Die Ordnung des Lebens: Zu Franz Grillparzers "Selbstbiographie" 9783110942224, 9783484320611

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Die Ordnung des Lebens: Zu Franz Grillparzers "Selbstbiographie"
 9783110942224, 9783484320611

Table of contents :
Einleitung
ERSTES KAPITEL. Das Labyrinth
1. »Meisterhafte Schilderung einer alten Wohnung«
2. Der Text
3. Schlechte Aussichten
4. Das Gefängnis
5. Zwei Richtungen
6. Die Irrealisierung
7. Das Unheimliche
ZWEITES KAPITEL. »Ich habe meinen Vater eigentlich zärtlich nie geliebt«
1. »Mein Vater war [...]«
2. Person, Figur und Schreibweise
3. Das affektierte Wort in den frühesten autobiographischen Ansätzen
4. Der »tüchtige Stil in Prosa« der »Selbstbiographie«
5. Der uneigentliche Vater
DRITTES KAPITEL. Das Lesen
1. Vom Verschlingen und der Leselust
2. Das Heilige und der Roman
3. Das wilde Lesen
4. Die Bibliotheken
5. Phantasie als verschlungene Lektüre
VIERTES KAPITEL. Im Zeichen der Stimme
1. »Geheime Stacheln«
2. Das Lispeln
3. Stimme und Schrift
4. »Man muß nur in die Hand blasen [...]«
5. »[...] da ein Gefühl im Herzen stets schöner ist als eines auf dem Papiere [...]«
FÜNFTES KAPITEL. »Göthe«
1. Fort von Wien
2. Von der Chronologie der Ereignisse
3. Die zwei Diskurse
4. Der ›eigentliche‹ Vater
5. »Dormit puer, non mortuus est«
EXKURS. Jemand mußte Franz Grillparzer verleumdet haben ... Zu Franz Kafkas Grillparzer-Rezeption
0. Vorbemerkung
1. Die Tränen
2. Der fürchterliche Mensch, der ich bin
3. Die reine Stimme
4. »Jemand mußte Joseph K. verleumdet haben [...]«
5. Zur ästhetischen Identität
EXKURS: Anhang
Abkürzungen und Siglen
Literaturverzeichnis

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Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte Band 61

Arno Dusini

Die Ordnung des Lebens Zu Franz Grillparzers »Selbstbiographie«

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1991

Gedruckt mit Unterstützung der Osterreichischen Forschungsgemeinschaft, Wien, s o w i e der Südtiroler Landesregierung / Kulturabteilung, Bozen.

Meinen

Eltern

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Dusini, Arno: Die Ordnung des Lebens : zu Franz Grillparzers »Selbstbiographie« /Arno Dusini. - Tübingen : Niemeyer, 1991 (Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte ; Bd. 61) NE: GT ISBN 3-484-32061-3

ISSN 0083-4564

© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1991 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Satz und Druck: Guide-Druck, Tübingen Einband: Hugo Nadele, Nehren

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

ι

ERSTES K A P I T E L

Das Labyrinth

10

1. »Meisterhafte Schilderung einer alten Wohnung«

10

2. D e r Text

14

j . Schlechte Aussichten

16

4. Das Gefängnis

19

5. Z w e i Richtungen

21

6. Die Irrealisierung

23

7. Das Unheimliche

26

ZWEITES K A P I T E L

»Ich h a b e m e i n e n V a t e r e i g e n t l i c h z ä r t l i c h nie g e l i e b t «

29

1. »Mein Vater war [ . . . ] «

29

2. Person, Figur und Schreibweise 3. Das affektierte Wort in den frühesten autobiographischen Ansätzen

31 ....

33

4. D e r »tüchtige Stil in Prosa« der »Selbstbiographie«

40

5. D e r uneigentliche Vater

48

DRITTES KAPITEL

Das Lesen

50

1. Vom Verschlingen und der Leselust

50

2. Das Heilige und der Roman

53

3. Das wilde Lesen

60

4. Die Bibliotheken

64

5. Phantasie als verschlungene Lektüre

67

VIERTES KAPITEL

Im Z e i c h e n der Stimme

71

1. »Geheime Stacheln«

71

2. Das Lispeln

75

3. Stimme und Schrift

80 V

4· »Man muß nur in die Hand blasen [ . . . ] « 5. » [ . . . ] da ein Gefühl im Herzen stets schöner ist als eines auf dem Papiere [···]«

85 89

FÜNFTES KAPITEL »Göthe« 1. 2. 3. 4. 5.

Fort von Wien Von der Chronologie der Ereignisse Die zwei Diskurse Der eigentliche« Vater »Dormit puer, non mortuus est«

99 99 102 107 113 117

EXKURS Jemand mußte Franz Grillparzer verleumdet haben ... Z u Franz Kafkas Grillparzer-Rezeption

120

0. 1. 2. 3. 4. 5.

120 122 124 128 134 139

Vorbemerkung DieTränen Der fürchterliche Mensch, der ich bin Die reine Stimme »Jemand mußte Joseph K. verleumdet haben [ . . . ] « Zur ästhetischen Identität

EXKURS: A n h a n g

142

Abkürzungen und Siglen

147

Literaturverzeichnis

149

VI

Danken möchte ich Univ. Prof. Dr. Werner Welzig, der die vorliegende Arbeit mit sorgsamer Kritik bedacht und wohlwollend unterstützt hat. Univ. Doz. Dr. Herbert Hrachovec danke ich für die hilfreichen Gespräche, mit denen er an der Entstehung dieser Arbeit Anteil genommen hat.

VII

Du nennst mich Dichter, ich verdien es nicht. Ein Andrer sitzt, ich fühls und schreibt mein Leben. Und soll die Poesie den Namen geben, Statt Dichter, fühl ich höchstens mich Gedicht. Franz Grillparzer

Wenn nun abet ein stockdürrer, lederner Skribent in einer gräßlichen Dissertazionsprosa [ . . . ] Franz Grillparzer

VIII

Einleitung Übrigens was ist denn Geschichte? Uber welchen Charakter irgendeiner historischen Person ist man einig? Der Geschichtschreiber weiß wenig, der Dichter aber muß alles wissen.

Franz Grillparzer

A l s Rudolf Hartmann und A u g u s t Sauer in ihrer Einleitung z u der 1925 erschienenen historisch-kritischen A u s g a b e der »Selbstbiographie« Franz Grillparzers unter anderem die Ansicht vertraten, daß dies Werk f ü r Ö s t e r reich »ein unschätzbares D o k u m e n t , f ü r des Dichters Lebenslauf die erste und wichtigste Quelle« darstelle, beriefen sie sich bezeichnenderweise auf das Urteil eines Historikers. 1 >Bezeichnenderweise< deshalb, weil sich hier noch in der Wahl der zitierten Autorität (»Österreichs hervorragendster Geschichtsschreiber [ . . . ]« 2 ) jene Haltung bestätigt sieht, v o n der die literaturwissenschaftliche Rezeption der Grillparzerschen

»Selbstbiographie«

lange Zeit nahezu ausschließlich geprägt war. Joseph N a d l e r glaubte etwa noch 1948 in seiner Grillparzer-Monographie den bewußten Widerspruch, daß der A u t o r aus seinem L e b e n z w a r »nichts« hätte »zu machen« brauchen, er sich »künstlerisch« aber »ganz in der H a n d « gehabt hätte, durch die Feststellung entschärfen z u können, daß es sich bei dem B u c h u m »ein Geschichtswerk« handle. 3 D i e in diesem Fall unnötig apodiktisch anmutende A k z e n t u i e r u n g des historisch respektive biographisch ausgerichteten Rezeptionsinteresses erweist sich jedoch immer wieder auch als Folge offensichtlicher Ratlosigkeit im U m g a n g mit der ästhetischen Gestalt des Textes. V o r allem die gängige Perspektivierung der

Grillparzerschen

»Selbstbiographie« auf das als klassisches Muster literarischer A u t o b i o g r a phie geltende W e r k G o e t h e s hin verhinderte mit dem H i n w e i s auf >vergleichsweise< sichtbar werdende >Schwächen< eine Betrachtung jener Faktoren, aufgrund derer beide Texte inkommensurabel erscheinen müssen. D a s änderte sich auch nicht, als Herbert Seidler 1972 vorschlug, »Grillpar1 2

3

H K A I , 16, S.XLIII. Ebd. Der zitierte Historiker Heinrich Friedjung, aus dessen 1912 erschienenem »Osterreich von 1848-1860« Sauer und Hartmann zitieren, dürfte den Großteil der Bekanntheit, die er heute noch genießt, seinem eher unrühmlichen Vorkommen in den »Letzten Tagen der Menschheit« und der »Fackel« Karl Kraus' verdanken. Nadler, Josef: Franz Grillparzer. Vaduz 1948, S.406.

1

zers Selbstbiographie als literarisches Kunstwerk« zu lesen.4 Mit der offensiven Behauptung, daß das Werk »in sich völlig gerundet, abgewogen und durchstrukturiert« sei, verdeckte Seidler nicht nur verheißungsvolle Disparatheiten der eigenen Interpretation, sondern gab auch die eindrucksvoll herausgestellte »unverkennbare Eigenart« der »Selbstbiographie« zugunsten einer Modellhaftigkeit preis, die wiederum nur auf den Typus der Goetheschen Autobiographie verwies. 5 Die Rezeption dieses einen Werkes läßt somit jene Polarität erkennen, die Klaus-Detlef Müller für den Gang, den die Erforschung der Gattung Autobiographie im allgemeinen genommen hat, als charakteristisch hervorstrich. Stünden nämlich auf der einen Seite »gattungsgeschichtliche Gesamtdarstellungen, die dazu neigen, sich auf den stofflichen Aspekt zu beschränken und die Probleme literarischer Vermittlung zugunsten historischer (geistesgeschichtlicher, kulturgeschichtlicher oder sozialgeschichtlicher) Synthesen zu vernachlässigen«, so habe sich auf der anderen Seite »eine gattungstheoretische Forschungsrichtung« etabliert, »die nach einer (ahistorischen) Formtypologie sucht, dabei aber die historischen Sachverhalte der Zweckform nicht hinreichend berücksichtigen kann und - schon in der Stoffauswahl - eine einseitige Vorentscheidung zugunsten des Ästhetischen trifft«; weiterführende Ergebnisse seien demnach nur dann zu erwarten, »wenn es gelingt, die historische und die ästhetische Fragestellung zusammenzuführen«. 6 Müller selbst hat die Notwendigkeit einer derartigen Vermittlung beispielhaft vorgeführt. 7 Was er als »die komplexeste und folgenreichste Sonderentwicklung« der Zweckform Autobiographie apostrophiert, nämlich ihre im deutschen Sprachraum um die erste Hälfte des 18.Jahrhunderts einsetzende »Literarisierung«, beschreibt eine nachhaltige Verschiebung im zeitgenössischen Gefüge sprachlicher Wahrnehmungsformen. 8 Die »prosaisch« definierten, unter dem Verdikt der Instrumentalität stehenden

4

In: Österreich in Geschichte und Literatur 16 ( 1 9 7 2 ) , S. 1 7 - 3 5 .

5 Ebd. S.35. 6

Müller, Klaus-Detlef: Autobiographie und R o m a n . Studien zur literarischen Autobiographie der Goethezeit. Tübingen 1976, S. 26.

7

V g l . die ebd. enthaltenen Studien, etwa jene zu Goethes »Dichtung und W a h r heit«.

8

Müller, Klaus-Detlef: Probleme der Gattungsgeschichtsschreibung literarischer Z w e c k f o r m e n - am Beispiel der Autobiographie. In: Textsorten und literarische Gattungen. Dokumentation des Germanistentages in H a m b u r g vom 1. bis 4. A p r i l 1979. H g . v o m Vorstand der Vereinigung der deutschen Hochschulgermanisten. Berlin 1 9 8 3 , S. 2 9 3 - 3 0 4 , hier S. 302.

2

Schreibweisen, deren sich die Autobiographie traditionsgemäß bediente, vermochten dem Darstellungsanspruch der Gattung offensichtlich nicht mehr zu genügen. Es kam zu einer Öffnung der Gattung auf Schreibweisen hin, die dazumal als rein »literarisch« oder »fiktional« galten. 9 Dieser merkwürdige Umstand und die Tatsache, daß der Einschluß gattungsfremder Schreibweisen den Realitätsanspruch des Genres nicht nur nicht diskreditierte, sondern umgekehrt noch verstärkte, die als »literarisch« oder »fiktional« geltenden Schreibweisen folglich als Faktizität verbürgende Ausdrucksformen wahrgenommen werden konnten, setzen einen Begriff des »Poetischen« voraus, der unabdingbar als Funktion zu bestimmen ist: als Funktion, die prinzipiell jeder sprachlichen Äußerung unterstellt werden kann. 1 0 Daraus die UnUnterscheidbarkeit eines referentiell direkt auf Faktizität verpflichteten Diskurses von einem ästhetischen abzuleiten, wäre indes vollkommen verfehlt. 1 1 N u r finden die Klärungen darüber, wie sich ein Text zur Realität zu verhalten habe, schon vor dem Text statt: Jeden Text erwarten in der Welt der Diskurse, in die er eintritt, institutionell überwachte Ordnungen, anhand derer er sich in graduell unterschiedlichem Maß auf Realität festgelegt sieht. 1 2 Selbst Texte, die darauf abzielen, diese epochenspezifisch jeweils neu geregelten Verträge zu unterlaufen, können diese Ordnungen niemals ganz außer Kraft setzen. D a s italienische Sprichwort »Trovata la legge, trovato l'inganno« gilt auch hier nur für den unmittelbaren, diesbezüglich jedoch höchst wirkungsvollen Augenblick. Zum einen erfordert die Fähigkeit, eine derartige Gesetzeslücke überhaupt ausfindig zu machen, die genaueste Kenntnis der Gesetze selbst, zum zweiten aber weisen entsprechende Schachzüge den Gesetzgeber mit Nachdruck darauf hin, daß er noch genauer zu differenzieren habe. Mithin 9

D a ß dies vor allem über anthropologische Ansätze lief und gerechtfertigt wurde, hat Helmut Pfotenhauer: Literarische Anthropologie. Selbstbiographie und ihre Geschichte - am Leitfaden des Leibes. Stuttgart 1987, gezeigt.

10

Gerard Genette etwa hat immer wieder darauf hingewiesen. So auch in dem von mir aus der italienischen Ausgabe zitierten Aufsatz »Strutturalismo e critica letteraria« in: Figure I,Turin 1981, S. 133-155, besonders S.134: » [ . . . ] qualsiasi testo in pratica p u o essere ο non essere letteratura secondo che venga accolto (piu) come spettacolo ο (ρίύ) come messaggio; la storia letteraria e fatta proprio di queste ambiguitä, di queste fluttuazioni. C i ö significa che non esiste, strettamente parlando, un oggetto letterario, ma soltanto una funzione letteraria che puo investire ο abbandonare di volta in volta qualunque oggetto di scrittura.«

11

Vgl. D e Man, Paul: A u t o b i o g r a p h y as De-Facement. In: Modern language notes 94 (1979), S.919-930 und darauf zurückkommend: Derrida, Jacques: Memoires (Edition Passagen 18). Wien 1988, S.42ff.

12

Vgl. Foucault, Michel: D i e O r d n u n g des Diskurses (Ullstein Materialien 35037) Ffm./Berlin/Wien 1977.

3

sind es gerade die Überschreitungen, die auf längere Sicht hin jene Ordnungen, die zu unterlaufen sie sich vorgenommen haben, reliefartig hervortreiben. Philippe Lejeune, der in Frankreich wohl prominenteste Theoretiker des Genres Autobiographie, hat in seinen Arbeiten immer wieder auf die Techniken aufmerksam gemacht, durch die einem autobiographischen Text sein Platz in der Diskursordnung zugewiesen wird. 1 3 Gattungsbezeichnungen durch einen Herausgeber, den Verleger oder Kritiker, auf dem Titelblatt des Buches, in Interviews oder Buchbesprechungen und Rezensionen gehören ebenso hierher wie das Ensemble jener Merkmale und Kriterien, anhand derer eine Epoche einen Text aus seiner Faktur heraus als Autobiographie erkennt. Lejeune hat den Blick auf ein weiteres für das Verständnis von Autobiographie relevantes und von dem soeben Angedeuteten nicht zu trennendes Phänomen gelenkt: die zumeist in einem Vorwort, einem Vorspann oder zu Beginn einer Autobiographie exponierten Äußerungen des Autors zu seiner Selberlebensbeschreibung. Lejeune zielt dies betreffend sogar auf ein »micro-genre litteraire« 14 ab. An den Leser gerichtet, vermögen solche Äußerungen und Vorgaben jedoch nicht nur das Lektüreverhalten des letzteren zu beeinflussen, sie reflektieren im selben Atemzug den genannten Platz des Textes in der Diskursordnung, geben Auskunft über den Standpunkt des Autors in der Geschichte des Genres und machen durchsichtig, in welcher Art und Weise der Autor selbst auf die mit dem Genre verbundene Erwartungshaltung seiner Zeit zu reagieren gedenkt. So läßt sich auch die durch den Autor selbst vorgenommene Titelgebung interpretieren. Der Titel der Goetheschen Autobiographie etwa, »Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit«, wird unter den genannten Voraussetzungen als konzise Formulierung jener Entwicklung lesbar, die Müller in den Begriff der »Literarisierung« kleidete. Ohne die Autobiographie aus ihrer geschichtlichen Verantwortung zu entlassen, fordert er, daß der Text auch einer ästhetischen Lektüre ausgesetzt werden müsse, womit in gattungsgeschichtlicher Hinsicht noch einmal der produktionsästhetisch längst reflektierte Umbruch der Zweckform bestätigt wird. Auch Grillparzers »Selbstbiographie« muß als Beispiel einer derartigen epochenspezifischen Aktualisierung und Modifikation gattungsspezifi-

13

14

Lejeune, Philippe: Le pacte autobiographique. Paris 1975. Ders.: Je est un autre. Paris 1980. Ders.: Moi aussi. Paris 1986. Lejeune, Philippe: Moi aussi. Paris 1986, S.21 f.

4

scher Übereinkommen angesehen werden. Die 1846 gegründete Akademie der Wissenschaften in Wien hatte schon drei Jahre nach ihrer Gründung eine Mitteilung an ihre Mitglieder ergehen lassen, in der diese zu Aufzeichnungen über ihr eigenes Leben veranlaßt werden sollten. Werner Welzig, der sich in seinem Aufsatz »Elemente autobiographischer Erzählung« zuletzt in eingehender Weise mit Aspekten der »Selbstbiographie« auseinandersetzte, hat unter Einbezug historischen Quellenmaterials aus den Archiven der Akademie dargelegt, daß es ein »bestimmtes, wenngleich nicht leicht zu fassendes und in seinen historischen Voraussetzungen nicht beachtetes Verständnis autobiographischen Schreibens« war, das bereits die Aufforderung der Akademie kennzeichnete. 15 Die Akademie, soviel resultiert aus den Dokumenten, unterschied nicht weiter zwischen »biographischen Notizen« und »autobiographische[n] Mittheilungen«; auch sollte der geforderte >Lebenslauf< nach Möglichkeit »mehr als die gewöhnlichen Angaben« enthalten; die Erinnerung »sonst denkwürdige[r] Lebensereignisse« wäre willkommen gewesen. 16 Grillparzer repliziert bekanntlich gleich zu Beginn seiner erst 1853 in Angriff genommenen »Selbstbiographie« auf diese Mitteilungen und entzieht sich sofort der Festlegung auf den reinen Informationscharakter seiner Unternehmung: Die Akademie fordert mich (nunmehr zum drittenmale) auf ihr meine Lebensumstände z u m Behufe ihres Almanachs mitzuteilen. Ich will es versuchen, nur fürchte ich, wenn sich das Interesse daran einstellen sollte, zu weitläuftig zu werden. Man kann ja aber später auch abkürzen. (63, 1 - 5 )

Der Terminus »Weitläufigkeit« umschreibt, was wir heute mit einem Begriff aus der Informationstheorie Redundanz nennen würden. Selbst die scheinbar leichthin gesetzte Formel, daß man »ja aber später auch abkürzen« könne, entspricht einer geläufigen Definition von Redundanz, derzufolge dieselbe dort vorliege, »wo immer eine Information ohne Informationsverlust gekürzt werden könnte«. 1 7 Ohne jeglichen Verlust aber hätte

15

Welzig, Werner: Elemente autobiographischer Erzählung. Z u Grillparzers und Kafkas Schriften für eine Akademie. In: Anzeiger der phil.-hist. Klasse der Osterreichischen Akademie der Wissenschaften, 1 2 4 . J g . (1987), S. 1 2 - 3 3 , hier S.13.

16

Ebd.

17

Zitiert nach: Handbuch der Linguistik. Allgemeine und angewandte Sprachwissenschaft.

München

1975,

S.354.

Das

»Deutsche

Wörterbuch«

(28.Bd.,

Sp. i 3 0 i f . ) vermerkt unter dem L e m m a »Weitläufig«: » [ . . . ] von umfangreich erscheinenden, meist schriftlichen, darlegungen und gedankengängen« (2) sowie

5

sich die »Selbstbiographie« eben nicht kürzen lassen. 18 Gerade die ins Allfällige gesprochene Delegierung etwaiger Kürzungen wirft die Frage auf, welche Funktion jenen Redeteilen zukommt, um welche »man« den »Versuch« - eben »später« - hätte kürzen können. Adelung etwa sieht eine »weitläufige Schreibart« dadurch gekennzeichnet, daß sie »die Hauptbegriffe durch viele Nebenbegriffe und Bestimmungen von einander entfernet, auch wohl die Hauptbegriffe in mehrere schwächere auflöset«. 19 Das bedeutet, daß Redeteile verlängert, gestreckt oder wiederholt werden müssen. Insofern bereitet Redundanz eine »Einstellung auf die Botschaft als solche, die Ausrichtung auf die Botschaft um ihrer selbst willen« vor, wie Roman Jakobson die »poetische Funktion« definiert hat. 20 In letzter Konsequenz läßt dies darauf schließen, daß die Lizenz zur »Weitläufigkeit« um es vorsichtig zu formulieren - den Text für eine ästhetische Lesart offenhält. Daß die Lizenz zur »Weitläufigkeit« unmittelbar an die Bedingung des Interesses geknüpft ist, bedeutet andererseits eine folgenschwere Einschränkung. Das Interesse hat sich nämlich, wie auch Seidler vermerkt, bald eingefunden, es hat sich aber, der Abbruch des Unternehmens induziert solches mit Nachdruck, auch bald wieder verflüchtigt. 21 Folgt man der These Müllers, wonach mit der Literarisierung »der Gattung [ . . . ] zugleich auch ihr Gegenstand, das Leben des Schriftstellers oder Dichters« literarisiert wird, so stellt die Verflüchtigung des Interesses den Versuch einer derartigen Literarisierung des eigenen Lebens als ein zuhöchst prekäres Unterfangen dar. 22 Es scheint, als ob auf den Verfasser der »Selbstbiographie« zuträfe, was er selbst einmal zum 12.Buch der Rousseauschen

18

» [ . . . ] seit dem 18.jh. mehr und mehr vorherrschend im sinn überflüssiger oder lästiger breite; mehr im hinblick auf den inhalt« (2b). Z u r Bedeutung von »Redundanz« für das autobiographische Schreiben vgl. Starobinski, Jean: The style of autobiography. In: Literary Style: Α Symposion. H g . von Seymour Chatman. L o n d o n / N e w York 1 9 7 1 , S. 28 5 - 2 9 6 , besonders S. 287: »The redundancy of style is individualizing: it singles out« etc.

19

So Adelung, Johann Christoph: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der H o c h deutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber des Oberdeutschen. 4 Bde. Wien 1808. B d . 4 , Sp. 1473 unter dem Stichwort »Weitläufig«.

20

Jakobson, Roman: Linguistik und Poetik. In: Ders.: Poetik. Ausgewählte A u f sätze 1 9 2 1 - 1 9 7 1 . H g . von Elmar Holenstein u n d Tarcisius Schelbert (suhrkamp taschenbuch Wissenschaft 262). F f m . 1979, S. 8 3 - 1 2 1 , hier S . 9 2 (ohne Hervorhebung).

21

Seidler, a . a . O . , S . 17.

22

Müller, Klaus-Detlef: Probleme der Gattungsgeschichtsschreibung literarischer Zweckformen - am Beispiel der Autobiographie, a. a. O . , S. 303.

6

»Confessions« (»darin mich selbst zu sehen«, er sich einmal erschrocken habe) 23 anmerkte, daß er nämlich den Eindruck nicht los werde, daß Rousseau, »durch die lange Arbeit ermüdet, die poetische Anschauung seines Lebens, und die dramatisch-konsequente Ausbildung des sich selbst geliehenen Charakters vergessen hätte und auf einmal in die Prosa der Wirklichkeit herabgefallen wäre« - was Grillparzer unter anderem damit begründet, daß Rousseau »hier die Gegenwart beschreibt, die sich natürlich nicht so leicht idealisieren läßt, als die Vergangenheit«. 24 Daß eine derartige Kluft auch die »Selbstbiographie« strukturell vorbedingt, ein Herabfallen »in die Prosa der Wirklichkeit« Grillparzer selbst bedrohte, läßt sich schon daran ablesen, daß die Literatur über das Werk, handle es sich hierbei nun um literaturwissenschaftliche Untersuchungen, essayistische Würdigungen oder verstreute Miszellen, immer wieder auf dieselben Szenen, Episoden und Textpassagen zurückkommt: die Schilderung der dunklen Wohnung am Bauernmarkt, die Lektüre der »Zauberflöte«, das musikalisch inszenierte Rollen des Kopfs Ludwigs XVI., die theatralischen Versuche, die Entstehungsgeschichte der »Ahnfrau«. Gemein ist all diesen Erinnerungen, daß sie aus frühester Kindheit und Jugend stammen. Je weiter sich der Autobiograph seiner Gegenwart nähert - er hat sie nie erreicht, die »Selbstbiographie« bricht, mit einem Ausdruck der Verbitterung über die österreichischen und deutschen Zustände, im Jahr 1836 kurz nach der Schilderung der Rückkehr aus Frankreich und England ab - , je weiter also Grillparzer sich an seine Gegenwart heranschreibt, desto geringer wird hingegen die Zahl der Episoden, deren Suggestivkraft zu kritischer Auseinandersetzung Anlaß gegeben hat. Die übereinstimmend als Höhepunkt der »Selbstbiographie« gefeierte Erzählung des Besuchs in Weimar bei Goethe stellt diesbezüglich eine der rühmlichen Ausnahmen dar. 25 23 24 25

H K A II, 8, S.9 (Nr.991). H K A II, 8, S. 58 (Nr. 1128). Vgl. etwa Max Meli in seiner Einleitung zu: Franz Grillparzer. Österreichischer Lebenslauf. Wien 1947, in dem sich »Das Kloster von Sendomir«, »Der arme Spielmann« und die »Selbstbiographie« abgedruckt finden, S. 19: »Grillparzers Begegnung mit Goethe ist das Herzstück seiner Lebensgeschichte.« R o y Pascal, der in seinem Buch über die Autobiographie von der Grillparzerschen »Selbstbiographie« als von einer »Enttäuschung« handelt, nimmt »die Schilderung seines Besuchs 1826 bei Goethe« als eine »große Ausnahme« aus (Pascal, R o y : Die Autobiographie. Gehalt und Gestalt. Stuttgart u. a. 1965, S. 161). Und selbst Wilhelm Scherer, der aus einer Abneigung gegen Grillparzer kein Hehl gemacht hat, beendet seinen Aufsatz »Franz Grillparzer. Beiträge zu seinem Verständnisse« in der Sammlung »Vorträge und Aufsätze zur Geschichte des geistigen 7

Diesem allgemeinen Lektüreeindruck arbeitet die »Selbstbiographie« sichtlich zu. Im Verlauf der Erzählung häufen sich Klagen. Seidler konstatiert eine gegen das Ende zu immer deutlicher werdende Tendenz zur Dramatisierung. 26 Die Erinnerungen verwirren sich;

»wahrscheinlich

durch die Langeweiligkeit der Sache« (108, ζγί.), wie Grillparzer einmal anmerkt. Und auch der verhältnismäßig breite Raum, den Grillparzer den Schilderungen seiner Reisen einräumt, kann als Indiz für das Bemühen einstehen, jener Einförmigkeit und Eintönigkeit entgegenzuwirken, von der sich die Darstellung der späteren Jahre bedroht sieht. Wenn schließlich Hartmann und Sauer dem letzten Absatz anzumerken glaubten, »daß er nur geschrieben wurde, um nicht mitten im Satze abzubrechen«, 27 so spiegelt die Faktur des Textes exakt jenen Sachverhalt wieder, den Grillparzer, diesmal ausdrücklich auf sich selbst bezogen, 1826 im Tagebuch dahingehend beschrieb, daß »die Richtung [sjeines ganzen Wesens zu einer prosaischen Verstandeskälte immer mehr« zunehme: »Das Wirkliche erhält über das Ideale ein so furchtbares Übergewicht, daß alle Poesie darüber zu Grunde geht.« 28 Lediglich unter einem derartigen Vorbehalt, den unterschlägt, wer die »Selbstbiographie« allein als Kunstwerk liest, läßt sich von ihr als einer >literarischen< Autobiographie sprechen. In den folgenden Kapiteln wird es darum gehen, einige der genannten ästhetischen Reizstellen auf jenes in hohem Maß empfindliche Verhältnis von »prosaischer« und »poetischer« Rede hin durchsichtig zu machen, auf welches die »Selbstbiographie« insgesamt angelegt scheint, an dem sie jedoch letztendlich scheiterte. Da werden Geschichten frei, die sich eben nur dadurch erzählen lassen, daß »prosaischer« Sprachgebrauch - in seiner Einstellung auf ästhetische Qualitäten - nicht bloß ornamental überlagert,

26

27 28

Lebens in Deutschland und Österreichs« (Berlin 1874) mit einem entsprechenden Zitat aus der »Selbstbiographie«: »Wenn ich ihn mir so vorstelle, neben Goethe, da ist Alles verschwunden, was mir sein Bild verdunkelt« (S. 307). Seidler, a.a.O., S. 18: » [ . . . ] nicht gesagt, daß Grillparzer jede Szene in der Selbstbiographie so bewußt baute. Aber daß sich solche, je weiter er in der Niederschrift fortschritt, immer ausgeprägter finden und sich immer als künstlerisch angelegt erweisen, zeigt eindeutig einen unverkennbaren Zug zu kunstvoller Gestaltung und verrät ebenso zugleich den Theaterdichter; denn immer schon hat man erkannt, daß der Bau einer Szene eine besondere Stärke des Dramatikers Grillparzer war.« H K A I , 16, S. X I X . H K A II, 8, S. 187 (Nr. 1413). Die Eintragung stammt aus dem Jahr 1826 und ist auch deshalb interessant, weil sie die bereits in der Beschreibung seiner Rousseau-Lektüre (vgl. Anm. 23) aufgetauchte Wendung Grillparzers wiederholt, wonach er vor sich selbst erschrecke. 8

sondern zugleich bedeutungshaft konterkariert wird. Eine Auslöschung des historischen Diskurses im Ästhetischen ist damit augenscheinlich nicht intendiert: Die aus dem Dialog poetischer und buchstäblicher Rede sich ergebenden Geschichten muten mitunter grausamer an als jene, die die »Selbstbiographie« in ihrer monotonen Einstellung auf bloße Information erzählt. Die Wohnung am Bauernmarkt, die Figur des Vaters, Lektüre, Stimme, Sprech- und Schreibakt sowie der Besuch in Weimar bilden die Themen der einzelnen Abschnitte, deren immanente Beziehungen untereinander das auf den ersten Blick nicht erkenntliche Strukturprinzip der Arbeit abgeben. Daraus erklärt sich auch der Rückgriff auf andere autobiographische Skizzen und Tagebuch. Fern von jedem Vollständigkeitsanspruch, gelang es dergestalt doch, jener Gefahr entgegenzuwirken, der jede Arbeit über Autobiographie ausgesetzt ist: daß sich der Analyse hoffnungslos in alle Winde verstreut, was dem Autobiographen der Schreibakt selbst zusammenhält. Ein Exkurs zu einer der interessantesten und folgenreichsten Lektüren, die der Grillparzerschen Biographie und seinem Werk - und darunter in frappanter Weise der »Selbstbiographie« - in der Moderne widerfuhr, beschließt die Arbeit.

9

ERSTES K A P I T E L

Das Labyrinth

Der Mensch ist mit seinem Wohnorte so nah verwandt, daß die Betrachtung über diesen auch uns über den Bewohner aufklären muß.

Johann Wolfgang von Goethe

i. »Meisterhafte Schilderung einer alten W o h n u n g « A m 8. April 1905 notiert Robert Musil ins Tagebuch: »Habe ungefähr bis drei Uhr Nachts nicht schlafen können. Las Grillparzers Selbstbiographie und habe mir einiges angestrichen. [ . . . ] Meisterhafte Schilderung einer alten Wohnung [ . . . ] . « ' Wenn Musil in der Folge auch keinen Aufschluß darüber gibt, worin nun die Meisterschaft dieser Wohnungsschilderung bestehe - Musils Urteil bezieht sich auf die Wohnungsschilderung, die Grillparzer in der »Selbstbiographie« von dem Ort seiner Geburt und frühesten Kindheit gibt - , so versteht sich die Tagebucheintragung doch als Hinweis auf ein erzähltheoretisch höchst interessantes Problem, nämlich auf die Frage nach Raum und Räumlichkeiten in der Erzählkunst. Gerade der Leser von Autobiographien sieht sich immer wieder mit Verweisen auf den Raum und seine vielfältigsten Ausformungen konfrontiert. U m nur zwei der prominentesten Beispiele zu nennen: Theodor Fontane hat in seinem »autobiographischen Roman« »Meine Kinderjahre« eine ganze Reihe von Kapitelüberschriften den Räumlichkeiten seiner Kindheit gewidmet. Das vierte Kapitel überschreibt er mit »Unser Haus, wie wir's vorfanden«, das fünfte mit »Unser Haus, wie's wurde«, das neunte und zehnte mit »Wie wir in unserem Hause lebten [ . . . ] « , das elfte mit »Was wir in Haus und Stadt erlebten« und das vierzehnte mit dem Satz » [ . . . ] Wie wir spielten in Haus und H o f « . 2 Elias Canetti wiederum leitet bezugnehmend auf jene berühmte französische Autobiographie, die ohne all ihre Skizzen und Zeichnungen, Raum- und Lagepläne zu den zitierten Orten gar nicht lesbar wäre - das vierte Kapitel der »Geretteten Zunge« ein mit den Worten: »Die Lust an topographischer Zeichnung, der Stendhal in 1

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Musil, Robert: Tagebücher. Hg. von Adolf Frise. 2 Bde. Reinbek bei Hamburg 1983, Bd. 1, S. 140. Auch die Eintragung vom nächsten Tag beschäftigt sich in extensiver Weise mit der »Selbstbiographie«. Fontane, Theodor: Autobiographische Schriften. Zürich 1987.

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seinem >Henry Brulard< mit leichter Hand frönt, ist mir nicht gegeben, und zu meinem Leidwesen war ich immer ein schlechter Zeichner. So muß ich die Art, wie die Wohngebäude um unseren Gartenhof in Rustschuk angelegt waren, kurz beschreiben.« 3 Schon diese beiden Beispiele führen auf zwei grundsätzlich zu trennende Fragestellungen hinaus. Zum einen, das ist dem Fontane entliehenen Beispiel zu entnehmen, dient der Raum der Autobiographie, auch der >nicht-literarischenuntergebracht< sind [sie].«4 Wer immer über sein Leben spricht, schreibt, er findet es in Räumen wieder, aus Räumen treten dem Autobiographen Erinnerungen entgegen, die ohne Bindung an den Raum, an bestimmte Räum- und Örtlichkeiten, in Vergessenheit gerieten. Und nirgends vielleicht ist diese Gedächtnisfunktion von Raum, diese merkwürdige Symbiose von Raum und Erinnerung so deutlich ausgeprägt wie dort, w o es um die Erinnerung der eigenen Kindheit geht. So schwach der Autobiograph seiner Kindheit die in sie eingeschriebene Erfahrung der Zeit erinnert, so mächtig wirkt demgegenüber »die Vorstellung des Orts, woran wir alle unsre übrigen Vorstellungen knüpfen«, wie es im »Anton Reiser«, der diesbezüglich höchst instruktiven Autobiographie von Karl Philipp Moritz, heißt: [ . . . ] Die einzelnen Straßen und Häuser, die A n t o n täglich wieder sähe, waren das Bleibende in seinen Vorstellungen, woran sich das immer A b w e c h s e l n d e in seinem Leben anschloß, w o d u r c h es Zusammenhang und Wahrheit erhielt, w o d u r c h er das Wachen v o m Träumen unterschied. In der Kindheit ist es besonders nötig, daß alle übrigen Ideen sich an die Ideen des Orts anschließen, weil sie gleichsam in sich noch zu wenig Konsistenz haben und sich an sich selber noch nicht festhalten können. 5

Eine einfache Lokalisierung der Erinnerung wird allerdings nicht ausreichen, die literarische (und als solche ist sie von Musil wohl intendiert) »Meisterschaft« einer Wohnungsschilderung zu begründen. Zu diesem Zweck ist es vielmehr notwendig, auch jene einigermaßen simpel erschei-

3

Canetti, Elias: Die gerettete Zunge. Geschichte einer Jugend. München/Wien ' 1 9 8 4 , S. 19.

4

Bachelard, G a s t o n : Poetik des Raumes (Ullstein B u c h N r . 3 1 3 6 ) . F f m . u.a. 1 9 7 5 , S.40.

5

Moritz, Karl Philipp: A n t o n Reiser. Ein psychologischer R o m a n (insel taschenbuch 4 3 3 ) . F f m . 2 1 9 8 0 , S. 80. 11

nende, für die Lektüre literarischer Autobiographie jedoch vielversprechende Frage aufzuwerfen, die das Canetti-Zitat nahelegt, wie nämlich Räumlichkeiten in der Sprache sich überhaupt nachbilden lassen, wie denn eine Wohnung sich erzählend rekonstruieren läßt, wie - um noch einmal mit Bachelard zu sprechen - ein Haus im Erzählen seine »kompliziertere Gestalt annimmt, [ . . . ] es Keller und Speicher, Winkel und Flure« 6 bekommt, kurz welche Veränderungen und welchen Umbau es erfährt, wenn es in Sprache umgesetzt wird. Dem Gegenstand unserer Untersuchung zufolge sei diese Frage präzisierend auf jene Form erzählten Raums eingeschränkt, die als architektonisch geschlossene/abschließbare Örtlichkeit (Wohnung, Haus etc.) definiert werden kann und in sich gliederungsfähig ist (das Haus und seine Wohnungen/die Wohnung und ihre Räume/der Raum und seine Teile). Im Anschluß an die verschiedensten mit den Problem des Raumes in der Erzählkunst befaßten Arbeiten, 7 die Herman Meyers 1957 geäußerte und seither häufig wiederholte Klage nicht mehr zulassen, wonach »[i]n der Interpretation des Wortkunstwerkes [ . . . ] bisher die Frage nach der Raumgestaltung nur eine relativ bescheidene Rolle gespielt« 8 habe, im Anschluß an diese Arbeiten scheint es von Vorteil, vorab einmal von einem mathematischen, »euklidischen« Raum auszugehen. Dabei handelt es sich um den Entwurf eines Raum-Modells, aus dem das Subjekt und seine Wahrnehmungsweisen zum Ziele der Objektivität zurückgenommen scheinen. Letzterer Abstraktionsprozeß gewährleistet die Homogenität des mathematischen Raums, in dem kein Punkt vor dem anderen ausgezeichnet ist, keine Richtung der anderen vorgezogen wird. Die Raumteile stehen zueinander in einem Verhältnis exakter Gleichwertigkeit. 6 7

Bachelard,a.a.O.,S.40. H o f f m a n n , Gerhard: Raum, Situation, erzählte Wirklichkeit. Poetologische und historische Studien zum englischen und amerikanischen Roman. Stuttgart 1978, bietet einen ausführlichen Überblick über die Literatur zu Raumproblemen. Z u »sozialem Raum« in der Literatur vgl. Reichel, N o r b e r t : D e r erzählte Raum. Z u r Verflechtung von sozialem und poetischem R a u m in erzählender Literatur. Darmstadt 1987. Interdisziplinär relevant erscheinen in unserem Zusammenhang: H a m o n , Philippe: Texte et architecture. In: Poetique 73 (1988), H f t . 2, S. 3 - 2 6 ; Schweizer, H a r r o (Hg.): Sprache und R a u m . Psychologische Aspekte der A n e i g n u n g und Verarbeitung von Räumlichkeit. Stuttgart 1 9 8 5 , darin besonders: Linde, Charlotte und William L a b o v : Die Erforschung von Sprache und Denken anhand von Raumkonfigurationen. S . 4 4 - 6 5 ; Ulmer-Ehrlich, Veronika: Wohnraumbeschreibungen. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 9 ( 1 9 7 9 ) , H f t . 3 3 , S. 5 8 - 8 3 .

8

M e y e r , H e r m a n : Raumgestaltung und R a u m s y m b o l i k in der Erzählkunst. In: Studium Generale 10 ( 1 9 5 7 ) , H f t . 10, S . 6 2 0 - 6 3 0 , S . 6 2 1 .

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Diesem mathematischen Raum wird gemeinhin ein sogenannt »gelebter Raum« entgegengesetzt. Im Unterschied zu ersterem entsteht er aus der lebendigen Wechselwirkung mit dem Subjekt, ist somit gekennzeichnet durch die Art und Weise, wie sich das Subjekt zu ihm und er sich zum Subjekt verhält, was jenes in ihm empfindet, handelt, wie es sich in ihm >einrichtetEs ist unsere WohnungDa müßte ja der Vater auf dem Klosett wohnen.Durchhaus< war, welches die hinter dem Haus befindliche Gasse mit dem vor dem Haus befindlichen Bauernmarkt durch einen Gang zu ebener Erde verband. 1 3 Geblendet von der >guten Adressen hatte dies der A d v o k a t in seiner »natürlichen« Denkungsart übersehen. 1 4 vorangestellten Jahreszahlen geben das Jahr des Einzuges in die jeweilige Wohnung wieder, die römischen Ziffern verweisen auf die offiziellen Numerierungen: die I. wurde 1770 beschlossen, die II. erfolgte 1795, die III. 1822. Doch nicht nur auf eine Wohngeschichte, auch auf eine Geschichte der Wohnungen macht die Aufzählung aufmerksam: Grillparzers Geburtshaus »Zum goldenen Wagen« (ursprünglich noch »Zur goldenen Waage«) wird mit der I. Numerierung der Häuser Wiens zum Haus am Bauernmarkt 531, mit der II. zum Haus am Bauernmarkt 614 und mit der III. schließlich zum Haus Stadt N r . 585. 1894 wird es abgebrochen, der dort errichtete Neubau liegt heute am Bauernmarkt N r . 10 und trägt an der Frontseite die Aufschrift »Grillparzerhof«. 12

13 14

Das wird auch in der stilistischen >Unebenheit< sichtbar: »Ja auch die Einteilung der Wohnung hatte etwas Mirakuloses. Nach Art der uralten Häuser war es mit der größten [ . . . ] « [Kursive A . D.]. Dazu Cloeter, a. a. O., S. 27. Was ihm hier passierte, hat er später gründlich wettgemacht: »Als wir unsere neue Wohnung bezogen hatte er, damals noch in ungeschwächter Gesundheit,

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Die Enttäuschung des Vaters, die sich aus diesem Irrtum ableitet, erklärt sich durch den soziologischen Kontext, in den sich der Advokat nunmehr gegen seine Absichten gestellt sieht. Die sowohl dem Bauernmarkt als auch der Sackgasse attribuierten Begriffe - dem Bauernmarkt das Geräumige, das Bekannte; der Sackgasse das Enge, Schmutzige und Unbekannte sprechen diesbezüglich Bände. Sowohl der Blick in den Innenhof als auch jener auf die Sackgasse hinab boten dem jungen Advokaten das Bild der damals noch in größter Blüte ausgeübten, in bürgerlichen Kreisen jedoch zuhöchst geringgeschätzten Winkeladvokatur. Vor den >Advokatentief< getroffen haben. Von >unten< kommend war er nichts so rigoros zu betreiben gewillt wie die Erfüllung der Pflichten und Anforderungen jenes Standes, dem er sich nicht nur beruflich verschrieben hatte, sondern dem er auch (»mit der Absicht zu heiraten umgehend«) durch Eheschließung mit der Tochter aus einer der angesehendsten Wiener Advokatenfamilien sich verbinden sollte. Und daß ein antizipatorisch einzulösendes Standes-Prestige tatsächlich die Vorstellungen des Advokaten von seiner künftigen Wohnung, die auch die Kanzlei beherbergen sollte, geleitet hatte, wird aus einer Bemerkung deutlich, die Grillparzer an einer späteren Stelle der »Selbstbiographie« über den Vater macht: »Um aber seinen gesellschaftlichen Familien-Verpflichtungen nachzukommen«, heißt es da, »gab er jeden Fasching einen einzigen, aber so glänzenden, ja kostspieligen Ball, daß in der halben Stadt davon die Rede ging« (97, 29-32). Die antithetische Setzung von »kostspielige[m] Ball«, von dem »in der halben Stadt« die Rede war, und jener »zweite[n] Hälfte« der Wohnung, die »in ein enges, schmutziges Sack-Gäßchen ging, von dessen Existenz sogar viele Menschen in Wien gar keine Kenntnis haben«, ist deutlich genug [Kursive A. D.]. Mit dem Vorsatz, diese Wohnungsschilderung jedoch nicht nur als Raumbeschreibung zu lesen, stellt sich über das vordergründige Faktum des Irrtums und seiner Folgen hinaus die Frage nach dem Warum und Wozu dieses aus dem zeitlichen Rahmen der »Selbstbiographie« fallenden den bedeutendsten Teil seines Ersparten auf Herstellung und Einrichtung derselben verwendet. Da wurden Türen vermauert und neue durchgebrochen, Parketten gelegt, Tapeten gezogen und seidene Möbel angeschafft, was um so sonderbarer war, da uns Niemand besuchte, aber es schien einmal der Grundsatz meines Vaters, alles was er machte, vollständig zu tun.« (99, 29-100, 1). 18

Rückgriffs auf eine Episode, die Grillparzer, da sie noch vor seiner Geburt sich ereignet hatte, aus eigener Erfahrung gar nicht kennen konnte. Was erfahren wir aus dieser eigentlich dramatisch ausgestalteten Episode hinsichtlich der Wohnung, zu deren Schilderung sie erzählt wird ? Die Lage der Wohnung wäre mit der Nennung des Bauernmarktes, der Erwähnung des Kramergäßchens, um welches es sich handelt, wenn Grillparzer von dem »Sack-Gäßchen« spricht, doch ausreichend beschrieben. Warum also die Erzählung? Indem der Text fortschreitet, in seiner sukzessiven Abfolge, bewegt sich auch die Wohnung fort. Liegt sie anfangs noch am Bauernmarkt, muß sie vom Leser schlußendlich über einem nicht näher bezeichneten Sackgäßchen vorgestellt werden. Der Erzähler dreht das Haus 180 Grad um dessen Achse, den Innenhof. Durch diese Entfernung von der Vorderfront aber, die einen Namen trägt und damit exakt verortbarer Teil der Stadt ist, entzieht sich die Wohnung in einen Bereich, der nicht mehr mit der Stadt kommuniziert, ja »von dessen Existenz sogar viele Menschen in Wien gar keine Kenntnis haben [Kursive A.D.]«. Hier, im Unbestimmten, nicht in der repräsentativen Wohnung am Bauernmarkt, die den Wünschen des Vaters entsprochen hätte, kommt Grillparzer zur Welt.

4. Das Gefängnis Von Verschachteltheit kann gesprochen werden, wenn ein Kubus in einem größeren Kubus enthalten ist, der wiederum in einem größeren . . . u.s.f.; oder wenn in einem Kubus ein kleinerer Kubus enthalten ist, der wiederum in einem kleineren . . . u.s.f. Der reinste Ausdruck dieser Verschachtelung ist demnach der Kubus des Kubusses des Kubusses . . . Nun scheint der zweite Abschnitt der Wohnungsschilderung, gleichermaßen ihr Zentrum und Mittelstück, nichts anderes zu sein als die Inszenierung eines derartigen Ineinanders von Räumen: 15

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Diese Raum-Verschachteltheit wird einmal in der Wohnungsschilderung explizit ausgedrückt: »[...] das sogenannte Holzgewölbe, so groß, daß allenfalls ein mäßiges Haus darin Platz gehabt hätte« (65, 33-34). Für die Schilderung der trostlosen Verhältnisse, in denen die Bewohner eines Teils der Grillparzerschen Wohnung leben, wird eine analoge Technik herangezogen: »Sie hatten ein Kind und zu dessen Wartung ein halberwachsenes Mädchen, als Magd der Magd [Kursive A.D.]« (66, 17-18). 19

In diesem Hause wurde ich geboren und verlebte meine ersten Knabenjahre. Finster und trüb waren die riesigen Gemächer. N u r in den längsten Sommertagen fielen um Mittagszeit einzelne Sonnenstrahlen in das Arbeitszimmer unsres Vaters und wir Kinder standen und freuten uns an den einzelnen Lichtstreifen am Fußboden. [Kursive A . D . ]

Während die Aufmerksamkeit darauf gerichtet ist, was in diesem Hause, in diesen Räumen geschieht, was zu ihnen also attributiv hinzukommt, werden die das Wohnungsthema präsent haltenden Begriffe systematisch ausgetauscht. Zwar in den Fluß des Erzählens eingebunden, doch untereinander ohne ausdrücklich verbindende Hinweise, zeigen sie die Tendenz, das Paradigma der Raunwien (Haus/riesiges Gemach/Arbeitszimmer des Vaters) gegen das Syntagma, das vom Neuen, dem hinzukommenden Mitteilungswert, dem Geschehen, vorangetrieben wird, durchzusetzen. Das Haus umschließt seiner Art nach die riesigen Gemächer, ein jedes von diesen ist aber wiederum so groß, daß »allenfalls« das »minder große« (Arbeits-) Zimmer des Vaters »darin Platz gehabt hätte«. Im Raum von geringster Ausdehnung ist das Kind schlußendlich anzutreffen. Zwar ist fortgesetzt von derselben Wohnung die Rede, doch der Raum umschließt das Kind immer enger. Gegen die Architektur der Wohnung formuliert der Text eine Raumerfahrung der Verengung. Ja mehr noch: In diese Verschachteltheit aufgehoben, erweisen sich die Räume als gegeneinander undurchlässig. Ineinander kennen sie keine Verbindungen, Verbindungstüren, kein Schwellentum. Der Raum ist als verschachtelter isoliert, hermetisch abgesondert. Er ist so unzugänglich wie ausweglos. »In diesem Hause wurde ich geboren [...]«, so setzt diese Wohnungsschilderung in der Wohnungsschilderung ein, diese Figuration einer perfekten Gefängniszelle; und endet - die Kinder stehen gesenkten Kopfes vor ihrem Vater - am Boden mit dem Widerspiel wie durch Gitterstäbe

geschnittenen Lichts:

» [ . . . ] und wir Kinder standen und freuten uns an den einzelnen Lichtstreifen am Fußboden [Kursive A.D.].« 1 6

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Eine Einsicht ins Manuskript (in der Wiener Stadt- und Landesbibliothek unter der Signatur J N 82. 152 auszuheben) gibt Aufschluß darüber, daß sich die Verwendung des Wortes »Lichtstreifen« bewußter Korrektur verdankt. Vermutlich wollte Grillparzer das Wort »Strahlen« nicht wiederholen. (So im übrigen auch eine zweite, den Sinn auf auffällige Weise verschärfende Korrektur, die hier nicht unerwähnt bleiben soll: A n späterer, ebenfalls im Zusammenhang mit dem Vater stehender Stelle schiebt anstatt des »bestraften« (Knaben) »der Sträfling seinen Teller von sich ab« (75, 34f.).

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j . Zwei Richtungen Wo der Text diese Verschachtelung rückgängig machen will, die >angedeutete< Verschachteltheit, die Isolation auflösen will, muß er Signale setzen, explizite Markierungen: verweisende, weiterführende Hinweise, die das paradigmatische Ineinander der Räume wieder in ein Nacheinander der Räume, die Räume in ihrer Gleichzeitigkeit wieder in ein Verhältnis der Abfolge zurückholen. Verbindungen, Wege müssen erkennbar werden. Kommen wir auf den ersten Abschnitt der Wohnungsschilderung zurück, jenen, der die Perspektive des Vaters nachzeichnet. Aus der Verschachteltheit ( » [ . . . ] die Wohnung des Wirtes zu loben. Zwei ungeheure, Saal-ähnliche Zimmer [ . . . ] « ) entwindet eine Raumkette sich folgendermaßen: » [ . . . ] den Zugang bildend ein minder großes [seil. Zimmer], ganz geeignet für die Kanzlei des Advokaten, nach rückwärts noch einige Gemächer, zum Schlafzimmer und sonstigem Bedarf« [Kursive A.D.], Der Vater bewegt sich nicht durch diese Räume, er verharrt an einem perspektivischen Zentralpunkt, von dem aus er das Wesentliche zu überschauen vermeint. Je weiter nach rückwärts die Räume liegen, desto nachlässiger wird die Beschreibung, desto mehr entschwinden sie also dem Blick, entgehen sie einer strikten Funktionalisierung: Wird das »minder große Zimmer« als »ganz geeignet für die Kanzlei des Advokaten« erachtet, endet die Raumkette in »einige[n] Gemächer[n], zum Schlafzimmer und sonstigem Bedarf«. Das Hauptaugenmerk des Vaters ist auf den Anfang, den Beginn der Raumkette gelegt. Damit setzt sich im Innern der Wohnung jene auf Repräsentanz fixierte Perspektive fort, welche schon in bezug auf die Lage der Wohnung durchschien. Interessierte sich der Vater dort vor allem für die nach vorn verweisende Adresse, so interessieren ihn hier die Kanzlei und die beiden großen »Saal-ähnliche[n] Zimmer«, der Ort seiner gesellschaftlichen Verpflichtungen. Ganz anders verfährt der dritte Abschnitt, der, aus den letzten drei Absätzen bestehend, die Perspektive des Kindes beschreibt. Die Verschachteltheit, das Ineinander der Räume (Wohnung-Zimmer-Bett/ Schränke) wird in der Ebene, Horizontalität thematisch zu einem durchsichtigen Nebeneinander verschoben, um schließlich durch die Küche vollends in ein Nacheinander der Räume überzugehen, in ein Nacheinander jedoch der abgelegensten, vom ersten Abschnitt vernachlässigten Räume. In sie, die in der Perspektive des Vaters >flüchtig< als zu »sonstigem Bedarf« definiert wurden, weicht das Kind aus. Sie werden zum Territorium, das es durch seine eigenen Erlebnisse, seine eigene Anwesenheit 21

gliedert. Ausgangspunkt für die Raumketten dieses Abschnitts ist die Küche. Von Ratten aufgesucht, stellt diese Räumlichkeit den strikten Gegenpol dar zum lichtdurchfluteten Arbeitszimmer des Vaters. Fungierte letzteres als Inbegriff der Verschachteltheit, wird die Küche zu einem Symbol der Durchlässigkeit. Von hier gehen die Expeditionen des Kindes allesamt aus. Die Sätze legen Wege zurück: Von der Küche aus, heißt es, » [ . . . ] ging ein zweiter langer Gang in ein bis zu einem fremden Hause reichendes abgesondertes Zimmer [ . . . ] « , Gänge tun sich auf, die Treppen »gehen«, man betritt einen Raum, man begibt sich in einen Raum, Wege werden gefunden. Das Ineinander der Räume des Mittelstückes, des zweiten Abschnitts, wird demnach aufgelöst in Raumketten, deren einzelne Glieder signalhaft (»nach rückwärts«, »den Zugang bildend«, »Gänge«, »sich begeben« u.s.w.) verbunden sind. Derartige Auflösungen setzen (Bedeutungs-) Räume frei, die, zurückprojiziert auf die beiden betreffenden Figuren des Vaters und des Kindes, in ihrem Interesse vollkommen verschieden ausgerichtet sind. Richtet sich der Vater vor allem in den Vorderräumen der Wohnung ein, so bevorzugt das Kind im Gegensatz dazu die hinteren Räume der Wohnung: Verliert sich die Raumkette des Vaters nach hinten im Unbestimmten, findet das Kind gerade in diesem aus der Perspektive des Vaters entschwindenden »Formlosen« zu seinen Kindheitsgeschichten. 17

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D a ß dieses Ausweichen in die hinteren Räume durchaus als A k t der Renitenz zu werten ist, zeigt folgende Stelle: »Als w i r später die Wohnung wechselten, und die neue nicht mehr jene ungeheuern, z u m Tanze bequemen Räume der alten darbot, wurde der frühere Ball in zwei oder drei Abendgesellschaften mit Spiel und Souper aufgelöst, bei deren Einer mein Bruder und ich die Geladenen durch unser Klavierspiel unterhalten sollten. Mein Bruder Kamillo spielte mit allgemeinen [sie] Beifall, als aber an mich die Reihe kam, w a r ich nirgends zu finden. Ich hatte mich in das Bette unsers Bedienten verkrochen und alles Suchen w a r vergebens. Erst nachdem die Gäste ihren Abschied genommen, kam ich aus meinem Versteck wieder hervor. D a brach mein Vater in heftigen Z o r n aus.« (97, 3 2 - 9 8 , 7) Einmal mehr hatte das Kind Zuflucht gesucht in jenen Räumen, die als der gesellschaftlichen Unterschicht zugehörig gar nicht in den Blickwinkel einer standesgemäß an ihren Repräsentationsgewohnheiten festhaltenden Gesellschaftsschicht gerieten: Daß sich der Sohn des >Haus-Herrn< im Bett des Bediensteten verkriechen könnte, gehörte augenscheinlich zum U n denkbaren der Gäste und des Gastgebers, weswegen der sich obgenannter Strategie >bedienende< Knabe auch nicht gefunden wurde.

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6. D i e Irrealisierung Nicht nur die Sätze legen Wege zurück, die Absätze des Textes tun es ebenso. Sie weisen alle einen topographischen Anfang, ein topographisches Ende auf. Der erste Abschnitt setzt ein mit der Quartiersuche des Vaters und endet wie die Quartiersuche des Vaters im Schmutz eines engen Sackgäßchens. Die »Prophezeiung« (105, ι ί . ) , mit der die Ausfälle des Vaters gegen die Schreibversuche seines Sohnes allemal enden, die »stehende Phrase« (87, 3 f.), der Sohn »würde noch auf dem Miste krepieren« (87, 4), ist damit ironisch gegen den Sprecher selbst gewendet. Der zweite Abschnitt hat seinen Anfang im Haus und sein Ende am Fußboden. Damit wird dem Haus das Räumliche, der Raum genommen. Die beschriebene Erfahrung des Gefängnishaften wird bestätigt. Wenn wir unser Augenmerk unter denselben Voraussetzungen auch auf den dritten Textabschnitt lenken, der die Wohnungsräume aus der Sicht des Kindes darstellt, so ist vorab auf einen auffälligen Umstand hinzuweisen: Je weiter die Räume nach rückwärts liegen, desto mehr erzählerischer Raum wird ihnen gewidmet, die Räume werden erzählerisch ausgeweitet. Bachelard hat diesen Tatbestand allgemein so umschrieben: »Einem Objekt poetischen Raum schenken, heißt ihm mehr Raum schenken, als er objektiv besitzen kann, oder besser gesagt, heißt der Ausweitung seines inneren Raumes folgen.« 18 Danach zu fragen, welchen Ort die Räume in der Architektur des Textes einnehmen, welcher zu Beginn, welcher am Ende des jeweiligen Absatzes steht, heißt damit auch danach fragen, wie der Knabe auf jene Erfahrung der Verengung, des Gefängnishaften, die der zweite Abschnitt expliziert, reagiert, welche Ansätze das Kind zu seiner inneren Erweiterung unternimmt. Der erste Absatz des dritten Abschnitts nimmt seinen Anfang in der »Wohnung« und endet mit der Andeutung einer Erweiterung. Die »Luftund Sommerfreuden« werden in Enzersdorf unmittelbar im Anschluß an die Wohnungsschilderung ihren realen Schauplatz erhalten. Die Schilderung dieser Sommerfrische birgt aber einen weiteren Hinweis: Die Kinder spielen unter dem Billardtisch, schreien auf und behaupten, den Umstehenden gegenüber, sie hätten einen Geist gesehen, Franz »eine schwarze Frau mit einem großen Schleier«, sein Bruder einen »>Hörndler< [Hirschkäfer]« (67, 12 ff.). »Die schwarze Frau« aber ist der Titel einer Posse von Carl 18

Bachelard, a.a.O., S.232. 23

Meisl (dem »höchst subordinierten Schriftsteller« (203, 34), wie ihn Grillparzer an späterer Stelle bezeichnet), die vermutlich Ende der 20er Jahre des 19. Jahrhunderts im Theater in der Josefstadt zur Aufführung gelangte und die »Ahnfrau« parodierte. Nicht genug jedoch der wörtlichen Anspielung. Von der Inszenierung ist die Abbildung eines Szenenbildes erhalten, das die »schwarze Frau mit einem großen Schleier« auf einem Tisch darstellt, während die Umsitzenden erschrocken aufspringen oder unter dem Tisch herumkriechen (siehe Abbildung S. 25). 1 9 Der zweite Absatz des dritten Abschnitts geht von der Küche aus ins Holzgewölbe und den »höheren Raum«, verweilt hier am Ende der Raumkette, und kehrt durch das »Gewölbe« in die Küche zurück: » [ . . . ] ich selbst konnte mich kaum ein paarmal entschließen das Gewölbe zu betreten und mir Angst und Grauen zu holen.« Mit diesem »Holen« führt der Absatz, analog zu einigen Ratten, die gegen die Raumkette »den Weg in die Küche« finden, wieder an seinen Ausgangspunkt zurück. Der dritte Absatz dieses Abschnitts schließlich führt von der Küche aus bis zu einem »fremden Weltteil«. Nocheinmal verweist die Wohnungsschilderung auf den Gesamttext. Von der Bibliothek des Vaters wird einige Zeit später die Rede sein: »Da war eine Sammlung von Reise-Beschreibungen, von denen mich besonders Cooks Weltumseglung so interessierte, daß ich bald in Otaheiti mehr zu Hause war als in unserer eigenen Wohnung« (78, 1-4). All diesen drei Absätzen ist die Erfahrung des Gefängnishaften noch in ihrer Überschreitung eingeschrieben. >Von Rechts wegen< dürfte sich der Sohn des Advokaten in den hinteren Räumen der Wohnung gar nicht aufhalten. Der Zutritt sowohl zum Innenhof (3.Abschnitt, Absatz 1),

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Kisch, Wilhelm: Die alten Straßen und Plätze von Wien. 2 Bde. Wien 1888-1896. Unveränderter Nachdruck: Cosenza 1967. II. Bd., S. 513 f. [dort auch die Abbildung]: »Von durchschlagendem Erfolg war erst sein [seil. Wenzel Scholz'] Rathsdiener Klapperl in Carl Meisl''s »Schwarzer Frau«·, - einer Art Parodie auf Grillparzer's »Ahnfrau«. In dieser Rolle brachte er in Maske und Geberde eine in der Josefstadt als »Räthselnarr« wohlbekannte Persönlichkeit, den dortigen Grundwächter, auf die Bühne und entfesselte durch die gelungene Nachahmung und seine trockene Komik wahre Lachstürme. Von dieser Zeit war er bis zu seinem Tode ein bevorzugter Liebling der Wiener, die sich an ihm nie sattsehen und sattlachen konnten. Unsere Illustration Fig. 186 zeigt nach einer gleichzeitigen Abbildung das Debüt von Scholz als »Klapperl« in der Scene, w o er als »schwarze Frau« einer beim Male sitzende Gesellschaft unter dem Rufe: »Wehe! Wehe! Wehe!« erscheint, was deren größtes Entsetzen verursacht.« Dem Historischen Museum der Stadt Wien, das die Reproduktion der historischen Vorlage erlaubte, sei an dieser Stelle herzlich gedankt.

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Hinterglasmalerei kindlicher »Luft- und Sommerfreuden«, als auch jener zu dem Zimmer der Bediensteten (3. Abschnitt, Absatz 3) ist den Kindern untersagt. Was das Kind als ihm selbst eigen erlebt, erlebt es in diesem >illegalen< Bezirk. Die Überschreitung der Verbote und damit die Uberschreitung der vom Vater vorgeschriebenen Kindheit freilich wird durch Irrealisierungen erkauft. Exemplarisch ist dies am zweiten Absatz des dritten Abschnitts zu zeigen, der nicht nur das Kind an seinen Ausgangspunkt zurückführt, sondern in der Verschachtelung, die in diesem Absatz noch einmal aufgerufen wird, auch den Gefängnischarakter der Wohnung als unmittelbar präsent assoziiert: » [ . . . ] das sogenannte Holzgewölbe, so groß, daß allenfalls ein mäßiges Haus darin Platz gehabt hätte.« Der umfassende Kubus, das Holzgewölbe, ist damit so beschaffen, daß es eine Raumart, die als übergreifende vorauszusetzen wäre, in sich aufzunehmen imstande ist. Indem das Holzgewölbe aber größer scheint als das Haus, in dem es liegt, wird ihm ein Unwirkliches zugesprochen, das die reale Raumerfahrung sprengt. Die Irrealisierungen werden allerdings auch ausdrücklich benannt. Die Kinder hindert (3. Abschnitt, Absatz 2) nichts daran, »diese schauerlichen Räume als mit Räubern, Zigeunern oder wohl gar Geistern bevölkert zu denken«; »im Gedanken« hätten die Kinder ihre »Luft- und Sommerfreu-

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den« in den Innenhof verlegt Q.Abschnitt, Absatz i); wie Bewohner eines fremden Weltteils« seien ihnen die Bediensteten vorgekommen ( j . A b schnitt, Absatz 3). Das Kind entgleitet damit der Kontrolle des Vaters, ohne das reale Abhängigkeitsverhältnis, das sich in diesem >Sohn-Sein< ausdrückt, fliehen zu können. Für das Kind führen zwar Linien über die Wohnung hinaus, zum Theater (j.Abschnitt, Absatz 1), zur Lektüre (3.Abschnitt, Absatz 3), unter dem Gesichtspunkt aber, daß der letzte Abschnitt der Wohnungsschilderung, die letzten drei Absätze, gegen den zweiten Abschnitt den Versuch einer Erweiterung aus der Sicht des Kindes formulieren, daß sie in Bereichen, die dem funktionalisierenden Blick des Vaters entgleiten, eine Suche nach Auswegen darstellen, ist diese Erweiterung nicht tatsächlich, sind diese Auswege nicht real möglich. Aus diesem Labyrinth gibt es keine wirklichen Ausgänge. Das Kind, das sich auf seine Art >verwirklichen< will, erfährt in der Irrealisierung seine einzige Freiheit.

7. Das Unheimliche Die Wohnungsschilderung ist als in sich kohärenter Text bzw. Lexie zugleich Teil eines größeren Textes. Uber die Verweise auf den Gesamttext, die Linien, die sich in diesen verlängern, hinaus, wird die Aussage der Wohnungsschilderung auch wesentlich durch den Gesamttext bestimmt: Nach dem »Ich bin zu Wien am 15 Jäner 1791 geboren« (63, 6), mit welchem die Autobiographie Grillparzers eigentlich einsetzt, heißt es in der Wohnungsschilderung noch einmal: »In diesem Hause wurde ich geboren und verlebte meine ersten Knabenjahre.« Diese zweite, diese Wiedergeburt signalisiert einen neuen Ansatz der Selbstbetrachtung. Während die erste Erwähnung der Geburt unmittelbar ins Bezugsfeld der Familie verstrickt, das Kind in die Rolle des Sohnes, bzw. ältesten Bruders zwängt, geht die Wohnungsschilderung von einer »völlige[n] Vereinzelung« aus: »Durch [ . . . ] Grundverschiedenheit von meinen Brüdern entfernt gehalten, und da unser Vater zugleich sich von jeder Bekanntschaft abschloß, wuchs ich in völliger Vereinzelung heran« (64,28-30). Indem der Erzähler dergestalt aber die Fäden der Verstrickung in die Familie durchschneidet, setzt der eigentliche Versuch einer Kindwerdung ein. »Um das formlose und trübe meiner ersten Jahre begreiflich zu machen, muß ich sogar unsere Wohnung beschreiben« (64, 30-32). Mit anderen Worten: Die Wohnungsschilderung wird zu einem Substitut der Kindheitsschilderung. Die Geschichten der Wohnung, der Räume sind Kindheitsgeschichten. 26

Was in der Erzählung und durch die Erzählung der Wohnung mit dieser geschieht, geschieht mit dem Kind. Entzieht sich die Wohnung dem Vater, entfernt sich das Kind von ihm; verschachteln sich die Raumarten, verschachteln sie sich um das Kind; deuten sich Auswege an, ist es das Kind, welches das Freie sucht u. s. w. Die Dunkelheit der Räume, das »Finstere« und »Trübe« der riesigen Gemächer, ist nichts als »das formlose und trübe meiner ersten Jahre«, das Ungeheure der Räume nichts als das Ungeheure einer Kindheit. Nicht auf den Dachboden ist es verbannt oder in den Keller ausgelagert, es droht und lockt in unmittelbarer Nähe, wird zum maßgeblichen Faktor einer Selbstkonstitution, die nur unter traumatischen Umständen hat stattfinden können und noch weit über die Kindheit hinausreicht. So hat etwa Heinrich Laube, der erste Biograph Grillparzers, auf die Spätfolgen dieser Raum- und Kindheitserfahrung im unmittelbaren Zusammenhang mit der Wohnungsschilderung flüchtig hingewiesen, wenn er schreibt: »Die Familie wohnte auf dem Bauernmarkt in einem weitläufigen Labyrinthe von Gemächern, welches unser Dichter in seiner Selbstbiographie genau beschrieben und welches manchen Leser wohl an die dunklen Räume der Ahnfrau erinnert hat.« 20 Peter von Matt hat in einer weitreichenden Untersuchung dieser Beobachtung allgemeineren Ausdruck verliehen, wenn er das Räumliche als »Grundstruktur von Grillparzers Dramen« zu bestimmen versuchte, ein Räumliches, an dessen Ende »die gänzliche Heimatlosigkeit, die dumpfe Lethargie des Verstoßenen« stehe. 21 Schließlich gelangt auch Dieter Hensing, der sich ebenfalls mit dem Problem des Raums in Grillparzers Dramen beschäftigte, zur Feststellung: »Die zugrundeliegenden >poetischen Ideen< scheinen vor allem räumlicher Art zu sein und aus wenigen Grundmustern zu bestehen, die dann in der jeweiligen Ausarbeitung ihre Variation und spezifische Gestaltung erfahren.« 22 Die Wohnungsschilderung, die Grillparzer in seiner »Selbstbiographie« von der eigenen Kindheit gibt, diese Kindheitsgeschichte hat also wenig gemein mit jenen, die, Utopien gleich, ein goldenes Zeitalter erinnern, mit jenen Kindheitsgeschichten, die geschaffen sind, daß man weniger in sie

20

21

22

Laube, Heinrich: Franz Grillparzers Lebensgeschichte. Mit dem Porträt des Dichters in Stahlstich. Stuttgart 1884, S.2. Matt, Peter von: Der Grundriß von Grillparzers Bühnenkunst (Züricher Beiträge zur deutschen Literatur und Geistesgeschichte 24). Zürich 1965, S. 45. Hensing, Dieter: Räumlichkeiten als Mittel der Grillparzerschen Kunst der Darstellung. In: Grillparzer-Forum Forchtenstein. Vorträge, Forschungen, Berichte 1973, S . 4 4 - 6 2 , S.45. 27

zurück- als vielmehr in sie heimkehre. »Es ist sonderbar«, so trägt Grillparzer am 18. Oktober 1810 ins Tagebuch ein, »daß bei Lesung eines Romanes ich mir das Haus w o der Held gebohren und erzogen wurde, wenn er wieder dahin zurük kehrt, nachdem er sich vorher an vielen anderen Orten herumgetrieben hat, immer dunkel und finster vorstelle, wenn auch wirklich die Art wie seiner Erwähnung gemacht wird gar nicht geeignet ist diese Idee hervorzubringen«. 23 Und zwei Jahre später: »Wenn der Held eines Romans nach manichfaltigen Schiksalen wieder in das Haus zurükkömmt, in dem er seine Jugend verlebt hat, so stelle ich mir dasselbe immer gothisch und finster vor, gesetzt auch es wäre als ganz anders geschildert worden.« 24 Die Weigerung des 19jährigen Romanlesers Grillparzer, mit dem Helden, nachdem er sich mit diesem »vorher an vielen Orten herumgetrieben hat«, die Heimkehr ins hellere Haus von dessen Geburt und Erziehung zu vollziehen, mag wohl zusammenhängen mit der Unmöglichkeit, sich mit einer eigenen lichten Kindheit zu identifizieren. Grillparzers Wohnungsschilderung beschreibt den Prozeß einer radikalen Deterritorialisierung. Der Ort wird zur Ortlosigkeit. Was mit einer Quartiersuche begann, es endet - fern der Familie - in einem »fremden Weltteil«. Von allem fortstrebend, kommt dieses Kind nirgends an.

" HKA II, 7, S. 59 (Nr. 100). 24 Ebd., S. 68 (Nr. 126). 28

ZWEITES KAPITEL

»Ich habe meinen Vater eigentlich zärtlich nie geliebt« So oft ich mir das Widerstrebende scharf begränzen konnte, so wie im Ablehnen des Schlechten und im Beharren auf der Überzeugung habe ich früher und später eine Festigkeit bewiesen, die man freilich auch Hartnäkkigkeit nennen könnte.

Franz Grillparzer

ι. » Mein Vater w a r [ . . . ]« Soviel illustrierte eine auf die Wohnungsschilderung konzentrierte Analyse »erzählten Raumes«: Gegen die realen Räume der Wohnung, das Vaterreich, erzählt der Autobiograph die Geschichte des Kindes, diese imaginären Räume, die sich dem Kind als seine eigenen auftun in des Reichs hintersten Teilen, an seinen Grenzen, wo die Entfernung vom Zentrum gleichzusetzen ist mit der Abwesenheit väterlicher Macht. Ein Blick auf Erzählperspektive und Figurenkonstellation der drei Abschnitte der Wohnungsschilderung unterstützt diese Beobachtung. Doch nicht nur die Räume der Kindheit, wie sie in der »Selbstbiographie« zur Darstellung drängen, werden im Hinblick auf diese Vater-Sohn-Beziehung organisiert, die Vater-Sohn-Beziehung bleibt darüber hinaus auch in all jenen anderen autobiographischen Ansätzen, die auf Kindheit und Jugend zu sprechen kommen, als wesentliches Strukturierungsmoment präsent. Das unter dem Pseudonym Fixlmillner verfaßte Fragment »Leben/ Thaten, Meinungen, HimmeWund Höllenfarth/Seraphin Klodius Fixlmillner's/eines Halb-/Genie's«' beschäftigt sich ausschließlich mit einer selbst Brachialgewalt zitierenden Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn. »Leben/Abentheuer, Einbildungen, HimmeWund Höllenfarth/Serafin Klodius Fixlmillners/eines Halb-Genies« 2 (ebenfalls vor 1814 verfaßt) setzt ein: »Es war am ij 1 6 " Januar im Jahre des Heils 1791 als Serafin Klodius Fixlmillner zuerst die Oberfläche des lumpigen Wind- und HexenEyes Erde genannt betrat. Sein Vater war [...].« Das Bruchstück einer Autobiographie von 1814 3 fährt nach einer auf die Gattungstradition Be1

H K A II, 6, S . 2 8 1 .

2

Ebd., S. 282.

3

Ebd., S. 2 8 3 - 2 8 6 .

29

zug nehmenden Einleitung an den Freund fort: »Es war der 15 Januar 1791 als ich zum erstenmal das Licht erblikte. Aber bevor ich weiter spreche must du erst meine Aeltern kennen lernen. Mein Vater war [...]«. Die autobiographischen Ansätze von 1822 4 widmen den zweiten von drei umfangmäßig gleichwertigen Abschnitten der Vaterfigur. Und 1834/35 heißt es in einem anderen Fragment:5 »Franz Grillparzer geboren zu Wien am ij.Jäner 1791. Sein Vater war [...].« Nicht anders schließlich die »Selbstbiographie«: »Ich bin zu Wien am ij.Jäner 1791 geboren. Mein Vater war [...]« (63, 6). [Alle Kursiven A. D.] Über einen Zeitraum von vierzig Jahren kehrt diese engste wörtliche Verkettung von eigener Geburt und Vater-Charakterisierung mit auffälliger Insistenz wieder: Spricht Grillparzer von seinen frühen Jahren, »muß« er von seinem Vater sprechen. Die kaum begonnene Ich-Erzählung wird schon im Ansatz sich herstellenden Selbstbewußtseins erstickt von einer sich vorschiebenden Er-Erzählung. Das vor das »Erwachen [s]eines Bewußtseins« (66, 23) gesetzte Ich scheint noch zu schwach, als daß es dem äußerlich gesetzten und auf es eindringenden Er des Vaters standzuhalten vermöchte. Die »Selbstbiographie« zeigt eine derartige Wucherung der an den Vater gebundenen Er-Erzählung, die eine kontinuierliche Entwicklung des Sohnes aus dessen eigenem Ich unterläuft, auf exemplarische Weise: Der eigentliche erste Absatz, einsetzend mit dem formelhaften Beginn vieler Autobiographien und damit das Ich in Kopfstellung hervortreibend (»Ich bin zu Wien am 15 Jäner 1791 geboren« (63, 6)), gibt schon im darauffolgenden Satz die Subjektfunktion ab an das Er der VaterCharakterisierung, die sich nunmehr über eine volle Seite hin ausbreitet; erst nach einem weiteren Einschub, der in einem Satz (!) die Mutter abfertigt, gewinnt der autobiographische Text sein »Ich«, von dem er ausgegangen war, wieder zurück. In diesem Tatbestand, der als Auffaltung valenzgrammatischer Zweiwertigkeit (Vater-Sohn) zu beschreiben wäre, liegt mehr als nur die mechanische, gattungsbedingte Wiederholung eines zur Formel heruntergekommenen Sachverhalts. Das symptomatisch wiederkehrende Formulierungsverhalten figuriert als Ausdruck eines unauflöslichen Interdependenz-Verhältnisses, dem sich auf inhaltlicher Seite eine höchst schwierige Vater-Sohn-Beziehung einschreibt.

4 5

HKA1,16, S.n-15. Ebd., S. 17-20. 3°

2. Person, Figur und Schreibweise Wer, was läge näher zu fragen, wer »war« also dieser Mann, von dem in der »Selbstbiographie« fortwährend die Rede geht, der die Rede bestimmt, ja der in ihr selbst zu Wort kommt ? Was wissen wir von ihm ? Er wurde am 17. Mai 1760 geboren, das ist eines. Er habe als angehender Jurist sich zur Aufgabe gemacht, »die Bürger zu belehren, wie gutes in der Christenheit ausgesehn, bevor sich die römischen Bischöffe zu Oberrichtern aufgeworfen«, so ist seiner Dissertation zu entnehmen. 6 Es habe sich bei ihm um einen »so rechtschaffenen Mann« gehandelt, »daß ihn selbst die Rechtsgelehrsamkeit, die sein Pflug und Acker war, nicht davon abbringen konnte, sogar die Daumschrauben und Reckleitern der Dürftigkeit konnten ihn nicht biegsamer machen«, dies teilt uns der Sohn mit. 7 Und letzterer selbst hat zu verschiedenen Zeiten seines Lebens scheinbar Verschiedenes über seinen Vater berichtet. In der »Selbstbiographie« vermutet er, daß sein Vater »nicht viel auf Andachtsübungen halten« (71, 27) mochte. In einer der frühesten selbstbiographisch zu wertenden Mitteilungen wird das augenscheinliche Gegenteil in ganz anderem Ton verkündet: »Ich will doch sehen, ob ich dich nicht zwingen kann? schrie der alte Wenzel Fixlmillner. Du sollst in die Kirche!« 8 Die Implikationen, die sich bereits aus diesen wenigen Beispielen ergeben, sind vielfältigster Natur. In welchem Verhältnis diese Informationen auch stehen mögen, ob sie sich widersprechen, bestätigen oder kontingent erscheinen, sie werden doch durch den Namen als den kleinsten gemeinsamen Nenner zusammengehalten. Der Akt des Zusammenschließens, das sinnvolle Verbinden des einen mit dem anderen, das In-Beziehung-Setzen aller möglichen Einzelheiten im Wissen wird kenntlich als Akt der Totalisierung, der garantiert, daß uns die betreffende Person in jedem Augenblick >Person genug< ist, auch teils disparat erscheinende Informationen über sich zusammenzuhalten. Die Person ist dem Wissen sozusagen Integrationsmodell all der möglichen Informationen über sie und zu ihr. Man glaubt aufgrund solcher Arbeit sagen zu können, wie die Person, warum und wozu sie so oder anders gedacht, gefühlt oder gehandelt haben mag, ja sogar, wie sie reagieren würde, geschähe dies oder jenes.

6

7 8

Grillparzer, Wenzel: Von der Appellazion an den römischen Stuhl. Diss. Wien 1785, >Vorerinnerungwie aus einem 32

GußFremdsprachenormalem Ton< verkehrt hätte. 9 10 11

H K A I I I , 1, S.6. Siehe H K A III, i , e t w a S . 2 i . Ebenso nachzulesen an mehrfachen Beispielen in H K A III, 1.

33

Ü b e r den Vater zu sprechen, selbst nach dessen T o d , scheint kein weniger schwieriges Unterfangen. A u c h diesen Versuchen haftet ein nicht geringeres M o m e n t der Verfremdung, der Fremdheit an. D i e drei Fragment gebliebenen, nicht selten in der Schilderung des Vaters abbrechenden autobiographischen E n t w ü r f e aus dem Zeitraum um 1 8 1 4 lassen sich als Inszenierung eines derartigen Sprach-Konfliktes lesen. Sie bieten alles auf, w a s in der Rhetorik R a n g und N a m e n hat. S o heißt es in dem einen Fragment, einem Musterstück szenischer Prosa: Ich will doch sehen ob ich dich nicht zwingen kann? schrie der alte Wenzel Fixlmillner. Du sollst in die Kirche! Der Werth unserer Handlungen hängt blos von dem Maaß der Freiheit ab, versetzte der Sohn, wie kann ich Andacht Freiheit, Spitzbube? Entweder du gehst, oder - hier hob H E [seil. H o c h e d e l 1 2 ] Fixlmillner seinen A r m auf. Der Sohn, der wußte daß dieses Glied des väterlichen Leibes gewöhnlich auch das Schlußglied jedes monitorischen Strites war, ward kleinlaut, und stotterte: Sie haben mir ja gesagt, Sie wollen sich gar nicht mehr um mich kümmern, ich sollte thun was ich wollte - Ich will dir zeigen was ich gesagt habe. Schurke, schrie der Vater, und rükte näher, offenbar in feindlicher A b sicht. Nach dieser Aufhebung des Glaubensediktes, schien es dem jungen Irrgläubigen nicht mehr gerathen, dem Schoos der alleinseeligmachenden Kirche seinen Beitritt zu versagen, besonders da die orthodoxen Dragoner, bewaffnet und schlagfertig auf seiner Ferse waren, er legte daher in höchster Eile sein Glaubensbekenntnis ab, und nahm seinen Hut, um in die Kirche zu gehen, [bricht a b ] 1 3 D e r »monitorische«, mithin auf M a h n u n g , R ü g e hinauslaufende Streit ist in seiner Vielschichtigkeit nicht unangemessen mit jenen Bedeutungen zu beschreiben, welche der auffällige Gebrauch des kontextfremden Terminus »Strite« aufwirft. A d e l u n g weist ihn unter dem Stichwort »Streit« schon für das Annolied in des Terminus' erster Bedeutung v o n Krieg nach, in der zweiten Bedeutung, »durch W o r t e ausbrechend«, w i r d dem Begriff die Bedeutung eines A u s d r u c k s zugewiesen, der »die Sittlichkeit unentschieden läßt«. 1 4 D a s G r i m m s c h e Wörterbuch definiert ihn als Variante von »Stritt« z u m ersten als »auseinandersetzung über einen Streitgegenstand,

12

In Anbetracht des Fehlens eines eindeutigen Nachweises bei: Dülfer, Kurt: Gebräuchliche Abkürzungen des 1 6 . - 2 0 . Jahrhunderts (Veröffentlichungen der Archivschule Marburg - Institut f ü r Archivwissenschaft, N r . 1), Marburg 1966, lösen wir auf nach der ebendort (S. 5) wiedergegebenen Abkürzung » H E d G B = Hochedelgeboren«. " H K A I I , 6, S.281. 14 Adelung, Johann Christoph: Grammatisch-Kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten. 4 Bde. Wien 1808. B d . 4 , Spalten 44of. 34

konflikt der rechte und anspräche, rechtsstreit«, davon abgeleitet als »theologische oder gelehrte kontroverse, Streitfrage« und »entzweiung, zank, handel«, zum dritten in der vereinzelten Bedeutung von »seelischer Konflikt«. 15 Für den strukturellen Aufbau des Textes scheint mir hinsichtlich der Figurenkonstellation und über das einzelne Wort hinaus vor allem dessen engere Definition von Entzweiung

relevant. Sie vermag deutlich genug auf

die Unvereinbarkeit der gegensätzlichen Positionen, jener des Vaters auf der einen, jener des Sohnes auf der anderen Seite, zu verweisen. Noch bevor der Knabe auch nur einen einzigen selbstgewollten Satz zu Ende bringt, muß er seinen Hut nehmen. Jeder Dialogansatz wird von der sich absolut setzenden Vaterautorität zunichte gemacht. Der Diskurs der Aufklärung, den der Knabe anfänglich bemüht und mit dem er an den Josephiner in seinem Vater appelliert, verkümmert unter dessen erhobener Hand zu gestotterten Satzfetzen und muß schleunigst durch das Glaubensbekenntnis der Kirche ersetzt werden. Daß er sich von diesem Mann »in der Jugend so verschieden gefühlt hatte, als nie ein Sohn von seinem Vater«, wird Franz Grillparzer im Tagebuch vermerken. 16 Da das Kind aber seine Gegensätzlichkeit offenbar nicht gegen den Vater austragen kann, trägt es sie in ihm aus. »Uibrigens«, so schreibt der Autobiograph in einem zweiten Fragment, sei sein Vater »ein reiner Cholerikus« gewesen: Das Herz dieser A r t Menschen ist gewöhnlich ein Himmel, ihre Laune aber ein... Tartarus mit dem einzigen Wechsel daß er von Zeit zu Zeit aus der heißen Hölle in der das Heulen wohnt, in die kalte wo Zähnklappern ist, übergeht. Es konnte nicht fehlen daß unser Held wie Aspik

zugerichtet ward, anfangs bei

heftigem Feuer gekocht setzte man ihn dann auf Eis und ließ ihn gefrieren. 17

Das Kind, dessen Tränen der Zweiundzwanzigjährige auf recht gewaltsame Weise in eins setzt mit Gelatine, dem ärmlichsten, aus Häuten und Knochen ausgekochten Uberrest animalischen Lebens, sucht die Widersprüche, durch die es gehen muß, im Vater selbst auf. Vom Himmel, der ein Ort der Gegensätze nicht ist, erfahren wir kaum etwas. Aber die Unterwelt gestaltet sich rasch aus dem Wechsel heißer und kalter Hölle, von Heulen und Zähneklappern, von Feuer und Eis. Diese Verteilung des Gegensätzlichen in jener Person, die den eigentlichen Gegensatz verkörpert, verselb-

15

16 17

Grimm, Jacob und Wilhelm: Deutsches 1 8 5 4 - 1 9 7 1 , 10.Bd., 3. Abt., Spalte 1 6 2 3 - 2 5 . H K A II, 8, S . 3 1 3 (Nr. 1655). H K A II, 6, S. 282.

Wörterbuch.

33

Bde.

Leipzig

35

ständigt sich. In dem dritten aus der Zeit um 1 8 1 4 stammenden Text, in der Tagebucheintragung vom 6. Jänner 1 8 1 4 , wird sie zum maßgeblichen Konstruktionsprinzip der Vatercharakterisierung.

Es gibt kaum einen

Satz darin, der nicht durch antithetische Ausrichtung der semantischen Inhalte vorangetrieben würde, in dem nicht etwas vorgegeben wird, das sich nicht sofort wieder zurücknimmt, etwas behauptet, das sich nicht auf der Stelle relativiert. Der Vater ist immer schon sein eigener Gegensatz: [ . . . ] Mein Vater war Rechtsgelehrter und dennoch ein Mann von unerschütterlicher Tugend, aber diese war kein Geschenk der Natur, er hatte sie stürmischen Leidenschaften abgekämpft und er war daher eifersüchtig darauf, als ob er jeden Augenblik fürchten miißte sie zu verlieren. Sehr wohl einsehend wie gefährlich für Menschen seiner Art die Versuchung ist, war er immer in Waffen gegen sie, und seine Rechtschaffenheit nahm daher einen Charakter von Rauheit an, die ihn alles verabscheuen hieß was ohne selbst Unrecht zu sein, wenigstens möglicherweise dazu führen könnte. Er wußte wie süß das Schlimme ist daher war er mißtrauischer als billig und intolerant auch gegen kleine Vergehen. Er besaß genug Stärke das Böse zu haßen, aber nicht es zu verachten, er würde um keinen Gewinn der Welt Unrecht gethan haben, aber er war doch zugleich schwach genug die Unrecht thuenden um diesen Gewinn zu beneiden. Er war daher stets mißmuthig, und feindete die Bösen an, statt sie zu übersehen; sein cholerisch melancholisches Temperament trug das letzte dazu bei ihn zu einem wirklich unglücklichen Manne zu machen. Er forderte stets Belohnung von der Tugend, denn sie ward ihm zu schwer, als daß sie ihn durch sich selbst belohnt hätte. [ . . . ] Alles dieß gab ihm einen Charakter, der mehr hartnäkig als fest, alles was er begonnen durchsetzte, es mochte kosten was es wollte. Ein aufbrausender Zorn den er selten im Stande war zu beherrschen machte ihn von allen Hausgenoßen gefürchtet. [ . . . ] So streng er dachte liebte er doch Romane zu lesen, aber ausschließend solche die ihn in ein entferntes Zeitalter versetzten denn das Vergangene war ihm theuer da ihn die Gegenwart verletzte, und gern genoß er in Gedanken was er sich selbst in der Wirklichkeit vergällte. [Kursive A.D.]18 Hätte man eine Geschichte des Begriffs >Grenze< im Hinblick auf seine Genese zu verfassen - Bachmeier erkannte in ihm die »Fundamentalkategorie« Grillparzerschen Schreibens 1 9 - , man dürfte an diesen Sätzen nicht vorübergehen. Kaum andernorts zeigt sich so deutlich, wie ein grammatisches Subjekt im Wechselspiel von Syntax und Semantik aufzuspalten ist. Die obsessive Setzung des E r in anaphorischer oder parataktischer F ü gung (siehe Kursiven) hält den Vater zusammen und gibt ihn zugleich

18 19

Ebd.,S.284f. Grillparzer, Franz: Werke. Hg. von Helmut Bachmaier. 6 Bde. in Vorbereitung. Bd. 2, Ffm. 1986, S. 618f.

36

zur Zersetzung frei. Die Sätze, so ließe sich in A b w a n d l u n g eines CanettiWortes sagen, sind Keile, die der Sohn in die geschlossene Person seines Vaters treibt. 20 In das Andere, den Vater, werden Grenzen eingezogen, jener wird definiert, jenem kommt die gesamte Bestimmungsarbeit zu, wohingegen der Autobiograph seine Kindheit dem Unbestimmten zuschreibt. A u f das »[FJormlose« (64, 3of.) seiner Kindheit wird Grillparzer sich in seiner »Selbstbiographie« berufen, in dem oben zitierten Fragment ist Aspik nur ein anderer N a m e für denselben Sachverhalt, Gelatine des Formlosen reinster A u s d r u c k . 2 1 Wenn wir nach einer Erklärung suchen, weshalb der zweiundzwanzigjährige Autobiograph seinen Vater nach allen Regeln der Kunst zwischen seinen Gegensätzen aufspannt und seziert, wohingegen er für sich selbst Formlosigkeit beansprucht, so wird die hypertrophe Differenzierung, aus der er das Bild des Vaters entstehen läßt gegen die eigene Unbestimmtheit, kaum zureichend über das Phänomen eines wertfreien Gegensatzes, einer gleichwertigen Verschiedenheit beider zu erklären sein. W o der Vater nämlich in positiver Weise erinnert wird (was nur einmal geschieht), findet sich der Gegensatz in allen seinen grammatischen Ausformungen, wie sie

20

Canetti, Elias: Die Blendung (FischerTaschenbuch 696), Ffm. 1986, S . 4 1 : » [ . . . ] er hatte ihr ein Buch versprochen. Für sie kam bloß ein Roman in Betracht. N u r wird von Romanen kein Geist fett. Den Genuß, den sie vielleicht bieten, überzahlt man sehr: sie zersetzen den besten Charakter. Man lernt sich in allerlei Menschen einfühlen. A m vielen Hin und Her gewinnt man Geschmack. Man löst sich in die Figuren auf, die einem gefallen. Jeder Standpunkt wird begreiflich. Willig überläßt man sich fremden Zielen und verliert für länger die eigenen aus dem Auge. Romane sind Keile, die ein schreibender Schauspieler in die geschlossene Person seiner Leser treibt. Je besser er Keil und Widerstand berechnet, um so gespaltener läßt er die Person zurück. Romane müßten von Staats wegen verboten sein.«

21

Durch die Verlagerung des Gegensätzlichen in den bewußten Gegensatz findet eine Entäußerung statt, die von außen formend auf das Subjekt zurückwirken muß. Mag der Umstand, daß Grillparzer nach dem Tod seines Vaters dessen Rolle zu übernehmen hatte, die Einsicht in den Illusionscharakter eines Postulats des »Formlosen« gefördert haben, so mußte Grillparzer mit zunehmendem Alter doch feststellen, daß die Art und Weise, wie er den Vater zu sehen gelernt hatte, auch auf sich zu übertragen war. »Übrigens, je älter er war, um so ähnlicher wurde er diesem Manne, von dem er sich in seiner Jugend so verschieden gefühlt hatte, als nie ein Sohn seinem Vater«, so lautet die bereits bruchstückhaft angeführte Tagebucheintragung von 1827 in ihrem vollen Wortlaut ( H K A II, 8, S. 313). Und selbst den Gegensatz, den Franz Grillparzer in den Vater hineingetragen hatte, fand er in sich selbst wieder, wenn er in der »Selbstbiographie« mit dezidierter Deutlichkeit feststellt, daß »zwei völlig abgesonderte Wesen« (135, 27 f.) in ihm lebten. Die Vater-Figur stellt insofern eine Ich-Form des Autobiographen dar. 37

die Erfahrungen negativer Art ausbilden, suspendiert. Grillparzer schildert den Umstand, daß [ . . . ] in manchen Augenbliken eine eben so rasche, alles vergeßende Fröhlichkeit, die sanften Ergießungen einer romantischen Melancholie ihm [seil, dem Vater] unsre Liebe gewannen. Seine Erziehung w a r vernachläßigt w o r d e n ; es lag Anlage zu vielem in seiner schöner Gefühle vollen Brust. N o c h erinnere ich mich mit Thränen mancher schönen Augenblike, wenn er nach langer ermüdender G e schäftigkeit hinaus tratt in die N a t u r , die er mit aller G l u t seines Temperamentes liebte, und da sein H e r z sich aufthat, und melancholisch heiter sich bis zu Schwärmereien vergaß. [ . . . ] 2 2

Der Unterschied könnte nicht frappanter sein. Die Auflösung positiver Erinnerung in weitausholende Satzbögen, in ein langatmiges Ausschwingen der Rede, desavouiert, als Umkehrprobe begriffen, noch im Verzicht auf die Figur der Antithese letztere in ihrer intentionalen Ausgerichtetheit. Die Zuteilung der literarischen Techniken erfolgt keineswegs beliebig. Anders: Die rhetorische Experimentierwut, die sich im Gegen-Satz, im Gegensätzlichen austobte und ihre Elemente in hohem Maß aus einem Gewalt, Schrecken und Bedrohliches konnotierenden Wortschatz bezog (zwingen, schreien, den Arm heben, Schurke, in feindlicher Absicht näherrücken, Dragoner, bewaffnet und schlagfertig, Daumenschrauben, Reckleitern, Tartarus, Hölle, heulen, zugerichtet werden, gekocht, gefrieren, abkämpfen, fürchten, gefährlich, Waffen, Rauheit, verabscheuen, das Schlimme, intolerant, Vergehen, das Böse, hassen, verachten, Unrecht, schwach, das Böse anfeinden, hartnäckig, durchsetzen, es mochte kosten was es wollte, aufbrausender Zorn, beherrschen, gefürchtet, streng, verletzte, vergällte, Gruft u.s.w.), diese ihrem Objekt gegenüber immer in Verspätung begriffene Wortgewalt - der Vater war zum Zeitpunkt der Niederschrift der drei Fragmente schon gestorben - kann entgegen der Behauptung des Autobiographen, daß er nicht wisse, »wie jeder das nehmen würde was ich da gesagt«, 23 interpretiert werden als Szenarium eines tief begründeten Ressentiments gegen den Vater. Wie der Vater indes auf diese affektierten Partituren reagiert hätte, ist unschwer zu rekonstruieren. Ein 1822 begonnenes, ebenfalls autobiographisches, hier jedoch nicht weiter berücksichtigtes Fragment berichtet von einer Auseinandersetzung des Vaters mit der Schreibweise seines Sohnes: Er »haßte [ . . . ] alles affektierte«, und weiter:

22 23

H K A II, 6, S.285. Ebd.

38

Sobald [ . . . ] ein poetisch-uneigentliches, etwa tropisch gebrauchtes W o r t v o r kam, dann gieng's an. W i e kann einem [dergleichen] einfallen? - E s ist unverständig; - abgeschmakt - absurd - höchster Unsinn - S o steigerte er sich selbst bis zum Z o r n und das E n d e w a r jederzeit, daß er »den Wisch« hinwarf, und seine Prophezeiung eines schmählichen Endes wiederholte. Seine A u s b r ü c h e waren so heftig, daß als seine Brustkrankheit zunahm, ich nicht mehr wagen durfte, ihm etwas von meinen Arbeiten zu zeigen. 2 4

Aus diesen Worten resultiert nicht zuletzt die Uberzeugung, daß der Vater am »poetisch-uneigentlichen« Wort des Sohnes hätte zugrunde gehen können. Vatermord im sprachlichen Affekt, den die Texte allemal anstrengen bis zur Übersättigung: Diese Möglichkeit, auftauchend in der Fiktion und selbst nur Fiktion, scheint sich dem Sohn so stark ins Bewußtsein eingegraben zu haben, daß er sich ausdrücklich gegen sie verwahren muß. E r könne, er dürfe so sprechen, schreibt er in einem der Fragmente, denn man kenne ja »meine Liebe, meine unbegränzte Achtung für meinen Vater«. 25 Daß der junge Autobiograph nicht mit jener Naivität agiert, die er vorschützt, ergibt sich auch aus dem Rahmen, den er sich für sein Wort, diese Versuchsstation eines imaginierten Vatermordes, wählt. E r setzt seine Texte nämlich durchwegs in Beziehung zur großen literarischen Tradition und verankert seine Schriftproben in deren Modellen mit einem Aufwand, dem sein eigenes Endprodukt in keiner Weise gerecht zu werden vermag. Sauer und Hartmann haben daran erinnert, in welch reicher Zahl von Lebensgeschichten, deren Erscheinen sich nach Sternes »Tristram Shandys Leben und Meinungen« 1774 auffällig häufte, der Titel »Leben,/Thaten, Meinungen, HimmeWund Höllenfarth/Seraphin Klodius Fixlmillner's/ eines Halb-/Genie's« seine Vorläufer aufsucht. 26 Der zweite Titel dieser Art ist nach ebensolchem Muster gestrickt, dem Romanhaften verpflichtet er sich insofern noch weiter, als er die »Thaten« und »Meinungen« aus dem Titel des ersten Fragments ersetzt durch »Abentheuer« und »Einbildungen«. Und der unter dem 6. Januar 1814 ins Tagebuch eingetragene Romananfang setzt ein mit einem expliziten Hinweis auf die »Biografien vom Hl. Augustinus an bis auf Wolfgang von Goethe«, tatsächlich habe er »nichts geringeres im Sinn [ . . . ] , als - diese berühmten Männer nachzuahmen«; an das Vorwort aus »Dichtung und Wahrheit« gemahnend, versi-

24

Η K A I , 16, S. 13 f.

25

H K A I I , 6, S. 285.

26

Vgl. H K A II, 6 (Nachträge zur ersten Abteilung), S. 348.

39

chert er zudem, daß »blos die Bitten« einiger weniger Freunde ihn zu diesem »sonderbaren Geschäfte« bewegt hätten. 27 Dergestalt führt der Autobiograph gegen die Ubermacht des Vaters, die sich bis ins einzelne Wort des Sohnes hinein erstreckt, die übermächtige Tradition der Literatur ins Treffen. Ermöglichte ihm die Literarisierung der Sprechweise sich auszudrücken, daß, wie und was er fühlte, so liefert ihm die Wahl der Textsorte die Legitimation dazu.

4. D e r »tüchtige Stil in Prosa« der »Selbstbiographie« Er könne »von dem Innern seines Wesens« sich selbst und andern »keine Rechenschaft geben«, vermerkt Franz Grillparzer in der »Selbstbiographie« über den Vater, er müsse sich vielmehr an dessen »äußres Benehmen« (63, 13 f.) halten. Das steht in genauem Widerspruch zu dem, was die frühen Schriften für sich in Anspruch nehmen. 1814 noch hatte der Sohn dem »hochedlen« Vater nachgerufen: »Ruhe sanft edler, tiefverehrter Mann in der Gruft, die du dir freilich selbst so früh gegraben; oft warst du verkannt, aber dein Sohn blikte scharf genug, um dein Herz auch durch Hüllen zu erkennen, in die es der Geist seiner Zeit für die es nicht geschaffen war, zwangen.« 28 Das Innere/das Außere, das Herz/die Hüllen: Das ist wieder der Gegensatz zum Vater, der in diesen hineingetragen wird. Doch wozu diesmal? Hier dient er nicht mehr dazu, jenen affektgeladenen, exzessiven, poetisch-uneigentlichen Ton freizusetzen, der im Ressentiment eines, was die zeitliche Distanz anlangt, viel näher stehenden Autobiographen begründet war. Zu sehr scheint die »Selbstbiographie« in jenem »tüchtigefn] Stil in Prosa« abgefaßt, für welchen der Vater »die höchste Achtung trug« und den er dem Sohn angesichts von dessen Versen abforderte. 29 Hätte der Zeitabstand, hätten die immerhin beinah vierzig Jahre das Ressentiment des Jüngeren ausgebleicht in den Ratschluß des Alteren, »seinem [seil, des Vaters] Angedenken nach[zu]tragen was ich in der Gegenwart zum Teil versäumte« (103, 17f.)? Oder bewahrt sich im Gebrauch des Verbums »nachtragen« über den reinen Nachtrag hinaus - nicht doch noch etwas von des Wortes anklagender Bedeutung?

27 28 29

HKA II, 6, S.283. Ebd., S. 28 5. HKA 1,16, S. 14. 40

Unter vier Aspekten sei die Vater-Sohn-Beziehung, wie sie in der »Selbstbiographie« dargestellt wird, betrachtet. Zum einen läßt sich fragen, mit welchen Eigenschaften Wenzel Grillparzer in der »Selbstbiographie« ausgestattet wird. Ein »ernste[r] Mann« (63, 29) ( » [ . . . ] seine Strenge beschränkte sich auf Ernst« [90, 4 f.]) sei der Vater gewesen, von »natürliche[r] Verschlossenheit« (63, 8), ein »in sich gezogener Mann« (63, 7), der »mit einem höchst erfolgreichen Bemühen jeden Ausdruck der eigenen Empfindung in sich verschloß« (103, n f . ) ; er »Schloß sich das ganze Jahr ab« (97, 28f.). »Sein äußeres Benehmen hatte etwas Kaltes und Schroffes« (63, i4f.), er sei »zu schroff« ( 1 0 3 , 1 1 ) gewesen, nur selten »froh und mitteilsam« (63, 21). Seiner »Gärtnerlust« (66, 30) nachgehend, hätte er als »leidenschaftlicher Freund der Natur« (63, 16) seine Blumenzucht »nicht ohne Pedanterie« (67, 16) betrieben, wie überhaupt es sein Grundsatz zu sein schien, »alles was er machte, vollständig zu tun« (99, 3 5 f.). Ein ebenso »leidenschaftlicher Jurist« (92, 4f.), hätte er sich den Ruf einer »beinahe fabelhaften Rechtschaffenheit« (103, 15f.) erworben, als »streng rechtlicher [ . . . ] Mann« (63, 7), dem »Schuldenmacher und Dieb gleichbedeutende Worte waren« (102, if.). Als »eifrigstefr] Patriot« (87, 22) habe in ihm ein »vaterländisches Herz« (100, 6) geschlagen. Und bis zur todbringenden Krankheit habe er sich in einem Zustand »ungeschwächter Gesundheit« (99, 30), einer »eisernen Gesundheit« (96, 22) befunden. Zudem müssen »die Regungen der Phantasie ihm nicht fremd gewesen sein« (63,25), eine Vorliebe für »Ritterund Geistergeschichten« (63, 28) bezeugt dies. »Neuere Geschichten waren ihm wegen ihres Konvenzionellen zuwider« (64, 1 f.) Uber dieser kontrapunktischen Reihe von Eigenschaften und Adjektiven, welche solche beschreiben, über diesem festen Satz von allgemeinen Eigenschaften, welche die Figur des Vaters epithetisch begleiten, wird die Figur noch einmal aufgebaut, als handelnde. Die Interferenz von Handlungen und >CharakterCharakterfestigkeitautonom< zu begreifen, indem er sich vom gesellschaftlichen Umgang abschließt, ohne dadurch den gesellschaftlichen Bedingungen entkommen zu können, zum Einbruch. Der Vater ist leicht zu täuschen. Er wird enttäuscht und betrogen: Da ist der Hofmeister, der, zum Unterricht der Kinder eingestellt, das ihm vom Vater zum Ankauf von Büchern anvertraute Geld veruntreut; da ist jener Rechtsanwaltsgehilfe, dem es gelingt, Wenzel Grillparzer selbst im »Verfall seiner häuslichen Umstände« (63, 12) zu hintergehen: »Ein ungetreuer Sollizitator hatte ihn um eine namhafte Summe betrogen« (100, 1 f.); und da ist die Geschichte des Wohnungserwerbs, der allzu leichtfertig geschlossene Vertrag. Der Vater liebt Blumen. Man verwüstet seinen Garten: »Nun konnten sich aber meine damals noch unverheirateten Tanten gar keine andere Bestimmung für Blumen denken, als, wie eine hervorkam, sie abzureißen und entweder als Strauß an die Brust zu stecken oder in Wasser und Glas ans Fenster zu stellen. Noch ärger trieben es die schon etwas herangewachsenen und sich einer großen Ungebundenheit erfreuenden Kinder meines Onkels. Sie liefen ohne Umstände in den Beeten herum und zertraten die Pflanzen, ehe noch an Blumen zu denken war.« (67, 16-24) Der Vater liebt sein Vaterland. Da brechen die »gräßlichen Kriegsjahre« (63, 1 1 ) herein: »Die Stadt vom Feinde besetzt zu wissen war ihm ein Gräuel, und jeder ihm begegnende Franzose ein Dolchstich. Und doch ging er gegen seine Gewohnheit jeden Abend in den Straßen spazieren, aber nur um bei jedem Zwist zwischen Franzosen und Bürgern die Partei des Landsmannes zu nehmen und ihm gegen den Fremden beizustehn« (102, 3-8). Dann »der entscheidende Moment« (102, 27): Als der »Wiener Frieden« (1809) geschlossen wurde (Grillparzer verwechselt ihn mit dem »Preßburger Frieden« von 1805), will man den schon ans Bett gefesselten, todkranken Mann nicht mehr mit Tagespolitik beschäftigen: »Er mochte aber doch Kunde davon erhalten haben, denn im höchsten Zorne befahl er mir ihm augenblicklich ein Exemplar des gedruckten Traktates zu verschaffen, durch den bekanntlich ein Dritteil der Monarchie an Frankreich abgetreten wurde. Er las die Druckschrift ganz durch, legte sie dann von sich und kehrte sich gegen die Wand. Von da an hat er kaum mehr ein Wort gesprochen« (102, 3 0 - 1 0 3 , 1 ) . Diese Episoden illustrieren mehr als sie erhellen. Über eine »innere Geschichte des Menschen«, wie sie etwa Karl Philipp Moritz in seiner

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Vorrede zum »Anton Reiser« vorschwebte, geben sie allesamt keinen Aufschluß. 30 Sie belassen uns hinsichtlich der Motive, Motivationen oder Beweggründe, die Wenzel Grillparzers Handeln leiten, völlig im unklaren. Weshalb und wozu sich das Sein dieses Mannes zu dem (epithetisch) beschriebenen So-Sein ausformte, darüber erfahren wir nichts. Die Dynamik der Figur ist aufs Äußerste reduziert. Ihrer »inneren Geschichte« attribuiert der Selbstbiograph keinerlei Aufmerksamkeit, von dem »Innern seines Wesens«, so die bereits einmal zitierte Wendung, könne er »sich und Andern keine Rechenschaft geben«. 31 Er, so die Vermutung, will es auch nicht. Dagegen mag man Einwände gattungsbedingter Herkunft anführen: Die Autobiographie sei an den Geschichten in ihr auftretender Personen nicht anders als in strikter Perspektivierung auf das Ich des Autobiographen interessiert; der an seiner eigenen »inneren Geschichte« arbeitende Autobiograph dürfe diese auf sich selbst zentrierte Perspektive niemals aufgeben. Allein, die »innere Geschichte« Franz Grillparzers verträgt sich auch außerhalb des Kontextes poetologischer Fragestellungen niemals mit der »inneren Geschichte« seines Vaters. »Wenn du glaubst«, so hatte Grillparzer in dem an einen Freund adressierten autobiographischen Entwurf von 1814 dargelegt, »hiemit meine Entwicklungsgeschichte zu vernehmen, so irrst du gewaltig.« 32 Von einer stufenweisen Entwicklung vermöchte er nicht zu sprechen. Die Rolle des erstgeborenen Sohnes schien von Anfang an vorgezeichnet gewesen zu sein: »Der Vater war Advokat und der Sohn ward, als der älteste von vier Brüdern zu demselben Stande bestimmt«, so verlautet aus anderer Quelle. 33 Die »Selbstbiographie« läßt diesbezüglich ebensowenig offen:

30

Moritz, Karl Philipp: A n t o n Reiser. Ein psychologischer R o m a n (insel taschen-

31

Ü b e r die Situierung des Mannes in seiner Zeit, ihre gesellschaftlichen, politischen

buch433). F f m / 1 9 8 0 , S.9. oder ökonomischen Bedingungen, erfahren wir kaum etwas aus der »Selbstbiographie«. A l s einen >Mann seiner Zeit< stellt sie Wenzel Grillparzer nicht dar. Damit folgt sie einer Perspektive, die Franz Grillparzer schon 1 8 1 4 formuliert hatte: »Im dreizehnten Jahrhundert«, heißt es da über den Vater, »wäre dein Platz gewesen, dem Achtzehnten warst du fremd, und giengst als ein Fremder unwillig aus dem Leben« ( H K A II, 6, S. 285). N u r eine einzige Bemerkung deutet darauf hin, daß Wenzel Grillparzer durchaus auch in seiner Zeit gelebt hatte und von ihr geprägt w o r d e n w a r : »Mein Vater w a r in der josephinischen Periode aufgewachsen [ . . . ] « ( 7 1 , 26), so lautet die dementsprechende A n m e r k u n g in der »Selbstbiographie«. Im übrigen vgl. H K A I, 16, S. 2 7 9 f . 32

H K A II, 6, S. 284.

33

H K A I , 16, S. 17.

43

Als die Sinnesart meines Vaters bezeichnend, erinnere ich mich noch, daß er einmal uns drei Kindern Peitschen machte. Meine Brüder bekamen ganz einfache, handsame, mit denen sie nach Herzenslust klatschten. Für mich, seinen vorausgesetzten Liebling aber nahm er einen so dicken Prügel und eine so starke Schnur, daß ich damit durchaus nichts anzufangen wußte, obgleich er selbst, mich im Gebrauch unterweisend, dem ungeheuern Werkzeug weitschallende Klatsche entlockte. Er konnte sich nicht gut in die Weise der Kinder finden. (67, 30-68, 3) Die postulierte Metamorphose von Peitschen in Spielzeug (anderes erhalten die Kinder in der »Selbstbiographie« vom Vater nicht) wird vom Text nicht zu Ende gebracht, zumindest was den »vorausgesetzten Liebling« 3 4 anbelangt. Während den Brüdern der spielerische Umgang mit den Peitschen keine Schwierigkeiten bereitet, bleibt die Peitsche für den Erstgeborenen, der nichts damit anzufangen weiß, »Werkzeug« in den Händen des Vaters. Einer auf patriarchalische Bildmuster achtenden Lektüre erschließt sich die Peitsche zudem in der Bedeutung von Szepter, welches der Vater seinem prädestinierten Nachfolger probeweise übergibt. E r macht dem Kind sogar vor, wie man es zu halten, wie man mit ihm umzugehen habe. D e m Kind allerdings, das den an es gerichteten Anforderungen nicht gerecht wird, wird die Peitsche »Prügel« und »Schnur«. 3 5 34

35

Adelung, a.a.O., Bd.4, Sp. 1251, gibt unter dem Eintrag »voraus« folgende »figürliche« Bedeutungen an: »(1) Etwas voraus setzen, es als wahr, als möglich oder wirklich annehmen [ . . . ] (2) O f t bedeutet voraus einen Vorzug vor einem andern (3) Ehedem wurde es auch häufig für vornehmlich besonders, gebraucht, welche Bedeutung aber im Hochdeutschen veraltet ist.« Zu einer näheren Illustrierung dieses Sachverhalts einer verhinderten Entwicklungsgeschichte, an deren Stelle ein erzwungenes Rollenspiel tritt, folgende Textstellen: »Einen Teil der Schuld trägt aber mein Vater, der nur immer vorwärts drängte und meinte, die versäumten Anfangsgründe würden sich schon nachholen. [ . . . ] Nichts aber trägt sich schwerer nach als Anfangsgründe.« (69, 3 2 - 7 0 , 1 ) »Die Hauptschwierigkeit war aber nun, daß nach verstrichenem Schuljahre die Prüfung vor der Türe stand. Mein Vater wollte mich, wie er sagte, kein Jahr verlieren lassen. Der neue Hofmeister erhielt daher die Weisung, mit Zuhilf nahme der Schulferien, in sechs oder acht Wochen mir alles das beizubringen, was in einem vollen Jahre hätte gelernt werden sollen. Dem Gefährlichen der Prüfung wurde dadurch begegnet, daß der prüfende Professor ein großer Gartenfreund war. Nun besaß mein Vater sechs oder acht große Oleanderstöcke in Kübeln. Diese wurden meinem Weiterkommen aufgeopfert, die Prüfung ging glücklich vor sich und ich trat, nach versäumter erster, in die zweite lateinische Klasse ein, zu der mich eben mein Vater, durch die Erfahrung gewarnt, in die öffentliche Schule zu schicken beschloß.« (77, 1 5 - 2 7 ) »Das [seil. Studium] trieb ich aber ganz äußerlich. Während des ganzen Halbjahrs nahm ich von dem laufenden Studium gar keine Notiz, sechs oder acht Wochen vor der Prüfung aber warf ich mich auf den Gegenstand mit einem solchen alles andere vergessenden Eifer, studierte von anbrechendem Tage bis in die späte Nacht so ausdauernd

44

»Er konnte sich nicht gut in die Weise der Kinder finden« - nun kann sich der Autobiograph nicht mehr gut in die Weise des Vaters finden. Die Weigerung des Sohnes, seinem Vater eine »innere Geschichte« zu gewähren, scheint der vormaligen Weigerung des Vaters zu entsprechen, dem Kind eine solche zu gestatten. Nach einem Blick auf die Attribute und Eigenschaften, die Wenzel Grillparzer in der »Selbstbiographie« verliehen werden, nach einem zweiten auf die Schilderung seiner Handlungen, in denen sich sein Verhältnis zu Gesellschaft und Zeit expliziert, sei unsere Aufmerksamkeit kurz auf die Art und Weise gelenkt, wie der Vater auf den Sohn zugeht. Reihen wir die diesbezüglich relevanten Stellen aneinander, so ergibt sich ein Katalog von Verhinderungen; die tragenden Verben sind allesamt mit negativem Vorzeichen versehen: Dem Vater war nicht erlaubt (63, 8), er konnte nicht (68, 2), er nahm weg (70, 32), er nahm keine Notiz (73, 4f.), er gönnte keinen Blick (73, 6), er tat Einsprache (74, 28), er war abgeneigt (74, 32), er duldete nicht (75, 32), er wollte nicht (77, i6f.), er mochte nicht (87,14), er war unleidlich (87, 16), er war mißvergnügt (87, 19), er sprach nicht darüber (90, 8 f.), er entfernte die Gelegenheit (90, 12), er war abgeneigt (91, 22), er gab kein Zeichen (92, 13 f.), er wußte nicht (100, 11 f.), er empfing mich ganz kalt (100, i6f.), er sagte: zu spät (103, 3f.), er war nicht zufrieden (103, 5), er machte eine Annäherung unmöglich (103, i2f.). Kehren wir schließlich die Frage nach dem Zugehen des Vaters auf das Kind um, so zeigt sich, daß das Zugehen des Kindes auf den Vater sein Medium in beinah völliger Ausschließlichkeit in der Literatur aufsucht, das Kind begreift die Literatur als Kommunikationsmittel, sein Zugehen auf den Vater ist der Versuch eines einverständlichen Austausches von literarischer Schrift und literarischem Wort. Daß dem Vater »in früherer Zeit die Regungen der Phantasie [ . . . ] nicht fremd gewesen sein müssen«, diese Annahme versucht der Knabe einem Dialog nutzbar zu machen. Er konnte dem Vater »kein größeres Vergnügen machen, als wenn ich ihm Romane, aber ausschließlich Ritter- und Geistergeschichten zutrug, die dann der ernste Mann, am schwedischen Ofen stehend und ein Glas Bier dazu trinkend, bis in die späte Nacht hinein las« (63, 27-64, 1). und eisern, daß die guten Zeugnisse nie ausblieben; woran sich mein Vater wohl heimlich erfreuen mochte, ohne daß er mir aber je ein Zeichen davon gab. Alle meine Professoren hielten mich für einen ausgemachten Juristen und nur ich wußte, daß ich es nicht war, denn es fehlte mir Lust und Liebe und daher auch der Geist und der Zusammenhang.« (92, 7 - 1 7 ) 45

Das Gelingen einer derartigen >Unterhaltung< ist auf engste Weise an das vom Vater an den Tage gelegte Rezeptionsverhalten gebunden. Solange dieser die vom Kind an ihn herangetragene Literatur abseits jenes »Konvenzionellen«, aufgrund dessen er die neueren Geschichten »zuwider« findet (64, 1 f.), abseits also des Herkömmlichen, des auf den Alltag verweisenden Bezugs, zu lesen vermag, als >fiktional< und als >RomanFiktionalität< sich delektierende Leseverhalten in irgendeiner Weise stört, schlägt das Einverständnis mit dem Vater um in väterliches Unverständnis gegenüber dem Sohn: »So oft ich ihm ein Gedicht meiner Arbeit, oder ähnliches zeigte, konnte er Anfangs eine gewisse Freude nicht verbergen, die aber bald in immer heftiger werdende Kritik überging, deren Schluß immer die stehende Phrase war >ich würde noch auf dem Miste krepierengute< Erinnerungen an den Vater hinsichtlich der eigenen Kindheit zu verfügen scheint. Wenden wir uns kurz auch diesen zu. Da ist einmal jene bereits in den frühesten autobiographischen Fragmenten erwähnte Liebe des Vaters zur Natur, die ihn zu Spaziergängen veranlaßt, »bei denen er, auf unglaubliche Entfernungen, manchmal die ganze Familie, häufig aber auch nur mich, noch als Kind, mitnahm« (63, 19—21), dabei wäre der Vater gegen seine Gewohnheit »froh und mitteilsam« (63, 21) gewesen. Da ist auch jene andere Erinnerung: Ich setzte sogar Lieder, die ich mit einer leidlichen Tenorstimme sang, darunter Göthes König von Thüle. Dieses Lied konnte sich mein Vater, gegen seine sonstige Gewohnheit, nicht satt hören. Ich mußte es immer wieder spielen und singen. N u r als es sich mit seiner Krankheit zu E n d e neigte, ließ er mir sagen, ich möchte es nicht mehr singen, es mache ihn traurig«. (99, 1 8 - 2 4 )

Und schlußendlich jenes Bild, in dem der Sohn, »von einer dunklen Ahnung eines baldigen Endes ergriffen« am Bett des Vaters »auf die Kniee« sinkt und »weinend« dessen Hand küßt. ( 1 0 3 , 1 ff.) 47

All diesen positiven Erinnerungen ist jedoch bei näherem Zusehen ein Moment der Destruktion beigegeben. Die Lektüre der »Ritter- und Geistergeschichten« ist, was den Vater anbelangt, in hohem Ausmaß von regressivem Charakter.39 Von der Liebe des Vaters zur Natur hatte es 1814 schon geheißen, daß »da sein Herz sich aufthat, und melancholisch heiter sich bis zu Schwärmereien vergaß«; in der »Selbstbiographie« finden die Spaziergänge ausdrücklich über »unglaubliche Entfernungen« statt [Kursive A.D.]. Was die Vertonung von Goethes Ballade anlangt, so hat schon Politzer vermutet, daß »das, was den Vater bewegte, nicht Grillparzers Vertonung, sondern Goethes Text gewesen« sei: »Der Todkranke sah den Becher des Balladenkönigs sinken und trinken und stürzen, als wäre es sein eigener.«40 Und die Tränen, die es dem Sohn am Sterbebett seines Vaters in die Augen treibt, sind von der »Ahnung eines baldigen Endes« bestimmt. Die Gefühle der Zuneigung, welche das Kind für den Vater empfunden haben mochte, werden vom Autobiographen konsequent nur dort zur Darstellung gebracht, wo dieser Vater sich vergißt, regressiv wird oder zugrunde geht. Zuneigung setzt Zerstörung voraus. Erst in seinem Verfall macht die »Selbstbiographie« auch das >Herz< dieses Mannes sichtbar.

5. D e r uneigentliche Vater Was haben wir unternommen? Wir haben eine Schreibweise, unter der wir drei zeitlich naheliegende autobiographische Fragmente der Frühzeit subsumierten, verglichen mit der »Selbstbiographie«, und sind darauf gestoßen, daß die jeweils andere Schreibweise auch ein jeweils anderes Verhältnis des Autobiographen zur Person des Vaters evoziert. Dies Verhältnis, Nähe oder Distanz, wird expliziert über die Konstituierung der Figur. Während das affektierte Schreiben der frühen Fragmente noch von der Überzeugung getragen wurde, das Herz des Vaters durch seine »Hüllen« hindurch erkennen zu können, richtet sich der tüchtige Stil in Prosa des späten Fragments am Vorsatz aus, vom »Innern« des Wesens Wenzel Grillparzers keine Rechenschaft zu geben. Die »poetisch-uneigentliche« Schreibweise hatte, 39

V g l . Musil, Robert: Tagebücher. H g . v o n A d o l f Frise. Reinbek bei H a m b u r g 1 9 8 3 , B d . 1, S. 140: » [ . . . ] die Beschreibung seines Vaters [ . . . ] , der ernst und verschlossen ist, keine Romane leiden mag, aber am Kamin stehend die Geisterromane seines Sohnes verschlingt [ . . . ] . «

40

Politzer, Heinz: Grillparzer oder D a s abgründige Biedermeier. Wien/München/ Zürich 1 9 7 2 , S. 18. 48

voll des Ressentiments, den Vater als >eigentlichen< in seiner Figur untergebracht, die Schreibweise der »Selbstbiographie« formt, indem sie strikt auf den »Hüllen«, dem Äußerlichen beharrt, den Vater aus einer Aura des >Uneigentlicheneigentlichen< an. Darauf wird zurückzukommen sein.

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DRITTES KAPITEL

Das Lesen Wir bewundern oder verurteilen das, was uns von einem Werk geblieben ist; will sagen, das Werk, das wir ihm entnommen und uns angeeignet haben. Daher die gewaltige Freiheit, die sich ein jeder Leser durch das Buch verschaffen kann; doch ist dieses niemals einem einzigen zu eigen.

Edmond Jabes i. Vom Verschlingen und der Leselust Spricht Grillparzer von den Jahren seiner »Lesewut« (63, 16), von der »immer neue[n] Begeisterung«, mit der er ein Buch von vorn bis hinten durchgelesen habe (70, 26), von der »unermeßliche[n] Leselust, die sich auf alles erstreckte, dessen ich habhaft werden konnte« (70, 5-7), spricht er davon, daß sich seiner »eine unersättliche Lust zur Romanenlektüre bemächtigt« (86, 25) habe oder davon, daß er mehr als neunzig Bände einer Weltgeschichte »mehr verschlang als las« (78, 14), so ist mit all dem ein Phänomen von Lektüre bezeichnet, das in der Epoche des ausgehenden 18.Jahrhunderts schlagartig an historischem Profil gewann. Die Möglichkeiten, die sich dem Leser durch die Entwicklung des Buchmarktes erschlossen, waren bekanntlich atemberaubend, und dies im doppelten Sinn des Wortes. Faszinierend einerseits, weil es zum ersten Mal möglich wurde, daß sich der Leser jenen Institutionen entzog, in deren Rahmen Lektüre jahrhundertelang stattgefunden hatte,1 gefährlich andererseits, weil diese individuelle, soeben aus kirchlicher Aufsicht befreite Lektüre aber auch der Kontrolle jener Institutionen zu entgleiten sich anschickte, die nunmehr anstelle der Kirche die neu entstehenden Lektürepraktiken zu regulieren unternahmen. Vor allem die Spätaufklärung fürchtete jenen »Ubergang vom kulturräsonierenden zum kulturkonsumierenden Publikum«, 2 den Habermas für die Mitte des 19.Jahrhunderts als

1

2

Stierle, Karlheinz: Walter Benjamin und die Erfahrung des Lesens. In: Poetica 12 (1980), Hft. 2, S. 227-248, besonders S. 228. Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit (Sammlung Luchterhand 25). Darmstadt/Neuwied 1 5 1984, S. 1 9 3 - 2 1 0 .

50

nahezu abgeschlossen ansetzt, dessen Wurzeln aber noch ins 18. Jahrhundert zurückreichen. Der Befund, daß die individuelle oder private Lektüre den in sie gesetzten Anspruch, einen Raum übergreifender politischer Öffentlichkeit abgeben zu können, beträchtlich unterbot, sollte allerdings nicht zur vorschnellen Annahme verführen, die Gründe für den drohenden und später tatsächlich eingetretenen Verfall literarischer Öffentlichkeit hätten ausschließlich an der neuen Form des Lesens gelegen. Wie vorsichtig vor allem mit Typisierungen wie jener vom »alles verschlingenden, jedoch nicht räsonierenden Leser« resp. von »>Lesesuchtgute< neben >schlechter< Literatur. Bibliotheken inszenieren dergestalt eine Gleichzeitigkeit der Lektürestoffe, in der alles, auch das Entfernteste, das Abgelegenste und Disparateste, auf einen Griff verfügbar scheint. U n d wie alle Bibliotheken versetzen auch diese Bibliotheken, als noch nicht gekannte, jene Welt, deren Surrogat sie darstellen, in einen Zustand potentieller Vielgestalt. Man kennt ihre Zentren nicht, ihre Hierarchien bilden sich erst allmählich, im Lesen,

aus. Wertvolle

Buchrücken

verkleiden

Belangloses,

schäbige

Buchrücken Wertvollstes. N o c h bevor der Leser die Ordnung der fremden Bibliothek kennt, hat er ihr schon seine eigene Geographie eingezeichnet, er orientiert sich nach dem einen oder anderen Buch. Die Faszination der Bibliothek besteht ja zu einem Großteil darin, daß sie die als 66

faktisch erkannte Ordnung dessen, was in ihr schriftlich aufbewahrt ist, umzustrukturieren vermag. Die Versuchung einer derartigen Bücherwelt hat Grillparzer denn auch nahezu lebenslang begleitet: Am 26. Februar 1813 tritt er, trotz finanzieller Schwierigkeiten, mit denen die Familie nach dem Tod des Vaters zu kämpfen hat, als »unbesoldeter Praktikant« (108, 29) in die k.k. Hofbibliothek ein; am 20. Mai 1834 verfaßt er ein Gesuch, in dem er sich um die Stelle eines Bibliothekars in der Wiener Universitätsbibliothek bewirbt; und zehn Jahre später, am 22. September 1844 bemüht er sich erneut bei der Hofbibliothek um eine Kustosstelle. Was Grillparzer derart anzog, scheinen gerade die unter organisatorischen Gesichtspunkten schon damals desolaten Zustände dieser Bibliotheken gewesen zu sein. Von »bibliothekarischen Systemalarbeiten« (113, 32), so Grillparzer, sei jedenfalls während seiner Praktikalzeit keine Spur gewesen. Die Beamten, »beinahe durchaus gutmütige Leute« (113, 26f.), hätten sich »ungefähr wie die Invaliden in einem Zeughause, oder der Hund beim Heu« (113, 27f.) benommen, ein Umstand, der Grillparzer gelegen kam: »Das war nun gerade mein Geschmack« (113, 34). Er habe gelesen und studiert, was ihm interessant erschienen wäre. Die Bibliothek gerät zum idealen Ort unkontrollierter Lektüre, der auch in der nahegelegten Vorstellung von den Bibliothekaren als Hunden die vorzivilisatorische Komponente nicht fehlt. Das Wort vom »Hund beim Heu« geht übrigens auf einen der berühmtesten Bibliothekare des 18.Jahrhunderts zurück, auf G . E . Lessing. 24

5. Phantasie als verschlungene Lektüre Zeichnen wir die Bewegung des Lesers nach, den der Selbstbiograph durch diese Bibliotheken hindurchschickt, als verschlingenden, als verwerfenden, als wertenden. Ohne daß das Nebeneinander der Lesestoffe nämlich aufgegeben würde, wird es doch auf den Leser hin organisiert. Mit Ewald von Kleist, so Grillparzer, hätte er »noch nichts anzufangen« gewußt, in »Lessings Nathan störte mich die wunderliche Abteilung der Zeilen, die Verse, und der matte Ausgang«; Gozzis Drama »II corvo« hätte der Leser in deutscher Ubersetzung »Göthes, Schillers und Shakespeares Dramen weit« vorgezogen. Auffallend ist vor allem die Vorliebe für Werke, die in sich

24

Vgl. dazu den Kommentar Hartmanns und Sauers in: H K A I , 16, S. 306 zu S. 1 1 3 , Zeile zji. desselben Bandes.

67

selbst schon eine Art Bibliothek enthalten oder lexikalische Verfahrensweisen exponieren: Nicht zufällig wirft sich der Knabe auf »ausführliche[n] Sach- und Namenregister«, wird ihm der »erste Band von tausend und Einer Nacht« vor anderen Büchern »schätzbar« oder greift er zu jener »Theater-Bibliothek«, bei der es sich um eine Sammlung von Textbüchern, »Die Deutsche Schaubühne«, handelt; 25 nicht zufällig auch macht ihn Buffons »Naturgeschichte mit seinen [sie] Planeten, Kometen, Ur-Revoluzionen [ . . . ] bald verrückt« oder fasziniert ihn eine »Sammlung von ReiseBeschreibungen«: »Die Krone für mich aber war Guthrie und Grays Weltgeschichte in mehr als neunzig Bänden, die ich, ich weiß nicht wie oft, mehr verschlang als las.« Das Buch, das Bibliothek ist, und die Bibliothek, die Buch ist: Der Gang des Lesens führt durch diese Gleichung und zeigt, was einer Analyse verschlingender Lektüre entglitte, wollte sie dieselbe nur an einzelnen, isoliert betrachteten Lesestoffen beschreiben: der Dialog der

Lesestoffe

untereinander. Grillparzer selbst schreibt einmal, die Heiligenlegenden hätten sich in seinem »Kopfe mit den macedonischen Helden [seil, aus Curtius' >Alexanderromanwilder< Intertextualität Elemente eines Werkes als aktuelle erkennt und aus ihrem Kontext reißt, um sie in der eigenen Vorstellung, den »Fantasieen«, 27 untereinander zur Kollision zu bringen. Der Gang durch die Bibliotheken, das Herausnehmen, Zurückstellen der Bücher, das Ubersehen des einen oder anderen, die Erinnerung an dieses oder das

25 26 27

Vgl. ebd. S. 287 zu S.78, Zeile 6 desselben Bandes. H K A II, 7, S. 26 (Nr. 56). Ebd., S. 28 (Nr. 56). 68

Vergessen jenes, fungiert insofern als exaktes Gleichnis für den Gang der Lektüre durch die Werke. Konstitutiv für die Affinität verschlingenden Lesens zur Metapher der Bibliothek ist der niedere Rang des einzelnen Werkes gegenüber der Gesamtheit der Bücher, der es entstammt. Die dialogische Beziehung der Werke untereinander impliziert doch, um überhaupt funktionieren zu können, die Voraussetzung des fragmentarischen Charakters der einzelnen, sich aufeinander beziehenden Lesestoffe. Nur daß dem einen Buch etwas fehlt, führt den Leser von der Lektüre des einen Buches der Lektüre des nächsten zu, läßt den Verschlingenden niemals satt werden und nährt bloß seine Sucht, den eigentlichen, durch die Lektüre erst bewußt werdenden und durch sie gleicherweise zelebrierten Mangel. Das Subjekt liest sich in das Defizitäre der Werke ein, versteht sich als Ort einer unaufhörlichen Vervollkommnung, die sich durch die Lesestoffe hindurch dekliniert wissen will und das Subjekt mit jedem Mal erweitert, doch abgemagert aus dieser Erfahrung hervorgehen läßt. Am Horizont, auf den eine derartige Lesetechnik zugeht und von dem es die Kraft zum Verschlingen des vor ihm Liegenden bezieht, steht die Vorstellung vom totalen Zusammenfall der verschlungenen Stoffe. Grillparzer erinnert in der »Selbstbiographie« einen solchen Fall sich kompakt ineinander verzahnender Lesestoffe in aller Ausführlichkeit. Es ist jener plötzliche Einfall, den er der »Ahnfrau« zugrunde legen wird: Ich hatte in der Geschichte eines französischen Räubers Jules Mandrin glaub' ich, die A r t seiner Gefangennehmung gelesen. Von den Häschern verfolgt, flüchtete er in ein herrschaftliches Schloß, w o er mit dem Kammermädchen ein Liebesverhältnis unterhielt, ohne daß diese, ein rechtliches Mädchen, ahnte, welch einem Verworfenen sie Kammer und Herz geöffnet hatte. In ihrem Zimmer wurde er gefangen. Der tragische Keim in diesem Verhältnis oder vielmehr in dieser Erkennung machte einen großen Eindruck auf mich. Eben so war mir ein Volksmärchen in die Hände gefallen, w o die letzte Enkelin eines alten Geschlechtes, vermöge ihrer Ähnlichkeit mit der als Gespenst umwandelnden Urmutter, zu den schauerlichsten Verwechslungen Anlaß gab, indem ihr Liebhaber einmal das Mädchen für das Gespenst, dann wieder, besonders bei einer beabsichtigten Entführung, das Gespenst für das Mädchen nahm. Beide Eindrücke lagen längere Zeit neben einander in meinem Kopfe, beide in dieser Isolierung unbrauchbar. Im Verfolg des ersteren wäre mir nie eingefallen einen gemeinen Dieb und Räuber zum Helden eines Drama zu machen; beim zweiten fehlte der gespensterhaften Spannung der sonstige menschliche Inhalt. Einmal des Morgens im Bette liegend, begegnen sich beide Gedanken und ergänzen sich wechselseitig. Der Räuber fand sich durch das Verhängnis über der Urmutter eines Geschlechtes, dem auch er angehören mußte, geadelt; die Gespen-

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stergeschichte bekam einen Inhalt. Eh ich aufstand und mich ankleidete, war der Plan zur Ahnfrau fertig.(ii7, 1 5 - 1 1 8 , 4 )

Ein Werk aus Werken also, dessen Poetik eine Poetik des >verschlingenden< Lesens verkörpert. Der Einfall, der nichts als ein Zusammenfall von Lektürestoffen ist, ist nicht zuletzt auch ein Einfall in jene Welt, die durch die Kluft zwischen Realität und Imaginärem gegen letzteres abgesichert erschien, ein Einbruch von Welthaltigkeit, der erkennen läßt, daß Imaginäres als Sinn überhaupt nur in seiner Rückbezüglichkeit auf die Wirklichkeit bestehen kann. Der Grillparzersche Begriff des Imaginären ist aber wie kaum ein anderer der Lektüre, der Bücherwelt verschwistert. Die Ubermacht dieses Begriffes hat er gerade in der »Ahnfrau« demonstriert: Sie kommt erst in dem Augenblick zur Ruhe, als das ihr gegenüber als real gesetzte Geschlecht zur Gänze ausgelöscht ist. Was aber auf der Bühne todbringend, in der Lektüre mörderisch erscheint, gewinnt in seiner Rückbezüglichkeit auf Realität analytisches Profil.



VIERTES KAPITEL

Im Zeichen der Stimme So absurd ist die Zusammensetzung meines Wesens, daß wenn Jemand mir meine letzte dramatische Arbeit als das Meisterstück der Poesie gepriesen hätte, es mir kaum so viel Vergnügen gemacht haben würde, als daß heute der Regens Cbori der Kirche am Hofe mir versicherte: ich hätte eine klingende Stimme, und sänge sehr gut. Franz Grillparzer,

Tagebuch

i. »Geheime Stacheln« Hartmann und Sauer haben in ihrer Einleitung zur historisch-kritischen Ausgabe der »Selbstbiographie« den Umstand, daß »oft über den schlechten Stil des Werkes Klage geführt« worden sei, zu einer emphatischen Verteidigung der »Selbstbiographie« genutzt. Die Argumentation, anhand derer solche und ähnlichlautende Urteile zurückgewiesen werden, mündet in die Feststellung, daß all die angekreideten stilistischen »Härten, Gewaltsamkeiten und Dunkelheiten« in dem Augenblick verschwänden, in dem man »die Sätze laut zu lesen beginnt«. Die dem Grillparzerschen Text angerechneten Widrigkeiten würden unter dieser Voraussetzung eo ipso als Stilmittel begreifbar, als Teil einer genau kalkulierten Strategie, die im Gefalle kolloquialer Sprechweise ebenso wie in Anlehnung an umgangssprachliche Formen und Formulierungstechniken auf einen »Ton mündlicher Erzählung« abziele. Eine »gewisse Ungleichmäßigkeit« gehe dem Text allerdings auch durch diesen >prosaisch< erweiterten Stilbegriff nicht verloren. Wo der Erzähler »vom Ernst fortgerissen, vom Unmut übermannt, von Wehmut ergriffen« oder »vom Schmerz durchzuckt« erscheint, werde nämlich »dieselbe Ungleichmäßigkeit« sichtbar, »die alle, welche im Alter mit ihm [seil. Grillparzer] verkehrten, an seinem Benehmen beobachten konnten«: »[D]as Berükkend-Liebenswürdige, Entgegenkommende, Hinreißende, das Frau von Ebner in ihren letzten Erinnerungen zu schildern nicht müde wird, das Schroff-Ablehnende, Abwehrende, Wortkarge, Grantige, das andern an ihm lästig fiel, das Launige, Witzige, Boshafte und Humoristische, das vielen Besuchern an guten Tagen entgegensprühte«, all dies vereine sich 71

in der »Selbstbiographie« »zu einem getreuen Abbild seines Wesens im Alter.« 1 Nun macht - soweit kann man Hartmann und Sauer abstrichlos folgen - Grillparzers Autobiographie tatsächlich in vielerlei Hinsicht auf das Phänomen von Mündlichkeit aufmerksam. In seinem Aufsatz zu »Grillparzers und Kafkas Schriften für eine Akademie« 2 hat beispielsweise Werner Welzig auf einige Stimmen hingewiesen, die in der »Selbstbiographie« auf höchst auffällige Weise nachklingen: das Vater-Wort etwa, das dem schriftstellernden Sohn verheißt, er werde »noch auf dem Miste krepieren« (87, 4); oder das Wort der Großmutter, die meint, man solle den Knaben nur gehen lassen, er habe es »wie die Geiß zwischen den Füßen« (79. 6f-). Weiters gibt es eine Reihe von Beispielen, die gleichsam rückbezüglich gelesen werden können, insofern nämlich, als sie in unterschiedlicher Weise Mündlichkeit und damit jene Form thematisieren, der sie scheinbar anvertraut sind. Zu denken wäre in dieser Hinsicht an den Vorwurf des Lehrers, daß unter allen Schülern des Jahrgangs Grillparzer »das wenigste O h r für den Vers« (81, 3 2 f.) habe. Auch an jene Wendung vom »etwas ins Ohr sagen« (110, 7), die Graf Seilern gebraucht, um auszudrücken, daß er angesichts des drohenden Regens seine gewöhnlich nur sehr langsam vorankommenden Schimmel auf wunderbare Art zu schnellerer Gangart veranlassen wolle, ein Unternehmen, das mißlingt und Grillparzer beinahe das Leben kostet. Schließlich sei auch jene denkwürdige Episode erwähnt, die Grillparzer im Zusammenhang mit der Erinnerung an seine Frankreichreise mitteilt. Bei einem Besuch in der Comedie fran^aise sei er zwischen zwei Herren zu sitzen gekommen, die in ihm [ . . . ] leicht den Deutschen erkannten. Sie sprachen daher von deutscher Poesie, indem sie auf einen etwas seitwärts von uns auf der vordem Bank sitzenden Mann wiesen, den sie als einen grand connoisseur de litterature allemande bezeichneten. Während sie nun von Schillair und Go-ethe sprachen, wendete sich der Kenner um und verbesserte: onprononce Gouthe. ( 2 1 7 , 5 - i o )

Gerade diese Beispiele, deren Reihen sich mühelos erweitern ließen, zeigen aber auch, daß sie jener Schrift, die zu überschreiten sie vorgeben, nicht zu 1 2

H K A I , 16, S.L. Welzig, Werner: Elemente autobiographischer Erzählung. Zu Grillparzers und Kafkas Schriften für eine Akademie. In: Anzeiger der phil.-hist. Klasse der Osterreichischen Akademie der Wissenschaften, 124. Jg. (1987), S. 1 2 - 3 3 .

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entziehen sind. Durch die Schrift sind sie zweifelsohne hindurchgegangen, durch sie erhalten sie auch ihr eigentümliches Profil. Das wird schon in der Notwendigkeit ihrer formalen Abhebung deutlich, die durch genuin skripturale bzw. typographische Techniken wie Anführungszeichen und Kursive ebenso erfolgen kann wie durch an deren Stelle tretende explizite Hinweise, die imaginäre Doppelpunkte setzen und damit den oralen Ursprung seinerseits als Setzung ausweisen. Oralität wird in schriftlichen Texten mithin immer nur simuliert. Ulrich "Wyss hat dies in einem grundlegenden Aufsatz zur Illusion von Mündlichkeit in literarischen Texten ausführlich dargelegt und gleicherweise demonstriert, daß diese Einsicht in den simulativen Charakter »immanenter Oralität« ihre Funktionstüchtigkeit in keinerlei Weise beeinträchtigt. 3 Die Akzentuierung einer Kluft zwischen mündlichem und schriftlichem Wort in der Schrift und durch die Schrift selbst zielt nämlich auf eine Einsetzung jener Qualitäten ab, die dem jeweiligen Medium extratextuell als eigen zuerkannt werden. Hartmanns und Sauers Rezeptionsvorgabe, die Anleitung zum lauten Lesen, kann diesbezüglich als exemplarisch gelten. Sie soll, anders kaum zu rechtfertigen, der Schrift eine Aura von Mündlichkeit verleihen, deren Wirkungsmächtigkeit und Faszination ungebrochen scheint und dadurch eine Ineinssetzung von Stil und Autor auch dort noch einsichtig zu machen versucht, wo dieser Zusammenfall als unmittelbarer obsolet geworden ist. Daß ein an sich extratextuelles Ressentiment gegen Schrift jedoch schon bei Grillparzer vorliegt, ist unschwer zu belegen. Schon für das Trauerspiel »Blanka von Kastilien«, auf welches sich der junge Grillparzer nach eigenen Worten »mit aller Lebhaftigkeit der ersten Jugend« geworfen hatte, erinnert das Tagebuch die baldige Einsicht, »daß die Ausführung geheime Stacheln habe, wovon ich in der Trunkenheit des Entwerfens nichts geahndet hatte«. 4 Dasselbe gilt noch für die Tragödie »Ein treuer Diener seines Herrn«. Auch hier vermerkt das Tagebuch eine bereits »ziemlich glückliche Anlage«: »Ich war schon so weit klar darin geworden, daß ich das Ganze eines Tages Flury'n [seil, einem Hofmeister des Grafen Stadion] von Anfange bis zu Ende mit allen Details erzählte und zwar so begeistert, daß ich ihn gleichfalls hinriß.« 5 Im Glauben, daß damit 3

Wyss, Ulrich: Literarische Archive der Oralität? In: Germanistik und Deutschunterricht im Zeitalter der Technologie. Selbstbestimmung und Anpassung. Vorträge des Germanistentages Berlin 1987. Hg. von Norbert Oellers, Tübingen 1988, Bd. 2, S . 2 0 5 - 2 1 3 . « H K A II, 7, S. 105 (Nr. 223). 5 H K A II, 8, S. 198 (Nr. 1428). 73

schon alles gewonnen sei, macht sich Grillparzer an die Niederschrift. »Aber es gieng wieder nicht.« 6 Und auch die Entstehungsgeschichte der »Ahnfrau«, deren zweiten Teil wir bisher unterschlagen haben, vermerkt einen gleichartigen Bruch. Grillparzer, so die »Selbstbiographie«, hat den Stoff Schreyvogel, dem damaligen Intendanten des Hofburgtheaters erzählt, »und zwar mit einer solchen Lebhaftigkeit und einer solchen bis ins Einzelnste eingehenden Folge, daß er [seil. Schreyvogel], selbst Feuer und Flamme, ausrief: das Stück ist fertig, Sie brauchen es nur niederzuschreiben« (118, 13-16). Nach Verlauf eines Sommers begegnet Grillparzer Schreyvogel aufs neue. Befragt danach, ob er der Aufforderung zur Niederschrift Folge geleistet hätte, muß er eingestehen: »Es geht nicht!« (II9.33)· Die Gründe, die der Selbstbiograph für sein Stocken anführt, erklären sein angesichts der beiden anderen analogen Situationen als paradigmatisch erkennbares Zögern nur unzureichend. 7 Die Ursache desselben scheint vielmehr am Problem der Schrift an sich gelegen zu haben, der schriftlichen Form, in die seinen Stoff, seine »Gedanken-Embryonen« (155, 3) überzuführen Grillparzer nur unter äußerster Anstrengung gelingen wollte. Der Tagebuchschreiber, der von der Entstehung »Blanka von Kastiliens« handelte, hatte dies deutlich genug hervorgestrichen. Für den vorläufigen Abbruch seines Unternehmens hatte er neben allzu langem Stillsitzen nämlich jene »außerordentliche Abscheu« verantwortlich gemacht, die er schon »von Kindheit her« und »besonders« gegen das »Schreiben« hegte.8 Abscheu gegen die Schrift, die Niederschrift ( » [ . . . ] mein ungeheurer Abscheu gegen Tinte und Feder [...]«, wie Grillparzer an anderer Stelle formuliert 9 ), wohingegen die mündliche Erzählung seiner Entwürfe Grillparzer keinerlei Mühe zu bereiten scheint - das meint nicht zuletzt eine unterschiedliche Eignung sprachlicher Repräsentationsformen.

6

Ebd.

7

Einerseits sei es der virulent gewordene Entschluß gewesen, »der dramatischen Poesie ganz zu entsagen« ( 1 1 8 , 6), andererseits ein »Schamgefühl, einen Stoff zu behandeln, der höchstens für die Vorstadttheater geeignet schien« ( 1 1 8 , 7f.). Zumindest das zweite A r g u m e n t wird v o m Selbstbiographen, kaum ausgesprochen, schon wieder ironisch korrigiert, habe er sich doch ohne weiteres imstande gesehen, »die Geistergeschichte so auszustatten, daß man entweder ein D u m m kopf oder ein deutscher Gelehrter sein müsse um viel dagegen einwenden zu können« ( 1 1 8 , 1 0 - 1 2 ) .

8

H K A II, 7, S. 105 ( N r . 222).

9

Brief an Κ . A . Böttiger v o m 6. A p r i l 1 8 1 8 , H K A III, i , S . i o 8 f .

74

2. Das Lispeln Die Frage nach dem Grillparzerschen Verständnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit läßt sich im Rahmen der »Selbstbiographie« präzisieren durch eine Geschichte, die im Kapitel über das Lesen keine weitere Beachtung erfuhr: die Geschichte des Lesenlernens. Grillparzer erinnert zwei Etappen des Leseunterrichts. In der Sommerfrische habe ihm ein als »respektvoll« (68, 7) geschilderter »alte[r] Schulmeister die Anfangsgründe der Buchstabenkunde, wohl auch des Buchstabierens« (68, 5 f.) beigebracht. Diese Versuche führt bald darauf die Schwester eines Klavierlehrers fort, eine »äußerst lange, sehr häßliche, übrigens aber vortreffliche Frau« (69, 15 f.), die ihren Bruder hie und da im Klavierunterricht vertritt und den Knaben, »während der nur zu häufigen Ausruhe-Pausen« (69, iy{.) noch einmal lesen lehrt, allerdings »nach einer damals wenig bekannten, gegenwärtig aber, wie ich höre, häufig angewandten Lautier-Methode« (69, 18-20). Individualgeschichtlich findet sich damit ein Methodenwechsel reproduziert, der auch die allgemeine Geschichte des Lesenlernens aufs nachhaltigste bestimmte. Nicht nur deshalb verlangt dieser merkwürdige Hinweis auf zwei verschiedene Methoden des Leseunterrichts nach einem Kommentar. 1 0 Der Ansatz des alten Schulmeisters gibt sich als der traditionelle zu erkennen. Unter der Bezeichnung »Buchstabiermethode« bekannt, sah er vor, daß der Schüler vom Aufsagen der Buchstabennamen zum Lesen geführt werden sollte. Der Schüler prägte sich die graphischen Zeichen des Alphabets anhand ihrer Namen ein und lernte erst in einem zweiten Schritt deren Zusammensetzung und Aussprache an Silben und Wörtern. Diese Vorgangsweise barg den Nachteil, daß zwischen dem buchstabierten Wort und dem Wort, wie es schlußendlich gelesen wurde, sich ein Sprung auftat, dessen Uberbrückung der methodische Ansatz zwar einforderte, selbst jedoch nicht reflektierte. Insofern ist es nicht verwunderlich, daß die Abkehr von der Buchstabiermethode in der Fachliteratur als »kopernikanische Tat« 1 1 eingestuft wird. Die sogenannte Lautiermethode, der diese epochale Wende zuzuschreiben ist, machte sich die Einsicht zunutze, daß zum Zweck einer Erleichterung des Lernprozesses entgegen der bisher geübten Gepflogen-

10 11

Hiebei folge ich der Darstellung in: Lesen - Ein Handbuch. Hg. von Clemens Baumgärtner. Hamburg 1973, S. 3 j6ff. Ebd., S. 360. 75

heiten vom Lautwert, der phonetischen Realisierung der Buchstaben ausgegangen werden könnte. Anstelle synthetischer Verfahrensweise, deren sich die Buchstabiermethode bedient hatte, indem sie ein Zusammenstükken der einzelnen graphischen Zeichen zur übergeordneten Zeicheneinheit vorexerzierte, unterbreitete die Lautiermethode den Vorschlag akustischer Analyse und Segmentierung. Dem Schüler sollte demnach nicht mehr das isolierte graphische Zeichen, sondern das Lautkontinuum des ganzen Wortes als Grundstein seiner Bemühungen dienen. Somit wurde eigentlich nur dem Umstand Rechnung getragen, daß Lesen und Schreiben als zwei prinzipiell gegenläufig ausgerichtete Umgangsweisen mit Schrift adäquaterweise auch zwei verschiedene Zugänge erfordern. Daß sie den Schüler nicht mehr lesen lehrte, wie er schreiben lernte, sondern den Leseakt aus sich selbst und nicht, wie die Buchstabiermethode, aus dem Schreibprozeß herleitete, dies ist wohl das eigentliche Verdienst der Lautiermethode, die sich, historisch betrachtet, erstaunlich spät durchsetzte. Valentin Ickelsamer etwa, auf den die Vertreter der Lautiermethode zurückgreifen konnten und auch zurückgriffen, hatte in seiner »Rechten Weis auffs kürtzist lesen zu lernen« einen derartigen Ansatz schon für das 17. Jahrhundert ausgearbeitet. Auch er war von einer Betonung der lautlichen Seite sprachlicher Ausdrucksformen ausgegangen: Daß das Lesen »auß den Wörtern vnd rede« zu erschließen sei »vnd nit die Wörter auß dem /a/be/ce/ wie wir yetzt thun«, darauf hatte er mit demselben Nachdruck verwiesen, mit dem er auch einer Synonymie von Schriftzeichen und Buchstaben entgegengetreten war; als Buchstaben bezeichnete er konsequenterweise »teyle eynes worts/mit natürlichen Instrumenten der zungen und des munds gesprochen vnnd ausgeredt«. 12 Grillparzer wurde durch diesen Methodenwechsel nicht nur vor die Notwendigkeit eines neuerlichen, neuen Lernansatzes gestellt, derselbe zeitigte zudem eine tiefreichende Erschütterung, was seine Person anlangt. Dies durch ein Faktum, dem die Forschung bislang mehr biographischen denn konstitutiven Wert für das Grillparzersche Selbstverständnis und seine Poetik einräumte. Die sich zumeist im Ausweichen in psychologische oder psychoanalytische Modelle spiegelnde Verwunderung über Grillparzers Abneigung gegen den eigenen Namen übersieht häufig, daß es Zeiten gab, in denen Grillparzer diesen Namen nicht einmal korrekt zu artikulieren vermochte. 13 Neben Skoliose und Kurzsichtigkeit litt er als Knabe 12 15

Zitiert nach Baumgärtner, a . a . O . , S. 361. Vgl. etwa Politzer, Heinz: Franz Grillparzer oder Das abgründige Biedermeier. Wien/München/Zürich 1972, S. 23.

76

nämlich unter einem Sprach-, genauer: unter einem Sprechfehler. Er lispelte. Und dieses Gebrechen mußte durch die Lautiermethode, die das Wort analog zu Ickelsamer »als mit natürlichen Instrumenten der zungen und des munds ausgesprochen vnnd ausgeredt« zur unabdingbaren Prämisse erhob, nachdrücklich hervorgehoben werden. Es kam folglich zu einer unerbittlichen Auseinandersetzung des Knaben mit dem eigenen Sprechen, einer Auseinandersetzung, in der die Schrift zum exakten Analyse-Instrument physisch beeinträchtigter Oralität degradiert wurde. Nicht das Lesenlernen, das gleichsam nebenbei erfolgte (daß er nicht mehr wisse, »wie es ging« (69, 22), merkt der Selbstbiograph an), das Sprechen, die eigene Stimme stellten unter diesen Voraussetzungen die primäre Herausforderung dar. »Erst später«, so wiederum der Selbstbiograph, »als ich von Demosthenes las, daß er einen vielleicht ähnlichen Fehler der Zunge dadurch bezwang, daß er mit in den Mund genommenen kleinen Kieselsteinen laut und anhaltend las, wurde ich, indem ich sein Beispiel nachahmte, des Zischlautes bis zum Unmerklichen mächtig« (79, 22-27). Dazwischen zeichnen sich Szenen einer Kindheit ab, auf die Grillparzer zwar selten, doch mit außerordentlichem psychologischen Scharfblick zurückkam. So, wenn er 1827 in einem der berühmten »Fixmüllner«-Fragmente von seiner, wie er sich ausdrückt, angeborenen »Rede- und Menschenscheu« handelt. 14 Nicht ohne durch Hervorhebung auf die intrikaten Beziehungen von mündlichem und schriftlichem Wort einzugehen, begründet Grillparzer diese Scheu durch zweierlei: Erstens, daß er einen Widerwillen gegen den Klang seines N a m e n s hatte, und in die gröste Verlegenheit gerathen konnte, wenn ihn jemand bei demselben nannte, oder wohl gar nach seinem N a m e n fragte. (Gedruckt nachher nicht sehen und lesen können) Zweitens

hat er ihn noch lange

hatte er von seiner Mutter den

ihrer Familie eigenen Fehler einer lispelnden Aussprache geerbt, dessen deutliches Bewußtseyn ihm jedes Gespräch zur eigentlichsten Marter m a c h t e . 1 5

Ubereinstimmend dazu die »Selbstbiographie«, die dieselbe Verkettung von Menschenscheu und Sprechfehler vornimmt: »Ich war mir«, so Grillparzer an entsprechender Stelle, »dieses Sprachfehlers, im Gegensatz meiner Verwandten, die ganz unbefangen plauderten und sogar Komödie spielten, vollkommen bewußt, und vielleicht rührte meine Schüchternheit " HKA II, 8, S. 322 (Nr. 1673). 15

Ebd.

77

als Knabe zum Teile daher, daß ich in große Verlegenheit geriet, so oft mich Jemand Fremder ansprach, und daher jeden solchen Anlaß vermied« (79, 28-33). Das Problem ist, den guten Ausgang im Auge, nicht auf den Zeitraum seiner unmittelbaren Aktualität zu beschränken, auf die Jahre, in welchen der »vollkomme[n] bewußte« Sprechfehler »jedes Gespräch zur eigentlichsten Marter machte«. Erving Goffman hat dargelegt, daß beschädigte Identitäten durch die Bewältigung des ihnen zugrundeliegenden Defekts keinesfalls mehr in einen Zustand ursprünglicher Unberührtheit übergeführt werden können. 16 Das Resultat einer derartigen Bewältigung, so Goffman, sei »nicht der Erwerb eines vollkommen normalen Status, sondern die Transformation eines Ich mit einem bestimmten Makel zu einem Ich mit dem Kennzeichen, einen bestimmten Makel korrigiert zu haben«. 17 Die Konvergenz von Ich und eigenem Sprechen, im Bild des Steinchen im Mund wälzenden Knaben genetisch freigelegt, kommt somit nicht dort an ihr Ende, w o der Sprechfehler nach lange aussichtslos erscheinenden Mühen und Bemühungen überwunden scheint. Noch der Zweiundsechzigjährige formuliert, daß der Knabe des Zischlauts »bis zum Unmerklichen mächtig« geworden sei und gibt damit dezidiert zu erkennen, daß nicht von einer Tilgung oder Auslöschung des Sprechfehlers die Rede sein konnte, sondern lediglich von seiner leidlichen Beherrschung. Womit jene Hypothek benannt ist, die letztlich auf allen Grillparzerschen Äußerungen lastet. Seine Worte, gleichwohl zu welchem Zeitpunkt geäußert, haben immer schon diese eine Geschichte. Insofern nimmt das spezifische Verständnis von Mündlichkeit, wie es uns im Fall Grillparzers entgegentritt, strengere Konturen an: Radikal subjektiviert und pathologisch vertieft findet sich das phonetische Zeichen an das Ausdruckssubjekt geknüpft, verschmilzt vollkommen mit der eigenen, der Sprache zuarbeitenden Stimme, die ihrerseits zum Ort unmittelbaren, authentischen Ausdrucks wird. Wenn wir im folgenden von >Stimme< sprechen, meinen wir demzufolge eine unverwechselbare Rede, eine Rede, die nicht nur im Subjekt ihren Ausgang nimmt, sondern dieses Subjekt selbst in all seinen Formen, auch den disparatesten, repräsentiert. Dafür steht, richtungsweisend, eine Episode, die das Grillparzersche Tagebuch von 1810 verzeichnet:

16

G o f f m a n , Erving: Stigma. Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität (suhrkamp taschenbuch Wissenschaft 140). F f m . 8 i 9 8 8 .

17

Ebd., S. 18.

78

Mir begegnete heute sehr etwas außerordentliches. Gleich anfangs als der Kastrat Velluti nach Wien kam, hatte ich mir fest vorgenommen ihn nicht zu hören, weil ich alles wiedernatürliche scheue, und diese Art insbesondere verabscheue. Ich hielt meinen Vorsatz bis heute. Unabläßiges Dringen einiger meiner Bekannten Velluti'n zu hören, und wohl meistens die Langeweile, die mich plagte, trieben mich dazu an. Ich gieng ins Theater wo man eben Ginevra di Scozia gab, aber wie ward ich bestraft. Kaum hörte ich den ersten Ton aus dem Munde des Kastraten, als mich ein sonderbares unangenehmes Gefühl überfiel, ich suchte es gewaltsam zu unterdrüken, aber es wuchs bald zu einer solchen Stärke daß ich auf den Punkte war niederzusinken, und halb tod das Schauspielhaus verlaßen mußte. Ich erinnere mich mein ganzes Leben hindurch kein so wiederliches Gefühl gehabt zu haben. 18

Daß die Bedeutung, die dieses Erlebnis für Grillparzer assumierte, weit über den unmittelbaren Anlaß hinausreicht, läßt sich dem Umstand entnehmen, daß Grillparzer sieben Jahre später, gleichfalls im Tagebuch, noch einmal auf diese Begebenheit zurückkommt. Neben einer zweiten »ähnliche[n], äußerst angreifende[n] Empfindung« führt er sie als markantes Beispiel einer jener Reizungen seines »Nervensistem[s]« an, in deren Verlauf er »oft das Denken wie eine mechanische Operazion wahrzunehmen« glaube (»Jeder Gedanke gibt gleichsam einen elektrischen Schlag, und die Ideen komuniziren untereinander in wellenförmigen Bewegungen«). 1 9 Wiederum unterstreicht Grillparzer den widerwärtigen Eindruck, den die Vorstellung auf ihn gemacht hatte. Im Lauf derselben habe sich sogar die Gestalt des Sängers verändert, »aufs häßlichste« und »bis zu einer wahren Teufelsfratze«. 2 0 Die heftige Reaktion ist andererseits Indiz dafür, daß wir es hier mit >Minidramen< einer von Grund auf bedrohten Selbstexpression zu tun haben. Die zweite Begebenheit, die Grillparzer neben der im Kontext der Kastration stehenden Konzertepisode anführt, bezieht sich auf die Aufführung eines »(übrigens weniger als mittelmäßigen)« Schauspiels: »Die Waise und der Mörder«; die Hauptrolle der taubstummen

Waisen sei mit einer

derart »hinreißende[n] Lebhaftigkeit« gegeben worden, daß sich Grillparzer »mühsam aus dem Theater schleppen« mußte: »Auch hier war meine Empfindung gleichsam mit einem schimmernden Lichte begleitet, das aus dem Körper der Schauspielerin auszugehen schien.« 2 1

18 19 20 21

H K A I I , 7, S. 59f. ( N r . i o i ) . H K A II, 7, S. 89 (Nr. 202). Ebd., S.90. Ebd.

79

3. Stimme und Schrift M i t dem Sprechgebrechen und seiner Geschichte ist eine individuelle D i s position umschrieben, die Grillparzer ins Zentrum eines erst in den letzten Jahrzehnten wieder mit erhöhter Aufmerksamkeit bedachten A x i o m s abendländischen Denkens rückt, nämlich jenes des Phonozentrismus, als dessen - zumindest was die Neuzeit anlangt - prominentester Kronzeuge Jean-Jacques Rousseau gilt. Mit seinem »Essai sur l'origine des langues« formulierte er unter anderem paradigmatische Einsichten in die Zusammenhänge skripturaler und oraler Repräsentationsformen von Subjektivität. 2 2 Einen Menschen »nach seinem Buch« beurteilen zu wollen, so einer der Hauptsätze des Essays, sei dem Ansinnen gleichzusetzen, ihn »nach seinem Leichnam« zu malen. 2 } D e m geht folgende Überlegung voraus: L'ecriture, qui semble devoir fixer la langue, est precisement ce qui l'altere; eile n'en change pas les mots, mais le genie; eile substitue l'exactitude ä l'expression. L'on rend ses sentimens quand on parle, et ses idees quand on ecrit. (...) On ecrit les voix et non pas les sons: or, dans une langue accentuee, ce sont les sons, qui font la plus grande energie du langage, et rendent une phrase, d'ailleurs commune, propre seulement au lieu oü elle est. Les moyens qu'on prend pour suppleer ä celui-lä etendent, allongent la langue ecrite, et, passant des livres dans le discours, enervent la parole meme. En disant tout comme on l'ecrirait, on ne fait plus que lire en parlant. 24 »Die Schrift also«, so der Kommentar Ulrich W y s s ' , »als Alteration, Perversion von Gesprochenem, das dem Subjekt geraubt und einem ihm entfremdeten Schematismus eingepaßt wird, sobald es sich verschriftlichen muß«, als »Störfaktor, der uns am Zugang zu der Wahrheit des Subjekts hindert«. 2 5 22

O b Grillparzer diesen »Essai« gelesen hat, bleibe dahingestellt. Der Horizont allerdings, in dessen Licht der aus dem zweiten »Discours« herausgebrochene und in der Folge zu eigenständiger Einheit gebrachte »Essai« auftaucht, war Grillparzer bestens vertraut: In seiner nachgelassenen Bibliothek fand sich eine fünfundzwanzigbändige, originalsprachliche Ausgabe der Rousseauschen Schriften, die intensivste Phase der Auseinandersetzung mit Rousseau fällt in die frühen Zwanzigerjahre. Vgl. die Tagebucheintragungen N r . 990-992, 1001, 1020, 1037, 1041, 1046, 1047, 1051, 1052, 1057, 1058, 1061, 1079, 1082, 1098, 1099, 1108, 1113 etc.

23

Zitiert nach: Rousseau, Jean-Jacques: Sozialphilosophische und Politische Schriften. München: Winkler 1981, S.201. 24 Zitiert nach: Wyss, Ulrich: Die wilde Philologie. Jacob Grimm und der Historismus. München 1979, S. 242. " Ebd. 80

Jacques Derrida wiederum hat in seiner »Grammatologie« darauf aufmerksam gemacht, daß eine derartige Diskriminierung der Schrift vor dem Hintergrund »der großen Rationalismen des 17. Jahrhunderts« zu sehen ist, jener Zeit also, in der sich die metaphysische »Bestimmung der absoluten Präsenz als Selbstpräsenz, als Subjektivität« durchsetzt. 26 Die auf diese Verschiebung reagierende Schriftkritik bleibe zwar der platonischen A u f fassung von Schrift verpflichtet, beziehe sich aber - und dies ist das eigentlich »rousseauistische Moment« - auf ein gewandeltes Modell von Präsenz: Letztere werde nicht mehr als eidetische gedacht, sondern als Selbstpräsenz »im Gefühl, im sinnlichen cogito«. 27 Das ermöglicht zugleich einen Angriff auf den Topos vom >toten Buchstabens Verdamme Rousseau in seinem Essay nämlich Schrift einerseits als »sekundäre«, »repräsentierende«, korrumpierte und »abgefallene«, als Schrift der Bedürfnisse und Notwendigkeiten, so verehre er sie andererseits »im metaphorischen Sinn«, als »natürliche«, der Natur abgelauschte, »göttliche« und »inspirierte«, als Schrift der Leidenschaften und des Begehrens. 28 Zerstöre und verseuche jene die Rede, nehme »dem Leben den Atem«, so sei diese nicht grammatikalisch, sondern pneumatologisch definiert, 29 als Schrift, die sich, darin der phone gleich, »in nächster Nähe zu sich selbst vernimmt« - »als völlige Auslöschung des Signifikanten: Sie ist reine Selbstaffektation, die notwendigerweise die Form der Zeit annimmt, die sich außerhalb ihrer selbst, in der Welt oder in der >Realitätoral< bzw. phonozentrisch begründeten Subjekts letztlich immer nur ein fahles Surrogat mündlicher Rede darstellt, dem Subjekt Selbstaffektation und Selbstpräsenz verweigert, weil ihr allemal ein entfremdendes Moment beigegeben ist, das zwar metaphorisch kompensiert, realiter jedoch niemals ausgemerzt werden kann, darauf hat Grillparzer (»So absurd ist die Zusammensetzung meines Wesens[... ]« 3 1 ) vornehmlich im Zusammenhang musikalischer Erfahrungen hingewiesen. Dies liegt insofern nahe, als Musik ihrerseits, in Gestalt der >Noten-Schrift ι)· Der von Goethe geschilderte Klavierlehrer verfuhr bekanntlich in gleicher Weise. Er hatte »[f]ür jeden Finger der rechten und linken Hand [ . . . ] einen Spitznamen«, desgleichen für Tasten und Töne; im Unterricht aber war von diesen niemals die Rede: »So trocken wie die Noten auf und zwischen den fünf Linien blieben auch die schwarzen und weißen Claves, und weder von Däumerling noch Deuterling noch Goldfinger war mehr eine Silbe zu hören [ , . . ] . « 3 3 Die summarische Zählung der Notenlinien, derer sich Goethe bedient, findet sich bei Grillparzer aufgefächert, wodurch der Effekt des »Trockenen« und Schematischen verstärkt wird. Welch Ausdruckspotential Grillparzer hingegen nicht transkribierter Musikalität abgewinnt, ist einer Episode zu entnehmen, deren Korrespondenz zur Erfahrung des ersten Klavierunterrichts auffallend deutlich zu Tage tritt: Wo Grillparzer von der Erschütterung spricht, die durch die Bettlägrigkeit des sterbenskranken Vaters in ihm ausgelöst worden war und »das Bedürfnis einer Ableitung nach Außen« (98, 12 f.) weckte, heißt es: Ich verfiel auf die Musik. Das Klavier w a r d geöffnet, aber ich hatte alles vergessen, selbst die N o t e n waren mir fremd geworden. D a kam mir nun zu statten, daß mein erster Klaviermeister Gallus, als er mich in halb kindischer Tändelei bezifferten Baß spielen ließ, mir eine Kenntnis der Grundakkorde beigebracht hatte. Ich ergötzte mich an dem Zusammenklang der Töne, die A k k o r d e lösten sich in Bewegungen auf und diese bildeten sich zu einfachen Melodien. Ich gab den N o t e n den Abschied und spielte aus dem K o p f e . N a c h und nach erlangte ich darin eine solche Fertigkeit, daß ich Stundenlang phantasieren konnte. (98, 1 6 - 2 6 )

Die Verabschiedung der Noten-Schrift, an deren Stelle das Spielen »aus dem Kopfe« tritt (das allein, in einer Phase tiefgreifendster Erschütterung, adäquate Ich-Artikulation, »Ableitung nach Außen«, erlaubt) findet ihre markante Parallele in dem paradox anmutenden Herzstück der Geschichte des Lesenlernens, demzufolge Grillparzer »am Klavier sitzend« lesen lernte - »ohne Buch« (69, 21). Hier wie dort wird die Entdeckung einer »inneren Schrift< verhandelt, deren reinste Form der Selbstbiograph nicht zufällig im unmittelbaren Kontext der Erinnerung an das erste Klavierspiel beschreibt. Auf dem Landgut des Grafen Seilern nämlich, w o Grillparzer als Hofmeister beschäftigt war, sei kein anderes Instrument zur Verfügung gestanden als »ein altes Klavier ohne Saiten« (98, 34): Nichtsdestoweniger habe er »mit Entzücken halbe Tage lang« darauf phantasiert, ganz bei sich selbst sei ihm »der Abgang des Tones [ . . . ] gar nicht fühlbar« gewesen (98, 34-99, 1).

33

Goethe, Johann Wolfgang v o n : A u s meinem Leben. Dichtung und Wahrheit (Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche, B d . 10). Z ü r i c h 2 1 9 6 2 , S. 1 3 1 ) .

83

Den für das Verständnis >innerer< Schrift vielleicht wertvollsten Hinweis aber liefert das Tagebuch in der Eintragung vom 30.Juni 1810, nicht nur deshalb, weil Grillparzer sich darin auch explizit auf die Schrift an sich bezieht: In gewißen Stimmungen nähmlich, w o mich Melancholie befällt, aber nicht jene wilde, zerstörende, die mich gewöhnlich plagt, sondern sanftere, das H e r z öffnende, ein seltenes Uiberbleibsel besserer Zeiten, da greife ich oft zu einem Buche, und lese, Verse am liebsten. Ich pflege Verse, wenigstens die bessern, laut zu rezitiren, und nun ereignet sich eine sonderbare Sache. Die Melodie der Verse, das Steigen und Fallen, der sanfte, schmelzende oder herrische Ausdruk der Stimme bringt meine Fantasie in Bewegung, vergangene, halbverlöschte Bilder erneuern sich in meiner Seele, reitzende Ideale formen sich, ich gerathe in Enthusiasmus, aber nicht für das was ich lese, nicht für die Ideen die mein M u n d ausspricht, für andere, schönere (da ein G e f ü h l im Herzen stets schöner ist als eines auf dem Papiere) oft ganz fremdartige Bilder entstehen, und diese rezitirt meine Seele möchte ich beinahe sagen zu den Versen, die ich lese; ungefähr wie ich öfter zu einer v o r mir liegenden Musick, die gar nicht z u m Singen bestimmt war, Worte gesungen habe, die Verse die ich lese sind mir nur das

Accompagne-

ment für den Text in meinem K o p f e [ . . . ] . 3 4

Das zeigt in aller Schärfe an, worin sich das auf den ersten Blick mit der Rousseauschen Theorie von Stimme und Schrift vereinbar erscheinende Schriftverständnis Grillparzers doch fundamental von jenem unterscheidet. Die »innere Schrift«, die Schrift »im Kopf«, der »Text im Kopf«, wie auch immer Grillparzer dies formuliert, ist vollkommen dissoziiert von jenem sekundären Schrifttypus, den die metaphorische Schrift Rousseaus zu überschreiten vorgibt. Als »Accompagnement« läuft die technische, graphische und abgefallene Schrift neben der inneren, inspirierten und lebendigen her. Die durch den Klang, die lautliche Gestalt der Wörter stimulierte Bedeutung ist mit der ursprünglich durch diese Wörter gemeinten nicht mehr kompatibel. Gerade umgekehrt ist diese auf ein Sinnpotential bezogen, auf »vergangene, halbverlöschte«, »oft ganz fremdartige« Bilder, die, ansonsten skripturaler Zensur verfallend, sich gegen diese Schrift in der Seele erneuern. 35 Der Schrift als abgeschlossenem Gebilde vermag sich das Grillparzersche Subjekt nur um den Preis seiner selbst einzuschreiben. N u r so erklärt sich auch das »höchst wunderlich[e]« Benehmen (123, 31), das die »Selbstbiographie« für den Besuch der Erstaufführung der H K A , II, 7, S. 5f. ( N r . 9 6 ) . 35

V g l . auch die Passage der »Selbstbiographie«, die von der Entstehung des » G o l denen Vließes« handelt ( 1 5 4 , 2 1 - 1 5 5 , 84

I

®)·

»Ahnfrau« am 31.Jänner 1817 im Theater an der Wien vermerkt: Im Zuschauerraum sitzend, rezitierte er, »ohne es zu wissen, das ganze Stück leise mit« (123, 32). Das Tagebuch von 1817 umschreibt die einmal mehr als »unbeschreiblich widerlich« geschilderte Empfindung mit folgendem, Rousseaus Wort vom Schrift-Leichnam präzisierenden Vergleich: »Ich denke wenn man mir unvermuthet mein eigenes lebensgroßes Bild, in Wachs geformt nach der Natur bemalt und doch in seiner ganzen todten Starrheit, vor die Augen brächte würde mein Gefühl viel ähnliches mit jener Empfindung haben.«36 Die Rezitation gibt sich damit als der wahrhaft »wunderliche« Versuch einer >künstlichen Beatmung< zu erkennen, eines Wiederbelebungsversuchs, der konsequenterweise durch die eigene »phone*nicht die Stimmen der anderen, erfolgt.

4. »Man muß nur in die H a n d blasen [ . . . ] « Welche Folgen aber zeitigt ein derartiges Schriftverständnis, das sekundäre, buchstäbliche und repräsentierende Schrift dem Signifikat nach vollkommen von dessen metaphorischer Überschreitung dissoziiert, ja beide überhaupt nur mehr aufgrund ihrer Musikalität vermittelt sieht, welche Folgen zeitigt ein derartiges Schriftverständnis für die Praxis des Schreibens ? Zwei grundsätzliche Möglichkeiten deuten sich an. Da ist zum einen jenes Schreiben, das vor allem im Tagebuch immer wieder von neuem thematisiert wird. Zum Beispiel in einer Eintragung von 1826: Ich schreibe diese unzusammenhängenden Sätze eigentlich nur hin u m mich zu sammeln, um mich von jener unseligen Zerstreuung zurükzurufen, die mein Labsal ist und meine Marter zugleich. M i t einem großen H a n g zur Unthätigkeit von N a t u r aus, scheint mein ganzes Wesen auch eine lange fortgesetzte A n s p a n nung nicht ertragen zu können. E s lebt N i e m a n d , den geistige A n s t r e n g u n g so sehr ergreift als mich, besonders w e n n sie ohne Begeisterung geschieht. Begeisterung ist der einzige Hebel meiner N a t u r . Ich weiß nicht, ob ich durch meine Bemühungen meine Gesundheit zu stärken mir nicht in geistiger Hinsicht viel geschadet habt. A l l die heroischen Mittel: starke Bewegungen, häufiger G e brauch kalten Wassers haben vielleicht die Empfänglichkeit meines N e r v e n s y stems abgestumpft, und das Krankhafte in meinen ersten Werken scheint fast darauf hinzudeuten, daß ein abnormer Nervenzustand an ihrer Entstehung einen großen Theil hatte. 3 7

36

H K A I I , 7, S . 9 1 ( N r . 204).

37

H K A I I , 8, S. 186 ( N r . 1 4 1 3 ) .

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Analytisch und darin vollkommen leidenschaftslos, beschreibend und dabei resignativ, klarsichtig und keinesfalls inspiriert, parataktisch und insofern der mündlichen Rede entfremdet, repräsentieren diese Zeilen par excellence jene verdammte Schrift, die schon einem Tagebuch anvertraut werden muß, das zumindest im Ansatz, in der durch das spezifische Genre vorgegebenen Konstellation des mit sich selbst beschäftigten Schreibers, Selbstpräsenz simuliert. Denselben Schrifttypus beschreibt und bemüht gleicherweise eine Tagebuchnotiz von 1 8 2 1 : Wie war ich reich und wie bin ich arm geworden? So zerstreut, daß ich kaum vermag eine Idee fest zu halten; so mißstimmt, daß mich selbst die Lektüre von Meisterwerken aneckelt; so abgespannt und trag, daß mich zu schreiben verdrießt, ob ich gleich weiß, daß im Schreiben die Arzenei meines Übels liegt. Ich habe dieß Blatt ergriffen, ohne daß ich wußte was ich darauf hinsetzen wollte; nur schreiben, schreiben wollt' ich; zugleich mein Abscheu und mein Trost; und jetzt schon, indem ich halb gedankenlos Züge hinmale, fühle ich mich erleichtert, erfrischt, erquickt! Ich weiß wohl, daß in Klarheit mein einziger Trost liegt, und doch thue ich so wenig um klar zu werden. 3 8 1854 ebenso die an sich selbst gerichtete Aufforderung: Wenn das Schreiben den Seelenzustand erleichtert, so sollte man das Mittel auch nicht so selten in Anwendung bringen. Das Schreiben ist für das Denken das nämliche was der Gegenstand für die Vorstellung ist, nur dort von innen heraus, wie hier von außen hinein. Es fixirt die Kraft und ordnet indem es bestimmt. Wir glauben oft von etwas überzeugt zu seyn, weil uns das Resultat anzieht und wir uns der Mittelglieder nicht völlig bewußt sind. Indem wir uns die Gedankenbildung einzeln vor die Augen legen, bemerken wir erst den Abgang oder den Fehler. Das Schreiben ist daher zur Verdeutlichung nützlicher als das Reden, weil das Wort entschwindet, die Schrift aber bleibt. 39 »Prosaische Verstandeskälte«, die ihn vor sich selbst erschrecken ließ, 40 zeichnen diese und andere Beschreibungen des Schreibens aus. U n d doch sind dieselben nie jener Schrift hingegeben, derer sie sich bedienen. Der tote Buchstabe, der hier vorsätzlich das »eigene lebensgroße Bild« malt, gibt mit den ambivalenten Definitionen des Schreibens als »Abscheu« und »Trost«, als »Labsal« und »Marter« zugleich doch immer auch die Erinnerung an ein anderes Schreiben frei, evoziert sie und hält sie gegen sich selbst wach. Dies ist einer der grundlegenden Züge des Grillparzerschen Schreibens überhaupt: Die Erinnerung der »Poesie«, des mündlichen Wortes, in dem man

38

H K A II, 7, S. 369 (Nr. 93 8a). H K A II, 11, S.248 (Nr. 4089). « H K A II, 8, S. i 8 / ( N r . 1413). 39

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sich selbst vernimmt, sie prägt als das Motiv die Prosa Grillparzers, die Tagebücher ebenso wie die beiden Erzählungen und die »Selbstbiographie«. Erinnern wir uns - Grillparzer hatte den Stoff der »Ahnfrau« Schreyvogel »mit einer solchen Lebhaftigkeit und einer solchen bis ins Einzelne eingehenden Folge« mitgeteilt, daß dieser, »selbst Feuer und Flamme«, ausrief: »Sie brauchen es nur niederzuschreiben!« A l s Grillparzer Schreyvogel zum zweiten Mal begegnete und sich letzterer nach dem Fortschreiten der Arbeit an der »Ahnfrau« erkundigt, muß Grillparzer eingestehen: »Es geht nicht!« Darauf Schreyvogel: »[DJieselbe A n t w o r t habe ich einst Göthen gegeben, als er mich zur literarischen Tätigkeit aufmunterte; G ö t h e aber meinte: Man muß nur in die Hand blasen, dann geht's schon!« (119, 34-120, 1). Diese Worte gehen Grillparzer »gewaltig im Kopfe herum« (120, 3 f.). »Sollte es - bei allem Abstand der Begabung - Andern so leicht werden, daß sie nur in die Hand zu blasen brauchten, und ich selbst brächte gar nichts zu stände!« (120, 4-6). In »nicht mehr als fünfzehn oder sechzehn Tagen« (121, i6f.) schreibt Grillparzer das Stück nieder. Das mündlich tradierte Wort vom »Nur-in-die-Hand-Blasen«, dramaturgisch anhand von Ausrufe- und Anführungszeichen aus der Schrift hervorgehoben, dies Wort gleichsam aus zweitem Mund, greift direkt in die Auseinandersetzung um Schrift und Mündlichkeit ein. Pneumatologischer Tradition folgend, vollzieht es eine ideale Synthese von (Schreib-)Hand und Atem, der die Schrift, ganz nach Rousseau, zum Leben erweckt, ihr >Odem< einhaucht. Die Attribute der Begeisterung (Feuer, Flamme und Lebhaftigkeit), die Grillparzer für die mündlichen Erzählungen seiner Stoffe aufbietet, finden sich hier auf den Schreibprozeß projiziert. Gleich dem Sprecher, der sich in seinen Reden fortgesetzt selbst vernimmt, bleibt sich auch der Schreiber als Schreibender unaufhörlich gegenwärtig. A u s der Schrift ausgestoßen, findet sich das Subjekt in einem Schreiben wieder, das nie an sein Ende kommen darf. Kennzeichnend dafür ist das auffallende Desinteresse Grillparzers an der Überarbeitung der zumeist in wenigen Tagen und wie bewußtlos niedergeschriebenen Texte.

Was ist denn nun diese Begeisterung, die zum Schaffen in der Kunst als nothwendig bezeichnet wird? Es ist nicht jene Steigerung der Gemüths- und Geisteskräfte, die, von ähnlichen physischen Zuständen begleitet und unterstützt, gewöhnlich mit einem solchen Namen bezeichnet wird. Diese Begeisterung ist blos theils die äußere Erscheinung, theils die Folge einer vorausgegangenen andern Ursache. Sonst würden ja Kunstwerke Ausgeburten eines kranken Zustandes, einer A r t geistig-körperlichen Trunkenheit heißen müssen. D i e eigentliche Begeiste-

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rung ist die Hinrichtung aller Kräfte und Fähigkeiten auf Einen Punkt, der für diesen Augenblick die ganze übrige Welt nicht sowohl verschlingen, als repräsentiren muß. Die Steigerung des Seelenzustandes entsteht dadurch, daß die einzelnen Kräfte aus ihrer Zerstreuung über die ganze Welt in die Enge des einzelnen Gegenstandes gebracht, sich berühren, wechselseitig unterstützen, heben, ergänzen. Durch diese Isolirung nun wird der Gegenstand gleichsam aus dem flachen Niveu seiner Umgebungen herausgehoben; statt nur an der Oberfläche, von allen Seiten umleuchtet, durchdrungen; er gewinnt Körper, bewegt sich, lebt. Dazu gehört aber die Konzentration aller Kräfte. N u r wenn das Kunstwerk für den Künstler eine Welt war, wird es auch eine Welt für den Beschauer. 41 Immer wieder ist es ein derartiger Begriff der »Begeisterung«, 42 anhand dessen Grillparzer die Bedingungen poetisch gültigen Schreibens charakterisiert. So auch in einem fingierten Brief von 1829 an den damaligen Vorgesetzten Hofrat Burgermeister, in dem er »von der Leber weg« erklärt, weshalb er dessen Erwartungen, die Büroarbeit betreffend, nicht entsprechen könne, Burgermeister ihn vielmehr »bei der kleinsten Arbeit unbeholfen, ängstlich« vorfinde und sein Stil »ohne Fluß und Folge, ohne Wahl der Worte, unüberzeugend, zerhackt« sei: Ja, mein Herr Hofrath, das hängt damit zusammen, daß ich ein Mann der Begeisterung bin. Damit will ich leider nicht sagen, ich sey immer begeistert, sondern vielmehr: ich bin nur dann ein Mann, ja ein Mensch, wenn ich begeistert bin. In dieser glücklichen Erhöhung der Seelenkräfte strömen die Gedanken und Worte. Alles fügt sich, alles paßt; das Wort das kömmt ist das rechte; keine Korrektur; keinpentimento; seelige Zeit! 4 3 In solchen Momenten gerät Grillparzer das Schreiben zum bloßen »Niederschreiben«. Einmal danach befragt, wie seine Stücke entstanden seien, soll er zur Antwort gegeben haben: Meine Stücke haben mir wenig Mühe gekostet. Die Personen standen leibhaftig vor mir, ich sah sie wirklich; nicht ich ließ sie sprechen: sie sprachen zu mir und ich brauchte nur die Worte niederzuschreiben [ . . . ] Der rechte Dichter ist nur der, in dem seine Sachen gemacht werden. 44 Damit stimmt nahezu wörtlich eine zweite überlieferte Aussage überein. Die Frage, ob ihm das Schreiben von Dialogen schwer gefallen sei, verneint er mit den Worten: »Das kommt ja von selbst, ich höre ja, wenn ich beim 41

H K A I I , 10, S. 251 f. (Nr. 3406). Vgl. Skreb, Zdenko: Grillparzer. Eine Einführung in das dramatische Werk. Kronberg/Ts. 1976, S.44ff. « H K A II, 8, S.347 (Nr. 1747). 44 Zitiert nach: Franz Grillparzer. Dichter über ihre Dichtungen. Hg. von Karl Pörnbacher. München 1970, S. 309. 42

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Schreiben bin, die Leute miteinander sprechen.« 45 Ein so verstandenes Schreiben resp. Niederschreiben verleugnet vor allem die Schrift. Daß ihm »im Grunde an der Produkzion [d.h. hier: am Hervorbringen von etwas, A. D.] nichts mehr« liege, er nur ein Bedürfnis verspüre, »[s]ich in Ideen zu berauschen«, und ihm im Grund gleichgültig sei, »[a]uf welche Art das geschieht, und was dabei herauskommt«, 46 trägt Grillparzer 1828 ins Tagebuch ein und zollt damit noch einmal jenen Zuständen der »Trunkenheit« und »Berauschtheit« Tribut, deren Ausbleiben er für den Verlust seiner »Inspiration« schließlich doch verantwortlich machte. 47 Das »Erkalten« der Phantasie, das er von Anfang an, zunehmend jedoch mit dem Fortschreiten der Jahre konstatiert, 48 verzeichnete er mit der Sensibilität eines Hypochonders. Unzählige Tagebuchpassagen beschäftigen sich mit dem körperlichen Zustand, der Grillparzer einst in die Lage poetischen Schreibens versetzt hatte und auch wieder versetzen sollte. Das führt zuweilen zu den skurrilsten Theorien: »Ist es denn entsetzlich«, merkt Grillparzer 1820 an, »daß kalte Socken die Phantasie kalt machen können und ein Paar wollene Fußsocken mir gute Gedanken zubringen.« 49

5. » [ . . . ] da ein Gefühl im Herzen stets schöner ist als eines auf dem Papiere [ . . . ] « Es ist ein zuwenig beachtetes Phänomen, daß die Erzählung »Der arme Spielmann« auch als Traktat über den in diesem Kapitel skizzierten Problemkreis gelesen werden kann. Was sich der autobiographischen Schreibweise mitunter als »absurd« entzieht, scheint hier, in einer >fiktionalen< Erzählung, deren autobiographischer Einschlag allgemein außer Zweifel steht, zur konkreten Auffaltung zu kommen. Allein die Tatsache, daß der Rahmenerzähler die Geschichte Jakobs nahezu vollkommen jenem in den Mund legt, die Schrift also zugunsten einer hypertrophen Illusion von

45

Ebd., S. 3 1 0 .

46

H K A I I , 8, S . 2 9 3 ( N r . 1 6 2 1 ) .

47

Vgl. die Tagebucheintragung N r . 595 ( H K A II, 7, S. 236): »Ich hatte gestern zu viel Wein getrunken und K o p f und Magen waren in U n o r d n u n g . Spät eingeschlafen träumte mir, ich wäre zu Schiffe und hätte die Seekrankheit mit allen ihren Unbequemlichkeiten. W e n n das nicht Poesie ist, so gibt es keine.«

48

Vgl. etwa die Tagebucheintragung v o m

19.März

1826, H K A

II, 8, S. 194

( N r . 1 4 1 9 ) , in der von einer »stufenweisefn] Erkaltung der Phantasie« die Rede ist. 49

H K A II, 7, S . 2 4 1 ( N r . 6 1 6 ) . 89

Mündlichkeit zurückdrängt, weist in diese Richtung. Und die Liebesgeschichte zwischen Jakob und der Greißlerstochter Barbara entzündet sich ihrerseits nicht nur an einer wunderbaren Faszination von Stimme, sondern geht auch im Zeichen der Schrift zugrunde. Verankert in jenem Bereich, der, nach Rousseau, metaphorische Schrift überhaupt erst hervorbringt, jenem der Affekte, der Leidenschaften und Zuneigung, führt die Geschichte das Scheitern derselben vielleicht so ergreifend vor wie keine andere der deutschen Literatur. Gerade in diesem Scheitern aber spiegelt sich noch einmal die Komplexität der Problemstellung, die offensichtlich nur narrativ zu bewältigen war. Die imaginäre Grundfläche, in die sich das Schicksal der beiden Liebenden einschreibt (oder eben nicht einschreibt), wird schon in der ersten Begegnung in höchst auffälliger Weise bezeichnet. Die Greißlerstochter verkauft allmorgendlich in der Kanzlei, in der Jakob beschäftigt ist, Kuchen. Halb Scherz und halb Tücke im Sinn, schicken die Kanzlisten das Mädchen eines Morgens zu Jakob, der, »nicht unter ihre Kunden« gehörend, ihr auch diesmal nichts abkaufen will. 50 Das getäuschte Mädchen erbost sich, Jakobs Erklärungen fruchten wenig: N u n , so schenken Sie mir wenigstens einen Bogen Papier, um meine Kuchen darauf zu legen, sagte sie. Ich machte ihr begreiflich, daß das Kanzleipapier sei und nicht mir gehöre, zu Hause aber hätte ich welches, das mein wäre, davon wollt' ich ihr bringen. Z u Hause habe ich selbst genug, sagte sie spöttisch, und schlug eine kleine Lache auf, indem sie f o r t g i n g . 5 1

Jakob aber »knöpfte [ . . . ] des andern Morgens ein ganzes Buch Papier, an dem es bei uns zu Hause nicht fehlte, unter den Rock, und ging auf die Kanzlei, w o ich, um mich nicht zu verraten, meinen Harnisch mit großer Unbequemlichkeit auf dem Leibe behielt, bis ich gegen Mittag aus dem Ein- und Ausgehen meiner Kameraden und dem Geräusch der kauenden Backen merkte, daß die Kuchenverkäuferin gekommen war [ . . . ] « . 5 2 Bei dem »Buch Papier« handelt es sich um ein im damaligen Papierhandel gebräuchliches Maß für Schreib- und Druckpapier (24 bzw. 25 Bogen). 53 Dieses noch unbeschriebene Papier bietet Jakob ( » [ . . . ] ich nahm mir ein Herz« 5 4 ) dem Mädchen denn nicht ohne Verlegenheit an: »Liebe Jungfer, 50

Η K A I , 1 3 , S. 57.

51

Ebd.

52

Ebd.

53

E b d . , S. 345 zu S. 57, Z . 2 5 .

54

E b d . , S. 57.

90

[ . . . ] Sie haben neulich von mir Papier begehrt [ . . . ] . « 55 Und das Mädchen nimmt diesen merkwürdigen Antrag mit den nüchternen Worten » [ . . . ] man kann alles brauchen« auch an. 56 Die Abschiedsszene kehrt diese Konstellation ins Gegenteil. Diesmal ist Barbara diejenige, die Jakob etwas bringt: Sie war blaß und trug ein Bündel unter dem A r m e . In die Mitte des Zimmers gekommen, blieb sie stehen, sah rings an den kahlen Wänden umher, dann nach abwärts auf das ärmliche Geräte und seufzte tief. D a n n ging sie an den Schrank, der zur Seite an der Mauer stand, wickelte ihr Packet auseinander, das einige Hemden und Tücher enthielt - sie hatte in der letzten Zeit meine Wäsche besorgt - zog die Schublade heraus, schlug die Hände zusammen, als sie den spärlichen Inhalt sah, fing aber gleich darauf an, die Wäsche in O r d n u n g zu bringen und die mitgebrachten Stücke einzureihen. Darauf trat sie ein paar Schritte v o m Schrank hinweg, und die A u g e n auf mich gerichtet, wobei sie mit dem Finger auf die offene Schublade zeigte, sagte sie: Fünf Hemden und drei Tücher. S o viel habe ich gehabt, so viel bringe ich zurück. Dann drückte sie langsam die Schublade zu, stützte sich mit der H a n d auf den Schrank und fing laut an zu w e i n e n . 5 7

Fehlendes und Leere assoziieren die Attribute des »Kahlen«, des »Armlichen« und »Spärlichen«. Leere zelebriert auch die Choreographie der Fortbewegungen Barbaras im Zimmer: Jakob kam es vor, als sähe er »ein Gespenst«. 58 Im Rückblick auf die erste Begegnung aber wird die Abschiedsgeste als Teil eines die gesamte Liebes geschichte umrahmenden Tausches erkennbar, eines Tausches leerer, leergebliebener Signifikanten. Dem unter dem Rock als Harnisch angeschleppten Buch Papier steht das Bündel Hemden gegenüber: das eine (noch) unbeschrieben, das andre (schon wieder) gereinigt. Beiderlei Textur bleibt ohne jenen Text, zu dessen Einschreibung sie gedacht war. Selbst die Tränen, die Barbara zum Abschied weint, weint sie, wie der Erzähler erwähnt wissen will, in ihr eigenes Tuch. Dazwischen jedoch liegen Leseversuche, Schreibversuche, Schriften, Stimmen allerorten. »Ich sah das Mädchen hart vor dem Ladentische am Lichte sitzen und in einer hölzernen Mulde Erbsen oder Bohnen lesen«, 59 formuliert der Spielmann einmal, und an anderer Stelle, daß sie »gleichgültig ihre Erbsen und Bohnen las«. 60 Während das Mädchen ganz einfach sortiert, geraten die 55

Ebd., S. 58.

56

Ebd.

57

E b d . , S. 74.

58

Ebd.

59

Ebd., S. 6 1 .

Ό

Ebd.

91

Naturalien, die Früchte, Galläpfel und Rollgerste Jakob zur Schrift, die es auszulegen gilt. Von einem Organisten etwa (jenem, der ihm die Abschrift des Liedes anfertigen soll) erfährt er, daß er nur in den Laden kam, um Muskatnuß zu kaufen, woraus er, wissend, daß Muskatnuß für Bier gebraucht werde, schließt: »Nun war seit einiger Zeit kühles Wetter, und daher wahrscheinlich, daß der wackere Tonkünstler sich eher an den Wein halten und daher so bald keine Muskatnuß bedürfen werde.« 61 Auch als er dem Greißler als »Herr aus der Kanzlei« vorgestellt wird, bemerkt er, wie Barbara »eine wurmstichige Erbse etwas weiter als die andern von sich warf«. 6 2 Der Greißler und Barbara machen aber wenig Hehl daraus, daß sie Jakobs Art des Umgangs mit diesen Dingen für völlig verquer halten. Wo immer er mit diesen in Berührung kommt, vermuten sie Schaden und Nachteil. Als er sich zum ersten Mal zu ihrem Laden begibt, um die versprochene Abschrift des Liedes abzuholen, und noch zögernd vor der Schwelle zum Gewölbe haltmacht, sieht er sich von hinten am Kragen gepackt und in den Laden gestoßen: »Element! schrie [d]er [Greißler], da sieht man, w o die Pflaumen hinkommen und die Handvoll Erbsen und Rollgerste, die im Dunkeln aus den Auslagkörben gemaust werden.« 63 Später nimmt Jakob am Kleinverkauf im Laden »tätigen Anteil«. 64 Er »wog Gewürze ab, zählte den Knaben Nüsse und Welkpflaumen zu, gab klein Geld heraus, letzteres nicht ohne häufige Irrungen, w o denn immer Barbara dazwischenfuhr, gewalttätig wegnahm, was ich eben in den Händen hielt, und mich vor den Kunden verlachte und verspottete«. 65 »Sie versitzen hier halbe Tage im Laden, zählen und wägen, messen und markten«, meint Barbara ein andermal, »aber dabei kommt nichts heraus.« 66 »Groschen in Gulden verwandeln«, 67 das ist ihm so wenig gegeben wie die Zugehörigkeit zu jener Welt, der Barbara entstammt, jener der Handwerker und Händler. Dabei wäre es einst durchaus in seinem Sinn gewesen, in einen jener Stände einzutreten. Als ihm der Vater einmal drohte, ihn »zu einem Handwerke zu geben«, hätte er nicht zu sagen gewagt, »wie glücklich mich das gemacht hätte«: »Ein Drechsler oder Schriftsetzer wäre ich

61

Ebd., S. 60. " Ebd., S. 6z. 63 Ebd., S. 61. 64 Ebd., S. 68. 65 Ebd., S-7of. 66 Ebd., S. 68. 67 Ebd., S.65.

92

gar zu gerne gewesen« [Kursive A . D . ] . 6 8 Der Vater hätte es »aber doch nicht zugelassen, aus Stolz«. 6 9 Stattdessen kam er in einer Rechenbehörde unter. »Rechnen«, so Jakob, »war aber nie meine Stärke gewesen.« 7 0 Weswegen man ihn »unter die Abschreiber« tat: » [ . . . ] Da war ich recht an meinem Platze. Ich hatte immer das Schreiben mit Lust getrieben, und noch jetzt weiß ich mir keine angenehmere Unterhaltung, als mit guter Tinte auf gutem Papier Haar- und Schattenstriche aneinander zu fügen zu Worten oder auch nur zu Buchstaben. [ . . . ] Ich war fleißig, nur aber zu ängstlich. Ein unrichtiges Unterscheidungszeichen, ein ausgelassenes Wort im Konzepte, wenn es sich auch aus dem Sinne ergänzen ließ, machte mir bittere Stunden. Im Zweifel, ob ich mich genau ans Original halten oder aus Eigenem beisetzen sollte, verging die Zeit so angstvoll, und ich kam in den Ruf nachlässig zu sein, indes ich mich im Dienst abquälte wie Keiner. So brachte ich ein paar Jahre zu, und zwar ohne Gehalt [ . . . ] . « 7 I » U m diese Zeit«, so Jakob weiter, »ereigneten sich zwei Begebenheiten«, einerseits die »traurigste«, nämlich die »Entfernung aus dem väterlichen Hause«, andererseits die »freudigste«, »das Wiederkehren zur holden T o n kunst«. 7 2 Jakob hört eines Abends im Nachbarhof ein Mädchen mehrere Lieder singen, worunter ihm aber eines vorzüglich gefiel: »Es war so einfach, so rührend, und hatte den Nachdruck so auf der rechten Stelle, daß man die Worte gar nicht zu hören brauchte«: 7 3 »Ich hörte es immer mit neuem Vergnügen. So sehr es mir aber im Gedächtnis lebendig war, gelang es mir doch nie, mit der Stimme auch nur zwei Töne davon richtig zu treffen. Ich ward fast ungeduldig von Zuhören. Da fiel mir meine Geige in die Augen [ . . . ] sie fand sich richtig gestimmt. Als ich nun mit dem Bogen über die Saiten fuhr, Herr, da war es, als ob Gottes Finger mich angerührt hätte. Der Ton drang in mein Inneres hinein und aus dem Innern wieder heraus. Die Luft um mich war wie geschwängert mit Trunkenheit. Das Lied unten im Hofe und die Töne von meinen Fingern an mein Ohr, Mitbewohner meiner Einsamkeit. Ich fiel auf die Kniee und betete laut, und konnte nicht begreifen, daß ich das holde Gotteswesen einmal gering geschätzt, ja gehaßt in meiner Kindheit und küßte die Violine und drückte sie an mein Herz und spielte wieder und fort. 7 4

68 69 70 71 72 73 74

Ebd., Ebd., Ebd. Ebd., Ebd. Ebd., Ebd.,

S. 51 f. S. 52. S. 53. S. 54. S. 54f. 93

Mit dem »Nachspielen« des Liedes sei es Jakob »aber nicht so leicht« gegangen, er hatte »das Lied nämlich nicht in N o t e n « . 7 5 Er beschloß deshalb, das Mädchen, in dem er die Kuchenverkäuferin aus der Kanzlei wiedererkannt hatte, um eine »Abschrift« desselben zu bitten. 76 Barbara, darauf angesprochen, erwiderte ganz erstaunt, daß es das Lied »gedruckt« an allen Straßenecken zu kaufen gäbe. 7 7 Das L i e d ? entgegnete ich [seil. Jakob]. Das sind w o h l nur die W o r t e . - N u n ja, die Worte, das Lied. - A b e r der Ton, in dem man's singt. - Schreibt man denn derlei auch auf? fragte sie. - Freilich! w a r meine A n t w o r t , das ist ja eben die Hauptsache. U n d wie haben denn Sie's erlernt, werte Jungfer ? Ich hörte es singen, und da sang ich's nach. - Ich erstaunte über das natürliche Ingenium; wie denn überhaupt die ungelernten Leute oft die meisten Talente haben. E s ist aber doch nicht das Rechte, die eigentliche K u n s t . 7 8

Letzterer Vorbehalt versteht sich vor dem Hintergrund der ersten Begegnung Jakobs mit dem Greißler in dessen Laden. Was er denn hier zu suchen habe, fährt ihn der Greißler an und, auf Jakobs Erklärung hin, »Was Lied ? [ . . . ] , ich will euch Lieder singen« und zerknittert die für Jakob so kostbare Abschrift. 7 9 Erst als dieser sich als Sohn des weitum bekannten Hofrates zu erkennen gibt, fährt der Greißler fort: » [ . . . ] praktizieren also auch die Musik? Singen vielleicht, wie meine Tochter, oder vielmehr ganz anders, nach N o t e n , nach der Kunst? [ . . . ] Sollten sich des Mädels annehmen, heißt das in Musik, fuhr er fort. Singt eine gute Stimme, hat auch sonst ihre Qualitäten, aber das Feine, lieber G o t t , w o soll's herkommen? wobei er Daumen und Zeigefinger der rechten H a n d wiederholt übereinander schob.80

Deutlicher als durch diesen Fingerzeig könnte gar nicht ausgedrückt werden, welcher Art die Lieder sind, die der Greißler den Beiden zu singen verspricht. Die Stimme Barbaras ist allerdings von anderer Art. Nachdem etwa der Greißler Jakob dazu überreden wollte, seine Erbschaft in Handelsgeschäfte zu investieren, in »Knoppern und Früchte«, 8 1 hört Jakob hinter sich plötzlich eine »Stimme, die gedämpft und im Ton des Unwillens sprach: Trauen Sie nicht gleich jedermann, man meint es nicht gut mit 75

E b d . , S. 55.

76

E b d . , S. 58.

77

Ebd.

78

E b d . , S. 5 8 f.

79

E b d . , S. 62.

80

E b d . , S. 62 f.

81

E b d . , S. 65.

94

Ihnen«: 82 Es ist Barbara, die Jakob vor dessen eigener Gutgläubigkeit und dem rohen Geschäftssinn ihres Vaters warnt. Daß er selbst »von Natur keine Stimme« habe, merkt Jakob im Lauf der Erzählung gleich zweimal an. 83 Dieser Mangel zieht ihn zu dem Mädchen hin. Die Stimme macht Barbara aber nicht nur begehrenswert, sie macht sie auch - worin sich die Umkehrung der vormals erwähnten Metamorphose des Sopransängers erblicken läßt - schön, schön >von Natur ausverhalten< könne, um nur dem Schreiben nicht abhanden zu kommen. Grillparzer diente Kafka hinsichtlich dessen als vorzügliches Beispiel. Hierher gehören auch all jene Stellen, die sich über Grillparzer in den Briefen an Grete Bloch finden. Letztere hätte als Freundin Felicens zwischen Kafka und Feiice vermitteln sollen, nachdem sich beide seit September 1913 nicht mehr geschrieben hatten. Mit ihr entspann sich ein einjähriger Briefwechsel, in dessen Verlauf Kafka, zum Unterhändler seiner selbst geworden, sich bewußt gewesen sein mußte, daß jede Zeile, die er schrieb, gegen ihn verwendet werden konnte. Grete Bloch hatte er am 1. November 1913 zum ersten Mal gesehen. Daß er auch in dieser Situation sich Grillparzer zum Verbündeten erwählt, ist kein Zufall. A m 14. Februar 1914 schreibt er ihr, auf Wien und seinen letzten Besuch dort Bezug nehmend: »Es war für mich gar zu häßlich dort [...].« 2 2 »Nur das Grillparzerzimmer im Rathaus möchte ich gern sehn«, das habe er damals im September anzusehn versäumt, und weiter: »Kennen Sie den >armen Spielmann< von Grillparzer?« [9]. Einen Monat später dieselbe Frage: »Kennen Sie übrigens den >Armen Spielmann< von Grillparzer? Habe ich das nicht schon einmal gefragt?«, worauf er wiederum aufs Zimmer zurückkommt: »Ehe Sie den [seil, den »Armen Spielmann«] und dann noch Grillparzers Selbstbiographie und dann etwa noch seine Reisetagebücher aus Deutschland, Frankreich und England kennen, hätte es 22

F 502. 126

vielleicht nicht viel Sinn, das Grillparzerzimmer im städtischen Museum anzusehn, dann aber wäre ich froh, wenn Sie es tun und mir davon schreiben würden« [10]. Man beabsichtigte, so der Hintergrund, ein Treffen in Gmünd, eine Aussprache von Angesicht zu Angesicht, und es ist offensichtlich, daß Kafka Grete Bloch mit der obigen Lektüreliste die Lebensgeschichte Grillparzers verordnete, bevor er über seine eigene mit ihr weitersprechen wollte: »Bevor Sie das getan haben«, schreibt er noch im selben Brief, »verlassen Sie Wien nicht, dann aber rasch« [10]. A m 7. April, drei Wochen später, wiederum das Grillparzer-Zimmer: »Und Sie denken wirklich daran, das Grillparzerzimmer für sich und für mich anzusehen ? Den >armen Spielmann< schicke ich als Führer durch das Zimmer« [11], es aufzusuchen wäre ihm, selbst wenn er Wiener wäre, zu den üblichen Öffnungszeiten nicht möglich, da er sonntags nicht vor Mittag aus dem Bett komme. Am 15. April, zwei Tage nach der inoffiziellen Verlobung mit Feiice, fragt er schon wieder in Wien an: »Der >arme Spielmann< ist schön, nicht wahr?« [12]. Am 26. April die neuerliche Aufforderung: »Vergessen Sie nicht an das Grillparzerzimmer!« [13]. Am 8.Mai: »Und das Grillparzerzimmer?« [14]. Und am 12. Mai schließlich, nachdem Grete Bloch das Zimmer aufgesucht hatte, das kathartisch intendierte Finale, auf das alles vorige angelegt scheint. Nach monatelangem Drängen, nach diesem Fragen-Staccato, nach all dem Bitten, Betteln und Befehlen schreibt er da: »Hatten Sie übrigens nach dem >Armen Spielmann< auch den selbständigen Wunsch, das Zimmer zu sehn? Er war doch ein fürchterlicher Mensch; wenn sich unser Unglück von uns loslösen und frei umhergehen würde, es müßte ihm ähnlich sehn, jedes Unglück müßte ihm ähnlich sehn, er war lebendiges, abzutastendes Unglück« [15]. Und dann erzählt er Grete Bloch »eine kleine Geschichte aus den Tagebüchern oder Briefen« [1 j ] Grillparzers. Im Originalton (Grillparzer) lautet die »Geschichte« folgendermaßen: »Mittags bei F[röhlich]. Es erwachte, wie jedesmal nach jeder Versöhnung eine Art Verlangen in mir. Ich nahm sie auf den Schoß und liebkoste ihr; das erstemal seit langer Zeit. Aber die Empfindung ist erloschen. Ich möchte sie gar zu gern wieder anfachen, aber es geht nicht. O, des Abstandes der frühern Zeit. Sie ist verwelkt. Wir sind beide älter geworden.« 23 Kafka: »Die Verlobung war schon längst aufgelöst, nur die schwachsinnigsten Verwandten dachten noch an irgendeine ferne Möglichkeit einer Heirat, Katharina war schon längst über 30. Einmal abend ist G . bei den 23

GBT, II, S. 112; Laube, a.a.O., S. 65. 127

Schwestern zu Besuch, wie die meisten Abende; K. ist besonders lieb zu ihm, er nimmt sie halb aus Mitleid auf den Schoß - die zwei Schwestern gehn wahrscheinlich im Zimmer herum - und stellt dabei fest und schreibt es später auf, daß K. ihm damals vollständig gleichgültig war, daß er sich damals antrieb, daß er sich im geringsten Gefühl hätte untertauchen wollen, aber daß ihm nichts übrig blieb, als sie auf dem Schoß zu halten und sich nach einem Weilchen wieder von ihr zu befreien. Es war übrigens nicht nur aus Mitleid, daß er sie auf den Schoß genommen hatte, es war fast ein Versuch; noch ärger, er sah es voraus und tat es doch.« [15] Diese Geschichte konnte Grete Bloch, mit der Beziehung Kafka-Felice vertraut und betraut, kaum anders verstehen, als in der Weise, daß sie vor allem auf Kafka zutraf. Für Kafka selbst, der »F[röhlich]« nur allzuleicht als F[elice] hat lesen können, lag die Vorstellung, daß hier seine Sache schon einmal verhandelt worden wäre, doch nicht allzu fern. Grete Bloch aber diese Geschichte zu erzählen, hat vielleicht diesen Grund und dennoch einen anderen Zweck. Ohne daß eine Identifikation ausdrücklich zu Ende gebracht würde (Kafka reduziert sogar die Namen auf ihre Initialen, so daß das K. mit seinem Κ und das G. mit jenem Gretes zusammenfallen), wird sie doch inständig suggeriert. Und damit wird mehr nahegelegt, als bei Grillparzer eigentlich steht: Die »schwachsinnigsten Verwandten«, das »Mitleid«, das »Voraussehen«, das »Trotzdem«-Tun, der »Versuch« und das »Sich-Befreien«. Das Sich-Versetzen in die Lage, die Einfühlung in die Tagebuchstelle des anderen gerät gleichsam zur Vorgabe der eigenen Situation. Die Lektüre des Grillparzerschen Tagebuches vermag derart die Annahme von der Unabänderlichkeit der eigenen Situation maßgeblich zu bestärken. Zwei Monate später, am 12. Juli 1913 findet jener »Prozeß« im »Askanischen Hof« statt, der mit der Lösung des Verlöbnisses zwischen Kafka und Feiice schließt. Grete Bloch war zugegen, sie hatte Kafkas Briefe rigoros gelesen: Briefe, die sie Feiice zuspielte, waren stellenweise rot unterstrichen. 24 Kafka verteidigte sich nicht, er wehrte sich nicht, er zog sich stillschweigend in den »Schatten« [6] Grillparzers zurück.

3. D i e reine Stimme Als er Grillparzer Grete Bloch gegenüber als einen »fürchterlichen Menschen« bezeichnete, hatte Kafka schon lange jene Fluchtlinie benannt, 24

Canetti, a.a.O., S. 122. 128

die über die »Berechnungen« [16] dieses Fürchterlichen hinaus letzteres dennoch niemals hinter sich lassen konnte oder wollte. Es ist jene von Kafka so inständig beschworene Dichotomie von Schreiben und Geschriebenem, von Schaffensprozeß und Werk, von unaufhörlicher Arbeit und vollendetem Kunstprodukt, die er hier in Szene setzt, wenn er Grete Bloch den »Armen Spielmann« »als Führer« [ n ] durch das Zimmer jenes »fürchterlichen Menschen« schickt. Der »Arme Spielmann«, bei dessen Vorlesen Kafka eigenen Angaben zufolge »über jedes Wort glücklich « [12] gewesen war, dieser »Arme Spielmann« als Führer durch das Zimmer eines Menschen, dem nach Kafka »jedes Unglück [ . . . ] ähnlich sehn« [15] mußte. Grete Bloch hatte den »Armen Spielmann« zum Zeitpunkt ihres Besuches gelesen, das geht aus den Briefen hervor, 25 sie hat sich von dieser Erzählung also tatsächlich »führen lassen« und bewußt oder unbewußt jenen dicken Kreidestrich nachgezogen, anhand dessen sich der arme Spielmann, zum Kunstwerk seiner selbst geworden, gegen Schmutz, Widerlichkeit und Verstörtheit seiner ihn räumlich umgebenden Lebensbedingungen glaubte abgrenzen zu können. Und Kafka kann nach dem Besuch Grete Blochs in jenem Zimmer dann auch beruhigt anmerken: »Ein schönes Zimmer jedenfalls, in dem sich gut leben, gut im Lehnstuhl bei Sonnenuntergang schlafen ließe [ . . . ] « [15]. Er »bestehe aus Literatur«, so schreibt er an Feiice am 14. August 1913, »ich bin nichts anderes und kann nichts anderes sein«, ihrer beraubt ergehe es ihm ähnlich wie jenem Kleriker, dem man seine »schöne süße Stimme« ausgetrieben hatte, »worauf der Leichnam [ . . . ] zusammensank und stank«. 26 Eine dieser schönen süßen Stimmen, die in Kafkas Ohr nachklangen, war ohne Zweifel der »Arme Spielmann«, die Erzählung, auf die er sich Zeit seines Schreibens berief und auf die er an äußerst markanten Punkten seiner Lebensgeschichte immer wieder zurückkam. Am 8. August 1912 liest Kafka die Erzählung seiner Lieblingsschwester Ottla vor. Diese, so Politzer, »vom Schock der Selbsterkenntnis durchjagte Vorlesung« 27 fällt genau in die Zeit seines literarischen Durchbruchs, genauer: Sie steht am Beginn derselben.

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[12]: »Der »arme Spielmann< ist schön, nicht wahr?« Grete Bloch, so ist anzunehmen, muß Kafka also von ihrer Grillparzer-Lektüre Nachricht gegeben haben.

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F 444 f·

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Politzer, a.a. O., S.372.

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N u r soviel sei in Erinnerung gerufen: Kafka ist gerade im Begriffe, das Manuskript seines ersten Buches »Betrachtung« durchzusehen, um es für den Druck fertigzustellen. Er zweifelt an der Gültigkeit der Texte. Als er sich zu diesem Zweck mit Brod besprechen will, lernt er am 13. August bei seinem Freund Feiice kennen. Am 14. schickt er das Manuskript an Rowohlt. 6Tage später, am 20. August schreibt er zum ersten Mal an Feiice. In der Nacht vom 22-/23. September erfolgt die Niederschrift des »Urteils«. Schon zwei Tage später beginnt Kafka mit der Arbeit am »Verschollenen«. Der literarische Durchbruch, der in der auffallenden Dichte dieser Ereignisse manifest wird, wäre dennoch nur unzulänglich erfaßt, wollte man der Lektüre des »Armen Spielmanns« nicht den ihr angemessenen Platz einräumen. Am 9. August, einen Tag nach der Lesung, 28 verzeichnet Kafka im Tagebuch die »aufgeregte Nacht«, die auf die Lesung gefolgt sei, und resümiert: »Die Erkenntnis des Männlichen an Grillparzer in dieser Geschichte. Wie er alles wagen kann und nichts wagt, weil schon nur Wahres in ihm ist, das sich selbst bei widersprechendem Augenblickseindruck zur entscheidenden Zeit als Wahres rechtfertigen wird. Das ruhige Verfügen über sich selbst. Der langsame Schritt, der nichts versäumt. Das sofortige Bereitsein, wenn es notwendig ist, nicht früher, denn er sieht alles längst kommen« [4]. Und am 15. April 1914, zwei Jahre später, schreibt er an Grete Bloch: »Ich erinnere mich, ihn einmal meiner jüngsten Schwester vorgelesen zu haben, wie ich niemals etwas vorgelesen habe. Ich war so davon ausgefüllt, daß für keinen Irrtum der Betonung, des Atems, des Klangs, des Mitgefühls, des Verständnisses Platz in mir gewesen wäre, es brach wirklich mit einer unmenschlichen Selbstverständlichkeit aus mir hervor, ich war über jedes Wort glücklich, das ich aussprach. Das wird sich nicht mehr wiederholen, ich würde niemals mehr wagen, es vorzulesen« [12]. In zweifacher Hinsicht ist diese Lektüre, die zugleich Rezitation ist, interessant. Zum einen verblüfft an diesen Äußerungen, daß die Beschreibung dieser Rezitation des »Armen Spielmanns« als hervorragendes Beispiel für eine Poetik >inspirierten< Schreibens gelten könnte. Kafka liest, er rezitiert, als 28

Politzers Annahme, daß die Lesung am August stattgefunden hätte [Politzer, a.a.O., S.372: »(...) fand am 9. August 1912 statt (...)]«, teile ich nicht. Dieses Datum bezeichnet den Zeitpunkt der Eintragung ins Tagebuch. Der Tagebuchschreiber kehrt aber zum Vortag zurück: »Die aufgeregte Nacht. - Gestern [ . . . ] « [4]. Diese Zeitbestimmung wird auch für die Folge nicht zurückgenommen, sie gilt somit auch für die Rezitation. 130

schreibe er: »Mein aus Eingebungen fließendes Vorlesen des >Armen SpielmannHalt dich an meine Röcke!fiktiven< Setzung dieser Situation verwendet werden müssen. Derartige Übereinstimmungen sprechen somit weder für noch gegen den Tatbestand einer tatsächlich erfolgten Zitation. Die Schilderung allerdings, welche Kafka von der Verhaftung im »Prozeß« gibt, stimmt mit jener Verhaftung, die Grillparzer in »Selbstbiographie« und Tagebuch beschreibt, über weite Strecken im Detail so weitgehend überein, daß sich - wissend um das Faktum, daß Kafka die beiden Grillparzerschen Versionen kannte 53 - nicht mehr von Zufall sprechen läßt: Zu auffällig ist die Fülle der Einzelheiten, die per analogiam aufleuchten. Stellt man sie zusammen, dürfte die Annahme, daß Grillparzer dem

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53

Diesen Begriff entlehne ich dem von Klaus Ramm verfaßten Kapitel »Handlungsführung und Gedankenführung« im Kafka-Handbuch, a. a. O., Bd. 2, S. 9 5. Einen derartigen Szenen vergleich versuchte E.T.Beck. Das Wesentliche dazu in: Binder, Hartmut: Kafka-Kommentar zu den Romanen, Rezensionen, Aphorismen und zum Brief an den Vater. München 1976, S. 193. Politzer bescheinigt Kafka »intime Kenntnis« der Tagebücher Grillparzers (Politzer, H.: Franz Kafka. Der Künstler [suhrkamp taschenbuch 433]. Ffm. 1983, S. 68). Vgl. dazu auch Anm. 18. Zur »Selbstbiographie« siehe [10].

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»Prozeß«-Beginn Kafkas Pate gestanden hat, schwerlich zu bezweifeln sein. Grillparzer ist Beamter, Joseph K. ist Beamter. Grillparzer ist Junggeselle, Joseph K. ist Junggeselle. Grillparzer wohnt in Untermiete, Joseph K. wohnt in Untermiete. Grillparzer bewohnt Zimmer und Vorzimmer, Joseph K. Zimmer und Nebenzimmer. Beide werden, ohne daß einer der beiden »etwas Böses getan hätte«, 5 4 eines Morgens in ihrer Wohnung verhaftet. Grillparzer: » [ . . . ] Morgens um 6 Uhr, da ich [ . . . ] noch im Schlafe lag, von drei Polizeibeamten überfallen worden [ . . , ] . « 5 5 Joseph K.: » [ . . . ] wenn man mich im Bett überfällt, kann man nicht erwarten, mich im Festanzug zu finden.« 5 6 Grillparzer: »Ich durfte denselben Tag meine Wohnung nicht verlassen [ . . . ] . « 5 7 Joseph K. setzt dieses Verbot voraus: »>[...] Sie werden wohl jetzt in die Bank gehen wollen?< >In die Bank?< fragte K., >ich dachte, ich wäre verhaftet^« 5 8 Grillparzer: Ich durfte »ja nicht einmal meinen Bedienten ins Gasthaus um Essen schicken«. 5 9 Kafka: Als Joseph K. wünscht, »daß Anna [seil, die Köchin der Frau Grubach] ihm das Frühstück bringt«, erklärt ihm der eine Beamte: »Es ist unmöglich.« 6 0 Grillparzer: »Ein Polizeidiener holte das Mittagsmahl, das wir, ich mit dem Zurückgebliebenen der beiden Beamten, mein Bedienter mit dem im Vorzimmer aufgestellten Polizeidiener gemeinschaftlich verzehrten.« 6 1 Auch Joseph K. gegenüber erklären sich die Wächter schließlich bereit, selbst »ein kleines Frühstück aus dem Kaffeehaus drüben zu bringen«. 6 2 Auch die beiden Wächter Joseph K.'s verweisen indirekt auf Grillparzer. Vom einen geht die Rede, als K. im Nebenzimmer, dessen »Hauptveränderung in der Anwesenheit eines Mannes bestand, der beim offenen Fenster mit einem Buch saß«, sich setzen will, jedoch sieht, »daß im ganzen Zimmer keine Sitzgelegenheit war, außer dem Sessel beim Fenster«. 6 3 Der Umstand, daß ein Wächter mit einem Buch in der Wohnung des zu Verhaftenden am offenen Fenster sitzt, ist schon an sich merkwürdig genug. Zur Fotografie des Grillparzer-Zimmers, dessen hervorstechendstes Einrich54

Ρ 7. GBT, II, 6o. 56 Ρ 12. 57 GS 208. 58 Ρ i6. 59 GS 208. 60 ρ 7 . 61 GS 208 f. 62 Ρ π. 55

63

Ρ 8.

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tungsstück zweifelsohne der Ohrensessel war, hatte Kafka angemerkt: »Ein schönes Zimmer jedenfalls, in dem sich gut leben, gut ihm Lehnstuhl bei Sonnenuntergang schlafen ließe. Übrigens ein alter unerfüllbarer Wunsch: Vor dem Tisch bei einem großen Fenster sitzen [ . . , ] . « 6 4 Der andre Wächter hingegen, von dem an späterer Stelle ausdrücklich vermerkt wird, daß er heiraten »wollte«, 65 trägt jenen Namen, der der Monarchie so geläufig war, daß ihn Dichter und Kaiser gleichzeitig tragen konnten, er heißt Franz. Zum Verfahren selbst: Die polizeilichen Maßnahmen, von Grillparzer mit dem Attribut der »Wichtigkeit« 66 versehen, bei Kafka als »umfangreiche Veranstaltungen« 67 geschildert, stehen sowohl bei Grillparzer als auch bei Kafka in keinerlei Verhältnis zum Anlaß. War es bei Grillparzer Unsinn (jener der »Ludlamiten«), dessen Interpretation durch die Polizei deren »Dummheit« 68 preisgab, so wendet im »Prozeß« sich Joseph K. mit den Worten an den Aufseher: »Sie wollen einen Sinn und führen dieses Sinnloseste auf, das es gibt.« 69 Diese Überreaktion geht mit dem Übergriff einher. Die inkriminierten Personen wissen weder im einen noch im anderen Fall, wessen sie angeklagt, weshalb sie verhaftet werden. Grillparzer: »Anfangs glaubte ich den Verdacht eines wichtigen Staatsverbrechens auf mich geladen zu haben; endlich zeigte es sich, daß [ . . . ] . « 7 0 Und Joseph K. wird von einem Wächter mitgeteilt, daß er verhaftet sei: »Und warum denn?«, fragt K., worauf man keine Antwort zu geben gewillt ist: »Gehen Sie in Ihr Zimmer und warten Sie.« 71 Und beide, Grillparzer wie Kafkas Romanheld, werden Opfer einer Verleumdung. Denn um eine Verleumdung handelt es sich auch bei Grillparzer. In der »Selbstbiographie«, gesichert durch die zeitliche Distanz zum Vorfall sowie das unrühmliche Ableben des für diesen Vorfall verantwortlichen Polizeibeamten, nennt Grillparzer jenen einen »Schurken«, 72 die unmittelbar nach der tatsächlichen Verhaftung verfaßte Tagebucheintragung nennt allerdings überhaupt keinen Namen, an der entsprechenden

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F $74.

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Ρ 64.

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67 68 69 70 71 72

» [ . . . ] und mit einer Wichtigkeit die Verhöre betrieben, als ob das Heil des Staates in Gefahr stünde [ . . . ] « . (GS 208) Vgl. Ρ i 4 . G B T 60. Ρ 15. G B T 60. Ρ 8. G S 208. 138

Stelle befindet sich eine »Lücke in der Abschrift«. Diese Interferenz der beiden Textversionen, der Bezeichnung »Schurke« mit der »Lücke in der Abschrift« ergibt den berühmten ersten Satz des Kafkaschen Romans: »Jemand mußte Joseph K. verleumdet haben [...].«

5. Z u r ästhetischen Identität Am Sonntag, den 4. Juli 1920, verspricht Kafka Milena, ihr folgenden Tags den »Brief an den Vater« zu übersenden.73 Er tut dies trotz Ankündigung nicht. Stattdessen - und wohl nur so ist dies zu interpretieren - schickt er ihr noch am Montag, das geht aus demselben Brief hervor, den »Armen Spielmann«. Anstelle des eigenen »Briefes an den Vater«, anstelle des »Advokatenbriefes«74 also die Erzählung Grillparzers, unter anderem, weil sie »so bureaukratisch«75 sei. Diese Substitution läßt das Verhältnis der »Blutsverwandtschaft« Kafkas zu Grillparzer noch einmal in ihrer ganzen Ambivalenz aufleuchten. Heute, schreibt er an besagtem 4. Juli, schicke er ihr - so die taktierende Präambel - den »Armen Spielmann«, »nicht weil er eine große Bedeutung für mich hat, einmal hatte er sie vor Jahren [...]« [17]. 8 Tage darauf aber: »Was Du über den armen Spielmann sagst, ist alles richtig. Sagte ich, daß er mir nichts bedeutet, so war es nur aus Vorsicht, weil ich nicht wußte, wie Du damit auskommen würdest, dann auch deshalb weil ich mich der Geschichte schäme, so wie wenn ich sie selbst geschrieben hätte und tatsächlich [Kursive A. D.] setzt sie falsch ein und hat eine Menge Unrichtigkeiten, Lächerlichkeiten, Dilettantisches, zum Sterben Geziertes [ . . . ] und besonders diese Art Musikausübung [...]« [18], 76 73

Μ 85.

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Ebd.

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Ebd.

76

D a kommt viel zusammen. Z u m einen wurde schon vielfach festgestellt, daß Kafka das an Barbara abgelesene Attribut der »Geschäftstüchtigkeit« auch mehrfach epithetisch auf Milena übertrug. Z u m anderen muß die W e n d u n g stutzig machen, wie denn Milena mit der Geschichte »auskommen« würde. E s müßte w o h l sinngemäß heißen, wie sie mit der Geschichte »zu Rande k o m m e « . D i e Verwendung von »auskommen« aber deutet in Richtung einer Personalisierung, die sich vorsichtig beschreiben ließe mit der Reihe » D e r arme Spielmann« (als Erzählung) - der arme Spielmann (als Figur derselben) - der arme Spielmann als Erzähler ( » [ . . . ] denn wahrscheinlich ist er der eigentliche arme Spielmann« [ 18]) - der Erzähler K a f k a . D i e Lektüre des »Armen Spielmanns« w i r d somit auch zur Probe, wie Milena mit K a f k a »auskäme«.

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Explizit wird hier die Poetik des »Armen Spielmanns« mit der eigenen gleichgesetzt, und lange nach jener Phase intensiver Auseinandersetzung ( 1 9 1 2 - 1 9 1 4 ) bestätigt Kafka hier summarisch, was einzelne Abschnitte derselben nahelegten: Das Vorlesen des »Armen Spielmanns« hatte für Kafka zur Artikulation dessen geführt, wie man denn schreiben müsse. Gegenüber Feiice hatte Kafka anhand der Lebensumstände Grillparzers und gestützt durch dessen »beispielhaftes« Vorausgehen exponiert, unter welchen Bedingungen man denn schreiben könne. Und in den »Prozeß« hatte Grillparzer hereingereicht unter dem Gesichtspunkt, was sich denn dieses Schreiben thematisch vorzunehmen gewillt war. Der überraschende Fundus von Ubereinstimmungen und Ähnlichkeiten mit Grillparzer, die Kafka in dessen Biographie und (autobiographischem) Werk vorfand, diese Fülle von Ereignissen, die auch für Kafka immer wieder lebensgeschichtliche Brisanz annahmen, bildet somit gerade jenes Substrat, das all den Funktionalisierungen, die Kafka ihnen abgewann, nur allzu offen stand. Kafkas Bild von sich glich nicht nur jenem Grillparzers, er glich es auch vorsätzlich jenem an. In rhetorischen Figuren wird dieser Annäherungs- und Selbststilisierungsprozeß faßbar - in durchkomponierten Analogien, in angedeuteten Parallelen, in deklarierten oder kryptischen Zitaten, die durch und durch zweckorientiert eingesetzt werden. Was hier nämlich inszeniert wird, ist eine radikale Reduktion auf das, was Kafka unter »reiner Literatur« versteht. Er, der behauptet, nichts als Literatur zu sein und nichts als Literatur sein zu können, reduziert all das außer ihr Liegende auf sie. Die Beziehung zu Feiice, aus deren Umarmung er sich mit einem Fallfehler entzog, indem er ihr mitteilte, er liebe sie »über allen Menschen«, 77 diese Liebesbeziehung wird zum »Märchen«. 78 In die Biographie eines früheren Autors nistet er sich parasitär ein, um von da, ausgestoßen aus diesem »Märchen«, einen Roman zu beginnen. 79 Und - als wärs ein Stück von ihm - schickt er Milena anstelle des »Briefs an den Vater«, der eigentlich ein Text über sich selbst ist, schickt er ihr eine jener 77 78

79

F 402. Vgl. den auch im Tagebuch (18. Oktober 1916) nachzulesenden Brief an Feiice vom 19.Oktober 1916: » [ . . . ] ich kann nicht glauben, daß in irgendeinem Märchen um irgendeine Frau mehr und verzweifelter gekämpft worden ist als um Dich in mir, seit dem Anfang und immer von neuem und vielleicht für immer.« (F 73°) Canetti, a.a.O., hat nach Erscheinen der Briefe an Feiice nachdrücklich darauf hingewiesen, daß man den »Prozeß« im Lichte dieser Beziehung neu lesen müsse.

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»gottähnlichen« Erzählungen, den »Armen Spielmann« Grillparzers, den anderen Text über sich. » [ . . . ] diese Art Musikausübung ist doch eine kläglich lächerliche Erfindung, geeignet das Mädchen aufzureizen alles was sie im Laden hat im höchsten Zorn, an dem die ganze Welt teilnehmen wird, ich vor allen, der Geschichte nachzuwerfen, bis so die Geschichte, die nichts besseres verdient, an ihren eigenen Elementen zugrundegeht. Allerdings gibt es kein schöneres Schicksal als zu verschwinden und auf diese Weise. Auch der Erzähler, dieser komische Psychologe wird damit sehr einverstanden sein, denn wahrscheinlich ist er der eigentliche arme Spielmann, der diese Geschichte auf möglichst unmusikalische Weise vormusiciert, übertrieben herrlich bedankt durch die Tränen aus deinen Augen« [18]. Daß der arme Spielmann zum »Armen Spielmann« werde, die Liebenden zum Briefwechsel (der Briefwechsel ist die eigentliche Liebes-Geschichte) und der Schriftsteller zum Roman: Vielleicht gibt es tatsächlich kein schöneres Schicksal für eine Geschichte »als zu verschwinden und auf diese Weise«. Der Autor allerdings vermag im Gegensatz zur Geschichte nie ganz in seiner Metapher zu verschwinden: »Zwischen dem Kampf ums Uberleben und seinem Preis besteht ein wesentlicher Unterschied, der nicht dadurch verschwindet, daß sich in der Figur des Dichters beides ineinanderschieben mag.« 80 Wer die Tränen des Mädchens über das Verschwinden einer Geschichte entgegennimmt als ob's das eigene wär, ist letztlich doch jener, der sich in seiner Metapher auch aufhebt.

80

Hrachovec, H.: Wehrmut. Ddysseus und die deutsche Rheinschiffahrt. In: Denkzettel Antike. Texte zum kulturellen Vergessen. Hg. von Gerburg Treusch-Dieter, Wolfgang Pircher und Herbert Hrachovec (Reihe Historische Anthropologie 9). Berlin 1989, S. 83-92, hier S. 83.

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EXKURS: Anhang

Es sei nicht davor zurückgeschreckt, all jene Brief- und Tagebuchstellen, in denen Kafka auf Grillparzer Bezug nimmt, hier einmal in möglichster Vollständigkeit zusammenzustellen; sie sind zwar leicht zugänglich, doch an verschiedenster Stelle publiziert. Der Nachweis erfolgt am Ende des jeweiligen Zitates.

[1] [ . . . ] Dann setzte sich die Kellnerin zu mir und wir sprachen von des »Meeres und der Liebe Wellen« zu denen abends zu gehn wir unabhängig von einander uns entschlossen hatten. Es ist ein trauriges Stück. (25.Februar 1 9 1 1 , 0 15) [2] Im Theater dreimal. »Des Meeres und der Liebe Wellen.« Ich saß auf dem Balkon, ein allzu guter Schauspieler macht mit dem Naukleros zu viel Lärm, ich hatte mehrmals Tränen in den Augen, so beim Schluß des ersten Aktes, als die Augen Heros und Leanders von einander nicht los können. Hero tritt aus der Tempeltür, durch die man etwas sieht, was nichts anderes als ein Eiskasten sein kann. Im zweiten Akt Wald wie in früheren Prachtausgaben, er geht ans Herz, Lianen schlingen sich von Baum zu Baum. Alles moosig und dunkelgrün. Die Hintergrundmauer des Turmgemaches kehrt an einem nächsten Abend in »Miss Dudelsack« wieder. Vom dritten Akt ab Niedergang des Stückes, als sei ein Feind dahinter her. (Ende Februar I II 9 > T 596) [3] 28.März. Aus dem Vortrag der Frau Fanta »Berliner Eindrücke«: Grillparzer wollte einmal nicht in eine Gesellschaft gehn, weil er wußte, daß auch Hebbel, mit dem er befreundet war, dort sein würde. »Er wird mich wieder über meine Meinung über Gott ausfragen, und wenn ich nichts zu sagen wissen werde, wird er grob werden.« - Mein stockiges Benehmen. (28. März 1912, Τ 274) [4] 9· August. Die aufgeregte Nacht. - Gestern das Dienstmädchen, das zu dem kleinen Jungen auf der Treppe sagte: »Halt dich an meine Röcke!« Mein aus Eingebungen fließendes Vorlesen des »Armen Spielmann«. - Die Erkenntnis des Männlichen an Grillparzer in dieser Geschichte. Wie er alles wagen kann und nichts wagt, weil schon nur Wahres in ihm ist, das sich selbst bei widersprechendem Augenblickseindruck zur entscheidenden Zeit als Wahres rechtfertigen wird. Das ruhige Verfügen über sich selbst. Der langsame Schritt, der nichts versäumt. Das sofortige Bereitsein, wenn es notwendig ist, nicht früher, denn er sieht alles längst kommen. (9. August 1 9 1 2 ^ 2 8 2 )

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[ j ] [ . . . ] 2. Alles gibt mir gleich zu denken. Jeder Witz im Witzblatt, die Erinnerung an Flaubert und Grillparzer, der Anblick der Nachthemden auf den für die Nacht vorbereiteten Betten meiner Eltern, Maxens Ehe. Gestern sagte meine Schwester: »Alle Verheirateten (unserer Bekanntschaft) sind glücklich, ich begreife es nicht«, auch dieser Ausspruch gab mir zu denken, ich bekam wieder Angst. [ . . . ] (Zwischen 2i. und 23.Juli 1913, Τ 3 1 1 ) [6] [ . . . ] Liebste, was D u mir sagst, sage ich fast ununterbrochen, die geringste Loslösung von Dir brennt mich, was zwischen uns zwei vorgeht, wiederholt sich in mir viel ärger, vor Deinen Briefen, vor Deinen Bildern erliege ich. Und doch - Sieh, von den vier Menschen, die ich (ohne an Kraft und Umfassung mich ihnen nahe zu stellen) als meine eigentlichen Blutsverwandten fühle, von Grillparzer, Dostojewski, Kleist und Flaubert, hat nur Dostojewski geheiratet, und vielleicht nur Kleist, als er sich im Gedränge äußerer und innerer N o t am Wannsee erschoß, den richtigen Ausweg gefunden. Das alles kann an und für sich für uns ganz bedeutungslos sein, jeder lebt ein neues Leben und stünde ich selbst im Kern ihres Schattens, der auf unserer Zeit liegt. Aber es ist eine Grundfrage des Lebens und Glaubens überhaupt und von da aus hat das Deuten des Verhaltens jener vier mehr Sinn. [ . . . ] (2. September 1913, F 460) [7] [ . . . ] Unmöglich das einzig mögliche Leben zu führen, nämlich beisammenleben, jeder frei, jeder für sich, weder äußerlich noch wirklich verheiratet sein, nur beisammen sein und damit den letzten möglichen Schritt über Männerfreundschaft hinaus getan haben, ganz knapp an die mir gesetzte Grenze, w o sich schon der Fuß aufrichtet. Aber auch das ist eben unmöglich. Letzte Woche fiel mir das einmal vormittag als Ausweg ein, ich wollte es nachmittag schreiben. Nachmittag bekam ich eine Biographie Grillparzers. E r hat das getan, gerade das. [ . . . ] Aber wie unerträglich, sündhaft, widerlich war dieses Leben und doch gerade noch so wie ich es vielleicht unter größern Leiden als er, denn ich bin viel schwächer in manchem, zustandebrächte. [ . . . ] (6.September 1913, F 464) [8] Herzliche Grüße. Wohne Hotel Matschakerhof, w o Grillparzer zu Mittag aß, wie sein Biograph Laube sagt, »einfach aber gut«. Trotzdem werde ich morgen übersiedeln, daher Adresse Hauptpost restante. Erbarmungslose Schlaflosigkeit. (/.September 1913, F 462) [9] [ . . . ] Nur das Grillparzerzimmer im Rathaus möchte ich gern sehn, das habe ich anzusehn versäumt, ich habe zu spät davon erfahren. Kennen Sie den »armen Spielmann« von Grillparzer? Daß sich in Wien ordentlich leiden läßt, das hat Grillparzer bewiesen. [ . . . ] (14. Februar 1914, F 502) [10] [ . . . ] Kennen Sie übrigens den »Armen Spielmann« von Grillparzer? Habe ich das nicht schon einmal gefragt? Ehe Sie den und dann noch Grillparzers Selbstbiographie und dann etwa noch seine Reisetagebücher aus Deutschland, Frankreich und England kennen, hätte es vielleicht nicht viel Sinn, das Grillparzerzimmer im städtischen Museum anzusehn, dann aber wäre ich froh, wenn Sie es tun und mir davon

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schreiben würden. Bevor Sie das getan haben, verlassen Sie Wien nicht, dann aber rasch. [ . . . ] (13.März 1914, F 521) [ 1 1 ] Liebes Fräulein Grete, geht es also wieder besser? Und Sie denken wirklich daran, das Grillparzerzimmer für sich und für mich anzusehn? Den »armen Spielmann« schicke ich als Führer durch das Zimmer. Wenn Sie verschlafen haben, so ist das doch ein Zeichen der Gesundheit. Ich kann nicht verschlafen, habe aber keinen Vorteil davon, denn trotzdem bin ich Sonntag vor 12 Uhr nicht fertig. Teils aus Faulheit, teils aus Unentschlossenheit, teils in Erinnerung an frühere (nicht etwa schönere) Zeiten, in denen ich bis 12 Uhr und weiter in alle Ewigkeit schlafen konnte, liege ich und rühre mich kaum, stundenlang. Es wäre mir wahrscheinlich, wenn ich Wiener wäre, auch unmöglich, jemals ins Grillparzerzimmer zu kommen. [ . . . ] (7. April 1914, F 544) [12] [ . . . ] Der »arme Spielmann« ist schön, nicht wahr? Ich erinnere mich, ihn einmal meiner jüngsten Schwester vorgelesen zu haben, wie ich niemals etwas vorgelesen habe. Ich war so davon ausgefüllt, daß für keinen Irrtum der Betonung, des Atems, des Klangs, des Mitgefühls, des Verständnisses Platz in mir gewesen wäre, es brach wirklich mit einer unmenschlichen Selbstverständlichkeit aus mir hervor, ich war über jedes Wort glücklich, das ich aussprach. Das wird sich nicht mehr wiederholen, ich würde niemals mehr wagen, es vorzulesen. [ . . . ] (15.April I I

9 4> F 5 5 1 )

[13] [ . . . ] Zum Abschied darf Ihnen Wien gefallen. Vergessen Sie nicht an das Grillparzerzimmer! [ . . . ] (26. April 1914, F 565) [14] Lesen Sie übrigens französisch? Und das Grillparzerzimmer? Und die Thürheim? (8.Mai 1914, F 573) [15] [ . . . ] Es war sehr lieb von Ihnen, daß Sie in das Museum gegangen sind. Ich dachte doch nicht daran, etwas Neues zu erfahren (trotzdem auch das geschehen ist), aber ich hatte das Bedürfnis zu wissen, daß Sie im Grillparzerzimmer gewesen sind, und daß dadurch auch zwischen mir und dem Zimmer eine körperliche Beziehung entstanden ist. Mehr ergibt sich ja auch nicht, wenn man selbst dort war, viel mehr wenigstens nicht, gar im Anblick Übersiedeiter Schaustücke. Das Bild des Zimmers, das Sie mir schickten, ist es das Bild des wirklichen Zimmers oder des Rathauszimmers? Ein schönes Zimmer jedenfalls, in dem sich gut leben, gut im Lehnstuhl bei Sonnenuntergang schlafen ließe. Übrigens ein alter unerfüllbarer Wunsch. [ . . . ] . Hatten Sie übrigens nach dem »Armen Spielmann« auch den selbständigen Wunsch, das Zimmer zu sehn? Er war doch ein fürchterlicher Mensch; wenn sich unser Unglück von uns loslösen und frei umhergehen würde, es müßte ihm ähnlich sehn, jedes Unglück müßte ihm ähnlich sehn, er war lebendiges, abzutastendes Unglück. Eine kleine Geschichte aus den Tagebüchern oder Briefen: Die Verlobung war schon längst aufgelöst, nur die schwachsinnigsten Verwandten dachten noch an irgendeine ferne Möglichkeit einer Heirat, Katharina war schon längst über 30. Einmal abend ist G. bei den Schwestern zu Besuch, wie die meisten Abende; K . ist besonders lieb zu

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ihm, er nimmt sie halb aus Mitleid auf den Schoß - die zwei Schwestern gehn wahrscheinlich im Z i m m e r herum - und stellt dabei fest und schreibt es später auf, daß K . ihm damals vollständig gleichgültig war, daß er sich damals antrieb, daß er sich im geringsten G e f ü h l hätte untertauchen wollen, aber daß ihm nichts übrig blieb, als sie auf dem Schoß zu halten und sich nach einem Weilchen wieder von ihr zu befreien. Es w a r übrigens nicht nur aus Mitleid, daß er sie auf den Schoß genommen hatte, es w a r f a s t ein Versuch; noch ärger, ersah es voraus und tat es doch. [ . . . ] ( i 2 . M a i 1 9 1 4 , F $74f.) [16] [ . . . ] Laß auch den unsinnigen Irrtum, daß du Vergleiche anstellst, etwa mit Flaubert, Kierkegaard, Grillparzer. Das ist durchaus Knabenart. Als Glied in der Kette der Berechnungen sind die Beispiele gewiß zu brauchen oder vielmehr mit den ganzen Berechnungen unbrauchbar, einzeln in Vergleich gesetzt sind sie aber schon von vornherein unbrauchbar. Flaubert und Kierkegaard wußten ganz genau, wie es mit ihnen stand, hatten den geraden Willen, das war nicht Berechnung, sondern Tat. Bei dir aber eine ewige Folge von Berechnungen, ein ungeheuerlicher Wellengang von vier Jahren. Mit Grillparzer stimmt der Vergleich vielleicht, aber Grillparzer scheint dir doch nicht nachahmenswert, ein unglückseliges Beispiel, dem die K ü n f t i gen danken sollen, weil er f ü r sie gelitten hat. (17. August 1 9 1 6 , Τ 5 1 1 f.) [ 1 7 ] Ich schicke D i r den armen Spielmann heute, nicht weil er eine große Bedeutung f ü r mich hat, einmal hatte er sie vor Jahren. Ich schicke ihn aber, weil er so wienerisch, so unmusikalisch, so zum Weinen ist, weil es im Volksgarten auf uns hinuntergesehen hat (auf uns! D u giengst ja neben mir Milena, denk nur, D u bist neben mir gegangen) weil es so bureaukratisch ist und weil er ein geschäftstüchtiges Mädchen geliebt hat. (5.Juli 1920, Μ 85) [18] Was D u über den armen Spielmann sagst, ist alles richtig. Sagte ich,.daß er mir nichts bedeutet, so w a r es nur aus Vorsicht, weil ich nicht wußte, wie D u damit auskommen würdest, dann auch deshalb weil ich mich der Geschichte schäme, so wie wenn ich sie selbst geschrieben hätte und tatsächlich setzt sie falsch ein und hat eine Menge Unrichtigkeiten, Lächerlichkeiten, Dilettantisches, zum Sterben Geziertes (besonders beim Vorlesen merkt man es, ich könnte D i r die Stellen zeigen) und besonders diese A r t Musikausübung ist doch eine kläglich lächerliche Erfindung, geeignet das Mädchen aufzureizen alles was sie im Laden hat im höchsten Z o r n , an dem die ganze Welt teilnehmen wird, ich vor allen, der Geschichte nachzuwerfen, bis so die Geschichte, die nichts besseres verdient, an ihren eigenen Elementen zugrundegeht. Allerdings gibt es kein schöneres Schicksal f ü r eine Geschichte als zu verschwinden und auf diese Weise. A u c h der Erzähler, dieser komische Psychologe wird damit sehr einverstanden sein, denn wahrscheinlich ist er der eigentliche arme Spielmann, der diese Geschichte auf möglichst unmusikalische Weise vormusiciert, übertrieben herrlich bedankt durch die Tränen aus Deinen A u g e n . ( 1 3 . J u l i 1920, Μ io8f.) [19] [ . . · ] F ü r solche D i n g e gilt diese kleine ewige Geschichte: Grillparzer w u r d e einmal in eine Gesellschaft eingeladen, in der er mit Hebbel zusammenkommen

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sollte. Grillparzer weigerte sich aber hinzugehen, denn »Hebbel fragt mich immer über Gott aus und ich kann ihm nichts sagen und dann ist er böse«. [ . . . ] (Ende März 1921.Br 311)

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Abkürzungen und Sigeln

1. Grillparzers Texte werden zitiert nach der Historisch-kritischen Ausgabe: Grillparzer, Franz: Sämtliche Werke. Im Auftrag der Stadt Wien hg. von August Sauer und Reinhold Backmann. III Abteilungen in insgesamt 42 Bänden. Wien 1909-1948. Der Nachweis der Zitate erfolgt im Anmerkungsteil unter dem Sigel H K A mit anschließender, die betreffende Abteilung bezeichnender römischer Ziffer sowie nachfolgender Band- und Seitenzahl. Tagebucheintragungen werden zudem mit der ihnen in der H K A zugewiesenen Nummer zitiert, dieselbe ist dem Nachweis in runder Klammer nachgestellt. 2. Der Text der »Selbstbiographie« wird zitiert nach H K A I, 16. Der Nachweis erfolgt im fortlaufenden Text durch die Anführung von Seitenund Zeilenzahl in runder Klammer. 3. Für den Exkurs gelten die folgenden Sigeln: Br

Kafka, Franz: Briefe 1902-1924 (Fischer Taschenbuch 1575). Ffm. 1975. F Ders.: Briefe an Feiice und andere Korrespondenz aus der Verlobungszeit. Hg. von E. Heller und J. Born. Ffm. 1967. GBT Grillparzer, Franz: Briefe und Tagebücher. Gesammelt und mit Anmerkungen hg. von C. Glossy und A. Sauer. Bd. I.: Briefe; Bd. II: Tagebücher. Stuttgart/Berlin [1903]. GS Ders.: Selbstbiographie. In: H K A 1,16, S.61-231. Μ Kafka, Franz: Briefe an Milena. Erw. u. neu geordnete Ausgabe. Hg. Ο

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Ρ

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Τ

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