Wende des Lebens: Untersuchungen Zu Einem Situations-Motiv Der Bibel [Reprint 2020 ed.] 3110147572, 9783110147575

In der Reihe Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft (BZAW) erscheinen Arbeiten zu sämtlichen Ge

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German Pages 342 [340] Year 1996

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Wende des Lebens: Untersuchungen Zu Einem Situations-Motiv Der Bibel [Reprint 2020 ed.]
 3110147572, 9783110147575

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Erster Teil: Weisheit 1,1-6,21
Zweiter Teil: Umkehrung der Ereignisse in zurückliegender Zeit
1. Kapitel: Die Susanna-Erzählung
2. Kapitel: Dan 6,2-29
3. Kapitel: Das Buch Ester
4. Kapitel: Die Josefsgeschichte
5. Kapitel: Das Buch Judit
6. Kapitel: Die Achikartexte
7. Kapitel: Zusammenfassung und Wertung der bisherigen Untersuchung
Dritter Teil: Umkehrung der Ereignisse in künftiger Zeit
Vorbemerkungen
1. Kapitel: Psalm 73
2. Kapitel: Mal 3,13-21
3. Kapitel: Der Henochbrief im 1. Henochbuch (1 Hen 92-105)
Schlußwort
Literaturverzeichnis
Stellenregister

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Armin Schmitt Wende des Lebens

W G DE

Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft Herausgegeben von Otto Kaiser

Band 237

Walter de Gruyter • Berlin • New York 1996

Armin Schmitt

Wende des Lebens Untersuchungen zu einem Situations-Motiv der Bibel

Walter de Gruyter • Berlin • New York 1996

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einbeitsaufnahme [Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft / Beihefte] Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft. Berlin ; New York : de Gruyter. Früher Schriftenreihe Reihe Beihefte zu: Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft NE: HST Bd. 237. Schmitt, Armin: Wende des Lebens. - 1996 Schmitt, Armin: Wende des Lebens: Untersuchungen zu einem Situations-Motiv der Bibel / Armin Schmitt - Berlin ; New York : de Gruyter, 1996 (Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft ; Bd. 237) ISBN 3-11-014757-2

ISSN 0934-2575 © Copyright 1996 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Printing: Werner Hildebrand, Berlin Binding: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin

Vorwort Nach Abschluß dieser Monographie habe ich mehrfach zu danken: An erster Stelle ist Frau Annemarie Dengg zu nennen, Sekretärin am Lehrstuhl für Biblische Theologie (Exegese des Alten Testaments). Sie fertigte zunächst die Reinschrift aus einem schwierigen Manuskript zusammen mit den hebräischen, aramäischen und griechischen Texten an. Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß die Beschäftigung mit den genannten Sprachen weit über das hinausging, wozu Frau Dengg laut Stellenbeschreibung verpflichtet ist. Sodann wurde auch das Layout am hiesigen Lehrstuhl erarbeitet; dazu hat Frau Dengg entscheidend beigetragen. Mein Dank gilt außerdem den Assistenten Manfred Pollner und Christian Wagner. Beide haben mich sachkundig und engagiert beim Korrekturlesen unterstützt; sie sind auch die Verfasser des Literaturverzeichnisses und des Stellenregisters. Außerdem wäre ohne die Kenntnisse von Herrn Wagner auf dem Gebiet der Textverarbeitung das Layout in Eigenregie nicht möglich gewesen. Das Dankeswort schließt auch die Damen und Herren des Rechenzentrums an der Universität Regensburg, besonders Herrn Dr. Heinz Sichert, mit ein. Von dieser Seite erhielt ich bei technischen Problemen stets Rat und Hilfe. Ferner danke ich meinem Kollegen, Herrn Josef Bauer, von der Universität Würzburg, der die Übersetzung der einschlägigen Stellen aus dem syrischen Achikartext eingesehen und verschiedene Verbesserungsvorschläge gemacht hat, die von mir berücksichtigt wurden. Schließlich sei Herrn Otto Kaiser für die Aufnahme dieser Untersuchung in die Reihe der BZAW gedankt.

Regensburg, Ostern 1996

Armin Schmitt

Inhaltsverzeichnis Vorwort Inhaltsverzeichnis Einleitung

V VII 1

Erster Teil: Weisheit 1,1-6,21 1. 1.1 1.2 1.3 1.4 2. 2.1 2.2 2.3 2.3.1 2.3.2 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8 3. 4.

Präliminarien Die Adversativpartikel 8e innerhalb von Weish 1,1-6,21 Zur Benennung der Personen in Weish 1,1-6,21 Traditionsgeschichtliche Aspekte zur Gerichtsdarstellung in Weish 4,20-5,23 Weish 1,1-6,21 und Deutero-/Tritojesaja Dramatische Elemente in Weish 1,1-6,21 Dramatische Kunst bei den Griechen Örtlicher, zeitlicher und inhaltlicher Bezug von Weish 1,1-6,21 zur griechisch-hellenistischen Welt Weish 1,1 -15 als Exposition/Ouvertüre Übereinstimmung durch Wendungen Übereinstimmung durch Vokabeln Weish 1,16-2,24 als Schürzung des Knotens (Desis, Ploke) Peripetie, Anagnorisis und Katabasis in Weish 4,20-5,14 Katastrophe in Weish 5,15-23 Der meditative Block in Weish 3,1 -4,19 Das Finale in Weish 6,1-21 Ergebnis Die antithetische Ausrichtung des Buches der Weisheit insgesamt

12 12 13 14 18 20 20 22 25 25 25 26 31 35 36 39 41 45

Zweiter Teil: Umkehrung der Ereignisse in zurückliegender Zeit 1. Kapitel: Die Susanna-Erzählung /. Übersetzung des o'-Textes 2. Der o'-Text als Erzählung über eine Umkehrung der Ereignisse 3. Dramatische Elemente im o'-Text 4. Kontrastfiguren und Namensgebung

50 51 55 64 67

VIII

Inhaltsverzeichnis

2. Kapitel: Dan 6,2-29 1. Übersetzung 2. Dan 6,2-29 als Erzählung 2.1 Szenische Gliederung 2.2 Kohäsion des Textes 2.3 Narrative Grundkategorien 3. Dramatische Momente 4. Affinität zwischen Dan 3 und 6

70 70 73 73 78 81 89 91

3. Kapitel: Das Buch Ester 1. Das Buch Ester als novellistisches Werk 2. Datierung des Buches 3. Zur Charakterisierung der Hauptakteure 4. Gegenläufige Ereignisse im Buch Ester 5. Dramatische Elemente im Buch Ester 6. Die Stellung Gottes im Buch Ester

93 93 94 95 97 102 107

4. Kapitel: Die Josefsgeschichte 1. Aufbau der Josefsgeschichte 2. Die dramatische Anlage der Josefsgeschichte 3. Rezeption der Josefsgeschichte 3.1 Ps 105 3.2 Weish 9,18-10,21 3.3 Apg 7,2-63 3.4 Antiquitates Biblicae

110 112 118 119 120 125 126 127

5. Kapitel: Das Buch Judit 1. Aufbau des Buches Judit 2. Rekurrenz als Indiz der Wende 3. Judits Lobgesang (16,1-17) 4. Dramatische Elemente im Buch Judit

129 129 137 142 144

6. Kapitel: Die Achikartexte 1. Der aramäische Achikartext aus Elephantine 2. Verbreitung des Achikarstoffes 3. Zur Person Achikars 3.1 Rang und Würde Achikars nach dem aramäischen Text aus Elephantine 3.2 Rang und Würde Achikars nach dem aramäischen Tobittext ausQumran 3.3 Charakterliche Vorzüge Achikars

146 147 149 151 151 152 157

Inhaltsverzeichnis

4. 5. 6. 7. 8. 9. 9.1 9.2 9.3 9.4 7. 1. 2. 3. 4. 4.1 4.2 4.3 5. 6. 7. 8. 8.1 8.2 8.3 8.3.1 8.3.2 8.3.3 8.3.4 8.3.5 8.4 8.5 8.6

IX

Der verlorene Schluß des aramäischen Achikartextes aus Elephantine Zur Gattung der Achikartexte Die griechische Äsopvita Der syrische Achikartext Dramatische Elemente in den Achikartexten Die biographische Notiz zur Achikar nach Tob 14,10 14,1-10 in Qumran 14,1-11 nach den griechischen Textformen G1 und G" Zur Erklärung von 14,10 nach G1 Zur Erklärung von 14,10 nach G"

158 160 161 165 172 173 174 175 177 181

Kapitel: Zusammenfassung und Wertung der bisherigen Untersuchung Der Tun-Ergehen-Zusammenhang Weisheitliche Sentenzen in Erzählform Theologie geschichtlicher Hintergrund Historischer Hintergrund Zerstörung und Restauration Deuterojesaja Psalm 126 Erster und zweiter Exodus als Hoffnungsgrund Israels Rekurrenz und Isotopie Dramatische Gestaltung Weisheitliches Fundament Der Tun-Ergehen-Zusammenhang Das "Typus-Motiv" des weisen Höflings Weisheitliches Vokabular Susanna-Erzählung Dan 6,2-29 Josefsgeschichte Buch Judit Achikartext Kontrastfiguren Paradoxa "Weisheitliche Lehrschriften"

184 184 186 188 189 189 193 194 196 197 197 202 202 202 203 203 203 203 203 204 204 205 205

X

Inhaltsverzeichnis

Dritter Teil: Umkehrung der Ereignisse in künftiger Zeit Vorbemerkungen

209

1. Kapitel: Psalm 73 1. Übersetzung 2. Zur Komposition des Psalms 73 2.1 V. 1-12 2.2 V. 13-16 2.3 V. 17-20 2.4 V. 21-26 2.5 V. 27-28 3. Literarische Zuordnung 4. Datierung 5. Ergebnis

212 212 215 215 221 222 225 232 237 239 240

2. Kapitel: Mal 3,13-21 1. Übersetzung 2. Entstehungsdatum und Zeitverhältnisse 3. Zur Komposition des Buches Maleachi 4. Die Einheit 3,13-21 4.1 Abgrenzung 4.2 Komposition 4.3 Einzelerklärung 5. Ergebnis

241 241 242 244 246 246 248 248 259

3. Kapitel: Der Henochbrief im 1. Henochbuch (1 Hen 92-105) 1. Zum Text von 1 Hen 2. Verfasser und Abfassungszeit des Henochbriefs 3. Aufbau und Inhalt des Henochbriefs 3.1 Einleitung 3.2 Zehnwochen-Apokalypse (93,1-10; 91,11-17) 3.2.1 Der Aufbau nach dem äthiopischen Text 3.2.2 Aramäische Fassung von 91,11-17 3.3 Der Text 93,11-14 3.3.1 Äthiopische Fassung 3.3.2 Aramäische Fassung 3.4 Der Mahnspruch im Henochbrief 3.5 Der Weheruf im Henochbrief 3.6 Die Klimax von 101,1-102,3 3.7 Der Text 102,4-105,2 (äthiopische Fassung) 3.8 Der Aufbau von 102,4-105,2

262 262 264 265 265 267 267 268 269 269 270 271 272 274 275 282

Inhaltsverzeichnis

3.8.1 3.8.2 3.8.3 3.8.4 4.

Verstorbene Gerechte (102,4-103,4) Verstorbene Sünder (103,5-8) Lebende Gerechte (103,9-104,6) Lebende Sünder ( 104,7-8) Zusammenfassung und Ergebnis

XI

283 283 284 284 285

Schlußwort

286

Literaturverzeichnis Stellenregister

291 314

Einleitung

Bereits in meiner Habilitationsschrift1 stieß ich bei der Behandlung von Ps 73 auf das Phänomen eines tiefgreifenden Wandels, das diese Dichtung entscheidend prägt und sich folgendermaßen darstellt: Frevler sind von Glück und Erfolg begleitet und können sich daher der Gunst der Verhältnisse rühmen. Diese Hochstimmung verleitet sie zur Überheblichkeit, so daß sie in arroganter Form Grenzen verneinen und überschreiten, die ihnen als Menschen gesetzt sind. Im Kontrast dazu ist der Fromme trotz seiner Lauterkeit von Not, Angst und Zweifel umgeben. Aus diesem widrigen Lauf der Dinge erwachsen für ihn Verbitterung und Verzagtheit. Doch diese Situation wird in das Gegenteil umschlagen: Die einstmals vermessenen und hochmütigen Frevler scheitern dann kläglich, während der Fromme zur glücklichen Gemeinschaft mit Gott findet. Infolge dieses in Aussicht gestellten Ziels zerrinnen bei ihm Angst und Anfechtung vergangener Tage, und seine Wünsche und Sehnsüchte erfüllen sich. Später, bei der Arbeit am Buch der Weisheit2, tauchte hinsichtlich des Abschnitts 1,1-6,21 diese nämliche Folge als charakteristisches Kompositionsprinzip, wie bereits für Ps 73 beobachtet, erneut auf: Anmaßende Frevler beherrschen die Szenerie und äußern eine fatalistische Lebenseinstellung, die Flüchtigkeit und Vergänglichkeit menschlicher Existenz beklagt. Aus dieser wenig ermutigenden und trüben Perspektive erwächst für sie eine bedingungslose Zuwendung zum Genuß des Augenblicks, da der Tod aller Freude und jeder Annehmlichkeit ein unerbittliches Ende setzt. Doch sie bleiben nicht bei der Aufforderung zum "carpe diem" stehen; sie lassen vielmehr eine aggressive Einstellung dem Rechtschaffenen gegenüber erkennen, die nicht nur auf dessen Verfolgung, sondern auch auf dessen gewaltsame Beseitigung zielt. Daher befindet sich dieser in einer unglücklichen Lage; er verfügt weder über Einfluß noch Macht und ist demzufolge den Nachstellungen Böswilliger schutzlos ausgesetzt. Doch die Zukunft hält eine Änderung des traurigen aktuellen Stands bereit: Die jetzigen Potentaten stürzen und gestehen in einer verspäteten Reue ihr verfehltes Leben ein, während die zur

2

A. Schmitt, Entrückung-Aufnahme-Himmelfahrt. Untersuchungen zu einem Vorstellungsbereich im Allen Testament (FzB 10), Stuttgart 2 1976. A. Schmitt, Das Buch der Weisheit. Ein Kommentar, Würzburg 1986; ders., Weisheit (NEB), Würzburg 1989.

2

Einleitung

Zeit ohnmächtigen und armen Frommen zu einer geachteten und ehrenvollen Stellung aufsteigen, ihren Lohn durch Gott empfangen und an seiner Herrschaft teilnehmen. Beide Texte3, die eine Umkehrung der Ereignisse (reversal of fortunes, renversement de la Situation) am Positionstausch zweier konträrer Gruppen exemplarisch darstellen, waren ausschlaggebend dafür, dieses Thema innerhalb der Bibel4 näher zu untersuchen. Mit Blick auf Ps 73 und Weish 1,16,21 kommen also für diese Monographie nur solche Texte in Betracht, bei denen sowohl Gute als auch Böse unter einem gänzlich verschiedenen Schicksal auftreten5: Fromme stehen zunächst auf der Schattenseite des Lebens, während Frevler das Glück genießen. Dabei kann die Ausgangslage friedlich und ungetrübt sein, bis dann ein bestimmter Umstand den Konflikt auslöst, aus dem Spannung, Polarisierung und Eskalation erwachsen (Sus; Dan 6; Est; Josefsgeschichte; Jdt). Daneben gibt es aber auch die Möglichkeit, daß diese ungerechte Verteilung von Mißgeschick und günstiger Fügung bereits bei der Eröffnung vorliegt und dem Leser als Fait accompli ohne nähere Begründung unterbreitet wird: Die Tatsachen sind nun einmal so (Weish 1,1-6,21; Ps 73; Mal 3,13-21; 1 Hen 92-105).4 Der Gang der Dinge steigert sich sodann bis zu einem Höhe- und Wendepunkt (turning point). Nach Erreichen dieser Markierung zeichnet sich ein kontrastiver Verlauf ab: Die einst unterdrückten und entrechteten Frommen gelangen zu Ansehen, werden er3

4

5

4

Sowohl Ps 73 als auch Weish 1,1-6,21 werden hier nochmals behandelt, weil seit den auf S. 1 unter Anm. 1 und 2 genannten Publikationen teils ein vertieftes, teils sogar ein neues Verständnis dieser Texte gelungen ist: H. Irsigler, Psalm 73 - Monolog eines Weisen (ATSAT 20 - MUS), St. Ottilien 1984; A. Schmitt, Komposition, Tradiüon und zeitgeschichtlicher Hintergrund in Weish 1,16-2,24 und 4,20-5,23, in: W. Gross u.a. (Hrsg.), Text, Methode und Grammatik (FS W. Richter), St. Otülien 1991, 403-421; ders.. Zur dramatischen Form von Weisheit 1,1-6,21: BZ 37, 1993, 236-258. Der biblischen Literatur werden hier sowohl die protokanonischen als auch die deuterokanonischen Bücher zugerechnet. Nur hinsichtlich des Henochbriefs aus dem äthiopischen 1. Henochbuch (apokryph/pseudepigraph) und des altorientalischen Achikartextes ist dieses Auswahlverfahren durchbrochen. Unberücksichtigt bleiben Texte, die das gewendete Los Frommer oder Frevler je separat ohne die Zusammenstellung beider Gruppen behandeln. So kann etwa eine Wende auch in der Form skizziert sein, daß es einem bzw. mehreren Frommen zunächst schlimm ergeht bis schließlich - durch welche Faktoren auch immer - eine Veränderung zum Guten hin eintritt. Umgekehrt kann der stürmische Erfolg eines oder mehrerer Frevler berichtet werden, bis eines Tages sich dann ein konträrer Verlauf abzeichnet. Derartige isolierte Darstellungen stehen hier nicht zur Debatte. Der letztgenannte Fall kann auch so gestaltet sein, daß eine direkte Konfrontation zwischen den vom Glück begünstigten Frevlern und den vom Unheil heimgesuchten Frommen vermieden wird (Ps 73; Mal 3,13-21).

Einleitung

3

höht und empfangen Belohnung, während die ehemals mächtigen Frevler konsterniert sich ihr Scheitern eingestehen, aus hoher Stellung stürzen und Strafe erleiden. Ein Überblick über die kanonische und außerkanonische alttestamentliche Literatur zeigt, daß die hier zur Verhandlung anstehende Thematik eine breite literarische Entfaltung und Ausgestaltung erfahren hat. Der zur Verhandlung anstehende Umbruch der Verhältnisse kann bereits stattgefunden haben oder aber erst in der Zukunft erwartet werden. Für die Schilderung der schon eingetretenen Wende dominiert ein narrativer Grundzug. Im Rahmen einer Texttypologie lassen sich dabei anhand spezieller Strukturmerkmale verschiedene Textsorten wie Erzählungen samt novellen- und romanartigen Kompositionen ausfindig machen (Sus; Dan 6; Est; Josefsgeschichte; Jdt; Achikartexte). Hinsichtlich der noch ausstehenden und damit noch unerfüllten künftigen Veränderung herrschen Gegenwarts- und Zukunftsperspektiven vor (Weish 1,1-6,21; Ps 73; Mal 3,13-21; 1 Hen 92-105). Zur literarischen Darstellung letztgenannter Fälle bedient man sich dramatischer, lyrischer, disputatorischer und paränetischer Formen. Vorliegende Untersuchung trifft aus dem großen Fundus eine Auswahl; Vollständigkeit ist dabei keineswegs erstrebt. Voraussetzung zur Aufnahme eines Textes in diese Arbeit ist, daß die besagte Problemstellung der Wende in breiter Manier behandelt wird und daher einen wesentlichen Bestandteil einer Komposition ausmacht. Ein kurzgefaßter, flüchtiger Verweis auf die Disparität des Schicksals von Frommen und Frevlern reicht dazu nicht aus.7 Von daher ergibt es sich beinahe zwangsläufig, daß kompositionskritische Aspekte bei vorliegender Monographie eine wichtige Rolle spielen. Die Kontrastszenen, die die hier behandelten Kompositionen in nicht geringem Maß prägen, schließen dramatische Akzente und Impulse in sich. Vornehmlich die jeweiligen Wendepunkte, die eine gegenläufige Bewegung initiieren, verleihen den Texten eine beachtliche Eigendynamik. Wenn man ferner bedenkt, daß eine Reihe der in Frage kommenden literarischen Stücke der hellenistischen Zeit entstammt, dann kann man auch Einfluß und Einwirkung literarischer Techniken des griechischen Dramas nicht von vornherein ausschließen. Deshalb ist der dramatische Aspekt jeweils gesondert zu beachten und zu prüfen.

7

Die ausgewählten Texte werden, wie durch das Thema gefordert, vornehmlich unter dem Aspekt der Wende behandelt. Dies bedeutet eine notwendige Begrenzung und Beschränkung dieser Arbeit. Eine Reihe sonstiger relevanter Gesichtspunkte, die ebenfalls die zur Behandlung anstehenden Werke betreffen, müssen übergangen werden.

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Einleitung

Um das bevorzugte Interesse des jeweiligen Autors hinsichtlich des fundamentalen Umschlags in eine Gegenrichtung werkintern zu demonstrieren, ist auf Rekurrenz, Kohäsion und Isotopie zu achten. Diese genannten linguistischen Kriterien können nämlich sehr wohl eine vom Verfasser beabsichtigte Verschränkung der Kontrastpartien anzeigen. Dadurch entgeht man der Gefahr, den zur Erklärung anstehenden Text mit Absichten und Gedanken zu befrachten, die dem Autor fremd waren. So kann beispielsweise die Tatsache, daß ein verderbliches Los, das bösartige Leute anderen zugedacht hatten, auf jene selbst zurückfällt, mittels Rekurrenz und Isotopie angezeigt sein. Die Grobgliederung der Arbeit leitet sich davon her, daß der in Aussicht gestellte Wandel der Verhältnisse bez. des Geschicks Guter und Böser entweder als ein Vorgang des innerweltlichen Bereichs schon stattgefunden hat (zweiter Teil) oder erst als ein künftiges Ereignis erwartet wird (dritter Teil). Die Fälle bereits verwirklichter Hoffnung stehen den Partien einer noch offenen Zukunft im Buch voran. Durchbrochen ist diese Reihung nur durch Weish 1,1-6,21, das den ersten Teil bildet und, ebenso wie die im dritten Teil behandelten Texte, ein noch ausstehendes Geschehen anvisiert. Der Grund dafür liegt darin, daß Spezialuntersuchungen zu Weish 1,1-6,21 für die Durchführung dieser Monographie letztlich ausschlaggebend waren.8 Dieser Entstehungsprozeß spiegelt sich also auch in der Gliederung wider. Schwierigkeiten bereitete die Formulierung des Themas. Ursprünglich war beabsichtigt, als Haupttitel "Rollentausch" zu wählen. Aus der Sicht des jeweiligen literarischen Konstrukts wäre diese sprachliche Entlehnung aus der Theaterwelt auf den ersten Blick vertretbar gewesen; denn der Verfasser teilt beispielsweise in der Erzählung seinen Akteuren eine bestimmte "Rolle" zu. Doch die Verwendung und Besetzung dieses Begriffs in jüngster Zeit durch Soziologie und Psychologie rät davon ab. "Rolle" wird in diesen Disziplinen vornehmlich als mangelnde Verwirklichung eigener Identität verstanden.5 Daher erschien der Haupttitel "Wende des Lebens" besser geeignet.10 Die Bezeichnung "Situations-Motiv" im Untertitel beruht auf Vorgaben der modernen Literaturwissenschaft. Dort bedeutet Motiv eine "strukturelle inhaltliche Einheit, als typische, bedeutungsvolle Situation", die bestimmte 8

'

10

Vgl. Schmitt, Komposition 403-421; ders., Zur dramatischen Form 236-258. Von nicht wenigen sagt man in diesem Zusammenhang, daß sie gar nicht richtig gelebt hätten. Ihre Identität sei eine "Rolle" (z.B. als Mutter, Ehefrau usw.) gewesen, die sie sich selbst zugeteilt hatten, oder die ihnen von anderen aufgezwungen worden war. Für die Formulierung des Haupttitels war ein Gespräch hilfreich, das ich mit Herrn Josef Schreiner führen konnte.

Einleitung

5

Vorstellungen umfaßt. Die neuere Forschung unterscheidet neben dem Situations-Motiv mit konstanter Situation, das Typus-Motiv sowie das Raumund Zeit-Motiv." Bei Kompositionen geringeren Umfangs (Sus; Dan 6; Ps 73; Mal 3,1321) wurde eine eigene Übersetzung erstellt. Auch sonstigen relevanten Textpassagen liegt eine von mir angefertigte Version aus dem Griechischen, Hebräischen, Aramäischen und Syrischen zugrunde. Lediglich die in deutscher Übersetzung zitierten Teile des äthiopischen Henochbriefs und dessen aramäischer Fragmente aus Qumran sind von S. Uhlig12 bzw. von K. Beyer' 3 übernommen. Vielleicht wird dieses Sujet einer bereits realisierten oder ersehnten und erträumten Veränderung gegenwärtiger ungerechter Verhältnisse, die sich speziell im Glück der Frevler und im Unglück der Frommen manifestieren, deshalb so häufig literarisch bearbeitet, weil man um die Realität wußte und diese erlebte und erlitt. Gerade dabei blieben schon immer zahlreiche Wünsche offen, und vieles gab Anlaß zur Klage. Ein Stück Hoffnung schlägt sich hier nieder, die ihren Ansatz aus weisheitlichen, theologiegeschichtlichen und historischen Fakten gewinnt.

" 11

G. v. Wilpert, Sachwörterbuch der Literatur, Stuttgart '1989, 591 f. Das äthiopische Henochbuch, in: W.G. Kümmel u.a. (Hrsg.), Apokalypsen (JSHRZ V/6), Gütersloh 1984. Die aramäischen Texte vom Toten Meer (ATTM), Göttingen 1984, 247-250.

Erster Teil Weisheit 1,1-6,21

Weisheit 1,1 -6,21

Kaum einem Leser von Weish 1,1-6,21 entgeht der starke Kontrast, der diesen Textteil beherrscht. Zunächst bestimmen Frevler das Geschehen: Sie äußern eine fatalistische Lebenseinstellung, die sie zu ungehemmtem Genuß treibt. Ferner sind sie im Besitz der Macht und bekunden aggressive Absichten gegen den armen Gerechten und sonstige schwache und hilfsbedürftige Gruppen wie Witwen und alte Menschen (2,10f). Der Gerechte selbst ist in eine passive Rolle gedrängt und einer rücksichtslosen Verfolgung durch die Frevler ausgesetzt, da er - so darf man wohl schlußfolgern - über keinerlei Einfluß und Rückhalt in der Gesellschaft verfügt. Dann aber setzt unvermittelt ein Umschwung ein, und die Ereignisse schlagen in das krasse Gegenteil um. Nach vollzogener Wende sind die ehemaligen Positionen vertauscht: Die einstmals verfolgten Gerechten werden nun rehabilitiert und erfreuen sich einer geachteten und herausgehobenen Stellung, während die übermütigen, stolzen und brutalen Frevler, von früherer Höhe gestürzt, verängstigt und fassungslos ihr verfehltes Leben eingestehen. In einer Schlußszene wird sodann dieser veränderte Zustand komplettiert: Die Gerechten empfangen ewigen Lohn, während die Frevler unrühmlich untergehen. Diesem radikalen Wandel des Geschehens mit einer aufsteigenden und fallenden Linie widmet der Verfasser ein nicht unerhebliches Interesse, das sich vor allem in der Komposition niederschlägt. Es ist daher auffällig, daß die bisherige Forschung diesem Tatbestand nicht die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt hat. Häufig wurde und wird in der Exegese zwar die im großen und ganzen zutreffende Bestimmung von 1,1-6,21' als einer konzenStritüg ist die Frage nach dem Ende des ersten Teils. Da in 6,12 mit dem Stichwort oov), so daß ein Übergang vom Vergleich zur Metapher mit verstärkender Wirkung vorliegt.67 2,6-9 spricht vom ungezügelten Lebensgenuß. Zunächst bietet 2,6 überschriftartig einen allgemeinen Hinweis auf die auszukostenden Güter, der dann in 2,7-9 näher entfaltet wird. Dabei ist die Aufzählung von Wein, Salböl, Frühlingsblumen (2,7) und Rosenknospen (2,8) wohl im Sinne von Lebensgenuß und Lebensfreude zu verstehen, während das ausgelassene Treiben auf den Wiesen (2,9) eine Metapher für geschlechtliche Ausschweifung (sexuelle Promiskuität) darstellen kann.68 2,10-20 handelt von den Nachstellungen der Frevler gegen den Gerechten. Diese ihre üblen Machenschaften und Anschläge eskalieren in folgender Weise: Verfolgung (2,10.12.17); körperliche Mißhandlung (2,19); Mordplan (2,20). Der Gerechte, der selbst weder auftritt noch spricht - man hört lediglich von den gegen ihn gerichteten Aktionen gerät also mehr und mehr in Bedrängnis, während seine aggressiven Opponenten die Szene beherrschen. Der für das Drama konstitutive Dialog - in diesem Fall wäre es das Wechselgespräch zwischen dem Gerechten und seinen Antagonisten kommt also nicht zustande. Trotz der Tatsache, daß der Gerechte nicht selbst auftritt, agiert und spricht, informiert die Frevlerrede dennoch den Leser über Haltung und Ansichten des Gerechten, denn verschiedene seiner Äußerungen werden in indirekter Form mitgeteilt: So beschuldigt er ungeachtet möglicher Nachteile die Frevler der Mißachtung des Gesetzes und der Erziehung (2,12). Er rühmt sich seiner Gotteserkenntnis und bezeichnet sich selbst als Kind des Herrn (2,13). Seine fromme Lebensführung fordert Abneigung und Haß seiner Widersacher heraus und versetzt ihn daher in eine gefährliche Lage (2,14-16). Er preist das Lebensende der Gerechten glücklich, nennt Gott seinen Vater (2,16) und rechnet auf die Hilfe Gottes zu jeder Zeit (2,20); Sanftmut und Geduld zeichnen ihn aus (2,19). Aufgrund besagter Charakterisierungen gewinnt der Fromme ein unverwechselbares Profil. 66

67

68

Der Vergleich kommt zwar hauptsächlich in Lyrik und Epik vor, ist aber auch dem Drama nicht fremd. EÜ übersieht diesen Sachverhalt und gibt unzutreffend auch 2,5a als Vergleich nach Art von 2,3b.4cd wieder: "Unsere Zeit geht vorüber wie ein Schatten". S. dazu H. Hübner, Wörterbuch zur Sapientia Salomonis, Göttingen 1985, 2*, der darauf verweist, daß Xei|ic6v ("Wiese") nach klassischem Sprachgebrauch die pudenda muliebria bezeichnen kann.

Weisheit 1,1 - 6 , 2 1

29

Der hier in der aufsteigenden Linie (Desis) vorliegende Kontrast zwischen den Frevlern und dem Frommen setzt sich auch in weiteren Partien fort: 3,1-4,19 (meditativer Mittelteil); 4,20-5,14 (Peripetie und Katabasis); 5,15-23 (Katastrophe). Zur Kennzeichnung der Frevler in 2,10-20 dienen die Andeutungen bekannter Dramen-Motive wie Tyrannis (2,11.19) 6 ' und Hybris (2,19)70, um 69

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Vgl. dazu Schmitt, Alttestamentliche Traditionen 36-38. - Zur Thematik des Tyrannen/der Tyrannis im griechischen Drama: Kreon handelt in der Tragödie Antigone von Sophokles mit dem Bestattungsverbot gegen Polyneikes' Leichnam als Tyrann in zweifacher Weise: Einerseits verstößt der von ihm ausgehende Befehl gegen das "ungeschriebene, ewige [Gesetz] der Götter" (454-455), andererseits hat Kreon dieses Gesetz ohne Rücksprache mit der Volksversammlung nach eigener Willkür erlassen (736). Antigone selbst stirbt als Opfer der Tyrannis. - Auch in den Phönikerinnen des Euripides umgeben tyrannische Züge die Gestalt des Kreon. - In der letzten Tragödie des Euripides, den Bakchen, wird Pentheus, der Herrscher Thebens, als ein grausamer Tyrann eingeführt, der vom Willen zur Macht besessen ist und Angst und Schrecken um sich verbreitet. Seine Untertanen müssen daher die Ausbrüche unkontrollierter despotischer Willkür fürchten, weil er ein Terrorregiment ausübt. Sein Ende ist unrühmlich: Als Frau verkleidet wird er von den Mänaden zerrissen. Die für das Griechische so charakteristische Vokabel \)ßptq kommt innerhalb von Weish insgesamt nur 2mal vor (2,19; 4,19). Bei 2,19 steht die Phrase v ß p e i Kai ß a o a v c p e t d o c o u e v o a n o v . Dabei kann iißpiq infolge der Parallelität mit ß ä a a voi; ("Marter, Qual") soviel wie "Mißhandlung" und "Rohheit" bedeuten, wie die meisten Kommentatoren annehmen. Mit ijßpii; und ßacravoi; können hier jedoch auch zwei verschiedene Gesichtspunkte anklingen, unter denen der Gerechte von Seiten der Frevler zu leiden hat. "Tßpiq würde dann eher die Bedeutung "Übermut, Menschenverachtung" zukommen, während ß ä o a v o i ; den Aspekt der "Tortur" und "Pein" hervorkehrt, die dem Gerechten von Seiten der Frevler widerfahren. In 4,19 liegt eine unübliche Verwendungsart von üßpiQ vor, die durch den Kontrast zu 2,19 bedingt ist: Wie die Frevler heute in ihrem Tun von Hybris geleitet werden, so werden sie in Zukunft selbst zur Hybris werden; ihr eigenes Handeln wird einst auf sie zurückfallen. Vgl. dazu K a i a i c p i v e i v in 4,16, das ebenfalls auf Kcncx5iKa£eiv in 2,20 zurückverweist. (Dort in 2,20 sprechen nämlich die Frevler anmaßend davon, daß sie den Gerechten zu einem schmählichen Tod verurteilen wollen. Einst wird in genauer Umkehr dieses Vorhabens der Gerechte über die Frevler das Urteil sprechen.) - Zur Hybris als Situations-Motiv in griechischer Literatur vgl. Schmitt, Komposition 409 Anm. 22. Ergänzend dazu sei speziell auf das Drama verwiesen; denn der Ruch der Hybris durchschattet zahlreiche griechische Tragödien; anmaßende Grenzüberschreitung zieht jeweils Strafe nach sich. Den Persem des Aischylos zufolge führt Hybris den Xerxes ins Verderben: Hybris ließ ihn den Hellespont, die Meerenge zwischen Ägäis und Marmarameer, überschreiten und dem Gott Poseidon seinen Willen aufzwingen. Vermessenheit war seine kriegerische Unternehmung gegen Griechenland, die ihn zum Weltbeherrscher machen sollte. Die Niederlage der persischen Rotte und Armee bringt das Ende aller Träume. - In den Schutzflehenden (Aischylos) fliehen die Danaostöchter vor den Aigyptossöhnen, die sie zur Ehe zwingen wollen. Immer wieder kommt dabei die Rede auf Hybris (30.81.104). Der als Herold auftretende Repräsentant der Verfolger verkörpert Größenwahn und

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verwerfliches und schändliches Tun mit zeitgemäßen und aktuellen Bildern zu beschreiben. 71 Auffällig beim Rückblick auf 2 , 1 - 2 0 ist die Tatsache, daß sich die Frevler selbst darstellen, indem sie immer wieder ihr Vorhaben aussprechen. Nicht weniger als 14 Adhortativen begegnet man in diesem Passus, die den Entschluß zu ungehemmtem Lebensgenuß und rücksichtslosem Vorgehen gegen den Gerechten bekunden: 72 d j c o X a u o ß ) | i . e v ("wir wollen genießen" 2,6a); x p t i a d a u e ' ö a ("wir wollen auskosten" - 2,6b); 7tXr|a-ö(i.£V ("wir wollen uns reichlich zukommen lassen" - 2,7a); oxev|/d)(i.ei}a ("wir wollen uns bekränzen" - 2,8); KorcaXi.7ca)^ev - ("wir wollen hinterlassen " - 2,9b) Kcrca8'UvaaT£U(0|j.ev

("wir wollen unterdrücken" - 2,10a); p.f) cpeiv OfUTtöv) macht es jedoch wahrscheinlich, daß 4,20 bereits dem neuen Akt zuzurechnen ist. Terminologisch kontrastive Entsprechungen zwischen 4,20 und 5,1 weisen ebenfalls darauf hin, daß 4,20 bereits dem folgenden Text angehört: e X e v a o v r a i (4,20) und a x T i a e t a i (5,1), SevXoi (4,20) und ev 7 t a p p t | a i a JtoXAfi (5,1). Auch der Hinweis darauf, daß die Vergehen den Frevlern entgegentreten (ei; e v a v r i a q - 4,20) und daß der Gerechte vor (KCXTCT j t p ö a a w o v ) seinen ehemaligen Bedrängern steht (5,1), legt eine Verflechtung zwischen 4,20 und 5,1 nahe. " Peripetie wird von Aristoteles (poet. 11.1452a.22-23) folgendermaßen definiert: e c m 5e rtepi7tETeia (xev FI eiq xö evocvtiov TÖV jipotno|J.Eva>v |I£TaßoA.TJ ("die Peripetie ist der Umschlag dessen, was erreicht werden soll, in das Gegenteil"). M e x a ßoXii verweist auf den jähen und wuchtigen Umschwung, während der allmähliche und nicht überstürzte Übergang bei Aristoteles mit (xexdßaoii; bezeichnet wird; s. Fuhrmann, Poetik 115. Die Peripetie übt auf den Gang der Dinge eine entscheidende Wirkung aus, ob sie nun die Handlung vom Glück ins Unglück oder umgekehrt vom Un-

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Weisheit 1,1 -6,21

und Ohnmacht des/der Frommen) schlägt in das krasse Gegenteil um. Die ehemaligen Positionen sind grundlegend verändert: Eben noch mächtig und anmaßend (2,1-20) bieten nun die Frevler ein Bild des Jammers und der Verzagtheit, da sie jetzt für ihre Taten zur Verantwortung gezogen werden. Dabei erkennen sie fassungslos und bestürzt80 ihre eigene desolate Lage und die unvermutete Rettung des Gerechten; nicht zuletzt deswegen vollziehen sie einen Gesinnungswandel 81 , der allerdings zu spät kommt. Deshalb herrschen bei ihnen Erschütterung und Trauer, Schmerz und Reue vor. Die Peripetie schließt gleichzeitig paradoxe Züge in sich; vgl. dazu das Paradoxon innerhalb von 3,1-4,19 weiter unten. Ohnmacht, Betroffenheit und Eingeständnis schwerer Irrtümer der vor kurzem noch tonangebenden und skrupellosen Gewaltmenschen widerspricht der allgemeinen Erfahrung. Diese zeigt vielmehr, daß sich oft Niedertracht und Brutalität auf Dauer durchsetzen und der ersehnte und erhoffte Umschwung ausbleibt. Unmittelbar an die Peripetie schließt sich die Anagnorisis 82 an (5,4f): Jetzt bemerken die Frevler Größe glück ins Glück wendet. Sie tritt gewöhnlich dann ein, wenn ein bestimmtes vorläufiges Ziel erreicht ist. Dabei kann Peripetie das Moment des Unerwarteten und Plötzlichen in sich schließen. Zwei literarische Beispiele führt Aristoteles dazu an (poet. ll.1452a.2429): König Oidipus von Sophokles und Lynkeus von dem Rhetor und Tragiker Theodektes (ca. 377-336 v. Chr.). Bei Sophokles meldet ein Bote aus Korinth dem König Oidipus den Tod seines vermeintlichen Vaters Polybos. Darauf erklärt Oidipus, nun hindere ihn noch der Orakelspruch von der blutschänderischen Ehe, nach Korinth zu gehen. Da eröffnet der Bote, Oidipus sei gar nicht ein Sohn des Polybos und seiner Frau Merope. Diese Mitteilung, die Oidipus von der Furcht einer möglichen Heirat mit seiner Mutter befreien soll, führt zur Entdeckung seiner wahren Abstammung und damit letztlich zur Offenlegung seiner inzestuösen Verbindung. - Lynkeus ist ein Stück der Danaidensage: Danaos, der König von Argos, befahl seinen fünfzig Töchtern, ihre Freier in der Hochzeitsnacht zu töten. Eine der Töchter führt jedoch den Befehl nicht aus und läßt ihren Bräutigam Lynkeus entkommen. Dennoch kann Danaos des Entflohenen habhaft werden und beabsichtigt, diesen hinzurichten. Im Verlauf der Handlung ereilt jedoch den Danaos in einer für uns nicht mehr zu durchschauenden Weise das nämliche Schicksal, das er seinem Schwiegersohn Lynkeus zugedacht hatte, während dieser gerettet wird. 80 Vgl. dazu Vokabeln und Wendungen, die Verwirrung und Furcht der Frevler bezeichnen: x a p d a a e a d o a (poßcp 5eivö> (5,2); e^taxaa-öav (5,2); 5iä atevoxcopiav o x e v a ^ e a ö a i (5,3). - Das Überraschungsmoment klingt durch 7tapd5o^oq (5,2) an. " Vgl. (iETavoetv (5,3). ,2 Anagnorisis wird von Aristoteles (poet. 11.1452a.29-31) folgendermaßen definiert: ävayvcüpioi^ 6e, manep Kai T0\>v0|i.a ar|(xaivei, ei, äyvoiai; eii; yvcoaiv |j.exaßoXf| ("die Wiedererkennung ist, wie schon die Bezeichnung andeutet, ein Umschlag von Unkenntnis in Kenntnis"). Vorausgegangen ist der Irrtum bez. einer Person oder Sache. Erst die Erkenntnis der wahren Identität einer Person und das Durchschauen einer Situation bringt Klarheit und kann eine vorausliegende Verfehlung in einem weit schlimmeren Licht erscheinen lassen. Vgl. zu Peripetie und Anagnorisis A. Gmür,

Weisheit 1,1 - 6 , 2 1

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und Würde des ehemals verachteten und verlachten Gerechten, dessen Leben sie als wert- und ehrlos erachtet hatten.83 Durch die Anagnorisis wird die Peripetie nicht unwesentlich verstärkt.84 Im Hinblick auf die in 5,4f zu beobachtende Anagnorisis muß auch die Relation zu 2,2lf beachtet werden; dort heißt es nämlich, daß die Bosheit die Frevler verblendet hat und daß diese die Geheimnisse Gottes deshalb nicht erkannten. Man sollte ferner nicht übersehen, daß streng genommen die Anagnorisis sogar über 5,4f hinaus zu beobachten ist; denn die Frevler erfassen nunmehr die Realität nicht nur hinsichtlich der Person des Gerechten (5,4f), sondern auch in Bezug auf ihre gesamte frühere Lebenseinstellung und Lebensführung: All ihr vormaliges Denken und Tun erweist sich somit als großer Irrtum (5,6-13). 5,4-13 stellt die Katabasis85 dar. Diese absteigende Linie bildet ein Pendant zur aufsteigenden Linie. Hier in Weish ist die Relation von aufsteigender (2,1-20) und absteigender (5,4-13) Linie besonders eng. Diese Beziehung beider Textteile manifestiert sich nach Offerhaus 86 in folgenden "sprachlichen Parallelen und Antithesen": 5,4c 5,4d 5,5a 5,6a 5,6b 5,7c 5,8 5,9a 5,9-12 5,13a 5,13b

81

"

85

M

-

-

2,15 2,20a 2,13b.l8a 2,1a 2,11a 2,13a 2,6-9 2,5a 2,4c-f 2,1-5 2,9b

Das Wiedererkennungsmoliv in den Dramen des Euripides, Einsiedeln (Schweiz) 1920; R. Petsch, Wesen und Formen des Dramas, 2 Bände, Halle (Saale) 1945; O. Mann, Poetik der Tragödie, Bern 1958. Gmür, Wiedererkennungsmotiv 46, belegt mit zahlreichen Beispielen, daß in den Dramen des Euripides bei der Anagnorisis häufig "ein die Erkennenden sprachlos machendes Staunen" die Szenerie beherrscht, da "man sich alles anders gedacht hat, als es wirklich eingetreten ist". Aristoteles (poet. 11.1452a.32-33) führt aus, daß die Anagnorisis dann am besten zur Geltung komme, wenn sie mit der Peripetie zusammenfalle: KaXAlaxT) 8e ä v a yvcopvai^, ö x a v ä | i a 7 t e p u t e i e i a yevr|tcxi. Man versteht darunter die im dramatischen Aufbau der Peripetie folgende absteigende Handlung. Komposition 291.

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Weisheit 1,1 - 6 , 2 1

Unter linguistischen Aspekten kann bez. der zitierten Stellen von Rekurrenz im Sinne der Wiederholung gleicher sprachlicher Elemente (z.B. syntaktischer Kategorien oder referenzidentischer Wörter) gesprochen werden. Ebenso zeichnet sich bei vorliegenden Texten Isotopie im Sinne der Wiederkehr von Wörtern desselben Bedeutungs- bzw. Erfahrungsbereichs ab. (Beurteilung des Gerechten und seiner Situation jetzt und einst 5,4f und 2,1020; Bewertung des Lebensgenusses heute und damals 5,6-8 und 2,6-9; Vergänglichkeit und Flüchtigkeit irdischer Gegebenheiten 5,9-13 und 2,1-5). Rekurrenz und Isotopie (als Sonderfall der Rekurrenz) bilden grundsätzlich ein wichtiges Mittel der Textverknüpfung, der Herstellung von Kohäsion/ Kohärenz. Weiterhin ist darauf zu verweisen, daß die Katabasis (5,4-13) - wie von verschiedenen Exegeten richtig erkannt - in einer spiegelbildlichen Entsprechung (chiastisches Arrangement) zur aufsteigenden Linie (2,1-20) steht. Dadurch wird die Beziehung beider Textteile besonders eng; denn der Chiasmus drückt eine genaue Zusammengehörigkeit und Zuordnung aus. 2,1-5 entspricht 5,9-13: Derzeit ist der Blick auf die vergängliche und bedrohte Gegenwart Anlaß zu fatalistischer Gesinnung; künftig erweist sich das ehemalige Handeln als folgenschwerer Irrtum. 2,6-9 korrespondiert mit 5,6-8: Augenblicklich genießt man das Dasein in vollen Zügen; dann erkennt man konsterniert und zu spät das ursprüngliche Tun als eklatanten Fehler. Selbstanklagen werden deshalb laut. 2,10-20 findet sein Pendant in 5,4f: Heute spielen sich die Frevler in hybridem Gebaren als skrupellose Machtmenschen auf, die das Leben des Gerechten als provokant, verfehlt und absurd erachten; eines Tages sind dieselben Kreise fassungslos und bestürzt über das gewendete Los des Frommen und dessen unerwartete Erhöhung und leisten Widerruf. Diese Kompositionstechnik eines chiastischen Aufrisses unterstreicht Gegenläufigkeit und Kontrast der auf- und absteigenden Linie; mit ihr führt der Autor die zweite Frevlerrede zum Ausgangspunkt der ersten zurück. Der Vollzug einer radikalen Wende und somit einer Umkehrung bisheriger Verhältnisse wird eindrucksvoll dargestellt. Wie nämlich der Chiasmus als Überkreuzstellung entsprechender Glieder in zwei koordinierten, syntaktisch ähnlich konstruierten Sätzen oder Phrasen häufig als syntaktische Form der Antithese in der Mikrostruktur gilt, so dient auch die chiastische Anordnung größerer Textstücke der Hervorkehrung der Antithese in der Ma-

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Weisheit 1,1 - 6,21

krostruktur.87 Mit einer resümierenden Erwägung (5,14) schließt der zweite Akt. Wenn auch bei dieser zweiten Frevlerrede (5,4-13) - ebenso wie im Falle der ersten Frevlerrede (2,1-20) - keine direkte Handlung präsentiert wird, so erfährt der Leser dennoch durch eine Reihe von Narrativen, daß die einst von seiten der Frevler in Form der Adhortative ausgesprochenen Vorhaben inzwischen verwirklicht wurden: a p a enXavqßrjfiev coro 68oi> ctÄ.ri'öeiaq, K a i TÖ T f j q 8iKoao O o" CL IQ O n

S1 2 Ci' o 5. o 3

1/1 Q in 3 o 3

5 Co o Q. o 3

o

? 5

45

Weisheit 1,1 -6,21

4. Die antithetische

Ausrichtung

des Buches der Weisheit

insgesamt

Die bisherige Analyse von 1,1-6,21 hat gezeigt, daß dieser Teil seine Grundform aus Elementen des Dramas empfängt. Diese Tatsache schließt gleichzeitig eine verstärkt antithetische Ausrichtung in sich, die auch in den übrigen Partien des Buches der Weisheit mit Ausnahme von 7,22-9,17 zu beobachten ist, ohne daß deswegen außerhalb von 1,1-6,21 auf einen Bezug zum Drama geschlossen werden kann.106 So zeigt die Paradigmenreihe in 9,1810,21, die infolge ausgeprägter sprachlicher Merkmale eine auffällige Konsistenz besitzt107, eine antithetische Note. Den Adjektiven SiKaioq und öcnoq bzw. den Wendungen Xaöq ö a i o t ; K a i cntepiia an.ep.nxov, die in diesem Part mehrfach antonomastisch108 für Noach, Abraham, Lot, Jakob, Josef, Israeliten109 verwendet werden, stehen nämlich wiederholt Antonyme ebenfalls antonomastisch - gegenüber: äöiKoq 10,3 (Kain); ä o e ß e i q 10,6 (Sodomiter); ä a e ß e i q 10,20 (Ägypter): Weiterhin zeichnet sich ein polarer Zug in folgenden antonomastischen Zuordnungen ab, ohne daß dabei in jedem Fall Antonyme im strengen Sinn herangezogen werden: Abraham - die verkommenen Völker zur Zeit der Sprachverwirrung (10,5); Jakob - Laban und Esau (10,10-12); Josef - dessen Brüder, Potifars Frau, der Gefängnisleiter (10,13f)-"° Die im Anschluß an die Paradigmenreihe angeführten Ver-

106

107 108

109

Ein antithetischer Trend zeichnet sich beispielsweise auch aufgrund der Tatsache ab, daß bez. des Endes der Frevler der Tod unverblümt angesprochen oder gar ein abwertendes Vokabular verwendet wird, während das Verscheiden der Frommen von euphemistischen Worten und Wendungen bestimmt ist. Frevler: -ödvaxo^ - O V R O K E I V , äncoXeia - d.Ko\X\)\>a\. - SioXAüvai - e^anoA.A.'üvai ovvanoXVüvai, öXe-öpoi; - öXeii>pio wird zunächst elliptisch dargeboten (nominativus pendens). Diese Konstruktion mit einer Ellipse des Verbums im Anschluß an 18otJ kann ohne tiefere Bedeutung lediglich durch semitischen Sprachgebrauch bedingt sein. So wird mehrfach im NT semitischer Idiomatik folgend - "hinter i5oij = ilDH (aram. KP!) ein Präs. oder Impf, (auch Aor. und Fut.) von eivai, Jtapeivai, (rtapa-tyiyveo-öai" weggelassen; Blass Debrunner - Rehkopf, Grammatik 106 (§ 128,7). Femer ist aber auch nicht auszuschließen, daß diese elliptische Konstruktion der Hervorhebung des Engels bzw. dessen unvermittelten Auftritts dient. Schließlich kann sich im Fortfall des Verbums auch eine Aposiopese abzeichnen; (bedingt durch Zurückhaltung infolge theologischer Überle-

Die Susanna-Erzählung

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Kontrastbildern zu den früheren Ausführungen konfrontiert (Isotopie): Die bisherigen Ankläger ("Älteste-Richter") werden zu Beklagten; (zu letzterem vgl. T t p o G a y e i v als term. techn. der Gerichtssprache in V. 52.56 50 ). Dieser Positionswechsel erfährt noch eine Steigerung, indem der junge, mit Einsicht begabte Mann Daniel (vecoTepoq) 51 den verkommenen und korrupten j r p e c ßiiTepoi 5 2 übergeordnet wird" und deren Verhör durchführt. 54 Susanna, fälschlich w e g e n Ehebruchs von den "Ältesten-Richtern" angeklagt, sollte gesteinigt werden. 55 Sie wird nun rehabilitiert, während die ihr zugedachte Strafe auf ihre Verleumder zurückfällt. 56 Die Umkehrung der Situation und

51 52 51

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