Die Leistung: Grundvorgang des sozialen Lebens und Grundbegriff des Schuldrechts [1 ed.] 9783428471416, 9783428071418

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Die Leistung: Grundvorgang des sozialen Lebens und Grundbegriff des Schuldrechts [1 ed.]
 9783428471416, 9783428071418

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HORST-EBERHARD HENKE

Die Leistung: Grundvorgang des sozialen Lebens und Grundbegriff des Schuldrechts

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 141

Die Leistung:

Grundvorgang des sozialen Lebens und Grundbegriff des Schuldrechts

Von Dr. Horst-Eberhard Henke Universitätsprofessor in Kiel

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Henke, Horst-Eberhard: Die Leistung: Grundvorgang des sozialen Lebens und Grundbegriff des Schuldrechts / von Horst-Eberhard Henke. Berlin: Duncker und Humblot, 1991 (Schriften zum Bürgerlichen Recht; Bd. 141) ISBN 3-428-07141-7 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1991 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fremddatenübernahme: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Druck: Druckerei Gerike GmbH, Berlin 36 Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-07141-7

Vorwort Die Abhandlung, die ich in die Hand meiner Leser lege, weicht von gewohnten Pfaden ab. Sie entwickelt einen überkommenen Rechtsbegriff aus dem ihm zugrunde liegenden zwischenmenschlich-wirtschaftlichen Merkmal. Damit soll das Recht, soweit es seine Aufgaben zulassen, in Einklang mit den Gegebenheiten des Lebens gebracht werden. Einen Durchbruch durch das Schema kennzeichnet auch die Behandlung des Gegenstandes im Allgemeinen und im Besonderen Schuldrecht: Was eine "Leistung" darstellt, wird hier in gleicher Weise für das Schuldverhältnis, seine Erfüllung und den Rückruf einer ungerechtfertigten Bereicherung herausgearbeitet. Ich widme diese Arbeit meinem Lehrer Arwed Blomeyer in Dankbarkeit für seine langjährige Förderung, die er mir als wirklicher Habilitationsvater hat angedeihen lassen. Mein Dank gilt meiner Assistentin Frau Dr. Frauke Wernecke, die mir instinktiv und spontan die Zusammenschau rechtlicher Grundgedanken mit ihren praktischen Ausformungen erschlossen hat, meinem Assistenten Herrn Referendar Claus Hess, dessen wacher Blick sich auf die Genauigkeit des Aufbaus und Ausdrucks der Schrift richtete, und Herrn stud. iur. Michael Ladwig, der mir half, mich einer unprätentiösen, auch dem Studenten faßbaren Sprache zu befleißigen. Meine Sekretärin Frau Erika Mandau hat in aufopferungsvoller Arbeit aus oft geänderten Manuskripten ein wissenschaftliches Werk entstehen lassen. Zu den Menschen, denen ich für ihren Einsatz und ihr Interesse besonders verbunden bin, darf ich auch Herrn Professor Simon, Geschäftsführer der Verlagsbuchhandlung Duncker & Humblot, zählen. Er hat mich mit seinem Wohlwollen in meiner Arbeit bestärkt. Kiel, im September 1990

Horst-Eberhard Henke

Inhaltsverzeichnis Einleitung -

Weg und Ziel der Untersuchung ..... . ....... .... .... .. .. ... . .. ..

11

Erster Teil

Der soziale und der allgemein-rechtliche Begriff der "Leistung"

13

I. Der Begriff "Leistung": Sachlicher Mittelpunkt des Schuldverhältnisses ...

13

1. Die Aussage des § 241 BGB: Der Anspruch auf eine "Leistung" des Schuldners . ...... ......... . . .... .. .. ........ . ... ........... . . . .. ... ..... ....

13

2. Die "Leistung" als Mittelpunkt des ganzheitlich aufgefaßten Schuldverhältnisses ......... . .. . .............. .. ....................... ... . . ..... . . ...

13

II. Die ,,Leistung": Jedweder Aufwand zum Vorteil des Gläubigers? ... .. .....

14

1. Der Begriff "Leistung" gewonnen aus der Soziologie und der Beobach-

tung der Lebensverhältnisse .... .. . . ...... . ... . ............. . ...... .. ... . . .

14

2. Die "Leistung" in der Sicht des Juristen und Soziologen Max Weber.

14

3. Der zwischenmenschliche Begriff "Leistung", belegt und bewährt am Verkauf eines Afghanistan-Teppichs ........ .. .. . .................. . .....

15

4. Der Kern des zwischenmenschlichen Leistungsbegriffs .................

16

5. Die Übereinstimmung und Verschiedenheit des zwischenmenschlichen und schuldrechtlichen Begriffs "Leistung" ...... ..... ............. ..... ..

16

6. Der schuldrechtliche, von wirtschaftlichen und ethischen Vorbehalten befreite Begriff der "Leistung" ............... .... ............... ... .......

18

7. Der Begriff "Leistung" -

eine Schöpfung der rechtlichen Vernunft . .

20

8. Die "Leistung" und die ,,rechtliche geschuldete Leistung" ...... . . . . . ...

21

9. Die "vorteilslose Leistung" -

ein Hirngespinst .........................

24

10. "Leistung" und ,,zuwendung" bei abstrakten Geschäften ........ .... ...

26

111. Das Unterlassen und das Dulden als "Leistungen" .... .. .. ......... ..... . . ...

27

1. Muß das Gesetz die Juristen über den Leistungsbegriff belehren? .....

27

2. Die Nützlichkeit der gesetzlichen Anordnung ................... ... ......

32

3. Die Richtigkeit der gesetzlichen Anordnung . .. .. .... ..... . . . ... .. .......

35

4. Zusammenfassung: Die Nützlichkeit und Richtigkeit der gesetzlichen Anordnung .... . ... ......... .. .. ..... ......... . .............. . ....... .. . .. ..

39

8

Inhaltsverzeichnis

Zweiter Teil

Leistungshandlung und Leistungserfolg: Was gibt dem Schuldverhältnis seinen Sinn?

41

1. Die alltägliche Ordnung des Schuldverhältnisses im Zusammenhang von Leistungshandlung und Leistungserfolg .......................................

41

1. Leistungshandlung und -erfolg als Ausdruck verschiedener Anschauungsweisen .................................................................

41

2. Die Wechselwirkung zwischen Leistungshandlung und -erfolg.........

42

II. Leistungshandlung und -erfolg: Verwendet das Gesetz den Begriff "Leistung" willkürlich? ..................... .. .................... .. ... .. ............ .......

43

1. Das Zusammenspiel zwischen § 241 und § 362 BGB ............... ....

43

2. Die Kritik Wieackers am Gesetzesaufbau ................................

46

3. Die Folgerichtigkeit des Gesetzes und seine Fehlinterpretation durch Wieacker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

4. Welchen Gewinn bringt das Begriffspaar "Leistungshandlung - Leistungserfolg"? ..............................................................

58

Dritter Teil

Leistung und Erfüllung: Bedarf es einer besonderen Erklärung, um ein Schuldverhältnis an das in ihm angelegte Ziel zu bringen?

59

1. Die Zuordnung einer Leistung zur Verbindlichkeit und der Akt der "Erfüllung" ....... ....... .. .. ............ ........ ............ .. ................. . .......

59

1. Der Streit der Erfüllungstheorien: Gegensätze kraft sachlicher Unterschiede oder nur kraft anders gesetzter Akzente? ........................

59

2. Die Erfüllung eines Vermächtnisses als Anwendungsfall der Vertragstheorie ..........................................................................

61

11. Die Zuordnung der Leistung zu einem Schuldverhältnis - ein unerläßliches Erfordernis der Erfüllung .......................................................

63

1. Die subjektive und objektive Bestimmung des Leistungszwecks .......

63

2. Die fehlende Erfüllung bei anonymen oder nicht durch die Identität der Sache belegten Leistungen ................................................

67

3. Der Bezug der Leistung auf das Schuldverhältnis bei der Erfüllung von Unterlassungspflichten .....................................................

68

4. ,,Erfüllung" und "Befriedigung" in der Zwangsvollstreckung ...........

69

5. Der Schuldbezug der Leistung - ein Gebot der praktischen und rechtlichen Vernunft ..............................................................

70

III. Die Relativität der Erfüllungstheorien: Wahrheit und Irrtum, Wert und Unwert der einzelnen Sichtweisen ......................................................

71

1. Der Geltungsanspruch der Erfüllungstheorien, gemessen an ihrem Anwendungsbereich . .............................................. . ...........

71

2. Die Vertragstheorie und ihre Rechtfertigung .... .. ............... ........

71

Inhaltsverzeichnis

9

3. Die Tragweite von Zweckvereinbarungen . .... . ............. . . . . . . . . . ....

74

4. Die "finale" und ,,reale" Zuordnung einer Leistung . . .... . ..... . ..... . ..

77

5. Die Erfüllung eines Zeitungsabonnements - Beleg für die ,,reale" Tilgungsbestimmung .............. ................................. .... .......

80

6. Die Theorie der "finalen" und der ,,realen" Leistungsbestimmung als Ausdruck gewollter und zugerechneter Handlungen .............. .. .....

81

7. Das Wort von der ,,herrschenden" und der "überwundenen" Erfüllungstheorie - eine verzeichnende Gegenüberstellung . . .....................

82

Vierter Teil Der Leistungsbegriff im Bereicherungsrecht -

ein irreführendes Gebilde? 84

I. Die ,,Leistung": Grundvorgang des sozialen Lebens und Grundbegriff des

Schuldrechts, mithin auch des Bereicherungsrechts ..........................

84

1. Die ,,Leistung" im zwischenmenschlichen und rechtlichen Verhältnis.

84

2. Die "Leistung" im Allgemeinen Schuldrecht und im Bereicherungsrecht: Was spricht für, was spricht gegen die Einheitlichkeit der Begriffe? ..

85

3. ,,Rechtsgrund" und ,,Leistung" i. S. des § 812 BGB ........... ........ ..

89

11. Die Schärfe des Leistungsbegriffs und die mangelnde Beweglichkeit des begrifflichen juristischen Denkens . . .. . . .............. ... ........... ..... .. .. ..

90

1. Klarheit und Lebensnähe in konfliktfreien Beziehungen: die Vorzüge des Leistungsbegriffs .......... .... .. . ..... . . . .. . . .. ..... ... ...............

90

2. Die mangelnde Biegsamkeit - der Nachteil des Leistungsbegriffs bei der Rückabwicklung mehrerer gestörter Schuldverhältnisse ............

94

III. Der Bereicherungsausgleich bei der Abtretung von Forderungen - ein Beispiel für "vernetztes", über den Leistungsbegriff hinausgehenden Denkens ......

95

1. Die Konkurrenz von Leistungs- und Nichtleistungskondiktion im DreiPersonen-Verhältnis der Abtretung - eine unlösbare Frage? .. . . . ... . .

95

2. Die "sach- und interessengerechte" Lösung des Bereicherungsausgleichs, dargestellt an zwei voneinander abweichenden Revisionsurteilen . .....

96

3. Die unterschiedliche Behandlung ernsthaft gemeinter und erklärter Abtretungen . .. ....... .. .......... ...... .. .. ..... .. . . . . . .. . ....... ... . . .... .. . ....

97

4. Der Versicherungsnehmer als Schuldner der Bereicherungsansprüche des Versicherers ... .................... . ............... . ................. . ......

98

5. Warum der Versicherungsnehmer Bereicherungsschuldner des Versicherers bleibt ...... .... ............................................... .... ......

99

6. Der sachgerechte Bereicherungsausgleich in der Feuerversicherung . . .

101

IV. Begriffliches und wertendes Denken bei dem Rückruf von "angewiesenen" Geld- und Sachleistungen .......... .... ........... ........ .....................

105

1. Der induktive Weg einer Theorie des Bereicherungsausgleichs in sog. Anweisungslagen .............. ..... . ............. ..... ............ .........

105

2. Der Bereicherungsausgleich durch Leistungs- und Nichtleistungskondiktionen .... .................. ..... ....... .... . ...... . ....... . . .. . ...... . ......

106

10

Inhaltsverzeichnis 3. Die Lösung von Interessenkonflikten durch Zurechnung einer Wertbewegung ........................................................................

107

4. Der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes und der Durchgriff des Leistungsmittlers bei unentgeltlichen Zuwendungen ........................

109

5. Wer trägt das Insolvenzrisiko des Bereicherungsschuldners? ...........

110

V. Das vemetzte Denken - ein Weg des Bereicherungsausgleichs zwischen mehreren aufeinander bezogenen Schuldverhältnissen .......................

110

1. Die grundlegende Ordnung der Leistungsbeziehung und ihre Erweiterung bei Fehlen des sog. Leistungsmittlers .....................................

110

2. Das ausgleichende Vorgehen des vemetzten Denkens ..................

111

3. Einige Bemerkungen zur Literatur des Bereicherungsrechts ............

113

Fünfter Teil

Begriffliche Arbeit

116

Anhang

Sachverhalte und Sätze des Richterrechts über den Bereicherungsausgleich in Anweisungslagen

129

Verzeichnis grundlegender Werke zum Begriff der "Leistung" und zum "Schuldverhältnis"

147

Einleitung Weg und Ziel der Untersuchung Eine Erörterung unter der Überschrift "Die Leistung: Grundvorgang des sozialen Lebens und Grundbegriff des Schuldrechts" geht davon aus, daß das zwischenmenschliche ("soziale") und das rechtliche Verhältnis eines Gläubigers und eines Schuldners einander beeinflussen, ja zusammenhängen. Der Jurist, der den Rechtsbegriff der "Leistung" zu erschließen sucht, ist daher gut beraten, wenn er zuerst erforscht, was der Ökonom und der Soziologe unter "Leistungen", als Motor und Aufbausteine der Wirtschaft verstehen. Er hat freilich das Recht, das Merkmal in eigener Verantwortung zu prägen und es so von einer Deutung zu befreien, die den Menschen nur als Subjekt wirtschaftlichen HandeIns oder als Partikel im gesellschaftlichen Leben betrachtet: Ist der Bürger doch vor dem Recht frei, seine Individualität zu wahren und damit auch wirtschaftlich "unvernünftig" zu handeln und zu "leisten". In gleicher Weise ist der Begriff von ethischen Vorbehalten zu reinigen, um ihn praktisch verwendbar zu machen und den Zusammenhang mit den Regeln der ungerechtfertigten Bereicherung zu wahren, die in der Vorschrift des § 817 BGB die Rückerstattung einer gesetz- oder sittenwidrigen "Leistung" gewähren: Die "Leistung" ist nicht bloß eine wirtschaftliche (und schon gar nicht nur eine kaufmännisch vorteilhafte) Wertbewegung und ebensowenig nur eine ethisch "schutzwürdige" Zuwendung. Sie ist ein Vorteil jeder Art, den ein Schuldner seinem Gläubiger mit einer bestimmten Zielrichtung verschafft. Ob das Versprechen einer Leistung als "schutzwürdig" anzuerkennen ist, beantwortet die Lehre von der Willenserklärung, von der Vertragsfreiheit und den "guten Sitten" im rechtsgeschäftlichen Verkehr. Ethische Vorbehalte mit dem Leistungsbegriff zu verknüpfen, ist zivilrechtlich ungenau und eine Entscheidung gegen den Sprachgebrauch sowie die Auffassung des Geschäftsverkehrs. Zu den "Leistungen" zählt das Gesetz in § 241 BGB zutreffend auch die Unterlassung und die Duldung, weil sie in den praktisch wichtigen Fällen des Konflikts zwischen Vertragspartnern und Nachbarn vom Schuldner Selbstzucht fordern, damit eine Auseinandersetzung unterbunden wird. Wer also eine Handlung unterläßt oder den Eingriff in seinen Lebenskreis duldet, "leistet" dadurch, daß er sich zügelt oder, falls er eine Handlung unbewußt unterläßt, das Interesse des Gläubigers an der Wahrung seiner Rechte befriedigt.

12

Einleitung

Die "Leistung" wird schließlich vom Gläubiger aus betrachtet mehr als Leistungserfolg und aus der Sicht des Schuldners mehr als Leistungshandlung gesehen. Aber die beiden Seiten des Begriffs, die das Gesetz (etwa in § 241 oder in § 362 BGB) sachlich richtig mit dem einen oder dem anderen Akzent versieht, sind doch aufeinander bezogen. Das zeigt sich gerade im gegenseitigen Vertrag, wo beide Parteien Gläubiger und Schuldner in einer Person sind. Jeder der beiden Teile "leistet" (im Sinne der Leistungshandlung), um eine Gegen"leistung" (im Sinne des Leistungserfolgs) zu erhalten. Eine Verpflichtung "erfüllen" heißt: durch die Leistung die im Schuldverhältnis enthaltenen vertraglichen Zusagen oder gesetzlichen Gebote einlösen. Die Erfüllung hebt damit auch die im Schuldverhältnis angelegte Spannung auf, sie läßt geistige Gegebenheiten zu greifbaren Wirklichkeiten werden und befördert so den Kreislauf wirtschaftlicher und ideeller Güter. Können diese Ziele nicht erreicht werden, sorgen die Normen der "ungerechtfertigten", von der Erfüllung nicht begleiteten, Bereicherung für die Rückerstattung der geleisteten Werte. Ob die Leistungshandlung noch von einem besonderen Akt, einem Tilgungsvertrag zwischen Gläubiger und Schuldner oder einer zweiseitigen, in einer anderen Spielart einer nur einseitigen Tilgungsbestimmung, begleitet sein muß, oder ob es genügt, daß die Leistungshandlung als zwischenmenschlicher, mithin sinnvoller Vorgang allein zur Erfüllung führt, beantworten die verschiedenen Erfüllungstheorien in unterschiedlicher Weise. Den Sinn der Leistung als zwischenmenschlichen Vorgang bringt die sog. "Vertragstheorie" am deutlichsten, die sog. Theorie der "realen Leistungsbewirkung" am schwächsten: durch die (objektive) Übereinstimmung der Leistungshandlung mit der Schuld, zum Ausdruck. Die Beobachtung der Praxis zeigt, daß jede dieser Anschauungsweisen ihren Anwendungsbereich und damit ihre Berechtigung hat, daß ihr Geltungsanspruch mithin nur bezogen auf bestimmte Situationen vertretbar ist. Die "Leistung" als eine sinnvolle Wertbewegung bewährt sich nicht nur im Allgemeinen Schuldrecht, sondern auch in den Normen über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung. Das wertneutrale, durch zwischenmenschliche und wirtschaftliche Beziehungen geprägte Merkmal ist freilich nicht in der Lage, Wertungskonflikte in mehreren aufeinander bezogenen Schuldverhältnissen auszugleichen. Hierzu bedarf es eines "vernetzten", d. h. koordinierenden Denkens, das von der Grundlage der "Leistung" aus zu einem Interessenausgleich zwischen den verschiedenen Gläubigem und Schuldnern fortschreitet. Dieser isoliert nicht die einzelnen Verhältnisse, sondern betrachtet sie als zusammenhängendes Ganzes, aus dessen verbundenen Teilen die sachgerechte Lösung des Konflikts zu gewinnen ist.

Erster Teil

Der soziale und der allgemein-rechtliche Begriff der "Leistung" I. Der Begriff "Leistung": Sachlicher Mittelpunkt des Schuldverhältnisses 1. Die Aussage des § 241 BGB: Der Anspruch auf eine "Leistung" des Schuldners Die Vorschrift des § 241 BGB legt auf den ersten Blick einsichtige, für die rasche Betrachtung der Sache vielleicht überflüssige Wirkungen des Bandes zwischen Gläubiger und Schuldner fest: Der Gläubiger hat das Recht (den Anspruch, die Forderung) auf eine ,Leistung" des Schuldners.

2. Die "Leistung" als Mittelpunkt des ganzheitlich aufgefaßten Schuldverhältnisses Aber auch das Schuldverhältnis in der ganzheitlichen (organischen) Bedeutung, die das Zusammenspiel von Rechten, Pflichten und Zuständigkeiten bezeichnet 1, erhält seinen Sinn durch "Leistungen" der einen oder der anderen, oft beider Seiten, die solange in diesem Inbegriff verborgen sind, bis sie geltend gemacht werden und dann den Gegenstand eines Schuldverhältnisses im engeren Sinn des § 241 BGB bilden. Wenn es beispielsweise zu den Nachwirkungen des Kaufvertrags über technische Industrieprodukte gehört, dem Käufer während der gewöhnlichen Lebensdauer des Erzeugnisses Ersatzteile zu liefem 2 , zählt diese (ruhende) Nebenleistungspflicht zum Schuldverhältnis im übergreifenden Sinn. Tritt aber der Käufer eines Diktiergeräts vier Jahre nach dessen Erwerb an den Verkäufer mit dem Verlangen heran, ihm eine neue Tonrolle einzubauen 3, nimmt er für sich die technisch aufgefaßte "Leistung" in Anspruch, von der die Vorschrift des § 241 BGB ausgeht. 1 Daß sich das "organisch" aufgefaßte Schuldverhältnis aus Haupt- und Nebenleistungspflichten zusammensetzt, aus Gestaltungsrechten und Zuständigkeiten, wie die Befugnis zurückzutreten und die Fähigkeit, diese Erklärung entgegenzunehmen, ist seit langem allgemeine Erkenntnis. 2 So das AG München, NJW 1970, Seite 1852. Aus jüngster Zeit und ausführlich Kühne, Betriebs-Berater 1986, Seite 1527. 3 So der Sachverhalt, über den das Amtsgericht München zu befinden hatte.

14

1. Teil: Der soziale und der rechtliche Begriff der "Leistung"

In welcher Bedeutung man also vom "Schuldverhältnis" spricht, es hat seinen

sachlichen Mittelpunkt in der "Leistung", die der Gläubiger fordern darf und der Schuldner erbringen soll.

11. Die "Leistung": Jedweder Aufwand zum Vorteil des Gläubigers? 1. Der Begriff "Leistung" gewonnen aus der Soziologie und der Beobachtung der Lebensverhältnisse Was aber ist eine "Leistung" I: die Zuwendung eines Vermögensvorteils oder wenigstens eines positiven kulturellen Wertes oder, in weitester Fassung, jedweder Aufwand des Schuldners zum Vorteil des Gläubigers? Wenn sich der Begriff des Schuldverhältnisses aus dem sozialen Verhältnis erschließen läßt 2 , so ist es folgerichtig, diesen Weg auch für das Merkmal der "Leistung", den Sinn und Zweck der sozialen und rechtlichen Beziehung, einzuschlagen: Aus der Soziologie und der Beobachtung der Lebensverhältnisse läßt sich ein Anhalt, wenn nicht sogar die Grundlage dafür gewinnen, was im Schuldrecht als "Leistung" zu gelten hat 3 •

2. Die "Leistung" in der Sicht des Juristen und Soziologen Max Weber Der Gedanke findet eine Antwort bei Max Weber als dem Soziologen, der m. E. mit der Prägnanz seiner Begriffe das juristische Denken am meisten zu befruchten vermag 4 : 1 Die Spielarten des Begriffs "Leistung" stellt J. Schmidt im Staudingersehen Kommentar, 12. Aufl., 35 -50 zu § 241, dar. Eine, wenngleich nicht mit Gesetzeskraft versehene Entscheidung für den Begriff in seiner weiten Fassung trifft die Kommission zum zweiten Entwurf des BGB: Nach dem "Bedürfnisse des heutigen Lebens" und der "in der Praxis anerkannten Rechtsauffassung" sei es nicht angängig, ein Vermögensinteresse des Gläubigers an der Leistung zum Erfordernis der Obligation zu machen (Mugdan, Die gesammten Materialien, Bd. 11, Seite 501-02, Protokolle). 2 Henke, JA 1989, Seite 186/90: Das zwischenmenschliche Lebensverhältnis der Bitte oder des Ersuchens, etwa einen Afghanistan-Teppich zu verkaufen, ist die Grundlage der rechtlichen Ordnung, des "Auftrags als Schuldverhältnis im Sinne der §§ 662 ff BGB". 3 Übereinstimmend die Abhandlung von Weitnauer, Die Leistung, Festschrift für v. Caemmerer, Seite 255/71: Der Ausdruck bezeichne Lebensvorgänge, die sich Tag für Tag vieltausendfach in verschiedenen Formen abspielten. Die Erkenntnis ihrer gemeinsamen Züge beruhe nicht auf gewaltsamer Idealisierung, sondern auf der Beobachtung des Rechtsverkehrs, "sie ist empirisch, also mit gewissermaßen soziologischen Methoden, nicht dogmatisch gewonnen." 4 Max Weber war seiner Herkunft nach Jurist, er hatte mit juristischen Arbeiten die Promotion und Habilitation belegt. Im Jahre 1893 wurde er zum außerordentlichen Professor für Handelsrecht und Deutsches Recht an der Universität Berlin ernannt, bevor er 1894 auf einen Lehrstuhl für Nationalökonomie in Freiburg berufen wurde (Max

H. Die "Leistung": Jedweder Aufwand?

15

"Unter Nutzleistungen sollen stets die von einem oder mehreren Wirtschaftenden als solche geschätzten konkreten einzelnen zum Gegenstand der Fürsorge werdenden (wirklichen oder vermeintlichen) Chancen gegenwärtiger oder künftiger Verwendungsmöglichkeiten gelten, an deren geschätzter Bedeutung als Mittel für Zwecke des (oder der) Wirtschaftenden sein (oder ihr) Wirtschaften orientiert wird. Die menschlichen Nutzleistungen sollen, sofern sie in einem aktiven Handeln bestehen, Leistungen heißen"5. Das "Wirtschaften" als Bezugspunkt dieser Definition versteht Weber in dem folgenden Sinn: "Wirtschaften soll eine friedliche Ausübung von Verfügungsgewalt heißen, welche primär wirtschaftlich orientiert ist"6. Ich versuche, die übergenaue Begriffsbestimmung für die vergleichsweise einfachen Anforderungen des Schuldrechts von ihrer gedanklichen Schwere zu befreien: ,.Nutzleistungen" sind menschliche 7 Leistungen, die in einem aktiven Handeln bestehen. Solche "Leistungen" sind konkrete, einzelne (wirkliche oder vermeintliche) Chancen gegenwärtiger oder künftiger Verwendungsmöglichkeiten, die ein Wirtschaftender schätzt und zum Gegenstand seiner Fürsorge macht. Ein "Wirtschaftender" ist derjenige, der wirtschaftet. "Wirtschaften" ist die friedliche 8 Ausübung von Verfügungsgewalt, die sich zwar in erster Linie ("primär") an anderen Zwecken als einem Wirtschaftsbetrieb ausrichtet, aber auf wirtschaftliche Abläufe Rücksicht nimmt 9 • Das Wirtschaften unterscheidet sich, wie gesagt, vom "Wirtschaftsbetrieb" als dem betriebsmäßig geordneten, kontinuierlichen Wirtschaften.

3. Der zwischenmenschliche Begriff "Leistung", belegt und bewährt am Verkauf eines Afghanistan-Teppichs Wenn also, um die Definition am Beispiel zu beleben und zu bewähren, ein Finanzbeamter namens Uwe Prenger einem gewissen Dietrnar Ludwig den Auftrag gibt, einen Afghanistan-Teppich für ihn zu verkaufen, und Dietmar Ludwig den Auftrag ausführt IO , "leisten" dann Prenger und Ludwig in dem Sinn, wie ihn Max Weber festlegt? Weber zum Gedächtnis, Sonderheft 7 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, herausgegeben von Rene König und Johannes Winckelmann, 1964, Seite 1011, 36,40-41). 5 Wirtschaft und Gesellschaft, 1. Halbband, 4. Aufl., Kapitel 11, § 2. 6 Wirtschaft und Gesellschaft, a. a. 0., § 1. 7 Mithin keine Leistungen, die Sachen (Maschinen oder Tiere) erbringen. 8 Nach der einschränkenden Definition Webers (§ 1: "Wirtschaften soll eine friedliche Ausübung von Verfügungsgewalt heißen ... ") nicht die gewaltsame Wegnahme von Sachen oder die Erzwingung von Diensten. 9 Diese ergänzende Festlegung findet sich in Anmerkung 3 zu § 1.

16

1. Teil: Der soziale und der rechtliche Begriff der "Leistung" Ein aktives Handeln von Personen ist in beiden Fällen zu bejahen:

Prenger überträgt den Besitz sowie die Verfügungsrnacht 11 über das Stück an Ludwig; dieser macht seinerseits den Teppich zu Geld, dessen Herausgabe er Prenger schuldet. Die Übertragung des Besitzes, die Einräumung der Verfügungsrnacht und der Erwerb des Verkaufserlöses durch den Beauftragten Ludwig sind konkrete, einzelne (wirkliche, das heißt realisierbare bzw. nach dem Verkauf realisierte) Chancen gegenwärtiger Verwendungsmöglichkeiten, welche die Vertragspartner als Wirtschaftende schätzen und zum Gegenstand ihrer Fürsorge, das heißt ihrer Bemühungen um die erfolgreiche Abwicklung des Geschäfts, machen. Prenger und Ludwig sind Wirtschaftende, weil sie Verjügungsgewalt über den Teppich und den Verkaufserlös auf friedlichem Wege ausüben und als Nicht-Kaufleute dabei andere Zwecke als das Handeln in einem Wirtschaftsbetrieb verfolgen, dennoch aber auf den wirtschaftlichen Ablauf des Verkaufsgeschäfts und der Verwendung des Verkaufserlöses Rücksicht nehmen. Ihr Wirtschaften orientiert sich an den Verwendungsmöglichkeiten, die ihnen der Besitz des Teppichs und dessen Verkaufserlös gewähren.

4. Der Kern des zwischenmenschlichen Leistungsbegriffs Versuche ich, den Kern dieser fast mit der Lupe gefundenen Definition heraustreten zu lassen, so heißt ,,Leisten", wie es Max Weber für die Soziologie der Wirtschaft versteht: Jedes zwischenmenschliche ("soziale"), daher sinnvolle 12 Handeln, das dem Partner und Empfänge~ einen wirklichen oder von ihm angenommenen Vorteil verschafft und daher als Gegenstand seiner Bemühungen erstrebt wird. Der erhaltene Vorteil setzt ihn in den Stand, damit als Privatperson oder als Kaufmann zu "wirtschaften", das heißt Verfügungsgewalt auszuüben, um wirtschaftliche Werte zu erwerben oder zu veräußern.

5. Die Übereinstimmung und Verschiedenheit des zwischenmenschlichen und schuldrechtlichen Begriffs "Leistung" a) Wie bereits angedeutet, kann diese Definition den Juristen zwar anregen, ihm aber nicht die eigene Begriffsbildung verwehren. Ihre begrenzte Brauchbarkeit gerade für das Schuldrecht zeigt sich an einem sozialen Geschehen, betrachtet unter rechtlichen Maßstäben, nämlich dem Markt für "Leistungen", wie ihn die Berichte und der Anzeigenteil der Tagespresse dem Leser unterbreiten. 10 Ich bediene mich eines im Bundesanzeiger vom 17.1.1987 dargestellten Prozesses Prenger ./. Ludwig, der, wie ich vermute, den gescheiterten Verkauf eines Teppichs zum Gegenstand hat. 11 Der Verfügungsberechtigte delegiert seine Macht entweder in der Form der Bevollmächtigung (§ 164) oder der Einwilligung zur Verfügung im eigenen Namen (§ 185). 12 "Der ZusammenpralI zweier Radfahrer ist ein bloßes Ereignis wie ein Naturgeschehen. Wohl aber wäre ihr Versuch, dem anderen auszuweichen, und die auf den ZusammenpralI folgende Schimpferei, Prügelei oder friedliche Erörterung soziales Handeln" (M. Weber, a.a.O., § 1 11, Nr. 3).

II. Die "Leistung": Jedweder Aufwand?

17

Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 9.4.1987 führt den Leser auf Bismarcks Spuren in Göttingen, wo sich der erste Kanzler des deutschen Kaiserreichs am 10. Mai 1832 13 als "Studiosus der Rechte und der Staatswissenschaften" einschrieb und Wohnung in einem kleinen Haus am Wall nahm. Das heute sog. "Bismarck-Häuschen", ursprünglich ein Befestigungsturm aus dem 15. Jahrhundert, wurde 1986 von der Stadt Göttingen renoviert, ausgebaut und einem Förderverein "Haus der Wissenschaft" vermietet. Der Verein seinerseits reservierte zwei Räume für eine Dokumentation über den ,,Eisernen Kanzler" und schuf Platz für zwei Appartements. Diese will er mietfrei einem Doktoranden und einer Examenskandidatin der Geschichtswissenschaften überlassen, damit sie, zusätzlich gefördert durch ein Stipendium, zwei Jahre lang in ruhiger Atmosphäre ihre Arbeiten zu schreiben vermögen. Im Gegenzug müssen sich die beiden "Göttinger Geschichtsschreiber" dazu verpflichten, Touristen durch das Bismarck-Häuschen zu führen. Der Bericht gibt Anlaß zu fragen: Sind die mietfreie Überlassung eines Appartements an nachwachsende Historiker und deren Tätigkeit als Museumsführer "Leistungen", auf die sich ein wissenschaftlicher Verein und seine Stipendiaten verbindlich festlegen können? Setzt sich aus ihnen sogar ein gegenseitiger Vertrag, möglicherweise ein Mietvertrag 14, zusammen? Oder ist das Ganze eine schöne, aber unverbindliche Geste geistigen Strebens 15, weil der Jurist einen Vertrag nur gelten läßt, wenn die dort fixierten ,.Leistungen" einen wirtschaftlichen Wert haben? 16 Wie sehr hier kommerzielle Erwägungen in den Hintergrund treten, läßt die Beziehung zwischen dem Förderverein und den jungen Historikern erkennen: Sie erhält ihr Gepräge durch wissenschaftliche Ziele; die Führung durch das Haus ist keine juristisch-technische Gegenleistung für das mietfreie Wohnen, sondern soll den Nachwuchskräften Gelegenheit geben, Geschichte zu praktizieren und sich mit ihrer Arbeit dem Publikum vorzustellen.

b) Macht man sich klar, daß sich die schuldrechtliche ,,Leistung" auf einen Gläubiger als Partner des Schuldners bezieht, daß sie mithin von dem Sinn der Zusammenarbeit beider Teile getragen wird, stimmen der wirtschaftlich-soziologische 17 und der rechtliche Begriff bei Verrnögensbewegungen auffallend überein. Im Gegensatz zum Ökonomen muß der Jurist jedoch die Frage abweisen, wozu der Empfänger den erhaltenen Vorteil gebraucht. Da er den Menschen Geboren am 1. April 1815, er immatrikulierte sich also im Alter von 17 Jahren. Der Mietzins im Sinne des § 535 braucht keine Geldleistung zu sein, eine Besonderheit, weiche die Motive ausdrücklich hervorheben (Bd. I1, Seite 372). Die Einordnung des Geschäfts bei vereinbarten Dienstleistungen erörtern Mittelstein, Die Miete, 4. Auf!. (1932), § 92, und RG Warneyer, Ergänzungsband III (1910), Nr. 228. Nach ihnen bestimmt der Zweck der Abrede deren Qualifikation, es ist also zu fragen, auf weicher Leistung der Akzent liegt, mit der Folge, daß ein Miet- oder ein Dienstvertrag in Frage kommt. 15 In der Form des gentlemen's agreement. 16 So Oertmann, Recht der Schuldverhältnisse, 2. Buch, 3. und 4. Auf!., 1 j zu § 241, und aus jüngerer Zeit Henckel, AcP Bd. 174 (1974), Seite 97/124: "Denn zur Leistung gehört jedenfalls eine bewußte Vermögensmehrung." 17 Dargestellt oben 1. Teil, II 2. 13

14

2 Henke

18

l. Teil: Der soziale und der rechtliche Begriff der "Leistung"

nicht nur als Moter der Wirtschaft, sondern als Person sieht, anerkennt er seinen freien, auch von "unvernünftigen" Gefühlen beherrschten Willen. Er darf zwar die wirtschaftliche Verwendung unterstellen, wenn materielle Werte übertragen worden sind. Ein nützlicher Gebrauch ist aber weder nötig - Eigentum darf kraft der Privatautonomie auch sinnlos zugrundegerichtet werden 18 - noch immer möglich: Nicht-geldwerte Güter, ich nenne nur die körperliche und seelische Gesundheit, eine Beratung und Lebenshilfe sowie die durch Unterricht erworbenen Fähigkeiten 19 dienen nicht unbedingt dem Erwerb; sie sind im Kern zweckfrei. Die lebensmäßige, oft auch standesrechtliche Unterscheidung zwischen vermögenswerten und nicht-vermögenswerten Leistungen, die beispielsweise die ärztliche Behandlung, die anwaltliche Beratung und die künstlerische Schöpfung als nicht in Geld meßbar - mithin als nicht-vermögenswert - bezeichnet, weil die Verpflichteten in erster Linie ein ideales Ziel verfolgen (verfolgen sollten)2°, ist dagegen schuldrechtlich abzuwandeln: Wer für eine geistige oder künstlerische Tätigkeit ein Entgelt beansprucht (weil er von ihr leben muß), macht die immaterielle Bemühung zu einer "vermögenswerten Leistung" im schuldrechtlichen Sinn.

6. Der schuldrechtliche, von wirtschaftlichen und ethischen Vorbehalten befreite Begriff der "Leistung" a) Eine weitere Frage geht dahin, ob auch die gesellschaftlich mißbilligte Bemühung eine "Leistung" im Sinne des § 241 BGB sein kann. Sie erhellt aus einer Anzeige in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 20.12.1975 21 : 18 Ein Vollstreckungsschuldner verbrennt drei Einhundert-Mark-Scheine, um die Befriedigung seines Gläubigers zu vereiteln (RGSt 19, 25 vom Jahre 1889). Nicole D. aus Thiais bei Paris läßt ihren neuwertigen Personenwagen einundeinhalb Jahre im Düsseldorfer Stadtteil Oberkassel auf der Straße stehen und kümmert sich auch dann nicht um das Fahrzeug, als sie eine Behörde nach der anderen: das Düsseldorfer Ordnungsamt, das Bundeskriminalamt und Interpol Paris, zur Abholung auffordert ("Kieler Nachrichten" vom 13.2.1980). Beide Handlungsweisen sind vom Eigentumsrecht gedeckt, mögen sich die Täter auch strafrechtlich wegen Vollstreckungsvereitelung (§ 288 StGB) oder verwaltungsrechtlich wegen des unvertretbaren Gemeingebrauchs zu verantworten haben. 19 In der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 5.9.1987 offeriert eine "Feuerlaufschule A. Limmer & Co." in 8230 Weißbach, Deutsche Alpenstraße 1, die Kunst des Feuerlaufens. 20 §§ 1- 3 der Bundesrechtsanwaltsordnung vom 1.8.1959: "Der Rechtsanwalt ist ein unabhängiges Organ der Rechtspflege. Der Rechtsanwalt übt einen freien Beruf aus. Seine Tätigkeit ist kein Gewerbe. Der Rechtsanwalt ist der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten". Laufs, Arztrecht, 4. Aufl. (1988), Tz. 3: "Seit alters gründet die Idee des Arztes auf Wissenschaft und Humanität". § 1 der Bundesärzteordnung vom 16.4.1987: "Der Arzt dient der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes. Der ärztliche Beruf ist kein Gewerbe; er ist seiner Natur nach ein freier Beruf'.

11. Die "Leistung": Jedweder Aufwand?

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"Promovierter Mäzen sucht Verbindung zu Universität mit internationalem Niveau zwecks Bewerbung um Honorarprofessur. Zuschriften unter XE 340169 an die Frankfurter Allgemeine, 6 Ffm. 1, Postfach 29 01." Sicher "leistet" der Mäzen, wenn er eine Universität oder Fakultät geldlich fördert, aber "leistet" auch die Fakultät, wenn sie sich bei dem Minister oder Ministerpräsidenten für die Ernennung ihres Mäzens zum Honorarprofessor verwendet?22 Und wäre ein solcher Schritt eigentlich eine "schutzwürdige Leistung", wenn man sich vergegenwärtigt, daß nach deutschen Begriffen der Ämterkauf (Honorarprofessur gegen Spende für die Fakultät) entschiedene Mißbilligung verdient?23 b) Ich verallgemeinere und präzisiere den hier berührten Punkt: Wenn eine Zuwendung zwar kein Vermögensinteresse des Gläubigers befriedigen muß, um als "Leistung" im Sinne des § 241 anerkannt zu werden und ein Schuldverhältnis zu begründen, muß sie dann nicht wenigstens einem schutzwürdigen Interesse des Gläubigers genügen, weil es nicht "Aufgabe des Staates ist, bloße Launen zu befriedigen oder solche Handlungen rein religiösen, sittlichen oder gesellschaftlichen Charakters zu erzwingen, die nach der Volksanschauung dem Recht entzogen sind"? 24 Scheidet also eine absurde oder anstößige Transaktion rechtlich als "Leistung" aus, unabhängig davon, wie der Soziologe oder Wirtschaftswissenschaftler den Vorgang beurteilt? Sind demzufolge das Gesuch einer Fakultät, ihrem Wohltäter den Titel "Honorarprofessor" zu verleihen, der Verkauf eines Mumienfußes aus einem Pharaonengrab 25, das Hellsehen 26, Geistheilen 27 und anderes mehr, entnommen den Zielen und dem Erfindungsreichturn der Menschen, "Leistungen" im Sinne des § 241 BGB und darüber hinaus des ganzen Schuldrechts? c) Alle diese Fragen sind nach heutiger Auffassung entschieden zu bejahen 28 : "Leistung" in der angesprochenen Bedeutung ist jedes sinnvolle, das heißt von 21 Es handelt sich hier, wie ich vermute, um eine von beiden Seiten immer wieder gesuchte Verbindung. So heißt es in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 20.6.1987: "Renommierte Universität sucht Förderer. Zuschriften unter 374251 an die Frankfurter Allgemeine, Postfach 10 08, 6000 Ffm. 1." 22 Nach § 100 des Hochschulgesetzes von Schleswig-Holstein (GVBI. 1990, Seite 85), liegt die Verleihung des Titels "Honorarprofessor" in der Hand des Ministerpräsidenten. 23 So RG 86, 98 (Kauf des Titels "Hoflieferant"); RG JW 1919, Seite 447 (Spende von 20.000 Mark an einen Verein zur Fürsorge von Soldaten unter der Bedingung, daß dem Spender der Titel "Kommerzienrat" sowie ein österreichischer und türkischer Orden verliehen werden). In beiden Fällen scheiterte das Geschäft an § 138, und die Rückforderungsklage des "Wohltäters" wurde nach § 817, Satz 2 wegen beiderseitigen Sittenverstoßes abgewiesen. 24 Enneccerus / Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, 15. Bearbeitung (1958), § 1 IV, 2. 25 Anzeige aus der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 23.10.1982. 26 "Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 12.4.1975. 27 In der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 18.9.1982 bieten "Philippinische Geistheiler" ihre Dienste an. 2*

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1. Teil: Der soziale und der rechtliche Begriff der "Leistung"

einem Zweck getragene Verhalten eines Schuldners, das dem Gläubiger einen wirklichen oder von ihm angenommenen Vorteil verschafft, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob es auf seiner Seite, möglicherweise auch in der Person eines Dritten 29 , ein wirtschaftliches oder schutzwürdiges Interesse befriedigt. 7. Der Begriff "Leistung" - eine Schöpfung der rechtlichen Vernunft Was spricht für den schuldrechtlichen, sowohl von wirtschaftlichen als auch ethischen Vorbehalten befreiten Begriff? a) Verbindet man die "Leistung" mit der Zuwendung vermögenswerter Güter 30 , läßt sich zwar ein Maßstab gewinnen, um das Schuldverhältnis von einer rein zwischenmenschlichen Beziehung einigermaßen sicher 31 , sicherer jedenfalls als ohne das zusätzliche Merkmal des Marktwerts, zu unterscheiden: Das Versprechen des ersten Walzers auf einem Ball, die (einem Professor vorschwebende) Zusage des schlechten Klavierspielers, den regelmäßigen Spaziergang eines empfindlichen Zeitgenossen nicht durch sein falsches Spiel zu verderben, die Begleitung auf einer Reise, die Versicherung, nicht mehr zu rauchen oder sich einer Operation zu unterziehen, alle diese am Katheder ersonnenen oder dem Leben abgelauschten Ehrenworte 32 brauchten nicht erst auf ihren Rechtsbindungs- oder Rechtsfolgewillen hin untersucht zu werden 33, um festzulegen: Freundschaft, Liebe, Pietät und andere Ideale könnten keine "Leistungs"-pflichten, mithin auch keine Schuldverhältnisse hervorbringen; denn wer auf diesem Gebiet etwas verspricht, habe sich zwischenmenschlich, aber nicht rechtlich gebunden 34. 28 Ich verweise für diese Frage auf J. Schmidt, Anm. 41 zu § 241 in der 12. Aufl. des Staudingersehen Kommentars, sowie auf Fikentscher, Schuldrecht, 7. Aufl. (1985), § 8, 6. Beide Autoren wollen sogar von einem "Interesse" oder "Vorteil" des Gläubigers absehen. Was zeichnet dann aber noch die "Leistung" aus? Sind tätliche Angriffe auch noch Leistungen? Wie hier Jäggi im Kommentar zum schweizerischen Obligationenrecht von Schönenberger / Jäggi, 3. Aufl., Teilband Via, Vorbem. 28 vor Art. 1. 29 Man denke hier an den Vertrag zugunsten eines Dritten nach § 328 BGB. 30 Hellwig, AcP Bd. 86 (1896), Seite 223/30, versucht, den Begriff "Leistung" von der gedanklichen Enge, ja dem platten Materialismus zu befreien, den man ihm mit dem Bezug auf den "Vermögenswert" unterlegen könnte: Es genüge, daß das versprochene Objekt in die Reihe der lediglich zum Genuß und zum Gebrauch bestimmten Güter gehöre und "überhaupt, wenn die Leistung im wirtschaftlichen Verkehre um Geld beschaffbar ist". 31 Aber auch nur einigermaßen! Man vergleiche das Versprechen gegenüber dem Ehegatten, nicht mehr zu rauchen, mit der schriftlichen Zusage der Mitarbeiter eines Ingenieurbüros, nicht mehr am Arbeitsplatz zu rauchen, eine Selbstverpflichtung, die im Jahre 1979 durch einen Vergleich vor dem Bundesarbeitsgericht bestätigt wurde ("Kieler Nachrichten" vom 19.12.1979). 32 Material bei Oertmann, a.a.O. oben FN 16, und bei Hellwig, a.a.O., Seite 231. 33 Die unzähligen Entscheidungen, die auf diesen Willen abstellen, um Schuldverhältnisse vom sog. Gefälligkeitsverhältnis und vom gentlernens agreement zu unterscheiden, zitiert Kramer in der zweiten Auflage des Münchener Kommentars, 28 - 39 der Einleitung vor § 241 BGB.

11. Die "Leistung": Jedweder Aufwand?

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b) Der Sicherheit, die man in der Erkenntnis des Rechtsverhältnisses zu gewinnen hofft, opfert man andererseits die Vernunft der Begriffe: Mißt das Schuldrecht Leistungen nur an den "harten Tatsachen des Mein und Dein, an den nüchternsten Interessen und Bedürfnissen" 35, so setzt es sich in einen ärgerlichen Widerspruch zum Sprachgebrauch, zur Verkehrsauffassung und den Bedürfnissen der Bürger, welche gerade die Anzeigenspalten der Presse offenbar machen. Eine geisteswissenschaftliche Arbeit, die mietfreie Überlassung eines Appartements, die Führung durch ein Museum, die Teilnahme an einem wissenschaftlichen Kolloquium 36, die Begleitung auf einer Reise, die Überwindung eines Lasters 37, selbst der flüchtige erste Walzer auf einem Ball, dies alles sind "Leistungen", welche praktische Instanz man auch befragt 38 •

8. Die "Leistung" und die "rechtlich geschuldete Leistung" a) Dringt man durch die gewechselten Argumente zum Kern der Sache hindurch, so geht es auch den Juristen nicht darum, sich mit eigenwilligen Begriffsschöpfungen von bewährten Maßstäben zu lösen, sondern die Grenzen des Schuldvertrags zu bestimmen 39. Dazu ist aber nicht nach der "Leistung", sondern nach dem Verpflichtungswillen und der Verpflichtungsmacht dessen zu fragen, der über die "nüchternsten Interessen und Bedürfnisse" hinaus tätig zu werden versprach. Wird zum Beispiel die Zusage, ein wissenschaftliches Kolloquium durch einen eigenen Beitrag zu fördern, wirklich mit dem Willen gegeben und entgegengenommen, sich mit allen rechtlichen Konsequenzen zu binden, mit der Möglichkeit, auf Erfüllung zu klagen, Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu verlangen, Anders in bezug auf die "eheliche Lebensgemeinschaft" nach § 1353 BGB. So die überdeutliche, diese materialistische Eigenschaft bejahende Ausdrucksweise von Hellwig, a.a.O., Seite 235. 36 Etwa zum 60. Geburtstag des Direktors einer Universitäts-Frauenklinik ("Kie1er Nachrichten" vom 23.1.1987). 37 Rauchen, Trinken, Spielen, Fernsehen ... A. M. Planck/ Siber, 4. Aufl., Vorbern. I 3 vor § 241: Das Versprechen der Enthaltsamkeit sei nicht auf eine "Leistung" gerichtet, sondern erfülle ein Gebot des eigenen Interesses. Es ist aber doch auch auf den Partner der zwischenmenschlichen Verbindung bezogen! 38 Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Deutsches Wörterbuch (1980): "Leisten: Schaffen, vollbringen, zustande bringen, erreichen". "Leistung: Das Geleistete, die geleistete körperliche und geistige Arbeit, die unternommene Anstrengung, das erzielte Ergebnis". Im gleichen Sinne das Deutsche Wörterbuch von G. Wahrig (1986). 39 Deutlich zu erkennen bei Hellwig, AcP Band 86, Seite 223, dessen Beitrag überschrieben ist: "Über die Grenzen der Vertragsmöglichkeit", und der dann doch wieder den mißverständlichen Satz einfließen läßt: "Trotzdem ist die Zusage, sich einer lebensrettenden Operation zu unterziehen, unverbindlich, weil die Leistung ihrem Inhalte nach keine verrnögenswerte ist" (a. a. 0., Seite 234). Richtig ausgedrückt, hätte Hellwig sein Ergebnis auf die fehlende Verpflichtungsmacht des Versprechenden gründen müssen: Man kann sich der Selbstbestimmung über den eigenen Körper nicht durch Rechtsgeschäft begeben. 34

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1. Teil: Der soziale und der rechtliche Begriff der "Leistung"

und auf dem Ersatz von Auslagen zu bestehen?4O Oder entspricht es nicht eher akademischer Sitte, sich durch ein gentlemen's agreement 41 zu verpflichten, so daß Auftraggeber und -nehmer nach den Regeln eines sozialen (universitären), aber nicht eines Rechtsverhältnisses miteinander verkehren? Andererseits sind die Beziehungen zwischen dem Göttinger Förderverein "Haus der Wissenschaft" und den "Göttinger Geschichtsschreibern" nicht bloß akademischer, sondern auch geschäftlicher Natur, wenn auf die Führung durch das Bismarck-Häuschen und die Bewachung der Dokumentation Verlaß sein muß, wenn das Gewicht der Sache die unverbindlich-großzügige Pflichterfüllung nicht mehr zuläßt. b) Selbst dort, wo an einem Rechtsbindungs- oder Rechtsfolgewillen nicht gerüttelt werden kann, weil ihn die schriftliche Niederlegung bezeugt oder eine Leistung geldlich vergütet werden soll, kann eine Abrede an der fehlenden Vertragsfreiheit der Parteien scheitern 42 : Den Parteien fehlt die Verpflichtungsmacht, um auf dem betreffenden Gebiet ein Schuldverhältnis im Sinne des § 241 BGB entstehen zu lassen, wenn sie eine objektiv "unmögliche" (§ 306 BGB) oder gesetzwidrige (§§ 134,309 BGB) Leistung zusagen 43 oder wenn ein Vertrag den Kern ihrer Selbstbestimmung und damit ihrer Persönlichkeit antastet.

40 Die operae liberales, die Dienste höherer Art etwa der Ärzte und Gerichtsbeistände, wurden daher nach römischer Auffassung nicht gegen Entgelt zugesagt. Es galt für die Angehörigen der oberen Schichten als unschicklich, sich mit solchen Leistungen zu verkaufen. Freilich schuldete der Empfänger nach gefestigter Sitte eine Ehrengabe (honorarium, salarium): Kaser, Römisches Privatrecht, 2. Aufl. (1971), § 132 IV 1. Eine Nachwirkung ist bis heute in dem Gerichtsstand für die Honorarklage des Rechtsanwalts zu entdecken: Das Gericht des Erfüllungsorts wird durch die Kanzlei des Anwalts, nicht den Wohnsitz des Mandanten bestimmt (Baumbach / Lauterbach / Hartmann, ZPO, 48. Aufl., 1990, 3 C zu § 29, "Anwaltsvertrag"). Der Mandant hat mithin das Honorar darzubringen. 41 Eine unförmliche (schlichte) Übereinkunft, welche die Geltung der Rechtsnormen, soweit gestattet, ausschließt, dafür aber an den Ruf der Partner als Ehrenmänner appelliert und bindet, weil Abweichungen durch praktisch fühlbare (soziale) Mißbilligung geahndet werden: Bahntje, Gentlemen's Agreement und abgestimmtes Verhalten (1982), Seite 215 -16. 42 Eine bisher kaum erörterte Frage, weil sie Rechtsprechung und Literatur ohne Gespür für die Motive der Beteiligten mit dem Urteil über die Sitten widrigkeit eines Versprechens verbinden. Die Sache fördernde Andeutungen finde ich bei Medicus, Jura 1986, Seite 302/06, zum Leihmutter-Vertrag; in dem Urteil BGH VersR 1986, Seite 656/58, und bei Dieter Schwab, Einführung in das Zivilrecht, 8. Aufl. (1989), Tz. 188. Eine wegweisende gesetzliche Grundlage gibt Art. 27 11 des schweizerischen Zivilgesetzbuchs von 1907: ,,Niemand kann sich seiner Freiheit entäußern oder sich in ihrem Gebrauch in einem das Recht oder die Sittlichkeit verletzenden Grade beschränken." 43 Ein junger Münchener Rechtsanwalt, versehen mit einem gefälschten Reisepaß, legte in den Jahren 1984 bis 1987 für seine "Klienten" das Erste oder das Zweite Juristische Staatsexamen ab; er ließ sich dafür 20.000 bis 40.000 DM bezahlen ("Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 29.4. 1987). Der entsprechende Dienstvertrag hatte eine nicht verpflichtungsfähige und in diesem besonderen Sinn unmögliche Leistung nach § 306 BGB zum Gegenstand. Der illegitime Stellvertreter verstieß außerdem gegen ein

11. Die "Leistung": Jedweder Aufwand?

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c) Diese Grenze gilt gerade für die nicht schutzwürdige Zuwendung. Sie ist zwar eine ,,Leistung" im Sinne des § 241 BGB, entzieht sich jedoch der verbindlichen Zusage. Die Übereinkunft einer Fakultät mit ihrem Mäzen auf der Basis: Die Fakultät beantragt die Verleihung einer Honorarprofessur gegen eine Spende von 100.000 DM für die Einrichtung einer Präsenz-Bibliothek des Lehrkörpers würde an dem fehlenden Sachzusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung im öffentlich-rechtlichen Vertrag 44 scheitern (in Schleswig-Holstein § 123 I, Satz 2 des Landesverwaltungsgesetzes): Ein akademisches Gremium, immerhin eine Behörde der Unterrichtsverwaltung 45, kann und darf sich nicht zu einer Art Ämterkauf hergeben 46 • Übrig bliebe wegen der fehlenden Schutzwürdigkeit des Vertrags wohl nicht einmal ein gentlemen's agreement 47 • Nach dem Erkenntnisstand der Theologie, der Parapsychologie und der Medizin sind das Hellsehen und das Geistheilen keine gesicherten Verfahren, um die Zukunft vorauszubestimmen oder Krankheiten zu heilen. Sie sind deswegen (immer noch) rechtlich unmögliche Leistungen im Sinne des § 306 BGB 48. Dahingehende, juristisch nicht schützwürdige Verträge sind allenfalls sozial bindende gentlemen' s agreements 49. Versprechungen, die den Kern der Persönlichkeit und Selbstbestimmung antasten, sind nicht mehr durch die Vertragsfreiheit gedeckt; sie vermögen die Kontrahenten allenfalls sozial in Pflicht zu nehmen. Ich rede in diesem Zusammenhang nicht von dem unschuldigen Kathederbeispiel des ersten Walzers 50, sondern von folgenden, das Familienrecht berührenden Kontrakten 51: Die Partner einer Lebensgemeinschaft vereinbaren, daß aus ihrer Beziehung kein Kind hervorgehen und daß die Partnerin empfängnisverhütende Mittel einnehmen solle 52; gesetzliches, aus den Prüfungsordnungen der einzelnen Bundesländer abzuleitendes Verbot im Sinne des § 309 BGB: Staatliche Prüfungsleistungen dürfen und können nicht durch Dritte erbracht werden. Eine Rückforderung der gezahlten Honorare scheiterte allerdings an § 817, Satz 2 BGB. 44 Die Übereinkunft bezieht sich klar auf ein Verhältnis des öffentlichen Rechts: Honorarprofessuren an einer staatlichen Hochschule können nicht durch Privatpersonen vergeben werden. 45 Der Fachbereich (die Fakultät) ist nach § 64 I des Hochschulrahmengesetzes in der Fassung vom 9.4. 1987 die organisatorische Grundeinheit der Hochschule. 46 Die Abrede zeigt mithin die Grenzen der Vertragsfreiheit im öffentlichen Recht, auf die im Grundsätzlichen Knack, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 3. Aufl. (1989), Anm. 7.1 zu § 54, bearbeitet von Klappstein, hinweist. 47 Also gibt es auch keine Erzwingung durch sozialen Druck, etwa durch einen Appell an den Anstand. Der Anstand gebietet es freilich, eine erhaltene Spende trotz der Vorschrift des § 817, Satz 2 BGB umgehend zurückgehen zu lassen. 48 Das Urteil über die naturgesetzliehe und praktische Unmöglichkeit der Leistung richtet sich nach der "Anschauung des Lebens" (Staudinger / Kaduk, 10. /11. Aufl., 1967, Vorbem. 10 vor § 275 BGB). Damit kommen auch die Erkenntnisse der Nachbarwissenschaften zu ihrem Recht. 49 Sie können mithin durch sozialen Druck erzwungen werden. Bei Vorauszahlung dürfte die Rückforderung ausgeschlossen sein (§ 814 BGB). 50 Hier ist mangels anderer Anhaltspunkte ein Bindungswille zu verneinen. 51 Die betreffenden "Verträge" werden hier als Beispiele für rein schuldrechtliche Abmachungen erörtert.

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1. Teil: Der soziale und der rechtliche Begriff der "Leistung"

eine Leihmutter übernimmt gegen Zahlung von 27.000 DM die Schwangerschaft für ein Ehepaar, das kinderlos geblieben ist 53 •

9. Die" vorteilslose Leistung" -

ein Hirngespinst

a) Ich setze den Fall, daß der in einer Zeitungsannonce angesprochene Sammler bereit ist, für den angebotenen Mumienfuß aus einem Pharaonengrab 54 15.000 DM zu zahlen. Nach der Ausführung des Geschäfts, so sei der Fall weitergedacht, erkläre ein Archäologe den Preis für weit überzogen oder der Sammler bekenne selbst, im Jagdfieber gehandelt und einen unvertretbar hohen Preis geboten zu haben. Beinhaltet das Geschäft eine "Leistung" des Verkäufers an den Sammler? Folgt man der Auffassung von Fikentscher, so ist die Frage - obwohl im Endergebnis zu bejahen - bedenkenswert: ,,Leistungen" brauchten dem Gläubiger weder wirkliche noch angenommene Vorteile zu verschaffen; dennoch müsse ein Vertrag auch dann binden, "wenn sich der Gläubiger von vornherein keinen Vorteil von dem Geschäft versprochen habe" 55. Das Argument klingt bestechend und führt gleichwohl in die Irre: Fikentscher hat zwar darin Recht, daß "Leistungen" im sozialen und schuldrechtlichen Sinn von der kaufmännischen Erwägung zu trennen sind, ob der Empfänger ein wirtschaftlich vorteilhaftes oder ungünstiges Geschäft getätigt hat 56. Für den Soziologen wie den Zivilisten sind Leistungen indessen, was Fikentscher verkennt 57, "Chancen gegenwärtiger oder künftiger Verwendungsmöglichkeiten"58, Vorteile also, die mit dem Eigentumserwerb an einer Sache, sogar an dem Teil einer Mumie, ebenso verbunden sind wie mit der Beratung oder Heilung auf übersinnlichem Wege. 52 Sachverhalt des Urteils BGH VersR 1986, Seite 656. Hier ist allenfalls ein gentlemen's agreement denkbar. 53 Sachverhalt des Beschlusses des OLG Hamm, VersR 1986, Seite 243. Es liegt ein gentlemen's agreement vor (so auch Medicus, Jura 1986, Seite 302/0607). Die Abmachung ist nicht sittenwidrig, wie das Oberlandesgericht Hamm (a.a.O., Seite 244/45) meint: Sie ist zwar rechtlich nicht bindend, könnte aber z. B. wegen der Kinderlosigkeit der Ehe sozial achtenswert sein. Der Straftatbestand des § 1 I Nr. 7 des Embryonenschutzgesetzes vom 13.12.1990 (BGBI. I, Seite 2746) bezieht sich nur auf den Arzt. Eine daraus abgeleitete Verbotsund Nichtigkeitsnorm i. S. des § 134 BGB trifft infolgedessen nur den Vertrag zwischen dem Arzt und den sog. "sozialen Eltern" (so wohl auch Deutsch, NJW 1991, Seite 721/ 23). 54 S. o. II 6 b. 55 Schuldrecht, 7. Aufl. (1985), § 8, 6. In gleichem Sinne J. Schmidt in der 12. Aufl. des Staudingerschen Kommentars, 41 zu § 241. 56 Siehe schon oben II 6 c, mit dem Hinweis auf den von einem Empfänger angenommenen Vorteil. 57 A. a. 0.: " ... Ein Gläubiger kann sich nicht auf Nichtigkeit eines Vertrags mit der Begründung"berufen, er habe sich von vornherein keinen Vorteil von dem Geschäft versprochen ... 58 Oben, II 2.

11. Die "Leistung": Jedweder Aufwand?

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Verträge, in denen ein Kontrahent auf seiner Seite nur Nachteile sieht, sind schwer vorstellbar, da für ihn sinnlos: Selbst derjenige, der an einen Erpresser oder Entführer ein Schutz- bzw. ein Lösegeld zahlt, erwartet für sich letztendlich einen Vorteil. b) Mit dem technischen, in ethischer und kaufmännischer Hinsicht wertneutralen Begriff der "Leistung" verbinden sich - gerade schuldrechtlich - mehrere Vorteile: Eine "Leistung" mag zu einem angemessenen oder wucherischen Preis erkauft worden sein, sie behält dessenungeachtet ihren Charakter und kann bei Nichtigkeit des Schuldverhältnisses einen Rückforderungsanspruch wegen ungerechtfertigter "Bereicherung" (durch den Empfang der "Leistung") begründen. Ein vom Landgericht Lübeck im Jahre 1986 entschiedener Prozeß59 war aus einem notleidenden Ratenkreditvertrag erwachsen: Das beklagte Ehepaar, ein Postschaffner und eine Raumpflegerin, hatte bei der klagenden Teilzahlungsbank einen Kredit von 63.000 DM aufgenommen, der während einer Laufzeit von 10 Jahren in monatlichen Raten von 526 DM zu tilgen war. Der pfändbare Arbeitslohn der Kreditnehmer belief sich auf nur 282 DM, so daß der Kredit zu einer ,,zinslawine und zur Untilgbarkeit der Schuld auf Lebenszeit" führen mußte. Wegen der Sittenwidrigkeit des Geschäfts erhoben die Schuldner eine Widerklage auf Rückzahlung der entrichteten Tilgungs"leistungen" von rund 4.200 DM - mit Erfolg (§ 138 in Verbindung mit § 817, Satz 1 BGB). c) "Leistungen" zielen zwar regelmäßig auf die E/füllung, bei sog. Realverträgen hingegen auf die Begründung eines Schuldverhältnisses. Die Darlehenszusage: "Herr B. gewährt Herrn H. ein Darlehen in Höhe von 250.000 DM. Das Darlehen wird ab 1.9. 1967 mit 6 %, mit 1/4jährlichen Raten verzinst und mit 2 % jährlich amortisiert" , wertete ein 1974 gefälltes Urteil des Bundesgerichtshofs als bloßen Vorvertrag 60 • Dann trat der eigentliche, der sog. Hauptvertrag, erst mit der Auszahlung in Kraft, so daß die Abrede in diesem Fall einen Realvertrag darstellte. d) Aber auch Schlechtleistungen sind "Leistungen", vorbehaltlich einer Haftung aus sog. positiver Forderungsverletzung und dem Recht, den schlecht erfüllten Vertrag durch Rücktritt oder Kündigung aufzulösen. Ein Arbeitnehmer, der seinem Betrieb die "innere Kündigung" erklärt hat und nur noch pro forma seinen Pflichten nachkommt 61 , "leistet" Dienste und verdient damit sein 59 NJW 1987, Seite 959. 60 WM 1975, Seite 160. Ob der Darlehensvertrag die Bestätigung durch Leistung der Valuta braucht oder schon kraft der Abrede gilt, ein Darlehen zu gewähren, ist bis auf den heutigen Tag umstritten (Palandt/ Putzo, 49. Aufl., 1990, Einführung 1 b vor § 607). Die Kontroverse hat, wie der Kommentar zutreffend bemerkt, "bei richtiger Handhabung wenig praktische Bedeutung". 61 Ich folge einem Bericht des "Blicks durch die Wirtschaft", einer Beilage der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", vom 1. 11. 1982, wonach ein leitender Mitarbeiter während eines Seminars erklärte: "Ich habe dem Betrieb meine innere Kündigung ausgesprochen. hn nächsten Monat werde ich 52 Jahre alt. In den vergangenen 15 Jahren,

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1. Teil: Der soziale und der rechtliche Begriff der "Leistung"

Gehalt. Zu erwägen wäre nur, ob ihm aus diesem Grund fristlos gekündigt werden kann (§ 626 BGB). e) Was ergibt sich aus diesen Überlegungen? Ob ein Verhalten eine "Leistung" ist, bestimmt sich letztlich nach den Zielen, weiche die Handelnden verfolgen, mögen diese auch in der Sicht eines über ihnen stehenden Beobachters unerreichbar sein 62 . Die Ziele aber prägen die soziale und rechtliche Beziehung, weiche die bei den Teile verbindet, handele es sich auch um ein so unvergleichbares Zusammenwirken wie das Geschäft über einen Afghanistan-Teppich, die Führung von Touristen durch ein BismarckHäuschen im Auftrag eines historischen Vereins, die Förderung einer Fakultät durch einen Mäzen und den Leihmuttervertrag. Als zielgerichtetes, sinnvolles Handeln 63 ist "Leistung" im Sinne des § 241 die bewußte und gewollte 64 Zuwendung von Vorteilen, seien sie wirtschaflicher, kultureller, geistiger oder menschlicher Natur ("Der erste Walzer auf einem Ball"). Sog. vorteilslose, das heißt weder objektiv noch subjektiv als wertvoll erachtete Handlungen, etwa ein Vertragsbruch oder ein Delikt, sind andererseits keine "Leistungen"65.

10. "Leistung" und "Zuwendung" bei abstrakten Geschäften A stellt ein abstraktes Schuldversprechen aus. "Leistet" er damit, obwohl die konkrete Zielrichtung des Geschäfts für die nächste Zeit oder für immer verborgen bleibt? Die Berechtigung des von Weitnauer herausgestellten Unterschieds von "Leistung" und "Zuwendung": "Leistung" sei die zweckgerichtete (etwa zur Erfüllung einer Schuld getätigte), "Zuwendung" dagegen die nicht zweckgerichtete, d.h. völlig abstrakte Wertbewegung 66 vermag ich nicht anzuerkennen; erklärt doch die ich im Unternehmen tätig war, habe ich einiges geleistet. Jetzt habe ich bewußt die Entscheidung getroffen, mich innerlich zurückzuziehen und anderen das Feld zu überlassen .. ," 62 Man denke an das Hellsehen und Geistheilen. 63 Daß andererseits bei vertraglich vereinbarten Unterlassungspflichten auch ein Nichtstun, zum Beispiel der Schlaf oder die Abwesenheit im Urlaub, als Leistung angesehen wird, ist unten, III 3 a, bb, ausgeführt. 64 Ein Glasermeister, der an seine Angestellten Steinschleudern mit dem Auftrag verteilt, möglichst viele Schaufensterscheiben zu zerschießen, und alsdann die eingehenden Reparaturaufträge bereitwillig ausführt, "leistet" mit der Ausbesserung keinen Schadensersatz durch Herstellung in Natur (§ 249, Satz 1), sondern ein "Werk" im Sinne des Werkvertrags (§ 631 I). Die einfallsreiche Absatzsteigerung eines Klagenfurter Glasermeisters wird von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 27.8.1987 berichtet. 65 Rund tausend Beutestücke zählte die Kriminalpolizei bei einer 23 Jahre alten "Hausdame" aus Berlin, die einem Lübecker während seiner Abwesenheit das Haus hüten sollte. Die Frau wurde gefaßt, als sie mit einem Auto voller Diebesgut das Weite suchen wollte ("Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 21. 7.1984). Hat sie etwa "geleistet", als sie das Haus ausräumte? 66 Festschrift für v. Caemmerer, Seite 255/57 und 265. Die Verweisung auf Seite 265, Fußnote 39, und auf das dort angeführte Seminarreferat erhellt, daß Weitnauer das abstrakte Schuldversprechen und -anerkenntnis im Blick hat.

111. Das Unterlassen und das Dulden als "Leistungen"

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das Gesetz selbst das abstrakte Schuldversprechen und -anerkenntnis für eine "Leistung" (§ 812 11). Daß die entsprechenden Zusagen trotz ihres Schweigens über das Ziel der Erklärung (etwa Hingabe erfüllungshalber i. S. des § 364 11, Sicherung einer Verbindlichkeit oder Schenkung) auf einen Zweck bezogen sind, ergibt sich.aus der praktisch 67 unlösbaren Verbindung mit einem gesondert vereinbarten und dennoch in Bezug genommenen (kausalen) Rechtsverhältnis 68 •

III. Das Unterlassen und das Dulden als "Leistungen" 1. Muß das Gesetz die Juristen über den Leistungsbegriff belehren? Die "Leistung", die der Gläubiger kraft des Schuldverhältnisses beanspruchen darf, "kann auch in einem Unterlassen und" - ich füge den Wortlaut ergänzend hinzu! - "in einem Dulden 2 bestehen" (§ 241, Satz 2 BGB). 67 Mit einem Ausnahmefall beschäftigt sich in einer beiläufigen Bemerkung das Urteil BGH WM 1970, Seite 1458/59: Die Einrede der ungerechtfertigten Bereicherung gegen den Anspruch aus dem abstrakten Schuldanerkenntnis wäre zu verneinen, "wenn das Anerkenntnis nach dem Willen der Vertragsteile ohne Rücksicht auf das Bestehen oder Nichtbestehen einer Provisionsforderung für die Zukunft eine klare Rechtslage hätte schaffen sollen ... " Nach meiner Auffassung ist die Hingabe allenfalls als sog. "datio ob rem" konstruierbar: Der Verpflichtete sucht den Gläubiger mit der Ausstellung eines Schuldanerkenntnisses wegen seines Rückzugs aus einem Vertragsverhältnis zu besänftigen und so eine gerichtliche Auseinandersetzung zu vermeiden. 68 Es verhält sich also nicht anders als bei der (abstrakten) Übereignung von Sachen oder Abtretung von Forderungen. - Zutreffend H. Kreß, Lehrbuch des Allgemeinen Schuldrechts (1929), Seite 46: "Die Abstrahierung - das abstrakte Wollen - bedeutet nicht, daß die Parteien von der Zweckerreichung absehen wollen; die Zweckvereinbarung wird immer getroffen. Die Abstrahierung bedeutet eine Zurückstellung der Zweckvereinbarung und Zweckerreichung ... ". ! Unter dem "Dulden" verstehe ich die vertragliche Gestattung oder die gesetzlich angeordnete Hinnahme eines Eingriffs in den eigenen Rechtskreis (in Anlehnung an die Definition von Hellwig, Anspruch und Klagrecht, 1900, Seite 6: Das Unterlassen umfasse an sich auch das Dulden; es ermögliche darüber hinaus die Vornahme einer Handlung, die der Verpflichtete an und für sich verhindern dürfe). Das Dulden ist also eine einschneidendere Form der Unterlassung und verdient aus diesem Grunde auch eine besondere Hervorhebung. Für den ersten Entwurf des BGB war die Sache klar: "Das Unterlassen umfaßt auch das Dulden" (Motive Bd. 11, Recht der Schuldverhältnisse, 1888, Seite 5; mit falscher Zeichensetzung wiedergegeben bei Mugdan, Bd. 11, Seite 3). 2 Was das Dulden im Sinne des § 241, Satz 2, bedeutet, macht der praktische Fall am besten klar. Ich beziehe mich auf eine öffentlich zugestellte Ladung aus dem Bundesanzeiger vom 16.12.1986, in der es heißt: "Amtsgericht Bad Kreuznach Öffentliche Zustellung 2 C 1957/86 - 28. November 1986: Die Firma Elektrizitätswerk Rheinhessen AG, Luthering 5, 6520 Worms, - Klägerin - gegen Herrn Walter Betz, zur Zeit unbekannten Aufenthalts, - Beklagter - hat Klage mit folgenden Anträgen beim Amtsgericht Bad Kreuznach eingereicht: 1. Dem Beklagten aufzugeben, das Betreten der Wohnung in 6551 TiefenthaI, Hauptstr. 1, durch die mit einem Ausweis versehenen Mitarbeiter in dem Umfang zu dulden, soweit es notwendig ist, die Stromsperre

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1. Teil: Der soziale und der rechtliche Begriff der "Leistung"

Was wäre, hätte das Gesetz das Unterlassen an dieser Stelle mit Stillschweigen übergangen? a) Die Norm des § 241 BGB hätte, so befürchte ich wegen der Kompliziertheit des wissenschaftlichen Denkens, zunächst die Sprachkritiker und Psychologen auf den Plan gerufen. Sie hätten geltend gemacht: Unter dem ,,Leisten" und der "Leistung" versteht selbst die gebildete Ausdrucksweise ein tätiges Handeln 3: Das Nichtstun dessen, dem das Zuwiderhandeln gegen ein Verbot gar nicht in den Sinn käme, ist psychologisch keine Anspannung seelischer Kräfte: Wer schläft, sündigt nicht (und handelt auch nicht). Es ist zudem ethisch indifferent und gilt einer aktiv eingestellten Bevölkerung nicht als Wert an sich; daher ist es ohne gesetzliche Anordnung keine "Leistung". b) Die Sprachkritik würde sich durch Max Weber als Wirtschaftswissenschaftler und Soziologen bestätigt sehen: "Die menschlichen Nutzleistungen", so heißt es bei ihm, "heißen Leistungen, sofern sie in einem aktiven Handeln bestehen"4. Diese Beschränkung hat einsichtige Gründe: Der Wert einer Unterlassung ist wirtschaftlich zu wenig meßbar, um in allen möglichen Fällen als Nutzleistung anerkannt zu werden. Man betrachte nur den wirtschaftlich wichtigen Fall der Konkurrenzschutzklausel in einem Ausbildungs- und einem Mietvertrag: Eine Mannequin-Schule ließ sich von ihren Absolventinnen zusichern, daß diese "die erworbenen Kenntnisse der gesamten Ausbildung in Praxis und Theorie nur für sich selbst gewerblich nutzen und keine Belehrungen - jetzt und in Zukunft - an andere Personen weitergeben" 5. Was war der kaufmännische Nutzen dieses Wettbewerbsverbots für die Schule und mit welchem Entgelt könnte man es aufwiegen? Hing hier nicht alles von der beruflichen Fähigkeit der Schülerin und ihren Chancen ab, davon Gebrauch zu machen? durchzuführen, 2. die Sperrung des Stromzählers zu dulden, 3. dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, 4. das Urteil- eventuell gegen Sicherheitsleistung - für vorläufig vollstreckbar zu erklären." Die Duldungspflicht ergibt sich hier aus § 16 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden vom 21.6.1979 (BGBl. I, Seite 684): "Der Kunde hat dem mit einem Ausweis versehenen Beauftragten den Zutritt zu seinen Räumen zu gestatten, soweit dies . . . zur Wahrnehmung sonstiger Rechte und Pflichten nach dieser Verordnung erforderlich ist." Durch die in der Klage weiter angekündigte Sperrung des Zählers wird die Stromversorgung wegen Zahlungsverzugs des Kunden eingestellt (§ 33 II der Verordnung). 3 Ich zitiere noch einmal das Wörterbuch zu Meyers Enzyklopädischem Lexikon (1980): "Leisten": Schaffen, vollbringen, zustandebringen, erreichen. ,,Leistung": Das Geleistete, die geleistete körperliche und geistige Arbeit, die unternommene Anstrengung, das erzielte Ergebnis. Ebenso das Deutsche Wörterbuch von G. Wahrig. 4 Wirtschaft und Gesellschaft, 4. Aufl., § 2. Die von Weber in Anmerkung 3 zu § 2 gegebene Begründung ist freilich unbefriedigend: "Daß nur ein aktives Handeln als Leistung bezeichnet werden soll (nicht ein Dulden, Erlauben, Unterlassen) geschieht aus Zweckmäßigkeitsgründen" (?). 5 Sachverhalt des Urteils OLG Karlsruhe, MDR 1975, Seite 314.

III. Das Unterlassen und das Dulden als "Leistungen"

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Ein Drogist mietete in einem Neubaugebiet des Hamburger Umlands einen Laden. Im Vertrag verpflichtete sich der Vermieter, "innerhalb dieses Bauvorhabens mit Dritten keinen Laden-Mietvertrag für ein Unternehmen gleicher Branche abzuschließen"6. Ein der ,,REWE-Kette" angeschlossener Supermarkt, ein weiterer Mieter in dem Komplex, bot dessenungeachtet auf einem "vier Regale umfassenden, fünf Meter langen Bord" Haushalts- und Körperpflegemittel an. Die beiden Läden trennte eine Entfernung von etwa 100 Meter, sie lagen außerdem in verschiedenen Straßen. Mit welchem Betrag war die Umsatzeinbuße des Drogisten zu veran~chlagen?7

c) aa) Nach dem Sprachkritiker und dem Wirtschaftswissenschaftler würde sich wohl auch der Zivilist zu Worte melden, um die Gleichstellung der Handlung mit der Unterlassung in Frage zu stellen 8. Er würde erstens die Eigenart der "Leistung" als einer Willensanspannung bei der Unterlassung in Zweifel ziehen. In diese Richtung geht das scharfsinnige Argument 9 : "Es wäre in der Tat eine absurde und rechtlich irrelevante Vorstellung, wollte man annehmen, daß der Mieter, solange er schläft oder verreist ist, seine Unterlassungspflicht i. S. d. § 362 BGB erfüllt" 10.

6 Sachverhalt des Urteils BGH GRUR 1968, Seite 604. 7 Die Klage des Drogisten verlangte von dem Vermieter die Unterbindung der Konkurrenz und Schadensersatz aus dem Gesichtspunkt des Verzugs, den das Urteil der Höhe nach nicht bezifferte. S Ich sehe in dieser Schwierigkeit einen Grund dafür, warum die Digesten den Inhalt der Obligation nur positiv beschreiben (D. 44, 7, 3 pr.): "Obligationum substantia non in eo consistit, ut aliquod corpus nostrum aut servitutem nostram faciat, sed ut alium nobis obstringat ad dandum aliquid vel faciendum vel praestandum". "Das Wesen des Schuldverhältnisses besteht nicht darin, daß es uns zum Eigentümer einer Sache oder zum Berechtigten einer Grunddienstbarkeit erklärt, sondern daß es uns gegenüber einem anderen zu einem Geben, Tun oder Einstehen-Müssen verpflichtet." 9 Henckel, AcP Bd. 174, Seite 981123-24. 10 Ein Argument im Zusammenhang mit der Unterlassung eines vertragswidrigen Gebrauchs der Mietsache, dem Henckel, a.a.O., Seite 125, Fußnote 47, die Einschränkung folgen läßt: "Das Leistungsmotiv (also Abhaltung durch Schlaf oder,eine Reise) ist unbeachtlich, solange die Leistung an sich noch möglich ist." Ich gebe Henckel zu, daß es eine unbewußte "Leistung" im sprachlichen und psychologischen Sinn nicht gibt: Wer beispielsweise Tauben als lästig empfindet und sich über sie ärgert, kommt nicht auf die Idee, sie zu füttern; er erfüllt in diesem Sinne keine mietvertragliche Pflicht, wenn er sich gegenüber der Taubenplage - wie er sie sieht - ablehnend verhält. Das Gesetz muß im vertraglichen Bereich allerdings einen solchen Zustand der "Leistung" gleichstellen, weil es dem Juristen nicht möglich ist, auf der Skala zwischen der anstrengenden Selbstzucht und dem Unterbleiben einer Zuwiderhandlung wegen fehlender Gelegenheit oder betonten Desinteresses "Leistungen" von "Selbstverständlichkeiten" zu unterscheiden. Aus diesem Grunde kennt das Schuldrecht - was die Unterlassung im Gegensatz zur geschuldeten Handlung angeht - keine Kategorie in der Mitte zwischen der Erfüllung und der Nichtverletzung des Gläubigerinteresses: Für die (nivellierende) Norm ist hier "Leistung" gleich "Leistung"! Für unzureichend halte ich aus diesen Gründen den Erklärungsversuch von Weitnauer, Festschrift für v. Caemmerer, Seite 255/69, Fußnote 51: Unterlassungsansprüche seien bis zur Verletzung der sie tragenden Pflicht "unentwickelt", so daß "eine Erfüllung im eigentlichen Sinn nicht in Betracht kommt".

1. Teil: Der soziale und der rechtliche Begriff der "Leistung"

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bb) Mit dieser gedanklichen und rechtlichen Schwierigkeit mußte das Reichsgericht in einem Urteil aus dem Jahr 1902 fertig werden 11. Ihm stellte sich nämlich die Frage, an welchem Ort die von dem Teilhaber eines Gartenbauunternehmens bis zu seinem Ausscheiden aus dem Geschäft übernommene Unterlassungspflicht zu erfüllen war, wo er also auf Befolgung in Anspruch genommen werden konnte (§ 29 ZPO). Die Pflicht wurde so formuliert: "Herr D. darf nach erfolgtem Austritt aus genannter Firma, mag derselbe auf seinen Namen, oder in Vertretung, resp. in Verbindung mit einem Anderen ein Geschäft eröffnen, keinen Zusatz irgend welcher Art gebrauchen, aus welchem hervorgeht, daß er in der Firma D. & O. tätig gewesen ist, oder in welchem seine Societät bei der Firma D. & O. hervorgehoben wird." Das Reichsgericht verlegte die zur Erfüllung nötige Leistungshandlung 12 auf den Abschluß des Auseinandersetzungsvertrages und ersparte mit dieser geschickten Lösung 13 den Parteien, den unteren Instanzen - ja dem Ziviljuristen überhaupt - die Mühe, nach Willensanstrengungen im Inneren des Menschen und möglichen Äußerungen der Selbstdisziplin, beweisbaren Leistungs"handlungen" also, zu forschen. Ich erlaube mir hier ein wörtliches Zitat aus dem angeführten Urteil: "Die Verpflichtung zur Unterlassung wird dadurch erfüllt, daß der Verpflichtete die Handlung, zu deren Unterlassung er sich verpflichtet hat, nicht vornimmt, sich demnach in Beziehung hierauf untätig verhält. Dieses untätige Verhalten beruht auf einem Willensentschluß, welchen der Verpflichtete, wenn man die Vertragstreue unterstellt, gleichzeitig mit der Übernahme der Verpflichtung gefaßt haben muß. Hiermit ist der die Erfüllung des Vertrages enthaltende Zustand geschaffen. Etwas weiteres ist zur Erfüllung der Unterlassungspflicht nicht erforderlich. Es bedarf nicht einer Erneuerung des Willensentschlusses während der ferneren Vertragsdauer, namentlich auch nicht beim Wechsel des Wohnsitzes. Der dem Vertrage entsprechende, auf dem einheitlichen Willensentschlusse beruhende Zustand der Untätigkeit dauert so lange fort, bis der Verpflichtete der Vertragsbestimmung zuwider die untersagte Handlung vornimmt." d) aa) Dem Zivilisten, von dem hier im Zusammenhang mit der Gleichstellung von "Leistung" und "Unterlassung" die Rede ist, würde es zweitens erhebliche Mühe bereiten, Normen des Schuldrechts, an deren praktischer Brauchbarkeit bislang kein Jurist zweifelte, mit der Unterlassung in Verbindung zu bringen, statt sie - wie gewohnt - auf das Handeln zu beziehen. Ich nenne als Beispiele die Vorschriften über den Schuldnerverzug, die Erfüllung und die Gesamtschuld 14. RG 51,311. Zur "Leistungshandlung" eingehend unten im zweiten Teil der Abhandlung I 2 und II 1 sowie 3 a. 13 Kretschmar, Die Erfüllung, Erster Teil (1906), Seite 143: Eine reine Fiktion. Ich füge hinzu: Eine "gekonnte" Fiktion! 14 Fruchtbare Überlegungen finden sich in dem schwierig geschriebenen, aber immer noch lesenswerten Buch von H. Lehmann, Die Unterlassungspflicht im Bürgerlichen Recht. 11

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III. Das Unterlassen und das Dulden als "Leistungen"

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Ein Wohnungsbauunternehmen vennietet, wie schon berichtet, einen Laden zum Betrieb einer Drogerie und sagt dem Mieter zu, man werde in den Wohnblock keine Konkurrenz aufnehmen 15. Zwei Monate später 16 ist jedoch die Zusage gebrochen: Ein unter die Geschäfte neu aufgenommener Supennarkt vertreibt, wie ihm ausdrücklich gestattet wurde, branchenübliche Non-Food-Artikel und Seifenerzeugnisse. Ist der Vermieter nun im Verzug mit der Erfüllung seiner Unterlassungspflicht oder ist ihm die Leistung, wenn versäumte Unterlassungen nicht nachholbar sind, bis zur Einstellung der Konkurrenz teilweise unmöglich geworden? 17 bb) Ich gehe in einer anderen Gestaltung dieses Falles davon aus, daß das Wohnungsbauunternehmen unter den Bewerbern für die Miete eines Ladens keinen Supermarkt und keine Apotheke findet, also nicht in Versuchung gerät, seine Unterlassungspflicht gegenüber dem Drogisten zu verletzen. "Erfüllt" es seine Verbindlichkeit auch dann, wenn es gar keine Gelegenheit hat, sich über diese hinwegzusetzen, oder ist hier eine teilweise Unmöglichkeit seiner Leistung anzunehmen? Ja, "leistet" es überhaupt? 18 cc) In einer letzten Spielart sei der Blick auf die Schuldnerverbindung bei Unterlassungspflichten gelenkt: Ein Drogist und seine Ehefrau, in dem zitierten Urteil des Bundesgerichtshofs als Ladenmieter bezeichnet 19 , hätten sich nach dieser Annahme dem folgenden Wettbewerbsverbot unterworfen: "Die Mieter verpflichten sich, den Vertrieb drogeriefremder Warengattungen zu unterlassen, insbesondere keine Süßwaren, Spielwaren, Lederwaren, Badebekleidung, Photoapparate und Elektrogeräte zu führen." Der Buchstabe des Gesetzes, der sie selbst bei einer sog. "unteilbaren Leistung"20 zu Gesamtschuldnern macht (§ 431 BGB), führt hier in die Irre: Die Sachverhalt des bereits zitierten Urteils BGH, GRUR 1968, Seite 604. Der erste Mietvertrag wurde im August 1963, der zweite bereits im Oktober des betreffenden J abres geschlossen. 17 Das angeführte Urteil des Bundesgerichtshofs leitet den Schadensersatzanspruch des verletzten Mieters aus dem Gesichtspunkt des Verzugs ab (a.a.O., Seite 606 unter B) - m. E. zu Unrecht, wenn der Drogist, wie er geltend machte, bereits eine Umsatzeinbuße erlitten hatte. In diesem Fall kam als Anspruchsgrundlage nur der Gesichtspunkt des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung (§ 280 BGB) in Frage. 18 Der oben, II 6 c), vorausgesetzte Vorteil des Gläubigers besteht hier in der Sicherheit seines Umsatzes und seiner geschäftlichen Planung. Daß ihm der Vorteil gewissennaßen in den Schoß fällt, wenn der Unterlassungsschuldner zufällig keinen Konkurrenten findet, macht den Leistungserfolg, die Erfüllung des Unterlassungsanspruchs, nicht ungeschehen. 19 Oben, III 1 b). Da das Geschäft nicht an eine Offene Handelsgesellschaft mit eigener Verpflichtung im Sinne des § 124 I HGB vennietet worden ist, können sie nur Minderkaufleute gewesen sein (§ 4 11 HGB). 20 Unterlassungen sind stets unteilbare Leistungen - wegen des Schutzbedürfnisses des Gläubigers (Planck / Siber, 4. Aufl., 2 a zu § 420): Auch der teilweise Verstoß verunsichert den Gläubiger ganz. 15

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1. Teil: Der soziale und der rechtliche Begriff der "Leistung"

Unterlassung des einen Ehepartners befreit nicht den anderen, wie es die Regelung der Gesamtschuld vorsieht (§ 422 I BGB). Vielmehr haben beide jeder für sich und für den anderen kraft einer wechselseitigen Garantie 21 dafür einzustehen, daß der Vertrieb der konkurrenzverdächtigen Waren unterbleibt. Die Unterlassungspflicht ist in diesem Falle eine vervielfältigte Verbindlichkeit ohne die Tilgungswirkung der Gesamtschuld, ein Schuldband, das jeden einzelnen auf das Ganze in Anspruch nimmt 22 . Die Folgerung ergibt sich aus dem Vertragsund Leistungszweck, weil die Loyalität, der sich der eine oder der andere Mieter befleißigt, dem Gläubiger wenig nützt. Denn: ,.zweimaliges Nichtstun zu je 1/2 ist so wenig ein ganzes Nichtstun, wie es umgekehrt ein ganzes Tun ist"23.

2. Die Nützlichkeit der gesetzlichen Anordnung a) Die Unterlassungspflicht kraft Vertrages und kraft Gesetzes hat eine erhebliche praktische Bedeutung, der die juristische Literatur - überwiegend fixiert auf "Leistungen" im Sinne des Sprachgebrauchs - nicht gerecht wird 24 . Ein so wichtiges Gebiet kann aber das Gesetz trotz der Bedenken der Philologen, der Psychologen, der Wirtschaftswissenschaftler und möglicherweise auch der Juristen nicht dem Streit der Gelehrten überlassen. Es muß gerade im Hinblick auf sichere Beziehungen zwischen den Bürgern und durchsetzbare Rechte klarstellen, daß auch die Unterlassung, die praktisch weniger bedeutsame Duldung eingeschlossen, zu den "Leistungen" gehört, die den Mittelpunkt des Schuldverhältnisses bilden. b) Die praktische Bedeutung der Unterlassungspflichten, seien sie rechtsgeschäftlicher, seien sie gesetzlicher Natur, ist erheblich.

21 Deutlich Nußbaum, Eberings Rechts- und Staatswissenschaftliche Studien, Heft I, Nr. 1 (1898), Seite 65 f: ,,Ferner ergibt sich aus der Wendung, "deren sich der Schuldner .. bedient", unmittelbar, dass alle die Personen nicht hierher gehören, welche zwar Verbindlichkeiten des Schuldners erfüllen, aber ihre Befugnis dazu nicht aus dem Willen des Schuldners herleiten, wie ... ein Korrealschuldner im Verhältnis zu seinem correus usw." 22 Lehmann, Die Unterlassungspflicht, Seite 314; noch klarer Wendt, AcP Bd.92 (1902), Seite 76. 23 So die treffende Ausdrucksweise in den Windscheidtschen Pandekten, Band 11, 8. Aufl. (1900), § 300,2. Man mache die Probe: Der Drogist macht aus der Drogerie allmählich eine Boutique und weist auf ein Sonderangebot von Bademänteln und Sandaletten hin. Ist eine Vertragsstrafe im Sinne des § 339, Satz 2, ganz oder nur im Verhältnis von Bademänteln und Sandaletten zu Süßwaren etc. verwirkt? 24 Man orientiere sich im Lehrbuch des Allgemeinen Schuldrechts von Larenz, 14. Aufl., § 2 I (Seite 7 - 8); an den - etwas ausführlicheren - Erläuterungen von Kramer im Münchener Kommentar, 2. Aufl., Anm. 8 zu § 241, und von J. Schmidt in der 12. Aufl. des Staudingerschen Kommentars, 85 zu § 241. Die in diesen größeren Werken angeführten Beispiele wirken zuflillig, weil sie durch keine darüber hinausgehende Erkenntnis verbunden sind.

III. Das Unterlassen und das Dulden als "Leistungen"

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Die vertraglich vereinbarte Unterlassungspflicht hat im Gegensatz zu den die Partner verbindenden, mithin ihre Bereiche überschreitenden Handlungen (das Eigentum an einer Sache zu übertragen, Dienste im fremden Interesse zu leisten, in einer Gesellschaft einen gemeinsamen Zweck zu verfolgen) die Aufgabe, Grenzen zwischen privaten und beruflichen Sphären zu ziehen und Übergriffe in den so abgesteckten Interessenkreis zu unterbinden. Aus diesem Grunde kommt ihr gerade dort Bedeutung zu, wo Menschen in nahe Berührung kommen und eine ungehinderte Entfaltung Konflikte schafft - Spannungen, die sich im Mietrecht besonders deutlich abzeichnen. Das Mietshaus vereinigt auf engem Raum viele Menschen, zum Teil mit ausgeprägt persönlichem Lebensstil. Es ist zudem ein Ort, wo das Ordnungs-, ja Eigentümerinteresse des Vermieters und das Freiheitsbedürfnis der Mieter aufeinanderprallen. Diesem Widerstreit, sowohl zwischen den Mietern als auch zwischen ihnen und dem Vermieter, suchen die Vertragsformulare u. a. durch Verbote entgegenzuwirken. Ich zitiere aus einem Muster des Schleswig-Holsteinischen Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümervereins aus dem Jahre 1985: ,,§ 13

Der Mieter verpflichtet sich, das Füttern von Möwen, Tauben usw. vom Grundstück aus wegen Verschrnutzung des Hauses und Belästigung der Einwohner zu unterlassen. " "Hausordnung Nr. 7 Alle Tätigkeiten, welche die Ruhe stören, dürfen nicht in der Zeit von 13 bis 15 Uhr ausgeführt werden. Wannenbaden ist mit Rücksicht auf die Hausbewohner nach 22 Uhr nicht gestattet." c) aa) Daß es sich gesetzestechnisch empfiehlt, die vertraglich festgelegte (und eingehaltene) Unterlassung zu den "Leistungen" im Sinne des § 241 zu zählen, glaube ich dargetan zu haben 25: Wer sich im Mietshaus das Baden in der Wanne nach 22 Uhr oder die Fütterung von Tauben von seinem Balkon aus bewußt verbietet, "leistet" an den Vermieter 26 genauso wie derjenige, dem nach der Abgabe einer dahingehenden Zusage 27 die übernommene Unterlassungspflicht keine Anstrengung mehr abverlangt, weil ihm die untersagte Handlungsweise fremd ist. Die bewußte wie unbewußte Unterlassung ist mithin eine "Leistung" im Rechtssinne und gerade im Sinne des § 241 BGB, mögen auch die Vertreter anderer Disziplinen die Überdehnung des Begriffs beanstanden. bb) Aber "leistet" auch derjenige, der eine gesetzliche Unterlassungspflicht erfüllt, derjenige zum Beispiel, der den Nachbarn nicht durch das Quaken der 25 26 27

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Oben, III 1 c, aa), Fußnote 10. Weil er ihm Unannehmlichkeiten mit gestörten Mitrnietern erspart. Ich verweise auf die oben, III 1 c, bb), Fußnote 11, zitierte Entscheidung RG 51,

3 Henke

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1. Teil: Der soziale und der rechtliche Begriff der "Leistung"

Frösche in seinem Teich stört 28 , der als Testesser davon Abstand nimmt, das im Restaurant "Westfälischer Friede" in Münster genossene Menü öffentlich zu verreißen 29, der als Ehemann die Drohungen gegen Frau und Kinder schließlich doch herunterschluckt?30 Ist er ebenfalls der im zweiten Satz des § 241 BGB gemeinte Unterlassungs-"schuldner"? cc) Das Gesetz, ich zitiere als Beispiel die dem Schutz des Eigentums gewidmete Norm des § 1004 BGB, gibt hierauf eine erste, vorläufige Anwort: Wer in das Eigentum eines anderen eingegriffen hat 3!, kann auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wenn "weitere Beeinträchtigungen zu besorgen sind". Er ist nach dem ersten Angriff Schuldner einer dem Eigentum entspringenden Unterlassungspflicht geworden 32 • Diese Folge ist zur wirksamen Verteidigung bedrohter Rechte weiterzuentwickeln: Vergleichbar dem erwähnten Wettbewerbsverstoß, schafft schon die erste, greifbare Bedrohung von Leib, Leben und Eigentum die für den Anspruch nötige Beziehung zwischen dem Unterlassungsgläubiger (etwa dem Eigentümer) und -schuldner (zum Beispiel dem, der im 28 Sachverhalt eines Urteils des OLG Schleswig, VersR 1986, Seite 987. Der Abwehr-, also Unterlassungsanspruch des gestörten Nachbarn ergab sich aus § 1004 BGB. 29 Ein Bericht aus den "Kieler Nachrichten" vom 28.10.1983 über Aktivitäten des Jura-Studenten und "Testessers" Armin Diel aus Münster. Der Unterlassungsanspruch des Restaurateurs Wemer Otto Jedarnzik verteidigte das Recht arn eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, ein sonstiges Recht im Sinne des § 823 I BGB. Er gründete sich auf § 1004 BGB, freilich - da nicht das Eigentum angegriffen war - nur in entsprechender Anwendung. 30 Ich weise auf den mich stehenden Auszug aus dem Bundesanzeiger vom 26. 11. 1986 hin. Die Unterlassungsklage zum Schutze des Lebens und der elterlichen Sorge bedient sich auch hier einer entsprechenden Anwendung des § 1004 BGB. Den Besitz an der Mietwohnung schützt § 862 I BGB. "Landgericht Berlin Öffentliche Zustellung 190242/86: Matijy Krstic klagt gegen Slobodan Krstic, früher wohnhaft in Berlin 44, jetzt unbekannten Aufenthalts, wegen Unterlassung mit folgenden Antrag: Der Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes bis zu 500.000,DM oder einer Ordnungshaft bis zu 2 Jahren zu unterlassen: 1. in die Wohnung der Klägerin einzudringen; 2. die Klingelanlage und die W ohungstür zu beschädigen; 3. die Klägerin mit dem Tode zu bedrohen; 4. die Kinden Zdenke Krstic, geb. arn 17.12.71, sowie Vladimir Krstic, geb. arn 3.4.73, zu bedrohen, ihnen vor der Haustür oder der Schule aufzulauern; 5. sowie die Klägerin telefonisch anzurufen." 3! § 1004 BGB bezieht sich auf Eingriffe anderer Art als die "Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes". Wichtige Anwendungsfälle sind die Störungen des Grundeigentums durch Umwelteinflüsse, das unerlaubte Betreten durch Menschen oder Haustiere, die Behinderung der Zufahrt, das Einsickern auslaufender Flüssigkeiten und das Füttern von Tauben, die ein Haus verschmutzen (Palandt / Bassenge, 49. Aufl., 2 zu § 1004). 32 Entsprechendes gilt für die Verletzung des Persönlichkeitsrecht, die einen gegen den Störer durchsetzbaren Unterlassungsanspruch entstehen läßt: Ein Fahrgast in einem öffentlichen Verkehrsmittel malträtiert die Nerven anderer Fahrgäste durch seinen voll aufgedrehten Walkman. Ihnen "steigt die Unruhe in den Kopf, wird zu Zorn, weckt hämmernd das Verlangen auf einen Amoklauf mit der Schere, um die Kabel durchzuschneiden" ("Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 4.9.1987).

III. Das Unterlassen und das Dulden als "Leistungen"

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Begriff ist, das Eigentum zu verletzen), ein Anspruch, mit dem der drohende Angriff abgewehrt werden kann 33. Denn: Soll etwa eine Ehefrau den ersten Mordversuch ihres Mannes abwarten müssen, bevor sie das Gericht anzurufen vermag? Wer das aufkommende Quaken der Frösche in seinem Teich unterbindet, bevor die Quälgeister der Nachbarschaft den Schlaf rauben, handelt schon als Unterlassungsschuldner im Sinne des § 241 BGB. dd) Unterlassungsansprüche machen die Wirksamkeit aller absoluten, also gegen jedermann durchsetzbaren Rechte bzw. Rechtsgüter aus: angefangen von Leib, Leben, Ehre und Achtung der Persönlichkeit bis hin zu dem Recht am Warenzeichen (§ 24 des Warenzeichengesetzes). Nicht nur wegen der großen Zahl der vertraglichen, sondern auch der gesetzlichen Unterlassungsansprüche 34 empfiehlt es sich, durch ausdrückliche Anordnung klarzustellen: "Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen." Wann diese Pflicht greifbar und wirksam wird, richtet sich freilich nach ihrem Entstehungsgrund: dem Schuld-, dem Sachen-, dem Familien-, ja dem Warenzeichenrecht 35 •

3. Die Richtigkeit der gesetzlichen Anordnung a) Um beurteilen zu können, ob die Unterlassung auch dogmatisch "Leistung" im Sinne des § 241 BGB ist, beginne ich mit einer Definition: Wie sind die Unterlassungs- und die Duldungspflicht begrifflich zu bestimmen? aa) Die beispielhaft genannten Unterlassungspflichten des Miet- und des Eigentumsrechts, ja das Recht einer Ehefrau auf Achtung ihres Lebens, ihrer elterlichen Sorge und des Besitzes an ihrer Wohnung, erhellen den Anlaß, solche Pflichten zu schaffen: Er liegt in der konkreten oder abstrakten Gefahr, daß der (spätere) Unterlassungsschuldner Rechte des Gläubigers verletzt. Ein BMW-Händler ziert sich nicht bei der wettbewerbswidrigen Rabattgewährung 36 • Mieter scheuen sich nicht, auch noch um Mitternacht in die Badewanne zu steigen usw. bb) Anlaß und Inhalt einer solchen Verbindlichkeit brauchen sich jedoch nicht zu decken: Der Inhalt der vertraglichen Unterlassungspflicht besteht in einer 33 So seit RG 101, 335/40 vom Jahre 1921 nicht mehr zweifelhaft: Medicus im Münchener Kommentar, 2. Auf!. (1986), 80 zu § 1004 BGB. 34 Eine ausführliche Übersicht enthält das Lehrbuch des Sachenrechts von BaUf, 15. Auf!. (1989), § 10 IV, Übersicht 5. 35 Ich verweise auf § 24 WZG: "Wer im geschäftlichen Verkehr Waren oder ihre Verpackung oder Umhüllung, oder Ankündigungen, Preislisten, Geschäftsbriefe, Empfehlungen, Rechnungen oder dergleichen mit dem Namen oder der Firma eines anderen oder mit einem nach diesem Gesetz geschützen Warenzeichen widerrechtlich versieht, oder wer derart widerrechtlich gekennzeichnete Ware in Verkehr bringt oder feilhält, kann von dem Verletzten auf Unterlassung in Anspruch genommen werden." 36 Sachverhalt eines Urteils des OLG Hamburg, GRUR 1985, Seite 153: "Wo ist da das Problem ... ?"

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1. Teil: Der soziale und der rechtliche Begriff der "Leistung"

beschnittenen Handlungsfreiheit, genauer: in der zugesagten Untätigkeit des Verpflichteten 37. Er erfüllt die Pflicht, indem er sich beherrscht, er erfüllt sie aber auch dadurch, daß er "nichts tut"38. Der Mieter, der nie auf den Gedanken käme, nachts in die Badewanne zu steigen oder Tauben von seiner Wohnung aus zu füttern, verhält sich vertragsgemäß und erfüllt Tag für Tag seine Unterlassungspflicht.

Sie erlischt mit dem Ende der vertraglichen Beziehungen. Der Mieter zieht aus; der Handlungsgehilfe wird zwei Jahre nach seinem Ausscheiden aus dem Geschäft des Prinzipals von dem Konkurrenzverbot frei (§ 74 aI HGB).

cc) Einen einschneidenderen Inhalt hat die gesetzliche Unterlassungspflicht zum Schutz absoluter Rechte. Da sie mindestens eine deutliche Bedrohung, wenn nicht gar den Eingriff in die Rechte des Gläubigers voraussetzt 39 , zielt sie auf ein äußeres und inneres Verhalten des Schuldners: Sie verlangt, daß er Selbstbeherrschung übe und als Frucht seiner Disziplinierung die Rechte des anderen achte 40. Der verklagte Ehemann hat sich äußerlich und innerlich eines friedlichen Umgangs mit seiner Familie in Berlin zu befleißigen: Er darf sie weder durch sein Auftreten noch durch Briefe bedrohen. Der Testesser Armin Diel 41 hat seine dem Verlag der "Tips für Gourmets" bereits eingesandte Schmähkritik 42 zurückzuziehen und die Versuchung zu unterdrücken, sich mit einem Verriß noch einmal interessant zu machen.

Ist die Bedrohung gebannt und die Gefahr erloschen, so ist das gesetzliche Schuldverhältnis der Unterlassung erfüllt und beendet (§ 362 BGB)43. Das "Recht" einer Familie auf ein friedliches Leben und das eines Gastronomen auf den ungestörten Betrieb seines Restaurants "Westfälischer Friede" wirken nur noch gegen jedermann. Sie begründen kein Schuld"verhältnis" mehr, wenn sich die Gegner aus den Augen verloren haben.

37 Insoweit richtig H. Lehmann, Die Unterlassungspflicht, Seite 208; Staudinger / Weber, 11. Aufl. (1967), 49 zu § 241. 38 Unzutreffend Beuthien, Zweckerreichung und Zweckstörung (1969), S. 14- 15: Wer seine Unterlassungspflicht kenne, verhalte sich schon deshalb ,,konsequent", so daß auch hier eine "Willensstruktur" festzustellen sei. 39 Dargelegt oben, III 2 c, cc). 40 So Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, 9. Aufl. (1906), Band 11, § 252, Fußnote 1 a: "Auch das Unterlassen ist eine Handlung, eine Willensbestimmung, nur nicht eine Bestimmung des Willens zur Tätigkeit, sondern zur Untätigkeit." 41 Oben, III 2 c, bb), Fußnote 29. 42 ,,Ein totaler Reinfall. Es ging so ziemlich alles daneben, was von Menschenhand beeinflußbar ist." 43 Erlischt die Bedrohung ohne Zutun des Schuldners, etwa weil der Beklagte in Deutschland arbeitslos wird und nach Jugoslawien zurückkehren muß oder sich der Testesser (ein Jura-Student) nur noch dem eigentlichen Beruf widmen kann, hat das Schuldverhältnis durch Zweckerreichung sein Ende gefunden. Ich verweise auf Palandt / Heinrichs, 49. Aufl., 2 d zu § 275.

III. Das Unterlassen und das Dulden als "Leistungen"

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dd) Das Eindringen in die Psychologie der Unterlassungs schuld mag allzu subtil erscheinen. Aber die Annahme, daß gesetzliche Unterlassungsansprüche durch Selbstzucht nach innen und außen erfüllt werden, bestätigt sich in der Gerichtspraxis. Ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1971 hatte sich mit den Angriffen gegen die Seriosität einer Architektin auseinanderzusetzen 44. Der Unterlassungsanspruch gegen den Vorwurf: "Die Klägerin habe die L. -KG Berlin und deren Bauvorhaben mit ausgesprochen fragwürdigen Methoden kritisiert", ist dem Urteil zufolge erst dann erfüllt, wenn der Schuldner "dem Schutzbedürfnis des Gläubigers Rechnung trägt"45, wenn er sich - so wage ich die Aussage zu ergänzen - von seinen Äußerungen ernsthaft und nicht bloß unter dem Druck des Prozesses, also nur vorübergehend, distanziert. Zwei Unternehmen, Hersteller u. a. von Schraubenmuttern, stritten vor Gericht über das bessere Recht an einem Fabrikationsverfahren 46 • In der Berufungsinstanz gab der Beklagte seinen Standpunkt auf und ließ zur Bekräftigung dessen eine sog. strafbewehrte Unterlassungserklärung protokollieren. Beseitigte sie die Gefahr, daß er Lizenzverhandlungen des Klägers mit der Berufung auf ein entgegenstehendes Patent auch weiterhin stören werde?47 Der Bundesgerichtshof stellte auf die Ernstlichkeit seiner Erklärung ab, darauf, ob er sich "zur inneren Anerkennung des Rechts des Klägers durchgerungen habe." Ich sehe in der Sinnesänderung, die hier zu prüfen war, nur einen anderen Ausdruck für die Selbstbeherrschung, die man üben muß, um eine Unterlassungspflicht zu erfüllen und so den Inhaber eines bedrohten absoluten Rechts klaglos zu stellen. b) aa) Ist die vertraglich geschuldete Unterlassung als zugesagte Untätigkeit des Verpflichteten und die gesetzlich angeordnete Unterlassung zum Schutz absoluter Rechte als deren Achtung kraft der Selbstbeherrschung des Schuldners zu definieren, so ist die Duldung, Spielart der Unterlassung, schließlich als

vertragliche Gestattung oder gesetzlich angeordnete Hinnahme eines Eingriffs in den eigenen Rechtskreis zu bestimrnen 48 •

bb) Die Duldung kann, wie die Unterlassung, eine vertragliche Grundlage haben: 44 WM 1972, Seite 180. Das Gericht zitiert ,,Äußerungen, welche die Persönlichkeit beeinträchtigen", und wendet § 823 I BGB an. Die Klage konnte aber auch auf den Tatbestand des § 824 I BGB, der sog. Kreditgefährdung, gestützt werden. 45 A. a. 0., Seite 182 (unter I, 1). 46 Sachverhalt des Urteils BGH GRUR 1955, Seite 390. 47 Die Lizenz ist das Recht, ein Patent kraft der Gestattung des Patentinhabers zu benutzen. Die "ausschließliche" Lizenz ist eine dingliche, die "einfache" Lizenz eine schuldrechtliche Befugnis (Benkard-Ullmann, Patentgesetz, 7. Aufl., 1981, 53 und 56 zu § 15). Die ungerechtfertigte Verwarnung, die der Beklagte hier ausgesprochen hatte, wird als Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gewertet (Benkard-Bruchhausen, a.a.O., Vorbern. 16 vor §§ 9-14 PatG). Der Bundesgerichtshof zitiert nur die Vorschriften des "BGB §§ 823, 1004", ohne die Anspruchsgrundlage deutlicher zu benennen. 48 Siehe schon oben, III 1, Fußnote 1.

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1. Teil: Der soziale und der rechtliche Begriff der "Leistung"

Eine Artistin aus der Familie des Zirkus gründers Sarrasani gestattet einer GmbH in einem gerichtlichen Vergleich den Gebrauch des noch aus der Erinnerung bekannten Namens für ein Zirkusuntemehmen 49 • In dem Kaufvertrag über ein Grundstück räumt der Käufer dem Verkäufer ein (obligatorisches) Überwegungsrecht ein: Er verpflichtet sich, den Fahrzeugverkehr auf seinem Grundstück zu dulden 50. Duldungspflichten können Schuldner aber auch kraft einer gesetzlichen Anordnung treffen: Der Kunde eines Elektrizitätswerks hat das Betreten seiner Wohnung und die Entfernung seines Stromzählers zu dulden, wenn die Versorgung wegen Zahlungsverzugs gesperrt werden SOll51. Der Mieter einer Wohnung hat kraft des § 541 a BGB den Einbau einer Türschließanlage zu dulden und den Handwerkern den Zutritt zu seiner Wohnung zu gestatten. Den Anschluß an eine Sprechanlage braucht er allerdings nur hinzunehmen, wenn diese abhör- und mithörsicher ist 52. cc) Die Duldungspflicht gründet sich auf ein berechtigtes Bedürfnis, in fremde Befugnisse einzugreifen: Das Elektrizitätswerk kann die Stromversorgung nicht unterbrechen, wenn es keinen Zutritt zur Wohnung des Kunden erhält, der in Zahlungsverzug geraten ist. Hinter der Duldung steht zwar häufig eine der Unterlassung vergleichbare Handlung: der unterbundene Widerspruch des Verpflichteten. "Die Beklagten", so heißt es in dem zitierten Urteil des Amtsgerichts Berlin-Schöneberg, "sind Mieter einer Wohnung im Hause der Kläger. Sie verweigerten den von den Klägern beauftragten Handwerkern den Zutritt zur Wohnung. Mit der Klage verlangen die Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Duldung des Anschlusses. Die Klage ist teilweise begründet."53 Dieser Anlaß macht indessen nicht den Inhalt der Duldungspflicht aus: Auch der vertragstreue Mieter, der Anordnungen seines Vermieters niemals widersprechen würde, "duldet" die Installation der Schließ- und Sprechanlage. Er erfüllt, was das Gesetz und der Vermieter ihm auferlegen. Die Selbstbeherrschung ist keine begriffliche Voraussetzung der Duldungspflicht. Die Duldung geht freilich auf eine GrundeinsteIlung zurück: die des loyalen, vertragstreuen Mieters.

49 Sachverhalt eines Urteils des OLG Zweibrücken (OLGZ 1980, Seite 31). Den Gestattungsvertrag nennt das Gericht "Lizenz". 50 Sachverhalt des Urteils BGH WM 1966, Seite 1022. 51 § 16 der Allgemeinen Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden (siehe oben, III 1, Fußnote 2). 52 Leitsatz eines Urteils des AG Berlin-Schöneberg, NJW 1986, Seite 2059. 53 Teilweise begründet, weil sich das Amtsgericht gegen die Duldung einer nicht abhörsicheren Sprechanlage aussprach. Das Urteil wird durch die Auferlegung eines Ordnungsgeldes, hilfsweise einer Ordnungshaft durchgesetzt (§ 890 ZPO).

III. Das Unterlassen und das Dulden als "Leistungen"

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4. Zusammenfassung: Die Nützlichkeit und Richtigkeit der gesetzlichen Anordnung a) Ich komme zur abschließenden Würdigung: Der gesetzliche Ausspruch, daß die Leistung auch in einem Unterlassen bestehen könne, ist dogmatisch und praktisch nützlich, weil er Klarheit schafft. Wer unterläßt oder duldet, was ihm ein Vertrag oder ein Gesetz auferlegt, "leistet" an den Berechtigten, mag diese Folgerung auch sprachlich, psychologisch und rechtswissenschaftlieh gesehen angreifbar sein. Er vermeidet den Übergriff in den Bereich seines Gläubigers und bestärkt ihn in dem ungestörten Gebrauch seiner Rechte. Mit seinem Ausspruch bezieht sich das Gesetz auf die juristische Praxis und die hier immer wieder ausbrechenden Konflikte. Wer in einer solchen Lage, etwa als Mieter in einem Mietshaus, als Handlungsgehilfe gegenüber dem früheren Arbeitgeber, als Gewerbetreibender gegenüber einem Konkurrenten, die ihm gezogenen Grenzen beachtet, übt Selbstdisziplin und handelt mithin. Der Unterlassungsschuldner leistet auch dann, wenn er trotz scheinbaren "Nichtstuns" die Interessen des Gläubigers befriedigt. b) Der Begriff der "Leistung" im Sinne des § 241 BGB hat seinen Ausgangspunkt im zwischenmenschlichen Bereich. Er ist jedoch wegen der Bedürfnisse der juristischen Praxis weiterzuentwickeln. Daher sind Unterlassungs- und Duldungsklagen allemal Leistungsklagen im Sinne des Zivilprozeßrechts 54, daher können Vertragsstrafen auch für vereitelte Unterlassungs- 55 und Duldungspflichten vereinbart werden (§ 339 BGB). Viele Unterlassungsklagen haben überdies ein doppeltes Ziel, eine Erkenntnis, welche die Unterlassung noch deutlicher als bisher aufgezeigt mit der Leistung durch ein Tun verbindet 56; verlangen sie doch ein Urteil, das den Eingriff in die Rechte des Klägers beseitigt und künftigen Eingriffen vorbeugt: Der Testesser Armin Diel hat die bereits eingesandte Schmähkritik zurückzuziehen und die Versuchung zu unterdrücken, einen weiteren Verriß zu veröffentlichen 57.

Näher dazu Henke, Juristische Arbeitsblätter 1987, Seite 350-51. Die Gesellschafterversammlung einer GmbH beschließt einstimmig: Jeder Teilnehmer hat über den Verlauf der Sitzung ein Jahr lang Verschwiegenheit gegenüber Dritten zu bewahren und geschäftsschädigende Äußerungen zu unterlassen. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung hat er eine Strafe von 100.000 DM an die Gesellschaft zu zahlen. Der Bundesgerichtshof hat das Strafversprechen im Prinzip gebilligt (WM 1986, Seite 771). 56 Ich verweise auf den Wortlaut des § 1004 BGB: Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen. 57 Ich verweise auf das Beispiel oben, III 2 c, bb), Fußnote 29, sowie III 3 a, ce. 54 55

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1. Teil: Der soziale und der rechtliche Begriff der "Leistung"

Der Besitzer des Froschteichs hat die Quälgeister zu entfernen und darf hier keine neuen Tiere mehr aussetzen 58. Der Mieter einer Wohnung hat den Handwerkern den Zutritt freizugeben, und darf sie bei dem Einbau der Türschließanlage nicht mehr behindern 59.

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Ich verweise auf das Beispiel oben, III 2 c, bb). Oben, III 3 b, bb).

Zweiter Teil

Leistungshandlung und Leistungserfolg: Was gibt dem Schuldverhältnis seinen Sinn? I. Die alltägliche Ordnung des Schuldverhältnisses im Zusammenhang von Leistungshandlung und Leistungserfolg 1. Leistungshandlung und -erfolg als Ausdruck verschiedener Anschauungsweisen Wie jede menschliche Beziehung so hat auch das Schuldverhältnis zwei Pole und von ihnen aus betrachtet zwei Anschauungsweisen 1. Der Gläubiger versteht es als sein Recht zu erhalten, was ihm der Schuldner versprach oder das Gesetz als das ihm Gebührende zusicherte. Mithin sieht er zuerst auf den Leistungserfolg , während er den Weg dorthin dem Schuldner überläßt 2 • Für den Schuldner sind es dagegen die Pflichten, die das Wesen seiner Beziehung ausmachen. Mithin sieht er besonders auf die Leistungshandlungen, die nötig sind, um an das Ziel seiner Bemühungen zu gelangen. Daß ihm die Befriedigung des Gläubigers gleichgültig sei, darf man gleichwohl nicht behaupten: Solange nicht erfüllt ist, was ihm obliegt, hat der Gläubiger die Leistungsklage, mag der Schuldner auch alles in seiner Macht Stehende getan haben. Und weiter: Wirbt doch der Geschäftsmann wie der abhängig Beschäftigte um die Anerkennung der erbrachten, nicht bloß der versuchten Leistung. Die Erfüllung als Befriedigung des Gläubigerinteresses ist die natürliche Frucht einer Bemühung, mit der man den vollen Einsatz verbunden, mithin wie es die Fachsprache ausdrückt, die "geschuldete Sorgfalt" aufgewandt hat 3 • 1 In der Dogmatik beschrieben unter dem prätentiösen Schlagwort von der ,,Ambivalenz des Leistungsbegriffs" . Ich zitiere statt vieler anderer Kramer in der 2. Auflage des Münchener Kommentars, 4 zu § 241 . 2 Deutlich zeigt sich die Freiheit des Schuldners beim Auftrag und Geschäftsbesorgungsvertrag: Der Verpflichtete schuldet denkenden und nicht blinden Gehorsam (Palandt / Thomas, 49. Aufl., 1 zu § 665), und der Rechtsanwalt ist als "unabhängiges Organ der Rechtspflege" im Sinne des § 1 BRAO nicht das Sprachrohr seines Mandanten (Isele, Bundesrechtsanwaltsordnung, 1976, C 3 zu § 1). Selbst dem Arbeiter am Fließband, bei dessen Tätigkeit Leistungshandlung und -erfolg zusammenfallen, kann nicht jeder Handgriff vorgeschrieben werden. 3 Was die "geschuldete Sorgfalt" bedeutet, stellt Larenz, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 14. Aufl., § 20 V (Seite 290-91), im einzelnen dar.

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2. Teil: Leistungshandlung und Leistungserfolg

2. Die Wechselwirkung zwischen Leistungshandlung und -erfolg a) Daß trotz der verschiedenen Sichtweise das Bemühen des Schuldners und die Befriedigung des Gläubigers, mithin Leistungshandlung und -erfolg, aufeinander bezogen sind, zeigt der Zusammenhang, in dem Leistung und Gegenleistung im gegenseitigen Vertrag stehen: Mit der eigenen Leistungshandlung erwirbt man den Anspruch darauf, die Gegenleistung zu erhalten; man ist gleichzeitig Schuldner und Gläubiger 4 • Aber wenden wir doch den Blick von diesem geläufigen Austausch. Auch in der einseitig verpflichtenden Obligation sind Handlung und Erfolg in einer Wechselwirkung, eben in einem "Verhältnis" miteinander, verbunden. Mithin bestimmt der Leistungserfolg den geschuldeten Einsatz und der geschuldete Einsatz seinerseits das, was der Gläubiger nach den Umständen des Falles und gerade nach Ort, Zeit und Umfang einer Leistung, zu bekommen hat. b) Ich veranschauliche das Gesagte an einem Beispiel: Ein Berliner Arzt hatte von einem Teppichhändler einen alten persischen Kelim 5 in der Größe von 5,35 x 1,40 m zur Ansicht erhalten 6 • Als ihm der Händler vier Monate später einen Preis von 11.000 DM in Rechnung stellte, wies der Arzt die Forderung zurück. Er behauptete, das Stück schon Monate vorher in das Geschäft zurückgebracht und damit seine Pflicht als Entleiher 7 erfüllt zu haben. Der Teppich sei von ihm im Laden "an eine Säule" gestellt worden. Wohin das Stück wirklich geraten war, blieb auch in einem sich anschließenden Prozeß im Dunkeln. Ich setze zunächst den Fall, daß sich die Bemühungen des Kunden darauf beschränkt hatten, den Kelim an besagte Säule zu lehnen. Dann aber war m. E. der Leistungserfolg nicht eingetreten und die Rückgabepflicht (§ 604 I BGB) nicht erfüllt: Denn der Kunde schuldete nicht irgendeine, er schuldete wegen des Wertes der Sache und der Kontrolle über den Bestand die sichere Aushändigung an den Verkäufer oder einen Angestellten 8. 4 Das Verlangen, selbst befriedigt zu werden, ohne den Anspruch des Partners zu erfüllen, läßt sich mit der Einrede des nicht erfüllten Vertrages abwehren (§§ 320, 322 BGB). 5 Ein gewebter und nicht geknüpfter Teppich von mittlerer Qualität mit dem Ursprung in verschiedenen Regionen: dem Kaukasus, Kleinasien und dem Balkan. 6 Sachverhalt eines Urteils des KG Berlin vom 5.6.1986 (12 U 6006/85), aus dem ich das im folgenden dargestellte Beispiel gebildet habe. Ein gekürzter Auszug ist in MDR 1986, Seite 933, wiedergegeben. 7 Da die Überlassung den Arzt zum Kauf bewegen sollte und also auch dem Händler einen Nutzen versprach, da sich der Händler auch zu nichts verpflichtet hatte, als er den Teppich dem Arzt überließ, spricht viel dafür, seine Ansprüche lediglich aus einem Schuldverhältnis der Vertragsverhandlungen abzuleiten (vergleiche in diesem Sinne auch BGH VersR 1964, Seite 540 und VersR 1968, Seite 777/78). 8 Anderer Auffassung das Kammergericht: Wer eine geliehene Sache zurückzugeben habe, schulde die Übertragung des Besitzes; ein Geschäftsinhaber aber besitze alle Sachen in seinem Herrschaftsbereich, möge ihn mit den Gegenständen auch nur ein genereller Besitzwille verbinden. Nach meiner Auffassung urteilt das Gericht formaljuristisch: Es überträgt das verhältnis-

11. Verwendet das Gesetz den Begriff "Leistung" willkürlich?

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Es verhielt sich hier wie mit der Rückgabe entliehener Bücher in einer öffentlichen Bibliothek: Das bloße Hineinstellen eines Bandes in ein Regal ist keine Erfüllung der Rückgabepflicht. Wollte sich der Händler oder ein Gehilfe andererseits in einem Verkaufsgespräch nicht stören lassen - wofür nach dem Prozeßergebnis Anzeichen sprachen - , hätte er dies, etwa durch eine Geste, auch zum Ausdruck gebracht, so beeinflußte die nunmehr geminderte Leistungspflicht den Erfolg: Der (im Laden bekannte?) Kunde befreite sich, wenn ihm dies gestattet war, auch durch die unpersönliche Rückgabe an der Säule. Hier wäre der Händler auch nicht im Annahmeverzug: Der Kunde müßte die Rückgabe kein zweites Mal versuchen, um befreit zu werden.

11. Leistungshandlung und -erfolg: Verwendet das Gesetz den Begriff "Leistung" willkürlich? 1. Das Zusammenspiel zwischen § 241 und § 362 BGB a) Hat sich der Schuldner, so fasse ich das bisher Gesagte zusammen, nach Kräften bemüht, den Gläubiger zu befriedigen, ohne daß der Leistungserfolg eingetreten ist, bleibt er im Schuldverhältnis gebunden. Der Gläubiger kann ihn weiterhin auf die "Leistung" verklagen, genauer: auf die Vornahme der Leistungshandlung, die den Leistungserfolg eintreten läßt. Ein Pächter bot dem Verpächter die Rückgabe des überlassenen Grundstücks vergeblich an 1: Der Verpächter verweigerte die Annahme der Schlüssel, weil das Gelände und das Gebäude nicht ordnungsgemäß geräumt worden seien. Der Verpächter mochte mit seinem Standpunkt Unrecht haben, aber der Pächter hatte das Grundstück weiterhin zu versorgen und die Rückgabe erneut zu versuchen. Eine bedingungslose Befreiung im Annahmeverzug des Gläubigers gewährt das Gesetz nicht: Wer ein Grundstück zurückzuerstatten hat, muß die Besitzaufgabe androhen und die Reaktion des Gläubigers abwarten, bevor er sich als entlastet betrachten darf (§ 303 BGB)2.

Bei unbefangenem Verständnis ist die Vorschrift des § 241 BGB mithin so zu lesen: Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine "Leistung", d.h. die Herbeiführung des Leistungserfolgs durch Leistungshandeln, zu verlangen. Klagt in dem zitierten Beispiel der Verpächter auf die Rückgabe des Grundstücks, würde sein Antrag in der Analyse der Klage so lauten: Den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger den Besitz an dem ordnungsgemäß geräumten (Leistungshandlung) Grundstück zu verschaffen (Leistungshandlung und -erfolg). mäßig grobe, weil abstrakte Merkmal "Besitz" des Sachenrechts ohne Einfühlungsvermögen auf die schuldrechtliche ,,Erfüllung" einer Rückgabepflicht, die aber nur bei "vollständiger", auf den Fall und seine Anforderungen bezogener Leistung eintritt. 1 Sachverhalt des Urteils BGH 86, 204 = JR 1983, Seite 362 vom Jahre 1983. 2 Dies gilt selbstredend nicht für die Schlüssel, die der Pächter dem Verpächter zurücksenden und bei Annahmeverweigerung bis zur Lösung des Konflikts auch aufbewahren muß.

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2. Teil: Leistungshandlung und Leistungserfolg

Die Klage wäre bis zum Eintritt des Leistungserfolgs begründet. Hätte der Kläger, hier also der Verpächter, freilich das Gericht ohne Veranlassung angerufen, fielen ihm die Prozeßkosten zur Last, wenn der Beklagte den Anspruch in der ersten streitigen Verhandlung ("sofort") anerkennt, so daß eine ihn verurteilende Entscheidung gefällt werden kann (§§ 93,307 ZPO). Man wende nicht ein, die Klage auf Erfüllung der Rückgabepflicht sei hier eine dogmatische Spielerei. Zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner kann es durchaus streitig sein, unter welchen Voraussetzungen das Gläubigerinteresse befriedigt ist: Muß ein Mieter oder Pächter Räume in vertragsmäßigem Zustand und "besenrein" übergeben 3 oder genügt es, daß er sie freimacht?4 In der Norm des § 241 BGB verbinden sich also Leistungshandlung und Leistungserfolg - dieser im Sinne der Befriedigung des Gläubigerinteresses 5 - zur ,,Leistung", die der Gläubiger zu verlangen vermag, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sie sich in mehreren Schritten vollziehen oder in einem Akt zusammenfallen. b) aa) Die "Leistung" als Befriedigung des Gläubigerinteresses durch das Handeln des Schuldners setzt sich aus mehreren Schritten zusammen bei den Veräußerungsverträgen des Kaufs, des Tausches und der Schenkung körperlicher Gegenstände, sie zeigt sich bei den Überlassungsverträgen der Miete, der Pacht (von körperlichen Gegenständen), der Leihe und des Darlehens, bei der verkörperten Werkleistung und schließlich der Schuldsicherung durch Bürgschaft, Schuldversprechen und Schuldanerkenntnis, weil hier erst die Annahme der Bemühungen des Schuldners durch den Gläubiger die Erfüllung bewirkt. ,,Annahme" in diesem Sinne ist die notwendige Mitwirkung des Gläubigers, die einsetzt, nachdem der Schuldner mit seinen Leistungsbemühungen begonnen hat 6• Die Distanz zwischen den beiden Akten fallt bei der Schickschuld in Gestalt der Geldschuld (§ 270 BGB) und des Versendungskaufs (§ 447 BGB) sowie bei dem Annahmeverzug des Gläubigers besonders ins Auge. Der Versendungskauf, neben der Geldschuld des § 270 BGB und der Versendung eines körperlichen Werks nach § 644 11 BGB, eine der Erscheinungsformen der Schickschuld, erläßt dem Verkäufer nicht die Pflicht, die Kaufsache dort zu übereignen, wo der Käufer seinen Wohnort oder seine gewerbliche Niederlassung hat. 7 Der "Erfüllungs3 So Haase in der Anmerkung zu BGH JR 1983, Seite 362, mit Nachweisen aus der Literatur. 4 So der Bundesgerichtshof. 5 Und nicht des ,.Erfolges" im Sinne des § 631 als eines Arbeitsergebnisses. 6 Die Mitwirkung des Arbeitgebers in Gestalt der bereitgestellten Räume, Rohstoffe und Werkzeuge liegt zeitlich vor der Leistungshandlung des Arbeitnehmers oder begleitet sie (Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 6. Aufl., 1987, § 4811 3 b). Das Auseinanderfallen von Handlung und Erfolg ist hier, wie sogleich auszuführen ist, nicht festzustellen. 7 Dazu eingehend und über das bei dieser Gelegenheit behandelte Umstellungsgesetz 1948 hinausgehend: Bötticher, MDR 1949, Seite 2 ff.

11. Verwendet das Gesetz den Begriff "Leistung" willkürlich?

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ort" i. S. des § 447 I BGB begrenzt nicht die Erfüllungshandlung und bindet sie nicht an einen einzigen Platz. Der Verkäufer ist mithin auf mehr als die Übergabe einer Ware an die Transportperson - er ist der Sache nach auch auf den Transport verpflichtet, freilich nur in Gestalt der Unterlassung störender Eingriffe 8 und organisatorischer Vorkehrungen für den Fall, daß sich der Versendung Hindernisse in den Weg stellen (z. B. Streiks oder Blockaden des Land-, Schienen- oder Wasserwegs bzw. der Flugroute). Dem Transport gesellt sich die Übermittlung der Versendungspapiere hinzu. Um seine Pflicht zur Übereignung am Sitz des Käufers erfüllen zu können, darf sich der Verkäufer bestimmter Einrichtungen bedienen (,,Personen" oder "Anstalten" i. S. des § 447 I BGB). Diese sind der Sache nach Erfüllungsgehilfen, jedoch mit dem Unterschied, daß die Vorschrift des § 447 BGB - eine Norm der Leistungsstörung, nicht der Erfüllung - dem Verkäufer die ihn sonst treffende Haftung aus § 278 BGB für fremde Transportpersonen erläßt 9 • -

Ich sehe wegen der Pflicht zur Übereignung am Sitz des Käufers - horribile dictu keine prinzipiellen Unterschiede zwischen der Schick- und der Bringschuld 10.

Als nachwirkende Nebenpflicht hat der Verkäufer, wird das Gut beschädigt oder gerät es in Verlust, Ersatz- und Versicherungsansprüche an den Käufer abzutreten (§ 281 BGB in direkter oder entsprechender Anwendung bei bloßer Beschädigung). Er hat dabei sein eigenes, mit dem Transport betrautes Personal, sofern es sich um eine gefahrgeneigte Arbeit handelt, von Ansprüchen des Käufers freizustellen 11. Die Entlastung des Arbeitnehmers, der eine schadensgeneigte Tätigkeit - etwa als Fahrer eines Lastzugs verrichtet, kann sich hier nicht auswirken. Denn: Keine Haftungsbefreiung zu Lasten eines unbeteiligten Dritten!

bb) Das Handeln des Schuldners und die Befriedigung des Gläubigers fallen bei der Unterlassung, der Dienstleistung - auch in der Form der Geschäftsbesorgung -, der Verwahrung und bei den nicht verkörperten Werkleistungen, z. B. der Bauaufsicht durch einen Architekten, der Kunstaufführung und Sportveranstaltung sowie der Beförderung von Personen, zusammen. Ein besonders lehrreicher, konstruktiv aber anspruchsvoller Fall ist die oben erwähnte Unterlassung durch ,,Nichtstun" 12. Er erklärt die dogmatische Schwierigkeit, auch in der Passivität eine "Leistung" zu sehen.

OGH Br. Z 3, 226/234; BGH 1, 6. So auch Bötticher, a. a. 0., Seite 4. 10 So auch eine Bemerkung von Großmann-Doerth, Das Recht des Überseekaufs, Bd. I (1930), Seite 120. 11 Die Pflicht des Verkäufers, Schadensersatzansprüche gegen das eigene Personal an den Käufer abzutreten (§ 281 BGB) und den Arbeitnehmer gegebenenfalls von solchen Ansprüchen freizustellen, besteht auch dann, wenn das eigene Personal - wie es die h. L. auffaßt - den Transport als Erfüllungsgehilfe i. S. des § 278 BGB ausführt (zu dieser Eigenschaft H. P. Westermann im Münchener Kommentar, 2. Aufl. 1988, 14 zu § 447, mit Nachweisen in Fußnote 33 und - beiläufig - BGH WM 1968, Seite 1302/ 03 unter 2 c, aa): Denn § 278 BGB läßt im Prinzip die Eigenhaftung des Gehilfen unberührt (Hanau im Münchener Kommentar, 2. Aufl., 3 zu § 278). 12 Oben, 1. Teil, III, 1 c, aa) und d, bb) sowie III 2 c, aa). 8 9

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2. Teil: Leistungshandlung und Leistungserfolg

c) Derselbe Zusammenhang zwischen Leistungshandlung und -erfolg ist auch in der Norm des § 362 BGB zu entdecken: Das Schuldverhältnis erlischt, wenn der Schuldner (oder ein Dritter für ihn: § 267 BGB) - handelnd oder unterlassend, so wie es der Schuldinhalt verlangt - die Leistung an den Gläubiger bewirkt. Die sich zufällig ergebende Befriedigung des Gläubigerinteresses, die ohne ein Handeln des Schuldners oder des für ihn eintretenden Dritten geschieht, nennen wir ,,zweckerreichung" und behandeln sie unter dem Gesichtspunkt der Unmöglichkeit der Leistung (§ 275 BGB), allerdings mi\.einem Ausgleich für die nun sinnlos gewordenen Bemühungen des Verpflichteten 13: "A. findet seine Garagenausfahrt durch ein fremdes Fahrzeug versperrt", so beginnt ein von H. Köhler zum Thema der Zweckerreichung entwickelter Sachverhalt 14. "Da der Fahrer nicht ausfindig gemacht werden kann, ruft A. einen Abschleppunternehmer an. Noch vor dessen Eintreffen kehrt der Fahrer zurück und fährt den Wagen weg. Der Unternehmer will von A. zumindest eine Teilvergütung für seine vergebliche Anfahrt ... "

2. Die Kritik Wieackers am GesetzesauJbau a) Aus den möglichen Anschauungsweisen der "Leistung" macht eine einflußreiche Lehre 15 einen wissenschaftlichen Trompetenstoß. Wieacker, der prononcierteste Kritiker des Gesetzes, leitet seine Auseinandersetzung mit dem Vorwurf der "verwirrenden Doppeldeutigkeit des zentralen Begriffs Leistung" ein und beschließt sie mit Ausdrücken wie "Materialfehler", "Sprünge", "nicht bündig schließende Fugen" des Rechts der Schuldverhältnisse und seiner "bedenklichen Systemverwerfung" 16. b) Die Untersuchung der Normen, die, wie er meint, willkürlich mit dem Begriff "Leistung" umgehen, führt ihn zu den folgenden Aussagen: 13 Palandt / Heinrichs, 49. Aufl., 2 d zu § 275; Larenz, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 14. Aufl., § 21 I c (Seite 315 -16). Vorarbeiten aus neuerer Zeit bei Wieacker, Festschrift f. Nipperdey, Band I, Seite 783/806-07; Beuthien, Zweckerreichung und Zweckstörung im Schuldverhältnis (1969), Seite 69 und 220/21; H. Köhler, Unmöglichkeit und Geschäftsgrundlage bei Zweckstörungen im Schuldverhältnis (1971), Seite 70 und 79-80. 14 A. a. 0., Seite 68. Wirklich geschehene Fälle habe ich in der Literatur nicht gefunden, so daß, wie Köhler treffend bemerkt, die juristische Phantasie hier keine Grenzen hat. 15 Den Auftakt gibt der bereits zitierte Festschriftbeitrag von Wieacker, der alsdann in dem Lehrbuch von A. Blomeyer, Allgemeines Schuldrecht, 4. Aufl. (1969), § 2 11 3 ("Grundlegend jetzt Wieacker"), bei Kramer im Münchener Kommentar, 2. Auflage, 4 zu § 241 ("Die von Wieacker eingehend untersuchte Ambivalenz") und im Handbuch des Schuldrechts über die Erfüllung und ihre Surrogate von Gernhuber, § 5 I 3 a (Fn 21 " Zu den Begriffen vornehmlich Wieacker") seinen Widerhall findet. Der Einfluß dieser Lehre auf die Rechtsprechung ist nicht sicher auszumachen. Allerdings findet sich das Begriffspaar "Leistungshandlung" und "Leistungserfolg" in den Urteilen BGH 12, 267/68 vom Jahre 1954, BGH 44, 178/79 vom Jahre 1965 und BGH 87, 156/62 vom Jahre 1983. 16 A. a. 0., Seite 784 und 806.

II. Verwendet das Gesetz den Begriff "Leistung" willkürlich?

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aa) Die Erfüllung i. S. des § 362 BGB bedeutet die Befriedigung des Gläubigerinteresses durch Eintritt des Leistungserfolgs. Da auch ein Dritter die Leistung zu erbringen vermag, sofern sie nicht als höchstpersönliche mit dem Einsatz des Schuldners verbunden ist, "bleibt im Systemzusammenhang der Erfüllungslehre das Element des Schuldnerverhaltens für den Leistungsbegriff prinzipiell außer Betracht." 17 bb) Die Unmöglichkeit der "Leistung" (zum Beispiel nach der Vorschrift des § 275 BGB) ist das nicht mehr nachholbare Ausbleiben des Leistungserfolgs, nicht der Leistungshandlung, so daß hier eine gleiche Sichtweise wie in der Lehre von der Erfüllung geboten ist: Sie bezieht sich auf den Erfolg und läßt die Handlung außer acht l8 . Dieser Blickpunkt ergibt sich, wie Wieacker argumentiert, aus der "Schlüsselnorm" des § 283 BGB, die dem Gläubiger nach der Verurteilung des Schuldners zur "Leistung" den Übergang vom Erfüllungs- zum Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung erleichtert 19. Das Urteil, so Wieacker, gründe sich auf den bis zu seinem Erlaß ausgebliebenen Leistungserfolg , ohne den Ursachen für die unterbliebene Leistungshandlung, nämlich dem mangelnden Willen oder dem mangelnden Vermögen des Schuldners, nachzugehen: "Es ist dieses Ausbleiben des Leistungserfolgs, nicht die unterbliebene Leistungshandlung, welches den in § 283 S. 2 vorgesehenen Ersatzanspruch nach rechtskräftigem Leistungsurteil auslöst."20 Ein weiteres Argument dafür, daß sich die Unmöglichkeit der "Leistung" auf den Erfolg und nicht die Bemühungen des Schuldners beziehe, gewinnt Wieacker aus der objektiven Unmöglichkeit der Leistung: Die Interessenverwirklichung durch das Verhalten gerade des Schuldners bleibe hier schon "per definitionern" außer Betracht 21. cc) Der "Leistungsort" wird, wie es bei Wieacker heißt, "allgemein und zutreffend" auf die letzte der Verwirklichung des Gläubigerinteresses vorausgehende Leistungshandlung des Schuldners bezogen 22. Der Schuldner nehme die Leistungshandlung "der Natur der Sache nach" und kraft Gesetzes (§ 269 I BGB) richtig bei sich vor; die Tätigkeit an einem anderen Orte müsse als Bringschuld vertraglich zugestanden sein 23. 17 A. a. 0., Seite 791. Gleicher Ansicht Heinrichs im Kommentar von Palandt, 49. Aufl., 1 a zu § 362, und im Münchener Kommentar, 2. Aufl., 2 zu § 362; Gemhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, § 5 I 3 b. 18 A. a. 0., Seite 791- 92. Gleicher Ansicht Palandt / Heinrichs, a. a. 0., 2 d zu § 275; Kramer im Münchener Kommentar, 2. Aufl., 4 zu § 241. 19 A. a. 0., Seite 792. 20 A. a. 0., Seite 794. 21 A. a. 0., Seite 794. 22 A. a. 0., Seite 796. Daß diese Auffassung allgemein geteilt wird, ergeben die Nachweise bei Gemhuber, a. a. 0., § 2 I 4. 23 Seite 797.

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2. Teil: Leistungshandlung und Leistungserfolg

dd) Schließlich die Leistungszeit: Sie wird nach Auffassung von Wieacker durch das Interesse des Gläubigers an der Erfüllung bestimmt und bedeute in der Regel ,,zeit des Eintritts des Leistungseifolgs"24. In welchem Maße diese Aussage jedoch sach- und interessenbedingt ist, zeigt die Beurteilung bargeldloser Zahlungen durch die Praxis: Für die Rechtzeitigkeit einer ,,Leistung" ist nach ihr die Leistungshandlung in Gestalt des Überweisungsauftrags oder der Hingabe eines Schecks entscheidend, nicht dagegen die Gutschrift auf dem Konto des Gläubigers, und dies ist wieder, wenn man das Schweigen Wieackers über den betreffenden Punkt nicht als Votum versteht, "allgemeine Meinung"25.

ee) Was heißt dann aber, wenn man über die einzelnen Normen hinausgeht, "der Schuldner schuldet die Leistung"? Eine mit dem Blick auf die Leistungsstörungen erarbeitete Antwort läßt Wieacker von dem unverfänglichen Satz: ,,Er schuldet die Befriedigung des Gläubigerinteresses durch vertragsmäßiges Verhalten", abrücken: Wenn der auf eine objektiv unmögliche Leistung gerichtete Vertrag nichtig ist (§ 306 BGB), wenn die nachträgliche Unmöglichkeit und das nachträgliche Unvermögen - sind sie nicht zu vertreten - den Schuldner von seiner Leistungspflicht befreien (§ 275 BGB), wenn es Opfergrenzen bei anfänglichem Unvermögen gibt, so schuldet der Verpflichtete im Ausgangspunkt nicht mehr als die (jeweils) vertragsmäßige Sorgfalt 26 . 3. Die Folgerichtigkeit des Gesetzes und seine Fehlinterpretation durch Wieacker a) Läßt sich die Erfüllung allein mit dem Leistungseifolg verbinden?27 Ich setze den Fall, daß das Interesse des Gläubigers ohne eine Leistungshandlung des Schuldners befriedigt wird. Ist das Schuldverhältnis dann erfüllt und der Verpflichtete aus seiner Bindung entlassen (§ 362 BGB)? aa) Eine der möglichen Antworten hat sich bereits aus der einführenden Betrachtung über die verschiedenen Akzente der §§ 241 und 362 BGB herausgeschält 28 : Zufallige Ereignisse, die das Interesse des Gläubigers an der Leistung durch den Schuldner wegfallen lassen, schaffen eine ,,zweckerreichung", welche die Dogmatik trotz Eintritts des reinen Leistungserfolgs mit dem Gesichtspunkt 24 Seite 797 -98. 25 Ich begnüge mich insoweit mit der Kommentierung von Palandt / Heinrichs, a. a. 0 ., 2 b zu § 270. 26 Seite 800 - 04. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die abschließende Aussage (Seite 812): "Vielmehr zeigte eine Überprüfung des Leistungsanspruchs und der Unmöglichkeitslehre, daß der Schuldner nur ausnahmsweise und begrenzt für den Eintritt des Leistungserfolgs, in der Regel auch nicht für die Bewirkung der Leistungshandlung schlechthin, sondern oft nur für vertragsmäßige Sorgfalt einsteht." 27 So Wieacker, Heinrichs und Gernhuber, a.a.O. 28 Oben, 11 1 c.

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der nachträglichen Unmöglichkeit (der Leistungshandlung) i. S. des § 275 BGB bewältigt: Das abzuschleppende Schiff wird durch eine ungewöhnlich hohe Flut von selbst frei; der zu behandelnde Patient gesundet vor dem Eintreffen des Arztes; der angeforderte Krankenwagen wird überflüssig, weil ein des Weges kommender Arzt den Unfallverletzten in die Klinik gebracht hat usw. 29. bb) Eine zweite Spielart des Leistungs"erfolgs" ohne Leistungshandlung eines Erfolgs, der mithin auch keine "Erfüllung" des Schuldverhältnisses mit sich bringt - ist die vom Schuldner nicht veranlaßte Banküberweisung. Bilden wir den folgenden Sachverhalt: Ein Gläubiger erhält auf seine (bestehende) Forderung eine unbare Zahlung, für die der Schuldner, wie dem Gläubiger von Anfang an klar war oder nachträglich klar geworden ist, keinen Überweisungsauftrag gegeben hatte 30 • Die Verbindlichkeit ist in einem derartigen Fall nicht getilgt: Kein Bankkunde braucht es sich, ebensowenig wie ein anderer Schuldner, gefallen zu lassen, daß sein Gläubiger etwas als "Leistung" in die Tasche steckt, was zu dem betreffenden Zeitpunkt noch nicht - oder, weil der Schuldner aufzurechnen bzw. ein Zurückbehaltungsrecht auszuüben vermochte, überhaupt nicht - hat gezahlt werden sollen 31. Da es an einer Leistungshandlung fehlt, ist auf der Seite des Gläubigers auch keine Erfüllung zu verzeichnen. cc) Tritt der Leistungserfolg ohne eine ihm entsprechende Leistungshandlung ein, wenn ein "Dritter" die geschuldete Leistung erbringt (§ 267 BGB)? Meine Antwort fällt - auch hier wieder gegen Wieacker 32 - eindeutig verneinend aus: Denn wie soll eigentlich eine Verbindlichkeit "erfüllt" werden, wenn sich der Außenstehende nicht auf die Schuld bezieht - sei es, daß er expressis verbis, sei es, daß er schlüssig kundtut, "für" den Verpflichteten eintreten zu wollen? Ein Außenstehender kann zwar statt des Verpflichteten "die" Leistung bewirken, sofern sie keinen höchstpersönlichen Einschlag hat (§ 267 I BGB). Erforder29 Beispiele bei Köhler, Unmöglichkeit und Geschäftsgrundlage, a. a. 0., Seite 68, und bei Larenz, Allgemeines Schuldrecht, 14. Aufl., § 2 1 I c (Seite 315). 30 Ein Sachverhalt, über den das Reichsgericht im Jahr 1922 (Recht 1922, Nr. 1555) und der Bundesgerichtshof im Jahr 1976 (WM 1976, Seite 707/08) zu befinden hatten. 31 Darauf weisen Reuter / Marinek, Ungerechtfertigte Bereicherung (1983), § 11 III 4 b, aa, hin. 32 Festschrift f. Nipperdey, Bd. I, Seite 783/91: "Allein diese nähere Bestimmung des Weges der Erfolgsverwirklichung (man ergänze: durch ein Verhalten des Schuldners) ist so wenig eine unbedingte, daß § 267 Befriedigung durch Leistung eines Dritten gestattet, wo der Schuldner nicht in Person zu leisten hat, also überall dort, wo das Gläubigerinteresse nicht überhaupt durch ein Verhalten gerade dieses Schuldners verwirklicht werden kann. Das kann nur so gedeutet werden, daß im Systemzusammenhang der Erfüllungslehre das Element des Schuldnerverhaltens für den Leistungsbegriff prinzipiell außer Betracht bleibt."

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lich ist jedoch eine "auf das Schuldverhältnis bezogene Handlung" 33, will der Dritte wirklich für den Verpflichteten eintreten. Der Satz, für die Erfüllung komme es "nur" auf den Leistungserfolg an, ist auch hier ersichtlich falsch. Er müßte lauten: Die unerläßliche Leistungshandlung kann von dem Schuldner, sie kann - außer bei höchstpersönlichen Bindungen - auch von einem Außenstehenden getätigt werden, sofern er nur "für" den Schuldner eintritt. Ein Stahlwerk bedachte den Golf-Club, in dem einer seiner Betriebsdirektoren Mitglied war, mit einer als "Spende" bezeichneten Zuwendung von 30.000 DM. Mußte sich der Direktor einen vom Finanzamt geschätzten Teilbetrag von 5.000 DM auf das Gehalt anrechnen lassen? 34 Das Finanzamt wertete die Zuwendung in dieser Höhe als steuerpflichtiges Einkommen 35 . Es hatte Recht, wenn die Stahlwerke als Arbeitgeber ihren Betriebsdirektor von geschuldeten Club-Beiträgen 36 befreien wollten und diese Absicht auch gegenüber dem Empfänger der Spende zum Ausdruck brachten. Fehlt es an dieser, mindestens schlüssigen Zweckbestimmung, blieb die "Spende" - eine Spende, mithin eine Schenkung des am Clubleben interessierten Arbeitgebers 37 , die schuld- und steuerrechtlich allein dem Verein zugute kam. b) Fixiert auf den Leistungseifolg, läßt eine verbreitete Anschauung dies auch für das negative Gegenstück der Erfüllung, die Lehre von der unmöglich gewordenen Leistung (vor allem i. S. des § 275 BGB), gelten 38 . "Unter Leistung im Sinne des § 275", so drückt es der Palandtsche Kommentar apodiktisch aus, "ist der Leistungserfolg, nicht die Leistungshandlung zu verstehen."39 Die hier vertretene Auffassung, daß Leistungshandlung und -erfolg aufeinander bezogen sind und sich aus diesem Grunde der Begriff der "Leistung" erst in der Zusammenschau der beiden Akte erschließe, wird sich auch auf diesem Gebiet mit den Argumenten von Wieacker Punkt für Punkt auseinandersetzen.

aa)Wieacker entnimmt die Trennung zunächst der "Schlüsselnorm" des § 283 BGB: Der darin erwähnte Schadensersatzanspruch des Gläubigers wegen Nichter33 Larenz, Allgemeines Schuldrecht, 14. Aufl., § 14 11. 34 Sachverhalt eines Urteils des Finanzgerichts Münster vom 17.3.1972 (VII 1807/ 69 E), abgedruckt in der Deutschen Steuer-Zeitung (Eildienst) 1972, Seite 199. 35 Und zwar auf Grund des § 19 I, Nr. 1 EStG: ,,zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören 1. . . . andere Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden ... " 36 Das Urteil des Finanzgerichts erwähnt eine beim Eintritt in den Club zu entrichtende "Mindestspende" von 3.000 DM". 37 Das Finanzgericht entschied sich gegen die Zahlung "für" den Betriebsdirektor (ich ergänze i. S. des § 267 I BGB): Das Werk habe Wert darauf gelegt, daß in der Nähe des Firmensitzes die Möglichkeit für gehobene sportliche Veranstaltungen und Begegnungen geschaffen werde, um für leitende Angestellte und Geschäftsfreunde einen Ausgleich für die abgeschiedene Lage der Firma im Siegerland zu schaffen. 38 Wieacker, Heinrichs und Kramer, oben II, 2 b, bb) zu Fußnote 18. 39 49. Aufl., 2 d zu § 275 (bearbeitet von Heinrichs).

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füllung beziehe sich allein auf den ausgebliebenen Leistungserfolg; ob der Schuldner nicht habe leisten können oder nicht habe leisten wollen, sei gleichgültig 4O • Da sich eine rationale Auseinandersetzung über den Sinn der zitierten Norm m. E. nur mit Hilfe eines einleuchtenden Beispiels führen läßt, sei der Standpunkt Wieackers an Hand eines Auszugs aus dem Bundesanzeiger vom 29.10.1987 überprüft. Hier wird eine der nach meinen Erfahrungen häufigen 41 Klagen auf Rückgabe gemieteter oder entliehener Gegenstände öffentlich zugestellt 42 • Der Beklagte soll nach dem Inhalt der Klage innerhalb von vier Wochen nach Rechtskraft des amtsgerichtlichen Urteils eine Reihe von Gegenständen zurückgeben. Nach dem Ablauf der Frist will die Klägerin die Annahme ablehnen und stattdessen eine Schadensersatzsumme von 987 DM verlangen. Der Akt der Rückgabe läßt sich hier nicht von den dahin führenden Handlungen des verurteilten Schuldners oder eines an seiner Stelle tätigen Dritten isolieren: Der Beklagte H. Seedorf (oder ein Dritter) soll die ihm überlassenen Sachen zurückbringen und die Klägerin durch diese Leistungshandlung befriedigen. In dem zwar vorstellbaren, aber kaum praktischen Fall, daß sich die Gläubigerin die Gegenstände selbst verschafft, ist im Unterschied zur Erfüllung nur der Zweck des Schuldverhältnisses erreicht, die "Leistung" des verurteilten Schuldners mithin unmöglich geworden. Ist die Frist zur Erfüllung abgelaufen, so wird nach der einen Auffassung unwiderlegbar vermutet, daß der Schuldner die Leistungshandlung nicht mehr vorzunehmen und demzufolge auch den Leistungseifolg nicht mehr zu bewirken vermag 43 , während eine andere Deutung den Akzent auf den Wegfall des Interesses des Gläubigers an der immer noch A. a. 0., Seite 793-94. Die mir vorliegenden Auszüge aus dem Bundesanzeiger, veröffentlicht in den Jahren 1986-1988, beziehen sich auf die Herausgabe von technischen Geräten (Fernseher, Video-Recorder, Kaffeemaschinen, Kühlschränken), Videokassetten, von Einrichtungsgegenständen, Bekleidung und sogar von Genußmitteln, wie es der nachfolgende Auszug erkennen läßt. 42 "Amtsgericht Bremen 12 C 298/86: Frau Christel Francisco-Herbst, Bodenheimer Str. 94, 2800 Bremen, Antragstellerin, Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte Joester pp., 2800 Bremen, klagt gegen Herrn H. Seedorf, zuletzt wohnhaft gewesen: Schwarzer Weg 58-60, 2800 Bremen, unbekannten Aufenthalts, Antragsgegner, wegen Herausgabe. Es ist folgendes beantragt: 1. Den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin einen tragbaren Fernseher, hellmetallic, eine Steppdecke, diverse abgepackte Teesorten, 1 Paar schwarze Herrenstiefel Gr. 43 und eine schwarze Umhängetasche herauszugeben; 2. dem Beklagten wird zur Herausgabe eine Frist von 4 Wochen nach Rechtskraft des Urteils gesetzt, nach deren Ablauf die Klägerin die Leistung ablehnt; 3. der Beklagte wird verurteilt, nach fruchtlosem Fristablauf DM 987,- zuzügl. 4 % Zinsen ab Rechtshängigkeit zu zahlen." 43 So die Gesetzesmaterialien (Mugdan, Bd. II, Seite 29 Motive); RG JW 1911, Seite 36, Nr. 16; RG Recht 1924, Nr. 163; Palandt/Heinrichs, a.a.O., 1 b zu § 283. 40

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möglichen oder als möglich unterstellten Leistung (als Leistungshandlung und -erfolg) legt 44 • Das m. E. von der jeweiligen Sachlage abhängige Verständnis 45 im Sinne der vermuteten Unmöglichkeit oder Möglichkeit der Erfüllung (diese jedoch verbunden mit dem Wegfall des Interesses des Gläubigers) trennt den Schadensersatzanspruch weder in der einen noch der anderen Spielart des Falles von der ausgebliebenen Leistungshandlung des verurteilten Schuldners. Die "Schlüsselnorm" des § 283 BOB widerlegt also nicht den Sinnzusammenhang zwischen Handlung und Erfolg, der sich, wie im folgenden gezeigt sei, auch in der Lehre von der Unmöglichkeit einer "Leistung" behauptet. bb) Die Einsicht, daß sich in dem Unvermögen des Schuldners als subjektiver Unmöglichkeit der "Leistung" (§ 275 11 BOB) wiederum (die unterbliebene) Leistungshandlung und (der auf diese Weise ausgebliebene) -eifolg verbinden, läßt sich schon aus dem Begriff des "Unvermögens" gewinnen: Der Schuldner kann nicht so handeln, daß die von ihm geforderte Erfüllung (i. S. des Leistungserfolgs) eintritt. Eine geschäftstüchtige Frankfurterin nutzte die Wohnungsnot in dieser Stadt "schamlos", wie ihr die Staatsanwaltschaft später vorwarf, aus, um ihr Ein-Zimmer-Appartement sechzehnmal zu vermieten und sich beim Abschluß eines jeden Vertrags eine Kaution von 1.200 DM sowie einen Abstand für Einrichtungsgegenstände zahlen zu lassen 46. In dem Augenblick, in dem sie den Vertrag gegenüber einem Interessenten durch Überlassung des Gebrauchs an den Räumen und Übereignung der verkauften Möbel erfüllte, machte sie sich die "Leistung" gegenüber den fünfzehn Konkurrenten des privilegierten Mieters unmöglich. Das hier beschriebene Unvermögen des Schuldners schlägt eine Brücke zur Spielart der sog. (objektiven) Unmöglichkeit, begrifflich zu bestimmen als allge44 Heck, Grundriß des Schuldrechts (1929), § 33, 12; Staudinger / Löwisch, 12. Auf!. (1979),2 zu § 283, mit weiteren Nachweisen. 45 Warum gibt der Beklagte H. Seedorf die im Klageantrag zu 1) aufgeführten "diversen abgepackten Teesorten" nicht heraus? Ich kann mit seine Untätigkeit nicht anders erklären, als daß er den Tee aufgetrunken oder weggeworfen hat. Mit einer auf den Verzug hinweisenden Sachlage hatte es das RG JW 1911, Seite 36/ 37, zu tun, wo es im Hinblick auf ein zurückzuerstattendes Rittergut heißt: "Der Umstand, daß der Beklagte das von ihm herauszugebende Gut verkauft hat, steht seiner Verurteilung zu dessen Rückgabe nicht entgegen. Es muß trotz des Verkaufs mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß der Beklagte sich zu der Zeit, zu der er die Rückgewähr zu vollziehen hat, das Gut wieder verschafft ... " Bedenkt man, weIche Zeit die Auseinandersetzung des Schuldners mit einem Käufer von Immobilien in Anspruch nehmen kann, ist auch nach Ablauf der vom Kläger und Gläubiger dem Beklagten und Schuldner gesetzten Frist eher der Wegfall des Interesses des Gläubigers an der Leistung als deren Unmöglichkeit anzunehmen. Ist nicht wegen der Verschiedenheit der Umstände dem Urteil von K. Schmidt zuzustimmen, daß tiefergehende theoretische Überlegungen über die Einordnung als Verzugsoder Unmöglichkeitsregel wertlos seien (ZZP Bd. 87, 1974, Seite 49/76)? 46 Nach einer Meldung der "Kieler Nachrichten" vom 23.2.1979.

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meine Unerfüllbarkeit der übernommenen oder gesetzlich auferlegten Verpflichtung, bei der, wie es Wieacker sieht, das Verhalten des Schuldners "schon per definitionern" außer Betracht bleibt 47 • Stimmt das? Das Gelsenkirchener "Musiktheater im Revier" mußte die für den Monat Mai 1988 vorgesehene Uraufführung der Oper "Katharina Blum" nach einem ersten Anlauf im Sommer 1986 erneut absagen, weil der Komponist Tilo Medek die Partitur bis dahin nicht abgeliefert hatte. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", der diese Nachricht zu entnehmen ist 48 , fügt hinzu: "Ob ein dritter Anlauf unternommen wird, das Werk auf die Bühne zu bringen, steht noch nicht fest, da Intendant Mathias Weigmann zum Ende der Spielzeit das Haus verläßt." Man gehe davon aus, daß die Partitur bis heute nicht fertiggestellt wurde, so daß das Werk des Komponisten und die Aufführung der Oper endgültig gescheitert sind. Kann man in diesem Fall und in gleich liegenden Sachverhalten den ausgebliebenen Leistungserfolg von der Leistungshandlung (hier dem Komponieren der Oper) isolieren? Die Auswertung des Beispiels zeigt: Die Leistungshandlung in Gestalt der Komposition und der Aufführung einer Oper "Katharina Blum" ist jedermann - und auch dem Schuldner - unmöglich geworden. Damit ist auch der Leistungseifolg, der Kunstgenuß des Publikums, im ganzen vereitelt. cc) Die allein auf den Erfolg bezogene Lehre Wieackers von der Unmöglichkeit der Leistung schließt mit der These in der Wiedergabe des Palandtschen Kommentars 49 : "Unter Leistung im Sinne des § 275 BGB ist der Leistungserfolg, nicht die Leistungshandlung zu verstehen. Unmöglichkeit liegt daher auch dann vor, wenn zwar die Leistungshandlung an sich weiterhin möglich ist, sie aber den Leistungserfolg nicht mehr herbeiführen kann." Was mit diesen Aussagen gemeint ist, machen die angeführten Schriftsteller

Wieacker, Heinrichs und Kramer 50 klar. Ich greife zur Verdeutlichung ein Beispiel bei Larenz heraus 51 , der die Frage stellt, ob die Unerreichbarkeit des Leistungserfolgs unter dem Gesichtspunkt der "Unmöglichkeit" behandelt werden kann:

,,Ein Student hat sich verpflichtet, einem Schüler während der Ferien am Ferienort Nachhilfestunden zu geben. Der Schüler erkrankt zu Beginn der Ferien und kommt daher nicht an den Ferienort. " Die bejahende Antwort, mit der Larenz diese Frage bescheidet, beweist nicht, daß eine mögliche Leistungshandlung bei unmöglich gewordenem Leistungserfolg sinnvoll angenommen werden kann. Denn wenn die Leistung (als Handlung und Erfolg) eine sinnvolle Wertbewegung darstellt, so wird die Leistungshand47 48 49

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A. a. 0., Seite 794. Ausgabe vom 30.1.1988. 49. Aufl., 1 d zu § 275, bearbeitet von Heinrichs (Hervorhebung durch Verfasser). Oben 11 2 b, bb) zu Fußnote 38-39. Allgemeines Schuldrecht, 14. Aufl., § 21 I c (Seite 312).

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2. Teil: Leistungshandlung und Leistungserfolg

lung bei dem Fehlen der Person oder der Sache, im Hinblick auf die der Schuldner tätig werden soll (das sog. "Leistungssubstrat"), gegenstandslos, mithin praktisch wie rechtlich unmöglich. Der unerreichbare Leistungserfolg zieht die Unmöglichkeit der Leistungshandlung nach sich. Dieser Zusammenhang zeigt sich gerade im menschlichen Umgang: bei der ärztlichen Behandlung, der rechtlichen Beratung und im Unterricht. Ein Nachhilfelehrer, der gegen die kahle Wand reden soll, scheitert an seiner Aufgabe in gleicher Weise wie der Hochschullehrer in einem leeren Auditorium. Ohne den Austausch von Rede und Gegenrede, ohne das Fluidum der Anregung und der Aufnahme der Gedanken (sog. "feedback") ist der Unterricht wie die Wissenschaft tot und in dieser das Wesen geistiger Tätigkeit erfassenden Bedeutung - sofern nicht nachholbar 52 - unmöglich 53. Nicht anders verhält es sich mit einem Unternehmer, der ein Schiff bergen oder ein Fahrzeug abschleppen soll und eine leere Stelle antrifft: Was soll sein Einsatz hier noch bewirken? c) aa) Die gesetzliche Regelung und Lehre vom Leistungs-oder Erfüllungsort stellt die hier für richtig gehaltene Zusammenschau der beiden Akte noch mehr als bisher geschehen auf die Probe: Man bemerke doch die in § 269 III, in § 270 IV und in § 447 I BGB gemachten Vorbehalte, wonach die Übernahme der Versendungskosten nicht bestimme, daß der Ankunftsort "der Leistungsort sein soll" (§ 269 III BGB), der Leistungsort bei der Geldschuld als Schicksehuld "unberührt bleibt" (so § 270 IV BGB) oder daß der Verkäufer die Sache beim sog. Versendungskauf "nach einem anderen Orte als dem Erfüllungsorte" versendet (so § 447 I BGB), um sich zu fragen: Gilt nicht "per definitionern", daß die Schicksehuld die beiden Akte der "Leistung" voneinander trennt? Wenn also, so müßte man daraus folgern, der Schuldner an dem einen Ort handelt und der Gläubiger die "Leistung" an einem anderen empfangt, ist dann nicht nur die Trennung der beiden Teile erwiesen, sondern auch klargestellt, daß der "Leistungs"ort die Leistung als Leistungshandlung versteht? Den Akzent, gesetzt auf die Handlung, rückt der Begriff des "Erfolgsorts" 54 indessen wieder zurecht: Den Anschein, daß der Schuldner nur am Erfüllungsort "abschließend"55 tätig zu sein brauche, widerlegt eine schon dargestellte Erkenntnis 56: Die sog. Schicksehuld ist eine in ihren Anforderungen gemilderte Bring52 Larenz, Schuldrecht, Besonderer Teil, 13. Auf!. (1986), Band II/l, § 52 II b (Seite 319) macht zutreffend darauf aufmerksam, daß der Annahmeverzug des Gläubigers die

Leistung häufig unmöglich mache. Es ist m. E. ein besonderes Entgegenkommen, wenn ein Lehrer oder Dozent die von dem Schüler oder den Hörer versäumten Stunden noch einmal anbietet. Ob er dazu verpflichtet ist, wird von seiner Belastung abhängen. 53 Die Verlegenheit des Palandtschen Kommentars verrät die abstrahierende Wendung, die Leistungshandlung sei "an sich" weiterhin möglich. 54 Larenz, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 14. Auf!., § 14 IV a: Es ist der Erfolgsort, an dem die Schuld "erst erfüllt wird". 55 Larenz, a. a. 0.: Der Leistungs- oder Erfüllungsort ist der Punkt, an dem der Schuldner "zwecks Erfüllung abschließend tätig zu werden hat."

H. Verwendet das Gesetz den Begriff "Leistung" willkürlich?

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schuld, die den Verkäufer einer zu versendenden Sache oder den Schuldner finanzieller Verpflichtungen bis an den sog. "Erfolgs ort" begleitet und ihn dazu anhält, wenn nötig auch dort noch "abschließend" tätig zu sein 57. Alles dieses ist zum ersten Mal in einer weithin vergessenen Schrift von F. Leonhard ausgeführt 58 . Leonhard weist nach, daß die heutige Auffassung, "Leistungs"ort sei bei der Schick schuld der Wohnsitz des Schuldners, auf einem Mißverständnis der römischen Quellen beruht 59, für die der Erfüllungsort ("locus ubi petitur") der Punkt sei, der das rechtliche Schicksal der Schuld, u. a. ihre Klagbarkeit, festlege. Für Leonhard gilt 60 : "Man nahm das 'ibi dari oportet'61 wörtlich in dem Sinne, daß dort wirklich zu leisten sei ... Die größten Schwierigkeiten mußten dieser Lehre beim Versendungsgeschäft erwachsen. Denn die wirkliche Erfüllung kann eben nicht am Leistungsort als dem Klageort erfolgen, sondern z. B. beim Kaufe erst am Wohnsitz des Käufers." Sachlich damit übereinstimmend führt eine der ersten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs aus 62: "Daß bei einem Versendungskauf der Verkäufer seine Vertragspflicht zur Übergabe der Kaufsache nicht schon dadurch erfüllt, daß er die gekaufte Sache an den Bestimmungsort versendet, sondern erst dadurch, daß er sie am Bestimmungsort dem Käufer übergibt oder ihn in den Stand setzt, sie an sich zu nehmen, hat bereits der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone angenommen ... Ihm ist beizutreten." bb) Obwohl die Schickschuld zur "Leistungs"-Handlung am -Erfüllungs- und am Erfolgsort anhält, ist der Erfüllungsort i. S. der §§ 269 III, 270 IV und 447 I BGB nicht ohne Bedeutung: Er ist der Ort, dessen Eigenart sich auf das Schuldverhältnis überträgt, an dem es plastisch ausgedrückt, seinen "Sitz" oder "Schwerpunkt" hat, der seinerseits den Gerichtsstand (§ 29 ZPO), das anzuwendende Recht sowie Handelsbrauch und Verkehrs sitte bestimmt. cc) Es ist wissenschaftlich nicht ohne Interesse, daß sich Leonhard schon im Jahre 1905 der Rechtstatsachenforschung bediente, um, wie er abschließend 56 Oben II 1 b, aa). 57 Einen anschaulichen Sachverhalt behandelt ein Urteil des Reichs-Oberhandelsgerichts vom Jahre 1874 (E 18, 353): 100 Säcke Erbsen wurden wegen einer Verkehrsstokkung fast zwei Monate auf einem Berliner Güterbahnhof festgehalten. Schutzlos der Witterung preisgegeben, verdarben sie zum größten Teil. Das Urteil verpflichtet den Verkäufer, den Käufer zu benachrichtigen und alles zu tun, um die Ware vor dem Verderb zu bewahren (Seite 356). 58 Erfüllungsort und Schuldort (1907). Praktisch wiederbelebt durch Gemhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate (1983), § 2 I I, Fußnote 3. 59 A. a. 0., Seite 24: ,,Aber diese Lehre (daß der Gerichtsstand durch den Erfüllungsort bestimmt wird) war unvereinbar mit der römischen Lehre, wonach sich umgekehrt der Erfüllungsort nach dem Ort der Klage bestimmt ... " 60 A. a. 0., Seite 25. 61 Wo also der Schuldner tätig werden muß. 62 BGH 1,4/6 vom Jahre 1950.

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2. Teil: Leistungshandlung und Leistungserfolg

folgert, "Schuldort und Vollzugsort scharf zu scheiden - anstatt sie unter dem verhüllenden Mantel des Begriffes Leistungsort zu vermengen."63 Die Antwort auf seine Umfrage bei verschiedenen Handelskammern 64 bestätigte seine Erkenntnis: Der "Erfüllungsort" bezeichne den Schwerpunkt des Schuldverhältnisses, der "Vollzugsort" den Platz, an dem - wie etwa im Baugewerbe, bei der Herstellung von Heizungs-, Lüftungs- und Energieversorgungsanlagen - der Schuldner "handelt", also zum Leistungseifolg hin tätig werde. d) Läßt man die Lehre von der Erfüllung und ihrem Gegenstück, der Unmöglichkeit der "Leistung", läßt man die Ergänzung des "Leistungs"orts durch den Erfolgsort auf sich wirken, so erscheinen Leistungshandlung und -erfolg überall als eine sinnvolle Einheit. aa) In sie legt sich allerdings in einem Fall, dem der "rechtzeitigen" Erfüllung einer Geldschuld i. S. des § 270 I BGB 65, eine vordergründige Distanz. ,,Nach der herrschenden Meinung in der zivilrechtlichen Rechtsprechung genügt es für die Rechtzeitigkeit der Leistung bei Überweisungen im Bankgiroverkehr, daß der Überweisungsauftrag vor Ablauf der Zahlungsfrist bei der Überweisungsbank eingegangen ist, weil der Schuldner das seinerseits für die Leistung Erforderliche getan hat ... ", so liest man in der jüngsten zur Frage Leistungshandlung und erfolg im Hinblick auf die Leistungszeit gef31lten Entscheidung 66 • Die Kette der Urteile, die diesen Satz in zahlreichen Wendungen weiterreichen, läßt sich bis auf das Jahr 1909 67 und, sofern man die Bindung der Geldschuld an den Wohnort des Schuldners ins Auge faßt, sogar bis auf den ersten Band der reichsgerichtlichen Urteile zurückverfolgen 68. Es nimmt aus diesem Grunde nicht Wunder, daß die Frage "Leistungshandlung

und Leistungserfolg?" hier als abgetan gilt: Der Akzent liegt bei einer unbaren

Leistung auf dem Überweisungsauftrag oder der Übergabe eines Schecks "allgemeine Meinung" 69.

63 A. a. 0., Seite 182. 64 Seite 184 ff. Die Umfrage beginnt am 11.12.1905 (Seite 183). 65 Die für die Herausgabepflicht eines Beauftragten (§ 667 BGB) erarbeiteten Verschiedenheiten beziehen sich auf die Gefahr des Verlustes einer Geldsendung, für den hier nur bei Verschulden gehaftet werde (näher dazu Coing, JZ 1970, Seite 245, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). Ob eine solche Sendung ,,rechtzeitig" geleistet worden ist, beantwortet sich nach dem Zeitpunkt der Fälligkeit und ihrem Charakter als Hol- oder Bringschuld. Leistungs-, d.h. Handlungsort, ist m. E. die Stelle, an der die Geschäfte geführt werden. 66 BFH WM 1986, Seite 631. Es ging hier um die bürgerlich-rechtliche Vorfrage, in welchem Zeitpunkt Zinsen und Bearbeitungsgebühren "geleistet" wurden und damit als Werbungskosten absetzbar waren. 67 RG Recht 1909, Nr. 2231. Eine ausführliche Begründung erfährt dieser Standpunkt in RG 78, 137/40 f. 68 RG 1,438/45-46 vom Jahre 1880. 69 Palandt / Heinrichs, 49. Aufl., 2 b zu § 270. Unbeweisend in diesem Zusammenhang die Darlegungen von Wieacker, a. a. 0., Seite 797 - 98, der die Geldschuld übergeht und allgemein den Eintritt des Leistungserfolgs für entscheidend hält.

11. Verwendet das Gesetz den Begriff ,,Leistung" willkürlich? Dafür spricht eben das Gesetz -

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§ 270 IV BGB.

bb) Der Blick auf die Tätigkeit des Schuldners im Zusammenhang mit der Leistungszeit ist m. E. weniger dogmatisch als interessenbedingt: Es soll nach Möglichkeit verhütet werden, daß ein Kapital von 43.600 Goldmark kraft einer kassatorischen Klausel vorzeitig fallig wird, weil der Darlehensschuldner Zinsen statt am 11. April eines bestimmten Jahres einen Tag später begleicht 70, daß ein erheblicher Unfall schaden ohne Versicherungsschutz bleibt, weil die Erstprämie auf dem Konto des Haftpflichtversicherers statt um 13.50 Uhr - dem Zeitpunkt des Haftpflichtschadens - um 14.00 Uhr verbucht wird 71. Bei unbaren Zahlungen hat der Schuldner eben geringen Einfluß auf die Ausführung seines Auftrags, d.h. auf die Lastschrift bei der einen und die Gutschrift der anderen Seite 72 • Auf der gleichen Linie liegt es, daß sich die "angemessene" Nachfrist i. S. des § 326 BGB, die etwa den Käufer von Zellstoff zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt, nach der Leistungshandlung bemessen soll und der Leistungserfolg, das Eintreffen der Ware beim Käufer, dabei außer Betracht bleibt 73 . Ein Geschäft über 2.100 m Zellstoff soll nach Möglichkeit nicht an einer Fristüberschreitung von fünf Tagen scheitern. ce) Trotzdem sind die Aussagen: "Die Übermittlung des Geldes gehört nicht mehr zur Leistung des Schuldners"74 oder: Der Verkäufer habe bei einer Schicksehuld die Leistung schon dann bewirkt, "wenn er die ihm obliegende Leistungshandlung vollzogen hat" 75, mißverständlich und nur im Zusammenhang der "Leistungszeit" oder der "angemessenen Nachfrist" mit dem Nachsatz richtig: " ... vorausgesetzt, daß der geschuldete Betrag später beim Gläubiger tatsächlich eingeht oder seinem Konto gutgeschrieben wird ..."76. Vordersatz und Nachsatz lassen erkennen, daß auch die Leistungszeit einer Geldschuld und die Beurteilung von Fristen die - freilich gestreckte -Zusammenschau der heiden Akte nötig macht, sofern nicht nur der Zeitraum, sondern auch die Erfüllung in Frage steht. e) Es ist schließlich auch im Hinblick auf die These, der Schuldner habe nur für "vertragsmäßige Sorgfalt einzustehen"77, an der unverbildeten Zusammenschau der beiden Akte festzuhalten: Die "Leistung" als Handlung und Erfolg entscheidet in den Fragen der Schuld und ihrer Erfüllung. Verbunden mit der Anwendung der Gegennormen 78 der 70 So der Sachverhalt des Urteils RG 78, 137/38. 71 So der Sachverhalt des Urteils BGH WM 1964, Seite 113. 72 Ein handgreifliches Beispiel aus der Zeit nach dem Inkrafttreten der Währungsunion der beiden deutschen Staaten: Überweisungen von der DDR in die Bundesrepublik nehmen "viele Wochen" in Anspruch; "mit der Postkutsche wäre das Geld schneller da" (,,Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 8.9. 1990). 73 BGH 12, 267. 74 BGH, WM 1964, Seite 113. 75 BGH 12,269. 76 BFH, a. a. O. 77 Wieacker, a.a.O., Seite 812.

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2. Teil: Leistungshandlung und Leistungserfolg

§§ 275 und 276 BGB 79 lenkt sie zwar den Blick der Parteien und des Gerichts auf die "verkehrserforderliche Sorgfalt" i. S. des § 276 BGB als möglichen Befreiungsgrund. Aber auch in dieser Verteidigung stellt sich die Unmöglichkeit der "Leistung" als Handlung und Erfolg dar.

Der Beklagte H. Seedorf kann den Fernseher der Klägerin, ihre Steppdecke, die schwarzen Herrenstiefel usw. nicht mehr herausgeben (Leistungshandlung) und damit an die Klägerin gelangen lassen (Leistungserfolg), weil ihm diese Gegenstände anläßlich eines Einbruchs in seine Wohnung gestohlen wurden.

4. Welchen Gewinn bringt das Begrijfspaar "Leistungshandlung - Leistungserfolg "? Die Erkenntnis, daß im gesetzlichen Begriff der "Leistung" das Bemühen des Schuldners und die Befriedigung des Gläubigers ungeschieden enthalten sind, läßt den Juristen die Normen des BGB vom Allgemeinen Teil 80 bis hin zum Erbrecht 81 mit wachen Augen lesen. Wenn sich die "Leistung" aus zwei Akten zusammensetzt, darf er über den Wortlaut der Vorschriften nicht mehr hinweggehen, sondern hat den jeweils gemeinten Sinn zu erforschen: Gilt im Ausgangspunkt die ,,Leistung" als Handlung und Erfolg oder ausnahmsweise, wie im Zusammenhang mit der Einhaltung von Fristen, das bloße Bemühen, sofern sich mit ihm später ein Erfolg verbindet? Daß sich ein Begriff wie die "Leistung" aus zwei Bestandteilen zusammensetzt, mithin zwei Betrachtungen in sich vereinigt, ist keine Schwäche des gesetzlichen Ausdrucks, sondern weist auf den leitenden Gedanken dieser Studie hin: Daß Gläubiger und Schuldner in einem "Verhältnis" zueinander stehen, kraft dessen der Einsatz der einen und die Befriedigung der anderen Seite aufeinander bezogen sind.

78 Zum Begriff der "Gegennorm": A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, Erkenntnisverfahren, 2. Aufl. (1985), § 59 I 3 a. 79 Die Vorschrift des § 276 gewinnt ihre Bedeutung nur im Zusammenhang mit der sekundären Pflicht, Schadensersatz wegen Verzuges, Unmöglichkeit der Leistung oder Schlechterfüllung zu leisten. 80 § 194: Das Recht, von einem anderen ein "Tun oder ein Unterlassen zu verlangen". 81 § 2174: Durch das Vermächtnis wird für den Bedachten das Recht begründet, von dem Beschwerten die "Leistung" des vermachten Gegenstandes zu fordern.

Dritter Teil

Leistung und Erfüllung: Bedarf es einer besonderen Erklärung, um ein Schuldverhältnis an das in ihm angelegte Ziel zu bringen? I. Die Zuordnung einer Leistung zur Verbindlichkeit und der Akt der "Erfüllung" J. Der Streit der Erfüllungstheorien: Gegensätze kraft sachlicher Unterschiede oder nur kraft anders gesetzter Akzente?

a) Das Schuldverhältnis lebt nicht endlos und nur selten über Jahrzehnte hinweg 1, gerade wenn man diese Aussage den nüchternen und kurzfristigen Vorstellungen des Wirtschaftslebens unterwirft, dem es in aller Regel dient und seine Existenz verdankt. Es ist darauf angelegt, den Gläubiger zu befriedigen und durch die "Erfüllung" sein vorher bestimmtes, natürliches Ende zu finden. Eine Verpflichtung "erfüllen" heißt: durch die Leistung die im Schuldverhältnis enthaltenen vertraglichen Zusagen oder gesetzlichen Gebote einlösen. Die Erfüllung hebt damit auch die im Schuldverhältnis angelegte Spannung auf, sie läßt geistige Gegebenheiten zu greifbaren Wirklichkeiten werden und befördert so den Kreislauf wirtschaftlicher und ideeller Güter. Können diese Ziele nicht erreicht werden, sorgen die Normen der "ungerechtfertigten", von der Erfüllung eben nicht begleiteten, Bereicherung für die Rückerstattung der geleisteten Werte 2 •

1 Dauerschuldverhältnisse wie eine Wohnungsmiete, die sich dank der Fortsetzung durch zwei Generationen - über fünfzig oder gar fünfundsiebzig Jahre hinweg - mit dem Leben ihrer Bewohner verwoben haben, werden dennoch täglich, monatlich und jährlich "erfüllt": Der Vermieter "beläßt" etwa der heute zweiundachtzigjährigen Mieterin den Gebrauch einer Wohnung. Ist er vertragstreu, so hält er sich - wenn abweichende Regelungen fehlen - an die Ordnung, die trotz mancher unerfreulicher Erscheinungen immer noch Verkehrs sitte ist: Er sorgt für Heizung, Be- und Entwässerung, für die Reinigung des Treppenhauses und die anfallenden notwendigen Reparaturen. Die Mieterin hat sich ihrerseits mit dem monatlichen Abruf der Miete von ihrem Konto einverstanden erklärt. Das Material entnehme ich den Berichten der lokalen Presse, in diesem Fall den "Kieler Nachrichten" vom 28. 1. und 2.11. 1988 sowie vom 26.3.1989.

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3. Teil: Leistung und Erfüllung

b) Die ,,Leistung", die zur Erfüllung führt, vereinigt in sich, wie bereits dargestellt3, die Leistungshandlung und den Leistungserfolg. Muß aber die Leistungshandlung als zwischenmenschlicher, mithin sinnvoller Vorgang 4, noch von einem besonderen Akt - einem Tilgungsvertrag zwischen Gläubiger und Schuldner oder wenigstens einer einseitigen Tilgungsbestimmung des Schuldners - begleitet sein, um den geschuldeten Gegenstand zu "leisten" und die wirtschaftliche, meistens auch die psychologische Bewegungsfreiheit des Schuldners wiederherzustellen? Das zusätzliche Erfordernis des Tilgungsvertrags oder der Tilgungsbestimmung ist ein Merkmal am Rande des Leistungsbegriffs, das deshalb nicht in allen Einzelheiten behandelt werden darf 5 • Es kann freilich nicht mit Stillschweigen übergangen werden, weil eine verfehlte Erfüllung die Rückgabe der Leistung aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung zur Folge hat. Die einzelnen Meinungen zum Erfüllungsvertrag und zur Zweckbestimmung nackt, wie sie uns als sog. "Theorien" begegnen, nebeneinander zu stellen, halte ich für wenig sinnvo1l 6 • Dem Kundigen bietet die Aufzählung nichts Neues, dem Unkundigen nichts Begreifbares, weil sie die hinter den Theorien stehenden grundsätzlichen Auffassungen über den Einfluß des Partei willens auf das Schuldverhältnis nicht aufdeckt. c) Als "überwiegend" gibt sich die sog. Theorie der "realen Leistungsbewirkung"7. Sie besagt 8 : Ist der Bezug auf eine Verpflichtung offenkundig, so vollzieht sich die Erfüllung allein durch eine Leistungshandlung des Schuldners (gegebenenfalls seiner Erfüllungsgehilfen oder eines für ihn eintretenden Dritten), die den Leistungserfolg herbeiführt. Begleitende Erklärungen des Schuldners oder gar ein Befreiungsvertrag mit dem Gläubiger sind mithin unnötig, sofern das Faktum der Leistungshandlung durch seinen Sinn für sich spricht. 2 Ein Lübecker Bürger hatte fünf Jahre lang die Rente seiner toten Mutter kassiert und sich einen Betrag von insgesamt 105.000 DM überweisen lassen ("Kieler Nachrichten" vom 1. 7.1988). Da das Versicherungs- und Versorgungsverhältnis der Mutter, einer früheren Angestellten und Beamtenwitwe, mit ihrem Tod im Jahre 1983 erloschen waren, konnten die Zahlungen der Bundesversicherungsanstalt und des Landesbesoldungsamts Schleswig-Holstein keine "Erfüllung" i. S. des § 362 BGB herbeiführen. Der Sohn hatte die Überzahlungen ohne Abzug, jedoch mit den gezogenen und nicht gezogenen Zinsen zurückzuerstatten: § 812 I BGB - allerdings nur in entsprechender Anwendung auf den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch (§ 99 11 des Landesbeamtengesetzes Schleswig-Holstein in Verb. mit § 52 11 des Beamtenversorgungsgesetzes und § 50 I SGB X). 3 Oben 2. Teil, I 1 - 2 und 11 1 a-b. 4 Oben 1. Teil, 11 4 und 6 c. 5 Nicht behandelt sind in diesem Zusammenhang die sog. Erfüllungssurrogate, die Leistung an den nicht voll geschäftsfähigen Gläubiger und die Erfüllung unter Vorbehalt - Fragen, die in dem Handbuch von Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, § § 8 - 15, ihre Beantwortung finden. 6 Wer sich umfassend über den Streit der Meinungen belehren lassen will, vertraue sich dem angeführten Handbuch von Gernhuber, § 5 11, an. 7 Larenz, Allgemeines Schuldrecht, a. a. 0., § 18 I 5 (Seite 238). 8 Larenz, a. a. O.

I. Die Zuordnung der Leistung zur Verbindlichkeit

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Die Leistungshandlung muß allerdings in jeder Hinsicht der Verpflichtung entsprechen: Der Schuldner muß am richtigen Ort, vollständig und in der richtigen Art und Weise geleistet haben, um befreit zu werden.



d) In den folgenden Ausführungen werde ich untersuchen, in welchem Maße die Meinungsverschiedenheiten über die Erfordernisse einer "Erfüllung" sachliche Unterschiede mit praktischen Auswirkungen und nicht nur anders gesetzte Akzente in der Beobachtung und Deutung des Leistungsvorgangs wiedergeben. Den mit der Leistung (genauer: der Leistungshandlung) als zwischenmenschlichen und rechtlichen Vorgang verbundenen Sinngehalt bringt die sog. "Vertragstheorie"9 am deutlichsten, die als überwiegend bezeichnete Theorie der ,,realen Leistungsbewirkung" dagegen am schwächsten zum Ausdruck. Welche Anschauungsweise die jeweilige Sachlage am besten erhellt, läßt sich jedoch nicht, wie bereits angedeutet, im leeren Raum der Theorien entscheiden 10; es bedarf greifbarer Gegebenheiten, um den Überlegungen die Bahn zu weisen.

2. Die Erfüllung eines Vermächtnisses als Anwendungsfall der Vertragstheorie a) Ein Formularbuch der sog. Kautelarjurisprudenz, der vorsorgenden Rechtspflege insbesondere der Rechtsanwälte und Notare, schlägt für die Auflassung eines Grundstücks zur Erfüllung eines Vermächtnisses den folgenden Text vor ll : "Auflassung (im Vermächtniserfüllungsvertrag) §1

... Die Erschienenen nehmen auf das eigenhändige Testament des Herrn Wilhelm A. vom 7.9.1978 Bezug ... Herr A. ist am 5.4.1982 verstorben ...

9 Ich begnüge mich an dieser Stelle mit einer Stimme aus jüngerer Zeit: Fikentscher, Schuldrecht, 7. Aufl. (1985), § 38 II 3 b. In aller Regel müßten sich Gläubiger und Schuldner darüber einig sein, daß die Leistung eine bestimmte Verpflichtung tilgt: "Der Tilgungswille (zu ergänzen: des Schuldners) besteht in dem Bewußtsein der Tilgung und ihrer Billigung" (ich ergänze: der Tilgung durch den Gläubiger). Diese von Fikentscher vertretene Anschauung bezieht sich aber nur auf Leistungen in Gestalt eines Vertrags, wie sie die Übereignung, die Abtretung oder die Bestellung beschränkt dinglicher Rechte fordern (sog. "beschränkte Vertragstheorie"). 10 Aus diesem Grunde hat sich, gemessen an der Bilanz der Gesetzesverfasser, nur wenig geändert. Sie lautet: Den in der Wissenschaft bestehenden Streit zu entscheiden, ob und inwiefern sich die Erfüllung (stets) als ein Rechtsgeschäft beziehungsweise als ein Vertrag darstelle, sei nicht Aufgabe des Gesetzes, auch nicht durch ein Bedürfnis der Rechtssicherheit geboten (Motive, Band 11, 1888, Seite 81). Fast einhundert Jahre später vermerkt der Bearbeiter des Münchener Kommentars: "Der Streit der Theorien geht weiter" (Heinrichs, 5 zu § 362 in der 2. Auflage). 11 Münchener Vertragshandbuch, Bd.4, Bürgerliches Recht, 2. Halbband, 2. Aufl. (1986), Abschnitt VI. 8, bearbeitet von Hagena.

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3. Teil: Leistung und Erfüllung In dem genannten Testament ist Frau Alma B. geb. C. - im folgenden auch einfach "Vermächtnisnehmerin" genannt - ein Grundstück mit der Bezeichnung "Ahomallee 7" vermacht worden. Die Vermächtnisnehmerin nimmt dieses Vermächtnis an. Die Erschienenen sind sich darüber einig, daß mit dem genannten Grundstück vom Erblasser der folgende, im Grundbuch von X-Dorf Band ... Blatt ... eingetragene Grundbesitz gemeint ist . .. §2

In Erfüllung des in § 1 genannten Vermächtnisses übertragen die Erben den dort genannten Grundbesitz nun wie folgt:

Auflassung Die Erben und die Vermächtnisnehmerin sind sich über den Eigentumsübergang an dem in § 1 genannten Grundbesitz auf die Vermächtnisnehmerin einig ... "

b) Wie sind die Fonnulierungen "Vennächtniserfüllungsvertrag" und "In Erfüllung des Vennächtnisses übertragen die Erben ... " zu verstehen: Beinhalten sie einen fönnlichen Eljüllungsvertrag, kraft dessen die Erben die Tilgung des Vennächtnisses anbieten und die Vennächtnisnehmerin die Auflassung als gehörige Leistung auf den Vennächtnisanspruch insbesondere im Hinblick auf die Identität der vennachten Parzellen entgegennimmt? 12 Wenn man für einen solchen Bestätigungs- und Schuldaufhebungsvertrag jedoch keinen Anhaltspunkt im Fonnular findet: Ist in der notariellen Verhandlung dann wenigstens eine Vereinbarung über den Zweck der Auflassung zu erkennen? Die Erben beziehen nach dieser Deutung ihre Erklärung auf das ausgesetzte Vennächtnis - eine Zuordnung, welche die Gläubigerin durch ihre Unterschrift unter das Protokoll des Notars annimmt und damit klarstellt, daß sie das Grundstück nicht als Miterbin erhält? 13 12 Die zahlreichen Vertreter der sog. Vertragstheorie sind bei Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, § 5 II 3, aufgeführt. Da ihre Thesen nicht auf den Fall bezogen und aus diesem Grunde sehr vage sind, muß ich mich mit dem wörtlichen Zitat einer einigermaßen präzisen Stimme begnügen. Die betreffende Aussage ist aber nicht in die Form einer (allgemeingültigen) Theorie gekleidet, sondern wertet den Erfüllungsvertrag nur als eine mögliche Anerkennung dessen, was der Schuldner geleistet hat: v. Gierke, Deutsches Privatrecht, 3. Band, Schuldrecht (1917), § 179 II (Seite 149): "Anders (d.h. als bei bloßer Umkehr der Beweislast kraft des § 363 BGB) aber verhält es sich, insoweit der Gläubiger die ihm angebotene Leistung als gehörige Erfüllung annimmt, somit seinen Willen erklärt, daß die Leistung als Erfüllung gelten soll. Damit ist ein Erfüllungsvertrag geschlossen, der aus sich selbst die Kraft schöpft, die Leistung zur Erfüllung zu stempeln ... Alle etwaigen Abweichungen vom Schuldinhalt sind gutgeheißen ..." 13 Sog. Zweckvereinbarungstheorie, repräsentativ, weil auch unter Angabe der tragenden Gedanken, vertreten von Weitnauer, Festschrift für v. Caemmerer (1978), Seite 255/ 60 und 62: " ... Zum anderen (d.h. um als "Leistung" zu gelten) muß die Zuwendung zweckgerichtet sein. Das Kriterium zweckgerichtet hat einen Sinn nur in einem Schuldrechtssystem, für das der Zweck die Seele des Schuldverhältnisses ist, also in einer

11. Die Zuordnung als Erfordernis der Erfüllung

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Das Ergebnis sei an dieser Stelle vorweggenommen 14: Die Beteiligten verbinden die Auflassung als Leistungshandlung mit einern Erfüllungsvertrag und diesen wiederum mit einem deklaratorischen Schuldanerkenntnis, um festzulegen: Die Übereignung der bezeichneten (als geschuldet festgelegten) Parzellen ist eine gehörige Erfüllung des Vermächtnisanspruchs. Sind solche Wendungen, so beschließe ich die Analyse, eigentlich notwendige Merkmale der Erfüllung oder nur eine empfehlenswerte, vielleicht sogar überflüssige Zutat, die das Formularbuch den Notaren an die Hand gibt, um sie gegen den Vorwurf mangelnder Beratung ihrer Klientel zu schützen? 15

11. Die Zuordnung der Leistung zu einem Schuldverhältnis ein unerläßliches Erfordernis der Erfüllung 1. Die subjektive und objektive Bestimmung des Leistungszwecks a) Leistungen, so besagt es der Grundtenor dieser Abhandlung, sind sinnvolle Wertbewegungen 1. Wer verleiht ihnen aber den Sinn: die Parteien oder das Gesetz? Geht man davon aus, daß die Privatautonomie die Achtung vor den Entschließungen derjenigen fordert, die sich als Schuldner und Gläubiger gegenüberstehen, so wird man eine Zweck- oder Tilgungsbestimmung, sei es des Schuldners 2, sei es beider Teile, für unerläßlich halten. Der Wille des Verpflichteten, nach einer bestimmten dogmatischen Auffassung gebilligt durch den Gläubiger, immer aber legitimiert durch eine gesetzliche Vorschrift, und nicht der staatliche Befehl allein löst ihn von seiner Schuld 3 • gedanklichen Ordnung des Schuldrechts, in welcher die entscheidende Rolle dem rechtsgeschäftlichen Willen der Rechtsgenossen zukommt ... Aus dem Umstand, daß der Leistende mit seiner Leistung einen Zweck erreichen will, folgt weiter, daß der Empfänger, wenn er ein Recht zum Behalten des Leistungsgegenstandes erlangen will, sich mit der vom Leistenden erklärten Zweckbestimmung einverstanden erklären muß ...". 14 Näher dazu unten III 2 c. 15 Dies wäre die Konsequenz der sog. Theorie der ,,realen Leistungsbewirkung": Ist der Bezug einer Leistung zu einer Schuld offenkundig, so genügt zur Erfüllung der Leistungserfolg, herbeigeführt durch eine Leistungshandlung des Schuldners, die in jeder Weise der übernommenen oder gesetzlich auferlegten Verpflichtung entspricht (beispielhaft Larenz, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 14. Aufl., § 18 I 5). lOben 1. Teil, 11 4 und 5 b. 2 So die sog. Theorie der finalen Leistungsbestimmung, maßgeblich vertreten von Gernhuber, a.a.O., § 511 8: "Wenn eine Zweckvereinbarung aus mancherlei Gründen nicht in Betracht kommt, kann die Lösung nur bei einem einseitigen Bestimmungsakt des Leistenden liegen. Er ist es, der die Leistung erbringt, und er ist es deshalb auch, der den Bezugsrahmen bestimmt, in dem die Leistung erfolgen soll." 3 So am deutlichsten die sog. Vertragstheorie. Das Bestimmungsrecht des Verpflichteten betont das Urteil OLG Düsseldorf, NJW -RR 1987, Seite 362/64: "Ein Schuld-

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3. Teil: Leistung und Erfüllung

Wie wenig jedoch diese Forderung einer "Logik" des Begriffs von der "Erfüllung" entspricht, machen andere Entwürfe klar: In einem Zeitalter der technischen und rechtlichen Einebnung der Unterschiede und des massenhaften Abschlusses von "Verträgen" könnte der objektive "Bezug" der Leistung 4 auf eine Schuld genügen, um die Erfüllung eintreten zu lassen. Bis zum äußersten ginge dann die allein vom Gesetz verfügte Aufhebung des Schuldbandes: Es ließe sich denken, daß die Vorschrift des § 362 BGB oder eine andere bürgerlich-rechtliche bzw. prozessuale Norm die Lösung des Bandes verfügt, sobald das Interesse des Gläubigers befriedigt ist; hat er doch erhalten, worauf sein Anspruch gerichtet war. Dieser Gedanke betont die eine Eigenschaft des Schuldverhältnisses, das Bekommen-Sollen des Gläubigers, während er die Entschließung des Schuldners, sich durch einen zwischenmenschlichen und rechtlichen Akt in Gestalt der Zuordnung der Leistung von seiner Verbindlichkeit zu befreien, in den Hintergrund treten läßt. Beispiele für eine gesetzlich verfügte "Erfüllung" könnte man bei der anonymen Zahlung, der heimlichen Beseitigung eines Schadens, der Unterlassung und in der Befriedigung entdecken, die sich der Gläubiger durch die Zwangsvollstreckung selbst verschafft. b) aa) In der Technik unbarer Zahlungen verflüchtigt sich, wie Schuldner und Gläubiger unseres Zeitalters täglich erfahren, der Eindruck der an Ort und Stelle, von Mensch zu Mensch übermittelten Leistung. Die Person des Schuldners und der Zweck seiner Zahlung werden auf dem Formular der Kreditinstitute zu mehr oder weniger abstrakten Größen 5, deren Bezug zu einem bestimmten Schuldverhältnis bei ungenauen Angaben ungeklärt bleibt. "Die Beklagte", so heißt es in einem Urteil des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck aus dem Jahr 1988 6 , "schuldete der Klägerin (Bundesvermögensamt) 20 DM. Mit Überweisungsträger vom 17.7. 1987 wurde dieser Betrag auf das Postgirokonto der Klägerin überwiesen. Es fehlte allerdings jeder Hinweis auf den Verwendungszweck. Die Zahlung konnte deshalb von der Bundeskasse München nicht zugeordnet werner kann kraft seiner Privatautonomie die Wirkung der Erfüllung einer Schuld ausschließen, wenn er bei einer zur Erfüllung einer bestimmten Schuld geeigneten Leistung ausdrücklich erklärt, daß er nicht in Erfüllung dieser Schuld handele." 4 So die bereits zitierte Theorie der realen Leistungsbewirkung. 5 Im Jahre 1981 schaffte die britische Marine die Heuerparade der Seeleute ab; sie wurden von nun an unpersönliche, von einer Kasse bediente Zahlungsempfänger. Man lese den folgenden Ausschnitt aus den "Kieler Nachrichten" vom 27.3. 1981: ,,1etzt bargeldlos Großbritannien ist seit gestern um eine Tradition ärmer: Der 23jährige Steve Wilson, Matrose bei der britischen Kriegsmarine, war der letzte, der nach guter alter Sitte seine Heuer in barer Münze direkt in seine Mütze empfmg. Im Rahmen einer feierlichen Parade hielt er im Hafen der südenglischen Stadt Devonport die weiße Kopfbedeckung hin und nahm dankend 136 Pfund (639 DM) in Empfang. Mehr als ein Jahrhundert lang wurden die Matrosen der britischen Marine auf diese Weise entlohnt. Sie mußten alle zwei Wochen zu einer entsprechenden Heuerparade antreten. Künftig soll ihr Lohn auf Bankkonten überwiesen werden." 6 NJW-RR 1988, Seite 1009.

11. Die Zuordnung als Erfordernis der Erfüllung

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den; eine Rückfrage vom 24.7.1987 blieb unbeantwortet. Die Klägerin machte daher mit der Klage vom 17.11.1987 den Betrag von 20 DM geltend. Nach Rechtshängigkeit wurde der Verwendungszweck aufgeklärt ..." Die Auseinandersetzung zwischen den Parteien mußte das Amtsgericht mit einern Urteil beenden, das die Erledigung der Hauptsache i. S. des § 91 a ZPO feststellte. Die Kosten des Rechtsstreits schätze ich auf 100 DM - das Fünffache der Streitsurnrne 7. Der Kunde eines Lotterie-Einnehmers zahlte im Jahr 1876 6 Mark mittels einer Postanweisung ein, um ein Viertellos der ,,80. Braunschweigischen Landeslotterie" zu spielen 8 • Aber er gab auf dem Empfängerabschnitt seinen Namen so wenig leserlich an, daß der Empfänger die Zahlung nicht verbuchte, sondern in "Gewahrsam" nahm, wie er sich später ausdrückte. Auf das Los entfiel ein Gewinn von 150.000 Mark, dessen Auszahlung der Lotterie-Einnehmer mit dem Argument verweigerte, der Spieler habe seine Verbindlichkeit aus der (staatlich genehmigten) Lotterie nicht rechtzeitig vor der Ziehung erfüllt, so daß sein Recht auf den Gewinn verfallen sei. Auch in diesem Fall provozierte der - im Hinblick auf den Teilnehmer an der Lotterie und Vertragspartner - ungewisse Verwendungszweck ärgerliche Aufhaltungen: eine umfangreiche, streitige Korrespondenz und einen Prozeß, der sich gerade wegen des in Anspruch genommenen Hauptgewinns durch drei Instanzen hinzog. bb) Schon diese Konsequenzen sprechen gegen eine vorn Gesetz verfügte Tilgung der Schuld wegen "Interessewegfalls des Gläubigers"9: Zahlungen und andere Leistungen ohne Zweckbestimmung - und sei es auch nur die einer gesetzlich gewährten Hilfe bei dieser Konkretisierung (§ 366 11 BGB) - fallen zwischenmenschlich wie rechtlich ins Leere, sie werden aus diesem Grunde leicht zu einer Quelle des Streits unter den Parteien eines Schuldverhältnisses 10. Aber gehen wir noch einen Schritt weiter: Auch der vorn Gläubiger ohne oder gegen den Willen des Schuldners verfügte Leistungszweck in Gestalt einer (ein7 Eine Verfahrens- und eine Urteilsgebühr belaufen sich auf je 15 DM. Dazu kommen Zustellungs- und Postgebühren, ferner die Fahrtkosten eines Vertreters der Bundesvermögensverwaltung von München nach Fürstenfeldbruck. 8 Entscheidungen des Reichs-Oberhandelsgerichts, Band 24 (1874), Nr. 20; mit erweitertem Sachverhalt in SeuffArch Bd. 34 (1979), Nr. 106. 9 Die Tilgung durch Wegfall des Gläubigerinteresses war übrigens die Auffassung des Obergerichts Wolfenbüttel, der Berufungsinstanz in dem durch das Reichs-Oberhandeisgericht entschiedenen Prozeß gegen den Lotterie-Einnehmer: Es genüge, daß der Spieleinsatz ,,rein objektiv" in das Vermögen des verklagten Lotterie-Einnehmers gelangt sei (ROHG 24, Nr. 20, Seite 66). 10 So auch der anschauliche Fall einer unklaren Scheckausstellung (BGH WM 1977, Seite 449): War die Schecksumme von 100.000 DM, angewiesen durch die spätere Beklagte, ganz für die Klägerin bestimmt oder durfte diese eine Summe von rund 30.000 DM "als eine Art Wechselgeld" für die dazwischen stehende Firma "T." abzweigen? Der Bundesgerichtshof gab dem Berufungsgericht die erschöpfende Wertung der Zahlungsvorgänge auf.

5 Henke'

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3. Teil: Leistung und Erfüllung

seitigen) "Verrechnung" kann keine Tilgung bewirken, weil er einem Willkürakt, ja einer privaten Vollstreckung gleich käme. Der Gläubiger verrechnet dabei einen Zahlungseingang auf Ansprüche seiner Wahl, möglicherweise sogar auf ganz dubiose Forderungen 11, um eine Befreiung des Schuldners von Zinsen und Kosten zu verhindern 12, um sich einen Räumungstitel gegen einen Mieter zu verschaffen 13 oder eine sonst anfallende Begünstigung des Schuldners 14 zu unterbinden. Die eigenmächtige Verrechnung gestattet das Gesetz nur im Hinblick auf die Durchsetzung einer eigenen Forderung durch Au/rechnung (§ 387 BGB) 15, ein Gestaltungsakt, in dem man treffend ein Mittel der Erfüllung und der Eigenbefriedigung sieht 16. Verliert der Schuldner durch seine Nachlässigkeit die Befugnis, eine Tilgung nach seinem Ermessen zu verfügen, etwa weil er in dem Empfanger den Eindruck hervorruft, als käme es ihm auf die Auswahl der zu tilgenden Verpflichtung nicht an? Die Frage ist m. E. entschieden zu verneinen: Einmalige Nachlässigkeiten wie die fehlende Angabe eines Aktenzeichens oder der zu flüchtig geschriebene Name sind weder ein Vertrauens- 17 noch ein Verwirkungstatbestand 18! cc) Fast noch wirksamer als der Weg über Banken und Postanweisungen kann der simple Briefkasten dazu benutzt werden, das Gewissen durch Zahlungen und Schadensersatzleistungen zu entlasten, ohne sich durch Namensnennung zu einer Lösung des (psychologischen) Schuldbandes bekennen zu müssen. 70.000 DM in bar fanden Beamte des Finanzamts Dingolfing im Briefkasten ihrer Behörde, verpackt in zwei Umschlägen 19. Rückschlüsse auf die Herkunft des Geldes waren nicht möglich: der Absender hatte seinen Namen nicht angegeben. 11 So das Vorgehen eines Wechselgläubigers in einem vom Oberappellationsgericht Rostock entschiedenen Prozeß: Hier wollte der klagende Gläubiger eine bare und eine durch die Post übermittelte Zahlung auf ein "aus anderen Gründen originierendes Guthaben an den Beklagten" verrechnen, welches das Gericht für "so wenig substantiiert" erklärte, daß "diese Replik nicht einmal zum besonderen summarischen Verfahren verwiesen werden konnte" (SeuffArch Bd. 15, 1862, Nr. 193, Seite 304/07). 12 Wie im Fall des OAG Rostock. 13 Der Vermieter bezieht drei ungenügend zugeordnete Zahlungseingänge auf eine Heizungskostennachzahlung und erklärt der Mieterin die fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzugs (AG Wesei, WuM 1987, Seite 222). 14 Wie der Losgewinn in dem vom Reichs-Oberhandelsgericht entschiedenen Prozeß. 15 "Das Gesetz gibt dem Gläubiger kein - einseitiges - Bestimmungsrecht. Darüber besteht kein Streit" (BGH 91, 375/79). 16 Heck, Grundriß des Schuldrechts (1929), § 61 a,9. 17 Das den Rechtsschein einer Bevollmächtigung erzeugende Verhalten muß in der Regel von einer gewissen Häufigkeit oder Dauer sein (PalandtiHeinrichs, 49. Aufl., 4 c bb zu § 173). 18 Ein Recht ist verwirkt, wenn es der Berechtigte längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht hat ... (Palandt 1Heinrichs, a. a. 0., 5 a zu § 242).

11. Die Zuordnung als Erfordernis der Erfüllung

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16.000 DM schickte ein Unbekannter per Post an das Hessische Landesversorgungsamt mit dem Wunsch: " ... möchte ich Sie ganz herzlich bitten, den (überzahlten) Betrag zurückzunehmen - bitte helfen Sie mir und verzeihen Sie mir!"20 Ein Autofahrer aus Kaiserslautern, der auf einem Parkplatz einen Wagen gerammt und dann Fahrerflucht begangen hatte, gibt einer Zeitung den "Auftrag", den Geschädigten ausfindig zu machen und ihm 100 DM auszuhändigen 21 , und ein weiterer "Sünder" leistet im Jahr 1978 Ersatz für drei Brillen, die er 1940, also achtunddreißig Jahre zuvor, in dem ausgebombten Laden eines Optikers in Calais hatte mitgehen lassen 22 .

2. Die fehlende Erfüllung bei anonymen oder nicht durch die Identität der Sache belegten Leistungen Über die Tilgung der erwähnten Verbindlichkeiten: einer vermuteten Steuerschuld, des Erstattungsanspruchs eines Sozialversicherungsträgers und der bürgerlich-rechtlichen Schadensersatzforderung brauchen nur wenige Worte gesprochen zu werden. Verbindlichkeiten, zu denen sich der Schuldner nicht wenigstens in einer Tathandlung mit Bezug auf ein Schuldverhältnis wie die Schadensersatzleistung in Natur "bekennt", weil er Weiterungen, insbesondere ein Strafverfahren, befürchtet, sind auch nicht erfüllt. Die Leistung ohne Namensnennung mag das Gewissen eines "Sünders" beruhigen, sie bereitet aber dem Gläubiger Ungelegenheiten, wenn er sie nicht verbuchen und damit zuordnen kann. Vor allem fehlt ihr die Befriedungswirkung 23 : die Gewißheit des Gläubigers, eine eingegangene Leistung auch wirklich behalten zu dürfen. Woher, so könnte er sich fragen, stammt das zugesteckte Geld? Ist der zahlende Schuldner geschäfts- -und verfügungsfähig? Die Unsicherheit wird mit der Höhe der anonymen Leistung wachsen 24: Wie hat sich der Unbekannte etwa die Summe von 70.000 DM beschafft, die er im Briefkasten (s)eines Finanzamts deponiert?

Nicht ohne Grund bestimmt daher die Justiz-Kassen-Ordnung vom 30. 1. 1937, daß Einzahlungen, die der Amtskasse durch Übersendung oder Überweisung entrichtet werden, ohne daß die Person des Einzahlenden und der Grund der Einzahlung festgestellt werden können, sechs Monate lang in Verwahrung genommen werden müssen; danach sind sie bei den "vermischten Eingängen" zu verbuehen 25. 19 "Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 11. 3.1989. 20 "FAZ" vom 13.12. 1978. 21 ,~AZ" vom 8.6.1978, die aber den angerichteten Schaden nur zur Hälfte deckten. 22 "FAZ" vom 27.5.1978. 23 G. Welker, Bereicherungsausgleich wegen Zweckverfehlung (1974), Seite 41. 24 "Ein ungewöhnlicher, ja einmaliger Fall", war die Reaktion der Oberfinanzdirektion München zum Fund der 70.000 DM im Briefkasten des Finanzamts Deggendorf. 25 § 28 IV i. V. mit § 69 H. Die Justiz-Kassen-Ordnung findet sich in einer amtlichen Sonderveröffentlichung der "Deutschen Justiz". 5*

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3. Teil: Leistung und Erfüllung

Eine - oft nur teilweise - Befriedung der Sachlage verbindet sich dagegen mit der Rückgabe gestohlener Gegenstände, deren Identität klar ist: Schickt ein Zechkumpan der Stadt Frankfurt entwendete Pflastersteine 26 , gibt ein Jugendlicher Schallplatten zurück, die er auf einer Ausstellung hatte mitgehen lassen 27, so ist die Rückforderung durch den Täter oder einen Dritten ausgeschlossen und eine "Erfüllung" wegen der Identität der gestohlenen und der zurückgegebenen Sache zu bejahen. Der Anspruch, die gestohlene Sache an ihren Platz zu bringen 28 oder Schadensersatz wegen ihrer Beschädigung und Vorenthaltung zu zahlen, ist mit der nackten Rückgabe dagegen nicht erfüllt, so daß ein weiterer Teil des Schuldverhältnisses "Wiedergutmachung" in der Schwebe bleibt.

3. Der Bezug der Leistung auf das Schuldverhältnis bei der Erfüllung von Unterlassungspflichten a) Ist das Nichtstun eine "Leistung"?, so lautete die im Zusammenhang mit der Vorschrift des § 241 BGB gestellte und differenziert beantwortete Frage 29 • Ist das Nichtstun dann aber auch eine ,,Erfüllung"? Den zwischenmenschlichen und rechtlichen Bezug zwischen dem "Nichtstun" und einer übernommenen Unterlassungspflicht, den die Erfüllung voraussetzt, stellt die Zusage des Schuldners her, nicht in die Sphäre des Gläubigers, etwa eines anderen Gesellschafters, einzudringen oder geschützte Interessen, etwa die eines Vermieters oder Arbeitgebers 30, zu verletzen. Je abstrakter und formularmäßiger die Zusage gefaßt ist, desto schwächer ist freilich die nötige Sinnbeziehung 31. Auf diesem Gebiet bewährt sich also die Theorie der realen Leistungsbewirkung, die den objektiven Bezug gerade der Unterlassung zum Schuldverhältnis genügen läßt, um eine ,,Erfüllung" zu bejahen 32 • Der Schuldner erfüllt die ihm

"Kieler Nachrichten" vom 27.9.1986. "Kieler Nachrichten" vom 28.12.1979. 28 Von praktischem Belang für die vom Frankfurter Römerberg herausgerissenen Pflastersteine. 29 Oben, 2. Teil, III 1 c, aa), Fußnote 10; 2 c, aa) und 4 a. Die vertragliche und gesetzliche Unterlassungspflicht besteht in der zugesagten oder auferlegten Untätigkeit des Verpflichteten; darin nämlich, sich zu beherrschen, aber auch einfach, "nichts" zu tun. 30 Verbot des Rauchens am Arbeitsplatz! 31 Wie unterschiedlich der Sinnbezug sein karm, erhellt ein mir vorliegender Untermietvertrag über ein Studentenzimmer. Formularmäßig heißt es dort: "Der Mieter ist ohne schriftliche Genehmigung des Vermieters nicht berechtigt, den Gebrauch der Mieträume ganz oder teilweise, entgeltlich oder unentgeltlich an Dritte zu überlassen oder weiter zu vermieten." Als besondere Vereinbarung ist weiter eingetragen: "Das Abbrennen von Kerzen und das Benutzen von Öllampen ist im Zimmer wegen der Rußschäden nicht zulässig." 32 So insbesondere Larenz, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 14. Aufl., § 18 I 5 (Seite 239). 26 27

Ir. Die Zuordnung als Erfordernis der Erfüllung

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auferlegte Unterlassung in jedem Augenblick seiner Bindung durch eine Kette nicht abgrenzbarer Verhaltensmuster 33 • b) Sinnlos, weil ohne den nötigen Bezug zwischen der Unterlassung und einem Schuldverhältnis, wäre dagegen der Gesetzesbefehl, daß auch jede Nichtverletzung eines absoluten Rechts als ,,Erfüllung" zu gelten hätte. Wer nichts weiter tut, als fremdes Eigentum nicht zu gefährden, sich nicht auf das Gebiet unlauteren Wettbewerbs zu begeben oder gar mit Straftatbeständen zu kokettieren, handelt nicht "im Hinblick" auf ein von ihm bedrohtes Recht, ja, es ist nicht einmal ein Schuldverhältnis der Unterlassung entstanden 34 • Erst der in einem öffentlichen Verkehrsmittel voll aufgedrehte Walkman macht den Fahrgast zum Unterlassungs schuldner!

4. "Erfüllung" und "Befriedigung" in der Zwangsvollstreckung a) Die letzte, im Zusammenhang des ,,sinnbezugs" einer Leistung angelegte Frage stellt die Zwangsvollstreckung: Könnte das Gesetz, etwa die zahlreichen Normen der Zivilprozeßordnung, die von dem Ziel der "Befriedigung" des Gläubigers sprechen 35, mit gleicher Überzeugungskraft das Merkmal der ,,Erfüllung" an deren Stelle setzen? Die schon im vorigen Jahrhundert aufgenommene Kontroverse, ob auch eine erzwungene Befriedigung "Erfüllung" des durchgesetzten Anspruchs im eigentlichen Sinne des Begriffs sei 36, kreist um die Person des Schuldners: Setzen ihn das Schuld"verhältnis" und dessen Erfüllung durch eine "sinnvolle" Wertbewegung als frei handelnde Person voraus oder begnügen sie sich notfalls mit der passiven Stellung, die ihm jeder Vollstreckungsakt um des "Bekommen-Sollens" des Gläubigers und des Rechtsfriedens willen auferlegt? b) Die Antwort kann m. E. nur aus dem zwischenmenschlichen Sinn der freiwilligen und der erzwungenen "Leistung" gegeben werden, der, wie immer wieder ausgeführt, auch die Grundlage der entsprechenden Rechtsbegriffe ist. 33 v. Gierke, Iherings Jb. Bd. 64 (1914), Seite 355/64. Larenz, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 14. Auf!., § 2 VI (Seite 31). 34 Oben 2. Teil, III 2 c, bb) und cc). 35 Zum Beispiel § 804 I, Satz 2: "Die Zwangsvollstreckung darf nicht weiter ausgedehnt werden, als es zur Befriedigung des Gläubigers und zur Deckung der Kosten der Zwangsvollstreckung erforderlich ist." Weitere Normen nennt das Handbuch des Zwangsvollstreckungsrechts von Rosenberg / Gaul / Schilken, 10. Auf!. (1987), § 1 I 2. 36 G. Hartmann, Die Obligation (1875): "In den meisten Fällen ist allein das das Wesentliche, daß der Gläubiger eine Sache oder Summe zum Gebrauch oder Behalten bekomme. Ob dies durch Handlung des Schuldners, ob überhaupt durchfremde Handlung oder wie sonst, ist an sich gleichgültig." Dümchen, Iher. Jahrb. Bd. 54 (1909), Seite 355/77: "Die Schuld appelliert an den Willen des Schuldners; die Realexekution bedeutet die Umgehung desselben." Zum heutigen Stand der Diskussion: Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, § 5

I 1.

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3. Teil: Leistung und Erfüllung

Er geht klar dahin, daß das Vollstrekkungs-, zu Recht auch "Eingriffsverhältnis" genannt, dem Schuldner eine andere Rolle als in der freiwilligen Tilgung einer Verbindlichkeit zuweist. Dort ist er - gleichgestellter - "Partner" des Gläubigers - hier hat er den Eingriff staatlicher, d. h. bürokratisch und nicht sozialtherapeutisch 37 handelnder Amtsträger in seine Grundrechte zu dulden: angefangen vom Eigentum bis in die intimsten Lebensbereiche der Wohnung und Kleidung 38. c) Aus psychologischen und soziologischen Einsichten, die bei der Auslegung einer Norm zu rechtlichen Gründen werden, wenn das Gesetz nicht mit voller Absicht einen eigenen Standpunkt einnimmt, sind die Merkmale der "Befriedigung" des Gläubigers und der "Erfüllung" voneinander zu scheiden. Die Befriedigung des Gläubigers in der Zwangsvollstreckung ist keine Erfüllung sie steht ihr nur hinsichtlich der Folgen gleich 39.

5. Der Schuldbezug der Leistung - ein Gebot der praktischen und rechtlichen Vernunft Eine Leistung, die nicht von einem bestimmten Zweck, dem Bezug zu einem Schuldverhältnis also, ihre Richtung erhält, hängt bildlich gesprochen in der Luft; sie bewirkt keine Erfüllung. Diese Erkenntnis ließ sich aus den Beispielen der anonymen Zahlung, der heimlichen Rückgabe entzogener Gegenstände sowie der richtungslosen Unterlassung gewinnen. Auch das Gesetz kann diesen Bezug nicht aufheben, ohne die Vernunft der Sache zu verletzen. Die Zwangsvollstrekkung bringt zwar einen deutlichen Sinn und Bezug zur Forderung des Gläubigers zum Ausdruck. Aber diese Bedeutung könnte auch von Gesetzes wegen nicht als "Erfüllung" im psychologischen, zwischenmenschlichen und rechtlichen Sinn gewertet werden, ohne daß sich die anordnende Norm über Lebenstatsachen hinwegsetzte.

37 Obergerichtsvollzieher Eckhard Peglow, tätig im Bezirk des Amtsgerichts Kiel, sieht seinen Beruf auch als "soziale Aufgabe" an, weil ein Gerichtsvollzieher heute zwischen den Interessen des Gläubigers und des Schuldners vermittele ("Kieler Nachrichten" vom 11.5.1988). Das mag sein - aber doch nur vor der ultima ratio, d.h. solange, wie er nicht gezwungen ist, seines eigentlichen Amtes zu walten. 38 "Der Gerichtsvollzieher ist befugt, die Räume (z. B. Wohnung, Scheunen, Ställe) und die Behältnisse des Schuldners zu durchsuchen, soweit der Zweck der Vollstreckung es erfordert. Er darf auch die verschlossenen Haustüren, Zimmertüren und Behältnisse öffnen lassen ... Auch die Kleider und die Taschen des Schuldners darf der Gerichtsvollzieher durchsuchen ..." (§ 107 der Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher in der Fassung vom 1.4.1980). 39 Ich schließe mich Larenz, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 14. Aufl., § 18 I; und Heinrichs im Münchener Kommentar, 2. Aufl., 22 zu § 362, an.

III. Die Relativität der Erfüllungstheorien

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IH. Die Relativität der Erfüllungstheorien: Wahrheit und Irrtum, Wert und Unwert der einzelnen Sichtweisen

1. Der Geltungsanspruch der Erfüllungstheorien, gemessen an ihrem Anwendungsbereich Die Deutung der Akte, die wir als "Erfüllung" eines Schuldverhältnisses begreifen, hat sich seit dem ersten Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuchs I bis auf den heutigen Tag, also mehr als ein Jahrhundert, mit mehreren Erfüllungs"theorien", treffender: Erklärungsversuchen, auseinanderzusetzen, die jede für sich Allgemeingültigkeit beanspruchen: die "Vertrags-" und die ,,zweckvereinbarungs"theorie, die Theorie der "finalen" und der "realen Leistungsbewirkung"2. In den folgenden Ausführungen sei geprüft, ob der Anspruch, den Vorgang der ,,Erfüllung" allgemeingültig zu deuten, wirklich gerechtfertigt ist, ob er nicht vielmehr - wie dies auch bei anderen widerstreitenden geisteswissenschaftlichen Theorien zu vermuten ist 3 - nur Teilwahrheiten zum Ausdruck bringt. Da die Vertragstheorie die Anschauungsweise mit der ältesten Überlieferung ist 4 , sei die Prüfung und Erprobung der konkurrierenden Anschauungen mit ihr eingeleitet.

2. Die Vertragstheorie und ihre Rechtfertigung a) Welchen Zielen dient der Vertrag, der "zweiseitige Akt rechtlicher Geltungserzeugung im Verhältnis der daran beteiligten Rechtssubjekte", wie es eine sehr formale Begriffsbestimmung ausdrückt? 5 Unter der Hast alltäglicher Geschäfte ist von einer "vertraglich gesetzten Norm" der dogmatischen Betrachtungsweise 6 wenig zu spüren. Im Austausch der Leistungen, etwa über den Ladentisch, ist nicht mehr als ein flüchtiger Gedanke wirksam, und der Beobachter erblickt in der Szene nur eine stereotype, mechalOben, lid zu Fußnote 10. Ich folge der Übersicht von Heinrichs im Münchener Kommentar, 2. Aufl., 5-6 zu § 362. Die sog. "Vertrags-" und die sog. "beschränkte Vertragstheorie" sind der Übersichtlichkeit halber an dieser Stelle in einer Kategorie zusammengezogen worden. 3 Etwa den verschiedenen methodischen Richtungen der Rechtswissenschaft. 4 Weil sie am Anfang der Entwicklung des römischen Rechts steht (Kretschmar, Die Erfüllung, 1906, Seite 82). Ihren Einfluß über zwei Jahrtausende hinweg auf das gemeine Recht macht der Ausgangspunkt des oben, II 1 b, aa, FN 8, zitierten Urteils des ReichsOberhandelsgerichts klar: "Die solutio ist ein Rechtsgeschäft, welches die Erfüllung einer concreten Verbindlichkeit bezweckt; sie setzt also die erklärte Willens-Übereinstimmung des Gläubigers und des Schuldners darüber voraus, daß durch die fragliche Leistung des Schuldners eine concrete, dem Schuldner dem Gläubiger gegenüber obliegende Verbindlichkeit getilgt werden soll" (ROHG Bd. 24, Nr. 20, Seite 67). 5 Larenz, Allgemeiner Teil, 7. Aufl. (1989), § 27. 6 So Larenz, a.a.O. 2

3. Teil: Leistung und Erfüllung

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nisch anmutende Handlung, deren Sinn für ihn im Unterbewußtsein der "Vertragschließenden" ruht, den er wegen seiner Verborgenheit den handelnden Personen "zurechnen" muß. Von diesem Sinn tatsächlicher Vorgänge wird im Zusammenhang mit der Theorie der realen Leistungsbewirkung die Rede sein 7 • Dem Vertrag können aber auch intensive Verhandlungen vorausgehen, in denen gegensätzliche Interessen zum Ausgleich gebracht oder - wie es eine gesetzliche Formulierung beschreibt - "ausgehandelt" werden (§ 1 11 AGBG). Eine weitere Steigerung seiner Eindringlichkeit erfahrt der Vertrag als Regelung eines streitigen Rechtsverhältnisses, anschaulich gesprochen als "bürgerlicher Friedensschluß", mit dem Ziel, eine gerichtliche Auseinandersetzung zu vermeiden oder zu beenden; wir nennen sie den außergerichtlichen Vergleich i. S. des § 779 BGB. b) Der sog. "Erfüllungsvertrag", so war einleitend ausgeführt, ist die vom Schuldner geforderte und vom Gläubiger gewährte Anerkennung einer tatsächlichen oder rechtlichen Handlungsweise als "gehörige Erfüllung"8. Eine derartige Einigung geht über die (bloße) Zweckvereinbarung deutlich hinaus, weil sie nicht nur zuordnet, sondern Klarheit über eine festgestellte Erfüllung schafft. Sie hat dort ihre Berechtigung, wo sich die Parteien im Zusammenhang mit einer Leistung ihrer gegensätzlichen Interessen bewußt sind und die beiderseitigen Standpunkte durch einen bindenden Akkord aufeinander abstimmen. Sie besitzt in der Regel keine selbständige Bedeutung, sondern ist mit einem Vergleich (§ 779 BGB), einem deklaratorischen oder negativen Schuldanerkenntnis (§ 397 11 BGB) verbunden und wird bei einem Erlaß im Sinne des § 39711 BGB zu Recht als "Verfügung" auf der Seite des Gläubigers bezeichnet 9 • c) Klar ist diese Deutung als deklaratorisches Schuldanerkenntnis in dem sogar wörtlich bezeichneten "Vermächtniserfüllungsvertrag" abzulesen, von dem bereits die Rede war lO • Weitere Beispiele zeigen sich trotz der Schwierigkeit einer eindeutigen Sinnbestimmung in gerichtlichen Entscheidungen und einer Pressenotiz. Der Verkäufer von vier Pferden zum Gesamtpreis von 19.900 Mark erhielt kurz nach dem ersten Weltkrieg, in der Zeit der schon spürbar gewordenen Inflation, eine Summe von 4.900 Mark in abgezählten Scheinen und eine Anzahl Geldscheinpäckchen, die ihm nicht vorgezählt wurden 11. Unten III 4 b. v. Gierke, oben I 2 b, dort auch mit dem Hinweis, daß sie v. Gierke nicht als ausschließlich versteht. 9 Paiandt/Heinrichs, 37. Aufl. (1978), 1 zu § 362. 10 Oben I 2 a, wo u. a. der Gegenstand des Vermächtnisses festgelegt und ausgeführt ist: "Die Erschienenen sind sich darüber einig, daß mit dem genannten Grundstück vom Erblasser der folgende ... Grundbesitz gemeint ist ... ". 11 KG, OLGZ Bd. 41, Seite 104 vom 23.11.1920. 7

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III. Die Relativität der Erfüllungstheorien

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Als der Verkäufer eine Klage auf Nachzahlung fehlender 1.150 Mark erhob, entgegnete der verklagte Käufer: Der Verkäufer habe auf seine Bitte, die Päckchen durchzuzählen, erwidert: ,,Es werde schon stimmen, auf einige Scheine mehr oder weniger komme es nicht an." Die hier behauptete ,,Annahme" der Scheine "als Erfüllung" war ein Vertrag, verbunden mit einem (aufschiebend bedingten) 12 negativen Schuldanerkenntnis, wenn sich Käufer und Verkäufer über eine endgültige und damit bindende Regelung der geldlichen Seite des Geschäfts nach dem Verlassen des Zahlungsorts einig waren l3 • Bei der Rückgabe einer gemieteten Wohnung bescheinigte ein Beauftragter des Vermieters: "G. wird hiermit bescheinigt, daß er die Wohnung in ordnungsgemäßem Zustand übergeben hat." Das Landgericht Kassel wertete das Schriftstück als Anerkenntnis und Ausschluß von Renovierungsansprüchen des Vermieters 14. Ein mit einem Vergleich verbundener Erfüllungsvertrag läßt sich in einer Auseinandersetzung, betitelt "Essen-Streit", entdecken, die ich einer Pressenotiz entnehme 15: "Wegen eines unfreundlichen Kellners verweigerten vier Gäste in einem Darmstädter Lokal das bestellte Essen. Der Wirt machte nicht mit und sperrte die Gäste kurzerhand ein. Die Polizei konnte schlichten: Der Wirt halbierte den Preis und die Gäste willigten ein. Das Essen war inzwischen allerdings kalt." Anhaltspunkte für einen "Erfüllungsvertrag"jehlen dagegen in einem typischen Lehrbuchfall l6 : "V verkauft und übereignet dem K eine Herde von 10 Kühen. K zahlt dem V dafür 20.000 DM in Scheinen zu je 1.000 DM." Der Verfasser will hier zwei in der Einigung enthaltene Erfüllungsverträge sehen, die den Tilgungswillen des Verkäufers und des Käufers zum Ausdruck bringen. Die Bedingung bezog sich auf die Entdeckung des Fehlens von Scheinen. Für die hier vertretene Deutung die Kommentierung von Palandt / Heinrichs, bis zur 37. Auflage von 1978, 1 zu § 362: ,,Praktisch wird meist Erfüllungswille des Schuldners, meist auch Annahmewille des Gläubigers (Erfüllungsvertrag) nötig sein, so vor allem bei rechtsgeschäftlichem Charakter der Leistungshandlung, z. B. bei Geldübereignung." In dem angeführten Urteil hatte das Kammergericht die vom verklagten Käufer behauptete ,,Annahme als Erfüllung" nur als Wissens- und nicht als Willenserklärung gewertet und an sie nur die Umkehrung der Beweislast nach § 363 BGB geknüpft. Daß diese Auffassung zweifelhaft ist, verrät eine anonyme Urteilsanmerkung: Nicht aufgezähltes Geld werde zum sofortigen Nachzählen an Ort und Stelle übergeben und deshalb "durch Verlassen der Zahlstelle ohne Rüge der Unvollständigkeit stillschweigend als vollzählig anerkannt. " 14 WuM 1974, Seite 235/36. Für ein negatives Schuldanerkenntis, enthalten in Übergabeprotokollen, Sternei, Mietrecht, 3. Aufl. (1988), IV. Rnr. 611-12. 15 "Kieler Nachrichten" vom 1.3.1990. 16 Fikentscher, Schuldrecht, 7. Aufl. (1985), § 38 11 2 d a. E. 12 l3

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3. Teil: Leistung und Erfüllung Aber was ist der Sinn eines solchen "Vertrages" bei unstreitiger Sachlage? Ist der Fall nicht vielmehr ein sprechender Beleg für die Theorie der realen Leistungsbewirkung, weil der Bezug der Übereignungen zur Verbindlichkeit des Verkäufers und des Käufers offenkundig ist? 17

3. Die Tragweite von Zweckvereinbarungen a) Vereinbarungen über den Zweck einer Leistung, sog. Tilgungs- oder Verrechnungs bestimmungen vertraglicher Art, sind zulässig ("allg. M. "), so liest man in den gängigen Erläuterungswerken 18. Die berichtete Leitlinie wird von dem Gedanken der Vertragsfreiheit getragen; ihr entspricht die im folgenden dargestellte Praxis: ,,Nun waren die Parteien darüber einig, daß die Zuwendungen nach dem erklärten Willen der Frau K. Gewinnanteile darstellen sollten, und daß die Klägerin sie als solche entgegengenommen hat", heißt es in einem reichsgerichtlichen Urteil, das den Blick auf die eine Leistung begleitende Zweckvereinbarung richtet 19. In einer notariellen Urkunde wurde eine Verbindlichkeit von 17.500 DM als Rückzahlung aus dem gescheiterten Verkauf eines Speditionsunternehmens festgelegt. Da der Schuldner den Betrag nicht zur Verfügung hatte, "sollte ihm Gelegenheit gegeben werden, ihn abzufahren" - nach Auffassung des Bundesgerichtshofs eine Vereinbarung, "worauf die später zu erbringenden Tilgungsleistungen zu verrechnen waren" 20.

Die Verrechnungsklausel in dem Mietvertrag über eine Wohnung lautete: "Alle Zahlungen des Mieters werden in nachstehender Reihenfolge verrechnet: 1. Nebenkosten, 2. Kosten etwaiger Rechtsverfolgung einschließlich Mahnkosten und Verzugszinsen, 3. Mietrückstand, 4. laufende Miete". Das Amtsgericht als "Mietgericht" hielt die Klausel für wirksam und die abweichende Zahlungsbestimmung des Mieters für unbeachtlich. 21 17 So im Hinblick auf die allgemeine Anschauungsweise richtig Larenz, Allgemeines Schuldrecht, 14. Aufl., § 18 I (Seite 238); aber auch schon das damalige BundesOberhandelsgericht, SeuffArch Bd. 26 (1872), Nr. 24 (Seite 36). Das Bundes-Oberhandelsgericht verdankt seine Entstehung einem Gesetz des Norddeutschen Bundes vom 12.6. 1869 (GBl., Seite 201). Es nahm auf Grund eines Plenarbeschlusses vom 2.9.1871 den Namen "Reichs-Oberhandelsgericht" an (ROHG Bd. II, 1871, Seite 448). 18 Heinrichs in der 2. Aufl. des Münchener Kommentars, 7 zu § 366, insbesondere in Fußnote 19 ("allg. M."); Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, § 7 15 ("eher selbstverständlich als problematisch"); Staudinger / Kaduk, 12. Aufl., 29 zu § 366. 19 RG 105,29/31. Die Forderung, zu deren Tilgung die erwähnten "Gewinnanteile" gezahlt wurden, war allerdings wegen Wuchers der Gläubigerin und der unlauteren Ziele der Schuldnerin ("Anschaffungen für die Heeresverwaltung im ersten Weltkrieg") nichtig (Seite 32). 20 WM 1966, Seite 337. Verrechnet werden sollten Frachten und Fuhrlöhne, mithin geldliche Leistungen, so daß Speditionsleistungen an Erfüllungs Statt nicht in Frage kamen. 21 AG Mönchengladbach, DWW 1988, Seite 18; gleicher Ansicht Sternei, Mietrecht, 3. Aufl. (1988), III, Rnr. 119.

III. Die Relativität der Erfüllungstheorien

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b) Sind solche Vereinbarungen aber nicht nur gängige, sondern notwendige Voraussetzungen der Befreiung von einer Schuld, wie dies eine immer noch verteidigte Auffassung 22 vor allem mit dem Argument geltend macht: Wenn der Schuldner leiste, erlange der Gläubiger erst durch sein Einverständnis mit dem gesetzten Zweck das Recht, den empfangenen Wert zu behalten 23 • Der eingeschlagenen Linie folgend, soll die Frage nicht in der - m. E. wenig fruchtbaren -Gegenüberstellung von These und Antithese, sondern mit Hilfe von Sachverhalten beantwortet werden, in denen der Gegensatz der Interessen von Schuldner und Gläubiger hervortritt 24 • Ein Lotterie-Einnehmer verweigerte die Annahme des Einsatzes eines Kunden mit fadenscheinigen Argumenten 25 • Infolgedessen verstrich der Tag der Ziehung. Das dem Kunden reservierte Los verfiel und mit ihm der Hauptgewinn. Ein Kaufmann bezahlte im Jahre 1862 140 Taler auf seine Wechselschuld 26. Der Gläubiger nahm das Geld entgegen, verrechnete es aber auf "Forderungen" und hielt den Wechsel zurück. Ein Schuldner, dessen Grundstück in der Zwangsversteigerung befangen war, tilgte, wie er ausdrücklich erklärte, die Forderung der Gläubigerin nebst Kosten und Zinsen 27 • Die Gläubigerin vereinnahmte die Zahlung, ließ aber die Bestimmung des Schuldners nicht gelten und setzte die Versteigerung fort, was der Schuldner mit einer Vollstrekkungsgegenklage beantwortete. c) Die (nur im Ausschnitt) berichteten Konflikte erhellen deutlicher als alle Theorien, warum Zweck- oder Tilgungsvereinbarungen zwischen Gläubiger und Schuldner ihren guten Sinn als zweiseitige Festlegung des Schuldverhältnisses haben können, das der Verpflichtete erfüllt, warum sie aber - stimmen Leistung und Verbindlichkeit in der Sicht eines unparteiischen Beobachters überein 28 22 Aus jüngerer Zeit: Weitnauer, Festschrift f. v. Caemmerer (1978), Seite 255/63; Fikentscher, a.a.O., § 38 II 2 d. 23 Weitnauer, a. a. 0., Seite 262. 24 Untauglich erscheint der von Weitnauer, a.a.O., Seite 262, für die Zweckvereinbarung angeführte Fall: Wenn Adern B 1000 DM anbiete, um ein Darlehen zu begründen, B den Betrag aber als Schenkung annehme, sei weder ein Darlehens- noch ein Schenkungsvertrag zustande gekommen. Das Ergebnis halte ich für richtig, indessen für unbeweisend, weil hier nicht nur die Erfüllung des Realvertrags, sondern auch dessen Benennung streitig ist. 25 ROHG Bd. 24, Nr. 20 (zitiert schon oben, II 1 b, aa) die Identität des Einzahlenden hatte sich vor der Ziehung aufgeklärt. 26 Oberappellationsgericht Rostock, SeuffArch Bd. 15 (1862), Nr. 193 (zitiert schon oben II 1 b, aa). 27 OLG Düsseldorf, Rechtspfleger 1975, Seite 355. 28 Bei einer Verschiedenheit der Leistung vom vertraglich und gesetzlich bestimmten Inhalt einer Obligation kann die Zustimmung des Gläubigers oder sogar ein Erfüllungsvertrag nötig sein: bei der Leistung an einen Dritten (§§ 362 II, 185 BGB), an Erfüllungs Statt (§§ 364 I BGB) oder erfüllungshalber (§ 364 II - dies im Hinblick auf die gewährte Stundung der ursprünglichen und die Übernahme einer zusätzlichen Verbindlichkeit), der Leistung an einem anderen Ort, zu anderer Zeit oder nur zu einem Teil (§ 266 BGB). Die Leistung durch einen Dritten ist dagegen zustimmungsfrei (§ 267 I, Satz 2 BGB).

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3. Teil: Leistung und Erfüllung

nicht gefordert werden dürfen: Ein Schuldner muß das Recht haben, sich von dem Band der fälligen Obligation zu lösen, ohne den Gläubiger um seine Befreiung bitten zu müssen. Denn jede Schuld ist drückend, weil sie ein Stück Freiheit nimmt; sie belastet umso stärker, je wirksamer die Mittel sind, die ein Gläubiger gegen den Schuldner einzusetzen vermag: die geschäftliche Diffamierung, die Zwangsvollstreckung, die Kündigung einer Wohnung 29, der Besitz eines (umlauffähigen) Wechsels. Ein Schuldner muß nicht nur in der Lage sein, sich selbst von der Verbindlichkeit zu lösen, sondern sich auch durch eine rechtzeitige Einlage: bei einer Gesellschaft wie bei einem Wettspiel, eine Gewinnaussicht zu schaffen 30• Das Interesse des Gläubigers, den Schuldner durch eine verweigerte Tilgung in der Hand zu behalten, wiegt dagegen wenig. d) Zugegeben: Jeder unbefangene Jurist weiß, daß es auch eine Gläubigernot gibt, deren wirtschaftliches Gewicht aus gelegentlichen Presseberichten über die Zahlungsmoral abzulesen ist 31 • Aber in den streitigen Fällen geht es nicht um die Vereitelung eines guten Rechts - hat doch der Gläubiger die Leistung seines Kontrahenten empfangen -, sondern um die Versuchung, sich den Schuldner mit Hilfe einer verweigerten Tilgung gefügig zu machen. e) Was mit dem Argument gemeint sein soll, der Widerstand des Gläubigers gegen die schuldgerechte Erfüllung lasse auf dessen Seite Annahmeverzug eintreten 32 , ist nicht leicht zu verstehen. Die verweigerte Annahme gibt zwar das Recht, einen geschuldeten Geldbetrag zu hinterlegen (§ 372 BGB). Dieser Ausgangspunkt trifft jedoch nicht immer die Wirklichkeit: Zum Streit über die Verrechnung könnte es erst dann kommen, wenn der Gläubiger die Zahlung in Händen hat. Dann aber müßte der Schuldner, um hinterlegen und sich durch Verzicht auf die Rücknahme befreien zu können (§ 378 BGB), den Betrag doppelt erlegen! Überhaupt: Der Gläubigerverzug mag die fristlose Kündigung eines Mietverhältnisses wegen eines Zahlungsrückstands (§ 554 BGB) ausschließen 33, er erhält 29 So der oben 11 1 b, bb) zu Fußnote 13, zitierte Fall des AG Wesei, WuM 1987, Seite 222. 30 Das Reichs-Oberhandelsgericht überwand die von ihm selbst geschaffenen Hindernisse der sog. "Vertragstheorie" dadurch, daß es den unwilligen Lotterie-Einnehmer für schadensersatzpflichtig erklärte: Er hätte den eingegangenen Betrag in "custodia" nehmen müssen. Da er dies versäumt habe, müsse er sich so behandeln lassen, "als ob beim Eintritt seiner mora accipiendi die solutio erfolgt wäre" (ROHG Bd. 24, Nr. 20, Seite 68-69). 31 Nach einer Notiz der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 31. 7.1986, die sich ihrerseits auf Angaben der Wirtschafts auskunftei Schimmelpfeng in Frankfurt stützt, fällt ein rundes Drittel der bundesdeutschen Unternehmungen unter den Begriff des "langsamen" oder "schlechten Zahlers". 32 Ehmann, JZ 1968, Seite 549/51 zu Fußnote 13 mit Berufung auf Kreß, Allgemeines Schuldrecht (1929), Seite 451; Fikentscher, Schuldrecht, 7. Aufl., § 38 II 2 d.

III. Die Relativität der Erfüllungstheorien

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jedoch weder Gewinnaussichten noch läßt er einen einbehaltenen Wechsel zurückgehen. f) Sich im letzten Augenblick vor einer Geldumstellung von seinen Schulden zu befreien, ist nach den Währungsgesetzen legaP4, ein Vorbehalt der Rechte, etwa einer Hypothekengläubigerin gegen den persönlichen Schuldner 35, mithin nicht wirksam.

Eine Ausnahme ist nur bei treu widrigem Verhalten des Schuldners zu machen, der sich etwa durch verfrühte Zahlung: vor Fälligkeit und vor dem Empfang der Gegenleistung, einen Währungsgewinn zu verschaffen sucht 36.

4. Die "finale" und "reale" Zuordnung einer Leistung a) Da die Leistung zwischenmenschlich wie rechtlich von einem bestimmten Sinn getragen wird, ist sie ohne diese Bindung nutzlos, ja verwirrend und fällt ins Leere, sofern nicht das Gesetz dem Leistenden bei der Tilgungsbestimmung zu Hilfe kommt (§ 366 11 BGB). Auf dem Postgirokonto einer Behörde gehen 20 DM ein. Da jeder Hinweis auf den Verwendungszweck fehlt, kann die Zahlung, wie ein Gerichtsurteil richtig bemerkt, nicht "zugeordnet werden"37.

Auf welche Weise aber eine solche Zuordnung zu geschehen hat oder geschehen darf: "final ", d. h. durch ausdrückliche oder stillschweigende, jedenfalls geschäftsähnliche Erklärung des Schuldners 38 , oder "real", d.h. durch eine notfalls vom Richter zu deutende Leistungshandlung, "die in jeder Weise der geschuldeten entspricht"39, diese Frage dürfte, mit Verlaub, ,,kein Thema sein", wenn 33 Und zwar durch Hinterlegung unter Verzicht auf die Rücknahme (§ 378 BGB) oder dadurch, daß der Mieter auf den hinterlegten Betrag "verweist" (§ 379 BGB) oder sich gegen den Eintritt des Verzugs auf die erleichterte Haftung des Schuldners beruft (§ 300 I BGB). 34 Dieser Schluß ergibt sich aus einer Kette von Vorschriften. Zu zitieren sind hier § 1 II des Ersten Gesetzes zur Neuordnung des Geldwesens (Währungsgesetz) vom 20.6.1948: ,,Alleinige gesetzliche Zahlungsmittel sind vom 21. Juni 1948 an: 1. die auf Deutsche Mark lautenden Noten ... " sowie § 18 I: "Aufträge auf Überweisung von Reichsmarkbeträgen, die ein Geldinstitut oder eine Postanstalt vor dem 21. Juni 1948 erhalten hat, sind auch danach noch in Reichsmark auszuführen ... ". Das Gesetz ist abgedruckt bei Harmening / Duden, Die Währungsgesetze (1949). - Das Gesagte wird anschaulich bestätigt durch die Vorgänge bei Inkrafttreten der Währungsunion der beiden deutschen Staaten am 1. 7.1990: Die Autofahrer tankten - und zahlten bis zur letzten Minute, als gäbe es später keinen Sprit mehr ("FAZ" vom 26.6.1990). 35 Wie in dem Fall der Entscheidung LG Hannover, MDR 1947, Seit 160. 36 OGH BrZ 3, 305/07 vom Jahre 1950. -Irrig m. E. unter Anwendung der Vertragstheorie: OLG Düssseldorf, BB 1952, Seite 214. Aber das Gericht räumt ein, daß der Schuldner durch die Hinterlegung unter Verzicht auf die Rücknahme "möglicherweise eine andere Wirkung hätte erzielen können". 37 AG Fürstenfeldbruck, NJW-RR 1988, Seite 1009, zitiert bereits oben II 1 b, aa). 38 So Gernhuber, Die Erfüllung, § 5 II 8.

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man sie aus der Nähe der täglichen Gegebenheiten betrachtet, wo sich die Unterschiede der Theorien in Nuancen verflüchtigen. Die Wirklichkeit (und nicht die Theorie) gibt dem Juristen hier die Beurteilung an die Hand. b) Ein Urteil des Bundes-Oberhandelsgerichts aus dem Jahre 1871 hatte über den Erfüllungseinwand des verklagten Schuldners zu befinden, den der klagende Gläubiger wegen angeblich anderer Forderungen nicht gelten lassen wollte 40. Das Gericht hielt der Replik des Klägers die folgenden Gründe entgegen: "Gehört auch zum Beweise des Erlösehens einer Schuld durch Zahlung (solutio) die KlarsteIlung des Umstandes, daß die Zahlung (das Wort im Sinne bloßer numeratio genommen) zur Tilgung der in Rede stehenden Schuld erfolgt sei, so bedarf doch dieser Umstand nicht allenthalben und insbesondere dann nicht eines besonderen Nachweises, wenn, wie hier der Fall ist, der Zusammenhang der Geldleistung mit dem Zwecke der Tilgung einer bestimmten Schuld aus den einschlagenden Umständen klar genug erhellet, um bis zum Beweise des Gegentheils als thatsächlich bestehend vorausgesetzt werden zu können ... " Bei der Würdigung des Prozeßstoffs setzte das Gericht die "aktenkundigen" Verkäufe von Stein waren an den Beklagten und die wiederholte Hingabe von Geldern an den Kläger zueinander in Beziehung, um aus der Sinngleichheit der Geschäftsvorfälle auf die Erfüllung der streitigen Kaufpreisforderungen zu schließen. Der herausgestellte Gegensatz zwischen einer "final" erklärten und einer "real" gedeuteten Erfüllung schmilzt vor dem Hintergrund dieses glatt liegenden Falles auf bloße Unterschiede im Ausdruck zusammen: Eine der Schuld entsprechende Zahlung kann auf erste Sicht "final" als Indiz für den Tilgungswillen des Schuldners und "real" als objektiv "passende" Tilgungshandlung gewertet werden. Dringt der Beobachter freilich weiter in den Fall ein, wird er aus den "Umständen" der Zahlung den vom Schuldner verfolgten Zweck, mithin wiederum einen Tilgungswillen, erschließen: Ein Käufer von Steinwaren pflegt auf eine fällige Rechnung kein Darlehen zu gewähren oder eine Schenkung zu machen. Der praktische Unterschied der Theorien zeigt sich an der Stelle, an der ein richterliches Urteil seine Schlußfolgerungen beendet. Der eine, auf die ,'privatautonomie" blickende Richter zieht es vor, eher mit der "stillschweigenden" Tilgungsbestimmung des Käufers zu argumentieren, während der andere in der Rolle des richterlichen Betreuers der Parteien 41 den von außen herangetragenen psychologischen Schluß für überflüssig, ja konstruiert hält und allein "die Umstände" für sich entscheiden läßt. Es dürfte nicht ohne Interesse sein, daß das Urteil des Bundes-Oberhandelsgerichts beide Methoden anwendet: Es schließt auf die Befreiung des Schuldners aus dem ,,zusam-

Larenz, Allgemeines Schuldrecht, § 18 I 5 (Seite 238). SeuffArch Bd. 26, NT. 24. 41 Das von Stümer, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), Seite 64, gebrauchte Bild von der richterlichen "Amme der Prozeßparteien" halte ich der Sache nach für treffend. 39

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III. Die Relativität der Erfüllungstheorien

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menhang der Geldleistung" und der "einschlagenden Umstände" mit dem ,.zweck" der Tilgung einer bestimmten Schuld 42 . c) Einen deutlich "Jinaleren" Duktus haben zwei Urteile, die - obwohl aus ganz verschiedenen Zeitaltern stammend - mit dem Argument der "stillschweigenden Bestimmung" eine nicht ausdrücklich benannte Zahlung auf eine gerichtlich zugesprochene und vollstreckbare Forderung beziehen. Mit diesem Votum wird ein konkurrierender, noch nicht eingeklagter Anspruch des Gläubigers in den zweiten Rang verwiesen; er bleibt ungetilgt. Im Jahre 1903 wertete das Reichsgericht eine dahingehende, dem BGB jedoch unbekannte Vorschrift des Preußischen Allgemeinen Landrechts 43 als "Ausdruck des vermutlichen Willens des Schuldners"44. Es entnahm der Norm die Richtlinie: "Wenn ein Schuldner auf die Androhung der Zwangsvollstreckung eine die vollstreckbare Forderung übersteigende Zahlung leistet, während er wegen anderer gleichfalls fälliger Forderungen desselben Gläubigers noch nicht einmal gemahnt worden ist, so wird in der Zahlung der Wille des Schuldners, zunächst die vollstreckbare Forderung zu tilgen, in der Regel einen so bestimmten Ausdruck finden, daß auch der Gläubiger darüber nicht in Zweifel sein kann." Die hier aufgestellte Regel hielt zwar das Oberlandesgericht Köln über sechs Jahrzehnte später für zu weitgehend, weil sie, entgegen der Bestimmung des § 366 11 BGB45, den Schuldner einseitig und unangemessen bevorzuge 46. Im konkreten Fall einer ausgeklagten und einer konkurrierenden, noch nicht gerichtlich geltend gemachten Forderung hatten die Richter jedoch keine Bedenken, der Leitlinie des Reichsgerichts und ihrer Rechtfertigung aus einer "stillschweigenden Bestimmung" zu folgen: "Auf Grund einer verständigen Würdigung der gesamten Umstände", so heißt es in dem Urteil wörtlich, "ist jedoch anzunehmen, daß die Klägerin auch insoweit (d.h. über die zuerst geltend gemachte Forderung hinaus) stillschweigend gemäß § 366 Abs. I BGB bestimmt hat, daß die (titulierte) Kaufpreisforderung (teil weise) getilgt werde." Wesentlich "objektiver", mithin deutlicher im Sinne einer "realen" Leistungsbestimmung, liest sich dagegen ein Frankfurter Urteil aus dem Jahre 1987, das sich nicht auf den "Willen" des Schuldners beruft, sondern seine Zahlung einem von zwei in Betracht kommenden Gläubigem zuordnet 47 . 42 "Gehört auch zum Beweise des Erlöschens einer Schuld durch Zahlung (solutio) die KlarsteIlung des Umstandes, daß die Zahlung ... zur Tilgung der in Rede stehenden Schuld erfolgt sei, so bedarf doch dieser Umstand nicht allenthalben und insbesondere dann nicht eines besonderen Nachweises, wenn, wie hier der Fall ist, der Zusammenhang der Geldleistung mit dem Zweck der Tilgung einer bestimmten Schuld aus den einschlagenden Umständen klar genug erhellet ... " 43 116, § 155: "Unter mehreren Capitalsposten ist die Zahlung vorzüglich auf diejenige zu verrechnen, welche der Gläubiger zuerst eingefordert hat." 44 JW 1904, Seite 58, Nr. 14. 45 Eine Norm, die zuerst die Sicherheit des Gläubigers und dann die Lästigkeit für den Schuldner zum Verrechnungsmerkmal macht. 46 MDR 1969, Seite 482.

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3. Teil: Leistung und Erfüllung

Welche Erfüllungs"theorie" - kraft bewußter oder unbewußter Entscheidung - in ein Urteil einfließt, hängt nach meinem Eindruck einmal von der Aussagekraft der Indizien ab, die ohne eine zwanghafte Konstruktion für einen "Tilgungswillen" des Schuldners angeführt werden können. In gleicher Weise wird auch das Bild, das sich ein Richter von den Parteien als denkende Kontrahenten oder als unerfahrene Schuldner mit geringem Urteilsvermögen macht, die Deutung mehr nach der "finalen" oder der ,,realen" Seite ausschlagen lassen.

5. Die Eifüllung eines Zeitungsabonnements - Beleg für die "reale" Tilgungsbestimmung a) Damit sich der Blick nicht allein auf die pathologischen Sachverhalte beschränkt, mit denen sich die höheren Gerichte zu beschäftigen haben, mag ein alltäglicher Vorgang die praxisorientierten Überlegungen beschließen. Im Juli 1990 wurden zwei Austrägerinnen einer Kieler Tageszeitung für ihre dreißigjährige Arbeit bei dem Verlag mit der Verdienstmedaille der Bundesrepublik geehrt; neunzehn andere Zustellerinnen erhielten für eine fünfundzwanzigjährige Tätigkeit eine Ehrenurkunde des Verbandes schleswig-holsteinischer Zeitungsverleger 48 • b) Wir betrachten unter dem Blickwinkel der "finalen" und der ,,realen" Erfüllungslehre das Zeitungsabonnement, einen Sukzessivlieferungsvertrag 49 , der den Kunden mit dem Verleger (in anderen Fällen dem Vertrieb) verbindet, und das Dienstverhältnis der einzelnen Austrägerin. Das Abonnement wird jeden Tag durch Lieferung der neuesten Ausgabe erfüllt, ohne daß diese Leistung das zumeist auf eine unbestimmte Zeit geschlossene Dauerschuldverhältnis beendigt; die Vorschrift des § 362 BGB gilt für das Schuldverhältnis über eine einzelne Ausgabe, somit für eine abgrenzbare Teilerfüllung, und mit ganz verschiedener Dauer, mithin ein zweites Mal, für den kaufrechtlichen Rahmenvertrag 50 . Entsprechende Einsichten lassen sich für das Dienstverhältnis der einzelnen Trägerin gewinnen. Würde man die Lieferung der Ausgabe Nr. ,,159/1990" an den Abonnenten ,,A" (rechtlich eine durch die Botin vermittelte Übereignung im Sinne des § 929 47 OLG Frankfurt, NJW-RR 1988, Seite 108, mit den Leitsätzen: ,,Ergeben die Umstände nicht mit ausreichender Sicherheit, daß der Zahlungsempfanger als Inkassobeauftragter des Dritten gemeint. war, so muß angenommen werden, daß die Zahlung zur Erfüllung der Forderung diente, die dem Zahlungsempfanger selbst gegen den Schuldner zustand. Die Zahlungsbestimmung darf nur nach solchen Umständen beurteilt werden, die nach außen in Erscheinung getreten und einem objektiven Zahlungsempfanger erkennbar sind. Nicht bekannt gewordene betriebsinterne Vorgänge bei dem Schuldner bleiben außer Betracht." 48 "Kie1er Nachrichten" vom 11. 7.1990. 49 Walter, Kaufrecht (1987), § 3 11 3 b. 50 So auch v. Gierke, Deutsches Privatrecht, 3. Band, Schuldrecht (1917), Seite 88, und Iherings Jahrb. Bd. 64 (1914), Seite 355/66-67.

III. Die Relativität der Erfüllungstheorien

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BGB) und die darauf bezogene Tätigkeit der Zustellerin als eine "finale" oder eher als eine ,,reale" Erfüllung auffassen? Mit einiger Akribie und unter Anwendung eines psychologischen Erfahrungssatzes 51 könnte man aus dem Einigungsangebot des Verlegers an den Abonnenten, verwirklicht in der gelieferten Zeitung, und der Handlung der Zustellerin: dem Einstecken der Ausgabe in den Briefkasten des Beziehers, einen "stillschweigend" geäußerten Erfüllungswillen herausfiltern; sind doch alle diese Handlungen auf einen Vertrag und damit auf einen Sinn bezogen. Aber wie konstruiert würde sich diese Analyse in einem Verhältnis mit stereotypen Handlungen darstellen, die sich täglich, im Falle der Zustellerin sogar in jeder Minute ihrer morgendlichen Arbeit wiederholen, so daß die einzelnen Akte nicht mehr als "finale" Handlungen erlebt werden?

6. Die Theorie der "finalen" und der" realen" Leistungsbestimmung als Ausdruck gewollter und zugerechneter Handlungen Die bestimmenden Züge der Willenserklärung: ihre Eignung, dem Willen des einzelnen Gestalt und rechtliche (d.h. bindende) Geltung zu verschaffen (sog. Element der Selbstbestimmung) und weiter: ihn dem Adressaten so zu übermitteln, daß er darauf rechtlich zu reagieren vermag (sog. Element der sozialen Kommunikation)52 spiegeln sich in den Theorien der "finalen" und "realen" Leistungsbestimmung wider. Jene betont die Autonomie des Schuldners 53, diese die Zurechnung des Sinnes einer Leistungshandlung als Erfüllung 54. Jene muß bis zum äußersten, mithin unter Verwertung aller in Betracht kommenden Indi51 Daß im Wirtschaftsleben nichts ohne Gegenleistung zu haben ist, eine Erfahrung, die der Nationalökonom Adam Smith (1723 -1790) in seinem 1776 veröffentlichten Werk "Inquiry into the nature and causes of the wealth of nations" so ausdrückt: "It is not from the benevolence of the butcher, or the baker, that we expect our dinner, but from their regard to their own interest. We address ourselves, not to their humanity but to their selflove, and never ta1k to them of our own necessities but of their advantages" (Chapter 11, 2). ,,Nicht von dem Wohlwollen des Fleischers oder Bäckers erwarten wir unsere Mahlzeit, sondern von ihrer Bedachtnahme auf ihr eigenes Interesse. Wir wenden uns nicht an ihre Humanität, sondern an ihre Eigenliebe, und sprechen ihnen nie von unseren Bedürfnissen, sondern von ihren Vorteilen." 52 Das Testament gilt zwar als einseitiges, nicht empfangsbedürftiges Rechtsgeschäft. Aber mit der letztwilligen Verfügung ist die Erwartung verbunden, der Erbe oder Vermächtnisnehmer werde mit den ihm zugewendeten Gegenständen im Sinne des Testators verfahren. Besonders fällt diese Beziehung über den Tod hinaus bei dem Testamentsvollstrecker ins Auge, der die letztwilligen Verfügungen des Erblassers zur Ausführung zu bringen hat (§ 2203 BGB). 53 Weitnauer, Festschrift für v. Caemmerer, Seite 255/60 und 62 (Vgl. oben I 2 b zu Fußnote 13 im Zusammenhang mit der Theorie der Zweckvereinbarung); Gernhuber, a.a.O., § 511 8. 54 Larenz, Allgemeines Schuldrecht, 14. Aufl., § 18 I 5: Es genügt zur Erfüllung, "wenn der Bezug auf die bestimmte Schuld offenkundig ist", die Herbeiführung des Leistungserfolgs durch eine Leistungshandlung des Schuldners. 6 Henke

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3. Teil: Leistung und Erfüllung

zien, dem "Willen" des Schuldners, wenn auch nur einem "stillschweigend" geäußerten 55, nachgehen; diese kann sich mit einer dem Leistenden kraft des Schuldbandes zugerechneten Bedeutung begnügen, hinter der ein eindringender Beobachter letztendlich doch wieder einen "latenten Erfüllungswillen" des Schuldners entdeckt 56 .

7. Das Wort von der "herrschenden" und der "überwundenen" Erfüllungstheorie - eine verzeichnende Gegenüberstellung a) Ist es angemessen, von ,,herrschenden" und "überwundenen" Erfüllungstheorien zu sprechen?57 Wie gering der Unterschied zwischen einer "finalen" und einer ,,realen" Zuordnung des Leistungsgegenstandes dort ist, wo über seinen Bezug kein Zweifel besteht, läßt sich den besprochenen Sachverhalten entnehmen. Für ihre - praktische - Nähe spricht auch der Umstand, daß sich die finale Richtung in glatt liegenden Fällen 58 mit einem "stillschweigenden Willen" begnügen muß, die reale dagegen - wie bereits ausgeführt - nicht leugnen dürfte, daß auch hinter tatsächlichen Handlungen ein "latenter Erfüllungswille" steht 59. Ob ein Gericht mit "Fiktionen" oder angenommenen "Realitäten" arbeitet, ist praktisch gesehen Geschmackssache. Der eingeschlagene Weg ist zwar Rechtsphilosophie in Gestalt einer individualisierenden und einer typisierenden, wenn nicht gar soziologischen 60 Anschauungsweise. Der anspruchsvolle Ausgangspunkt verflüchtigt sich jedoch auf der Ebene der Praxis in Formulierungsunterschiede. Auch die Frage der Geschäftsfähigkeit des Leistenden beantworten die beiden Richtungen übereinstimmend 61: 55 Ein Komprorniß, der nur an versteckter Stelle erkennbar wird, etwa bei Gernhuber, a.a.O., § 7 I 4 b: "Ausdrückliche Erklärungen (d.h. welche der verschiedenen Verbindlichkeiten getilgt werden sollen) sind empfehlenswert, doch kann die Bestimmung des Schuldners auch aus konkludentem Verhalten erschlossen werden." 56 So auch Larenz, Allgemeiner Teil, 1. Aufl., (1967), § 34 11 (Seite 516) im Zusammenhang mit der damals vertretenen Lehre vom "Sozialtypischen Verhalten als Annahme" eines Vertragsangebots. 57 Gernhuber, a. a. 0., § 5 11 6: "Dem Niedergang der Vertragstheorie entsprach ein Aufschwung der Theorie der realen Leistungsbewirkung." 58 Die Austrägerin einer Tageszeitung stellt täglich 66 Stück zu. Wie tritt ihr Erfüllungswille im Hinblick auf die eigene Verpflichtung und die des Verlegers gegenüber den Abonnenten in Erscheinung? 59 Der von Larenz, Allgemeines Schuldrecht, 14. Aufl., § 18 I 5 (Seite 239) angeführte Gärtner, der in Abwesenheit des Gartenbesitzers eine Hecke schneidet, müßte - und würde - nach dem Sinn seiner Arbeit befragt, diese als Erfüllungshandlung deklarieren. 60 Larenz, a.a.O., Seite 241, mit dem Hinweis auf die "große Mehrzahl der Fälle". 61 Gernhuber, a. a. 0., § 5 III 2 b: Bei tatsächlichen Handlungen ist von einer Anwendung der §§ 104 ff BGB abzusehen, weil es "sachadäquat" sei, die Fähigkeit zur Abgabe der Zweckbestimmung der Fähigkeit zur Vornahme der Leistungshandlung folgen zu lassen.

III. Die Relativität der Erfüllungstheorien

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Der von Oertmann 62 entdeckte Virtuose, der ein Konzert im Opiurnrausch oder nach Entmündigung wegen Größenwahns gibt, der vom religiösen Wahn ergriffene Schuster, der Stiefel ausbessert, sind (selbstredend) erfüllungsfähig! Gleiches gilt für den Rockmusiker unserer Zeit, als dessen häufigste Todesursache, der eigentliche "branchen-spezifische Tod dieser Zunft", der Griff nach der Droge bezeichnet wird 63. Rechtsgeschäftliche (im Gegensatz zu tatsächlichen) Leistungen durch oder an Geschäftsunfähige tilgen keine Schuld, weil die Erfüllung die Gültigkeit des vollziehenden Geschäfts, also der Übereignung, Abtretung, Verpfändung usw., voraussetzt 64 • b) Trotz der Abweichungen, die sich praktisch gesehen in Nuancen niederschlagen, hat die "reale" Betrachtungsweise die Wirklichkeit der Schuldverträge und ihrer Erfüllung für sich 6S. Die ihrer Zahl nach gar nicht erfaßbaren Lieferungen und Leistungen des täglichen Lebens werden nicht von besonderen Erklärungen begleitet und vertragen diese Erschwerung auch gar nicht. Denn wer käme auf den Gedanken, den Umsatz in einem Supermarkt oder Kaufhaus, das Lösen von Fahrkarten eines öffentlichen Verkehrsmittels, den Eintritt in eine kulturelle oder gar sportliche Veranstaltung sowie die unzähligen Dienst- und Werkleistungen des täglichen Wirtschaftslebens mit Erklärungen zu versehen, die einen Erfüllungswillen zum Ausdruck bringen? Die Erfahrung, daß die Masse und Gleichförmigkeit der Bagatellgeschäfte jeden bestimmenden Formalakt beiseite spülen, wird schon vom praktizierten römischen Recht berichtet 66 , so daß die von dort gewonnene Vorstellung eines Erfüllungsvertrags den gewichtigen Ausnahmen vorbehalten sein muß - auf dem Marktplatz hatte sie keinen Sinn! c) Bedenkt man, daß auch der Erfüllungsvertrag und die Zweckvereinbarung ihre Berechtigung haben: der Vertrag als Anerkennung einer gehörigen Leistung 67 , die Vereinbarung als zweiseitige Festlegung des Schuldverhältnisses, auf das der Verpflichtete leistet 68 , so darf letztlich die Überschrift des behandelten Abschnitts 69 wieder aufgenommen werden: Jede der einzelnen Erfüllungstheorien hat ihren größeren oder weniger großen Anwendungsbereich. Ihre Wahrheit liegt in der Relativität, ihr Irrtum in der Unbedingtheit ihres Geltungsanspruchs. Recht der Schuldverhältnisse, 3. und 4. Auf!., 4 b ß zu § 362. "Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom l2.8.1989. 64 Veranschaulicht an Hand des Falles RG Warn. Rechtspr. 1930, Nr. 161. 6S G. Boehmer, wohl der temperamentvollste Vertreter der ,,realen" Theorie, warf daher zu Recht der Lehre vom Erfüllungsvertrag einen Mangel an "soziologischem Einfühlungsvermögen" vor (Grundlagen der bürgerlichen Rechtsordnung, Bd.II/l, 1951, Seite 79, unter 2). 66 Kaser, Das römische Privatrecht, 1. Abschnitt, 2. Auf!. (1971), § 1481. Zu denken ist in diesem Zusammenhang an alle Hand- oder Bargeschäfte, etwa die Benutzung öffentlicher Badeanstalten (balneae oder thermae) und öffentlicher Toiletten (sellae Patroclianae - "pecunia non olet"). Nachweise bei H. Blürnner, Die römischen Privataltertümer (1911), Seite 49, Fußnote 3, und 421-22. 67 Oben I 2 bund III 2 b. 68 Oben III 3 a und c. 69 Oben III. 62

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Vierter Teil

Der Leistungsbegriff im Bereicherungsrecht ein irreführendes Gebilde? I. Die "Leistung": Grundvorgang des sozialen Lebens und Grundbegriff des Schuldrechts, mithin auch des Bereicherungsrechts 1. Die "Leistung" im zwischenmenschlichen und rechtlichen Verhältnis a) In dem Begriff der "Leistung" als einer sinnvollen, von bestimmten Zielen getragenen Wertbewegung J verbinden sich mit gutem Grund zwischenmenschliche und rechtliche Erkenntnisse. Da Gesetze die zwischenmenschlichen Beziehungen ordnen, dürfen sie diese nicht ignorieren - im Gegenteil: die Verbindungen zwischen den Menschen, seien sie positiv oder negativ getönt, sind Grundlage und Ausgangspunkt der Rechtsverhältnisse. Aus diesem Grunde haben der "Sinn" und die "Leistung" in den zwischenmenschlichen Beziehungen ein Seitenstück im ,,zweck" (der "causa") und in der "Leistung", wie sie das Rechtsverhältnis prägen 2 • Die Übereinstimmung der beiden Bereiche ist allerdings nicht vollständig: Das "Rechtsverhältnis" und die ,,Leistung" im Sinne einer Gesetzesbestimmung sind präziser gefaßt und weniger auf die Person der Beteiligten bezogen, damit auch weniger gefühlsbetont und verletzbar als die gleichlautenden Merkmale eines sozialen Verhältnisses; sie sind wissenschaftliche Abstraktionen, welche die Sicherheit des Rechtsverkehrs und die Übersehbarkeit seiner Beziehungen nötig machen. b) Wegen seiner Verbindung mit dem "Sinn" menschlichen Handeins, damit also seiner Lebensnähe, ist es nicht verwunderlich, daß der Rechtsbegriff der "Leistung" etwa seit Mitte der fünfziger Jahre 3 ein Gebiet geprägt hat, auf dem Zur Definition der ,,Leistung" oben 1. Teil, II 4 und 6 c. Ich verweise auf den oben 1. Teil, II 5 angestellten Vergleich. 3 Eine Begriffsgeschichte, die auf diesem Gebiet angestrengter Gelehrsamkeit als Wegweiser dienen kann, findet sich bei Reuter / Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung (1983), § 2 III zu Fußnote 81, und bei Lieb im Münchener Kommentar, 2. Aufl., 23 zu § 812. Die Chronologie läßt erkennen, wie Gedanken von Autor zu Autor springen und von der Literatur ausgehend die Gerichte beeinflussen (BGH 58,184/88: " ... nach nunmehr gefestigter Rechtsprechung ... "). J

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1. Die "Leistung" - Grundbegriff des Bereicherungsrechts

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man zwei Jahrzehnte später - seit Anfang der siebziger Jahre - um seine Verabschiedung im ganzen oder in Teilen kämpft 4 : dem der ungerechtfertigten Bereicherung. Soll das bisher entwickelte Merkmal auch das Bereicherungsrecht beeinflußt haben, so setzt diese Aussage voraus, daß hier mit der ,,Leistung" dasselbe wie im Allgemeinen Schuldrecht gemeint ist: die sinnvolle Wertbewegung.

2. Die "Leistung" im Allgemeinen Schuldrecht und im Bereicherungsrecht: Was spricht für, was spricht gegen die Einheitlichkeit der Begriffe? Darf man eigentlich von einer Übereinstimmung der Begriffe ausgehen oder gilt nicht auch hier die Einsicht, daß es nur wenige juristische Merkmale gibt, die - auf kein bestimmtes Gebiet zugeschnitten - eine allgemeine Bedeutung besitzen 5? a) Ein erster Vorbehalt ließe sich aus dem Bestehen oder Fehlen des sog. "Rechtsgrundes" ableiten. Ich zitiere eine Abhandlung über die "Rechtsnatur der Leistungskondiktion"6: "Leistung" i. S. des § 241 BGB sei das geschuldete, i. S. des § 812 BGB dagegen das nicht geschuldete Verhalten. Denn: "Solche Leistung (gemeint ist i. S. des § 241) könnte niemals ohne rechtlichen Grund geschehen sein."

Die These vom Einfluß des Rechtsgrundes auf das Merkmal der "Leistung" gibt sich zwar den Anschein der Selbstverständlichkeit, sie ist jedoch gleichwohl falsch, weil sie das Band des Schuldverhältnisses mit seinem Gegenstand, der "Leistung", in eins setzt. Die Verschiedenheit der beiden Teile zeigt sich, wenn ein Dritter anstelle des Schuldners die "Leistung" bewirkt (§ 267 BGB) oder der Gläubiger die ,,Leistung" an einen Dritten fordert - Situationen, in denen sich 4 Canaris, Festschrift für Larenz (1973), Seite 799/857 und 859: "Abschied vom Leistungsbegriff' und "Verzicht auf die Argumentation mit Hilfe des Leistungsbegriffs" sowie "unmittelbarer Rückgriff auf die einschlägigen Wertungen"; deutlich einschränkend dagegen WM 1980, Seite 354/69: Ausgangspunkt sei die ,,Leistung", das Merkmal sei jedoch "von seiner Überforderung zu entlasten"; Lieb, a. a. 0., 25 zu § 812: Der modeme, d. h. auf den Zweck der Zuwendung ausgerichtete, Begriff "Leistung" ist ein "Irrweg". Diese Erkenntnis, so Lieb a.a.O., 56-57 zu § 812, werde durch die Rechtslage bei fehlender Anweisung des Schuldners unterstrichen: Obwohl die verfolgten Ziele des Schuldners und des sog. Leistungsmittlers, etwa eines Kreditinstituts, auf ,,Leistungs"beziehungen hinwiesen, müsse sich der Ausgleich auf eine Nichtleistungskondiktion der vermittelnden Stelle gegen den Gläubiger (auf den sog. "Durchgriff") konzentrieren. 5 Zu denken ist hier gerade an die übergreifenden Begriffe des Allgemeinen Teils des BGB: Die natürliche und juristische Person, die Rechtsfähigkeit, das subjektive Recht, das Rechtsverhältnis, der Anspruch im Sinne des bürgerlichen Rechts. 6 Kötter, AcP Bd. 153 (1954), Seite 193/95.

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4. Teil: Der Leistungsbegriff im Bereicherungsrecht

das Schuldband und der Schuldgegenstand deutlich voneinander abheben. Das Fehlen des "Rechtsgrundes" beeinflußt zwar die Bestandskraft, nicht aber den Inhalt dessen, was im Schuldrecht als "Leistung" anzusehen ist. b) Daß die "Leistung" i. S. des Allgemeinen Schuldrechts und des Bereicherungsrechts nicht auf einen Nenner gebracht werden dürfe, liegt auch in der Konsequenz der gängigen Formel: "Leistung", wie sie § 812 BGB meine, sei die bewußte und zweckgerichtete "Vermögens"verschiebung 7 • Zusagen ohne marktwerten Gegenstand: die Ernennung zum Honorarprofessor, die Teilnahme an einem wissenschaftlichen Kolloquium, die Museumsführung durch Doktoranden, die Begleitung auf einer Reise, die Verpflichtung, am Arbeitsplatz nicht zu rauchen 8, dürfe zwar das Allgemeine Schuldrecht als bindend anerkennen, das Bereicherungsrecht müsse sie indessen als Inhalt der "Leistung" ignorieren. Stimmt diese Aussage eigentlich oder ist hier nicht wieder einmal eine Ungenauigkeit der Begriffe am Werk? So wie ich es sehe, gilt das letztere: Man hält Voraussetzung und Folge der sog. Leistungskondiktion nicht genau genug auseinander. c) Beginnen wir mit dem einfachen Fall der Rückgabe von Sachen und werfen dazu einen Blick in die "Gerichtlichen Bekanntmachungen" des Bundesanzeigers, der sprechender als jeder Kommentar die Rechtspraxis wiedergibt. Die mit Hilfe des Blattes öffentlich zugestellten Klagen 9 verlangen die Herausgabe von Lohnsteuerkarten und Sozialversicherungsnachweisen 10, Prozeßunterlagen 11, den Schriftverkehr mit einem Finanzamt 12 , sowie des Dienstausweises eines Bewachungsunternehmens 13 - Dokumente, für die sich kein Wertersatz (§ 818 11 BGB) festlegen läßt, wenn sie in Verlust geraten sind. Können sie nicht gleichwohl Gegenstand einer Forderung auf Herausgabe sein, wenn sie "ohne rechtlichen Grund" in die Hand des Beklagten gelangten? 14 Auch der Bereicherungsanspruch setzt doch das ursprüngliche (Eigentums-) Recht des Klägers fort 15! 7 BGH 58, 184/88 ("gefestigte Rechtsprechung"); Palandt / Thomas, 49. Auf!. (1990), 2 a und 4 zu § 812; Reuter / Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung (1983), Seite 81: "Diese heute in der Literatur weithin herrschende Definition des Leistungsbegriffs, der auch die inzwischen fast formelhaft erstarrte Rechtsprechung folgt ... ". Zweifelnd, jedoch ohne grundsätzliche Stellungnahme dagegen a. a. 0., Seite 530: ,,zuzugeben ist freilich, daß in derartigen Fällen (gemeint ist die Abgabe einer Ehrenerklärung) der Leistungsbegriff - bewußte und zweckgerichtete Vermehrung fremden Vermögensnicht mehr stimmt." 8 Oben 1. Teil II, 5 bund 6. 9 Rechtsgrundlage ist § 204 III ZPO. 10 Arbeitsgericht Hameln, Bundesanzeiger vom 11.2. 1986. II AG Gütersloh, Bundesanzeiger vom 27.2.1986. 12 AG München, Bundesanzeiger vom 26.9.1986. 13 Arbeitsgericht Pforzheim, Bundesanzeiger vom 8.8. 1987. 14 Zutreffend in diesem Zusammenhang Reuter / Martinek, a. a. 0., Seite 530: Auf die Art des Vorteils komme es nicht an. Denn andernfalls entstehe eine Lücke im Recht der Rückabwicklung.

I. Die "Leistung" - Grundbegriff des Bereicherungsrechts

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Schwieriger steht es zugegebenermaßen mit der "Herausgabe" erlangter Dienste und Nutzungen, die sich nicht in Natur zurückführen lassen, so daß das Gesetz auf den Ersatz ihres (Markt-) Wertes ausweichen muß (§ 818 11 BGB)16. Der "Marktwert", den die Teilnahme eines Gelehrten an einem wissenschaftlichen Kolloquium hat 17, läßt sich jedoch ebensowenig in Mark und Pfennig ausdrücken wie die Nutzung von Matratzen, Bettwäsche, Pelzen, Schuhen und Lederwaren 18. Aber soll man wegen dieser Verlegenheit eine Leistung nicht mehr "Leistung" nennen dürfen, wo es doch nur um die Einsicht geht, daß das auf den Empfänger blickende Bereicherungsrecht hier keine - oder wenigstens nur behelfsmäßige 19 - Mittel der Rückerstattung besitzt? Eine zutreffende Begriffs bildung halte vielmehr die "Leistung" im natürlich-zwischenmenschlichen Sinn 20 , die "Leistung", wie sie das ganze Schuldrecht (einschließlich des Bereicherungsrechts) versteht, und die bereicherungsrechtlich nur "in Natur erstattungsfahige Leistung" auseinander. Sie nehme sich das Schadensersatzrecht zum Vergleich, das, in diesem Punkt besser durchgebildet, den "Schaden" nach natürlicher Auffassung, die "Verletzung von geschützten Rechtsgütem" und den "rechtlich ersatzfahigen Schaden" unterscheidet 21. So hält die Verkehrsauffassung den Verlust des Arbeitsplatzes, z. B. infolge einer Brandstiftung 22 , für einen "Schaden"; der Brandstifter verletzt jedoch kein geschütztes Rechtsgut der Arbeitnehmer 23 , die auch keinen "ersatzfähigen Vermögens schaden" für

15 So auch Reuter 1Martinek, a. a. 0., Seite 76. 16 In anderer Ausdrucksweise der objektive Wert (Reuter 1 Martinek, a.a.O., Seite 566; Palandt/Thomas, a.a.O., 5 c zu § 818). 17 Ein Beispiel, das ich oben, 1. Teil, II 7 b, anführe. Ist "Professor" gleich "Professor"? In der Hauptsache dürfte es auf die Mittel ankommen, die dem Veranstalter zur Verfügung stehen: Ein Honorar kann einmal 60 DM, ebenso gut aber auch 500 DM betragen. 18 Eine Frage, die § 2 des Abzahlungsgesetzes stellt, die sich nach Aussage des Kommentars von Ostler 1Weidner, 6. Aufl. (1971), Anhang zu § 2, jedoch nur durch Prozentsätze der Wertminderung beantworten läßt. 19 Das Urteil BGH 41, 282/90, läßt für die unwirksame Antellung des Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft die vereinbarten (!) Bezüge als Maßstab gelten. Zustimmend Palandt 1Thomas, a.a.O., 5 c zu § 818. 20 Ich erinnere daran, daß die Leistung für Max Weber auf das "Wirtschaften" bezogen ist, also eine Tätigkeit mit idealen Gründen und Zielen nicht in den Begriff aufzunehmen vermag (oben 1. Teil, II 2 und 5). 21 Zur Unterscheidung des "natürlichen" und des ,,rechtlichen" Schadens Larenz, Allgemeines Schuldrecht, 14. Aufl., § 27 II a; H. Lange, Schadensersatz (1979), § 1 I und III. 22 Im Jahre 1983 legte ein Kfz-Mechaniker bei den Schickedanz-Papierwerken in Glückstadtl Schleswig-Holstein mehrere Großbrände. Sie richteten einen Schaden von über 22 Millionen DM an; mehr als 200 Mitarbeiter verloren ihren Arbeitsplatz ("Kieler Nachrichten" vom 26.8.1983). 23 Literatur und Rechtsprechung haben sich zu einer Anerkennung nicht durchringen können. Man lese mit Nachweisen pro et contra: Soergel/Zeuner, 11. Aufl. (1985), 131 zu § 823; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 6. Aufl. (1987), § 110 I 3; BAG AP Nr. 2 zu § 70 BAT.

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4. Teil: Der Leistungsbegriff im Bereicherungsrecht

sich in Anspruch nehmen können, wenn sie nach dem Ablauf einer Durchhaltefrist gekündigt werden.

d) Geht man davon aus, daß "Leistungen" im Rechtssinn wegen ihrer Verbindung mit den Lebensverhältnissen nur in dem Ausnahmefall der Unterlassung durch ,,Nichtstun" neutrale 24, regelmäßig jedoch sinnvolle 25, oft sogar ausdrücklich zweckbestimmte Zuwendungen 26 sind, so rechtfertigt sich die sog. Leistungskondiktion des Bereicherungsrechts aus einer folgerichtigen Einsicht: Der Rückruf einer Wertbewegung "ohne Rechtsgrund" ist angezeigt, wenn diese ihr Ziel, vor allem die Tilgung, bei den sog. Realverträgen aber auch die Begründung einer Verbindlichkeit 27 , nicht erreicht hat 28 • Sie ist dann praktisch und rechtlich 24 Der Mieter füttert keine Tauben, weil er sie nicht leiden kann (oben 1. Teil, III 1 c, aa) und 2 c, aa». In diesem Punkte zutreffend die sog. "Theorie der realen Leistungsbewirkung": Zur Erfüllung genüge der Leistungserfolg, dem hier ausnahmsweise keine Leistungshandlung vorauszugehen hat (oben 3. Teil, I 1 c und II 3 a). 25 Der Mieter unterläßt es trotz eines aufkommenden Bedürfnisses, sich um Mitternacht ein Bad einlaufen zu lassen, weil er sich in die Hausgemeinschaft einfügt und so eine Unterlassungspflicht aus dem Mietvertrag bewußt erfüllt. 26 Die Überweisung im Bankverkehr mit genauer Angabe der Kunden- und Rechnungsnummer. 27 Hingabe eines Geldbetrags "als Darlehen" zur Begründung des Vertrags und der Pflicht zur Rückzahlung (§ 607 BGB), sofern die Abrede erst mit der Hingabe der Summe "gelten" soll (oben, 1. Teil, I 9 c). 28 So das sog. "subjektive" Verständnis des gesetzlichen Merkmals "ohne Rechtsgrund", welches das Handbuch von Reuter / Martinek, § 4 II 4 b zu Fußnote 148, als "herrschende Auffassung" bezeichnet. Die "objektive" Deutung, die - um nur einige Vertreter zu nennen - Palandt / Thomas, a.a.O., 6 zu § 812; Larenz, Schuldrecht, Besonderer Teil, 12. Aufl. (1981), § 68 I b, und Lieb im Münchener Kommentar, 2. Aufl., 138 zu § 812, für richtig halten, sieht den "Rechtsgrund" nicht in den erreichten oder verfehlten Zielen des Leistenden, sondern dem vorhandenen oder mangelnden Kausal- (d.h. Schuld-)Verhältnis, welches das "Behalten" einer Leistung rechtfertigt. Die "objektive" Auffassung hat den Wortlaut des § 812 I BGB (Leistung "ohne Rechtsgrund") für sich, die "subjektive" trägt dagegen der Aufgabe des Gesetzes Rechnung, dem Einzelnen die Erfüllung seiner persönlichen Ziele zu ermöglichen. Wie nahe beide Auffassungen beieinander liegen, erhellt an einem Beispiel: Eine Rente, die der Sozialversicherer weiter entrichtet, weil ihm der Tod des Berechtigten erst nach Monaten bekannt wird, ist "ohne Rechtsgrund" geleistet. Sie hat ebenso ihren ,,zweck" verfehlt; dient sie doch nicht der Vermehrung des Nachlasses. Der Einwand von Kupisch (NJW 1985, Seite 2370/71 - 72), gegen die am Leistungszweck orientierte ("subjektive") Auffassung des Rechtsgrundes, es sei "völlig gleichbedeutend", ob man leiste, weil man schulde, oder: um die Schuld zu tilgen, ist psychologisch nicht haltbar: Wer nur aus dem Grunde leistet, weil er schuldet, und dennoch nicht von seiner Pflicht befreit wird, handelt sinnlos oder unter dem Druck eines übermächtigen Gläubigers, dem die (rechtliche) Wirkung der Leistung, das Loskommen von der Schuld, gleichgültig ist. Man kauft auch nicht Brot, wie Kupisch an einem lebensnahen Beispiel zu belegen sucht, weil einen hungert, sondern um mit dem gekauften Brot seinen Hunger zu stillen - eine Aussage, die das Motiv des Hungers und das Ziel der Handlung gleichermaßen heraustreten läßt. Ein ungenießbares Brot, das den Hunger nicht stillt, ist als Gegenstand einer Gattungsschuld keine Erfüllung (§ 480 BGB).

I. Die "Leistung" - Grundbegriff des Bereicherungsrechts

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sinnlos 29 • Da die "Leistung" keinen Vermögenswert zu haben braucht, teilt sie mit dem Allgemeinen Schuldrecht die Grundlage in Gestalt dieser (zweckgerichteten) Zuwendung oder "Leistung"30, ihre Rückforderung verlangt allerdings das zusätzliche Merkmal: daß sie ihr Ziel nicht habe erreichen können.

3. "Rechtsgrund" und "Leistung" i. S. des § 812 BGB a) Wer die Erfüllung i. S. des § 362 BGB ,,real", d.h. durch Übereinstimmung des Leistungsgegenstandes mit der Schuld bestimmt 3l , wird dazu gedrängt, auch den "Rechtsgrund" nach § 812 BGB objektiv als Fehlen des Kausal- oder Schuldverhältnisses zu deuten 32 . Da aber auch die "reale" Erfüllung eine Zweckbestimmung in sich birgt, die aus dem Verborgenen nur an das Licht des Tages gehoben zu werden braucht, ist dieser Schluß auf einen objektiven Rechtsgrund naheliegend, aber nicht zwingend. b) Stellt das Bereicherungsrecht auf die Leistungshandlung oder den Leistungserfolg ab? Wenn der Bereicherungsanspruch darauf gegründet ist, daß der Bereicherungsschuldner durch eine Handlung des Gläubigers etwas "erlangt" hat, zu dessen Herausgabe er dann verpflichtet ist, muß zur "Leistungshandlung" ein ,,Leistungserfolg" hinzutreten - freilich nicht im Sinne der Erfüllung des Schuldverhältnisses (§ 362 BGB) - das wäre mit der Zweckverfehlung als Grundlage des Bereicherungsanspruchs unvereinbar -, sondern bloß einer teils tatsächlichen 33, teils rechtlich-forrnalen 34 Wertverschiebung. 29 Kupisch (a.a.O., Seite 2372-74) beunruhigt der Gedanke, daß ein nach § 362 BGB erfüllter und daher erloschener Anspruch ,,Rechtsgrund" dafür sei, um die Leistung behalten zu dürfen. Wie kann, so fragt er pathetisch, der erfüllte und damit "tote" Anspruch des Käufers auf die Kaufsache deren Rückforderung durch den Verkäufer unterbinden (a.a.O., Seite 2371, II I)? Das klinge eher nach Metaphysik als nach Jurisprudenz. Die Antwort ist m. E. einfach: Erstes, weil der Verkäufer leistet, um sein Wort (aus § 433 BGB) zu erfüllen, und die Erfüllung - die ihn vor weiteren Forderungen seines Kontrahenten schützt (§ 362 BGB) - erreicht. Zweitens: Weil er den Kaufpreis zu erhalten bzw. zu behalten wünscht. Aus beiden Gründen darf er das von ihm Erstrebte und Erreichte nicht wieder in Frage stellen. 30 So auch die wenigen Darstellungen, die sich der Frage: "Leistung = Leistung?" widmen: Weitnauer, Die Leistung, Festschrift für v. Caemmerer, Seite 255/58 und 29293; Gemhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, § 5 11 6 zu Fußnote 47; Wieacker, Festschrift für Nipperdey, Bd. I, Seite 785, Fußnote 5 (allerdings verneinend: Die bereicherungsrechtliche "Leistung" müsse wegen ihrer selbständigen dogmengeschichtlichen Tradition von dem allgemein-schuldrechtlichen Merkmal "ferngehalten werden"). 3l Oben, 3. Teil I 1 c. 32 Einen solchen Zusammenhang sehe ich bei Larenz, Allgemeines Schuldrecht, 14. Aufl., § 18 I 5, und Besonderes Schuldrecht, 12. Aufl., § 68 I b, sowie bei Palandt / Heinrichs, 49. Aufl., 2 b zu § 362, und 6 zu § 812 - er wird allerdings nicht ausgesprochen. 33 Hilfe bei dem Bau eines Aussiedlerhofes unter Brüdern, Wegfall des ,,rechtlichen Grundes" infolge des Todes des einen Bruders (BGH NJW-RR 1986, Seite 155).

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4. Teil: Der Leistungsbegriff im Bereicherungsrecht

"Leistung" i. S. des § 812 BGB ist also der durch eine Leistungshandlung herbeigeführte Leistungs" erjolg", ein Ergebnis, welches das gesetzliche Merkmal der "erlangten" Bereicherung unterstreicht und sich damit widerspruchslos in die Begriffe des Allgemeinen Schuldrechts einfügt.

11. Die Schärfe des Leistungsbegriffs und die mangelnde Beweglichkeit des begrimichen juristischen Denkens 1. Klarheit und Lebensnähe in konfliktfreien Beziehungen: die Vorzüge des Leistungsbegriffs a) In der "Leistung" als einer sinnvollen Wertbewegung schlägt sich das Kräftespiel der zwischenmenschlichen Beziehungen nieder; daraus gewinnt der Begriff seine Richtigkeit, Klarheit und das treffende Attribut: "Die Seele des Schuldverhältnisses" 1. Verallgemeinert man diese Erkenntnis, so bestätigt sie den Jheringschen Satz: "Der Zweck ist der Schöpfer des ganzen Rechts"2. In seiner Klarheit und Lebensnähe liegt die Stärke des Begriffs, Eigenschaften, die ihn zum bestimmenden Merkmal der sog. Leistungskondiktion gemacht haben, weil sie den Subtilitäten des "typisch juristischen Denkens" überlegen ist. Denn mit dem Auftreten des Merkmals ,,Leistung" hatte die bis dahin für unverzichtbar gehaltene "Unmittelbarkeit der Vermögensverschiebung" zwischen dem Bereicherungsgläubiger und -schuldner 3 ihre Rolle ausgespielt. b) Was der Begriff für sich hat, mögen bestimmte, anscheinend immer wieder auftretende Sachlagen verdeutlichen. aa) Die Versuchung, sich seiner Schulden nötigenfalls mit illegalen Mitteln zu entledigen, ist der menschlichen Natur nicht fremd. Ein anscheinend immer wieder gesuchter Weg aus der Misere besteht darin, Verbindlichkeiten durch einen ahnungslosen Geldgeber als Werkzeug bezahlen zu lassen. Der Verwalter eines sächsischen Postamts hatte bei der Leipziger Vereinsbank 7.000 (Gold-)Mark Schulden, eine im Jahre 1902, der Zeit der geschilderten Begebenheit, außerordentlich hohe Summe 4 . Um die Gläubigerin zu befriedigen, machte er sich den 34 Ein Geisteskranker erwirbt ein Grundstück durch die Auseinandersetzung unter Miterben (RG JW 1931, Seite 2723) oder durch Kauf (BGH NJW 1973, Seite 613) und verkauft es weiter. Mit der Eintragung in das Grundbuch erlangt der Erwerber trotz der Nichtigkeit des Vertrags und der Auflassung die sog. "Buchberechtigung", nach den beiden Entscheidungen alleiniger Gegenstand der Leistungskondiktion. 1 H. Kreß, Lehrbuch des Allgemeinen Schuldrechts (1929), Seite 59; Weitnauer, Festschrift für v. Caemmerer, Seite 255/60. 2 Der Zweck im Recht Bd. I (1877), Vorrede, Seite VI und XIII. 3 Das Merkmal erläutert der Kommentar von Reichsgerichtsräten und Bundesrichtern, 11. Aufl., Bd. 11/2 (1960), 34-50 zu § 812. 4 RG 60, 24 vom Jahre 1904; nach einer Abhandlung im Archiv für Post und Telegraphie 1887, Seite 321 ("Befugnis der Postverwalter zur Rückforderung der auf gefälschte

H. Die mangelnde Beweglichkeit des begrifflichen Denkens

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Zugang zu den Büchern des Amtes zunutze, der ihm kraft seiner Stellung offenstand. Er fingierte Einzahlungen von insgesamt 7.000 M und ließ alsdann das Geld in gestükkelten Anweisungen mit dem Schein guter Ordnung in die Hände seiner Gläubigerin gelangen. Der Widerstreit der Positionen gibt der Entscheidung des Reichsgerichts im Beispielsfall das Gepräge: Es lag einerseits auf der Hand, daß die geschädigte Post versuchte, die Summe, um die sie geprellt war, von der Empfängerin, der Leipziger Vereinsbank, zurückzuerhalten; hatte sie doch aus ihrer Sicht die Überweisungen "ohne Rechtsgrund" ausgeführt. Andererseits durfte die Gläubigerin darauf vertrauen, daß es mit den ihr zugegangenen Beträgen seine Richtigkeit hatte. Als Zahlender war in den Postanweisungen ihr Schuldner und nicht etwa die Behörde vermerkt, und um das interne Verhältnis zwischen Auftraggeber und -nehmerin brauchte sie sich nicht zu kümmern. Mit welchen Argumentt:;n konnte aber der Bereicherungsanspruch der Post abgewehrt werden? Da das Reichsgericht nicht über den Begriff der "Leistung" verfügte, mußte es die in ihm zusammengefaßten 5 wirtschaftlichen Einsichten aus den Gegebenheiten des Zahlungsverkehrs herausarbeiten 6: "Bei dem Postanweisungsverkehr beschränkt sich die Aufgabe der Post darauf, den Übergang der angewiesenen Summy in den Besitz des Adressaten zu vermitteln; welcher Grund den Absender dazu veraniaßt, diesen Übergang unter Inanspruchnahme der Post herbeizuführen, und welchem rechtlichen Zwecke die angewiesene Summe dienen soll, ist für die Post ohne Bedeutung ... Die Forderung (i. e. der Leipziger Vereinsbank) ist daher erloschen; sie hat nicht mehr als ihr zukam erhalten und ist nicht rechtlos bereichert .... " Sieben Jahrzehnte später konnte der Bundesgerichtshof die bei unbaren Zahlungen entstehenden Ausgleichsverhältnisse kurz und knapp, aber auf der gleichen Linie wie das Reichsgericht, so kennzeichnen 7: "Nach allgemeiner Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum vollzieht sich der Bereicherungsausgleich in Fällen der Leistung kraft Anweisung grundsätzlich innerhalb des jeweiligen Leistungsverhältnisses, also einmal zwischen dem Anweisenden 8 und dem Angewiesenen 9 im sog. Deckungsverhältnis, zum anderen zwischen dem Anweisenden und dem AnweisungsempfangerIO im sog. Valutaverhältnis. Das folgt aus dem bereicherungsrechtlichen Leistungsbegriff, wie er in nunmehr gefestigter Rechtsprechung auch vom erkennenden Senat angewendet wird ..." Postanweisungen ausgezahlten Beträge") kein alleinstehender Fall. Legt man den heutigen Preis einer 20 Mark-Goldmünze von 229,14 DM zugrunde, belief sich die Schuld des Postverwalters auf 80. 199 DM. 5 Man nennt die ,,Leistung" zu Recht ein "dogmatisches Kürzel" (Reuter / Martinek, a. a. 0., § 4 II 5 c; Medicus, Bürgerliches Recht, 14. Aufl. (1989), Tz. 686 a. E). 6 A. a. 0., Seite 28-29. 7 BGH 61, 289/91 vom Jahre 1973. 8 In dem Fall der manipulierten Postanweisung dem Beamten. 9 In dem geschilderten Sachverhalt dem Postfiskus. 10 Das war hier die Leipziger Vereinsbank.

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4. Teil: Der Leistungsbegriff im Bereicherungsrecht

Auf den dargestellten Sachverhalt übertragen, besagt diese Richtlinie: Die Post war nicht "Leistende" im Verhältnis zu der Gläubigerin ihres Beamten. Als "diskret" handelndes Dienstleistungsunternehmen, wie wir heute sagen würden, hatte sich nicht mit der Leipziger Vereinsbank, sondern mit ihrem Bediensteten auseinanderzusetzen 11 und das "Erlangte", die überwiesene Summe von (damals) 7.000 Goldmark 12 , dort zurückzufordern. bb) Wer sich in der Beurteilung von Vermögensbewegungen vom Zweck der Transaktion leiten läßt, entscheidet sich für eine "wirtschaftliche und nicht rechtsformale Betrachtungsweise" 13. Wegen der Lebensnähe seines Vorgehens kann er nicht nur in den "einfachen" Beziehungen zwischen einem Gläubiger und einem Schuldner, sondern auch bei der unproblematischen, d.h. von einem Interessenwiderstreit freien, Verflechtung mehrerer Verträge, in Gestalt der sog. "Dreiecksverhältnisse" 14, sicherer als bei isolierender Betrachtungsweise festlegen, wer "Leistender" und wer "Empfänger" in intakten und in gestörten Schuldverhältnissen ist. Die Überlegenheit dieses Vorgehens über juristische Wertungen wie die "Unmittelbarkeit der Vermögensverschiebung" zeigt sich gerade in dem komplizierten Geschäftsverkehr unserer Zeit, der körperliche Wertverschiebungen in Gestalt einer baren Zahlung oder der Lieferung einer Ware von Hand zu Hand vermeidet, wenn sie sich durch gedankliche Operationen ersetzen lassen. Bei bargeldloser Zahlung, wie sie heute bei größeren Summen den Geldverkehr beherrscht 15, ist das eingeschaltete Kreditinstitut nur sog. "Leistungsmittler" 16: Erledigt es einen Überweisungsauftrag, so "leistet" es an seinen Kunden und der Kunde mit Hilfe des Giroverkehrs an seinen Gläubiger. Bei der Durchlieferung im sog. Streckengeschäft, der Aushändigung einer Ware, die mehrere hintereinander gereihte Kaufverträge überspringt 17, ist der Platz des "Leistungs11 Die Post und ihren Verwalter verband ein öffentlich-rechtliches, wohl aber unwirksames Benutzungsverhältnis: Der Verwalter hatte nicht die Macht, in eigener Sache Anweisungen über derart erhebliche Summen und in betrügerischer Weise auszufertigen (unten V 3 c zu Fußnote 14-15). 12 Ob sich der Bereicherungsanspruch des Angewiesenen gegen den Anweisenden nach der tatsächlich überwiesenen Summe bemißt (so Lieb im Münchener Kommentar, 2. Aufl., 34 zu § 812) oder nur die Abtretung der Rechte umfaßt, die der Anweisende gegen den Empfänger besitzt (BGH WM 1978, 875/77 unter III; WM 1989, 1364/67 unter 5 a), ist eine Frage der Billigkeit. Sie beantwortet sich nach der Gut- oder Bösgläubigkeit des Leistungsmittlers (man vergleiche die Nr. 8 des Anhangs). 13 BGH NJW 1989, Seite 900/01. 14 Lieb im Münchener Kommentar, 2. Aufl., 28 zu § 812; Reuter / Martinek, a.a.O., § 10. 15 Mit gewissem Recht stellt man daher das "Buchgeld" dem baren Geld gleich (Larenz, Allgemeines Schuldrecht, 14. Aufl., § 12 I). 16 Ein didaktischer Ausdruck, der aus diesem Grunde auch nur in der unterrichtenden Literatur zu finden ist (so bei Larenz, Schuldrecht, Besonderer Teil, 12. Aufl., 1981, § 68 I a, Seite 526, und bei Medicus, Bürgerliches Recht, 14. Aufl., 1989, Tz. 686). 17 Medicus, a.a.O., Tz. 671; BGH WM 1982, Seite 690; BGH NJW 1986, Seite 1166 (allerdings mit falscher Personenbezeichnung auf Seite 1167. Richtig muß es heißen: " ... daß der jeweilige Veräußerer den Erstverkäufer anweist ...").

11. Die mangelnde Beweglichkeit des begrifflichen Denkens

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mittlers" an den Anfang der Kette geruckt: Der Verkäufer (der Leistungsmittler) erfüllt Verpflichtungen für den Erstkäufer durch Auslieferung an den Zweitkäufer. Verlängert man die Kette um einen weiteren Abnehmer, so überträgt der Verkäufer den Besitz an den Drittkäufer für den Erstkäufer und dieser (der Erstkäufer) durch den Verkäufer für den Zweitkäufer. Dessenungeachtet ist die eigentliche, rechtliche "Leistung" an die jeweilige Kette gebunden. Sie nimmt ihren Weg vom Verkäufer an den Erstkäufer, vom Erstkäufer an den Zweitkäufer und vom Zweit- und Drittkäufer an den jeweiligen Nachmann. Die "Kette" der Verträge ist nötig, weil die Preise in jeder Handelsstufe verschieden sind. Sie sichert zudem die einzelnen Kaufpreisforderungen durch das vorbehaltene Eigentum des jeweiligen Verkäufers. Veräußert in einer weiteren Gestaltung der Auflassungsempfanger das ihm zugesagte Grundstück an einen zweiten Käufer, indem er von der Ermächtigung zur Verfügung im eigenen Namen über das (ihm fremde) Eigentum des Verkäufers Gebrauch macht 18, oder tritt der Erstkäufer den Auflassungsanspruch an den Zweitkäufer ab 19, so ist der Verkäufer - wie bei einem Streckengeschäft über Ware - bloßer "Leistungsmittler" im Verhältnis des Erst- zum Zweitkäujer. Er erleichtert die Übertragung des Grundeigentums ohne die Eintragung des Erstkäufers, die unnötige Gerichtsgebühren kostete 2o • Auch bei dieser Fallgruppe kann die "Leistung" im schuldrechtlichen Sinne kein Vertragsglied überspringen, sondern folgt wegen der Erfüllungs- und Gewährleistungsanspruche und nicht zuletzt der Höhe des Preises den einzelnen Verträgen. Aufschlußreich (wenn auch ungewöhnlich) für die wirtschaftliche und kostenrechtliche Vereinfachung von Wertbewegungen war die im Zusammenhang mit einem beabsichtigten Grundstückserwerb vorgenommene Abtretung von vier Grundschulden 21. Sie ersparte den Beteiligten: den Veräußerern, den Erwerbern und zwei Zwischenberechtigten den Übergang über "drei Ecken hinweg". Sie bediente sich der Figur der "Verfügung eines Nichtberechtigten" mit der nachfolgenden Genehmigung der Berechtigten (§ 185 1-11 BGB). Wer schließlich den Anspruch auf eine Leistung nur "erfüllungshalber" abtritt, "leistet" durch seinen Schuldner an den Zessionar 22 • ce) In allen diesen Fällen läßt sich ein Grundgedanke herausarbeiten: Wertbewegungen in Gestalt von Zahlungen, der Lieferung von Waren und der Übereig18 Die Durchführung des Geschäfts ohne Voreintragung des Erst-, gegebenenfalls eines weiteren Käufers, stellen Mückel/ Sieveking, Grundbuchrecht, 7. Aufl. (1988), 12 zu § 39 GBO und Vollkommer, Rechtspfleger 1978, Seite 337, dar. Ein Vertrags- und Auflassungsmuster enthält das Münchener Vertragshandbuch, Band 4,2. Halbband, 2. Aufl. (1986), Nr. IV.17 (Hagena). 19 Ein Vertragsmuster findet sich in dem genannten Handbuch, 2. Aufl., unter Nr. VI. 19 (Hagena). 20 Grunderwerbskosten fallen dagegen bei jedem einzelnen Kaufvertrag und auch der Abtretung des Auflassungsanspruchs an (§ 1 I, Nr. 1 und 5 des Grunderwerbssteuergesetzes 1983). 21 Sachverhalt des Urteils BGH WM 1983, Seite 792. 22 Lieb im Münchener Kommentar, 2. Aufl., 121- 122 a zu § 812. Dient die Zession dagegen der Erfüllung eines Kaufvertrags über die Forderung, "leistet" der Schuldner nach zutreffender Auffassung direkt an den Zessionar.

4. Teil: Der Leistungsbegriff im Bereicherungsrecht

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nung von Grundstücken, die ihren Weg vom Schuldner an den Gläubiger und von diesem an einen zweiten oder dritten Gläubiger nehmen, sind unwirtschaftlich 23. Daher verkürzen und vereinfachen die Gläubiger den Leistungsweg. Sie bedienen sich ihrer Schuldner, um Verpflichtungen gegenüber ihren Gläubigern zu erfüllen. Der Schuldner tritt zu diesem Zweck an den zweiten Gläubiger heran - er übereignet ihm etwa das an den ersten Gläubiger verkaufte Grundstück - was zwar bei körperlicher Betrachtungweise den Anschein der "Leistung" erweckt, bei vergeistigter Sicht jedoch erkennen läßt: Der Schuldner, der auf Anweisung seines Gläubigers dem Gläubiger des Gläubigers Werte übermittelt, "leistet" an den ersten, nicht an den zweiten Gläubiger.

2. Die mangelnde Biegsamkeit - der Nachteil des Leistungsbegriffs bei der Rückabwicklung mehrerer gestörter Schuldverhältnisse Woran liegt es denn aber, daß man den Begriff der "Leistung" für einen Irrweg hält? 24 Meine Antwort lautet: Schwierigkeiten bereitet nicht das dem Leben entnommene Merkmal "Leistung", für das kraft seiner sachlichen Vernunft die Vermutung der Richtigkeit spricht. Es ist der Mangel an Einfühlungsgabe und einer flexiblen Denktechnik, der die Erkenntnis verdunkelt, daß wertneutrale, der Wirtschaft und den Verhaltensmustern der Menschen entnommene Begriffe nicht dazu geschaffen sind, Wertungskonflikte in der Rückerstattung von Leistungen zu lösen. Das an sich überzeugende Merkmal der "Leistung" paßt zwar für die intakte Beziehung zwischen einem oder mehreren Berechtigten und Verpflichteten. Es bewährt sich auch dann, wenn ein außerhalb des Schuldbandes stehender Dritter in den Genuß der Leistung gelangt 25. Sind dagegen gestörte Schuldverhältnisse so aufeinander bezogen, wie dies bei der Befriedigung eines Gläubigers im Überweisungsverkehr der Kreditinstitute sowie bei Abtretungen, Pfändungen und Verpfändungen von Ansprüchen zu beobachten ist, läßt der Leistungsbegriff keinen Schluß auf die bereicherungsrechtliche Beziehung zu, die bei dem Rückruf des Geleisteten den Vorrang genießt. Erst der pathologische Sachverhalt, so darf man schlagwortartig sagen, schafft den Widerstreit der Interessen. Hält sich etwa die Bank an den Empfanger einer Zahlung, um eine irrtümliche Überweisung richtigzustellen, oder muß sie dies ihrem Kunden (dem wirklichen oder vermeintlichen Schuldner also) überlassen? Störungen, die sich von einer Beziehung auf eine andere auswirken, können für die Rückerstattung nur durch ein "vernetztes" , d.h. koordinierendes, Denken behoben werden. Allein dieses Vorgehen ist feinfühlig genug, um die Auswirkungen der Störung in dem einen Bereich auf ein Diesen Gesichtspunkt betont für den Grundstücksverkehr Vollkommer, a. a. O. Ich verweise auf die Stimmen von Canaris und Lieb, oben I 1 b. 25 Der Verkäufer eines Grundstücks genehmigt die Auflassung des Erstkäufers an der Zweitkäufer. 23

24

III. Der Bereicherungsausgleich bei der Abtretung

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mit ihm verbundenes Verhältnis angemessen auszugleichen. Dabei ist die "Leistung" der Ausgangspunkt, der "sach- und interessengerechte" 26 Bereicherungsausgleich der Endpunkt der Bewertung.

111. Der Bereicherungsausgleich bei der Abtretung von Forderungen - ein Beispiel für "vernetztes", über den LeistungsbegritT hinausgehendes Denken 1. Die Konkurrenz von Leistungs- und Nichtleistungskondiktion im Drei-Personen-Verhältnis der Abtretungeine unlösbare Frage? Eine anscheinend noch immer ungelöste Frage, ob nicht die "Leistungsbeziehung" hinter eine Nichtleistungsbeziehung zurücktreten müsse, wirft die Abtretung nicht bestehender Ansprüche auf, die der Schuldner gleichwohl durch Erfüllung an den Zessionar berichtigte: Muß er sich wegen der Rückforderung an den Zessionar als den vermeintlichen Gläubiger und Leistungsempfanger halten oder kraft einer vorrangigen Nichtleistungskondiktion - an den Zedenten, weil es die Interessenlage gebiete, daß sich der Schuldner bei Zahlungen "ohne Rechtsgrund" mit dem ursprünglichen Gläubiger auseinandersetze?27 Ein Beispiel für den Ausgleich nach dem maßgebenden Interesse vermittelt die Abtretung von Deckungsansprüchen gegen einen Versicherer 28 . Hier soll die Rückforderung trotz der Zession deswegen an das Versicherungsverhältnis gebunden bleiben, um dem Versicherer den (Bereicherungs-)Schuldner zu erhalten und den außenstehenden Zessionar gegen den Durchgriff des Versicherers zu schützen. Bei dem Rückruf gibt, wie allgemein bei mehreren aufeinander bezogenen Forderungen (sog. "Drei-Personen-Verhältnis") letztlich die Interessenbewertung und nicht der wertneutrale Begriff der "Leistung" den Ausschlag. Denn hier steht das Vertrauen des Empfängers (des Zessionars) , gegebenenfalls des Zedenten, gegen die ungeschmälerten Rechte des Schuldners: Der Empfanger will das Erlangte (etwa einen Geldbetrag) behalten, der Zedent nach der Abtretung aus dem Rückruf ausscheiden, und der Schuldner den Bereicherungsanspruch gegen den liquidesten Partner richten oder es dem Leistungsmittler überlassen dürfen, fehlgeleitete Zahlungen auf eigenes Risiko (des Mittlers) zu korrigieren. Das ist der Grund, warum man die Antwort aus dem Begriff und dem Fall, dieser 26 Die "sach- und interessengerechte Lösung" ist eine fast beschwörend gebrauchte Formel in den Urteilen des Bundesgerichtshofs, beispielsweise WM 1976, Seite 900/ 01; 1983, Seite 792/93 und 908/09; 1984, Seite 423/24. 27 Die dogmatische Verlegenheit stellen H. P. Westermann im Ermanschen Kommentar, 8. Auf!. (1989), 36 zu § 812, und J. Kohler, WM 1989, Seite 1629/30, mit dem Hinweis auf die "in der Literatur jetzt wohl herrschende Ansicht, die allerdings auf nicht geringen Widerstand stößt", dar. 28 So das im folgenden besprochene Urteil BGH WM 1989, Seite 315.

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4. Teil: Der Leistungsbegriff im Bereicherungsrecht

gewissennaßen als Quelle einer Vernunft der Sache, zu gewinnen hat; sie kann so weit gehen, daß die - einwandfrei zu erkennende - Leistungskondiktion hinter eine außerhalb der Leistungsbeziehung begründete "Nichtleistungskondiktion " zurücktreten muß29.

2. Die "sach- und interessengerechte" Lösung des Bereicherungsausgleichs, dargestellt an zwei voneinander abweichenden Revisionsurteilen Die Anforderungen, die das "vernetzte Denken" an den Richter stellt, können schwerlich konstruiert, sie können nur im einzelnen erkannt und veranschaulicht werden. a) Ein Kaufmann trat seine Gewinnanteile als "stiller Partner" eines Bauvorhabens an eine Gläubigerin ab, die schon ein Urteil gegen ihn erwirkt hatte 30 . Die Zessionarin verlangte von der Schuldnerin, einer Investitions- und Finanzierungsgesellschaft, Zahlung und drohte im Verlauf einer Korrespondenz, in der die Schuldnerin auf die ausstehende Abrechnung des Vorhabens hinwies, mit einer Klage "ohne weitere Mahnung". Fast ein Jahr später ergab die endgültige Abrechnung, daß die Zessionarin ca. 62.000 DM zu viel erhalten hatte. Die Schuldnerin richtete ihre Rückforderungsklage gegen die neue Gläubigerin, was der Bundesgerichtshof - ohne eine grundsätzliche Stellungnahme zum Bereicherungsausgleich bei Abtretungen, wie er betont 31- billigte: Für das Gericht war entscheidend, daß die Zessionarin ,,mit großer Intensität unter Fristsetzung und Klageandrohung" auf Auskehrung der Gewinnanteile gedrängt hatte. b) Richten wir den Blick auf ein Urteil desselben Senats, der nicht einmal fünf Monate später einen entgegengesetzten Standpunkt einnahm und den Bereicherungsanspruch nur gegen den Abtretenden zuließ32. Ein Feuerversicherer zahlte zum Ausgleich eines Großbrandes, der eine Fabrikhalle und ein Warenlager zerstörte, an die Zessionarin seines Versicherungsnehmers (des Betriebsinhabers) nach und nach rund 3,4 Millionen DM. Zehn Jahre nach dem Schaden bewahrheitete sich der Verdacht, daß der Versicherungsnehmer den Brand selbst gelegt hatte: Er wurde wegen Brandstiftung und Versicherungsbetrugs zu einer längeren Freiheitsstrafe verurteilt. Der Versicherer nahm die Sicherungszessionarin, ein Unternehmen der Textilindustrie 33 , auf Rückzahlung der Versicherungs29 ,,Erlangt" hat der Zedent solchenfalls die Befreiung von einer Verbindlichkeit gegenüber dem Zessionar, mithin den Wert einer Gutschrift. 30 Sachverhalt des Urteils BGH WM 1988, Seite 1494. 31 A. a. 0., Seite 1495, unter 2 c, und Seite 1496, wo die Formel zitiert wird, "daß sich bei der bereicherungsrechtlichen Behandlung von Vorgängen, an denen mehr als zwei Personen beteiligt sind, jede schematische Lösung verbietet, daß vielmehr die Besonderheiten des Einzelfalles zu beachten sind." 32 WM 1989, Seite 315. Das erste Urteil trägt das Datum vom 8. Juni, das zweite vom 2. November 1988.

III. Der Bereicherungsausgleich bei der Abtretung

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summe in Anspruch, erlitt jedoch in allen Instanzen (!) eine Niederlage: Die Abtretung, so der Bundesgerichtshof, habe hier nur den Zweck gehabt, einen Weg der Tilgung für den Zedenten (den Kreditnehmer des Zessionars) gegenüber der Zessionarin (seiner Gläubigerin) zu eröffnen. Mithin habe der Versicherer an den Versicherungsnehmer und nicht an die Zessionarin geleistet; der Versicherungsnehmer seinerseits habe mit den Geldeingängen seine Verbindlichkeiten bei der Zessionarin abtragen wollen. Das Revisionsurteil gipfelt in dem Satz: "Versicherungsrechtlich wird die Auszahlung einer Versicherungs leistung an einen Zessionar als Zahlung an den Versicherungsnehmer angesehen. "

3. Die unterschiedliche Behandlung ernsthaft gemeinter und erklärter Abtretungen Der Ausfall der beiden Entscheidungen ist - wie ein Kritiker bemerkt 34 erstaunlich: Welche rationalen Erwägungen tragen die unterschiedliche Behandlung ernsthaft gemeinter und erklärter Abtretungen 35, wo doch zumindest der eine Punkt klar ist: Ein Vollstreckungsgläubiger könnte in beiden Fällen den Schuldner zur Zahlung an sich zwingen; braucht er doch nur die Forderung des Abtretenden gegen den Verpflichteten - den sog. Drittschuldner - zu pfänden und sich zur Einziehung überweisen zu lassen (§§ 829, 835 ZPO). a) Der erste Sachverhalt ist einwandfrei durch eine "Leistung" der Schuldnerin an die Zessionarin gekennzeichnet. Der Bundesgerichtshof sah keinen Anlaß, diese Beziehung durch ein daneben aufgebautes, aber vorrangiges Verhältnis des Bereicherungsausgleichs zu durchbrechen. Seine Interessenbewertung lautet: Die Überzahlung sei dem Zedenten nicht zuzurechnen. Sie sei ausschlaggebend durch die Zessionarin veraniaßt. Diese sei unmißverständlich als neue und einzige Gläubigerin aufgetreten. Wer dem Schuldner in einer bestimmten Situation mit Klage "ohne weitere Mahnung" drohe, wolle weder durch den Abtretenden verdrängt werden noch seine Stellung als "Bezugspunkt des Schuldverhältnisses" mit dem Vorgänger im Recht teilen. b) Aber auch in dem zweiten Fall müßte die Zessionarin, . wirtschaftlich und rechtlich gesehen, neue Gläubigerin sein, weil die hier vereinbarte Abtretung zur Sicherung eines Kredits wenig sinnvoll ist, wenn der Zessionar nur eine abhängige - Zahlstelle des Zedenten darstellt 36• Dann hätte nach diesem Ver33 Nach den von mir eingesehenen Prozeßakten hat die Zessionarin das notleidende Unternehmen des Zedenten durch Kredite am Leben erhalten - vermutlich, um eine vorteilhafte Geschäftsverbindung fortsetzen zu können. 34 Kohler, WM 1989, Seite 1629: " ... Diese auffällige Entscheidungsdivergenz fordert zur Suche nach den tragenden Gesichtspunkten heraus, die die bereicherungsrechtliche Abwicklung in Zessionsfällen berechenbar macht ..." 35 Auch die Sicherungszession bewirkt einen Wechsel des Gläubigers; sie ist wegen der sie tragenden eigennützigen Treuhand des Zessionars mehr als ein bloßes Inkassomandat (Serick, Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübertragung, Bd. 11, 1965, § 24 I 3).

7 Henke

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4. Teil: Der Leistungsbegriff im Bereicherungsrecht

ständnis in der Tat der Feuerversicherer an die Zessionarin "geleistet". Die aufeinander bezogenen Schuldverhältnisse der Feuerversicherung und der Abtretung zur Sicherheit müssen jedoch für den Bereicherungsausgleich aufeinander abgestimmt werden, eine Aufgabe, die der nur auf eine Beziehung ausgerichtete Begriff der "Leistung" nicht bewältigen kann. Das Judiz des Richters läßt aus diesem Grunde einen von der "Leistung" unabhängigen Ausgleich entstehen, der auf das Versicherungsverhältnis und seine Empfindlichkeit Rücksicht nimmt.

4. Der Versicherungsnehmer als Schuldner der Bereicherungsansprüche des Versicherers Das hier gefundene Ergebnis läßt sich nur aus einer gleichmäßigen, kaum begründeten Rechtsprechung erschließen: Das Oberlandesgericht Köln hatte sich im Jahre 1929 mit der Bereicherungsklage eines Feuerversicherers gegen einen Pfändungsgläubiger zu befassen, eine Klage, die sich auf die arglistige Täuschung durch den Versicherungsnehmer stützte 37 • Das Urteil entdeckte in der Pfändung nur eine Anweisung des Versicherungsnehmers gegenüber dem Versicherer zur Leistung an den Vollstreckungsgläubiger. Der Rückzahlungsanspruch blieb mithin eine Verbindlichkeit des Versicherungsnehmers. Eine gleiche Deutung erfuhr die "Einverständniserklärung" für die Leistung auf eine Kraftfahrzeug-Kaskoversicherung durch das Kammergericht Berlin 38 . Der Versicherungsnehmer bezweckte mit ihr die Auszahlung der Versicherungssumme an die Werkstatt, die sein beschädigtes Fahrzeug wiederhergestellt hatte. Ein Strafverfahren erhärtete den Verdacht, daß der Versicherer leistungsfrei war, weil der Versicherungsnehmer den Unfall grob-fahrlässig, durch zu frühes Einbiegen nach einem Überholmanöver, herbeigeführt hatte. Auch hier befanden die Richter: "Der Beklagte (der Versicherungsnehmer) muß sich so behandeln lassen, als ob der Betrag, den die Klägerin (die Versicherung) auf Grund des streitigen Schadensfalles an die Firma gezahlt hat, an ihn selbst gezahlt worden ist." Ich schließe mit einem dritten, in seiner Prägung vergleichbaren Fa1l 39 : Eine Ehefrau hatte eine Versicherung auf das Leben ihres Mannes genommen und den Deckungsanspruch zu einem Teil an einen Darlehensgläubiger verpfändet, was die Versicherung nach dem Tode des Mannes zur Auskehrung der Summe an den Pfandgläubiger veranlaßte. Die erhoffte Beruhigung der Verhältnisse trat nicht ein: Knapp ein Jahr nach dem Todesfall focht die Versicherung den Vertrag wegen arglistiger Täuschung an.

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Oben zu Fußnote 35. Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, betont zu Recht

(§ 23, 2 c): Durch eine unwiderrufliche Vollmacht oder Ermächtigung könne keine den

Gläubiger verdrängende Handlungsmacht eingeräumt werden. Niemand könne sich durch Rechtsgeschäft der Fähigkeit entäußern, als Gläubiger zu handeln. 37 Juristische Rundschau für die Privatversicherung 1929, Seite 305. 38 Juristische Rundschau für die Privatversicherung 1934, Seite 190. 39 KG Berlin, Juristische Rundschau für die Privatversicherung 1935, Seite 93.

III. Der Bereicherungsausgleich bei der Abtretung

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Ihre Bereicherungsklage gegen den Pfandgläubiger scheiterte an der bereits verwendeten Konstruktion: "Die Klägerin hat die Zahlung für Rechnung der Frau X. (ihrer Versicherungsnehmerin) geleistet. Infolgedessen steht der Klägerin ihr Anspruch auf Erstattung des gezahlten Betrages nur gegen Frau X. zu."

5. Warum der Versicherungsnehmer Bereicherungsschuldner des Versicherers bleibt a) Richten sich Bereicherungsansprüche auf die Rückerstattung einer Versicherungssumme gegen den Zedenten oder den Zessionar, den Verpfänder oder den Pfandgläubiger? Auf diese Frage haben die Richter der genannten Oberlandesgerichte ebensowenig eine schlüssige Antwort gegeben wie die versicherungsrechtliche Literatur: Sie verweigern die Angabe der Gründe für ihre Konstruktion, daß ernsthaft gemeinte Pfändungen, Abtretungen und Verpfändungen doch nur als Zahlungsanweisungen des Versicherungsnehmers zugunsten eines neuen "Gläubigers" zu verstehen sind 40. Diese Verlegenheit steht in einem merkwürdigen Gegensatz zur einhelligen Anerkennung von Abtretungsverboten, wie sie die allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahr- 41 , die Unfall- 42 , die Haftpflicht- 43 und die Krankenversicherung 44 ihren Vertragspartnern auferlegen. In ihnen heißt es beispielsweise 45 : "Die Versicherungsansprüche können vor ihrer endgültigen Feststellung weder abgetreten noch verpfändet werden." b) Den Sinn dieser Verbote nennen zwei Berufungsurteile in einer Deutlichkeit, welche die sachgerechte Abwicklung von Bereicherungsansprüchen aus dem Versicherungsrecht zu erklären, wenn nicht gar vorzuschreiben vermag: Der Versicherer unterbinde die Abtretung, damit er über den Deckungsanspruch nur mit seinem Vertragspartner zu verhandeln brauche und sich nicht mehreren 40 Ich verweise auf die dürftigen Ausführungen bei Prölss / Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 24. Auf!. (1988), 9 e zu § 6 ("anders wohl Naumburg IR 37, 281") und 8 zu § 15. Besonders unsicher über den richtigen Bereicherungsschuldner ist der Kommentar von Bruck / Möller, VVG, 8. Auf!. (1961),22 zu § 6. Auch die Abhandlungen von Kohler, WM 1989, Seite 1929, und von Dömer, NJW 1990, Seite 473, nehmen die besondere Anfälligkeit des Versicherungsvertrags gegen Manipulationen des Versicherungsnehmers nicht wahr, z. B. die Abtretung, um in einem Prozeß über den Deckungsanspruch selbst Zeuge zu sein. 41 § 3, Nr.4 AKB. 42 § 16 III AUB. 43 § 7, Nr. 3 AHB. 44 § 6, Nr. 4 der Musterbedingungen des Verbandes der privaten Krankenversicherer. Die zitierten Bedingungen sind abgedruckt im Kommentar von Prölss / Martin in der Rubrik "Teil II - Einzelne Versicherungszweige". 45 So in § 3, Nr. 4 AKB. Die Musterbedingungen der Krankenversicherer lassen die Abtretung überhaupt nicht zu.

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4. Teil: Der Leistungsbegriff im Bereicherungsrecht

Personen gegenübersehe, die mit- oder gegeneinander, gleichzeitig (wie bei Teilabtretungen) oder nacheinander Rechte gegen ihn verfolgten 46 ; er wehre sich gegen Manipulationen im Rechtsstreit, wo ein Zessionar Deckung verlange und der Versicherungsnehmer den behaupteten Versicherungsfall für ihn bezeuge 47 • Ein letztes Argument geht dahin, daß der Versicherungsnehmer nach einer Abtretung das Interesse daran verliere, die Prämien zu entrichten, weil die Versicherungsleistung anderen zugute komme 48 • Aus beiden Urteilen läßt sich ein leitender Gedanke dieser Verfügungsbeschränkung herausarbeiten 49: Der Versicherer hat ein erhebliches Interesse daran, daß gerade bei Zahlungsunfähigkeit eines Versicherungsnehmers die Stellung des Gläubigers nicht von der des Vertragspartners getrennt wird; noch deutlicher ausgedrückt, daß sich ein Schuldner nicht mit erschlichenen Versicherungsleistungen, die er an seine Geldgeber gelangen läßt, über Wasser hält. Die Besorgnisse der Versicherer haben eine sehr greifbare Ursache: Die inkorrekte Einstellung weiter Teile der Bevölkerung gegenüber den Assekuranzen: "Der Versicherungsbetrug", so interpretiert ein Sprecher des Verbandes der KraftfahrVersicherer die Statistik der geltend gemachten Ansprüche, ,,hat sich in den letzten Jahren zu einer Art Volkssport entwickelt" 50. Die Täter seien überwiegend unbescholtene Bürger. In hochzivilisierten Ländern seien schätzungsweise 25 bis 30 Prozent der Bevölkerung fähig, einen Versicherungsbetrug zu begehen. Ein weiterer Pressebericht des Verbandes 51 spricht von schätzungsweise 500.000 manipulierten Schadensfällen, welche die Autoversicherer der Bundesrepublik jährlich regulierten. Der Aufwand dafür betrage 1,5 Milliarden DM.

6. Der sachgerechte Bereicherungsausgleich in der Feuerversicherun&. a) Das dargestellte Abtretungs- und Verpfandungsverbot ist den Allgemeinen Feuerversicherungs-Bedingungen unseres Beispielfalls nicht bekannt 52.

46 Und zwar mit den im Recht der Schadensversicherung anerkannten Beweiserleichterungen für den Versicherungsnehmer: Der Versicherungsfall braucht nur ,,hinreichend wahrscheinlich" gemacht zu werden (Prölss / Martin, a. a. 0., 3 A c zu § 49 VVG). 47 OLG Hamm, VersR 1977, Seite 955, und zwar in dem Rechtsstreit über Leistungen aus einer Unfallversicherung. 48 OLG Köln, VersR 1984, Seite 1165/66. 49 Erwähnt in dem Urteil des OLG Köln, a. a. O. 50 "Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 22.5. 1990 (,,Jeder vierte ist zum Betrug fähig"). 5\ "Welt am Sonntag" vom 17.6.1990, wo es unter anderem heißt: "Für zwei Jahre und neun Monate schickte ein schwäbisches Gericht einen Autohändler ins Gefängnis, der Unfälle provoziert und einen in den Nahen Osten verkauften Luxuswagen als gestohlen gemeldet hatte. Wenig Verständnis brachte das Gericht für den Hinweis des Verteidigers auf, ein solches Vorgehen sei in Kreisen von Gebrauchtwagen-Händlern alltäglich." 52 Man unterrichte sich in dem Kommentar von Prölss / Martin. Auf die Zulässigkeit von Abtretungen deutet § 17, Nr. 2 a AFB, hin.

III. Der Bereicherungsausgleich bei der Abtretung

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Es könnte in ihnen auch nicht enthalten sein, weil sich Grundpfandrechte auf die Forderung aus der Versicherung eines Gebäudes und des Grundstückszubehörs erstrecken (§ § 1127-1129 BGB) 53, der Feuerversicherer sich also auch mit Ansprüchen eines Außenstehenden befassen muß. Da sich in dem angeführten Fall die wirksame Abtretung des Versicherungsanspruchs nicht leugnen ließ, der Bundesgerichtshof die dadurch aufgeworfenen Fragen m. E. auch gar nicht erkannt hatte 54, mußte er die unterschiedliche Festlegung des "Leistungs"verhältnisses in den beiden Zessionsfällen mit anderen Argumenten, teils mit Unterstellungen 55, teils mit Interessenwertungen 56 , verteidigen. b) Um mich mit dem Rückruf von Leistungen einer Feuerversicherung auseinanderzusetzen, skizziere ich, die obige Schilderung ergänzend, die Sachlage nach den knappen (fast zu knappen) Angaben des Revisionsurteils: Der Inhaber einer Firma schließt im Jahr 1973 einen Feuerversicherungsvertrag, dessen Deckungssumme er bis Anfang 1975 mehrfach erhöht. Nach dem Brand einer Fabrikhalle und eines Warenlagers in seinem Betrieb im April 1975 meldet er dem Versicherer einen erheblichen Schaden. Dieser wendet ein, der Versicherungsnehmer habe den Brand legen lassen, und verweigert die Regulierung. Über ein Jahr später, im Juni 1976, erhebt der Versicherungsnehmer eine Deckungsklage mit dem Verlangen, die Versicherungssumme teils an eine Finanzierungsgesellschaft, teils an ihn selbst zu leisten. Zur Erfüllung dieses Begehrens kommt es jedoch nicht: Kurze Zeit nach dem Beginn des Prozesses gewährt eine neue Gläubigerin, die spätere Beklagte, dem Versicherungsnehmer einen Warenkredit, zu dessen Sicherung sie sich Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag zedieren läßt. Die Abtretungen werden ohne Angabe der Gründe -der Feuerversicherung und späteren Bereicherungsklägerin mitgeteilt. Nach dem rechtskräftigen Abschluß des Prozesses tätigt der Versicherer mehrere Abschlagszahlungen. Sie gehen sämtlich auf ein Konto der Zessionarin, die einen Teil von rund 1,5 Millionen DM einbehält und rund 1,9 Million DM an den Versicherungsnehmer (den Zedenten) weiterleitet. Die Klage auf Rückerstattung der Versicherungssumme wegen Brandstiftung nimmt die Zessionarin auf den ganzen an sie ausgezahlten Betrag in Anspruch; sie scheitert jedoch in allen Instanzen an der fehlenden Stellung als Bereicherungsschuldnerin. Zur Auseinandersetzung mit dem Urteil und seinen Wertungen seien getrennt voneinander das "Leistungs-" und das ,,Abwicklungsverhältnis" beurteilt. In dem entschiedenen Sachverhalt war auch eine Fabrikhalle abgebrannt. Die Aussage des Urteils (WM 1989, Seite 316 unter 2 a): "Versicherungsrechtlich wird die Auszahlung einer Versicherungsleistung an einen Zessionar als Zahlung an den Versicherungsnehmer - auch im Sinne des § 67 VVG - angesehen", wiederholt nur eine Kommentarstelle. 55 Seite 316: "Aus der Sicht der Beklagten hat die Klägerin mit ihren Zahlungen ,zweifellos' ihre Versicherungsleistungen an ihren Versicherungsnehmer erbracht." 56 Seite 316: "Gesichtspunkte der Risikoverteilung und des Vertrauensschutzes sprechen ebenfalls dafür, daß die Klägerin sich wegen der Rückforderung ihrer Versicherungsleistung nicht an die Beklagte halten kann." 53

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4. Teil: Der Leistungsbegriff im Bereicherungsrecht

c) aa) Gestützt auf die Formel von der "objektiven Betrachtungsweise aus der Sicht des Zahlungsempfängers" konstruiert der Bundesgerichtshof eine ,,Leistung" des Feuerversicherers an den Versicherungsnehmer, den Zedenten des Deckungsanspruchs 57 . Der Versicherer habe zwar die Brandentschädigung der Zessionarin überwiesen, damit aber - wie das Urteil wörtlich meint - "zweifellos" seine Pflichten gegenüber dem Versicherungsnehmer erfüllen wollen: "Aus der Sicht der Beklagten" (i. e. der Zessionarin), so das Urteil des Bundesgerichtshofs, "hat die Klägerin mit ihren Zahlungen zweifellos ihre Versicherungsleistung an ihren Versicherungsnehmer erbracht, während dieser zugleich den ihm seitens der Beklagten gewährten Kredit zurückgeführt hat." Diese Ziele verteidigen die Richter mit der apodiktischen Feststellung, daß "eine abweichende Vorstellung der Klägerin (der Versicherung also) nicht ersichtlich ist." Für eine solche Deutung gibt der Sachverhalt freilich nichts her, sie verkehrt sogar die von den Beteiligten eingenommenen Stellungen der Zessionarin und der hinter ihr stehenden Kreditnehmerin in ihr Gegenteil: Die in den Prozeßakten enthaltenen Abtretungsurkunden bezeugen die uneingeschränkte Befugnis der Zessionarin, eine Position, welche die klagende Versicherung vor dem Prozeß nie in Zweifel gezogen und durch ihre Überweisung sogar bestätigt hat 58. Es war die (verklagte) Zessionarin, welche die Zahlungen des (klagenden) Versicherers entgegennahm und, soweit sie nicht auf die Verbindlichkeiten des Zedenten zu verrechnen waren, an diesen - den Zedenten - weiterleitete - nicht umgekehrt. Der Warenkredit, den der Zedent erhalten hatte, und die Gründe der Abtretung waren dem Feuerversicherer, wie das Urteil einräumt, nicht bekannt. Auf den Einfall, daß die (klagende) Versicherung "eigentlich" an den Zedenten habe leisten wollen, kam erst der Prozeßbevollmächtigte der Zessionarin in einem Schriftsatz an das Landgericht (!). bb) Die "Leistung" im Sinne des wirtschaftlichen und des rechtlichen Begriffs bezog sich - wenn man überhaupt die "Sicht des Empfängers" und nicht juristische Konstruktionen gelten läßt - auf die Zessionarin, sie und nicht der Zedent hätte bei einem notleidenden Kredit das Gericht angerufen. Diese Sachlage spricht m. E. entschieden gegen eine zweite Lösung, nämlich die Umdeutung der Sicherungszession in eine Verpfändung mit der Folge, daß "ganz in Parallele zur Forderungsverpfandung die Forderungs- und Empfangszuständigkeit des Zedenten begründet wird"59. 57 So auch die Besprechung des Urteils durch Ott, Entscheidungssammlung der Wertpapier-Mitteilungen zum Wirtschafts- und Bankrecht (WuB), Teil IV A, § 812 BGB 3.89, und RG JW 1938, Seite 1329/31, für einen vergleichbaren Sachverhalt. 58 "Hiermit tritt die Firma ,A. J., Inhaber G. M.', die ihr gegen die ,C-VersicherungsAG' zustehende Forderung aus der Brandschadenversicherung Policen-Nr. ... in Höhe eines Betrages von DM 2.000.000,- nebst 16,5 % Zinsen an die Firma ,T. D. GmbH'ab "

Die Klägerin antwortet: "Die Urteilssumme zu 2. steht Ihnen auf Grund der Zession vom 29.6.76 zu. In den nächsten Tagen werden wir daher an Sie anweisen: ...".

III. Der Bereicherungsausg1eich bei der Abtretung

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cc) Wie ist die Zahlung an eine Zessionarin nach der vernünftigen und nicht nach einer konstruierten "Sicht des Empfangers" aufzufassen? Wird sie nicht mit besonderen Erläuterungen versehen, ist sie keine "Leistung" an den Zedenten, und zwar weder als Gläubiger noch als "empfangszuständiger" Verpfänder sie erfüllt, was die Abtretungsempfangerin zu bekommen hatte 6O , und vermeidet auf diese Weise die Konsequenzen einer verweigerten Tilgung. Der Bundesgerichtshof hatte, wie aus dem Tatbestand des Urteils zu ersehen, über einen Rückzahlungsanspruch von rund 3,4 Millionen DM und die Herausgabe gezogener Nutzungen dieser Summe von rund 2,3 Millionen DM zu befinden. Das Wertverhältnis gibt einen Anhalt für die Höhe des Verzugsschadens (§ 288 11 BGB), wenn es eine Versicherung abgelehnt hätte, dem Zahlungsverlangen der Zessionarin nachzukommen. d) aa) Warum ist das Revisonsurteil über das Abwicklungsverhältnis auf Behauptungen gegründet?61 Warum haben auch die bisherigen Besprechungen 62 so wenig Licht in den Bereicherungsausgleich nach einer Forderungsabtretung gebracht und den Eindruck richterlicher Willkür 63 nicht zerstreuen können? Die hier entwickelten Gedanken über den "Leistungsbegriff im Bereicherungsrecht" 64 versuchen, den Blick auf die Schärfe des Merkmals "Leistung" einerseits, die mangelnde Beweglichkeit des juristischen Denkens andererseits zu lenken 65. Sie betonen die Schwierigkeit, mit dem wertneutralen Merkmal Wertungskonflikte zu lösen: Der Begriff "Leistung" ist die Kurzfassung für Wertbewegungen, die von einem bestimmten Sinn getragen sind 66 , er vermag auch den Rückruf in dem Grundmodell dieser Beziehung zu regeln. Sind jedoch mehrere Schuldverhältnisse miteinander verflochten, so lassen sich Störungen in dem einen, dem 59 Kohler, WM 1989, Seite 1629/32. Der Rezensent gewinnt die Anlehnung an das Pfandrecht mit dem Ausgangspunkt: "Das Urteil des BGH hatte es mit einer offengelegten Sicherungsabtretung zu tun" (Seite 1632, unter III a) - eine ersichtlich unrichtige Annahme, weil das Urteil ausführt: ,,Es mag sein, daß sie (die Klägerin) über das Rechtsverhältnis zwischen ihrem Versicherungsnehmer M. und der Beklagten (der Zessionarin) keine nähere Kenntnis besaß und insoweit auch keinen Anlaß zu näheren Erkundigungen gesehen hat ..." Warum hätte die Versicherung auch sonst rund 3,4 Millionen DM an die Zessionarin überwiesen, obwohl deren Forderung gegen den Zedenten nur 1,5 Millionen DM betrug? 60 So im Ansatz (aber nur im Ansatz) richtig Dömer, NJW 1990, Seite 473/74 (unter 11). Die Zuwendung werde allein in einem Zwei-Personen-Verhältnis zwischen Schuldner und Zessionar erbracht. 61 ,,Aus der Sicht der Beklagten hat die Klägerin mit ihren Zahlungen zweifellos ihre Versicherungs1eistung an ihren Versicherungsnehmer M. erbracht ... Eine abweichende Vorstellung der Klägerin ist nicht ersichtlich". 62 Ott, WuB, Teil IV a, § 812,3.89; Kohler, WM 1989, Seite 1629; Dömer, NJW 1990, Seite 473. 63 Dabei geht es um das Argument, eine Bereicherung könne vom Zessionar zurückgefordert werden, wenn er "mit großer Intensität auf eine Zahlung gedrängt habe" (BGH WM 1988, Seite 1494/95, unter 2 c). 64 4. Teil der Abhandlung. 65 Oben 11. 66 Oben I 1 a.

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4. Teil: Der Leistungsbegriff im Bereicherungsrecht

anderen oder in allen Verhältnissen mit Auswirkungen von einer Beziehung auf die andere nur durch ein vernetztes, interessengerechtes Denken beheben. Die ,,Leistung", so lautete der leitende Gedanke dieses Abschnitts, ist der Ausgangspunkt, der "sach- und interessengerechte" Bereicherungsausgleich der Endpunkt einer solchen Bewertung 67 • bb) Diese Erkenntnis bewahrheitet sich gerade im Zusammenhang mit einer Abtretung, die ihr Ziel nur teilweise erreichen konnte, weil die Auszahlung der Feuerversicherungssumme zwar den Kredit des Zedenten bei der Zessionarin tilgte 68, den Zedenten aber mit der Herausgabe einer Leistung "sine causa" belastete. Der Versuch, eine ,,Leistung" der Versicherung an den Zedenten zu konstruieren, mußte in Unterstellungen enden, deren mangelnde Substanz der Gebrauch von Wendungen wie "zweifellos" und ,,nicht ersichtlich" verrät. Der Fehler dieser Annahme liegt in der sinnwidrigen Übertragung des Merkmals ,,Leistung" und des Leistungsverhältnisses auf einen Bereicherungsausgleich, der sich aus versicherungsrechtlichen Gründen gegen den Versicherungsnehmer und nicht gegen dessen Nachfolger in den Deckungsanspruch richten sollte. Die Leistung an die Zessionarin, unverzichtbarer Ausgangspunkt der Bewertung, wird dabei zu einer "Leistung" an den Zedenten umgebogen und gegen alle wirtschaftliche Einsicht denaturiert. Da hier das wertneutrale Merkmal "Leistung" versagte, war es nötig, eine "Nichtleistungs-Beziehung"69 zu schaffen, die eine sachgerechte (wohl aber schwieriger zu begründende) Rückerstattung der Versicherungssumme ermöglichte. Der Weg dorthin bestand - wie der erste Zessionsfall zeigt -nicht in dem "Abschied vom Leistungsbegriff', sondern seiner Ergänzung durch die in Anspruch genommene Wertung, für die folgende Richtlinie in Betracht kommt 70 : "Der Versicherer muß davor geschützt werden, den Prozeß wegen der Rückerstattung einer zu Unrecht gezahlten Versicherungssumme mit dem Zessionar des betreffenden Anspruchs führen zu müssen. Damit deckt sich das Interesse des Zessionars, eine in gutem Glauben empfangene Versicherungsleistung, die einen dem Zedenten gewährten Kredit getilgt hat, behalten zu dürfen. Aus diesen Gründen muß die Leistung der Versicherungssumme an den Zessionar mit einem Bereicherungsanspruch gegen den Zedenten verbunden werden, wenn dieser keinen Anspruch auf Deckung hatte."

Oben II 2. So auch das Urteil: "Der Versicherungsnehmer hat den ihm seitens der Beklagten gewährten Kredit zurückgeführt." Dieser Zweck ergab sich aus der Sicherungszession. 69 Ein eingebürgerter Ausdruck, wie Koppensteiner / Kramer, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Aufl. (1988), § 6, Fußnote 41, belegen. 70 Canaris, WM 1980, Seite 354/68, spricht insoweit zutreffend von einem "offenen System teleologischer Kriterien." 67 68

IV. Begriffliches und wertendes Denken in sog. Anweisungslagen

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IV. Begrimiches und wertendes Denken bei dem Rückruf von "angewiesenen" Geld- und Sachleistungen 1. Der induktive Weg einer Theorie des Bereicherungsausgleichs in sog. Anweisungslagen a) Die aus zwei Abtretungsfällen gewonnene Einsicht, daß sich der Begriff "Leistung" mit der daraus folgenden "Leistungs"kondiktion und die Bewertung des "überwiegenden Interesses" an einem Rückruf mit einer ihr zugeordneten "Nichtleistungs"kondiktion verbinden, sei nunmehr auf eine breitere Grundlage gestellt. Dazu betrachte ich die Abstimmung mehrerer Schuldverhältnisse in den sog. ,,Anweisungslagen" , d. h. in Sachverhalten, in denen sich der Schuldner eines (von ihm angewiesenen) "Leistungsmittlers" - eines Kreditinstituts oder Frachtführers - bedient, um seinen Verpflichtungen nachzukommen. Denn der von den einen - mit Nachdruck oder Zurückhaltung - geforderte, von den anderen - mit Nachdruck oder Zurückhaltung - bekämpfte "Abschied vom Leistungsbegriff' hat der deduktiv vorgehenden Theorie, wenn sie überhaupt eine aufklärende und anleitende Rolle in Anspruch nehmen darf, Kraft und Autorität genommen 1. b) Ich werde aus diesem Grunde den umgekehrten, induktiven Weg der Bildung einer Theorie aus Sachverhalten und Sätzen des Richterrechts einschlagen 2. Die von mir in einem Anhang zu dieser Darstellung aufgeführten Urteile, gefällt in einem Zeitraum von mehr als einhundert Jahren durch das Reichsoberhandelsgericht, das Reichsgericht, den Bundesgerichtshof, den österreichischen Obersten Gerichtshof, die französische Cour de Cassation, Oberlandesgerichte und sogar ein Amtsgericht, offenbaren in der Verbindung typischer Sachverhalte mit dem richterlichen Judiz eine deutliche Gesetzlichkeit. Die schlagwortartige Wiedergabe der Sachverhalte und der Leitlinien soll den Blick auf die tragenden Erwägungen lenken. Die so gewonnenen Einsichten schlagen sich in einem Interessenausgleich auf der Grundlage der "Leistung" nieder und erlauben die Entwicklung einer auf Beobachtung und Würdigung der Erscheinungen gegründeten Theorie. 1 Reuter / Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, § 11 III 4: "Wer aus der vorangegangenen Darstellung von Rechtsprechung und Schrifttum zum Bereicherungsausgleich im Dreiecksverhältnis bei defekter Anweisung ein Fazit zu ziehen hat, tut sich offenbar schwer. Die Rechtsprechung hat sich erklärtermaßen von dogmatischen ,,zwängen" befreit; das Schrifttum schwankt zwischen Prinzipienrigorismus und dogmatisch konturenloser Einzelfalldiskussion." Hartlieb, MDR 1987, Seite 722: "Trotz aller Versuche der großen Theoretiker des Zivilrechts - und sie waren es, die den ... Kampf um das Bereicherungsrecht geführt haben - ist das Bereicherungsrecht im Rahmen von Dreiecksverhältnissen weiterhin mysteriös geblieben und erlangt augenscheinlich ernsthafte Bedeutung nur im Rahmen von staatlichen Prüfungskommissionen, um an Kandidaten abstruse Fragen zu stellen ..." 2 Einen Wegweiser sehe ich in der Abhandlung von H. Wagner, Die Theorie in der Rechtswissenschaft, JuS 1963, Seite 457.

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4. Teil: Der Leistungsbegriff im Bereicherungsrecht

Diese systematisiert und erklärt auf einem Teilgebiet den "Stoff' des Bereicherungsrechts. Ihre Überzeugungskraft liegt nicht in dem eingeschlagenen Denkweg, kann doch auch der induktive Schluß fehlgehen, sondern in der Evidenz der gewonnenen Aussagen 3. Trotz meines unkonventionellen Vorgehens 4 halte ich diesen Zugang für·ertragreicher als die deduktiv-dogmatische Linie, die sich, ohne die penible Sammlung und Auswertung des Materials, sogleich in Einzelfragen verliert und über ihnen nicht einmal eine mittlere, geschweige denn eine große Linie heraustreten läßt.

2. Der Bereicherungsausgleich durch Leistungsund Nichtleistungskondiktionen Die Auswertung von Entscheidungen über den Bereicherungsausgleich in miteinander verbundenen Schuldverhältnissen zeitigt die folgenden Einsichten 5 : a) Der zwischenmenschlich-wirtschaftliche Leistungsbegriff ist Grundlage und Wegweiser des Bereicherungsausgleichs: Dieser ist als Regel in der jeweiligen Leistungsbeziehung vorzunehmen 6. b) Wegen seiner rechtlichen Neutralität kann er jedoch keine Interessenkonflikte zwischen denjenigen lösen, die als "Anweisender", "Angewiesener" und "Empfänger" in mehreren Verhältnissen verbunden, Leistungen bewirken, vermitteln oder entgegennehmen. Den Bereicherungsausgleich muß in solchen Fällen eine "Nichtleistungsbeziehung" übernehmen, hinter der die Leistungsbeziehung zurücktritt. Sind "Leistungsbeziehungen" überhaupt nicht festzustellen, weil ein Kreditinstitut die Schuldsumme in zehnfacher Höhe 7 oder in einer anderen als der festgelegten Währung 8 überweist, so trägt den nötigen Ausgleich allein die Nichtleistungskondiktion. c) Ist streitig, wer als "Leistender" anzusehen ist, gilt es, den zutreffenden Blickpunkt zu finden: Da die "Leistung" eine zwischenmenschliche Wertbewegung zwischen Schuldner und Gläubiger darstellt 9 und in diesem Verhältnis das 3 So allgemein zutreffend Wittmann, Induktive Logik und Jurisprudenz, Rechtstheorie (1978), Seite 43. 4 Einen vergleichbaren Weg geht die Habilitationsschrift von L. Raiser, Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (1935): Der wirtschaftliche Sachverhalt - Die rechtssoziologische Deutung - Dogmatik des Rechts der AGB. 5 Die einzelnen Urteile sind durchnumeriert. 6 Nr. 16, 22-23 und 26 des Anhangs. 7 Nr. 3 des Anhangs. 8 Nr. 4 des Anhangs (Deutsche Mark anstatt der geschuldeten österreichischen Schillinge). Die Bemerkung des Urteils, es liege "bei Fehlen eines Überweisungsauftrages in Wahrheit eine Leistung der (nicht angewiesenen Bank) selbst vor", ist mißverständlich: Der Oberste Gerichtshof spricht unmißverständlich von einer "Durchgriffs-", also Nichtleistungs,,kondiktion" . 9 Oben 1. Teil, II 4.

IV. Begriffliches und wertendes Denken in sog. Anweisungslagen

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Vertrauen des Empfängers darauf zu schützen ist, daß er sich nur mit seinem Vertragspartner auseinanderzusetzen braucht, kommt es auf die Sicht eines aufmerksam-vernünftigen Gläubigers an: Sein Blickwinkel bestimmt die Person des "Leistenden" 10; die irrtümliche Annahme oder der in einem späteren Rückgriffsprozeß behauptete Wille eines Subunternehmers II oder eines Kreditinstituts 12, man habe statt des Vertragspartners selbst an den Gläubiger leisten wollen, ist nicht maßgebend. d) Der sog. "Durchgriff', den der Angewiesene außerhalb der gegebenen Leistungsverhältnisse, darum mit Hilfe einer "Nichtleistungskondiktion "13, gegen den Empfänger versucht, ist ein praktischer Behelf: Der Leistungsmittler - ein Kreditinstitut, Lieferant oder Frachtführer - kann ihm unterlaufene Fehler durch direkte Verfolgung von Geld oder Waren schnell und wirksam bereinigen 14, so daß er seinen Kunden nicht in Anspruch zu nehmen und in den Rückruf zu verwickeln braucht. Er kann außerdem Verluste infolge der Insolvenz seines Vertragspartners (des Anweisenden) vermeiden 15.

3. Die Lösung von Interessenkonflikten durch Zurechnung einer Wertbewegung a) Dem direkten Vorgehen des Leistungsmittlers gegen den Empfänger steht jedoch der Schutz desjenigen gegenüber, der eine Zahlung oder Sachleistung im Vertrauen auf eine einmal gegebene Anweisung erhielt - ein Gesichtspunkt, der in der Abwägung gegen die praktischen Bedürfnisse des Leistungsmittlers einen weiteren Interessenkonflikt der hier zu beurteilenden Fallgruppen sichtbar werden läßt. Das erste Mittel, diesen Widerstreit zu lösen, ist die "Zurechnung" einer Wertbewegung, sei es zu Lasten des Anweisenden - mit der Folge, daß sich der Rückgriff des Angewiesenen gegen ihn richtet, sei es zu Lasten des Empfängers, die den Durchgriff gegen ihn als "letztes Glied der Kette" gestattet. b) Die Zurechnung bestimmt sich nach den folgenden Kriterien: aa) Hat der Empfänger einen entgeltlich erworbenen Anspruch 16 gegen den Anweisenden auf den von ihm erlangten Vorteil? 10 Die unter Nr. 25 des Anhangs angeführte Entscheidung des OLG Hamm, die den Willen der eine Heizung einbauenden Firma für entscheidend hält, erklärt sich m. E. aus der unglaubwürdigen Verteidigung des Empfängers. II Nr. 24 des Anhangs. 12 Nr. 22 des Anhangs. 13 Die Urteile BGH WM 1976, Seite 707/08, und Seite 900/01, halten den Streit um die Benennung "Leistungskondiktion - Nichtleistungskondiktion" vom Standpunkt des Praktikers aus für "belanglos". 14 Nr. 10 des Anhangs. 15 So der Versuch eines Subunternehmers in der Entscheidung, Nr. 24 des Anhangs.

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4. Teil: Der Leistungsbegriff im Bereicherungsrecht

Ist dies der Fall, darf er den empfangenen Gegenstand - falls ihm nicht der Widerruf einer einmal gegebenen und ihm mitgeteilten Zahlungs- oder Lieferungsanweisung bekarmt geworden ist - als ,,Leistung" seines Schuldners betrachten. Ein Durchgriff des Angewiesenen in der Form der Nichtleistungskondiktion kommt hier nicht in Betracht l7 • bb) Hat der Kunde einer Bank oder der Auftraggeber eines Frachtführers (der "Pseudo-Anweisende") die Wertbewegung veranlaßt? Ist dies der Fall, wird ihm die Leistung zugerechnet. Fehlt deren "Rechtsgrund", hat er sich mit dem Empfänger auseinanderzusetzen 18. Ist die Veranlassung zu verneinen, so ist es Sache des Leistungsmittlers, seinen Fehler gegenüber dem Empfänger zu korrigieren (sog. Durchgriff) 19. cc) Hat der Empfänger trotz der fehlenden Veranlassung einen plausiblen Grund, auf eine von seinem Schuldner (dem "Anweisenden") veranlaßte Zahlung oder Lieferung zu vertrauen?20 Ist dies ausnahmsweise zu bejahen, darf der Leistungsmittler den Empfänger nicht direkt in Anspruch nehmen, sondern muß sich damit begnügen, daß sein Kunde die Rechte gegen den Empfänger an ihn überträgt 21 • dd) Ist dem Empfänger der Widerruf einer Anweisung zu zahlen oder zu liefern bekannt? Die Bejahung der Frage rechtfertigt den sog. "Durchgriff' 22. Ist der Empfänger bei Einreichung eines Schecks, der Gutschrift auf seinem Konto oder der Annahme einer Ware andererseits über den Widerruf nicht im 16 Der Anspruch auf eine unentgeltliche Zuwendung ist unter 4. dieses Abschnitts behandelt. 17 Nr. 9, 11-13 sowie die in Nr. 17 des Anhangs zitierte Regel des Pr. ALR. 18 Nr. 26 des Anhangs. 19 Nr. 3-6, 10 und 18 des Anhangs. 20 Der Empfänger erkundigt sich etwa bei seinem Schuldner und erhält dort die Antwort, die doppelte Überweisung "gehe in Ordnung" (nicht nur wie in Nr. 5 des Anhangs "der Vorgang werde überprüft"). Die von dem Leistungsmittler unmittelbar in Anspruch genommenen Empfänger pflegen sich in solchen Fällen mit erdichteten Forderungen gegen den Anweisenden zu verteidigen (Nr. 3 und 4 des Anhangs). Sprechend die Bemerkungen in einem Urteil des OLG Hamburg (WM 1982, Seite 251): "Pauschale, unsubstantiierte Behauptungen des Beklagten ... " oder des LG Bielefeld (WM 1970, Seite 1072): "Ein Vergleich der für die zwei Überweisungen benutzten Formulare hätte dem Beklagten den Verdacht eines Bankirrturns nahelegen müssen ... " 21 Da der Kunde die Leistung nicht veraniaßt hat, kann die Lösung nur in der Abtretung seines Bereicherungsanspruchs gegen den Empfänger und nicht darin liegen, daß er dem Kreditinstitut den Gegenwert seiner Verbindlichkeit herausgibt. 22 Nr. 14 des Anhangs.

IV. Begriffliches und wertendes Denken in sog. Anweisungslagen

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Bilde, darf er überwiesenes Geld oder eine gelieferte Ware als ,,Leistung" seines Schuldners (des ursprünglich Anweisenden) betrachten. Der Durchgriff des Leistungsmittlers ist wegen dieses Vertrauens untersagt 23 • ee) Fehlt die Anweisung des Schuldners zu zahlen oder zu liefern oder hat sie der Schuldner später widerrufen, so ist ein gutgläubiger Empfänger der Leistungskondiktion 24 seines Schuldners (nicht des Leistungsmittlers!) ausgesetzt. Er kann sie allerdings - bei intaktem Valutaverhältnis und gleichartigen Verpflichtungen der beiden Seiten -durch Aufrechnung mit seinem Erfüllungsanspruch tilgen 25. ff) Ist der Anweisende, wie eine weitere Zurechnungslage zu formulieren ist, geisteskrank, so daß ihm eine in Auftrag gegebene Zahlung, Lieferung oder Weiter-Übereignung eines Grundstücks 26 nicht zugerechnet werden kann?27 Ist diese Frage zu bejahen, hat der Angewiesene die Nichtleistungskondiktion gegen den Empfänger. Ein Bereicherungsanspruch des Anweisenden ist hier nicht vonnöten, weil ihn der Leistungsmittler nicht wegen der getätigten Wertbewegung belasten darf.

4. Der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes und der Durchgriff des Leistungsmittlers bei unentgeltlichen Zuwendungen Ein zweiter Maßstab des Interessenausgleichs in aufeinander bezogenen Schuldverhältnissen neben der Zurechnung ist die Unentgeltlichkeit des Empfangs von Geld- oder Sachleistungen - diese jedoch nur in Verbindung mit Fehlern im Deckungsverhältnis. Geht der (bestehende) Anspruch des Empfängers gegen den Anweisenden auf eine unentgeltliche Zuwendung zurück, so verdient er wegen der geringeren Festigkeit dieses Erwerbs keinen Vertrauensschutz. Mithin ist trotz des gültigen Valutaverhältnisses zwischen dem Anweisenden und dem Empfänger eine Nichtleistungskondiktion des Angewiesenen gegen den Empfänger zugelassen 28 • Nr. 11- 13 und 15 - 16 des Anhangs. Man beachte den Doppelsinn der Beurteilung: Eine fehlende oder widerrufene Anweisung bewirkt zwar keine "Leistung", d.h. die Erfüllung i. S. des § 362 BGB. Ein gutgläubiger Empfänger darf jedoch die ihm zugewandte Zahlung oder Lieferung als "Leistung" seines Schuldners ansehen. Die Auswirkungen des Vertrauens beschränken sich allerdings auf den Ausschluß der Kondiktion des Angewiesenen. 25 Ich verweise auf den lehrreichen Sachverhalt der Entscheidung Nr. 17 des Anhangs: Ein Kaufmann "S." in Kiel versandte an den Kaufmann "B." in Bochum ,,31 Ohm raffiniertes Rüböl". Noch vor dem Eintreffen der Waren in Bochum hatte "S". die Bahn telegraphisch angewiesen, das Rüböl nicht an "B.", sondern an den ebenfalls in Bochum wohnenden Kaufmann "Sch." auszuliefern. Wegen der Gleichartigkeit der beiden Leistungen (Besitzverschaffung an 31 "Ohm" Rüböl gegen Herausgabe des Besitzes) ist die Aufrechnung durch den Empfänger "B". zulässig. 26 So der Sachverhalt der Entscheidung Nr. 2 des Anhangs. 27 Nr. 1 - 2 des Anhangs. 28 Nr. 19-20 des Anhangs. 23

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4. Teil: Der Leistungsbegriff im Bereicherungsrecht

5. Wer trägt das Insolvenzrisiko des Bereicherungsschuldners? a) Das sog. Insolvenzrisiko, die Gefahr, daß ein Bereicherungsanspruch wegen der mangelnden Zahlungsfahigkeit des Bereicherungsschuldners nicht durchgesetzt werden kann, ist im Prinzip mit der unwirksamen Anweisung im Deckungsoder mit dem fehlerhaften Valutaverhältnis verbunden, in dem der Ausgleich stattfindet. b) Es verlagert sich kraft einer Zurechnung auf den Angewiesenen und insbesondere auf ein Kreditinstitut als Leistungsmittler, wenn aa) der Anweisende geisteskrank ist 29 , bb) der Angewiesene eine Überweisung oder Lieferung tätigt, ohne dazu beauftragt zu sein 30; der Angewiesene trägt das Risiko insbesondere dann, wenn er die fehlende oder unwirksame Anweisung kennt, mithin in dieser Hinsicht bösgläubig ist 31 •

V. Das vernetzte Denken - ein Weg des Bereicherungsausgleichs zwischen mehreren aufeinander bezogenen Schuldverhältnissen I. Die grundlegende Ordnung der Leistungsbeziehungen und ihre Erweiterung bei Fehlern des sog. Leistungsmittlers a) Die herausgearbeiteten, auf den ersten Blick rein technischen Formeln des Bereicherungsausgleichs im Netz mehrerer Schuldverhältnisse gewinnen in der Anschaulichkeit und Gleichmäßigkeit der Gerichtsurteile Leben und Überzeugungskraft. Sie weisen einmal auf die grundlegende Ordnung des Ausgleichs in dem jeweils gestörten Verhältnis hin. Die Bindung an das Verhältnis, dem ein sog. "Leistungsmittler" seine Befugnisse entnimmt (Deckungsverhältnis) oder in der sich die geschuldete Wertbewegung, wenn auch vermittelt durch einen Dritten, vollzieht (Valutaverhältnis), entspricht einer zwischenmenschlichen und rechtlichen Sicht der Dinge: Einrichtungen wie Kreditinstitute, die Post und die Eisenbahn, aber auch Privatpersonen, die rechtliche Befugnisse eines anderen weitergeben I, nennen ihre Auftraggeber. Überweisen sie einen Geldbetrag, liefern sie eine Ware aus 29 Nr. 2 des Anhangs (RG 86, 348, wo die ,,zahlungsfähigkeit und Zahlungsbereitschaft der W's" als Bereicherungsschuldner erörtert werden). 30 Nr. 3 - 6 des Anhangs. 31 NT. 7 des Anhangs. 1 Ein Beispiel liefert die Übertragung des Grundeigentums an den Zweitkäufer, den Käufer des Käufers, vermittelt durch den Verkäufer (Urteil Nr. 2 des Anhangs).

V. Der Bereicherungsausgleich kraft vemetzten Denkens

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oder lassen sie ein Grundstück auf, so ist tatsächlich wie rechtlich ihr Handeln dem Empfanger gegenüber neutral, mithin nicht von der Absicht getragen, die Verbindlichkeit eines Käufers oder Verkäufers, eines Mieters oder Vermieters und Darlehensnehmers oder -gebers in der eigenen Person zu erfüllen. Der "eigentlich" Handelnde, dessen Ziele den Sinn der vermittelnden Wertbewegung bestimmen, steht bei der technischen Ausführung der Sache zwar im Hintergrund, er ist aber durch ein Verhältnis von "Leistung" und "Gegenleistung" mit dem Empfanger verbunden: Seine Stellung und Rolle werden dem Empfanger in dem Augenblick wieder bewußt, in dem er die empfangene Sache durch eine Zahlung und das empfangene Geld durch eine Sachleistung vergütet. Dieser Ordnung entspricht der Bereicherungsausgleich bei einem Schuldverhältnis, dessen Zweck, die Erfüllung oder Begründung einer Verpflichtung, nicht erreicht werden konnte. Hier ist es im Ausgangspunkt der "Leistende", dem tatsächlich - durch Rückbuchung oder Rückruf - und rechtlich - durch den Anspruch auf "Herausgabe des Erlangten" - die Korrektur einer verfehlten Wertbewegung eröffnet ist. b) Die plausible, an Hand des Entscheidungsmaterials fast selbstverständlich erscheinende Erweiterung dieser Ordnung, der Durchgriff des Leistungsmittlers gegen den Empfanger vermittels einer sog. Nichtleistungskondiktion, ist rechtstatsächlich in der Hauptsache durch typische Fehler der beauftragten Einrichtung veranlaßt: Der Kontoführer übersieht etwa den Widerruf eines Dauerauftrags oder das Personal des Güterbahnhofs die geänderte Weisung des Absenders. Das naheliegende Bestreben der Einrichtung, ein derartiges Versehen unter tunlichster Schonung ihrer Kräfte durch Inanspruchnahme des Empfangers rückgängig zu machen, bedarf einer ausgefeilten Regelung, die das Interesse des Mittlers an einer reibungslosen, möglichst unauffalligen Erstattung, das Vertrauen des Empfängers auf seinen Erwerb und die Verteidigung des Schuldners gegen von ihm nicht veranlaßte Zuwendungen untereinander abstimmt. Daß eine derartige Aufgabe teils durch eine "Leistungs-", teils eine "Nichtleistungskondiktion" erfüllt wird, ist eine Folge der feinfühligen Ordnung des Ausgleichs. Die Analyse der im Anhang dargestellten Entscheidungen bestätigt im Ergebnis die Aussage von Canaris 2 : Man dürfe den Leistungsbegriff weiterhin als Merkmal für die Leistungskondiktion verwenden, er sei aber von seiner Überforderung zu entlasten.

2. Das ausgleichende Vorgehen des vernetzten Denkens Es kann nicht Sache einer dem Begriff der "Leistung" gewidmeten Studie sein, den angedeuteten Feinheiten noch weiter als geschehen nachzugehen.

2

WM 1980, Seite 354/69.

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4. Teil: Der Leistungsbegriff im Bereicherungsrecht

Statt in diese oder jene Einzelheiten einzudringen, sei das Zusammenwirken des zwischenmenschlich-wirtschaftlichen Begriffs der "Leistung" mit den ausgesprochen rechtlichen Wertungen der ,,zurechnung" einer Wertbewegung, ihrer "Entgeltlichkeit" oder "Unentgeltlichkeit" und der Verteilung des Risikos der Zahlungsunfähigkeit kraft der "Redlichkeit" oder "Bösgläubigkeit" des Bereicherungsgläubigers von einer höheren Ebene aus gerechtfertigt. Ich nenne es das "vernetzte Denken", das uns in die Lage versetzt, einen Komplex, d.h. die Verknüpfung verschiedener Teile zu einem geschlossenen Ganzen, "sachgerecht", wie es der Bundesgerichtshof ausdrückt3, koordinierend, wie ich selbst es bezeichnen würde, zu behandeln. Dabei werden die Teile oder schuldrechtlichen Beziehungen nicht isoliert voneinander, sondern mit dem Blick auf die Wirkungen betrachtet, die im Falle einer Störung von einem Teil auf den anderen ausgehen. Hat ein Kreditinstitut, um dies an einem Beispiel zu zeigen, Überweisungen trotz des widerrufenen Auftrags seines Kunden getätigt, so kann ihm der zeitsparende Rückruf bei dem Empfänger gleichwohl verwehrt sein, weil dessen Beziehung zu einem Dritten: dem Kunden des Instituts, einen Tatbestand der Verläßlichkeit hat entstehen lassen 4 • An sich eine Selbstverständlichkeit lebenserfahrener Denkweise, bricht diese Methode dennoch in das überkommene Muster "typisch juristischer" Beurteilung ein, die eine komplexe, also aus mehreren Schichten gewobene Lage in ihre Teile auflöst, um sie in dieser Vereinzelung möglichst sicher untersuchen zu können. Die GewiBheit der hergebrachten Betrachtungsweise wird das "vernetzte Denken" aller Voraussicht nach schwer erreichen; daß der Bereicherungsausgleich in sog. Drei-Personen-Verhältnissen die oberen Gerichte seit mehr als einem Jahrhundert beschäftigt 5 und die Richter immer noch Mühe haben, sich auf diesem Gebiet zu Grundsätzen zu bekennen 6, beweist diese Schwierigkeit. Trotzdem kann der Jurist darauf bauen, daB er mit diesem einfühlsameren Vorgehen der Vielgestaltigkeit zwischenmenschlicher Beziehungen immer besser gerecht wird: Sein Horizont hat sich erweitert, er erkennt nunmehr die "natürlichen", in der Regel wirtschaftlichen Zusammenhänge und läßt sie bei dem Ausgleich der gegensätzlichen Interessen nach Möglichkeit gelten, anstatt sie aufzulösen.

3 WM 1983, Seite 1240/42. Für ein Denken "in Bezügen" auch M. Engelhard: "Die Linien des Lebens" (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8.12.1990): "Wahrheit entsteht durch Inbeziehungsetzen von Unbezogenem." 4 So das Urteil Nr. 13 des Anhangs. 5 Man vergleiche die Nummern 17, 18 und 21 meines Anhangs. 6 BGH WM 1989, Seite 1364 / 67: ,Jedoch verbietet sich bei der bereicherungsrechtlichen Abwicklung derartiger Vorgänge im Dreierverhältnis jede schematische Lösung; zu erstreben ist ein interessengerechter Ausgleich aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles ..."

V. Der Bereicherungsausgleich kraft vernetzten Denkens

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3. Einige Bemerkungen zur Literatur des Bereicherungsrechts a) Die Besprechung 7 einer Monographie zum Bereicherungsrecht 8 , einer Arbeit im Umfang eines Handbuchs, beschreibt den Zuschnitt des Gebiets als kompliziert und undurchsichtig: "Die Literatur ist bis ins Ungemessene angewachsen, um nicht zu sagen explodiert, Rechtsprechung und Rechtslehre haben ununterbrochen mit Bereicherungsfällen zu tun, in denen sie neue Probleme entdecken oder zu entdecken glauben oder neue Lösungen für alte Probleme oder neue Begründungen für alte Probleme suchen. Es ist deshalb keine Übertreibung, den Stand dieses Rechtsgebiets als verwirrend zu bezeichnen. " b) Warum gerade die großen Darstellungen mehr den Eindruck einer "wissenschaftlichen Baustelle" als den eines Gebäudes machen, mag eine Sachlage beleuchten, die den Unterschied der "normativen" und der "beobachtenden"9 Vorgehensweise zeigt. Die Beobachtung, daß Arbeitnehmer in einer von ihnen als ausweglos angesehenen Notlage versucht sind, Schulden durch Täuschung ihres Arbeitgebers bezahlen zu lassen, spricht nicht so sehr gegen "die" Arbeitnehmer als für die Versuchungen, in die verschuldete Buchhalter und Kassenverwalter geraten. Der Leiter eines sächsischen Postamts fertigte in eigener Sache Postanweisungen aus, um Verbindlichkeiten aus einer übernommenen Bürgschaft - ohne die entsprechenden Einzahlungen - durch die Post tilgen zu lassen 10. Ein Handlungsgehilfe stellte durch Fälschung einen Überweisungsauftrag seiner Firma her, um seine Schulden aus der Welt zu schaffen 11. Ein Amtmann des schleswig-holsteinischen Kirchenkreises Ratzeburg, zuständig für das Kassen- und Rechnungswesen seines Dienstherren, ließ in den Jahren 1980 bis 1988 nicht nur 1,4 Millionen DM von den Guthaben der Kirche auf private Konten fließen, sondern befriedigte auch mit Hilfe von acht Sammelüberweisungen des Kirchenkreises seine Gläubiger 12. Die Strafverhandlung offenbarte, daß ihm sein Vorgesetzter, ein Propst, die Überweisungsformulare "gleich stapelweise und blanco unterschrieben" ausgehändigt hatte. Der Staatsanwalt nannte die Schuldentilgung einen "Gipfel der Unverschämtheit" und warf dem Propst vor, er hätte seine Verwaltungsaufgaben ,,knallhart wie ein Wirtschaftsführer wahrnehmen müssen, nicht wie ein Seelsorger." c) Die (rein) dogmatische Lösung, in diesen Fällen nur nach dem Vorliegen oder dem Fehlen einer Anweisung des getäuschten Kontoinhabers zu fragen und je nach dem Ausfall der Antwort den Durchgriff des Kreditinstituts gegen den Weitnauer, Betrieb 1984, Seite 2496. Reuter / Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung (1983). 9 Ein Unterschied, den Lieb im Münchener Kommentar, 2. Aufl., 31 zu § 812, im Zusammenhang mit dem Begriff der ,,Leistung" erwähnt. 10 RG 60, 24 vom Jahre 1904, bereits erwähnt oben II 1 b, aa). 11 OLG Hamburg, OLGZ 22, Seite 353, vom Jahre 1911. 12 Zitiert nach einem Bericht der "Kieler Nachrichten" vom 26.8. 1989. 7

8

8 Henke

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4. Teil: Der Leistungsbegriff im Bereicherungsrecht

Empfänger (den Gläubiger des Arbeitnehmers) zu gestatten oder zu verweigern 13, befriedigt m. E. nicht: Das Mitverschulden des Arbeitgebers und das Vertrauen bzw. Mißtrauen des Zahlungsempfängers werden dabei zu Unrecht übergangen; sie müßten unter dem Gesichtspunkt der "Zurechnung" zur Ablehnung des Durchgriffs führen. War im ersten Beispiel der Verwalter des Postamts überhaupt befugt, Zahlungsanweisungen in eigener Sache über eine erhebliche Summe auszufertigen? 14 Die Frage muß mindestens wegen des Mißbrauchs seiner dienstlichen Befugnisse verneint werden 15, ein Gesichtspunkt, der den Durchgriff rechtfertigen könnte. Hat das Reichsgericht nicht aber der Sache angemessener allein die ..Sicht des Empfängers" gelten lassen 16 und den Durchgriff der Post abgelehnt, weil die Gläubigerin von einer ..Leistung" des Absenders (des Verwalters des Postamts) ausgehen durfte? Zum gleichen Ergebnis gelangt die heutige Literatur, die hier von einer wirksamen Anweisung ausgeht und demzufolge den Anspruch der Post gegen die Empfängerin verneint 17. Mußte nicht im zweiten Fall in Betracht gezogen werden, in welchem Maße der Arbeitgeber des Handlungsgehilfen die Fälschung des Überweisungsauftrags durch unsorgfältige Verwahrung von Formularen und Stempeln oder durch mangelnde Überwachung erleichtert, ja überhaupt erst möglich gemacht hatte? Durfte in der dritten Sachlage ein Gläubiger des Amtmanns von einer wirksamen Zahlungsanweisung des Kirchenkreises ausgehen? 18 Stellt man sich den Fällen, so drängen sich Fragen auf, die dem begrifflichtechnisch vorgehenden Juristen verborgen bleiben. Es verwundert daher nicht,

13 Canaris, WM 1980, Seite 354/55 und JZ 1987, Seite 201/02 unter 2) (sog. ,.zurechenbarkeitsmangel"); Lieb, a. a. 0., 50 zu § 812; Reuter / Martinek, a. a. 0., § 11 III 4 b, aa - sämtlich für den Durchgriff ohne Rücksicht auf ein gerechtfertigtes Vertrauen des Empfängers. 14 Im entschiedenen Fall wurde in heutiger Währung eine Summe von 80.199 DM auf den Weg gebracht (oben II 1 b, Fußnote 4). 15 So auch in einem obiter dictum RG 60, 25: ,.zutreffend erscheint es allerdings, wenn die Revision annimmt, es sei, sofern man die Angaben des Klägers (des Postfiskus) als wahr unterstelle, überhaupt gar kein Anweisungsvertrag zustande gekommen ... " Deutlich verneinend in dem hier vertretenen Sinn Aschenborn / Schneider, Das Gesetz über das Postwesen des Deutschen Reichs, 2. Aufl. (1928), 7 a vor § 6 (Seite 175); LG Beuthen und OLG Breslau in der Abhandlung, Archiv für Post und Telegraphie 1887, Seite 321/23 und 28. 16 A. a. 0., Seite 28: ..Im Postanweisungsverkehr erfolgt die Zahlung, welche die Post dem Adressaten leistet, mit dem Willen, daß dieser sie als eine ihm von dem Absender durch Vermittlung der Post übersendete empfange ... " 17 Medicus, Bürgerliches Recht, 14. Auf!. (1989), Tz. 678. 18 Wird eine Blankourkunde, hier das Überweisungsformular des Kirchenkreises, abredewidrig ausgefüllt und in den Verkehr gebracht, genießt nur der ,,redliche" Dritte Vertrauensschutz (BGH 40, 65/68; 40, 297/304-05). Ein Gläubiger des Amtmanns durfte sich nur bei solchen Zahlungen des Kirchenkreises auf eine Tilgung durch den Dienstherren verlassen, die nach Anzahl und Höhe in einem vertretbaren Verhältnis zur Besoldung des Amtmanns standen.

v.

Der Bereicherungsausgleich kraft vemetzten Denkens

115

daß der Bundesgerichtshof unter dem Eindruck der vor ihm verhandelten Streitfälle die "sach- und interessengerechte" Lösung auch aus der "Sicht des Empfängers" zu finden sucht l9 • d) Läßt sich gerade der Theoretiker zu schnell von "Streitfragen" und "Problemen" gefangennehmen, fehlt seinen Lösungen die Vernunft der Sache; sie werden beliebig und erzeugen neue "Streitfragen": Ist etwa mit dem Widerruf einer Anweisung, den das Kreditinstitut unbeachtet läßt, immer der Durchgriff des Instituts gegen den Empfänger verbunden oder ist hier auf dessen Gutgläubigkeit, also seine "Sicht", Rücksicht zu nehmen? Die Antwort bei Canaris fällt bejahend 20 , bei Lieb vemeinend 21 und bei Reuter/ Martinek wiederum bejahend 22 aus. Wem aber darf man hier folgen, wo die sorgfältige - "beobachtende" der Sachverhalte und der in ihnen verborgenen Konflikte fehlt? 23

Analyse

Nr. 3 des Anhangs. WM 1980, Seite 356 und 370. 21 Münchener Kommentar, 2. Aufl., 70 a zu § 812: "Der Rechtsscheinstatbestand erscheint allzu schwach ausgeprägt." 22 A. a. 0., § 11 III 4 b, ce: "Wer eine Anscheinsvollmacht anerkennt, kann sich deshalb ceteris paribus der Anscheinsbotenmacht nicht entziehen." 23 Einen Anhalt in dieser Richtung (aber nur einen solchen!) finde ich bei Canaris, a.a.O., Seite 356: ,,Auch bei der Giroüberweisung liegt ein Scheintatbestand vor, weil dem Überweisungsempfänger der vom Überweisenden geschaffene Überweisungsträger übermittelt wird." 19

20

8*

Fünfter Teil

Begriffliche Arbeit 1. Das Schuldverhältnis in seiner engen, technischen, und seiner weiten, organischen, Bedeutung erhält seinen Sinn und sachlichen Mittelpunkt durch die "Leistung", die der Gläubiger fordern darf und der Schuldner erbringen soll 1. 2. Die "Leistung" im soziologisch-wirtschaftlichen Sinn, wie sie Max Weber versteht, ist jedes zwischenmenschliche ("soziale"), daher sinnvolle Handeln, das dem Partner und Empfänger einen wirklichen oder von ihm angenommenen Vorteil verschafft und daher als Gegenstand seiner Bemühungen erstrebt wird. Der erhaltene Vorteil setzt ihn in den Stand, damit als Privatperson oder als Kaufmann zu "wirtschaften", das heißt, eine wirtschaftlich orientierte Veifügungsgewalt auszuüben 2. 3. Der wirtschaftlich-soziologische und der schuldrechtliche Begriff der "Leistung" stimmen im Hinblick auf Vermögensbewegungen überein. Der Jurist weist jedoch bewußt die Frage ab, wozu der Empfänger den erhaltenen Vorteil gebraucht: Er sieht den Menschen nicht nur als Motor der Wirtschaft, sondern als Person und anerkennt seinen freien, auch von "unvernünftigen" Gefühlen beherrschten Willen 3. 4. "Leistung" in der schuldrechtlichen Bedeutung ist mithin jedes sinnvolle, d.h. von einem bestimmten Zweck getragene Verhalten eines Schuldners, das dem Gläubiger einen wirklichen oder von ihm angenommenen Vorteil verschafft, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob es auf seiner Seite, möglicherweise auch in der Person eines begünstigten Dritten, ein wirtschaftliches oder schutzwürdiges Interesse befriedigt 4 • 5. Der schuldrechtliche, sowohl von wirtschaftlichen Merkmalen als auch von ethischen Vorbehalten wie der "Schutzwürdigkeit" einer Zuwendung entkleidete Leistungsbegriff steht im Einklang mit dem Sprachgebrauch, der Verkehrsauffassung und den Bedürfnissen der Bürger 5 • 6. Eine "Leistung" kann sich auf geldwerte und gleichermaßen auf nicht geldwerte Güter beziehen. Verspricht jemand freilich eine nicht geldwerte Lei1. Teil, 1. Teil, aLTeil, 4 1. Teil, 5 1. Teil, 1

2

I 2. 11 4. 11 5 b. 11 6 c. 11 7 b.

Begriffliche Arbeit

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stung, so kann die rechtliche Bindung wegen Fehlens des Verpflichtungswillens oder sogar der Verpflichtungsmacht zu verneinen sein6 . 7. Den Parteien fehlt die Verpflichtungsmacht, wenn sie eine objektiv unmögliche oder eine gesetzwidrige Leistung zusagen oder wenn ein Vertrag den Kern ihrer Selbstbestimmung und damit ihrer Persönlichkeit antastet? 8. Versprechungen, welche die Selbstbestimmung berühren, können die Kontrahenten allenfalls zwischenmenschlich, zum Beispiel kraft eines gentlemen' s agreement, in Pflicht nehmenB. 9. Eine Leistung mag zu einem angemessenen oder wucherischen Preis erkauft worden sein, sie behält dessenungeachtet ihren Charakter und kann bei Nichtigkeit des Schuldverhältnisses einen Rückforderungsanspruch wegen ungerechtfertigter "Bereicherung" (des nicht gerechtfertigten Empfangs einer "Leistung") begründen 9 • 10. Die "Leistung" im sozialen wie im rechtlichen Sinn ist auch dort zu bejahen, wo sich die Annahme eines Schuldverhältnisses wegen der fehlenden Bindungskraft eines Versprechens von vornherein verbietet oder die Zuwendung nur als "Schlechtleistung " anerkannt werden kann \0. 11. Ob ein Verhalten eine ,,Leistung" ist, bestimmt sich letztlich nach den Zielen, welche die Handelnden verfolgen, mögen diese auch in der Sicht eines über ihnen stehenden Beobachters unerreichbar sein. Als zielgerichtetes, also sinnvolles Handeln ist die ,,Leistung" im Sinne des § 241 BOB die bewußte und gewollte Zuwendung von Vorteilen, seien sie wirtschaftlicher, kultureller, geistiger oder rein menschlicher NaturlI. 12. Sogenannte" vorteilslose", das heißt weder objektiv noch subjektiv als wertvoll erachtete Zuwendungen, etwa ein Vertragsbruch oder ein Delikt, sind keine "Leistungen" 12. 13. Auch das abstrakte Schuldversprechen und Schuldanerkenntnis beinhalten eine "Leistung", d. h. die von einem bestimmten Ziel getragene Wertbewegung. Daß die entsprechenden Zusagen trotz ihres Schweigens über das Ziel der Erklärung auf einen Zweck, etwa die Hingabe erfüllungshalber, die Sicherung eim,r Verbindlichkeit oder auf eine Schenkung, bezogen sind, ergibt sich aus ihrer praktisch unlösbaren Verbindung mit einem gesondert vereinbarten und dennoch in Bezug genommenen ,,kausalen" Rechtsverhältnis 13. 1. Teil, II 8 a- b. 1. Teil, II 8 b. B 1. Teil, II 8 c. 9 1. Teil, II 9 b. 10 1. Teil, II 8 c und 9 d. 11 1. Teil, 9 e. 12 1. Teil, 11 9 e.

6

7

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5. Teil: Begriffliche Arbeit

14. Der Inhalt einer vertraglichen Unterlassungspflicht besteht in der beschnittenen Handlungsfreiheit, genauer: in der zugesagten Untätigkeit des Verpflichteten. Er erfüllt die Pflicht, indem er sich beherrscht, er erfüllt sie aber auch dadurch, daß er "nichts tut" 14.

15. Einen einschneidenderen Inhalt hat die gesetzliche Unterlassungspflicht zum Schutz absoluter Rechte. Da sie mindestens eine deutliche Bedrohung, wenn nicht gar den Eingriff in die Rechte des Gläubigers voraussetzt, zielt sie auf ein äußeres und inneres Verhalten des Schuldners: Sie verlangt, daß er Selbstzucht übe und als Frucht seiner Disziplinierung die Rechte des anderen achte 15. Ist die Bedrohung gebannt und die Gefahr erloschen, so ist das gesetzliche Schuldverhältnis der Unterlassung erfüllt und beendet 16.

16. Die geschuldete Duldung, eine Spielart der Unterlassung, besteht in der vertraglichen Gestattung oder der gesetzlich angeordneten Hinnahme eines Eingriffs in den eigenen Rechtskreis 17. 17. Wer unterläßt oder duldet, was ihm ein Vertrag oder ein Gesetz auferlegt, "leistet" an den Gläubiger, weil er dessen Interessen befriedigt: Er bestärkt ihn in dem ungestörten Gebrauch seiner Rechte 18 • 18. Wegen der im Konfliktsfall geforderten Selbstzucht des Schuldners sind Unterlassungs- und Duldungsklagen Leistungsklagen im Sinne des Zivilprozeßrechts, daher können Vertragsstrafen auch für vereitelte Unterlassungsund Duldungspflichten vereinbart werden 19.

19. Wie jede menschliche Beziehung so hat auch das Schuldverhältnis zwei Pole und von ihnen aus betrachtet zwei Anschauungsweisen. Der Gläubiger versteht es als sein Recht zu erhalten, was ihm der Schuldner versprach oder das Gesetz als das ihm Gebührende zusicherte. Mithin sieht er zuerst auf den Leistungserfolg. Für den Schuldner sind es dagegen die Pflichten, die das Wesen seiner Beziehung ausmachen. In seiner Sicht steht die Leistungshandlung im Vordergrund 20.

20. Trotz der verschiedenen Sichtweise sind Leistungshandlung und Leistungserfolg aufeinander bezogen. Dies zeigt im gegenseitigen Vertrag der Zusam13 14

15 16 17 18 19 20

Teil, Teil, Teil, Teil, Teil, 1. Teil, 1. Teil, 2. Teil, 1. 1. 1. 1. 1.

11 10. m 3 a, bb).

III 3 a, cc).

m 3 a, ce).

III 3 b, aa). m 3 b, ce) und 4 a. III 4 b. I 1.

Begriffliche Arbeit

119

menhang, in dem Leistung und Gegenleistung stehen: Mit der Leistungshandlung erwirbt man den Anspruch auf die Gegenleistung, mithin auf einen Leistungserfolg; man ist gleichzeitig Schuldner und Gläubiger 21 • 21. Handlung und Erfolg stehen auch sonst, nämlich bei der Erfüllung einer einseitigen Pflicht, in einer Wechselwirkung, eben in einem "Verhältnis" zueinander: Der Leistungserfolg bestimmt den geschuldeten Einsatz und der geschuldete Einsatz seinerseits das, was der Gläubiger nach den Umständen des Falles und gerade nach Ort, Zeit und Umfang einer Leistung zu bekommen hat 22 •

22. In der Norm des § 241 BGB verbinden sich Leistungshandlung und -erfolg zur "Leistung" 23. 23. Ist der Leistungserfolg trotz der Bemühungen des Schuldners nicht eingetreten, bleibt der Verpflichtete im Schuldverhältnis gebunden. Der Gläubiger kann ihn weiterhin auf die "Leistung" verklagen, d. h. auf die Vornahme der Leistungshandlung, die den Leistungserfolg eintreten läßt 24 •

24. Leistungshandlung und -erfolg können sich in mehreren Schritten vollziehen 25, wie insbesondere beim sog. Versendungskauf, aber auch zusammenfallen, wie insbesondere bei der Unterlassung 26 • 25. Der Versendungskauf ist eine in ihren Ariforderungen gemilderte Bringschuld mit der Besonderheit, daß die Vorschrift des § 447 BGB, eine Norm der Leistungsstörung und nicht der Erfüllung, dem Verkäufer die ihn sonst treffende Haftung aus § 278 BGB für fremde Transportpersonen erläßt 27 • 26. Das Schuldverhältnis erlischt durch Erfüllung i. S. des § 362 BGB, wenn der Schuldner (oder ein Dritter für ihn - § 267 BGB -) handelnd oder unterlassend die Leistung an den Gläubiger bewirkt 28 • 27. Zufällige Ereignisse, die das Interesse des Gläubigers an der Leistung durch den Schuldner wegfallen lassen, stellen sich mangels einer Leistungshandlung nur als sog. Zweckerreichung, eine Spielart der Unmöglichkeit der Leistung i. S. des § 275 BGB, dar 29 • 28. Der in der Vorschrift des § 283 BGB gewährte Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung verbindet gleichfalls die Leistungshandlung mit dem Leistungserfolg . 21 22

23 24 25 26 27

28 29

2. Teil, 2. Teil, 2. Teil, 2. Teil, 2. Teil, 2. Teil, 2. Teil, 2. Teil, 2. Teil,

I 2 a. I 2 a. II 1 a. II 1 a. II 1 b, aa). II II II II

1 b, bb). 1 b, aa) und 3 c, aa). 1 C. 3 a, aa) und bb).

5. Teil: Begriffliche Arbeit

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Er gründet sich in der einen Sichtweise auf die unwiderlegbar vennutete Unmöglichkeit der Leistung als Handlung und Erfolg, in der anderen auf den Wegfall des Interesses des Gläubigers am Leistungserfolg bei unterstellter Möglichkeit der Leistungshandlung (mithin auch des Erfolges)3°. 29. Die Unmöglichkeit der Leistung i. S. des § 275 BGB bedeutet: Der Schuldner kann nicht so handeln, daß die von ihm geforderte Erfüllung (i. S. des Leistungserfolgs) eintritt (subjektive Unmöglichkeit oder Unvennögen), oder: Die Leistungshandlung ist jedennann unmöglich geworden, so daß auch der Erfolg im ganzen vereitelt ist (objektive Unmöglichkeit)31. 30. Eine mögliche Leistungshandlung kann bei unmöglich gewordenem Leistungserfolg nicht sinnvoll angenommen werden. Fehlt nämlich die Person oder die Sache, im Hinblick auf die der Schuldner tätig werden soll (das sog. "Leistungssubstrat"), so wird auch die Leistungshandlung gegenstandslos, mithin praktisch wie rechtlich unmöglich. Der unerreichbare Leistungseifolg zieht die Unmöglichkeit der Leistungshandlung nach sich 32. 31. Die sog. Schickschuld hält den Schuldner zur Leistungshandlung am Erfüllungs- und Eifolgsort an 33. 32. Die Leistungszeit bei der Geldschuld und die Bewertung einer dem Schuldner gesetzten Nachfrist auf ihre "Angemessenheit" hin befreien nicht von der Zusammenschau von Handlung und Erfolg, sofern nicht nur der Zeitraum, sondern auch die Erfüllung in Frage steht 34. 33. Der Schuldner hat nicht nur für die vertragsmäßige Sorgfalt, sondern für die Erfüllung seiner Pflichten durch Handlung und Erfolg einzustehen 35. 34. Die Tatsache, daß ein Begriff wie die "Leistung" zwei Bedeutungen in sich vereinigt, ist keine Schwäche des gesetzlichen Ausdrucks. Die mehrfachen Bedeutungen schärfen vielmehr, sind sie erst einmal erkannt, den Blick des Juristen für den jeweils gemeinten Sinn. Sie weisen darauf hin, daß Schuldner und Gläubiger in einem" Verhältnis" zueinander stehen, kraft dessen der Einsatz der einen und die Befriedigung der anderen Seite aufeinander bezogen sind 36. 30 2. 31 2. 32 2. 33 2. 34 2. 35 2. 36 2.

Teil, Teil, Teil, Teil, Teil, Teil, Teil,

II II II II II II II

b, b, b, c, 3 d, 3 e. 4.

3 3 3 3

aa). bb). cc). aa) und bb). aa) und bb).

Begriffliche Arbeit

121

35. Das Schuldverhältnis ist darauf angelegt, den Gläubiger zu befriedigen und durch die "Erfüllung" sein vorher bestimmtes, natürliches Ende zu finden. Eine Verpflichtung "erfüllen" heißt: durch Vornahme der Leistungshandlung die im Schuldverhältnis enthaltenen vertraglichen Zusagen oder gesetzlichen Gebote einlösen 37 . 36. Die Erfüllung löst die im Schuldverhältnis angelegte Spannung, sie läßt geistige Gegebenheiten greifbare Wirklichkeit werden und befördert so den Kreislauf wirtschaftlicher und ideeller Güter. Können diese Ziele nicht erreicht werden, sorgen die Normen der "ungerechtfertigten", von der Erfüllung nicht begleiteten, Bereicherung für die Rückerstattung der geleisteten Werte 38.

37. Die Leistung, die zur Erfüllung führt, vereinigt in sich die Leistungshandlung und den Leistungserfolg39. 38. Den mit der Leistung (im Sinne der Leistungshandlung) als zwischenmenschlichen und rechtlichen Vorgang verbundenen Sinngehalt bringt die sog. "Vertragstheorie" am stärksten, die sog. Theorie der "realen Leistungsbewirkung" am schwächsten zum Ausdruck 4O •

39. "Leistungen" ohne Zweckbestimmung - und sei es auch nur die einer gesetzlich gewährten Hilfe bei der Auswahl der zu tilgenden Verbindlichkeit (§ 366 11 BGB) - fallen zwischenmenschlich wie rechtlich ins Leere und bewirken keine Erfüllung 41 • 40. Auch der vom Gläubiger ohne oder gegen den Willen des Schuldners verfügte Leistungszweck in Gestalt einer (einseitigen) "Verrechnung" kann keine Tilgung bewirken, weil er einem Willkürakt, ja einer privaten Vollstreckung gleich käme 42 •

41. Einmalige Nachlässigkeiten auf der Seite des Schuldners wie die fehlende Angabe eines Aktenzeichens oder der zu flüchtig geschriebene Name sind keine Vertrauens- oder Verwirkungsstatbestände, auf die sich der Gläubiger einrichten darf. Sie nehmen dem Schuldner nicht die Befugnis, eine Tilgungsbestimmung nach seinem Ermessen nachzuholen und lassen die Auswahl der zu erfüllenden Schuld nicht auf den Gläubiger übergehen 43 • 42. Verbindlichkeiten, zu denen sich der Schuldner nicht wenigstens in einer Tathandlung mit Bezug auf ein Schuldverhältnis wie die Schadenser37 38 39 40

41

42 43

3. 3. 3. 3. 3. 3. 3.

Teil, I 1 a. Teil, I 1 a.

Teil, I 1 b. Teil, Teil, Teil, Teil,

lId. 11 1 b, bb). 11 1 b, bb). 11 1 b, bb).

5. Teil: Begriffliche Arbeit

122

satzleistung in Natur" bekennt", werden nicht erfüllt, weil sie dem Gläubiger die Zuordnung der Leistung unmöglich machen. Vor allem fehlt ihnen die Befriedungswirkung: die Gewißheit des Gläubigers, den empfangenen Wert behalten zu dürfen 44 • 43. Unterlassungspflichten werden auch durch ein bloßes, nicht willensgetragenes "Nichtstun" erfüllt. Den zwischenmenschlichen und rechtlichen Bezug des "Nichtstuns" zu einer übernommenen Unterlassungspflicht stellt die Zusage des Schuldners her, nicht in die Sphäre des Gläubigers, etwa eines anderen Gesellschafters, einzudringen oder dessen geschützte Interessen, etwa die eines Vermieters oder Arbeitgebers, nicht zu verletzen. Der Schuldner erfüllt die ihm auferlegte Unterlassung in jedem Augenblick seiner Bindung - durch eine Kette nicht abgrenzbarer Verhaltensweisen 4s • 44. Die Befriedigung des Gläubigers in der Zwangsvollstreckung ist mangels einer freiwilligen Leistungshandlung keine Erfüllung - sie steht ihr nur hinsichtlich der Folgen gleich 46. 45. Der Erjüllungsvertrag, die vom Schuldner geforderte und vom Gläubiger gewährte Anerkennung einer tatsächlichen oder rechtlichen Handlungsweise als gehörige Erfüllung, hat seine Berechtigung, wenn sich die Parteien im Zusammenhang mit einer Leistung ihrer gegensätzlichen Interessen bewußt sind und die beiderseitigen Standpunkte durch einen bindenden Akkord aufeinander abstimmen. Der Erfüllungsvertrag hat in der Regel keine selbständige Bedeutung, sondern ist mit einem Vergleich oder einem deklaratorischen bzw. negativen Schuldanerkenntnis verbunden; er wird bei einem negativen Schuldanerkenntnis daher zu Recht als" Verfügung" auf der Seite des Gläubigers qualifiziert 47 • 46. Zweck- oder Tilgungsvereinbarungen haben ihren Sinn als einverständliche Festlegung des Schuldverhältnisses, das der Verpflichtete erfüllt. Stimmen Leistung und Verbindlichkeit in der Sicht eines unparteiischen Beobachters überein, können sie jedoch nicht gefordert werden: Ein Schuldner muß das Recht haben, sich auch einseitig von dem Band der fälligen Obligation zu lösen 48 • 47. Ob sich demzufolge der Bezug einer Leistung auf das zu tilgende Schuldverhältnis "final" vollzieht, d. h. durch eine ausdrückliche oder stillschweigende, jedenfalls geschäftsähnliche Handlung des Schuldners, oder "real", d.h. 44 4S

46 47 48

3. 3. 3. 3. 3.

Teil, Teil, Teil, Teil, Teil,

11 2. 11 3 a. 11 4 c. III 2 b. III 3 c.

Begriffliche Arbeit

123

durch eine Leistungshandlung, die in jeder Weise der geschuldeten entspricht, ist keine Streitfrage von praktischem Gewicht 49 • 48. Vor dem Hintergrund glatt liegender Fälle schmilzt der Gegensatz zwischen einer "final" erklärten und einer "real" gedeuteten Erfüllung auf bloße Unterschiede im Ausdruck tusammen: Eine der Schuld entsprechende Zahlung kann auf erste Sicht "final" als Indiz für den Tilgungswillen des Schuldners und "real" als objektiv "passende" Tilgungsleistung gewertet werden. Eine eindringende Beobachtung wird freilich aus den "Umständen" der Zahlung den vom Schuldner verfolgten Zweck, mithin wiederum einen Tilgungswillen, entnehmen 50 • 49. Die Erfüllungstheorie, die in ein richterliches Urteil einfließt, wird einmal von der Aussagekraft der Indizien bestimmt, die für einen "Tilgungswillen" des Schuldners angeführt werden können. Weiter wird das Bild, das sich ein Richter von den Parteien als denkende Kontrahenten oder als unerfahrene Schuldner mit geringem Urteilsvermögen macht, die Deutung mehr nach der "finalen" oder der ,,realen" Seite ausschlagen lassen 51. 50. Die bestimmenden Züge der Willenserklärung: ihre Eignung, dem Willen des einzelnen Gestalt und rechtliche, d. h. bindende, Geltung zu verschaffen (Element der Selbstbestimmung), und weiter: ihn dem Adressaten so zu übermitteln, daß er darauf rechtlich zu reagieren vermag (Element der sozialen Kommunikation), spiegeln sich in den Theorien der "finalen" und der ,,realen" Leistungsbestimmung wider. Jene betont die Autonomie des Schuldners, diese die Zurechnung des Sinnes einer Leistungshandlung als "Erfüllung". Jene muß bis zum äußersten, mithin unter Verwertung aller in Betracht kommenden Indizien, dem "Willen" des Schuldners, wenn auch nur einer "stillschweigend" geäußerten Tilgungsbestimmung, nachgehen; diese kann sich mit einer dem Leistenden kraft des Schuldbandes zugerechneten Bedeutung begnügen, die freilich auf einen "latenten Erfüllungswillen" des Schuldners hinweist 52 • 51. Für die praktische Nähe der "finalen" und der ,,realen" Richtung spricht, daß sich die "finale" Anschauungsweise in glatt liegenden Fällen mit einem "stillschweigenden Willen" begnügen muß, die "reale" dagegen nicht leugnen dürfte, daß auch hinter tatsächlichen Handlungen ein "latenter Erfüllungswille" steht. Der jeweils gewählte Weg ist durch rechtsphilosophische Vorentscheidungen in Gestalt einer individualisierenden und einer typisierenden, wenn nicht 49

50 51 52

3. 3. 3. 3.

Teil, Teil, Teil, Teil,

III III III III

4 a. 4 b. 4 c. 6.

5. Teil: Begriffliche Arbeit

124

sogar soziologischen, Anschauungsweise vorgegeben. Auf der Ebene der Praxis verflüchtigt sich jedoch der anspruchsvolle Ausgangspunkt in F ormulierungsunterschiede 53. 52. Trotz der Abweichungen, die sich praktisch gesehen in Nuancen niederschlagen, spricht für die "reale" Betrachtungsweise die Wirklichkeit der Schuldverträge und ihrer Erfüllung, weil die Masse und Gleichförmigkeit der Bagatellgeschäfte jeden bestimmenden Formalakt überflüssig machen 54. 53. Da neben der "finalen" und der "realen" Zuordnung einer Leistung der Erfüllungsvertrag und die Zweckvereinbarung ihre Berechtigung haben: der Vertrag als Anerkennung einer "gehörigen" Leistung, die Vereinbarung als zweiseitige Festlegung des Schuldverhältnisses, auf das der Verpflichtete leistet, hat jede der einzelnen Erfüllungstheorien ihren größeren oder weniger großen Anwendungsbereich. Ihre Wahrheit liegt in der Relativität, ihr Irrtum in der Unbedingtheit ihres Geltungsanspruchs 55. 54. In dem Begriff der "Leistung" als einer sinnvollen, von bestimmten Zielen getragenen Wertbewegung verbinden sich zwischenmenschliche und rechtliche Erkenntnisse. Da die Gesetze die zwischenmenschlichen Beziehungen ordnen, dürfen sie diese nicht ignorieren. Die Verbindungen zwischen den Menschen, seien sie positiv oder negativ getönt, sind daher Grundlage und Ausgangspunkt der Rechtsverhältnisse. Aus diesem Grunde haben der "Sinn" und die "Leistung" in den zwischenmenschlichen Beziehungen ein Seitenstück im ,,Zweck" (der "causa") und in der geschuldeten "Leistl,mg", die den Charakter des Rechtsverhältnisses prägen 56. 55. Der Begriff der "Leistung" in den Normen über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung entspricht dem Merkmal des Allgemeinen Schuldrechts: Er bezeichnet die bewußte und vor allem zielgerichtete Wertbewegung 57 • 56. Die "Leistung" ist nicht auf Vermögensverschiebungen beschränkt. Im Allgemeinen Schuldrecht wie im Bereicherungsrecht erstreckt sie sich aufWertbewegungen, die sich nicht in Geld ausdrücken und sich infolgedessen nur in Natur herausgeben lassen. Sind sie der Substanz nach nicht mehr vorhanden, ist ein Wertersatz, der an die Stelle einer finanziell meßbaren Leistung tritt, nicht geschuldet.

53 54 55 56 57

3. 3. 3. 4. 4.

Teil, Teil, Teil, Teil, Teil,

III 7 a. III 7 b. III 7 c. I 1. I 1 bund 2 d.

Begriffliche Arbeit

125

Da das Bereicherungsrecht auch auf Zuwendungen ohne Geldeswert anwendbar sein muß, unterscheide man hier die "schlechthin erstattungsfähige" von der nur "in Natur erstattungsfähigen" Leistung 58 • 57. Da "Leistungen" im Rechtssinn wegen ihrer Verbindung mit den Lebensverhältnissen nur in dem Ausnahmefall der Unterlassung durch "Nichtstun" neutrale, regelmäßig jedoch sinnvolle, oft sogar ausdrücklich zweckbestimmte Zuwendungen sind, rechtfertigt sich die Leistungskondiktion des Bereicherungsrechts aus einer folgerichtigen Einsicht: Der Rückruf einer Wertbewegung "ohne Rechtsgrund" ist angezeigt, wenn diese ihr Ziel, vor allem die Tilgung, bei den sog. Realverträgen aber auch die B~gründung einer Verbindlichkeit, nicht erreicht hat. Sie ist dann praktisch und rechtlich sinnlos 59. 58. ,,Leistung" im bereicherungsrechtlichen Sinn ist nicht nur die "Leistungshandlung ". Da der Bereicherungsschuldner etwas "erlangt" haben muß, um einen Rückruf zu begründen, muß zur Leistungshandlung ein "Leistungserfolg ", allerdings nur in Gestalt einer tatsächlichen oder rechtlich-formalen Wertverschiebung, hinzutreten 6O • 59. Die Stärke des Begriffs der "Leistung" ist seine Klarheit und Lebensnähe, Eigenschaften, die ihn zum bestimmenden Merkmal der sog. Leistungskondiktion machen, weil sie den Subtilitäten des "typisch juristischen Denkens", z. B. in Gestalt der "Unmittelbarkeit der Vermögensverschiebung" zwischen dem Bereicherungsgläubiger und -schuldner, überlegen sind 61.

60. Der Begriff der "Leistung" fordert mit der Frage nach dem ,,zweck" einer Wertbewegung eine wirtschaftliche oder allgemein lebensmäßige, jedoch nicht rechtsformale Betrachtungsweise. Deshalb erlaubt er auch bei der unproblematischen, von einem Interessenwiderstreit freien Verflechtung mehrerer Verträge in Gestalt der sog. "Dreiecksverhältnisse", eine Festlegung mit fast instinktiver Sicherheit, wer "Leistender" und wer "Empfänger" ist 62 • 61. Die Zweckbetrachtung ermöglicht es daher auch, den verkürzten Leistungs-

weg bei Zahlungen, der Lieferung von Waren und der Übereignung von Grundstücken geistig zu durchdringen: Der Schuldner, der auf Anweisung seines Gläubigers dem Gläubiger des Gläubigers Werte übermittelt, "leistet" an den ersten, nicht den zweiten Gläubiger 63 •

62. Wertneutrale, der Wirtschaft und den Verhaltensmustern der Menschen entnommene Begriffe sind nicht dazu geschaffen, Wertungskonflikte zu lösen 64. 58

59 60

61 62 63

64

4. 4. 4. 4. 4. 4. 4.

Teil, I 2 c. Teil, I 2 d.

Teil, I 3 b. Teil, Teil, Teil, Teil,

11 11 11 11

1 a. 1 b, bb). 1 b, cc). 2.

5. Teil: Begriffliche Arbeit

126

Sind mehrere Schuldverhältnisse aufeinander bezogen, wie dies im Überweisungsverkehr der Kreditinstitute sowie bei Abtretungen, Pfändungen und Verpfändungen von Ansprüchen zu beobachten ist, können Störungen, die sich von einer Beziehung auf eine andere auswirken, nur durch ein "vernetztes", d.h. koordinierendes, Denken behoben werden. Bei diesem Vorgehen ist die "Leistung" der Ausgangspunkt, der "sach- und interessengerechte" Bereicherungsausgleich der Endpunkt der Bewertung 65 • 63. Hat der Gläubiger eine Forderung abgetreten, gibt bei dem Rückruf wegen Fehlens des Rechtsgrundes letztlich die Interessenbewertung und nicht der wertneutrale Begriff der Leistung den Ausschlag: Hier ist das Vertrauen des Empfängers (des Zessionars), gegebenenfalls des Zedenten, die Leistung behalten zu dürfen, gegen die ungeschmälerten Rechte des Schuldners abzuwägen. Dabei kann die Leistungskondiktion hinter eine außerhalb der Leistungsbeziehung begründete Nichtleistungskondiktion zurücktreten 66. 64. Im Ausgangspunkt richtet sich der Bereicherungsanspruch gegen den Zessionar, sofern der Schuldner an ihn geleistet hat 67 • 65. Ein Versicherer muß davor geschützt werden, den Prozeß wegen der Rükkerstattung einer zu Unrecht gezahlten Versicherungssumme gegen den Zessionar führen zu müssen. Der sach- und interessengerechte Bereicherungsausgleich verweist den Versicherer auf die Inanspruchnahme des Zedenten mit Hilfe einer Nichtleistungskondiktion 68. 66. In sog. Anweisungslagen ist der zwischenmenschlich-wirtschaftliche LeistungsbegriffGrundlage und Wegweiser des Bereicherungsausgleichs: Dieser ist in der Regel in der jeweiligen Leistungsbeziehung vorzunehmen 69 • 67. Ist streitig, wer als "Leistender" anzusehen ist, kommt es auf die Sicht des aufmerksam-vernünftigen Gläubigers an 70 • 68. Der "sach- und interessengerechte" Ausgleich bei der Lösung von Interessenkonflikten zwischen dem Anweisenden, dem Angewiesenen und dem Empfänger wird durch die Zurechung einer Wertbewegung und den Vertrauensschutz des Empfängers bestimmt 71 •

65

66 67

68 69 70 71

4. 4. 4. 4. 4. 4. 4.

Teil, Teil, Teil, Teil, Teil, Teil, Teil,

11 2. III 1, 3 bund 6 d, bb). III 3 a. III 6 d, bb) a. E. IV 2 a. IV 2 c. IV 3 a und 4.

Begriffliche Arbeit

127

69. Die Zurechnung gründet sich auf die Merkmale -

des Bestehens eines Anspruchs des Empfängers gegen den Anweisenden 72,

-

der Veranlassung einer Wertbewegung durch den Anweisenden 73,

-

des Vertrauens des Empfängers trotz weggefallener Veranlassung 74,

-

der Geisteskrankheit des Anweisenden 75 •

70. Ein Vertrauensschutz des Empfangers besteht bei entgeltlichen, er entfällt bei unentgeltlichen Zuwendungen. Hier gestatten Fehler im Deckungsverhältnis den Durchgriff des Angewiesenen mittels einer Nichtleistungskondiktion 76. 71. Das Insolvenzrisiko, die Gefahr, daß ein Bereicherungsanspruch wegen der mangelnden Zahlungsfähigkeit des Bereicherungsschuldners nicht durchgesetzt werden kann, ist im Prinzip mit der (unwirksamen) Anweisung im Deckungs- oder mit dem fehlerhaften Valutaverhältnis verbunden, in dem der Ausgleich stattfindet. Es verlagert sich kraft einer Zurechnung auf den Angewiesenen und insbesondere auf ein Kreditinstitut als Leistungsmittler , wenn der Anweisende geisteskrank ist oder der Angewiesene eine Überweisung oder Lieferung tätigt, ohne dazu beauftragt zu sein; der Angewiesene trägt das Risiko insbesondere dann, wenn er die fehlende oder unwirksame Anweisung kennt, mithin in dieser Hinsicht bösgläubig ist 77 • 72. Das den Ausgleich tragende "vernetzte" (d.h. koordinierende) Denken isoliert nicht die Teile oder schuldrechtlichen Beziehungen eines geschlossenen Ganzen, wie es das "Drei-Personen-" oder "Dreiecksverhältnis" darstellt, sondern betrachtet sie mit dem Blick auf die Wirkungen, die von einem Teil auf den anderen ausgehen. Es wird die Gewißheit der hergebrachten analytischen Betrachtungsweise aller Voraussicht nach schwer erreichen. Der Jurist kann aber mit diesem einfühlsameren Vorgehen den "natürlichen ", in der Regel wirtschaftlichen Zusammenhängen eines Komplexes besser als bei isolierendem Denken gerecht werden 78.

72 73

74 75

76 77 78

4. 4. 4. 4. 4. 4. 4.

Teil, Teil, Teil, Teil, Teil, Teil, Teil,

IV IV IV IV IV IV

3 3 3 3 3

5.

V 2.

b, b, b, b, b,

aa).

bb) und ee). ce) - dd).

fi).

aa) und 4.

ANHANG

Sachverhalte und Sätze des Richterrechts über den Bereicherungsausgleich in Anweisungslagen

130

Anhang

Sachverhalte und Sätze des Richterrechts Urteil

Art des Fehlers

1)

OLG Dresden SeuffArch Bd. 77, Nr. 182 vom Jahre 1922 (Vergleichbar in den bereicherungsrechtlichen Beziehungen BGHWM 1990, 1531ohne neue Ergebnisse)

Zahlung einer Schecksumrne auf einen wegen Geisteskrankheit des Ausstellers nichtigen Scheck Wegen der Geisteskrankheit Nichtigkeit des Valutaverhältnisses (hier eines Kaufvertrags über 11 Brillantringe).

2)

RG 86, 343 vom Jahre 1915

Geschäftsunfähigkeit des Käufers eines Grundstücks. Daraus folgend Nichtigkeit des Deckungsverhältnisses, das sich aus dem Kauf und des Valutaverhältnisses, das sich aus dem Weiterverkauf des Grundstücks durch den Käufer an die Zweitkäufer, die "W's", ergab.

3)

BGH WM 1986, 1381

Überweisung des IOfachen Rechnungsbetrags infolge eines Irrtums der angewiesenen Bank (14.996 ./. 1.499,60 DM). Nichtbestehen des Deckungs- und des Valutaverhältnisses in Höhe der Überzahlung. Das OLG Hamburg geht von einem klar erkennbaren Irrtum der Bank aus: ,,zumindest ein objektiv Denkender habe von einer irrtümlichen Zuvielzahlung überzeugt sein müssen."

4)

OHG Österr. JZ 1981, 386

Überweisung von 2.944 DM statt 2.944 Ö Schillinge an eine Unterhaltsgläubigerin infolge Irrtums der angewiesenen Sparkasse. Verwechslung der Währungsbezeichnungen. Fehlen des Deckungs- und des Valutaverhältnisses in Höhe der Überzahlung.

Anhang

131

über den Bereicherungsausgleich in Anweisungslagen Folgen des Fehlers

Einwendungen des Ber.schuldners

Das OLG billigt den Rückgriff der bezogenen Bank gegen den Empfanger der Zahlung, den Inhaber des Schecks. Es verneint den Rückgriff aus dem Dekkungsverhältnis gegen den Kunden.

Die Anwendung des § 818 III BGB wird vom OLG bejaht: Der verklagte Empfanger habe das Recht, der Bank den Vermögensverlust entgegenzuhalten, den er durch Lieferung von 11 Ringen an den geschäftsunfahigen Käufer erlitten hat. Empfang: 11.425 M Verlust: 4.926 M.

Nach Auffassung des RG hat der angewiesene Verkäufer einen Bereicherungsanspruch gegen die Zweitkäufer, die "W's", weil sie das Grundstück "auf seine Kosten ohne rechtfertigenden Grund erlangt haben" (S.347). Nach heutiger Ansicht hätte ein - geschäftsfahiger - Käufer das Grundstück durch den angewiesenen Verkäufer an den Zweitkäufer "geleistet". Der vom RG gebilligte Durchgriff des Verkäufers kann nach unserer Sicht nur mit der Geisteskrankheit des Käufers gerechtfertigt werden. Nach Treu und Glauben Bereinigung zwischen der Bank und dem Zahlungsempfanger: ,,Aus der Sicht des Empfangers konnte nach Auffassung des BGH keine Leistung des Anweisenden angenommen werden."

Keine Berufung auf einen Wegfall der Bereicherung: "Beklagter hat sich bewußt unwissend gestellt". Also Anwendung des § 819 BGB.

Die klagende Sparkasse verlangt Ausgleich von dem Kontoinhaber, nachdem der Rückgriff gegen die Zahlungsempfangerin aus tatsächlichen Gründen gescheitert war. Der OHG hält die Klage für unbegründet: Keine Zurechnung der Leistung an den Überweisenden, weil - wie die Empfangerin wußte - "jeder Anlaß fehlt, die Leistung dem Anweisenden zuzurechnen."

OHG: Die Empfangerin der Zahlung sei nicht schutzwürdig.

9'

l32

Anhang Urteil

Art des Fehlers

5)

OLG München NJW-RR 1988, l39l

Zweimalige Überweisung eines Kaufpreises von 71.677,30 DM an eine deutsche Verkäuferin medizinischer Geräte auf Grund eines Fehlers der von der saudi-arabischen Käuferin angewiesenen (deutschen) Bank. Nach der Darstellung der Verkäuferin bestätigte ihr die Bank auf Nachfrage, daß die zweimalige Überweisung "in Ordnung gehe". Die Verkäuferin will sodann die Käuferin (als Schuldnerin) gefragt und von dieser die Auskunft erhalten haben, daß die Überweisung in Höhe der doppelten Verbindlichkeit "durchaus möglich sei und daß der Vorgang überprüft werde". Eine weitere Aufklärung ist dann jedoch unterblieben.

6)

AG Neuss, Der Betrieb 1976, 2466

Die verklagte Empfangerin hat eine Forderung von 2.140 DM gegen einen italienischen Kunden. Dieser beauftragt über seine Sparkasse die klagende (deutsche) Bank, die Hälfte des Betrags zu überweisen. Der Auftrag wird ausgeführt. Drei Monate später teilt die Sparkasse der klagenden Bank mit, der Betrag von 1.070 DM sei bei der Empfangerin noch nicht eingegangen. Da die Bank den Beleg nicht finden kann, überweist sie der Empfangerin noch einmal 1.070 DM, fordert sie dann aber wegen des Fehlens einer dahingehenden Anweisung von der Empfangerin zurück.

7)

BGH WM 1989, l364

Auszahlung eines Darlehensbetrages an den Verkäufer einer Eigentumswohnung. Die Auszahlung tätigt die später klagende Bank auf Grund einer Anweisung, die ihr ein Bevollmächtigter des Käufers erteilt hatte. Der Käufer ficht die Vollmacht wegen arglistiger Täuschung durch den Verkäufer an, ein Akt, der den Kauf- und den Darlehensvertrag sowie die Zahlungsanweisung beseitigt. Die Folge ist ein sog. "Doppelmangel" im Deckungs-, d. h. Darlehens-, und in dem damit verbundenen Valuta-, d.h. Kaufverhältnis, und insbesondere der Wegfall der Zahlungsanweisung.

8)

RG Recht 1922, Nr.1555

Überweisung von 30.500 holländischen Gulden unter Überschreitung einer Anweisung der Schuldnerin. Fehler im Deckungsverhältnis.

Anhang

133

Folgen des Fehlers

Einwendungen des Ber.schuldners

Das OLG billigt im Ausgangspunkt den Durchgriff der klagenden Bank gegen die Empfängerin (die Verkäuferin) in Höhe der Überzahlung: Die Empfängerin habe zwar keine Kenntnis von der fehlenden Anweisung ihrer Schuldnerin gehabt. Der Schuldnerin sei jedoch der Irrtum der Bank nicht zuzurechnen. Aus diesem Grunde dürfe sie nicht mit der Korrektur einer von ihr nicht veranlaßten Fehlleistung der Bank belastet werden.

Die Empfängerin hat nach Auffassung des OLG "im Vertrauen auf das Behaltendürfen der Doppelüberweisung einen sicher durchsetzbaren Zahlungsanspruch gegen die Käuferin (aus einer anderen Geschäftsbeziehung) nicht realisiert." Diesen Verlust dürfe sie dem Bereicherungsanspruch der Bank entgegensetzen (§ 818 III BGB). Wegen des Einwandes der weggefallenen Bereicherung weist das OLG die Klage der Bank ab.

Das AG gibt der Klage statt, obwohl die zweite Überweisung "aus der Sicht der Beklagten" eine weitere Leistung des anweisenden Schuldners auf die - bestehende - Forderung der Empfängerin gewesen sei: ,,Allein das Vertrauen der Beklagten auf den Bestand ihrer Bereicherung macht sie gegenüber den Ansprüchen der Klägerin nicht schutzwürdig ... Die Beklagte hat den Vorteil des überwiesenen Betrages rein zufällig erhalten." Die Klage der Bank gegen den Darlehensnehmer und Käufer auf Rückzahlung des ausgezahlten Darlehensbebetrags (§ 812 BGB) scheitert. Der BGH läßt dahingestellt, ob sich der Bereicherungsausgleich im Durchgriff der Bank gegen den Empfänger oder durch Inanspruchnahme des anweisenden Käufers vollzieht. Falls die Abwicklung "über's Dreieck", d.h. durch Klage gegen den anweisenden Käufer, stattfinde, richte sich der Ausgleich im Deckungsverhältnis nur auf Abtretung des Bereicherungsanspruchs des Anweisenden gegen den Empfänger.

Das Risiko der Durchsetzung des Bereicherungsanspruchs gegen den Empfänger hat nach Meinung des BGH das bösgläubige (angewiesene) Kreditinstitut zu tragen, das die arglistige Täuschung seines (anweisenden) Kunden durch den Empfänger (den Verkäufer der Eigentumswohnung) kannte.

Die klagende Bank nimmt Rückgriff an ihrer Kundin, den das RG im Prinzip bejaht, weil Schulden der Kundin getilgt worden sind. Die Bank handelte nach Meinung des RG "im Rahmen des § 267".

Das RG läßt Einwendungen gegen den Bereicherungsanspruch aus dem Verhältnis der Kundin zu ihrer Gläubigerin (dem Valutaverhältnis also) zu: Die anweisende Kundin sei nur insofern bereichert, als die Bank eine rechtsbeständige Schuld getilgt habe.

134

Anhang Urteil

9) Cour de cassation Recueil Dalloz Sirey 1977 Jurisprudence p. 562

Art des Fehlers la banque domiciliee paie l'effet d'une lettre de change, tiree sur son dient, sans mandat de paiement. L'accipiens (der Zahlungsempfanger) avait une creance contre le dient de la banque. Zahlung ohne Anweisung.

10) OLG Koblenz,

Irrtümliche Überweisung an eine andere Person als den von der anweisenden Bankkundin bezeichneten Empfänger, nach Darstellung des OLG "ein Unterfall der fehlenden Anweisung". Es liegt wegen des Fehlens des Deckungs- und des Valutaverhältnisses ein sog. "Doppelmangel" vor.

11) BGH WM 1983, 908

Einlösung eines undatierten, mithin unwirksamen Schecks, Schecksperre einen Tag nach der Ausstellung. Irrtümliche Zahlung der Bank, welche die Sperre sowie die Unwirksamkeit des Schecks übersieht, an den Inhaber des Papiers. Umdeutung des Schecks in eine (wirksame) Anweisung.

WM 1987,345

Anhang Folgen des Fehlers La cour de cassation rejene la plainte de la banque: La repetition de l'indu ne se dirige pas contre le creancier. ,.Le paiment fait par erreur par une personne qui n'est pas la debitrice n' ouvre pas droit arepetition lorsque I'accipiens (der Zahlungsempfanger) n'a recu que ce que lui devait son debiteur et que le solvens (der Angewiesene) aase reprocher d'avoir paye sans prendre les precautions commandees par la prudence " Der Empfanger war bösgläubig: Er kannte die irrtümliche Erteilung der Gutschrift und hat den erhaltenen Betrag von 10.000 DM sofort in bar abgehoben. Die Bank kann nach Auffassung des OLG die Überweisung durch Rückgriff gegen den Empfänger korrigieren: Die Falschbuchung entziehe sich dem Einflußbereich des Bankkunden, er brauche sie sich nicht als eigene "Leistung" zurechnen zu lassen. Die Bank müsse in der Lage sein, die Folgen ihres Fehlers möglichst schnell und wirkungsvoll ungeschehen zu machen. Den Rückgriff der Bank gegen den Kunden macht der Bundesgerichtshof von der Kenntnis des "Scheck"inhabers abhängig: War er über den Widerruf des "Schecks" im Bilde, so stellte sich ihm die Überweisung nicht als "Leistung" seines Schuldners dar. Andererseits aus Vertrauensgrundsätzen kein Rückgriff des Kreditinstituts gegen den gutgläubigen Empflinger, sondern nur gegen seinen Kunden.

135 Einwendungen des Ber.schuldners

Anhang

136 Urteil

Art des Fehlers

12) BGH WM 1973, 1374

Sperrung eines Schecks zweiundeinhalb Monate nach der Ausstellung, den ein Angestellter der bezogenen Bank übersieht.

13) BGH WM 1983, 907

Irrtümliche Ausführung eines Überweisungsauftrags nach Widerruf. Stomierung der Gutschrift durch die Bank der Schuldnerin, die den Betrag an die Schuldnerin zurückgehen läßt.

14) BGH WM 1976,

Einlösung eines Wechsels, zahlbar gestellt bei der klagenden Bank. Durch Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Akzeptantin wurde das Deckungsverhältnis zwischen der Akzeptantin und der klagenden Bank beendet (§ 23 KO). Ein Angestellter der Bank übersieht die Konkurseröffnung, so daß die Bank als Zahlstelle und Beauftragte der Akzeptantin den Wechsel honoriert.

900

Anhang Folgen des Fehlers Die bezogene Bank nimmt Rückgriff an der Empfangerin der Zahlung, der Inhaberin des Schecks, den der BGH ablehnt. Die Empfangerin, Gläubigerin des Ausstellers, habe den Widerruf nicht gekannt. Der Bundesgerichtshof rechtfertigt seine Entscheidung mit der "Sicht des Empfangers": Die Zweckbestimmung, welche die Leistungsverhältnisse festlegt, werde durch die Übergabe des Schecks und nicht erst durch die Einlösung getroffen. Eine gutgläubige Empfangerin fasse die Zahlung als Leistung ihres Schuldners auf. Der BGH argumentiert: Das Interesse der Allgemeinheit am ungehinderten Ablauf des bargeldlosen Verkehrs macht es nötig, daß der Zahlungsempfanger von Störungen in Drittbeziehungen möglichst unbehelligt bleibt. Der Konkursverwalter der Empfangerin verlangt von der stornierenden Bank die Rückgewähr des überwiesenen Betrags (von 268.500 DM) zur Konkursmasse. Der Bundesgerichtshof spricht zu: Die Empfangerin sei Gläubigerin gewesen und habe den Widerruf nicht gekannt. Sie durfte, so der Bundesgerichtshof, die Zahlung als "Leistung" ihres Schuldnerin auffassen. Da der Widerruf der Gläubigerin nicht mitgeteilt worden sei, habe die Gutschrift Erfüllungswirkung gehabt. Die Bank wendet sich gegen die Ausstellerin des Wechsels und Empfangerin der Zahlung - mit Erfolg: Die Empfangerin, auf deren "Sicht" es ankomme, habe die Konkurseröffnung gekannt; die Einlösung des Wechsels stelle für sie aus diesem Grunde keine "Leistung" der Akzeptantin dar. Ein Vertrauensschutz wird verneint: Die bösgläubige Empfangerin darf "aus dem für sie offenkundigen Irrtum der einlösenden Bank keinen Vorteil ziehen." Sie muß das Konkursrisiko des Akzeptanten tragen - eine "sach- und interessengerechte Lösung".

137 Einwendungen des Ber.schuldners

Anhang

138

Urteil

Art des Fehlers

15) OLG Hamm, WM 1986,704

Widerruf eines Dauerauftrags für Gehaltszahlungen, den die Bank unbeachtet läßt. Der Kunde verlangt von der Bank die Gutschrift der seiner Ansicht nach zu Unrecht getätigten Zahlungen. Die Bank rechnet gegen den Anspruch des Kunden mit einem Bereicherungsanspruch auf. Dieser konzentriert sich auf den Teil eines Monatsgehalts, der bis zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses geschuldet war. Der Streit der Parteien betrifft in diesem Rahmen die Frage: Hat die Bank trotz des Widerrufs des Dauerauftrags einen Bereicherungsanspruch gegen den ,,Anweisenden", ihren Kunden, weil sie dessen Verbindlichkeit aus einem Arbeitsvertrag getilgt hat?

16) BGH WM 1984, 423

Widerruf eines Dauerauftrags zur Zahlung von Pachtzinsen, den das Kreditinstitut nach dem Widerruf noch 13 Monate lang ausführt. Der Bundesgerichtshof hält den Empfängern die mangelnde Kenntnis vom Widerruf zugute.

Anhang Folgen des Fehlers Ein Rückgriffanspruch der Arbeitgeberin gegen den Empfänger der Zahlungen wird in Höhe der geschuldeten Vergütung verneint. Das OLG Hamm befindet: Soweit der Empfänger Gläubiger der "anweisenden" Arbeitgeberin gewesen ist, habe der Angewiesene einen Bereicherungsanspruch allein gegen die "anweisende" Arbeitgeberin. Der Empfänger konnte, so das OLG, die Zahlung nur als ,,Leistung" seiner Arbeitgeberin verstehen; er kannte nicht den Widerruf des Dauerauftrags. Der Ausgleich vollziehe sich infolgedessen im Deckungsverhältnis: Er gestatte die Belastung des Kontos des Anweisenden durch die Bank in Höhe des Nennwerts der getilgten Schuld. Es fehle zwar an einer Tilgungsbestimmung der Arbeitgeberin. Der Arbeitnehmer habe jedoch den Bereicherungsanspruch der Arbeitgeberin durch Aufrechnung mit seiner Gehaltsforderung tilgen können. Dadurch sei die Arbeitgeberin von ihrer Verpflichtung zur Zahlung des Gehalts befreit worden. Die Bank verlangt Rückzahlung der Pachtzinsen von den Empfängern, ein Anspruch, den der BGH wegen des (unterstellten) Vertrauens der Empfänger auf den Fortbestand des Dauerauftrags verneint. Die Ausführung des Dauerauftrags "sei aus der Sicht der Empfänger" eine Zahlung des Schuldners, mit der sich eine Tätigkeit der Bank im Hinblick auf ihren Kunden verbinde. Der Fehler "wurzele" im Deckungsverhältnis. Der Kunde habe ferner die Abbuchungen 13 Monate lang geduldet; er habe nicht alles getan, um die Folgen einer irrtümlichen Zahlung von sich abzuwenden. Der BGH bezeichnet sein Ergebnis als "sach- und interessengerecht" .

139 Einwendungen des Ber.schuldners

140

Anhang Urteil

Art des Fehlers

17) RG Seuff Arch Bd. 35, Nr. 238 vom Jahre 1880 = Eger, Eisenbahnrechtliche Entscheidungen, Bd. I (1885), Nr. 68 - nach der Sachlage vergleichbar OLG Karlsruhe, MDR 1975, 761

Auslieferung einer Ware durch die Eisenbahn nach dem Widerruf des dahingehenden Auftrags; der Absender verlangt deren Übergabe an den eigenen Agenten. Die Weisung des Absenders wird von der Eisenbahn irrtümlich nicht befolgt.

18) ROHG Seuff Arch Bd. 34, Nr. 45 vom Jahre 1877 = Zeitschrift für Rechtspflege und Verwaltung für das Königreich Sachsen, Bd. 45 (1878), Nr.49

Verwechslung des Inhalts von zwei Fässern durch einen Spediteur. Der Empfanger hatte statt der kürzeren und weicheren Borsten das Faß mit den steifen und langen Borsten erhalten.

19) RG JW 34, 2458

Das Deckungsverhältnis zwischen der angewiesenen ,,Kreditanstalt für Verkehrsmittel" und ihrem Direktor "M." (dem Anweisenden) war unwirksam. "M." hatte keinen Anspruch auf Provision aus einem Grundstücksgeschäft und folglich auch keinen Anspruch auf Abtretung einer Teilgrundschuld an die Empfangerin (seine Geliebte). Das Valutaverhältnis zwischen dem Anweisenden (Direktor "M. ") und der Empfangerin hatte die unentgeltliche Zuwendung der Teilgrundschuld zum Inhalt.

Anhang Folgen des Fehlers Die Eisenbahn fordert von dem Empfänger Rückgabe, die das RG billigt: "Die Klägerin leistete eine Nichtschuld". Der Empfänger könne sich nicht auf das Verhältnis zum Absender berufen, um die Rückforderung "einer aus Irrtum erfolgten Leistung" abzuwehren. - Das Urteil ist nach heutiger Anschauung nicht haltbar: Der Widerruf beseitigte die Empfangsberechtigung des Adressaten. Hatte er von dem Widerruf keine Kenntnis, so bestätigt der vorn RG zitierte § 180 I 16 des Pr. Allgemeinen Landrechts die jetzt geltende Rechtslage: "Erhielt der Empfänger durch die Zahlung nur das, was ihm wirklich zukam, so ist er zur Rückgabe nicht verpflichtet, wenngleich nicht der Zahlende, sondern ein Anderer ihm die Zahlung hätte leisten sollen." Der Spediteur setzt den Bereicherungsan. spruch gegen den Empfänger mit Billigung des ROHG durch; allerdings nach einer (heute wohl unnötigen) Zession des Anspruchs durch den Absender. Das ROHG bezeichnet den Spediteur ausdrücklich als "Hilfsperson" des Absenders (S. 174). Die unter Nr. 17 des Anhangs zitierten Entscheidungen des RG und des OLG Karlsruhe übersehen, daß der Frachtführer auch Leistungsmittler des Absenders ist (so richtig das hier zitierte Urteil in der Zeitschrift f. Rechtspflege und Verwaltung, Bd. 45, Seite 174). Die als möglich vorgestellte Einwendung der Empfängerin aus der Sittenwidrigkeit von Leistung und Annahme (§ 817, Satz 2 BGB) wird vorn RG gegenüber dem Durchgriff des Leistungsmittlers nicht zugelassen (S. 2460). Den Durchgriff des Leistungsmittlers gegen die Empfängerin gründet das Reichsgericht auf den "allgemeinen Rechtsgedanken, daß dort, wo es sich um den vermögensrechtlichen Ausgleich einer durch einen Rechtsgrund nicht gestützten Rechtsänderung handelt, die Interessen des unentgeltlich Bedachten zurücktreten müssen."

141

Einwendungen des Ber.schuldners

142

Anhang Urteil

Art des Fehlers

20) BGH WM 1983, 1240

Das Deckungsverhältnis zwischen dem Notar und dem Verkäufer eines Grundstücks, welches die Ablösung von Grundpfandrechten zum Inhalt hatte, rechtfertigte nicht die in Rede stehende Auszahlung an die Beklagte, die Schwester des Verkäufers. Die Auszahlung war der Sache nach eine Überzahlung.

21) RG Seuff Arch 44, Nr.257 vom Jahre 1889

Auszahlung von 28 Postanweisungen durch die Post im Werte von je 400 Mark an die Gläubiger des Anweisenden, eines Postexpeditors. Eine Einzahlung hatte dieser nicht geleistet.

22) RG 60, 24 vom Jahre 1904

Aufgabe von 9 Postanweisungen im Werte von 7.000 Mark ohne Einzahlung der entsprechenden Beträge durch einen Postverwalter, Auszahlung in bar oder durch Überweisung an die Gläubigerin. Der Fehler liegt im "Anweisungsvertrag" (dem Deckungsverhältnis, das nach Auffassung des Reichsgerichts nicht zustandegekommen ist).

23) OLG Hamburg Seuff Arch Bd. 58, Nr. 74 vom Jahre 1901 vergleichbar der Fall BGH WM 1969, 1447

Die Überweisungsbank erhält von dem Anweisenden wegen Eröffnung des Konkurses keine Deckung.

Anhang Folgen des Fehlers Der Notar als Angewiesener, der zur Abkürzung des Zahlungswegs eingeschaltet war, bediente sich des "Durchgriffs" gegen die Empfängerin, deren Berechtigung auf eine unentgeltliche Zuwendung des Anweisenden zurückging. Der BGH billigt dieses Vorgehen wegen der Schwäche des unentgeltlichen Erwerbs, der nur einen geminderten Vertrauensschutz verdiene. Er spricht von einer "sach- und interessengerechten" Lösung. Der im Urteil enthaltene Hinweis auf die "Voraussetzungen der §§ 818 IV und 819 BGB in der Person des Anweisenden" könnte besagen, daß der Durchgriff gegen die Empfängerin nicht in Frage käme, wenn der Anweisende die Überzahlung an die Empfängerin gekannt hätte. Die Antwort bleibt indessen dahingestellt. Der versuchte Rückgriff der Post gegen die Empfänger scheitert nach Auffassung des Reichsgerichts daran, daß der Postfiskus die angewiesenen Beträge "für den Auftraggeber und Absender (den Postexpeditor) bezahlt hat". Überdies könne von einer Bereicherung der beklagten Gläubiger wegen ihrer Forderungen gegen den Anweisenden nicht die Rede sein. Der versuchte Rückgriff der - unwirksam - angewiesenen Post gegen die Empfängerin wird vom Reichsgericht verneint: Die Post sei dem "Vertreter" oder "Boten" des Schuldners vergleichbar. Leistender sei der Verpflichtete; er sei um die Befreiung von der Schuld bereichert. Eine ungerechtfertigte Bereicherung fehle bei der Gläubigerin. Sie habe nicht mehr als ihr zukam erhalten. Die Bereicherungsklage der Bank gegen den Empfänger wird abgewiesen: Sie könne sich nicht deshalb, weil sie dem Anweisenden ein nicht verdientes Vertrauen geschenkt habe, bei dem Empfänger für den erlittenen Schaden erholen (Seite 142 des Urteils des OLG).

143 Einwendungen des Ber.schuldners

144

Anhang Urteil

Art des Fehlers

24) BGH 40, 272 vom Jahre 1963 = WM 1964,85 Durchbruch des Leistungsbegriffs in der Rechtsprechung des BGH

Ein Subunternehmer liefert 20 Warmwasserspeicher und 19 Elektroherde an einen Bauherren, die alsdann eingebaut werden. Der Subunternehmer verlangt Bezahlung vom Bauherren, der den Vertragsabschluß mit dem (Haupt-)unternehmer einwendet. Anlaß der Klage des Subunternehmers gegen den Bauherren könnte der Konkurs des Hauptunternehmers gewesen sein, mit der Folge, daß der Subunternehmer von dort keine Bezahlung erhielt.

25) OLG Hamm, MDR 1975,53

Mit der Klage wird der Werklohn für den Einbau einer Heizung verlangt. Der Beklagte leugnet die "Leistung" durch den Kläger: Dieser sei nur Monteur oder Subunternehmer einer Firma "T.", der Lieferantin des Materials, mithin deren Erfüllungsgehilfe, gewesen. Wegen der Zweifel über eine vertragliche Beziehung sowie über die Person des Vertragspartners kam nur ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gegen den verklagten Bauherren in Betracht. Aber: Wer war "Leistender" im Verhältnis zum Beklagten?

26) BGH WM 1987, 530

Irrige Angabe des Zahlungsempfängers in dem Überweisungsauftrag infolge eines Fehlers des Kunden. Die klagende Bank führt den Auftrag, wie ihr vom Kunden erteilt, aus. Nach Entdeckung des Fehlers überweist sie den ausgezahlten Betrag an den Kunden zurück und nimmt Rückgriff an dem Empfänger.

Anhang Folgen des Fehlers Der Bereicherungsanspruch des Subunternehmers gegen den Bauherren wird vom BGH abgelehnt: Nach seiner Auffassung "leistet" der vom Bauherren beauftragte Unternehmer und nicht der Subunternehmer: "Nicht auf den inneren Willen des Leistenden, sondern auf die Erkennbarkeit der Person des Leistenden aus der Sicht des Zuwendungsempfängers kommt es an." Das Oberlandesgericht gibt der Bereicherungsklage statt: Das Leistungsverhältnis lege der Zuwendende (hier der Kläger) fest. Die Sicht des (verklagten) Empfängers (des Bauherren) sei wegen seines fehlenden Schutzbedürfnisses nicht entscheidend. Nach rechtskräftiger Abweisung einer Klage der Firma "T." habe der Beklagte keinen Grund gehabt, an der Leistung durch den Kläger zu zweifeln. Seine Berufung darauf, daß er an eine Leistung der Firma "T." geglaubt habe, sei nicht maßgebend: Der Beklagte habe an die Firma "T." nichts bezahlt. Der BGH weist die Klage der angewiesenen Bank gegen den Empfänger ab: Es handele sich hier um die "auftragsgemäße Ausführung einer Überweisung an den vom Auftraggeber irrtümlich angegebenen Empfänger"; der Ausgleich sei zwischen dem Anweisenden und dem Empfänger, mithin im Valutaverhältnis, zu suchen.

10 Henke

145 Einwendungen des Ber.schuldners

Verzeichnis grundlegender Werke zum Begriff der "Leistung" und zum "Schuldverhältnis" Canaris, Claus-Wilhelm: Der Bereicherungsausgleich im Dreipersonenverhältnis, Festschrift für Larenz zum 70. Geburtstag, München 1973, Seite 799. Der Bereicherungsausgleich im bargeldlosen Zahlungsverkehr, Wertpapier-Mitteilungen 1980, Seite 345. Fikentscher, Wolfgang: Schuldrecht, 7. Auflage, Berlin 1985. Gernhuber, Joachim: Die Erfüllung und ihre Surrogate sowie das Erlöschen der Schuldverhältnisse aus anderen Gründen, Tübingen 1983. Hellwig, Konrad: Ueber die Grenzen der Vertragsmöglichkeit, Archiv für die civilistische Praxis, Band 86 (1896), Seite 223. Henckel, Wolfram: Vorbeugender Rechtsschutz im Zivilrecht, Archiv für die civilistische Praxis, Band 174 (1974), Seite 97. Kohler, Jürgen: Bereicherungshaftung in Zessionsfällen, Wertpapier-Mitteilungen 1989, Seite 1629. Larenz, KarI: Lehrbuch des Schuldrechts, Erster Band, Allgemeiner Teil, 14. Auflage, München 1987. Lehmann, Heinrich: Die Unterlassungspflicht im Bürgerlichen Recht, München 1906. Leonhard, Franz: Erfüllungsort und Schuldort, Berlin 1907. Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch -

Band 2, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 2. Auflage, München 1985, Einleitung vor § 241 bearbeitet von Kramer,

-

Band 3, Schuldrecht, Besonderer Teil, 2. Halbband, 2. Auflage, München 1986, zu § 812 bearbeitet von Lieb.

Mugdan, Benno: Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, 2. Band, Recht der Schuldverhältnisse, Berlin 1899. Oertmann, Paul: Bürgerliches Gesetzbuch, 2. Buch, Recht der Schuldverhältnisse, 3. und 4. Auflage, Berlin 1910. Planck' s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2. Band, 1. Hälfte, Recht der Schuldverhältnisse (Allgemeiner Teil), 4. Auflage, Berlin 1914, bearbeitet von Siber. Reuter, Dieter / Martinek, Michael: Ungerechtfertigte Bereicherung, Tübingen 1983. 10*

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Verzeichnis grundlegender Werke

J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2. Buch, Recht der Schuldverhältnisse, 12. Auflage, Berlin 1983, zu § 241 bearbeitet von J. Schmidt.

Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft, Grundriß der verstehenden Soziologie, 4. Auflage, besorgt von J. Winckelmann, 1. Halbband, Tübingen 1956. Weitnauer, Hermann: Die Leistung, Festschrift für v. Caemmerer zum 70. Geburtstag, Tübingen 1978, Seite 255. Wieacker, Franz: Leistungshandlung und Leistungserfolg im Bürgerlichen Schuldrecht, Festschrift für Nipperdey, Band I, München und Berlin 1965, Seite 783.