieser Wortneuschöpfungen entfalten wenig Dynamik, sondern gehen in der Flut der Publikationen unter. Was macht den Erfolg einer Metapher aus? Eine neue Metapher ersetzt eine alteingeführte. Das Alte wird in eine allgemein akzeptierte Metapher gefasst, die das Problem betont, das man lösen will. So stellten die Smithsons ihre Cluster City Le Corbusiers Stadtentwürfen entgegen, die sie abwertend als »Schachbrett« titulierten. Die neue Metapher muss das in der alten Metapher hervorgehobene Problem in überzeugender Weise auflösen. Dabei muss es starke Bilder evozieren, an latente Probleme und Vorlieben anknüpfen. Le Corbusier hatte sich darum bemüht, seinem von den Smithsons später als Schachbrett kritisierten Visionen einer Stadtmaschine den Namen eines bekannten Autoherstellers geben zu dürfen. Er hatte auch Peugeot und Citroen angefragt, doch es wurde der Plan Voisin. Autos waren en vogue, mit ihnen wurden Aufstieg, Fortschritt und individueller Komfort assoziiert und weniger stumpfe Fabrikarbeit und die erbarmungslose Mühle des Alltags, die man mit einer Stadtmaschine auch hätte verbinden können. Seine Stadtmaschine sollte die kranke alte Stadt, das Gestrüpp, die Bestie, den Sumpf ersetzen. Die wenigsten Metaphern, das sei einschränkend bemerkt, werden dabei eigentlich neu erfunden als vielmehr wiederentdeckt. In den weitaus meisten Fällen zeigte sich bei näherem Hinsehen, dass als neu empfundene Metaphern eigentlich so neu gar nicht sind, sondern auf eine lange Tradition zurückblicken können, die häufig bis in die Antike zurückweist. So konnte in den vorangegangenen Kapiteln Rossis Stadtgedächtnis bis auf Cicero zurückgeführt werden, Sittes Stadt als Haus

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zu Aristoteles, Stadtorganismus und Stadtbühne in die Renaissance und die Stadtmaschine ins Barock. Dabei möchte ich keinesfalls ausschließen, dass einzelne Topoi noch weiter zurückverfolgt werden könnten.

Neue Interpretationen Längeres Verweilen in einer Metapher kann bei systematischer Exploration zu neuen Bedeutungen führen. Es gibt Metaphern, die dadurch produktiv werden, dass man sie neu interpretiert, und dadurch den hegemonialen Diskurs in Frage stellt. Einer bislang als Negativfolie verwendeten Metapher werden dabei überraschende, neue Aspekte abgerungen. Laugier fand mit seiner Beschreibung von Paris als Landschaftspark eine inspirierende neue Deutung der Natur-Metapher. Dabei rezipierte er Debatten aus der Gartenkunst, die gerade große Erfolge verzeichnete. Dieser Umstand wirkte sicherlich auf Laugier inspirierend und begünstigte gleichzeitig die Akzeptanz des Imports. In den vergangenen 50 Jahren haben Architekten immer wieder versucht, der Stadt als Wildnis positive Aspekte abzuringen. Seit ihrer Entstehung im 19. Jahrhundert wurde die Großstadt häufig als lebensfeindlicher Dschungel, als Wüste oder Häusermeer empfunden. Für Autoren wie Sieverts, Koolhaas, Deleuze und Guattari oder Frampton bietet etwa eine Stadtwildnis nicht nur ein lebensfeindliches, kulturloses Milieu, sondern eröffnet ungeahnte Freiräume, wird zum Biotop für bedrohte Arten (was auch immer man darunter subsumiert – Menschen oder Tiere). Portoghesi betonte den ästhetischen Reiz der von Le Corbusier gehassten Straßenschluchten. Von ungleich größerer Bedeutung für den urbanistischen Diskurs war die Auffassung, die Jacobs bereits in den 1960er Jahren formulierte (und später unter anderem Jencks), dass ein Chaos eigentlich eine höhere Ordnung sei, die man aufgrund ihrer Komplexität bislang noch nicht verstanden habe. Diese Umwertung des bis dahin ausschließlich negativ bewerteten Großstadtchaos, das schon Sitte versucht hatte, in den Griff zu bekommen, kann mit einigem Grund als Paradigmenwechsel eingestuft werden. Ganz ähnlich steht es mit der Metapher des von Sitte noch geringgeschätzten Netzes, das ihm seinerzeit mit Recht noch langweilig und unbedeutend vorkommen konnte. Hier eröffnete die Systemtheorie im 20. Jahrhundert völlig neue Perspektiven für eine ganze Reihe von Disziplinen – Medizin und Sozialwissenschaften ebenso wie Städtebau und Architekturtheorie. Metaphern sind immer multidimensional, aus einer Haupt-Metapher können zahlreiche untergeordnete Metaphern abgeleitet werden. Je nachdem, wie ich bei der Bühnen-Metapher die Paradigmen (im saussure’schen Sinne) »Schauspieler«, »Bühnenstück«, »Kulissen«, »Regisseur«, »Publikum«, »spielen«, »zusehen«, »inszenieren« etc. interpretiere und zueinander in Beziehung setze, hat das höchst unterschiedliche Konsequenzen. Sind die Bewohner die Schauspieler oder das Publikum und welche Rolle spielen die Architektur und der Architekt? Neue städtebauliche Konzepte können entstehen, wenn neue untergeordnete Metaphern abgeleitet werden und mit der Haupt-Metapher in Beziehung treten.

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Bei seiner Interpretation des Platzes als Zimmer leitete Sitte aus der altbewährten, aber nicht besonders interessanten Metapher der Stadt als Haus einen überraschenden neuen Nebenaspekt ab. Diese Platz-Zimmer untersuchte er dann morphologisch. Mittels ein und derselben Metapher können unterschiedliche Qualitäten betont oder bestimmte Qualitäten unterschiedlich bewertet werden. Ein besonders eindringliches Beispiel für letzteres ist die Bühnen-Metapher. Sitte deutete die Stadtbühne im barocken Sinne als ein lustvolles Spiel mit Illusionen. Wagner und Loos entlarvten die billigen Kulissen dann als Lüge, als Vorspiegelung falscher Tatsachen und suchten stattdessen nach einer ehrlichen Form und Konstruktion (wobei dieser Topos bereits im 18. Jahrhundert in die Architektur eingeführt worden war). In der Postmoderne erklärten Robert Venturi und Denise Scott Brown und kurz darauf Rem Koolhaas genau diese billigen, als trivial empfundenen Kulissen in den Vergnügungsparks und auf den Amüsiermeilen zum neuen Vorbild einer Inszenierung von Wirklichkeit in der Gesellschaft des Spektakels. Die Bühnen-Metapher wurde damit im 20. Jahrhundert gleich zweimal in ihr Gegenteil gewendet – vom Vorbild zum Schreckbild und zurück. Eine Metapher wird also immer unterschiedlich beurteilt werden, je nach ihrem Kontext. Die Kunstwerk-Metapher wurde durch das Stadtwachstum der Industrialisierung herausgefordert. Die neuen Großstädte entsprechen der klassischen Definition von Schönheit nicht mehr. Um die Stadt wieder ästhetisch wahrnehmbar zu machen, musste man entweder die Perspektive entsprechend verändern, etwa die Stadt durch den Blick von einem Turm aus wieder vereinheitlichen. Oder man musste das Begriffsverständnis anpassen und ein verändertes Kunstverständnis zugrunde legen, wie es die Impressionisten ermöglichten, denen vormals als hässlich definierte Situationen reizvoll erschienen.

Beharrungstendenzen In diesem Sinne können Paradigmenwechsel nicht nur durch neue Metaphern, sondern auch durch die radikale Neuinterpretation einer Metapher herbeigeführt werden. Solche Uminterpretationen wurden als clash of interpretations bezeichnet (im Gegensatz zum clash of metaphors, der weiter oben beschrieben wurde).2 Diese Bezeichnung erscheint als zu eindimensional, da sich gezeigt hat, dass die verschiedenen Auslegungen mitnichten immer als Gegensätze aufeinanderprallen, sondern sich auch überlagern oder vermischen können. Autoren wie Reichow, Feder und Rainer unterschieden nicht scharf zwischen der Stadt als organischer Einheit und der Stadt als Zellhaufen, als sie ihre Stadtorganismen planten. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse in der Lehndisziplin Biologie führten dort im Verlauf des 18. Und 19. Jahrhunderts zu gravierenden Bedeutungsveränderungen des Begriffs »Organismus«. Diese Veränderungen wurden aber nicht konsequent in der Metapher gespiegelt. Neue Auslegungen mischten sich mit älteren – in der 2 | Coyne/Snodgrass/Martin 1995.

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Lehndisziplin längst verworfenen – Konzepten weitgehend unhinterfragt. Der Funktionalismus stützte sich mit seiner organischen Verbindung von Funktion und Form sogar insgesamt auf eine längst verworfene Theorie. Dadurch wurde die Metapher inkonsistent, was ihre Bedeutsamkeit als planerisches Modell keineswegs einschränkte. Vielmehr war, wie gezeigt wurde, im Planungsdiskurs der Zeit im und nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland die Organismus-Metapher so stark, dass sie Inkonsistenzen eher zu überbrücken und zu verschleiern in der Lage war, als daran zu zerbrechen. Es gibt offensichtlich bei Stadt-Metaphern erstaunliche Beharrungstendenzen. Manchmal werden Metaphern, die einmal brisant waren, immer weiter verwendet, und gar nicht mehr als solche wahrgenommen. Die von Sitte über Le Corbusier bis Reichow verwendeten »Verkehrsadern«, wurden schon in den 1960ern von Jane Jacobs als Sackgasse entlarvt, die Metapher wird von Stadtplanern und Architekten aber bis heute häufig verwendet. Wenn Metaphern für »buchstäblich« gehalten werden, macht sie das unhinterfragbar. Insofern determinieren paradigmatische Metaphern die Grenzen dessen, was gedacht werden kann. Am Beispiel der Slums als Geschwüre wurde gezeigt, dass Chirurgie bei kranken Stadtkörpern nicht immer weiterhilft. Planerische Dilemmata können manchmal erst dann gelöst werden, wenn die zugrunde liegenden Metaphern durch neue ersetzt werden (was einem Paradigmenwechsel gleichkommen kann). Als problematisch wurden außerdem die veralteten Konzepte des Erinnerns geschildert, die in der Metapher der Stadt als Gedächtnis ineinander gewoben sind. Sie reichen von der längst verworfenen antiken Vorstellung einer tabula rasa, über die Vorstellung des Gehirns als Archiv, das Erinnerungen wie Dokumente einlagert, zu den verschiedenen Graden der aktiven Rekonstruktion von Erinnerungen. Neuere Erkenntnisse der Hirnforschung fanden in diese Debatte noch keinen Eingang, obwohl in dieser Disziplin momentan so bahnbrechende Erkenntnisse zu verzeichnen sind, und die Erinnerungs-Metapher für den Städtbaudiskurs gerade ganz zentral ist.

Kombinationen Die Theorien von Lakoff und Johnson haben sich in ihrer Anwendung auf die Architekturtheorie als fruchtbar erwiesen. Lakoff und Johnson haben herausgearbeitet, dass komplexe Konzepte von einer Vielzahl von Metaphern partiell metaphorisch strukturiert werden. Die untersuchten Texte basieren allesamt nie auf einer Metapher alleine, es werden in der Regel unterschiedliche Metaphern kombiniert. In dieser Analyse wurden Sittes Stadt-Metaphern in Bedeutungsfelder gegliedert. Man könnte sagen, ich habe sie entlang von Paradigmen im Sinne Ferdinand de Saussures untersucht. »Eine Katze sitzt auf dem Tisch« ist ein Syntagma, Paradigmen sind in diesem Fall »Tisch, Bett, Schrank …« oder »sitzt, liegt, springt …«, »auf, unter, im …« oder »Katze, Hund, Vogel …«. Während paradigmatische Beziehungen durch Austauschbarkeit, Ähnlichkeit und Unterschiede definiert sind, ist

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die syntagmatische Beziehung durch Kombinierbarkeit charakterisiert. (Saussure hatte 1916 zunächst von »assoziativen« Beziehungen gesprochen, später wurde der Begriff durch »paradigmatisch« versus »syntagmatisch« ersetzt.) Richard Harland argumentiert in seinem Buch Beyond Superstructuralism, das Hauptproblem des französischen Strukturalismus und des Poststrukturalismus sei ihre völlige Vernachlässigung der syntagmatischen Analyse.3 Sätze erhielten ihre Bedeutung nicht nur aufgrund paradigmatischer Beziehungen zwischen Wörtern, sondern durch ihre syntagmatische Kombination mit den anderen Wörtern des Satzes. In dieser Synthese werde neue Bedeutung generiert.4 Besonders deutlich werde dieser Prozess, wenn zunächst unsinnig oder gar paradox erscheinende Worte kombiniert würden. Wenn sich widersprüchliche oder sich ergänzende Metaphern in einem Text finden, kann eine syntagmatische Metaphern-Analyse herausarbeiten, wie sich die unterschiedlichen Metaphern in einem Text gegenseitig beeinflussen. Es wäre sicherlich lohnend, im Detail zu untersuchen, wann eine Metapher aufgegriffen, wie sie interagiert, und wann sie wieder fallengelassen wird. Besonderes Gewicht kommt dabei den Übergängen zu. Eine erschöpfende syntagmatische Analyse würde den Rahmen dieses Buchs sprengen, es sollen aber einige erste Gedanken dazu skizziert werden. Camillo Sitte bezeichnete die »alte«, »gewachsene« Stadt in der einleitenden Passage seines Artikels Über die Kunst der Städtebauens 1891, als »ein Stück lebendiger Natur, wie Berg und Wald, wo die lieben Thierlein alle ihre erbgesessenen Nester haben; sie ist ein Stück Geschichte, wie ein alter Dom, dessen Mauern, Denksteine, Statuen und Bilder den Beschauer zurückversetzen in längst entschwundene Zeiten; sie ist ein großes Familienhaus, das als liebes, treu gehütetes Vermächtniß von Generation zu Generation sich vererbt hat.«5 Man könnte diesen Satz als Beispiel dafür lesen, dass drei verschiedene Metaphern eingeführt werden, um ein und dieselbe Eigenschaft der alten Stadt zu illustrieren, ihre Bedeutung als Denkmal und kulturelles Erbe, doch das würde diese Metaphern auf den Status eines rhetorischen Ornaments reduzieren. Jedes der drei Bilder, die Sitte beschwört, betont gleichzeitig weitere Aspekte, die die jeweils anderen Metaphern nicht besitzen. Die erste, die Beschreibung der Stadt als Berg oder Wald, schreibt der alten Stadt den apodiktischen Status der Natur zu. Als Leser imaginiert man sich selbst als niedliches kleines Tier, das den Schutz eines behaglichen Nests benötigt (im Gegensatz zu einem gemeinen Wolf, der andere Lebewesen attackiert, beispielsweise), und das in bester Disneymanier teilnimmt am großen Kreislauf des Lebens. Indem sie suggeriert, dass die Stadt schon immer so war wie heute, verdeckt diese Metapher die Notion von Stadt als soziales und kulturelles Artefakt. Sie verschleiert die Sicht der Stadt als Gegenstand und Ort politischer und sozialer Aushandlungsprozesse, die sich ständig verändert. Das zweite 3 | Harland 1993. 4 | Ebd., S. 17ff. 5 | Sitte, »Kunst des Städtebauens«, 1891, CSG 2, S. 313.

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Bild präsentiert die Stadt als mnemonische Maschine und entführt den Leser in erbauliche Gedanken fernab des Alltags. Präziser formuliert verstärkt dieses Bild den Schmerz, den man in der modernen Großstadt verspüren könnte, indem es einen übermenschlichen Zeithorizont eröffnet, und indem es aus der Geschichte nur diejenigen Elemente auswählt, die als große Errungenschaften kollektiven Zusammenwirkens betrachtet werden wie die mittelalterlichen Dome. Zuletzt evoziert das Bild des großen Familienhauses, das die Generationen überlebt, die angenehmen Erinnerungen an das Familienleben und die eigene Kindheit und verspricht gleichzeitig Geborgenheit und Sicherheit. Ein Ort, an dem man geboren wird und stirbt, während die Kinder die eigene Existenz in die Unendlichkeit verlängern. Auch hier wird das Konfliktpotential einer Stadt ausgeblendet, indem man die Bevölkerung als große Familie denkt. Wenn drei solche Bilder zusammengeschlossen werden, generieren sie neue Bedeutungen. Man könnte argumentieren, dass Sittes Behauptung an sich falsch sei, denn wenn die Stadt natürlich ist wie ein Berg, dann kann sie keine Geschichte haben wie ein Denkmal. Wenn die Stadt Natur ist, dann gehört sie nicht einer Familie, sondern ist die Vorbedingung jedes sozialen Zusammenschlusses. Im Allgemeinen wählt man beim Lesen eines Texts die Lesarten aus, die zumindest eine einigermaßen kohärente Aussage ergeben. Interpretiert man die drei Metaphern nach dem Prinzip des Wohlwollens, dann kann man sie so verstehen, dass sie einen gemeinsamen Kern haben, dass die Stadt etwas ist, das länger existiert als eine individuelle Person. Es gibt noch eine zweite Bedeutung, nämlich, dass die alte Stadt durch Harmonie charakterisiert ist. Diese Ideen sind in drei positive Bilder gefasst, damit mindestens eines davon den Leser anspricht. Vor dieser Folie entwickelt Sitte im weiteren Verlauf des Artikels seine Kritik am modernen Städtebau. Ein weiteres Beispiel für das Zusammenwirken mehrerer Metaphern wurde bereits diskutiert, soll trotzdem nochmals aufgerufen werden. Sitte überlagerte die Metapher der Verkehrs-Ader mit dem Verkehrs-Fluss in Abgrenzung zum Verkehrs-Netz mit seinen Knoten.6 Zunächst legte die Adern-Metapher die Anlage von Radialstraßen nahe, in denen der Verkehr wie in einem geschlossenen Organismus von innen (dem Herzen) nach außen zirkulieren soll. Durchzugsverkehr oder tangentiale Bewegungen sind in diesem Modell nicht vorgesehen und wurden von Sitte rundheraus negiert. Die Fluss-Metapher lässt keine derartigen Assoziationen aufkommen. Flüsse zirkulieren nicht in abgeschlossenen Kreisläufen. Es gibt, wie schon beim vorgenannten Beispiel, eine andere gemeinsame Eigenschaft die Blut und Flüsse verbindet – Teilchen (Blutkörperchen, Wassermoleküle) bewegen sich in eine bestimmte Richtung in einer begrenzenden Struktur (Ader, Flussbett). In physikalischen Termini ausgedrückt strömt eine Flüssigkeit in einem Gerinne. Flüssigkeiten sind per Definition Stoffe, die zwar leicht ihre Form ändern, aber ein konstantes Volumen besitzen und sich ständig bewegen. Von dem 6 | Sitte, »Wien der Zukunft. Regulirungsprojekte«, 1894, CSG 2, S. 424, 428, 437.

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Gerinnequerschnitt und der Fließgeschwindigkeit hängt ab, wie viel Flüssigkeit hindurchströmen kann. Wird der Fluss gestört, kommt es zu Staudruck, Turbulenzen und Reibungsverlusten. Viele dieser Eigenschaften lassen sich auf fließenden Verkehr übertragen, in dem sich Autos auf Straßen bewegen. Es mag daher kaum verwundern, dass Verkehrsplaner zur Simulation von Verkehrsflüssen heute Modelle aus der Strömungslehre heranziehen. Verkehrsfluss-Simulationssoftware wird zum Beispiel bei der Planung von Kreuzungen und Kreisverkehren eingesetzt oder dient der Optimierung von Ampelschaltungen. Die Fluss-Metapher ermöglicht es, in die Straßengestaltung zusätzlich den Faktor der Geländemodulation einzubringen, Straßen sollen sich wie talwärts gewundene Flüsse ins Terrain schmiegen. Diese Eigenschaft wäre mit der AdernMetapher nicht zu formulieren gewesen. Die Metapher des Verkehrsnetzes weckt dagegen in Sitte nur negative Bilder. Die gleichmäßigen Maschen eines ausgebreiteten Netzes erinnern ihn an das monotone und ungegliederte gründerzeitliche Blockraster und bringen ihn zu dem Schluss, Netze könnten das tatsächliche Verkehrsaufkommen, das überall unterschiedlich sei, nicht adäquat berücksichtigen. Darüber hinaus entstünden Knäuel, wenn man an Kreuzungen zu viele Straßen im gleichen Punkt zusammenknüpfe. Statt solche gordischen Knoten zu bilden, kam Sitte wieder auf die Flüssigkeits-Metaphern zurück, sollten immer nur einzelne Seitenstraßen in den Hauptstrom münden bzw. Straßen wie Adern sich schrittweise verästeln. Und zuletzt sollte – wie bei Flussbetten – die Durchflussmenge des Verkehrs den Straßenquerschnitt bestimmen. Erst in der Kombination boten die Adern- und die Fluss-Metapher für Sitte ein adäquates Modell für ein städtisches Verkehrssystem. Die Problematik der Metapher wurde ebenfalls bereits beschrieben: Den Verkehr durch die Augen der Strömungslehre zu sehen, impliziert, dass die einzelnen Verkehrsteilnehmer nichts anderes im Sinn haben, als mit gleichbleibender Geschwindigkeit in die gleiche Richtung zu strömen. Dies entspricht nicht dem tatsächlichen Mobilitätsverhalten von Menschen in einer Stadt. Außerdem sind Straßen eben keine »Röhrensysteme«, wie Hans Paul Bahrdt kritisch angemerkt hatte, sie sind Lebensräume und sollen einer Vielzahl von Tätigkeiten unterschiedlicher Akteure Raum geben. Diese zentralen Aspekte geraten durch die Flüssigkeits-Metaphern aus dem Blick. Die Metaphern des Platzes als Zimmer und als Kunstwerk treten über den gemeinsamen Aspekt der Geschlossenheit in Beziehung.7 Die Metapher des Platzes als Zimmer führt verschiedene Implikationen mit sich. Einerseits ist ein Zimmer von Wänden umgeben und also physisch abgeschlossen, es kann nur durch in diese Wände eingelassene Öffnungen, Türen, betreten werden. Andererseits ist ein Zimmer im Haus Teil eines größeren Raumgefüges und keine autonome Entität. Nach Sitte kann die physische Abgeschlossenheit eines Platzes im Gegensatz zum Zimmer auch durch eine lediglich visuelle Geschlossenheit ersetzt werden. Visuelle 7 | Sitte, »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 63.

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Geschlossenheit wiederum ist auch ein Charakteristikum des Kunstwerks. Ein perfektes Kunstwerk ist laut klassischer Definition eine geschlossene, nur auf sich selbst bezogene organische Einheit. Ein in sich geschlossenes Stadt- oder Platzbild kann als solches künstlerisch durchkomponiert werden, mit Vorder-, Mittel- und Hintergrund, Perspektiveffekten, Farbkontrasten, Symmetrieachsen etc. Die Fassaden der Gebäude, die einen Platz fassen, werden dabei mit Durchblicken, Staffage und gegebenenfalls Ausblicken in die Natur zum Bild arrangiert. Die Bild-Metapher ermöglicht es andererseits, die den Platz einfassenden Fassaden als »Rahmen« des Kunstwerks auffassen. Das legt nahe, den Platz wie in Sittes Darstellungen in Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen als Grundrissdarstellung zu imaginieren (wie es in der Realität nur ein Blick vom Turm ermöglich). Dadurch erscheint der Platz als eine autonome Einheit vor dem Hintergrund der Gesamtstadt, die ihn umgibt, aber dennoch klar von ihr geschieden ist. Die Kombination der Metaphern ermöglicht es, Stadtplätze als in künstlerischer Hinsicht autonom und gleichzeitig als Teil eines größeren Ganzen räumlich erfahrbar zu denken.

Grenzen Abschließend sei an eine Metaphern-Kombination erinnert, in der unvereinbare Widersprüche deutlich wurden. Die Erinnerungs- und die Bühnen-Metapher führten Sitte in ein »als ob«-Dilemma.8 Sitte war ein Freund der Stimmungsarchitektur. In barocker Tradition schätzte er den illusionistischen Effekt. Wie dargelegt wurde, empfahl er die theatralische Inszenierung städtebaulicher Situationen bis hin zu kostümierter Staffage und musikalischer Untermalung. Im städtebaulichen Entwurf empfahl er eine »als ob«-Strategie. Die Stadt müsse auf dem Papiere so wachsen wie ehemals die alten Städte. Die »natürlichen« Wachstumsprozesse alter Städte sollten vom Architekten stimmungsmäßig nachempfunden und imitiert werden. Die Erinnerungs-Metapher, nach der die Stadt ihre Geschichte nur dem aufmerksamen Zuhörer offenbart, erfordert einen präzisen Umgang mit der Wahrheit. Bauten und Straßenzüge gleichen Dokumenten, die im Archiv der Stadt Informationen für die Nachwelt speichern. Phantasievolle Assoziationen oder gar Illusionen aus dem Repertoire der Architektur werden in diesem Kontext zu »erlogenen Geschichten«. Sittes widersprüchliche Aussagen zeigen, wie zwei Metaphern, die in vielerlei Hinsicht passend und produktiv waren, in der Frage des »als ob« in ein Dilemma führen. Das Konzept des Erinnerns als aktive, gezwungenermaßen in Teilen hypothetische Rekonstruktion, das sein Zeitgenosse Freud formulierte, hätte die scheinbar ausweglose Situation vielleicht entschärfen können. Doch Sitte gelang es offensichtlich nicht, eine der beiden Metaphern zu reformulieren. Dies 8 | Sitte, »Über alte und neue Städteanlagen«, 1889, CSG 2, S. 267f.; ders., »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen«, 1889, CSG 3, S. 119.

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wäre vielleicht zu viel verlangt angesichts der Tatsache, dass sich entlang derselben Widersprüche bis heute hitzige Debatten entzünden. Dabei sollte man nicht vergessen, dass Metaphern per Definition die Möglichkeit eröffnen, aus den erzeugten Bildern sozusagen »auszubrechen«. Eine metaphorische Strukturierung beinhaltet immer das Wissen, dass es sich um eine metaphorische Ähnlichkeit und nicht um eine Identifikation handelt. Deshalb ist es immer auch möglich, den Implikationen einer Metapher nicht zu folgen, selbst wenn sie logisch abzuleiten wären oder von einem fremden Standpunkt aus zwingend scheinen. So kann ich eine Stadt etwa als Gesamtkunstwerk oder Landschaft auffassen, solange mir das Ziel führend erscheint, ohne alle darin angelegten Implikationen zu verfolgen, und sie in anderen Aspekten als Haus, Organismus oder Maschine begreifen. Viele scheinbare Widersprüche innerhalb von Argumentationen lassen sich auf diese Grundeigenschaft von Metaphern zurückführen. So ist es möglich, zahlreiche Metaphern für die Stadt gleichzeitig, alternierend oder überschneidend zu verwenden, um damit möglichst viele für den städtebaulichen Diskurs bedeutsame Facetten zu erfassen. Metaphern strukturieren in vielfältiger Weise die Hervorbringung neuer Ideen. Das hat Konsequenzen für die Architekturtheorie und die architektonische Praxis. Jorge Louis Borges spekulierte in Die Sphäre Pascals: »Vielleicht ist die Universalgeschichte die Geschichte von ein paar wenigen Metaphern.«9 Und er beendete seinen Essay, indem er seine Vermutung noch weiter zuspitzte: »Vielleicht ist die Universalgeschichte die Geschichte der unterschiedlichen Betonung von ein paar wenigen Metaphern [Hervorhebung S.H.].« Es wäre vermessen, im Rahmen dieses Buches die Geschichte des Städtebaus als eine Geschichte von Metaphern (oder von deren unterschiedlicher Betonung) komplett neu schreiben zu wollen. Doch bin ich überzeugt, dass es möglich und aufschlussreich wäre. Wenn wir akzeptieren, dass ein Denken ohne Metaphern nicht möglich ist, wird es umso wichtiger, Metaphern nicht vorschnell als ideologisch, verworren oder widersprüchlich zurückzuweisen, sondern sie explizit zu machen, zu reflektieren und spielerisch zu erproben. Wie gezeigt wurde, bergen Metaphern ein beeindruckendes kreatives Potential, das es in Architektur und Städtebau weiterhin zu nutzen gilt.

9 | Borges 1981, S. 10; folgendes Zitat S. 14.

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Index Aalto Alvar

48, 61

Adams, Thomas

Bogdanovic, Bogdan

106

Adorno, Theodor W. Alanus ab Insulis

Booth, William 198

Borges, Jorge Luis

116

292

Bos, Caroline

175

Alberti, Leon Battista 29, 40, 47, 65, 236, 265

Boyle, Robert

155

Aldrich, Virgil C.

Bragdon, Claude

24

85, 201

112

252

Aleotti, Giovanni Battista 182

Brecht, Bertholt

Alexander, Christopher 227

Brinckmann, Albert Erich

Alison, Archibald

264

Broek, Johannes Hendrik van den

Alkemade, Floris

23

Bronfen, Elisabeth

Allen, Stan

175 181

Anna von Österreich Arendt, Hannah

42

Burckhardt, Jacob

61, 140

Burke, Edmund

187, 263

81f.

194, 216, 234, 285 Assmann, Aleida Augustus

Camp, Maxime du

62

Campe, Joachim Heinrich

210f., 215

16

Cäsar, Gaius Julius

94

Cerdà, Ildefonso

Bahrdt, Hans Paul

72, 290

Bakema, Jacob Berens Baldauf, Anette

253 38

53, 168

Certeau, Michel de

228f.

Chambers, William

124

Chidekel, Lasar Markowitsch Choay, Françoise

210, 264, 284

Barker, Howard 271

Coast, Stephen

Barrett, Oswald

217

Coleridge, Samuel Taylor

Barthes, Roland

207, 228

Collins, Peter

Bartning, Otto

188f.

Baumeister, Richard

265

Beethoven, Ludwig van Behrens, Peter

83, 257

86, 185

Confurius, Gerrit

181

Connerton, Paul

214

Corbett, Harvey Wiley Costa, Lucio

66

59, 66, 147, 154

24, 55, 160

Corner, James

151

Benevolo, Leonardo

74

Colomina, Beatriz

215f.

Baudrillard, Jean

109

128, 139 57

Benjamin, Walter

102, 246, 277

Cowper, William

Bentham, Jeremy

144, 173

Coyne, Richard

23,

Cullen, Gordon

173, 176, 194

Beuth, Christian

148

Bingen, Hildegard von

154

15, 18, 20f., 23, 279

Boccioni, Umberto

256

159

204

Cicero, Markus Tullius

195

105, 121

264

Cennini, Ceninno

206

Bach, Johann Sebastian

Black, Max

38

96

59, 84 186

Aristoteles 15f., 18, 32, 40–42, 60, 93, 139–141,

Augustinus

238

Buffon, George Louis Leclerc Comte de 54f.,

Amadei, Federigo

Arets, Wiel

198

100

Cuvier, George Baron de Czech, Herrmann

192

55f., 58f., 228

318

M ETAPHERN FÜR DIE S TADT

Danto, Arthur C.

46f., 252

Darwin, Charles

21, 55, 58, 83

Francesco di Giorgio Martini Franck, Karen

243

Daston, Lorraine 172

Frank, Josef

Debord, Guy

189

Freud, Sigmund

Dehio, Georg

221

Fried, Alfred Hermann

Deleuze, Gilles

110f., 173, 175, 244, 285

Delsenbach, Johann Adam 45 Descartes, René

47

Friedell, Egon

33, 215, 217, 219, 282, 291 260

161, 204

Friedman, Yona

153

160

Disney, Walter Elias Disraeli, Benjamin

Galison, Peter

195, 288 81

172

Galli-Bibiena, Giuseppe

Doderer, Heimito von 192f.

Gandy, Matthew

Doré, Gustave

Garay, Juan de 171

112f.

Dorfles, Gillo

228

Dörhöfer, Kerstin

Garnier, Tony 43

146 220

194

Geddes, Patrick

25, 53

Durand, Jean-Nicolas-Louis 167, 227

Geminianus, Hl.

205

Durth, Werner

Georg, Hl.

Duany, Andres

78f.

94

Ghega, Carl Ritter von

Eck, Carolin van

Gibson, William

60

Edwards, A. Trystan

130

166

Giedion, Siegfried

255

182

166

Gatti, Guglielmo

Eiermann, Egon

216

Gigliotti, Vittorio

Eisenman, Peter

175

Gilpin, William

26, 160, 209f. 108

263

Eitelberger von Edelberg, Rudolf von 137

Glasersfeld, Ernst von 73

Ellin, Nan

Glucksberg, Sam

24

Endell, August

Goethe, Johann Wolfgang von

Éplattenier, Charles L’ 76 99

Feder, Gottfried

138

77f., 286

98

Gonzaga-Colonna, Vespasiano Goodman, Nelson

267

Gräffer, Franz

83f.

Ferriss, Hugh

106

Graham, E. R.

49

137

180f.

19f.

Fehl, Gerhard

Ferstel, Heinrich von

59, 96, 138,

247, 251, 271, 275 Goll, Yvan

Fassbender, Helga

40

Goecke, Theodor 147, 152f.

Enfants, Pierre Charles L’ 234 Eugen, Prinz von Savoyen-Carignan

18

Godin, Jean Baptiste

96, 257, 267f.

Feszl, Frigyes

63f., 94

Graham, Stephen

114

Griendel von Ach, Johann Franz

252

Filarete (Antonio Averlino) 61

Grimm, Jacob

Fleck, Ludwig

22

Grimm, Wilhelm

Flusser, Vilém

44, 46,

Gropius, Walter

12, 152, 158, 245

Grosz, Elizabeth

73

Forster, Kurt W. Forty, Adrian

181

11,14, 24, 67, 187, 227, 237

104, 116, 162, 228 104, 116, 162

Grosz, Georg

277 195, 255f., 278

Foucault, Michel

27,28, 144, 173

Gruen, Victor

Fourier, Charles

25, 40

Guattari, Félix 110f., 244, 285

Frampton, Kenneth

128, 285

Guérini, Jules

237

145

I NDEX Guibert, Jacques-Antoine-Hippolyte de 144

Howard, Ebenezer

Gutenberg, Johannes

Hugo, Victor

Gutschow, Niels

225

78f.

Haeckel, Ernst Haller, Fritz

Hyrtl, Josef

62

Ilg, Albert

Hansen, Theophil von

247

252

171

274

Ito, Toyo 176

166

Harbou, Horst von

Jacobs, Jane

190

Harbou, Thea von Häring, Hugo

190

Ibanez, D. Augustin

241

Haraway, Donna

Hunte, Otto 212, 215

164f.

Hanisch, Ruth

90, 202, 225, 257

Humboldt, Alexander von

168

Halbwachs, Maurice

25, 133f.

98

72, 119, 160, 234, 285, 287

Jäger, Theodor

53

192

Jansen, Hermann

Hauser, Susanne

270, 280f.

Haussmann, Georges Eugène Baron

Jencks, Charles 47, 81,

91f., 98, 241f.

Johannes (Apostel) Johnson, Mark

Hayden, Dolores

136

Heckscher, August

99

19f., 22, 33, 68, 287

Jormakka, Kari

120

267

120, 285

265, 278

Jouin, Céline

175f.

Hegel, Georg Friedrich Wilhelm 16, 149, 250f.

Kahn, Fritz

161f.

Heidegger, Martin

153

Kahn, Louis

209

Helbig, Georg von

184

Kandel, Eric

223

Hegemann, Werner

Henrici, Karl Henry IV.

26

26, 243, 254, 265f.

186

Kant, Immanuel

17, 187, 237, 246

Katharina die Große

Herdeg, Klaus

173, 176

Kather, Regine

Herder, Johann Gottfried 228

Kerner, Justinus

66

Herrmann, Curt 268

Kértesz, Mihaly

184

Herron, Ron

Kettelhut, Erich

190

90

Hilberseimer, Ludwig Hildebrandt, Eduard

271, 274

Hirschfeld, Ludwig Hirt, Aloys

53, 56, 140, 143, 159

131

142

Hitler, Adolf

42

Keysar, Boaz Kipnis, Jeffrey

208, 209 16

Hodler, Ferdinand

243

269

Hoefnagel, Jakob

196

Hoffmann, Joseph

198, 253, 274

Hoffmann, Ludwig

199

243

Koch, Julius

250

Koch, Robert

86

Koetter, Fred

37

196, 238, 249, 266, 285f. Kostof, Spiro

Hofmann, Joseph

Krier, Rob

261

76, 281 271

221

Koolhaas, Rem 8, 11, 48f., 51, 107, 109, 190,

Kramer, Oscar

Hornor, Thomas

12

Knips, Sonja

Hoffmannsthal, Hugo von 260 Hooke, Robert

18

Kleihues, Josef Paul

Hobbes, Thomas Hoecker, Paul

Keuls, Eva

184f.

154

62 203

26, 152, 229

Kruft, Hanno-Walter Krutikow, Georgi

181

160

319

320

M ETAPHERN FÜR DIE S TADT Kugler, Franz

Mac-Mahon, Patrice de

59

Kuhn, Thomas

21–23, 25, 279, 282, 284

Kurukawa, Kisho

76

Madeja, Georg

264

193

Malfroy, Silvain

24, 54

Malewitsch, Kasimir

239

Mallarmé, Stéphane

277

Lamarck, Jean Baptiste de 55f.

Markus, Thomas A.

12, 24

Landes, David S.

Martin, Camille

Lakoff, George Lang, Fritz

19f., 22, 33, 68, 287 148

Martin, David

98, 190f.

Langbehn, Julius

26, 265

266

23

Maturana, Humberto Romesin

Laugier, Marc Antoine 122–125, 188, 236, 285

Marmorek, Oskar

Lawinski, Anton

Matisse, Henri

159

Le Corbusier (Jeanneret, Charles-Edouard)

May, Ernst

243

137

7, 12, 26, 37, 48, 50f., 53, 57, 61–63, 66,

McKim, Charles Follen

69f., 72, 76f., 81f., 86, 92f., 95, 105f.,

McLuhan, Marshall

109, 115–119, 143, 146, 152, 154f., 158,

Mead, William Rutherford

160, 163, 169, 216, 221, 238, 255, 265f.,

Meidner, Ludwig

284f., 287

Mendelsohn, Erich

Le Nôtre, André

123f.

46f.

46

77

Meyer, Esther da Costa

33

145

Meyer, Hannes

Lehner, Gilbert

196

Michelangelo Buonarroti

56f., 143, 158, 172

Leibnitz, Gottfried Wilhelm 155, 277

Migge, Leberecht

Leo X.

Milizia, Francesco

84, 203

Leonardi, G.B.

144 260

Lévi-Strauß, Claude

140

188 43

194

Moholy-Nagy, Sibyl Monge, Gaspard

170

169

Lichtenberg, Georg Christoph 257

Mönninger, Michael

Lichtwark, Alfred

Moore, Charles

Linné, Carl von

254 54, 59

Lipp, Wilfried

221

240

79

Mill, John Stuart Miller, Max

13

Lessing, Theodor

46f.

277

Lefaivre, Liane

Leonardo da Vinci

74

196

247

237

Moos, Stanislaus von Moravánszky, Ákos

158 263

Morin, Edmont

99

Lodoli, Carlo

187

Morris, William

133, 149f., 154, 188

London, Jack

112

Mozart, Wolfgang Amadeus

Locke, John

93

Loos, Adolf

12, 56, 129, 183, 185, 202, 237,

Lotze, Hermann Louis XIII. Louis XV. Louis XIV.

119

251, 253, 276

53, 135, 140, 192, 212, 215

Mussolini, Benito

243, 280, 286 Lorenz, Edward

Mumford, Lewis

194, 209

Muthesius, Hermann

150, 152

Napoleon Bonaparte

81, 184, 206

236, 263

186 236 81, 183

Napoleon III. Nash, John

91 63

Lukrez (Titus Lucretius Carus) 154

Nerdinger, Winfried

222

Lynch, Kevin

Neumann, Balthasar

234f.

192f., 264

Neuteling, Willem Jan

245

I NDEX Niemeyer, Reinhold

78

Nietzsche, Friedrich

17, 215, 246

Nikolaus von Oresmes Nolli, Giambattista Norton, Richard

Reichow, Hans Bernhard 53, 61, 70–72, 155

34

114

75–78, 81, 140, 286f. Richards, Ivor Armstrong Richter, Hans Riegl, Alois

204, 221

Rodenstein, Marianne

Onians, John

214

43

Romberch, Johann Host von

Osthaus, Karl Ernst Owen, Robert

15

250

243

25, 40f.

Rossi, Aldo

210

193, 212, 235, 248, 284

Rousseau, Jean Jacques

129

Rudolf, Kronprinz von Österreich-Un-

Palladio, Andrea

29, 40, 180

garn

43

Pannini, Giovanni Paolo 207

Rowe, Colin

Parker, Barry

Rudorff, Ernst

134

Parker, Samuel

16

37 131, 137, 267

Ruskin, John 60, 148–150, 188, 211, 215,

Pascha, Khaled Saleh

24

228, 263

Pater, Walter

252–254

Russolo, Luigi

Patte, Pierre

236

Ruttmann, Walter

Peterson, Hans

257–259 255

273

Petrovits, Ladislus Eugen 208

Saarinen, Eliel

Petztet, Michael

Saint-Hilaire, Geoffray

Phidias

222

216, 240

Pietsch, Ludwig

86–88

Sant’Elia, Antonio

273

Sattler, Hubert

56

163, 185f.

273f.

Piranesi, Giovanni Battista 220

Sauerländer, Willibald

Plater-Zyberk, Elizabeth 194

Saussure, Ferdinand de

Platon

Scamozzi, Vincenzo

16, 40, 42, 63, 141, 172, 216

Popper, Karl

22

Portland, John Posch, Winfried

Schama, Simon 107f., 285

232

287f.

180

Schafer, R. Murray

51

Portoghesi, Paolo

204

259

121

Scharoun, Hans

61, 126f.

Schawelka, Kurt

254

Potemkin, Grigory Aleksandrovich 183–5

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 59, 251f.

Price, Cedric

Schembera, Viktor

153

Price, Uvedale Prix, Wolf

263

224

Schlegel, August Wilhelm Schlegel, Friedrich

Quatremère de Quincy, Antoine Chrysostô-

Raphael

225

84, 203

Rainer, Roland 170

Reich, Lilly

216

Schleiden, Matthias Schnaase, Carl

188, 228

Quincey, Thomas de

Raffael

125–127, 148f.,

177, 188

Pugin, Augustus Welby Northmore 145f., 188

me

43

Schinkel, Karl Friedrich

78f., 286

59f., 263

251 76

59

Schnitzler, Arthur

184

Schön, Donald A.

88, 114

Schönborn, Johann Philipp Franz von Schopenhauer, Arthur

234

142, 251

Schultze-Naumburg, Paul 92, 94, 115, 129f., 137, 265f.

321

322

M ETAPHERN FÜR DIE S TADT Schulze-Fielitz, Eckhardt 153

Smithson, Alison

Schulze, Gerhard

Smithson, Peter

185

119, 284 119, 284

Schumacher, Fritz

137, 216

Snodgrass, Adrian

Schumann, Robert

253

Sonne, Wolfgang

Schütte-Lihotzky, Margarete 65

Sontag, Susan

Schwann, Theodor

76

Sörgel, Herman

Schwarz, Max Karl

79f.

Speer, Albert

Schwarz, Rudolf

118f.

85 31

194, 208f.

Spencer, Herbert

168

Schwarzwald, Eugenie 129

Stam, Mart

Scott, Ridley

Starret, Theodore

166

Scott Brown, Denise

23 115, 246

189, 286

151

Stauda, August

Sejima, Kazuyo

176

Steiner, Karl

Sellény, Joseph

274

Steiner, Rudolf

Semper, Gottfried 43, 58, 84, 151, 157f., 167,

49 45

156 79

Stieglitz, Christian Ludwig

141

228, 230, 237, 240f., 254

Strengell, Gustaf

233

Sennett, Alfred Richard 63

Stübben, Joseph

232

Sennett, Richard

Sueton (Gaius Suetonis Tranquillus)

134

Serlio, Sebastiano

179f.

Sullivan, Louis Henry

Serres, Michael

177

Switzer, Stephen

Sert, Josep Lluís

209f., 210

Szeps, Moritz

Sessa, Melchiorre

55, 188, 252

124

43

210f.

Shakespeare, William 59, 247

Taddeo di Bartolo

Shenstone, William

Tafuri, Manfredo

123

Sherwell, Arthur

112, 115

Taut, Bruno

Sieverts, Thomas

109, 138, 196, 285

Taut, Max

205 228

137, 238 138f.

Simmel, Georg

121, 129

Terlinden, Ulla

Sinclair, Upton

111

Tessenow, Heinrich

216

Thomas von Aquin

16

Singer, Wolf

224

Sitte, Camillo

206

7–9, 25–27, 29–36, 38–40,

Thucydides

43

209

43, 45–47, 51, 53, 58f., 62f., 66–68,

Troost, Gerdy

70, 72f., 75–77, 81–84, 86, 89f., 93,

Turgot, Michel-Étienne

208 186

95f., 98, 103–105, 109, 115–117, 120, 122, 125f., 129–131, 133f., 137–144, 146f., 150,

Ungers, Oswald Mathias

152, 154, 157, 167–171, 177f., 182f., 191,

Unwin, Raymond

194, 196–202, 204, 206, 212, 214, 217,

Urry, John

24, 72f., 88, 107

26, 53, 134

278

219, 221, 225, 227, 229–241, 244–250, 252–255, 257, 259–267, 269–280, 282,

Vaihinger, Hans

284–291

Velde, Henry van de

200 186, 243

Sitte, Heinrich

206, 260, 262

Venturi, Robert

Sitte, Siegfried

250

Vergil (Vergilius Maro, Publius)

Sixtus V.

125, 205

Sloterdijk, Peter Smith, Adam

76

144

120, 189, 286

Verhaeren, Emile Verlaine, Paul

89

253

Vicq d’Azyr, Félix

55

122, 264

I NDEX Viollet-le-Duc, Eugène-Emmanuel 155, 188, 203, 219, 241 Virchow, Rudolf Virillio, Paul

63

44

Vitruv (Vitruvius Pollio, Marcus) 8, 12, 30, 63, 94, 178, 180, 241, 280 Vollbrecht, Karl

190

Vuillard, Edouard

Wagner, Otto

243

25f., 37, 146, 152, 157, 183, 185,

230, 265, 280, 286 Wagner, Richard

198–200, 246–248, 250,

255, 257 Waldheim, Charles Weigel, Sigrid

128

95

White, Stanford

46,47

Wieczoreck, Daniel Wiener, Norbert

141, 247

73

Wilczek, Johann Nepomuk Graf 150 Wilhelm, Karin

62, 77, 191

Wilson, Elizabeth

43, 100

Winckelmann, Johann Joachim 141 Wines, James

49, 51

Winter, Pierre

86

Wittgenstein, Ludwig

24

Wortmann, Wilhelm

127

Wright, Frank Lloyd

53, 59, 135f., 154, 162f.

Wyld, William

122

Xenakis, Yannis Zinganel, Michael Zweig, Stefan

175 132

83, 101

323

Architekturen Eduard Heinrich Führ DIE MAUER Mythen, Propaganda und Alltag in der DDR und in der Bundesrepublik Dezember 2012, ca. 240 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1909-6

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