Vielen Dank für Ihren Einkauf: Konsumkultur aus Sicht von Design, Kunst und Medien [1. Aufl.] 9783839421703

Auch mit der jüngsten Finanzkrise hat die Konsumkultur nichts von ihrer Bedeutung als massenkulturelles Phänomen eingebü

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Vielen Dank für Ihren Einkauf: Konsumkultur aus Sicht von Design, Kunst und Medien [1. Aufl.]
 9783839421703

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Einführung
Konsum als dialektisches Prinzip
Prizing & Pricing. Design zwischen Rang und Regal
Making of Alltagskultur. Marke, Konsum und kreative Ableitungen
Empirische Konsumforschung in der Psychologie. Kognitive Mechanismen bei der Produktwahl
Vergemeinschaftung durch Konsum? Zum Stand der «Brand Community»-Forschung
Die Kunst der Irritation und ihr Mehrwert
Die Massenkultur unterwandern. Do it yourself als Konsum-Alternative von den 1970er Jahren bis ins digitale Zeitalter
«Nutella is my friend» Konsumenten im Web 2.0 als Vollender und Vordenker des Produktdesigns
Autorinnen und Autoren

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Sabine Fabo, Melanie Kurz (Hg.) Vielen Dank für Ihren Einkauf

Sabine Fabo, Melanie Kurz (Hg.)

Vielen Dank für Ihren Einkauf Konsumkultur aus Sicht von Design, Kunst und Medien

Herausgeber: Sabine Fabo, Melanie Kurz

Die vorliegende Publikation wurde großzügig unterstützt von der FH Aachen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Melanie Kurz Redaktion & Lektorat: Sabine Fabo, Melanie Kurz Satz: Alina Lang, Melanie Kurz Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2170-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort Helmut Jakobs  | 7

Einführung Sabine Fabo  | 9

Konsum als dialektisches Prinzip Andrej Kupetz  | 14

Prizing & Pricing. Design zwischen Rang und Regal Melanie Kurz  | 26

Making of Alltagskultur. Marke, Konsum und kreative Ableitungen Alex Buck  | 40

Empirische Konsumforschung in der Psychologie. Kognitive Mechanismen bei der Produktwahl Lynn Huestegge & Eva-Maria Skottke  | 56

Vergemeinschaftung durch Konsum? Zum Stand der «Brand Community»-Forschung Kai-Uwe Hellmann  | 90

Die Kunst der Irritation und ihr Mehrwert Sabine Fabo  | 112

Die Massenkultur unterwandern. Do it yourself als Konsum-Alternative von den 1970er Jahren bis ins digitale Zeitalter Thilo Schwer  | 146

«Nutella is my friend» Konsumenten im Web 2.0 als Vollender und Vordenker des Produktdesigns Wolfgang Ullrich  | 160

Autorinnen und Autoren | 181

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V ORWORT Konsum ist wichtig – suggerieren uns die Medien in Permanenz. Auf die richtige Art und Weise konsumieren ist auch wichtig – suggerieren uns dieselben Medien, auch in Permanenz. Und dabei macht es kaum einen Unterschied, ob die Meldung dem Ressort Politik, Wirtschaft, Feuilleton, Panorama oder dem Werbeblock zuzuordnen ist. Grund genug, über Konsum nachzudenken, zu diskutieren, seinen facettenreichen Kern, irgendwo angesiedelt zwischen Kommunismus, Konsumismus und Kapitalismus, freizulegen. Sabine Fabo schreibt, der Konsum sei eines der wenigen bemerkenswerten Phänomene, die als Ursache und Lösung ein- und desselben Problems wahrgenommen würden. Wir, die wir alle Konsumenten sind, scheinbar selbst in der Verweigerung des Konsums, sind also mittendrin – und die Designer allemal. Ihnen als Entscheider, Maschinisten am großen Schaltpult der Warenästhetik, der Verführung durch Artefakt, Image und Dienstleistung kommt eine hohe ethische Verantwortung zu – welches Material, welcher Herstellungsprozess – ist das überhaupt sinnvoll – welche Auswirkungen wird das haben? Diesen Auswirkungen, dem so oft unsichtbaren Rucksack, können weder wir uns noch die Designer sich entziehen – das beweist diese Publikation, die zweifelsohne zum Nachdenken und zu verantwortlichem Handeln anregen möchte. Der Philosoph Vilém Flusser schreibt in seinem Werk Vom Stand der Dinge (Göttingen 1993: 69): «Ein Schuster macht nicht nur Schuhe aus Leder, sondern dadurch auch aus sich selbst einen Schuster.» Wir sind also das, was wir tun – oder konsumieren? Im Namen der FH Aachen sei ein herzliches Dankeschön an all die Menschen gerichtet, die mit ihrem Einsatz und ihren kritischen wie kompetenten Beiträgen das Symposium Konsum ermöglicht und bereichert haben. Besonders möchte ich den Kolleginnen Melanie Kurz und Sabine Fabo danken für den Impuls, den Mut und die Ausdauer, Symposium und Publikation auf die Beine zu stellen. Prof. Helmut Jakobs Prorektor für Lehre und Studium der FH Aachen

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E INFÜHRUNG «Sich der Gesellschaft gegenüber verantwortungsbewußt zu verhalten, bedeutet heute für ein Individuum, so viel wie nur möglich zu kaufen – unabhängig davon, ob es das will oder nicht.» (Groys 2003: 47)

Der Konsum scheint eines der wenigen bemerkenswerten Phänomene zu sein, die sowohl als Ursache und gleichzeitig als Lösung ein- und desselben Problems aufgefasst werden. Lag der Ursprung der aktuellen Finanzkrise sicherlich in den übersteigerten Konsumerwartungen im Immobiliensektor, die Spekulationen vorantrieben, so sehen Experten die Auswege aus dieser Krise vor allem aus Richtung des Verbrauchers kommen. Konsum ist die Antwort auf die Krise des Konsums. Den drastischen Folgen eines übersteigerten, von allen realen Produktionsverhältnissen entkoppelten Konsumbedarfs begegnen die betroffenen Staaten und Gemeinschaften mit der Aufforderung zu mehr Warenverbrauch und Kauflust. Begleitet werden diese Appelle von regelmäßigen Messungen der Kaufneigung, die von der Gesellschaft für Konsumforschung in dreimonatigen Abständen ermittelt und veröffentlicht werden. Auf der Grundlage von Umfragen unter 2.000 Verbrauchern aus Privathaushalten werden die Erwartungen an das Einkommen sowie die Haltung gegenüber Anschaffungen und Sparbestrebungen ermittelt. Dieses Konsumklima wird aufmerksam beobachtet, seine eher gefühlten Momente in einen berechenbaren Index übertragen. So lag der Konsumklimaindex im Januar 2012 in Deutschland bei 5,7 Punkten, was bedeutet, dass der private Verbrauch nach Abzug der Inflation 0,57 Prozent höher lag als im Vorjahr. Hinter diesen optimistischen Meldungen steht die hartnäckige Vision, die Welt gesunde an ihren Wachstumsraten. Auf Seiten der konkreten Maßnahmen betreibt man eine «alterna-

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tivlose» bankenfreundliche Geldpolitik mit Niedrigzinsen für Kredit aufnehmende Geldhäuser, niedrigen Sparzinsen und hohen Renditeversprechungen für Kreditgeber, welche abgesichert sind durch die Haftung der europäischen Steuerzahler. Rigides Sparen gilt als kontraproduktiv und mangelnde Kaufkraft gerät zur sozialpolitisch zynischen Geste. Unser Konsumverhalten zeitigt politische und gesellschaftliche Folgen, und die systemkritische Lektüre von Karl Marx’ Kapital ist populärer denn je. Amerikanische Politikwissenschaftler wie Benjamin Barber sehen die Demokratie durch infantiles Konsumentenverhalten gefährdet. Als Konsequenz fordert Barber gegen Ende seines Buches Consumed, die Märkte «staatsbürgerlich in die Pflicht» zu nehmen (Barber 2007: 292). Ganz anders wird Karl Marx’ konsumkritisches Erbe von dem Medienwissenschaftler Norbert Bolz in die Gegenwart transponiert. Der sozialistisch-utopische Entwurf des Kommunistischen Manifests wird 2002 in der Verschiebung des Zitats zu einem Konsumistischen Manifest, wobei die Thesen von Marx und Engels in dem persiflierenden Wortspiel als Ausdruck einer vermeintlich veralteten Ideologie vorgeführt werden. Für Bolz stellt der Konsumismus gar «das Immunsystem der Weltgesellschaft gegen den Virus der fanatischen Religionen» dar (Bolz 2002: Rückencover). Gleichzeitig macht Bolz einen «konsumistischen Virus» aus, der andere Kulturen auf dem Schleichweg der lustvollen Konsumption mit westlichen Werten «infiziert» (Bolz 2002: 15). Der Konsumismus gilt nach wie vor als vitale Motivation menschlichen Handelns, und es lässt sich nicht leugnen, dass eine Kritik am System des Konsums die Intensität unseres Austauschs mit den Objekten verkennt. Unser Kontakt mit den Dingen folgt meistens über den Weg und das Medium der Ware, deren «Liebesaugen» immer noch heftig mit uns flirten, wie Marx im Kapital so treffend hervorgehoben hat (Marx 1969: 81). Das Objekt als Ware bündelt Sehnsüchte und Träume, es schafft Fiktionen, wird zur prothetischen Verlängerung des Menschen und dient letztlich der Stärkung seines Ichs. Die ästhetische Dimension der Ware wurde schon zu Beginn der 1970er Jahre von Wolfgang Fritz Haug als täuschende Inszenierung verstanden: «Sie (die Warenästhetik) befriedigt nur mit Schein, macht eher

E INFÜHRUNG

hungrig als satt.» (Haug 2009: 88) Dennoch, 40 Jahre später wiegen wir uns in der Gewissheit, emanzipiert und konsumklug geworden zu sein und meinen, das Raffinement unserer vermeintlichen Verführer durchschauen und deren Überredungskunst als reine, produktfreie Botschaft ästhetisch genießen zu können. Die Strategien der Customization und der «Kommodifizierung», des zur WareWerdens vieler Lebensäußerungen, kommen unserer individualistischen Eitelkeit entgegen. Die Welt des Konsums hält für jeden eine auf ihn abgestimmte, maßgeschneiderte Umarmung bereit. Theoretisch wurde der intelligente, produzierende Konsument in den 1980er Jahren von Alvin Toffler (Toffler 1980) unter dem Begriff des «Prosumers» vorgestellt. Aktuell beobachten wir den strategischen Missbrauch von Konsumobjekten, subversives Konsumverhalten und das Entstehen einer «Konsumguerilla», wie sie 2008 von Birgit Richard und Alexander Ruhl eingeführt worden ist. Auch diejenigen, die diesen Hang zum Konsum kritisieren möchten, agieren unter ökonomischen Bedingungen, wenn sie in ihrem Protest, dem Hacking, dem Culture Jamming und Adbusting gehört werden wollen. Denn erfolgreich kommunizieren kann nur derjenige, der die Ökonomie der Aufmerksamkeit beherrscht. Eine Kritik der Warenästhetik verweist auch darauf, dass Konsum eines der wesentlichen Betätigungsfelder des Designers ist, unabhängig davon, ob er in der Welt der Produkte oder im Rahmen der visuellen Kommunikation agiert. Für Peter Sloterdijk steht im Zentrum der Arbeit des Designers seine Fähigkeit zum «Zeug zur Macht» (Sloterdijk 2007). Demzufolge verwalte der Designer geschickt unsere Inkompetenz und seine eigentliche Aufgabe liege darin, gegenüber unseren Apparaten Souveränität zu simulieren. Das sind recht zweifelhafte Komplimente und Grund genug, dem Verhältnis von Konsum, Kunst und Design in der Auseinandersetzung mit Werbern, Soziologen, Designern, Kunstwissenschaftlern und Konsumforschern näher auf den Grund zu gehen. Andrej Kupetz erörtert in seinem Aufsatz zur Dialektik des Konsums die Entwicklung eines avancierten Konsumententypus, dessen komplexes Verhalten die Entscheidungen der Produzenten zuneh-

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mend beeinflusst. Melanie Kurz diskutiert die problematische Wechselbeziehung zwischen der Auszeichnung erfolgreichen Designs, dem «Prizing», und der sich daran anschließenden Preispolitik des «Pricing», die oftmals einer Mentalität des Exklusiven folgt. Alex Buck geht dem Verhältnis von Marke und Konsument nach und stellt vor, wie daraus Designstrategien für eine Markenpolitik der Unternehmen abgeleitet werden können. Die wahrnehmungspsychologischen Voraussetzungen der Beziehung der Konsumenten zu den jeweiligen Produkten analysieren Lynn Huestegge und Eva-Maria Skottke vor dem Hintergrund einer Studie der empirischen Konsumforschung. Kai-Uwe Hellmann wirft in seinem soziologisch fundierten Beitrag einen kritischen Blick auf die «Brand Community»-Forschung und diskutiert die Frage nach der gemeinschaftsbildenden Kraft von Marken. Sabine Fabo untersucht die vielschichtigen Kooperationen von Kunst und Konsum und fragt nach dem Mehrwert konsumkritischer künstlerischer Haltungen. Thilo Schwer widmet sich in einer historischen Darstellung dem konsumrebellischen Impuls von Konsumenten und Produzenten von den 1970er Jahren bis zu den digitalen Umsetzungen unserer Tage. Wolfgang Ullrich stärkt die Rolle des aktuellen Konsumenten und zeigt, wie intensiv die emotionale Qualität der kreativen Auseinandersetzung von Web 2.0-Nutzern mit ihren favorisierten Produkten ausfallen kann. Die meisten der hier versammelten Beiträge gehen auf ein Symposium zurück, das im November 2010 unter dem Titel Konsum vom Fachbereich Gestaltung der FH Aachen veranstaltet wurde. An dieser Stelle möchten wir nochmals dem Dekanat des Fachbereichs Gestaltung sowie allen Beteiligten des Symposiums ganz herzlich für ihre engagierte Mitarbeit und vielfältige Unterstützung danken. Unser Dank gilt den Autoren, die uns ihre Texte für diese Veröffentlichung zur Verfügung gestellt haben. Bei der Gestaltung des Buches wurden wir mit viel Geschick und großem zeitlichen Engagement von Alina Lang und Benedikt Bockshecker unterstützt. Diese Publikation hätte nicht ohne die großzügige Förderung des Rektorats der FH Aachen realisiert werden können. Für die Bereitstellung von Forschungsmitteln möchten wir dem Rektorat der FH Aachen ausdrücklich danken,

E INFÜHRUNG

namentlich Prof. Dr. Marcus Baumann, Prof. Helmut Jakobs und Prof. Dr. Christine Vaeßen als Vorsitzende der Kommission für Forschung, Entwicklung und Technologietransfer. Sabine Fabo

L ITER ATUR Barber, Benjamin R. (2007): Consumed! Wie der Markt Kinder verführt, Erwachsene infantilisiert und die Demokratie untergräbt, München: Verlag C.H.Beck. Bolz, Norbert (2002): Das Konsumistische Manifest, München: Wilhelm Fink Verlag. Flusser, Vilém (1993): Vom Stand der Dinge, Göttingen: Steidl. Groys, Boris (2003): «Der Künstler als Konsument», in: ders., Topologie der Kunst, München/Wien: Carl Hanser Verlag, S. 47-58. Haug, Wolfgang Fritz (2009), Kritik der Warenästhetik, Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag. Marx, Karl (1969): Das Kapital. Kritik der Politischen Ökonomie (1867), Stuttgart: Alfred Kröner Verlag. Richard, Birgit/ Ruhl, Alexander (Hg.) (2008): Konsumguerilla. Widerstand gegen Massenkultur?, Frankfurt/New York: Campus Verlag. Sloterdijk, Peter (2007), «Das Zeug zur Macht», in: ders., Der ästhetische Imperativ. Schriften zur Kunst. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Peter Weibel, Hamburg: Philo & Philo Fine Arts. Toffler, Alvin (1980), The Third Wave, New York: Bantam Books.

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Konsum als dialektisches Prinzip Andrej Kupetz

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Der niederländische Architekt und Theoretiker Rem Koolhaas hat einmal das Shopping als vermutlich einzig verbliebene, öffentliche Aktivität des Menschen bezeichnet. Auch wenn ein Großteil der tatsächlichen Kaufprozesse mittlerweile in der intimen Situation vor dem Bildschirm stattfindet, ist Koolhaas’ These nicht von der Hand zu weisen. Wenn das Einkaufen, das Konsumieren, von seinem ursprünglichen Sinn befreit ist, einen tatsächlichen Gegenstand zu erwerben, der auch noch gebraucht wird, erhält das Konsumieren eine neue Dimension – oder eben neue Funktionen. Das Einkaufen als reiner Prozess ist das Ziel, die häuslichen vier Wände zu verlassen und sich in das Abenteuer des realen sozialen Kontakts mit der Außenwelt zu begeben. Das Erlebnis Shopping im Urban Entertainment Center, im Mono-Markenraum (Abb. 1), im Superstore oder auf dem Wochenmarkt zeigt gesellschaftliche Aktivität, ist Identifikationsraum und Bühne der Selbstinszenierung für den hybriden Konsumenten, jenen heute allgegenwärtigen Marktteilnehmer, der sich eines eindeutigen Kaufverhaltens erwehrt, ja, der vielmehr die Mehrdeutigkeit zum Mantra seines Konsumverhaltens erhoben und der das Prinzip der Dialektik auf sein Konsumverhalten übertragen hat. Irgendwann in den vergangenen 40 Jahren ist diese Figur, diese Typologie des avancierten Konsums entstanden. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat ihr in seinem Standardwerk Die feinen Unterschiede bereits 1979 nachgespürt. Bourdieu entwickelte aus Beobachtung und Empirie heraus den Begriff des Distinktionsgewinns für die erfolgreiche Durchsetzung eines vorherrschenden Geschmacks oder Lebensstils als Waffe, um die soziale Stellung zu behaupten. Denn nach Bourdieus Ansicht gestalten sich heute die Kämpfe zwischen den gesellschaftlichen Klassen in einem sogenannten Raum der Lebensstile. Ein Geflecht an Codes, Zeichen und Symbolen grenzt die Klassen und ihre Lebensstile voneinander ab. Sozialer Aufstieg findet nicht wirklich statt, denn die vermeintlichen Aufsteiger können die Codes der alten vorherrschenden Klassen nicht deuten. Geradezu darwinistisch evolutionär, so Bourdieu, reproduzieren sich diese immer wieder, weil sie es am besten verstehen, sich an die jeweiligen neuen Bedingungen anzu-

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Abbildung 1: Konsumförderung durch Architektur.

Abbildung 2: Design ermöglicht Integration und Differenzierung. Ein Produkt kann gegensätzliche Bedürfnisse adressieren.

Abbildung 3: Design als Kommunikation.

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Abbildung 4: Design als Kommunikation schafft Mehrwert.

Abbildung 5: Individualisierter Konsum – Individualisierung von Produktangeboten.

Abbildung 6: Personalisierter Konsum – Wertsteigerung durch Personalisierung.

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passen. Die Marktforschung jedenfalls liebte Bourdieus Thesen, die es ihr erlaubten, Konsumenten in Lebensstilen (Konsumstilen) zu verorten und zu qualitativ erfassbaren Zielgruppen zu degradieren. Der hybride Konsument ist dabei eine schwierige wie gleichzeitig geniale Erfindung. Er wechselt seinen Lebensstil drei Mal am Tag, was bedeutet, dass man ihm theoretisch drei Mal am Tag das gleiche Produkt in unterschiedlichen stilistischen Erscheinungen verkaufen könnte (Abb. 2). Szenenwechsel. Warum die italienischen Designer Ettore Sottsass, Michele de Lucchi und Matteo Thun gemeinsam mit einigen Freunden um die Jahreswende 1980/81 die Memphis-Bewegung gründeten, darüber gibt es verschiedene Interpretationen. Verbreitet ist die Auffassung, Memphis als eine Kritik an den Prinzipien des seit den späten 1960er Jahren vorherrschenden Funktionalismus im Design zu verstehen. Eine andere Auffassung sieht in Memphis lediglich eine Parallelentwicklung im Bereich des Designs zur Architektur der Postmoderne, die zur gleichen Zeit eine ähnliche Formensprache in einer anderen Dimension propagierte. Aber es gibt darüber hinaus Interpretationsversuche, die in der Memphis-Bewegung in erster Linie eine gesellschaftliche Dimension verorten. Die eine betrifft die Situation der Designer, die sich aufgrund ihrer Abhängigkeit von einem industriellen System zunehmend ihres Selbstverständnisses beraubt sahen, mit ihrer Arbeit einen Beitrag zur Verbesserung der alltäglichen Lebenssituation der Menschen leisten zu können, und die als Reaktion darauf eine Designsprache der individuellen künstlerischen Impulse entwickelten. Die andere betrifft die Dimension des allgemeinen Designverständnisses in dieser Zeit. Ettore Sottsass und Michele De Lucchi sollen von der Idee infiziert gewesen sein, Designobjekte auch der breiten Masse zugänglich zu machen, also eine Demokratisierung des Designs über eine populäre, d.h. vor allem spektakuläre Erscheinungsform zu erreichen (Abb. 3). Aber wie konnte das formale, auf den ersten Blick willkürlich wirkende Aneinanderreihen von geometrischen, zumeist in Primärfarben gehaltenen Grundkörpern (Kegel, Kugeln, Pyramiden oder Würfel) diese ungeheure Popularität entfalten, die Memphis nicht nur in

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kürzester Zeit in der westlichen Welt erreichte und sogar bis heute das Designverständnis der Allgemeinheit prägt? Memphis schien ein Bedürfnis der Verbraucher auf den Punkt zu bringen, das es vorher nicht gegeben hat. Ein Bedürfnis, in dem alltäglichen Gegenstand ein Medium zu sehen, die eigene Identität im Nutzen der Produkte auszudrücken. Memphis war anders als alles andere, was es vorher zu kaufen gab. Memphis war Anti-Design, es widersprach allen gängigen Auffassungen der industriellen Gestaltung, die ihren Ausgang immer in der Analyse des technisch und wirtschaftlich Machbaren nahm. Die Erscheinungsform der industriellen Gesellschaft wurde bisher nur in der Folge der Funktionalismus-Diskussion auf das Prinzip der (prozessbedingten) Entformbarkeit von Formen reduziert. Diese Gesetzmäßigkeit wurde durch die Memphis-Bewegung aufgehoben. Der Erosionsprozess der Massenmärkte, der bereits in den späten 1960er Jahren begann, verursachte erstmals das Aufkeimen unterschiedlicher Konsumentenbedürfnisse in den westlichen Gesellschaften. Der allgemeine Massenmarkt, in dem das «Pushprocessing», d.h. das Angebot die Nachfrage diktierte, wurde schnell Geschichte. Aus der Ökonomie der Grundbedürfnisse, die darauf abzielte, die Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen und aus einer Art Fürsorgegedanke heraus diese Versorgung nahezu monopolistisch zu bewerkstelligen suchte, entstand eine neue Ökonomie. Sie ist von der Nachfrage auf der Verbraucherseite geprägt. Der Verbraucher hat an Selbstbewusstsein gewonnen. Er entwickelt eigene Ideen über die Gestaltung seiner Lebensumgebung. Er hat konkrete Vorstellungen und Wünsche. Die Ökonomie der Begierden entsteht. Diese Ökonomie ist durch eine weitgehende Segmentierung der Märkte gekennzeichnet, die durch eine zunehmende Differenzierung von Konsumbedürfnissen der Verbraucher in Bezug auf die sie umgebenden Produktwelten verursacht wird. Es sind dies in der Anfangsphase der Ökonomie der Begierden noch Bedürfnisse, die aus einer gewissen Gruppendynamik erwachsen. D.h. für die Anbieter von Produkten ist es noch relativ einfach, Bedürfnisse zu identifizieren, zu clustern und ihre Angebote darauf auszurichten, da sich die

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Konsumenten innerhalb einer Gruppe im Wesentlichen homogen verhalten. Auch sind die Muster der Differenzierung einfach. Mit der Popularisierung des Designbegriffs durch die Memphis-Bewegung in den 1980er Jahren gelingt es in vielen Branchen – allein durch die Kennzeichnung eines Produkts mit dem Wort «Designprodukt» –, einen höheren Preis zu erzielen als ohne eine derartige Kennzeichnung. Bei austauschbarer Produktqualität und Leistung ist mit der formalen Differenzierung zum ersten Mal eine höhere Wertschöpfung zu erzielen (Abb. 4). Design verliert in der Folge das Bezugssystem der Nachkriegsmoderne – technische Funktion, industrielle Produktion, Massenmarkt – und gewinnt gleichzeitig ein neues: Die Kommunikation wird zur neuen zentralen Funktion des Designs und tritt an die Stelle der an der technischen Funktion orientierten Produktleistung industrieller Prägung. Durch Design wird jetzt ein ästhetisches Erlebnis kommuniziert. Design ermöglicht dem Nutzer die Identifikation mit ganz bestimmten Werten und Lebenseinstellungen. Dies betrifft beispielsweise die Projektion des sozialen Status oder des jeweiligen Lebensstils. Für die Industrie wird die Steigerung der Produktivität vor dem Hintergrund eines zunehmend segmentierten Marktgefüges eine zentrale Herausforderung. Es geht darum – auch im globalen Wettbewerb – die Produktionskosten zu senken und gleichzeitig die Qualität der Produktionsergebnisse zu erhöhen und damit die Produktivität zu steigern. Design wird seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts von der Industrie mehr und mehr als ein Instrument der Differenzierung von Produktangeboten verstanden, mit dem es gelingen kann, die immer kleiner werdenden Segmente des Markts emotional zu erreichen. Doch die Wettbewerbsintensität nimmt in den Jahren der Globalisierung zu, immer mehr Marktteilnehmer kämpfen um die Gunst eines Verbrauchers, der mittlerweile nicht mehr Teil einer homogenen Gruppe ist wie noch zu Beginn der Ökonomie der Begierden, sondern sich die Freiheit nimmt, heute so und morgen geradezu konträr zu konsumieren. In segmentierten Märkten wächst die Bedeutung von Marken für den Verbraucher als

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Identifikationsmuster, die die Unterscheidung von anderen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen ermöglichen. Neben dem Wunsch, einer Gruppe anzugehören und dies über Produkte zu symbolisieren, wächst aber genauso der Wunsch in der Gruppe nach individuellem Konsum. Aus dieser Dialektik des Konsumverhaltens hat sich für die Marktforschung eben jene neue unausweichliche und unheimliche Zielgruppe geformt: die hybriden Verbraucher. Der bloßen Differenzierung von Produktangeboten über ein spezifisches Design folgt daher in einer zweiten Phase die Individualisierung von Produkten. Handycover, Accessoires, z.B. für den iPod®, oder der von den meisten Autoherstellern angebotene Car Configurator sind Beispiele, wie sich aus einem definierten oder offenen Baukastensystem Produktangebote von einem Nutzer auf seine spezifischen Bedürfnisse zuschneidern lassen (Abb. 5). Immer mehr Branchen erschließen sich heute eine neue Form der Produktion, die Mass Customization. Dabei handelt es sich um eine individualisierte Massenproduktion, die ihren Fokus auf individuelle Kundenwünsche und höchstmögliche Flexibilität richtet. Natürlich eignen sich aber nur solche Produkte für die Mass Customization, die aus verschiedenen Einzelteilen bestehen. Ein weiteres Problem der Mass Customization ist die zwangsläufig immer eingeschränkte Kenntnis der Konsumentenbedürfnisse: Es geht nicht um Zielgruppen mit gleichen Merkmalen, sondern um einzelne Individuen. Im Prinzip muss ein Unternehmen alle erdenklichen Einzelteile für alle erdenklichen Kombinationen parat halten, um adäquat auf die Wünsche des Einzelnen reagieren zu können. Es ist daher nur logisch und konsequent, die Ideen der Individualisierung in Richtung einer Personalisierung von Produktangeboten weiterzuentwickeln (Abb.6). Es wird in Zukunft darum gehen, genau ein Produkt für einen Kunden zu entwickeln, ein Unikat, das wie ein Maßanzug auf den Leib seines Nutzers geschneidert ist. Denn längst gibt es eine Ökonomie der Begierden 2.0. Das Internet hat seinen Einfluss auf alle unsere Lebensbereiche ausgestreckt und verändert Wirtschaft und Gesellschaft in einer Geschwindigkeit, die uns vor einigen Jahren noch als Werk von Utopisten erschienen wäre.

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Aber anders als die vor allem auf Visionen fußende New Economy der Jahrtausendwende ist das Web 2.0 eine äußerst reale Angelegenheit und verändert auch die Ökonomie der Begierden. Der Markt ist perspektivisch betrachtet nicht mehr länger durch eine Gruppe gekennzeichnet, sondern er ist jeder Einzelne mit seinen spezifischen Bedürfnissen. Aus dem Verbraucher wird der Marktteilnehmer. Schon allein die Möglichkeit, sich selbst anderen mitteilen zu können, wird wichtiger als der Inhalt der Mitteilung: In der Vereinzelung sucht jeder Marktteilnehmer eine Form des Austausches mit anderen, die nicht auf das Erfüllen eines konkreten Konsumwunsches gerichtet ist, sondern auf die Interaktion als eigentliches Konsumerlebnis. Phänomene wie Blogs, Youtube, Facebook sind Plattformen der Interaktion, und sie haben immense Auswirkungen auf die Produktentwicklung von Unternehmen (Abb. 7). Die für das Internet entwickelte Open-Source-Technologie, das heißt, den Nutzer an Programminhalten mitschreiben zu lassen, lässt sich auch als eine Strategie begreifen, den Verbraucher in unternehmensrelevante Prozesse, beispielsweise in die Produktentwicklung von Konsumgütern, zu integrieren. In der Welt des Open-Source-Designs übernimmt der Konsument als aktiver Marktteilnehmer die Rolle eines Co-Designers. Er nimmt in einem Maße Einfluss auf die Gestaltung, in dem er seine ganz persönlichen Anforderungen – physisch, technologisch, ästhetisch – definiert. Damit entstehen in der Tat erstmals personalisierte Produkte, die nicht aus einem handwerklichen Prozess wie bei der Maßschneiderei entstehen, sondern sich neue Technologien zu eigen machen. Neue formgebende Verfahren – wie Stereolithografie oder 3D-Printing –, die heute in der Hauptsache für die Erstellung von Prototypen genutzt werden, können als Zukunftstechnologien auch für die Produktion eines «personal designs» gelten (Abb. 8). Die industrielle Produktion wird weiter in ihrer Bedeutung schwinden. Denn industrielle Produktion lässt sich in der globalisierten Wirtschaft der Begierden kaum noch verorten. Die Suche nach immer günstigeren Produktionsstätten weltweit mag den Unternehmen kurzfristig zu höheren Gewinnen verhelfen. In vielen

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Abbildung 7: Personalisierter Konsum – der Konsument als Partner in Design und Produktion.

Abbildung 8: Personalisierter Konsum – 3D-Printing als personalisierte Produktionsmethode.

Abbildung 9: Personalisierter Konsum – Multioptionalität durch lernende Produkte.

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Branchen herrscht bereits jetzt das Subunternehmer-Prinzip. Ein mit der Produktion beauftragter Subunternehmer beauftragt einen Subunternehmer, der einen Subunternehmer mit der Produktion beauftragt usw. Immer mehr Unternehmen wissen also nicht mehr, wer ihre Produkte eigentlich herstellt. Sie verlieren damit langfristig einige ihrer wichtigsten Argumente im globalen Kampf um Kunden: Herkunft, Glaubwürdigkeit, Authentizität. Angesichts der andauernden technologischen Revolution werden wir permanent vor neue Herausforderungen gestellt. Aber nicht nur das: Es wird für das Design auch darauf ankommen, die zunehmende Komplexität einer Welt vielfältiger und divergierender Konsumbedürfnisse zu managen. Denn der Maßstab der Disziplin bleibt auch in der Wirtschaft der Begierden 2.0 der Mensch – mit seinem rätselhaften Konsumverhalten (Abb. 9).

L ITER ATUR Bourdieu, Pierre (1982): Die feinen Unterschiede: Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, 1. Aufl., Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag. Chung, Chuihua / Inaba, Jeffrey / Koolhaas, Rem u.a. (Hg.) (2001): Harvard Design School Guide to Shopping. Project on the City 2, Köln: Taschen Verlag.

A BBILDUNGSQUELLEN Abbildung 1: UN Studio, Flagshipstore Louis Vuitton Japan, KWWS ZZZXQVWXGLRFRPSURMHFWVÀDJVWRUHORXLVYXLWWRQ am 15.03.2012 Abbildung 2: Kupetz, Andrej: «Konsum als dialektisches Prinzip», Aachen 2010

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Abbildung 3: Carlton, Regal, Design: Ettore Sottsass, 1981, http://4. bp.blogspot.com/_jPPunq0tCuc/TPUnPVin6tI/AAAAAAAAFWo/ zp_Tzsc7EoQ/s1600/memphis-carlton-sottssas.jpg am 15.03.2012 Abbildung 4: Wella Design, Verpackungsserie, Design: Windi Winderlich, 1988-1990, http://www.spiegel.de/fotostrecke/fotostrecke-2 064-9.html am 14.03.2012 Abbildung 5: Loewe Individual, Fernsehgerät, Design: Phoenix Design, 2005, http://www.phoenixdesign.com/de/produktdesign/?intro =1#/285 am 14.03.2012 Abbildung 6: Where there’s smoke: Carlton, Design: Maarten Baas, 2004, http://www.maartenbaas.com/ am 14.03.2012 Abbildung 7: Tapete, Design: Jon Burgerman, http://www.klang undkleid.de/img/tapeten/2009825163646-JonB_wall_SM.jpg am 14.03.2012 Abbildung 8: Dahlia (D16), Leuchte, Design: Janne Kyttänen. 2007, http://gewerbemuseum.ch/fileadmin/user_upload/Gewerbemuseum/ Ausstellungen/pressematerial/230_FOC_Dahlia2.jpg am 15.03.2012 Abbildung 9: Aibo, Unterhaltungsroboter, Design: Sony Werksdesign 1999-2006, http://www.avland.co.uk/sony/ers7/ers7lrg.jpg am 14.03.2012

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Prizing & Pricing Design zwischen Rang und Regal Melanie Kurz

P RIZING & P RICING

1. Z U DEN B EGRIFFEN «P RIZING » UND «P RICING », «G EBR AUCHSWERT » UND «TAUSCHWERT » Dieser Text befasst sich mit der Bewertung von Design und blickt dabei vorrangig auf den Aspekt des Produktkonsums. Bei der Betrachtung des Warenwerts greift die Wirtschaftstheorie auf zwei Kategorien zu: den Gebrauchswert und den Tauschwert. Der Gebrauchswert bezeichnet die Nützlichkeit, die sich aus dem Gebrauch einer Ware für ein Individuum oder für eine Gruppe ergibt. Der Tauschwert beschreibt das Verhältnis, in dem eine Ware gegen eine andere getauscht wird (Haug 1972). Beide Kategorien unterscheiden sich grundlegend voneinander. Während der Gebrauchswert einer Ware von Mensch zu Mensch unterschiedlich sein kann, da er von den jeweiligen Bedürfnissen abhängt, ist der Tauschwert innerhalb einer bestimmten Gruppe meist genau festgelegt. Er definiert – möglichst verbindlich für alle – den Preis beim Verkauf. Da der Tauschwert eines Produkts unabhängig vom Gebrauchswert ist, spricht man in diesem Zusammenhang von einem «Wertparadoxon» (Woll 2010). Ein gängiges Beispiel hierfür: Wasser hat für jeden Menschen einen hohen Gebrauchswert bei relativ geringem Tauschwert; mit Edelsteinen verhält es sich umgekehrt. Das Beispiel zeigt, dass im Wertparadoxon eine Sinnhaftigkeit enthalten ist. Schließlich sollen lebensnotwendige Güter wie etwa Wasser keine Luxuswaren, sondern für alle Menschen zugänglich sein. Die Unabhängigkeit zwischen Gebrauchswert und Tauschwert muss vor diesem Hintergrund also zwingend gegeben sein. Die Termini «Gebrauchswert» und «Tauschwert» spiegeln sich auch in den Begriffen «Prizing» und «Pricing». Diese sind phonetisch völlig identisch, ihr semantischer Unterschied wird erst durch den jeweiligen Kontext und die Schreibweise deutlich. (Um Letzteres zu erreichen, werden die englischen Begriffe herangezogen).1 «Prizing» bedeutet «hoch einschätzen», «schätzen», «würdigen». Hier lässt sich eine Verbindung zum Gebrauchswert herstellen. Das Nomen «Prize» steht dementsprechend für «Belohnung», «Lob», «Preis», «Ruhm» und «Prämie». «Pricing» ist – ebenso wie «Tausch-

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wert» – Teil der Wirtschaftsterminologie und bezeichnet die Preisfestsetzung einer Ware, die verkauft werden soll. Trotz der semantischen Differenz beider Begriffe zeigt die Etymologie eine enge Kopplung von «Prizing» und «Pricing».2 Anders formuliert: Die zuvor angesprochene Unterscheidung zwischen dem Lob des Gebrauchswerts einerseits und der Festsetzung des Verkaufswerts andererseits erlischt in der Geschichte des deutschen Begriffs «Preis» vollständig. Das durchaus bedeutsame Wertparadoxon scheint aufgehoben. Dieser Umstand korrespondiert unter anderem mit folgenden Beobachtungen: 1. Wir schätzen teure Dinge besonders hoch. 2. Den Dingen, die teuer verkauft werden können, werden lobenswerte Eigenschaften beigemessen. 3. Die Produkte, die eine angesehene Auszeichnung, zum Beispiel einen Designpreis, erhalten, können entsprechend gut verkauft werden. Von diesem letzten Punkt ausgehend beschäftigt sich der anschließende Textabschnitt damit, wie die Bewertung von Produkten im Hinblick auf ihr Design erfolgt und welche Rolle Designpreise unter dem Aspekt des Kaufens und Verkaufens von Waren haben.

2. D ESIGNPREISE – K RITIK AN DER U RTEILSBILDUNG Es gibt eine relativ große Anzahl an Designpreisen, die in regelmäßigen Intervallen an Designer und Unternehmen verliehen werden. Einige davon sind in Deutschland und international seit Jahren etabliert. Exemplarisch dafür soll im Folgenden der red dot des Designzentrums Nordrhein-Westfalen beleuchtet werden, da hier der im ersten Kapitel beschriebene Zusammenhang zwischen «Prizing» und «Pricing», also zwischen der Auszeichnung und einer Verkaufsabsicht, besonders deutlich wird. Auf die Frage, welche Bedeutung sich hinter dem roten Punkt verbirgt, antwortet Peter Zec, Leiter des Designzentrums Nordrhein-Westfalen, in einem Interview: «Ein ro-

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ter Punkt gilt weltweit in Kunst-Galerien als Zeichen dafür, dass ein Kunstwerk verkauft ist.» (Zec 2009) So verbindet der rote Punkt Designqualität semantisch mit Verkaufserfolg (Abb. 1). Das Label der Designauszeichnung paart sich zudem auf einer weiteren Ebene mit dem merkantilen Aspekt des Designs. Zum einen ist das Designzentrum selbst ein Unternehmen, das ein Produkt verkauft. Denn die Bewerber und Ausgezeichneten müssen für die Würdigung ihrer Arbeit bezahlen – was dem Begriff «Preisgeld» oder «Siegerprämie» eine neue, ironische Note gibt. Der Prozess bis zur Preisverleihung kostet die Preisträger obligatorisch vierstellige Summen. Zum anderen bezahlen Unternehmen dieses Geld häufig gerne, da sie den red dot für Marketingzwecke verwenden und als Verkaufsargument gegenüber ihren Kunden einsetzen (Abb. 2). Der Designpreis ist also ein Geschäftsmodell. Das geht auch aus dem Buch Der Designwert von Peter Zec und Burkhard Jacob hervor. Bei seiner Vorstellung am 22. April 2010 in der Pinakothek der Moderne in München zitieren die Autoren den früheren IBM-Präsidenten Thomas Watson Junior3 mit dem Leitspruch: «Good Design is Good Business.» Design, so Zec und Jacob, habe messbaren Einfluss auf die Gewinne von Unternehmen. Denn mittels einer entsprechenden Objektgestalt könnten die Verkaufspreise von Produkten auch bei einer schnellen Alterung der Technik, wie es insbesondere im Bereich der Unterhaltungselektronik der Fall ist, relativ lange hoch gehalten werden. Unternehmen, die nicht in Design investierten, müssten ihre Produkte bei einer Marktüberflutung hingegen früher für weniger Geld verkaufen, um Absatz zu erzielen. Unter dieser Argumentation wird eine Methode zur Berechnung des Designwerts von Unternehmen vorgeschlagen. Grundlage hierfür ist die Anzahl der bereits «gewonnenen» red dots eines Produktanbieters: Das «Prizing» wird Mittel zum «Pricing»! Ein großer Kritikpunkt an der Designbewertung und somit an der Preisvergabe ist, dass Design hier aus einer kurzsichtigen Perspektive beurteilt wird. Das Jurierungsverfahren hebelt den Kriterienkatalog, nach dem angeblich bewertet wird, zu großen Teilen selbst aus. «Langlebigkeit» steht zum Beispiel auf der Liste. Doch

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Abbildung 1: Label des red dot design award auf einer Werbeanzeige.

Abbildung 2: Auflistung der Kosten bei einer Auszeichnung mit dem red dot design award im Bereich Produktdesign (Stand 2010).

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Abbildung 3: Beurteilungskriterien desred dot design award von 2010.

Abbildung 4: Werbeslogan von Apple, online abgerufen und dargestellt auf dem iPhone 4.

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wie sollen solche, den Gebrauchswert betreffenden Faktoren ernsthaft beurteilt werden, wenn die zum Award zugelassenen Produkte nicht länger als 12 bis 18 Monate auf dem Markt sein dürfen? Nach Angaben des Designzentrums Nordrhein-Westfalen werden jährlich etwa 13.000 Bewerbungen zum Designpreis eingereicht.4 Bei der relativ kleinen Anzahl an Jurymitgliedern bleibt demnach nur wenig Zeit für die Beurteilung jeder einzelnen Einsendung. Wie soll so die Haltbarkeit von Produkten festgestellt werden? Welches Jurymitglied kann nach nur wenigen Minuten der Produktbetrachtung oder des «Ausprobierens» tatsächlich beurteilen, ob ein Stuhl oder ein Arbeitsgerät auch nach acht Stunden täglicher Benutzung noch als ergonomisch gut gestaltet gelten kann? Im Kriterienkatalog der Design-Award-Industrie scheinen sich wichtige Forderungen wie Langlebigkeit, Nachhaltigkeit und Gebrauchsqualität zu verflüchtigen – obgleich diese gerade gegenwärtig so bedeutsam sind (Abb. 3). Der Earth Overshoot Day ist der Zeitpunkt innerhalb eines Jahres, ab dem die Natur unsere Inanspruchnahme von «Ökodienstleistungen» (Biokapazität in Form von Rohstoffen, Energie, CO2-Absorption etc.) nicht mehr ausgleichen kann. Es ist der Tag, an dem die Menschheit mit ihrem Hunger nach Produkten und Dienstleistungen die Erneuerungskraft der Erde überwältigt. Im Jahr 2010 lag der Earth Overshoot Day nach Berechnungen des Global Footprint Network auf dem 21. August.5 Das heißt, mehr als ein Drittel des Jahres leben wir auf Kredit der Natur – ein Darlehen, das wir nicht mehr zurückzahlen können. Schon allein aus diesem Grund ist es dringend notwendig, den Fokus bei der Gestaltung und der Bewertung von Produkten zu verschieben: weg von kurzfristigen merkantilen Aspekten, hin zu Gesichtspunkten wie Langzeitnutzung, Reparierbarkeit, Erweiterbarkeit etc. Gutes Design gilt derzeit immer noch als das, was möglichst schnell an möglichst viele Konsumenten gelangt. Doch damit ist noch nichts über die tatsächliche Nutzungsdauer der jeweiligen Produkte gesagt oder darüber, wie schnell etwas eventuell auch wieder weggeworfen wird. Daher ist es längst an der Zeit, einen neuen Bewertungsmaßstab anzulegen, der die Verweil-

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und Nutzungsdauer von Dingen zum Beispiel in einem Haushalt würdigt und somit die Wertstabilität von Waren anerkennt. Das Argument, dass dies der Wirtschaft schadet und schnelle Verbrauchszyklen Grundlage für unseren Wohlstand darstellen, kann widerlegt werden. Die Automarke Porsche wirbt geradezu mit dem Begriff «Langzeitauto» und teilt auf ihrer Website mit, dass mehr als 66% aller jemals unter diesem Markennamen produzierten Autos noch in Benutzung sind.6 Vor dem Hintergrund der Langzeitnutzung und Reparierbarkeit ist Porsche (nach eigenen Angaben) Automobil-Branchenführer. Das Industrial-Design-Team von Apple hingegen, das red dot-gekrönte Designteam of the Year 2002, würde bei seiner gegenwärtigen Produktstrategie der geschlossenen Systeme eher ein Schlusslicht in diesen Kategorien bilden (Abb. 4). Wie eilig eine Umorientierung und Neubewertung von Designergebnissen in Anbetracht der Umweltbelastung ist, machte auch das Medienkunstfestival Ars Electronica im österreichischen Linz deutlich. Repair lautete der Titel für 2010.7 Die internationale Veranstaltung stellte das Design und die Architektur ins Zentrum und wies dabei auch auf den Wirtschaftszweig hin, der aus der Instandhaltung von erhaltenswerten Produkten erwächst. Auch an dieser Stelle offenbarte sich die drängende Aufgabe für die Designzentren, Antworten auf die Frage zu finden, wie ihre eigenen Bewertungskriterien (etwa Langlebigkeit) bei Produkten tatsächlich und mit der angemessenen Glaubwürdigkeit überprüft werden können. Außerdem scheint es für das Design wie auch für die Designbewertung geboten, das «Prizing» wieder vom «Pricing» zu trennen. Für die Auslober von Designpreisen heißt das, sie sollten eine Möglichkeit zur Würdigung von Designleistung schaffen, die in keinem intendierten Zusammenhang zur Zahlungskraft beziehungsweise Zahlungsbereitschaft der Preisträger sowie zur Bepreisung oder zum Verkaufserfolg der Produkte steht.

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3. W IE ENTSTEHT K ONSUMZ WANG UND WAS HAT D ESIGN DAMIT ZU TUN ? Auch die Verbindung von Design und privatem Konsum muss neu diskutiert werden. Spätestens seit den 1970er Jahren ist bis in alle Teile der westlichen Bevölkerung die Erkenntnis gedrungen, dass der kapitalistische Konsumbegriff, ein unbändiger Konsumzwang und wirtschaftlicher Wachstumsdrang, der Menschheit mehr schadet als nutzt. Ende 2009 erschien in den USA das Buch The Spirit Level von Kate Pickett und Richard Wilkinson, das sich mit der Frage nach den Ursachen und Folgen von Konsumzwang auseinandersetzt. Die Autoren beschreiben, dass Gemeinsinn eine menschliche Grundeigenschaft ist, und ziehen Ergebnisse aus der Gehirnforschung heran, wonach bei Ausgrenzung dieselben Gehirnregionen reagieren wie bei körperlichem Schmerz. Ein Nichtdazugehören empfinden wir also in ähnlicher Weise als schmerzhaft und verletzend wie körperliche Gewalt. Das Gefühl des Akzeptiertseins und des Dazugehörens verbindet sich in den meisten Zivilisationen mit dem sozialen Status der jeweiligen Mitglieder. Wenn wir zu einer bestimmten Gruppe gehören möchten, dann dokumentieren wir das entsprechend. Denn es muss nach außen erkennbar sein, dass wir beispielsweise der gehobenen Mittelschicht angehören, um uns als Teil dieser Gruppe zu fühlen. Damit die Zugehörigkeit zu einer Gruppe unmissverständlich ausgedrückt werden kann, ist es zudem notwendig, die Abgrenzung von anderen Gruppen zu zeigen. Dadurch entsteht ein von Statuskonkurrenz angestacheltes «Wettrüsten» durch privaten Konsum. Doch wie funktioniert Konsumzwang im Einzelnen? Eine Hauptursache für Konsumzwang sehen Ökonomen und Sozialwissenschaftler in der Ungleichheit der Einkommen innerhalb einer Gesellschaft. Da sich nach Thorstein Veblen die Mitglieder einer gesellschaftlichen Schicht immer an der ihnen übergeordneten Schicht orientieren (Veblen 2007), entsteht in der Gruppe der Geringerverdienenden ein großer Zwang zu konsumieren, um nicht etwa den

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Anschluss zu verlieren und ausgegrenzt zu werden. 2007 veröffentlicht Robert H. Frank sein Buch Falling Behind. Über zehn Jahre untersucht er hierfür Privatinsolvenzen in den USA und kommt zu dem Ergebnis, dass Familien mit mittlerem Einkommen in den 1990er Jahren nicht mehr Finanzmittel zur Verfügung haben als in den Dekaden davor, sich aber größere Autos und Wohnungen sowie andere luxuriöse Produkte zulegen. Damit steigt die Verschuldung in der Mittelschicht gerade bei Gesellschaften mit großen Einkommensunterschieden stark an, was zu Privatinsolvenzen führt. Der Teufelskreis lässt sich wie folgt skizzieren: Ungleiche Einkommen leiten einen Konsumdruck auf die Geringerverdienenden einer Gesellschaft ein. Das bedeutet mehr Gewinne für Unternehmer und leitende Angestellte, wodurch sich diese wieder ein Stück weiter von der ihnen nachfolgenden Bevölkerungsschicht absetzen können. Gleichzeitig steigt durch die übermäßig produzierten und konsumierten Güter die Verschuldung der Ärmeren.9 Sparen wäre in vielen dieser Fälle ein adäquates Mittel, der Schuldenfalle zu entkommen. Aber stattdessen raubt der Konsumzwang den Menschen die Chance, Vermögen anzusparen, das ihnen neue Möglichkeiten für ihr Leben eröffnen könnte. Und der Kreis einer sich stetig wiederholenden Abhängigkeit schließt sich (Abb. 5). Was hat das alles mit Design zu tun? Erst die Luxusgüter der Besserverdienenden und die schillernde Darstellung ihres Lebens in sogenannten People- und Lifestyle-Magazinen heizen das System der Ungleichheit und des sich Ausgegrenztfühlens dauerhaft an. Denn bei Luxusprodukten geht es meist nicht um den Gebrauchswert. Weit wichtiger ist ihr Prestigewert, also die Sichtbarkeit des Tauschwerts, mit dem der Abstand weniger Personen zum Rest der Welt bekundet wird.10 Das ist die wesentliche Funktion von Luxus. Die Konsequenz daraus ist eine ständige Entwertung des Hab und Guts der anderen. Wenn wenige fortlaufend das Beste für sich in Anspruch nehmen, hat die breite Masse der Bevölkerung eben nur das Zweit- oder Drittbeste. Daraus speist sich die von Robert H. Frank beschriebene Angst der Mittelschicht vor einer Entwertung, einem Zurückfallen und Statusverlust (Abb.6).

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Abbildung 5: Teufelskreis Konsumzwang.

Abbildung 6: Ausschnitt der Website eines People-Magazins vom 21. Oktober 2010.

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An dieser Stelle kommt Design zum Tragen, da Design hilft, Luxus zu visualisieren. Und Design liefert das Zweit- und Drittbeste meist gleich mit. In vielen Projektaufträgen verlangen Hersteller eine gestufte Entwurfslinie. Neben der Gestaltung eines teuren Premiumprodukts soll oft auch das Design für ein Mittelklasse- und ein Einstiegsmodell entstehen. Die optische Unterscheidbarkeit zwischen den Produktklassen spielt dabei eine wichtige Rolle. Das Premiumprodukt muss sofort als solches erkennbar sein, es darf sich nicht nur funktional von den anderen beiden Standards unterscheiden. Das Entwerfen dieser Differenzierung ist häufig Aufgabe des Designs. Es stellt sich nun die Frage: Soll man angesichts der negativen Folgen von Ungleichheit die sozialkommunikative Bedeutung von Produkten – genauer gesagt die Symbolfunktion des Produktdesigns – eingrenzen? Sicher nicht. Dennoch kann über einige Facetten innerhalb des Symbolfunktionsbegriffs diskutiert werden. Solche Gedanken sind nicht neu. Rückblickend findet man in der Geschichte des Designs etliche Ansätze, deren Aktualität uns heute zu überraschen vermag.11 Der Verzicht auf eine Ornamentik, die Standesunterschiede und gesellschaftliche Hierarchien bezeichnet, ist bereits bei den Shakern essenzieller Bestandteil ihrer Gestaltungsleitlinien. Heute wie damals soll es jedoch nicht darum gehen, Luxusgüter zu vermeiden – es geht darum, mehr Gleichheit zuzulassen! Eine entsprechende Designtheorie und Designpraxis kann dies unterstützen, damit in positiver Weise sozialreformerisch sowie ökologisch wirksam werden und dennoch dazu beitragen, den Lebensstandard aller hoch zu halten. Gleichheit zuzulassen, ohne automatisch monotone Uniformität zu erzeugen, kann auf mehreren Ebenen geschehen. Dazu zwei Beispiele zum Schluss: «Teuer» beziehungsweise «kostengünstig» muss nicht visuell wahrnehmbar sein, und eine Babybadewanne muss nicht das Geschlecht des Säuglings farblich codiert widerspiegeln. Die Lossagung von einer derartigen, den Konsumenten aufgezwungenen, angeblichen «Orientierung» bedeutet keinen Verlust – im Gegenteil.

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A NMERKUNGEN 1 | Zur näheren Unterscheidung der beiden Termini spielt ein einziger Buchstabe eine bedeutende Rolle. Jacques Derrida kreiert hierfür den Begriff «Différance». Er geht damit auf den Unterschied von Aussprache und Schrift ein, wobei er das geschriebene Wort aufwertet, da es gegenüber dem gesprochenen ein Mehr an Information enthält. 2 | Diese Verbindung von Lob und Kaufpreis wird schon im lateinischen und altfranzösischen Sprachgebrauch vorgeprägt. Im Deutschen ist eine Unterscheidung der beiden Bedeutungsinhalte von «Preis» beziehungsweise «preisen» nicht einmal mehr anhand der Schreibweise auszumachen. 3 | Thomas Watson Jr. ist zwischen 1952 und 1971 Präsident von IBM. 4 | Die Zahl bezieht sich auf das Anmeldejahr 2009 für alle Bereiche. http://reddot.org/fileadmin/bilder/Presse/Basispressemappe/Der_red_ dot_design_award.pdf am 20.10.2010. 5 | Die Daten entstammen der Website des Global Footprint Network. h t t p://w w w.f oot pr in t ne t wor k .or g /de/index .php/GF N/page/ear t h _ overshoot_day/ am 20.10.2010. 6 | Als erster Porsche gilt der ab 1947 produzierte Sportwagen Porsche 356 Nr. 1 Roadster. «Weit über zwei Drittel aller jemals gebauten Porsche fahren heute noch auf den Straßen dieser Welt, unser sichtbarster Beitrag zum Umweltschutz», ist dazu auf der Website der Automarke zu lesen. http:// www.porsche.com/germany/aboutporsche/porscheandenvironment/envi ronmentalprotection/longtermcar/ am 20.10.2010. 7 | Bereits 1977 verlangt der Wirtschaftswissenschaftler Herman Daly, Gebrauchsgüter für langen Gebrauch zu entwickeln. Diese Forderung ist Teil seines Konzepts für eine Wirtschaft ohne Wachstum. 8 | Diesbezüglich oft genannte Werke sind Die Grenzen des Wachstums des Club of Rome von 1972, Das System der Dinge von Jean Baudrillard aus dem Jahr 1968 und Kritik der Warenästhetik von Wolfgang Fritz Haug, 1971. 9 | Ebenso steigt durch die massenhafte Produktion von Waren die Umweltbelastung, was wieder zu Lasten der Ärmeren in einer Gesellschaft geht. Die Schäden an der Natur werden üblicherweise auch aus ihrer Tasche bezahlt. 10 | Der Sozialwissenschaftler Thorstein Veblen ist der erste Autor, der 1899 über den Prestigewert von Produkten schreibt. In den Wirtschafts-

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wissenschaften spricht man seither vom «Veblen-Effekt», wenn der soziale Wert von Gütern über dem Gebrauchswert steht. 11 | Beispiele hierfür: die Forderung von Adolf Loos, zu Gunsten der Ressourcenschonung, des Gesundheitsschutzes der Arbeiter und der ästhetischen Beständigkeit von Produkten auf Ornamente zu verzichten; offene Produktsysteme (unter anderem an der Hochschule für Gestaltung Ulm gefordert). Davor legt jedoch schon die englische Aristokratie großen Wert auf einen Langzeitverbleib wertvoller Produkte in ihren Familien. Patina wird hier zur Auszeichnung. Sie zeigt, dass man schon länger einen gehobenen Lebensstandard erreicht hat und nicht etwa zu den verpönten Neureichen gehört.

L ITER ATUR Frank, Robert H. (2007): Falling Behind. How Rising Inequality Harms the Middle Class, University of California Press. Haug, Wolfgang Fritz (1972): Kritik der Warenästhetik, 2. Auflage, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Pickett, Kate; Wilkinson, Richard (2009): The Spirit Level. Why More Equal Societies Almost Always Do Better, Penguin. Veblen, Thorstein (2007): Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische Untersuchung der Institutionen, Frankfurt a.M.: Fischer. Woll, Arthur: «klassisches Wertparadoxon»; in: Gabler Wirtschaftslexikon. Das Wissen der Experten, http://wirtschaftslexikon.gabler. de/Definition/klassisches-wertparadoxon.html am 27.10.2010. Zec, Peter; Jacob, Burkhard (2010): Der Designwert. Eine neue Strategie der Unternehmensführung, Ludwigsburg: avedition. Zec, Peter (2009): «Was bringt Unternehmen Design?», in: Businesson.de Interview, http://duesseldorf.business-on.de/peter-zec-de sign-zentrum-nrw-red-dot-gmbh-_id12526.html am 20. 10.2010.

A BBILDUNGSQUELLEN Alle Abbildungen des Beitrags stammen aus dem Archiv der Autorin.

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Making of Alltagskultur Marke, Konsum und kreative Ableitungen Alex Buck

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Die Beziehungen zwischen Marke und Konsum sind komplex und rechtfertigen daher jeden theoriegetriebenen Versuch der Erklärung und weiteren Erkenntnisgewinnung. Aber die Beziehungen zwischen Konsum und Marke in ihrem alltäglichen Vorhandensein sind auch ein so selbstverständlicher Teil unseres sozialen Lebens, dass man sich davor hüten sollte, eine «Theorieinsel» zu entdecken und allein durch die Art und Weise der Auseinandersetzung damit etwas Alltägliches zum Exotischen zu machen. In Abgrenzung oder Ergänzung zu anderen, mehr theorieorientierten Beiträgen in der Veranstaltung, die diesem Text seinen Anlass gab, soll dieser Beitrag eher den Charakter eines Dialogs zwischen Theorie und Praxis oder eines Werkberichts haben – ein Making of Alltagskultur mit theorieinduzierten Exkursen und Verweisen. Konkret soll im Folgenden beschrieben werden, wie ein Markenunternehmen, das uns allen ausreichend bekannt sein sollte, um einen gemeinsamen Erfahrungsraum annehmen zu können, (das aber dennoch aus Vertraulichkeit ungenannt bleiben soll), nennen wir es der Einfachheit halber «Firma 1», mit einer Eigenmarke ein Marktsegment betreten möchte. In diesem Marktsegment war Firma 1 bisher nur als Händler tätig. Die Aufgabe besteht nun darin, in diesen Markt hinein ein eigenes Sortiment zu entwickeln, das neben vielen anderen Anforderungen (die nachfolgend vernachlässigt werden müssen), auch und vor allem der eigenen Positionierung entspricht. Damit ist auch der Titel dieses Beitrags Making of Alltagskultur aufgelöst, denn wenn ein Player wie das oben beschriebene Unternehmen den Markt mit einer Eigenmarke betreten wird, kann man davon ausgehen, dass binnen kurzer Zeit eine breite Bekanntheit aufgebaut ist und nachfolgende Prägungen anzunehmen sind. Doch bevor man sich die Aufgabe zu pragmatisch vorstellt, sind einige Kontexte zu nennen und – soweit nötig – zu definieren. Kontexte wie: • Marke und Konsum • visuelles Wertmanagement • Positionierung • Designstrategie • Design

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Diese Protagonisten der «Werdung» von Alltagskultur zu beschreiben soll jetzt geschehen. Zwei Denkfiguren, nämlich Konsum und Marke, beschreiben wesentliche Elemente des Theoriediskurses. Unter Konsum versteht man allgemein den Verzehr oder Verbrauch von Gütern. Für den hier vorliegenden Zweck kann man das so stehen lassen, als eine kaum weiter reduzierbare Feststellung, quasi als kleinstes gemeinsames Vielfaches. Auf Grundlage dessen kann sich «Konsum» durch eine große Anzahl von Kontexten, in deren Licht der Begriff erst seinen ganzen Reichtum erlangt und quasi «lebendig» wird, manifestieren. Der für diesen Beitrag interessanteste Kontext ist der der Marke. Rainer Baginski sagte: «… wir erleben die Marken als emotionale Phänomene. [...], sie laden ein zur Identifikation, sie vermitteln Prestige und Status. [...] Das Verhältnis zwischen Marke und Mensch ist eine Art Liebesbeziehung, dabei geht es emotional und oft schräg zu.» (Baginski 2004: 64)

Etwas funktionaler wird der Markenbegriff im Terminus der Offenbacher Theorie der Produktsprache. Danach besitzen Marken verweisende Qualitäten, die auf der Ebene von Symbolkommunikation funktionieren und uns als soziale Wesen mit Anschlussfähigkeit an korrespondierende Personen, Milieus oder Situationen versorgen. Wohin dieses Bedürfnis nach «Anschluss» führen kann, zeigt der in der Konsumforschung immer wieder gerne beschriebene DiderotEffekt. Da er in der Design- bzw. Markendiskussion selten vorkommt, soll er hier kurz erwähnt werden. Jeder kennt das Gefühl, nachdem man sich etwas Neues angeschafft hat (oder geschenkt bekam), überprüfen zu wollen, ob die bisherigen Dinge, mit denen man seinen Alltag ausgestaltet, dazu noch «passen». Diesen Moment könnte man den «Urknall der Beziehung zwischen Ich und Marken-Ich» nennen. Die Überprüfung auf Selbstähnlichkeit im Spiegel der uns umgebenden Angebote, Personen mit Leitfunktion, sozialen Systeme etc. hat begonnen und erzeugt so im Folgenden oftmals ein wachsendes Misstrauen ob der noch

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vorhandenen Stimmigkeit der getroffenen Konsumentscheidungen im Lichte sich ständig wandelnder Umgebungen. In der ZEIT vom 08.04.2009 liest man: «Warum das so ist, hat der amerikanische Anthropologe Grant McCracken vor gut 20 Jahren zu ergründen versucht. Den Schlüssel fand er in einem kurzen Essay aus dem Jahre 1772, verfasst von Denis Diderot [...]. Diderots Text trägt den Titel ‹Gründe, meinem alten Hausrock nachzutrauern› und den drohenden Untertitel ‹Eine Warnung an alle, die mehr Geschmack als Geld haben› (Herv. i. O.). Vorwurfsvoll fragt sich Diderot, seines alten Hausrocks gedenkend: ‹Warum habe ich ihn nicht behalten? Er passte zu mir, ich passte zu ihm. Er schmiegte sich an jede Wendung meines Körpers; er hat mich nie gestört.›» (von Rutenberg 2009)

So nahm das Unglück seinen Lauf, mit dem Geschenk eines scharlachroten Hausrocks konfrontiert, passt nichts mehr im Leben des Dichters, und am Ende bleibt kein Nagel in der Wand seines vormaligen Heimes, sein Selbstbild ist im Spiegel seines Weltbilds aus den Fugen geraten. Diderots Problem beschreibt McCracken in Culture and Consumption (McCracken 1988), und aus anthropologischer (wie auch aus designerischer) Perspektive strebt Diderot nach Übereinstimmung mit sich selbst, um ein stimmiges Gegenüber seiner eigenen Umgebung zu erzeugen, eine Diderot-Einheit. Am Rande sei hier erwähnt, dass sich in diesem ständigen Abgleich mit der Umwelt wesentlich ein «Streben» abbildet, nicht bescheidener und kleiner möchte man wirken (von Ausnahmen einmal abgesehen), sondern attraktiver und prestigeträchtiger. Nicht originell ist die Vermutung, dass das alles seinen Preis hat, und tatsächlich ist es auch so. «Die Preisbereitschaft des Kunden und damit der vom Verkäufer erzielbare Preis sind immer nur eine Reflexion des wahrgenommenen Wertes oder Nutzen eines Produkts – nicht mehr, nicht weniger.» (Simon 2012: 74) Und wenn im vorhergehenden Zitat von Hermann Simon, dem Doyen der deutschen Preisforschung, Wert und Nutzen herausgestellt werden, so ist dies durchaus nicht nur funktionell zu

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verstehen, sondern ebenso im Lichte der beschriebenen symbolhaften Beziehungen zwischen Mensch und Marke und Konsum. Visuelles Wertmanagement ist heute eine der radikalsten Formen der Erfolgsgewinnung, demzufolge stellt die Kenntnis um die Bedingungen dieser Schöpfung von Wert die größte Herausforderung an die Industrie. Wie entsteht aber der Wert, der Einfachheit halber als «Preispremium» benannt, warum sind wir für bestimmte Dinge bereit mehr zu bezahlen als funktional nötig? «Weil sie es mir wert sind!», wird in den meisten Fällen die Antwort darauf lauten. «Es scheint nicht mehr vermessen zu behaupten, dass dieser schlichte Satz eventuell die Geldmaschine unseres postindustriellen, postmodernen und postfunktionalen Zeitalters werden könnte. Im Folgenden sei die Bedeutung dieser Aussage kurz analysiert: • ‹sie› setzt voraus, dass das Produkt nicht als ubiquitär, sondern als quasi spirituell belebt, physisch präzise beschreibbar und mit hohem Invol vement gesucht und wieder erkannt wird. • ‹mir› setzt ein Ich-Verständnis voraus, das sich in einem Universum von Gegenständen mit Hilfe einer präzisen, selbstadäquaten und selbstrefe ren tiellen Objektwelt als Subjekt definiert. • ‹Wert› setzt das Außerkraftsein funktionaler Dimensionen voraus und bildet damit ein neues, ‹radikales Element› im Rahmen unseres übli chen Objektverständnisses.» (Buck 1998: 76)

Damit ist die Komplexität des Markenbegriffs mehr angedeutet als umfassend beschrieben. Wesentliche Funktionen für unser Makingof sind aber ausreichend formuliert, nämlich Emotionalität, Selbstähnlichkeit und Wert. Diese vorgenannten Beziehungen und Abhängigkeiten nicht nur zu beschreiben, sondern auch modellhaft abzubilden, übernimmt das, was wir eine «Positionierung» nennen. Ein etwas trockener Begriff, um etwas so Aufregendes wie die Diderot-Einheit zu beschreiben, könnte man meinen. Aber ein notwendiger Schritt, um dem Titel des Beitrags Making of Alltagskultur gerecht zu werden. Denn die Beschreibung allein reicht nicht aus. Erst das Erstellen einer

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Plattform, auf der man wiederkehrend alle obigen Phänomene so abbilden kann, dass man neue Fragestellungen im Lichte bisheriger Erfahrungen bewerten kann, bringt die Diskussion auf ein akzeptables Niveau. Was muss nun alles in einer solchen Positionierung abgebildet werden? In der Praxis beschreibt man das Gesuchte als «qualitatives Positionierungsmodell für Alltagsästhetik», denn z. B. demografische Variablen alleine können Konsumverhalten, Wertvorstellungen, Stil- und Markenpräferenzen von Menschen nicht ausreichend erklären. So unterscheiden sich Woody Allen und Sylvester Stallone oder Prinz Charles und Ozzy Osbourne nur unwesentlich voneinander, wenn man ihre demografischen Merkmale wie Alter, Einkommen, Familienstand, Anzahl der Kinder etc. vergleicht. Deshalb ist eine Erweiterung in den Milieuraum hinein notwendig. Milieumodelle verbinden demografische Eigenschaften wie Bildung, Beruf oder Einkommen mit den realen Lebenswelten der Menschen, also mit ihrer Alltagswelt, ihren unterschiedlichen Lebensauffassungen und Lebensweisen. Wie muss nun ein Modell organisiert sein, dass diese Komplexität in der üblichen Zweidimensionalität einer Darstellung abbildet? Das Gemeinsame aller oben genannten Aspekte ist die kulturelle Klammer. Also kann man die Frage darauf reduzieren, wie eine bestimmte Kultur in einem Modell mit zwei Dimensionen und hinreichender Erklärungskraft beschaffen sein muss, um die notwendigen Erkenntnisse zu liefern. Die Antwort findet man in der Kultursoziologie. Demzufolge kann man die beschriebene Problemstellung in den zwei Dimensionen «Kulturschema» und «Werteschema» abbilden. Das Positionierungsmodell (Abb. 1) der Peter Schmidt Group ist geeignet zur Positionierung von Marken (Ästhetik/Design, Identität, Image, Produkte), Kommunikation (Themenwelten, Bildwelten, formale Konstanten/Corporate Design) und Zielgruppen (Zugangsmotive, Nutzenerwartungen, Preisbereitschaften u.v.m.). Die grundlegenden Dimensionen Kulturschema (von High Culture bis Popular Culture) und Werteschema (traditional bis progressive) basieren auf den Erkenntnissen der Milieuforschung, sind aber losgelöst von so-

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Abbildung 1: Positionierungsmodell der Peter Schmidt Group. Kultur. Wertehaltungen.

Abbildung 2: Positionierungsmodell der Peter Schmidt Group. Konsumententypologien.

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Abbildung 3: Positionierungsmodell der Peter Schmidt Group. Produktästhetik im Positionierungsraum.

Abbildung 4: Positionierungsmodell der Peter Schmidt Group. Semantische Skalierung für Marken.

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ziodemografischen Merkmalen, konkreten Milieus und einzelnen Personengruppen, mit Abbildungs- bzw. Erkenntnisebenen angereichert. Dies geschehen bei Abbildung 2, die eine Konsumententypologie zeigt, also die Verteilung ikonografischer «Typen» im Positionierungsraum, während Abbildung 3 einen produktästhetischen Raum zeigt, in dem gestalterische Archetypen verortet sind. Besonders reizvoll ist, dass die Achsen des Positionierungsraumes jede Form der Abstufung erlauben, also eine Vielzahl von Mischtypen, im übertragenen Sinne das gesamte Spektrum der Kultur abgebildet werden kann. Das Positionierungsmodell ist somit ein semantischer und ästhetischer Raum, der es erlaubt, Markenpositionierungen und korrespondierende Phänomene auf Metaebene abzubilden und über sie zu diskutieren. Die Verknüpfung der Markenposition mit entsprechenden Zielgruppen und Milieus ist möglich, jedoch für die Definition von Zielpositionierungen nicht notwendig. So lassen sich auch Unternehmensmarken im semantisch-ästhetischen Kontext positionieren (Abb. 4). Die «theoriekonsistente» Anschaulichkeit des vorliegenden Modells erzeugt in der Praxis eine Vielzahl positiver Momente. Ihr großer Vorteil liegt vor allem in der «Evidenz» der vorgenommenen räumlichen Festlegungen. Evidenz als geisteswissenschaftlicher Beweis spielt für die Akzeptanz eines Modells, das sich außerhalb naturwissenschaftlicher Beweise bewegt, eine fundamentale Rolle. Die Abbildungen 1 bis 4, nacheinander betrachtet, stellen einen evidenten Sinnzusammenhang her und erklären in einer konsistenten und nicht angreifbaren Art den Zusammenhang zwischen Personen, Werten, Design und Marken. Auf einer solchen Grundlage kann man als Unternehmen anschließend Entscheidungen treffen, die erhebliche Investitionen nach sich ziehen. Eine notwendige Ergänzung benötigt das qualitative Modell, wenn quantitative Fragen relevant werden. Dies geschieht umso eher, je näher man dem tatsächlichen Markt kommt, also eher bei Produkt- als bei Markenpositionierungen. Diese dann notwendige Erweiterung wird von einer ganzen Anzahl von Modellen bzw. von

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Anbietern dieser Modelle geleistet. In Abbildung 5 sehen wir das Milieumodell von SIGMA. Dieses bildet die deutsche Bevölkerung anhand von Alltagsgewohnheiten, Motiven, Bedürfnissen, Werteinstellungen und ästhetischer Orientierung ab und fasst sie in zehn Milieus zusammen. Diese Milieus werden in einem Raum anhand der Grunddimensionen «sozialer Status» (von Unterschicht bis Oberschicht als Zusammenfassung demografischer Merkmale wie z.B. Schulbildung, Beruf, Einkommen) und «grundsätzlicher Werteorientierung» (von traditionell bis postmodern als Klassifikation von Lebensstilen, Alltagsbewusstsein, Leitbildern, gesellschaftlicher Einstellungen) verortet und qualitativ bewertet. So kann man, wie in Abbildung 5 zu sehen, beispielsweise den Anteil des jeweiligen Milieus an der Gesamtbevölkerung abbilden; eine Vielzahl von quantitativen Informationen ist darüber hinaus verfügbar. Für das hier beschriebene Making of Alltagskultur im Auftrag von Firma 1 ist es nun wichtig zu verstehen, welche Zielgruppen denn vorrangig als affin zu bezeichnen sind. Da Firma 1 ein Handelsunternehmen u.a. im Bereich der Unterhaltungselektronik ist und auch die geplante Eigenmarke sich in diesem Segment positionieren soll, ist die notwendige Präzisierung klar. Abbildung 6 zeigt eine Auswertung nach SIGMA, die die signifikant affinen Milieus für Unterhaltungselektronik («Braune Ware») eindeutig beschreibt. Diese Ansammlung von Gegenständen zeigt nun den «Raum der Begierde», den es immer besser zu beschreiben gilt (wie vorher definiert, z.B. nach Emotionalität, Selbstähnlichkeit und Wert). Durch Verdichtung entsteht in Abbildung 7 die strategische Positionierung der neu zu schaffenden Eigenmarke, quasi ein leerer Raum, der neu zu füllen ist mit Sortiment und u.a. mit Design. Im Rahmen des Projekts wurde auch eine Eigenpositionierung der Marke Firma 1 erhoben. Interessanterweise (aber überhaupt nicht notwendigerweise) liegen die beiden Positionierungen nahe beieinander, was einen absehbar sehr glaubwürdigen Markteintritt für das neue Sortiment erwarten lässt.

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Abbildung 5: Positionierungsmodell der Peter Schmidt Group. Abgleich SIGMA-Milieus.

Abbildung 6: Zielgruppenschwerpunkte «Braune Ware».

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Abbildung 7: Zielgruppenschwerpunkte «Braune Ware» und Positionierung Marke Firma 1.

Abbildung 8: Implikationen für die Markenpositionierung.

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Nachdem nun die modellhaften Bedingungen einer transparenten Sicht auf den Markt gegeben sind und dieser Markt nach Zielgruppe, Werteorientierung, Markenaffinitäten und anderen psychologischen und sozialen Dimensionen beschreibbar ist, gilt es nun, die Vorbedingungen von Design zu klären. Die Brücke zwischen Positionierung und Design ist die Designstrategie. Vorbedingung zur Zielerreichung ist sorgfältige, langfristige Planung. Was wie ein Gemeinplatz klingt, ist in Zeiten fragmentierter Märkte und Zielgruppen, von Hyper-Wettbewerb und sich dekonstruierender sozialer Nachfragedimensionen eine Herausforderung. «Der Strategiewissenschaftler Aloys Gälweiler hat daher schon vor mehr als zwei Jahrzehnten die klassische Opposition zwischen Kurzfristigkeit und Langfristigkeit als wichtigstes Unterscheidungsmerkmal zwischen operativem und strategischem Management aufgehoben und durch das Gegensatzpaar ‹Management von Erfolgspotentialen› (strategisches Management) und ‹Management von Erfolgen› (operatives Management) ersetzt. Wir haben diese Unterscheidung vor einigen Jahren auf das Design übertragen und strategisches Design entsprechend als ‹Management von Erfolgspotentialen im Design› bzw. als ‹Management von Erfolgspotentialen durch das Design› beschrieben.» (Hermann/Moeller 2011: 26)

Die Erfolgspotenziale in unserem konkreten Fall bestehen im Wesentlichen aus dem hervorragenden Marktzugang, den die Firma 1 hat und der Aussicht, durch eine präzise, auf die Bedürfnisse der Zielgruppe zugeschnittene Marken- und Designstrategie diesen Zugang in Markterfolg zu verwandeln. Abbildung 8 zeigt einen Ausschnitt aus dem designstrategischen Framework für die geplante Eigenmarke. Hier sind einige deskriptive Fixpunkte zu sehen, die Grundlage sind für das «Designbriefing». Das Designbriefing ist die komplette Aufbereitung aller designrelevanter Erkenntnisse, die bisher gesammelt und verdichtet wurden. Dies, um den Designer, der nun final den Dingen ihr Aussehen geben soll, so umfassend wie irgend möglich mit Informationen zu versorgen. Und voila! – Abbildung 9 zeigt das Ergebnis.

M AKING OF A LLTAGSKULTUR

Abbildung 9: Markenauftritt der Eigenmarke PEAQ.

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L ITER ATUR Baginski, Rainer (2004): «Ein Festival der Misserfolge», in: NZZ Folio Nr. 11, 11/2004, S. 62-68. Buck, Alex (1998): «Visuelles Wertmanagement», in: formdiskurs 4, I/1998, Frankfurt: Verlag form, S. 72-81. Hermann, Christoph/Moeller, Günter (2011): «Strategisches Design. Ökonomisch erfolgreiches Design?», in: Bernhard E. Bürdek / Petra Eisele (Hg.), Design, Anfang des 21. Jh., Ludwigsburg: avedition, S. 24-31. McCracken, Grant (1988): Culture and Consumption, Bloomington: Indiana University Press. Rutenberg von, Jürgen (2009): «Der Diderot-Effekt», in: DIE ZEIT Nr. 16, 08.04.2009. Simon, Hermann (2012): «Das magische Wort», in: manager magazin 05/2012, S. 74.

A BBILDUNGSQUELLEN Alle Abbildungen dieses Beitrags stammen aus dem Archiv der Peter Schmidt Group.

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Empirische Konsumforschung in der Psychologie Kognitive Mechanismen bei der Produktwahl Lynn Huestegge & Eva-Maria Skottke

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1. E INLEITUNG : K ONSUMPSYCHOLOGIE Die Psychologie als empirische Wissenschaft beschäftigt sich mit zwei zentralen Forschungsgegenständen und ihren Interaktionen, nämlich einerseits den mentalen Prozessen (bzw. dem Erleben) sowie andererseits dem Verhalten des Menschen in seiner Umwelt. In diesem Kapitel soll erstens erläutert werden, mittels welcher empirischen Methoden sich die Psychologie dem angewandten Themenbereich Konsum nähern kann. Ein Schwerpunkt wird dabei auf experimentellen Forschungsansätzen liegen. Zweitens werden beispielhaft ausgewählte Forschungsprojekte aus unserem Labor näher beschrieben, die auf der Basis eines solchen empirisch-experimentellen Ansatzes kognitive Mechanismen bei der Produktwahl isolieren. Insgesamt verfolgen wir das Ziel, einen Einblick in die experimentelle kognitive Psychologie im Zusammenhang mit konsumpsychologischen Fragestellungen zu geben. Aufbauend auf der eingangs genannten Definition von Psychologie (als Wissenschaft mentaler bzw. kognitiver Prozesse sowie des Verhaltens) lassen sich die im Kontext der Konsumforschung relevanten mentalen Prozesse und Verhaltensaspekte näher spezifizieren. Allgemein beschäftigt sich die kognitive Psychologie mit all jenen psychischen Vorgängen, die mit Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Problemlösen, Schlussfolgern und Handlungssteuerung zu tun haben (Gerrig/Zimbardo 2008). Gegenstand der Kognitionspsychologie sind somit die psychischen Mechanismen der menschlichen Informationsverarbeitung. Ein vereinfachtes Modell des kognitiven Systems des Menschen geht dabei von interagierenden Komponenten aus (Abb. 1): Die Sinnesorgane (visuelles System, auditives System, taktiles System, usw.) und die Handlungsorgane bilden die unmittelbaren Verbindungsglieder zur Umwelt. Durch selektive Aufmerksamkeitsprozesse wird allerdings nur einem Teil der Reize weitere Beachtung geschenkt. Die selektierte Information gelangt dann in einen temporären und kapazitätsbeschränkten Speicher, das Arbeitsgedächtnis, wo sie enkodiert und mit bereits vorhandenen Inhalten verglichen oder verknüpft wird. Ein weiterer Transfer

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Abbildung 1: Vereinfachtes Grundmodell menschlicher Informationsverarbeitung.

Abbildung 2: Die Wechselwirkung zwischen mentalen Prozessen und Verhalten in der Konsumpsychologie.

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ins sogenannte «Langzeitgedächtnis» kann beispielsweise bewusst durch intensives Wiederholen von Information (Rehearsal) oder aber auch ohne aktives Zutun (implizit) erfolgen. Im Langzeitgedächtnis erfolgt dann eine dauerhafte Kodierung der so gewonnenen mentalen Repräsentationen (Schwan/Hesse 2004). Auf der Basis dieses Wissens kann so schließlich kontextangemessen gehandelt werden. Gegenstand kognitiver Konsumforschung können beispielsweise Fragen nach Wahrnehmungsprozessen einer Marke oder eines Produkts, Fragen über die Vertrautheit mit bzw. das Wissen über Marken, Erinnerungen an Produkte, Marke und Werbung oder auch Fragen zum bewussten, willentlichen Verhalten eines Konsumenten sein. Um diese Fragen beantworten zu können, arbeiten Psychologen vorrangig mit empirischen Daten. Für die Datenerhebung gilt, dass permanent neue konkrete Verfahren entwickelt werden, auch wenn grundlegende methodologische Zugänge (z.B. Experiment, Zusammenhangsstudie, Befragung etc.) auf eine lange Tradition zurückblicken können. Im Folgenden werden methodische Aspekte der empirisch-psychologischen Konsumforschung näher aufgegriffen.

1.1 Konsumpsychologie: Auswirkungen des Verhaltens auf mentale Prozesse Auch wenn der Begriff des Konsums ursprünglich auf den unmittelbaren Verbrauch von Gütern verweist, hat er sich heute deutlich erweitert und umfasst dabei nicht nur z.B. das Kaufverhalten, sondern auch das Rezeptionsverhalten (z.B. von Medieninhalten). Wie bei den meisten Verhaltensweisen des Menschen kann man auch hier nach den Funktionen des Kauf- und Rezeptionsverhaltens fragen. Die Funktionen dieser Verhaltensweisen verweisen wiederum auf mentale Prozesse (bzw. Zustände) und manifestieren sich einerseits in der Befriedigung grundlegender lebensnotwendiger Bedürfnisse (wie Essen, Trinken, Überleben), andererseits aber auch in der Befriedigung komplexerer Wünsche, z.B. nach Vergnügen, sozialer Anerkennung etc. (Abb. 2). Daher determiniert das Konsumverhalten auch soziale Prozesse und kann zur Selbstbestimmung (im Sinne

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der Ausbildung von Verhaltenscodes zum Zwecke der Zuordnung zu bestimmten sozialen Gruppen) und auch zur Erfüllung wahrgenommener gesellschaftlicher Aufträge (z.B. des Umweltschutzes) dienen. Insgesamt machen diese Ausführungen deutlich, wie sich das Verhalten funktional auf bestimmte mentale Prozesse auswirken kann.

1.2 Konsumpsychologie: Auswirkungen mentaler Prozesse auf das Verhalten Die Interaktion zwischen mentalen Prozessen und dem Verhalten ist reziprok, und man kann sich daher ebenso fragen, welche mentalen Prozesse wiederum das Verhalten determinieren. Neben den oben bereits erwähnten Bedürfnissen ist hier zu ergänzen, dass gerade die komplexeren Bedürfnisse auch einer Steuerbarkeit unterliegen, d.h. konsumpsychologische Maßnahmen (z.B. Werbung) werden gezielt eingesetzt, um Bedürfnisse zu generieren bzw. zu steuern. Interessanterweise hat sich herausgestellt, dass eine grundsätzliche Schwierigkeit darin besteht, aufgrund mentaler Zustände (wie Bedürfnissen oder Einstellungen) konkretes Verhalten vorherzusagen. So wurde schon früh in der Geschichte der Psychologie versucht, das (objektiv beobachtbare) Verhalten (z.B. Wahlverhalten, Konsumverhalten) aufgrund von (z.B. per Fragebogen erhobenen) mentalen Einstellungen vorherzusagen. Dabei wurde festgestellt, dass Einstellungen nur sehr eingeschränkt dazu taugen, Verhalten zuverlässig zu prädizieren (vgl. Abschnitt 2.3.5). Dies kann u.a. daran liegen, dass Menschen weniger konsistent urteilen und handeln, als gemeinhin angenommen wird, oder dass die Erhebung introspektiver Daten (Selbstauskunft per Fragebogen) unzuverlässige Messungen produziert. Daher ist man in der Folge dazu übergegangen, möglichst konkrete Verhaltensintentionen (anstelle globaler Einstellungen) zu erfragen, die deutlich bessere (aber keineswegs perfekte) Prädiktoren für Verhalten darstellen (Fishbein/Ajzen 1975). Ein Beispiel für eine in der Psychologie, aber auch in der Ökonomie erfolgreiche Theorie der Verhaltensprädiktion (Theorie des geplanten Verhaltens, Fishbein/Ajzen 1975) beruht auf der Annah-

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me, dass Verhaltensintentionen durch drei Bestandteile bestimmt werden: 1. durch die Einstellung gegenüber dem Verhalten (also wie wertvoll das Verhalten erscheint), 2. durch soziale Normen (also wie nahestehende Personen dem Verhalten gegenüber eingestellt sind) sowie 3. durch die Erwartung, wie leicht das Verhalten zu realisieren ist. Die Theorie ist damit ein Spezialfall einer großen Klasse sogenannter «Erwartungs-mal-Wert»-Theorien der Verhaltenserklärung, die durch ihr zugrunde liegendes rationalistisches Menschenbild (im Extremfall z.B. dem des homo oeconomicus) bisweilen auch als nicht realistisch kritisiert worden sind (vgl. Arbeiten von A. Tversky). Auch der Anwendungskontext dieser sehr allgemein formulierten Theorie scheint begrenzt: Während die Theorie erfolgreich in Kontexten wie Verhütungs- oder Diätverhalten angewendet werden konnte (Sheppard et al. 1988), scheinen Entscheidungen, die unter starken zeitlichen und informativen Limitationen getroffen werden (wie z.B. die konkrete Produktwahl in einem Supermarkt, wo meist unter hohem Zeitdruck viele elementare Entscheidungen getroffen werden müssen) eher schlecht abbildbar zu sein. Die bisher thematisierten mentalen Prozesse sind auf einem vergleichsweise hohen Abstraktionsniveau angesiedelt und sind damit auch klassischen entscheidungspsychologischen Ansätzen verwandt, die hier anhand eines Beispiels kurz vorgestellt werden sollen. Die Entscheidungspsychologie beschäftigt sich allgemein mit der Frage, welche Faktoren bei Entscheidungen (z.B. beim Kauf eines neuen Autos) auch jenseits von Erwartungen sowie individuellen oder sozial geprägten Werten eine wesentliche Rolle spielen. So konnte gezeigt werden, dass der Kontext einer Information großen Einfluss auf Entscheidungen nehmen kann: Während die meisten potenziellen Autokunden eher Abstand nehmen vom Kauf eines Wagens, bei dem «10 von 100 Exemplaren in nächster Zeit defekt in die Werkstatt müssen», sind hingegen die meisten Kunden angetan vom Kauf eines Modells, bei dem «90 von 100 Exemplaren in nächster Zeit nicht defekt in die Werkstatt müssen» (Rahmungseffekt, vgl. McNeil et al.

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1982; Gerrig/Zimbardo 2008). Doch auch die an diesem Beispiel illustrierten entscheidungspsychologischen Forschungsprogramme eignen sich in ihrer Mehrheit eher weniger, zeitlich hochaufgelöst kognitive Grundlagenprozesse zu analysieren.

2. M ESSUNG DER W ERBE WIRKUNG UND M E THODEN DER EMPIRISCHEN K ONSUMFORSCHUNG Ein wesentliches Fundament der empirischen Konsumforschung besteht darin, Daten zu erheben oder zu sichten. Dabei reichen bisweilen Sekundärdaten aus, um erste Fragen zu beantworten. Bekannte Datenbanken hierfür sind die der statistischen Bundes- und Landesämter sowie (als kommerzieller Datenlieferant) die Gesellschaft für Konsum-, Markt und Absatzforschung (GfK). Geht man die Datenerhebung selbst an, kann man dies zunächst explorativ tun, wenn man noch keine Hypothese empirisch prüfen, sondern eher generieren will. Ein exploratives Kundeninterview beispielsweise kann zum Generieren von Hypothesen zu Grundlagen von Kaufentscheidungen dienen. Möchte man kausale Annahmen prüfen, so ist das psychologische Experiment hierfür die geeignete Forschungsmethodologie (Huestegge/Koch 2009).

2.1 Das psychologische E xperiment in der Konsumforschung Wesentliches Charakteristikum eines psychologischen Experiments ist die Vorgehensweise, dass der Experimentator systematisch (mindestens) eine Variable unter Konstanthaltung anderer variiert und anschließend registriert, welchen Effekt diese aktive Veränderung auf das Verhalten hat. Man spricht bei der Variable, die es zu variieren gilt, von der unabhängigen Variablen, bei der Variable, bei der man den Effekt misst, von der abhängigen Variablen. Möchte man beispielsweise die Wirkung von Fernsehwerbung auf das Kaufverhalten bzgl. einer Schokolade studieren, so wäre für diesen Fall das Scho-

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koladen-Kaufverhalten die abhängige Variable, während als unabhängige Variablen hier beispielsweise die Länge, Tageszeit, oder Art des Werbespots in Frage kommen. Entscheidend hierbei ist es, eine möglichst isolierte Variation der unabhängigen Variablen anzustreben, da man ansonsten von einer Konfundierung (= Vermengung) verschiedener Variationen ausgehen muss und nicht mehr exakte Rückschlüsse auf den Effekt einer einzelnen Variablen ziehen kann. Ein weiteres Charakteristikum des psychologischen Experiments ist der Vergleich einer Experimental- mit einer Kontrollbedingung oder -gruppe. Ein Ergebnis zu o.g. Forschungsfrage könnte z.B. lauten, dass von allen Personen, die den Schokoladen-Werbespot angeschaut haben, 50% das Produkt auch gekauft haben. Für den Vertreiber des Produkts hört sich diese Aussage möglicherweise erfolgreich an, dennoch hat sie ohne den Vergleich mit einer Kontrollgruppe, die die Werbung nicht gesehen hat, keinerlei Wert. Nur wenn die Kaufquote der Experimentalgruppe (also der Gruppe, die die Werbung angeschaut hat) statistisch signifikant höher läge als die der Kontrollgruppe, dürfte man von einem positiven Effekt der Werbung sprechen (Felser 2007: 433). Allgemeiner gesprochen betreffen diese Probleme einer möglichen Konfundierung bzw. einer fehlenden Kontrollgruppe das sogenannte «Problem der Kontrolle von Störvariablen»: Störvariablen können auch Umgebungsvariablen (wie Lärm, Gerüche oder Hitze) betreffen, im Versuchsleiter lokalisiert sein (z.B. Erwartungseffekte beim Testen von Probanden) oder auch in der Versuchsperson selbst (z.B. sozial erwünschte Antworttendenzen oder die Teilnahmemotivation). Bei Experimenten, bei denen eine Person mehrere Bedingungen durchläuft, können zusätzlich Positionseffekte oder sogenannte «Carry-over-Effekte» (z.B. durch Lernen, Müdigkeit etc.) auftreten. Es gibt mehrere Möglichkeiten der Kontrolle bzw. Ausschaltung von Störvariablen, z.B. die Konstanthaltung der Störvariable während des Experiments (z.B. wenn der Werbespot immer zur gleichen Tageszeit gezeigt wird). Die vielleicht wichtigste Kontrolltechnik bei Gruppenvergleichen ist die Randomisierung (also die zufällige Zuweisung der Probanden auf die Versuchsbedingungen).

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Weitere Möglichkeiten werden in Huber (2005) sowie Bortz und Döring (2002) beschrieben. Bei vielen psychologischen Experimenten wird darauf geachtet, einen möglichst repräsentativen Querschnitt aus der Gesamtbevölkerung in die Stichprobe einzubeziehen. Für bestimmte Fragestellungen möchte man allerdings bewusst kein Zufallsverfahren bei der Stichprobenwahl einsetzen, sondern stattdessen zielgruppenorientierte Gruppenzusammenstellungen vornehmen. Eine solche sogenannte «Quotenstichprobe» wird auch häufig bei Meinungsumfragen verwendet. Der Interviewer hat dann beispielsweise die Vorgabe, eine bestimmte Anzahl von Personen mit bestimmten Schichtungsmerkmalen zu interviewen (z.B. 8 Frauen, 8 Männer mit Hochschulabschluss, 5 Frauen und 5 Männer ohne Berufsausbildung usw., vgl. hierzu auch Huber 2005).

2.2 Ausgewählte weitere Methoden in der Konsumforschung In der empirischen Konsumforschung kommen neben dem psychologischen Experiment noch eine Vielzahl anderer Methoden zum Einsatz. So werden z.B. in der Werbewirkungsforschung Testmethoden eingeteilt in Tests zur Prognose (Pretests) oder zur nachträglichen Prüfung (Posttest) der Werbewirkung. Prognostische Verfahren, die den Einfluss von Werbeanzeigen oder Spots prüfen, bevor er in die Medien kommt, sind beispielsweise Befragungen, Gruppendiskussionen, projektiv-assoziative Verfahren oder standardisierte Tests (z.B. Storyboard-Test, vgl. Six/Gleich/Gimmler 2007: 431). Die nachfolgende Tabelle stellt eine Auswahl an Werbewirkungs-Methoden dar (Moser/Döring 2008). Die in der Tabelle aufgeführten Datenerhebungsmethoden und Beispiele werden in Abschnitt 2.3 eingehender erläutert. Das Wissen über Marken, die Erinnerung an Produkte sowie Handlungsabsichten werden beispielsweise mit standardisierten Posttests gemessen (z.B. «Day-after-Recall»). Längerfristige Effekte von Kampagnen werden mit sogenannten Tracking-Studien erforscht.

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Tabelle 1: Ausgewählte Methoden der Werbewirkungsforschung.

Abbildung 3: Apparatur zur Messung von Blickbewegungen.

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Diese sind gekennzeichnet durch eine fortlaufende Befragung, die in regelmäßigen Abständen zu den Themen Markenbekanntheit, Markenverwendung und Image erfolgt. Die Ergebnisse dienen der Erstellung von Zeitreihen, um Veränderungen im Zeitablauf feststellen zu können (Six/Gleich/Gimmler 2007).

2.3 Typische abhängige Variablen in der Konsumforschung Einzelne Maße bzw. Variablen, die bei den oben genannten Datenerhebungsverfahren zum Einsatz kommen können, sollen nun detaillierter erläutert werden.

2.3.1 Blickbewegungen Zum Aufdecken von Aufmerksamkeitsprozessen werden oft Blickbewegungen von Versuchspersonen untersucht. Mit speziellen Apparaturen können so Blickdauern auf definierte Punkte oder Objekte (Fixationen) sowie Blicksprünge (Sakkaden) gemessen werden. Typische Fixationen dauern 200-400 Millisekunden, eine Sakkade vollzieht sich in etwa 20-70 Millisekunden (Huestegge/Koch 2009). Damit können mentale Prozesse zeitlich und räumlich hochaufgelöst erfasst werden. Ein Beispiel aus der Konsumforschung, bei dem diese Methode angewendet wurde, sei hier zitiert: «Der Otto-Versand verglich solche Doppelseiten aus dem Katalog, die im Blickaufzeichnungstest gut abgeschnitten hatten, und Seiten, mit denen sich der Leser nur flüchtig beschäftigt hatte, und korrelierte sie mit den bundesdeutschen Abverkaufszahlen, die für jede Doppelseite im Hause Otto bekannt sind. Das Ergebnis: ein Korrelationskoeffizient von .70.» (Felser 2007: 437).

Blickbewegungen (und damit verbundene Aufmerksamkeitsprozesse) können also als Maß herangezogen werden, wenn man Kaufverhalten vorhersagen will. Doch auch bei der Analyse von Verpackung

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und Design von Produkten kommen Blickbewegungsmessungen zum Einsatz (vgl. Abschnitt 3).

2.3.2 Eyes on screen (EOS) Ein sehr einfaches, verwandtes Maß der Medienpsychologie ist die sogenannte «Eyes- on-Screen» (EOS)-Beobachtung: Hierbei wird erhoben, wie häufig und wie lange Probanden auf den FernsehBildschirm schauen. Untersuchungen mit dem EOS-Verfahren konzentrierten sich beispielsweise auf die Frage, aufgrund welcher Programmfaktoren sich Kinder einem bestimmten Programm (z.B. Sesamstraße) und nicht konkurrierenden Reizquellen zuwenden (vgl. http://www.psychology48.com).

2.3.3 Gedächtnis/Erinnerung Die Überprüfung der Erinnerungsleistung war lange die populärste Methode zur Messung von Werbewirkung. Die zugrundeliegende Grundannahme war, dass die Bekanntheit oder das Bewusstsein über eine Marke eine unabdingbare Voraussetzung für die Werbewirkung ist (Moser/Döring 2008: 257). Heute werden Erinnerungsmessungen häufig mit der Erhebung weiterer Kriterien zur Beurteilung der Werbewirkung kombiniert, z.B. mit Aufmerksamkeitstests. Verfahren zur direkten Erinnerungsmessung sind beispielsweise der Rekognitionstest und der Reproduktionstest. Ein Rekognitionstest untersucht, ob ein Befragter eine bestimmte Vorlage wiedererkennt. Bei kontrollierten Wiedererkennungstests wird in der Regel eine Auswahl von Vorlagen (z.B. Titelseiten einer Zeitschrift) vorgelegt unter Einbezug von sogenannten «Catchtrials». D.h. es werden Vorlagen gegeben, die tatsächlich (oder potenziell) gesehen wurden, und gleichzeitig Vorlagen, die künstlich erzeugt worden sind. Dieses Verfahren soll Ratestrategien minimieren (Moser/Döring 2008). Reproduktionstests hingegen verlangen, dass Versuchspersonen sich aktiv erinnern. Hier unterscheidet man zwischen ungestützten und gestützten Reproduktionstests, wobei die Gedächtnisstütze beispielsweise aus einem Hinweis auf den Kontext der gesehenen Werbung, aber auch auf die Produktgruppe bestehen kann. Andere

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Varianten zeichnen sich dadurch aus, dass der Markenname oder die Fakten aus der Werbung erinnert werden sollen. Der in Tabelle 1 aufgelistete «Day-after-Recall-Test» (DAR-Test) prüft, ob Markennamen oder andere Details von Werbespots reproduziert werden können, die am Tag zuvor zu sehen waren. Beim «Starch-Test» hingegen geht man so vor, dass man Probanden nach dem Lesen einer Zeitschrift beim erneuten Durchgehen dieser befragt, ob eine Werbevorlage gesehen wurde. Verfahren der indirekten Erinnerungsmessung nennt man implizite Erinnerungstests. Diese versuchen, implizite Gedächtnisinhalte zu ermitteln, ohne dabei den Kontext (die Werbung) im Bewusstsein der Versuchspersonen zu aktivieren. Bezugnehmend auf das Modell in Abbildung 1 kann festgehalten werden, dass Werbebotschaften möglichst so gut «gelernt» werden sollten, dass sie im Langzeitgedächtnis gespeichert und zum richtigen Zeitpunkt erinnert werden. Der Übergang vom Kurzzeitgedächtnis in das Langzeitgedächtnis bedarf möglichst wiederkehrender Einwirkung (Rehearsal), d.h. der mehrmaligen Darbietung der Werbebotschaft. Eine Studie aus den Niederlanden (Pieters/Bijmolt 1997) konnte zeigen, dass Spots in Fernseh-Werbeblöcken, die an der ersten und letzten Position geschaltet wurden, zu besseren Erinnerungsleistungen führten als solche mitten im Werbeblock (sogenannter «Primacy- und Recency-Effekt»). Interessant ist ferner, dass mehrere Studien nahelegten, dass Humor, Erotik oder Furchtappelle in Werbebotschaften zwar die Aufmerksamkeit gegenüber dem Produkt erhöhten, die Erinnerung der Probanden an die Werbeaussage aber oft herabgesetzt war (Erbeldinger/Kochhan 1998). Somit können «provozierende» Motive in Werbebotschaften zwar zu einer gesteigerten Aufmerksamkeit führen, am eigentlichen Ziel – nämlich dem Werbeerfolg – aber völlig vorbeigehen.

2.3.4 Reaktionszeiten und Fehler Reaktionszeiten und Fehler beim Bearbeiten von Aufgaben sind die mit Abstand häufigsten abhängigen Variablen in der Kognitionspsy-

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chologie, da sie zeitlich hochaufgelöste und präzise zu definierende Verhaltensmaße für den Rückschluss auf kognitive Prozesse darstellen. Hierdurch wird es sozusagen ermöglicht, dem kognitiven System bei der Arbeit zuzusehen. Ein grundlegender Vorteil der hierbei üblicherweise verwendeten experimentellen Methode bestand zusätzlich darin, empirische Phänomene nicht nur beschreiben zu können, sondern diese auch zu erklären und vorherzusagen (Huber 2005). Vor allem in Abschnitt 3 werden vielfältige Beispiele für den Einsatz dieser Maße gegeben. Hier sollen vor allem zwei weitere Anwendungsmöglichkeiten kurz erläutert werden. So gelten Reaktionszeiten in der Konsumforschung häufig als Indikator für Präferenzen. Fragt man Personen nach ihrer Präferenz während der Darbietung zweier vergleichbarer Produkte (z.B. Canon- vs. Nikon-Kameras), so würde sehr schnelles Antwortverhalten im Sinne einer hohen Präferenz interpretierbar sein, während eine langsame Reaktion eher auf eine schwache Präferenz hindeutet (Felser 2007). Weiter einsetzbar sind Reaktionszeiten auch im Doppeltätigkeitsparadigma, welches Aufschluss über den Grad der Ablenkbarkeit (z.B. während eines Werbespots) geben kann. Hierbei sähe eine mögliche Versuchsanordnung so aus, dass die Probanden während des Betrachtens des Spots eine Zweitaufgabe (z.B. das Reagieren auf ein akustisches Signal mit einem Tastendruck) zu absolvieren hätten. Die Reaktionszeit auf das akustische Signal kann dann ein Indikator für den Grad der Ablenkung bzw. des «Involvements» während des Werbespots sein (Felser 2007: 438).

2.3.5 Erfassen von Verbraucherurteilen und Verbrauchereinstellungen mittels Befragung Das wohl beliebteste Mittel zur Erfassung mentaler Inhalte (wie z.B. Einstellungen, Intentionen etc.) in der Konsumpsychologie ist die Befragung. Befragungen können mündlich oder schriftlich durchgeführt werden. Sie können als Einzelbefragung (z.B. per Fragebogen oder Face-to-Face-Interview) oder in Gruppen (Gruppendiskussion) ablaufen. Auch wenn viele (auch experimentelle) Forschungsansätze in der Konsumpsychologie zu Recht auf solchen introspektiv-subjek-

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tiven Daten über mentale Inhalte (z.B. Einstellungen, Verhaltensintentionen, Absichten etc.) beruhen, sollte nicht unerwähnt bleiben, dass hiermit auch grundsätzliche Probleme verbunden sind. Diese Probleme wurden in der Geschichte der Psychologie mehrfach thematisiert, z.B. während der Blütezeit des Behaviorismus (Gerrig/ Zimbardo 2008), in der mentale Inhalte als etwas betrachtet wurden, das keiner wissenschaftlichen Analyse zugänglich ist und daher als sogenannte «Black Box» behandelt werden sollten. Man beachte hierbei, dass auch heute noch in Erklärungsmodellen z.B. zur Werbewirksamkeit behavioristische Theorien, vor allem zur Konditionierung, herangezogen werden. Eine weitere Kritikwelle an introspektiven Methoden zur Erfassung mentaler Inhalte gab es allerdings auch im Rahmen der Kognitionspsychologie, die im Allgemeinen die Erfassung mentaler Inhalte und Prozesse über Verhaltensbeobachtungen bevorzugte. So zeigten Nisbett und Wilson (1977) erdrückende empirische Evidenz für die Annahme, dass Menschen sich sehr häufig irren bzgl. ihrer eigenen mentalen Inhalte und Prozesse. Dies führte in der Folge zu einem kognitionspsychologischen Forschungsprogramm, das vor allem auf der Messung von Verhalten (hierbei vor allem Reaktionszeiten und Fehler) in hoch kontrollierten, zeitlich begrenzten Laborsituationen gründete. Trotz dieser Kritik gibt es viele praktikable Vorteile von Befragungen – aufgegriffen sei hier die computergestützte Datenerhebung. Die fehleranfällige und zeitaufwendige Dateneingabe entfällt, es kann nahezu unmittelbar mit der Datenauswertung begonnen werden. Die Abfolge-Randomisierung der Fragen zur Vermeidung von Reihenfolgeeffekten (vgl. Abschnitt 2.1) ist hierbei auch leicht umsetzbar. Online-Befragungen können zudem unabhängig von Ort und Zeit durchgeführt werden und sind vergleichsweise kostengünstig. Hinsichtlich der Gestaltung von Befragungen gibt es zahlreiche gut erprobte Varianten: Interviews können sehr stark standardisiert sein oder auch rein qualitative Daten erzeugen (z.B. durch offene Fragen). Eine weit verbreitete Beurteilungstechnik ist die sogenannte «Statementbatterie», bei der Probanden den Grad ihrer Zustimmung zu einer Aussage auf einer mehrstufigen Skala (Likert-Skala)

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mit den Polen «trifft stark zu» vs. «trifft gar nicht zu» einordnen sollen. Eine andere Technik ist die Paarvergleichsmethode, bei der jeweils zwei Aussagen (oder im Falle der Konsumpsychologie zwei Produkte) miteinander verglichen werden. Die Daten werden anschließend «ausgezählt» hinsichtlich der Häufigkeit, wie oft ein Produkt besser oder schlechter bewertet wurde.

2.4 Zwei Forschungsstrategien: Produkt- vs. kognitionszentrierte Forschung Zuletzt sollen in diesem Abschnitt zu Forschungsmethoden noch zwei grobe Forschungsstrategien der Konsumpsychologie anhand ihrer Ziele abgegrenzt werden. Bei der produktzentrierten Forschung geht es vor allem um die Frage der Vor- und Nachteile konkreter zu vergleichender Produkte. Das primäre Ziel besteht also darin, etwas über die Produkte, nicht den Menschen als solchen, zu lernen. Ein Vorteil dieser Methode ist das Erhalten produktspezifischer Ergebnisse (z.B. bzgl. produktspezifischer Variablen wie Preis bzw. weiterer Produkteigenschaften). Ein Nachteil dieser Methode ist allerdings, dass wenig allgemeingültige Schlussfolgerungen ableitbar sind. Zudem geht mit dieser Methode typischerweise die Untersuchung sogenannter «globaler Variablen» einher, d.h. im Produktvergleich sind viele Produkteigenschaften miteinander konfundiert (variieren also gleichzeitig), sodass letztlich die maßgebliche Ursache potenzieller Effekte schwer oder gar nicht isolierbar ist. Damit einher geht zudem eine eher geringe Erklärungs- und Vorhersagekraft. Diese Probleme der mangelnden Isolierbarkeit einer Variable spielen auch eine große Rolle z.B. in der Werbewirksamkeitsforschung, wo es schwierig ist, die konkrete Wirksamkeit von Werbemaßnahmen zu isolieren von anderen, zufällig oder systematisch kovariierenden Faktoren. Im Gegensatz hierzu beschäftigt sich die kognitionszentrierte Forschung mit der Frage, welche psychologisch relevanten Eigenschaften welche Effekte auf Verhalten bzw. mentale Prozesse haben. Der Nachteil dieser Methode besteht dabei darin, dass sie wenig produktspezifische Schlussfolgerungen zulässt. Ein grundsätzlicher

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Vorteil ist aber, dass die Ergebnisse meist besser generalisierbar sind, sodass grundsätzliche Aussagen über den Menschen und Gestaltungsmerkmale von Produkten getroffen werden können. Zudem werden hierbei typischerweise grundlagenpsychologische Theorien an komplexeren Umwelten getestet und können sich so bewähren, was einen wissenschaftlichen Fortschritt darstellt. Als klassische kognitionspsychologische Themenfelder, die bei diesem Ansatz in den Fokus rücken, gelten hierbei: Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Lernen, Gedächtnis und Handlung (Performanz). Auch in Abschnitt 3 wird im Sinne dieses Forschungsprogramms Konsumpsychologie als angewandte allgemeine Kognitionspsychologie betrieben.

3. A USGE WÄHLTE E XPERIMENTELLE B EFUNDE AUS DEM A ACHENER V ISUAL C OGNITION L AB In diesem Abschnitt soll ein Forschungsprogramm dargestellt werden, bei dem auf der Basis kognitionspsychologischer Grundlagenforschung und Theorien gezielt konsumpsychologisch relevante Fragestellungen beantwortet werden sollen. Damit überbrückt dieses Programm die häufig beklagte Lücke zwischen kontrollierter und theoretisch fundierter Grundlagenforschung auf der einen und praktisch verwertbarer Anwendungsforschung auf der anderen Seite. Es handelt sich dabei um einen kognitionszentrierten Forschungsansatz mit allen damit verbundenen Vor- und Nachteilen (vgl. Abschnitt 2.4). Insgesamt soll auch verdeutlicht werden, inwieweit die Kombination von experimentellen Versuchstechniken und grundlagenpsychologischen Theorien und Forschungsparadigmen zur Beantwortung konsumpsychologischer Fragestellungen nützlich sein können. Dabei geht es in den hier vorgestellten Experimenten nicht darum, das Kaufverhalten direkt mittels Produkteigenschaften vorherzusagen. Vielmehr werden die kognitiven Prozesse analysiert, die in konkreten Produktwahlsituationen eine Rolle spielen und letztlich natürlich auch entscheidende Vorbedingungen zum nachgeordneten Kaufverhalten darstellen. Hierzu gehören klassi-

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sche allgemeinpsychologische Konzepte wie Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Lernen (z.B. im Sinne des Erwerbs und Abrufs von Verhaltensgewohnheiten) und Gedächtnis. Untersucht wird also nicht der Konsum in einem eingeschränkten ökonomischen, outputorientierten Sinn (Kaufverhalten), sondern im Sinne eines komplexen psychologischen Prozesses der Auseinandersetzung mit einem multidimensionalen und nur für begrenzte Zeit verfügbaren visuellen (Waren-)Angebot mit nahezu unbegrenzten Handlungsoptionen. Diese Sichtweise gewinnt zusätzlich an Bedeutung, wenn man sich vor Augen führt, inwieweit in der heutigen Gesellschaft die Vielfalt und Komplexität der angebotenen Produkte – nicht nur in Ladengeschäften, sondern auch im Online-Handel – zugenommen hat, während gleichzeitig immer weniger Zeit zur mentalen Verarbeitung dieser Informationsvielfalt zur Verfügung steht. Dadurch gewinnen psychologische Methoden, die sich zeitlich und räumlich hochaufgelösten Performanzvariablen (Aufmerksamkeitsverteilung, Reaktionszeiten, Reaktions-/Gedächtnisgenauigkeit) zuwenden, immer mehr an Bedeutung. In einigen der folgenden Studien werden Effekte statistisch beurteilt, d.h. es wird getestet, inwieweit ein Effekt auch mit dem Zufall gut erklärt werden kann. Dazu werden p-Werte berichtet, die besagen, wie wahrscheinlich ein Befund auf Zufallsbasis zu erwarten gewesen wäre. Bei einem p < 5% spricht man von einem überzufälligen (statistisch signifikanten) Effekt. Wenn hingegen p > 5% die Statistik F < 1 ausfällt (hier: ein Varianzverhältnis), so gilt ein Effekt als statistisch nicht bedeutsam (Bortz/Döring 2002).

3.1 Studie 1: Visuelle Such- und Gedächtnisprozesse bei der Produktwahl – Effekte der Suchintention, Produktauffälligkeit, Produktvertrautheit und Produktpositionierung auf Aufmerksamkeitsprozesse In dieser Studie geht es darum, Aufmerksamkeits- und Gedächtnisprozesse bei der mentalen Verarbeitung eines komplexen visuellen Warenangebots zu studieren. Dabei ist es wichtig, sich verschiedene mögliche Intentionen eines Kunden vor Augen zu führen.

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Während auf der einen Seite Kunden das Warenangebot gezielt nach einem bestimmten Produkt absuchen, um dieses so schnell wie möglich auszuwählen, sind Kunden in anderen Situationen noch unschlüssig und durchmustern das Warenangebot, um sich jeweilige Produkteigenschaften zu merken und zu vergleichen, um später potenziell zu einer Entscheidung zu gelangen. Die kognitionspsychologische Grundlagenforschung bietet hierfür zwei wichtige Paradigmen (also Forschungsansätze, die Verbünde aus etablierten Theorien und konkreten paradigmatischen Versuchsanordnungen darstellen) an, bei denen zu einem gegebenen Zeitpunkt mehrere visuelle Stimuli verarbeitet werden müssen, nämlich das Paradigma der visuellen Suche (Neisser 1969) und das der Gedächtnissuche (Sternberg 1966). In einem typischen Experiment zur visuellen Suche wird zunächst ein Suchreiz definiert (z.B. ein einzelnes Objekt per visueller Darbietung). Daraufhin wird ein visuelles Display mit vielen Stimuli dargeboten, unter denen sich der zuvor definierte Suchreiz befinden kann. Aufgabe der Versuchsperson ist es, so schnell und genau wie möglich (per Tastendruck) zu entscheiden, ob der Suchreiz im Display vorhanden ist oder nicht. Bei dem Gedächtnissuche-Paradigma handelt es sich darum, sich zu Beginn eines Versuchsdurchgangs ein Display mit mehreren Stimuli einzuprägen (hier: so lange, wie die Probanden möchten). Danach wird ein einzelnes Objekt (der sogenannte «Probe-Reiz») dargeboten, das dahingehend beurteilt werden soll, ob es im zuvor gezeigten Display vorhanden war oder nicht. Auch hier werden Reaktionszeiten sowie (Gedächtnis-)Fehler gemessen, die zusammen Aufschluss über die Effizienz und Effektivität des Gedächtnisses geben können. Aus den bisherigen Ausführungen geht hervor, dass sich die visuelle Suche von der Gedächtnissuche im Experiment vor allem bezüglich der Reihenfolge der Stimuluspräsentation unterscheidet: Bei der visuellen Suche wird das Einzelobjekt vor dem Multi-Objekt-Display gezeigt, während dies bei der Gedächtnissuche umgekehrt verläuft. Beiden Paradigmen gemein ist die geforderte Wahlreaktion bzgl. zweier Alternativen (vorhanden oder nicht). Um auszuschließen, dass spezifische Eigenschaften ei-

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nes einzigen Suchdisplays oder spezifischen Suchreizes die Verhaltensergebnisse determinieren, wird ein solcher Versuchsdurchgang (Trial) typischerweise sehr häufig mit zufällig gewählten Objekten wiederholt. Um später auch über Probanden hinweg generalisieren zu können, lässt man außerdem mehrere Probanden an einem Experiment teilnehmen. Die hier beschriebene Studie besteht konkret aus zwei Experimenten, bei denen den Probanden als Multi-Objekt-Displays virtuelle Regale mit Reproduktionen realer Saftverpackungen auf einem Monitor präsentiert werden, während Blickbewegungen (mittels eines head-mounted Eyetrackers Typ Eyelink II der Firma SR Research, vgl. Abb. 3 sowie www.sr-research.com) und Reaktionen der Probanden gemessen werden. Experiment 1 entspricht der visuellen Suchaufgabe, während in Experiment 2 durch Umkehrung der Darbietungsreihenfolge von Einzelobjekt und Multi-Objekt-Display eine Gedächtnissuche implementiert wird. Durch die gezielte Manipulation von Eigenschaften des Einzelobjekts lassen sich entsprechende Wirkungen auf Aufmerksamkeits- und Gedächtnisprozesse untersuchen.

3.1.1 Methode In dieser Studie wurden gezielt Eigenschaften des Einzelobjekts (Darbietungsdauer des Suchreizes: 2 sec.) manipuliert, die von konsumpsychologischem Interesse sind und Rückschlüsse auf die Wirksamkeit von Werbung, Produktdesign und Produktpositionierung auf kognitive Verarbeitungsprozesse erlauben: Werbung führt zu einer Erhöhung der Vertrautheit mit einem Produkt, die Produktgestaltung kann mehr oder weniger auffällig (salient) im Vergleich zu umgebenden Produkten sein, und Produkte können an verschiedenen Stellen im Regal lokalisiert sein. In dieser Studie wurden diese drei Variablen gezielt experimentell manipuliert. Es wurden also Produkte als Suchreize gewählt, die sich systematisch bzgl. ihrer Vertrautheit und ihrer Salienz (hier: bezgl. der Verpackungsform) unterscheiden. Für die Verpackungsform wurde hier unterschieden zwischen einer wenig auffälligen rechteckigen Verpackungsform einerseits und Flaschenformen an-

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dererseits, die durch ihre individuellen Unterschiede eine höhere Salienz aufweisen (bei vergleichbaren Umgebungsreizen, die gemischt aus rechteckigen und flaschenförmigen Verpackungen bestanden). Dabei wurde die gleiche Marke und Geschmacksrichtung des jeweiligen Saftes verwendet (z.B. Granini Orange als Rechteck-Pack und als Flasche). Zur Manipulation der Vertrautheit wurden vertraute vs. unvertraute Markenprodukte miteinander verglichen. Die Vertrautheits- und Salienzmanipulationen wurden durch entsprechende subjektive Ratings validiert, die Validität der Salienzmanipulation wurde zusätzlich durch entsprechende computerbasierte Berechnungsalgorithmen zur Salienzbestimmung (Itti/Koch 2000, s. unter: http:// ilab.usc) gestützt. Zudem konnten die Produkte im Multi-ObjektDisplay jede beliebige Position (von insgesamt 16 in einem 4x4-Positions-Display, Abb. 4) einnehmen. In beiden Experimenten wurden 20 Probanden getestet, jeder Proband durchlief insgesamt 256 Versuchsdurchgänge. In der Hälfte der Versuchsdurchgänge war das Einzelobjekt im Multi-Objekt-Display anwesend. Die übrigen Objekte im Multi-Objekt-Display (sogenannte «Distraktoren») bestanden aus anderen Produkten mit variabler Salienz und Vertrautheit.

3.1.2 Ergebnisse und Diskussion Eine statistische Analyse der Daten ergab insgesamt die folgenden wesentlichen, statistisch signifikanten Ergebnisse zur visuellen Suche: In Trials mit anwesenden Zielreizen wurden unvertraute Zielreize viel häufiger übersehen (nur 63% Trefferquote) als vertraute Zielreize (90% Treffer). Unvertraute Zielreize wurden zudem ca. 10% langsamer gefunden. Bei der Suche nach unvertrauten Reizen wurden im Mittel kürzere Blicksprünge (Sakkaden) ausgeführt, ein Zeichen für eine schwierigere Suche. Auch die Salienz der Produkte hatte großen Einfluss auf die Performanz: Weniger saliente Reize (rechteckige Verpackungen) wurden öfter übersehen (nur 67% Treffer) als saliente (flaschenförmige) Reize (87% Treffer). Interessanterweise war der Salienzeffekt für die wenig vertrauten Flaschen viel ausgeprägter. Produkte im oberen (vs. unteren) Displaybereich wurden ca. 10% schneller gefunden, während Produkte im rechten (vs.

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Abbildung 4: Suchdisplays in Studie 1.

Abbildung 5: Kontrolliertes Reizmaterial in Studie 2.

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linken) Displaybereich weniger oft übersehen wurden. Die Blicke wurden insgesamt mehr auf zentrale Positionen im Display gerichtet als auf periphere Positionen. Bei der Gedächtnissuche fanden sich die meisten dieser Effekte auch für die Gedächtnisleistung wieder. So war die Gedächtnisleistung für vertraute Produkte (76%) höher als für unvertraute (56%), und für saliente Produkte höher (77%) als für unauffällige (56%). Auch hier ist der Salienzeffekt viel ausgeprägter für Produkte geringer (vs. hoher) Vertrautheit. Die Blickanalysen ergaben auch hier eine Bevorzugung zentraler (vs. peripherer) Positionen im Display. Insgesamt wiesen die Blickmuster im Gedächtnissuch-Experiment eine höhere Systematizität (im Sinne eines leseartigen Durchmusterns der Regale) auf als im visuellen Suchexperiment. Neben den klaren Ergebnissen zur Produktplatzierung im Regal zeigen die Ergebnisse also einen deutlichen positiven Effekt der (durch Werbung erzielbaren) Produktvertrautheit sowie einen ebenso deutlichen Effekt der (durch Gestaltungsmaßnahmen erzielbaren) Produktgestaltung. Interessanterweise war Letztere aber nur dann relevant, wenn es sich um wenig vertraute Produkte handelte. Dies bedeutet u.a., dass eine unauffällige Produktgestaltung zur Not durch entsprechende Werbemaßnahmen kompensiert werden könnte, auch wenn sich generell stets eine auffällige Produktgestaltung auszahlt. Zuletzt soll noch darauf hingewiesen werden, dass ein ausführlicher und detaillierter Report dieser Studie jederzeit bei Kontakt der Autoren zu Studienzwecken zur Verfügung gestellt werden kann: Huestegge, L., & Radach, R. (in Vorbereitung): «Visual and Memory Search in Complex Environments: Determinants of Eye Movements and Search Performance», in: Ergonomics.

3.2 Studie 2: Kontrollierte Effekte der Suchreizsalienz auf die visuelle Suchleistung Die Ergebnisse des ersten Experiments in Studie 1 haben ergeben, dass salientere Produkte schneller in einem Regal gefunden werden

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als weniger saliente. Da in der Studie Reproduktionen realer Produktverpackungen als Stimulusmaterial verwendet wurden, kann jedoch nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass zwischen den zwei Salienzbedingungen auch andere Produkteigenschaften (wie z.B. Farbgestaltung, Schriftgröße, Größe der gestalteten Fläche etc.) unterschiedliche Ausprägungen angenommen haben und diese damit als Alternativerklärungen in Frage kommen (vgl. Abschnitt 2.1). Ebenso ist es möglich, dass der Vertrautheitseffekt nicht nur auf der Vertrautheit des Markennamens auf der Verpackung beruht, sondern auch auf gestalterischen Aspekten. Diese Probleme treten grundsätzlich auf, wenn auf reale Objekte zu experimentellen Zwecken zurückgegriffen wird.

3.2.1 Methode Um Zweifel an Alternativerklärungen auszuräumen, wurden daher in der Studie 2 künstliche Produktverpackungen gestaltet, bei denen ausschließlich die Objektform und der abgebildete Markenname (hier: vertraut vs. erfunden) manipuliert wurden, während alle anderen Produkteigenschaften sowie die Fläche der Objekte streng konstant gehalten wurden. Die Objektfarbe (rot/grün) wurde jedem Objekt zufällig zugewiesen und konnte daher keinen systematischen Einfluss ausüben. In Anlehnung an die rechteckigen Verpackungen aus Studie 1 wurden Rechtecke als Objekte mit geringer Salienz verwendet. Als Alternative zu den variablen Flaschenformen wurden hier Sechsecke verwendet, bei denen Variabilität durch die vertikale Position der größten Ausbuchtung erzeugt wurde (vgl. Abb. 5). Die Versuchsdurchführung entsprach ansonsten der in Experiment 1 von Studie 1. Es nahmen 20 neue Probanden an diesem Experiment teil.

3.2.2 Ergebnisse und Diskussion Die Ergebnisse aus Experiment 1 der Studie 1 konnten zum Teil bestätigt werden. So wurden z.B. Verpackungen mit vertrauten Namen zwar nicht statistisch signifikant schneller, F < 1, aber immerhin mit signifikant weniger Blicksprüngen (10,1, SE = 0,3) gefunden als Ver-

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packungen mit erfundenen Namen (10,8, SE = 0,3), p < .05. Auch die mittlere Amplitude der Sakkaden war bei der Suche nach Verpackungen mit erfundenem Namen signifikant verringert (6,7° vs. 7,0°), p < .05, was auf eine erschwerte Suche hindeutet. Bzgl. der Produktposition wurde hier ebenfalls ein Vorteil für zentrale Positionen gefunden, nämlich eine um 10% schnellere Suche für zentrale (vs. periphere) Positionen, p < .05. Leider konnte in diesem Experiment der Salienzeffekt aus Studie 1 nicht repliziert werden. Stattdessen wurde hier ein leichter Vorteil für die Suche nach rechteckigen (vs. sechseckigen) Produkten verzeichnet, mit einer ca. 8% schnelleren und ca. 3% fehlerloseren Suche nach rechteckigen Produkten, beide p < .05. Dieses unerwartete Ergebnis kann dadurch zustande gekommen sein, dass die hier gewählten Sechseck-Formen zu ähnlich waren und dies die Suche nach einer spezifischen Sechseck-Form erschwerte, zumal auch alle übrigen Verpackungsmerkmale eine höhere Ähnlichkeit als in Studie 1 aufwiesen. Daraus ist zu schlussfolgern, dass zur Erzielung eines Salienzvorteils die Produktsalienz möglichst stark ausgeprägt (im Sinne einer klaren Unterscheidbarkeit) sein sollte und ggf. nicht nur eine Dimension (Form), sondern mehrere Gestaltungsdimensionen gleichzeitig einbezogen werden müssen. Insgesamt zeigt diese Studie, wie unter Aufgabe eines Stücks Realitätsnähe eine erhöhte experimentelle Kontrolle gewonnen werden kann. Während diese Studie einerseits Schlussfolgerungen zur Salienz aus Studie 1 deutlich modifiziert, wurden andererseits für die Bekanntheits- und Positionseffekte Bestätigungen der Resultate aus Studie 1 gefunden.

3.3 Studie 3: Die Etablierung und Persistenz von multidimensionalen Aufmerksamkeitsfiltern Ein interessanter Nebenbefund aus Experiment 2 der Studie 1 wurde bislang noch nicht erwähnt und bildet die Grundlage für Studie 3. Da dort nur eine begrenzte Anzahl von Produkten (insgesamt 8) als Probe-Reize verwendet wurde, bestand die Möglichkeit, dass die Pro-

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banden im Laufe des Experiments lernen, dass nur diese Produkte aufgabenrelevant sind, und daher bei der Memorisierung des MultiObjekt-Displays gezielt nach diesen aufgabenrelevanten Produkten suchen, um sich die Aufgabe zu erleichtern. In der Tat fanden wir in den Daten Hinweise auf eine solche Strategie. In Studie 3 gingen wir daher gezielt der Frage nach, ob Menschen ihre Aufmerksamkeit per Filtereinstellungen so regulieren können, dass aufgabenrelevante Reize (hier: einzuprägende Produkte) mit höherer Priorität verarbeitet werden. Bei Konsumenten entspräche das der Möglichkeit, dass diese gezielt nach mehreren für sie wichtigen Produkten gleichzeitig suchen könnten, um sich diese (z.B. für spätere Entscheidungsprozesse) einzuprägen.

3.3.1 Methode Auch bei Studie 3 wurden künstliche Verpackungen erstellt, um mögliche Alternativerklärungen auszuräumen. Bei diesen Verpackungen wurden die Form (Rechteck) und die Vertrautheit (unbekannt) konstant gehalten, sodass sich die Produkte nur bezüglich eines Fantasienamens, der Farbe, sowie der Frucht unterschieden (Abb. 6). Das Experiment entsprach prinzipiell dem Gedächtnissuch-Experiment aus Studie 1. In einer ersten Phase des Experiments wurde ebenfalls nur nach einer begrenzten Auswahl aus allen Produkten gefragt, ohne dass dies den Probanden explizit vermittelt wurde. In einer darauffolgenden Transferphase dienten dann plötzlich und unangekündigt alle Produkte aus den Multi-Objekt-Displays als mögliche Probe-Reize, d.h. hier waren nun alle Reize aufgabenrelevant.

3.3.2 Ergebnisse und Diskussion Die Ergebnisse zeigten klar einen Einbruch der Gedächtnisleistung in der Transferphase, der darauf hindeutet, dass in der ersten Phase des Experiments tatsächlich die relevanten Objekte mit größerer Priorität eingeprägt wurden. Die Blickbewegungsanalyse zeigte zudem, dass über das gesamte Experiment hinweg die relevanten Reize aus der ersten Phase in den Multi-Objekt-Displays häufiger betrachtet

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Abbildung 6: Versuchsdurchgang aus Studie 3.

Abbildung 7: Versuchsdisplay aus Studie 4.

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wurden als die irrelevanten. Da dies auch für die Transferphase zu beobachten war, spricht einiges dafür, dass die gewählten Aufmerksamkeitseinstellungen für bestimmte mehr-dimensional definierte Produkte sehr träge sind, d.h. selbst wenn es (wie in der Transferphase) nicht mehr hilfreich ist, werden ehemals als relevant kategorisierte Objekte immer noch mit größerer Aufmerksamkeit bedacht. Weitere Details zu dieser Studie finden sich in folgender Publikation: Huestegge, L., & Koch, I. (2012). «Eye movements as a gatekeeper to memorization: Evidence for the persistence of attentional sets in visual memory search», in: Psychological Research.

3.4 Studie 4: Multidimensionales kontextuelles Cueing in komplexen Reizumgebungen In Studie 4 wurde untersucht, inwieweit die Umgebungsstimuli eines zu suchenden Produkts bei der Suche behilflich sein können. In der Grundlagenforschung spricht man hierbei von «kontextuellem Cueing», also der Tatsache, dass der Kontext eines Reizes das Auffinden des Reizes erleichtern kann, wenn z.B. bei früheren Suchprozessen auch der umgebende Kontext vergleichbar war (Chun/Jiang 1998). Dieses Phänomen wurde jedoch bislang vor allem mit einfachen Stimuli nachgewiesen (z.B. Suchdisplays mit Buchstaben oder anderen einfachen Objekten).

3.4.1 Methode In dieser Studie verwendeten wir das Stimulusmaterial aus Studie 3 für eine visuelle Suchaufgabe, allerdings bestanden die Displays aus insgesamt 60 Objekten (6 Zeilen à 10 Objekte), um die Suche hinreichend schwierig zu gestalten (Abb. 7). Während in einer Kontrollgruppe (9 Probanden) die Distraktoren (also die Stimuli im Display, nach denen nicht gesucht werden soll) vollkommen zufällig verteilt wurden, wurden in einer Experimentalgruppe (33 Probanden) um den jeweils zu findenden Zielreiz (in den Durchgängen, in denen ein Zielreiz an zufälliger Position anwesend war) immer die gleichen Distraktoren gezeigt, sodass diese als Hinweis (Cue) zum Auffinden

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des Zielreizes genutzt werden konnten. Dabei wurde in der Experimentalgruppe zu Beginn (in den ersten 54 Trials) immer der gleiche Distraktor direkt links vom Zielreiz wiederholt, dann in einer zweiten Phase (54 Trials) die Distraktoren links und rechts, und in einer dritten Phase (54 Trials) links, rechts, oben und unten. Verglichen wurde dann die Suchleistung über die drei Phasen hinweg zwischen Experimental- und Kontrollgruppe.

3.4.2 Ergebnisse und Diskussion Einen klaren Nachweis für einen kontextuellen Cueing-Effekt fanden wir in der ersten Phase (mit genau einem Hinweisreiz links vom zu findenden Zielreiz). Dort war die Experimentalgruppe mit einer Reaktionszeit von ca. 5,5 sec. statistisch signifikant schneller in der visuellen Suche als die Kontrollgruppe (7 sec.), p < .05, wobei sich die Fehlerrate in dieser Phase nicht signifikant zwischen den Gruppen unterschied (15% Fehler), F < 1. In den nachfolgenden zwei Phasen sind die Ergebnisse weniger klar interpretierbar. Obwohl in beiden Gruppen die Reaktionszeiten über die Phasen hinweg geringer wurden (Übungseffekt), war in den letzten beiden Phasen kein statistisch signifikanter Reaktionszeitunterschied zu verzeichnen, F < 1. Hingegen war die Fehlerrate in den letzten beiden Phasen statistisch signifikant geringer für die Kontrollgruppe als für die Experimentalgruppe, p < .05. Es ist daher möglich, dass die Probanden der Experimentalgruppe bei diesen Phasen die deutlichere Kontextmanipulation bewusst bemerkten und daher zusätzlich gezielt nach diesen Kontextreizen suchten, was sich wiederum negativ (im Sinne einer Doppelaufgabenbelastung mit Interferenzeffekten) auf die Performanz ausgewirkt haben könnte. Insgesamt bleibt jedoch aus der Beobachtung in der ersten Phase heraus festzuhalten, dass der Kontext eines Produkts durchaus das Auffinden erleichtern kann. Dieses Ergebnis spricht insgesamt dafür, dass bei der Produktpositionierung auch auf den Kontext eines Produkts (also die Produkte in der unmittelbaren Umgebung) geachtet werden sollte.

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3.5 Studie 5: Die Rolle von Verbalisierungen bei Gedächtnisprozessen in komplexen visuellen Reizumgebungen Auch diese Studie knüpft an Studie 3 an. Es sollte geklärt werden, welche Gedächtniscodes bei der Memorisierung von multidimensional definierten Produkten eine Rolle spielen. Insgesamt kann visuelle Information im Sinne eines visuellen Abbilds gespeichert oder sprachlich rekodiert (verbalisiert) werden (Baddeley 2003). Hier wird also danach gefragt, inwieweit Verbalisierungen eine Rolle beim Einprägen der präsentierten Produkte im Gedächtnissuch-Paradigma spielen.

3.5.1 Methode Die Gedächtnisleistung einer Kontrollgruppe (normale Gedächtnissuchaufgabe, 18 Probanden) wurde mit der Gedächtnisleistung einer Experimentalgruppe verglichen, bei der Verbalisierungen durch eine Zusatzaufgabe unterdrückt wurden (16 Probanden). Diese Zusatzaufgabe bestand darin, dass die Probanden der Experimentalgruppe über das gesamte Experiment hinweg ständig die Silbe «Tau» zum vorgegebenen Rhythmus eines Metronoms (2 Schläge pro Sekunde) repetieren sollten (sogenannte «artikulatorische Unterdrückung»). Es wurde dasselbe Material wie in Studie 3 verwendet, das in Displays verschiedener Größen (4, 6 und 9 Items, in gleicher Häufigkeit) zufällig angeordnet wurde. Insgesamt wurden 216 Trials verwendet (108 mit anwesendem Probe-Reiz im Display), die übrigen Versuchsbedingungen waren vergleichbar zu Studie 3.

3.5.2 Ergebnisse und Diskussion Insgesamt fanden sich keine Hinweise darauf, dass die Gedächtnisleistung in der Experimentalgruppe reduziert war. Unabhängig von der Regalgröße und der Artikulationsbedingung wurde nach 1,2 sec. auf den Probe-Reiz geantwortet, Fs < 1. Auch die Gedächtnisleistung unterschied sich nicht in Abhängigkeit von den Bedingungen, Fs < 1.

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Dieses interessante Ergebnis lässt vermuten, dass Verbalisierungen zumindest nicht notwendig sind, um multidimensional definierte Produkte zu memorisieren. Stattdessen scheinen sich Probanden bei den hier verwendeten, multidimensional kodierten Stimuli ähnlich effizient auf rein visuelle Speicherprozesse verlassen zu können.

4. A BSCHLUSSBEMERKUNGEN Die vorangegangenen Abschnitte sollten einen Überblick über psychologische Konsumforschung im Allgemeinen und einen beispielhaften Einblick in die empirische Umsetzung konsumpsychologischer Experimente im Besonderen geben. Auf die Frage, welches Verfahren (und damit schließen wir auch nicht-kognitionspsychologische Methoden ein) sich konkret für eine gegebene Fragestellung am besten eignet, muss immer wieder individuell je nach Ziel der Fragestellung eine Antwort gefunden werden. Generell gilt, dass jedes Verfahren möglichst valide (d.h. der Fragestellung angemessen) und reliabel (messgenau) sein sollte. Das Objektivitätskriterium hinsichtlich Durchführung, Auswertung und Interpretation sollte ebenfalls erfüllt sein, und es sollte weitgehende Akzeptanz seitens der Versuchspersonen bestehen. Letztendlich werden aber natürlich immer auch Kosten und Nutzen über die Auswahl eines Verfahrens mitbestimmen (Moser/Döring 2008).

L ITER ATUR Baddeley, A. D. (2003): «Working memory: Looking back and looking forward», in: Nature Reviews Neuroscience, 4, S. 829-839. Bortz, J./Döring, N. (2002): Forschungsmethoden und Evaluation für Human- und Sozialwissenschaften, 3. Aufl., Berlin: Springer. Chun, M. M./Jiang, Y. (1998): «Contextual cueing: Implicit learning and memory of visual context guides spatial attention», in: Cognitive Psychology, 36, S. 28-71.

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Erbeldinger, H./Kochhan, C. (1998): «Humor in der Werbung. Chancen und Risiken», in: M. Jäckel (Hg.). Die umworbene Gesellschaft: Analyse zur Entwicklung der Werbekommunikation, Opladen/Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, S. 141-177. Felser, G. (2007): Werbe- und Konsumentenpsychologie, Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag. Fishbein, M./Ajzen, I. (1975): Belief, attitude, intention, and behavior: An introduction to theory and research,  Reading, MA: AddisonWesley. Gerrig, R. J./Zimbardo, P. G. (2008): Psychologie, München: Pearson. Huber, O. (2005): Das psychologische Experiment. Eine Einführung, Bern: Huber. Huestegge, L./Koch, I. (2009): «Behaviorale Methoden der experimentellen Psychologie», in: W. Kempf/M. Kiefer (Hg.), Forschungsmethoden der Psychologie III, Berlin: Regener, S. 155-206. Huestegge, L./Koch, I. (2012): «Eye movements as a gatekeeper for memorization: Evidence for the persistence of attentional sets in visual memory search», in: Psychological Research, 76, S. 270-279. Huestegge, L./Radach, R. (in Vorbereitung): «Visual and memory search in naturalistic environments: Determinants of eye movements and search performance», in: Ergonomics. Itti, L./Koch, C. (2000): «A saliency-based search mechanism for overt and covert shifts of visual attention», in: Vision Research, 40, S. 1489-1506. McNeil, B. J./ Pauker, S. G./ Sox, H. C. Jr./ Tversky, A. (1982): «On the elicitation of preferences for alternative therapies», in: New England Journal of Medicine, 306, S. 1259-1262. McQuarrie, E. F. (1998): «Have laboratory experiments become detached from advertise goals», in: Journal of Advertising Research, 38, S. 15-26. Moser, K./Döring, K. (2008): «Modelle und Evaluation der Werbewirkung», in: B. Batinic,/M. Appel (Hg.), Medienpsychologie, Heidelberg: Springer, S. 241-268. Neisser, U. (1969): Cognitive Psychology, New York: Appleton-Century-Crofts.

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A BBILDUNGS - UND T ABELLENQUELLEN Abbildung 1: Abgewandelt nach Schwan & Hesse, 2004 Tabelle 1: Nach Moser & Döring, 2008 Alle übrigen Abbildungen dieses Beitrags stammen aus dem Archiv der Autoren.

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Vergemeinschaftung durch Konsum? Zum Stand der « Brand Community » -Forschung 1 Kai-Uwe Hellmann

V ERGEMEINSCHAFTUNG DURCH K ONSUM ?

2001 wurde im Journal of Consumer Research, der international wichtigsten Fachzeitschrift für Konsumforschung, ein Beitrag mit dem schlichten Titel «Brand Community» veröffentlicht. Darin untersuchten die beiden Autoren Albert M. Muniz Jr. und Thomas C. O’Guinn loyale Kunden bestimmter Markenprodukte (Ford Bronco, MacIntosh, Saab), die sich über diese Produkte offline wie online miteinander austauschten. Muniz/O’Guinn nannten diese Kundenkollektive «brand communities», und das Phänomen umschrieben sie wie folgt: «A brand community is a specialized, non-geographically bound community, based on a structured set of social relationships among admirers of a brand. It is specialized because at its center is a branded good or service. Like other communities, it is marked by a shared consciousness, rituals and traditions and a sense of moral responsibility. Each of these qualities is, however, situated within a commercial and mass-mediated ethos, and has its own particular expression. Brand communities are participants in the brand’s larger social construction and play a vital role in the brand’s ultimate legacy.» (Muniz/O’Guinn 2001: 412)

Im Anschluss an diese Veröffentlichung entwickelte sich eine sehr rege Forschungsaktivität mit inzwischen mehr als 150 Artikeln, Buchbeiträgen, Interviews, Monografien und Sammelbänden: ein veritabler Erfolg (Abb. 1). Dabei dürfte dieser Erfolg nicht bloß forschungspolitisch und karrieretechnisch bedeutsam sein. Vielmehr leiteten schon Muniz/O’Guinn (2001: 412) ihren Beitrag mit der schlichten Bemerkung ein: «Community is a core construct in social thought.» Mit diesem Einstieg zielten sie auf Grundprobleme der modernen Gesellschaft, wie sie seit dem 19. Jahrhundert diskutiert werden < häufig verbunden mit der Frage: Geht der Aufstieg der Gesellschaft mit einem Niedergang der Gemeinschaft zwangsläufig einher? Zumindest haben Muniz/O’Guinn ihre Absicht, die «Brand Community»-Forschung in einen direkten Zusammenhang mit dieser Debatte zu stellen, von Anfang an sehr deutlich gemacht. Insofern liegt es nahe, den Stand der «Brand Community»-Forschung an diesem Anspruch zu messen. Anders formuliert geht es um die

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Frage, ob Vergemeinschaftung durch Konsum, wie Muniz/O’Guinn es behaupten, tatsächlich möglich ist. Dies ist Gegenstand des folgenden Beitrags.

1. D IE U NWAHRSCHEINLICHKEIT VON G EMEINSCHAF T HEUTE Schaut man sich das letzte Jahrzehnt des zurückliegenden Jahrhunderts an, wird man feststellen können, dass der «Community»-Begriff eine erstaunliche Renaissance erfahren hat (Schlüter/Clausen 1990). Gemeinsamer Bezugspunkt vieler Beiträge war die Annahme eines Nullsummenspiels zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft: Weitet sich Gesellschaft aus, dann auf Kosten von Gemeinschaft. Einschlägig geworden sind die Studien von Ray Oldenburg (1989), Amitai Etzioni (1993) und Robert Putnam (2000), in denen durchweg der Niedergang des nordamerikanischen Gemeinwesens beklagt wurde. Der Boden für eine «Brand Community»-Forschung, die genau aus diesem Dilemma einen Ausweg versprach, war gewissermaßen bereitet, und sie kam zur rechten Zeit. Denn eine nachhaltige Wiederbelebung gesellschaftsweiter Vergemeinschaftungsformen, sofern sie durch äußere Bedrohung nicht bloß oktroyiert werden, zeichnete sich keineswegs ab < stattdessen ideologische Grabenkämpfe, wie sie kurz darauf unter George W. Bush wahre Urstände feierten. Es bleibt nur zu fragen, inwieweit dieses Versprechen der «Brand Community»-Forschung Hand und Fuß hat. Immerhin können grundlegende Einwände gegen die Möglichkeit der Vergemeinschaftung durch Konsum vorgebracht werden. Beruft man sich etwa auf den Vater der Gemeinschaftsforschung, Ferdinand Tönnies (1887), erscheint es einigermaßen paradox, wenn sich gerade in der Gesellschaft, die Tönnies in strikter Opposition zur «Gemeinschaft» verortete – und Gesellschaft hieß für Tönnies vor allem: Markt –, derartige «brand communities» ausbilden sollten. Denn für Tönnies stand fest, dass mit dem Aufkommen dessen, was er unter «Gesellschaft» verstand, all das untergraben und gefährdet wurde, was bis dahin

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«Gemeinschaft» ermöglicht hatte. Insofern war eine Versöhnung von Gesellschaft und Gemeinschaft mit Tönnies kategorisch verbaut. Gewiss kann man verschiedene Ad-Hoc-Hypothesen aufstellen, um das Tönnies-Paradox produktiv aufzulösen. So könnte es sein, dass zwischen Signifikant und Signifikat keinerlei Entsprechungsverhältnis besteht, weil der «Community»-Begriff aus rein strategischen Erwägungen zum Einsatz kommt, kaum mehr denn Etikettenschwindel, eine bloße Mode, sozusagen «Neusprech» des Marketing. Denkbar wäre auch, dass der «Community»-Begriff aufgrund der besonderen Siedlungsgeschichte Nordamerikas einen ganz anderen Charakter trägt als das, was wir im Deutschen mit «Gemeinschaft» bezeichnen (Boorstin 1973; Bender 1978). Schließlich gibt es die Möglichkeit, dass Tönnies’ Verständnis von Gemeinschaft für das ausgehende 19. Jahrhundert durchaus zutreffend war, für das beginnende 21. Jahrhundert aber grundsätzlich neu konzipiert werden muss (Hitzler et al. 2008). Diese Möglichkeit zielt auf eine Modernisierung des Tönnies’schen Gemeinschaftskonzepts. Wofür man sich auch entscheiden mag: Keiner dieser Wege wird hier eingeschlagen. Stattdessen soll das Gemeinschaftskonzept von Tönnies als Idealtypus eingesetzt werden < als Idealtypus, der in dieser Reinheit nirgends vorkommt, als Vergleichsmaßstab aber hilft, über den Grad der Abweichung Aussagen über den Gehalt der «Brand Community»-Forschung zu treffen. Nun hat Tönnies eine Vielzahl von Dimensionen aufgemacht, um die Leitdifferenz Gemeinschaft/Gesellschaft mittels verschiedener Eigenschaften, Fähigkeiten, Merkmale darzulegen. Diese Vorgehensweise ist hier nicht zielführend. Stattdessen wird eine vereinfachte Schematik zugrunde gelegt, die sich an den drei Sinndimensionen von Niklas Luhmann (1984: 112 ff.) orientiert. Außerdem wird mit René König (1955) davon ausgegangen, dass der Gesellschaftsbegriff eine Dachformel ist, die alles Soziale umfasst, also auch Gemeinschaften, sodass fernerhin zwischen Gemeinschaft/ Nicht-Gemeinschaft unterschieden wird. Demnach lassen sich Gemeinschaften von Nicht-Gemeinschaften sachlich, sozial, zeitlich

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und räumlich unterscheiden, wobei hier nur die Gemeinschaftsseite beschrieben wird. In sachlicher Hinsicht zeichnen sich Gemeinschaften dadurch aus, dass in ihnen tendenziell alles zum Thema werden kann. Häufig kann man sogar feststellen, dass Gemeinschaften die gesamte Lebensführung beeinflussen, gar vorgeben. Mit Verweis auf die «pattern variables» von Talcott Parsons (1951: 67) kann man auch sagen, dass Gemeinschaften hochgradig diffus kommunizieren; für sie hängt alles mit allem zusammen, und sie sind multifunktional ausgerichtet. Dabei ist ihre Weltanschauung eher eingeschränkt, partikular. Gleichwohl handelt es sich um eine in sich vollständige Weltsicht: Zu beinahe allem kann Stellung bezogen werden. Und sie liegt immer richtig. Andere Sichtweisen werden demgegenüber kaum anerkannt und schnell als bedrohlich wahrgenommen. In sozialer Hinsicht neigen Gemeinschaften dazu, ihre Mitglieder allumfassend zu inkludieren. Dies geht nicht selten so weit, dass die Zugehörigkeit zu anderen Gemeinschaften, ja, überhaupt Mitgliedschaft außerhalb der Gemeinschaft nicht gern gesehen wird, mitunter sogar verboten ist. Die eigene Gemeinschaft ist der einzig legitime Lebensquell. Sie genügt sich selbst, so auch allen Mitgliedern. Es besteht kein Bedarf nach Anbindung außerhalb der Gemeinschaft < und darf nicht bestehen. Außerdem herrscht das Prinzip des Kollektivismus; der Einzelne zählt nicht viel, muss sich dem Kollektiv unterordnen. Privatheit ist verpönt. Gelebt wird ein striktes «Wir»-Gefühl, woraus sich Reziprozität und Solidarität, d.h. wechselseitige Verpflichtungsverhältnisse ergeben. Man tritt füreinander ein, hilft sich, lässt sich nicht allein. Pflichtvergessenheit wird streng geahndet. Unterstützt wird dieses Gefühl durch hohe Kontaktdichte: Man trifft sich ständig, begegnet sich von Angesicht zu Angesicht. Gemeinschaften sind äußerst interaktionsintensiv. Der direkte, persönliche Kontakt ist essenziell. In zeitlicher Hinsicht ist die Bindung an Gemeinschaften häufig lebenslang, von der Wiege bis zur Bahre. Generationen, ja ganze Geschlechter können zurück verfolgt werden, auch wenn die Ursprünge im Nebulösen bleiben. Langfristigkeit, mitunter Ewigkeitsan-

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spruch verbinden sich mit Gemeinschaften oft. Und selbst wenn ein Mitglied geht: Es kehrt irgendwann zurück, die Verbindung bleibt trotz längerer Abwesenheit bestehen. Und in räumlicher Hinsicht ist festzustellen, dass dem Prinzip der Lokalität, ob Haus, Ort oder Region, meistens große Bedeutung zukommt. Lokalität ist ein wichtiges Symbol für Gemeinschaft. Es geht darum, sich wiederzusehen und erinnern zu können, wo man herkommt. Mit Lokalität verbindet sich häufig ein Ursprungsmythos: wo alles anfing. Heimat. Lokale Nähe ist aber auch wichtig, um direkte Begegnung zu ermöglichen. Nur so wird der Zusammenhalt der Gemeinschaft dauerhaft gestärkt. Zusammenfassend kann gesagt werden, und hierzu wird nur auf die Sozialdimension Bezug genommen, dass Gemeinschaften sich vor allem durch zwei Eigenschaften idealtypisch identifizieren lassen: auf der einen Seite die Eigenschaft «Kollektivismus» (vorherrschendes «Wir-Gefühl», hier primär eine Frage des Erlebens), mit der sich etwa Norbert Elias (1987) beschäftigt hat; auf der anderen Seite die Eigenschaft «strong ties» (starke wechselseitige (Selbst)Verpflichtungsverhältnisse, hier primär eine Frage des Handelns), der die bekannte Unterscheidung «strong ties»/«weak ties» von Mark Granovetter (1973) zugrunde liegt.2 Denkt man überdies in Kontinua, bestehend aus den Polen Individualismus ļ Kollektivismus und «weak ties» ļ«strong ties», befindet sich Gemeinschaft am Schnittpunkt von Kollektivismus und «strong ties», während der Rest der 9-Felder-Matrix, lässt man Abstufungen zu, andere Formen sozialer Ordnung beinhaltet (Abb. 2). Entscheidend ist hier vor allem der illustrative Wert dieser Matrix, im Sinne einer Heuristik, weniger die empirische Stimmigkeit, die im Rahmen dieses Beitrags nicht sichergestellt werden kann. Was diese Matrix sichtbar machen soll, ist die Unwahrscheinlichkeit, in Anbetracht einer solchen Vielzahl von Optionen tatsächlich auf eine Gemeinschaft zu stoßen, weil dafür eine sehr spezielle Konfiguration vorliegen muss. Andernfalls hat man es mit anderen Typen sozialer Ordnung zu tun. Unwahrscheinlich ist Gemeinschaft, weil sie so voraussetzungsreich ist. Denn die Bedingungen der Möglichkeit von Gemeinschaft

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Abbildung 1: Zahl fachwissenschaftlicher Veröffentlichungen zum Thema «Brand/Consumption Communities» bis Ende 2011.

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Abbildung 2: 9-Felder-Matrix, Schema sozialer Ordnungsformen.

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erweisen sich als äußerst anspruchsvoll, exklusiv, gemessen an dem, was die moderne Gesellschaft jedem an Freiheitsgraden zugesteht. Multioptionalität, d.h. freie Wahl von Lebenspartnern, Freunden und Bekannten, Familienform, Ausbildung, Beruf, Partei, Konfession, Lebensversicherung oder Sportverein, befördert Individualismus und Bindungslosigkeit ins Extrem. Insbesondere der Konsum erzieht systematisch dazu, Abwechslung zu suchen, immer wieder Neues auszuprobieren, sich niemals festzulegen. In Anbetracht dieser Überfülle an Möglichkeiten < schon Gegenstand von Affluent Society (Galbraith 1958) oder Cultural Contradictions of Capitalism (Bell 1976) < wirken Gemeinschaften ausgesprochen unzeitgemäß, freiheitsberaubend und vergleichsweise unattraktiv. Wer tut sich das freiwillig an, wenn nicht Zwang motiviert? Unzureichende Sozialisation? Entfremdung? «Back to the roots?» Zumal wir es gerade bei «brand communities» mit einem Phänomen zu tun haben, das ganz und gar der Konsumsphäre entspringt, dem Hort vermeintlich grenzenloser Freiheit schlechthin. Ist das nicht ebenso paradox? Verglichen mit dem Tönnies-Paradox, sofern sich gerade in einer NichtGemeinschaft, sprich: Markt, Gemeinschaft ausbildet?

2. W AS BEOBACHTE T DIE «B R AND C OMMUNIT Y »F ORSCHUNG EIGENTLICH ? Wendet man sich vor diesem Hintergrund der «Brand Community»Forschung zu, die inzwischen eine beachtliche Größe und Dynamik gewonnen hat, wäre nunmehr zu prüfen, ob und inwieweit der jeweils untersuchte Gegenstand in all diesen Studien dem entspricht, was hier als Idealtypus der Gemeinschaft skizziert wird, oder präziser formuliert: Es wäre zu prüfen, wie weit dieser Gegenstand vom Idealtypus notwendigerweise abweicht. Hierzu müsste, würde man ganz systematisch vorgehen, jeder einzelne Beitrag daraufhin begutachtet werden. Dies dürfte den hier gesetzten Rahmen wohl sprengen. Dieser Begrenzung wegen bietet es sich an, auf eine Überlegung zurückzugreifen, die Thomas S. Kuhn (1976) bekannt gemacht hat.

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Danach zeichnen sich wissenschaftliche Paradigmen, Disziplinen, Schulen dadurch aus, dass die zentrale Grundlagenforschung, wenn es um die elementaren Axiome, Begriffe, Theoreme geht, häufig nur zu Beginn der Institutionalisierung eines Paradigmas stattfindet. Hat sich das Paradigma einmal etabliert, wechselt die Aufmerksamkeit der meisten Wissenschaftler zur Erforschung von Details, während die Grundlagenforschung als weitgehend abgeschlossen betrachtet wird und nur noch der Orientierung und Legitimierung dient. Normale Wissenschaft übernimmt dann das Regiment. Ausgehend von dieser Annahme kann festgestellt werden, dass der weitaus überwiegende Anteil vorliegender Beiträge zur «Brand Community»-Forschung tatsächlich Detailforschung betreibt, auf Basis der Vorschläge, die Muniz/O’Guinn 2001 unterbreitet haben, ohne diese auch nur ansatzweise zu reflektieren, geschweige denn kritisch zu hinterfragen.3 Insofern haben wir es bei der laufenden «Brand Community»-Forschung mit einem exzellenten Exempel normaler Wissenschaft zu tun. Aus diesem Grunde erscheint es legitim, wenn man sich bezüglich der Frage, wie weit der untersuchte Gegenstand in all diesen Studien vom skizzierten Idealtypus der Gemeinschaft notwendigerweise abweicht, zunächst an Muniz/O’Guinn (2001) hält. Ergibt eine auf ihren Ansatz begrenzte Prüfung einen positiven Befund, wirkt sich das auch positiv für nahezu alle nachfolgenden Beiträge aus. Ist der Befund freilich negativ, bringt das hingegen die gesamte Forschung in Verlegenheit. Schaut man sich daraufhin den Aufsatz von Muniz/Guinn (2001) näher an, findet man darin eine Folge von Abschnitten vor, wie sie typisch, ja, Standard ist für Veröffentlichungen im Journal of Consumer Research. Zunächst geht es um die Aufarbeitung und Darstellung des jeweiligen Forschungsstands, dann um die eigene Konzeption und schließlich um empirische Belege. Die üblicherweise noch folgenden «Implikationen» zum Ausklang eines jeden Artikels können hier außen vor gelassen werden. Jeder dieser drei Abschnitte in Muniz/O’Guinn (2001) wird nun unter dem Gesichtspunkt geprüft, was die beiden unternahmen, um

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den Gegenstand ihrer Forschung möglichst präzise in den Griff zu bekommen. Auf die drei Abschnitte bezogen kann demnach gefragt werden: Wie arbeiten Muniz/O’Guinn den Forschungsstand auf? Wie schaut ihre eigene Konzeption aus? Und welche empirischen Belege führen sie an?

2.1 Die Aufarbeitung der «Community»-Forschung Was die Aufarbeitung der «Community»-Forschung angeht, zögern Muniz/O’Guinn (2001: 412) nicht, bis auf Tönnies (1887) und andere Klassiker dieser Forschungstradition zurückzugehen. Sie nehmen den Stier quasi bei den Hörnern. Doch schon bald merkt man, dass eine gründliche Auseinandersetzung mit diesem Forschungsstand gescheut wird. Durkheim und Weber werden zwar erwähnt, doch wiederkehrende Bezugsquellen sind ganz andere (Janowitz 1968; Gusfield 1975; Wellman 1979; Bender 1978; Anderson 1991). Und vor allem erfolgt keine wirklich kritische Analyse des Forschungsstands. Vielmehr wird frühzeitig fokussiert, was dem eigenen Vorhaben genügt. Dies geht soweit, dass einige Arbeiten aus dem eigenen Forschungsfeld «Consumer Research» als Vorläuferstudien genannt werden, die den «Community»-Begriff vereinzelt zwar nennen, aber keineswegs systematisch nutzen (Celsi et al. 1993; McGrath et al. 1993; Schouten/McAlexander 1995). Offensichtlich wird dadurch, dass eine Forschungstradition fingiert wurde, die es so gar nicht gab, um die Berechtigung des eigenen Vorgehens zu beglaubigen. Im Ergebnis erfährt man nichts Wesentliches über die «Community»-Forschung, keine Definitionen, keine Differenzierungen. Dies gilt auch für die Bezugsquelle Benedict Anderson, dessen Begriff der «imagined community» durchaus bedenkenswert ist. Nur dass Anderson selbst keinen Begriff von Gemeinschaft hat, geschweige denn eine Gemeinschaftstheorie, weshalb sein Umgang mit diesem Phänomen äußerst oberflächlich bleibt. Und bei dem wiederholten Verweis auf die Forschung Barry Wellmans < hierauf wird noch kurz zurückzukommen sein < zur Unterstützung des An-

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derson-Ansatzes wird überhaupt nicht geprüft, womit sich Wellman tatsächlich beschäftigt hat (Wellman 2005). Alles in allem ist diese Form der Aufarbeitung der «Community»Forschung völlig unzureichend. Außer «name dropping» und einer sehr pauschalen Übersicht wird kaum etwas geliefert, was auf die enormen Schwierigkeiten vorbereitet, die mit der empirischen Anwendung dieses Konzepts verbunden sind. Der Grad der Vorverständigtheit ist überwältigend; kritische Analyse demgegenüber Mangelware. Mit dieser Einstellung gehen Muniz/O’Guinn in den konzeptionellen Abschnitt ihres Artikels.

2.2 Die «Brand Community»-Konzeption Bei der Erarbeitung eines eigenen «Community»-Konzepts wählen Muniz/O’Guinn drei Merkmale aus, die schon in dem eingangs angeführten Zitat Erwähnung fanden. Demnach sind «communities […] marked by a shared consciousness, rituals and traditions and a sense of moral responsibility.» (Muniz/O’Guinn 2001: 412) Das erste Merkmal «shared consciousness of kind», auch als «we-ness» bezeichnet, geht im Wesentlichen auf Gusfield (1975) zurück und stellt tatsächlich ein Kernstück der Gemeinschaftsforschung dar. Nur dass Muniz/O’Guinn es unterlassen, genauer anzugeben, wie sich «weness» empirisch beobachten lässt, und nicht weiter darauf eingehen, dass sich eine gewisse «we-ness» für sämtliche Sozialgebilde diagnostizieren lässt, je nachdem wie man die Maßstäbe anlegt. Was hier völlig fehlt, ist eine zweckmäßige Abstufung von «Wir-Gefühl»-Äußerungen und entsprechenden Verhaltensweisen, um systematisch unterscheiden zu können, ab wann und warum man es mit einer Gemeinschaft zu tun hat. Beim zweiten Merkmal «rituals and traditions» unterbleibt ebenso eine unverzichtbare Differenzierung − gerade weil sich «rituals and traditions» für sämtliche Sozialgebilde in gewissen Abstufungen beobachten lassen. Anders formuliert, gibt es wohl kein Sozialgebilde, das völlig frei ist von irgendwelchen Ritualen und Traditionen, so rudimentär diese auch geartet sein mögen. Soziale Ordnung hat

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ganz ohne Rituale und Traditionen nämlich kaum Bestand. Insofern lässt sich mit diesem Merkmal alles Mögliche beobachten, auch Gemeinschaften − aber eben nicht nur, sodass dieses Merkmal nichts zur eindeutigen Identifizierbarkeit bzw. Differenzierbarkeit von Gemeinschaften beiträgt. Kommt man schließlich auf das dritte Merkmal «a sense of moral responsibility» zu sprechen, hat auch diese Bestimmung zweifelsohne ihre Berechtigung, soweit es Gemeinschaften betrifft. Aber gleichzeitig trifft dieses Merkmal auf so viele andere Sozialgebilde ebenso gut zu, dass die Beobachtung von «moral responsibility» allein kein sicherer Indikator dafür ist, dass man es mit einer Gemeinschaft zu tun hat. Was auch hier fehlt, ist eine qualitative Abstufung, die genauer angibt, ab welchem Grad von Moralität und Verantwortlichkeit die Schwelle zur Sphäre des Gemeinschaftlichen definitiv überschritten wird. Und selbst wenn man die drei Merkmale zusammennimmt, ergibt sich daraus keine Schnittmenge von Ereignissen, die zweifelsfrei auf Gemeinschaften verweisen. Denn für beinahe jedes soziale Phänomen muss damit gerechnet werden, dass man unter gewissen Umständen Ansätze von Wir-Gefühlen, Ritualen und Traditionen sowie Solidarität antrifft. Das allein qualifiziert diese Schnittmenge aber noch nicht dazu, es garantiert nur mit einer Gemeinschaft zu tun zu haben. Und solange dies nicht feststeht, sind unbestimmt viele andere Optionen im Spiel. Gemeinschaftsforschung kann so nicht sinnvoll operieren.

2.3 Die empirischen Belege Guckt man zum Schluss noch auf die empirischen Belege, die Muniz/O’Guinn im dritten Abschnitt ihres Artikels beisteuern, so erfüllt keiner die notwendige Bedingung, auch nur eines dieser drei Merkmale in einem starken Sinne zu bestätigen. Weder die präsentierten Beispiele für «shared consciousness of kind» noch für «rituals and traditions» oder «moral responsibility» genügen den Mindestanforderungen. Zumeist besteht nicht einmal eine zwin-

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gende Verbindung. Insofern liefern Muniz/O’Guinn in ihrem dritten Abschnitt, der die zuvor hergeleitete Konzeption in der Regel empirisch verifizieren, zumindest aber veranschaulichen soll, keine hinreichenden «Beweise» dafür, dass es sich bei den untersuchten Kundenkollektiven, d.h. untereinander vernetzte Kunden bestimmter Markenprodukte, tatsächlich um «communities» handelt. Im Ergebnis zeigen sich Muniz/O’Guinn dementsprechend außerstande, «brand communities» als ein distinktes Phänomen zu identifizieren. Ihre Merkmale sind nicht falsch, aber zu generisch, um hinreichend differenzierend zu wirken. Man entdeckt damit sehr viel − aber eben viel zu viel, um sicher sagen zu können, die Entdeckung bzw. das Entdeckte hätte bloß mit Gemeinschaft zu tun. Auch und sehr viele Nicht-Gemeinschaften, um mit König zu sprechen, kommen ebenso in Betracht. Damit erweist sich dieses Instrument, wie Muniz/ O’Guinn es gefertigt haben, als zu stumpf, um seinen Dienst akkurat versehen zu können. Nicht Gewissheit, sondern vielmehr Ungewissheit bleibt zurück, wenn man der «Brand Community»-Forschung das «Community»-Konzept von Muniz/O’Guinn zugrunde legt. Genau das aber ist im Sinne Kuhns geschehen. Nach der Veröffentlichung von Brand Community durch Muniz/O’Guinn 2001 wurden weitere Bemühungen um Verbesserung des Begriffsapparats weitgehend eingestellt. Statt dessen hat man sich dieses Konzepts größtenteils unkritisch bedient, und es fortlaufend angewandt, mit dem wenig verwunderlichen Effekt, dass man es gleich überall mit «brand communities» zu tun hatte < augenscheinlich eine Bestätigung dieser Forschung; tatsächlich aber eine Irreführung. Mit diesem Zustand lebt die «Brand Community»-Forschung seit gut zehn Jahren.

3. N ICHT K ONSUMGEMEINSCHAF T : V ERGEMEINSCHAF TUNG DURCH K ONSUM! Die Folge dieser Entwicklung ist, dass auf Grundlage der drei Merkmale «shared consciousness of kind», «rituals and traditions» und

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«moral responsibility» − so undifferenziert, wie sie konzipiert wurden, und angesichts sehr schwacher empirischer Belege − nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei den untersuchten Phänomenen jedes in der 9-Felder-Matrix aufgeführte Sozialgebilde tendenziell involviert sein könnte. Es fehlt schlichtweg die eindeutige Diskriminierbarkeit. Dabei bietet sich, studiert man die erwähnten Quellentexte aufmerksamer, von den «Brand Community»-Beiträgen ganz zu schweigen, ein Ausweg an, der dem Charakter dessen, was hier jeweils mit «brand community» gemeint wird, in der Regel wohl am nächsten kommt. Denn an Stelle des «Community»-Begriffs wird dem «Network»-Begriff viel öfters der Vorzug gegeben. So hat Oliver (1988) von vornherein ihre untersuchte «urban black community as network» bezeichnet. Bender spricht im Wesentlichen von «social networks», bei denen es unter bestimmten, nicht näher spezifizierten Umständen zu einer «community experience» kommen könne, freilich ohne dass Bender (1978) dieses näher qualifiziert hätte. Wellman (1979, 2005) untersucht im Kern ohnedies egozentrierte Netzwerke, deren Gemeinschaftsgehalt letztlich unbewiesen bleibt, schaut man sich die zugrunde gelegten Items an (Barrett-Lenard 1994; da Costa 2006; Piselli 2007). Und Gusfield (1975) hebt in seiner Analyse schließlich sogar hervor, dass man es zumeist mit «communal networks» zu tun habe (Carroll/Rosson 2003) − während ihm der Begriff der Gruppe in der Regel dafür schon zu voraussetzungsreich erschien. Der konzeptionelle Vorteil einer solchen Beschränkung auf den Begriff des Netzwerks ist primär darin zu sehen, dass dieser Begriff empirisch nicht so schnell scheitern kann. Denn Netzwerkartigkeit weist im Prinzip jedes soziales Gebilde auf, weil es ganz ohne gewisse soziale Beziehungen zwischen Personen (qua Rollen) gar nicht geht, und seien diese Beziehungen auch nur parasozial oder virtuell, solange das Thomas-Theorem in Kraft ist. Von hier aus kann gewissermaßen ein Nullstart bedacht werden. Denn es soll gar nicht bestritten werden, dass sich in den untersuchten «brand communities» gewisse Vergemeinschaftungseffekte abspielen mögen. Nur dürfte es sich dabei selten um einen Dauerzu-

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stand, viel eher um vorübergehende Phasen handeln, die viel besser mit dem Begriff der Vergemeinschaftung als mit dem Begriff der Gemeinschaft erfasst werden. Es müsste nur noch erklärt werden, wie es zu diesem zeitweiligen Umschlag von Netzwerk ohne Vergemeinschaftseffekt zu einem Netzwerk mit Vergemeinschaftseffekt kommt. An dieser Stelle hilft ein Verweis auf Alberto Melucci (1989), der hinsichtlich der Erforschung sozialer Bewegungen zwischen «latency» und «visibility» unterschieden hat. Die Funktion dieser Unterscheidung bezieht sich auf das Problem, dass soziale Bewegungen vergleichsweise selten auftreten, weshalb sich die Frage stellt: Wo kommen diese Bewegungen plötzlich her? Etwa aus dem Nichts? Wie kommt es zur erfolgreichen Mobilisierung? Und wie hat man sich die jeweilige Rekrutierungsbasis vorzustellen? Die Unterscheidung zwischen «latency» und «visibility» eröffnet diesbezüglich die Möglichkeit, soziale Bewegungen nur als zeitlich begrenzte Episoden der erfolgreichen Mobilisierung hochmotivierter Mitglieder bestimmter sozialer Netzwerke (Klasse, Milieu, Lebensstile etc.) zu begreifen, die normalerweise unsichtbar bleiben, dadurch aber eine kurzfristige hohe Sichtbarkeit erfahren (Diani 1990, 2000). Genau diese Differenz zwischen Statik und Dynamik, Latenz und Visibilität, Unmobilisiertheit und Mobilisierung lässt sich, so die These, auf solche «brand networks» eins zu eins übertragen, die im Falle einer solchen Mobilisierung, häufig aus Anlass aktueller Medienkampagnen oder aufgrund regulär stattfindender «brand feasts», durchaus Vergemeinschaftungseffekte vermitteln können, deswegen aber noch keine Gemeinschaften sind. Und um solche Effekte tatsächlich beobachten zu können, dürfte es kaum ausreichen, mittels solch generischer, undifferenzierter Merkmale, wie Muniz/O’Guinn sie vorgeschlagen haben, auf derartige Episoden zuzugehen, sondern hierfür braucht es ein viel elaborierteres, sich deutlich mehr für Differenzierungen interessierendes Forschungsdesign, das es so bislang noch nicht gibt. Die wenigen Studien, die sich auf solche temporär begrenzte Vergemeinschaftungseffekte hin beobachten lassen, besaßen dafür noch keine zureichende Aufmerk-

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samkeit (McAlexander/Schouten 1998; McAlexander et al. 2002). Insofern müsste man zukünftig genau hier ansetzen (Heintz 2003; Hellmann 2011). Als Zwischenfazit ist festzuhalten: Während es eher abwegig erscheint, von «Konsumgemeinschaft» zu sprechen, wozu «brand communities» zu zählen wären, weil der Gemeinschaftsbegriff dafür zu hohe Anforderungen stellt, dürfte es durchaus möglich sein, dass es vorübergehend zur Vergemeinschaftung durch Konsum kommt, wofür Marken sicherlich geeignetes Material liefern dürften. Der Begriff der Vergemeinschaftung besitzt den Vorteil, dass er weitaus weniger anspruchsvoll gebaut ist. So heißt es bei Max Weber (1985: 21): «‹Vergemeinschaftung› soll eine soziale Beziehung heißen, wenn und soweit die Einstellung des sozialen Handelns − im Einzelfall oder im Durchschnitt oder im reinen Typus − auf subjektiv gefühlter (affektueller oder traditionaler) Zusammengehörigkeit der Beteiligten ruht.»

Damit sind vergleichsweise niedrige Hürden gesetzt, um von Vergemeinschaftung zu sprechen − bis hin zur Einbildung gefühlter Zusammengehörigkeit, wodurch auch Andersons «imagined communities» berücksichtigt wären. Ob und inwieweit es tatsächlich zur Vergemeinschaftung durch Konsum kommt, ist freilich Forschungsdesiderat, da sich die bisherige Konsumforschung zu wenig um eine wirklich brauchbare Konzeption und deren empirische Überprüfung gekümmert hat. Von daher wird empfohlen, diese Forschung zunächst auf die Annahme von «consumption networks» zu beschränken und sich von dort aus in andere Bereiche systematisch hochzuarbeiten, legt man hierfür die angeführte 9-Felder-Matrix zugrunde. In jedem Fall ist eine gewisse Skepsis angebracht, soweit es die Gegenstandsbestimmung der «Brand Community»-Forschung angeht. Möglicherweise hat sich dieser Vorbehalt mittlerweile auch in der Forschung selbst verbreitet. Immerhin scheint der Zenit rein

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fachwissenschaftlicher Veröffentlichungen überschritten, eine Wissenschaftsmode klingt ab. Insofern scheint die Zeit günstig, um die Anfänge und Grundlagen dieser Forschung kritisch zu reflektieren und entsprechende Korrekturen vorzunehmen.

A NMERKUNGEN 1 | Vgl. ausführlicher Hellmann (2011). 2 | Zur Unterscheidung von Erleben und Handeln vgl. Luhmann 1978. 3 | Zu diesen wenigen, eher kritischen, konzeptionell-kreativen Arbeiten gehören u.a. Schau/Muniz 2002; Algesheimer 2004; Muniz/O’Guinn 2005, 2009; Bagozzi/Dholakia 2006; Kim 2006; Lüdicke 2006; Sitz 2006; von Loewenfeld 2006; Schouten et al. 2007, de Burgh-Woodman/Brace-Govan 2007; Carlson et al. 2008; Casaló et al. 2008; Jang et al. 2008; Mathwick et al. 2008; Ouwersloot/Odekerken-Schröder 2008; Schau et al. 2009; Scarpi 2010. 4 | Wobei Gusfield hier die Ausnahme darstellt, weil er sich tatsächlich mit der Gemeinschaftsforschung befasst hat. 5 | Zur Begriffsgeschichte bei Weber vgl. Lichtblau 2000.

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A BBILDUNGSQUELLEN Alle angeführten Abbildungen dieses Beitrags stammen aus dem Archiv des Autors.

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Die Kunst der Irritation und ihr Mehrwert Sabine Fabo

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Das Prinzip der Ware scheint trotz der permanent spürbaren Finanzkrise überall gegenwärtig zu sein und ist auch aus Bereichen wie der Kunst, die vor einigen Jahren noch als konsum-alternative Felder idealisiert wurden, nicht mehr wegzudenken. Auch jenseits der definitorischen Position des Kunstmarkts reflektieren Künstler ihre konsumistische Umgebung zunehmend in den Inhalten ihrer Arbeit. Dabei hat sich der Mythos einer rein widerständigen Kunst, die ihren gesellschaftlichen Zusammenhang stets systemkritisch und wach infrage stellt, als brüchig erwiesen. Selbst neuere virale Strategien, die man bislang noch als zeitgemäße Formen der «Unterwanderung» ausgemacht hatte, sind von den Umarmungen einer warenorientierten Gesellschaft betroffen. Beispiele der Populärkultur geben Anlass zur Frage, welche Verunsicherungen überhaupt noch möglich sind, wenn selbst das tödlich Virale wie der HI-Virus die handschmeichlerische Form eines kulleräugigen Plüschvirus annimmt, dessen Produzenten GIANTmicrobes® bereits die gängigsten Virenkategorien in Anlehnung an wissenschaftliche Visualisierungen durchdekliniert haben1 (Abb. 1). Sollte es sich hier um die warenorientierte Erweiterung von Susan Sontags Beobachtungen zu Aids und seinen Metaphern handeln (Sontag 1989)? Erleben wir die längst überfällige Akzeptanz des Fremden und Außenstehenden jetzt über das Vehikel des harmlosen Spielzeugs? Die von Sontag zu Recht kritisierte Kriegsmetaphorik ist aufgelöst in einem freundschaftlichen Plüschtier-Subjekt-Verhältnis, konnotiert mit all der warmen Vertrautheit aus Kindertagen. Das Systembedrohende wird einverleibt, indem es in die Sprache der Ware und der Kindheit gedrängt wird. Ein Vergleich mit einem künstlerischen Objekt des japanischen Künstlers Takashi Murakami zeigt, wie sehr sich Kunst und Populärkonsum visuell angenähert haben. Die der Welt der Mangas entlehnte Plüsch-Figur des Black Dokuro (2008) oszilliert ebenfalls an der Grenze von Gut und Böse und thematisiert die Durchlässigkeit dieser Kategorien. Da Murakami die konsumistischen Aspekte der japanischen Fankultur zum Bestandteil seines künstlerischen Konzepts gemacht hat, ist die Vermarktung der Objekte integraler Bestandteil seiner Arbeit. Als Ware bewegt

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Abbildung 1: HI-Virus in Plüsch von GIANTmicrobes®.

Abbildung 2: Takashi Murakami, Black Dokuro (2008), Kaikai Kiki Co., Ltd.

Abbildung 3: Greta, Handtasche von Louis Vuitton mit dem Monogram-Multicolore-Muster von Takashi Murakami.

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Abbildung 4: Louis-Vuitton-Tasche mit einem Entwurf von Richard Prince, 2008.

Abbildung 5: ZEVS, Liquidated LV-Wand, 2009.

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sich Black Dokuro zwar in einem höheren Preissegment als der HIVGIANTmicrobe, das multiple Kunstwerk bleibt jedoch erschwinglich und bedient dadurch das Prinzip der schnellen Distribution (Abb. 2). Die infantile Geste der Produktwelt, auf die Wolfgang Ullrich (2009: 284) hingewiesen hat, liefert einen adäquaten Beleg zu Benjamin Barbers These der Infantilisierung des Verbrauchers (Barber 2007).

1. H IGH UND L OW ALS D OPPELSTR ATEGIE Nun geht der Künstler Takashi Murakami in seiner Theorie von Superflat gar nicht von einer Irritation der Kunstwelt aus. Sein Ansatzpunkt ist die Annäherung von High und Low unter der Voraussetzung, dass die bunte Oberfläche japanischer popkultureller Welten als ernstzunehmendes Phänomen in die Kunstwelt überführt wird. Das Zweidimensionale der Oberfläche japanischer Malerei und Animationsfilme wird hier als alternative Antwort auf den Mythos des Tiefgangs vorgestellt (Murakami 2000: 9-25). Im Rahmen der programmatischen Annäherung von Hochkultur und Populärkultur arbeitet Murakami schon seit einigen Jahren mit Unternehmen wie Louis Vuitton zusammen. In dieser beinahe symbiotischen Beziehung hat Murakami das Logo auf Louis-Vuitton-Taschen durch seine persönlichen Farb- und Forminterventionen poppig ergänzt und den Prozess der Exklusivität der Ware künstlerisch vorangetrieben. Auch hinsichtlich der Vermarktung der Kunstwerke übernimmt Murakami in Zusammenarbeit mit den jeweils beteiligten Kunstinstitutionen die Spielregeln des Marktes. 2008 war in die MurakamiAusstellung des Museums of Contemporary Art in Los Angeles ein Louis-Vuitton-Shop integriert worden. Das Museum war nach eigenen Angaben nicht an diesen Gewinnen beteiligt und fungierte insofern als Gastgeber eines autonom agierenden Luxusunternehmens. «At first for an American museum, the company owned and run shop will offer limited-edition handbags and small leather goods featuring Murakami designs including the ones shown below at prices ranging from $ 875 to

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$920. The rub? The nonprofit museum receives absolutely no cut of the bag sales or space rental fee from LV, who will run the booth as an autonomous company mini-store. [...] MOCA Chief Curator Paul Schimmel [...] it seems, the act of viewers buying Murakami’s bags in the midst of a formal museum exhibition helps ‹break down the boundaries between low and high art›». (Supertouchblog 2007)

Das Superflat-Prinzip des Künstlers wurde konsequent auf der Museumsebene zu Ende gedacht, und das Museum wählte bewusst die Rolle des Kollaborateurs von Louis Vuitton. Die Koketterie mit der seit der Pop Art eingeforderten Infragestellung der Kategorien von High und Low zielt nicht in erster Linie auf eine ideelle Akzeptanz der Alltagskultur, sondern sie hat die wertkonservative, kulturelle Veredelung der Ware zum Ziel. Kunst soll einen finanziellen Mehrwert schaffen, an dem das Museum offiziell noch nicht einmal partizipiert. Während sich die Kunstinstitution ideell orientiert gibt, darf das Unternehmen Louis Vuitton als künstlerisch aufgewertete Luxusmarke agieren, die auch finanziell von der Museums-Kooperation profitiert. Eine kritische Antwort auf diese konsumfreudige Liaison hatte es vonseiten der Street Art gegeben. Der französische Street Artist ZEVS entwarf 2009 anlässlich seiner Liquidated-Logos-Ausstellung in der Hongkonger Art Statements Gallery eine Liquidated LV-Wand, die er in Zusammenarbeit mit chinesischen Künstlern als traditionelle Lackarbeit entwickelte (Carmichael 2009). Der Angriff auf das prominente Markenlogo schließt die von Louis Vuitton erlaubte Subversion der Marke durch Murakami bewusst ein. Die Re-Appropriation des von Murakami für Louis Vuitton entwickelten Monogram-Multicolore-Musters hackt den von der Taschen-Nobelmarke erfolgreich «eingebetteten» Hacker Murakami. Die heitere Farbigkeit, die Murakami den Bilderwelten der japanischen Subkultur entnimmt, bricht zunächst den edel zurückhaltenden Ernst von Louis Vuitton auf. Gleichzeitig steigert diese vom Unternehmen zugelassene subversive Störung den Marktwert der entsprechenden Tasche und erhebt den künstlerischen Eingriff zum Distinktionsmerkmal von «Luxus».

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Mit dem zerfließenden Louis-Vuitton-Logo demonstriert ZEVS die Kurzatmigkeit der konsumorientierten Intervention seines Künstlerkollegen (Abb. 3 und 4). Bleibt man innerhalb der magnetischen Anziehungskraft der Luxusmarke Louis Vuitton, so lässt sich dort auch der amerikanische Künstler Richard Prince ausfindig machen. Richard Prince hatte in den 1980er Jahren durch die Aneignung vorhandener Werbebilder und -ikonen die im Bild latent enthaltenen Botschaften hervorgehoben. Die Wildwest- und Männermythen der Marlboro-Werbung wurden ebenso zum Gegenstand seiner Kritik wie andere Versprechungen der Warenwelt. Durch das Medium der Aneignung und der scheinbaren Wiederholung vorhandener Bildwelten vollzogen sich Kontextenteignungen und minimale Blickverschiebungen, welche die selbstbewussten Werbebotschaften in ein unterschwellig kritisches Umfeld versetzten. Auch wenn es naiv wäre, die Kontinuität einer künstlerischen Aussage über einen Zeitraum von über 30 Jahren einzufordern, so stimmt der völlige Verzicht auf Doppelbödigkeit doch nachdenklich, den Richard Prince 2008 mit den Handtaschen der Damen-Sommerkollektion von Louis Vuitton vornimmt. So zeigt eine der Taschen auf ihrer Vorderseite den Aufdruck des Bilderwitzes Can’t Read, Can’t Write, Can’t Swim, den der Künstler 1989 einer Zeitschrift entlehnte und vergrößert hatte, um den Witz in seiner Schalheit bloßzustellen (Abb. 5). Die kritische Appropriation aus früheren Jahren wird vom Künstler selbst ein zweites Mal angeeignet, diesmal jedoch direkt unter dem Zeichen der Ware, die nicht mehr den Umweg über das Kunstwerk nimmt. Die Prince-Tasche Mancrazy Jokes Bag LTD ED kostete seinerzeit 2.710 $. Dieses Zusammengehen von Irritationskunst und Kommerz wurde wohl auf beiden Seiten der Zusammenarbeit als kommentarbedürftig empfunden. Im Kommentar des bizjournals wurde zur Verteidigung der fremdartigen Taschen auf die Wertsteigerung der Marke verwiesen, von der das Haus Louis Vuitton profitieren würde. Der Mehrwert drückt sich hier zunächst in der immateriellen Form der Auratisierung der Marke aus, hinter der jedoch die Hoffnung

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steht, dass eine ideell gestärkte Marke in näherer Zukunft auch materiell gute Umsätze machen wird. «Remember that the most valuable thing that any luxury-goods house owns is its brand. [...] it‘s a way of building a valuable brand, which can then be slapped onto the real money-makers: perfumes and handbags and sunglasses and the like. [...] Rather, they‘ll give an edgy glamour to the Vuitton brand which it does rather need.» (Salmon 2007)

Richard Prince kommentierte diese Umarmung von Kunst und Marke eher mit einer interdisziplinären Argumentation: «I think there‘s a huge collapse between fashion, art and music right now, [...] The snobbery factor I don‘t think really exists anymore. It‘s because artists are much more collaborative.» (Nayeri 2008) Bemerkenswert ist, dass im schmeichelnden Kontakt mit der Luxusmarke der Snobismus-Faktor zum überholten Modell erklärt wird. Darüber hinaus erzielte diese Kooperation für beide Seiten einen finanziell messbaren Mehrwert, da sich Kunst und Mode wechselseitig stärkten. Die Prince-Taschen wurden auf dem Laufsteg von Models präsentiert, die als Krankenschwestern verkleidet waren, wobei sich dieses Thema direkt auf die Werkserie Nurses von Prince bezog. Diese Disziplin überschreitende Attitüde bescherte auch dem Künstler einen finanziellen Gewinn: Das Gemälde einer Übersee-Krankenschwester wurde eine Woche nach der von Louis Vuitton gesponserten Ausstellungseröffnung in der Serpentine Gallery in London für 8,4 Millionen Dollar verkauft.

2. K UNST UND K ONSUM Das Zusammengehen von Kunst, Konsum und Shopping ist keineswegs neu und kann auf eine über mehrere Jahrzehnte andauernde Geschichte zurückblicken. Die Oppositionsschemata von Kunst und Konsum wurden spätestens mit den Themen der Pop Art in ihrer Simplizität entlarvt. Andy Warhol entriss in den Vereinigten Staaten

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die massenproduzierte Campbell-Suppendose ihrem gewöhnlichen Alltag und auratisierte sie zum Kunstwerk. Der Ent-Hierarchisierung von High und Low entsprach auf Seiten der Kunst Warhols Mona Lisa, deren singuläres Lächeln über den Siebdruck vervielfältigt wurde. In Deutschland wurde fast zur gleichen Zeit mit der Aktion Leben mit Pop von Konrad Lueg und Gerhard Richter das Kaufhaus Bergeshaus in Düsseldorf als neuer Wahrnehmungsort für Kunst aktiviert. In den 1980er und 1990er Jahren waren es Arbeiten von Jeff Koons oder Sylvie Fleury, welche die Grenzen zwischen Kunst- und Konsumobjekten mit einer tückischen Lust an der Ware durchlässig machten. Das Thema «Shopping» erfuhr zudem mit dem neuen Jahrtausend eine Renaissance. In einer theoretischen und faktischen Bestandsaufnahme der Harvard Design School erklärte Rem Koolhaas «Shopping» zum Zentrum einer Problematisierung der urbanen Situation: «Shopping is arguably the last remaining form of public activity.» (Chung/Inaba/Koolhaas/Leong 2001: 1. Innenseite) Zeitlich parallel erfolgte die Musealisierung der Kaufleidenschaft. Im Lichte des Shoppings wurden auch die systemkritischen Arbeiten von Barbara Kruger in einer Shopping-Ausstellung in der Frankfurter Schirn (2002) neu kontextualisiert. Krugers kraftvoll ironisches Statement «I shop therefore I am» aus dem Jahr 1987 machte 15 Jahre später einer sanften Kooperation mit der Frankfurter Galeria Kaufhof Platz. Die Fassadeninstallation des Kaufhauses zeigte auf 2200 qm Fläche ein Augenpaar, das Einkaufsbummler mit dem Schriftzug «DAS BIST DU, DAS IST NEU, DAS IST NICHTS, DAS IST ALLES. DU WILLST ES, DU KAUFST ES, DU VERGISST ES» konfrontierte. Im Geschäft konnte man auf Anfrage Einkaufstüten mit dem Logo der Ausstellung erhalten. Barbara Krugers Kollegin Jenny Holzer ließ sich 1999 im Rahmen der seit 1975 etablierten Kunst-Kooperation Art Car auf eine Zusammenarbeit mit BMW ein und folgte damit Künstlern wie Andy Warhol, Robert Rauschenberg oder A.R. Penck.3 Da Holzer ihre Truisms bewusst im öffentlichen Raum, am Times Square, auf UBahnzügen, in Fußballstadien oder auf T-Shirts verteilte, schien sich ein Rennwagen von BMW als weiteres Medium der Distribution von

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Botschaften anzubieten – man könnte gar von einer «win/win»-Situation sprechen. Jenny Holzer nutzte die öffentliche Wirkung des prominenten Autokonzerns BMW als Medium für ihre kommunikativ ausgelegte Kunst (Abb. 6). Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob nicht die gesellschaftskritischen Inhalte der «Binsenweisheiten» auf der Motorhaube eines Sportwagens völlig neutralisiert werden? BMW lässt den Künstlern zwar freie Hand, aber die Aufwertung der Marke durch eine künstlerische Gestaltung von Prototypen, die nicht auf den ersten Blick den Gesetzen der Marktwirtschaft unterliegen, ist offensichtlich. Der hier erzeugte Mehrwert schlägt sich über die Öffnung der Marke für künstlerische Experimentierfreudigkeit schnell in Umsatzzahlen nieder. Die Arbeit am Image wird geschickt bis in die aktuellen Bereiche von ökologischer Verantwortung und Nachhaltigkeit geführt. Eine ökologische Dimension eröffnete BMW einige Jahre später in Zusammenarbeit mit dem Künstler Olafur Eliasson anlässlich des 16. BMW Art Cars unter dem Titel Your mobile expectations: BMW H2R Project, das in den Jahren 2005 und 2007 auf Eliasson-Ausstellungen in San Francisco sowie in der Pinakothek der Moderne in München vorgestellt wurde. Bei dem Künstler-Auto handelt es sich um einen dekonstruierten, wasserstoffbetriebenen Rennwagen, dessen Außenhaut entfernt und durch ein Stahlgerüst mit mehrfach vereisten Metallschichten ersetzt wurde. Die Versöhnung von Widersprüchen liegt bereits dem Konzept des Rennwagens zugrunde, dessen Wasserstoffantrieb «zur Erzielung von Geschwindigkeitsrekorden bei gleichzeitigem Streben nach einer zukunftsweisenden Umweltverträglichkeit entwickelt wurde.» (Pinakothek der Moderne 2008) Die Kritik, die der Wasserstoffantrieb wegen möglicher Beeinträchtigungen der Umwelt erfahren hat, wird hier ausgeblendet zugunsten einer naiven Komplementarität, die das Streben nach Geschwindigkeit mit der Rücksichtnahme auf die Natur in Einklang bringt. Ein beruhigendes Denken über Nachhaltigkeit wird evoziert, bei der die Terminologie des Widerspenstigen für eine raffinierte und produktfreundliche Dialektik bemüht wird.

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Abbildung 6: BMW Art Car von Jenny Holzer, 1999.

Abbildung 7: Erwin Wurm, Untitled, Palmers series, 1997.

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«Auf diese Weise verwandelt Eliasson ein Objekt avancierter Fahrzeugtechnologie und Industriedesigns in ein Kunstwerk, das auf ebenso ausgeklügelte wie poetische Weise Themen wie Mobilität, Temporalität und erneuerbare Energien sowie das Verhältnis zwischen Autoproduktion und globaler Erwärmung reflektiert.» (Pinakothek der Moderne 2008)

Die Äußerungen des Künstlers zum Projekt antworten darauf in ähnlichen begrifflichen Pirouetten: «‹Unsere Fortbewegung impliziert Reibung: nicht nur Luftwiderstand, sondern auch gesellschaftliche, physische und politische Reibungen›, erläutert der Künstler. ‹Das Interessante an der Erforschung von Bewegung und umweltverträglicher Energie ist für mich die Tatsache, dass durch sie unser Verantwortungsgefühl hinsichtlich der Art und Weise verstärkt wird, wie wir uns als Individuen in einer von Pluralität und Polyphonie bestimmten Welt fortbewegen.›» (Pinakothek der Moderne 2008)

Politische «Reibung» wird hier auf einen freundlichen Kontakt reduziert, der erfrischt, aber niemandem wehtut. Die gesellschaftlich relevanten Qualitäten von «Pluralität» und «Polyphonie» werden so lange geschmeidig geredet, bis jegliches konträre Denken verstummt. In der Pressemitteilung der Pinakothek der Moderne wird diese kunst-industrielle Versöhnlichkeit gar als «Design-Provokation» benannt, welche «die tief greifenden Auswirkungen von Kunst und Design in ihren zeitgenössischen gesellschaftlichen Zusammenhängen zur Diskussion» stellt (ebd. 2008). Das Provokative ist nun selbst zum Bestandteil des ideellen Mehrwerts der Marke geworden – und in Zeiten einer knapp kalkulierenden öffentlichen Hand leisten auch Kunstinstitutionen ihren Beitrag zu dieser erweiterten Form der Wertarbeit.

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3. K ÜNSTLER UND KRITISCHER K ONSUMENT Dass sich Künstler innerhalb der Konsumgesellschaft in komplexen Zusammenhängen jenseits einer schwarz-weiß gezeichneten Konsumkritik bewegen, wird immer deutlicher diskutiert. So sieht Boris Groys in einem zunehmend emanzipatorischen Konsumverhalten der Künstler eine zeitgemäße Kritik an der Verführungskraft des Konsums: «Der Künstler von heute erweist sich also nicht nur als ein einfacher Konsument, sondern als ein Konsument des Konsums – und somit auch als Autor neuer Arten des kritischen Konsumverhaltens». (Groys 2003: 58) Der Künstler konsumiere bewusst, weil er die Geschichtlichkeit des Konsums und die Wechsel seiner Moden reflektiere. Laut Groys liegt die aufklärerische künstlerische Arbeit im Sammeln und Archivieren des Konsums. Durch Verwendung eines kunstwissenschaftlichen Instrumentariums würden die Waren als «Objekte des Begehrens» transparent und in ihrer Zeitgebundenheit offen gelegt (ebd.). Als ein kreativer Konsument des Konsums erwies sich 1997 Erwin Wurm in einer geplanten Plakatkampagne für die österreichische Unterwäschefirma Palmers. Wurm ging es vor allem darum, sexualisierte Blickweisen auf den leicht bekleideten weiblichen Körper zu konterkarieren. Die Unterwäsche geriet zum Bestandteil eines skurrilen Körper-Bondages, dem sich die Models nur widerwillig unterzogen (Loudon 2010: 24). Bodys wurden konträr zu ihrer Funktion über den Kopf gezogen, während die Beine durch Ärmelausschnitte gesteckt wurden. Die Inszenierung exzentrisch gekleideter, umwickelter Leiber machte den konfektionierten Gebrauch von Kleidung lächerlich, eröffnete aber befreiende Blicke auf den Dialog von Mode und menschlichem Körper (Abb. 7). Die irritierende Plakatkampagne blieb jedoch auf Wunsch der verantwortlichen Werbeagentur im Stadium des Experiments und wurde nicht realisiert. Wurm hat das sehr bedauert, da er die Medien als einen adäquaten öffentlichen Raum für künstlerische Mitteilungen schätzt (Loudon 2010: 24). Hinsichtlich einer produktiven Zusammenarbeit mit der Werbung, die Erwin Wurm vor allem als «soziales Anliegen» ver-

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steht, bedauert der Künstler, dass seine künstlerische Arbeit im Werbezusammenhang oft oberflächlich betrachtet und dadurch auch beschädigt würde: « [...] dann wird es eben zum Scherzchen, es verliert seine Widerstandskraft und auch das Unangenehme – im Sinne von Lächerlichkeit entlarvend.» (Loudon 2010: 23) Mit mehr Mut zum Risiko hätte sich Palmers von der klassischen Wäschewerbung seiner Konkurrenz abheben und die eigene Marke stärken können. Auch aktuelle Annäherungen an den Body bleiben in den Konventionen körperlicher Inszenierung stecken. Anstatt auf der Höhe der Zeit die subjektive Aneignung von Konsumgütern durch die Konsumenten im Sinne von Michel de Certeaus Kunst des Handelns (1988) als emanzipatorischen Gebrauch zu begreifen, geben historisch orientierte Darstellungen zur Geschichte der Unterwäsche ihren Leserinnen sehr detaillierte Hilfestellungen an die Hand, welche die Denkfigur des Korsetts weiter pflegen: «Das Anziehen des Bodys ist wahrlich keine Kunst. Instinktiv zieht man den Body richtig an. Der Body sollte von unten her angezogen werden. Anschließend wird die obere Hälfte des Bodys angezogen. Im Bereich des Bügel-BH sollte der Body nach unten geklappt werden. Erst wenn der Body bis zum Brustbereich angezogen wurde, wird der BH-Teil wieder hochgeklappt. Beugen Sie sich beim Hochklappen eventuell etwas vor. Denn dadurch passen sich die Brüste den BH-Schalen besser an. Wenn Sie Ihren Body bis dahin problemlos anziehen konnten, müssen Sie nur noch die Träger über die Schultern streifen. Denn es ist geschafft, der Body ist nun fertig angezogen. Wenn es an einigen Stellen noch zwickt oder Falten etc. entstehen, dann streifen Sie die Stellen aus, ohne dass Sie den Body noch mal ausziehen müssen. Achten Sie im Schulterbereich, dass die Träger nicht zu weit eingestellt sind, sonst hängen Ihre Brüste zu weit über dem Bauchbereich.» 4 (Dessous-history.de 2010)

Auch der amerikanische Künstler Tom Sachs begann seinen Einstieg in die Kunstwelt mit einer Irritation weihnachtlicher Konsumwelten. Als Möbeldesigner und ehemaliger Schaufenstergestalter des New Yorker Warenhauses Barney’s war Sachs schon früh mit den Regeln

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der Inszenierung von Ware vertraut. Seine Regelverletzungen wie die berühmte Weihnachtskrippe mit Bart Simpson als einer der Heiligen Drei Könige sowie einer Hello-Kitty-Figur als Jesuskind empörten zwar rechtsgerichtete Christen und Sachs’ Arbeitgeber, aber die Kunstwelt und der mit ihr assoziierte Kunstmarkt nahmen den Rebell sogleich auf. Die Überbietung der Logik des Marktes führte Tom Sachs in den ausgehenden 1990er Jahren mit seinen Bricolage-Arbeiten vor, welche die Logos weltbekannter Marken wie Chanel oder Prada in die raue Schönheit des Handgemachten überführten. Die kritische Arbeit am Konsum wurde kurzfristig zum Markenzeichen des Künstlers und stärkte seine Position im Kunstbetrieb (Abb. 8). Tom Sachs’ berühmte Prada-Hutschachtel Prada Deathcamp, aus der er 1998 ein KZ en miniature fertigte oder die in ihren Maßen naturgetreu umgesetzte Chanel-Guillotine (1998) sorgten zwar für einen Aufschrei der Kulturbeflissenen, doch die Übereinanderblendung des Trivialen mit dem Horror des Dritten Reiches wurde als wirksam und direkt empfunden. Wohltuend unbeeindruckt von den Erfordernissen einer Political Correctness hatte das Jüdische Museum in New York den Mut, die Prada-Arbeit in der Ausstellung Mirroring Evil: Nazi Imagery / Recent Art zu zeigen.5 Trotz des FaschismusVergleichs reagierte die Modewelt mit integrativer Gelassenheit. Die Arbeit wurde bei den ins Visier genommenen Modemarken überaus positiv aufgenommen, und mögliche konsumkritische Untertöne perlten an dieser Umarmungsfigur ab. Das Potenzial eines durch den Künstler inszenierten Adbustings wurde der Marketingstrategie einer coolen Toleranz einverleibt. Kunst und Modewelt stützten sich darüber hinaus durch ein angeblich zufälliges Zeitmanagement gegenseitig. Sachs’ Ausstellung Creativity ist the Enemy in der Pariser Galerie Thaddeus Ropac erschien 1999 zeitgleich zu den Haute-Couture-Schauen in Paris (Koerner von Gustorf, 2003). Die Fondazione Prada hatte Sachs bei einer anderen Gelegenheit ein unbegrenztes Kontingent an Schuhkartons angeboten und im Jahr 2006 hatte das Mailänder Modehaus eine große Tom-Sachs-Ausstellung in seinen eigenen Hallen ermöglicht, wobei die kontroversen Werke der früheren Phase allerdings fehlten.

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Abbildung 8: Tom Sachs, Chanel Guillotine (Breakfast Nook), 1992.

Abbildung 9: Benetton-Plakat AIDS (David Kirby), 1992. Fotograf: Therese Frare, Konzept: Oliviero Toscani, © Benetton Group S.p.A.

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Prada selbst sieht sich nicht nur in der Rolle des Sponsors. Die Philosophie des Prada-Konzerns ist zu vielschichtig, um die Verharmlosung künstlerischer Arbeit ins Modische zu betreiben, wie eine Äußerung von Miuccia Prada zeigt: «Ich will nicht, wie viele andere, zur immer leichteren Konsumierbarkeit von Kunst beitragen. Vielleicht ist Kunst inzwischen nicht mehr das Terrain von Rebellion und Radikalität wie früher.» (Karcher 2007) Einer vordergründigen Überblendung von Mode und Kunst steht man bei Prada eher skeptisch gegenüber. Die Indienstnahme der Kunst erfolgt auf der zunächst immateriellen Basis eines Ideengebers. Darüber hinaus scheut sich der Konzern nicht, auch die eigene Marke jenseits einer rein kommerziellen Verwertung als virales Vehikel einzusetzen, um Ideen zu verbreiten und die Kulturdebatten zu beleben. «Ich verwende die Power der Marke als Vehikel, der Gesellschaft Ideen einzupflanzen, die Diskussionen auslösen, Probleme ansprechen und sie möglicherweise zum Besseren verändern.» (Karcher 2007) Nicht nur Künstler nehmen kritische Metaebenen zu ihrem Werk ein. Die Modebranche ist intelligent genug, dieses Privileg der kritischen Distanz selbst einzusetzen. Gleichzeitig gewinnt Prada durch diese Freigabe der Marke als gesellschaftskritisches Medium ein weiteres Distinktionsmerkmal in einer Branche, die sich vor allem über die weichen kulturellen Faktoren ihrer Markenidentität behauptet.

4. D ER M EHRWERT DES R EBELLISCHEN Eine gezielte Verlagerung des Widerständigen aus dem Feld der Kunst in die Sphäre der Werbung zeichnete bereits zu Beginn der 1990er Jahre die Werbestrategie des Bekleidungsherstellers Benetton aus. Unter der kreativen Leitung von Oliviero Toscani initiierte Benetton mehrere die Öffentlichkeit verstörende Werbekampagnen. Das blutig zerfetzte T-Shirt eines getöteten bosnischen Soldaten (1994) oder das Plakat mit dem vom Tode gezeichneten Aids-Kranken (1992) provozierten eine heftige Diskussion über die gesellschaftliche und kritische Reichweite von Werbung. Ein Teil der Öffent-

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lichkeit empfand es damals als schamlos, den Tod als Basis einer Werbung für jugendliche Kleidung einzusetzen. Bis auf das Logo wies allerdings nichts auf den Plakaten auf die Firma Benetton hin. Stattdessen dominierte die Visualisierung von Themen, die sich eher am Rand einer gefälligen Kommunikation aufhalten. Die von Toscani ausgewählten Bildinhalte standen geradezu in Widerspruch zur heiteren Produktsprache von Pullis und bunten Baumwollhosen. Gerade dieser offensichtliche Gegensatz verlieh Benetton eine pseudononchalante Haltung gegenüber der Bewerbung der eigenen Produkte und versah das Unternehmen mit der Aura eines unerwarteten gesellschaftlichen Engagements. «Benettons Kampagnen haben es geschafft, die Mauer der Gleichgültigkeit einzureißen, und dazu beigetragen, die Wahrnehmung universeller Probleme unter den Bürgern der Welt zu erhöhen», erklärte das Unternehmen seinen Auftritt im Jahre 2003 (Littmann 2003). Luciano Benetton betonte, dass ihre Werbung «nie darauf [zielte], mit Hilfe von Provokationen mehr Produkte zu verkaufen. Sie wollte Kommunikation neu definieren.» (Benetton 2005: 106) Gleichzeitig ist sich das Unternehmen bewusst, dass seine Kampagnen einen ideellen Mehrwert über die Profilierung der Marke erzeugen. Die Hervorhebung der zeitgemäßen Allianz von Dialogfähigkeit und Mehrwert kann man auch der aktuellen Website des Unternehmens unter dem Stichwort «Communication/Advertising» entnehmen: «In the early 1990s, corporate campaigns were developed that represented a new approach to communication: no products, just civil, social and political themes, which every wise advertising executive of the time would have been careful to avoid. This is because here too, Benetton strives to cover new ground, look ahead, experiment and anticipate the times. By choosing social themes, actively promoting freedom of speech and giving visibility to humanitarian causes, which otherwise would not have been communicated on a global scale, Benetton has given meaning and value to its own brand, building a lasting dialogue with customers – with people – across the world.» (Benetton Group 2011)

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1992 verzeichnete Benetton vor dem Hintergrund seiner provokanten Kampagnen einen Umsatz von 1,6 Mrd. Dollar und hielt in jenem Jahr den dritten Rang unter den bekanntesten Marken der Welt. Auch Oliviero Toscani sieht sich in erster Linie als jemanden, der die Werbung als Vehikel für die Verbreitung gesellschaftlich relevanter Botschaften betreibt: «Ich bin kein Werber, das ist mir wichtig. Ich bin Fotograf und mache Bilder über meine Zeit. Ich habe zwar für die Werbung gearbeitet, aber alles, was ich gemacht habe, war doch gerade das Gegenteil von Werbung. Ich nutze den Kanal der Werbung, um auf die Probleme der Welt aufmerksam zu machen.» (Grabitz 2009)

Diese Werbung verweigert sich zunächst dem Produkt. Sie stellt sich in den Dienst einer kritischen Politik der Aufmerksamkeit und zeigt, «dass die Werbung, die bedeutendste Ausdrucksform unserer Kultur, auch etwas anderes vermitteln kann als diese Schmierenkomödien vom Glück» (Toscani 1996: 188). Die zunehmende Bedeutung des Faktors Aufmerksamkeit breitet sich in verschiedene Richtungen aus. Filmkünstler wie Peter Greenaway sprachen Benetton zum Teil eine größere Bildrelevanz als der Kunst zu (Greenaway 2000: 158). Auch vonseiten des abgebildeten Personals der Benetton-Werbung schätzte man den Zuwachs an öffentlicher Aufmerksamkeit. Die vermeintlich werbestrategisch Ausgebeuteten sahen sich plötzlich in der Rolle des strategischen Nutznießers. So hatte der Vater des erschossenen bosnischen Soldaten seinerzeit Toscani gebeten, sich für seinen verstorbenen Sohn einzusetzen. Der Vater des Aids-Kranken David Kirby spricht deutlich aus, dass er sich der Werbung bedient habe, um ein Bewusstsein für diese Krankheit zu schaffen (Abb. 9): «Zu seinen Lebzeiten hat mein Sohn darum gekämpft, dass die ganze Welt über Aids und Mittel zur Vorsorge aufgeklärt wird. Dank dieses erschreckenden Fotos und der internationalen Plakat-Kampagne spricht er mit lauter Stimme. Wir haben uns der Macht und der Popularität Benettons bedient,

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damit die Öffentlichkeit aller Länder diese fürchterliche und unbekannte Krankheit [...] endlich zur Kenntnis nimmt und darüber spricht.» (Toscani 1996: 64/65)

Strategische Verhältnisse zum anderen werden von allen Seiten eingenommen, eine Trennung in Verführer und Manipulierte erweist sich als zu simpel. Dennoch scheint die Klammer dieser Annäherung eher in der finanziellen Wertschöpfung statt im ideellen Feld der Kommunikation zu liegen. Toscanis jüngere Haltung zum Verhältnis von Kunst und Politik legt eine radikal marktorientierte Sicht an den Tag. In einem Interview zur Ausstellung Radical Advertising stellte Toscani die Behauptung auf: «Die erste Regel für einen Künstler, der frei sein will, lautet: ‹Machen Sie Ihren Kunden reich› [...] Macht braucht Kommunikation. Ohne Kommunikation kann sich Macht nicht halten. Und Kunst ist die höchste Form der Kommunikation, aber immer braucht sie die Macht. Und die Macht ist der Markt. [...] Kunst bedarf der Verunreinigung durch die Macht, und ohne Macht können Sie keine Kunst produzieren.» (Toscani 2008: 130)

Selbst das konnotative Umfeld der Subversion, das im Begriff der «Verunreinigung» mitschwingt, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass laut Toscani die Kunst trotz ihres latenten Einflusses auf bestehende Machtgefüge nur dann existieren und wirksam sein kann, wenn sie sich auf diese Macht einlässt. Für den Werbefotografen scheint Subversion nur in der Kooperation möglich zu sein. Eine Positionierung der Kunst außerhalb der Marktgesetze bleibt undenkbar, und Kritik wird nur über das Medium des finanziellen Erfolgs möglich. Kritische Reaktionen auf die marktradikalen Äußerungen eines Toscani wurden selbst innerhalb des Systems der Werbung deutlich formuliert. Kalle Lasn, der 1989 die Adbusters Media Foundation gründete und Herausgeber des Magazins Adbusters ist, äußerte skeptisch, dass eine Gesellschaft selbst die notwendige Energie aufbringen müsse, um die großen Fragen der Zeit zu stellen: »Warum

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zur Hölle brauchen wir Benetton, um uns zu zeigen, daß wir ein Rassismus-Problem haben?» (Lasn 2008: 255). Lasn setzt seine Kritik an Toscani konsequent in der Sprache der Werbung fort, indem er ein De-Branding von Benetton vornimmt und offen legt, dass hinter dem gesellschaftlichen Engagement von Benetton letztlich doch Profit und Umsatzzahlen stehen (Abb. 10). Kalle Lasn sieht sich ebenso wie Toscani als Verfechter einer sozial engagierten Werbung: «Werbung war für mich schon immer eines der radikalsten, eines der einflussreichsten Werkzeuge des Social-Marketings, das je erfunden wurde.» (Lasn 2008: 250) Dass Lasn einen aktiven Mitstreiter seines Metiers einer subversiven Werbestrategie unterzieht, zeigt deutlich, wie sehr die Werbebranche durch einen Kreislauf wechselseitiger widerständiger Überbietungen geprägt ist. Das zu kritisierende System der Werbung bringt seine eigenen Kritiker hervor, die für sich subkulturelle Gegenstrategien in Anspruch nehmen. Die subversive Intention seines «Advertisings» formuliert Lasn als «Subvertising»: «Wenn man Produkte verkauft, nennt man es Werbung, also Advertising. Wenn man aber Ideen verkaufen will, muß man versuchen, das System zu unterminieren. Man versucht, etwas zu sagen, was gewissermaßen tabu ist. Daher ist Subvertising ein gutes Wort für die Dinge, die wir machen. Subvertising klingt für mich besser als ‹Radikale Werbung›. [...] Das ist für mich Subvertising, mit Gewalt in die Kultur eindringen. Ich benutze dafür auch gerne den Begriff Culture-Jamming. Culture-Jamming ist die Kunst, eine neue Art von ‹cool› zu schaffen.» (Lasn 2008: 251)

Der Werber Kalle Lasn beruft sich in seiner Argumentation ausgiebig auf konsum- und werbekritische Vorläufer. So hat der Begriff Culture-Jamming seinen Ursprung in der kritischen Subkultur der 1980er Jahre. Er wurde 1984 von der kalifornischen Audio-CollageBand Negativland eingeführt, die öffentliche Reklametafeln hackte. Theoretisch wurde der Begriff 1993 von Mark Dery als subversive Strategie zur Umcodierung der Massenmedien näher definiert. Mit seiner Forderung nach «Coolness» erweist sich der Adbuster Lasn als ein Kenner der Schrift the conquest of cool (1997) von Thomas Frank.

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Abbildung 10: Adbusters-Kampagne gegen Benetton.

Abbildung 11: ZEVS mit dem Chanel Liquidated Logo auf der Titelseite der Ausstellungsbroschüre Radical Advertising, 2008.

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Frank macht in seiner profunden Analyse der US-amerikanischen Gegenkulturen seit den 1960er Jahren deutlich, dass «coole» oder rebellische Lebenseinstellungen über keine politische Reichweite mehr verfügen und sich gegenwärtig auf den Akt des Konsumierens beschränken. «But hip consumerism resolves the ‹contradiction›, at least symbolically. However we may rankle under the bureaucratized monotony of our productive lives, in our consuming lives we are no longer merely affluent, we are rebels [Herv. i. O.].» (Frank 1997: 232)

Somit ist «Hipness» zum offiziellen Stil des Kapitalismus geworden und der gegenkulturelle Gestus geht nahtlos in Konsumkultur über (Frank 1997: 225). Selbst Kalle Lasns subversive Adbusting-Haltung wurde von Kulturkritikern als werbesystemimmanente Ikone des Rebellischen entlarvt. So bringen Joseph Heath und Andrew Potter gleich zu Beginn ihres Buchs The Rebel Sell. How the Counterculture Became Consumer Culture den Ausverkauf des Rebellischen zur Sprache (Heath/Potter 2006: 1). Nachdem das Magazin Adbusters als Antwort of Nike einen eigenen «subversiven» Laufschuh, den Black Spot Sneaker, auf den Markt gebracht hatte, fällt für Heath und Potter die Unterscheidung in Mainstream-Kultur und alternativer Kultur in sich zusammen: «After that day, it became obvious to everyone that cultural rebellion, of the type epitomised by Adbusters magazine, is not a threat to the system – it is [Herv. i. O.] the system». Die intensive Auseinandersetzung um die Begriffshoheit des Rebellischen demonstriert die hohe Wertschätzung, die diese Haltung in fast allen kulturellen Bereichen genießt. Während die Vertreter einer kulturkritischen Ausrichtung das irritierend Widerständige kontinuierlich gegen intelligente Formen der Vereinnahmung verteidigen, werden die Produzenten einer konsumaffinen Aufmerksamkeit nicht müde, jede Erfolg versprechende subversive Regung in ihren Kreislauf der Wertschöpfung einzuschließen. So veröffentlichte der Unternehmensberater und Marketingexperte Jay C. Levinson zusammen mit Seth Godin bereits 1994 ein Guerrilla-Marketing-Handbook.

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Hier wird der rebellische Impuls gar nicht in möglicher Gegnerschaft zur Werbung verstanden, sondern selbst als kosteneffiziente Werbestrategie eingesetzt. Die Autoren bieten ihren Lesern gar eine Geld-zurück-Option an, falls sie nach Anwendung von mindestens fünf der empfohlenen Strategien nicht das 50fache des Buchpreises erzielen sollten (Levinson/Godin 1994: 3). Guerilla Marketing solle von seiner ursprünglichen Absicht her gerade bei kleinen Werbebudgets eine maximale virale Wirkung entfalten, was sich sprachlich im Phänomen des Viralen Marketings niedergeschlagen hat. Der Begriff des «Viralen» stellt eine weitere Größe des ehemals subversiven Vokabulars dar, dessen sich zeitgemäße Werbestrategien offensiv bedienen. Provokation und Guerilla-Taktiken sind ein integraler Bestandteil des Einspeisens des Rebellischen in ein marktorientiertes Denken, das die gesamte Ausdruckspalette von «intelligent» bis «harmlos» bedient. Markant sind Aktionen des Social Marketing wie die der Agentur Michael Conrad & Leo Burnett, die 2003 für Amnesty International Kanalgitter auf der Straße mit synthetischen Händen in Beschlag nahmen. Die Hände klammerten sich wie die eines Gefangenen an das Gitter und zeigten die Aufschriften «Wrong Colour/ Wrong Opinion/Wrong Faith». Hier konnte die Werbung noch den aufrüttelnden Kern der unbequemen Botschaft wahren und den öffentlichen, urbanen Raum zum Forum einer Debatte um Menschenrechte umfunktionalisieren. Zu welch entschärfenden Positionen eine werbestrategische Vereinnahmung des Rebellischen führen kann, zeigt sich an Veröffentlichungen wie Mindbombs (Hofmann 2008). Die hier formulierten Einsichten wie «Sammeln Sie Bilder und Eindrücke» (ebd. 136), «Schreiben Sie jede Idee auf» (ebd. 141), «Nutzen Sie Hilfsmittel» (ebd. 142) «Seien Sie mutig» (ebd. 142) zeigen die unfreiwillige Ironie einer Provokation, die sich über Handreichungen empfiehlt. Das geschmeidige Hinübergleiten einer gegenkulturellen Bewegung in Konsumkultur lässt sich auch an Beispielen der Street-ArtSzene aufzeigen. Der französische Street Artist ZEVS erlangte 2002 einen hohen Bekanntheitsgrad, als er eine Werbefigur aus einer 12

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mal 12 Meter großen Lavazza-Anzeige ausschnitt und kidnappte. Der Künstler wollte damit der visuellen Vereinnahmung des öffentlichen Raums durch die Werbung in Form einer Umkehrung der Rollen von Werbebotschaft und Betrachter entgegnen. Für die Rückgabe der Figur verlangte ZEVS ein Lösegeld von 500.000 Euro, was dem ungefähren Gegenwert einer Markenkampagne entsprechen sollte. Lavazza ging auf diese Forderungen nicht ein, und das Lösegeld wurde stattdessen 2005 in einer Berliner Galerie von einem als Lavazza-Agenten verkleideten Freund des Künstlers «übergeben». Diese Aufsehen erregende Arbeit an einer Marke blieb zwar im Modus einer Kunstaktion, sie entging jedoch nicht dem wachen Blick der Werbebranche. Interessant wurde hier vor allem die ZEVS-Serie Liquidated Logos, die sich als Fortsetzung der zerschossenen und zerstochenen Werbeplakate früherer Arbeiten versteht. Die Werber selbst erkannten schnell das kommunikative Potenzial von ZEVS’ aggressiver Markenkritik. Die sich in tropfende Farbe auflösenden Logos von McDonalds, Coca Cola oder Chanel gerieten zunehmend in eine ästhetische Wahrnehmung, welche die werbekritische Dimension ausblendete. Anlässlich der Radical-Advertising-Ausstellung in Düsseldorf 2008 verlor die Konsumskepsis vollends ihren Biss und geriet zum postabstraktexpressionistischen Dekor (Abb. 11). Die Verschränkungen zwischen Kunst, Konsum und Kritik sind enger und konformer geworden, und subversives Gedankengut lässt sich nicht zwangsläufig hinter jedem Zusammengehen ausmachen. In Zeiten kooperativer Umarmungen auf beiden Seiten äußert sich widerstandsfähiges Denken oft in der Nähe des «Gegners». Den emanzipierten Konsumentenhaltungen, die von Richard und Ruhl unter dem Begriff der «Konsumguerilla» vorgestellt worden sind, stehen nicht minder emanzipierte Produzentenhaltungen gegenüber, die sich in intelligenten Sponsorings, Kooperationen oder Guerilla-Marketing-Aktionen äußern (Richard/Ruhl 2008). Strategien wie ZEVS’ Visual Kidnapping werden beinahe zum Zeitpunkt ihrer Entstehung in die übergreifende Werbephilosophie des kritisierten Unternehmens eingebunden. Eine von jungen Künstlern ähnlich geartete Kidnapping-Aktion gegen Coca Cola in Berlin

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2006 veranlasste die Unternehmenssprecherin der Firma, von einem «charmanten Diebstahl» zu sprechen, und sie reagierte geradezu «streetwise», indem sie für die besten herausgeschnittenen Fotos ihrer Werbeanzeige den Gewinn eines iPods® in Aussicht stellte. «Bei Coca Cola findet man den ‹charmanten Diebstahl› gar nicht so schlimm. Unternehmens-Sprecherin Claudia Fasse freut sich sogar ‹dass Coke Zero bei den Studenten so beliebt ist, dass sie sogar gestohlen wird.› Darum entschied der Konzern, dass das kaputte Plakat hängen bleibt. Ein Austausch hätte immerhin 10.000 Euro gekostet. Das Poster sei doch trotz des Ausschnitts noch ‹ästhetisch schön›, meint Fasse.» (Fuchs 2006)

In Zeiten, in denen selbst die terroristische Attacke zum Gegenstand eines Viralen Marketings wird, bleibt das Verhältnis von Irritation, gesellschaftlicher Aufmerksamkeit und einem damit verbundenen Mehrwert diffus. Die angeblich gefälschte VW-Werbung von einem palästinensischen Selbstmordattentäter, dem es nicht gelingt, sich und seinen Polo vor einem Restaurant in die Luft zu sprengen, bescherte der deutschen Autofirma gegen ihren Willen und trotz aller Dementis eine der meist diskutierten Werbekampagnen des Jahres 2005 (Brook 2005). Der Terrorist stirbt, doch der Wagen lässt sich nicht sprengen und bleibt intakt, was zu der pfiffigen Schlussfolgerung führt: «Polo: small but tough.» Im Zusammenhang mit diesem Spot wurde kolportiert, dass aufgrund des relativ hohen Budgets von 40.000 £ vielleicht doch eine Auftragsarbeit vorlag. Andere Behauptungen gingen dahin, dass sich die Macher des Films damit für die Werbebranche empfehlen wollten und der Film nur versehentlich ins Internet gelangt sei. Während auf einer älteren Website der für den Spot verantwortlichen Designer Lee and Dan der parodierende Werbeclip aus rechtlichen Gründen nicht gezeigt werden durfte und die Seite deshalb schwarz blieb, ist diese Aktion von der aktuellen Website der Designer völlig verschwunden. Ästhetisch formulierter Widerstand hat, anders als es Peter Weiss in seiner Ästhetik des Widerstands 1975-1984 nahelegte, seine gesellschaftskritische Dimension eingebüßt. Ein visuell beeindruckender

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Auftritt bedient unfreiwillig eine Mentalität des Spektakels, die, wie Debord gezeigt hat, aufs Engste mit dem Phänomen des Konsums verknüpft ist (Debord 1996). Das konsumistische Verlangen integriert selbst den bösen Spott an populären Stars und transformiert Kritik über das Medium des Konsums in die ebenfalls konsumistische Figur des Kults. So wurden die 500 Fälschungen des DebutAlbums von Paris Hilton, die der bekannte Street Artist Banksy an 48 Läden in Großbritannien unbemerkt verteilte, zum begehrten Sammlerobjekt, für das mitunter 15.000 Euro gefordert wurden. Die Remixes und diffamierenden Bildkommentare des Künstlers an Paris Hilton steigerten unerwartet deren Marktwert (Klug 2006). Die Künstler sind sich der widersprüchlichen Rolle durchaus bewusst, in die sie das konsumistische Recycling ihres Protests drängt. So stellte Banksy mit Exit Through the Gift Shop (2010) die problematische Konsumierbarkeit einer ehemals urbanen Protestkultur in den Mittelpunkt seines Films. Es wäre zu einfach, die Querverbindungen zwischen Kunst, Konsum und Kommerz zu beklagen und sich nach authentischen Gegenhaltungen umzusehen. Statt der Formulierung einer Lösung oder der Aufforderung zu eindeutigem Widerstand bleibt der Verweis auf die Kompliziertheiten aktueller Konsumbeziehungen. Die zunächst letzte Drehung des attraktiv Widerständigen erfolgt im ernüchternden Wachzustand der Reflexion.

A NMERKUNGEN 1 | Vgl. GIANTmicrobes® http://www.giantmicrobes.com/ vom 20.4.2012. 2 | Siehe © MURAK AMI, The Museum of Contemporary Ar t, Los Angeles, 29.10.2007-11.02.2008, http://www.moca.org/murakami/ vom 26.02.2008. 3 | Näheres zu BMW Art Car siehe unter der Webadresse: http://www.bmwgroup.com/d/nav/index.html?../0_0_www_bmwgroup_com/home/home. html&source=overview.

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4 | Siehe: http://www.dessous-geschichte.de/body-anziehen.shtml. Den Verantwortlichen dieser Seite möchte ich an dieser Stelle herzlich für die Genehmigung des Abdrucks danken. 5 | Sachs sagte dazu in einem Interview: «Faschismus und Mode – bei beidem geht es um den Verlust von Individualität... Ich interessiere mich für die Hardware von Horror und Tod. [...] Die Konzentrationslager sind erstaunliche Beispiele für deutsche Technik und Design. Es gibt klare Verbindungen zwischen Massen-Konsumgütern und jenen Produkten, die zu militärischen Zwecken entwickelt wurden.» (Koerner von Gustorf 2003) 6 | Interessanterweise waren die Umsatzzahlen von Benetton ab Mitte der 1990er Jahre rückläufig, wobei die Gründe nicht unbedingt in der provokanten Werbestrategie, sondern vor allem in der Konkurrenz durch andere Bekleidungsketten wie H&M sowie in einer schlechten Verkaufsstruktur gesehen wurden. (Spiegel 1994/ Spiegel 1996) 7 | Siehe die aktuelle Website der Agentur Lee and Dan unter http://www. leeanddan.com/ am 10.04.2012.

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Die Massenkultur unterwandern Do it yourself als Konsum-Alternative von den 1970er Jahren bis ins digitale Zeitalter Thilo Schwer

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Der Trend, sich der Massenkultur und allen damit verbundenen Problemen zu verweigern, entstand in der Bundesrepublik Deutschland in den 1960er Jahren. Standardisierung von Bauteilen und Fixierung auf großindustrielle Fertigungstechniken mit einem stetigen Ausbau der Produktionskapazitäten führten zu Überdruss und Kritik und in der Folge zu einer ersten Krise des Konsumsystems. Zwar konnte zum ersten Mal seit Kriegszeiten von einer Bedarfsdeckung bei breiten Bevölkerungsschichten gesprochen werden. Doch blieb es nicht dabei: Überproduktion leitete den Wandel «von einer angebotsorientierten zu einer nachfrageorientierten Warenproduktion und -distribution» (Hickethier 2003: 14) ein. Die anonyme Massenästhetik der Großserienfertigung wurde nunmehr mit sozialen Problemen, Umweltverschmutzung und Ausbeutung in Verbindung gebracht. Diese Entwicklungen sind selbstverständlich nicht auf die Bundesrepublik beschränkt. Doch haben ihre Intensität und Geschwindigkeit hier eine besondere Qualität. Aus diesem Grund werden die 1970er und 1980er Jahre vor allem aus der deutschen Perspektive dargestellt. Neben der postmaterialistischen «Tunix-Bewegung» (Fach 2008: 105), die auf eine Totalverweigerung gegenüber dem System ausgerichtet war, keimten auch weniger radikale Trends auf. Die Do-ityourself-(DIY)-Bewegung stellte eine erste ernst zu nehmende Gegenkultur bereit. Obwohl man der Bewegung durchaus vorwerfen kann, ihr Blick auf vorindustrielle Produktionsweisen sei verklärt, hat die Szene mit ihrer enormen Kreativität und ihrer regionalen Orientierung die Konsumkultur nachhaltig beeinflusst. Außer Flohmärkten und kleinen Manufakturen sind vor allem IKEA und die flächendeckende Verbreitung von Baumärkten Manifestationen des großen Erfolgs von DIY. Offensichtlich ist hier, dass die Vereinnahmung von Subkulturen durch kommerzielle Strukturen erst erfolgt, wenn diese Kulturen im Mainstream angekommen sind und damit ökonomische Bedeutung gewonnen haben. Auch im Design setzte man sich früh mit DIY und den damit verbundenen gesellschaftlichen, ökonomischen und ästhetischen Möglichkeiten auseinander. Der österreichisch-amerikanische Designer Viktor Papanek zählte Anfang der 1970er Jahre sicher zu den Vorrei-

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tern. In seinem erstmals 1971 erschienenen Buch Design for the Real World: Human Ecology and Social Change (Papanek 1971) warb er für ein ganzheitliches Designverständnis, das von sozialen und ökologischen Prinzipien geleitet werden solle. Die Forderung, alle Designer müssten ihre Arbeit einstellen, da sie ansonsten für die Umweltverschmutzung zumindest mit verantwortlich seien, provozierte ebenso wie Papaneks Feststellung «Alle Menschen sind Designer» (Papanek 1972: 17). Betrachtet man die zweitgenannte Bemerkung jedoch in Verbindung mit dem 1973 gemeinsam mit James Hennessey veröffentlichten Buch Nomadic Furniture (Hennessey/Papanek 2008), so erweist sie sich als durchaus schlüssig. Denn das Buch bietet Bauanleitungen und Anregungen für Einrichtungsgegenstände, die aus billigen Rohmaterialien bzw. Wegwerfprodukten bestehen und einfach hergestellt werden können. Zielgruppe waren (und sind) die sogenannten modernen Nomaden, die aufgrund ihres Berufs häufig umziehen und für die Eigenschaften wie Status oder bleibende Werte bei der Wohnungseinrichtung nicht im Vordergrund stehen (Abb. 1). In Deutschland widmete sich vor allem das Ende 1968 in Berlin gegründete Internationale Design Zentrum (IDZ) dem Thema DIY. Design it yourself lautete 1973 der Titel einer ersten Ausstellung, in der «Möbel für den Grundbedarf des Wohnens – selbst entworfen, selbst gebaut –» gezeigt wurden (Plakat des IDZ, erneut abgedruckt in form 1973: 25). Neben Beispielen aus der im gleichen Jahr initiierten Rubrik «Selbermachen» der Zeitschrift Brigitte wurden Entwürfe von Viktor Papanek vorgestellt. Besucher wurden dazu animiert, sowohl selbst gebaute Möbel auszustellen als auch ausgestellte Möbel nachzubauen. Kostenlose Bauanleitungen standen zur Verfügung, zudem berieten Innenarchitekten interessierte Selbermacher. Das IDZ wollte mit dieser Ausstellung seine kritische Auseinandersetzung mit dem Bundespreis Gute Form1 ebenso dokumentieren wie seine Bemühungen um eine Erweiterung des konventionellen Designverständnisses. «Ziel der Ausstellung war», so die Designforscherin Prof. Dr. Petra Eisele, «unter unmittelbarer Mitarbeit der Öffentlichkeit Denkanstöße zu geben und individuelle Kreativität zu fördern» (Eisele 2005: 012). Interessanterweise fand diese Ausstel-

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Abbildung 1: Bauanleitungen und Empfehlungen für leichte und einfache Möbel.

Abbildung 2: Produkte der Offenbacher des-in-Gruppe: TeekistenSchrank, Reifen-Sofa, Leuchtenschirme aus Siebdruckplatten.

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lung im gleichen Gebäude und parallel zur Präsentation der Preisträger der Guten Form statt. Damit wurde das Thema den beiden Zielgruppen Industrie und Designszene im Kontext der eigenen Arbeit präsentiert – ohne diese Konfrontation wäre die Ausstellung sicher nur als Randnotiz abgetan worden. In den folgenden Projekten befasste sich das IDZ weiterhin mit alternativen Gestaltungsansätzen und -vorstellungen. 1974 wurde der Wettbewerb Produkt und Umwelt ausgeschrieben, an dem neben Designern auch Architekten, Stadt- und Umweltplaner teilnehmen konnten. Im Zentrum des Wettbewerbs stand die Frage, wie stark Artefakte als «Funktionsträger sozialen Verhaltens» kollektive Verhaltensweisen «in den Bereichen des Energieverbrauchs, der Umweltverschmutzung und der Verschwendungswirtschaft» beeinflussen (IDZ Berlin 1974: 5). Einer der ausgezeichneten Beiträge hatte den Titel des-in – ein neues Ornament? Weniger Konsum durch mehr Sinnlichkeit – Produkte als Leitbilder zur Umweltfreundlichkeit (IDZ Berlin 1974: 58-76). Die Verfasser kamen aus der 1973 in Offenbach gegründeten Design-Initiative des-in, der neben sechs Studierenden des Fachbereichs Produktgestaltung auch der neu berufene Professor Jochen Gros angehörte. Die Kernthese ihres Wettbewerbsbeitrags lautet, dass Produkte mit der Wiedereinführung des Ornaments in zeitgemäßer Form ihren sinnlichen Reichtum zurückerhielten. Darüber hinaus sollten Produkte reizvoll altern können. In dem Zusammenhang heißt es: «Die Kriterien der antiautoritären Haltung bezogen auf Industrieprodukte wurden bereits angesprochen, es sind einmal die Reduzierung von StatusPreisen oder ‹Geltungs-Nutzen› und zum anderen eine deutliche Abgrenzung gegen allzu glatten Produktperfektionismus. Das ist eine Werthaltung, nach der auch verwaschene und geflickte Jeans ‹schön› sein können» (ebd. 66).

Dank solch einer Haltung seien langfristige Beziehungen zwischen Konsument und Produkt wieder möglich, zugleich werde der damit zusammenhängende Konsumverzicht emotional kompensiert. Ziel des Konzepts sei eine Veränderung des Lebensstils, indem eine frei-

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willige materielle Armut mit sinnlichem Reichtum verknüpft werde (Gros 1993: 117). Dieses neue, «antiexpansionistische» Leitbild wollte des-in jedoch nicht nur auf Seiten des Konsums realisieren. Auch die Produktionsweise sollte wieder dezentral und selbstbestimmt werden. So wurde die Ästhetik des DIY designspezifisch reflektiert und weiterentwickelt; gleichzeitig wurden neue industrielle Produktionsformen in kleinen Einheiten und mit verhältnismäßig geringem Maschinenpark angedacht (Abb. 2). Aufgrund dieses Wettbewerbsbeitrags erhielt des-in unter der Regie von François Burkhardt später die Gelegenheit, unter dem Titel Neues Gewerbe und Industrie (Gros 1993: 118) eine Ausstellung zu gestalten. Sie sollte alternative Lebens-, Arbeits- und Wohnformen – wie sie etwa in der Fristad Christiania in Kopenhagen zu finden waren – unter dem Blickwinkel des ökologischen Lebensstils präsentieren. Zudem wurden Produktentwürfe von des-in für das sogenannte «neue Gewerbe» gezeigt, die nun, so Gros, durchgängig mit dem Wort Recycling-Design zu beschreiben seien (ebd. 118f). Offsetdruckplatten und leere Blechdosen wurden zu Lampenschirmen, Teekisten zu Schränken oder – wohl das meistpublizierte Objekt der Gruppe – alte LKW-Reifen zu einem Sofa. Des-in gehört somit zu den Begründern des Recycling-Designs in Deutschland, nicht zuletzt, weil die Gruppe die im Wettbewerb und in der folgenden Schau dargestellten Szenarien selbst umsetzte: Sie startete eine eigene kleingewerbliche Produktion und verkaufte ihre Produkte auf Flohmärkten oder direkt aus der eigenen Werkstatt heraus. Nach einigen Jahren musste das Projekt jedoch wieder aufgegeben werden – wegen Differenzen in der Gruppe und finanziellen Schwierigkeiten. Die Zielgruppe – die jugendliche Subkultur – begriff «die DesIn-Produkte aufgrund ihres Do-it-yourself-Charakters eher als Anregung zum Selbermachen als zum Kauf» (Albus/Borngräber 1992: 14), sodass kein größerer Absatz der Produkte möglich war. Damit war das Projekt aus Sicht des DIY auf konzeptioneller Ebene erfolgreich – selbstständige Designer konnten ein langfristiges, unentgeltliches Engagement im vorherrschenden Wirtschaftssystem jedoch nicht realisieren.

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Das sogenannte Neue Deutsche Design propagierte zu Beginn der 1980er Jahre mit experimentellen und spielerischen Arbeiten ein postmodernes Designverständnis, das im Kern – ebenso wie die zuvor genannten Beispiele – «dezidiert anti-funktionalistisch» (Eisele 2005: 147) war. Die ökologisch motivierte Nutzung von Abfallprodukten wurde hier jedoch zugunsten formaler Kriterien aufgegeben, wie Volker Albus und Christian Borngräber in einem Rückblick ausführen (Albus/Borngräber 1992: 16). DIY war also nicht mehr Ausdruck einer ganzheitlichen Designauffassung, sondern wurde vielmehr als Ausgangspunkt für einen experimentellen, von Impulsen und Assoziationen geleiteten «Form-Werdungs-Vorgang» gesehen. Entsprechend nutzten Repräsentanten des Neuen Deutschen Designs kaum mehr alte, vorgefundene Materialien als Ausgangsbasis, sondern extra angeschaffte, industrielle Halbzeuge oder gar neue, einfache Produkte des Haushalts wie beispielsweise bei der «Früchteschale» von Axel Stumpf (Abb. 3). Die konsequente Ablehnung von Industrieprodukten wurde also zugunsten der Realisierbarkeit und des formalen Repertoires aufgegeben. Konsumkritik gab es trotzdem, und zwar auf der symbolischen und inhaltlichen Ebene wie der Verweigerung einer industriellen Verwertbarkeit der gestalterischen Arbeit. Ökologische Fragen nicht mehr ins Zentrum zu stellen und improvisierte Bastelei – teilweise auf hohem Niveau – mit kleingewerblicher Fertigung zu verbinden: Auf diesem Weg kam DIY aus der ästhetischen Nische des Öko-Designs heraus und bewegte sich in die Richtung der neu entstehenden Lifestyle-Welt der 1980er Jahre. In dieser Welt wollte man sich nicht mehr ausschließlich mit Gebrauchtem und Abgenutztem befassen. Blitzende Chromoberflächen, leuchtende Farben und metallisch glänzende Lacke wurden nun verwendet; teilweise transformierten sie die verwendeten Materialen, manchmal wurden sie auch bewusst als Kontrast zu rostigem Metall, rohem Beton oder unbehauenen Stämmen eingesetzt. Trotz dieser ästhetischen Weiterentwicklung bestanden durchaus einige Querverbindungen zum Recycling-Design bzw. zu des-in: Mit Knüppelholz, Gummi und Beton in roher Form experimentierte man in beiden Szenen. Die kleingewerbliche Fertigung, die oft Uni-

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kate oder gestalterische Reihen hervorbrachte, war in beiden Fällen Äußerung einer entschiedenen Abkehr von der als unmenschlich betrachteten Massenproduktion. Darüber hinaus ist ein maßgeblicher Erfolg beider DIY-Bewegungen die erzielte Medienresonanz und die Teilnahme an Ausstellungen in Galerien – des-in und Neues Deutsches Design brachten das Design damit vielfach in die Nähe der Kunst, wie Jochen Gros 1993 resümierte (Gros 1993: 120). Obwohl die Arbeiten des Neuen Deutschen Designs in erster Linie programmatisch und konzeptionell angelegt waren, rückten sie DIY durch gelegentlich schrille äußerliche Effekte in das Umfeld des Mainstream. Ende der 1980er Jahre ebbten Experimentierfreudigkeit und der Trend zur stilistischen Weiterentwicklung jedoch langsam ab; diese Phase neigte sich offenbar dem Ende zu. Die unbeschwerte Nutzung von Luxusindustrieprodukten unter dem Label «Design» dominierte nachfolgend für einige Jahre die Konsumkultur. Hochglanzoptik und die Verheißung eines scheinbar endlosen Kaufrausches überstrahlten den Wunsch, das eigene Umfeld möglichst selbst zu gestalten und die benötigten Produkte selbst herzustellen. Erst mit der Verbreitung des Internets erhielt die DIY-Bewegung wieder einen neuen Schub. Zum einen konnten DIY-Anleitungen nun kostenlos über eigene Webseiten und Foren weltweit publiziert und ausgetauscht werden. Zum anderen wurde DIY − im Sinne von kleingewerblicher Fertigung − dank neuer Vertriebswege, wie beispielsweise über eBay, finanziell interessant. Ersten Erfolgen auf dieser zunächst recht unspezifischen, nicht an bestimmte Produkte angepassten Plattform folgten eigene Präsentations- und Kaufportale für Selbermacher wie beispielsweise Etsy.com oder Dawanda.de im deutschsprachigen Raum. Viele junge Designer begannen um die Jahrtausendwende wieder damit, Produkte selbst zu entwerfen, selbst zu produzieren und selbst zu vermarkten. Ökologie und Nachhaltigkeit sind, dieses Mal allerdings in Verbindung mit Luxus und Hedonismus (Stichwort «Lohas»), seit Mitte des Jahrzehnts in der gehobenen Mittelschicht wieder ein Thema. Diese Konsumentengruppe lässt sich nicht zuletzt vom neuen Chic des Handgemachten begeistern, ist er doch Garant für regionale, authentische und

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Abbildung 3: «Früchteschale», gefertigt aus einem Drahtsieb und Halbzeugen aus dem Baumarkt. Der Entwurf von Axel Stumpf entstand im Projekt KdO (Kaufhaus des Ostens), das die Gruppe Bellfast 1984 an der Hochschule der Künste in Berlin durchführte.

Abbildung 4: iPhone-Halterung fürs Flugzeug als Ad-hoc-Bastelei.

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Abbildung 5: Computer im Stil des viktorianischen Zeitalters: Steampunk PC von Jake van Slatt.

Abbildung 6: Tragbares NES (Nintendo Entertainment System), teilweise auf Basis modifizierter Original-Bauteile.

Abbildung 7: iPhone-Fake, der vor Markteinführung des Apple-Telefons veröffentlicht wurde.

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unterscheidbare Produkte. Konsequenterweise werden seit 2005 auch wieder Bücher publiziert, die unter Titeln wie Design it yourself (Lupton 2006), Ready Made (Berger 2006) oder Mach Neu aus Alt (Thompson 2009) zum Nachbauen und Selbermachen anregen, teilweise sogar zur Gründung eines Kleingewerbes animieren. Dieser Trend führt auch dazu, dass in städtischen Szenevierteln wieder verstärkt Ladenlokale angemietet werden, um lokal Gestaltetes und selbst Produziertes anzubieten − ein bewusster Gegenentwurf zu den Flagship-Stores und Mega-Kaufhäusern der Innenstädte. Ein spannender, stärker subkulturell geprägter Bereich des DIY hat sich bei den elektronischen Spielereien – den sogenannten Gadgets – ausgebildet, wie ich ihn bereits ansatzweise beschrieben habe (Schwer 2010: 405-414). Die Medienaffinität der Mitglieder der Gadget-Szene und die Begeisterung für elektronische Begleiter haben sowohl zu einer starken Dynamik als auch zu einer großen Bandbreite in diesem Bereich geführt. So werden über Ad-hoc-Basteleien Gerätefunktionen situativ, aus dem Stegreif, verbessert oder erweitert (Abb. 4). Unter dem Oberbegriff Bricolage lassen sich Produkte zusammenfassen, die Elemente aus unterschiedlichen Kontexten zusammenfügen. Die Bandbreite reicht dabei von einer dilettantisch anmutenden, mit dem Punk vergleichbaren Ästhetik bis hin zu ausgefeilten Kompositionen im viktorianischen Stil (Abb. 5). Unter dem Begriff Mods können veränderte Serienprodukte, meist aus dem Spielebereich, erfasst werden, die neue Technik mit Gehäusen aus der Anfangszeit der Computertechnik kombinieren oder unterschiedliche Funktionen in einem neuen Produkt integrieren (Abb. 6). An der Grenze zu Serienprodukten bzw. zur Markenkultur sind die Fakes anzusiedeln, die scheinbar den Markteintritt neuer, noch unbekannter Produkte vorwegnehmen. Die Urheber dieser Fakes nutzen teils retuschierte, teils aufwendig gebaute oder veränderte Gehäuse, um die Öffentlichkeit zu täuschen oder sich selbst die Aura des «Eingeweihten» zu verleihen, wobei viel Ironie im Spiel ist. In der Zeit vor der Einführung des iPhones® durch Apple wurden beispielsweise sehr viele kreative, teilweise realistische Produktspekulationen veröf-

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fentlicht, die ausschließlich eine Funktion hatten: Medienaufmerksamkeit zu erregen (Abb. 7). Analog zur Konsumkultur hat sich die DIY-Szene seit ihrer Entstehung ausdifferenziert – nach den ökologisch geprägten Anfängen ist das technische und formale Vokabular und Instrumentarium mittlerweile vielfältig. Trotzdem kann DIY auch heute noch mit Konsumkritik, dezidiert bezogen auf Massenproduktion und uniforme Gestalt, assoziiert werden. So scheint eine zu große Gleichförmigkeit von Produkten des täglichen Bedarfs die Kreativität der Käufer anzuregen und diese zur Eigeninitiative zu animieren. Die Industrie hat sich zwar immer wieder beim Kreativpotenzial der Konsumenten bedient, um neue Produktformen zu generieren oder eine engere Bindung zu den Kunden herzustellen. Doch trotz – oder gerade wegen – dieser ständigen Gefahr der Vereinnahmung durch den Markt blieb der rebellische Habitus in vielen Bereichen erhalten. So zeigt das Weiterbestehen der DIY-Bewegung, dass passives Konsumieren bei Weitem nicht ausreicht, um die mannigfaltigen Bedürfnisse der heutigen Gesellschaft zu befriedigen und dem neuen Wunsch nach einem vermeintlich einzigartigen Self-Design nachzukommen. Vielleicht setzt ja auch hier bald eine Design-Yourself-Yourself-Bewegung ein, die die Ketten des Massenkonsums abermals sprengt.

A NMERKUNGEN 1 | Die Gute Form bezeichnet eine vom Rat für Formgebung verliehene Auszeichnung, die herausragend gestaltete Industrieprodukte würdigt. Diese als Bundespreis der Bundesrepublik Deutschland verliehene Ehrung wurde erstmals 1969 vergeben. Seit 2002 trägt sie den Tit el Designpreis der Bundesrepublik Deutschland (Rat für Formgebung 2010).

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L ITER ATUR Albus, Volker/Borngräber, Christian (1992): Design Bilanz. Neues deutsches Design der 80er Jahre in Objekten, Bildern, Daten und Texten, Köln: DuMont. Berger, Shoshana (2006): Ready made: how to make (almost) everything. A do-it-yourself primer, London: Thames & Hudson. Eisele, Petra (2005): BRDesign: deutsches Design als Experiment seit den 1960er Jahren, Köln: Böhlau. Fach, Wolfgang (2008): «Das Modell Deutschland und seine Krise», in: Roland Roth/Dieter Rucht (Hg.), Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945: ein Handbuch, Frankfurt, New York: Campus. form (1973): «‹Design-it-yourself›. Eine Aktion des IDZ Berlin: Design für jedermann von jedermann», in: form - Zeitschrift für Gestaltung. Gros, Jochen (1993): «DES-IN: Ein Nachruf über 20 Jahre», in: Projektgruppe Up Date/Petra Kellner (Hg.), Mehr weniger? Projektbuch Kolloquium, Juni‚ 93; 3.6. - 5.6.1993, Hochschule für Gestaltung, Offenbach; Projekte and Positionen deutscher Designschulen / Über den Umgang mit ökologischen Herausforderungen in der Designausbildung, Offenbach: Projektgruppe Up Date, S. 116-121. Hennessey, James/Papanek, Victor (2008): Nomadic Furniture: D-I-Y Projects That Are Lightweight & Light on the Environment, Schiffer Pub Co., Juni 1. Hickethier, Knut (2003): «Protestkultur und alternative Lebensformen», in: Werner Faulstich (Hg.), Die Kultur der 60er Jahre, Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts, München: W. Fink, S. 11-30. IDZ Berlin, Hrsg. (1974): Produkt und Umwelt: Ergebnisse einer Ausschreibung. Herausgegeben vom Internationalen Design-Zentrum Berlin e.V. in Zusammenarbeit mit dem Bundesverb. der Deutschen Industrie, Köln. Redaktion: Jens F. Priewe. Berlin: Internationales Design-Zentrum (IDZ). Lupton, Ellen (2006): D.I.Y.: design it yourself, New York: Princeton Architectural Press. Papanek, Victor (1971): Design for the Real World: Human Ecology and Social Change, New York: Pantheon Books.

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A BBILDUNGSQUELLEN Abbildung 1: Hennessey, James, und Papanek, Victor (2008): Nomadic Furniture: D-I-Y Projects That Are Lightweight & Light on the Environment. Schiffer Pub Co. Abbildung 2: Archiv Jochen Gros Abbildung 3: Albus, Volker/Borngräber, Christian (1992): Design Bilanz. Neues deutsches Design der 80er Jahre in Objekten, Bildern, Daten und Texten, Köln: DuMont, S. 41 Abbildung 4: http://www.engadget.com/2008/12/05/barf-bag-iphoneholster-isair-sick/ am 09.02.2009 Abbildung 5: http://steampunkworkshop.com/lcd.shtml am 18.11.2010 Abbildung 6: http://www.engadget.com/2007/09/06/portable-nesmod-integrates-entire-controller/ am 18.11.2010 Abbildung 7: http://mobile.engadget.com/2007/06/26/fake-iphonesa-retrospective/ am 09.02.2009

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«Nutella is my friend» Konsumenten im Web 2.0 als Vollender und Vordenker des Produktdesigns Wolfgang Ullrich

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In der heutigen Wohlstandswelt prägen Konsumprodukte die Selbsterfahrung und das Weltverständnis der Menschen stärker und vielfältiger als alles andere. Man könnte Konsumprodukte sogar als eine Form von Massenmedien begreifen, also als etwas, das die Situationen des Alltags, die Handlungen und verschiedenen Tätigkeiten, die man vollzieht, immer auch schon auf eine bestimmte Art interpretiert. So wird zum Beispiel das Duschen durch Duschgels wahlweise als Fitmacherlebnis oder als Entspannungserlebnis inszeniert. Als Massenmedien stehen Produkte auch in Konkurrenz zu Zeitschriften, Kinofilmen, Fernsehen oder Romanen, also zu klassischen Formen der Hochkultur. Entsprechend ist es wichtig zu untersuchen, wie es überhaupt gelingen kann, dass Produkte zu Massenmedien avancieren und mit Emotionen, Fiktionen und Interpretationen aufgeladen werden. Doch soll es im Folgenden darum gehen, wie Konsumprodukte rezipiert werden. Im Zentrum steht die Frage, wie die Emotionalisierungen, Fiktionalisierungen und Interpretationen, die Produkte leisten, bei den Konsumenten ankommen. Immerhin sind die Botschaften, die von Produkten ausgehen, oft so stark, dass es Konsumenten nicht mehr genügt, ein Duschgel oder einen Fahrradhelm einfach zu benutzen; vielmehr haben sie das Bedürfnis, auszudrücken, was die Produkte mit ihnen machen, ja, wie sie auf sie wirken. Tatsächlich lässt sich beobachten, wie Konsumenten ihrerseits damit angefangen haben, die Produkte, die sie benutzen, zu inszenieren. Sie sind also nicht mehr nur Verbraucher, sondern verleihen ihrem Wunsch Ausdruck, über die Bedeutung der Produkte für ihr Leben zu reflektieren; sie wollen dafür eine Form finden. Damit werden die Konsumenten selber auch ein Stück weit kreativ. Genau genommen soll es im Weiteren aber nur um einen einzigen Typus von Konsumentenkreativität gehen. So hat sich in den letzten Jahren im Web 2.0, nämlich auf Plattformen wie Flickr oder DeviantArt, auf denen man Fotos, Zeichnungen, Grafiken hochladen und diskutieren kann, ein Ort konstituiert, an dem nicht zuletzt Konsumgüter und Marken zum Thema werden. Die User verfolgen dabei im Allgemeinen keinerlei kommerzielle Absichten, sondern

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wollen mit den Bildern, die sie online stellen, in Kontakt zu anderen treten oder Proben ihrer Individualität ablegen. Die folgenden Überlegungen sollen in der Frage münden, ob Konsumenten, die sich Produkte und Marken dadurch aneignen, dass sie Bilder davon erstellen, nicht auch zum Teil subtiler und souveräner im Umgang damit sind, als die Hersteller erwarten würden. Von da aus lässt sich vielleicht sogar eine Perspektive für die Zukunft der Konsumkultur gewinnen. Zwei Beispiele mit sehr unterschiedlichen Produkten seien daraufhin analysiert, wie sie auf Flickr und DeviantArt repräsentiert sind. Das erste Produkt, das untersucht werden soll, sind MoleskineNotizbücher. Diese findet man bevorzugt in Museumsshops und besseren Schreibwarenläden. Vermarktet werden sie damit, dass man suggeriert, sie seien traditionell bei Künstlern und Schriftstellern sehr beliebt. Auf der Website von Moleskine wird etwa mit Matisse, Picasso und Hemingway geworben, die solche Bücher benutzt haben sollen. Sie sind also für Leute gedacht, die sich selbst für kreativ halten, ja, die meinen, etwas Bedeutendes aufzuschreiben oder zu skizzieren zu haben. Die Produktgeschichte ist interessant, weil sie zeigt, wie stark Produkte aus einer Fiktion heraus entstehen können und deshalb auch wesentlich über einen Fiktionswert definiert sind. Der eigentliche Urheber dieses Notizbuchs ist nämlich kein Schreibwarenproduzent, sondern seinerseits ein Schriftsteller, nämlich Bruce Chatwin. Er publizierte 1987 das Buch Traumpfade, dies ein semi-autobiografischer Text, in dem es um einen Weltenbummler geht, der sich auf den Weg nach Australien macht, um die Kultur der Aborigines zu studieren. Dieser Weltenbummler benutzt Notizbücher, in denen er alles festhält, was ihm auffällt. Sie sind ihm wichtig, da in ihnen sein ganzes Leben enthalten ist. Immer, wenn er nach Paris reist, deckt er sich in einer kleinen Papeterie mit diesen Notizbüchern ein. Doch als er eines Tages wieder dahin kommt, sagt die Verkäuferin ihm, es werde immer schwieriger, diese Notizbücher zu beschaffen. Es gebe nur noch einen kleinen Betrieb in Südfrankreich, der sie fabriziere. So beschließt er, eine große Bestellung aufzugeben, damit

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die Notizbücher auf jeden Fall für den Rest seines Lebens reichen. Doch als er sie abholen will, erfährt er, dass seine Bestellung zu spät , kam. Die Verkäuferin sagt zu ihm: «Le vrai Moleskine n est plus.» Das wahre Moleskine-Buch gibt es nicht mehr, die Hersteller haben aufgegeben. Tatsächlich aber gab es diese Moleskine-Bücher gar nie, zumindest nicht unter diesem Namen. Sie sind die Erfindung von Bruce Chatwin. Zehn Jahre nach Erscheinen des Romans kam ein findiger Produzent auf die Idee, solche Bücher unter diesem Namen herzustellen. Das Produkt existiert somit erst seit 1997. Mit Picasso oder Matisse hat es nichts zu tun. (Der Claim von Moleskine lautet übrigens «Legendary Notebooks», was, wenn man die Geschichte kennt, von schöner Doppeldeutigkeit ist.) Damit ist das Image dieses Produkts von Anfang an klar. Mit ihm verbindet sich der Traum von Freiheit und Kreativität. Die Notizbücher stehen für ein authentisches, ursprüngliches, unentfremdetes Leben; sie kultivieren den Topos von der Handschrift im Kontrast zu technischen Formen des Schreibens oder Entwerfens. Damit transportiert dieses Produkt auch einen gewissen Antimodernismus; es steht im Kontrast zur industrialisierten, anonymen, hektischen Welt des Alltags. Manche Nutzer der Moleskine-Notizbücher nehmen dieses Image auf und erzählen es auf ihre Weise nach. Tatsächlich genügt es ihnen nicht, nur die Seiten der Notizbücher zu füllen; vielmehr haben sie das Bedürfnis, den emotionalen Stellenwert, den diese für sie besitzen, zum Ausdruck zu bringen. Auf Flickr gibt es etwa eine Gruppe von rund 15.000 Usern, die unter dem Titel «Moleskinerie» Fotos machen und hochladen, auf denen entweder einzelne Seiten aus den Notizbüchern gezeigt werden oder auf denen diese, noch interessanter, zu Stillleben arrangiert sind. Dass es, ungewöhnlich für eine Gruppe im Web 2.0, in diesem Fall zu deren Ethos gehört, Fotos nicht digital nachzubearbeiten, zeigt die antimodernistische, zumindest latent technikskeptische Haltung ihrer Protagonisten: Auch die Fotos sollen authentisch sein und nicht verfremdet werden. Entsprechend findet man viele Fotos in dieser Gruppe, auf denen nichts Modernes zu sehen ist, ja, auf denen sogar alte Lebensformen nachgestellt werden (Abb. 1). Man be-

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kommt die Anmutung eines klösterlichen Lebens vermittelt, wenn abgesehen vom Moleskine-Buch, das auf einer eisenbeschlagenen Holztruhe liegt, ein Rosenkranz gezeigt wird und wenn zudem ein Kreuz auftaucht, nämlich auf eine der Seiten des Buches gezeichnet. Flickr erlaubt es, sich darüber zu informieren, welche Fotos derselbe User noch hochgeladen hat. In diesem Fall wird man feststellen, dass es sich um jemanden handelt, der am liebsten Fotos macht, die Natur zeigen und Motive von Ruhe und Einsamkeit zum Thema haben. Präferiert wird eine Vita contemplativa, ein reflektierendes, entspanntes Leben. Wenn zivilisatorische Merkmale auftauchen, sind sie meist unscharf aufgenommen und so ihrer Dringlichkeit und Akutheit beraubt. Fotos anderer User zum Thema «Moleskine» wirken wie Filmstills aus einem Historienfilm. Auf ihnen wird mit Feder und Tinte geschrieben; es geht darum, alte Rollen, alte Lebensformen, alte Verhaltensweisen zu zelebrieren. Auch die Bilder selbst sind oft antiquierend gestaltet: in schwarz-weiß oder Sepiatönung. Besonders beliebt als Motiv neben dem Moleskine-Buch ist entweder eine Kerze oder eine Tee- oder Kaffeetasse (Abb. 2). Auch diese Accessoires stehen für eine Vita contemplativa, in ihnen drückt sich zugleich eine Sehnsucht nach Wärme, Geborgenheit und Heimeligkeit aus. Das steht im Kontrast zu einem Empfinden von Kälte, wie sie dem modernen Leben unterstellt wird. Und so lässt sich eine antimoderne Gesinnung bis in die Bildkompositionen verfolgen. Allerdings gehen solche Inszenierungen von Seiten der Konsumenten nicht über das hinaus, was ohnehin schon zum Image der Marke gehört. Dass der Plot, den Moleskine selbst für seine Produkte aufgebaut hat, immer wieder tautologisch bestätigt und ikonografisch variiert wird, beweist die identifikatorische Macht einer solchen Marke. Das führt sogar dazu, dass einzelne User sich regelrecht darum bemühen, das perfekte Foto zu entwickeln, um ihr Verhältnis zum Markenprodukt darzustellen. So gibt es einen Foto-Stream einer Userin aus Südkorea, die über zwei Jahre hinweg immer wieder mit ähnlichen Inszenierungen probiert hat, ihr «Moleskine-Gefühl» auf den Punkt zu bringen (Abb. 3 und 4). Nach rund 50 Versuchen

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machte sie im Januar 2010 ein Foto, das in mehreren hundert Kommentaren anderer User besonders gelobt wird und so als Summe, ja, als Superlativ jenes «Moleskine-Gefühls» erscheint. Seither hat sie auch keine weiteren Fotos zum selben Thema mehr gemacht, hat also offenbar selbst den Eindruck, mit diesem Foto ihr Ziel erreicht zu haben. Das Zusammenspiel mehrerer ästhetischer Effekte ist hier wirklich gut gelungen (Abb. 5). Indem der Hintergrund unscharf ist, wird alles ausgeblendet, was Teil der modernen Alltagswelt sein könnte, die nur ablenkt vom eigenen Ich und den eigenen Gedanken. Die Spiegelung des Notizbuchs auf der Tischplatte erinnert an eine klassische bildliche Lösung, wonach ein Spiegel für Reflexion und Nachdenken steht. Sich zu spiegeln heißt auch, bei sich zu bleiben – unentfremdet zu sein. Ferner fällt auf, dass die Blätter des Notizbuchs in diesem Fall eine Wellenlinie ergeben. Auch das ist ein klassisches Stilmittel, nämlich die seit William Hogarth in der Mitte des 18. Jahrhunderts so genannte «Line of Beauty and Grace». Hogarth beschreibt in seiner Abhandlung Analysis of Beauty (1753), dass diese Linie insofern perfekt sei, als sie absolute Freiheit verkörpere. Sie sei in ihrem Verlauf von nichts Äußerem gestört, zugleich aber ihrerseits so sanft und elegant, dass sie umgekehrt nichts anderes stören könne. Deshalb empfinde man – so drückte es später auch Friedrich Schiller aus – diese Linie als Inbegriff des Freien und Harmonischen. Das wiederum passt gut zum «Moleskine-Gefühl», in dem es ja um Freiheit, Autonomie, Kreativität geht. Für einen Marketing-Manager von Moleskine könnte es eine Hilfe sein, sich die Gruppe «Moleskinerie» genauer anzuschauen und die verschiedenen ikonografischen Lösungen zu studieren. Einerseits lässt sich dann das eigene Produkt ein bisschen besser verstehen, andererseits bekommt man vielleicht sogar eine Anregung, wie die nächste Werbekampagne angelegt werden könnte. User wie jene Frau aus Südkorea ließen sich dann als Personen würdigen, die das Produkt, zumindest hinsichtlich seiner fiktionalisierenden Dimension, vollenden. Selbst wenn sie keine neue Geschichte erfinden, er-

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zählen sie den Plot noch einmal so klar und pointiert, dass es dem Produkt letztlich zugutekommt. Es gibt andere Beispiele, die belegen, dass aber noch mehr möglich ist als nur eine tautologische Bestätigung dessen, was eine Marke selbst schon als Image aufgebaut hat. So können Konsumenten durch ihre Inszenierungen auch über das hinausgehen, was in der bisherigen Selbstdarstellung angelegt war. Sie verleihen dem Image der Marke dann eine Komplexität, die bis dahin so nicht existierte. Das sei am Beispiel von Nutella demonstriert. Dabei handelt es sich um ein Produkt, das Menschen oft über längere Zeit hinweg, vielleicht sogar ihr ganzes Leben lang begleitet und das daher tief im Gedächtnis verankert ist. Es sind auch emotionale Erlebnisse damit verbunden, weshalb es naheliegt, dass Konsumenten ein Verhältnis dazu aufbauen und artikulieren, welches über das hinausgeht, was vom Marketing angelegt ist. Auch hier sei zuerst kurz ein Rekurs auf die Literatur vorgenommen. Nutella kommt zwar nicht (wie Moleskine) aus der Literatur, wurde aber Gegenstand von Literatur, so etwa in den beiden Büchern von Florian Illies zur Generation Golf (2000/2003). Darin geht es darum, die Kollektivbiografie der Generation derer zu schreiben, die um 1970 herum geboren sind. In beiden Büchern spielt Nutella eine Rolle. Im ersten Band wird ein typisch glücklicher Samstagabend der 1980er Jahre geschildert, der darin bestand, zuerst ein Wannenbad zu nehmen, dann ein Nutellabrot zu essen und dann Wetten, dass..? anzugucken. Der zweite Band beginnt sogar direkt mit einer Szene, in der Nutella zentral ist; diesmal geht es um ein Sonntagsfrühstück, in den frühen Nuller-Jahren in Berlin. Man ist Anfang 30 und entdeckt gegenseitig die Symptome einer Quarterlife-Crisis, ist also eher missmutig gestimmt. «Uns ging es nicht so gut», lautet schon der erste Satz; dann geht es um die ersten Krähenfüße und um Grippe, aber die schlechte Stimmung ist in dem Moment weg, als der Erzähler ein Glas Nutella in der Küche entdeckt. Dadurch sind sofort die glücklichen Kindheits-Samstagabende wieder gegenwärtig. Und als die Runde noch das, wie es bei Illies heißt, Nutella-DeckelKnacken vernimmt und sieht, wie der Erzähler mit dem Messer in

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die Folie reinsticht, tauchen «alle für einen kurzen Moment in die Vergangenheit ab». Weiter beobachtet der Erzähler, «dass wir fast mehr nostalgische Erinnerungen an eine Nuss-Nougat-Creme haben als an unseren Heimatort». Ein solches Produkt ist somit ein Stück Heimat. Insofern braucht es nicht zu verwundern, dass viele Konsumenten ihre Gefühle diesem Produkt gegenüber auszudrücken versuchen. Es gibt allerdings nicht nur Plattformen wie Flickr oder DeviantArt, auf denen sich Bilder posten lassen, sondern ebenso Verbraucherportale wie ciao.de oder dooyoo.de, auf denen man Testberichte zu Produkten veröffentlichen kann. Zu Nutella finden sich dort mehr als 1.000 Erfahrungsberichte, die voll sind von Geschichten, Gefühlen, Erinnerungen; Nutella wird zum braunen Gold oder zur Nervennahrung verklärt, und es tauchen auch Formulierungen ähnlich wie bei Illies auf, wenn nämlich gemeinsame Sonntagfrühstücke vergegenwärtigt, Kindheitserinnerungen beschworen, ganze Lebensgeschichten nacherzählt werden. Insgesamt erscheint das Produkt damit als zuverlässiger Lebensbegleiter, als Fixpunkt in einer sonst unbeständigen, oft feindlichen Welt. Testberichte sind etwas in Misskredit geraten, weil auch von Agenturen fleißig mitgeschrieben wird, um Produkte besser dastehen zu lassen, als es vielleicht angemessen wäre. Selbst wenn man im Fall von Nutella nicht so große Bedenken zu haben braucht, da es Ferrero nicht nötig hat, noch eigens Testberichte faken zu lassen, ist es aber dennoch viel spannender, was Konsumenten auf der Ebene der Bilder artikulieren. Zwar gibt es keine eigene Gruppe auf Flickr, die nur Nutella gewidmet ist, doch sind es Zehntausende von Bildern, auf die stößt, wer das Stichwort «Nutella» eingibt. Zum Beispiel gibt es einen User aus Frankreich, der seine Liebe zu dem Produkt durch ein kompliziertes Setting ausdrückt (Abb. 6). Man kann sich kaum vorstellen, dass hier schon beim ersten Versuch alles geklappt hat. So hat er eine Wand aus Nutella-Gläsern aufgebaut, die teils gefüllt, teils halb geleert, teils ausgewaschen sind. Und er hat sich selbst mit Nutella eingeschmiert, sich den Deckel auf den Kopf gesetzt und das Schild vor den Mund geklebt. Derselbe

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User macht sonst ganz biedere Fotos: konventionelle Landschaftsaufnahmen, Familienmotive. Einmal war er im Urlaub in Venedig beim Karneval, hat die Masken und, aus bildungsbürgerlichem Restgewissen, ein paar Kirchen fotografiert. Das einzige Foto unter Hunderten auf seinem Stream, das wirklich herausfällt, ist also dieses Nutella-Bild. Braucht er dieses Produkt vielleicht, um sich selbst eine Lizenz dafür zu geben, auch mal albern sein, richtigen Quatsch machen zu dürfen? Wirkt es wie ein Stimulans für Enthemmtheit? Und werden hier nicht einfach Klecker- und Beschmutzungsfantasien, die Nutella weckt, ausgelebt? Ähnliches kann man auch bei anderen Usern feststellen. So zeigt sich ein User aus Rom dabei, wie er eine Toilettenbrille abschleckt, die er mit Nutella eingeschmiert hat (Abb. 7). Hier handelt es sich um eine Person, deren Foto-Stream einen generellen Willen zu starker, exzentrischer, provokanter Selbstinszenierung verrät. Das Nutella-Foto passt hier also gut zu allen anderen Bildern, die jeweils für sich als ein Bekenntnis aufzufassen sind. In anderen Fällen trifft man auf metaphorische Inszenierungen von Nutella; das Produkt wird etwa als Energiespritze oder gar als Droge gezeigt (Abb. 8). Oft findet man auch Bildmotive, auf die unterschiedliche User unabhängig voneinander gekommen sind. So sieht man auf einer Zeichnung eines Jungen aus Metz in Frankreich, die im Januar 2008 entstanden ist, dass dem Nutella-Glas ein regenbogenfarbiges Fluidum entströmt (Abb. 9). Im Kommentar dazu heißt es «Nutella is my friend», die Strahlen symbolisieren also die Wärme und Geborgenheit, die der Junge von diesem Produkt zu erfahren glaubt. Rund zwei Jahre später hat eine Userin auf ihre FlickrSeite ein Foto gestellt, bei dem aus dem Nutella-Glas ebenfalls ein regenbogenfarbiges Fluidum kommt; in diesem Fall formt es sich zu einem Herz (Abb. 10). Auch hier geht es um Wärme, allerdings eher in einer zwischenmenschlichen Dimension, die das Produkt offenbar zumindest symbolisieren kann. Es wird zu einer Art Zaubermittel erhöht, übersinnliche Kräfte scheinen dem Glas zu entweichen. Nutella wird als Talisman stilisiert, mit dem sich Ängste und Unsicherheiten kompensieren lassen.

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Wer jedoch noch mehr Bilder anschaut, wird feststellen, dass es auch viele skeptische und problematisierende Inszenierungen gibt. Neben schönen Gefühlen, die Nutella offenbar bereitet, werden genauso andere Dimensionen angesprochen. Das ist auch der Unterschied zu Testberichten, deren Sprache nahe an der Sprache von Werbung und Marketing bleibt. Erst auf der Ebene der Bilder kommt noch anderes zum Ausdruck, was denen, die diese Bilder machen, wohl auch nicht immer voll bewusst ist. Der etwas banal gewordene Satz «Ein Bild sagt mehr als tausend Worte» besitzt, bezogen auf das hier verhandelte Phänomen, also doch gewisse Berechtigung. Wenn man noch mal auf das Foto des Franzosen blickt (Abb. 6), dann zeigt es nicht nur eine amüsante Reinfantilisierung, sondern kann auch als Dokument einer Entmündigung interpretiert werden. Der Konsument, der nicht einmal mehr reden kann, macht sich selbst zum Produkt. Für ein Buch wie Zygmunt Baumans Leben als Konsum (2009) wäre das Foto also geradezu ein perfektes Coverbild, wird darin doch gerade die These vertreten, der heutige Mensch müsse sich zur Marke und Ware machen, ja, sich von sich selbst entfremden, um in der Gesellschaft noch eine Chance zu haben. Viele der Konsumenten-Bilder haben also eine Doppelbödigkeit oder können auf verschiedene Arten gelesen werden. Allerdings gibt es auch Fotos, die eindeutig eine problematische Beziehung zwischen einem Konsumenten und einem Produkt offenbaren. Manche sind sogar drastisch. So wird Nutella mehrfach als gefährliche Droge in Szene gesetzt, der Konsument erklärt sich selbst zum Junkie, also zu jemandem, der seine Identität zu verlieren droht (Abb. 11). Auf diesen Fotos geht es stark um Aggression. So sieht man etwa einen verbogenen Löffel, was einen Akt der Gewalt voraussetzt, oder das Gesicht ist so beschnitten, dass die Augen des Konsumenten nicht mehr zu sehen sind. Anders als das Marketing oder auch anders als im Fall von Moleskine erzählen Konsumenten also durchaus auch böse oder tragische Geschichten. Vielleicht wird die Konsumkultur erst an dieser Stelle komplex – und zu einer Form von Hochkultur, die einen Vergleich zu anderen Sparten, also etwa zu Kino oder Romanen, bestehen

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kann. Solange Konsumprodukte immer nur positive Geschichten in Szene setzen, bleibt die Konsumkultur nämlich noch hinter der Lebenswirklichkeit zurück. Was wäre denn, wenn Literatur und Kino ohne Problemgeschichten stattfänden? Es gäbe keine Dramen, keine Tragödien, immer nur Happy Ends. Das wäre zu wenig, man muss seine Sorgen und Schwierigkeiten auch spiegeln und reflektieren können, muss sie verarbeiten, indem man sie in einer kulturell sublimierten Form zur Kenntnis nehmen kann. Eben das fehlt in der Konsumkultur von Seiten der Produzenten noch weitgehend. Doch vielleicht ändert sich dies künftig. Sobald das Marketing und die Marktforschung solche Fotos ernst nehmen und entsprechende Inszenierungen aufgreifen, könnte es zu komplexeren Produktgeschichten kommen als bisher. Das wäre sicher nicht bei allen Produkten sinnvoll, aber einzelne Marken, die ein anspruchsvolleres Publikum erreichen wollen, könnten sich diese höhere Komplexität zutrauen, ja, könnten mehr tun, als nur die immer gleichen, kitschigen Geschichten zu erzählen. Doch nicht nur Produktentwickler könnten aus dem Material der Bild-Plattformen Nutzen ziehen und Ideen für alternative Formen der Inszenierung von Produkten gewinnen. Auch für Vertreter der Geisteswissenschaften ist das eine ergiebige und wichtige Quelle. Ihre Aufgabe könnte es sein, dieses Phänomen in einen größeren Kontext und historischen Zusammenhang zu stellen. Immerhin kann man es in Beziehung zu früheren Epochen dessen setzen, was man Dilettanten-Kultur nennt. Vor allem das 19. Jahrhundert mit dem erstarkenden Bildungsbürgertum spielt hier eine bedeutende Rolle. Damals gründeten sich viele Kunstvereine, Musikvereine und Literaturzirkel. In ihnen allen ging es darum, dass die Bürger sich gemeinschaftlich einzelnen Künsten oder auch Wissenschaften widmeten; man dichtete, musizierte, aquarellierte, engagierte sich kunsthandwerklich – und hatte dabei immer Werke großer Vorbilder als Maßstab. Ferner versuchte man, die eigenen Leistungen in einen kommunikativen Zusammenhang mit dem zu bringen, was andere anfertigten. Das bildungsbürgerliche Selbstbewusstsein im 19. Jahrhundert ist sogar wesentlich dadurch entstanden, dass man sich mit

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Formen der Hochkultur identifizierte, diese aber nicht nur rezipierte, sondern sich auch praktisch aneignete, ja, weiterführte durch das, was man selber machte. Wenn heute Inszenierungen von Produkten aufgegriffen werden, die starke Gefühle auf sich konzentrieren können, entspricht das dem ehedem verbreiteten Bedürfnis, sich mit Gedichten, Theaterstücken, Kammermusik oder Bildwerken in eigener künstlerischer Tätigkeit als Liebhaberei zu beschäftigen. Damals waren es die verschiedenen Sparten der Kunst, die das Emotionsleben der Bildungsbürger markant prägten und ihre Welterfahrung konstituierten; heute sind es Marken und Konsumprodukte, die das Emotionsleben so stark prägen, dass erneut ein Bedürfnis besteht, dem eine Gestalt zu geben. So wie heute jemand ein Moleskine-Notizbuch braucht, um sich selbst als kreativ, sensibel, authentisch, ursprünglich zu erfahren, so war es für den Bildungsbürger im 19. Jahrhundert ein Gedichtband, den er las, um sich in eine Stimmung des Kreativen oder Authentischen zu versetzen. Wichtig ist aber auch die soziale Dimension. Wie man sich früher in Vereinen zusammenschloss, trifft man sich heute in Communities im Web 2.0 und tauscht sich aus, kommentiert sich gegenseitig oder schließt sich zu einer Gruppe zusammen. Auch hier wird also nicht nur ein individuelles Selbstbewusstsein ausgebildet, sondern es geht genauso um Zusammengehörigkeitsgefühle. Wie das Bildungsbürgertum sich stolz und selbstbewusst durch die Vereine konstituiert hat, so artikuliert sich in Web 2.0-Foren ein Konsumbürgertum, das eine eigene Sprache, eine eigene Identität und eigene Artikulationsformen entwickelt. Einzelne betreiben diese irgendwann auch nicht mehr nur dilettantisch und als Amateure, sondern definieren sich sogar darüber. Wie aus Amateuren im 19. Jahrhundert ernst zu nehmende Künstler wurden – man denke etwa an Eduard Mörike, der zuerst nur ein Pfarrer war, der ein bisschen gedichtet hat –, so sind allmählich auch die ersten User zu beobachten, die sich aus Foren wie Flickr herauslösen und als eigenständige künstlerische Persönlichkeiten artikulieren.

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So hat etwa die US-amerikanische Grafik-Designerin Kate Bingaman-Burt im Jahr 2002 damit begonnen, ihre sämtlichen Einkäufe abzufotografieren; 2006 ging sie dazu über, alles, was sie einkauft, abzuzeichnen und alle Bilder auf Flickr hochzuladen. Erst nachdem etwas gezeichnet ist, wird es in den Haushalt integriert und verwendet. 2010 entstand aus vielen der Zeichnungen ein Buch mit dem Titel Obsessive Consumption (Abb. 12). Die Zeichnungen sind linear angelegt, es geht Bingaman-Burt nicht darum, die spezifische Materialität der Produkte oder das Volumen zum Ausdruck zu bringen. Wichtig sind ihr dafür die Aufschriften, die immer vollständig notiert sind. Auch der Preis ist jeweils mit angegeben, manchmal zudem ein eigener Kommentar, der die Zeichnerin als ironisch-skeptische Konsumentin ausweist. Im Vorwort ihres Buches schreibt sie, dass Einkaufen für sie immer schon stark emotional besetzt gewesen sei; sie stamme aus einer Familie, in der Konflikte beim Einkaufen und nicht am Küchentisch gelöst worden seien; das habe sie so geprägt, dass für sie jegliche Art von Selbstreflexion über Konsumprodukte stattfinde. Bingaman-Burt hat aber nicht nur dieses Buch publiziert, vielmehr kann man inzwischen auch jede Zeichnung für 20 Dollar über ihre Website kaufen. Damit ist daraus ein zumindest semikommerzielles Projekt geworden, die Zeichnerin ist aus dem Status einer Dilettantin schon hinausgewachsen, ja, hat ein eigenes Konzept gefunden, um Erfahrungen des Konsums selbstständig zu gestalten. Mehr als die einzelne Zeichnung beeindruckt dabei die Strenge, die darin liegt, jedem Produkt so viel Aufmerksamkeit und Zeit zu widmen, dass es abgezeichnet wird. Immerhin wird damit auch das Vorurteil dementiert, wonach Konsum nur etwas Oberflächliches und Flüchtiges sei. Dafür macht Bingaman-Burt dasselbe, was man aus Wissenschaften wie der Archäologie oder der Geologie kennt. Hier ist es bis heute allen technischen Möglichkeiten zum Trotz üblich, die Forschungsobjekte abzuzeichnen. So bietet das Zeichnen die einzige Chance, bewusst alles wahrzunehmen, was zu sehen ist. Wer eine Scherbe ausgräbt und nur abfotografiert, läuft hingegen Gefahr, etwas zu übersehen und eine Erkenntnis zu verpassen. Dass Binga-

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man-Burt das Zeichnen als Ritual der Vergegenwärtigung, aber auch einer Wertschätzung auf das Feld des Konsums überträgt, bedeutet somit nichts anderes als die Übertragung und Weiterführung einer alten Kulturtechnik auf etwas, das bisher nicht hinreichend ernst genommen worden war.

L ITER ATUR Bauman, Zygmunt (2009): Leben als Konsum, Hamburg: Hamburger Edition. Bingaman-Burt, Kate (2010): Obsessive Consumption, New York: Princeton Architectural Press. Chatwin, Bruce (1992), Traumpfade (1987), Frankfurt/Main: S. Fischer Verlag. Hogarth, William (2007): Analysis of Beauty (1753), dt. Analyse der Schönheit, Hamburg: Philo Fine Arts. Illies, Florian (2000): Generation Golf, Frankfurt/Main: Argon Verlag. Illies, Florian (2003): Generation Golf zwei, München: Karl Blessing Verlag.

A BBILDUNGSQUELLEN Abbildung 1: http://www.flickr.com/photos/troymason/4997307391/ am 03.02.2012 Abbildung 2: http://www.flickr.com/photos/24999443@N07/3200 691335/ leider nicht mehr verfügbar Abbildung 3: http://www.flickr.com/photos/horselatitudes/220496 6146/ leider nicht mehr verfügbar Abbildung 4: http://www.flickr.com/photos/horselatitudes/22311691 20/ leider nicht mehr verfügbar

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Abbildung 5:http://www.flickr.com/photos/16818323@N05/4292453 777/in/photostream/ am 03.02.2012 Abbildung 6: http://www.flickr.com/photos/zampetta83/352820390 8/ leider nicht mehr verfügbar Abbildung 7: http://browse.deviantart.com/?q=nutella&order=9&off set=360#/d12mfpk am 03.02.2012 Abbildung 8: http://www.flickr.com/photos/foxtrot-romeo/22337745 99/ am 03.02.2012 Abbildung 9: http://www.flickr.com/photos/hyekab25/4315508528/ am 03.02.2012 Abbildung 10: http://browse.deviantart.com/?q=nutella&order=9&o ffset=864#/d2llsw3 am 03.02.2012 Abbildung 11: http://www.flickr.com/photos/kateconsumption/99 947140/sizes/o/in/photostream am 03.02.2012

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Autorinnen und Autoren

Buck, Alex, Geschäftsführer der Peter Schmidt Group, Frankfurt. Alex Buck, Dr.-Ing. (Arch.), Dipl.-Designer (Universität Hannover, HfG Offenbach) gründete 1992 mit Partnern d...c brand + design consultants, die er 2000 in die design.net AG überführte. Von 1994 bis 2000 war er Verleger und Herausgeber von form – Zeitschrift für Gestaltung. 1998 bis 2000 unterrichtete er als Professor für Designtheorie und -strategie in München. Von 2000 bis 2002 CEO der design.net AG. Nach der Fusion mit Peter Schmidt Studios von 2002 bis 2008 Managing Partner / CEO der Peter Schmidt Group, seit Anfang 2009 dort Senior Partner und Chairman. Außerdem ist er Autor und Herausgeber einer Vielzahl von Artikeln und Büchern zum Thema Design, Innovations- und Brandmanagement. Fabo, Sabine, Studium der Kunstwissenschaft, Anglistik und Medienwissenschaften. Promotion über die intermedialen Beziehungen von Joseph Beuys und James Joyce. 1991 freie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. 1991-1997 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Kunsthochschule für Medien Köln. Seit 1998 Professur für Kunstwissenschaft im medialen Kontext am Fachbereich Gestaltung der FH Aachen. Arbeitsschwerpunkte sind historische und digitale Formen von Multimedialität, Sound und Visualität, Konzepte des Gesamtkunstwerks sowie Untersuchungen zu subversiven künstlerischen Praxen. Herausgeberin von Parasitäre Strategien, Kunstforum International, Bd. 185, 2007.

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V IELEN D ANK FÜR I HREN E INKAUF

Hellmann, Kai-Uwe, Vertretung der Professur für Soziologie (WISO) an der Helmut - Schmidt -Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg, Privatdozent an der TU Berlin. Seit Jahren hat sich der Sozialwissenschaftler mit zahlreichen Beiträgen an der Konsum- und Markenforschung beteiligt und in seinen Arbeiten die Fruchtbarkeit einer soziologischen Bearbeitung dieses Themenfeldes dokumentiert. Seine Habilitation Da weiß man, was man hat. Eine Studie zur Soziologie der Marke erschien 2003 in überarbeiteter Fassung unter dem Titel Soziologie der Marke im Suhrkamp Verlag, 2005 in zweiter Auflage. 2010 erschien die Aufsatzsammlung Fetische des Konsums. Studien zur Soziologie der Marke im Verlag für Sozialwissenschaften. Huestegge, Lynn, geboren 1975 in Wesel/Deutschland. 1995-2003 Studium der Psychologie (Dipl.) und Philosophie (M.A.) an den Universitäten Göttingen und Aachen. 2006 Promotion an der Universität Bielefeld, 2011 Habilitation an der RWTH Aachen University. Lynn Huestegge forschte 2001-2003 am Universitätsklinikum Aachen, ab 2003 Aufnahme von Lehr- und Forschungstätigkeit am Institut für Psychologie der RWTH Aachen University. Seit 2011 Lehre am Fachbereich Gestaltung der FH Aachen. Arbeitsschwerpunkte: Visuelle Kognition, Handlungssteuerung, Eye Tracking, Lesen, experimentalpsychologische Methoden. Kupetz, Andrej, geboren 1968, ist seit 1999 Hauptgeschäftsführer des Rat für Formgebung/German Design Council, Frankfurt am Main. Er studierte Industriedesign, Philosophie und Produktmarketing in Berlin, London und Paris. Nach beruflichen Stationen in den Bereichen Designmanagement und Hochschultransfer wechselte er 1997 zur Deutschen Bahn AG. Dort war er für die Markenführung im Konzern sowie für die Implementierung verschiedener CorporateDesign-Prozesse verantwortlich. Kupetz ist Mitglied im Fachbeirat

A UTORINNEN UND A UTOREN

des Design Management Institute Boston. Seit 2011 gehört er dem Hochschulrat der HfG Offenbach am Main an. Im selben Jahr wurde er von der Europäischen Kommission in das European Design Leadership Board berufen. Er ist verheiratet und hat drei Söhne. Kurz, Melanie, geboren 1976, studierte Produktgestaltung (Diplom) sowie Kommunikationsplanung und -gestaltung (Master of Arts) an der Hochschule für Gestaltung Schwäbisch Gmünd. Ihre Promotion über die Modelltheorie erfolgte an der Universität Duisburg-Essen am Lehrstuhl für Designwissenschaft. Als Designerin war sie unter anderem bei Neumeister Design und BMW Design tätig. Bei SIGNCE (vormals Ziba Europe) war sie als Creative Director zuständig für Designstrategie und User Interface Design. Seit 2008 ist Melanie Kurz Professorin für Designtheorie und Designgeschichte am Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule Aachen.  Schwer, Thilo, Mitinhaber von speziell®, Offenbach. Thilo Schwer studierte zwischen 1994 und 2001 Grafik und Produktgestaltung an der Schule für Gestaltung in Basel und an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach. 2002 gründete er zusammen mit Sybille Fleckenstein und Jens Pohlmann das Designbüro speziell®. Seit 2005 forscht er im Bereich der kontextabhängigen Produktrezeption auf Basis der soziologischen Systemtheorie. Auszüge seiner designwissenschaftlichen Tätigkeit werden seit 2006 publiziert und auf Konferenzen vorgestellt. Im Wintersemester 2011/2012 leitete er im Rahmen eines Lehrauftrags an der Folkwang Universität der Künste ein Seminar mit dem Titel «Aktuelle Designgeschichte und zeitgenössische Phänomene», das sich intensiv mit DIY und aktuellen Strömungen im Design auseinandersetzte.

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Skottke, Eva-Maria, geb. Eick, wurde 1974 in Münster geboren und begann ihr Studium der Psychologie 1996 in Oldenburg nach erster Berufserfahrung im Ausland (z.B. als Flugbegleiterin). Nach dem Vordiplom folgte der Wechsel an die RWTH Aachen University, wo sie 2000 ihr Diplom und 2007 auch die Promotion zu einem arbeitspsychologischen Thema abschloss. Seit der Promotion werden verschiedene Lehr- und Forschungstätigkeiten an der RWTH, der Europa-Fachhochschule Fresenius und der FH Aachen ausgeführt. Schwerpunkte von Dr. Eva-Maria Skottke sind Mensch-Technik-Interaktion, Usability und Verkehrspsychologie. Wolfgang Ullrich, geboren 1967, Studium der Philosophie, Kunstgeschichte, Logik/Wissenschaftstheorie, Germanistik. 1994 Promotion mit einer Arbeit über das Spätwerk Martin Heideggers. Danach freischaffend als Autor, Dozent, Unternehmensberater. 1997-2003 Assistent am Lehrstuhl für Kunstgeschichte der Kunstakademie München, anschließend verschiedene Gast- und Vertretungsprofessuren. Seit 2006 Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. Zahlreiche Publikationen zu Geschichte und Kritik des Kunstbegriffs, bildund kunstsoziologische Fragen, Konsumtheorie. − Letzte Buchveröffentlichungen: Habenwollen. Wie funktioniert die Konsumkultur?, Frankfurt/Main 2006; Gesucht: Kunst! Phantombild eines Jokers, Berlin 2007; Raffinierte Kunst. Übung vor Reproduktionen, Berlin 2009; Wohlstandsphänomene. Eine Beispielsammlung, Hamburg 2010; An die Kunst glauben, Berlin 2011.

Kultur- und Medientheorie Erika Fischer-Lichte, Kristiane Hasselmann, Alma-Elisa Kittner (Hg.) Kampf der Künste! Kultur im Zeichen von Medienkonkurrenz und Eventstrategien Februar 2013, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-89942-873-5

Sandro Gaycken (Hg.) Jenseits von 1984 Datenschutz und Überwachung in der fortgeschrittenen Informationsgesellschaft. Eine Versachlichung Dezember 2012, ca. 170 Seiten, kart., ca. 19,80 €, ISBN 978-3-8376-2003-0

Sven Grampp, Jens Ruchatz Die Fernsehserie Eine medienwissenschaftliche Einführung März 2013, ca. 200 Seiten, kart., ca. 16,80 €, ISBN 978-3-8376-1755-9

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Kultur- und Medientheorie Annette Jael Lehmann, Philip Ursprung (Hg.) Bild und Raum Klassische Texte zu Spatial Turn und Visual Culture Dezember 2012, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1431-2

Tobias Nanz, Johannes Pause (Hg.) Politiken des Ereignisses Mediale Formierungen von Vergangenheit und Zukunft Juli 2013, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1993-5

Ramón Reichert Die Macht der Vielen Über den neuen Kult der digitalen Vernetzung Dezember 2012, ca. 200 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN 978-3-8376-2127-3

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Vittoria Borsò (Hg.) Wissen und Leben – Wissen für das Leben Herausforderungen einer affirmativen Biopolitik Januar 2013, ca. 260 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2160-0

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Urs Hangartner, Felix Keller, Dorothea Oechslin (Hg.) Wissen durch Bilder Sachcomics als Medien von Bildung und Information Januar 2013, ca. 260 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1983-6

Markus Leibenath, Stefan Heiland, Heiderose Kilper, Sabine Tzschaschel (Hg.) Wie werden Landschaften gemacht? Sozialwissenschaftliche Perspektiven auf die Konstituierung von Kulturlandschaften Februar 2013, ca. 200 Seiten, kart., ca. 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1994-2

Claudia Mareis, Matthias Held, Gesche Joost (Hg.) Wer gestaltet die Gestaltung? Praxis, Theorie und Geschichte des partizipatorischen Designs Dezember 2012, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2038-2

Christoph Neubert, Gabriele Schabacher (Hg.) Verkehrsgeschichte und Kulturwissenschaft Analysen an der Schnittstelle von Technik, Kultur und Medien Dezember 2012, ca. 250 Seiten, kart., ca. 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1092-5

Marion Picker, Véronique Maleval, Florent Gabaude (Hg.) Die Zukunft der Kartographie Neue und nicht so neue epistemologische Krisen Januar 2013, ca. 330 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1795-5

Wiebke Porombka Medialität urbaner Infrastrukturen Der öffentliche Nahverkehr, 1870-1933 Dezember 2012, ca. 410 Seiten, kart., ca. 35,80 €, ISBN 978-3-8376-2168-6

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Zeitschrif t für Kultur wissenschaf ten Dorothee Kimmich, Schamma Schahadat (Hg.)

Essen Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 1/2012

Mai 2012, 202 Seiten, kart., 8,50 €, ISBN 978-3-8376-2023-8 Der Befund zu aktuellen Konzepten kulturwissenschaftlicher Analyse und Synthese ist ambivalent. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften bietet eine Plattform für Diskussion und Kontroverse über »Kultur« und die Kulturwissenschaften – die Gegenwart braucht mehr denn je reflektierte Kultur sowie historisch situiertes und sozial verantwortetes Wissen. Aus den Einzelwissenschaften heraus wird mit interdisziplinären Forschungsansätzen diskutiert. Insbesondere jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen kommen dabei zu Wort. Lust auf mehr? Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften erscheint zweimal jährlich in Themenheften. Bisher liegen 11 Ausgaben vor. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften kann auch im Abonnement für den Preis von 8,50 € je Ausgabe bezogen werden. Bestellung per E-Mail unter: [email protected]

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