Geschichte der Astrologie 3465017315

2., erg. Aufl.

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Geschichte der Astrologie
 3465017315

Table of contents :
Titel
Impressum
Inhalt
VORBEMERKUNG ZUR NEUAUFLAGE
VORWORT
EINLEITUNG
1 KALENDERDEUTUNG ALS VORSTUFE DER ASTROLOGIE
2 DIE BABYLONISCHE ASTROLOGIE
3 DIE HELLENISTISCHE ASTROLOGIE
4 DIE ASTROLOGIE IM RÖMISCHEN REICH
5 DIE INDISCHE UND ARABISCHE ASTROLOGIE
6 DIE ASTROLOGIE DES MITTELALTERS
7 DIE BLÜTEZEIT DER ASTROLOGIE 1450-1650
8 VOM VERFALL DER GELEHRTEN STERNDEUTUNGBIS ZUM AUSGANG DES 19. JAHRHUNDERTS
9 DIE ASTROLOGIE IM 20. JAHRHUNDERT
NACHWORT
PERSONENREGISTER
SACHREGISTER
Ergänzungen der Bibliographie

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WILHELM KNAPPICH

Geschichte der Astrologie

VITTORIO KLOSTERMANN FRANKFURT AM MAIN

Mit einer Vorbemerkung zur Neuauflage und Ergänzungen der Bibliographie von Bernward Thiel

CIP-Titelaufnahme der Deutsdten Bibliothek

Knappich, Wilhelm: Geschichte der Astrologie / Wilhelm Knappich. - 2., erg. Aufl. / mit e. Vorbemerkung zur Neuaufl. u. Erg. d. Bibliogr. von Bernward Thiel. - Frankfurt am Main : Klostermann, 1988 ISBN 3-465-01731-5

2., ergänzte Auflage 1988 © Vittorio Klostermann Frankfurt am Main 1967 Alle Rechte vorbehalten, insbesondere die des Nachdrucks und der Übersetzung. Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Werk oder Teile in einem photomechanischen oder sonstigen Reproduktionsverfahren oder unter Verwendung elektronischer, hydraulischer oder mechanischer Systeme zu verar­ beiten, zu vervielfältigen oder zu verbreiten. Satz: Buchdruckerei Richard Mayr, Würzburg Druck: Druckhaus Beltz, Hemsbach Printed in Germany

INHALT

Vorbemerkung zur Neuauflage Vorwort

IX XIII

Einleitung:

I. Vom Ursprung des Sternglaubens II. Werden und Wesen der Astrologie Literaturangaben

1 7 11

1. Kapitel:

Kalenderdeutung als Vorstufe der Astrologie

12

A. Die aegyptische Tagewählerei B. Das chinesische System der 8 Schriftzeichen C. Altamerikanische Kalenderdeutung

12 17 22

Literatur zum 1. Kapitel

29

Die Babylonische Astrologie

30

2. Kapitel:

A. B. C. D.

3. Kapitel:

Die sumero-babylonische Gestirnverehrung Magie, Mantik und Astrologie Mathematik und Sternkunde der Babylonier Übergang zur Geburtsastrologie

30 33 38 41

Literatur zum 2. Kapitel

44

Die Hellenistische Astrologie

46

A. Die Entstehung des Lehrgebäudes B. Die Elemente des Horoskops C. Deutungsmethoden und Anwendungsformen

46 53 64

Literatur zum 3. Kapitel im 4. Kapitel verzeichnet 4. Kapitel:

Die Astrologie im Römischen Reich

76

A. Aufnahme und Widerstand in der Republik B. Astrologie und Politik in der ersten Kaiser­ zeit

76 81 V

C. Die gelehrte Sterndeutung im 2. und 3. Jahr­ hundert 93 D. Die Astrologie im Kampf der Religionen 102 E. Der Ausklang des Heidentums und der antiken Astrologie 111

5. Kapitel:

Literatur zum 3. und 4. Kapitel

117

Die Indische und Arabische Astrologie

120

A. B. C. D. E. F. G. H.

6. Kapitel:

Die Anfänge der indischen Astrologie 120 Grundlehren und Anwendungsformen 124 Weitere Entwicklung der indischen Astrologie 130 Einleitung in die arabische Astrologie 132 Der Islam und die Sterndeutung 134 Die Elemente der arabischen Astrologie 137 Anwendungs- und Mischformen 139 Die Epochen der arabischen Astrologie 142

Literatur zum 5. Kapitel

151

Die Astrologie des Mittelalters

153

A. Die lateinische Astrologie im frühen Mittelalter B. Der arabisch-griechische Einfluß in der Früh­ scholastik C. Die Astrologie in derHochscholastik D. Die Astrologie in den einzelnenLändern a) Spanien b) Italien c) Frankreich d) England e) Deutschland f) Byzanz

Literatur zum 6. Kapitel 7. Kapitel:

Die Blütezeit der Astrologie 1450—1650

153 155 158 164 164 165 168 171 173 180 183 185

A. Einleitung 185 B Die Astrologie in der Philosophie dieser Zeit 186 C. Die Astrologie in der deutschen Reformation 199 VI

D. E. F. G.

8. Kapitel:

Die Haltung der katholischen Kirche Das neue Weltbild und die Astrologie Ausgestaltung und Auswertung der Astrologie Die Astrologie in den einzelnen Ländern a) Italien b) Frankreich c) Spanien undPortugal d) England f) Niederlande e) Deutschland g) Skandinavien h) Polen

203 207 214 225 225 231 237 239 254 242 257 259

Literatur zum 7. Kapitel

260

Vom Verfall der gelehrten Sterndeutung bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts

264

A. Die Ursachen des Verfalls 264 B. Placidus deTitis und die italienische Astrologie in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts 268 C. Morin und die Astrologie in Frankreich 272 D. William Lilly und die englische Astrologie 277 E. Die deutsche Astrologie bis zum Ende des 17. Jahrhunderts 284 F. Die Astrologie im Zeitalter der Aufklärung 291 G. Die Astrologie im 19. Jahrhundert 297

9. Kapitel:

Literatur zum 8. Kapitel

306

Die Astrologie im 20. Jahrhundert

307

I. Teil: Formen und Probleme der modernen Astrologie 1. Die Grundeinstellungen zur Astrologie 2. Die historisch-kritische Auffassung 3. Die esoterische Astrologie 4. Die empirische oder naturwissenschaftliche Astrologie 5. Die Statistik in der Astrologie 6. Die psychologisch-symbolische Astrologie

307 307 308 309 311 314 317

VII

7. Determinismus und Willensfreiheit 8. Probleme der Mundanastrologie

321 326

II. Teil: Die Entwicklung der Astrologie in den einzelnen Ländern 329 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Die Entwicklung im britischen Weltreich Indien Vereinigte Staaten von Amerika Frankreich Belgien und Holland Deutschland Österreich Schweiz Sonstige Länder

Literatur zum 9. Kapitel

330 334 337 343 348 350 364 367 369

372

Nachwort

373

Personenregister

381

Sachregister

392

Bernward Thiel: Ergänzungen der Bibliographie

397

VIII

VORBEMERKUNG ZUR NEUAUFLAGE

„Alles, was meßbar ist, messen und alles, was nicht meßbar ist, meßbar machen“. Dies ist eine Losung des Galileo Galilei und sie umreißt gut den einen Teil der Geistesbewegung am Beginn der abendländischen Neuzeit. Der Mensch der Renaissance will den Sinn des Lebens von der Natur her erklären und daher fasziniert ihn an Welt und Menschen die Fülle all ihrer Erschei­ nungen und er sucht, ihre Geheimnisse zu erkunden. Die Natur setzt er mit der Wirklichkeit gleich und um die Wirklichkeit voll zu erfassen, muß er die Gesetze der Natur erkennen. Er­ fahrung und Denken werden ihm zunehmend mehr als gläubiges Hinnehmen von Offenbarungen zu Kriterien der Erkenntnis. Diese aus Erfahrung und Denken gewonnene Erkenntnis führt zum Aufblühen der Naturwissenschaft und verdichtet sich zur Formulierung von Experimentalphysik. Aber den Menschen der Renaissance beunruhigt auch etwas Kommendes, dessen Gestalt er nicht genau fassen kann. Er sieht in den Erscheinungen der Natur auch Dinge von geheimnisvoller Vorbedeutung. Er horcht erwartungsvoll auf Zeichen und Wun­ der. Ja es herrscht die Empfindung vor, man sei dem Ende nahe gekommen. Diese beiden Stimmen sind charakteristisch auch für die ak­ tuelle geitige Situation. Der Mensch der Gegenwart fühlt sich in den vom Naturwissenschaftler uns präsentierten ausgemessenen Kosmos eingesperrt, wenn Psyche und Bewußtsein in ihm keinen Raum finden. Das Gefühl der Einsperrung ist zu verstehen, denn was vom „exakten“ Wissen ausgegrenzt wird, gehört dennoch zur Wirklichkeit des Menschen, da es in ihm wirkt. Astrologie wendet sich seit alters diesen unbenannten und un­ benennbaren Wirkungen zu. Diese rätselvolle Kunst widersetzt sich bis heute der klaren Zuordnung zu einem der beiden Be­ IX

reiche. Daher führt auch die offensichtlich unvermeidliche Alter­ native - ist sie Wissenschaft oder Aberglaube - unweigerlich in die Irre. Natürlich ist sie beides. Und wie Hermes Trismegistos klarstellen dürfte: keines von beiden. Dieses Zwischenreich betritt die Astrologie. Früher wurde sie mantisches Wissen genannt, auch mantische Kunst. Also ein Vor­ gang, der zum Weissagen dient. In unserer Zeit definiert sie Ren6 Guenon als „traditionelle“ Wissenschaft, die sich von der „exakten“ grundsätzlich darin unterscheidet, „daß sie die Psyche des Beobachters niemals von seiner Erkenntnis der beobachteten Erscheinung trennt“. Wer will da nicht fragen, mit welchen Gesichtern die Astro­ logie sich durch die Jahrtausende hin zeigte? Diese Frage wurde Wilhelm Knappich zur Leidenschaft. Nach einem Studium der Geschichte und als Bibliotheksdirektor in Wien bot sich ihm die Gelegenheit, aus den in den Wiener Bibliotheken vorhandenen geistes-, kultur- und medizinhistorischen wie auch religionsphi­ losophischen Quellen zu schöpfen. Aus diesem Quellenstudium ist im Laufe eines halben Jahrhunderts dieses Werk entstanden, das in seinem Konzept um ein vielfaches umfangreicher war. 21 Jahre nach dem ersten Erscheinen von Wilhelm Knappichs „Geschichte der Astrologie“ kommt eine Neuauflage heraus. In diesen Jahren ist die Astrologie wie ein Komet ins Blickfeld der Menschen geraten, so daß ihr nun eine ungewöhnliche Aufmerk­ samkeit zuteil wird. War es noch vor zwanzig Jahren mühsam, einen Einblick in die Grundlagen der Astrologie zu nehmen und eine horoskopische Methodik zu erlernen, so kann sich hierin heutzutage jeder mit Leichtigkeit Kenntnisse erwerben. Das vor­ liegende Werk trägt nun aber nicht nur zu der inzwischen vor­ handenen Vielfalt auf dem astrologischen Büchermarkt durch ein weiteres Buch bei, vielmehr vermag es, diese Vielfalt zu bün­ deln, indem es die einzelnen Zweige astrologischen Wissens wie aus einem Stamm hervorgehen läßt. Ja vielleicht führt es sogar durch die Ideengeschichte der Menschheit hindurch noch weiter zurück bis an die Wurzeln, die den der Astrologie zugrunde­ liegenden Geist erahnen lassen. X

Das Werk faßt die Geschichte der Astrologie des Mittelmeer­ raumes und seiner antiken Nachbarn zusammen und verfolgt die Entwicklungen bis in unsere Zeit. Nebenbei wirft es noch einen kurzen Blick auf China und Altamerika. Dabei trägt es aus der unüberschaubar werdenden Fülle oft schwer zugäng­ licher Quellen verschiedener geographischer und historischer Räume zusammen. Während das Grundlagenwerk „Sternglaube und Sterndeutung - Die Geschichte und das Wesen der Astrolo­ gie“ von Boll/Bezold/Gundel und „Paulys Realenzyklopädie der klassischen Altertumswissenschaft“ sich an einen kleinen Kreis von Spezialisten richten, werden durch Knappich die zu­ meist gleichen Quellen einem großen Leserkreis zugeführt. Darin ist Knappichs Astrologiegeschichte einzig und ein von nieman­ dem ersetztes Standardwerk. Und es liest sich flüssig. Wilhelm Knappich ist am 9. Oktober 1880 morgens um 7.30 Uhr Ortszeit in Wien geboren und starb dort am 28. De­ zember 1970. Seine „Geschichte der Astrologie“ basiert auf sei­ nem Wissen als Historiker und Astrologe. So hat sich ihm der tiefinnere Sinn der Texte wohl auch unmittelbar erschlossen. Auch zu den Autoren der Texte dürfte sich eine geistige Be­ ziehung angebahnt haben, so daß ihm jeder Autor zu einem personalen Vermittler der Kosmogonie wird. Da nimmt es nicht wunder, daß Knappich im Laufe seiner Arbeit auf C. G. Jungs Archetypenlehre stößt. Mit ihr findet Knappich eine Parallele zu seiner Vermutung, daß die astrologischen Elemente mit ent­ sprechenden Elementen in der Seele korrespondieren könnten. Der Sternenhimmel wird ihm zum „Bilderbuch der menschlichen Seele“. Damit fügt er dem Blick zum Himmel als polare Ent­ sprechung den Blick in die Tiefe hinzu. Und der führt in die Natur der Psyche. Ein allen Menschen gemeinsamer Teil der Psyche ist das kollektive Unbewußte. Es beinhaltet den Erfahrungsschatz der gesamten Menschheit. Dieser wird überliefert in Mythen, Mär­ chen und Sagen, wird ergriffen und erlitten im magischen Ritual, wird angewendet in der mantischen Kunst, wird ungerufen er­ fahren in Träumen, wird angerufen und begehbar im Kult, wird XI

in ein Regelwerk gefaßt in den sog. Geheimwissenschaften. Als Archetypen des kollektiven Unbewußten bezeichnet Jung ge­ wisse stets wiederkehrende Grundmuster, die sich durch be­ stimmte Bilder und Symbole anschaubar darstellen. Nun hat Knappich Jungs Symbolbegriff nicht richtig wieder­ gegeben. Knappich meint, das Symbol bezeichnete bei Jung „einen erst geahnten aber noch unerkannten Sachverhalt“. Das klingt, als könnten wir den durch das Symbol umrissenen Sach­ verhalt ganz erkennen. Wenn dem so wäre, gerieten wir in die Nähe des „exakten“ Wissens und hätten es eben nicht mit dem Zwischenreich zwischen Physik und Metaphysik zu tun. Dem­ gegenüber sieht Jung im Symbol „die bestmögliche Bezeichnung eines nicht völlig erkennbaren Objekts“. Daraus folgt, daß es Inhalte gibt, die wir nicht an ein System anbinden können. Und diese Inhalte erzeugen ein Kraftfeld, welches die Psyche reizt, das Objekt weiter zu betrachten. Dank dieser Aufmerksamkeit wird das Objekt, wenn es schon nicht völlig erkennbar ist, so doch in die Bilderwelt des Individuums eindringen und auf diese Weise im Menschen lebendig anwesend sein. Das Mißverständnis hinsichtlich dessen, was mit Symbol ge­ meint ist, hat wohl auch Knappich dazu verleitet, „in völlig objektiver Weise Wahrheit und Irrtum in der vielgeschmähten Astrologie aufzeigen zu wollen“. Das aber scheint mir kaum möglich zu sein. Wichtig sind die historischen Fakten und die geben wieder, was eine Zeit erkannt hat. Dagegen macht der Anspruch „Wahrheit und Irrtum aufzuzeigen“ den Eindruck, als käme eine historische Forschung je ans Ziel. Entdeckt werden immer nur Teile und zwar nur jene, die die Menschen einer Zeit sehen wollen und können. Etwas anderes ist es, wenn Knappich von historischen Fakten ausgehend Fäden bis in die Neuzeit zieht. Das ist spannend zu verfolgen und lädt den Leser ein, seinerseits zu forschen, ob er noch andere Linien aus der Vergangenheit her mit einmünden sieht.

XII

Gerade durch seine Anregung zu forschen, erweist sich Knappichs Werk auch heute als unentbehrliches Handbuch vor allem für den Astrologen. Ist der doch einzig damit beschäftigt, zu ergründen, „was womit zusammenzufallen beliebt“, wie Jung einmal sagt. Und derlei Zufälle berühren das Unermeßliche.

Todtmoos-Rütte im Januar 1988

Bernward Thiel

VORWORT

Der berühmte Historiker A. Bouch6-Leclercq hat sein aus­ gezeichnetes Werk „L’astrologie grecque“ (1899) mit dem Satz eingeleitet „On ne perd pas son temps en recherchant ä quoi d’autres ont perdu le leur“. (Man verliert nicht seine Zeit, wenn man untersucht, womit Andere ihre Zeit verloren haben). Mit diesen Worten suchte sich der Autor vor seinen ach so aufgeklär­ ten Fachgenossen förmlich zu entschuldigen, daß er dieser lächer­ lichen „Afterwissenschaft“ oder „Pseudo-Science“ immerhin 650 Seiten gründlichsten Quellenstudiums gewidmet hat. Aber war die Beschäftigung mit der Astrologie wirklich bloße Zeitverschwendung? Haben nicht die sorgsamen Aufzeichnungen babylonischer Omendeuter den griechischen Astronomen wert­ volle Hinweise gegeben und hat nicht das rein astrologische Interesse vieler Fürsten den Bau von Sternwarten und die Herausgabe zahlreicher Werke und Tafeln ermöglicht, von der Bibliothek des Königs Aschurbanipal bis zum Marswerk und den Rudolfinischen Tafeln Keplers? Die Geschlossenheit des astrologischen Weltbildes, die Cassirer einmal als den „großartigsten Versuch einer systematisch-kon­ struktiven Weltbetrachtung, der je vom menschlichen Geist ge­ wagt wurde“ bezeichnet hat, hat dieses Weltbild nicht allezeit große Denker und Dichter zu schöpferischen Leistungen angeregt?

XIII

Wahrlich der Nutzen einer seriösen Astrologie war mindestens ebenso groß, wie der Schaden, den der törichte Sternaberglaube angerichtet hat. Im Gegensatz zu anderen Autoren, die dicke Bücher gegen die Sterndeutung geschrieben haben, ohne auch nur den leisesten Ver­ such zu machen, am selbst gestellten Horoskop astrologische Be­ hauptungen nachzuprüfen, habe ich durch mehr als 50 Jahre die Systeme und Techniken der gelehrten Astrologen aller Zeiten soweit sie mir zugänglich waren - sorgsam studiert und an vielen Horoskopen erläutert und nachgeprüft. So darf ich mich wohl als sachkundigen Führer empfehlen, der den Leser auf seiner Wan­ derung durch die Jahrtausende begleiten und in völlig objektiver Weise Licht- und Schattenseiten, Wahrheit und Irrtum in der vielgeschmähten Astrologie aufzeigen will. Wir werden sehen, wie aus dem rein gefühlvollen Erleben der Naturvorgänge, aus uralten animistischen Vorstellungen und aus einer mythisch-symbolischen Denkform Weltbilder entstanden sind, deren Elemente noch heute in der Seele des Menschen her­ umgeistern.

Wir sehen weiter wie babylonische Stemforscher ’n unermüd­ licher Beobachtung und Registrierungstätigkeit ein kosmisch-ir­ disches Entsprechungssystem („Wie oben - so unten“) geschaf­ fen haben, aus dem griechische Rationalisten und hellenistische Mystiker ein an Widersprüchen reiches Lehrgebäude errichtet haben, das trotz seiner Mängel die Jahrhunderte überdauert hat. Und ebenso lang hielt sich das zugrundeliegende aristotelischptolemäische Weltbild, das wie ein schützendes Gehäuse dem Menschen das Gefühl der Geborgenheit im Kosmos gab. Mitleidlos zerschlug die moderne Naturwissenschaft dieses „Glashaus der 10 Sphären“ und warf die Menschenseele hinaus in die Unendlichkeit des Weltraums. Suchend irrte die Seele in­ mitten „toter Feuerbälle“ umher und fand in der „entgötterten Natur“ kein Obdach mehr. Was sollte sie auch im fernen Reich der Zentralsonnen, der Milchstraßen-Systeme und der Spiral­ nebel suchen? Selbst wenn in nicht allzu ferner Zeit ein Astro­ naut auf dem Monde oder auf dem Mars landen wird, er wird XIV

vergebens dort das suchen, was die Astrologie im Symbol „Luna“ oder „Mars“ bildhaft zusammengefügt hat.

Aber dieser moderne Drang zu fernen Welten gründet sich nicht bloß auf das Bestreben, neue Einsichten in die Struktur des Weltalls zu gewinnen oder verkehrstechnische und strategische Möglichkeiten aufzuspüren, er liegt auch in dem im Menschen immer wiederkehrenden Gefühl seiner Verbundenheit mit dem Kosmos, ein Gefühl bei dem stets ein geheimnisvolles Etwas mit­ schwingt. Tiefe Denker, von den griechischen Hermetikern über Paracel­ sus und Jakob Böhme bis zu den modernen Mythenforschern und Tiefenpsychologen, haben den Grund dieser eigenartigen „Reso­ nanz“ gefunden, er liegt in dem Glauben, daß der Mensch alle Sterngötter der Vorzeit, die Gestalten der Planetengötter und die Tierkreisbilder als lebende Urbilder (Archetypen) in sich sel­ ber trägt und daß sein Organismus mit seinen Grundfunktionen ein Abbild des großen Organismus, des Makrokosmos ist. Und so hat sich der Menschengeist nach den heftigen Attacken der Rationalisten bald wieder erholt; er hat sich an Stelle des zer­ trümmerten Glashauses der Sphären ein neues symbolisches Ge­ häuse, einen bio-zentrischen Kosmos geschaffen, der allerdings viel kleiner, aber menschlich näher geworden ist. Der Sternen­ himmel ist ihm zum Bilderbuch der menschlichen Seele geworden, aus dem der verständige Astrologe nur das herauslesen kann, was Menschen aller Zeiten in schauendem Erleben in ihn hineinver­ legt haben. Nur wenige Astrologen haben bisher den bitteren Weg der Resignation und der Loslösung vom materiellen Objekt (Jung) beschritten, die meisten Astrologen konnten da nicht mitmachen. Sie suchten und suchen noch immer nach irgendwelchen Gestirn­ strahlen oder kosmischen Potenzen - die nicht nur generell was verständlich ist - auf den Erdkörper und die auf ihn lebenden Organismen einwirken - sondern die auch in höchst individueller Weise das persönliche Schicksal des Einzelmenschen zwangsläufig beeinflussen sollen. Und so werden die modernen Astrologen noch lange in dem seltsamen Zwielicht verharren und XV

am Trugbild einer exakt sein wollenden „Wissenschaftlichen Astrologie“ festhalten, deren Fundamente doch einer ganz ande­ ren mythischen Denkform entstammen und die deshalb nie von der exakten Wissenschaft anerkannt werden wird. Nur die symbolische Astrologie - ein Kind der jüngsten Zeit zeigt hier den Ausweg: Nach ihr ist die Astrologie weder eine Wissenschaft noch ein Religionsersatz, sondern bloß eine Deu­ tungs-Kunst. Für sie sind die Planeten u. a. Sterne weder Dä­ monen noch kraftausstrahlende Himmelskörper, sondern bloß vom Menschen erdachte Merkzeichen, aus denen der Zeichendeu­ ter auf Grund von Analogieschlüssen nur Vermutungen über mögliche Anlagen und Tendenzen vorbringen kann, die sich realisieren können, aber nicht müssen. Der törichte Glaube an die „Schicksalsmacht der Sterne“ ist damit gefallen, und frei kann der Mensch wieder die Erhabenheit des Firmaments bewundern, auf dem die Sterne, stumm und unberührt vom Menschenschicksal nach ewigen Gesetzen ihre Kreise ziehen. Zum Schlüße möchten ich allen Personen, die mich bei meinen mühseligen Nachforschungen unterstützt haben, meinen wärm­ sten Dank aussprechen. Dies gilt ganz besonders den Beamten der österr. Nationalbibliothek und der Wiener Universitätsbiblio­ thek, sowie meinem Freunde Dr. Walter Koch, Göppingen, der mir nicht nur zur antiken Astrologie, sondern auch über die neuesten Forschungen in- und ausländischer Fachleute wertvolle Hinweise gegeben hat. Schließlich danke ich auch meinem Verleger, Herrn Kloster­ mann, der weder Kosten noch Mühe gescheut hat, dem Werk eine würdige Ausstattung zu geben.

XVI

EINLEITUNG

I. Vom Ursprung des Sternglaubens Wer in klaren Sternennächten den Blick zum Himmel lenkt, wird sich manchmal fragen: Wie kamen die Menschen dazu, die Sterne als Götter zu betrachten? Wie konnten sie in den in un­ endlichen Fernen gleichmäßig dahinziehenden Gestirnen gute oder böse Mächte sehen, die nicht bloß das Schicksal der Länder und Völker, sondern auch das Los des einzelnen Menschen be­ stimmen? Die Beantwortung dieser Fragen führt uns in jene Urzeiten zurück, wo die Menschen die Natur nicht verstandesmäßig er­ faßten, sondern schauend erlebt haben. Unser modernes, begriff­ lich-rationales Denken fußt auf dem Gegensatz zwischen Ich und Objekt; der Mensch steht sozusagen leidenschaftslos der Außen­ welt, dem „Gegenstand“ gegenüber. Der archaische Mensch kennt diesen Gegensatz nicht, für ihn sind alle Dinge der Außen­ welt, besonders aber Dinge, die sich bewegen, ein Abbild des Ich, ein Du, das, wie er selbst, belebt und beseelt ist. Und da die Beseelung meist in menschlicher Gestalt vorgestelk wird, wurde allmählich die „lebenstrotzende Natur“ personifiziert. Wenn der Sturmwind durch die Wälder braust, wenn die Erde bebt oder das Meer tobt, wenn die Quelle rieselt, so müssen das menschlich geformte Wesen, Sturmgeister, Meergötter, Nymphen oder Oreaden bewirkt haben. Hoch über diese Allbeseelung der Natur hat aber der Blick nach oben die Menschen aller Zeiten zum religiösen Erlebnis, zum Begriff eines Höchsten, Erhabenen und Heiligen geführt und gewiß war damit die Uroffenbarung eines gütigen Vaters und Schöpfers der Welt verbunden. „Wo der Himmel ist, da ist auch Gott“ sagt schlicht und einfach ein Neger vom EWE-Stamm. 1

Zu allen Zeiten, von Homer bis Kant, hat die Pracht des nächt­ lichen Sternenhimmels die Menschen mit Ehrfurcht und Bewun­ derung ergriffen. Im Sternenhimmel sieht der Mensch das Er­ habene, das hoch über ihm stehende Wesen und viele Götter hie­ ßen schlechthin „der Höchste“. So sagt auch Euripides:

„Du siehst des hohen Aethers grenzenlosen Strom, der unsere Erde liebevoll umfassend hält, den achte als den höchsten Gott und nenn’ ihn Zeus". Aber dieses höchste Wesen blieb den Menschen transzendent und unnahbar; es trat auch im Kult, der Mensch mit Gott ver­ binden soll, nicht hervor. Der Mensch suchte nach einem sicht­ baren Ausdruck für die verborgene Gottheit und er fand ihn als­ bald in der kosmischen Dreiheit: Himmel - Erde und Wasser. In vielen Mythologien erschienen Himmel und Erde als ein Ehe­ paar in liebender Vereinigung: aus dem Urwasser, dem Quell alles Lebens, steigen die niederen Götter empor. Aber auch die Gottheiten der drei kosmischen Urmächte traten im Kult nicht sehr hervor, an ihre Stelle traten die leuchtenden Sterne, die das menschliche Tagewerk bestimmen, insbesondere die planetare Dreiheit Sonne — Mond - Venus, die drei leuchtendsten Ge­ stirne am Himmel.

Manche Forscher glauben, daß der Kult der Sonne die Wurzel aller Religionen sei, andere glaubten das vom Monde; indessen ist der Sonnenkult nicht so allgemein verbreitet; er tritt erst bei seßhaften, ackerbautreibenden Völkern auf, die schon staatlich organisiert sind. So ist die Sonne nicht bloß Symbol für den Herr­ scher, den „Sohn der Sonne“, sondern auch Symbol für eine be­ vorzugte Klasse und für die Vorherrschaft des Geistigen über das Unbewußte, Stoffliche. Bei den noch nomadisierenden Jagdund Wüstenvölkern war der nächtliche Mond Gegenstand der höchsten Verehrung; seine Zu- und Abnahme, sein zeitweiliges Verschwinden und Wiedererscheinen führte dem Menschen sinn­ fällig das Werden und Vergehen, die lebendige Zeit vor und gemahnte ihn an Tod und Wiedergeburt. 2

In vielen Mythologien werden Sonne und Mond als Vater und Mutter gedacht, man empfand in beiden den polaren Gegensatz zwischen Licht und Dunkel, Tag und Nacht, Arbeit und Ruhe, Geist und Stoff, Elite und Masse, zwischen einem männlich-akti­ ven Prinzip (chinesisch: Yang) und einem weiblich-passiven Prinzip (chinesisch: Yin). Zwischen den leuchtenden, oft als seelenlos empfundenen Fix­ sternen, die an das Sternenzelt angeheftet sind, befinden sich eine Anzahl von Wandelsternen, die gleichsam wie umherirrende Schafe sich bald vorwärts - bald rückwärts bewegen, es sind die 5 Planeten, die ihren Namen von dem griechischen Wort planaomai = umherirren haben. Der Glaube an die Göttlichkeit der Gestirne, insbesondere der Planeten war bei vielen Völkern der Vorzeit, bei Primitiven und Kulturvölkern, allerdings in verschiedenen Formen und Entwicklungsstufen vorhanden. Vom Fetischismus und dem Zauberglauben, daß in Metallen, Edel­ steinen, Pflanzen etc. die Kräfte der Sternengeister stecken, bis zu den erhabenen Gedanken Platos, daß in den Gestirnen gött­ liche Seelen wohnen, die sie lenken ebenso wie unsere Seele den Leib denkend bewegt - ist ein weiter Weg. Dazwischen steht auch der Ahnenkult und der Glaube, daß alle Sterngötter einst auf Erden geweilt haben; daß alle Men­ schen vom Himmel kommen und zum Himmel gehen und daß die Sterne die Seelen der Verstorbenen aufnehmen oder darstellen. In vielen Mythen und Mysterienkulten wurde von einer „Himmelsleiter“ oder von der „Himmelsreise der Seele“ ge­ sprochen, einer emporsteigenden menschlichen Seele, die durch alle Planetensphären wandert, bis sie rein und nackt vor Gottes Angesicht steht. Griechische Mythographen wie Aratos oder Eratosthenes ha­ ben die griechischen Sagenhelden Herkules, Orion oder Perseus in die Sternenwelt erhoben und selbst historische Persönlichkei­ ten wie Scipio, Caesar oder Augustus wurden versternt. Rüh­ rend kommt dieser allgemeine Volksglaube in griechischen Grab­ schriften zum Ausdruck; so heißt es auf einem Grabstein in Amorgos: 3

Mutter weine nicht! Was sollen deine Tränen? Verehre mich vielmehr und staune! Denn ein Stern bin ich geworden, ein göttlicher, Der am Abendhimmel steht.

Oft trifft man auf die Ansicht, daß die Sterne nicht selbständig handelnde Wesen sind, sondern von Engeln oder Dienern der Götter bewohnt und gelenkt werden. Selbst in der babylonischen Gestirnreligion waren die Wandelsterne zunächst nur Wohnsitze der Götter oder Dolmetscher, die den Willen der Götter ver­ künden sollten. Erst in der iranischen Astrotheologie, die einen steten Kampf der Heerscharen des Lichts gegen die Mächte der Finsternis lehrt, kämpfen die Planeten selbst an der Seite des bösen Ormuzd. Dadurch erhielten die Planetengeister einen zwie­ spältigen dämonischen Charakter und wurden allmählich, be­ sonders in dem von den Persern eroberten Aegypten zu indivi­ duellen Schicksalsmächten. Solche persisch-aegyptische und chaldäische Astrallehren, selbst die indische Karmalehre, muß wohl schon Plato gekannt haben, denn in seinen Alterswerken, im „Timaeus“ und im „Staat“ erzählt er in mythischer Form, daß die Planeten vom Weltschöpfer den Auftrag erhalten haben, die Menschen zu hegen und zu pflegen und sie nach ihrem Tode bei sich aufzunehmen. Und im Mythos vom ER wird erzählt, daß jeder Mensch vor seiner Inkarnation sich sein Los frei wäh­ len könne. Das wird dann durch die Moiren (Schicksalsgöttinen) auf den Himmel getragen und ist nun unabänderlich, worüber die Planeten zu wachen haben. Von den ionischen Naturphilosophen, die den schweren Weg vom Mythos zum Logos erstmalig beschritten haben, wurde der Glaube an die Göttlichkeit der Gestirne glatt verneint; Anaxagoras sagt „die Sonne ist nichts als ein glühender Stein“. Das hätte ihm bald das Leben gekostet, wenn nicht Perikies seine schützende Hand über ihn gehalten hätte. Aber von den stoischen Philosophen wurde der allgemeine Glaube an die Göttlichkeit der Gestirne neu gestärkt und in weihevollen Hymnen besangen ein Kleanthes u. a. Zeus und die anderen Planetengötter. Dichter 4

und darstellende Künstler haben dem Volke diese Götter in blut­ vollen Gestalten vertraut gemacht.

Noch heute erscheinen diese Planetengötter in griechischem Gewände und von griechischen Sagen umhüllt, doch dürfen diese Zeitkleider nicht für das Wesen der Sterngötter gehalten werden; auch darf man nicht, wie es manche Philosophen tun, ihre Eigen­ schaften aus den Namen und Sagen allein herleiten. Denn diese Gestalten gehen auf allgemein-menschliche Erlebnisse, auf ge­ schaute Urbilder oder Archetypen zurück, die auch in anderen Mythologien in mehr oder minder ähnlicher Form vorkommen. Was der Menschengeist in den Sterngöttern erschaut, erlebt oder ahnungsvoll erfühlt hat: das Sonnenhafte, Martialische, Joviale, das Venushafte oder die saturnische Schwere und Beständigkeit, das „sind symbolische Ausdrücke für das innere, unbewußte Drama der Seele“ (Jung), die auf dem Wege einer unbewußten Projektion auf den Himmel, bzw. in die leuchtenden Sterne hineingelegt worden sind. In bewußter Form erscheint es uns nun, als ob die Sterne selbst diese Eigenschaften besässen. Der Gedanke, daß die Planetengötter eigentlich in uns sind, daß sie hinausverlegte Gebilde unserer Seele sind, war schon den alten Hermetikern bekannt; wir finden ihn weiter bei arabischen und mittelalterlichen Denkern wie Cusanus und Paracelsus, der kurz und bündig sagt: Es ist nicht der Saturn ober uns, es ist der Saturn in uns, der uns peinigt. In einem von Stobaeus erhaltenen hermetischen Text heißt es „In uns sind: Mond, Mars, Jupiter, Venus, Saturn, Merkur und die Sonne; darum ward unser Teil aus dem Aether in uns zu saugen Weinen, Lachen und Zorn, Sinn, Leben, Schlaf und Begierde. Es gibt Träume Saturn, Leben Jupiter, Einsicht Merkur uns, Zorn sendet Mars, Selene den Schlaf und Venus Begierde, doch von der Sonne kommt Lachen, es lachet ihm füglich entgegen jegliches menschliche Denken und auch das unendliche Weltall.“ 5

Symbole sind nach Jung bestmögliche Ausdrücke für einen erst geahnten, aber noch unerkannten Sachverhalt. Sie sind stets komplexer und kohärenter Natur, d. h. sie sind vieldeutig und haben das Bestreben sich an Dinge, die in Gestalt oder Funktion ähnlich sind, anzuklammern. So entstehen Symbolketten oder Symbolismen, die ein analytisch geschulter und begrifflich denkenderGeist kaum erfassen kann (Eliade). ImSymbolismusMond schwingen dabei etwa folgende Bilder und Gedanken mit: Nacht - Wasser - Fruchtbarkeit - Frau - Mutter - periodische Regene­ ration, Werden und Vergehen, Zufall und Glück, Schicksal und Tod. Oft werden solche Symbolismen durch Mythen oder Mär­ chen erläutert, die das räumlich und zeitlich auseinanderlegen, was im Symbol zur lebendigen Ganzheit geworden ist. Zu diesen „Archetypen eines kollektiven Unbewußten“, die der Menschheit eigen sind und von Geschlecht zu Geschlecht ver­ erbt werden, gehören nach Jung auch die seltsamen Gestalten des Tierkreises. Sie sind, urtümlich betrachtet, nichts anderes als Ant­ worten der Seele auf jahreszeitliche Erlebnisse und eigenartige Stimmungen, hervorgerufen durch die wechselnden Wärme- und Lichtenergien der Sonne. Sie haften und hafteten stets auf den Abschnitten der Sonnenbahn, doch wurden sie natürlich auf die hinter diesen (unsichtbaren) Abschnitten stehenden Sternbilder projiziert. So erblicken wir im Symbolismus „Stier“ die frühlingshaft erblühende zeugende Natur, den fruchtbaren Ackerboden, aber auch das erdhafte, beharrende und oekonomische Denken; - das herbstliche Zeichen Skorpion, die Jahreszeit wo das Laub von den Bäumen fällt und der Wein in den Kellern gärt, gemahnt uns an den Tod, an den Abstieg in die Unterwelt, sowie an das aus geheimnisvollen Tiefen aufsteigende Dämonische, HinterlistigGiftige und an das Jenseitige. Wie die Planetengötter wurde auch der Tierkreis von mythi­ schen Gestalten und Sternsagen umhüllt, von Dichtern wie Aratos oder Eratosthenes erhielt er seine heutige feste Gestalt. Aber auch hier muß daran erinnert werden, daß die Sagen­ figuren als symbolische Ausdrücke seelischer Erlebnisse in die 6

Sternenbilder hineingedeutet, (projiziert) aber keineswegs aus der zufälligen Gruppierung der Sternbilder herausgelesen wur­ den. Der „Wagen“ macht da vielleicht die einzige Ausnahme. So ist der Sternenhimmel für uns heute nichts anderes als das aufgeschlagene Bilderbuch der menschlichen Seele mit all’ ihren Höhen und Tiefen menschlichen Erlebens. „Diese unbewußte Projektion - sagt Jung - ist dermaßen gründlich geschehen, daß es einige Jahrtausende Kultur bedurfte, um sie auch nur einiger­ maßen vom äußeren Objekt abzutrennen“. Jung meint, die Astrologen hätten es bis heute nicht fertig gebracht, die hinaus verlegten Gebilde und Charaktereigenschaften von den Sternen abzutrennen - sondern den gefährlichen Irrweg eingeschlagen, den Sternen direkte Einflüsse auf Charakter und Schicksal der Menschen zuzuschreiben. Dachten alle Astrologen so? -

II. Werden und Wesen der Astrologie

Dies führt uns zur Astrologie, die eine verhältnismäßig späte Frucht des menschlichen Denkens ist, in der sich in wunderlicher Weise Irrationales und Rationales, schauend Erlebtes und ver­ standesmäßig Erfaßtes zu einem an Widersprüchen reichen System verbunden haben. Ein Beispiel dieser Vermischung gibt uns das Problem der Zeit. Für den archaisch denkenden Menschen ist die Zeit kein homo­ gener, abstrakter und quantitativer Begriff, er kennt nur eine schauend erlebte heilige Zeit und jeder Abschnitt wird von ihm verschiedenartig qualitativ bewertet. Am Bilde des ewig wechselnden, wachsenden und zeitweilig verschwindenden Mon­ des erlebte der Mensch sinnfällig die Periodik und Rhythmik des Lebens. Im Wesen der mythisch empfundenen Zeit liegt daher auch der Gedanke der Wiederholung alles Geschehens. Was einst am Himmel geschah, oder was die Götter einst taten, wiederholt sich immer wieder, man muß es nur aufzeichnen. Und hier tritt uns nun eine andere, die astronomisch meßbare Zeit entgegen und wieder ist der Mond der erste Messer der Zeit 7

(die Ausdrücke mens, meno, mond etc. gehen alle auf die Sans­ kritwurzel mas zurück, das messen bedeutet). Für ein seßhaftes, ackerbautreibendes Volk war eine geordnete Zeitrechnung unerläßlich, doch setzte die Schaffung eines astro­ nomisch begründeten Kalenders eine längere stete Himmels­ beobachtung, die Kenntnis größerer Zahlen und das Vorhanden­ sein einer Schrift voraus, um die gemachten Beobachtungen fest­ halten zu können. Sie konnten nur von geeigneten Leuten, (meist Priestern) an geeigneten Stätten (Tempeltürmen) gemacht werden und so war wohl die Kalenderkunde die älteste Wis­ senschaft, die geheim gehalten wurde. Die Verbindung von Priesterschaft, Tempel und Himmelskunde stärkte gewiß den all­ gemeinen Glauben, daß die Sterne göttliche Wesen seien. So haben die Priesterschaften den Festkalender geschaffen, aber sie haben darin nicht bloß die rein astronomisch-chronologischen Daten gegeben, sondern auch die heilige (qualitative) Zeit be­ rücksichtigt, indem sie die für jeden Tag gültigen Zeremonien angegeben haben, die an das erinnern sollten, was die Götter in „illo tempore“ getan oder erlitten haben. Jeder Tag hatte also eine bestimmte günstige oder ungünstige Qualität, die sowohl für ein geplantes Vorhaben als auch für das Schicksal der an diesem Tage Geborenen bedeutsam war. So wurde der Kalender zum Schicksalsbuch der Menschen und die Ausdeutung dieser Zeiträume (Chronomantie) kann man als Vorstufe der Astrologie ansehen. Wir finden diese Form in Aegypten, in China und fast ebenso bei den Azteken und Mayas in Amerika und werden sie im 1. Kapitel behandeln. In Babylonien hingegen hat die ausgeprägte Gestirnreligion und die fortlaufende Sternbeobachtung zu dem Gedanken ge­ führt, daß die Götter durch die Stellung der Gestirne den Menschen ein Zeichen, ein Omen geben wollen. Nicht die von Göttern beherrschten Zeiträume, sondern die räumlichen Ver­ änderungen in den Stellungen der Gestirne und nicht die regel­ mäßigen (für den Kalendermacher wichtigen) Abläufe, sondern vor allem das Unerwartete, die Ausnahmserscheinungen waren „ominös“, aus denen man den Willen der Götter erfahren kann. 8

Durch Jahrtausende haben die babylonischen Sternforscher die seltsamen Bewegungen der Gestirne beobachtet, aber immer nur gefragt: „Was will der Gott damit sagen?“ Sie haben die Ant­ wort im steten Vergleich mit etwa gleichzeitig auftretenden irdi­ schen Erscheinungen zu finden gesucht. So ist zum schauenden Erleben die nüchterne rationale Er­ fahrung und Materialsammlung gekommen; man nahm an, daß auf ähnliche Konstellationen auch wieder die entsprechenden ir­ dischen Ereignisse folgen werden. So war also z. B. Mars-Nergal nicht bloß der schauend erlebte „todgesättigte Gott“, sondern auch ein empirisch gefundenes oder bestätigtes Anzeichen von Unheil. In einem alten Keilschrifttext heißt es z. B.: „Nähert sich Mars den Plejaden, so wird im Lande Amurru Zwietracht herr­ schen, der Bruder wird den Bruder töten“. Viele tausende, auf Keilschrifttäfelchen verzeichnete und syste­ matisch geordnete Omina, die manchmal bis auf sumerische Zeiten zurückgehen, wurden in der ab 1847 ausgegrabenen Bibliothek des Königs Aschurbanipal (680 v. C.) gefunden; sie zeugen von der Sorgsamkeit, mit der stets himmlische und gleich­ zeitig irdische Erscheinungen aufgezeichnet, miteinander ver­ glichen und prognostisch verwertet wurden. (Näheres im 2. Ka­ pitel). So war das alte Babylonien zweifellos die Urheimat einer beobachtenden und deutenden Astrologie und blieb es durch viele Jahrhunderte. Erst in spätbabylonischer Zeit und wohl schon unter dem Einflüsse griechischer Denker suchte man die physische Ursache für die scheinbaren Zufälle und Unregelmäßig­ keiten im Sternenlauf (z. B. unerwartete Finsternisse) und kam so zur Entdeckung gesetzmäßiger Zusammenhänge. Das führte schließlich zur Schaffung von Mond- und Planetentheorien, wo­ durch man Finsternisse und alle Gestirnstellungen vorausberech­ nen konnte. Man sollte nun meinen - und auch Plato glaubte dies (im Timaeus), daß das, was man vorausberechnen kann, nicht mehr ominös sei und zu Deutungszwecken nicht mehr gebraucht werden könne und daß somit die Astrologie als Omendeutung allen 9

Grund verloren habe. In der Tat scheinen auch einige spätbaby­ lonische Astronomen wie Naburianu oder Kidinnu das Interesse an der Astrologie verloren zu haben. Indessen hat gerade die Einsicht in die grandiose Gesetzmäßig­ keit des Sternenlaufes zu einem neuen astrologischen Weltbild, zum Bilde eines geordneten Kosmos und eines großen Organismus geführt, in dem alle Glieder und auch der Mensch als Abbild dieses Kosmos in einem Wirkungszusammenhang stehen und im Sinne eines Ganzen Zusammenwirken. So wurde unter dem Ein­ flüsse der griechischen Naturphilosophen und Mathematiker und des aegyptisch-griechischen Schicksalsglaubens aus der babyloni­ schen Omendeutung, die genereller Natur war, die hellenistische Astrologie und individuelle Geburtshoroskopie, ein merkwür­ diges, zwischen Gestirnreligion und Wissenschaft, zwischen meta­ physischer Spekulation und nüchterner Empirie schwebendes Ge­ bilde, das mit all’ seinen Widersprüchen und Rätseln bis in die Gegenwart fortgeschleppt wurde. Durch viele Jahrhunderte tobte nun der Kampf zwischen einer enthüllenden, rationalistischen Astrologie, in der die Sterngötter zu physischen Prinzipien und Urkräften wurden, die alles Irdi­ sche beeinflussen und einer verhüllenden, von Priestern zu Macht­ zwecken oft geheimgehaltenen esoterisch-magischen Astrologie, in der die Sterngötter als geistige Prinzipien oder Entelechien oder aber als dämonische Mächte betrachtet wurden, die man durch magische Mittel beeinflussen kann. Und es scheint so, als ob auch heute noch die alten Sterngötter trotz aller mathematisch-physikalischen Verkleidung viele Astro­ logen in ihrem Bann hielten. Erst in jüngster Zeit hat man versucht, sich von diesem Bann zu befreien; das war das Bestreben der symbolischen Astrologie. Für eine rein symbolisch aufgefaßte Astrologie sind diePlanetenund Tierkreisgestalten nichts anderes als Zeichenträger, die von sich aus weder etwas bewirken noch etwas anzeigen können. Es ist lediglich der Mensch, der sie bei der relativ häufigen Gleichzeitig­ keit kosmischer und irdischer Geschehnisse als Hilfsmittel benutzt und der sich damit ein kunstreiches Beziehungssystem geschaffen 10

hat, womit er mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit etwas über Charakter und Schicksalstendenzen aussagen kann. Gewiß gibt es außerirdische Kräfte, die den Erdkörper sowie den Rhythmus alles Lebendigen weitgehend beeinflussen. Diese Einflüsse sind aber genereller Natur und gehören in den Forschungsbereich der Physiker und Biologen.

Literaturangaben (siehe dazu auch die Literatur über antike Astrologie im 4. Kap.) Boll-Bezold: Sternglaube und Sterndeutung. Die Geschichte und das Wesen der Astrologie. 3. u. 4. Aufl. bearb. v. W. Gundel 1926/32. Cassirer E.: Die Begriffsform im mythischen Denken. 1922. Danzel Th.: Magie und Geheimwissenschaft in ihrer Bedeutung für Kultur- und Sittengeschichte. 1924. Eliade A.: Die Religionen und das Heilige. 1955. Gundel W.: Sterne und Sternbilder im Glauben des Altertums und der Neuzeit. 1922. Gundel W.: Sternglaube, Sternreligion, Sternorakel. 2. Aufl. bearb. v. H. G. Gundel. 1959. Jung C. G.: Bewußtes und Unbewußtes. (Auswahlband, enthaltend die Archetypenlehre) 1957. Jung C. G. u. K. Kerenyi: Einführung in das Wesen der Mythologie. 4. Aufl. 1951. Köppers W.: Der Urmensch und sein Weltbild 1949. Levy-Brühl, L.: Das Denken der Naturvölker, deutsch hrsg. W. Jeru­ salem. 1921. Norman F.: Mythen der Sterne 1925. Welt u. Mensch: Einzelbilder zur Kulturgeschichte des Sternenhimmels. 3 Folgen. 1925—27. Zinner F.: Sternglaube und Sternforschung. 1953. Frankfort-Wilson-Jacobsen: Frühlicht des Geistes. Wandlungen des Weltbildes im alten Orient. 1954.

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1. Kapitel KALENDERDEUTUNG ALS VORSTUFE DER ASTROLOGIE

A. Die aegyptische Tagewählerei

Aegypten ist, wie Herodot sagt, ein Geschenk des Nils. In der Tat verdankt Aegypten dem Vater Nil nicht bloß seine außer­ ordentliche Fruchtbarkeit, sondern auch viele seiner geistigen Er­ rungenschaften. Um das genaue Datum der Nilschwelle festzu­ halten, mußte man sorgsam den Lauf der Sterne beobachten; um die Beobachtungen zu fixieren, waren Schriftzeichen nötig und die Notwendigkeit, die alljährlich überschwemmten Grenzsteine neu zu bestimmen, führte zur Feldmeßkunst. So schuf der Kampf um die Beherrschung des Nils eine intellektuelle Ober­ schicht von Mathematikern, Astronomen und Ingenieuren, die in engen Beziehungen zur Priesterschaft stand, da alle diese Wis­ senszweige nur in den Tempeln gelehrt und streng gehütet wurden. Charakteristisch für die alten Aegypter ist ihre tiefe, auf ein ewiges Leben im Licht gerichtete Frömmigkeit, ihre lebensnahe, stets auf das Gegenständliche gerichtete Denkweise und ihre konservative Gesinnung, die das einmal Erdachte oder Erfühlte beibehält und Altes nicht durch Neues ersetzt, sondern das Alte weiter mitschleppt. So erhielten sich Sitten und Gebräuche, Wissenschaft und Technik, selbst der Kunststil auf der vor Jahr­ tausenden erreichten Höhe, die bis zur hellenistischen Zeit unver­ ändert gehalten wurde. Daher zeigt auch die aegyptische Religion eine bunte Vielfalt von Entwicklungsstufen von animistischen und fetischistischen Formen über zahlreiche Natur- und Lokalgötter bis zu einer Art Monotheismus oder besser Monophysitismus (Wilson), da in den gebildeten Schichten der aegyptischen Gesellschaft der Glaube 12

vorherrschte, daß alle diese Göttergestalten nur Manifestationen einer in der Natur verankerten, immanenten Gottheit sind. Die sichtbarste Manifestation fand die Gottheit in der Sonne, die in einem fast regenlosen Lande und bei einem ackerbautrei­ benden Volke die höchste Verehrung fand. Schon seit Urzeiten bestand hier ein Sonnenkult und in der Zeit der 4. Dynastie (ca. 2400 v. C.) hatte die Priesterschaft von Heliopolis eine Solar­ theologie gelehrt, wonach der Pharao dem Leibe des Sonnengottes entstammt und nach seinem Tode in diesen zurückkehrt. Im Sonnenhymnus des Pharao Echnaton (um 1300) heißt es von der Sonne: „Wenn du aufgehst, so leben wir; gehst du unter, so sterben wir, denn du bist die Lebenszeit, durch dich leben die Menschen.“ Ein besonderes Kennzeichen der aegyptischen Denkweise war die Vergöttlichung der Zeiträume. In ihrer mythischen Auffas­ sung ist die Zeit etwas durchaus Gegenständliches und Lebendes und jeder Zeitraum hatte seine bestimmte, meist personifizierte Qualität. Die 4 Abschnitte im Tageslauf der Sonne wurden mit den 4 Lebensaltern verglichen und so war die Morgensonne ein Kind, die Mittagssonne ein Mann oder ein zum Himmel streben­ der Falke, die Abendsonne ein Greis mit Stab und die Mitter­ nachtssonne der Leichnam Chum oder Osiris in der Unterwelt. Die Aegypter glaubten, daß der Sonnengott, wie auch die anderen Sterngötter beim Durchschreiten der Himmelsräume etwas von ihrem „KA“ (dem Astralleib) zurücklassen, so daß alle Zeiträume krafterfüllt sind und von Wächtern behütet oder von gewissen Zeitregenten beherrscht werden. Und alles, was der Gott zu einer bestimmten Zeit getan hat, drückt diesem Zeitraum ein für allemal seinen Stempel auf. Mythen und Riten, Form der Festkalender sorgen dafür, daß alles, was „in illo tempore“ ge­ schehen ist, lebendig bleibt. Die konservative Gesinnung der Aegypter drückt sich auch in ihrer Zeitrechnung aus, die auf ein sehr hohes Alter zurückgeht. Nach Herodot haben „die Aegypter vor allen Völkern zuerst das Jahr gefunden, es bestehe aus 360 Tagen und 5 Schalttagen und sei von den Sternen abgenommen worden.“ Schon im 13

3. Jahrtausend bemerkte die Priesterschaft, daß der Stern Sirius 4 Tage später als an ihrem Neujahrstage (dem 1. Thot) heliakisch aufging, daß also das Jahr eigentlich 365 % Tage hatte. Aus Rücksicht auf den Festkalender ließen sie aber alles beim Alten, obwohl nun die Feste durch das ganze Jahr wanderten. Erst in hellenistischer Zeit wurde da einiges geändert und erst die autoritär verfügte Kalenderreform Julius Caesars schaffte hier Ordnung. Das bürgerliche Jahr wurde in 3 Jahreszeiten ein­ geteilt, denen Gottheiten vorstanden. Die Flutzeit (ca. Juli-Ok­ tober) wurde von Osiris regiert, die Saatzeit (ca. NovemberFebruar) von der Mondgöttin Isis und die Erntezeit vom Kind­ gott Horus. Den 12 Monaten standen 12 Monatsgötter vor, der erste Monat Thot war nach dem schriftkundigen Thot (Hermes) be­ nannt. Der Monat zu 30 Tagen zerfiel in 3 Dekaden oder Zehntagewochen, denen die sogenannten Dekane vorstanden. Diese waren sowohl Raum- als personifizierte Zeitgrößen und sind das einzige astronomische Konzept von wirklich aegyptischem Ur­ sprung! (Neugebauer.) Die Dekane waren Konstellationen, die im Zeitraum von je 10 Tagen am Himmel heliakisch (also kurz vor Sonnenaufgang) aufgehen. Älteste Darstellungen solcher Dekansternbilder fanden sich im Grabe des Ensath zu Ashiut, das der Zeit der 5. Dynastie entstammt. Ausführlicher sind sie im Grabe des Senmut (um 1600) dargestellt, wo einige Sternbilder wie Orion, Andromeda, Sirius deutlich erkennbar sind. Die 36 Dekangötter spielten in der aegyptischen Religion, Ma­ gie und Medizin eine große Rolle. Sie waren die Herren der Zehn­ tagewochen, sie beherrschten die 36 Gaue Aegyptens, dann be­ stimmte Völker und Länder, und waren Urheber von Krank­ heiten in jenem Körperteil, den sie beherrschten. Neuerdings haben Schott und Lankes auf den funerären Charakter der 36 Dekangötter hingewiesen. Sie erscheinen oft auf Särgen und sollen im Dienste des Totenkultes die Seelen der Ahnen vor­ stellen, die von Osiris, dem Herrn der Toten angeführt werden. Der natürliche Tag wurde in 24 kairische oder Temporal­ 14

stunden eingeteilt, deren Größe vom jeweiligen Sonnenstand in den Jahreszeiten und von dem „Klimat“ (der geogr. Breite) ab­ hing. Sie wurden mittels Sonnenuhren oder (später auch) mit regulierbaren Wasseruhren gemessen. Sowohl die 12 Tages- als auch die 12 Nachtstunden wurden von Göttern regiert. Ein spätaegyptisches Dokument (Papyrus Minaut) zählt die 12 Gestalten auf, in denen sich der Sonnengott manifestiert. Ebenso wird im Totenbuche „Am Duat“ aus dem Grabe des Königs Seti I. die Fahrt des Sonnengottes in die Unterwelt und durch die 12 Tore oder Nachtstunden geschildert, wobei in jeder Stunde bestimmte Zeremonien zu erfüllen sind (Wiedemann). Diese 12 Gestalten, bzw. Zeremonien des Sonnengottes waren vermutlich auch Vor­ bilder für die Bedeutungen der 12 Himmelshäuser des Horo­ skops, das aber erst in hellenistischer Zeit entstand. Die 12 Ge­ stalten des Sonnengottes haben Ähnlichkeit mit dem auf den 12 Doppelstunden des babylonischen Volltages beruhenden Zwölf­ stundenkreis oder der Dodekaoros, die ihren Weg bis nach Ostasien gefunden hat. Nach dem hellenistischen Astrologen Teukros waren die 12 heiligen Tiere: Katze, Hund, Schlange, Käfer, Esel, Löwe, Bock, Stier, Sperber, Affe, Ibis und Krokodil. Diese 12 Stundentiere wurden später mit den Gestalten unseres d. h. des griechischen Tierkreises verbunden, doch war dieser Tierkreis im pharaonischen Aegypten nicht bekannt, die älteste Liste der 12 Tierkreiszeichen ist erst im Khum-Tempel zu Esnet zu finden, der in ptolemäischer Zeit (um 200 v.) erbaut wurde und der ausgesprochen griechische Züge trägt. So hatte also in Aegypten jeder Zeitraum sein bestimmtes Ge­ sicht, seinen heiligen Namen und bestimmte Qualitäten und es war naheliegend dies zu Deutungszwecken zu benützen. Darüber berichtet schon Herodot (II 80) „Ferner ist noch folgendes der Aegypter Erfindung: welchem der Götter jeglicher Monat und jeglicher Tag heilig und was einem begegnen wird, wenn man an dem oder jenen Tag geboren wird, was es für ein Ende nehmen und was aus ihm werden wird.“ Diese durch die aufgefundenen Texte vollauf bestätigte Nach­ richt kennzeichnet die altaegyptische Astrologie, die zumindest 15

bis zum 5. vorchristlichen Jahrhundert nicht auf direkte Him­ melsbeobachtung sondern auf Ausdeutung der von den Göttern beherrschten Zeiträume an Hand der Göttersagen des Fest­ kalenders beruht. Am bekanntesten sind daher die Tagesprognosen, die schon Moses den Juden als heidnische „Tagewählerei“ (5. Mos. 18.10) streng verboten hat. Die älteste Fassung solcher Orakeltexte wurde in den Ruinen von Illahun (bei Kairo) gefunden, sie stam­ men aus der Zeit der 12. Dynastie. Die ausführlichste Fassung bringt der Papyrus Sallier aus der Zeit der 19. Dynastie (um 1500 v. C.) von dem (nach Maspero) hier einige Beispiele folgen. 4. Paophi: Ungünstig, günstig, günstig. Gehe nicht an diesem Tage aus dem Hause. Wer an diesem Tage geboren wird, stirbt auch an diesem Tage durch Ansteckung. 9. Paophi: Günstig, günstig, günstig. In Freude ist das Herz der Götter und die Menschen jubeln, denn der Feind des Ra ist gefallen. Wer an diesem Tage geboren wird, stirbt an Alters­ schwäche. 5. Tybi: Ungünstig, ungünstig, ungünstig. Dies ist derTag, wo die Großen von der Göttin Sechet verbrannt wurden... Bring Opfergaben für Schu, Ptah und Tahout, Weihrauch auf den Altar für Ra und die Götter seines Gefolges. Alles was du an diesem Tage siehst, wird ungünstig sein. Die 3 Adjektiva am Anfang jeder Prognose beziehen sich auf die 3 Drittel des Tages. Man sieht, wie eng sich diese Prognosen an die Daten des Festkalenders anschließen. Bemerkenswert ist, daß am 26. Chojak die Auferstehung des Osiris gefeiert wurde, der zur Zeit des Ptolemaeus auf den 25. Dezember fiel. Im römi­ schen Festkalender wurde dieser Tag dem Sonnengott geweiht und der christliche Kaiser Konstantin II. hat im Jahre 354 diesen Tag als Geburtstag Christi bestimmt. So geht unser Weihnachts­ fest auf altaegyptische Bräuche zurück. Neben den Tagesprogno­ sen gab es auch 30 Prognosen aus dem „Alter des Mondes“ d. h. nach dem synodischen Mondlauf. Ein solcher Orakeltext, das Mondbuch des Melampus, stammt zwar aus hellenistischer Zeit, soll aber nach Angabe des griechischen Herausgebers in Helio­ 16

polis aufgefunden und noch in den „heiligen Buchstaben“ (Hiero­ glyphen) geschrieben worden sein. Schließlich seien noch die Dekanprognosen erwähnt, Orakel die sich auf je 10 Tage oder je 5 Tage (Subdekane) beziehen und die in diesen Zeitraum heliakisch aufgehenden Sternbilder ausdeuten. Als in Aegypten der Tierkreis bekannt wurde, wurden die Dekane in den Tierkreis eingebaut, so daß jedes Dekan 10 Tierkreisgrade umfaßt. Auch die Tagesprognosen wurden später mit den 360 Graden des Tier­ kreises und dem Sonnenstand verbunden. Solche Orakeltexte, die „Thebäische Kalender“ genannt wurden, finden sich noch heute in der populären Astrologie.

B. Das chinesische System der 8 Schriflzeichen Die Chinesen haben mit den alten Aegyptern viele Wesenszüge gemein, vor allem ihre konservative Geisteshaltung und ihre Ab­ sperrung gegen alles Fremde. Wie die Aegypter in ihrer glanz­ vollen Pyramidenzeit, so sind auch die Chinesen auf der vor Jahrtausenden erreichten kulturellen Höhe stehen geblieben, sie blieben, wie ihr Meister Lao-tse, ein „bärtiges Kind“. Die Neigung zur Stetigkeit drückt sich auch, wie bei den Aegyptern, in ihrer Religion aus, die neben höheren Religionsfor­ men die uralten primitiven Formen weiterschleppt. Neben dem Sonnen- und dem hoch entwickelten Ahnenkult spielt der Glaube an allerlei Elementargeister, Dämonen, Gespenster, Haus- und Küchengötter eine große Rolle, er hat sich trotz der Vergeistigung der religiösen Ansichten durch Kung-tse (Konfuzius), Lao-tse u. a. Philosophen und dem Eindringen des Buddhismus, also neben den 3 offiziellen Religionen, unverändert erhalten. Die wesentliche Grundlage dieser vergeistigten Religion bildet der sogenannte „Universismus“ (Groot), die Anschauung, daß Himmel, Erde und Mensch in natürlicher Ordnung und voll­ ständiger Harmonie Zusammenwirken müssen, nach der sich auch die gesamte Staats- und Lebensführung zu richten hat. Der Mensch ist hier also in den Kosmos vollständig eingebettet, 17

er ist bloß ein Rädchen im Weltgetriebe und der Sinn seines Lebens, sein „TAO“ ist, sich diesem Triebwerk möglichst genau anzupassen, damit keine Störung der natürlichen Ordnung ein­ tritt. Im Weltbild der Chinesen, das ihnen Jahrtausende lang ge­ nügte, war die Erde eine flache Scheibe, in deren Mitte China liegt. Um die Erde wölbt sich der Himmel, dessen Achse genau im Polarstern liegt und den alle Sterne umkreisen. Im Polarstern thront der Himmelssohn oder Weltenlenker Tien-tse (oder Schangti) umgeben von seinen Ministern. Sein Abbild ist der irdische Himmelssohn mit seinen Ministern, der daher neben politischen auch sakrale Funktionen zu erfüllen hat. Der ewige Wechsel zwischen Tag und Nacht, Arbeit und Ruhe, Leben und Tod hat den Chinesen zur Konzeption zweier kos­ mischer Urkräfte Yang und Yin geführt, die sich aus dem Chaos entwickelt haben und sich in ständigem Wechsel so ablösen, daß die eine im selben Maße zunimmt, wie die andere abnimmt. Yang ist das solare, aktive, männlich-tägliche und aufbauende Prinzip, Yin das lunare, passive, weiblich-nächtliche und oft zerstörende Prinzip. Der Mensch steht zwischen Himmel und Erde und hat für den geregelten Ablauf der Dinge zu sorgen. Wie kann er das? Durch sorgfältige Beobachtungen aller Veränderungen findet er den Sinn der Zusammenhänge und der kosmischen Entsprechung. Daher heißt es im Yi-King (dem Buche der Wandlungen) „In­ dem der Weise den geheimen Zusammenhang der Dinge erkennt, hilft er der Gottheit im Weltregiment.“ Diese kosmische Ent­ sprechungslehre wurde später nach babylonischen, persischen und indischen Lehren bedeutend ausgebaut und nach der folgenden Fünfzahl wurde Himmlisches und Irdisches geordnet und ver­ bunden. Hier eine kleine Auswahl: 5 5 5 5

Planeten: Elemente: Himm.-Richt.: Herrscher dieser Richtg.: 5 Sinne: 5 innere Organe:

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Jupiter Holz Ost Grüner Drache Geruch Milz

Mars Feuer Süd Roter Vogel Gesicht Lunge

Saturn Erde Mitte Gelber Erdherr Gefühl Herz

Venus Metall West Weißer Tiger Geschmack Leber

Merkur Wasser Nord Schwarzer Krieger Gehör Niere

Für ein ackerbautreibendes Volk war die Schaffung einer ge­ ordneten Zeitrechnung und eines Kalenders notwendig. Im „Buche der Annalen“ wird berichtet, daß schon der mythische Kaiser Yao um 2357 seine Astronomen beauftragt habe, dafür zu sorgen. So war bis zur Revolution die Herausgabe eines offi­ ziellen Kalenders, der auch alle günstigen und ungünstigen Ter­ mine, Opferzeiten, Gebräuche des Festkalenders enthielt, ein kaiserliches Monopol und Nachahmungen wurden bestraft. Das chinesische Jahr war ursprünglich ein reines Mondjahr zu 12 lu­ naren Monaten und wurde später durch Schaltungen an das Sonnenjahr angeglichen. Im offiziellen Almanach wurde aber dem Rechnung getragen, daß im Volksleben nach dem reinen Mondjahr gerechnet wurde, daher waren in ihm auch die 28 Mondstationen angegeben, nebst Ratschlägen was zu tun oder zu unterlassen sei, wenn der Mond jeweils die betr. Station passiert. So ist der Mond in der 7. Station „Hase“ glücklich und günstig für Begräbnisse und Hochzeit, dagegen in der 6. Station „Wolf“ unheilvoll für alle Unterneh­ mungen; der in der 8. Station „Stachelschwein“ Geborene wird viel Glück, reiche Dienerschaft und eine gesicherte Zukunft haben etc. So waren also alle 28 Tage nach den Bildern der Mondstationen benannt, die als Geburts- und Schicksalsorakel benützt wurden. Die chinesische Zeitrechnung begann mit dem Jahre 2637 v. Chr. unter dem mythischen Kaiser Huang-ti, der den 60-jährigen Jupiterzyklus erfunden haben soll, nach dem die Jahre gezählt werden. Es gab auch ein besonderes „Ministerium der Zeit“, dem der „große Marschall“, der Planet Jupiter mit 120 Beamten vor­ stand. Die Verehrung der Planeten und besonderer Sterngötter war zwar in China sehr alt, trat aber gegenüber dem Kult der Sonne und des Mondes, der vom Himmelssohn, dem Kaiser selbst in besonderen Tempeln feierlich zelebriert wurde, stark zurück. Die kaiserlichen Hofastrologen hatten alle Himmelserschei­ nungen sorgsam zu beobachten und Merkwürdiges, besonders Abnormales dem Kaiser zu berichten, der über die Ursache (z. B. verspätete Finsternisse) nachzudenken und eventuelle Fehler in 19

der Staatsführung aufzufinden hatte. Denn die Staatsführung soll stets im Einklang mit der himmlischen Ordnung sein und so sagt auch Konfuzius im Buche Yi „Der Himmel läßt seine Bil­ der herabhängen, die Herrscher nehmen sie als Vorbild.“ Diese sorgsame Himmelsbeobachtung mittels astronomischer Geräte und Tafelwerke, sowie die Deutung der himmlischen Phänomene blieb ausschließlich den kaiserlichen Beamten notbehalten. Diese Art Astrologie war nicht bodenständig, sie kam unter babylonisch-persischen Einflüssen nach China und wurde im 17. Jhrdt. besonders unter dem Einfluß der Jesuiten voll­ ständig der abendländischen Astronomie und Astrologie an­ geglichen. Im Volksleben war hingegen seit alten Zeiten eine andere Art von Astrologie in Brauch, die Deutung nach den 8 Schriflzeichen. Das sind je 2 Bildsymbole für die das Jahr, den Monat, den Tag und die Doppelstunde regierenden Zeitgottheiten oder kosmi­ schen Mächte. Die ursprüngliche Personifikation dieser Zeit­ herrscher verblaßte allmählich und wurde durch eine nüchterne, dem Alltagsleben der Chinesen entsprechende Bildersprache er­ setzt, in der man kaum mehr die kosmische Grundlage erkennen kann. Ein chinesisches Märchen berichtet, daß „Fünf Alte“ die Welt in Bewegung setzten und die ersten Menschen schufen. Es sind dies der gelbe Erdherr, der Holzfürst, die Metallmutter, der rote und der schwarze Herr. Jeder dieser 5 Planeten, symbolisiert durch einen Grundstoff, hatte eine zweifache oder polare Aus­ wirkung, je nachdem der Planet im solaren Bereich oder unter dem Yang-Prinzip stand oder im lunaren Bereich unter dem YinPrinzip. So bedeutet also Holz (Jupiter) unter dem Yang-Prinzip 1. Kia d. h. hartes Holz, unter Yin aber 2. Yi, d. i. grünes Holz. Ebenso Feuer (Mars) 3. Ping u. 4. Tong, dann Erde (Sa­ turn): 5. Wu, 6. Ki; dann Metall (Venus) 7. Keng. 8. Sing schließlich Wasser (Merkur) 9. Ning. 10. Kwei. Unter dem Yang-Prinzip wirkt der Mensch an der Bearbei­ tung des Grundstoffes aktiv mit, unter Yin bleibt alles natur­ belassen. So ist Kia, das harte Holz, das zu Bauzwecken ver­ 20

wendet wird, Kia liebt „Keng“ d. h. hartes Metall (die Säge) und stilles eingedämmtes Wasser Ning. Yi ist dagegen das le­ bende grüne Holz, das Metall fürchtet, aber fließendes Wasser (Kwei) liebt. In diesen naturnahen und leichtverständlichen Bildersprachen wurden die gegenseitigen Beziehungen der Pla­ netengötter symbolisch dargestellt. Das waren also die 10 Him­ melsäste, die den ersten Faktor des chinesischen Horoskops dar­ stellen. Daran schließen sich die 12 Erdzweige, so genannt, weil sie das irdische Geschehen, das Tagewerk des Menschen regulie­ ren. Sie bestehen aus einem Zwölferzyklus, der 12 Jahre, 12 Mo­ nate und die 12 Doppelstunden des Volltages umfaßt und durch­ wegs nach Tieren benannt ist. Dieser ostasiatische Tierzyklus, der über Babylon, Persien bis nach China und Japan vorgedrun­ gen ist, wurde später mit dem hellenistischen Tierkreis ver­ bunden. Die deutschen Namen der 12 Erdzweige nebst den ent­ sprechenden Gestalten des Tierkreises sind: 1. Ratte (Widder) 2. Ochse (Stier) 3. Tiger (Zwillinge) 4. Hase (Krebs) 5. Drache (Löwe) 6. Schlange (Jungfrau) 7. Pferd (Waage) 8. Schaf (Skor­ pion) 9. Affe (Schütze) 10. Huhn (Steinbock) 11. Hund (Was­ sermann) 12. Schwein (Fische). Dieser Zwölfstundenkreis um­ faßt 6 wildlebende oder sagenhafte Tiere, die unter positivem Einfluß oder dem Yang-Prinzip stehen und 6 Haustiere, die unter Yin stehen und negativ wirken. Verbindet man nun paar­ weise die 5 positiven Himmelsäste mit den 6 positiven Erd­ zweigen und ebenso die negativen Himmelsäste mit den nega­ tiven Erdzweigen, so erhalten wir die 60 Doppelzeichen die den 3. Faktor des chinesischen Horoskops bilden und nach denen von einer gewissen Epoche an, Jahre, Monate, Tage und Stunden durchlaufend gezählt werden. Für das Jahr gilt, wie schon er­ wähnt, das Jahr 2637 v. Chr. als Ausgangspunkt der Zählung; für Monate Tage und Stunden gab es umfangreiche Hilfstabel­ len, sogenannte „Tausendjährige Kalender" nach welchen die Anfänge bestimmt wurden. Nach H. Weber, der lange Jahre in China gelebt und das erste deutsche Buch über diese chinesische Astrologie geschrieben hat, 21

wurden im Jahre 1929 die 4 Doppelzeichen so gezählt: das Jahr begann mit Kia-Tze oder Holz-Ratte, der 1. Monat dieses Jahres mit Ping-Jing oder Feuer-Tiger, der 1. Tag mit Kia-Ying oder Holz-Tiger und die erste Doppelstunde des Tages mit Kia-Tze oder Holz-Ratte. So hat also gemäß seinem Geburtsdatum jeder Chinese „seine 8 Schriftzeichen“, die oft bei Vorstellungen an­ gegeben und gleichsam seine astrale Visitenkarte bildeten. Bei der Auslegung der Schriftzeichen mußte der chinesische Astrologe eine Unmenge von Kombinationen berücksichtigen, er benützte daher meist bei der Deutung, die stets vom Tageszeichen aus­ ging eine Art Zauberscheibe, auf der in konzentrischen Kreisen die Symbole für die Jahreszeiten, Himmelsrichtungen, Tage, Stunden und Monate sowie für die 12 Stadien des Lebenslaufes angegeben waren. Findet er hierbei doch nicht den richtigen Deutungsweg, so zieht der fachkundige Astrologe das Y-King, oder Buch der Wandlungen zu Rate, das auf Grund von 64 Hexagrammen Fingerzeige gibt, wie man sich in verworrenen Situationen helfen kann, daher wurde es auch von Politikern und Heerführern oft benützt. Eine weitere Hilfe bot dem Stern­ deuter das Schafgarben-Orakel, wobei 50 Stengel dieser Pflanze um die 5 Finger einer Hand gelegt und so umgelegt werden, bis endlich 2 gerade oder 2 ungerade Zahlen herauskommen, die zum „richtigen“ Hexagramm führen.

C. Altamerikanische Kalenderdeutung

Als die Spanier in den Jahren 1519-32 Mexiko und Peru er­ oberten, fanden sie dort wohlorganisierte Staaten und Völker von hoher Kultur, wovon noch heute grandiose Tempelbauten, Bilderhandschriften u. a. Zeugnis ablegen. Mexiko wurde damals von dem kriegerischen Volk der Azteken beherrscht, denen eine Anzahl anderer Völker tributär waren, darunter auch die kulturell höher stehenden Maya-Völ­ ker, die im heutigen Guatemala und auf der Halbinsel Jucatan lebten. Über das Alter und die Eigenständigkeit dieser Kulturen 22

gingen die Meinungen der Forscher auseinander, doch kann heute die Ansicht E.Selers, des Altmeisters der amerikanischen Archäo­ logie, daß diese Kulturen nur bis ca. 700 v. C. zurückreichen und keine ausländischen Kultureinflüsse erhalten haben, nicht mehr aufrecht erhalten werden. Man hat in Jucatan eine Buddhastatue gefunden und Bilder von Elefanten, eines Tieres, das in Amerika nicht gelebt hat. Außerdem sind im Astralsystem der Azteken, der Mayas und der Inkastaaten soviel frappante Ähnlichkeiten mit aegyptischen, chinesischen und indischen Lehren enthalten, so daß man wohl eine direkte Übertragung annehmen muß. Die kühne Fahrt Thor Heycrdals, der auf einem Floß von Peru aus die Südsee­ inseln erreichte, läßt es durchaus möglich erscheinen, daß asia­ tische Kultureinflüsse über Indonesien nach Süd- und Mittel­ amerika eingedrungen sind. Allerdings dürften diese Einflüsse nur sporadisch, stoßweise und nicht kontinuierlich erfolgt sein, das würde den oft festgestellten Gegensatz in den altamerikani­ schen Kulturen einigermaßen erklären, der zwischen subtiler Gelehrsamkeit und der Barbarei der Menschenopfer, zwischen handwerklicher Meisterarbeit und der primitiven Technik be­ steht, die noch mit Steinmessern arbeitet, keine Metallurgie, we­ der Wagen und Rad noch Ackerbau und Domestikation des Viehs kennt. Obwohl Name und Anordnung der raumzeitlichen Faktoren bei den einzelnen Völkern Mittelamerikas kleine Ver­ schiedenheiten aufweisen, so kann man doch von einem einheit­ lichen Astralsystem der Azteken und Mayas sprechen, da die Grundbedeutung in beiden gleich sind. Die Religion dieser Völker weist ebenso wie die chinesische eine Fülle von Natur-, Stammes- und Lokalgöttern auf, doch haben sie auch einen Begriff „teotl“ für die höchste Gottheit schlechthin. Als sichtbare Manifestation dieses Himmelsgottes erscheint die Sonne in zweifacher, polarer Auswirkung. Als das tätige und fruchtbare Prinzip wird der Sonnengott Huizilopochtli verehrt, als ausdörrendes, unfruchtbares Prinzip steht ihm der Sonnengott Tezcatlipoca gegenüber. Der vielgestaltige Mond- und Windgott Quetzalcouatl, Symbol des Werdens und 23

Vergehens, hat ebenso wie der aegyptische Thot-Hermes seinen Völkern den Kalender, die Sternkunde, die Schriftzeichen und die Wissenschaften gelehrt. Von den Planeten wurde besonders die Venus in ihren zwei Gestalten (Morgen- und Abendstern) als „kostbarer Zwilling“ verehrt, sie hatte wie die babylo­ nische Ischtar eine zweifache Auswirkung: als Xoquiquetzal war sie Göttin der Liebe und Schönheit, als Tlazolteotl Göttin der Tempelprostitution und der Schmucksachen. In der Unter­ welt regiert ein Götterpaar und wie in Aegypten und Indien bestand hier ein Totenkult und der Glaube an die Seelenwande­ rung; man war der Ansicht, daß die Seelen der Sünder sich in Tierleibern wieder verkörpern müssen. Der Weltraum wurde in Himmel, Erde und Unterwelt ge­ schieden, die Oberwelt zerfiel in 13 Regionen, denen 13 Tag­ stunden entsprachen, die Unterwelt in 9 Regionen und 9 Nacht­ stunden. Jede Region und jede Tag- und Nachtstunde hatte ihre besonderen Herrscher, Namen und Symbole. Man unterschied 4 Weltecken, denen 4 Himmelsgegenden und gewisse Faktoren entsprechen, wie folgende Tabelle zeigt: Himmels­ Element gegend

Farbe

Mondlauf

Jahreszeiten Weltalter Symbole Haus Feuerstein Messer Kaninchen Rohr

West Nord

Wasser Erde

Schwarz Weiß

1. Viertel 3. Viertel

Süd Ost

Feuer Luft

Gelb Rot

Vollmond Neumond

Wassersonne Jaguarsonne Feuerregensonne Windsonne

Nach der mexikanischen Kosmologie hat die Erde bereits 4 Weltalter durchlaufen, die durch präkosmische Sonnen symbo­ lisiert wurden. Wir leben jetzt im 5. Weltalter: Erdbebensonne und werden dereinst durch Vulkanausbrüche und Erdbeben zu­ grunde gehen. Zur Erfassung der Zeit kam auch hier zunächst der Mond in Betracht, dessen synodische Umlaufzeit von 29 Tagen den Priestern wohl bekannt war. Die Indianerfrauen bemaßen die normale Schwangerschaftsdauer mit 9 Mondwechseln zu 29 Ta­ gen, das ergab 261 Tage, die zu Rechnungszwecken auf 24

260 Tage abgerundet wurden. Dividiert man nun - nach Schultze - diese Zahl durch die Grundzahl ihres Zahlsystems, nämlich 20 (Finger und Zehen eines Menschen) so erhält man die astronomisch nicht erklärbare, aber für die mexikanische Zeitrechnung höchst wichtige Zahl 13. Aus 20 mal 13 = 260 Tagen bestand der mexikanische Mond­ kalender (Tzolkin), dem zur Angleichung an das Sonnenjahr ein Sonnenkalender (Haab) zur Seite stand, der aus 20 mal 18 Ta­ gen und 5 Überschußtagen bestand. Den mexikanischen Astro­ nomen war die Gleichung 52 Haab = 73 Tzolkin = 18981 Tage wohl bekannt, nach welcher Zeit die Tageszeichen wieder auf dieselben Kalendertage fielen. Das Sonnenjahr hatte 18 Mo­ nate zu je 20 Tagen und jeder Anfang wurde durch ein Monats­ fest gefeiert. Die 20 Tageszeichen im Mond- und im Sonnenkalender bilden die Grundlagen der altamerikanischen „Astrologie“ oder Kalen­ derdeutung. Wir kennen sie zunächst aus den berühmten far­ bigen Bilderhandschriften (Codex Borgia u. a. die von Seler, Kreichgauer u. a. entziffert wurden). Dann aber besonders aus dem Werk des Franziskanerpaters Bernardino de Sahagun. P. Sahagun kam im Jahre 1529, also bald nach der Eroberung Mexikos durch Cortez ins „neue Spanien“ lernte die aztekische Sprache und hat auf Grund von Berichten und Angaben der Eingeborenen eine Geschichte Neuspaniens und seiner Gebräuche verfaßt. Das kostbare Werk wurde neuerdings von L. Schultze in aztekischem Urtext und in deutscher Übersetzung veröffent­ licht (1950, siehe Lit. V.) und liegt auch der nachfolgenden Dar­ stellung zugrunde. Das Grundbuch der mexikanischen Astrologie ist das „Tonalamatl" oder Buch der guten und der bösen Tage. „Wie in Europa - sagt P. Sahagun - die Astrologen dem Neugeborenen das Horoskop stellen, so gab es auch unter den Eingeborenen Neuspaniens Leute, die „Tonalpuhque“, d. h. Tageszeichen-Zähler hießen, welche über Leben und Schicksal der Geborenen Auskunft gaben.“ P. Sahagun setzt ausdrück­ lich hinzu, daß „diese Wissenschaft nicht auf Beobachtung der 25

Gestirne, sondern lediglich auf Auslegung der 20 Zeichen beruhe, also ein lächerlicher und verderblicher Aberglaube sei, den die Kirche eigentlich verbieten soll“. Das hat ihn indessen nicht ab­ gehalten von dieser „Wissenschaft“ eine eingehende Darstellung zu liefern. Die Faktoren der mexikanischen Astrologie sind sonach 1. die 20 Tageszeichen in verschiedener Anordnung, 2. die Regenten der 13 Wochen des Mondkalenders, 3. die 18 Monatspatrone und die bloß mit Zahlen bezeichneten Tage des Sonnenkalenders, 4. die Herren der 4 Jahresviertel und 5. die Regenten der 13 Tages- und der 9 Nachtstunden. Die Symbolnamen sind bei den Mayas und bei den Azteken etwas verschieden; hier folgt nach Sahagun die aztekische An­ ordnung, bei der je 13 eine Hütte bilden und mit den Zahlen Eins bis Dreizehn verbunden werden; das 14. Tageszeichen er­ hielt sonach wieder die Zahl Eins, das 15. die Zahl Zwei u. s. f. Die Tageszeichen der ersten Hütte sind also: Eins - Krokodil, Zwei - Wind, Drei - Haus, Vier - Eidechse, 5 Schlange, 6 Tod, 7 Hirsch, 8 Kaninchen, 9 Wasser, 10 Hund, 11 Affe, 12 Stroh­ seil, 13 Rohr. Die 2. Hütte beginnt sonach mit 14 oder Eins Jaguar, 15 oder Zwei Adler, 16 oder Drei Geier, 17 oder Vier Bewegung, 18 oder Fünf Feuerstein, 19 oder Sechs Regen und 20 oder Sieben Blume. Damit sind die 20 Tageszeichen erschöpft und die 8. Stufe der 2. Hütte beginnt mit Acht Krokodil, Neun Wind, Zehn Haus, Elf Eidechse, Zwölf Schlange und Dreizehn Tod. - Die 3. Hütte beginnt dann mit Eins - Hirsch, Zwei Kaninchen u. s. f. Man faßte diese Tageszeichen gleichsam als Lebewesen auf, die in einer Hütte hausen, ihre Arbeit leisten und dem Menschen, der ihnen demütig begegnet und ihnen opfert, freundlich ge­ sinnt sind, demjenigen aber, der sie nicht beachtet und ihnen das Opfer verweigert, Unheil bringen. Ein günstiger Kalendertag muß nicht immer Glück bringen, sondern nur dann, wenn man durch Opfer und tugendhaftes Verhalten sich dieses Glück verdient; ein ungünstiges Kalender26

o

Aztekischer Kalenderstein

Zeichen muß nicht immer unheilbringend sein, das betr. Tageszeichen behält sich das bloß als Strafe für den gottlosen Opfer­ verweigerer vor. So kennt die mexikanische Astrologie keinen starren Schicksalszwang, sondern - wie L. Schultze sagt - ist die Betonung des freien Willens zum Guten, der als Grundlage für ein glückliches Leben gefordert wird, der wertvollste Teil des indianischen Schicksalskalenders. Die Schicksalsorakel des Tonalamatl füllen in der deutsch-aztekischen Ausgabe 164 Quartseiten (!), sie gliedern sich in Gruppenprognosen, (die für je 1 Hütte oder 13 Tage gelten) und in Tagesprognosen. Hier einige Textproben für beide Arten: „Eins Haus“: Diese Summe von 13 Tageszeichen hat keine 27

guten Tageszeichen, sie werden mörderische Tageszeichen ge­ nannt. Die unter einem solchen als Vornehme geboren werden, würden entweder im Krieg umkommen, oder zum Ehebrecher werden, oder sich als Hungersklaven verkaufen. Die von der Gruppe „Eins Rohr“ regierten Tage sind dem Gott Quetzalcoatl geweiht. Wenn er am Tage Eins Rohr erschien, brachten ihm die Würdenträger Geschenke und Opfer dar. Alle diese 13 Tageszeichen galten als übel, dem Sturmwind ausgesetzt, denn Quetzalcoatl stellt sich im Sturmwind dar und deshalb betet man ihn an. Das Tageszeichen „Sieben Regen“ ist ein gutes, mildtätiges Zeichen und wer an diesem Tage geboren wird, würde zum Glückskind werden. Auch der nächste Tag „Acht Blume“ ist ein Glückstag, der nächste Tag aber „Neun Krokodil“ ist ein ganz übler Tag, er macht Lumpen, Zwischenträger, Spione, die den Menschen nur Böses zufügen. Der Tag „Eins Regen“ ist schlecht. Den Kindern sagt man: Geht nicht vom Hause fort, es können euch die Gottweiber be­ gegnen und euch behexen. Dieser Tag macht Hexenmeister und Teufelskerle, die die Menschen verführen. Die Tagesprognosen haben, wie man sieht, eine auffallende Ähnlichkeit mit den aegyptischen Tagesprognosen, sie brachten oft seitenlange Schilderungen aller möglichen Glücks- und Un­ glücksfälle und wurden zumeist nach einer gewissen Rangord­ nung zusammengestellt. Erst kamen die Prognosen für die „Vornehmen“, dann für die Leute aus dem Volke, schließlich für die Frauen und die weiblichen Geburten. Eine weitere Deutungsmöglichkeit ergab sich aus der Verbindung der Tages­ zeichen des Mondkalenders mit den Tagen und Monatsfesten des Sonnenkalenders. So hatte jeder Tag eine zweifache Bedeu­ tung. So verstärkt der Tag „Fünf Wind“, der ohnehin Un­ beständige und Zauberer macht, wenn er mit dem 3. Tag des 14. Monats der der Jagdgöttin Mixcatl geweiht ist, zusammen­ fällt, einen ruhelosen Gesellen, der vielleicht einen Jagdzauber ausführt, um leichter zur Beute zu gelangen. Wie in der hellenistischen Astrologie wurden diese Orakel 28

nicht bloß als Geburtsorakel benützt, sondern auch für allerlei Vorhaben und Unternehmungen zu Rate gezogen. Jedenfalls konnte der mexikanische Astrologe ebenso wie sein chinesischer Kollege aus Jahr, Monat, Tag und Stunde der Geburt eine Art zeitliches Horoskop erstellen und auch er bediente sich einer Deutungsscheibe auf der in konzentrischen Kreisen die Re­ genten der Tag- und Nachtstunden, die Symbole für die 18 Mo­ natsfeste und für 20 Tageszeichen und der Kalenderring (eine Periode von 52 Jahren) dargestellt wurden, nach welchen die Tage des Mond- und des Sonnenkalenders wieder auf die glei­ chen Termine fallen.

Literatur zum 1. Kapitel A. Aegypten: Siehe unter Aegypten und Babylonien (Im 2. Kap.)

B. China: Das Licht des Ostens. Die Weltanschauung in Indien, China und Japan. Hrsg, von M. Kern. Stuttgart 1928. Weber H.: Das chinesische Horoskop. Leipzig 1929. Groot ]. M.: Universismus, die Grundlage der Religion, Ethik des Staatswesens und der Wissenschaft in China. 1928. Wilhelm R.: Die Einordnung des Menschen in den kosmischen Verlauf in China. (Jahrbuch für Kosmobiologie 1. Jgg.) München 1928. Bredon-Nitrofanow: Das Mondjahr (Chinesische Sitten und Ge­ bräuche.) 4. A. 1955. Wien. C. AltAmerika: Seler E.: Gesammelte Abhandlungen zur amerikanischen Sprach- und Altertumskunde. 5 Bde. und Reg.-Bd. Berlin 1902—23. Röck F.: Kalender, Sternglaube und Weltbild der Tolteken als Zeugen verschollener Kulturbeziehungen zur alten Welt. (Mitt. d. Anthropol. Gesellschaft in Wien, 52. Bd.) DanzelTh.: Mexiko. 1. Grundzüge der altmexikanischen Geisterkultur. 2. Kultur und Leben im alten Mexiko. 2 Bde. Stuttgart 1922. Sahagun B.: Wahrsagerei, Himmelskunde und Kalender der Azteken. Aztekisch-deutsche Ausgabe v. L. Schultze. Leipzig 1950. Krieckeberg W..- Die altmexikanische Kultur. Berlin 1956. 29

2. Kapitel DIE BABYLONISCHE ASTROLOGIE

A. Die sumero-babylonische Gestirnverehrung Mesopotamien, das Land „zwischen den Flüssen“, war un­ zweifelhaft die Wiege der vorderasiatischen Kulturen und die Urheimat einer beobachtenden und rechnenden Sternkunde. Im 4. Jahrtausend wohnte im Süden des Landes das nicht­ semitische Volk der Sumerer, das Städte, Kanäle und Tempel baute und eine hochentwickelte Kultur hatte. Weiter nördlich hausten die semitischen Akkader, die um 2300 v. C. unter ihrem König Sargon I. die sumerischen Stadtstaaten eroberten, aber die sumerische Astrallehre und die Keilschrift von ihnen über­ nahmen. In gegenseitiger Durchdringung und friedlicher Ver­ mischung beider Kulturen, an der um 2000 noch die Amoriter teilnahmen, enwickelte sich eine gemeinsame sumero-babylo­ nische Kultur und Astrallehre, die nicht bloß die Nachbarländer, sondern auch Aegypten und Griechenland, ja selbst Indien und China stark beeinflußte. In einem Lande, wo fast stets ein heiterer Himmel herrscht, muß auch die Pracht des nächtlichen Sternenhimmels einen er­ hebenden Eindruck gemacht haben. Die überwältigende, ehr­ furchtgebietende Macht des Himmels, das Hohe und Leuchtende, wurde als Persönlichkeit erlebt und von den Mesopotamiern Anu genannt. Im Codex des babylonischen Königs Hamurapi (um 1700), der die sumero-babylonische Astrallehre zusammen­ faßt, erscheinen als oberste Manifestation der Göttlichkeiten und als Personifikation der höchsten Mächte Anu (Himmel), Enlil, die Macht des Sturmes (und als Enki Herr der Erde) und Ea, die Weite des Meeres. Ihr folgte die astrale Trias: Sonne, Mond und Venus, die leuchtendsten Sterne am Himmel, in denen sich eben­ 30

falls das Göttliche manifestiert und aus denen Leben, Licht und Wärme kommt. Der Mondgott Sin, die „Frucht, die sich selbst verzehrt“, war Herr des Pflanzenwachstums, der die Zei­ ten, Jahre, Monate und Tage und die Geschicke der Menschen bestimmt. Der Sonnengott Schamasch wird als Sohn des Mondgottes be­ trachtet, er ist Herr des Lebens, Bekämpfer des Todes, Herr der Gerechtigkeit, der alles sieht und hört, und daher auch Gott der Weissagung ist. Die im vorderen Orient am meisten verehrte Gottheit ist Ischtar (phönizisch Astarte), die auch als Tochter des Mondgottes gilt und sich im leuchtenden Venusstem offenbart. Die Identität als Morgen- und als Abendstern wurde frühzeitig erkannt und polar gedeutet. Als morgendliche Gestalt hatte sie mehr männlichen Charakter und war als Ischtar von Akkad sogar Kriegsgöttin, in abendlicher Stellung hatte sie mehr weib­ lichen Charakter, als Ischtar von Uruk war sie Göttin der sinn­ lichen Liebe und Hierodule der Götter. Neben diesen 3 großen Leuchten des Himmels traten die übri­ gen Sterne stark zurück. Fixsterne und Planeten bezeichnete man mit dem Sammelnamen „bibbu“ (sumerisch LU-BAT), d. h. Schaf und man unterschied umherirrende oder wilde Schafe (Planeten) und feststehende oder zahme Schafe (Fixsterne), die von einem „guten Hirten“ (Orion) bewacht wurden. Im größten aller Planeten, im „weißen Stern“ (Jupiter), manifestiert sich der Schöpfergott Marduk, ein Sohn Ea’s, er war Schutzgott von Babylon und wurde von der dortigen Priesterschaft zum höchsten aller Götter erhoben. Sein Sohn und ständiger Begleiter ist Nabu, der sich im Stern Merkur manifestierte, er ist der Gott mit dem „Stift der Schicksals­ tafel“, Herr der Wissenschaften und aller mantischen Künste. Von seinen Gefährtinnen ist besonders Nisaba erwähnenswert, die als Göttin der Schrift und der Zahlen auch Schutzgöttin der Astrologie ist. Im unheimlich rotleuchtenden Mars manifestiert sich der un­ heilbringende und „totgesättigte“ Unterweltgott Nergal, der 31

ein Sohn des Sturm- und Erdgottes Enlil ist. Er gilt als Herr der Waffen, Sterne des Gerichts und Lenker der Geschicke der Toten. Er wird auch als Rachegott bezeichnet und seine 14 Diener wer­ den als Krankheitsdämonen sehr gefürchtet. Im langsam dahin­ schleichenden Saturn (semitisch Kaimanu, d. h. der Beständige), erblickten die Babylonier eine müdgewordene, alte Sonne. In den Omentexten vertritt Saturn oft als „Stern der Sonne" die Sonne bei Nacht. Saturn wird auch mit dem Sturm- und Jagd­ gott Ninurta (früher Ninib gelesen) verbunden, der auch eine Form des Sonnengottes, wahrscheinlich die Südsonne, war. Wie in China war Saturn der Stern der Gerechtigkeit, der Be­ ständigkeit und Ordnung, erst später erhielt er unter dem Ein­ flüsse persischer Astrallehren einen dämonischen „satanischen" Charakter. Aus den beiden kosmischen Dreiheiten, den 4 übrigen Plane­ ten, dem mächtigen Wettergott Adad und dem assyrischen Nationalgott Aschschur wurde eine Zwölfergötterreihe gebildet, die auch die 12 Monate regierte. Bedeutsam für magisch-astro­ logische Zwecke war auch die „Siebengottheit“, die vermutlich den Plejaden vorstand. Auch alle übrigen Fixsterne und Stern­ bilder galten als Sitze von Gottheiten, es gab Anu-, Enlil- und Easteme, und im besonderen hat z. B. Ischtar ihren Sitz im Skorpion, Ninurta im Sirius, Gott der Hirten Sibzianna im Orion, etc. Spätere Astrologen weisen jedem Planetengott einen bestimmten Fixstern oder ein bestimmtes Sternbild zu, der als sein Haus, sein Zufluchtsort und Ort seines Geheimnisses be­ trachtet wurde. In der hellenistischen Astrologie nannte man diese Orte „Hypsomata“, d. h. Erhöhungen. Die babylonische Gestirn Verehrung kam in ihrer umfangreichen religiösen Lite­ ratur, in ihren Hymnen und Gebeten an die Sterngötter, in ihrer Kosmotheologie und in ihren Astralmythen zum Ausdruck, von denen viele auch in der Bibel ein Echo fanden (Schöpfungs­ bericht, Adam - Adapalegende, Sintflut u. v. a.). Einen guten Einblick in die seelische Haltung der Sterngläubigen gibt nach­ folgendes (von A. Schott übersetztes) Gedicht aus der Zeit Hamurapis. Ein Wanderer zieht bei Nacht durch die Wüste. 32

Mond und Venus sind nicht zu sehen, nur die gewaltigen Stern­ bilder funkeln und leiten den Wanderer, sie spricht er an: „Im Schoß des Himmels ruh’n sie sacht, Und tief verschleiert ist die Nacht. Ihr großen Götter kommt herbei, Ihr Nächtlichen, die Bahn ist frei. Geht auf, ihr Sterne: Feuerstern Und Pestgestirn auch seh’ ich gern! Mich freut des Drachen wild Gezisch Die Ziege und der Steinbockfisch Auch Bogenstern und Himmelsjoch, Dich großen Wagen, grüß ich noch. Durch Mord Orion niedersinkt Ich frag mich, was die Zukunft bringt. O gebt wahrhaftigen Bescheid Durch Opferlammes Eingeweid.“!

(Der Feuerstern Arkturus geht zur selben Zeit auf, wenn Orion untergeht. Das Pestgestirn ist Mars. Aus Eranos-Jahrbuch 1943).

B. Magie, Mantik und Astrologie

Die Religion der Babylonier war ausgesprochen polytheistisch, neben den höchsten Himmelsgöttern und den zeitweilig in den Rang eines höchsten Gottes erhobenen Gestalten wie Marduk gab es eine Unmenge von National-, Lokal- und Naturgöttern, denen allen geopfert wurde. Eine hierarchisch gegliederte Prie­ sterschaft sorgte für einen geregelten Kult, der Opfer, Gebet, Be­ schwörungen an bestimmte Gottheiten und an bestimmte Tage und Stunden im Festkalender band. Die Frömmigkeit der Babylonier bestand nicht in demut­ vollem Vertrauen auf Gottes Güte, sondern war mehr eine Furcht vor dem Zorn der Götter und der Dämonen der Unter­ welt. Wenn ein Mensch sündigt, wenn er sich nicht streng an das 33

„Gesetz“ und Ritual hält, verläßt ihn sein Schutzgeist und die Dämonen dringen in seinen Körper ein, verursachen Krankheit und Unheil. Durch Gebete, Opfer, durch magische Mittel, An­ fertigen von Götterstatuen oder Bildern himmlischer Mächte, durch Amulette u. a. suchte man die Götter zu besänftigen, die Dämonen zu vertreiben und erbat die Hilfe der Götter in Krankheit und Not. Eine Hoffnung auf Erlösung aus irdischem Leid, ein Glaube an ein lichtvolles Leben nach dem Tode, sowie ein ausgesproche­ ner Totenkult wie in Aegypten, war hier nicht vorhanden. Seit der erste Mensch (Adapa) den Lebenstrank von sich gewiesen hat, müssen alle Menschen sterben, alle gelangen in das Schatten­ reich der Unterwelt, in das „Land ohne Heimkehr“, wo sie ein schattenhaftes Dasein führen. Verzweifelt wehrt sich (im Gilgamesch-Epos) der junge König Gilgamesch von Uruk gegen die Macht des Todes, aber seine Hoffnung, das ewige Leben zu fin­ den, wird grausam enttäuscht. Da also keine Hoffnung auf ein ewiges Leben im Jenseits be­ stand, suchte man sich „den Bauch zu füllen“, d. h. das irdische Leben so angenehm als möglich zu machen, jede günstige Chance auszunützen, drohende Gefahren rechtzeitig zu erkennen und durch magische Mittel zu bekämpfen. So war also die Religion eng mit Magie, Mantik und Omen­ deutung verbunden und es gab 2 besondere Gruppen von Priesterschaften, die damit zu tun hatten: die Beschwörungspriester (achipu) und die Wahrsagepriester oder Seher (baru). Die Weis­ sagung beruhte im wesentlichen auf Omendeutung. Man ging von der Annahme aus, daß sich besonders in dem, was sich vom regelmäßigen Naturgeschehen unterscheidet, im Seltsamen, Ab­ normen, Monströsen, kurz im Ausnahmefall, der Wille der Götter am ehesten erkennen läßt. Zu den mantischen Künsten gehörte besonders die Becherwahrsagung (wobei die seltsamen Figuren und Farben, die ein Tropfen öl auf Wasser bildet, ge­ deutet wurden), dann die Beobachtung auffälligen Gehabens bei Tieren, der Vogelflug, die Traumdeutung, die Eingeweide- und die Leberschau, die schon zur Zeit des Königs Gudea v. Lagasch 34

bezeugt ist und von der Annahme ausgeht, daß die Leber der Sitz des Lebens und Ursprung aller seelischen Vorgänge ist. Die bedeutsamste aller mantischen Künste war aber die Astrologie, die Weissagung aus den seltsamen Stellungen der Gestirne. Ob­ wohl die Astrologie aus dem Gestirnkult hervorgegangen ist, beruht sie aber doch auch auf einer ganz nüchternen Erfahrung, nämlich, daß sich alles Naturgeschehen mit einer gewissen Regel­ mäßigkeit kreislaufmäßig wiederholt und Ausnahmen daher „ominös“ sind. Weiter lag ihr die Vorstellung zugrunde daß alles, was am Himmel ist und geschieht, auf Erden sein Abbild, seine „Entsprechung“ hat. Es war also kein unvernünftiger Gedanke, daraus zu folgern, daß man bei sorgsamer Beobach­ tung und Registrierung der himmlischen Phänomene, insbeson­ dere der Ausnahmefälle und bei stetem Vergleich mit etwa gleichzeitig auftretenden irdischen Ereignissen, Zukünftiges mit Wahrscheinlichkeit voraussagen könne. — Was Herodot II 82 von den Aegyptern berichtet: „Wenn ein Wunderzeichen geschieht, so schreiben sie den Ausgang sorg­ fältig auf und wenn einmal in Zukunft etwas Ähnliches ge­ schieht, so meinen sie, das müsse wieder ebenso kommen“ das gilt in viel höherem Maße von den Babyloniern, denn nur dort hat man tatsächlich jahrhundertealte Aufzeichnungen solcher kosmisch-irdischer Entsprechungen und gleichzeitiger Gescheh­ nisse gefunden. Im Jahre 1847 und später wurden in Kujundschik (bei den Ruinen von Ninive) über 25 000 schmale Tontäfelchen ausgegra­ ben, die nichts weniger als die älteste Bibliothek der Welt dar­ stellen. Darunter befindet sich auf ca. 4000 Täfelchen die Omen­ sammlung des Königs Aschurbanipal (des biblischen Sardanapal) der von 669-626 Assyrien und Babylonien beherrschte, und nicht bloß ein großer Staatsmann, sondern auch ein eifriger Förderer von Kunst und Wissenschaft war. Die erst zum Teil übersetzten Omina gehen oft bis auf sume­ rische Beobachtungen zurück und beginnen, wie einer der fleißig­ sten Übersetzer (C. Bezold) sagt, fast stets mit einem Be­ dingungssatz nach dem Schema „Wenn am Himmel das Sub­ 35

jekt S das Prädikat P hat, so wird auch auf Erden das (ent­ sprechende Subjekt S das Prädikat P haben. Oft gab der be­ obachtende Astrologe gleich den „Vorakt“, das „simile“ an (worauf der Ausdrude Amtsschimmel beruht) und setzte aus der Sammlung gleich den Text hinzu. Ansonst überließ er dem königlichen Hofastrologen, aus den Akten den Einzelfall zu deuten. Hier folgen einige Textproben (nach Jastrow): 1. Ist der Mond bei seinem Erscheinen mit einer Tiara bedeckt, so wird der König die Herrschaft erlangen. Ist der Mond am 1. Tag sichtbar, so ist es günstig für Akkad (die Heimat), un­ günstig für Elam und Amurru. Von Nebo-Sdiumischkin. 2. Ist der Mond von einem Hof umgeben und steht Jupiter da­ rin, so wird der König von Akkad eingesperrt werden. Ist der Mond von einem Hof umgeben und steht der Krebs darin, so wird der König von Akkad lange leben. Von Ischtar-Schumeresch. 3. Am 13. Tag und in der Nacht zum 14. Adaru veranstalteten wir eine Beobachtung. Doch fand keine Finsternis statt. Sie­ benmal bin ich aufgestanden, aber keine Finsternis fand statt. Den Bericht werde ich an den König senden. Von Tabu sil Marduk. 4. Wenn Venus mit ihrem Feuerlicht die Brust des Skorpions be­ leuchtet, dessen Schwanz dunkel ist und dessen Hörner hell leuchten, so wird Regen und Hochflut das Land verwüsten. Heuschrecken werden kommen und das Land verwüsten. Ochsen und Großvieh wird dezimiert werden. 5. Der Stern des Marduk (Jupiter) ist bei seinem Aufgang Umumpa-uddu, wenn er... doppelstunden hochsteht, ist er Sag-megar, wenn er die Himmelsmitte erreicht, ist er Nibirru. 6. Steht Jupiter vor dem Mond, so wird ein großer König ster­ ben, steht er hinter dem Mond, gibt es Feindseligkeiten im eigenen Land. Steht Jupiter am rechten Horn des Mondes, so wird der König von Akkad sterben, steht er am linken Horn, wird der König von Amurru sterben. 7. Nähert sich Jupiter dem Mars, so werden im selben Jahr der 36

König von Akkad sterben und der Feldertrag gedeihen. Das Omen ist ungünstig für die Länder... der König, mein Herr, führe die Sühneriten aus und jenes Übel wird vorübergehen. Von Nebo-Ikischa, dem Borsippäer. 8. Steht die Sonne am Standort des Mondes, so wird der König des Landes fest auf seinem Thron bleiben. Diese Nacht hat sich (nun wirklich) der feststehende Planet dem Monde genähert, der feststehende Planet (Saturn) ist der Stern der Sonne. Da­ her die Deutung: Gut für den König. Die Sonne ist der Stern des Königs. 9. Wird Merkur bei Sonnenaufgang im Gebiet der Jungfrau ge­ sehen, so ist seine Deutung so, wie wenn sich der Fisch dem Bogenstern nähert. Reiche Ernte, das Vieh wird im Felde lagern. Von Acharidu. (Der Fischstern vertritt den Merkur, der Bogenstern ist Sirius). Wie man aus den wenigen Beispielen sieht, war die altbabylo­ nische Astrologie durchaus universeller Natur, sie war - wie man heute sagt „Mundan - oder politische Astrologie“, die sich nur auf politische und wirtschaftliche Angelegenheiten des Lan­ des, auf Krieg und Thronfolge, Naturkatastrophen, Ernten, Seuchen etc. bezog. Das individuelle Schicksal der Menschen kam noch gar nicht in Betracht. Zur Lokalisierung der Pro­ gnosen brauchte man eine astrologische Geographie, d. h. eine Aufteilung des Landes in himmlische Regionen. So wurden die 4 Himmelsrichtungen und die 4 Viertel der Mondscheibe auf die 4 Staaten des ehemaligen Großreiches des Königs Sargon I. zu­ geordnet. Süd bezog sich auf Akkad (Babylon), Nord auf Subartu (Assyrien), Ost auf Elam (Persien) und West auf Amurru (Syrien, Palästina). Auch die Planeten und Fixsterne folgten die­ ser Vierteilung. Es gab typische Akkad-Sterne wie Jupiter oder Spica, Amurrusterne wie Sirius oder Pegasus, Elam-Sterne wie Mars und Skorpion. Die altbabylonische Astrologie war reine Omendeutung, die Götter gaben durch das Omen ein Zeichen, doch konnte man drohendes Unheil durch Opfer u. a. Sühneriten abändern - der Gedanke an ein unabänderliches Sternenfatum war noch völlig fremd. 37

C. Mathematik und Sternkunde der Babylonier Die Omentexte zeigen den primitiven Zustand der babyloni­ schen Astrologie bis zum 8. Jahrhundert. Allerdings bringen die Texte Aufzeichnungen und Beobachtungen aus einer viel älteren Zeit, aber noch schien man zu glauben, daß alle Sterne nahezu gleichweit von uns entfernt sind, daß ein Planet oder ein Stern in ein anderes Sternbild „hineingehen“ könne. Nirgends finden sich Anzeichen einer zahlenmäßig rechnenden Sternkunde. Das mag verwunderlich erscheinen, denn zur Zeit der letzten Fassung der Texte (um 680) war die babylonische Mathematik schon in hoher Blüte. Sie benützte 2 Zahlsysteme mit Stellenwert, das dekadische und das Sexagesimalsystem, sie kannte arithmetische und geometrische Reihen, hatte Multiplikations- und Divisions­ tafeln, kannte Wurzeln und Potenzen bis zum 3. Grad, ebenso Gleichungen 2. und 3. Grades, kannte Flächen und Körperberech­ nungen etc. - aber alles diente fast nur zu wirtschaftlichen und staatsfinanziellen Zwecken (Ertragsrechnung, Feldmessung, Bau­ technik etc.). Wann diese mathematischen Kenntnisse auf die Himmels­ kunde angewendet wurden, läßt sich nicht genau feststellen, man nimmt an, daß dies nicht vor dem 5. Jahrhundert geschehen ist (Neugebauer). Die Grundlage ihres Maßsystemes bildete der zwölfgeteilte Kreis, der auch den Tag mit seinen 12 gleichlangen Doppelstunden darstellt. Die Größe dieser astronomischen oder siderischen Doppelstunde fand man, indem man die von der Kulmination eines Fixsternes bis zu seiner nächsten Kulmina­ tion ausgeflossene Wassermenge in 12 gleiche Teile teilte; das Wassergewicht einer Doppelstunde bildete die Gewichtseinheit 1 Mine, das Wegstück, das ein Wanderer in einer Doppelstunde zurücklegt, bildete die Längeneinheit oder 1 Meile. So war Maß und Gewicht einheitlich geregelt. Im bürgerlichen Leben rechnete man allerdings nach den natürlichen, je nach der Jahreszeit ver­ schieden großen oder Temporalstunden, die durch Sonnenuhr und Schattenmesser (Gnomon) bestimmt wurden. Ihren Ge­ brauch in Babylon hat auch Herodot bezeugt. 38

Der Himmelskreis, der ebenfalls in 12 Regionen geteilt wurde, bildet so ein Abbild des Jahres mit seinen 12 Monaten zu 30 Ta­ gen, wie ein Abbild des Tages mit seinen 12 Doppelstunden zu je 30 Usch (Doppelminuten). Auf einer Deutungsscheibe des Hofastrologen des Königs Sargon II. (um 710) sieht man die „Dreimalzwölfe“; das sind 36 Monatssterne in 3 konzentrischen Kreisen und in 12 Sektoren aufgetcilt. Hierbei ist für jeden Monat angegeben, in wieviel Doppelminuten der betreffende Stern in einer dieser 3 Regionen gerade aufgeht, kulminiert oder gerade untergeht. Ursprünglich dachte man sich diese 3 Regionen als drei ineinander geschach­ telte Himmclsräder, an denen die Fixsterne befestigt sind und über die Sonne und Mond wandeln. Später waren sie 3 Dekli­ nationszonen innerhalb der Ekliptik, die nach den 3 kosmischen Hauptgöttern benannt wurden. Der nördliche Teil hieß der Enlil-Weg, der mittlere der Anu-Weg und der südliche Teil der Ea-Weg. Nach dem auf älteren Beobachtungen fußenden astrono­ mischen Lehrbuch „Mui Apin“ gab es 33 Enlil-Sterne, 23 Anusterne und 15 Ea-Sterne. Alle hatten ihre Namen und ihre Re­ genten, die man bei Meißner II. 411 aufgezählt findet. Von den 7 Planeten wurden anfangs nur Sonne, Mond und Venus genauer beobachtet. Von letzterer liegen Tafeln über Beobachtung und Deutung ihrer heliakischen Auf- und Unter­ gänge und der Zeit ihrer Unsichtbarkeit vor, die aus der Zeit des Königs Ammi-Zaduga (um 1800) stammen. Datierte An­ gaben über Finsternisse liegen seit 747 vor. Versuche, Finster­ nisse vorherzubestimmen, waren noch vergeblich (siehe Omen­ text Nr. 3). Erst im 5. Jahrhundert war man soweit, daß man mit Hilfe gewisser Bahnelemente und Planetenperioden die Stel­ lungen des Mondes und der Planeten vorherberechnen konnte. Um diese Zeit ist auch die Erfindung eines für Rechnungszwecke unentbehrlichen Maßkreises, des festen, in 12 gleiche Teile zu je 30° eingeteilten Tierkreises, anzusetzen. Ein Keilschrifttext aus dem Jahre 419 v. C. gibt erstmalig alle 12 „Zeichen“ an. Die Sternbilder des Tierkreises waren natürlich weitaus älter, manche gehen bis auf die Hamurapi-Zeit zurück. 39

Nach dem Lehrbuch „Mui Apin“ bestand um 700 v. C. ein Mondwegtierkreis aus 15 Sternen, darunter die bekannten 11 Tierkreisbilder ohne Widder und 4 Begleitsternbilder: Plejaden, Orion, Perseus und Auriga - dieser Tierkreis war ein ca. 12° breiter Ekliptikgürtel, auf dem, wie es im Text heißt, nicht bloß der Mond, sondern auch die Sonne und die Planeten wan­ deln; er nahm nicht vom Frühlingspunkt, sondern von einem hellen Fixstern seinen Ausganeg, war also nicht wie der heutige ein tropischer, sondern ein siderischer Tierkreis. Gleichwohl konnten die babylonischen Astronomen die 12 gleichgroßen Ekliptikteile oder „Zeichen" des Tierkreises nach den dahinter stehenden Sternbildern benennen, weil sich damals Sternbild und Zeichen längenmäßig nahezu deckten. Die Verschiebung der Zeichen, bzw. das Rückwärtsschreiten des Frühlingspunktes war den Babyloniern zwar bekannt und sie suchten dies durch Ver­ setzen der Jahrpunkte in den 15., dann in den 10., in den 8., schließlich in den 2. Grad der Zeichen auszugleichen, doch war ihnen an einer genauen Bestimmung der Aequinoctialpunkte nichts gelegen, da sie ja mit einem siderischen, von der Präzession unabhängigen Tierkreis rechneten. (Waerden).

So bleibt Hipparchs Verdienst um die Entdeckung eines ziffernmäßigen Wertes der Präzession ungeschmälert. Seit dem 4. Jahrhundert gab es auch Ephemeriden und An­ leitungen zur Berechnung von Planetenpositionen und manche berühmte Astronomen dieser Spätzeit wie Naburiano, Kidinnu, Sudines oder Seleukos, der auch die heliozentrische Ansicht des Aristarch von Samos vertreten haben soll, haben das Interesse an der Astrologie verloren. Denn was man genau vorherberech­ nen kann, war nicht mehr „ominös", kein Mittel, den Willen der Götter zu erkennen.

Aber trotz dieser, auch von Plato (im Timäus) vertretenen Meinung, führte dieses Rechenwerk nicht das Ende der Astro­ logie herbei, sondern war im Gegenteil Anlaß und Grundlage eines neuen Zweiges der Astrologie, der individuellen Geburts­ astrologie und Horoskopie. 40

D. Übergang zur Geburtsastrologie

Während so einzelne babylonische Denker den schweren Weg vom Mythos zum Logos und zur exakten Wissenschaft an­ traten, erlitt Babylonien eine Reihe schwerer Erschütterungen. Im Jahre 539 eroberte Kyros das neubabylonische Reich, und seither blieb Babylon stets unter Fremdherrschaft zunächst der Perser, dann der Griechen, später der Parther und der Römer. Unter der toleranten Herrschaft der Perser wurde die chaldäische Gestirnreligion mit den Lehren Zarathustras und irani­ schen Lehren über zielgerichtete Weltperioden durchdrungen. Entgegen der babylonischen Kreislauflehre und der Wieder­ holung des Naturgeschehens wird nun die Einmaligkeit des Da­ seins, die Vorherbestimmung des Schicksals stärker betont und ein eigenartiger „Astralfatalismus" fand im Volke weite Ver­ breitung (Schaeder). So wurde noch auf babylonischem Boden der Grund zu einer methodisch ganz verschiedenen Art, zur Ge­ burtsastrologie gelegt, die statt der kontinuierlichen kosmisch­ irdischen Beziehungen die einmalige und dauernde Prägung von Charakter und Schicksal des Menschen in der Stunde der Geburt lehrte. Der Übergang von der universellen oder Mundan-Astrologie zur Geburtsastrologie wird wahrscheinlich über die Stunden­ astrologie erfolgt sein, die zu allgemeinen, wie auch zu privaten individuellen Vorhaben benützt wurde. Als ältestes Beispiel einer solchen Stundenastrologie kann die Inschrift auf einer Statue des Königs Gudea von Lagasch (um 2000) angesehen werden, auf welcher der König berichtet, daß ihm im Traum die Götter auf einer Tafel die günstige Konstellation zum Bau eines Tempels bezeichnet haben. - Getrieben von der allgemeinen Un­ sicherheit und Lebensangst, haben sich gewiß viele Menschen an die Beschwörungs- und an die Wahrsagepriester um Rat und Hilfe in allen möglichen Lebenslagen gewendet und gewiß haben die Priester hier die Konstellation beobachtet. Aus seleukidischer Zeit liegt eine Liste aus Uruk vor, die angibt, bei welcher Sonnen- und Mondstellung Beschwörungen am wirksamsten 41

sind. So haben die Seher wohl schon auf Grund von Planeten­ tafeln auch die günstigste Zeit zu einem Vorhaben ihrer Klienten bestimmt und die Geburt eines Kindes ist dann nur ein Spezial­ fall der Anfragen an die Astrologen. Wohl geschah die Auf­ richtung eines Geburtshoroskops zunächst in primitiver Form. Doch hatte es schon eine Beziehung zum Horizont. So heißt es in einem Text aus seleukidischer Zeit: „Wenn ein Kind geboren wird, während Jupiter aufgeht und Venus untergeht, wird dieser Mensch Glück haben, aber seine Frau verlassen“ (Meißner). Genauere Daten liegen schon in den bisher aufgefundenen 9 chaldäischen Geburtshoroskopen, von denen das älteste aus dem Jahr 410 stammt; in diesem heißt es (nach Sachs), daß „in der Nacht auf den 14. des Monats... ein Sohn des Schuma-Uschur geboren wurde“ und daß zu dieser Zeit „der Mond oberhalb des Horns des Skorpions, Jupiter in den Fischen, Venus im Stier, Saturn im Krebs und Mars in den Zwillingen stand“, ferner daß Merkur unsichtbar war. Ein zweites datiertes Horoskop gibt schon die Positionen der Planeten in Zeichen und Graden an, es heißt, daß „in der Nacht auf den 23. des Monats Adar im Jahre 48 (der seleukidischen Ära — 4. April 263 v. C.) ein Kind geboren wurde. Die Sonne stand in 13°30’ Widder, der Mond in 10° Wassermann, Jupiter am Anfang des Löwen, Venus und Merkur waren mit der Sonne, d. h. (im selben Zeichen), Saturn und Mars im Krebs.“ Das 3. Horoskop aus dem Jahre 258 v. C., das bereits P. Kug­ ler übersetzt hat, ist dadurch bemerkenswert, daß auf der Vor­ derseite eine Konstellation vom 17. März 258, auf der Rück­ seite eine Konstellation vom 20. Dezember 258 zu sehen ist. Da zwischen beiden ein Intervall von 270 Tagen liegt, nahm Kugler an, daß es sich hier um das Empfängnis- und das Geburtshoros­ kop einer Person handelt. In einem Horoskop vom 1. März 142 heißt es unter anderem, daß „im glänzenden Hause des Jupiter frühmorgens ein Knäblein geboren wurde“. Da das babylonische Haus (Nischirtu) des Jupiter im Krebs ist, Jupiter de facto aber in den Fischen stand, kann es sich hier nur um das graeco-aegyptische „Haus des 42

Jupiter“ handeln, nämlich um das Zeichen „Fische“, in dem auch die Sonne stand. Sollte dies ein Zeugnis dafür sein, daß graecoaegyptische Lehren damals schon den Weg zur chaldäischen Astrologie gefunden haben? Möglich ist dies schon, da in einigen Horoskopen dieser Zeit die Neugeborenen schon griechische Namen wie Aristokrates oder Nikanor trugen. Bei den Horoskopen fällt auch auf, daß der Ort des Mondes nach der Lage zu den Sternbildern angegeben ist (also wohl auf Beobachtung beruht), während die übrigen Planeten nach der Lage im Tierkreis bestimmt sind. Das würde Ciceros Behaup­ tung bestätigen, daß die Chaldäer besonders jene Sterne an­ merken, die dem Monde näherstehen (de div. II. 43). Um 280 widmete der Mardukpriester Berossos seinem König Antiochus I. sein Werk „Babyloniaka“, worin er auch die chaldäische Ge­ stirnslehre dargestellt hat. Nach Vitruvius sollen 2 seiner Schüler, Antipater und Achinapulos, gelehrt haben, daß der Moment der Empfängnis wichtiger als der Moment der Geburt sei. Dadurch gewinnt die von Kugler gemachte Annahme, daß es sich bei den Horoskopen von 258 um ein Konzeptions- und ein Geburts­ horoskop handle, mehr Wahrscheinlichkeit. Wie Neugebauer in seiner Schrift „The rising time in babylonian astronomy“ fest­ stellt, haben die Babylonier bereits ein Schema für das Aufstei­ gen der Tierkreiszeichen in verschiedenen Breitegraden gehabt, das Vorbild für die spätere griechische Theorie der Aufgangs­ zeiten und die Grundlage der Horoskoperstellung war. Die weitere Ausgestaltung der Technik zum vollkommenen Horoskop und zur Lehre von den Himmelshäusern geschah noch im selben Jahrhundert, aber schon im gräzisierten Aegypten, wo auch die ersten Lehrbücher dieser „hellenistischen“ Astrologie erschienen sind. Während nämlich in Aegypten unter der Regierung der kunst­ sinnigen Ptolemäer neues geistiges Leben erblühte, verödeten in Babylonien unter den ungebildeten Parther-Königen die Pflege­ stätten des Geistes, die Astronomen gingen ins Ausland und nur wenige Sternwarten und Astronomenschulen, so im chaldäi­ schen Uruk und in Borsippa, fristeten noch zu Strabos Zeit ein 43

kümmerliches Dasein. Die späteste Keilschrifttafel ist aus dem Jahre 70 v. C. Die sumero-babylonische Astrallehre, die die hellenistische Kultur mächtig beeinflußte und von dem astrologisch orien­ tierten Mithraskult getragen bis in die fernsten Garnisonen des römischen Reiches vordrang wurde von gewissenlosen Leuten, meist syrischen Sklaven zum Wahrsagehandwerk herabgewür­ digt. Der Name „Chaldäer” wurde zum Gattungsbegriff für allerlei dunkle Existenzen, Wahrsager, Traumdeuter, Magier etc., die die Leichtgläubigkeit der Menge für ihre Zwecke aus­ nützten.

Literatur 2um 2. Kapitel

A. Gemeinsames Frankfort-Wilson-Jacobson: Frühlicht des Geistes. Wandlung des Welt­ bildes im alten Orient. (Urbanbücher). 1954. Scharff-Moortgat: Aegypten und Vorderasien im Altertum. 1950. Berthelot R.: La pens6e de l’Asie et l’astrobiologie. 1939. 'Neugebauer O.: History of ancient astronomy (Journal of near East studies — January 1945). Der alte Orient: Hrsg. v. d. Vorderasiatischen Gesellschaft. Berlin ab 1923. B. Aegypten

Antoniadi E.: L’astronomie £gyptienne jusqu’ä la fin de l’lpoque alexandrine. Paris 1933. Brugsch N.: Aegyptologie 1891. Brugsch N.: Thesaurus inscript. Aegyptiorum. Bd. 4. Erman A.: Die Religion der Aegypter. 1934. Gundel-Schott: Dekane und Dekansternbilder. 1936. Maspero: Contes populaires de l’Egypte ancienne. 2. ed. 1889. Kees H.: Der Götterglaube im alten Aegypten. 1941. Otto E.: Aegypten: Der Weg des Pharaonenreiches. (Urban-Bücher). 1954. Wiedemann A.: Das alte Aegypten (Kulturgesch. Bibliothek). 1920. 44

C. Babylonien

und

Assyrien

Bezold C.: Astronomie, Himmelsschau und Astrallehre bei den Baby­ loniern. 1911. Bezold C.: Ninive und Babylon. (Monogr. zur Weltgeschichte). 1909. Dhorme E.: Les r61igions de Babylonie et d’Assyrie. 2. ed. 1949. Jastrow M.: Die Religionen Babyloniens und Assyriens. 2. Band: Himmelsschaukunde. Gießen 1909—12. Jeremias A.: Handbuch der altorientalischen Geisteskultur. 2. Aufl. 1929. Kugler F. X.: Sternkunde und Sterndienst in Babel. 2 Bde. und Nach­ träge. 1907—34. Meissner B.: Babylonien und Assyrien (Kulturgeschichtliche Biblio­ thek). 2 Bde. 1920—25. Ungnad A.: Die Deutung der Zukunft bei den Babyloniern und Assy­ rern. 1910. Virolleaud: L’Astrologie chaldlenne. Le livre intituld Enuma Elisch 1905—12, 4 Hefte. Thompson: Reports of the magicians and astrologers of Niniveh and Babylone. London 1900. 2 Bde. Contenau G.: La divination chez les Assyriens et les Babyloniens. 1940. Sachs A.: Babylonian Horoscopes. (Journal of cuneiform studies. 6. Band). 1952. Archiv f. Orientforschung: Bd. 7, 14 und 16 (Die Abhandlungen von Weidner, Ungnad, Waerden über den Tierkreis und zur babylonischen Astrologie).

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3. Kapitel DIE HELLENISTISCHE ASTROLOGIE

A. Die Entstehung des Lehrgebäudes

Unter Hellenismus versteht man bekanntlich jene Kultur­ periode, die vom Tode Alexander des Großen bis zum Beginn des römischen Kaisertums reicht, in der das Griechentum poli­ tisch und kulturell die Länder des Ostens, die zumeist von grie­ chischen Dynastien beherrscht wurden, stark beeinflußt hatte. Andererseits blieb aber der rationale, vom Mythos zum Logos vorgeschrittene griechische Geist nicht selten in den Dschungeln orientalischer Astrallehre stecken und suchte auch durch irratio­ nale Mittel, durch Mystik und Gnosis, den Weg zur Wahrheit und zur Welterkenntnis zu finden. In dieser Zeit entstand auch die hellenistische Astrologie als ein typisches Mischprodukt aus orientalischen Gestirnslehren, aegyptischer Tempelweisheit, ba­ bylonischer Sternforschung, griechischer Mathematik und Natur­ philosophie, das die Griechen systematisch geordnet und zu einem grandiosen Lehrgebäude zusammengefaßt haben, das die Jahrhundert überdauerte und noch heute die Grundlage der mo­ dernen Astrologie bildet. Die Pracht des Sternenhimmels hat gewiß auch die griechische Seele mit Ehrfurcht und Bewunderung erfüllt und schon in vor­ homerischer Zeit wurden kosmische Urmächte wie Himmel (Uranos), Erde (Gaia) oder Himmelslicht (Apollo) personi­ fiziert. Doch hatte die griechische Religion keine heiligen Bücher und keine mit der Himmelsbeobachtung betrauten Priester­ schäften, stattdessen suchten Dichter und Sänger dem Volk die himmlischen Götter näherzubringen. Im Zeitalter des Perikies war die Astrologie in Griechenland „so gut wie unbekannt“ (Boll), obwohl auch mächtige Stützen 46

bereits vorhanden waren: der allgemeine Volksglaube an die Göttlichkeit der Gestirne, der durch die Hymnen der Orphiker und durch die pythagoräische Philosophie wachgehalten wurde, und der Glaube an ein unentrinnbares Schicksal, dem selbst die homerischen Götter unterworfen waren. In den platonischen Mythen sehen wir schon deutlich den Ein­ fluß orientalischer Astrallehren. In seiner „Schrift vom Staate“ hat Plato nach iranischen Quellen den Mythos vom ER erzählt, dem eine Göttin geoffenbart habe, daß jeder Mensch vor seiner Inkarnation sein Los frei wählen könne. Dieses wird von den Schicksalsgöttinnen (Moiren) an den Himmel geheftet und bleibt nun unabänderlich, worüber die Planeten zu wachen haben. Im „Timaeus“ werden die Planetengötter schon zu individuellen Schicksalsmächten, die vom Weltschöpfer beauftragt wurden, die Menschen zu hegen und zu pflegen und sie nach ihrem Tode bei sich aufzunehmen. Platos Freund, der Astronom Eudoxos von Knidos kennt schon und verurteilt die Lehren der „Chaldäer“, während Theophrastus, ein Schüler des Aristoteles, die erstaunlichen Vor­ hersagen der Chaldäer bewundert, die ebenso das individuelle Schicksal wie das allgemeine Schicksal der Menschen und Völker Vorhersagen können. Wir haben schon im vorigen Abschnitt erwähnt, daß der babylonische Priester Berossos erstmalig in griechischer Sprache die chaldäische Gestirnslehre dargestellt hat. Er soll auch auf Kos eine Astrologenschule gegründet haben und soll durch seine wundersamen Vorhersagen die Athener so beeindruckt haben, daß sie ihm eine Statue mit goldener Zunge setzen ließen. Viele griechische Astrologen, wie Epigenes von Byzanz, Apollonios von Myndos und Kritodemos behaupten auch, daß sie ihr Wis­ sen von den Chaldäern erhalten haben. In dieser Zeit (um 280 v. C.) lehrten in Athen die stoischen Philosophen, die zumeist aus Kleinasien stammten und mit der orientalischen Gestirnlehre wohl vertraut waren. Die Stoiker, vor allem Chrysippus, wollten den aristotelischen Dualismus zwischen Geist und Stoff durch einen monistischen Pantheis­ 47

mus ersetzen. Alles Wirkliche ist Stoff, aber krafterfüllter Stoff und die Welt ein lebender Organismus, der vom göttlichen Hauch durchdrungen ist. Alle Dinge stehen untereinander in einem festen Wirkungszusammenhang und alles geschieht nach einer inneren Notwendigkeit, die vom Standpunkt des Schöpfers aus als Vorsehung, vom Standpunkt des Geschöpfes aus als Schicksal erscheint. Aus der Determiniertheit des Naturgeschehens und der Un­ vermeidbarkeit des vorbestimmten Schicksals folgt auch die Möglichkeit, Zukünftiges vorherzusagen, daher werden bei den Stoikern alle Arten echter Mantik für wichtig gehalten, weil sie die Existenz der Götter beweisen, ja der Stoiker Chrysippus schloß auch umgekehrt: Wenn es Götter gibt, muß es auch eine Mantik geben. Der Glaube an das unvermeidbare Schicksal und an besondere Schicksalsgottheiten (die so wie die griechischen Moiren oder Parzen meist weiblicher Natur waren) war auch schon in Aegypten seit der Hyksoszeit vorhanden. Neben Ma-at und Isis waren es besonders Nephthys und Hathor, welch letztere von 7 Genossinnen, den sogenannten Hathoren, begleitet war. Sie haben nach aegyptischen Urkunden an die Wiege der Neu­ geborenen zu treten und zusammen mit dem „schreibenden Gott“ (Thot-Hermes) ihnen ihr Schicksal anzukünden. So lag es nahe, später die 7 Hathoren durch die 7 Planetengötter zu ersetzen, womit die Grundlage der individuellen Astrologie oder Geburtshoroskopie gegeben war. Schon erwähnt wurde, daß die ersten Lehrbücher dieser individuellen Astrologie in Aegypten erschienen sind und meist unter Berufung auf Hermes. Das älteste Werk dieser graeco-aegyptischen Astrologie waren die sogenannten Salmeschoiniaka, ein in barbarischem Griechisch geschriebenes Orakelwerk, das noch unter dem Einfluß der aegyptischen Tagewählerei die im Zeitraum von je 5 Tagen auf­ steigenden Gestirne und die Schicksale der zu dieser Zeit Ge­ borenen beschreibt. Aber schon das von Gundel neuentdeckte „Buch des Hermes“ enthält alle wichtigeren Elemente der Geburtshoroskopie, aus 48

dem viele späteren Astrologen geschöpft haben. Auch das hoch­ angesehene „Grundbuch der hellenistischen Astrologie“, die Astrologumena des Nechepso und Petosiris, gehört dazu. Ein König Necho oder Nechepso soll um 700 v. C. tatsächlich gelebt haben, ebenso ein aegyptischer Oberpriester Petosiris, der um 300 v. C. in Hermopolis lebte und dessen Grab erhalten ist. Die graeco-aegyptischen Autoren dieses Werkes, das um 150 v. C. geschrieben wurde, machten diese 2 Personen zu Zeitgenossen. Dem aegyptischen Denken entsprechend erschienen alle diese hermetischen Schriften als Offenbarungsliteratur. Die von den Göttern, insbesondere von dem dreimalgroßen Hermes (Thot), geoffenbarten Lehren sollen streng geheim gehalten werden und die Astrologen sollen ihre Tätigkeit als priesterliches Amt auf­ fassen. So war im ptolemäischen Aegypten die älteste Form der Astrologie eine reine Tempelwissenschaft und nur bevorzugten Sterblichen, wie Königen und Priestern, enthüllten die Stern­ götter ihre Geheimnisse. So hat auch dem sagenhaften König Nechepso eine Stimme in nächtlicher Zeit die Sternenweisheit mitgeteilt und sein Geheimschreiber und Ober-Priester Petosiris hat sie sorgsam aufgezeichnet. Nur wer reinen Herzens sein priesterliches Amt ausübt, dem offenbaren sich die Sterngötter persönlich oder im Traum und ihm wird schon auf Erden Er­ lösung zuteil. In Aegypten gab es eine besondere Priesterklasse, die Horoskopoi hießen, d. h. Stundenschauer, sie haben mit der Zeitmessung zu tun, waren später wohl auch beamtete Astro­ logen. Aus dem Buche des Hermes hat wohl einer der ältesten, rein griechischen Astrologen, Kritodemos, geschöpft, der in seinem Werk „Horasis“ (Vision) seinen Lesern versprach, sie ins Reich der Unsterblichkeit zu führen. Die „Neophyten“ aber band er durch heilige Eidschwüre, die enthüllten Geheimnisse nicht zu verraten. Kritodemos schrieb auch ein astrologisches Werk Pinax, das noch von Hephestion von Theben zitiert wurde. Nach Cramer ist Kritodemos der älteste griechische Astrologe, von dem noch einige Schriften vorhanden sind. Er selbst sagt, daß er seine astrologischen Kenntnisse von den Babyloniern er­ 49

halten habe. Erst in späterer Zeit begann man diese mystisch­ theosophische Fundierung der Astrologie durch eine physisch­ rationale Auffassung zu ersetzen, in der die Sterngötter zu kos­ mischen Urkräften geworden sind. Die Grundlagen dazu bot ungewollt - der große Philosoph Aristoteles, der in seiner Meta­ physik die Astrologie ablehnte, in seinen naturwissenschaft­ lichen Schriften („Vom Himmel“ und „Vom Werden und Ver­ gehen“) aber lehrte, daß alles Werden und Vergehen von der Bewegung abhängig ist. Die Gottheit als erster Beweger gibt den Anstoß auf das Erste Bewegliche (Primum mobile oder der Sternenhimmel) und von da weiter auf die Planeten. Aus der unveränderlichen Region der Sterne kommen daher alle Kräfte und Wirkungen, sie erzeugen durch ihre Bewegung das Warme und Kalte, Trockene und Feuchte und durch diese 4 Urqualitä­ ten bewirken sie alles Werden und Vergehen in der vergäng­ lichen Welt unter dem Monde. Die Krönung des Lehrgebäudes erfolgte durch den syrischen Philosophen Posidonios von Apameia (135-51 v. C.), der auch den jungen Cicero unterrichtete. Posidonios war ein tief reli­ giöser Mann, der das ganze Wissen seiner Zeit umfaßte und auch mathematische, astronomische, geographische und naturgeschicht­ liche Abhandlungen schrieb. Leider sind von seinen Schriften nur Fragmente erhalten, doch konnte man aus den Schriften seiner Anhänger und Schüler, wie Cicero, Seneca, Manilius, Kleomedes u. a. ein Bild seines Wirkens gestalten. In seiner reli­ giös eingestellten Naturphilosophie oder „Physik“ setzte Posi­ donios an Stelle des rein stofflichen, atomistischen Naturgefüges den krafterfüllten Organismus. „Der Kraftbegriff wurde die Seele der neuen Physik, wie der Zwedcbegriff die Seele der Theologie“ (Nilsson). Tief ergriffen von dem Parallelismus zwischen Physik und Theologie fand er in der göttlichen Sonne das verbindende Glied, der er deshalb die vornehmste Stelle unter den Gestirnen zuwies. Infolge der allgemeinen kosmischen Sympathie wirken die Gestirne gemäß ihren Kräften und Mischungen auf alles Irdische ein, sie handeln aber auch zweck­ mäßig als göttliche Macht und bringen durch ihre Stellungen den 50

göttlichen Willen zum sichtbaren Ausdruck. So hat Posidonios das seltsame Gebilde einer wissenschaftlichen Gestirnreligion und damit das Fundament der griechischen Astrologie geschaf­ fen. Auch das einzige systematische Lehrbuch der antiken Astrologie, das Vierbuch (Tetrabibios) über die Stemdeutung des Ptolemaeus, ruht, wie Boll gezeigt hat, im wesentlichen auf den Lehren des Posidonios. Die übrigen antiken Werke über Astrologie sind zumeist ungeordnete Aphorismen und Regel­ sammlungen, doch enthalten sie vieles, was Ptolemaeus nicht erwähnt hat - oder nicht erwähnen wollte. — Die mathematische Fundierung der Horoskopie fand vor­ wiegend auf aegyptischem Boden in Alexandria statt, das mit seinen fürstlich dotierten Forschungsstätten und Bibliotheken ein Treffpunkt aller Gelehrten war. Hier schuf Euklid sein berühmtes Lehrbuch der Geometrie, hier vollführte der vielseitige Bibliothekar Eratosthenes die erste Gradmessung, er bestimmte den Umfang der Erdkugel und legte den Grund zur mathematischen Geographie. Durch Globen und Armillarsphären, die Aratos (um 270) in seinem Lehrgedicht „Phainomena“ beschreibt, suchte man die Hauptkreise auf der Himmelskugel darzustellen. Hier wurde auch ein Koordinatensystem zur Positionsbestimmung von Fix­ sternen geschaffen, das die Babylonier noch nicht kannten. Auf Grund von Vergleichen mit älteren Angaben griechischer Astro­ nomen fand Hipparch, der in Rhodos, später in Alexandria lehrt, bei der Aufstellung eines Sternkataloges, daß die Jahrpunkte in der Zeit von 150 Jahren um ca. 2 Grad zurückgeschritten sind und entdeckte so die Präzession: daher wurde auch der bisher von einem Fixstern ausgegangene siderische Tierkreis durch den mit dem Frühlingspunkt beginnenden tropischen Tierkreis ersetzt. Seit Ptolemaeus wird dieser für alle astronomischen und astro­ logischen Rechnungen benützt. Der alexandrinische Geometer Hypsikles (um 200) legte den Grund zu der für die Horoskop­ technik wichtigen Theorie der Aufgangszeiten der einzelnen Tierkreiszeichen in den verschiedenen „Klimaten“ oder Breiten­ zonen, die dann durch Hipparch verbessert und auf eine trigono­ 51

metrische Grundlage gestellt wurde. Die eigenwilligen, oft rück­ läufigen Bewegungen der Planeten wurden als perspektivische Täuschung erkannt, und mit Hilfe von Zeichnungen und Mo­ dellen wurden 2 verschiedene Planetentheorien (mit und ohne homozentrische Sphären) geschaffen, mit welcher man die Finsternisse und die Positionen der Planeten vorausberechnen konnte. Seit dem 1. Jahrhundert v. C. brauchte der Astrologe nicht mehr selbst den Himmel zu beobachten, er konnte mittels Jahrbüchern und Ephemeriden und mittels der Aufsteigungs­ tafeln den Stand der Gestirne für eine bestimmte Zeit und einen bestimmten Ort erheben, also ein Horoskop aufstellen.

B. Die Elemente des Horoskops Die 4 Hauptfaktoren im System der hellenistischen Astrologie waren die Planeten, der Tierkreis (nebst den Fixsternen), der Kreis der 12 Himmelshäuser und die Sternstellungen zueinander nebst den Aspekten. Ihr Zusammenwirken zur Geburtsstunde soll Seele und Leib des Geborenen entscheidend formen und wurde durch ein Schema (Horoskop) graphisch dargestellt. Von den Planeten hatten bei den Griechen zunächst nur Sonne, Mond und Venus besondere Götternamen, auch Plato bezeichnet die 4 anderen bloß nach ihrer Erscheinung, als der „Mattschimmernde“ (Saturn), der „Weißleuchtende“ (Jupiter), der „Feurige“ (Mars), der „Glitzernde“ (Merkur). Unter dem Einflüsse orientalischer Astrallehren wurden die griechischen Planetengötter geschaffen, doch geschah das keineswegs in bloßer Angleichung an heimische Göttersagen, sondern unter der formenden Kraft des in diesen Göttergestalten liegenden Urbildes oder Archetyps. Ein Schüler Platos, Philipp von Opus, hat erstmalig die Namen der Plane­ tengötter gebracht mit dem ausdrücklichen Hinweis, daß die Planeten gewissen Göttern „gleichsam als ihr Eigentum“ zuge­ ordnet wurden. So hieß also Saturn „Stern des Kronos“, Jupiter „Stern des Zeus“, Mars „Stern des Ares“, Venus „Stern der Aphrodite“, Merkur „Stern des Hermes“; die Sonne war der 52

Das Weltbild des Aristoteles

Heptagramm der Wochentagsgötter

„Stern des Helios und des Apollo, der alles an den Tag bringt“. Der wechselnde und vielgestaltige Mond fand in verschiedenen weiblichen Gestalten wie Selene, Artemis, in der mütterlichen Hera, der dunklen Persephone und der zaubergewaltigen He­ kate seinen Ausdrude. Unter dem Einfluß der Stoiker wurden die Planeten nicht mehr als Sitze der Götter, sondern als die Gottheiten selbst betrachtet und die Römer haben dann auf dem gleichen Wege ihre Götter den griechischen Göttern angeglichen. In der späteren gelehrten Astrologie suchte man allerdings die Planetengötter zu bloßen Trägem von Naturkräften herabzu­ setzen, deren Wirkung allein aus der Mischung der 4 Qualitäten zustande kommen soll. Doch vermochten diese rationalisierten physischen Potenzen die blutvollen und menschlich lebensnahen Gestalten der Planetengötter nie zu ersetzen. In Anlehnung an die griechische Mythologie teilte man die Planeten in männliche (Sonne, Mars, Jupiter, Saturn) und weib­ liche Planeten (Venus und Mond) ein, während Merkur als „Hermaphrodit“ zweigeschlechtlich war. Nach den 4 Urquali­ täten sprach Ptolemaeus das fruchtbare, warm-feuchte Prinzip den „Wohltätern“ Mond, Jupiter und Venus zu; das unfrucht­ bare oder austrocknende Prinzip den Übeltätern Mars und Sa­ turn, während Sonne und Merkur an beiden Prinzipien teil hatten. Die Anordnung der Planeten, die auf Anaxagoras zurückgeht, reihte zunächst so: Mond - Sonne - Venus - Merkur - Mars Jupiter - Saturn. Zu Hipparchs Zeit ordnete man sie schon in natürlicher Folge gemäß ihrer Umlaufzeiten also: Mond Merkur - Venus - Sonne - Mars - Jupiter und Saturn. Hier erhielt also die Sonne im Sinne des Posidonios ihren zentral be­ herrschenden Platz und schied die 3 „unteren“ Planeten (Mond - Merkur - Venus) von den 3 oberen Planeten. (Es wird viel­ leicht wenig bekannt sein, daß Kopemikus bei Schaffung seiner heliozentrischen Theorie auf diese Anordnung hingewiesen hat.) Eine andere Planetenordnung ergab sich aus der Stunden­ astrologie und der Ansicht, daß jeder Tag und jede Stunde von einem Planetengott regiert werden. Dies führte zu den 7 Wo54

Die vier Trigone im Tierkreis (zu S. 56)

chentagsregenten. Eine siebentägige Woche gab es weder in Aegypten noch in Griechenland, dagegen bei den Juden und anderen semitischen Völkern. So ist also die Planetenwoche ein typisches Gewächs der hellenistischen Mischkultur, die schon im 2. vorchristlichen Jahrhundert in Gebrauch stand. Man kam zu dieser Anordnung durch das sogenannte Hepta­ gramm der Wochentagsgötter. Schreibt man den siebenstrahligen Stern in einen Kreis und setzt die Planeten in ihrer natür­ lichen Folge an die Spitzen des Sternes, so ergibt sich, wenn man den Stern in einem Zuge macht, die Reihe Sonne - Mond Mars - Merkur - Jupiter - Venus - Saturn (siehe Figur). Auch durch Auszählen kommt man, wie antike Astrologen sagen, zu dieser Reihe, indem man die erste Stunde eines Tages dem Pla­ neten zuordnet, der auch den Tag regiert, die 2. Stunde aber dem, der in der natürlichen Planetenfolge folgt, die 3. dem nächstfolgenden u. s. f. durch alle 24 Stunden, dann wird die erste Stunde des neuen Tages stets mit dem Planeten beginnen, von dem dieser Wochentag den Namen hat. Die römischen Namen der Wochentagsgötter erscheinen noch heute besonders in den romanischen Ländern, so lundi = dies lunae Montag, mardi = dies martis Dienstag, mercredi = dies mercurii Mittwoch, jeudi = dies jovis Donnerstag, vendredi = dies veneris Freitag, samedi = dies saturni Samstag. Nur der Sonntag, dies solis, wurde durch den „Tag des Herrn“ dimanche, dominica, ersetzt. Diese Planetenwoche war auch schon den Germanen im 1. Jahrhundert n. C. bekannt, sie ersetzten die römischen Namen durch Namen der einheimischen Götter: Mars durch Ziu oder Thi, Merkur durch Wodan (engl. wednesday), Jupiter durch Donar (Donnerstag) und Venus durch Freya (Freitag). Der Samstag heißt bei den Engländern noch heute saturday. So hat sich eine rein astrologische Konzeption durch Jahr­ tausende bis zur Gegenwart erhalten. Die noch heute üblichen Symbole oder Siegel für die Planeten * entstanden keineswegs aus mystischen Spekulationen über Kreuz, Halbkreis und Kreis, sondern sind einfache Abkürzungen, es 56

sind die Anfangsbuchstaben der griechischen Planetennamen nebst einem Schlußstrich. So wurde aus Saturn griech. Kronos, Buchstabe Kappa Symbol K-tj Jupiter griech. Zeus Buchstabe Zeta Symbol Z-% Mars griech. Ares Buchstabe Alpha Symbol A-c5 Venus griech. Phosphorus Buchstabe Phi Symbol Mercur griech. Hermes Buchstabe Eta Symbol E dann 8 Die Symbole für Sonne und Mond sind Bildzeichen, die sich in ähnlicher Form schon in den Hieroglyphen vorfanden. Der Tierkreis oder Zodiakus sollte eigentlich Bilderkreis heißen (von zodion, das Bildchen), da er ja auch andere, als tierische Gestalten umfaßt. Er war den Griechen bereits im 6. Jahrhundert bekannt. Die meisten Tierkreisbilder wurden von den Babyloniern übernommen, aber in Gestalten aus der griechischen Sagenwelt gehüllt. In diesem Sinne hat Aratos (um 270 v. C.) seine Sternbeschreibung verfaßt und auch alle 12 Zei­ chen des Tierkreises aufgezählt. Er schloß sie mit den Worten „indem der Sonnengott die Zwölfe ganz durchquert, bringt er ans Ziel das Jahr“. Nach der Entdeckung der Präzession wurde an Stelle des bisherigen siderischen Tierkreises der mit dem Frühlingspunkt beginnende tropische Tierkreis vorherrschend, und dieser Tierkreis wurde alsbald zu einem buntschillernden Deutungskreis und Schicksalsrad gemacht, an dem verschiedene Motive mitgewirkt haben. Gewiß ist das schon von Aratos an­ gedeutete natursymbolische Motiv: Das Erleben der jahrzeit­ lichen Einflüsse das älteste und primäre Motiv. Nach ihm wur­ den auch die Zeichen in 4 cardinale oder tropische Zeichen ein­ geteilt, die den Beginn einer neuen Jahreszeit darstellen (Widder, Krebs, Waage, Steinbock). Dann in 4 feste Zeichen (Stier, Löwe, Skorpion und Wassermann), in der sich der jahreszeitlich Cha­ rakter, Hitze oder Kälte befestigt, und in 4 bewegliche Zeichen (Zwillinge, Jungfrau, Schütze und Fische), die den Übergang zur neuen Jahreszeit bilden. Auf Grund pythagoräischer Spekulationen wurden dem Kreise der zwölf Bilder auf Grund der harmonischen Dreizahl 4 gleichseitige Dreiecke oder Trigone eingeschrieben, die je 57

3 Zeichen gleicher Urqualität umfassen, es sind dies das feurige Trigon: Widder, Löwe, Schütze; das irdische oder erdhafte Trigon: Stier, Jungfrau, Steinbock; das luftige Trigon: Zwil­ linge, Waage, Wassermann und das wässrige Trigon: Krebs, Skorpion, Fische. In naiver Ausdeutung der Gestalten unter­ schied man ferner zweikörperliche, stumme wiederkäuende, schöne, häßlich machende Zeichen etc. Aus der Kombination der Planeten im Tierkreis, bzw. aus der Ansicht, daß gewisse Planeten zu gewissen Zeichen eine Affini­ tät oder eine Abneigung haben, ergaben sich weitere Deutungs­ möglichkeiten und das System der zodiakalen Würden und Schäden der Planeten. Man unterschied im allgemeinen 5 Würden: das Haus, die Er­ höhung, die Trigonokratie, die Grenze und das Dekanat. Sche­ matisch nahm man dann an, daß ein Planet, der in einem Hause die Herrschaft hat oder erhöht ist, im Gegenzeichen „vernichtet“ oder „im Fall“ ist. Die Hausherrnwürde oder Oikodespotie geht auf den alten Brauch der Monatsregenten und die Anordnung auf ein herme­ tisches Schema, das sogenannte „Horoskop der Welt“, zurück. Da aber dort die 7 Planeten nur je 1 Haus besetzten, schuf man ein anderes Schema (siehe Figur), in dem Sonne und Mond je 1, die übrigen Planeten in natürlicher Folge je 2 Zeichen als „Häu­ ser“ oder als „Domination“ erhielten. Wie aus der Zeichnung ersichtlich ist, wurde der Tierkreis hierbei auch in 2 Hälften ge­ teilt, der Tagessektor entsprach der Hairesis der Sonne, der nächtliche war dem Mond unterstellt. Die Erhöhung, die oft bloß als Zeichen, meist aber auch gradmäßig angegeben wird, geht auf das babylonische Nischirtu zurück, jene Stelle im Tier­ kreis, wo der Planet sein Geheimnis, seine Zuflucht oder seinen Fixstern-Vertreter hat. Es war also das babylonische „Haus“ - da man aber nicht 2 Systeme von Häusern wollte, nannte man diese babylonische Würde „Erhöhung“ oder Hypsoma. Die 3. Würde bezieht sich auf die 4 erwähnten Trigone, denen man nach verschiedenen Systemen 3 Regenten oder Trigonokraten (Dreierherren) zuwies. In der Tabelle ist die Anordnung 58

Schema der Planetenhäuser und Aspekte bei Ptolemäus

nach Dorotheos wiedergegeben. - Bei den Grenzen wurde jedes Zeichen in 5 ungleich große Teile geteilt, denen je einer der 5 Planeten (außer Sonne und Mond) als „Herr der Grenze“ vor­ stand. Der Sinn dieser Würde war schon zu Ptolemäus’ Zeiten nicht mehr erkannt, weshalb auch verschiedene Systeme bestan­ den. Die 5. Würde wurde endlich durch den Einbau der altaegyptischen 36 Dekangötter in den Tierkreis gebildet. Jedes Zeichen wurde in 3 gleiche Teile „Dekanate“ geteilt und bekam einen Planeten als Herrscher der hier seine Maske oder sein „Gesicht“ zeigt. Über den Tierkreis wurde oft noch ein zweiter, nach Tieren benannter Zwölferkreis gebaut, er ist der schon früher genannte 59

Zwölfstundenkreis oder die Dodekaoros, doch hatte er in der hellenistischen Astrologie meist weniger Bedeutung als in der chinesischen (Ostasiatischer Tierzyklus). Mit dem Kreis der zwölf Doppelstunden ist auch der Häuserkreis oder das System der 12 Orte (Dodekatopos) oder der 12 Schicksalsbedeutungen nahe verwandt, das bereits von Hermes und Nechepso erwähnt und offenbar aegyptischen Ursprungs ist. Erst durch dieses auf das Irdische bzw. auf den Geburtshorizont abgestellte Bezugs­ system konnte man das individuelle Geschick des Menschen ge­ nauer erfassen. Es gab da zunächst ein vierteiliges Quadranten­ schema, dann ein achtteiliges Schema, der von Manilius und Firmicus erwähnte „Oktatopos“, doch wurden beide alsbald durch das zwölfteilige (Dodekatopos) Schema ersetzt, da nur dieses in voller Analogie zu den 12 Tierkreiszeichen und zur Aspektenlehre stand. Denn so, wie die 12 Zeichen den Jahresweg der Sonne darstellen, so die 12 Häuser den Tageslauf der Sonne. Dieses ursprüngliche, natursymbolische Motiv zeigt sich schon in den Bezeichnungen der 4 Eckhäuser oder Kentra - das erste hieß der Aufgang (anatole), das am oberen Meridian befind­ liche Haus, die „Himmelsmitte“ (Mesuranema), das 7. Haus, im Westen hieß „Dysis“-Untergang und das am unteren Meri­ dian befindliche 4. Haus hieß das Unterirdische oder Hypogaion. Auch bei den Zwischenhäusern kam die Tageslaufsym­ bolik zum Ausdruck, so hieß das 12. Haus nach Hermes die „proanofori horoscopi“, d. h. die vor dem Horoskopos (1.) auf­ steigende Region. - In Analogie zu den cardinalen, festen und beweglichen Zeichen des Tierkreises unterschied man auch hier 4 angulare oder Eckhäuser (Kentra 1. 10. 7. 4.) mit stärkster Wirkung, 4 nachfolgende Häuser (2. 5. 8. 11.) und 4 fallende Häuser (3. 6. 8. 12.) mit schwächster Wirkung. Wie beim Tier­ kreis haben sich auch beim Häuserkreis neben dem natursym­ bolischen Motiv eine Unzahl anderer mythologischer oder spe­ kulativer Motive gerankt und dem Häuserkreis ein buntschil­ lerndes mosaikartiges Aussehen gegeben. Bei Manilius u. a. konnte man allerdings ein gewisses System erkennen, er hat in seinem Lehrgedicht „Astronomicon “ die Häuserbedeutung in 60

Form von Gegensatzpaaren dargestellt. So steht also dem Ich (1. Haus) die Außenwelt, das Andere (7.) gegenüber, dem 4. Haus, das Herkunft und Vaterhaus bedeutet, das 10. Haus, das Lebensziel, Erfolg bedeutet gegenüber, im 3. Hause wohnt die Nähe, die nahen Verwandten, im 9. Hause das Ferne, Fremd­ artige u. s. f. Ein mittelalterlicher Merkvers zählt kurz die Be­ deutungen der Häuser auf. Vita (1), lucrum (2), fratres (3), genitor, nati, valetudo, uxor, mors, pietas, regnum, benefactaque carcer. Neben dem System der 12 Orte gab es noch ein System von 12 oder mehr Himmelslosen oder bedeutsamen Punkten im Horoskop, die nach Gundel ursprünglich eine Art Losorakel (Kleromantie) darstellten. Die Willkür der quer über ein Tier­ kreisdiagramm fallenden Würfel wurde aber in der gelehrten Stemdeutung durch ein Abzählverfahren ersetzt, indem man die Distanz zweier in Betracht kommender Planeten erhob und rechts oder links vom Aszendenten auftrug. In einem hermeti­ schen Text hat jeder Planet nur 1 Los, durch Kombination er­ hielt man aber immer mehr Lose und Firmicus zählt in seinem Handbuch eine Menge solcher Lospunkte auf. Ptolemaeus hat nur einen benützt, es ist der Lospunkt des Glüdcs (Kleros tyches oder pars fortunae), der so gefunden wird, daß man die Distanz von Sonne zu Mond - stets in der Zeichenfolge - er­ hebt und diese Grade den Graden des Aszendenten zuzählt. Noch 2 bedeutsame Punkte wurden im antiken Horoskop stets eingesetzt, es sind die Schnittpunkte der Mond- und der Sonnenbahn oder die beiden Mondknoten, von denen der nörd­ lich in der Ekliptik aufsteigende eine günstige, der absteigende Knoten eine schädliche Wirkung hatte. Gegenüber den Planeten und dem Tierkreis mit seinen zahl­ reichen Teilregenten traten die ursprünglichen Fixsterne und Sternbilder in der gelehrten Astrologie stark zurück. In den Orakeltexten der Vw/gärastrologie, auf die wir noch zurückkommen, spielten die Fixsternprognosen eine große Rolle. Bedeutsam war hier die „Sphaera barbarica“, eine Himmelsbe­ schreibung des graeco-aegyptischen Astrologen Teukros, genannt 61

der Babylonier. Er beschrieb nach aegyptischen und babyloni­ schen Quellen die einzelnen Sternbilder nebst Längenangaben und gab auch eine Beschreibung der zu den 360 Graden des Tier­ kreises gehörigen Fixsterne nebst den Schicksalen der unter jedem Grad Geborenen an. (System der Monomoirai oder Gradschick­ sale). Man dachte sich die Fixsterne nicht allzuweit von den Bahnen der Planeten entfernt und glaubte, daß ihre Natur von der Natur der Planeten abhängig sei, so hatte schon in Babylon jeder Planet bestimmte Vertreter in der Fixsternwelt. Auch Ptolemaeus lehrte gemäß dieser Tradition in der Tetrabibios I, 9 „Wie die Fixsterne an der Natur der Planeten teilnehmen“ und teilte die Fixsterne darnach ein, es gab solche von Saturn- und Jupiternatur wie Perseus und Orion, solche von Jupiter- und Mars­ natur wie Regulus und Antares etc. Daß bei diesen Zuteilungen auch die griechische Mythologie mitspielte, hat Ptolemaeus aller­ dings verschwiegen. Ein von den Laienastrologen oft übersehe­ ner Übelstand war, daß man diese an den Tierkreis gebundenen Fixsternorakel infolge der Präzession (1° in 72 Jahren) stets neu redigieren mußte und daß sich die Prognosen aus den mit gewissen Tierkreisgraden zugleich aufsteigenen Sternbildern und Dekangestimen (Paranatellonta) stets nur auf eine bestimmte Breitenzone (Polhöhe) bezogen. Die Planetenstellungen inclusive der Aspekte sind das 4. we­ sentliche Element im Horoskop. Neben den essentiellen Würden der Planeten im Tierkreis gab es noch akzidentelle Würden. Das sind Stärken oder Schwächen, die die Planeten fallweise infolge ihrer Stellung zum Horizont, zur Sonne oder zu anderen Plane­ ten erwerben. Solche Planetenstellungen wurden in anthropomorpher Weise menschlich gestaltet und ausgedrückt. Manche Planeten blickten sich „freundlich“ an, waren im guten „As­ pekt“, andere blickten bösartig auf den Partner; einer, der am Horizont höher steht als der andere „überwältigt“ ihn, ein oder mehrere Planeten „blockierten“ durch ihre Strahlen einen Dritten, ein anderer erhielt innerhalb 180° keinen Aspekt von den anderen, ist also im „Leerlauf“. Dutzende solcher Stellun­ 62

gen, die alle ihre Namen haben, wurden ausgeklügelt und zur Deutung benützt. Die geozentrisch gesehenen Winkel, die die Planeten zueinander bilden, wurden nach den Prinzipien der pythagoräischen Harmonik beurteilt. Teilungen des Kreises durch 2 oder 4, also Winkel zu 180° (Opposition) und 90° (Quadratur) wurden als disharmonisch, lebenshemmend oder spannend betrachtet, Teilungen durch 3 bzw. 6, also der Trigo­ nalschein (120°) und der Sextilschein (60°) galten als harmo­ nisch und lebensfördernd der 5. Aspekt: Die Konjunktion wurde je nach der Natur der sich begegnenden Gestirne beurteilt. Mit diesen 4 Elementen wurde das Horoskop „errichtet“ oder berechnet. Der Name Horoskop für das Schema wurde erst im Mittelalter gebräuchlich; in der antiken Astrologie nannte man es „Thema“ oder „Genesis“ (lateinisch constellatio oder genitura). Der Ausdrude Horoskop leitet sich von dem wichtigsten Grund im Horoskop her, vom aufsteigenden Ekliptikgrad, der Horoskopos (lat. ascendens) hieß, weil er die Stunde „anzeigt“. Die einfachste, von Laienastrologen oft geübte Art, diesen eben aufsteigenden Ekliptikgrad zu finden, geschah so, daß man zum Tagesstand der Sonne, der oft auf den Sonnenuhren oder auf Kalendertafeln (Parapegmen) vermerkt war, soviel mal 15 Grade dazuzählte als Stunden vom Sonnenaufgang bis zur Geburt verflossen waren. Im bürgerlichen Leben rechnete man aber nicht nach gleichlangen oder Aequatorstunden, sondern nach den von den Jahreszeiten (tempora) abhängigen Temporal­ stunden, deren Größe jeweils zu bestimmen war. Hierzu schufen die griechischen Mathematiker die schon erwähnte Theorie der Aufgangszeiten, die angab, wieviel Zeitgrade jedes Tierkreis­ zeichen in den gegebenen Breitenzonen (Klima) zum Aufsteigen braucht, bzw. welcher Ekliptikgrad den seit Sonnenaufgang verflossenen Temporalstunden (die die Sonnenuhr anzeigt) ent­ spricht. Es gab dazu Aufsteigungstafeln für verschiedene Klimate. Zur Darstellung des Schemas benützten die Astrologen oft eine Deutungsscheibe (Pinax), auf der in 12 Abschnitten der Tier­ kreis mit seinen Unterteilungen aufgezeichnet war. In diese Sek­ 63

toren setzte man den Horoskopos und die Planeten ein, deren Stand man meist nicht mehr durch Beobachtungen, sondern aus Jahrbüchern (Ephemeriden) entnahm. Eine der ältesten Darstel­ lungen dieser Art ist das sogenannte Horoskop von Abydos, ein­ gemeißelt in die Wand eines Tempels, das aus dem 3. Jahrhun­ dert n. C. stammt. Es gab auch bildhafte Horoskope, in denen die Planeten und Zeichen mehr in künstlerischer Hinsicht an­ geordnet waren, so im Sternkreis von Dendera, im sogenannten Löwen von Kommagene (aus der Zeit des Königs Antiochus) und im Horoskop der Brüder von Athribis. Bei der Auslegung nahm man zunächst das Zeichen, in dem der Horoskopos steht, zugleich als das 1. Haus (oder den 1. Ort) an, das nachfolgende Zeichen bildet das 2. Haus, das weiter fol­ gende Zeichen das 3. Haus u. s. f., da es hierbei aber oft Un­ stimmigkeiten gab, wenn der Horoskopos in den letzten Graden eines Zeichens stand, teilte man die Ekliptik vom Aszendenten aus in 12 gleiche Teile, das waren die Häuser der sogenannten aequalen Manier, wobei der kulminierende Ekliptikpunkt bzw. die Meridiane nicht berücksichtigt wurden. Ptolemaeus hat aber in seinem astronomischen Handbuch (Almagest) die Berechnung aller 4 Eckpunkte (Horizont und Meridian) an Hand seiner Tafel der Aufgänge nach Zeichendritteln gelehrt und nach ihm haben Porphyrios, Hephaestion auch die weitere Teilung dieser ungleich großen Quadranten, bzw. die Berechnung der Zwischen­ häuser gelehrt. Technische Einzelheiten hierüber findet man in dem Werke von Knappich-Koch „Horoskop und Himmels­ häuser“, das auf neuesten Forschungen beruht.

C. Deutungsmethoden und Anwendungsformen

Nach der Errichtung des Horoskops folgt die Auslegung (Apotelesmatik) oder die Beurteilung (iudicium) der Konstella­ tionen. Ptolemaeus behandelt in seinem Lehrbuch nur 2 Anwen­ dungsformen: Erstens die universelle Auslegung, welche die poli­ tische und meteorologische Astrologie umfaßt und in der Wir64

Horoskop der Brüder von Arthribis (zu Seite 69)

kung den Vorrang vor der 2., der individuellen Astrologie oder Geburtshoroskopie, hat. Außerdem gab es in der antiken Astro­ logie noch 3 Formen, die zwischen beiden stehen: die Stunden­ astrologie, die medizinische und die magische Astrologie. 65

Die universelle Auslegung oder das Katholikon setzt das Vor­ handensein einer astrologischen Geographie voraus, um die poli­ tischen Prognosen lokalisieren zu können.

Einige Ansätze dazu haben wir bereits bei den Aegyptern (Dekane) und in der babylonischen Astrologie gefunden. Der Babylonier Teukros hat ebenso wie der römische Dichter Manilius die bewohnte Erde in 12 Zonen geteilt, die von je 1 Tierkreiszeichen bzw. einem Tier der Dodekaoros regiert wer­ den. Andere wie Hephaestion haben diese Zeichen noch unter­ geteilt und 36 Zonen oder Trihorien unterschieden. Eine um­ fassende astrologische Geographie hat Ptolemaeus in seinem Lehrbuch gegeben. Nach ihm ist die bewohnte Erde etwa 1 Yz mal so lang als breit, und hat so die Gestalt eines Rhombus. Dieser wird durch seine Diagonalen in 4 rechtwinkelige Dreiecke oder „Trigone“ zerlegt, die nach den Himmelsrichtungen be­ nannt werden. Jedem äußeren Trigon liegt ein kleineres inneres Trigon gegenüber, das gewisse Verwandtschaftsbeziehungen zu ihm, aber auch zu dem von ihm umschlossenen Trigon hat. So erhält er 24 astrologisch differenzierte Zonen, aus welchen er mit viel Geschick die Rassenmerkmale, Sitten und Gebräuche der einzelnen Völker und Landstriche ableitet. Die universelle Auslegung kann vorschauend als politische Prognostik oder rückschauend als astrologische Geschichtsbetrach­ tung gewertet werden. Von letzterer sind zwei einander wider­ sprechende Weltalterlehren erwähnenswert, die eine geht vom babylonischen Kreislaufgedanken aus und nimmt an, daß sich der Weltprozeß zwischen Sintflut und Feuerbrand ewig wieder­ holt. Die andere entstammt der iranischen Astrotheologie, sie nimmt den Weltprozeß als etwas Einmaliges an und gibt ihm eine ethische Tendenz zur Erlösung vom Übel. Wie sie mit Jahr­ tausenden, haben die Etrusker mit Saecula gerechnet, und ähnlich haben griechische und römische Dichter vom goldenen, silbernen, ehernen Zeitalter gesprochen. Nur ein spätgriechischer Dichter, Nonnos v. Panopolis, hat in seinem Lehrgedicht Dionysiaka auf Grund von Horoskopen eine eigentliche astrologische Geschichts­ 66

konstruktion verfaßt, worin er Werden und Wirken des Welt­ heilandes Dionysos schilderte. Zur Vorhersage von politischen Ereignissen wurden besonders die Finsternisse herangezogen, worüber Ptolemaeus 4 Grundsätze aufgestellt hat, um Ort, Zeit, Wirkung und Dauer des prognostizierten Ereignisses bestimmen zu können. Außer den Finsternissen hatten von altersher auch die Kometen eine meist unheilvolle Bedeutung, sie sollen Geburt und Tod von Regenten anzeigen. Für die nach babylonischem Vorbild gemachten Jahrespro­ gnosen nahm man in der Laienastrologie meist einen plane­ taren Jahresregenten, der schematisch nach einem Siebenerzyklus oder aus dem Wochentagsregenten des Neujahrstages bestimmt wurde. Nach seiner „Natur“, seiner Stellung zum Monde und im Tierkreis wurde der allgemeine Charakter des Jahres, Witte­ rung, Ernteaussichten, Seuchen, Kriegsgefahren etc. beurteilt. Be­ liebt waren auch die sogenannten Dodekaeteriden oder Zwölf­ jahrzyklen, von denen jedes Jahr 1 Zeichen regiert, dessen Na­ tur den Charakter das kommenden Jahres andeuten soll. Ge­ lehrte Astrologen stellten das Jahreshoroskop auf den ersten Neumond nach dem Frühlingsaequinoktium, Ptolemaeus rät aber, da das bürgerliche Jahr eigentlich keinen Anfang hat, 4 Quartalshoroskope für die Zeitpunkte der Aequinoctien und der Solstitien aufzustellen, also für den Eintritt der Sonne in die 4 Kardinalzeichen. Die Prognosen gelten somit für 1 Vierteljahr und für jeden Monat können dann noch Lunarhoroskope errich­ tet werden, die für den jeweiligen, auf die Aequinoctien folgen­ den Neu- oder Vollmond aufgestellt werden.

Zu kurzfristigen Wetterprognosen und Ratschlägen für den Landwirt wurden von altersher der Mondlauf, dann gewisse atmosphärische Begleiterscheinungen beim heliakischen Aufgang von Fixsternen (besonders des Sirius, des Orion und des rotleuch­ tenden Arkturus) benützt.

Es gab in der Antike auch schon Almanache in der Art unserer Bauernkalender, die nach dem Lauf der Sonne und des Mondes im Tierkreis und aus den Begleitumständen bei Blitz und Don­ 67

nerschlägen, aus Halos, Nebelflecken und ähnlichen Anzeichen Ratschläge für den Landwirt und die mutmaßliche Witterung gaben. Solche Kalender (Brontoskopien) hatten Nigidius Figulus, Germanicus, Columella u. a. verfaßt, auch Plinius hat in seiner Naturgeschichte der astrologischen Wettervorhersage einige Kapitel gewidmet, worin er sich auf Angaben von Julius Caesar beruft. Für die individuelle Auslegung oder Geburtshoroskopie haben manche Autoren wie Hermes, Valens oder Rhetorios umfang­ reiche Anleitungen zur Horoskopbetrachtung verfaßt, die aber infolge ihrer Überfülle an Kombinationen mehr Verwirrung als Klarheit bringen. Im allgemeinen wurden 2 Deutungsmethoden am meisten benützt, die eine, wir können sie die aegyptische nennen, legt den Schwerpunkt des Horoskops auf den Tierkreis, der gleichsam der ausschließliche Vermittler des astralen Ein­ flusses ist. In welchem Hause, in welchem Dekanat, in welchen Grenzen ein Planet steht, ist entscheidend. Steht etwa Mars im 15° Krebs, so ist er im Hause des Mondes, in der Erhöhung des Jupiter, steht in den Grenzen des Merkur und beherrscht selbst das 2. Dekanat des Krebses. Aus allen diesen Relationen, Wür­ den und Schwächen zieht der Astrologe sein Urteil. Die andere können wir die babylonische nennen, der auch Ptolemaeus folgt, sie geht auf direkte Sternbeobachtung zurück. Sie legt das Haupt­ gewicht auf die Planeten, nicht bloß nach ihrer Stellung im Tier­ kreis (zodiakal), sondern besonders auf ihre Stellung zu den anderen Planeten und zum Horizont (Mundanposition, von mundus, das Weltall). Analog der universellen Auslegung hat Ptolemaeus auch hier 4 Grundsätze zur Beurteilung des Horoskops gegeben. Zunächst ist also der Planet aufzusuchen, der für ein Ereignis bedeutsam ist (spätere nannten ihn Signifikator), dann der Planet, der an diesem Orte die größte Macht hat (spätere nannten ihn den Promissor); demnach ist die Größe und Art der Wirkung zu ermessen, schließlich ist noch die Zeit festzustellen, ob das Er­ eignis rasch oder allmählich eintreten, kurz- oder langdauemd sein wird. 68

Indessen kam es Ptolemaeus nicht so sehr auf die Bestimmung der Eintrittszeiten an, sondern er wollte durch sorgfältiges Ab­ wägen und Mischen aller Horoskopfaktoren ein Gesamtbild des Geborenen, seiner biopsychischen Konstitution, seines Charak­ ters, sowie unter Berücksichtigung des elterlichen Milieus auch die von außen kommenden Zufälle und Stadien seines Lebens­ laufes schildern. Die meisten Astrologen, insbesondere die Laienastrologen, konnten oder wollten nicht das komplizierte Deutungssystem des Ptolemaeus benützen, sie hielten sich an populäre Orakeltexte, die das Schicksal der Geborenen einfach aus dem Sonnenstand im Tierkreis oder aus dem Alter des Mondes (sogenannte Mond­ laufbücher oder Selenodromien) ableiteten, manche gaben sich so­ gar mit dem Planeten zufrieden, der den betreffenden Wochen­ tag regierte. In den Lehrbüchern und Anthologien von Hermes, Teukros, Antiochus etc. finden sich auch Prognosen aus den in der Geburtsstunde mit jedem Dekan (10°) oder mit gewissen Ekliptikgraden zugleich aufsteigenden Fixsternen und Stern­ bildern (Paranatellonta), wobei zumeist in naiver Weise auf Grund der Sternsagen prophezeit wurde. So mußte natürlich das Schiff Argo Seeleute, Orion Jäger, der Auriga Kutscher machen etc. Schließlich gab es noch Prognosen, die für jeden Grad des Tierkreises ein Einzelschicksal abgaben (die sogenann­ ten Monomoerien), die Firmicus im 8. Buch seiner Mathesis bringt, wobei er uns erzählt, daß der göttl. Hermes ein Buch, die Myriogenesis verfaßt hat, die sogar für jede Bogenminute eine Deutung, also zusammen 21 000 Schicksalsorakel, gegeben haben soll. So kindisch und banal auch diese Prognosen und Orakeltexte waren, sie wurden vom Volke blindlings geglaubt und selbst ge­ lehrte Astrologen wie Vettius Valens, der sich stolz „Soldat des Schicksals“ nannte, lehrten ein unabänderliches und vorher­ bestimmtes Sternenschicksal, dem sich niemand entziehen kann. Gegenüber diesen Schicksalsfanatikem lehrte Ptolemaeus, daß eine gesetzmäßige und unabänderliche Notwendigkeit nur in der „oberen unveränderlichen Region der Sterne walte“, daß aber 69

hier auf Erden alle Dinge steten Veränderungen unterliegen, daß viele Ereignisse nicht ausschließlich von der Bewegung der Ge­ stirne abhängen und daß sich diese durch geeignete Mittel ab­ wenden lassen. Die Stundenastrologie oder Katarchenhoroskopie wird zur Augenblicksentscheidung, zur Wahl der günstigsten Stunde für die Ausführung eines Vorhabens oder für die Beurteilung einer augenblicklichen Situation benützt. Sie steht eigentlich im Gegen­ satz zur Geburtsastrologie, denn hier im System der Kat-Archai oder „Nachanfänge“ wird eine kontinuierliche Gestirneinwir­ kung, dort aber eine einmalige und bleibende Prägung des Ge­ borenen angenommen; hier freie Willensentscheidung und kluge Voraussicht, dort meist ein vorherbestimmtes, zwingendes Fa­ tum; hier war mehr die Ansicht vorherrschend, daß die Sterne bloß Anzeichen sind, dort sind die Gestirne direkt wirksam und prägen den Charakter. Aber diese Widersprüche haben die an­ tiken Astrologen nicht gestört, ja sie haben sogar beide Metho­ den zu verbinden gesucht. So sagt der Pseudo-Ptolemaeus im §51 seiner Sprüche: „Dann ist die Wahl des Tages und der Stunde ersprießlich, wenn der gefundene Zeitpunkt mit dem Geburtshoroskop im Einklang steht“. Die Stundenastrologie bzw. das Erstellen eines Horoskops konnte sowohl für öffentliche oder allgemeine Angelegenheiten (Beginn eines Feldzuges oder einer politischen Aktion, Grund­ steinlegung von Bauten etc.) als auch für private Angelegen­ heiten von Einzelpersonen (Vornahme von Reisen, geschäftliche Transaktionen, Ankauf von Sklaven etc.) benützt werden. Sie ist, wie wir wissen, älter als die Geburtsastrologie und wurde schon in Babylon benützt. König Seleukos Nikator I. (321-280) hatte die Astrologen bei der Anlegung seiner neuen Residenz Seleukia um den besten Termin zur Grundsteinlegung befragt. Bei Samosata befindet sich auf einem Felsenrelief das wohl größte Stundenhoroskop eingemeißelt, der sogenannte „Löwe von Kommagene“, es stellt nach neuesten Forschungen das Horo­ skop für den Krönungstag des Königs Antiochus von Komma­ gene (6. Juli 62 v. C.) dar. 70

In der Stundenastrologie unterschied man 2 Arten: die Elektionen oder Initiativen, bei welcher der Astrologe unter ver­ schiedenen Möglichkeiten die zum Vorhaben günstigste Zeit aus den Konstellationen ermitteln muß und Interrogationen, bei weldier der Astrologe vom Zeitpunkt der gestellten Frage aus­ geht und bloß den Gestirnstand dazu ermitteln muß. Hier stellte der für den Zeitpunkt der Frage berechnete As­ zendent die fragende Person, das 7. Haus aber den Gegner oder das Hindernis dar. In allen stundenastrologischen Untersuchun­ gen hatte der rasch laufende Mond, sowie der von ihm ab­ hängige Ort des Glückspunktes die entscheidende Bedeutung. Nach Serapion sollte man hierbei auch die Regenten des be­ treffenden Wochentages und den Herrn der Stunde berücksich­ tigen. Der Astrologe Maximos (um 240 n. C.) hat ein Lehr­ gedicht über die Stundenastrologie geschrieben, worin für alle möglichen Fälle Anweisungen gegeben werden. Wenn sich der Astrologe irrte, so konnte das böse Folgen für ihn haben. So hat der Usurpator Leontios zwei Astrologen um den günstigsten Termin für die Machtergreifung und Kaiserkrönung befragt. Be­ vor Leontios aber gefangen genommen wurde, ließ er den Astro­ logen den Kopf abschlagen. Die medizinische und magische Astrologie kann man unter der Bezeichnung operative Astrologie zusammenfassen, da Magie und Heilkunde bei den Alten stets verbunden waren. Wie die politische Astrologie das Vorhandensein einer astro­ logischen Geographie voraussetzt, so die operative Astrologie die Existenz einer Melothesie oder eines Zuteilungssystems, wonach die Glieder des menschlichen Organismus (Mikrokosmos) mit den Gliedern des universellen Organismus (Makrokosmos), also mit den Planeten, Sternbildern und Tierkreiszeichen verbunden wur­ den. Körperteile, Sinnesorgane, innere Organe des Menschen, ebenso Tiere, Pflanzen, Edelsteine, Drogen, Metalle hatten in be­ stimmten Planeten, Sternen oder Tierkreiszeichen ihre Ent­ sprechung. Die astrologische Medizin oder Jatromathematik wurde in Aegypten sehr gepflegt, in der „Jatromathematik des Hermes an den Aegypter Amon“ heißt es, „daß der Mensch völlig 71

der Natur gleicht und, daß im Moment der Ausgießung des menschlichen Samens Planeten und Tierkreiszeichen ein Bündel voll Strahlen in jeden Körperteil senden“. So regiert der Widder den Kopf, der Stier den Hals, die Zwillinge die Arme u. s. w., und die 7 Planeten regieren die Sinnesorgane: Sonne und Mond das rechte und linke Auge, Saturn das Ohr, bzw. das Gehör, Jupiter das Gehirn, Merkur den Gaumen und die Zunge, Venus Geruch und Geschmack sowie Mars die Blutgefäße. Die hippokratische Lehre von der richtigen „Mischung“ (Temperamentum) der 4 Körpersäfte wurde mit den 4 Urquali­ täten verbunden und von Antiochos von Athen so zusammen­ gefaßt: Temperament:

Säfte:

Qualität:

Planeten:

Sanguinisch Cholerisch Melancholisch Phlegmatisch

Blut weiße Galle schwarze Galle Schleim

warm-feucht warm-trocken kalt-trocken kalt-feucht

Jupiter - Venus Mars - Sonne Saturn - Merkur Mond - Venus

Bei Ausbruch der Krankheit, insbesondere zum Zeitpunkt, wo der Patient bettlägrig wird, stellt der Arzt das DecumbiturHoroskop, wobei insbesondere Stellung und Phasen des Mondes Auskunft über den Verlauf der Krankheit geben, da „die Krankheit mit dem Monde wandert“. Hier wird auch die Lehre von den kritischen Tagen benützt, von denen Hippokrates 7 in jedem Jahre und 7 in jedem Monat unterschied. Galenos setzte hierzu den 7., 14., 20. u. 27. Tag des Mondmonats fest, da sich hier Quadraturen und Oppositionen zur Sonne ergeben. Die Art der Krankheit wird meist aus dem 6. und 7. Hause des Horo­ skops und den dort anwesenden oder regierenden Planeten er­ kannt. Der kalt-trockene Saturn verursacht Erkältungen, Jupi­ ter Überfülle und Apoplexie, Mars fieberhafte Entzündungen, Venus die venerischen Krankheiten, Merkur und Mond aber Geisteskrankheiten (Noch heute werden in England Geistes­ kranke „lunatics“ genannt). Die Therapie richtet sich nach den Grundsätzen von Sym­ pathie und Antipathie im Universum. Im „Heiligen Buch des 72

Hennes an Asklepios“ wird der letztere Grundsatz benutzt, man wendet also jene Mittel an, die dem Krankheitsverursacher antipathisch sind, also bei Saturn wärmende Mittel, bei den hit­ zigen Krankheiten des Mars kühlende Mittel. Der andere Grund­ satz, der homoiopathische, besagt, daß Ähnliches durch Ähn­ liches geheilt wird. Man zog also jene Dinge als Heilmittel her­ an, die infolge ihres Aussehens oder sonstiger Eigenschaften, kurz infolge ihrer „Signatur“ eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Schutzgestirn und dem erkrankten Organ haben. Nach Petosiris soll man also bei saturnischen Krankheiten Garten­ früchte essen (Saturnus war ja der römische Ackergott), bei Marskrankheiten viel Fleischkost, bei Venuskrankheiten schleimigeGetränke bei Merkur (dem Hühnerdieb) viel Geflügel zu sich nehmen. Hermes, Nechepso, Salomon u. a. haben astrobotanische Traktate geschrieben, in denen bestimmte Pflanzen nach Form, Aussehen oder Eigenschaften mit den 36 Dekanen, den 7 Plane­ ten, den 12 Tierkreiszeichen oder 15 hellen Fixsternen verbun­ den wurden. So wurden heliotropische Pflanzen wie die Weg­ warte oder die „Sonnenblume“ der Sonne, die übervolle Pfingstrose dem Mond, der scharfe Spitzwegerich dem Mars, die unscheinbare Hauswurz dem Saturn zugeteilt. Hermes teilt den Salbei dem Widder zu, das Eisenkraut dem Stier, die Zyklame dem Löwen etc. Auch beim Pflücken der Pflanzen sollen Sonne oder Mond in den zugehörigen Zeichen sein. Ebenso wie die Pflanzen wurden auch die Edelsteine zugeteilt. Der berühmte Arzt und Physiker Bolos von Mende (um 200 v. C.) hat viele alchemistische und astromedizinische Schriften verfaßt, darunter auch eine über „Sympathie und Antipathie in der Natur“. Von ihm stammt auch der berühmte Satz: Eine Natur freut sich über die andere, eine Natur vergewaltigt die andere, eine Natur besiegt die andere. Plinius erzählt uns in sei­ ner Naturgeschichte (24. Buch), daß z. B. Eiche und Ölbaum sich so sehr hassen, daß der eine sofort zugrunde geht, wenn man ihn an eine Stelle setzt, wo der andere gestanden hat. Die gelehrten Arzt-Astrologen wie Thessalus (unter Kaiser Claudius) oder Crinas v. Massilia waren hochbezahlte Leute und der berühmte 73

Arzt Galenos lobt die astrologische Heilkunde und nimmt sie gegenüber den zweifelnden Sophisten in Schutz (Stemplinger: Antike und moderne Volksmedizin S. 105). Zur Ausübung der magischen Astrologie war der richtige Ort, die richtige Zeit und die geeigneten Mittel nötig. Nicht jeder ist zum Magier geboren, nach Firmicus haben nur solche Leute gute Aussichten, welche in ihrem Horoskop Merkur und Jupiter im 3. Hause haben, die Zeit der Ausführung magischer Tätigkeiten soll im Einklang mit der Konstellation und der Natur des Pla­ neten sein, der die Stunde regiert. Der Ort richtet sich ebenfalls nach der Natur dieses Planeten, Jupiter und Merkur lieben Tempel oder Kultstätten, Saturn einsame Orte oder Grab­ stätten, andere lieben Wälder und Schluchten, etc. Durch Gebet und Fasten muß sich der Magier auf die Operation vorbereiten und hierzu die richtigen Mittel anwenden. (Anrufen des betr. Planetengottes oder Planetengeistes mit seinem geheimen Na­ men, Räucherungen mit den entsprechenden Ingredienzen, Opfer aller Art und Nachbildungen von astralen Wesenheiten). Zumeist wurden die heiligen Namen, Zeichen und Charak­ tere des betreffenden Planetengeistes auf ein Metallplättchen oder einen Edelstein eingraviert, der nun so wie ein Akkumulator die Kräfte des Sterngottes aufspeichern sollte. In dieser Form wurden sie einerseits als Amulette, als Schutzzauber, verwendet, während die andere Form, der sogenannte Talisman (von telesma Zweckmittel), schon aktiver, als Bannzauber benutzt wurde, um sich den betr. Stemgeist dienstbar zu machen, Schätze zu heben, Krankheiten zu vertreiben, fruchtbar und den Magier unsichtbar zu machen oder geheime Dinge zu offenbaren. Zahlreiche solcher astromagischer Rezepte finden sich schon in der „Hygromatia des Propheten Salomon an seinen Sohn“, einer Schrift, die schon der Historiker Josephus Flavius zitiert. Ähnlich ist das Testamentum Salomonis sowie die Fülle helle­ nistischer Zauberpapyri, die Hopfner und Wessely 1922 heraus­ gegeben haben. Während aber der göttliche Plotinos alle diese magischen Praktiken scharf abgelehnt hat, haben spätere neuplatonische 74

Philosophen, insbesondere Jamblichus, die magische Astrologie wirksam verteidigt. Wir kommen auf diese Schriften im 4. Ka­ pitel zurück.

Literatur zum 3. Kapitel ist im 4. Kapitel verzeichnet.

* Anmerkung des Herausgebers zu Seite 56:

Beim derzeitigen Stand der Erkenntnis darf wohl vermutet werden, daß „die noch heute üblichen Symbole oder Siegel für die Planeten“ tatsächlich aus einer vielfach variierten Anordnung von Kreis, Halbkreis und Kreuz entstanden sind. Das geht nicht „aus mystischen Spekulationen“, sondern aus der Kenntnis der Bedeutung der geometrischen Formen hervor. Den geo­ metrischen Formen wohnt gewissermaßen eine psychische Qualität inne, wie sie z. B. in der kultischen Handlung erfahren werden kann. Kreis, Halbkreis und Kreuz sind darin Chiffren für Urformen des Seins. Die Kombination von jeweils 2 oder 3 dieser Urformen ergeben die sog. Plane­ tensymbole. Damit sind erste komplexe Charaktere durch eine Signatur dar­ gestellt. Über die Bedeutung geometr. Formen siehe Ingrid Riedel: „Formen“ mit weiteren Literaturhinweisen dort.

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4. Kapitel DIE ASTROLOGIE IM RÖMISCHEN REICH

A. Aufnahme und Widerstand in der Republik Die Römer waren ein Volk von Bauern und Soldaten, mehr der Staatsführung als der Wissenschaft zugeneigt und ihre theologisch schwach fundierte Religion, die mehr auf eine ge­ sunde Ethik Wert legte, konnte mit den lebensnahen Gestalten der griechischen und orientalischen Religionen und ihren ge­ heimnisvollen Mysterienkulten nicht konkurrieren. Besonders in den Zeiten der Not suchte das römische Volk bei fremden Göttern sein Heil und so kam schon im Jahre 291 nach einer Pestseuche der griechische Heilgott Asklepios nach Rom. Später, alsHannibalRom bedrohte, holte man auf den Rat der Sibyllen „die große Mutter vom Berge Ida“, die phrygische Göttin Kybele, feierlich ein und Scipio Africanus weihte ihr nach der siegreichen Schlacht bei Zama (202) einen prächtigen Tempel in Rom. Nach dem erfolgreichen Krieg gegen König Antiochus III. von Syrien kam eine Unmenge syrischer Kriegsgefange­ ner nach Rom, die auch den Kult der „großen syrischen Göttin“ Atargatis mitbrachten. Alsbald strömten nach der prächtigen Stadt Rom viel fahrendes Volk, bärtige Philosophen, persische Magier und Zeichendeuter, die hier alle ihr Glück versuchen wollten. Besonderen Zulauf hatten aber die „Chaldäer“ - dieser Name wurde alsbald zum etwas anrüchigen Gattungsbegriff für Wahrsager, Traumdeuter und Horoskopsteller aus allen Län­ dern. Schon der alte Cato ermahnte seine Pächter, den schwindel­ haften Prognosen der Chaldäer nicht zu glauben, trotzdem rannte alles zu diesen Dreikreuzerastrologen und ließ sich klopfenden Herzens sein „unabänderliches Sternenschicksal“ Vorhersagen. Der Unfug nahm dermaßen zu, daß im Jahre 139 v. C. der 76

Fremdenpraetor Cornelius Hispallus ein Edikt erlassen mußte, wonach alle Chaldäer binnen 10 Tagen Rom und den Boden Italiens verlassen mußten, weil sie - wie es in einer Version heißt - „durch ihre schwindelhafte Sterndeutung aus der Leiditgläubigkeit des Volkes einen einträglichen Gewinn zogen“. Aber die vielen syrischen und griechischen Sklaven und Frei­ gelassenen, die als Hauslehrer in römischen Diensten standen, waren davon nicht betroffen und konnten lustig weiter prophe­ zeien. Ein Teil der vornehmen römischen Gesellschaft, darunter die Familie der Scipionen, die sich eifrig um griechische Kultur und Wissenschaft bemühte, schützte die Anhänger und Vertre­ ter der babylonischen und graeco-aegyptischen Stemdeutung. Der auf Einhaltung der römischen Zucht bedachte Cato zog gegen diese „Philhellenen“ los und setzte im Jahre 161 im Senat ein Gesetz durch, das ausländischen Philosophen den Aufent­ halt in Rom verweigerte. Nicht verbieten konnte man aber, daß griechische Philosophen, die als Gesandte ihres Landes nach Rom kamen, dort auch lehrten; so z. B. der Stoiker Diogenes, der Skeptiker Karneades, der Peripatetiker Kritolaos u. a. Sie entfachten lebhafte Debatten über das Wesen der Götter, über Fatum und Willensfreiheit, über Möglichkeit und Wert der Weissagung, wobei auch die Astrologie zur Sprache kam. Die heftigsten Angriffe gingen von dem skeptischen Vertreter der neueren Akademie, Karneades von Cyrene, der im Jahre 156 als Gesandter Athens nach Rom kam, aus. Von seinen Argumen­ ten gegen die Astrologie, die später immer wieder vorgebracht wurden, seien folgende erwähnt: l.Es ist unmöglich, den genauen Zeitpunkt von Empfängnis und Geburt festzustellen und hierzu genaue Himmelsbeobachtungen und Positionsbestimmungen zu machen. 2. Leute, die am gleichen Ort und zur gleichen Zeit ge­ boren wurden (besonders Zwillinge), haben doch das gleiche Horoskop und trotzdem oft ganz verschiedene Schicksale. 3. Umgekehrt haben Leute mit gleichem Schicksal (z. B. Tod in der Schlacht oder bei Massenkatastrophen) doch nicht das gleiche Horoskop. 4. Die Astrologen können aus dem Horoskop nicht ersehen, ob es für einen Königssohn oder für einen Lastesel gilt. 77

5. Wie kann man behaupten, daß gewisse Konstellationen be­ stimmte Körpermerkmale und Charaktereigenschaften verlei­ hen, wenn diese Merkmale ganzen Völkern und Rassen zu­ kommen? So soll das Zeichen Jungfrau weiße Hautfarbe ver­ leihen, da könnte also in Aethiopien niemand im Zeichen der Jungfrau geboren werden. Unter der Wucht dieser Angriffe gab selbst der Stoiker Panaetius seine Verteidigung der Astrologie, insbesondere die Vorhersage, auf. So hatte also um 130 die gelehrte Astrologie in den gebildeten Schichten Roms ihren Kredit und ihre erste Schlacht verloren. Aber im Volke nahm der Glaube an die Allmacht der Sterne trotz der Chaldäer-Austreibung von 139 immer mehr zu, das zeigte sich besonders in den Sklavenaufständen, wo deren An­ führer Eunus und der spätere Führer Athenio ihre Anhänger durch astrologische Prophezeiungen an sich fesselten. Als der Optimatenführer Octavius von den Schergen des Marius er­ schlagen wurde (86 v. C.), fand man in seinem Gewände ein „diagramma chaldeicon“, ein Stundenhoroskop, das ihm zu seinem Verderben geraten hatte, in Rom zu bleiben. Einen neuen Ansporn erhielt die gelehrte Astrologie durch das Auftreten des berühmten Universalgelehrten Posidonios von Apameia, der zu­ nächst auf Rhodos, dann in Rom lehrte und zu seinen Schülern Caesar, Cicero, Sallustus, Lucretius, Varro u. a. zählen konnte. Sein Einfluß auf das geistige Leben Roms war ungeheuer und sein Ansehen so groß, daß selbst der Diktator Pompejus ihn be­ suchte und mit ihm ethische Probleme besprach. Die Verdienste des Posidonios um die wissenschaftliche Fundierung der Astro­ logie haben wir im 3. Kapitel hervorgehoben. Erwähnenswert ist noch, daß Posidonios - und nach ihm Manilius und Ptolemaeus - gerade, um das Argument des Karneades über die Völkersitten zu entkräften, eine astrologische Geographie entworfen hat, nach welcher die Rassenmerkmale und Völkersitten aus den astrologischen Einflüssen des Klimas und der unter gewissen Tierkreiszeichen stehenden Regionen erklärt wird. Einer seiner eifrigsten Schüler war der Staatsmann und Rechts­ anwalt Marcus Tullius Cicero, der es in seinen philosophischen 78

Schriften liebte, die Ansichten der damals herrschenden Schu­ len (Epikuräer, Skeptiker, Stoiker etc.) vorzubringen und das Urteil dem Leser zu überlassen. In drei seiner Schriften (Vom Wesen der Götter, Von der Weissagung und Über das Fatum) hat er sich auch mit der Astrologie auseinandergesetzt. So ließ er den Vertreter der epikuräischen Philosophie sagen, daß die Götter selige Wesen seien, die sich um die Angelegen­ heiten der Menschen nicht kümmern, daß die Bewegungen der Gestirne nicht von den Göttern verursacht und nicht zum Nut­ zen der Menschen da seien, sondern einfach aus Naturnotwen­ digkeit erfolgen. Frei vom Mythos und Aberglauben könne der Weltprozeß im Sinne von Demokrits atomistisch-kausalerNaturphilosophie erklärt werden. Demgegenüber vertrat der Stoiker die Ansicht, daß es im Wesen der Götter liege, sich um ihre Ge­ schöpfe zu kümmern und ihnen durch Vorzeichen zu helfen. Wenn nur ein einziges Mal etwas richtig vorhergesagt sei und sich nicht zufällig ereignet habe, müsse man die Vorherbestimmung des Schicksals und die Möglichkeit der Weissagung zugeben, denn diese hänge, wie Posidonios sagt, zuerst von Gott, dann vom Fatum und erst zuletzt von der Natur ab. Der Vertreter des Skeptizismus brachte die schon genannten Argumente des Karneades vor, er fragt, ob alle in der Schlacht von Cannä ge­ fallenen Römer das gleiche Gestirn gehabt haben und schließt, „Wenn alles durch das Fatum geschieht, was nützt mir da die Weissagung?“ Er verweist dabei auf das traurige Ende vieler be­ rühmter Männer, die sehr zu ihrem Schaden an die Vorhersagen geglaubt haben. Ein vertrauter Freund Ciceros war P. Nigidius Figulus, der unter dem Konsulat des Cicero Senator und Praetor war und diesem bei der Aufdeckung der catilinarischen Verschwörung half. Nigidius war einer der gelehrtesten Astrologen seiner Zeit, der die Lehrbücher der graeco-aegyptischen Astrologie wohl kannte und auch die astrologische Sternbeschreibung des Teukros, die „Sphaera barbarica“ neu herausgab. Nach Sueton (August 94) soll er auch den ruhmvollen Aufstieg des Octavianus Augustus vorhergesagt haben. Als nämlich der Vater des Augustus wegen 79

der Entbindung seiner Frau etwas verspätet in die Senatssitzung kam, in der gerade die Verschwörung des Catilina behandelt wurde, soll Nigidius als er die Ursache der Verspätung und der Stunde der Geburt erfahren hatte, ausgerufen haben „In dieser Stunde ist dem Erdkreis der Herr geboren worden“. Obwohl Sueton diesen Vorfall als „altbekannte Tatsache“ hinstellt, sind doch einige Zweifel am Platze; denn die entschei­ denden Beratungen über die Verschwörung fanden in der Zeit vom 8. November - 5. Dezember 63 statt, während Augustus nach Suetons Angabe am 23. September 63 geboren wurde. Dem Freundeskreis um Cicero gehörte auch der Polyhistor M. Terentius Varro an, von dessen zahlreichen Schriften, dar­ unter auch einige astrologische, nur mehr wenige Fragmente er­ halten sind. Er forderte den Astrologen Tarutius Firmanus, den auch Cicero seinen „lieben Freund Tarutius“ nannte, den Geburtstag Roms und seines Gründers Romulus astrologisch zu berechnen. Er meinte, „wenn die Astrologen aus den (bekann­ ten) Ereignissen im Leben des Geborenen auf dessen Aszenden­ ten, bzw. auf dessen Geburtsstunde rückschließen können, so müsse man auch aus den Ereignissen, aus der Geschichte der Stadt deren Gründungsdatum bestimmen können“. Und unser Astro­ loge hat (nach Plutarch) wirklich herausgebracht, daß Rom am 21. April 771 gegründet wurde und daß - oh Wunder - der neue Romulus (d. h. Augustus) im selben Zeichen wie Romulus geboren wurde. Cicero gab auch das berühmte Lehrgedicht „Über das Welt­ all“ seines jung verstorbenen Schützlings Lucretius Carus her­ aus, der in meisterhaften Versen die epikuräische Lehre pries und die Menschen von den abergläubischen Zwangsvorstellungen und der Todesfurcht befreien wollte. Ohne Hilfe von Göttern habe der Mensch auf Grund seines freien Willens sich alles, Woh­ nung, Nahrung, Kleidung, Sprache und Kultur selbst geschaffen und er solle ohne Furcht im Todesschlaf die tiefe Ruhe finden. Auch Julius Caesar war hinsichtlich der Vorzeichen und Prophezeiungen sehr skeptisch, er hat ja auch die Warnung vor den Iden des März nicht beachtet, gleichwohl hat er sich, wie 80

Plinius erzählt, mit astrometeorologischen Fragen beschäftigt und hatte nichts dagegen, daß seine Legionen das Zeichen Stier als Wappentier trugen. Der Stier ist nämlich das Haus der Ve­ nus, von der die Julier ihre Abstammung herleiten. Zu dem Kreis um Nigidius und Varro gehörte auch der ge­ lehrte Astrologe Fonteius Capito, der astrometeorologische Traktate schrieb, nach Caesars Ermordung Pontifex und später Konsul wurde und sich sehr um die Versöhnung der beiden Triumviren Octavian und Antonius bemühte. So war in den letzten Jahren der Republik trotz mancher Gegenschläge der Siegeszug der Astrologie nicht mehr aufzuhalten. Daran änderte auch das Polizeiverbot nichts, das der Aedil Vipsanius Agrippa im Jahre 33 erließ, wonach alle Astrologen und Zauberer Rom sofort zu verlassen hatten. Es war dies bloß eine politische Maß­ nahme zugunsten seines Freundes Oktavianus. Damals tobte nämlich der Kampf um die Macht zwischen Oktavian und Mar­ cus Antonius, der bei der Königin Kleopatra in Aegypten ein schwelgerisches Leben führte. Antonius hatte aber in Rom viele Anhänger in den vornehmen Kreisen, deren Haltung durch die Prognosen der Astrologen zugunsten des Antonius stark beein­ flußt wurde. Zwei Jahre nach dem Ablauf der Aedilschaft des Vipsanius besiegte Octavianus den Marc Antonius und machte Aegypten zur römischen Provinz. Der Weg zum Prinzipat war nun frei. -

B. Astrologie und Politik in der ersten Kaiserzeit Die nun folgende Epoche von etwa 30 v. C. - 100 n. C. ist durch den triumphalen Aufstieg der Astrologie, durch den auch in den römischen Adelskreisen vorherrschenden Glauben an das allmächtige Sternenschicksal gekennzeichnet. Auch die Politik der Caesaren wird nunmehr durch die Ratschläge der Astro­ logen stark beeinflußt. Zwar wurden schon unter Augustus und nachher von 11-93 n. C. viele kaiserliche Edikte und Senatsbeschlüsse erlassen, die die Ausweisung der Astrologen 81

verfügten, sie blieben aber meist erfolglos, weil das Volk sah, wie sich die Regenten selbst ständig von Astrologen beraten ließen. So war auch bekannt, daß Octavianus Augustus im Jahre 45 v. C. noch als 18jähriger Jüngling in Begleitung seines Freundes, des oberwähnten Vipsanius Agrippa, in Apollonia den Astrologen Theagenes besuchte und daß dieser ihm die Kaiser­ würde vorhergesagt habe. Sueton, der dies erzählt, fügt noch hinzu, daß Augustus seither großes Vertrauen in seinen Stern setzte und eine Münze mit dem Bild des Steinbocks schlagen ließ, unter dem er geboren wurde. Indessen hat Augustus selbst an­ läßlich seines 64. Geburtstages seinem Neffen Gajus geschrieben, daß die Waage sein Geburtszeichen sei. Der nachfolgend er­ wähnte Manilius hat in seinem astrologischen Lehrgedicht die Waage und den Steinbock als das kaiserliche Geburts­ zeichen angegeben und manche meinten, daß sich das eine auf den Geburtsaszendenten, das andere auf den Empfäng­ nisaszendenten beziehe. Ich habe daher das Horoskop des Au­ gustus nach dem von Sueton angegebenen Daten „23. Septem­ ber 63, kurz vor Sonnenaufgang“ berechnet und gefunden, daß damals Sonne und Aszendent noch im Zeichen der Jungfrau standen, weil das Herbstaequinoctium (Eintritt der Sonne in das Zeichen der Waage) damals erst am 26. September ein­ getreten ist. Offenbar hatten aber die Römer in ihrem damals noch recht ungenauen Kalender (die Kalenderreform Caesars fand erst im Jahre 46 v. C. statt) das Herbstaequinoctium auf den 23. September gesetzt und dann stand natürlich sowohl der Aszendent als auch die Sonne im Zeichen der Waage. Der Mond stand aber in 28° Steinbock, das Mondzeichen galt bei den Chaldäern - wie übrigens auch heute im Volke - gleichsam als lunarer Aszendent. In diesem Sinne hat auch der kaiserliche Steinschneider Dioskoridos auf seiner berühmten „Gemma Augustea“ über dem Kopf des Kaisers das Zeichen des Stein­ bocks gesetzt. Der Steinbock war auch das Wappentier der Le­ gionen des Augustus. Der Glaube des Kaisers an die Macht der Sterne wurde später durch den berühmten Astrologen Thrasyllus gestärkt, den Tiberius an den kaiserlichen Hof gebracht hatte. 82

In der römischen Gesellschaft wurde alsbald die Astrologie große Mode. Man trug Schmuck mit astrologischen Emblemen und Edelsteine, entsprechend dem Geburtszeichen, man schmückte die Wände mit Motiven aus der griechischen Sternsage und es galt als Bildungslücke, wenn man in diesen Dingen nicht Be­ scheid wußte. Der kaiserliche Bibliothekar Hyginus und der kaiserliche Prinz Germanicus sorgten aber mit ihren Stern­ beschreibungen, daß die Gestalten der Sternsagen allgemein ver­ traut wurden. Die Dichter der Zeit, Vergil, Horaz, Ovid, Propertius u. a. setzten bei ihren Lesern die Kenntnis astrologischer und astralmythologischer Dinge voraus. In einer seiner Oden sagt Horaz, wie wundersam sein Gestirn mit dem seines Gönners Maecenas übereinstimme und Ovid beschreibt im „Ibis“ das Horoskop seines Feindes so genau, daß nur die Gradangaben fehlen, um ein vollständiges Horoskop aufzurichten. In den „Metamorphosen“ schildert er, wie Venus, die Stammutter der Julier, die Seele des ermordeten Caesar zum Himmel tragen wollte, die aber unterwegs als flammender Stern zu den Sphären emporstieg. (Im Todesjahr Caesars erschien ein großer Komet.) In den letzten Jahren des Kaisers Augustus ist auch ein um­ fangreiches astrologisches Lehrgedicht, das Astronomicon des Manilius, verfaßt worden, das dem Kaiser gewidmet, ja viel­ leicht in dessen Auftrag geschrieben wurde. Nach neueren For­ schungen (Thielscher) soll sich unter dem Pseudonym Manilius der Astrologe Navigius Fronto verborgen haben. Manilius behandelt darin mit dichterischer Gestaltungskraft und in schwungvollen Hexametern in 5 Büchern den Sternen­ himmel und seine Kreise, den Tierkreis mit seinen Gestalten und Unterteilungen, die Lehre von den 12 Orten oder Himmels­ häusern und die 12 Himmelslose, schließlich die Kräfte und Be­ deutungen der in den einzelnen Graden und in den Dekanen aufsteigenden Fixsterne. Manilius steht auf dem Standpunkt der stoischen Philosophie und ist von der UnVermeidbarkeit und Macht des Sternenschicksals überzeugt:

„fata regunt orbem, certa stant omnia lege“. 83

Der Mensch soll in inniger Verbundenheit und angesichts der unverbrüchlichen Gesetzlichkeit des Naturgeschehens sein Schick­ sal mit Würde tragen. Ein 6. Buch, das die Planeten behandeln soll, hat Manilius versprochen, aber nicht mehr geliefert. Da­ durch wurde das Werk für den praktischen Gebrauch nicht be­ nützbar und sank in Vergessenheit. Auch haben vielleicht po­ litische Verhältnisse Manilius dazu veranlaßt, das Werk nicht mehr fortzusetzen. Schon im 2. Buch hat er sich von der großen Masse und den Scharlatanen distanziert, die nun in großer Zahl auftraten und mit ihren maßlosen Prophezeiungen, auch über das baldige Ende des Kaisers, Augustus sehr erbitterten. Er er­ ließ deshalb im Jahre 11 n. C. ein kaiserliches Edikt, wonach Konsultationen von Astrologen über Lebensdauer und Tod von (hochstehenden) Personen verboten werden. Im Anschlüsse dar­ an ließ er auch die apokryphen Wahrsagebücher mit Ausnahme der sibyllinischen Orakel verbrennen. Um zu beweisen, wie unrecht diese politischen Astrologen hatten, ließ er sein eigenes Horoskop öffentlich bekanntmachen. Augustus starb, nachdem er, wie er selbst sagte „das gefähr­ liche Klimakterium“ des 63. Lebensjahres heil überstanden hatte, im 76. Lebensjahr und nach einer 45-jährigen Regierung, die seinem Reich eine lange Friedensperiode gebracht hatte. Sein Nachfolger Claudius Tiberius Nero wurde im Jahre 42 v. Chr. geboren und war ein tüchtiger Feldherr, ein hochgebilde­ ter, aber mißtrauischer Regent. Neuere Forschungen lassen es zweifelhaft erscheinen, ob das von Tacitus u. a. gezeichnete Charakterbild eines grausamen Wüstlings zutreffend war, jeden­ falls war er im Volke nicht beliebt. Schon in seiner Jugendzeit hatte ihm der Astrologe Scribonianus die Königswürde pro­ phezeit, obwohl Rom damals noch Republik war. Nach einigen erfolgreichen Feldzügen zog er sich freiwillig vom öffentlichen Leben zurück und verbrachte 7 Jahre auf Rhodos, wo er Grie­ chisch lernte, viele Kurse der damals hochangesehenen Akademie besuchte und auch den gelehrten Astrologen Thrasyllus kennen lernte, der ihn in die Astrologie einführte und langjähriger Freund und Berater des Kaisers wurde. 84

Thrasyllus stammte von einer vornehmen Familie aus Alexan­ dria und war ein universell gebildeter Mann, ein Grammatiker, der die Werke Platons neu herausgab und sich auch mit Astro­ logie und pythagoräischer Zahlenmystik beschäftigte. Einige seiner astrologischen und numerologischen Schriften wurden noch von Porphyrios und von Hephaestion v. Theben erwähnt. Nachdem er das römische Bürgerrecht erworben hatte, nannte er sich Tiberius Claudius Thrasyllus und heiratete die Tochter des Königs Antiochus III. von Kommagena. Aus dieser Ehe ging der jüngere Thrasyllus, genannt Balbillus, hervor, des­ sen Wirken als Hofastrologe wir im Folgenden beschreiben wer­ den. Im Jahre 2 kam Thrasyllus, wie schon erwähnt, an den kaiserlichen Hof nach Rom, wo er bald großen Einfluß erlangte und wahrscheinlich auch dem Dichter des „Astronomicons“, Ma­ nilius, manch wertvolle astrologische Ratschläge gab. Bald nach dem Regierungsantritt des Tiberius kam es zum Prozeß gegen Libo Drusus, der eine Verschwörung angezettelt hatte und von zwei Astrologen dazu ermuntert worden war. Libo beging vor der Verhaftung Selbstmord, die beiden Astrologen wurden hingerichtet, Tiberius sah, daß das kaiserliche Edikt vom Jahre 11 nicht ausreichte und veranlaßte daher einen Senats­ beschluß vom Jahre 16, wonach alle „Chaldäer“ aus Rom aus­ gewiesen, die Verbreitung aller astrologischen Bücher und das Befragen von Astrologen verboten wurde. Tiberius war selbst in der Astrologie wohl erfahren, er war - wie Sueton berichtet von der ausschließlichen Macht des Sternenschicksals so über­ zeugt, daß er den Kult der heimischen Götter vernachlässigte. Aber gerade wegen seiner genauen Kenntnis der Astrologie kannte er auch die Gefahren der Vorhersagen und das gewissen­ lose Werben der Geschäftsastrologen. Daher das Verbot. In allen Staats- und Familienangelegenheiten vertraute er sich dem Rate des Thrasyllus an, der wohl oft genug die grausamen Todesurteile und gewaltsame Pläne des Kaisers hintanzuhalten versucht hat. Gleichwohl mußte er dem Kaiser die Personen an­ geben, die eine ihm gefährlich werdende „kaiserliche Nativität“ hatten und die Tiberius bei Gelegenheit hinwegräumen wollte. 85

Als Tiberius im Jahre 26 Rom verließ, prophezeiten die Astro­ logen, daß er nie mehr nach Rom zurückkehren werde. In der Tat lebte seither Tiberius teils auf Rhodos, teils auf Capri, wo er sich prachtvolle Villen erbauen ließ.

Eine Geschichte, die der nüchterne Tacitus (Annalen VI. 21) erzählt, und die auch Dio Cassus und Sueton berichten, der sie aber auf Rhodos verlegt, scheint dennoch eine der vielen Astro­ logenfabeln zu sein. Darnach soll Tiberius die Gewohnheit ge­ habt haben, Leute, die er für Pfuscher oder Schwindler hielt, zu prüfen und wenn sie dabei versagten, durch einen Sklaven ins Meer hinabstürzen zu lassen. Das soll er auch auf Capri bei Thrasyllus gemacht haben und ihn gefragt haben, ob er auch seine eigene Zukunft kenne und was der heutige Tag für ihn sei. Thrasyllus aber „nachdem er die Stellung der Sterne berechnet hatte, sagte, es sei ein sehr gefährlicher Tag für ihn, ja vielleicht sein letzter Augenblick gekommen“. Da umarmte ihn Tiberius und behielt ihn als seinen getreuesten Freund bei sich. Wenn sich die Geschichte nicht in seiner Jugendzeit auf Rho­ dos, sondern im reifen Alter auf Capri zugetragen haben soll, so wäre es kaum glaublich, daß Tiberius seinen Freund, den er schon seit 26 Jahren kannte, erst auf die Probe stellen müßte. Im übrigen kann auch der geschickteste Astrologe in so kurzer Zeit ohne Hilfsmittel nicht alles berechnen und ein so schwerwie­ gendes Urteil abgeben. Aber möglicherweise handelte es sich um einen Scharlatan, der unter dem Namen des hochberühmten Thrasyllus auf Capri sein Glück versuchte. Tacitus fügt ja selbst bei, daß durch die lügenhaften Prognosen von Pfuschern und Schwindlern „der Glaube an eine Wissenschaft zerstört werde, von der sowohl die alte als auch die neue Zeit deutliche Beweis­ stücke geliefert habe“.

Tiberius C. Thrasyllus, das Muster eines aufrechten und un­ eigennützigen Astrologen, starb, von Tiberius tief betrauert, im Jahre 36. Zwei Jahre später folgte ihm Tiberius und das von ihm stets verachtete Volk nahm die Todesnachricht mit Freuden­ geschrei auf. 86

Sein Nachfolger, Gajus Caesar, genannt Caligula (das Stiefel­ ehen), war von seiner Gottähnlichkeit so überzeugt, daß er sich über die astrologischen Prognosen erhaben fühlte. Aber er be­ strafte den Astrologen Apollonios, der eine ungünstige Pro­ gnose über den Kaiser verbreitet hatte und ließ sich, als die un­ günstigen Anzeichen sich vermehrten, vom Astrologen Sulla seine Nativität stellen. Dieser soll ihm (nach Sueton) auf das be­ stimmteste den baldigen Tod prophezeit haben und tatsächlich fiel er bald darauf, wie sein Ahnherr Caesar, unter den Dolchen der Verschwörer. In der Regierungszeit des Kaisers Caligula muß - nach Stege­ mann - der berühmteste antike Astrologe Dorotheos von Sidon gewirkt haben, der vom jüngeren Thrasyllus schon zitiert wird. Dorotheos hat ein verlorengegangenes astrologisches Lehrbuch in Versen geschrieben, das den Arabern noch bekannt war, aber seither verschollen ist. Es soll „Pentateuchos“ geheißen haben, also aus 5 Büchern bestanden haben und wurde von vielen anti­ ken Astrologen wie Antiochus, Manetho, Firmicus, Hephaestion u. a. zitiert und seitenweise abgeschrieben, so daß man es aus den Zitaten rekonstruieren könnte. Es behandelt die allgemeinen Lehren, die Berechnung und Deutung des Geburtshoroskops und des Solarhoroskops, dann die Lehre von den Epochen und Ereig­ niszeiten, schließlich enthält es einen ausführlichen Traktat über die Wahl der günstigen Termine. Es war für die Araber das Hauptwerk der Katarchen- oder Stundenastrologie. Auch andere gelehrte Astrologen lebten in dieser Zeit, so der Astrologe Timaeus, von dem noch einige Schriften erhalten sind, der welt­ berühmte Arzt-Astrologe Thesallus, und der Sohn des Thrasyl­ lus, Tiberius Claudius Balbillus, der unter den Kaisern Claudius und Nero (41-68) als einflußreicher Hofastrologe wirkte. Den Thronfolger Claudius, der viel im Hause seines Vaters verkehrte, kannte Balbillus schon in seiner Jugendzeit. Bei der Thronbesteigung des Claudius stand Balbillus an der Spitze einer Deputation seiner Vaterstadt Alexandria, um ihn zu be­ glückwünschen und ihn um Maßnahmen gegen die ständig an­ wachsende Zahl der Judenkrawalle zu bitten. Bei dieser Gele­ 87

genheit sagte Claudius zu den bittstellenden Juden, daß ihm „sein Freund Balbillus schon mehrfach darüber berichtet habe und daß er mit großem Eifer ihre Sache vertrete“. Im Feldzug gegen Britannien begleitete Balbillus den Kaiser und wurde von ihm mit der Bürgerkrone ausgezeichnet. Später war er Direktor der Universität und Bibliothek in Alexandria, wo er sich sehr um die Schriften seines kaiserlichen Freundes be­ mühte. (Claudius, den manche Schriftsteller als halben Trottel darstellten, war ein sehr gelehrter Mann und schrieb über die Geschichte Roms und über die Etrusker.) Später kam Balbillus ins kaiserliche Kabinett, wo er sozusagen als Chef des Proto­ kolls die ausländischen Gesandten empfangen und die kaiser­ lichen Antworten redigieren mußte. Im Jahre 52 wurde - wie Tacitus berichtet - neuerlich ein Senatsbeschluß über die Vertreibung der Astrologen aus ganz Italien kundgemacht, der sich aber wieder nur auf die Geschäfts­ astrologen bezog, während die von Balbillus gestützten „Gent­ leman-Astrologers“ davon ausgenommen waren (Cramer). Balbillus intervenierte auch bei der Kaiserin Agrippina, die ihren alternden Gatten überredete, ihren Sohn aus erster Ehe (Domitius-Nero) zu adoptieren. Kaiser Nero wurde - nach Sueton - am 15. Dezember 37, genau bei Sonnenaufgang geboren und sein Horoskop soll so schreckliche Anzeichen gehabt haben, daß sein Vater Domitius Ahenobarbus ausrief: „Von ihm und der Agrippina hätte unmöglich etwas anderes als ein Scheusal und Verderben der Welt geboren werden können“. Auch die Astrologen, die Agrippina über Neros Horoskop befragt hatte, sagten, er werde gewiß zur Macht gelangen, aber seine eigene Mutter töten. Darauf soll - wie Tacitus berichtet - Agrippina gesagt haben „Occidat, dum imperet. Möge er immer töten, wenn er nur herrsche!“ (Wenn man mit modernen Behelfen Neros Horoskop nachrechnet, müßte man die antiken Prognosen bestätigen, denn er hatte den Mond (Mutter) im Todeshause VIII im Quadrat zu Jupiter, zu Mars und Sonne und den Aszen­ denten im Quadrat zu Saturn.) Nero erhielt eine treffliche Er­ ziehung, seine Lehrer waren der Rhetor Seneca, der aegyptische 88

Theosoph Chaeremon und Balbillus. Dieser wurde im Jahre 55 vom Kaiser Nero zum Präfekten von Aegypten ernannt. In den Jahren 60 und 64 erschienen 2 große Kometen, die Kaiser und Volk als böses Omen betrachtet haben, es erscheint fraglich, ob Balbillus, den der Kaiser deshalb befragte, ihm den verderb­ lichen Rat gegeben habe, durch Hinrichtung einer ausgezeichneten Person das eigene Unheil abzuwenden - wie Sueton berichtet. Jedenfalls handelte Nero bald darnach, den Anlaß gab ihm die pisonische Verschwörung, in die auch Seneca mit Unrecht hinein­ gezogen wurde. Es wurden damals eine große Anzahl schuldi­ ger und nichtschuldiger Personen hingerichtet, und Nero zwang seinen einstigen Lehrer, sich selbst zu richten. Zwischen 60-64 muß Balbillus den einzigen uns erhaltenen Traktat, die Astrologumena, geschrieben haben, der ein Vorläu­ fer der Ptolemäischen Direktionslehre war. Darin wird zur Be­ stimmung der Lebensdauer eines Menschen das menschliche Leben mit einem Wettlauf verglichen, in welchem der Herr des Lebens (der Aphetes) von einem Planeten im Horoskop, der als Herr des Todes (Anairetes) gilt, eingeholt und getötet wird. Die verstrichene Frist oder den durchlaufenen Zeitraum gibt dann die Lebensdauer an (CCAG. VIII. 4). Klug hielt sich Balbillus von den Zwistigkeiten zwischen Nero und seiner Gattin Poppäa Sabina heraus, die eine ganze Schar ihm feindlich gesinnter Astrologen um sich hatte. Er ging später nach Alexandria und zog sich schließlich nach Ephesos zurück, wo er sich um den Ausbau der Stadt so verdient machte, daß ihm zu Ehren mit kaiserlicher Bewilligung alljährlich Feste, die sogenannten Balbilleia, veranstaltet wurden. So endete das Leben eines gelehrten Astrologen aus vornehmem Geschlecht, das sich vorteilhaft von dem Treiben der aufeinander neidischen Ge­ schäftsastrologen und der vielen Pfuscher und Schwindler unter­ scheidet. Wie tief der fatalistische Sternaberglaube Volk und Gesell­ schaft von Rom erfaßt hat, schildern zeitgenössische und spätere Satiriker. So läßt Petronios den Parvenü Trimalchio an einer zwölfteiligen Torte seine Weisheit über die Symbole des 89

Tierkreises auskramen und läßt ihn sagen, daß ihm ein Astro­ loge versichert habe, daß er genau noch 32 Jahre 4 Monate und 2 Tage zu leben habe. Lukillios spottet über einen Astrologen, der aus seiner Nativität erschlossen hat, daß er nur mehr 4 Tage zu leben habe und der sich am 5. Tage „aus Respekt vor Petosiris" erhängt habe. Juvenal schildert die Verhältnisse zur Zeit des Claudius und sagt, der Chaldäer hatte den größten Zu­ lauf, der eben aus der Verbannung zurückgekehrt sei, er warnt alle vor jenen Frauen, die ständig ein gelbliches Büchlein (Ephemeris) bei sich tragen und selbst astrologische Ratschläge erteilen. Fährt sie bloß eine Meile von Rom weg, so muß sie erst aus dem Büchel die richtige Stunde ermitteln, sie tut nichts, ohne das „Los­ buch des Thrasyllus“ zu befragen; ist sie krank, wird sie nur zu den Stunden essen, die ihr Petosiris geraten hat. Damals wie später wurden die Machwerke der Laienastrologie mit den Na­ men berühmter Astrologen geschmückt. Gegenden vorherrschenden astrologischen Fatalismus haben in dieser Zeit nur wenige Denker ihre Stimme erhoben, darunter der Epikuräer C. Plinius Secundus, der seine wissenschaftliche Neugier beim Ausbruch des Vesuvs (79 n. C.) mit dem Tode be­ zahlen mußte. Plinius war lange Zeit Hauptmann in Germa­ nien, dann Flottenkommandant in Misenum und fand dabei noch Zeit, eine Art Konversationslexikon, seine Naturgeschichte in 37 Büchern und eine Weltgeschichte in 31 Büchern zu schrei­ ben. In der Naturgeschichte findet Plinius die Behauptungen der Stoiker höchst lächerlich, daß ein höchstes Wesen sich um die kleinlichen Angelegenheiten der Menschen kümmern soll und sagt, daß das, was wir Gott nennen, nichts anderes als die Macht der Natur sei (II, 5). „Einige beten die Fortuna an, also den reinen Zufall, andere schreiben alles den Gestirnen zu und glauben, Gott habe das Los der Menschen vorherbestimmt, um das Wei­ tere kümmere er sich nicht. Diese Meinung, sagt Plinius, gewinnt immer mehr Eingang und die gelehrte, sowie die rohe Menge läuft ihr zu“. Lehnt Plinius so den individuellen Sternglauben ab, so ist er doch - wie fast alle antiken Denker - vom natürlichen oder generellen Einfluß der Gestirne auf das Wetter und die phy­ 90

sischen Dinge fest überzeugt. Derselben Ansicht ist sein Zeit­ genosse Columella, der im Jahre 62 den ausführlichsten römischen Wetterkalender geschrieben hat. Ein Zeitgenosse und in manchem ein Gegner des Balbillus war der jüdische Philosoph Philo von Alexandria, der als Gesandter der Judengemeinde bei Kaiser Caligula um Schutz bat. In seiner Schrift „Von der Vorsehung“ bekämpfte er den fatalistischen Sternaberglauben und schilderte die ethischen Konsequenzen dieser Lehre. Wenn die Geburtskonstellation den Willen der Menschen beherrscht, wie könnte man den strafen, der durch die Sterne zur Untat gezwungen wurde? Ein seiner Willensfreiheit beraubter Angeklagter müßte zu seinem Richter etwa sagen: Entfessele mich, befreie mich aus den Banden meines Horoskops, dann kannst du mir was immer für ein Gesetz auferlegen. Wenn alles durch das Horoskop bestimmt ist, dann wäre Tugend nicht lobenswert, Verbrechen nicht tadelnswert. Philo bekämpft auch die chaldäische Lehre, daß die Gestirne Götter seien, sie seien bloß halbgöttliche Wesen oder Engel, die an sich nichts Böses bewirken können, denn das Böse herrscht nur in der irdischen Sphäre. Die Sterne bewirken nichts, sie zeigen bloß an und aus diesen Stellungen kann der Mensch auf allgemeine, meteorolo­ gische, wirtschaftliche oder politische Ereignisse schließen, doch soll der leichtgläubigen Menge über die Horoskopsteller die Augen geöffnet werden (Cramer). In den letzten 2 Regierungs­ jahren Neros entfalteten die Astrologen wieder eine lebhafte politische Tätigkeit, so daß Nero beschloß, alle Astrologen, Römer wie Nichtrömer, aus Italien auszuweisen, doch scheint es dazu nicht mehr gekommen zu sein, denn knapp nach seinem Tode setzte ein heftiger Kampf um die Herrschaft zwischen Galba, Otho und Vitellius ein, wobei die Astrologen die trei­ benden Kräfte waren. Dem 73jährigen Galba, dem seine spanischen Legionen zur Herrschaft verholfen hatten, wurde schon von Tiberius und Thrasyllus die Königswürde prophezeit. Im Lager Othos hetzte der Astrologe Pompejus Seleukos unermüdlich seinen Herrn zum Kampf gegen Galba auf (Tacitus Hist. I, 22). Von Vitellius be­ 91

richtet Sueton (Vit. 14) folgende unglaubliche Geschichte: Nach der Besiegung Othos erließ Vitellius ein kaiserliches Edikt (August 69), daß alle Astrologen bis zum 1. Oktober den itali­ schen Boden zu verlassen hätten. Bald darauf erschienen in Rom Plakate, worin es hieß: „Heil und Segen zuvor! Auch die Chal­ däer machen ihrerseits hiermit bekannt, daß es bis zum 1. Okto­ ber keinen Vitellius mehr geben wird.“ Die Frechheit der Astrologen, die trotz aller Strafen und zeit­ weiligen Verbannungen immer wieder auftauchten, war beispiel­ los; offenbar hatten sie aber schon Nachricht erhalten, daß die Legionen Vespasians auf dem Wege nach Rom sind. Vitellius wurde am 21. Dezember 69 von den Soldaten Vespasians ge­ tötet und seine Leiche in den Tiber geworfen. Kaiser Titus Flavius Vespasianus, der sich um die Wiederher­ stellung der Ordnung und des Staatshaushaltes sehr bemühte, war ebenfalls sterngläubig. Er war, wie Sueton sagt, über sein und der Seinigen in den Sternen geschriebenes Geschick so ruhig und sicher, daß er trotz mancher Verschwörung den Senat be­ ruhigen konnte und selbst die üblichen Vorsichtsmaßregeln bei Audienzen abschaffte. Mit dem Astrologen Seleukos zeigte er sich öffentlich, gleichwohl erneuerte er das Edikt über die Aus­ weisung der Astrologen und erließ weiter ein Edikt gegen die stänkernden Philosophen, die fast immer auf Seiten der Opti­ malen und der Großgrundbesitzer gegen den Kaiser standen. Sein Sohn und Nachfolger, Kaiser Titus, die „Liebe und Freude des Menschengeschlechtes“, war in der astrologischen Kunst wohl erfahren und ermahnte selbst die Verschwörer, von ihrem zweck­ losen Vorhaben abzustehen, da ihm der Thron vom Schicksal verliehen worden sei. Aber dieser milde und gerechte Regent starb schon nach 2 V2jähriger Regierungstätigkeit, von Senat und Volk tiefbetrauert, an einem hitzigen Fieber, manche meinten auch an einer Vergiftung, an der sein ungleicher Bruder Domi­ tian, der schon zur Herrschaft strebte, nicht unbeteiligt war. Kaiser Domitian war schon deshalb ein erbitterter Feind der Astrologie, weil ihm die Chaldäer in seiner Jugendzeit einen frühen und gewaltsamen Tod vorhergesagt hatten. Um die 92

Prognosen der Astrologen zu entkräften, fragte er einen solchen Unglückspropheten, den Astrologen Askletarion, ob er auch wisse, wie er selber endigen werde. Darauf sagte ihm Askle­ tarion, er werde von Hunden zerrissen werden. Domitian ließ nun den Astrologen sofort enthaupten, befahl aber, seinen Leich­ nam sorgfältig zu bestatten, um die Prognose zu schänden zu machen. Zufällig warf aber ein Windstoß den bereits brennen­ den Scheiterhaufen um und wilde Hunde stürzten sich auf den bereits angebrannten Körper des Astrologen. Seit diesem Tage so erzählt Sueton - sah Domitian ängstlich dem Tag entgegen, den ihm die Astrologen als seinen letzten bezeichnet haben. Am Tage vorher soll Domitian zu seinen Leuten gesagt haben: „Am nächstfolgenden Tag wird sich der Mond im Wassermann mit Blut beflecken und eine Tat geschehen, von der die Menschen auf dem ganzen Erdkreis reden“. Domitian wurde im September 96 von den durch seine Gattin gedungenen Verschwörern ermordet; mit ihm erlosch das Haus der Flavier. In seiner Regierungszeit erschienen auch 2 Edikte in den Jahren 89 und 93 über die Aus­ treibung der Astrologen und Philosophen, es waren die letzten bis zur Regierung Diocletians. -

C. Die gelehrte Sterndeutung im 2. und 3. Jahrhundert

In der nun folgenden Epoche zwischen Nero und Diocletian trat die politische Tätigkeit der Astrologen mehr in den Hinter­ grund, dagegen übernahm in dieser Zeit das Griechentum die kulturelle Führung und die gelehrte Astrologie nahm einen gro­ ßen Aufschwung. Vom Nachfolger Domitians, Kaiser Nerva, wußte man, daß er eine „kaiserliche Nativität“ hatte und daß er ein großer Verehrer der griechischen Astrologie und der stoi­ schen Philosophie war. Noch bei Lebzeiten ernannte er seinen erfolgreichen Heerführer Ulpius Trajanus zum Mitregenten, der bald darauf die Alleinherrschaft antreten konnte. Kaiser Trajan (98-117) war aus Spanien gebürtig und der erste nichtitalische Kaiser, der durch seine hervorragenden militärischen und poli­

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tischen Fähigkeiten, seine erfolgreichen Heerzüge gegen Dacien und gegen die Parther, sowie durch seine großartigen Bauten (Straßen, Brücken, Forum etc.) in Rom hochangesehen war. Über seine Stellung zur Astrologie ist nichts bekannt, doch stand er ihr gewiß nicht feindlich gegenüber, sonst hätte er wohl nicht seinen jungen Heerführer Hadrianus, dessen astrologische Nei­ gungen ihm wohlbekannt waren, mit seiner Enkelin verlobt und ihn adoptiert. In der Tat war P. Aelius Hadrianus der Astro­ loge auf dem Kaiserthron. Hadrian wurde am 24. Jänner 76 im Städtchen Italica, Spanien, geboren und sein für Italica be­ rechnetes Horoskop nebst einer 4 Seiten langen Beschreibung ist uns erhalten geblieben (abgedruckt bei Cramer S. 163 ff). Der Astrologe Hephaestion von Theben hat das von Antigonos v. Nikäa aufgestellte Horoskop in seiner Sammlung historischer Horoskope getreulich aufbewahrt. Hadrian war mit der Horoskoptechnik wohl vertraut und hat sich oft gerühmt, daß er alljährlich seine „Antigenesis“, d. h. sein auf den Geburtstag errichtetes Solarhoroskop, berech­ net und die Geschicke des kommenden Lebensjahres vorherge­ sagt hatte, worüber er genaue Aufzeichnungen geführt habe. Als sein Liebling, der jugendschöne Antinous in den Fluten des Nils ertrank, glaubte Hadrian, in einem eben erschienenen neuen Stern seinen Liebling wieder zu erkennen. Ptolemaeus gab dann wirklich einem Sternbild südlich des Adlers den Na­ men Antinous. Zu dem aus Künstlern und Gelehrten gebildeten Freundeskreis des Kaisers Hadrian gehörte auch die Dichterin und Astrologin Julia Balbilla, die Enkelin des Balbillus, und so wirkte der Geist der Familie des Thrasyllus von Augustus bis Hadrian weiter. Als Hadrian im Jahre 136 ernstlich erkrankte, schlug er sei­ nen Freund I. Aelius Verus als Nachfolger vor, dessen Horo­ skop die besten Aussichten hatte, auch gegen seinen eigenen Verwandten A. Fuscus, dessen Horoskop ebenfalls erhalten ist. Aber Verus starb noch vor seinem eigenen Tode und diese Fehl­ prognose bedrückte Hadrian schwer, wenn sie auch seinen Glau­ ben an die Astrologie nicht erschüttern konnte. So schlug er denn 94

aus seinem Freundeskreis den Aurelius Fulvus Antoninus vor und adoptierte ihn. Hadrian starb im Jahre 138 an Asthma und Wassersucht im 63. Lebensjahr, das war das allgemein gefürch­ tete klimakterische Jahr, das auch Androklastes, d. h. der Männerbrecher, genannt wurde. Kaiser Antoninus, der wegen seiner Treue gegenüber Hadrians Feinden den Beinamen Pius er­ hielt, war ein friedliebender und gerechter Herrscher, dem der Senat den Ehrentitel „Vater des Vaterlandes“ gab. Getreu dem Hadrian gegebenen Versprechen adoptierte er den Sohn seines frühverstorbenen Freundes Aelius Verus, der dann unter dem Namen Marcus Aurelius Antoninus den Kaiserthron bestieg. Unter der segensreichen Regierung der Kaiser Hadrian, An­ toninus Pius und Marc Aurel (117-180) blühte das römische Geistesleben wieder auf, allerdings nahm auf wissenschaftlichem und technischem Gebiete das Griechentum die Führung an sich. Selbst die Kaiser Hadrian und Marc Aurel (später auch Ju­ lian) verfaßten ihre Werke in griechischer Sprache. Marc Aurel vertrat einen gemäßigten Stoizismus, wie ihn damals der grie­ chische Philosoph Epiktet lehrte. Statt der mechanisch-blinden Naturnotwendigkeit nahm er eine dem Menschen wohlwollende Vorsehung an, die schon weiß, was sie tut. Man soll „derlei Schickungen so hinnehmen, wie die Mittel, die ein Arzt verord­ net, schmecken sie manchmal auch bitter, so sind sie uns doch in der Hoffnung auf Genesung willkommen", sagte er in seinen vielgelesenen „Selbstbetrachtungen“ (5. 8.). In dieser Zeit zwischen Trajan und Marc Aurel sind auch viele durchweg griechisch geschriebene Lehrbücher der Astrolo­ gie erschienen. Zunächst ein in Hexametern abgefaßtes Lehrgedicht „Apotelesmatikon“, das unter dem Namen des berühmten Erzpriesters Manetho erschien, der um 280 v. C. eine Geschichte Aegyptens verfaßt hat. Das Lehrbuch dieses Pseudo-Manetho (geb. 80 n. C. in Aegypten) beruht auf den Lehren des Hermes, Nechepso, Petosiris und des Dorotheos und besteht aus 6 Teilen, die von ver­ schiedenen Verfassern stammen, es bringt Regeln zur Auslegung des Horoskops und auch das Horoskop des Autors selbst. 95

Bedeutender ist das Vierbuch (Tetrabibios) über die Stern­ deutung des Claudios Ptolemaeus. Man hat zuweilen die Tetrabiblos als Fälschung bezeichnet, man wollte nicht wahrhaben, daß ein so erlauchter Geist wie der alexandrinische Astronom ein solch abergläubisches Werk geschrieben habe. Indessen hat Boll (1894) die Echtheit der Tetrabibios nachgewiesen, obwohl sie gegen seine Hauptwerke, die „Syntaxis“ oder sein astrono­ misches Handbuch und gegen seine Geographie stark zurück­ steht. Sie ist stellenweise sehr oberflächlich, die Rechenbeispiele sehr primitiv und oft hat er ältere, schon damals überholte Quellen benutzt. Dennoch war die Tetrabibios durch fast 1500 Jahre die „Bibel der Astrologen“. Im 1. Buch sucht Ptolemaeus nachzuweisen, daß die Sterndeu­ tung nicht bloß möglich, sondern auch nützlich sei, da sie mit Gelassenheit uns das kommende Geschick ertragen läßt. Auch müsse man bedenken, daß nur in der oberen unvergänglichen Region der Gestirne eine unabänderliche und gesetzmäßige Not­ wendigkeit herrsche, während „unten“ auf Erden alles steter Veränderung unterworfen ist und weil es hier Ursachen gibt, die nicht allein auf dem Einfluß der Gestirne beruhen. Solche kann man daher auch mit geeigneten Mitteln bekämpfen. Im 1. Teil behandelt Ptolemaeus die astrologischen Elemente, wobei er be­ müht ist, alles Mythische oder in Anlehnung an die griechische Mythologie Geschaffene durch rationale, physisch-kausale Ele­ mente zu ersetzen. Der 2. Teil, das Katholikon, behandelt die allgemeine und politische Astrologie, hier sagt er auch - auf einen beliebten Einwand anspielend - daß das Allgemeine, Ge­ nerelle (z. B. Massenkatastrophen) stets dem Individuellen, dem Einzelschicksal vorangehe. Als Antwort auf das Rassenargument des Karneades hat er hier auch eine astrologische Geographie bei­ gefügt, zum Nachweis, daß auch die Rassen- und Charakter­ eigentümlichkeiten der Völker astrologisch bedingt sind. Der 3. und 4. Teil ist der Genethlialogie oder der individuellen Astrolo­ gie gewidmet. Zu seiner 147 vollendeten „Syntaxis“ (dem astro­ nomischen Lehrbuch) hat Ptolemaeus auch „handliche Tafeln“ herausgegeben, die seither zum wichtigsten Handwerkszeug des 96

Astrologen wurden. Unter dem Namen des Ptolemaeus erschien auch eine Sammlung von 100 Sprüchen, die sich „Karpos“, d. h. die Frucht nannte, weil sie angeblich ein Extrakt aus der Tetrabiblos sein sollte. In Wirklichkeit ist aber dieses im Mittelalter hochangesehene „Centiloquium Ptolemaei“ ein Werk eines zeit­ genössischen Berufsastrologen, das Dinge enthält, die Ptolemaeus gar nicht erwähnt oder sogar verworfen hat, darunter befindet sich auch die berühmte Trutina Hermetis oder Gleichung des Hermes über die wechselseitigen Beziehungen zwischen Mond und Aszendent der Geburts- und der Empfangszeit - diese Vor­ schrift hat bereits Porphyrios erwähnt. Das fatalistische Gegenstück zu Ptolemaeus bildet die Antho­ logie des Vettius Valens (griech. von W. Kroll 1908 mit Nach­ trägen im CCAG.), der sich stolz „Soldat des Schicksals“ nannte und wohl zur selben Zeit wie Ptolemaeus wirkte, da keiner noch den andern kennt. Valens gilt als der Mathematiker schlechthin. Er legte das Hauptgewicht auf präzis gefaßte Vorhersagen von Ereignissen, aber seine komplizierten, mehr angedeuteten als ausgeführten Prognosemethoden und Rechnungen haben unsere Philologen und Editoren wie Kroll oft zur Verzweiflung ge­ bracht. Valens stützt sich in der Auslegung auf die graecoaegyptische Tradition, in seinen Rechnungen aber auf babylo­ nische Angaben und Planetenperioden, von ihnen hat er auch den Ansatz der Jahrespunkte auf den 8. Grad der Zeichen über­ nommen, hat also den von Hipparch und Ptolemaeus eingeführ­ ten tropischen Tierkreis nicht gekannt oder nicht anerkannt. Die in seinem Werk angeführten Beispielhoroskope, die O. Neuge­ bauer nachgerechnet hat, umfassen den Zeitraum von 37-188 n. C. Das dritte große Lehrbuch dieser Zeit ist der „Hausschatz“ des Astrologen Antiochus v. Athen, der ebenfalls zwischen 180200 gewirkt haben muß. Antiochus bemüht sich darin, etwaige Widersprüche zwischen Dorotheos und Ptolemaeus zu über­ brücken. Sein Werk ist nur in Fragmenten vorhanden, die neuer­ dings ebenso wie seine astrologischen Kalender veröffentlicht wurden (CCAG. VIII, 3). 97

Zur Zeit Vespasians leitete der berühmte Grammatiker und Jurist M. Fabius Quintilianus eine Rhetorenschule in Rom. Er verlangte von seinen Schülern eine genaue Kenntnis der astrolo­ gischen Lehren, schon damit sie den fatalistischen Sternaber­ glauben wirksam bekämpfen können. Es war daher eine Unver­ frorenheit, daß unter seinem Namen eine Sammlung von Rede­ übungen vor Gericht erschien, die den Namen „Mathematicus“ führte (deutsch von W. Koch) und den Fall eines blindgläubi­ gen, in sein Fatum ergebenen, „Vatermörders“ erörterte. Auch andere Gelehrte wie Alexander v. Aphrodisias, Maxi­ mus v. Tyrus und Plutarch in seinen Moralischen Schriften, lehnten den stoischen Astralfatalismus energisch ab. Zum Freun­ deskreis des Kaisers Hadrian gehörte auch der Philosoph Favorinus, der bei Hadrian in großem Ansehen stand, obwohl er ein heftiger Gegner der Astrologie war. Von seinen vielen Argu­ menten gegen die Astrologie seien außer den bereits bekannten noch folgende erwähnt (nach Cramer): 1. Astrologie ist ein ganz junges Erzeugnis, das Gerede von urzeitlichen Erfindern oder Erfindungen ist grundlos. 2. Es ist eine absurde Verallgemeinerung, wenn man aus wenigen Fällen beweisbaren astralen Einflußes schließt, daß alles unter der Sonne von den Sternen abhängig ist. 3. Das Dasein der Menschen auf der Erde ist noch viel zu kurz, um ein voll­ ständiges Wissen über die kosmischen Affinitäten zu erreichen. 4. Wenn die primäre Wichtigkeit des Konzeptionshoroskops be­ hauptet wird, so muß auch diese vorherbestimmt sein. Kein Sterblicher kann daher die ununterbrochene Kausalkette irgend­ wo unterbrechen. 50 Jahre später hat der Arzt und skeptische Philosoph Sextus Empiricus einen neuen Angriff gegen die Astrologie unternommen. In seinem (erhaltenen) Werk „Gegen die Mathematiker“ (griechisch-engl. Ausgabe in Loebs Classical Library) geht er gegen die Vertreter aller positiven Wissen­ schaften vor, da keine imstande ist, die reine Wahrheit zu finden. Das 5. Buch ist speziell der Astrologie gewidmet, dem er ein ziemlich vollständiges Expos^ der astrologischen Lehren voranstellt. Darin behandelt er auch den unüberbrückbaren 98

Gegensatz zwischen der Stundenastrologie, die auch andere, nicht kosmische Ursachen zuläßt und der Geburtsastrologie, die, wie behauptet, ohne die Annahme eines streng astral determi­ nierten Schicksal völlig sinnlos wäre. Darnach waren also - nach astrologischer Ansicht - die irdischen Ereignisse von 3 Faktoren abhängig: von der Notwendigkeit, von der Fortuna (dem Zufall) und vom freien Willen. Es ist aber nutzlos, das vorherzusagen, was zwangsläufig eintreten muß und unmöglich, das zu prophe­ zeien, was vom freien Willen abhängt. In technischen Fragen zeigt Sextus Empiricus eine bemerkenswerte Unkenntnis der seit 150 Jahren gemachten neueren Erfahrungen, sonst könnte er den Astrologen nicht vorwerfen, daß die Grenzen der Stern­ bilder nicht genau bestimmt sind und niemand weiß, wo der Löwe aufhört und die Jungfrau anfängt und daß die Beobach­ tung der Gestirne zu Horoskopzwecken nicht immer möglich sei. Er hat also - wie auch Cramer feststellt - die letzten 100 Jahre mathematisch-technischer Entwicklung der Horoskopie verschla­ fen. Einer der eifrigsten Förderer der Astrologie war Kaiser Septimius Severus, der erste Afrikaner auf dem Kaiserthron. Ob er selbst in der „Kunst“ wohlerfahren war, ist nicht bekannt, jedenfalls vermischten sich bei ihm die Grenzen zwischen einer streng deterministischen „wissenschaftlichen“ Astrologie und einem innigen Kult der Gestimgötter. Er ließ eifrig nach „kaiserlichen Nativitäten“ forschen und nahm nach dem Ab­ leben seiner ersten Frau eine syrische Frau, Julia Domna, zur Gattin, weil ihr Horoskop besagte, daß sie einen König heiraten werde. Julia Domna war eine hochgebildete Frau, Tochter des Oberpriesters des Sonnengottes Heliogabal in Emesa, die um sich einen Kreis von Astrologen und Philosophen scharte und dem Kaiser zwei Knaben (Caracalla und Geta) gebar. Aber das Horoskop des jüngeren Knaben (Geta) gefiel ihm nicht, weil kein Anzeichen kaiserlicher Würde darin vorhanden war. Septi­ mius Severus, der ausLybien stammte, war ein eifriger Verfechter der karthagischen Himmelsgöttin Tanit und der syrischen Baale, er erbaute in Rom das sogenannte Septizodium, eine prunkvolle 99

Kulisse mit den 7 Planetengöttern, die die heimkehrenden Le­ gionen als erste begrüßen sollten. Trotz seines innigen Stern­ glaubens berief Septimius den aristotelischen Philosophen Alexander Aphrodisias als Lehrer an die Schule von Athen, ob­ wohl Alexander den fatalistischen Sternglauben bekämpfte. In seinen Schriften rückte Alexander von seinem geliebten Meister Aristoteles etwas ab, er lehrte, daß die Sterne nur einen be­ grenzten Wirkungskreis im Kosmos haben und daß die Lehre Chrysipps von einer allumfassenden Notwendigkeit abzulehnen sei. Die Sterne wirken nur auf die physische Ebene ein, sie er­ zeugen über die Urqualitäten alles irdische Werden und Ver­ gehen, dennoch sei dem freien Willen ein weiter Spielraum ge­ lassen. Der ebenfalls sterngläubige Kaiser Caracalla ließ alsbald sei­ nen Bruder Geta umbringen, um die Alleinherrschaft zu be­ sitzen, für die er sich auch allein „astrologisch disponiert“ be­ trachtete. Durch ein Verfassungsgesetz gewährte er allen An­ gehörigen des römischen Reiches das römische Bürgerrecht, eine Maßnahme, die vielen syrischen und graecoaegyptischen Astro­ logen zugute kam. Gleichwohl verurteilte er den Astrologen Serapion zum Tode, weil er das längere Zeit nicht beachtete Edikt des Augustus vom Jahre 11 übertreten und nicht bloß den Tod des Kaisers sondern auch den Namen seines Nachfolgers vorhergesagt hat. Aus der Familie der Julia Domna stammte auch ein späterer Kaiser, der jugendliche Heliogabal, der eben­ falls Sonnenpriester war und den schwarzen Stein von Emesa sowie den syrischen Sonnengott mit großem Pomp in Rom ein­ führte. Ihm folgte sein Vetter Alexander Severus (222-235), der von dem Rechtsgelehrten Ulpianus erzogen wurde und von den besten Absichten beseelt war. Auch er war in der astrologischen Kunst wohlerfahren und plante, um den vielen Pfuschern und Schwindlern das Handwerk zu legen, eine staatliche Lehranstalt für Astrologie in Rom zu gründen. Jedenfalls setzte er aber staatliche Stipendien und Honorare für Lehrer und Schulen des Athenaeums ein, die kaiserliche Universität in Rom, wo auch er studiert hatte. Die Prognose seines Hausastrologen Thrasybulos, 100

daß er dereinst durch das Schwert eines Barbaren umkommen werde, nahm er mit stoischem Gleichmut entgegen „weil ja alle großen Männer, wie Pompejus, Caesar oder Cicero so geendet haben“. Alexander wurde im Lager am Rhein von seinen meu­ ternden Soldaten ermordet, die mit seiner schleppenden Krieg­ führung unzufrieden waren. Die Serie von Astrologen-Geschichten reißt auch bei den spä­ teren Soldatenkaisem Gordianus II. und III. nicht ab und manches wurde nach feststehendem Muster oft post festum hin­ zugedichtet. Es wurde aber allgemein geglaubt, ja bei großen Menschen geradezu gefordert, weshalb auch die Autoren der „Kaisergeschichten “ wie Spartianus, Lampridius u. a. sich be­ müßigt fühlten, dies zu berichten. In dieser stürmischen Zeit, wo Kaiser und Gegenkaiser rasch ab wechselten, erstand die noble Gestalt des großen Philosophen und Begründers der neuplatonischen Schule Plotinus, der um 205 in Aegypten geboren wurde, in Alexandria studierte und im Jahre 242 mit Kaiser Gordian III. nach Persien zog, um die indische und persische Philosophie kennen zu lernen. Im Jahre 244 begab er sich nach Rom, wo er bis 268 Philosophie lehrte. Wie alle erlauchten Geister hat er die vulgäre Sterndeuterei und den astrologischen Fatalismus entschieden abgelehnt. In einer Abhandlung „Ob die Sterne etwas bewirken“, die er seinem Schüler Porphyrios sandte, sagte er, daß die Sterne wohl göttliche Wesen seien und da das ganze All in einer Wirkungs­ gemeinschaft stehe, so sei auch der Einfluß auf die irdischen Dinge gegeben, aber nicht so einfach durch Warm und Kalt, Feucht und Trocken, wie es Ptolemaeus gelehrt habe. Als gött­ liche Wesen können die Sterne nichts Böses tun, sie sind dem Menschen weder feindlich noch freundlich gesinnt, auch ihre Stellungen sind nicht das eigentlich Wirkende, sondern der Kos­ mos selbst, der diese Stellungen ihnen gibt. Diese Stellungen sind gleichsam die Gedanken und Zustände des Weltwesens (Har­ der). In diesem Sinne kann die Stellung der Gestirne etwas bewirken oder anzeigen, soweit es das physische Geschehen, den Körper des Menschen und sein Triebleben betrifft, im Bereich 101

des Geistigen können sie aber nur Anzeichen sein, da die Seele des Menschen nicht affizierbar ist. So hat Plotinos sowohl die rational-wissenschaftliche Astrologie als die esoterische oder dämonomagische Astrologie abgelehnt. Sein Schüler Porphyrios v. Tyros suchte allerdings beide Richtungen wieder miteinander zu verbinden, er hat dem Meister eine liebevolle Biographie ge­ widmet und unter seinen zahlreichen Schriften auch eine Streit­ schrift „Gegen die Christen“ verfaßt, in der er sich gegen die Wahrheit der Heiligen Schrift, gegen die Auferstehung und die ewigen Höllenstrafen wandte. Unter Kaiser Decius fand eine große Christenverfolgung statt, sie hatte ihren Zweck nicht erreicht und vermochte nicht, den Kult der durch die orientalischen Gottheiten stark ver­ wässerten griechisch-römischen Götter neu zu beleben. — Mit dem Blute der Märtyrer gestärkt, die freudig für die Wahrheit des Evangeliums ihr Leben opferten, hatte sich aus der Stille der ersten zwei Jahrhunderte das Christentum zu einer bedeutenden Geistesmacht emporgehoben und eine Auseinander­ setzung mit Heidentum und Gnosis, Judentum und Astrologie war unausweichlich geworden.

D. Die Astrologie im Kampf der Religionen

In den Kämpfen zwischen diesen geistigen Mächten, die die Grundfesten der antiken Kultur erzittern ließen, nahm die Astrologie eine eigenartige, aber ihrem synkretistischen Charak­ ter wesensgemäße Stellung ein. Vom Heidentum meist geför­ dert, von der Gnosis umwuchert, von den orthodoxen Juden stets verachtet, konnte sie auch im Christentum bald Anhänger finden, obwohl der christliche Erlösungsgedanke zu einem fata­ listischen Stemaberglauben in schärfstem Widerspruch steht. Wir wollen diese Beziehungen zur Astrologie kurz skizzieren. Vom Heidentum drohte ihr, wie schon erwähnt, die geringste Gefahr. Wir haben bereits darauf hingewiesen, daß die in reli­ giösen Dingen sehr toleranten Römer dem Eindringen der orien­ 102

talischen Religionen und Gestirnlehren in den griechisch-römi­ schen Götterglauben keinen sonderlichen Widerstand entgegen­ setzten. So kam die phrygische Kybele, die große syrische Göttin (Atargatis) und die syrischen Baale, die aegyptische Isis und der von den Ptolemäern geschaffene Serapiskult sowie der persische Mithras- und Zervan-Kronoskult nach Italien und alle hatten, besonders in den Hafenstädten und in Rom, ihre Anhänger, ihre Tempel und Priesterschaften, ihre Prozessionen und Mysterien, von denen uns Apulejus im „Goldenen Esel“ ein anschauliches Bild gegeben hat. Am engsten mit der babylonischen Gestirnreligion verbunden waren drei aus der iranischen Astrotheologie hervorgegangene Religionsformen, der Mithrazismus, der Mandäismus und der Manichäismus. Der Mithraskult, der von vielen römischen Kaisern gefördert und von den Soldaten in alle Teile des römischen Reiches ge­ tragen wurde, war eine Zeitlang der ernsteste Konkurrent des Christentums. Er war nach Cumont eine ausgesprochen „astro­ logische Religion“. Die Mithräen waren mit astrologischen Symbolen geschmückt, an jedem Wochentag wurde dem Plane­ tengott gehuldigt, der diesen Tag beherrscht, so wurde der Sonn­ tag, der Tag des unbesiegten Sonnengottes, zum Ersten Tag der Woche. Manche Priester nannten sich stolz „Studiosus astrologiae“. Die Mandäer, später auch Ssabier genannt, waren reine Stern­ anbeter und Nachkommen der babylonischen Gestirnreligion, doch waren sie bloß in Syrien und in Harran ansässig. Größere Verbreitung erlangte der Manichäismus, eine Form der Gnosis, die das Christentum mit der iranischen Astrotheologie zu verbin­ den suchte und den awestischen Kampf zwischen Licht und Fin­ sternis, zwischen den von Gott Auserwählten und den „Nichtzu­ gelassenen“ in schroffer Form lehrte und ihre Anhänger zu einer streng asketischen Lebensweise anhielt, da alles Materielle an sich unrein ist. Auch der Hl. Augustinus war in seiner Jugendzeit im Banne des Manichäismus und der Astrologie. 103

In diesen Zeiten wurde die suchende antike Seele heftig hinund hergeschüttelt. Was ist Wahrheit? Kann man die letzten Dinge nicht erkennen? Wer befreit uns vom Bösen und vom Schicksalszwang der Gestirne? Das sind Fragen, auf welche die Gnosis Antwort geben sollte. Die Gnosis will den Weg zu einer übersinnlichen, nicht verstandesmäßig erfaßbaren Erkenntnis geben und dem Schüler den richtigen Weg zur Erlösung weisen. Die gnostischen Systeme atmen nicht den Geist einer bestimmten Religion, sie sind aus babylonisch-persischen, syrischen, jüdi­ schen, aegyptischen und christlichen Elementen verwoben wor­ den (Leisegang). In fast allen Systemen sind die zwei Haupt­ probleme: Woher kommt das Böse in der Welt? Wie kann sich der Mensch aus der Macht des Bösen und dem Sternenzwang be­ freien? Gemäß der persisch-jüdischen Dämonologie hat nämlich ein Teil der von Gott geschaffenen Wesenheiten seine Macht mißbraucht, er hat sich in die Region der Sterne geschlichen, von wo er über die Menschen herrschen und sie schicksalhaft zwin­ gen will. Aus dieser Not kann die Menschen nur ein Gott er­ lösen, der den Logosgedanken in die Menschenseele gelegt hat und nur die Erkenntnis dieses Weltprozesses und die Wege und Mittel dazu (Gnosis und Theurgie) können den Menschen aus seiner Not befreien. So sind die verschiedenen gnostischen Systeme von astrologischen Lehren, von Buchstaben- und Zahlenmystik und einer krausen Dämonologie durchzogen, und in manchen Schriften, wie in der „Pistis Sophia“ oder bei Markos muß Christus selbst die „Bahn der Sterne wenden, um die Macht der Dämonen zu brechen und die Menschen vom Sternenfatum erlösen“. Im Ganzen ist die Gnosis ein Rückfall in archaische Denkformen und der oberwähnte Neuplatoniker Plotinos hat in seiner Schrift „Gegen die Gnostiker“ ihr ver­ schwommenes und unreines Denken kritisiert. Sein Schüler Porphyrios von Tyros hat zwar in seinen Schriften „Orakel­ philosophie“ und über die „Götterstatuen“ dem zeitbedingten Mystizismus manches Opfer gebracht, aber unter dem Deck­ mantel eines aegyptischen Priesters Anebo eine Schrift verfaßt, in der er die ganze Problematik des antiken Götterglaubens, der 104

Gnosis, der Magie und Astrologie aufrollt, nicht um alles zu bekämpfen, sondern um zu weiteren Forschungen anzuregen (Geffcken). Aber Porphyrios hat seine Zeitgenossen überschätzt, die nicht Probleme lösen, sondern sichere Wahrheiten haben wollten. Und eine solche handfeste, alles „erklärende“ Antwort gab sein eigener Schüler, der syrische Gnostiker Jamblichus, in einer Schrift, betitelt „Abammons des Lehrers Antwort auf den Brief des Porphyrios in Anebo“. Die erhaltene Schrift wird ge­ wöhnlich unter dem Titel „Die Geheimlehren der Aegypter“ zitiert (Deutsche Ausgabe von Hopfner, Leipzig 1922). In recht überheblicher Form stellt er die irrtümlichen Auffassungen des Porphyrios fest und trägt dann die Prinzipien seiner neu-pla­ tonisch gefärbten Theosophie vor, die er als „uralte aegyptische Weisheit" ausgibt. Darin hat alles von den Göttern, Erzengeln und Engel bis herab zu den Elementargeistern seinen wohl­ bemessenen Platz und Rang. Er verteidigt jede Art von Mantik und lehrt, daß der Mensch zwei Seelen habe, von denen die eine Anteil an der göttlichen Macht habe, die andere durch die Ge­ burtskonstellation bzw. durch die Sterne dem Menschen ein­ geflößt werde. Nur letztere ist dem Schicksal notwendig unterworfen und nur in dieser kann die Befreiung vom Schicksalszwang erfolgen. Dieses geschieht mit Hilfe des Eigendämons, den man durch die heilige Theurgie oder auf kunstvolle Art durch das Horoskop ermitteln kann. Jede handwerkliche Vorhersage der Zukunft sei aber wertlos, wenn sie nicht Hinweise zur Läuterung der Seele geben kann. So hat Jamblichus die Astrologie wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurückgeführt, sie wird eine mit Magie und Mantik verbundene Gestirnreligion und Priesterwissenschaft, die die Christen mit Recht als heidnischen Unfug abgelehnt haben. Ein anderes Volk widersetzte sich ebenfalls hartnäckig der Astrologie und der synkretistischen Abgötterei, aber auch dem offiziellen Kaiserkultus, das waren die Juden, die zur Zeit Christi schon zahlreiche Gemeinden im Auslande, in Seleukia, Antiochia, in Alexandria, aber auch in Rom und den italischen 105

Hafenstädten hatten. Ihr den Römern unverständlicher, an Atheismus grenzender „Aberglaube“ an einen namenlosen, un­ sichtbaren, aber doch nationalen Rachegott, ihre strengen Reinigungs- und Speiseverbote und ihre abweisende Haltung gegen die Andersgläubigen haben ihnen oft, mehr als ihre wirtschaft­ liche Tätigkeit, den Haß ihrer Wirtsvölker zugezogen. Es gab immer wieder Judenkrawalle und ihr fanatischer Haß gegen die römische Herrschaft führte schließlich zur offenen Rebellion und zur Zerstörung Jerusalems durch Titus (70 n. C.). Für den strenggläubigen Juden war Gott so weit - jenseits allen Naturgeschehens, daß ein inniges, mystisches Verhältnis gar nicht aufkommen konnte. Bei der ungeheuren Distanz von Mensch und Natur zu Gott, erschien ihm die Erforschung der Naturdinge ganz wertlos, ja selbst sündhaft, denn der Mensch soll die Wunder der Natur nicht anders als gläubig hinnehmen. In der spätjüdischen Mischna Chagigah heißt es „dem wäre es besser, wenn er nicht auf die Welt gekommen wäre, der über 4 Dinge nachgrübelt: Was oberhalb und was unterhalb, was vordem war und nachher sein wird“ (Bischoff).

So war das orthodoxe Judentum stets feindlich gegen die Astrologie eingestellt, sie war als aegyptische Tagewählerei oder als babylonische Zeichendeutung stets verboten (5. Moses 4.19, Hiob 31.26, Jeremias 27. 9 und Isaias 47.13, wo die Sterngucker Babels direkt genannt und verspottet wurden). Auch andere, auf astrologische Einflüsse hinweisende Stellen der Bibel zeigen, daß die Juden nur einiges von der Astrologie „läuten gehört“, aber nicht aufgenommen haben. Dies gilt auch von dem oftzitierten apokryphen „Buch Henoch", das im ersten Jahrhundert vor Chr. entstanden ist und in zwei verschiedenen Fassungen vor­ liegt. Es enthält wohl eine etwas primitive Himmelsbeschrei­ bung und einige für den Kalender wichtige Angaben über den Lauf von Sonne und Mond, aber nichts über die damals schon weitverbreitete hellenistische Astrologie.

Der jüdische Philosoph Philo hat, wie schon erwähnt, die fa­ talistische Astrologie bekämpft und der Vorwurf, den der 106

jüdische Historiker Josephus Flavius den Pharisäern macht, sie hätten Astrologie getrieben, ist nach neuesten Forschungen un­ begründet. Erst im 3. Jahrhundert wurde der Glaube an das all­ mächtige Sternenschicksal (hebräisch Massol, davon der heu­ tige Ausdruck ein Massel haben, oder im Schlamassel sein) bei den hellenistischen Juden allgemein. Ja, manche Juden gingen so­ gar so weit zu behaupten, daß die Astrologie eine jüdische Er­ findung sei, die der Erzvater Abraham, der ja aus Ur in Chaldaea stammt, mitgebracht und den aegyptischen Priestern ge­ lehrt hat. Moderne jüdische Gelehrte wie Löw oder Feuchtwang haben diese Legende zerstört und nachgewiesen, daß erst die nachexilischen Propheten zum babylonischen Gestirnglauben Stellung genommen haben. Die spätere, von neuplatonischen und hermetischen Lehren durchzogene jüdisch-kabbalistische Geheim­ lehre hat allerdings zahlreiche magische und astrologische Lehren aufgenommen, das zeigen schon die Namen der Autoren solcher Zauber- und Offenbarungsbücher von Abraham, Henoch, Sa­ lomon etc. Die strenggläubige Judenschaft hat diese Lehren stets abgelehnt. Sie sagt, daß Israel bereits am Sinai sich dem wahren Gott verschrieben habe und daß es über die Schicksalsherrschaft ebenso erhaben sei, wie Jahwe über das Gestirn. Wie stand nun das Christentum zur Astrologie? Es ist klar, daß der von den stoischen Philosophen gestützte astrologische Fatalismus und die Lehre von der absoluten Naturnotwendig­ keit alles Geschehens mit dem christlichen Erlösungsglauben und dem Glauben an die göttliche Allmacht in schroffem Wider­ sprach steht und daher schon von Paulus und den ersten Kirchen­ vätern energisch bekämpft wurde. Aber die proteusartige Astrologie wußte sich bald dem christ­ lichen Heilsglauben anzupassen. Schon viele antike Astrologen wie Ptolemaeus hatten den astralen Fatalismus abgelehnt und der menschlichen Willensfreiheit einen gewissen Spielraum zu­ gestanden; viele haben die Sterne nicht als wirkende Kräfte, sondern bloß als Anzeichen betrachtet, und hat nicht Gott selbst „Zeichen am Himmel“ gesetzt, damit die Menschen sich dar­ nach richten können? 107

So sind schon die Evangelisten, bzw. das Urchristentum von astrologischen Gedanken beeinflußt worden. Der von Johannes dem Täufer gepredigte Adventismus „Tuet Buße, denn das Reich Gottes ist nahe“ steht sicherlich mit den astrologischen Weltalterlehren und der zu dieser Zeit vorherrschenden Sehn­ sucht nach neuen Horizonten, nach Wahrheit und einem Heilund Friedensbringer in Beziehung. Trefflich bringt das auch Vergil in seiner 4. Ekloge zum Ausdruck, wo es u. a. heißt „eine neue Weltordnung wird geboren, Saturnus und die Jungfrau kehren zurück, ein Knabe wird geboren, der das goldene Zeit­ alter des Friedens bringen wird“. Manche wie Dante haben deshalb Vergil geradezu als Propheten des Christentums be­ trachtet. Vom Stern der Weisen und der Geburt aus der Jungfrau, von der Wahl der 12 Apostel und der Heilung des Mond­ süchtigen bis zum Kreuzestod und zur Himmelfahrt ist das Leben des Heilands von zahlreichen astralen Motiven umrankt worden und moderne „Astralmythologen“, wie Fuhrmann, Drews oder Morosow haben die ebenso lächerliche wie astrolo­ gisch und psychologisch unhaltbare Behauptung aufgestellt, daß Christus nie gelebt habe, sondern ein bloßer Astralmythos ge­ wesen sei. Sie vergaßen dabei, daß es dem allgemeinen Glauben der Zeit entsprach, daß das Leben und Sterben großer Männer (wie Caesar oder Augustus) stets auch von Zeichen am Himmel be­ gleitet sein müsse. Dies gilt auch vom Matthäusbericht über den Stern der Weisen, den christliche Astrologen stets als Bestäti­ gung und Rechtfertigung ihrer Kunst betrachtet haben. Ob die­ ser Stern ein göttliches Wunderzeichen, ein Komet, eine Nova oder eine große Konjunktion von Saturn und Jupiter war, ist zunächst nebensächlich. Das Wesentliche ist, daß Gott ein Vor­ zeichen gegeben hat. Es ist übrigens schon seit Kepler erkannt, daß im Jahre 7 v. C. eine dreimalige große Konjunktion im Zeichen der Fische und ganz nahe dem Frühlingspunkt statt­ gefunden hat, so daß gelehrte Sterndeuter und „Magier“ sehr wohl auf die Geburt eines Weltheilands schließen konnten. Nun 108

hat Boll allerdings dagegen eingewendet, daß in der heiligen Schrift stets von Aster = Einzelstern, nicht von Astron, das Stern und Sternbild heißen kann, gesprochen wurde und daß es sich somit um keine Konjunktion, sondern um einen Wunder­ stern gehandelt haben müsse. Indessen ist es fraglich, ob Matthäus, bzw. sein griechischer Übersetzer so eng mit der astronomischen Terminologie vertraut waren. Eingehende Kenntnisse der astrologischen Lehren zeigt auch die Offenbarung Johannis, wie Boll nachgewiesen hat (Lit. V.). Im Gegensatz hierzu hat der ehemalige Schüler des Rabbiners Gamaliel, der Apostel Paulus, aus seiner Abneigung gegen alle Sternenmystik kein Hehl gemacht. Er tadelt die Auchchristen, die sich nach den heidnischen Wochentagsgöttern richten (Röm. 14), die ihr Tun vom Mondlauf abhängig machen (Kol. 2. 16) oder gar Stunden­ astrologie trieben (Gal. 4.10). Die Kirchenväter bekämpften mit der Gnosis auch die heid­ nische Astrologie, da nach ihrer Anschauung die Planetengötter Jupiter, Saturn, Mars etc. nichts anders als Dämonen oder Teufel sind und die Astrologie ein heidnischer Zaubertrug ist. Wie Tertullian nach Henoch sagt, ist sie eine Erfindung der ge­ fallenen Engel, um die Menschen in die Macht der Dämonen zu verstricken. Aber auch das Weltbild der gelehrten Astrologen, das das kosmische mit dem irdischen Geschehen gesetzmäßig ver­ knüpft, widerspreche der Allmacht Gottes und dem göttlichen Heilsplan, es lasse im Netz der Naturnotwendigkeit keinen Platz für das Eingreifen Gottes. Hippolytus von Rom lehnt die Astrologie als unwissenschaftlich ab und sieht in ihr die Haupt­ quelle aller Ketzerei. Ganz besonders aber die von den meisten Astrologen vertretene fatalistische Lehre vom ehernen Schicksals­ zwang der Gestirne forderte der Kirchenvater zum schärfsten Gegenstoß heraus, sie zerstöre das Bild des freien, für sein Tun verantwortlichen Menschen und mache ihn unfrei im Denken und Handeln. „Wenn das Schicksal des Menschen von Gott vor­ herbestimmt ist - sagt Gregor von Nyssa - Gott aber die Sterne erschaffen habe, so wäre er selbst für die Taten der Menschen verantwortlich “. Und Ephraim der Syrer sagt: „Wenn Gott ge­ 109

recht ist, kann er nicht schicksalsbestimmende Sterne eingesetzt haben, nach welchen die Menschen notgedrungen zu Sündern werden müssen“. Eine weitere Polemik richtet sich gegen jene Anhänger der Astrologie, die im Stern der Weisen einen Recht­ fertigungsgrund für ihr Tun sehen. Hierauf sagen die Kirchen­ väter, z. B. Johannes Chrysostomus, daß es sich hier um einen Wunderstern gehandelt haben müsse, der seiner Bahn nach, seiner starken Leuchtkraft und des zeitweiligen Erlöschens sich von natürlichen Sternen deutlich unterschieden habe. Ja, Gregor von Nyssa zweifelt selbst an der Realität dieses Sterns und meint, daß Matthäus diese Geschichte nur erfunden habe, um dem allgemeinen Glauben an Wunderzeichen bei der Geburt großer Menschen zu entsprechen. Einen gemäßigteren Standpunkt nahm der bedeutendste der griechischen Kirchenväter und Schöpfer der ersten christlichen Dogmatik Origenes (185-254) ein, der ein Schüler des Bischofs Clemens von Alexandria war, der ebenso wie er von platoni­ schen Gedanken beeinflußt war. 553 wurde er als Häretiker mit dem Bann belegt. Origenes lehrte, daß die Sterne gewiß nicht bloß feurige Steine seien, wie Anaxagoras lehrte, sie seien ver­ nunftbegabte Wesen, die nach dem Willen Gottes große Dinge in der Natur, Wechsel von Dynastien aber auch wie der Magier­ stern, der übrigens ein Komet gewesen sein dürfte, die Geburt des Heilands anzeigen können. Der astrologische Fatalismus aber, wie auch Platos Lehre vom freigewählten Sternenlos, sei irrig, die göttliche Vorsehung schließe den freien Willen nicht aus, da die Sterne nichts bewirken, sondern nur das anzeigen, was bei Gott gleichzeitig oder nebeneinander ist, was aber anti­ zipiert und uns als hintereinander erscheint. Gott weiß, was wir tun werden, aber er lenkt nicht unseren Willen. In einer früh­ christlichen Schrift, den sogenannten Pseudoclementmischen Recognitionen, in der sich der Heide Faustus und der Bischof Clemens über Wesen und Wert der Horoskopie unterhalten, findet sich schon der vielzitierte Satz „die Sterne machen uns nur geneigt, sie zwingen nicht“. Eine solche christianisierte Astro­ logie, die in den Konstellationen nur göttliche Anzeichen sieht 110

und die Willensfreiheit des Menschen bestehen läßt, konnte also ganz gut unter der Christenschar, selbst bei den Priestern An­ hänger finden. Adolf von Harnack erblickt in der Bekämpfung der Astrologie eine „Großtat der Kirche“, muß aber zugeben, daß sie im 3. Jahrhundert auch in der Kirche Eingang gefunden habe und daß die Kirchenbehörden und Theologen seit dem Ende des 3. Jahrhunderts in den Gemeinden ihrer nicht mehr Herr wurden. Andere Umstände in Kirche und Staat und die machtvolle Persönlichkeit des heiligen Augustinus mußten erst entscheidend den Untergang der antiken Astrologie herbei­ führen.

E. Der Ausklang des Heidentums und der antiken Astrologie Die letzte Etappe der antiken Astrologie, von Diocletian bis zum Untergang Roms, zeigt mit dem allmählichen Erlöschen des griechisch-römischen Heidentums auch den Niedergang und die Vergreisung der Astrologie an; es ist kein Tjedeutender Lehr­ meister der Astrologie mehr erschienen. Die wenigen gelehrten Astrologen begnügten sich mit der Kommentierung älterer Leh­ ren und der Sammlung von Material.

Unter Kaiser Diocletian (284-305) wurde das römische Welt­ reich zur absoluten Monarchie. Diocletian, ein Dalmatiner aus niederem Stand, war ein hervorragender Heerführer und aus­ gezeichneter Organisator, aber von soldatisch-nüchterner Den­ kungsart. Im Jahre 297 erließ er ein Edikt, worin es heißt: „Es ist von öffentlichem Nutzen, die Geometrie zu erlernen, die mathematische Kunst ist aber sträflich und absolut verboten.“ Der Ausdruck „mathematici“ wurde damals statt des Be­ griffes Chaldäer allgemein für Horoskopsteller gebraucht. Im Jahre 296 nahm Diocletian das rebellische Alexandria ein, dieses gefährliche Wespennest, wo politische Abenteurer, Zauberer, Philosophen und Zeichendeuter ihre Schlupfwinkel hatten. Dort mußten die gewerbsmäßigen Astrologen eine Abgabe leisten, die 111

vom Volk als Narrensteuer bezeichnet wurde. Sein Kampf gegen die Astrologen blieb ebenso wie sein aus politischen Gründen unternommener Kampf gegen das allzu mächtige Christentum erfolglos. Mit einem Edikt vom Jahre 303 befahl er die Ver­ nichtung aller christlichen Tempel und heiligen Schriften und es setzte eine 8-jährige Verfolgung aller Christen und Opfer­ verweigerer ein, die aber an der Zähigkeit und dem Heldenmut der Christen scheiterte, im Jahre 311 mußte sein Mitregent Galerius den Christen die Religionsfreiheit und die Wiederher­ stellung ihrer Kirchen zugestehen. Gerade diese Verfolgungen haben das Christentum so stark gemacht, daß es zu einem ent­ scheidenden politischen Faktor in den Machtkämpfen zwischen den Nachfolgern Diocletians, insbesondere zwischen F. Vale­ rius Constantinus und seinen Mitregenten wurde. Im Edikt von Mailand (313) vereinbarten Kaiser Konstantin und Kaiser Licinus die allgemeine Religionsfreiheit und beide bekannten sich zur Religion der höchsten Gottheit. 10 Jahre später erhob Con­ stantin, der alsbald Alleinherrscher wurde, das Christentum zur Staatsreligion, es sollte ein Reich und ein Glaube sein. Er blieb aber tolerant, duldete noch lange auch heidnische Kulte und be­ fragte bei der Gründung der neuen Hauptstadt Constantinopolis die Astrologen um den günstigsten Termin für die Grund­ steinlegung. Dies geschah also am 26. November 326, als die Sonne im Schützen und der Aszendent im Krebs war. Am 11. Mai 330 wurde die Stadt eingeweiht. — Unter Kaiser Konstantin und seinem Sohn Constantius schrieb der sizilianische Senator Firmicus Maternus seine „Mathesis“ oder 8 Bücher über die Sterndeutung, das einzige uns vollständig erhaltene lateinische Lehrbuch der Astrologie. Im 1. Buch beschwört Firmicus die Planetengötter, dem Kaiser und seinen Nachkommen die immerwährende Herrschaft im Reich zu verleihen; im 2. Buch legt er den Astrologen aber dringend nahe, Kaiser und Staat keine politischen Prognosen zu stellen und meint lobhudelnd, daß der Kaiser allein, gottgleich, nicht dem Lauf der Gestirne untersteht.

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Das Buch ist zum großen Teil aus Manilius, Dorotheos von Sidon und den älteren graeco-aegyptischen Lehrbüchern (Nechepso etc.) abgeschrieben und zeigt eine bemerkenswerte Un­ kenntnis in technischen Dingen, woraus viele Mißverständnisse entstanden. Interessant ist, daß er das Buch seinem Freunde M. Lollianus, dem kaiserlichen Statthalter von Campanien, ge­ widmet hat und daß er darin das Horoskop des C. Rufus Albinus bespricht, der Proconsul von Asien und Stadtpräfekt war. Es zeigt, daß trotz aller Verbote die Astrologie selbst in den höchsten Beamtenkreisen Anhänger und Förderer hatte. Wenige Jahre später verfaßte derselbe Firmicus Maternus eine Hetz­ schrift „Uber die Irrtümer der profanen Religionen", worin er den Kaiser Konstantius auf fordert, dieses Übel, nämlich die heidnischen Religionen, mit Stumpf und Stiel auszurotten. Dieser Gegenschlag blieb auch nicht aus, denn Konstantius erließ hin­ tereinander eine Reihe von Edikten, worin die Darbringung von Opfern verboten, die heidnischen Tempel geschlossen und den Auguren das Handwerk gelegt wurde. Sein Vetter Kaiser Julian (genannt der Abtrünnige) hob indessen alle Verbote gegen die heidnischen Kulte auf und wollte, - obwohl er im christlichen Geiste erzogen wurde, die alten Götter in ihrer klassischen Pracht und Schönheit wiedererstehen lassen. Im Neu­ platonismus und in der klassischen Kunst der Griechen suchte er sein Ideal, wobei ihm der „göttliche Jamblichus“ als Führer diente. Er ließ sich in alle möglichen Mysterienkulte einweihen und befaßte sich selbst mit Theurgie und Astrologie. Mit der Ungeduld eines geborenen Revolutionärs wollte er das von ihm idealisierte Heidentum wiederherstellen, doch bewahrte ihn sein früher Tod davor, den totalen Mißerfolg seiner Reformen zu erleben. Unter Kaiser Theodosius (379-395), dem Retter des Reiches, erging neuerlich ein Verbot der Astrologie, das er auch in seine große Gesetzessammlung (Codex Theodosianus) auf­ nehmen ließ. Wie wenig dieses Verbot nützte, zeigt ein Bericht des Historikers Ammianus Marcellinus über seinen Aufenthalt in Rom im Jahre 380. Er schilderte die verlotterte Geisteshal­ tung der römischen Aristokratie: „Sie leugnen die Götter, aber 113

sie gehen nicht auswärts speisen oder baden, ehe sie nicht die Ephemeride studiert haben“ (BLA. 570). In dieser Zeit erschienen trotz aller Verbote mehrere astro­ logische Lehrwerke, so der Sternkatalog eines „Anonymus von 374“, der korrigierte Längenangaben und eine Beschreibung der 360 Gradschicksale enthält, dann die Einleitung in die Stern­ deutekunst des Paulus von Alexandria (378 n. C.) (Hgg. von Neugebauer Leipzig 1958), die ihren Weg als „Pauluscha Siddhanta“ bis nach Indien gefunden hat, endlich das astrologische Kompendium des Hephaestion von Theben, das er im Jahre 381 geschrieben und seinem Freunde Athanasius gewidmet hat. Daraus und daß er die Hilfe „Gottes für sein Werk anruft“, glaubt man, daß Hephaestion Christ gewesen sei (Nach Engel­ brecht, Hephaestion u. a. astrol. Kompendium, Wien 1887). In dieser Zeit waren die Übergänge vom Heidentum zum Christentum schon so häufig, daß man bei vielen Schriftstellern nicht mehr weiß, schreibt er noch als Heide oder schon als Christ. Dazu gehörte auch der bereits im 3. Kapitel erwähnte Nonnos v. Panopolis, dann Claudianus, Ansonius, Boethius u. a. Um 420 schrieb Nonnos seine Dionysiaka, diesen astro­ logisch untermalten Schwanengesang der griechisch-römischen Götterwelt und einige Jahre später schrieb er eine Paraphrase des Johannes-Evangeliums. Bischof Synesios, der Schüler der ge­ lehrten Astronomin Hypatia, betrachtete die Astronomie als Vor­ stufe zum Christentum und hat ganz im neuplatonischen Geiste Hymnen gedichtet (Proben bei Geffcken, S. 220). Bischof Eu­ sebius v. Emesa mußte flüchten (380) als bekannt wurde, daß er ein Anhänger der Astrologie war. In dieser kritischen Zeit, da viele Christen und Kleriker offen oder heimlich Astrologie betrieben, erstand der gewaltigste Gegner der Astrologie und der bedeutendste aller Kirchenväter, der heilige Augustinus (354—430), der als Sohn eines heidni­ schen Vaters und einer christlichen Mutter in Tagaste (Nord­ afrika) geboren wurde. In seinen berühmten „Bekenntnissen“ gesteht er, daß er in seiner Jugend dem Manichäismus ergeben gewesen sei und fleißig die Astrologie studiert habe, durch die 114

Gnade Gottes habe er aber „die trügerischen Prophezeiungen der Sterndeuter und ihre gottlosen Albernheiten erkannt und verworfen“ (VII. 6.). In der Zeit, als Alarich Rom bestürmte, schrieb Augustinus sein großes geschichtsphilosophisches Werk „Vom Gottesstaat“, wo­ rin er neuerliche Angriffe gegen die Astrologie richtete. Im 5. Buch wirft er der Astrologie vor, daß sie durch die Erfah­ rung widerlegt sei, daß sie einander widersprechende Methoden verwende, daß sie atheistisch und das Werk böser Geister sei und daß das göttliche Vorauswissen den freien Willen nicht aus­ schließe, daß aber damit der astrologische Fatalismus unverein­ bar sei. Aber Augustinus ist über das göttliche Vorauswissen (Praescienz) weit hinausgegangen, er hat (im manichäischen Geiste) Gottesstaat und Weltstaat schroff einander gegenübergestellt und die restlose Vorherbestimmung (Prädestination des Schick­ sals der Menschen durch Gott) gelehrt, womit der Mensch ent­ weder zur ewigen Seligkeit (ohne eigenes Verdienst) oder zur ewigen Verdammnis (ohne eigene Schuld) von vornherein be­ stimmt ist. Wie Aristoteles in seiner Physik ungewollt den Astrologen ihr physisches Fundament gegeben hat, so hat Au­ gustinus durch seine Prädestinationslehre gerade dem späteren Fatalismus und Determinismus mancher calvinistischen und puritanischen englischen Astrologen den Weg geebnet.

Mit dem ganzen Grimm gegen seine einstige Jugendliebe be­ schimpfte er die Astrologie als „fornicatio animae“ und hat auch in seinen Streitschriften gegen die Pelagianer und gegen die Priszillianisten seine Angriffe auf die Astrologie immer er­ neuert. Diese heftigen Angriffe bestimmten auch die Kirche, schärfer gegen die Astrologie vorzugehen. Im Konzil von Laodicaea (381) wurde den Geistlichen verboten, sich mit Astrolo­ gie zu beschäften, das Konzil von Toledo (400) erklärte: „Wer die Astrologie oder Mathesis als glaubenswürdig ansieht, der sei verdammt“. Ein Beschluß des Konzils von Braga (563) be­ sagt: „Wer glaubt, daß die Seelen und die Körper von schick­ 115

salshaften Sternen abhängen, wie es die Heiden und Priszillianisten lehren, der sei verflucht“ (BLA). Die Verbote zeigen auch, wie tief die Astrologie in kirchliche Kreise eingedrungen ist und wie zäh sich neuplatonische astro­ logische Lehren erhalten haben. Der letzte bedeutende Neuplatoniker war Proklus (410-485), der die Schule von Athen leitete und außer Kommentaren zu Plato auch einen Kommentar und eine Paraphrase zur Tetrabibios des Ptolemaeus schrieb. Ein Schüler des Proklus war der Astrologe Heliodor in Alexandria, der ebenfalls einige astrologische Traktate schrieb, während sein Bruder Ammonias weitverbreitete Planetentafeln und Ephemeriden für astrologische Zwecke verfaßt hat. Im ähnlichen Sinne wirkte als aufgeklärter Naturphilosoph Julianus von Laodicäa, der einen für die Zeit von 450-500 verfaßten Sternkatalog schrieb und die Astrologie zu entmythologisieren suchte. Zwei weitere Astrologen der Spätzeit mögen diesen Reigen beschließen. Der aegyptische Astrologe Palchos, der um 500 ein Lehrbuch der Astrologie mit zahlreichen Horoskopbeispielen schrieb. Sein in der Bibliothek der Kalifen aufbewahrtes Werk wurde neuerdings fragmentarisch veröffentlicht (im CCAG) und der Astrologe Rhetorios, der um 490—520 in Byzanz wirkte und sich durch seine Sammlung älterer, zum Teil ver­ loren gegangener astrologischer Schriften verdienstvoll machte (Fragment in CCAG). Viele dieser Schriften sind durch die immer häufiger werdenden „Bücherverbrennungen“ durch kirchliche Behörden verloren gegangen. Eine solche fand statt z. B. in der phönizischen Stadt Beryitos, wo auf Geheiß des dortigen Bischofs anläßlich eines Prozesses gegen Zauberei eine Razzia auf alle magischen und astrologischen Bücher stattfand, die dann öffentlich verbrannt wurden. Nach der Teilung des römischen Reiches, das immer mehr von den anstürmenden Ger­ manen bedrängt wurde, wurden sowohl im weströmischen als auch im oströmischen Reiche drakonische Verbote gegen die Astrologie erlassen, die ihr den Rest gaben. Im Edikt von Ra­ venna ordnete Kaiser Honorius an, daß alle Astrologen, die sich nicht zum Christentum bekannte, aus allen Teilen des Reiches 116

ausgewiesen werden sollten. Der Verlust aller Lehrbücher und Hilfstafeln durch die eifrige Razzia nach solchen verbotenen Dingen rührte an den Lebensnerv der Astrologen. Den Gnaden­ schuß gab aber Kaiser Justinian ab, der nicht bloß die Astro­ logie, sondern auch ihre geistige Stütze, die neuplatonische Phi­ losophie, ausrotten ließ. Im Jahre 529 schloß Justinian die letzte Zufluchtsstätte der Philosophen, die Schule von Athen. In der um 533 publizierten Kodifizierung des gesamten römischen Rechts (corpus juris) wird allen „mathematicis, maleficiis et ceteris similibus“ die Todes­ strafe angedroht. In Scharen flohen nun Astrologen und Philosophen nach Persien, wo sie gastfreundlich aufgenommen wurden. In ostper­ sischen Gebieten (um Chiwa und Buchara) bildeten sich neue vom griechischen Geist erfüllte Kulturzentren, die auch das in­ dische und arabische Geistesleben befruchteten. So gelangte die arabisch-hellenistische Philosophie und Astro­ logie zu hoher Blüte und drang nach 400-jähriger Pause über Spanien und Sizilien erneut in das christliche Abendland ein. -

Literatur zum 3. und 4. Kapitel Die im Text genannten Quellenschriften und Monographien zu den einzelnen Autoren sind hier nicht mehr aufgezählt. Die wichtigsten, im Text benützten Abkürzungen betreffen 1. Die Realenzyklopädie des klassischen Altertums begr. v. R. Pauly, fortges. von Wissowa u. a., abgekürzt PW. 2. Den Catalogus codicum astrologorum graecorum (Katalog der in europäischen Bibliotheken vorhandenen Handschriften griechischer Astrologen mit Textproben und lat. Kommentar), abgekürzt CCAG. Brüssel 1899 ff. 12 Bde. 3. Bouch^-Leclerq, L'astrologie gr&cque. 1899; abgekürzt BLA. Boll F.: Kleine Schriften zur Sternkunde des Altertums. Hgg. von F. Stegemann. 1950. Boll F.: Sphaera. Neue griechische Texte und Untersuchungen zur Ge­ schichte der Sternbilder. 1903.

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Boll F. und C. Bezold: Sternglaube und Sterndeutung, die Geschichte und das Wesen der Astrologie. 3. (und 4.) Auflage hgg. von W. Gundel. 1926/1933, abgekürzt BBG. Cramer F. H.: Astrology in Roman Law and politics. I. Philadelphia. 1954. Cumont F.: Die orientalischen Religionen im römischen Heidentum. Deutsch von G. Gehridi. 1910. Cumont F.: L’Egypte des Astrologues. 1937. Fegustihre J. P.: La Evolution d’Herm^s Trism£giste. I. Astrologie et les sciences occultes. II. Le Dieu cosmique. 1944/49. Friedländer: Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms in der Zeit von Augustus bis zum Ausgang der Antonine. 4 Bde. 9. Aufl. hgg. von Wissowa. Geffcken I.: Der Ausgang des griechisch-römischen Heidentums. 1920. Gressmann H.: Die hellenistische Gestirnreligion. 1925. Gundel W.: Sterne und Sternbilder im Glauben des Altertums und der Neuzeit. 1922. Gundel W.: Sternglaube, Sternreligion, Sternorakel. 1933. 2. Aufl. von H. W. Gundel. 1959. Gundel W.: Neue astrologische Texte des Hermes Trismegistos. Funde und Forschungen auf dem Gebiete der antiken Astrologie und Astronomie. 1936. Gundel W. und S. Schott: Dekane und Dekansternbilder. 1936. Hopfner Th.: Orient und griechische Philosophie. 1925. Kerenyi K.: Mythologie der Griechen. 1951. Leisegang H.: Die Gnosis. 1924. Metman P.: Mythos und Schicksal. Die Lebenslehre der antiken Stern­ symbolik. 1936. Neugebauer O.: The exact science in Antiquity. 2. ed. Providence. 1957. Neugebauer O.: The history of ancient astronomy. (Journal of near East studies. January 1945.) Neugebauer O. und H. B. van Haesen: Greek Horoscopes. (The Ame­ rican Philosoph. Society). Philadelphia 1959. Nilsson H. P.: Geschichte der griechischen Religion. 2 Bde. München 1940 und 1951. Nilsson H. P.: The rise of astrology in the Hellenistic age. Lund 1943. Otto W..- Priester und Tempel im hellenistischen Aegypten. 2 Bde. 1904—08. 118

Pfeiffer E.: Studien zum antiken Sternglauben. 1920. Reitzenstein R.: Poimandres. Studien zur graeco-aegyptischen und frühchristlichen Literatur. 1904. Reitzenstein W. und 117. Schäder: Studien zum antiken Synkretismus. Aus Iran und Griechenland. 1928. Riedinger U.: Die heilige Schrift im Kampf der griechischen Kirche gegen die Astrologie. Innsbruck 1956. Thorndike Lynn: A History of magic and experimental science during the first 13 centuries of our Aera. 2 Bde. New York 1922. Baumgarten-Poland-Wagner: Die hellenistisch-römische Kultur. 1913. Balss H.: Antike Astronomie. Griechische und lateinische Texte, über­ setzt und erläutert. 1949.

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5. Kapitel DIE INDISCHE UND ARABISCHE ASTROLOGIE

A. Die Anfänge der indischen Astrologie

Moderne Hinduastrologen behaupten zwar, daß Indien die Urheimat der Astrologie sei und daß sich diese völlig unberührt von westlichen Lehren entwickelt habe. Indessen lehrt die ge­ schichtliche Forschung und ältere Astrologen wie Garga oder Waraha Mihira geben dies auch zu, daß die indische Sternkunde und Astrologie im wesentlichen von babylonischen und griechi­ schen Erkenntnissen beeinflußt wurde. Allerdings hat sie sich dann sowohl in weltanschaulicher als auch in technischer Be­ ziehung selbständig und eigenartig entwickelt. In den Weden und im Brahmanismus ist nichts von Astrologie in unserem Sinne enthalten, von reiner Horoskoptechnik und Deutungssystematik ist dort noch keine Rede (Scheftelowitz). Doch bestand seit alten Zeiten eine Art lunarer Astrologie, eine heimische Ausdeutung der Mondhäuser, die im Gesetzbuch des Mani, in einigen Sutren und in dem zwischen 300 v. - 500 n. C. redigierten Heldenepos Mahabharata erwähnt wird. Dort wird gesagt, daß jenes Nakschatram (Mondstation), in dem man ge­ boren wurde, von bleibender Bedeutung im Leben des Gebo­ renen ist. Im gleichen Epos wird erzählt, daß der König von Astrologen umgeben ist, es wird von den weisen „Yavanas“ (Joniern) und den tapferen „Romakas“ (Römern) berichtet und erklärt (MB. IX. 37), daß die Kenntnis der Astrologie von dem großen Seher Garga stammt, der in grauer Vorzeit gelebt haben soll. Einem Astrologen Garga, der frühestens im 2. vorchristlichen Jahr­ hundert gelebt haben muß, wird ein Lehrbuch, die Garga Samhita, zugeschrieben, das noch ganz nach altiranischer Lehre den 120

Kampf- und die Wirkungsweise der Planeten-Dämonen schil­ dert. Nach Garga soll die Astrologie nur religiösen Zwecken dienen, sie soll nur von kenntnisreichen Leuten (Brahmanen) zum Zwecke der Entsühnung des von den bösen Geistern ausgehen­ den verhängnisvollen Einflusses ausgeübt werden. Für diese Sühnezeremonie ist der Atharva Veda geschaffen worden. So war also diese älteste Form der indischen Astrologie nicht fata­ listisch, der Einfluß der Planetengeister konnte durch Sühne­ handlungen, insbesondere durch Planetenopfer (Grha) auf­ gehoben oder gemildert werden.

Der Philosoph Yadschna Walkya (benutzt wird hier die deutsche phonetische Schreibweise) sagt im Brhat-AranyakaUpanischad „Wer Glück erstrebt, bringt ein Opfer den Planeten dar. Welcher Planet einem ungünstig ist, den soll man andächtig verehren“. Im Volksglauben und in der Kriegerkaste hat sich allerdings ein handfester astrologischer Fatalismus eingeschlichen, der aber von den Brahmanen stets bekämpft wurde, weil er der Lehre vom Karma und der Reinkarnation widerspricht. Diese Lehre war und blieb bis zum heutigen Tage die ethische Grundlage der Hinduastrologie.

Karma, erscheint als Vergeltungskausalität und geistiges Prin­ zip in dreifacher Form. Als Samhita stellt sie die Summe oder das schicksalbringende Resultat der Taten in der vorhergehen­ den Inkarnation dar, sie erklärt dem Inder, warum auch gute Menschen soviel Ungemach und Leid erdulden müssen. Als Prarabadha bezeichnet sie die gegenwärtigen Handlungen, die einer­ seits vom vorhergehenden Karma beeinflußt werden, andrer­ seits aber aus Vernunft und freiem Willen, aus „Lebensgier“ neues Karma schaffen. Als Agami stellt sie das zukünftige Tun und Wollen, die Wünsche und Hoffnungen dar. Auch der brah­ manische Zeitbegriff Kala, der in der Form des Zerstörergottes Schiwa personifiziert wurde und als mächtige Schicksalsgottheit verehrt wurde, war unter dem Einflüsse astrologischer Lehren dem Karma untergeordnet. „Nur die Unwissenden - sagt der 121

Staatskanzler Tschanakya - halten das Schicksal für die höch­ ste Autorität; aber das Schicksal ist die Frucht des Karma“. Alle Lebewesen, vom Grashalm bis zu den Himmelsgöttern, unterliegen dem Gesetz des Karma, sie müssen ihm entsprechend von einer Existenz zur andern wandern, vom Sein bis zum Nichtsein. Auch der Weltprozeß geht nach ähnlichen kosmischen Pro­ zessen vor sich. Weltentstehen und Weltvergehen sind nur ein Tag im Leben Brahmas. Ein Tag Brahmas (Kalpa) umfaßt aber 1000 Maha Jugas oder große Weltalter und jedes Maha Juga setzt sich aus 4 Weltaltern oder Jugas zusammen. Diese werden, wie in der iranischen Mythologie, immer kleiner und die Men­ schen darin immer schlechter, bis endlich ein Erlöser oder Ava­ tar die Menschheit wieder aus dem Tiefstand der Erniedrigung emporhebt. So zählt das goldene Zeitalter (Krita Yuga), in dem die Men­ schen weise, friedvoll und glücklich leben, 4800 Götterjahre, das silberne Weltalter nur 3600, das eherne 2400 und das eiserne Weltalter oder Kali Juga, in dem wir jetzt noch leben, 1200 Götterjahre. Ein Götterjahr umfaßt aber 360 Menschenjahre, so daß ein Maha Juga 4 320 000 Menschenjahre enthält. Die Vor­ liebe der Inder für Riesenzahlen und unvorstellbare Zeiträume, ihre gänzlich ahistorische Veranlagung drückt sich auch in dem Bestreben aus, ihre heiligen Schriften, ihre großen Weisen, aber auch die Verfasser von astrologischen Werken in eine legen­ däre Urzeit zu verlegen. Im vorarischen Indien blühte um das Jahr 2500 v. C. eine hochstehende städtische Kultur, die wie die Funde von MohenjoDaro zeigen, einen sumero-babylonischen und elamitischen Einschlag zeigte. In dieses Gebiet drangen um etwa 1500 v. C. arische Stämme ein, die sich von ihren iranischen Brüdern ge­ trennt hatten, vom Industal süd- und ostwärts ausbreiteten und große Königreiche und eine national-indische Kultur schufen. Seit dem Alexanderzug (327 v. C.) drangen nun neben den vorhandenen babylonischen und iranischen Astral-Lehren in steigendem Maße auch griechische Gedanken in das indische 122

Geistesleben ein. Es entstanden im vorderen Orient griechische Dynastien und Königreiche und nach dem Friedensschluß des Königs Seleukos-Nikator I. mit dem indischen Erobererkönig Tschandragupta (315) setzte ein lebhafter griechisch-indischer Kulturaustausch ein, der einerseits von Megasthenes, dem Ge­ sandten des Seleukos, andrerseits vom Staatskanzler Tschanakya inauguriert wurde. Tschanakya, genannt Kautilya, war ein be­ rühmter Staatsrechtslehrer und hat nach Waraha Mihira auch über politische Astrologie geschrieben. Auch der Seher Garga muß nach seinen Sentenzen als Hofastrologe tätig gewesen sein. Waraha Mihira zählt in der Brhad-Dschataka eine große An­ zahl von Astrologen auf, wie Paraschara, Manitthu, Javanas, Satyacharyar, Dschivasarno etc. über deren Lebenslauf und Schriften aber nichts Näheres bekannt ist. Nur von Paraschara, dessen System auch Waraha Mihira im wesentlichen folgt, sind einige Werke handschriftlich vorhanden und ein Auszug da­ von, das sogenannte Kalamritam, das über die Einteilung und Auslegung von Planetenperioden handelt, wurde von Sepharial ins Englische übersetzt. * So war im 4.-6. Jahrhundert die Astro­ logie schon in hoher Blüte, es gab in Nordindien wie in Süd­ indien mehrere astrologische Schulen und Lehrweisen, die glei­ chermaßen von Anhängern des Brahmanismus und des Budd­ hismus anerkannt und benützt wurden. Als berühmtester und noch heute hochangesehener Astrologe und Astronom gilt Waraha Mihira, der am Hofe des Königs Wikramaditya lebte und auf der Sternwarte von Uschdschainy in den Jahren 540560 seine Beobachtungen anstellte. Wie Ptolemaeus das gesamte sternkundliche Wissen seiner Zeit in 2 Handbüchern, der rein astronomischen Syntaxis (Almagest) und der rein astrologischen Tetrabibios systematisch zusammengestellt hat, so hat auch Waraha Mihira, zunächst die 4 bekannten zwischen 350-400 n. C. verfaßten astronomischen Lehrbücher (die Siddhantas) in einem Fünfbuch (Pantschasiddhantika) zusammengefaßt, wäh­ * Weitere Schriften von Paraschara und anderen Autoren wurden von Krischna Rao ins Englische übersetzt und sind nun bei Kalyana, Bombay, zu haben.

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rend er die astrologischen Lehren in 5 Einzelschriften dargestellt hat. Es sind dies 1. die Brhad-Samhita, ein Lehrbuch der all­ gemeinen und natürlichen Astrologie, 2. die Brhad Dschataka, 3. das Laghu Dschatakam, d. h. das große und das kleine Lehr­ buch der Geburtsastrologie, 4. die Yoga Dschatras, oder Regeln der Stundenhoroskopie für militär-politische Zwecke und 5. die Wiwaha Patala oder Stundenhoroskopie für zivile und rituelle Zwecke.

B. Grundlehren und Anwendung formen Das Gesamtgebiet der Astrologie umfaßt nach W. Mihira drei Teile, einen rein mathematisch-technischen Teil, der unserer Astro­ nomie entspricht. 2. die natürliche Astrologie (Sanhita), die aus Vorzeichen aller Art Schlüsse und Prognosen allgemeiner, poli­ tischer, wirtschaftlicher oder meteorologischer Natur zieht, 3. die Horoskopie (Ahoratri oder Hora-Sastra), die sowohl Ge­ burtshoroskope als auch die sogenannte Muhurta-Astrologie um­ faßt; diese stellt, wie die griechische Katarchen-Astrologie, Ho­ roskope für einen gegebenen Termin oder sucht aus den Sternen die für ein geplantes Vorhaben günstigste Stunde zu ermitteln. Die indische Horoskoptechnik zeigt unverkennbar das helle­ nistische Gepräge. Weltanschaulich machen sich neben der indi­ schen Religion und Philosophie auch fremde hermetische und neu­ platonische Einflüsse bemerkbar. Die Planeten wurden zumeist als Wohnsitze guter oder böser Geister oder Götter betrachtet, die den Menschen nützen oder schaden können und die man durch Gebete, Opfer oder magische Mittel (Amulette, Talismane) günstiger stimmen kann. Andere, insbesondere buddhistische Astrologen, betrachten die Planeten lediglich als Vollstrecker des durch das Karma verhängten Schicksals, wieder andere sehen in den Planeten lediglich An­ zeiger des Schicksals oder Vorzeichen. Die 4 Hauptfaktoren der Stemdeutung: Planeten, Tierkreis­ zeichen, Häuser und Aspekte, wurden im wesentlichen von den 124

Griechen übernommen, aber der indischen Denkweise ent­ sprechend angepaßt. Die 7 Planetengötter, die im vielgestaltigen indischen Pan­ theon nur eine bescheidene Rolle spielen, sind nach W. Mihira Funktionen des großen Zeitmenschen (Kala Puruscha) und zwar stellt Sonne die Seele, Mond den Geist, Mars die Stärke, Merkur die Sprache, Jupiter die Weisheit, Venus den Wunsch und Saturn Kummer und Sorge dar. W. Mihira zählt hier die Planeten nach dem Schema der hellenistischen Planetenwoche auf. Obwohl die indischen Planetengötter alle männlichen Ge­ schlechts sind, gelten in der Astrologie Mond und Venus als weiblich, Sonne, Mars und Jupiter als männlich, Saturn und Merkur als doppelgeschlechtlich. Sonne und Mars regieren das feurige Element, Merkur die Erde oder das erdige Element, Venus und Mond das wässrige, Saturn das luftige und Jupiter das ätherische Element oder Akascha.

Nach den 3 Gunas oder Grundzuständen der Shankya-Philosophie, die in allen Körpern in verschiedener Mischung vor­ handen sind, beherrschen Sonne, Mond und Jupiter das SattwaGuna, d. i. das lichte, lebensfördernde Prinzip und das phleg­ matische Temperament, Merkur und Venus das antreibende und leidenschaftliche Radscha-Guna und das cholerische Tempera­ ment, Saturn und Mars aber das düstere, lebenshemmende Tamas-Guna und das melancholische Temperament. Der Sonnengott heißt Surya oder Rawi, ihm ist der Sonntag Rawiwara geweiht, der Mondgott Tschandra oder Soma, dem der Montag (Somawara) zugehört, hat außer seiner Gemahlin Sawitri oder Rohini noch 26 andere Frauen, mit denen er ab­ wechselnd sein Nachtlager (Nakschatram) teilt, es sind dies Personifikationen der 27 Mondstationen. Merkur heißt Budhi, er gilt als Sohn der Göttin Tari, doch über seine Vaterschaft streiten sich Mond und Jupiter, daher seine zwiespältige Natur, ihm ist der Mittwoch (Budhiwara) geweiht. Der Freitag Schukriwara ist dem Planetengott Schukri (Venus) geweiht, der als Lehrer der Dämonen und Beherrscher des Fortpflanzungstriebes 125

gilt. Der Dienstag heißt Mangalawara nach dem Planetengott Mangala (Mars), der eine Form des Kriegsgottes Kartikaya ist, er wird auch der rote Streitgott Lohita genannt und gilt als Sohn des Zerstörergottes Schiwa. Der Planet Jupiter heißt Brihaspati, d. i. Vater des Gebetes, er ist ein großer Weiser und Lehrer (Guru) der Götter, ihm ist der Donnerstag (Guruwara) geweiht. Saturn heißt Schani oder Manda, d. i. der Langsame, er ist ein Sohn des Sonnengottes und hält die Werkzeuge der Zerstörung in der Hand. Der Samstag heißt nach ihm Schaniwara. Jedem Planeten sind wie in der hellenistischen Astrologie eine große Anzahl von Ländern, Völkern und Gegenden, Be­ rufen, Kasten, Tieren, Pflanzen, Edelsteine etc. zugeordnet. Diese sind besonders in der politischen und der magischen Astro­ logie bedeutsam. Zu den 7 Planeten werden in der indischen Astrologie auch die beiden Mondknoten gerechnet, die zusammen die im indisch­ arischen Kulturkreis so beliebte Neunzahl bilden. - Der Schnitt­ punkt der nordwärts aufsteigenden Mondbahn mit der Ekliptik heißt Rahu, das Drachenhaupt, es gilt als günstig, der südwärts absteigende Mondknoten ist Kethu, der Drachenschwanz und gilt als bösartig und zerstörend. Die Bezeichnungen spielen auf einen Mythos an, wonach sich quer über die Ekliptik ein großer Drache lagert, der die Finsternisse verursacht und der sich unter die unsterblichen Götter mischen wollte, vom Sonnengott aber erwischt und enthauptet wurde. Der Kopf aber, der schon vom Somatrank getrunken hatte, blieb unsterblich. Die Namen und Symbole des Tierkreises wurden von der griechischen Astrologie übernommen, wie Mescha (Widder), Mithuna (Zwillinge), Simha (Löwe), Dhana (Bogen des Schützen), Kumha (Krug des Wassermanns), nur der Steinbock wurde zum Delphin (Makara). Auch die Einteilung in tropische, feste und gemeinsame Zeichen, sowie die Zuteilung der Zeichen zu den Körperteilen des großen Zeitmenschen wurden gemäß den griechischen Vorbildern gemacht. Aryabattha und Waraha Mihira benützten nur den tropischen Tierkreis, der mit dem Früh­ lingspunkt beginnt, andere Astrologen verwandten aber, viel­ 126

leicht in Anlehnung an den festen Zodiak der babylonischen Astrologen einen von der Präzession unabhängigen siderischen Tierkreis, der vom Fixstern Rewati (zeta piscium) seinen Aus­ gang nahm. Dieses siderische Zählsystem (Nirayana-Zählung) wird jetzt von den meisten Hinduastrologen benützt, während die Zählung nach dem tropischen Tierkreis (Sayana-System) nur rein astronomischen Zwecken dient. Der Längenunterschied bei­ der Tierkreise bzw. die Distanz des wandernden Frühlings­ punkts zum Ausgangsstern heißt Ayanamsa, er beträgt derzeit (1966) nach Dr.Raman 21’57’. Doch besteht darüber keine Einig­ keit, weil viele Schulen andere Ausgangspunkte und andereKoinzidenzjahre annehmen. Die 12 Zeichen (Rasi) des tropischen Tier­ kreises werden von den Brahmanen als die 12 Adityas oder Sprößlinge des Sonnenpfades bezeichnet. Jedes Zeichen wurde in 2, 3, 5, oder mehrere bis zu 60 Teilen zerlegt, die wichtigsten sind die Zeichendrittel oder Dekanate (indisch Drekannas), denen W. Mihira ein eigenes Kapitel (BJ. Kap. 27) widmete, in welchem er die Bilder der 36 Dekane nach einem verloren ge­ gangenen Buch des hellenistischen Astrologen Teukros beschreibt und die Zeichen-Neuntel oder Navamsas zu je 3’20’; da je vier von ihnen = 13’20’ den Umfang einer regulären Mondstation bilden. Die 27 Mondstationen haben in der indischen Astrologie, aber auch in der Liturgie und dem Opferritual eine ausschlaggebende Bedeutung und gehören, wie schon erwähnt, zu den ältesten Faktoren der indischen Sterndeutung. Ursprünglich waren sie von ungleicher Länge, später wurden sie aber in den Tierkreis so eingebaut, daß jede Mondstation 13’20’ (d. i. der durchschnitt­ liche Tagesweg des Mondes) umfaßt. Die Reihe der Mondsta­ tionen begann früher mit Krittika in den Plejaden, seit Waraha Mihira aber mit Aschwini (die Rossebändigerin), ihr liegt der Merkstern beta arietis zugrunde. Den Schluß bildet Rewati mit zeta piscium. Wie die Planeten und die Tierkreiszeichen be­ herrschen auch die Mondstationen eine Reihe von Ländern, Gegenden, Menschenklassen, Tieren, Pflanzen etc. und W. Mihira zählt in der Brhad Dschataka die Schicksale der Geborenen auf, 127

die eintreten, wenn der Mond bei der Geburt die betreffende Mondstation durchläuft. Die Errichtung eines indischen Horoskops geschieht heute zu­ meist noch in der Weise, wie sie von Manilius und den vorptolemäischen Astrologen beschrieben wurde. Man erhebt den Stand der Sonne am Tage oder Vortag der Geburt und zählt die seit der Geburt verflossenen Stunden, multipliziert mit ihrem Temporal-Stundenwert hinzu, der je nach der Polhöhe ver­ schieden ist. Wie Neugebauer in dem S. 32 zitierten Werk ge­ zeigt hat, benutzt Waraha Mihira noch dieselben Werte wie die Babylonier, obwohl die babylonischen Werte gar nicht für alle indischen Breiten passen.

Auch das System der 12 Orte oder Himmelshäuser (Bhava) wurde mit geringen Änderungen dem hellenistischen Dodekatropos nachgebildet. Das 1. Haus wird gebildet durch den eben aufsteigenden Ekliptikgrad (Aszendent, indisch Lagna) und be­ zeichnet den Körper des Menschen. 2. Reichtum. 3. Verwandte. 4. Freunde. 5. Söhne. 6. Feinde. 7. Gattin. 8. Tod. 9. Jugend. 10. Karma. 11. Gewinn und 12. Verlust. Jedes Haus hat einen ständigen Hauswächter (Karaka) und einen jeweiligen Herrn (Dispati), der das Tierkreiszeichen des betreffenden Hauses be­ herrscht. Die Zählung der Häuser geschieht im Gegensatz zu den westlichen Methoden im Uhrzeigersinn und zwar gilt nach Mihira das Zeichen, in dem der Aszendent sich befindet als 1. Haus, das nachfolgende Zeichen als 2. Haus u.s.f. Mihira sagt ausdrücklich, daß Zeichen (Rasi) und Haus (Bhava) gleichbe­ deutend sind (B. J. 1. Kap. Abs. 4.). Die Inder verwenden einen viereckigen Horoskopaufriß, in dem das linke obere Feld stets dem Zeichen Fische vorbehalten bleibt, weil ja darin der Aus­ gangsstern ihres Zodiaks liegt. Eingezeichnet wird nur das Lagna und die Namen der 7 Planeten. Spätere Astrologen wie Bhaskara haben eine astronomisch korrektere Häuser­ methode vorgeschlagen, bei welcher auch der kulminierende Ekliptikpunkt (MC) berücksichtigt wird und die so entste­ henden ungleichgroßen Quadranten in je 3 gleiche Teile zer­ 128

legt wurden. Diese Teilpunkte bilden aber nicht die Anfänge (sandhi), sondern die Mitten (mahdi) der Häuser, doch konnte sich dieses Schema gegenüber der einfachen Methode des Mihira nicht durchsetzen. Als 4. Deutungsfaktor kommen die Aspekte und die Planeten­ stellungen (Yogas) in Betracht. Die 5 Hauptaspekte wurden von der hellenistischen Astrologie übernommen, haben aber gegen­ über den Planetenstellungen, die sich aus Kombination von Planet, Zeichen und Haus ergeben eine untergeordnete Bedeu­ tung. Mihira sagt, daß der Astrologe Yavanas 1800 vorzügliche Stellungen oder Nabascha Yogas beschrieben habe, er begnügt sich aber mit 36 Yogas, die alle ihre besonderen Namen und Be­ deutungen haben. Die praktische Verwendung aller dieser Lehren, also die Kunst der Auslegung, erfordert ein hohes Maß von Wissen, Menschen­ kenntnis, Kombinations- und Einfühlungsgabe und schon in den ältesten Zeiten mußten sich die gelehrten Astrologen von den Pfuschern und Schwindlern distanzieren. So sagt der große Seher Garga: „Ein Mensch, der ohne wissenschaftliche Vor­ bildung das Gewerbe eines Astrologen ausübt, ist ein Bösewicht und eine Schande für die menschliche Gesellschaft... Aber einen Mann, der recht eigentlich sich auf die Horoskopie, Astro­ nomie und natürliche Astrologie versteht, den soll der König ehren und sich seine Dienste sichern“ (Zit. nach Mohr. S. 72). Die universelle Auslegung erstreckt sich auf allgemeine poli­ tische, militärische, wirtschaftliche und meteorologische Progno­ sen, wobei auch die Finsternisse, Kometen und sonstige Vor­ zeichen am Himmel herangezogen werden. Den allgemeinen Charakter beurteilt man aus der Natur und Stellung des Jahres­ regenten, der entweder einen planetaren Siebenerzyklus oder gemäß der babylonischen Dodekaeteris aus dem Zwölferjahr­ zyklus der Tierkreiszeichen und dem Herrn dieses Zeichens ent­ nommen wird. Die individuelle Auslegung des Geburtshoroskopes und der darauf bezüglichen Hilfs- und Stundenhoroskope umfaßt den gesamten Lebenslauf des Menschen von Empfängnis und Geburt bis zum Tode des Menschen, die Bestimmung der 129

Lebensdauer und gibt minutiöse Vorschriften für die täglichen Verrichtungen, Opfer, Körperpflege, Beischlaf, Geschäftsab­ schlüsse, Antritt von Reisen, u.v.a. Außerdem gibt die Hindu­ astrologie aber auch Auskunft über das Leben des Menschen vor der Geburt und nach dem Tode, gemäß der Lehre vom Karma und der Reinkarnation, diesem Kernstück der indischen Astro­ logie. So stellt auch Mihira gleich zu Beginn der Brhad Dschataka den lapidaren Satz auf: „Die Wissenschaft der Horoskopie beruht auf der Wirkung der guten und schlechten Taten der Menschen in ihren vorhergegangenen Geburten“. Aus dem 5. Hause kann geschlossen werden, aus welcher der 3 Regionen (Götter-, Menschen- oder Tierwelt) der Mensch kommt und wel­ chen Rang er darin hatte. Das 10. Haus schildert das gegen­ wärtige und neu hinzukommende Karma, aus dem 6. und 8. Hause folgert man, wohin, in welches der 3 Reiche der Mensch gemäß seinen Taten und seinem Karma kommen wird. So stehen nach Ansicht der Maharischis (großen Weisen) Karma, Schicksal und freier Wille in festem, funktionalem Zusammenhang.

C. Weitere Entwicklung der indischen Astrologie

Während die indische Astronomie und Mathematik sich stetig weiter entwickelte und durch Erfindung des Ziffemschreibens und des Stellenwertsystems eine Großtat des menschlichen Gei­ stes vollbrachte, hat die indische Astrologie seit der Zeit der großen Lehrmeister wie Paraschara, Dschaimini, Aryabattha (478), Waraha Mihira (550) und Brahmagupta (650) nur ge­ ringe Fortschritte gemacht. Man erschöpfte sich in Kommen­ taren zu den großen Meistern und den astronomischen Lehr­ büchern (Siddhantas), die allerdings umso nötiger waren, als die klassischen Werke meist in äußerst konzentrierter Form und in Sanskritversen (Slokas) abgefaßt waren. Die von den Brahmanen vertretenen und verteidigten astro­ logischen Lehren wurden auch von den Anhängern Buddhas und des 2. Reformators des Mahaviri Vardhamani, also der Dschai130

nisten, im wesentlichen übernommen, das Kernstück der indi­ schen Astrologie, die Lehre vom Karma und der Reinkarnation, blieb allen gemeinsam. Seit dem Jahre 705 drangen immer mehr arabische Heerscharen in Indien ein, im Jahre 1000 erstürmte Sultan Mahmud Delhi, bald darauf erstand in Lahore ein is­ lamisches Reich und im Jahre 1198 wurde Delhi Hauptstadt und kulturelles Zentrum aller islamischen Reiche in Indien. Dadurch kam es trotz aller kriegerischen Auseinander­ setzungen zu einem regen arabisch-indischen Kulturaustausch. Schon im Jahre 770 hat der indische Gelehrte Kanaka dem Kalifen Almansor die indischen astronomischen Lehrbücher überbracht und hat in arabischer Sprache über die Mond­ stationen geschrieben. Ums Jahr 1000 bereiste der persische Ge­ lehrte Albertmi Indien und verfaßte in arabischer Sprache einen ausführlichen Bericht über Indiens Religion, Philosophie, Stern­ kunde und Mathematik, worin er auch die Astrologie nach den Lehren Waraha Mihiras darstellte. Um 966 wirkte der Astrologe Bhatta Utpala, der einen großen Kommentar zur Brhad Dschataka des Waraha Mihira schrieb (er ist auch in Iyers Ausgabe enthalten). Um 1150 ver­ faßte der Mathematiker und Astronom Bhaskara seinen Siddhanta Siromani, ein astronomisches Lehrbuch mit Anleitung zur Berechnung und zum Gebrauch von Planetentafeln, worin er auch die schon erwähnte Verbesserung der Horoskoptechnik vorschlug. Während so Kanaka, Alberuni u. a. den Arabern indisches Wissen vermittelten, machten arabische, persische und syrisch­ jüdische Gelehrte, die am Hofe des Sultans lebten, die indischen Gelehrten mit der hellenistischen, bzw. byzantinischen Astrolo­ gie vertraut. Diese 3. Periode der indischen Astrologie, die sich durch Vermischung mit persischen und griechischen Lehren cha­ rakterisiert, nannte man die Zeit der Tadschika-Astrologie (Tadschik = Perser). Ihre Hauptvertreter waren zumeist musel­ manische Inder wie Balabadhra und Ballalaseni, die um 1150 wirkten. Ihrem Einfluß ist auch die Anfertigung von (meist noch recht ungenauen) Planetentafeln oder Anleitungen dazu zu ver­ 131

danken, wie sie von Maharanda (1478), Ganesha (1520) u. a. verfaßt wurden. Die Großmoguln, wie Kaiser Akhbar (um 1570) und sein Sohn Kaiser Aureng-Zeb, beriefen viele auslän­ dische Gelehrte an ihren Hof und förderten auf jede Weise in­ dische Kunst und Wissenschaft; sie suchten auch den Gegensatz zwischen Islam und Hinduismus zu mildern. Damals wirkte auch der berühmte Hofastrologe Maulana Chand, der ebenso wie seine europäischen Kollegen die Horoskope aller arabisch­ indischen Fürsten seiner Zeit berechnet hat. Ein großer Förderer der reinen Sternkunde war der Maha­ radscha von Dschaipur, Sawai Dschaisingh II., der viele euro­ päische astronomische Instrumente kommen ließ und sich um die Verbesserung der Planetentafeln sehr bemühte. Als aufgeklärter Fürst war er Gegner der Astrologie und bekämpfte viele damit verbundene abergläubische Bräuche, hatte aber damit wenig Er­ folg, denn die Astrologie war stets - und ist es noch heute eng mit der Hindureligion, der Liturgie und dem Opferritual verbunden und wurde von der brahmanischen wie der budd­ histischen Priesterschaft stets verteidigt (Weiteres siehe im 9. Ka­ pitel).

D. Einleitung in die arabische Astrologie

Unter der Bezeichnung „arabische Astrologie" werden hier die Lehren verschiedener Völker, wie Perser, Syrer, Araber, Tür­ ken, Mongolen, Juden etc. verstanden, die unter der Botmäßig­ keit muslimischer Herrscher standen oder in ihren Reichen be­ heimatet waren und zumeist in arabischer Sprache schrieben. Räumlich erstreckt sich die arabische Astrologie auf große Teile von Indien, Indonesien, Persien, Armenien, Mesopotamien, Syrien und Kleinasien, auf Aegypten und Nordafrika, wie auch auf das südliche Europa, Spanien, Südfrankreich, Sizilien und den Balkan. Zeitlich verteilt sich die arabische Astrologie auf ca. 800 Jahre von 750-1550, wobei allerdings nur die gelehrte 132

Astrologie gemeint ist, denn die populäre Sterndeuterei wird noch heute, besonders im Yemen eifrig praktiziert. Die arabische Astrologie ist sohin ein Mischprodukt aus indi­ schen, persischen, syrisch-jüdischen und griechischen Lehren, de­ ren Darstellung sehr erschwert wird, da mit Ausnahme einiger Schriften von Al Kindi, Albattani und Alcabitius „alle Original­ texte der arabischen Astrologie noch ungedruckt sind“ (Nallino in der Enzyklopädie des Islam I. 516). Die mittelalterlichen spanischen und lateinischen Übersetzungen sind aber sowohl in sprachlicher als auch in technischer Hinsicht äußerst mangel­ haft. Auch hat die verschiedenartige Schreibweise der Namen oft zu Verwechslungen geführt, weshalb hier zumeist die im Mittelalter gebräuchlichen latinisierten Eigennamen benutzt werden, doch werden die richtigen Namen nebst ihren „Nesbis“ (Her­ kunftsbezeichnungen) in Klammern beigesetzt. Arabische Schriftsteller wie El Scharasthani oder Al Dimischki (um 1130) berichten, daß bei den vorislamitischen Arabern Vielgötterei, Gestimkult und Fetischglaube geherrscht habe, besonders auch die Verehrung heiliger Steine. Dies erklärt sich zum Teil aus den nächtlichen Wanderungen der Wüsten­ völker, bei denen die Sterne und merkwürdig geformten Fels­ blöcke oft die einzig sicheren Führer durch die Wüste waren. Später wurde es Brauch, alle Gestirnanbeter als Ssabier zu be­ zeichnen, obwohl dies eigentlich nur auf eine syrische, im Harran lebende mandäische Gemeinschaft zutrifft, die ihre Religion auf den babylonisch-hellenistischen Gestirnkult aufgebaut hatte. Diese Ssabier, zu denen bedeutende arabische Astrologen wie Thabit ben Kurra und Albattani gehörten, glaubten an einen Weltschöpfer, zu dem man nur durch die Vermittlung der ober­ sten Geister gelangen könne, die ihre Kräfte auf die 7 Planeten herablassen, wodurch die physische Welt gelenkt werde. Die Pla­ neten werden als Väter, die Elemente als Mütter bezeichnet und in prachtvollen Tempeln wurden den Planeten Opfer gebracht.

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E. Der Islam und die Sterndeutung Die mandäische Sekte der Ssabier, sowie die gebildeten Schichten der arabischen Gestirnanbeter strebten immer mehr einem reinen Monotheismus zu, dem Glauben an den einen Gott und der Lehre des Erzvaters Abraham. Von Ismael, dem Sohne Abrahams und der Hagar leiten die Muslims ihren Ur­ sprung ab. Aus einer solchen Sekte, die sich die „Hanifen“ oder Reinen, nannten, ist Mohammed (geb. 571 in Mekka) hervorgegangen. Er war bestrebt, die alte Gotteslehre, die schon Adam, Noah und Abraham hatten, und von den Propheten einschließlich Isa (Jesus Christus) verkündet wurden, wieder in ihrer Reinheit, befreit vom Sternaberglauben und den jüdischen und christlichen Irrtümern, herzustellen. Im Koran (6. Sure) schildert Mohammed selbst diesen Läute­ rungsprozeß, wo Abraham, nachdem er irrtümlich Sonne und Mond verehrt hatte, endlich erkannte: „Siehe, ich wende mein Angesicht lauteren Glaubens zu dem, der Himmel und Erde ge­ schaffen hat und nicht gehörte ich zu denen, die Gott Gefährten geben“. Im Koran wird gelehrt, daß Allah der allmächtige und all­ wissende Gott alles nach seinem Ratschluß geordnet und vorher­ bestimmt habe und daß der Mensch demutvoll sich in den Wil­ len Gottes ergeben soll. Diese völlige Ergebung in den Willen Gottes heißt eben „ISLAM“. So ist der Islam wohl eine Reaktion gegen den altarabischen Gestirn- und Fetischkult, doch hat sich Mohammed selbst nie ganz vom Glauben an die Macht der Gestirne befreien können, wie zahlreiche Stellen im Koran (Sure 15, 81 u. a.) zeigen. Die Lehre von der Vorherbestimmung des Schicksals stützte einen astrologischen Fatalismus, gewisse Kultvorschriften, wie die Festsetzung der Gebetsrichtung (Kibla) und die von den Jahreszeiten abhängigen Termine für die Gebetsstunden mach­ ten gewisse astronomische Kenntnisse nötig. So wurde die Astro­ nomie bei den Arabern sehr gefördert, sie waren gute Himmels­

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Beobachter und Rechner und geschickt in der Anfertigung von Sonnenuhren, Astrolabien und anderen astronomischen Geräten. Die Sterndeutung war im Koran nirgends ausdrücklich ver­ boten, soweit man die Sterne lediglich als Anzeiger des gött­ lichen Willens betrachtete und den Prognosen keinen zwingenden Charakter zuschrieb. Die Sterndeuter pflegten daher ihre Vor­ hersagen meist mit dem Zusatz einzuschränken: „Jedoch Gott weiß es besser“ oder „Aber bei Gott allein ist die Wahrheit“. In diesem Sinne wurde die Astrologie auch am Hofe der Ka­ lifen gepflegt und von vielen muslimischen Fürsten gefördert. Noch um 1520 hat der muslimische Theologe Al Sachawi die Stellung der Sternkunde und Sterndeutung zum Islam klar um­ rissen. Er sagte: „Notwendig ist das Studium der Sternkunde wegen der Kenntnis der Zeiten für den Gottesdienst. Anempfohlen wegen der Beweise für das Vorhandensein, für die Allmacht und Allwissenheit Gottes; erlaubt wegen des Einflusses der Gestirne auf Grund ihres Laufes, nicht aber auf Grund ihrer Natur: gemißbilligt wird der Glaube an den Einfluß der Gestirne wegen ihrer Natur; verboten der Glaube an die unabhängige Wirkung der Gestirne und ihre Anbetung“ (nach Zinner zitiert). Eine rein Zeichen deutende, nicht physisch begründete und nicht fatalistische Astrologie war also von der islamischen Orthodoxie erlaubt, damit ließ sich aber nicht die vom Neu­ platonismus durchhauchte Naturphilosophie und Mystik der Perser und Araber vereinen. Dies mußte auch der neuplatonische Philosoph und Astronom Al Kindi erfahren, der unter den Angriffen der Orthodoxie viel zu leiden hatte und es nur seinem Ansehen als Astrologe ver­ dankte, daß man ihn am Hofe der Kalifen duldete. Al Kindi lehrte, daß zwischen Gott und der Körperwelt die Weltseele sei, die die himmlischen Sphären lenkte. Die mensch­ liche Seele sei ein Ausfluß der Weltseele und sofern sie an die Verfassung und Mischung des Körpers gebunden sei, sei sie von der Wirkung der Gestirne abhängig, ihrem geistigen Ursprung nach sei sie aber frei, denn nur in der Welt der Vernunft gebe 135

es volle Freiheit und Unsterblichkeit. In ähnlicher Weise lehrte Al Farabi (870-950), der der verfolgten freidenkerischen Seite der Mutaziliten angehörte und der neuplatonische Emanations­ lehre mit aristotelischer Physik zu verbinden suchte. Unter dem Einfluß hermetischer und gnostischer Lehren haben sich auch in Persien Sekten gebildet, die eine innigere Auffassung des Ver­ hältnisses zwischen Gott und Mensch lehrten als der Koran. Da­ zu gehörten die Sufis, persische Derwische, die nach ihren wolle­ nen Kleider (suf) so genannt wurden, auch die persischen Dichter Hafis und Omar Khayyam, und die Mystiker Bestani, Dschumaid und der Scheich Mewlana Dschelal ed din Rumi (f 1273) gehörten dazu. Letzterer schrieb eines der bedeutendsten Werke der persischen Mystik, das Mesnevi, das sich auf 3 Säulen stützt: den Koran in freier Auslegung, die griechische Philosophie und die Weisheit Indiens. Die ganze Welt ist ein Trugbild und hinter dem äußeren Schein, auch hinter den sichtbaren Gestirnen stehen geistige lenkende Urwesen. So heißt es (nach der Übersetzung von F. Rosen): Der Stern, dem jeder Mensch anheimgegeben bestimmt sein Tun, beherrscht sein ganzes Leben; Steht Venus in dem Horoskop, so neigen die Sinne sich zu Spiel und Lieb’ und Reigen Steht Mars in ihm, so dürstet heiß nach Blut der Mensch und sucht nach Streit und Kampfesglut. Doch ob den Sternen andere Sterne blinken die nicht verbrennen, nicht vergeh’n und sinken. Ein anderer, ebenfalls von der islamischen Orthodoxie ver­ folgter Geheimbund waren die „Aufrichtigen“ oder „Lauteren Brüder“, die im 10. Jahrhundert in Basra wirkten. Sie haben das ganze Wissen ihrer Zeit in 51 Traktaten niedergelegt, worin auch einige naturphilosophische und astrologische Probleme be­ handelt wurden. Darin gingen sie von den aristotelischen Grundbegriffen, Form, Materie, Raum, Zeit, Bewegung aus und lehrten, daß die Gestirne fest an ihren homozentrischen Sphären haften, daß aber ihre Bewegung lediglich auf dem Zurück­ bleiben ihrer Sphäre gegenüber der rasch laufenden ersten be­

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weglichen Sphäre, dem „Primum Mobile“ beruht. Je weiter die Sterne vom Erdzentrum entfernt sind, umso geringer ist das Zu­ rückbleiben, also hat der Saturn die schnellste Bewegung seiner Sphäre, der Mond die langsamste Bewegung, da er um volle 13 Tage hinter der Bewegung des Primum Mobile zurückbleibt, ganz ohne Bewegung steht endlich die Erde im Zentrum des Kosmos. Die Gesamtheit aller Sphären wird nach dem Willen Gottes von der Weltseele gelenkt, sie verhalten sich wie die Glieder des menschlichen Organismus, der von der menschlichen Seele gelenkt wird. Den 7 Wandelsternen entsprechen sonach 7 schaffende Kräfte, auf denen das Wohlsein des Menschen be­ ruht, es sind dies die ziehende, die haltende, die Gärung her­ vorbringende, die stoßende, die nährende, die Wachstum ver­ leihende und die formbildende Kraft und jede der 7 Kräfte hat ein bestimmtes Eintrittsorgan, von wo sie aus die übrigen Kör­ perteile durchdringen, es sind dies Magen, Herz, Lunge, Gehirn, Leber, Milz und Galle. - Dann werden die übrigen Eigenschaften der 7 Planeten und der 12 Zeichen nebst ihren Entsprechungen im Tier-, Pflanzen- und Mineralreich beschrieben.

F. Die Elemente der arabischen Astrologie Die Grundlage der arabischen Astrologie bildet sohin die aristotelische Kosmologie, nach der alles Werden und Vergehen durch die Bewegung der Gestirne bedingt ist. Der dynamische Charakter der arabischen Astrologie, die das Hauptgewicht auf die Erfassung der Rhythmik und Dynamik des menschlichen Lebenslaufes wie auch des Weltlaufes legt, zeigt sich schon in ihrer Gliederung und Terminologie. Die Astrologie heißt „Ilm al akham al Nudschum“, d. h. Wissenschaft von den Beschlüssen der Gestirne, sie gliedert sich in 3 Teile: a) die interrogationes (arab.masa-il) oder Frageastrologie, b) die electiones (ikthiyarat) oder Stundenwahl und c) die revolutiones annorum (tawahil) oder Umlauf der Jahre, die als Umlauf der Weltenjahre Gegen­ stand der historisch-politischen Astrologie sind und als Umlauf 137

der Lebensjahre Gegenstand der individuellen Astrologie oder Geburtshoroskopie sind. Die wesentlichen Elemente der arabischen Horoskoptechnik wurden aus der hellenistischen Astrologie übernommen, lediglich das System der Himmelslose oder bedeutsamen Punkte wurde von Albumasar u. a. mehr ausgebaut und die Mondstationen in den Tierkreis eingebaut, aber nicht wie die Inder zu 27 Stationen a 13°20’> sondern zu 28 Stationen ä 12°51’26”. Sie sind wie die Dekane nur Teile des tropischen Tierkreises und somit von der Präzessions-Umrechnung nicht abhängig. Daher sagt auch Albu­ masar: „Die Gestalten, die in den Dekanbezirken aufsteigen, kommen keineswegs am Himmel wirklich vor, sondern sie sind gemäß der Erfahrung erdacht worden; sie sind diesen Bezirken inhaerierend eigen und weichen nicht von ihren Plätzen zurück“. Dagegen hat Albumasar den Fixsternkatalog des Ptolemaeus auf seine Zeit (850) umgerechnet und viele von den Arabern ein­ geführte Fixsternnamen wie Beteigeuze, Rigel, Aldebaran sind noch heute in Gebrauch. Eine wesentliche Ausgestaltung hat die Horoskoptechnik er­ halten. Die arabischen Astrologen und Mathematiker haben mit unglaublicher Anpassungsfähigkeit das abstrakte Denken der Inder und die griechische Mathematik zu verbinden gewußt. Sie haben dem Abendlande die „arabischen Ziffern“, die Null und das dezimale Stellenwertsystem, eine Denkmaschine von unge­ heurer Bedeutung überbracht, die im Mittelalter nach dem Ma­ thematiker Muhammed ibn Musa al Chwarizm ALGORITH­ MUS genannt wurde, weil er erstmalig darüber und über die „ALGEBRA“ berichtet hat. Damit wurde das umständliche Rechnen mit den römischen Ziffern und dem Rechenbrett er­ spart. Die horoskoptechnische Leistung der Araber erstreckte sich auf die Lösung von 3 Aufgaben: a) die astronomisch korrekte und trigonometrisch berechnete Darstellung des Horoskopge­ rüstes, insbesondere die richtige Bestimmung der Zwischenhäuser, nachdem Ptolemäus nur die Berechnung der 4 Eckpunkte gelehrt hatte. Die Araber suchten dies auf zeitlich-algebraischem Wege durch Proportionierung der halben Tagbogen, bzw. der Auf138

Steigungszeiten der Zeichen oder auf geometrischem Wege durch Einführung von Positionskreisen zu erreichen. (Näheres über diese Hauskonstruktion findet man in dem von Dr. Koch und mir verfaßten Werk „Horoskop und Himmelshäuser“.) b) das zweite Problem war die Berechnung von Ereigniszeiten mit Hilfe des Direktionsbogens (Tasyr), d. h. jenes Äquatorstükkes, das ein als laufend gedachter Planet oder Himmelspunkt zu einem als stillstehend gedachten Planeten oder Himmelspunkt zurückzulegen hat, gemäß der Drehung des Globus bzw. im scheinbaren Tageslauf, c) zur Vereinfachung dieser oft kompli­ zierten Rechnungen haben die Araber kunstreiche Astrolabien mit eingelegten Tasyrscheiben und Stundenkurven konstruiert, nach denen man Häuserspitzen und Direktionsstellen direkt ab­ lesen konnte.

G. Anwendungs- und Mischformen Die Grundlage der Auslegung des Horoskops bildeten die Werke des Ptolemaeus und das damals noch vollständige Fünf­ buch des Dorotheos von Sidon, weiter die Kommentare von Alcabitius und Haly und viele Spruchsammlungen, die unter dem Namen des Hermes, des Ptolemaeus, des Kalifen Almansor u. a. berühmter Personen erschienen und Regeln hellenistischer, jüdischer und arabischer Astrologen zusammenfaßten. Neben der Geburts- und der Stundenastrologie, die ganz nach hellenistischen Rezepten praktiziert wurde, trat hier besonders die magische Astrologie hervor, die in Anrufungen und Beschwö­ rung der Planeten- und Elementargeister und in der Anfertigung wirksamer Amulette und Talismane bestand. Thabit ben Kurra sah sogar in der Amulettkunst den Gipfel der Astrologie und der Philosoph Al Kindi hat in seinem Werk „Theorie der Zau­ berei oder über die Sternstrahlen“ eine ganz modern anmutende Begründung ihrer Wirksamkeit zu geben versucht. Wenn man zur richtigen Zeit, am richtigen Ort den richtigen Planeten mit den seiner Natur entsprechenden Metallen und Charakteren 139

verbindet, entsteht eine überaus wirksame Anhäufung von siderischen Kräften, die, verbunden mit dem innigen Verlangen nach Erhörung und der Kraft der Imagination, die heilsame Wirkung verbürgt. Während die Amulette eine Art passiven Schutzzauber darstellen, sind die Talismane (vom griech. telesma) ein aktiver Bannzauber, womit man sich die Sterngeister oder Dschins aller Art für gewisse Zwecke dienstbar machen will. Sie haben ihr Vorbild in den hellenistischen Zauberbüchern und solche magischen Vorschriften sind auch im sogenannten „Picatrix“, einem arabischen Zauberbuch, enthalten, das, wie wir noch sehen werden, in der mittelalterlichen Astrologie eine be­ deutsame Rolle spielte. Ebenso bedeutsam war die Verbindung der Astrologie mit der jüdischen Geheimlehre, der Kabbalah. Diese mit Buchstabenund Zahlenmystik reichlich durchtränkte Lehre will nicht bloß den Leib, sondern auch die Seele der Worte, insbesondere den geheimen Sinn der Worte der Bibel erschließen. Dies geschieht durch die Gematria u. a. Künste, wodurch man Worte in Zahlen und Zahlen wieder in Worte umwandelt. Die 10 Namen der Erscheinungsformen Gottes (Sephiroth) wurden mit den 10 Himmelssphären verbunden, den 22 Buchstaben des hebräi­ schen Alphabets entsprachen räumlich die 3 Elemente, 7 Plane­ ten und 12 Tierkreiszeichen und zeitlich die 3 Jahreszeiten, 7 Wochentage und 12 Monate. Mit Hilfe dieser kabbalistischen Astrologie konnte man aus dem Namen des Geborenen und der zur Zeit herrschenden Stunden-, Monats- und Jahresregenten ein Kabbalistisches Horoskop entwerfen, das mit dem aktuellen Gestirnstand gar nichts gemein hatte. Vertreter dieser kabbali­ stischen Astrologie waren die Juden Jakob ben Tarik, Abraham Ibn Esra, Ibn Gabirol und Abraham Zacuto, der Hofastrologe des Königs Manuel von Portugal gewesen ist. Die arabische Adaption der Kabbalah erfolgte besonders durch den gelehrten Albuni (Muhyl ed din Abbas Achmed al Buni, d. h. aus Bona in Algerien gebürtig), der in seinem berühmten Buche „Sir al Hakim“ (Geheimnis des Weisen) die 99 Namen Allahs, die Buchstaben des arabischen Alphabets entsprechend gedeutet und 140

Anweisungen zur Herstellung magischer Quadrate und Amulette gegeben hat. Eine weitere typische Mischform ist die Verbindung der Astrologie mit der Geomantie oder Punktierkunst, deren Erfindung dem Astrologen Omar Tasmir zugeschrieben wird, der zur Zeit des Kalifen Harun al Raschid lebte. Sie wurde von Al Zahali zu einer besonderen „Sandwissenschaft“ (ilm al rami) ausgebaut, so genannt, weil man gewisse aufs Geratewohl in den Sand gezeichnete Figuren zu deuten versuchte. Auch hier mußte der „richtige Moment“ für die Frage an das Schicksal gewählt werden, um Erfolg zu versprechen, d. h. es wurde die Geomantie mit einem Stundenhoroskop, eventuell auch mit dem Geburtshoroskop verbunden. In diesem Sinne hat Albohali eine „irdische Sterndeutekunst“ oder astrologia terrestris geschrie­ ben, die noch im Jahre 1705 ins Deutsche übersetzt wurde. (Be­ kanntlich war König August II. von Sachsen ein eifriger Punk­ tieren) Einen bedeutenden Nachhall hat die arabische Astrologie durch ihre astrologischen Geschichtskonstruktionen gefunden, insbesondere durch ihre Lehre vom Einfluß der großen Konjunk­ tionen auf Entstehen und Vergehen von Weltreichen und Welt­ religionen. Unter großer Konjunktion versteht man das Zusammen­ treffen der größten Planeten Jupiter und Saturn im gleichen Längengrad. Solche Konjunktionen finden nach mittlerer Be­ wegung rund alle 20 Jahre statt, wobei der Konjunktionspunkt rückläufig ca. 243 Grade zurücklegt, also mit dem vorhergehen­ den Punkt ein „Trigon“ oder Dreieckaspekt, bildet. Fällt eine solche Konjunktion z. B. in den 1° Widder, so wird die nächste in 1° Schütze, die dritte in 1-2° Löwe sein. Nach 200 Jahren finden die Konjunktionen nicht mehr in den Feuerzeichen, bzw. im feurigen Trigon statt, sondern in den irdischen Zeichen und nach 800 Jahren (in mittlerer, oder nach 960 Jahren in wahrer Be­ wegung) kommt die Konjunktion wieder in das ursprüngliche Trigon zurück und ein sogenanntes großes Trigon ist erreicht worden. Arabische Autoren schrieben diese Theorie den Persern zu, nach dem „Fihrist“ (einem arabischen Bücher- und Schrift­ 141

stellerkatalog) soll der jüdische Astrologe Messahallach zuerst darüber geschrieben haben. Später wurde, allerdings nicht ganz mit Recht, der persische Astrologe Albumasar als Urheber der Lehre von den großen Konjunktionen bezeichnet, doch hat er nach Loth’s Nachweisen sein berühmtes Werk „Al Kiranat“ zum großen Teil aus einem „Sendschreiben“ seines Lehrers Al Kindi abgeschrieben. Nach Albumasar haben auch Alberuni, Haly, Ibn Esra astrologische Spekulationen über die Dauer und den Untergang großer Reiche und Religionen gemacht, am be­ kanntesten war die Prognose des Rabbi Abarbanel (um 1470), der aus der Rückkehr des großen Trigons in das Zeichen Fische auf die baldige Herabkunft eines Messias zur Errettung des Ju­ dentums schloß.

H. Die Epochen der arabischen Astrologie Man kann in der arabischen Wissenschaft drei Perioden unterscheiden: die erste, etwa das 8. und 9. Jahrhundert um­ fassende, ist durch die Aufnahme fremden Wissens und eine eifrige Übersetzertätigkeit gekennzeichnet; die 2. Periode vom 10.-12. Jahrhundert war die Hochblüte des arabischen Wissens im Orient, die durch die Einfälle der Mongolen verwelkte. Die 3. Periode nahm von den Randgebieten, von Aegypten und Nordafrika ihren Ausgang, griff nach Spanien über und hatte bis zur Rückeroberung Granadas (1492) bedeutenden Einfluß auf das abendländische Geistesleben. Die ersten Lehrmeister der Araber waren Syrer, Juden und Perser; so übersetzte der am Hofe des Kalifen Al Mahdi um 750 wirkende maronitische Astrologe Theophil von Edessa mehrere griechische astronomische, und medizinische Werke ins Syrische und Persische. Er berechnete Aufgangstafeln für Bagdad und war auch bei der Gründung Bagdads tätig. Ebenfalls bei der Gründung von Bagdad war der aus Balkh stammende persische Astrologe Naubacht (gest. 777) tätig, der Lehrmeister vieler Astrologen war. Der indische Astrologe Kanaka brachte, wie schon erwähnt, die indischen astronomischen Lehrbücher dem 142

Kalifen Al Mamum, die der jüdische Astrologe Jakub ibn Tarik 777 ins Arabische übersetzte. Der jüdische Astrologe Mas’halla (Messahalla), der ursprünglich Manasse hieß und zum Islam übertrat, setzte im Auftrag des Kalifen Al Mansor den Termin für die Gründung von Bagdad fest (762) und schrieb einige im Mittelalter hochangesehene astrologische Werke, darunter auch über die großen Konjunktionen. Gleichfalls jüdischer Abkunft war der Astrologe Zabel (= Sahl ben Bishr ben Hani ben Otman), der um 800 als Hofastrologe beim Gouverneur von Chorasan, dann beim Kalifen Al-Mamun wirkte, einige Werke der hellenistischen Astrologie übersetzte und eine Regelsamm­ lung verfaßte. Aus Ostpersien um Chiwa, Buchara, Samarkand, etc., wo sich seit dem 6. Jahrhundert ein Zentrum hellenistisch­ persischer Kultur gebildet hatte, kamen viele Astrologen, dar­ unter auch Abu Maschar und der gelehrte Rabban al tabari, der ebenfalls beim Kalifen Al-Mamun in Diensten stand und zum erstenmal den Almagest des Ptolemaeus ins Arabische übersetzte. Einer der größten arabischen Astrologen war Al Kindi (Abu Yussuf ibn Ishak al Kindi), der in Kufa als Sohn des Statthalters um 800 geboren wurde. Er war Mathematiker, Astronom, Musiktheoretiker und Philosoph und kann unstreitig als Vater der gelehrten arabischen Astrologie gelten. Von seinen Schriften ist nur wenig erhalten geblieben. Dafür haben seine Schüler dar­ aus weidlich geschöpft. Dazu gehört auch der Vielschreiber Albumasar (Abu Maschar Dschafer ben Omar al Balkhu), der aus Balkh im Lande Chorasan stammt. Von seinen zahlreichen Werken ist außer dem bereits erwähnten Traktat über die großen Konjunktionen, sein „Kitab al Mudkhal“ oder Einleitung in die Astrologie besonders erwähnenswert, weil das Buch bereits von Johann von Sevilla (um 1150) und später mehrmals ins Lateinische übersetzt wurde. Albumasar schrieb auch „Flores“ oder Regeln für die Jahreshoroskopie und unter dem Namen Hermes Philosophus ein weitverbreitetes Werk über das Solar­ horoskop. Unter dem Namen Hermes erschienen übrigens viele arabische Schriften über Astrologie, Alchemie und Amulettkunst, darunter 143

auch eine Spruchsammlung des „Centiloquium Hermeti“, das 1250 ins Lateinische übersetzt und viel benützt wurde. Aus dem Stamm der Nabatäer, der als Besitzer höheren Wis­ sens hochmütig auf die übrigen arabischen Stämme herabsah, ging der Astrologe Ibn al Waschiyya (um 820) hervor, der über Astrologie, Alchemie und Magie schrieb und die Fixstern- und Dekanprognosen der Sphaera barbarica des Teukros ins Ara­ bische übersetzte. (Proben in Bolls „Sphaera.“) Ein berühmter Gelehrter und eifriger Übersetzer war Thabit ben Kurrah al Harrani, der also aus dem Harran stammt und 836 geboren wurde. Er gehörte der Sekte der Ssabier an und schrieb in syrischer und arabischer Sprache. Er übersetzte viele Werke von Aristoteles, Euklid, Archimedes und Galenos und schrieb über die astrologische Amulettkunst. Er versuchte, die Präzession durch eine Oscillation (pendelnde Vor- und Rück­ wärtsbewegung) zu erklären, wobei die Wendepunkte in einem Umlauf von 4171,5 Jahren kreisen sollen. Großes Ansehen hatte der Astrologe Albohali (Abu Ali Jakub ibn al Kayar) der um 850 wirkte und neben der schon erwähn­ ten astrologischen Punktierkunst, auch ein weitverbreitetes Buch über die Geburtsastrologie schrieb, das oft ins Lateinische über­ setzt wurde. Mit dem genialen Arzt, Alchemisten und Philosophen Rhazes wollen wir die zweite Periode der arabischen Wissenschaft ein­ leiten, in der die großen Naturforscher, Mathematiker und Philo­ sophen wie Geber, Avicenna, Alhazen, Al Battani, Averroes wirkten. Rhazes (Abu Beier Mohammed ben Zakariya al Razi) stammt, wie sein Nesbi sagt, aus Raz (Persien) und wurde 864 geboren. Mit 30 Jahren kam er nach Bagdad, wo er sein viel­ seitiges Wissen ausnützen konnte. Er kann als der arabische Paracelsus gelten und war der größte Arzt der Muslims. Er ver­ faßte 230 Schriften, von denen aber nur wenige erhalten blie­ ben, darunter war auch sein Hauptwerk, das lateinisch als Liber almansoris 1481 im Drude erschien, und alle Zweige der Medizin nebst astromedizinischen Regeln enthielt. 144

Ein Zeitgenosse des Rhazes war der Astronom Albategnius (Abu Abdallah Mohhamed ben Dschabir al Battani, al Harrani al Sabi), der im Jahre 858 im Harran geboren wurde. Den Beinamen der Ssabier verdankt er seinen Vorfahren, er selbst war Mohammedaner. Sein berühmtes astronomisches Lehrbuch Al Zidsch wurde oft ins Lateinische übersetzt und neuerdings von Nallino mit arabischem Originaltext und lateinischer Über­ setzung und Kommentar in 3 Bänden herausgegeben (LiteraturVerzeichnis). Darin wird auch die Horoskoptechnik und die Konstruktion der Häuser eingehend beschrieben. Al Battani hat ben, ein Werk über die Aufsteigung der Zeichen in den Zwischen- ! auch einen Kommentar zur Tetrabibios des Ptolemaeus geschrie-j stellen, und war ein Meister in der trigonometrischen Lösung astrologischer Probleme, worin ihm später Regiomontanus nach­ folgte. Oft wird Al Battani mit dem Astrologen Bethen verwechselt, der eine höchst naive astrologische Spruchsammlung verfaßte, das im Mittelalter hochbeliebte „Centiloquium Betheni“. Eine ähnliche beliebte Spruchsammlung eines legendären Astrologen Almansor wurde ebenfalls ins Lateinische übersetzt und ist mehr­ fach im Druck erschienen. Einem Abul Kasim, der aber nicht mit dem berühmten Astronomen gleichen Namens verwechselt werden darf, schrieb man das berühmte arabische Zauberbuch zu: „Ghayat al hakim“ (Buch des Weisen), das in lateinischer Übersetzung als „Picatrix“ erschien und im Mittelalter hohes Ansehen genoß. Gewiß ist aber, daß dieser Abul Kasim einige astromagische und astrologische Schriften verfaßt hat und 1007 in Spanien gestorben ist. Um 893 schrieb der Astrologe Albubater (Abu Bekr al Has­ san ben Ali Kharib al Farsi) ein wertvolles Lehrbuch der Astro­ logie, worin er sich auf die „Häupter der griechischen Astro­ logie" Ptolemaeus, Dorotheos und Valens stützte. Auch einer der größten arabischen Astronomen, Ibn Yunus (Abu Ali Hassan ben Abd el Rahman al Misri), der wie sein Nesbi sagt, aus Aegypten stammt, war astrologisch tätig. In seinem Hauptwerk, den hakemitischen Planetentafeln (um 990), 145

gab er auch Anleitungen zur Berechnung des Horoskops, der Aspekte, des Solarhoroskops und verschiedener Profektionen. Der Mathematiker Achmed al Imrani (um 940) war der Lehrer des Astrologen Alcabitius und verfaßte ein Werk über die Stun­ denastrologie. Selbst der berühmte Physiker und Enzyklopädist Alhazen (Abu ali al Hassan ibn al Haitham) 965-1039 schrieb mehrere astrologische Traktate und wies in seiner Optik auf die Bedeutung des Dämmerungsbogens für die astrologischen Be­ rechnungen hin. Aber auch die Gegner der Astrologie waren in dieser Zeit nicht untätig. Schon der oft genannte Alberuni warf dem Astrologen Abu Maschar vor, daß er seinen „großen Konjunktionen“ die mittlere statt der wahren Bewegung der Planeten zugrunde ge­ legt habe und sagt, daß „der Unterschied in den Perioden und nicht derjenige in den Beobachtungen ein genügender Grund sei, um die von Abu Maschar begangenen Torheiten zu widerlegen“ (Zinner). Das hat Alberuni (Abul Rayham Muhammed ibn Achmed al Biruni, um 1020) aber nicht gehindert, selbst ein weitverbreitetes Lehrbuch „Einleitung in die Elemente der Sterndeutekunst“ zu schaffen (siehe Literatur-Verzeichnis). Der um 1000 lebende Theologe Abu Hajjan alTaubidi stellt der sicheren, den Gottesglauben stärkenden Astronomie die unsichere Astro­ logie gegenüber, bei der „der Fehlschluß häufiger ist als der Treffer“. Einer der heftigsten Gegner der Sterndeutung war der Arzt, Naturforscher und aristotelische Philosoph Avicenna (Abu ali al Hoseim Ibn Sina), der aus Buchara stammt und 980 geboren wurde. Ibn Sina lehrt, daß alles Dinghafte auf die Materie zu­ rückgeht, daß die Seele aber vom Geiste komme und nach dem Tod sich mit der Weltseele vereinige. Er nennt es eine große Kühnheit, den Einfluß der Gestirne in so detaillierter und indi­ vidueller Form festlegen zu wollen, spricht von den „verruch­ ten Urteilen aus den Gestirnen“, bezeichnet alle Astrologen als Schurken und bezweifelt sogar, daß der gelehrte Ptolemaeus ein solches Machwerk wie die Tetrabibios selbst geschrieben habe. Dann verweist er auf den Koran (Sure 27), wo es heißt „Keiner 146

kennt die Zukunft außer Gott“ und meint, daß diese Stelle ausdrücklich gegen die Astrologie gerichtet sei. Auch der Ver­ fasser der Toledanischen Planetentafeln, Arzachel (Al Zarkali), bekämpfte aus den gleichen Gründen die Astrologie. Schon der dritten Periode, in der die arabische Wissenschaft vorzugsweise in den spanischen und nordafrikanischen Besitzun­ gen des Araberreiches blühte, gehörte der Aristoteliker Averroes (Abu Walid Muhammed ibn Achmed ibn Mohammed Ibn Roschd) an (1126-1198), der zu Cordoba lehrte und bei den Fürsten in hoher Gunst stand, dann aber als Ketzer verklagt und nach Marokko verbannt wurde. Ibn Roschd vertrat einen schon an Pantheismus grenzenden Naturalismus und war der Schöpfer der Lehre von der doppelten Wahrheit. Nach ihm ist die Philosophie mit Aristoteles vollständig abgeschlossen. Gott ist der Kosmos und die Ordnung aller Dinge. Welt und Stoff sind ewig wie die Vernunft, die Erkenntnis schafft. Für den gebildeten Menschen sei das philosophische Denken die verläß­ lichste und tiefste Religion, dem Volke sei aber der Wunder­ glaube nötig und daher zu belassen. Ibn Roschd nahm besonders gegen die judiziarische oder individuell urteilende Astrologie Stellung, konnte aber - ebensowenig wie sein göttlicher Meister Aristoteles - verhindern, daß sich die Astrologie gerade aus sei­ ner Lehre die physischen Fundamente der Astrologie herausholte; ja wir werden im folgenden Kapitel sehen, wie sich eine „averroistische Astrologie“ gegen die Angriffe katholischer Theolo­ gen zu verteidigen hatte. Ein Zeitgenosse des Averroes und ebenfalls Gegner der Stern­ deutung war der jüdische Philosoph Maimonides (Rabbi Meir von Cordoba). In einem Brief über Astrologie, den er 1197 auf eine Anfrage der Marseiller Judenschaft erließ, führte er aus, daß Gott wohl durch seine Engel Zeichen und Wunder ausgehen lasse und daß der Sterneneinfluß auf die irdische Welt wohl außer Zweifel sei. Keineswegs sei damit aber der astrologische Fatalismus gerechtfertigt, denn Gott habe allerdings alle Dinge der Natur, auch die menschlichen Angelegenheiten, planmäßig vorhergeordnet, das schließe aber nicht den freien Willen des 147

Menschen aus, denn Gott kennt zwar die Wahl, aber er lenkt sie nicht. Daher „laßt Euch nicht von Toren bereden, was gut und was böse sei, jeder Mensch hat die Freiheit, den guten oder den bösen Weg einzuschlagen.“ Während aber Maimonides meinte, daß die Erkenntnis über das Wesen der Himmelskörper die Kräfte des Menschen übersteige, machte der arabische Astro­ nom Alpetragius (Nur al-din al Betruyi um 1200) einen neuen Versuch, die Bewegung der Planeten zu erklären. Er verwarf die Epizyklen und exzentrischen Kreise des Ptolemäus und schrieb den Planeten getreu nach Aristoteles nur die einfache kreisförmige Bewegung zu. Alle Planeten sind an ihren Sphären befestigt und bekommen ihren ersten Antrieb von der ersten Sphäre oder dem Primum mobile. Aber die Geschwindigkeit der übrigen Sphären, die sich ebenso alle von Ost nach West drehen, nimmt allmählich ab, je weiter sie von der ersten Sphäre entfernt sind. So hat also die Sphäre des Saturn, der nur wenig hinter dem Primum mobile zurückbleibt, die schnellste Bewegung, während der Mond, der bis zu 13 Grade im Tage hinter der ersten Sphäre zurückbleibt, die langsamste Bewegung hat, bis diese in der stillstehenden Erde ganz erlischt. Diese ArtTrepidationstheorie spielt in der späteren Astrologie noch eine bedeutsame Rolle. Aber auch 3 berühmte Astrologen lebten in dieser Zeit. Zu­ nächst Alcabitius (Abd el Aziz ben Ali al Kabisi), der 967 im Saragossa gestorben ist, nachdem er lange Zeit in Mossul und am Hofe des Königs Saif ed Daula tätig war. Diesem Fürsten widmete er seine „Einleitung in die Kunst der Sterndeutung“, das weitverbreitetste Buch der mittelalterlichen Astrologie, das bereits 1142 von Johann v. Sevilla und dann noch später auch vom Rektor der Pariser Universität, Johann Dank aus Sachsen, ins Lateinische übersetzt wurde. Auch der Kölner UniversitätsProfessor Nabod hat es 1560 in seine Narratio wieder aufge­ nommen, „weil es den Lehren des Ptolemaeus am besten ent­ spricht“. Alcabitius hat darin Vorschriften über die Berech­ nung des Horoskops und der Direktionen gegeben, die noch heute benützt werden. 148

Neben Alcabitius war Albohazen Haly oder Haly Abenragel (Abul Hassan Ali ibn abir Ridschal) der am meisten be­ nützte Astrologe. Er wurde als „summus astrologus" und „Ptolemaeus alter“ gepriesen. Er lebte in der Zeit von 1016— 1062 am Hofe des Sultans Al Mamur in Tunis und schrieb das „Große Buch über die Urteile der Sterne“, das im Auftrage des Königs Alfons X. von Spanien zunächst ins Spanische, später ins Lateinische übersetzt wurde und mehrfach auch im Druck er­ schien. Doch sind die lateinischen Ausgaben (nach Stegemann) wenig verläßlich, da die Übersetzer nicht genügend die arabische technische Sprache verstanden. Haly kann als Erfinder der astro­ logischen Positionskreise gelten, zumindest sind sie bei ihm erst­ malig nachweisbar. — Diese Erfindung und die darauf gegründete sogenannte „ratio­ nale Manier“ der Häuserberechnung wurde im Mittelalter dem Gelehrten Abenesra (Abraham ben Meir ibn Esra) zugeschrie­ ben, der 1093 zu Toledo geboren wurde und 1167 in Rom starb. Er lebte lange in Cordova, mußte aber im Jahre 1140 als Jude Spanien verlassen. Nach vielen Reisen ließ er sich in Lucca (Italien) nieder, wo er zahlreiche philosophische, theo­ logische, mathematische, kabbalistische und andere Werke schrieb. Von seinen rein astrologischen Werken seien hier Mischpete al Masalod (Gesetz der Sterne), Sefer ha Mibcharim (Über die Auswahl) und der Sefer ha Moladot (Über die Nativität) ge­ nannt, das letztere Werk wurde unter dem Titel „de nativitatibus“ ins Lateinische übersetzt und 1489 in Venedig gedruckt. Eine Gesamtausgabe seiner Schriften, in lateinischer Sprache übersetzt, hat Peter von Abano herausgegeben. Ibn Esras Schrif­ ten wurden von Cusanus, Regiomontanus, Pico v. Mirandola u. a. oft zitiert, er war ein Mann von universalem Wissen, der sich trotz seiner Sternenmystik den kritischen Sinn stets bewahrt hat. So trat er auch den Versuchen seiner Glaubensgenossen Salomon Ibn Gabirol (Avicebron) und des Mathematikers Abraham bar Chijja, aus den Konstellationen die Geburt eines Messias für 1358 zu berechnen, in seinem Danielkommentar ent­ gegen. 149

Im 13. Jahrhundert wirkte der Mathematiker und Astronom Nasreddin (Nasir ed din al Tusi), für den der Mongolenfürst Holagu 1269 in Maragu eine Sternwarte erbauen ließ. Als Re­ sultat seiner Beobachtungen legte er dem Fürsten seine „Ilchanischen Planetentafeln“ vor, die auch Anweisungen zur Horo­ skoptechnik enthielten. Daß diese fürstlichen Aufträge meist im astrologischen Interesse erfolgen, zeigt auch der sterngläubige Mongolenfürst LJlugh Beg (um 1420), der in Samarkand eine Sternwarte erbaute, wo er selbst Beobachtungen anstellte. Sein blinder Sternenglaube wurde ihm aber zum Verhängnis. Aus seinem Horoskop fand er heraus, daß er durch den Dolch eines Vatermörders fallen werde. Er verbannte darauf seinen ehr­ geizigen Sohn Abd el Latif, der sich gegen ihn erhob und ihn später tatsächlich ermordete (Wiedemann). Im 14. Jahrhundert faßte der gelehrte Historiker des Islam Ibn Khaldoun in einem Traktat „Über das Horoskop“ die Mei­ nungen der Gegner und der Anhänger der Stemdeutung zu­ sammen und kam zu dem Schlüsse, daß die Astrologie sowohl staats- und religionsfeindlich als auch durchaus unwissenschaft­ lich sei. Die Kulturblüte des Islam wurde nach dem Urteil Brockelmanns durch die Mongolen im Osten und die kriegerischen Berber im Westen gebrochen. Seither ist keine neue Form, kein neuer Gedanke mehr entstanden, dies gilt auch für die gelehrte Astrologie, ja man kann sehen, wie jetzt arabische Gelehrte Ideen der abendländischen Astrologie aufnehmen, so z. B. der Astro­ loge Gazulus (Mohammed ben Raisuli al Ghazul), der zu Cor­ dova 1384 geboren und in Syrakus 1432 starb; er war Anhänger der von dem italienischen Astrologen Campanus gelehrten neuen Horoskoptechnik. Als letzten der gelehrten Astrologen führt Suter den Muhammed ben Achmed el dachri an, der um 1550 einige astrologische Traktate geschrieben hat.

Seither ist die arabische Astrologie ohne Unterstützung der Gelehrten in eine populäre, mit Zauberglauben, Zahlenkabba­ 150

listik und Geomantie verknüpfte Wahrsagerei verfallen, die el Lagirjah heißt und noch heute, besonders im Yemen, praktiziert wird. Literatur zum 5. Kapitel A. Indische Asthologif.:

Waraha Mihira: The Brihat Sanhita, a complete System of natural astrology, translated from Sanskrit into English by H. Kern. (Journal of the R. Asiatic Society. Bd. 4. 1870.) Waraha Mihira: The Brihat Jataka. English translation with Bhatta Utpalas Commentaries, notes etc. by B. S. Rao Bangalore 1945. (Ferner englische Ausgabe von Jyer 1885 und deutsche Ausgabe: Das große Buda der Nativitätslehre, übersetzt von H. Wulff, Hamburg 1925.) Waraha Mihira: Die YogaDschatras. Übersetzt von A. Weber (Indische Studien Bd. 10. 14. Leipzig 1868 und 1875). Raman B. V.: The manual of hindu astrology. 4. ed. Bangalore 1950 (auch französische Ausgabe 1940). Sepharial: Hindu Astrology after Paraschara. (In „The new manual of Astrology.) London 1909. Weber A.: Zur Geschichte der indischen Astrologie. Indische Studien 1853. Thibaut G.: Astronomie, Astrologie und Mathematik (der Inder) im Grundriß der indo-arischen Philologie und Altertumskunde Straßburg 1899. Mohr H.: Einiges über indische Astrologie. In „Zodiakus“. Bd. 3. München 1912. Negelein Die ältesten Meister der indischen Astrologie und die Grundidee ihrer Lehrbücher. Berlin 1928. Scheftelowitz J.: Die Zeit als Schicksalsgottheit in der indischen und iranischen Religion. Stuttgart 1929. Das Licht des Ostens. Die Weltanschauungen von Indien, China und Japan. (Darunter indische Kosmologie, Philosophie und Astronomie.) Hrsg, von M. Kern. Stuttgart 1921.

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B. Arabische Astrolocie:

1. Quellen Albategnius: Al Battani sive Albatenius opus astronomicum arabice editum, latine versum, ad notationibus etc. C. A. Nallino. Milano 1899—1907. 3 Bde. Alberuni: The book of instruction in the elements of the art of Astro­ logy. Translated by R. Ramsay Wright. London 1934. Albubater: Liber genethliacus. Norimbergas 1540. Albumasar: Tractatus florum Astrologiae. Augsburg 1488. Manul­ drude 1928. Alcabitius: Nabod V. Ennaratio elementorum astrologiae in qua prae­ ter Alacabicii expositionem atque cum Ptolemaei principiis collationem. .. desseritur. Coloniae 1563. Haly filii Abenragel: De iudiciis astrorum libri VIII. transl. A. Stupa. Basileae 1571. Der Koran: Übersetzt von R. Henning. Leipzig 1901 (Reclam). Mesnevi: oder Doppelverse des Scheidts Mewlana Dschelal ed din Rumi. Aus dem Persischen übersetzt von G. Rosen. München 1913.

2. Schriften:

Encyclopaedie des Islam, hrsg. von Houtsma, Wensinck u.a. 4 Bde. und Nachtrag. Leyden - Leipzig 1913—38. Delambre M.: Histoire de l’astronomie du moyen age. Paris 1819. Dieterici F.: Die Naturanschauung und Naturphilosophie der Araber im 10. Jahrhundert. Aus den Schriften der „Lauteren Brü­ der“. Berlin 1861. Loth A.: Al Kindi als Astrologe (Fleischer-Festgabe). Leipzig 1875. Suter H.: Die Mathematiker und Astronomen der Araber und ihre Werke. Leipzig 1900 und Nachtrag 1902. Wiedemann E.: Zur Geschichte der arabischen Astrologie. In „Das Weltall“, hrsg. Jg. 1922 und 1923. Thorndike Lynn: A history of magic and experimental science during the first 13 centuries of our aera. 2 Bde. New York 1913. Brockelmann R.: Geschichte der arabischen Literatur. 2 Bde. und 3 Supplementbände. Weimar 1898 / Leiden 1942. Mieli A.: La science arabe. Leiden 1938.

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6. Kapitel DIE ASTROLOGIE DES MITTELALTERS

A. Die lateinische Astrologie im frühen Mittelalter

Unsere Vorfahren, die Germanen, hatten gewiß schon, ebenso wie die Kelten und Slaven, einige sternkundliche Kenntnisse, ins­ besondere diente die - durch die klimatischen Verhältnisse aller­ dings erschwerte - Beobachtung des Sonnen- und Mondlaufes dazu, um sich einigermaßen in Raum und Zeit zu orientieren. Die seltsamen Steinsetzungen in England, Frankreich und Deutschland, die schwedischen Felszeichnungen, der seeländische Sonnenwagen u. a. sind Zeugnisse einer vorgeschichtlichen Stern­ kunde und der Verehrung von Himmelsgöttern, von der ja auch Caesar und Tacitus berichtet haben. Tief war in der germa­ nischen Seele auch die Wanderlust und der Wissensdurst vor­ handen, die Sehnsucht nach dem sonnigen Süden, wo Pracht und Reichtum und eine hohe Kultur winkten. Nach den Stürmen der Völkerwanderung hatten sich die Langobarden und die Ostgoten in Italien, die Westgoten in Spanien und Südfrankreich seßhaft gemacht und hatten zum großen Teil Sitte und Denkweise der unterworfenen Bürger des römischen Reiches übernommen.

Im Ostgotenreich wurde diese „pen6tration pacifique“ durch die kluge Politik Theodorichs des Großen (493-526) gefördert, bei dem der römische Senator Boethius als Geheimschreiber und Lehrmeister in großem Ansehen stand. Boethius übersetzte viele Schriften des Aristoteles, Euklid, Ptolemaeus u. a. ins Latei­ nische, er schrieb über Arithmetik, Musik, Geometrie und Astro­ nomie, die 4 Vorstufen der Philosophie, die er selbst das „quadrivium“ nannte, und verfertigte kunstreiche Sonnen- und Was­ seruhren. Seinen Neidern gelang es, ihn beim König anzu­ 153

schwärzen, er wurde in den Kerker geworfen und später sogar völlig unschuldig - hingerichtet. Im Kerker schrieb er die berühmte Schrift „Trost der Philo­ sophie“, die durch Jahrhunderte den Glanz der antiken Geistes­ haltung bewahrt hat. Darin (lat.-deutsche Ausgabe von Gothein 1932) setzte sich Boethius auch mit den Problemen von Vor­ sehung, Schicksal und Willensfreiheit auseinander, die damals von Theologen im Kampfe gegen den fatalistischen Sternaber­ glauben lebhaft erörtert wurden. Wie Boethius bei den Ostgoten, so war Bischof Isidor von Sevilla (560-636) Lehrmeister bei den Westgoten. Er widmete dem König Gisebut, der selbst ein astronomisches Lehrgedicht verfaßt hatte, einige Werke, darunter eine „Ethymologia", die eine Art Hausschatz des Wissens war. Darin urteilt Isidor auch über die Astrologie, die, sofern sie Charakter und Schicksal des Einzelnen Vorhersagen will, nur heidnischer Aberglaube sei, in­ sofern sie aber die Natur der Dinge wissenschaftlich ergründen will, eine Naturwissenschaft sei, die dem christlichen Glauben nicht widerspricht. In diesem Sinne zählt Isidor auch die gene­ relle, meteorologische und medizinische Astrologie zu den Na­ turwissenschaften und meint „ein Arzt soll auch sternkundig sein" (Thorndike). An die Schriften von Boethius und Isidor von Sevilla lehnte sich auch der gelehrte Abt Beda (674-735) an, der zum Lehr­ meister der Angelsachsen wurde, ebenso Alkuin von Tours, der Freund und Lehrer Karls des Großen. Im Jahre 807 erhielt Karl vom Kalifen Harun al Raschid eine kunstreiche, sowohl für gleichlange, als auch für ungleichlange Stunden eingerichtete Wasseruhr, die bei dem Frankenkönig großes Interesse erregte. Karl der Große interessierte sich sehr für astronomische und chronologische Probleme, wie sein Briefwechsel mit Alkuin und die vielen astronomischen Beobachtungen seines Schreibers Ein­ hard bezeugen. Von Vorzeichen scheint er nicht viel gehalten zu haben, dagegen wird von seinem Sohn König Ludwig dem Frommen berichtet, daß er ständig Astrologen um sich hatte. Wo wurde nun diese „Astrologie'1 gelehrt? 154

Bekanntlich hat Karl der Große das Schulwesen sehr ge­ fördert, wobei ihm der gelehrte Abt Hrabanus Maurus hilfreich zur Seite stand. Einzelne Klostersdiulen bestanden sdion früher in Fulda, St. Gallen, Reichenau und Regensburg, die von irischen Missionaren gegründet wurden. In diesen und den neu hinzu­ gekommenen Klosterschulen wurden neben den theologisch­ sprachlichen Fächern im Rahmen des oberwähnten Quadriviums Wissenszweige gelehrt, die für die Pflege des Gottesdienstes und die Klosterwirtschaft nötig waren: also Landwirtschaft, Bau­ kunst, Musik und Sternkunde. Für die Kalendermacher gab es einen besonderen Rechenbehelf, den Compotus, ein Lehrbuch, in das sich allmählich neben den rein astronomisch-chronologischen Daten und Tabellen auch Bauernregeln und astrologische Lehren eingeschlichen hatten. So zeigt der noch erhaltene Compotus des Abtes von St. Gallen, Notker Labeo (950-1020), Wetterpro­ gnosen nach dem ersten Wochentag des Jahres, dessen Planet als „Jahresregent“ seinen Einzug in den deutschen Kalender fand. Später wurden in den Compotus sogar Geburtsprognosen nach den Regenten des betreffenden Wochentages, Prognosen nach dem Lauf des Mondes (Lunare), sowie astromedizinische Rat­ schläge für die Wahl der günstigsten Stunde eingeschmuggelt. So war im christlichen Abendlande - lange vor der Berührung mit dem griechisch-arabischen Gedankengut - eine primitive Astrologie in Schwung, die Thorndike treffend „lateinische Astrologie" genannt hat, weil sie sich vorwiegend auf das einzig erhaltene Handbuch des Firmicus Maternus und auf lateinische Übersetzungen von griechischen Texten der Laienastrologie stützte.

B. Der arabisch-griechische Einfluß in der Frühscholastik

Nach dem Zusammenbruch des Karolinger-Reiches brach über das christliche Abendland eine Zeit des Unfriedens herein und die Raubzüge der Magyaren und Slaven im Norden und Osten, sowie der Normannen im Westen, verwüsteten die Länder. Erst durch die kraftvolle Politik der sächsischen Kaiser, insbesondere 155

des Königs Otto I., der im Jahre 962 in Rom zum Kaiser ge­ krönt wurde und das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“ begründete, entstanden wieder geordnete Verhältnisse in Kirche und Staat. In den Klöstern, den Pflegestätten des Geistes, er­ blühte ein neues Leben und man hielt Ausschau nach neuen Ideen. In dieser Zeit drangen nun über Spanien griechisch-arabische Einflüsse in das „lateinische“ Abendland. Eines der ältesten Zeugnisse dafür ist die aus karolingischer Zeit stammende Mathematica Alhandrei, ein populäres Lehrbuch der Astrologie, das Astrologie mit Buchstaben- und Zahlenmystik verband. Es soll von einem arabischen Astrologen Al Calander (Alexander) verfaßt worden sein und wurde noch im 16. Jahrhundert viel gelesen und gedruckt. Einer der ältesten Vermittler griechisch-arabischer Sternkunst und Mathematik war der ehrgeizige Gelehrte Gerbert von Aurillac (f 1003), der später Erzbischof von Reims wurde und schließ­ lich als Papst Sylvester II. die Tiara errang. Gerbert hat einige Zeit in Spanien gelebt, dort arabisch und die geheimnisvolle arabische Rechenkunst erlernt und eine Schrift über das Astrolab verfaßt, die deutlich den arabischen Einfluß zeigt. Darin nahm er auch zur Astrologie Stellung. Er lehnt die Geburtshoroskopie als chaldäischen Aberglauben entschieden ab, empfiehlt aber die natürliche Astrologie, die zur Naturwissen­ schaft gehört. In der Zeit der Kreuzzüge verdichtete sich der arabisch-abendländische Kulturaustausch sehr und arabische oder von den Arabern übernommene griechisch-byzantinische Lehren fanden besonders in der Schule von Chartres, die die Lehren platonisierender Araber mit der christlichen Glaubenslehre zu verbinden sucht, einen Sammelpunkt und geistiges Zentrum. Diesem Kreise stand auch der Theologe und Schöpfer der scholastischen Dialektik, Pierre Abbeilard (um 1100-1140), nahe, der in seinen Werken auch zur Astrologie Stellung nahm. Er sagt darin (nach Thorndike), daß die Astrologie wohl die naturalia, d. h. die in natürlichen Ursachen begründeten Ver­ änderungen zum Nutzen der Landwirtschaft und der Medizin Vorhersagen könne, nicht aber die contingentia, d. h. die vom 156

Willen Gottes, vom freien Willen der Menschen oder vom Zufall abhängigen Dinge. Diese Lehre, die durch mehrere Jahrhunderte die offizielle Meinung der Kirche war, wurde auch von dem an der Klosterschule zu Paris lehrenden Hugo von Sankt Viktor (eigentlich ein Graf Blankenburg, f 1141) vertreten, der klar die erlaubte natürliche Astrologie von der verbotenen mantischen Astrologie unterschied. Im Dienste des Königs Heinrich I. von England wirkte um dieselbe Zeit der englische Gelehrte Adelard von Bath, der die Algebra und Rechenkunst des Al Khwarizm ins Lateinische übersetzte und mehrere astrologische Traktate schrieb. Im An­ schluß an Albumasar beschäftigte er sich mit geschichtsastro­ logischen Spekulationen über das Entstehen und Vergehen von Weltreligionen und erklärte den konstanten Gegensatz zwischen den Christen einerseits und den Juden und Muslims anderer­ seits damit, daß erstere unter dem Einflüsse von Sonne und Jupiter, letztere aber unter Saturn, Mars und Venus stehen. Das käme auch in den speziellen Wochentagen zum Ausdruck, für Mohammedaner ist es der Freitag, der von Venus regiert wird, für Juden der Samstag unter Saturn und für die Christen der Sonntag. Beeinflußt von solchen Spekulationen prophezeite der Zister­ zienser-Mönch Joachim de Floris (gest. 1202) in seinem „Evan­ gelium aeternum“ für das Jahr 1260 das Herankommen eines neuen Zeitalters des heiligen Geistes und eine ganz vergeistigte Kirche. Diese Lehren fanden viel Anklang und langen Nachhall im reformfreudigen Klerus, wurden aber auf dem Laterankonzil von 1215 verworfen. In Toledo entwickelte sich, gefördert vom dortigen Erzbischof Raymund, eine rege Ubersetzertätigkeit, an der sich besonders Johann v. Sevilla (Joannes Hispalensis), Gerhard von Cremona, Plato von Tivoli, Robert v. Chester und Hermann v. Dalmatien beteiligten. Sie übersetzten viele Werke arabischer Astrologen und von Arabern übernommene griechische Schriften des Euklid, Aristoteles, Ptolemaeus, Galenos etc. ins Lateinische. Hierzu ge­ hörte auch der Archidiakon von Segovia, Dominicus Gundisalvi, 157

der 1150 in seiner Schrift über die Einteilung der Philosophie die Astrologie und andere okkulte Wissenschaften zu den Hilfs­ wissenschaften der Naturwissenschaft rechnet. Nach ihm ist die Astrologie die höchste aller mantischen Wissenschaften, weil sie soviele andere Wissenschaften befruchtet. Der bretonische Philosoph Bernardus Silvestris (Bernhard von Tours), der von 1159-1167 Bischof von Quimper war, schrieb ein Lehrgedicht, den „Experimentarius“, worin er die arabische Punktierkunst mit der Astrologie zu verbinden suchte. Darin werden die aufs Geratewohl hingeworfenen Punkte in Gruppen geteilt und mit den 7 Planeten, 12 Zeichen und 28 Mondhäusern in Analogie gesetzt. Zur Begründung dieser Spielerei sagte Ber­ nardus: Gott habe erlaubt, durch eine „vernünftige Unter­ suchung“ verborgene oder zukünftige Dinge aufzufinden. Daneben hat Bernardus aber auch ein großes philosophisches Werk geschrieben, betitelt Megacosmos et microcosmos, worin er sagt, daß die Planeten von Gott eingesetzte göttliche Wesen seien, die durch ihre Bewegungen den Menschen die Zukunft enthüllen können. Gott habe in leuchtenden Buchstaben am Himmel die ganze Geschichte der Menschheit aufgezeichnet; er bemühte sich, dies an der römisch-griechischen Geschichte und der Geburt des Heilands nachzuweisen. Er verwirft aber aus­ drücklich den astrologischen Fatalismus und lehrt - ähnlich wie Boethius - die Koexistenz von freiem Willen und unabänder­ licher Notwendigkeit in „variabler Fortuna“. Das um 1150 verfaßte Werk, das auch unter dem Titel „De Philosophia mundi“ zitiert wird, ist nach Wedel die „bedeutendste Darstellung der neuplatonischen Astrologie des Mittelalters“.

C. Die Astrologie in der Hochscholastik

In der Weltanschauung des Mittelalters war die Natur die Ideenwelt oder das Sinnbild Gottes. Durch den Sündenfall wurde die menschliche Erkenntnis verdunkelt, aber mit Hilfe der geoffenbarten Glaubenswahrheit ließ sich die Gottheit in 158

der Natur erkennen. So war die Philosophie die Magd der Theo­ logie und das Studium der Natur war nur dann sinnvoll, wenn es Beziehungen zum ewigen Seelenheil aufweisen konnte, denn Gott hat die Natur und alle sichtbaren Dinge lediglich „zu nuze unde ze dienste“ der Menschen geschaffen, wie der Schwa­ benspiegel sagt. Die mittelalterliche Forschungsweise konnte da­ her nicht induktiv von empirisch gefundenen Tatsachen aus­ gehen, sondern mußte umgekehrt von den letzten Dingen, von der Offenbarung als fester Basis aus die Wirklichkeit de­ duktiv zu begreifen suchen. In der Geistesperiode, die etwa um 1250 einsetzte, tritt nun die Philosophie gleichberechtigt neben die Theologie. Der von arabisch-neuplatonischen Irrtümern „gereinigte“ Aristoteles war Quell der natürlichen Wahrheit; die besonders von Augustinus autoritativ interpretierte Lehre war Quell der übernatürlichen geoffenbarten Wahrheit. Das Bestreben der Scholastik ging nur dahin, diese beiden Wahrheiten in einem höheren Sinne zu vereinen. Vier ihrer bedeutendsten Vertreter: 3 Dominikaner und 1 Franziskaner, die 4 verschiedenen Nationen angehörten, er­ regen unser besonderes Interesse, weil sie auch zur Astrologie ausführlich Stellung genommen haben. Es sind der Deutsche Albertus Magnus, der Italiener Thomas von Aquino, der Fran­ zose Vincenz von Beauvais und der Engländer Roger Baco, sie zeigen auch die damals noch mögliche einheitliche und über­ nationale Stellung der Wissenschaft. Albertus Magnus (Meister Albert von Köln) wurde um 1193 als Sohn eines Grafen von Bollstädt in Lauingen geboren. Frühzeitig trat er in den Domini­ kaner-Orden ein, erlangte hohe geistliche Würden und lehrte zu Paris und Köln. Wegen seiner Vielseitigkeit und staunenswerten Kenntnisse in den Naturwissenschaften wurde er „doctor universalis“ genannt. Mit Aristoteles betrachtet Albert die Sterne als Werkzeuge des ersten Bewegers, die als Glieder eines Ganzen tätig sind. Da die 4 Elemente durch die Bewegung der Himmels­ körper entstehen, so ist es „klar“, daß alle Veränderungen der 159

irdischen Welt durch die Bewegung der Superioren Himmels­ körper verursacht werden. Diese erstrecken sich aber nur auf die generellen und univer­ sellen Einflüsse, auf den Erdkörper als Ganzes, auf Kriege, Ka­ tastrophen, Seuchen etc., nicht aber auf das Individuelle, da die Tätigkeit des Menschen einen zweifachen Ursprung habe: Na­ tur und freier Wille. Je weniger der Mensch seine Triebe be­ herrscht, umso mehr kommt er unter die Herrschaft der Natur, aber wie schon (Pseudo) Ptolemaeus sagt, „Ein weises Gemüt veredelt die himmlischen Einflüsse“. Albertus stellt auch fest, daß kein gelehrter Astrologe die astrofatale Notwendigkeit ge­ lehrt habe und daß sohin die Kunst der Astrologie mit dem Christentum vereinbar sei. Nach neueren Forschungen (Haskell, Thorndike) ist auch das Speculum astronomiae, dieses „wichtigste Traktat zur Geschichte der mittelalterlichen Astrologie“, das manche dem Roger Baco zugeschrieben haben, ein Werk Alberts. Darin scheidet er zu­ nächst die heidnisch-magisch-astrologischen Werke von den ge­ haltvollen Werken der gelehrten Sterndeutung und legt den Unterschied zwischen reiner Astronomie und judiziarischer Astrologie dar. Die erstere hat die Bewegung der Gestirne zu erforschen und Sterntafeln zu berechnen, die letztere soll die Himmelserscheinungen deuten und daraus Künftiges Vorher­ sagen. So führt die edle Kunst der Astrologie die Gedanken der Menschen zu Gott, da sie alle irdischen Dinge auf den Urquell zurückführe. Gegenüber den platonisierenden Arabern stellt Albert hier nochmals fest, daß die Sterne bloß körperliche Werk­ zeuge Gottes sind, blind und taub gegen Gebete und Opfer der Sternanbeter. Alberts berühmtester Schüler und Ordensgenosse war Thomas von Aquino, der um 1225 als Sohn eines Grafen von Aquino geboren wurde, in Paris, Köln, Bologna, Rom und Neapel lehrte und frühzeitig (1274) starb. Thomas war „der klarste Schrift­ steller und der größte Systematiker des Mittelalters“ (Geyer). Seine Glanzleistungen fallen in die Zeit von 1269-1272, in der er die Kommentare zu Aristoteles und die beiden „Summen“ 160

schrieb. Im 2. Hauptstück der „Summa theolögiae“ behandelt er die Frage, „Ob die Wahrsagung aus den Sternen erlaubt sei“. Darin führt er unter anderem aus: 1. Es ist sicher erlaubt, aus der Beobachtung der Ursachen auf die Wirkungen zu schließen, die Bewegungen der himmlischen Körper sind aber die Ursachen der Veränderungen der irdi­ schen Dinge, daher muß die Vorhersage aus den Sternen er­ laubt sein. 2. Die Erkenntnis des Zukünftigen aus Vergangenem und Gegen­ wärtigem ist ein Akt der Vernunft, der Klugheit und gewissen­ hafte Vergleichung erfordert. So ist auch die Vorhersage künf­ tiger natürlicher Dinge, die zwangsweise eintreten, wie Fin­ sternisse, Seuchen, Katastrophen nicht unerlaubt, sondern sehr verdienstvoll. 3. Zwei Arten künftiger Ereignisse können aber nicht vorher­ gesagt werden: a) Alles, was innerhalb der Natur absichtslos oder zufällig geschieht, b) Alles, was vom freien Willen und der Vernunft des Menschen abhängig ist. Daher ist die übliche Nativitätsstellerei, deren Prognose sich auf das ganze Leben und Schicksal eines Menschen beziehen, unerlaubt, abergläu­ bisch und oft ein Blendwerk des Teufels. Wenn manche sagen, die Sterne seien bloße Anzeichen, abe keine wirkenden Ursachen, so ist zu erwidern: Jedes körper­ liche Zeichen ist entweder Ursache oder Wirkung dessen, wo­ von es Zeichen ist. 5. Die Sterne sind körperlicher Natur und können daher nur auf körperliche Dinge einwirken, also auch auf den Leib des Menschen, und auf jene Kräfte (Triebe), die organisch damit Zusammenhängen, Vernunft und freier Wille sind aber nicht körperlicher Natur, hier können die himmlischen Impres­ sionen nur indirekt, dispositive, einwirken. Der Entschluß aber unterliegt dem freien Willen und keinerlei Notwendig­ keit. Der Weise beherrscht das Gestirn. Zu ähnlichen Sätzen und Schlußfolgerungen, die im Rahmen des damaligen Weltbildes durchaus logisch und vernünftig er­ 161

schienen, gelangte auch der 3. große Dominikaner Vincenz von Beauvais, der ebenso die erlaubte natürliche Astrologie von der nicht erlaubten, auf Schicksalszwäng beruhenden, Nativitätsstellerei scheidet. Vincenz war Bibliothekar des Königs Ludwig des Heiligen und schrieb um 1250 das mächtige „Speculum maius“, die größte enzyklopädische Leistung des Mittelalters, die einen naturwissenschaftlichen, einen historisch-theologischen und einen moralischen Teil umfaßte. Gegenüber dem von Albertus und Thomas christianisierten Aristoteles wollten gewisse Kreise an der Pariser Universität den ursprünglichen Aristoteles in der von Ibn Roschd (Averroes) vertretenen Auffassung wiederherstellen. Der wesentliche Unterschied liegt darin, daß diese „Averroisten" gegenüber der Zeitlichkeit der Schöpfung die Ewigkeit der Welt lehrten, daß sie die persönliche Unsterblichkeit leugneten und die Einheit des Intellekts von Menschenseele und Weltseele betonten. Ihre Hauptvertreter waren Siger v. Brabant und Boethius von Dacien. Schon Thomas hat gegen diese „Averroisten“ eine Streit­ schrift verfaßt, noch stärker griff sie Bischof Tempier von Paris an, der 218 ihrer Thesen als ketzerisch brandmarkte. Man sieht daraus, daß diese Averroisten einem handfesten Determinismus huldigten - sie lehrten, daß die göttliche Vorsehung jeden Zufall ausschließe, daß die Intelligenz, welche die Himmelskörper be­ wege, auch die Seele des Menschen ebenso beeinflusse wie die Himmelskörper den Körper des Menschen und daß also auch Verstand und Wille des Menschen durch die Sterne gelenkt werden. Einige der verworfenen Sätze richteten sich auch in versteckter Weise gegen die Lehren Alberts und Thomas, sie waren eine Reaktion der Franziskaner, die den Primat des Willens und der christlichen Werktätigkeit gegenüber dem einseitigen Intellek­ tualismus der Dominikaner verteidigten. Der führende Kopf dieser Richtung war der Franziskaner Johannes Duns (Scotus). In ganz anderem Sinne hat sein Ordensbruder Roger Baco (1214-1294) gegen den autoritären Formalismus der Domini­ kaner Stellung genommen. In der Wissenschaft, so lehrte er, 162

gehe es nicht um Autorität und Meinung, sondern um eigenes Nachdenken, um Erfahrung und Quellenkenntnis, um den Dingen auf den Grund zu gehen. Deshalb lernte Baco auch He­ bräisch, Griechisch und Arabisch, um, im Gegensatz zu Thomas, die betreffenden Quellen im Urtext lesen zu können. Baco war sehr streitbarer Natur, er zog gegen die geistlosen Methoden an den Hochschulen los, geißelte die Mißstände in der Klosterzucht und wurde deshalb - nicht wegen seiner Stellung zur Astrolo­ gie - mehrmals verwarnt, sogar einige Zeit eingesperrt. Aber Baco hatte in Papst Clemens IV. einen Freund und Gönner, auf dessen Veranlassung er auch 1265 sein Hauptwerk, das „Opus maius“, schrieb, dem noch 2 kleinere erläuternde Werke folgten. Darin bezeichnete er Erfahrung und Erleuchtung als die Haupt­ quellen der Philosophie und sagt, daß Alchemie, Astrologie und Magie die Höhenpunkte einer auf Erfahrung begründeten ex­ perimentellen Naturwissenschaft seien. Aus den Schriften von Ptolemaeus, Haly, Albumasar u. a. weist er nach, daß kein gelehrter Astrologe jemals den Schicksals­ zwang der Sterne gelehrt habe. Das täten nur Ignoranten und laienhafte Astrologen oder Geschäftsastrologen, deren „execrable Praktiken“ er aus eigener Erfahrung kennen gelernt habe. Baco vertritt die (ganz moderne) Auffassung, daß das ein­ zelne Individuum durch Willenskraft dem Einfluß der Sterne widerstehen könne, bei der Masse ist das aber nicht der Fall; daher die vielen Kriege und Massenepidemien. Er verurteilt auch die Annahme einer einmaligen kosmischen Prägung und sagt, daß jeder durch Natur oder Kunst hergestellte Anfang von der jeweiligen Konstellation abhängig sei. Daraus erhellt der Wert der operativen Astrologie, die in Übereinstimmung mit der Konstellation Symbole (imagines) schaffe und damit Nutzen stiften kann. Baco, der „doctor mirabilis“, gilt vielen als der größte Natur­ forscher des Mittelalters und Boll sagt mit Recht, daß er der stärkste Verteidiger der Astrologie war, nicht obwohl, sondern weil er Naturforscher sein wollte. In seinem Kampf um eine auf Erfahrung und Experiment begründete Astrologia sana, ging 163

Baco so weit, daß er verlangte, die Kirche solle selbst die Füh­ rung und Förderung der Astrologie übernehmen und damit die Autorität der heidnischen Sterndeuter vernichten.

D. Die Astrologie in den einzelnen Ländern

a) Spanien:

Wie schon erwähnt, hielt die von sarazenischen Fürsten ge­ förderte griechisch-arabische Astrologie von Spanien und Sizi­ lien aus ihren Einzug in das christliche Abendland. Nach der Er­ oberung Toledos (1085) wurde Toledo ein Zentrum der spani­ schen Wissenschaft und von weither strömten Gelehrte aus allen Ländern, um hier die neue arabische Rechenkunst, Astronomie und Astrologie zu studieren. Von Toledo aus gingen seit 1179 die berüchtigten Toledaner-Briefe aus, die durch ihre „erschröcklichen“ Prophezeiungen das Abendland in Angst und Sorge ver­ setzten. Der größte Förderer der Astronomie und Astrologie war König Alfons X. von Kastilien (gest. 1285), der den Beinamen „Astrologus“ erhielt. Er ließ viele arabische Werke ins Kasti­ lische, später auch ins Lateinische übersetzen und betraute den jüdischen Astronomen Isaak ibn Said mit der Anfertigung ver­ besserter Planetentafeln. Diese „Alphonsinischen Tafeln“ wur­ den mit der Epoche 1. Januar 1252, dem Tag des Regierungs­ antrittes des Königs Alfons, berechnet. Von seinen Mitarbeitern ließ er ein mächtiges Werk in 5 Bänden - die „Libros del saber de astronomia“ - verfassen, enthaltend die gesamte astrono­ misch-astrologische Wissenschaft (Im Druck erschienen Madrid 1865-67). In einem dieser Codices erließ er auch Schutz­ bestimmungen gegen astrologische Pfuscher und Schwindler. Es heißt darin, „die Vorhersage der Zukunft aus den Sternen ist nur jenen Personen gestattet, die eine vollständige astronomische Ausbildung erhalten haben. Jede andere Art von Divination ist verboten. Mit dem Tode bestraft wird aber der, der böse Gei­ 164

ster zitiert oder Bilder aus Wadis und Metall in schädlicher Ab­ sicht herstellt“ (Thorndike). Umso verwunderlicher erscheint es, daß gerade unter seiner Regierung 1252 ein arabisches Zauber­ buch, das erwähnte „Ghayat al Hakim“ unter dem Namen „Picatrix“, ins Lateinische übersetzt wurde. Es fand weite Ver­ breitung, enthält viele Rezepte der magischen Astrologie und wurde Vorbild für viele mittelalterliche Zauberbücher. Im Geruch eines Zauberers und Teufelsbündners stand auch der vielgereiste Arzt, Alchemist und Astrologe Arnold von Villanova (1235-1312), der später Rektor der Universität Montpellier war. Villanova war eine Art katalonischer Para­ celsus, der immer wieder auf die enge Verbindung von Astro­ logie und Medizin hinwies. Wegen seiner heftigen Kritik an den Mißständen im Ordenswesen wurde er von den Klerikern wegen seiner astrologisch-magischen Tätigkeit angezeigt, aber freigesprochen. Noch im Jahre 1312 wurde der „Ketzer“ zu dem schwer erkrankten Papst Clemens V. nach Rom berufen, starb aber auf dem Wege dahin in Genua. Sein Zeitgenosse und Landsmann war Ramon Lull (Lullius), der 1235 auf der damals noch arabischen Insel Majorka geboren wurde. Lullius war ebenso vielseitig, war Arzt, Astrologe, Theo­ loge und Philosoph und Begründer der katalonischen Literatur. Trotz seines Wanderlebens hat er über 300 Werke in kata­ lonischer, arabischer und lateinischer Sprache geschrieben. Seine berühmte „lullische Kunst“ oder ars generalis wendet er auch auf die Astrologie an und zeigt, wie man aus den allgemeinen Grundsätzen der astrologischen Medizin alle Krankheitsursachen und alle Heilmittel ableiten könne. b) Italien:

Auch in Italien hat sich die Astrologie rasch entwickelt, be­ sonders unter dem Staufenkaiser Friedrich II., der an seinen Hof in Palermo viele arabische und christliche Gelehrte und Sterndeuter zog. Darunter war auch der Astrologe und Theologe Michael Scotus, der, in Schottland geboren, in Oxford und To­ 165

ledo studierte, dann lange Jahre in Italien wirkte, wo er auch 1235 starb. Scotus war - wie Thorndike sagt - ein gutes Bei­ spiel dafür, wie wenig damals jemand von der Kirche wegen Ausübung der Astrologie verfolgt wurde. Scotus stand bei den Päpsten Honorius III. und Gregor IX. in hoher Gunst, es wurde ihm sogar die Erzbischofswürde angeboten, die er aber aus­ schlug, weil er seinem Kaiser treu bleiben wollte. Auf Veran­ lassung Friedrichs II. schrieb Scotus mehrere astrologische Werke und betonte darin immer, daß die Sterne keineswegs wirkende Ursachen, sondern lediglich Anzeichen seien, die nichts bewirken können. Noch berühmter als Scotus war der 1223 in Cascia bei Flo­ renz geborene Astrologe Guido Bonatti (Bonatus), der schon als blutjunger „doctor siderabilissimus“ die Gunst Kaiser Fried­ richs II. fand. Wegen politischer Umtriebe (als Ghibelline) wurde er aus Florenz verbannt und ließ sich in Forli nieder. Des­ halb nannte er sich Guido forolivensis. Einige Zeit war er Pro­ fessor der Mathematik in Bologna, trat dann in den Dienst der Condottieri Ezzelino von Romano und der Grafen von Montefeltri, die bei ihren Feldzügen blindlings den astrologischen Rat­ schlägen Bonattis folgten. Ais Graf Montefeltri mit dem Papst Frieden schloß, trat Bonatti mit ihm in den Franziskanerorden ein und starb um 1300. Sein „Opus continens X tractatus astronomicos“ war in fast allen Hochschulen und an zahlreichen Fürstenhöfen vorhanden und wurde 1491 erstmalig gedruckt. Darin hat er in umfassender Weise die 4 Hauptgebiete der Astrologie, nämlich Nativitätsdeutung, Elektionen, Frageastro­ logie und die Lehre von den Umläufen, d.h. die Prognosetechnik behandelt. 1 Die Stellung Dantes zur Astrologie wird verschieden beurteilt. Manche meinen, weil er den Scotto und den Bonatti in die Hölle versetzt habe, sei er ein Feind der Astrologie gewesen. Indessen hat er selbst im „Convivio“ (Gastmahl) ein vollständiges System der Astrologie gegeben und manche sehen in der „Göttlichen Komödie“ das vollendetste Werk einer christianisierten Astro­ logie (Rosenberg). Dante war überzeugt, daß die Sterne nur auf 166

den Leib und die mit ihm verbundene Triebseele einwirken können, sonst aber nur „Antriebe“ geben, die der Mensch kraft seines Willens lenken könne (Purgatorio II. 16, Paradiso 22). Am Hofe des Königs Robert des Weisen in Neapel wirkte der Astrologe Andalo di Negro Janua (1270-1342), der eben­ falls ein entschiedener Verfechter der Willensfreiheit war. Einer seiner Schüler war Boccacio, der, ebenso wie Petrarca, die fata­ listische Sterngläubigkeit bekämpfte und weidlich verulkte. Der dumme, eingebildete Astrologe als betrogener Betrüger wurde zur stehenden Figur in der italienischen Novellistik und Drama­ tik. In Novarra wurde 1233 der geniale Mathematiker Gio­ vanni Campani (Campanus) geboren, der Euklids Geometrie ins Lateinische übersetzte, sinnreiche „Campanische Geräte“ zur Demonstration der Planetenbewegungen und eine noch heute viel benutzte Häuserkonstruktion schuf. Er verfaßte auch einige astrologische Schriften und starb 1296 als Kaplan des Papstes Bonifatius VIII. Um 1250 wurde der berühmte Arzt und Astrologe Peter von Abano (Aponus) in Abano bei Padua geboren. Er machte weite Reisen und lehrte in Paris, wo er auch die Schriften des Ibn Esra und einige von Aristoteles übersetzte. Seit 1305 war er an der Universität Padua tätig, wo er 1316 oder 1318 starb. Peter von Abano erhielt von seinen Patienten und Klienten fürstliche Honorare und vermachte sein beträchtliches Vermögen der Uni­ versität Padua. Von seinen zahlreichen Werken ist der „Conciliator“ das bekannteste, er gab in Katechismusform Antworten auf 200 Fragen aus der Philosophie, Astrologie und Medizin. Weit verbreitet war sein „Astrolabium planum", eine mit 400 Bildchen geschmückte Ausdeutung der 360 Grade des Tierkreises und der 36 Dekane. In seinem „Tractatus motus octavae sphaerae“ versuchte er das „Zurückbleiben“ der 8. Sphäre gegenüber den Fixsternen (Präzession) zu geschichtsastrologischen Speku­ lationen zu benützen. Wegen dieser Geschichtsdeutung und wegen eines von ihm verfaßten Zauberbuches wurde er vor die Inquisition zitiert, dort aber freigesprochen. Nicht so glimpflich ist es seinem Zeitgenossen Cecco d’Ascoli 167

gegangen, der eigentlich Francesco della Stabili hieß und um 1250 in Ascoli geboren wurde. Cecco war Arzt, Astrologe, Phi­ losoph und Dichter und wurde weniger durch seine Werke als durch seinen Tod berühmt, er wurde von der Inquisition als „rückfälliger Ketzer“ verurteilt und 1327 in Florenz öffentlich verbrannt. Dies geschah aber keineswegs wegen seiner astrologi­ schen Arbeiten, in denen er - wie Boffito sagt - nichts wesentlich andere lehrte als Thomas von Aquino - sondern sein Prozeß war ein eklatanter Mißbrauch der Inquisition zu privaten Zwecken. Cecco hatte eine äußerst scharfe Zunge und hat den angesehenen Stadtarzt von Florenz öffentlich als ausgesprochenen Dumm­ kopf bezeichnet. Dieser war, nebst anderen durch seine Satiren gekränkten Leuten, der Hauptanstifter zu seinem Inquisitions­ prozeß. c) Frankreich:

Hier konzentrierte sich die gelehrte Sterndeutung um den Königshof und die Universität Paris, die Hochburg der katho­ lischen Theologie und Philosophie. Daneben ist noch die Hoch­ schule von Montpellier zu nennen, wo besonders eifrig die medi­ zinische Astrologie gepflegt wurde. Der Dominikaner Wilhelm von Auvergne (1180-1249), der Bischof von Paris und Rektor der Universität war, war in allen okkulten Wissenschaften wohl bewandert, aber auch ein kriti­ scher Geist, der scharf Spreu vom Weizen sondern konnte. Er stellte den Christen anheim zu glauben, ob die Sterne beseelt oder nicht beseelt seien, wenn sie aber vernunftbegabte Wesen sind, können sie nichts Übles hervorbringen, denn alles Übel liegt nur in der Inferiorität des Menschen. Den astrologischen Fatalismus soll man aber mit Feuer und Schwert ausrotten. Er verurteilt auch die wahrsagerische Frageastrologie und die astro­ logischen Amulette, die als leblose Dinge nichts Lebendes beein­ flussen können. Um die Ausgestaltung der Horoskoptechnik bemühten sich der Mathematiker und Naturforscher Levi ben Gerson (geb. 1288 in Bagnols, Südfrankreich), der einer der ersten Vertreter 168

der sogenannten rationalen Häusermanier war und der Rektor der Pariser Universität Johannes Dank aus Sachsen (Johannes Saxonicus), der die Häuser- und Direktionstechnik nach Alcabitius lehrte und hierzu seit 1336 regelmäßig Jahrbücher (Ephemeriden) für astrologische Zwecke verfaßte. In dieser Zeit wirkte auch der Astrologe Jean de Mears (Mu­ ris), der im Hinblick auf die große Konjunktion von 1345 und auch bei späteren Gelegenheiten Prognostiken schrieb, die großes Aufsehen und Beunruhigung erregten. Deshalb verfaßte der Rektor der Pariser Universität, Heinrich Langenstein aus Hessen (Henricus de Hassia), auf Geheiß des Königs Karl V. des Weisen mehrere Traktate gegen den Kometenaberglauben und gegen die astrologischen Prognostikenschreiber, wobei er feststellte, daß keiner dieser Astrologen den schwarzen Tod, die große Pest­ seuche, die im Jahre 1349 ganz Europa heimgesucht hatte, Vor­ hersagen konnte. Das scheint aber nicht zu stimmen, denn wie der florentinische Chronist Villani berichtet, haben Muris und viele andere Astrologen für die Jahre 1345-1348 ein großes Sterben vorhergesagt. Er wandte sich auch gegen geschichtsastro­ logische Spekulationen und gegen die Meinung des Ptolemaeus, daß Finsternisse und andere Konstellationen viele Jahre lang nachwirken können. Heinrich v. Langenstein war später Rektor an der 1365 gegründeten Universität in Wien, wo er auch starb. Ungemein vielseitig war sein Zeitgenosse Nicolaus von Oresme (geb. 1320), der in Paris, Rouen und anderen Städten als Lehrer der Mathematik, als Arzt und Volkswirt wirkte und als der Begründer der Nationalökonomie gilt. Er bekämpfte die aristotelische Physik und die Auffassung, daß die Erde unbe­ dingt stillstehen müsse. Er hielt eine Achsendrehung der Erde für durchaus möglich und meinte, daß man damit viele Naturvor­ gänge leichter erklären könnte. Im Auftrag König Karls V. über­ setzte er die Schrift des Aristoteles „Vom Himmel“ ins Fran­ zösische, er war auch einer der ersten Gelehrten, die eine wissen­ schaftliche Abhandlung nicht mehr in Latein, sondern in der Muttersprache verfaßt haben. In seinem Trait6 contre l’astrologie (1346) bekämpfte er die Astrologie und warnte - ebenso 169

wie Langenstein - den König vor dem Treiben der Astrologen am königlichen Hof. Das war allerdings vergeblich, denn König Karl V. der Weise (1364-1388) war ein begeisterter Anhänger und Förderer der Astrologie, ja er gründete sogar in Paris ein reich dotiertes Forschungsinstitut für Astrologie, das er seinem Hausarzt-Astrologen zu Ehren „College du maitre Gervais“ nannte (Vanki).

Am Ausgange des 14. Jahrhunderts wirkten 2 miteinander befreundete Gelehrte an der Pariser Universität, von denen der eine, Pierre d’Ailly, ein Anhänger, der andere, Gerson, ein er­ bitterter Gegner der Astrologen war.

Pierre d’Ailly (Petrus Alliacus) geb. 1350, war Kanzler an der Sorbonne und war 1414 als Kardinal auf dem Konzil zu Konstanz, wo er die Suprematie des Papstes über die Konzilien verteidigte. Er schrieb ein berühmtes Werk in 3 Teilen über die Übereinstimmung (Concordantia) des christlichen Glaubens mit den astronomisch-astrologischen und mit den historischen Tat­ sachen, wobei er wie Albumasar das Entstehen und Vergehen von Weltreichen und Weltreligionen auf die Konstellation zu­ rückführte und dabei auch das Horoskop Christi anführte. Im 2. Traktat, Kap. 60 findet sich seine oft zitierte Vorhersage über die französische Revolution. Es heißt darin, daß „anno christi 1789 - wenn die Welt bis dahin noch steht, was nur Gott allein weiß - große und wunderbare Veränderungen der Welt vor sich gehen werden mulcationens futurae, maxime circa leges“.

Sein Freund, der als „doctor christianissimus“ gepriesene Theologe Jean Charlier, nach seinem Geburtsort auch Gerson ge­ nannt (geb. 1363), war ebenfalls Kanzler an der Sorbonne und wirkte mit Kardinal Ailly auch beim Konzil zu Konstanz mit. Seine Angriffe auf die Sterndeutung richteten sich vor allem ge­ gen die wahrsagerische Stundenastrologie und gegen die an der Schule von Montpellier gelehrte medizinische Astrologie. Er ver­ anlaßte ein Dekret der Sorbonne vom 14. Sept. 1398, worin in 28 Thesen eine Anzahl magischer und astrologischer Lehren als 170

ketzerisch verurteilt wurden. Viel Erfolg scheint dieser Beschluß nicht gehabt zu haben, denn bald darauf schrieb der Arzt und Theologe Jacque Ganivet ein Lehrbuch der Geburtsastrologie und einen weitverbreiteten „Amicus medicorum“, worin er die Ursachen der Krankheiten und die zu wählenden Heilmittel aus den Konstellationen herleitete, wobei man, wie er sagt, auch das Zeichen des Tierkreises berücksichtigen müsse, das das betref­ fende Land oder Stadtgebiet des Patienten beherrscht.

d) England: Dort war schon lange vor Baco die Hinneigung zu Erfahrung und Experiment und zur praktischen Auswertung der naturund sternkundlichen Einsichten oft unter Vernachlässigung der Theorie vorhanden. Wir beginnen mit dem vielseitigen Kos­ mologen Daniel von Morley (umll70), der in Toledo studiert hatte und die vollständige Abhängigkeit der irdischen von der oberen Welt lehrte. Er betonte den großen Einfluß der Mond­ phasen und der Mondstationen auf Leben, Schlaf und Gesund­ heit der Menschen und verteidigte gegenüber den Theologen die Astrologie, die nach ihm 8 wertvolle Wissenszweige umfaßt: Geburtshoroskopie oder judiziarische Astrologie, Medizin, ma­ gische Heilkunde, Landwirtschaft, Wundererscheinungen, Al­ chemie, Amulettkunst und Spiegelwissenschaft oder Mantik.

Sein Freund Roger v. Herford, der dem Toledaner Über­ setzerkreis angehörte, beschäftigte sich eingehend mit der Mundan- oder politischen Astrologie, wobei er eine neue Aufteilung der Tierkreiszeichen an die einzelnen Völker und Länder vor­ schlug. Weit über seine Zeit hinaus ragte an naturkundlicher Einsicht und Erfahrung der streitbare Bischof von Lincoln, Robert von Grosseteste (1175-1253), der in Oxford lehrte, wo Baco sein Schüler war. Er vertrat eine eigenartige Korpuskulartheorie des Lichts, das Träger aller Kraftwirkungen und Schöpfer des drei­ dimensionalen Raumes sei. Daher forderte er, daß Mathematik 171

und Geometrie die Voraussetzung für jede Naturerklärung sei und sieht in der darauf gegründeten Astrologie die höchste aller Wissenschaften, weil sie von allen anderen benötigt werde; das Pflanzen der Früchte, die Transmutation der Metalle, die Hei­ lung von Krankheiten, die Wettervorhersage etc., alles hänge ab von einer genauen Kenntnis der himmlisch-irdischen Harmonie­ gesetze. Um 1219 schrieb ein „Gilbertus Anglicus" (Wilhelm von England) eine Abhandlung „Wie man ohne Urinschau auf Grund astrologischer Regeln die Krankheiten erkennen kann.“ In dieser auch in der österreichischen National-Bibliothek vor­ handenen Handschrift sind in 84 Feldern die Beziehungen der 7 Planeten zu den 12 Tierkreiszeichen, sowie zu allen Organen und Krankheiten dargestellt. Frühzeitig haben die englischen Astrologen auch praktische Almanache, Ephemeriden und Prognostiken verfaßt (so Elverdes 1327, Gottfried v. Meldes 1337-1341). Bemerkenswert ist eine Schrift von Joannes Eschu'td, auch John v. Eschenden ge­ nannt, (vielleicht Asquith), die sich „Summa astrologiae iudicialis de accidentibus mundi quae anglicanae nuncupator“ betitelt, also die Mundanastrologie als eine spezifisch englische Wissen­ schaft bezeichnet. In dieser 1348 erschienenen Schrift sagt Eschuid, daß er schon im Jahre 1345 die schwarze Pest vorher­ gesagt habe und prophezeite aus der großen Konjunktion von 1365 die Zerstörung einer alten Religion (offenbar des Islam) und das Erscheinen neuer Propheten. Der bedeutendste eng­ lische Naturforscher nach Baco war der Franziskaner Wilhelm von Ockham, der zu Paris lehrte und als Nominalist die Halt­ losigkeit der aristotelischen Begriffe Raum, Zeit, Bewegung auf­ zeigte. Er gab wohl den ersten Anstoß zum Einsturz des aristotelisch-ptolemäischen Weltgebäudes. Im Kampf zwischen Kaiser und Papst trat er an die Seite der weltlichen Macht, wurde des­ halb exkommuniziert und fand Zuflucht bei Kaiser Ludwig dem Bayer in München, wo er 1349 oder 1350 starb. Seine Nach­ folger, die Pariser „Occamisten“ wie Buridan, waren meist Gegner der Astrologie. 172

e) Deutschland: In Deutschland hat, wie schon erwähnt, eine primitive latei­ nische Astrologie in den Klosterschulen ein bescheidenes Plätz­ chen gefunden. Durch die Kreuzzüge und ritterlichen Wander­ fahrten wurden allmählich auch arabisch-griechische Werke über Naturphilosophie und Astrologie bekannt, so die Schriften Gerberts und Bernard Silvestris, die auch Vorbild für die Schrif­ ten der ältesten deutschen Naturforscherin, der Äbtissin Hilde­ gard von Bingen (1098-1173) waren. In ihren naturkund­ lichen Schriften beschreibt sie die Heilkraft der Pflanzen und Edelsteine und ist ganz erfüllt vom Parallelismus zwischen Makro- und Mikrokosmos. „Der Mensch hat in sich Himmel und Erde.“ Sie lehnt die Nativitätsstellerei als heidnischen Un­ fug ab, hält aber die natürliche Astrologie für erlaubt und nütz­ lich, vor allem ist sie vom großen Einfluß des Mondes auf das Leib- und Seelenleben sowie auf die Konzeption überzeugt, in diesem Sinne hat sie auch ein Empfängnislunar veröffentlicht, das Schicksalsprognosen für die an jedem Tag des synodischen Mondlaufes gezeugten Knaben und Mädchen enthält. Ihr großes Werk über die Heilkunde (Ursachen und Heilung der Krank­ heiten) wurde kürzlich von W. Schipperges neu übersetzt und herausgegeben, ebenso das Werk „Welt und Mensch“ als 4. Band der Gesamtausgabe.

Ein ähnliches, lediglich auf den Mondlauf bezügliches Lunar, ist das aus dem 12. Jahrhundert stammende „Tegernseer Prognostikon“, das sich aber nicht auf die Empfängnis, sondern auf die Geburtszeiten bezieht. Doch war damals auch die Aufstellung eines vollständigen Horoskops schon bekannt, das zeigt das vielleicht älteste deutsche~Horoskop, das in den Annales Stadensis enthalten und in den Monument. Germ. Script. Bd. 16 veröffentlicht worden ist. Es betrifft den zweitgeborenen Sohn des Kaisers Friedrich I. Barbarossa, des Herzogs Friedrich von Schwaben, der am 16. Juli 1164 um die 3. Tagesstunde in Pavia geboren wurde. 173

Es zeigt bereits die üblichen rechteckigen Formen mit Angabe des Aszendenten und der Planeten (die Sonne fehlt). Audi in deutscher Sprache erschienen schon damals einige astronomisch-astrologische Schriften, so der „Elucidarius“ des Mönches Honorius von Autum, der bei den Schotten in Regens­ burg um 1150 wirkte. Audi Berthold v. Regensburg hat in sei­ nen „deutschen Predigten“ darauf hingewiesen, daß Gott den Sternen Kraft gegeben habe, über alle Dinge, über Pflanzen, Tiere und selbst über den Leib des Menschen zu herrschen, nur „über dinen willen habent sie keinen gewalt.“ Um 1215 schrieb der Kanonikus v. Aquilea, Thomas von Zirclaria, ein deutsches Lehrgedicht „Der welsche Gast“, worin er die aus Welschland stammenden 7 freien Künste, darunter auch die Astrologie, preist und die Menschen ermahnt, sich von den lügnerischen Abenteuer­ geschichten abzuwenden und mehr den Blick nach oben zu rich­ ten, denn „ob den man (Mond) ist staetigkeit“. Die deutsche Dichtung dieser Zeit, die sich viel an provenzalische Vorbilder und Rittergeschichten gehalten hat, gibt viele Hinweise auf die damals schon weitverbreiteten astrologischen und magischen Lehren. So tritt im „Tristan“ des Gottfried von Straßburg der sternkundige Zwerg Melot auf, im „Wartburgkrieg“ ist es der Zauberer Klingsor und in dem um 1250 verfaßten „Tann­ häuser“ sagt dieser, daß er die Kunst astronomia und nigromancia in Toledo erlernt habe. Wolfram von Eschenbach versichert uns treuherzig, daß schon „unser vater adam“ die Sternkunde vom lieben Gott erhalten habe. Im Gegensatz zu Chretiens Fassung des Parzival, die nichts Astrologisches enthält, hat Wolfram von Eschenbach in seinem Parzival die Gralssage mit einer Art christianisierter Astrologia naturalis zu verbinden gesucht und Leben und Leiden seiner Helden mit Himmelsvorgängen in Beziehung gesetzt. Ob­ wohl sich Wolfram dabei auf einen heidnischen Astrologen Flegetanis beruft, sind seine Kenntnisse dieser arabischen Stern­ kunst nur ganz oberflächlich. Weitaus gründlicher hat darüber ein Österreicher berichtet, der sich Leopoldus Ducatus Austriae filius nannte und ein weit174

Tierkreisbilder nach der Compilatio de astrorum scientia von Leopoldus von Austria (1326)

Saturn und seine Kinder (Mittelalterliches Hausbuch, um 1480)

verbreitetes Kompendium der Astrologie, die „Compilatio de astrorum scientia“ schrieb. Vom Autor ist nichts Näheres be­ kannt, doch ist die Meinung Günthers (in der ADB), daß er kein Herzogsohn, sondern bloß ein Sohn des Herzogtums (Ducatus) Österreich gewesen sei, kaum aufrecht zu erhalten. Denn in der von Carmody herausgegebenen französischen Über176

Frau Luna und ihre Kinder (Mittelalterliches Hausbuch, um 1480)

Setzung sagt der Autor klar und deutlich „Je sui Leupoll le fils le duc d’Osterrice . ** Es könnte sich um einen illegitimen Sohn des Herzogs Leopold I. (gest. 1326) handeln, der sich dem geist­ lichen Stand gewidmet und in Paris studiert hatte. Nach Car­ mody soll er dem Kreise der französischen Enzyklopädisten um Vincenz v. Beauvais angehört haben und muß das Werk 177

nach den darin enthaltenen Daten um 1270 geschrieben haben. Es wurde bald darauf auch ins Französische übersetzt und diese aus dem Besitze der Königin Marie von Luxemburg stammende Handschrift ist jetzt in der Pariser National-Bibliothek. Das Werk war nach dem Plan des Autors eine Art Hausschatz des Wissens, der alles enthalten sollte, was ein Astrologe über die Sterndeutung wissen muß. Das für die Geschichte der Astro­ logie hochbedeutsame Werk, eines der ersten Bücher über ara­ bische Sternkunde, das in eine Volkssprache übersetzt worden ist, ist handschriftlich noch in zahlreichen Bibliotheken vor­ handen und wurde erstmalig 1489 in Venedig gedruckt. Es ent­ hält 10 Traktate, von denen die ersten zwei die Himmels­ sphären und ihre Kreise astronomisch beschreiben. Der 3. enthält eine Verteidigung der Astrologie, es folgen dann die Traktate über die 4 Hauptzweige der Astrologie, die Mundanastrologie, die Geburtsastrologie, die Fragehoroskopie und die Stunden­ wahl oder Elektionen. Die ersten 3 Traktate hat Carmody nach der oben zitierten Handschrift herausgegeben. (Leopold of Au­ stria: Li compilacions de la sciense des etoiles. Los Angeles 1947). In der deutschen Mystik werden die heidnischen Planeten­ götter christianisiert; sie werden mit den 7 Gaben des heiligen Geistes und nach dem Polaritätsprinzip auch mit den 7 Tod­ sünden verbunden. Meister Eckhardt knüpft sogar an das antike Motiv der Himmelsreise der Seele an und sagt: „Ist die Seele zu einem seligen Himmel geworden, so ziert sie unser Herr mit den 7 Sternen ... der erste ist Saturnus, der Läuterer, der zweite Jupiter ein Begünstiger, der dritte Mars, ein Furchterweckender, der vierte die Sonne, ein Erleuchter, der fünfte, Venus, ein Liebebringer; der sechste, Merkurius, ein Gewinner, und der siebente, der Mond, ein Läufer. So geht denn am Himmel der Seele Saturnus auf, als ein Läuterer zu Engelsreinheit.. und bringt als Gabe das Schauen der Gottheit...“ (folgen die Ga­ ben der 6 anderen). Dies führt uns zum Kapitel der Planetenkinder, die in der deutschen Kunst und Dichtung des 14. Jahrhunderts eine große 178

Saturn und seine Kinder (Niederländisch, um 1440)

Rolle spielten und weitreichenden Einfluß gehabt haben. Die älteste deutsche Fassung eines solchen Planetenbuches stammt (nadi Stegemann) aus dem Jahre 1404, sie ist nach lateinischen Quellen zusammengestellt und beschreibt eingehend die körper­ lichen und geistigen Eigenschaften sowie die Schicksale der unter dem betreffenden Planeten bzw. Herrschaftszeichen geborenen Kinder. Neben den Planetenbüchern enthielten auch - wie schon erwähnt - die Kalender und Almanache viele populär­ astrologische Hinweise und Regeln für die Landwirtschaft, Gartenbau, Hauswesen, Aderlaß etc. Einer der ältesten Kalen­

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der dieser Art ist das Calendarium 1305, wo es u. a. heißt: „Die Sonne steht im Wassermann, da soll man nicht zu Ader lassen, auch keine Arznei nehmen, aber gut wein soll man nüchtern trinken“. Wie im Auslande fand auch an vielen deutschen Fürstenhöfen die Astrologie Anhänger und Förderer. So waren bei Markgraf Otto von Brandenburg (1290), beim Landgrafen Friedrich von Thüringen (um 1310), bei Kaiser Ludwig dem Bayer (um 1340) Astrologen ständig bedienstet. Von Herzog Wilhelm von Öster­ reich, dem ältesten Sohn Herzog Leopold III., berichtet Kon­ rad von Würzburg, daß ihm bei der Geburt das Horoskop gestellt und daß ihm höchster Ruhm unter allen Rittern prophe­ zeit wurde. (Er starb aber schon frühzeitig und kam überhaupt nicht zur Regierung.) Von Herzog Albrecht III, (1365-1393) wird erzählt, daß er „in der Kunst sternsehen viel Klugheit“ gezeigt habe, er berief auch bedeutende ausländische Gelehrte an den Wiener Hof und an die von Herzog Rudolf im Jahre 1365 gegründete Wiener Universität, darunter Albrecht von Rickmersdorf, der ein Anhänger, und der schon erwähnte Heinrich von Langenstein, der ein Gegner der Astrologie war. Ein spä­ terer Nachfolger an der Wiener Hochschule war Johann Schindel von Gmunden, der seit 1408 Vorlesungen über Mathematik und Philosophie hielt und Kalender für je eine 19jährige Mond­ periode, also 1410, 1439 und 1458 verfaßt hat. Es waren die ersten deutschen astronomisch-astrologischen Kalender, die durch Blockdruck hergestellt wurden. f) Byzanz: Über die Entwicklung der Astrologie im byzantinischen Kaiserreich, dessen Geschichte in Deutschland bisher recht stief­ mütterlich behandelt wurde, wissen wir recht wenig. Hierzu kommt noch die Abneigung der Griechen gegen das „lateinische“ Abendland, die sich in einer „Abkapselung“ ihrer Literatur gegenüber dem Abendland ausdrüdct. So hatte auch die byzan­ tinische Astrologie wenig Kontakt und wenig Resonanz in der

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abendländischen Astrologie gefunden. Durch die fortwährenden inneren Wirren, durch die Einfälle der Araber, der Bulgaren, der Normannen, etc. ist schließlich nur das Fragment eines großen Reiches übrig geblieben. Wir haben schon erwähnt, daß Kaiser Justinian die heidnische Philosophie unterdrückte und die Ausübung der Astrologie mit dem Tode bestrafte. 200 Jahre später hatte aber Stephanus von Alexandrien einen Lehrstuhl für Sternkunde in Byzanz inne und suchte durch mehrere Schrif­ ten über die „mathematische Kunst“ das Interesse an der Astro­ logie neu zu beleben. Später war der schon genannte Theo­ philos von Edessa am Hofe des Kalifen Al Mahdi als Vermittler griechisch-arabischen Kulturaustausches tätig. Der gelehrte Kalif Al Mamum (um 820) erbat sich aus Byzanz Abschriften von griechischen Werken über Astronomie und Mathematik und empfahl den Philosophen Leon, der unter Kaiser Theophilos (um 830) eine Professur für Sternkunde in Byzanz erhielt. Leon beschäftigte sich besonders mit politischer Astrologie, zu welchem Zwecke er, ähnlich wie Hephaestion v. Theben, den bewohnten Erdkreis in Dreistundenzonen (Trihorten) zerlegte, innerhalb welcher Frist jedes Tierkreiszeichen eine andere Ge­ gend beherrsdien sollte. Im 7.-8. Jahrhundert erschütterte der Bilderstreit das byzan­ tinische Reich, an dem auch Astrologen bedeutenden Anteil ge­ habt haben sollen. In einem dem Kirchenvater Johannes von Damaskios zugeschriebenen „Brief an Kaiser Theophilos über die Bilderverehrung“ werden die Astrologen direkt als Urheber des Bildersturmes hingestellt (Riedinger). Darin wird von Kai­ ser Leon III. (717-734) berichtet, der als erster die Entfernung der Bilder aus christlichen Kirchen befohlen hat, daß ihn 2 jüdi­ sche Astrologen dazu ermuntert haben. Ähnliches wird auch von Kaiser Leon V. (um 820) erzählt, der dem Astrologen Sabatios als Lohn 'für seine Prophezeiung den Kampf gegen die Bilder­ verehrer versprechen mußte. Nach längerer Pause, hervorgerufen durch die inneren Kämpfe und den Einfall der Bulgaren und Araber und der Normannen, denen die schwachen Kaiser Tribute zahlen mußten, blühte die

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Astrologie erst wieder unter Kaiser Michael Komnenos (1143— 1180) auf. Der Kaiser war ein großer Freund aller Geheim­ wissenschaften, veranlaßte die Neuherausgabe des sogenannten Kiranides, eines Sammelwerkes magisch-astrologischer Schriften, das aus dem Arabischen ins Griechische übersetzt - eigentlich rückübersetzt wurde, da das verlorene Original von einem griechischen Astrologen Harpokration stammen soll - ebenso die Neuherausgabe der Schriften Waraha Mihiras und der jüdi­ schen Astrologen Zael und Messahalla (Siehe Kapitel V. 8.). Er selbst verteidigte in einer noch erhaltenen Schrift die Astro­ logie vom Standpunkt der Naturerkenntnis und des christlichen Glaubens gegen die fanatischen Angriffe des Mönches Michael Glykas. Als diese zu arg wurden, ließ ihn der Kaiser wegen sei­ ner „mönchischen Einfalt“ blenden. Im 12. Jahrhundert lebte auch der Dichter Johannes Kamateros, der ein noch erhaltenes astrologisches Lehrgedicht verfaßt hat, in dem er auch die Sphaera barbarica des Teukros und die Deutungsregeln des jüdischen Astrologen Zael (Sahl ben Bishri) anführt. Für den Kaiser Porphyrios Genetos verfaßte er eine „Einleitung in die Gestirnkunst“, ein Kompendium griechischer Astrologie, Astronomie, Meteorologie und astrologische Ethno­ graphie, ebenfalls in Versen (Beide neu herausgegeben von L. Weigel). Im 14. Jahrhundert wirkte der Gelehrte Johannes Katrarios, der erst in jüngster Zeit als Autor des im Mittelalter viel zitierten Dialogs Hermippus erkannt wurde (Herausgegeben von Kroll). Darin suchte der Autor, obwohl er ganz von neuplatonischen Gedanken erfüllt war, die Astrologie von heidnischen Zutaten zu reinigen und in Übereinstimmung mit dem christlichen Glau­ ben zu bringen. Er sieht in den Sternen göttliche Himmelskräfte, die alles Irdische durchdringen, aber keinen direkten Einfluß auf die menschliche Seele haben. Er verwirft die Lehre von den 12 Häusern und Schicksalsbedeutungen, von den Würden der Pla­ neten im Tierkreis, ist gegen die Individualastrologie und will nur Vorhersagen über Finsternisse und Konjunktionen zulassen, die als göttliche Anzeichen und Warnsignale zu betrachten seien.

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Aber selbst diese zugestutzte christianisierte Astrologie wurde von der griechischen Orthodoxie, insbesondere von dem Theo­ logen Theodor v. Melitenota angegriffen und als prahlerische Torheit verworfen. Aber trotzdem blieb das Interesse an der Astrologie bei den Fürsten und Gelehrten stets wach, es wurde immer wieder durch die lebhafte Nachfrage nach griechischen astronomischen-astrologischen Handschriften neu angeregt, die besonders im Zeitalter der Renaissance in steigendem Maße über Venedig ins „latei­ nische Abendland“ eindrangen.

Literatur zum 6. Kapitel Grundlegend für diese Berichtsperiode und für die vorliegende Dar­ stellung ist das bereits im vorigen Kapitel zitierte Werk Thorndike L.: A history of magic and experimental science during the first 13 centuries of our era. New York 1923. 2 Bde. Die Quellenwerke der einzelnen Autoren sind bereits im Text an­ geführt, hier folgen einige allgemeine Schriften und Monographien.

Ueberweg's Grundriß der Geschichte der Philosophie, 2. Teil. Die patristische und scholastische Philosophie. 11. neubearbeitete Auflage von B. Geyer, Berlin 1928. Eicken H. V.: Geschichte und System der mittelalterlichen Weltan­ schauung. 4. Auflage. 1923. Strunz F.: Geschichte der Naturwissenschaften im Mittelalter, Leipzig 1910. Kiesewetter K.: Die Geheimwissenschaften (Geschichte des Okkultis­ mus. 2. Band). Leipzig 1894. Wedel Th.: The mediaeval attitude toward astrology. Yale Univ. Studies. New Haven 1920. Rodocanachi E.: Les m^decins et astrologues italiens en France du 10 au 16. si&cle. (La Revue hebdomaire Nr. 51 ex 1912 Paris). Strauß H. A.: Der astrologische Gedanke in der deutschen Vergangen­ heit. Mit zahlreichen Abbildungen. München 1926. Hauber A.: Planetenkinderbilder und Sternbilder, Straßburg 1916. Aschbadj H.: Geschichte der Wiener Universität. 2 Bände. 1865—77.

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Zinner E.: Verzeichnis der astronomischen und astrologischen Hand­ schriften des deutschen Kulturgebietes. München 1935. Meyer C.: Der Aberglaube des Mittelalters. Basel 1884. Bauer S. K.: Sternkunde und Sterndeutung im 9.—14. Jahrhundert, unter Ausschluß der reinen Fachwissenschaft. (Germanistische Studien, Heft 186). Berlin 1937. Pruckner H.: Studien zu den astrologischen Schriften des Heinrich von Langenstein. (Warburg-Studien, Band 14). Leipzig 1933. Liebschütz H.: Das allegorische Weltbild der hl. Hildegard von Bin­ gen. (Warburg-Studien, Band 16). Leipzig 1930. Deinert W.: Ritter und Kosmos im Parzifal. (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters). München 1960.

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7. Kapitel DIE BLÜTEZEIT DER ASTROLOGIE

1450-1650

A.

Einleitung

Durch 2 Jahrhunderte voll Licht und Schatten führt uns nun unser Weg, in dem die gelehrte Astrologie einen nicht mehr er­ reichten Aufschwung nahm, an vielen Universitäten regelmäßig gelehrt und von Kaisern und Fürsten, Päpsten und Bischöfen anerkannt und benutzt wurde. Am Eingang dieser Zeit stehen die hellen, von frischer Luft erfüllten Säle der platonischen Akademie, am Ausgang das dumpfe Kellergewölbe, in dem Keplers Mutter der Hexenprozeß gemacht wurde. Zwei mächtige Gedankenströme durchbrausten vom Süden her die Kultur des Abendlandes: Humanismus und Reformation, die Befreiung des Geistes von den Autoritätsketten des mittelalterlichen Den­ kens und die Loslösung des Christenmenschen von der Vor­ mundschaft Roms. „Ich will mein eigener Herr, nicht des Andern Knecht sein“ (Paracelsus), ich will selbst die Quellen kennen und mir mein eigenes Urteil bilden, das war das Leitmotiv vieler Menschen dieser Zeit, ob es sich nun um geistliche oder weltliche Schriften handelte. So haben auch Humanisten wie Regiomontanus, Pruckner, Scaliger, Camerarius etc. die Hauptwerke der griechischen Philosophie, Sternkunde und Mathematik, gereinigt von arabi­ schen Zusätzen, neu herausgegeben und weiten Kreisen zugäng­ lich gemacht. Allerdings hatte die durch die Erfindung der Buch­ druckerkunst (1453) ermöglichte weite Verbreitung von Schrif­ ten auch ihre Gefahren. Allerlei Schwarmgeister hetzten unter Berufung auf die Bibel das Volk zu revolutionären Taten auf und durch Lektüre der Bibel und allerlei Zauberbücher griff 185

die Furcht vor dem Teufel, dem „Herrn der Welt“, immer mehr um sich. Überall, in katholischen wie in protestantischen Län­ dern, wurden Hexen und Teufelsbündner verbrannt, überall hatte der Teufel die Hand im Spiele und klopfte auch an die stille Gelehrtenstube an. Der ungestüme Erlebnisdrang, der Wille, die Natur zu erkennen und zu beherrschen, führte viele „faustische Naturen“ zur Magie; „ob mir durch Geistes Kraft und Mund nicht manch’ Geheimnis würde kund.“ Verlassen von der schützenden Hülle des mittelalterlichen Lehrgebäudes, aber noch weit entfernt von dem selbstsicheren Rationalismus der Späteren, blieben viele im Gestrüppp magisch-kabbalisti­ scher Lehren hängen, dies erklärt auch die häufigen Wider­ sprüche im Denken dieser Menschen von Pico und Paracelsus bis zu Campanella und Fludd.

B.

Die Astrologie in der Philosophie dieser Zeit

Nach Spenglers morphologischer Geschichtsbetrachtung ist der unendliche Weltraum das Ursymbol des „faustischen Menschen“. Danach müßte die Geistesgeschichte dieser Zeit mit dem Kar­ dinal Cusanus (Nikolaus Krebs aus Cues an der Mosel 1401— 1469) beginnen, denn er war wohl der erste, der über das Glashaus der 8 Himmelssphären hinaus den Blick in die Unend­ lichkeit des Weltalls richtete. Nach ihm hat die Welt keinen Umfang, keinen Mittelpunkt und keine Grenzen. Daher kann auch die Erde nicht ihr Zentrum und nicht ohne Bewegung sein. Es ist ganz „klar“, daß sich die Erde wirklich bewegt, wenn­ gleich wir es nicht bemerken, da wir Bewegung nur durch Ver­ gleich mit etwas Unbewegtem wahrnehmen können. Der Mensch muß also bestimmte, als unveränderlich und unbeweglich ge­ dachte Ausgangspunkte setzen, an denen die Bewegung erkannt und gemessen werden kann, ohne die eine Beschreibung der Naturvorgänge nicht möglich wäre. Man darf aber nicht ver­ gessen, daß diese willkürlich gesetzten Gedankendinge keine reale Wirkung haben, daher gibt es im Weltall kein reales 186

„Oben“ und „Unten“, keine fixen Himmelspole und keine spezifischen Bewegungen, die am „Oben“ und am „Unten“ haften, wie Aristoteles gelehrt hatte. Cusanus Lehre von der Relativität des Ortes und der Bewe­ gung, die den Übergang von einem statisch-strukturhaflen zu einem dynamisch-funktionellen Zusammenhang im Kosmos ein­ leitete, wurde von seinen Zeitgenossen noch kaum erfaßt, nur die Astrologen spürten alsbald den erdbebenartigen Stoß an ihr Lehrgebäude und wir werden sehen, wie eifrig sich Anhänger und Gegner von Pico über Kepler bis Placidus mit der revo­ lutionären Lehre des Cusanus auseinandersetzten. So nahm auch in dem Kampf, der zwischen Aristotelikern und Platonikern ent­ brannte, die Astrologie eine merkwürdige zwielichtige Stellung ein, sie wurde von beiden Lagern angegriffen, von beiden ver­ teidigt. Dieser Kampf wurde von dem aus Byzanz geflüchteten Philosophen Georgios Gemistos, der sich nach seinem Idol „Plethon“ nannte, mit seiner Schrift „Über den Unterschied der platonischen und der aristotelischen Philosophie“ einge­ leitet. Auf seine Anregung gründete Fürst Cosimo Medici 1438 die platonische Akademie. In seinem nur fragmentarisch erhal­ tenen, ausgesprochen christenfeindlichen „Buch der Gesetze“ stellte er nach neuplatonischen Ideen eine Art himmlischer Hierarchie auf. Der höchste Gott, das reine Sein darstellend, ist Zeus; es folgen die von Zeus geschaffenen Götter 2. Ordnung, die Ideen. Aus der Idee aller Ideen, aus Poseidon, der ältesten geschaffenen Gottheit, entstammen die Götter 3. Ordnung: Ge­ stirne und Dämonen. Die Gestirne zerfallen in 2 Gruppen: Pla­ neten und Fixsterne. Nur die ersteren sind schöpferisch, insbe­ sondere Helios und Selene. Diese haben unter Beihilfe der übri­ gen Planeten den sterblichen Teil des Menschen geschaffen und wirken durch diesen auf die Menschen ein. Gegenüber dieser neuheidnischen Lehre suchte der an der pla­ tonischen Akademie wirkende Arzt und Philosoph Marsilio Ficino (1433-1499) in seiner „Theologia platonica“ die Leh­ ren Platons mit dem christlichen Glauben zu vereinen. In dich­ terischer Art schildert er die innige Sympathie der oberen und 187

der unteren Welt und stellt ein Stufenreich auf, dessen Teile alle zur Vollkommenheit streben. In der Mitte dieses Stufenreiches steht die Seele in ihrer dreifachen Gestalt als Weltseele, Sphären­ seele und menschliche Seele. So ist auch der Mensch in dreifacher Weise mit dem Kosmos verknüpft: durch seinen Geist ist er mit der höheren Geisterwelt in Verbindung und untersteht der gött­ lichen Vorsehung, durch seine Seele ist er mit der Weltseele ver­ bunden und steht in der Ordnung des Schicksals, sein Körper aber weist ihn in das Reich der Natur und damit in den Bereich der Notwendigkeit. So steht der Mensch in der Dreiheit Provi­ dentia - Fatum - Natura eingeschlossen und kann Kraft seines freien Willens bald die eine, bald die andere Fessel auf sich neh­ men und seiner Bestimmung gemäß leben. Wenn Boll und Burckhardt behaupten, daß Ficino die Astrologie abgelehnt habe, so bezieht sich das nur auf die handwerksmäßige Nativitätsstellerei, die ja vielen gelehrten Astrologen ein Greuel war. Wie sehr Ficino vom Einfluß der Gestirne überzeugt war, beweist sein Briefwechsel mit Cavalcanti (Panofsky-Saxl). Darin tadelt Cavalcanti seine Satumfürchtigkeit, der ihm (Ficino) doch das gute Gedächtnis, die Konzentrationsgabe und die Lust an der vita contemplativa, dem beschaulich-nachdenklichen Leben, ge­ geben habe. Statt sich zu beklagen, solle Ficino eher ein Loblied auf Saturn verfassen. Und Ficino hat diesen Rat wirklich befolgt. In seinem Werk „De vita triplica“ gibt er Ratschläge für die Lebensführung eines saturnbeeinflußten Menschen und weist auch auf die Polarität der Gestirne hin; jeder Mensch kann sich nach freier Wahl für die positive oder negative Auswirkung des Gestirns entscheiden. Zu einer ähnlichen christlich-platonischen Auffassung kam auch der Kardinal Bessarion, der Freund und Förderer des Regiomontanus, sowie der Humanist Konrad Celtes, der in Italien die neuplatonischen Anschauungen kennen lernte und be­ geistert die Wechselwirkung zwischen Himmel und Erde, Kos­ mos und Mensch preist. Der gekrönte Dichter Celtes führte den Platonismus an der Wiener Universität vor, in seinem Proseuticum 1499 hat er auch seine eigene Nativität beschrieben. 188

Auf den schwärmerischen Platonismus legte sich ein eiskalter Hauch; er kam aus Padua, der Hochburg des Aristotelismus, von Pietro Pomponazzi (1462-1524), der in seiner Schrift „de incantatione” gegen den heidnischen Wunder- und Zauberglau­ ben mit seinen Beschwörungen loszog. Pomponazzi suchte alles Naturgeschehen in dem Rahmen einer bedingungslosen und ausschließlichen siderischen Kausali­ tät einzuspannen. Selbst Gott kann nur durch die Gestirne ein­ wirken, denn diese sind nicht bloß Anzeiger des göttlichen Willens, sondern dessen echte und unentbehrliche Mittelursachen. Könnten Engel, Geister oder Dämonen direkt ohne die Gestirne auf Naturobjekte, insbesondere auf den Menschen einwirken, so wäre die Funktion, die sie im Ganzen der Welt zu erfüllen haben, nicht mehr verständlich. So macht Pomponazzi - wie Cassirer ausführt — die astrologische Kausalität zur Bedingung der Begreiflichkeit der Natur. Sie allein kann uns aus dem ufer­ losen Wunder- und Teufelsglauben retten und kann die Gültig­ keit der Naturgesetze verbürgen. Ja, sind aber diese Gestirneinflüsse wirklich durch die Erfah­ rung bestätigt? Dies bestreitet, trotz seiner platonisch-mystischen Einstellung der leidenschaftlichste Gegner der Sterndeutung, Graf Pico von Mirandola (1463-1494) in seiner umfassenden Streitschrift Disputationes adversam astrologiam divinatricem (360 Seiten in Folio! Bologna 1495). Darin sagt er, daß „in den Beobachtun­ gen und Experimenten der Astrologen alles unsicher ist, nichts feststeht, nichts wahr oder glaubhaft, sondern alles zweifelhaft und lächerlich sei“. Er sagt, daß man die Natur nach ihren eige­ nen Prinzipien, nach der nächstliegenden Ursache erfassen müsse und daß deduktiv ersonnene Erklärungsgründe nicht schon des­ halb wahr und real sein müssen, weil sie logisch einwandfrei abgeleitet wurden. Als reale Wirkungen der Gestirne können wir aber nur Licht und Wärme feststellen. Die Astrologen nehmen aber gewisse okkulte Qualitäten und Kräfte an, die am bloßen Ort haften. So soll z. B. ein Tierkreiszeichen auch in absentia solis wirksam sein. Aber der Ort - sagt Pico (mit

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Cusanus) - ist eine geometrisch ideelle, keine physisch-reale Be­ stimmung, von ihm können daher auch keine physischen Wir­ kungen ausgehen. Die Astrologen schreiben aber den 12 Tier­ kreiszeichen, den 12 Himmelshäusern, den Aspekten etc. reale Wirkungen zu, als wären das physische Wesenheiten. Auch aus ethischen Gründen bekämpft Pico die Astrologie. In seiner wundervollen Rede über die Würde des Menschen sagt er: „Nichts Größeres gibt es auf Erden als der Mensch, nichts Größeres im Menschen als dessen Geist und Seele, die sich über alle himmlischen und irdischen Einflüsse erheben können und keine Sternenknechtschaft dulden: Aller Fortschritt in Kultur und Technik ist ein Werk des freischaffenden Geistes und keines­ wegs von kosmischen Einflüssen abhängig.“ Über die persönlichen Hintergründe, die Pico zu dieser leiden­ schaftlichen Stellungnahme gegen die Astrologie veranlaßten, werden wir im 7. Abschnitt Näheres erfahren. An Cusanus schließt sich die Philosophie des Neuplatonikers Bovillus (Charles de Bouelles) an, bei dem sich - wie Cassirer sagt - jener Grundtrieb des mittelalterlichen Denkens besonders zeigt, den ganzen Kosmos mit einem dichten Netz von Analo­ gien zu umspannen. Im magischen Denken dieser Zeit war die Analogie keine bloße Ähnlichkeit in Gestalt oder Funktion, sondern eine sich gegenseitig auswirkende Wesensverwandt ­ schaft. In diesen Analogien schwelgt auch der abenteuerliche Humanist Heinrich Cornelis aus Köln (römisch Colonia Agrip­ pina), der sich deshalb Agrippa von Nettesheym nannte (1486— 1535). In seinem um 1510 verfaßten Jugendwerk „de occulta philosophia“, das eine erstaunliche Belesenheit in der hermetisch­ philosophischen Literatur zeigt, unterscheidet Agrippa 3 Welten: eine elementare, himmlische und göttliche Welt, die der mensch­ lichen Dreiheit Körper, Seele und Geist entspricht. Neben den 4 irdischen Elementen wirkt als Vermittler im Stufenreich der Natur die quinta essentia, die im Mineral als geometrisches Ge­ staltungsprinzip, in der Pflanze als vegetative Kraft, im Tier als Trieb und Empfindung, im Menschen als Vernunft wirksam ist. Die Magie hat den Zweck, das Obere mit dem Untern zu

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verbinden und den Menschen in die Nähe Gottes zu bringen. Gemäß den 3 Welten gibt es auch 3 Arten von Magie, eine na­ türliche, eine siderische und eine göttliche Magie. Das 2. Buch der okkulten Philosophie ist nun ganz der Magie des Sternen­ himmels gewidmet, in welchem Agrippa nach Zahlengruppen geordnet die Hierarchie der Geister, ihre Namen, Charaktere, Sigel etc. und ihre Entsprechungen im Mineral-, Tier- und Pflan­ zenreich aufführt. Agrippa hat später nach einem abenteuerlichen und an Fehl­ schlägen reichen Leben als Arzt, Jurist, Philosoph, kaiserlicher Hauptmann und Diplomat sich auf den Boden der Skepsis ge­ stellt. In einer Schrift „Über die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften“ (deutsch v. Mauthner 1913) bringt Agrippa alles vor, was je zur Kritik der Theologie, Philosophie, Magie und Astrologie geschrieben wurde und nimmt auch sein eigenes Jugendwerk, „Die okkulte Philosophie“, nicht aus. Eine ähnliche, unstete und widerspruchsvolle, aber bedeutend tiefere Natur war der große Arzt, Theologe und Naturphilosoph Theophrast Bombast von Hohenheim, der sich stolz Paracelsus (d. h. über den großen Celsus hinausgehend) nannte (1493-1541). Sudhoff sieht in ihm die bedeutendste Erscheinung der nordischen Re­ naissance. Seine überragende Bedeutung als Bahnbrecher der modernen Medizin ist bekannt, hier haben wir es nur mit seiner Stellung zur Astrologie bzw. Astrosophie zu tun. Auch Para­ celsus geht von der hermetischen Dreiteilung und vom Parallelismus Makro-Mikrokosmos aus; der gestaltlose Urstoff (Iliaster) ist nach 3 Prinzipien, etwa Aggregatzuständen, geordnet, die er symbolisch Sal, Sulphur und Mercurius nennt. Die Quinta essentia des Agrippa wird bei ihm zu einer organisierenden und formbildenden Kraft, die er Archaeus nennt und die in allen 3 Naturreichen wirksam ist. Bei Tier und Mensch heißt diese Kraft Evestrum, sie ist Trägerin der Lebenskraft, die Seelisches und Materielles einschließt. Neben diesem Evestrum gibt es aber beim Menschen noch ein leiblich-seelisches Zwischen­ glied, die Mumia oder der siderische Leib, der gleichsam wie eine Aura den Körper umhüllt. Dieser siderische Leib zieht wie ein

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Magnet die Kraft der Gestirne an sich und steht zu ihm in Wechselwirkung. Die Gestirne wirken über den Astralleib auf den Menschen ein, der Mensch aber kraft seiner Imagination auf das Gestirn. Die „astronomia“ dient dazu aus den Kon­ stellationen des oberen Firmaments, das eigene Firmament in sich zu erkennen. Denn „so groß ist menschliche Weisheit, daß sie unter ihr hat alle Gestirne, Firmament und den ganzen Himmel“. Oft wendet sich Paracelsus gegen die einseitige An­ sicht, gegen „die Fabulam, daß das Gestirn den Menschen mache“. Es ist aber nicht der Saturn ober uns, sondern der Saturn in uns, der uns peinigt. Und was Mars vermag, das ver­ mag der Mensch selbst. Denn die uns von Gott geschenkte Weis­ heit überwindet alle Himmel und Sterne. Zuweilen nimmt Para­ celsus statt der kosmisch-irdischen Wechselwirkung eine bloße Entsprechung oder eine zeitliche Korrelation von kosmisch-irdi­ schen Geschehnissen an, so in einigen seiner Prognostiken. Wie alle großen Geister verachtete er die übliche Horoskopstellerei und Schicksalswahrsagerei, für ihn war die Astrologie ein Hilfs­ mittel für den Arzt - denn der Arzt soll ein Astronomus sein und ein Weg zur Erkenntnis des Wirkens Gottes in der Natur. Seinen abenteuerlichen, unsteten Lebenslauf hat Kolbenheyer in seiner Paracelsus-Trilogie anschaulich geschildert; seine natur­ wissenschaftlichen und medizinischen Schriften hat Sudhoff in 14 Bänden 1922-33 herausgegeben, seine theologischen und religionsphilosophischen Schriften werden derzeit - nicht minder umfangreich - von K. Goldammer ediert. Sie zeugen von der gewaltigen Schaffenskraft dieses großen Geistes, der trotz seines unsteten Lebens und trotzdem er noch ganz im Banne des Teufels- und Hexenglaubens steckte, so Großes und Wegweisen­ des schaffen konnte. Zu Wittenberg, dem Zentrum protestantischer Gelehrsamkeit, lehrte Philipp Melanchthon (Schwarzerd, 1496-1565) als Theo­ loge und Begründer einer auf Aristoteles zurückgreifenden pro­ testantischen Neuscholastik. In Tübingen hatte er bei dem be­ kannten Astrologen Stoeffler studiert und war ein begeisterter Anhänger der Astrologie. In seiner Ausgabe der Tetrabibios des

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Ptolemaeus preist er in der Vorrede die Wissenschaft der Astro­ logie als eine Krone des Menschengeschlechtes und ihre ehr­ würdige Weisheit als ein Zeugnis Gottes. In der Abhandlung „de dignitate astrologiae“, die er von seinem Schüler Jakob Milich an der Wittenberger Universität vortragen ließ, definiert er die Astrologie wie folgt: „Die Astrologie ist ein Teil der Physik, welcher lehrt, welche Wirkungen das Licht der Gestirne auf einfache und zusammengesetzte Körper ausübt, welche Mischungen, Veränderungen und Neigungen es hervorbringt“. In seiner „Einleitung in die Physik“ führt er dies weiter aus und schreibt den Gestirnen nicht bloß Einfluß auf das Wetter, sondern auch auf das menschliche Schicksal zu, er lehrt, daß die natürlichen Ursachen stets mit Notwendigkeit einwirken, sofern nicht Gott selbst den Modus agendi ordinatus unterbricht. Im übrigen verteidigt er aber die menschliche Willensfreiheit, denn das uns von Gott verliehene lumen naturale läßt uns die siderischen Einflüsse erkennen und lehrt uns, sie zu bemeistem. Eine unserem Paracelsus verwandte Natur ist der geniale Arzt, Mathematiker, Naturforscher und Philosoph Girolamo Cardano (1501-1576), der an den Universitäten in Pavia und Bologna lehrte und zahlreiche mathematische, medizinische, na­ turphilosophische und auch einige astrologische Werke verfaßt hat. Darunter einen Kommentar zur Tetrabibios des Ptolemaeus, worin er neue Methoden der Horoskoptechnik vorschlug und auch das Horoskop Christi brachte. In seinen naturphilosophi­ schen Schriften nimmt auch er eine Weltseele an, die ein ewig bewegendes, aus Wärme und Licht bestehendes und den Kosmos durchdringendes Prinzip ist. Wie dem Himmel Licht und Wärme zukommt, so der Erde das Kalte und Feuchte. Aus der Verbin­ dung beider entstehen die 3 Elemente Wasser, Erde und Luft, während das Feuer bloßes Akzidenz ist. Demgemäß ist alles Irdische, auch der Mensch, dreigeteilt. Gott hat alles dem Gesetz der Zahlen unterworfen und durch die Mathematik erkennen wir Gottes Weisheit. In seiner eigenen Lebensbeschreibung be­ klagt er, daß er sich mit der judiziarischen Astrologie viel zu lange und sehr zu seinem Schaden befaßt habe. Das hindert ihn 193

aber nicht, dem Werke sein eigenes Horoskop beizugeben und seine wechselvollen Schicksale daraus abzuleiten. So ist auch sein ganzes Denken und Forschen voll von zahlreichen Wider­ sprächen, von tiefen, oft blitzartigen Einsichten in das Natur­ geschehen und von genialen, aber nicht ausgereiften Gedanken. Sein Versuch, neuplatonische Lehren mit der christlichen Dog­ matik zu verknüpfen, brachte ihn wegen Verbreitung panthei­ stischer Gedanken vor das Inquisitionstribunal. Er unterwarf sich aber und kam mit einem bloßen Schreibeverbot davon. Er starb 1573 in Rom als päpstlicher „Pensionär“. Konsequenter war sein Zeitgenosse Bernardino Telesio aus Cosenza (1508-1588), der in seinem Werk „de rerum naturae juxta propria principia“ die Astrologie vollständig ablehnt und alle okkulten, astralen oder sympathetischen Prinzipien aus der Naturerklärung ausgeschieden hat. Erfahrungsmäßig festgestellte Prinzipien sind nur die Wärme der Sonne und die Kälte der Erde, aus deren Wechselspiel die Vielfalt aller Dinge hervor­ geht. Sein Landsmann Francesco Patrizzi (1529-1597) hat aber in seiner „Neuen Philosophie des Weltalls“ die Astrologie wie­ der in Gnaden aufgenommen. Er sagte: Zwischen Körper und Geist gibt es keine direkte Wechselwirkung; das von Gott aus­ gesandte Licht hat aber geistige und materielle Elemente in sich, es durchdringt die Seele, steht zwischen dem unbewegten Geist und der bewegten Materie und ist ein Teil der allumfassenden Weltseele. Seine eigenartige Lichtmetaphysik suchte er durch Beigabe hermetischer und astrologischer Texte zu stützen. Zu diesen italienischen Naturphilosophen gehörte auch der „entlaufene Dominikaner“ Giordano Bruno, den wir im 5. Ab­ schnitt behandeln werden und sein Ordensbruder Tommaso Campanella (1568-1639), der ein abenteuerreiches Leben ge­ führt und 30 Jahre in spanischen Kerkern verbracht hat. Auch er war ein Mensch mit seinem Widerspruch. Bald schwärmte er für eine katholische Universalmonarchie, dann wieder für einen Sonnenstaat nach Platos Muster; er preist die neuen teleskopi­ schen Entdeckungen Galileis und will doch nicht vom Boden der

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aristotelisch-scholastischen Physik abweichen. In seinem Haupt­ werk „de sensu rerum et magia“, in der eine rein sensualistische Erkenntnistheorie mit der Magie verbunden wird, kommt er auch auf die Astrologie zu sprechen und sagt, daß er diese in seiner Jugend heftig bekämpft habe, aber später an seinem eige­ nen Schidcsal erkannt habe, daß sie viel Wahres enthalte. In seinem 1630 verfaßten astrologischen Hauptwerk „Astrologicarum libri VII“ bemüht er sich, die neuesten teleskopischen Einsichten und Ergebnisse der Naturforschung mit der von dem Jesuiten Suarez gelehrten katholischen Neuscholastik zu ver­ binden und die Astrologie von arabischen und jüdischen Super­ stitionen zu reinigen. Er lehrt darin, daß die Gestirne auf vier­ fache Weise die irdische Welt beeinflussen, durch Licht, Wärme, Bewegung und durch die Aspekte, letztere aber nur in modi­ fizierender Weise. Gemäß dem neuen kopernikanischen Welt­ bild lehrt er (1.13), daß jeder Stern seine eigene Astrologie habe, wie etwa einer der 4 Jupitertrabanten nur für etwaige Jupiterbewohner astrologisch bedeutsam sei. Für uns Erdenmenschen kommt also nur der solarisch-tellurische Kräftebereich, nicht aber die Fixsternwelt in Betracht. Auch der Tierkreis gehöre zu diesem Kraftbereich, als Stationen des Sonnenlaufes müssen sie aber auf der Südhalbkugel ihre astrologische Bedeutung wech­ seln. Die auch von protestantischer Seite (Melanchthon) verfolgte Absicht, die Astrologie wieder streng an die aristotelisch-scho­ lastische Physik zu binden, fand in dem Platoniker Kepler ihren schärfsten Gegner. Johannes Kepler (1571-1630), mit dessen Lebenslauf wir uns in den folgenden Abschnitten noch beschäftigen werden, ließ sich in seinem ganzen Denken und Forschen von platonischen Ideen leiten. Vor aller Beobachtung und Messung stand bei ihm der Gedanke fest, daß der Kosmos ein wohlgeordnetes, von einem geistigen Prinzip geschaffenes und gelenktes Ganzes sein müsse, in dem alles nach harmonisch-geometrisch darstellbaren Verhältnissen geordnet ist. Diese Gedanken führte er schon in seinem Jugendwerk, dem Mysterium Cosmographicum (1596),

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aus und baute sie 20 Jahre später in den Harmonices mundi oder der Kosmischen Harmonie weiter aus (neue kritische Aus­ gabe von Caspar 1957). Von dieser Idee getrieben, suchte er und fand die bekannten 3 Kepler’schen Gesetze, die er auf induk­ tivem Wege nie gefunden hätte. In vielen kleineren Schriften und im 4. Buch der „Kosmischen Harmonie“ setzt sich Kepler mit den Einwänden Pico’s aus­ einander. Er gibt zu, daß die Einteilung in die 12 Zeichen und die Zuordnung der Planeten zu den Zeichen willkürlich er­ dachte Erfindungen sind und keineswegs aus der Erfahrung stammen, wie die Astrologen behaupten, denn das sei bloß eine „Experientia cum praejudicio“, von vorgefaßten Meinungen getrübt. Auch die Aspekte seien ein reines Gedankending, von geometrisch-idealer Bestimmung und er fragt selbst „Wie kann ein ratio geometrica oder harmonica wirken?“ Die Konfigura­ tion wirkt, so sagt er, nur indirekt, so wie die Seele anfängt zu tanzen, wenn ihr die Aspekte pfeifen. Die Seele reagiere auf diese Winkelstellungen wie auf die Konsonanzen oder Disso­ nanzen in der Musik. Die Sterne tun nichts dazu und wissen da­ von nichts, so wenig, wie die Orgelpfeife von dem Lied, zu dem sie verhelfen muß! Der Einfluß der Sterne sei keineswegs physikalischer Natur, so als ob ein Regen vom Himmel herabkäme. Aber neben der Weltseele gibt es auch eine Erdseele, die einer Flamme gleicht und die wie Tiere und Pflanzen ihren besonderen Instinkt, einen „instinctus geometricus“ habe, der die Konstellationen und Winkelstellungen im Kreis wahrnehmen kann. Die Erdseele habe auch ein Gedächtnis für die einzelnen Konfigurationen und den Lauf der Sonne im Tierkreis, ja sie selbst sei ein „poten­ tieller Tierkreis“. Und alles, was von der Erdseele gesagt ist, gilt gleichermaßen für die menschliche Seele. Auf diesem vitalen Vermögen und dem Gedächtnis der Seele für alle Sternstellungen beruhe die Möglichkeit des Geburtshoroskops und der Primär­ direktionen, „da die Geburtskonstellation in dem vitalen Ver­ mögen der Seele zeitlebens fortleuchtet“. Über Keplers Stellung zum neuen Weltbild und über seine Tätigkeit als ausübender

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Astrologe wird noch in den folgenden Abschnitten berichtet. Jedenfalls haben seine Zeitgenossen sein Bestreben, die Astro­ logie von ihrem angeblichen physikalischen Fundament loszu­ lösen, kaum erkannt und gewürdigt, und Kepler ruft einmal resigniert aus »Bin ich denn der Einzige, der die Astrologen Philosophie lehrt“ (Strauß Seite 96).

Am Ausgang dieser Berichtsperiode standen drei vom Hauch der neuen Zeit umhüllte Denker, die dennoch im Banne magi­ scher und mystisch-theosophischer Lehren hängen blieben. Der holländische Naturforscher und Paracelsist van Helmont, der deutsche Theosoph Jakob Boehme und der schottische Arzt und Rosenkreuzer Robert Fludd. Johann Baptist van Helmont (1574-1644) studierte in Loewen Mathematik und Astronomie und gab der kopernikanischen Theorie wegen ihrer ungleich einfacheren Erklärung den Vor­ zug vor der ptolemäischen Planetentheorie. Zur Erprobung der Astrologie veranstaltet er ein hochdotiertes Preisausschreiben, um die Wahrheit der Astrologie „experimentell“ zu erproben. Es sollte mit den bekanntgegebenen wichtigsten Daten aus dem Leben eines Menschen dessen Geburtsstunde errechnet werden. Nachdem ihn die Ergebnisse dieses Experiments (das bestenfalls über Wert und Unwert dieser Korrekturmethode entscheiden könnte) nicht befriedigt hatten, verwarf er die judiziarische Astrologie vollständig und gab nur den generellen Einfluß der Gestirne zu. Helmont lehrte, daß nichts in der Natur bloß mechanisch, aus äußeren Ursachen entstehe, sondern daß alles von einer zielstrebigen Kraft gelenkt werde. In den Dingen stecke ein innerer Bildner (Faber oder Archaeus), der femwirkende Kraft habe und auf welchen die von den Sternen herabkommende Kraft (der blas stellarum) einwirke. Diese Einflüsse sind notwendig und zwingender Natur, wie Helmont in der Abhandlung „Astra necessitant non inclinant“ in Um­ kehrung eines alten Astrologenspruches zu beweisen sucht. Eine Auswahl aus seinen vielen naturwissenschaftlichen, philosophi­ schen und theologischen Abhandlungen hat sein Sohn Franz 197

Mercurius van Helmont 1648 unter dem Titel „Ortus medicinae“ herausgegeben (Deutsch von Knorr und Rosenroth). Die Lehren des Paracelsus gaben auch den Rahmen für die tiefsinnigen Gedanken des Görlitzer Schusterphilosophen und Mystikers Jakob Boehme (1576-1624), der als einer der weni­ gen Philosophen seiner Zeit keinen spirituellen Monismus, son­ dern einen voluntarischen Dualismus lehrt. Aus dem göttlichen Urgrund steigt die geistige und irdische Welt empor, das ist aber kein zeitliches Hintereinander, sondern ein unaufhörliches Wollen und Werden. In diesem Prozeß stehen sich die Mächte des Lichts und der Finsternis, des Guten und des Bösen in stetem Kampfe gegenüber. In allen Dingen dieser Welt ist Gutes und Böses zugleich da, ohne Licht kein Schatten, ohne Gegenwurf keine Bewegung. Aus dem Hunger nach Wesens­ erschließung entspringt die Natur in Gott, die sich als ein Aus­ einanderstreben von 7 Quellgeistern darstellt. Diese sind: die Begierde zum Wort, der Stachel der Empfindlichkeit, die Angst des Gemüts, das Feuer, das Licht der Liebe, die Schale des gött­ lichen Wortes oder der Verstand und die formbildende Kraft, die das Gehäuse oder den Leib schafft. Man wird unschwer in diesen 7 Quellgeistem die 7 Planetengötter erkennen, die ja nach hermetischer Lehre „in uns wirken“ - und in der Tat sagt Boehme selbst, daß er die Ordnung der 7 Planeten aus astrolo­ gischen Büchern gelesen habe, aber die Wurzel, wie sie gewor­ den sind, könne er nicht von Menschen lernen. Boehme’s nachhaltiger Einfluß auf die protestantische deut­ sche, englische und französische Mystik, sowie auf Schelling und die Romantiker ist bekannt. Eine Gesamtausgabe seiner Schrif­ ten in 11 Bänden von Faust-Peukert ist im Erscheinen begriffen. Ähnlich, aber oberflächlicher lehrte auch der schottische Arzt, Alchemist und Rosenkreuzer Robert Fludd (1574-1637), daß in Gott 2 verschiedene Kräfte wirksam sind, das Wollen und das Nichtwollen (Noluntas). Das Wollen schafft in der mate­ riellen Welt Licht und Gutes, das Nichtwollen aber Finsternis und Böses. In seinem mit vielen symbolischen Darstellungen versehenen Werk „Utriusque cosmi maioris et minoris meta-

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physica atque technica historica“ schildert er nun den Kampf, das Gegeneinanderstreben und Zusammenwirken dieser Kräfte im Mikrokosmos und im Makrokosmos, die Einrichtung der beiden Welten und ihren hierarchischen Aufbau mit Engeln, Gei­ stern und Dämonen und schließlich die technischen Anwendun­ gen in Musik, Alchemie, Astrologie und Geometrie. Bei seinen Untersuchungen über die Harmonie der Sphären kam er Kepler ins Gehege, der ihn einen „gallenbitteren Unsinnschwätzer“ nennt und auf Fludds weitere Auseinandersetzung nicht mehr eingeht, weil sie ihm zu „pueril“ erschien. Den tiefen Gegen­ satz zwischen Fludd und Kepler hat kürzlich K. Pauli (Litera­ tur-Verzeichnis) aufgezeigt. Beide haben sich von archetypischen Formtendenzen leiten lassen. Während aber Fludd in der mittel­ alterlichen Strukturhaften und magisch-qualitativen Natur­ betrachtung stecken blieb, ist Kepler zu einer dynamisch-funk­ tionellen geometrisch-anschaulichen und mathematisch beweis­ baren Forschungsmethode gelangt, die dem neuen Weltbild ent­ spricht. C. Die Astrologie in der deutschen Reformation

Während der leicht beschwingte italienische Humanismus sich mehr mit ethisch-philosophischen und aesthetischen Problemen befaßte und sich trotz seiner fast heidnischen Einstellung mit der Kirche leidlich vertrug, wandte sich der deutsche Humanis­ mus tieferen Problemen, den letzten Dingen und der Bibelkritik zu und führte so zur Reformation. Der Ruf nach einer „Re­ formation an Haupt und Gliedern“ war zwar von ernsten Christen schon seit 200 Jahren immer stärker erklungen, doch führten die verschiedenen Reformationskonzilien (Pisa, Kon­ stanz, Basel) zu keinen positiven Ergebnissen. Es blieb alles beim alten Schlendrian, die geistlichen Ämter waren meist ganz verweltlicht, die Klöster ohne Zucht, das Volk aber, insbeson­ dere der Bauernstand, stand unter dem schweren Druck geist­ licher und weltlicher Fronvögte und führte ein elendes Leben. So war der Ruf nach einem Retter des Volkes begründet. Es ist 199

einleuchtend, daß die Astrologen dieser Zeit dieser tiefen Miß­ stimmung Rechnung trugen und in ihren, durch den Druck weit­ verbreiteten Flugblättern, Prognostiken und Praktiken dem Volke neue Hoffnung gaben. Ein katholischer Theologe, Dr. Johann Friedrich, hat in einer Schrift „Astrologie und Reformation“ (1864), die zeitgenössi­ schen Astrologen direkt als „Prediger der Reformation“ und als „Urheber der Bauernkriege“ hingestellt. Seine These schießt zwar weit über das Ziel und verwechselt Ursache und Wirkung, gleichwohl ist der Anteil der astrologischen Praktiken mit ihren oft grellen Holzschnitten (die den „Papstesel“ oder das Schei­ tern des Schiffleins Petri zeigte) an der Volkserhebung und der Reformation gewiß bedeutend gewesen. 2 fast gleichlautende Prognosen dieser Art, die des päpstlichen Hausastrologen Paulus von Middelburg (1486) und die des kaiserlichen Hofastrologen Johann Lichtenberger (1488) erregten besonderes Aufsehen. Sie betrafen die große Konjunktion vom 25. November 1484 und die nachfolgende Sonnenfinsternis im „festen“ Zeichen Löwe, die nach Ptolemäus lange nachwirken sollte, weshalb Lichten­ berger seine Prognose auf 20 Jahre erstreckte. In seiner 40 Folio­ seiten umfassenden Prognosticatio (Auszug bei Warburg II) wird gesagt, daß bald nach 1485 ein geistlicher Mann von großer Heiligkeit erstehen wird und daß man wegen der menschlichen Not einige neue Gesetze machen und gewisse (adelige) Privi­ legien werde abschaffen müssen. Dann spricht er noch vom Auf­ treten falscher Propheten, die großen Aufruhr in der Christen­ heit verursachen werden, bis endlich ein kleiner Prophet erstehen wird, ein geistlicher Mann, trefflich in der Auslegung der Schrift und daß darnach eine gute reformatio und Besserung in der Kirche eintreten wird. Von katholischer Seite wurde der falsche Prophet auf Luther gedeutet, während die Evangelischen darunter den in Rom sitzenden Antichrist verstanden; Luther hat wohl in dem klei­ nen Propheten sich selbst gesehen, weshalb er Lichtenbergers Prophezeiung im Jahre 1527 selbst und mit einer Vorrede her­ ausgegeben hat „wie man derlei Weissagungen vernehmen soll“. 200

Gewiß hat Lichtenberger einen großen Teil seiner Prognosen der Prognostik des Paulus v. Middelburg entnommen, wogegen sich Paulus in heftigen Worten gegen den Plagiator wendete. Aber Lichtenberger war kein bloßer Plagiator; aus dem vielen Zeitgenossen gemeinsamen beängstigenden Gefühl, vor einer höchst kritischen Zeitenwende zu stehen, trug er alles zusammen, was Propheten und Sybillen und was Astrologen darüber ge­ schrieben haben, um Klarheit und Sicherheit zu finden (Kunze). Ähnliche Prophezeiungen machte der italienische Astrologe Torquato v. Ferrara 1480, der Pfarrer Jakob Pflaum in Ulm 1507, der kaiserliche Geheimschreiber Dr. Johann Grünpeck in seinem weitverbreiteten, deutsch und lateinisch erschienenen Speculum naturale, ebenso Johann Stoeffler in Ulm in seinem Ephemeridenband 1482-1518. Auch der bekannte Humanist Willibald Pirckheimer will den Ruin des Papsttums und den Bauernkrieg „nicht von ungefähr, sondern gestützt auf astro­ logische Grundsätze“ vorhergesagt haben. Die Humanisten Reuchlin und Erasmus v. Rotterdam verlangten das Recht auf freie Bibelkritik und Abstellung mancher Mißbräuche. Das theologische Gezänke auf der Universität in Löwen war aber dem toleranten Erasmus v. Rotterdam ein Greuel, in einem Brief an P. Mosellan (1510) meinte er, dies müsse eine von den Sternen verursachte Massenepidemie sein und sagte, daß er dar­ über astrologische Aufschlüsse verlangt habe. In den Jahren 1523-30 war der neue evangelische Glaube durch innere Spaltungen, durch die Bauernkriege und die Wie­ dertäuferbewegung arg bedroht und die Ausschreitungen der durch Schwarmgeister verhetzten Massen machten selbst die Fürsten stutzig, die Luther bisher Beistand geleistet hatten. Ängstlich forschte man daher in der Hochburg des Protestantis­ mus, in Wittenberg, nach den Aussichten des neuen Glaubens und es lag im Geiste dieser Zeit, das Horoskop des Reformators Mar­ tin Luther sorgsam zu studieren. Nun war das von dem italienischen Astrologen Gauricus für den 22. Oktober 1484 berechnete Horoskop allgemein bekannt - und schreckenerregend. Standen doch 5 von Saturn angeführte

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Planeten im heftigen Marszeichen Skorpion und noch dazu im 9. Haus, das die Religion bedeutet. Schon 1525 hat Gauricus dem Papst Clemens VIII. daraus den sicheren Untergang und die Höllenfahrt Luthers prophezeit, und auch Protestanten schüttelten ängstlich die Köpfe.

Aber schon damals wurden Zweifel laut, ob das angegebene Geburtsdatum richtig sei und ob das Horoskop nicht „frisiert“ sei. Es entspann sich ein langjähriger Streit um das richtige Lutherhoroskop, von dem in der Folge nicht weniger als 6 Va­ rianten vorlagen und erst im Jahre 1752 konnte der fleißige Lutherbiograph F. S. Keil feststellen, daß Luther selbst sein Geburtsdatum mit 10. November 1483, 12 Uhr nachts (die Mutter sagte zwischen 11 und 12 Uhr nachts) und dazu auch gleich die Konstellation angegeben habe (Warburg II). Wie stand nun Luther selbst zur Astrologie? Wir können da 2 Epochen unterscheiden. Vor 1524 glaubte er sicher selbst an den Einfluß der Sterne, wie seine eigene Horoskopbeschreibung zeigt; er hielt die Konstellation für göttliche Warnzeichen, wie er in der Vorrede zur oberwähnten Prophezeiung des Lichten­ bergers sagt. Später, als seine eigenen Prognosen über den Unter­ gang des Papsttums nicht eingetroffen waren, wurde er skepti­ scher und sah mit Verachtung auf die ihm übelgesinnten Pro­ gnosen der päpstlichen Astrologen herab. Das sei - erklärte er „bloß dummes Geschwätz und er halte überhaupt von der Ho­ roskopdeutung gar nichts“. Darin wurde er durch die Tatsache bestärkt, daß sein Freund, der „Dominus Philippus“ (Melanchthon), sich bei seinen Vorhersagen oft mächtig geirrt hat. Und einmal fährt er grob heraus: „Es ist ein Dreck um ihre Kunst, seine Kinder haben alle lunam combustam“ (Tischrede, Mai 1546).

Die ablehnende Haltung Luthers, der alle Astrologen kurzer­ hand als „hirnverbrannt“ bezeichnete, hinderte allerdings kei­ neswegs viele evangelische Pfarrer und Gelehrte, umfangreiche astrologische Lehrwerke und Prognostiken herauszugeben (siehe Abschnitt 9). Manche dieser protestantischen Astrologen griffen 202

direkt in die Glaubenskämpfe ein, so die Sektengründer Paul Nagel und der Astrologe Leovitius, der in einer dem Kaiser Maximilian II. gewidmeten Prognostik über die große Konjunk­ tion von 1564 die Erweckung eines zweiten Carolus Magnus vorhersagte, der Europa neu aufrichten und die „reine Lehr“ verbreiten wird. (Es ist klar, daß er damit den damals noch schwankenden Kaiser Maximilian II. im evangelischen Sinn be­ einflussen wollte). Der Lehrmeister des evangelischen Astrolo­ gen Melanchthon hat sich in seiner Begründung der Astrologie auch auf die heilige Schrift berufen und hat in seinem Bestreben, die Bibel auch in Naturdingen als Autorität zu betrachten, sei­ nen Schülern ein schlechtes Beispiel gegeben. Es erwuchs daraus ein heftiges Gezänke im evangelischen Lager über Wert oder Unwert der Astrologie, wobei sich oft Anhänger und Gegner mit denselben Bibelzitaten bekämpften. Gegen die von Luther aus Augustinus geschöpfte Prädestinationslehre hat schon Erasmus v. Rotterdam polemisiert, da sie der angeborenen Freiheit und der sittlichen Verantwortung widerstrebe. Die von Calvin gelehrte strikte Vorherbestimmung des Menschen (zum Heil oder zur Verdammnis ohne Zutun des Menschen) hat aber in vielen Köpfen einen verderblichen astro­ logischen Fatalismus gezüchtet, dem Tycho Brahe in seiner Uni­ versitätsrede von 1579 entgegentrat. Er sagte, daß verständige und gelehrte Astrologen nie den Willen des Menschen an die Sterne gebunden haben und daß es im Menschen etwas gebe, was über den Sternen erhaben sei und durch das er die unheilbrin­ genden „Inklinationen der Sterne“ überwinden könne. Bemer­ kenswert ist aber, daß Calvin selbst die Astrologie verurteilte und sie als einen teuflischen Aberglauben bezeichnete.

D.

Die Haltung der katholischen Kirche

Die Kirche machte in ihrer Stellung zur Astrologie in der Be­ richtsperiode einen bedeutsamen Frontwechsel mit. Im 15. und im angehenden 16. Jahrhundert, als die Kirche noch im Voll­

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besitz ihrer geistlichen und weltlichen Macht war, ließ sie den fast heidnisch anmutenden Humanismus mit seinen griechischen Planetengöttern ruhig gewähren, sie machte auch gegen die zu­ meist auf den Umkreis der Fürstenhöfe und der Gelehrten be­ schränkte Astrologie wenig Einwendungen, obwohl die judiziarische Astrologie schon lange als verboten galt. Erst als die Astrologie immer mehr popularisiert wurde, als volkstümliche Lehrbücher in den Muttersprachen erschienen und geschäftstüch­ tige Astrologen mit ihren in oft 100 000 Exemplaren verbrei­ teten Flugschriften und Praktiken das Volk verwirrten und aufhetzten, wurde die Sache bedrohlich und ein erneutes Ein­ schreiten wurde nötig. Im 15. Jahrhundert waren viele Päpste dem Humanismus wohlgesinnt, so Eugen IV., Nikolaus V. und Pius II. (der viel­ gereiste Humanist Eneo Sylvio de Piccolomini, der öffentlich die Prophezeiungen des Astrologen Blasius von Cremona lobte). Auch Paul II. bekannte sich in seiner Krönungsrede zum Glau­ ben an die Wahrheit astrologischer Vorhersagen. Papst Sixtus IV. hielt sich beamtete Astrologen zur Bestimmung der günstigen Termine für Empfänge und Staatsaktionen. Von dem ganz verweltlichten Papst Alexander VI. (Borgia) ist es nahezu selbstverständlich, daß er eine Anzahl von Astrologen für seine verschiedenen Geschäfte in Anspruch nahm. Papst Julius II., der Schöpfer der Peterskirche, ließ von Raffael einige Räume des Vatikans ausmalen und in der Stanza della Signatura kann man seine großartige Komposition die „Disputa“ be­ wundern, die nach der Deutung Vasaris die Vereinigung der Astrologie mit der Religion und der Philosophie darstellt. Im ähnlichen Sinne hat Raffael in der Hauskappelle des päpst­ lichen Bankiers Chigi die antiken Planetengötter dargestellt, die von Engeln umgeben sind und von Gott Vater gesegnet werden. Papst Leo X. schätzte die Arbeiten des neapolitanischen Astro­ logen Augustinus Niphus (Nifo) so hoch ein, daß er ihm ge­ stattete, das Hauswappen der Medici zu führen. An der von ihm gegründeten päpstlichen Universität (der Sapientia) richtete er im Jahre 1520 einen Lehrstuhl für Astrologie ein. 204

Auch Papst Paul IIL.war noch ein großer Freund der Astro­ logie, er regelte sein Tagewerk nach astrologischen Grundsätzen, forderte von seinen Beamten, daß sie zur richtigen Zeit (hora a planetariis monstrata) ihren Dienst antraten und zahlte seinem Lehrer in der Astrologie, dem flämischen Theologen Albert Pighius, ein fürstliches Honorar. Auch mit dem Astrologen Gauricus stand er in lebhaftem Verkehr und machte ihn schließlich zum Bischof von Civita castellano. Aber inzwischen hatten sich die Zeiten geändert, der evangelische Glaube hielt sich siegreich in deutschen und nordischen Ländern und die antipäpstliche Literatur, darunter auch die zahlreichen astrologischen Flug­ schriften und Praktiken bedrohten ernstlich den Machtbereich Roms - ein Einschreiten war nötig geworden. Noch unter Paul III. begann das von allen Christen schon lang erwünschte allgemeine Konzil von Trient, das mit Unter­ brechungen von 1545-1563 tagte, die Grundsätze des katholi­ schen Glaubens neu festlegte und manche Verbesserung in der kirchlichen Verwaltung durchführte. Im Jahre 1564 erschien dazu ein „Index der verbotenen Bücher“, in dem auch die Astrologie behandelt wurde. Nach dem Beschluß der Index­ kommission vom 4. Dezember 1563 wurden alle Bücher über die mantischen Künste, über Magie und Zauberei verboten und verworfen. Darin heißt es wörtlich weiter: „Die Bischöfe sollen außerdem noch sorgfältig darauf achten, daß keine Bücher, Abhandlungen oder Verzeichnisse der Judiziarastrologie gelesen oder in Besitz gehalten werden, die es wagen, über künftige sich ereignende Erfolge oder zufällige Be­ gebenheiten oder solche Handlungen, die vom menschlichen Wil­ len abhängen, etwas als gewiß geschehend zu behaupten. Erlaubt sind dagegen Bestimmungen und natürliche Beobachtungen, die zum Besten der Schiffahrt, der Landwirtschaft oder der Arznei­ kunst geschrieben sind“ (zitiert nach Braunsperger Seite 54). Man ersieht daraus, daß sich die Kirche im wesentlichen an die von Thomas v. Aquino u. a. gemachte Unterscheidung zwi­ schen natürlicher und judiziarischer Astrologie hielt, letztere wurde sogar nur insofern verboten, als der Astrologe statt vom

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Möglichen von Gewißheiten spricht und so die menschliche Wil­ lensfreiheit leugnet. Audi darf die judiziarische Astrologie zu medizinischen Zwecken wohl herangezogen werden, da eine Scheidung zwischen natürlicher und judiziarischer Astrologie in der Praxis schwer durchführbar ist und weil der Arzt ja die Nativität des Patienten kennen muß. Wie dehnbar dieses Verbot war und wie lax es gehandhabt wurde, ersieht man daraus, daß nach 1564 noch eine große An­ zahl von judiziarastrologisdien - allerdings meist lateinisch ge­ schriebenen - Lehrbüchern und Tafelwerken erschienen ist, die zumeist von kirchlichen Würdenträgern verfaßt und mit kirch­ licher Approbation (!) erschienen sind. Das bekannteste ist wohl das weitverbreitete „Speculum astrologiae“ des KarmeliterOrdensprovinzials Junctinus (Giuntini), das in 2 mächtigen Foliobänden zu Lyon 1580-81 mit kirchlicher Druckerlaubnis erschien. Deshalb fand sich Papst Sixtus V. in der Bulle „Constitutio coeli et terra“ 1586 veranlaßt, das Verbot zu erneuern und schärfer zu fassen! Darin heißt es unter anderem: „Es sind vor allem die Astrologen, die auf eine falsche und unhaltbare Stern­ wissenschaft gestützt, den Menschen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, sowie alle denkbaren Angelegenheiten enthüllen wollen und sogar das, was vom freien Willen abhängt, den Ster­ nen zuschreiben“. Dann wird unter Berufung auf das Trienter Konzil verlangt, „daß gegen die Astrologen, Mathematiker und alle Leute, welche die Judizialastrologie - ausgenommen im Dienst der Landwirtschaft, der Nautik und der Medizin aus­ üben - strenger vorgegangen werden soll (Braunsperger S. 55). Auch dieses Verbot wurde nicht streng und nicht gleichmäßig in den katholischen Ländern durchgeführt. So haben z. B. die französischen Landtage in Orleans 1560, in Blois 1579, in Bordeaux 1583 alle astrologischen Kalender verboten und die Verfasser mit Kirchenstrafen belegt. Dagegen waren gerade in Italien an den Universitäten in Bologna und Neapel und ande­ ren Orten die Professoren verpflichtet, jährlich einen Kalender mit astrologischen Prognosen herauszugeben. Im Jahre 1604 er­

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schienen die „Tabulae primi mobilis“ des Mathematikers und Astrologen G. A. Magini, die speziell zur Berechnung des Horo­ skops und zur Ausrechnung der Direktionen (Ereigniszeiten) be­ stimmt waren. 5 Jahre später erschien in Bologna - sogar mit Druckerlaubnis des Papstes Paul V. - sein mächtiges Werk „Pri­ mum Mobile“, das in 12 Büchern die gesamte sphärische Astro­ nomie und Astrologie behandelt. Im 9. Buche sagt Magini über die Judizialastrologie, daß sie gar keinen Wert hätte, wenn man die Ereigniszeiten nicht genau vorherbestimmen könnte. Maginis Bücher und Tafelwerke wurden allerdings nach seinem Tode be­ schlagnahmt und doch erschien zur selben Zeit 1615 eine Schrift in der katholischen Universität Ingolstadt „Astrologia sacra“, worin die Professoren A. Tasmer S. J., O. Bachmann und F. Pirchinger auseinandersetzten, „ob und inwieweit es einem Christenmenschen gestattet ist, astrologische Vorhersagen zu machen“. Als im Jahre 1631 die Astrologen beunruhigende Prophe­ zeiungen über die Zukunft des Kirchenstaates verbreiteten, er­ ließ am 1. April 1631 Papst Urban VIII. die Bulle „Constitutio inscrutabilis", die die Strafbestimmungen der Bulle Sixtus V. erneuerte, im übrigen aber wurden nur die Mißbräuche und die fatalistische Astrologie bekämpft. Urban VIII. war ja selbst ein Gönner des Astrologen Campanella und wußte nur zu gut, daß es vor allem die Fürsten waren, die sich an das Verbot nicht hielten. Unter Urban VIII. hat sich die Kirche auch ener­ gisch gegen das Kopernikanische System gewandt und Galilei zum Abschwören dieser Irrlehre gezwungen - es war dies ein im Glaubenseifer gemachter Eingriff in ein Gebiet, das die Kirche gar nicht tangiert, doch hatte man damals dies noch nicht erfaßt.

E.

Das neue Weltbild und die Astrologie

Über 1400 Jahre hielt das geozentrische Weltbild die wissen­ schaftliche Welt in ihrem Bann und niemand rüttelte ernstlich an dem durch den offensichtlichen Augenschein, durch Aristo­

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teles und die Bibel dreifach geschützten Gehäuse. Wohl haben schon griechische Gelehrte angenommen, daß sich die Erde um ihre eigene Achse und zugleich in einem schiefen Kreise um die Sonne drehe, aber ihre Hypothesen fanden keinen Anklang. Die antike Astronomie verfügte bekanntlich über 2Planetentheorien: die von Eudoxos begründete Theorie der homozentrischen Sphä­ ren oder Kugelschalen, an denen die Planeten befestigt waren, und die von Hipparch und Ptolemaeus vertretene Theorie, die den exzentrischen Kreis und besondere Außenkreise (Epizyklen) zur Bestimmung der ungleichmäßigen Bewegung der Planeten benützt. Manche, wie der Wiener „Astrologus“ Peuerbach (14331461), suchten beide Theorien zu verbinden, indem sie den Kugelschalen eine solche Dicke gaben, daß darin der Planet mit seinem Epizykel Platz hatte. Der zu Padua lehrende Arzt und Astronom Girolamo Fracastorio benötigte bereits 79 Sphären, um alle Ungleichheiten in der Planetenbewegung erklären zu können. In Padua hörte ihn auch Nikolaus Kopernikus aus Thorn (1473-1543), der zunächst in Krakau bei dem bekannten Astro­ nomen und Astrologen Johann v. Glogau und Albert Brudzewo hörte, dann in Italien weiter studierte und an der Uni­ versität Ferrara zum Doktor des kanonischen Rechts promo­ viert hatte. Sein Lieblingsstudium galt aber der Astronomie, worin ihn sein Bologneser Lehrer und Hausfreund Domenico Maria de Novarro eifrig bestärkte. Von platonischen Ideen inspiriert, fand er, daß der Welt­ schöpfer wohl kein so künstliches Schachtelsystem, sondern ein einfaches und harmonisch geschlossenes Weltbild geschaffen haben müsse, in dem alle Glieder ein Ganzes bilden. Darin be­ stärkte ihn auch das seltsame Auftauchen und Wigderverschwinden der Planeten Venus und Merkur, die schon viele Denker vor ihm zu der Ansicht gebracht haben, daß Venus und Merkur nicht um die Erde, sondern um die Sonne kreisen müssen. In Frauenberg, wo Kopernikus seit 1510 Kanzler des Dom­ kapitels war, entstand nun als Frucht dreißigjähriger Beobachtungs- und Denkarbeit sein heliozentrisches Weltsystem, dem er 208

im 10. Kapitel seines Werkes „De revolutionibus orbium coelestium“ auch astrologische Gedanken unterlegte und dabei Hermes Trismegistos zitierte. Man ersieht daraus, daß ihm der astrologische Symbolismus der Sonne: Herrscher - König Löwe - Herz - Geist, also der Gedanke einer zentralen Füh­ rung und Lenkung, wohl bekannt war. Kopernikus gab, wie bekannt, der Erde 3 Bewegungen, eine um die eigene Achse, eine um die Sonne und eine schwankende oder oszillierende Bewegung der Erdachse um den Ekliptikpol, zu der noch 2 Nebenbewegungen gehörten. Damit hoffte er den täglichen Umschwung des Himmel, die Bewegungen der Pla­ neten einschließlich der Erde und die Präzession genügend er­ klärt zu haben. So hat sich also im neuen System nicht viel ge­ ändert, das alte Gehäuse ist geblieben, nur Sonne und Erde haben ihre Plätze vertauscht und statt 79 Sphären sind es nun­ mehr, wie er selbst in dem handschriftlich an Gelehrte versand­ ten Vorbericht mitteilte, „34 Kreise die genügen, um den ganzen Weltbau und das Ballett der Sterne zu erklären“. Dieser Vorbericht, der in den Jahren 1510-14 verfaßt und an viele Mathematiker gesandt worden war, stieß meist auf eisiges Schweigen oder Spott über die sonderbare Idee, die Erde zu bewegen. Verbittert zog sich Kopernikus in seine Frauen­ berger Klause zurück und wollte auf jede weitere Veröffent­ lichung verzichten. Es ist nun interessant und zu wenig be­ kannt, daß es gerade Astrologen waren, die Kopernikus unauf­ hörlich zur Publikation seines Lebenswerkes drängten und ihm die Wege ebneten. Vor allem war es der Astrologe Georg Joachim, der sich nach seinem Geburtsort in Vorarlberg (ehemals römische Provinz Rhaetia) Rheticus nannte, der lange Zeit „zu Füßen des Mei­ sters“ die Lehre studiert und einen „ersten Bericht“ davon ver­ öffentlicht hatte (Die Narratio prima, Danzig 1539). Schließlich gelang es Rheticus, den verbitterten Meister, der seine Theorie nur von Mund zu Mund weiter verbreitet wissen wollte, umzu­ stimmen und ihm das umfangreiche Manuskript anzuvertrauen. Rheticus kopierte es, machte es druckreif, erwarb vom König

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von Sachsen und Polen die Druckerlaubnis und trieb auch Geld­ mittel zu Bestreitung der Druchkosten auf. Am 25. Mai 1543, gerade am Sterbetag des Meisters, gelangt das 1. Exemplar des Werkes an sein Bett „Habent sua fata libelli.“ Kopernikus hatte sein Werk Papst Paul III. gewidmet und der lutherische Pfarrer Osiander hat es mit einer schwindel­ haften Vorrede eingeleitet, worin Kopernikus seine Lehre als eine immerhin mögliche, wenn auch nicht wahrscheinliche, aber für Rechenzwecke recht brauchbare Hypothese hinstellt. Das war eine grobe Fälschung, denn Kopernikus war stets von der Realität der Erdbewegung überzeugt, und ebenso war er von der Wahrheit der Astrologie überzeugt, wenn dies auch manche Bio­ graphen wie Kesten abstreiten wollten. Freilich hatte er es als wohlbestallter Domherr nicht nötig, wie Galilei oder Kepler, Horoskope zu stellen, um sein Einkommen zu verbessern; aber er hätte wohl nie seinem Freunde Rheticus, dessen astrologische Ansichten er wohl kannte, sein Manuskript anvertraut und die ihm von Rheticus gewidmeten astrologischen Werke angenom­ men. Die Lehre des Kopernikus wurde von den Katholiken ebenso wie von den bibelgläubigen Protestanten mit Entrüstung zurückgewiesen, und Luther sagte über ihn, „der Narr will die ganze Kunst Astronomiae umkehren, aber wie die heilige Schrift angibt, so hieß Josua die Sonne stillstehen und nicht das Erdreich“. Auch in Gelehrtenkreise drang - schon aus Furcht vor der Orthodoxie - die neue heliozentrische Lehre nur langsam vor, wieder waren Astrologen die ersten Wegbereiter, so der Mathe­ matiker E. Reinhold, der sie bei der Berechnung seiner „Preu­ ßischen Planetentafeln“ mitbenützte, dann der Astrologe V. Steinmetz, der in seiner Prognostik für 1552 die neue Lehre erwähnte; es war der erste deutsche gedruckte Hinweis auf die heliozentrische Lehre, und der stand in einer astrologischen Praktik! - In Wittenberg durfte die Lehre nicht vorgetragen werden, aber in Nürnberg-Altdorf hielt der Astronom und Astrologe Johann Richter (Praetorius) die ersten Vorlesungen über das neue System (1558). Auch der schon genannte Kar-

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meliter und Astrologe Junctinus hat in seinem „Speculum astrologiae“ die Bewegung der Planeten „Secundum decreta Alphonsi et Copernici“ - also nach beiden Theorien erklärt. Aber der sorgsamste Himmelsbeobachter Tycho Brahe fand in dieser Theorie einen Haken. Abgesehen davon, daß sie der Bibel widersprach, müßte man doch annehmen, daß 2 Fixsterne, wenn die Erde um die Sonne läuft, von 2 entgegengesetzten Punkten der Erdbahn einmal näher, einmal weiter auseinander gerückt erscheinen. Tycho suchte nun mit seinen Instrumenten eifrig nach diesem Verschubwinkel (d. h. nach der FixsternParallaxe) und da er einen solchen nicht fand, verwarf er das heliozentrische System. Man hatte damals noch keine rechte Vor­ stellung von der ungeheuren Entfernung der Fixsternwelt von unserem Sonnensystem; das kommt auch in Tycho’s Universi­ tätsrede von 1574 zum Ausdruck, wo er sagt: „Die Fixsterne sind wie Mütter, welche selbst unfruchtbar sind, wofern sie nicht von den Planeten befruchtet werden.“ Da aber auch das Ptolemäische Weltsystem seinen Beobachtungen und Entdeckungen nicht entsprach - er hatte unter anderem erkannt, daß die Ko­ meten nicht Ausdünstungen der Astmosphäre, sondern selb­ ständige Himmelskörper sind — schuf er ein neues, das Tychonische Weltsystem, in dem die Erde zwar fest im Mittelpunkt des Weltalls blieb und von der Sonne umkreist wird, während die Sonne selbst von den 5 Planeten (Merkur bis Saturn) um­ kreist wird. Einen Schritt weiter tat der Dominikaner Giordano Bruno aus Nola (geb. 1548), der schon in seiner Jugend sich gegen 3 „Zwingburgen“ auflehnte: die aristotelische Physik, das ptolemäische Weltbild und gegen gewisse Dogmen der katholi­ schen Kirche. Gemäß den Lehren seines verehrten Meisters Cusanus lehrte er im „Dialog von dem unendlichen All und den Welten“ (deutsch von Kuhlenbeck), daß wir „statt der vielen Hohlkugeln und so vieler deferierender Bewegungen nur einen einzigen Raum kennen, in dem sowohl der Stern, den wir be­ wohnen, als auch alle übrigen ihre Kreise und Bahnen vollenden. Das ist das unendliche All, der allumfassende Himmel“ (Seite 211

161). „Die Annahme eines Ersten Beweglichen nebst 6, 8, 9 oder mehr Sphären, in denen die Sterne eingelassen, festgenagelt oder eingezapft sein sollen, muß beseitigt werden“ (Seite 151). In seinen Schriften kämpfte der streitbare Dominikaner ge­ gen verschiedene Mißbräuche, gegen die „Eseleien der Ox­ forder Professoren“ und im Spaccio oder der „Vertreibung der triumphierenden Bestie“ gegen den blinden Kirchenglauben katholischer und protestantischer Prägung, sowie auch gegen die Astrologie; er wollte die Menschheit von der „Knechtschaft der orientalischen Sterngötter“ befreien und lehrte, daß die Welt allbeseelt sei, aber nicht von außen her, sondern von innen her gelenkt werde. Damit landete er beim Pantheismus und wurde am 17. Februar 1600 vorwiegend wegen seiner theologischen Irrlehren als Ketzer verbrannt. Sein Eintreten für die heliozen­ trische Lehre wurde in den Anklageakten gar nicht erwähnt (Wissen und Bekenntnis, herausgegeben von F. Dessauer 1946, Seite 259). Tycho Brahe überließ sein in 20 Jahren angesammeltes Be­ obachtungsmaterial seinem Schüler Johannes Kepler, der aber die Tychonische Kompromißlösung nicht akzeptierte, sondern durch die Entdeckung seiner 3 Planetengesetze, insbesondere, daß die Planeten sich nicht in Kreisen, sondern in Ellipsen um die Sonne bewegen, der Kopernikanischen Theorie das geome­ trische Fundament gegeben hat. Vom physikalischen Standpunkt aus wurde es aber durch die Forschungen seines Freundes Galileo Galilei (1564-1642) gestützt. Schon in einer früheren Schrift und in einem Brief an Kepler vom 5. August 1597 sagt Galilei, daß er seit langem die Kopernikanische Lehre angenommen habe, daß er es aber wohlweislich unterlassen habe, öffentlich dafür einzutreten. Aber die Fülle neuer Entdeckungen in dieser Zeit die Nova von 1604, die Entdeckung des Erdmagnetismus durch Gilbert 1600 und vor allem seine eigenen, mit dem Fernrohr gemachten Entdeckungen: die 4 Jupitermonde, die sich genau so um den Jupiter, wie die Planeten um die Sonne bewegen; die dem Mondlauf entsprechenden Phasen der Venus, die Dreigestalt des Saturn (später als Ring erkannt) schließlich die Auffindung

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von Sonnenflecken, woraus man die Rotation des Sonnenballs ableiten konnte. All das bestärkte ihn nunmehr in seinem „Nuncius sidereus“ (dem Sternenboten), 1610 offen für Kopernikus einzutreten. Als gläubiger Katholik wollte er auch den Papst (erst Paul V., dann Urban VIII.) zu seinen Anschauungen bekehren, erhielt aber durch den Kardinal Bellarmin 1616 die Weisung, daß „die dem Kopernigk zugeschriebene Lehre der heiligen Schrift zu­ wider sei und darum nicht verteidigt oder für wahr gehalten werden dürfe“. Als er im Jahre 1629 in seinem Dialog über die beiden Weltsysteme, wenn auch in hypothetischer Form, das Kopernikanische System für das bessere erklärte, kam er 1632 vor die Inquisition und mußte die heliozentrische Lehre als Irr­ tum feierlich abschwören. Galilei war ein treuer Sohn der Kirche und tat das, was ihm die Kirche befahl. Er rettete dadurch sein Leben, blieb aber noch 10 Jahre unter Aufsicht der Inquisition, die seinen Briefwechsel mit ausländischen Gelehrten sorgsam überwachte. Galilei starb, halb erblindet, am 8. Jänner 1642 in den Armen seiner Schüler Viviani und Toricelli. Durch seine Fallversuche, die Prüfung der Wurfbewegung, die hydrostatische Waage u. v. a. war Galilei Begründer einer neuen Himmels­ mechanik und Physik und einer Forschungsmethode geworden, die statt mit okkulten Qualitäten mit wäg- und meßbaren Quantitäten rechnete. Aber alle diese Einsichten wie auch seine teleskopischen Entdeckungen haben ihn nicht abgehalten, zeit­ lebens und nicht bloß in seinen Hungerjahren in Padua die Astrologie auszuüben und hochzuschätzen, wie seine mit Horo­ skopen und astrologischen Rechnungen versehenen Tagebücher und Briefe beweisen. (Siehe Favaro: Galileo astrologo secondo documenti editi et inediti. Triest 1881.) In einem Briefe an sei­ nen Schüler P. Dini, der ängstlich fragte, ob nicht das neue Weltbild die Grundlage der Astrologie erschüttere, zerstreute er dessen Bedenken, das sei nicht der Fall. Die gleiche Frage wurde überdies schon früher auch an seinen Freund Kepler gestellt. Im „Tertius interveniens“ (1610) hat er sie in Thesis 40 klar beantwortet. Es heißt da: „Ebenmäßige

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Antwort gehört auch auf den Zweifel, ob Himmel oder Erde umgehe; welcher Zweifel die Astrologie darum nicht verdächtig macht, weil er sie nichts angeht. Denn da ist genug, daß der Astrologe sieht, wie die Lichtstrahlen jetzt vom Orient, dann vom Mittag, endlich vom Occident dahergehen und verschwin­ den, da ist genug, daß man weiß, wenn 2 Planeten nebeneinan­ der gesehen werden, wann sie gegenüberstehen und wann sie ein Sextil, Quintil oder ein Quadrat machen, welches fleißige Astro­ nomen bei Nacht an ihren Zirkular-Instrumenten zeigen kön­ nen. Was fragt der Astrologe oder die sublunare Natur darnach, wie solches zugehe? Wahrlich, so wenig der Bauer danach fragt, wie es Sommer oder Winter werde und sich dennoch darnach richtet“ (opera omnia ed. Frisch. Bd. I). Die Tragweite von Keplers Bestreben, die Astrologie von ihrem angeblichen physikalischen Untergrund und einem ver­ alteten Weltbild abzulösen und sie lediglich auf Zeichendeutung, auf die Beurteilung der durch den Augenschein gegebenen Kon­ stellationen zu beschränken, haben seine Zeitgenossen nicht er­ kannt. Ja, die späteren Astrologen glaubten auf das liebgewor­ dene Gehäuse, auf das aristotelisch-ptolemäische Fundament nicht verzichten zu können und haben damit, wie wir im fol­ genden Kapitel sehen werden, zum Ruin der gelehrten Stern­ deutung geführt. F.

Ausgestaltung und Auswertung der Astrologie

Das Lehrgebäude der „klassischen Astrologie“ - um einen jetzt häufig benützten Ausdruck für die gelehrte Astrologie des 15.-17. Jahrhunderts zu gebrauchen - fußte im wesentlichen auf der Tetrabibios des Ptolemaeus, der in jenen Zeiten fast all­ gemein als oberste Autorität in astrologicis betrachtet wurde. Viele Astrologen schrieben ihre Lehrbücher in Form eines Kom­ mentars oder einer Paraphrase zu Ptolemaeus, so Valla (1502), Pontanus (1503), Schoner (1529), Camerarius (1535, erstmalig mit griechischem Urtext), Cardanus und Melanchthon (1553), Garcaeus (1576), Junctinus (1580) u. v. a.

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Die Lehren der arabischen Astrologen Haly und Alcabitius wurde durch Stupa und Nabod zugänglich gemacht, außerdem brachten Scaliger in seiner Manilius-Ausgabe und Pruckner in seiner Firmicus-Ausgabe (1583) eine große Anzahl von Regeln und Aphorismen aus der hellenistischen und arabischen Astro­ logie. Alle diese oft recht umfangreichen Werke fanden durch die Erfindung der Buchdruckerkunst weite Verbreitung. An den Grundelementen der Astrologie bzw. an dem helle­ nistischen System der Planeten, Tierkreiszeichen, Himmelshäuser und Aspekte hat sich fast nichts geändert; ausgestaltet wurde nur die astrologische Rechenkunst und Horoskoptechnik durch die Fortschritte in der Algebra, in der Lehre von den Propor­ tionen und in der Trigonometrie. Hier haben Regiomontanus, Cardanus, Finck, Maginus, Origanus u. a. viel zur Verbesserung der Horoskop- und Direktionstechnik beigetragen. Auch die Er­ findung der Logarithmen (1619) wurde erst durch Kepler mit seinen Proportions-Logarithmen (1624) dann bald durch Cava­ liere in seiner „Nova pratica astrologica di fare le direttions per via de logaritmi“ (1639) astrologisch verwertet. Um die immer komplizierter werdende astrologische Rechen­ arbeit zu erleichtern, wurden umfangreiche Tafelwerke berech­ net. Man unterschied Tafeln der ersten Bewegung (tabulae primi mobilis), die sich auf den täglichen Umschwung des Himmels­ gewölbes bezogen, auf die Auf- und Untergänge und die Auf­ steigungszeiten der Zeichen und für die Berechnung des Horo­ skops und der Direktionen Anwendung fanden. Dann gab es Tafeln der 2. Bewegung, d. i. der Eigenbewegung der Planeten im Tierkreis, die schon lange in den Alphonsinischen Planeten­ tafeln u. a. ihr Vorbild hatten. Dazu kamen ausgerechnete Tafeln für kürzere Perioden und für die täglichen Positionen der Ge­ stirne (Jahrbücher und Ephemeriden), die handschriftlich schon lange vorhanden waren, aber erst durch den Buchdruck ihre größte Anwendungsmöglichkeit fanden. Die ersten gedruckten Ephemeriden hat Regiomontanus in Nürnberg für die Jahre 1474-1505 herausgebracht, sie dienten noch den Entdeckern Columbus und Vasco da Gama. Größte Verbreitung (über 215

100 000 Stück), fand der Ephemeriden-Almanach des Johann Stoeffler (1482-1552), dann die Almanache und Jahrbücher von Stadius, Maginus, Origanus, Argolus u. v. a. Zum speziellen Gebrauch für Astrologen hat Regiomontanus seine Tabulae directionum (1467) berechnet, die in vielen Auf­ lagen und Ausgaben verbreitet wurden. Alle diese Jahrbücher und Tafelwerke enthalten ausführliche Rechenanweisungen für Astrologen und selbst Kepler hat seinen Rudolfinischen Tafeln eine „Sportula“ für Astrologen beigegeben. Schließlich wurden auch Häusertafeln für verschiedene Breitegrade berechnet (so von Pegius in seinem Geburtsstundenbuch 1572), die jede Rechnung entbehrlich machten und die Anfänge der Häuser nach der meist üblichen rationalen Manier des Regiomontanus angaben. In­ dessen haben Cardanus und besonders Maginus auch eine andere, den Intentionen des Meisters Ptolemaeus besser entsprechende „ptolemäische Manier“ vorgetragen, die auf der proportionalen Teilung der Tagbogen beruht. Näheres darüber in dem Werk von Koch-Knappich: Horoskop und Himmelshäuser. Geschichte der Hauskonstruktionen (Göppingen 1959/60). Die Arbeitsweise der klassischen Astrologie blieb weiter de­ duktiv und casuistisch; immer suchte man am Einzelfall die Wahrheit der Astrologie und der traditionellen Deutungsregeln nachzuweisen. Diesem Zwecke dienten auch die vielen Horo­ skopsammlungen von Camerarius, Leovitius, Rantzau u. a. Garcaeus hat in seinem Astrologiae Methodus sogar 400 Nativitäten besprochen. Das Arbeitsgebiet der Astrologie war allumfassend, es er­ streckte sich auf alle Wissenszweige, und Lebensgebiete, auf Staat und Politik, Naturwissenschaft und Medizin, Wetter und Land­ bau, bis herab zur individuellen Erfassung der Person, ihrer „Komplexion“, ihres Charakters und Schicksals, Krankheiten und Lebensführung, ja bis zu den lächerlichen Ratschlägen für den Alltag, für Haarschneiden, Rasieren, Kleiderkaufen etc.

In dieser stürmischen Zeit der Machtkämpfe großer Dyna­ stien, der Bauernaufstände und der langwierigen Glaubenskriege,

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erregten natürlich die politischen Vorhersagen das größte In­ teresse. Während gelehrte Astrologen sich hierbei an große Konjunk­ tionen, Finsternisse, Kometen und sonstige astronomische Phä­ nomene, sowie an die Konstellation beim Eintritt der Sonne in die Kardinalzeichen hielten und ihre Prognosen nur vermutungs­ weise und mit kritischen Vorbehalten veröffentlichten, wurden diese von Pfuschern und Geschäftsastrologen reklamehaft auf­ gebauscht, ausgeschrotet und dem Volk als untrügliche Bot­ schaft der Sterne angezeigt. Gelehrte Astrologen wie Pighius, Tannstetter, Kepler u. a. mußten oft genug gegen das „Ge­ schmeiß der Geschäftsastrologen“ protestieren und auch Stoeffler mußte sich 1523 gegen eine ihm unterschobene „SintflutPrognose“ energisch zur Wehr setzen.

Man verfaßte astronomisch-astrologisch-liturgische Kalender, die meist eine leichtverständliche Darstellung der Elemente der Astrologie, der Symbolik der Planetengötter und Tierkreis­ zeichen und Ratschläge für den Landwirt und die Lebensführung enthielten. Den ersten gedruckten Kalender dieser Art hat Regiomontanus in Nürnberg, deutsch und lateinisch, 1475 herausge­ geben, es folgte der französische „Calendrier des bergers 1493“, der englische „The Sheapheards Kalender 1497“, u. v. a. Kalen­ der in Augsburg, Straßburg, Wien und Krakau. Aber gegen die Flut der populären Einblattdrucke, Praktiken und Prognostiken, die zumeist nach einem schematisch bestimm­ ten „Jahresregenten“ urteilten und mit ihren grellen Titelholz­ schnitten und erschröcklichen Prophezeiungen das Volk in Atem hielten, kamen diese Kalender nicht auf. Geistliche und weltliche Behörden erließen zeitweise Verbote gegen die Praktiken, doch hatten sie zumeist keinen Erfolg, da die Hersteller einfach ihre Standorte wechselten. Auch mit Spott und Satire und mit „Gegenpraktiken" suchte Rabelais, Fischart, Naso u. a. den Unfug zu steuern, aber das Volk lachte und kaufte weiter eifrig die Prognostiken. Resigniert spricht Sebastian Brandt in seinem „Narrenschiff“ (1496):

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Viel Praktik und Weissagekunst Geht aus jetzt durch der Drucker Kunst; die drucken alles, was man bringt Was man von Schanden sagt und singt; Gott läßt es ohne Straf’ und Pein’. Die Welt will ja betrogen sein. Die Wettervorhersage beschränkte sich zumeist auf die Aus­ deutung der Stellung des Jahresregenten, auf Finsternisse oder Anhäufung von Planeten in den Zeichen; in den Wasserzeichen Krebs und Fische gab es viel Regen und Überschwemmungen, in den Luftzeichen große Stürme, in den Erdzeichen Erdbeben und Einstürze, in den Feuerzeichen aber Dürre und Mißernten. Nach Hellmann’s Beiträgen zur Geschichte der Meteorologie sind bis 1500 nicht weniger als 264 Wetterprognosen und Praktiken erschienen, davon 135 italienischer, 97 deutscher und nur eine französischer Herkunft. Über das gefürchtete Jahr 1524, in dem sich nicht weniger als 6 Planten im Zeichen Fische trafen, gab es nach Hellmann aber 135 Prognostiken.

Neben der politischen Vorschau war auch die historische Rück­ schau, die astrologische Geschichtsbetrachtung und Geschichts­ konstruktion ein im Geiste dieser Zeit viel verlangtes Anliegen der Astrologie. Meist lag diesen Konstruktionen die Lehre von den großen Konjunktionen zugrunde, die wir bereits früher be­ sprochen haben. Andere, wie Cardanus oder Campanella, zogen auch die Polschwankungen und das Wandern des Frühlings­ punktes bzw. die „Trepidation der 8. Sphäre“ zu geschichts­ astrologischen Spekulationen heran. Meist wurden aber die rein astronomisch begründeten Untersuchungen mit biblischen, apo­ kalyptischen und kabbalistischen Spekulationen verknüpft, die von einem biblischen Weltschöpfungsjahr ausgingen und dar­ nach Geschichtsperioden bis zum Erscheinen des Antichrist oder bis zum „Ende der Tage“ bildeten. Es wurde auch schon die Pronosticatio des Lichtenberger erwähnt, worin er wohl klar den Unterschied zwischen Prophetie und Astrologie zeigte, er suchte ihn aber zu überbrücken, indem er dem Astrologen die

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Aufgabe zuwies, den Zeitpunkt zu berechnen, wann die Prophe­ tien eintreffen sollten. So hat auch der Augustiner-Mönch und spätere lutherische Pfarrer Michael Stifel (1486-1567) in sei­ nem „Rechenbüchlein vom Endt Christi“ herausgefunden, daß der Zeitpunkt der „Offenbarung des Herrn am 19. Oktober 1533, 8 Uhr Früh“ ist. Diese Prophezeiung über das heran­ nahende jüngste Gericht hat die Gemüter dermaßen beunruhigt, daß Kurfürst Friedrich der Weise den Propheten auf einige Zeit einsperren ließ. Der bekannte Abt Trithemius von Sponheim hat in einem an Kaiser Maximilian I. gerichteten Traktat „Von den 7 Geistern, welche nach Gottes Ratschluß die Welt regieren“ (1534), dar­ gelegt, daß 7 himmlische Intelligenzen, welche den 7 Planeten entsprechen, jeder 354% Jahre regiert (das reine Mondjahr zählt 354% Tage). Nun hat er von Adam bis jetzt 20 Ordnungen aufgezählt und gedeutet, die 20. Ordnung reicht von 1525— 1819 und steht unter der Herrschaft des Erzengels Gabriel und des Mondes, die nächste wird vom Erzengel Michael und der Sonne regiert werden. In ähnlicher Weise, aber unter Zugrunde­ legung der großen Jahre (orbes magni) von 360 Jahren hat Junctinus in dem seinem Speculum Astrologiae beigegebenen „Tractatus judicandi revolutiones annorum mundi“ (Beurtei­ lung des Umlaufes der Weltjahre) herausgefunden, daß der 18. Orbis magnus im Jahre 1659 mit Mond und dem Zeichen Krebs beginnt und hat rückschauend die früheren Orben und Geschichtsperioden bis Adam astrologisch gedeutet. Am bekanntesten sind wohl die Prophezeiungen und Ge­ schichtsdeutungen des vielgepriesenen und viel verlästerten Se­ hers und Astrologen Michael Nostradamus (1503-1560), auf den wir später noch zurückkommen. Seine Arbeitsmethode hat C. Woellner nachgeprüft und gefunden, daß Nostradamus neben den großen Konjunktionen eine große Anzahl von Pla­ netenperioden und chronologischen Epochen benützt hat. Sicher ist aber, daß er seine Prophezeiungen nicht bloß auf Grund von Rechnungen, sondern auf Grund einer visionären Begabung (Hellsehen und Hellhören) gemacht hat, die er selbst seinen

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„instinct naturel“ genannt hat. Seine dunklen, vieldeutigen und absichtlich nicht chronologisch geordneten Prophezeiungen faßte er in Vierzeiler (Quatrains) und je 100 solche Vierzeiler in einer Centurie zusammen. Die ersten 200 solcher Vierzeiler wurden im Jahre 1555 zu Lyon herausgebracht, sie erregten ungeheures Auf­ sehen, als die darin enthaltene Prophezeiung des seltsamen Todes Königs Heinrich II. (gest. 1559) buchstäblich eintraf. So konnten noch 8 weitere Centurien erscheinen, die bis 1698 zahlreiche Auf­ lagen erlebten. Kepler hat in seinem „Diseurs von der großen Konjunktion“ 1623 in scharfen Worten die Phantasien dieser „garstigen Zahl­ propheten“ verurteilt, er hat auch bemängelt, daß diese Prophe­ ten (wie auch Nostradamus) mit den mittleren Bewegungen der Planeten, statt mit den wahren Bewegungen rechnen. (Danach wäre z. B. die Dauer oder der Umlauf des großen Trigons nicht 800, sondern 960 Jahre.) Kepler sagt weiter, daß diese großen Konjunktionen an sich nichts bewirken, sondern nur göttliche Warnzeichen seien, denn der Himmel macht keinen Handel, er schlägt nur die Trommel zu den Händeln der Welt, die Menschen selber müssen „consilia abhalten“ und den Frieden der Welt herbeiführen. Vielfache Anwendung in der politischen, medizinischen und magischen Astrologie fand die auf platonische Lehren zurück­ gehende und hochberühmte Signaturenlehre. Sie sucht in der ge­ prägten Form, in Gestalt oder Funktion, den Ausdrude einer Idee, eines Bildungsprinzips, das sich auch in analogen Dingen wiederfindet. Die wesensverwandten Dinge werden zusammen­ gefaßt und dem „entsprechenden“ Planeten oder Tierkreis­ zeichen zugeordnet. Treffend sagt Jakob Boehme in seinem Traktat „De signatura rerum“, daß es kein Ding in der Natur gibt, das nicht seine „innere Gestalt“ auch äußerlich zeigt, denn das Innerliche drängt stets zu Offenbarung, wie wir solches an Sternen und Elementen, Bäumen und Kräutern erblicken können. Darum ist in der Signatur der größte Verstand, darin sich der Mensch nicht allein selber erkennen lernt, sondern darin auch das Wesen der Dinge erkennen kann. 220

LES

PROPHETIES DE M. MICHEL NOSTRADAMVS.

T)ont ily er * a troü eens tpti riont encores iamau eße imprimees. Adioufteesde nouueaupar ledift Aurheur.

A

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PAR BENOTST RIGAVD i J 6 8»

Ante permiffisn. Titel zu Nostradamus’ Prophetien

Über die Signaturenlehre, die sich nicht bloß auf die 3 Natur­ reiche und den Menschen, sondern auch auf politische Ganzheiten (den genius loci von Städten und Völkern etc.) erstreckt, haben Agrippa, Bovillus, Mizaldus, Cardanus u. v. a. geschrieben und Agrippa hat in der „okkulten Philosophie“ nach antiken Quel­ len lange Listen von Edelsteinen, Pflanzen, Fischen, Vögeln, Säugetieren nebst den zugehörigen Tierkreiszeichen und Planeten vorgeführt. Die Signaturen der Pflanzen, ihr Habitus, Funktion, Standort etc. wurde in den vielen Kräuterbüchern (von Brunfels Thurneysser etc.) beschrieben, die mit ihren blattgroßen und handkolorierten Abbildungen ein gesuchter Leckerbissen für Bücherfreunde geworden sind. Thurneysser beschreibt in seinem Kräuterbuch (1578) auch den Anteil der 7 Planeten an den ein­ zelnen Teilen der Pflanzen, an Wurzelstock, Blättern, Früchten etc. Im Bereich des Menschen hat die Signaturenlehre in verschie­ denen Formen: Physiognomik, Metoposkopie (Stirnformen­ kunde), Chirologie und Chiromantie Anwendung gefunden, oft in einer von Wahrsagerei noch nicht freien Art, wie das weit­ verbreitete Werk des Pfarrers Johannes v. Hagen (Indagine), das 1523 lateinisch und deutsch unter dem Titel „Die Kunst Chiromantzey... Physiognomey und natürliche Astrologey“ erschie­ nen ist. In kritischer Form suchte der Marburger Professor Goclenius in seiner „Uranoscopia, chirosophia“ ... (1603) die Beziehungen zwischen Handlinien, Handformen, Stirnformen, Farbe und Linien der Iris zu den entsprechenden Konstellationen an Hand zahlreicher Abbildungen und Horoskope darzustellen. Die medizinische Astrologie wurde in der Berichtsperiode an vielen Universitäten (besonders Marburg, Wittenberg, Wien, Rostock und Krakau) als ordentliches Lehrfach behandelt, sie war auch von der Kirche ausdrücklich erlaubt. Die Meinung des Paracelsus, daß ein guter Arzt auch ein astronomus sein müsse, wurde allgemein geteilt, so sagt auch Melanchthon: Es wird wohl niemand so abergläubisch sein, daß er den Nutzen der Gestirn­ beobachtung für die ärztliche Tätigkeit ableugnen möchte.

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Gemäß der Signaturenlehre wurden die Körperzonen und Gliedmaßen den 12 Tierkreiszeichen, die inneren und Sinnes­ organe meist den 7 Planeten zugeordnet und bildhafte Darstel­ lungen (Tierkreiszeichen - Männer und Laßmännchen) zeigten an, bei welchem Mondstand zur Ader gelassen oder operiert werden solle. Hier war der Ausspruch des Pseudo-Ptolemaeus maßgebend: „Nie berühre mit dem Messer jenen Körperteil, in dessen Zeichen gerade der Mond steht“. Als Ursache der Krankheiten nahm man gewöhnlich vier an: Gott, den Teufel, die Sterne und die menschlichen Säfte. Paracel­ sus unterschied fünf entia oder Seinsgründe, auf die alle Krank­ heiten zurückgehen, das ens astrale bewirkt Krankheiten, die ihren Sitz im Astralleib des Menschen haben und durch das Ge­ stirn hervorgerufen werden, ferner das ens veneni (Unsauberkeit und Nachlässigkeit), das ens spirituale (magisch bewirkte, an­ gehexte Krankheiten), ens naturale (erbbiologische Anlagen) und schließlich das ens dei, durch Gottes Ratschluß verfügte Krank­ heiten. Die großen Landseuchen des 14.-17. Jahrhunderts, die ganz Europa heimsuchten, wurden allgemein den Sternen zu­ geschrieben, sowie den die Luft verpestenden Kometen, der schwarze Tod von 1345 wurde einer Konjunktion von Mars, Jupiter und Saturn im Zeichen Wassermann zugeschrieben. Die Syphilis soll 1484 von einer Planetenanhäufung im Zeichen Skorpion ihren Ausgang genommen haben, der Komet von 1580 soll die im 17. Jahrhundert arg grassierende Grippe hervor­ gerufen haben, deren Name „Influenza“ noch auf den Gestirn­ einfluß deutet. Die Therapie geschah meist nach den Grundsätzen von Sym­ pathie und Antipathie. Krankheiten, die aus Mangel an astralen Einflüssen entstehen, suchte man durch Verabreichung ähnlicher, den gleichen Planeten zugehöriger Heilmittel zu bessern; Krankheiten, die aus Übermaß des astralen Einflusses entstehen, heilte man durch Verwendung von Mitteln, die den entgegen­ gesetzten astralen Faktoren zugeordnet waren. Im Volksmund sagte man: „Was der Saturnus übel tut, das macht der Iovis wieder gut“ oder „Was Mars verknüpft, löst Venus auf“. Alle 223

Heilmittel und Operationen haben nur dann einen Wert, wenn sie zur richtigen Zeit, in der entsprechenden Planetenstunde, ver­ abreicht werden. Man berücksichtigte dabei auch die vom Mond­ lauf abhängigen kritischen Tage und die nach Planeten u. a. Perioden bestimmten Klimakterien oder kritischen Jahre. Es ist selbstverständlich, daß ein guter Arzt vom Zeitpunkt der Bett­ lägerigkeit ein Stundenhoroskop des Patienten (DecumbiturHoroscop) aufstellt und mit dessen Radixhoroskop vergleicht. Beide geben ihm wichtige Fingerzeige über die Behandlungsart und die Dauer der Krankheit an. Da also viele Krankheiten vom Teufel stammen oder „angehext“ werden, mußte auch die magische Astrologie mit ihren Zauber-Mitteln helfen. Bei der Beschwörung von Planeten­ geistern oder Dämonen, bei der Anfertigung von Talismanen und Amuletten, bei der Zusammenstellung von Zaubertränken oder des alle Krankheiten heilenden, großen „Arcanums“ mußten alle Ingredienzen streng nach der Signaturenlehre und im entsprechenden Zeitpunkt gemischt werden. Auch die magi­ schen Quadrate und mit magischen Charakteren und Symbolen ausgestatteten Planetensiegel, die Paracelsus (in seiner Archidoxis magica) oder Agrippa beschreibt, dienten als Schutzzauber. Hochangesehen war auch das Werk des Pater Jacques Gaffarel, das 1629 unter dem Titel „Curiositez inouies sur la sculpture talismanique de Persans...“ erschien und nicht bloß über die Amulettkunst, sondern auch über die „Schrift der Sterne“ un­ erhörte Neuigkeiten brachte. Darin suchte der gelehrte Biblio­ thekar des Kardinals Richelieu nachzuweisen, daß die Buch­ staben des hebräischen Alphabets von den Sternen abgelesen würden und daß man mit ihnen jeweils die Himmelsschrift ent­ ziffern könne. Gaffarel war nur einer der bekanntesten Ver­ treter der kabbalistischen Astrologie, die wir bereits im 5. Ka­ pitel beschrieben haben. Sie wurde von christlichen Kabbalisten, wie Pico v. Mirandola, Reuchlin, Agrippa, Postel u. a. nach ara­ bischen und hebräischen Quellen weitergeführt.

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G. Die Astrologie in den einzelnen Ländern Wir haben bisher die Stellung der Renaissance-Astrologie zur Philosophie, Theologie und zum neuen Weltbild besprochen, es erübrigt sich, den ungeheuren Anteil der Astrologen und der Astrologie am öffentlichen Leben, in Politik und Gesellschaft, Kunst und Dichtung zu behandeln, doch können wir hier aus dem überreichen Material einige charakteristische Streiflichter geben. a) Italien:

Besonders in Italien hat sich die Astrologie, begünstigt durch die Päpste und die Eifersucht der Fürsten, Stadttyrannen und Condottieri, die nach dem Zusammenbruch der kaiserlichen Macht allerorts auftauchten, mächtig entwickelt. Für die Ziele ihrer oft kleinlichen Hauspolitik wurden die Astrologen oft genug als Ratgeber herangezogen. Oft erging es dabei den Unglückspropheten recht schlecht, so dem Astrologen Tiberius, der dem Tyrannen von Rimini, Pandolfo Malatesta, die Verbannung ankündigte und daher einge­ kerkert wurde. Übel widerfuhr auch dem berühmten Astrologen Gauricus von dem Stadttyrannen von Bologna, G. Bentivoglio, worauf wir noch zurückkommen. Im Jahre 1480 sandte der schon erwähnte Arzt-Astrologe Antonio Torquato aus Ferrara an König Matthias Corvinus ein ca. 50 Jahre umfassendes Prognostikon, worin er die Zerrüttung der politischen Verhältnisse Italiens durch die Eifersüchteleien der Dynastien Aragon im Süden und Sforza im Norden schil­ derte, die Einnahme von Rhodos und Belgrad durch die Türken, die deutschen Bauernkriege, die Plünderung Roms durch die kaiserlichen Truppen (1527) sowie die deutsche Reformation prophezeite. Über diese sagte er, „daß um Mitternacht einer aufstehen wird, der das Volk vom römischen Stuhl abwenden und mächtiger Fürsten Beistand haben wird“. Deutsche Über­ setzungen dieses Prognostikons sind allerdings erst post festum in den Jahren 1534 und 1536 erschienen, jedoch sagt der vor­

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erwähnte katholische Theologe Dr. Friedrich, daß er die Origi­ nalhandschrift von 1480 in der Münchener Staatsbibliothek ein­ gesehen habe. Großes Aufsehen erregten die politischen Pro­ gnosen des berühmtesten italienischen Astrologen Lucas Gauri­ cus, der 1476 zu Gifoni bei Neapel geboren und Lehrer des Hu­ manisten J. C. Scaliger war. Er lehrte Mathematik an der Uni­ versität von Bologna und Ferrara, ging dann nach Rom, wo er durch seine Lehrtätigkeit und sein astrologisches Können die Gunst der Päpste errang. Als Papst Julius II. einen Feldzug gegen den Stadttyrannen von Bologna plante, riet Gauricus dem Tyrannen, sich mit Julius zu vergleichen, da dieser weit bessere Aussichten habe. Wutentbrannt über diese Prognose, die ihm auch die Verbannung ankündigte, ließ Bentivoglio den Astro­ logen mit einem Seil „mehrmals an die Wand schmeißen“, konnte aber nicht hindern, daß die päpstlichen Truppen noch im selben Jahre 1506 Bologna eroberten. Im Jahre 1493 hatte Gauricus dem damals 14 jährigen Giovanni Medici die Papst­ würde vorhergesagt, die dieser anno 1513 als Leo X. tatsächlich errang. Ebenso prägnant war seine Vorhersage über den frühen Tod des Königs Heinrich 11. von Frankreich. Im Jahre 1533 stellte Gauricus auf Ersuchen der sterngläubigen Gattin des Für­ sten, der Katharina von Medici, die Nativität Heinrichs II. und sagte, daß seine Thronbesteigung durch ein sensationelles Duell ausgezeichnet, daß aber sein eigenes Leben durch ein anderes Duell enden werde. Man lachte über diese Prognose, da ein König sich doch nicht duellieren werde. Als aber 1547 bei seiner Thronbesteigung wirklich ein Duell stattfand, bei dem der Günstling des Königs getötet wurde, ersuchte Katharina den Astrologen um Überprüfung der Nativität. Gauricus blieb bei seiner Aussage und forderte neuerlich, daß der König sich „um sein 41. Lebensjahr vor einem Duell hüten solle, weil die Ge­ stirne eine Kopfwunde androhen, durch welche er entweder eine Erblindung oder selbst den Tod erleiden würde“. Claude de l’Aubespine übersetzte dieses Prognostikon aus dem Lateinischen ins Französische, um es dem König vorzulesen. Dieser nahm es mit Gleichmut entgegen, obwohl ihm der Connetable von Frank­

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reich riet, dieses lächerliche Zeug ins Feuer zu werfen. Auch Brantome erwähnt dies in seinen Memoiren und der Historiker J. A. de Thou in seiner „Histoire de mon temps“, wo er be­ richtet, daß der König tatsächlich den jugendlichen Montmo­ rency bei einem ritterlichen Turnierfest zum Zweikampf mit ihm aufgefordert habe und daß dabei unglücklicherweise ein Splitter der Lanze seines Gegners sein Auge traf, der seinen Tod (1558) herbeiführte. Wir haben schon erwähnt, daß auch Nostradamus den Tod des Königs prophezeit hat, doch ist eine gegenseitige Beein­ flussung nicht ausgeschlossen, da Gauricus in seinem „Tractatus astrologicus" (1552), der 200 Nativitäten berühmter Zeitge­ nossen enthält, schon davon gesprochen haben soll. Weniger Glück hatte Gauricus mit seinem Luther-Horoskop, das, wie schon erwähnt, auf einer falschen Geburtszeit errichtet wurde. Erwähnenswert ist, daß Gauricus auch eine astrologische Untersuchung über Empfängnis, Geburt, Leiden und Auferste­ hung Christi gemacht hat, die mit päpstlicher Approbation 1539 erschien, ein Zeichen, daß die Kirche keine Einwendung machte, wenn Christus-Horoskope von gläubiger Seite gemacht wurden. Gauricus, der ob seiner vielen Verdienste von Papst Paul III. zum Bischof von Civita Castellano ernannt wurde, starb in Rom 1553. Ungehindert von der Inquisition konnte auch der Astrologe Lorenz Bonincontri in Rom seine „Vaticinia“ (Jahresprognosen) herausgeben, die von 1484-1491 erschienen sind. In Florenz wirkte als Freund und politischer Berater des Fürsten Cosimo Medici der Astrologe Pagolo, der dem von Firmicus entworfenen Idealbild eines Astrologen völlig ent­ sprach. Dadurch unterschied er sich vorteilhaft von dem Haufen der Scharlatane, Betrüger und Geschäftsastrologen, die in Flo­ renz ihr Unwesen trieben und von dem Florentiner Chronisten Villani heftig bekämpft wurden. Noch stärker wehrten sich gegen sie Pico v. Mirandola und Savonarola. Der junge Graf Pico von Mirandola, Fürst von Concordia (1463-1494), war die Zierde und der Liebling der von Cosimo

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Medici begründeten platonischen Akademie. In einer großen öffentlichen Disputation wollte er die Vereinbarkeit der plato­ nischen Philosophie und der kabbalistischen Geheimlehre mit dem christlichen Glauben nachweisen. Als ihm Papst Innocenz VIII. die öffentliche Veranstaltung verbot, war sein Stolz tief gekränkt und verbittert warf er sich in die Arme seines Freundes Savonarola, der gegen die Verweltlichung des Papsttums und zugleich gegen die heidnische Sterndeuterei loszog. Dies und die Tatsache, daß ihm 3 Astrologen (darunter sein Gegner, der Arzt Lucius Bellantius aus Siena) prophezeit hatten, daß er (Pico) das 33. Lebensjahr nicht überleben werde, veranlaßten ihn, trotz seiner mystisch-platonischen Grundhaltung, in einer gewaltigen Gegenschrift - gleichsam als Abreaktion seiner Angst - die Astrologie in Grund und Boden zu zerschmettern. Aber knapp vor dem Erscheinen dieses Druckwerkes starb Pico am 17. No­ vember 1494 im Alter von 31% Jahren und nun hieß es all­ gemein „die Sterne haben wider Pico gesiegt“. Sein Freund, der Dominikanermönch Girolamo Savonarola (1452—1498), der in Florenz eine asketische Lebensführung und eine theokratische Staatsführung anstrebte, hatte bald darauf die Wandelbar­ keit der Volksgunst erfahren - er wurde 1498 in Florenz öffent­ lich verbrannt, auf jenem Scheiterhaufen, auf dem er alle Astro­ logen und alle heidnischen Kunstwerke brennen zu sehen wünschte. Gleichsam als Antwort auf sein kunstfeindliches Treiben be­ rief sein Gegner Filippo Strozzi drei berühmte Astrologen zu sich, um die günstigste Stunde für die Grundsteinlegung eines Pracht­ baues zu ermitteln. Dies war der 1489 von Malano erbaute Palazzo Strozzi, eine der herrlichsten Schöpfungen der Früh­ renaissance. Auch sonst drückt sich der Einfluß der Astrologie auf die italienische Kunst in vielerlei Formen aus. Wir haben schon auf die astrologischen Malereien Raffael Santis in den vatikanischen Gemächern und in der Hauskapelle des päpstlichen Bankiers Agostino Chigi hingewiesen. Hier sei noch die be­ kannte Komposition Raffaels „Die Schule von Athen“ nach­ getragen, in der er sich selbst im Gespräch mit den Astrologen 228

Ptolemaeus und Zoroaster darstellte (nach Hartlaub). Chigi ließ in seinem Sommerpalast (jetzt Villa Farnesina) an der Decke sein eigenes Horoskop von Künstlerhand darstellen. Künstlerische Darstellungen von Horoskopen oder aktuellen Konstellationen finden sich auch in der Alten Sakristei von San Lorenzo in Florenz (dort die Konstellation der Schlußsitzung des Konzils vom 6. Juli 1436), in Rimini und anderen Orten. Eines der ältesten Meisterwerke astrologischer Malerei sind die Fresken im Gerichtsgebäude (im Salone) zu Padua, die nach Angaben von Peter v. Abano und Skizzen von Giotto herge­ stellt und im 15. Jahrhundert von Miretti erneuert wurden. Man sieht hier in 360 Bildchen die uns schon aus der hellenistischen Astrologie bekannten Gradbeschreibungen (siehe 3. Kapitel), die bis auf Hermes und den Babylonier Teukros zurückgehen, sie sollen nach der Meinung eines Zeitgenossen jedem Besucher nach seinem eigenen Aszendenten gleichsam sein Charakterbild und Schicksal angeben. Ebenso rein astrologisch sind die Fresken im Palazzo Schifanoia in Ferrara zu werten, die der sterngläubige Fürst Borso von Este um 1470 von Cosmo Turra und Francesco Cossa herstellen ließ. Man sieht da (Abb. bei BBG.) die zu jedem Tierkreiszeichen gehörenden planetaren Regenten nebst ihrer Charakteristik, ihren Exaltationszeichen und den Gestalten der 3 Dekane jedes Zeichens, die sich genau so schon in hellenistischen, indischen und arabischen Schriften vorfinden. Überaus häufig sind auch Darstellungen der 7 Planeten (und der 7 Lebensalter) sowie der Eigenschaften der unter ihren Tierkreiszeichen ge­ borenen Kinder. Solche findet man im Dogenpalast zu Venedig, in den vatikanischen Gemächern der Borgia zu Rom, in der Kathedrale in Florenz (Skulpturen von Pisano), in einer Kirche in Padua und in der Kathedrale von Rimini. Astrologisch beeinflußt ist auch das berühmte „Letzte Abend­ mahl“ von Leonardo da Vinci in der Kirche von Santa Maria delle Grazie in Mailand. Wie Leonardo selbst sagt, wird hier „in ganzen 12 Figuren die Kosmographie der kleinen Welt vorgeführt“ nach der von Ptolemaeus geschaffenen Ordnung und Gliederung. Man sieht hier also - auf dem leider schon arg ver­ 229

blaßten Fresko - die Sonne Jesus Christus umgeben von den 12 Aposteln (Tierkreiszeichen), die in vier Dreiergruppen dar­ gestellt sind, sie entsprechen den vier Trigonen, Temperamenten und Jahreszeiten. An vielen Universitäten wirkten gelehrte Astrologen als Pro­ fessoren, so wie Gauricus, der in Bologna und Ferrara lehrte. In Ferrara lehrte auch der Astronom Giovanni Bianchini, der Freund des Regiomontanus, der viele astrologische Tafelwerke verfaßt hat. An der weltberühmten Hochschule für Mathematik der Universität Bologna lehrte Domenico Maria de Novarra, der Hausfreund des Kopernikus, der Arzt-Astrologe Manfredi, Autor des weitverbreiteten astro-medizinischen Hausbuches „Libro del Perche“ und später der berühmte Mathematiker, Kartograph und Astronom Giovanni Magini (1555-1617), des­ sen Arbeiten zur Horoskoptechnik wir schon erwähnt haben. Magini hat fast allen Potentaten Europas - auf deren Geheiß das Horoskop gestellt und stand mit vielen Mathematikern und Astronomen in regem Briefverkehr (siehe Favaro im LiteraturVerzeichnis). In der zur Republik Venedig gehörigen Universität Padua lehrten die schon genannten Astrologen Pomponazzi und Naiboda, ferner auch von 1594-1610 Galilei, der über seine Fach­ kollegen spottete, die sich weigerten, in sein Fernrohr zu schauen, um nicht in ihrer aristotelisch-ptolemäischen Weltansicht wan­ kend zu werden (so in einem Brief an Kepler vom 19. 8.1610). Noch später wirkte hier der Astronom Andras Argoli, der wegen seiner astrologischen Ratschläge von der Signoria zum „Ritter von San Marco“ ernannt wurde. Er verfaßte große Tafelwerke und ein weitverbreitetes Deutungsbuch, den „Ptole­ maeus parvus“. Zu seinen Schülern zählte auch Wallenstein und dessen späterer Hausastrologe Giambattista Zenno, auf die wir noch zurückkommen werden. In der Republik und im späteren Herzogtum Mailand herrschten lange die Viscontis, deren Stern­ gläubigkeit ein Familien-Erbstück war. Bei einem der letzten Viscontis, Filippo Maria (gest. 1497), artete sein Sternglaube zu einer schon ans Lächerliche grenzenden Sternenknechtschaft aus. 230

Nicht minder arg trieben es ihre Nachfolger, die Sforza. Ludovico Sforza (il Moro), der vom Kaiser Maximilian das Herzog­ tum Mailand als Lehen erhielt, hielt sich sklavisch an die Rat­ schläge seiner Astrologen und ritt - wie Muratori berichtet - bei Nacht und Nebel mit seinem Gefolge aus, wenn es „die Stunde erforderte“. Seine Astrologen (Spoleto, Pirovani, Varese) beschenkte er fürstlich und verlieh ihnen hohe Ehrenstellen.

b) Frankreich: Viele italienischen Ärzte und Astrologen zogen nach Frank­ reich, um dort ihr Glück zu machen. Der argwöhnische König Ludwig XI. (1461-1483) war ein großer Verehrer der Geheim­ wissenschaften, betrachtete aber seine Magier und Astrologen ebenso mißtrauisch wie Kaiser Tiberius. So entging sein Hof­ astrologe Galeotti, der ihn vor seiner Gefangennahme durch Karl den Kühnen nicht rechtzeitig gewarnt hatte, nur knapp dem Tode. Mehr Glück hatte sein Landsmann Angelo Catti, der zuerst in seiner Heimat bei den Herzögen von Anjou in Kalabrien als Astrologe tätig war, dann an den Hof Karls des Kühnen von Burgund kam. Als er aber dort mit seinen Pro­ gnosen wenig Glück hatte und selbst die blamable Niederlage des Herzogs durch die Schweizer bei Grandson-Murten nicht wahrsagen konnte, wurde ihm der Boden zu heiß und er trat in die Dienste des Königs Ludwig XI., des ärgsten Feindes des Bur­ gunders. Catti gewann bald die Gunst des Königs, als er ihm den baldigen Tod Karls des Kühnen (f 1477) vorhersagte, wor­ auf sich Ludwig Burgunds bemächtigte. Als der König von einem Schlaganfall schwer getroffen wurde, brachte ihn Catti wieder auf die Beine. Der König schenkte ihm daher das Erz­ bistum Vienne, doch als er dort einziehen wollte, wurde der ver­ haßte Italiener so feindlich aufgenommen, daß er fluchtartig das Land verließ. Er starb 1495 in seiner Heimat in Benevent. Mit Catti eng befreundet war der Astrologe und Arzt Simon de Phares (1440-1495), der im Dienste des Herzogs von Bour­ bon stand. Vom Erzbischof von Lyon wurde er wegen Ausübung 231

der judiziarischen Astrologie mit dem Kirchenbann belegt, dann kam sein Prozeß an die Sorbonne in Paris, wo er aber - nicht wie manche schrieben, zum Feuertod verurteilt - sondern frei­ gesprochen wurde, nachdem der Rektor der Universität, Merlandin, für ihn eingetreten war. Phar6s war später Hofastrologe des Königs Karl VIII. und schrieb einen „Recueil des plus celebres astrologues“, der 1929 von Wickersheimer herausgegeben wurde. Ähnlich erging es dem Rektor der Schule zu Dijon, dem Astrologen Pierre Turrel (1498-1547), der in den Jahren 1529-1531 einige prognostische Schriften über die Perioden der Weltgeschichte und den Weltuntergang verfaßt hat. Die Schrift „La Periode, c’est ä dire la fin du monde“ ... trug ihm die Anklage wegen Zauberei ein, er wurde aber vom Inquisitions­ tribunal freigesprochen. In die erste Hälfte des 16.. Jahrhunderts unter dem prunkliebenden König Franz I. und Heinrich II. fiel die Blütezeit der französischen Renaissance, in der besonders der Dichterkreis der Plejaden tätig war welcher die französische Sprache und Literatur nach antiken Vorbildern auf eine größere Höhe bringen wollte. Ihr gekröntes Haupt war Pierre de Ron­ sard (1524-1585), der in einer an Manilius geschulten Weise die himmlische Sternenschrift besang „in der uns Gott der Krea­ turen Los und Schicksal kündet“ (Boll). Wie Montaigne berich­ tet, hatten die Astrologen in dieser Zeit viel zu tun, um die Aus­ sichten in dem langwierigen Kampf zwischen Franz I. und Karl V. abzuschätzen. In dieser Zeit wirkte der Satiriker Rabelais, der in seiner Gegenpraktik die Auswüchse der Astro­ logie verspottete und in seinen grotesk-komischen Werken Pantagruel und Gargantua auch das prunkvolle Hofleben des eitlen Königs Franz I., das Mönchswesen, die Rechts- und Wis­ senschaftspflege und schließlich auch die Praktiken der Astrolo­ gen (des Herrn Trippa) unter die satirisch-kritische Lupe genom­ men hat (III. 17). Am Hofe des Königs Franz beschloß auch der alternde Leo­ nardo da Vinci, dem der König das Schloß Cloux als Wohnsitz und Werkstätte zugewiesen hatte, seine Tage. 232

Auch die Schwester des Königs, Margarete von Valois (14921549), nachmalige Königin von Navarra, war eine humanistisch hochgebildete Frau, Verfasserin einer etwas schlüpfrigen No­ vellensammlung (Heptameron) im Stile Boccaccios und eine Be­ schützerin der Astrologie. Besonders viele Italiener kamen an den französischen Hof unter König Heinrich II., da dessen Gemah­ lin, die prachtliebende und politisch sehr rührige Katharina von Medici, ebenso wie ihre Hofdamen, ständig eine Anzahl ita­ lienischer Astrologen (baroni) um sich hatte. Ein besonderer Günstling Katharinas war Cosimo Ruggiero, dem Katharina eine Abtei in der Bretagne verlieh. Ruggiero war als Magier ver­ rufen, er soll astrologische Amulette, Liebestränke verfertigt und Bildzauber mit Wachsfiguren (envoutements) getrieben haben. Er kam deshalb vor das Inquisitionstribunal, verteidigte sich aber mit großem Geschick und sagte, die Astrologie sei eine reine Naturwissenschaft, die mit Geistern nichts zu tun habe. König Heinrich IV. verfügte darauf die Niederschlagung des Prozesses und nahm Ruggiero an seinen Hof. Ihm und seinem Freunde Augier erbaute Katharina in Paris bei St. Eustache ein Obser­ vatorium, das erst im 19. Jahrhundert demoliert wurde.

Augier Ferrier (Ferrarius) wurde 1513 bei Toulouse geboren, studierte Mathematik, Astronomie und Medizin und war als praktischer Arzt in Paris, einige Zeit auch als Leibarzt der Königin Katharina tätig. Ihr widmete er auch sein großes Werk „Jugements astronomiques sur les nativit^es“, das als erstes ausführliches Lehrbuch der Astrologie in französischer Sprache gelten kann. Das erste populäre Werk über die Sternkunde „La theorie des cielz... redigee en langaige francois“ schrieb schon 1528 der bekannte Mathematiker und Kartograph Orontius Finee (Finaeus), der einige kleinere astrologische Traktate, (teils la­ teinisch, teils französisch) Ephemeriden und Tafelwerke und ein Libellus de XII coeli domibus verfaßt hat, worin er die Berech­ nung der Häuser des Horoskops nach ptolemäischer Manier lehrte.

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Hier sei auch der Arzt und Astrologe Charles Dariot (1533— 1594) genannt, der als Anhänger des Paracelsus dessen „Wundartzney“ ins Französische übersetzte und ebenfalls viele teils französisch, teils lateinisch abgefaßte astrologische Traktate schrieb, die zu Lyon 1557 in einem Sammelband herausgegeben wurden. Der große Seher und Astrologe Nostradamus (Michel Notredame) (1503-1566), dessen Prophezeiungen wir schon bespro­ chen haben, wurde in Montpellier zum Doktor der Medizin pro­ moviert und übte seine ärztliche Tätigkeit zuerst in Agen, dann in Salon aus, wo er auch starb. Er wurde, wie schon erwähnt, von Katharina von Medici oft konsultiert, besonders über die Nativitäten ihrer vier Söhne, denen er allen Königskronen vor­ hersagte. Weniger Glück hatte Nostradamus bei der Nativität Kaiser Rudolfs II. Er sagte 1564 dem damals zwölfjährigen kaiserlichen Prinzen voraus, daß er 2 königliche Gemahlinnen haben werde und daß sein Sohn den Thron besteigen werde (Horoskop im Archiv zu Stockholm). Bekanntlich blieb Rudolf unverheiratet und hatte keine legitimen Kinder. Sein 2. Sohn Michael Notredame war auch als Astrologe tätig und schrieb ein Lehrbuch der Astrologie (1563). Er lebte in dem Städtchen Le Pouzin, dessen baldige Zerstörung er vorhersagte, als wirklich 1573 Le Pouzin von königlichen Truppen ein­ genommen wurde, soll der Astrologe in dem Getümmel selbst Feuer in der Stadt gelegt haben, um seine Prognose wahr zu machen; er wurde dabei ertappt und getötet. Ein ungemein vielseitiger und vielschreibender Arzt und Astrologe war Antoine Mizauld (Mizaldus, 1510-1578), der in Paris den medizinischen Doktorgrad erhielt und als einer der berühmtesten Ärzte den Ehrentitel „der französische Aeskulap“ empfing. Er war lange Leibarzt der königlichen Dichterin Mar­ garete von Valois und verfaßte in den Jahren 1540-1570 eine große Anzahl astrologischer Schriften und Ephemeriden, teils la­ teinisch, teils französisch, sowie Schriften zur Signaturenlehre, über Physiognomik und Chiromantie, sowie über Wettervorher­ sage, dann Dialoge über die menschlichen und kosmischen Har234

FR. IVNCTINI FLORENTINI, SACR£ THEOLOGIE DOCTORIS, *

Commentarid in tertium & quartum capitulum Sph&r& Io.de Sacro Bojco. Ad nobilem virum D. marcvm bon avo lt am Florentinum.

Titelblatt zu Junctinus’ Commentarien

monien und eine Cometographia (1549), worin er alle bis 1540 gesichteten Kometen nadt Lage, Wirksamkeit und den dabei gleichzeitig aufgetretenen irdischen Ereignissen beschrieb. Aus der berühmten Schule von Montpellier ging auch der Arzt-Astrologe Richard Roussat (geb. 1510) hervor. Er ver­ öffentlichte in französischer Sprache astrologische Almanache für die Jahre 1540-1552 und erging sich wie Turrel in seiner Schrift „Livre de Testat et mutation“ (1560) in Weltunter­ gangs-Spekulationen. Er gab auch das früher erwähnte früh­ mittelalterliche Werk, die „Mathematica alhandrei“ in fran­ zösischer Sprache unter dem Titel „Livre d’Arcaudam“ 1563 heraus, das viele Auflagen erlebte und ins Englische übersetzt wurde, ein Zeichen, wie zäh sich populäre Wahrsagemethoden erhalten haben. Das umfassendste Lehrbuch der gelehrten Astrologie schrieb wohl der Provinzial des Karmeliterordens Francesco Giuntini (Junctinus), der 1523 in Florenz geboren wurde, Theologie, Mathematik und Medizin studierte und von Katharina von Medici zum Erzieher ihres jüngsten Sohnes nach Frankreich be­ rufen wurde. Junctinus soll ebenso wie Nostradamus zu­ treffende Prognosen über die Zukunft ihrer Söhne gemacht haben. Im Jahre 1573 gab Junctinus ein kleines „Speculum astrologicum“, das vorwiegend Hilfstafeln zur Horoskop­ rechnung enthielt, heraus. Erst im Jahre nach seinem Tode kam sein Hauptwerk, das „Speculum astrologiae“ in 2 mächtigen Foliobänden (Lyon 1581-1583) heraus, an dem er 20 Jahre gearbeitet hatte. Nach Absicht des Verfassers sollte es der Haus­ schatz des gelehrten Astrologen sein,daher enthielt es im l.Band einen catalogus aller berühmten Astrologen, dann den lateini­ schen und griechischen Text der Tetrabibios des Ptolemaeus mit Kommentar und ca. 400 Horoskopbeispielen, dann Deutungs­ regeln und Anweisungen zum Gebrauch astrologischer Hilfs­ tafeln und Häusertafeln für 45-54° Breite. Der 2. Band ent­ hält einen Kommentar zum bekannten astronomischen Lehrbuch des Sacrobosco, astromedizinische Regeln und ein Calendarium astrologicum, das alle astrologisch bedeutsamen Gedenktage ver­ 236

zeichnet. Obwohl Junctinus mehrfach vom königlichen Hof aus­ gezeichnet wurde, lebte er fern vom Hofgetriebe als stiller Ge­ lehrter in seiner Klause und starb 1580 in Lyon; er soll, wie Stoeffler durch Umfallen eines Büchergestells ums Leben ge­ kommen sein. Weniger ruhig war das Leben des französischen Arztes und Paracelsisten Roche Le Baillif, Sieur de la Riviere, der lange Jahre ohne Doktordiplom die ärztliche Praxis ausübte, großen Zulauf hatte, von der Sorbonne mehrmals verwarnt und schließ­ lich doch Leibarzt des Königs Heinrich IV. wurde (1594). Er veröffentlichte mehrere astro-medizinische Schriften, einen Traktat über den Kometen von 1577 und starb 1605 zu Paris. König Heinrich IV. veranlaßte auch den französischen Dich­ ter Pierre de la Rivey, seinem Sohne (Ludwig XIII.) das Horoskop zu stellen. La Rivey übersetzte viele italienische Komödien ins Französische und gab Prognostiken für die Jahre 1625-1643 heraus. In diese Zeit fällt auch das Wirken des be­ rühmtesten französischen Astrologen, Morin de Villefranche, dessen Lebenswerk, die „Astrologia gallica“, aber erst 1660 nach seinem Tode erschien, weshalb es im folgenden Kapitel be­ sprochen wird. c) Spanien

und

Portugal:

In Spanien wurde durch die Inquisition jede freiere Geistes­ regung in Kunst und Wissenschaft unterdrückt und die Astro­ logie konnte sich nur im Rahmen der scholastischen Philosophie, die durch den Jesuiten Suarez zeitgemäß erneuert wurde, be­ wegen. Aber gegen die von Thomas von Aquino zugelassenen Lehren konnten selbst die eifrigsten Dominikaner nichts unter­ nehmen; so erstreckte sich die spanische Astrologie vorwiegend auf die von der Kirche erlaubten Anwendungen in der Land­ wirtschaft, im Seewesen und in der Medizin. In diesem Sinne förderte Prinz Heinrich der Seefahrer neben der Nautik die Astrologie, wie sein Biograph Azurana berichtet, der auch das Horoskop des Prinzen brachte. Der in spanischen

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Diensten stehende Genuese Christoph Columbus war in der Astrologie wohl erfahren und hatte bei seiner Ausfahrt ins Un­ gewisse die Ephemeriden und Tafelwerke des Regiomontanus mit. Auf seiner letzten Seereise warnte er in San Domingo den Statthalter Orando, seine Schiffe auslaufen zu lassen, da ein starker Sturm drohe, wie er aus einer Merkur-Jupiter Konstella­ tion geschlossen hat. Orando ließ die Warnung unbeachtet und so gingen 20 Schiffe verloren; Columbus wartete in einer Bucht den Sturm ab und rettete so seine 4 Schiffe. Als 1519 Magelhaes (Magellanus) mit 5 Schiffen seine erste Weltumseglung plante, nahm er beim Astrologen Faleiro Unter­ richt in der astronomischen Ortsbestimmung. Faleiro wollte aber nicht selbst an der Fahrt teilnehmen, weil er aus einem Stundenhoroskop ersehen hatte, daß der leitende Astronom dabei umkommen werde. Tatsächlich wurde der mitfahrende Astronom Andrea de San Martino zusammen mit Magelhaes von den Eingeborenen auf den Philippinen getötet. Zeitgenös­ sische Historiker berichten (nach Houzeau), daß bei Entsendung des Fernando Cortez nach Mexiko der Astrologe Juan Milles ein unheilvolles Ende prophezeit hat und daß der Leibastrologe des Cortez, namens Botellas, bei der Erstürmung der Stadt Mexiko ums Leben kam. Ein tragisches Schicksal hatte auch der spanische Theologe und Freidenker Michael Servet (geb. 1511), der in einer Schrift die medizinische Astrologie verteidigte (1538) und einen Kommentar zur Tetrabibios des Ptolemaeus schrieb. Durch einen schändlichen Vertrauensbruch geriet er in die Hände Calvins, der ihn als Ketzer zum Feuertod verurteilte (Genf 1553). Die spanische astrologische Literatur dieser Epoche ist äußerst dürftig, außer kleineren Schriften von Fuentes, Corella, Munoz ist nur das große Werk von Perez da Vargas aus Madrid erwäh­ nenswert, das in Toledo 1563 unter dem Titel „Fabrica de l’universo clamada, Repertorio perpetuo ... de Astrologia“ in 2 Folio­ bänden erschien. Der 2. Band enthält eine Übersicht aller großen Konjunktionen und Finsternisse von 1474-1560 nebst den dar­ auf bezüglichen Ereignissen. In der spanischen Dichtung, so be­ 238

sonders in den Lustspielen des Lope de Vega, ist der Astrologe meist eine komische Figur oder wird als betrogener Betrüger dar­ gestellt. Auch Cervantes läßt im „Großen Wundertheater“ seinen Helden, den Schmierendirektor Chanfalla, allerlei astro­ logischen Unsinn über „Parallaxen, Rhomben und Gestirn“ sa­ gen. Die seriöse Astrologie wird von Calderon de la Barca in sei­ nen mystischen Dramen in Schutz genommen. Im „Leben ein Traum“ kommt er auch auf die zwielichtige Sterndeutung zu sprechen: „Wahn ist es, die Macht der Gestirne für unbesiegbar zu halten; Wahn aber auch zu glauben, daß sie uns täuschen, denn Die Verhängnisse des Himmels, die einst auf azurnen Tafeln Gott mit seinen Fingern schrieb täuschen nimmer, lügen nimmer“.

d) England:

Auch die Engländer haben in der Berichtsperiode, die durch den Hundertjährigen Krieg, die Thronstreitigkeiten und die Glaubenskämpfe, die besonders nach dem Tode König Hein­ richs VIII. (1547) heftig ausbrachen, - ernster Gelehrtenarbeit wenig förderlich war, keine bedeutende Leistung auf dem Ge­ biete der gelehrten Astrologie aufzuweisen. So war der schottische Astrologe Jakob Bassantin (geboren 1504) genötigt, im Ausland zu wirken, da sich die englischen Universitäten, besonders Oxford, streng von der Astrologie ab­ schlossen. Bassantin lehrte an der Pariser Universität Mathe­ matik und Astronomie und soll das tragische Geschick der Maria Stuart vorhergesagt haben. Er schrieb einen astrologisch-mathe­ matischen Traktat (super mathematica genethliaca), der zu Lyon 1560 im Druck erschien. Der Mathematiker Leonhard Digges, Erfinder des Theodoliten und eines terrestrischen Fernrohrs, war einer der ersten Astro­ nomen, die für das Kopernikanische System eintraten. Dies ge­ schah in der Schrift „Accurate description of the Copernican

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System to the astronomical perpetuel prognostication“ (London 1573). Digges gab astrologische Almanache mit Wettervorher­ sagen heraus, die je 11 Jahre umfaßten und für 1555, 1564, 1578 und 1592 erschienen sind. Indessen war Digges ein weißer Rabe und seine mundanastrologischen Arbeiten blieben ohne Resonanz in der Gelehrtenwelt. Unter der Regierung der Königin Elisabeth (1558-1603) trat eine allmähliche Konsolidierung der Verhältnisse in Handel und Industrie ein und Kunst und Wissenschaft blühten wieder auf. In dieser Zeit wirkten auch Shakespeare und der Staatskanzler Francis Bacon, Baron von Verulam (1561-1626), der von vielen als Begründer der neueren Philosophie und einer auf Beobach­ tung und Experiment gegründeten Naturforschung angesehen wurde, obwohl er „ein echter Renaissancemensch mit allen seinen Vorzügen und Schwächen war“ (Geyer). Im scharfen Kampf gegen die aristotelische Dogmatik begründete er eine induktive Forschungsmethode, die alle unzulässigen Verallgemeinerungen und traditionellen Vorurteile („Idole“) streng ausschließen will. In diesem Sinne hat er auch unvoreingenommen zur Astrologie Stellung genommen. Er sagte, „die Astrologie ist voll von Aber­ glauben, daß man kaum etwas Vernünftiges in ihr entdecken kann; doch halte ich dafür, daß man sie eher reinigen als ganz verwerfen soll... Ich betrachte die Astrologie als einen Teil der Physik, ohne ihr aber mehr zuzugestehen, als der gesunde Menschenverstand und die .evidence of things' gestattet... Es ist sicher, daß die Himmelskörper außer Licht und Wärme noch andere Einflüsse besitzen... im Ganzen könnte man eine solche auf Grund dieser Prinzipien (der induktiven Methode) arbeitenden Astrologie den Namen einer Astrologia sana geben“ (zitiert nach Pearce, Textbook Seite 20). Bacon sagt noch, daß eine solche Astrologie mit mehr Zuversicht in der Vorhersage, aber mit größter Vorsicht in der Wahl (Election) und in allen Fällen mit gebührender Mäßigung arbeiten solle. Eine von Fachleuten stets zurüdcgewiesene und immer wieder vorgebrachte Behauptung ist, daß Bacon v. Verulam die Werke Shakespeares verfaßt oder zumindest an ihnen mitgewirkt habe.

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Indessen war William Shakespeare ein ausgesprochener Gegner der Astrologie, wie sie sich seinen Blicken bot; er hat sie als „ausbiindigste Narrheit der Welt“ erklärt (in König Lear) und in vielen seiner Dramen verulkt oder verspottet (Wie es Euch gefällt, Sturm etc.). Ohne Rückhalt an der Gelehrtenwelt mußte die seriöse Astrologie vor den geschäftstüchtigen politischen Propheten und Scharlatanen ganz im Hintergrund bleiben und so hatten die Gegner der Astrologie ein leichtes Spiel. Damals (1601) schrieb John Chamber eine „Treatise against judicial astrology“, John Melton schrieb 1610 eine Satire „Astrologogaster or the figure caster" (to cast a figure = Aufstellen eines Horoskops). G. Carleton untersuchte sogar die merk­ würdige Krankheit, „Astrologomania or the madness of astrologers“ (1624). Der Astrologe und Mathematiker Sir Christo­ pher Heydon hatte daher einen schweren Stand, als er sich ge­ nötigt sah, „A Defense of judiciary astrology (1603)“ zu schrei­ ben. Er wurde dabei von Kepler unterstützt, der im Sommer 1603 an Heydon schrieb: „Betreffs der Astrologie äußert ihr Gedanken und Fragen in einer Weise, daß ich annehmen darf, Euch mit der beifolgenden kleinen Abhandlung („Von den ge­ sicherten Grundlagen der Astrologie“ 1601) einen großen Dienst zu erweisen. Wenn ich recht verstehe, wird der weise König (Jakob I.) nach Lektüre dieser Schrift ein billigeres Urteil aus­ sprechen“ (Kepler Briefe I. 244). Die überaus feindliche Einstellung König Jakob I. (16031625) gegen die Astrologie war aber keineswegs einer aufgeklär­ ten Denkweise entsprungen, sondern einfach aus Angst vor den politischen Prognosen der Astrologen. Er selbst war, wie sein Werk „Dämonomagia“ zeigt, in wüstem Teufels- und Hexen­ glauben befangen. Schlecht erging es auch dem gelehrten Astro­ logen und Naturforscher Thomas Harriot, der wegen angeb­ licher Teilnahme an der „Pulververschwörung “ (1607) ein­ gekerkert, aber bald darauf freigelassen wurde. Harriot ent­ deckte gleichzeitig mit Galilei die Jupitermonde 1610 und im selben Jahr vor Scheiner die Sonnenflecken und stand auch mit Kepler in Korrespondenz. Die gelehrte Astrologie blieb in Eng­

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land auch weiterhin in Verruf. Für umfangreiche astrologische Werke oder für eine „Astrologia sana“ im Sinne Bacons hatte man kein Interesse und daher auch keine Verleger. Die Schriften und Tagebücher des schottischen Astrologen, Alchemisten und Geistersehers Dr. John Dee, der angeblich auch von Königin Elisabeth konsultiert wurde und in Prag vor Kaiser Rudolf II. experimentierte, ruhen noch unausgenutzt im Ashmolean-Museum in London. Die Universität Oxford besitzt in 3 Folianten den Nachlaß des 1611 verstorbenen Astrologen S. Forman, darunter das 1605 verfaßte Werk: „The astrological judgment of physick“, das die Ergebnisse 20jähriger For­ schungsarbeit darstellt und in England keinen Verleger finden konnte. Auch das Werk des bereits genannten Philosophen und Rosenkreuzers Robert Fludd wurde nicht in England, sondern in Oppenheim bei Frankfurt a. M. 1617-1640 in 8 Bänden her­ ausgegeben. e) Deutschland: Im Gegensatz zu England wurde die aus Italien importierte Astrologie in den deutschen Ländern von weltlichen und geist­ lichen Fürsten gefördert und an vielen Universitäten als ordent­ liches Lehrfach gepflegt. Besonders die Fürsten aus dem Hause Habsburg waren eifrige Förderer und Anhänger der gelehrten Stemdeutung. Kaiser Friedrich III. (1440-1493), der nach Ansicht seiner Astrologen ein typisches Saturnkird war, hatte es sich angewöhnt, widrige Zufälle mit Gleichmut zu ertragen, durch kluges Hinhalten und Verträge mehr als durch Siege auf Erfolg zu hoffen und die Zeit für sich wirken zu lassen. Eine Anzahl von Astrologen wie Johann Bindung, Gernot und der schon genannte Meister Johann Lichtenberger waren in seiner mehr als 50jährigen Re­ gierungszeit ständig um ihn. Sein abenteuerlustiger und welt­ aufgeschlossene Sohn Kaiser Maximilian I. hatte - wie er selbst in seinem autobiographischen Werk „der Weißkunig“ erzählt frühzeitig die Gestirnkunst erlernt, da es künftig nottun werde, „den Einfluß der Gestirne auf die Natur des Menschen klar

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zu erkennen“. Er scharte um sich einen Kreis von Humanisten, Künstlern und Astrologen, mit denen er zwanglos verkehrte. Dazu gehörten der gekrönte Dichter Konrad Celtes, der ArztAstrologe Tannstetter, der Historiker und Staatsmann Cuspinian, der Mathematiker Stabius, der dem Kaiser ein kunstvolles Astrolabium, das „Horoscopion universale“ widmete, ferner der kaiserliche Geheimschreiber und Astrolog Dr. Josef Grünpeck, dem der Kaiser seine „Historia“ und seinen „Weißkunig“ diktierte. Für Kaiser Maximilian schuf Albrecht Dürer das bekannte Bild „Melancolia I“, das die Saturnfürchtigkeit des Kaisers bekämpfen sollte. Der Nürnberger Humanist W. Pirckheimer hat Dürer mit der neuen Saturnauffassung des Floren­ tiner Philosophen M. Ficino (siehe Seite 131) bekannt gemacht. Darnach hat auch der übelbeleumundete Saturnus viel gute Seiten, er fördert die vita contemplativa, aus der oft schöpfe­ rische Gedanken erwachsen. Im Bilde sehen wir viele saturnische Symbole, der Geometrie und Baukunst, der Alchemie, der Zeit (Sanduhr und Glocke) und gleichsam als Talisman gegen tiefe Gemütsdepressionen das magische Quadrat des heiteren Jupiter. Dürer hat selbst einmal gesagt: „Man kann wohl ein Bild ma­ chen, dem der Saturnus oder die Venus aus den Augen scheinet“. Ein ähnliches und gleichzeitig entstandenes Bild Dürers ist Hieronymus im Gehäuse, es drückt ebenfalls die saturnische Nei­ gung zum beschaulichen Leben und das Gefühl der Geborgenheit des Menschen im Kosmos aus. (Nur zu bald sollte der Mensch durch die neuzeitlichen Entdeckungen aus dieser Geborgenheit „herausgeworfen" werden.) Vom Nachfolger Maximilian in den österreichischen Erbländern, Kaiser Ferdinand /., berichtet sein Biograph L. Dolce, daß er große Kenntnisse in der Gestirnkunst hatte. Seinen Leibarzt und Hausastrologen Johann Schroeter erhob er in den Adels­ stand und von dem schon erwähnten Astrologen Grünpedc ließ er sich die Nativität seines Erstgeborenen, des nachmaligen Kaisers Maximiliane II.) stellen. Auch sein Bruder, Kaiser Karl V., war, wie Graf Rantzau berichtet, der lange am kaiserlichen Hof lebte, der Astrologie ergeben. Nach Rantzau soll ihm zur Zeit des

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schmalkaldischen Krieges der Astrologe Turrianus von Cremona den sicheren Sieg vorhergesagt haben. (In der Schlacht bei Mühl­ feld wurde bekanntlich der Kurfürst Johann Friedrich von Sach­ sen gefangen genommen.) Der Komet von 1555 soll dem Kaiser (nach Boll) nahegelegt haben, der Regierung zu entsagen. Seinen Lehrer in der Gestirnkunst, den Mathematiker Peter Apianus (Bienewitz), erhob er in den Adelsstand. Lebhaft umschwärmt von katholischen und protestantischen Astrologen war Kaiser Maximilian II., einer der begabtesten Für­ sten, die je den Kaiserthron geziert hatten (Lorenz). Er war ungemein vielseitig, flink und sprachgewandt und der Astrologe Grünpeck hatte wohl recht, wenn er prognostizierte, daß „ihm in der Schreibery und dergleichen Künsten nymants in der Schicklichkeit vorgehen werde“. (Allerdings hat Grünpeck auch vorhergesagt, daß er „ein gut Alter erraichen wird“, doch starb Maximilian schon im 49. Jahre. (Das von Grünpeck selbst ge­ schriebene Horoskop ist in der Österreichischen Nationalbiblio­ thek, Codex No. 8459 aufbewahrt.) Auch Maximilian II. zog an seinen Hof in Wien viele Gelehrte und Künstler, wie Palestrina, Camerarius, Clusius und den Astrologen Leovitius, der mit dem Kaiser vertrauliche Gespräche führen durfte und ihn für den evangelischen Glauben zu gewinnen suchte. Maximilian ließ sich von seinem Leibarzt Dr. Reysacher die Nativität aller seiner Kinder stellen, darunter auch für den ältesten Sohn, Kaiser Rudolf II. Die abgrundtiefe, von Grillparzer dichterisch ver­ klärte Sterngläubigkeit Rudolfs ist bekannt; sie wurde ihm zum Unheil, der Wissenschaft aber zum Heil, da durch die kaiser­ liche Förderung der aus Dänemark vertriebene Astronom Tycho Brahe auf Schloß Benatek seine wichtigen Himmelsbeobachtun­ gen machen und Kepler sein Marswerk und die Rudolfinischen Planetentafeln verfassen konnte. Das krankhafte Mißtrauen gegen seine Verwandten, ins­ besondere gegen seinen Bruder Matthias, ist gewiß auch astrogisch beeinflußt, ebenso die Verlegung des Regierungssitzes von Wien nach Prag. Schon Reysacher sagte in seinem Horoskop, daß er (Rudolf) mit seinem Bruder Ernst in „perfekter Harmonie“ 244

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Titelblatt zu Keplers’ Tertius interveniens

leben werde, aber nicht in so guten Beziehungen zum jüngeren Mathias. Spätere Astrologen haben dem Kaiser prophezeit, daß ihm ein jüngerer Bruder die Herrschaft streitig machen werde. Als Rudolf 1606 gezwunegen wurde, seinem Bruder Matthias die österreichischen Erblande zu überlassen, sann er unaufhörlich auf Rache und Wiederherstellung seiner Macht, wozu er von aus­ ländischen Astrologen ermuntert wurde. Hier griff nun auch der kaiserliche Mathematiker Kepler ein und ließ den Kaiser (in einem Brief an dessen Sekretär Barwitz) warnen, den Schwindel­ prognosen dieser Sterndeuter nicht zu trauen. Er rechnete dem Sekretär vor, daß für die nächste Zeit Matthias nur Gutes zu er­ warten, Rudolf aber schlechte Direktionen habe und riet dem Sekretär die Astrologie ganz vom Kaiser fernzuhalten (Kepler, Briefe I. 383). Dies war allerdings umsonst und das Unheil nahm seinen Lauf. Doch bis zu seinem Tode mußte Kepler den noch immer blind auf „seinen Stern“ vertrauenden Kaiser astrologische Gutachten abgeben, die er allerdings mit großem Freimut und kritischer Besonnenheit erstattete. Der Lebenslauf Johann Keplers (1571-1630) ist hinlänglich bekannt, in Österreich wirkte er zuerst als steirischer Land­ schaftsmathematiker in Graz, das er wegen seines evangelischen Glaubens verlassen mußte. Er kam dann nach Prag zu Kaiser Rudolf und später nach Linz, dann trat er in die Dienste Wallen­ steins, des Herzogs von Friedland und lebte in Sagan. Auf einem „Ritt“ nach Regensburg, wo er seine rückständigen Honorare einfordern wollte, wurde er krank und starb in Regensburg am 15. November 1630. Die von Th. Frisch besorgte Gesamtausgabe seiner Schriften in 8 Bänden (1858-71) ist jetzt durch die Neue Gesamtausgabe in 20 Bänden, herausgegeben von Caspar und von Dyck, München 1937 ff, ersetzt worden. Seine astrologischen Schriften wurden von Herz (1895) und Strauß (1926) zum Teil in deutscher Übersetzung herausgegeben, sein umfangreicher Briefwechsel von Caspar und von Dyck (1930). Während Kepler in astronomischen Dingen von peinlichster Genauigkeit war, zeigen seine astrologischen Berechnungen oft große, auch von seinem Freunde Fabricius bemängelte Flüchtig­

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keiten und grobe Abrundungen, dennoch hat er oft mit erstaun­ licher Intuition das Richtige getroffen. So, wenn er im ersten Wallensteinhoroskop (1608) dem damals noch ziemlich unbe­ kannten böhmischen Edelmann „Waltstein“ vorhersagte, daß er sich, „von einer Rott, so malcontent zu einen haubt und Rädtlführer aufwerfen lassen“ werde (Herz Seite 97) und wenn er im zweiten Wallenstein-Horoskop (1625) aus der Konstel­ lation im Jahre 1634 nochmals auf seine frühere Prognose von 1608 hinweist. (Herz Seite 143), wo er „allerley graußame er­ schreckliche Verwährungen mit seiner Person“ prophezeite (Herz Seite 97). Wallenstein wurde am 25. Februar 1634 in Eger ermordet. Die von Schiller so dramatisch geschilderte Szene zwischen Wallenstein und Seni ist aber nur Dichtung. In Wahrheit wurde - wie die Akten im Archiv zu Sagan unwiderleglich beweisen sein Hausastrologe Giambattista Zenno vom kaiserlichen Hof bzw. von dessen Anhängern bestochen und er hat Wallenstein vor der drohenden Gefahr nicht gewarnt, sondern im Gegenteil durch falsche Horoskope irregeführt und in Sicherheit gewiegt. An der Universität in Wien wurde die Astrologie eifrig studiert. Der schon genannte Humanist und Astronom Georg Peuerbach wurde in den Universitätsakten kurz als „astrologus“ be­ zeichnet. In dieser Eigenschaft stand er auch im Dienst des früh­ verstorbenen Königs Ladislaus von Ungarn und Böhmen, Erz­ herzogs von Österreich. Sein Schüler und Freund, Johann Müller aus Königsberg in Franken, der sich Regiomontanus nannte (1436-1475), hatte in Wien und an italienischen Universitäten studiert und dort eifrig astrologische Handschriften gesammelt. Bei König Matthias Corvinus in Ofen war er einige Zeit als Bibliothekar tätig, und für den Erzbischof von Gran verfaßte er seine berühmten Direktionstafeln (1467). Später verlegte er seinen Wohnsitz nach Nürnberg, wo er 1471 mit Hilfe des Rats­ herrn Bernhard Walther eine Sternwarte und eine Druckerei ein­ richten konnte. Hier gab er den ersten astrologischen Kalender, die ersten gedruckten Ephemeriden, das Lehrgedicht des Mani­ lius heraus und hatte noch ein reiches astrologisches Verlags-

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«ßorofcopi-um^effrlkt burd)

loannem Keppterum 1608.

Wallensteins Horoskop

Programm, als ihn sein früher Tod in Rom am 6. Juli 1476 an der Ausführung seiner Pläne hinderte. In den Jahren 15001550 wirkten an der Wiener Universität haupt- oder neben­ amtlich viele Astrologen, so der Arzt Georg von Tannstetter, der mit seinem Freunde, dem Mathematiker und Arztastrologen Andreas Perlacher, astrologische Almanache und Ephemeriden herausgab, ferner die schon genannten Astrologen Johann von Schroetter und Johann Stabius, der Humanist Thomas Rasch (Velocianus), der Reuchlin im Bibelstreit vertrat und in den Universitätsakten als „professor astrologiae et sententiarius“ bezeichnet wurde, und der bayrische Mathematiker Johann Engel (Angelus), der von 1500-1512 Prognostiken verfaßte und besonders durch sein „Astrolabium planum“ bekannt wurde, eine Schrift, die 360 Aszendentenbildchen nebst Gradprognosen 248

Ioannis Keppleri

HARMONIC M VN D I L I B R I

V.

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Primus Geometkicvs, De Figurarum Regularium, qur Proportiones Harmonicas conftituunr, ortu flc dcmonftrationibus. Secundus AkchiteCton icvs.icu cxGeometki a Figvkata.Dc Fi­ gurarum Regularium Congruentia in plano vel folido: Tcrtius proprie Hakmonicvs, De Proportionum Harmonicarum ortu ex Figuris; deque Natura Bc Dincren tiis rerum ad cantum pertinenrium, contra Veteres: Quartus Metaphysicvs, Psycholooicvs 8c Astkologicvs, Dc Harmomarum mentali Effentiä earumquc generibus in Mundoi prziertim de Ha rmonia radiorum, ex corponbiis cceleftibus in Terram defcendentibus, ciuique effc&u in Natura feu Anima fublunari Sc Humana: Quintus AstkonomicvsäcMetAphtsicvs . DeHarmoniis abfolutiflimis motuum csleilium.ortuque Eccentricitatum ex proportionibus Harmonicis. Appendix habet compantionetn huius Operis cum Hartnonics CI. Ptolemzi libro 111.ctunque Roberti de Flu&ibus.di Äi Flud.Medid Oxonienfis fpeculationibus Harmonicis. operide Macrocofmo 6t Microcofmo iniertis. ^CCESSIT NPNC PKOPTEK C0GNAT10NEM MATErueiaftem A iberülibtrvHci)jouuteditm Tabmft,eaitua!utVtodtottMs t * /ea tMjfterutm Cafrugraphicaeu,de ttaßi Caürtua Naateri, Pnftrtitaie uHtaamqae Pmedietram. ex qaiaqat Carpribut Kegalmbm.

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Lincii Auftrix, SumptibusGoDOFREDi TampachiiBibl.Francof. Excudcbac Ioannxs Planc vs. •4nno M. T>C. XIX. Titelblatt zu Keplers Harmonices mundi

enthielt. In Salzburg verfaßte der fürstbischöfliche Rat Dr. Mar­ tin Pegius das erste umfassende in deutscher Sprache geschriebene astrologische Lehrbuch, das Geburtsstundenbuch (Basel 1570), einen mächtigen Folianten mit Planeten- und Häusertafeln, nebst einer Auslegung nach Guido Bonatti. Pegius, der auch einer der ersten Juristen war, die es wagten, juristische Werke in deutscher Sprache zu verfassen, hatte sich dadurch den Haß seiner „rö­ mischen“ Kollegen zugezogen. Auf ihr Betreiben hin wurde er 1581 wegen Zauberei angeklagt und ohne Urteil auf Geheiß des Erzbischofs 11 Jahre in der Festung Hohensalzburg gefangen­ gehalten, wo er 1592 starb (Knappich in Astrol. Monatshefte 1962, 1). In der bayrischen Universität in Ingolstadt, an der sich auch die Jesuiten eifrig mit Astrologie beschäftigten, wirkte der schon erwähnte Geograph und Kartenzeichner Peter Apianus, der auch kunstreiche „Horoskopien“ verfertigte. Das sind eine Art von Astrolabien zum direkten Ablesen von Häuserspitzen und Direktionsstellen. Sein großes Lehrbuch, das „Astronomicon Caesareum“ hat er dem Kaiser Karl V. gewidmet. Der Hof­ prediger des Kurfürsten Max von Bayern, Hieronymus Drexel, hat einen Zodiacus christianus 1634 verfaßt, worin er die 12 Tierkreiszeichen durch die 12 Apostel, die 7 Planeten durch Symbole der 7 christlichen Tugenden und die heidnischen Stern­ bildersagen durch Legenden aus der christlichen Heiligen­ geschichte ersetzen wollte. Einen ähnlichen Versuch der Christia­ nisierung des Sternenhimmels hat auch der Augsburger Julius Schiller 1627 unternommen - beide Versuche blieben erfolglos. Von katholischen Gelehrten, die sich mit astrologischen Pro­ blemen beschäftigten, seien neben dem schon erwähnten Abt Trithemius von Sponheim genannt, der Pfarrer Jakob Koebel in Ingolstadt, der Karthäuser-Mönch Georg Reisch, dessen Encyclopaedie „Margarita philosophica“ eine Darstellung der 7 freien Künste (incl. der Astrologie) enthielt, ferner der Straß­ burger Arzt Sebastian Prenner, Verfasser eines der bekanntesten Planetenbücher 1544 und der Paracelsist Dr. Samuel Eisen­ menger (Siderocrates), der im Dienste des Bischofs von Straß250

bürg stand. Der schon mehrfach genannte pfälzische Astrologe Johannes Lichtenberger hieß eigentlich Johannes Grümbach und wurde um 1450 nahe der Burg und Herrschaft Lichtenberg ge­ boren, nach der er sich nannte. Im Jahre 1471 verfaßte er eine umfangreiche Horoskopbeschreibung für Herzog Ludwig von Bayern-Landshut, wurde dann kaiserlicher Hofastrologe bei Kaiser Friedrich III., wo er aber um 1480 in Ungnade fiel und sich mit einem bescheidenen Pfarramt in Brambach (Pfalz) be­ gnügen mußte. Hier verfaßte er auch seine berühmte Pronosticatio 1488 und starb 1503 ebendort (Daten nach Kunze). In Württemberg, das nach Wiedereinsetzung des Herzogs Ulrich allmählich protestantisch wurde, wirkte in seinen späteren Jah­ ren an der Universität in Tübingen der berühmte Astronom Johannes Stoeffler von Justingen (1452-1531). Er studierte an der Klosterschule zu Blaubeuren, dann an der Universität in Ingolstadt und wirkte dann jahrzehntelang auf Justingen, das einst Herrschaftssitz der Stoeffler war. Hier verfaßte er auch seinen schon erwähnten Ephemeriden-Almanach für die Jahre 1499-1531, worin er auch astrologische Vorhersagen und Ver­ mutungen gab, aber keineswegs eine allgemeine Sintflut im Jahre 1524 prophezeite, die ihm reklamesüchtige Geschäftsastrologen angedichtet haben. Stoeffler stellte vielen Fürsten das Horo­ skop und wurde von Kaiser Maximilian persönlich aufgesucht und geehrt.

Einer seiner bekanntesten Schüler war der Mathematiker Johann Schoener (Schonerus), der zu Erfurt Theologie und Mathematik studierte, dann Priester in Bamberg war und später zum evangelischen Glauben übertrat. Schließlich war er, von Melanchthon gefördert, am Gymnasium zu Nürnberg tätig und gab Ephemeriden und immerwährende Planetentafeln heraus, sowie ein großes Lehrbuch der Astrologie 1545. Zu beiden hat Melanchthon ein längeres Vorwort geschrieben.

Durch die päpstlichen Verbote der judiziarischen Astrologie von 1564, 1586 und 1631 wurde die Tätigkeit katholischer Astrologen in Deutschland lahmgelegt und auch die Flut der 251

Prognostiken und Praktiken nahm in den katholischen Teilen des deutschen Reiches rasch ab. Die protestantische Gelehrsamkeit und die protestantische Astrologie konnte sich indessen rasch entwickeln, sie nahm von der rasch aufbliihenden Universität in Wittenberg ihren Aus­ gang, wo Philipp Melanchthon (Schwarzerd) als Praeceptor Germaniae das Schulwesen reorganisierte und um sich einen Kreis von Schülern und Freunden sammelte, die zumeist, so wie er, der Astrologie ergeben waren. So Jakob Milich, Johannes Cario, Schoener, Camerarius, David Herlicius, sein Schwieger­ sohn Caspar Peuker und der dänische Graf Heinrich von Rant­ zau. Seine theoretischen Ansichten über die Astrologie haben wir schon besprochen, als praktischer Astrologe hatte unser „Domi­ nus Philippus“ weniger Erfolg, aber trotz seiner Fehlprogno­ sen über das Schicksal seiner zwei Töchter hielt er am Glauben an die Macht der Sterne fest, er verzichtete auch auf eine Reise nach Dänemark und England, die ihm zweifellos große Ehren eingebracht hätte, weil der Astrologe Virdung ihm schon als Kind prophezeit hatte, daß die See ihm Gefahren bringen werde. Aus Wittenberg kamen die ersten Anhänger des Kopernikus, die Astrologen Schoener, Georg Joachim (Rhaeticus) und Eras­ mus Reinhold, hier wirkte auch der Pastor Gartze (Garcaeus), dessen umfangreichen Astrologiae Methodus wir schon erwähnt haben. Als Rektor der Universität Leipzig und Leibarzt des Kur­ fürsten August von Sachsen war der Schwiegersohn Melanchthons, CasparPeucer, tätig, der auch mehrere astrologische Werke verfaßte. Als er aber heimlich den Calvinismus in Sachsen ein­ führen wollte, wurde er von dem fanatisch lutherischen Kur­ fürsten in den Kerker geworfen, wo er 12 Jahre lang bis zum Tode des Kurfürsten schmachtete. Im Dienste der pfälzischen Kurfürsten stand der Arzt-Astrologe Johann Virdung aus Haß­ furt, der durch seine weitverbreiteten Praktiken und die Sintflut­ prognose für 1524 großes Aufsehen erregte. Unter seinem Namen erschienen noch Prognostiken bis 1581. Der sterngläu­ bige Kurfürst Otto Heinrich von der Pfalz ließ die Universität

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Heidelberg neu erstehen und hat in einem Zubau zum Heidel­ berger Schloß, dem Ottheinrichsbau, 1558 in herrlichen Plastiken die griechischen Planetengötter anbringen lassen und zwar die an höchster Stelle, die auch in seinem Horoskop am stärksten standen (Gundel). In seinem Dienst standen der schon mehr­ fach erwähnte Astrologe Cyprian Leovitius (1524-1578), der aus Leobschitz in Böhmen stammte und zumeist in Lauingen lebte. Er gab die Direktionstafeln des Regiomontanus mit Rechenanleitüngen und Beispielhoroskopen dann Ephemeriden und andere Tafelwerke heraus, sowie ein kleines Lehrbuch zur Auslegung (de judiciis nativitatum doctrina), das 1924 von J. Fuchs ins Deutsche übersetzt wurde. Beim Kurfürsten Joachim I. von Brandenburg stand der Astrologe Johannes Cario (eigentlich Nägelein) in hoher Gunst. Er wurde in Bietigheim 1499 geboren, studierte in Wittenberg und trat mit seinem Kurfürsten zum evangelischen Glauben über. Nach Adelung soll Cario die französische Revolution vor­ hergesagt haben und daß dem Hause Hohenzollern die höchste Würde in der Christenheit beschieden sein werde. Cario starb 1538 in Berlin. Bei Kurfürst Joachim II. von Brandenburg war sein Leibarzt F. Hildesheim auch als Astrologe tätig, ferner stand bei ihm der abenteuerliche Alchimist, Naturforscher und Astrologe Leonhard Thurneysser zum Thum (1530-1595), des­ sen großes Kräuterbuch wir schon erwähnten, in hoher Gunst. In Frankfurt a. O. und in Breslau lehrte der Astrologe David Origanus (Tost), der einen umfangreichen Ephemeridenband (Ephemerides novae Brandenburgiae) für die Jahre 1595-1630 herausgab, dessen Einleitung ein vollständiges Kompendium der Horoskoptechnik enthielt. In der erst nach seinem Tode er­ schienenen Astrologia danica (1645) verwarf er die judiziarische Astrologie als eitel und abergläubisch und ließ nur die natürliche Astrologie gelten. Die Universität Rostock war eine besondere Pflegestätte der medizinischen Astrologie. Schon 1525 lehrte hier Johannes Comarus (Hagebut) und forderte, daß die Astrologie als Grundlage der Heilkunde an den Universitäten systematisch gelehrt werden soll, ein Prinzip, das auch Jakob Milich und

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Melanchthon in Wittenberg vertraten. In Rostock studierten Tycho Brahe und Graf Rantzau sowie der schlesische Astrologe David Herlicius (Herrlich), der viele Prognostiken schrieb und später an der Universität in Greifswald als Mathematiker und Astronom wirkte. Im fernen Ostfriesland war lange Zeit David Fabricius (Goldschmied) als Pastor in Restham und Ostsela und nebenbei als eifriger Amateurastronom tätig. Er stand mit Kepler, der ihm viele Planetenbeobachtungen verdankte, in regem Brief­ wechsel und beschäftigte sich auch mit der Marstheorie, doch konnte er Kepler’s „Ovalhypothese“ nicht beistimmen. Fabri­ cius schrieb von 1608-1611 Prognostiken und Almanache und wurde von einem Bauern, den er öffentlich als Dieb bezeichnete, erschlagen.

f) Niederlande: In den kaiserlichen, später spanischen Niederlanden fand die gelehrte Astrologie besonders an der Universität Löwen ihre Pflegestätte. Hier studierten die schon erwähnten flämischen Theologen und Astrologen Paulus v. Middelburg und Albert Pighius (1505-1568), die in Rom ihr Glück machten und bei den Päpsten in hohen Ehren standen. Ein Studienkollege des Pighius war der spätere Papst Hadrian. In Löwen studierte Levinus Lemmens, der 40 Jahre als Arzt und Astrologe in Seeland tätig war und eine astrologische Schrift und astromedizinische Abhandlungen verfaßte. Sein Zeitgenosse war Peter von Bruhezen (Bruhesius), der einige Zeit Leibarzt der Regentin Eleonore v. Österreich, dann Stadtarzt in Brügge war. Hier schrieb er um 1550 einen „Großen und immerwährenden Almanach“, in dem astrologische Ratschläge für alle möglichen Verrichtungen, Baden, Rasieren, Aderlässen etc., enthalten waren. Der Magistrat von Brügge wies darauf alle Bader, Hebammen, Wundärzte, Barbiere etc. an, sich dabei „strengstens an die Stunden des Meisters Bruhesius“ zu halten. Das rief den Unwillen der Ärzte und eine Gegenschrift von Rapaert 1551 hervor, worauf der Wundarzt P. Haschaert für 254

Bruhesius eintrat. Hasdiaert gab auch in flämischer und fran­ zösischer Sprache Prognostiken für 1552-67 und den Ephemeriden-Almanach für den Meridian von Lüttich von 1568-72 heraus. In Löwen studierte auch der friesische Edelmann Sixtus von Hemminga, der aus einem Anhänger zum Gegner wurde, nach­ dem ihn seine „Experimente“ nicht befriedigt hatten. In seiner Schrift Astrologiae ratione et experientia refutatae über (1580) suchte er nachzuweisen, daß selbst berühmte Astrologen wie Gauricus, Cardanus oder Leovitius sich bei ihren Vorhersagen oft geirrt haben. An der Universität Löwen wirkte der Mathe­ matiker Johann Stadius (Stade), der im Auftrag des Bischofs von Lüttich Ephemeriden für die Jahre 1554-1606 sowie Tafel­ werke zur Horoskoptechnik verfaßt hat. Darin hat er die all­ gemein gebräuchliche rationale Manier (Regiomontanus) abge­ lehnt und eine den Vorschriften des Ptolemaeus besser ent­ sprechende Häuserkonstruktion gelehrt. Stadius wurde später zu König Heinrich III. nach Paris berufen, wo er als ausüben­ der Astrologe in hohem Ansehen stand. Ein anderer flämischer Astrologe, J. F. van Ringelbergh, gewann ein hohes Ansehen im Auslande und wurde Hausarzt bei den Herzögen von Sachsen. Ringelbergh schrieb ein vielgelesenes Lehrbuch der Astrologie und eine Enzyklopädie der mathematisch-astronomischen Wis­ senschaften, in der die Astrologie als Hilfswissenschaft behandelt wurde. Die ältesten und am meisten verbreiteten astrologischen Al­ manache und Prognostiken in flämischer Sprache gab Jan Laet van Borchloen ab 1487 heraus; sie wurden von seinen Söhnen, dann von seinen Enkeln, teils flämisch, teils französisch, bis 1561 fortgesetzt. Fast alle diese Mitglieder der Astrologenfamilie Laet haben in Löwen studiert und waren praktische Ärzte. In den freien (protestantischen) Niederlanden konzentrierte sich das Interesse für die gelehrte Astrologie um die Universität in Ley­ den, die berühmte Pflegestätte der Philologie. Hier wirkte auch Josef Justus Scaliger (geb. 1540 in Agen, Frankreich), der zum Protestantismus übertrat und deshalb seine Heimat verlassen

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mußte. Er lehrte dann in Genf und wurde auf Grund seines Kommentars zum Lehrgedicht des Manilius nach Leyden be­ rufen, wo er 1609 starb. In diesem 470 Seiten umfassenden Kommentar hat Scaliger die ganze ihm erreichbare hellenistische und mittelalterliche Literatur zur Erklärung herangezogen und Boll hat wohl mit Recht vermutet, daß hier nicht bloß philo­ logische Akribie, sondern auch ein starkes persönliches Interesse an der Astrologie mitgewirkt haben dürfte. Der Erstausgabe des Werkes (1579) hat Scaliger sein Horoskop beigegeben. Sca­ liger ist auch der Schöpfer der sogenannten Julianischen Periode von 7980 Jahren, die es ermöglicht, eine Aera oder Zeitrechnung in eine andere umzuwandeln. In Leyden wirkte weiterhin der gelehrte Salmasius (Claude Saumaise), der ebenfalls seines Glaubens wegen Frankreich velassen mußte und im freien Holland Aufnahme fand. Sein Werk „De annis climactericis et antiqua astrologia diatribae“, das über 1000 Seiten umfaßte und 1648 bei Elzevier erschienen ist, stellt das ganze Lehrgebäude der hellenistischen Astrologie dar, wobei er in reichem Maße persische, arabische und hebräische Quellen heranzieht. Aber welche Mühe und Selbstaufopferung für eine Lehre, die er selbst als „fons omnium vanitatis et falsitatis“ (Seite 790) bezeichnet! Ein flämischer Astrologe, H. van Lindhout, lehrte an der Universität Hamburg und schrieb um 1590 ein Speculum astrologiae, worin er die Astrologen ermahnt, die arabischen Deu­ tungsregeln und Wahrsagepraktiken fallenzulassen und sich nur an die vernünftigen Vorschriften des Ptolemaeus zu halten. Lindhout verfaßte auch eine Schrift „Contra calumniatores artis astrologiae“. Wie im katholischen (flämischen) Teil der Niederlande der Almanach der Familie Laet florierte, so in den protestantischen Niederlanden der astrologische Almanach der Familie Laensbergh. Er wurde von dem Pastor Philipp Laensbergh (1561— 1632) begründet und bis ins 18. Jahrhundert weitergeführt.

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g) Skandinavien: In den skandinavischen Ländern erfreute sich besonders der Almanach des dänischen Astrologen Levinus Batten großer Teil­ nahme und weiter Verbreitung. Er wurde ab 1570 für den Meri­ dian von Kopenhagen berechnet und enthielt neben den rein astronomischen Daten auch politische und meteorologische Vor­ hersagen, sowie astrologische Ratschläge und anderes. Er wurde bis 1689 weitergeführt und erschien teils in Lübeck, teils in Helsingfors, Malmö und Lund. Für die dänische Astrologie sind 2 Männer hochbedeutsam: der große Staatsmann Graf Rantzau und der Reformator der beobachtenden Astronomie und Schöp­ fer eines neuen Weltsystems, Tycho Brahe. Graf Heinrich Rantzau (1526-1598) studierte in Wittenberg und Rostock, war dann 7 Jahre am Hofe Kaiser Karls V. tätig und wurde von König Christian III. zum Statthalter von Schleswig-Holstein ernannt. Er leistete dem dänischen Königs­ haus viele Dienste, sowohl als stets ausgezeichnet informierter Diplomat als auch als Bankier, da er infolge kluger Bewirt­ schaftung seiner Güter Kaiser und Königen große Summen lei­ hen konnte. Seine besondere Liebhaberei galt der Astrologie und viele Astrologen fanden bei ihm Unterstützung. Von seinen eigenen astrologischen Schriften ist der „Tractatus astrologicus de genethliacorum thematum iudiciis“, ein Deu­ tungsbuch mit vielen hellenistischen, arabischen und mittel­ alterlichen Regeln (1593), wohl am verbreitetsten, weiter hat er einen „Catalogus“ verfaßt, in dem er alle Kaiser, Fürsten etc. aufzählt, die die Astrologie gefördert oder selbst ausgeübt haben (1580), dann „Exempla“ (1585), worin Rantzau an 87 Horo­ skopen die Wahrheit astrologischer Regeln erweisen will, schließ­ lich ein diätetisches astromedizinisches Hausbuch, „de conservanda valetudine“, das ebenfalls weit verbreitet war. Im Cata­ logus führt Rantzau auch den holsteinischen Astrologen Detlev Reventlow an, der unter der Regierung Christian II., dessen Söhnen und anderen hochgestellten Personen viele zutreffende Prognosen erstattet haben soll.

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Im Auftrag des Grafen Rantzau gab der Astrologe Thomas Finde ein astromedizinisches „Calendarium Ranzovianum“ und eine Horoscopographia (1585) heraus, die neben verschiedenen Tabellen auch die verschiedenen Methoden der Horoskoptechnik und Häuserkonstruktion enthält. Finck war Arzt und später Professor der Mathematik an der Universität Kopenhagen und starb hochbetagt 1656. Tycho Brake (1546-1601), der aus dem schwedischen Adels­ geschlecht der Brahe stammt, studierte in Kopenhagen, Witten­ berg und Rostock, dann lernte er in Lauingen beim Astrologen Leovitius die Horoskoptechnik, und in Augsburg die Kunst der Herstellung astronomischer Geräte, die ihm später von großem Nutzen war. Durch die Gunst des Königs Friedrich II. von Dänemark konnte er auf der Insel Hven eine Sternwarte (Uraniborg) erbauen, mußte aber auch für den König astrologische Gutachten erstatten und die Nativitäten seiner drei Söhne aus­ arbeiten, die noch erhaltenen Prognosen sind nach dem Urteil von Troels-Lund für den zweiten Sohn ziemlich zutreffend, für die anderen zwei weniger gut gewesen. Als er später die Gunst des Königs verlor, ja sogar sein Heimatland verlassen mußte, fand er bei Kaiser Rudolf II. freundliche Aufnahme. Der Kaiser überließ ihm das Schloß Benatek bei Prag, wo er seine sorg­ samen Sternbeobachtungen ausführte, die dann für Kepler von großem Nutzen waren. Tychos Stellung zum neuen Weltbild und sein „tychonisches Weltsystem“ haben wir bereits früher besprochen. Obwohl Tycho Brahe - wie alle Großen der Astro­ logie - stets die geringe Zuverlässigkeit der Prognosen beklagte und die Mißbräuche der Geschäftsastrologen und den von ihnen genährten fatalistischen Sternaberglauben heftig tadelte, war er stets ein Anhänger einer wahren und religiös gestimmten Stern­ deutung. Ja, sein ganzes Lebenswerk war - wie Troels-Lund sagt - gewissermaßen der Verbesserung der Sterndeutung ge­ widmet. In seiner schon zitierten Kopenhagener Universitäts­ rede (Über die mathematischen Wissenschaften, deutsch von M. Zeller) bemängelte er die vielen Fehler in den Planetentafeln, die Unsicherheit der Zeitbestimmung und lehrte ein besseres Ver­

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fahren zur Rektifikation ungenauer Horoskope, er nahm darin die seriöse Astrologie gegen die Angriffe der Physiker und Theologen in Schutz und führte aus, daß es im Menschen etwas gibt, das über den Sternen erhaben ist, kraft dessen er die un­ heilvollen Inklinationen der Gestirne überwinden kann, sofern er dem wahren, überweltlichen Menschen nachleben will. Tychos „Opera omnia“ wurden über kaiserlichen Auftrag in Prag 1611 herausgegeben, eine neue Ausgabe erschien in Kopen­ hagen 1913. Die österreichische Nationalbibliothek besitzt den handschriftlichen Nachlaß Tychos (16 Quartbände C. N. 10686) mit zahlreichen astrologischen Berechnungen und einer Abhand­ lung über Geomantie, die nach Tycho eine Spezialform der Astrologie ist und viele „direkte“ und „retrograde“ Figuren zeigt. h) Polen:

Von allen Völkern des slavischen Ostens ist Polen das einzige, das nie den Kontakt mit dem lateinischen Abendland verlor und frühzeitig eine nationale Kultur und Literatur sich schaffen konnte. Die Astrologie kam über Bologna nach Polen und schon 1424 lehrte an der jagellonischen Universität in Krakau Henryk Bohemus, der dem König Jagello und seinen Söhnen das Horosskop stellte. Im Jahre 1460 stiftete der Arzt und Astrologe Martin Krol, der in Bologna studiert hatte, einen permanenten Lehrstuhl für Astrologie an der Krakauer Universität und viele Astrologen wie A. Opatow, P. Gaszowiec und Bylica haben dort ihre Ausbildung gefunden. Im Jahre 1493 schrieb Hart­ mann Schedel in seiner „Bayrischen Chronik“, daß in Krakau besonders die Astronomie gepflegt werde und daß es in ganz Deutschland keine berühmtere Schule gebe. In den Jahren 14801550 lehrten in Krakau, dieser „Mathematiker-Universität“, Johann von Glogau, der Prognostiken, astrologische Traktate und Anweisungen für Kalendermacher schrieb, ferner Albertus de Brudzewo (Brudzewski), der bedeutendste polnische Astro­ nom, der Lehrer des Kopernikus und des Humanisten Konrad Celtes; er verfaßte Planeten- und astrologische Rechentafeln und 259

einen Kommentar zu Peuerbachs Planetentheorie, schließlich der Astronom Wenzeslaus von Krakau, der in seiner Einleitung in die Astrologie die Nativitäten der Prinzen Friedrich und Kasi­ mir von Polen besprach. Der Leibarzt des Königs Sigismund I. von Polen, Mathias Miechowita (um 1526), war zugleich Rektor der Universität und förderte daselbst sehr die Astrologie. Stark gefördert wurde die polnische Astrologie von König Sigismund II. und August von Polen (1548-1572), dem letzten Jagellonen, un­ ter dem Polen seine größte Ausdehnung hatte. Wie in Bologna waren auch in Krakau die Inhaber des Lehrstuhs für Astronomie verpflichtet, jährlich einen Kalender mit astrologischen Progno­ sen herauszugeben. Solche Kalender oder „practicae cracovienses“ wurden erst lateinisch, dann auch polnisch und deutsch heraus­ gegeben, so von Jacobus de Ilza von 1507-13, von Nikolaus Shadek 1517-32, von Jan Latosz von 1562-1602 etc. Peter von Proboszowicz, der als einer der ersten Universitätslehrer für die Kopernikanische Rechenweise eintrat, gab in Krakau in den Jahren 1547-1555 einen deutschen Almanach „mitsampt den Evangelien und den Aspekten der Planeten“ heraus; er wurde zum Vorbild für die späteren astrologisch-liturgischen Kalender, die seit 1583 im neuen (gregorianischen) Stil er­ schienen. Solche „Krakauerkalender“ wurden bald zum Gattungs­ namen und wurden auch in Wien, Heidelberg und Rom von polnischen Gelehrten, polnischen Jesuiten und Piaristen verfaßt. (Nach Mitteilungen von F. A. Prengel, Thorn und Prof. Birkenmeyer in Krakau.)

Literatur zum 7. Kapitel A. Quellenwerke

Diese sind zumeist schon im Text angeführt, hier folgen einige, die ich besonders benützt habe: Agrippa von Nettesheym: La philosophie occulte ou la magie. Traduction fran;aise, de H. Gaboriau. Paris 1910—11, 2 Bde. (Die Deutsche Ausgabe von Scheible 1855 ist weniger gut). 260

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263

8. Kapitel VOM VERFALL DER GELEHRTEN STERNDEUTUNG BIS ZUM AUSGANG DES 19. JAHRHUNDERTS

A.

Die Ursachen des Verfalls

Wie konnte es geschehen, daß kaum 30 Jahre nach Keplers Tode die gelehrte Astrologie einen so katastrophalen Rückschlag erlitt? Wie war es möglich, daß schon 1651 der Altdorfer Uni­ versitätsprofessor Abdias Trew schreiben konnte: „Was ist heutzutage verächtlicher als die Astrologie, das Sterndeuten, Ka­ lenderschreiben und Nativitätstellen?“ Und weiter sagt er, daß „ein Teil der Gelehrten heutzutage die Astrologie ganz und gar verwirft“. Das hat auch der englische Philosoph Hobbes getan, der die Astrologie als eine nicht sicher begründete Hypothese ab­ lehnte. Selbst der so versöhnliche und tolerante Leibniz erklärte, daß „er nur solches verachte, was auf bloße Täuschung hinaus­ laufe, wie die astrologische Wahrsagekunst“ (Zit. nach Über­ weg III. 315). Nur an wenigen deutschen Universitäten wurde nach 1670 noch offiziell die Astrologie als Lehrfach behandelt und in Paris verbot 1666 Minister Colbert, der Gründer der französischen Akademie, den Mitgliedern der Akademie aus­ drücklich das Studium dieser Wahnwissenschaft. Zum rapiden Verfall der gelehrten Astrologie führten ver­ schiedene Ursachen. Zunächst waren es die Schrecken des 30-jährigen Krieges, die in weite Gebiete des Abendlandes eine kul­ turelle Verödung und Verflachung, eine Verwilderung der Sitten und dabei eine Zunahme des wüstesten Teufels- und Hexen­ glaubens mit sich brachten. Geschäftstüchtige Astrologen, Schar­ latane und Pfuscher - oder wie der große Pädagoge J. Amos Comenius sagte, „Sternenschwindler“ - haben dem Volk mit ihren Prognosen den Kopf verdreht und hier wie zu allen Zeiten

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haben diese Leute die Astrologie mißbraucht und in den Sumpf des Volksaberglaubens hinabgezogen, die gelehrte Astrologie aber diskreditiert. Eine weitere Ursache des Verfalls lag in der Gegenreformation und dem steigenden Drude der Kirche auf die freie Forschung und Philosophie. Viele Universitäten standen unter Leitung oder Aufsicht von Jesuiten oder Dominikanern und an allen Pflege­ stätten des Geistes, insbesondere aber in Oxford, Paris, Padua und Köln wurde die von der Kirche geförderte neuscholastische Philosophie gelehrt; der von dem spanischen Jesuiten Suarez neu gefaßte Aristoteles war wieder oberster Quell der natür­ lichen Wahrheit geworden. Die dritte treibende Ursache bildete der rapide Fortschritt der Naturforschung und der Philosophie dieser Zeit. Die telesko­ pischen Entdeckungen und die neue von Galilei, Kepler und Newton begründete Himmelsmechanik widerlegten offensicht­ lich die aristotelische Physik auf Schritt und Tritt. Die Unter­ suchungen von Toscanelli und Tycho Brahe über die Bahnen der Kometen zeigten, daß diese keine „atmosphärischen Aus­ dünstungen“, sondern Himmelskörper sind, die sozusagen quer durch das Weltall mit seinen Himmelssphären rasen und hier­ bei auch die als real gedachten Kugelschalen zerstören müßten. Der Ring des Saturn, der Jupiter mit seinen Monden, die Pha­ sen von Venus und Merkur, die kahlen Mondkrater, die Sonnen­ flecken etc., alle diese neuen Einsichten vertrugen sich nicht mehr mit dem herkömmlichen Bild und der Signatur der Planeten. Die neue Himmelsmechanik zeigte, daß „oben“ dieselben me­ chanischen Gesetze wie „unten“ auf der Erde herrschen, daß die Planeten nicht in kreisförmigen, sondern in elliptischen Bahnen wandeln und daß kein erster Beweger nötig sei, da alle Him­ melsbewegungen Folge eines allgemeinen Gravitationsprinzips sind. Neue Instrumente, neue Tatsachen und ein neuer, in Werk­ statt und Praxis erprobter Geist durchbrach mit Ungestüm das Gestrüpp des magisch-astrologischen Denkens der Renaissance sowie die Kerkerwände der Neuscholastik und ersetzte sie durch 265

eine technisch-rationalistische, auf Beherrschung der Natur hin­ zielende Denkweise und Forschungsmethode. Im Jahre 1637 er­ schien in der freien Stadt Leyden der berühmte „Discours de la methode“ des französischen Philosophen und Mathematikers Rene Descartes (Cartesius 1596-1650), von dem die neuere Philosophie ihren Ausgang nahm. Darin zeigt Descartes den Weg seines Denkens, wie er zu­ nächst nach alter Art die allgemeinen Prinzipien und die ober­ sten Ursachen der Welt aufsuchte und dann die Wirkungen er­ wog, die sich daraus ableiten ließen. Doch dieser deduktive Weg versagte völlig, als er ins Detail gehen wollte. So beschrieb er den umgekehrten Weg, indem man von den erfahrungsmäßig festgestellten Wirkungen auf die Ursachen zurückgeht. Bei dieser induktiven Forschungsmethode, auf die schon Baco von Verulam hingewiesen hat, stellt Descartes mit voller Schärfe den Grund­ satz auf, „niemals etwas als wahr anzuerkennen, was man nicht ganz sicher als klar und wahr erkannt hat und nur das zu be­ halten, was durch vielfältige Erfahrung und Experimente so sicher begründet ist, daß man schlechterdings nicht mehr daran zweifeln kann“ (Recl.-Ausgabe S. 83 ff.). Descartes, der Geist und Materie, Denken und Sein als zwei selbständige, aber sich gegenseitig ausschließende Substanzen be­ trachtet, führte alle materiellen Erscheinungen auf Bewegung kleinster Teile (Korpuskeln) zurück; daher könne in der Natur­ erklärung nur das als wahr und real gelten, was durch Beobach­ tung und Messung verifizierbar ist, es können also nur Quanti­ täten (nicht aber okkulte Qualitäten) verglichen und bewertet werden. Zu dieser neuen und rasch sich ausbreitenden dynamisch-funk­ tionalen und mechanistisch-mathematischen Naturauffassung stand aber die neuscholastische Philosophie und Astrologie in schroffem Gegensatz, denn diese ist durchwegs deduktiv auf un­ bewiesenen oder unbeweisbaren Prinzipien aufgebaut, bewertet alle Dinge und Veränderungen in Raum und Zeit qualitativ und vertritt einen Strukturhaften Zusammenhang der Dinge. Außerdem lehren manche neuscholastische Astrologen, daß die

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Didacus Placidus de Titis (aus Bischoffs Archiv)

primär physische Ursache nicht in den Planeten, sondern im Primum Mobile und in den übrigen Himmelssphären liege, jene Sphären, die durch neue Einsichten als völlig irreal erscheinen müssen. So verlor die Astrologie in Gelehrtenkreisen ihren Kre­ dit und wie mächtige Katafalke ragen die beiden Standardwerke der neuscholastischen Astrologie, nämlich die Physiomathematica des Placidus de Titis und die Astrologia gallica des Morin de Villefranche in eine Zeit hinein, die mit Riesenschritten über sie hinwegging. Beide bekämpften heftig die kopernikanische Theo­ rie und die neue Himmelsmechanik, beide erschienen nahezu gleichzeitig (um 1660) und beide kamen trotzdem später auf den Index.

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B.

Placidus de Titis und die italienische Astrologie in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts

Der Wortführer der italienischen neuscholastischen Astrologie war ohne Zweifel P. Placidus de Titis, der dem umbrischen Adelsgeschlecht der Titi entstammt und im Jahre 1603 in Perugia geboren wurde. Im 21. Lebensjahr trat er in den Orden der Olivetaner ein, einer Benediktinerkongregation, die in Siena eine Niederlassung hatte. Später war er Lektor für Mathematik und Physik an der Universität in Padua, schließlich Professor an der mailändischen Universität in Pavia, wo er von 1657—1668, bis an sein Lebensende, wirkte. Nadi klösterlicher Art wurde Pla­ cidus de Titi von seinen Anhängern stets mit dem bloßen Tauf­ namen genannt und so kam die „doctrina Placidiana“ später auch nach England, wo „Placidus“ noch heute als Vater der modernen Horoskoptechnik betrachtet wird. Außer seinem Hauptwerk, der „Physiomathematica sive coelestis philosophia“, das erstmalig um 1650 pseudonym und erst nach seinem Tode in 2. verbesserter Auflage in Mailand 1675 von seinen Schülern Brunnacio und Onorati herausgegeben wurde, verfaßte Placidus noch ein weitverbreitetes Tafelwerk, die „Tabulae primi mobilis cum thesibus et canonibus“, das 1657 erschien und seinem Gönner Erzherzog Leopold Wilhelm von Österreich, damals Statthalter in Mailand, gewidmet war. Weiter hat Placidus Ephemeriden berechnet, einen Kommentar zu Ptolemaeus und ein umfangreiches astromedizinisches Werk, „De diebus decretoriis et aegrorum decubio“ (1661-1665) ver­ öffentlicht. In italienischer Sprache verfaßte er einen „Tocco di Paragono“ oder Probierstein, worin er nachzuweisen suchte, daß „der von der Kirche erlaubte Teil der Astrologie eine wahre Naturwissenschaft, ebenso vornehm und nützlich wie die Phi­ losophie“, sei. In seinem Hauptwerk zeigt es sich, wie die Argumente des Pico della Mirandola, insbesondere daß am geometrischen Ort keine physischen Kräfte haften, bei ihm eingeschlagen und einen wahren „horror geometricus“ ausgelöst haben. Sein Bestreben 268

war es daher, alle in der Astrologie gebräuchlichen Faktoren, wie Tierkreiszeichen, Häuser, Aspektstellen, zodiakale Würden etc. als physisch-reale Faktoren nachzuweisen und „aus natür­ lichen Prinzipien“ (d. h. ex Aristotele) abzuleiten. Das Licht ist die alleinige Ursache (causa instrumentalis) und Vermittlerin des astralen Einflusses. Die Bewegung ist die dazu nötige Bedingung, denn durch sie entstehen die Phasen und Sta­ tionen des Lichts, durch welche alle irdischen Veränderungen, das Warme und Kalte, Feuchte und Trockene, wie überhaupt alles Werden und Vergehen bewirkt werden. Alles, was wirkt, steht in einem gewissen Wirkungszusammenhang und alle We­ sensänderungen im Reiche der Natur erfolgen durch die obersten Ursachen in allmählicher maßvoller und stetiger Bewegung. Aber nur eine stetige proportionale Bewegung kann einen wirksamen Einfluß ausüben (wobei Placidus den Ausdruck Proportion nicht im geometrischen, sondern in einem physikalischen Sinne als sukzessive Aufeinanderfolge meint). So sind also die 12 Zeichen des Tierkreises keineswegs bloße geometrische Teilungen des Kreises, sondern physische Wirklich­ keiten oder Einflußzonen, die die proportionale Bewegung und den wechselnden Einfluß des Jahreslaufes der Sonne darstellen. Ebenso sind die 12 Himmelshäuser nicht geometrische Konstruk­ tionen, sondern Stationen oder Einflußzonen im Tageslauf der Sonne und der Sterne. Auch die Würden der Planeten, die Antiszien, die Aspekte und Direktionsstellen werden so aus der proportionalen Bewegung im Tageslauf oder im Jahreslauf der Gestirne abgeleitet. Überall geht also das Physisch-Reale dem Mathematisch-Gedachten voran, wie es schon im Titel seines Werkes, der „Physiomathematica “, zum Ausdruck kommt. „Denn darin - so ruft Placidus mit Emphase aus - liegt der ganze Unterschied meiner Lehre und der Lehre anderer Autoren, daß diese Mengen und Räume des Himmels teilen, ich aber die Bewegung der Sterne selbst und ihrer wirklichen und all­ mählichen Einflüsse - aber keineswegs Quantitäten“ (Physio­ mathematica 2. ed. Seite 64). Deshalb bekämpft auch Placidus alle rein geometrisch, durch

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Positionskreise bestimmten Häuserspitzen und Direktionsstellen, wie es Campanus und Regiomontanus gelehrt haben und for­ dert, daß eine naturgemäße Häuserteilung im Sinne des Ptole­ maeus „durch je 2 Temporalstunden, also durch die proportio­ nale Teilung der Bewegungsbogen der Himmelspunkte von einem zum nächsten Eckpunkt“ gemacht werden soll (Seite 189). In gleicher Art sollen die Direktionsstellen u. a. bedeutsame Himmelspunkte auf proportionale Art ermittelt werden. Es ist seltsam, daß Placidus hierbei nicht seine Vorgänger Cardanus und Maginus erwähnt hat, die allerdings auf rein geometrische Art diese proportionale oder „ptolemaeische Manier“ gelehrt haben. Weniger durch sein Hauptwerk, das den kühnen und doch anachronistischen Versuch machte, die Astrologie nochmals in das von der Kirche vorgeschriebene scholastische Weltbild einzu­ bauen, als vielmehr durch das in großen Auflagen erschienene Tafelwerk, die Tabulae primi mobilis, das nebst ausgerechneten Häusertafeln in 70 Thesen die Grundsätze seiner Lehre, dann Rechenanleitungen mit 30 Horoskopbeispielen enthielt, wurde seine Lehre bzw. die „Methode des Placidus“ allgemein bekannt und fand besonders in England viele Anhänger. Dort erschien auch die englische Übersetzung seines Hauptwerkes (erst 1798 durch Sibly, dann besser durch John Cooper) unter dem Titel „Placido de Titi: The primum mobile or the celestial philosophy, London 1816“. Auch die meisten Vertreter der italienischen Schule betonten den Primat des Physisch-Realen vor dem Mathematisch-Ge­ dachten, so insbesondere der Astronom, Geograph und Brücken­ bauer P. Giambattista Riccioli (1598-1671), der an der Uni­ versität Bologna lehrte und in seinem mächtigen „Almagestum novum“ sich scharf gegen die kopernikanische Theorie und die galileische Physik wandte. Darin findet sich auch eine umfas­ sende astrologische Geschichtsbetrachtung, wozu er alle großen Konjunktionen von 3980 v. C. bis 2358 n. C. berechnet hat. Im Jahre 1660 erschien zu Venedig seine „Astrologia pro argumento physico-mathematico contra systema Copernicanum“.

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Der Professor an der Universität Padua Antonius Francesco Bonatti schrieb 1687 eine ähnlich physiomathematisch begrün­ dete „Universa astrosophia naturalis“, worin er auf ein neues Korrekturverfahren und auf die Wichtigkeit der Sekundär­ direktionen als eine „erstmalig experimentell erprobte Methode“ hinwies. (Die begriffliche Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärdirektionen geht auf Placidus zurück.) Die ersteren werden durch den täglichen Umschwung des Himmelsgewölbes (Motus primus), die anderen durch die aus den Ephemeriden er­ sichtliche Eigenbewegung der Planeten im Tierkreis (motus secundus) gebildet. Ein Anhänger des Placidus war der Stadtarzt von Terni Antonio Tattoni, der in italienischer Sprache ein um­ fangreiches Werk „11 medico astrologo o vera apologia medicofisica astrologo contra il volgo“ (1685), worin er die placidianische Horoskoptechnik lehrte und zahlreiche medizinische und biologische Periodentabellen beifügte.

Trotz kirchlicher Verbote sind in Italien auch in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts noch zahlreiche Prognostiken und astrolo­ gische Almanache erschienen, so in Bologna 1648-1666, Brescia 1666-1678, Florenz 1657-1727, in Venedig erschien der be­ liebte „Almanaco perpetuo“ des Benincasa wieder, der von dem Astronomen Ansaleoni 1655 auf 700 Seiten vermehrt wurde. Selbst in Rom erschienen Prognostiken von 1672-1684 von Colonna, Neranti und anderen.

Besondere Beachtung fand das Prognostikon des berühmten Astronomen Giovanni Montanari, das 1676 unter dem verdäch­ tigen Titel „Frugnuoli degli influssi del gran cacciatore di Lagoscura“ in Bologna erschien und bis 1686 fortgeführt wurde. Es fand wegen seiner vielen zutreffenden Prognosen großen Bei­ fall und weite Verbreitung - aber umso größer war die Ver­ blüffung, als Montanari in einer Schrift „L’astrologia convinta di falso col mezzo di nuove esperienze e ragione fisico-astronomicho“ (Venedig 1685) bekannte, daß er die so beifällig aufge­ nommenen Prophezeiungen völlig willkürlich und zufällig ge­ macht habe, zum Nachweis, daß man damit mindestens ebenso 271

viele Treffer machen könne wie die Astrologen mit ihren Ster­ nen und Prognostiken. Nach diesem ernüchternden „Experiment“ wurde es ziemlich still im astrologischen Blätterwald und als bald darauf (1688) von der Kurie alle astrologischen Bücher, selbst die Werke des Placidus, die doch mit kirchlicher Druckerlaubnis erschienen waren, verboten und das Verbot 1709 erneuert und verschärft wurde, war der astrologischen Bewegung in Italien der Boden entzogen. Die italienische Astrologie wanderte nach Holland und England aus.

C.

Morin und die Astrologie in Frankreich

Der bedeutendste französische Astrologe und Theoretiker dieser Zeit war der Arzt und Mathematiker Jean Baptiste Morin, der im Jahre 1583 in Villefranche (Beaujolais) geboren wurde. Er studierte in Aix und Avignon, wo er 1615 den medi­ zinischen Doktorgrad erhielt. Dann machte er im Auftrage des Bischofs von Boulogne einige Reisen nach Deutschland, Böhmen und Ungarn, um das dortige Bergwesen zu studieren. Hierbei lernte er den schottischen Alchimisten und Astrologen Davison kennen, der ihn in die Astrologie einführte. Im Jahre 1630 wurde Morin als Professor der Mathematik an das College de France berufen und schrieb eine Preisarbeit „Über die beste Methode der geographischen Längenbestimmung für Seefahrer“, die aber nicht angenommen wurde. Frühzeitig war sein Ruf als Astrologe in Hofkreisen bekannt. Nach der Gefangennahme des Bischofs von Boulogne war er Leibarzt beim Herzog von Luxemburg, dann beim Herzog Effiat und soll auch bei der Geburt Ludwigs XIV. als Astrologe tätig gewesen sein. In besonderer Gunst stand Morin bei der Königin Maria von Frankreich, bei der Königin Christine von Schweden, bei den Kardinälen Richelieu und Mazarin, der letztere verlieh ihm auch eine jährliche Rente von 2000 frs. Die Prinzessin Maria Louise von Gonzaga, nachmalige Königin von

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Polen, nahm lebhaften Anteil an seinen Arbeiten und stiftete 2000 Taler zur Drucklegung seines Lebenswerkes. Trotzdem be­ klagte sich Morin oft über den Undank der Fürsten, bei denen er sich wohl durch seine streitbare Natur und seine großspreche­ rische Art mißliebig gemacht hat. Morin starb am 6. November 1650, im gleichen Jahr wie sein „Lieblingsfeind“ Gassendi. Sein Lebenswerk, an dem er mehr als 30 Jahre gearbeitet hat, ist die in 26 Büchern eingeteilte „Astrologia gallica“, die nach dem Vorbild des Junctinus die Enzyklopädie des gelehrten Astro­ logen sein sollte. Es ist ein mächtiger Foliant von XXXVI, 784 Seiten mit 39 Tabellen und 80 Beispiel-Horoskopen und ist 5 Jahre nach seinem Tode im Haag 1661 erschienen. Um die gelehrten Astrologen gegen alle Einwände von theologischen oder philosophischen Seiten zu sichern, hat Morin in den ersten acht Bücher die Beantwortung aller einschlägigen Fragen, die Gottesbeweise, die Meinungen der Kirchenväter, das Problem von Schicksals- und Willensfreiheit und die naturphilosophischen Grundlagen, sowie die primären Prinzipien behandelt, auf welche die siderischen Kräfte bezogen sind. Mit Aristoteles sieht Morin in dem hinter den Planetensphären befindlichen Primum Mobile (oder der sternenlosen Kristallsphäre) den primären phy­ sischen Grund alles Geschehens; aus ihm strömen die siderischen Kräfte herab und beeinflussen die irdischen Körper. Diese wer­ den durch die 4 Urqualitäten zusammengesetzt und geformt; auch die Planeten enthalten sie in bestimmten Mischungen. Mit dem Primum Mobile ist fest und für alle Zeiten der Tierkreis mit seinen 12 Zeichen verbunden, die keineswegs, wie manche mei­ nen, vom Jahreslauf der Sonne abhängig sind, sondern ihre Ei­ genschaften gemäß der Natur der sie beherrschenden Planeten ausüben. Daher behalten diese Zeichen - entgegen der Meinung des Campanella - auch auf der Südhalbkugel ihre spezifische Eigenart, da sie im Primum Mobile fest verankert sind. Planeten und Zeichen stehen in ununterbrochener Wechselwirkung, und es gibt keine isolierte Wirkung der Planeten oder universelle plane­ tare Signifikatoren für bestimmte Gebiete, wie es Ptolemaeus ge­ lehrt hat. Die Planeten sind mit dem ihnen im Thema Mundi

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(siehe 3. Kapitel) zugewiesenen Herrschaflszeichen unauflöslich verbunden und selbst in absente domino behält das Zeichen seine spezifische Wirkung, z. B. das Zeichen Löwe die solarische, der Krebs die lunarische Wirkung bei etc. Dagegen verwirft Morin die Ausdeutung der Zeichen und einzelner Sternbilder nach den zugehörigen Sternsagen, die Aus­ deutung der Einzelgrade (Monomoerien) und der in den Deka­ naten aufsteigenden Sternbilder und noch eine Menge anderer „Nugamente“ der Araber und Chaldäer. In dreifacher Art beherrscht der Planet ein Zeichen: 1. Durch seine Herrschaft oder Domination. 2. Durch seine Exaltation. 3. Durch die Trigonokratie, die sich enge an die 4 Urqualitäten anschließt. Alle diese zodiakalen Würden und Wirkungen sind im Primum Mobile verankert, das sich als ein ungeheurer kraft­ erfüllter Raum darstellt, der in 12 Sektionen geteilt ist. Dem­ gemäß vertritt Morin auch die von Regiomontanus gelehrte Tei­ lung der Himmelsräume und die geometrische, mittels Positions­ kreisen bestimmte Einteilung der Himmelshäuser. Im 16. Buche führt er dazu aus, daß auch die Direktionsbewegung keine phy­ sisch-reale, sondern eine geometrisch-gedachte Bewegung ist, die mittels einer Projektion der geführten Himmelspunkte auf das Primum Mobile durchgeführt wird, weshalb die Eigenbewegung der Gestirne hier ganz außer Betracht bleibt. Daher verwirft Morin auch die von Kepler und der italienischen Schule gelehrten Sekundär-Direktionen. Das Kernstück seiner Lehre bildet die im 21. Buche dargestellte Determinationskunst, zu der er vielleicht durch das von seinem Freunde Descartes erfundene Koordinatensystem angeregt wurde. Statt der vielen, oft einander widersprechenden Deu­ tungsregeln soll von einem festen Bezugssystem aus jedes Lebens­ gebiet eindeutig bestimmt werden. Als Achsen oder Leitprin­ zipien seines Systems dienen a) die Stellung des betreffenden Planeten im Tierkreis (status coelestis), b) die Stellung des Pla­ neten zum Ortshorizont, bzw. in den Himmelshäusern (status localis). Die Himmelshäuser an sich sind nach Morin „leere geo­ metrische Räume“, erst durch die darin stehenden oder der das

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Zeichen an der Häuserspitze beherrschenden Planeten, also durch Position oder Domination, werden die Häuser auf ein bestimm­ tes Lebensgebiet „determiniert“. Dieses 21. Buch der Astrologia gallica hat H. Selva ins Fran­ zösische übertragen (La th^orie des determinations astrologiques de Morin de Villefranche 1897) und nach ihm haben auch die deutschen Astrologen Sindbad und Weiss in ihrem Werk „Die astrologische Synthese“ die Morin’sdie Determinations­ lehre ausführlich behandelt. So hat sie auch in der modernen Astrologie viele Freunde gefunden. Indessen steht und fällt diese Lehre mit der Untersuchung, ob die von Morin aus der Tradi­ tion (dem Thema Mundi) übernommene Zuordnung der Pla­ neten zu aen Zeichen und die daraus abgeleitete Beherrschung der Häuser „richtig“ ist oder nicht. Bekanntlich hat Kepler diese Lehre von den „dominationibus Domuum“ ganz ver­ worfen, ebenso Trew und viele spätere Astrologen. Zudem hat die Einbeziehung der neuen Planeten viel Verwirrung und eine Menge neuer Zuteilungssysteme gebracht. Und da Morin in strenger Deduktion alle astrologischen Wirkungen von der kraft­ erfüllten letzten Sphäre, dem Primum Mobile, ausgehen läßt, so fällt mit dem Einsturz dieses Glashauses der Sphären auch sein Werk zusammen. Hier setzten auch seine Gegner ein, vor allem Gassendi und Mersenne, die beide die neuscholastische Astrologie heftig bekämpften. Der Physiker und Dompropst Peter Gassendi (1592-1655) war, wie Morin, Professor der Mathematik am College de France. Er vertrat eine epikuräische und mechanistische Weltan­ sicht, in der Gott nur als erste wirkende Ursache anerkannt wird; er bekämpfte die aristotelische Physik und die Lehre vom kraft­ erfüllten Raum und setzte als notwendiges Konstruktionsprinzip der Physik den leeren Raum fest, in dem sich die körperhaft ge­ dachten Atome bewegen und durch diese Bewegungen das irdi­ sche Geschehen hervorbringen. Gassendi hielt die kopernikanische Weltansicht für die beste und einfachste Theorie, doch, da sie der heiligen Schrift widerspricht, gab er sich mit dem Tychonischen Kompromiß-System zufrieden.

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Auch sein Freund, der Minoritenpater Marinus Mersenne (1588-1648), war Tychonianer und Mittelpunkt eines Forscher­ kreises, dem auch Descartes, Hobbes und der Astrologe Campa­ nella angehörten. In seinem „Quaestiones celeberrimae in genesin“ (1623) nahm er zu allen Fragen der Naturforschung, der Weltbeseelung, und der Astrologie Stellung und vertrat dar­ in einen kritisch besonnenen, an Keplers platonisierende Astrosophie erinnernden Standpunkt. In seiner 1636 erschienenen „Harmonie universelle“ hat er sich auf Kepler berufen. Wie die­ ser hat auch Mersenne sich gegen Fludds uferlose Spekulationen und gegen die Geheimniskrämerei der Rosenkreuzer gewendet, das ihm von seinen Gegnern den Namen eines „princeps Atheistarum“ eintrug. Die Ptolemaeische Tradition wurde durch die vorzügliche Übersetzung seiner Tetrabibios durch Nicolas Bourdin neu­ belebt, außerdem hat der Mathematiker Boulliaud in seiner 1657 erschienenen Schrift „In Ptolemaeum de judicandi facultate“ versucht, die ptolemaeische Deutungslehre more geometrico, d. h. mit Hilfe eines Bezugssystems, ähnlich wie Morinus auszu­ werten. Einen ähnlichen Versuch dürfte wohl der Astrologe C. Gadroys in seinem „Discours physique sur les influences des astres selon les principes de M. Descartes“ (1671) gemacht haben. Dagegen blieben die Schriften des Franciscus Allaeus ganz in der mittelalterlichen Tradition stecken. Allaeus oder auch„Arabs christianus“ waren Pseudonyme für den Kapuzinerpater Fran­ cois Yves (1593-1687), der in Rennes 1654 ein mundanastrolo­ gisches Werk „Fatum Universi“ veröffentlichte, worin er düstere Prophezeiungen über das Schicksal Englands und Frank­ reichs machte. Auf Einschreiten ausländischer Gesandter hat das Parlament in Rennes die Schrift verurteilt und öffentlich ver­ brannt. Einige Jahre später schrieb P. Yves einen „Astrologiae nova Methodus“, worin er den „gereinigten Text“ des Fatum Universi wieder brachte und dazu ein „neues“ Direktions­ system, die „direction sexagenaire“, die aber nichts anderes als ein Abklatsch der bereits von Petosiris und Paulus Alexandrinus gelehrten Profektionssysteme war.

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Ebenfalls in der Tradition blieb der Astrologe L. Meysonnier stecken, der einen „Almanach chr^tien catholique, physique et astronomique“ 1657 in der Art der polnischen liturgisch-astro­ logischen Kalender und eine Sammlung von Deutungsregeln her­ ausgab. Sein astromedizinischer Ratgeber „Le bon hermite“ wurde auf Einschreiten der Ärzte in Lyon unterdrückt. Mit Dekret vom 31. Juli 1682 hat König Ludwig XIV. das schon von einigen Provinzial-Landtagen erlassene Verbot astrologi­ scher Kalender und Almanache auf ganz Frankreich ausgedehnt und durch das schon erwähnte Verbot des Ministers Colbert wurde der gelehrten Astrologie in Frankreich der Boden ent­ zogen. Im Jahre 1705 teilte Lieutard, der Herausgeber des amt­ lichen astronomischen Jahrbuches (Connaissance des temps) mit, daß darin von nun an keine politischen und meteorologischen Prognosen mehr enthalten sein werden. D.

William Lilly und die englische Astrologie

In England, dem Heimatland der „Empiriker“ und Prak­ tiker, ist in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts, das durch Re­ volution und Restauration ohnehin wissenschaftlichen For­ schungen nicht günstig war, auf dem Gebiete der Astrologie keine ähnliche theoretische Leistung wie die des Placidus oder Morinus aufzuweisen. Die Hochschulen, selbst die platonisierende Universität Cambridge, ignorierten die Astrologie und nur im Geheimen beschäftigten sich manche Gelehrte mit Astro­ logie, um nicht den Fluch der Lächerlichkeit auf sich zu ziehen. Dagegen war eine große Anzahl ausübender Astrologen, die zu­ meist nicht den gelehrten Kreisen angehörten, eifrig mit Kon­ sultationen und der Herausgabe von Prognostiken tätig. Aller­ dings standen diese Astrologen stets unter dem Damoklesschwert einer gerichtlichen Verfolgung, nachdem durch ein von König Jakob I. erlassenes Gesetz (The vagrants act) alle fahrenden Leute, Gaukler, Wahrsager und Sterndeuter bei betrügerischen Handlungen zu bestrafen sind. Aber der sich betrogen fühlende Klient mußte selbst den Antrag stellen und gerichtlich klagen. 277

Zu diesen mehrfach bestraften „Professionals“ gehörte auch William Lilly, der als der „true father of british astrology“ bezeichnet wurde. Er wurde 1602 in Dieseworth bei Derby ge­ boren, besuchte die Lateinschule und mußte 1620, als sein Vater wegen Schulden eingesperrt wurde, sein Studium aufgeben und als Laufbursche und Lakai sein Leben in London fristen. Nach dem Tode seines Herrn heiratete er dessen reiche Witwe und konnte sich durch Häuserspekulationen ein beträchtliches Ver­ mögen erringen. Im Jahre 1632 begann er, Astrologie zu studie­ ren und wandte sich - der englischen Tradition entsprechend besonders der Mundanastrologie oder politischen Prognostik zu. In den kritischen Jahren 1644—45 gab er unter dem Pseudonym „Merlinus anglicus“ politische Almanache heraus und wurde deshalb vor eine Parlamentskommission zitiert, konnte sich aber so geschickt verteidigen, daß er ohne Strafe davonkam. Im Jahre 1647 veröffentlichte er sein umfangreichstes Werk, die „Chri­ stian Astrology“ (über 800 Seiten), das ich aber leider nirgends einsehen konnte. Bekannt und durch Neudruck zugänglicher ist seine „Introduction to Astrology“, die im Jahre 1834 der eng­ lische Astrologe Zadkiel (C. Morrison) herausgab und in Lon­ don 1907 im Neudruck erschien. Sie enthält keinerlei theoretische Begründung, sondern gleich praktische Vorschriften mit zahl­ reichen Beispielen für die Ausübung der Stundenastrologie (Interrogationen), in der ja Lilly unbestrittener Meister war. Auch König Karl I. hat ihn mehrfach konsultiert und mit einer Jahrespension bedacht; die Warnung Lillys, London schleunigst zu verlassen, schlug der stolze König in den Wind und so erfüllte sich sein Schicksal. Auf Betreiben Cromwells wurde König Karl I. am 30. Jänner 1649 in London hingerichtet. Im Jahre 1651 gab Lilly unerschrocken eine astropolitische Schrift „Monarchy or no Monarchy“ heraus, worin er für die königstreue Partei eintrat. In dieser Schrift waren auch einige hieroglyphische Bilder enthalten, die ein großes Sterben (the great plague) und eine große Feuersbrunst im Zeichen der Zwil­ linge vorhersagte (Faksimile dieser Bilder in dem oberwähnten Neudruck). 278

Als nun im Jahre 1665 und 1666 London tatsächlich von großen Seuchen und einer riesigen Feuersbrunst heimgesucht wurde, wurde Lilly im Oktober 1666 neuerlich vor eine Par­ lamentskommission geladen und befragt, ob er die Hieroglyphen in seinem Almanach von 1651 auf diese Unglücksfälle beziehe. Lilly gab dies zu, erklärte aber ausdrücklich auf die Frage eines Beistzers „Did you foresee the year?“, daß er das genaue Ein­ treten solcher Übel nicht Vorhersagen kann, sondern es dem Finger Gottes überlassen müsse. Ich erwähne diese Episode nur, weil in Astrologenkreisen noch immer die Legende kursiert, Lilly habe den Brand Londons 1666 genau vorhergesagt. Im Jahre 1652 erließ Lilly eine sehr un­ günstige Prognose über das Rumpfparlament und sagte, daß sich „communality and soldiery“ dagegen erheben werden. Darauf wurde Lilly auf 13 Tage eingesperrt, doch hatte Cromwell ein Jahr darauf wirklich das Parlament weggejagt. Unter dem Lord-Protektor Cromwell wurde Lilly wieder eingesperrt, nach der Rückkehr König Karls II. (1660) erhielt der königstreue Astrologe aber eine Lizenz als Arzt und konnte sich mehr seinen Studien widmen. Da sein Augenlicht stark geschwächt war, nahm er Henry Coley als Schüler und Famulus für seine Ar­ beiten auf; Lilly starb in London 1681 und sein Freund, der be­ kannte Bibliophile Dr. Elias Ashmole, hat ihm in der Kirche zu Walton einen Grabstein gesetzt. Diesem treuen Freunde und Begründer des Ashmolean Mu­ seums hat Lilly auch die „Geschichte seines Lebens und seiner Zeit“ gewidmet, die von hohem kulturhistorischem Interesse ist und die Horoskope und Lebensläufe vieler seiner Zeitgenos­ sen enthielt. Mit Lilly wurde auch der englische Mathematiker und Astro­ loge George Wharton (1617-1681) auf Befehl Cromwells ein­ gesperrt; er hatte an der Universität Oxford studiert und übte seit 1649 in London seine Tätigkeit als Arzt und Astrologe aus. Nach Wiederherstellung der Monarchie wurde er 1671 von Karl II. in den Adelsstand erhoben. Seine astromedizinischen Schriften hat J. Gadbury gesammelt und herausgegeben.

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John Gadbury wurde 1627 zu Wheatley (Oxfordshire) ge­ boren und studierte ebenfalls in Oxford, seit 1644 war er Schüler von Lilly, für den er eine Verteidigungsschrift den „Philastrogus“ verfaßte. Sein Hauptwerk ist die „Genenthlialogy or doctrine of nativities“ (1658), in welcher er ohne theo­ retische Festlegung die Technik der Geburtshoroskopie nach der üblichen rationalen Manier nebst zahlreichen Hilfstafeln, Häusertabellen und Deutungsregeln brachte. Anhangsweise be­ handelte er nach Lilly auch die Stunden- und Frageastrologie. Außerdem verfaßte Gadbury eine „Collectio geniturarum“, eine Sammlung von 200 Nativitäten von Fürsten, Gelehr­ ten, Künstlern, Seefahrern mit der schon deutlichen Absicht, aus vergleichenden Zusammenstellungen induktiv Gruppen­ merkmale aufzufinden. Ab 1661 gab Gadbury EphemeridenAlmanache mit politischen und Wetterprognosen heraus, die je 19 Jahre umfaßten und unter seinem Namen bis 1761 weiter­ geführt wurden. Im Jahre 1673 wurde er eingekerkert, weil er angeblich an einer Verschwörung gegen König Wilhelm II. von Oranien teilgenommen hat. Später wurde er aber wegen unge­ rechtfertigter Verurteilung vom Suat entschädigt und starb 1692 (nach anderen 1704). Im Jahre 1653 gab der Astrologe William Ramesey ein großes Lehrbuch „Astrology restored“ heraus, das in seiner Einteilung Vorbild für die späteren Lehrbücher war. Er behandelte in 4 Tei­ len 1. die Verteidigung der Astrologie, 2. die Geburtshoroskopie, 3. die Stundenastrologie und 4. die nationale oder politische Astrologie. Ramesey war ein entschiedener Verteidiger der Wil­ lensfreiheit und sprach den Urteilen aus der Geburts- und der Stundenastrologie nur bedingten Wert zu, am sichersten seien bloß die Aussagen über die physische Konstitution des Menschen. Die medizinische und Herbal-Astrologie erfreute sich in Eng­ land besonderer Pflege; hier sei zunächst der Arzt Dr. Nicolas Culpeper genannt, der um 1660 seine Praxis in London ausübte. Er war einer der besten Kenner der astrologischen Heilpflanzen. Er schrieb 1652 „Galens Art of Physick“, 1660 „The British herbal Astrology“ und 1682 einen ärztlichen Ratgeber „The

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English Family Physician“, der in 3 Bänden mit 200 Pflanzen­ tafeln erschien. Ähnliche astromedizinische Schriften verfaßten J. Blagrave, W. Salmon und Richard Sanders, dessen Werk „The astrological judgment und practice of physick 1677“ als „Frucht 30jähriger Praxis“ erschien. Lilly’s Famulus und Adop­ tivsohn Henry Coley wurde in Oxford geboren und brachte es bis zum Lektor der Mathematik an der Universität Oxford. Auf Anweisung Lilly’s gab er 1675 eine Sammlung von Deutungs­ regeln unter dem Titel „Anima astrologiae or the astrologer’s guide“ heraus, sein Hauptwerk ist die „Clavis astrologiae elimata or a key to the whole art of Astrology“ (1669), weiter setzte er Lilly’s Ephemeriden-Almanache fort und gab für 16771688 politische Prognostiken heraus. Coley starb 1695. Einer der vielen Krypto-Astrologen, die sich bloß im Geheimen mit der Astrologie beschäftigten, um nicht für abergläubisch ge­ halten zu werden, war der gekrönte Dichter John Dryden (1631-1700), das Haupt der neuklassischen Dichterschule. Von großer Formgewandtheit, aber von unstetem Charakter, ver­ herrlichte er zuerst den Lord-Protektor Cromwell, dann ebenso glanzvoll König Karl II. Nach dem „Englischen Plutarch“ und anderen Quellen soll er die Schicksale seines Sohnes Charles, dessen Geburt er mit der Uhr verfolgte, genau vorhergesagt haben, doch sind die Angaben astrologisch so wenig begründet, daß man diese Geschichte, die auch Kiesewetter (die Geheimwis­ senschaften Seite 352) bringt, wohl zu den astrologischen Le­ genden zählen muß. Wer sich eben offen mit Astrologie beschäftigte und dies nicht bloß als Professional betrieb, galt in den Augen der Ge­ sellschaft entweder als Narr - oder als Teufelsbündner. Der Hexen- und Dämonenglaube stand in England damals in voller Blüte, und der Hofprediger Karls II., Joseph Glanvil in seinem „Sadducismus triumphatus“, ebenso der anglikanische Theo­ loge Richard Baxter in seinem Werk „The certainty of the worlds of spirits“ gaben Sammlungen von Berichten über Spuk­ geister, Hexen, Zauberer und Geisterbeschwörer heraus. Glanvils Werk wurde von einem Vertreter der Cambridge-Univer­

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sität, Reverend Henry Moore, herausgegeben, der im Vorwort auch die Astrologie als Teufelstrug erklärte. Gegen diese Ver­ leumdung schrieb im Jahre 1680 der Reverend John Butler, der sich als „a Protestant minister of the true and ancient catholic and apostolick faith of the church of England“ bezeichnete, ein umfangreiches Werk heraus, die „Hagia Astrology or the most sacred and divine science of astrology“, worin er in 3 „Proposi­ tionen“ nachweisen wollte, daß es 1. eine wahre Astrologie des Himmels gebe, daß 2. der Mensch sie in seinem Zustand der Ver­ derbtheit nur unvollkommen verstehen und deuten könne und daß 3. eine Ausdeutung der himmlischen Zeichen gesetzmäßig und mit den natürlichen Verstandeskräften, ohne jede teuflische Hilfe möglich sei. Es ist bemerkenswert, daß trotz dieser feindlichen Einstellung zur Astrologie der Gründer der Sternwarte von Greenwich und erste „Royal Astronomer“ John Flamstead (1646-1719) der Stundenastrologie offenbar nicht abgeneigt war. In Pearce’s Textbook (Seite 18) ist das Horoskop der Grundsteinlegung der Sternwarte abgedruckt, die am 16. Mai 1675 3 Uhr 14’ nach­ mittags stattfand. Auf das im Archiv der Sternwarte auf­ bewahrte Horoskop von Flamsteads Hand hat jemand die Worte „Risum teneatis, amici“ (Haltet euer Lachen zurück, Freunde) hingekritzelt, ob das ernsthaft oder ironisch gemeint war, ist ungewiß, aber noch 1701 hat Flamstead an den Reve­ renden Wallis geschrieben, er möge doch seinem Freunde N. (der gegen die Astrologie losgezogen war) zu bedenken geben, daß ein vernünftiger Mensch nie über Dinge spricht, die er nicht ver­ steht. Ein ähnliches Wort schrieb man auch dem berühmten Phy­ siker Sir Isaac Newton zu, der zu dem Astronomen Hailey gesagt haben soll „I have studied the subject, Mr. Hailey, you have not“. Mit Unrecht ist daraus eine positive Stellung Newtons zur Astrologie abgeleitet worden. Er hat wohl die Astrologie studiert, denn schon bei seiner Inskription sagte er, er wolle Mathematik studieren, „to test the claims of judicial astrology“ (um die Ansprüche der Judizialastrologie prüfen zu können, zit. nach Eisler). Wie diese Prüfung ausgefallen ist,

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wissen wir nicht und ein angebliches Werk Newtons über Astro­ logie hat sich in dem Archiv der Universität Oxford nicht vor­ gefunden. Gewiß ist nur, daß sich Newton in späteren Jahren viel mit der Deutung der astralen Symbolik in der JohannesApokalypse befaßt hat. Während Lilly, Coley, Gadbury u. a. sich noch der üblichen regiomontanischen Horoskoptechnik bedienten, war John Par­ tridge der erste, der die neue placidianische Lehre in England einführte. Partridge wurde 1644 in East Shem geboren und war ursprünglich Schuhmacher. Dann studierte er Medizin und bei Gadbury Astrologie und brachte es bis zum Leibarzt der Köni­ gin Maria II. Wegen seiner antipapistischen Gesinnung mußte er unter König Jakob II. England verlassen und flüchtete nach Holland. Erst 1689 kehrte er unter König Wilhelm III. nach England zurück. Im Jahre 1687 verfaßte er ein „Nativity portrait of Cromwell, calculated according to the Placidian canons“ und einige Jahre später 2 Werke (in englischer Sprache), das „Opus reformatum“ und die „Defectio geniturae“, in denen er die traditionelle Technik verwarf und sich leidenschaft­ lich für die neue placidianische Lehre einsetzte. Außerdem ver­ faßte Partridge unter dem Pseudonym „Merlinus redivivus" ab 1681 weitverbreitete astrologische Almanache, die unter sei­ nem Namen bis 1783 weiter geführt wurden. Gegen seine viel­ gekauften Almanache gab der Satiriker Jonathan Swift unter dem Pseudonym „Isaac Bickerstaff“ einen Almanach für das Jahr 1708 heraus, worin er prophezeite, daß Partridge „infallibily“ am 29. März 1709, 11 Uhr abends sterben werde. Ja, er trieb den Spaß so weit, daß er 1709 eine Schrift unter dem Titel „die erfüllten Prophezeiungen des Mr. Bickerstaff“ her­ ausgab, worin er Partridge’s reumütiges Bekenntnis, die Leichenfeier und den Text der Grabschrift ausführlich beschrieb. Partridge war über diese Spässe tief verstimmt und veröffent­ lichte bis 1714 nichts mehr. Erst in seinem Todesjahr (1715) schrieb er „The last will and testament of John Partridge“, worin er sich über Swifts Satiren bitter beklagte. Partridge starb am 24. Juni 1715 und hinterließ ein beachtliches Ver­ 283

mögen. Wenn Swift aber (so wie Montanari) glaubte, durch satirische Schriften die Menge von ihrer Leichtgläubigkeit zu heilen, so irrte er sich. Man lachte darüber - und kaufte eifrig weiter die astrologischen Almanache, von denen einer besonders langlebig war. Im Jahre 1697 erhielt der Arzt-Astrologe Francis Moore von König Wilhelm III. eine Lizenz zur Herausgabe eines patriotisch-astrologischen Almanachs, der unter dem Titel Francis Moore’s Vox Stellarum or a loyal almanach for the year 1697 erstmalig erschien und bis zum 2. Weltkrieg weitergeführt wurde. Ich besitze den 215. Jahrgang von „Moores Almanac“ von 1912, der außer einem kurzen Behördenschematismus, Steuer- und Rechtsvorschriften, einen Hausarzt, Ratgeber für Gartenbau und Landwirtschaft, monatliche und jährliche Wet­ ter- und politische Vorhersagen enthält. Moore's Almanac wurde zum Vorbild für die späteren astrologischen Almanache von Raphael, Zadkiel, u. a., die noch heute in Millionen von Exemplaren in den englisch-sprechenden Ländern verbreitet sind.

E. Die deutsche Astrologie bis zum Ende des 17. Jahrhunderts Das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“ hatte unter den Folgen des 30jährigen Krieges am meisten zu leiden. Die Machtstellung des Kaisers war dahin, das Reich in eine Unzahl selbständiger Staaten zersplittert und nach außen ohne Macht. Das Wirtschafts- und Geistesleben lag völlig darnieder und die allgemeine Verrohung der Sitten, wie sie Grimmelshausen in seinen Schriften schildert, ging Hand in Hand mit einer un­ glaublichen Verwilderung der deutschen Sprache: In ungefügem Stil und in einem schauerlichen Mischmasch von deutschen und lateinischen Worten schrieben die Gelehrten dieser Zeit ihre Werke und an den wenigen Universitäten, wo noch Astrologie gelehrt wurde, wie in Wittenberg, Rostock, Würzburg, Altdorf oder Wien, wurde sie meist mit seltsamen theologisch-histori ­ schen Problemen verquickt. Großen Einfluß hatte hier auch die spanische Neuscholastik, selbst an protestantischen Universi­

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täten, wo ihr Begründer Suarez fast dasselbe Ansehen genoß wie seinerzeit Melanchthon (Geyer). Einer der wunderlichsten Vertreter der gelehrten Sterndeu­ tung dieser Zeit war der Nürnberger Mathematiker Andreas Goldmayer, über den uns W. Heß eine schöne Monographie ge­ schenkt hat (Literatur-Verzeichnis). Andreas Goldmayer wurde 1603 in Gunzenhausen (Ansbach) geboren, studierte in Altdorf bei dem Astrologen Daniel Schwenter, dann in Straßburg und Tübingen Mathematik, Philosophie und Medizin. Obwohl ihm mehrfach Professuren an Hochschulen angetragen wurden, lebte er bescheiden als städtischer Kalendermacher in Nürnberg und suchte sein geringes Einkommen durch Horoskopstellen und Ver­ fassung astrologischer Schriften, Städtechroniken und andere Gelegenheitsschriften, die er an Behörden und Fürstlichkeiten sandte, zu verbessern. Auf Grund solcher Arbeiten erhielt er vom Kaiser Ferdi­ nand III. den Titel eines „Comes palatinus caesareus“ oder kaiserlichen Pfalzgrafen, der aber materiell nichts eintrug. Auch sonst hatte Goldmayer viele Gönner, starb aber dennoch in ärm­ lichen Verhältnissen in Nürnberg 1664. Goldmayer war in erster Linie Mathematiker und hat sich daher besonders um die Verbesserung der Horoskoptechnik be­ müht, wobei er selbst bedeutenden Astrologen wie Kepler, Junctinus oder Cardanus viele Rechenfehler nachwies. In 2 (deutsch geschriebenen) Schriften, dem „Directorium mathematicum“ (1657) und dem „Computus directionum Astronomicus“ (1658) reformierte er das regiomontanische Direktionssystem und schuf neue „inventierte und calculirte Taffeln“, gegründet auf den „Satzcircul“, d. h. mittels einer neuen Art von Positionskreisen (sein Direktionssystem hat W. Koch im „Zenit“ 1930 ausführlich dargestellt). Auch das traditionelle Profektionssystem hat er verbessert. Er unterschied drei „Fürgehungen“: die große Fürgehung oder profectio maxima schreitet pro Jahr nur um 5 Gradminuten weiter, die mittlere pro Jahr um 1 Grad und die jährliche Fürgehung oder profectio annua pro Jahr um 1 Zei­ chen oder 30 Grad. Mit Hilfe dieses Profektionssystems hat 285

Goldmayer die Gründungsdaten von Städten und detaillierte Stadthoroskope und Chroniken berechnet, die er den betreffen­ den Stadtmagistraten oder Herrschaften zusandte. Solche aus­ führliche Städtehoroskope hat Goldmayer für Straßburg, Augs­ burg, Bamberg, Leipzig, Marburg etc. in den Jahren 1636-1645 berechnet und mit historischem Kommentar versehen. Für Würz­ burg hat also unser Astrologus herausgebracht, daß Würzburg im Jahre 3782 der biblischen Epoche, d. i. am 25. Februar römi­ schen oder 27. Feber julianischen Kalenders des Jahres 3 vor Chr. um 11 Uhr 33’ vormittags unter Polhöhe 49°50’ erbaut worden ist (Faksimile des Horoskops bei Heß). Auch über die Lage des Paradieses auf Erden und wie lange Adam und Eva darinnen gelebt haben, sowie über alle biblischen Ereignisse seit Erschaffung der Welt bis zur Zerstörung Jerusalems konnte Goldmayer genaue astrologische Aufschlüsse geben. Man kann heutzutage über solche „Forschungen“ billig lächeln, muß aber bedenken, daß es damals noch keine kritische Geschichtswissen­ schaft gab und daß die damaligen Historiographen, Chronisten und Schriftsteller (wie Trithemius oder Spangenberg) bedenken­ los ihre Berichte mit apokryphen Materialien und selbst erfun­ denen Konstruktionen ausschmückten. Bedeutend kritischer veranlagt war der schon erwähnte Mathematiker Abdias Trew, der 1597 in Ansbach geboren wurde, in Wittenberg Theologie, Mathematik und Astrologie studierte, dann als Professor der Mathematik und Physik an der Nürnbergischen Universität in Altdorf wirkte. Er schrieb 1641 einen Diskurs über die Begründung und Verbesserung der Astro­ logie, dem 1651 ein ausführliches Werk, der „Grundriß der ver­ besserten Astrologie“ folgte, das 1927 von J. Fuchs ins Hoch­ deutsche übertragen wurde. Außerdem schrieb er 1663 eine Me­ dizinische Astrologie und ein Chronologisches Handbuch, worin er auch für die Übernahme des Gregorianischen Kalenders in den protestantischen Ländern eintrat. Trew starb als Vater von 22 Kindern in Altdorf 1669. In seiner Reformastrologie verwarf er die vielgerühmte ra­ tionale Manier des Regiomontanus und hielt die einfache Dritte-

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