Die Plünderung des Yuanming yuan: Imperiale Beutenahme im britisch-französischen Chinafeldzug von 1860 3515102418, 9783515102414

Waren Plünderungen und Kunstraub während der Kolonialfeldzüge des 19. Jahrhunderts gesetzlich sanktioniert, und wie ging

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Die Plünderung des Yuanming yuan: Imperiale Beutenahme im britisch-französischen Chinafeldzug von 1860
 3515102418, 9783515102414

Table of contents :
DANKSAGUNG
INHALTSVERZEICHNIS
EINLEITUNG
KAPITEL I: KRIEGSREZEPTION, KOLONIALPOLITIK UND BEUTEKONVENTIONEN INNERHALB UND AUSSERHALB EUROPAS 1860
1 GROSSBRITANNIEN: KRIEGSREZEPTION UND KOLONIALPOLITIK IN DER MITTELVIKTORIANISCHEN GESELLSCHAFT
2 FRANKREICH: DAS SECOND EMPIRE, KRIEGSREZEPTION UND KOLONIALPOLITIK
3 KRIEG UND KONVENTIONEN DES PREIS- UND BEUTEVERFAHREN SINNERHALB EUROPAS
4 KONVENTIONEN DER KRIEGSFÜHRUNG AUSSERHALB EUROPAS: PRAKTISCHE ERFAHRUNG UND DIE ENTWICKLUNG UNTERSCHIEDLICHER STILE DER ANWENDUNG
KAPITEL II: VORAUSSETZUNGEN IN CHINA, PLANUNG DER EXPEDITION IN EUROPA
1 DER YUANMING YUAN UND SEINE ROLLE FÜR DIE QING-DYNASTIE
2 CHINA IN DEN 1850ER JAHREN: KRISEN IM INNEREN
3 PLANUNG UND AUSRÜSTUNG DER ZWEITEN EXPEDITION IN ENGLAND UND FRANKREICH 1859/60
4 DIE AUFTRÄGE AN DIE GENERÄLE UND DIPLOMATEN FÜR DIE ALLIIERTE EXPEDITION 1860
5 DIE ZUSAMMENSETZUNG DER ALLIIERTEN EXPEDITION: HEER UND DIPLOMATEN
6 EINTREFFEN DER ALLIIERTEN EXPEDITION IN CHINA, REKRUTIERUNG DES KULI-HEERES
KAPITEL III: DER CHINAFELDZUG 1860, 1. AUGUST BIS 25. OKTOBER
1 LANDUNG DES ALLIIERTEN HEERES, ERSTE PLÜNDERUNGEN, 1. AUGUST BIS ANFANG SEPTEMBER 1860
2 DER MARSCH AUF PEKING: VERHANDLUNG UND VORRÜCKEN DER ALLIIERTEN, 12. SEPTEMBER BIS 21. SEPTEMBER
3 DER MARSCH NACH PEKING, 22. SEPTEMBER BIS 5. OKTOBER
4 DIE ALLIIERTEN TRUPPEN BEI PEKING, 6. OKTOBER
5 DIE ERSTE PLÜNDERUNG DES YUANMING YUAN, 7. BIS 9. OKTOBER
6 DAS ULTIMATUM, DIE RÜCKGABE DER GEISELN UND DIE „EINNAHME PEKINGS“, 9. BIS 13. OKTOBER
7 DIE ZWEITE PLÜNDERUNG UND DAS NIEDERBRENNEN DES YUANMING YUAN: BRITISCHE KAVALLERIE, 18. BIS 19. OKTOBER
8 ABSCHLUSSVERHANDLUNGEN UND VERTRÄGE, 20. BIS 26. OKTOBER
KAPITEL IV: RÜCKKEHR NACH EUROPA REZEPTION IN EUROPA UND CHINA
1 NACH DEM VERTRAGSABSCHLUSS: GROßBRITANNIEN, FRANKREICH UND DIE QING-REGIERUNG
2 DIE REAKTION IN GROßBRITANNIEN UND FRANKREICH
3 AUS- UND NACHWIRKUNGEN IN CHINA NACH 1860
4 DAS SCHICKSAL DER RUINEN: BEWAHRUNG UND KONSERVIERUNG IN REPUBLIKZEIT UND VR CHINA
ZUSAMMENFASSUNG UND ERGEBNIS
1 PLÜNDERUNG UND GEWALT IM VERLAUF DES CHINAFELDZUGES VON 1860, DIE ERSTE PHASE VOM 1. AUGUST BIS 7. SEPTEMBER
2 DIE ZWEITE PHASE VOM 8. BIS 21. SEPTEMBER
3 DIE DRITTE PHASE VOM 22. SEPTEMBER BIS 25. OKTOBER
4 VERSCHIEDENE „IMPERIALE STILE“: DIE DIPLOMATISCHEN VERHANDLUNGEN
5 DIE REZEPTION DER PLÜNDERUNG IN EUROPA
6 AUSBLICK
ANHANG
1 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
2 FACHZEITSCHRIFTEN
3 QUELLENVERZEICHNIS
4 FORSCHUNGSLITERATUR
5 GLOSSAR

Citation preview

Ines Eben v. Racknitz Die Plünderung des Yuanming yuan

Ines Eben v. Racknitz

Die Plünderung des Yuanming yuan Imperiale Beutenahme im britisch-französischen Chinafeldzug von 1860

Franz Steiner Verlag

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Baden-Württembergischen China-Gesellschaft e.V. und der Patriziatsstiftung Memmingen. Umschlagabbildung: Der Sommerpalast Yuanming yuan vor der Verbrennung am 18. Oktober 1860: Die Porzellanpagode. Photographie von Felice Beato © Musée d’Histoire Naturelle de Lille.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2012 Druck: Laupp & Göbel, Nehren Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-10241-4

Meinen Eltern

DANKSAGUNG Die vorliegende Studie ist eine überarbeitete Fassung meiner Dissertationsschrift, die im Juli 2009 vom Fachbereich Geschichte und Soziologie and der Universität Konstanz unter dem Titel Die Zerstörung des Yuanming yuan als „imperialistische Lektion“? Plünderung, Preis und Beute im britisch-französischen Chinafeldzug von 1860 angenommen wurde. Während meiner Promotionszeit und vor allem auch auf meinen Archivreisen im Ausland erhielt ich vielfältige Anregungen und Hinweise, und möchte mich hiermit bei allen bedanken, die mich in dieser Zeit unterstützt haben. An erste Stelle steht mein Doktorvater Prof. Jürgen Osterhammel, der das Projekt von Anfang an begleitet hat. Ihm verdanke ich eine ausgezeichnete und zuverlässige Betreuung ebenso wie die Aufnahme in eine wissenschaftliche Nachwuchsgruppe an der Universität Konstanz, wodurch die Finanzierung des gesamten Projekts inklusive der Archivaufenthalte im Ausland gesichert war. Ebenso spreche ich Prof. Klaus Mühlhahn meinen Dank aus, der die Zweitbegutachtung übernommen hat: Seine Hinweise gaben mir noch weitere wichtige Impulse für die Arbeit. Den Mitarbeitern der Archive und Bibliotheken, die mich bei der Suche nach Quellenmaterial unterstützt und beraten haben sei hiermit ebenfalls herzlich gedankt, besonders Frances Wood (British Library), Vincent Droguet (Château de Fontainebleau) und Raymond Lum (Harvard-Yenching Library). Wichtige Hinweise auf Quellenmaterial während meiner Archivreisen, insbesondere auf das Werk von Felice Beato gaben mir auch Régine Thiriez in Paris, Sebastian Dobson in London und Thomas Hahn in den USA. Mein Archivaufenthalt in London wurde durch ein Stipendium des Deutschen Historischen Instituts unterstützt, das mir auch durch seine Kolloquien einen wunderbaren Rahmen für meinen Aufenthalt in Großbritannien bot. Aus den Gesprächen mit Prof. Andreas Gestrich, Prof. Benedikt Stuchtey und Dr. Indra Sengupta erhielt ich wertvolle Anregungen, und ich danke ihnen sehr herzlich dafür. Prof. William Kirby spreche ich meinen Dank für die Gastfreundschaft des Fairbank Centers an der Harvard University aus: Die chinesischsprachigen Bestände in der Yenching-Library ebenso wie die zahlreichen britisch- und französischsprachigen Materialien der Widener Library ermöglichten mir einen umfassenden Überblick über mein Thema. Zudem fand ich durch die Perspektive des amerikanischen Forschungsumfeldes die nötige Distanz und Neutralität um mit dem Manuskript zu einem britisch-französischen Feldzug im China des 19. Jahrhunderts zu beginnen. Sehr profitiert habe ich von den Gesprächen mit Prof. Mark Elliott und Prof. Henrietta Harrison, Prof. Nicola di Cosmo und Prof. James Hevia und möchte ihnen danken, ebenso wie Prof. Philip A. Kuhn, der mich auch im Zusammenhang mit dem chinesischsprachigen Quellenmaterial beraten hat.

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Danksagung

Prof. Sabine Dabringhaus hat den Kontakt zum Institute of Qing history an der Renmin University of China in Peking hergestellt, ich danke ihr und auch dem Direktor des Instituts Prof. Cheng Chongde, sowie Sun Zhe für ihre Unterstützung bei meinem Aufenthalt in Peking. Insbesondere habe ich mich über die Möglichkeit zu einem Gespräch mit Prof. Wang Daocheng gefreut, von dem ich ebenfalls wichtige Hinweise erhielt. Eine erste Durchsicht des Manuskriptes im Anfangsstadium nahm Bernd Grewe in Konstanz vor. Thoralf Klein und Stephanie Warnke-De Nobili unterstützten mich sehr durch ihre inhaltlichen Hinweise und bei der Endredaktion des Textes, ihnen allen danke ich sehr herzlich. David Bruder möchte ich besonderen Dank für die fruchtbaren Gespräche über die Arbeit aussprechen und dafür, dass er sich den Mühen der Schlußkorrektur unterzogen hat. Für die zuverlässige und freundliche Betreuung bei der Vorbereitung zur Drucklegung beim Franz Steiner Verlag danke ich Katharina Stüdemann und Harald Schmitt. Die Erlaubnis zur Veröffentlichung der Photographien des Chinafeldzuges von Felice Beato erhielt ich vom Musée d’Histoire Naturelle in Lille und danke in diesem Zusammenhang Aude Dobrakowski, ebenso Nick Nicholson von der National Gallery of Australia in Canberra. Die Finanzierung der Drucklegung meiner Dissertation wurde großzügig unterstützt von der Patriziatsstiftung Memmingen und der Baden-Württembergischen China-Gesellschaft e.V. in Konstanz, mein Dank gilt stellvertretend Herrn Jürgen Hindemit, Prof. Astrid Stadler und Prof. Horst Sund. Ines Eben v. Racknitz Nanjing, im September 2012

INHALTSVERZEICHNIS DANKSAGUNG .............................................................................................. 5 EINLEITUNG .................................................................................................. 9 1 2 3

Ansatz und Methode ................................................................................ 10 Forschungsstand ....................................................................................... 21 Quellenlage und Aufbau der Arbeit ......................................................... 25

KAPITEL I: KRIEGSREZEPTION, KOLONIALPOLITIK UND BEUTEKONVENTIONEN INNERHALB UND AUSSERHALB EUROPAS 1860 ............................................................. 31 1 2 3 4

Grossbritannien: Kriegsrezeption und Kolonialpolitik in der mittelviktorianischen Gesellschaft ........................................................... 33 Frankreich: Das Second Empire, Kriegsrezeption und Kolonialpolitik ......................................................................................... 40 Krieg und Konventionen des Preis- und Beuteverfahrens innerhalb Europas..................................................................................... 45 Konventionen der Kriegsführung ausserhalb Europas: Praktische Erfahrung und die Entwicklung unterschiedlicher Stile der Anwendung ................................................................................ 51

KAPITEL II: VORAUSSETZUNGEN IN CHINA, PLANUNG DER EXPEDITION IN EUROPA ............................................................. 60 1 2 3 4 5 6

Der Yuanming yuan und seine Rolle für die Qing-Dynastie ................... 60 China in den 1850er Jahren: Krisen im Inneren....................................... 66 Planung und Ausrüstung der zweiten Expedition in England und Frankreich 1859/60 ............................................................. 82 Die Aufträge an die Generäle und Diplomaten für die alliierte Expedition 1860 ......................................................................... 87 Die Zusammensetzung der alliierten Expedition: Heer und Diplomaten ............................................................................... 94 Eintreffen der alliierten Expedition in China, Rekrutierung des Kuli-Heeres ................................................................ 100

KAPITEL III: DER CHINAFELDZUG 1860, 1. AUGUST BIS 25. OKTOBER ............................................................ 107 1 2

Landung des alliierten Heeres, erste Plünderungen, 1. August bis Anfang September 1860 .................................................. 107 Der Marsch auf Peking: Verhandlung und Vorrücken der Alliierten, 12. September bis 21. September.......................................... 142

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Inhaltsverzeichnis

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Der Marsch nach Peking, 22. September bis 5. Oktober ....................... 167 Die alliierten Truppen bei Peking, 6. Oktober ....................................... 181 Die erste Plünderung des Yuanming yuan, 7. bis 9. Oktober ................ 192 Das Ultimatum, die Rückgabe der Geiseln und die „Einnahme Pekings“, 9. bis 13. Oktober................................................ 214 Die zweite Plünderung und das Niederbrennen des Yuanming yuan: Britische Kavallerie, 18. bis 19. Oktober ................... 231 Abschlussverhandlungen und Verträge, 20. bis 26. Oktober ................. 238

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KAPITEL IV: RÜCKKEHR NACH EUROPA REZEPTION IN EUROPA UND CHINA .............................................. 248 1 2 3 4

Nach dem Vertragsabschluss: Großbritannien, Frankreich und die Qing-Regierung ......................................................................... 249 Die Reaktion in Großbritannien und Frankreich .................................... 259 Aus- und Nachwirkungen in China nach 1860 ...................................... 268 Das Schicksal der Ruinen: Bewahrung und Konservierung in Republikzeit und VR China ............................................................... 276

ZUSAMMENFASSUNG UND ERGEBNIS ............................................... 285 1 2 3 4 5 6

Plünderung und Gewalt im Verlauf des Chinafeldzuges von 1860, die erste Phase vom 1. August bis 7. September.................................... 287 Die zweite Phase vom 8. bis 21. September .......................................... 292 Die dritte Phase vom 22. September bis 25. Oktober ............................ 294 Verschiedene „imperiale Stile“: Die diplomatischen Verhandlungen ....................................................................................... 299 Die Rezeption der Plünderung in Europa............................................... 305 Ausblick ................................................................................................. 307

ANHANG ..................................................................................................... 308 1 2 3 4 5

Abkürzungsverzeichnis .......................................................................... 308 Fachzeitschriften .................................................................................... 308 Quellenverzeichnis ................................................................................. 309 Forschungsliteratur ................................................................................. 313 Glossar.................................................................................................... 326

EINLEITUNG Am Abend des 6. Oktober 1860 drangen französische Truppen ohne Vorwarnung in den vom Qing-Kaiser kurze Zeit zuvor fluchtartig verlassenen Landsitz am Stadtrand Pekings, den Yuanming yuan, ein. Am nächsten Morgen stießen Teile der britischen Truppen dazu, und in den folgenden beiden Tagen plünderten die Alliierten mit vereinten Kräften den Palast, raubten und zerstörten damit die Kunstschätze eines der Hauptsitze der Qing-Kaiser. Ein Teil der Beute wurde offiziell zur rechtmäßigen Kriegsbeute erklärt und umgehend nach Europa, zu den jeweiligen Staatsoberhäuptern Königin Victoria und Kaiser Napoleon III., geschickt. Die darüber hinaus „privat“ und ohne Auftrag angeeignete Beute musste von den britischen Soldaten wieder ausgehändigt werden und wurde am 10. und 11. Oktober 1860 in einer aufsehenerregenden Auktion in Peking versteigert. Die französischen Soldaten hingegen konnten mit ihrer Beute nach Belieben verfahren: Sie schafften sie in den nächsten Tagen und Monaten ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden auf allen erdenklichen Transportwegen nach Hause. Der unterschiedliche Umgang mit der Beute setzte sich in Europa fort: Während Kaiserin Eugénie die mitgebrachte Beute öffentlich zur Schau stellen ließ, interessierte sich Königin Victoria kaum dafür. Diese erste Plünderung des Yuanming yuan war nur die Ouvertüre zu dem Ereignis, für das der Chinafeldzug von 1860 berüchtigt wurde, nämlich der Verbrennung der Palastanlage durch britische Truppen am 18. und 19. Oktober 1860, einem der spektakulärsten Fälle von Kulturvandalismus im 19. Jahrhundert. Die knappe einleitende Darstellung illustriert Thema und Fragestellung dieses Buches und deutet die Perspektive an, aus der hier der Chinafeldzug von 1860 betrachtet werden soll: Im mikroperspektivischen Fokus werden die unterschiedlichen Vorgehensweisen und Rechtfertigungsstrategien der Briten und Franzosen untersucht, sowohl was den Akt der Plünderung selbst, als auch was den Umgang mit der Beute in China und später in Europa betrifft. Die Verbrennung des Yuanming yuan am 18. und 19. Oktober war bei Weitem nicht die einzige Episode von Gewaltanwendung während des Chinafeldzuges. Vielmehr war sie der Schluss- und Höhepunkt einer ganzen Serie unterschiedlicher Formen von Plünderungen und hob sich von den anderen durch den Raub von Kunstgegenständen ab. Der Chinafeldzug von 1860 soll in diesem Buch besonders daraufhin untersucht werden, welche unterschiedlichen Verfahrensweisen und Deutungen der Briten und Franzosen bei Gewaltanwendung und Plünderungen sowie bei ihrem Umgang mit dem Plündergut zum Tragen kamen. Dazu werden alle Ereignisse detailliert dargestellt, die mit diesem Handlungsfeld in Zusammenhang standen. In einem größeren Rahmen stellt diese Arbeit die Frage nach der generellen Bedeutung von Plünderung, Preis und Beute im außereuropäischen Krieg des 19.

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Einleitung

Jahrhunderts. Dies steht im Kontext der Beurteilung der Kolonialkriege der europäisch-amerikanischen imperialen Expansion des 19. Jahrhunderts. So war der Chinafeldzug von 1860 von einiger Bedeutung für die weitere Gestaltung der westlich-chinesischen Beziehungen. Die im Oktober 1860 unter militärischem Druck abgeschlossenen Verträge erweiterten die Handelsrechte der Westmächte erheblich: Vor allem räumten sie ihnen Gesandtschaftsrechte im bislang für die Europäer verschlossenen Peking ein. Für Großbritannien stellte der Pekinger Vertrag von 1860 den Schlussstein zum Aufbau des britischen Informal Empire in China dar und eröffnete neue ungeahnte Möglichkeiten für den Freihandel. Auch für China stellte dieser Vertrag einen gewissen Wendepunkt dar, da die von den Alliierten erzwungenen Verträge die Qing-Regierung zu einer Neuorientierung bei der Gestaltung ihrer Außenbeziehungen veranlassten, die sich nun zumindest teilweise am europäischen Modell diplomatischer Gepflogenheiten ausrichten mussten. Die vorliegende Schilderung des Chinafeldzuges von 1860 bleibt dabei nicht auf die Ereignisse an seinem außereuropäischen Schauplatz beschränkt. Einbezogen wird auch die Vorgeschichte des Feldzuges samt der Auslotung britischer und französischer imperialer Interessen, wie sie in Europa vertreten wurden. Auch britische und französische Kriegswahrnehmungen und -erfahrungen an anderen Kolonialschauplätzen des 19. Jahrhunderts fließen neben der Analyse der eigentlichen Berichterstattung und Deutung des aus europäischer Sicht erfolgreichen Feldzuges in die Arbeit ein. Darüber hinaus sollen Handlungen und Maßnahmen der Qing-Regierung in die Untersuchung mit einbezogen werden, die den Fortgang der diplomatischen Verhandlungen und der militärischen Aktionen maßgeblich beeinflussten. Ausgehend von der Frage nach der Rolle von Plünderung, Preis und Beute im außereuropäischen Krieg des 19. Jahrhunderts soll so ein Bild des Chinafeldzuges von 1860 gezeichnet werden, das möglichst viele Aspekte des ganzen Unternehmens miteinbezieht und eine Mikroperspektive auf einen außerhalb Europas geführten Krieg dieser Zeit ermöglicht.

1 ANSATZ UND METHODE 1.1 Plünderung, Preis und Beute Plünderungen, Zerstörungen und die Beutenahme und Verschleppung von Kunstgegenständen waren im 19. Jahrhundert fester Bestandteil des außereuropäischen, insbesondere des Kolonialkrieges. Der im britischen Kolonialreich und Heer verwendete Begriff für diese Form von Gewalt und Diebstahl war to loot, was nicht nur die Entwendung lebensnotwendiger Dinge, sondern auch den Raub von Kunstgegenständen bezeichnete.1 1

Das Wort ist ein Lehnwort aus dem Sanskrit. James Hevia ist der Auffassung, dass es erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Eingang in die englische Sprache gefunden hat als Ergebnis europäischer Plünderungen in Indien und China, für die es „erfunden“ wurde. He-

Einleitung

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Forschungen zum Phänomen der Plünderung im Krieg untersuchen bislang im Wesentlichen zwei Aspekte: Aus ökonomischer Perspektive wird davon ausgegangen, dass die „offizielle“ Beute entweder zur Deckung der Kriegskosten diente, zur Zahlung einer Hinterbliebenenrente an die Familien der gefallenen Soldaten genutzt wurde oder einfach zur Bereicherung in die Staatskasse floss.2 In einer stärker kulturwissenschaftlichen Perspektive wird in der Forschung die Rolle von geraubten Kunstgegenständen, ihre symbolische Bedeutung und ihr „Nachleben“ in den europäischen Metropolen, wie London oder Paris, betrachtet.3 Auch hier existieren wieder unterschiedliche Interpretationen: So geht man davon aus, dass vor allem Königspaläste und Kunstgegenstände die politische Macht des Gegners symbolisierten, die durch Aneignung auf den Sieger übergehen sollte; sie wurden daher zunächst nicht für den einfachen Fußsoldaten zur Plünderung freigegeben. Nach einem erfolgreichen Feldzug wurden die beweglichen Kunstschätze in die europäischen Metropolen gebracht, wo die dortige Öffentlichkeit sich auf unterschiedliche Weise zu diesen Objekten in Beziehung setzen konnten. Auch hierbei spielte zunächst der ökonomische Aspekt eine wichtige Rolle: Erbeutete Kunstgegenstände waren in der Mitte des 19. Jahrhunderts sehr begehrt und konnten als Sammlerstücke auf Auktionen teuer verkauft oder als Kuriositäten (Curios) aufbewahrt werden. Ihre Provenienz – z.B. „aus dem Palast des Kaisers von China“ – erhöhte dabei ihren Wert.4 Andere der geraubten Stücke wiederum wurden in Museen ausgestellt und entwickelten in diesem neuen Kontext ein kulturelles Eigenleben, das nur wenig mit ihrer ursprünglichen Funktion zu tun hatte, dafür aber umso deutlicher im Zusammenhang mit kolonialen Ideologien und Phantasien in den Metropolländern stand.5 Dieser Aspekt ist in jüngster Zeit nach einem Modell von Arjun Appadurai bearbeitet worden, der 1986 vorschlug, the social life of things zu diskutieren, womit die „Biographie“ oder Provenienz der Gegenstände gemeint ist. Appadurai erklärt, dass normalerweise nur die sich ändernden kulturellen und gesellschaftlichen Umstände untersucht werden, die Objekten bestimmte Bedeutungen zuschreiben. Wenn man sich aber den Objekten selbst zuwendet und ihre Biographien (z.B. Umstände der Herstellung, Verwendung, symbolische

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via, Loot’s Fate. The Economy of Plunder and the Moral Life of Objects „From The Summer Palace of The Emperor of China,” in: History and Anthropology Bd. 6:4 (1994), S. 319. Auf diesen Aspekt konzentriert sich auch Redlich, De praeda militarii (1956), S. 1ff. Vgl. hierzu insbesondere den Sammelband Barringer/Flynn (Hg.), Colonialism and the Object (1998). So weist beispielsweise Catherine Pagani darauf hin, dass die Haltung der britischen Öffentlichkeit gegenüber China und seiner Politik nach dem sogenannten „Opiumkrieg“ von 1842 negativ war, während chinesische Kunstgegenstände Rekordpreise erzielten. Pagani, Chinese material and culture and British perceptions of China in the mid-nineteenth century, in: Barringer/Flynn (Hg.), Colonialism and the Object (1998), S. 28. Hevia weist darauf hin, dass die Objekte aus dem Yuanming yuan, die nach 1860 in London eintrafen, an Qualität alles übertrafen, was bis dahin auf dem britischen Kunstmarkt vorhanden war, weil bislang nur speziell für den europäischen Markt hergestellte chinesische Exportware zu erwerben gewesen war. Hevia, Loot’s Fate. The Economy of Plunder, in: History and Anthropology Bd. 6:4 (1994), S. 320. Barringer/Flynn (Hg.), Colonialism and the Object (1998), S. 6.

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Einleitung

Bedeutung in ihrem angestammten Umfeld, also ihr social life) untersucht, so erhält man auch Aufschlüsse über die Gesellschaft, die sie hervorgebracht und konsumiert hat.6 Allerdings hat in diesen Darstellungen die am Anfang stehende Entwendung des Objektes (falls es denn im Rahmen einer Plünderung nach Europa verschleppt wurde), das hier als kulturell definierte Einheit geschildert wird, allenthalben anekdotischen Charakter.7 In allen bisherigen Arbeiten, die das Feld der Plünderung im Kolonialkrieg thematisieren, stellt der eigentliche Vorgang der Plünderung nur ein Randphänomen dar. Richard Davis und James Hevia haben sich speziell mit diesem Thema bereits befasst: Sie begreifen insbesondere die offiziell sanktionierten Plünderungen als kulturelle Praxis. Davis zeigt in seiner Studie in vergleichender Perspektive, dass Durchführung und Rechtfertigung von Plünderung eng mit bestimmten kulturellen Werten und Annahmen der Plünderer verknüpft sind.8 Hevia schließt daran an, befasst sich mit der „Karriere“ der 1860 im Sommerpalast geplünderten Objekte vom Zeitpunkt ihrer Plünderung an und beschreibt, wie sich ihre Bedeutung im Lauf der Zeit durch Auktionen, öffentliche Ausstellung und Beschreibungen in Zeitungen veränderte.9 An diese Ansätze schließt die vorliegende Arbeit an und stellt in umgekehrter Blickrichtung die Frage nach dem eigentlichen Vorgang von Plünderung und Beutenahme im außereuropäischen Krieg. Hevia und Davis folgend wird davon ausgegangen, dass es sich dabei um eine kulturelle Praxis handelt, die sich im britischen und französischen Heer aufgrund unterschiedlicher Kolonialkriegspraktiken und Erfahrungen zu einem eigenen Stil entwickelte. Ihre Rechtfertigung und Begründung, das ist eine der hier vertretenen Grundannahmen, erfolgte dabei vor dem Hintergrund spezifischer, unterschiedlicher kolonialer und imperialer Vorstellungen und Strategien, mit denen im Metropolland auch die imperiale Expansion gerechtfertigt wurde. Mithin sollen folgende Fragen diese Untersuchung des Chinafeldzuges von 1860 leiten. Zum einen: Welche Formen von Plünderungen, Zwangsrequirierungen und sonstigen Gewaltmaßnahmen werden geschildert, und wie unterscheiden sich britische und französische Darstellungen? Aus den Quellen wird immer wieder ersichtlich, dass gewisse Episoden verschwiegen oder geleugnet werden, was

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Vgl. Appadurai (Hg.), The Social Life of Things (1986), S. 4. Alle Beiträge im Sammelband Barringer/Flynn, Colonialism and the Object (1998) sind unter diesen Vorzeichen verfasst. Craig Clunas ist der Auffassung, dass man auch von Sammlungen und Museen „Biographien“ schreiben könnte, Clunas, China in Britain, in: Barringer/Flynn (Hg.), Colonialism and the Object (1998), S. 41. Siehe z.B. Chamberlin, Loot! (1986), ein reich bebildertes Werk über die Elgin Marbles und die britischen Plünderungen in Ägypten. Davis, Three Styles in Looting India, in: History and Anthropology Bd. 6:4 (1994), S. 293. Hevia, Loot’s Fate. The Economy of Plunder, in: History and Anthropology Bd. 6:4 (1994), S. 320.

Einleitung

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Schlüsse darauf zulässt, welche Vorgänge gebilligt wurden und welche nicht.10 Zum zweiten soll sich die Analyse mit den Systemen der Plünderung befassen: Was kennzeichnet das britische looting, was das französische piller? Im Vorfeld der alliierten Expedition wurde zwar ein Abkommen der Beteiligten über Preis und Beute (prize und loot) abgeschlossen, es zeigte sich aber im Verlauf der Expedition, dass dieses Abkommen entsprechend den französischen und britischen Systemen von Plünderungen –dieser Begriff wird von den Augenzeugen verwendet– unterschiedlich interpretiert wurde. Diese Systeme sollen in dieser Arbeit kenntlich gemacht werden.

1.2 Der Kolonialkrieg als Rahmen für Plünderungen Plünderungen, Preis- und Beutenahmen erfolgten in der Regel im Krieg; die Praxis des looting, also der geordneten Beutenahme, bezieht sich speziell auf den außerhalb Europas geführten Krieg. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass das Wort to loot erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts nach den Erfahrungen in Indien und China Eingang in die englische Sprache fand. Wie jedoch ist der Chinafeldzug von 1860 einzuordnen, handelte es sich hierbei um einen Kolonialkrieg? In jüngster Zeit wurde argumentiert, dass China keine europäische Kolonie und der Chinafeldzug dementsprechend auch kein Kolonialkrieg war. Allerdings verbänden unter anderem die Formen der in China angewendeten Gewalt die dortigen Kriegsereignisse mit denjenigen an anderen Orten, zum Beispiel den Schauplätzen von Kolonialkriegen in Afrika.11 Dass Kolonialkriege sich von anderen Kriegsformen (z.B. dem Eroberungskrieg, dem Befreiungskrieg oder dem Krieg zwischen zwei Staaten) unterscheiden, ist mittlerweile etabliert und auch auf die besondere Rolle des Militärs bei der europäische Expansion im 19. Jahrhundert wurde in den letzten Jahren vermehrt hingewiesen. Seit geraumer Zeit ist auch eine Sicht auf den Kolonialkrieg überholt, die diesen als eine Reihe von Siegen über zivilisatorisch niedriger stehende Völker zu deren eigenem Wohl beschreibt, wozu Wesseling/de Moor mit ihren Essays on Colonial Wars in Asia and Africa nicht unerheblich beitrugen.12 Die Autoren befassen sich dann aber im Weiteren mit dem „klassischen Kolonialkrieg“, und damit meinen sie den kolonialen Eroberungskrieg. Das war der Chinafeldzug von 1860 jedoch sicherlich nicht: So war es weder das Ziel der britischen und französischen Armee, die indigene Bevölkerung zu unterwerfen (dies nennt Wesseling als erstes Kennzeichen), noch sich als Kolonialherren in China anzusiedeln und dort zu herrschen.13 Auch ein zweites wichtiges Kennzeichen, das Wesseling für

10 Hinweise hierauf liefern z.B. das Tagebuch des Feldzugteilnehmers Peter Lumsden, aus dem Seiten herausgeschnitten wurden, oder die veröffentlichten Aufzeichnungen von Hope Grant, bei dem Seiten freigelassen wurden. Knollys, Incidents (1875), S. 34. 11 Hevia, English lessons (2003), S. 347. 12 De Moor/Wesseling (Hg.), Imperialism and War (1989), S. 2ff. 13 Ebd. (Hg.), Imperialism and War (1989), S. 3.

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Einleitung

den klassischen Kolonialkrieg annimmt, nämlich dass die gegnerische Seite nur schwer zu erkennen ist, trifft für den Chinafeldzug von 1860 nicht zu: Trotz der Unruhen durch die schwere Taiping-Erhebung war in China der eigentliche Gegner, nämlich die Qing-Regierung, leicht auszumachen. Es handelte sich dabei um einen gut organisierten und funktionierenden Staat, der im Falle des Falles zu einer Schlacht herausgefordert werden konnte, die günstigenfalls siegreich für die Europäer ausging.14 Ebenso nahm die Qing-Regierung durch ihre Reaktionen auf die europäischen Attacken maßgeblichen Einfluss auf den Verlauf des Chinafeldzugs von 1860. Ganz von der Hand zu weisen ist die Frage, ob es sich beim Chinafeldzug von 1860 um einen Kolonialkrieg handelt, allerdings nicht, denn eine Tatsache, die Wesseling als drittes Merkmal des Kolonialkrieges identifiziert, trifft zu. Die britischen und französischen Truppen entwickelten beim Chinafeldzug eigene Strategien im Umgang mit der Zivilbevölkerung. Dieses Vorgehen hatte man schon an anderen kolonialen Kriegsschauplätzen weltweit beobachten können: Beim Kolonialkrieg, der geführt wurde, um die eigene Präsenz im Land zu sichern, mussten zusätzlich zur rein militärischen Strategie in besonderem Maße „Leitlinien“ im Umgang mit der Zivilbevölkerung entworfen werden, die den zukünftigen Kolonialherren Autorität und in manchen Fällen eine Rechtfertigung ihrer Mission verliehen. Auch im Chinafeldzug von 1860 können unterschiedliche Vorgehensweisen ausgemacht werden, die (wenn auch mit leichter Übertreibung) die „britische“ und die „französische Schule“ genannt werden könnten. Die britische Armee setzte verstärkt auf militärische Einschüchterung (Plünderung, Verbrennung von Dörfern), während die Franzosen versuchten, durch Gründung von Schulen und Erbauung von Krankenhäusern zu überzeugen (conquête des âmes). Dennoch unterschied sich der Feldzug wesentlich von einem Krieg, wie er z.B. zwischen zwei europäischen Mächten geführt worden wäre. Er wurde unter den Vorzeichen des Freihandelsimperialismus begonnen, wobei insbesondere Großbritannien versuchte, durch die militärische Intervention dafür zu sorgen, dass China sich noch weiter für den britischen Handel öffnete und so zu einer „unkolonisierten Erweiterung“ des britischen Empire wurde.15 Dem britischen Unterhändler Earl of Elgin wurde eine Armee beigestellt, um ihm eine militärische Untermauerung seiner diplomatischen Verhandlungen, die vorgeblich friedlich geführt werden sollten, zu ermöglichen. Dies wäre bei Staaten, die diplomatisch gleichrangig miteinander verkehrten, so nicht möglich gewesen. 16 Mit einem statischen Kolonialkriegsmodell allein also können nicht alle Formen von außereuropäischen Kriegen, wie hier der Chinafeldzug von 1860, erfasst 14 Ebd. (Hg.), Imperialism and War (1989), S. 4. 15 Osterhammel, Britain in China, 1842–1914, in: Andrew Porter (Hg.), The Oxford History of the British Empire, Bd. 3, The Nineteenth Century (1999), S. 147. 16 Siehe hierzu vor allem Osterhammel, Semi-Colonialism and Informal Empire in TwentiethCentury China, in: Mommsen/Osterhammel (Hg.), Imperialism and After (1986), S. 297f. Osterhammel entwirft dort ein „Ideal-Modell“ des Informal Empire, das es ermöglicht, auf sehr unterschiedlichen Ebenen Phänomene, die als „imperial“ gelten, zu identifizieren und zu untersuchen.

Einleitung

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werden. Deren Vielfalt kommt in Callwells Definition des Begriffes Small war zum Ausdruck: Practically it may be said to include all campaigns other than those where both the opposing sides consist of regular troops. It comprises the expeditions against savages and semicivilized races by disciplined soldiers, it comprises campaigns undertaken to suppress rebellions and guerilla warfare in all parts of the world where organized armies are struggling against opponents who will not meet them in the open field, and it thus covers obviously operations very varying in their scopes and in their conditions.17

Auch kommen in einem statischen Modell Fragen zu kurz, die in jüngerer Zeit von der vor allem in den USA prominenten New Military History aufgeworfen wurden, und die mittlerweile zum Forschungsstandard geworden sind: Untersuchungen von Kriegen, so hier die Auffassung, müssen mehr umfassen als militärische Operationen.18 Die New Military History fragt in diesem Sinne sowohl nach den Strategien und Taktiken des militärischen Vorgehens, geht aber auch über die klassische histoire de bataille hinaus, indem der Einfluss von Krieg auf Gesellschaft und Kultur einbezogen wird. Wichtig sind hier Fragen nach der Rolle von Krieg für Bildung und Verfall von Staaten, aber auch die Mikroperspektive, die die Alltagsgeschichte der einzelnen Soldaten in den Schlachten in den Blick nimmt. Schuhmacher und Klein konstatieren 2006, dass für die Small Wars kaum Grundlagenforschung vorhanden ist. Auch hätten in bislang existierenden Modellen des klassischen Kolonialkrieges unterschiedliche Spielarten wie z.B. asymmetrische, überseeische und imperiale Kriege (die alle auch zu den von Callwell erwähnten Small Wars gehören) keinen Platz. Sie skizzieren daher mögliche Ansätze zu einer kulturwissenschaftlich erweiterten Systematik kolonialer Kriege und schlagen eine strukturierende Matrix vor, die eine vergleichende Erörterung nach thematischen Gesichtspunkten ermöglichen soll.19 Diese Matrix besteht aus vier Fragekomplexen. Deren erster befasst sich mit den Rahmenbedingungen, den Ursachen und dem Verlauf des Krieges. In einem zweiten Punkt, den Klein/Schuhmacher das „Gesicht des Krieges“ nennen, wird das militärische Vorgehen untersucht. Dazu gehören Fragen nach Zusammensetzung und Ausrüstung der Kolonialarmee und nach Strategie und Taktik. Drittens soll der Diskurs über den Krieg behandelt werden. Dabei geht es um die jeweiligen Debatten und Sprachregelungen sowie die semantischen Strategien (z.B. die Benennung mit „Wirren“ anstatt „Krieg“), um das Wechselspiel von Legitimation und Kritik und die diskursive Einbettung in transnationale und interimperiale Austausch- und Wechselbeziehungen.20 Eine vierte Ebene befasst sich mit der Erinnerung an den

17 Callwell, Small Wars (1906), S. 21. 18 Vandervort, Wars of Imperial Conquest (1998), S. X. Vandervorts Studie selbst ist von Fragen und Anregungen der New Military History beeinflusst. 19 Klein/Schuhmacher (Hg.), Kolonialkriege (2006), S. 11. 20 Oder es geht um die Frage, ob es sich überhaupt um einen Krieg handelt: Jean Delmas beispielsweise erwähnt den Chinafeldzug von 1860 gar nicht. Delmas, Histoire Militaire de la France (1992).

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Krieg. Im Hinblick sowohl auf die Kolonialherren als auch die Kolonisierten wird gefragt, welche diskursiven Elemente in die Erinnerung überführt worden sind und zu welchen Deutungsverschiebungen es hierbei gekommen ist. Das Klein/Schuhmachersche Modell bietet neben weiteren punktuellen Anregungen aus der New Military History wichtige Anhaltspunkte für die Fragestellung, unter der hier der Chinafeldzug von 1860 untersucht werden soll, und dient daher als Grundlage für eine eigene Modellbildung. Anhand dieses modifizierten Modells wird es möglich, die Frage nach dem Plünderungswesen im Kolonial-, Imperial- oder außereuropäischen Krieg zu bearbeiten. Absicht ist es, mit dieser systematisierenden und vergleichenden Herangehensweise Gemeinsamkeiten und Unterschiede eines britischen und französischen „Stils“ des außereuropäischen Krieges allgemein herauszuarbeiten.

1.2.1 Rahmenbedingungen und Ursachen des Kolonialkriege, Präzedenzfälle für Plünderungen Insbesondere drei Punkte sollen im Zusammenhang mit den Rahmenbedingungen geklärt werden, die von England und Frankreich aus die Planung dieses gemeinsamen Feldzuges beeinflussen konnten. Dazu gehört zunächst die Frage, auf welche Befindlichkeiten der britischen und französischen Öffentlichkeit die jeweilige Regierung bei der Propagierung eines erneuten Feldzuges in China einzugehen hatte. Welchen Stellenwert hatte solch ein Krieg in der Gesellschaft? Wie wurden von politischer Seite aus jene auswärtigen Kriege vor der britischen und französischen Öffentlichkeit gerechtfertigt und bestand an diesen in den Metropolländern überhaupt Interesse? Diese Faktoren sind auch wichtig im Hinblick darauf, wie spätere Siege politisch gedeutet wurden und wie man sich dieser Kriege erinnerte. Der zweite Punkt betrifft die Klärung der jeweiligen Interessenslage bezüglich der außereuropäischen Expansion. Welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede hatten das britische und das französische „imperiale Projekt“, unter deren Vorzeichen die Small Wars ausgetragen wurden? Als Untersuchungsgrundlage wird in diesem Zusammenhang ein modifiziertes Erklärungsmodell des Informal Empire verwendet, das von Jürgen Osterhammel vorgeschlagen wurde.21 Mit Informal Empire ist dabei eine historische Situation gemeint, in der die formelle Machtübernahme vermieden, eine wirtschaftliche Vorteilsnahme aber durch „ungleiche Verträge“ erwirkt wurde, was auf den Chinafeldzug zutrifft. Bis 1860 war die britische und französische Präsenz in China auf die fünf geöffneten Hafenstädte im Süden begrenzt gewesen, aber in den Verhandlungen nach dem Feldzug von 1860 wurde die Einrichtung von Gesandtschaften in Peking durchgesetzt, was erstmals eine direkte Beobachtung der politischen Aktionen der Qing-Regierung ermöglichte und eventuell eine Intervention der Europäer vor Ort erlaubte. Großbritannien konnte also mit dem Vertragsabschluss von 1860 sein Informal Empire 21 Osterhammel, Semi-Colonialism and Informal Empire in Twentieth-Century China, in: Mommsen/Osterhammel (Hg.), Imperialism and After (1986), S. 297f.

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ausdehnen.22 Frankreich hatte sehr viel weniger direkte Handelsinteressen in China, war aber gleichfalls daran interessiert (unter anderem im Namen der katholischen Kirche), Einfluss in China zu gewinnen und sich gleichzeitig von den Briten abzusetzen. Diese unterschiedlichen Herangehensweisen sollen im Folgenden deutlich voneinander abgesetzt dargestellt werden. Drittens gehören zu den Faktoren, die den Verlauf des Chinafeldzuges bestimmten, die Kriegserfahrungen, die britische und französische Truppen bereits in anderen kolonialen Kontexten gemacht hatten. Diese beeinflussten auch das Vorgehen und die unterschiedlichen Formen der Plünderungen, die im Chinafeldzug vorfielen. Zu klären ist in diesem Zusammenhang die Gesetzeslage, wie Plünderung im Landkrieg innerhalb und außerhalb Europas juristisch gehandhabt und in welchem Maße dies in der Praxis (z.B. in Algerien durch französische oder in Indien durch britische Truppen) umgesetzt wurde.

1.2.2 Verlauf des Krieges vor Ort: Diplomatische Verhandlungen. Qing-China und die Alliierten Die britischen und französischen Truppen waren ursprünglich zur Unterstützung ihrer Diplomaten nach China geschickt worden, die den Auftrag hatten, den bereits ausgehandelten Vertrag von Tianjin durchzusetzen, notfalls mit militärischem Druck. Deswegen muss den diplomatischen Verhandlungen, die zwischen August und Oktober1860 geführt wurden, besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die Wehrhaftigkeit und der Widerstand der chinesischen Regierung, deren militärische und diplomatische Strategien während des Chinafeldzuges vor Ort bestimmten in hohem Maße den weiteren Handlungsverlauf: Klaus Mühlhahn betont, dass die verschiedenen Kolonialismus- und Imperialismusmodelle nicht von einer machtpolitischen Kraft ausgehen können, die einer bestimmten lokalen Praxis aufgezwungen wurde und somit die indigene Bevölkerung zu passiven Rezipienten machte. Die Gegebenheiten vor Ort stellten keinen statischen und formellen Rahmen dar, sondern der Handlungsspielraum der Akteure wurde von der indigenen Bevölkerung und Regierung maßgeblich mitgestaltet.23 Es werden also die folgenden Fragen gestellt: Welche Interessen verteidigten die Akteure der Qing-Regierung? Mit welchen diplomatischen Strategien konnten die britischen und die französischen Alliierten rechnen? Mit welchen Mitteln setzten die britischen Unterhändler ihr Informal Empire gegen die Qing-Regierung durch, und was erachteten die französischen Alliierten für die richtige diplomatische Strategie zur Durchsetzung ihrer eigenen Forderungen? Besondere Aufmerksamkeit soll dabei auch der Frage nach dem Völkerrecht gewidmet werden. Von europäischer Seite wurden die Durchsetzung des europäischen Gesandtschaftsrechtes in China ebenso wie die militärischen Aktionen mit einem international 22 Siehe hierzu Osterhammel, Britain in China, 1842–1914, in: Andrew Porter (Hg.), The Oxford History of the British Empire, Bd. 3, The Nineteenth Century (1999), S. 148. 23 Mühlhahn, Herrschaft und Widerstand (2000), S. 14.

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gültigen Völkerrecht begründet, was für China politisch vollkommen neu war. Die Qing-Regierung wurde im Verlauf der diplomatischen Verhandlungen dazu gezwungen, ihr eigenes diplomatisches System dem des internationalen Völkerrechts so anzupassen, dass Spannungen mit den Europäern, die auch in China gemäß ihren eigenen Rechtssystemen agieren wollten, vermieden werden konnten.24 Untersuchungen zum Zusammenhang und zur Wechselwirkung von europäischen Rechtssystemen und Rechtssystemen in den Kolonien haben gezeigt, dass es keine direkte Übertragung eines europäischen Rechtssystems in die Kolonien gegeben hat.25 Vielmehr entstanden jeweils kontextabhängig unterschiedliche Kolonialgesetzgebungen, bei denen teilweise das Rechtssystem europäischer Staaten und das der indigenen Gesellschaft nebeneinander existierten. An der Erschaffung dieser unterschiedlichen Kolonialgesetzgebungen waren sowohl Kolonisierer als auch Kolonisierte beteiligt.26 Im Zusammenhang mit dem Chinafeldzug von 1860 ist es entsprechend interessant zu fragen, inwiefern und mit welcher Begründung sich die Qing-Regierung zumindest für den Moment auf die neue Institution eines international gültigen Völkerrechtes einließ. Bei dieser Konzentration auf den Ort des Geschehens muss berücksichtigt werden, dass der durch Vorgaben aus Europa festgelegte Handlungsrahmen von den Akteuren teilweise auch drastisch übertreten werden musste, um die Zielsetzung des Chinafeldzuges nicht zu gefährden. Der in Europa erteilte Auftrag ließ sich selten genau so ausführen, wie er geplant gewesen war, und die Kommunikationsmöglichkeiten ließen es 1860 noch nicht zu, Kriegsstrategie und diplomatische Verhandlungen mit der Zentrale in Paris und London abzusprechen. Die entsandten Verhandlungsbeauftragten mussten also eigenmächtig Entscheidungen treffen, die vor Ort oft ganz anders ausfielen, als es die in Europa erteilten Anweisungen vorsahen.

1.2.3 Das Gesicht des Krieges: Militärische Operationen und der Kriegsdiskurs Der Verlauf der diplomatischen Verhandlungen zwischen der britischfranzösischen Seite und der Qing-Regierung hatte großen Einfluss auf die Koordination des Feldzuges und die militärischen Aktionen wie z.B. Plünderungen und die endgültige Verbrennung des Yuanming yuan, weshalb ihnen eine besondere Bedeutung zukommt. Die verschiedenen Formen der Plünderung und auch das unterschiedliche britische und französische System der Kriegsführung können andererseits nur aus dem Kriegsgeschehen an sich und den militärischen Operationen heraus erklärt werden. Ein genauerer Blick auf die alliierten Truppen und

24 Ch’en, Treaty System and European Law in China, in: Mommsen/de Moor (Hg.), European Expansion and Law (1992), S. 83. 25 Mommsen/De Moor (Hg.), European Expansion and Law (1992), S. 3. 26 Benton, Law and Colonial Cultures (2002), S. 255.

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ihre Aktionen unabhängig vom Fortgang der Verhandlungen ist daher ebenfalls notwendig. Zusammensetzung und Disziplin der britischen und der französischen Armee werden im Folgenden ebenso untersucht wie die Beschaffenheit des Qing-Heeres und die Frage nach dessen Strategie und Taktik. Denn bei den diplomatischen Verhandlungen wie bei den militärischen Konflikten war das Ergebnis offen: Es war nicht von vornherein klar, dass das alliierte Heer, wenngleich militärtechnologisch ungleich besser ausgestattet, als Sieger aus den vielfältigen Schlachten und Scharmützeln hervorgehen würde, die zusammengenommen den Chinafeldzug von 1860 ausmachen. Wichtig ist also auch bei der Untersuchung der militärischen Aktionen die Frage, wie und ob die Akteure von den Handlungsanweisungen, die sie aus Paris und London erhalten hatten, abweichen mussten, und wie die Gegebenheiten vor Ort den weiteren Verlauf der militärischen Operationen beeinflussten. In diesen Kontext der militärischen Operationen und des Kriegsalltages werden auch die meisten vorgefallenen Plünderungen einzuordnen sein. Die Analyse der in den Berichten verwendeten Sprache zeigt, wie das Kriegsgeschehen in China mit Kriegen an anderen kolonialen Schauplätzen verglichen wurde, insbesondere lässt sich auch so die Einbettung des Kriegsgeschehens in China in transnationale und interimperiale Kontexte nachvollziehen. Dies lässt sich besonders gut am Beispiel der Plünderungen erkennen. Hier zeigt sich in den britischen und französischen Berichten, dass das Erlebnis der Plünderung, wenn der Autor bereits Erfahrung in anderen Kontexten gemacht hat, vergleichend geschildert wird und somit auf vorangegangene Ereignisse verweist. Durch Verwendung einer spezifischen Terminologie, die in anderen Kriegskontexten entwickelt und angeeignet wurde, wird so der Chinafeldzug von 1860 mit anderen Kriegen des 19. Jahrhunderts verbunden. Die Frage ist hier, in welcher Form sich in den Berichten zum Chinafeldzug von 1860 vorige Plünderungen widerspiegeln. Für Großbritannien ist hier die Indian Mutiny 1857 als Bezugspunkt denkbar, für Frankreich sind es die Ereignisse in Algerien.

1.2.4 Erinnerung an den Krieg: Unterschiedlicher Umgang in Europa und China Die Ereignisse des Chinafeldzuges von 1860 wirkten in Europa und China unterschiedlich nach. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde in China die Plünderung des Yuanming yuan von 1860 und vor allem seine Verbrennung zum schmerzvollen Symbol der „imperialistischen Unterdrückung durch westliche Aggressoren“ und vor allem nach 1949 als solches politisch instrumentalisiert. Diese Interpretation blieb lange unhinterfragt und es spielte dabei kaum eine Rolle, dass sich im kollektiven Gedächtnis Chinas weitere Plünderungen des Yuanming yuan, z.B. diejenige aus dem Jahr 1900 während des Boxeraufstandes und Zerstörungen während der Kulturrevolution mit den Ereignissen von 1860 überlagerten. Das Ereignis der ersten Plünderung von 1860 heraufzubeschwören hieß lange Zeit, nicht nur an die Demütigung Chinas im 19. Jahrhundert durch die

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westlichen Mächte zu erinnern, sondern auch an den Schmerz und die Wut angesichts des Verlustes unschätzbarer Kunstwerke und eines wichtigen Teils der eigenen kulturellen Identität.Wie also ging die Qing-Regierung mit der Niederlage um und auf welche Weise veränderte sich die Wahrnehmung des Ereignisses im 20. Jahrhundert? Im Europa des 20. Jahrhunderts spielte die Erinnerung an das Ereignis dagegen kaum eine Rolle. Unmittelbar nach seinem Ende erregte der Chinafeldzug von 1860 wohl in Frankreich, weniger aber in England, einigen Aufruhr. Die britischfranzösische Chinaexpedition von 1860 gehörte in die Reihe der Small Wars, die erst im postkolonialen Zeitalter wieder intensiver betrachtet werden sollten.27 Eine gewisse Reflexion und Einordnung des Chinafeldzuges in Europa setzte allerdings schon mit Eintreffen der ersten Berichte im Spätherbst 1860 ein. Wie also wurden die Neuigkeiten vom Chinafeldzug in Europa aufgenommen? Gab es Unterschiede zwischen der britischen und der französischen Berichterstattung? Wie wurde weiter mit dem Plündergut verfahren? Wie und aus welchem Grund veränderte sich die Wahrnehmung? Die Fokussierung dieser Untersuchung auf das Phänomen der Plünderungen und ihr Ziel, die unterschiedlichen britischen und französischen Verfahrensweisen auszumachen, lenken den Blick auf das tatsächliche Kriegsgeschehen in China und auf das, was sich eigentlich ereignet hat. Hier stößt man auf einige Schwierigkeiten. Denn zwar wird in einer Vielzahl unterschiedlichster Quellen über den Chinafeldzug berichtet, die Informationen sind aber vor allem in Bezug auf die Ereignisse der Plünderungen teils widersprüchlich, teils lückenhaft. Manchmal werden die Plünderungen zunächst einfach unterschlagen, dann aber an anderer Stelle geschildert. Auch werden die Handlungen und Entscheidungen der Generäle und Diplomaten von den berichtenden britischen und französischen Offizieren unterschiedlich eingeschätzt und beurteilt. Einzig über die zeitliche Abfolge der Ereignisse scheint in den Quellen Übereinstimmung zu herrschen. Dieser Umstand wird im Folgenden aufgegriffen, wenn methodisch die Ereignisse des Kriegsgeschehens in chronologischer Abfolge rekonstruiert und erzählt werden sollen. Dabei wird sorgfältig darauf geachtet, dass zentrale Ereignisse multiperspektivisch, möglichst aus der französischen, der britischen und wo greifbar auch aus der chinesischen Sichtweise geschildert werden. Wo es Unstimmigkeiten zwischen den Darstellungen gibt, vor allem im Fall von Plünderungen oder Vorfällen, die sich aus dem Kriegsalltag ergaben und nicht für die Augen und Ohren der zivilen Öffentlichkeit Europas geeignet erschienen, wird darauf im Text hingewiesen. Um die diplomatischen Verhandlungen und den Kriegsalltag getrennt voneinander analysieren zu können, werden zwei Erzählstränge konstruiert, die sich in der Darstellung einerseits zwar abwechseln, sich andererseits aber bedingen. Der eine dieser beiden Stränge verfolgt die diplomatischen Verhandlungen und die an ihnen beteiligten Akteure Großbritannien, Frankreich und China, die in den Schilderungen als gleichberechtige Verhandlungspartner auftreten. Der zweite Erzähl27 Z.B. Hernon, Massacre and Retribution (1998).

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strang stellt die Aktionen der Truppen, das Alltagsleben der Soldaten, die Schlachten, die militärischen Strategien und Pläne und Auseinandersetzungen der Generäle dar. Hier werden auch die Grundlagen und Rahmenbedingungen geschildert, die für die praktische Durchführung des Feldzuges von Bedeutung waren, zum Beispiel klimatische Bedingungen, Kontakte mit der Zivilbevölkerung, Beschreibungen der Landschaft und des militärischen Gegners. Auf diese Art und Weise wird eine detaillierte Perspektive auf den Chinafeldzug erzielt, die eine genaue Analyse der Ereignisse ermöglicht und gleichzeitig erlaubt, auch Fragen, wie sie z.B. von der New Military History allgemein zum außereuropäischen Krieg gestellt werden, zu beantworten.

2 FORSCHUNGSSTAND Der Chinafeldzug von 1860 hatte zwar vor allem bedeutende Auswirkungen für die Qing-Regierung, wurde aber auch in Europa rezipiert. Der zeitgenössischen französischen Kritik am Chinafeldzug von 1860 verlieh kein geringerer als Victor Hugo wortstark Ausdruck: Un jour, deux bandites sont entrés dans le Palais d’été. L’un a pillé, l’autre a incendié. La victoire peut etre une voleuse, à ce qu’il parait. Une dévastation en grand du Palais d’été s’est faite de compte à demi entre les deux vainqueurs. On voit melé à tout cela le nom d’Elgin, qui a la propriété fatale de rappeler le Parthénon. Ce qu’on avait fait au Parthénon, on l’a fait au Palais d’été, Plus complètement et mieux, de manière à ne rien laisser.28

Trotz dieses heftigen Protestes Hugos wurden der Chinafeldzug von 1860 und die aufsehenerregende Verbrennung des Yuanming yuan im Paris und London der 1860er Jahre vergleichsweise wenig beachtet. Von einem „Kolonialskandal“ kann man angesichts dieser eher schwachen Rezeption kaum sprechen: Die Zerstörung des Yuanming yuan erlangte weder die Breitenwirkung der Indian Mutiny von 1857, noch eine Öffentlichkeitswirksamkeit wie der Boxeraufstand 40 Jahre später.29 In den 1860er Jahren erregte der amerikanische Bürgerkrieg weit größere 28 Brief Victor Hugos an Captain Butler, Hauteville House, 25. November 1861, reproduziert in: Wang, Victor Hugo et le sac du Palais d’été (2003), S. 10. 29 So schreibt Georges Dethan, der im Auftrag der UNESCO französische Archivmaterialien zum Chinafeldzug von 1860 ordnet: „En tout cas, les résultats assez décévants de cette longue et quasi exhaustive recherche confirment l’opinion que la Chine restait alors très loin de l’Europe, n’ayant fait son apparition sur la scène internationale, à l’occasion de la guerre de l’opium, que depuis une vingtaine d’années.“ In: Commission française, Sources de l’Histoire de l’Asie (1981), S. 371. Zur Indian Mutiny als Trauma: Herbert, War of No Pity (2008), S. 2. Die „Boxer“ wurden in der westlichen Wahrnehmung als die „Personifizierung der gelben Gefahr“ wahrgenommen. Cohen, History in Three Keys (1997), Vorwort. Ben Middleton befasst sich mit der Nachwirkung des Boxeraufstandes in Japan, der von der dortigen Presse bewusst als „Kolonialskandal“ inszeniert wurde, um das Militärregime zu kritisieren. Middleton: Scandals of Empire: The Looting of North China and the Japanese Public Sphere, in: Bickers/Tiedemann (Hg.), The Boxers, China and the World (2007), S. 115–132. Literatur zum Kolonialskandal ist vor allem für die koloniale Herrschaft mit formeller Machtübernahme verfasst worden, z.B. Epstein, Politics of Colonial Sensation, in: The American Historical

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Aufmerksamkeit, und die französische Expansion in Indochina wurde interessierter verfolgt als die Ereignisse in China. So teilten der Chinafeldzug von 1860 und die Verbrennung des Yuanming yuan auch ihre wissenschaftliche Erforschung betreffend zunächst das Schicksal mit vielen anderen Small Wars des 19. Jahrhunderts. Als Epilog des Zweiten Opiumkrieges (1856–1858) hat der Chinafeldzug seinen bescheidenen Platz in einigen überblicksartigen Darstellungen vor allem zur britisch-chinesischen, weniger zur französisch-chinesischen Geschichte.30 In der westlichsprachigen Literatur sind diejenigen Untersuchungen am zahlreichsten, die den Chinafeldzug von 1860 im Rahmen der jeweiligen Expansion nach Übersee verorten und ihn unter einem diplomatiegeschichtlichen oder militärhistorischen Aspekt darstellen. In Großbritannien, wo der Chinahandel wichtiger war als in Frankreich, gibt es dementsprechend auch eine umfangreichere Forschungsliteratur.31 Im Mittelpunkt standen hier immer wieder Fragen nach der britischen Vorherrschaft in Ostasien, der Entstehung indirekter Herrschaft und der Beschaffenheit des britischen Imperialismus.32 Mit der Untersuchung verschiedener Aspekte des westlichen Imperialismus befassen sich insbesondere James Hevia und Lydia Liu, die beide Theorien der postcolonial studies zur Untersuchung des Chinafeldzuges von 1860 anwenden. Hevia argumentiert, dass die imperialistische euroamerikanische Expansion im 19. Jahrhundert mehr war als territoriale Interessenssicherung. Vielmehr sollte die Qing-Regierung auch kulturelle Konzepte der westlichen Diplomatie und des „internationalen Völkerrechts“ wie auch die Umgangs- und Lebensformen der westlichen, euroamerikanischen „modernen“ Welt übernehmen.33 Zu diesem Zwecke wurde China erst einmal durch Krieg und Gewalteinwirkung westlicherseits „deterritorialisiert“ (damit meint Hevia die gewaltsame Zerstörung bereits

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Review Bd. 113:3 (2007), S. 712–741, für das ausgehende 18. Jahrhundert, oder Dirks, The Scandal of Empire (2006), um nur zwei Beispiele der wachsenden Literatur zu nennen. Wong, Deadly Dreams (1998), Hurd, Arrow War (1967), S. 203f. Siehe auch Costin, Great Britain and China (1937), S. 281f. Eine recht genaue, eher aber populärwissenschaftliche Schilderung der Vorgänge jüngerer Zeit: Sanello/Hanes, The Opium Wars (2002), siehe insbesondere die Einleitung für eine Schilderung der Verbrennung des Yuanming yuan, S. 3–10. Der Feldzug von 1860 ist beschrieben auf S. 241–292. Zu demselben Genre gehören BonnerSmith, Second China War (1954) und Selby, Paper Dragon (1968). Einen Schwerpunkt auf die Beziehung zwischen Handel und Diplomatie legt Sargent, Chinese Commerce and Diplomacy (1975). Er beurteilt die Verbrennung des Yuanming yuan als notwendig (S. 125) und geht auf den gesamten Feldzug nur auf einer halben Seite ein. Siehe auch: Wang, AngloChinese Encounters (2003) und Wang, Anglo-Chinese Relations (1983), der die wichtigsten Dokumente in chinesischer Sprache vorstellt. Eine durchweg gründliche, aber deskriptive und weniger analytische Darstellung der britischen Perspektive speziell auf die militärischen Aktionen: Mann, China 1860 (1989). Eher aus einer diplomatiegeschichtlichen (vorwiegend britischen) Perspektive Costin, Great Britain and China (1937). Morse stellt die internationalen Beziehungen Chinas dar, der Schwerpunkt liegt aber auf den Beziehungen zu Großbritannien, Morse, International Relations of the Chinese Empire (1971), S. 589–617. Diesen Aspekt betont insbesondere Wong, Deadly Dreams (1998). Hevia, English lessons (2003), S. 13.

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bestehender indigener chinesischer sozialer Institutionen), bevor es unter anderem durch Einführung westlicher Gepflogenheiten und Institutionen „reterritorialisiert“ (z.B. durch Einführung des britischen Konsularwesens) wurde. Diese Reterritorialisierung interpretiert James Hevia als pädagogisches Projekt, das seinerseits eine Form der Kolonisierung war. Wenngleich China also keine Kolonie hinsichtlich der politischen Machtverhältnisse war, so Hevias These, so entsprachen doch die ausgeübten Formen der westlichen militärischen Gewalt, die Art und Weise der Berichterstattung und die Tatsache, dass chinesische Kunstgegenstände geplündert wurden der Vorgehensweise in anderen kolonisierten Gebieten.34 Auch Lydia Liu befasst sich mit Facetten des Imperialismus außerhalb der Ausübung militärischer Macht. Sie untersucht die Konfrontation zwischen den Westmächten und China 1857-1860 unter der Fragestellung, wie das britische Informal Empire auf der semantischen Ebene, z.B. im Vertragstext bemerkbar wurde. Civilizations do not clash, but empires do: Damit meint sie, dass die Regenten eines Empires ständig darauf angewiesen gewesen seien, die eigene Souveränität und Abgrenzung nach außen zu demonstrieren.35 Dies sei nicht nur durch militärische Aktionen, sondern vor allem auch durch Sprache geschehen. Besonders deutlich zeigte sich laut Liu die britische Absicht, die Kontrolle auch durch Beeinflussung des Vertragstextes zu übernehmen, durch das Verbot der Verwendung des Zeichens yi ཧ. Dieses Zeichen, von den Qing ursprünglich verwendet, um Fremde zu bezeichnen, wurde von den Briten als Beleidigung aufgefasst – sie waren der Auffassung, damit würden „Barbaren“ bezeichnet – und daher in Vertragstexten nach 1860 verboten.36 In Frankreich wurde zwar in jüngerer Zeit eine populärhistorische Darstellung der Ereignisse des Chinafeldzuges vorgelegt, trotzdem gibt es kaum Untersuchungen zur französischen Militär- und Diplomatiegeschichte in China in den 1860er Jahren. Hier konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf die Geschichte der französischen kolonialen Expansion nach Indochina und Vietnam.37 Der Ablauf des gesamten Feldzuges von 1860 wurde nicht nur von Diplomatie- und Militärhistorikern bearbeitet, sondern auch in der kunst- und architekturhistorischen Forschungsliteratur berücksichtigt, die sich vorwiegend mit dem

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Hevia, English lessons (2003), S. 347. Liu, Clash of Empires (2004), S. 2. Liu, Clash of Empires (2004), S. 3. Brizay, Le Sac du Palais d’Eté (2003), eine populärwissenschaftliche Darstellung. Taxile Delord widmet in seiner über 1500 Seiten umfassenden allgemeinen Geschichte des Second Empire der Expedition immerhin 23 Seiten: Delord, Histoire du Second Empire (1873), Bd. 3, S. 1–23. Für die Rolle französischer Diplomaten in China siehe Aschoff, Französischchinesische Diplomatie 1844–1846 (1981), Bensacq-Tixier, Dictionnaire du corps diplomatique et consulaire français en Chine, 1840–1911, (2003). Cordier, L’Expedition de Chine (1906) und Blondel, Relation de l’Expédition de Chine (1862) informieren zwar ausführlich über den diplomatischen und militärischen Charakter der Expedition, sind aber eher kommentierte Quellenausgaben. Zum französischen Imperialismus allgemein und vor allem in China in dieser frühen Phase siehe vor allem Cady, Roots of French Imperialism (1954).

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Yuanming yuan als künstlerischem Ensemble und der Frage nach seiner Bedeutung für die Qing-Dynastie befasste. Hier sei auf drei US-amerikanische Studien und einige französische Veröffentlichungen mit kunsthistorischem Schwerpunkt verwiesen. Diese haben vorwiegend die Baugeschichte der „Gebäude im westlichen Stil“ (Xiyanglou) im 18. Jahrhundert zum Gegenstand.38 In China entstanden in den letzten Jahren wieder vermehrt Forschungen zum Yuanming yuan. Zhang Shuang stellt in der Einführung zu ihrer (auf Deutsch abgefassten) Dissertationsschrift zur Gartenbauarchitektur des Yuanming yuan fest, dass in China zwar jedes Schulkind den Yuanming yuan kenne und wisse, dass er der „blinden Destruktivität und der Kulturlosigkeit imperialistischer Aggressoren“ zum Opfer gefallen sei, dass aber der authentische Ort kaum bekannt sei, und so ein erheblicher Gegensatz zwischen der politischen und kulturhistorischen Bedeutung des Yuanming yuan für China und dem späteren Umgang mit dessen Ruinen bestehe.39 Gleiches gelte für den Hergang der Plünderung und die Verbrennung von 1860 und für die Motive der westlichen Alliierten für diesen Schritt. Als Erklärung für Zhangs Beobachtungen erscheint die Rolle der Geschichtswissenschaft und der politischen Verwendung von historischen Symbolen in der Republik China in den 1920er und 1930er Jahren plausibel. In dieser Zeit bildete sich eine marxistisch orientierte Geschichtswissenschaft heraus, die gleichzeitig als ein politisches Instrument zur Bildung gesellschaftlichen Bewusstseins genutzt wurde. Politische Legitimation wurde im Rückgriff auf historische Ereignisse geschaffen, wobei sich in zunehmendem Maße (vor allem nach Gründung der Volksrepublik in den 1950er Jahren) wissenschaftliche Erkenntnisse der politischen Linie unterzuordnen hatten.40 Aus dieser Perspektive wurden die Opiumkriege als der Beginn des westlichen Imperialismus in China interpretiert, wobei die „Ungleichen Verträge“ von 1842 als Anfangspunkt eine besondere Bedeutung erhielten.41 Die erste Plünderung des Yuanming yuan von 1860 erscheint hier als ein erster Höhepunkt der Demütigung Chinas durch die imperialistischen Mächte, auf ihre nähere Betrachtung und Berücksichtigung der Umstände, die hierzu geführt haben, wird aber verzichtet.42 Diese Sichtweise scheint bis zur Jahrtausend38 Wong, Paradise Lost (2001), Brown-Malone, The History of the Peking Sumcmer Palaces (1934), Danby, Garden of Perfect Brightness (1950). Um nur einige der bedeutenderen französischen Veröffentlichungen zu nennen: Chiu, Yuanming yuan (2000), Thiriez, Barbarian Lens (1998), Pirazzoli-t’Serstevens, Le Yuanming yuan (1987). 39 Zhang, Ensemble des Yuanming yuan (2004), S. 10. 40 Vgl. hierzu Leutner, Geschichtsschreibung zwischen Politik und Wissenschaft (1982), S. 1. Mit der früheren Phase der marxistischen Geschichtsschreibung und ihrer Entstehung befasst sich Dirlik, Revolution and History (1978). 41 So erklärt beispielsweise Wang Dong, dass die Bezeichnung „Ungleiche Verträge“ erst im Verlauf der 1920er Jahre entstand. Wang, China’s unequal treaties (2005), S. 9. 42 Die bedeutendsten dieser Werke werden bei Wong, Deadly Dreams (1998), S. 14 aufgeführt. Dazu gehören: Hu Sheng, Cong Yapian zhanzheng dao wusi yundong (1953), Ding Mingnan, Diguo zhuyi qin hua shi (1958), Jiang Mengyin, Di erci yapian zhanzheng (1965), Wei Jianyou, Di erci yapian zhanzheng (1955). Als westliche Literatur zur Epoche siehe z.B. Fairbank, Treaty System, in: Fairbank/Liu (Hg.), The Cambridge History of China, Bd. 10, (1978), S. 213–263. Fairbank/Liu (Hg.), The Cambridge History of China, Bd. 10, Late

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wende in China noch aktuell gewesen zu sein.43 So stellte Bickers noch 1999 fest, dass sich seit 1949 die orthodoxe Interpretation moderner chinesischer Geschichte hinsichtlich der westlichen Präsenz in China kaum geändert habe und z.B. das Werk des konservativen Historikers Ding Mingnans 1992 noch einmal neu aufgelegt worden ist.44 Dies ändert sich aber langsam, und so plädierte beispielsweise im Jahr 2006 der Historiker Yuan Weishi aus Kanton dafür, die Rolle der Alliierten 1860 und beim Boxeraufstand 1900 neu zu untersuchen, und dies auch, um alte Feindbilder zu revidieren.45 In die Forschung zum Yuanming yuan hat diese neue Haltung noch keinen Eingang gefunden, und bei den meisten allgemeinen Betrachtungen zum Yuanming yuan auch jüngerer Zeit stehen Fragestellungen der Kunstgeschichte, zur gartenarchitektonischen Anlage und seiner Bedeutung für die Qing im Vordergrund. Den Glanzzeiten des Yuanming yuan gilt hier das Interesse, nicht dessen Plünderung und Zerstörung.46

3 QUELLENLAGE UND AUFBAU DER ARBEIT Eine Vielzahl unterschiedlicher Quellen zum Chinafeldzug von 1860 sind überliefert. Sie erlauben einen Blick auf verschiedene Ebenen des Ereignisses und ermöglichen so eine multiperspektivische Rekonstruktion des Herganges. Um das vorhandene Material zu strukturieren soll zwischen der offiziellen Berichterstattung (den Berichten der Generäle und Diplomaten an die jeweiligen Regierungen) und der privaten Korrespondenz (Berichten oder Tagebüchern der Augenzeugen)

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Ch’ing 1800–1911, Part 1, und Bd. 11, Late Qing 1800–1911, Part 2 (1980) sind immer noch eine sehr gute Einführung für die späte Qing-Zeit. Für die Handhabung auswärtiger Angelegenheiten siehe auch Banno, China and the West (1964) und Horowitz, Central Power and State Making: the Zongli Yamen and self strengthening in China (1998). Siehe hierzu die Einführung in Hevia, English lessons (2003), S. 8f., insbesondere seine Schilderung der Wirkung des Werkes von Paul Cohen. Siehe dort: Cohen, Discovering History in China (1984), S. 149f. Bickers, Britain in China (1999), S.7. Barmé, Yuanming yuan. On Stage and Screen, in: China Heritage Quarterly Bd. 8, Dezember 2006. Z.B. Wang Wei, Yuanming yuan (1980), Wang Daocheng, Yuanming yuan lishi (1999). Auch auf der Konferenz von 2007 anlässlich des 250jährigen Jubiläums des Gründungsjahres 1747 in Peking, bei der ein Nachbau und ein Modell vorgestellt wurden, wurde dies deutlich. Ausnahmen sind die folgenden Veröffentlichungen: Chen Wenbo, Yuanming yuan canhui kao, in: Yuanming yuan ziliao ji 1984 (YMYZ), Shan Shiyuan, Zuixian baogao ying fa lianjun huijie yuanming yuan de wenxian (1999), Zeng Zhaofen, Yuanming yuan shoujun yingyong kangji qinlue jun de lishi jianzheng (1984) und Wu Kedu, Ying fa lian junshi dai zhi beijing xiang (1963). Eine nichtwissenschaftliche Ausnahme bildet gleichfalls der Film Yuanming yuan (Regie: Jin Tiemu) aus dem Jahr 2006, der durch seine perfekte computeranimierte Reproduktion der Palastgebäude besticht. Die Plünderung des Yuanming yuan durch die Alliierten, deren Inszenierung einen der Höhepunkte des Filmes bildet, weicht aber nicht von den Darstellungen in den einschlägigen chinesischen Werken zum zweiten Opiumkrieg ab.

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unterschieden werden. Sonstige Quellen umfassen die Berichte an die führenden Tageszeitungen, aber auch Bildmaterial, z.B. Zeichnungen und Photographien. Eine Sichtung der Quellen lässt nicht nur zum Thema der militärischen Gewalt und Plünderungen unterschiedliche britische und französische Sichtweisen hervortreten, sondern auch bei den diplomatischen Verhandlungen und der militärischen Strategien, die bislang in der Forschungsliteratur noch kaum berücksichtigt wurden.

3.1 Die offizielle Berichterstattung Zur offiziellen Berichterstattung gehören in erster Linie die diplomatische Korrespondenz der britischen und französischen Diplomaten Elgin und Gros mit ihren jeweiligen Vorgesetzten, den Außenministern Russell und Thouvenel in London und Paris. Darin schildern sie die Ereignisse während der Verhandlungen aus ihrer Sichtweise der Zentrale und erläutern vor allem ihre eigene Vorgehensweise gegenüber der Qing-Regierung einerseits und ihr Verhalten gegenüber ihren Alliierten andererseits. Dazuzurechnen sind auch die Berichte der Generalkommandierenden Hope Grant und Montauban an ihre jeweiligen Kriegsministerien in Europa. Ausgewertet wird auch die von den britischen und französischen Diplomaten und Generälen vor Ort untereinander geführte Korrespondenz sowie die Korrespondenz mit der Qing-Regierung. Der Schriftverkehr zwischen den chinesischen Bevollmächtigten und Elgin und Gros wird berücksichtigt, ebenso wie die Throneingaben von Senggerinchin und dem Prinzenrat an den Kaiser, außerdem Denkschriften des Kaisers zur allgemeinen Situation im Lande. Hier stützt sich die Arbeit im Wesentlichen auf bereits veröffentlichte Quellenkompendien in chinesischer Sprache. Diese hier genannten Materialen waren im Wesentlichen in den Archiven der jeweiligen Ministerien zu finden. 47

3.2 Augenzeugenberichte Zu den Augenzeugenberichten gehören neben den Ereignisberichten, die von Mitgliedern der britischen und französischen Armee verfasst wurden, auch die Tagebücher oder private Korrespondenz der Diplomaten und Generäle. Manche dieser Berichte wurden in der Nachfolge des Chinafeldzuges veröffentlicht und waren somit einem breiten Publikum zugänglich, andere lagern als unveröffentlichte Briefwechsel und Tagebücher in Archiven. Verfasser dieser Berichte waren nicht nur Offiziere, sondern auch das geistliche und wissenschaftliche Personal 47 Ein ausführliches Verzeichnis der verwendeten Archivmaterialien findet sich im Anhang. Qi Sihe (Hg.), Di erci yapian zhanzheng (1978), Zhongguo diyi lishi dangan guan (Hg.), Yuanming yuan (1991) (YMYA), 2 Bde., Shu Mu (Hg.), Yuanming yuan ziliao ji (1984) (YMYZ), Chouban yiwu shimo (1979) (CYS).

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des Feldzuges, die diplomatischen Attachés und Ärzte. Berichte einfacher Soldaten dagegen sind selten. Jedwede Ereignisse werden unter unterschiedlichen Aspekten beschrieben, wodurch sich ein facettenreicher Blick auf Alltagsausschnitte des Feldzuges ergibt. In der Bewertung der Ereignisse weisen diese Berichte große Unterschiede auf, oftmals werden persönliche Beurteilungen widergegeben, die nicht verallgemeinert werden können. Mit der vorliegenden ausführlichen Darstellung und Auswertung westlicher Augenzeugenberichte wird somit eine Forschungslücke geschlossen, denn bislang sind nur einige wenige der westlichen Quellen hinzugezogen worden.48 Bemerkenswert ist, dass im unmittelbaren Anschluss an den Feldzug sehr viel mehr französische als britische Berichte veröffentlicht wurden. Viele der britischen Autoren veröffentlichten erst gegen Ende ihres Lebens ihre gesamten Erinnerungen, von denen der Chinafeldzug von 1860 nur einen Teil darstellte.49

3.3 Sonstige Berichterstattung Im Verlauf des Feldzuges wurden auch Werke mit einer bestimmten nichtpolitischen, zum Beispiel wissenschaftlichen oder publizistischen Absicht verfasst. Dazu zählen die Berichte von Thomas Bowlby, der für die britische Tageszeitung The Times den Feldzug begleitete, und die Berichte von Antoine de Fauchery, die an den französischen Moniteur gingen. Fotografische Aufnahmen wurden von dem die britische Armee begleitenden Fotografen Felice Beato angefertigt, der bereits auf Erfahrung aus den Krimkriegen und der Indian Mutiny 1857 zurückblicken konnte.50 Die französische Armee wurde von dem freien Wissenschaftler Graf Escayrac de Lauture begleitet, was der Konsulatsbeamte Swinhoe, der britischerseits wissenschaftliche Ambitionen hatte, neidvoll betrachtete. Auch Berichte von Geographen und den topographischen Brigaden der französischen und britischen Armee werden berücksichtigt, die vor allem Kartenmaterial und andere bildliche Darstellungen enthalten. Hier werden die Umstände in einer Mischung aus persönlichen und wissenschaftlichen Eindrücken geschildert. Die Berichte der mitreisenden Ärzte und Prediger ergänzen das Bild.

48 So erwähnt Zhang Enyin bei einer Quellenauswahl zur Schilderung der ersten Plünderung des Yuanming yuan nur die Berichte von Loch, Personal Narrative (1900), McGhee, How we got to Peking (1862), Rennie, British Arms in North China (1864) und Wolseley, Narrative (1862). Zhang Enyin/Yang Laiyun, Xi fang ren yan zhong de Yuan Ming Yuan (2000). Wang Wei erwähnt außerdem Swinhoe, Narrative (1861), Knollys, Incidents 1865 und Cordier, Expedition de Chine (1906). Wang Wei, Yuanming yuan (1983). In den 1930er Jahren allerdings scheinen noch französische Werke mit einbezogen worden zu sein. Siehe: Xiang Da, Yuan ming yuan yi wu yu wen xian (1931). 49 Z.B. Walker, Days of a soldier’s life (1894) oder Tulloch, Recollections (1903). 50 Einführend zu Felice Beato siehe Wanaverbecq, Felice Beato en Chine (2005), S. 21–23.

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Dieses Buch ist in vier Kapitel gegliedert, wobei die Kapitel eins, zwei und vier wesentlich kürzer sind als das lange dritte Kapitel. Krieg und diplomatische Verhandlungen wurden in Europa geplant, weshalb im ersten Kapitel der Handlungsrahmen für die Planung des Chinafeldzuges dargestellt wird. Unterschiedliche britische und französische Kriegsrezeptionen werden geschildert und im Hinblick auf die Kriegspraxis soll geklärt werden, welche Erfahrungen die britische und die französische Armee bis dahin bereits gesammelt hatte und von welchen ungeschriebenen Kriegskonventionen angenommen werden kann, dass sie auch in China galten. Insbesondere das Phänomen der Plünderung im Krieg ist hier von Interesse, sowie die Frage, wie und ob sich bis 1860 unterschiedliche Stile der Kriegsführung entwickelt hatten. Auch die verschiedenen Expansionsmotive und -begründungen in Großbritannien und Frankreich werden dargestellt. Das zweite Kapitel wird eröffnet mit einem Blick auf die innere Lage des Qing-Reiches, um den Hintergrund für die Strategien und Aktionen der chinesischen Verhandlungsbevollmächtigten zu beleuchten. In diesem Zusammenhang wird auch auf den militärischen Gegner des alliierten europäischen Heeres einzugehen sein, nämlich das Qing-Heer, seine Beschaffenheit, Stärke und Ausrüstung. Einer kurzen Darstellung der Vorgeschichte des Chinafeldzuges von 1860 folgt eine aus den Quellen rekonstruierte Beschreibung der Planung, Ausrüstung und Reise der Expedition nach China. Das dritte Kapitel stellt das Kernstück dieser Arbeit dar. Hier werden detailliert und chronologisch, wie bereits ausführlich im Methodenteil beschrieben, die Ereignisse dargestellt, die sich während des Chinafeldzugs zugetragen haben. Im vierten Kapitel wird der Ausgang der diplomatischen Verhandlungen dargestellt sowie die unterschiedliche Rezeption der Ereignisse in Großbritannien, Frankreich und China skizziert. Abschließend wird ein etwas eingehenderer Blick auf das „Weiterleben der Ruinen“ in China geworfen. Diese Arbeit versteht sich sowohl als ein Beitrag zur Diplomatie- als auch zur Militärgeschichte. Allerdings wird bei der Rekonstruktion des Kriegsalltages dafür plädiert, sich nicht allein auf eine militärimmanente Sichtweise einengen zu lassen und Fragen der New Military History zu integrieren. Obwohl auch Handlungsmotive der Qing-Regierung und die Aktionen des Qing-Heeres ausführlich dargestellt werden, liegt der Schwerpunkt der Arbeit doch auf einer Untersuchung der Aktionen der Alliierten Großbritannien und Frankreich. Die Zusammenfassung formuliert Antworten auf die eingangs gestellten Fragen: Welche Formen von Plünderung und Gewalt können in diesem außereuropäischen Krieg in der Mitte des 19. Jahrhunderts identifiziert werden, und wie unterscheiden sich das britische und französische System? Wie fügen sich die erste Plünderung des Yuanming yuan und die etwas später erfolgende Verbrennung mit anschließender Plünderung in den Kriegsalltag des insgesamt fast drei Monate dauernden Feldzuges ein, wie werden sie gerechtfertigt und inwiefern unterscheiden sich die britische und die französische Bewertung? Eingebettet werden diese Antworten in den größeren Kontext der britischen und französischen Expansion. In diesem Zusammenhang steht die Frage nach der Rolle der diplomatischen Verhandlungen: Mit welchen diplomatischen Strategien

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versuchten Frankreich und Großbritannien, ihre jeweiligen imperialen Phantasien durchzusetzen, werden unterschiedliche britische und französische „Stile“ erkennbar, und wie setzte sich die Qing-Regierung zur Wehr? Indem Bezüge zu anderen kolonialen Kriegsorten der Welt des 19. Jahrhunderts hergestellt werden wird gleichermaßen ein globalgeschichtlicher Ansatz verfolgt. Die im Text verwendeten chinesischen Namen und Begriffe sind in der Hanyu-Pinyin–Umschrift wiedergegeben, die entsprechenden chinesischen Schriftzeichen findet der Leser im Glossar. Nur bei der Verwendung der Städtenamen Peking und Kanton wurde eine Ausnahme gemacht, da diese im deutschen Sprachgebrauch geläufiger sind als Beijing und Guangzhou.

KAPITEL I: KRIEGSREZEPTION, KOLONIALPOLITIK UND BEUTEKONVENTIONEN INNERHALB UND AUSSERHALB EUROPAS 1860 Die Rezeption von Krieg in Europa, speziell in Großbritannien und Frankreich, sowie die Grundlagen und Motive britischer und französischer Kolonialpolitik stehen am Beginn des ersten Kapitels. Sie bilden den Hintergrund und zeigen die allgemein üblichen Muster, vor denen die europäischen Akteure die Ereignisse vor Ort in China wahrnahmen, beurteilten und einordneten. Damit stellen sie auch den Handlungsrahmen dar, der für die britischen und französischen Diplomaten und Militärs verpflichtend war, innerhalb dessen sie aber gleichwohl Gestaltungsfreiheit besaßen. So werden die europäischen Grundlagen der unterschiedlichen britischen und französischen Wertung der Ereignisse in China verdeutlicht: Eine Untersuchung der Wahrnehmungen der Akteure vor Ort wirft Licht auf die Wechselwirkung zwischen gesellschaftlichen Normen und Strukturen in Europa und subjektiven Erfahrungsprozessen in China. In einem nächsten Schritt soll erörtert werden, welche gesetzlichen Grundlagen Krieg und vor allem Plünderung innerhalb und außerhalb Europas regelten. Wichtig ist hier das Völkerrecht, das, sehr viel mehr für die Briten als für die Franzosen, den gesetzlichen Rahmen der diplomatischen Verhandlungen mit dem Qing-Hof darstellte – und durch das militärische Maßnahmen gerechtfertigt werden konnten, falls sich die gegnerische Partei weigerte, in die family of nations aufgenommen zu werden. Ergänzt wurde es vor allem durch Konventionen, Regelwerke und ungeschriebene Gesetze, die Kriegsalltag und dabei insbesondere das Vorgehen bei Plünderungen vorschrieben. Diese waren nicht Bestandteil des Völkerrechts, sondern der jeweiligen Landkriegsordnungen und waren in ihrer Handhabung und Auslegung von meist im außereuropäischen Raum gemachten Erfahrungen geprägt. Für das Vorgehen der alliierten Armee im Chinafeldzug von 1860 werden als Präzedenzfälle die unmittelbar zuvor in Indien und Algerien erworbene Kriegspraxis der britischen und französischen militärischen Akteure geschildert, anhand derer sich die Entwicklung unterschiedlicher Stile außerhalb Europas gut erkennen lässt. Während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es in Europa kaum zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Bis 1860 waren europäische Großmächte nur in zwei Kriege direkt militärisch oder indirekt diplomatisch involviert: In den Krimkrieg (1853–1856), durch den die auf dem Wiener Kongress ausgehandelten Mächteverhältnisse wieder verändert wurden, und den Italienischen Krieg, der zwischen Frankreich/Piemont-Sardinien und Österreich ausgetragen wurde.1 So-

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Siehe hierzu auch Gates, Warfare in the Nineteenth Century (2001), S. 55–113.

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wohl in Großbritannien als auch in Frankreich wurde Krieg entsprechend als etwas wahrgenommen, das sich weit entfernt abspielte, weshalb Überlegungen zum Wesen und zur Natur des Krieges eher theoretisch als praktisch waren.2 Das europäische Kriegsverständnis hatte sich also seit Anfang des 19. Jahrhunderts mit der Entstehung der Nationalstaaten und dem Gedanken des Selbstbestimmungsrechtes der Völker gewandelt. Es wurde angenommen, dass sich selbst bestimmende Völker Krieg vermeiden wollten und aktiv an seiner Prävention mitwirkten.3 Krieg wurde dabei allerdings immer noch als ein „Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen“, gesehen und als „Fortsetzung des politischen Verkehrs mit Einmischung anderer Mittel“, wie Clausewitz es formulierte. Aber die Nation wurde zum höchsten, von allen ihren Mitgliedern zu verteidigenden Gut erklärt: Zunehmend wurde in diesem Zusammenhang die gesamte Gesellschaft am Krieg beteiligt und der Kreis der vom Krieg unmittelbar Betroffenen weitete sich aus.4 Aus dem „gehegten Staatskrieg“, der sich in Gestalt des Kabinettkrieges seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges herausgebildet hatte, entwickelte sich nach der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht eine Form des demokratisierten „Volkskriegs“.5 Nicht mehr nur Söldnerheere, wie im 18. Jahrhundert wurden mit einbezogen, sondern die gesamte Bevölkerung nahm emotional Anteil, und kaum eine Lebenssphäre blieb von Auswirkungen des Krieges verschont.6 Die Wahrnehmung eines Krieges in der Öffentlichkeit, die Billigung und Zustimmung der Bevölkerung oder ihre Ablehnung wurden für die Regierungen bei ihrer Entscheidung für oder wider den Krieg im Zeitalter des „Nationalkrieges“ also ein immer bedeutenderer Faktor. Deswegen waren die Staatsführungen des 19. Jahrhunderts zunehmend gezwungen, Kriege auch innenpolitisch propagandis-

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Erst ab 1871 richtet sich die europäische Aufmerksamkeit auch zunehmend auf die „kleinen“ außereuropäischen Kriege. Black, The Age of Total War (2006), S. 29. Die hier zitierte Definition zum Wesen des Krieges ist entnommen: Brunner/Conze/Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe (1982), S. 588, Schlagwort Krieg. Brunner/Conze/Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe (1982), S. 598. Verschiedene Formen und Typologisierungen des Krieges zeigen Beyrau/Hochgeschwender/ Langewiesche (Hg.), Formen des Krieges (2007). Für die „Enthegung“, also die Ablösung von kleiner Eliteheere durch das Aufgebot der Masse des Volkes nach der Französischen Revolution siehe Münkler, Gewalt und Ordnung (1992), S. 54f. Die Bedeutung von Krieg und „Bellizismus“ (verstanden als Sinn- und Erziehungslehre des Krieges, als Versuch der Einordnung von Kriegserfahrung in einen sinnstiftenden Zusammenhang) und dessen Zusammenhang mit der inhaltlichen Bestimmung des Konzepts der Nation zwischen dem 18. und dem 20. Jahrhundert in Europa behandelt Leonhard, Bellizismus und Nation (2008). Siehe insbesondere dort die Einleitung, S. 1–9. Im Prinzip ist diese propagandistische Miteinbeziehung der gesamten Bevölkerung Wesensmerkmal des totalen Krieges, der sich in Folge der Französischen Revolution aus dem Staatenkrieg entwickelte. Herberg-Rothe, Der Krieg (2003), S. 154. Diese neue Form des „Volkskrieges“ charakterisieren Förster/Nagler auch in einem Vergleich des amerikanischen Bürgerkrieges und den deutschen Einigungskriegen. Siehe Förster/Nagler (Hg.), On the Road to Total War (1997), S. 6ff.

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tisch vorzubereiten und zu begleiten.7 Diese Erwägungen galten dabei aber zunächst nur für Kriege innerhalb Europas. Die vielen Kriege unter europäischer Beteiligung außerhalb Europas wurden als Small wars bezeichnet, und auch ihre Benennung als expeditions deutet darauf hin, dass sie nicht als Kriege zwischen zwei gleichberechtigten Parteien (wie z.B. zwei europäischen Großmächten) begriffen wurde. 8 Dies änderte sich noch vor 1860, indem durch den Krimkrieg und insbesondere die Indian Mutiny der außereuropäische Krieg wieder deutlich ins europäische Bewusstsein trat. Der Krimkrieg (1853–1856) war einer der ersten Kriege, der als Medienereignis, dem Journalisten und Photographen beiwohnten, auch ein Echo in Großbritannien und Frankreich fand.9 Dadurch gerieten zunehmend (wenn auch nicht so stark wie nach 1871) auch die Small wars in den Blick einer zeitunglesenden Öffentlichkeit: Über die Indian Mutiny 1857 wurde kritisch in der Presse berichtet, ebenso wie über die Zustände in Algerien, so dass bereits vor dem zweiten Opiumkrieg 1857/58 in China die Anwendung militärischer Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele mit der Folge einer Schädigung auch der Zivilbevölkerung wieder stärker ins europäische Bewusstsein trat.

1 GROSSBRITANNIEN: KRIEGSREZEPTION UND KOLONIALPOLITIK IN DER MITTELVIKTORIANISCHEN GESELLSCHAFT 1.1 Kriegswahrnehmung- und Kritik Die 1850er Jahre blieben sowohl in Frankreich nach der Gründung des Second Empire als auch in England friedlich und können im Kontext der industriegesellschaftlichen Modernisierung generell als ein Zeitalter wirtschaftlicher Blüte charakterisiert werden. Dabei unterschieden sich die Grundtendenzen. England, das von den 1848er Revolutionen verschont blieb, neigte in den frühen 1850er Jahren im Inneren eher zu einer Bewahrung des friedlichen Status quo, einer Abwendung vom Kontinent, während Napoleon III. eine bedeutendere Machtposition für Frankreich in Europa, innenpolitische Reformen und außenpolitische Kurskorrekturen anstrebte. Krieg kam in Großbritannien bis in die Mitte der 1850er Jahre nur „draußen“ im Empire vor. Dabei wurden diese Kriege zumeist im Namen des Freihandels 7

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Stig Förster verweist darauf, dass die sich im industriellen Zeitalter herausbildenden Massengesellschaften den „Resonanzboden“ auch für die Modernisierung der Streitkräfte darstellten. Stig Förster, Einführende Bemerkungen, in: Epkenhans/Groß (Hg.), Das Militär und der Aufbruch in die Moderne 1860–1890 (2003), S. 121. So benannt nach dem Standardwerk von Charles Callwell, Small Wars (1906), das kurz hintereinander dreimal aufgelegt wurde. Farwell nennt diese Kriege Little Wars: Farwell, Queen Victoria’s Little Wars (1973), zum Feldzug in China ab S. 134. Vgl. auch Bond, Victorian Military Campaigns (1967), in dem John Selby sich mit dem Chinafeldzug 1860 befasst, S. 71–106. Daniel, Augenzeugen (2006), S. 7.

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geführt, Kriege im Namen einer „englischen Nation“, wie das in Frankreich der Fall war, waren in den 1850er Jahren noch nicht vorgesehen.10 Durch Verbesserung der Nachrichtentechnik und Zunahme der Zeitungszirkulation allerdings änderte sich Mitte der 1850er Jahre vor allem durch den Krimkrieg die Kriegswahrnehmung innerhalb der britischen Gesellschaft erheblich.11 Durch die Berichte von William Howard Russell wurde man nicht nur in Großbritannien sondern weltweit auf die humanitäre Katastrophe, die der Krimkrieg bedeutete (der anfangs mit großer Begeisterung in Großbritannien aufgenommen worden war), aufmerksam.12 Der geographisch entfernte Krieg wurde auf diese Weise kommunikationstechnisch zum Gegenstand eines öffentlichen Diskurses und es wurde notwendig, sich dazu zu verhalten.13 Jörn Leonhard bespricht insbesondere drei Punkte, um die im „bellizistischen Diskurs“, der Selbstverortung und Wahrnehmung als kriegerische Nation, in der britischen Gesellschaft nach dem Krimkrieg neue Diskussionen entfacht wurden. Erstens wurde im Anschluss an ältere Traditionen ein Interpretationsmuster wiederbelebt, bei dem sich Großbritannien selbst als „protestantische Nation im Kampf um christliche Prinzipien“ wahrnehmen sollte, allerdings mit der Ausdehnung auf die ganze „Empire-Nation“. Es verschmolzen dabei Religions- und Freiheitsmythos, nationalreligiöse Motive und Missionsvorstellungen. Der Krieg gegen Russland, so die Auffassung, wurde dabei als gottgesandte „Lektion“ und Warnung an England verstanden, über den Reichtum und materiellen Wohlstand der 1850er Jahre die Pflichten Gott gegenüber nicht zu vergessen, und regte so zur kritischen Selbstprüfung an. Als christliche Nation und aufgrund der eigenen mili10 Über die Frage, welche Rolle das Empire im täglichen Leben (hier besonders in der Literatur und Kultur) auf den britischen Inseln gespielt hat gibt es unterschiedliche Ansichten. Porter zweifelt an, dass das Empire eine bedeutende Rolle in Großbritannien selbst gespielt hat, Porter, The Absent-Minded Imperialists (2004), S. 307, während Said, basierend auf seinen Untersuchungen des viktorianischen Romans, das Gegenteil annimmt. Said, Culture and Imperialism (1993), S. 14. Siehe zu dieser Frage auch Brantlinger, Rule of Darkness (1988), S. 5, der der Auffassung ist, dass das Empire bei den viktorianischen Schriftstellern omnipräsent is, während Beasley, Mid-Victorian Imperialists (2005), S. 6, wiederum zu einem entgegengesetzten Ergebnis kommt. Etherington, Theories of Imperialism (1984), S. 6 stellt fest, dass der Begriff „Empire“ in den 50er Jahren auch die vereinten Territorien von England, Schottland, Wales und Irland meinen konnte.„Imperialistische Attitüden“ unterstellte man in England dem französischen Kaiser Napoleon III., und damit meinte man eine übertriebene Betonung des Staatswesens, ein Streben nach Empire, dem die mittelviktorianische Öffentlichkeit abhold war. Vgl. hierzu Brunner/Conze/Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe (1982) Schlagwort „Imperialismus.“ Zur „englischen Nation“ siehe Taylor, British Empire, in: Hirschhausen/Leonhard (Hg.), Nationalismen im Vergleich (2001), S. 132. Jürgen Osterhammel spricht davon, dass Großbritannien ein „imperialer Nationalstaat“ war, und es deswegen keinen „Nationalismus“ geben musste. Osterhammel, Verwandlung der Welt (2009), S. 647. 11 Leonhard, Bellizismus und Nation (2008), S. 645–658. Siehe hierzu Daniel, Der Krimkrieg, in: Daniel (Hg.) Augenzeugen (2006), S. 40–67. 12 Zu Russells Rolle im Krimkrieg und seiner bahnbrechenden Arbeit für die Rolle des Kriegsberichterstatters siehe auch Knightley, The First Casualty (2004), S. 1–18. 13 Leonhard, Bellizismus und Nation (2008), S. 646.

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tärischen und wirtschaftlichen Macht nehme Großbritannien eine besondere Position ein und es sei seine Aufgabe, in einem gottgewollten Krieg als europäische Vormacht von Zivilisation und Freiheit zu wirken. Damit verband sich auch das Bild des „christlichen Soldaten“, der im moralischen Recht seines Kampfes unbesiegbar war. Zweitens wurde dem Krieg an sich von zeitgenössischen Beobachtern eine „selbstzivilisatorische“ Funktion zugeschrieben. Angesichts des desaströsen Ausgangs des Krimkrieges hatte man sich die Frage stellen müssen, ob Großbritannien angesichts seines Schwerpunktes auf Handel, Industrie und Kolonien überhaupt in der Lage sei, einen Landkrieg zu führen, oder ob der ökonomischmaterielle Erfolg nicht etwa die Fähigkeit, einen Landkrieg zu führen, verringert habe. Dem negativen Topos der nation of shopkeepers wurde hier als Ideal eine vitale, kriegführende Gesellschaft gegenübergestellt, bei der der Krieg und die militärische Sozialisierung bestimmte Funktionen im historischen Entwicklungsprozess haben sollten, ohne die der Übergang in eine Epoche des allgemeinen Friedens nicht möglich sei. Als Beispiel wurden hier bisher staatenlose Nationen wie Ungarn und Italien genannt, die durch Krieg und Sezession einen eigenen Staat gebildet hatten. Großbritannien müsse in diesem Prozess eine Mentorenrolle einnehmen und den Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit fortsetzen.14 Der dritte Punkt schließlich betraf das kollektive Bild der Armee, das sich durch die Rezeption des Krimkrieges änderte. Die Mehrheit der britischen Bevölkerung hatte kaum militärische Erfahrung. Das Heer hatte vor dem Krimkrieg zwar eine gewisse Bedeutung, insbesondere im beständig schwelenden Konflikt mit Frankreich, aber es war, anders als in Frankreich, in der Gesellschaft kaum sichtbar, und die vielen außereuropäisch geführten Kriege wurden kaum wahrgenommen.15 In der Gesellschaft blickte man auf Soldaten und Heer herab, sie wurden als Polizisten des Empires betrachtet und als Repressionsinstrument „for keeping down riots“ aber auch als Bedrohung der politischen Freiheit. Diese negativen Konnotationen änderten sich jedoch nach dem Krimkrieg, Leitmotiv wurde der gallant soldier, der für Christentum und zivilisatorischen Fortschritt kämpfte und den Dank der Nation verdiente.16 14 Leonhard, Bellizismus und Nation (2008), S. 652. Siehe hierzu auch Strachan, Militär, Empire und Civil Society, in: Frevert (Hg.), Militär und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert (1997), S. 78–93. Auch Harries-Jenkins weist darauf hin, dass im Vergleich zu Frankreich und Deutschland die männliche Bevölkerung Großbritanniens kaum militärische Erfahrung hatte. Frankreich unterhielt ein Heer von ca. 500.000 Mann, wohingegen das gesamte britische Empire mit einer um ein Vielfaches größeren Bevölkerung nur über ein Heer von ca. 200.000–250.000 Mann verfügte, Harries-Jenkins, The Army in Victorian Society (1977), S. 5. 15 Für die Rolle von Gesellschaft und Militär in Großbritannien siehe auch Skelley, The Victorian Army at Home (1977), S. 19. Er befasst sich mit Fragen der Ausbildung, Disziplin, Rekrutierung und Bezahlung der ausschließlich in Großbritannien stationierten Armee. Peck weist darauf hin, dass das Motiv des Militärs und des Soldaten und die kolonialen Kriege bei den viktorianischen Schriftstellern vor 1890 kaum eine Rolle spielte, Peck, War, the Army and Victorian Literature (1998), S. 9. 16 Leonhard, Bellizismus und Nation (2008), S. 658.

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War durch den Krimkrieg der Krieg als tatsächliches Ereignis wieder ins gesellschaftliche Bewusstsein gerückt, so wurde durch die Indian Mutiny 1857 das öffentliche Interesse auch auf das außereuropäische Kriegsgeschehen gelenkt. Die Indian Mutiny wurde ähnlich deutlich in der Presse wahrgenommen wie der Krimkrieg: Die Berichterstattung William Howard Russells ebenso wie die photografische Dokumentation von Felice Beato erregten großes öffentliches Entsetzen.17 Die Schädigung der indischen Zivilbevölkerung wurde bekannt, aber auch die Disziplinlosigkeit britischer Soldaten und Offiziere, die nach der Befreiung von Lucknow gleichermaßen tagelang nicht nur die Stadt, sondern auch die Paläste im Umland plünderten und die Gegend verwüsteten. In Großbritannien selbst wurde die Inkompetenz britischer Kriegsführung in Übersee scharf attackiert. Obwohl in der zeitgenössischen Berichterstattung über die Plünderung Delhis Tendenzen vorherrschten, für die schlimmsten Plünderungen die Sikhs und Punjabis verantwortlich zu machen, mussten britische Offiziere zugeben, dass es ihnen nicht gelungen war, die Disziplin in den Reihen der eigenen Männer zu aufrechtzuerhalten. Innerhalb der Gesellschaft schieden sich angesichts dieser Tatsachen die Geister: Einerseits hatte die britische Armee hier nun, anders als im Krimkrieg, wo sie als Befreier gekommen war, die Rolle des Opfers im Namen von christlicher Mission und Zivilisierung, denn die Schlacht um Delhi wurde als Schlacht der „Gläubigen zwischen den Ungläubigen“ dargestellt, und unter den Vorzeichen einer imperialen Fortschrittsidee. Andererseits aber wurden speziell hier Stimmen der Kritik laut, die sich schon nach dem Krimkrieg gegen die neuen „bellizistischen“ Strömungen in der britischen Gesellschaft erhoben hatten. Sie wendeten sich gegen die britischen Besatzer, die vorschützten, im Namen der christlichen Zivilisation zu handeln und doch nur vor Ort ebenjene Ideale verrieten.

1.2 Britische Expansion im Namen von Freihandel und civilizing mission Durch die Berichterstattung über die Indian Mutiny, so kann man annehmen, waren die Blicke einer britischen Öffentlichkeit auf die Small wars gelenkt, die an verschiedenen Orten des Empires ausgetragen wurden. Tatsächlich steht die Kritik, die sich nach dem Krimkrieg und der Indian Mutiny am Krieg generell innerhalb der britischen Gesellschaft erhob, im Widerspruch zum zunehmenden militärischen Aufwand, der seit Regierungsantritt von Königin Victoria außerhalb Eu17 Tatsächlich wurde die Indian Mutiny als bedeutendstes Ereignis der Epoche betrachtet. Herbert, War of No Pity (2008), S. 2. Kriegsphotographie wurde 1860 noch nicht als Abbild der Realität verstanden sondern als „Pencil of Nature “, so Astrid Erll. Erll begründet dies mit der berühmtesten der Aufnahmen von Beato, die eine Abbildung des Secundra Bagh, eines kleinen von Mauern umgebenen Lustgartens am östlichen Stadcctrand von Lucknow zeigt, auf der deutlich Skelette der getöteten indischen Rebellen zu sehen sind.. Diese Aufnahme ist erst vier Monate nach der Wiedereroberung Lucknows 1857 entstanden, die abgebildeten Skelettteile müssen also offenbar herangeschafft und arrangiert worden sein. Erll, PrämediationRemediation (2007), S. 85.

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ropas betrieben werden musste. Die Befriedung des weltumspannenden Empires erforderte mehr und mehr Mittel, und so war das britische Heer, das bei Königin Victorias Amtsantritt 100.000 Mann stark war, um 1859 auf 237.000 Mann angewachsen, wovon die Hälfte in Übersee stationiert war. Auch wenn die britische Armee im Krimkrieg ein sehr schlechtes Bild abgegeben hatte, so bewährte sie sich anscheinend im kolonialen Kontext.18 Das Bild der Pax Britannica täuscht darüber hinweg, dass es tatsächlich während der gesamten viktorianischen Epoche keinen einzigen Monat gab, in dem britische Truppen nicht in irgendeinem Winkel der Erde in einen Krieg verwickelt waren, Kriege, die Rudyard Kipling später „the savage wars of peace“ nannte.19 Allein in den zwanzig Jahren vor dem Einsatz in China gab es neben dem Krimkrieg (1854–1856) und der Indian Mutiny (1857–1859) drei Feldzüge in Südafrika (1834–1835, 1846–1847, 1850–1853), den ersten afghanischen Krieg (1839–1842), den Opiumkrieg in China (1842), die beiden Sikh-Kriege (1845–46, 1848–1849) und den ersten Maori-Krieg (1845– 1847).20 Diese Kriege wurden zumeist im Namen des weltumspannenden Handels ausgetragen und mit einer christlich konnotierten civilizing mission verknüpft, die unbedingt auch den Einsatz militärischer Mittel rechtfertigte. Der innere Frieden und Wohlstand der mittelviktorianischen Ära beruhten in hohem Maße auf dem Außenhandel. Zwischen 1841 und 1872 vervierfachte sich der britische Export nach Übersee, und die Zeitgenossen waren uneingeschränkt der Meinung, dass das System des Freihandels die entscheidende Vorbedingung allen industriellen Fortschritts darstelle.21 Zur Sicherung des wachsenden Wohlstandes in Großbritannien war man aber mehr und mehr nicht nur auf die Rohstoffe angewiesen, die aus allen Teilen des Empires importiert wurden, sondern auch auf die Erschließung der übrigen Welt als Absatzmarkt für die eigenen Produkte. Deswegen wurde der Wunsch nach möglichst zollfreiem Zugang zu den großen Märkten in Asien, Afrika und Lateinamerika ein wichtiger Punkt in der britischen Außenpolitik, wobei in den vierziger Jahren der Schwerpunkt nach Asien rückte. Seit das Handelsmonopol der East Indian Company im Jahre 1833 zu Gunsten des Freihandels abgeschafft wurde, trat der britische Staat als Vertreter der Inter18 Beckett, The Victorians at War (2003), Introduction. Becketts Studie entwirft ein Panorama der Art und Weise der Kriegsführung, verschiedener Persönlichkeiten der viktorianischen Armee und ihrer Reputation. 19 Farwell, Queen Victoria’s Little Wars (1973), S. 1. 20 Insbesondere an den afghanischen Kriegen nahm Queen Victoria großen persönlichen Anteil. Taylor, Queen Victoria and India, 1837–1861, in: Victorian Studies Bd. 46:2 (2004), S. 264– 274. Eine chronologische Darstellung der größeren (auch der extrasystemischen, so nennt der Autor die Kriege gegen Nicht-Mitglieder des Staatensystems) Kriege im 19. Jahrhundert siehe in: Small/Singer, Resort to Arms (1982), S. 79. Sowohl der erste Opiumkrieg als auch der zweite Opiumkrieg allerdings werden nicht gelistet mit der Begründung, dass es unter 1000 Kriegstote gab. Siehe Small/Singer, Resort to Arms (1982), S. 330. 21 Trentman erklärt die hohe symbolische Bedeutung des Freihandels damit, dass der Endverbraucher in den Mittelpunkt des Interesses trat: Indem durch Öffnung des Marktes und sinkende Preise seine Bedürfnisse befriedigt werden konnten, konnten sich die Freihändler als sozial gerecht und demokratisch definieren. Trentmann, Free Trade (2008), S. 17.

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essen der britischen Händler auf, sowohl in Asien als auch in anderen Teilen der Welt. Bei der britischen Expansion und im Kampf um die Öffnung der Märkte ging es darum, die Abwehr der Staaten zu durchbrechen, die sich weigerten, sich in ein System des Freihandels eingliedern zu lassen, eine Einflussnahme auf ihre Machthaber anzustreben und Freihandelsverträge zu diktieren.22 Die Durchsetzung des britischen Freihandels wurde durch die Unterstützung der Marine ermöglicht, die im 19. Jahrhundert auf technologischem Gebiet führend war und weltweit über Häfen an strategisch wichtigen Positionen verfügte. Die Kriegsschiffe wurden punktuell zur Einschüchterung und zur Öffnung von Häfen verwendet und Methoden und Techniken der indirekten Herrschaft angestrebt (z.B. durch Manipulation der indigenen Eliten). Dabei wurde besonders darauf geachtet, dass die formale Herrschaft und die direkte Kontrolle nicht übernommen werden musste, um so zu vermeiden, dass eine teure Kolonialverwaltung eingerichtet werden musste. In diesem Zusammenhang ist auch die Öffnung Chinas für den Freihandel nach dem ersten Opiumkrieg 1842 zu sehen, ebenso wie alle bis 1860 folgenden Auseinandersetzungen zwischen Großbritannien und China.

1.3 Das Völkerrecht als Teil der Zivilisierungsmission und Kriegsrechtfertigung Vor der durchaus kritischen britischen und französischen Öffentlichkeit wurden diese außereuropäischen Kriege zunächst einmal durch die jeweils eigenen nationalen Interessen gerechtfertigt, denen man durch den Einsatz des Militärs Nachdruck verleihen wollte, also dem Freihandel und der christlichen Mission.23 Im Verlauf des 19. Jahrhunderts konnte man sich aber zunehmend auf ein Völkerrecht (International Law) berufen, das im Verlaufe des 19. Jahrhunderts, nicht nur in Europa, sondern mit der Ausdehnung des britischen Empires weltweite Verbreitung fand.24 Von diesem Völkerrecht, das das europäische Gesandtschaftsrecht und die europäischen Außenbeziehungen regelte, wurde ab Mitte des 19. Jahrhunderts als selbstverständlich angenommen, dass es allen weltweit existierenden politischen Systemen, also auch dem Qing-Reich, zugrunde läge und anerkannt würde.25 Offiziell galt, dass das Völkerrecht, das die Umgangsformen der

22 Osterhammel, China und die Weltgesellschaft (1989), S. 137ff. Siehe auch: Ders., Britain and China, 1842–1914, in: Porter (Hg.), The Oxford History of the British Empire, Bd. 3, The Nineteenth Century (1999), S. 147–169. 23 Zur schwierigen Rolle der Mission in Frankreichs Kolonialreich, allerdings für eine spätere Phase, siehe: Daughton, An Empire Divided (2006), S. 7ff. 24 Röben weist darauf hin, dass im Zuge des Aufstiegs der Nationalstaaten diskutiert wurde, ob das Völkerrecht angesichts des neu entstehenden Rechts der Nationalstaaten überhaupt Rechtscharakter habe. Röben, Johann Caspar Bluntschli (2003), S. 105. 25 Jörg Fisch weist darauf hin, dass man in Europa aber für den Fall Asiens schon seit dem 17. Jahrhundert davon ausging, dass es sich um ein Staatensystem handelte, auf dessen Souverä-

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neu entstehenden family of nations regeln sollte, als Speerspitze europäischer Zivilisation wirken sollte. Ebenso wie in Europa sollte auch bei der Anbahnung diplomatischer Beziehungen mit außereuropäischen Staaten Krieg vermieden werden. Die europäischen Armeen sollten, zum Schutz der Diplomaten mitreisend, dabei selbst beispielhaft wirken, und durch vorbildhaftes Verhalten zur Nachahmung des Völkerrechts und so zur Bildung einer natürlichen family of nations anregen. Insofern war das Völkerrecht Teil einer civilizing mission.26 Diese europäische Vorstellung einer family of nations wurde nicht überall begeistert aufgenommen, und Konflikte entbrannten meist dort, wo sich die anvisierten außereuropäischen neuen Mitglieder der family of nations oft berechtigterweise gegen die Durchsetzung europäischen Handelsinteressen oder die Etablierung eines Völkerrechts zur Wehr setzten. Eine Änderung der Konnotation des Begriffes des Völkerrechts zu Beginn des 19. Jahrhunderts machte es möglich, dass die europäischen Mächte sich über diese Weigerung außereuropäischer Staaten, der family of nations beizutreten, hinwegsetzen konnten, und trotzdem noch im Rahmen statthafter diplomatischer Gepflogenheiten handelten.27 Im Gegensatz zum 18. Jahrhundert, in dem das Völkerrecht als ein Naturrecht begriffen worden war, das die Gleichheit aller, und dementsprechend auch außereuropäischer Staatsgebilde beinhaltete, galt im 19. Jahrhundert als „gleichberechtigt“ nurmehr, wer nach abendländischen christlichen Wertmaßstäben als „gleichberechtigt“ betrachtet werden konnte (also eine ähnliche Religion oder Gesellschaftsstruktur vorweisen konnte).28 Unter dieser Prämisse konnten zahlreiche Kriege geführt werden mit der Begründung, dass sich die Angegriffenen weigerten, sich europäischen Vorstellungen unterzuordnen.29 Ebenso wie in Europa galt theoretisch im außereuropäischen diplomatischen Verkehr, dass, falls militärische Mittel angewendet werden müssten, diese eher punktuell angewendet werden sollten, zur nachdrücklichen Betonung der Durchsetzung der eigenen Interessen.

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nitätsrechte keine Rechte angemeldet werden konnte, weshalb es respektiert werden musste, Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht (1984), S. 482. Zur Entwicklung des International Law als Instrument des Informal Empire siehe: Horowitz, International Law and State Transformation, in: Journal of World History Bd. 15:4 (2005), S. 445–486. Weshalb Wehberg auch den Wiener Kongress, die Einrichtung von Gesandtschaften als eine Unterbrechung des eigentlichen Völkerrechtes begriff, das er als ein globales Naturrecht sah. Leonhard, Bellizimus und Nation (2008), S. 650 betont außerdem die Rolle der christlichen Werte bei der britischen Expansion und der Legitimierung der Kriege seit dem Krimkrieg. Anghie betont die Rolle der Interaktion mit den Kolonisierten (oder der „Dritten Welt“) bei der Entwicklung des Völkerrechts. Anghie, Imperialism, Sovereignty and the Making of International Law (2004), S. 3. Sein Hauptargument ist dabei, dass Kolonialismus zentral war für die Konstituierung des International Law insofern, als das International Law aus dem Versuch heraus entstand, eine legale Grundlage für die Beziehungen wischen Europa und der außereuropäischen Welt zu schaffen, und auch erst in der Interaktion mit den Kolonisierten entstand. Hierin liegt unter anderem Hevias These der pädagogischen Absicht des Informal Empire begründet. Hevia, English lessons (2003), S. 4.

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2 FRANKREICH: DAS SECOND EMPIRE, KRIEGSREZEPTION UND KOLONIALPOLITIK 2.1 Kriegswahrnehmung innerhalb Frankreichs Das Frankreich der 1850er Jahre stand im Zeichen der Erneuerung: Napoleon III. war nach der Gründung des Second Empire daran gelegen, sein Land nach den Umbrüchen von 1848 und 1851 gesellschaftlich zu stabilisieren und ihm wieder einen gleichberechtigten Platz unter den europäischen Großmächten zu verschaffen, wofür er die Anerkennung der anderen Staaten suchte. Sein Regime zwischen 1852 und 1859 war autoritär in der Grundhaltung und seine Gegner blieben entweder im Exil oder waren zum Schweigen verurteilt. Die Wiederherstellung einer autoritären aber stabilen Ordnung bewirkte zunächst einen wirtschaftlichen Aufschwung, sowie nachhaltige Veränderungen in der Außenpolitik: Industrieproduktion und Außenhandel nahmen rasch zu und vervielfachten sich. Entscheidende politische Unterstützung fand Napoleon III. beim Wirtschaftsbürgertum sowie der katholischen Landbevölkerung.30 Das ehrgeizige Projekt der Rückführung Frankreichs zur ursprünglichen Größe fand seinen Ausdruck nicht nur im Ausbau und in der Modernisierung der Stadt Paris, sondern auch in der persönlichen Prachtentfaltung Napoleons III. und seiner Gemahlin Eugénie. Baron Haussmann wurde beauftragt, Paris umzugestalten, die Straßen zu erweitern und zu vergrößern, Straßenbeleuchtung und Abwasserkanäle wurden modernisiert.31 Napoleon III. war auch daran gelegen, die unter seiner Herrschaft wieder hergestellte Rolle Frankreichs als „Schutzmacht der katholischen Kirche“ zu demonstrieren. Er ließ Notre-Dame de Paris renovieren, Missionstätigkeit wurde gestattet und auch zivile Würdenträger wandten sich wieder der Kirche zu und wurden in katholischen Prozessionen gesehen. Bei dieser Protegierung der katholischen Kirche ging es Napoleon III. auch darum, sich als Kaiser von Papst Pius IX. in Notre-Dame krönen und salben zu lassen.32 Der wirtschaftliche Aufschwung konnte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Napoleon III. in ganz Europa zahlreiche Kritiker hatte, und er die Kritik in Frankreich selbst durch verschiedene autoritäre Maßnahmen (unter anderem Pressezensur) beschränkte. Krieg wurde unter Napoleon III. zu einem Mittel, das es dem Regime ermöglichen sollte, seine Mission, die Wiederherstellung der früheren Größe der franzö30 Leonhard, Bellizismus und Nation (2008), S. 517. Allgemeine Darstellungen des Second Empire: Plessis, The Rise and Fall of the Second Empire (1985). Als Standardwerk gelten Price, The French Second Empire (2001), sowie Tombs, France 1814–1914 (1996). 31 Siehe hierzu Jordan, Transforming Paris (1995), S. 170f. Harvey relativiert die Bedeutung von Haussmann für die Modernisierung von Paris Harvey, Paris (2003), S. 9ff. 32 Tombs weist darauf hin, dass es im 19. Jahrhundert nicht gelang, These und Antithese des französischen nationalrevolutionären Erbes und der katholischen Tradition zu einem einheitlichen „Nationalismus“ zu verdichten, sondern dass beide Argumente gleichermaßen dazu verwendet wurden, um die Regierung anzugreifen. Tombs, Political Trajectory, in: Hirschhausen/ Leonhard (Hg.), Nationalismen in Europa (2001), S. 152.

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sischen Nation, zu erfüllen.33 Der Krimkrieg bot ihm Gelegenheit, Frankreichs Position innerhalb Europas neu zu definieren. Er begann als milde Auseinandersetzung zwischen Zar Nikolaus I. und Napoleon III. angesichts von Konflikten christlicher Kirchen in Palästina. Nikolaus beabsichtigte, eine Krise herbeizuführen, an deren Ende die Zerschlagung und Neuverteilung der Territorien des Osmanischen Reiches stehen sollte. Dies aber lief den Interessen Großbritanniens zuwider, das die Landroute nach Indien nicht durch einen Konflikt der europäischen Mächte gefährdet sehen wollte. Napoleon III. fand hier eine Gelegenheit, sich zu profilieren, entweder als Unterhändler zwischen Großbritannien und Russland oder als Alliierter an Großbritanniens Seite. Frankreich und Großbritannien schlossen sich zusammen, entsandten 1853 ihre Marine ins Schwarze Meer, um das bereits von Russland angegriffene Konstantinopel zu schützen. 1854 landete die alliierte Flotte auf der Krim und marschierte nach Sewastopol, der Basis der russischen Marine. Erst 1855 konnte Sewastopol nach langer Belagerung eingenommen werden. Der Sieg der Alliierten im Krimkrieg änderte die Position Frankreichs in Europa grundlegend. Die Allianz zwischen Großbritannien, Russland, Österreich und Preußen, die den ersten Napoleon besiegt hatte, zerbrach. Napoleon III. war 1856 Gastgeber der Pariser Friedenskonferenz, und erfreute sich von da an nicht nur eines gewissen Ansehens in Großbritannien, sondern konnte sich im Verlaufe der Friedenskonferenz auch noch das Vertrauen Russlands erwerben.34 Der Krimkrieg hatte außerdem gezeigt, dass das Second Empire über eine beachtliche und zunehmend professionalisierte militärische Infrastruktur verfügte, während insbesondere die britische Landarmee in Rückstand geriet und durch unzureichenden Drill und fehlende Ausrüstung ihre eigenen Ziele nicht erreichen konnte.35 Das führte zu einem Skandal in Großbritannien, wo man angesichts dieser militärischen Kompetenz jenseits des Kanals erneut Gefahr fürs eigene Land befürchtete. Weitere Pläne Napoleons III. sahen vor, die Marine zu modernisieren, 1857 gab er den Auftrag, seine Flotte so auszurüsten, dass sie moderner und wendiger sei als die britische. Nach dem Krimkrieg von vielen als „Retter Europas“ betrachtet, hatte Napoleon III. 1859 schon an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Seine Haltung im Krimkrieg und in dessen Folge hatte ihm insbesondere von England großen Respekt eingebracht. Aber sein unerwartetes Bündnis mit Italien ließ das alte Misstrauen wieder aufleben: Napoleon III. hatte sich 1858 mit Camillo Benso di Cavour, dem Premier des Königreiches Sardinien, verbündet und mit ihm einen Krieg geplant, dessen Ziel es war, Österreichs Herrschaft in Italien zu beenden und eine italienische Föderation unter französischem Protekto33 Leonhard, Bellizismus und Nation (2008), S. 518. Einen Überblick über die Entwicklung des Pressewesens im Second Empire gibt Bellet, Presse et Journalisme (1967), ohne allerdings auf die Pressezensur einzugehen. Die Klassifizierung der Presse und die Zensur bespricht Charle, Le Siècle de la Presse (2004), S. 91–95. 34 Tombs, Robert & Isabelle, That Sweet Enemy (2006), S. 359. 35 Während in der britischen Armee die Offiziersposten von Mitgliedern der Aristokratie besetzt wurden, rekrutierte die französische Armee im Second Empire mit zunehmender Professionalisierung der Ausbildung Bürgerssöhne als Offiziere für ihr Heer. Serman, Les origines des officiers français 1848–1870 (1979), S. 306.

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rat zu gründen. Zum Dank für die Hilfe sollte Napoleon III. Savoyen und Nizza erhalten.36 Im April 1859 begann er zusammen mit Cavour den Krieg gegen Österreich, den er gewann, woraufhin das Königreich Sardinien sein Territorium auf dem Festland erweitern konnte. Nicht nur in England, sondern auch in Frankreich selbst erlitt er aber dadurch einen Ansehensverlust: Das konservative Lager war irritiert durch das starke geeinte Italien, das Cavour Napoleon III. anstelle der schwachen und lenkbaren italienischen Föderation, die es erwartet hatte, präsentierte. Die Opposition hingegen billigte die Maßnahmen Napoleons III. zur Lockerung seines autoritären Regimes (Amnestie politischer Exilanten, Lockerung der Pressezensur) nur widerstrebend, und insgesamt war der französischen Öffentlichkeit unklar, welche Richtung der von Napoleon III. eingeschlagene Kurs nehmen sollte. Mit seiner Begeisterung für den Chinafeldzug stand Napoleon III. in Frankreich recht alleine.37 Zwar hatte sich die französische Armee im Krimkrieg bewährt und an Ansehen gewonnen, aber nach dem italienischen Abenteuer war man gegenüber den militärischen Ambitionen Napoleons III. eher skeptisch eingestellt. Auf große Kritik stieß auch das Verhalten der französischen Soldaten im Algerienkrieg und die Berichte aus Algerien wurden in der Öffentlichkeit mit Entsetzen aufgenommen. So war das Mittel des Krieges zwar einerseits Instrument Napoleons III., mit dem er sich Respekt zu verschaffen erhoffte, andererseits waren ebenjene Feldzüge ein Hauptargument der Kritiker seines Regimes.

2.2 Französische Expansion: Wirtschaftliche Interessen und Christliche Mission Was die weltweite Expansion Frankreichs betraf, so ließ sich die französische Präsenz in der Welt mit der der Briten nicht messen. Nach dem Wiener Kongress besaß Frankreich nur noch Martinique und Guadeloupe, Französisch Guyana, Saint Pierre und Miquelon im Atlantik, fünf Posten in Indien, die Insel Gorée und die Stadt Saint Louis im Senegal und die Insel Réunion in der Nähe von Madagaskar. Erst in den 1830er Jahren begann Frankreich mit dem Einmarsch in Algerien wieder, sich ein größeres Kolonialreich aufzubauen. Westafrika und Indochina folgten in den 1850er und 1860er Jahren.38 Bis 1848 konnte die Macht Frankreichs in außereuropäischen Gebieten allerdings nur zögerlich ausgebaut werden. Napoleon III. aber war ein aktiver Verfechter der überseeischen Expansion, er träumte davon, „neue Wege für den Handel und neue Märkte für europäische Waren“ zu erschließen, und „den Prozess der Christianisierung und Zivilisierung

36 Siehe hierzu Echard, Napoleon III and the Concert of Europe (1983), S. 107–128. 37 Garnier, Dictionnaire Perrin (2004), S. 215. 38 Quinn, The French Overseas Empire (2000), S. 107ff. Siehe auch: Aldrich, Greater France (1996), ab S. 24. Einen Überblick über jüngere Werke zur französischen Kolonialgeschichteund -politik im 19. Jahrhundert gibt Aldrich, Imperial mise en valeur and mise en scène, in: The Historical Journal Bd. 45:4 (2002), S. 917–936.

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zu beschleunigen“ was allseits kritisch betrachtet wurde. Dabei war sein Interesse an einer französischen Expansion etwas anders gelagert als die Prioritäten der Briten.39 Für ihn war dabei neben dem Freihandel der Ausbau von Frankreichs Machtposition im Konzert der Mächte Europas und weltweit von Bedeutung. Anders als die Briten, die neben einigen anderen Formen der kolonialen Herrschaft vor allem auf das Prinzip der indirekten Herrschaft setzten, war Napoleon III. für eine Kolonialpolitik der direkten Herrschaft offen, die ebenjenes Interesse förderte, nannte sich „Kaiser der Franzosen und Araber“ und verfolgte den französischen Machtausbau in Indochina und Westafrika. Das französische Interesse in Ostasien lag in dieser frühen Phase des Kolonialismus in Indochina, wobei es die katholische Kirche war, die im Namen Frankreichs in Vietnam Missionen gründete, als dass es sich um eine aktive Expansionspolitik Frankreichs gehandelt hätte. In Konkurrenz zu Großbritannien, das 1842 Hongkong eingenommen hatte, verstärkte sich das Interesse an einem Handelsstützpunkt in Südostasien. Die Staaten Indochinas (Cochinchine, Annam und Tongkin) boten sich da mit ihren bereits vorhandenen französisch-katholischen Missionen an. Vietnam hatte dabei noch einen weiteren Vorteil: Bislang von den Briten noch unberührt, war es durch das Tributsystem mit dem Qing-Hof verbunden (zwischen 1802 und 1840 waren zwölf vietnamesische Tributmissionen an den Qing-Hof gereist). Eine Annektierung Vietnams hatte somit nicht nur den Vorteil einer Basis in Südostasien, sondern bot auch Gelegenheit, den Absatz- und Handelsmarkt des chinesischen Reiches für Frankreich auf einer Route zu erschließen, die bislang noch nicht von britischen Händlern genutzt wurde.40 Als Förderer der christlichen Mission entsandte Napoleon III. 1855 Montigny nach Siam, Kambodscha und Vietnam, um diplomatische Beziehungen mit dem Hof von Hué aufzunehmen. Diese Mission war erfolglos, und nach einem Konflikt mit dem König Tu Duc (1848–1883), der die Verfolgung französischer Missionare gestattete und den spanischen Monsignore Diaz enthaupten ließ, setzten sich Mgr Pellegrin und Mgr Huc in Paris für die Entsendung einer militärischen Expedition nach Vietnam ein. Napoleon III. schlug die Errichtung eines Protektorates über Cochinchine vor, und 1857 kam eine Kommission in Paris zum Schluss, dass dies notwendig und wünschenswert sei.41 1858 erreichte der Admiral Rigault de Genouilly mit 2300 Mann Tourane, ausgestattet mit sehr vagen Handlungsanweisungen von seiner Regierung, und traf nicht etwa, wie angenommen, auf viele Christen, die auf ihn als Befreier von der Macht des Tyrannen gewartet hätten, sondern auf ein verhandlungsunwilliges Regime. Im Kontext des Zweiten Opiumkrieges nahm er 1858 mit einem durch Krankheit dezimierten Heer Tourane ein, im Februar 1859 Saigon. Wegen des anhaltenden Krieges wurde er zunächst nach Kanton beordert, und die „Eroberung Indochinas“ wurde erst im Oktober 1860 von Admiral Charner fortgesetzt, nachdem der Feldzug gegen China beendet war. In39 Für eine bibliographische Darstellung der Außenpolitik des Second Empire siehe: Echard, Foreign Policy of the French Second Empire (1988). 40 Vgl. Brocheux/Hémery, Indochine (1995), S. 13. 41 Cooper, France in Indochina (2001), S. 13.

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dochina blieb im Verlauf des Second Empire die Basis für den Chinahandel Frankreichs. Auch in China förderte Napoleon III. insbesondere die christliche Mission.42 Im Jahre 1848 wurde die Société des Missions Etrangères in Paris damit beauftragt, die Mission in China zu übernehmen. 1851 hatten in Kanton bereits 115 Erwachsenentaufen stattgefunden, bis 1854 gab es 214 Taufen.

2.3 Die Rivalität Großbritanniens und Frankreichs „The alliance with the French was unpopular with the officers and the community in Hongkong, and they were quick to believe rumours that it was about to break down“ – so beurteilte der britische Politiker, Diplomat und Schriftsteller Douglas Hurd die Lage im Zusammenhang mit dem Chinafeldzug 1860.43 Er bezog sich damit auf die Situation in Hongkong, unmittelbar vor Beginn des Feldzuges 1860, als die Soldaten beider Großmächte schon bereit zum Aufbruch nach Nordchina waren. Bei einer gemeinsam auszurüstenden Expedition nach China müssen im Falle Großbritanniens und Frankreichs nicht nur die getrennten Erfahrungen bezüglich Plünderungen und innenpolitischer Situation berücksichtigt werden, sondern auch die Rivalität zwischen den beiden Ländern.44 Diese hatte sich vor allem im 18. Jahrhundert im außereuropäischen Bereich bemerkbar gemacht, etwa in Indien oder Nordamerika und zeigte sich auch im 19. Jahrhundert bei fast allen außenpolitischen Aktivitäten in einer Art Wettbewerb. Allerdings hatten vor allem die Bemühungen Napoleons III. dazu beigetragen, dass sich im Verlaufe der 1850er Jahre die Beziehungen relativ entspannt hatten. Er hatte Stationen seines Lebens im britischen Exil verbracht, galt als Englandfreund und war seit 1841 zumindest privat mit der Familie von Queen Victoria befreundet. Großbritannien hingegen hatte die Jahre der Revolution zwar auch als krisenhaft erlebt, aber ohne einen revolutionären Umsturz überstanden.45 Es setzte sich ab vom übrigen Europa, was sein Selbstverständnis in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts entscheidend formen sollte. Als Napoleon III. 1852 das Second Empire begründete, wurde er von der anderen Seite des Kanals kritisch beäugt, wobei sich die neu entstehende Frankophobie der Briten kaum mehr von derjenigen der kritischen, von Napoleon III. exilierten Franzosen unterschied.46 Britische Skepsis herrschte unter anderem angesichts der Tatsache, dass Louis Napoléon sich Napo42 Zur Geschichte der französischen Mission in China: Wei Tsing-Sing, La Politique missionnaire de la France en Chine 1842–1856 (1960). 43 Hurd, Arrow War (1967), S. 207. 44 Tombs, Robert & Isabelle, That sweet enemy (2006) stellt im Wechsel die jeweilige französische oder britische Perspektive dar. Für eine ganze Geschichte der Anglophobie in Frankreich und ihrer Spezifik siehe Guiffan, Histoire de l’anglophobie (2004), mit einem Kapitel zum ambivalenten Verhältnis im 19. Jahrhundert: L’Anglophobie face à L’Anglomanie (1815– 1904), in: Guiffan, Histoire de l’Anglophobie (2004), S. 109–152. 45 Tombs, Robert & Isabelle, That sweet enemy (2006), S. 351. 46 Dies., That sweet enemy (2006), S. 361.

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leon III. nannte, was in den Verträgen von 1815 eigentlich verboten worden war und dazu führte, dass britische Konsuln in Frankreich angewiesen wurden, nach Anzeichen zu suchen, die darauf hinwiesen, dass Napoleon III. eine Invasion in Großbritannien vorbereitete. Auch nach dem Krimkrieg blieb das britischfranzösische Verhältnis angespannt und stand bald darauf schon wieder wegen des Engagements Napoleons III. in Italien vor einer Krise. Dies besserte sich auch nicht, als das britische Königspaar bei einem Besuch in Cherbourg gewahr wurde, dass die französische Marine mit der eisenbewehrten Gloire über ein durchaus konkurrenzfähiges Kriegsschiff verfügte. Vielmehr erweckte es in Großbritannien weiteres Misstrauen und setzte zudem ein ausgesprochen kostspieliges Wettrüsten in Gang. Trotz dieser Spannungen agierten Großbritannien und Frankreich aber auch zusammen, wie zum Beispiel im Krieg in China im Jahre 1860, und planten sogar, sich eventuell in den Amerikanischen Bürgerkrieg einzumischen, wobei auch diese Planungen immer von der Möglichkeit eines drohenden Krieges gegeneinander überschattet waren, was sicher nicht nur an der antifranzösischen Grundhaltung Lord Palmerstons lag.47 Angesichts dieser Lage in Europa ist anzunehmen, dass die britisch-französischen Rivalitäten während des Chinafeldzuges mehr waren als nur die zwischen befreundeten Regimentern übliche Rivalität. Tatsächlich wurden auf britischer Seite in einem Geheimdokument Absprachen darüber getroffen, wie man sich zu verhalten habe für den Fall, dass es während des Chinafeldzuges zu einem Krieg zwischen Großbritannien und Frankreich käme.48

3 KRIEG UND KONVENTIONEN DES PREIS- UND BEUTEVERFAHRENS INNERHALB EUROPAS 3.1 Preis, Beute und Plünderung als kulturelle Praxis Während die im 19. Jahrhundert gebräuchliche Auslegung des Völkerrechtes 1860 zwar den Einsatz militärischer Mittel zur Durchsetzung diplomatischer Ziele im Ausland gestattete, existierten noch keine internationalen Abkommen zur außereuropäischen Praxis der Kriegsführung oder zum Alltag des Landkrieges vor Ort. Bestehende gesetzliche Regelungen, beispielsweise die britischen Kriegsartikel oder die französische Landkriegsordnung waren, im Unterschied zum Priseverfahren auf hoher See, welches ein traditionell bedeutendes Thema der britischen Rechtsprechung war, nur mehr dürftige, nicht sehr aussagekräftige Schriften.49

47 Tombs, Robert & Isabelle, That sweet enemy (2006), S. 364. 48 RA VIC/J/79/27, 10. Mai 1860, Russell an Elgin. 49 Während des gesamten 19. Jahrhunderts wurde das Völkerrecht und sein Wesen eingehend diskutiert, als Beispiel sei der Briefwechsel zwischen Francis Lieber und Johan Caspar Bluntschli genannt. Die Diskussion zur Bedeutung von Völkerrecht siehe in: Röben, Johann Caspar Bluntschli (2003), S. 83–104. Auch Colombos, Treatise on the Law of Prize (1926) befasst sich mit den unterschiedlichen Priseverfahren europäischer Nationen aber nur für Beute,

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Erst 1899 gelang es, Regeln und Gesetze für den Landkrieg bei der Konferenz in Den Haag, an der alle souveränen Staaten Europas sowie China, Japan, Mexiko, Siam, Persien und die Vereinigten Staaten teilnahmen, in 60 Kriegsartikeln international zu kodifizieren. Das Haager Landkriegsabkommen wurde 1907 in einer zweiten Friedenskonferenz noch einmal unwesentlich geändert und dann übernommen.50 Der gesetzliche Handlungsrahmen, über den die Befehlshaber eines außereuropäischen Kriegszuges 1860 verfügten, war also recht unscharf definiert. Er bestand aus einer bestehenden europäischen (britischen oder französischen) Gesetzesvorlage, wurde ergänzt durch aus in anderen Kontexten erworbenen praktischen Erfahrung oder wurde gelegentlich, bei Notwendigkeiten, die sich aus einer unerwarteten Situation (wie sie permanent im Kriege auftreten) heraus ergeben hatten, kreativ ausgelegt. Die gesetzliche Regelung des Kriegsalltages vor Ort umfassten dabei im Wesentlichen nicht nur die Regelung der eigentlichen militärischen Aktionen, sondern auch das Verhalten der Armee gegenüber der Zivilbevölkerung, sowie Versorgung und Transport der Truppen und des Trosses. Enteignungen der Zivilbevölkerung und Plünderungen, auf die im Nachfolgenden eingegangen werden soll, waren dabei an der Tagesordnung. Unter „Plünderung“ wird zunächst ein Akt verstanden, bei dem auf ungesetzliche Art und Weise und indem man sich die chaotischen Umstände des Kriegszustandes zunutze macht, Gegenstände entwendet werden. Obwohl diese Aktivität als barbarisch und unorganisiert erscheint, der „unverbesserlich gierigen“ Natur des Menschen zugeschrieben werden kann und in allen Kulturkreisen vorkommt, erweist sich bei näherer Beobachtung, dass derlei Raub in den meisten Fällen und Kulturkreisen gesetzlich sanktioniert und geregelt war und zudem gewisse Funktionen erfüllte.51 Es lässt sich als durchgängiges Muster erkennen, dass die „Plünderpartei“ darum bemüht war, die im Kriegsfall vorkommende Plünderung als moralisch und gesetzlich akzeptable Praxis zu deuten, die sich vom Diebstahl unterscheidet. Dazu gehört beispielsweise die unterschiedliche Klassifizierung von Enteignungen als „bezahlter Requirierung“ (z.B. Verpflegung für die Armee und Transportmittel), echter „Plünderung“, also widerrechtlicher Aneignung von Bedie auf hoher See gemacht worden ist. China verfügt erst seit 1917 über einen Prize Court, der von der westlichen Gemeinschaft als „adäquat“ anerkannt ist, siehe S. 26. 50 Siehe eine Darstellung, wie im Völkerrecht Staatsstreitigkeiten gehandhabt werden, bei Liszt, Völkerrecht (1918), S. 238ff. Friederike Pabst weist darauf hin, dass beim Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom 18. 10. 1907, Anlage: Ordnung der Gesetze und Gebräuche des Landkriegs (Haager Landkriegsordnung), RGBI. 1910, S. 107, lediglich Regelungen zum Schutz von Gebäuden, die dem „Gottesdienst, der Kunst oder der Wissenschaft gewidmet waren“ (Haager Landkriegsordnung, Artikel 27) vereinbart wurden. Erst die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut in bewaffneten Konflikten von 1954 schließt auch bewegliche Güter ein. Pabst, Kulturgüterschutz in nicht-internationalen bewaffneten Konflikten (2008), S. 58. Zu den Haager Konventionen von 1907 siehe auch Buhse, Schutz von Kulturgut (1959), S. 3–10. 51 Die Bezeichnung von Plünderung als „kultureller Praxis” ist einem Aufsatz von Richard Davis entnommen, Davis, Three Styles in Looting India, in: History and Anthropology Bd. 6: 4 (1994), S. 293–317.

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sitz der feindlichen Partei, und „Preis“, also kriegsrechtlicher Aneignung unbezahlter Güter. Diese Praxis war dabei um diejenigen herum organisiert, die politisch und religiös als Autorität galten Plünderungen wurden unterschiedlich begründet: Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten waren Enteignungen manchmal notwendig, um den Krieg durchzuführen und zu finanzieren.52 Plünderung und Enteignung als „symbolische Handlung“ allerdings dienten aber auch dazu, asymmetrische politische Beziehungen und unterschiedliche kulturelle Hegemonien herzustellen Bedeutend ist hierfür nicht nur der Akt der Enteignung, sondern insbesondere der Umgang mit dem Plündergut und dem Preis nach dem Feldzug (beispielsweise Ausstellung im Metropolland).53

3.2 Informelle europäische Regeln zu Preis, Beute und Plünderung Die Aussicht auf Beteiligung an der Beute eines Kriegszuges als Teil des Soldes war für Söldner, sowohl im Land- als auch im Seekrieg stets Anreiz, an einem Krieg teilzunehmen und das Beuterecht wurde noch bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts unbedingt anerkannt.54 Plünderungen und Raub schädigten dabei oft nicht nur die feindliche Zivilbevölkerung und den feindlichen Kriegsherrn, sondern auch die eigene Armee, weshalb es feste Regeln zur Kontrolle von Plünderung gab. Diese Regeln legten genau fest, wer Freund und Feind war. Außerdem wurde geregelt, wann der richtige Zeitpunkt zur Plünderung sei, was rechtmäßige Beute war und was Diebesgut. Sie waren in sogenannten „Kriegsartikeln“ niedergelegt, auf welche die Soldaten einen Eid ablegen mussten. Diese Kriegsartikel wurden den Soldaten zusätzlich jeweils vor der Schlacht vorgelesen, ansonsten im Abstand von sechs Monaten. Grundlage aller Plünderregeln- und gesetze sind, davon wird hier ausgegangen, die Definitionen der Begriffe von „Feind“, „Beute“, und „Plünderung.“ Als „Feind“ galt in der mittelalterlichen Fehde, wer Schaden verursacht hatte. Die geschädigte Partei zog gegen ihn zu Felde, um Wiedergutmachung zu erlangen. Auch noch im Dreißigjährigen Krieg galt als Feind nicht nur der eigentliche Gegner (z.B. der oberste Kriegsherr) sondern auch dessen Untergebene. Wer in den Status eines „Feindes“ geraten war, hatte kein Anrecht auf Unversehrtheit mehr, durfte bekämpft, beraubt und ausgeplündert werden. Das von ihm erbeutete 52 So ist das Thema der Plünderung Forschungsgegenstand der Wirtschaftsgeschichte (siehe hier beispielsweise Redlich, De Praeda militari (1956) aber auch der Soziologie und Religionsgeschichte, z.B. Hevia, Loot’s Fate. The Economy of Plunder and The Moral Life of Objects „From The Summer Palace of The Emperor of China“, in: History and Anthropology Bd. 6:4 (1994), S. 319–345 und Davis, Three styles in looting India, in: History and Anthropology Bd. 6:4 (1994), S. 293–317. 53 Davis, Three Styles in Looting India, in: History and Anthropology Bd. 6:4 (1994), S. 294. 54 So rekrutierte noch 1864 die 13th (Prince Alberts Own) Light Infantry mit dem Slogan: „Honours, Promotions, Rewards & Immense Sums of Prize Money Fell to the Lot of These Heroes,” Gregorian, Unfit for Service, in: South Asia Bd. 13:1 (1990), S. 64.

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Raubgut stellte zum einen eine Reparationszahlung dar, zum anderen wurden daraus eventuell angeworbene Söldnerheere bezahlt. Erst später wurde unterschieden zwischen „Feinden“ (also Söldnern im Dienste des befeindeten Staates), und einer „Zivilbevölkerung“, die zwar Untertanen des obersten feindlichen Kriegsherren waren, aber doch nicht direkt in den Krieg involviert waren, weshalb sie Anspruch auf Schonung hatten. Die Schädigung der Zivilbevölkerung (z.B. Vergewaltigung von Frauen, das Töten von Kindern) oder des falschen Feindes wurde im Zuge dieser Entwicklung Straftatbestand und schwer geahndet. Der richtige Zeitpunkt der Plünderung war von größter Wichtigkeit und daher auch gesetzlich festgelegt. Prinzipiell durfte erst dann geplündert werden, wenn vom kommandierenden Offizier ein Signal dafür gegeben wurde (z.B. wenn die Schlacht gewonnen war).55 Was außerhalb des zur Plünderung bezeichneten Zeitraumes geraubt wurde, galt als Diebstahl, wofür man vor ein Kriegsgericht kam, des Hochverrates angeklagt und entsprechend bestraft wurde. In diesem Zusammenhang entwickelten die potentiellen „Opfer“ einer Plünderung,(z.B. die zivile Bevölkerung einer Stadt) gewisse Präventionstechniken, die es ihnen ermöglichten, vor dem offiziellen Plündersignal mit den Angreifern zu verhandeln. Bei diesem Verfahren, der „Brandschatzung“, kamen angesichts der feindlichen Truppen Abgesandte der Stadtregierung vor das Tor, um mit den gegnerischen Anführern einen Preis zu vereinbaren, bei dessen Auszahlung die Stadt von Überfall und Plünderung verschont bliebe. Etwas schwieriger zu definieren war die Frage der „Beute“ und deren Eigentümerschaft: Was durfte während einer Plünderung erbeutet werden, was galt als tabu? Zunächst galt ein Gegenstand dann als Kriegsbeute, wenn er hinter die eigenen Schlachtenlinien transportiert worden war, ohne dass für die beraubte Seite Hoffnung bestand, sie jemals wieder zurückzuerobern. Bis nach dem Dreißigjährigen Krieg galt, dass vor allem bewegliche Gegenstände geplündert werden durften, also das, was in Gärten und auf Feldern wuchs, außerdem Vieh, alles Dinge, die die marodierenden Landsknechtstruppen zur Selbstversorgung benötigten oder sich zur Bereicherung aneigneten. Besondere Regelungen galten für militärische Ausrüstungen, Waffen und Munition sowie für Insignien militärischer Macht. Diese Art von Beute wurde Preis genannt und war tabu, weil sie von vornherein dem obersten Kriegsherrn zustand, der, wie im Falle Englands, zunächst der Eigentümer allen Plündergutes war. Die Aneignung von unrechtmäßiger Beute, also Preis, durch unbefugte Soldaten wurde gleichfalls als Hochverrat geahndet.56

55 Redlich, De Praeda Militari (1956), S. 9. 56 Die Frage nach der Unterscheidung der Begriffe „Preis“ und „Beute“ ist schwierig zu beantworten. Hier beschreibt „Beute“ alle Gegenstände noch vor ihrer Klassifizierung (Beute kann also auch Preis beinhalten, oder gestohlene Güter), während „Preis“ nur für die Beute verwendet wird, die für die Soldaten tabu ist. Für eine Definition der Gegenstände, die als Beute im 19. Jahrhundert galten siehe: Wehberg, Das Beuterecht im Land- und Seekriege (1909), S. 17–36. Daraus geht auch klar hervor, dass Kirchen und sonstige Einrichtungen, die dem Wohle der Zivilbevölkerung dienen, tabu blieben. Siehe auch: Hatschek/Strupp, Wörterbuch (1924), S. 137.

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Die Beendigung einer Plünderphase war mit eine der schwierigsten Aufgaben eines Generals, denn die Aussicht auf schnelle Bereicherung stellte immer eine große Gefahr für die Truppendisziplin dar. Es bestand zum einen das Risiko, dass die Soldaten nach einem Raubzug nicht mehr diszipliniert werden konnten und die Armee somit an Schlagkraft und Wert verlor.57 Zweitens konnte es sein, dass die Soldaten, die sich bereichert hatten, mit ihrer Beute die Flucht antraten und desertierten, was die Armee dezimierte. Drittens bestand die Gefahr, dass unzuverlässige Soldaten zu plündern begannen, bevor eine Stadt gewonnen war und so die friedliche oder auch gewaltsame Einnahme der Stadt gefährdeten. Oftmals wurde auch das Umfeld eines Kriegsschauplatzes auf eine Art und Weise geplündert und zerstört, dass der Nachschub nicht mehr gesichert war.58 Daher gab es unterschiedliche Möglichkeiten, einen Feldzug zu beenden, zum Beispiel durch ein Signal. Es gab aber auch die Möglichkeit die Truppen plündern zu lassen, bis der nächste Kriegseinsatz bevorstand. Änderungen im Plünderwesen im Wandel der Zeiten waren immer mit Bestrebungen verbunden, die Disziplin der Truppen zu stärken und einschätzbarer zu machen. Als sich nach dem Dreißigjährigen Krieg die als Privatunternehmen betriebenen Söldnerheere auflösten und sich zu stehenden Heeren im Staatsdienst entwickelten, galt als Feind nur noch der oberste Kriegsherr des Gegners und nur, was von ihm genommen wurde galt als rechtmäßiges Plündergut. Die Heere wurden über ein Magazin- und Nachschubsystem versorgt, so dass es nicht mehr notwendig war, sich „vom Land“ zu ernähren. Idealerweise (was sich in der Praxis nicht immer durchsetzen ließ) war damit die Zivilbevölkerung unter besonderen Schutz gestellt.59 Ziellose Plünderung und Zerstörung bei Durchquerung neutralen Feindeslandes wurde verboten, ebenso der Diebstahl von Milchkühen und Ackerbaugeräten, die Plünderung von Gärten und die Schädigung von Zivilisten.60 Auch Kirchen, Schulen und Krankenhäuser wurden unter Plünderverbot gestellt. Zur Aneignung freigegeben waren Waffen, Munition und Vorratslager zur Heeresversorgung. Diese Gegenstände galten als rechtmäßige Beute, also als Preis, waren aber nach wie vor zunächst Eigentum des Souveräns (des Königs, Generals oder obersten Kriegsherren) und somit tabu für den gemeinen Soldaten.61 Als Preis, der ebenso nicht in die Hände gemeiner Soldaten fallen sollte, galten ebenso militärische Insignien mit symbolischem Wert wie z.B. Flaggen, Standarten, Kesselpauken. Bei Ablieferung dieser Gegenstände erhielten die Soldaten eine finanzielle Entschädigung, ein „Prisengeld.“ Damit sollte verhindert werden, dass sie mit ihrer Beute desertierten. Wenn der König diese Kriegsbeute nicht für sich bean57 Bröckling, Disziplin (1997), S. 53, S. 328. 58 Redlich, De Praeda Militarii (1956), S. 62. 59 Hatschek/Strupp, Wörterbuch (1924), S. 137: „Die Neigung der Theorie geht dahin, alle Gegenstände auszuschließen, die nicht unmittelbar militärischen Zwecken dienen.“ 60 Siehe Hatschek/Strupp, Wörterbuch (1924), S. 138ff. Wehberg, Das Beuterecht im Land- und Seekriege (1909), S. 18. 61 Britisches Kriegsrecht war außerdem festgelegt in: Statutes of the United Kingdom of Great Britain and Ireland, George III (1814), Bd. 54, S. 328–351; 1&2 George IV (1821), Bd. 61, S. 210–211, 2&3 William IV (1832), Bd. 72, S. 236–259. Hevia, English lessons (2003), S. 83.

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spruchte, was in den meisten Fällen geschah, wurde sie vom Kommandanten nach bestimmten Regeln aufgeteilt.62 Den Hauptanteil an der Beute erhielten die Offiziere, entsprechend ihrem Dienstgrad und Alter erhielten aber auch die gemeinen Soldaten einen Anteil. Ausschlaggebend für die Höhe des Beuteanteils war neben dem Dienstgrad auch, wie viel Eigenkapital die Soldaten in den Krieg mit einbrachten. Berittene Soldaten, die selbst für ihre Pferde aufkamen, erhielten beispielsweise doppelt soviel Sold wie die Infanteristen.63 Um den ordnungsgemäßen Ablauf zu gewährleisten war dem Heer ein Beutemeister beigegeben, der definierte, was Preis, was Beute, was illegales Plündergut sei. In dem Maße, in dem der Staat mehr und mehr Kontrolle über das Heer erlangte, wurde angestrebt, Plünderung aus dem Repertoire der Kriegsführung zu eliminieren. Der moderne Staat als oberster Kriegsherr konnte mit seinen regelmäßigen Steuereinnahmen käuflich erwerben, was für die Ausstattung einer so großen Armee notwendig war, und durch die Einrichtung von Militärakademien Disziplin und Ausbildung der Soldaten kontrollieren und verbessern. Im 18. Jahrhundert setzte sich die Auffassung durch, dass insbesondere die Zivilbevölkerung geschont werden müsse und Krieg nur noch zielgerichtet, schnell und unblutig geführt werden dürfe. Als Feinde wurden nun Staaten begriffen, Gewaltanwendung war im Krieg nur dann erlaubt, wo andere Mittel versagten.64 Insbesondere durch englischen Einfluss ergab sich die neue Regelung, dass Güter von Zivilpersonen, die zu Kriegszwecken verwendet werden konnten, also Waffen, Lebensmittel, und Transportmittel nur gegen Bezahlung requiriert werden durften.65 Insignien militärischer Macht ebenso wie Kulturgüter behielten dabei wegen ihres hohen symbolischen Gehalts ihre Sonderrolle und blieben für den gemeinen Soldaten tabu. Auch der letzte Akt einer „feindlichen Einnahme“, nämlich das Eindringen in das „Allerheiligste“, den Sitz des geflohenen Königs oder Herrschers blieb den Gemeinen verwehrt und wurde in der Regel nur von Offizieren praktiziert.66

3.3 Plünderregeln im 19. Jahrhundert und der Umgang mit Kulturgut Nach der Niederlage Napoleons I. wurden zumindest für Europa die Plünderung betreffende allgemeingültige Gesetze beschlossen, die den Umgang nicht nur mit 62 Dieses Recht des Königs blieb auch noch bei der Indian Mutiny bestehen und war einer der bürokratischen Gründe für die Auswüchse der Plünderung. Gregorian, Unfit for Service, in: South Asia Bd. 13:1 (1990), S. 66. 63 Redlich, De Praeda Militari (1956), S. 41. 64 Jenschke nennt als Wegbereiter der Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Eigentum, zwischen Privatpersonen und dem Staat Jean-Jacques Rousseau. Darüberhinaus nennt er Rousseau grundlegend für den Schutz von Kulturgütern im bewaffneten Konflikt Jenschke, Der völkerrechtliche Rückgabeanspruch (2005), S. 119. 65 Hatschek/Strupp, Wörterbuch (1924), S. 138. Zu diesem Beschlagnahmungsrecht siehe auch: Liszt, Völkerrecht (1918), S. 312. 66 Wescher, Kunstraub (1976), S. 1.

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Dingen, die eine Armee zur Versorgung brauchte, sondern auch mit Kulturgütern der feindlichen Seite regelte. Auf dem Wiener Kongress 1815 wurde die Rückführung eines Teils der von Napoleon ausgeführten Kulturgüter angeordnet, gleichzeitig wurde ein generelles Plünderungsverbot von Kunstgegenständen im Landkrieg beschlossen, das erstmals im multilateralen Verhältnis rechtliche Anerkennung fand. Dabei blieb allerdings das Recht auf Preis, also auf Gegenstände, als deren Besitzer das feindliche Staatswesen gelten musste, unberührt und bestehen.67 Preis- und Beuterecht der britischen Landarmee waren weiterhin im Mutiny Act and Articles of War geregelt, die sowohl im Krieg wie auch im Frieden gültig waren, während die Regeln zur allgemeinen Kriegsführung für die französische Landarmee 1832 festgelegt wurden.68 Für den Seekrieg wurde in Folge des Krimkrieges um die Mitte des 19. Jahrhundert mit dem Frieden von Paris am 30.März 1856 ein allgemeingültiges Prisenrecht für die Seefahrt und den Seekrieg beschlossen.69 Die Vergabe von Preis und Beute blieb ein unanfechtbares Privileg der Krone.

4 KONVENTIONEN DER KRIEGSFÜHRUNG AUSSERHALB EUROPAS: PRAKTISCHE ERFAHRUNG UND DIE ENTWICKLUNG UNTERSCHIEDLICHER STILE DER ANWENDUNG Bis in die 1850er Jahre bildeten sich im Kolonialkrieg unterschiedliche britische und französische Stile der Kriegsführung und der Kriegspraxis heraus. Diese unterschiedlichen kulturellen Muster waren von den vor Ort gemachten Erfahrungen geprägt, von den Gegebenheiten des Ortes und von dem Widerstand, den die einheimische Bevölkerung den feindlichen Armeen entgegenbrachte.70 Obwohl jeder Kolonialkrieg seine Eigenheiten aufwies gibt es Indizien dafür, dass sich spezifisch französische und britische Eigenheiten aus den praktischen Kriegserfahrungen entwickelt haben, die einen unterschiedlichen Kriegsstil erkennbar machen. Dies bezieht sich auch auf unterschiedliche Systeme des Preisverfahrens. Die praktischen Erfahrungen (z.B. in Indien oder Algerien) wurden zur Gewohnheit und fanden immer wieder in neuen kolonialen Kontexten Anwendung. Wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen werden, bezogen sich die Unterschiede nicht 67 Jenschke, Der völkerrechtliche Rückgabeanspruch (2005), S. 128. Zum Rückgabeverfahren siehe Saunier, Les Conquêtes Artistiques (1902), S. 85ff. 68 Gregorian nennt hier: Great Britain, War Office, The Mutiny Act and Articles of War (Edition von 1842), Gregorian, Unfit for Service, in: South Asia Bd. 13:1 (1990), S. 66. Die Gesetze, die die Verordnung zur Todesstrafe bei ungesetzlicher Plünderung vorschreiben finden sich auch bei Hough, Practice of Court Martials (1825), S. 309. für die französische Armee siehe Porch, Douglas, The French Army Law of 1832, in: The Historical Journal Bd. 14:4 (1971), S. 751–769. 69 Zur Seerechtsdeklaration siehe Liszt, Völkerrecht (1918), S. 19. 70 Die Frage nach dem Widerstand der Einheimischen bei der Anpassung an Kriegsstrategien wurde bis jetzt noch sehr wenig gestellt. Eine Ausnahme ist aber Moreman, Army in India (1998).

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nur auf die ökonomische, sondern vor allem auch auf die Sphäre, in der Plünderung als „symbolische Handlung“ oder kulturelles Muster wahrgenommen wird.

4.1 Das britische Preis- und Beuteverfahren (Beispiel Indien) Entgegen dem Trend in Europa, wo das Beuterecht des gemeinen Soldaten Anfang des 19. Jahrhunderts abgeschafft worden war, wurden Preis und Beute für den Dienst außerhalb Europas auch in den 1860er Jahren noch ausgelobt.71 Nur unter Anreiz finanzieller Vergütung konnte ausreichend Personal für den beschwerlichen und unter sehr harten Bedingungen stattfindenden Dienst im Ausland gefunden werden. Plünderung, Preis und Beute waren in Kriegskonventionen geregelt, die streng eingehalten werden mussten, um sich wenigstens den Anschein zu geben, als seien derartige Praktiken mit der eigentlichen Aufgabe des britischen Soldaten vereinbar, als Vertreter und leuchtendes Beispiel des aufgeklärten Liberalismus zu erscheinen.72 Dabei war die Beteiligung der Soldaten an der Beute nicht nur Anreiz, am Krieg teilzunehmen, sondern schiere Notwendigkeit, weil sich das oberste Kommando in London nicht willig zeigte, so zu entlohnen, dass Plünderungen überflüssig wurden. Im Gegensatz zu den wohlhabenden Offizieren der viktorianischen Armee, die zumeist aus den Reihen der mittleren Aristokratie stammten und über ein privates Einkommen verfügten, aus dem sie ihren mageren Sold ergänzten, verfügten die gemeinen Fußsoldaten über keine zusätzlichen finanziellen Mittel.73 Der Dienst in der Armee mit seiner geringen Entlohnung und seinen langen Dienstzeiten sowie der Aussicht auf Krankheit und Tod im Ausland wurde aber nicht als ehrenwerte Alternative zum Leben in Armut zu Hause betrachtet, weshalb sich nie genug Freiwillige meldeten.74 Die 12.000 neuen Rekruten, die in den 1840er Jahren pro Jahr gebraucht wurden, um Sicherheit und Frieden im Empire zu garantieren, konnten in Großbritannien, wo es im 71 Gregorian bespricht allerdings, dass die bestehenden Plünderregeln nicht mehr ausreichten. Gregorian, Unfit for Service, in: South Asia Bd. 13:1 (1990), S. 63–84. Obwohl sich die britisch-indischen Beziehungen im späteren 19. Jahrhundert besserten, blieben Plünderungen an der Tagesordnung. Siehe auch: Robb, The Colonial State, in: Modern Asian Studies Bd. 31:2 (1997), S. 265. Robb beschreibt hier die Plünderung eines Dorfes durch Briten, aus Rache für den Mord eines britischen Untertanen. 72 Carrington, Officers, Gentlemen and Thieves, in: Modern Asian Studies Bd. 37:1 (2003), S. 83. Nichts desto trotz hatte außereuropäische Plünderung innerhalb Großbritanniens einen sehr schlechten Ruf. Plünderer hatten den Ruf „political renegades, runaway debtors, ne’erdo-wells“, „illiterates and ancients“ zu sein. Obwohl gezielte Plünderung als die einzige Möglichkeit galt, mit einem Schlag reich zu werden, war das aber schon gegen Ende des 18. Jahrhunderts fast unmöglich. Der Dienst in Indien wurde hier durch hohe Sonderzulagen attraktiv gemacht, Guy, Oeconomy and Discipline (1985), S. 165f. 73 Hew Strachan zeigt allerdings, dass durchaus nicht nur Mitglieder der Aristokratie sich Offizierspatente kauften, sondern, vor allem ab den 1850er Jahren, auch Offiziere aus anderen Gesellschaftsschichten. Strachan, Militär, Empire und Civil Society, in: Frevert (Hg.), Militär und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert (1997), S. 78–93. 74 Siehe auch Skelley, The Victorian Army at Home (1977), S. 235f.

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Gegensatz zu Frankreich keine allgemeine Wehrpflicht gab, nur mit Aussicht auf „Sonderlohn“ in Form von Beutegut und Alkohol ausgehoben werden.75 Gesucht wurden für den Dienst im Ausland gesellschaftlich schwierige Fälle (Trinker, Arbeitslose etc.), deren einzige Voraussetzungen eine gewisse körperliche Fitness und eine bestimmte Körpergröße waren. Diese wurden nicht mehr nur aus den ländlichen Gegenden rekrutiert, sondern mit der fortschreitenden Industrialisierung auch zunehmend aus den verarmten Vierteln der großen Städte.76 Vor Ort, also im Ausland selbst, war die Verpflegung oft unzureichend und schlecht: Sie bestand aus einem Pfund Brot für das Frühstück mit Kaffee, und 350 Gramm Fleisch am Abend, für die dem Soldaten bis 1854 eine kleine Summe vom Sold abgezogen wurde. Gemüse wurde separat von Soldaten gekauft und bezahlt, ebenso Alkohol.77 Gewaltanwendungen und Plünderungen waren also vorprogrammiert und mussten unter diesen Bedingungen in Kauf genommen werde. Den Ausschreitungen wurde mit schweren Disziplinarmaßnahmen begegnet: Unerlaubte Plünderung (neben Desertion, Feigheit, Meuterei und Mord) wurde mit dem Tode bestraft. Die bekannteste Strafe blieb dabei das Auspeitschen mit der neunschwänzigen Katze und erst 1846 wurde das Höchststrafmaß auf 50 Peitschenhiebe reduziert. Gleichzeitig versuchte man aber auch, diese Ausschreitungen einzudämmen, indem man einen Anteil an einer Beute versprach, die von extra bestellten Prize Commissioners ausgehoben worden war. Das offizielle Ausheben von Preis, das Priseverfahren, lief nach einem streng ritualisierten Verfahren ab, wobei das britische Verfahren des von den oberen Befehlshabern gebilligten Beuteaushub im Landkrieg sich zwischen 1799 und 1860 nur unwesentlich verändert zu haben scheint. Ein Vergleich der Einnahme von Sri Rangapattana (1799) mit dem britischen Vorgehen während der Indian Mutiny zeigt, dass Prize, Plunder und Pillage Kategorien waren, die bei beiden Ereignissen kaum verändert waren.78 Auch 1799 wurde die Stadt Sri Rangapattana, nachdem sie erfolgreich eingenommen und in der Feste die Leiche von Tipu Sultan gefunden worden war, den Soldaten für einen gewissen Zeitraum zur Plünderung überlassen.79 Am nächsten 75 Zur Problematik fehlender Rekruten siehe auch: French, The British Army and the Empire, in: Kennedy (Hg.), Imperial Defence (2008), S. 92. 76 Hernon, Massacre and Retribution (1998), S.4. Eine andere Auffassung, wonach das Leben in Indien doch angenehmer war als in London, vertritt Rumsby, Making Choices, in: Beckett, Victorians at War- New Perspectives (2007). S. 23–33. 77 Hernon, Massacre and Retribution (1998), S. 13. Bis 1858 waren, wie die medizinischen Berichte aus der Indian Mutiny und dem Krimkrieg zeigen, Krankheiten die Haupttodesursache, nicht der Tod auf dem Schlachtfeld. Es wurde sogar behauptet, dass Alkohol größere Verheerungen als Krankheit angerichtet habe. Peers, Imperial vice, in: Killingray/Omissi (Hg.), Guardians of Empire (1999), S. 25. 78 Priseverfahren auf See bis ins 19. Jahrhundert werden geschildert in: Petrie, The Prize Game (2001). Davis stellt in einem Vergleich die Ähnlichkeiten zwischen dem britischen Vorgehen 1799 und 1857 fest, Davis, Three styles in looting India, in: History and Anthropology Bd. 6:4 (1994), S. 293ff. 79 Die Einnahme von Sri Rangapattana war Teil des Konfliktes zwischen den Briten und den indischen Staaten, der einsetzte, als die britischen Kaufleute nicht mehr nur nach Handelspri-

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Morgen, als die Ordnung von Arthur Wellesley (dem jüngeren Bruder von Richard Wellesley und späteren Lord Wellington) wieder hergestellt worden war wurde die gesamte Beute in einem komplexen System klassifiziert. Die im Palast gefundenen Schätze, die die erste Plünderung unbeschadet überstanden hatten, wurden als Prize beurteilt. Eine Kommission aus sieben Offizieren wurde eingesetzt, um die Beute zu bewerten und unter den Mitgliedern der Armee aufzuteilen. Die Preisagenten fanden Münzen im Wert von 600.000 Pfund, sowie Juwelen, Teppiche und Waffen, deren Wert mit 360.000 Pfund angegeben wurde. Prize unterschied sich von Pillage insofern, als es von Offizieren, und nicht von Gemeinen in Besitz genommen wurde, und somit Booty (rechtmäßige Beute) war, die nach herrschenden Regeln (meist einer Auktion, die noch an Ort und Stelle stattfand) verteilt werden konnte. Das Preisgeld, das bei einer Verauktionierung der erbeuteten Kunstgegenstände erzielt wurde, wurde an die Soldaten weitergegeben, die ihrem Rang entsprechend unterschiedliche Anteile erhielten. Loot bezeichnete Plünderung innerhalb eines von den Kommandanten angegebenen Zeitraums, alles, was während eines lootings angeeignet wurde, durfte behalten werden. Plunder und Pillage bezeichneten Plündereien, die außerhalb dieses Zeitraumes stattfanden und dabei im Unterschied zum Looting nicht nur als eine Form des Diebstahls galten, sondern gleichzeitig als Desertion und mit dem Tode bestraft wurden. Arthur Wellesley beispielsweise ließ vier einfache Soldaten für Plünderei hängen, um die Plünderung der Stadt zu beenden, bevor er überhaupt mit dem Preisverfahren beginnen konnte.80 Während das Verfahren zur Gewinnung von Prize also ein nach Möglichkeit geordnetes Verfahren darstellte, beinhaltete Plünderung individuelle, unorganisierte Gesetzesübertretungen, die schwer geahndet wurden. Heiligtümer (z.B. Tempel) waren 1799 verschont worden. Die Deutung der Plünderung von Sri Rangapattana als symbolischer Akt der Herrschaftsübernahme ist recht eindeutig: Die Beute aus dem Palast von Tipu Sultan wurde nach England geschafft, sein Thron und andere Gegenstände, die die königliche Würde von Tipu Sultan repräsentierten wurden dort noch längere Zeit ausgestellt. Die Einnahme, und damit auch die Plünderung, von Sri Rangapattana galt Ende des 18. Jahrhunderts als ein militärisches Meisterstück und Ruhmesblatt der Geschichte.

vilegien, sondern auch nach politischer Einflussnahme zu streben begannen. Im Hintergrund stand dabei nicht nur Machtkonsolidierung in Indien, sondern auch das Rivalitätsverhältnis zu Frankreich. Der Gouverneur von Indien Richard Wellesley gab vor, Indizien dafür zu haben, dass es zu Verhandlungen zwischen Mysore und Frankreich gekommen war und befahl seinen britischen Truppen, gegen Tipu Sultan und seine Festung Sri Rangapattana (angliziert als Seringapatam) vorzugehen. Die Briten siegten, Tipu Sultan starb während der Schlacht, was in Großbritannien großes öffentliches Aufsehen erregte, denn immerhin waren sowohl ein berühmter orientalischer Despot als auch Frankreich geschlagen worden. Siehe Davis, Three Styles in Looting India, in: History and Anthropology Bd.6:4 (1994), S. 295ff. Eine Beschreibung der Einnahme von Sri Rangapattana: Sewell, Analytical History of India (1870), S. 172f. 80 Für das Regelwerk, nach dem sich Wellesley richtete zitiert Davis Clode, Military Act and Articles (1869).

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Die ökonomische Bedeutung von Plünderung, auch das in Sri Rangapattana 1799 angewendete Preisverfahren, blieb während der Plünderung von Delhi 1857, bei der tagelang sowohl die Paläste, als auch die umliegenden Dörfer geplündert wurden, ähnlich.81 Was sich änderte, war die Bewertung der Rolle der „Plünderer“ sowie die Bedeutung der Plünderung als „symbolische Handlung.“ Plunder, also die Aneignung von Gegenständen während des Kriegszuges generell, wurde als unwürdig und unschicklich für die weißen Angehörigen Großbritanniens betrachtet. Vielmehr, so die offizielle Linie, würde sie nur von den Angehörigen „niedrigerer Volksstämme“ unternommen. Plünderung sei eine Angelegenheit von Disziplin- und Zügellosigkeit und somit nur Angelegenheit der in dieser Hinsicht niedriger stehenden „Eingeborenen.“ Deren Zügelung und Eindämmung sei eine Aufgabe der weißen Rasse, die somit ihre wirtschaftlichen Interessen mit einer civilizing mission rechtfertigten.82 Gleichzeitig konnte diese Argumentationsline in dem Fall, in dem Kommandeure und Generäle einer Armee, die aus britischen und indischen Soldaten zugleich bestand, nicht für Disziplin zu sorgen vermochten, als Rechtfertigung verwendet werden.83 Es zeigte sich während der Indian Mutiny (und wirkte sich auch im Chinafeldzug 1860 aus), dass die bis dahin existierenden Gesetze zur Regelung von Plünderung nutzlos waren.84 Was den Aushub von Prize betraf, so hatten die schweren Unregelmäßigkeiten, die sich dabei schon bei Plünderungen im 18. Jahrhundert gezeigt hatten, nicht beseitigt werden können und die bestellten Preisagenten erwiesen sich insbesondere 1857 in den meisten Fällen als regelrechte „Haie“, die das ihnen anvertraute Amt im Wesentlichen dazu benutzten, sich selbst zu bereichern.85 Soldaten und Offiziere plünderten gleichermaßen, morali81 Siehe David, The Indian Mutiny (2002), S. 303f. für einen Bericht über die Rückeroberung Delhis durch die Briten im September 1857 und die disziplinlosen Plünderungen. Zwar hatte ein General Order vom 6. September 1857 alle Plünderung verboten, diese Anweisung war aber von den meisten Soldaten ignoriert worden. 82 In der Praxis waren die britischen Soldaten kein Beispiel an mustergültigem Verhalten, zudem waren sie nicht in der Lage, auszumachen, wo das wertvolle Plündergut sei, eine Kunst, die die Sikhs und Punjabis viel besser beherrschten. Hibbert, Great Indian Mutiny (1978), S. 425. Siehe auch: Carrington, Officers, Gentlemen and Thieves, in: Modern Asian Studies Bd. 37:1 (2003), S. 83. 83 Davis, Three Styles in Looting India, in: History and Anthropology Bd. 6: 4 (1994), S. 313. David, The Indian Mutiny (2002), S. 385 weist darauf hin, dass ein Motiv für die Indian Mutiny der Unwillen der indischen Soldaten darüber war, dass hemmungsloses Plündern unter der britischen Oberherrschaft nicht mehr möglich war. Nur wenn diese wieder durch Inder ersetzt würde könnten die alten Praktiken wieder eingeführt werden. 84 Kinloch, Deccan Prize Money (1864) z.B. schildert den Fall der Beute von Deccan 1817, wobei er sich im Wesentlichen mit der Preisverteilung in England (ab 1822) befasst, die sehr inkompetent durchgeführt wurde. 85 Carrington, Officers, Gentlemen and Thieves, in: Modern Asian Studies 37:1 (2003), S. 81. Bryant, Officers of the East India Company’s Army, in: Journal of Imperial and Commonwealth History Bd. 6:3 (1978), S. 205 beschreibt, wie ab Mitte des 18. Jahrhunderts strenger und unter Berücksichtigung des familiären Hintergrunds für den Offiziersdienst in Indien rekrutiert wurde um eine gewisse „Offiziersehre“ herzustellen, aber für den unbeliebten Dienst konnte nur mit der Aussicht auf „schnellen Reichtum“ geworben werden. Dazu gehörte auch,

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sche Skrupel waren bei den Offizieren, auch wenn sie Derartiges zu Hause weit von sich wiesen, in der Praxis nicht zu bemerken.86 Obendrein kam es häufig zu Unrechtmäßigkeiten bei der Art und Weise, wie das Preisgeld verteilt wurde, was oftmals in der Folge eines siegreichen Feldzuges zu großen Diskussionen führte. Die Witwen von Gefallenen oder Angehörige von Invaliden des Feldzuges mussten gelegentlich jahrelang warten, bis ihnen ihr Anteil ausbezahlt wurde (die Veteranen des ersten Burma-Krieges von 1826 z.B. warteten bis 1837, um ihren Anteil ausbezahlt zu bekommen). Dies führte dazu, dass in der britischen Öffentlichkeit allgemeine Forderungen nach einer endgültigen verbindlichen Legalisierung des bis dahin gesetzlich nicht endgültig festgelegten Preis- und Beuteverfahrens laut wurden.87 Auch die Verteilung der Beute aus der Indian Mutiny 1857 fand erst 1862 statt, was in der britischen Presse einen Sturm der Entrüstung erregte. Das unveränderte britische Preis- und Beutegesetz, die noch nicht verteilte Beute aus der Indian Mutiny und die missbilligende Haltung der britischen Öffentlichkeit, die sich nicht nur auf die allgemeinen Grausamkeiten, die während der Plünderung begangen wurden, bezog, sondern auch auf die schlechte Preisgeldverteilung mussten auf Hope Grant einen gewissen Einfluss haben. Hope Grant, der auch während der Indian Mutiny im Dienst war, blieb es im Wesentlichen selbst überlassen, wie er im Falle einer ungesetzlichen Plünderung in China vorginge.88

4.2 Französische Konventionen der Plünderung (Beispiel Algerien) In Frankreich musste man nach den napoleonischen Feldzügen im Hinblick auf Preis, Beute und Plünderung anders sensibilisiert sein als in Großbritannien. Auch während der Napoleonischen Feldzüge kam es durch die Grande Armée zu zahlreichen und systematischen Plünderungen, was ein Rückschritt in der Entwicklung des „Plünderwesens“ bedeutete. Was die Plünderung als „symbolische Handlung“ betrifft, so eignete sich Napoleon I. symbolhafte Kunstgegenstände des Gegners nicht nur an, um damit eine Niederlage des Gegners zu dokumentieren.89 Vielmehr wurde dieser Kunstdiebstahl auch mit einem wissenschaftlichen Anspruch versehen: Er diente der Aneignung von Wissen über die Welt (so animierte zum Beispiel die Beute aus Ägypten Champollion dazu, die ägyptische Schrift zu entziffern) und stellte den Grundstock für den Louvre dar, der 1793 als Musée

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dass die Sikhs bereits an Ort und Stelle ihren Anteil am Preisgeld bekamen, während die britischen Soldaten oft bis lange nach der Schlacht warten mussten, bis sie ihren Anteil bekamen. Hibbert, Great Indian Mutiny (1978), S. 331. Hibbert, Great Indian Mutiny (1978), S. 320. Gregorian, Unfit for Service, in: South Asia Bd. 13:1 (1990), S. 63–68. Erst 1948 wurde das Prisen- und Beuteverfahren eine Angelegenheit des Staates, bei der der individuelle Bürger keine Rechte mehr hatte. Gregorian, Unfit for Service, in: South Asia Bd. 13:1 (1990), S. 83. Ein ähnliches Verfahren beschreibt Davis, Three Styles in Looting India, in: History and Anthropology Bd. 6: 4 (1994), S. 293–317.

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Français eröffnet wurde.90 Napoleons geraubte Kunst- und Kulturschätze wurden nach dem Wiener Kongress 1815 teilweise restituiert, womit die Aneignung von Kulturgütern offiziell geächtet war.91 Die Möglichkeiten und Gelegenheiten Frankreichs, nach den Napoleonischen Feldzügen in außereuropäischen Gebieten zu plündern oder sich an Kunst- und Kulturschätzen zu bereichern waren im Vergleich zu denen Großbritanniens eher gering. Während der Konflikte Mitte des 18. Jahrhunderts verlor Frankreich die meisten Besitzungen seines ersten Kolonialreiches und erhielt erst nach dem Ende der napoleonischen Kriege einen Teil seiner Kolonien zurück. Dazu zählten Guadeloupe und Martinique im Westindischen Ozean, Französisch-Guyana an der Küste von Südamerika, mehrere Außenhandelsposten im Senegal, Réunion und Pondicherry. In einem Expansionsschub in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts wurde mit der Besetzung Algeriens ein neuer Versuch unternommen, an die alte Größe anzuknüpfen, und erst Napoleon III. unternahm während der Zweiten Republik und während des Second Empire regelmäßig Vorstöße, um das französische Kolonialreich zu vergrößern. Dabei waren, anders als im Chinafeldzug, die Briten sehr viel öfter Gegner als Alliierte. Die französische Armee hatte innerhalb des Gefüges des Second Empire einen anderen Stellenwert als die britische Armee in England. Sie wurde von Napoleon III., der sie bei seiner Machtergreifung benutzte, modernisiert und war in der Gesellschaft des Second Empire wesentlich sichtbarer als die britische Armee in Großbritannien.92 Die Offiziere wurden nicht mehr nur aus den Kreisen der entmachteten Aristokratie rekrutiert, sondern vielmehr aus den bürgerlichen Mittelschichten, unter ihnen Handwerkersöhne, für die der zu erwartende Ruhm und der regelmäßige Sold ein großer Anreiz waren, während die gemeinen Fußsoldaten durch die allgemeine Wehrpflicht ausgehoben wurden.93 Auch für Söhne aus durch die Revolutionen degradierten Familien war die Armee attraktiv, hier vor allem der Dienst im Ausland, der fast die einzige Möglichkeit darstellte, praktische Kampferfahrung zu sammeln.94 Als Referenz und Rahmengesetz diente zunächst eine Regelung des Landkrieges, die 1832 für kriegerische Aktionen in Frankreich aufgestellt worden 90 Jenschke, Der völkerrechtliche Rückgabeanspruch (2005), S. 121. 91 Siehe insbesondere Sandholtz, Prohibiting Plunder (2007), S. 47ff. 92 Delmas (Hg.), Histoire militaire de la France (1992), S. 433. Zum Verhältnis Militär und Gesellschaft in Frankreich siehe: Girardet, La societé militaire (1998). 93 Siehe hierzu generell Serman, Les origines des officiers français (1979). Crépin weist darauf hin, dass wegen der Verpflichtung zum Wehrdienst die Armee generell einen anderen Stellenwert in der französischen Gesellschaft hat. Siehe insbesondere das Kapitel zum Verhältnis von Wehrpflicht und Gesellschaft im Second Empire: Crépin, Défendre la France (2005), S. 203–274. Zwischen 1815 und 1871 existierte eine Art gemäßigter Wehrpflicht, bei der in einer Art Lotterie entschieden wurde, wer das „schlechte Los“ hatte, eingezogen zu werden. Der Militärdienst dauerte sieben Jahre, es konnte ein Ersatz gestellt werden. 94 Girardet, La societé militaire (1998), S. 72.

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war.95 Außereuropäische Kriegserfahrung sammelte der General de Montauban, französischer Befehlshaber der Truppen im Chinafeldzug 1860, in Algerien.96 Die französische Variante des Kolonialkrieges wurde charakterisiert durch eine chamäleonartige Anpassung der französischen Soldaten an ihre neue Umgebung (was von den Briten going native) genannt wurde, wofür die „afrikanisierte Uniform“ der französischen Soldaten nur ein Indiz war.97 Britische Soldaten behielten im Wesentlichen ihren europäischen Stil bei, obwohl sie ihre Armeen auch unter den Einheimischen rekrutierten und gewisse Zugeständnisse an deren eigene Traditionen machten. Französische Soldaten aber nahmen nicht nur die Kleidung, sondern auch die Taktik an, mit der sie in Algerien konfrontiert wurden.98 Ihrer eigenen Auffassung nach lag ihre Stärke in eben dieser Fähigkeit, sich an die Kampftechnik ihrer Feinde anzupassen. Sie trachteten nicht danach, ihre einheimischen Rekruten zu „europäisieren“, sondern förderten vielmehr die Anwendung deren eigener Kampftechniken, jedoch unter Anleitung und im Interesse Frankreichs. Die Anfänge der Entwicklung eines neuen französischen Stils der Kolonialkriegsführung (nach dem Untergang des vornapoleonischen Kolonialreiches) gehen auf den Marschall Thomas-Robert Bugeaud zurück, der in Algerien ab 1840 Reformen einführte, durch die es erst möglich wurde, dort die militärische Oberhand zu gewinnen. So ersetzte er beispielsweise das Fort, das bis dahin die traditionelle Form der französischen Kontrolle über das Land war, durch Aufklärungspatrouillen, die die Lager der Feinde orten sollten. Diese Lager wurden dann von mobilen Kolonnen, die sich in der Landschaft verteilten, angegriffen, was es den französischen Truppen ermöglichte, tiefer als bislang üblich ins Land (im Falle Algeriens die kabylischen Berge) einzudringen. Das schwere Gepäck, das die Soldaten bis dahin immer selbst trugen, wurde ihnen abgenommen und auf dem Rücken von Maultieren und Wagen transportiert. Zusätzlich verbesserte Bugeaud die Lebensbedingungen und die psychische Verfassung seiner Soldaten. Zunächst führte er funktionierende stationäre Lazarette ein (die zu Beginn so schlecht waren, dass sich einige der Soldaten das Leben nahmen aus Furcht, dort zu landen). Anstelle von schlechtem Brot, Reis und gesalzenem Schinkens, die bis dahin Grundnahrungsmittel der Soldaten gewesen waren, ließ er die kleinen mobilen 95 Siehe Porch, The French Army Law, in: The Historical Journal Bd. 14:4 (1971), S. 751–769. 96 Siehe Stora, Algeria (2001), S. 1–12. Obwohl das Buch sich auf die Algerienkriege im 20. Jahrhundert konzentriert, führt eine knappe Einleitung auch in den Konflikt des 19. Jahrhunderts ein. Über die Schlagkräftigkeit der Armee Napoleons III. scheint es geteilte Meinungen zu geben. Während Tombs davon spricht, dass die Truppen Napoleons III. hoch gerüstet und gut trainiert waren, behauptet Douglas Porch, dass im Gegenteil, die französischen Truppen in Europa deswegen so schlecht kämpften, weil sie ihr Handwerk außerhalb Europas gelernt hatten. Siehe Porch, Bugeaud, Galliéni, Lyautey, in: Paret, Makers of Modern Strategy (1986), S. 376–407. 97 Die Entwicklung eines „eigenen französischen Stils” beschreibt auch Le Cour Grandmaison. Erst während der Dritten Republik wurden die „algerischen“ Erfahrungen kodifiziert und in anderen französischen Kolonien angewandt. Die im 20. Jahrhundert so oft postulierte mission civilisatrice Frankreichs in Algerien entspräche für die frühe Phase nicht der Realität. Le Cour Grandmaison, Coloniser, Exterminer (2005), S. 335. 98 Porch, Bugeaud, Galliéni, Lyautey, in: Paret, Makers of Modern Strategy (1986), S. 377.

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Kolonnen seiner reformierten Armee die Silos und Schafherden der Araber plündern, um so für seine eigenen Truppen immer wenigstens einigermaßen frischen Nachschub zu haben. Weil die arabischen Feinde sich weigerten, einen soliden Stellungskrieg zu führen und in einer offenen Schlacht zu kämpfen setzte Bugeaud in einer Zermürbungstaktik darauf, deren Lebensgrundlage (z.B. Vorräte und ähnliches) in Razzien zu zerstören.99 Ein Prisen- und Beuteverfahren, wie es bei den britischen Kriegen in Asien der Fall war, wäre aufgrund der anderen Anforderungen und der unterschiedlichen Disposition des Feindes gar nicht möglich gewesen. Aus dieser sanktionierten und legalisierten Form der Plünderung, bei der in einem kurzen Zeitraum den Soldaten freie Hand gelassen wurde, erwuchsen die üblichen Probleme: Die allgemeine Disziplin war schwer zu erhalten, wenn es den Soldaten erlaubt war, ohne Beschränkung zu verbrennen und zu plündern. Ihr Mitgefühl und ihre Sensibilität gegenüber denjenigen, die sie schädigten, schwand, ihr Umgang mit Menschen verrohte und die klaren militärischen und politischen Ziele verloren in den Orgien von Gewalt ihre klare Kontur. Gegen die Gewalttätigkeit und die Exzesse zumindest im kolonialen Umfeld schritten die Generäle nur bedingt ein: Sie wurden in den 1840er Jahren noch mit dem Argument gebilligt, dass zumindest die Araber ihre Unterwerfung nur „durch die harte Hand des Krieges“ akzeptieren würden. Die französischen Soldaten suchten mit den Einwohnern Algeriens kein friedliches Auskommen, und deren Feindseligkeiten nahm man als gegeben hin. Dies stand im krassen Gegensatz zur Politik Napoleons III., der eigentlich Kaiser auch der Algerier sein wollte, weswegen ihm daran gelegen war, dass zwischen seinen Truppen und der einheimischen Bevölkerung ein gutes Verhältnis bestand.100 Eine bittere Konsequenz dieser Form der Kriegsführung in Algerien war, dass dadurch Hass in der arabischen Zivilbevölkerung gegen die französischen Kolonisatoren entstand. Dies führte dazu, dass die französische Armee in ständiger Furcht vor eventuellen arabischen Aufständen leben musste. Zudem entstand eine schwer zu überwindende Kluft zwischen den Exzessen und Grausamkeiten vor Ort in Algerien und dem eigenen Selbstverständnis als französischer Armee und den damit verbundenen ethischen und moralischen Wertvorstellungen.

99 Ebd., S. 380. 100 Stora, Algeria (2001), S. 5.

KAPITEL II: VORAUSSETZUNGEN IN CHINA, PLANUNG DER EXPEDITION IN EUROPA Den Voraussetzungen, die sowohl in Großbritannien als auch in Frankreich Planungen und Vorbereitung eines weit entfernt stattfindenden Krieges beeinflussten, standen die Gegebenheiten vor Ort in China gegenüber. Mit welchen Bedingungen mussten die Alliierten rechnen? Welche Motive waren für die Unterhändler der Qing-Regierung bei den diplomatischen Verhandlungen mit den Alliierten leitend, und welcher Art war der militärische Widerstand des Qing-Heeres? Mehr noch als der Kaiserpalast in Peking wurde der Yuanming yuan mit dem Schicksal der mandschurischen Kaiserfamilie in Verbindung gebracht. Seine Erbauungszeit fällt in die Phase der Blütezeit der Qing-Dynastie und seine Plünderung 1860 stellte eine Zäsur dar. Die Qing-Regierung erlebte in den 1850er Jahren eine schwere Legitimationskrise, die unter anderem dadurch ausgelöst wurde, dass die Institutionen, die ursprünglich das Reich zusammenhielten, Heer und Tributsystem, schon seit Anfang des 19. Jahrhunderts Auflösungserscheinungen gezeigt hatten. Nunmehr wurden sie durch religiöse Erhebungen und Aufstände der Tributvölker in den Grenzgebieten weiter erschüttert. Insofern hatte die QingRegierung den Alliierten, die schon seit 1858 Zugang zum Kaiserhof verlangten, nicht viel entgegenzusetzen. Im Jahr 1859 war eine britisch-französische Delegation gen Norden gesegelt, um, wie in den Verträgen von Tianjin 1858 vertraglich festgelegt ihre Residenz als Gesandte am Hofe der Qing aufzunehmen. Ihnen wurde der Weg nach Peking verwehrt, die sie begleitenden Schiffe wurden bei den Dagu-Forts aufgehalten und zurückgedrängt. Die Nachverhandlungen der Qing-Beamten in Shanghai fruchteten nichts, in Europa wurde als Vergeltungsmaßnahme eine militärische alliierte Expedition ausgerichtet, die Ende Juli 1860 in China versammelt war.

1 DER YUANMING YUAN UND SEINE ROLLE FÜR DIE QING-DYNASTIE Aus den Berichten, die in der Folge der ersten Plünderung des Yuanming yuan (übersetzt etwa: Park der vollkommenen Reinheit) Europa erreichten, lässt sich ersehen, dass die europäischen Zeugen des Ereignisses im Oktober 1860 den Namen Yuanming yuan synonym für eigentlich drei verschiedene palastartige Parkanlagen verwendeten, die 12 Kilometer außerhalb von Peking in den Westbergen gelegen waren, nämlich für den Yuanming yuan, den Changchun yuan (etwa: Park des ewigen Frühlings) und den Qichun yuan (etwa: Park des farbenprächtigen

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Frühlings).1 In der Mitte des 19. Jahrhunderts verbrachten die Qing-Kaiser dort den Hauptteil ihrer Zeit. Von den drei Parkanlagen war der Yuanming yuan allerdings die bedeutendste und größte. Mit einer Fläche von ungefähr 340 Hektar, zusammengesetzt aus vielfältigen Gartenanlagen und Gebäudeensembles, gehörte er zu den wichtigsten Sitzen der Qing-Regierung. Als bauliche Besonderheit muss dabei vor allem eine komplette Palastanlage im europäischen Rokokostil mit Springbrunnen gelten, die hier im 18. Jahrhundert von jesuitischen Missionaren errichtet worden war und als Gegenstück der Qing-Kaiser zu den Chinoiserien europäischer Herrscher der Aufklärung gesehen werden kann. Ihre Ruinen sind es, die im 20. Jahrhundert zum Symbol für die Zerstörung des Yuanming yuan wurden, obwohl die gesamte Anlage der Gebäude im westlichen Stil (chin. xiyang lou oder xilou) im Nordosten des Yuanming yuan nur einen kleinen Teil des Gesamtensembles ausmachte. Die Qing-Dynastie hatte vor allem während der Zeit der Reichseinigung im 17. und 18. Jahrhundert mehrere Sitze und Orte, von denen aus sie ihre Macht ausübte. Eine hervorgehobene Rolle spielte dabei sicherlich der Kaiserpalast (gugong) in Peking, der auch von den westlichen Alliierten als zentraler Sitz chinesischer Macht begriffen wurde. Auch aus der Perspektive der Qing–Dynastie hatte der Kaiserpalast als Hauptsitz der Ming-Kaiser zentrale Bedeutung, aber als Herrscher eines multiethnischen Reiches verfügten die Qing über mehrere andere Sitze: Dies war Teil ihrer sehr differenzierten Herrschaftspolitik, bei der mit unterschiedlichen Methoden versucht wurde, die Loyalität der beherrschten Völker zu gewinnen. Als Beispiel dafür, wie die mandschurische Identität der Qing-Kaiser, also der Familie Aixin Gioro, mit architektonischen Mitteln zum Ausdruck gebracht wurde, kann der Sommersitz in Chengde (chinesisch Rehe, in europäischen Quellen Jehol) genannt werden. Diese Sommerresidenz, jenseits der Großen Mauer und sehr viel näher am mandschurischen Stammland gelegen, wurde im Verlauf des 17. und 18. Jahrhunderts zu einem Qing-Reich en miniature ausgebaut, in dem auch die Gesandtschaften der tributpflichtigen Staaten empfangen wurden.2 Dort wurden unter anderem traditionelle Herbstjagden und Wettkämpfe im Bogenschießen abgehalten, Dinge, die eng mit mandschurischer Tradition und Identität verbunden waren. Den größten Teil ihrer Zeit verbrachten die Qing-Kaiser aber dennoch in und um Peking und so bauten sie dort im Verlauf des 18. Jahrhunderts ein Ensemble von etwas außerhalb der Stadt gelegenen Parks und Landvillen nach und nach so 1

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Die Übersetzung des chinesischen Begriffes yuan mit Park ist bei Susan Naqin entlehnt. Sie argumentiert, dass die Übersetzung von yuan mit Garten zu sehr die Vegetation betone, die Übersetzung mit „Sommerpalast“ dagegen zu sehr die Gebäude und damit eine Monumentalität einschließe, die nicht angebracht sei. Abgesehen davon sei der Begriff „Sommerpalast“ auch erst von den Ausländern Ende des 19. Jahrhunderts ins Spiel gebracht worden. Naquin, Peking (2000), S. 312. Siehe hierzu vor allem Fôret, Mapping Chengde (2000), S. 2ff. Fôret konzentriert sich auf die Rolle des tibetanischen Buddhismus bei der Landschaftsarchitektur der Qing-Wohnsitze. Die Einigung von Nord- und Südchina hoffte der Qianlong-Kaiser durch Reisen, die er persönlich dorthin unternahm, zu bewerkstelligen.

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weit aus, dass sie zu ihrem Hauptaufenthaltsort wurden.3 Den Ausgangspunkt bildete der Landsitz des Kangxi-Kaisers (1654–1722), der Changchun yuan aus dem 17. Jahrhundert, damals etwas südlich von der Stelle gelegen, an der später der Yuanming yuan errichtet werden sollte.4 Er wurde nach den recht frugalen Vorstellungen des Kangxi-Kaisers errichtet: Schlicht und komfortabel, aber nicht luxuriös.5 Der Kangxi-Kaiser verbrachte viel Zeit in diesem Landsitz und empfing dort auch die jesuitischen Missionare Thomas, Bouvet und Gerbillon, die ihm, der großes Interesse für alles Europäische hatte, Arithmetik und Geometrie nahebrachten, auch die Schriften Euklids.6 1707 begann der Kangxi-Kaiser, die Gegend nördlich des Changchun yuan in einem Großprojekt neu zu planen. Die dort schon existierenden Sommervillen aus der Ming-Zeit wurden in einen besonders schönen Park integriert, den er seinem Sohn, dem späteren Yongzheng-Kaiser, vermachte. Kangxi nannte den neuen Park Yuanming yuan.7 Der Yongzheng-Kaiser (1678–1735) veranlasste nach seiner Machtübernahme die Erweiterung des Yuanming yuan und verwandelte ihn in eine symbolische „Landkarte“ seines Reiches.8 In diesem symbolischen Reich war die Hauptresidenz über neun künstliche Inseln, die sich um einen See lagerten, ausgebreitet. Die neun Inseln symbolisierten die neun Provinzen des Qing-Reiches, die der Kaiser von seinem Palast auf der ersten Insel aus gut überblicken konnte. Ergänzt wurden diese Bauten durch eine Art Phantasiereich, das nahezu alle Bereiche des kaiserlichen Lebens mit einschloss, darunter eine Insel, auf der Arbeiter und Eunuchen arbeiteten, und eine Miniaturstadt, in der es echte Läden gab – kurz, der spätere Hauptsitz der Qing-Dynastie war bereits in Ansätzen zu erkennen.9 Der 3 4

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Diese These vertritt zumindest Wong für die Zeit der Yongzheng-Ära. Wong, Paradise Lost (2001), S. 77. Zum Leben Kangxis und seiner Rolle bei der Erbauung des Yuanming yuan siehe vor allem: Brown-Malone, The History of the Peking Summer Palaces (1934). Eine gute Beschreibung des Zustandes des Palastes im Jahre 1934 findet sich dort auf S. 21. Ebd., S. 26. Eine europäische Beschreibung des Changchun yuan aus dem Jahre 1720 wurde von dem britischen Arzt John Bell verfasst, der im Gefolge der russischen Expedition von Ismailov den Changchun Yuan besuchte, außerdem von Lorenz Lange in: Brown-Malone, The History of the Peking Summer Palaces (1934), S. 37. Von den jesuitischen Missionaren ließ der Kangxi-Kaiser auch Abbildungen seiner Eroberungsfeldzüge in großformatigen Stahlstichen im europäischen Stil anfertigen. Siehe Pirazzoli-T’Serstevens, Gravures des Conquêtes (1969), S. 21ff. Wong erklärt die Übersetzung: Yuanming bedeute wörtlich rund und klar und impliziere Perfektion. Dies sei eine Anspielung auf die vollkommene Weisheit und Erleuchtung, die dadurch erreicht werde, dass man zum Buddha würde. Wong, Paradise lost (2002), S. 1. Siehe hierzu Brown-Malone, The History of the Peking Summer Palaces (1934), S. 54ff. Außerdem wurde der Yuanming yuan erstmalig die Hauptresidenz des Kaisers, weshalb eine breite steinerne Straße angelegt wurde, die vom Kaiserpalast in Peking bis zum Yuanming yuan führte, YMYA (1991) Bd. 1, S. 8. Barmé, The Garden of Perfect Brightness, in: East Asian History Bd. 11 (1996), S. 117. Für eine chronologische Darstellung der Geschichte des Yuanming yuan seit der Yongzheng-Ära siehe: Yang Naiji, Yuanming yuan da shi ji, in: Zhongguo yuanming yuan xuehui choubei weiyuan hui (YMYJ) Bd. 3 (1984), S. 29–38. Die Erzählung, dass vor allem der Qianlong-

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Yongzheng-Kaiser teilte nicht die Vorliebe seines Vaters und seines Sohnes, des Qianlong-Kaisers, für die Jagd, ließ sich im Yuanming yuan häuslich nieder und verbrachte dort den größten Teil des Jahres. In seine Regierungszeit fällt auch die Ansiedlung von acht Garnisonsdörfern in der Nähe des Yuanming yuan, die am Ende von 3000 mandschurischen Soldaten mit ihren Familien bewohnt wurden. Ihre Aufgabe war die Bewachung nicht nur des Palastes, sondern auch der Straße, wenn der Kaiser den Palast verließ. Seine volle Ausdehnung erhielt der Yuanming yuan erst unter dem QianlongKaiser, der den Yuanming yuan im Jahre 1744 vollendete und den Changchun yuan (1751) sowie den Qichun yuan (1772) hinzufügte, was die Gärten als Sanshan wuyuan (etwa: 3 Berge, fünf Gärten) bekannt machte.10 Qianlong lernte auf seinen Reisen durch das Reich die Gartenbauarchitektur des südlichen China kennen und ließ diese im Yuanming yuan nachbauen. Durch die symbolische Repräsentation der Tributstaaten aus der Yongzheng-Ära und die Integration von Nachbauten der schönsten und größten Häuser und Gärten in ganz China – unter anderem die Bibliothek der Familie Lei – wurde der Yuanming yuan so in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in noch größerem Maße ein Abbild des Qing-Reiches als der Palast in Rehe.11 Auch der Qianlong-Kaiser pflegte in der frühen Phase seiner Regierung noch regen Austausch mit jesuitischen Missionaren.12 Sie boten ihm ihre Dienste als Astronomen, Architekten und Künstler an, die Qianlong auch in Anspruch nahm. Vor allem die Abbildungen europäischer Rokokopaläste und der Wasserspiele von Versailles, die ihm von dem jesuitischen Missionar Giuseppe Castiglione (dessen chinesischer Name Lang Shining war) gezeigt wurden, beeindruckten ihn nachhaltig und er gab den Befehl, ein Gebäudeensemble für den Yuanming yuan in einem ähnlichen Stil zu planen. Im Jahr 1747 wurde dafür im Nordosten des Gartens der Grundstein gelegt.13 Geplant wurde ein Korridor von Palästen im

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Kaiser in den nachgebauten Läden einkaufte, ist Attiret entnommen, Attiret, Lettre à Monsieur Assaut, in: Vissière (Hg.), Lettres édifiantes et curieuses (1979), S. 411–430. Siehe auch Desroches, Yuanming yuan. Die Welt als Garten, in: Budde (Hg.), Europa und die Kaiser von China, Ausstellungskatalog (1985), S. 123. Die Abbildungen von 40 Palästen, die unter Qianlong entworfen und von diesem in kleinen Gedichten kommentiert wurden, werden erläutert und übersetzt in: Chiu, Yuanming yuan (2000), S. 183ff. Siehe auch den Aufsatz des Qing-Gelehrten Zhang Ruoai, Yuanming yuan sishi jingtu, Qianlong sishi jing teci, in: YMYJ Bd. 5 (1991), S. 1–81, und den dazugehörigen Aufsatz: Wang Tihua, Zhang Ruoai gei Yuanming yuan sishi jingtu jian, in: YMYJ Bd. 5 (1991), S. 82–87. Barmé, The Garden of Perfect Brightness, in: East Asian History Bd. 11 (1996), S. 121. Unter dem Yongzheng-Kaiser waren diese im Zuge von antichristlichen Bewegungen zeitweise vom Hof verbannt worden und auch unter dem Qianlong-Kaiser war die christliche Missionierung der Bevölkerung verboten. Siehe hierfür Soulié de Mourant, L’Epopée des jésuites fran‫ذ‬ais (1928), S. 207ff. Immer wieder gab es auch unter Qianlong Verfolgungen versteckter jesuitischer Missionare. Siehe hierzu auch Laamann, Christian Heretics (2006), S. 62ff. Schulz, Hsi Yang Lou (1966), S. 21. Der jesuitische Missionar Michel Benoist übernahm die Aufgabe der Anfertigung der Wasserspiele, da er in Frankreich neben Physik auch hydrauli-

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westlichen Stil (die eben später Xiyang lou oder Xilou genannt wurden), deren Errichtung im Verlauf der folgenden Jahre von italienischen und französischen Missionaren beaufsichtigt wurde.14 Hinter deren Größe traten bereits existierenden Gebäude im westlichen Stil, errichtet von der Familie Lei, zurück.15 In der Errichtung dieser westlichen Gebäuden erreichte wohl der Willen eines Herrschers der Qing-Dynastie den Höhepunkt, sich alles Bekannte zu Eigen zu machen und darzustellen. Es kam damit außerdem zum Ausdruck, wie sehr sich die Qing-Kaiser mit ihrem Reich als Teil einer Weltgesellschaft verstanden. Diese Paläste beherbergten die kaiserliche Sammlung europäischer Kunstgegenstände und Kuriositäten, die neben einer Serie von Gobelins nach Entwürfen von Francois Boucher zahlreiche Uhren, Spiegel und Gemälde, sowie wissenschaftliche Instrumente umfasste. Zudem wurde von chinesischen und europäischen Künstlern das erste Mal der Versuch unternommen, einen eigenen Stil zu erschaffen, indem westliche und chinesische Elemente zu einer neuen Stilrichtung verschmolzen wurden. Zeugnis hiervon geben zwanzig Kupferstiche, die in Zusammenarbeit chinesischer Architekten und jesuitischer Missionare entstanden und verschiedene Ansichten der Xiyang lou zeigen.16 Hinter dem Aufwand, der beim Ausbau des Yuanming yuan betrieben worden war stand das Bedürfnis des Qianlong-Kaisers, zu dokumentieren, dass die QingDynastie und er selbst würdige Nachfolger der vorangegangenen Dynastien und Herrscher seien. Zusammen mit der Expansion des Reiches nach Xinjiang, der Befriedung der Mongolei und Tibets und seinen gigantischen Buchprojekten stellte dieser Ausbau des Yuanming yuan einen der letzten kulturellen Höhepunkte des kaiserlichen China dar, dessen Ruf bis nach Europa drang. Durch die Berichte der jesuitischen Missionare wurde der Yuanming yuan auch in Frankreich bekannt.17

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sche Anlagen studiert hatte. Siehe hierzu auch Brown-Malone, The History of the Peking Summer Palaces (1934), S. 139. Siehe hierzu: Adam, Yuen Ming Yuen (1936), S. 21ff. Für eine Biographie Castigliones und sein Wirken am chinesischen Hof siehe Beurdeley, Peintres jésuites (1997), S. 19–39. Wo diese ursprünglichen Gebäude im westlichen Stil standen, ist heute nicht mehr nachzuvollziehen. Siehe Zhang, Das Yuanming yuan Ensemble (2004), S. 40ff. Bei der Familie Lei handelte es sich um eine Architektendynastie, die von Anfang bis Ende der Qing sämtliche bedeutenden Bauprojekte geplant und realisiert hat. Ihr Beitrag zum Bau des Yuanming yuan beschränkte sich nicht nur auf die Gebäude, sondern auch auf die landschaftsarchitektonischen Planungen. Über die Rolle der jesuitischen Missionare bei der Erbauung des Yuanming yuan siehe: Beurdeley, Peintres jésuites (1997), S. 129–144. Die 20 Kupferstiche wurden 1931 im Palast der mandschurischen Kaiserfamilie in Shenyang gefunden und erstmals herausgegeben. Zhang, Ensemble des Yuanming yuan (2004), S. 13. Für eine Abbildung der Kupferstiche siehe: Lawrence/Turner (Hg.), The Delights of Harmony (1994). Siehe auch Teji: Changchun yuan xiyang lou tongban hua ershi tu, in: YMYJ Bd. 3 (1984), S. 97–119. Zum Beispiel durch den jesuitischen Missionar Attiret, dessen Bericht über den Yuanming yuan war am Bekanntesten war. Attiret, Lettre à Monsieur d’Assaut, in: Vissière (Hg.), Lettres édifiantes et curieuses (1979), S. 411–430.

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In Großbritannien fand er nicht nur Erwähnung in einem Werk zur Gartenbaukunde von William Chambers, sondern auch in der Folge der kostspieligen Gesandtschaft Lord Macartneys, die 1792 von König George III. entsendet wurde, um Handelsbeziehungen zwischen China und Großbritannien anzuknüpfen.18 Der alte Qianlong-Kaiser empfing Lord Macartney im September 1793 im Yuanming yuan und nahm dort seine Geschenke an, sah aber keine Veranlassung, seinerseits Handelsbeziehungen zu Großbritannien zu knüpfen.19 Auch ein weiterer, von Großbritannien sehr viel schlechter vorbereiteter Versuch, in einer Mission unter Lord Amherst im Jahr 1816 nach den napoleonischen Kriegen Handelsverträge mit China abzuschließen, wurde vom Jiaqing-Kaiser zurückgewiesen. Zwischen 1816 und 1858 kam dann kein Vertreter einer westlichen Macht mehr nach Nordchina.20 Im frühen 19. Jahrhundert blieb der Yuanming yuan der Hauptaufenthaltsort der Qing-Kaiser, während der Palast in Rehe zwischen 1822 und 1860 gar nicht mehr von ihnen frequentiert wurde. Auch der Jiaqing-Kaiser (1796–1821) verbrachte dort vor seinem Tode 1821 sehr viel Zeit. In dieser Phase siedelten sich viele Gaukler und Künstler in der Nähe des Palastes an. Auch der DaoguangKaiser (1821–1850) lebte hauptsächlich im Yuanming yuan, der 1836 teilweise abbrannte, aber sofort wieder aufgebaut wurde. Dort geboren und aufgewachsen verbrachte der Xianfeng-Kaiser einen Großteil seine Jugend im Yuanming yuan, bevor er 1860 vor den Alliierten nach Rehe fliehen musste.21 In seiner Kindheit und Jugend waren allerdings schon erste Anzeichen des Verfalls an vielen Gebäuden zu entdecken.

18 Chambers, Dissertation sur le jardinage de l’orient (1772), der den Bericht Attirets kannte. Eine Veröffentlichung des Textes siehe in: Barrier/Mosser/Chiu, Aux Jardins de Cathay (2004), S. 145–200. Auf den Berichts Attirets musste sich Chambers allerdings voll verlassen, denn Osterhammel weist darauf hin, dass Chambers nur bis Kanton gekommen war. Osterhammel, Entzauberung Asiens (1998), S. 99. 19 Siehe Fang Yujin, Yuanming yuan yu yingshi magaerni lai hua, in: YMYJ Bd. 3 (1984), S. 96. Zur Bedeutung des Besuches von Macartney beim Qianlong-Kaiser siehe Hevia, Cherishing Men from Afar (1995), der diese Zurückweisung nicht als Borniertheit interpretiert, sondern in einem größeren Zusammenhang der Begegnung zweier expansiver Reiche und deren jeweiliger Bedürfnisse betrachtet, S. 223. Auch Chrétien Louis Joseph de Guignes, der die holländische Tisingh/Van Braam-Gesandtschaft von 1794/95 als Dolmetscher begleitete (Osterhammel, Entzauberung Asiens (1998), S. 303) war im Yuanming yuan. Im Zusammenhang mit den 20 Kupferstichen, auf denen die Gebäude im westlichen Stil abgebildet sind, berichtet Brown-Malone, dass 1794 drei von diesen Kupferstichen für van Braam angefertigt worden seien. Brown-Malone, The History of the Peking Summer Palaces (1934), S. 141. John Barrow war während der Macartney-Mission längere Zeit im Yuanming yuan untergebracht, hatte aber keinen guten Eindruck von der Anlage. Barrow, Travels (1805), S. 75f. 20 Unter denjenigen die die Amherst-Mission begleiteten waren John Francis Davis, später Gouverneur von Hongkong, der protestantische Missionar Robert Morrison und George Staunton, der bereits als Kind Macartney begleitet hatte. Danby, Garden of Perfect Brightness (1950), S. 171. 21 Chang Runhua, Yuanming yuan xingshuai shimo (1998), S. 107

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2 CHINA IN DEN 1850ER JAHREN: KRISEN IM INNEREN In vielem war auch die Xianfeng-Ära noch Erbin der strukturellen Probleme, die sich seit dem Ende der Qianlong-Ära entwickelt hatten und die Legitimität der Qing-Regierung untergruben. Bedingt wurden diese Schwierigkeiten unter anderem durch den überproportionalen Bevölkerungszuwachs in einer langen Friedenszeit und die nicht vorgenommenen institutionellen und strukturellen Korrekturen. Zusätzlich führte der Raubbau an den natürlichen Ressourcen, dem die Qing-Regierung nicht entgegenwirkte, zu Störungen des ökologischen Gleichgewichts, in deren Folge es zu vermehrten Überschwemmungskatastrophen kam.22 Zur Umweltkrise gesellte sich eine Finanzkrise, die auf die kostspieligen Einigungsfeldzüge des 18. Jahrhunderts zurückzuführen war. Die Qing-Regierung erhöhte zunächst zum Unmut der Bevölkerung die Steuern, konnte dadurch aber nicht das gewünschte Ziel erreichen. Es lässt sich als allgemeiner Trend für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts erkennen, dass frühere Monopole der QingRegierung zunehmend in private Hände gerieten, wodurch ihr wertvolle Steuereinnahmen entgingen.23 Speziell im Süden traten seit Beginn des 19. Jahrhunderts Unregelmäßigkeiten und Korruption bei der Verwaltung des großen Kaiserkanals, über den der Reistransport von Süden nach Norden abgewickelt wurde, auf. Auf lokaler Ebene wurden dort mehr Beamtenposten als notwendig besetzt, und das von der Regierung zur Finanzierung des Reistransportes freigestellte Geld wurde veruntreut. Die Reisbarkenzieher wurden nicht mehr entlohnt, was Streiks zur Folge hatte. Korruption erodierte das Salzmonopol und führte zu einem sprunghaften Anstieg des Salzschmuggels. Sowohl in Nord- als auch in Südchina entstand so, bedingt durch das enorme Bevölkerungswachstum, Schwierigkeiten innerhalb des völlig überlasteten Regierungsapparates und ethnische Konflikte, ein Nährboden für soziale Unruhen.24 Der Regierungsapparat der Qing war insbesondere dadurch unter Druck, dass die Zahl der wenigen zu vergebenden Beamtenposten angesichts des Bevölkerungswachstums nicht angeglichen worden waren, so dass viele erfolgreiche Prüfungsabsolventen nicht unterkamen.25 Die sozialen Spannungen fanden ihren Ausdruck in religiösen Erhebungen, in Nordchina durch die Nian-Rebellion (1851–1868), in Yunnan und Guizhou durch die Muslim-Pantay-Rebellion (1855–1873). In Südchina entstanden ebenfalls neue Geheimgesellschaften, gleichzeitig brachen aber auch erneute Erhebungen

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Dabringhaus, Geschichte Chinas (2006), S. 55. Pomeranz, The Making of a Hinterland (1993), S. 120ff. 23 Spence, Search for Modern China (1990), S. 166. 24 Siehe Horowitz, Beyond the Marble Boat, in: Graff, Military History of China (2002), S. 155. Zur Nian-Revolte siehe Teng, The Nien Army (1961), S. 134ff. und Perry, Rebels and Revolutionaries (1980), S. 96ff. 25 Yuensang Leung verdeutlicht aber, dass nach 1860 viele dieser Kandidaten im neu erschaffenen Bereich des Verkehrs mit den Ausländern unterkamen. Yuensang Leung, Crisis Management and Institutional Reform: the Expectant Officials in the Late Qing, in: Antony/Leonard, Dragons, Tigers, and Dogs (2002), S. 68 f.

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des „Weißen Lotos“ aus.26 Vor allem in Südchina mischte sich in den Protest der religiösen Gruppierungen eine antimandschurische Haltung, vermutlich auch wegen der Unfähigkeit der Qing-Regierung, die in den Küstenstädten lebenden Ausländer zu kontrollieren.27 Durch die größte der religiös motivierten Bewegungen, die TaipingErhebung, erlebte die Qing-Regierung während der 1850er Jahre ihre schwerwiegendste Krise. Deren Gründer Hong Xiuquan (1814–1864) aus der Provinz Guangdong hatte mehrere Male die Beamtenprüfung nicht bestanden, als er 1836 in Kontakt mit einem protestantischen Missionar kam, durch den er mit den Kernthesen des Christentums vertraut gemacht wurde. Nach einer Vision war er überzeugt, der jüngere Bruder von Jesus Christus zu sein, und begann, dessen Lehren öffentlich zu predigen. Damit unterschied er sich von anderen religiösen Gruppierungen, die eher Geheimbundcharakter hatten. Besonderen Zulauf erhielt er auch wegen seiner Forderung nach der Absetzung der mandschurischen Qing-Dynastie, die er als Ursprung der schlechten Situation in China sah. Die sich Hong anschließenden Konvertiten kamen aus allen Schichten der Gesellschaft, so dass es ihm möglich wurde, nach und nach seine eigene schlagkräftige Armee aufzubauen. Minenarbeiter kannten sich mit Sprengstoff aus, Beamte konnten die zahlreich fließenden Spenden verwalten, ehemalige Qing-Soldaten konnten die Truppen trainieren, zudem schlossen sich den Taiping-Anhängern noch ehemalige Räuberbanden und Flusspiraten an. 1850 war die Zahl seiner Anhänger auf 20.000 angestiegen, die er nach und nach in militärischen Einheiten organisierte. Im gleichen Jahr erkannte der Xianfeng-Kaiser die Gefahr, die von den Taiping-Anhängern ausging; seine Maßnahmen gegen sie schlugen jedoch fehl. Ab 1852 zogen die Taiping-Anhänger, die sich seit 1851 selbst so nannten und mittlerweile über 60.000 Mitglieder zählten, nach Norden und nahmen im März 1853 Nanjing ein, das für die Dauer von elf Jahren ihr Hauptquartier wurde. Obwohl die Taiping-Erhebung über wesentliche Institutionen für einen eigenen Staat verfügte (z.B. Landverteilungsgesetz, Prüfungssystem und Regierungsapparat), gelang es ihr trotz ihrer anfänglichen Erfolge nicht, die Qing-Regierung zu entmachten. Dies hatte mehrere Gründe: Erstens war Hong Xiuquan nach dem Tod seiner beiden wichtigsten Hauptmänner 1852 nicht in der Lage, seine Macht zu konsolidieren. Zweitens konnten die Einwohner von Nanjing nicht mehr von den Ressentiments gegen die Mandschu überzeugt werden, nachdem das riesige Taiping-Heer die ursprünglich sehr fruchtbare Umgebung von Nanjing verwüstet hatte. Drittens gelang es Hong Xiuquan nicht, die Kräfte aller anderen religiös motivierten Erhebungen (z.B. der Nian-Revolte im Norden und der Red-TurbanErhebung im Süden) zu einen und so zu bündeln, dass sie eine wirksame Kraft gegen das Qing-Heer dargestellt hätten. Dies alles stellte sich erst später heraus: 26 Mit der eher wenig beachteten Miao-Rebellion in Guizhou 1854–1873 befasst sich Jenks, Insurgency and Social Disorder (1994), S. 93ff. 27 Wakeman, Strangers at the Gate (1966) behandelt im Besondern den Protest der lokalen Bevölkerung Kantons gegen die Briten und die Qing. Siehe auch: Hsiao, Rural China (1967), S. 498.

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Gegen Ende der 1850er Jahre stellte die Taiping-Erhebung noch eine große und unberechenbare Gefahr für die Legitimität der Qing-Regierung dar.

2.1 Militär und Außenpolitik Auch die beiden Säulen, auf denen die Expansion des Qing-Reiches im 18. Jahrhundert ruhte, gerieten in der Mitte des 19. Jahrhunderts ins Wanken, namentlich das Tributsystem und das Heer; denn die Stabilität des Qing-Reiches wurde nicht nur von innen, sondern auch von außen her bedroht. Russland strebte vom Norden her den Zugang zum pazifischen Ozean an, vom Süden her wurde China von den Westmächten bedrängt. Weder diplomatisch noch militärisch konnte die QingRegierung sich in den 1850er Jahren gegen diesen Ansturm wehren. Der Erfolg der Qing-Dynastie im Umgang mit ihren Tributvölkern hatte im 18. Jahrhundert unter anderem auf einer ausdifferenzierten und flexiblen Außenpolitik und der Anwendung eines breiten diplomatischen Instrumentariums beruht, das mittlerweile als spezifisch mandschurisch identifiziert ist.28 Die Einheit des QingReiches wurde dabei zum einen durch die Dezentralisierung der Macht hergestellt, zum anderen, indem die Loyalität der Bevölkerung nicht zum Land China, sondern zur Familie der Aixin Gioro unterstützt wurde.29 Die Aixin Gioro hatten das Reich nicht nur durch Feldzüge geeint, sondern auch durch die Kreierung künstlicher neuer ethnischer Identitäten, die Vergabe von hohen Ämtern an lokale Fürsten und außerdem die Akzeptanz indigener Religionen.30 Widerstand gegen diese imperiale Ausdehnung begegneten sie mit großer Härte.31 Peking war in dieser Zeit nicht alleiniger Sitz des chinesischen Kaisers, sondern nur einer unter mehreren. Mit einer derartig raffinierten Außenpolitik war es den Qing-Kaisern ihrer Auffassung nach sogar gelungen, außerhalb des chinesischen Gesichtskreises liegende Völkerstämme zu integrieren – nämlich die westlichen Kaufleute, die sich an den Südrändern des Reiches aufhielten. Bestandteil dieser Außenpolitik, durch die sich die Qing-Regierung an viele Situationen anpassen konnte, war auch eine

28 Hier folge ich im Wesentlichen den Auffassungen der New Qing History, die am besten in einer Sammelrezension von Waley Cohen charakterisiert ist: Waley-Cohen, The New Qing History, in: Radical History Review Bd. 88 (2004), S. 193–206. 29 Diese These wird vor allem auch vertreten in: Crossley (Hg.), Empire at the Margins (2006), S. 10ff. 30 Am ehesten der Erschaffung einer neuen ethnischen Identität nahe kommt vielleicht die Erzeugung von Einheit unter den Miao. Siehe: Sutton, Ethnicity and the Miao Frontier in the Eighteenth Century, in: Crossley (Hg.), Empire at the Margins (2006), S. 190–221. 31 Weiterführende Literatur zur Qing-Dynastie: Crossley beschreibt die Erschaffung des QingReiches und seine Konsolidierung, Crossley, The Manchus (1997), S. 79ff. Giersch befasst sich mit der Befriedung der Grenzgebiete, Giersch, Asian Borderlands (2006). Elverskog sieht die Expansion der Qing in die Mongolei als stets andauernde Verhandlung zwischen Peripherie und Metropole, zwischen Mandschuren und Mongolen, Elverskog, Our great Qing (2006), S. 40ff. Rawski, The Last Emperors (1998), behandelt das Hofleben der Qing, vor allem das dritte Kapitel: Qing Court Rituals, S. 197ff.

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gewisse, zielgerichtete Aufgeschlossenheit gegenüber fremden Technologien, die, wenn sie der Machtvermehrung nutzten, gerne integriert wurden. Mit dem Rückzug der Regierung ins Innere, der Konzentration auf die innenpolitischen Krisen und der Abschottung nach außen, die die Politik des QingReiches während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kennzeichnen, verlor das Tributsystem nach außen hin an Stärke und es erhoben sich Konflikte in den Grenzgebieten und in Zentralasien.32 Hierzu gehörten auch die immer nachdrücklicher gestellten Forderungen der Westmächte respektive der britischen Freihändler, die sich nicht mehr mit ihrer Existenz an den südlichen Rändern des QingReiches zufrieden geben wollten, sondern Zugang zum Kaiserhof verlangten.

2.2 Das Qing-Heer in den 1850er Jahren Normalerweise wurde an erster Stelle das gewaltige Qing-Heer eingesetzt, um sich gegen Angriffe von außen zu verteidigen oder auch die eigenen Forderungen im Inneren durchzusetzen. Grundlegend für die Expansion des Qing-Reiches im 18. Jahrhundert, die Bewahrung des Friedens und die Verwaltung des gesamten Reiches war ein solides und elaboriertes militärisches System gewesen, durch welches das Qing-Reich in militärischen Eroberungsfeldzügen seine Ausdehnung erreichte und konsolidierte. 33 Zu den erfolgreichen Feldzügen der Kangxi- und der Qianlong-Zeit gehörten die Kampagnen gegen die Zungharen (deren Befriedung 70 Jahre dauerte) und der erste Jinchuan-Krieg (1747–1749), bei dem 200.000 Mann eingesetzt wurden, um nur zwei Beispiele zu nennen.34 Dabei bestand das Heer der Qing nicht nur aus „tatarischen Reitern“, wie Mitglieder der alliierten Expedition 1860 zu beobachten glaubten; auch ist seine Definition als „Tartarenheer“ rein ethnisch gesehen nicht ganz korrekt. Vielmehr waren alle Ethnien des Qing-Reiches im chinesischen Heer vertreten. Organisatorisch bestand dieses chinesische Heer insbesondere aus zwei Abteilungen, den Acht Bannern (ba qi) und dem Grünen Banner (in der englischsprachigen Literatur: The Green Standard Army, chin. lüying bing). Die Acht Banner waren eine erbliche militärische und soziale Organisation für Mandschuren, Mongolen und HanChinesen, deren Familien starke loyale Bindungen zur Qing-Dynastie hatten. Zu ihren Aufgaben gehörte unter anderem die Bewahrung und Bewachung des Landfriedens in Garnisonen an strategisch wichtigen und bedeutenden Orten im Lande. Im 18. Jahrhundert eine effektive militärische Macht, die aus der Staatskasse bezahlt wurde, hatten sich die Bannermänner im 19. Jahrhundert zu einer gesell-

32 Newby, The Empire and the Khanate (2005), S. 232ff. 33 Perdue, China marches West (2005), S. 133–303 beschreibt die Feldzüge des 18. Jahrhunderts. Die militärische Konsolidierung der Qing-Macht in Zentralasien bearbeitet auch Millward, Beyond the Pass (1998), S. 77ff. 34 Lorge, War, Politics and Society (2005), S. 166.

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schaftlichen Organisation gewandelt, deren militärische Effektivität reduziert war.35 Das Grüne Banner (lüying bing) war ethnisch im Wesentlichen hanchinesisch und bestand ursprünglich aus Offizieren der Ming-Armee. Es war militärisch schwächer als die Acht Banner, wenig professionell, ungedrillt und in sehr viel kleinere Garnisonen gepresst, die nicht zu großen Massenheeren zusammengezogen werden konnten. Das Grüne Banner übernahm insbesondere in ländlichen Gebieten die Funktion einer Schutzpolizei und wurde meist zusammen mit mandschurischen Bannern eingesetzt.36 Neben diesen Truppen hatte die QingRegierung in Zeiten der Krise außerdem die Möglichkeit, vorübergehend Soldaten einzustellen, die nach ihrem Einsatz wieder entlassen wurden, oder lokale Milizen zu rekrutieren, die von den örtlichen Eliten zum Schutz der eigenen Orte ausgebildet wurden. Das Qing-Heer erwies sich in den 1850er Jahren hinsichtlich seiner technologischen Ausrüstung, Schlagkraft und militärischer Disziplin nur sehr begrenzt in der Lage, für Frieden im Reich zu sorgen.37 Den vielfachen äußeren und inneren Bedrohungen in den 1850er Jahren hatte das Heer also wenig entgegenzusetzen. An vielen verschiedenen Orten eingesetzt, um die Taiping-Rebellen, die Nian und andere religiöse Erhebungen in Guizhou und in Yunnan zu bekämpfen, konnte es nicht konzentriert werden, um die Alliierten 1860 zu schlagen. In der Auseinandersetzung mit den westlichen Mächten sollte der Sieg bei den Dagu-Forts 1859 der einzige militärische Erfolg der Qing-Regierung bleiben. Finanziell sehr schlecht ausgestattet, schlecht trainiert und unvorbereitet waren die Qing-Truppen kaum ein adäquater Gegner für die mit neuester Militärtechnologie ausgestatteten westlichen Truppen.38 35 Horowitz, Beyond the Marbel Boat, in: Graff/Higham (Hg.), Military History, 2002, S. 155. Zu den Bannern siehe Elliott, The Manchu Way (2001), S. 39–78. Zur Situation der chinesischen Armee in den 1850ern siehe Smith, Chinese Military Institutions in: Journal of Asian History Bd. 8 (1974), S. 122–161. 36 Elliott, The Manchu Way (2001), S. 128ff. 37 Das Qing-Heer und seine Kultur im 19. Jahrhundert ist ein sehr vernachlässigtes Forschungsfeld konstatiert Horowitz, Beyond the Marbel Boat, in: Graff/Higham (Hg.), Military History, 2002, S. 173. Um dem abzuhelfen erschien 2002 eine Einführung in die wichtigsten Themen, Graff/Higham (Hg.), Military History (2002), S. 15–17. Dort werden als Standardwerke in englischer Sprache erwähnt: Needham/Gawlikowski (Hg.), Military Technology (1994) (nur bis zur Song-Dynastie), Johnston, Cultural Realism (1995), aber auch die Studie von van de Ven, Warfare in Chinese History, (2000), in dem ab S. 13 die Qing behandelt werden. 38 Headrick, Tools of Empire (1981), S. 90. Die chinesische Waffentechnologie lag 100 bis 200 Jahre hinter der westlichen zurück. Die Frage, nach welchem militärischen Kodex das QingHeer Krieg führte, wie mit der Zivilbevölkerung umgegangen wurde, wie und ob es Plünderregeln gab stellt eine Forschungslücke dar. Einzig ein von Nicola di Cosmo herausgegebenes Tagebuch eines mandschurischen Söldners gibt für diese Frage in Bezug auf das 17. Jahrhundert Auskunft, di Cosmo (Hg.), Diary of a Manchu soldier (2006). Zu nennen sind für das 18. Jahrhundert auch Waley-Cohen, Culture of War (2006), die sich aber nicht explizit mit Plünderungen befasst. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts und nicht im Rahmen von Forschungen zur Militärgeschichte, sondern aufgrund wachsender Mandschu-Ressentiments wurden wieder Berichte, die die Plünderungen der Qing während der frühen Reichseinigungsphase

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2.3 Faktoren einer gewissen Stabilität im Inneren Dennoch blieb die Qing-Regierung in den 1850er Jahren noch in ihren Grundfesten handlungsfähig und in der Lage, die Krisen, wenn auch begrenzt, aufzufangen. Daneben bewahrte es sich auch noch selbst, obwohl unter Repressalien der europäischen Imperialmächte leidend, seinen Status als Imperialmacht, z.B. in seiner Beziehung zu Korea.39 In den späten 1850er Jahren zeigte sich, dass die Taiping-Erhebung die QingDynastie bedrohte, gleichzeitig aber dazu beitrug, ihr in unterschiedlichen Bereichen durchaus Loyalitäten zu schaffen. Erstens fanden sich beispielsweise die Europäer bereit, die Qing-Regierung gegen die Taiping zu unterstützen. Zwar lagen dieser Erhebung christliche Werte zugrunde, und insbesondere protestantische Missionare waren zunächst von der Idee angetan, auf diese Weise soziale Reformen einzuführen. Trotzdem hatten sich die in China lebenden Europäer und auch die Vertreter der Westmächte angesichts der Exzentrik Hong Xiuquans gegen diesen entschieden und unterstützten die Qing-Regierung aktiv bei der Niederschlagung der Taiping. Hinter dieser europäischen Unterstützung der QingDynastie standen wirtschaftliche Interessen: So störten sich die europäischen Opiumhändler vor allem am vehement von den Führern der Taiping-Erhebung geforderten Opiumverbot und hofften, die Qing-Regierung im Gegenteil zu dessen Legalisierung bewegen zu können.40 Zweitens erhielt die Qing-Regierung auch aus den Reihen der lokalen Grundherren und der Beamteneliten in Zentralchina zunehmend Unterstützung. Unter ihrer Anleitung bildeten sich paramilitärische Einheiten, mit deren Hilfe der eigene Besitz dort vor den Übergriffen marodierender Banden aus Arbeitslosen und Verarmten geschützt wurde, wo der Staat nicht mehr fähig und in der Lage war, diesen Schutz zu gewähren.41 Mit dieser Hilfe gelang es letztendlich Mitte der 1860er Jahre, die Taiping vernichtend zu schlagen. 42 In zunehmendem Maße wurde die Qing-Dynastie drittens auch von Qingloyalen Han-Chinesen unterstützt. Diese schätzten die Qing-Dynastie als tatkräfti-

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beschreiben publiziert. Siehe Zarrow, History and Trauma, in: History & Memory Bd. 16:2 (2004), S. 67–108. Darauf weist Kirk Larsen hin. Larsen, Tradition, Treaties and Trade (2008), S. 8f. Spence, Search for Modern China (1990), S. 177. Immer noch ein guter Überblick: Mann/Kuhn, Dynastic Decline, in: Fairbank/Liu (Hg.), The Cambridge History of China, Bd. 10 (1978), S. 107–162. Mary Wright stellt fest, dass dem völligen Niedergang der Qing durch viele außerordentlich befähigte Beamte entgegenwirkt wurde. Wright, The Last Stand (1962), S. 312. Pong stellt einen dieser Beamten, Shen Baozhen, der um 1860 bereits in Qing-Diensten stand, als Beispiel vor. Obwohl Schwiegersohn von Lin Zexu und vertraut mit den Lehren Wei Yuans, kam Shen Baozhen, ebenso wie Wenxiang und Zeng Guofan einer der frühen Unterstützer der Selbststärkungsbewegung der Tongzhi-Ära, aber erst 1862 mit Ausländern in Kontakt, agierte also eher im Inneren. Pong, Shen Paochen (1994), S. 87 ff. Ein genau entgegengesetztes Beispiel stellt das Curriculum dar, das Zeng Guofan für seine Brüder und Söhne aufstellte: In diesem waren westliche Wissenschaften nicht vorgesehen. Liu, Eduction for its own sake, in: Elman/Woodside (Hg.), Education and Society in Late Imperial China, (1994), S. 76–108.

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ger und kompetenter als die Ming-Dynastie ein und trauten ihr durchaus zu, die durch die Taiping-Erhebung bedrohten konfuzianischen Wertmaßstäbe zu erhalten. Insbesondere stellten sie theoretische Überlegungen und Erwägungen darüber an, mit welchen Reformen man die Qing-Dynastie wieder stärken könnte.43 Schon seit Beginn des 19. Jahrhunderts waren mehrere neue philosophische Denkrichtungen und Schulen entstanden, die sich inhaltlich mit notwendigen Reformen befassten. Insbesondere in den 1850er Jahren erlebten orthodoxe neokonfuzianische politische Theorien eine Blüte, die in der Rückbesinnung auf die konfuzianische Tradition und dem Rückzug ins Innere (also einer Konzentration auf die innenpolitische Situation) eine Lösung für die Krisen suchten. Vor allem die Regierungspartei in Peking, und mit dieser der Xianfeng-Kaiser, tendierten zu dieser Richtung, die den Europäern in Kanton gegenüber skeptisch war. Deren Verhalten konnte nämlich nicht klar eingeordnet werden; sie schienen aus unterschiedlichsten, nicht moralisch begründeten Motiven zu handeln weswegen der Umgang mit ihnen ein Problem darstellte.44 Anhänger einer anderen Denkrichtung sahen genau im Gegenteil eine Möglichkeit, die Qing-Regierung zu reformieren, nämlich in der Orientierung nach außen und der Integration neuer Denkstile und Technologien. Einer ihrer Protagonisten, Wei Yuan (1794–1856), betrachtete vor allem zwei Faktoren als verantwortlich für die schwache Position der Qing-Regierung. Zunächst einmal machte er ihre Weigerung, neue politische Strategien im Inneren anzunehmen – und damit zielte er auf die Ignoranz der Qing-Regierung gegenüber der Überlegenheit der Westmächte – für die miserable Situation verantwortlich. Die Gefahren, denen sich die Qing-Regierung gegenüber sah, so war seine Auffassung, waren aber nicht nur deswegen so groß, weil die Regierung keine strukturellen Anpassungen vorgenommen hatte, sondern auch deswegen, weil sie schlicht neu und bisher unbekannt waren. Das feindliche Gegenüber, wie die europäischen Freihändler in Kanton, müsste aber genau erkannt und vor allem studiert werden, über die westlichen Staaten müsse man genaues Wissen erlangen. Mit seinem Werk Haiguo tuzhi legte er daher 1844 eine Kompilation des Wissens über die Interessen der westlichen, europäischen Staaten im maritimen Asien vor und hatte damit in den 1850er Jahren einen gewissen Einfluss innerhalb der Qing-Regierung.45 Zur Restauration der ursprünglichen Macht der Qing-Dynastie müsste in seinen Augen

43 Als bedeutendes Beispiel sei Zeng Guofan angeführt, dessen Milizen nach 1860 maßgeblich dazu beigetragen haben, die Taiping niederzuschlagen. Siehe hierzu Kuhn, Rebellion and its Enemies (1979), S. 135ff. 44 Horowitz, Beyond the Marbel Boat, in: Graff/Higham (Hg.), Military History (2002), S. 161. 45 Wei Yuan, Haiguo tuchi (1844). Jane Leonard weist darauf hin, dass diese Studien aber kaum neue Informationen enthielten, sondern aus alten Berichten zusammengefügt waren. Leonard, Wei Yuan (1984), S. 95ff. Eine genauere Karte der Welt außerhalb Chinas legte Xu Jiwu 1848 vor. Drake, China charts the World (1975), S. 3. Diese Werke wurden in Zusammenarbeit mit protestantischen Missionaren in Kanton und Hongkong erstellt. Lutz, Opening China (2008), S. 202ff.

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deren militärische Schlagkraft wieder hergestellt werden.46 Er forderte eine Modernisierung des Militärs, das durch die lange Friedenszeit an Schlagkraft verloren hatte, die Rekrutierung und gute Bezahlung fähiger Soldaten und den Ausbau der Marine, um der von außen drohenden Gefahr zu begegnen. Unbedingt notwendig war seiner Ansicht nach auch die Aneignung neuartiger militärischer Technologien, die die Westmächte im Konflikt mit der Qing-Dynastie demonstrierten. Mit dieser Einschätzung der Rolle des Militärs im Gefüge der QingRegierung und der Stärke des britischen Militärs stand Wei Yuan nicht alleine. Generell waren alle Qing-Militärs sehr beeindruckt von der Effizienz, mit der insbesondere im ersten Opiumkrieg die Briten ihre technologische Überlegenheit ausgenutzt hatten. Schon Lin Zexu hatte nach der Niederlage im ersten Opiumkrieg 1842 mit der Gründung eines Übersetzerbüros Maßnahmen ergriffen, die ihm ermöglichen sollten, vom Feind zu lernen und seine eigenen Truppen zu modernisieren. Die Modernisierung der Armee wurde auch zunächst betrieben, nach dem Tode Wei Yuans 1856 aber auf Initiative des Xianfeng-Kaisers wieder eingestellt.47 Nicht nur auf dem Gebiet der Waffentechnologie wollte man von den Europäern lernen, sondern auch auf kulturellem Gebiet; man wollte auch wissen, welche Bräuche sie hatten. Während der Vertragsverhandlungen von 1860 beispielsweise zeigte sich, dass bei den Verhandlungen auf chinesischer Seite explizite Vorstellungen von der Unterschiedlichkeit des britischen und französischen Charakters existierten, auch wenn sich dieses Wissen kaum zunutze gemacht wurde.48

2.4 Europäischer Handel 1840–1860: Cohong-System, erster Opiumkrieg und der Vertrag von Nanjing 1842 Neben den Schwierigkeiten und Problemen im Inneren der Verwaltung des QingReiches stellten die europäischen Ausländer eine ganz besondere Herausforderung dar. Mit der Durchsetzung der Ratifizierung von Verträgen, zuerst dem von Nanjing, dann dem von Tianjin verlangten die Alliierten nicht nur die Öffnung des Landes für den Handel sondern auch vor allem das Recht auf Gesandtschaften in Peking. 46 Er zeigte anhand einer Beschreibung aller berühmten Militärkampagnen vom Beginn der Qing bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, dass der Erfolg der Qing wesentlich auf ihrer militärischen Stärke beruhte, durch die sie auch in der Lage waren, das Tributsystem (z.B. durch Garnisonen) zu unterhalten. Wei Yuan, Shengwu ji (neu herausgegeben zwischen 1995– 1999). 47 Jing, Mit Barbaren gegen Barbaren (2002), S. 33 berichtet, dass sowohl der Gouverneur von Guangdong Ye Mingchen als auch Lin Zexu zwischen 1854 und 1856 von den Ausländern in Kanton Kanonen für die Regierungstruppen erwarb. Da aber die notwendigen Trainingseinheiten fehlten, waren die Kanonen nutzlos. 48 Einige dieser Haltungen identifiziert Swisher in Swisher, Attitudes of Chinese Officials toward the United States, 1841–1861, in: Rea (Hg.), Early Sino-American Relations (1977), S. 135–151.

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Der Vertrag von Nanjing hatte den britischen Freihändler seit 1842 freien Zugang zu fünf Hafenstädten (Kanton, Shanghai, Amoy, Ningbo und Fuzhou) gestattet, außerdem wurde die Stationierung von Kanonenbooten in den Häfen erlaubt, und niedrige Zölle und Extraterritorialität vereinbart. Entsprechend baute Großbritannien seine Chinapolitik aus, wobei als oberste Maxime galt, sich möglichst nicht zu einer kostenintensiven Kolonialpolitik verleiten zu lassen.49 1844 folgten Frankreich und die USA und schlossen ihre eigenen Verträge mit China ab. Die französische Basis blieb zunächst Macao, in den darauffolgenden Jahren wurden aber in allen anderen geöffneten Hafenstädten Konsulate eröffnet.50 Frankreich hatte einen Schwerpunkt auf dem Schutz der katholischen Mission in China, wobei der Stadt Shanghai eine besondere Rolle zukam, denn sie war seit der Zeit des Konvertiten Xu Guangqi Zentrum des Katholizismus und missionarischer Aktivitäten in China. 51 Während der europäische Handel in den geöffneten Hafenstädten wuchs, blieb das Verhältnis zwischen den europäischen Kaufleuten und der QingRegierung, vor allem der Regierung in Kanton, schwierig. Shanghai wurde deswegen in den 1840er und 1850er Jahren eine der der wirtschaftlich erfolgreichsten Städte, weil die britische Gemeinde und die chinesische Stadtverwaltung zusammenarbeiteten.52 49 Zum Opiumkrieg und der Kurzschilderung, die der Expedition für den Feldzug 1860 mitgegeben wurde siehe: London, 26. November 1859, Memorandum on the War with China, in: FO 881/ 832. 50 Weber, La France en Chine (1997), S. 169ff. Als Hauptaufgabe des französischen Konsuls Bourbolons in Macao galt, die innenpolitischen Verhältnisse zu beachten, besondere Aufmerksamkeit aber musste auch der christlichen katholischen Mission in China gelten, die unter dem besonderen Schutz Frankreichs stand. Nach einem Rapport von Konsul de Courcy von 1850 gab es in China 117 europäische Missionare und 131 katholische chinesische Priester, die Zahl der Konvertiten bezifferte man mit 320.000. Wei Tsing-sing, Politique Missionnaire de la France en Chine (1960), S. 495. Für die erfolgreiche Mission von Caleb Cushing, der einen amerikanischen Vertrag abschloss: Swisher, China’s Management of the American Barbarians (1951), S. 159ff. 51 Johnson, Shanghai (1995), S. 245. Kurz nach der Unterzeichnung des Vertrages zwischen Frankreich und China und dessen Ratifizierung durch Théodose Lagrené 1844 (der eine Extraklausel enthielt, der den Schutz katholischer Missionen zusagte), und noch bevor der französische Konsul Charles de Montigny 1847 in Shanghai seinen Dienst antrat, nahm die French Concession, die eigentlich ursprünglich französischer Kirchenbesitz in Shanghai war, Gestalt an. Zunächst war von chinesischer Seite her vorgesehen, dass die Regelung aller auswärtigen Angelegenheiten in britischer Hand bleiben sollte, wogegen sich Montigny aber zur Wehr setzen konnte. Ein Abdruck des Dokuments vom 6. April 1849, welches Montigny eine französische Siedlung in Shanghai gestattet findet sich in: Des Courtils, La Concession Fran‫ذ‬aise de Changhai (1934), S. 11ff. Auch die Auseinandersetzungen mit den anderen Mächten werden dargestellt, wobei das Werk sich aber prinzipiell mit dem rechtlichen Status der Konzession befasst. Das französische Settlement blieb aber immer kleiner als das britische, Brossolet, Les Français de Shanghai (1999), S. 14ff. Für eine biographische Notiz von Xu Guangqi siehe: Hummel, Eminent Chinese (1943), Bd. 1, S. 316–319. 52 Vgl. Fairbank, Treaty System, in: Fairbank/Liu, The Cambridge History of China, Bd. 10 (1978), S. 237. Yue Meng nennt als weiteren Grund für den Bedeutungszuwachs, den Shanghai im 19. Jahrhundert erlebte die Tatsache, dass sich bedingt durch die Misswirtschaft der

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Eine Verschlechterung erlebten die Beziehungen mit dem Kaiser- und Personalwechsel von 1850, nach dem Tode des Daoguang-Kaisers.53 Vor allem in Kanton, so der Eindruck der europäischen Händler, war es (entgegen den vertraglichen Zusagen von 1842) nicht möglich, Fuß zu fassen, und der Gouverneur Xu Guanjin unterband aktiv die Kommunikation mit dem Kaiserhof.54 Versuche der europäischen Kaufleute, den Gouverneur zu umgehen, blieben erfolglos und es zeichnete sich immer mehr ab, dass es ohne den Gouverneur keine andere Möglichkeit gab, mit Peking zu kommunizieren. An diesen Umständen, ihrer schlechten Lage in Kanton, trugen die britischen Kaufleute Mitschuld. Sie hielten sich nicht an die selbst erwirkten Gesetze, setzten ihren Opiumschmuggel fort und zogen so Feindseligkeiten auf sich. In fast allen Vertragshäfen kam es also bis 1854 immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den britischen und chinesischen Behörden, wobei auch Briten tätlich angegriffen wurden. Eine Vertragsrevision im Jahr 1854, die im Vertrag von 1842 zugesichert worden war, sollte dazu benutzt werden, letzte Missstände zu beseitigen. Diese Revision wollten die Vertreter Großbritanniens, Frankreichs und der USA gemeinsam beantragen, waren aber von ihren Regierungen angewiesen, es wegen des Krimkrieges nicht auf einen bewaffneten Konflikt ankommen zu lassen.55 Insbesondere die folgenden Punkte sollten geregelt werden: Zugang zum Landesinneren, Bewegungsfreiheit auf dem Yangzi, die Legalisierung des Opiumhandels, die Abschaffung der Inlandszölle und die Unterdrückung der Piraterie vor der chinesischen Küste. Ein weiterer bedeutender Punkt war die Einrichtung von Gesandtschaften in Peking, oder zumindest der direkte Kontakt zum Kaiserhof. Das Gesuch wurde abgelehnt. Bessere Chancen erhoffte man sich bei einem erneuten Versuch 1856, als Amerika seinen Vertrag revidieren konnte und die Qing-Regierung mit der Niederschlagung der Taiping-

Qing-Verwaltung am Kaiserkanal und die großen Überschwemmungen die dominanten kulturellen Zentren der Qing an die Küste verlegten. Yue Meng, Shanghai (2006), S. 15ff. Siehe hierzu vor allem auch das Kapitel zu Shanghai in Morse, International Relations (1910), Bd. 1, S. 342–366. Bickers, Shanghailanders, in: Past and Present Bd. 159 (1998), S. 161–211. 53 Polachek weist darauf hin, dass bereits seit 1842 auf mandschurische Initiative hin auch innerhalb der Kreise der Qing-Regierung Reformen angestrebt wurden. Weshalb aber der Xianfeng-Kaiser gegen diesen Kurs war, zu dem auch eine gewisse Akzeptanz der europäischen Mächte gehört hätte, kann nicht erschöpfend geklärt werden. Polachek, The Inner Opium Wars (1992), S. 275. Zur Biographie Xu Guangjins siehe Hummel (Hg.), Eminent Chinese (1943), Bd. 1, S. 319–320. Eine Biographie des Xianfeng-Kaisers siehe in Hummel, Eminent Chinese (1943), Bd. 1, S. 378–380. 54 Als Mittelsmänner zwischen den westlichen Kaufleuten dienten ab diesem Zeitpunkt Compradoren, chinesische Kaufleute, die sich auf Vermittlung zwischen westlichen Kaufleuten und dem Inlandshandel spezialisierten. Ihre Rolle beschreibt Hao, The Comprador (1970), S. 207ff. Mit der sich durch den westlichen Handel ändernden Rolle der chinesischen Kaufmannschaft, ihren neuen Strategien für die frühe Phase befasst sich Chan, Merchants (1970), S. 40ff. 55 Morse, International Relations (1910), Bd. 1, S. 414. Für Frankreich agierte Monsieur de Courcy. Cordier, L’Expedition de Chine de 1857–1858 (1905), S. 11.

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Revolte befasst war. Als auch dieses Gesuch abgelehnt wurde, war ein bewaffneter Konflikt vorgezeichnet. Russland war bis 1857 nicht an diesem Geschehen beteiligt, sondern verhandelte an anderer Front mit der Qing-Regierung. Die orthodoxe Kirche verfügte zwar über eine Missionsstation in Peking, in den letzten Jahren aber hatte es erhebliche Auseinandersetzungen mit der Qing-Regierung über eine Ausdehnung des russischen Raumes zum Pazifik gegeben.56 Am 29. Mai 1858 war es Graf Muraiev gelungen, diesen Konflikt für sich zu entscheiden, und im Vertrag von Aigun wurde festgelegt, dass die linke Seite des Amur russisch wurde, die rechte Seite bis zum Ussuri hinunter chinesisch, das Territorium zwischen dem Ussuri und dem Meer sollte von beiden Reichen gemeinsam gehalten werden, bis man zu einer gemeinsamen Übereinkunft kam.57 Während Russland auf diese Art und Weise zwar Landhandelsprivilegien hatte, war damit noch kein Zugang zu den Seehäfen verknüpft. Mit der Beschaffung dieses Zugangs wurde Graf Putiatin beauftragt, der 1857 vor der Beihe-Bucht auftauchte. Ebenso wie die amerikanischen, britischen und französischen Gesandten wurde er mit seinem Gesuch nach einer Ausdehnung russischer Handelsrechte abgelehnt. Er machte sich daraufhin nach Hongkong auf und stieß im November 1857 zu den Gesandten der drei übrigen Westmächte, die dort bereits eingetroffen waren.

2.5 Der zweite Opiumkrieg und der Vertrag von Tianjin 1858 Zwei Ereignisse im Jahre 1856, der Arrow-Vorfall, bei dem Ye Mingchen unter dem Vorwurf der Piraterie eine Lorcha dieses Namens kapern ließ, und der Mord an dem französischen Pater Jean de Chapdelaine, wurden von europäischer Seite dazu genutzt, eine alliierte englisch-französische Militärexpedition nach China zu entsenden um den Forderungen nach einer Vertragsrevision mit militärischen Mitteln Nachdruck zu verleihen.58 Als Bevollmächtigter für die britische Seite wurde Lord Elgin eingesetzt. Sein am 20. April 1857 vom britischen Sekretär des Außenministeriums Earl of Clarendon erteilter Auftrag lautete, die pünktliche Ausführung der abgeschlossenen Verträge einzufordern, zudem das Gesandtschaftsrecht in Peking und damit verbunden einen direkten Zugang zum Hofe des Kaisers zu erreichen. Erlangt werden sollte zusätzlich eine Revision des bestehenden Vertrages, und Zugang ins Landesinnere für die britischen Händler. Falls sich die Qing-Regierung den Forderungen widersetzte, so hätte Elgin Grund und Anlass, zu drastischen Maßnahmen zu greifen, um den Forderungen insbesondere der bei56 Paine, Imperial Rivals (1996), S. 28ff. 57 Paine allerdings kommt zu der Auffassung, dass die Russen 1856 das Gebiet annektierten, ohne es vorher mit der chinesischen Regierung abzusprechen. Paine, Imperial Rivals (1996), S. 42ff. 58 Zur Korrespondenz um den Tod von Chapdelaine siehe Cordier, L’Expedition de Chine de 1857–1858 (1905), S. 19ff. Die Vorgeschichte des Arrow-War siehe Wong, Deadly dreams (1998), S. 153–260.

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den letzten Punkte Nachdruck zu verleihen, und zusätzlich eine Entschädigung für die Kriegsauslagen zu erlangen.59 Für Frankreich wurde Baron Gros entsandt, der am 9. Mai 1857 vom französischen Außenminister, dem Grafen Walewski die Anweisung erhielt, gleichfalls Gesandtschaftsrecht und die Öffnung des Reiches für weiteren Handel zu erwirken, und auch ihm wurde militärische Druckausübung gestattet.60 Als Grund für seine Entsendung wurde nicht nur der Mord an Chapdelaine genannt, sondern auch, die „arrogante Haltung“ des Gouverneurs von Kanton gegenüber dem französischen Gesandten in Macao und die schweren Schädigungen, die die Franzosen durch die Verbrennung ihrer Wirkungsstätten in Kanton erlitten.61 Die Vertreter der Vereinigten Staaten und Russlands William B. Reed und Graf Putiatin erhielten von ihren Regierungen Anweisungen, ihre Interessen ohne militärische Aktionen und nur mit friedlichen Mitteln durchzusetzen.62 Tatsächlich aber war Russland, das zumindest in Europa in Konkurrenz zu Großbritannien stand, das Interesse der westlichen Mächte an eigenen Gesandtschaften nicht recht, und so verdeutlichte St Petersburg 1857, dass Russland wohl das Handelsinteresse stützen würde, nicht aber das Gesandtschaftsrecht in Peking, das den Westmächten ein kritisches Auge auf russische Angelegenheiten (insbesondere die Unternehmungen am Pazifik) erlauben würde.63 Der eigentliche Beginn der Verhandlungen und militärischen Aktionen in China verzögerte sich durch den Ausbruch der Indian Mutiny. Als dann endlich die Passage nach Kanton frei war, zeigte es sich, dass auch die chinesischen Behörden sich nicht so schnell einschüchtern und zum Nachgeben bewegen ließen, und selbst nach militärischen Aktionen wie der Einnahme Kantons hart blieben.64 Seit Ende April 1858 liefen die Verhandlungen in Nordchina, in Dagu, den militärischen Forts, die Peking vom Meer her schützen. Für die Qing-Regierung verhandelten Provinzbeamte, was Elgin dazu veranlasste, die Verhandlungen abzubrechen und die Dagu-Forts am 20. Mai zu besetzen. Die vier Bevollmächtigten Elgin, Gros, (von Putiatin und Reed auf deren neutralen Schiffen begleitet) stießen vor bis Tianjin, wo sie im Juni endlich mit Guiliang und Hua Shana zusammentrafen, die eine Autoritätsstufe höher als die Provinzbeamten standen und als kaiserliche Beamte aus Peking gekommen waren, um die Verhandlungen fortzu59 Zur Mission von Elgin im zweiten Opiumkrieg siehe: Oliphant, Narrative of Elgin’s mission (1859), S. 15ff. 60 Banno, China and the West (1964), S. 11. Für die Instruktionen an Baron Gros siehe Cordier, L’Expedition de Chine de 1857/58 (1905), S. 145–150. 61 Moges, Recollections (1860), S. 3. 62 Swisher, Early Sino-American Relations (1977), S. 166. 63 Vgl. Russisch-chinesische Beziehungen: Quested, The Expansion of Russia in East Asia (1968), S. 67. Putiatins wahre Aufgabe, die aber nur den Amerikanern mitgeteilt wurde war natürlich, Zugang zum Pazifik zu erlangen. Dies wurde aber zu diesem Zeitpunkt noch geheim gehalten und sollte erst Ignatiev gelingen. Siehe auch: Paine, Imperial Rivals (1996), S. 65. 64 Für eine genaue Schilderung der Ereignisse während des zweiten Opiumkrieges siehe Morse, International Relations (1910), Bd. 2, S. 489–538. Siehe auch: Fairbank: Treaty System, in: Fairbank/Liu (Hg.), The Cambridge History of China, Bd. 10 (1978), S. 208–263.

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führen.65 Die schwierigsten Konfliktpunkte, die nicht gelöst wurden waren die europäischen Forderungen nach einer ständigen Vertretung in Peking und der Öffnung der Flusswege zu Handelszwecken ins Landesinnere. Frankreich, Russland und die USA waren eigentlich bereit, im Hinblick auf das Gesandtschaftsrecht nachzugeben, aber Großbritannien beharrte auf beiden Punkten. Die Delegierten der Qing-Regierung bemühten sich nach Kräften, den Konflikt zu entschärfen, indem sie in einer Doppelstrategie mit beiden Seiten verhandelten. Sie verbrachten den ganzen Juni 1858 damit, einerseits die europäischen Gesandten von ihren Forderungen abzubringen, beziehungsweise sie zu modifizieren. Andererseits versuchten sie, den Hof von der Triftigkeit der Gründe zu überzeugen, die die europäischen Kaufleute dazu veranlasst hatte, jene bedrohliche Expedition nach Tianjin zu entsenden. Den Briten und Franzosen legten sie nahe, vom Gesandtschaftsrecht wegen des üblen Klimas in Peking abzusehen, was verständlicherweise nichts fruchtete. Am Hof in Peking argumentierten die Delegierten andererseits als Fürsprecher der europäischen Sache, dass es einige Gründe für ein Nachgeben hinsichtlich der europäischen Forderungen gäbe: Die innenpolitische Lage sei ernst und die militärische Überlegenheit der Ausländer nicht zu unterschätzen, die Residenz von Ausländern in der Stadt sei ernsthaft zu erwägen. Es sei die Schuld der Beamten in Kanton, dass die Ausländer so unzufrieden seien, in Peking selbst habe es schon oft Ausländer gegeben, die ihre ganze Lebenszeit in China verbracht hätten. Nunmehr wollten sie einige Male pro Jahr an den Hof von Peking, das könne der kaiserliche Hof doch gestatten, vor allem, wenn sie über den Landweg kämen. Am 8. Juni 1858 letztlich gestattete der Qing-Hof schließlich die Öffnung der Flusswege ins Landesinnere, wenn auch mit entsprechenden Pässen. Widersprochen wurde aber nach wie vor der Klausel nach der diplomatischen Vertretung. Am 11. Juni hatte man sich auf einen Kompromiss geeinigt, der dem Qing-Hof erneut eine Frist gab, innerhalb der über das Problem nachgedacht werden konnte. Es wurde einstweilen das Gesandtschaftsrecht garantiert, verbunden allerdings mit der Bitte an die Westmächte, dass sie ihren ersten Besuch in Peking später terminieren und nicht sofort die Gesandtschaften einrichten mögen. Lord Elgins eigene Sichtweise in der Angelegenheit war durchaus zweiseitig, denn zwar musste er als britischer Diplomat darauf bestehen, nach Peking einzumarschieren, aber er konnte die chinesischen Beweggründe gut nachvollziehen, nach denen das Gesandtschaftsrecht versagt wurde.66Am 26. und 27. Juni wurde von Großbritannien und Frankreich der Vertrag von Tianjin unterschrieben, der Gesandtschaftsrecht in

65 Guiliang (1785–1862), Mandschu, Mitglied des Roten Banners, seit 1848 Schwiegervater von Prinz Gong. Gouverneur der Provinz Zhili, in den 1850er Jahren mit der Verteidigung gegen die Taiping-Rebellen beauftragt und mit den Verhandlungen mit den ausländischen Gesandten Für eine Biographie und die Schilderung der Ereignisse 1858 und 1859 siehe Hummel (Hg.), Eminent Chinese (1943), Bd. 1, S. 428–430. Huashana findet im gleichen Artikel nur eine kurze Erwähnung, dass er 20 Jahre jünger als Guiliang sei, und etwas harscher in seinem Auftreten. 66 Vgl. Oliphant, Narrative of Elgin’s mission (1859), Bd. 2, S. 342.

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Peking und die Freigabe der Flüsse ins Landesinnere zusagte. Das Gesandtschaftsrecht sollte binnen eines Jahres, also 1859, aufgenommen werden können. In Peking wurden daraufhin bei Hofe von der Seite der so genannten Kriegspartei (die der Präsenz von Ausländern vehement widerstanden) Proteste laut, denn es wurde befürchtet, dass die „barbarischen Diplomaten“, wenn sie in der Stadt residierten, die Handlungen der Dynastie zu gut im Auge hätten, und nach ihrem Willen gestalten könnten.67 Dieser Argumentation wurde Gehör geschenkt, und in den Verhandlungen, die in Shanghai im November 1858 geführt wurden, war es das oberste Ziel der Qing-Regierung, das Gesandtschaftsrecht wieder rückgängig zu machen.68 Der Hof in Peking versuchte auch durch das Versprechen, den ausländischen Kaufleuten die Steuern zu erlassen, die vier Punkte, die für Großbritannien am Wichtigsten waren, nämlich das Recht zur diplomatischen Repräsentanz in Peking, die Öffnung des Flusses zum Handel, die Reisen ins Landesinnere und die Entschädigungszahlungen für entstandene Unkosten zu annullieren.69 Lord Elgin konnte dem natürlich nicht zustimmen. Er kam aber der Qing-Regierung entgegen, indem er versprach, dass er seiner Regierung (die dem letztendlich zustimmte) vorschlagen werde, das Recht auf permanente Residenz in Peking nicht auszuüben, für den Fall dass der Botschafter seiner Majestät beim Austausch der Ratifizierungsurkunden im darauf folgenden Jahr respektvoll empfangen würde, außerdem, wenn alle anderen Vertragsbedingungen erfüllt würden.70 Elgin und Gros traten im Januar 1859 ihre Heimreise an.71

2.6 Die britisch-französische Niederlage bei den Dagu-Forts: Juni 1859 Die Pekinger Regierung wollte und konnte aber auch mit diesem Arrangement nicht zufrieden sein. Es musste angesichts der prekären innenpolitischen Situation unbedingt jede Situation, die die Legitimität und Autorität der Qing-Regierung beeinträchtigte, vermieden werden, und zudem die Machtbalance am Hofe erhalten werden. So wurde am 20. Dezember 1858 von der chinesischen Seite ein Edikt herausgegeben, dass der Austausch der Gesandtschaftsbriefe nicht wie vereinbart in Peking, sondern in Shanghai stattfinden solle. Guiliang, Schwiegervater von Prinz Gong, dem jüngeren Bruder des Xianfeng-Kaisers, und hervorragender Kenner westlicher diplomatischer Gepflogenheiten aber konnte die Regierung überzeugen, dass die britische Seite sich niemals auf ein derartiges Arrangement einlassen würde. Ein Edikt vom 29. März 1859 besagte, dass Peking als Ratifizierungsort durchaus in Frage käme, dass die Entourage der Gesandten aber, falls sie über den Seeweg anreisen wollten, nur zehn Personen betragen dürfe. Das Tragen

67 Banno, China and the West (1964), S. 27. 68 Siehe hierzu Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 8. 69 Fairbank, Treaty System, in: Fairbank/Liu (Hg.), The Cambridge History of China, Bd. 10 (1978), S. 251. 70 Banno, China and the West (1964), S. 28. 71 Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 57.

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von Waffen wurde ihnen nicht gestattet, auch nicht der Transport in einer Sänfte und nach dem Aushandeln der Verträge sollen die Gesandten unvermittelt ihre Heimreise antreten.72 Mit der militärischen Sicherung und dem Schutz Tianjins wurde Senggerinchin beauftragt, ein mongolischer Fürst und Nachfahre Dschingis Khans, der sich durch seine Erfolge gegen die Nian einen gewissen Ruf erworben hatte.73 Auf seinen Vorschlag hin wurde Beitang am 14. April 1859 als Hafen für Peking benannt.74 Die britische Seite hingegen hatte diese Entwicklungen, die in Peking stattfanden, offenbar nur halb oder gar nicht mit verfolgt, respektive zog es vor, diese Entwicklungen zum eigenen Vorteil zu ignorieren. Sie war entschlossen, den Plan wie vereinbart durchzuführen und den Vertrag in Peking zu ratifizieren. Dies geschah wohlweislich, denn die von der Qing-Regierung vorgeschlagene Route und die Vorschriften zur Ausstattung des westlichen Gesandten glichen sehr denen für die Tributmissionen Koreas. Diese Entsprechung wollte Großbritannien, dessen Hauptziel es war, als gleichberechtigt anerkannt zu werden, keinesfalls hinnehmen. Mitte Januar 1859 wurde in London beschlossen, den jüngeren Bruder Lord Elgins, Frederick Bruce, von Shanghai aus nach Peking zu entsenden, um ihn dort die Verträge ratifizieren zu lassen.75 Danach sollte er sein Amt als britischer Gesandter und Bevollmächtigter am Hof des Kaisers aufnehmen. Der Auftrag an Bruce lautete, sich unverzüglich und direkt nach Peking zu begeben, ohne eventuelle Umwege. In Peking direkt müsse er nicht auf einem öffentlichen Empfang bestehen, es genüge auch eine Privataudienz beim Kaiser, da er Gesandter und nicht Botschafter sei.76 Am 1. März 1859 erhielt Bruce endgültig seinen Reisebefehl: Zunächst solle er John Bowring als Superintendenten in Hongkong entlasten, dann in Shanghai seine Mission einrichten, um von dort aus seine Ankunft in Peking anzukündigen.77 In Shanghai erwies sich, dass sein französischer Kollege, M. de Bourbolon erst am 1. Juni reisen konnte.78 Zudem machte die Qing-Regierung in Folge der Edikte, die seit Beginn 1859 veröffentlicht worden waren, keinerlei Anstalten, die beiden europäischen Beamten zu empfangen. Bruce jedoch lag sehr daran, seinen Regierungsauftrag auszuführen, und so hielt er sich nicht an die Vorgaben der Qing-Beamten. Er kalkulierte, dass die europäischen Truppen in Tianjin stärker seien als in Shanghai, und wollte sich ohne Einwilligung der chinesischen Seite, auf einen Überraschungseffekt hoffend, nach Nordchina aufma72 Banno, China and the West (1964), S. 29. 73 Auch durch seine Grausamkeit. Crossley, The Manchus (1997), S. 162. Eine Kurzbiographie: Hummel (Hg.), Eminent Chinese (1943), Bd. 2, S. 632–634. 74 Zur französischen Schilderung, Dokumente etc. Siehe Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 50–67. 75 Michie, Englishmen in China (1900), S. 345 behauptet, dass Bruce eigentlich in seiner Eigenschaft als Diplomat höher geschätzt wurde als Elgin. 76 Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 47. 77 Costin, Great Britain and China (1937), S. 289. 78 Alphonse de Bourbolon (geb.1809, im Dienst in China bis 1863), Biographische Notiz in: Bensacq-Tixier, Dictionnaire (2003), S. 78–82.

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chen. Diese Fahrt gen Norden sollte eine reine Machtdemonstration sein, keinesfalls ein wirklicher Kriegszug. Die westlichen Mächte würden dabei als geschlossene und verbündete Einheit auftreten, um den größtmöglichen Eindruck zu erzielen. Bruce war sich sicher, dass sein französischer Kollege seinem Plan men würde, aber etwas unsicher, was den neuen amerikanischen Emissär John Ward betraf, der am 28. Mai 1859 in Shanghai eingetroffen war. Offenbar konnte Bruce Ward aber von der Schlüssigkeit seiner Strategie überzeugen.79 Mitte Mai 1859 schrieben Bruce und Bourbolon, der dem Plan von Bruce zugestimmt hatte, Briefe an Guiliang, und erklärten, sämtliche chinesischen Anweisungen außer Acht lassend, dass sie Träger der Autographe der Königin seien, die Verträge von Tianjin ratifizieren wollten und sich nunmehr nach Tianjin begeben würden. Dort hofften sie, eine freundliche Aufnahme zu finden, um den Vertrag von Tianjin zu ratifizieren. Guiliang versuchte, sie von ihrem Vorhaben, nach Peking zu gehen, abzubringen, aber Bruce ließ sich nicht umstimmen. Er begab sich in Begleitung einiger Schiffe nach Norden, und erreichte am 16. Juni den Beihe. Als Bruce und M. de Bourbolon sich am 21. Juni vor der Beihe-Mündung einfanden, war die Flussmündung von Senggerinchin und seinen Truppen blockiert worden.80 Bruce gab am 25. Juni Befehl zum Angriff und Admiral Hope ließ seine Truppen zur feindlichen Übernahme des Forts übergehen.81 Bruce und Admiral Hope erlitten gegen alle Erwartungen vor den Forts von Dagu am 25. Juni 1859 eine vernichtende Niederlage. Sie verloren 432 Mann, mussten die Idee aufgeben, den Fluss zu öffnen und kehrten nach Shanghai zurück.82 John Ward, der neue amerikanische Gesandte, hatte aus der Meistbegünstigtenklausel den Schluss gezogen, dass es auch ihm zustünde, sich nach Peking zu begeben, um dort den Vertrag abzuschließen. Er beschloss, da für die USA das Gesandtschaftsrecht nicht so wichtig war, wie für die britischen Kollegen, sich an die Anweisungen des Qing-Hofes zu halten, und begab sich mit der vorgeschriebenen Entourage nach Peking. In Peking konnten sich John Ward und die chinesischen Unterhändler nicht auf die Etikette einer Audienz einigen, weshalb Ward keine Audienz beim Kaiser erhielt, und es ihm nur gelang, Guiliang einen Brief an 79 Siehe auch: Tong, United States Diplomacy in China (1964), S. 259. 80 Grandin, Campagne de 1859 (1891), S. 367. Die Frage, ob die Qing tatsächlich vorhatten, den Weg ins Landesinnere nicht frei zu geben muss offen bleiben. Tong weist jedenfalls daraufhin, dass die Meinungen der Historiker darüber auseinandergehen. Seiner Meinung nach lassen sich die Fakten auch so auslegen, dass in Peking alles für die Ankunft der Briten, Franzosen und Amerikaner vorbereitet war. Der Fluss sei aus Furcht vor den Rebellen gesperrt worden, hochrangige Beamte, die die Kommunikation hätten übernehmen können, seien in Peking gewesen, und der Xianfeng-Kaiser hätte generell einen friedlichen Umgang mit den Gesandten gefordert hatte. Tong, United States Diplomacy in China (1964). S. 259 ff. Für den Bericht von Admiral Hope siehe: Bonner-Smith, The Second China War 1856–1860 (1954), S. 393. 81 Costin, Great Britain and China (1937), S. 293. 82 Schilderung der Niederlage bei den Dagu-Forts durch M. de Bourbolon: Dagu-Forts, 30. Juni 1859, M.de Bourbolon an Ministère des Affaires Ètrangères, in: MD, SHTM, Série BB 4, Bl. 363–370. Außerdem berichtet Stephenson, At home and on the battlefield (1915), S. 242 davon an seinen Bruder, als er am 20. Juli wieder in Hongkong war.

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den Kaiser zu überreichen. Es widerfuhr ihm damit also die Behandlung, die Bruce für sich antizipiert hatte und auf alle Fälle vermeiden wollte. Am 16. August 1859 wurde zwar ein Vertrag zwischen dem amerikanischen Gesandten und China ratifiziert, John Ward aber war während seiner gesamten Reise nach Peking wie der Emissär eines tributpflichtigen Staates behandelt worden.83 Diese Interpretation ist allerdings die britische Sichtweise, die so nach London referiert wurde. Tatsächlich war es Bestandteil amerikanischer Diplomatie, ohne die Überlegenheitsattitüden Großbritanniens aufzutreten und sich in gewissem Masse an die Gegebenheiten vor Ort anzupassen.84 Auch der russische Vertrag wurde ohne weitere Komplikationen am 24.April 1859 in Peking zwischen Petr Perovskii und Sushun ratifiziert.85

3 PLANUNG UND AUSRÜSTUNG DER ZWEITEN EXPEDITION IN ENGLAND UND FRANKREICH 1859/60 Bruces Alleingang, seine Weigerung, sich dem chinesischen Diktat zu beugen und seine Niederlage vor den Dagu-Forts fanden in London keineswegs ungeteilte Zustimmung. Man hatte den Eindruck, dass er überstürzt und zu Unrecht gehandelt habe.86 Es herrschte allgemein die Auffassung, dass sich sowohl der Admiral als auch Bruce vorher hätten vergewissern müssen, ob das Angebot des Gouverneurs, ihn an der Flussmündung in Beitang ebenso wie den amerikanischen Gesandten John Ward zu empfangen, aufrichtig war, bevor man sich gewaltsam einen Weg verschaffte. Nichts desto trotz war man sich einig, dass man sich für die Niederlage rächen müsse. Nach einem Treffens am 16. September 1859, bei dem der Duke of Cambridge, Palmerston, Kriegsminister Sidney Herbert (Secretary of State for War) und der Staatssekretär für Indien Charles Wood (Secretary of State for India) anwesend waren, wurden rasche Schritte eingeleitet. Man beschloss, dass ein britisches Regiment und eines aus Indien nach China gesandt werden sollten. Damit wollte man auch dem Erzrivalen Frankreich nicht den Vortritt in China lassen.87 Auch Napoleon III. hatte seinen Entschluss kund getan, die in China erfahrene Behandlung zu rächen und eine Expedition nach China angekün-

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Am 8. November 1859 wurde der Vertrag dann in Shanghai publiziert und auch veröffentlicht, dass ab dem 1. Januar 1860 amerikanische Staatsbürger in Swatow und Taiwan leben dürften. Siehe: Shanghai, 8. November 1859, John Ed. Ward Proclamation, in: FO 677/14. Anderson, Imperialism and Idealism (1985), S. 12. Banno, China and the West (1964), S. 31. Für eine Biographie von Su Shun (1815–1861) siehe Hummel (Hg.), Eminent Chinese (1943), Bd. 2, S. 666–669. Costin, Great Britain and China (1937), S. 294. Graham, The China Station (1978), S. 379. Tombs, That Sweet Enemy (2006), S. 364 beschreibt sehr gut die Ambivalenz der politischen Situation: Das wegen der Italienkrise sehr angespannte Verhältnis zwischen Großbritannien und Frankreich, und die gleichzeitige Entsendung einer alliierten Expedition. Garnier weist darauf hin, dass das Interesse der französischen Öffentlichkeit an einer Expedition nach China nicht besonders groß war, und der Kaiser mit seinem Enthusiasmus recht allein stand. Garnier, Dictionnaire Perrin (2004), S. 215.

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digt, bestehend aus 12.000 Mann Infanterie, zwei Schwadronen Kavallerie und acht Batterien Artillerie, begleitet von 20 Kanonenbooten. Damit hatte Palmerston nicht gerechnet und so schrieb er an Russell: Napoleon is determined to send an expedition against the Chinese, and we cannot I think allow him to do so alone. It would be impossible for many reasons. We could not shrink from resenting an outrage offered mainly to us, and by which we were the main sufferers, when the French resented their lighter share both of the insult and the loss. Moreover, to let things alone would be to hand over to them our Position in the East.88

Man visierte also eine gemeinsame alliierte Expedition an.89 In einer Depesche vom 26. September 1859 sprach das Kabinett in Einleitung der Expeditionsvorbereitung Frederick Bruce die Billigung für sein Vorgehen aus: Es gäbe keinen Grund, das Vertrauen, das in ihn gesetzt wurde zu widerrufen.90 Letzte Zweifel an der Rechtmäßigkeit von Bruces Vorgehen wurden in Großbritannien Ende Oktober 1859 ausgeräumt, als die Nachricht von John Wards Vertragsabschluss mit China eintraf. Gleichfalls am 26. September 1859 wurden die Verhandlungen über eine gemeinsame Expedition mit Frankreich aufgenommen, mit denen der britische Vertreter Lord Cowley in Paris beauftragt wurde.91 Während man sich über die Absicht des Feldzuges schnell einig war, konnte man sich über die Strategie im Umgang mit den Unterhändlern der Qing-Regierung zunächst nicht einigen, da Frankreich und Großbritannien hierüber unterschiedliche Auffassungen hatten. Frankreich bestand sowohl militärisch als auch diplomatisch auf einer harten und aggressiven Linie des Angriffs: Man solle keine Zugeständnisse machen, bevor man militärische Operationen unternommen habe. Der britische Premierminister aber blieb skeptisch und wollte auf alle Fälle vor Anwendung von militärischen Maßnahmen die Gelegenheit zu Verhandlungen haben.92 Krieg und Angriff sei erst als allerletztes Mittel heranzuziehen, wenn keine andere Lösung mehr blieb, und alle Verhandlungen erfolglos blieben. Allerdings sei dann zu befürchten, dass der Kaiser gen Norden fliehe, sich den Verhandlungen entziehe, und die britischfranzösischen Truppen unverrichteter Dinge wieder abziehen müssten.93 Der britische Gesandte (in diesem Falle sprach man immer noch von Bruce in Shanghai, dass Lord Elgin geschickt werden sollte, wurde erst Anfang 1860 klar) sollte also zunächst die Erlaubnis des Kaisers abwarten und sich erst gen Peking begeben, wenn eine Entschuldigung der Qing-Regierung für die Ereignisse 1859 eingegangen sei. Daraufhin sollte er sich, ohne eine Erlaubnis abzuwarten, auf 88 Zitiert nach Costin, Great Britain and China (1937), S. 299. 89 Zur Planung und Ausstattung der französischen Expedition siehe: Chine: relation de la part prise à l’expedition de chine par la 1e compagnie des sapeurs, commandée par le capitaine Bovet 1859–1860, in: MD, SHAT, Série M, M 844, Bl. 1–4. Mitteilung an den Admiral Hope in China: London, 10. November 1859, Außenminister an Konteradmiral Hope, in: FO 405/5, S. 3–5. 90 Zitiert nach Costin, Great Britain and China (1937), S. 299. 91 London, 29. Oktober 1859, Russell an Bruce, in: FO 405/5, S. 1. 92 London, 26. November 1859, Memorandum on the Necessity of a Declaration of War against China, in: FO 881/834. 93 Costin, Great Britain and China (1937), S. 307.

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seinem eigenen Schiff nach Tianjin begeben, um von dort aus mit den ihm gebührenden Ehren in die Hauptstadt geleitet zu werden. Die Qing-Beamten sollten darüber informiert werden, dass das Versprechen des Gesandten, nicht ständig in Peking zu leben, sondern nur gelegentliche Besuche dort abzustatten, eingehalten werden würde. Dies war das Szenario, das britischerseits für den Fall des Entgegenkommens der Qing-Regierung vorgesehen war, und dem französischerseits in groben Zügen zugestimmt worden war.94 Falls die chinesische Seite nicht auf diese Bedingungen einginge und die Gesandten nicht eingeladen würde, nach Peking zu kommen, würden die Punkte, die eingefordert werden sollten, in ein Ultimatum umgewandelt werden, das nach 30 Tagen auslaufen würde. Nach dieser Zeit sollte gehandelt und militärische Maßnahmen eingeleitet werden. Frankreich informierte die britische Regierung, dass man beabsichtigte, zusätzlich Entschädigungszahlungen in Höhe der von der Expedition verursachten Kosten zu fordern. Die britische und französische Regierung einigten sich am 8. Februar 1860 auf die Summe von 60 Millionen Francs.

3.1 Bruces weitere Verhandlungen in Shanghai: Verhinderung eines zweiten Konfliktes Bruce hatte im Oktober 1859 Instruktionen erhalten, britische Interessen ohne weitere Zugeständnisse zu vertreten, eher forcierend und fordernd, aber nach Möglichkeit einen Krieg vermeidend.95 Während der gesamten Expeditionsvorbereitung hegten die Vertreter der europäischen Westmächte die Hoffnung, dass es Bruce in Shanghai noch gelingen würde, den Konflikt friedlich beizulegen. Die Qing-Regierung aber weigerte sich, den Forderungen der Westmächte nachzukommen, obwohl Bruce noch bis April weiterverhandelte und hoffte, eine Wende herbeizuführen.96 Am 6. Januar 1860 hatte er von seiner Regierung den Befehl erhalten hatte, an die Qing-Regierung das Ultimatum zu stellen, nach dem innerhalb eines gewissen Zeitraums die Verträge von Tianjin zu ratifizieren seien. Falls dies nicht geschehe würde er zum militärischen Angriff übergehen.97 Da er aber plante, die westlichen Mächte zu einen und der Qing-Regierung geschlossen gegenüberzutreten, unterließ er zunächst, das Ultimatum zu überbringen und wartete ab, bis der französische Konsul Bourbolon die Handlungsanweisungen seiner Regierung erhalten 94 Expédition de Chine par le Général Blondel, in: MD, SHAT, Série M, M 883, Bl. 28. Paris, 8. Dezember 1859, Walewski an Randon, in: MD, SHAT, 5G2, Dossier 1 bekräftigt noch einmal die Notwendigkeit, die Aufträge an die Botschafter und Gesandten so eng wie möglich anzugleichen. 95 London, 29. Oktober 1859, Russell an Bruce, in: FO 405/5, S. 2. 96 Sidney Herbert orientierte sich bei der Ausrüstung seiner Flotte und den Anweisungen, die er an Hope Grant herausgab maßgeblich an einem Dokument, das ihm aus Hongkong von Straubenzee zugesandt worden war. Siehe Kanton, 9. Oktober 1859, Straubenzee an Sidney Herbert, in: FO 405/5, S. 14–16. 97 London, 6. Januar 1860, Bruce an Admiral Hope, in: FO 228/282.

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hatte.98 Zudem war Admiral Hope mit seinen Schiffen und Truppen noch nicht in der Lage zu reagieren, falls es zurückgewiesen würde. Um seine Forderungen durchsetzen zu können und zudem immer gut informiert zu sein, nutzte Bruce die Möglichkeit zum informellen Informationsaustausch mit der Regierung in Peking durch seinen Sekretär Thomas Wade und dessen früherem Lehrer Chang, der kürzlich aus Peking gekommen war.99 Durch ihn hoffte Bruce, auf inoffiziellem Wege zu verhandeln und eventuell so eine friedliche Konfliktlösung zu erwirken.100 Eine zweite Möglichkeit ergab sich für diese Politik durch einen jungen Chinesen namens Huang, der eine Ausbildung durch die amerikanischen Missionare genossen hatte und nunmehr im Dienste Senggerinchins stand, und in dessen Auftrag erschien, um sich ein Bild von den Wünschen der westlichen Gesandten und deren Situation zu machen. Auch ihm wurde mitgeteilt, was Bruce zu sagen hatte. Mittlerweile war der Auftrag der französischen Regierung an de Bourbolon in Shanghai eingegangen. De Bourbolons Handlungsanweisungen unterschieden sich in einem Punkt von den Anweisungen Bruces: De Bourbolon sollte in jedem Fall eine Entschädigung verlangen, während Bruce nur eine Entschädigungszahlung verlangen sollte, wenn das Ultimatum zurückgewiesen würde. Bruce ließ sich darauf ein, weil er wusste, wie bedeutend diese Kooperation war, und er darin eine Möglichkeit sah, französische Handlungen zu kontrollieren. Außerdem hätte es die Verhandlungen mit der chinesischen Seite weiter verkompliziert, wenn sie das französische Ultimatum akzeptiert hätte, nicht aber das britische. Die Nutzung eines letzten informellen Kanals vor Überreichung des Ultimatums an die chinesische Regierung (einen Geschäftsmann von Jardine und Matheson), verlief ergebnislos, wie de Bourbolon vorausgesagt hatte.101 Admiral Hope war bald stark genug dazu, die internationale Siedlung in Shanghai zu verteidigen, und im Falle der Nichtkooperation der Qing-Regierung Zhoushan zu besetzen. Das Ultimatum wurde am 8. März gestellt und innerhalb eines Monats abschlägig beschieden. Eine Entschuldigung würde es nicht geben, der Beihe würde auch weiter nicht befahren werden dürfen und die beim Angriff auf die Dagu-Forts verlorenen europäischen Kanonen und Kriegsschiffe würden nicht wieder herausgegeben, ließ die Qing-Regierung mitteilen. Die britischen 98 London, 3. Januar 1860, Russell an Bruce, in: FO 405/5, S. 5. 99 Über die Angelegenheiten in Peking informierte sich Bruce, indem er von Thomas Wade die Peking Gazette übersetzen ließ, siehe: FO 233/31, Übersetzungen der Peking Gazettes von März bis Oktober. Die Frage, inwiefern die chinesische Bevölkerung in den geöffneten Vertragshäfen mit den Alliierten zusammenarbeiteten ist nicht erschöpfend geklärt, als Ausnahmen gelten die Compradores, die als Geschäftsleute mit den westlichen Kaufleuten zusammenarbeiteten, siehe Hao, The Comprador (1970), S. 2ff. Erst für die 1870er und 1880er weiß man Näheres, z.B. Cohen/Schrecker (Hg.), Reform in Nineteenth Century China, S. 255ff, Cohen befasst sich mit der Frage nach dem westlichen Einfluss und Reform in den Küstenstädten. Kwan, The salt merchants of Tianjin (2002) beschreibt die Rolle der Salzhändler von Tianjin, die in ihrem eigenen Interesse ebenfalls als Unterhändler zwischen der QingRegierung und den Ausländern vermittelten. 100 Costin, Great Britain and China (1937), S. 309. 101 Ebd., S. 311.

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und französischen Konsuln würden genau so behandelt werden wie die russischen und amerikanischen Botschafter.102 Bruce nahm diese Botschaft als Indiz dafür, dass im Gegensatz zur britischen die Qing-Regierung zum Kampf bereit sei.103 Außerdem wertete er es als Eröffnung der Kampfhandlungen, weshalb er, die Admiräle Hope und Page, sowie der französische Konsul de Bourbolon beschlossen, mit den bereits in China anwesenden europäischen Truppen die Shanghai vorgelagerte Insel Zhoushan zu besetzen.104 Unterdessen spitzte sich auch die Situation mit den Taiping-Rebellen gefährlich zu, weshalb die Truppen der Qing-Regierung in und um Nanjing konzentriert waren. Die Rebellen erwiesen sich aber stärker als angenommen und konnten Hangzhou und Suzhou einzunehmen. Shanghai geriet Ende Mai 1860 in Gefahr, was die europäischen Truppen auf den Plan rief, die dort nicht unerhebliche Handelsinteressen zu schützen hatten.105 Der französische Kommandeur bestand darauf, eine Kohorte nach Suzhou zu schicken, um den Qing-Truppen zu helfen, da dort, so begründete er diesen Schritt, seiner Kenntnis nach 13.000 katholische chinesische Konvertiten lebten. Bruce hingegen wehrte sich gegen ein derartiges Ansinnen, aber er und sein Kollege erklärten öffentlich, dass sie mit ihren europäischen Truppen auch den chinesischen Teil Shanghais vor den Rebellen schützen wollten. Dieser bemerkenswerte Zustand, dass die Europäer auf der einen Seite versuchten, einen Krieg gegen die Regierung zu führen und eine alliierte Expedition planten, zudem Zhoushan besetzten, andererseits aber die kaiserlichen Truppen unterstützten, wurde von vielen Berichterstattern erwähnt, und rief eine gewisse Ratlosigkeit in der Qing-Regierung hervor. Ausländische Beobachter erkannten natürlich den Hintersinn in der Unterstützung: Die eigenen wirtschaftlichen Interessen zu schützen und auszubauen, dabei aber gleichzeitig den gesetzlichen Rahmen zu stärken, der ihre Einhaltung garantiert.

102 Die Botschaft an den französischen Gesandten in Shanghai wurde am 11. April von Méritens übersetzt und weitergeleitet. Peking, Fin mars 1860, Réponse du Cabinet de Péking à l’ultimatum du gouvernement Franऊais, in: MD, SHAT, 5G1, Dossier 2. 103 Costin, Great Britain and China (1937), S. 314. 104 Zur Rechtfertigung seiner Außenpolitik siehe Shanghai, 7. April 1860, Bruce an Russell, in: FO 405/5, S. 56. Bruce legt Russell so gut wie möglich seine Strategie im Umgang mit den Qing-Behörden dar. Das Protokoll der Sitzung Bruce, Bourboulon, Page und Hope: Shanghai, 14. April 1860. Proces verbal, in: MD, SHAT 5G1, Dossier 2. 105 Shanghai, 26.Mai 1860, Wade an Foreign Office, Memorandum on Rebel Movements, in: FO 405/5, S. 85–87.

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4 DIE AUFTRÄGE AN DIE GENERÄLE UND DIPLOMATEN FÜR DIE ALLIIERTE EXPEDITION 1860 4.1 Der britische Auftrag Die Verhandlungen in Europa zwischen England und Frankreich schritten Anfang 1860 weiter fort und konkretisierten sich. Zwar trauten Premierminister und Außensekretär Frederick Bruce durchaus zu, dass er mit Unterstützung einer britischen Streitmacht die Forderungen Großbritanniens durchsetzen würde können, entschlossen sich dann aber doch, zu seiner Unterstützung dessen älteren Bruder Lord Elgin zu schicken.106 Gleichzeitig, etwa Ende Februar, beschloss auch die französische Regierung, Baron Gros zu entsenden.107 Anfang 1860 wurden die Instruktionen an die französischen und britischen Truppen und Diplomaten herausgegeben und am 9. Januar erhielt Hope Grant seine Ernennung zum Truppenkommandierenden und seinen Auftrag von Sidney Herbert 108 Als Ziel des Feldzuges wurde erstens genannt, der Qing-Regierung eine Entschuldigung abzuringen für die Zurückweisung der britischen und französischen Diplomaten im Juni 1859, zweitens die Ratifizierung des Vertrages von Tianjin.109 Zu diesem Zwecke sollten 10.000 Mann unter Hope Grants Kommando entsendet werden, die Franzosen würden 8.000 Mann entsenden unter dem Generalkommando von Montauban. Hope Grant wurde aufgetragen, sich sofort nach seiner Ankunft mit Bruce in Verbindung zu setzen, sich mit dem französischen General zu treffen und vor allem sich ins beste Einvernehmen mit diesem zu setzen. Der verhandelnde Diplomat bestimme den Einsatz der Truppen, seinen Anweisungen habe Hope Grant Folge zu leisten, es sei denn, es entstünden daraus benennbare Nachteile. Insgesamt wurde Hope Grant eine milde Vorgehensweise ans Herz gelegt, da die Regierungen immer noch hofften, dass auch der Qing-Kaiser danach trachte, den Konflikt auf friedliche Art und Weise zu lösen. Falls aber eine militärische Aktion notwendig werden sollte, so sei es von größter Wichtigkeit, den Konflikt auf das Gebiet zu beschränken, in dem die Zurückweisung sich zugetragen habe, und dafür Sorge zu tragen, dass er sich nicht ins Landesinnere ausbreite. Das Verhältnis zur dort lebenden Bevölkerung sei ausnehmend gut, und dürfe nicht aufs Spiel gesetzt werden. Es lag im britischen und französischen Interesse, so wenig

106 Costin, Great Britain and China (1937), S. 315. Siehe auch London, 6. Februar 1860 Russell an Cowley, in: PRO 30/22/104, Bl. 26 mit der Vermutung, dass es wohl von Vorteil wäre, Elgin wieder zu schicken. 107 Die Vermutung von Russell „He (Elgin) will be delighted to act again with Baron Gros“ bewahrheitete sich leider nicht, beide hatten diesmal große Schwierigkeiten. London, 25. Februar 1860, Russell an Cowley, in: PRO 30/22/104, Bl. 46. 108 London, 9. Januar 1860, Sidney Herbert an Hope Grant, in: FO 405/5, S. 11–13. 109 London, 9. Januar 1860, Sidney Herbert an Hope Grant, in: FO 405/5, S. 12.

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wirtschaftlichen Schaden wie möglich durch diesen Krieg zu erleiden.110 Daher sollte der chinesischen Bevölkerung in Hongkong bekannt gemacht werden, dass dies ein Krieg gegen den Kaiser sei, nicht gegen das Volk, und dass man hoffe, dass der Handel zwischen den europäischen Westmächten und China von diesem Krieg unbehelligt bliebe.111 Den Anweisungen an Hope Grant war ein Bericht von Admiral Hope beigelegt, die Beschaffenheit der Forts betreffend, sowie der Befehl, notwendige Maßnahmen für die Ausrüstung der Truppen zu treffen und auch vor allem auf die Truppendisziplin zu achten. Im Zweifelsfall lag die Hauptentscheidungsgewalt wegen der besseren Kenntnis der Gegend bei Admiral Hope, mit dem der Kommandant, der die Truppen zu Land befehligte, sich abzusprechen hatte.112 Mit James Hope Grant (1808 bis 1875) war ein General gewählt worden, der bereits Erfahrungen in China gesammelt hatte. Im Alter von 34 Jahren diente er 1842 im ersten Opiumkrieg und danach im Anschluss bis 1844 in Hongkong. Danach wurde er nach Indien versetzt, wo er zunächst bis 1851 blieb, und im ersten und zweiten Sikh-Krieg kämpfte. Nach einem dreijährigen Aufenthalt in England kehrt er 1854 nach Indien zurück und war 1857 bei der Belagerung von Delhi verantwortlich für das britische Lager.113 Bekannt wurde er dadurch, dass er mit besonders schweren Strafen gegen Plünderungen vorging, was ihm auch von den Einheimischen sehr hoch angerechnet wurde, und wofür er zum General befördert wurde. „Hope Grant seems very much liked. It can hardly be otherwise, for there is a quiet simplicity and kindliness about his manner which, in a man so highly placed, must be most winning[…]” so beurteilt ihn sein schottischer Landsmann Lord Elgin.114 Am 17. April 1860, zwei Tage, nachdem die Verhandlungen mit der Regierung Napoleon III. abgeschlossen waren, wurde Lord Elgin von seinem Minister John Russell instruiert.115 Obwohl die britische Regierung ihrem Sondergesandten einen Hinweis gab darauf, auf welche Art und Weise britische Politik im Fernen Osten betrieben werden solle, nämlich friedlich, ließ man Elgin freie Hand in der Ausführung der an ihn erteilten Aufträge, solange er auf der Ratifizierung des Vertrages bestünde, einer Entschuldigung der Qing-Regierung für die BeiheAffäre und eine Entschädigung. Mit großem Nachdruck aber verwies Russell darauf, welch fatale Konsequenzen eine Flucht des Kaisers aus Peking für das weite110 Für einen Entwurf der Instruktionen an Hope Grant siehe Sidney Herbert an John Russell, in: PRO 30/22/25, Bl. 230. Siehe auch London, 7. Januar 1860, Russell to Lord Commissioners of Admiralty, in: WO 32/6343. 111 Foreign Office, 3. Januar 1860, Russell an Bruce, in: FO 881/847. 112 Vgl. Memorandum showing the relative responsibilities of the Officers Commanding her Majesty’s Sea and Land Forces in China, in: FO 405/5, S. 13. 113 Biographische Notiz: Moreman, Grant, Sir James Hope (1808–1875), in: Oxford Dictionary of National Biography, Online Edition, September 2004. 114 Walrond, Letters of Elgin (1872), S. 334. 115 London, 17. April 1860, Russell an Elgin, in: FO 405/5, S. 37. Interessanterweise wurde in diesem Schreiben auch darauf verwiesen, dass es der Regierung ihrer Majestät auch darum ginge, Frieden zwischen Frankreich und England herzustellen.

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re Verhältnis zwischen Großbritannien und China hätte. Dies zusammen mit der Furcht, dass die Rebellen die Macht im Lande übernehmen könnten müsse Elgin zur größtmöglichen Vorsicht anregen und erfordere vor Ort kluges und umsichtiges Verhalten. Im gleichen Schriftverkehr wurden ihm die Anweisungen, die Baron Gros von seinem Außenminister Thouvenel erhalten hatten, überstellt. Am 18. April informierte ihn Russell außerdem darüber, dass das Kolonialministerium Informationen zur Insel Kowloon erwarte, die gegenüber der Stadt Victoria liege. Auf diese Insel hatte die britische Regierung schon lange ein Auge geworfen, da der Felsen, auf dem die Stadt Victoria lag, zu eng geworden war, und die Insel fruchtbares Land und einen idealen Truppenstützpunkt darstellte. Elgin schlug vor, eventuell die Abtretung Kowloons zum Gegenstand der Entschädigung zu machen, aber es wurde ihm dringende Vorsicht ans Herz gelegt, um nicht den Neid der anderen Mächte zu erregen.116 Wegen des angespannten Verhältnisses zwischen Großbritannien und Frankreich, sah sich Queen Victoria genötigt, am 10. Mai noch Sonderinstruktionen an Elgin zu erteilen für den Fall, dass es zum Krieg zwischen England und Frankreich komme.117

4.2 Der französische Auftrag General Montauban erhielt seine Ernennung zum Kommandanten der französischen Expedition nach China bereits im November 1859 durch den Kriegsminister Marschall Randon.118 Vom Kaiser persönlich wurde er über seine Aufgabe in Kenntnis gesetzt und gleichzeitig mit Graf Kleczkowski in Verbindung gebracht, der bereits in Shanghai Dienst getan hatte. Für Montauban sollte dies der erste Aufenthalt in Asien, nicht aber im Ausland sein: 27 Jahre hatte er in Algerien gedient und sich dort verdient gemacht. Besonders wichtig war es Montauban, dass er zum Kommandanten der diplomatischen Mission, aber auch des Heeres und der Marine gemacht würde. Alle drei Forderungen wurden ihm zunächst gewährt, aber dann wurde seine Macht wieder, angesichts der militärischen Machtverteilung im britischen Heer (Admiral und General teilten sich hier die Macht gleichermaßen) geteilt und es wurde ihm Admiral Charner zur Seite gestellt, mit dem er sich in wichtigen Punkten absprechen musste.119 Die zweite Bedingung Montaubans war es, bis zu einem gewissen Dienstgrade Beförderungen vornehmen zu dürfen. Er forderte außerdem eine wissenschaftliche Kommission zur Begleitung, 116 London, 17. April 1860, Russell an Elgin, in: FO 17/329, Bl. 33. 117 RA VIC/J/79/27, Russell an Elgin, 10. Mai 1860. In diesem Falle sollte Elgin, erstens, einen Waffenstillstand mit seinem französischen Kollegen für die noch verbleibende Dauer des Feldzuges schließen. Zweitens solle man keine größeren Unternehmungen mehr zusammen machen, aber den gemeinsamen Auftrag zu Ende bringen und nach Beendigung des Feldzuges sofort ins Heimatland zurückfahren und Frieden bewahren, bis man in den jeweiligen Ländern eingetroffen sei. (Archivmaterialien der Royal Archives (RA) verwendet mit freundlicher Erlaubnis Ihrer Majestät, Königin Elizabeth II.). 118 Montauban, Souvenirs (1932), S. 1. 119 Ebd., S. 5.

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da seit den Zeiten des Qianlong-Kaisers nicht mehr im Lande gereist worden war. Für diese Aufgabe wurde Graf Stanislas Escayrac de Lauture bestimmt.120 Versagt wurde Montauban auch, einen Fotografen mitzunehmen, so dass zu seinem Kummer die Briten hier das Monopol hielten.121 Nach diesen Vorverhandlungen erhielt Montauban am 15. Dezember 1859 seinen Auftrag in China.122 Dieser lautete, den französischen Gesandten Gros dabei zu unterstützen, eine Gesandtschaft in Peking einrichten zu dürfen, zudem ein gutes Einvernehmen mit den britischen Kollegen zu bewahren. Im Unterschied zu Hope Grant wurde ihm vorgegeben, Peking gegenüber eine bestimmte und bedrohliche Haltung anzunehmen, die auch aggressiv sein könnte. Es wurde vereinbart, an der chinesischen Küste bestimmte Punkte der Belagerung und der Verteidigung zu suchen. In Absprache mit den Admirälen sollten die Truppen in der Nähe von Zhoushan gesammelt, und sich von dort aus in die Nähe des Golfes von Beizhili begeben. Nach der Durchbrechung der erwarteten Flusssperren, so wurde Montauban instruiert, habe er sich unverzüglich nach Tianjin zu begeben, um sich dort einzurichten. Durch die Präsenz und die Einrichtung der französischen Truppen in Tianjin eingeschüchtert, so vermutete Randon, würde die Qing-Regierung sicherlich die Verträge unterzeichnen. Falls nicht, so gäbe Tianjin ein gutes Winterquartier ab. Wenn es gegen alle Voraussicht notwendig werden würde, nach Peking zu marschieren, so solle man sich mit den britischen Alliierten dahingehend absprechen. Die Anweisungen an den britischen und französischen General unterschieden sich aber in einigen Punkten. Zum Beispiel fügte Randon hinzu, und dies wurde im Gegensatz zu den Anweisungen von Hope Grant explizit betont, dass Montauban vor Ort einen gewissen Handlungsspielraum habe: Aufgrund der weiten Entfernung nach Paris müsse er wichtige Entscheidungen vor Ort selbst treffen, weshalb er, Randon, ihm nur allgemeine Regeln und Leitfäden, an denen er sich orientieren könne, mit auf den Weg geben könnte. Dazu gehörte unter anderem, dass die Schiffe als Basis sämtlicher Operationen des französischen Heeres gelten müssten, als schwimmende Quartiere, als Lazarette, Depots und Transportmittel. Der Erfolg des französischen Heeres sei daher unbedingt daran geknüpft, dass auch wichtige Wege im Landesinneren auf dem Wasserwege zurückgelegt werden müssten. Es bleibe ihm, dem Kommandanten überlassen, die Zeiten der Verhandlungen und der Waffenruhe festzulegen. Letztendlich wöge das Urteil des Generals über anstehende Entscheidungen höher als das des Diplomaten, auch das ein 120 Montauban, Souvenirs (1932), S. 4. Zu den Erinnerungen Escayrac de Lautures siehe: Escayrac de Lauture, Mémoires sur la Chine (1865). Die Erteilung der Bevollmächtigung an Montauban: Paris, 29. November 1859, Correspondance confidentielle de General Montauban, in: MD, SHAT, 5G1, Dossier 2. 121 Régine Thiriez allerdings ist der Auffassung und weist in ihrer Studie zu frühen Photographien in China darauf hin, dass drei Photographen für diese Expedition geplant waren: Antoine Fauchery (1823–1861), Colonel Dupin als Chef der topographischen Brigade und Mr. Legrand, ein Photograph aus Shanghai. Die Behauptungen von Montauban kann sie sich nicht erklären. Thiriez, Barbarian Lens (1998), S. 6ff. 122 Paris, 15. Dezember 1859, Randon an Montauban, in: Montauban, Souvenirs (1932), S. 5–8.

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wichtiger Unterscheidungspunkt zu den Briten, wo Hope Grant Elgin zu folgen hatte. Die Chinesen seien, trotz ihres Sieges im Juni 1859 keine ernst zu nehmenden Gegner, und es sollte für die frischen motivierten französischen Truppen kein Problem sein, sie zu besiegen.123Montaubans Ernennung wird von Sidney Herbert folgendermaßen kommentiert: General Montauban had been elected by the Emperor of the French to the command in China, with special reference to his conciliatory character and bearing. He is said to be a man of ability and a good practical soldier. The charges affecting his private character being more properly due to the avarice of his wife, who entered into illegitimate pecuniary transactions with the native chiefs in Algeria.124

Baron Gros erhielt seinen Auftrag am 21. April 1860, in etwa zeitgleich mit Elgin in London.125 Der Außenminister Thouvenel legte ihm zunächst ans Herz, sich nach Möglichkeit immer mit Elgin über alle Maßnahmen, die zu treffen seien, abzusprechen. Zwar wollte man nach Möglichkeit einen offenen Konflikt mit der chinesischen Regierung vermeiden, aber er würde wohl nicht ausbleiben können, da der Xianfeng-Kaiser das Vorgehen vor den Dagu-Forts von Sengerrinchin 1859 explizit gebilligt hatte. Man hoffte natürlich noch am 21. April, dass das Ultimatum in China eventuell angenommen worden sei, musste aber damit rechnen, dass es zurückgewiesen worden war, weshalb man nun schon im Vorfeld Baron Gros dorthin entsandte. Gros’ Aufgabe in China war ebenso wie Elgins, die Forderung einer Entschuldigung für das Vorgehen gegen die alliierten Mächte in der Flussmündung des Beihe, zweitens der Austausch der Verträge von Tianjin und deren unmittelbare Anwendung, zudem, drittens eine Auszahlung von 60 Millionen Francs an jede Regierung, in der sich auch die Entschädigungszahlungen eingeschlossen fanden, von denen zuvor bereits die Rede gewesen war.126 Der Austausch der Verträge müsse in Peking stattfinden, wo Gros so lange bleiben solle, bis er der Auffassung sei, dass sein Auftrag erfüllt sei. Gros habe vor allem immer darauf zu achten, dass die Vertreter von Frankreich und Großbritannien stets respektvoll behandelt werden würden. Die Kosten der Expedition sollten teilweise von der Qing-Regierung selbst, teilweise von den Regierungen Großbritanniens und Frankreichs bestritten werden: Was die Summe der 60 Millionen Franc beträfe, so fuhr Thouvenel in seinem Brief an Gros fort, so sei dies sehr viel weniger, als der Krieg eigentlich kosten würde, aber 100 Millionen Francs, darauf habe man sich in Paris geeinigt, könnte man von der chinesischen Regierung nicht verlangen. Die britische Regierung spielte mit dem Gedanken, für den Fall, dass die Entschädigungszahlungen nicht 123 Montauban, Souvenirs (1932), S. 8. 124 Zitiert nach Mann, China (1989), S. 5. 125 Paris, 21. April 1860, Thouvenel an Gros, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 131– 137. Baron Gros’ veröffentlichte Erinnerungen an die Expedition siehe Gros, Livre Jaune (1864). Gros, Jean-Baptiste Louis (1793–1870), Kurzbiographie in: Bensacq-Tixier, Dictionnaire (2003), S. 270–274. 126 Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 133.

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pünktlich einträfen, gewisse Gebiete um Kanton herum als Faustpfand und Garantie dafür zu nehmen, dass die Zahlungen auch wirklich pünktlich einträfen. In jedem Falle aber sollte gemeinsame Beute gemacht werden, wenn man sich nicht über eine Entschädigungssumme einigen könnte. Randons und Thouvenels Aufträge stimmten nicht ganz überein: Aus dem Auftrag von Randon an Montauban konnte man durchaus den Eindruck gewinnen, dass Montauban bestimmen würde, wie die französischen Truppen einzusetzen seien. Gros allerdings wurde mitgeteilt, dass er bestimmen würde, wann und zu welchem Zeitpunkt die Truppen einzusetzen seien. Auch Gros, ebenso wie Elgin und Hope Grant wurde mitgeteilt, dass Napoleon III. und Victoria wünschen, dass der Krieg nur auf Nordchina begrenzt werden würde, und dass vor allem ein guter Kontakt zur Bevölkerung hergestellt werden sollte. Daher sah der Plan vor, dass die Truppen vor den Beihe-Forts an Land gingen und von dort aus in Richtung Peking marschierten. In Tianjin sollte das Winterquartier aufgeschlagen werden. Thouvenel legt Gros auch ans Herz, dass die Flucht des Kaisers aus der Stadt auf alle Fälle verhindert werden musste. Dies sei eine Mission von besonderer Bedeutung, da das erste Mal diplomatische Beziehungen zwischen Frankreich und China hergestellt werden sollten. Ebenfalls wichtig sei es dabei, mit Elgin auf gutem Fuß zu bleiben.127

4.3 Vereinbarungen die Allianz betreffend: Klima, Truppenversorgung, Plünderung Britische und französische Planung der Bevorratung und Logistik unterschieden sich substantiell. Für die französische Armee wurde festgelegt, dass keinerlei Pferde nach China transportiert werden würden, sondern diese erst vor Ort aus Japan und Manila zusammengekauft werden würden.128 Auch für die Truppenversorgung waren keine Vorkehrungen von Frankreich aus zu treffen. Vielmehr sollte ein Artillerieoffizier, unterstützt von einem militärischen Assistenten vorausreisen, um die Proviantlage zu klären. Dieser Vorhut sollte der Oberkommandierende Montauban nach Indochina folgen, um dort vor Ort erst einmal örtliches Personal einzustellen, und zu warten, bis der eigentliche Tross kam. Er hätte sich zunächst aus den Örtlichkeiten heraus zu verpflegen, was den französischen Ordnungen des Landkrieges vom Mai 1832 entspräche. Sei er einmal in Shanghai eingetroffen, so habe er dort sein Hauptquartier aufzuschlagen. Die Proviantversorgung im Falle der britischen Truppen war anders geregelt. Hier hatte sich in anderen Kontexten die Praxis durchgesetzt, dass nach Möglichkeit die Zivilbevölkerung vom Kriege unbehelligt sein solle. Ein aufwändiges Nachschubsystem wurde erstellt, das es den britischen Truppen ermöglichen sollte, von den Schiffen aus versorgt zu werden. Falls frische Lebensmittel an Land

127 Ebd., S. 137. 128 Paris, 21. November 1859, Randon an Montauban, in: MD, SHAT, 5G1, Dossier 2.

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benötigt wurden, so wurden mit den Einheimischen friedliche Abmachungen getroffen, und die erworbenen Lebensmittel bezahlt. Während es den französischen Truppen überlassen blieb, nicht nur Lebensmittel, sondern auch Transportmöglichkeiten vor Ort zu erwerben, transportierten die Briten 2000 Pferde und die gleiche Anzahl an Eseln aus Indien nach China, um möglichst von den logistischen Gegebenheiten vor Ort unabhängig zu sein.129 Auch Vereinbarungen Prise und Beute betreffend wurden im Februar 1860 in Paris getroffen.130 Diese Vereinbarungen bezogen sich auf sowohl auf See als auch an Land erbeutete Trophäen und Beute und waren eigentlich Zusatzvereinbarungen zu dem Pariser Seerecht von 1856.131 Es fällt dabei auf, dass jeweils nur die Rahmenbedingungen festgelegt wurden, die Exekutive blieb den Kommandos der jeweiligen Länder überlassen. In Artikel 1 wurde festgelegt, dass ein gekapertes Boot derjenigen Partei gehört, unter deren Flagge der kommandierende Offizier segelte. Falls (Artikel 2) ein Boot von einer der alliierten Mächte in Anwesenheit der andern Macht gekapert wurde (wobei anzunehmen ist, dass die Anwesenheit der anderen Macht zur Einschüchterung beigetragen hat), so unterlag die Beute der Rechtsprechung denjenigen, die die Beute genommen haben. Artikel 3 regelte, dass weder englische noch französische Boote gekapert werden durften, solange man gemeinsam in einem Feldzug alliiert sei. Artikel 4 legte fest, dass, wenn ein Boot gemeinsam gekapert wurde, die Beute, nach Abzug der Ausgaben an Männer beider Schiffe verteilt werden sollte. Hierbei wurde von der britischen Sitte, nach der Beute dem Rang entsprechend verteilt wurde, abgewichen: Alle erhielten den gleichen Anteil an Beute. Ebenso wurde verfahren, wenn ein Boot gekapert wurde, das nur einer Partei alleine gehörte, dann sollten die Gesetze des Landes der Kaperpartei gelten. Auch bei der Behandlung der Geiseln gaben die Plünderungsvereinbarung nur einen losen Rahmen vor: Die Offiziere und die Crew des gekaperten Schiffes sollten entsprechend den Gesetzen des jeweiligen Landes behandelt werden. Mit dem Vorgehen der Beute im Landkrieg befasste sich erst der Artikel 8. Dort wurde festgelegt, dass insbesondere Kanonen, Flaggen und andere Gegenstände, die als während der Schlacht erbeutete Trophäen betrachtet werden konnten, zwischen den beiden Regierungen aufgeteilt werden sollten, auch ohne Beteiligung der Marine. Dazu sollten Männer bestimmt werden, die die Verteilung organisierten. Gegenstände, die für die Weiter- und Fortführung des Krieges Wert hatten, sollten nach Anzahl der Männer, die an dem Feldzug teilnahmen verteilt 129 Über den Transport der Pferde aus Indien und ihre Einsetzung in China berichtet Allgood: Horse Transport, in: WO 28/384, S. 29–36. 130 Paris, Februar 1860,Convention. Joint Captures in China, in: FO 93/22/69, Bl. 22. 131 Dies war notwendig, weil in chinesischen Gewässern auch Schiffe kreuzten, die nicht die Pariser Seerechtskonvention unterzeichnet hatten, z.B. die der USA. Die Unterhandlungen zwischen Paris und Großbritannien begannen im Januar 1860. Es wurde zunächst verhandelt, ob als Gerichtsort für das französische Preisgericht Manila oder Hongkong bestimmt werden sollte, da unterschiedliche britische und französische Preisgewohnheiten herrschten, man entschied sich dann aber für Paris. Siehe: 20. Januar 1860, Law Officers’ Reports, in: FO 83/ 2251, Bl. 23–29.

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werden, und zwar proportional zu den am Anfang der Schlacht lebenden Soldaten. Die weitere Aufteilung der Beute sollte entsprechend der Sitten und Gebräuche der jeweiligen Länder geschehen. Im Falle von Streitigkeiten bei der Verteilung der Beute hatte eine gemischte Kommission zu entscheiden, die ihren Sitz in Paris haben sollte. Per Los sollte ein Einzelner festgelegt werden, der dann jeweils die Interessen seines Empires vertreten soll. Falls es sich erweisen sollte, dass etwas vor Ort bewertet werden musste, so solle dies durch eine Kommission von kompetenten Offizieren geschehen.

5 DIE ZUSAMMENSETZUNG DER ALLIIERTEN EXPEDITION: HEER UND DIPLOMATEN 5.1 Das französische Heer und die Marine Das französische Heer hatte sich bislang in Italien und auf der Krim bewährt, war aber noch nie so weit außerhalb Frankreichs eingesetzt worden.132 Am 21. November 1859 hatte das aus Frankreich entsendete Expeditionsheer Gestalt angenommen. Montauban sollte das Oberkommando über zwei Brigaden haben, als militärische Assistenten dienten ihm Schwadronschef Deschiens, Kapitän der Armee de Bouille, und der Leutnant zur See de Pina, außerdem als oberster Kommandant der Artillerie Leutnant Isidore-Pierre Schmitz. Als Artilleriekommandant im Feld war der Colonel Bentzman ausersehen. Kommandant der Aufklärungspioniere wurde Deroulède-Dupré, der aber später durch Livet ersetzt wurde. Als Chef der Verwaltung sollte ein gewisser Dubut dienen, der nach seiner Entführung vor Tongzhou am 18. September 1860 durch Blondeau ersetzt wurde.133 Die erste Brigade wurde von General Jamin kommandiert und bestand aus dem 2. Battaillon der Jäger zu Fuß (wiederum unterteilt in 8 Kompanien), aus dem 101. Infanterieregiment (bestehend aus 2 Bataillons mit jeweils 6 Kompanien, und aus der 7. Kompanie des 1. Regimentes der Ingenieure, und die erste Sektion der 1. Kompanie der Aufklärer. Die zweite Brigade wurde von General Collineau kommandiert und umfasste das 102. Infanterieregiment von Colonel O’Malley und ein Marineregiment. An die zweite Brigade war auch die Artillerie angeschlossen (bestehend aus der 11. Kompanie des 6. Regimentes der Pontonniers, der 10. Batterie, dem 7. Regiment, der 7. Batterie, dem 8. Regiment, und dem 9. Regiment, zudem eine Sektion der 5. Kompanie der Aufklärer). Zur zweiten Brigade gehörten auch die Truppen des Quartiermachers, der Gendarmerie, der gesamte Tross, und 50 Reiter, die aus den 132 Grandin, Campagne de 1859 (1891), S. 376. Es gibt keine Indizien, dass Einheiten der Fremdenlegion eingesetzt wurden. Offenbar wurden diese (außer in Algerien) erst nach 1871 eingesetzt, z.B. 1900 in China. Porch, The French Foreign Legion (1991), S. 28 und S. 294. 133 Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 140. Livet starb am 3. Oktober vor den Toren von Peking. Ein Nachruf erschien in Le Monde Illustrée 1861, 27. Januar 1861.

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„Spahis d’Afrique“ rekrutiert worden waren und als persönliche Leibwache Montaubans fungierten. Insgesamt betrug die Truppenstärke 5590 Mann Infanterie, wobei hier 1600 Unteroffiziere und Marinesoldaten mitgerechnet sind. Die Artillerie war 1200 Mann stark, das Pionierbataillon umfasste 321 Mann.134 Begleitet wurde das französische Heer von einem Verwaltungsapparat, dem 4 Verwaltungsbeamte angehörten, 44 Ärzte und Tierärzte, die für die Dauer der Expedition mit dem militärischen Rang eines Offiziers versehen worden waren, 41 Verwaltungsfachkräfte, 211 Unteroffiziere und noch Personal, das mit der Pflege der Kleidung und der Beschaffung der Dinge des täglichen Lebens eines Soldaten beauftragt war. Als seinen persönlichen Übersetzer für die englische Sprache beauftragte General de Montauban Maurice d’Hérisson, der ihm von den Generälen Pelissier und Fleury empfohlen worden war.135 Bewaffnet wurde die französische Infanterie mit 400 Patronen pro Mann, die Artillerie mit 600 Schüssen pro Kanone, wobei zwischen Geschossen für die Feldschlacht und Geschossen für die Belagerungsschlacht unterschieden wurde. Auch die Ausrüstung der Pioniere wurde im Tross mitgeführt.136 Alle Truppen, mit Ausnahme des 2. Bataillon der Jäger zu Fuß, wurden am 29. November 1859 in Toulon auf 9 Dampfschiffe verladen, die ihre Route über Teneriffa, um das Kap der Guten Hoffnung, Singapur und Hongkong nahmen. Zum Transport der restlichen Truppen wurde extra ein Klipper erworben, und das Segelschiff Le Duperre sollte als Hospitalschiff in China dienen, beide Schiffe verließen am 1. und 11. Januar Brest. Die Marineinfanterie wurde in Lorient versammelt, in Cherbourg und in Brest und begann ihre Reise auf den Segelfregatten L’Andromaque, La Vengeance, La Forte und La Persévérante.137 Nach britischem Vorbild entschied sich auch die französische Marine, die zum Kommando in China Ende Januar aus Saigon eigentlich den Konteradmiral Page nach China reisen ließ, auch noch einen aus Frankreich anreisenden Admiral einzusetzen. Das Oberkommando der Marine wurde an Admiral Charner übertragen, dem die Konteradmiräle Protet und Page unterstanden. Anders als im britischen Falle erhielt dieser aber nicht das Oberkommando über alle Truppen, sondern musste gleichberechtigt mit Montauban entscheiden.138 Charner verließ Marseille am 29. Januar 1860. Auch ein Vertreter der britischen Truppen war im fran-

134 Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 321. 135 D’Hérisson, Journal d’un Interprète (1886), S. 11. Dass Elgin, den d’Hérrison übersetzte, allerdings kein französisch spreche, wie d’Hérisson behauptet, scheint angesichts seiner Kindheit, die er in Paris verbracht hat, unwahrscheinlich. In Kanada erlangte er dafür Berühmtheit, dass er das kanadische Parlament zweisprachig eröffnete. 136 Eine Liste mit der Ausrüstung der einfachen Soldaten für die Expedition, die Anfang Dezember 1859 entsendet wurde findet sich in: MD, SHAT, 5G2, Dossier 1. Die Grundausstattung der Soldaten bestand aus zwei Uniformhosen, einer Bluse, einer Krimäischen Schleife, zwei Flanellhosen und zwei blauen Krawatten. 137 Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 142. 138 Chanoine bemerkt später in seiner Kritik am Werk von Leopold Pallu de la Barriere dass die Verdienste der Marine für diesen Feldzug viel zu wenig gewürdigt wurden. Chanoine, Examen Critique (1864), S.16ff.

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zösischen Heer anwesend: dieses Amt wurde Kolonel Fowley angetragen, der zum französischen Generalstab gehörte.139 Als Chefkaplan wurde der Abbé Trégaro eingeteilt. Montauban reiste seinen Truppen voraus, verließ Frankreich am 12. Januar 1860 auf einem britischen Schiff und erreichte am 20. Januar Alexandria. Am 5. Februar passierte Montauban Ceylon und setzte die Reise über Singapur nach Hongkong fort, wo er am 26. Februar abends eintraf und sofort den Kontakt zu Admiral Hope suchte. Montauban erfuhr, dass zu diesem Zeitpunkt noch dasUltimatum verhandelt werde.140

5.2 Britische Truppen zu Wasser und zu Lande Hope Grant, der Oberbefehlshaber der britischen Truppen reiste von Kalkutta aus nach China.141 Seine Armee umfasste zwei Divisionen mit jeweils zwei Brigaden unter dem Befehl von General John Michel und Sir Robert Napier, sowie eine Kavalleriebrigade. Die vier Infanteriebrigaden wurden kommandiert von den Generälen Sutton, Jephson, Staveley und Reeves. Die Generäle Pattle und Crofton kommandierten die Kavallerie und die Artillerie. Um die Kosten gering zu halten reisten aus Indien zusätzliche Sikh-Kavallerieregimenter an, unter dem Kommando von Major Fane und Major Probyn.142 Diese Kavallerien operierten normalerweise unter dem silladar-System, was bedeutete, dass das Pferd eines jeden Mannes sein Privateigentum war. Für die Dauer des Chinafeldzuges aber wurden die Mitglieder von Fane’s und Probyn’s von der britischen Regierung ausgestattet und finanziert. Auch einige britische Infanterieregimenter reisten aus Indien an: Aus Madras die 1. King’s Dragoon Guards, aus deren Reihen 14 Offiziere und 312 Männer am Feldzug in China teilnahmen, unter dem Kommando von Lieutnant-Colonel Sayer. Ebenso aus Madras das 44. Regiment zu Fuß (Essex), das dritte und das 99. Regiment zu Fuß aus der Nähe von Kalkutta. Das 31. Regiment zu Fuß (East Surreys) war gerade erst im Februar 1859 in Poona angekommen, wurde aber trotzdem gleich auf den Einsatz in China vorbereitet, ebenso wie das zweite Bataillon des 60. und des 67. Regimentes, stationiert in Barrackpore. Aus der britischen Infanterie, bestehend aus indischen Einheimischen wurde das 15. Regiment der Punjabis auf den Einsatz vorbereitet, und am 1. Dezember 1859 von Sir Robert Napier inspiziert. Das gesamte Regiment setzte sich am 16. Januar in Richtung Kalkutta in Bewegung, wo sie am 24. Februar 1860 ankamen.143 Aus 139 Paris, 27. Dezember 1859, Walewski an den französischen Botschafter in London Persigny, in: MAE, Série A, Ambassade de Londres 25. 140 Montauban, Souvenirs (1932), S. 34. 141 Für eine Charakterisierung von Hope Grant, der aus Kalkutta anreiste vergleiche Mann, China 1860 (1989), S. 4. 142 Zu den indischen Kavallerieregimentern siehe einen kurzen Artikel in Anglesey, A History of the British Cavalry (1975), S. 223–232. Seit der Indian Mutiny genossen die Sikhs einen Ruf als besonders tapfere und loyale Soldaten, Streets, Martial Races (2004), S. 67. 143 Mann, China 1860 (1989), S. 9.

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Südafrika segelte das zweite Regiment zu Fuß (The Queen’s) direkt vom Kap der guten Hoffnung nach Hongkong. Der Tross (Military Train), war für die Effizienz des britischen Heeres von besonderer Bedeutung. Obwohl Wolseley feststellte, dass kaum jemals ein besser organisiertes Heer nach China entsendet worden war, war man vom Military Train und seinen Diensten nicht begeistert.144 Während der Indian Mutiny war er in ein Kavallerieregiment umgewandelt worden, die Männer hielten sich gut und gewannen Respekt und Anerkennung der ganzen Armee.145 Für die Chinaexpedition wurde der Tross in drei Teile aufgeteilt werden, von denen einer nach Japan geschickt wurde, um sich dort um die Beschaffung von zusätzlichen Pferden und Maultieren, aber auch Ochsen zum Verzehr zu kümmern. Erschwert wurde die Aufgabenzuteilung an den Tross dadurch, dass einige seiner Mitglieder gehofft hatten, als Kavalleristen zum Einsatz zu kommen. Mit der Aufgabe des Transportes betraut zu werden erschien ihnen nach der Erfahrung in Indien durchaus unter ihrer Würde.146 Die Oberaufsicht über das Kommissariat, wie die gesamte Heeresunterstützung genannt wurde (also Tross, das Kuli-Heer, einige Ochsentreiber aus Bombay und Madras für die Logistik sowie zusätzlich angestellte Filippinos) wurde unter die Aufsicht eines gewissen Mr. Bailey gestellt. Am 5. März machte sich das indische Kontingent von Kalkutta aus auf zwei Schiffen auf die Reise. Einem Choleraausbruch während der Reise fielen 22 Männer zum Opfer. Das Sikh-Regiment Probyn’s Horse machte sich am 19. März auf acht großen Schiffen mit jeweils 1000 Bruttoregistertonnen auf, und erreichte Honkong gegen Ende des Monats.147 Die britische Truppenstärke in China betrug insgesamt 10491 Mann, also ungefähr ein Drittel mehr als die französischen Truppen.148Es war aber, wenn man Mutmaßungen von Lord Cowley folgte, nie vorauszusehen, ob man zum Zeitpunkt des Konflikts tatsächlich mehr als 10000 Männer in Waffen hatte. Französi-

144 Holt, The Opium Wars in China (1964), S. 255. 145 Wolseley, Narrative (1862), S. 115–118. Wolseley bemerkt, dass der Military Train für den gesamten Transport während des Chinafeldzuges sehr schlecht ausgebildet war. Seine Erinnerungen an den Feldzug liegen in Manuskriptform auch im War Office: WO 147/1. 146 Wolseley erwähnt, dass die im Military Train beschäftigten Männer in Indien am Ende fast die gleiche Reputation wie Soldaten hatten. Ihr Dienst im Chinafeldzug 1860 wurde aber als nicht sehr nützlich eingestuft. 147 Der Chinafeldzug von 1860 ist Bestandteil der jeweils eigenen Regimentsgeschichten, die oftmals von pensionierten ehemaligen Mitgliedern verfasst wurden, ohne Anspruch auf Wissenschaftlichkeit. Als Beispiele wären hier zu nennen: Maxwell, History of the 11th King Edward’s own lancers (1941), Carter, Historical Records of the 44th or East Sussex Regiment (1864), S. 205–213 beschreibt den Chinafeldzug, Haswell, The Queen’s Royal Regiment (1967), S. 99–105, Blaxland, The Buffs (1972), Wood, The King’s Royal Rifle Corps (1967), Kenrick, The Story of the Wiltshire Regiment (1969). 148 Siehe hierzu eine Aufzählung der Truppenstärke bei Mann, China (1860), S. 163f. Ein Soldat, der vorher in Südafrika gedient hatte ist zum Beispiel Sir George Pomeroy-Colley, dessen Lebenserinnerungen von Butler vorgelegt wurden. Siehe Butler, The Life of Sir George Pomeroy-Colley (1899).

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scher Beauftragter im britischen Generalstab war der Kommandant der Kavallerie Reboul. Bei diesem Feldzug in China wurden erstmals neu entwickelte Belagerungskanonen verwendet und getestet, die Armstrong-Kanonen, die nicht unerheblich zur schnellen Eroberung der Dagu-Forts beitrugen.149 Die britische Öffentlichkeit sollte über die Ereignisse des Chinafeldzuges von einem Sondergesandten der Times, Thomas Bolbwy (1817–1860), informiert werden. 150 Auch ein Photograph nahm an der Expedition teil, Felice Beato (1825–1907), der bereits im Krim-Krieg und bei der Indian Mutiny fotografiert hatte. Aus Australien reiste Antoine Fauchery an, der die Ereignisse des Chinafeldzuges im Moniteur berichtete.

5.3 Das diplomatische Personal James Bruce, der 8. Earl of Elgin (1811–1863) war nach den Verhandlungen, die er 1857/58 für die britische Regierung in China geführt hatte, sicherlich der erfahrenste Diplomat Großbritanniens hinsichtlich chinesischer Angelegenheiten. Zwar scharf kritisiert für sein Vorgehen während der Auseinandersetzung 1857/58 und diplomatisch eigentlich kalt gestellt als Postmaster General in Großbritannien, war er trotzdem der geeignetste Mann für die Mission.151 Einer eher ärmlichen Kindheit in Paris entwachsen (sein Vater hatte sich durch die Mitnahme des Parthenonfrieses in Griechenland, den “Elgin Marbles“ finanziell übernommen), musste er, wenngleich Sohn eines schottischen Peers, für seinen Lebensunterhalt arbeiten, was er in einer Reihe von Posten für das Empire tat. Berühmt wurde er erst durch seinen ersten Einsatz in China 1857–1859, bei dem es ihm gelang, eine Revision des Vertrages von Nanjing auszuhandeln. Er machte sich nur sehr ungern ein zweites Mal nach China auf, obwohl er sich dabei auf einige der Kollegen von 1857 bis1859 verlassen konnte, die auch diesmal gewonnen werden konnten.152 Dazu gehörten zum Beispiel Henry Loch (1827–1900), der ihm auch 1860 als Gesandtschaftssekretär diente153 Ursprünglich bei der Marine wechselte Loch zur 149 Eine besondere Beschreibung des Vorgehens mit den Armstrong-Kanonen findet sich bei: NAM: Rowley, Captain, Royal Horse Artillery, Diary 14 Jan 1860–12 March 1861, S. 25–44. Zu den Armstrong-Kanonen siehe außerdem Headrick, Tools of Empire (1981), S. 88. 150 Ein biographischer Eintrag zu Bowlby: Boase, Bowlby, Thomas William (1817–1860), in: Oxford Dictionary of National Biography, Sept 2004, Online Edition. Eine biographische Notiz für Felice Beato siehe Wanaverbecq, Felice Beato en Chine (2005), S. 21. 151 Auszüge aus der Privatkorrespondenz Elgins mit seiner Frau wurden von Theodore Walrond 1872 veröffentlicht: Walrond, Letters of Elgin (1872). Eine ausführliche biographische Notiz: Checkland, Bruce, James, Eighth Earl of Elgin and Twelfth Earl of Kincardine (1811–1863), in: Oxford Dictionary of National Biography, Online Edition, September 2004. 152 Russell musste ihn zweimal auffordern, und ließ ihm dann bei der Gestaltung seiner Instruktionen freie Hand. London, 22. Februar 1860, Russell an Elgin, in: PRO 30/22/101, Bl. 8ff. Am 3. März 1860 sagte Russell ihm einen Lohn von 6000 Pfund zu bei gleichzeitiger Bezahlung aller Ausgaben. PRO 30/22/101, Bl. 12. 153 Seine Lebenserinnerungen hatte Loch veröffentlicht in: Loch, Personal Narrative (1900). Die biographischen Notizen sind entnommen: Atlay, Loch, Henry Brougham, first Baron Loch of

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Kavallerie, und trat 1857 in den diplomatischen Dienst ein. Er wurde Zeuge der Einnahme von Kanton am 28. Dezember 1858 sowie der Gefangennahme des Stadtoberhauptes Ye, und begleitete in Folge Elgin nach Japan. Im Chinafeldzug 1860 wurde er von Elgin als dessen Privatsekretär angestellt, und vor allem während der ersten Phase des Feldzuges verhandelte er zusammen mit Harry Parkes einen großen Teil des Vertrages. Auch mit Harry Parkes (1828–1885) setzte Elgin auf einen alten Bekannten. Dieser war schon als Kind mit seiner Schwester, die den deutschen Missionar Karl Gützlaff (1803–1851) geheiratet hatte, nach China gekommen und verfolgte als Knabe die Verhandlungen 1842 in Nanjing. Er galt als Drahtzieher in der Auseinandersetzung um den zweiten Opiumkrieg, und handelte in seiner Eigenschaft als Konsul so feindselig, dass der Earl Malmesbury zu der Bemerkung veranlasst war: “If it were not for the serious consequences involved in this matter, I do not know that I have ever met anything which I should consider more grotesque than the conduct of Consul Parkes throughout these transactions.”154 Thomas Francis Wade (1818–1895) stand als Übersetzer Parkes zur Seite, gleichfalls Chinakenner. Auch er hatte seine Karriere im Militär begonnen, lebte seit 1842 in Südchina, wo er seit 1845 mehrere Posten als Übersetzer und Konsularbeamter bekleidete. Zusammen mit Horatio Nelson Lay war er als Sekretär an der Ausarbeitung des Vertrages von Tianjin 1858 beteiligt. Anders als Loch und Parkes war er 1859 bei der britischen Niederlage vor den Dagu-Forts anwesend und übernahm auch bei der Expedition von 1860 wieder den Posten des Chinese Secretary.155 Als Verstärkung wurde zusätzlich Robert Swinhoe angestellt (1836–1877).156 Swinhoe, der vor allem auch für seine ornithologischen Beobachtungen im außereuropäischen Raum bekannt wurde, diente seit 1855 als Übersetzer in Hongkong und seit 1856 in Amoy. Unbeteiligt an den militärischen Aktionen 1856–1859 wurde er erst 1860 zum Dienst unter General Napier als Übersetzer bestellt.Als Vertreter des Militärs diente im Stab Elgins Hope Crealock, der später seine Erinnerungen an den Feldzug von 1860 im Blackwood’s Magazine veröffentlichte. Gros unterdessen, der mit Elgin bereits 1857/58 verhandelt hatte in Frankreich nur seinen Gesandtschaftssekretär Léon de Bastard angestellt und rekrutierte sein Personal im Wesentlichen vor Ort, wobei er de Méritens als seinen Übersetzer anstellte, zudem eine Portugiesen namens Marquez, der auch 1861 die Eulenburg-

Drylaw (1827–1900), in: Oxford Dictionary of National Biography, Online Edition, September 2004. 154 Die hier zitierten Eckdaten aus Parkes’ Biographie können ausführlicher nachgelesen warden in: Wells, Parkes, Sir Harry Smith (1828–1885), Oxford Dictionary of National Biography, Online Edition, September 2004. Seine privaten Erinnerungen sind dargestellt in: Lane-Poole, Sir Harry Parkes in China (1901). Siehe auch Wong, Deadly Dreams (1998), S. 69–83. 155 Für eine Darstellung von Wades Leben siehe Cooley, T.F. Wade in China (1981). Eine Schilderung seines Engagements mit Elgin ab S. 23 f. 156 Seine Lebensdaten siehe: Thorne Fisher, Swinhoe, Robert (1836–1877), in: Oxford Dictionary of National Biography, Online Edition, September 2004.

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Mission betreuen sollte.157 Während das britische Personal der Expedition im Wesentlichen aus Beamten des britischen Konsulates bestand, fand Gros seine Übersetzer vor allem in den Rängen der katholischen Mission, wobei die meisten (z.B. Abbé Trégaro und Abbé Duluc) schon im Dienste von Bourbolon standen, der als französischer Konsul in Shanghai residierte.

6 EINTREFFEN DER ALLIIERTEN EXPEDITION IN CHINA, REKRUTIERUNG DES KULI-HEERES Die britischen Truppen sammelten sich also zunächst in Hongkong und ließen sich in Kowloon nieder, das von Harry Parkes zu diesem Zwecke gepachtet worden war. Dort wurde auch weiteres Personal für den Tross rekrutiert. Im Verlaufe des Feldzuges würde es schwierig werden, Futter für die Tiere heranzuschaffen, weshalb bereits in Indien beschlossen worden war, mit weniger Tieren zu reisen, und anstatt dessen für den britischen Lastentransport ein großes Corps chinesischer Hilfskräfte (Kulis) zu rekrutieren.158 Mit dieser Aufgabe wurde Major Temple betraut, und er begann, sein Corps zusammenzustellen zu einer Bezahlung von 9 Dollars (oder 1,76 Pfund), zwei Garnituren Kleidung und Essensrationen. Obwohl diese Entlohnung reichlich war, stellte die Mission sich als schwierig heraus. Unter der einheimischen Bevölkerung von Hongkong und Kanton hatte sich das Gerücht verbreitet, dass die Kulis als Kanonenfutter verwendet würden, um zwischen den Schlachtlinien die chinesischen Kugeln für die Briten abzufangen. Außerdem erschien es der Shanghaier und Kantoner Bevölkerung unglaubwürdig, dass ein Kuli-Heer, gedrillt und alle in derselben Uniform mit Mütze (mit der Aufschrift CCC Chinese Coolie Corps), nicht im Kampf eingesetzt, sondern nur zum Transport verwendet werden sollte.159 Es ließ sich also nur der „Bodensatz“ der chinesischen Gesellschaft rekrutieren, wobei diejenigen, die etwas englisch sprachen in die Ränge eines Korporal und eines Sergeanten erhoben wurden, was durch weiße Streifen auf der Uniform kenntlich gemacht wurde.160 Das Kommando über das Kuli-Corps, das letztendlich 2500 Mann zählte, wurde Offizieren der Marine übertragen. Die französischen Truppen sammelten sich zuerst in Shanghai, um sich dann nach Zhifu zu begeben und trafen nach und nach ab Mitte Mai 1860 dort ein.161 Sie kamen direkt aus Frankreich und brachten deswegen keinerlei Transportmittel

157 Näheres über das westliche Personal in China, vor allem die europäischen Bewohner in Hongkong ist zu finden in FO 677/14. 158 Über Ausstattung und Umgang mit dem Kuli-Heer siehe auch den Bericht von Allgood: Notes regarding Native troops on foreign service beyond the sea, in: WO 28/384, S. 25f. 159 Mann, China 1860 (1989), S. 29. 160 Die Verbrechensquote in Hongkong und Kanton, so sagte man, sank beträchtlich, nachdem das Kuli-Corps nach Nordchina abgezogen war. Mann, China 1860 (1989), S. 19. 161 Über die temporäre Besetzung von Zhifu siehe: 14. November 1860, FO 93/33/74b.

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mit, an Pferden nur das, was Montauban selbst benötigte.162 In Shanghai gab es keine Transportmittel und Pferde zu kaufen, weshalb es eine Weile dauert, bis die Franzosen das Problem der Logistik gelöst hatten, was zu Missstimmungen führte. Montauban schickte seinen Sohn (den einzigen Kavallerieoffizier im ganzen Heer), nach Japan, um dort Ponys zu kaufen, die zuerst noch eingeritten werden mussten, um als Zugtiere für die schweren Kanonen zu arbeiten.163 Hope Grant begriff sofort, dass die französische Armee ganz und gar unvorbereitet war, als er Montauban traf und berichtete auch dementsprechend an den Herzog von Cambridge. Ein Angebot von Hope Grant, von den 170 Ponys, die er in Shanghai erworben hatte, welche an die französische Armee abzugeben lehnte Montauban ab, so dass zu dem Zeitpunkt, an dem die Briten fertig für den Feldzug waren, die Franzosen erst 117 der 600 benötigten Pferde zusammengekauft hatten.164 Dies war der Anfang aller Unstimmigkeiten zwischen der französischen und britischen Armee, die sich während des gesamten Feldzuges durchziehen sollte. Montauban erwies sich nach britischer Auffassung als schwieriger Kollege.

6.1 Die Strategieplanung von Montauban und Hope Grant in Shanghai Am 11. Juni brach Hope Grant von Hongkong aus auf in Richtung Shanghai, wo er am 16. Juni eintraf. Unmittelbar nach seiner Ankunft berief er zusammen mit Bruce ein Treffen mit Montauban, Bourbolon, Foley und Reboul ein, um das weitere Vorgehen zu planen.165 Montauban schlug vor, 35 km südlich der Dagu-Forts zu landen, und sich, nur mit leichter Bewaffnung versehen, auf dem Landweg zu den Forts vorzuarbeiten, um von dort aus anzugreifen. Die Verpflegung sollte von den Schiffen aus geschehen. Hope Grant wandte ein, dass dies zu risikoreich sei, der Weg sei unbekannt, die Waffen zu leicht und wegen des nicht einschätzbaren Wetters bestünde die Gefahr, dass die Kommunikation mit den Schiffen abgebrochen würde. Er schlug anstatt dessen vor, nach Beitang segeln, etwas nördlich der Forts gelegen, diese Stadt und deren (nicht sonderlich schwer bewaffnete) Forts einnehmen und als Basislager einrichten. Die Dagu-Forts, soviel wusste man noch von 1859, bestanden aus vier Wehranlagen, zwei kleineren, und zwei größeren und bewachten den Wasserweg nach Peking, der zudem mit Barrieren verschlossen war, so dass eine Schiffspassage unmöglich war. Hope Grants Plan war, die Forts von der Rückseite aus anzugreifen, da er hoffte, auf diese Art und Weise durch einen Überraschungseffekt einen Vorteil zu haben. Die Generäle einigten sich zunächst darauf, dass jeder seinen Plan ausführen sollte, als sich herausstellte, dass Montauban, der mit der Ausrüstung seiner Truppen noch im Rückstand war, nicht vor dem 15. Juli aufbrechen könne. Hope Grant, der strikte Anweisungen 162 Knollys, Incidents (1875), S. 19. Zu Knollys siehe dessen Biographie in Thurin Schönbauer, Victorian Travelers (1999), S. 109–134. 163 Grandin, Campagne de 1859 (1891), S. 377. 164 Mann, China 1860 (1989), S. 21. 165 Knollys, Incidents (1875), S. 34.

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hatte, Konflikte mit dem französischen General nach Möglichkeit zu vermeiden, musste sich dem fügen.166 Unterdessen bahnten sich neue Probleme an. In der Zeit, in der die alliierten Truppen auf ihren Marschbefehl in Shanghai warteten nahmen die TaipingRebellen nicht nur Fuzhou ein, sondern starteten auch einen Angriff auf die Stadt der so heftig war, dass der Gouverneur von Shanghai Hope Grant um Hilfe bat. Hope Grant ließ aus Hongkong das Loodianah-Regiment kommen. Dies, das aus 1030 Mann bestand, zusammen mit 600 französischen Matrosen sollte genügen, die Sicherheit Shanghais zu gewährleisten. Neuigkeiten über den Zustand der Regierung Chinas erhielt Hope Grant in dieser Zeit vom russischen Gesandten Ignatiev, der aus Peking gekommen war. Der 32-jährige Kaiser, so hieß es, sei krank. Die Macht befände sich in den Händen einiger Zivilisten, die entgegen dem Ratschlage des Kriegsministeriums und Senggerinchins, einen bitteren Krieg gegen die Alliierten zu führen beabsichtigten.167 Diese Informationen verdeutlichten Hope Grant noch vor der Ankunft von Lord Elgin die Schwierigkeit der Mission der Alliierten, und bestätigten die Annahmen in London. Einerseits stand der Qing-Regierung nur ein begrenzter Anteil an Truppen zur Verfügung, um den Alliierten zu begegnen, weil der größere Anteil zur Niederschlagung der Taiping-Rebellen verwendet werden musste. Andererseits war ein vernichtender Sieg über die Qing-Truppen für die Alliierten nicht wünschenswert, denn falls der Kaiser flöhe, hätten die Alliierten keinen Verhandlungspartner mehr, oder, was viel schwerer wog, keinen Garanten mehr für die Sicherheit des britischen Handels. Durch das Chaos, das eine Flucht des Kaisers auslösen würde, würde der britische Handel unmöglich gemacht werden. Die Taiping-Rebellen mussten sogar Anfang Juni schon die Gefährdung der QingRegierung durch die Alliierten gewittert haben, denn sie begannen, Kanton anzugreifen. Es blieb also die Aufgabe der britischen Truppen und des diplomatischen Corps, die goldene Mitte zu treffen, und einerseits die Qing-Regierung so stark zu halten, dass sie die innere Sicherheit garantieren könne, andererseits aber so zu schwächen, dass sie den Alliierten ihre Bedingungen zugestehen würden.168 In den nächsten Tagen suchte Hope Grant an der nordchinesischen Küste nach einem Ort, der geeignet wäre als Depot und Nachschublager für die britischen Truppen. Er segelte nach Zhifu, wo er auf den französischen General Jamin traf, der dort bereits ein Vorratslager und große Magazine für seine Armee geschaffen hatte, die zu einem bedeutenden Teil bereits eingetroffen war. Hope Grant lernte dort auch die französischen Kanonen kennen, die vergleichsweise leicht waren, es genügten vier japanische Ponys, um sie zu ziehen, die aber gegenüber den starken britischen Armstrongs den Nachteil hatten, dass sie keine genaue Zielvorrichtung hatten. Jamin bezweifelte stark, dass Montauban am 15. Juli von Shanghai aus aufbrechen könnte, wegen der immer noch fehlenden Pferde. Seine eigenen britischen Truppen fand Hope Grant am 26. Juni auf 166 Ebd., S. 36. Darüber war Hope Grant empört. 167 Ebd., S. 37. 168 Ebd., S. 39.

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der gegenüberliegenden Seite in Dalianwan versammelt, alle, bis auf 120 der King’s Dragoon Guards.169 Dalianwan war ungefähr 200 Meilen südlich der Dagu-Forts und Hope Grant ging unverzüglich daran, seine Truppen dort landen zu lassen: Kavallerie und Artillerie auf der Ostseite (was die Briten Odin’s Bay nannten), im Norden schlug die zweite Division unter Robert Napier ihr Lager auf (was sie Hand Bay nannten), im Osten (Victoria Bay) waren Sir John Michels Truppen, in deren Nähe auch die Transporttiere untergebracht waren.170 Von Montauban kam die Nachricht, dass die französischen Truppen am 25. Juli 1860 startklar wären.

6.2 Das Zusammentreffen der diplomatischen Corps mit den Truppen in Zhifu und Dalianwan Am 9. Juli trafen Elgin und sein Stab in Dalianwan ein.171 Er war am 26. April aus England aufgebrochen, und hatte gehofft, dass im Verlaufe seiner Überfahrt nach China die Nachricht käme, dass es Frieden gäbe, und seine Mission nicht mehr von Nöten sei. Nur ungern begab er sich ein zweites Mal nach China, und nahm auch dasselbe von seinem Kollegen Baron Gros an.172 Er unternahm die Reise in Begleitung von Baron Gros, Bourbolon, Bowlby und Captain Crealock, der der Vertreter des Militärs bei der diplomatischen Gesandtschaft war. Am 23. Mai sank ihr Schiff im Hafen Ceylons, und mit ihm alle seine persönlichen Güter und die Beglaubigungsschreiben der britischen Regierung, für die er einen Ersatz anfordern musste.173 Am 26. Mai traf in Singapur die Nachricht ein, dass das Ultimatum, das von Bruce und Bourbolon am 8. März an die Qing-Regierung gestellt hatten, verstrichen war, ohne dass eine befriedigende Antwort gekommen war.174 Dies bedeutete, dass Elgin und Gros ihre Reise fortsetzen mussten, und nicht zu169 Ebd., S. 42. 170 Am 9. Juli berichtet Hope Grant an Elgin, dass die britischen Truppen 12.000 Mann betragen, er deswegen 10.000 Mann nur mit auf den Feldzug gen Norden mitnehmen will. Er bittet aber gleichzeitig Elgin, zu eruieren, ob es möglich wäre, dass er nur 600 Mann in Dalian ließe. Knollys, Incidents (1875), S. 44. 171 Hope Grant’s älterer Bruder war mit Elgins Schwester verheiratet. Sie hatten sich zwar 20 Jahre nicht gesehen, waren sich aber dennoch freundlich zugetan, als sie sich trafen. 172 Walrond, Letters of Elgin (1872), S. 317. 173 Ebd., S. 328. Douglas Hurd behauptet, dass Elgin sich Sorgen gemacht hätte, weil mit dem Schiff auch die geheimen Instruktionen untergegangen seien. Baron Gros hätte offenbar überlegt, welcher Art diese geheimen Instruktionen wären, und ob sie wohl vorsähen, dass mit britischer Hilfe den „pseudoprotestantischen“ Taiping-Rebellen an die Macht verholfen würde. Dieser Gedanke schien ihm zur fixen Idee zu werden. Tatsächlich bezog sich der Inhalt der geheimen Instruktionen auf die Annektierung Hongkong. Hurd, Arrow War (1968), S. 205. 174 Réponse du Cabinet à l’ultimatum au gouvernement francais, adressé, sous forme de dépeche, par le grand conseil à Ho, gouverneur des deux Kiang, übersetzt von Méritens, in: MD, SHAT, 5G1, Dossier 2. Am gleichen Tag schrieb Russell noch einmal an Elgin, um ihm mit zuteilen, dass er sehr hofft, dass es nicht zum Krieg kommt. London, 26. Mai 1860, Russell an Elgin, in: PRO 30/22/101, Bl. 16.

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rück nach England und Frankreich kehren konnten. Das diplomatische Corps erreichte Shanghai am 21. Juni, wo Elgin Briefe seines Bruders fand, und auf sofortige Weiterfahrt nach Shanghai drängte, wo er am 27. Juni 1860 eintraf.175 Die Version der Ereignisse, die er von Frederick Bruce selbst hörte bestätigte seine Auffassung, dass dieser wohl richtig gehandelt habe. Für die Erfüllung seiner Mission hoffte er, dass sie recht schnell ging, rechnete aber damit, dass die Qing-Regierung, ermutigt durch ihren Sieg vor den Dagu-Forts von 1859, sich nicht so schnell davon überzeugen lassen würde. Zudem war die alliierte Expedition seiner Einschätzung nach zu teuer ausgerüstet worden.176 Lieber wäre es ihm gewesen, wenn er mit 5000 anstatt mit 25.000 Mann nach Peking marschierte. Kurz bevor er Shanghai verließ um nach Norden zu segeln erhielt er einen Hinweis, dass vermutlich ein Verhandlungsbevollmächtigter der Qing-Regierung ihn an der Mündung des Beihe-Flusses erwarten würde. Falls dies geschähe, bevor er die Forts eingenommen hätte, so wäre dies eine große Blamage gewesen, denn dann wäre die gesamte Expedition umsonst gewesen. Auch die Frage, wie er eine Expedition gegen Peking führen konnte, ohne die Autorität seines Bruders herabzusetzen stellte für Elgin ein gewisses Problem dar. Der französische Botschafter Gros hatte in Begleitung seines Gesandtschaftssekretärs Bastard am 25. April Marseille verlassen und war von Ägypten aus mit Elgin weitergereist. In Point de Galles trennten sich die Wege der Botschafter am 5. Juni, Gros bestieg die Duchalaya Elgin die Feroze, die sie weiterbringen sollten. Gros erreichte Shanghai am 28. Juni (noch vor Elgin, obwohl dieser vor ihm Hongkong verlassen hatte) und traf dort auf Hope Grant, Charner, Montauban, Bourbolon, Ward und Ignatiev, die darüber beratschlagten,, wie sie Shanghai vor den Taiping-Rebellen retten könnten.177 Am 5. Juli erreichte Gros ein Brief des in Shanghai lebenden designierten Bischofs von Peking, des Monsignore Mouly, in welchem Gros über die in Peking noch existierenden katholischen Kirchen aufgeklärt wurde. Am 8. Juli verließ auch Baron Gros Shanghai, um zum französischen Expeditionscorps zu stoßen, das nun in Zhifu gesammelt war. Er nahm den ersten Sekretär der französischen Gesandtschaft in Shanghai, de Vernouillet, mit und Monsieur de Méritens als seinen Übersetzer. In Shanghai ließ er Klezkowski zurück. Als seinen zweiten Übersetzer stellte er den Abbé Delamarre ein.178 In Zhifu, nahe an Dalianwan gelegen, waren also nun die diplomatischen und militärischen Kräfte der alliierten Expedition vereint. Am 12. Juli 1860 teilte Gros der Regierung in Frankreich mit, dass er und Elgin zu dem jetzigen Zeitpunkt keine Veranlassung sahen, in Verhandlung mit der chinesischen Regierung zu treten, 175 Unterdessen war Harry Parkes, der am 21. März 1860 die Insel Kowloon als Depot für die erwarteten britischen Truppen gepachtet hatte, zu Elgin gestoßen. Am 27. März war Parkes nach Shanghai gereist, um Frederick Bruce seine Dienste anzubieten, und am 20. April verhandelte er die unblutige Einnahme von Zhoushan. Elgin hatte ihn am 6. Juli in Hongkong aufgefordert, ihn in den Golf von Beizhili als Übersetzer und Ratgeber zu begleiten. 176 Walrond, Letters of Elgin (1872), S. 332. 177 Gros, Livre Jaune (1864), S. 11. 178 Ebd., S. 13.

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weil keine befriedigende Antwort auf das Ultimatum gekommen war. Am 13. Juli 1860 besuchten Montauban und Charner den britischen General, wobei sie den Zustand der britischen Truppen inspizierten und deren Aussehen und Gesundheit hervorragend fanden179 Am 17. Juli kamen Elgin und Gros darüber ein, dass sie selbst mit den Truppen bis nach Beitang fahren, und dort auf den Schiffen warten wollten, bis die Forts eingenommen seien. Sobald dies geschehen sei, wollten sie sich nach Tianjin begeben, wie bereits im Jahre 1858, und dort auf die Verhandlungseröffnungen des Hofes in Peking warten. Deren letzte Aktion sei es gewesen, das Ultimatum zurückzuschlagen, was ihnen, den europäischen Diplomaten nun das Recht gäbe, nach Belieben anzugreifen. Am 22. Juli 1860 legte der russische Gesandte Ignatiev in Zhifu an, gefolgt von Ward. Beide wollten sich über britische und französische Strategien informieren.180 Da die Lebensmittelversorgung an diesem Ort sehr gut war, beschloss Hope Grant, Odin Bay zum Depot zu erklären, und eine kleine Einheit zur Bewachung dort zu installieren. Die chinesischen Einwohner versorgten gegen Geld die britische Armee mit Lebensmitteln.181 Unterdessen erhielt Hope Grant über Elgin und Gros die Nachricht, dass Montauban beschlossen hatte, sich der britischen Armee anzuschließen, und ebenfalls dem Plan von Hope Grant zu folgen, da seine Aufklärungstour ergeben hatte, dass eine Landung südlich der Forts nicht praktikabel sei. Jetzt seien auch die französischen Truppen zum Aufbruch bereit, deren lange Vorbereitung den Abmarsch nach Beitang mehrfach hinausgezögert hatte, und deswegen für Unmut gesorgt hatte. Alle Chronisten waren sich darüber einig, dass sich der gesundheitliche und auch sonstige Zustand der Truppen während des Aufenthaltes in Zhifu und Dalianwan aufs Vorteilhafteste entwickelte.182 Als auffällig bezeichnete es Elgin, dass während des gesamten Aufenthaltes, der dem eigentlichen Feldzug voranging, kaum Plünderungen vorkamen: The contrast with what I saw when I was in China before, in regard to the treatment of the natives, is most remarkable. There seems to be really no plundering or bullying. In so far as I

179 In der Tat, bemerkte Montauban, die Sikhs und die britischen Soldaten sahen so gut aus, wie man sie nur im Hyde Park erwarten würde, nicht aber in China. Knollys, Incidents (1875), S. 47. 180 Gros, Livre Jaune (1864), S. 20. Gros fragte sich daraufhin, ob es wieder dazu kommen würde, dass die Briten die Führung in allen Verhandlungen übernehmen würde, denen die Russen und die Amerikaner nur folgen würden. 181 Vetch, Letters and Diaries (1901), S. 148. „The Chinese bring in to our market lots of bullocks, sheep, some poultry and eggs, also apricots and fish.” Eine der anschaulichsten Schilderungen des französischen und britischen Lagers ist bei De Norman zu finden, in: BL, De Norman, Charles, The Second Journey to Peking (1860). Dieser Bericht enthält eine der absoult seltenen Erwähnungen der Rolle von „loose women“, also Prostituierten: Franzosen wiesen ihre „Dienste“ (so wird behauptet) aus „sanitären Gründen“ zurück. 182 Negroni, Souvenirs de campagne en Chine (1864), S. 23: „Tche-fou, placé sous un des plus beaux climats du Céleste-Empire, offrit à l’armée un repos necessaire après sa longue et pénible traversée.“

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Kapitel II: Voraussetzung in China, Planung des Feldzuges in Europa can see, we have here at present a truly model army and navy: not, however I fear, a cheap one.183

Daraufhin bereitete Hope Grant die Beladung der Schiffe vor, die ohne größere Zwischenfälle vor sich ging. Die britische Truppenstärke betrug in etwa 11.000 Mann, die französische 6700.184

183 Walrond, Letters of Elgin (1872), S. 335. 184 Knollys, Incidents (1875), S. 50.

KAPITEL III: DER CHINAFELDZUG 1860, 1. AUGUST BIS 25. OKTOBER

1 LANDUNG DES ALLIIERTEN HEERES, ERSTE PLÜNDERUNGEN, 1. AUGUST BIS ANFANG SEPTEMBER 1860 Am 26. Juli lichteten die Schiffe in Dalianwan die Anker und segelten in friedlicher Fahrt in Richtung der Mündung des Beihe (in den europäischen Berichten: Peiho).1 Zwei Tage später formierten sich die alliierten Schiffe mit ihren Kommandanten 30 Kilometer vor dem anvisierten Ziel zu einer gemeinsamen Flotte, die am 29. Juli in der Bucht des Beihe eintraf.2 Begleitet wurde sie in Sichtweite von je einem amerikanischen und einem russischen Schiff, die aber nicht weiter in Aktion traten.3 Der Plan, Rache zu üben für die Niederlage, die der britische Gesandte Frederick Bruce am 29. Juni 1859 erlitten hatte, als er auf dem Weg nach Peking zur Ratifizierung des Tianjiner Vertrages war, bestimmte das Vorgehen der Alliierten: Zunächst sollten die Dagu-Forts eingenommen werden, die drei Kilometer landeinwärts den Wasserweg nach Peking befestigten. Dann sollten sich die Alliierten nach Tianjin begeben, um dort sowohl den bereits 1858 ausgehandelten Vertrag zu ratifizieren als auch eine Entschädigungssumme und eine Entschuldigung für die Zurückweisung des britischen und des französischen Gesandten von 1859 einzufordern. Am 30. Juli abends lagen die Beiboote der großen britischen Schiffe neun Meilen südlich von Beitang (in den europäischen Berichten: Pehtang), einer Stadt in der Nähe der Dagu-Forts, zur Landung bereit. Eine Landung war am 31. Juli

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Die britische Flotte wird hier, in China, eindeutig als der französischen Flotte überlegen beurteilt, z.B. von Varin, Expédition (1862), S. 80. Zwar wirkte sie sehr heterogen und bestand aus 200 Schiffen sowohl der Handels- als auch der Kriegsmarine, aber sie war sehr viel beweglicher und hatte auch ganz andere Transportmöglichkeiten, führt Varin aus. Siehe auch Swinhoe, Narrative (1861), S. 55. Die Fotografien, die Felice Beato vom Chinafeldzug von 1860 anfertigte sind abgebildet in: Harris, Of Battle and Beauty (1999), S. 44–103. So beobachtet am 28. Juli von Bowlby, An account of the last mission (1906), S. 57. Wegen der verspäteten Ankunft hatte es Diskussionen gegeben und zu den größeren Differenzpunkten zwischen dem britischen und dem französischen General gehörte generell Pünktlichkeit. Siehe auch Lavollée, L’Expédition de 1860 (1900), S. 341.

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wegen des schlechten Wetters nicht möglich und wurde deshalb erst am 1. August in Angriff genommen.4 Am frühen Morgen machte sich die alliierte Flotte auf den Weg, angeführt vom leichten britischen Admiralsboot, der Coromandel, auf der sich Admiral Hope und General Sir Hope Grant befanden. Es folgten die britischen Kanonenboote mit den Beibooten voller Soldaten im Schlepptau, danach fünf französische Kanonenboote, gefolgt von chinesischen Dschunken, die zum Zweck des Transports französischer Soldaten angeheuert worden waren.5 Eigentliches Landungsziel der alliierten Truppen war eine Stelle ungefähr 1800 Meter von den Dagu-Forts entfernt, die von einer britisch-französischen Aufklärungsmission, an der Major Fisher, Leutnant Dupin, Leutnant De la Mark, ein Hydrograph und 16 Matrosen beteiligt waren, einige Tage zuvor ausgekundschaftet worden war.6 Von der Landseite aus schien zunächst keine Behinderung zu drohen. Einige feindliche Reiter verfolgten von einer Chaussee aus das Tun der alliierten Flotte und entfernten sich nach einer Weile in Richtung der Dagu-Forts.7 Zwischen 2 und 3 Uhr begann die Landung der französischen Vorhut. General de Montauban watete an der Spitze von 200 Soldaten in seinen Kleidern durchs Wasser an Land, zusammen mit dem Kapitän de Montauban (seinem Sohn), dem Colonel Dupin und dem Brigadier d’Hérisson.8 Hope Grant folgte ihm mit 200 Soldaten, die sich wegen des Wassers und eines längeren Marsches durch Schlick teils ihrer Hosen entledigten.9 Die Gegend um die Forts war unzugängliches und schwer passierbares Gelände. Niemals sei, so der Korrespondent der Times Bowlby, ein trostloseres Stück Land gesehen worden – „mud and water everywhere, and not a drop to drink“ –, die Dagu-Forts in der Ferne.10

4

Beitang, 8. August 1860, Foley an Russell, in: FO 405/5, S. 128. Die Landung der alliierten Truppen kann am besten nachvollzogen werden nach den Karten in: Dépôt de la guerre, Der Krieg gegen China (1865), S. 151ff. 5 Swinhoe, Narrative (1861), S. 54. 6 Auch wenn Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 242 nur die französischen Teilnehmer der Expedition nennt, ist es wahrscheinlich, dass Colonel Walker an dieser Expedition ebenfalls beteiligt war, weil die alliierten Truppen in Sichtweite voneinander landeten. 7 M’Ghee, How we got to Peking (1862), S. 74 kommentiert dieses Verhalten befremdet. Hätte die feindliche Kavallerie in diesem Moment angegriffen, dann hätte sie Gelegenheit gehabt, die Alliierten empfindlich zu treffen. 8 Diese Landung ist von einem gewissen symbolischen Wert, weshalb sie auch bildlich dargestellt wurde: Eine Abbildung von General Montauban, der mit dem Wasser kämpft und sich kurzzeitig von steigenden Fluten überrascht sieht, findet sich in: Montauban, Souvenirs (1932), S. 64. Die Zeichung eines britischen Offiziers (mutmaßlich Hope Crealock) ist betitelt: „Le General de Montauban à Pehtang, le 1er Août 1860.“ Der Bericht Montaubans an Randon: Beitang, 2. August 1860, Bericht 107, in: MD, SHAT, 5G1, Dossier 2. Chassirons Behauptung, dass erst am 12. August entladen wurde, bleibt schleierhaft, Chassiron, Notes sur Chine (1861), S. 266. 9 Varin, Expédition (1862), S. 91. Siehe auch die Beschreibungen dieses Ereignisses aus der Sicht Hope Grants, Knollys, Incidents (1875), S. 53 und Montauban, Souvenirs (1932), S. 179. 10 Bowlby in: The Times, 17.Oktober 1860.

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Eine befestigte Chaussee führte nach Beitang. Die Brücke, die in den Ort hinein führte, wurde gemeinsam von 400 britischen und französischen Soldaten besetzt.11 Hope Grant und Montauban entschieden sich aber dagegen, noch am gleichen Abend die Stadt selbst einzunehmen, weil sie noch nichts über Stärke und Taktik des Feindes wussten. Sich in den dunklen Gassen einer unbekannten Stadt zu verirren, hätte fatale Folgen haben können, weshalb die bereits gelandeten Soldaten unter freiem Himmel bivakierten.12 Kommandant De, von Senggerinchin mit der Verteidigung der Forts auf der Nordseite des Beihe bei Dagu beauftragt, ließ die Alliierten zunächst unbehelligt, berichtete aber deren Landung nach Peking.13 Abends entsandten Montauban und Hope Grant Aufklärungsexpeditionen, um die Lage und Bewaffnung der Forts, die Beitang bewachten, zu erkunden. Um 11 Uhr nachts wurde Montauban von Leutnant Dupin geweckt, der sich gemeinsam mit einem britischen Offizier und 20 Ingenieuren Einlass in das Südfort von Beitang verschafft hatte. Unterstützt wurden sie dabei von den Einwohnern von Beitang, die sich – vermutlich aus Furcht vor den Attacken der Alliierten – als sehr hilfsbereit erwiesen. Das Fort war leer und verlassen, und man fand nur ein paar Kanonen, die sich als Holzattrappen herausstellten.14 Ein alter Mann hatte Parkes aber Auskunft gegeben, dass das Fort vermint sei. Montauban entsandte daraufhin seine Munitionsspezialisten.15 Am 2. August morgens um 6 Uhr begaben sich Montauban und Hope Grant zur Inspektion in das Fort von Beitang und fanden die französischen Sappeure

11 In mehreren Berichten ist die Rede davon, dass der übereifrige Dupin die Brücke zuerst besetzt habe, aber auf Intervention Hope Grants zurückbeordert wurde, damit die Soldaten die Brücke gemeinsam besetzten. Dies war nur die erste einer Reihe von mehr oder weniger freundlichen „Wettkämpfen“, die zwischen den Armeen ausgetragen wurden. Swinhoe, Narrative (1861), S. 57. 12 Zur Lage des Forts von Beitang, der Dagu-Forts und des Dorfes Xinhe, sowie den Truppenbewegungen siehe: Sketch of the Operation of the Allied Armies in China, between the 1st and the 21st August 1860, by Capt. Allgood, in: FO 925/2412. 13 Dies erfuhren die Alliierten aus einem Dokument, welches sie am 12. August in Xinhe fanden, 3. August 1860, De an Heng, in: FO 405/5, S. 145. 14 Es ist durchaus möglich, dass es sich hierbei nicht etwa um Holzattrappen handelte, sondern um eine Form der „hölzernen Kanonen“, die von Verbiest 200 Jahre zuvor in China einführt worden war. Dabei wurde ein leichteres Kanonenrohr mit Holz verkleidet und auf Räder gestellt. Die Kanonentechnologie, die im 17. Jahrhundert von Jesuiten nach China importiert worden war, wurde auch 200 Jahre später während der Opiumkriege noch eingesetzt, vor der Modernisierung der chinesischen Waffentechnologie. Di Cosmo, Did Guns Matter?, in: Struve (Hg.), The Qing Formation in World-Historical Time (2004), S. 151. 15 Montauban, Souvenirs (1932), S. 180. Varin, Expédition (1862), S. 99–100, Blondel, Relation de l’Expédition de Chine (1862), S. 83. Für Parkes siehe: Lane-Poole, Harry Parkes in China (1901), S. 210. Parkes war eigentlich als Elgins Übersetzer tätig, aber bei der Landung den Truppen Sir Hope Grant zugeteilt worden. Die Kompanie der Sappeure wurde angeführt von Kapitän Bouvet, der selbst einen Bericht dazu schrieb. Die Schilderung aus seiner Sicht: Chine, in: MD, SHAT, Série M, M 844.

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immer noch bei der Entschärfung der Minen.16 Im Fort selbst wurden von den Soldaten zurückgelassene Dokumente sichergestellt, aus denen Hope Grant und Montauban erfuhren, dass in der gesamten Anlage normalerweise 504 Mann stationiert waren, die Außenposten mitgerechnet.17 Offenbar war aber die Besatzung des Forts beim Anblick des alliierten Heeres geflohen.

Abbildung 1: Beitang-Fort, besetzt von Briten und Franzosen, 1. August 1860, Photographie von Felice Beato © Musée d’Histoire Naturelle de Lille.

Weil die Generäle von den erhöhten Beitang-Forts aus keine größere freie Fläche in dem sumpfigen und salzigen Untergrund entdecken konnten, auf der die Truppen ihr Lager hätten aufschlagen können, wurde deren Einquartierung in Beitang 16 Eine Zeichnung des Forts von Beitang und der Stellen, an denen entschärft wurde, findet sich in: MD, SHAT, Inspection du Génie, Art. 15: Plan du Fort du Pehtang, gezeichnet von Colonel Livet. Delagrange, Le 2ième Bataillon de chasseurs à pied (1889), S. 123 und Gros, Livre Jaune (1864), S. 29 berichten von „infernalischen Maschinen“ die im Fort gefunden wurden. Eine Zeichnung der „infernalischen Maschinen“ findet sich in: MAE, Correspondance Politique, Chine 34, Bl. 12. 17 In den westlichen Quellen wurden keine Übersetzungen dieser Dokumente gefunden, sie werden nur in einem Zeitungsartikel von Bowlby in der Times geschildert, die am 17. Oktober 1860 in London erschien.

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beschlossen. Dabei wurden das französische und das britische Heer in zwei getrennten Vierteln untergebracht. Montauban und sein Personal bezogen einen Tempel, Hope Grant und sein Stab die verlassenen Forts. 30.000 Einwohner mussten ausquartiert werden, um den 17.000 Personen der Alliierten Quartier zu geben.18

1.1 Die Einquartierung der Alliierten in Beitang und dessen Plünderung, 2. bis 12. August 1860 Dass die Zivilbevölkerung von Beitang am 1. August abends Maßnahmen ergriffen hatte, um die Einquartierung der Truppen abzuwenden, nützte nichts (angeblich trugen sie Wasser und Holz herbei).19 Die Alliierten hielten bis zu ihrem Weitermarsch am 12. August, also zehn Tage lang, Beitang besetzt, und bereits im Verlauf der ersten 24 Stunden wurde jedes Haus aufgebrochen und geplündert.20 Die Einwohner verließen die Stadt ohne Widerstand, Frauen und Kinder wurden zuerst in Sicherheit gebracht: „The inhabitants evacuated the town as quickly as possible, the men carrying their helpless, footless wives and their children on their backs, and other poor females hobbling along as best they could.“21 Einige blieben noch Tage dort, und betrachteten „with the eye of despair the destruction of all property they possessed in the world.“ Andere begingen Selbstmord und nicht einmal die Fliehenden, die in einem Bündel ihr Eigentum forttrugen, wurden von den marodierenden Truppen verschont. Beitang wird als ungesundes Nest beschrieben, als Hort für Krankheiten, die durch den fortwährenden Regen, der bis zum 11. August andauerte, begünstigt wurden.22 Es herrschte ständige Furcht vor einer Feuersbrunst in den engen, mit niedrigen schilfgedeckten Holzhäusern bestandenen Straßen; zudem bestand immer die Gefahr einer Eskalation oder eines Disziplinverlustes der Truppen. Truppendisziplin, der Umgang mit Plünderung und deren Bewertung wurden von Montauban und Grant schon während dieser ersten Phase unterschiedlich gehandhabt.23 Hope Grant hatte sowohl den britischen Soldaten als auch den in britischen Diensten stehenden Kulis Plünderungen und Übergriffe auf die Zivilbevölkerun-

18 Siehe Bowlby, An account of the last mission (1906), S. 218, sowie Hope Grant in Knollys, Incidents (1875), S. 55, Swinhoe, Narrative (1861), S. 56 und Bowlby in: The Times, 17. Oktober 1860. Allgood schreibt: „The allies, numbering fully 13.000 soldiers, 5000 followers and 4000 animals, were packed to overcrowding in this wretched, dirty town,“ in: WO 28/384, S. 6. 19 Varin, Expédition (1862), S. 99 berichtet von der Mithilfe der Einwohner. 20 „Que te dis-je? Nos soldats pillent ferme. L’artillerie et les chasseurs s’abstiennent, d’autres peu, d’autres‚ à mort! Les coolies sont enragés. Et les Sikhs donc! Quant aux Anglais, leur réputation est faite de longtemps, ce sont nos maitres“, schreibt Lucy, Lettres intimes (1862), S. 63 an seinen Vater. 21 Knollys, Incidents (1875), S. 57. 22 Castano, L’Expédition de Chine (1864), S. 123. 23 Siehe auch: Knollys, Incidents (1875), S. 56. Montauban, Souvenirs (1932), S. 294.

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gen strikt verboten. Die Versorgung seiner Truppen mit Nahrungsmitteln erfolgte in der Anfangszeit vom Schiff aus, später wurden freiwillige oder unfreiwillige Übereinkünfte mit den Einheimischen zur Versorgung mit Lebensmitteln getroffen. Als Hope Grant erfuhr, dass seine Soldaten dennoch plünderten, entsandte er

Abbildung 2: Britisches Hauptquartier im Beitang-Fort, 1. August 1860, Photographie von Felice Beato © Musée d’Histoire Naturelle de Lille.

sofort Major Lowe, mit dem Befehl, jedes Mitglied der britischen Armee, Kuli oder Soldat, das bei Plünderungen ertappt würde, strengstens zu bestrafen. Er befahl zudem, das britische Lager zu umstellen, um zu verhindern, dass die Soldaten sich auf eigene Faust in andere Viertel des Dorfes aufmachten. Diese Maßnahmen zeitigten offenbar Wirkung, denn die Plünderungen hörten auf, und diejenigen, die bereits geplündert hatten, wurden schwer bestraft. Sogar die Sikhs, die als schwierig zu disziplinieren galten, stellten ihre Plünderungen ein.24 Montauban hingegen musste Plünderung zum Zweck der Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln erlauben. Die britische Erklärung für die französischen Plünderungen war, dass sie nach einem anderen Versorgungssystem lebten: „their 24 Bowlby, An account of the last mission (1906), S. 230, über die Plünderungen berichtet auch Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 64.

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system was, to live on the country“, wie Major Fisher berichtete.25 Innerhalb des britischen Generalstabes allerdings vermutete man angesichts des Plünderverhaltens der französischen Soldaten einen logistischen Fehler des französischen Generalstabs. Dieser habe den französischen Soldaten befohlen, sechs Tagesrationen Proviant mitzuführen. Der Proviant sei aber verdorben: Brot könne man durchaus für sechs Tage mitführen, nicht aber gesalzenes Fleisch, das nach drei Tagen schlecht werde, was wohl im französischen Fall geschehen sei. Vorbildlich hätten sich die britischen Soldaten verhalten: Sie seien mit drei Tagesrationen im Gepäck gelandet und am vierten Tag wieder von den Schiffen aus versorgt worden.26 Montauban selbst fühlte sich unter Rechtfertigungsdruck und argumentierte, dass der Versorgungsengpass duch britische „Unkameradschaftlichkeit“ entstanden sei. Es sei vereinbart gewesen, dass französische und britische Quartiermeister gemeinschaftlich größere Lebensmittelposten bei den Einheimischen erwerben und diese teilen sollten. Die Briten hätten sich nicht an diese Abmachung gehalten, weshalb Montauban seinen Soldaten habe befehlen müssen, sich selbst zu versorgen.27 Die strengen Maßnahmen von Hope Grant, so zeigte sich im Laufe der Zeit in Beitang, konnten wegen der Unübersichtlichkeit des Ortes nicht eingehalten werden. Er selbst berichtet von den furchtbaren Plünderungen, die die 2500 Kulis begingen, andere von der Unmöglichkeit, Soldaten die Aneignung der Gegenstände, die sich in den requirierten Häusern fanden, zu verbieten.28 Franzosen, Sikhs, Kulis (diese kamen nicht durchgängig aus Kanton, sondern stammten aus verschiedenen südchinesischen Orten und gruppierten sich entsprechend ihrer Herkunft) und Briten taten sich in Banden zusammen und plünderten mehrfach. Menschliches Elend der Einwohner Beitangs allerorten durch die Plünderungen, denen kein Einhalt geboten werden konnte, wie insbesondere an einer Episode illustriert werden kann: Parkes riet seinem chinesischen Informanten vom vorangegangenen Abend, der nächsten einfallenden Plünderbande damit zu drohen, dass er unter seinem, Parkes’, persönlichem Schutz stünde.29 Parkes überschätzte damit aber seinen Einfluss: Das Haus war bereits einige Male geplündert worden, auch von französischen Soldaten, und nur ein aus Kanton stammender Plündertrupp ließ sich durch die Nennung von Parkes’ Namen einschüchtern und zog fluchend ab. Nachdem die Nennung von Parkes’ Namen beim nächsten Trupp keine Wirkung hatte, beschloss der verzweifelte Hausbesitzer, seine Familie und sich zu vergif-

25 Fisher, Personal Narrative (1863), S. 387. Fisher beschreibt auch, dass Franzosen mehr und gewalttätiger als Sikhs plünderten. Dies wird bestätigt von Swinhoe, der gar behauptet, es seien im Wesentlichen französische Soldaten gewesen, die Beitang geplündert hätten. Vgl. Swinhoe, Narrative (1861), S. 56. 26 Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 95. 27 Montauban, Souvenirs (1932), S. 191. Insbesondere Montaubans Darstellungen von Plünderungen wird oft von anderen Augenzeugen widersprochen, und sie werden daher als unzuverlässig eingestuft. 28 Knollys, Incidents (1875), S.56, Swinhoe, Narrative (1861), S. 64. 29 Dieser Vorfall wird auch von Varin erwähnt, Varin, Expédition (1862), S. 105.

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ten.30 Das Gift reichte nicht aus, seine Familie starb, er selbst überlebte und zog dann später mit den Alliierten weiter, die sich seiner angenommen hatten. Derlei Ereignisse, Konfiskationen von Häusern, Enteignungen und Plünderungen, wurden von den britischen Berichterstattern als Bestandteil des Krieges betrachtet und galten als unvermeidbar. Hauptplünderer waren anscheinend Sikhs und Kulis, die britischen Offiziere und Berichterstatter beteiligten sich an den furchtbaren Plünderungen und Schädigungen der Zivilbevölkerungen nach Selbstauskunft nicht.31 Die Not der Einheimischen erkannten sie zwar an, doch war diese in ihren Augen nicht zu ändern: Hauptschuldige an der schlechten Lage der Zivilbevölkerung sei nicht etwa die den Schaden verursachende alliierte Armee, sondern vielmehr die chinesische Regierung, die durch ihr korruptes Verhalten ihre Untertanen in Schwierigkeiten gebracht und die Plünderungen der alliierten Armee nicht abgewendet habe. Die Besetzung von Beitang sei eine Kriegsnotwendigkeit und der Unwirtlichkeit der Gegend geschuldet.32 Auch innerhalb des französischen Führungsstabes und unter dessen Berichterstattern wurden zunächst die Sikhs und die Kulis als „Hauptschuldige“ und Plünderer ausgemacht.33 Ähnlich wie die britischen Offiziere distanzierten sich die französischen Offiziere vom Verhalten ihrer eigenen Soldaten, gaben aber zu, dass sie „für ihre Messe“ (also zur Verpflegung) plünderten. Eine Eigentümlichkeit der plündernden französischen Soldaten war anscheinend, dass sie „zum Spaß“ chinesische Kleidung, die sie fanden, anzogen, ein Motiv, das sich bis zur Plünderung des Sommerpalastes mehrfach wiederfindet.34 Auffällig ist bei den französischen Berichterstattern, dass sie zwar die Plünderung nicht verhindern konnten, aber dem Leser ihrer Berichte unbedingt vermitteln möchten, dass das Verhalten gegenüber der Zivilbevölkerung vergleichsweise respektvoll gewesen sei. Es war ihnen wichtig, sich deutlich abzusetzen beispielsweise von den Sikhs: L’exemple est contagieux, surtout le mauvais. Quelques-uns des nos soldats s’y laissèrent entraîner; mais dans toutes les maisons où se trouvèrent des officiers français, les habitants furent respectés, et purent emporter avec eux ce qu’ils possédaient de plus précieux.

So beschrieb es Colonel Dupin.35 Es werden auch Beispiele berichtet, bei denen kleine Kinder, die ihre Eltern verloren hatten, in ein französisches katholisches Waisenhaus geschickt oder bei denen insbesondere Frauen vor dem Selbstmord bewahrt wurden. Elgin selbst allerdings glaubte davon kein Wort:

30 Bowlby, An account of the last mission (1906), S. 232. 31 Dem widerspricht Swinhoe, Narrative (1861), S. 65, der behauptet, dass diejenigen Offiziere, die verantwortlich für die Verhinderung der Plünderung waren, am meisten plünderten. Siehe Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 65, M’Ghee, How we got to Peking (1862), S. 87. 32 Z.B: Hope Grant, in: Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 95. 33 Siehe hierzu auch Montauban, Souvenirs (1932), S. 187. 34 Z.B. Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 94. 35 Varin, Expédition (1862), S. 106. Best, Humanity in Warfare (1980), S. 93 beschreibt diese „Infantilisierung“ der plündernden Soldaten als Vertuschung von Diebstählen des Eigentums der Eingeborenen.

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This dreadful alliance, what will it not have cost us before we are done with it. The French by their exactations and misconduct have already stirred to resistance the peaceful population of Chine. They are cautious enough when armed enemies even Chinese are in question - but indisputably valourous against defenceless villagers and little-footed women.36

Während des Aufenthaltes in Beitang erwies sich nicht nur die Versorgung mit Lebensmitteln, sondern vor allem die Beschaffung von Trinkwasser als Problem. Das mitgeführte Wasser reichte nur für die ersten beiden Tage. Man fürchtete, die Brunnen seien vergiftet worden, und schickte deswegen Transportschiffe mit großen Tanks sechs Kilometer landeinwärts, um Süßwasser zu holen. Um sich vor Angriffen aus den umliegenden Forts zu schützen, hatten sie eine weiße Flagge gehisst, auf der die Worte „Nicht kämpfen“ geschrieben waren. Diese Methode funktionierte gut und die Schiffe wurden nicht weiter behelligt.37

1.2 Erster Feindkontakt: Ein „Sieg“ der Qing-Kavallerie, Landung der restlichen Truppen, 3. bis 8. August 1860 General Senggerinchin, der das Qing-Heer kommandierte, hatte damit gerechnet, dass die alliierte Flotte wie im vorangegangenen Jahr versuchen werde, den Weg nach Peking über die Dagu-Forts zu nehmen. Er hatte daher die umliegenden Forts befestigen lassen. Bei dieser erneuten Attacke der Alliierten im Spätsommer 1860 griff er aber zunächst nicht an, sondern schickte am 2. August eine Aufklärungstruppe nach Beitang, die von Hope Grant und Montauban, die ihrerseits an diesem Tag einen ersten Aufklärungsritt unternehmen ließen, gesichtet wurde. Am 2. August abends erfuhren die Alliierten von Einheimischen, dass sich riesige Verbände feindlicher Kavallerie in der Nähe aufhielten, was Hope Grant und Montauban veranlasste, eine 2.000 Mann (halb französisch, halb englisch) starke Aufklärungsmission zu entsenden, um sich ein Bild sowohl von den umliegenden Forts als auch von Größe, Ausstattung und Bewaffnung des zu erwartenden vielgefürchteten „tartarischen Reiterheeres“, wie die Alliierten es nannten, zu machen. Diese Aufklärungstruppe, gleichberechtigt kommandiert von General Collineau und Brigadegeneral Sutton und mit zwei kleineren Geschützen bewaffnet, marschierte am 3. August morgens (die französischen Truppen rechts, die britischen Truppen links) in Richtung der Dagu-Forts.38 In der Nähe eines Tempels, an dem sie vorbeikamen, wurden erste chinesische Soldaten gesichtet, aber der größere Trupp (etwa 300 Mann) befand sich etwas weiter entfernt hinter drei verlassenen Häusern und eröffnete sofort ein schnelles Feuer auf die Franzosen. Die Alliierten reagierten umgehend, indem sie jeweils eine Kompanie zur Rechten und eine zur Linken aussandten, um den feindlichen Trupp von den Flanken aus anzugreifen. 36 Hurd, Arrow War (1967), S. 211. 37 Diese Information ist zu entnehmen: 7. August 1860, Heng an Elgin, in: FO 405/5, S. 129. 38 Die Erinnerungen Collineaus: Collineau: Un soldat de fortune, in: Carnet de la Sabretache (Revue militaire retrospective), Bd. 3 (1924), S. 289–324.

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Mit den zwei mitgeführten Geschützen wurden die den Qing-Truppen als Schutz dienenden drei Häuser zerstört, und der feindliche Spähtrupp war zersprengt. Es stellte sich heraus, dass dies nur eine Vorhut war, denn kurze Zeit später stießen die Allliierten auf ein Lager von ungefähr 1.000 Mann feindlicher Kavallerie.

Abbildung 3: Karte des Gebiets um die Dagu-Forts und Beitang, in: Loch, Henry B.: Personal Narrative, 1900, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz.

Die Soldaten des Qing-Heeres eröffneten sofort das Feuer auf die britischen und französischen Soldaten, welches diese aber nicht unmittelbar erwiderten. Die Qing-Truppen erhielten im Verlauf des Gefechts konstant Nachschub, so dass sich die Alliierten schlussendlich einem 5.000 Mann starken Heer gegenüber sahen.39 Das Feuer der Qing-Armee blieb jedoch wirkungslos, da die Alliierten sich zumeist außerhalb der Schussweite befanden. Hope Grant und Montauban entschieden sich angesichts dieser Gefechtslage, bei der die feindlichen Soldaten in der Überzahl waren, gegen einen Angriff, mit der Begründung, dass nur eine Aufklärung, nicht aber ein Gefecht vorgesehen gewesen sei. Elgin kommentierte dies: “Of course the Tartars will consider this a victory, and will be elated by it; but perhaps this is a good thing, as it may induce them to face us on the open.”40 In

39 Varin beschreibt ein 10.000 Mann starkes Reiterheer, Varin, Expédition (1862), S. 107. 40 Walrond, Letters of Elgin (1872), S. 214.

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der Tat vermelden De und Heng, die Kommandeure der Dagu-Forts, an diesem Tag einen Etappensieg über die Alliierten nach Peking.41 Trotz ihres Rückzugs hatten die alliierten Truppen einige Kenntnisse gewonnen. Es hatte sich gezeigt, dass die Chaussee fest genug für die Kavallerie war und dass es landeinwärts ausreichend Wasser für die Pferde gab. Vor allem aber hatten sie sich ein präziseres Bild von ihrem Feind machen können: These Tartars seem brave, resolute men, well commanded, well disciplined and well mounted on strong, active galloways. They move in good order. Their supports come up rapidly, and it is quite clear, that their leader knows something of his business.

So der Kommentar von Bowlby.42 Bei der Aktion wurden 6 französische und 12 britische Soldaten verletzt.43 Während der nächsten Tage landeten die restlichen Truppen.44 Für den 3. August morgens war die Landung der britischen Kavallerie geplant, wobei die Pferde erstmals nicht nur aus Indien, sondern auch aus Manila und Japan nach Nordchina verschifft worden waren.45 Am 4. August wurden innerhalb eines Tages 2.000 Pferde an Land gebracht, dazu noch einmal die gleiche Anzahl an Packeseln.46 Gleichfalls erstmals eingesetzt wurden die neu entwickelten Armstrong-Kanonen, der Stolz des britischen Heeres, die am 5. August entladen wurden. Sie waren für größere Eroberungen und Belagerungen vorgesehen.47 Bei der Organisation der Entladung der logistischen Hilfsmittel zeigte es sich, dass die britischen Streitkräfte besser organisiert waren als die französischen Alliierten. Letztendlich war das vollständige Entladen französischer Fracht nur mit Hilfe der britischen Marine möglich, die über sehr viel leichtere Schiffe verfügte. Die schweren französischen Kanonenboote zogen obendrein sehr viel Wasser.48 Große Wertschätzung für seine Dienste erhielt die Kuli-Truppe: I never saw men work more assidously or willingly, struggling, as they had to do, through deep mud, carrying heavy loads, and yet laughing and chaffing each other all the 41 (Ohne Datum)Throneingabe De und Heng, eine Übersetzung ist in: FO 405/5, S. 146, auch dieses Dokument wurde später bei der Einnahme von Xinhe gefunden. 42 Bowlby in: The Times, 17.Oktober 1860. 43 Varin, Expédition (1862), S. 107. 44 Für die offizielle französische Beschreibung der Truppenbewegungen vom 4.–14. August siehe: MD, SHAT, Série M, M 883, S. 71–78. Siehe auch 8. August 1860, Foley an Russell, in: FO 405/5, S. 128 45 M’Ghee, How we got to Peking (1862), S. 76. 46 Vgl. The China Expedition 1860, in: WO 28/384, S. 6, Beschreibung von Allgood. Siehe auch die Erinnerungen von MacGregor, der mit Fane’s Horse an dem Feldzug teilnahm, MacGregor, Life and Opinions (1888), S. 154. 47 Rowley erklärt, dass zum ersten Mal diese Armstrong-Kanonen eingesetzt wurden, und dass sie modernste militärische Technologie darstellten. NAM: Rowley, Captain, Royal Horse Artillery, Diary 14 Jan 1860–12 March 1861, S. 3. 48 Montauban widerspricht diesem Sachverhalt. Seiner Darstellung entsprechend war er die treibende Kraft für einen reibungsglosen Ablauf des Verfahrens. Die Mehrzahl der französischen und britischen Quellen sind sich aber einig über diesen Punkt, weshalb davon ausgegangen wird, dass die französische Landung mit britischer Hilfe geschah. Montauban, Souvenirs (1932) S. 185, siehe auch Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 97.

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Kapitel III: Der Chinafeldzug von 1860 while[…]From the 1st to the 11th of August these men worked hard, landing stores, carrying water, and performing many other duties, all more or lesslaboriuos, and, yet, when we moved out on the 12th, they appeared as fresh and jolly as usual, bearing their loads cheerfully.

Das berichtet Wolseley.49 Die am 2. August in Beitang begonnene Plünderung wurde in den darauffolgenden Tagen fortgesetzt, wobei die französischen Soldaten nun auch begannen, im britischen Quartier zu plündern, und die britischen Soldaten außerhalb des Gesichtskreises ihres Generals. Die Stimmung innerhalb der Truppen war bis zum 12. August nicht besonders gut. Dazu trugen die schlecht organisierte Verpflegung und fehlendes Trinkwasser bei, die trostlose Gegend und die Ungewissheit über Anzahl und Ausrüstung der Feinde. Im Wesentlichen wurden während dieser Zeit Vorbereitungen für die Attacke auf die Dagu-Forts getroffen: Die Straßen im schlammigen Untergrund wurden befestigt und Vorräte und Munition an Land gebracht.50 Es gab keine weiteren Behelligungen durch feindliche Truppen.

1.3 Erste Kontaktaufnahme zu diplomatischen Verhandlungen, 8. August 1860 Elgin und Gros hatten sich zunächst vorgenommen, nicht in Kontakt mit der chinesischen Regierung zu treten, da auf das im März 1860 gestellte Ultimatum keine zufriedenstellende Antwort erfolgt war.51 Sie nahmen daher für sich das Recht in Anspruch, ohne weitere Vorwarnung zu landen und dem Heer die Eröffnungsaktionen zu überlassen, nämlich die Einnahme der Dagu-Forts. Die Qing-Regierung ließ sich anscheinend vorerst durch die Landung des alliierten Heeres nicht irritieren. Elgin und Gros interpretierten dies als Selbstbewusstsein, das aus dem „Sieg“ des vorangegangenen Jahres erwachsen war. Zur Lagesondierung und Verhandlungseröffnung wurden Elgin und Gros erst einmal der russische Gesandte Ignatiev und der amerikanische Gesandte John Ward entgegengeschickt, die bereits vor der chinesischen Küste gekreuzt und aus der Ferne das Tun und Treiben der Alliierten verfolgt hatten.52 So sprach Ignatiev am 5. August zuerst mit dem französischen Gesandten Gros und teilte ihm im Auftrag der chinesischen Regierung mit, dass es auf dem Weg nach Tianjin und Peking keinerlei Behinderungen gäbe, sofern sie die traditionelle Route, nämlich an Beitang vorbei auf dem Landweg nach Peking nähmen, die seit jeher offen stand. Ein Konflikt bestehe außerdem nur zwischen Großbritannien und China, Frankreich habe keinen Anteil daran. Der Beihe sei aus Gründen der inneren Sicherheit nicht befahrbar, der Beitang He (ein Nebenfluss) aber sei für den Schiffsverkehr offen. Wenn die französischen und britischen Gesandten über diese Route kämen, so 49 50 51 52

Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 98. Ebd., S. 95. 21. März 1860, Antwort der Qing-Regierung auf das französische Ultimatum, in: FO 228/80. Beitang, 5. August 1860, Gros an Thouvenel, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 246.

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sollten sie zur Ratifizierung des Vertrages in Tianjin mit allen Ehren empfangen werden; eine andere Lösung sei nicht denkbar.53 Gros kommunizierte diese Neuigkeiten an Montauban und Admiral Charner, die sich dadurch nicht beeindrucken ließen.54 Der amerikanische Gesandte John Ward wurde am 6. August bei Elgin mit der gleichen Botschaft vorstellig und teilte Elgin im Auftrag des Generalgouverneurs von Beizhili mit, dass die französischen und britischen Truppen ungestört nach Peking reisen könnten, wenn sie den Weg über den Beitang He nehmen würden, den er, Ward, im Jahr zuvor genommen hatte. Die chinesische Regierung, so wurde Elgin zudem belehrt, habe die Zusagen an Großbritannien 1858 im Vertrag von Tianjin unter anderem deswegen gemacht, um die britischen Truppen loszuwerden, und halte sie entsprechend nicht für bindend. Wenn die Alliierten aber den Weg nach Peking über den Beitang He nähmen, könnten die Verträge ratifiziert werden. Im Übrigen sei er, John Ward, von der chinesischen Regierung gebeten worden, die Briten darüber zu informieren, dass die Haltung der chinesischen Regierung gegenüber den Alliierten wohlwollend sei. Während John Ward diese Dinge an Elgin berichtete, teilte er ihm aber gleichzeitig mit, dass er an den diplomatischen Verhandlungen zwischen der chinesischen Regierung und den alliierten Mächten keinen weiteren Anteil mehr haben und sofort nach Shanghai aufbrechen werde.55 Ward sprach mit der gleichen Nachricht auch bei Gros vor und berichtete über das Gespräch auch an die chinesische Regierung.56 Als Vertreter der Qing-Regierung trat am Mittwoch, den 7. August der Generalgouverneur der Provinz Beizhili, Hengfu, mit Elgin persönlich in Kontakt.57 Seine Strategie vermeinte Elgin schnell zu durchschauen: Erstens wollte er einen Keil zwischen die Alliierten treiben, und zweitens hatte Hengfu offenbar beschlossen, die offenkundig kriegerischen Absichten der Alliierten zu ignorieren und sich friedlich und souverän zu geben. Hengfu formulierte seine Überraschung darüber, dass Elgin mit der alliierten Armee an der Küste gelandet sei. Weil es aber bisher nicht zu Blutvergießen gekommen sei, gehe die chinesische Regierung davon aus, Elgin sei in friedlicher Absicht gekommen. Dies sei auch daran zu erkennen, dass ein Mann geschickt worden war, der eine Fahne mit der Aufschrift „nicht kämpfen“ getragen habe (er hatte offenbar die Absicht dieser Fahne, nämlich das unbehelligte Schöpfen von Süßwasser, missverstanden). Hengfu habe außerdem nicht vor, mit dem französischen Diplomaten zu konferieren.58 53 Ignatiev gab damit den Inhalt eines Briefes wieder, den ihm die Vetreter der Qing-Regierung einige Tage zuvor zugeschickt hatte. 54 Beitang, 5. August 1860, Gros an Thouvenel, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 247. 55 7. August 1860, Elgin an Russell, in: FO 405/5, S. 126. 56 Beitang, 7. August 1860, Gros an Thouvenel, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 252. Siehe auch: Gros, Livre Jaune (1864), S. 29. Für eine Übersetzung der Kommunikation John Ward mit dem Generalgouverneur siehe: FO 405/5, S. 146. 57 Bei Hummel taucht Hengfu nur als Gehilfe von Guiliang auf. Hummel, Eminent Chinese (1943), Bd. 1, S. 429. 58 7. August 1860, Heng an Elgin, in: FO 405/5, S. 129 (Übersetzung).

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Tatsächlich hatte Admiral Hope seinen Übersetzer Morrison mit einer weißen Fahne zu den feindlichen Soldaten reiten lassen, um die friedliche Absicht der Schiffe mit den Süßwassertanks zu erläutern, gleichzeitig aber zu warnen, dass zurückgeschossen würde, falls man angreife.59 Elgin antwortete knapp. Erstens habe Hengfu den Sinn der weißen Flagge missverstanden, die keinesfalls eine diplomatische Kontaktaufnahme bedeutet habe. Zweitens reagierten die alliierten Truppen, indem sie an Land gingen und auf seine Anweisung hin Beitang besetzten auf die unzureichende Beantwortung des britisch-französischen Ultimatums an die chinesische Regierung vom März 1860. Sie kämen also durchaus in feindlicher Absicht. Drittens verhandle er, Elgin, nur mit einem kaiserlichen Kommissar, nicht aber mit einem Provinzgouverneur. Viertens müsse die Kommunikation mit dem französischen Gesandten direkt erfolgen, und nicht durch ihn.60 Baron Gros sprach Lord Elgin seine Billigung dieses Verhaltens aus.61 Elgin hatte das Verhalten von Hengfu jedoch falsch eingeschätzt, denn dieser musste wirklich um ein friedliches Einvernehmen mit den Alliierten bestrebt sein. Aber erst durch ein Dokument, das die Alliierten später beim Sturm auf Xinhe fanden, erhielten sie Aufschluss über die merkwürdig defensive Haltung Senggerinchins bei ihrer Landung: Hengfu berichtete die Ereignisse und auch seine Unterhandlung mit Elgin an De, den Kommandeur der nördlichen Dagu-Forts. Er, Hengfu, habe davon abgesehen, das Feuer eröffnen zu lassen, da auf Befehl des Kaisers mit den „Barbaren“ Frieden zu suchen sei. Die „Barbaren“, so Hengfu an De, seien wie Hunde oder Schafe: Zuerst sendeten sie eine weiße Flagge, die den Willen zum Frieden anzeigen solle, und dann weigerten sie sich, dies zuzugeben. Der Befehl des Kaisers sei, um jeden Preis Frieden mit den Alliierten zu bewahren. Daher wurde auch Senggerinchin angewiesen, nicht anzugreifen, auf der Hut zu sein und vor allem sich im Umgang mit den Alliierten keinen Fehler zuschulden kommen zu lassen. Diesen Anweisungen folgte auch Hengfu. Vor allem die Gegend um Xinhe müsse gut geschützt werden ohne die „Ausländer“ anzugreifen.62

1.4 Die Einnahme von Xinhe und Tanggu, 9. Bis 14. August 1860 Nachdem die Alliierten das Terrain eingehend erkundet hatten, planten sie, die Dagu-Forts sowohl von der See- als auch von der Landseite aus anzugreifen. Der 59 4. August, Hope an Heng in: FO 405/5, S. 136. Von chinesischer Seite gibt es einen anonymen Bericht, der dies schildert: Bu Zhu zhuanren (anonym), in: Shen Yunlong, Jindai Zhongguo shiliao congkan xubian (1963), S. 100. 60 Beitang, 8. August, Elgin an Heng, in: FO 405/5, S. 131. 61 Beitang, 10. August 1860, Gros an Elgin, in: FO 405/5, S. 138. 62 Übersetzung Mitteilung Hengfu an De, 10. August 1860, in: FO 405/5, S. 147. Auch Banno nimmt an, dass Senggerinchin nicht etwa der „Kriegstreiber” war, den die Alliierten in ihm vermuteten, sondern vielmehr entweder Frieden suchte oder das Bündnis mit den Alliierten, um die Taiping zu schlagen. Banno, China and the West (1964), S. 76.

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Weg dorthin konnte nicht an einem Tag zurückgelegt werden, weshalb zunächst das etwas landeinwärts gelegene Xinhe eingenommen werden musste, dann Tanggu, bevor sie an die Dagu-Forts gelangten.63 Über den Beginn des Abmarsches gab es so schwere Auseinandersetzungen zwischen Montauban und Hope Grant (Hope Grant wollte so schnell wie möglich angreifen, während Montauban noch Schwierigkeiten beim Entladen hatte), dass Hope Grant die militärischen Operationen alleine beginnen wollte. Am 9. August wurde ein Aufklärungsbataillon in Richtung der Dagu-Forts entsandt, um die Lage zu ergründen. Entsprechend ihren Anweisungen griffen die kaiserlichen Soldaten der Qing, die die britisch-französischen Aufklärer zu Gesicht bekamen, nicht an.64 Wegen des Dauerregens wurde der Untergrund schlammig, die schweren Armstrong-Kanonen konnten nicht transportiert werden, und der Abmarsch der Truppen verzögerte sich, zum Ärger Hope Grants und im Sinne Montaubans, bis zum 12. August.65 Um fünf Uhr morgens an diesem Tag brachen die alliierten Truppen in Richtung Xinhe auf.66 General Napier zog mit 2.000 Mann seiner Division, einer Batterie Kanonen und der gesamten Kavallerie gegen die feindliche linke Flanke, während das Gros der Truppen direkt auf Xinhe zuhielt. Die Straßenverhältnisse waren immer noch so schlecht, dass die starken Armstrong-Geschütze, die immerhin von 8 Pferden gezogen wurden, aus ihren Lafetten genommen und von Kulis geschleppt werden mussten. Die britische Kavallerie postierte sich vor der linken Flanke des durch Mauern geschützten Dorfes, der Rest der Armee vor der rechten Flanke, und das Feuer wurde, nachdem man auf 600 Meter herangekommen waren, eröffnet. Die Bevölkerung von Xinhe verfügte nur über ein einziges adäquates Geschütz, konnte also den schweren Armstrong-Kanonen nichts entgegensetzen, und nach einer Kanonade von ungefähr einer halben Stunde rückten die Truppen in das Dorf ein. Die britischen Soldaten schlugen ihre Zelte hinter dem Dorf auf.67 Die feindliche Ka63 Eine Karte der Aktionen der alliierten Armee siehe bei: Sketch of the Operations of the Allied Armies in China between the 1st and the 21st August 1860, by Cpt Allgood, in: Allgood, China War (1901), S. 84. 64 Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 100. 65 Varin, Expédition (1862), S. 109. Während Montauban die Auseinandersetzung zwischen ihm selbst und Sir Hope Grant recht ausführlich schildert, beschränkt sich Sir Hope Grant auf eine kurze Erwähnung des Vorfalls. 66 Siehe WO 32/8229. Zu einem Bericht von Livet siehe: MD, SHAT, Inspection du Génie, Rapport sur l’assaut sous le commandement de Général Collineau. Daraus geht hervor, dass zu diesem Zeitpunkt die Franzosen ihre Entladung immer noch nicht beendet hatten. 67 Mit Probyn’s „Irregulärer Kavallerie“ gab es einen erwähnenswerten Zwischenfall: Probyn geriet in ein Scharmützel mit den chinesischen Soldaten. Dieses ging zwar siegreich für die „Irregulären“ aus, außerdem wurden in seinem Verlaufe 400 Schafe und 300 Pferde erobert, diese allerdings illegal, denn dieses Vorgehen war nicht im Einklang mit den Regelungen Plünderung betreffend, Bowlby, An account of the last mission (1906), S. 74. Am 12. August ereignete sich ein Vorfall, der in der militärischen Folklore Großbritanniens zu einer gewissen Berühmtheit als Symbol „britischen Stolzes und Überlegenheit“ erlangte. Ein irischer Sergeant und ein Gefreiter waren für den Transport des Rums für die Truppen verantwortlich,

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vallerie hatte sich westlich von Xinhe zurückgezogen. Ein Versuch Montaubans, eine Straße bis zum Nordfort aufzuklären, scheiterte am aufgeweichten Untergrund. Die Umgegend von Xinhe, etwas landeinwärts und entfernt von der Küste, war sehr viel gastlicher als das trostlose Beitang – „we had reached a land flowing with milk and honey“.68 Es gab genügend Trinkwasser und Lebensmittel, und auch für die Pferde war ausreichend Futter da, das von den Alliierten requiriert wurde. Trotzdem kam es wieder zu schrecklichen Plünderungen. So schildert Swinhoe einen Marsch durch die „Einkaufsstraße“ des ansonsten gepflegten Städtchens: „Every house had been broken into, and its contents tumbled about. Only a few of the poorest inhabitants remained, and these were in greatest consternation, though the General had purposeley avoided quartering his men in the town.”69 Montauban spricht gar davon, dass er Leichen von hohen Beamten sah, die sich angesichts der fliehenden Truppen selbst entleibt hatten.70 Hope Grant und Montauban hatten beschlossen, fünf oder sechs Tage in Xinhe zu bleiben und es als Basislager für die Attacke auf die Dagu-Forts einzurichten, weshalb nunmehr Proviant und Verpflegung dorthin gebracht wurden, um ein Depot zu schaffen. Am 13. August stieß General Collineau aus Beitang zu den französischen Truppen und brachte eine Truppe Marine-Infanterie mit, um zwei Dschunken bemannen zu können, mit denen es möglich wurde, den Fluss zu überqueren, um Aufklärungen zu unternehmen. Das Problem blieb nach wie vor die Einnahme des Dorfes Tanggu, welches auf der Rückseite der Dagu-Forts lag.71 Es war schwierig, dorthin einen gangbaren Weg zu finden, obwohl man auf einem der Aufklärungsritte einen Weg am linken Ufer des Beihe gefunden hatte, auf dem sich auch die Armstrong-Kanonen ziehen ließen. Das Land wurde von sehr vielen Kanälen durchschnitten, weshalb die britische Artillerie samt den Pionieren zahlreiche kleine Brücken schlug. So wurde es möglich, Tanggu am 14. August anzugreifen. Um 6 Uhr morgens brach man auf. Das britische Corps marschierte auf gleicher Höhe wie die französischen Brigaden Jamin und Collineau. An der Spitze der Truppen führte eine Vorhut aus 200 Mann Marine-Infanterie und Jägern zu Fuß, die die ihnen folgende Artillerie deckten. Es folgten Kavallerie und Infanterie. Um 8 Uhr waren sie ungefähr 1.500 Meter von den Forts von Tanggu entfernt. Französische und britische Artillerie eröffneten zur gleichen Zeit das Feuer, das schlecht gezielt aus den Forts beantwortet wurde. Im Schutze des eigenen Feuers

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betranken sich aber und fielen in die Hände einer chinesischen Aufklärungstruppe. Eine Woche später kam der Sergeant zurück und berichtete, dass der Gefreite Moyse sich geweigert hatte, einen Kotau vor den Soldaten zu machen, und deswegen geköpft wurde. Auf diese Episode wurde ein „Preisgedicht“ verfasst, das sogar in der Times erschien. Hurd, Arrow War (1967), S. 214. Hurd allerdings bezweifelt den Wahrheitsgehalt dieser Geschichte. Bowlby, An account of the last mission (1906), S. 260, Swinhoe, Narrative (1861), S. 97. Swinhoe, Narrative (1861), S. 98. Beitang, 14. August 1860, Montauban an Randon, in: MD, SHAT, 5G1, Dossier 2. Tanggu 16. August, Gother Frederick Mann an seine Frau Margaret, BodLo, Gother, Correspondence (1860), S. 51. Ich danke Régine Thiriez für den Hinweis auf diese Korrespondenz.

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wurden die Artilleriegeschütze bis auf 400 Meter an die Forts herangezogen, als das Feuer des Gegners schwächer wurde. Um 9 Uhr war der Zeitpunkt zum Sturm gekommen. Die französischen Soldaten, angeführt von Oberstleutnant Schmitz, durchschwammen den Fluss, stiegen dann die Verschanzungen an der Front hinauf und pflanzten als Erste das französische Banner auf.72 Kurze Zeit darauf betraten die Briten von der anderen Seite das Lager. Die chinesische Besatzung des Forts (ungefähr 2.000 Mann) stürzte ungeordnet und fluchtartig in entgegengesetzter Richtung davon und brach nicht einmal die Brücken hinter sich ab. Um zwei Uhr mittags war die Schlacht geschlagen.73 Montauban und auch Sir John Michel wollten den fliehenden Truppen hinterher, um sie endgültig zu vernichten. Aber Hope Grant hieß diesen Plan nicht gut, mit der Begründung, seine Truppen seien zu müde, vor allem sei alle Munition verschossen. Nach erfolgreich geschlagener Schlacht marschierten die französischen Truppen und die erste britische Division am Nachmittag wieder zurück ins Lager von Xinhe, die zweite Division unter Major-General Napier nahm das Dorf Tanggu und seine Forts in Besitz.74 Auch hier spielten sich Szenen der Plünderung ab: […] the looting had commenced; numbers of Frenchmen were rushing about the streets with bayonets fixed, breaking into doors right and left, and ransacking houses. After about an hours delay the first division and French were withdrawn to their old encampment in the plain between Sinho and Tangkoo and General Napier’s division were ordered to install themselves in the houses of the village just captured.75

Waren es in Beitang im Wesentlichen französische Soldaten, die sich an den freilaufenden Schweinen gütlich taten, so waren es diesmal die Briten, die so viele Schweine schlachteten, dass deren Karkassen am Straßenrand liegen blieben und nach einigen Tagen anfingen zu stinken. Der Einsatz der Armstrong-Kanonen führte zu vielen Toten und Verletzten bei den Qing-Truppen, die auch in den La-

72 Dies wurde später von den Briten bestritten. Bowlby behauptet, dass ein Leutnant Shaw von den 60th Rifles als Erster im Fort war, Bowlby, An account of the last mission (1906), S. 264. Er führt aus: „Lieutnant Schmitz, Chef d’etat Major, being the first Frenchman in the place. General Montauban promoted him next day, and thus gave a step to the whole of the French Staff. Colonel Schmidtz is one of the most rising men in the French Army, and highly distinguished himself at Magenta. He would be the last to claim a merit due to another. The first man in the fort was Lieutnant Shaw, the first Frenchman was Colonel Schmidtz […] the angle may have prevented the French from observing the English entry.” Blondel, Relation de l’Expédition de Chine (1862), S. 96, Knollys, Incidents (1875), S. 71. Für einen weiteren Bericht über Tanggu siehe den Bericht Kapitän Bovets in: Chine, in: MD, SHAT, Série M, M 844. Livet berichtet über die Leitern, die er zur Einnahme der Tangu-Forts benutzte: 15. August, in: MD, SHAT, Série M, M 884. 73 25. August 1860, Bericht Foley an Russell, in: FO 405/5, S. 176. Elgin wurde ausführlich über die Vorgänge informiert gehalten von Lieutnant-Colonel Crealock, siehe 19. August 1860, Crealock an Elgin, in: FO 405/5, S. 163. 74 Dépôt de la guerre, Der Krieg gegen China (1865), S. 65. 75 Swinhoe, Narrative (1861), S. 106.

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zaretten der Alliierten behandelt wurden. McGhee berichtet, dass Hope Grant persönlich einige hundert Frauen und Kinder in Sicherheit bringen ließ.76 Im Fort von Tanggu entdeckte man umgestürzte, halbvolle Reisschüsseln – die Qing-Soldaten waren also von dem Gefecht überrascht worden. Als wichtig für die Alliierten galten die näheren Informationen, dass im Qing-Heer nicht nur chinesische, sondern auch „tartarische“ (also mandschurische) und mongolische Soldaten kämpften. Der größere Anteil der Schützen waren anscheinend Chinesen, die unter mandschurischem Befehl arbeiteten. 45 Stück Artilleriegeschütze wurden gefunden, mit verschiedenen Kalibern, sowie einige Bleikugeln, mit dem Stempel “Peyton, Llanberis, Holywell.“ So fügten in den ersten Tagen ihrer Anwesenheit die 17.000 Mann der alliierten Armee, einschließlich des 2.500 Mann starken Kuli-Heeres und der Sikhs in der Enge und Unwirtlichkeit des Küstendeltas, an dem die Forts lagen, der Zivilbevölkerung beträchtlichen Schaden zu, noch bevor überhaupt die Dagu-Forts angegriffen worden waren. Die Bemühungen der Lazarette der Alliierten, sich auch um Einheimische zu kümmern, waren wenig mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein, und ein gräßlicher Gestank breitete sich in den nächsten Tagen aus. Befremdet registrierte z.B. Swinhoe, dass die Einheimischen sich selbst untereinander kaum halfen. Die chinesische Besatzung der diversen Forts habe sich nicht um die Opfer unter der Zivilbevölkerung gekümmert und keinerlei Notwendigkeit verspürt, diese in Sicherheit zu bringen. Die aus Südchina stammenden Kulis hätten nur Häme und Spott für ihre verwundeten Landsleute übrig gehabt. Eine Erklärung wird für dieses Verhalten der Kulis nicht gegeben. Plünderungen und Lebensmittelraub setzten sich in diesen Tagen auch bis nach der Einnahme der Dagu-Forts fort. Auch war das Nachschubproblem noch nicht geklärt. Insbesondere bei einer von Livet unternommenen Aufklärung plünderten die französischen Soldaten wieder schwer. Sobald die Soldaten den Fluss überquert hatten, begaben sie sich so schnell wie möglich in das nächste Dorf, und begannen, Lebensmittel zu rauben. Jeder einzelne französische Soldat trug Gemüse und jeder dritte oder vierte ein Schwein.77

1.4.1 Die Vorbereitung zur Einnahme der Dagu-Forts, 15. bis 20. August Zwischen dem 15. und dem 20. August wurden zunächst weitere Verpflegung und Munition nach Xinhe herangeschafft, um ein Depot anzulegen. Um den Versorgungsnotstand der französischen Soldaten zu beheben, wurde eine Abordnung 76 Swinhoe, Narrative (1861), S. 93. Die Versorgung der einheimischen Zivilbevölkerung, auch in Tanggu, siehe Swinhoe, Narrative (1861), S. 109, in Lazaretten ist, ebenso wie die Plünderung, ein Motiv, das sich durch den gesamten Feldzug zieht. So schreibt Swinhoe nach der Attacke auf Tanggu, dass der Versorgung der Einheimischen der erste Gedanke General Napiers galt, nach der Einnahme der Forts. M’Ghee, How we got to Peking (1862), S. 110. 77 Bowlby, An account of the last mission (1906), S. 80. In den französischen Berichten (z.B. Juillard, Souvenirs dun voyage (1869), S.73, Mutrécy, Campagne de Chine (1862), S. 343) wird nur geschrieben, dass ausreichend Lebensmittel vorhanden waren.

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zurück nach Dalianwan und Zhifu geschickt, um Ochsen und Schafe zu kaufen.78 Außerdem begannen die Vorbereitungen zur Einnahme der Dagu-Forts.79 Auf mehreren Aufklärungsritten konnten sich die Alliierten ein genaues Bild von den Verteidigungsanlagen machen. Im Wesentlichen bestand die gesamte Anlage zur Verteidigung des Wasserweges ins Landesinnere aus zwei Forts, die an der Nordseite des Flusses lagen, sowie aus drei Forts auf der Südseite des Flusses. Die Geschütze in den jeweiligen Forts konnten das andere Ufer mit ihrem Feuer bestreichen, ohne das gegenüberliegende Fort zu schädigen, und im Wasser selbst waren Verpfählungen angebracht, die die Passage des Flusses verhinderten. Zur Deckung der Forts von der Landseite aus befand sich in der Nähe ein großes verschanztes Lager des Qing-Heeres.80 Das Hauptproblem der Alliierten blieb der Transport der schweren Armstrong-Kanonen. Die beiden Nordforts lagen in einem sumpfigen und daher schwer zugänglichen Gebiet. Deshalb begannen die Ingenieure, die schon existierenden Straßen so zu befestigen, dass die Artillerie ohne einzusinken an die DaguForts herangezogen werden konnte. Zudem musste an einer möglichst schmalen Stelle eine Brücke über den Fluss geschlagen werden, damit auch diese sofort angegriffen werden konnten. Ein französischer Aufklärungstrupp unter Kolonel Livet überquerte den Fluss, um nach einer geeigneten Stelle zur Bildung eines Brückenkopfes zu suchen, und wurde auf dem Südufer von heftigem Gewehrfeuer empfangen. Trotzdem gelang es auf dem anderen Ufer Fuß zu fassen, nachdem Livet Verstärkung erhalten hatte.81 Vereinzelte kleinere chinesische Angriffe in dieser Zeit konnten problemlos abgewehrt werden. Bei der Planung, wie die Dagu-Forts eingenommen werden sollten, ergaben sich zwischen den beiden Generälen die größten Differenzen.82 Diese entzündeten sich an unterschiedlichen Kenntnissen und Auffassungen zur Truppenstärke des Feindes. Montauban, dessen Soldaten sich durch ihren Brückenkopf Zugang zum linken Flussufer verschafft hatten, war der Auffassung, dass das südliche Fort die größere Gefahr darstellte und deswegen zuerst eingenommen werden sollte. Seine Strategie bestand darin, den größeren Teil der alliierten Truppen über die neu errichteten Brücken zu schicken, um zuerst diese Forts einzunehmen und erst in einem zweiten Schritt die Nordforts.83

78 Lucy, Lettres intimes (1861), S. 69. 79 Abbildungen, Zeichnungen und Pläne die Attacke auf die Dagu-Forts betreffend siehe in: WO 78/ 990/2. 80 Dépôt de la guerre, Der Krieg gegen China (1865), S. 66. 81 Xinhe, 24. August 1860, Colonel Commandant de Génie Livet: Rapport sur le Combat de Siao Leantz, in: MD, SHAT, Inspection du Génie, Art. 15. 82 Diese blieben bei den Soldaten nicht verborgen, siehe Journal of an Officer of the 6th Regiment during the North China Campaign of 1860, in: United Service Magzine, Februar (1874), S. 36. 83 Von dieser Differenz ist allerdings ist nichts zu lesen in einem Bericht an den Minister Touvenel, in: Montauban, Souvenirs (1932), S. 207–209. Auch aus den Archivquellen (in diesem

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Hope Grant aber wollte dieser Strategie keineswegs zustimmen. Er stützte sich bei seiner Strategieplanung auch offenkundig auf Dokumente, die man bei der Einnahme von Xinhe gefunden hatte und die darlegten, dass die Nordforts zentral für den Plan Senggerinchins waren.84 Zu dieser Erkenntnis war er obendrein selbst auf einer Aufklärungsmission, die er in Begleitung von Sir Robert Napier unternommen hatte, gekommen.85 Ein Angriff auf die Südforts hätte, so argumentierte er gegenüber Montauban, mehrere Nachteile: Erstens vernachlässige dies das Hauptlager der feindlichen Truppen, nämlich das Nordfort, das er, Hope Grant, für das bedeutendere der Lager halte. Zweitens wäre der Rückzugsweg zu den Depots nach Tanggu und Xinhe abgeschnitten, wenn der Großteil der Truppen sich auf der südlichen Seite des Flussufers befände. Dies würde Senggerinchin eine Strategie ermöglichen, bei der er die alliierten Truppen eingekesseln und aufreiben könnte. Die Streitmacht der Qing-Regierung war zahlenmäßig weit überlegen und hätte leicht die Brücke zerstören, die beiden Teile der Armee einkreisen und gefangen nehmen können. Hope Grant schlug daher vor, zunächst mit Hilfe der Kanonenboote die ungefähr 3.500 Meter von Tanggu entfernt liegenden Nordforts einzunehmen. Wenn diese im Besitze der alliierten Truppen seien, dann sollten die Sperren aus dem Fluss genommen werden, um den Kanonenbooten die Passage zu öffnen. Diese hätten sich dann in den Rücken der Südforts zu begeben, um die Landtruppen, die von der anderen Seite aus angreifen würden, zu unterstützen.86 Diese verschiedenen Ansichten der Generäle, zusammen mit dem schlechten Regenwetter, das über Tage hinweg andauerte, trübten die allgemeine Stimmung im alliierten Heer. Die französischen Soldaten beteiligten sich nicht an den Vorbereitungen der britischen Truppen zur Attacke auf die Nordforts, und ein großer Teil der französischen Armee war offenbar davon überzeugt, dass es sich um ein leeres Fort handele, das man leicht mit Hilfe von nur einer Kompanie einnehmen könne. Zwar beging die französische Armee am 15. August festlich den Napoleonstag, und es wurden einige Beförderungen vorgenommen, aber dies konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Montauban für seine Strategie auch innerhalb der eigenen Reihen kritisiert wurde. 87

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Falle MD, SHAT, 5G1, Dossier 2 ergeben sich hier keine neuen Erkenntnisse, so dass die britischen Quellen als Hauptzeugnisse herangezogen werden müssen. Für eine Übersetzung dieser Dokumente siehe: FO 405/5, S. 146–149. 25. August 1860, Foley an Russell, in: FO 405/ 5, S. 127. Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 258. Knollys, Incidents (1875), S. 77. General de Montauban fand mit seiner Theorie auch innerhalb seiner eigenen Armee nicht nur Unterstützer. So sprach sich auch General Collineau dagegen aus, Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 259. Dépôt de la guerre, Der Krieg gegen China (1865), S. 65. Eventuell wollte Hope Grant auch Admiral Hope die Gelegenheit geben, sich für die Niederlage von 1859 zu rächen. Varin, Expédition (1862), S. 121. Die Beförderungen mussten später wieder rückgängig gemacht werden. Montauban schreibt, stolz auf den Sieg bei Tanggu, an Randon: „Je vous annonce, que nous offrons pour Bouquet à sa Majéste pour la fӋte la prise du fort de Tanggu“, in: MD, SHAT, 5G 1, Dossier 2. Auch die Feiern, die mit Paraden und Musiken eindrücklich begangen wurden, werden in diesem Bericht beschrieben.

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Unterdessen beendeten die Briten die Vorbereitungen zur Attacke auf die Nordforts. Am 19. August morgens nahm Sir Robert Napier das 67. Regiment, zwei der Armstrong-Kanonen und eine starke Abteilung von Ingenieuren, um eine Brücke zum ersten Fort zu bauen. Am Abend entbrannte noch einmal eine Auseinandersetzung über Hope Grants und Montaubans unterschiedliche Strategien, aber Hope Grant blieb unerbittlich. General de Montauban verfasste daraufhin am 20. August ein Protestschreiben, in welchem er die Nutzlosigkeit des Angriffes auf die Nordforts darlegte: Dieser Angriff würde die Aktionen der Armee verzögern, denn die Nordforts seien leer und daher strategisch unwichtig.88 Sir Hope Grant widersprach energisch, setzte sich schließlich durch und widerstand auch dem letzten Versuch eines französischen Offiziers, der ihn am 19. August abends aufsuchte, um ihn noch einmal von der Nutzlosigkeit einer Attacke auf das Nordfort zu überzeugen.89

1.5 Der Versuch, die Alliierten aufzuhalten: Diplomatische Verhandlungen, 12. bis 20. August 1860 Die Diplomaten verhielten sich indes ruhig und ließen die Generäle bei den Vorbereitungen zur Einnahme der Dagu-Forts gewähren. Elgin hatte in dieser Zeit sein Quartier in Beitang, Gros residierte an Bord seines Schiffes, und beide empfingen zwischen dem 12. und dem 18. August mehrere Briefe des Generalgouverneurs Hengfu.90 Hengfu versuchte, die laufenden Vorbereitungen zur Attacke der Dagu-Forts zu unterbrechen, indem er auf die Forderungen zur Verhandlung eingeging. Am 14. August teilte er mit, dass der Kaiser zwei seiner Beamten mit der Verhandlung beauftragt habe, die Elgin dazu in Peking erwarteten.91 Am 15. August kam ein weiterer Brief ähnlichen Inhaltes, und am 16. August teilte Hengfu den beiden Gesandten mit, dass die beiden kaiserlichen Beamten nun doch nach Tianjin kämen, um bereits dort mit ihnen zu verhandeln.92 Elgin und Gros aber hatten beschlossen, erst wieder mit den chinesischen kaiserlichen Kommissaren zu verhandeln, wenn sie in Tianjin seien, und zwar nach der Einnahme der DaguForts, womit die Niederlage vom vorangegangen Jahr „getilgt“ und die eigene

88 Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 259. General de Montauban forderte diese Protestnote später zurück, nachdem sich Hope Grants Strategie als wirksam erwiesen hatte. 89 Xinhe, 20. August 1860, Hope Grant an Montauban, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 261. 90 14., 15. und 16. August 1860, Heng an Elgin, in: FO 405/5, S. 140. Heng an Gros, Gros an Heng, in: FO 405/5, S. 142ff. 91 14. August 1860, Heng an Elgin, in: FO 682/1993/25. 92 15. August 1860 (FO 682/1993/26), 16. August 1860 (FO 682/1993/27), jeweils Hengfu an Elgin. Übersetzung in FO 405/5, S. 140–142. Die Botschaften gingen jeweils an Gros und Elgin. Zum Abdruck der Nachrichten an Gros vom 15.–18. August siehe Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 268–270.

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militärische Überlegenheit demonstriert wäre, und antworteten dem Generalgouverneur entsprechend.93 Hengfu versuchte noch einmal, die Situation zu entschärfen, indem er ein Missverständnis für die aktuelle Situation verantwortlich machte, und erklärte Harry Parkes, er denke, dass der Krieg zu Ende sei, respektive, dass gar kein Krieg herrsche, denn es seien mehrere Parlamentärsflaggen hin- und hergeschickt worden. Parkes aber teilte ihm mit, dass das Gegenteil der Fall sei und die Feindseligkeiten keinesfalls beendet seien, sondern erst begännen.94 Schließlich spielte Hengfu einen letzten Trumpf aus zur Vermeidung einer Attacke aus: Er kündigte in einem Schreiben vom 19. August die Ankunft der beiden kaiserlichen Beamten Wenxiang und Hengqi in Tianjin an. Diese seien ernannt worden, um weitere Verhandlungen zu führen. Es werde daher keinerlei Komplikationen bei der Ratifizierung des Vertrages von Tianjin geben, vor allem, wenn die beiden Gesandten dieselbe Route nach Peking nähmen wie der amerikanische Gesandte im Jahr zuvor. Auch dieses Schreiben blieb wirkungslos, die Attacke auf die Nordforts wurde durchgeführt.95 Die beiden nach Tianjin entsandten kaiserlichen Beamten Wenxiang und Hengqi waren Elgin und Gros bereits bekannt. Wenxiang hatte bei den Verhandlungen zum Vertrag von Tianjin von 1858 mitgewirkt.96 Der 58 Jahre alte Mandschu Hengqi war ein Mitglied des kaiserlichen Hofstaates und bis 1859 Aufseher des Zollamtes (Hoppo) in Kanton gewesen. Nachdem seine Dienstzeit dort abgelaufen war, kam er im Sommer 1860 nach Peking, wo er als Direktor des kaiserlichen Waffenarsenals eingesetzt wurde.97 In einem kaiserlichen Edikt vom 16. August war er nach Beitang beordert worden, um die Diplomaten Frankreichs und Englands nach Peking zu begleiten.

93 Siehe u.a. 21. August 1860, Gros an die kaiserlichen Kommissare. in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 274, Ein Schreiben ähnlichen Inhalts, in dem er sein Erstaunen darüber zum Ausdruck bringt, dass die kaiserlichen Kommissare mit keinem Wort das Ultimatum erwähnen, verfasste Gros bereits am 16. August 1860, vgl. Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 270–272. 94 Bericht Harry Parkes über den Ausflug am 18. August siehe: 18. August 1860, Parkes an Elgin, in: FO 405/5, S. 138. 95 Vgl. Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 273 und FO 405/5, S. 150. 96 Als mandschurischer Würdenträger galt Wenxiang (1818–1876) insbesondere nach dem Ende der Taiping-Revolte als einer der fähigsten Staatsmänner der Qing. Crossley, Orphan Warriors (1990), S.141ff. Eine Biographie siehe bei Hummel, Eminent Chinese (1943), Bd. 2, S. 853–855. 97 Banno, China and the West (1864), S. 172.

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1.5 Die Einnahme der Dagu-Forts am 21. August98 Die Vorbereitungen zur Einnahme der Dagu-Forts, insbesondere der Nordforts, waren unterdessen abgeschlossen. Am 20. August ritt Harry Parkes noch einmal als Parlamentär an die Nordforts heran, um die kampflose Übergabe zu fordern. Dies wurde abgelehnt und die Operation konnte beginnen. Am Abend des 20. August begab sich General Collineau, der die Operation der französischen Soldaten leitete, in das britische Lager, das im Rücken von Tanggu lag. Er hatte 1000 Mann bei sich, zudem eine Abteilung von Ingenieuren und Artilleristen unter Foulon Grandchamps, eine Kompanie Ingenieure mit Kolonel Dupouet, und eine Abteilung der Ambulanz unter Rousselot. Die Kulis, kommandiert von Kapitän Rouvière, trugen die Leitern, zudem war eine Batterie französischer Kanonen eingetroffen.99 In der Nacht zum 21. August versuchten die sich in den Forts befindenden Soldaten des Qing-Heeres durch Abbrennen von blauem Licht und in die Luft geschossene Raketen die Vorbereitungen der Alliierten zu ergründen, jedoch ohne Erfolg.100 Am 21. August frühmorgens marschierten 1.000 französische und 1.500 britische Soldaten an das erste Fort bis auf eine Entfernung von ungefähr 1.500 Meter heran. 101 Um fünf Uhr wurde das Feuer eröffnet: Die Franzosen beschossen die Südseite des oberen Nordforts, die Briten die Nordseite, während die Admiräle Page und Jones es von der Flussseite aus bombardierten.102 Aus dem Fort heraus (jedes maß immerhin 130 mal 140 Meter Grundfläche, wie man später feststellte) wurde mit einer lebhaften Kanonade geantwortet. Um 7 Uhr früh, nach zwei Stunden andauernden Gefechtsfeuers, explodierte innerhalb des Forts das Pulvermagazin. Trotzdem setzten sich die Qing-Soldaten noch heftig zur Wehr, weshalb die ersten Truppen der Infanterie zum Sturm erst gegen 8 Uhr ins Fort geschickt wurden. 103 Dort bot sich ein grässlicher Anblick, denn die Explosion des Pulvermagazins hatte zu einer grossen Zahl von Toten geführt. Gegen 9 Uhr war das erste Fort eingenommen. Kurze Zeit später, etwa um 9.30 Uhr, erschienen Hope Grant, Elgin (der aus Beitang angereist war, um Zeuge der Ereignisse zu sein) und Montauban.104 Hope Grant nahm die schweren in Woolwich gefertigten Eisenka-

98 Offizielle Berichte siehe auch: Extracts from a Despatch from Sir Hope Grant to the Secretary of State for War, reporting the Capture of the Peiho Forts, in: Knollys, Incidents (1875), S. 253. Siehe auch: Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 132. 99 Varin, Expédition (1862), S. 129. Bowlby, An account of the last mission (1906), S. 181. 100 Yangcun, 11. September 1860, Napier an Herbert, in: WO 32/8232. 101 25. August 1860, Foley an Russell, in: FO 405/5, S. 176. Die zu überquerenden Gräben wurden mit “schwimmenden Brücken” überwunden. Swinhoe, Narrative (1861), S. 131. 102 Eine Abbildung des Nord-Forts Harris, Of Battle and Beauty (1999), S. 63. 103 Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 263. Es existieren wiederum verschiedene Ansichten darüber, wer zuerst im Fort war. Felice Beato fotografierte die verschiedenen „Einfallstore“ der Briten und Franzosen in die Forts. Harris, Of Battle and Beauty (1999), S. 61f. 104 Knollys, Incidents (1875), S. 96. Montauban erschien nun in Paradeuniform, nachdem er noch am Morgen aus Protest eine schlichte Heeresuniform angelegt hatte. Siehe auch: Paviot: Les forts du Pei-Ho, in: Revue historique des Armées Bd. 151:2 (1983). S. 120–123.

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nonen wieder in Besitz, die den britischen Streitkräften 1859 abgenommen worden waren.105 Sodann besichtigten die Generäle das eben eingenommen Fort. Es stellte sich heraus, dass der durch die Armstrong-Kanonen verursachte Schaden an den aus Lehm und Ziegeln gebauten Mauern des Forts beträchtlich war.

Abbildung 4: Außenansicht des Nordforts, Einfallstor der britischen Truppen, 21. August 1860, Photographie von Felice Beato © Musée d’Histoire Naturelle de Lille.

Der Generalkommandant des Forts, ein naher Verwandter Senggerinchins, war getötet worden, zusammen mit 2.000 feindlichen Soldaten.106 Nach dieser kurzen Bestandsaufnahme mussten die alliierten Truppen zur Eroberung des zweiten Nordforts übergehen. In dem Moment aber, als sich die beiden Armeen in Marschordnung formierten, wurden auf den Mauern des gegenüberliegenden Forts weiße Flaggen aufgezogen. Dies wurde als Verhandlungswunsch gedeutet, woraufhin Kapitän Grant, eine Neffe des Generals gemeinsam mit Kolonel Dupin 105 Knollys, Incidents (1875), S. 92. 106 Wieder wurden auch die verwundeten Soldaten des Qing-Heeres in britische Hospitäler transportiert. Swinhoe, Narrative (1861), S. 141.

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und Harry Parkes als Parlamentäre entsandt wurden, um die chinesischen Abgesandten die ihnen auf einer Barke entgegen kamen (die beiden nördlich des Flusses liegenden Forts wurden von kleinen Flussläufen getrennt) zu treffen.107 Es zeigte sich, dass die chinesische Seite noch nicht bereit war, aufzugeben. Die chinesischen Parlamentäre hatten eine Botschaft für die alliierten Truppen vom Gouverneur von Beizhili, also Hengfu, die besagte, dass der Beihe-Fluss unter der Bedingung freigegeben würde, dass die Feindseligkeiten eingestellt würden. Darauf erwiderten die europäischen Offiziere, dass sie zur Befahrung des Beihe keiner gesonderten Erlaubnis bedürften, vor allem nicht, nachdem sie bereits ein Fort eingenommen hätten. Sie erklärten den chinesischen Parlamentären zudem, dass dies nicht der Moment für Verhandlungen sei. Hier gehe es um Kampf oder um bedingungslose Kapitulation.108 Darauf erwiderten die chinesischen Parlamentäre, sie seien nur die Überbringer der Botschaft und nicht dazu berechtigt, deren Inhalt zu diskutieren, und verschwanden. Kaum hatten Parkes und Dupin dies ihren Generälen berichtet, erschienen neue Flaggenzeichen an den noch nicht eroberten Forts, die als erneuter „Kapitulationswunsch“ gewertet wurden. Diesmal wurden Kolonel Foley, Harry Parkes und Dupin entsendet. Sie begaben sich wieder auf dem Wasserweg in die Nähe des Forts und nutzten die Exkursion gleichzeitig, um das große Nachbar-Fort, das als nächstes eingenommen werden musste, zu examinieren. Der sie diesmal empfangende Abgesandte, offenbar ein Offizier, setzte die Verhandlungen fort, als sei nichts gewesen, und schlug wiederum eine gütliche Einigung vor. Darauf gingen Parkes, Foley und Dupin nicht ein, sondern erwiderten, dass das Feuer erneut eröffnet würde, wenn die Soldaten des Qing-Heeres nicht innerhalb der nächsten eineinhalb Stunden die Waffen niederlegten. Der chinesische Offizier verlegte sich auf Drohungen und erwiderte, dass man selbst über genug Munition und Waffen verfüge, um nichts befürchten zu müssen. Vielmehr sei seitens der kaiserlichen Armee geplant, sich mit Macht zu wehren, wenn ein neuer Angriff durchgeführt würde. Parkes, Foley und Dupin ließen sich nicht einschüchtern und erwiderten ihrerseits, dass sie einen schweren Angriff vorhätten, wenn nicht innerhalb von 90 Minuten das Fort aufgegeben würde.109 Während der Zeit, die für diese Unterhandlung benötigt wurde, ließ Montauban seine gesamte Artillerie nach Xinhe kommen, um für die Attacke auf die Südforts gerüstet zu sein. Bis zwei Uhr mittags kam keine Kapitulationserklärung, so dass die Alliierten angriffen. Zu ihrer Überraschung aber ergaben sich die 2.000 feindlichen Soldaten (Cordier nennt 3.600 „tartarische Soldaten“) sofort, ohne dass ein Schuss fiel.110 Diese Soldaten wären eigentlich Kriegsgefangene der Alliierten gewesen, wurden aber sofort wieder freigelassen. Die Einnahme des zweiten Forts war letztendlich die Arbeit von General Collineau, und Hope Grant überließ es ihm, den Rest zu

107 108 109 110

Varin, Expédition (1862), S. 144. Ebd., S. 145. Varin, Expédition (1862), S. 146. Bowlby, An account of the last mission (1906), S. 280.

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organisieren.111 Schwadronschef Campenon, der Kapitän de Cools d’Hendecourt, der Major Anson, Harry Parkes und Loch verhandelten dann die friedliche Übergabe der restlichen südlichen Forts.

Abbildung 5: Innensicht des nördlichen Dagu-Forts, britische Einfallsseite, 21. August 1860, Photographie von Felice Beato © Musée d’Histoire Naturelle de Lille.

Zwar gaben sich die Qing-Truppen den Anschein, als seien sie geschlagen worden, aber die Alliierten trauten dem Frieden nicht. Daher brachte General Collineau seine Truppen erneut in Position, um für den Fall, dass die Verhandlungen scheiterten, für einen Gegenschlag bereit zu sein.112 Nach langen Verhandlungen willigte Hengfu ein, die Südforts aufzugeben und einige Offiziere zu entsenden, die die Lage von weiteren Minen anzeigen, und die Alliierten über die Staudämme am Beihe aufklären sollten.113 Über dieses Ergebnis, das erst am 22. August mittags veröffentlicht wurde, wurde noch vor Einbruch der Nacht eine Kon111 Varin, Expédition (1862), S. 150. Die Freilassung der Soldaten war ein Fehler, vermutet Varin, weil die gleichen Soldaten später in Changjiawan und Baliqiao kämpften. Man hätte diese 3.600 Soldaten zumindest zum Transport heranziehen müssen, oder sie zumindest nach Matao schicken können, von woher aus sie bestimmt nicht mehr angegriffen hätten. Es wäre allerdings recht schwierig gewesen, die Verpflegung der Kriegsgefangenen zu gewährleisten. 112 Ebd., S. 152. 113 Ebd., S. 154.

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vention unterzeichnet. Senggerinchin, so ging das Gerücht unter den britischen und französischen Soldaten, hatte das Südfort am 21. August abends in Richtung Peking verlassen.114 Dort versuchte er verzweifelt, die Regierung davon zu überzeugen, angesichts der Stärke und Disziplin der Alliierten einen Frieden mit diesen auszuhandeln.115

Abbildung 6: Innenansicht des nördlichen Dagu-Forts, nach Einnahme durch die französischen Truppen, 21. August 1860, Photographie von Felice Beato © Musée d’Histoire Naturelle de Lille.

Ergebnis der Auseinandersetzung vom 21. August war also die Eroberung der Dagu-Forts, sowohl der zwei Nord- als auch der beiden Südforts, samt 518 Kanonen (davon 110 in Bronze), großen Vorräten an Munition und Proviant, sowie freie Fahrt auf dem Beihe und damit Zugang zu frischem Proviant aus dem Lan-

114 Spencer, The Royal Marines in China, in: United Service Magazine, Januar (1876), S. 198. Hier wird auch erwähnt, dass die britischen Soldaten der Auffassung waren, dass es sich bei ihm um einen irischen Marinesoldaten namens Sam Collinson handelte, der sein Corps verlassen hatte und durch sein Genie eine hohe Position im chinesischen Heer erreicht hatte. Der Verfasser lässt offen, ob es sich dabei um einen Scherz handelt, bekräftigt aber, dass viele britische Soldaten die Geschichte geglaubt haben. 115 Banno, China and the West (1964), S. 78.

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desinneren für die Alliierten.116 Die Beute aus den eroberten Forts wurde am 23. August von einer Kommission britischer und französischer Ingenieure aufgeteilt: Ein Drittel für die Franzosen und zwei Drittel für die Briten.117 Die Leichen der toten Qing-Soldaten schwammen teils im Fluss, teils wurden sie von den Kulis geplündert, deren „Grausamkeit“ den Alliierten bei dieser Gelegenheit wiederholt auffiel.118 Die Verluste der alliierten Armee hielten sich in Grenzen: Von den Soldaten der französischen Armee wurden 11 getötet und 142 verletzt. In der britischen Armee verlor man 17 Offiziere und 161 Männer wurden schwer verletzt.119 Ein unbekannter Offizier, der seinen Bericht 1875 in Colburn’s United Service Magazine veröffentlichte, berichtet, dass die toten Qing-Soldaten im Krater, der durch die Explosion des Pulvermagazins entstanden war, vergraben wurden, während die Toten der Alliierten ohne Zeremonie an dem Ort beerdigt wurden, wo sie gerade fielen.120 Die Schlacht war gerade zum rechten Zeitpunkt beendet: Am Nachmittag setzten schwere Regenfälle ein, die das ganze Land in einen Sumpf verwandelten, so dass der Transport der Kanonen unmöglich wurde. Dennoch: Ein wichtiges Etappenziel, die Einnahme der Dagu-Forts, war vorerst erreicht.121

1.6 Der Marsch der Alliierten nach Tianjin und dortige Einrichtung, 22. bis 31. August Am 22. August nachmittags nahm Robert Napier die kampflos aufgegebenen Forts am rechten, südlichen Ufer in Besitz, mitsamt 600 Kanonen, die am 1. September unter den alliierten Truppen aufgeteilt wurden.122 Admiral Hope durchbrach die Flusssperren und begann am 23. August die Reise nach Tianjin, ungefähr 60 Kilometer flussaufwärts gelegen.123 Dafür erntete er aus den französischen 116 Eine Abbildung des eingenommen Forts erschien am 19. Januar 1861 in: L’Illustration, 19 Janvier 1861: Prise de forts du Peiho (21 Août) 117 Swinhoe, Narrative (1861), S. 150 übersetzte bei dieser Gelegenheit. M’Ghee, How we got to Peking (1862), S. 144. In den französischen Berichten wird weder bei Montauban, noch bei Varin oder sonstigen Augenzeugen von dieser Prise berichtet. 118 Swinhoe, Narrative (1861), S. 156. 119 Vgl. Return of Killed and Wounded of the British Force at the capture of the Takoo Forts on the 21st of August 1860, in: FO 405/5, S. 171. 120 Journal of an Officer of the 6th Regiment during the North China Campaign of 1860, in: United Service Magzine, Februar (1874), S. 175. 121 Siehe auch den Bericht von Hope Grant an Sidney Herbert: Tanggu, 24. August 1860, Hope Grant an Sidney Herbert, in: WO 32/8229. Queen Victoria ließ persönlich zum Krieg gratulieren am 10. November durch Sidney Herbert: London, 10. November 1860, Herbert an Hope Grant, in: WO 32/8230. 122 Pläne des gesamten Vorrückens der Alliierten finden sich in WO 78/990/2. Zur Aufteilung der Kanonen siehe: 1. September 1860, Proces verbal des répartitions des prises faites sur les chinois, in: MD, SHAT, 5G4, Dossier 2. 123 Knollys, Incidents (1875), S. 93.

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Reihen Kritik: Es sei erstens vereinbart worden, dass der französische Admiral Charner und Hope gleichzeitig in Tianjin eintreffen sollten, zweitens wisse man nichts über die Befestigung von Tianjin, was ein gewisses Risiko darstelle. Am 24. August aber vermeldete Admiral Hope, dass sich die Einwohner von Tianjin, das eigentlich über eine zinnenbewehrte Stadtmauer verfügte, kampflos ergeben hatten.124 Am 24. August machte sich Sir Hope Grant nach Tianjin auf, um nach einer geeigneten Lagerstelle für seine Truppen zu suchen. Am 26. August wurden je 1.000 britische und französische Soldaten auf dem Wasserweg nach Tianjin gebracht. Auch Elgin und Gros kamen am 26. August dort an und schlugen zusammen mit Hope Grant ihr Quartier im Hause eines reichen Getreidehändlers auf.125 Am 27. August brachen weitere Truppen auf dem Landweg auf. Die topographische Brigade der französischen Armee nahm zwecks Kartographierung den rechten Flussweg. Am 30. August traf Montauban als Letzter in Tianjin ein.126 Das französische Hauptquartier wurde in dem Haus eingerichtet, das Elgin und Gros im Jahr zuvor bewohnt hatten.127 Der Marsch gab den Soldaten, Offizieren und Berichterstattern endlich Gelegenheit, die Landschaft näher in Augenschein zu nehmen. Nachdem man das sumpfige Gebiet um Beitang verlassen hatte zeigte sich, dass sich die Felder und Äcker der frühherbstlichen Landschaft Nordchinas – im Gegensatz zum verwüsteten und hungernden Südchina – in sehr gutem Zustand befanden. Nous nous trouvâmes transportés comme par enchantement dans une campagne fertile, admirablement cultivée et semée de beaux jardins potagers séparés par des plantations de maïs. Les chinois, rangés sur notre route, nous regardaient passer avec un sentiment de surprise.128

Der Gesundheitszustand der Truppen war hervorragend, ebenso anscheinend deren Disziplin. Frische Nahrungsmittel konnten von der einheimischen Bevölkerung erworben werden (die vor Ort zur Versorgung der Alliierten Märkte einrichtete), ebenso wie Futter für die über 4.000 Tiere.129 Etwaige spezifische Plünderungen werden nicht erwähnt, jedoch wurden Transportmittel wie z.B. Wagen und Futter für die Tiere requiriert, ebenso wie Häuser und Tempel als Quartiere beschlagnahmt wurden. Dies scheint aber im Einverständnis mit der einheimischen Bevölkerung geschehen zu sein, zumindest wird es so dargestellt. Juillard beobachtete, dass die Einheimischen sich von Sorghum, Gemüse und vor allem von Schwein und Lammfleisch ernährten und bis zur Ankunft der Alliierten das europäische Brot nicht kannten.130 Von der Zivilbevölkerung erhielt Swinhoe, der noch bei den Dagu-Forts geblieben war, erstaunliche Rückmeldungen: Die Truppen der Alliierten kämpften tapferer und zivilisierter als die eigenen, kaiserlichen 124 125 126 127 128 129 130

Swinhoe, Narrative (1861), S. 148. Knollys, Incidents (1875), S. 95. Varin, Expédition (1862), S. 158. Bazancourt, Expéditions de Chine (1872), S. 170. Eine Karte von Tianjin in WO 78/988. Roy, La Chine et la Cochinchine (1862), S. 95. Knollys, Incidents (1875), S. 74. Juillard, Souvenirs d’un voyage (1869), S. 107.

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Truppen, die gute Behandlung der Gefangenen sei bei den „Tataren“ ebenfalls unüblich, die ihre Gefangen normalerweise folterten oder umbrächten, und generell sei die Zivilbevölkerung froh, dass es den „tartarischen Herrschern“ heimgezahlt würde.131 In Tianjin quartierten sich die britischen Soldaten rechts des Flusses ein, die französischen Soldaten am linken Flussufer.132 Anders als ihre Kommandanten die in der Stadt Quartier bezogen schlugen sie ihre Zelte außerhalb der Stadt auf, und verblieben dort. Zunächst ging es darum, die Versorgung der Armee mit Lebensmitteln zu organisieren. Dazu wurde eine von Franzosen und Briten paritätisch besetzte Kommission gebildet, die in Verhandlungen mit einheimischen Fleisch- und Lebensmittelhändlern trat.133 Harry Parkes, der Verhandlungsführer, erfuhr im Verlaufe des Gesprächs mit den Händlern, dass Senggerinchin bis vor kurzem in der Stadt gewesen sein musste, und seinerseits Vorkehrungen zur Versorgung seiner Truppen getroffen hatte. Er vereinbarte daraufhin mit den Einwohnern von Tianjin, dass er diese Arrangements übernehme, und schon bald wurden Märkte errichtet, an deren Ständen sich die Soldaten der alliierten Armee verpflegen konnten. Obwohl in den französischen und britischen Berichten darauf hingewiesen wird, dass kaum Plünderungen vorkamen, und wenn, dann nur in Form von Requirierung von Lebensmitteln, hatten die Einwohner von Tianjin ihre Frauen und Kinder aus der Stadt weggebracht.134 Insgesamt war der Eindruck von der großen Handelsstadt Tianjin positiver als der von Shanghai. Nach Auskunft der Einwohner lebten in Tianjin, Zentrum eines bedeutenden Fernhandels, schon 1860 mehr als eine halbe Million Menschen. Seine geographische Lage am Beihe und am Kaiserkanal machte es zu einem Warenumschlagsplatz für den Handel mit der Hauptstadt. Bemerkenswert 131 Dies alles erfuhr Swinhoe während eines Gespräches mit einem alten Mann (Swinhoe, Narrative (1861), S. 158–160). Anders als beispielsweise d’Hérisson, bei dem der Wahrheitsgehalt seiner Berichte öfter angezweifelt wurde, war Swinhoe ein sehr gewissenhafter Chronist, es ist daher eher unwahrscheinlich, dass er dieses Gespräch erfunden hat. Es kann aber vermutet werden, dass der alte Mann sich durch das Loben der feindlichen Truppen selbst schützen wollte. 132 Swinhoe, Narrative (1861), S. 191 vermutete, als er das Haus entdeckte, in dem der Wissenschaftler Escayrac de Lauture sein Quartier aufgeschlagen hatte, dass die französische Armee klugerweise bereits moderne Kriegsführung mit Wissenschaft verband. Escayrac de Lauture erklärte ihm, dass er aufgrund bürokratischer Fehler der einzige Forscher der Expedition geblieben sei. Beim Aufenthalt in Tianjin entdeckte Swinhoe auch, dass dem französischen Heer ein gewisser M. Yill, wie er selbst Zoologe, angehörte, der beim Bureau topographique arbeitete, Swinhoe, Narrative (1861), S. 193. 133 Blondel, Relation de l’Expédition de Chine (1862), S. 113. Offenbar gab es hier auch Differenzen, und Bowlby zum Beispiel schilderte, wie Mr Morrison, der Übersetzer, anbot, für Proviantnachschub zu sorgen, indem er das Versprechen gab, dass Einheimische, die Vorräte lieferten, nicht verletzt werden würden. Montauban wollte sich dieser Vereinbarung nicht anschließen, aber kurze Zeit später gab es trotzdem einen Lebensmittelmarkt, auf dem die Männer sich versorgen konnten. Bowlby, An account of the last mission (1906), S. 85. 134 Tianjin, 26. August 1860, Parkes an Elgin, in: FO 405/5, S. 174. Swinhoe erwähnt Plünderungen in der Nähe des französischen Lagers, Swinhoe, Narrative (1861), S. 172. Bazancourt aber behauptet, dass es nicht zu Plünderungen gekommen sei.

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schien auch das Hauptsalzlager, das, einen Kilometer lang und fünfhundert Meter breit und durch Matten gegen den Regen geschützt, sich in einer Vorstadt entlang des rechten Flussufers befand.135 Während die alliierten Truppen in Nordchina den Angriff auf die Dagu-Forts und gegen die Truppen der Qing-Regierung vorbereiteten, ergab sich in Shanghai eine völlig andere Situation.136 Hier lagen die Europäer nicht im Krieg mit den kaiserlichen Truppen, sondern verbündeten sich mit ihnen, um die TaipingRebellen, die auch den Besitz der europäischen Kaufleute bedrohten gemeinsam niederzuschlagen.137 Diese Haltung irritierte den Gouverneur von Beizhili sehr: Da die alliierten Truppen gegen die chinesische Regierung vorgehen wollten, was sich darin äußerte, dass sie im Norden gegen diese zu Felde zogen, hätten sie im Süden eigentlich die Rebellen unterstützen müssen, die gleichfalls Gegner der chinesischen Regierung waren. Dass nun die alliierten Truppen einerseits in Shanghai die TaipingErhebung bekämpften, und andererseits im Norden die kaiserlichen, chinesischen Truppen, war dem Gouverneur von Beizhili unerklärlich, zumal die europäische Bevölkerung von Shanghai vorher noch eigenhändig die chinesischen Viertel, die die europäischen Wohnviertel umgaben, abgebrannt hatte.138 Tatsächlich aber illustriert dies recht deutlich die Politik der Alliierten, hier wohl hauptsächlich der Briten, die eine Schwächung der Qing nur so weit wollten, dass diese sich einerseits dem Diktat Großbritanniens und Frankreichs beugen mussten, andererseits aber die Handelsinteressen der Alliierten schützen konnten. Die europäischen Truppen besiegten nun gemeinsam mit den kaiserlichen Qing-Truppen die Taiping, die sich am 20. August in Richtung Xujiahui (Zikhawei) zurückzogen.139 Montauban und Grant sandten ein britisches Regiment und zwei französische Infanterieregimenter nach Shanghai, um die dortige Garnison zu verstärken.140

135 Die Salzhändler von Tianjin nahmen aktiv teil am Schutz der Stadt vor den Alliierten. Seit 1853 hatte der Salzhändler Zhang Jinwen (1795–1875) Milizen gebildet, die den Schutz der Stadt eher garantierten als die Qing-Armee. Zhang übernahm auch die Ausstattung und Versorgung der Briten und Franzosen, als sie in Tianjin waren, außerdem diente er als Vermittler zwischen den ausländischen Kaufleuten und der Qing. Kwan, The salt merchants of Tianjin (2002), S. 95ff. 136 Shanghai, 4. September 1860, Bruce an Russell, in: FO 405/5, S. 178. 137 2. September 1860, Hope Grant an Sidney Herbert, in: WO 32/8231. 138 Varin, Expédition (1862), S. 172. 139 Ruggles berichtet vom Neid der in Shanghai stationierten Truppen auf die glücklicheren Kollegen, die gen Norden ziehen durften. Ruggles, Recollections (1906), S. 119. 140 Montauban, Souvenirs (1932), S. 224. Ein Bericht über die Ereignisse vom 18./19./20. August 1860 in Shanghai siehe hier: Zikhawei, 24. August 1860, Kommandant Lebreton an Kolonel Favre in: MD, SHAT, 5G4, Dossier 2.

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1.7 Diplomatische Verhandlungen zwischen Hengfu, Elgin und Gros, 23. August bis 3. September 1860 Die Niederlage am 21. August bei den Dagu-Forts wurde vom Gouverneur der Provinz anerkannt, der sich in der Folge in seiner Korrespondenz nicht nur an die Gesandten, sondern auch an die Oberkommandierenden der Truppen wandte.141 Während also die alliierten Truppen nach Tianjin zogen, wurde die diplomatische Korrespondenz fortgesetzt. Am 23. August erreichte Elgin und Gros eine Nachricht von Hengfu, derzufolge er die beiden Gesandten in Tianjin erwartete, um Weiteres zu verhandeln. Er bat außerdem darum, nicht zu viele Truppen mit nach Tianjin zu bringen.142 Am 25. August erhielten beide Gesandten ein Schreiben von Wenxiang, aus welchem sie entnehmen konnten, dass Hengqi, Hengfu und Guiliang nach Tianjin abgeordnet wurden, um dort weiter zu verhandeln.143 Am 28. August antwortete Gros, am 29. Elgin; beide teilten Guiliang, der ebenfalls bereits an den Verhandlungen von 1858 beteiligt gewesen war, den Inhalt des Vertrages mit, den sie diesmal abschließen wollten.144 Gros forderte für Frankeich zunächst eine Entschuldigung für die Niederlage im Juni 1859, die der französische Gesandte Bourbolon zusammen mit Bruce erlitten hatte. Außerdem sollte der Austausch der Ratifikationsurkunden in Peking stattfinden, und es dem französischen Gesandten ermöglicht werden, sich unter freier Wahl von Transportroute und Transportmittel nach Peking begeben zu können. Der Vertrag von Tianjin sollte sofort unterschrieben und Entschädigungsleistungen in Höhe von 8 Millionen Tael sollten geleistet werden. Diese Summe hätte nach Gros’ Einschätzung nicht dazu ausgereicht, die Kosten der Expedition zu decken, was er eigentlich beabsichtigt hatte. Aber nachdem China sich angesichts der Taiping-Erhebung in einer finanziellen Notlage befand, hatte er im Namen der französischen Regierung entschieden, diese angesichts des französischen Aufwandes geringe Summe von acht Millionen zu verlangen, in denen bereits zwei Millionen, die zusätzlich im Vertrag von Tianjin verlangt wurden, enthalten waren.145 Elgin wollte von Guiliang die gleiche Summe fordern wie im Ultimatum vom März 1860, zusätzlich aber noch eine Kompensation für den Schaden, der im vorangegangenen Jahr an den Dagu-Forts entstanden sei, außerdem die erweiterte Öffnung Tianjins für den Handel. Wenn die britische Botschaft in Peking erst einmal eröffnet sei, so genüge eine Garnison zu deren Bewachung, und die große britische Streitmacht, die sich nun im Norden Chinas befinde, könne dann abgezogen werden, ohne Peking eingenommen zu haben. Durch einen Hinweis auf die 141 Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 277. 142 23. August 1860, Hengfu an Elgin, in: FO 405/5, S. 173. Das Schreiben an Gros befindet sich in Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 282. 143 25. August 1860, Wenxiang an Elgin, in: FO 405/5, S. 173. 144 Die chinesische Version: 29. August 1860, Elgin an Guiliang, in: FO 682/1993/39. Baron Gros’ Schreiben in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 283–286. 145 Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 283–285.

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Situation in Shanghai wollte Elgin seinen Forderungen Nachdruck verleihen. Dort war die erfolgreiche Bekämpfung der Rebellen nur mit Hilfe der europäischen Garnison möglich geworden. Bruce hatte auf Geheiß seines Bruders dafür gesorgt, dass die Taiping-Rebellen zwar nicht vernichtend geschlagen wurden, aber trotzdem gezeigt, dass er dazu in der Lage wäre. Elgin wollte diesen Punkt bei den Verhandlungen mit Guiliang einsetzen.146 In Peking unterdessen war man sich nach dem Bericht von Senggerinchin nicht mehr sicher über den Ausgang einer militärischen Konfrontation mit den Alliierten. Die kaiserlichen Berater waren über das weitere Vorgehen geteilter Meinung. Die von den Alliierten als „Kriegspartei“ bezeichnete Fraktion, bestehend aus den Prinzen Hui, Yi und Cheng war den Alliierten gegenüber ausgesprochen feindlich und beharrte weiter auf einer militärischen Konfrontation.147 Den „Ausländern“ gegenüber etwas positiver gestimmt (daher von diesen als Teil oder Mitglied der „Friedenspartei“ bezeichnet) war der jüngere Bruder des XianfengKaisers Prinz Gong (Yixin).148 Der Kaiser favorisierte die „Kriegspartei.“ Von beiden Fraktionen musste Senggerinchins (der als Parteigänger von Prinz Gong zur „Friedenspartei“ gehörte) Vorschlag erwogen werden, der Kaiser solle sich unter dem Vorwand einer Jagdreise nach Rehe begeben, um sich so der Einnahme Pekings zu entziehen. Zudem musste angesichts der nahenden Gefahr die Bewaffnung der Stadt Peking erwogen werden.149 Man verhielt sich zunächst einmal abwartend und hoffte, dass Guiliang doch noch einen Frieden erreichen werde. Guiliang blieb angesichts der starken europäischen Truppen in Tianjin, die nach Einschätzung Senggerinchins nicht besiegt werden konnten, nichts anderes übrig, als Entgegenkommen zu zeigen. Am 2. September schrieb er an Elgin, dass man ohne weiteres den Vertrag von 1858 ratifizieren könne und dann der Weg nach Peking frei sei. Er sei als Bevollmächtigter eingesetzt und somit berechtigt, alle Themen den Vertrag von Tianjin 1858 und das Ultimatum vom März 1860 betreffend zu diskutieren. Er bitte also, alle Feindseligkeiten einzustellen.150 Elgin antwortete am 3. September dass er einen Entwurf des zu unterzeichnenden Vertrages und der Zusatzvereinbarungen vorbereite.151 Sobald der Vertrag unterzeichnet sei, werde er sich auf den Weg nach Peking machen, um dort die Verträ-

146 Bowlby, An account of the last mission (1906), S. 92. 147 Prinz Yi (Zai Yuan), Prinz Hui (Mianyu), Prinz Zheng (Duanhua). Prinz Yi (Zaiyuan) findet eine kurze biographische Erwähnung bei Hummel, Eminent Chinese (1943), Bd. 2, S. 924. Prinz Hui (1814–1865) wird erwähnt als der fünfte Sohn des Jiaqing-Kaisers, der als Verteidigungsbeauftragter von Peking bis 1855 der direkte Vorgesetzte von Senggerinchin war Hummel, Eminent Chinese (1943), Bd. 2, S. 968. 148 Für eine Kurzbiographie von Prinz Gong siehe: Hummel, Eminent Chinese (1943), Bd. 1, S. 380–384. 149 Für eine Übersetzung dieses Memorials an den Xianfeng-Kaiser, datiert vom 26. August siehe Young, A Story of Active Service (1886), S. 146ff. 150 2. September 1860, Guiliang an Elgin, in: FO 405/5, S. 187ff. Siehe auch Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 162. 151 Ein Entwurf des Vertrages siehe in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 289–293.

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ge auszutauschen. Erst nach Unterzeichnung des Vertrages allerdings werde er seinen Kommandanten mitteilen, dass die Feindseligkeiten einzustellen seien.152 Guiliangs Augenmerk wandte sich daraufhin der Frage nach den Formalien für die Reise Elgins nach Peking zu. Er wollte auch hier noch einmal offenbar Schadensbegrenzung betreiben, denn er bat ihn, nur eine kleine Eskorte mitzubringen, und zudem keine großen Belagerungskanonen mitzunehmen, da dies die Landbevölkerung irritieren würde. Elgin sollte sich zudem doch überlegen, ob er nicht den Flussweg nehme. Es wurde ein Treffen der kaiserlichen Kommissare mit den Gesandten der Alliierten für den 7. September festgelegt, die Vertragsunterzeichnung für den 8. September.

1.8 Der Abbruch der diplomatischen Verhandlungen, 8. September Am 3. September waren Wade und Parkes immer noch mit ihrer Übersetzungsarbeit des Vertrages von Tianjin befasst. Es ergaben sich Schwierigkeiten mit den französischen Forderungen, die Guiliang reduzieren wollte, was Gros aber nicht zugestehen wollte. Man einigte sich dann darauf, dass die Franzosen ein Drittel weniger Schadensersatz als die Briten erhalten sollten.153 Innerhalb des Heeres herrschte nun allerbeste Stimmung: Man sah der vermeintlichen Heimreise entgegen und war überzeugt, nach nur vier Wochen alle Bedingungen, um deretwillen man ausgezogen war, bereits erlangt zu haben.154 Nun musste erörtert werden, wer mit Elgin als Eskorte nach Peking ziehen sollte.155 Montauban stellte bereits seine 1.000 Mann starke Eskorte zusammen und ließ an die Chasseurs d’Afrique rote Krawatten und blaue Schärpen verteilen.156 Am 5. September abends lud Elgin Ignatiev zum Abendessen ein, um sich bei ihm über die Situation in Peking zu informieren, am 6. September sollten die Verträge unterzeichnet werden. Hope Grant schrieb noch am 7. September morgens an den Generalgouverneur von Indien, dass Nachschub nicht mehr vonnöten sei, da die Verhandlungen zu einem friedlichen Ende gekommen seien.157 Auch Gros war der festen Überzeugung, dass die Differenzen beigelegt seien und so kamen die nun folgenden Ereignisse recht unerwartet.158 Bei einem Treffen am 6. September mit den chinesischen Bevollmächtigten verlangte Harry Parkes die kaiserlichen Vollmachten zu sehen, ohne die die Vertragsunterzeichnung gar nicht möglich sei. Parkes musste erfahren, dass diese nicht existierten, und verließ sofort Hengqi, der für Prinz Yi und Muyin die Verhandlungen führte, um Elgin 152 3. September 1860, Elgin an die chinesischen Verhandlungspartner, in: FO 405/5, S. 188. 153 Gros, Livre Jaune (1864), S. 61. 154 Swinhoe ist einer der wenigen, die das Lager in Tianjin als unbequem empfinden. Swinhoe, Narrative (1861), S. 188. 155 M’Ghee, How we got to Peking (1862), S. 147. 156 Varin, Expédition (1862), S. 175. 157 Knollys, Incidents (1875), S. 103. 158 Tianjin, 6. September 1860, Gros an Thouvenel, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 294–298.

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davon zu berichten.159 Dies erfuhr auch der französische Attaché Comte de Bastard, der sich am 7. September 1860 morgens in Begleitung der Übersetzer Abbé Delamarre und M. de Méritens zu Hengqi begeben hatte, um noch einmal über die Verträge zu verhandeln. Er erkundigte sich, ob es wahr sei, dass Guiliang nur begrenzte Vollmacht habe, was bestätigt wurde. Daraufhin bezichtigte auch er Hengqi der Lüge, brach die Verhandlungen ab und setzte Hengqi in Kenntnis davon, dass er beabsichtige, die Truppen einzusetzen.160 Elgin und Gros änderten entsprechend ihre Strategie, und beschlossen, ungeachtet der Gefahr einer Flucht des Kaisers, auf Peking zu marschieren. Sie setzten Guiliang, ihre jeweiligen Außenminister und die Generäle davon in Kenntnis.161 Außerdem teilten sie Guiliang mit, dass es eine Möglichkeit gebe, den Marsch des gesamten Heeres auf Peking zu vermeiden, und zwar dann, wenn sie die Verträge in Tongzhou (das sehr viel näher an Peking lag) unterzeichnen könnten. Dorthin begaben sie sich und zitierten auch Guiliang an diesen Ort.162 Gros und Elgin schätzten die Lage so ein, dass die chinesischen Verhandlungspartner angesichts des nahenden Winters und dem dadurch für die alliierten Truppen entstehenden Versorgungsengpass mit einer Hinhaltetaktik arbeiteten. Sie mussten zudem befürchten, dass es jetzt zu einem ernsthaften Krieg kommen könnte, wenn sich die ca. 3.000 kaiserlichen Soldaten, die bei den Dagu-Forts gekämpft hatten und von den Alliierten wieder freigelassen worden waren, in Tongzhou sammelten, um dort eine Schlacht gegen die Alliierten vorzubereiten. Die kaiserlichen Kommissare andererseits fürchteten den geballten Angriff der Alliierten. Am 7. September versuchten sie noch, zu beschwichtigen und den Zorn der Alliierten zu dämpfen, indem sie in Aussicht stellten, dass die Vollmachten aus Peking bald eintreffen würden. Auch Guiliang versuchte, Elgin noch umzustimmen, aber erfolglos.163 Ein Vorrücken in Richtung Peking wurde beschlossen. 164 Am 9. und am 12. September wurde indessen der Xianfeng-Kaiser von 159 Memorandum von Parkes und Wade über die fehlende Verhandlungsbevollmächtigung, in: FO 405/5, S. 197. Nachdem Hengqi in Dagu nicht mehr aushelfen konnte, war er nach Tianjin beordert worden, um Guiliang und Hengfu zu unterstützen. Banno, China and the West (1964), S. 172. Für Muyin siehe unter dem Eintrag für Su Shun in Hummel, Eminent Chinese (1943), Bd. 2, S. 668. 160 7. September 1860, Bastard an Gros, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 299–301. 161 Tianjin, 8. September 1806, Gros an Thouvenel, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 305. Tianjin, 8. September 1860, Elgin an Russell, in: FO 405/5, S. 196–197. 162 Tianjin, 7. September 1860, Elgin an Guiliang, in: FO 405/5, S. 199. Elgin an Hope Grant, in: FO 405/5, S. 200, teilt ihm den Verhandlungsabbruch mit. Elgin an Russell, in: FO 405/5, S. 196: Elgin teilte Russell mit, dass die chinesischen Bevollmächtigten keine kaiserliche Vollmacht hatten, und daher die Verhandlungen abgebrochen würden. Für die französische Korrespondenz: Tianjin, 7.September 1860, Gros an die kaiserlichen Kommissare, und auch Tianjin, 7. September 1860, Gros an die Kommandierenden der Armee, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 301. 163 8. September 1860, Guiliang an Elgin, in: FO 682/1993/46a. 164 Tianjin, 8. September 1860, Elgin an Grant. „I regret to say that I have been compelled to break off for the moment, negotiations for the reestablishment of peace with China, in consequence of its having unexpectedly intimated to my Secretaries, Messrs. Parkes and Wade, by

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seinen Ministern bestürmt, keinesfalls Peking zu verlassen, sondern, zur Ermutigung der gesamten Bevölkerung dort zu bleiben, auch wegen der sicheren Stadtmauern.165 Der Kaiser selbst indessen war auch am 13. September noch davon überzeugt, dass die Alliierten vor Peking aufgehalten werden könnten.166

2 DER MARSCH AUF PEKING: VERHANDLUNG UND VORRÜCKEN DER ALLIIERTEN, 12. SEPTEMBER BIS 21. SEPTEMBER 2.1 Marsch der Truppen nach Tongzhou Mit dem beschlossenen Marsch auf Peking begann der eigentliche Feldzug, den beide Seiten eigentlich hatten vermeiden wollen. Die Qing-Regierung, im Wesentlichen die den Ausländern gegenüber feindlich eingestellte Partei, hatte gehofft, dass durch Verhandlungen ein Friedensvertrag abgeschlossen werden könnte. Falls nicht, so hatte man doch damit gerechnet, dass es Senggerinchin (entgegen dessen Beteuerungen), der mit seinen Truppen in der Überzahl war, gelingen würde, die Alliierten zurückzuschlagen. Die Alliierten ihrerseits hatten erwartet, mit der Ankunft in Tianjin und nach dem Sieg bei den Dagu-Forts ihre Position deutlich gemacht zu haben. Die Vollmachten von Guiliang, so mussten sie nun aber feststellen, reichten nur zur Ratifizierung der Verträge von Tianjin aus, nicht aber zur Gewährung der Entschädigungszahlungen und der Entschuldigung für die Verweigerung der Passage von 1859. Dies fassten Elgin und Gros als Vortäuschung falscher Tatsachen auf und als hinreichenden Grund für den nun folgenden Konflikt. Sie gaben die Schuld ihren chinesischen Verhandlungspartnern, denen sie unterstellten, sich absichtlich nicht an „europäische Konventionen“ gehalten zu haben, weil sie keine Ermächtigungsschreiben bei sich hatten. In den Lagern der Alllierten mussten in den nächsten Tagen viele Dinge für den Feldzug nach Peking geplant werden. Wie sollte die Logistik geregelt werden, wie die Verpflegung? Wie der Transport der Diplomaten im unbekannten Terrain? Dies waren die Fragen, die sich das Generalkommando stellen musste.167Robert Napier und General Collineau blieben zunächst in Tianjin zurück, um das dortige Basislager zu bewachen. Die alliierte Armee sollte als Marschroute die übliche the Imperial Commissioners, that they have not the requisite authority to treat with me. As this is evidently a device to gain time, I have thought it my duty to inform them that negotiations are closed for the present, and that they cannot be resumed until I have reached Tungchao”, in: FO 405/5, S. 200. 165 Übersetzungen der diesbezüglichen Korrespondenz in: Young, A Story of Active Service (1886), S. 148–152. 166 Young, A Story of Active Service (1886), S. 155. Edikt des Xianfeng-Kaisers vom 13. September 1860. Young beruft sich auf chinesische Dokumente, die später im Yuanming yuan gefunden wurden. 167 Bazancourt, Expédition de Chine (1872), S. 179.

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Handelsroute nehmen, die an der rechten Kanalseite entlang über Yangcun und Hexiwu nach Tongzhou führte.168 Die französischen Truppen sollten in einer Kolonne marschieren (mit 2.886 Mann), während die britischen Truppen in zwei Kolonnen aufgeteilt wurden, die Kavallerie mit 1.000 Mann und die Infanterie mit 2.000 Mann. Die erste britische Kolonne, bei der Elgin und Hope Grant mitritten, verließ Tianjin bei sengender Hitze am 9. September, die zweite folgte am 11. September. Zum Transport hatten britische Soldaten in Tianjin 50 Wagen samt ihren chinesischen Fahrern und Zugtieren requiriert, die sich aber in der gleichen Nacht wieder aus dem Staub machten.169 Die französischen Truppen (kommandiert von General Jamin) mit Montauban und Baron Gros, der wegen seines Alters und seines schlechten Gesundheitszustandes in einer Sänfte transportiert werden musste, verließen Tianjin am 10. September und erreichten am 12. September Yangcun.170 Dieses Dorf, wie auch die übrigen, die die Franzosen in den nächsten Tagen passieren sollten, war wie ausgestorben und von seinen Einwohnern verlassen. Die französische Armee tat sich an den Vorräten gütlich, die sie in den Häusern fanden.171 Plündereien zumindest der britischen Truppen hatte Hope Grant anfangs immer noch unter Kontrolle, und das Einvernehmen mit der Zivilbevölkerung blieb gut. Kulis wurden von britischen Soldaten aktiv an Plünderungen gehindert. Die Lebensmittelversorgung der alliierten Armee wurde immer noch einerseits durch die Lebensmittelmärkte der Einheimischen gedeckt, andererseits durch Zwangsrequisitionen, wobei aber die requirierte Ware den Einheimischen bezahlt und unter den britischen und französischen Soldaten geteilt wurde (so wurden am 12. September 450 Schafe zwangsrequiriert). Das Klima zwischen der Zivilbevölkerung und den Alliierten änderte sich aber am 13. September, als die britische Armee um 10.30 Uhr morgens Hexiwu erreichte, wo sie zum ersten Mal seit längerem wieder einen Stoßtrupp des QingHeeres sahen. Parkes meldete aus Hexiwu Plakate, in der die Regierung die Bevölkerung darüber informierte, dass das ausländische Heer zu erwarten sei (offenbar war das also der Grund, weshalb auch Yangcun verlassen war). Versorgung und Zusammenarbeit mit diesem Heer sei streng verboten, falls es bis nach Hexiwu gelange. Damit sei aber nicht zu rechnen angesichts der eigenen Truppenstärke, mit der es ohne Weiteres möglich sein sollte, das feindliche Heer leicht zurückzuschlagen. Hexiwu war dementsprechend verlassen, und die wenigen Zurückgebliebenen weigerten sich, in Handelsbeziehungen mit den Alliierten zu treten. Parkes erzwang durch Gefangennahme der Dorfvorsteher die Versorgung mit Lebensmitteln. 168 Die entsprechende Karte war rekonstruiert worden nach einem Kartenwerk von 1760 und ist in FO 925/ 2410 zu finden. 169 Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 166 vermutet dahinter fälschlicherweise einen Akt der chinesischen Regierung. Parkes und Wade mussten dann in den darauffolgenden Tagen die Tiere zurückkaufen. 170 Yangcun, 11.September 1860, Elgin an Russell, in: FO 405/5, S. 203. 171 Castano, L’Expédition de Chine (1864), S. 141.

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Abbildung 7: Marsch der alliierten Armee vom Beihe nach Peking, Schlachten vom 18. und 21. September 1860, in: Dépôt de la guerre (Hg.): Der Krieg gegen China im Jahre 1860, Leipzig 1865.

In Hexiwu sollte die Armee warten, bis Proviant und die schwere Artillerie aus Tianjin eingetroffen war, was ungefähr zehn Tage dauern würde.172 Diese Siedlung eignete sich gut als Standort für die Truppen, weil es von Tianjin aus auf dem Wasserweg zu erreichen war, und so sandte Admiral Hope eine Flotte zu General Hope Grant, die über den Flussweg den Nachschub sicherte.173 Die französische Armee mit Gros und Montauban erreichte Hexiwu am 14. September. Der Verdacht wurde nun zur Gewissheit, dass die Qing-Regierung der Zivilbevölkerung verboten hatte, die alliierte Armee zu versorgen: Auch in Tianjin seien nun Plakate aufgehängt worden, die die Bewohner anwiesen, den Ausländern keinerlei Proviant mehr zukommen zu lassen. Daraufhin ließ Napier den Daotai (ein kaiserlicher Beamter etwa im Range eines Bürgermeisters) von Tianjin gefangen nehmen und zwang ihn, weiter für die Versorgung der Alliierten mit Lebensmitteln aufzukommen.174

172 Bowlby, An account of the last mission (1906), S. 104. 173 Knollys, Incidents (1875), S.105. 174 10. Jahr des Xianfeng-Kaisers, 8. Monat, 3. Tag (16. September 1860) Throneingabe Zaiyuan und Muyin, in: Chouban yiwu shimo (1979), S. 2315. Siehe auch Xianfeng Tongzhi liang Chaoshang shangyu dang (2002), S. 1479.

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Die Versorgungslage der französischen Armee, die immer noch von dem lebte, was das Land hergab (offensichtlich war die Delegation, die in Dalianwan Fleisch kaufen sollte, noch nicht zurück), war immer noch so schlecht, dass sogar der Diplomat Gros Montauban nun darum bat, mehr Geld für den Proviant bereitzustellen, damit diese endlich auch mit dem Plündern aufhören und wie die Briten ihre Lebensmittel gegen Geld bei den Einheimischen erwerben könnten.175

2.2 Diplomatische Verhandlungen: Elgin, Gros, Muyin und Prinz Yi, 12. bis 17. September 1860 Elgin hatte nach der Enttäuschung in Tianjin ursprünglich die Absicht gehabt, sich auf keine weiteren diplomatischen Verhandlungen einzulassen, bis er Tongzhou erreicht hätte. Am 11. September aber erreichte ihn ein Schreiben, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass die chinesische Seite neue Verhandlungspartner bestimmt hatte. Bei diesen handelte es sich um den Prinzen Yi (Zaiyuan, ein Prinz der kaiserlichen Familie und Onkel des Xianfeng-Kaisers) und den Kriegsminister Muyin. Diese hätten sich von Peking aus auf den Weg gemacht, um in Tianjin an Stelle von Guiliang und Hengqi ernsthafte Friedensgespräche mit Elgin und Gros zu führen.176 Elgin und Gros wurden gebeten, zurück nach Tianjin zu gehen und dort auf sie zu warten.177 Elgin ignorierte das erste Schreiben.178 Gros antwortete ablehnend und bestätigte dies in einem zweiten Schreiben am 12. September, in dem er seine Position ausführte.179 Am 13. September hatten sich Yi und Muyin auf höfliches Drohen verlegt. Sie bäten Elgin, zu bedenken, dass sich die QingTruppen durch das weitere Vorrücken der Alliierten bedroht fühlen oder diese vielleicht sogar angreifen könnten, und schlugen vor, dass Elgin und Gros ohne die Truppen, die an einem weiter entfernten Ort ihr Lager aufschlagen könnten, und nur von ihrer persönlichen Leibgarde begleitet nach Tongzhou kämen, um dort erneut zu verhandeln.180 Auf dieses Schreiben nun beschloss Elgin aus mehreren Gründen einzugehen. Prinz Yi, das wusste er, galt als eine Schlüsselfigur in der kaiserlichen Regierung, weshalb Elgin davon ausging, dass er sich diesmal einem umfassend legitimierten 175 Gros, Livre Jaune (1864), S. 88. 176 12. September 1860, Prinz Yi und Muyin an Elgin, in: FO 682/1993/52 Übersetzung in FO 405/5, S. 211. 177 Hexiwu, 16. September 1860, Elgin an Russell, in: FO 405/5, S. 209. 178 Für die chinesische Originalversion siehe 11. September 1860, Prinz Yi und Muyin an Elgin, in: FO 682/1993/51. Die Übersetzung, die an Russell ging, in: FO 405/5, S. 211–212. Siehe auch Jiang Tingfu (Hg.), Chouban yiwu shimo buyi (1988), Bd. 2, S. 228–254. 179 11. September 1860, Gros an Prinz Yi und Muyin, außerdem: Yangcun, 12. September 1860, Baron Gros an die Kaiserlichen Kommissare; in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 310. Die französische Übersetzung ist in: MAE, Correspondance Politique, Chine 34, Bl. 100. 180 13. September 1860, Prinz Yi und Muyin an Elgin, in: FO 682/1993/53. Aufgrund dieser feindseligen Haltung werden Prinz Yi und Muyin, die auch schon während des Arrow War mit westlichen Angelegenheiten befasst waren, als Angehörige der „Kriegspartei“ bezeichnet. Banno, China and the West (1964), S. 60.

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Verhandlungspartner gegenübersah. Zum zweiten ergab sich nach Rücksprache mit Hope Grant, dass eine Belagerung Pekings und vor allem dessen Einnahme, falls es dazu kommen würde, gut geplant sein musste. Dazu mussten ein Depot in Hexiwu eingerichtet und die großen Belagerungskanonen herangeschafft werden, was ungefähr acht bis zehn Tage dauern würde. So lange wollte und konnte Elgin nicht warten, bevor er wieder in Verhandlungen trat. Er vermutete oder hatte die Hoffnung, dass die Qing-Regierung über die Absichten der alliierten Truppen in Nordchina immer noch nicht richtig informiert war. Größe, Bewaffnung und Aufgebot der Alliierten hätten den Xianfeng-Kaiser trotz aller gegenteiligen Beteuerungen dazu verleiten können, anzunehmen, dass die Alliierten nicht nur die Verträge von Tianjin ratifizieren, sondern das ganze Reich erobern wollten. In diesem Fall war die Flucht des Kaisers aus Peking zu befürchten, was unbedingt vermieden werden musste. Denn aufgrund ihrer begrenzten Vorräte hätten die Alliierten den kaiserlichen Truppen nicht folgen können, und zudem hätte es die Legitimität der Pekinger Regierung unnötig geschwächt.181 Elgin beschloss daher, noch vor seinem Eintreffen in Tongzhou mit Prinz Yi und Muyin in Verhandlung zu treten, und sprach sich dahingehend mit Gros ab. Zunächst erklärte er Prinz Yi und Muyin die Lage und fasste seine Forderungen in einem Brief zusammen. Dieser Brief war nicht unbedingt zur Aushändigung bestimmt. Er sollte dem Prinzen Yi und Muyin erst dann überreicht werden, so Elgin, wenn in einer mündlichen Absprache kein besseres Verhandlungsergebnis erzielt werden könne. Wichtig war Elgin dabei besonders, dass Wade und Parkes sich darauf konzentrierten, die wahren Ziele der Alliierten zu verdeutlichen, nämlich einzig und allein die Ratifizierung des Vertrages von Tianjin, zudem eine Entschuldigung für das Bombardement von 1859 und Entschädigungszahlungen, nicht aber eine Übernahme der Macht von der Qing-Dynastie. Wade und Parkes machten sich also am 14. September auf den Weg, und trafen gegen Mittag in Tongzhou ein, wo sie sich im Yamen einquartierten.182 Sie bemerkten auf ihrem Ritt sehr wohl, dass um sie herum sich außergewöhnlich zahlreiche Qing-Truppen wie für eine Schlacht sammelten, beschlossen aber, dies zunächst zu ignorieren. Um vier Uhr nachmittags trafen sie die beiden Gesandten der Qing-Regierung in einem Tempel außerhalb des Osttores, Prinz Yi, ein „großgewachsener und würdiger Herr“, und Muyin, „etwas weicher in seinem Auftreten, dennoch angenehm.“ Yi und Muyin ließen sich (souverän, wie Parkes dies interpretierte) gar nicht erst die Beglaubigungsschreiben zeigen, sondern fragten erst einmal nach, bei welchen Teilen der Verhandlung es denn Probleme gegeben habe.183 Wade und Parkes erklärten, dass Elgin im aktuellen Fall nicht klar gewesen sei, wer von der chinesischen Regie181 Siehe: Hexiwu, 16. September 1860, Elgin an Russell, in: FO 405/5, S. 209. In jenem Schriftstück legt Elgin Russell seine gesamte Strategie dar. 182 Baliqiao, 23. September 1860, Wade an Elgin, in: FO 405/5, S. 213–216. 183 Die nachfolgende Schilderung wird sehr ausführlich wiedergegeben, weil es sich um einen der wenigen ganz genauen Berichte handelt, der außerdem für den Fortgang der weiteren Verhandlungen wichtig ist. Der Berichterstatter ist Thomas Wade, der auch nach der Gefangennahme von Parkes weiter mit der chinesischen Regierung verhandeln musste.

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rung zur Verhandlung beauftragt war. Dann erläuterten sie noch einmal den Zweck des Feldzuges, indem sie die Schwierigkeiten, die die europäischen Kaufleute in Kanton gehabt hatten, Revue passieren ließen. Prinz Yi entschuldigte daraufhin Guiliangs Verhalten vom 5. September mit dem Hinweis darauf, dass dieser schon recht alt sei.184 Parkes erkundigte sich dann nach dem Status von Prinz Yi, und danach, ob er ein dementsprechendes Berechtigungsschreiben mit sich trüge. Prinz Yi war einer der bedeutendsten Männer in der Qing-Regierung und wusste nicht, was Parkes damit meinte. Nach einer langen Belehrung über Bevollmächtigungen und bevollmächtigte Minister und ihre Rolle 1842 und 1858 hatte Prinz Yi das Prinzip der Bevollmächtigung, das ihm unbekannt war, verstanden oder gab sich zumindest den Anschein. Er willigte ein, bei der Ratifizierung des Vertrages von Tianjin, die in Peking stattfinden sollte, ein Beglaubigungsschreiben vorzulegen, obwohl ihn sein Status als kaiserlicher Prinz nicht dazu verpflichte.185 Nachdem diese Frage geklärt war, wandte sich das Gespräch dem Inhalt des zu unterzeichnenden Vertrages zu. Prinz Yi erklärte, dass er alles bereits Vereinbarte zusagen könne, aber vermutlich nicht die Zahlung der Entschädigungssumme innerhalb von zwei Monaten. Diesen Punkt müsse er aufs Neue mit Elgin verhandeln, da offensichtlich Parkes und Wade nicht befugt seien, darüber zu befinden. Prinz Yi erklärt weiter, dass er gegen die Präsenz der europäischen Truppen in Nordchina sei, gegen die Residenz eines auswärtigen Gesandten in Peking, gegen die Öffnung des Hafens von Tianjin, zudem gegen eine nicht-chinesische Eskorte für Lord Elgin nach Peking und begründete dies auch mit den ungünstigen klimatischen Verhältnissen. Derartige, offenkundig vorgeschobene Einwände ließen bei Parkes und Loch, so behaupteten sie zumindest später, keinen Verdacht aufkommen, dass die Qing-Regierung den Vertragsabschluss vermeiden wollte. Sie hatten vielmehr den Eindruck, dass die Ziele der alliierten Expedition nicht gefährdet und diese Beschwerden eher pro forma vorgebracht worden seien. Dies aber war eine Fehlinterpretation. Denn Prinz Yi handelte nach der klaren Linie, die die bis dahin erfolgreich betriebene Außenpolitik der Qing ihm vorgab. In seinem Interesse lag es durchaus, den wirtschaftlichen Interessen der Alliierten entgegenzukommen, er wäre auch bereit gewesen, als „Verlierer“ der Schlacht um die DaguForts Kriegsreparationen zu zahlen, aber er wollte, auf Anweisung des Kaisers, die Alliierten nicht nach Peking und überhaupt nach Nordchina hineinlassen.186 Die verhandelnden Parteien einigten sich darauf, dass Elgin nach Tongzhou kommen sollte, über die Eskorte nach Peking werde noch verhandelt werden. Par184 Prinz Yi erwähnt außerdem, dass Guiliang nicht „chinesisch“ gehandelt habe. Was damit allerdings gemeint sei, wird nicht geklärt. Es könnte ein Alleingang von Guiliang vermutet werden. 185 10. Jahr des Xianfeng-Kaisers, 8. Monat, 2. Tag (15. September 1860), Throneingabe Prinz Yi und Muyin, in: Chouban yiwu shimo (1979), S. 2307. 186 10. Jahr des Xianfeng-Kaisers, 8. Monat, 1, Tag (14. September 1860), Throneingabe Prinz Yi und Muyin, in: Chouban yiwu shimo (1979), S. 2303–2304. Eine Auswahl der Übersetzungen der relevanten Dokumente bietet Wang, Anglo-Chinese Relations (1983).

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kes und Loch betonten wiederholt die „friedlichen Absichten“ der Alliierten, die keineswegs eine Übernahme der Macht von den Qing-Kaisern anstrebten. Je länger die Qing-Regierung zögere, desto eher müsse damit gerechnet werden, dass noch weitere Forderungen der Alliierten an sie hinzukämen. Falls aber ihre Verhandlungsbevollmächtigten Elgin davon überzeugen könnten, dass das in Tongzhou Unterschriebene gültig sei, könne man sich eventuell darüber verständigen, dass die alliierten Truppen in Zhangjawan blieben. Ein weiterer wichtiger Punkt, der im Verlauf dieser Unterredung geklärt wurde, waren Verpflegung und Unterbringung der alliierten Armee. Prinz Yi lehnte es ab, die Truppen zu nahe an dem Ort Zhangjiawan, der auf der Route nach Tongzhou liegt, kampieren zu lassen, weil er eine Beunruhigung der Zivilbevölkerung befürchtete. Man einigte sich, sie ungefähr eineinhalb Meilen von Zhangjiawan entfernt ihr Lager aufschlagen zu lassen. Parkes’ Frage, wie die Qing-Regierung denn eine Einhaltung des ratifizierten Vertrages garantieren wolle, beantwortete Prinz Yi damit, dass sein Wort als kaiserlicher Verwandter gelte und er obendrein Vollmachten vorlegen werde.187 Wade zog sich daraufhin in den Nebenraum zurück, um ein Konferenzprotokoll für Elgin anzufertigen.188 Parkes berichtete ihm später über das Gespräch, das er mit Prinz Yi in Wades Abwesenheit geführt hatte. Prinz Yi teilte Parkes darin mit, er hoffe auf zukünftige freundschaftlichere Beziehungen zwischen den Ländern, sowie auf die Zusammenarbeit zwischen den Gesandten der Alliierten und den „Drei Prinzen.“ Parkes wusste selbst nur von zwei Prinzen, nämlich Prinz Hui und Prinz Yi, und wollte gerne erfahren, wer der dritte Prinz sei. Prinz Yi erklärte, dass das ein Missverständnis sei, dass das Land aber auch von den „Han“ regiert werde.189 Das Gespräch nahm daraufhin eine Wendung, wie Parkes an Wade berichtete, denn Yi zeigte nun offenkundiges Interesse und wurde sehr vertraulich mit Parkes. Parkes, der im Bilde war über die Legitimationsprobleme der mandschurischen Qing-Dynastie und die Proteste der Han-Chinesen, erläuterte noch einmal die Absicht der Alliierten, im Wesentlichen der herrschenden Regierung 187 10. Jahr des Xianfeng-Kaisers, 8. Monat, 2. Tag (15. September 1860), Throneingabe Prinz Yi und Muyin, in: Chouban yiwu shimo (1979), S. 2308. So berichtet er es an den XianfengKaiser. 188 Vgl. FO 405/5, S. 215. 189 Es wird nicht ganz klar, welche Aussage hier gemacht wird, weswegen die Passage im Wortlaut wiedergegeben wird. Sie lautet im Originaltext (FO 405/5, S. 215): „He (the Prince Yi) started at the words ‚the three Princes’ by whom, added Mr. Parkes, we have been much misunderstood, and he immediately rejoined: Not by them alone, but also by (writing the character with his forefinger in the air à la Chinoise) the ‚Han’ (Chinese). He then rose, went round the table and again whispered the word ‚Han’! They then became very friendly; and, in answer to Mr. Parkes’ assurance that our real wish had ever been to do the country service, the Prince at once suggested that we might help them much in supplying the capital with grain; hinting at the same time that we should not, he hoped, attempt to make too great a profit upon it. He then tried to sound Mr. Parkes upon the question of cooperation against rebels, but finding him avoid this question, returned to the grain supply.” Diesen Bericht von Thomas Wade sandte Elgin auch an Russell (Baliqiao, 23. September 1860, Wade an Elgin, in: FO 17/331, Bl. 116–122).

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dienen zu wollen, und nicht etwa, sie zu erschüttern.190 Prinz Yi ergriff daraufhin sogleich die Gelegenheit, mit Parkes über eine eventuelle Unterstützung bei der Unterdrückung der aufständischen Rebellen, zumindest aber bei der Versorgung Pekings mit Getreide zu sprechen. Dieses Gespräch wurde durch die Rückkehr Wades, der sein Protokoll fertig geschrieben hatte, abgebrochen. Wade und Parkes verließen Prinz Yi und Muyin mit dem Eindruck, dass ernsthafter Friedenswille bestehe, und wenn auch nur, um die Feindseligkeiten zu beenden. Ein entsprechendes Schreiben wurde noch in der gleichen Nacht an Elgin gesandt.191 Ein ähnliches Ergebnis erzielte am 15. September der Comte de Bastard für die Franzosen, der im Auftrag von Gros zusammen mit dem den Abbé Duluc und Meritens nach Tongzhou gekommen war. Die französische Delegation vereinbarte die gleichen Konditionen wie die Briten und zudem, dass Gros für die Kosten seiner Eskorte nach Peking selbst aufkommen und mit der Eskorte, die die QingRegierung zur Verfügung stellen würde, vorlieb nehmen sollte. Dies versetzte insbesondere Montauban, der nicht nur um Prestige und Ansehen Frankreichs, sondern auch um das Leben von Gros fürchtete, in höchste Besorgnis, und es kam deswegen zu einer Auseinandersetzung.192 Elgin und Gros antworteten am 16. September an Prinz Yi und Muyin. Die alliierte Armee werde bis auf acht Kilometer an Zhangjiawan heranrücken. Die Versorgung mit Proviant solle durch die einheimische Bevölkerung erfolgen, andernfalls müssten sie Zwangsrequisitionen vornehmen lassen. Sie baten Muyin und Prinz Yi zusätzlich, die Einwohner in Kenntnis davon zu setzen, dass die alliierten Truppen auf ausdrückliches Geheiß der chinesischen Regierung in Richtung Zhangjiawan marschierten.193 Elgin und Gros selbst wollten mit einer Eskorte von 1.000 Soldaten nach Tongzhou kommen, um dort den Vertrag zu unterzeichnen und danach nach Peking weiterzuziehen, um ihre Papiere und Beglaubigungsschreiben dem Kaiser persönlich zu überreichen.194 Elgin teilte Sir Hope Grant den Inhalt der Korrespondenz mit. Gemeinsam fassten sie den Plan, Parkes solle sich am 17. September, begleitet von einigen Männern, auf den Weg machen, um in der Stadt Tongzhou die Ankunft des Ge-

190 Banno interpretiert dies so, dass Prinz Yi nicht zu Friedensverhandlungen nach Tongzhou gekommen war, sondern, im Gegenteil, um die alliierten Streitkräfte dafür zu gewinnen, die Taiping-Unruhen zu befrieden. Banno, China and the West (1964), S. 80. 191 14. September 1860, Prinz Yi und Muyin an Elgin, in: FO 682/1993/54. 192 Montauban, Souvenirs (1932), S. 258. 193 Gleichzeitig wurde bei den Verhandlungen ein gewisser Lan Weiwen eingesetzt, der eine lange Erfahrung mit Ausländern in Shanghai hatte, wo er zwischen 1855 und 1857 als daotai diente. 1859/60 war er aktiv als Präfekt und Assistenz von He Guiqing, dem Generalgouverneur von Kiangnan und Jiangxi. Im Sommer 1860 wurde er gen Norden gesandt und war bei den Verhandlungen behilflich. Einer seiner Briefe, in dem er Frieden propagierte, wurde genau an jenem Tag abgefangen. Banno, China and the West (1964), S. 172. 194 Der Brief von Baron Gros (16. September 1860, Gros an Prinz Yi und Muyin) ist abgedruckt in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 311. Eine chinesische Version des Briefes von Elgin an Yi und Muyin ist: 16. September 1860, Elgin an Prinz Yi und Muyin, in: FO 682/1993/55a.

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sandten vorzubereiten.195 Mit dem gleichen Auftrag sollte der französische Gesandschaftssekretär Comte de Bastard, begleitet von seinen Übersetzern Abbé Duluc und de Meritens, reisen. Etwas später sollten sich die Oberbefehlshaber von Hexiwu aus mit dem Heer im Gefolge zum neuen Heerlager in der Nähe von Zhangjiawan begeben. Nach den Verhandlungen sollten Elgin und Gros mit den abmarschbereiten Eskorten nach Peking gehen, um die Urkunden auszutauschen. Am Abend des 16. September also konnte Elgin, ohne übertrieben optimistisch zu erscheinen, den Eindruck haben, dass er den Vertrag ohne eine größere ernsthafte militärische Auseinandersetzung erlangen könne. Darin hatte er sich aber geirrt, wie sich herausstellen sollte. Prinz Yi war es mit den Gründen, die er gegen das Vorrücken der alliierten Armee vorgebracht hatte, ernst gewesen, und auch Parkes hatte also die Lage falsch eingeschätzt.196 Nach Parkes’ Darstellung hatte Elgin natürlich damit gerechnet, dass Prinz Yi und Muyin die Befugnis gehabt hätten, die Vorbereitungen zur Schlacht, die offenkundig schon seit dem 14. September liefen und von Parkes und Wade gesehen wurden, zu unterbrechen.197 Dies war aber nicht geschehen.

2.3 Die Vorbereitungen auf den Ernstfall in Peking Während die Diplomaten noch Friedensformeln austauschten, wurde zwischen Peking und Tongzhou über die zu wählende Strategie fieberhaft Korrespondenz geführt. Prinz Yi und Muyin nahmen die Drohungen von Parkes ernst und zweifelten außerdem daran, daß ihre eigenen Truppen in der Lage wären, in einer Schlacht mit den Alliierten zu siegen.198 Aus den Reihen der Generäle des QingHeeres kamen in den nächsten Tagen mehrere Vorschläge, wie man sich zur Wehr setzen könnte. Das Problem war, dass der Grossteil der kaiserlichen Truppen bei der Niederschlagung der Taiping eingesetzt war, und deshalb die Hauptstadt nicht ausreichend gegen eine Attacke der Alliierten geschützt war. Daher schlugen Tuo Ming und Tan Tingxiang vor, dass man Soldaten zur Verstärkung aus Shanxi holen sollte.199 Senggerinchin hingegen, der sich in der Nähe von Tongzhou aufhielt, 195 12. September 1860, Elgin an Hope Grant, in: FO 405/5, S. 213. 196 In der Tat hatte Prinz Yi die Meinung des Kaisers referiert: Er hatte sich damit einverstanden erklärt, die ausländischen Gesandten in Peking zu empfangen, aber nur, wenn sie in der Art, wie der Hof es ihnen vorschreibe, nach Peking kommen. Falls sie damit nicht einverstanden seien, könnten sie ähnlich wie John Ward nach Peking kommen, eine andere Möglichkeit gäbe es nicht. 10. Jahr des Xianfeng-Kaisers, 8. Monat, 3. Tag (16. September 1860), Edikt des Xianfeng-Kaisers, in: Chouban yiwu shimo (1979), S. 2317. 197 Gros, Livre Jaune (1864), S. 88. Dort wird berichtet, dass Bastard im Gespräch mit den kaiserlichen Kommissaren erfahren habe, dass Yi und Muyin gar nicht die Befugnis hätten, über die im Norden stationierten Truppen zu befinden. Es lässt sich aber nicht klären, ob diese Information einfach nicht an Elgin weitergegeben worden oder vielleicht nicht so wichtig war. 198 10. Jahr des Xianfeng-Kaisers, 8. Monat, 2. Tag (15. September 1860) Throneingabe Prinz Yi und Muyin, in: Chouban yiwu shimo (1979), S. 2308. 199 10. Jahr des Xianfeng-Kaisers, 8. Monat, 2. Tag (15. September 1860) Throneingabe Prinz Yi und Muyin, in: Chouban yiwu shimo (1979), S. 2308.

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wollte noch etwas abwarten und schlug vor, sich auf den Schutz von Peking zu konzentrieren.200 Der Gouverneur von Beizhili Hengfu riet dazu, die Schutztruppen von Tianjin militärisch zu unterweisen und gegen die Alliierten einzusetzen, während Senggerinchin und Ruilin über andere Alternativen nachdachten.201 Ruiheng war dafür, die Alliierten vernichtend zu schlagen und nicht weiter zu verhandeln.202 Vom Kaiser sei die Anweisung gekommen, dass die Truppen der Alliierten auf alle Fälle aufgehalten werden müssten und ihr Weitermarsch nach Peking verhindert werden. Vor allem dürften sie nicht über Baliqiao hinaus kommen: Würde ihnen dies gelingen, gäbe es keine Möglichkeit mehr, sie noch vor Peking aufzuhalten. Die stärksten Einheiten sollten daher verwendet werden, um die Alliierten von Peking fernzuhalten. Shengbao und Senggerinchin sollten sich die dafür geeignetste Strategie ausdenken.203 Ferner schlug der Kaiser die Schlacht vor, und hoffte, dass bei der Verwendung von Kurzwaffen seine Soldaten siegreich sein würden, nachdem die Verwendung von Langwaffen bislang erfolglos geblieben war.204 Parkes und Wade hatten schon am 14. September und an den darauf folgenden Tagen bemerkt, dass sich in der Gegend um Tongzhou verstärkt bewaffnete und berittene Truppen konzentrierten. Elgin aber gab vor, nicht zu glauben, dass die diplomatischen Bemühungen erfolglos gewesen waren.205 Dem widersprachen die Schlachtvorbereitungen der Truppen, die Wade, Loch und Parkes sahen, als sie am 15. September zurück nach Hexiwu ins Hauptquartier der Alliierten ritten. Parkes ließ sich von einem Gefolgsmann von Prinz Yi, der ihn begleitete, erklären, dass Prinz Yi eigentlich den Frieden wolle und dieses Aufgebot das Werk Senggerinchins sei. Hope Grant ließ nicht erkennen, wie er die Lage einschätzte. Ob er nun selbst keinen Verdacht geschöpft hatte oder, was wahrscheinlicher ist, dies vorschützte, als Parkes und Loch ihm am 15. September von den ca. 1.200 Mann berichteten, die sie gesehen hatten, läßt sich nicht sagen. Montauban, der dem Frieden nicht traute, hatte bereits Collineau in Tianjin gebeten, mit der dort verbliebenen Brigade nach Hexiwu nachzurücken. Elgin und

200 10. Jahr des Xianfeng-Kaisers, 8. Monat, 2. Tag (15. Sept. 1860), Throneingabe Senggerinchin und andere, in: Chouban yiwu shimo (1979), S. 2309. 201 10. Jahr des Xianfeng-Kaisers, 8. Monat, 2. Tag (15. Sept. 1860), Throneingabe Hengfu, in: Chouban yiwu shimo (1979), S. 2310. 10. Jahr des Xianfeng-Kaisers, 8. Monat, 3. Tag (16. Sept.1860) Throneingabe Senggerinchin, Rui Lin und andere, in: Chouban yiwu shimo (1979), S. 2311. 202 10. Jahr des Xianfeng-Kaisers, 8. Monat, 3. Tag (16. September 1860), Throneingabe Rui Heng, in: Chouban yiwu shimo (1979), S. 2312. 203 Der mandschurische General Shengbao hatte bereits Mitte der 1850er Jahre gegen die Taiping gekämpft. Hummel, Eminent Chinese (1943), Bd. 1, S. 508. 204 Edikt des Xianfeng-Kaisers, in: Xianfeng Tongzhiliang Chaoshang shangyu dang, (2002) S. 1498. 205 In der Tat berichteten sie Hope Grant zwar, dass sie bewaffnete Truppen gesehen hatten, sagten aber zugleich, dass sie sehr höflich behandelt worden seien, siehe Knollys, Incidents (1875), S. 106.

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Gros verließen sich also zunächst auf die Zusagen von Prinz Yi.206 Am 17. September kam es zu einem Waffengang, als dessen Drahtzieher Elgin Senggerinchin vermutete.

Abbildung 8: Pagode von Tongzhou, 23. September 1860, Photographie von Felice Beato © Musée d’Histoire Naturelle de Lille.

Auch schöpfte Elgin langsam Verdacht, dass Senggerinchin nicht etwa gegen die Anweisungen von Prinz Yi handelte, wie er bis dahin angenommen hatte, sondern dass die Befehle zum Vorgehen gegen die Alliierten von Prinz Yi kamen.207 Par206 Es kann vermutet werden, dass es hier einen Kommunikationsfehler gegeben hat. Indem Elgin und Gros in der Korrespondenz nach Paris und London so sehr darauf beharrten, dass sie sich auf die Glaubwürdigkeit von Prinz Yi verließen, wollten sie den Kommunikationsfehler, der auf ihrer Seite liegen musste, vertuschen. 207 Weshalb Elgin das annahm, lässt sich nicht schlüssig aus den Quellen begründen. Es ist nur auffällig, dass er immer in den Verhandlungen mit „Gleichgestellten“, z.B. auch bei Ignatiev, ein „Einverständnis“ annimmt, das eventuell aus einem „Elitebewusstsein“ resultiert. Cannadine, Ornamentalism (2002), S. 5 weist auf die Möglichkeit hin, dass Personen wie z.B. Elgin das neu im Empire Vorgefundene in Analogien und Vergleichen zu den Strukturen in der Heimat sahen.

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kes sah das ähnlich: Prinz Yi sei die prekäre Proviantlage der Alliierten nicht entgangen, er habe Elgins Angebot, die Truppen vor Tongzhou lagern zu lassen, als Schwäche der alliierten Truppen interpretiert. Somit hatte er die Zeit, die er durch das Gespräch mit Wade und Parkes am 16. September gewonnen hatte, genutzt, um Senggerinchin zu befehlen, seine Truppen zusammenzuziehen, um die alliierten Truppen vernichtend zu schlagen.208

2.4 Die Ereignisse des 18. September: Die Entführung der britischen und französischen Delegation Am Morgen des 17. September machte sich Harry Parkes wie vereinbart nach Tongzhou auf, um die Ankunft des britischen Gesandten dort vorzubereiten.209 Begleitet wurde er von Colonel Walker, dem Quartiermeister, der eine geeignete Lagerstelle für das Heer suchen sollte, und von Thompson, der für die Verpflegung des Heeres zuständig war. Dieser Gruppe gehörten außerdem der Privatsekretär Elgins, Henry Loch, an, ferner ein Charles De Norman, der eigentlich Bruces Attaché aus Shanghai war, sowie Thomas Bowlby, der Korrespondent der Times.210 Eskortiert wurde die Delegation von fünf Männern der King’s Dragoon Guard und von zwanzig Sowars aus den Truppen von Fane, die von Leutnant Anderson befehligt wurden. Zur gleichen Zeit, um 5 Uhr morgens, machte sich als französischer Vertreter der Comte de Bastard als Sekretär der Gesandschaft auf, begleitet von seinen Übersetzern de Meritens und dem Abbé Duluc. Seine Eskorte bestand aus dem Colonel der Artillerie Foullon de Grandchamps, dem Hauptmann des Generalstabes Chanoine und Caid Osman, dem Unterleutnant der Spahis. Als Quartiermeister kamen Unterintendant Dubut sowie Ader und Gagey mit, denen die Heeresversorgung oblag. Escayrac de Lauture machte sich auf eigene Faust in Richtung Tongzhou auf.211 Die britischen und französischen Armeen unter Hope Grant und Montauban setzten sich ein wenig später in Richtung Matou in Bewegung, und nur ein kleiner

208 Lane-Poole, Harry Parkes in China (1901), S. 231. 209 Zhangjiawan, 20. September 1860, Hope Grant an Herbert, in: WO 32/8233. 210 Der nun folgende Bericht über die Gefangennahme ist im Wesentlichen der Schilderung Lochs entnommen, wird aber gelegentlich ergänzt durch Informationen aus dem Schreiben, das Elgin am 23. September an Russell verfasste, Baliqiao, 23. September 1860, Elgin an Russell, in: FO 405/5, S. 216ff. Ein bislang unveröffentlichtes Tagebuch von De Norman schildert die Ereignisse vom 29. Juni bis zum 16. September 1860, dem Tag vor seiner Entführung, BL, De Norman, Charles, The Second Journey to Peking (1860). 211 Escayrac de Lauture beging eine Dummheit, so schreibt Montauban, indem er mit seinen Angestellten alleine nach Tongzhou reiste und sich nicht dem Tross anschloss. Dort angekommen wurde er gefangen genommen und nach Peking verschleppt. Er wurde nur deswegen nicht umgebracht, weil er sehr gut chinesisch sprach und seine Entführer dachten, er könne ihnen nützlich sein. Montauban, Souvenirs (1932), S. 273.

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Teil der Truppen sowie Elgin und Gros blieben in Hexiwu zurück.212 Gros, alt und krank, wollte eigentlich in Tianjin bleiben, bis er nach Peking beordert würde, sah sich aber gleichfalls genötigt, auch wegen der andauernden Verhandlungen, den Truppen zu folgen. In seiner Entourage, mit der er am 17. September abends eintraf, befanden sich der Abbé Delamarre, Kapitän zur See Tricault und de Bourbolon, ein Neffe des französischen Konsuls in Shanghai.213 Der Plan sah vor, dass die diplomatische Delegation direkt nach Tongzhou zöge, während die alliierten Truppen in Matou warten sollten, bis ihnen ihr vereinbarter Lagerplatz in der Nähe von Zhangjiawan zugewiesen würde. Ein chinesischer Angriff schien unmittelbar bevorzustehen. Sowohl die französische als auch die britische Delegation bemerkte auf ihrer Reise zahlreiche Anzeichen dafür. So fanden sich im Dorf Matou, das von der französischen Delegation gegen 11 Uhr erreicht wurde, eindeutig Spuren eines kürzlich verlassenen feindlichen Lagers.214 An die britische Delegation um Parkes heftete sich ab Matou ein kleiner Trupp Reiter. Desweiteren waren an der Stelle, acht Kilometer von Tongzhou entfernt, die von Parkes und Wade bereits einige Tage vorher als Lagerplatz für die alliierten Truppen auserkoren und von den kaiserlichen Kommissaren bewilligt worden war, einige Bäume gefällt worden. Während zum Beispiel Loch dieser Tatsache keine Bedeutung zumaß, sah Colonel Walker hier einen drohenden Hinterhalt. Er warnte Harry Parkes, dass der angewiesene Lagerplatz keinen direkten Zugang zum Wasser habe.215 Insgesamt waren die Anzeichen eines drohenden Angriffes auf die alliierten Truppen bald nicht mehr zu übersehen. In Zhangjiawan mussten die britische und die französische Delegation mitten durch das feindliche Heer ziehen, das sie zwar kritisch musterte, aber nicht weiter behelligte. Insbesondere Parkes wurde öfter angehalten, so in Zhangjiawan von einem mandschurischen Offizier, der die Delegation aber weiterziehen ließ, sobald er von Parkes erfahren hatte, dass dieser unter dem Schutz einer weißen Parlamentärsflagge auf dem Weg zu den kaiserlichen Kommissaren war. In Tongzhou wurde Parkes persönlich angegriffen: Die Delegation wurde erneut von einem Trupp Reiter verfolgt, der von einem Mann mit „offenkundig hohem“ Status angeführt wurde. Dieser Offizier verlangte nach Parkes, um ihm daraufhin mitzuteilen, dass er der Befehlshaber des Gefechts bei Xinhe gewesen sei und machte Parkes indirekt für die Niederlage und seine darauf folgende Degradierung verantwortlich.216 Wie um sicherzugehen, dass die Alliierten sich nicht von den Schlachtvorbereitungen irritieren ließen und weiterritten, fügte er hinzu, dass nunmehr Frieden herrsche und es ihm kein Problem bereite, „die Hand derer zu 212 Eine sehr schöne Karte der Marschroute befindet sich in Lane-Poole, Harry Parkes in China (1901), S. 219. 213 19. September, auf der Sraße zwischen Tianjin und Peking, Gros an Thouvenel, in: MAE, Correspondance Politique, Chine 34, Bl. 93–97. 214 Varin, Expédition (1862), S. 189. „C’était un indice assez évident des préparatifs des Chinois; mais la confiance était si complète parmi nous, qu’on ne s’y arreta pas.“ 215 Walker, Days of a soldier’s life (1864), S. 190. 216 Vermutlich De Lenge, der für die Verteidigung von Xinhe verantwortlich war. Siehe Chouban yiwu shimo (1979), S. 2305.

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ergreifen, die ihn damals bekämpft haben.“ Der Offizier begleitete sie eine Weile und begab sich wieder zurück in sein Lager.217 Sowohl die britische als auch die französische Delegation zogen es vor, die offenkundigen Vorbereitungen eines Angriffs zu ignorieren. Obwohl sie von ihren militärischen Begleitern dazu aufgefordert wurden, erging keine Warnung an das bereits in Matou eingetroffene Heer.218 Um 10.30 Uhr vormittags kam die britische Delegation in Tongzhou an, wo ihnen mitgeteilt wurde, dass sie von den kaiserlichen Kommissaren um 13 Uhr zur Verhandlung erwartet würden. Wie vereinbart traf sich die britische Delegation mit Prinz Yi und Muyin zu einer Konferenz. Prinz Yi und Muyin studierten zunächst Elgins Brief, der bestätigte, dass Elgin mit den Bedingungen einverstanden sei, die vorher von Wade und Parkes ausgehandelt worden waren, und er zudem auf einen schnellen Vertragsabschluss hoffe und man möglichst schnelle Vereinbarungen zur Unterbringung der Botschafter in Peking treffen solle. Nach dem positiven Treffen des Vortags hatten Parkes und Wade damit gerechnet, schnell und ohne weitere Verhandlungen zu einer Übereinkunft zu kommen, und waren daher sehr überrascht, als Prinz Yi und Muyin erneut begannen, wichtige Punkte zu diskutieren. Sie beharrten dabei insbesondere auf drei Punkten: Erstens forderten sie den sofortigen Abzug der alliierten Truppen nach Vertragsunterzeichnung. Sie stellten sich auch, zweitens, gegen eine Reise Elgins nach Peking und, drittens, gegen die persönliche Übergabe des Beglaubigungsschreibens von Königin Victoria an den Kaiser.219 Auch die gute Stimmung war dahin: Prinz Yi und Muyin äußerten diese Forderungen in einem sehr angespannten Ton und zeigten nach Ansicht von Parkes und Wade offen ihre Verachtung für die westlichen Gesandten. Hinzu kam, dass Prinz Yi und Muyin sich nicht auf Parkes’ Versicherungen einließen, dass die Reise Elgins nach Peking verhandelbar sei und nicht unbedingt jetzt durchgeführt werden müsse, sondern auch zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden könne. Dies war ein neuer Punkt, auf den sich Elgin eingelassen hatte, um die Befürchtungen hinsichtlich einer Machtübernahme zu zerstreuen. Auch wenn Parkes Verdacht schöpfte, dass in den letzten beiden Tagen ein Gesinnungswandel eingetreten sei, endete das Gespräch einvernehmlich. Am Abend aber änderte sich die Haltung der Kommissare. Plötzlich schienen sie überzeugt, dass die Frage der persönlichen Überbringung des Schreibens der Königin im Gespräch geklärt werden könne. Der hartnäckige Widerstand gegen den Plan Elgins, sich von 1.000 Mann, die er als freies Geleit mitzunehmen beabsichtigte, in die Stadt begleiten zu lassen ließ nach, und man ging dazu über, geschäftliche Dinge zu besprechen, wie zum Beispiel die Frage nach dem Lager der Truppen und der Versorgung mit Lebensmit217 Bowlby, An account of the last mission (1906), S. 321. Loch wird hier nach dem Bericht zitiert, der in dem Buch abgedruckt ist, das Thomas Bowlbys Sohn 1906 herausgegeben hatte, um die Lebensgeschichte seines Vaters zu erzählen. Loch berichtet seine eigene Gefangenschaft an Elgin am 9. Oktober 1860 (FO 405/5, S. 241–247). Harry Parkes’ Bericht findet sich in Lane-Poole, Harry Parkes in China (1901), S. 232–246. 218 Varin, Expédition (1862), S. 188. 219 Siehe hierzu auch: Baliqiao, 23. September 1860, Elgin an Russell, in: FO 405/5, S. 219–221.

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teln. Zudem wurde eine Erklärung für die einheimische Bevölkerung entworfen, in der der angestrebte Friede und die Freundschaft zwischen dem Kaiser von China und dem britischen und dem französischen Volk bekannt gegeben werden sollte. Während des Abendessens der britischen Delegation in ihrem selbst gesuchten Quartier in Tongzhou besuchte Hengqi Parkes mehrmals, um noch letzte Dinge den Vertrag betreffend zu besprechen.220 Die französische Delegation war ebenfalls um 13 Uhr in Tongzhou angekommen, hatte aber die Verhandlungsführer erst um 16 Uhr treffen können, weil diese vorher mit den Briten konferierten.221 Ihre Unterredung mit den Kommissaren war insgesamt kürzer, und Prinz Yi hatte nur einen Einwand gegen 1.000 Soldaten zählende Eskorte, die Montauban unbedingt selbst stellen wollte, und deren Marsch nach Peking. Bastard aber wies einen Brief von Prinz Yi an Elgin vom 14. September vor, in welchem er diese Anzahl zusagte, und bestand darauf, dass Frankreich wie Großbritannien behandelt würde. Vergeblich bemühte sich der Prinz darum, diese Forderungen zu entkräften, musste aber schließlich der Gleichstellung mit den Briten zustimmen (offenbar hatte er also immer noch versucht, die beiden Alliierten gegeneinander auszuspielen). Zudem versprachen Prinz Yi und Muyin auch Bastard, für eine sichere Reise des Botschafters nach Peking zu sorgen sowie dafür, dass die einheimische Bevölkerung zur Verpflegung der alliierten Armee aufgerufen würde, die am nächsten Tag, dem 18. September, ihr Quartier in Zhangjiawan aufnehmen solle. Während Bastard verhandelte, wurden die französischen Offiziere, die Bastard begleiteten, von den Stadtoberen von Tongzhou empfangen, und auch ihnen wurde Verpflegung durch die Einheimischen versprochen.222 Bastard verließ Prinz Yi und Muyin, nicht ohne auf eine schnelle schriftliche Zusage der Vereinbarungen zu drängen. Diese erhielt er in der Tat eine Stunde nach Mitternacht im Yamen und konnte sich früh morgens wieder auf den Weg zurück zur französischen Armee machen. In dem Brief von Prinz Yi an Gros stimmt Yi zu, dass der französische Gesandte die gleiche Anzahl an Soldaten als Eskorte mit nach Peking nehmen dürfe wie die Briten, dass zudem seinem Heer erlaubt sein solle, in der Nähe von Zhangjiawan sein Lager aufzuschlagen. Für den 18. September war vereinbart worden, dass Walker und Proviantmeister Thompson zusammen mit Parkes und Loch, begleitet von sechs Männern der King Dragoon Guards und drei Sikhs, früh am Morgen zu den alliierten Truppen zurückreiten sollten, um den Truppen den Lagergrund für die Armee zu zeigen.223 Parkes und Loch beabsichtigten, nach einem Gespräch mit Hope Grant wieder nach Tongzhou zurückzukehren. De Norman, Bowlby und Anderson waren in Erwartung des Gesandten in Tongzhou geblieben. Bereits auf dem Weg zu-

220 Bowlby, An account of the last mission (1906), S. 323. 221 Hexiwu, 18. September 1860, Bastard an Gros, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 314f. Siehe auch Bazancourt, Expéditions de Chine (1872), S. 197. 222 Die kaiserlichen Komissare an Gros, 17. September 1860, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 313. 223 Walkers Erinnerungen siehe: Walker, Days of a soldier’s life (1894).

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rück nach Zhangjiawan, entdeckten Parkes und Loch, dass sich auf dem Lagergrund, der eigentlich für die alliierten Truppen vorgesehen war, eine bedeutende Qing-Streitmacht versteckt hielt, und Walker beobachtete, dass Gräben ausgehoben worden waren, die nur Schützengräben sein konnten.224 Loch entdeckte die feindliche Streitmacht, als er bei einem Blick auf ausgetrocknete Flussläufe Bewegung bemerkte. Er ritt näher und sah in der Tat, versteckt in einem ausgetrockneten Wasserlauf, über 1.000 Mann abgesessener QingKavallerie. Als sie den Flusslauf deshalb näher in Augenschein nahmen, entdeckten Loch und Parkes eine große Anzahl Infanterietruppen, verborgen hinter den Gärten und Häusern eines kleinen Dorfes, sowie zwölf versteckte schwere Geschütze. Alles deutete darauf hin, dass das Qing-Heer eine Schlacht vorbereitete. Parkes und Loch wandten sich an den Kommandanten des Heeres und verlangten vergeblich nach einer Erklärung.225 Es wurde ihnen mitgeteilt, dass es sich um die Truppen des Generals Shengbao handelte, die die chinesische Regierung zum Schutze Pekings geordert hatte und die durch Truppen der örtlichen Polizei noch verstärkt worden waren.226 Beim Weiterreiten beobachteten sie auch zwischen dem Ufer des Flusses und der Marschlinie eine große Menge Kavallerie des Qing-Heeres und schätzten ihre Anzahl auf sechs- oder siebentausend Mann. Parkes und Loch mussten jetzt schnell handeln und das eigene Heer vor dem drohenden Hinterhalt warnen. Parkes beschloss also, selbst nach Tongzhou zurückzureiten, um Prinz Yi und Muyin zur Rede zu stellen. Für den Fall, dass Prinz Yi und Muyin zugaben, dass es sich um ein Missverständnis handelte, und ihre Truppen zurückriefen, wäre der Frieden wieder hergestellt. Andernfalls wollte Parkes, der von Soldaten Phipps und zwei Sowars begleitet wurden, wenigstens den in Tongzhou zurückgebliebenen Teil seiner Delegation in Sicherheit bringen (De Norman, Bowlby, Anderson und 15 Sowars). Loch wurde unterdessen in die entgegengesetzte Richtung geschickt, um Hope Grant zu warnen. Eine dritte Partie, bestehend aus Walker, Thompson und fünf King’s Dragoon Guards sollte am Fluss auf und abreitend die QingTruppen im Auge behalten, um sich bei ersten Anzeichen von Feindseligkeiten sofort zu den eigenen Linien durchzuschlagen.227 Auf dem Rückweg nach Tongzhou kam Parkes zwischen Zhangjiawan und Tongzhou die französische Delegation entgegen, bestehend aus Bastard, Meritens und einigen Ordonnanzen, die eine Stunde später als er Tongzhou verlassen hatten (Chanoine war etwa zur gleichen Zeit wie Parkes aufgebrochen, um Montauban den Ort zu zeigen, der für das Lager der französischen Armee vorgesehen war). Er setzte de Bastard vom drohenden Hinterhalt in Kenntnis und ritt schnell weiter nach Tongzhou. Bastard seinerseits ritt, so schnell er konnte, zurück zu den al-

224 Lane-Poole, Harry Parkes in China (1901), S. 234. 225 Bowlby, An account of the last mission (1906), S. 325. 226 10. Jahr des Xianfeng-Kaisers, 8. Monat, 3. Tag (16. September 1860), Throneingabe Prinz Yi und andere, in: Chouban yiwu shimo (1979), S. 2315. 227 Bowlby, An account of the last mission (1906), S. 326.

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liierten Truppen, die er unbehelligt erreichte.228 Loch hatte Montauban und Hope Grant bereits die Situation geschildert, woraufhin Hope Grant das Gepäck in einem benachbarten Dorfe sammeln und seine Truppen zu Kolonnen formen ließ, da er selbst nun auch mit einer Schlacht rechnete. Kurze Zeit darauf trafen Chanoine, der Caid Osman mit zwei Spahis, de Meritens und Gagey bei Montauban und Grant ein. Sie berichteten gleichfalls von Schwierigkeiten hinter den Schlachtlinien und gaben an, ca. 15.000 Reiter der Qing-Kavallerie gesehen zu haben.229 Chanoine wurde auf seinem Rückweg von feindlichen Soldaten gefangen genommen, und es war allein seiner Kenntnis der chinesischen Sprache und der Tatsache, dass er Franzose und nicht Brite war, zu verdanken, dass er kurze Zeit später wieder freigelassen wurde.230 Etwa zur gleichen Zeit traf Hengqi bei Montauban und Hope Grant ein. Er schützte vor, mit den Gesandten Punkte deren Eskorte nach Peking betreffend besprechen zu wollen, da er diese beim Heer vermutete. Die Generäle teilten ihm mit, dass die Gesandten in Hexiwu seien und er erst Zutritt zu ihnen bekäme, wenn er veranlassen würde, dass die kaiserlichen Truppen sich zurückzögen. Montauban, für den ein „Hinterhalt“ außer Frage stand, schlug vor, ihn als Geisel zu behalten, konnte sich aber damit bei Hope Grant nicht durchsetzen, der immer noch hoffte, den Konflikt friedlich beilegen zu können.231 De Bastard und de Meritens zogen weiter nach Hexiwu zu Baron Gros und verlangten für den Weg dorthin eine Eskorte, die ihnen der General gerne zubilligte. Es galt nun, die hinter den sich abzeichnenden Schlachtlinien zurückgebliebenen französischen und britischen Soldaten zu retten. Der inzwischen zum britischen Generalkommando hinzugekommene Montauban plädierte für einen unmittelbaren Angriff, da für ihn die Schlacht unausweichlich. Er äußerte die Befürchtung, dass man bei längerem Zögern den feindlichen Truppen noch mehr Zeit zur Vorbereitung gäbe. Hope Grant aber wollte noch zwei Stunden warten, erstens, um die Antwort abzuwarten, die Parkes von Yi und Muyin erhalten sollte, und von der er hoffte, dass sie die Schlacht abwenden könne, und zweitens, weil er Parkes und den anderen Zeit geben wollte, sich aus den Schlachtlinien zu retten.232 Hope Grant schickte Loch in Begleitung von Brabazon und einem Sikh mit Namen Nal Singh zurück nach Tongzhou, um die dortigen Briten zu warnen.233 228 18. September 1860, Bastard an Gros, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 314–319. 229 Varin, Expédition (1862), S. 190. Vgl. auch einen Bericht des Vorgefallenen von Gagey an Montauban in Mutrécy, Campagne de Chine (1862), S. 4–6. 230 In Dépôt de la guerre, Der Krieg gegen China (1865) liest man, dass Chanoine nur öfter belästigt, nicht aber von feindlichen Soldaten gefangen genommen wurde. Ob seine Nationalität ausschlaggebend war sei dahingestellt. 231 Montauban, Souvenirs (1932), S. 265, Varin, Expédition (1862), S. 191, Bazancourt, Expéditions de Chine (1872), S. 201. 232 Montauban, Souvenirs (1932), S. 266 schreibt, Hope Grants Haltung sei diesem später berechtigterweise zum Vorwurf gemacht worden. Wenn er nämlich gleich zum Angriff geblasen hätte, hätten manche Leben vielleicht noch gerettet werden können. Siehe hierzu auch: Varin, Expédition (1862), S. 192. 233 Hope Grant selbst machte sich hinterher schwere Vorwürfe, dass er Captain Brabazon entsandt hatte, der bei dieser Mission ums Leben kam.

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Mittlerweile war Parkes im Quartier in Tongzhou eingetroffen, wo De Norman, Bowlby und Anderson ausgegangen waren, um die Stadt zu erkunden, und nur vier Sikhs zur Bewachung des Quartiers zurückgelassen hatten. Parkes entsandte Boten, um sie in der Stadt zu suchen und um ihnen mitteilen zu lassen, dass sie sofort abreisen müssten.234 Nachdem er einen Brief an seine Kollegen hinterlassen hatte, suchte er Prinz Yi und Muyin auf, die er erst nach einer geraumen Zeit auftreiben konnte. Hier stieß er jetzt auf offene Ablehnung. Prinz Yi und Muyin weigerten sich nicht nur, die Truppen zurückzuziehen, sondern behaupteten überdies, man könne sich noch nicht auf Frieden einigen, solange die „Audienzfrage“ (damit bezeichneten sie das Ansinnen von Elgin, das Beglaubigungsschreiben von Queen Victoria persönlich dem Xianfeng-Kaiser zu übergeben) ungeklärt sei. Sie unterstellten Parkes, er wolle aus Böswilligkeit nicht auf diese Frage eingehen und glaubten ihm nicht, dass seine Befugnisse als Übersetzer nicht so weit reichten. Parkes ließ sich diese Antworten schriftlich geben und verabschiedete sich.235 Nun traf Loch in Tongzhou ein und fand dort nur die vier Sikhs im britischen Quartier. Er las aber Parkes’ Brief und sah, dass die Sikhs die Pferde sattelten, um sofort zum Aufbruch bereit zu sein. Bowlby, Anderson und De Norman trafen bald darauf ein, nur Parkes blieb verschwunden. Loch ritt zusammen mit De Norman in die Stadt hinein, um nach ihm zu suchen. Sie trafen ihn auf dem Rückweg zum Quartier. Er erklärte ihnen den feindseligen Standpunkt von Prinz Yi und dass sich die ganze Delegation schleunigst aus Tongzhou zurückziehen müsse. Höchste Eile war geboten, denn Hope Grant hatte Loch und Brabazon nur zwei Stunden gegeben, um vor der Attacke der Alliierten auf das feindliche Heer aus Tongzhou zu entkommen. Eine Verkettung unglücklicher Umstände führte dazu, dass die britische Delegation die rettenden Linien des alliierten Heeres nicht erreichten. Außerhalb der Stadt fiel sie in einen scharfen Galopp, doch kurze Zeit später wurden die Pferde von Parkes, De Norman und Bowlby schwach. Die ganze Gruppe (Loch und Anderson, Parkes und Brabazon, De Norman und Private Phipps) erreichte dennoch unbehelligt Zhangjiawan und durchquerte die Stadt, die voller Soldaten des QingHeeres war. Es war offensichtlich, dass die Schlacht jede Minute beginnen würde. Der britische Trupp aber war noch weit hinter den feindlichen Schlachtlinien, und musste auf dem kürzesten Weg zu den eigenen Einheiten gelangen. Als Parkes, Loch, Bowlby und De Norman sich noch mitten unter den feindlichen Truppen befanden, hörten sie die Detonation eines ersten Geschützes, was in ihren Augen den Beginn der Schlacht bedeutete. Ein unsicherer Untergrund verhinderte das Ausbrechen nach den Flanken, De Norman und Bowlbys Pferde waren zudem zu müde, um einen letzten schnellen Galopp leisten zu können.236 Als letzte Rettung wurde daher beschlossen, sich aufs freie Feld neben der Strasse zu begeben, um 234 So Harry Parkes in einem Brief an seine Frau, der in Lane-Pole, Harry Parkes in China (1901), S. 234 zitiert wird. 235 Lane-Poole, Harry Parkes in China (1901), S. 235. 236 Bowlby, An account of the last mission (1906), S. 331.

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trotz der ermüdeten Pferde einen Ausfall durch die Reihen des Feindes zu versuchen. Die Umsetzung dieses Planes scheiterte an einer Qing-Reitertruppe, die sich ihnen in den Weg stellte. Der Kommandant der Abteilung versicherte ihnen, dass sie zwar als Träger der Parlamentärsfahne vor Angriffen geschützt seien, dass jedoch ein forciertes Durchreiten seiner Truppen wie ein feindlicher Angriff behandelt werden würde. Es gebe aber die Möglichkeit eines Passierscheins, der ihnen freies Geleit böte, falls zwei Mitglieder der Truppe ihm zum General folgten. Parkes und Loch ahnten, dass es sich um einen Vorwand zur Entführung handelte, folgten trotzdem dem Kommandanten, um die Passierscheine zu erhalten, und fielen in Senggerinchins Hände.237 Ohne Passierschein konnten die übrigen Mitglieder der Delegation aber ebenfalls nicht zur britischen Armee zurückkehren und blieben als Geiseln in den Händen derjenigen, die sie festhielten, zurück. Bis zum 21. September hatte die britische Armee keine Nachricht von den Entführten.238 Die andere Gruppe um Colonel Walker entging allerdings der Gefangennahme durch das Qing-Heer. Nachdem Parkes und Loch fortgegangen waren, warteten sie ungefähr eine Stunde auf deren Rückkehr. Während des Wartens entdeckte Walker, dass nicht nur überall Schützengräben ausgehoben waren, sondern dass auch in den ganzen umliegenden Dörfern hervorragend bewaffnete feindliche Soldaten lagen. Er vermutete, dass Parkes und Loch in einen Hinterhalt geraten waren, und suchte für sich und seine Männer einen Fluchtweg: Zwischen seiner Position inmitten der kaiserlichen Infanterie und dem alliierten Heer lagen ungefähr 1,5 Kilometer, und er bereitete seine Männer darauf vor, im Ernstfall in vollem Galopp über die sich öffnende Fläche zu jagen. Als Walker sah, wie einer der französischen Offiziere von den kaiserlichen Soldaten schlecht behandelt worden war, weil er sein Maultier nicht aushändigte, wollte er dem Franzosen zur Hilfe kommen und verlor dabei in einem kleinen Gefecht sein Schwert. Zwar wurde ihm seine Waffe zurückgegeben, seine Hand aber war so schwer verletzt, dass sie nicht mehr zu gebrauchen war. Dies war für ihn das Zeichen zur Flucht. Er erteilte dazu den Befehl und er selbst, Thompson, ein Sowar und vier Dragoon Guards, von denen einer einen Beindurchschuss erlitten hatte, konnten sich retten. Die dabei fallenden Schüsse wurden von den kaiserlichen Truppen als Signal für den Schlachtbeginn interpretiert. Später berichtete Loch, dass er und Parkes sie vernommen hätten, als sie, schon in Gefangenschaft, zurück nach Tongzhou gebracht wurden.239 Vom Verbleib der französischen Delegation hatte man im Verlaufe des 18. September keine Neuigkeiten. Von den Franzosen wurden Dubut, FoullonGrandchamps, Ader, l’Abbé Deluc, Ousouf, Soldat Bonicho, und Blanquet vermisst. Escayrac de Lauture, der sich auf eigene Faust aufgemacht hatte, war 237 10. Jahr des Xianfeng-Kaisers, 8. Monat, 5. Tag (18. September 1860) Throneingabe Prinz Yi und Muyin in: Chouban yiwu shimo (1979), S. 2319 die berichten, dass Harry Parkes von Senggerinchin entführt worden sei. 238 Swinhoe, Narrative (1861), S. 252. 239 Bowlby, An account of the last mission (1906), S. 338.

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gleichfalls gefangen genommen worden und nur Chanoine gelang die Flucht. Niemand kam auf die Idee, dass es sich bei der Entführung der gesamten Delegation um einen Vergeltungsschlag für den von den Alliierten wegen seines Widerstandes, sie mit Proviant zu versorgen, festgesetzten Daotai von Tianjin handeln könnte.240

2.5 Die Ereignisse des 18. September: Die Schlacht Unterdessen erspähte Hope Grant durch sein Teleskop Walker und drei weitere Kavalleristen, die sich zwar auf ihren Pferden entlang der feindlichen Linie bewegten, aber nicht zu den britischen Truppen ritten, und schloss daraus auf Komplikationen.241 Während die Armee sich auf einen Angriff vorbereitete, hörte er (es war mittlerweile 10 Uhr morgens) Schüsse und sah, wie Walker aus den feindlichen Gefechtslinien heraus in voller Karriere auf ihn zugeritten kam. Nach dem Bericht Walkers wurde Hope Grant und Montauban klar, dass die Delegationen nicht mehr zurückkehren würden. Sie beschlossen deshalb anzugreifen. Inzwischen waren sie auch darüber informiert, dass das Qing-Heer alle Geschütze gegen den Ausgang der vorliegenden Ebene gerichtet hatte, und die Ebene daher im Kreuzfeuer der feindlichen Artillerie lag. Daher beschlossen die Generäle, die feindlichen Stellungen auf beiden Flügeln zu umgehen.242 Die französischen Infanterietruppen griffen die Kavalleriefront des QingHeeres an deren linken Flügel an, gedeckt von Montauban und seinen Chasseurs d’Afrique, die von einer Schwadron Sikhs aus Fane’s Horse unterstützt wurden. Diese Schwadron Sikhs trieb das kaiserliche Heer in Richtung der linken Flanke des alliierten Heeres, wo Hope Grant sie schwer beschoss und ihnen erhebliche Verluste zufügte. Die Artillerie des Qing-Heeres setzte sich gegen den rechten Flügel der alliierten Artillerie zur Wehr, aber Bentzmann konterte mit einer gut gezielten Attacke. Schließlich wurden die Qing-Truppen an ihrem linken Flügel von der Kavallerie der Sikhs besiegt, die, kommandiert von Montauban und angeführt von Colonel Foley, mit scharfen Schwertern auf die feindlichen Truppen losgingen. Am linken Flügel des alliierten Heeres griff General John Michel mit Artillerie und einem Regiment indischer Kavallerie an, Hope Grant selbst nahm mit Musbee-Kämpfern (ebenfalls Sikhs), die die Qing-Kavallerie bedienten, das Zentrum der Qing-Infanterie ein. Um 3 Uhr mittags hatten die Alliierten gesiegt. Daraufhin sandte Hope Grant Botschaft an Montauban, um seine Absicht mitzuteilen, noch an jenem Tag die Stadt Zhangjiiawan einzunehmen. Aber Montauban lehnte ab und erklärte, dass seine Männer erschöpft seien. Gegen den Willen Montaubans ritt Hope Grant durch Zhangjiawan, das von den feindlichen Truppen 240 Dies vermutet Hevia, English lessons (2003), S. 103. 241 Knollys, Incidents (1875), S.106. 242 Dépôt de la Guerre, Der Krieg gegen China (1865), S. 86. Als neuer Übersetzer von Hope Grant wurde Robert Swinhoe eingesetzt, Swinhoe, Narrative (1861), S. 252.

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evakuiert worden war, und kam in ein anderes großes verlassenes Lager des QingHeeres, in welchem er 80 Kanonen als Beute nahm. Er besetzte dann mit 4.000 Mann die Stadt.243 Während sich wiederum die Verluste bei den Alliierten in Grenzen hielten, hatte das Qing-Heer erhebliche Opfer zu beklagen erlitten, wenn auch die genaue Zahl nicht bekannt war.244 Sir John Michel verbrannte sämtliche Truppenlager des Qing-Heeres in den umliegenden Dörfern.245 Am Abend des 18. September schlugen die französischen Soldaten ihr Lager in der Nähe auf, die britischen Soldaten kampierten in Zhangjiawan. Ab dem 18. September wurde es noch schwieriger, Verpflegung aufzutreiben da die einheimische Bevölkerung durch die Angriffe schwer geschädigt war.246 Als Vergeltungsmaßnahme für die Entführung der britischen und französischen Delegation wurde Zhangjiawan den britischen Truppen zur Plünderung freigegeben, so dass zum ersten Mal mit Billigung von Montauban geplündert werden durfte.247 Die britischen Truppen eigneten sich hierbei einen großen Teevorrat an, ohne ihre französischen Kollegen daran zu beteiligen, was ihnen später von diesen zum Vorwurf gemacht wurde.248

2.6 Die Vorbereitung der Schlacht von Baliqiao am 21. September Am 19. und am 20. September warteten die Alliierten vergeblich auf ein Friedensgesuch der Qing-Regierung. Elgin, Hope Grant und Montauban beratschlagten, wie man die Entführten wieder befreien könnte.249 Man einigte sich, eine Aufklärungstruppe der britischen Kavallerie samt dem Dolmetscher Thomas Wade an den Präfekten von Tongzhou mit der Botschaft zu entsenden, sofort die Geiseln herauszugeben, sonst würde man unverzüglich Peking angreifen. Die Feindseligkeiten würden nicht aufhören, bevor nicht auch die letzte Geisel lebend überstellt sei.250 Diese Mission Wades blieb ohne Erfolg; er erfuhr jedoch, dass die zwanzig Europäer Tongzhou lange verlassen hätten, bevor das Feuer eröffnet worden war. Ein am 20. September gefangenengenommener Einheimischer be-

243 Einen genauen Bericht der Schlacht von Zhangjiawan: Zhangjiawan, 20. September 1860, Hope Grant an Sidney Herbert, in: WO 32/8233. Dieser Bericht wurde am 27.November 1860 in The London Gazette veröffentlicht (FO 881/913). 244 Zu entnehmen dem Bericht von Colonel Foley an Russell: Zhangjiawan, 20. September 1860, Foley an Russell, in: FO 405/5. S. 223. Siehe auch Tongzhou, 22. September 1860, Hope Grant an Herbert, in: WO 32/8234. 245 Swinhoe, Narrative (1861), S. 231. 246 Vgl. hierzu auch Dépôt de la guerre, Der Krieg gegen China (1865), S. 82. 247 Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 182. 248 Young, A Story of Active Service (1886), S. 119 berichtet von vier verlassenen Camps der mandschurischen Truppen, die von den Briten verbrannt wurden, und ausserdem, dass vor allem die Sikhs in Zhangjiawan plünderten. 249 Baliqiao, 23. September, Elgin an Russell, in: FO 405/5, S. 118. Siehe auch FO 17/331 Bl. 139–149. 250 FO 682/1993/57.

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richtete, beobachtet zu haben, wie einige Geiseln nach Peking gebracht worden seien, weshalb man davon ausging, dass sie getrennt worden seien. Elgin und Gros teilten Montauban und Grant mit, dass angesichts der neuen Haltung, die die Qing-Regierung einnehme, alle bis dahin mit den Kommissaren getroffenen Absprachen null und nichtig seien.251 Falls Montauban und Hope Grant angesichts der Truppenstärke und deren Zustand eine realistische Chance sähen, Peking einzunehmen, müsse dies jetzt geschehen, ungeachtet der riesigen feindlichen Armeen, die in der Umgegend von Peking vermutet wurden. Die Alliierten nahmen an, dass hinter dem Verhalten der Qing-Regierung der feindselige Einfluss von Senggerinchin stehe. Während der ersten Phase des Feldzuges hatte sich die Qing-Armee zwar fast passiv verhalten, aber mittlerweile musste sich Senggerinchin als Oberkommandeur der gesamten Qing-Streitkräfte selbst an die Spitze seiner Truppen gestellt haben, fest entschlossen, den Alliierten den Weg nach Peking zu verwehren, so mutmaßten die Alliierten. Senggerinchins Ehrgeiz musste nach der zweiten Niederlage vor den Dagu-Forts umso mehr angestachelt worden sein.252 Die Alliierten erwarteten also in den nächsten Tagen eine weitere schwere Schlacht und nutzten die kurze Waffenruhe, um die Gegend intensiv auskundschaften zu lassen.253 Diese Exkursionen (Probyn war es mit Hilfe des Übersetzers Mr. Dick gelungen, drei Einheimische dazu zu zwingen, ihm den Lagerort der Qing-Truppen zu zeigen) ergaben, dass die Stadt Tongzhou (ungefähr 400.000 Einwohner) fünf Kilometer nördlich von Zhangjiawan lag und durch eine zwölf Kilometer lange Straße mit Peking verbunden war.254 Diese Straße lief parallel zum Kanal und führte dann über eine Brücke. Vor und hinter dieser Brücke, die sozusagen das Tor zu Peking darstellte, lagerten die Qing-Truppen. Montauban und Hope Grant verständigten sich darauf, an Tongzhou vorbei zu marschieren und direkt an der Brücke anzugreifen. Am Abend des 19. September waren die Nachschubtruppen von Collineau eingetroffen, so dass die Stärke der französichen Truppen nunmehr 2.800 Mann betrug.255 Der Angriff wurde für den 21. September beschlossen.

251 Hexiwu, 19. September 1860, Earl of Elgin an General Sir Hope Grant, in: FO 405/5, S. 118. 252 Dépôt de la guerre, Der Krieg gegen China (1865), S. 89. Hierin irrten sich die Alliierten: Senggerinchin wusste nach der Niederlage bei den Dagu-Forts um die Gefährlichkeit der Waffen der Alliierten und war alles in allem eher ein Verfechter friedlicher Positionen. 253 Varin, Expédition (1862), S. 199. 254 Swinhoe, Narrative (1861), S. 252 255 Bazancourt, Expéditions de Chine (1872), S. 220.

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2.7 Die Schlacht von Baliqiao, 21. September Frühmorgens am 21. September brachen die britische und die französische Kolonne auf.256 Das Gepäck war in einem kleinen Dorf gesammelt worden, und 100 Infanteristen zu seiner Bewachung abgestellt. Die alliierte Armee marschierte in Richtung Kaiserkanal zur mit Steinblöcken gepflasterten nach Peking führenden Straße, bis an den Fuß der Brücke, wo Montauban rund 35.000 Mann der QingArtillerie vermutete.257 Montauban postierte sich an der Marmorbrücke (deren Name mit Acht-Li-Brücke, chinesisch Baliqiao, angegeben wird), Hope Grant bezog zu seiner Linken Stellung, an einer Holzbrücke in Richtung Peking. Collineau war mit seiner Brigade zwischen dem britischen Heer und der Truppe des General Jamin.258 Die Qing-Kavallerie hatte sich auf fünf Kilometern Breite halbmondförmig mit verstärkten Flügeln aufgestellt. Viele der Soldaten waren von Bäumen verborgen. Die Briten hatten ihre Artillerie im Zentrum positioniert, rechts davon die Infanterie, auf der linken Seite, genau dem rechten Flügel der Reiterei der Qing gegenüber befand sich die britische Kavallerie. Die Qing-Kavallerie war gerade dabei, die linke Flanke der Briten einzukesseln, als die französischen Truppen das Feuer eröffneten. Bei der Rückkehr von einem Erkundungsritt, entging Hope Grant nur um Haaresbreite einer Gefangennahme.259 Dass er unverletzt aus dem Scharmützel hervorging, lag aber nur daran, dass diesmal auch die britischen Soldaten, die kurzzeitig ihren eigenen General nicht erkennen konnten, sehr schlecht schossen.260 Die Qing-Kavallerie formierte sich neu und attackierte die britischen Reiter noch einmal. Auch dieser Angriff wurde erfolgreich zurückgeschlagen, und die Briten griffen ihrerseits die feindlichen Linien an. Vorübergehend wurde dieser Gegenangriff durch den Beschuss des Qing-Heeres gestoppt, doch mit Hilfe der vorrückenden Infanterie wurden die feindlichen Stellungen überrannt. Die Artillerie fügte dabei den fliehenden Soldaten des Qing-Heeres weitere schwere Verluste zu.261 Im eben eingenommen Lager des Qing-Heeres fand man zwei Flaggen, die dem kaiserlichen Heer zugeschrieben wurden und die Hope Grant in seinen Besitz nahm. Zwischenzeitlich hatte das Qing-Heer auch auf die französischen Truppen am Fuße der Marmorbrücke das Feuer eröffnet. Die Franzosen konnten sich hier diesmal nur deswegen behaupten, weil die Geschütze der feindlichen Armee un256 Über die Schlacht wird berichtet in: Swinhoe, Narrative (1861), S. 252–262, Knollys, Incidents (1875), S. 115–119, Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 186–191, M’Ghee, How we got to Peking (1862), S. 174, Lonlay, Nos gloires militaires (1889), S. 574–584. 257 Den genauen Verlauf der Schlacht, die für ihn siegreich verlief, berichtet Montauban in einem Brief an den Außenminister Thouvenel am 22. September, in: Montauban, Souvenirs (1932), S. 274. Dieser Bericht wird hier im Wesentlichen referiert. Siehe denselben Bericht auch in MD, SHAT, 5 G 11, Dossier Ministre. 258 Varin, Expédition (1862), S. 202. 259 Knollys, Incidents (1875), S. 116. 260 Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 189. 261 Ebd.

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zureichend waren. 262 Den Briten war es gelungen, den linken Flügel des QingHeeres zurückzuschlagen, aber die Brücke war damit noch nicht eingenommen. Montauban befahl Collineau, die feindlichen Soldaten nach links gegen den Ort Baliqiao zurückzudrängen, während Jamin auf die Brücke vorrücken sollte, auf der noch Senggerinchins Flagge wehte. Colonel Bentzmann und General Collineau nahmen diese Brücke in ein Kreuzfeuer. Die Brücke von Pa-Li-Kao […] gewährte in diesem Moment ein interessantes Schauspiel. Reich gekleidete Fußoldaten mit fliegenden Fahnen verteidigten dieselbe […] das Feuer der französischen Artillerie und Infanterie in fast wirkungsloser Weise erwidernd. Es war die Elite der chinesischen Armee, die Tataren von den kaiserlichen Bannern, welche[…]den Rückzug deckten, während ihre früher so kühne Reiterei das Feld geräumt hatte.263

Das französische Heer rückte dann über die eroberte Brücke in das von den feindlichen Soldaten verlassene Lager ein.264 Der Verlust der alliierten Truppen belief sich auf 3 Tote und 17 Verletzte im französischen Lager, bei den Briten waren es noch weniger.265 Vom russischen Gesandten Ignatiev erfuhren die alliierten Kommandierenden später, dass man 55.000 Mann, darunter 30.000 Kavalleristen gegenüber gestanden hatte.266 Man rechnete damit, dass das Qing-Heer ungefähr 3.000 Tote zu beklagen hatte.267 Die französischen und britischen Berichterstatter beobachteten, wie sehr sich das Gebahren des Qing-Heeres diesmal von der Schlacht vom 18. September unterschied. Statt eines organisierten und disziplinierten Heers hatte man es in Baliqiao mit eher schlecht geführten, mit einer verzweifelten Wut kämpfenden Soldaten zu tun. 27 Bronzekanonen, darunter eine, die 1674 in Amsterdam gegossen worden war, und eine enorme Anzahl von Geschützen und Feldschlangen konnten erbeutet werden. In einem Zelt des verlassenen feindlichen Lagers fand sich ein Packen Briefe aus Paris an Gros, was bedeutete, dass gelegentlich reitende Boten abgefangen worden waren.268 Mit der Schlacht vom 21. September stellte sich zum allgemeinen Erstaunen der alliierten Truppen heraus, dass die militärische Konfrontation vom 18. September für das Qing-Heer offenbar keinerlei Entscheidungscharakter gehabt hatte. Colonel Dupin erklärte sich dies so, dass am 18. September nur die eher mittelmäßige Infanterie eingesetzt worden, nicht aber die als „unbesiegbar“ geltende Kavallerie des Qing-Heeres. Die Qing-Heeresleitung hatte wohl geplant, so vermutete man im Lager der Alliierten, sie in einer Entscheidungsschlacht am 21. September, für die man alle 262 Dépôt de la guerre, Der Krieg gegen China (1865), S. 92. Der Text ist in dieser Veröffentlichung deutsch geschrieben. 263 Ebd. Für einen sehr ausführlichen Bericht siehe Montauban, Souvenirs (1932), S. 277–280. Den ausführlichsten Bericht hat liefert Varin, Expédition (1862), S. 202–215. 264 Varin, Expédition (1862), S. 213. 265 Delagrange allerdings nennt 6 Tote: die Korporale Bayon und Moustey, Dorbec, Riger und Clairon Meussier, Delagrange, Le 2ième Bataillon de chasseurs à pied (1889), S. 103. 266 Varin, Expédition (1862), S. 215. 267 Delagrange, Le 2ième Bataillon de chasseurs à pied (1889), S. 103. 268 Gros, Livre Jaune (1864), S. 99.

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Truppen bündeln wollte, endgültig zu besiegen.269 Obwohl angenommen wurde, dass Senggerinchin hinter dem Wiederaufflackern der Aggression gegen die westlichen Truppen steckte, so war Elgin (im Gegensatz zu einigen der Offizieren, z.B. Walker) auch nach der Schlacht am 21. September noch bereit, an die Unschuld von Prinz Yi und Muyin zu glauben.

Abbildung 9: Die Brücke von Baliqiao, 21. September 1860, Photographie von Felice Beato © Musée d’Histoire Naturelle de Lille.

Senggerinchin, so erklärte er es sich, fühlte sich durch die der alliierten Armee gegebenen Erlaubnis, so nahe an Zhangjiawan ihr Lager aufschlagen zu dürfen, angegriffen und hatte deswegen vorbeugend und vermutlich zunächst ohne feindliche Absicht seine Truppen an diesem Ort zusammengezogen. Immerhin, so rechtfertigte er sich bei Russell, hätten bis um 10 Uhr morgens mehrere Personen aus seinem Stab und dem des französischen Gesandten ungehindert durch die Reihen marschieren können, und erst gegen 10 Uhr, als aus ungeklärten Ursachen ein französischer Soldat sein Leben verloren habe, sei das Signal für das Gefecht vom 18. September gegeben worden.

269 Varin, Expédition (1862), S. 199.

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Elgin vermutete also hinter der Schlacht am 18. eine Mischung aus „Dummheit, Verdächtigungen und Aktionismus“, die er als kennzeichnend für die „chinesische Politik“ bezeichnet. Er nannte es eine „schiere Dummheit“, dass Senggerinchin die alliierten Truppen angegriffen hatte, nachdem er doch bereits schon zweimal schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht hatte.270 Daran, dass Senggerinchin vielleicht die Alliierten in die freie Ebene gelockt haben könnte, um sie mit seiner Kavallerie effektvoller angreifen zu können, dachte er offenbar nicht.271

3 DER MARSCH NACH PEKING, 22. SEPTEMBER BIS 5. OKTOBER 3.1 Elgin und Gros’ Verhandlungen mit Prinz Gong, 22. September bis 6. Oktober Die Schlacht war für die Alliierten gewonnen, und die kaiserliche Armee hatte sich nach Peking zurückgezogen, wo sie vor der Nord- und Nordost-Stadt ihr Lager aufschlug. Die Alliierten vermuteten, dass es vor Peking noch einmal zu einer großen Schlacht kommen würde.272 Sie hatten für eine unmittelbare Verfolgung des feindlichen Heeres aber weder die nötige Munition noch ausreichend Lebensmittel und wollten daher noch so lange warten, bis Proviant, Munition und die großen Armstrong-Kanonen aus Tianjin herangeschafft worden waren. Die Versorgungsprobleme sollten durch ein neues Depot in Tongzhou behoben werden. Auf diese Weise konnte auch die Unterbrechung des langen Nachschubwegs bis Tianjin verhindert werden. Dies hätten die Qing-Truppen leicht bewerkstelligen können (warum sie es nicht taten, war den Alliierten rätselhaft).273 Insgesamt blieben die Alliierten vom 22. September bis zum 4. Oktober in der Nähe der Brücke liegen.274

3.2 Die Organisation der Friedensverhandlungen unter Prinz Gong Unterdessen musste die Qing-Regierung mit einem Angriff der Alliierten auf Peking rechnen und dementsprechende Maßnahmen ergreifen. Der Xianfeng-Kaiser hatte sich jetzt, dem Rat Senggerinchins folgend, doch entschlossen, die Stadt zu verlassen, und übertrug seinem jüngeren Bruder Prinz Gong (Yixin) zusammen mit Guiliang und Wenxiang einen Tag vor seiner Flucht nach Rehe den Abschluss der Friedensverhandlungen.275 Diese Maßnahmen, so erläuterte der XianfengKaiser, dienten nur dazu, Zeit zu gewinnen, und auch die Ernennung von Prinz 270 Baliqiao, 23. September 1860, Elgin an Russell, in: FO 405/5, S. 221. 271 Baliqiao, 22. September 1860, Foley an Russell, in: FO 405/5, S. 224. 272 Das vermutetete zumindest Gros. 22. September 1860, Gros an Thouvenel, in: MAE, Correspondance Politique, Chine 34, Bl. 114–116. 273 Varin, Expédition (1862), S. 222. 274 Dépôt de la Guerre, Der Krieg gegen China (1865), S. 95. 275 Banno, China and the West (1964), S. 171.

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Gong, der zeitlebens sein größter Konkurrent war, sei nur temporär. Prinz Gong habe nurmehr in seinem Namen mit den Ausländern zu kommunizieren, die Verhandlungen selbst würden von Hengqi und Lan Weiwen geführt werden. Weiter wurde er angewiesen, sich nicht den Verhandlungsführern Elgin und Gros persönlich zu zeigen, sondern sich vielmehr im Hintergrund zu halten. Für den Fall, dass sich die Ausländer als „unzähmbar“ herausstellten sollte Prinz Gong zu ihm nach Rehe kommen.276 Dies war für die Alliierten ein Glücksfall, denn Prinz Gong war, beeinflusst durch seinen Schwiegervater Guiliang, gegenüber den westlichen Alliierten aufgeschlossener als sein Bruder. Zudem gehörte er nicht der „Kriegspartei“ an, also der antiwestlichen Partei, deren Mitglieder größtenteils mit dem Kaiser nach Rehe geflohen war. Im Alter von 27 Jahren plötzlich vor die schwierige Aufgabe gestellt, die Friedensverhandlungen mit den Alliierten zu leiten und Peking zu retten, ergriff er die Gelegenheit, die Angelegenheit auch in seinem Interesse zu regeln.277 Prinz Gong stellte zunächst einen Krisenstab zusammen, als dessen Aufgabe der Schutz der Stadt Peking galt (xunfangchu, eine Verteidigungskommission der Stadt Peking, die als Institution in Zeiten der Gefahr temporär gebildet wurde). Prinz Yu (Yidao) gehörte diesem Stab als Präsident an, hinzu kamen Guiliang, Zhou Zupei Vorsitzender des Finanzministeriums und Quanqing, Präsident des Beamtenministeriums Diesen wurde aufgetragen, die Regierungsangelegenheiten in Peking wahrzunehmen und vor allem die Verteidigung der Stadt zu organisieren.278 Obwohl Wenxiang noch am gleichen Tag der Oberbefehl über die Stadtwache von Peking übertragen wurde, sollten sich Guiliang und Wenxiang außerhalb der Stadt aufhalten. Lin Kui und Jingying wurden zu den kommissarischen Generalkommandanten der Stadt ernannt, während das Generalkommando über alle in der Stadt residierenden militärischen Truppen in den Händen von Koujin lag, dem nach der Flucht des Kaisers aufgetragen worden war, sein Äußerstes zu tun, um die Stadt zu verteidigen.279 Nachdem auf diese Weise alle Maßnahmen ergriffen worden waren, um den Frieden innerhalb der Stadt zu garantieren, stand Prinz Gong vor dem Problem, eine fähige Kommission zusammenzustellen, die die Friedensverhandlungen mit den Alliierten zu Ende führen würde. Der bedeutendere Anteil des Personals war mit dem Xianfeng-Kaiser nach Rehe geflohen, und der briefliche Austausch zwischen Rehe und Peking dauerte sieben bis zwölf Tage. Dies bedeutete, dass auch Prinz Gong bis zu einem gewissen Grad unabhängig vom Xianfeng-Kaiser handeln musste, also einen Handlungsspielraum besass, der seinem persönlichen Ermessen und nicht dem des Xianfeng-Kaisers entsprach. Wichtigstes Kriterium bei 276 Banno erklärt, dass Gongwang Yixin, Prinz Gong, auf diese Weise zu ersten Mal an den Friedensverhandlungen beteiligt wurde, obwohl er bereits seit 1858 ein Verfechter des Friedens war. Banno, China and the West (1964), S. 171. 277 Eine Biographie zu Prinz Gong legt Jason Parker vor: Parker, Rise and Decline (1979), ebenso Teng, Prince Kung and the survival of the Ch’ing Rule (1980). 278 Banno, China and the West (1964), S. 174. 279 Ebd.

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der Auswahl des Personals für die Friedensverhandlungen war für Prinz Gong vor allem die Erfahrung, die die betreffenden kaiserlichen Beamten bereits im Umgang mit Ausländern hatten. Neben Hengqi, Wenxiang und Guiliang, die alle über entsprechende Erfahrung verfügten, wurde Chonglu in die Hauptstadt beordert. 69 Jahre alt und bis 1859 Verantwortlicher für die Getreideversorgung des kaiserlichen Haushaltes. Im Jahre 1858 war er beauftragt worden, mit den Briten zu verhandeln, und hatte dabei nicht immer im Sinne der Briten gewirkt, weshalb sie ihn bei den Verhandlungen zum Vertrag von Tianjin nicht dabei haben wollten. Zudem berief Prinz Gong Chonghou, den Aufseher über die Salzlager in Tianjin, Sun Zhi, den Daotai (also Bürgermeister) von Tianjin und Dejun, den Daotai von Tongzhou zu seiner Unterstützung.280 Der Mandschure Chonghou war damals 33 Jahre alt. Erfahrungen mit Ausländern hatte er bereits 1858 bei den ersten Verhandlungen, sowie 1859 gesammelt, als er den Amerikaner John Ward auf seinem Weg nach Peking begleitet hatte. Im Sommer 1860 hatte man ihn nach Beitang geschickt, um mit Ignatiev zu verhandeln, in Tianjin diente er in der Qing-Delegation und jetzt wurde er Hengqi beigegeben, um ihm beim persönlichen Kontakt mit den Alliierten zu helfen. Zudem gehörte zu Prinz Gongs Stab noch ein gewisser Huang Zhongyu, der sich am 24. September im Shanyuan-Tempel, Prinz Gongs Amtssitz vorstellte.281 Unterstützt wurde Prinz Gong außerdem von Huang Huilian, der seit 1858 gelegentlich als „inoffizieller Informationskanal“ zwischen den chinesischen und den westlichen Beamten gewirkt hatte. Er sprach sehr gut englisch und arbeitete als Übersetzer und Kurier, als die Forts in Dagu fielen. In Tongzhou langte er erst nach dem abrupten Ende der Verhandlungen an und wurde danach direkt in den Stab von Prinz Gong berufen.282 Prinz Gong teilte Elgin und Gros am 21. September umgehend mit, dass Prinz Yi und der Minister Muyin die Geschäfte sehr schlecht geführt hätten, und er deswegen die Verhandlungen selbst übernehme.283 Nachdem Prinz Yi und Muyin 280 Ebd., S. 179. Vor allem Chonghou sollte später noch Bedeutung gewinnen bei der Gestaltung der Außenbeziehungen unter Prinz Gong. Kurzbiographie Chonghou (1826–1893) in: Hummel (Hg.), Eminent Chinese (1943), Bd. 1, S. 209ff. 281 Über Huang Zhongyus Rolle ist nicht sehr viel bekannt, er wurde aber zumindest ein- oder zweimal als Emissär zu den Alliierten entsandt, außerdem vermittelte er später eine Klage der Bürger von Tianjin bezüglich der Belagerung und Besetzung der Häuser der Zivilbevölkerung. Banno, China and the West (1964), S. 173. 282 Banno stellt fest, dass der Apparat, den Prinz Gong ins Leben rief, relativ groß gewesen sein muss. Immerhin wurden 55 Personen nach dem Ende der Verhandlungen für deren guten Verlauf geehrt. Banno, China and the West (1964), S. 181. 283 21. September 1860, Gong an Elgin, in: FO 405/5, S. 222, siehe auch FO 682/1993/56. 21. September 1860, Prinz Gong an Gros, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 327. Gros erwähnt dies auch in seinem Tagebuch, Gros, Livre Jaune (1864), S. 100. Ob dies wohl ein neuer Hinterhalt sei, fragte sich Mutrécy. Mutrécy, Campagne de Chine (1862), S. 20. Ein Portrait von Prinz Gong findet sich in Harris, Of Battle and Beauty (1999), S. 130. Prinz Gong eröffnete seine Briefe an die auswärtigen Gesandten jedesmal mit der Formel „Hengqi, Lan Weiwen und andere,” weshalb nicht klar ist, ob Elgin und Gros wussten, dass Guiliang

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bereits früher, am 11. und 12. September mit nahezu denselben Worten die Geschäfte von Guiliang und Hengqi übernommen hatten, war diese Ankündigung wenig dazu geeignet, das Vertrauen von Elgin und Gros zu gewinnen. Das Schicksal der Geiseln wurde zudem mit keinem Wort erwähnt. Elgin und Gros antworteten daher beide, dass die Kampfhandlungen beendet seien. Die Friedensverhandlungen würden aber erst dann fortgesetzt, wenn alle Geiseln sicher zurücküberstellt worden seien. Deren Entführung sei ein perfider Akt des Verrats gewesen.284 Prinz Gong, der auf Geheiß der Stadtkommandatur nicht in Peking, sondern in einem der Sommerpaläste (vermutlich dem Wanshoushan) residierte, ließ sich davon nicht einschüchtern und antwortete am 23. September.285 Mit den Forderungen von Elgin und Gros war er nicht einverstanden. Die Geiseln seien sicher und gesund und würden erst dann herausgegeben, wenn der Vertrag unterzeichnet sei. Die Sichtweise Elgins auf die Ereignisse des 18. September sei außerdem falsch: Parkes und Loch hätten mit Prinz Yi und Muyin einige Punkte zufriedenstellend diskutiert, nur die persönliche Übergabe des Schreibens von Königin Victoria an den Xianfeng-Kaiser sei nicht ausreichend geklärt worden. Nachdem Parkes und Loch ärgerlich gegangen waren, seien sie in eine Auseinandersetzung mit Qing-Offizieren geraten, bei der aber die Briten den Streit gesucht hätten. Es handele sich also, betonte Prinz Gong, keinesfalls um einen Konflikt, der von der Qing-Regierung heraufbeschworen worden sei, sondern um einen Konflikt, der vor Ort mit den Qing-Offizieren entstanden sei.286 Die Dagu-Forts und die Stadt Tianjin seien in britischen Händen, was viel schwerer wiege als das Leben einiger Briten. Es sei unverhältnismäßig von Elgin, jetzt wegen einiger weniger Männer den Frieden zwischen Großbritannien und China aufs Spiel zu setzen. Er forderte den Abzug der britischen Soldaten aus den Dagu-Forts, woraufhin er dann die Geiseln freilassen werde.287 Eine ähnliche Nachricht ging an Gros.288 Gros und Elgin antworteten darauf am 25. September einmütig und drohend, Prinz Gong schätze die Ereignisse des 18. September falsch ein und verschlimmere durch sein Verhalten die Lage der Qing-Regierung. Die britische und die französische Delegation seien nämlich am 18. September unter einer Parlamentärs-

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und Wenxiang ebenfalls an den Friedensverhandlungen beteiligt waren. Banno, China and the West (1964), S. 175. Obwohl Wenxiang nur selten erwähnt wird, ist Banno der Auffassung, dass er ausgesprochen aktiv hinter den Kulissen als Berater gewirkt hat. Wenxiang hatte die Rolle als Zwischenhändler bei den Friedenverhandlungen zu erfüllen, als Verteidigungsminister und als Verantwortlicher (Großrat) der Stadt Peking. Eine Biographie siehe bei Hummel, Eminent Chinese (1943), Bd. 2, S. 853ff. 22. September 1860, Elgin an Gong, in: FO 405/5, S. 222. 22. September 1860, Gros an Gong in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 329. Banno, China and the West (1964), S. 176. Auch Rennie, British Arms (1864), S. 168 äußert die Ansicht, dass Elgin sich hierin getäuscht hat, und es sich nicht um einen Verrat, sondern um eine eigenmächtige Handlung Senggerinchins handelte. 23 Sept. 1860, Prinz Gong an Elgin, in: FO 405/5, S. 231. Für die chinesische Version siehe auch FO 682/1993/58. 23. September 1860, Prinz Gong an Gros, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 333.

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flagge gereist, mit Einverständnis der kaiserlichen Kommissare Prinz Yi und Muyin. Ihre Gefangennahme verstoße gegen das allgemeingültige Völkerrecht (International Law). Dieser Punkt war besonders wichtig, denn als diplomatische Gesandte durften sie nach europäischem Recht nicht zu Kriegsgefangenen gemacht werden. Ihre Gefangennahme war also nach Auslegung des International Law, auf das sich Elgin hier beruft, als Affront gegen England und Frankreich zu verstehen. Mit dieser Begründung konnte Elgin zumindest in London geltend machen, weshalb er für das Leben von 39 Geiseln Gesundheit und Wohl des gesamten alliierten Heeres bereit war, aufs Spiel zu setzen. Angesichts dieses Sachverhaltes, erklärten sie Prinz Gong, sei eine Attacke auf Peking gerechtfertigt.289 Elgin beschuldigte obendrein General Senggerinchin, die Alliierten provoziert zu haben. Die Qing-Regierung habe sich durch die Geiselnahme strafbar gemacht und somit dem alliierten Heer, das sich nur 15 Kilometer vor den Toren der Stadt befand, das Recht gegeben, anzugreifen. Es scheint hier zu Missverständnissen gekommen zu sein, denn Elgin fuhr fort, die persönliche Übergabe des Beglaubigungsschreiben an den XianfengKaisers sei niemals Vertragspunkt, sondern immer verhandelbar gewesen. Die gegenseitige Überreichung von Akkreditierungsschreiben gehöre zu den Gepflogenheiten der Höflichkeit, wie sie in „zivilisierten“ Staaten üblich sei. Wer sich weigere, daran teilzunehmen, mache sich verdächtig, nicht „zivilisiert“ zu sein, trotzdem sei es nur eine Formalität. Zu guter Letzt forderten Elgin und Gros die Freilassung der Geiseln binnen dreier Tage und die schnellstmögliche Unterzeichnung des Vertrages durch Prinz Gong. Nach der Vertragsunterzeichnung, die in Tongzhou stattfinden sollte, würden die alliierten Truppen ihren Marsch auf Peking unterbrechen. Elgin wollte dann mit Eskorte nach Peking reisen, um den Vertrag dort zu ratifizieren. Falls alles so ablaufe, werde das alliierte Heer nach Tianjin zurückkehren. Ein endgültiger Abzug aus Nordchina sei dann aber vermutlich wegen der durch die chinesische Regierung verursachten Verzögerungen angesichts der Jahreszeit nicht mehr durchführbar.290 Eine Kopie dieser Nachrichten schickten Elgin und Gros an Montauban und Hope Grant, um sie von der dreitägigen Frist zur Geiselrückgabe (also bis zum 29. September) in Kenntnis zu setzen. Außerdem baten sie die Generäle, sich darauf einzurichten, dass zumindest ein Teil der Truppen in Tianjin überwintern müsse.291 Prinz Gong antwortete am 27. September an Gros und Elgin, verfasste jedoch diesmal zwei unterschiedliche Schreiben. In der Eröffnung ähneln sie sich: Hier zeigt sich Prinz Gong offen für den Abschluss des Vertrages und lenkt ein, ist aber verwundert über das Ansinnen von Gros und Elgin, den Marsch auf Peking

289 Knollys, Incidents (1875), S. 119. 290 Vgl. 23. September 1860, Entwurf eines Briefes an Prinz Gong, in: FO 405/5, S. 232 wurde am 25. September abgeschickt. Für die chinesische Version siehe FO 682/1993/59. 25. September 1860, Gros an Prinz Gong, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 334–336. 291 26. September 1860, Gros an Montauban, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 336– 338.

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fortzusetzen.292 Falls Elgin und Gros von kaiserlichen Kommissaren betrogen worden seien, oder diese sich falsch verhalten hätten, so sei das bedauerlich, aber er habe daran keinen Anteil. Er selbst sei ein unmittelbarer Verwandter des Kaisers und von diesem zu den Verhandlungen mit den Alliierten und dem Abschluss des Vertrages eingesetzt. Er sei den kaiserlichen Kommissaren übergeordnet und verbitte sich jeden Zweifel an seiner Integrität, die er auch von Elgin und Gros annehme. Er stimme jedem einzelnen Punkt zu, der verhandelt worden war, wenn damit Frieden zu erlangen sei. Immerhin suchte Prinz Gong nach einer Lösung für die persönliche Überreichung der Beglaubigungsschreiben. So werde er die Beglaubigungsschreiben von Queen Victoria und Napoleon III. in Empfang nehmen, wenn Elgin und Gros nach Peking kämen, und zwar an einem Altar mit einem Bild des Kaisers. Damit werde dem Schreiben die notwendige Ehre zuteil werde. Es werde nicht möglich sein, dem Kaiser das Schreiben persönlich zu überreichen, da dieser sich außerhalb der Stadt befinde. Er fuhr fort, dass die Drohung, die Stadt zu zerstören, nicht in Einklang mit Elgins und Gros’ Friedenswunsch zu bringen sei. Seine Truppen seien zahlreicher und könnten aus allen Provinzen herangezogen werden. Die Soldaten in Peking seien bereit, die Stadt bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen, die Alliierten hätten keine Chance. Bis zu diesem Punkte sind die beiden Schreiben weitgehend identisch. Die Geiseln betreffend erhielten Elgin und Gros unterschiedliche Nachrichten.293 So wurde Elgin bedeutet, es sei wahr, dass die Geiseln in der Hitze des Gefechtes entführt worden seien, aber Prinz Gong habe ihnen, sobald er davon hörte, angenehme Haftbedingungen verschafft. Zum Beweis schickte er einen Brief, den Parkes an Hengqi verfasst hatte. Prinz Gong schlug Elgin vor, endlich Unterhändler auszutauschen, die alles Weitere planen sollten. Prinz Gong schätzte offenbar den Einfluss Frankreichs bei der alliierten Aktion geringer ein. Vermutlich war ihm berichtet worden, dass die französische Armee über keine Kavallerie verfügte, oder er nahm de Bastard nicht ernst. Jedenfalls schlug er Baron Gros weder erneute Verhandlungen vor, noch legte er den Zeitpunkt für die Rückgabe der Geiseln fest. Im Gegenteil: Er drohte damit, den Rückzug der französischen Armee für den Fall, dass der Krieg fortgesetzt werde, abzuschneiden und die französischen Geiseln umzubringen. Zudem wollte er wissen, weshalb die französischen Truppen denn selbst nicht die Drei-Tagesfrist einhielten und bereits im Vorfeld Truppen nach Peking schickten (damit meinte er die Aufklärungsexpeditionen, die zwischen dem 24. und 26. September auf den Weg nach Peking geschickt wurden, um den Weg zu ergründen (vgl. weiter un-

292 27. September 1860, Prinz Gong an Elgin, in: FO 405/5, S. 234. Die chinesische Originalversion in: FO 682/1993/60. 27. September, Prinz Gong an Gros, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 338–339. 293 Dies bemerkt Gros am 29. September in einem Brief an Elgin. Siehe 29. September 1860, Gros an Elgin, in: FO 405/5, S 226.

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ten).294 Zwar setzte Gros Elgin davon in Kenntnis, dass er einen anderen Brief erhalten habe, der aber zeigte sich unbeeindruckt. In einer kurzen Antwort vom 28. September wies Elgin darauf hin, dass trotz des Ultimatums noch keine Rückgabe der Geiseln organisiert, der Abzug der chinesischen Truppen noch nicht erfolgt und auch noch kein Termin für die Vertragsunterzeichnung festgelegt worden sei.295 Am 29. September müssten die Geiseln ausgeliefert werden und ein Termin für die Vertragsunterzeichnung vereinbart werden. Die Überbringung des Briefes von Queen Victoria an den XianfengKaiser könne noch einmal verhandelt werden und stelle keinen Kriegsgrund dar. Diese Warnungen, so schloss Elgin seinen Brief, würden nicht wiederholt, und falls Prinz Gong nicht zustimme, werde er ohne weitere Ankündigung nach Peking vorrücken. Gros antwortete gleichfalls am 28. September, auf der gleichen Linie wie Elgin, ignorierte aber die Tatsache, dass er anders als Elgin behandelt worden war.296 Eine Überwinterung der französischen Truppen sei unumgänglich geworden, fügte er noch hinzu. Auch Gros sollte sich mit einer Eskorte nach Peking begeben, um dort den Vertrag zu unterzeichnen. Was die Aufklärungsexkursionen betreffe, auf die Prinz Gong in seinem letzten Schreiben Bezug genommen hatte, so seien diese vollkommen legal (damit berief er sich wieder auf das International Law, das Prinz Gong unbekannt war). Prinz Gong habe nun alle Möglichkeiten, den Frieden zu erreichen. Hierauf antwortete Prinz Gong am 29. September, dass er gerne bereit sei, die Gefangenen frei zu lassen und den Vertrag zu unterzeichnen, aber nur, nachdem sich die britischen Truppen aus der unmittelbaren Nachbarschaft von Peking nach Zhangjiawan zurückgezogen hätten. Die Nähe der Alliierten versetze die Stadtbewohner Pekings so in Unruhe, dass er, Prinz Gong, sich leider nicht in der Lage sähe, die Sicherheit der Truppen zu garantieren. Der Kaiser sei nicht in Peking, sondern zur Herbstjagd in Rehe und könne das Beglaubigungsschreiben nicht selbst entgegennehmen. Er selbst nehme aber gerne in Vertretung des Kaisers das Schreiben entgegen. Den Geiseln gehe es gut, aber, so drohte er, auch ihre Sicherheit könne nicht garantiert werden, wenn sich die alliierten Truppen nicht zurückzögen.297 Die gleiche Nachricht sandte Prinz Gong an Gros.298 Ein Einlenken stand für Gros und Elgin nicht zur Debatte. Sie befürchteten, dass, wenn die chinesische Regierung die Erfahrung machte, dass europäische

294 27. September 1860, Prinz Gong an Gros, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 338– 339. 295 28. September 1860, Elgin an Prinz Gong, in: FO 405/5, S. 234, für das chinesische Exemplar siehe FO 682/1993/28. 296 28. September 1860, Gros an Prinz Gong, in Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 339, siehe auch: 28. September 1860, Gros an Prinz Gong, in: FO 405/5, S. 227. 297 29. September 1860, Prinz Gong an Lord Elgin, in: FO 682/1993/62. Siehe auch 29. September 1860, Prinz Gong an Elgin, in: FO 405/5, S. 235. Bazancourt, Expéditions de Chine (1872), S. 253. 298 29. September, Gong an Gros, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 341.

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Regierungen durch Entführung ihrer Angehörigen erpressbar seien, sie sich dies auch bei weiteren Konflikten zunutze machen könne.299 Am 30. September trafen sich die alliierten Generäle und Diplomaten zu einer Konferenz.300 Darin berichtete Montauban Elgin, Hope Grant und Gros über die Situation der französischen Armee: Diese sei in Höchstform, gut genährt und habe bislang jeden Konflikt mit den Streitkräften der Qing-Regierung für sich entschieden. Mit der Bevölkerung von Tongzhou habe er die Lieferung von 300 Ochsen (gegen Bezahlung) vereinbart, für seine Soldaten habe er Winterkleidung anfertigen lassen. Einer Attacke auf Peking stünde also nichts mehr entgegen, wenn der Munitionsnachschub aus Tianjin eingetroffen sei. Durch den weiteren Zeitverlust habe Senggerinchin die Möglichkeit gehabt, seine Truppen erneut zu sammeln. Daher müsse man jetzt schnell handeln, weshalb er vorschlug, die diplomatischen Verhandlungen zu unterbrechen, und weitere Aktionen in die Hände von Hope Grant und in seine eigenen zu legen.301 Dieser Vorschlag traf auf Zustimmung. Die Geiseln wurden am 29. September nicht ausgeliefert, und auch Zeit und Ort einer Vertragsunterzeichnung waren nicht festgelegt worden. Elgin und Gros sandten deswegen am 30. September die Mitteilung an Prinz Gong, dass sie die Angelegenheiten nunmehr zurück in die Hände des Militärs gelegt hätten.302 Darauf antwortete Prinz Gong am 1. Oktober, dass es einen Übersetzungsfehler gegeben haben müsse. Er habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er mit dem Vertrag von 1858 einverstanden sei, die Aggressivität von Elgin und Gros sei daher nicht zu verstehen. Prinz Gong habe einen Delegierten an die Geisel Harry Parkes entsandt, mit dem man die Präliminarien zur Vertragsunterzeichnungen zwischen England, Frankreich und China besprechen könne, außerdem solle jetzt ein Tag festgelegt werden, an dem die Vertragsunterzeichnung stattfinden könne.303 Elgin erwiderte am 2. Oktober, dass die Freilassung der Geiseln Voraussetzung für eine Beendigung militärischer Aktionen gewesen sei, und dass daher die Alliierten weiter in Richtung Peking vorgerückt seien.304 Gros antwortete ähnlich und fügte hinzu, dass er von französischer Seite jemanden benennen werde, der zusammen mit Parkes verhandeln werde.305 299 Walrond, Letters of Elgin (1872), S. 224. 300 Montauban, Souvenirs (1932), S. 296. Baron Gros fürchtete sich vor dieser Konferenz, er spräche nicht dieselbe Sprache wie Montauban, schrieb er in seinem Tagebuch, Gros, Livre Jaune (1864), S. 111. 301 Montauban, Souvenirs (1932), S. 297. 302 30. September 1860, Elgin an Prinz Gong, in: FO 405/5, S. 236. 30. September 1860, Gros an Prinz Gong, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 342. Guiliang, Wenxiang und Prinz Gong berichten über den Befestigungszustand der Stadt an den Kaiser, der mittlerweile in Rehe war in: 10. Jahr des Xianfeng-Kaisers, 8. Monat, 20. Tag, in: Chouban yiwu shimo (1979), S. 2374. 303 Vergleiche 1. Oktober 1860, Prinz Gong an Elgin, in: FO 405/5, S. 237. Siehe auch 1. Oktober 1860, Prinz Gong an Gros, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 342. Die chinesische Originalversion ist: 2. Oktober 1860, Prinz Gong an Elgin, in: FO 682/1993/64. 304 2. Oktober 1860, Elgin an Gros, in: FO 405/5, S. 237. 305 2. Oktober, Gros an Gong, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 344.

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Prinz Gong antwortete am 3. Oktober, dass nunmehr über die Vertragsbedingungen Klarheit herrsche und man Frieden schließen könnte. Die Verhandlungen seien durch die Präsenz bewaffneter Truppen erschwert worden, und unter dem großen Zeitdruck sei es zu Missverständnissen gekommen. Er werde Harry Parkes und den französischen Beamten mit Namen Yi (damit war wohl Escayrac de Lauture gemeint) als Delegation akzeptieren, aber die Geiseln könnten immer noch nicht herausgegeben werden. Seinen Truppen habe er den Rückzug befohlen und hoffe, dass Elgin dasselbe tun werde. Ferner habe er Kleider und andere persönliche Gegenstände, die von Elgin geschickt worden waren, an Parkes und Loch weitergeleitet. Parkes’ chinesischen Bewachern entging dabei, dass in dessen Kleidung eine geheime Nachricht in Hindustani eingestickt worden war, aus der Parkes erfuhr, dass die Alliierten einen Angriff auf Peking für den 4. Oktober planten.306 Gros und Montauban waren erstaunt, dass Prinz Gong mit keinem Wort den Abbé Duluc erwähnte, sondern nur Escayrac de Lauture, der keineswegs als französischer Diplomat, sondern als wissenschaftlicher Beauftragter die alliierten Truppen nach Peking begleitete. Sie befürchteten das Schlimmste, und tatsächlich war der Abbé zu diesem Zeitpunkt bereits tot (er war zusammen mit dem Kapitän Brabazon bei der Schlacht von Baliqiao von General Shengbao als Rache für dessen Demütiging geköpft worden), weshalb Escayrac die Verhandlungen mit der chinesischen Regierung übernommen hatte.307 Elgin und Gros befürchteten wegen der beharrlichen Weigerung von Prinz Gong, die Geiseln herauszugeben, dass diesen etwas zugestoßen sei, womit sie auch, wie sich später herausstellen sollte, richtig lagen. Von Loch, Parkes und Escayrac de Lauture (der von Loch und Parkes getrennt worden war) erhielten sie immerhin an diesem Tag einen Brief. Loch war es gelungen, am Rand des Briefes auf Hindustani zu antworten, dass sie gut behandelt würden, aber den Brief unter Zwang hätte schreiben müssen. Am Abend des 3 Oktober schickte Prinz Gong ein zweites Schreiben an Elgin, verfasst von Harry Parkes, wonach die chinesische Regierung einen neutralen Ort wünsche, an dem die Friedensverhandlungen beschlossen werden könnten.308 Elgin wiederholte am 4. Oktober noch einmal, dass es erst nach Freilassung der Geiseln zu Friedensverhandlungen kommen könne.309 Am 6. Oktober teilte Prinz Gong mit, dass Harry Parkes den Vertrag fertiggestellt habe und es keine weiteren Diskussionspunkte mehr gebe. Elgin möge den Rückzug der Truppen veranlassen. Elgin reagierte nicht. Prinz Gong schickte also am gleichen Tag ein weiteres Schreiben, in dem er ein Treffen mit Elgin am 8. Oktober anbot, bei dem die Gefangenen überstellt und der Vertrag unterzeichnet

306 3. Oktober 1860, Prinz Gong an Elgin, in: FO 682/1993/67. Übersetzung in FO 405/5, S. 238. 3. Oktober 1860, Gong an Gros, in: Montauban, Souvenirs (1932), S. 298. Über die Geheimnachrichten, die man Parkes schickte schreibt Sir Hope Grant in Knollys, Incidents (1875), S. 124. 307 Montauban, Souvenirs (1932), S. 299. 308 3. Oktober 1860, Prinz Gong an Elgin, in FO 405/5, S. 239. 309 4. Oktober 1860, Elgin an Prinz Gong, in: FO 682/1993/69.

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werden könne.310 Prinz Gong ließ von Parkes einen zweiten Brief des gleichen Inhaltes an Wade in chinesischer Sprache verfassen, um sicherzugehen, dass es keine Missverständnisse gebe.311 Anfang Oktober aber hatte sich die alliierte Armee bereits auf den Weg gemacht und marschierte in Richtung Peking, wo sie am Abend des 6. Oktober eintreffen sollte.

3.3 Ruhepause der Armee, 21. bis 30. September: Weitere Plünderungen, Logistik und Verpflegung Während dieser diplomatischen Verhandlungen zwischen dem 21. September und Anfang Oktober blieb das alliierte Heer in den Lagern in der Nähe von Tongzhou und Zhangjiawan. Der Plan, Peking sofort einzunehmen wurde aufgegeben, weil die Kommandierenden eher mit Friedensverhandlungen als mit weiteren Schlachten gerechnet hatten. Darüber hinaus waren umfangreiche Vorbereitungen für den Sturm auf eine Stadt mit zwei Millionen Einwohnern zu treffen. Proviant, Munition und Lebensmittel mussten herangeschafft werden, zudem die großen Armstrong-Kanonen. Der Ort Baliqiao war für einen längeren Aufenthalt gut gewählt: In der Nähe des besetzten Tongzhou und damit am Kaiserkanal gelegen, erlaubte er nicht nur eine gute Kommunikation mit Tianjin, sondern auch die Benutzung des Flussweges für den Transport der Vorräte, der Waffen und der Munition. Dazu wurden in Tongzhou Einheiten der britischen Marine stationiert, die von den Einheimischen Lastkähne requirierten, um mit diesen zwischen Tianjin und Baliqiao zu pendeln. Die Stadt Tongzhou befand sich unter der Kontrolle der Alliierten, wobei den einfachen Soldaten verboten war, die Stadt zu betreten. Die Einwohner Tongzhous waren von den Alliierten gezwungen worden, große Gemüse- und Fleischmärkte einzurichten, auf denen sich die Soldaten verpflegen konnten. Sie hofften damit, das Risiko zu umgehen, dass sich die Soldaten gewaltsam Zugang zur Stadt verschafften. Auf dem gesamten Feldzug war die Versorgungslage der Soldaten noch nie so gut gewesen wie zu diesem Zeitpunkt. Außer auf den Märkten allerdings versorgten sich die Soldaten auch noch auf eigene Faust und plünderten die von ihren Besitzern verlassenen Häuser, in denen sich große Mengen an Vorräten, Mais und Sorghum befanden, zudem Schweine, Hühner und Enten.312 „We have a very fair market, and plenty of eggs, grapes, apples and fowls,”so berichte John Dunne.313 Etwas ausführlicher formuliert George Pomeroy-Colley: The country, as usual, is perfectly level, and the corn crops with which it is covered were in the spike state, but it is much prettier than anything we have yet seen, being sprinkled in every direction with clumps of large trees, and large and very handsomely planted cemeteries,

310 311 312 313

6. Oktober 1860, Prinz Gong an Elgin, in: FO 682/1993/71. 6.Oktober 1860, Parkes an Wade, in: FO 405/5, S. 240. Varin, Expédition (1862), S. 218. Dunne, Calcutta to Peking (1861), S. 122.

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most beautiful burying-places, with formal rows of magnificent trees outside and inside dark pines and cypresses so thick that not a ray of the sun can pierce through.314

Es gingen falsche Gerüchte im Lager um, nach denen der Kaiser zu Gunsten von Senggerinchin abgedankt habe.315 Die Behauptung Varins, wonach dies das erste Mal gewesen sei, dass sich französische Soldaten etwas widerrechtlich aneigneten, ist angesichts der vorausgegangenen Plünderungen andernorts als eine bewusste Lüge zu bezeichnen (wegen der Häufigkeit solcher Ereignisse konnte Varin diese gar nicht übersehen haben).316 Am 23. September kam der lang erwartete französische Proviantkonvoi mit Wein und Kaffee aus Tianjin.317 Unabhängige Marketender machten mit Alkoholverkauf beträchtliche Gewinne. Die Soldaten genossen die Pause und die gute Verpflegung. Die „Idylle“, wie sie teilweise in den Berichten geschildert wird, war allerdings trügerisch: Es blieb unübersehbar, dass kürzlich eine schwere Schlacht mit vielen Toten stattgefunden hatte. Auf dem Schlachtfeld und in der Nähe der Lager marodierten Hunde, die von den Leichen der gefallenen Soldaten des Qing-Heeres gefressen hatten. Es musste Leichengestank in der Luft hängen, außerdem werden auch andere schwere Plünderungen berichtet. Hope Grant muss diesmal den seinem Heer angegliederten Kulis freie Hand gelassen haben. Dabei plünderten die Einwohner der umliegenden Dörfer ebenso wie die Kulis. Letztere brachen nachts aus dem Kulilager aus und zogen in die umliegenden Dörfer, um dort zu stehlen und Frauen zu schänden. Um ein Exempel zu statuieren, befahl Hope Grant, der immer noch versuchte, irgendwie Ordnung zu halten, einen auf frischer Tat ertappten Vergewaltiger aufknüpfen zu lassen. Auch die Einwohner Tongzhous wehrten sich gegen ihre „Landsleute“ die sie aber nicht als solche begriffen. Als Kuli-Banden eines Abends versuchten in ein Dorf einzudringen, wurden sie abgewehrt und einige von ihnen getötet. Das Klima zwischen den alliierten Soldaten und den Einheimischen hatte sich seit dem 21. September merklich abgekühlt. Wenn auch in Tongzhou die Interaktion zwischen den Offizieren und der Zivilbevölkerung friedlich verlief, kam es doch in den ersten Tagen des Feldlagers immer wieder zu Angriffen der Zivilbevölkerung auf Boten, die die Korrespondenz zwischen Shanghai, Tianjin und dem alliierten Heer transportierten. Die zu dieser Zeit schlechte Sicherheitslage spiegelte sich auch darin wider, dass bewaffnete chinesische Banden, offenkundig Dorfbewohner der Umgegend, sogar die Lager der alliierten Truppen angegriffen. Dafür wurde britischen Soldaten erlaubt, sich zu „rächen“, indem sie Dörfer, die gegen Requirierung und Einquartierung Widerstand geleistet hatten, verbrannten.318 Immerhin bemühte sich der Generalstab, mit gutem Beispiel voranzugehen: 314 Beschreibung von Pomeroy-Colley, in: Butler, The Life of Sir George Pomeroy-Colley (1899), S. 64. 315 Dunne, Calcutta to Peking (1861), S. 123. 316 Varin, Expédition (1862), S. 219. 317 Castano, L’Expédition de Chine (1864), S. 131, der Truppenarzt, beschreibt, dass Kaffee vermischt mit Keksen das obligatorische Frühstück des französischen Heeres darstellte. 318 Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 197.

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Obwohl für den Transport der gesamten Entourage nach Peking einige Wagen konfisziert worden waren, wurden die Transportmittel in den meisten Fällen bezahlt.319 Am 24. September wurde ein britischer Aufklärungstrupp entsandt in die Nähe des Südtores von Peking. Dabei zeigte sich, dass die breite Straße, die von Tongzhou nach Peking führte, in einem miserablen Zustand war.320 Nahe am Südtor konnte der Spähtrupp erkennen, dass die auf 13 bis 14 Meter Höhe geschätzten, sehr stabil wirkenden Mauern offenbar unbesetzt und von einem großen Graben umgeben waren. Weiter fand man heraus, dass die Qing-Armee offenbar den Nord-Westteil der Stadt besetzte und vor allem auch den von den Alliierten als „Sommerpalast“ bezeichneten Yuanming yuan, bevorzugter Sitz der Qing-Kaiser, bewachte. Dies legte die Vermutung nahe, dass so der Rückzug nach Norden freigehalten werden sollte.321 Am 26. September trafen wieder Neuigkeiten aus Peking ein. Eine andere Aufklärungsmission war sehr nahe an die Stadtmauern von Peking herangekommen und so weit in die Vorstädte eingedrungen, dass zwei Franzosen fast gefangen genommen wären. Dabei war festgestellt worden, dass die Bevölkerung keineswegs feindselig gestimmt war.322 Währenddessen trafen sich Elgin und Hope Grant mit dem russischen Botschafter Ignatiev, von dem sie einen genauen Stadtplan erhielten, den sie benötigten, wenn die Stadt gestürmt werden sollte.323 Elgin und Hope Grant erfuhren außerdem, dass um den Kaiserpalast herum 60.000 „Tataren mit ihren Familien“ (also die Bannerleute) lebten, weshalb bei einer Attacke auf den Kaiserpalast mit Straßenkämpfen zu rechnen sei.324 Ignatiev sah an der Nordseite den geeignetsten Angriffspunkt, da man so, wenn man die Straßen besetzte, auch den Fluchtweg des Kaisers abschneiden könnte. Ignatiev teilte zudem mit, dass der Kaiser am 24. September in Peking eingetroffen sei (womit er wohl meinte, dass er im Kaiser319 Ebd., S. 200. 320 Varin, Expédition (1862), S. 218. Diese Straße scheint trotzdem großen Eindruck gemacht zu haben. Varin beschreibt die noch heute existierenden Skulpturen auf der Brücke, darunter eine Schildkröte mit einer großen Stele auf dem Rücken. Montauban wollte diese Stele sogar nach Frankreich mitnehmen, entschied sich dann aber wegen ihres Gewichts dagegen. 321 Bazancourt, Expéditions de Chine (1872), S. 261. 322 Mutrécy, Campagne de Chine (1862), S. 22. Einer der französischen Soldaten, ein gewisser Foerster, war, wie man bei Kéroulée nachlesen kann, einem Mitglied der topographischen Brigade. Kéroulée, Un voyage a Pékin (1861), S. 135. 323 Ignatiev war während der gesamten Zeit des Feldzuges immer zwischen Peking und dem Lager des alliierten Heeres gependelt und hatte nun für das Ende des Feldzuges sein Lager in der Nähe der Alliierten aufgeschlagen. Ignatiev hatte offenbar während des gesamten Feldzuges eine Doppelstrategie versucht: Er benutzte die Aggression der Alliierten, um auch seine Ziele, nämlich den russischen Zugang zum Meer, durchzusetzen, und hatte deswegen, obwohl er auf gutem Fuß mit Prinz Gong stand, ein gewisses Interesse daran, dass die Alliierten weiterhin aggressiv vorgingen. Siehe hierzu: Cady, Roots of French Imperialism (1954), S. 259ff. 324 Eine besonders schöne Beschreibung des mandschurischen Einflusses im Pekinger Stadtbild des 19. Jahrhundert siehe Crossley, Orphan Warriors (1990), S. 91f.

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palast eingetroffen sei).325 Das war falsch, denn zu diesem Zeitpunkt befand sich der Kaiser bereits auf dem Weg nach Rehe. Beim Treffen der Generäle setzte Hope Grant dann gegen Montauban durch, dass man nicht im Süden, sondern im Norden der Stadt angreifen solle. Am 27. September kam der Truppennachschub aus Tianjin, nämlich zwei Regimenter von Napiers Truppen, am 29. September trafen die Armstrong-Kanonen ein. Mit einer Einhaltung des Ultimatums wurde nicht gerechnet, weshalb die Generäle das Vorrücken der Truppen auf Peking vorbereiteten. Die Armstrong-Kanonen samt 200

Abbildung 10: Mausoleen, Proviant- und Waffendepot der alliierten Truppen auf dem Weg nach Peking, 5. Oktober 1860, Photografie von Felice Beato © Musée d’Histoire Naturelle de Lille.

Mann Infanterie wurden in einem benachbarten Dorf untergebracht, und Montauban verstärkte die Bewachung des Depots auf 200 Mann. Die Korrespondenz zwischen Elgin, Gros und Prinz Gong Anfang Oktober (des Inhalts, dass die Geiseln weiter festgehalten würden) belegte, dass die diplomatischen Verhandlungen gescheitert waren. Am 3. Oktober ließ Hope Grant seine Truppen zum frisch errichteten Depot marschieren, um dort auf die französischen Alliierten zu warten. Unterdessen sandten die Einwohner Pekings, die um ihre Stadt fürchteten und offen325 Baliqiao, 25. September 1860, Bericht Hope Crealock, in: Knollys, Incidents (1875), S.135.

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bar kein Vertrauen in ihre kaiserliche Regierung hatten, Geschenke und Proviant an Elgin und Gros und baten darum, die Stadt zu verschonen.326

3.4 Marsch bis vor das Nordtor von Peking, 4. bis 6. Oktober Am 4. Oktober kam französischer Truppennachschub aus Tianjin. Tianjin blieb Basislager, es wurden dort zur Bewachung 400 britische Soldaten und französische Ingenieurstruppen zurückgelassen. Die französischen Truppen waren nun 4.000 Mann stark und bestanden aus dem 2. Bataillon der Jäger, aus Soldaten des 101. Regiments, aus einem Teil Marineinfanterie und drei Batterien Artillerie.327 Die britischen Truppen waren um die Truppen von Robert Napier (60. Brigade der Rifles, 67. Brigade und die restliche Sikh-Kavallerie) verstärkt worden, so dass das alliierte Heer mit 8.000 Mann und den schweren Armstrong-Kanonen, die schon vor den Dagu-Forts große Dienste geleistet hatten, nach Peking zog.328 Trotz wiederholter und erneuter Versuche der Pekinger, die Alliierten zu beschwichtigen, blieben diese bei dem Plan, Peking einzunehmen.329 Am 5. Oktober um 6 Uhr morgens begannen die Alliierten ihren Marsch in Richtung Peking und folgten der alten, mit schadhaften Granitblöcken gepflasterten Straße. Die Belagerungskanonen blieben vorerst im tags zuvor angelegten Depot. Zwar hatten bisherige Erkundungsritte ergeben, dass sich das Qing-Heer im Norden der Stadt konzentrierte, aber dennoch rechnete man mit einem erneuten chinesischen Angriff, weshalb die britischen und französischen Truppen diesmal gemeinsam marschierten.330 Nach ungefähr vier bis fünf Stunden erreichten sie ein kleines Dorf unmittelbar vor Peking. Obwohl eigentlich geplant war, an diesem Tag bis nach Peking zu

326 Es handelte sich um den Apotheker He Binzun (vermutete Schreibweise, kann nicht genau identifiziert werden) und Wang Hai (kann ebenfalls nicht identifiziert werden), die im Namen aller Gewerbetreibenden sich an die Kommandanten der alliierten Armee wandten, und darum baten, die guten Geschäftsbeziehungen weiter bestehen zu lassen. Sie sandten am 2. Oktober Ochsen, Schafe und Früchte, um ihren guten Willen auszudrücken. Siehe Brief He Binzun und Wang Hai an Gros, in Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 345. Siehe auch Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 211. Gros hatte bereits am 1. Oktober Geschenke erhalten. 327 „[…] c’est avec cette force de 8000 hommes, que nous allions, à 6000 lieus de l’Europe, faire siège d’une ville qui renfermait 1800000 habitants et près de laquelle se trouvait une armée considerable de Tartares pour la protéger“, schreibt Montauban an Randon, Montauban, Souvenirs (1932), S. 304. Auf dem Weg nach Peking passieren die Truppen die muslimische Siedlung Dazhang. Chanoine merkt später kritisch an, dass die Matrosen der MarineInfanterie nicht ihren eigentlichen Aufgaben entsprechend eingesetzt worden seien, sondern vielmehr als „train des équipages de l’armee de terre,“ Chanoine, Examen critique d’une relation de l’Expédition de Chine (1864), S. 12. 328 Swinhoe spricht von 10.000 Mann, vgl. Swinhoe, Narrative (1861), S. 278. Vgl auch MD, SHAT, Série M, M 883, S. 109. 329 Knollys, Incidents (1875), S. 124. 330 Varin, Expédition (1862), S. 223.

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marschieren, rasteten die britischen Truppen, bis auch die letzten der französischen Truppen aufgeschlossen hatten.331 Das Dorf verfügte über mehrere Ziegelbrennöfen, von dessen Türmen aus man die Mauern des etwa fünf Kilometer entfernt liegenden Peking sehen konnte. Plünderungen wurden ausdrücklich untersagt.332 Aufklärungsexpeditionen wurden entsandt und kamen mit der Nachricht zurück, dass sich in nicht allzu weiter Ferne im Norden der Stadt Peking ein großes Lager feindlicher Truppen befinde, das zugleich das Hauptquartier von Senggerinchin sei. Daraufhin beschlossen Hope Grant und Montauban, ihre Pläne zu ändern und noch vor einem Angriff auf Peking dieses Lager einzunehmen. Die Strategie der Generäle richtete sich in diesen Tagen hauptsächlich nach den Informationen, die sie von Ignatiev am 26. September erhalten hatten.333

4 DIE ALLIIERTEN TRUPPEN BEI PEKING, 6. OKTOBER 4.1 Französische Truppen vor dem Yuanming yuan Am 6. Oktober um 7 Uhr brachen die alliierten Truppen, ausgerüstet mit Proviant für drei Tage, in Richtung des feindlichen Lagers auf. Die Generäle wussten nach wie vor nichts über eine eventuelle Strategie des Qing-Heeres, ließen das schwere Gepäck und alle Wagen zurück und marschierten in der gleichen Formation wie am Vortage, die französischen Soldaten auf dem linken Flügel, die britischen Soldaten rechts. Nach einem Marsch von fünf Kilometern machten die Truppen in einem Dorf Halt. Auch hier gab es Ziegelbrennöfen, von deren Türmen aus die Wachtposten der Alliierten nicht nur die imposanten Stadtmauern Pekings sehen konnten, sondern auch ein gewaltiges feindliches Heer, das sich im Nordosten

331 Swinhoe, Narrative (1861), S. 279. 332 Montauban, Souvenirs (1932), S. 305. Dies ist eine der wenigen Episoden, in denen das Verhalten Montaubans bei Plünderungen geschildert wird: Er verhinderte sie, so wurde berichtete und versichert seinen europäischen Lesern, dass die Präsenz der französischen Offiziere im Allgemeinen gerne geduldet werde. Im Zusammenhang mit diesem speziellen Dorf beispielsweise schildert er, dass in einer der Ziegeleien französische Offiziere einige verängstigte Chinesen angetroffen hätten. Nachdem die französischen Offiziere diesen ihre eigene Vertrauenswürdigkeit versichert und die Männer vor den Übergriffen der einfacheren Soldaten geschützt hätten, zeigten die Chinesen Vertrauen (so interpretiert es Montauban, vermutlich fälschlich) und rissen eine Mauer nieder, die den Eingang eines Ofens blockierte. Dahinter hatten sie ihre Frauen und Kinder versteckt, die sie nunmehr dem Schutz der französischen Offiziere übergaben. Montauban erhielt am 5. Oktober zusätzlich noch einen neuen Auftrag von Baron Gros: Er solle sich mehrere katholische Kirchen in Peking, die ursprünglich in französischem Besitz waren, aneignen. Gros nannte Montauban die Namen und Orte jener Kirchen und schlug vor, sie beim Einmarsch in Peking wieder in den Besitz Frankreichs zu nehmen. Es müsse aber vorher geklärt werden, ob dies geschehen könne, ohne weitere diplomatische Verwicklungen hervorzurufen. 333 MD, SHAT, Série M, Expédition de Chine, M 883, S. 110.

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sammelte.334 Es ließ sich jedoch aus dieser Perspektive nicht erkennen, ob sich in unmittelbarer Nähe ebenfalls feindliche Truppen befanden. Bei einem Aufklärungsritt stieß Leutnant Dupin hinter einem Erdwall auf 50 feindliche Reiter, die sich nach ihrer Entdeckung an den rechten Flügel seiner Aufklärungskompanie hefteten und dieser in ca. 150 Meter Entfernung folgten. Zudem glaubte Dupin, ein ungefähr 1000 Mann starkes Reiterkontingent gesehen zu haben, war sich aber nicht sicher. Montauban und Grant, die, an der Spitze ihres jeweils 4.000 Mann starken Heeres stehend, durch Meldereiter in Kontakt blieben, beschlossen daher, in vier Kolonnen zu marschieren. Jeweils zwei dieser Kolonnen sollten an einer Seite der Qing-Formation attackieren um diese einzukesseln.335 Montauban selbst wollte mit der Brigade Jamin zum Erdwall, hinter dem noch mehr feindliche Truppen vermutet wurden reiten, um diese dort anzugreifen. Hope Grant sollte sich mit seiner Infanterie noch etwas in Richtung Westen, näher nach Peking begeben und so die Truppen von ihrer rechten Flanke her angreifen. Die Generale vermuteten, dass sich das Heer nach Nordosten zurückziehen würde, wenn die britisch-französische Infanterie jeweils vom Süden und Westen her angreifen würde. Daher bewegte sich die britische Kavallerie mit ihrem Kommandierenden Pattle zuerst nach Norden, um dann wieder in Richtung Westen auf die große Straße in Richtung Deshengmen zu kommen, dem zweiten Tor in der nördlichen Stadtmauer Pekings, um dem Qing-Heer auf diese Art und Weise den Rückzugsweg zu verbauen.336 Zügig gingen die auf diese Weise aufgestellten Truppen nach vorne, und schnell war klar, dass sich Dupin geirrt hatte: Die Qing-Truppen waren zwar da gewesen, aber ihr Lager war verlassen.337 Eine Befragung der Einheimischen ergab, dass hier am Abend zuvor noch 12.000 Mann Kavallerie der Truppen Senggerinchins ihr Lager aufgeschlagen hatten.338 Davon war allerdings nur eine kleine Nachhut zurückgelassen worden. Das gesamte Gelände, in dem sich die alliierten Truppen nunmehr befand, war schwer zu überblicken, von dichten Büschen und hohen Bäumen bewachsen, zudem war es sehr heiß und die Truppen kannten den Weg nicht. Die britische und die französische Infanterie verloren sich aus den Augen.339 Als Montauban merkte, dass der Kontakt zur britischen Infanterie und Hope Grant verloren war, schlug er den Weg in Richtung des „Sommerpalastes“ Yuanming yuan ein, der ungefähr zwölf Kilometer außerhalb der Stadt lag. Er ließ sich von zwei Einheimischen zu diesem mit Hope Grant vereinbarten Sammelpunkt 334 Zwar wird hier die französische Sichtweise referiert, doch Elgin bestätigt dies. Walrond, Letters of Elgin (1872), S. 225. 335 Varin, Expédition (1862), S. 225. 336 Swinhoe, Narrative (1861), S. 281. 337 Blondel, Relation de l’Expédition de Chine (1862), S. 144. Dies wird bestätigt von Sir Hope Grant (Knollys, Incidents (1875), S. 126) und von Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 218. Durch die Beschreibungen von Swinhoe wird allerdings deutlich, dass Dupin sich trotzden nicht geirrt hat, das feindliche Heer aber kurz zuvor aufgebrochen war. 338 Varin, Expédition (1862), S. 225. 339 Blondel, Relation de l’Expédition de Chine (1862), S. 146.

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führen.340 Dort sollte der Angriff auf das sich in der Nähe sammelnde Qing-Heer vorbereitet werden.341 Die britische Infanterie unter Hope Grant marschierte indessen weiter in Richtung Peking und befand sich bald auf einer großen Straße, die direkt zum Andingmen führte, einem weiteren großen Stadttor in der nördlichen Seite der Stadtmauer Pekings. Es kam zu kurzen Gefechten mit einigen Spähtrupps des Qing-Heeres, dann schlug die britische Infanterie in der Nähe eines Lamatempels ihr Lager für die Nacht auf. Hope Grant versuchte vergeblich, den Kontakt mit den französischen Truppen herzustellen.342 Weil er der Absprache gemäß an diesem Tag das Oberkommando hatte, war er sehr irritiert darüber, dass seine Alliierten sich selbständig gemacht hatten.343 In dem unübersichtlichen Gelände hatte jedoch selbst die britische Kavallerie den Sichtkontakt mit ihrer Infanterie verloren.344 Die britischen Kavalleristen konnten in der Ferne sehen, dass sich eine kleinere Einheit der Qing-Truppen in die entgegengesetzte Richtung, die sie vermutet hatten, eilig zurückzog.345 Swinhoe (der Hope Grant während Parkes’ Gefangenschaft als Übersetzer zugeteilt worden war und jetzt mit Pattle und dessen Kavallerie zog) und Fane brachten in Erfahrung, dass diese Einheit Kavallerie auf der Flucht vor den Alliierten war, und hatten somit einen Anhaltspunkt, wo sich die britische Infanterie, zu der sie sich wieder zurückbegeben wollten, befand. Ein flüchtender Qing-Soldat wurde befragt, ob er den Aufenthaltsort der britischen Infanterie kenne. Er wies der Brigade den Weg zur französischen Infanterie, die neben einem Tempel ungefähr drei Meilen nördlich vom Deshengmen kampierte. Als die britische Kavallerie bei der französischen Infanterie eintraf, befragte Pattle 340 Chen Wenbo sieht diesen „Verrat“ der Einheimischen als einen der Gründe, weshalb die Alliierten überhaupt zum Yuanming yuan fanden. Es scheint aber unwahrscheinlich, denn zwar kann nicht geklärt werden, ob die Alliierten wirklich genau wussten, welche Schätze der Yuanming yuan barg, aber auf den militärischen Karten ist er eingezeichnet. Chen Wenbo, Yuanming yuan canhui kao in: YMYZ (1984), S. 166. Barmé weist darauf hin, dass später ein gewisser Gong Xiaogong dafür verantwortlich gemacht wurde, dass die Alliierten den Weg zum Yuanming yuan fanden. Der Wahrheitsgehalt konnte nicht überprüft werden, aber Gong Xiaogong selber stritt den Verdacht nie ab. Barmé, Gong Xiaogong: A Case of Mistaken Identity (1999). 341 Siehe auch Montauban, Souvenirs (1932), S. 308 und Blondel, Relation de l’Expédition de Chine (1862), S. 145. Castano allerdings behauptet, dass man nur deswegen am Yuanming yuan sein Quartier bezog, weil es dort laut einer Karte der Umgegend einen See gab, aus dem die Pferde trinken konnten. Castano, L’Expédition de Chine (1864), S. 152. Man muss allerdings hinzufügen, dass Castano nicht im Führungsstab mitritt, sondern weiter hinten, im Gefolge. 342 Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 219. 343 Knollys, Incidents (1875), S. 126. Auch Elgin weiß nicht, wie es dazu kam, dass sich die Truppen aus den Augen verloren haben. Siehe Walrond, Letters of Elgin (1872), S. 224. 344 Während die Perspektiven der französischen und britischen Infanterie aus den Berichten von Montauban und Hope Grant gut zu rekonstruieren sind, wird die Perspektive der Brigade Pattle von Robert Swinhoe berichtet, der an jenem Morgen von Hope Grant abgeordnet wurde, mit dieser zu reiten. 345 Damit war Leutnant Dupin natürlich rehabilitiert, aber zu diesem Zeitpunkt konnte dies der Infanterie noch nicht mitgeteilt werden, da der Kontakt abgebrochen war.

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Montauban nach dem Verbleib der britischen Infanterie. Dieser wusste nichts: Er habe sich selbst auf den Weg zum Yuanming yuan gemacht, weil er vermute, dass Hope Grant sich bereits dort befinde. Pattle ritt, diesem Hinweis nachgehend, noch etwas nach Norden, konnte aber auch von der einheimischen Bevölkerung nichts über den Verbleib der britischen Infanterie erfahren. Daraufhin beschloss er, sich Montauban anzuschließen und mit der französischen Infanterie zu ziehen. 346 Die französische Infanterie (am Kopfe marschierte eine Kompanie der Marineinfantrie des Kapitäns Jauréguiberry) traf gegen 7 Uhr abends in Haidian ein, dem Dorf, in dem der Yuanming yuan lag. Die „Hauptstraße“ Haidians wird als gepflegt und breit beschrieben, die Bewohner Haidians reagierten auf das Auftauchen der französischen Soldaten eher erstaunt als angstvoll.347 Die breite Straße führte auf einen von hohen, großen Bäumen bepflanzten freien Platz, der von einem See und einem Palast begrenzt wurde. Der Zugang zum Platz war mit spanischen Reitern verstellt, die von den Soldaten schnell zerstört wurden. Damit stand die Vorhut der französischen Infanterie vor dem Yuanming yuan. Dieser schien nur von wenigen, mit Pfeil und Bogen bewaffneten Wachtposten geschützt zu sein.348 Als diese die französische Armee sahen, ergriffen sie die Flucht.349 Dass der Yuanming yuan so schwach bewacht war, erstaunte die französischen Infanteristen sehr. So berichtet der Korrespondent des Moniteur: Il faut être en Chine, pour ne pas s’étonner. Nulle part d’ailleurs, assurément, on ne verrait le chef d’un empire grand comme l’Europe et commandant à trois millions de sujets, s’enfuir devant six à sept mille soldats, faire si bon marché du centre de son gouvernement, de son trône et du prestige qui s’y rattache; abandonner tout derrière lui; sa capitale, ses palais, ses trésors, tout jusqu’au lieu de son séjour favori, la plus vaste et la plus somptueuse de ses résidences, le Versailles ou le Saint-Cloud chinois, et le laisser à la garde de quelques hommes armés de flèches et de lances.350

Angesichts der einbrechenden Dunkelheit befahl Montauban seinen nach und nach eintreffenden Soldaten, auf dem freien Platz vor dem Yuanming yuan zu kampieren.

4.2 Die französische Infanterie: Erste Auskundschaftung des Yuanming yuan Montauban und Hope Grant waren im Vorfeld davon ausgegangen, dass die meisten der Qing-Truppen hinter dem Yuanming yuan stünden. Montauban rechnete 346 Swinhoe, Narrative (1861), S. 284. Swinhoe berichtet, dass Pattle Montauban Hilfe bei der Einnahme des Yuanming yuan anbot. Es ist aber kein Hinweis darauf zu ersehen, dass Plünderungen oder Beutenehmen anvisiert war. 347 Das behauptet zumindest Delagrange, Le 2ième Bataillon de chasseurs à pied (1889), S. 106. 348 Sinibaldo de Mas erwähnt noch 300 Eunuchen, die sonst in keinem Text auftauchen. De Mas, La Chine et les puissances chrétiennes (1861), S. 243. 349 Varin, Expédition (1862), S. 227. 350 Fauchery, Lettres de Chine, zitiert in: Roy, La Chine et la Cochinchine (1862), S. 113.

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mit einer größeren Zahl von Soldaten im Innerern des Palastes, da eine kaiserliche Residenz sicherlich entsprechend bewacht würde.351 Er wies daher den Kommandanten Campenon an, einen Teil des Palastes abzusuchen, um sich zu vergewissern, dass keine Gefahr für seine Infanterie bestand.352 Campenon machte sich, begleitet von einer Kompanie Marineinfantristen auf den Weg.353 Das schwere Tor war von innen verbarrikadiert, weshalb die Männer durch Seitentore in den ersten Hof des Palastes eindrangen. Das Gebäude war menschenleer und lag in tiefster Dunkelheit. Nach Durchquerung eines zweiten Hofes standen die Soldaten in einem dritten großen Hof, in dessen hinteren Teil ein mit weißem Marmor ausgekleideter Kanal zu sehen war, der von einer Marmorbrücke überspannt war. Von der anderen Seite der Mauer, die den dritten Hof umgab vernahmen die Männer Stimmen, teilten sich in zwei Gruppen, um jeweils von links und rechts durch die Seitentore einzudringen, zudem waren bereits einige der Matrosen dabei, die vier Meter hohen Mauern zu erklimmen. Die beiden großen Holztore an den Seiten, die jeweils einige hundert Meter voneinander entfernt lagen, wurden von den Soldaten aufgebrochen und die Soldaten kamen in zwei Gruppen in den Hof. Leutnant De Pina am Kopf der linken Kolonne, drang mit einem Revolver in der Hand ins Innere des Palastes vor, gefolgt von seinem Soldaten Butte, als er plötzlich unvermutet einen Säbelhieb auf die Hand erhielt. 354 Unterdessen war ein Matrose über die Mauer in den Hof gesprungen und gab einen Schuss auf eine der plötzlich aufgetauchten, mit Lanzen bewaffneten mandschurischen Wachen ab. Wie viele Wachen sich daraufhin, nicht ohne Gegenwehr und schießend, in den rückwärtigen Teil des Palastes flüchteten, ist aus den Berichten nicht zu ersehen. Die Soldaten feuerten einige Male hinterher.355 Diese Schüsse wurden von den Truppen außerhalb des Yuanming yuan gehört und lösten eine gewisse Nervosität aus. Genau in dem Moment, in dem die ersten Schüsse im Palast fielen, stürzte ein an der Mission nicht Beteiligter, der den Soldaten heimlich in den Palast gefolgt war, hilferufend in das Lager, was unter den Truppen für beträchtliche Unruhe sorgte.356 Einige Minuten später kam de Pina mit seiner blutenden Hand, ihm folgte die Aufklärungstruppe, die zuvor noch im Inneren des Palastes von den fliehenden Wachen beschossen worden war.357 Mon351 Dem Kaiser, der unterdessen in Rehe ist, wird davon erst am 10. Oktober berichtet. 10. Jahr des Xianfeng-Kaisers, 8. Monat, 26. Tag (10. Oktober 1860) Throneingabe Yixin, Guiliang und Wenxiang, in: Chouban yiwu shimo (1979). In den chinesischen Berichten der Zeitgenossen nimmt die Verbrennung des Yuanming yuan am 18./19. Oktober den weit größeren Anteil ein, über diese erste Plünderung wird kaum berichtet. 352 Einen schönen Bericht der Ereignisse vom 6. Oktober abends findet sich auch in Lucy, Lettres intimes (1861), S.101ff. 353 Bazancourt, Expéditions de Chine (1872), S. 268. Ein sehr genauer Bericht ist auch zu finden bei Varin, Expédition (1862), S. 228ff. 354 De Pina hatte sich freiwillig für diese Aktion gemeldet, wie Varin berichtet: Varin, Expédition (1862), S. 228. 355 Ebd. S. 229. 356 Varin, Expédition (1862), S. 230. 357 Bazancourt, Expéditions de Chine (1872), S. 269.

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tauban beruhigte seine durch diesen Vorfall aufgebrachten Truppen und entsandte die Brigade des General Collineau in den Yuanming yuan, um die übrigen, noch im Palast verbliebenen Soldaten abzuholen. Dann postierte er eine Sondereinheit seiner Soldaten vor dem Palast und sorgte dafür, dass niemand mehr den Gebäudekomplex betrat. Er begründete dies später damit, dass er aus Gründen der Fairness gleichzeitig mit den britischen Kollegen den Palast betreten und in Augenschein haben nehmen wollen.358 Montauban behauptete, dass 700 oder 800 Soldaten des Qing-Heeres den Palast bewacht und sich, sobald sie Schüsse vernommen hatten, tiefer in den Yuanming yuan zurückgezogen hätten.359 Der Palasterkundung durch die Franzosen fielen zwei mandschurische Wachposten zum Opfer. Die gewaltigen Qing-Truppen, die die Franzosen erwartet hatten, hatten sich angesichts der Übermacht der Alliierten am Nachmittag in den benachbarten Palast Yiheyuan und in Richtung Luguojiao begeben, wo sich auch Wenxiang befand.

4.3 Die britische Kavallerie (Brigade Pattle) östlich des Yuanming yuan Die britische Kavallerie unter Pattle war an diesen Operationen noch nicht beteiligt. Nach Absprache mit Montauban trennte sie sich zunächst von der französischen Infanterie und ritt rechts um die Mauer des Yuanming yuan herum in Richtung Norden, um eventuell flüchtenden Qing-Truppen den Weg abzuschneiden. Dieses Vorhaben war bei der hereinbrechenden Dämmerung nicht ungefährlich: Pattles Brigade hatte zur Linken die Mauern des Sommerpalastes, im Rücken und zur Rechten je ein bevölkerungsreiches Dorf: Wären im Palast einige wehrhafte Wachen oder gar Kavallerie gewesen, hätte es zu einer prekären Situation kommen können.360 Pattle beschloss daher, sich selbst erst am 7. Oktober in den Yuanming yuan zu begeben, und erkundigte sich bei Einheimischen nach einem geeigneten Rastplatz mit Wasserstelle. Obwohl die von diesen zugewiesene Stelle schlecht zu verteidigen war, schlug man dort das Lager auf, weil Swinhoe und Walker in der Nähe eine bewaffnete Reiterschar gesichtet hatten. Pattle verbot, Feuer zu machen, und ließ die Pferde bewachen.

358 Ebd. S. 270. Montauban befürchtete (so ist es dem offiziellen Berichte Blondels zu entnehmen) offenbar Neid und Anfeindungen durch die britischen Kollegen, wenn er den Palast ohne sie beträte. Auch diese Gelegenheit nutzte er, um sich von den britischen und den chinesischen Kollegen abzusetzen, indem er wieder auf die Fairness seiner Handlung hinwies: So sparte er den Yuanming yuan auf, um ihn mit den britischen Soldaten zusammen zu betreten, wenngleich diese, wie im offiziellen Bericht zu lesen ist, sich in Zhangjiawan vier Millionen Stück in Ziegelform gepressten Tee angeeignet hätten. Siehe auch Blondel, Relation de l’Expédition de Chine (1862), S. 149. Angesichts der Tatsachen muss diese Aussage aber als unwaht deklariert werden. 359 Montauban, Souvenirs (1932), S. 310. 360 Swinhoe, Narrative (1861), S. 288.

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Abbildung 11: Buddhistisches Monument im Lamatempel vor Peking, Photographie von Felice Beato © Musée d’Histoire Naturelle de Lille.

Um ein Uhr morgens wurde Pattle vom wachhabenden Offizier geweckt, der ihm einen Eunuchen brachte, der versehentlich ins britische Lager geritten war. Der Eunuch erzählte Swinhoe und Pattle, dass er zur Entourage des Kaisers gehörte und als Wächter zurückgelassen worden war. Der Xianfeng-Kaiser, so erfuhren die Alliierten erst jetzt, hatte den Yuanming yuan samt seiner Entourage in Richtung Rehe verlassen. Sein jüngerer Bruder Prinz Gong hatte noch bis zum Vortag im Palast ausgeharrt, bis die ersten französischen Soldaten den Platz erreichten.

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Abbildung 12: Hauptquartier von Sir Hope Grant und Lord Elgin vor Peking, Photographie von Felice Beato © Musée d’Histoire Naturelle de Lille.

Am Abend, als die Franzosen das Tor zum Yuanming yuan aufbrachen, hätten die Eunuchen noch versucht, den Palast zu verteidigen, wobei zwei getötet worden seien. Er selbst hatte keine Hoffnung für sich gesehen, ein Pony bestiegen, um gleichfalls das Weite zu suchen, und war dabei versehentlich in den Linien der britischen Kavallerie gelandet. Der Rest der Nacht verlief friedlich. Die britische Infanterie unter Sir Hope Grant, die bei Peking ihre Zelte in der Nähe eines Lamatempels und unweit des verlassenen Lagers der Qing-Truppen aufgeschlagen hatte, suchte indessen auch noch am Abend nach der verlorenen französischen Infanterie. Hope Grant wollte 21 Kanonenschüsse abfeuern lassen, um den Alliierten die eigene Position bekannt zu geben, aber Elgin brachte ihn davon ab. Nicht nur hätte das den Truppen der Qing-Regierung, die deutlich in

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Überzahl waren, den Standort angezeigt, sondern es hätte auch in Peking der Eindruck entstehen können, dass die Stadt angegriffen werde. Hope Grant ließ stattdessen Feuer anzünden, die die französischen Truppen auf ihn aufmerksam machen sollten.361 Erst am nächsten Morgen fanden sich die Alliierten wieder, als Hope Grant endlich seine 21 Kanonenschüsse abgeben lassen konnte, die sowohl von der französischen Infanterie vor dem Südtor des Yuanming yuan, als auch von der britischen Kavallerie Pattles vernommen wurde, die vor dem Osttor, etwa zwei Meilen vom französischen Lager entfernt, lagerte.362

4.4 Zwischenfazit: Die verschiedenen Stile der Plünderung Ein Blick auf die verschiedenen Formen der Requirierung und Plünderung, die seit dem 1. August bis zu diesem Zeitpunkt während des gesamten Feldzugs zu identifizieren sind, erläutert die Bedeutung der ersten Plünderung durch die französische Infanterie und die britische Kavallerie. Die am 6. und 7. Oktober einsetzende Plünderung ist durchaus als Fortsetzung einiger Plünderpraktiken zu sehen, deren Muster sich im Verlauf des Feldzuges erkennen lassen. Das im Februar 1860 vertraglich vereinbarte Recht gemeinsamer Prise (Prize) sah vor, dass alle Beute geteilt werden würde. Im August und September war es noch nicht angewendet worden, vielmehr wurden die meisten „Enteignungen“ der Zivilbevölkerung anders begründet, wobei sich deutliche Unterschiede zwischen der französischen und der britischen Armee abzeichneten. Diese Unterschiede wurden von Briten und Franzosen gleichermaßen anerkannt und als Teil spezifischer unterschiedlicher militärischer „Kultur“ akzeptiert. Dies betraf zunächst einmal die Versorgung mit Eigenbedarf für das tägliche Leben. Die französischen Soldaten versorgten sich mit (unausgesprochener) Erlaubnis ihres Kommandanten vom ersten Tag an mit den Lebensmitteln, die ihnen das Land bot. Dies artete in Plünderungen aus, die von den Briten als „ungehörig“ kommentiert wurden. Montauban (als er sich so kritisiert sah) begründete die gegebene Erlaubnis zur Plünderung damit, dass die Briten die französische Armee nicht wie vereinbart an den von Einheimischen erhandelten Waren teilhaben ließen. Dieses Argument blieb während des gesamten Feldzuges bestehen, und der Aussage zahlreicher Briten, dass die Franzosen während des gesamten Feldzuges, auch vor der Plünderung des Sommerpalastes, sehr viel mehr plünderten, wurde nicht widersprochen, wenn auch die Franzosen sich beeilen, immer auf ihre „hervorragenden Manieren“ im Umgang mit der einheimischen Zivilbevölkerung zu verweisen. Von Montauban sind keine Maßnahmen bekannt, mit denen er die Plünderungen seiner Soldaten einzudämmen versuchte. Aus britischen Berichten erfährt man Näheres: Er scheint seinen Soldaten immer während eines eng begrenzten Zeitrahmens das Plündern erlaubt zu haben, um es dann wieder zu ver361 Baron Gros übrigens vernahm diese Kanonenschüsse in seinem Zelt, Gros, Livre Jaune (1864), S. 127. 362 Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 224.

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bieten. In der französischen Armee war also Plünderung zur Aneignung von Nahrungsmitteln nicht verboten, sondern im Rahmen eines reglementierten und zeitlich begrenzten Ausbruchs aus der Disziplin erlaubt. Anders bei den Briten: Besser in der Logistik, besser versorgt mit Pferden und anderweitig aufgetriebenen Lebensmitteln, war bei ihnen das Problem der Nahrungsmittelknappheit während der ersten Tage nicht so drängend. Hope Grant verhinderte zudem mit eiserner Hand Plünderungen: In Erinnerung an die Indian Mutiny ließ er das britische Lager umstellen und verhängte schwerste Strafen, wenn Plünderer erwischt wurden. So gelang es ihm offenbar, seine Truppen im Zaum zu halten. Natürlich ist der Hinweis, dass die Sikhs und die Kuli-Truppen wesentlich skrupelloser als die europäischen Soldaten plünderten, auch zur Entlastung der europäischen Soldaten zu verstehen, aber offenbar ließen sich auch diese bis zu einem gewissen Grade disziplinieren. Hope Grant verwendete hierzu vor allem das Prinzip der Abschreckung, denn er ließ Reiter vor den Soldaten auf- und abreiten, die ihnen die „Katze“ (eine neunschwänzige Peitsche) zeigten und somit auf die schwere Prügelstrafe hinwies, die ihnen blühte, wenn sie widerrechtlich plünderten. Versorgt wurde die Armee durch geregelten Handel mit den Einheimischen. Ob dieser immer zum Vorteil der Einheimischen war oder nicht doch den Charakter von bezahlter Zwangsrequisition hatte, lässt sich anhand der Quellen nicht feststellen. Es ist damit zu rechnen, dass in den Quellen nur Beispiele zitiert werden, die das Funktionieren dieser beiden unterschiedlichen Systeme belegen, denn es werden weitere Plündervorfälle geschildert, die sich keinem der eben geschilderten Muster zuordnen lassen. So muss davon ausgegangen werden, dass es im Namen der Truppendisziplin manchmal einfach nicht opportun war, einzugreifen oder jeden Plünderungsvorfall schwer zu bestrafen. Die beiden oben erwähnten Formen von Plünderung bezogen sich im Wesentlichen auf die Plünderungen von Privatbesitz (engl. loot, frz. pillage) und die Requirierungen und Inbesitznahme von Transport- und Lebensmitteln, die zum unmittelbaren Gebrauch bestimmt waren. Weniger Plündergut als vielmehr Kriegsbeute (engl. prize, franz. prise) waren Waffen, Munition sowie Insignien kaiserlicher Macht. Diese wurden jeweils von den Kommandierenden beschlagnahmt, sowohl in Beitang, Dagu, Xinhe, Tanggu als auch vor allem nach der Schlacht bei Baliqiao und waren für die allgemeinen Soldaten tabu. Als Prize galten auch die Gegenstände, Nahrungsmittel, Ausrüstungen, die die Alliierten fanden, wenn sie in ein verlassenes Lager des feindlichen Heeres einrückten, und derer sie sich ungehindert bemächtigen konnten. In der ersten Phase des Feldzuges wurde, trotz der Plünderungen, noch auf ein gutes Verhältnis zur einheimischen Zivilbevölkerung geachtet. Mitte September änderten sich die Gegebenheiten, als die Qing-Regierung nach den geplatzten Verhandlungen in Tianjin und dem Marsch der Alliierten nach Peking der Bevölkerung verbot, mit den Alliierten Handel zu treiben. Hope Grant und Montauban hatten nicht damit gerechnet, nach Peking marschieren zu müssen, so dass recht viel improvisiert wurde, was Transport und Verpflegung betraf. Auch wenn Hope Grant weiterhin bestrebt war, die Disziplin seiner Trup-

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pen aufrechtzuerhalten: Organisierte Plünderungen und Zwangsrequisitionen wurden schärfer, und insbesondere die chinesischen Kulis scheinen vermehrt geplündert zu haben. Ab Mitte September wurden Plünderung und Verwüstung auch gezielt als Druck- und Vergeltungsmittel angewendet, so etwa in Zhangjiawan, das als Revanche für die Entführung der britischen und französischen Delegationen auf den Befehl Hope Grants hin verwüstet wurde. Dabei bemächtigten sich die britischen Soldaten auch einer großen Menge an Tee, die eigentlich Prize war, und mit den französischen Truppen hätte geteilt werden müssen. Dies kam aber erst später heraus, als es um die Frage ging, wer mehr und wer weniger geplündert hatte. In diesem Fall wurde zum ersten Mal so Prise gemacht, wie es auch in der Gesetzgebung geregelt war, und es kann angenommen werden, dass Hope Grant den Tee auch als Beute, mit der ein Teil der Kriegskosten gedeckt werden sollte, requirieren ließ. Die Plünderung des Sommerpalastes ist im Kontext der vorangegangenen Plünderungen zu verstehen, wobei es einen entscheidenden Unterschied gibt: Plünderungen und Zwangsrequisitionen zum Zwecke der Aneignung von Lebensund Transportmitteln waren völkerrechtlich legal. Der Raub von Kunstgegenständen wurde aber in Europa seit den Napoleonischen Feldzügen, nach denen ein großer Teil der Kunstschätze, die Napoleon nach Frankreich gebracht hatte, wieder restituiert werden musste, kritisch betrachtet. Die erste Plünderung des Sommerpalastes vom 7. bis zum 9. Oktober 1860 war kein kühl kalkulierter Akt zur Brechung der Macht der Qing, wie es dann die Verbrennung am 18. und 19. Oktober war. Es handelte sich hier vielmehr um einen „Unfall“, der später von Montauban heftig abgestritten wurde, sich aber nahtlos in das Plünderverhalten der französischen Soldaten (und sicherlich auch der britischen, wenn man davon ausgeht, dass nicht alle Fälle von Plünderung bekannt wurden) einfügt. Nicht zum politischen Akt stilisiert, stellt er eine Eskalation dar, die aber mit Verweisen auf Plünderpraktiken in anderen Kriegen gerechtfertigt werden konnte. Die unterschiedlichen Verhaltensweisen von Montauban und Hope Grant im Umgang mit Plünderung setzten sich im Falle der ersten Plünderung des Yuanming yuan fort.

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5 DIE ERSTE PLÜNDERUNG DES YUANMING YUAN, 7. BIS 9. OKTOBER363 5.1 Montauban und seine Offiziere im Yuanming yuan Um 8 Uhr am Morgen des 7. Oktober 1860 standen Montauban mit seinem Generalstab, den Generälen Jamin, Collineau und Colonel Schmitz vor dem Yuanming yuan, den Montauban während der Nacht hatte bewachen lassen.364 Pattle und Fowley waren, als sie die 21 Kanonenschüsse vernommen hatten, in Richtung des englischen Lagers bei Peking geritten, hatten Hope Grant und Elgin Bericht erstattet und waren in Begleitung des gefangenen Eunuchen zum Yuanming yuan, ins französische Lager zurückgekehrt. Weil Hope Grant erst später am Tag eintreffen sollte, begleiteten Pattle und Fowley als Repräsentanten der Königin von England und Vertreter Hope Grants Montauban bei der ersten Inspektion des Yuanming yuan, als britische Zeugen der „Schätze und Reichtümer“, die man in dem Palast zu finden hoffte.365 Die Bewachung war nutzlos gewesen, denn mehrere Augenzeugen berichten, dass zu diesem Zeitpunkt bereits heftig geplündert und verwüstet worden war.366 Montauban allerdings verhielt sich so, als bemerke er nichts. Bevor er den Palast betrat, ermahnte er die ihn begleitenden Offiziere unter Hinweis auf ihre Ehre, den Sommerpalast bis zur Ankunft von Elgin und Grant unangetastet zu lassen.367 Von dieser Begehung stammen die ersten Augenzeugenberichte diverser französischer Offiziere, die sich bereits eingehend mit Einrichtung und Ausstattung des Palastes befassen. Sie betraten den Komplex über einen Platz, der mit Steinfliesen belegt und von zwei Bronzelöwen flankiert war.368 An 363 In der offiziellen Korrespondenz kommen die Ereignisse des 7. und 8. Oktober kaum vor, vielmehr werden sie ausführlich in den Lebenserinnerungen der einzelnen Teilnehmer besprochen. So berichtet John Hay am 8. Oktober an Admiral Hope, dass der Kaiser geflohen sei, die wertvollen Gegenstände im Yuanming yuan als Preisgeld innerhalb der Armeen aufgeteilt würden, zudem dass die Stadtmauern Pekings in sehr gutem Zustand seien, dass aber nicht daran zu denken sei, dass der Kanal bis Peking für eine eventuell Versorgung mit Lebensmitteln genutzt werden könne. Die Truppen seien sehr gut mit Fleisch versorgt, aber die Gegend sei sehr unsicher. Tongzhou, 8. Oktober, Hay an Hope, in: FO 405/5, S. 261. 364 Varin, Expédition (1862), S. 232. 365 Von britischer Seite aus war Wolseley geschickt worden, um die französische Armee zu suchen. Offenbar waren sich die beiden Offiziere in der Mitte begegnet. Swinhoe berichtet über den ersten Besuch im Sommerpalast Swinhoe, Narrative (1861), S. 295. 366 Siehe auch Bourgerie/Lesouf, Le sac du palais d’éte (1995), S. 116, die zu einem ähnlichen Ergebnis kommen. 367 Lucy, Lettres intimes (1862), S. 104. Tatsächlich muss allerdings der Palast schon sehr stark geplündert worden sein. Die Beharrlichkeit, mit der General de Montauban in seinem Bericht darauf besteht, dass der Palast nicht schon Opfer von Verwüstungen war, erscheint unglaubwürdig. Auch wenn er seine Offiziere darauf einschwor, nichts zu plündern: Selbst französische Berichterstatter berichten, dass zu dem Zeitpunkt, als der General de Montauban den Palast betrat, schon heftige Verwüstungen stattgefunden hatten. Die Berichte des britischen Generalkommandanten und der britischen Soldaten bestätigen dies. 368 Diese Löwen waren nicht etwa aus Bronze, sondern aus Gold. So berichtet Wolseley: „As they were of a bronze colour, no one took the trouble of ascertaining the nature of the metal

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den tags zuvor getöteten beiden Eunuchen, die immer noch dort lagen, gingen sie vorbei und stiegen eine große Marmortreppe hinauf, um einen großen Saal zu

Abbildung 13: Der Sommerpalast Yuanming yuan vor der Verbrennung am 18. Oktober 1860, die Porzellanpagode, Photographie von Felice Beato © Musée d’Histoire Naturelle de Lille.

betreten, an dessen Rückwand sich ein kunstvoll gearbeiteter Thron aus schwarzem Holz befand.369 Eingerahmt war er von riesigen Emaillevasen und Räucherfässern, auf denen verschiedenste Figuren eingraviert waren. An der linken Wand des Thronsaales befanden sich die großen, in der Qianlong-Ära auf Seide gemal-

of which they were composed […]. Some months afterwards, when at Shanghai, some Chinamen asked a friend of mine residing there, whether we had removed the golden lions from the gates of Yuen-ming-yuen;[…]he described them accurately as being painted a bronze colour[…] the fact of their being gold was well known to all the nation”, in: Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 231. 369 Varin, Expédition (1862), S. 233. Der folgende Bericht ist fast wörtlich dem Bericht Varins entnommen, der als Colonel Dupin zum Generalstab gehörte und daher Montauban auf dieser ersten Erkundung des Yuanming yuan begleitete. Später wurde eine Stele gefunden, die an den Tod der Wachen erinnerte. Zeng Zhaofen: Yuanming yuan shoujun yingyong kangji qinlue jun de lishi jianzheng (1985), S. 134 und 135.

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ten vierzig Ansichten des Yuanming yuan.370 Der ganze Saal sei mit Vasen, Étagèren, Cloisonnés und Emaillen „von großer Schönheit und Raffinesse“ ausgestattet gewesen, und die Offiziere staunten über die „Alben“, die Zeichnungen enthielten, die mit größter Sorgfalt und Akkuratesse ausgeführt waren, und einer Geduld, „die nur die Chinesen aufzubringen vermögen.“371 Von herumliegenden Büchern vermuteten die Offiziere, dass sie vom Kaiser selbst beschrieben und in wertvoll gearbeitete Lackkistchen eingeschlossen worden waren.372 Wegen der reichen Verzierungen und dem Schmuck dieses Thron-

Abbildung 14: Der große Porzellanpalast im Yuanming yuan, Peking 1860, Photographie von Felice Beato. National Gallery of Australia, Canberra.

saales nahm Colonel Dupin an, dass dies der Ort war, an dem der „Souverän von Millionen von Menschen, umgeben von seinen hohen Würdenträgern, die alle in 370 Diese werden auch von Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 234 beschrieben. Sie befinden sich heute im Musée Guimet in Paris, wohin sie vermutlich von Colonel Dupin verbracht worden sind. 371 Varin, Expédition (1862), S. 234. 372 Ebd. Wolseley, der kurze Zeit später den Thronsaal betrat, beschreibt diesen Anblick: „Piled up in one place were all the imperial decrees published during the past year, and large quantities of the Chinese classics were arranged so as to be at hand, in case any immediate reference might be required to them. All these werde beautifully printed and many had autograph remarks upon the margin, made by the Emperor.” Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 235.

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goldbestickten, edelsteinfunkelnden Seidengewändern gekleidet gewesen sein müssen, die Grüße der Botschafter aus fernen Ländern, die vor ihnen auf dem Boden lagen, entgegennahm.“ In kurzer Entfernung fand sich hinter dem Gebäude ein kleinerer Saal, der gleichfalls einen Thron beherbergte, nicht ganz so groß, aber etwas eleganter, und der zweifelsohne für weniger festliche Angelegenheiten benutzt wurde. Unter dem gleichen Dach waren Wohnquartiere, die viele Objekte aus Gold und Silber und Edelsteinen enthielten, zudem Waffen aus Damaszener Stahl, Becher aus weißer und grüner Jade, goldene und silberne Schreine, die mit Türkisen und Perlen eingelegt waren, und die „Heiligenbilder“ (von den französischen Offizieren wohl offenbar in Ermangelung eines Fachbegriffes so benannt) aus schierem Gold enthielten. Die französischen Offiziere setzten ihren Rundgang im Garten fort und kamen an einem künstlichen See vorbei, der von künstlichen Felsen und Bergen umgeben und von einer besandeten Straße umsäumt war. Über den Kanal, der den See speiste, führte eine Brücke, über die die Offiziere in einen weiteren Palast gelangten. Auch dort gab es einen kleineren Thronsaal, von dem die Offiziere annahmen, dass sich der Kaiser an diesen Ort mit seinen Vertrauten und Freunden zurückzuziehen pflegte. Dahinter folgten Wohnräume in allen Größen und Formen. Rechterhand war das Pelzmagazin, gegenüber die Gemächer des Kaisers und auf der linken Seite, so vermuteten sie, die der Kaiserin.373 Montauban gestattete jedem seiner Offiziere, ein „Souvenir”, wie es in den Quellen genannt wird, mit zu nehmen. Diese sich in französischer Feder so bescheiden ausnehmende „Gestatten eines Souvenirs“ wird von Swinhoe, der im Gefolge des Brigadiers Pattle bei der ersten Begehung dabei war, ganz anderes beschrieben: The greater part of the curiosities lay about these rooms, and we proceeded to examine them as we would the curiosities of a museum, when, to our astonishment, the French officers commenced to arracher everything they took a fancy to. Gold watches and small valuables were whipped up by these gentlemen with amazing velocity, and as speedily disappeared into their capacious pockets.374

Nach dieser Begehung wussten die Franzosen um das Ausmaß der potentiellen Beute und der im Yuanming yuan lagernden Schätze. Montauban wies die Offiziere Schelcher und de Brevis an, alles so lange zu bewachen, bis Hope Grant eintraf.375

373 Colonel Dupin konnte sich gar nicht fassen und schrieb: „Il faut renoncer à decrire ce que contenaient ces appartements. Les mots manquent pour en peindre les richesses matérielles et artistiques. Ce qu’on avait vu jusque-là n’était qu’un misérable échantillon du spectacle qui s’offrit alors. C’était une vision des Mille et une nuits, une féerie tell, qu’une imagination en délire ne saurait en rêver de comparable à la palpable vérité qu’on avait devant soi.“ Varin, Expédition (1862), S. 235. 374 Swinhoe, Narrative (1861), S. 298. 375 „Chez les Anglais le plus grand ordre règne pour l’enlèvement des prises: celles-ci sont emportées par de corvées commandée par des officiers, déposées en lieu sur et vendues à l’encan, pour le produit en être partagé entre tous les capteurs“, Montauban, Souvenirs (1932), S. 311.

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5.2 Elgin und Hope Grant im Yuanming yuan, 7.Oktober: Prize und Prise für Victoria und Napoleon III. Um 11 Uhr trafen Hope Grant und Elgin ein. Sie passierten das Tor zum Yuanming yuan und stellten bei ihrer Suche nach den französischen Offizieren fest, dass bereits erste Plünderungen vorgekommen waren und unter ihren Augen weiter vor sich gingen.376 Sie nahmen an, dass es sich nur um französische Soldaten gehandelt habe, die plünderten. Wahrscheinlicher aber ist, dass sich auch einige Soldaten der britischen Kavalleriebrigade im Palast befanden. Der Aussage von Colonel Dupin zufolge konnten die britischen Offiziere der Brigade Pattle schon während dieses ersten Besuches nicht an sich halten und begannen, noch bevor Elgin und Hope Grant den Yuanming yuan erreichten, mit der Aktion, die später als „Umzug“ bekannt werden sollte.377 Zwar hätte die Präsenz der Generäle sie noch zurückgehalten, und ernsthaftere Zerstörungen und Plünderungen begannen erst später, aber das „Eis“ war offenbar schon am frühen Morgen „gebrochen.“378 Elgin und Hope Grant ritten weiter zu Montauban. Auf dem Weg dorthin fielen ihnen in einer „Thronhalle“ die zahlreichen Geschenke auf, die 1793 mit der Macartney-Mission an den Hof des Qianlong-Kaisers gekommen waren, außerdem entdeckten sie in unmittelbarer Nähe Woolwich-Kanonen.379 Sie trafen Montauban in einem Gebäude, in dem er die wertvollsten Gegenstände versammelt hatte, die unter dem Generalstab des alliierten Heeres aufgeteilt werden sollten.380 Elgin begrüßte Montauban, die Plünderung beklagend und sich dahingehend äußernd, dass er gerne viele Dinge aus diesem Palast besäße, aber kein Dieb sei. 381 Montauban beharrte aber auch darauf, dass er alles getan habe, um eine Plünderung zu verhindern, obgleich das Gegenteil zutraf. Hope Grant und Montauban entschieden, dass entsprechend der Konvention über gemeinsam gemachte Beute, die am 22. Februar 1860 in Paris für die Chinaexpedition verabschiedet worden war, die Beute zwischen den beiden Armeen 376 Wolseley bestätigt dies und ist der Auffassung, dass die französischen Soldaten 20 Stunden länger Zeit gehabt hatten, den Palast zu plündern, auch wenn Montauban Truppen zum Schutz des Palastes hatte aufstellen lassen. Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 224. In den Erinnerungen an Hope Grant, die 1875 kurz nach seinem Tode von Henry Knollys herausgegeben worden waren befindet sich an dieser Stelle eine Lücke, die gekennzeichnet ist durch Punkte, die über die halbe Seite hinweggehen. Siehe Knollys, Incidents (1875), S. 128. 377 Lucy, Lettres intimes (1862), S. 96. 378 Am wahrscheinlichsten ist, dass am Abend die französische Infanterie begonnen hatte, den Palast zu erkunden und zu plündern, und am Morgen Soldaten der britischen Kavalleriebrigade. 379 Hope Grant sandte diese später wieder zurück nach Woolwich, wo sie heute in einem Museum besichtigt werden können. 380 Knollys, Incidents (1875), S. 129 381 Swinhoe, Narrative (1861), S. 300 Ein französischer (namentlich nicht genannter) Offizier sagte angesichts der bereits stattfindenen Plünderung offenbar zu Swinhoe: „It places us quite in a false position. The General says you must not loot and yet he allows it to take place before his own eyes.“

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geteilt werden sollte.382 Dazu wurde eine sechsköpfige Kommision aus je einem Colonel und zwei weiteren Offizieren für jedes Heer bestimmt. Die von General Jamin geleitete Kommission sollte auswählen, welche Objekte und Gegenstände würdige Geschenke für Queen Victoria und Napoleon III. seien. Die französische Kommission bestand aus dem Lieutnant Colonel Dupin, Foerster und de Cools. Die britischen Kommissäre durften zuerst wählen.383. Zu den „Souvenirs“ für Napoleon III. und Victoria gehörten zwei „Jadezepter“ von ca. vierzig Zentimetern Länge, die an den Enden mit Gold überzogen und mit sehr großen Edelsteinen verziert und handwerklich sehr gut gearbeitet waren; eine vollständige kaiserliche Robe bestehend aus mehreren Schichten (ein Unterkleid aus Seide, dann ein schweres Kettenhemd, und schließlich ein Überkleid aus gelber Seide, über und über mit Stickerein verziert); eine „Bronzepagode“, große Cloisonné-Vasen, die in einem Tempel gefunden wurden, der nicht weit vom Hauptpalast war; zwei „Fabeltiere“ aus vergoldetem Kupfer, jeweils 400 kg schwer, zudem Ringe, Halsbänder, Becher, Lackarbeiten, Porzellangegenstände und tausend andere Kuriositäten.384 Nachdem diese wertvollen Gegenstände „sichergestellt“ waren, wurde den begleitenden Soldaten von ihren vorgesetzten Offizieren erlaubt, den Yuanming yuan zu „besichtigen“385 In einem offiziellen Bericht ist davon die Rede, dass angesichts der Masse nur sehr wenige Dinge „konfisziert“ werden konnten, da die Möglichkeiten des Rücktransports sehr begrenzt waren.386 Eindeutig ist bei dieser Aufteilung von Prize festzustellen, dass Montauban sie als „rechtmäßig“ annimmt und als Teil des Feldzuges begreift. Hope Grant und Elgin indes widmen der Angelegenheit nur einen kurzen Absatz: Die Bereicherung mit persönlichen Gegenständen des Kaisers scheint sie peinlich berührt zu haben und war zudem nicht im Sinne von Queen Victoria (die sich später im Übrigen nie um dieses Plündergut kümmerte, anders als Napoleon III. und Eugénie, die es in einer großen Ausstellung zeigten).

382 Der Text dieser Konvention siehe: Paris, 22. February 1860, France: Convention of Joint Captures in China, in: FO 93/33/69. 383 Dies, so erklärte Montauban, war ein „Akt der Galanterie“ der Königin von England gegenüber. Montauban, Souvenirs (1932), S. 311. 384 Mutrécy, Campagne de Chine (1862), S. 26. 385 Hope Grant war der Auffassung, General de Montauban habe sehr viel geplündert. Kéroulée widerspricht: Ein Einziger, nämlich der General de Montauban, habe nichts geplündert, Kéroulée, Un voyage à Pékin (1861), S.140, d’Hérisson, Journal d’un interprète (1886), S. 325. Diese Auffassung aber steht im Widerspruch zu einem Prozess, der Montauban 1872 gemacht wurde. Zweifelsohne war dieser Prozess politisch motiviert, aber Montauban wurde unter anderem angeklagt, sich 1860 zu sehr bereichert zu haben. Montauban machte extra darauf aufmerksam, dass er sich aber mit der Teilung der Beute gegenüber seinen Alliierten fairer verhielt, als diese sich ihm gegenüber verhalten hätten. Er nahm Bezug auf einen großen Anteil an Tee, der einige Tage zuvor in Zhangjiawan gefunden worden waren, und bei dessen Beutenahme die Briten es nicht für nötig gehalten hatten, die Franzosen zu beteiligen. Varin, Expédition (1862), S. 238. 386 6. Oktober, Bericht des Generalstabs, in: MD, SHAT, 5G4, Dossier 3.

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Trotz dieser persönlichen Abneigung gegen Plünderung ärgerte sich Elgin, dass die „Kriegsbeute“, als die er letztendlich die Kunstgegenstände des Yuanming yuan betrachtete, nicht ordentlich verzeichnet und katalogisiert worden sei, und beklagte außerdem, dass ohne Sachverstand geplündert worden sei: […] plundering and devastating a place like this is bad enough, but what is much worse ist the waste and breakage. Out of 1.000000 Pound worth of property, I daresay 50.000 will not be realised. French soldiers were destroying in every way the most beautiful silks breaking the jade ornaments and porcelains etc.[…] War is a hateful business. The more one sees of it, the more one detests it.387

Hope Grant berichtet weiter, dass er in einem Stall in der Nähe elf Pferde aus Fanes Regiment fand, zwei aus Probyn’s und eines der King’s Dragoon Guards.388 Am Nachmittag des 7. Oktober kehrte er zu seinem Lager in der Nähe Pekings zurück. Die britischen Soldaten, die ihr Lager vor den Toren Pekings hatten, gesellten sich am selben Tag zu den französischen, nachdem Hope Grant der Plünderung offenbar nichts mehr entgegenzusetzen hatte.389 In den offiziellen Berichten nach Europa an die jeweiligen Minister werden diese Plünderungen der Soldaten nicht berücksichtigt. Erwähnt wird nur der Fund von Goldbarren am 8. Oktober, die gleichfalls aufgeteilt wurden; berichtet wird auch von der Auktion der Beute, die Hope Grant am 10. und 11. Oktober veranstalten ließ. Es scheint, als sei im Nachhinein die Plünderung am 7. und 8. Oktober den Beteiligten peinlich gewesen, und es wurden Anstalten getroffen, sie zu vertuschen. So fehlt nicht nur im von Knollys herausgegebenen Bericht von Hope Grant die Schilderung der betreffenden Ereignisse. Als weiteres Beispiel sei das Feldtagebuch von Peter Lumsden genannt, der später noch eine militärische Karriere machte: Die 10 Seiten, auf der chronologisch die Schilderung der Plünderung vermutet werden kann, sind herausgeschnitten.390

5.3 Die Beschreibung des Yuanming yuan und seiner Schätze in britischen und französischen Berichten Die Beschreibung von Neuem oder nie Gesehenem muss meist mit Topoi oder Wendungen geschehen, die bereits aus ähnlichen Kontexten bekannt sind. Dies war bei der Plünderung des Yuanming yuan nicht anders, und so fällt auf, dass das im Yuanming yuan neu Vorgefundene und zugleich auch die Plünderung als solche mit Begriffen beschrieben werden, die sich die Soldaten anderweitig angeeig-

387 Walrond, Letters of Elgin (1872), S. 361. 388 Knollys, Incidents (1875), S. 130. 389 Swinhoe, Narrative (1861), S. 305: „On Sunday the 7th, every one that could get permission to leave the camp rapaired to the Summer Palace, as the General now made no objection to Looting.” 390 NAM, Lumsden, Sir Peter, Notebook D.Q.M.G. to 2nd Division of China: Expedition under Sir Robert Napier, 1860.

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net hatten, und zwar in jeweils spezifischen kolonialen oder imperialen Erfahrungen eigener oder fremder Weltgegenden. So finden sich in den französischen und englischen Berichten Vergleiche mit Versailles und dem Buckingham Palace; und in den französischen Berichten vor allem Vergleiche mit der arabischen Welt: „Splendide image de moeurs de l’extrème orient“, mit diesen Worten wird sogar im offiziellen Bericht über den Krieg, der für den Kriegsminister verfasst wurde, der Palast beschrieben.391 „C’était la réalité d’un palais des Mille et une nuits que nous avions sous les yeux; c’était de rève éblouissant d’un homme éveillé qui ne savait comment fixer ses impressions“ – so die Schilderung Castanos, der insbesondere einer Beschreibung der Bibliothek viel Zeit widmet und bedauert, dass es nicht möglich sei, auch nur den geringsten Teil der Schätze nach Hause zu transportieren.392 Montauban beginnt seinen Bericht, den er an den Marschall Randon schickt, wie folgt: „Il me serait impossible, monsieur le maréchal, de vous dire la magnificence de ces constructions nombreuses, qui se succèrent sur une étendue de quatre lieues, et qu’on appelle le palais d’été de l’empereur.“393 Die Schätze werden als europäische „Neuentdeckung“ gefeiert: „Jusqu’alors aucun Europeen n’avait franchi le seuil de Yuen-min-yuen, dont aucune habitation princière de l’Europe peut donner une idée.“394 Obwohl sich die britischen und französischen Berichte sehr ähneln, sind die französischen ausführlicher. Besonders deutlich wird dies in den Schilderungen des Colonel Dupin. Erhöht wird die Erlebniswirkung des geheimnisvoll Orientalischen in seinem Bericht dadurch, dass er in der dritten Person schreibt: Un officier, débouchant d’un couloir sombre dans un enfoncement plus sombre encore, et perdu dans ces ténèbres, recourut à la fugitive lumière d’une allumette chimique pour se retrouver. Il était dans une salle, qu’en instant il inonda de clarté, grâce aux nombreux candélabres chargés de bougies dont ell était ornée. Alors surgit à ses yeux le plus splendide des spectacles! A gauche et à droite de cette salle, s’élevaient deux autels merveilleusement parés, sur lesquels et près desquels étaient des brûle-parfums, des chandeliers et des vases en or massifs, ciselés et inscrustés de perles et de pierres précieuses. Au centre d’un de ces autels, il y avait une petite châsse en or, ornée de turquoises que l’antiquité avait verdies, en renfermant une idole de pierre noire, surmontée d’une tête d’animal, loup ou renard. La châsse portait quatre inscripitions enlangues chinoise, mongole, mantchoue et thibétaine, indiquant qu’elle avait été offerte, par un grand chef militaire, à quelque empereur mort depuis quelque 391 Blondel, Relation de l’Expédition de Chine (1862), S. 149 Siehe hier z.B. auch Kéroulée, Un voyage a Pékin (1861), S. 138 und insbesondere Fauchery, der einen Bericht darüber im Moniteur schreibt, zitiert in: Roy, La Chine et la Cochinchine (1862), S. 126. Lavollée, L’Expédition de 1860 (1900), S. 384 hingegen schließt sich dem „Taumel“ nicht an und schreibt: „Nous laisserons d’amateurs d’antiquités et des chinoiseries le soin d’admirer les merveilles accumulées dans ce palais[…]“, d’Hérisson, Journal d’un interprète (1886), S. 307. Stephenson, At home and on the battlefield (1915), S. 272: „Fancy having the run of Buckingham Palace and being allowed to take away anything you like […].“ 392 Castano, L’Expédition de Chine (1864), S. 158, aber auch Lavollée, L’Expédition de 1860 (1900), S. 384. Negroni gar beschreibt gar eine nächtliche Begegnung mit einer Prinzessin Negroni, Souvenirs de Campagne en Chine (1864), S. 48. 393 12.Oktober 1860, Montauban an Randon, in: MD, SHAT, 5G1, Dossier 2. 394 Expédition de Chine, in: MD, SHAT, Série M, M 883, S. 114.

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Kapitel III: Der Chinafeldzug von 1860 mille ans. A gauche et à droite de la châsse, étincelaient de pierreries deux crânes humains montés en forme de coupes. Léclat de l’illumination attira bientôt du monde dans la salle, qui devint ce que devenaient à cette heure toutes choses dans le palais de l’empereur de Chine. C’etait sa chapelle particulière.395

Ähnliche Beschreibungen finden sich bei Negroni: „Dans les salons, on voyait des lambris d’ivoire, des candélabres en cristal de roche, étincelants de lumières, des meubles d’un faste inouï, de toute forme et de toute matière.“396 Kennzeichnend ist hier eine Vermischung dessen, was er sieht und wahrnimmt, mit seiner eigenen phantasievollen Vorstellung, aber auch mit seiner eigenen Kenntnis- und Erlebniswelt, wobei er Elemente einer orientalischen Welt mit Paris vergleicht und vermischt. Am Nachmittag des 8. Oktober unternahm Dupin zusammen mit Montauban auf dem Gebiet des Sommerpalastes einen Ausritt. Da er die Schilderung dieses Ausrittes dazu verwendet, den Sommerpalast mit der Absicht zu beschreiben „pour terminer l’aperçu du palais d’été, avant que l’incendie n’en fasse plus qu’un souvenir[…]“ werden hier auch die äußeren Anlagen geschildert.397 Hinter dem Palast erstreckte sich ein See, der von drei Gebäuden gesäumt war. Das Gebäude zur Rechten enthielt neben beschriebenen Dokumenten Flaschen mit chinesischer Tinte, einige künstlerische Wertgegenstände, und sehr wertvolle Stoffe. Es gab ein Labyrinth, das aus Seen und kleinen Bergen geformt war, von kleineren Palästen durchzogen, die offenbar zu Lagerhäusern umfunktioniert worden waren. Vermutlich lag es in unmittelbarer Nähe der um die Mitte des 18. Jahrhunderts erbauten Rokokopaläste, von denen zumindest ein Innenraum beschrieben wird: Dans un de ces palais, bâti dans le style Louis XV, on voyait une série de chambres revêtues de tapis des Gobelins aux armes de France, et aux murs desquelles ètaient suspendus des portraits en pied de beautés de la cour de France, avec leur noms au bas.398

Tapete und Bilder waren aber offenbar in einem schlechten Zustand und schon lange nicht mehr in Gebrauch. Etwas weiter entfernt, so fährt Varin in seinem Bericht fort, stand eine große Pagode (mit Pagode bezeichneten die französischen Soldaten offensichtlich eine ganze Tempelanlage und nicht nur den Turm), deren Mauern acht Meter hoch waren, und deren Grundriss 800 Meter lang und 500 Meter breit war. Darin befand sich eine Anzahl kleinerer Tempel, die ihrerseits die größten Reichtümer beherbergten. In einem dieser Tempel fanden die französischen Soldaten eine großartige „Ritterrüstung“, deren Helm mit einer Perle so groß wie ein Taubenei verziert war. Diese „Ritterrüstung“ nahm Dupin mit und

395 Varin, Expédition (1862), S. 238ff. 396 Negroni, Souvenirs de Campagne en Chine (1864), S. 52. 397 Varin, Expédition (1862), S. 240. Aus seinen Schilderungen kann man auch entnehmen, dass der Zhangjunyuan in Mitleidenschaft gezogen worden war. Diese Passage ist außerdem ein Hinweis darauf, dass Colonel Dupin seine Erinnerungen erst später niedergeschrieben hat, und nicht unter dem unmittelbaren Eindruck. 398 Ebd. S. 241. Siehe auch Lucy, Lettres intimes (1862), S. 108.

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sie wurde Kaiser Napoleon III. zum Geschenk gemacht.399 Die Mauer der Pagode war unterteilt in eine große Anzahl kleiner Nischen, die mit sechs- bis siebentausend kleinen vergoldeten Bronzestatuen ausgestattet waren. Vor der Pagode erhob sich ein Palast, der fast so weitläufig wie die Pagode war, aber als Magazin diente und Seidenstoffe enthielt, Lederkleider und Satin, der mit Gold ausgekleidet war und Drachenembleme trug.

Abbildung 15: Der kaiserliche Sommerpalast vor der Verbrennung, Yuanming yuan, Photographie von Felice Beato. National Gallery of Australia, Canberra.

Danach kam man an einen See: „[…] entourant de ses eaux limpides le palais des concubines de l’empereur. Tout ce que la fantaisie et la délicatesse féminines peuvent rêver de plus rare, de plus précieux, et même de plus extravagant, s’y trouvait réuni.“400 Was Dupin sah, übertraf an Größe alles, was er bislang kannte, Seen, Berge, Paläste und Pagoden erstreckten sich auf einer unübersehbar großen Fläche. Eine Erkundung der Insel ergab zudem, dass dort eine große Anzahl von Flaschen mit

399 Sie kann heute im Militärmuseum in Paris besichtigt werden. Die Perle in Größe eines Taubeneis, die am Kopfschmuck angebracht war, ging unterwegs verloren. 400 Varin, Expédition (1862), S. 242.

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Bordeauxwein lagerte, die aber in der Nacht zum 8. Oktober zerstört worden waren.401 Auch von Montauban selbst gibt es ausführliche Berichte und Schilderungen, denen deutlich anzumerken ist, wie er versucht, das fremdartige Neue in eigenen Worten zu beschreiben. Er entfernte sich an diesem Nachmittag des 8. Oktober recht weit vom Lager der französischen Armee, das immer noch vor den Toren des Yuanming yuan lag. Dort fand er einige große Tempel. Eine von ihnen, aus weißem Marmor und auf einem kleinen Hügel, erhob sich so hoch „wie das Pantheon in Paris“ und barg unter seinem Dach eine riesige Statue, die das Haupt einer Frau mit einem griechischen Profil hatte und von deren Torso neun Arme abgingen. Aus jedem einzelnen dieser neun Arme sprossen wiederum neun Arme, so dass ein großer Fächer geformt wurde. Eine Treppe von drei Etagen, die in begehbare, mit „Urnen“ geschmückten Galerien mündete, war so gebaut, dass es schien, als unterteilte sie den Körper der Statue in drei Teile. Die Urnen aus rotem Peking-Lack waren mit einer dicken Staubschicht versehen und befanden sich in einem Zustand der Zersetzung. Zwischen den Säulen, die das gewaltige Dach trugen, das die Statue schützte, standen Bronzestatuen, die vier oder fünf Meter hoch waren, sich aber wie Pygmäen neben der riesigen Statue der Hauptgottheit ausnahmen. Es muss sich um einen buddhistischen Tempel, und bei der Statue um eine 1000-armige Guangyin gehandelt haben, der aber zum Zeitpunkt, als Montauban und Varin ihn besichtigten, nicht mehr genutzt wurde: „L’herbe pôussait dans les cours; entre leurs murs, habités jadis par les légions de religieux, sur leur toits en tuiles jaunies et dorées par le soleil, on n’apercevait plus que des milliers de pigeons, leurs seuls hôtes depuis des siècles.“ 402 Während also die französischen Berichte sich ziemlich detailgenau über die Schätze des Yuanming yuan auslassen, das Gesehene dabei selbst ausschmücken und in einen orientalisierenden Kontext stellen, um die Größe des Gesehenen adäquat wiederzugeben, fallen britische Urteile etwas nüchterner aus. Plündereien waren den britischen Zeitgenossen verboten, oder sie kannten China schon gut genug: Nur wenige äußern sich so emotional wie die französischen Soldaten. Elgin und Hope Grant konnten durchaus den Wert der Anlage ermessen, aber zum Beispiel der Offizier Wolseley, der im Gefolge von Hope Grant und Elgin den Yuanming yuan betrat, befand: Everything upon which the eye could rest was pretty and well designed, each little object being a gem of its kind, but there was nothing imposing in the tout ensemble. Chinese architecture can never be so; to produce such an effect is seemingly never attempted by the architects of that country. Both in landscape garden and building, the Chinaman looses sight of grand or imposing effects, in his endeavours to load everything with ornament; he forgets the fine in his search after the curious. In their thirst after decoration, and in their inherent love for minute embellishment, the artists and architects of China have failed to produce any great

401 Montauban, Souvenirs (1932), S. 312. Es muss sich hier um das Gebiet handeln, das heute der Yiheyuan ist. 402 Varin, Expédition (1862), S. 243.

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work capable of inspiring those sensations of awe or admiration which strike every one when first gazing upon the magnificent creations of European Architects.403

Abbildung 16: Der große kaiserliche Palast Yuanming yuan vor seiner Verbrennung Photographie von Felice Beato. National Gallery of Australia, Canberra.

Der These von Hevia, dass durchgängig alle britischen Offiziere ähnlich wie Wolseley das Vorgefundene herabsetzen und nicht würdigen, kann nicht zugestimmt werden, und es sei als Beleg hierfür der Bericht von McGhee hinzugezogen, der die kaiserlichen Anlagen durchaus mit Sinn für Gartengestaltung betrachtet: You must think of all the best gifts of nature, in colour and in form, of trees, shrubs, and wild flowers; wood, water, rock, hill, and mountain you must add; then deck the scene with all the world famed skill of the Celestial in landscape gardening thrown in here and there so well that it looks like nature’s own hand; scatter those beautiful buildings round, with their gorgeous roofs peeping though the dark forest timber; see, there is an imperial stag bounding across your paths; conjure up quaint old Chinese Bridge here and there, to carry you across the feeder of some placid lake…and you may be able to form some very faint and indistinct idea of the Ewen-ming-Ewen.404

Swinhoe hingegen, der mit dem Korrespondenten des Moniteur ebenfalls einen Spaziergang durch den Yuanmingyuan unternahm, ist etwas verhalten und widmet 403 Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 233. 404 M’Ghee, How we got to Peking (1862), S. 212.

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der Beschreibung der Plünderungen mehr Zeit als den „Herrlichkeiten des Palastes.“ In den meisten der britischen Soldatenberichte nimmt die Schilderung aber nicht allzu viel Platz ein. Anders als bei den Franzosen, die hier in Nordchina Neuland betreten, aktiv von ihrem Kaiser unterstützt werden und sich von prächtigen Schilderungen Ruhm erwarten, gewinnt man den Eindruck, als seien die britischen Soldaten dergleichen bereits gewöhnt, da ihnen diese Entfaltung von Pracht und Reichtum schon vielfach in Indien begegnet ist. Indizien, dass der Yuanming yuan nicht gepflegt und instand gehalten sei, gibt es in den Berichten der Offiziere nicht.405

5.4 Plünderungsverhalten der alliierten Armee, Sikhs und Kulis Daran, dass die französischen Soldaten entweder am 6. Oktober abends oder am 7. Oktober morgens zu plündern begannen, kann kaum ein Zweifel bestehen. Sie fühlten, so beschreibt es Colonel Dupin, noch während der ersten Besichtigung, dass es sich bei den Schätzen des Sommerpalastes um ihre rechtmäßige Beute handelte, dass sie als Erste dagewesen seien und die britischen Soldaten sicherlich auch keinerlei Rücksicht auf sie genommen, sondern sofort zu plündern begonnen hätten. Bereits in Zhangjiawan hatten diese sich ja großer Teevorräte bemächtigt, ohne diese zu teilen. Dies löschte alle französischen Skrupel aus, heizte die Ungeduld an und keiner fand „[…] auf dem Grunde seines Gewissens ein Argument, weshalb man sich die Schätze des Palastes nicht aneignen solle.“406 Die Begehrlichkeiten waren geweckt, und die Kompanie der Marineinfanterie, die als Wachen vor den Yuanming yuan gestellt worden waren, konnte sich des Drucks von außen bald nicht mehr erwehren. Angespornt durch das schlechte Beispiel der britischen Kavallerie (so behaupteten sie zumindest) begannen die Franzosen zu plündern und, nannten die ganze Angelegenheit „Umzug“ („déménagement“), und Lucy behauptet gar, sie hätten ein neues Wort dafür erfunden, nämlich „Rathausiade.“407 Angesichts der im Yuanming yuan vorgefundenen Schätze und des vorschwebenden Reichtums schwanden alle Hemmungen bei den Soldaten: Britische und französische Soldaten und Offiziere plünderten gleichermaßen, unabhängig von Rang und Dienstgrad, in größter Gier, zerstörten die Räume und eigneten sich Kunstschätze an.408

405 Dies steht im Widerspruch zu den Ausführungen Barmés, der behauptet, dass der Niedergang des Palastes bereits kurz nach der Qianlong-Ära eingesetzt hätte. Allerdings muss zugestanden werden, dass nach der Vertreibung der westlichen Missionare die von diesen angebrachten technischen Raffinessen verfielen, beispielsweise die hydraulischen Anlagen der Wasserspiele zu leiden begannen. Barmé, The Garden of Perfect Brightness, in: East Asian History Bd. 11 (1996), S. 126. 406 Varin, Expédition (1862), S. 237. 407 Ebd., S. 236. Dieses deutsche Wort hat seinen Ursprung in den napoleonischen Kriegen. 408 Siehe hierzu auch Lucy, Lettres intimes (1862), S. 105, der bedauert, zu spät gekommen zu sein, und nicht mehr alles miterlebt hatte.

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Colonel Dupin leugnet nichts, behauptet aber, die französischen Soldaten hätten „ausgewählt und zurückhaltend geplündert“, „mit einer gewissen Schamhaftigkeit, die sie von den Plündereien der britischen Armee bestimmt unterscheide, denn die französischen Soldaten hatten sich nur einen Bruchteil dessen angeeignet, was sie sich hätten aneignen können.“409 Dies wird natürlich von britischen Beobachtern anders beschrieben: Die französischen Soldaten seien mit Knüppeln bewaffnet gewesen und hätten zerstört, was sie nicht wegtragen konnten, schreibt Swinhoe.410 McGhee ist gar der Ansicht, dass ein Großteil der Plünderungen auf das Konto der französischen Soldaten ging. Er will beobachtet haben, wie französische Soldaten bereits Uhren verkauften, als die Generäle noch bei der Beuteverteilung waren. Er ist auch der Auffassung, dass sich Montauban absichtlich von der britischen Armee getrennt habe, um als Erster am Yuanming yuan zu sein, zudem hält er es für merkwürdig, dass Montauban an Hope Grant eine Nachricht geschickt habe „[…] begging that he would not bring a large party into the palace, as none of the French officers had yet been permitted to enter.“ McGhee zeigt sich sogar willig zu bezeugen, dass der größte Teil des Plündergutes, das nach Großbritannien kam, von französischen Soldaten abgekauft worden sei. Angesichts der Tatsache aber, dass Hope Grant am Nachmittag seinen Soldaten erlaubt hatte, sich Dinge anzueignen, die nicht unter das Prisengesetz fielen, wirkt es unglaubwürdig, wenn er behauptet, englische Offiziere hätten sich nicht bereichert, sondern vielmehr „[…] the difference was just this, that while the British officer looked for article of virtu, as a memento of the place for himself, or for his friends at home, the Frenchman had an eye to more solid advantages, and he reaped them.“411 Denn auch die britischen Soldaten begannen zu plündern, vor allem, nachdem Hope Grant am Sonntagnachmittag dies nicht mehr explizit untersagt hatte.412 So beschreibt Garnet Wolseley, der bereits zwei bedeutende Plünderungen, Sebastopol 1855 und Lucknow 1857, erlebt hatte, die Szene folgendermaßen: „Officers and men seemed to have been seized with a temporary insanity; in body and soul they were absorbed in one pursuit, which was plunder, plunder […].“413 Die Ursache für die Entfesselung der Männer bei der Aussicht auf Plündergut führt Wolseley einerseits auf die menschliche Natur zurück, die eben so geartet sei, andererseits sieht er sie als Ergebnis der strengen Zucht, in der die Soldaten gehalten wurden. When looting is once commenced by an army, it is no easy matter to stop it. At such times, human nature breaks down the ordinary trammels which discipline imposes, and the consequences are most demoralising to the very best constituted army. The wild moments of en409 Varin, Expédition (1862), S. 238. Zudem, so fügt Varin hinzu, hätte keiner ein Vermögen mit seinem Schatz gemacht. Dies stimmt nicht, denn Negroni war bekannt dafür, dass er mit einer Kollektion an „Schätzen aus dem Sommerpalast“ durch Europa tourte. 410 Swinhoe, Narrative (1861), S. 306. 411 M’Ghee, How we got to Peking (1862), S. 204f. 412 Harris, „China Jim“ (1912), S. 114. Hope Grant hatte der einen Hälfte seiner Offiziere erlaubt, am Nachmittag zu plündern, und schickte die zweite Abteilung, nachdem die erste wieder zurück war. 413 Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 227.

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Kapitel III: Der Chinafeldzug von 1860 joyment passed in the pillage of a place live long in a soldier’s memory. Although, perhaps, they did not gain sixpence by it, still they talk of such for years afterwards with pleasure. Such a time forms so marked a contrast with the ordinary routine of existence passed uder the tight hand of discipline, that it becomes a remarkable event in life and is remembered accordingly (…).The love of destruction is certainly inherent in man, and the more strictly men are prevented from indulging in it, so much the more keenly do they appear to relish it when an opportunity occurs. Such an explanation will alone satisfactorily account for the ruin and destruction of property, which follows so quickly after the capture of any place; tables and chairs hurled from the windows, clocks smashed upon the pavement, end everything not breakable so injured as to be valueless henceforth..414

Weiter beschreibt er das Vorgehen der Soldaten und stellt es in den Kontext seiner eigenen Erfahrungen: I have often watched soldiers after the capture of a place. Wandering in parties of threes or fours through old ranges of buildings, in which the most sanguine even could scarcely hope to find anything worth having; yet every one of them bore about them the air of enjoyment which is unmistakable. Watch them approach a closed door; it is too much trouble to try the latch or handle, so Jack kicks it open. They enter, some one turns over a table, out of which tumble perhaps some curious manuscripts. To the soldiers, these are simply waste paper, so he lights his pipe with them. Another happens to look round and sees his face represented in a mirror, which he at once resents as an insult by shying a footstool at it, whilst Bill, fancying that the „Old Gentleman“ in the fine picture-frame upon the wall is making faces at him, rips up the canvas with his bayonet. Some fine statue of Venus is at once adorned with a moustache, and then used as an „Aunt Sally.“ Cock-shots are taken at all remarkable objects which, whilst occupying their intended positions, seem somehow or other to offend the veteran’s eye, which dislikes the in statu quo of life, and studies the picturesque somewhat after the manner that Colonel Jebb recommends to all country gentlemen who are desirious of converting their mansions into defensible posts.415

Auch Swinhoe stimmt mit dieser These von der „angeborenen Schlechtigkeit“ überein, die aber nicht nur für die primitiven Soldaten gilt: Er beobachtet, wie in einem Raum Offiziere und Soldaten zur selben Zeit ihren Kopf in eine Truhe steckten, um eine Sammlung von repräsentativen Staatsroben zu sehen. Weiter wird von willkürlichen Zerstörungen berichtet und vom Amüsement einiger Soldaten, die einen Kronleuchter zerschießen.416 Seidenlager wurden geöffnet, der Inhalt verteilt, und obwohl die Plünderer ballenweise Stoffe mitnahmen, blieb noch sehr viel übrig. Der Yuanming yuan erwies sich als ein Lager unermesslicher Schätze: Ständig fanden die Soldaten neue Räume, unberührt und angefüllt mit alten Bronzestatuen, Uhren, Emaillen und unendlich vielen Schmuckstücken aus Jade. Als Problem erwiesen sich allerdings der Transport und die Logistik. Nachdem einige Zeit geplündert worden war, gab es nur noch weniger leicht transportable Gegenstände und die Einwohner von Haidian, die selbst mitgeplündert hatten, wurden von den britischen Offizieren zum Transport der größeren Objekte herangezogen. Swinhoe beobachtet, wie sich ein Einheimischer und ein britischer Offizier gegenüber standen: Der Offizier zwang den Einheimischen, 414 Ebd., S. 226. 415 Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 226. 416 Swinhoe, Narrative (1861), S. 306.

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sein Bündel zu öffnen, nahm sich die besten Stücke daraus und zwang dann den Einheimischen, beider Gegenstände zu tragen. Neben den britischen und den französischen Offizieren plünderten auch die Sikhs, wobei ihnen darin besondere Fähigkeiten und Fertigkeiten unterstellt wurden. Während des gesamten Feldzuges nahmen sie zwar an allen Unternehmungen teil und kämpften wie die Briten, hielten aber Abstand zu den britischen Soldaten.417 „Les sikhes, comme nos arabes d’Algérie, sont très rapaces, et la grande quantité des Kulis attachés à l’armée anglaise rendait presque impossible cette surveillance,“ beobachtet Montauban nicht nur die plündernden Sikhs, sondern auch die Kulis.418 Zu den Sikhs und Kulis gesellten sich zu Hunderten die Anwohner des Dorfes Haidian, die stahlen, was nicht niet- und nagelfest war. Unzählige chinesische „Banden“ erschienen. Waren sie von der einen Seite weggejagt, tauchten sie auf der anderen Seite wieder auf, zerstreuten sich auf dem Palastgelände, raubten und zerstörten alle Objekte, die sie nicht tragen konnten, sei es, weil es zu viele Gegenstände waren oder sei es, weil der Gegenstand das kaiserliche Siegel trug, das geheiligt war. Der von chinesischen Plünderern angerichtete Schaden war beträchtlich.419

5.5 Weitere Ereignisse während der Plünderung: Der Fund der Macartney-Geschenke, des Goldschatzes und der Überreste der Gefangenen Am selben Nachmittag wurden die Geschenke entdeckt, die Lord Macartney 1793 mit nach China gebracht hatte, und auf die Elgin und Hope Grant im Hineinreiten bereits einen Blick geworfen hatten. Darunter nicht nur Kutschen, sondern auch Waffen, die offenbar niemals benutzt worden waren.420 In einigen weiteren Palästen fand man auch einige Gegenstände, die aus dem Besitz der entführten britischen und französischen Offiziere stammen mussten. Unter ihnen die Uniform und Schulterstücke des Colonel Foullon de Grandchamps, das Tagebuch von Monsieur Ader, Kantinebesteck des Unterintendanten Dubut und das Portrait einer Dame, das offensichtlich dem Sekretär von Frederick Bruce in Shanghai, Charles De Norman, gehörte, der der britischen Gesandtschaft in Shanghai zugeordnet war. Dieser Fund, so wird allgemein beschrieben, ließ die Stimmung bei den Truppen hoch kochen und es entstand ein allgemeiner Zorn über die Behandlung der Gefangenen. Ebenfalls am 8. Oktober nachmittags erreichte Montauban die Nachricht von General Jamin, dass man den Ort gefunden habe, an welchem die Truppen einen „Schatz des Kaisers“ vermuteten. Im zweiten 417 Dafür, dass geplünderte Gegenstände Teil ihrer Besoldung waren, gibt es aber keine Hinweise. 418 Montauban, Souvenirs (1932), S. 311. Zu den Kulis siehe auch Juillard, Souvenirs d’un voyage (1869), S. 119. Ein langer Bericht an Randon aus der Feder Montaubans, der die Ereignisse zwischen dem 5. und dem 20. Oktober 1860 referiert ist in: MD, SHAT, 5G1, Dossier 2. 419 Chen Wenbo, Yuanming yuan canhui kao (1984), S.168 kommt zum gleichen Schluss. 420 Varin, Expédition (1862), S. 244.

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Hof des Yuanming yuan hatte man eine Tür entdeckt, die in ein Kellergelass zu führen schien.421 Die Chinesen hatten auf diese Tür gezeigt, aber keiner konnte sich vorstellen, dass sich darunter eine Schatzkammer befinden würde. In Anwesenheit der Preiskommission, die am Morgen bereits die wertvollsten Gegenstände aufgeteilt hatte, wurde die Tür geöffnet, und es stellte sich heraus, dass sie Goldbarren im Werte von ungefähr 800.000 Franc enthielt, zudem Perlen und Jade in Hülle und Fülle.422 Auch dieser Fund wurde zwischen der britischen und der französischen Armee geteilt und jeder französische Soldat erhielt aus dem französischen Anteil der Beute ein Preisgeld von 80 Franc.423 In der Nacht vom 8. auf den 9. Oktober brach aus ungeklärten Gründen Feuer im Yuanming yuan und in den umliegenden Dörfern aus.424 Dies sei das Werk der französischen Soldaten gewesen, so berichtet Wolseley, die die kaiserliche Privatresidenz verbrannten, nachdem sie ihr Plünderwerk getan hätten.425 Die französischen Soldaten machen jedoch die Einwohner Haidians als Hauptschuldige aus. So schreibt Delagrange, dass am 7. Oktober abends die Einwohner Haidians „[…] poussés par la cupidité et la haine de la dynastie mongole (sic!)“, sich in den Park geschlichen, dort geplündert und dann den Palast angezündet hätten.426

5.6 Das französische Lager: Die Einbehaltung des Plünderguts Montauban blieb bei seinem Verhalten und traf bezüglich der Plünderung keinerlei Regelungen, hielt auch keine Strafgerichte ab. Lautstark protestierend, dass er alle Plünderung untersagt habe, konnten die Offiziere unter seinen Augen doch alles stehlen, was sie tragen konnten. Ein einziges Mal leistete er Widerstand gegen die Plünderungen, als er, kurz bevor Hope Grant und Elgin das Lager betraten, einen chinesischen Plünderer, der ein altes Paar Schuhe stehlen wollte, als warnendes Beispiel bestrafte.427 Montauban mischte sich offenbar nicht ein, wenn

421 Expédition de Chine, in: MD, SHAT, Série M, M 883, S. 115. 422 Die Kommission bot Montauban aus diesem Schatz Perlenketten für seine Frau und seine Töchter an, aus welchen er aber für die Kaiserin einen Rosenkranz fertigen ließ. Montauban, Souvenirs (1932), S. 313. 423 So Montauban, Souvenirs (1932), S. 313. Varin spricht von 100 Francs und weist vor allem darauf hin, wie fair wieder das Verfahren abgelaufen sei und was geschehen wäre, wenn die britischen Kollegen vor ihnen dort gewesen wären. Varin, Expédition (1862), S. 245. Die Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens besiegelten die Offiziere durch ihre Unterschrift. MD, SHAT 5G4, Dossier 3. 424 10. Jahr des Xianfeng-Kaisers, 8. Monat, 29. Tag (13. Oktober 1860) Bericht Yixin, Guiliang und Wenxiang an den Xianfeng-Kaiser, dass die Alliierten den Palast ausgeraubt und teilweise verbrannt hätten, in: Chouban yiwu shimo (1979), S. 2420. 425 Swinhoe, Narrative (1861), S. 309. 426 Delagrange, Le 2ième Bataillon de chasseurs à pied (1889), S. 108. 427 Swinhoe, der dieses Verfahren mit ansah, beurteilte dies aber so, dass Montauban stellvertretend für die anderen Soldaten sich einen „Sündenbock“ heraussuchte, um ein Exempel zu statuieren. Swinhoe, Narrative (1861), S. 299.

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seine Soldaten plünderten.428 Seine eigenen Plünderungen, die er heftig abstritt, sind nur aus einigen wenigen Berichten britischer Soldaten (McGhee und Hope Grant) bekannt.429 1872 wurde ihm aber für seine eigenen Plünderungen im Yuanming yuan der Prozess gemacht. Aus den französischen Quellen lässt sich jedoch nicht ersehen, dass er selbst geplündert hat.430 D’Hérisson berichtet hingegen, dass Montauban am 8. Oktober durch die Reihen seiner Soldaten ging und sie bat, ihr Plündergut aufzugeben, da es sie beim Weitermarsch auf Peking behindere.431 Die Auswirkung der Plünderung war noch Tage später in der Gegend und den umliegenden Dörfern zu spüren.432 Im französischen Lager muss dabei eine „karnevaleske“ Atmosphäre geherrscht haben. Die Berichterstatter unterstellen den Soldaten eine durchaus „kindliche Einfachheit“, eine Behauptung, die offenbar den Zweck hatte, den Skandal der Verwüstung und Zerstörung dieses Ortes zu verschleiern, und ihre eigene „Zivilisiertheit“ irgendwie in Übereinstimmung zu bringen mit der herrschenden Barbarei. Die „kindliche Unbedarftheit“ der Soldaten, die „Unzivilisiertheit“ der Sikhs und der Kulis sind dabei neben der bereits erwähnten „menschlichen Natur“ die allgemeinen Erklärungsmuster für Plünderungen. A l’extérieur et à l’intérieur des tentes où étaient entassés les objets les plus variés et les plus précieux, richesses d’un jour près desquelles et sur lesquelles s’étaient bercés tant de rêves qu’un coup de tambour dissipait, on voyait le troupier, naïf comme l’enfant dont il a l’imprévoyance et l’instinct destructeur, sans songer aux fatigues de la route, bourrer son sac de pièces de soie et de velours, comme s’il n’avait qu’une étape à franchir pour en faire hommage à sa paysée; puis, dans son dépit, briser, déchirer ou souiller tout ce qu’il ne pouvait emporter. Ce n’etait partout que meubles somptueux, soie robes impériales brochées d’or […] Quant à l’argent, il était si abondant, qu’on le dédaignait presque à cause de son grand poids.433

Die Preise für die geplünderten Gegenstände stiegen dabei ins Unermessliche, die Gesetze des Marktes schienen außer Kraft gesetzt und richteten sich nach dem Angebot. Es scheint, als hätten die dem Heer folgenden Marketender sich dies zunutze gemacht: Mehr als ein Soldat bezahlte eine Flasche Wein oder Absinth mit einem Goldbarren.434 Die dem Heer folgenden Marketender erhielten ihre Bezahlungen in Seidenballen. Für Wochen wurde in den Lagern von nichts weiterem als von der Plünderung des Sommerpalastes und seiner enormen Schätze gesprochen. Dabei blieb auch im französischen Lager ein gewisser Neid auf die ei428 M’Ghee und auch später Hope Grant unterstellten ihm, dass er selbst geplündert habe. Knollys, Incidents (1875), S. 221. M’Ghee, How we got to Peking (1862), S. 207. 429 Es kann vermutet werden, dass es eine Art Corpsgeist war, die die britischen und französischen Offiziere dazu brachte, darüber zu schweigen. 430 Die Ausgabe seiner Briefe von 1932: Montauban, Souvenirs (1932) allerdings ist stark geschönt und nur sehr unzulänglich als Quelle heranzuziehen. 431 D’Hérisson, Journal d’un interprète (1886), S. 350. 432 Auch nach Shanghai scheint die Seide nach einer kurzen Zeit zu kommen. So berichtet Bruce am 15. Oktober an Elgin, dass auf den Märkten in Shanghai ungewöhnliche Mengen an Seide auftauchen. FO 228/281. 433 Varin, Expédition (1862), S. 246. 434 Die übrigen französischen Quellen lassen sich nur sehr spärlich zu diesem Thema aus.

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genen Landsleute, insbesondere Offiziere, nicht aus, die relativ große Vermögen angehäuft hatten. Der Rausch der Plünderung übertrug sich auf die umliegenden Dörfer, in denen sich während der nächsten Tage mehrere „Verkaufsschwerpunkte“ entwickelten. Insbesondere die Sikhs, die sich der Seide und der Pelze bemächtigt hatten, machten Geschäfte im großen Stil.435 Schwer beladen mit Plündergut machte sich die französische Infanterie im Bewusstsein ihrer eigentlichen Aufgabe, der Einnahme der Stadt, am 9. Oktober morgens in Richtung Peking auf. Es muss ein merkwürdiger Anblick gewesen sein: Die französischen Soldaten hatten ihre Waffen mit Seidenbändern umgewickelt, außerdem folgten dem Tross die Einwohner Haidians, die gegen ein Stück Brot als Lohn die Beute der Soldaten trugen. Colonel Dupin bedauerte den Abmarsch vom Yuanming yuan sehr und war der Auffassung, dass man sich mit ein bisschen Voraussicht diesen Abmarsch hätte ersparen können. Hätte man am 7. Oktober genügend Proviant mitgenommen, hätte es diese einfache Maßnahme der französischen Armee erlaubt, noch einige Tage in der Nähe des Palastes zu übernachten und von dort aus Nachforschungen anzustellen, die ohne Zweifel fruchtbar gewesen wären. 436 Dies schien er aber nicht auf die militärische Situation und Lage zu beziehen, sondern auf die Schätze, die man im Yuaning yuan zurücklassen musste. Er hielt es für ausgeschlossen, dass in der Residenz des Kaisers von China und seines Hofes nur die wenigen Goldbarren enthalten waren, die man in den Räumen der Kaiserin gefunden hatte. Er bezog sich mit dieser Aussage auf die Rettung von Kunstschätzen, die man auf einem Ochsenkarren hätte mitnehmen können, und meinte keinesfalls eine persönliche Bereicherung, so beeilte er sich hinzuzufügen.437

5.7 Das britische Lager: Die Aufforderung zur Rückgabe des Plündergutes Im britischen Heer, wo die offiziellen Richtlinien Plünderungen untersagten, war die Situation anders. Hope Grant ließ, eingedenk der Ereignisse in Lucknow, seine Männer zunächst streng bewachen. Für den Erwerb von Kleinigkeiten wie zum Beispiel Jade, Golduhren und Pelze mussten die Briten sich später an das französische Lager wenden. Angesichts des Wütens der französischen Soldaten aber gestattete Hope Grant ab dem 7. Oktober nachmittags seinen Offizieren, alles zu plündern, was außerhalb des von staatlicher Seite bereits requirierten Prize lag.438

435 Swinhoe, Narrative (1861), S. 310. 436 Varin, Expédition (1862), S. 247. 437 Varin, Expédition (1862), S. 248. Der Wahrheitsgehalt des Berichtes von Colonel Dupin, den er 1862 unter dem Decknamen Paul Varin veröffentlichte, wurde immer wieder in Zweifel gezogen. Da er aber sehr präzise beobachtet und seine Schilderungen sich mit Zeugnissen anderer Teilnehmer decken, werden diese Passagen in der vorliegenden Studie doch als glaubwürdig erachtet. 438 Knollys, Incidents (1875), S. 192.

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In der Nacht vom 6. Oktober hatte die britische Kavallerie vor dem Osttor des Yuanming yuan ihr Lager aufgeschlagen, und am 7. Oktober abends begleitete sie Hope Grant in das Lager der britischen Infanterie in der Nähe von Peking. Trotz des Plünderverbots hielten sie sich am 7./8. Oktober trotzdem schadlos. Mit ihren Pferden hatte sie zudem viel bessere Voraussetzungen, das gesamte Gebiet im Norden Pekings zu plündern, das nicht nur aus dem Yuanming yuan, dem sogenannten Sommerpalast, sondern auch aus dem Changchun yuan und Qichun yuan, und somit aus einer Kette von mehreren Palästen, bestand.439 Tatsächlich kamen diese Offiziere abends schwer beladen mit Schätzen aus dem Yuanming yuan zurück, und dies vor den Augen der einfachen Soldaten. Hope Grant hätte auch seine Infanterie abordnen und die Einheiten nacheinander in den Yuanming yuan schicken können, entschied sich aber angesichts des entfesselten Zustandes der französischen Soldaten und aus Furcht vor einer Eskalation dagegen.440 Es wurde aber bereits am Abend des 7. Oktober klar, dass wegen des Plündergutes Streit unter den britischen Soldaten ausbrechen würde, und zwar nicht nur unter den gemeinen Soldaten. Dafür gab es mehrere Gründe: Nicht nur die Offiziere, die im Dienst waren und daher nicht in den Palast gelangen konnten, wurden unruhig, sondern es zeigte sich auch, dass Offiziere mit großem künstlerischen Sachverstand entsprechend wertvollere Gegenstände geplündert, während weniger versierte Offiziere „wertlosen Plunder“ ergattert hatten. Letztendlich war es der Fund eines Soldaten aus Sir Robert Napiers Stab, der Hope Grant veranlasste, in Sachen Plünderung weit reichende Entscheidungen zu treffen. Einige von Napiers Offizieren hatten das Dach einer augenscheinlich „vernachlässigten Hütte“ abgedeckt, von welchem zunächst angenommen worden war, dass es aus Blech war. Es erwies sich aber, dass diese „Ziegel“ aus purem Gold waren, weshalb Napier diesen „Fund“ unter seiner Einheit aufteilte. Als Hope Grant erfuhr, dass diese Beute nur unter einem Teil der Armee verteilt wurde, beschloss er zu handeln und appellierte an seine Offiziere, auf Ehre und Gewissen all ihr Plündergut herauszugeben.441 Dies rief natürlich wiederum großen Unmut unter denjenigen hervor, die besonders erfolgreich geplündert, und vor allem schon sachgerechte Transportmöglichkeiten aufgetrieben hatten.442 Aber Hope 439 Swinhoe, Narrative (1861), S. 329f. beschreibt die Paläste des gesamten Gebietes, das dann am 18./19. Oktober verbrannt wurde. Sie umfassten tatsächlich mehr Parks als nur den Yuanming yuan. Dies brachte Régine Thiriez auf die These, die britische Kavallerie habe den größeren Schaden verursacht, da sie mit ihren Pferden einfach eine größere Reichweite hatte als die Franzosen. Diese Aussage gilt vor allem für die Verbrennung des Yuanming yuan am 18./19. Oktober. Thiriez, Barbarian Lens (1998), S. 56. 440 Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 238. 441 Knollys, Incidents (1875), S. 190. Missfallen an dieser Entscheidung bekundet Graham Vetch. Vetch, Letters and Diaries (1901), S. 188. Es wurde als ungerecht empfunden, dass die britischen Offiziere die Beute zurückgeben mussten, während die Franzosen und die Sikhs ihre behalten durften. 442 Ein Offizier beispielsweise hatte sein Pferd mit Schätzen aller Art beladen die fünf Meilen zurück ins Camp zu Fuß zurückgelegt, sein Pferd am Zügel führend, und wurde Opfer von Spöttereien, als er alles aufgeben musste. Es kann vermutet werden, dass dieser Offizier Sir

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Grant notierte in seinem Tagebuch, dass zu seinem offenkundigen Vergnügen die meisten seiner Offiziere dieser Aufforderung nachkamen.

5.8 Sir Hope Grant: Die Organisation und der Verkauf des Plünderguts, 10. und 11. Oktober Hope Grant ergriff nun eine ungewöhnliche Maßnahme, denn er entschied sich dazu, das erbeutete Plündergut sofort und an Ort und Stelle zu versteigern. Dieses Verhalten war rechtlich nicht gedeckt, denn alle während eines Feldzuges erbeuteten Gegenstände waren zunächst königlicher Besitz. Üblicherweise entschied der Monarch über die Beute und konnte sie rückwirkend und im Nachhinein an die beteiligten Soldaten verteilen lassen.443 Bei dieser Verteilung im Nachhinein aber gab es oft lange Verzögerungen, so dass das Geld erst sehr viel später ausgezahlt wurde. Dies war auch ein Problem z.B. für hinterbliebene Witwen, die ohne Prisengeld nicht einmal eine Entschädigung für den erlittenen Verlust hatten. Um einerseits die Disziplin zu bewahren, und andererseits wenigstens den Anschein von Gerechtigkeit zu erwecken, schien Hope Grant die sofortige Auktion die einzige Lösung. Die britischen Offiziere, die ihren Anteil zurückgegeben hatten, konnten bei der Auktion diese Gegenstände nunmehr „rechtmäßig“ erwerben. Zu Prisenagenten (Prize Agents), also Schätzern der Kunstwerke, die auch die Auktion durchführten, wurden Colonel Walker, Major Wilmot und Captain Anson bestimmt, wobei Anson und Walker auch schon am Morgen des 7. Oktober bei der Aufteilung der französischen Funde dabei gewesen waren.444 Der britische Anteil der Plünderung wurde im Verlaufe des 11. Oktober 1861 in der Großen Halle des Lama-Tempels (Yonghegong), den die Kommandierenden zu ihrem Hauptquartier gemacht hatten, ausgestellt. Diejenigen Soldaten, die bis dahin noch keine Gegenstände aus dem Yuanming yuan zu Gesicht bekommen hatten, kamen nunmehr auf ihre Kosten. Ausgestellt wurden weißer und grüner Jadeschmuck aller Schattierungen, CloisonnéVasen, bronzene, goldene und silberne Figuren und Statuetten, zudem eine große Alexander Bruce Tulloch war, der großen Ärger darüber bekundete, dass er seinen Besitz aufgeben musste „Considering the value of my collection - quite enough to purchase my company - the order was crushing; but in very atom of it went. The prize committee, seeing how much I had given up, gave me afterwards a few small pieces back.“ Tulloch, Recollections (1903), S. 118. Harris wiederfuhr allerdings ein ähnliches Schicksal: „I filled seven large baskets with loot of various kinds. Plenty of baskets were to be got from the guard at the gate, and the officer in charge offered me as many Tartar Coolies as I required. I had tied my charger to an iron post at the gateway, and, having mounted him, I kept my seven Tartars, with their loads, in front of me, and rode back, revolver in hand, to camp at Peking[…] In the evening, when the order-book came round, we received a blow[…],” in: Harris, „China Jim“ (1912), S. 115. 443 Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 240. 444 Knollys, Incidents (1875), S.192. Hevia, English lessons (2003), S. 83 ist der Ansicht, dass auch Captain Lumsden zu den Prize Agents gehörte.

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Ansammlung von Pelzen, darunter sehr wertvolle Pelze wie Seeotter, Hermelin und Astrachan. Es gab Hofkostüme, unter ihnen zwei oder drei Staatsroben des Kaisers (wie die Soldaten vermuteten) gewirkt aus gelber Seide mit eingewebten Drachen, außerdem große Seidenballen, auch in kaiserlichem Gelb, „das eigentlich allein dem Kaiser vorbehalten war“, aber an diesem Tag auch unter den Hammer kam.445 Der Verkauf dauerte drei volle Tage und wurde sowohl von Offizieren als auch von anderen Soldaten besucht. Es war ein Bieterwettbewerb unter den Männern ausgebrochen, und die versteigerten Gegenstände erzielten Rekordpreise.446 Der Erlös des Verkaufes betrug 123.000 Mexikanische Dollar, wovon jeder britische Infanterist 17 Dollar bekam. Der Rest wurde in drei Teile geteilt: Ein Teil ging an die Offiziere, die ihren Anteil an der Beute ihrem Rang entsprechend zugeteilt bekamen. Hope Grant, Napier und John Michel verzichteten auf ihren Anteil zugunsten der Infanterie. Zwei Drittel gingen an die informellen Angehörigen der Armee, die diese als military train begleitet hatten.447 Insgesamt gab es vielleicht weniger Pro-Kopf-Prisengeld, als wenn das Verfahren erst in London eröffnet worden wäre, die alliierten Soldaten aber schienen zufrieden zu sein. Noch niemals, so schreibt Hope Grant selbst, sei Prisengeld so pünktlich und ordentlich ausgezahlt worden. Seine Besorgnis, ein zu großes Risiko eingegangen zu sein, wurde ihm später zunächst von seinem Minister Sidney Herbert bestätigt. Russell aber schrieb ihm zurück, dass er sich zwar strafbar gemacht habe, die Königin aber sein Vorgehen billige, angesichts der Umstände, unter denen das Prisenverfahren viel zu früh und ohne ihr Einverständnis eingeleitet worden war.448 Denn nur durch diese Maßnahme scheint es ihm gelungen zu sein, die Truppendisziplin zu bewahren, um den Feldzug ordnungsgemäß zu Ende führen zu können.

445 Swinhoe, Narrative (1861), S. 311. 446 Swinhoe fügt noch hinzu: „Had the Emperor been present he would doubtless have felt flattered at the value set by the foreigners on any object solely because it had belonged to him. Fancy the sale of an emperor’s effects beneath the walls of the capital of his empire, and this by a people he despised as weak barbarians and talked of driving into the sea!,” Swinhoe, Narrative (1861), S. 311. 447 Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 239. 448 Knollys, Incidents (1875), S. 193.

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6 DAS ULTIMATUM, DIE RÜCKGABE DER GEISELN UND DIE „EINNAHME PEKINGS“, 9. BIS 13. OKTOBER 6.1 Rückkehr der Gefangenen und Strategieänderung, 9. bis 13. Oktober Die Plünderung hatte den eigentlichen Zweck der Aktion, nämlich die Verfolgung der Qing-Truppen durch das alliierte Heer, unterbrochen. Am Mittag des 8. Oktober ritt Montauban auf eine Anhöhe in die Nähe des Palastes, von wo aus er in der Ferne das große Qing-Heer sehen konnte, und begab sich danach ins Lager zurück, um Maßnahmen für ein eventuelles Gefecht zu ergreifen.449 Unterdessen aber hatte sich die allgemeine Gefechtslage aufgrund der diplomatischen Verhandlungen so verändert und zugespitzt, dass eine Verfolgung des Feindes unwichtig geworden war, und sich die alliierten Truppen auf die Einnahme Pekings konzentrierten mussten. So konnten Elgin und Gros erstens noch nicht die Konsequenzen ermessen, die die Einnahme des Yuanming yuan für die weiteren Verhandlungen haben würden. Außerdem hatten die 21 Kanonenschüsse, die Hope Grant hatte zünden lassen, um seine versprengte Kavallerie wiederzufinden, eine unerwartete (oder vielleicht doch beabsichtigte?) verunsichernde Wirkung auf die Bewohner Pekings.450 Gros beispielsweise missinterpretierte sie und berichtete an Thouvenel etwas voreilig, dass Peking – ohne dass es geplündert oder zerstört worden sei – nunmehr in der Hand der Alliierten sei, die Botschafter sich außerhalb der Stadtmauern niederlassen würden, um von dort aus aufs Neue mit der teils geflüchteten Regierung über die Freilassung der Gefangenen gegen Rückgabe der Stadt zu verhandeln.451 Und dies, obwohl Shengbao und Senggerinchin, nachdem sie das Eindringen der Alliierten in den Yuanming yuan nicht hatten verhindern können, die Verteidigung der Stadt verstärkt hatten. Zweitens waren, wie gefordert, die Gefangenen rücküberstellt worden, aber nicht etwa unversehrt und lebendig, sondern, bis auf Parkes, Loch und einige andere, verletzt oder tot.452 Parkes und Loch waren am 8. Oktober nachmittags um 3 Uhr mit dem Sikh Nal-Singh, den Ordonanzen des Kapitäns Chanoine Roset und

449 Chouban yiwu shimo (1979), S. 2425. Dies war das Heer von Senggerinchin, der angesichts des alliierten Heeres und seines Marsches auf Peking nach Norden geflohen war, den Yuanming yuan aber nicht verteidigen konnte. Shengbaos Vorschlag, Soldaten aus Shanxi kommen zu lassen, verhallte ungehört. Chouban yiwu shimo (1979), S. 2424. 450 Elgin an Gros, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 360. 451 Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 361. Zeng Guofan äußerte deswegen 1862, dass die Ausländer in Peking immerhin nicht die großen Tempel zerstört hätten, was man ihnen zu Gute halten müsse. 452 9. Oktober 1860, Hope Grant an Sidney Herbert, in: WO 32/8235.

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Bachelet, zudem den französischen Soldaten Ginestel und Petit und Escayrac de Lauture ins britische Lager zurückgekehrt.453 Parkes und Loch berichteten, was ihnen widerfahren war, nachdem sie ihre Kollegen zurückgelassen hatten, um sich zu dem General bringen zu lassen.454 Am 18. September, als sie ihre Kollegen verlassen hatten, um einen Passierschein zu erlangen, waren sie nach einem kurzen Ritt in die Hände von Senggerinchin geraten.455 Dieser habe keinerlei Respekt vor der Parlamentärsflagge gezeigt, Loch und Parkes auf die Knie gezwungen und wüst beschimpft. Es zeigte sich, dass auch Senggerinchin, ebenso wie Prinz Yi und Muyin, die Befugnis von Harry Parkes überschätzte. Zunächst nämlich fragte er, weshalb Harry Parkes am Tag zuvor nicht die Audienzfrage geklärt habe, und Parkes erwiderte, er habe nicht das Recht dazu gehabt. Daraufhin beschuldigte der General Parkes, dass es ihm nicht nur nicht genüge, dem Kaiser Maßnahmen aufzubürden, die seiner Würde zuwiderliefen, sondern auch, dass er nunmehr die alliierten Truppen dazu gebracht habe, die kaiserlichen Truppen anzugreifen. Parkes widersprach und erklärte noch einmal genau seine Position in der alliierten Armee und in der militärischen Hierarchie. 456 Der General glaubte ihm nicht und warf ihm zudem vor, respektlos mit höchsten Würdenträgern der Qing-Regierung umzugehen. Er selbst würde Parkes dies betreffend eine Lektion erteilen, die ihn lehren werde, niemals wieder mit hohen Vertretern Chinas respektlos umzugehen. Er befahl Parkes, an Montauban und Hope Grant zu schreiben und ihnen zu befehlen, die Truppen zu stoppen. Parkes weigerte sich und erwiderte, dies stehe nicht in seiner Gewalt. Daraufhin wurden er, Loch und der Sowar auf einen Holzkarren geladen, auf welchem sich bereits zwei gefangene Franzosen befanden. Sie sollten erneut zum Prinzen Yi gebracht werden. Der konnte zunächst nicht gefunden werden, weshalb sie zu einem anderen Beamten gebracht wurden. Während der ganzen Zeit wurde Parkes von den ihn begleitenden Soldaten misshandelt und bedroht.457 Sie verspotteten ihn und machten ihn im Allgemeinen dafür verantwortlich, dass es zum Krieg gekommen war.458 453 Ein Bericht von Escayrac über seine Gefangenschaft ist zu finden in: Montauban, Souvenirs (1932), S. 332–346. 454 RA VIC/ADDE/1/2851, 9. Oktober 1860, Hope Grant an Sidney Herbert. Grant führt in diesem Bericht die Rückgabe von Parkes und Loch darauf zurück, dass er Thomas Wade mit einem Ultimatum zu Hengqi geschickt habe, dementsprechend sofort die Gefangenen aufgegeben werden müssten, da er andernfalls die Stadt Peking bombardieren würde. Siehe auch RA VIC/ADDE/1/2849 und 2850, Thomas Wade an Sidney Herbert, 455 Cordier behauptet, es sei Ruilin gewesen, der Kommandant der Banner. Lane-Poole, der Biograph von Harry Parkes hingegen ist der Auffassung, es handelte sich um Senggerinchin persönlich. Die Mehrzahl der Quellen schildert ihn als Senggerinchin, weshalb ich mich hier dieser Meinung angeschließe. Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 357. 456 Siehe hierzu auch Lane-Poole, Harry Parkes in China (1901), S. 237. Senggerinchin spielte damit natürlich auf die Position an, die Harry Parkes während der Auseinandersetzung 1857/1858 in Kanton hatte: Er wurde damals von der chinesischen Regierung als deren Drahtzieher begriffen, was man auch diesmal wieder annahm. 457 Lane-Poole, Harry Parkes in China (1901), S. 238. 458 Bowlby, An account of the last mission (1906), S. 335.

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Kurze Zeit später wurden Loch und Parkes, Phipps und der Sowar auf einen Holzkarren verfrachtet und nach Peking transportiert. Parkes sah im Vorbeifahren, dass sich das Lager, in dem er war, im Abbruch befand, und schloss daraus, dass es zu einem militärischen Konflikt gekommen sei. Dieser musste aber siegreich für die Alliierten ausgegangen sein, weshalb das Qing-Heer auf dem Rückzug war. Auf dem Weg nach Peking zogen Prinz Yi, Muyin und Hengqi am Karren von Parkes vorbei, ohne von den Gefangenen Notiz zu nehmen. Am 18. September trafen Parkes und Loch gegen 8 Uhr abends in Peking ein, wurden sogleich in Ketten gelegt und vor Gericht gebracht. Es wurde angeordnet, Parkes und Loch zu trennen und ins Gefängnis zu bringen, jeder zusammen mit 60 oder 70 anderen chinesischen Gefangenen. Einige Tage später erfuhren die Gefangenen dann vom Vorrücken der Alliierten. Am 29. September erschien Hengqi, löste Parkes und Loch aus und brachte sie in ein angenehmeres Quartier. Kurz bevor sie am 8. Oktober frei gelassen wurden, so berichteten sie, sei ihr Leben noch in Gefahr gewesen: Der nach Rehe geflohene Kaiser hatte offenbar den Befehl zu ihrer Ermordung gegeben. Dies erfuhr Hengqi, der Spione in Rehe hatte, kurze Zeit, bevor der Bote, der das kaiserliche Edikt überbringen sollte, in Peking eintraf. Hengqi und Prinz Gong war aber bewusst, dass das Risiko eines Angriffs durch die Alliierten sehr groß war, falls sie die Geiseln nicht herausgäben, und sie entließen diese eine Viertelstunde, bevor das kaiserliche Edikt eintraf.459 Die anderen Gefangenen seien im Gegensatz zu ihnen sehr schlecht behandelt worden. Insbesondere Escayrac de Lauture sei wieder und wieder kaltes Wasser über die gefesselten Handgelenke gegossen worden, es hätten sich Wunden gebildet, die sich öffneten und anschwollen. Dieser brutalen Behandlung waren mehrere der Gefangenen schließlich erlegen.460 Elgin war zunächst einmal erleichtert, dass wenigstens Parkes, Loch, Escayrac de Lauture und noch einige andere Soldaten freigekommen waren.461 Im Zweifelsfall nämlich, so berichtete er nach der Freilassung der ersten Geiseln, hätte er das Leben der Geiseln geopfert und sich niemals von den chinesischen Unterhändlern erpressen lassen. 462 Diese Strategie wurde bereits durch sein Verhalten seit dem 21. September offensichtlich: So hatte er die Forderung von Prinz Gong vom 21. September, gegen Herausgabe der Geiseln die alliierten Truppen 459 Loch, Personal Narrative (1900), S. 147–148. 460 Vor Peking, 8. Oktober 1860, Gros an Thouvenel, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 358. Der Bericht von Loch über die Gefangenschaft ist in: Camp vor Peking, 9. Oktober, Loch an Elgin, in: FO 405/5, S. 242. Harry Parkes’ ausführlicher Bericht über die Gefangenschaft befindet sich in FO 17/332, Bl. 47–92. Zu weiteren Berichten von gefangenen Sikhs siehe insbesondere die schriftliche Niederlegung der mündlichen Berichte, die Walter Fane übersetzt hat: Camp vor Peking, 13. Oktober 1860, Evidence of Mahomed Khan, in: FO 405/5, S, 253. Evidence of Jowalla Sing, Duffadar, in: FO 405/5, S. 254. 461 Camp vor Peking, 9. Oktober 1860, Elgin an Russell, in: FO 405/5, S. 241. 462 Dies bereitete ihm durchaus Gewissensbisse. Er merkte aber stolz an, dass keine einzige Geisel ihn bat, den chinesischen Forderungen nachzugeben, sondern alle durchaus Verständnis dafür hatten, dass ihr Leben in Gefahr sei, und nationale Erwägungen wichtiger seien als alles andere. Über die Haft der französischen Geiseln ist weniger bekannt als über die von Parkes und Loch.

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zurückzuziehen, nach Rücksprache mit Hope Grant abgelehnt, benutzte aber im Gegenzug die Gefangenschaft der alliierten Geiseln als Rechtfertigung, den Marsch auf Peking anzudrohen.463 Hope Grant hatte zusätzlich auf die Möglichkeit hingewiesen, eine Vertragsunterzeichnung schneller herbeizuführen, indem man nicht nur die Freilassung der Geiseln innerhalb von drei Tagen forderte, sondern gleichzeitig auch die Bedingungen festlegte, unter denen es zu einem Friedensschluss kommen könne. Dies war allerdings nur möglich, indem die Gefangenen als unrechtmäßig gefangen gesetzte Parlamentäre, nicht aber als Kriegsgefangene begriffen wurden. Da Elgin nicht unbedingt mit einem Sieg über die kaiserlichen Truppen rechnete und noch nicht absehen konnte, wie die QingRegierung die Sache des Friedensabschlusses entschied, hatte er so das Leben der Gefangenen aufs Spiel gesetzt. Er war daher insgeheim froh, dass wenigstens Parkes, der bis dahin auch bei seinen eigenen Verhandlungen eine Schlüsselrolle spielte, wieder frei war. Aus dem Bericht der Gefangenen schloss er auf die chinesische Strategie: Um Druck auf die Alliierten auszuüben, seien die Gefangenen zuerst sehr schlecht behandelt worden, worüber man sie an Elgin und Grant berichten ließ, um diese zum Truppenrückzug zu bewegen. In dieser Annahme allerdings irrten sich Elgin und Grant, denn tatsächlich hatte Prinz Gong zunächst keine Ahnung von den Gefangenen, und ließ, als er davon erfuhr, die Haftbedingungen zumindest für diejenigen verbessern, die der chinesischen Regierung noch nützlich sein konnten. Die Forderungen der Alliierten waren mit der Freilassung von Parkes und Loch bei weitem noch nicht erfüllt, weshalb die Alliierten sich veranlasst sahen, zu weiteren Maßnahmen zu greifen.

6.2 Das alliierte Heer: Montauban und Hope Grant, 9. bis 13. Oktober Zunächst aber wurden die alliierten Truppen wiederum vor dem Stadttor Pekings zusammengezogen und konzentriert.464 Am 9. Oktober (das Wetter hatte sich rapide verschlechtert), war das alliierte Heer vor dem Stadttor von Peking vereint.465 Der am 6. Oktober in Zhangjiawan gelagerte Proviant und Nachschub traf in der Nacht vom 9. auf den 10. Oktober endlich ein, was bedeutete, dass Angriff und Einnahme der Stadt vorbereitet werden konnten.466 Die Logistik für die französi463 Dies berichtet er allerdings erst, nachdem zumindest ein Teil der Geiseln freigekommen war, an Russell in London. Camp vor Peking, 8. Oktober 1860, Elgin an Russell, in: FO 405/5, S. 230. 464 Unterdessen verhandelte Wade weiter mit Hengqi, siehe: Camp vor Peking, 8. Oktober 1860, Wade an Hope Grant, in: WO 32/8235. Siehe auch China War: Operations against Peking WO 32/8236. 465 Dies berichtet auch Bao Jian, der der Chef der Palastgarde ist in Chouban yiwu shimo (1979), S. 2432. 466 Varin, Expédition (1862), S. 252. Dies war bei weitem nicht selbstverständlich. Die Lage hatte sich etwas zugespitzt: Zwar konnten die Alliierten während dieser Zeit hervorragend mit

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sche Armee hatte sich offenbar verbessert: D’Hérisson berichtete, die französische Armee verfüge auf einmal über sehr viele Wagen und Transportmöglichkeiten, wohingegen noch beim Einmarsch der Franzosen in Haidian nur ein einziger Wagen vorhanden war, welcher mit den Ausrüstungsgegenständen von Montauban beladen war.467 Die Vermutung liegt nahe, dass die Karren und Wagen requiriert oder gestohlen worden waren. Am 10. Oktober also sandten Montauban und Hope Grant, mit Einwilligung von Elgin und Gros einen Brief an Prinz Gong, in dem sie die Öffnung des Andingmen am 13. Oktober verlangten. Falls dieser Forderung nicht nachgekommen würde, müsse man sich gewaltsam Zutritt verschaffen.468 Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, ließen Hope Grant und Montauban die Belagerungskanonen bis auf 250 Meter Entfernung an die Stadtmauern heranziehen. Die Wachen auf den Stadtmauern von Peking verfolgten die Arbeiten des alliierten Heeres, griffen aber nicht ein.469 Prinz Gong antwortete auf das Ultimatum am 12. Oktober, wandte sich aber nicht an Montauban und Hope Grant, sondern an Elgin und Gros.470 Der Brief ist eine bittere Anklage an die beiden Gesandten. Er, Prinz Gong, habe sich mit allen Bedingungen einverstanden erklärt. Er könne sich nicht erklären, wie solch herausragende Armeen wie die britische und die französische, die doch bekannt für ihre militärischen Traditionen und zudem vertraut mit den Konventionen der Kriegsführung seien, die Plünderung und Verbrennung des Yuanming yuan, wie sie am 6. und 7. Oktober vorgefallen sei, hätten geschehen lassen können, ohne die Verantwortlichen dafür zu bestrafen.471 Er erwarte sich von dem Antwortschreiben Elgins detaillierte Auskunft darüber, wie mit den Schuldigen umgegangen werde, und wie sie bestraft werden würden. Obendrein zeigte Prinz Gong sich davon überrascht, dass Hope Grant vor dem Stadttor Andingmen Geschütze auffahren lasse, mit der Drohung das Andingmen gewaltsam zu öffnen, falls es für die alliierten Truppen nicht am 13. Oktober freigegeben würde. Er habe doch in

467 468 469

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Nachschub versorgt werden, aber die 24 Kilomenter lange Route zwischen dem Depot in der Nähe von Zhangjiawan und dem Andingmen wurde oftmals von chinesischen Plünderbanden heimgesucht, die sonst vorschützten, auf dem Feld zu arbeiten, so dass Reisen von Einzelpersonen gar nicht mehr möglich waren. Varin, Expédition (1862), S. 253. Siehe hierzu auch den Bericht von Foley an Russell, 9. Oktober 1860, Foley an Russell, in: FO 405/5, S. 263. In diesem Bericht setzt Foley Russell von der ersten Plünderung des Yuanming yuan in Kenntnis. D’Hérisson, Journal d’un interprète (1886), S. 353. Der Text des Ultimatums war nicht zu finden, es existieren nur Hinweise in anderen Korrespondenzen darauf. Knollys, Incidents (1875), S.195. Die französische Artillerie bestand nur aus 24-Pfündern. Colonel Bentzmann zweifelte sehr, dass diese Kanonen bei der gewaltsamen Öffnung der Stadttore behilflich sein könnten, sah aber ihren Nutzen darin, den Feind abzulenken. 12. Oktober 1860, Prinz Gong an Elgin, in: FO 405/5, S. 251. Für diesen Brief befindet sich keine chinesische Version im Konvolut FO 682/1993. Dies ist der einzige Hinweis im ganzen Text, dass es der Qing-Armee anscheinend verboten war, zu plündern und die Zivilbevölkerung zu schädigen. Dies steht im Gegensatz zur frühen Qing-Zeit, in der die Einigungs- und Eroberungsfeldzüge sehr blutig geführt und Plünderungen zugelassen wurden. Siehe hierzu insbesondere das Tagebuch eines Mandschu, das von Nicola di Cosmo herausgegeben wurde: di Cosmo (Hg.), Diary of a Manchu soldier (2006).

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seinem Schreiben ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Unterzeichnung des Vertrages innerhalb der Stadt stattfände und es selbstverständlich Elgin und seinen Soldaten erlaubt sein solle, zu diesem Zwecke die Stadt zu betreten. Die Stadttore würden dann geöffnet werden. Dies aber müsse sorgfältig geplant werden, denn sie unterstünden der Aufsicht der Stadtverwaltung (die aber Bevollmächtigte des Hofes waren), nicht seiner eigenen. Die Feindseligkeit der Alliierten sei unverständlich, denn sobald ein Ort und Datum der Vertragsunterzeichnung bekannt wäre, könne man auch die Toröffnung festlegen.

Abbildung 17: Peking, Andingmen, nach seiner Eroberung am 13. Oktober, Photographie Felice Beato © Musée d’Histoire Naturelle de Lille.

Im Folgenden wendete sich Prinz Gong dem Schicksal der Gefangenen zu, und es stellte sich heraus, dass Elgin anscheinend unrecht hatte, als er vermutete, dass sie als Druckmittel verwendet werden würden. Vielmehr war es nach der Flucht des Kaisers nach Rehe zu einem heillosen Durcheinander gekommen. Es kann also durchaus möglich sein, dass Prinz Gong durch seine überstürzte Machtübernahme am 21. September von den Gefangenen, die Senggerinchin gemacht hatte, nichts wusste und erst später darüber informiert wurde. Dies wird belegt durch die folgenden Ausführungen.

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Was das Schicksal der vermissten Geiseln betraf, so fuhr Prinz Gong fort, seien die Geiseln gemacht worden, als sein Vorgänger noch die Verhandlungen mit den Europäern führte. Er selbst habe damit nichts zu tun, habe aber Anweisungen gegeben, nach den noch Vermissten zu suchen. Einige von ihnen seien bereits tot oder krank und würden entsprechend versorgt werden. Er, der Prinz, behalte sich vor, bis auf weiteres nur mit Elgin zu konferieren, nicht mit Hope Grant. Einen ähnlichen Brief sandte er an Gros.472 Am gleichen Tag, dem 12. Oktober, veröffentlichten die Alliierten eine Erklärung an die zivilen Stadtbewohner Pekings. Darin verkündeten sie, dass sie am 13. Oktober um die Mittagszeit die Stadt angreifen würden, falls der Vertrag zwischen den Alliierten und Prinz Gong nicht bis dahin unterzeichnet worden sei. Sie empfahlen den Stadtbewohnern, die Stadt zu verlassen. Die Kaufmannschaft Pekings bestürmte daraufhin Prinz Gong, das Andingmen aufzugeben. Prinz Gong antwortete, dass ihn dies wohl sein Leben kosten würde, dass er aber bereit sei, ihrem Ansinnen nachzugeben, wenn sie ihn weiterhin unterstützten.473 Am späten Nachmittag des 12. Oktober erschienen im britischen Lager neun weitere Geiseln, davon acht Angehörige von Fane’s Horse und ein französischer Soldat. Sie brachten die Nachricht, dass Leutnant Anderson von Fane’s Horse und Charles De Norman gestorben waren.474

6.3 Die Einnahme des Andingmen, 13. Oktober In der Nacht vom 12. auf den 13. Oktober verlangte Hengqi eine Konferenz mit einem französischen und einem britischen Delegierten. Parkes und Campenon trafen sich mit ihm, um sich mit ihm über die Formalitäten, die die Übergabe des Andingmen am nächsten Tag betrafen, zu einigen. Das Ergebnis dieser Konferenz wollte Prinz Gong in schriftlicher Form festhalten. Darauf ließ sich Hope Grant nicht ein, weil er sich erstens nicht binden und zweitens verhindern wollte, dass ein derartiges Dokument als „Kapitulation“ angesichts der gewaltigen Mauern interpretiert und absichtlich missverstanden werden könnte. Hope Grant hatte daher mit der Möglichkeit rechnen müssen, dass die Öffnung des Andingmen verweigert werden würde, und war um 10 Uhr morgens, als Parkes sich zu einem erneuten Treffen mit Hengqi aufmachte bereit, falls notwendig, neue Kämpfe zu beginnen.475 Die Sorge von Hope Grant war unbegründet, denn ein paar Minuten vor 12 Uhr wurde das Andingmen aufgegeben: Ein Bataillon aus dem 101. Regiment der Infanterie unter Pouget besetzte die linke Seite des Tores, zur Rechten positionierte sich Robert Napier mit 300 Mann des 67. Infante472 12. Oktober 1860: Prinz Gong an Gros, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 364f. 473 Knollys, Incidents (1875), S. 196. Dies behauptet zumindest Hope Grant. Er spricht auch davon, dass Prinz Gong sein Leben in dieser Zeit gefährdet sah und jede Nacht seinen Aufenthaltsort wechselte. Die Proklamation an die Stadtbevölkerung Pekings ist abgedruckt in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 364. 474 Camp vor Peking, 13. Oktober 1860, Elgin an Russell, in: FO 17/331, Bl. 297/298. 475 Camp vor Peking, 13. Oktober, 1860, Hope Grant an Elgin, in: FO 405/5, S. 252.

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rieregiments und 100 Mann des 8. Regimentes der Infanterie des Punjab.476 Von französischer Seite folgte ein Bataillon des 101. Regiment, das unter lauten „Vive l’Empereur“-Rufen, wie die offizielle Beschreibung behauptet, die Stadt betrat.477

Abbildung 18: Auf der Stadtmauer von Peking vor dem Andingmen, Aufnahme vom 21. Oktober 1860, Photographie von Felice Beato © Musée d’Histoire Naturelle de Lille.

476 Vgl. Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 366. Hope Grant vermutete, dass die Tatsache, dass ein großes Rebellenheer 100 Kilometer nördlich der Stadt stand, dazu beigetragen hatte, dass Hengqi so schnell dazu bereit war, Frieden mit den Alliierten zu schließen. Vgl. Knollys, Incidents (1875), S. 197. Die Stärke der Mauern fällt allen auf: Hope Grant ist sogar der Ansicht, dass sie stärker seien als die „babylonischen Festungsmauern.“ Siehe auch Montauban, Souvenirs (1932), S. 331. Er berichtet über diese Einnahme Pekings oder zumindest des Stadttores in einem Brief vom 17. Oktober an Randon. Auch bei der Besetzung des Stadttores kam es wieder zu den wohlbekannten Rivalitäten. Die Briten betraten am 13. Oktober mittags exakt um 12 Uhr die Stadt, ohne die französischen Kollegen abzuwarten, was Ärger hervorrief. Die Franzosen betraten Peking daraufhin, indem sie die britische Nationalhymne spielten, was Belustigung hervorrief. Man erinnerte sich angesichts dieser Enttäuschung daran, dass die französische Armee bei anderen Gelegenheiten immer als Erste am Ort des Geschehens eingetroffen sei, bei den Beihe-Forts, in Zhangjiawan und in Baliqiao immer in gleicher Linie, aber doch etwas den Briten voraus war. Varin, Expédition (1862), S. 257. 477 Blondel, Relation de l’Expédition de Chine (1862), S. 154.

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Gleichfalls am 13. Oktober informierte Gros Elgin darüber, dass er beabsichtigte, die französischen Gebäude und die Stätten der jesuitischen Missionare in Peking wieder in Besitz zu nehmen. Um Missverständnissen vorzubeugen erklärte er, dass dies äquivalent zur britischen Inbesitznahme zuvor verlorener Kanonen (wie z.B. in Dagu) geschehe. Insbesondere die Kirchen seien ihm wichtig, denn er, Gros, sei der Auffassung, dass der christliche Glaube ein wichtiger Faktor sei, die europäische Zivilisation in China einzuführen.478

Abbildung 19: Stadtmauer von Peking mit chinesischen Kanonen, 14. Oktober 1860, Photographie von Felice Beato © Musée d’Histoire Naturelle de Lille.

Die Einschüchterungsmaßnahmen von Elgin und Gros, die starken Truppen mit den Armstrong-Kanonen vor dem Andingmen taten Wirkung, und Prinz Gong lenkte (so interpretierten es zumindest die Alliierten) angesichts dieses Aufgebotes ein: Am 14. Oktober erhielten Gros und Elgin von ihm erneut eine Nachricht. Die Einnahme des Andingmen sei sehr friedlich und ohne weitere Konflikte vor

478 Camp vor Peking, 13. Oktober 1860, Gros an Elgin, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 366.

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sich gegangen, weshalb er, Prinz Gong, nunmehr von den friedlichen Absichten der Alliierten überzeugt sei.479 Elgin und Gros antworteten nicht direkt auf Prinz Gongs Nachricht, denn es mussten zuerst im Zusammenhang mit dem Vertragsabschluss einige Dinge erwogen werden. Prinz Gong war mit keinem Wort auf die toten Geiseln eingegangen. Es erschien Elgin opportun, dies als Affront aufzufassen. Im Verlauf der nächsten Tage stellte sich heraus, dass die Hälfte der britischen Geiseln eines jämmerlichen Todes gestorben war. Am 14. Oktober wurden die letzten beiden überlebenden Sikhs gebracht, die mit angesehen hatten, wie Bowlby am fünften Tag nach der Entführung, also am 23. Oktober, starb.480 Am selben Abend kamen die Leichen von De Norman, Anderson und zwei Sikhs ins Lager, deren Särgen ungelöschter Kalk beigefügt worden war, weshalb sie nur noch anhand ihrer Kleidung identifiziert werden konnten. Am 16. Oktober wurden die Leichen von Bowlby und Phipps herausgegeben, gleichfalls im Zustand fortgeschrittener Verwesung und nur an ihren Kleidern zu erkennen.481 Die kopflosen Leichen von Brabazon und Abbé de Luc seien in den Kanal geworfen worden.482 Insgesamt überlebten also 20 der 39 Entführten, von denen 26 britische und 13 französische Untertanen waren (die Franzosen verloren 6, die Briten 13 Geiseln), und die „ohne jede Beachtung des Völkerrechts“ behandelt worden waren, wie Wolseley ausführt, „treacherously captured under the most flagrant disregard to all international law.“483

6.4 Die „Lektion“ von Elgin und Hope Grant: Planung der Verbrennung des Yuanming yuan, Vorbereitung des Vertragsabschlusses, 14. bis 17. Oktober Elgin hatte zuvor beteuert, dass er sich durch das Schicksal der Geiseln keinesfalls von den chinesischen Verhandlungspartner erpressen lassen werde. Nun aber, da er von den chinesischen Entführern getötete Geiseln vor sich hatte, nutzte er dies aus, um seinen Handlungsspielraum zu erweitern. Angesichts der toten Geiseln sahen sich Elgin und Gros veranlasst, an Prinz Gong Vergeltung zu üben, der in seiner Korrespondenz mit keinem Wort auf den Tod der Geiseln eingegegangen war und diesen scheinbar ignoriert hatte. Folgende Überlegungen stellte Elgin dabei an: Falls er sich nun ohne Weiteres auf den friedlichen Ton Prinz Gongs 479 14. Oktober 1860, Prinz Gong an Gros, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 367. 14. Oktober 1860, Gong an Elgin, in: FO 405/5, S. 268. Für den chinesischen Text siehe: FO 682/1993/74. 480 Swinhoe, Narrative (1861), S. 318. 481 Ebd., S. 320. Am Kopfende eines jeden Sarges war der Name des Verstorbenen geschrieben. Bowlby war nur anhand seiner merkwürdigen Kopfform und an einer seltsamen Ausformung seines Fußes zu erkennen. 482 Swinhoe, Narrative (1861), S. 321. Die Leichen wurden später gefunden. 483 Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 259. Wolseley beurteilt auch die chinesischen Kaiser sehr schlecht und setzt dabei sittlich-moralische Maßstäbe an.

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eingelassen und kommentarlos den Friedensvertrag unterzeichnet hätte, so wäre ein Hauptziel, um dessentwegen diese kostspielige Expedition unternommen worden war, außer Acht gelassen worden, nämlich die Sicherheit britischer Diplomaten in Peking.484 In diesem Falle, so vermutete Elgin, wäre die einheimische Bevölkerung darüber informiert worden, dass die Stadttore Pekings uneinnehmbar seien und die Qing über die Alliierten ohne Waffengewalt gesiegt hätten. In Regierungskreisen hätte es sich obendrein herumgesprochen, dass es sich lohne, Briten und Franzosen als Geiseln zu nehmen, um sich durchzusetzen, da man so die Verhandlungen hinauszögern könne, ohne Gewalt anzuwenden. Eine Einnahme der Stadt Peking allerdings wollte er nicht riskieren, da dies eine langwierige Aktion geworden wäre: Elgin hatte in Rücksprache mit Hope Grant erfahren, dass der bevorstehende Winter eine Gefahr für die unzureichend ausgestatteten Truppen bedeutete, denn Hope Grant gab zu bedenken, die Truppen müssten, wenn man rechtzeitig das Land verlassen sollte, am 1. November in Tianjin verschifft werden. Außerdem hätte eine Attacke auf Gebäude innerhalb der Stadt den Bedingungen widersprochen, zu denen die chinesische Seite sich bereit erklärt hatte, das Andingmen aufzugeben, und eventuell einen Gegenangriff provoziert.485 Gros und Montauban waren ebenfalls der Ansicht, dass eine Vergeltungsaktion geplant werden müsse, stellten sich aber gegen alles, was eine Unterzeichnung des Vertrages hinausgezögert hätte, und dazu hätte sicherlich die Bombardierung der Stadt gezählt.486 Elgin war vor allem wichtig, dass er einen bleibenden Eindruck in Peking hinterließ, der signalisieren würde, dass die britische Präsenz in Peking durchaus ernst genommen werden musste. Er musste sich also eine Strafmaßnahme ausdenken, die zum einen schnell ausgeführt werden konnte, es zum anderen aber noch erlaubte, sich nach Vertragsunterzeichnung und vor dem 1. November aus Peking zurückzuziehen. Bedingung dieser Strafmaßnahme musste außerdem sein, dass Peking nicht angegriffen und obendrein nur der Kaiser Schaden erleiden würde, nicht aber die Zivilbevölkerung. Mehrere Optionen standen zur Debatte. Elgin überlegte sich, ob er die Überreste der getöteten Geiseln von einem Konvoi chinesischer Offiziere begleitet nach Tianjin senden, und ob er auf Kosten der chinesischen Regierung ein Denkmal errichten lassen solle, auf dem das Unrecht, das den Geiseln von chinesischer Hand geschehen sei, in einer Inschrift festgehalten werden würde, und beriet sich

484 Peking, 25. Oktober 1860, Elgin an Russell, in: FO 405/5, S. 276. Die nachfolgenden Argumente werden aus diesem Dokument ex post rekonstruiert und später noch einmal ausgeführt werden. 485 Dahingehende Korrespondenz führte Elgin mit Hope Grant am 15. Oktober, siehe: Peking, 15. Oktober 1860, Elgin an Grant, in: FO 405/5, S. 282. Die Antwort ist in: Peking, 15. Oktober 1860, Hope Grant an Elgin, in: Ebd.. 486 Siehe hierzu: 15. Oktober 1860, Montauban an Grant, in: Montauban, Souvenirs (1932), S. 347. Darin verlangt Montauban den Abzug der Truppen bis zum 1. November.

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über die anzuwendende Strategie mit Gros. Dabei schlug er unter anderem auch die Verbrennung des ohnehin schon beschädigten Yuanming yuan vor.487 Gros antwortete, er rechne nicht damit, dass die chinesische Regierung zugeben werde, unrecht gehandelt zu haben, und sprach sich sowohl gegen den Konvoi von Toten nach Tianjin, als auch gegen das Denkmal aus. Außerdem war er gegen eine Zerstörung des Yuanming yuan. Die Zerstörung eines Palastes, der nur dem Vergnügen der Kaiser gedient hätte, habe keinen Sinn, vielmehr solle man gleich den Kaiserpalast in Peking zerstören, nachdem man die Archive dort herausgenommen habe.488 Darauf antwortete Elgin, dass er von dem Konvoi und dem Denkmal absehen könne, keinesfalls aber von der Verbrennung des Yuanming yuan, da dies der Ort sei, an dem die Überreste der Geiseln gefunden worden waren. Zudem verlange er Entschädigung für die Familien der Hinterbliebenen, und stelle der chinesischen Regierung in Aussicht, Palastgebäude innerhalb der Stadtmauern zu zerstören, wenn die chinesische Regierung nicht auf seine Forderungen einginge.489 Ohne eine weitere Antwort von Gros abzuwarten oder ihm zu erklären, weshalb die Zerstörung des Kaiserpalastes unzweckmäßig sei, beschlossen Hope Grant und Elgin, dass die Verbrennung des Yuanming yuan am wirkungsvollsten sein würde, wobei auch behauptet wurde, dass dies auf Anraten von Gong Cheng, dem Sekretär von Thomas Wade geschah, der empfahl, eher den Yuanming yuan als die Verbotene Stadt zu zerstören.490 So schickte Elgin seinen Brief an Prinz Gong mit der Ankündigiung, den Yuanming yuan zu verbrennen, am 17. Oktober ab.491 Der Marsch der Alliierten auf Peking, erläuterte er Prinz Gong in seinem Schreiben, sei notwendig gewesen, weil die chinesische Regierung sich zweimal geweigert habe, den Vertrag zu unterzeichnen, das erste Mal in Tianjin, und das zweite Mal in Tongzhou. Der Akt des Verrats in Tongzhou am 18. September wiege schwer und könne nicht durch die freiwillige Aufgabe des Andingmen wieder gut gemacht werden. Als die Alliierten das Ultimatum am 10. Oktober verfassten, seien sie noch davon ausgegangen, dass die Geiseln lebten. Zwischenzeitlich aber habe sich herausgestellt, dass die Geiseln schlecht behandelt worden seien, was an sich Elgins nach Auffassung den Alliierten das volle Recht gegeben hätte, das Stadttor zu ihren Bedingungen einzunehmen. Zu einem Vertrag zwi-

487 Die von Colonel Dupin aufgestellte Behauptung, Elgin habe gleich den Kaiserpalast verbrennen wollen, Montauban sei ihm jedoch in den Arm gefallen, ist demnach falsch oder eine Lüge: Varin, Expédition (1862), S. 270. Elgin sprach sich dezidiert gegen eine Verbrennung der Verbotenen Stadt als Disziplinarmaßnahme aus, behielt sich aber einen derartig drastischen Schritt vor für den Fall, dass die Verhandlungen scheiterten. 488 Peking, 16. Oktober 1860, Gros an Elgin, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 372. Das Dokument wird im Wortlaut gleichfalls wiedergegeben bei Montauban und in den Akten des Außenministeriums. In Gros, Livre Jaune (1864) allerdings fehlt die Passage, in der er empfiehlt, den Kaiserpalast anzuzünden, so dass der Eindruck entstehen könnte, er sei gegen eine Zerstörung im Allgemeinen gewesen und habe keine Rache gesucht. 489 Peking, 16. Oktober 1860, Elgin an Gros, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 373. 490 Cheng Yansheng, Yuanming yuan kao, in: YMYJ, Bd. 1 (1981), S. 104. 491 Peking, 16. Oktober 1860, Elgin an Gong, 16. Oktober 1860, in: FO 405/5, S. 279ff.

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schen China und den Alliierten sei es noch nicht gekommen, weil eine der wichtigsten Vorbedingungen, die Herausgabe der Geiseln, noch nicht erfüllt gewesen sei. Elgin hielt Prinz Gong vor, dass von den 26 lebenden britischen Geiseln, die unter Missachtung des Völkerrechts gefangengenommen worden seien, nur 13 und noch dazu bei schlechter Gesundheit zurückgekommen, die anderen 13 aber ermordet worden seien. Bevor der Tod der Geiseln nicht vergolten sei, könne es keinen Friedensvertrag zwischen China und Großbritannien geben, weshalb mit sofortiger Wirkung der Yuanming yuan bis auf den Grund abgebrannt werden sollte. Dieser sei deswegen besonders geeignet, weil es der Ort sei, an dem die Überreste der Geiseln gefunden worden seien. Obendrein forderte Elgin eine Entschädigungssumme von 300.000 Tael für die Familien der Hinterbliebenen. Falls Prinz Gong nicht bis zum 20. Oktober 10 Uhr morgens antworte, die Summe von 300.000 nicht bis zum 22. Oktober bereitstehe und am 23. Oktober der Vertrag unterzeichnet werden könne, würde Elgin das Kommando an Hope Grant übergeben, der daraufhin die kaiserlichen Paläste in Peking angreifen würde. Diese Maßnahme, so Elgin weiter, sei durchaus gerechtfertigt, denn insbesondere die britischen Truppen unterstützen die Qing-Regierung doch sehr und hätten eine derartige Behandlung ihrer Geiseln nicht verdient. Denn obwohl Kanton unter der Militärverwaltung der Briten stehe, flössen erstens die Zolleinnahmen an die chinesische Regierung, und zweitens hätten die alliierten Armeen die kaiserlichen Truppen dabei unterstützt, die Rebellen aus Shanghai herauszuhalten; vor allem hätten sie bis jetzt auch den Verkehr von Lebensmitteln auf dem Kaiserkanal nicht unterbunden. Ebenso wie Elgin nutzte auch Gros den Vorteil seines Handlungsspielraums, um, in Absetzung zu den britischen Interessen, französische Interessen zu verwirklichen. Er sandte seine Antwort auf den Brief von Prinz Gong vom 12. Oktober am 17. Oktober, mit etwas anderem Inhalt. Zwar folgte er Elgin, indem er sagte, dass die chinesische Regierung die Gelegenheit zur friedlichen Unterzeichnung des Vertrages mehrfach vergeben habe und deswegen keineswegs Frieden herrsche. Obendrein stritt er eine barbarische „Plünderung“ des Yuanming yuan ab: Vielmehr habe man die dort am 6.und 7. Oktober gefundene Beute gerecht geteilt (ohne zu zerstören), teilweise gebrannt habe der Palast erst hinterher und nicht aufgrund französischer Schuld.492 Nun gelte es aber für die französischen Truppen, die Stadt zu erstürmen. Dies könne vermieden werden, wenn Prinz Gong die Kirchen und Gebäude zurückgebe, welche den Christen Frankreichs gehörten. Als Entschädigung für die Familien der in Geiselhaft umgekommenen Franzosen verlangte er 200.000 Tael. Wenn diese beiden Bedingungen erfüllt worden seien, würden sich die französischen Truppen nach Tianjin zurückziehen, andernfalls würden sie ihre militärischen Operationen fortsetzen. Auch die französischen Truppen kämpften ebenso wie die britischen in Kanton für die Sache der Qing.

492 Peking, 17. Oktober 1860, Gros an Prinz Gong, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 376.

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Am 20. Oktober erwartete er Antwort und setzte ebenfalls den 23. Oktober als Tag der Vertragsunterzeichnung fest.493 Der Bericht von Hope Grant über die Beerdigung der britischen Geiseln, die am 17. Oktober 1860 auf dem russischen Friedhof stattfand, fiel ungewohnt emotional aus.494 Montauban und viele französische Offiziere waren anwesend, während die Särge auf Lafetten transportiert wurden. Als Haupttrauernde galten Elgin und Hope Grant, dann folgten Parkes und Loch. Der Gottesdienst wurde gemeinsam von einem protestantischen Pfarrer, einem katholischen und einem griechisch-orthodoxen Priester abgehalten.495 Die toten Sikhs wurden ihren Kameraden übergeben, die sie vorschriftsmäßig verbrannten.496 Während des Begräbnisses reifte, so behauptet Hope Grant, der Entschluss, auf eine Art und Weise Rache zu üben, die für die Qing-Regierung eine nachhaltige Lektion darstellen sollte.497

6.5 Montauban und Gros: Ablehnung der Verbrennung des Yuanming yuan, Befürwortung der Verbrennung des Kaiserpalastes, 14. bis 19. Oktober Die in der Wissenschaft und späteren Öffentlichkeit mehrfach vertretene Auffassung, dass Frankreich nichts mit der Verbrennung des Yuanming yuan am 18./19. Oktober zu tun habe, kann anhand der Quellen belegt werden. Gros und Montauban weigerten sich beide, die von Elgin und Hope Grant anvisierte Verbrennung des Yuanming yuan zu unterstützen.498 Als Gründe gaben sie an, dass dieser Akt der Bestrafung, aus Vergeltungsdrang ausgeübt, nicht zum Ziel führen werde.499 Zudem befürchtete Montauban, dass ein erneuter Angriff auf den Yuanming yuan, der von seinen Truppen am 7. und 8. Oktober bereits teilweise zerstört worden war (über das Ausmaß der Zerstörung gingen die Meinungen auseinander), Prinz Gong weiterhin in Angst und Schrecken versetzen würde. Sollte aber auch Prinz Gong fliehen, müsse man notgedrungen den Kaiserpalast angreifen und einnehmen. Außerdem befürchtete Montauban, dass die Verbrennung die Verhandlungen unterbrechen werde. Er müsse aber unbedingt vor dem 1. November in Tian-

493 Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 380. 494 Dankschreiben von Lord Elgin an Ignatiev nicht nur für die Möglichkeit, die britischen Soldaten auf dem russischen Friedhof beerdigen zu dürfen, sondern auch für alle andern Dienste, die dieser ihm während des Feldzuges geleistet hatte, siehe: Peking, 17. Oktober 1860, Elgin an Ignatiev, in: FO 405/5, S. 274. 495 Bowlby, An account of the last mission (1906), S. 348, wo nicht mehr von Bowlby selbst, sondern von Henry Loch berichtet wird. 496 Swinhoe, Narrative (1861), S. 326. 497 Knollys, Incidents (1875), S. 200. Siehe auch einen Bericht Hope Grant an Herbert in: WO 32/8237, samt einer Liste mit den zu Tode gekommenen Briten. 498 Dies veranlasst Knollys allerdings, später darauf hinzuweisen, dass Montauban von dem Moment an, als er erfahren hatte, dass die Verbrennung in Europa gut angekommen war, sich doch hinter diese Tat stellte. 499 17. Oktober 1860, Montauban an Grant, in: FO 405/5, S. 269.

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jin sein, um angesichts des Winters seine Truppen außer Landes zu bekommen.500 Am 16. Oktober traf man sich beim französischen General, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Montauban und Gros gelang es nicht, so die Darestellung des ersteren, Elgin und Hope Grant von der Verbrennung des Yuanming yuan abzubringen.501 Montauban selbst gab als Motiv seiner Weigerung an, dass er weitere Zerstörungen des herrlichen Palastes verhindern wollte, und nutzte damit gleichzeitig die Gelegenheit, sich in den Augen der europäischen Öffentlichkeit als „Kulturbewahrer“ zu profilieren. Er plädierte daher dafür, zunächst einmal abzuwarten, ob die Forderungen erfüllt würden. Falls dies aber nicht geschehe, solle man gleich die Verbotene Stadt anzünden. Deux politiques différentes étaient représentées en Chine, la politique de France et celle de l’Angleterre. Le refus du Baron Gros et celui du général de Montauban, la volonté persistance de lord Elgin et du général Grant charactérisent bien ces deux politiques qui marchant côté à côté s’inspiraient cependant de sentiments divers.502

Diese Charakterisierung von Bazancourt trifft allerdings nicht ganz zu, denn an einer Verbrennung des Kaiserpalastes hätte Montauban sich beteiligt. Montauban taktierte dabei nach zwei Seiten. Er verfasste am 17. Oktober 1860 einen Brief an Hope Grant, in dem er darlegte, dass er sich weigerte, an der Verbrennung des Yuanming yuan teilzunehmen, da es ihm als ein unmäßiger Akt der Barbarei erscheine. Er befürchtete, mit der Verbrennung die Bevölkerung zu erschrecken und damit eine Staatskrise zu provozieren, die zu einer Abdankung der regierenden Dynastie führen könnte.503 An Gros aber schrieb er, er weigere sich schlichtweg, an der Verbrennung teilzunehmen, erstens, weil er glaube, dass dies nutzlos sei, da der Palast schon zum Teil zerstört war, und zweitens, weil sie die sich anscheinend wieder verbessernden Beziehungen zwischen Prinz Gong und den Alliierten zu gefährden drohte. Für den Fall allerdings, dass das Datum zur Vertragsunterzeichnung nicht eingehalten werden sollte, stimmte Montauban der Zerstörung des kaiserlichen Palastes, also der Verbotenen Stadt im Zentrum Pekings, zu und setzte als Ultimatum den 22. Oktober fest.504 Montauban gab obendrein seiner Verwunderung über Elgins Aggressivität Ausdruck und vermutete, dass es dafür wohl einen geheimen Grund gab, den er nicht kannte: Er meinte damit, dass die Briten vielleicht doch eine größere Machtverschiebung oder gar Machtübernahme in China planten, an der sie die Franzosen nicht teilhaben lassen wollen.505 500 Es ist also richtig, wenn Montauban sagt, er sei gegen die Verbrennung des Yuanming yuan gewesen. Gegen eine Verbrennung der Stadt Peking und des Kaiserpalastes allerdings hätte er sich nicht gewehrt. Nicht geklärt werden kann, weshalb Montauban es auf einmal so eilig hatte, das Land zu verlassen, nachdem ihm von seiner Regierung anempfohlen worden war, ein Winterquartier in Tianjin aufzuschlagen. 501 Montauban, Souvenirs (1932), S. 350. 502 Bazancourt, Expéditions de Chine (1872), S. 300. 503 17. Oktober 1860, Montauban an Grant, in: MD, SHAT, 5G1, Dossier 2. 504 17. Oktober 1860, Montauban an Gros, in: Montauban, Souvenirs (1932), S. 352. 505 17. Oktober 1860, Montauban an Gros, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 381. Diese „geheimen Abmachungen“ und Papiere, die Elgin mit sich trug, im und im Hafen von

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Montauban und Gros beteiligten sich also tatsächlich nicht an der Verbrennung, hatten dabei vermutlich auch schon die Reaktionen aus Europa auf ihren Feldzug im Auge und hofften, dass ihnen die Rolle der „Guten“ zugewiesen werden würde.506 In Peking wurden auf Geheiß des französischen Generals Plakate mit der Mitteilung an die Stadtbevölkerung von Peking aufgehängt, dass diese nichts zu befürchten habe, wenn sie sich den Anweisungen der französischen Armee fügte.507 Tatsächlich hatten Gros und Montauban auch große Befürchtungen, dass die Verbrennung des Yuanming yuan das Ergebnis der gesamten Expedition in Frage stellen würde, und sie mit leeren Händen und ohne Vertrag zurück nach Europa würden reisen müssen. Gros nahm deswegen sogar die Hilfe von Ignatiev in Anspruch, der Prinz Gong beeinflussen sollte, unbedingt auf die Forderungen Elgins einzugehen und in der Stadt zu bleiben. Hätte auch Prinz Gong die Stadt verlassen, hätten die Franzosen nicht gewusst, mit wem sie weiter die Verträge aushandeln sollten.508 Elgin seinerseits hatte eine private Unterredung mit Ignatiev.509 Beide vermuteten unlautere Motive hinter dem Verhalten von Gros und Montauban, die sich so vehement einsetzten für die Vermeidung einer Strafaktion gegen die herrschende Dynastie: „I suspect (and Ignatiev agrees) Jesuit influence, for this body wanted the revival of the former edict of two hundred years ago in their favour, and hated the rebels for their iconoclasm.“ Zudem vermutete Elgin, dass Montauban, wenn man den Gerüchten Glauben schenken dürfe, sehr viel Geld bei der Plünderung gemacht habe und nun schnell nach Hause wolle, um es in Sicherheit zu bringen.510 Elgin und Grant indessen ließen Plakate aufhängen, die die Einwohner Pekings darüber informierten, dass die kaiserliche Dynastie für Verrat und Unaufrichtigkeit büßen müsse und deswegen der Yuanming yuan als Strafe verbrannt

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Ceylon verloren gegangen waren, hatten im französischen Lager schon allerhand Mutmaßungen heraufbeschworen. Sie bezogen sich aber in Wirklichkeit auf Hongkong und die Annektierung der Insel Kowloon. 18. Oktober 1860, Gros an Montauban, in: Ebd. Für die Proklamation siehe: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 381ff. Cordier selbst erlaubt sich an dieser Stelle ein Urteil: Er stimmte ganz und gar mit dem überein, was Montauban sagt, überein, aber dessen Rechtfertigung sei falsch: „[…] notre Commandant en chef n’a jamais eu la connaissance ou le sentiment des choses de Chine.“ Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 385. Dies behauptet zumindest Costin, Great Britain and China (1937), S. 335. Die Geheimkorrespondenz zwischen Ignatiev und Elgin ist in: FO/331, Bl. 310–311, 18. Oktober 1860, Ignatiev an Elgin, in der er Elgin auch berichtet, dass alle hohen Würdenträger in verschiedene Richtungen geflohen seien. Costin, Great Britain and China (1937), S. 336. Diese Vermutung war begründet, aber erst aus Tianjin schickte Gros einen Brief an Thouvenel, in dem er über die Korruption in der Armee lamentierte, der das Plündern erlaubt gewesen war: „What ist the use of a soldier who has 20. 30. 50 and even 100 thousend francs in his pack? One Corps Commander is said to have in his baggage pearls and diamonds worth more than 800.000 Francs. Tianjin at this moment presents the distressing sight of soldiers selling at every cross road, rolls of silk, jewels[…]” Tianjin, 17. November 1860, Gros an Thouvenel, in: MAE, Correspondance Politique, Chine 34.

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werde.511 Hope Grant nahm dann die Verantwortung für die Verbrennung des Sommerpalastes auf sich und entlastete den französischen General, indem er ihm am 18. Oktober den folgenden Brief schrieb: Headquarter Pekin, 18th October 1860 Sir, With reference to your Excellency’s letter of yesterday’s date, No. 123, I have the honour to state that my reasons for wishing to destroy the palace of Yuan-min-yuan are first, because it was in that place that the prisoners were treated with such barbarity, being bound hand and foot together for three days, with nothing to eat or drink; and, secondly, because the English nation will not be satisfied unless more lasting marks of our sense of the barbarous manner in which they have violated the laws of nations be inflicted on the Chinese Government. If we were to now make peace, sign the treaty and retire, the Chinese Government would see that our countrymen can be seized and murdered with impunity. It is necessary to undeceive them on this point. The Summer Palace of the Emperor has certainly been plundered, but the damage inflicted upon it could be repaired in a month. The very day the French Army left Yuanmin-yuan, the palace was again taken possession of by the Chinese authorities, and five Chinamen caught plundering there were executed by them. My patrols have since found the place locked up, and the houses not destroyed. It has been well ascertained that the palace of Yuanmin-yuan is considered as a most important place. The destruction of it is a blow aimed entirely at the Chinese Government, by whom, and not by the people, have these atrocities been committed; and it is a blow that will be felt most severely by the Chinese Government, whilst on the score of humanity there can be no objection urged against it. I beg further to add that Lord Elgin holds the same opinions as I do on this subject.512

Aus den Quellen lässt sich nicht ersehen, dass britische Soldaten vor Ort 1860 sich kritisch über diese Absicht des General Hope Grants äußerten, und auch Elgin bestätigte ihm am 20. Oktober noch einmal, dass er voll und ganz mit Hope Grant übereinstimme. Montauban selbst verhielt sich vor Ort eher defensiv und fuhr Hope Grant nicht in die Parade in der Hoffnung, dass seine Regierung damit einverstanden sein würde.513 Seinem Minister Thouvenel allerdings bestätigte er, was er bereits auch schon in dem Briefwechsel mit Gros am 17. Oktober verdeutlicht hatte und setzte sich dadurch von Hope Grant ab: Plünderer („pillards“) seien die Franzosen sicherlich, nicht aber „Verbrenner.“514 511 Walrond, Letters of Elgin (1872), S. 367. 512 Zitiert in: Knollys, Incidents (1875), S. 203. Die diesbezüglichen Korrespondenzen finden sich auch in WO32/8238 und WO32/8239, die französische Version ist in MD, SHAT, 5G1, Dossier 2, ebenso wie in FO 17/331, Bl. 325. 513 Peking, 18. Oktober 1860, Montauban an Hope Grant, in: FO 17/331, Bl. 337. 514 Aus den unveröffentlichten Aufzeichnungen von William Greathed geht hervor, dass in der britischen Armee zumindest ein Angriff geplant wurde: Camp Peking, So schreibt dieser am19. October 1860: „The attack on the Imperial Palace will be made in two colums: 2 Companies of Infantry, 2 Armstrong Guns, and the Sappers with ladders. Powder caps and tools.” Ob es sich bei „Imperial Palace“ um den Yuanming yuan oder die Verbotene Stadt handelte, läßt sich allerdings nicht bestimmen. Da Greathed das Futur verwendet, könnte es sich auch um die Verbotene Stadt handeln, da der Yuanming yuan bereits am 19. Oktober 1860 in Flammen stand. Andererseits wurde der Befehl, die Stadt Peking einzunehmen, erst am 21. Oktober widerrufen. NAM: Greathed, William: Documents […], 1860.

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Auch Gros formuliert, ebenso wie Montauban, in einem Schreiben an den französischen Außenminister am Abend des ersten Tages, als der Palast verbrannt wurde, seinen Verdacht, dass Elgin die Absicht verfolge, die Qing-Dynastie abzusetzen und durch die Taiping-Rebellen in Nanjing zu ersetzen. Er, Gros, habe an diesem Morgen gesehen, wie der Palast verbrannt sei, und er wisse nicht, was Elgin damit verfolge und könne nicht garantieren, dass nicht ein geheimer Hinterhalt Ursache dieses Verhalten sei.515 Er habe darüber schwere Auseinandersetzungen mit Elgin gehabt.516

7 DIE ZWEITE PLÜNDERUNG UND DAS NIEDERBRENNEN DES YUANMING YUAN: BRITISCHE KAVALLERIE, 18. BIS 19. OKTOBER Am 18.Oktober 1860 begaben sich Infanterie und Kavallerie unter dem Kommando von General Sir John Michel vom Lager der britischen Truppen aus in der Nähe von Peking zum Yuanming yuan. Als sie dort ankamen, teilte Michel die Division auf, und entsandte die Schwadrone in verschiedene Teile des Palastes, wo sie systematisch und gründlich Feuer legten. Obwohl schon ein großer Brandschaden vorhanden war, insbesondere in dem Bereich, den die Alliierten für die Privatgemächer des Kaisers hielten, war noch genügend für die Infanterie zu verbrennen geblieben, während die Kavallerie großflächig das ganze Gebiet um den Yuanming yuan herum, also auch viele andere Gärten in einem Radius von sieben oder acht Kilometern um den Yuanming yuan, gründlich verbrannten.517 In den Berichten werden immer wieder Dokumente erwähnt, die bei der Plünderung des Yuanming yuan gefunden wurden. Diese wurden laut Graham Young zu Beginn dieser Plünderung entdeckt, und erst danach übersetzt, können also wohl kaum etwas zur Strategiebildung Elgins beigetragen haben.518 Während die Plünderung vom 6. bis

515 Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 398. 516 Auch Chassiron ist der Auffassung, dass es sich bei der Palastverbrennung um einen barbarischen Akt handelte, gänzlich unnötig im 19. Jahrhundert. Vor allem die französische Beteiligung sei nicht notwendig gewesen, da man weder Opium verkaufe, noch Tee trinke. Chassiron, Notes sur Chine (1861), S. 275. 517 Walker, Days of a soldier’s life (1894), S. 219. 518 Es handelte sich hierbei um mehrere Dokumente, die in den britischen und französischen Berichten teilweise übersetzt und widergegeben sind. In der vom französischen Kriegsministerium herausgegebenen Version der Ereignisse, Blondel, Relation de l’Expédition de Chine (1862), werden sechs Dokumente zitiert, die an verschiedenen Daten von verschiedenen Personen an den Kaiser geschickt wurden. Die Personen (die im Französischen „Mandarine“ oder „Minister“ genannt werden) sind wegen der französischen provisorischen Lautumschrift nur schwer zu identifizieren. Eine englische Übersetzung dieser Dokumente findet sich bei FO 405/5, bei Swinhoe und in Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 243–258. Elgin selbst schickt am 21. Oktober bereits eine Übersetzung an Russell, FO 17/331, Bl. 302f. Die Dokumente werden wie folgt bezeichnet: 1. Rapport Senggerinchin an den Xianfeng-Kaiser, 26. August 1860, in: Blondel, Relation de l’Expédition de Chine (1862), S. 173.

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9. Oktober im Wesentlichen nur mit der Bevölkerung Haidians als Zeugen vor sich ging, war diesmal in Peking das Feuer des Großbrandes im zwölf Kilometer entfernten Yuanming yuan gut sichtbar. Das Feuer war so gewaltig, dass während der nächsten beiden Tage eine schwarze Rauchwolke über der Brandstelle hing, die auch in weiter Ferne noch gesehen wurde. Ein sanfter Wind, so beschreibt Wolseley, trug den Rauch in Richtung des britischen Lagers und in die Stadt selbst und kündete so von der Zerstörung des Sommerpalastes. „In passing between our camp and Yuen-ming yuen“, schreibt er weiter, „upon both of those days, the light was so subdued by the overhanging clouds of smoke, that it seemed as if the sun was undergoing a lengthened eclipse. The world around was dark with shadow.“519 Die Rauchentwicklung verstärkte sich im Laufe des Tages, gegen Abend waren die Rauchwolken so dick und undurchdringlich geworden, dass sie einem großen Gewitter glichen, das über Peking hing. Das „knackende Geräusch des Feuers“ war zu hören, und sein roter Schein spiegelte sich auf den Gesichtern der brandstiftenden Soldaten wider, ließ sie wie „Dämonen erscheinen, die sich an ihrer Zerstörung des Unersetzlichen weideten.“520 Die Verbrennung des Palastes rief unterschiedliche Reaktionen unter den Berichterstattern hervor (was Elgin selbst darüber dachte, ist seinem 1872 veröffentlichten Tagebuch nicht zu entnehmen, dort werden nur die offiziellen Berichte zitiert). Da ist zunächst Bedauern: „Roof after roof crashed in, smothering the fire that devoured its sustaining walls, and belching out instead large volumes of smoke, it betokened to our minds a sad portent of the fate of the antique empire, its very entrails being consumed by internecine war“, schreibt Swinhoe. Dem schließt sich George Colley an, der an der Verbrennung des Palastes beteiligt war: „I wish I could have had two or three days to go quietly about the place before it was burnt, for many parts of it were really beautiful, and it grieved me having to burn them down.“521 Hier scheint mehr als nur Bedauern darüber mitzuschwingen, dass er sich nicht weiter an den Kunstschätzen bereichern konnte, nämlich auch die Trauer über den Verlust eines so wunderbaren Ortes. 2. Kia-tchin et autres grands mandarins (unidentifiziert) an den Xianfeng-Kaiser, 9. September 1860, in: Blondel, Relation de l’Expédition de Chine (1862), S. 176. 3. Tsiouen-King und Ho (autres dignitaires de l’empire) an den Xianfeng-Kaiser, 12. Sept 1860, in: Blondel, Relation de l’Expédition de Chine (1862), S. 178. 4. Pang-Sum-Tchang (premier ministre de Chine) an den Xianfeng-Kaiser, 12. Sept. 1860, in: Blondel, Relation de l’Expédition de Chine (1862), S. 182. 5. Tsiouen-King, ministre d’etat et 23 autres dignitaires an den Xianfeng-Kaiser, 13. Sept, 1860, in: Blondel, Relation de l’Expédition de Chine (1862), S. 185. 6. Tsao-Yang-Ying Censeur de la Province Cou Guang an den Xienfeng-Kaiser, 13. Sept. 1860. Über den Fund berichtet Young, A Story of Active Service (1886), S. 146. 519 Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 279. 520 Swinhoe, Narrative (1861), S. 330. Walrond, Letters of Elgin (1872), S. 367. 521 Butler, The Life of Sir George Pomeroy-Colley (1899), S. 67. Colley beschreibt sodann in kurzen Worten die architektonische Anlage des Palastes und seinen Anteil an der Beute: „I had a pretty good collection of silk embroideries and robes (mostly from the imperial wardrobe, and bearing the imperial arms).” Siehe auch Young, A Story of Active Service (1886), S. 158.

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Völlige Billigung findet das Vorgehen bei Walker: I throroughly approve of the whole proceeding. We have carefully abstained from wilful injury to the poor, but I would burn every government building and the house of every known mandarin in the country, and if it were not for the General’s promise I would burn the whole Tartar quarter of Peking, imperial palace and all public buildings.522

Swinhoe ist außerdem der Auffassung, dass die Schuld an der Verbrennung bei der chinesischen Regierung liege, die es soweit habe kommen lassen, dass die Nationen, die eigentlich helfen wollten, dazu gebracht worden seien, den Palast zu zerstören. Während Elgin eher die strafende Dimension der lesson im Kopfe hatte, sieht Swinhoe hier noch eine letzte Hoffnung für das chinesische Reich: Swinhoe fügt, gar nicht zynisch, hinzu: […] there is time yet for China to regenerate herself, and by cultivating friendly relations with foreign empires, learn from them how in the present emergency of her case she may maintain order among her people, and keep pace with the march of progress.523

Die Franzosen hatten sich während der ersten Plünderung ungehemmt bereichern können, aber diesmal kamen in noch größerem Maße die Briten zum Zug, und es fanden während der Verbrennung des Sommerpalastes umfassende „Nachplünderungen“ statt.524 Am 6. und 7. Oktober hatte es noch Beschränkungen gegeben und war es nur britischen Offizieren, nicht aber den gemeinen Soldaten erlaubt zu plündern. Am 18./19. Oktober aber war es allen gestattet, zu plündern, und so beeilten sich Herumstehende und Soldaten gleichermaßen, in den Palastkomplex zu kommen, um verbliebenes Plündergut zur persönlichen Bereicherung zu „retten.“525 Die 15th Punjabees, denen es oblag, den Sommerpalast zu zerstören, kamen in den Besitz von großen Mengen von Gold, und einem Offizier gelang es gar, Schätze im Wert von umgerechnet 9.000 Pfund für sich einzusammeln. „We had been recommeded in general orders to loot all we could, and to take carts and bring back whatever we liked”, etwa schreibt Harris, der später den Spitznamen “China Jim” erhielt, weil er eine Reputation dafür hatte, nicht nur ein Kenner chinesischer Kunst zu sein, sondern obendrein mit dem aus dem Palast geholten Plündergut ein Vermögen verdient zu haben. Für den Transport seiner am 18. Oktober gemachten Beute benötigte er sieben Mann und berichtet auch, dass er vom Agenten von Lane Crawford, der die alliierten Truppen mit allerhand Waren begleitet hatte, Gold kaufte, welches dieser fälschlicherweise für Kupfer gehalten 522 Walker, Days of a soldier’s life (1894), S. 218. 523 Swinhoe, Narrative (1861), S. 331. 524 Dass Costin also fälschlicherweise behauptet, dass die von Gros in einem Brief an Thouvenel vorgebrachte Anschuldigung, die Briten hätten noch schlimmer als die Franzosen geplündert, nicht wahr sei, Costin, Great Britain and China (1937), S. 336, liegt daran, dass diese zweite, bedeutendere Plünderung in den offiziellen Berichten nicht erwähnt wird, sondern nur in den privaten Veröffentlichungen (z.B. Walker, Swinhoe, Colley, Wolseley, Harris, Dunne), die er offenbar nicht kannte oder bewusst ignorierte. 525 Vetch, Letters and Diaries (1901), S. 192. Auch Graham, der gar nicht zur Verbrennung abkommandiert war, begab sich am 19. und 20. Oktober in den Yuanming yuan, um für sich noch Plündergut zu retten.

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hatte.526 Damit war für ihn die Enttäuschung getilgt, die er erlebt hatte, als er am 8. Oktober seine gesamte Beute aufgeben musste. Von diesem Harris, der in der Division von John Michel ritt, wird auch überliefert, dass er am Abend des 19. Oktober, als der Palast schon fast verbrannt war, einen buddhistischen Tempel entdeckte, in dem mindesten 500 Statuetten aus solidem Gold standen, von denen ein gewisser Edmund Ward, der ihn auf diese Schätze hatte aufmerksam gemacht hatte, nur eine tragen konnte. Harris erhielt am 20. die Erlaubnis, diesem Hinweis nachzugehen, und konnte sich auf diese Weise noch einmal Gold im Werte von 20.000 Pfunde aneignen. Angesichts dieser Menge an Wertgegenständen suchte er noch einmal Hope Grant auf, um in einem privaten Gespräch zu klären, ob er diese Summe diesmal behalten dürfe. Hope Grant versicherte ihm, dass er keinen prize fund mehr veranstalten werde.527 Insgesamt ging an diesem Tag der größte Teil des Palastes in Flammen auf: Rien ne fu epargné! Résidences impériales, bibliothèques où se trouvaient entassés les produits litteraires et artistiques de plus de quarante génerations, pagodes plus vieilles que notre monde connu, tout fut livré aux flammes et les mandarins, du haut des murailles de Peking, purent voir les colonnes de fumée qui sortaient de ces immenses incendies.528

Nach zwei Tagen Verbrennung begaben sich die Truppen wieder in ihr Lager bei Peking. Dies beschreibt Young, der zuvor die Verbrennung des Palastes bedauert hatte, nun aber zufrieden war, dass seine toten Kameraden gerächt waren: [...] now they are gone from us; this holocaust to their names is over; and turning our backs to the ruins we leave behind us, we proceed without indulging in moral reflections on the day’s doings, to our temporary homes outside the walls of Peking, in search of dinner, for we are hungry as hunters after a hard day across country..529

Innerhalb der französischen Truppen herrschten über die Verbrennung durchaus Meinungsverschiedenheiten. So beurteilte Dupin die Entscheidung Montaubans, sich nicht an der Verbrennung zu beteiligen, durchaus kritisch und warb um Verständnis für die Verbrennung durch die Briten, die insbesondere in Europa viele verurteilt hätten, ohne „die wahren Gründe dafür“ zu kennen.530 Ähnlich wie Elgin begründete er die Zerstörung als einen sehr ungefälligen, aber notwendigen Akt der Abschreckung. Montauban habe die Lage falsch eingeschätzt und der Frage, wie seine Aktion in Frankreich beurteilt würde, über Gebühr Beachtung geschenkt. Krieg aber erfordere, dass man staatliche Interessen vor die Bewahrung von Kunstschätzen stelle. Zudem seien die französischen Gefangenen dort drei Tage und drei Nächte ohne Verpflegung festgehalten worden, was Grund genug sei, den Palast zu zerstören. Als weitere Rechtfertigungsgründe nannte er die vermeintliche Verzögerungstaktik der chinesischen Beamten, durch die die Verhandlungen in die Länge gezogen werden sollte. Auf den schweren Pekinger 526 527 528 529 530

Harris, „China Jim“ (1912), S. 120. Ebd., S. 121. Varin, Expédition (1862), S. 267. Young, A Story of Active Service (1886), S. 160. Varin, Expédition (1862), S. 268. Der Colonel Dupin hatte sich bereits über die Strategie von Montauban am 21. August gewundert.

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Winter waren die alliierten Truppen nicht eingerichtet, und die Qing-Regierung hätte unterdessen Zeit gehabt, eine schlagkräftige Armee zusammenzustellen, um dann bei Frühlingsbeginn die Alliierten in einer Schlacht schlagen und vertreiben zu können. Um dies zu verhindern und gleichzeitig der Drohung, den Kaiserpalast zu verbrennen, falls der Vertrag an 23. Oktober nicht unterzeichnet werden würde, Nachdruck zu verleihen, sei der Yuanming yuan „präventiv“ verbrannt worden. Damit, so führt Colonel Dupin weiter aus, sei der Ton angeschlagen, mit dem die Alliierten die Verhandlungen weiterzuführen gedachten.531 Mit dieser Einschätzung stand Dupin allerdings recht alleine: Andere französische Augenzeugen waren stolz auf die Entscheidung Montaubans, sich nicht an der Verbrennung zu beteiligen und waren sich sicher, dass das Urteil in Europa zu seinen Gunsten ausfallen würde. In einigen französischen Berichten wird die Verbrennung eher nebensächlich oder gar nicht erwähnt.532

Abbildung 20: Der See beim Sommerpalast nach dem Brand,18. oder 19. Oktober, Photographie von Felice Beato © Musée d’Histoire Naturelle de Lille.

531 Varin, Expédition (1862), S. 269. 532 Lucy, Lettres intimes (1862), S. 121, Roy, La Chine et la Cochinchine (1862), S. 126, Bazoncourt beschreibt nur das Vorgehen von Montauban, sonst nichts. Sinibaldo de Mas und Castano erwähnen ebenfalls nicht die zweite Verbrennung.

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Wong behauptet allerdings, dass die Verbrennung des Yuanming yuan fast dazu geführt hätte, dass Prinz Gong, der durchaus die Absicht hatte, Frieden mit den Alliierten zu schließen, die Verhandlungen abgebrochen hätte und geflohen wäre, was also nahelegt, dass Gros mit seinen Vermutungen doch recht hatte. Sowohl nach der Plünderung vom 7. und 8. Oktober als auch nach der Verbrennung lag Prinz Gong daran, den Ausländern selbst eine „Lektion“ zu erteilen, aber nach der Verbrennung waren die Qing-Truppen niedergeschlagen und besiegt, hatten keine Kraft mehr, eine derartige Aktion zu unternehmen, und wurden bereits anderweitig eingesetzt, um die Nian-Rebellen, die ebenfalls die Stadt bedrohten, zu bekämpfen.533

7.1 Elgins Begründung vor den britischen Autoritäten und Baron Gros Die ausschlaggebende Entscheidung, die letztendlich zur Verbrennung des Yuanming yuan führte, ging aber doch von Elgin selbst aus, und seine Überlegungen, wie er sie später gegenüber dem Premierminister ausführte, sollen hier kurz geschildert werden.534 Der Plan, im Falle eines „Wortbruchs“ der Unterhändler der Qing-Regierung Peking einzunehmen, blieb bestehen. Hope Grant hatte mit ihnen vereinbart, dass diese unter Hochdruck die am Tod der britischen Geiseln Schuldigen suchen würden. Für den Fall aber, dass das das Andingmen zur vereinbarten Stunde freigegeben werden würde, bevor die „Mörder“ der ausländischen Gefangenen entdeckt würden, würde er trotzdem die Stadt nicht angreifen. Andererseits aber mussten die Truppen zurück nach Tianjin transportiert werden, um spätestens zum 1. November den Rückmarsch anzutreten.535 Elgins Handlungsspielraum in dieser Sache war vor allem durch die hohen Kosten begrenzt, die das Unternehmen verursachte, die er vor dem britischen Unterhaus würde rechtfertigen müssen. Es lag ihm also sehr viel daran, erfolgreich zu sein. Wenn er nur Geld verlangt hätte, wäre seiner Ansicht nach der Tod der Briten nicht ausreichend gesühnt geworden. Zudem wäre eine hohe Geldforderung zusätzlich zum Vertrag und dem bereits Geforderten für die chinesische Regierung angesichts der chaotischen politischen Situation eine zu große Belastung gewesen. Einzig eine höhere Besteuerung des Zolls in Kanton wäre denkbar gewesen, aber auch dies war schwierig, denn allein schon, um die Entschädigungszahlungen zu leisten, die auf Befehl von Lord John Russell und der französischen Regierung von den alliierten Truppen gefordert wurden, wurde damit gerechnet, dass China

533 Wong, Paradise Lost (2001), S. 151. 534 Die Hauptquellen für Elgins und Grants Vorgehen sind: Peking, 18. Oktober 1860, Grant an Montauban, in: FO 405/5, S. 269. Außerdem: 25. Oktober 1860, Elgin an Russell, in: FO 405/5, S. 276f. Elgin an Gros: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 392–395. Außerdem Peking, 19. Oktober 1860, Elgin an Gros, in: FO 405/5, S. 287–288. 535 Swinhoe, Narrative (1861), S. 326.

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über einen Zeitraum von vier Jahren hinweg ca. 40 Prozent des Gesamtsteuereinkommens an die Alliierten abführen müsse.536 Auch eine Forderung nach Auslieferung derjenigen, die für den Tod der britischen und französischen Offiziere verantwortlich waren, wäre denkbar gewesen, aber es stand in diesem Fall zu befürchten, dass nur einige mindere Beamte bestraft werden würden, nicht aber die Hauptverantwortlichen. Die Auslieferung desjenigen, den man wirklich für den Schuldigen am Tode der Gefangenen hielt, Senggerinchin, hätte nicht bewerkstelligt werden können. Zwar hätte man ihn vor einem Kriegsgericht wegen der Nichtbeachtung der Parlamentärsflagge verurteilen können, aber seine Auslieferung konnte keinesfalls von der chinesischen Regierung verlangt werden. Außerdem wäre damit wieder nur ein Einzelner, nicht aber die chinesische Regierung bestraft worden. So rechtfertigt Elgin in einem Schreiben an seinen Außenminister Lord John Russell vom 25. Oktober 1860 sein Vorgehen also folgendermaßen: Having, to the best of my judgment, examined the question in all its bearings, I came to the conclusion that the destruction of Yuen-ming-yuen was the least objectionable of the several courses open to me, unless I could have reconciled it to my sense of duty to suffer the crime which had been committed to pass practically unavenged. I had reason, moreover, to believe that it was an act which was calculated to produce a greater effect in China, and on the Emperor, than persons who look on from a distance may suppose. It was the Emperor’s favourite residence, and its destruction could not fail to be a blow to his pride as well as to his feelings. To this place he brought our hapless countrymen, in order that they might undergo their severest tortures within its precincts. Here have been found the horses and accoutrements of the troopers seized, the decorations torn from the breast of a gallant French officer, and other effects belonging to the prisoners. As almost all the valuables had already been taken from the palace, the army would go there, not to pillage, but to mark, by a solemn act of retribution, the horror and indignation with which we were inspired by the perpetration of a great crime. The punishment was one which would fall, not on the people, who may be comparatively innocent, but exclusively on the Emperor, whose direct personal responsibility for the crime committed is established, not only by the treatment of the prisoners at Yuen-ming-yuen, but also by the edict, in which he offered a pecuniary reward for the heads of the foreigners, adding, that he was ready to expend all his treasure in these wages of assassination.537

Lord Elgin habe damit, so vermutet Wolseley, die mandschurischen Qing-Kaiser persönlich treffen wollen. Mit der Verbrennung des Sommerpalastes, der ihr ganzer Stolz gewesen sei, habe er nicht nur ihren wunden Punkt getroffen, sondern auch ihr Selbstverständnis als chinesische Kaiser schwer attackiert. Klar definiert auch Wolseley die „pädagogische“ Absicht der Alliierten: So sollte die Zerstörung des Yuanming yuan auch dem chinesischen Volk die Augen öffnen darüber, das ihre Kaiser Tyrannen seien.538 Um jedes Missverständnis durch die Pekinger Bevölkerung zu verhindern, veranlasste Hope Grant, dass Proklamationen auf Chinesisch erlassen wurden, aus denen hervorging, dass die wahren Schuldigen die Qing-Regierung sei und nicht 536 Swinhoe, Narrative (1861), S. 327. 537 Zitiert nach Walrond, Letters of Elgin (1872), S. 276. Siehe auch: Peking, 25. Oktober 1860, Elgin an Russell, in; FO 17/331, Bl. 372. 538 Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 281.

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etwa die einheimische Bevölkerung. Diese sei während der gesamten Zeit, in der die Truppen in Peking waren, sehr freundlich gewesen, und es sei nicht ihre Schuld gewesen, dass der Sommerpalast verbrannt worden sei. Parkes und Loch billigten gleichfalls das Vorgehen von Elgin.539 Dass die französischen Soldaten sich weigerten, an dem Akt der vandalischen („gothlike act of barbarism“) Verbrennung teilzunehmen, und dabei offenbar vergaßen, dass sie selbst zwischen dem 6. und dem 9. Oktober einen großen Teil der Beschädigung verursacht hatten, schien den Briten etwas unaufrichtig.540

8 ABSCHLUSSVERHANDLUNGEN UND VERTRÄGE, 20. BIS 26. OKTOBER 8.1 Elgin, Gros und Prinz Gong, 19. bis 23. Oktober Dass diese Strategie, vor der Vertragsunterzeichnung den Yuanming yuan zu zerstören, aufgehen würde, war am 18. und 19. Oktober keinesfalls klar. Wo sich die Qing-Regierung und Prinz Gong befanden, wussten Elgin und Gros nicht. Obendrein kam die Nachricht von heranrückenden Rebellen, und die Lage der Qing als legitimiertes Herrscherhaus schien so prekär, dass es fast den Anschein hatte, als seien die Bedenken von Montauban und Gros gerechtfertigt gewesen, und die Regierung befinde sich in heilloser Auflösung. Zudem war es sehr kalt geworden, und die „Wankelmütigkeit“ chinesischer Verhandlungspartner, so beschreiben Montauban und Gros es, hatten sie schon öfter erlebt. Außerdem sorgte die Uneinigkeit über die Verbrennung des Yuanming yuan für Verstimmungen innerhalb des Führungsstabes des alliierten Heeres.541 Die Vermutung liegt nahe, dass die Vermittlertätigkeit von Ignatiev letzten Endes die Qing-Regierung dazu veranlasste, mit den Alliierten zu verhandeln und den Vertrag abzuschließen.542 Bei seiner Rückkehr nach Peking am 17. Oktober, so berichtet er Elgin, habe er nach der Flucht des Kaisers alle hohen Minister und 539 Lane-Poole, Harry Parkes in China (1901), S. 251, Loch, Personal Narrative (1900), S. 269. 540 Wolseley, Narrative of the War (1862), S. 280, Siehe auch Swinhoe, Narrative (1861), S. 330. 541 19. Oktober 1860, Gros an Thouvenel, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 400– 403. 542 Peking, 18. Oktober 1860, Ignatiev an Elgin, in: FO 405/5, S. 272. Etwas vorher schon, am 17. Oktober, dankt ihm Elgin überschwänglich für seine Parteinahme, Elgin an Ignatiev, in: FO 405/5, S. 273. Cady allerdings kommt zu einer anderen Auffassung. Die privilegierte Stellung Russlands in China galt nur für den Landhandel. Den Seehandel musste sich Russland, ebenso wie die anderen Westmächte, erst erstreiten, was die Aufgabe von Putiatin und Muraiev gewesen war. Ignatiev sei daher nicht besonders privilegiert gewesen, sondern habe vielmehr nur vorgegeben, über spezielles Wissen und einenm Sonderzugang zum chinesischen Hof zu verfügen. Er habe England und Frankreich gegeneinander ausgespielt und dann im Dezember nach dem Truppenabzug der Alliierten selbst einen Vertrag für sich abgeschlossen, da der Vertrag von 1858, den Putiatin unterzeichnet hatte, nicht anerkannt worden war. Cady, Roots of French Imperialism (1954), S. 259ff.

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Würdenträger des Reiches an den unterschiedlichsten Orten gesehen, aber keineswegs handlungsfähig und vereint. Ignatiev also vetrat die europäische Sache vor Prinz Gong und anderen Ministern, überzeugte sie von der Notwendigkeit der Verhandlung mit den Alliierten und zeigte ihnen die schwierige Situation auf, in die sie sich hineinmanövriert hatten. Auch die guten Beziehungen zu Russland seien durch dieses Verhalten gefährdet. Es sei unbedingt notwendig, dass er, Prinz Gong, den Friedensvertrag mit den Alliierten abschlösse. Offenbar spielten auch zwei römisch-katholische Priester eine wichtige Rolle bei der Vermittlung und dem Zustandekommen des Vertrages, und der Kaiser bot ihnen zum Dank für ihre Dienste den weißen Knopf eines Mandarins der unteren 6. Klasse an, was sie aber beide (klugerweise, wie Swinhoe meint) ablehnten.543 Neben den Bedrängungen von Ignatiev und den zwei französischen Priestern war es, so mutmaßten die Alliierten, die Nachricht, Rebellen seien von Norden her im Anmarsch auf Peking und stünden bereits 150 Kilometer vor der Stadt, die Prinz Gong zum Einlenken bewegte.544 Während zuerst Unklarheit herrschte, ob es Taiping-Rebellen waren, stellte sich heraus, dass es sich um Nian-Rebellen handelte, die sich den Umstand der prekären Lage der Pekinger Regierung zunutze machten.545 Daher mussten sich die Truppen von Senggerinchin, die eigentlich zur Verteidigung Pekings abgestellt waren, in diese Richtung begeben, so dass nur eine Garnison in Peking zurückblieb. Sicher hatte die Verbrennung des Yuanming yuan auch einen weiteren Zweck und Effekt nicht verfehlt: Nachdem die Alliierten jetzt schwere Gewalt angewendet und zudem auch schon vorher einige militärischen Auseinandersetzungen für sich entschieden hatten, wurde es immer wahrscheinlicher, dass sie im Falle des Nichteinlenkens der chinesischen Regierung Peking angreifen würden. Wie dies dann verlaufen würde, demonstrierte die Verbrennung des Yuanming yuan deutlich. Dies war der Hintergrund, vor dem, so vermuteten die Alliierten, Prinz Gong seine Verhandlungen mit den Alliierten wieder aufnahm. Die Verbrennung des Yuanming yuan hatte in der Tat fast den gegenteiligen Effekt. Prinz Gong, Guiliang und Wenxiang hatten seit dem 21. September, dem Tag, an dem sie die Verhandlungen für den geflohenen Xianfeng-Kaiser übernommen hatten, eigentlich den Friedensschluss mit den Alliierten geplant.546 543 Swinhoe, Narrative (1861), S. 340. Gros allerdings behauptet später, dass Ignatiev auf seine Intervention hin zu Prinz Gong gegangen sei. Siehe hierzu Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 400. 544 Swinhoe vermutete, dass Elgin Sorgen haben könnte, dass die Qing kurz vor dem Untergang standen sie deswegen den Vertrag mit den Alliierten abschlössen, um eventuell deren militärische Hilfe in Anspruch nehmen zu können. Dies wird dadurch belegt, dass tatsächlich Abgesandte des Kaisers in Tianjin nach Vertragsabschluss Anfang November an Montauban herantraten, um mit ihm diesbezüglich zu verhandeln. 545 Swinhoe, Narrative (1861), S. 341. 546 Vom Januar 1861 rückblickend auf diese Zeit blieb Prinz Gong auch gar nichts anders übrig, als mit den Alliierten Frieden zu schließen: Die Taiping- und die Nian-Revolten waren so weit fortgeschritten, dass im August 1860 der Zeng Guofan weitreichende militärische Befehlsgewalt bekam, um die Taiping-Revolte niederzuschlagen zu zerstören. Im Vergleich zu Russland, das die Landgrenze bedrohte, waren die Alliierten nur eine mindere Bedrohung.

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Nachdem sie die Nachricht von der Plünderung am 8. Oktober vernommen hatten, fassten sie angesichts des rabiaten Verhaltens der Alliierten erstmalig ins Auge, die Friedensgespräche zu vertagen. Angesichts der Verbrennung wollten Prinz Gong und seine Berater nun eigentlich ebenfalls fliehen. Am 19. Oktober aber trafen sich Prinz Gong, Qinghui und Zhou Zupei und beschlossen, die Forderungen der Alliierten zu akzeptieren.547 Am 19. Oktober abends sandte Prinz Gong ein Schreiben an Elgin, in dem er die Erfüllung aller Bedingungen zusagte, einschließlich der Reparationszahlungen an die Familien der Opfer, und die Vertragsunterzeichnung für den 23. Oktober.548 Ein ähnliches Schreiben, in welchem er die Bestrafung von Senggerinchin, ebenso wie die Rückgabe der christlichen Kirchen in Peking ankündigte, ging an Gros.549 Gros antwortete Prinz Gong am 20. Oktober, dass er den Comte de Bastard mit der Vorbereitung der Vertragsunterzeichnung beauftragt habe.550 Am 21. Oktober wandte sich Gros noch einmal mit dem Hinweis an Elgin, dass er die Vergrößerung des Handlungsspielraumes, die sich durch das „ungesetzmäßige“ Verhalten der chinesischen Regierung ergeben habe, genutzt habe, um noch in den Vertrag einen Artikel zu chinesischer Emigration und zur Rückgabe der christlichen Gebäude einzufügen, die 1845 vom Daoguang-Kaiser requiriert worden waren.551 Gegen die Rückgabe der Kirchen hatte Elgin nichts einzuwenden, wohl aber gegen die Einfügung des Artikels die chinesische Emigration von Kulis betreffend, denn er befürchtete immer noch, dass es eventuell zu weiteren militärischen Auseinandersetzungen kommen könnte.552 Insgesamt waren aber die Alliierten vom Friedenswunsch der Qing überzeugt, so dass der Befehl, die Stadt Peking einzunehmen, der seit dem 4. Oktober gegolten hatte, am 21. Oktober endgültig widerrufen („countermanded“) wurde.553

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Fairbank, Treaty System, in: Fairbank/Liu (Hg.), The Cambridge History of China, Bd. 10 (1978) S. 253. Fairbank zitierte ein Memorial von Prinz Gong vom 13. Januar 1861, das er zusammen mit Ssu-yü Teng zusammen übersetzt hat und das in Fairbank/Teng (Hg.), China’s Response to the West (1954), S. 48 abgedruckt ist. Wong, Paradise Lost (2001), S. 151. Brown-Malone, The History of the Peking Summer Palaces (1934), S. 191, Morse, International Relations (1910), Bd. 1, S. 607. Knollys, Incidents (1875), S. 205. Siehe auch: Swinhoe, Narrative (1861), S. 338. Eine Rekapitulation des Schriftstückes vom 16. Oktober befindet sich auch in Swinhoe, Narrative (1861), S. 338. 19. Oktober 1860, Prinz Gong an Elgin, in: FO 405/5, S. 280. Prinz Gong berichtet davon am 22. Oktober an seinen Bruder. Chouban yiwu shimo (1979), S. 2470. Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 297. 20. Oktober 1860, Gros an Prinz Gong, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 408. D’Hérisson berichtet im Jahre 1870, als er seine Erinnerungen niederschrieb, dass es zu verschiedensten Anklagen aufgrund falscher Übersetzungen der Vertragstexte gekommen sei. Zudem erklärt er, dass Schmitz und Bovet die Dokumente im Yuanming yuan gefunden, und gleich an Montauban weitergegeben hatten. D’Hérisson, Journal d’un interprète (1886), S. 358. Montauban berichtet die Ereignisse: 19. Oktober 1860, Montauban an Thouvenel , in: MD, SHAT, 5G1, Dossier 2. 21. Oktober 1860, Gros an Elgin, in: FO 405/5, S. 283. 24. Oktober 1860, Elgin an Gros, in: FO 405/5, S. 284 Walker, Days of a soldier’s life (1894), S. 219.

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Am 22. Oktober um 2 Uhr erhielt der Comte de Bastard, begleitet vom Schatzmeister der Armee, sowie 20 Mann in Peking aus den Händen von Hengqi die 200.000 Silberbarren. Die Konvention, auf die man sich am 17. Oktober geeinigt hatte, wurde übernommen und gleichzeitig die die Emigration der Kulis betreffenden Vereinbarungen.554 Zudem wurde dem französischen Gesandten Gros in Peking ein großes Quartier zugesagt, in das auch Montauban einzog. Dies alles teilte Gros in einem Brief vom 23. Oktober mit, in welchem er auch um eine Eskorte für das von den der chinesischen Regierung bereitgestellte Geld bat.555 Der französische Botschafter bezog sein Quartier am 24.Oktober.556 Gros schrieb an Prinz Gong am 23. Oktober, dass sein Sekretär noch das Lösegeld zähle, aber sich freuen würde, wenn bei nächster Gelegenheit der Friedensvertrag unterzeichnet würde.557 Hope Grant brachte trotz Friedenszusage der chinesischen Seite seine Belagerungskanonen in Stellung, um die angedrohte Zerstörung innerhalb Pekings, falls notwendig, zur Ausführung zu bringen.558 Er reagierte damit auch auf Warnungen insbesondere von russischer Seite vor einem Hinterhalt. Es war die Rede davon, dass Senggerinchins Truppen in der Nähe des britischen Lagers seien für den Fall, dass es zu einem weiteren Konflikt käme.559 Um diese Gerüchte zu überprüfen sandte Hope Grant eine Reiterabteilung von Probyn’s und Fane’s Horse, die in der Tat am 22. Oktober an der Westseite der Stadtmauer auf eine Qing-Vorhut trafen. Diese formierte sich beim Anblick der Sikhs sofort zu einer langen Linie, griff aber nicht an, weil die Sikhs eine weiße Fahne trugen. Es handelte sich jedoch nur um die Garnison, die zur Bewachung Pekings abgestellt war; der General befand sich nicht in diesem Lager. Es hieß auch, dass Prinz Gong in der Nähe des Lagers der Qing-Truppen sei. Hope Grant blieb misstrauisch und ergriff insbesondere für den Tag des Vertragsabschlusses besondere Vorsichtsmaßnahmen, da er von einem Monsieur Mahé Hinweise erhalten habe, dass für diesen Tag eventuell Anschläge geplant waren. Die Verbrennung des Sommerpalastes, die Beute, die die Soldaten nach der Verbrennung dort gemacht hatten, hatte offenbar dazu geführt, dass sich die Einstellung chinesischem Eigentum gegenüber erheblich gelockert hatte. So beschreibt John Dunne, der auch im britischen Hauptquartier im Lamatempel untergebracht war: At first we rather respected the place, but the temptation was too much for the Punjabees, and I fear much some „curio“ collectors amongst the officers also succumbed. The consequence is that every portable god and goddess, as well as all small things pertaining to the mythology, 554 Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 410. Siehe hierzu den Bericht von Leon de Bastard an Baron Gros, 22. Oktober 1860, in Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 410–412. 555 23. Oktober 1860, Gros an Montauban, in: Montauban, Souvenirs (1932), S. 370. 556 Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 413ff. 557 23.Oktober 1906, Gros an Prinz Gong, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 1906. 558 Knollys, Incidents (1871), S. 223: Sir Hope Grant widersprach explizit der Behauptung, dass er angeordnet habe, dass die Stadt zerstört werden würde, wenn man seinen Anweisungen nicht Folge leistete. 559 Swinhoe, Narrative (1861), S. 342.

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Kapitel III: Der Chinafeldzug von 1860 have disappeared. The army has now a thirst for plunder which will be difficult to cure. We don’t however, hurt each other’s feelings by calling things by ugly names. When you meet a friend riding a fine mule, or with a sackful of silk or silver bangles, you merely inquire when and where he „annexed“ this property. The Emperor Napoleon has given us a lesson in politeness. By the by, how are we ever to get all our „annexations“ down to the fleet is a problem of dubious solution.560

8.2 Der britische Vertragsabschluss, 24. Oktober Der Einzug der britischen Delegation in Peking wurde als regelrechter Triumphzug inszeniert und muss wesentlich mehr der Einnahme einer Stadt, als einer friedlichen Vertragsunterzeichnung geglichen haben. Es scheint, als habe Elgin die Gelegenheit benutzt, noch einmal die Stärke des britischen Militärs zur Schau zu stellen und somit die Drohgebärde, die bereits bei der Verbrennung des Yuanming yuan gezeigt wurde, zu wiederholen.561 Am 24. Oktober ließ Hope Grant Robert Napier in die Stadt als Vorhut einziehen, um vorbeugend die zum Ritenministerium, in dem die Zeremonie zur Unterzeichnung des Vertrages stattfinden sollte, führende Straße zu sichern. Zusätzlich postierte Hope Grant am Andingmen eine Feldbatterie, die er für den Fall eines Anschlags bereithielt.562 Hope Grant und Elgin selbst zogen um 3 Uhr mittags (mit zweistündiger Verspätung) mit 500 Mann eigener Eskorte zum Ritenministerium. Damit widersetzten sie sich absichtlich den allgemein üblichen Sitten und Gebräuchen. Bislang war es üblich gewesen, dass fremde Botschafter nur in Begleitung von Eskorten des Qing-Heeres Zutritt zur Stadt hatten. Keine Gelegenheit während des gesamten Feldzuges nutzte Elgin so deutlich, um zu demonstrieren, dass dieser Vertrag nicht nur einen Vertrag zwischen Großbritannien und China darstellte, sondern vielmehr auch die Unterwerfung (oder „Gleichstellung“, wie er es formuliert haben würde), der Qing unter die Sitten und Gebräuche europäischer Diplomatie. Dieser Einzug der britischen Streitkräfte hatte paradenhaften Charakter: Einer Abteilung Kavallerie folgten Abgeordnete mehrerer Infanterieregimenter mit zwei Blaskapellen, die abwechselnd die ganze Strecke über spielten. Dann kamen hohe Offiziere zu Fuß, gefolgt von den Offizieren zu Pferde, sodann der General und sein Stab. Lord Elgin folgte dem General in einer Sänfte, die von 16 Kulis in violetter Livree getragen wurde, sein persönlicher Stab begleitete ihn rechts und links der Sänfte. Beschlossen wurde die ganze Prozession wieder von mehren Abtei-

560 Dunne, Calcutta to Peking (1861), S. 141. Dies wird bestätigt von MacGregor, der schreibt: „[…] while doing this [also während der Verbrennung des Yuanming yuan] we got a little loot, which will enable me to come home more comfortably.“ Es scheint aber so, und wird in mehreren Berichten erwähnt, dass Hope Grant alles, was bis zum 18. Oktober geplündert wurde, eingefordert hatte. Er musste also am 18. Oktober eine zweite, kleinere Auktion veranstaltet haben. Loch, Personal Narrative (1900), S. 274. 561 25. Oktober 1860, Bericht Hope Grant an Herbert, in: WO 32/8240. 562 Knollys, Incidents (1875), S. 207.

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lungen Infanterie und Kavallerie.563 Das Spektakel wurde von vielen Schaulustigen betrachtet, unter denen auch Angehörige der russischen Mission waren, die auf kleinen Ponys sitzend dem Schauspiel beiwohnten. Im Hofe des Ritenmininsteriums angekommen postierten sich rechterhand das britische Musikcorps, das spielte, während Elgin auf Prinz Gong zuschritt, der ihn in einer offenen Halle am Ende des Hofes erwartete. Die Zeremonie, die nun folgte, wird recht ausführlich beschrieben, denn nicht nur stellte sie das Ziel der „Expedition“ dar und ermöglichte Elgin die Anwendung des noch jungen europäischen diplomatischen Protokolls, sondern sie war vor allem dazu angetan, dem britischen Publikum zu Hause zu zeigen, dass das britische Empire nun auch Beziehungen zum chinesischen Kaiserhof habe. Hope Grant nahm zu Elgins Linken Platz, hinter einer Reihe von Tischen am anderen Ende der Halle saßen weitere britische Offiziere. Prinz Gong selbst nahm drei Meter entfernt von Elgin Platz, auf seiner rechten Seite standen die kaiserlichen Prinzen und Mandarine. Vor ihnen stand ein Tisch, der mit einem roten Tuch bedeckt war. Die Attachés und Übersetzer postierten sich zwischen den Vertretern der chinesischen Regierung an einem Tisch in der Mitte des Raumes, auf dem die Behältnisse, in denen die Verträge und Vollmachten waren, sowie Papier und andere offizielle Gerätschaften, aufgestellt waren. Nachdem Elgin und Prinz Gong ihre Bevollmächtigungen gezeigt hatten, schritt man zur Vertragsunterzeichnung.564 Dem Vertrag von Tianjin, nunmehr endlich ratifiziert, wurden zwei neue Artikel hinzugefügt, die die Emigration der Kulis gestatteten, außerdem die Abtretung der Insel Kowloon an die Briten. Untersagt wurde die Verwendung des Begriffes Yi (Barbaren) für die Briten. Es wurde ein Bericht über den Ablauf der Vertragsunterzeichnung verfasst, der in Kopie jeweils Prinz Gong und Lord Elgin zur Verfügung gestellt wurde.565 An die Angehörigen der Toten sollten jeweils umgerechnet 10.000 Pfund gezahlt werden. Diese für Prinz Gong unangenehme Situation wurde dadurch verschlimmert, dass Felice Beato während der Zeremonie seine Kamera aufbaute, um das Ereignis festzuhalten. Prinz Gong hatte noch niemals eine Kamera gesehen, und war der Auffassung, so interpretierten es die Beobachter, dass er nunmehr in Lebensgefahr sei.566 Es kann nicht geklärt werden, ob französische Vertreter bei der Zeremonie dabei waren, aber Colonel Dupin nutzt auch hier die Gelegenheit, zu behaupten, Elgin habe sich „von einer Arroganz, einer Härte und ohne Manieren 563 Swinhoe, Narrative (1861), S. 345. Knollys, Incidents (1875), S. 209. Diese Szene wurde auch in den westlichen Zeitungen recht ausführlich dargestellt. Young, A Story of Active Service (1886), S. 160–162. 564 Peking, 26. Oktober 1860, Elgin an Russell, in: FO 17/332, Bl. 1–8. Von der Inszenierung berichtet Elgin Russell nicht, Einzelheiten lassen sich nur den Berichten der Teilnehmer entnehmen. Die Bevollmächtigungsurkunde für Prinz Gong sandte Elgin an Russell. Sie ist abgedruckt in: FO 405/5, S. 286. 565 Swinhoe, Narrative (1861), S. 347. 566 Knollys, Incidents (1875), S. 209. Die Photographien von diesem Ereignis sind leider nicht erhalten.

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exzessiv gegenüber dem Prinzen“ gegeben, dessen „ängstliche Natur sich bei mehr als einer Gelegenheit zeigte.“567 Dies bestätigt Bazancourt, der gleichfalls beschrieb, dass Elgin den Eindruck gemacht habe, als würde man einen Eroberungsvertrag, nicht aber einen Friedensvertrag unterzeichnen.568 „I am told that the Prince looked very cross and his lordship very distant“, schreibt auch Gother Mann, der zwar nicht teilgenommen hatte, aber somit den französischen Eindruck bestätigte.569

8.3 Der französische Vertragsabschluss, 25. Oktober Der Vertrag zwischen Frankreich und China wurde am 25. Oktober abgeschlossen, und auch hier zeigt sich die Art und Weise, wie Frankreich im Unterschied zu Großbritannien wahrgenommen werden wollte mit seltener Klarheit. Im Gegensatz zu Elgin nämlich begaben sich Gros, Montauban und fast die gesamten französischen Offiziere, eskortiert von den Spahis und den afrikanischen Jägern, mit einer Abordnung der Artillerie und von Abordnungen des gesamten Heeres zur vereinbarten Stunde, und nicht etwa verspätet, wie sie selbst in ihren Berichten nicht aufhören zu betonen, zum Ritenministerium. Gros legte die ungefähr sechs Kilometer lange Wegstrecke (breite, schlecht gepflegte, staubige Straßen) durch Peking in der Sänfte, Montauban auf dem Pferd zurück.570 Dem Zug folgte, ähnlich wie den Briten am Tag zuvor eine Menge der schaulustigen Bewohner Pekings. Es drängten sich „Tataren und Chinesen gleichermaßen“, so beobachtet der Colonel Dupin, unter ihnen auch Frauen, und die Franzosen trafen pünktlich im Ritenministerium ein.571 Prinz Gong erwartete die französische Delegation mit dreihundert von seinen Mandarinen allen nur denkbaren Ranges. Was die Beschreibung der nun folgenden Zeremonie betrifft, so sind die französischen Berichte ausführlicher als die britischen. Der Prinz sei in ein braunes Seidengewand gehüllt gewesen, auf der Brust bestickt mit einem Drachen mit fünf Pfoten (das Zeichen der kaiserlichen Familie, wird von Colonel Dupin vermutet). Seine Kopftracht, so schildert Colonel Dupin war ein „tartarischer Hut“, der mit einem schwarzen Zobelpelz besetzt war, und in den eine Kappe aus brauner Seide eingearbeitet war, um seinen Hals hing eine Kette aus grüner Jade. Symbolhaft wird in der Schilderung von Colonel Dupin die Begegnung zwischen den Vertretern des niedergehenden Qing-Reiches und den Vertretern des Second Empire inszeniert. Die hohen Beamten seien in gelbe Seide gekleidet gewesen, die aber kein Festgewand gewesen zu sein scheinen. Es geschah wohl mit 567 So schildert es Varin, Expédition (1862), S. 273. Ebenso wie bei der Verbrennung des Yuanming yuan nutzt er hier die Gelegenheit, die britischen und die französischen Verfahrensweisen unterschiedlich darzustellen. 568 Bazancourt, Expéditions de Chine (1872), S. 312. 569 Gother Mann, BodLo, Gother, Correspondence (1860), Eintrag vom 25. Oktober 1860. 570 Eine Aufstellung der französischen Prozession findet sich in Mutrécy, Campagne de Chine (1862), S. 43. 571 Varin, Expédition (1862), S. 274.

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voller Absicht, so nimmt der Colonel Dupin an, dass die chinesischen Beamten die Franzosen nicht mit der großen Festgarderobe ehrten.572 Aus der Beschreibung von Prinz Gong kann der europäische Leser schließen, dass an der Spitze des schwachen chinesischen Staates ein dekadenter Jüngling saß: Prinz Gong wird als ein junger Mann von hohem Wuchs geschildert, bartlos aber mit einem Anflug von Pockennarben und einem blassen gelben Teint, dessen Äußeres eine ruinierte und schwache Konstitution verriet.573 Auch unter den ihn umgebenden Mandarinen schienen nur zwei oder drei eine intelligente Miene zu haben, vor allem die Augen eines etwas älteren Mandarins mit Schnurrbart sollen vor Lebensfreude gefunkelt haben. Dass der Colonel Dupin unter ein paar Chinesinnen, die sehr schön waren, die Schwester des Prinzen bemerkt habe, „eine Frau von wirklich eklatanter Schönheit, die viel frischer und graziöser war als die anderen Damen“, muss als Irrtum oder Erfindung klassifiziert werden.574 Montauban erschien in sein bestes Gewand gekleidet, seine Offiziere erschienen so festlich wie möglich.575 Baron Gros und seine Attachés trugen normale Alltagskleidung. Später tauschte er sich, so berichtet er, darüber mit Prinz Gong aus: Seine offizielle Uniform sei während des Schiffbruchs vor Ceylon verloren gegangen. Prinz Gong selbst entschuldigte sich dafür, nicht in seinen besten Gewändern erschienen zu sein mit dem Argument, dass seine Gewänder im Yuanming yuan verbrannt seien, und dankte noch einmal dem französischen Botschafter, dass er sich nicht an dieser Aktion beteiligt habe.576 Als die Franzosen den Raum betraten, erhob sich der Prinz, begrüßte den französischen Botschafter nach chinesischer Art und kehrte dann auf seinen Platz zurück, an dessen linke Seite er nunmehr den französischen Botschafter bat. Prinz Gong, der Botschafter und der General ließen sich an kleinen, speziell reservierten Tischen nieder, während das Gefolge an zwei langen Tischen Platz nahm, die mit einem Baumwollstoff bedeckt waren, auf der einen Seite die chinesischen Beamten, auf der anderen Seite die hohen französischen Offiziere.577 Nachdem Tee serviert worden war (bei dessen Genuss der misstrauische Montauban immer darauf achtete, dass sein Tee aus derselben Kanne kam wie der Tee von Prinz Gong)

572 Varin, Expédition (1862), S. 275. Dem widerspricht Bazancourt, Expéditions de Chine (1872), S. 308, der behauptet, dass die chinesischen Beamten ihr Festgewand trugen. Offenbar herrschte hier keine Einigkeit über die chinesische Kleiderordnung. 573 Mutrécy, Campagne de Chine (1862), S. 46. Völlig außer Acht gelassen wird hier, dass Prinz Gong völlig erschöpft sein muss: Der Kaiser geflohen, die Taiping-Rebellen wütend in der Gegend um Nanjing, das Heer von 30.000 Mann chinesischer Kavallerie aufgerieben, Prinz Gong selbst hatte ohne große Vorausbildung die Macht übernommen, sein schlechtes Aussehen hatte bestimmt noch andere Gründe als „Degeneration.“ 574 Varin, Expédition (1862), S. 276. 575 26. Oktober 1860, Gros an Thouvenel, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 443. 576 Gros. Livre Jaune (1864), S. 168. 577 Varin, Expédition (1862), S. 277.

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wurde mit lauter Stimme der Vertrag vorgelesen, der zwischen den beiden Ländern beschlossen werden sollte (Delamarre und de Meritens übersetzten).578 Im Moment der Vertragsunterzeichnung wurden 21 Kanonenschüsse gezündet, die verkünden sollten, dass von nun an Frieden zwischen Frankreich und China herrsche. Gros hatte Prinz Gong kleine Photographien von Kaiser Napoleon III. und seiner Gemahlin mitgebracht, sowie eine Sammlung aus allen Münzen französischer Währung, die er ihm erklärte. Dieses kleine Geschenk interessierte Prinz Gong besonders, schildert Dupin.579 Die Franzosen hatten keinen Photographen dabei, weshalb der bedeutende historische Moment der Vertragsunterzeichnung in einem Gemälde festgehalten wurde.580 Dass Prinz Gong Baron Gros nach Beendigung der Porträtsitzung die Hände schüttelte, interpretierte und stilisierte Colonel Dupin zu einer „spontanen Geste, die eine sehr hohe Bedeutung hatte.“ Sie sei als Anzeichen dafür zu werten, dass Prinz Gong mit dem Vorgehen der Franzosen sehr viel zufriedener als mit dem Vorgehen der Briten gewesen sei, deren Verhalten am Tag zuvor einfach als sehr arrogant und unhöflich empfunden worden war.581 So vermutet Colonel Dupin in völliger Verkennung der Kränkung und Demütigung, die das alliierte Heer und die Verbrennung des Sommerpalastes auf das Qing-China und Prinz Gong gehabt haben muss: Les petits causes amènent quelquefois les grands effets. Espérons que les Chinois se souviendront de notre courtoisie; espérons qu’après nous avoir vus partout et toujours les premiers sur le champ de bataille qu’après avoir apprécié notre valeur et notre modération, ils comprendront qu’il n’y a qu’à gagner à rester nos amis.582

Montauban berichtet, dass Prinz Gong ihm am Abend ein Essen aus der Palastküche schicken ließ.583 Er beriet sich mit Monsignore Moully darüber, wie er weiter vorgehen sollte und sandte die Boten, die das Essen brachten, mit einer Summe von 440 Piastern zurück zu Prinz Gong. Dafür, so schreibt er, hätte er sicherlich bei den Briten besser essen können, aber dies seien nun einmal die Sitten, an die er sich zu halten gedachte. Die Hauptpunkte des Vertrages waren: Die Ratifizierung des Vertrages von Tianjin, eine Entschädigungszahlung von zwei Millionen Tael wurde auf 4 Millionen Tael aufgestockt (60.000 Francs), von denen eine Million davon verwendet werden sollte, die Faktoreienbesitzer in Kanton zu entschädigen.584 Ferner wurde 578 Bazancourt, Expéditions de Chine (1872), S. 317. Varin, Expédition (1862), S. 276, 26. Oktober 1860, Gros an Thouvenel, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 443, Gros. Livre Jaune (1864), S. 168, Varin, Expédition (1862), S. 277. 579 Varin, Expédition (1862), S. 278. 580 Offenbar hatte Beato die Anfrage Montaubans abgelehnt. Montauban, Souvenirs (1932), S. 372. 581 Varin, Expédition (1862), S. 278. 582 Z.B. Kéroulée, Un voyage a Pékin (1861), S. 217. 583 Montauban, Souvenirs (1932), S. 377. 584 Chassiron benutzt später diese Zahl, um darzulegen, dass die Briten tatsächlich weniger Entschädigungsleistungen erhalten hatten als die Franzosen, da letztere bei wesentlich mehr Soldaten die gleiche Summe erhielten. Chassiron, Notes sur Chine (1861), S. 267.

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die Rückgabe der religiösen Einrichtungen, die von den Chinesen konfisziert worden waren, und die Erlaubnis vereinbart, im ganzen Reich ungehindert den Katholizismus praktizieren zu dürfen. Der Hafen von Tianjin sollte ein Freihandelshafen werden, und den französischen Soldaten sollte es erlaubt sein, in Tianjin und in den Beihe-Forts zu überwintern. Zudem würden sie sich erst nach Auszahlung der gesamten Entschädigung für die durch den Feldzug entstandenen Kosten zurückziehen.

KAPITEL IV: RÜCKKEHR NACH EUROPA REZEPTION IN EUROPA UND CHINA Mit der Vertragsunterzeichnung am 25. Oktober 1860 endete die britischfranzösische Allianz. Die beiden Verträge von Peking waren im Wesentlichen identisch mit denjenigen die im März 1860 dem Ultimatum beigelegen hatten, respektive im September in Tianjin den chinesischen Verhandlungsbevollmächtigten überreicht worden waren. Es wurde festgelegt, dass die chinesische Regierung sich bei den Alliierten für deren Niederlage vor den Dagu-Forts im Juni 1859 zu entschuldigen habe. Außerdem sollte es auch Botschaftern anderer Mächte erlaubt sein, ihre Residenz in Peking einzurichten. Die Qing-Regierung musste sowohl England als auch Frankreich jeweils 8 Millionen Tael Kompensation zahlen.1 Davon sollten 500.000 Tael sofort ausgezahlt werden, der Rest wurde getilgt, indem ein Fünftel des Steuereinkommens aus den Zolleinnahmen der QingRegierung durch den Handel der Alliierten wieder an diese zurück übertragen wurde. Tianjin wurde zudem als Handelshafen für Ausländer geöffnet. Zhoushan sollte unmittelbar evakuiert werden, die Evakuierung von Tianjin, Dagu und Shandong sollte stattfinden, sobald die Entschädigungssummen gezahlt waren. Außerdem wurde die Emigration von Chinesen (also der Kuli-Handel) unter gewissen Bedingungen erlaubt.2 Aus der Entführung der 26 britischen und 13 französischen Geiseln versuchten sowohl Großbritannien als auch Frankreich noch jeweils individuell den größtmöglichen Nutzen zu ziehen. Sie fügten dem Vertrag noch jeweils 18 Artikel an, die ihren eigenen unterschiedlichen Interessen dienten. Die Briten verlangten die Veröffentlichung sowohl des nunmehr ratifizierten Vertrages als auch einer Erklärung der Übereinkunft zwischen der britischen und der chinesischen Regierung in der Hauptstadt und in anderen Provinzen. Kowloon, gelegen im Hafen von Hongkong, wurde der britischen Krone ganz überlassen, 1898 wurde das Kowloon-Gebiet noch vergrößert. Frankreich nutzte die Gelegenheit vor allem, um die Interessen der katholischen Kirche durchzusetzen.3 Montauban und Gros lösten die bereits in Peking existierenden katholischen Gebäude wie Kirchen, Friedhöfe etc. aus, zudem wurde dem chinesischen Vertrag ein Passus hinzugefügt, demzufolge es Missionaren möglich sein sollte, im Landesinneren Land zu kaufen oder zu bebauen.4 Bis 1881

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MAE, Comptabilité 262, Januar 1861, Rapport à l’Empéreur. Morse, International Relations (1910), Bd. 1, S. 615. Unabhängig von der wechselnden Haltung der französischen Regierung zur katholischen Kirche: Im Fernen Osten verfolgte Frankreich immer deren Interessen. Morse, International Relations (1910), Bd. 1, S. 616.

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galt diese Klausel allein für katholische Missionare, die Benachteiligung der anderen führte zu großen Streitigkeiten. Ende 1860 erreichte die Nachricht vom Friedensvertrag zwischen China, Großbritannien und Frankreich Europa, im folgenden Jahr verbreitete sich die Neuigkeit auch in der europäischen Öffentlichkeit. Die Tatsache, dass nun die Handelshäfen geöffnet und zugänglich waren, stand dabei zunächst im Vordergrund, nicht die Plünderung des Sommerpalastes. Durch die öffentliche Zurschaustellung der erbeuteten Gegenstände wurde sie aber schnell bekannt. Das öffentliche Interesse an der Plünderung des Yuanming yuan von 1860 blieb in Großbritannien und Frankreich mäßig, die Rezeption in den beiden Ländern unterschied sich aber deutlich. In Frankreich wurde zunächst auf Betreiben Napoleons III. die Delegation der mit dem Beutegut zurückgekehrten Offiziere freudig begrüßt, das Ergebnis als Erfolg der Regierung gewertet, die Presse berichtete wohlwollend. Aber schon bald nutzte die Opposition diesen Anlass, um gegen Napoleon III. zu arbeiten, der 1860 durch den Italienfeldzug politisch bereits angeschlagen war, bevor er sich in das mexikanische Abenteuer stürzte. Es kam zu peinlichen Befragungen hinsichtlich gewisser Rechnungsposten, und Montauban musste wegen der Plünderung des Yuanming yuan öffentlichen Tadel und Kritik hinnehmen. In Großbritannien, das dem ganzen Unternehmen zunächst sehr viel kritischer gegenüber gestanden hatte, kam es Anfang 1861 im Parlament zu schweren Protesten. Elgin allerdings musste keine Konsequenzen tragen, seine Rechtfertigung der Verbrennung des Yuanming yuan wurde anscheinend akzeptiert. Unabhängig von der öffentlichen Rezeption erlebte in beiden Ländern der Kunstmarkt eine Belebung. Noch Jahre später wurden in und um Peking Gegenstände aus dem Yuanming yuan verkauft, politische Konsequenzen hatte die Verbrennung des Palastes aber nicht. Prinz Gong und seine Anhänger nutzen unmittelbar nach der Verbrennung des Yuanming yuan noch während der Abwesenheit des Kaisers die Gelegenheit, das Verhältnis zu den Alliierten auszubauen und mit ihnen gute Beziehungen anzuknüpfen. Erst gegen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelten sich die Ruinen des geplünderten Yuanming yuan zu einem Symbol der Schwäche und Demütigung.

1 NACH DEM VERTRAGSABSCHLUSS: GROßBRITANNIEN, FRANKREICH UND DIE QING-REGIERUNG 1.1 Die Rückgabe „französischen Eigentums“ in Peking und die Beisetzung der französischen Geiseln Unmittelbar nach Vertragsabschluss am 25. Oktober informierte Hengqi Montauban über die katholischen Kirchen in Peking und wies ihn zusätzlich auf die Existenz zweier weiterer Kirchen in Peking hin, deren eine ganz und gar zerstört worden war, deren andere, Tianzhouzhang genannt, offenbar aber noch intakt sein sollte. Beide Kirchen waren ursprünglich Eigentum der portugiesischen Jesuiten

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gewesen und befanden sich im Süden des in den Quellen „Tartarenstadt“ genannten Stadtteils neben dem Xiuwanmen.5 Montauban entsandte umgehend den Schwadronschef Campenon mit Lemaire als Übersetzer dorthin. Sie wurden von einem chinesischen Beamten begleitet, der ihnen dabei half, Überreste der dieser alten Kirche zu suchen. Man fand sie mit zugemauerten Türen in der Mitte eines großen leeren Platzes. Eine der Türen war bald freigelegt und geöffnet, eine Inschrift wurde sichtbar, die später von Pater Delamarre übersetzt wurde.6 Am 26. Oktober wandte sich der Bischof von Zhifu und Tianjin, JosephMartial Moully, an Montauban mit der Frage, wann und wo die Beerdigung der französischen Geiseln stattfinden solle. Er schlug vor, sie nicht auf dem französischen, sondern auf dem portugiesischen Friedhof beizusetzen, da dieser sich außerhalb der Stadtmauern befände. Zudem bat er auch, sich für die Rückgabe des Kreuzes einzusetzen, das vom Dach der katholischen Kirche abgenommen worden war. Als Beerdigungstermin wurde der 28. Oktober festgelegt. Auch die französische Beerdigungszeremonie wurde ebenso wie die Vertragsunterzeichnung genutzt zur symbolischen Inszenierung des „zivilisatorischen Auftrages“ des Second Empire und wird in besonders bewegten Worten geschildert. Der Trauerzug zog durch die gesamte Stadt zum Fuxingmen (einem der drei Tore in der Westseite der quadratischen Stadtmauer Pekings), an seiner Spitze trugen sechs Geschützlafetten die Särge. Es folgten zu Pferde die Generäle der beiden Armeen, Montauban und Hope Grant, in voller Uniform sowie Abordnungen eines jeden Regiments.7 In den Särgen befanden sich die Überreste von Foullon de Grandchamps, Dubut, Ader, des Spahis Jussuf sowie der Soldaten Godichet und Blanquet.8 Auf dem Friedhof hatten sich bereits Gros mit seinem diplomatischen Personal und der General Ignatiev eingefunden. Monsignore Moully, Bischof von Peking, hielt den Gottesdienst zusammen mit den Äbten Tregaro und Seré, den Militärgeistlichen der französischen Armee. Ebenfalls beteiligt waren Monsignore Matre, der katholische Seelsorger des britischen Heeres, außerdem Monsignore Anouilh, der Bischof von Shandong. Bentzmann hielt eine Ansprache auf Foullon de Grandchamps, Montauban auf alle anderen Soldaten. Ebenso wie bei den britischen Berichten der Beisetzung fällt die Innigkeit auf, mit der berichtet wird:

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Varin, Expédition (1862), S. 291. Bazancourt, Expéditions de Chine (1862), S. 322. Leider konnte nicht in Erfahrung gebracht werden, welche Kirchen damit gemeint sind. Eventuell kommt die heutige Südkathedrale (Nantang) in der Nähe des Xuanwumen in Frage, die auch heute noch an der bezeichneten Stelle zu besichtigen ist. Eine Übersetzung dieses Textes findet sich in Lucy, Lettres intimes (1861), S. 147. Danach wurde diese Kirche mit einer Spende des Kangxi-Kaisers in Höhe von 40.000 Tael errichtet, verbrannt und aufs Neue errichtet. Lucy vermutet, sie sei der Zerstörung entgangen, weil sie unter kaiserlichem Schutz stand. Kéroulée, Un voyage à Pékin (1861), S. 218. Es gibt keine Hinweise darauf, dass der Spahis Jussuf ein Christ war.

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[…] tout le monde était péniblement impressioné en pensant que ceux que nous allions confier à une terre étrangère laissaient dans la patrie des familles qui ne les reverraient plus et ne pourraient pas même déposer des regrets sur leur tombes si loin éloignées.9

Salutschüsse beendeten die Zeremonie. Die Beisetzung der französischen Geiseln auf dem eigenen Friedhof sollte nach der Vorstellung von Montauban und Gros eine starke Symbolkraft entfalten, denn die Existenz eines solchen belegte und verdeutlichte die lange Geschichte der französisch-chinesischen Beziehungen, an die Gros und Montauban wieder anknüpfen wollten. Auch der Friedhof war für diesen Zweck gut gewählt: Denn tatsächlich war dies der jesuitische Friedhof, auf dem auch Adam Schall von Bell, Matteo Ricci sowie Père Rideau, die allesamt sehr gute Beziehungen zu früheren Qing-Kaisern gepflegt hatten, ihre letzte Ruhe gefunden hatten. Auch während der europäischen Abwesenheit aus Peking waren ihre Gräber sehr gut gepflegt worden, offenbar nicht nur von Chinesen, sondern auch von russischen Missionaren, die ebenfalls ihren eigenen Friedhof hatten.10 Elgin konnte an diesem Ereignis nicht teilnehmen, weil er mit einer Grippe im Bett lag. Den kulturellen Unterschied zu dem, was in England bei solchen Gelegenheiten üblich sei, empfindet er aber sehr deutlich und beschreibt das ihm Berichtete seiner Frau: […] the French had a wonderful funeral on Sunday, in honour of the murder captives[…] Several speeches in bad taste were delivered, and a remarkable series of performances took place. Among other things, each soldier (this is, I believe, the French practice on such occasions) fired his musket into the grave, so that the coffins were covered in cartridges. The Chinese say that it was because they were not sure whether the occupants were really dead.11

Am 29. Oktober wurde die französische Kathedrale in Peking mit einer Messe und einem Te Deum wieder in Besitz genommen.12

1.2 Der Abzug der alliierten Truppen, 26. Oktober bis 9. November 1860 Es blieb den einfachen Soldaten verboten, Peking zu betreten, aber zwischen dem 24. und dem 28. Oktober wurde zuverlässigen britischen und französischen Offizieren Zeit und Gelegenheit gegeben, die Stadt zu besuchen.13 Dies diente, so begründeten es auch Hope Grant und Montauban, sicherlich nicht zuletzt auch der Gewöhnung der Bewohner Pekings an den Anblick europäischer Soldaten auf ihren Straßen. Die Soldaten bewegten sich in kleinen Gruppen, besuchten vor al-

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Montauban, Souvenirs (1932), S. 382. Varin, Expédition (1862), S. 290. Walrond, Letters of Elgin (1872), S. 369. Montauban, Souvenirs (1932), S. 380–384. Unterdessen trafen noch letzte britische Leichen ein, aber auch zwei lebende Sikhs. Vgl. hierzu: Peking, 26. Oktober 1860, Elgin an Russell, in: FO 405/5, S. 288. Für eine der frühesten Beschreibungen Pekings siehe Castano, L’Expédition de Chine (1864), S.178–185.

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lem Antiquitätenläden und wurden von den Einwohnern Pekings offenbar freundlich behandelt.14 Die Anziehungskraft des Yuanming yuan war allerdings immer noch so stark, dass einige der Offiziere sich gegen eine Besichtung Pekings entschieden und dafür, am 26. Oktober mit John Michel und einer großen Eskorte dorthin zu reiten. Mögliche Hintergedanken, sich dabei noch einen Teil wertvollen Plündergutes aneignen zu können, sind zu vermuten und als wahrscheinlich anzunehmen. Zwar fiel auf dem Weg dorthin noch einmal die Schönheit der Landschaft auf, aber der „Hauptpalast“ des Yuanming yuan sei so sehr zerstört gewesen, dass sich die Exkursion fast nicht gelohnt hätte, so beschreibt es Gother Mann. Er bemerkte auch, dass immer noch heftige Plünderungen vor sich gingen, wobei diese aber nicht mehr ungestraft blieben, was er aus dem Anblick dreier erst kürzlich getöteter Chinesen schloss.15 Letzte Plünderungen von britischen Soldaten erfolgten auch während dieses Besuches des Sommerpalastes. So hatte John Dunne diesmal etwas mehr Glück als zuvor, indem es ihm gelang, reiche Goldschätze zu bergen.16 Über das weitere Vorgehen der Diplomaten und den Abzug der alliierten Truppen nach Ende der Allianz mussten sich Elgin (der unterdessen in den Palast seines einstigen Widersachers Prinz Yi, der für die Entführung von Harry Parkes verantwortlich zeichnete, gezogen war) und Hope Grant, Montauban und Gros noch abstimmen.17 Am 26. Oktober sandte Gros eine Kopie des französischchinesischen Vertrages an Elgin. Auch Montauban erhielt von Gros ein Exemplar zusammen mit der Anweisung, sämtliche Feindseligkeiten gegenüber den Chinesen einzustellen.18 Gros teilte Montauban am 27. Oktober mit, dass er seine Mission in China erfüllt habe, und bat ihn, den Abzug der französischen Truppen vorzubereiten. Er selbst wollte sich noch vor dem 1. November und in Begleitung der französischen Truppen nach Tianjin begeben. Dort wollte er den französischen Gesandten Bourbolon erwarten, um ihn in Peking als Botschafter einzusetzen, und gleichzeitig sehen, wie sich die Dinge weiter entwickelten.19 Unstimmigkeiten gab es noch über die Sicherheiten, die die alliierte Armee als Pfand behalten wollte, bis die Entschädigungszahlungen der Qing-Regierung vollständig eingegangen waren. So berichtet Elgin an Russell am 27. Oktober, dass er Tianjin und die Da14 So z.B. Walker, Days of a soldier’s life (1894), S. 221. Gother Mann ging am 27. Oktober in die Stadt mit Rowley, siehe NAM: Rowley, Captain,Royal Horse Artillery, Diary 14 Jan 1860–12 March 1861, S. 45. Allgood, China War (1901), S. 61. 15 Frederick Gother Mann, in: BodLO, Gother, Correspondence (1860), Brief vom Sonntag, 28. Oktober 1860. Siehe auch, NAM: Rowley, Captain Royal Horse Artillery, Diary 14 Jan 1860–12 March 1861, S. 45. 16 Dunne, Calcutta to Peking (1861), S. 149. 17 Elgin wollte zunächst diesen Palast des Prinzen Yi für die britische Krone in Besitz nehmen. Dagegen opponierte aber die chinesische Regierung, und als britische Botschaft wurde dann der Palast eines gewissen Yiliang ausersehen, in der unmittelbaren Nähe des Russian Hostels. Banno, China and the West (1964), S. 200. 18 Peking, 26. Oktober 1860, Gros an Elgin, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 448. 19 Peking, 27. Oktober 1860, Gros an Montauban, in: Cordier, L’Expédition de Chine (1906), S. 450.

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gu-Forts nur solange als Pfand behalten wolle, bis die Entschädigungssummen gezahlt seien. Gros hingegen verlangte, dass zusätzlich Kanton und die Nordküste Shandongs besetzt bleiben sollten, aber diese Angelegenheit gab Elgin zur Entscheidung an die Regierungen in Frankreich und England weiter.20 Ein plötzlicher Kälteeinbruch trieb die Vorbereitungen zur Heimkehr der Truppen voran: Ignatiev informierte Elgin, dass in kürzester Zeit der Fluss Beihe zufrieren würde.21 Da die Situation in Peking unsicher war, hatte die Rückführung der Truppen nach Tianjin oberste Priorität. Hope Grant und Montauban bereiteten ihre Truppen darauf vor, am 1. November aus Peking abzuziehen. Elgin bat Hope Grant, noch ein paar Tage zu bleiben, da er erst sicher sein wollte, dass der Vertrag, der dem Kaiser nach Rehe geschickt worden war, auch unterzeichnet werden würde. Ohne das unterzeichnete Dokument nämlich konnte der Frieden zwischen den Alliierten und dem chinesischen Kaiser der Stadtbevölkerung von Peking nicht bekannt gegeben werden.22 Hope Grant kam dieser Bitte Elgins nach und verzögerte seinen Abmarsch bis zum 8. November (am 7. November beendete er offiziell den Feldzug mit einer General Order), schickte aber am 3. November schon den Konvoi mit den Kranken nach Tianjin.23 Gros, der ursprünglich baldmöglichst Peking verlassen wollte, hatte seine Entscheidung geändert, nachdem er gehört hatte, dass Elgin noch länger in Peking bleiben wollte. Am 31. Oktober mussten sich Gros und Montauban über den Verbleib französischer Truppen auf der Insel Zhoushan vor Shanghai absprechen. Es wurde vereinbart, dass die französischen Truppen sofort nach Vertragsunterzeichnung, respektive der Bestätigung durch den Kaiser von der Insel Zhoushan abgezogen werden würden. Montauban war gegen diesen Truppenabzug und drückte explizit sein Bedauern darüber aus, denn immerhin hätten die Briten Hongkong als Kolonie, da wäre es doch rechtens, wenn die Franzosen Zhoushan als chinesischen Stützpunkt bekämen.24 Am 1. November verließ Montauban Peking, ließ aber 450 Mann als Bewachung für den mit Elgin zurückbleibenden Gros dort und trat seinen Rückweg durch eine ganz und gar verwüstete Landschaft an. Er traf am 6. November mit seinen Truppen in Tianjin ein.

1.3 Die Annäherung der Alliierten und der Qing-Regierung: Unterschiedliche Strategien Großbritanniens und Frankreichs Unmittelbar nach der Unterzeichnung der Verträge veränderte sich die Atmosphäre zwischen den Qing-Beamten und den Alliierten merklich, wurde sogar „fast herzlich.“25 Die Spannungen, die zwischen Elgin, Gros und Montauban aufgrund 20 21 22 23

Peking, 27. Oktober 1860, Elgin an Russell, in FO 405/5, S. 289. Knollys, Incidents (1875), S. 210. Peking, 31. Oktober 1860, Elgin an Russell, in: FO 17/332, Bl. 95–109. Siehe Frederick Gother Mann, in: BodLO, Gother, Correspondence (1860), Eintrag vom 4. November 1860. 24 Montauban, Souvenirs (1932), S. 388. 25 Banno, China and the West (1964), S. 202.

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der Verbrennung des Yuanming yuan entstanden waren, scheinen sich hingegen etwas verschärft zu haben. Jede Partei versuchte, auf ihre Weise mit der QingRegierung in Kontakt zu kommen, und so den größtmöglichen Vorteil zu erlangen. Elgin nutzte die nächste Zeit, um sich ein Bild von Peking zu machen, und besuchte dabei einen Teil der Verbotenen Stadt und des Beihai-Parks, zudem die russische Gesandtschaft, außerdem den Erdtempel und den Himmelstempel. Befremdet nahm er zur Kenntnis, dass Montauban und Gros Anstrengungen unternahmen, sich mit den Vertretern der Qing-Regierung in ein gutes Einvernehmen zu setzen. Über die französischen Motive war er sich dabei nicht ganz im Klaren, teilte aber mit Ignatiev die Auffassung, dass die Franzosen unter „jesuitischer Anweisung“ handelten. Sie vermuteten, dass Gros und Montauban aufgrund ihrer Position als Schutzmacht der katholischen Kirchen in Peking ein gewisses Vertrauensverhältnis zwischen Peking und Paris annahmen, weshalb Montauban auch auf Höflichkeit gegenüber Prinz Gong großen Wert legte, indem er diesen zuerst besuchte und nicht etwa seinen Besuch abwartete, wie Elgin es getan hatte.26 Am 2. November kam der Vertrag aus Rehe mit der Unterschrift des Kaisers nach Peking, so dass man den geschlossenen Frieden veröffentlichen und der Stadtbevölkerung Pekings bekannt machen konnte. Am 4. November endlich stattete Prinz Gong Elgin seinen Höflichkeitsbesuch ab, der diesen Besuch einen Tag später erwiderte.27 Die Drucklegung des abzuschließenden Vertrags entpuppte sich sowohl für die Übersetzer Parkes und Wade als auch für die chinesischen Drucksetzer noch als eine sehr anstrengende und aufreibende Arbeit, aber am 7. November waren die Plakate, auf denen der zwischen den Alliierten und der Qing-Regierung geschlossene Frieden verkündet wurde, fertig gestellt. Am gleichen Tage traf Frederick Bruce in Peking ein, der am 8. November 1860 als britischer Gesandter eingesetzt wurde.28 Elgin ließ es sich nicht nehmen, in Begleitung von Parkes, Wade, Hay und Crealock Frederick Bruce persönlich Prinz Gong vorzustellen.29 Er verdeutlichte, dass Bruce nunmehr eine höhere Position als er, Elgin habe, indem er von seinem Ehrenplatz aufstand, Bruce darauf Platz nehmen ließ und sich zurückzog, was offenbar sehr gut verstanden wurde.30 Weil aber Ignatiev, der als Mittler hätte dienen können, sich dazu entschlossen hatte, Peking

26 Peking, 4. November 1860, Elgin an Russell, in: FO 17/332, Bl. 118f. In der Tat besuchte Prinz Gong dann zuerst Elgin, bevor er den Besuch von Gros erwiderte. 27 Peking, 4. November 1860, Elgin an Russell, in: FO 17/332, Bl. 116f. 28 Michie, Englishmen in China (1900), S. 355. 29 Dunne, Calcutta to Peking (1861), S. 156. Elgin berichtet davon an Russell: Peking, 13. November 1860, Elgin and Russell, in: FO 17/332, Bl. 132–137. Parkes, Wade und Morrison bekunden größtes Interesse daran, der britischen Gesandtschaft in Peking erhalten zu bleiben. 30 Walrond, Letters of Elgin (1872), S. 371. Cady, Roots of French Imperialism (1954), S. 257, beschreibt dieses Auftreten von Frederick Bruce so, dass dieser, mit 50 Kisten voll Glasscheiben im Gepäck in Peking aufkreuzte, und schwor, den Ort nicht mehr zu verlassen. Nur dem Zuraten von Gros, der sich dahingehend mit Ignatiev abgesprochen hatte, sei es zu verdanken, dass der durch das Verhalten seines jüngeren Bruders etwas beschämte Elgin diesen letztendlich Prinz Gong vorstellte, und dann mit ihm zusammen wieder abzog.

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einstweilen zu verlassen, riet Gros, anscheinend von Ignatiev dahingehend beraten, dem Kaiser Gelegenheit zu geben, aus Rehe zurückzukommen und sich an die veränderte Position zu gewöhnen. Deshalb wurde beschlossen, dass Bruce seine Tätigkeit als Botschafter in Peking erst im darauffolgenden März aufnehmen sollte. Zur Beaufsichtigung der Reparatur der zukünftigen britischen Botschaft blieb bis dahin Mr. Adkins, Dolmetschereleve, in Peking. Gros wollte derweil seine Gesandtschaft mit Bourbolon in Tianjin eröffnen.31 Während der Besuche, die sich Elgin und Prinz Gong abstatteten, wurde offensichtlich auch das Thema der Unterstützung der Qing-Regierung bei der Reform ihres Militärs angesprochen, was Elgin aber ablehnte.32 Die Unterstützung der Qing bei der Niederschlagung der Taiping-Rebellen in Shanghai sei völlig ausreichend gewesen, man erwarte nunmehr, dass die Qing-Regierung selbst in der Lage sei, ihre inneren Angelegenheiten in Ordnung zu bringen und für die Sicherheit der britischen Gesandten in Peking zu sorgen.33 Während so die britische Position relativ eindeutig als ablehnend festgelegt war verhielt sich insbesondere Montauban gegenüber den Qing-Beamten relativ zuvorkommend, so als wolle er ein Exempel darüber statuieren, was sich im gegenseitigen Umgang schicke. Noch nach der Beerdigung der französischen Geiseln am 28. Oktober beispielsweise besuchte der neu designierte Bischof Moully Montauban in einer Funktion als Mittelsmann, um ihm mitzuteilen, dass es Prinz Gong sehr wichtig sei, dass die Truppen unverzüglich aus Peking abgezogen würden. Am 30. Oktober begehrte sogar Shengbao ein Treffen mit Montauban, was dieser aber angesichts der Grausamkeiten, die der Mandschure an Brabazon und Duluc begangen hatte, ablehnte. Etwa zeitgleich kam eine Anfrage von Prinz Gong an Montauban, ob er vielleicht französische Waffen erwerben könne. Montauban antwortete darauf, dass er dies seinem Kriegsminister unterbreiten werde, schickte aber gleichzeitig als „Probe“ und zur Voransicht eines seiner Präzisionsgewehre.34 Bei einem Abendessen am 5. November 1860 bei Ignatiev bestätigte dieser Gros seinen Eindruck, dass Prinz Gong tatsächlich erwogen habe, Peking zu verlassen, als der britische Entschluss fest stand, den Yuanming yuan zu verbrennen.35 Am 7. November erhielt Gros von Moully, dem Bischof von Peking, die Mitteilung, dass alle katholischen Gebäude in Peking an Frankreich übereignet worden seien, und am 8. November schrieb er ein Abschiedsbillet an Prinz Gong. Dieser erschien, kurz vor Gros’ Abreise unangemeldet am 9. November morgens, um sich noch einmal dafür zu bedanken, dass Gros sich nicht an der Verbrennung 31 Peking, 7. November 1860, Gros an Elgin, in: FO 17/332, Bl. 123–132. 32 Dies nimmt zumindest Banno, China and the West (1964), S. 212 an. 33 Offenbar war man sich im französischen Lager nicht ganz klar darüber, wie man dies zu deuten hatte. Bazancourt vermutete sogar, dass Elgin den Plan hatte, das Qing-Reich in zwei Teile zu spalten und den südlichen Teil unter britische Verwaltung zu stellen. Bazancourt, Expéditions de Chine (1862), S. 330. 34 Montauban an Randon, in: Montauban, Souvenirs (1932), S. 392ff. Dieses frühe Treffen wird bei Jing, Mit Barbaren gegen Barbaren (2002) gar nicht erwähnt, er setzt die Suche nach westlicher militärtechnologischer Hilfe in China etwas später an. 35 Gros, Livre Jaune (1864), S. 199.

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des Yuanming yuan beteiligt habe.36 Insgesamt also scheint es, als hätten die französischen Alliierten sich die größte Mühe gegeben, ein besonders vertrauensvolles Verhältnis zwischen sich und den Qing-Beamten herzustellen.

1.4 Die Organisation der Heimreise Am 9. November verließen Hope Grant und Elgin Peking mit der noch verbliebenen (Sir John Michels) Division, zusammen mit Gros und dessen Eskorte, ohne von der Bevölkerung behelligt zu werden.37 Am 12. November erreichten sie Tianjin, und Hope Grant sandte die Soldaten sofort an andere Orte (Indien, England und andere Garnisonen in China). Dies geschah in letzter Minute, denn kaum hatten die letzten Schiffe den Hafen verlassen, fror der Fluss zu, und die Schifffahrt wurde unmöglich. Am 10. November hatte Montauban den Leutnant de Pina mit einer Kassette voller wichtiger Papiere, die im Yuanming yuan gefunden worden waren, zurück nach Frankreich geschickt. De Pina war bei der Einnahme des Yuanming yuan verletzt worden und daher nicht mehr in China einsetzbar, weshalb dies als passende Aufgabe erschien.38 Am 14. November kamen Elgin und Hope Grant in Tianjin an, Montauban und Hope Grant trafen sich am 15. November, um weitere Vorbereitungen für die neu einzurichtende Garnison zu treffen.39 Es wurde beschlossen, dass die Generäle Jamin und Collineau in Tianjin verbleiben sollten.40 Am 19. November hatte Montauban alles geregelt für seine Abfahrt, die ihn zuerst zu einer kleinen französischen Garnison nach Zhifu und dann nach Japan bringen sollte. Vorher verfasste er noch eine Schrift an die Bevölkerung Tianjins, die den Frieden zwischen Frankreich und China dokumentieren sollte. Hope Grant hatte mit seiner Kavallerie noch etwas gewartet, um sie dann innerhalb von zwei Tagen nach Dagu zu schicken, wo sie aufs Schiff gehen sollte. Das Wetter gab Anlass zu den schlimmsten Befürchtungen, so dass der Marsch nach Dagu in einem Tag bewältigt werden musste. Am 23. November marschierten die zwei Regimenter der King’s Dragoon Guards und Probyn’s Horse unabhängig voneinander, die Offiziere trafen ihre jeweils eigenen Marschvorkehrungen. Alle erreichten rechtzeitig Dagu und wurden zwei Tage später verladen. In der Folge wurden die Dagu-Forts, Tianjin, Shanghai, Hongkong und Kanton von starken englischen Garnisonen belegt, aber der größere Teil der britischen 36 37 38 39

Ebd., S. 204ff. Knollys, Incidents (1875), S. 212. Peking, 10. November 1860, Montauban an Randon, in: MD, SHAT, 5G1, Dossier 2. Gleichfalls am 15. November sandte Elgin an Russell eine Übersetzung der Dokumente, die im Sommerpalast gefunden worden waren, und von Morrison übersetzt worden waren. Übersetzung der Dokumente in: FO 17/332, Bl. 171–205. 40 Collineau starb bereits im darauffolgenden Januar, ebenso wie Leutnant Damas. Der Comte Leon de Bastard verfiel in diesen Tagen einer Geisteskrankheit und starb später in Hongkong. Tianjin, 20. November 1860, Montauban an Randon, in: MD, SHAT 5G1, Dossier 2.

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Armee war auf dem Weg nach Indien oder England.41 Montauban traf am 18. Dezember in Shanghai ein, von wo aus er sich nach Japan begab. Gros verließ Tianjin am 23. November, Elgin trat am 26. November von Tianjin aus die Heimreise nach England an.

1.5 Prinz Gong und die Alliierten: Grundlagen für die Tongzhi-Restauration In der Tat nutzte Prinz Gong die Zeit im unmittelbaren Anschluss an den Vertragsabschluss, um auch für die Qing-Regierung einen Kurs einzuschlagen, der deren Position festigen und stärken würde, und legte damit die Grundlage für die Entwicklungen der „Tongzhi“-Restauration. Dass sein Bruder, der XianfengKaiser, noch abwesend und mit den gesamten Mitgliedern der „Kriegspartei“ in Rehe war, kam ihm dabei sehr zupass, denn seine Interessen deckten sich nicht mit der politischen Linie seines Bruders. Dessen Vorgaben hatten gelautet, Distanz zu den Ausländern zu wahren, und ihnen möglichst nicht persönlich zu begegnen, eine Linie, die generell, seit Anfang 1860 aber verschärft vom Xianfeng-Kaiser gegenüber den Alliierten verfolgt wurde. Am 5. Oktober 1860 hatte der Xianfeng-Kaiser Prinz Gong das erste Mal die Erlaubnis erteilt, sich mit einem „Ausländer“, nämlich Harry Parkes, zu treffen, um ihm die friedlichen Absichten der Qing-Regierung zu unterbreiten.42 Am 17. Oktober teilte der Xianfeng-Kaiser seinem jüngeren Bruder mit, dass er nunmehr, nachdem die Alliierten die Stadt betreten hätten, keine andere Wahl hatte, als diesen entgegenzutreten, und mit ihnen zu verhandeln, was Prinz Gong in den nächsten Tagen durchaus nutzte. Sein Verhalten gegenüber den Alliierten war dabei zwiespältig. Einerseits war er tief erschüttert von der Aggressivität, mit der die Alliierten sich den Weg nach Peking gebahnt hatten, und die Verbrennung des Yuanming yuan war sicherlich nicht dazu angetan, Vertrauen zu schaffen. Andererseits aber blieb ihm keine andere Möglichkeit, als sich mit den Alliierten auf guten Fuß zu stellen. Er hoffte, jetzt, wo die Briten und die Franzosen in Peking niedergelassen seien, diese für die Sache der Qing gewinnen zu können. Seine Hauptsorge galt dabei insbesondere der Reform des chinesischen Heeres, die unbedingt notwendig war, um die Taiping-Erhebung niederzuschlagen. Nicht nur Großbritannien und Frankreich wollte er in seine Bestrebungen mit einbeziehen, sondern insbesondere auch Russland. Ignatiev hatte unmittelbar nach der Abreise von Elgin und Gros seine Forderungen gestellt und bekam nun, als der Xianfeng-Kaiser immer noch nicht zur Verfügung stand, den Zugang Russlands zum Pazifik zugesprochen. Im Gegenzug allerdings musste er Hilfe für das chinesische Heer anbieten, und die eigene militärische Technologie zur Verfügung stellen. Prinz Gong machte sich also einen 41 Knollys, Incidents (1875), S. 214. 42 Banno, China and the West (1964), S. 205. Banno identifiziert hierin die durchaus konfuzianische Absicht des Kaisers, Harry Parkes durch das Wohlwollen, das ihm Prinz Gong entgegenbrachte, zu beschämen.

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scheinbar durch Abschluss des Vertrages gewonnenen Vorteil zunutze, trat unmittelbar mit den Franzosen und den Russen in Verhandlungen über Waffen und schien damit zumindest bei den Franzosen einen gewissen Erfolg zu haben.43 Es scheint, als habe auch Prinz Gong mit einer Doppelstrategie gearbeitet: Dem Kaiser gegenüber beteuerte er, dass er sich von den Alliierten möglichst fern halte, während er andererseits sich in Peking aber durchaus Ignatiev und vor allem Gros annäherte, mit dem er auch durchaus noch kommunizierte, nachdem er schon in Tianjin war.44 So schrieb Prinz Gong am 14. November an den Xianfeng-Kaiser, dass es sich als durchaus positiv erwiesen habe, mit den Ausländern persönlich zusammenzutreffen. Er, Prinz Gong, habe sich zwar anfangs gefragt, ob es denn für ihn, einen Prinz von kaiserlichem Geblüt, passend wäre, wenn er einer Person aus einer Gegend außerhalb des Qing-Reiches gegenübertreten würde. Nachdem er sich aber den Ausländern gezeigt habe, seien diese ausgesprochen „zahm“ geworden und er habe sie noch einige weitere Male empfangen. Falls man mit ihnen, so teilte er weiter seinem Bruder mit, in Zukunft richtig umgehe, so bestehe durchaus die Chance, dass sie sich friedlich verhielten.45 Von den Verhandlungen mit den Alliierten über „Schützenhilfe“ allerdings schrieb Prinz Gong nichts. Aber schon am 21. November stellte sich Prinz Gong in der russischen Mission ein, um seinem Kummer darüber Ausdruck zu geben, dass damals, nach 1858, das Angebot der Kooperation nicht angenommen worden war. Bei dieser Gelegenheit wurden auch der russische Zugang zum Pazifik und Mitte November die Entsendung einiger russischer Militärspezialisten nach China zur Stärkung der dortigen Armee ausgehandelt. Diese Politik führte Prinz Gong dann noch weiter. Im frühen Dezember kam de Méritens nach Peking, um die Anmietung eines Botschaftsgebäudes zu regeln, und wählte eine Residenz in der Nähe der britischen und der russischen Gesandtschaft. Während de Méritens Aufenthalt in Peking ließ Prinz Gong ihn wissen, dass er die Installation der Diplomaten unverzüglich anstrebe. Vermutlich war er der Auffassung, dass nur ein fait accompli die Kriegspartei innerhalb der Regierung zum Einlenken bringen würde.46 Anfang 1860 wurde dann sowohl von Bruce als auch von Elgin die Gründung eines Organs seitens der Qing-Regierung

43 Banno, China and the West (1964), S. 207. 44 Gros, Livre Jaune (1864), S. 209. Am 16. November erhielt Gros eine Mitteilung von Prinz Gong, dass dieser den zwischen China und Frankreich abgeschlossenen Frieden in 1000 Exemplaren in Peking veröffentlichen würde. 45 Banno, China and the West (1964), S. 206. Die Aktenlage deutet übrigens darauf hin, dass Elgin und Gros sehr wohl ihren Vorgesetzten die Besuche von Prinz Gong berichten, entgegen der Behauptung von Banno, dass sie dies nicht taten. Horowitz setzt diese Argumentation erst für etwas später an, für den Januar 1861. Prinz Gong legt seinem Bruder, dem XianfengKaiser dar, dass ohne die Hilfe der europäischen Alliierten weder die Nian, noch die Taipping-Rebellen geschlagen werden könnten. Horowitz, Central Power and State Making (1998), S. 50 46 Banno, China and the West (1964), S. 212.

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gewünscht, das im Namen der Qing die westlichen Angelegenheiten regeln würde.47

2 DIE REAKTION IN GROßBRITANNIEN UND FRANKREICH 2.1 Die Reaktion in Frankreich: Napoleon III., Wahrnehmung in der Öffentlichkeit Die meisten der französischen Berichte enden mit der Heimreise.48 Gros erreichte Hongkong am 2. Dezember und trat von da aus die Reise nach Frankreich an, wo er am 25. Februar 1861 eintraf. General de Montauban kehrte nicht unmittelbar nach Frankreich zurück, sondern reiste nach Beendigung seiner Mission in China weiter nach Japan. Napoleon III. tat zunächst alles in seiner Macht stehende, um die Unterzeichnung des Vertrages mit China als einen Erfolg für sich und sein Regime zu verbuchen. Bei seiner Rückkehr nach Frankreich wurde General de Montauban von Napoleon III. besonders ausgezeichnet. Am 26. Dezember 1860 erhielt er (in Abwesenheit) das Großkreuz der Ehrenlegion und am 6. März 1861 einen Sitz im Senat. Gleichzeitig wurde er mit einer Medaille für den Feldzug in China ausgezeichnet und einer weiteren für seine militärischen Verdienste. Am 28. November 1861 wurde ihm ein Orden von Papst Pius IX. zugestanden, außerdem erhielt er den britischen Orden von Bath. Am 22. Januar 1862 erhielt er den erblichen Titel eines Grafen von Palikao. Zwei Dinge allerdings enttäuschten den General. Zum einem wurde ihm keine Pension bewilligt (die Regierung fand ihn allerdings mit 600.000 Franc aus den chinesischen Entschädigungszahlungen ab), und zweitens wurden ihm aufgrund der öffentlichen Entrüstung, die über die Verbrennung des Sommerpalastes entstand, der Marschallstab nicht verliehen, was er eigentlich für das Jahr 1861 erwartet hatte.49 Die französische Öffentlichkeit war über die Ereignisse in China während des Feldzuges durch Antoine de Fauchery auf dem Laufenden gehalten worden, der, von Australien aus kommend, für den Moniteur von China aus berichtete.50 Am 30. und 31. Dezember 1860 veröffentlichte der Moniteur einen Bericht von Es-

47 Insofern, als es Bannos Anliegen war, die Ereignisse, die zur Gründung eben jenes „Zongli Yamen“ führte zu untersuchen, sind die politischen Verhandlungen, die mit Elgin und Gros geführt wurden Grundlage seines Buches Banno, China and the West (1964). 48 Mutrécy, Lavollée und Lucy machten noch den Kurzausflug Montaubans nach Japan mit. 49 Chiu, Yuanming yuan (2000), S. 321. 50 Eine Kurzbiographie von Antoine Fauchery (1823–1861) bei Thiriez, Barbarian Lens (1998), S. 6. Zur Berichterstattung über das Engagagement Napoleons III. in China siehe English, The French Public Opinion, in: Canadian Journal of History Bd. 22:3 (1987), S. 321–348. Er untersucht die gesamte Chinaberichtserstattung in Frankreich und bestätigt, dass es kein übermäßiges Interesse an China gab. Er zeigt aber auch, wie Napoleon III. das Ereignis nutzte, um sich zu profilieren, weist auf die Rolle der Pressezensur hin und nennt Nationalstolz, Prestige und militärischen Erfolg als Motive für die positive Berichterstattung über den Chinafeldzug, S. 327.

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cayrac de Lauture über dessen Gefangenschaft zwischen dem 18. September und Anfang Oktober. Le Monde Illustré veröffentlichte am 19. Januar 1861 die Nachrichten vom Vertragsabschluss mit China auf der Titelseite und insgesamt scheint die Expedition zunächst auf begeisterte Zustimmung gestoßen, vor allem aber auf Betreiben der Regierung dazu verwendet worden zu sein, das eigene Ansehen zu bessern.51 Die drei französischen Offiziere Capitaine Boucart, Sous-Lieutnant Brauxd’Auglure und der Lieutenant Campenon, die damit beauftragt worden waren, die Beute aus dem Sommerpalast sicher nach Frankreich zu bringen, trafen Ende 1860 in Paris ein, im Gepäck für Kaiserin Eugénie das Beutegut, das am 7. Oktober im Yuanming yuan geteilt worden war. Kaiserin Eugénie hatte daran, so berichteten viele Zeitungen, große Freude und organisierte eine Ausstellung der Gegenstände aus dem Yuanming yuan im Pavillon de Marsan in den Tuilerien, die im April 1861 eröffnet wurde.52 Die Ausstellung enthielt im Wesentlichen militärische Gegenstände, zum Beispiel eine Kriegsausrüstung des Kaisers (so nannte man es), Gewehre, Pistolen, Schwerter, Dolche, Hellebarden und Sättel. Dabei waren außerdem zwei Zepter, ein vergoldeter Stupa, eine bronzene Glocke und eine große Urne.53 Le Monde Illustré nahm die Ausstellung der aus China mitgebrachten und der französischen Kaiserin überreichten „Geschenke“ zum Anlass, eine Serie herauszubringen, in der dem französischen Leser der chinesische Stil näher gebracht werden sollte.54

2.2 Die Kritik an Napoleon III., Prozesse um das Plündergut Indes blieb das Interesse der französischen Öffentlichkeit am Ausgang des Chinafeldzuges von 1860, den Napoleon III. als seinen Sieg zu inszenieren gedachte, verhalten.55 Für die neue Position als Schutzmacht der katholischen Kirche in China konnte sich das laizistisch gesinnte Großbürgertum des Second Empire nur mäßig begeistern. Vielleicht herrschte in Frankreich seit den napoleonischen 51 Le Monde Illustré, No 197, 19. Januar 1861. Wortwörtlich wird ein Bericht abgedruckt, den der Sondergesandte der Zeitung am 10. November 1860 in Tianjin verfasst hat, nebst einem gezeichneten Porträt von Prinz Gong. Der nächste Bericht aus Peking erschien erst wieder am 27. Januar 1861, nämlich über den Tod des Ingenieurs Livet, der am 3. Oktober vor den Toren von Peking gestorben war. Am 10. August 1861 wurden die in China erbeuteten Fahnen im Invalidendom in Paris niedergelegt (Le Monde Illustré, 10. August 1861). 52 Eine Abbildung der drei Offiziere findet sich in Le Monde Illustré, 2. März 1861, ebenso eine Darstellung der Ausstellung der chinesischen Gegenstände. 53 Eine Abbildung davon erschien am 13. April 1861 in den Illustrated London News. 54 Siehe z.B. Le Monde Illustré, 22. März 1861. 55 Z.B. erhält das Gesamtereignis des Chinafeldzuges nur zwei Seiten in den Memoiren des Kriegsministers Randon. Randon, Mémoires (1877), S. 26ff, was im Widerspruch steht zu der Beurteilung Hugonnets, der im Juni 1861 im Spectateur militaire schreibt: „L’expédition de Chine, accomplie en 1860 par les armées francaise et anglaise, est, sans contredit, un des faits les plus extraordinaires du siècle.“, Hugonnet: Expedition de Chine en 1860, in: Le Spectateur Militaire Bd. 34 (Juni 1861), S. 347.

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Feldzügen, deren Beute man wieder restituieren musste, auch ein Bewusstsein dafür, dass Kunstraub sich nicht mit der „mission civilisatrice“ vereinbaren ließ: Bereits die Algerienkriege und die dort von der französischen Armee verübten Grausamkeiten hatten öffentliche Ächtung durch das aufgeklärte, philanthropische Bürgertum erfahren. Auch mit dem Chinakrieg konnten das französische Heer und die französische Marine, die sich noch während des Krimkrieges hervorragend präsentiert hatte, nicht die Aufmerksamkeit gewinnen, die es sich erhofft hatten. Diese generelle Ablehnung von Krieg und Gewalt, die im Allgemeinen wohl nur von einer kleinen Schicht getragen wurde, hätte in einem gefestigten Staat allein vermutlich keine weitreichende Kritik ausgelöst. Napoleon III. aber hatte Anfang 1861 nach dem Italienfeldzug längst nicht mehr die ungeteilte Zustimmung der Bevölkerung für sein hehres Unternehmen und Unterfangen, Frankreichs Ruhm in die Welt hinauszutragen. Für seine Kritiker war daher die Plünderung des Yuanming yuan von 1860 eine Möglichkeit der Anklage im Namen von Zivilisation und Menschlichkeit. Besondere Öffentlichkeitswirksamkeit erlangten die Ereignisse um den Yuanming yuan durch einen vielzitierten Brief von Victor Hugo an einen fiktiven Captain Butler, in dem er im November 1861 von der Insel Guernsey in Richtung Paris Anklage erhob und die Verbrennung des Yuanming yuan als eine der schlimmsten Attentate auf ein Kulturdenkmal bezeichnete, die jemals begangen worden seien.56 Dieser Brief wurde auch in chinesischen Quellen des 20. Jahrhunderts häufig als Beleg dafür zitiert, dass in Europa Verständnis dafür herrschte, welches Ausmaß der Demütigung die Zerstörung des Yuanming yuan für China hatte.57 Auch Montauban geriet zunehmend in Bedrängnis, was durchaus damit zu tun hatte, dass die Teilnehmer des Chinafeldzuges ihre mitgebrachte Beute auf den Kunstmarkt in Frankreich brachten und zum Verkauf anboten. Schon 1861 kam es zu mehreren Auktionen im Hotel Druot, bei dem explizit als aus dem Yuanming yuan stammend gekennzeichnetes Plündergut versteigert wurde.58 Dass dann aber ein öffentlicher Schauprozess veranstaltet wurde, war den Taten des Colonel Dupin zu verdanken. Dieser brachte beachtliche Wertgegenstände, deren Provenienz er nicht verheimlichte, auf den Markt. Er brachte unter anderem die berühmten „40 Szenen aus dem Yuanming yuan“ nach dem Feldzug nach Paris, von denen weltweit nur ein einziges Exemplar existiert und deren kultureller Wert unschätzbar ist. Colonel Dupin galt bereits vor dem Chinafeldzug als Abenteurer. 1814 geboren, sammelte er seine ersten außereuropäischen Erfahrungen in Afrika, wo 56 Ein Abdruck des Briefes findet sich in Chiu, Yuanming yuan (2000), Einleitung. Victor Hugo selbst erwarb auf den Auktionen des Jahre 1862 einige der Stücke aus dem Yuanming yuan. Man kann also getrost annehmen, dass es sich nicht in erster Linie um eine Kritik an der Plünderung des Yuanming yuan handelte, sondern vor allem um eine Kritik an Napoleon III. 57 Wong Youngtsu allerdings erwähnt auch, dass ein Chinesischlehrer 1989 das Haus auf der Insel Guernsey besuchte, in dem Hugo sein Exil verlebt hatte, und dabei herausfand, dass Hugo 1865 große Posten von Seide gekauft hatte, die offenkundig aus dem Yuanming yuan geraubt waren. Wong, Paradise Lost (2001), S.154. 58 Hevia, English lessons (2003), S. 93. Bei Chiu, Yuanming yuan (2000), S. 322, findet sich eine Abbildung der Gegenstände, die am 12. Dezember 1861 in Paris zum Verkauf kamen.

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er zwischen 1842 und 1857 an mehreren Feldzügen teilnahm. Auch am Krimkrieg und an den Italienfeldzügen nahm er teil und erwarb sich einen zweifelhaften Ruf als Spieler und Schuldenmacher. Für die Chinaexpedition wurde er am 17. November 1859 zum Chef der topographischen Brigade gemacht. Dass er am 7. Oktober 1860 der Preiskomission angehörte, die im Yuanming yuan gefundene Wertgegenstände zwischen britischen und französischen Truppen aufteilte, gab ihm, wie man vermutete, reichlich Gelegenheit, sich privat bei der Plünderung des Sommerpalastes zu bereichern. Nach einem längeren Aufenthalt in Japan nach Frankreich zurückgekehrt, annoncierte er im Moniteur am 11. Februar 1862 einen „Verkauf von Gegenständen aus Japan und auch dem Yuanming yuan.“ Diese Annonce gelangte zur Kenntnis des Kriegsministers, der daraufhin zu handeln beschloss. Grund dafür lieferte ihm zunächst Dupins zweifelhaftes Betragen auch während des Feldzuges: Dupin war in China wegen schlechten Verhaltens aufgefallen, und auch während der Verfahren 1861 gegen Montauban (als deren Resultat ihm der Marschallstab verweigert wurde) hatte es gerichtliche Untersuchungen gegeben, bei denen sowohl Colonel Schmitz als auch Montauban Colonel Dupin zwar gute Qualitäten als Offizier, aber einen zweifelhaften Charakter ausstellten. Was aber viel schwerer wog, war die Tatsache, dass 1862 das Buch eines Autors namens Paul Varin mit dem Titel Expédition de Chine erschien. Darin wurde Kartenmaterial veröffentlicht, das als streng geheim klassifiziert war und nur dem Chef der topographischen Brigade bekannt sein konnte. Als Autor kam also nur Dupin in Frage, der das Werk in der Tat selbst verfasst hatte.59 Als Ende 1861 und Anfang 1862 weitere große Auktionen in Paris stattfanden, bei denen über 90 Gegenstände aus dem Besitz Dupins, die alle angeblich aus dem Yuanming yuan stammten, zum Verkauf kamen, hielt Kriegsminister Randon es für notwendig, einzuschreiten. Er befürchtete, dass durch das Verhalten Dupins das Ansehen und Wirken der französischen Soldaten im Ausland diskreditiert werden könnte, wenn publik werde, dass man im Ausland „wertvolle Gegenstände“ „erwerben“ (also plündern) und sich durch ihren öffentlichen Verkauf bereichern könne. Per kaiserlichem Dekret vom 19. Februar 1862 wurde Charles Dupin bis auf Weiteres vom militärischen Dienst suspendiert.60 Ein Untersuchungsausschuss des Rechnungshofes warf aufgrund all dieser Vorkommnisse und der Öffentlichkeitswirksamkeit der Kunstauktionen im Jahre 1862 die Frage nach der Beute aus dem Chinakrieg von 1860 auf. Senator Bailly gab seiner Verwunderung darüber Ausdruck, dass in den Rechnungsbüchern der Expedition kein Posten auftauchte, der den Wert der in China im Namen Frankreichs gemachten Beute aufführe, von der doch nun alle Welt wisse, dass sie existiere. Er monierte ferner, dass auch die Pferde und Wagen während des Feldzuges offenbar requiriert und danach mit Erlös wieder verkauft worden waren, wobei der Erlös anscheinend den Offizieren und Soldaten des französischen Expediti-

59 Für diese Information danke ich insbesondere Dr. Régine Thiriez, die bestätigt hat, dass die Autorschaft Colonel Dupins klar aus den Unterlagen des Militärarchivs hervorgeht. 60 Chiu, Yuanming yuan (2000), S. 328.

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onscorps zugute gekommen war, ohne dass darüber in der offiziellen Abrechnung und Aufstellung der Kosten der Expedition Rechenschaft abgelegt worden wäre. Montauban, über diese Fälle befragt, gab zur Antwort, dass er keine Kenntnis davon habe, dass die Transportmittel, die man in China zu Zwecken des Krieges enteignet habe, bei ihrer Rückgabe an die chinesische Armee bezahlt worden seien, dass vielmehr die Transportmittel der französischen Armee in Manila erworben worden seien.61 Was Beute betreffe, so habe man tatsächlich eine nicht unerhebliche Summe aus dem Sommerpalast geborgen, die man aber nur schwer evaluieren könne, da sie sich aus Silber- und Goldbarren aller Formen und Größen zusammensetze. Der General fügte hinzu, dass das „Règlement de 1832 sur le service des armées en campagne“ den den Feldzug begleitenden Truppen einen Teil der Beute zuspreche. Dies lässt Rückschlüsse auf französische Prisenkonventionen zu: Französische Prisegebräuche unterschieden sich also offenbar von britischen darin, dass Soldaten sich vor Ort bereits einen Teil der Beute angeeignen konnten, während im Falle Großbritanniens alle gemachte Beute zunächst Königin Victoria gehörten. Zudem seien nur 2.000 Mann seiner Truppen in der Nähe des Yuanming yuan gewesen. Die im Yuanming yuan gefundenen und mit den Briten geteilten Wertgegenstände seien, da sei man sich einig gewesen, Eigentum des Kaisers von Frankreich. Entsprechend sind sie auch der Kaiserin Eugénie übereignet worden. Über andere Plünderungen könne er nicht befinden. Es sei, gab Montauban zu bedenken, unmöglich gewesen, angesichts einer Bevölkerungsanzahl des gesamten Landes von mehreren hundert Millionen, zudem der Bedingung, mit 6.000 Mann den Frieden mit einer Hauptstadt herzustellen, die zwei Millionen Einwohner habe, alle kleineren Diebstähle aufzuklären und zu ahnden. Der Rechnungshof gelangte daraufhin zu der Auffassung, dass es, was die Heeresabrechnung von 1860 betraf, zu keinerlei Unregelmäßigkeiten gekommen sei, und dass alle Anordnungen und Absprachen weisungsgemäß ausgeführt worden seien. Der Hof erkannte zudem an, dass Artikel 119 des Königlichen Erlasses vom 13. Mai 1832 bei einer Abordnung von 2.000 Mann vor dem Yuanming yuan angewendet worden sei, was bedeutete, dass die Beute noch vor Ort direkt in den Besitz der Soldaten übergegangen sei. Für das Plündergut aus dem Besitz der Kaiserin Eugénie wurde ein Musée Chinois geplant, das ursprünglich im Tuilerienschloss seinen Sitz haben sollte. Nach dessen Zerstörung 1871 wurde das unbeschädigt gebliebene Inventar des Musée Chinois in das Schloss von Fontainebleau verbracht, wo es bis heute besichtigt werden kann.62 Das Archiv des Finanzministeriums mit den Abrechnungen für die Chinaexpedition ist 1871 im Mai zusammen mit dem Tuilerienschloss verbrannt. Einer breiten Öffentlichkeit wurde die französische Version der Ereig61 Ebd., S. 321. 62 Vgl. hierzu: Samoyault-Verlet (Hg.), Le Musée chinois (1994). 1878 nahm der Rechtsnachfolger des Kaisers den Besitz von Fontainebleau wieder in Anspruch. Chiu, Yuanming yuan (2000), S. 322. Die in Fontainebleau im Musée Chinois gezeigten Gegenstände kommen nur zum Teil aus dem Yuanming yuan. Der Rest wurde privat von Kaiserin Eugénie erworben.

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nisse während des Chinafeldzuges von 1860 in den nachfolgenden Jahren durch eine Reihe von Veröffentlichungen der Teilnehmer an dieser Expedition bekannt.63

2.3 Die Reaktion in Großbritannien: Öffentlichkeit und Parlament Auch die meisten britischen Berichte enden mit der Heimreise, und die Regimenter, die direkt aus Indien gekommen waren, kehrten wieder an ihren ursprünglichen Ort zurück. Am 27. November erreichte Elgin die unterdessen zugefrorene Mündung des Beihe-Flusses bei den Dagu-Forts, und schiffte sich nach Shanghai ein, wo er am 3. Dezember eintraf. Dort hielt er sich noch einige Wochen auf, um die Öffnung des Yangzi für den britischen Handel zu bewirken und eine Regelung für das Verhältnis der britischen Bewohner Shanghais zu den immer noch die Stadt bedrohenden Rebellen zu finden. Da Elgin und Hope Grant nicht auf dem direkten Weg nach Großbritannien fuhren, wurde Henry Loch (Elgins Sekretär) mit den unterzeichneten und gesiegelten Verträgen auf dem schnellsten Weg nach London geschickt, das er am 27. Dezember 1860 erreichte.64 Am 4. Januar 1861 verließ Elgin Shanghai in Richtung Hongkong, um dort am 8. Januar 1861 im Namen der britischen Königin die Halbinsel Kowloon in britischen Besitz zu nehmen, was am 19. Januar in einer feierlichen Zeremonie bestätigt wurde. Am 21. Januar verließ er Hongkong in Richtung Manila, von wo aus er über Java, Ceylon und Griechenland nach England zurückreiste, wo er am 11. April 1861 eintraf. Hope Grant segelte auch bis nach Shanghai, kam dort am 4. Dezember an, um am 12. Dezember 1860 zu einer „Vergnügungsreise“, wie er selbst es nannte, nach Japan aufzubrechen.65 Über Shanghai segelte er Mitte Januar wieder zurück und erreichte Ende Januar Hongkong. Dort fand er einen Brief des Herzogs von Cambridge vor mit der Mitteilung, dass er zum Generalkommandant von Madras befördert worden sei und diesen Posten antreten solle, nachdem er einen sechsmonatigen Heimaturlaub absolviert habe. Außerdem wurde er zum Great Commander oft the British Empire befördert, der höchsten militärischen Ehre, die Großbritannien zu vergeben hatte. Am 16. März verließ er Hongkong und traf am 24. April in Paris ein, wo er vom dortigen britischen Gesandten Lord Cowley dem Kaiser Napoleon III. vorgestellt wurde, mit dem er ein freundschaftliches Gespräch über den gemeinsamen Feldzug führte. Dabei stellte sich heraus, dass Napoleon III. es gerne gesehen hätte, wenn die Alliierten auch noch die TaipingRebellion niedergeschlagen hätten.

63 Darunter auch der Bericht von Choutzé, Peking et le Nord de la Chine, in: Tour du Monde, Bd. 31:1 (1876), S. 305–368. 64 Siehe War with China, Treaty, in: FO 881/920. Loch kehrte am 27. Dezember 1860 nach Hause zurück. 65 Knollys, Incidents (1875); S. 228ff.

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Auch in Großbritannien war das Echo der Öffentlichkeit auf die Nachrichten von der Plünderung eher verhalten. Die dortige Öffentlichkeit war unter anderem durch die Berichte von Thomas Bowlby (also nur bis zum 18. September 1860) in der Times immer auf dem Laufenden gehalten worden, danach durch eine Veröffentlichung der diplomatischen Berichte, die von den Teilnehmern der Expedition ans Ministerium gesandt worden waren. Am 10. November 1860 wurde in London die Einnahme der Dagu-Forts bekannt, Ende des Jahres die Ratifizierung des Vertrages von Tianjin.66 Im Unterhaus wurde die Plünderung des Yuanming yuan scharf verurteilt. Von dieser nicht eben freundlichen Aufnahme seines Tuns in der britischen Öffentlichkeit erhielt Elgin bereits am 10. Januar 1861 in Hongkong Kenntnis.67 Das Parlament wurde 1861 aber dessen ungeachtet mit einer Rede eröffnet, in der zunächst den Teilnehmern an der Expedition gedankt wurde. Elgin selbst wurde gelobt ob seines klugen und umsichtigen Verhaltens, und sowohl Russell als auch die Königin waren der Auffassung, dass seine persönliche Begegnung mit Prinz Gong maßgeblich dazu beigetragen hat, dass der Vertrag ein Erfolg wurde.68 Russell schlug vor, dass Elgin, eine Pension in Höhe von 2000 Pfund pro Jahr erhalten solle.69 Auch Hope Grants Verhalten wurde freundlich begutachtet und bewertet: Er hatte, indem er die Beute schon unter seinen Soldaten verteilte, bevor sie überhaupt von Queen Victoria in Besitz genommen worden war, zwar seine Kompetenzen überschritten, aber angesichts der Tatsache, dass er auch keinerlei Möglichkeiten gehabt hätte, das Plündergut nach Hause zu transportieren, sei dieses Verhalten verständlich und nachvollziehbar gewesen.70

2.4 Die Kritik an Elgin, der Umgang mit dem Plündergut Für die britischen Freihändler hatten der Chinafeldzug und der Abschluss der Handelsverträge weitaus mehr Bedeutung als für Frankreich, aber auch in Großbritannien wurde Kritik an der Brutalität geübt, mit der die Handelsprivilegien erlangt wurden. Dabei war aber, anders als in Frankreich, nicht Queen Victoria die Kritisierte, vielmehr geriet Elgin in die Schusslinie der Kritik. Aber letztendlich profitierte er von der Chinaexpedition, und wurde nicht, wie Montauban, Jahre später dafür noch zur Rechenschaft gezogen, ebenso wenig wie Hope Grant. Viele der Offiziere, die am Chinafeldzug 1860 teilgenommen hatten, wurden in späteren kolonialen Feldzügen berühmt, z.B. Charles Gordon im Sudan und Garnet Wolseley in Ägypten.

66 London, 10. November 1860, Russell an Elgin, in: PRO 30/22/101, Bl. 22. Beglückwünschung zur Einnahme der Dagu-Forts. 67 Wong, Paradise Lost (2001), S. 154. 68 London, 16. Januar 1860, Russell an Elgin, in: FO 405/5, S. 351. 69 London, 29. Dezember 1860, in: PRO 30/22/30. 70 Hevia, English lessons (2003), S. 90.

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Der britische Anteil der Beute, die am 7. Oktober im Yuanming yuan aufgeteilt worden war, wurde, anders als im französischen Fall, nicht in einem Triumphzug nach Großbritannien verbracht, und es erschienen auch keine Zeitungsserien, und insgesamt scheint es, als habe in Großbritannien sehr viel weniger Interesse an den chinesischen Gegenständen bestanden als in Frankreich, zumindest gab es keine Prozesse. Der ihr zustehende Teil der Beute wurde an Queen Victoria übergeben, die sie aber, anders als Kaiserin Eugénie, kaum zur Kenntnis nahm.71 Sie richtete kein eigenes Museum ein, und stellte die Gegenstände auch nicht explizit aus. Vielmehr wurden die Gegenstände getrennt und in verschiedene britische Museen und Bibliotheken verbracht. Ein Teil der Beute fand seine Bleibe teils in Offiziersmessen, wo die Schätze aus dem Yuanming yuan als Erinnerungen an den Feldzug von 1860 in Glasvitrinen aufgestellt wurden.72 Wandbehänge, die aus den westlichen Palästen (Xilou) entfernt worden waren, wurden nach Oxford ins Ashmolean Museum gebracht, und einige Gegenstände von Garnet Wolseley fanden ihren Weg ins Victoria and Albert Museum in London.73 Auch auf dem britischen Kunstmarkt kam es nach der Heimkehr der Truppen zu einem vermehrten Angebot an chinesischen Gegenständen durch das Plündergut aus dem Yuanming yuan. Am 18. April 1861 wurden auf einer Auktion von Phillips erstmalig 21 Gegenstände verkauft, die einen Erlös von 585 Pfund brachten, und im Mai 1861 wurden einige der Gegenstände aus dem Besitz von Henry Loch verkauft. Im Juni, Juli und Dezember 1861 fanden weitere Auktionen statt, bei denen unter anderem Gegenstände verkauft wurden, die einem Offizier aus Fane’s Horse gehörten, darunter ein Hofgewand des chinesischen Kaisers, ein Sitzkissen des chinesischen Kaisers und das Siegel „des chinesischen Kaisers.“74 Nach Paris und London kam Plündergut von unschätzbarem kulturellem Wert, wie zum Beispiel eines der berühmtesten chinesischen Gemälde, „Portrait of a Lady“ von Gu Kaizhi (392–467).75 Eine Gelegenheit wurde der britischen Öffentlichkeit aber doch gegeben, die mitgebrachten Beutestücke aus China zu besichtigen, und zwar wurden die Gegenstände anlässlich der Internationalen Ausstellung 1862 in London gezeigt.76 Im Vorfeld dieser Ausstellung wurde diskutiert, ob die Gegenstände, die für die 71 Auch John Dunne aus Peking machte sich die Mühe, seiner Königin extra ein Geschenk mitzubringen, das nicht im Beutekonvolut war, nämlich einen kleinen Pekinesen, den er „Lootie“ nannte. RA PPTO/PP/QV/MAIN/1861/7469.: J. Dunne, Offers little Dog „Lootie“ from China. Zu Looties Schicksal siehe: Godden, The Butterfly Lion (1977). Lootie war kein offizielles Beutestück, sondern ein persönliches Geschenk für Queen Victoria. Sie lebte noch sieben Jahre in den königlichen Zwingern wurde aber von Queen Victoria kaum beachtet. 72 Hevia verweist auf die Gegenstände im Offizierskasino des Queen’s Royal Regiment und des Wiltshire Regiments Porzellan und Silbertrophäen. Hevia, English lessons (2003), S. 88. 73 Hevia, English lessons (2003), S. 90. 74 Hevia, English lessons (2003), S. 94 enthält eine Liste der Auktionen, die zwischen 1861 und 1866 in London gehalten, bei denen jeweils Gegenstände zum Verkauf kamen. 75 Wong, Paradise Lost (2001), S. 159. 76 Hevia nennt hierfür den Ausstellungskatalog Waring (Hg.), Masterpieces of Industrial Art (1863), Bde. 1–3. Hevia, English lessons (2003), S. 96.

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Königin aus China mitgebracht worden waren, neben die Gegenstände von Napoleon III. gestellt werden würden, vervollkommnet mit dem Thron, was dann aber nicht realisiert wurde.77 1886 wurde der schon zerstörte Yuanming yuan (vor allem die europäisch beeinflussten Bauten) noch einmal Vorbild für einen Palast im chinesischen Stil in Europa. Das Projekt zu einem chinesischen Sommerpalast war das letzte Bauvorhaben König Ludwig II. von Bayern. Der Bau sollte vermutlich in der weiteren Umgebung von Schloss Linderhof errichtet werden und im Januar 1886 legte der Architekt Julius Hofmann einen ersten Entwurf vor.78 Auch der Thronsaal der Verbotenen Stadt sei Vorbild gewesen, aber vor allem der Yuanming yuan, von dessen weitläufigen Anlage sich Julius Hofmann aus zahlreichen schriftlichen Berichten, Gemälden und druckgraphischen Zeugnissen trotz seiner Zerstörung 1860 ein Bild gemacht haben dürfte.79 Es ist nichts darüber bekannt, ob damit auch eine politische Aussage getroffen werden sollte. Wegen des Todes von König Ludwig II. im Juni 1886 wurde das Bauvorhaben aber nicht umgesetzt.80 Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die Rezeption des Chinakrieges von 1860 und der Umgang mit dem Plündergut in England und Frankreich unterschiedlich ausfielen. Zunächst wurde in beiden Staaten das Ergebnis, nämlich der Vertragsabschluss mit China, begrüßt. In Frankreich, wo das Projekt insbesondere auf Initiative des umstrittenen Napoleon III. hin unternommen wurde, geriet vor allem die Plünderung des Yuangming yuan in Kritik und gab Victor Hugo die Gelegenheit, durch seine Kritik daran eine generelle Kritik an der „mission civilisatrice“ zu üben. Auch der Umgang mit dem Plündergut gestaltete sich komplizierter als in Großbritannien. Nachprüfungen des Rechnungshofes und Provenienzforschungen, Kritik an General de Montauban zogen sich bis in die 1870er Jahre hin. Davon ausgenommen war der „offizielle“ Beuteanteil, den Kaiserin Eugénie im Tuilerienschloss ausstellte, vielmehr ging es um die auf eigene Initiative geplünderten Gegenstände von Montauban und anderen hochrangigen Offizieren. In Großbritannien kam es kaum zu einer schwerwiegenden Kritik. Über das Plündergut wurde, im Unterschied zur Indian Mutiny, kaum ein Wort verloren. 77 The Queen, 18. Januar 1862, S. 398. 78 Sowohl der Grundriss als auch eine Zeichnung sind zu sehen im Katalog der Ausstellung „Die Wittelsbacher und das Reich der Mitte. 400 Jahre China und Bayern“, die 2009 in München stattfand. Eickelmann (Hg.), Die Wittelsbacher und das Reich der Mitte (2009), S. 512ff. Auf die Ausstellung machte mich Prof. Dr. Silvia Freiin Ebner v. Eschenbach aufmerksam. Eine Führung durch die Ausstellung erhielt ich von Frau Dr. Irene Wegner, beiden danke ich ganz herzlich. 79 Das vermutet der Verfasser des Katalogtextes Eickelmann (Hg.), Die Wittelsbacher und das Reich der Mitte (2009), S. 513. 80 Barmé, The Garden of Perfect Brightness, in: East Asian History Bd. 11 (1996), S. 144 und Brown-Malone, The History of the Peking Summer Palaces (1934), S. 138 datieren den Planungsbeginn für einen Palast im chinesischen Stil schon auf 1870, und behaupten auch, dass es sich um einen Wideraufbau des Yuanming yuan handelte. Brown-Malone bezieht sich dabei auf Reichwein, China und Europa (1923), S. 59, der sich bezieht auf Cordier, La Chine en France au XVIIième siècle (1910), S. 84.

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Elgin und Hope Grant wurden belobigt, und der Chinafeldzug von 1860 wurde als einer der am besten durchgeführten „kleinen Kriege“ beurteilt. Angesichts der Kriege des Hochimperialismus, die sowohl von Frankreich als auch von Großbritannien geführt wurden, verblasste der Chinafeldzug von 1860 und gewann nie die Bedeutung und das Interesse wie die Indian Mutiny.

3 AUS- UND NACHWIRKUNGEN IN CHINA NACH 1860 In Europa waren die Reaktionen auf die Verbrennung des Yuanming yuan eher verhalten, zudem wurde das Ereignis in Großbritannien und Frankreich unterschiedlich rezipiert und schon bald verlor die Öffentlichkeit ihr Interesse an dem Ereignis ganz. Überlagert wurde die erste Plünderung und Verbrennung des Sommerpalastes um 1900 durch den Boxeraufstand, der eine sehr viel breitere Öffentlichkeit erreichte, als der Chinafeldzug von 1860, und ganz anders wahrgenommen wurde. Bis heute gibt es zumindest in Europa keine nennenswerte Rezeption der ersten Plünderung des Yuanming yuan von 1860, sie ist nahezu unbekannt. In China aber wurde sie zu einem Mythos, dessen Entwicklung einen eigenen Lauf nahm, und die Rezeption der Plünderung durchwanderte seit 1860 bis heute mehrere Phasen der symbolischen Deutung und Wertung. Gleiches gilt für die physischen Überreste des Yuanming yuan, die, davon losgelöst ein Eigenleben entwickelten.

3.1 Augenzeugen der Verbrennung von 1860, unmittelbare Reaktionen Anders als die Bewohner des Landstriches, durch den sich die alliierte Armee wälzte, und die Einwohner von Haidian nahm die Pekinger Stadtbevölkerung die Plünderung des Yuanming yuan vom 6./7. Oktober kaum zur Kenntnis. Erst die Verbrennung am 18./19. Oktober 1860 wurde auch in der Stadt wahrgenommen. Chen Baozhen (1831–1900), der spätere Gouverneur von Hunan, wurde von Peking aus Zeuge der Rauchwolken die aus der Richtung des 12 Kilometer entfernt liegenden Sommerpalastes kamen.81 Der Hanlin-Gelehrte Wu Kedu notierte in seinem Tagebuch, dass die Flammen nicht nur auf das Palastgelände begrenzt blieben, sondern sich auch in umliegende Gegenden ausbreiteten.82 Li Ciming schrieb am 19. Oktober in sein Tagebuch, dass das große Feuer, das an diesem Tage begann, abends noch nicht gelöscht war.83 Für den 20. Oktober erwähnt er 81 Wong, Paradise Lost (2001), S. 149. Über die ersten chinesischen Augenzeugen berichtet Shan Shiyuan, Zuixian baogao ying fa lianjun huijie yuanming yuan de wenxian, in Wang Daocheng (Hg.), Yuanming yuan (1999), S. 390–394. 82 Wu Kedu, Ying fa lian junshi dai zhi beijing xiang, in: Shen Yunlong, Ying fa lianjun shiliao (1963), S. 92. Siehe eine Biographie in Hummel, Eminent Chinese (1943), Bd. 2, S.874. Wu Kedus Bericht ist einer der wenigen Augenzeugengerichte. 83 Zitiert nach Wong, Paradise Lost (2001), S.150. Li Ciming, Yueman tang riji, in: Shen Yunlong (Hg.), Jindai Zhongguo shiliao congkan xubian, Bd. 60, Taibei 1963, S. 1159–1178. Ein

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den Brand der großen Audienzhalle und weiterer umliegender Paläste. Prinz Gong selbst beobachtete den Brand von einer Anhöhe in der Nähe aus und konnte erst am Abend über das Ausmaß der Zerstörung informiert werden.84 Er fühlte sich persönlich für die Verbrennung des Yuanming yuan verantwortlich und war der Überzeugung, schlecht verhandelt zu haben.85 Die Nachricht verbreitete sich recht schnell in ganz China und wurde mit Scham, dem Gefühl der Demütigung und Wut aufgenommen. Guo Songtao, der später als Botschafter in Europa wirkte, erfuhr von der Verbrennung des Yuanming yuan in seiner Heimatprovinz Hunan.86 Seinem Urteil nach war der Alleinschuldige an der Verbrennung des Yuanming yuan Senggerinchin, der zu dem Zeitpunkt, da friedliche Verhandlungen mit den Europäern geführt hätten werden können, zu aggressiv war und keine Truppen zu einer adäquaten Verteidigung aufweisen konnte, als die alliierten Truppen dann doch nach Nordchina kamen.87 Der Xianfeng-Kaiser wurde am 16. November in seinem Exil in Rehe darüber informiert, welche Teile durch die ersten Brände zwischen dem 7. und 9. Oktober zerstört wurden, und vor allem, dass die Verwaltungsgebäude und die Xilou am 18. und 19. Oktober zerstört wurden, und äußerte seinen großen Zorn darüber. Auch nach der Verbrennung durch die britischen Truppen hielten die Plünderungen des Yuanming yuan mindestens bis zum 24. Oktober an. Mingshan, der Direktor des Kaiserlichen Haushalts, berichtet (im Gegensatz zu den Berichten europäischer Beobachter), dass erst an der zweiten Plünderung örtliche Banditen teilgenommen hätten.88 Die Qing-Regierung bemühte sich, effektiv und schnell mit den eigenen Plünderern abzurechnen, es wurden schnelle Exekutionen der chinesischen Übeltäter durchgeführt, nachdem die Briten den Yuanming yuan verlassen hatten. Der Versuch, gestohlene Gegenstände zurück zu erlangen, misslang aber: Mingshan empfahl zwar, einen Monat lang Straffreiheit bei Rückgabe der gestohlenen Objekte zu gewähren, aber dieses Angebot wurde von der Regierung als nicht praktikabel erachtet.89 General Shengbao wurde damit beauftragt, die gestohlenen Gegenstände aus dem Yuanming yuan wieder zu finden, war aber

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Tagebuch eines Unbekannten Bu zhu zhuanren (von dem Shen Yunlong aber begründetermaßen annimmt, dass es sich um den Gelehrten Lu Yunan aus Kaifang handelt) ist veröffentlicht in: Shen Yunlong, Yingfa lianjun shiliao (1963), S. 77ff. Auch dort wird detailliert geschildert, wie die Verbrennung in Peking wahrgenommen wurde. Biographische Notiz Li Ciming: Hummel, Eminent Chinese (1943), Bd. 1. S. 493. YMYA (1991), Bd. 1, S. 562f. Fang Yujin, Yuanming yuan bei fen ziliao zelu, in: YMYJ Bd. 1 (1981), S. 209. BrownMalone weist darauf hin, dass die chinesische Aktenlage für diesen speziellen Zeitabschnitt sehr prekär ist. Er verweist auf einen Aufsatz von Tsiang. T.F., China after the victory of Taku, 25.Juni 1859, in: American Historical Review Bd. 35:1 (1929), S.79–80. Auch in den verwendeten veröffentlichten Quellensammlungen YMYA (1991) und YMYZ (1984) fanden sich kaum Augenzeugenberichte über die Verbrennung. Guo Songtao, Guo Songtao riji (1981), S. 403ff. Wong, Paradise Lost (2001), S. 153. YMYA (1991), Bd. 1, S. 573–576. Ebd., S. 571f.

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nicht sehr erfolgreich.90 Eine offizielle Liste der verlorenen Gegenstände wurde nie erstellt, ein offizieller Report über den Verlust niemals geschrieben. Die von den chinesischen Händlern gekauften Gegenstände aus dem Yuanming yuan konnten noch 1861 in Liulichang, dem traditionellen Standort für Antiquitätenhändler in Peking, erworben werden.91 Die wertvollsten Gegenstände, so schätzte man, waren in die Hände der Briten gelangt, während die weniger wertvollen Gegenstände aus dem Yuanming yuan auch in den Besitz „Unschuldiger“ gelangten, die die Gegenstände aus dem Yuanming yuan entweder irgendwo fanden, unwissentlich kauften oder in sonst einer Form rechtmäßig erwarben, ohne zu wissen, dass es sich um „Raubgut“ handelte. Unmittelbar nach der Verbrennung des Yuanming yuan zeigte es sich, dass die Bewohner Haidians sich einig darüber waren, weshalb der Palast verbrannt worden war: Als Vergeltung für die Folter, die die ausländischen Geiseln erlitten hatten. Sie konnten sogar sagen, in welchem Teil des Palastes die europäischen Geiseln gefangen gehalten worden waren.92 Die Vorstellung Elgins von der Verbrennung des Yuanming yuan als Bestrafung nur für das Kaiserhaus, die die chinesische Bevölkerung Chinas nicht treffen würde, erwies sich somit als falsch. Von der gesamten Pekinger Bevölkerung wurde die Zerstörung des Yuanming yuan schon in dieser frühen Phase als Demütigung empfunden. Yuanming yuan und Wanshoushan lagen in Trümmern, da die aus Holz errichteten chinesischen Gebäude alle den Flammen zum Opfer gefallen waren, große Teile der Gebäude im westlichen Stil existierten aber noch, da sie aus Stein waren. Dies wird vom jungen Attaché Freeman-Mitford berichtet, der die Ruinen von Wanshoushan und Yuanming yuan 1865 besuchte, die, obgleich nicht mehr von der kaiserlichen Familie bewohnt, immer noch von einem Eunuchen bewacht wurden.93 Dabei hatte die Zerstörung des Yuanming yuan erst begonnen, denn das Palastareal war so groß, und die Briten hatten während der Verbrennungsphase so wenig Zeit, dass es nicht gelungen war, alles zu zerstören.94 Freeman-Mitford betrachtete die Zerstörung des Yuanming yuan als Fehler und zwar nicht, weil sie eine Demütigung für die Qing war, von der sie sich nur schwer wieder erholten, sondern weil 1865 die „Lektion“, die den Qing damit erteilt worden war, fast schon wieder in Ver90 Brown-Malone berichtet, dass Shengbao jeden, den er im Besitz von Plündergut antraf, umbringen ließ. Dies sei ihm, Brown-Malone, von einem Manchu namens Huang Ju Lan persönlich erzählt worden. Brown-Malone, The History of the Peking Summer Palaces (1934), S. 185. 91 Siehe Hevia, English lessons (2003), S. 92, der hierfür Rennie, British Arms (1864) als Quelle nennt. 92 Diese Darstellung der Ereignisse ist Brown-Malone, The History of the Peking Summer Palaces (1934) entnommen, der sein Buch zum Yuanming yuan zu Beginn des 20. Jahrhunderts verfasst hat und deswegen noch viele Augenzeugen interviewen konnte. Brown-Malone, The History of the Peking Summer Palaces (1934), S. 192. 93 Freeman-Mitford, The Attaché at Peking, in: Brown-Malone, The History of the Peking Summer Palaces (1934), S. 195. Freeman-Mitford beschreibt auch den Zustand anderer Häuser in den Westbergen, geht aber nicht darauf ein, ob diese auch von den Alliierten 1860 zerstört worden war. 94 Zitiert nach Chiu, Yuanming yuan (2000), S. 330.

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gessenheit geraten war. Seiner Ansicht nach hätte man den Kaiserpalast in Peking zerstören sollen. Die Plünderung des Yuanming yuan von 1860 war für die Qing-Herrschaft politisch tatsächlich nur begrenzt gefährlich und angesichts der Taiping-Rebellen nur eine kleinere Katastrophe. Aber die dadurch erlittene Demütigung und die Trauer über die verlorenen Kunstschätze wurden nicht nur innerhalb des kaiserlichen Zirkels verspürt, sondern auch innerhalb der Qing-Beamten- und Gelehrtenelite. Besonders offensichtlich ist das Ausmaß des Traumas im poetischen Werk von Prinz Chun (Yihuan, 1840–1891), dem Vater des Guangxu-Kaisers (1871– 1908). Prinz Chun, der die Oktobertage 1860 an der Seite seines Bruders Prinz Gong erlebt hatte, verlieh dem Kummer und der Leere, die durch die Zerstörung des Yuanming yuan in ihm persönlich entstanden, in zahlreichen Gedichten Ausdruck.95 Die chinesische Regierung strebte nun nach einer besseren Zusammenarbeit mit den europäischen Ausländern, wobei sie zumindest in der Anfangszeit diese Politik noch nach eigenen Vorstellungen gestalten konnte. Die Präsenz der Ausländer in der Stadt musste hinfort geduldet werden. Sie hatten im neu gegründeten Zongli Yamen auch ein Amt, das ihnen direkte Kommunikation mit dem Kaiser ermöglichte, was in den kommenden Jahren von mehr und mehr europäischen Mächten genutzt wurde.96

3.2 Der Yuanming yuan in der späten Qing- und während der Republikzeit Nach dem Tode des Xienfeng-Kaisers 1861 kam die Mutter seines Sohnes, die ehemalige Konkubine Yehonala als Kaiserin Cixi (die Mutter des minderjährigen Thronfolgers, des Tongzhi-Kaisers) zusammen mit der Hauptfrau des XianfengKaisers, Ci’an, an die Macht. Sie schmiedete ein Komplott gegen den Mandschuren Sushun, die treibende Kraft der Kriegspartei und engen Gefährten des Xianfeng-Kaisers, und übernahm selbst in ihrem eigenen, sowie dem Namen der Kaiserin Ci’an für den Tongzhi-Kaiser die Regentschaft, und danach für zwei weitere Neffen bis zu ihrem Tode 1908. In ihre Regentschaft fällt der Ausbau des Yihe yuan, der zum Teil auf den Ruinen des Yuanming yuan errichtet wurde. Immer wieder kam ein vollständiger Wiederaufbau des Yuanming yuan ins Gespräch, aber in den 1860er Jahren war daran wegen der immer noch akuten Bedrohung zuerst durch die Taiping-Erhebung, dann durch die Nian-Erhebung nicht zu denken. Insbesondere 1873, nachdem der junge Tongzhi-Kaiser von seiner Mutter Cixi die Regentschaft übernommen hatte, wurde die Frage nach der Residenz für Cixi wieder aktuell, und es wurde erwogen, den Yuanming yuan, an 95 Schwarcz, Circling the Void, in: History & Memory Bd. 16:2, S. 32–66 befasst sich detailliert mit dem poetischen Werk von Prinz Chun, Hummel, Eminent Chinese (1943), Bd. 1, S. 384– 386. 96 Zur Restauration in der Tongzhi-Ära siehe: Wright, Last Stand (1957), Banno, China and the West (1964) und Horowitz, Central Power and State Making (1998).

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den sie schöne Jugenderinnerungen knüpfte, wieder herzustellen.97 Prinz Gong aber wehrte sich dagegen wegen der vielen Schwierigkeiten, die es noch mit den europäischen Ausländern zu klären gab und dem viel bedeutenderen Argument, dass es kein Geld in der Staatskasse gebe. Deswegen wurden nur einige der noch existierenden Gebäude renoviert, aber nicht weiter aufgebaut. Erst 1889 wurden als Vorbereitung für den 60. Geburtstag von Cixi, der im Jahr 1895 gefeiert werden sollte, umfangreichere Renovierungsarbeiten am Qinqyi yuan vorgenommen werden. Obwohl Cixi für diese Renovierungsarbeiten Geld einsetzte, das zum größten Teil aus ihrer Privatschatulle kam, verwendeten ihre Kritiker später diese kostspielige Renovierung des Yuanming yuan gegen sie, indem sie behaupteten, dass dabei Mittel, die eigentlich für den Ausbau der Flotte vorgesehen waren, verwendet worden seien. Ihre Kritiker warfen ihr außerdem vor, dass Cixi während der zwanzig Jahre, die benötigt wurden, um das Land zu befrieden, durch den Verkauf von Ämtern viel persönliches Vermögen angehäuft habe (200 Millionen Taels), und dies einzig in dem Ansinnen, den Yuanming yuan wieder aufzubauen. Tatsächlich aber erschien Cixi die Investition ihres privaten Vermögens in eine chinesische Marine so sinnlos, dass sie befahl, einen Teil des Palastes damit wieder aufzubauen, der heute als Yihe yuan bekannt ist. Ihren 60. Geburtstag feierte die Kaiserin Cixi im Wanshoushan, der teilweise mit Baumaterialien, die aus den Ruinen des Yuanming yuan entwendet worden waren, wieder aufgebaut wurde. Die ausgiebigen Feierlichkeiten finanzierte sie dadurch, dass sie von allen ihren Beamten ein Viertel ihres Jahreseinkommens als Geburtstagsgeschenk einforderte. Barmé ist der Auffassung, dass die verbliebenen Ruinen des Yuanming yuan bei dieser Aktion ein weiteres Mal so schwer geschädigt worden sind, dass er von einer zweiten Plünderung des Yuanming yuan spricht.98 Bewacht wurde der Yuanming yuan zu dieser Zeit immer noch von Mitgliedern der noch loyalen mandschurischen Bannerfamilien, die vor seinen Toren Quartier bezogen hatten. Das politische Leben spielte sich jetzt aber vorwiegend im Yihe yuan ab. Dort berichtete auch Li Hongzhang 1896 von seiner Weltreise, dort wurde auch Prinz Heinrich von Preußen, der 1898 nach China reiste, um den Hafen von Qingdao in Besitz zu nehmen, von Cixi empfangen. Die Ermutigung zum Boxeraufstand durch Kaiserin Cixi hatte weitreichende Folgen und führte zur zweiten (oder, wenn man der Barméschen Zählung folgt, dritten) Plünderung nicht nur des „Sommerpalastes,“ (womit 1900 nicht mehr nur der Yuanming yuan, sondern auch der Yihe yuan gemeint war), sondern des gesamten Villenareals in und um Peking und einer Besetzung der Verbotenen Stadt.99 Um den Boxeraufstand niederzuschlagen, schlossen im Sommer 1900 Briten, Franzosen, Österreicher, Italiener, Amerikaner, Russen, Japaner und Deutsche eine Allianz. Nachdem die Alliierten sich aus ihrem von den Boxern 97 Liu Dunzhen, Tongzhi chong xiu Yuan Ming Yuan shi liao, in: YMYJ Bd. 1 (1981), S. 121. 98 Morse, International Relations (1910), Bd. 3, S. 31. Barmé, The Garden of Perfect Brightness, in: East Asian History Bd. 11 (1996), S. 139. 99 Carroll Brown Malone, The History of the Peking Summer Palaces (1934), S. 208.

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belagerten Stadtviertel befreit hatten, die Kaiserin ebenso wie die kaiserliche Kavallerie nach Xi’an geflohen war, organisierten die alliierten Mächte ein Defilee durch die Verbotene Stadt, die dabei geplündert wurde. Sie teilten dabei außerdem die Stadt in Zonen auf, zu denen auch das Gebiet des ehemaligen Yuanming yuan und des Yihe yuan gehörte.100 Während des Boxeraufstandes wurden neben der Verbotenen Stadt und dem Yihe yuan auch noch einmal die verbliebenen Ruinen des Yuanming yuan geplündert, wobei er zu diesem Zeitpunkt schon einen sehr viel desolateren Eindruck gemacht haben musste als noch in den 1870er Jahren. Unterstützt wurden die Soldaten der acht alliierten Mächte dabei diesmal auch von den mandschurischen Bannermännern, die am Rande des Yuanming yuan lebten. Sie waren nunmehr mit dem Niedergang der Qing-Dynastie zu Bannermännern ohne Aufgabe geworden, hatten den Yuanming yuan als Holzlagerstätte betrachtet und entsprechend hölzerne Türen und Türstürze verbrannt. Verbliebene loyale Mitglieder der Bannerfamilien versuchten noch, eine Bewachung der Ruinen und des Yihe yuan rund um die Uhr zu organisieren, was aber scheiterte. Um die Baurohstoffe aus dem Yuanming yuan entstanden erbitterte Bandenkriege.101 1902 kam Cixi aus ihrem Exil in Xi’an zurück nach Peking und nahm ihre Residenz im Yihe yuan wieder auf.102 Sie lebte dort bis zum Sommer 1908 und verließ ihn am 20. Oktober 1908. Der Guangxu-Kaiser starb am 14. November desselben Jahres starb, einen Tag später sie selbst. Am 18. Januar 1909 erklärte der Vater und Prinzregent des neuen Xuantong-Kaisers (Puyi) in einem Dekret, dass der Kaiser und seine Mutter dort nicht leben würden, weshalb alle Gebäude versiegelt und die Stromanlagen abgeschaltet werden sollten. Zudem sollten anstelle der 150.000 Tael, die eigentlich für die Anlage zur Reparatur zur Verfügung gestanden hätten, nur 50.000 verwendet werden.103 Nachdem der Kaiser abdanken musste, kam es noch einmal zu Reparaturarbeiten, weil generell davon ausgegangen wurde, dass der Kaiser nun dort leben würde, aber Yuan Shikai entschied dagegen und der Kaiser verblieb in der Verbotenen Stadt in Peking.

100 Chiu, Yuanming yuan (2000), S. 330. 101 Ebd., S. 331. 102 Die genaueste Schilderung des Lebens der Kaiserin Cixi im Sommerpalast bietet die Darstellung der Prinzessin Derling, deren Vater Botschafter in Paris und deren Mutter Französin war. Zwischen 1903 und 1905 hatte sie als Hofdame dort gelebt. Ebenso genaue Beschreibungen existieren von Catherine Carl, einer amerikanischen Künstlerin, die auf Vermittlung der Ehefrau des amerikanischen Botschafters ein Porträt von Cixi anfertigte. In dieser Zeit erst war der Kontakt zu den Ausländern richtig hergestellt: Am Hofe zugelassen waren Reginald Johnston und Catherine Carl, es ist auch bekannt, dass die Kaiserin eine Delegation von Ehefrauen westlicher Botschafter empfing. Derling, Two Years (1912). 103 Brown-Malone, The History of the Peking Summer Palaces (1934), S. 209.

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3.3 Die Erinnerung an die Zerstörung des Yuanming yuan als Symbol nationaler Demütigung Noch vor der zweiten Zerstörung 1900 während des Boxeraufstands war die Plünderung des Yuanming yuan in schmerzlicher Erinnerung geblieben und als Demütigung aufgefasst worden, insbesondere von loyalen Beamtengelehrten der Qing-Regierung. Wang Kayun (1833–1916) und Yang Yunshi schrieben ebenso wie Prinz Chun Gedichte, in denen sie die Plünderung des Yuanming yuan bedauerten und beklagten.104 Von Wang Kayun, der im Mai 1871 mit seinem Freund Xu Shujun eine Tour durch den Yuanming yuan unternahm ist eine ausführliche Beschreibung der Ruinen bekannt.105 Er wurde von einem ehemaligen Aufseher und Eunuchen namens Dong begleitet, der ihm berichtete, dass seit der Zerstörung des Yuanming yuan 1860 noch weitere schwere Plünderungen stattgefunden hätten, und ihm auch genau die Stelle zeigte, an der sich der ehemalige Aufseher des Yuanming yuan Wenfeng das Leben nahm.106 Die berühmten Schätze waren verschwunden, und auch die bekannte Wand von Sravasti, an der sich 200.000 Buddhastatuen befunden haben sollen, war zerstört; die kleinen Buddha-Statuen aus purem Gold (die noch im Bericht von John Dunne beschrieben wurden) waren alle verschwunden.107 Es ist nicht auszuschließen, dass die Tradition, das Schicksal des Yuanming yuan mit dem Schicksal der Qing gleichzusetzen, in dieser Zeit ihren Anfang nahm. Der Reformer Kang Youwei verwendete schon bei der Planung seiner Reform immer den Yuanming yuan als ein Gleichnis: Der Aufstieg der QingDynastie wurde mit seinen Anfängen in Verbindung gebracht, während ihr Sturz mit dem Auftreten der Europäer in China und der Zerstörung des Yuanming yuan zusammenfiel. Für die von ihm geplante Reform, die eine Restauration der QingDynastie vorsah, plante er schon 1875 in seinen Träumen eine Wiederherstellung des Yuanming yuan.108 Nach 1900 gewann diese Vorstellung an Kraft, wobei sich die Plünderung des Yuanming yuan und des Yihe yuan in der Erinnerung und Wahrnehmung vermischten, und generell die Zerstörung der Paläste als Demütigung begriffen wurde, ohne eine Unterscheidung zu machen. Die chinesischen Studenten, die in dieser Zeit nach Europa reisten, um ihr Studium aufzunehmen, schmerzte es sehr, Gegenstände aus dem Yuanming yuan in Europa, Paris und London zu sehen. Kang Youwei (1858–1927) fühlte sich gebrochen und gedemütigt, als er im Orientalischen Museum in Paris eine große Anzahl der Objekte aus dem Yuanming yuan sah. Er erkannte sie an ihren Inventarzeichen und schloss daraus, dass sie dort vielleicht schon 1860, wahrscheinlicher aber 1900 entwendet worden waren. Ähnlich wie für Kang Youwei waren die Ruinen des Yuanming 104 105 106 107

Barmé, The Garden of Perfect Brightness, in: East Asian History, Bd. 11 (1996), S. 126 Wang Kayun, Yuanming yuan ci, in: YMYZ (1984), S. 326. Brown Malone, The History of the Peking Summer Palaces (1934), S. 185. Wang Kaiyun und Xu Shujun’s Bemerkung werden bearbeitet in in: Xu Shudiao, „Yuanming yuan ci“ xu, in: YMYZ (1984), S. 322–326. 108 Liu Dunzhen, Tongzhi chong xiu Yuan Ming Yuan shi liao, in: YMYJ Bd. 1 (1981), S. 121– 171).

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yuan auch für Li Hongzhang (1823–1901) Symbol einer vergangenen, besseren Zeit. Einen Besuch der Ruinen des Yuanming yuan (vermutlich als politisches Statement gedacht) nach seinem Besuch bei der Kaiserin Cixi im Yihe yuan wollte man ihm aber nicht gestatten. Der Palast war seit Anfang der 1890er Jahre gesperrt. Wachen (vermutlich die mandschurischen Bannermänner, die den Yuanming yuan selbst plünderten) waren um den Palast aufgestellt, die ihn immer noch schützten und Li Hongzhang später vorwarfen, auf eigene Faust in den Yuanming yuan eingedrungen zu sein. Dafür wurde er zur Zahlung einer Geldstrafe in Höhe eines Jahresgehaltes verurteilt.109 Während der Republikzeit verstärkte sich die Symbolwirkung der Zerstörung des Yuanming yuan. Li Dazhao besuchte die Ruinen des Yuanming yuan 1913 und beklagte dessen Zerstörung in einem Gedicht, und auch der konservative Denker Lin Shu teilte die Trauer über die Zerstörung des Yuanming yuan. Der Historiker Xiang Da, ähnlich wie Li Dazhao und Lin Shu, aber bereits im Bewusstsein der zweiten Zerstörung von 1900, bezeichnete die Zerstörung des Yuanming yuan als den schlimmsten Fall in der Geschichte der chinesischwestlichen Beziehungen.110 Brown-Malone, der in den dreißiger Jahren Forschungen zum Yuanming yuan und seiner Zerstörung unternahm, konstatierte für die dreißiger Jahre, dass sich in China unter Geschichtsstudenten die Auffassung verbreitete, die europäischen Soldaten seien „Barbaren“: Die französischen Soldaten hätten den Schätzen des Yuanming yuan nicht widerstehen konnten. Ein glühender Nationalist bemerkte, dass er hoffe, dass seine Landsleute sich nicht zu solcherlei drakonischen Maßnahmen hinreißen lassen würden, wenn sie dereinst vor Paris stünden. Auch eine gewisse Unverhältnismäßigkeit der Verbrennung des Yuanming yuan als Racheakt für die Tötung britischer und französischer Landsleute (die damals also offenbar noch bekannt war und erst später aus den Geschichtsbüchern eliminiert wurde) wurde bemerkt. Ein Student bemerkte, dass die französischen und die britischen Soldaten zwar empört wegen der Misshandlung ihrer Landsleute gewesen seien, aber tausende von Chinesen wütend seien auf die Briten und Franzosen, die ihnen diesen Tort angetan hätten. Ein weiterer Student war der Ansicht, dass die Zerstörung eines so hohen Kulturgutes wie des Sommerpalastes die schlimmste Strafe und Demütigung für ein Volk sei.111 Auch die Europäer, die in den zwanziger und dreißiger Jahren in China lebten schlossen sich der Meinung an, dass die Plünderung und Zerstörung des Yuanming yuan für das chinesische Volk eine schreckliche Erniedrigung gewesen sei. Der britische Botschafter vermutete sie als Ursache der Depression, in die die chinesische Regierung nach 1860 verfallen sei. Sein amerikanischer Kollege in Pe-

109 Wong, Paradise Lost (2001), S. 181. Dies steht im Widerspruch zur vorherigen Aussage, dass der Yuanming yuan als Steinbruch für Rohmaterial diente. Vermutlich also bewachten die Bannermänner die Ruinen und beuteten sie gleichzeitig aus. 110 Xiang Da, Yuan ming yuan yi wu yu wen xian (1931) S. 18 111 Brown-Malone, The History of the Peking Summer Palaces (1934), S. 192. Leider nennt Brown-Malone nicht die Namen der Studenten.

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king war aber im Gegensatz dazu der Auffassung, dass dies der Moment gewesen sei, in dem China gesehen habe, dass es lange geschlafen hatte, und erst dann aufgewacht sei.112 Ein anderer Chronist sah darin den Todesstoß für die mandschurische Dynastie, die sich bis dahin für die mächtigste Dynastie auf der Erde gehalten habe.113 In den dreißiger Jahren schon wurden die Briten allein für die Zerstörung des Yuanming yuan verantwortlich gemacht. Hope Danby stellte fest, dass im kollektiven Gedächtnis die französische Beteiligung nahezu ausgeblendet wurde und die Erinnerung an die Zerstörung des Yuanming yuan zu einer sehr mächtigen Waffe des Staates geworden war, die immer dann eingesetzt wurde, wenn es um Abgrenzung zu den europäischen Mächten ging.114

4 DAS SCHICKSAL DER RUINEN: BEWAHRUNG UND KONSERVIERUNG IN REPUBLIKZEIT UND VR CHINA Die Ruinen des Yuanming yuan blieben während der späten Qing-Zeit zunächst relativ intakt, wurden dann aber mehr und mehr als Steinbruch verwendet, bis sie nach dem Fall der Dynastie 1911 zum Opfer der umliegenden Einwohner von Haidian wurden, später der japanischen Besatzungsmacht.115 Bereits unmittelbar nach 1860 hatten die Mandschu-Bannermänner und die Bewohner der umliegenden Gegend begonnen, sich die Materialien, die noch im Yuanming yuan zu finden waren, anzueignen.116 In den 1870er und 80er Jahren wurden die Ruinen der Gebäude im westlichen Stil des Yuanming yuan zu einem beliebten photographischen Objekt, deren Ansicht in den Bildern von Ernst Ohlmer und Thomson erhalten sind, was bedeutet, dass sie zu diesem Zeitpunkt noch für den Publikumsverkehr zugänglich waren, bevor sie in den 1890er Jahren geschlossen wurden.117 Nach 1911 verkauften viele ehemalige Beamte des neiwufu, also des Ministeriums für innere Angelegenheiten, dem die Aufsicht über den Yuanming yuan oblag, die übriggebliebenen Ruinen zum Teil als Baumaterial.118 Dabei verloren aber die Ruinen, obgleich sie immer kleiner wurden, dennoch nicht ihre Symbolkraft. Sie wurden zunächst nicht nur als Symbol für die Demütigung durch die Alliierten 112 113 114 115

Brown-Malone, The History of the Peking Summer Palaces (1934), S. 192. Tiau, China Awakened (1922) S. 183. Danby, Garden of perfect brightness (1950), S. 204. Eine Darstellung des Schicksals der westlichen Gebäude findet sich bei Tong Xi, Beijing Changchunyuan xi yiang jianzhu, in: Wang Daocheng (Hg.), Yuanming yuan (1999), S. 264– 286. 116 Barmé, The Garden of Perfect Brightness, in: East Asian History Bd. 11 (1996), S. 137. 117 Siehe insbesondere Thiriez, Barbarian Lens (1998), die die Entwicklung der Photographie in China anhand der Aufnahmen, die von den Ruinen des Yuanming yuan gemacht wurden, beschreibt. In Teng Gu, Yuan ming yuan Ou shi gong dian can ji (1933), sind diese Photographien reproduziert. 118 Barmé, The Garden of Perfect Brightness, in: East Asian History Bd. 11 (1996), S. 140. Der Kommandant der Pekinger Gendarmerie Wang Huaiqing beispielsweise bemächtigte sich in den 20er Jahren zahlreicher Baumaterialien, um den Da Yuan zu bauen, in dem später der Direktor des deutschen Goethe-Institutes lebte.

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begriffen, sondern vielmehr als Mahnmal für die ehemalige Größe der Dynastie der Qing, eine Größe, die wieder angestrebt werden sollte und noch nicht wieder erreicht worden war. 1927 fand im Yihe yuan ein ritueller Selbstmord des ehemaligen Qing-Beamten Wang Guowei statt. Wang Guowei, der auch als Professor für Geschichte an der Qinghua Universität zum Zeichen seiner Loyalität gegenüber dem mandschurischen Kaiserhaus noch seinen Zopf trug, nahm sich dort aus Protest gegen die Modernisierungen, die China zu zerstören drohten, das Leben.119 Auf dem Gelände des Yihe yuan und des Yuanming yuan wurden die neuen Gebäude für die Qinghua-Universität und die Yenching-Universität errichtet. Der Changchun yuan verschwand nahezu völlig, und nur der Yihe yuan wurde wieder teilweise in einem Stil renoviert, der einen Bruchteil des früheren Glanzes wiedergab. Neue Parks und Gärten in und um Peking wurden auf den Ruinen des Yuanming yuan errichtet. Auch neue Siedler trafen ein: Ursprünglich wurde das ehemalige Gebiet der kaiserlichen Paläste nur von Nachfahren von Personen, die bereits mit der Pflege des Yuanming yuan beauftragt gewesen waren, bewohnt, aber mehr und mehr ließen sich auch andere Siedler dort nieder, neue Dörfer entstanden. In den frühen 30er Jahren, nachdem die kaiserlichen Gärten als Museum der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden waren, wurden erste Forschungen über den historischen Yuanming yuan angestellt mit dem Ziel, ihn in kleinerem Maßstab wieder aufzubauen. Sie gingen auf die Initiative von Zhu Qijin zurück, der der Leiter des 1929 gegründeten Forschungsinstitutes für Bauwesen (Zhongguo yingzao xueshe) war, und mit Liu Dunzhen und Liang Sicheng zwei Architekturhistoriker beschäftigte, die sich vor allem mit Gartenbaukunst befassten und zunächst das über den Yuanming yuan verfügbare Material zusammenstellten.120 Dazu gehörten die Photographien der vierzig sich in Paris befindenden Szenenbilder, die 1928 von Chen Yansheng angefertigt wurden.121 1931 wurden die zwanzig Kupferstiche aus der Werkstatt von Castiglione veröffentlicht, die die Gebäude im westlichen Stil zeigen und im Palast von Shenyang gefunden worden waren, ebenso, wie die Photographien von Ernst Ohlmer.122 In dieser Zeit wurden auch erstmals Berichte in westlicher Sprache gesammelt. Im Winter 1933 wurde das ehemalige Gelände des Yuanming yuan erstmals vermessen. Die Ergebnisse wurden in einer Karte festgehalten, die 1936 veröffentlicht wurde und als Gong Wu Ju-Karte bekannt ist.123 Ergebnis dieses Großprojektes war eine Ausstellung im Palastmuseum in Peking.124 Mit der japanischen Besatzung (1937–1945) und dem Bürgerkrieg wurde die Forschungstätigkeit unterbrochen.

119 120 121 122 123 124

Brown Malone, The History of the Peking Summer Palaces (1934), S. 218 Zhang, Ensemble des Yuanming yuan (2004), S. 13. Diese werden auch beschrieben bei Pauthier, Une visite a Youen-Ming-Youen (1864). Teng Gu, Yuan ming yuan Ou shi gong dian can ji (1933). Zhang, Ensemble des Yuanming yuan (2004), S. 15. Einen Plan des Yuanming yuan, wie er dabei in der Verbotenen Stadt ausgestellt wurde, findet sich in: Allain (Hg.), Protection et mise en valeur (2002), Plan 09.

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4.1 Die Bedeutung der Erinnerung an den Yuanming yuan in der VR China An die Macht des kaiserlichen Reiches anknüpfend, verwendete auch die Regierung der Volksrepublik China nach 1949 einige Symbole des Qing-Reiches.125 In diesem Zusammenhang der Rekonstruktion der Geschichte der Volksrepublik aus der Geschichte des späten Qing-Reiches behielt die Erinnerung an die Zerstörung des Yuanming yuan ihre Bedeutung als Demütigung Chinas durch den Westen bei, allerdings nicht mehr so ausgeprägt wie noch während der Republikzeit.126 Besondere Bedeutung erhielt der Ort, als sich dort am 29. Mai 1966 eine Gruppe Studenten traf, um eine Vereinigung zu gründen, die sich später die „Rote Garde des großen Vorsitzenden Mao“ (Mao zhuxi de hong weibing) nannten. Ab 1979 wurde der Yuanming yuan zu einem Treffpunkt für Literaten und Filmemacher (unter anderem Chen Kaige), die dort ihren eigenen literarischen Salon unterhielten. Diese Literaten hielten den Yuanming yuan dabei für eine staats- und herrschaftsdiskursfreie Zone, in der sie ihre Gedichte schreiben konnten. Außerdem entstand dort eine dörfliche Gemeinschaft von Künstlern, die sich Yuanming yuan huajiacun (etwa: Künstlerdorf Yuanming yuan) nannte, oder Xicun, aber 1995 von Polizisten gesprengt wurde. Was nun die Ruinen selbst betraf, so gab es während der 40er und 50er Jahre zunächst Bemühungen, den Yuanming yuan dem Erdboden gleich zumachen. Die Seen überdauerten nur, weil man sie als fischreiche Gewässer nutzen konnte. Während des Bürgerkrieges bis 1949 und während der Phase der wirtschaftlichen Stabilität bis 1958 bis nach der Kulturrevolution 1976 blieben die Ruinen unbeachtet. Zhou Enlai hatte bereits in den 1950er Jahren Instruktionen erlassen, dass das Gebiet möglichst unberührt bleiben solle. Dies ließ sich aber nicht durchführen. Zwischen 1956 und 1960 wurden zwar mehrere Versuche eines neu eingerichteten Büros für Pekinger Parks und Gärten unternommen, das bebaute Land aufzukaufen und zumindest die Ruinen zu bewahren, aber während der Hungersnöte von 1960 nahmen die Bauern das gesamte Land wieder in Besitz und verwandelten die Seenlandschaft in Reisfelder. Dort verrichteten in den 60er Jahren die Schüler und Studenten der umliegenden Universitäten ihren vorgeschriebenen Arbeitsdienst, wobei auch die landschaftsarchitektonische Anlage des Yuanming yuan weitgehend zerstört wurde. Zwar wurde die Landschaft um den Yuanming yuan im März 1960 zu einer historischen Stätte erklärt, aber bis Mitte der 1970er Jahre hatte nur ein einziger Tempel der gesamten Palastanlage überlebt, der dann Teil eines Maschinenparkes wurde.127 Erst nach dem Ende der Kulturrevolution 1976 wurden 1978 unter der Leitung der Wissenschaftler He Zhongyi und Zeng Zhaofen neue Forschungen zum 125 Cai Shengzhi, Yuanming yuan zhi huiyi, in: Shen Yunlong, Yingfa lianjun shiliao (1963), S. 111–170. 126 So hat das Tor des Himmlischen Friedens, Symbol eigentlich eines kaiserlichen Chinas, auch für die VR als Ort der Staatsausrufung 1949 einen zentralen Stellenwert. Indem es im Staatswappen auftaucht, symbolisiert es die Einheit von Altertum und Moderne, Spakowski, Helden, Monumente, Traditionen (1999), S. 321. 127 Barmé, The Garden of Perfect Brightness, in: East Asian History Bd. 11 (1996), S. 142.

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Yuanming yuan unternommen, die an die Studien aus den 1930er Jahren anknüpften.128 1980 wurde eine Studiengesellschaft Yuanming yuan gegründet (Zhongguo yuanming yuan xuehui), der über 90 Mitglieder, Architekten, Historiker etc. angehören, die zwischen 1981 und 1992 fünf Zeitschriften (YMYJ) herausbrachten. Als Initiatorin galt unter anderem Song Qingling (Ehefrau des früheren Präsidenten Sun Yatsen), und bereits in der ersten Ausgabe einer neu gegründeten Zeitschrift wurde (ebenso wie schon in den dreißiger Jahren) eine Bestandsaufnahme verfügbarer Literatur gemacht, die bei der Rekonstruktion des Yuanming yuan von Bedeutung sein könnte.129 Es wurden darin nicht nur bereits existierende Quellen diskutiert, anhand deren eine Rekonstruktion des Yuanming yuan möglich sein könnte, sondern es wurde auch aus westlichen zeitgenössischen Werken versucht, den Hergang der Plünderung zu rekonstruieren, darunter die Werke von Wolseley, Knollys, Swinhoe und McGhee, die auszugsweise übersetzt wurden.130 Zu weiteren bedeutenden den Yuanming yuan betreffenden Quellenveröffentlichungen gehören Yuanming yuan ziliao (YMYZ, 1984) und ein zweibändiges Werk von 1991, Yuanming yuan qingdai dangan shiliao (YMYA).131 Seit 1983 kam es zu einem regen wissenschaftlichen Austausch zwischen den Forschern dieser Gruppe und einer französischen Forschergruppe. Deren Forschungsschwerpunkt lag auf einem Rekonstruktionsversuch der Gebäude im westlichen Stil. Deren Ruinen wurden vermessen, und ein Modell im Maßstab 1:5000 angefertigt.132 Seit 1997 organisiert der Architekturhistoriker Chiu Chebing außerdem in Zusammenarbeit mit der Forsthochschule in Peking französischchinesische Forschungsprojekte zum Yuanming yuan.133 1986 begann der Ausbau der noch verbleibenden Reste des Yuanming yuan zu einem „Ruinen-Park“, was Barmé als eine weitere Epoche der Zerstörung bezeichnet. Ebenso wie im Rom des 19. Jahrhunderts Ruinen beseitigt wurden, um anderen Ruinen Gel-tung zu verschaffen, so argumentiert er, verschwanden auch bei dieser Aktion zu Beginn der 80er Jahre sehr viele der letzten Überreste. Bäume wurden gepflanzt, um die Erosion aufzuhalten und die noch verbleibenden Seen wurden wieder mit Wasser gefüllt.

128 Zhang, Das Ensemble Yuanming yuan (2004), S.17. He, Zhongyi, Yuan Ming Yuan yuan yuanlin yi shu, Beijing 1995. 129 Cheng Yansheng, Yuanming yuan kao (1981) in: YMYJ Bd. 1 (1981), S. 95–113. Der Originalaufsatz erschien das erste Mal 1928. 130 Ouyang Caiwei, Xishu zhong guanyu yuanming yuan de jishi, in YMYJ Bd. 1 (1981), S. 172–205. 131 Shu Mu, Shen Wei, He Naixian (Hg.), Yuan ming yuan zi liao ji (1984). Yuanming yuan qingdai dangan shiliao (1991), 2 Bde. In diesem Zusammenhang müssen auch die Werke von Wang Wei und Wang Daocheng genannt werden: Wang Wei, Yuanming yuan (1980), Wang Daocheng, Yuanming yuan (1999), S. 321. 132 Vgl. Pirazzoli-t’Serstevens, Le Yuanming yuan (1987). 133 Vgl. Zhang, Das Yuanming yuan Ensemble (2004), S. 18. Eine Veröffentlichung hierzu ist: Allain (Hg.), Protection et mise en Valeur (2002).

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Zhang Shuang legte im Jahr 2004 eine Arbeit vor, in der sie anhand schriftlicher und graphischer Quellen über den Yuanming yuan Zeitschichtenkarten erstellt, die zur Rekonstruktion des Yuanming yuan herangezogen werden können.134 Sie vergleicht dabei drei Karten des Yuanming yuan. Die sogenannte LeiKarte von 1874 (sie stammte aus dem Besitz der Architektenfamilie Lei und ist erst in den 90er Jahren in einem Pekinger Archiv wieder aufgefunden worden), die Gong Wu Ju-Karte von 1936 und die Ce Hui Yuan-Karte von 1991. Die LeiKarte, 14 Jahre nach der Zerstörung angefertigt, zeigt einen noch vollständig erhaltenen Park, Wegenetz und Gebäude sind unverändert, blieben gut gepflegt, und bis 1900 scheint es keine großen Veränderungen gegeben zu haben. Auch die Gong Wu Ju-Karte, entstanden 75 Jahre nach der Zerstörung, hat noch sehr viel mehr Ruinenlandschaft verzeichnet, als die Ce Hui Yuan-Karte. 1936, so scheint es, war die ursprüngliche Topographie des Parks noch weitgehend erhalten. Es gab noch keine Flächenumwidmungen, die Landschaft blieb Park, die Fundamente der meisten Ruinen waren vorhanden.135 Die Ce Hui Yuan Karte von 1991 ist nicht unter archäologischen und kunsthistorischen Gesichtspunkten entstanden, sondern Teil eines amtlichen Kartenwerkes. 130 Jahre nach Zerstörung des Parks lassen sich dessen ursprüngliche Oberflächenform und die Wasserflächen nur noch schwach erkennen, auch die Wirtschaftswege wurden verändert. Von den Gebäuderuinen des großen Brandes von 1860 sind nur noch die Fundamente von ungefähr 15 bis 20 Gebäuden eingezeichnet. Bei archäologischen Grabungen, die nach der Jahrtausendwende wieder aufgenommen wurden, tauchen jedoch laufend neue Gebäudereste auf.136

4.2 Der Yuanming yuan nach der Jahrtausendwende In der Gegenwart wirkt auch die erste Plünderung von 1860 noch insbesondere auf drei Gebieten fort: Auf dem internationalen Kunstmarkt, in der nationalen Erinnerung Chinas und auch auf dem Gebiet der architekturhistorischen Gartenbauforschung. Viele hunderttausende von Objekten sind für China durch Krieg und Plünderun verloren gegangen und können in den Museen der Welt besichtigt werden. Das Metropolitan Museum of Art in New York beispielsweise hat die größte Anzahl an chinesischen Gemälden weltweit, das British Museum in London hat die besten Gemälde. Im Musée Guimet in Paris befinden sich über 30.000 Artefakte chinesischen Ursprungs, darunter die beste Porzellansammlung weltweit. In den USA existieren über 1000 Stück antiker Bronzen.137 Seit den 1990er Jahren versucht China Stück für Stück, einige der verlorenen Schätze zurückzuerwerben, die in der Regel im 1996 neu eröffneten Shanghai Museum ausgestellt werden. Dabei 134 135 136 137

Zhang, Das Yuanming yuan Ensemble (2004). Ebd., S. 61. Ebd., S. 59. Greenfield, Return of Cultural Treasures (2007), S. 253.

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hat die Diskussion um die aus dem Yuanming yuan geplünderten wertvollen Kunstgegenständen in den letzten Jahren eine neue Qualität angenommen. Seit der Plünderung 1860 tauchten bei den Auktionen der einschlägigen großen Häuser (Christie’s, Sotheby’s) immer wieder Gegenstände auf, die eindeutig als aus dem Yuanming yuan kommend identifiziert werden können. Mit besonderer Schärfe wird seit den 80er Jahren verfolgt, welche Gegenstände – meist aus dem Besitz der Erben ehemaliger Teilnehmer am Chinafeldzug 1860 oder 1900 – zum Verkauf stehen. Auch in China selbst tauchen oftmals Gegenstände auf, die aus dem Yuanming yuan kommen, so zum Beispiel 1997, als bei einer Auktion ein Blatt aus einem Werk von Gao Jian über die Südreisen des Kangxi-Kaisers versteigert wurde.138 Besondere Prominenz aber erlangten vor allem in jüngerer Zeit dabei die Skulpturen von zwölf bronzenen Tierköpfen. Sie dienten ursprünglich als Wasserspeier eines Springbrunnens, der sich vor dem Hauptgebäude der Bauten im westlichen Stil befand, und symbolisierten die zwölf Tierkreiszeichen des chinesischen Horoskops. 1987 tauchten auf einer Auktion in New York bei Sotheby’s zwei Skulpturen auf (die Darstellung von Affe und Schwein), die am 9. Oktober 1987 für einen Schätzpreis von 60.000 bis 80.000 US-Dollar angeboten wurden.139 Bereits damals wurde eine erbitterte Debatte über die Eigentümerschaft geführt, und darüber, ob Beutekunst verkauft werden dürfe.140 1989 tauchten am 13. Juni bei einer Auktion in London drei weitere Köpfe auf (Tiger, Ochse und Pferd), es ist jedoch nicht bekannt, wer sie damals erwarb.141 Im Mai 2000 kamen die Skulpturen bei einer Auktion in Hongkong wieder auf den Markt. Christie’s bot in einer Ausstellung mit dem Titel The Imperial Sale: Yuanming yuan zwei Skulpturen (Ochse und Affe) mit einem Schätzpreis zu je 500.000 bis 600.000 US-Dollar an. Bei Sotheby’s kam einen Tag später eine Vase zum Verkauf, die unzweifelhaft aus dem Yuanming yuan stammen musste, außerdem der Tigerkopf. Die chinesische Regierung reagierte diesmal und setzte alles daran, die Köpfe zu erwerben. Sie legte Protest ein gegen den Verkauf dieser Kunstschätze, da er eine „Beleidigung des chinesischen Volkes“ sei. Damit wollte China auch in Hongkong die auf dem Festland geltenden Regeln des Schutzes zum Kulturgut anwenden.142 Christie’s und Sotheby’s lenkten nicht ein. Im Moment schreibt die Gesetzeslage über die Rückgabe von kulturellen Gütern nur vor, dass Auktionshäuser den Nachweis darüber erbringen müssen, dass der letzte Besitzer eines auktionierten Gegenstandes zweifelsfrei der Eigentümer ist.143 Der Verkauf fand statt, und die chinesische Regierung verfolgte ihr Verbot nicht weiter mit der Begründung, dass nach 140 Jahren die Provenienz nicht mehr zweifelsfrei geklärt werden könne. Tatsächlich gingen die drei Skulpturen für den unerwartet hohen Preis von 4 Millionen US138 Wong, Paradise Lost (2001), S. 155. 139 Siehe Sotheby’s Katalog 1987: Property from the Collection of Mr. Stuart Blaine und Mr. Robert Booth, Los 134 und 135. 140 Der Kopf (der Affe) wurde dann nach Taibei verkauft. Wong, Paradise Lost (2001), S. 155. 141 Die Hanshe-Sammlung aus Taibei erwarb diesmal den Pferdekopf. 142 The New York Times, 29. April 2000, Mark Landler. 143 Greenfield, Return of Cultural Treasures (2007), S. 257.

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Dollar nach Peking. Der hohe Preis erklärt sich dadurch, dass während des Bietens (bei dem protestierende Zwischenrufe von Chinesen registriert wurden) ein Händler der Hanshe-Sammlung in Taiwan und ein Vertreter der Poly Group Corporation aus Peking gegeneinander boten. Die Poly Group Corporation war dabei ein neuer Agent: Sie ist einer der größten weltweit agierenden Waffenhersteller, die 1999 ihren größten Auftraggeber, das chinesische Militär verlor, und zwar im Rahmen einer Kampagne, die die wirtschaftlichen Aktivitäten des chinesischen Militärs drosseln sollte. Nach amerikanischem Vorbild versuchte sich die Poly Group Corporation seit 1998 in philanthropischen Aktivitäten und gründete 1998 ein kleines Museum (Poly Art Museum) mit dem Zweck, Raub- und Beutekunst aus China auf Auktionen außerhalb Chinas zu erwerben und nach Peking zurückzubringen.144 Im Jahr 2002 wurde in Peking außerdem eine nichtstaatliche Organisation gegründet, Lost Cultural Relics Recovery Fund (LCHF), die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Kulturgut zurückzuerwerben. Von dieser Organisation wurde 2003 der Bronzekopf des Schweins bei einem amerikanischen Kunsthändler entdeckt und von Stanley Ho, einem reichen Geschäftsmann aus Macao, zurückerworben und dem Poly Art Museum vermacht. 2007 erschien der Pferdekopf wieder auf dem Kunstmarkt. Auch hier protestierte die State Administration of Cultural Heritage öffentlich gegen den Verkauf und konnte sich tatsächlich mit Sotheby’s einigen und im Vorfeld wieder mit Hilfe von Stanley Ho den Kopf für 8,84 Millionen Dollar erwerben. Dies war das 22-fache des Preises, den der Eigentümer 1989 in London bezahlte.145 Zwei weitere Bronzeköpfe (Hase und Ratte) standen im Februar 2009 in Paris zum Verkauf (Los 606 und 607). Sie befanden sich in der Sammlung von Yves Saint-Laurent, der zuerst den Kopf der Ratte erworben hatte, dann den des Hasen aus dem Besitz des Künstlers José Maria Sert y Badia. Auch hier gab es im Vorfeld erhebliche Proteste der chinesischen Regierung gegen diesen Verkauf. Niu Xiangfeng, der Direktor des LCHF, behauptet, er habe im Vorfeld 2003 und 2004 bereits versucht, die Skulpturen zurückzuerwerben, der geforderte Preis von 10 Millionen US-Dollar sei ihm aber zu hoch gewesen. Die öffentliche Meinung in China geht dahin, dass gestohlene kulturelle Gegenstände nicht zurückgekauft werden sollten, da der Raub auf diese Weise legalisiert würde. Xinhua meldet am 10. Februar 2009, dass ein Komitee bestehend aus 81 chinesischen Rechtsanwälten Anfang Februar 2009 eine Email an Christie’s geschickt habe, in der die Skulpturen zurückgefordert wurden.146 Weiterhin drohten die Rechtsanwälte, Pierre Bergé, den Nachlassverwalter von Yves Saint-Laurent zu verklagen, käme es zum Verkauf. Auch in China erhoben sich Zweifel, ob ein solcher Prozess rechtens ist, weil die Umstände des Diebstahls nicht mehr geklärt werden können. Die Gutachterin Kate Swan Malin von Christie’s gab in einem Interview Aus-

144 The New York Times, 16. Juli 2000, Erik Eckholm. 145 Newschinamag.com, 5. Januar 2009, Wang Yan. 146 Xinhua, 10. Februar 2009.

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kunft, dass bei jedem einzelnen Stück, das zum Verkauf komme, die Provenienz geklärt sei. Am 18. Februar, fünf Tage vor der Auktion in Paris, waren beide Köpfe noch auf der Webseite von Christie’s ausgestellt. Christie’s erwartete einen Erlös von 8 bis 10 Millionen Euro pro Stück. Obwohl im Vorfeld alle Register gekränkten Nationalstolzes gezogen worden waren, nahm die Auktion eine überraschende Wende. Ein anonymer Bieter erwarb die beiden Bronzeskulpturen für je 15,7 Millionen Euro. Am 2. März 2009 trat er in Peking vor die Presse und gab seine Identität preis: Es handelte sich um den Auktionshausbesitzer Cai Mingchao aus Xiamen. Er war als Bieter von Christie’s vorher akzeptiert worden, weil er dafür bekannt war, dass er bereits als Gutachter für den Nationalfonds im Auftrag der Regierung gehandelt hatte. Am 2. März verkündete er, das Geld könne nicht gezahlt werden, da es sich um eine Auktion von verbotenen Gegenständen handele und das Bieten darauf sei seine patriotische Pflicht gewesen.147 Gleichzeitig meldeten sich mehrere reiche chinesische Geschäftsmänner, die behaupteten, im Sinn gehabt zu haben, die Skulpturen zu erwerben und China als Geschenk anzubieten. Die chinesische Regierung distanzierte sich von Cai Mingchao: Dieser habe im Alleingang gehandelt und nicht in ihrem Auftrag. Später wurde bekannt, dass die chinesische Regierung ein Gesetz erlassen hatte, demzufolge kein Kunstgegenstand, der illegal aus China ausgeführt wurde, nach China eingeführt werden könne. Seit 2006 wurde die Sichtweise und die Beurteilung des zweiten Opiumkrieges und der Verbrennung des Yuanming yuan Gegenstand einer erhitzten Mediendebatte in China. Der Historiker Yuan Weishi plädierte für eine gründlichere Erforschung der Rolle der Alliierten bei der Plünderung des Yuanming yuan von 1860 und während des Boxeraufstandes von 1900. Ihre negative Darstellung, vor allem in Schulbüchern, sei dazu angetan, vor allem unter Jugendlichen einen negativen nationalistischen Eifer anzufachen. Zudem diene ein solch „irrationales Geschichtsbild“ China selbst in Interaktion mit der globalen Gemeinschaft nicht.148 Während Yuan Weishi seinerseits keine neuen Erkenntnisse zu diesem Thema beisteuerte führte die Debatte doch dazu, dass sowohl Filme als auch ein Bühnenstück, die Theaterproduktion des Regisseurs Zhang Guangtian Yuanming yuan (das Stück wurde im August 2006 in Peking aufgeführt), ein breites Publikum anzogen. Der Film Yuanming yuan von Jin Tiemu, der am 8. September 2006 in der Großen Halle des Volkes uraufgeführt wurde unterschied sich von seinem Vorgänger Huoshao Yuanming yuan von Li Han-hsiang aus dem Jahr 1985 nicht nur dadurch, dass es sich nicht um eine mehrteilige Serie mit Abenteuercharakter handelte. Vielmehr handelt es sich um einen mit aufwendigen Computeranmina-

147 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.3.2009. 148 Barmé, Yuanming yuan–On Stage and Screen, in: China Heritage Quarterly Bd. 8, Dezember 2006. China Heritage Quarterly existiert nur in einer Online-Ausgabe: www.chinaheritagequarterly.org und ist das Organ eines Chinese Heritage Projectes der Australian University. Bd.8, Dezember 2006 befasst sich ausschließlich mit dem Yuanming yuan, der Rezeption seiner Plünderung und der Geschichte seiner Restaurierung.

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tionen versehenen Dokumentarfilm, der nicht nur für chinesische Kinobesucher, sonder für ein weltweites Publikum gedacht war. Bei allen diesen Produktionen, ebenso wie bei einer 2005 in Kanton produzierten 42-teiligen Serie über Prinz Gong (Prince Gong: a life in servitude, Gong qinwang: yisheng weimu) wird aber immer die Frage umgangen, aus welchen Gründen die Alliierten 1860 den Yuanming yuan zerstört haben. Vor allem erlebt die wissenschaftliche Forschung über den Yuanming yuan erlebt eine Renaissance, insbesondere im Zusammenhang mit einem Projekt der chinesischen Regierung, eine Kompilation der Qing-Geschichte zu verfassen. Dieses Projekt wurde im Jahr 2002 an der Volksuniversität China (Zhongguo Renmin daxue) begonnen, hat eine Laufzeit von 10 Jahren, über 400 Mitarbeiter und ein Etat von 600 Millionen Yuan. Ein Buchladen des Qing-Projektes eröffnete direkt vor den Toren des Yuanming yuan, in dem nun wieder verstärkt archäologische Forschungen und Ausgrabungen betrieben werden. Im Jahr 2007 fand eine große Konferenz zum Yuanming yuan in Peking statt, aus welchem Anlass die gesamte chinesischsprachige Forschungsliteratur der 1980er und 1990er Jahre neu aufgelegt wurde. Die Untersuchung der Verbrennung und der Plünderung von 1860 und auch 1900 war dabei allerdings kein Thema. In dem Maße, in dem die Volksrepublik China sich zunehmend als Erbin des heterogenen Qing-Reiches begreift, geht es mehr um kaiserlichen Glanz, als um Demütigung. Was den Wiederaufbau des Yuanming yuan betrifft, wo wurden seit den 1990er Jahren mehrere Pläne gefasst, ihn ganz wieder herzustellen, aber alle wieder verworfen. In Tongzhou, Macao und Shenzhen entstanden aber Kopien, ein Nachbau des gesamten Palastes hatte die Hendiang Corporation in Dongyang (Provinz Zhejiang) anvisiert. Vielen nahmhafte Archäologen und Gartenbauhistoriker (angeführt wird die Kampagne von Wang Daocheng) wehren sich allerdings bislang mit Erfolg dagegen, den Yuanming yuan auf seinen Ruinen wieder aufzubauen. Als Argument dient ihnen dabei der Hinweis, dass heutige Restauratoren und Gartenbauarchitekten es nicht mit der Kunstfertigkeit beispielsweise der Meister der Familie Lei aufnehmen könnten.149

149 Barmé, Yuanming yuan, the Garden of Perfect Brightness, in: China Heritage Quarterly, Bd. 8 Dezember 2006.

ZUSAMMENFASSUNG UND ERGEBNIS Für die Verbrennung des Yuanming yuan am 18. und 19. Oktober 1860, die in China im 20. Jahrhundert zum Symbol chinesischer Demütigung durch die „imperialistischen Aggressoren“ wurde, waren nur die britischen Soldaten verantwortlich. Diese Aktion war im Gegensatz zu allen anderen während des Feldzuges vorgekommenen Plünderungen die einzige Schädigung, die offiziell vor den britischen Behörden gerechtfertigt wurde. Sie war, wie Hevia feststellt, eine pädagogische Maßnahme, und der britische Chefdiplomat und Unterhändler Elgin verfolgte damit, wie der offiziellen Rechtfertigung gegenüber Sidney Herbert zu entnehmen ist, zwei Ziele: Erstens wollte er damit den Tod der Mitglieder einer von chinesischen Truppen entführten britischen Delegation rächen und klarstellen, dass die britische Regierung nicht durch Entführung ihrer Mitglieder erpressbar werde, womit auch die Sicherheit von sich künftig in Peking aufhaltenden Briten gewährleistet werden sollte. Die Verbrennung des Yuanming yuan war also ein Racheakt, der aber vor allem im Hinblick auf die zukünftigen Beziehungen zwischen China und Großbritannien begangen worden war. Zweitens setzte er die Verbrennung des Yuanming yuan als Druckmittel ein: Er verdeutlichte damit, dass es ihm mit einem Angriff auf Peking durchaus ernst sei, falls es noch einmal zu Verzögerungen bei den Verhandlungen käme. Seine Verbrennung ausgerechnet des Yuanming yuan begründete er damit, dass dadurch nur die Qing-Dynastie bestraft werde, nicht aber die chinesische Bevölkerung. Baron Gros und General de Montauban, obwohl in diesem Feldzug Alliierte Großbritanniens, weigerten sich, an der „barbarischen“ Verbrennung des Yuanming yuan teilzunehmen, und fürchteten, dass dadurch ein Ende der Vertragsverhandlungen oder ein Nichtabschluss des Vertrages provoziert werde. Dies bedeutete jedoch nicht, dass sie generell gegen Plünderung und Verbrennung als organisierte Vergeltungsaktion an sich waren. Gleichwohl versuchten sie in ihren veröffentlichen Erinnerungen eben jenen Eindruck zu erwecken. Am 6. Oktober abends und am 7. Oktober morgens waren es französische Infanterietruppen gewesen, die mit einer wahllosen und ziellosen Plünderung des Yuanming yuan begannen. Die auch später in den Quellen oft wiederholte Behauptung, dass während des gesamten Feldzuges alleine die Briten geplündert hätten, lässt sich also nicht halten. Zwar ist es schwierig zu rekonstruieren, was im Einzelnen vorgefallen ist, und viele der im Verlauf des Chinafeldzuges von 1860 vorgefallenen Plünderungen tauchen in der offiziellen Korrespondenz nicht auf. Berichte darüber sind aber in nichtoffiziellen Augenzeugenberichten enthalten, auch wenn von deren Verfassern im Nachhinein oft versucht wurde, vorgefallene Plünderungen zu vertuschen, etwa durch Streichung heikler Passagen. Diese Plünderungen waren illegal, doch existierte 1860 für den außereuropäischen Krieg noch ein legales Preis- und Beutesystem, das eigentlich im Wider-

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spruch zu den Gesetzen für den europäischen Landkrieg stand, bei dem Plünderung offiziell abgeschafft worden war. Dies war öffentlich bekannt und in Großbritannien wurde sogar mit Aussicht auf Beutebeteiligung für den beschwerlichen Dienst im Ausland rekrutiert. Die Prisen- und Beuteregeln waren in einem nach europäischer Ansicht weltweit verbindlich geltenden Völkerrecht lose verankert, und für den Chinafeldzug von 1860 waren diesem Völkerrecht entsprechend Zusatzvereinbarungen zu Preis und Beute getroffen worden. Darin war festgelegt worden, dass Güter, die den Nachschub oder die Versorgung der alliierten Armee regelten, zur Aneignung freistanden, ebenso wie Güter (Trophäen), die von chinesischer Seite den Alliierten abgenommen worden waren (z.B. Flaggen und Kanonen). Kunst- und Kulturgüter waren von Plünderungen und Zerstörungen durch gemeine Soldaten ausgenommen, konnten aber offenbar gegebenenfalls als „Preis“ deklariert werden. Vereinbarungen zum Schutz der Zivilbevölkerung waren nicht getroffen, die Schonung der Einheimischen aber den Kommandierenden und Diplomaten an anderer Stelle besonders ans Herz gelegt worden. Entsprechend diesen verbindlichen Regeln beurteilten britische und französische Offiziere recht einhellig die illegalen Plünderungen, zu denen es außerhalb dieses offiziellen Rahmens kam: Die Beraubung und Schädigung der Zivilbevölkerung (z.B. durch Vergewaltigung der Frauen) seien unwürdig und würden nur von den niedrigen Elementen des Heeres unternommen, wozu sie die Sikhs und die Kulis rechneten. Dies war jedoch vor allem Theorie. In der Praxis plünderten durchaus auch die Offiziere, die Berichte sind hier jedoch nicht eindeutig. Die britischen Offiziere nahmen die Plünderungen als gegeben hin und verschwiegen sie nicht. Die französischen Offiziere hingegen stritten kleinere Plünderungen generell ab und erklärten deren Nichtvereinbarkeit mit ihrer eigenen „mission civilisatrice.“ Kennzeichnend für die Vereinbarungen hinsichtlich der Plünderungen ist, dass sie nur einen recht losen rechtlichen Rahmen darstellten. Die genauere Handhabung auch der illegalen Plünderungen und deren gesetzliche Regelung waren in den jeweiligen unterschiedlichen Landkriegsordnungen Großbritanniens und Frankreichs festgelegt, wobei auch diese so konstruiert waren, dass sie vor Ort den Oberkommandierenden möglichst freie Hand ließen, die bestehenden Gesetze situativ anzuwenden und zu deuten. Entsprechend spielten bei der Anwendung der Plündergesetze auch Erfahrungen des Oberkommandierenden und der Soldaten in vorangegangenen außereuropäischen Feldzügen und Kolonialkriegen eine Rolle. Dass diese illegalen Plünderungen entweder verschwiegen oder dem jeweils alliierten Partner zugeschoben wurden, lässt sich daraus erklären, dass eine gewissen Diskrepanz bestand zwischen der in Europa propagierten civilizing mission bzw. „mission civilisatrice“ und den tatsächlichen Ereignissen vor Ort.

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1 PLÜNDERUNG UND GEWALT IM VERLAUF DES CHINAFELDZUGES VON 1860, DIE ERSTE PHASE VOM 1. AUGUST BIS 7. SEPTEMBER Regeln für Plünderungen, Preis und Beute waren zwar verbindlich festgelegt worden, nicht nur im Völkerrecht, sondern auch noch in eigenen Landkriegsregeln, die situativ angewendet werden konnten, aber diese Regeln waren so lose konzipiert, dass fast jede Art von Plünderung auf einer gewissen legalen Basis gerechtfertigt werden konnte. Alle vorkommenden Plünderungen werden in der Erinnerungsliteratur, nicht aber in den offiziellen Berichten beschrieben. Nur beim Raub von Kunstgegenständen aus dem Yuanming yuan schweigen die französischen Berichte ganz, während die britischen Berichte diese Plünderungen zwar schildern, die Namen der Plünderer aber nicht nennen. Insgesamt können vier verschiedene Formen von Plünderungen identifiziert werden: Erstens die Plünderung und Enteignung zur eigenen Verpflegung und Versorgung mit Lebensmitteln, die insbesondere von den französischen Truppen angewendet wurde. Zweitens Plünderung und Schädigung der Zivilbevölkerungen als Bestrafung der chinesischen Regierung, was insbesondere die britischen Truppen praktizierten. Diese beiden Formen der Plünderung waren allenfalls halblegal und tauchen in der offiziellen Berichterstattung nicht auf. Drittens die Wiederaneignung britischen und französischen Eigentums (z.B. Flaggen und Kanonen, aber auch französische Gebäude in der Stadt Peking) und die offizielle Beutenahme (z.B. am 7. Oktober im Yuanming yuan mit einer offiziellen Kommission). Viertens die illegalen Plünderungen, zu denen auch der Raub der Kunstgegenstände im Yuanming yuan nach der Verbrennung am 19. Oktober gehörte. Was die unterschiedlichen „Systeme“ betrifft, so ist das französische System (pillage) dadurch gekennzeichnet, dass es den französischen Soldaten gestattet war, während eines bestimmten Zeitraumes sich alles anzueignen, was sie wollen. Auf ein bestimmtes Signal hin mussten sie aber wieder zur Disziplin zurückfinden. Dabei schien es flache Hierarchien zu geben, jedem war gleichberechtigt gestattet, zu plündern. Das britische System (looting) ist dadurch gekennzeichnet, dass jedes Regiment in einer bestimmten Hierarchiefolge für einen gewissen Zeitraum plündern durfte. Eine Ausnahme stellten die Sikhs dar, die unter eigenen Regeln der Disziplin standen, ebenso wie die Kulis, die von der britischen Armee angeheuert worden waren und nach eigenen Gesetzen vorgingen. Ihnen wurde auch im Zweifelsfall die Hauptschuld an Grausamkeiten angelastet. Generell zeigen die Ereignisse des Feldzuges, dass Plünderung zunehmend als Druckmittel zur Bedrängung des Qing-Hofes eingesetzt wurde. Dabei wurde nicht nur die Kavallerie der Alliierten eingesetzt, um gegen die kaiserlichen Truppen vorzugehen, sondern inoffiziell wurde auch, je bedrängter die Lage der Alliierten wurde, den Kulis und den Infanteristen gestattet, sich auf eigene Faust zu bereichern, und dabei eine Schädigung der Zivilbevölkerung bewusst in Kauf genommen. Drei „Aggressionsphasen“ können auf diese Art und Weise ausgemacht werden, in deren Verlauf die Intensität der Gewalt sich ständig steigerte.

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1.1 Die erste Phase vom 1. August bis 8. September: Das Heer Die erste Phase des Feldzuges der Alliierten begann mit der Landung der alliierten Truppen am 1. August 1860 und endete am 8. September, dem Tag, an dem Elgin und Gros zum Schluss kamen, dass die Verhandlungsbevollmächtigungen der chinesischen Beamten nicht in der Lage waren, das von ihnen Geforderte zu erfüllen. Die Einnahme der Dagu-Forts konnte leicht bewerkstelligt werden, aber weder konnte eine Ratifizierung des Vertrages von Tianjin erwirkt, noch eine Entschuldigung von der chinesischen Regierung wegen der Vorkommnisse von 1859 werden. In dieser Phase agierten die Truppen noch weitgehend unabhängig von den Anweisungen der Diplomaten, da ihr Auftrag klar definiert war: Landung bei den Dagu-Forts, deren Einnahme, Weitermarsch nach Tianjin, dortige Unterzeichnung der Verträge. Die Diplomaten würden ohne die Truppen nur mit einer kleinen Eskorte nach Peking reisen, um die Verträge zu ratifizieren. Das Recht zu dieser aggressiven Vorgehensweise, die bis zur Ankunft in Tianjin keinerlei Kontakt mit chinesischen Diplomaten vorsah, leiteten die Alliierten aus einem an die QingRegierung gestellten Ultimatum ab, das bereits im März 1860 abgelaufen war, und das die Qing-Regierung ohne Reaktion verstreichen ließ. Dies wurde als hinreichender Grund zu einem Angriff ohne weitere Vorwarnung verstanden. Zunächst waren die französischen Truppen den britischen nicht nur zahlenmäßig, sondern auch technologisch und in der Logistik unterlegen, später sollte sich dieses Verhältnis ausgleichen. Schwierigkeiten wie das unbekannte Terrain, das schlechte Wetter und die Unkenntnis über Stärke und Bewaffnung des Feindes wurden von den Briten leichter bewältigt als von den Franzosen, die mehrfach britische Hilfe in Anspruch nehmen mussten. Dies war auch der Grund, weshalb sich Hope Grant in dieser ersten Phase in den meisten Fällen gegen Montauban durchsetzen konnte und bei den vielen Differenzen über militärische Strategien und Taktiken letztendlich die Oberhand behielt. Nach der Einnahme der Xinhe- und der Tanggu-Forts zwischen dem 12. und 14. August wurden am 21. August nach einer vergleichsweise kurzen Schlacht die Dagu-Forts eingenommen. Der Großteil der alliierten Truppen begab sich daraufhin nach Tianjin, wo sie am 1. September eintrafen, und ihr Lager aufschlugen. Qing-Truppen traten den Alliierten erstmalig am 3. August gegenüber: 5.000 Berittene gegen eine 2.000 Mann starke britisch-französische Aufklärungstruppe, die zahlenmäßig überlegenen Qing-Truppen entschieden diese Begegnung für sich. Der gute Eindruck, den das Qing-Heer bei dieser ersten Begegnung machte, war nicht von Dauer: Bereits bei der Einnahme der Forts in Xinhe und Tanggu trafen die Alliierten auf Truppen, die schlecht geordnet den Rückzug antraten, und, obwohl 2.000 Mann stark, nicht in der Lage waren, ihre eigenen Lager zu schützen. Kaum Widerstand wurde auch bei der Attacke auf die eigentlichen Dagu-Forts geleistet, wobei den Alliierten hier der Umstand zur Hilfe kam, dass das Pulvermagazin innerhalb des Forts explodierte. Insgesamt nahmen die Alliierten mit geringem Aufwand alle fünf Forts ein und besiegten 5.000 chinesische Soldaten.

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Es kann vermutet werden, dass der schlagkräftigere Teil der Qing-Truppen dazu verwendet wurde um die Taiping-Rebellen in der Nähe von Nanjing zu schlagen.

1.2 Diplomatische Verhandlungen In der ersten Phase übten die Diplomaten keinen Einfluss aus: Ohne ihr Einwirken nahmen die Truppen die Forts ein und rückten nach Tianjin vor, um dort ein Basislager zu beziehen. Als dann doch diplomatische Verhandlungen aufgenommen wurden, erwies sich Elgin als der Tonangebende, Gros folgte im Wesentlichen seinen Vorschlägen, befürwortete das zielstrebige Vorrücken der Truppen, ließ sich aber von John Ward und Nikolai Ignatiev, dem amerikanischen und dem russischen Gesandten, über die aktuelle Lage der Qing-Regierung informieren. Nach britischer Beurteilung verhielt sich John Ward äußerst unkooperativ: Seine Weigerung, die Briten zu unterstützen, wurde von Elgin als diplomatische Unfähigkeit gedeutet, und die Tatsache, dass er auf dem von den Qing vorgegebenem Weg nach Peking reiste, als ungebührliches Nachgeben und Zeichen von Schwäche. Es ist aber auch eine andere Deutung von John Wards Verhalten möglich: Er hatte die Anweisungen seiner amerikanischen Regierung befolgt, die vorsahen, dass er sich auch in China nicht in europäische Angelegenheiten einzumischen habe. So hatte er problemlos seinen Vertrag erhalten, indem er den Vorgaben der QingRegierung gefolgt war, und sich dann nach Shanghai zurückgezogen. Diese Erfolgsbotschaft war den Briten unangenehm, denn in London hätte der Eindruck entstehen können, dass man eventuell der Qing-Regierung hätte nachgeben sollen, um so die Entsendung einer teuren Expedition zu verhindern. Elgin aber ließ sich auf derlei Spekulationen nicht ein, sondern verfolgte seinen Kurs weiter. Bevor mit der Einnahme der Dagu-Forts die Niederlage vom vorangegangenen Jahr gerächt sei, weigerten sich Elgin und Gros, mit chinesischen Unterhändlern in Kontakt zu treten. Die Qing-Regierung war in ihrem Umgang mit den Alliierten zunächst noch, in Erinnerung an den Sieg im vorangegangenen Jahr, recht selbstsicher. Aus britischen Zeitungen informierten sich die chinesischen Beobachter über die Schritte der Alliierten. Die Bewohner des Küstendeltas wurden bereits vom Eintreffen der Alliierten in Kenntnis gesetzt und vorgewarnt. Ignatiev und John Ward waren von der Qing-Regierung gebeten worden, Elgin und Gros den prinzipiellen Friedenswillen des chinesischen Hofes zu signalisieren. Denn obwohl sich im Norden ein Konflikt anbahnte, machten die Alliierten im Süden des Landes mit der QingRegierung bei der Niederschlagung der Taiping gemeinsame Sache. Es lag also im Interesse der von allen Seiten schwer bedrängten Qing-Regierung, einen Krieg mit den Alliierten zu vermeiden, und ihnen einerseits bei der Vertragsunterzeichnung entgegenzukommen – und zwar nur so weit, wie es in ihre eigene Gestaltung von Außenpolitik passte –, andererseits aber möglichst die Hilfe der Europäer im Kampf gegen die Taiping in Anspruch zu nehmen. Dieser Maßgaben eingedenk, erschienen nach der Schlacht bei den DaguForts am 21. August Hengqi, Hengfu und Guiliang in Tianjin, um die Verträge in

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geeigneter Form zu ratifizieren. Angesichts so hochrangiger Verhandlungspartner sahen sich die Alliierten bereits Anfang September fast und unerwartet schnell am Ziel ihres Feldzuges, als Elgin feststellte, dass offenbar die Ermächtigungsdokumente der chinesischen Unterhändler nicht ausreichten. Darin war nur vorgesehen, den Vertrag zu ratifizieren, nicht aber die Entschuldigung auszusprechen, die notwendig war, um die in britischen Augen ungerechtfertigte Schmach der Niederlage gegen China 1859 auszumerzen. Elgin witterte Betrug, ähnliches hatte er selbst bereits in Kanton erlebt. Er traute den Versicherungen, dass ausreichende Vollmachten auf dem Weg seien, nicht und wies alle Beteuerungen der Verhandlungspartner, dass eine Lösung gesucht werde zurück. Er argwöhnte, dass es sich entweder um einen Hinterhalt handelte, mit der Absicht der Qing-Regierung, doch nach ihren eigenen Gesetzen vorzugehen (denen sich die britischen Freihändler keinesfalls beugen wollten), oder um eine Verzögerungstaktik. Er erklärte die Verhandlungen für gescheitert und drohte mit dem Marsch auf Peking.

1.3 Formen der Plünderung: Französische Truppenversorgung, Wiederinbesitznahme britischen Eigentums Zwei Arten von Plünderungen kamen in dieser ersten Phase des Feldzuges vor: Zum einen die Enteignung und Plünderung des Besitzes der Zivilbevölkerung zur Versorgung der französischen Truppen, zum zweiten, und nur im Fall der britischen Soldaten, die Wiederinbesitznahme britischer Geschütze, die im Jahr zuvor bei der Niederlage vom Qing-Heer entwendet worden waren. Im Bereich der Versorgung und Verpflegung der beiden alliierten Heere gab es Unterschiede, die sich aus verschiedenen britischen und französischen Kriegsgepflogenheiten erklären lassen. Diese wiederum erlauben es, zumindest die Plünderungen französischer Soldaten und Offiziere aus der bestehenden französischen Gesetzeslage heraus zu erklären. Theoretisch war von beiden Armeen geplant gewesen, die chinesische Zivilbevölkerung so weit wie möglich unbehelligt zu lassen. Frisches Fleisch und Gemüse sollte von den Einheimischen gegen Bezahlung erworben werden, und zwar von einer paritätisch besetzten britischfranzösischen Kommission, die meist von Harry Parkes angeführt wurde. Auch pendelten Schiffe zwischen den weiter südlich gelegenen Truppenstützpunkten der britischen und französischen Truppen und dem Einsatzort, um den Nachschub zu sichern. Zu Beginn allerdings funktionierte das System nur unzulänglich, und so kam es vor allem in den ersten Tagen in Beitang zu Plünderungen. Im britischen Lager waren Plünderei, die Schädigung der Zivilbevölkerung und auch der Raub von Nahrungsmitteln theoretisch verboten. Hope Grant, Augenzeuge des Verhaltens und der Exzesse britischer Offiziere und Soldaten während der Indian Mutiny 1857, kannte genau die Gefahren undisziplinierter Plünderung. Das britische Camp wurde deswegen mit Wachen umstellt, drakonische Strafen wurden angedroht, die allerdings kaum etwas nutzten, denn anfangs war es fast nicht möglich, im unübersichtlichen Küstendelta die Disziplin zu wahren.

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Hope Grant konnte nicht verhindern, dass seine Truppen sich bei der anfänglichen Einquartierung in chinesische Wohnhäuser in Beitang zur persönlichen Verpflegung des Eigentums der Vertriebenen bemächtigten. Er musste zu einigen schweren Auspeitschungen Zuflucht nehmen. Dass es zu Plünderungen kam, an denen auch britische Söldner beteiligt waren, stritt er nicht ab: Er und seine Offiziere waren der Meinung, dass es sich hier um unausrottbare Übel des Krieges handelte, wobei sich allerdings die Offiziere von den Plünderungen distanzierten. Dass Kulis und Sikhs plünderten wurde nicht bestritten. Trotzdem funktionierte die britische Logistik, das britische Nachschubsystem, im Vergleich zum französischen relativ reibungslos, so dass zumindest in der Anfangsphase des Feldzuges größere Eskapaden vermieden werden konnten. Die französische Armee war schlechter ausgestattet, sie verfügte über weniger Lebensmittel und weniger Pferde als die Briten. In den ersten Tagen nach der Landung an der chinesischen Küste wurden sowohl Offiziere als auch Infanteristen dabei beobachtet, wie sie sich frei herumlaufender Schweine bemächtigen, und sich auch sonst aus dem Nahrungsmittelangebot vor Ort verpflegten. „Their system is different from ours“ bemerkte ein britischer Beobachter und meinte damit wohl auch, dass die französischen Soldaten sich „vom Land“ ernährten, ein System, nach dem auch in Algerien schon operiert worden war. Von französischen Disziplinarstrafen ist nichts zu erfahren. Montauban allerdings gab indirekt zu, dass seine Männer plünderten, und führte ihr Verhalten darauf zurück, dass die Briten die von den Einheimischen käuflich erworbenen Lebensmittel nicht gerecht aufteilten, weswegen er gezwungen sei, seinen Truppen die Plünderung „für die Messe“ zu gestatten. Montauban und andere französische Plünderer stritten aber schlechtes Verhalten und illegale Plünderungen der eigenen Soldaten nicht nur rundheraus ab, sondern betonten, dass die chinesische Zivilbevölkerung immer gutes Benehmen habe erwarten können, wo sie auf französische Söldner getroffen sei. Ähnlich wie ihre britischen Kollegen geben französische Offiziere Beteiligungen an Plünderungen nicht zu, beschreiben aber gleichfalls das Plündern der Sikhs und Kulis, und beharren nicht so ausschließlich auf der Tugendhaftigkeit französischer Soldaten wie Montauban. Generell – und das stellen Beobachter aus beiden Lagern fest – wurde nicht nur um des Mundraubes willen geplündert und zerstört, sondern auch mutwillig und ohne Not. Nach den ersten zwölf Tagen besserten sich Lebensmittelversorgung und Unterkunft der Alliierten, und bis zur Ankunft in Tianjin waren Vorkehrungen getroffen worden, mittels derer die Alliierten die Schädigung der Einheimischen auf ein Minimalmaß reduzieren zu können glaubten. Man hatte sich mit den Einheimischen dahingehend geeinigt, dass diese die zur Versorgung der Truppen notwendigen Waren auf Märkten anboten. Für die britischen Truppen ergab sich während der ersten Phase die Gelegenheit, die im Jahr zuvor verlorenen britischen Flaggen und Kanonen zurückzuerobern, was dem vereinbarten Prisen- und Beutegesetz entsprach. Außerdem erklärte Hope Grant das verlassene Fort vorübergehend zu seinem Quartier. Die Plündervorkommnisse während der ersten Phase des Feldzuges geschahen noch nicht im

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Rahme einer diplomatischen Strategie, wie das während der zweiten und der dritten Phase der Fall war.

2 DIE ZWEITE PHASE VOM 8. BIS 21. SEPTEMBER 2.1 Das Heer Zu einer merklichen Abkühlung des Klimas zwischen der Zivilbevölkerung und den Alliierten kam es zu Beginn der zweiten Phase, die mit dem Marsch in Richtung Peking einsetzte und mit der gewonnenen Schlacht bei Baliqiao am 21. September endete. Die Truppenbewegungen in dieser zweiten Phase, nachdem die Vertragsverhandlungen als gescheitert galten, erfolgten anfangs mit dem Ziel, auf dem schnellsten Wege Peking zu erreichen. Der Marsch war vorher nicht geplant gewesen, die Diplomaten hatten gehofft, ihn verhindern zu können, weshalb nun Verpflegung und Logistik improvisiert werden mussten. Die militärische Operation musste vor allem angesichts des nahenden Winters zügig abgeschlossen werden. Elgin und Gros erteilten also Anweisung an das Heer, bis nach Peking vorzurücken, auch während die Diplomaten noch Verhandlungen führten, um so die Qing-Regierung unter Druck zu setzen. Die Entführung einer gemischten französisch-britischen Delegation im Verlauf einer von den Alliierten als „Hinterhalt“ aufgefassten Aktion, führte zu zwei ersten größeren Konfrontationen zwischen dem Qing-Heer und den Alliierten. Damit herrschte ab dem 21. September der offene Kriegszustand. Dass Peking von den Qing-Truppen, die unterdessen im gesamten Gebiet immer zahlreicher auftraten, nicht kampflos aufgegeben werden würde, zeichnete sich bereits ab dem 14. September ab und wurde von der britischen und der französischen Delegation berichtet, die zwischen Tongzhou und dem Gros der alliierten Truppen hin- und herritt, um die Vertragsunterzeichnung vorzubereiten.

2.2 Diplomaten In Peking hatten nach dem Scheitern der Verhandlungen am 8. September die Vertreter derjenigen Partei, die generell gegen Verhandlungen mit den Europäern war, beschlossen, selbst die Verhandlungen zu übernehmen, die bislang von den verwaltenden Beamten der Küstenregion geführt wurden, so dass auch in den diplomatischen Verhandlungen eine neue Phase begann. Oberste Priorität blieb, die alliierten Truppen von Peking fern zu halten. Prinz Yi, der Onkel des XianfengKaisers und der Kriegsminister Muyin selbst wollten den Alliierten bis Tongzhou entgegenreisen, um die Verträge abzuschließen, und, so vermuteten es die Alliierten, deren Weitermarsch nach Peking zu verhindern. In einem Treffen am 14. September, bei dem zuerst die britischen Unterhändler Parkes und Wade vorausgeschickt wurden, verdeutlichten Prinz Yi und Muyin, dass sie gegen den Weitermarsch der Alliierten nach Peking seien, deuteten aller-

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dings auch bereits an, dass sie das Anliegen der Alliierten unterstützen könnten, wenn diese bei der Niederschlagung der Taiping-Rebellion mit den Qing-Truppen kooperieren würden. Ähnliches hatte man auch Léon de Bastard am 15. September bedeutet, der jedoch nicht um Hilfe gegen die Taiping gebeten wurde. Ob dies deshalb nicht geschah, weil die chinesischen Unterhändler die französischen Truppen für nicht stark genug hielten oder weil sie die Alliierten gegeneinander ausspielen wollten, lässt sich nicht sagen. Elgin und Gros nahmen die ablehnende Haltung von Prinz Yi nicht ernst. Sie waren der Auffassung, dass die Qing-Regierung auf ihrer Seite stehen müsse, und ihr Anliegen befürworte. Die allgemeine Mobilmachung der Kavallerie des QingHeeres, die sie ab Mitte September beobachten konnten, werteten sie als Alleingang des Generals Senggerinchins, zumindest stellten sie es in der Korrespondenz nach London so dar: Eine krasse Fehleinschätzung, wie sich herausstellte, als die britisch-französische Delegation, unter ihnen Harry Parkes, deren Aufgabe die Vorbereitung der Friedensverhandlungen in Tongzhou war, entführt und nach Peking verschleppt wurde. Erst im Nachhinein stellte sich heraus, dass Senggerinchin durchaus bewusst war, dass die Bewaffnung seines Heeres nicht ausreichte, um sich den alliierten Truppen entgegenzustellen. Er lehnte deshalb die Kriegseinsätze gegen die Alliierten ab. Vielmehr sei es Prinz Yi gewesen, der, im Auftrag des Kaisers handelnd, die Präsenz der Alliierten in Peking ablehnte. Die Entführung der britisch-französischen Delegation bewirkte bei den Alliierten den Entschluss, die Verhandlungen abzubrechen und, auf den Angriff vorbereitet, nach Peking zu marschieren. Zu einer ersten Schlacht mit den QingTruppen kam es am 18. September, zu einer zweiten Schlacht, die nur für die Alliierten Entscheidungscharakter hatte, am 21. September bei Baliqiao, womit der Weg nach Peking offen stand. Im Gegensatz zu den vorangegangenen Scharmützeln trafen diesmal in offener Schlacht zwei voll gerüstete Heere aufeinander. Die Qing-Truppen gaben dabei ein merkwürdiges Bild ab: Am 18. September, so wurde berichtet, waren sie diszipliniert und gut kommandiert, während die Alliierten bei der Schlacht am 21. einen „undisziplinierten Haufen“ vor sich hatten, der nur wenig dem Gegner vom 18. September glich. Der Sieg der 8.000 Mann starken alliierten Truppen über die 30.000 Mann zählende Qing-Kavallerie wurde als Beweis für die mangelnde technologische Ausrüstung der Qing-Truppen gewertet.

2.3 Plünderung: Der Beginn der beabsichtigten Schädigung der Zivilbevölkerung, die Erbeutung von Trophäen Deutlich schärfer wurde in der zweiten Phase des Feldzuges gegen die Zivilbevölkerung vorgegangen, nachdem die Verhandlungen am 8. September gescheitert waren: Auch Lebensmittel und Transportmittel wurden geplündert und zwangsrequiriert. Die Qing-Regierung hatte die Bewohner der Dörfer an der Marschroute nach Peking vor dem Eintreffen der Alliierten gewarnt und jede Kooperation mit ihnen verboten, weshalb die Alliierten Gewalt anwendeten. Zwar verpflegten sich die Alliierten immer noch aus den Lebensmittelmärkten der Einheimischen, aber

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zunehmend wurde auch der Privatbesitz der Zivilbevölkerung geraubt. Der Bürgermeister von Tianjin hatte sich geweigert, Lebensmittel zur Verfügung zu stellen, woraufhin Napier ihn festsetzen ließ und dazu zwang. Mit dem friedlichen Verhalten gegenüber der Zivilbevölkerung war es nach der Entführung der britisch-französischen Delegation vorbei. Plünderungen ohne Straffolgen stiegen sprunghaft an, und es wurde sogar von den Kommandanten, die bis dahin die Ausschreitungen entweder geflissentlich übersehen oder zu Strafmitteln gegriffen hatten, dazu ermutigt. Nach der ersten Schlacht am 18. September etwa ließ Hope Grant mit seinen Truppen bei der Stadt Zhangjiawan ein verlassenes Armeelager besetzen und nahm 80 feindliche Kanonen in Besitz. Der französische General Montauban gab hier zum ersten Mal zu, dass die französischen Truppen die Zivilbevölkerung mit seiner Billigung schädigen durften. In diese Zeit fällt auch die Konfiszierung eines Teelagers durch britische Truppen, eine Beute, die eigentlich mit den französischen Truppen hätte geteilt werden müssen. Mit dem Verweis auf diese britische Plünderung rechtfertigten die französischen Truppen Anfang Oktober die begonnene Plünderung des Yuanming yuan. Nach der Schlacht vom 21. September eignete sich Hope Grant, wie es ihm dem Preis- und Beutegesetz entsprechend erlaubt war, Insignien chinesischer militärischer Macht aus dem feindlichen Lager an, darunter Standarten und Waffen. Ob sich der französische General solche Trophäen aneignete ist nicht bekannt.

3 DIE DRITTE PHASE VOM 22. SEPTEMBER BIS 25. OKTOBER 3.1 Das Heer In der dritten Phase des Feldzuges kam es zur ersten Plünderung des Yuanming yuan am 6. und 7. Oktober, der die Verbrennung des Yuanming yuan am 18. und 19. Oktober und die Vertragsunterzeichnung am 24. und 25. Oktober 1860 folgten. Zudem hatte sich nach der Flucht des Kaisers nach Rehe am 21. September die Mächtekonstellation in Peking geändert, indem Prinz Gong den Abschluss der Verhandlungen übernahm. Er war zwar nicht unbedingt ein Befürworter des uneingeschränkten Kontakts mit den westlichen Alliierten, aber doch aufgeschlossener als sein Bruder, der Xianfeng-Kaiser. Gleichzeitig entstanden über den Umgang mit dem Yuanming yuan große Differenzen zwischen den Alliierten, und schärfer als vorher zeichnete sich vor allem nach dem Vertragsabschluss ab, dass Großbritannien und Frankreich, wenngleich sie im Feldzug alliiert waren, unterschiedliche Interessen in China verfolgten. Seit dem 21. September herrschte Kriegszustand. Die Alliierten rechneten damit, dass sie Peking zumindest belagern müssten, außerdem, dass nun in anderen Regionen Chinas zusätzliche Truppen ausgehoben werden und sich ihnen entgegenstellen würden. Dies geschah nicht. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen kam es nach dem 21. September zu keinen weiteren Waffengängen. Falls jemals ein Schutz der Zivilbevölkerung bestanden hatte, so war dieser nunmehr völlig aufge-

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hoben. Die Plünderungen durch die Truppen der Alliierten, die bis zum 4. Oktober unweit von Tongzhou ihr Basislager aufgeschlagen hatten, um auf den Nachschub zu warten, übertrafen in dieser Phase bei weitem alles Vorangegangene. Hope Grant ließ vor allem dem in Südchina angeworbenen Kuli-Heer offenbar absichtlich freie Hand, und die umliegenden Dörfer wurden nacheinander zunächst zerstört und dann verbrannt. Im Anmarsch auf Peking ab dem 5. Oktober verhielt sich die Armee jedoch relativ diszipliniert, und die Plünderungen im Yuanming yuan vom 6. bis 9. Oktober können als Eskalation bewertet werden, die ein Resultat der Disziplinlosigkeit der vorangegangenen Tage war. Auch die Belagerung Pekings verlief ohne Schlacht, und sowohl der Einzug der Alliierten in die Stadt, als auch die Vertragsunterzeichnung verliefen, so wird es zumindest in den Berichten nach London und Paris dargestellt, komplikationslos. Während und nach der Verbrennung des Yuanming yuan am 18. und 19. Oktober kam es zu den umfangreichsten Plünderungen durch die britischen Soldaten, denen auch nach der Vertragsunterzeichnung bis zum Abzug der Truppen am 1. November nicht mehr Einhalt geboten wurde. Unterstützt wurden die plündernden Briten von Horden Einheimischer, die sich die ungeklärten Verhältnisse zunutze machten, um selbst zu plündern.

3.2 Diplomatische Verhandlungen Am 21. September war der Kaiser und mit ihm seine Entourage, der „Kriegspartei“, nach Rehe geflohen und hatte seinem jüngeren Bruder, dem Prinzen Gong, die weiteren Verhandlungen überlassen. Ihm standen eine Reihe erfahrener mandschurischer Diplomaten zur Seite, die gegenüber dem Vertragsabschluss mit den Alliierten nicht so negativ eingestellt waren. Prinz Gong also stellte sich den Alliierten zunächst als neuer Verhandler und Vermittler vor und forderte die umgehende Einstellung der Attacken, was Elgin und Gros nicht vor Herausgabe der Geiseln zusagen wollten. Sie beriefen sich dabei auf ein international gültiges Völkerrecht und erklärten, dass es sich um einen schweren Verstoß gegen diplomatische Gepflogenheiten handele. Prinz Gong erwiderte, dass er die Vorbedingungen nicht kenne und tatsächlich nicht wisse, wo die Geiseln sich befänden, versuchte aber, bevor er einlenkte, den Alliierten noch durch Hinweise auf die Übermacht der Qing-Kavallerie zu drohen. Nachdem die Alliierten zwei Schlachten gegen jene Reiterei gewonnen hatten, war diese Drohung wirkungslos. Prinz Gong beharrte auf seiner Verhandlungsstrategie, und weigerte sich, eine Niederlage anzuerkennen: Erst bei einem Abzug der Truppen aus Zhangijawan war er dazu bereit, die Geiseln herauszugeben und den Vertrag zu unterzeichnen. Darauf ließen sich Elgin und Gros nicht ein und sie befahlen Anfang Oktober den Angriff auf Peking. Die Zeit drängte angesichts des herannahenden Winters und sie übergaben das Oberkommando wieder an Hope Grant und Montauban, die den Vormarsch auf die Stadt vorbereiteten. Die Auswertung der Korrespondenz ergibt, dass Prinz Gong mit allen Mitteln den Marsch der Alliierten auf Peking verhindern wollte. Elgin und Gros aber schätzten demnach – ob bewusst und absichtlich

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oder aus wirklicher Unkenntnis, lässt sich nicht sagen – die Lage falsch ein und ließen marschieren. Aus der Korrespondenz jedenfalls gewinnt man den Eindruck, dass Prinz Gong sich gerade eben erst unter erschwerten Bedingungen in die Materie einarbeitete. Wichtige Ratgeber waren mit dem Kaiser nach Rehe geflohen, und er wusste tatsächlich nicht, wo die Geiseln waren. Davon erfuhren Elgin und Gros aber anscheinend erst später. Sie nutzten, soviel steht jedoch fest, nicht jede Möglichkeit, um den Frieden zu bewahren, sondern rückten präventiv gegen Peking vor.

3.3 Die erste Plünderung des Yuanming yuan 6. bis 9. Oktober: Eskalation und Preis- und Beuteverfahren Die erste Plünderung des Yuanming yuan geschah nicht auf Initiative der Diplomaten, sondern muss aus dem allgemeinen Kriegsgeschehen erklärt werden. Montauban allerdings, dessen Truppen augenscheinlich mit der Plünderung des Yuanming yuan begonnen hatten, widmete die Plünderung in ein legales Preisund Beuteverfahren nach Vorschrift um, so dass verschiedene Formen der Plünderung zu beobachten sind. Beim Marsch auf Peking ab dem 4. Oktober verloren sich die Alliierten, absichtlich oder unabsichtlich, aus den Augen: Die französische Infanterie ging daraufhin in Richtung Yuanming yuan außerhalb Pekings der vorher als allgemeiner Treffpunkt vereinbart worden war, gefolgt von der britischen Kavallerie, wo sie am Abend des 6. Oktobers eintrafen. Montauban ließ nach eigenem Bekunden den Yuanming yuan zunächst umstellen und am nächsten Morgen von seinen eigenen Männern und von den britischen Offizieren die wertvollsten Beutestücke in einem der Hauptpaläste zusammentragen. Als Elgin und Hope Grant am 7. Oktober mittags eintrafen, wurden ein britisches und ein französisches Preiskomitee bestimmt und diese Beute, die nur einen Bruchteil dessen darstellte, was der Yuanming yuan an Schätzen und Kunstwerken enthielt, geteilt und Queen Victoria und Kaiser Napoleon III. als Preis zugesprochen. Dieser „offizielle Akt“, nach dem vereinbarten Plündergesetz legal, war allerdings recht schnell beendet, und gegen die weiteren Plünderungen der alliierten Soldaten, die als illegal eingestuft werden müssen, waren auch die zum Schutz des Yuanming yuan abgestellten Wachen der Alliierten machtlos. Wer mit diesen Plünderungen und Zerstörungen begann, ist unklar. Montauban bestritt, dass seine Truppen am 6. Oktober abends zu plündern begannen, ebenso die britische Kavallerie. Da aber britische Offiziere berichten, dass am Morgen des 7. Oktober bereits viele Kunstschätze zerstört waren, kann davon ausgegangen werden, dass die französischen Truppen in der Tat am 6. Oktober, entgegen den Auskünften Montaubans, bereits angefangen hatten zu plündern. Nach britischen Berichten war es den französischen Armeemitgliedern gleich welchen Ranges, ob Infanteristen oder Offizieren, während der drei Tage bis zum 9. Oktober, als der Marsch auf Peking fortgesetzt wurde, erlaubt, sich zu bereichern. Am 9. Oktober aber erschienen die

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französischen Soldaten, die während dreier Tage wie im Rausch geplündert und zerstört hatten, zur Verwunderung der britischen Beobachter diszipliniert und gesittet zum Abmarsch in Richtung Peking. Montauban scheint seinen Soldaten die Plünderung bewusst erlaubt zu haben und sein erstaunliches Verhalten wird von britischen Offizieren mehrfach berichtet: Er scheint durch seine entfesselten Soldaten gegangen zu sein, und sie, obwohl er es erlaubt hatte, darum gebeten zu haben, die Plünderung einzustellen, ohne zu erwarten, dass man auf ihn hörte. Außerordentlich wertvolle Schätze aus dem Yuanming yuan fanden auf diese Art und Weise ihren Weg nach Paris. Mit diesen Plünderungen wollte Montauban, der sich gleichfalls bereichert zu haben scheint, nichts zu tun haben. Offiziell kümmerte er sich nur um die rechtmäßige, als Preis konfiszierte Beute für Napoleon III., die mit einer eskortierten Delegation nach Paris gelangte. Ansonsten scheint es aber keine Form von Preisverfahren gegeben zu haben, die Montauban in Betracht zu ziehen gehabt hätte. Bei den Briten wurde anders vorgegangen. Nachdem Hope Grant und Elgin am 7. Oktober den Yuanming yuan wieder verlassen hatten, gestattete Hope Grant den Offizieren der Kavallerie, sich in Richtung des Yuanming yuan zu begeben und dem Spektakel seiner Plünderung, dem sich unterdessen auch Einheimische beigemischt hatten, beizuwohnen. Viele der Offiziere bereicherten sich ebenfalls an den Kunstschätzen, die sie dort fanden und wurden vom allgemeinen „Plünderrausch“ ergriffen. Es kann nicht gesagt werden, ob es auch britischen Infanteristen erlaubt war, die Paläste zu betreten, und ob diese die Zeit gehabt hätten, ohne logistische Möglichkeiten das Plündergut nach Hause zu schicken. Anders als Montauban allerdings verlangte Hope Grant von seinen Offizieren, dass sie die Kunstschätze, die sie geraubt hatten, zurückgaben. Von Rechts wegen hätte er sämtliches Plündergut nach England verschiffen lassen müssen, da es Queen Victoria zustand. Da aber die Transportmöglichkeiten begrenzt waren, beschloss er, die Beute vor Ort in einer Auktion zu versteigern und jedem der Soldaten seinen Anteil auszuzahlen. Er verließ sich darauf, dass seine Offiziere den von ihnen geraubten Teil der Beute zurückgeben würden. Auf diese Weise gab er seinen Offizieren die Möglichkeit, die von ihnen geraubte Beute „legal“ zu erwerben, und konnte gleichzeitig genügend Geld einstreichen, um auch die nicht direkt an der Plünderung beteiligten Soldaten auszubezahlen. Er umging so auch ein langwieriges Priseverfahren: Noch nicht einmal das Priseverfahren aus der Indian Mutiny war zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen.

3.4 Die Fortsetzung der Verhandlungen ab dem 9. Oktober 1860 Ab dem 9. Oktober wurden die diplomatischen Verhandlungen fortgesetzt. Die Geiseln waren unterdessen teils tot, teils lebendig in das britische und französische Lager überstellt worden, weshalb ohne weitere Verzögerung der Angriff auf Peking geplant wurde, und Hope Grant und Montauban die weitere Korrespondenz mit Prinz Gong übernahmen. Dessen an Elgin gerichteten Proteste gegen die Plünderung des Yuanming yuan und seine Beteuerungen, nichts mit der Entfüh-

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rung der Geiseln zu schaffen zu haben, verhallten ungehört: Man stellte ihm ein Ultimatum, bis zum 12. Oktober der Ratifizierung des Vertrages zuzustimmen, andernfalls werde man am 13. Oktober die Stadt Peking durch das nördliche Anding-Tor stürmen. Die Übergabe des Andingmen am 13. Oktober geschah friedlich, die Ratifizierung des Vertrages wurde zugesichert, doch die Diplomaten Elgin und Gros traten erst am 17. Oktober wieder mit Prinz Gong in Kontakt. Insbesondere über eine adäquate Strafaktion gegen die chinesische Regierung war unterdessen nachgedacht worden, da bis zum 16. Oktober die Leichen der europäischen Geiseln eintgetroffen waren, deren Ermordung gerächt werden sollte. So wurde beispielsweise überlegt, die toten Geiseln in einem Konvoi nach Tianjin bringen zu lassen. Auch über die Errichtung eines Denkmals wurde nachgedacht, auf dem die „Schandtaten“ der chinesischen Regierung vermerkt werden sollten. Elgin und Hope Grant entschieden sich dann aus mehreren Gründen für die Verbrennung des Yuanming yuan: Erstens, weil dies der Ort war, an dem die europäischen Geiseln gelitten hatten und gefoltert worden waren; zweitens, weil der Palast nur für die chinesischen Kaiser wichtig sei, nicht aber für das chinesische Volk, und drittens, weil er nicht in der Stadt lag, diese somit nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde, er aber trotzdem ein wichtiges Symbol für die Kaiser war. Am 17. Oktober also teilte Elgin Prinz Gong mit, dass er, trotz zugesagter Vertragsunterzeichnung der chinesischen Regierung den Yuanming yuan als Strafe für den Tod der Geiseln verbrennen lassen werde. Außerdem forderte er 300.000 Tael Entschädigung für die Familien der toten Geiseln und einen Termin für die Ratifizierung des Vertrages am 23. Oktober. Auch Baron Gros trat mit Prinz Gong in Kontakt und nutzte den durch den Tod der französischen Geiseln entstandenen Handlungsspielraum für sich: Zwar werde er, so teilte er Prinz Gong mit, Elgin nicht bei der Verbrennung des Yuanming yuan unterstützen, aber er werde sich dafür einsetzen, dass die Stadt nicht gestürmt würde, wenn Prinz Gong ihm die Rückgabe ehemals französischen Eigentums in der Stadt zusage. Auch er setzte den 23. Oktober für die Vertragsunterzeichnung fest. Hope Grant und Elgin nahmen die Verantwortung für die Verbrennung des Yuanming yuan alleine auf sich.

3.5 Die Verbrennung des Yuanming yuan am 18./19. Oktober und die anschließenden illegalen Plünderungen Anders als die erste Plünderung Anfang Oktober erfolgte die Verbrennung des Yuanming yuan auf diplomatische Initiative hin und ist nicht aus dem eigentlichen Kriegsgeschehen heraus zu erklären. Der Yuanming yuan als der Ort, an dem die Geiseln gefoltert worden waren, und als Symbol für die Qing-Dynastie schien Elgin dafür geeignet zu sein. Allerdings ging Elgin mit der Verbrennung des Yuanming yuan ein gewisses Risiko ein, denn die Qing-Regierung war durch die Flucht des Kaisers sehr geschwächt. Dies sahen auch Montauban und Gros so, die befürchteten, dass die Regierung zusammenbrechen würde, und sich nicht an der Zerstörung beteiligen wollten. Was nun den Raub von Kunstschätzen betraf,

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war zwar den britischen Soldaten nach der ersten Plünderung des Yuanming yuan nahegelegt worden, ihr Plündergut zurückzugeben, um es in einer rechtmäßigen Auktion zu versteigern. Nach der Verbrennung des Yuanming yuan allerdings waren ihnen keine Beschränkungen mehr auferlegt. Schrankenloses Plündern wurde den Soldaten nach der Verbrennung des Yuanming yuan am 18. und 19. Oktober erlaubt und die britischen Soldaten konnten sich ungehemmt bereichern. Ihnen wurde versichert, dass sie die bei diesem Raubzug gemachte Beute nicht abzuliefern hätten. Die französischen Soldaten waren an diesen Plünderungszügen vermutlich nicht beteiligt: Sie hatten keine Pferde und auch sonst keine logistischen Möglichkeiten, die Beute zurück nach Frankreich zu transportieren. Es ist also realistisch, anzunehmen, dass der größere Teil der in China gemachten Beute nach England und nicht nach Frankreich gelangt ist, und zwar in Privatbesitz. Diese Plünderungen wiederum waren nicht von Elgin angeordnet worden und müssen als illegal bezeichnet werden. Die Frage, ob das Plündergut infolge eines kriegerischen Angriffs als legales Kriegsgut deklariert werden könnte, wurde gar nicht aufgeworfen.

4 VERSCHIEDENE „IMPERIALE STILE“: DIE DIPLOMATISCHEN VERHANDLUNGEN Die unterschiedlichen Stile der Plünderung, die Anwendung militärischer Gewalt wurden auch unter der Fragestellung untersucht, inwiefern sie für eine gewisse „Schule“, einen britischen oder französischen Kolonialstil stehen. Diese Fragestellung soll nun im Nachfolgenden etwas vertieft und zu der Frage verdichtet werden, inwiefern und ob sich gewisse „imperiale Stile“ auch bei den diplomatischen Verhandlungen zeigten. Wie wurden die unterschiedlichen britischen und französischen Interessen in den diplomatischen Verhandlungen durchgesetzt? Eine Untersuchung der diplomatischen Verhandlungen zeigt zunächst, dass, obgleich alliiert, britische und französische Interessen unterschiedlich vertreten wurden, außerdem, dass unterschiedliche Konzeptionen und Vorstellungen dessen, was erreicht werden sollte, existierten. Auch die Vorstellungen, wie Macht ausgeübt werden sollte, stimmten nicht überein und machten sich während der Verhandlungen auf unterschiedliche Art und Weise bemerkbar. Generell muss zwar gesagt werden, dass die Briten, insbesondere Elgin, bei den Verhandlungen führend waren, und sich Gros größtenteils Elgins Meinungen anschloss. Sobald die Alliierten in Peking angelangt waren, und nach der Vertragsunterzeichnung jedoch zeigten sowohl Gros als auch Montauban mehr Initiative, die Beziehungen zum Qing-Hof „französischer“ zu gestalten.

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4.1 Die Durchsetzung des britischen Freihandels: Aggression und Einschüchterung Elgins Verhandlungsstil wird von einer gewissen Härte und Konsequenz im Umgang mit den chinesischen Verhandlungspartnern gekennzeichnet. Mit diesem Stil löste er eine sehr schwierige Aufgabe: Einerseits war von ihm verlangt worden, britische Interessen in China durchzusetzen, notfalls mit militärischer Gewalt, andererseits durfte er die Legitimität der Qing-Regierung nicht aufs Spiel setzen. Das indische Beispiel vor Augen, bei dem eine kostspielige Kolonialverwaltung eingesetzt werden musste, ging es in China darum, dies zu vermeiden und Mittel und Wege zu finden, auf die Qing-Regierung Druck ausüben zu können, ohne sie in ihrer Macht einzuschränken. Ein eigentlicher Angriffskrieg war nicht geplant gewesen, die gutgerüsteten und ausgezeichnet organisierten Truppen dienten aber trotzdem nicht nur zu Elgins Schutz, sondern auch zur Einschüchterung und Abschreckung der Qing-Regierung. Durch gelegentliche militärische Attacken sollte der Gegner dazu gezwungen werden, sich dem Willen von Elgin zu beugen. Anders als im klassischen Kolonialkrieg, wo der Gegner nur schwer zu definieren ist, hatte man es außerdem mit einer eindeutig legitimierten Qing-Regierung als Gegner zu tun, der über ein nach den eigenen Maßstäben anerkennenswertes funktionierendes Staatswesen verfügte. Elgin setzte also die ihm bekannten Verhaltensmaßregeln im internationalen Kontakt, z.B. das Völkerrecht, und die von ihm als Vertreter des Freihandelsimperialismus vertretenen Werte wie offene Häfen und Märkte und das Recht auf Gleichbehandlung als im Umgang mit Gleichberechtigten gültig voraus. Er forderte für sich und seine Mission nach den Maßstäben eines international gültigen Völkerrechts Respekt, ohne aber diesen Respekt der Qing-Regierung gegenüber zu erweisen. Er nahm zwar ein voll funktionierendes Staatswesen der Qing an, kam aber nicht auf den Gedanken (oder schützte zumindest vor, sich davon nicht beeindrucken zu lassen), dass er vielleicht entsprechend den diplomatischen Gepflogenheiten der Qing völlig korrekt behandelt würde. Im Gegenteil: In der Befürchtung, dass es die Qing-Regierung ihm gegenüber an Respekt fehlen ließ, legte er fast jeden diplomatischen Schachzug der Qing als eine intendierte Beleidigung und Schädigungsstrategie aus (z.B. Zeitverzögerung), mit Begründungen, die nur aus seinem britischen Rechtsverständnis heraus erklärt werden können, und setzte sich dagegen zur Wehr. Es gelang ihm zwar dabei (zumindest gewinnt man den Eindruck beim Lesen der diesbezüglichen Korrespondenz), den Eindruck von Geduld und Langmut mit den Verhandlungsbevollmächtigten der Qing zu erwecken. Dies erreichte er zum Beispiel dadurch, dass er Prinz Gong, ebenso wie er selbst Angehöriger der politisch maßgeblichen Elite, scheinbar als ebenbürtigen Verhandlungspartner betrachtete, und ihm nur die besten Absichten unterstellte, beispielsweise, dass auch Prinz Gong zwangsläufig für den Vertragsabschluss sein müsse. Aber letztendlich verfolgte er doch eine unerbittlich harte Strategie, die in der Verbrennung des Yuanming yuan als ultimativer Strafaktion gipfelte, was selbst von den französischen Alliierten mit Befremden zur Kenntnis genommen wurde. Wiederholt signalisierte er seinen Willen zur Kooperation mit der Qing-Regierung, war aber schließlich nur bereit,

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in einem einzigen Punkt nachzugeben, nämlich sein Beglaubigungsschreiben nicht dem Kaiser persönlich, sondern seinem jüngeren Bruder, Prinz Gong, zu übergeben. Mehr Verständnis für die Qing-Regierung hatte er auch dann nicht, als er einen besseren Einblick in das Funktionieren des Qing-Hofes gewonnen hatte und ihm dessen Vorgehensweise zum Teil einleuchtete: Er entschuldigte sich nicht. Diese Haltung wurde auch von der Oppositionspartei in London scharf kritisiert und missbilligt, die britische Regierung stellte sich jedoch hinter Elgin. Anders als manche Vertreter des Offizierskorps oder auch die Infanteristen, von denen Erinnerungen überliefert sind und die die harte Linie gegenüber der chinesischen Regierung oder auch gegenüber der Zivilbevölkerung billigten, war sich Elgin aber dessen bewusst, dass er als „uncontrollably fierce barbarian“ auftrat. Er tat dies sehr ungern und widerwillig. In den Briefen an seine Frau sprach er offen darüber, wie unangenehm es ihm sei, so respektlos mit den Vertretern der Qing umgehen zu müssen; dass es ihm zuwider sei, mit militärischer Gewalt und unter Schädigung der Zivilbevölkerung einen Auftrag zu erfüllen, der mit dem Anspruch, „zivilisierend“ zu wirken, verbunden war. Tief in seinem Herzen, folgt man seiner privaten Korrespondenz, war es für ihn beschämend, in dieser Härte agieren zu müssen und persönlich hatte Elgin keine Freude an diesem Feldzug. Die ganze Mission ließ sich nicht mit seinem Verständnis von civilizing mission vereinbaren. Von diesen Erwägungen drang allerdings in der offiziellen Korrespondenz nichts nach außen. Das Ergebnis war, dass der britische Stil während der Verhandlungen hochfahrend und aggressiv war, durch militärische Gewalt einschüchternd und keine Alternativen zu den eigenen Vorstellungen von Zivilisation und Völkerrecht zuließ.

4.2 Durchsetzung französischer Interessen: Conquête des âmes? Der französische Diplomat Gros trat bei weitem nicht so klar und deutlich mit einer kohärenten Strategie hervor wie Elgin. Schlechter informiert als dieser, zögernder, mit weniger und logistisch viel schwächeren Truppen als die Briten, blieb ihm oft nichts anderes übrig, als den Vorschlägen Elgins zuzustimmen. Auch die Verhandlungsbevollmächtigten der Qing mussten den Eindruck gewinnen, dass die französischen Alliierten weniger ernst zu nehmen seien, und zeigten sich nicht bereit, im gleichen Maße auf sie einzugehen, wie auf die Briten – sehr zum Ärger General de Montaubans. Während Hope Grant bereitwillig die Befehle von Elgin ausführte, hatte Montauban oftmals kein Verständnis für die Haltung von Gros. Zunächst gekränkt dadurch, dass er überhaupt von einem Diplomaten begleitet wurde, beklagte er sich über den angeblich mangelnden Ehrgeiz von Gros und über eine gewisse Konturlosigkeit seiner politischen Haltung und Strategie. Über den persönlichen Stil von Montauban während des Feldzuges gibt es kaum Zweifel. Während seine britischen Kollegen die sich ereignenden Plünderungen beschreiben, sie aber als kriegsnotwendiges Übel bezeichnen, behauptet Montauban, dass seine französi-

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schen Offiziere sich nicht an diesem Geschehen beteiligt hätten, sondern, im Gegenteil, höflich und zivilisiert mit der Zivilbevölkerung umgegangen seien. Dies war, wie viele, nicht nur französische Augenzeugen belegen, offenkundig falsch, aber Montauban stellte den Sachverhalt wohl deswegen so dar, um ihn mit einer französischen Kolonialstrategie, der „conquête des âmes“ in Übereinstimmung zu bringen. Offenbar verstand sich die französische „mission civilisatrice“ eher auf den Umgang mit der Zivilbevölkerung im Gegensatz zur britischen civilizing mission die sich auf politischer Ebene abspielte. Dabei waren die französischen Voraussetzungen viel ungünstiger als die britischen. Schlechter versorgt, mussten die französischen Truppen viel eher Mundraub begehen, als die britischen. Viele seiner eigenen Offiziere, wohl geblendet durch britische Erfolge, bescheinigen Montauban auch mangelndes Verständnis für chinesische Angelegenheiten, und er musste sich oft britischen Vorgaben beugen. Dass die Truppen noch länger eingesetzt werden mussten als lediglich für die Eroberung der Dagu-Forts, damit war nicht gerechnet worden, vor allem aber auch nicht damit, diese Truppen als diplomatisches Druckmittel einsetzen zu müssen. Insbesondere bei drei Gelegenheiten zeigt sich zumindest in den Quellen, dass ein Expansionsstil und ein Umgang mit der eigenen „mission civilisatrice“ vorgesehen war, die sich deutlich vom britischen Stil absetzen. So zum Beispiel wollten sich Gros und Montauban nicht an der Verbrennung des Yuanming yuan beteiligen, die sie explizit als „barbarisch“ und als mit den eigenen Zielen nicht vereinbar verstanden. Montauban ließ sich, zweitens, von seinen Offizieren beim Vertragsabschluss mit Prinz Gong als höflich und zuvorkommend gegenüber den chinesischen Würdenträgern porträtieren, im Unterschied und Gegensatz zu Elgin, der am Tag zuvor hochfahrend und arrogant den britischen Freihandelsimperialismus zur Schau gestellt hatte. Bei Wiederaneignung französischen Eigentums, insbesonderer katholischer Stätten nach Vertragsabschluss in Peking und der Feier eines Gottesdienstes, wurde, drittens, der Stadtbevölkerung Pekings der Rahmen der französischen „mission civilisatrice“ gezeigt, nämlich der christliche Auftrag. Während Elgin selbst seinen eigenen Handlungen gegenüber im Privaten sehr kritisch gegenübersteht, scheinen die französischen Offiziere recht erfüllt von ihrer Mission zu sein, und kaum Selbstkritik zu üben. Gros selbst scheint auch an manchen Stellen seiner privaten Erinnerungen dem Gesamtunternehmen gegenüber skeptisch, aber Montaubans Bericht ist ausgesprochen hochgestimmt verfasst.

4.3 Der enge Handlungsspielraum der Qing-Regierung Die Alliierten erkannten die Qing-Regierung durchaus als handlungsfähige Regierung an, indem sie ein Verständnis des Völkerrechts und „allgemein übliche“ internationale diplomatische Gepflogenheiten voraussetzten. Und sicherlich gestalteten die Vertreter der Qing-Regierung, wie eingangs postuliert, auch die Verhandlungen mit, aber die Frage, die hier gestellt werden muss ist die, ob sie angesichts der vielfältigen Schwierigkeiten, die sie außer den westlichen Europäern

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bedrängten, überhaupt den Spielraum hatten, eigene Strategien im Umgang mit den Alliierten zu entwickeln? Im Ergebnis ist die Geschichte der Verhandlungen mit den Alliierten im Chinafeldzug 1860 für die Qing-Regierung eine Geschichte des Scheiterns, das aber gewisse andere Möglichkeiten eröffnete. Das traditionelle System, das differenzierte diplomatische Verhandlungswesen, das die Politik der Qing bis dahin gekennzeichnet hatte, und das so flexibel war, dass es auch die Integration von so schwierigen Kandidaten wie den westlichen Alliierten erlaubte, schien durch vielerlei interne Probleme ausgelaugt und wirkungslos geworden zu sein. Andererseits darf man nicht übersehen, dass die Alliierten mit Vertretern zweier unterschiedlicher politischer Parteien verhandelten, die am Qing-Hof um die Vorherrschaft rangen und von den Alliierten „Kriegspartei“ und „Friedenspartei“ genannt wurden. Die Vertreter der „Kriegspartei“, zu denen der Xianfeng-Kaiser selbst gehörte, waren generell dagegen, den „Ausländern“ Zugang zu Peking zu gewähren – mit einer gewissen Berechtigung, war doch die Ursache der TaipingBewegung dem Kontakt mit den „Ausländern“ zuzuschreiben, und im weiteren Sinne auch der Missbrauch von Opium. Der westliche Einfluss hatte sich also für die Qing als destabilisierender Faktor erwiesen, und der Wille dieser „Kriegspartei“ war es, die Präsenz seiner Vertreter auf die bislang geöffneten Hafenstädte zu beschränken. Ihre diplomatischen Strategien wurden von den westlichen Alliierten zweifelsohne als typisch empfunden. Dazu gehörte zunächst die Demonstration von konfuzianischer „Benevolenz“ und Gewogenheit, die dadurch ausgedrückt wurde, dass der Qing-Hof den Alliierten durch John Ward, der soeben erfolgreich einen Vertrag für die USA nach den Bedingungen der Qing abgeschlossen hatte, grundsätzliche Friedensbereitschaft signalisierte, obwohl die Qing-Regierung sich nach dem unerwarteten Sieg von 1859 im Vorteil sehen konnte. Zweitens gehörte dazu die Strategie, die Verhandlungen außerhalb Pekings zu führen und als Sache der Provinzgouverneure zu behandeln, was Elgin aber „durchschaute“, und drittens die Taktik, die beiden Alliierten gegeneinander auszuspielen, indem ihnen jeweils unterschiedliche Mitteilungen gemacht wurden. Alle diese Spielformen hatten die Alliierten, wie es schien, schon erlebt. Sie ließen sich nicht mehr darauf ein, sondern legten es auf eine offene militärische Auseinandersetzungen an, die letztendlich dazu führten, dass der Xianfeng-Kaiser die Flucht ergriff, und die Stadt verließ. Ab dem 21. September 1860 aber übernahmen die Vertreter der anderen Partei, der „Friedenspartei“, die Verhandlungen. Dass sie allerdings die „höher stehende“ Kultur der Westmächte anerkannten, wie Montauban vermutete, und deswegen dem Vertragsabschluss zustimmten, ist abwegig. Zweifelsohne war auch Prinz Gong konservativ und er agierte zunächst aus einem konservativen Diplomatieverständnis heraus. Der Kontakt mit den Ausländern war ihm durchaus unangenehm, wie sich aus seiner Korrespondenz herauslesen lässt, und es scheint wahr zu sein, was Elgin vermutete, dass der Qing-Hof die Alliierten nämlich nicht als gleichberechtigt anerkannte. Handlungsspielraum hatte er im Kontakt mit den Alliierten fast gar keinen mehr: Obwohl er die friedliche Erfüllung des Vertrages

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zugesagt hatte und von Elgin auch als würdig anerkannt worden war, die Verhandlungen zu führen, konnte er den Entschluss der Alliierten, nach Peking zu marschieren, nicht mehr ändern und abwehren. Dies vor allem auch deswegen, weil ihm entscheidende Vorinformationen zum Umgang mit den Alliierten fehlten, was diese ihm als „mangelnden Kooperationswillen“ auslegten. Zudem hat es den Anschein, als hätte nach der Schlacht vom 21. September (sehr zur Verwunderung der Alliierten) das Qing-Heer nicht mehr aktiviert werden können oder es wurde an anderer Stelle eingesetzt, beziehungsweise befand sich im Gefolge des Xianfeng-Kaisers auf dem Weg nach Rehe. Hinter dem Vertragsabschluss mit den Alliierten stand deswegen die schiere Notwendigkeit des Überlebens und der Schadensbegrenzung. Dennoch unterschied sich die Einstellung von Prinz Gong zu den westlichen Alliierten von der der „Kriegspartei“ und der seines Bruders, des Xianfeng-Kaisers. Erstmals war der 27jährige aus dem Schatten seines zwei Jahre älteren Bruders herausgetreten und konnte nach eigenen Vorstellungen handeln. Das Verhältnis der beiden Brüder war seit jeher von Rivalität und Konkurrenz gekennzeichnet: Prinz Gong galt als der Begabtere und derjenige, der eigentlich als Thronfolger vorgesehen und durch eine List übergangen worden war. Darüber, ob bei den Verhandlungen mit den Alliierten eine gewisse Eifersucht auf den Xianfeng-Kaiser eine Rolle gespielt hat, ist den Dokumenten kein Hinweis zu entnehmen. Was allerdings sicherlich eine Rolle gespielt hat für den absoluten „Newcomer“ auf diplomatischem Parkett, wie man Prinz Gong zweifelsohne bezeichnen muss, – zuvor war er noch nicht in Erscheinung getreten –, das waren die Ansichten seiner diplomatischen Berater, allen voran seines Schwiegervaters Guiliang. Der Krisenstab, den er aufstellte, bestand vor allem aus Männern, die bereits Kontakt mit den Europäern gehabt hatten, und die vor allem deren technologische Überlegenheit anerkannten. Diese Einsicht, und der Wunsch, davon zu profitieren, sich diese Techniken anzueignen, um die eigenen drängenden innenpolitischen Schwierigkeiten einzudämmen, sind nur zum Teil innovativ, sondern gehörten bereits auch zum Repertoire der Außenpolitik der Qing-Regierung. Dies sowie die Erkenntnis, dass man den erwünschten Technologietransfer mit den gemeinsamen westlichchinesischen Interessen begründen könnte, waren sicherlich auch Erwägungen, die hinter dem Vertragsabschluss von 1860 standen. Natürlich waren mit der Vertragsunterzeichnung von 1860 die Grundlagen geschaffen, von denen aus dann die westliche Durchdringung des Landes möglich wurde, die letztendlich zum Untergang der Qing beitrug. Und natürlich war es eine Niederlage, dass westlichen Gesandten gestattet werden musste, in Peking. zu residieren. Aber zunächst war es einer immer noch handlungsfähigen und legitimierten Qing-Regierung gelungen, die Katastrophe abzuwenden. In der Gründung des Zongli Yamen kurze Zeit später gelang es ihr sogar, eine neue Institution zu schaffen, als deren alleinige Aufgabe es fortan gelten sollte, den Kontakt mit den westlichen Gesandten zu gestalten und zu koordinieren.

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5 DIE REZEPTION DER PLÜNDERUNG IN EUROPA 5.1 Frankreich: Kritik an Napoleon III., der Umgang mit dem Plündergut Die Entwicklung der Plünderung des Yuanming yuan in China (aber nicht in Europa) zu einem mächtigen, politisch aufgeladenen Symbol, die Publikumswirksamkeit und das Aufsehen, das auch heute noch bei Auktionen von Plündergut aus dem Yuanming yuan erregt wird, führen zu der Frage nach dem weiteren Schicksal sowohl des Plündergutes als auch der Erinnerung an die Plünderung. Diese Prozesse verliefen ganz unterschiedlich. Weniger im Fall Großbritanniens, wohl aber anfänglich im Falle Frankreichs und vor allem im Falle Chinas im 20. Jahrhundert entwickelte die Erinnerung an die Plünderung eine gewisse Eigendynamik, löste sich von den eigentlichen Kriegsereignissen und wurde politisch instrumentalisiert, ohne aber einen „Kolonialskandal“ auszulösen. General de Montauban sandte nach dem Abschluss der Mission in China die für den Kaiser Napoleon III. am 7. Oktober sicher gestellte Beute mit einer aus drei Leutnants bestehenden Eskorte nach Frankreich. Diese Beute wurde unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit von Kaiserin Eugénie persönlich in Empfang genommen, die sie ab April 1861 im Tuilerienschloss ausstellte. Die Widersacher Napoleons III. allerdings teilten diese Begeisterung nicht, und im Verlauf der 70er und 80er Jahre, des 19. Jahrhunderts, der Zeit, in der Napoleon III. öffentlich diskreditiert war, nutzte auch Victor Hugo die Gelegenheit, um die Verbrennung des Yuanming yuan als eine der größten Schandtaten, die im Namen von Zivilisation und Menschlichkeit begangen worden waren, zu beschreiben. Sein fiktiver Brief an Captain Butler aber ist das einzige Dokument zu diesem Thema, das eine so große Öffentlichkeitswirksamkeit erhielt. Montauban wurde entsprechend eine Pension auf Lebenszeit versagt. Generell scheint es, als habe die Öffentlichkeit in Frankreich auf die Plünderung sehr viel empfindlicher reagiert, als in Großbritannien. Sie wurde im Laufe der Jahre einerseits ein Objekt der öffentlichen Anklage gegen Napoleon III., andererseits versuchte man um 1900 wieder, den Tatbestand der Plünderung zu verschleiern, indem beispielsweise Cordier aus seiner Quellensammlung bedeutende Aktenstücke, die die Haltung des Generals de Montauban belegen, ausschließt. Montauban war angesichts der Kritik, die er auch aus den eigenen Reihen dafür erntete, nicht an der Verbrennung des Yuanming yuan teilgenommen zu haben, manchmal unsicher, ob es nicht doch ein Fehler gewesen sei, nicht an der Verbrennung teilzunehmen. Die wenigen Franzosen aber, die heutzutage von der französischen Beteiligung am Feldzug von 1860 wissen, nehmen es mit einer gewissen Genugtuung zur Kenntnis, dass Frankreich nicht an der Verbrennung beteiligt war. Montaubans Nachlass, aus dem vielleicht mehr Aufschluss über seine Rolle bei der Plünderung des Palastes ist verloren. Aus den Berichten seiner Zeitzeugen gehen immer wieder Hinweise darauf hervor, dass er selbst, obwohl er es abstritt, unmäßig geplündert habe, was aber offenkundig im Nachhinein verschleiert werden sollte.

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5.2 Großbritannien: Kenntnisnahme, der Umgang mit dem Plündergut Großbritannien profitierte ungleich mehr als Frankreich von der Unterzeichnung der Verträge von 1860, aber das Ereignis der Plünderung hat dort offenbar wenig Eindruck gemacht. Vor allem das Plündergut wurde, im Vergleich zu Frankreich, eher nachlässig behandelt. Queen Victoria zeigte sich desinteressiert daran, es wurde auf mehrere Museen verteilt, und nur kurzzeitig war darüber nachgedacht worden, ob man eine gemeinsame britisch-französische Ausstellung der Schätze anlässlich der Weltausstellung 1862 planen solle. Widersprüchlich sind die Reaktionen auf der politischen Ebene: Kritik gab es an den hohen Kosten des Krieges, Kritik gab es auch an der Gewalt, mittels derer Elgin dem Qing-Reich die Verträge aufgezwungen hatte. Elgin musste jedoch keine Konsequenzen tragen, und sein Verhalten wurde von Queen Victoria im Allgemeinen gelobt. Zwar war noch im Jahr 2006 in der Thronhalle von Windsor Castle ein Kopfschmuck ausgestellt, der aus dem Yuanming yuan stammen sollte, Beteiligung an der Plünderung wurde aber, das belegen viele Quellenzeugnisse, trotzdem nicht gerne zugegeben. So sind einige der Quellenzeugnisse an vielen Stellen geschwärzt, besonders dort, wo man eine Schilderung der Plünderung erwartet hätte. Aus dem Tagebuch von Peter Lumsden beispielsweise haben seine Erben viele Seiten herausgeschnitten, bevor sie es an das National Army Museum in Chelsea übergaben, es scheint, um zu vertuschen, dass er geplündert hatte. Diese Zeugnisse von Scham verhüllen aber nicht, dass es um 1860 noch gültige Preisund Beuteverfahren gab. Im 20. und 21. Jahrhundert machen die englischen Auktionshäuser Christie’s und Sotheby’s dadurch auf sich aufmerksam, dass sie, sehr zu Ärger chinesischer Beobachter, ganz unbefangen auf verschiedenen Auktionen Kunstgegenstände aus China verkaufen, die zweifelsohne aus dem Yuanming yuan stammen müssen.

5.3 China: Die Entwicklung zum „Symbol nationaler Demütigung“ Schon im unmittelbaren Anschluss an die Plünderung und die Verbrennung des Yuanming yuan wurde das Ereignis als große Beschämung und tiefe Demütigung empfunden. Eine Rettung des geraubten Plündergutes war nicht mehr möglich. Zumindest bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts stand die Zerstörung des Yuanming yuan im Wesentlichen für einen Angriff auf die Qing-Dynastie. Deren Sympathisanten setzten sich mehrfach für einen Wiederaufbau ein, und bis ins 20. Jahrhundert gab es Loyalitätsbekundungen auf dem Gelände der Ruinen. Die Ruinen des Yuanming yuan gerieten während der Republikzeit in Vergessenheit. Aber die Erinnerung an die Zerstörung des Yuanming yuan von 1860, die sich mit den Erinnerungen an die Ereignisse während des Boxeraufstandes vermischte und überlagerte, wurde nach 1949 zu einem mächtigen Symbol in der chinesischen Historiographie insofern, als sie den Beginn eines weiteren Stadiums des Imperialismus in China kennzeichneten. Auf dem Gelände des ehemaligen Yuanming yuan fanden immer wieder bedeutende Ereignisse statt, die meist im Zusammen-

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hang mit einer Aufbruchs- oder Erneuerungsbewegung gesehen werden konnten. Seit Anfang der 80er Jahre bemühte man sich auch um die Erhaltung der Ruinen und belebte die seit den 1920er Jahren betriebene Forschung zum Yuanming yuan wieder. Im neuen Jahrtausend ist wachsendes Interesse am Yuanming yuan zu verzeichnen: Im Rahmen der Öffnung des Landes und des zunehmenden wirtschaftlichen Erstarkens Chinas nimmt das Interesse an prestigeträchtigen historischen Symbolen zu. Dazu gehört nicht nur der Auftrag an ein Historikerkollektiv, eine neue Qing-Geschichte zu erstellen, sondern eben auch die Erinnerung an den Yuanming yuan, vor allem an seine einstige Größe und Bedeutung. Insbesondere um Kunstgegenstände, die eindeutig aus dem Yuanming yuan stammen werden erbitterte Kämpfe geführt. Im Vordergrund stehen dabei zwölf Bronzeskulpturen, die die chinesischen Tierkreiszeichen darstellen und als Wasserspeier vor dem wichtigsten Palast des Ensembles der westlichen Gebäude fungierten. Bei einer Auktion in Paris im Frühjahr 2009 trieb ein chinesischer Bieter den Preis für zwei der Köpfe auf knapp 32 Millionen Euro – und weigerte sich aus patriotischen Gründen zu bezahlen. Die chinesische Regierung allerdings stellte sich nicht hinter den Bieter, sondern distanzierte sich von diesem Verhalten.

6 AUSBLICK In den letzten Jahren sind viele Bücher zum Thema Plünderung und Beutekunst erschienen, die sich aber vorwiegend mit den Ereignissen während und nach dem Zweiten Weltkrieg befassen: Nach der Haager Konvention von 1907 wurde es leichter, derartige Plünderungen wie zum Beispiel die des Yuanming yuan von 1860 auf einer gesetzlichen Grundlage zu verurteilen und die Rückführung der geraubten Kunstschätze zu fordern. Die Beute aus den Plünderungen der Kolonialkriege des 19. Jahrhunderts aber ist auch heute noch in vielen Museen weltweit unkommentiert zu sehen. Durch zahlreicher werdende Veröffentlichungen zu den Kolonialkriegen, außerdem durch umstrittene Auktionen wie die der Tierköpfe bei Christie’s im Februar 2009 erhält eine breitere europäisch-westliche Öffentlichkeit Kenntnis von den Kolonialkriegen des 19. Jahrhunderts, und es ist inzwischen eine gewisse Sensibilität im Umgang mit Plündergut entstanden. Dass Plünderungen auch im 21. Jahrhundert noch immer Teil des Krieges sind (wenn auch gesetzlich geregelt), belegen die Ereignisse im Irak, wo im Verlauf des Krieges 2003 das Nationalmuseum von Bagdad geplündert wurde. Auch hierbei äußerten sich amerikanische Reporter sehr vorsichtig und nicht eindeutig zur Identität der Plünderer. Das Beispiel der Plünderung des Yuanming yuan in China 1860, insbesondere auch die Rezeptionsgeschichte bis ins 20. und 21. Jahrhundert aber zeigen, dass dergleichen Ereignisse noch lange und in unterschiedlichster Form auf beiden Seiten, der der Geschädigten und der der Plünderer nachwirkt

ANHANG 1 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS NAM FO WO PRO RA BodLO BL CYS MAE MD SHAT SHTM XF YMYA YMYJ YMYZ

National Army Museum Foreign Office War Office Public Record Office Royal Archives Bodleian Library Oxford British Library Chouban Yiwu Shimo Ministère des affaires étrangères Ministère de la Defense Service historique d’Armée de terre Service historique des Troupes de Marine Xianfeng Yuanming yuan qingdai dangan shiliao Zhongguo yuanming yuan xuehui choubei weiyuan hui Yuanming yuan ziliao ji

2 FACHZEITSCHRIFTEN Canadian Journal of History East Asian History History & Memory History and Anthropology Journal of Asian History Journal of World History Modern Asian Studies Past and Present Radical Historical Review Revue historique des Armées South Asia The American Historical Review The Historical Journal Victorian Studies Yuanming yuan journals

Quellenmaterialien und Forschungsliteratur

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3 QUELLENVERZEICHNIS 3.1 Archivquellen 3.1.1 Archiv National Army Museum Chelsea (NAM) Lumsden, Sir Peter: Notebook D.Q.M.G. to 2nd Division of China: Expedition under Sir Robert Napier, 1860. Greathed, William: Documents, letters, etc. relating to William Wiberforce Harris Greathed, Royal Engineers, including: Notes, letters and dispatches dealing with the 2nd China war, 1860. Rowley, Captain, Royal Horse Artillery, Diary 14 Jan 1860–12 March 1861.

3.1.2 National Archives, Kew Gardens Foreign Office (FO) FO 17 FO 83 FO 93 FO 228 FO 233 FO 405 FO 677 FO 682 FO 881 FO 925

Political and Other Departments: General Correspondence before 1906, China. Political and Other Departments: General Correspondence before 1906, Great Britain and General. Protocols of Treaties. Consulates and Legation, China: General Correspondence, Series I. Consulates and Legation, China: Miscellanous Papers and Reports. China and Taiwan Confidential Print. Superintendent of Trade, Legation, Peking, China: General Correspondence. Chinese Secretary’s Office, Various Embassies and Consulates, China: General Correspondence. Foreign Office: Confidential Prints (Numerical Series). Library: Maps and Plans.

War Office (WO) WO 28 WO 32 WO 78 WO 147

Records of Military Headquarters. Registered Files (General Series). Maps and Plans. Field Marshal Viscount Garnet Joseph Wolseley, Adjutant General of Army: Papers.

Public Record Office (PRO) PRO 30/22

Lord John Russell: Papers.

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Quellenmaterialien und Forschungsliteratur

3.1.3 Royal Archive, Windsor Castle (RA) RA VIC/J/79/27. RA VIC/ADDE/1/2849-1851. RA PPTO/PP/QV/MAIN/1861/7469.

3.1.4 Bodleian Library Oxford (BodLO) Gother, Frederick Mann: Correspondence of Gother Frederick Mann and his wife Margaret (1845– 1862).

3.1.5 British Library, Asia, Pacific and Africa Collection (BL) De Norman, Charles: The Second Journey to Peking, 1860.

3.1.6 Ministère des Affaires Etrangères, Quai d’Orsay (MAE) Correspondance Politique Chine 34.

3.1.7 Ministère des Affaires Étrangères, Nantes (MAE) Série A, Ambassade de Londres 25. Comptabilité 262.

3.1.8 Ministère de la Défénse (MD) SHAT (Service historique de l’Armée de Terre) Série G Série M Inspection du Génie

Second Empire, Sous-série 5G, Dossiers 1–13. Mémoires et Reconnaissances. Art 15.

SHTM (Service historique des Troupes de Marine) Série BB 4, 754 Lettres recues Ministre de la Guerre, Agriculture, Finances, Consuls, Notes de Directions.

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3.3 Zeitschriften und Journale Frankfurter Allgemeine Zeitung Illustrated London News Le Monde Illustré New York Times Newschinamag.com The Queen The Times Tour du Monde Xinhua

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5 GLOSSAR Aixin Gioro Aixin Jueluo Amoy (Xiamen) Andingmen Ba qi Baliqiao Bao Jian Beihai-Park Beihe . Beitang Beizhili Changchun yuan Chen Baozhen Chen Kaige Chengde Chonghou Chong Lun Chun Yihuan (Prinz Chun) Cian Dagu Paotai Dalianwan Daoguang Fuxingmen Fuzhou Gongwang Yixin (Prinz Gong) Guangdong Guangxu Guangzhou (Kanton) Gugong Guiliang Guizhou Guo Songtao Haidian Hengfu Hengqi Hexiwu Hong Xiuquan Huang Zhongyu Huashana Hui MianYu (Prinz Hui) Hunan Jiaqing

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Quellenmaterialien und Forschungsliteratur Kang Youwei Kangxi Kommandant De Lan Weiwen Lang Shining Lei (Familie) Li Dazhao Li Hongzhang Lin Kui Lin Shu Lin Zexu Liulichang Lugouqiao Mao zhuxi de hong weibing Matou Ming Mingshan Muyin Nantang Nanjing Neiwufu Ningbo Peking (Beijing) Qianlong Qichun yuan Qing Qingdao Qinghua daxue Qingying Qingyiyuan Quanqing Rehe Sanshan wuyuan Senggerinchin (Senggelinxin) Shandong Shanghai Shengbao Shenyang Song Qingling Sushun Sun Zhi Taiping-Erhebung Tan Tingxiang Tanggu Tianjin

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Tongzhi Tongzhou Tuo Ming Wang Guowei Wang Huaiqing Wang Kayun Wanshoushan Wei Yuan Wenxiang Xian Xianfeng Xicun Xinhe Xinjiang Xiyang lou Xu Guangjin Xu Guangqi Xu Shujun Xuanwumen Xuantong Yangcun Yangzi Ye Mingchen Yi (der Begriff für Barbar) Yi Wang Zaiyuan (Prinz Yi) Yiheyuan Yonghegong Yongzheng Yu Yidao (Prinz Yu) Yuan Shikai Yuanming yuan Yuanming yuan huajiacun Yunnan Zeng Guofan Zhangjiawan Zheng Wang Duan Hua (Prinz Zheng) Zhifu Zhongguo Yuanming yuan xuehui Zhou Enlai Zhou Zupei Zhoushan Zongli Yamen

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Waren Plünderungen und Kunstraub während der Kolonialfeldzüge des 19. Jahrhunderts gesetzlich sanktioniert, und wie gingen sie vor sich? Die Plünderung und anschließende Verbrennung des Yuanming yuan während des britisch-französischen Chinafeldzuges von 1860 gilt als einer der spektakulärsten Fälle von Kulturvandalismus im 19. Jahrhundert. Bisher kaum in der europäischen Forschung gewürdigt, erstrecken sich die Auswirkungen des Ereignisses bis ins 20. Jahrhundert.

Ines Eben von Racknitz nimmt sich des Themas an, indem sie unter breiter Auswertung britischen und französischen Archivmaterials den Chinafeldzug als eine vielschichtige Ereignisgeschichte rekonstruiert. In der Mikroperspektive erzählt, ergibt sich so ein detailliertes Porträt eines außereuropäischen Kolonialfeldzuges des 19. Jahrhunderts – ein Stück chinesischeuropäischer geteilter Geschichte.

www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag

ISBN 978-3-515-10241-4