Die Bindung an die Europäische Grundrechtecharta bei operativen Einsätzen im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Grenzschutzagentur Frontex: Zugleich eine vergleichende Betrachtung unionskoordinierten operativen Handelns [1 ed.] 9783428559855, 9783428159857

Die Arbeit untersucht die Unionsgrundrechtsbindung operativer Einsätze im Rahmen der GASP und Frontex auf Basis einer st

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Die Bindung an die Europäische Grundrechtecharta bei operativen Einsätzen im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Grenzschutzagentur Frontex: Zugleich eine vergleichende Betrachtung unionskoordinierten operativen Handelns [1 ed.]
 9783428559855, 9783428159857

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Schriften zum Europäischen Recht Band 199

Die Bindung an die Europäische Grundrechtecharta bei operativen Einsätzen im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Grenzschutzagentur Frontex Zugleich eine vergleichende Betrachtung unionskoordinierten operativen Handelns

Von Conrad W. Fritz

Duncker & Humblot · Berlin

CONRAD W. FRITZ

Die Bindung an die Europäische Grundrechtecharta bei operativen Einsätzen im Rahmen der Gemeinsamen Außenund Sicherheitspolitik und der Grenzschutzagentur Frontex

Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von

Siegfried Magiera · Detlef Merten Matthias Niedobitek · Karl-Peter Sommermann

Band 199

Die Bindung an die Europäische Grundrechtecharta bei operativen Einsätzen im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Grenzschutzagentur Frontex Zugleich eine vergleichende Betrachtung unionskoordinierten operativen Handelns

Von Conrad W. Fritz

Duncker & Humblot · Berlin

Die Fakultät für Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre der Universität Mannheim hat diese Arbeit im Jahr 2019 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2020 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Satz: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 978-3-428-15985-7 (Print) ISBN 978-3-428-55985-5 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für Sieglinde Fritz * 01.04.1958  † 02.05.2016

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Fakultät für Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre der Universität Mannheim im November 2019 als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im Oktober 2018 abgeschlossen. Literatur und Rechtsprechung konnten für die Veröffentlichung noch bis Dezember 2019 berücksichtigt werden. Die neue Frontex-Verordnung 2019/1896 vom 13. November 2019 konnte indes nicht mehr eingearbeitet werden. Hinsichtlich der Auffindbarkeit der zitierten Normen in der neuen Frontex-Verordnung wird auf die Entsprechungstabelle in Anhang VI der Verordnung verwiesen (ABl. Nr. L 295 v. 14.11.2019, S. 113 ff.). Mein besonderer Dank gilt zunächst meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Hans-​ Joachim Cremer. Durch seine konstruktiven Anregungen und Hinweise sowie seine Bereitschaft zum jederzeitigen gedanklichen Austausch hat er entscheidend zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Ferner danke ich Herrn Prof. Dr. Thomas Fetzer, LL.M. (Vanderbilt) für die Erstellung des Zweitgutachtens. Den Herausgebern sowie dem Verlag Duncker & Humblot danke ich für die Aufnahme in die Reihe „Schriften zum Europäischen Recht“. Von ganzem Herzen danke ich Frau Ref. iur. Paula-Marlene Kühner für ihre jederzeitige bedingungslose Unterstützung. Sie hat nicht nur die Arbeit mehrfach kritisch geprüft, sondern stand auch in schwierigen Zeiten immer an meiner Seite. Berlin, im Frühjahr 2020 

Conrad Fritz

Inhaltsübersicht 1. Kapitel Einleitung 33 A. Ausgangssituation, Ziel und Eingrenzung der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 B. Praktische Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

1. Teil

Die Grundlagen der Grundrechtsbindung 43 2. Kapitel



Die allgemeine Bindung an die Europäische Grundrechtecharta

43

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 B. Die Entstehung der europäischen Grundrechte und der Grundrechtecharta . . . . . . . . 44 C. Die Bindung der EU an die Grundrechtecharta nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh 48 D. Die Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechtecharta nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

2. Teil

Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex 62 3. Kapitel



Die Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik

62

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 B. Strukturelle Analyse des Zusammenspiels von Mitgliedstaaten und Unionsebene im Bereich der GASP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 C. Genereller Ausschluss oder generelle Anwendbarkeit der Grundrechtecharta? . . . . . 124 D. Die Grundrechtsbindung der GASP nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh . . . . . . . . . 129 E. Die Grundrechtsbindung der GASP nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh . . . . . . . . . 138 F. Ergebnis zur Grundrechtsbindung der GASP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196

10

Inhaltsübersicht 4. Kapitel



Die Grundrechtsbindung von Frontex

197

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 B. Strukturelle Analyse des Zusammenspiels von Mitgliedstaaten und Unionsebene im Bereich von Frontex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 C. Generelle Anwendbarkeit der Grundrechtecharta? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 D. Die Grundrechtsbindung von Frontex nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh . . . . . . . 252 E. Die Grundrechtsbindung von Frontex nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh . . . . . . . 255 F. Ergebnis zur Grundrechtsbindung von Frontex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285

5. Kapitel

Vergleichende Betrachtung der Grundrechtsbindung von GASP und Frontex – Ursachen und Auswirkungen

286

A. Vergleichbare Grundrechtsbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 B. Vergleichbare Struktur unionskoordinierten operativen Handelns als Ursache der vergleichbaren Grundrechtsbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 C. Auswirkungen der unterschiedlichen Grundrechtsbindung auf unionsrechtlicher und mitgliedstaatlicher Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297

3. Teil

Grundrechtliches Mehrebenensystem 313 6. Kapitel



Das grundrechtliche Mehrebenensystem

313

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 B. Die nationalen Grundrechte am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . 314 C. Die EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 D. Grundrechtskonkurrenzen und -kollisionen im Mehrebenensystem . . . . . . . . . . . . . . 332 E. Ergebnis zum Mehrebenensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336

Inhaltsübersicht

11

4. Teil Zusammenfassung 338 7. Kapitel

Zusammenfassung in Thesen

338

A. Ausgangsprämissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 B. Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 C. Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374

Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel Einleitung

33

A. Ausgangssituation, Ziel und Eingrenzung der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 I.

Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

II.

Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

III. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 B. Praktische Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 I.

Operation Sophia im Rahmen der GASP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

II.

Operation Triton im Rahmen von Frontex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

III. Relevanz der Grundrechtsbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

1. Teil

Die Grundlagen der Grundrechtsbindung 43 2. Kapitel



Die allgemeine Bindung an die Europäische Grundrechtecharta

43

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 B. Die Entstehung der europäischen Grundrechte und der Grundrechtecharta . . . . . . . . 44 I.

Anfänglich fehlender Bedarf europäischer Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

II.

Notwendigkeit eines europäischen Grundrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

III. Anwendbarkeit europäischer Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 IV. Europäische Grundrechte und fehlender Grundrechtskatalog aus Perspektive des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 1. Solange-I-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2. Solange-II-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 V.

Die Entstehung der Grundrechtecharta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

C. Die Bindung der EU an die Grundrechtecharta nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh 48 D. Die Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechtecharta nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 I.

Ausgangsdefinitionen zu Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

14

Inhaltsverzeichnis 1. Recht der Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2. Ausschließliche Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 II.

Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 1. Grundsätzliche Rechtsprechungslinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 a) Rechtsprechungslinie Wachauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 b) Rechtsprechungslinie ERT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 c) Exkurs: Fortbestehen der Rechtsprechungslinien? . . . . . . . . . . . . . . . . 52 2. Rechtsprechung in Bezug auf die Wachauf-Konstellation . . . . . . . . . . . . . . 53 a) Rechtsprechung zur Durchführung von Verordnungen . . . . . . . . . . . . . 54 b) Rechtsprechung zur Durchführung von Beschlüssen . . . . . . . . . . . . . . 55 c) Rechtsprechung zur Durchführung von Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . 56 aa) Rechtssache Åkerberg Fransson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 bb) Rechtssache Siragusa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 cc) Rechtssache Hernandez . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

2. Teil

Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex 62 3. Kapitel Die Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik



62

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 B. Strukturelle Analyse des Zusammenspiels von Mitgliedstaaten und Unionsebene im Bereich der GASP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 I.

Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1. Supranationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2. Intergouvernementalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 3. Souveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

II.

Historische Entstehung und Entwicklung der GASP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 1. Erste Ansätze nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2. Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) . . . . . . . . . . . 71 3. Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) und Europäische Politische Gemeinschaft (EPG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 4. Die Römischen Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 5. Fusionsvertrag und fortschreitende Supranationalisierung . . . . . . . . . . . . . 75 6. Intergouvernementale Gegenbewegung und Fouchet-Pläne . . . . . . . . . . . . 75 7. Luxemburger Kompromiss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

Inhaltsverzeichnis

15

8. Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 9. Einheitliche Europäische Akte (EEA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 10. Die GASP nach dem Vertrag von Maastricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 a) Säulenstruktur der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 b) Intergouvernementalität der GASP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 c) Zurechnungssubjekt für GASP-Akte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 d) Sicherheitspolitische Aspekte der GASP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 aa) Zusammenarbeit mit der WEU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 bb) Petersberg-Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 e) Fazit zur GASP nach dem Vertrag von Maastricht . . . . . . . . . . . . . . . . 82 11. Die GASP nach dem Vertrag von Amsterdam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 a) Beibehaltung der Säulenstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 b) Überführung der Petersberg-Aufgaben in den EUV . . . . . . . . . . . . . . . 83 12. Entwicklung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) 84 13. Die GASP nach dem Vertrag von Nizza . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 III. Die GASP nach dem Vertrag von Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 1. Struktur der EU nach dem Vertrag von Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 2. Die verschiedenen Teilbereiche der GASP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 a) Gemeinsame Außenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 b) Gemeinsame Sicherheitspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 c) Gemeinsame Verteidigungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 d) Gemeinsame Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 3. Allgemeine Regelungen und Funktionsweise der GASP . . . . . . . . . . . . . . 92 a) Grundlagen und Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 b) Instrumente und Handlungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 aa) Allgemeine Leitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 bb) Aktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 (1) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 (2) Gegenstand einer Aktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 (3) Beschlusskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 (4) Inhalt der Beschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 (5) Operative Ausführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 cc) Standpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 dd) Durchführungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 ee) Systematische Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 c) Beteiligte Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 aa) Europäischer Rat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 bb) Rat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

16

Inhaltsverzeichnis cc) Hoher Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik . . . 100 dd) Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 ee) Europäisches Parlament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 ff) EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 gg) Europäischer Auswärtiger Dienst (EAD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 hh) Politisches und Sicherheitspolitisches Komitee (PSK) . . . . . . . . . 103 ii) EU-Militärausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 jj) EU-Militärstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 kk) Ausschuss für die nichtmilitärischen Aspekte der Krisenbewältigung (CIVCOM) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 d) Der Beschluss im Rahmen der GASP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 aa) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 bb) Initiativrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 cc) Beschlussfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 (1) Stimmberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 (2) Einstimmigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 (3) Konstruktive Stimmenthaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 (4) Mehrheitsbeschlüsse und Einstimmigkeitsfundament . . . . . 109 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 4. Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) . . . . . . . . . . . 112 a) Grundlagen und Aufgaben der GSVP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 b) Der Beschluss im Rahmen der GSVP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 c) Das Rückgriffsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 d) Das Freiwilligkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 5. Der operative Einsatz im Rahmen der GASP / ​GSVP . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 a) Koordinierendes zweistufiges System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 aa) Koordinierende unionsrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 bb) Mitgliedstaatliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (1) Rechtsrahmen des operativen Einsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (2) Einheitliche Kommandostruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 (a) Militärische Missionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 (b) Zivile Missionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 b) Verknüpfung beider Ebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 6. Intergouvernementalität der GASP nach Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 IV. Zwischenergebnis zur strukturellen Analyse des Zusammenspiels von Mitgliedstaaten und Unionsebene im Bereich der GASP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

C. Genereller Ausschluss oder generelle Anwendbarkeit der Grundrechtecharta? . . . . . 124 I.

Genereller Ausschluss der Grundrechtsbindung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 1. Fehlende Justiziabilität der GASP-Rechtsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

Inhaltsverzeichnis

17

2. „Political-question“-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 a) „Political-question“-Doktrin im US-amerikanischen Recht . . . . . . . . . 125 b) Übertragbarkeit der „political-question“-Doktrin auf die GASP? . . . . 126 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 II.

Generelle Anwendbarkeit der Unionsgrundrechte aufgrund Art. 21 EUV? . . . . 128

III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 D. Die Grundrechtsbindung der GASP nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh . . . . . . . . . 129 I.

Europäischer Rat und Rat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

II.

Hoher Vertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130

III. Politisches und Sicherheitspolitisches Komitee (PSK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 IV. EU-Militärausschuss, EU-Militärstab und CIVCOM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 V.

Operationsbefehlshaber und ziviler Operationskommandeur . . . . . . . . . . . . . . 131 1. Rückgriff auf die NATO bei Militärmissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 2. Rückgriff auf die Mitgliedstaaten bei Militärmissionen . . . . . . . . . . . . . . . 134 3. Ziviler Operationskommandeur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

VI. Ergebnis zur Grundrechtsbindung nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh . . . . . . 137 E. Die Grundrechtsbindung der GASP nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh . . . . . . . . . 138 I.

Ansichten der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 1. Überwiegend fehlende Differenzierung zwischen unionsrechtlicher und mitgliedstaatlicher Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 2. Auffassung zur abweichenden Grundrechtsbindung der mitgliedstaatlichen Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 3. Stellungnahme zur Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

II.

Keine explizit einschlägige Rechtsprechung zur Grundrechtsbindung der GASP 140

III. Grundsätzliche Übertragbarkeit der Rechtsprechung auf die GASP . . . . . . . . . 141 1. Übertragbarkeit trotz fehlender Gerichtsbarkeit des EuGH im Bereich der GASP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2. Übertragbarkeit auf exekutives Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 IV. Übertragbarkeit der Rechtsprechung zur Durchführung von Beschlüssen? . . . 143 V.

Übertragbarkeit der Rechtsprechung zur Richtlinienumsetzung – Festlegung allgemeiner Kriterien für die Durchführung von Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 146 1. Uneinheitliche Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 a) Åkerberg-Fransson-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 aa) Extensive Anwendbarkeit der Grundrechtecharta . . . . . . . . . . . . . 147 bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (1) Ansicht des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (2) Stellungnahme des Generalanwaltes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 cc) Einschränkende Lesart der Åkerberg-Fransson-Rechtsprechung . 148

18

Inhaltsverzeichnis (1) Verpflichtung durch das Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 (2) Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . 149 dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 b) Rechtssachen Siragusa und Hernandez . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 aa) Verpflichtung durch das Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 bb) Unmittelbarkeitszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 (1) Bezwecken der Durchführung von Unionsrecht . . . . . . . . . . 152 (2) Charakter der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 (3) Keine Verfolgung anderer als unter das Unionsrecht fallende Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 (4) Spezifische Regelung des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 154 (5) Gesamtbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 cc) Grundrechtsbindung zur Wahrung der Einheit, des Vorrangs und der Wirksamkeit des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 2. Festlegung einheitlicher Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 VI. Anwendung der aus der Rechtsprechung entwickelten Kriterien auf die GASP 160 1. Verpflichtung durch das Unionsrecht im Rahmen einer bestehenden Unionskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 a) Kompetenzverteilung in der GASP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 aa) Kompetenzrechtliche Regelungen in den Verträgen . . . . . . . . . . . 161 bb) Erklärungen Nr. 13 und 14 zur Schlussakte des Vertrages von Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 cc) Ansichten zur Kompetenzverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 (1) Fehlende Kompetenzübertragung auf die EU . . . . . . . . . . . . 162 (2) Ausschließliche Kompetenz der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . 163 (3) Kompetenz sui generis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 (4) EU-Kompetenz als komplementäre Ergänzung der nationalen Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 (5) Kompetenzbegründung ohne Hoheitsrechtsübertragung . . . 165 dd) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 (1) Kompetenz der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (2) Weiterhin bestehende mitgliedstaatliche Kompetenz . . . . . . 167 (3) Konstruktion einer parallelen Kompetenzverteilung . . . . . . 168 (a) Geteilte Zuständigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 (b) Kompetenzbegründung ohne Hoheitsrechtsübertragung 168 (c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 b) Unionsrechtliche Verpflichtung durch den Beschluss? . . . . . . . . . . . . . 171 c) Unionsrechtliche Verpflichtung durch Art. 24 Abs. 3 EUV? . . . . . . . . . 171 d) Unionsrechtliche Verpflichtung durch die Entscheidung zur Bereitstellung von Einsatzkräften? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172

Inhaltsverzeichnis

19

e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 2. Unmittelbarkeitszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 a) Bezwecken der Durchführung von Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 b) Charakter der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 aa) Besonderheiten der EU-vertraglichen Regelungen . . . . . . . . . . . . 175 (1) Einstimmigkeitsprinzip und Ausschluss von Gesetzgebungsakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 (2) Spezifische Rolle des Europäischen Parlaments und der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 (3) Fehlende Gerichtsbarkeit des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 (4) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 bb) Koordinierendes zweistufiges System operativen Handelns . . . . 179 (1) Unionsrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 (2) Mitgliedstaatliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 (3) Doppelte mitgliedstaatliche Einbindung . . . . . . . . . . . . . . . . 180 cc) Kompetenzrechtlich zwingend vorgegebener koordinierender Cha­ rakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 dd) Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 (1) Rechtssache Dano . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 (2) Auswirkungen der Rechtssache Dano auf andere unionskoordinierte Bereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 (a) Übertragbarkeit der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . 183 (b) Auswirkungen auf die GASP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 c) Keine Verfolgung anderer als unter das Unionsrecht fallende Ziele . . . 186 d) Spezifische Regelung des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 e) Gesamtbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 aa) Abwägung der Unmittelbarkeitskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 bb) Heranziehung der EuGH-Rechtsprechung zur Grundrechtsbindung bei Umsetzungs- und Ermessensspielräumen? . . . . . . . . . . . . . . . 189 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 3. Bindung an die Grundrechtecharta zur Wahrung der Einheit, des Vorrangs und der Wirksamkeit des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 a) Grundrechtsbindung zur Wahrung des Vorrangs und der Wirksamkeit des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 b) Grundrechtsbindung zur Wahrung der Einheit des Unionsrechts . . . . . 194 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 VII. Ergebnis zur Grundrechtsbindung nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh . . . . . . 196 F. Ergebnis zur Grundrechtsbindung der GASP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196

20

Inhaltsverzeichnis 4. Kapitel



Die Grundrechtsbindung von Frontex

197

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 B. Strukturelle Analyse des Zusammenspiels von Mitgliedstaaten und Unionsebene im Bereich von Frontex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 I. II.

Die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) . . . . . . . 197 Historische Entstehung und Entwicklung des europäischen Grenzschutzes . . . 199 1. Grenzschutz als nationale Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 a) Der völkerrechtliche Staatsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 b) Staatsgrenzen und Grenzschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 2. Europäisierung des Grenzschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 a) Wirtschaftliche Integration und Gemeinsamer Markt . . . . . . . . . . . . . . 202 b) Europa der Bürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 c) Trevi-Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 d) Europäischer Rat von Fontainebleau und Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 e) Einheitliche Europäische Akte (EEA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 f) Die Schengener Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 aa) Öffnung der Binnengrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 bb) Schutz der Außengrenzen als Ausgleichsmaßnahme . . . . . . . . . . 205 cc) Schengen-Besitzstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 g) Vertrag von Maastricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 aa) Drei-Säulen-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 bb) Außengrenzschutz als Bestandteil der dritten Säule . . . . . . . . . . . 207 h) Vertrag von Amsterdam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 aa) Grundsätzliche Beibehaltung der Säulenstruktur . . . . . . . . . . . . . 208 bb) Säulenübergreifendes Konzept eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 cc) Kompetenzen in Bezug auf den Außengrenzschutz . . . . . . . . . . . 209 dd) Überführung des Schengen-Besitzstandes in die EU . . . . . . . . . . 210 ee) Binnenmarkt, Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und Schengen-Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 i) Europäischer Rat von Tampere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 j) Initiative der Mitgliedstaaten für eine Grenzschutzkooperation . . . . . . 213 k) Initiativen der europäischen Institutionen für eine Grenzschutzkoope­ ration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 aa) Mitteilung der Kommission vom 7. Mai 2002 . . . . . . . . . . . . . . . 213 bb) Plan des Rates für den Grenzschutz an den Außengrenzen der EU vom 14. Juni 2002 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214

Inhaltsverzeichnis

21

l) Ad-hoc-Zentren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 m) Errichtung der europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union . . 215 n) Vertrag von Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 aa) Einheitlicher Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts . 216 bb) Kompetenz in Bezug auf den Außengrenzschutz . . . . . . . . . . . . . 216 o) Errichtung der Europäischen Grenz- und Küstenwache . . . . . . . . . . . . 217 3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 III. Regelungen und Funktionsweise von Frontex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 1. Frontex als europäische Agentur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 2. Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 a) Ziele des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts . . . . . . . 222 aa) Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 bb) Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 cc) Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 dd) Verhältnis der Ziele untereinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 b) Ziele von Frontex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 3. Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 4. Organisationsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 a) Verwaltungsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 b) Exekutivdirektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 c) Europäische Grenz- und Küstenwacheteams . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 d) Qualifizierte Grenzschutzbeamte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 e) Koordinierungsbeamter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 f) Konsultationsforum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 g) Grundrechtsbeauftragter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 h) Verbindungsbeamte in den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 i) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 5. Der operative Einsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 a) Einsatzgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 aa) Außengrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 bb) Arten der Außengrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 b) Einsatzformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 aa) Die gemeinsame Aktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 bb) Soforteinsatz zu Grenzsicherungszwecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 cc) Teams zur Unterstützung der Migrationsverwaltung . . . . . . . . . . 233 c) Einheitliche Struktur der operativen Einsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 aa) Initiativrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 (1) Initiativrecht der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235

22

Inhaltsverzeichnis (2) Initiativrecht des Exekutivdirektors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 (3) Situationen an den Außengrenzen, in denen dringendes Handeln geboten ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 bb) Einsatzplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 cc) Ausführung des Einsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 (1) Zusammenstellung der Grenz- und Küstenwacheteams . . . . 238 (2) Einsatz der Grenz- und Küstenwacheteams im Einsatzmitgliedstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 d) Koordinierendes zweistufiges System der operativen Einsätze . . . . . . 239 aa) Koordinierende unionsrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 bb) Mitgliedstaatliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 (1) Rechtsrahmen des operativen Einsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . 241 (a) Frontex-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 (b) SGK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 (c) Nationaler Rechtsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 (2) Organleihe zugunsten des Einsatzmitgliedstaates . . . . . . . . . 242 cc) Verknüpfung beider Ebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 e) Besonderheiten des Einsatzes an den Seeaußengrenzen . . . . . . . . . . . . 244 aa) Rechtsrahmen an den Seeaußengrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 (1) Küstenmeer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 (2) Anschlusszone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 (3) Hohe See . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 bb) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 f) Besonderheiten des Einsatzes in Drittstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 IV. Zwischenergebnis zur strukturellen Analyse des Zusammenspiels von Mitgliedstaaten und Unionsebene im Bereich von Frontex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250

C. Generelle Anwendbarkeit der Grundrechtecharta? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 I.

Art. 67 Abs. 1 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250

II.

Frontex-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251

III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 D. Die Grundrechtsbindung von Frontex nach Art. 51 Abs. 1 S.  1 Alt. 1 GRCh . . . . . . . 252 I.

Verwaltungsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

II.

Exekutivdirektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253

III. Koordinierungsbeamter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 IV. Einsatzplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 V.

Qualifizierte Grenzschutzbeamte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254

VI. Ergebnis zur Grundrechtsbindung nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh . . . . . . 255 E. Die Grundrechtsbindung von Frontex nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh . . . . . . . 255

Inhaltsverzeichnis I.

23

Ansichten der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 1. Überwiegend fehlende Differenzierung zwischen unionsrechtlicher und mitgliedstaatlicher Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 2. Auffassung zur Bindung der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte . . 256 3. Auffassung zur abweichenden Grundrechtsbindung der mitgliedstaatlichen Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 4. Stellungnahme zur Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257

II.

Übertragbarkeit der Rechtsprechung zur Durchführung von Verordnungen . . . 257 1. Durchführung der Frontex-VO? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 2. Durchführung der Seeaußengrenzen-VO? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 3. Durchführung des SGK? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260

III. Anwendung der aus der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Kriterien zur Durchführung von Unionsrecht auf Frontex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 1. Verpflichtung durch das Unionsrecht im Rahmen einer bestehenden Unionskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 a) Geteilte Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 b) Unionsrechtliche Verpflichtung durch die Frontex-VO, die Seeaußen­ grenzen-VO und den SGK? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 aa) Rückgriffsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 bb) Freiwilligkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 (1) Benennung des Pools der nationalen Grenzschutzbeamten . 263 (a) Pool für gemeinsame Aktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 (b) Soforteinsatzpool . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 (2) Abrufen der nationalen Grenzschutzbeamten . . . . . . . . . . . . 265 (3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 c) Unionsrechtliche Verpflichtung durch den Einsatzplan? . . . . . . . . . . . 266 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 e) Annex: Teilnahme von Nicht-EU-Mitgliedstaaten an Frontex-Einsätzen 268 aa) Organleihe zugunsten eines EU-Einsatzmitgliedstaates . . . . . . . . 268 bb) Nicht-EU-Staaten als Einsatzmitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . 269 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 2. Unmittelbarkeitszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 a) Bezwecken der Durchführung von Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 b) Charakter der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 aa) Koordinierendes zweistufiges System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 bb) Hervorgehobene Rolle des Einsatzmitgliedstaates . . . . . . . . . . . . 271 (1) Freiwilligkeitsprinzip zugunsten des Einsatzmitgliedstaates 271 (2) Organleihe zugunsten des Einsatzmitgliedstaates . . . . . . . . . 272

24

Inhaltsverzeichnis cc) Kompetenzrechtlich zwingend vorgegebener koordinierender Charakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 (1) Errichtung eines integrierten Grenzschutzsystems . . . . . . . . 273 (a) Direktvollzug durch EU-Grenzschutzbeamte? . . . . . . . . 273 (b) Elemente eines integrierten Grenzschutzsystems . . . . . 276 (c) Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb des integrierten Grenzschutzsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 (2) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 dd) Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 c) Keine Verfolgung anderer als unter das Unionsrecht fallende Ziele . . . 279 d) Spezifische Regelung des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 e) Gesamtbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 aa) Abwägung der Unmittelbarkeitskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 bb) Heranziehung der EuGH-Rechtsprechung zur Grundrechtsbindung bei Umsetzungs- und Ermessensspielräumen? . . . . . . . . . . . . . . . 282 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 3. Bindung an die Grundrechtecharta zur Wahrung der Einheit, des Vorrangs und der Wirksamkeit des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 a) Grundrechtsbindung zur Wahrung des Vorrangs und der Wirksamkeit des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 b) Grundrechtsbindung zur Wahrung der Einheit des Unionsrechts . . . . . 284 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 VI. Ergebnis zur Grundrechtsbindung nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh . . . . . . 285

F. Ergebnis zur Grundrechtsbindung von Frontex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285

5. Kapitel Vergleichende Betrachtung der Grundrechtsbindung von GASP und Frontex – Ursachen und Auswirkungen



286

A. Vergleichbare Grundrechtsbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 I.

Unionsrechtliche Ebene, Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh . . . . . . . . . . . . . . . . . 286

II.

Mitgliedstaatliche Ebene, Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh . . . . . . . . . . . . . . . . . 286

B. Vergleichbare Struktur unionskoordinierten operativen Handelns als Ursache der vergleichbaren Grundrechtsbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 I.

Systematische Stellung in den Europäischen Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287

II.

Historische Entstehung und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288

III. Inhaltliche Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 1. Äußere Sicherheit als Ziel der GASP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288

Inhaltsverzeichnis

25

2. Innere Sicherheit als Ziel des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 3. Umfassendes Bedürfnis nach Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 IV. Exekutiver Charakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 V.

Koordinierung mitgliedstaatlichen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290

VI. Struktur der operativen Einsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 1. Koordinierendes zweistufiges System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 a) Koordinierende unionsrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 aa) GASP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 bb) Frontex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 b) Mitgliedstaatliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 c) Verknüpfung beider Ebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 2. Vergleichbares zweistufiges System unionskoordinierten operativen Handelns 293 VII. Kompetenzvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 1. Unterschiedliche Kompetenzkategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 2. Vergleichbare Reichweite der Kompetenztitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 VIII. Intergouvernementalität vs. Supranationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 IX. Ergebnis des Strukturvergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 C. Auswirkungen der unterschiedlichen Grundrechtsbindung auf unionsrechtlicher und mitgliedstaatlicher Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 I. II.

Mitgliedstaatliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Unionsrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 1. Objektivrechtliche Dimension der Grundrechtecharta . . . . . . . . . . . . . . . . 298 2. Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 a) Bestehen von unionsgrundrechtlichen Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . 300 aa) Grundrechtliche Schutzpflichten im nationalen Recht . . . . . . . . . 300 bb) Unionsgrundrechtliche Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 b) Schutzpflichten der EU, welche gegen die Mitgliedstaaten gerichtet sind? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 c) Entfaltung der Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 aa) GASP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 bb) Frontex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307

III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311

26

Inhaltsverzeichnis 3. Teil



Grundrechtliches Mehrebenensystem 313 6. Kapitel



Das grundrechtliche Mehrebenensystem

313

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 B. Die nationalen Grundrechte am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . 314 I.

Territorialitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314

II.

Extraterritoriale Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314

III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 C. Die EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 I.

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317

II.

Die Bindung der EU an die EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318

III. Die Bindung der Mitgliedstaaten an die EMRK am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 1. Die EMRK als Bundesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 2. Verfassungsrechtliche Bedeutung der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 IV. Die Bindung der Mitgliedstaaten an die EMRK bei operativen Einsätzen im Rahmen der GASP und Frontex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 1. Bindung trotz koordinierenden unionsrechtlichen Rahmens . . . . . . . . . . . . 321 a) Bosphorus-Rechtsprechung des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 aa) Grundaussagen der Bosphorus-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . 321 bb) Anwendung der Bosphorus-Kriterien auf GASP und Frontex . . . 322 (1) Handeln in Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung . . . . . 322 (2) Gleichwertiger Grundrechtsschutz durch die EU . . . . . . . . . 323 b) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 2. Mangelnde Geltung der EMRK bei Handeln im Rahmen einer UN-Sicherheitsratsresolution? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 3. Extraterritoriale Anwendbarkeit der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 a) Rechtssache Bankovic . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 b) Rechtssache Medvedyev . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 c) Rechtssache Hirsi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 D. Grundrechtskonkurrenzen und -kollisionen im Mehrebenensystem . . . . . . . . . . . . . . 332 I.

Konkurrierende und kollidierende Grundrechtsregime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332

II.

Grundrechtskonkurrenzen und -kollisionen im Bereich der GASP und Frontex 333

Inhaltsverzeichnis

27

III. Bewältigung potentieller Grundrechtskollisionen zwischen EMRK und nationalen Grundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 1. Rechtsprechung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 2. Rechtsprechung des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 a) Margin-of-appreciation-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 b) Art. 53 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 E. Ergebnis zum Mehrebenensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336

4. Teil Zusammenfassung 338 7. Kapitel

Zusammenfassung in Thesen

338

A. Ausgangsprämissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 B. Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 C. Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374

Abkürzungsverzeichnis A. A. / ​a. A. andere(r) Ansicht ABl. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften / ​der Europäischen Union Abs. Absatz AdG Archiv der Gegenwart (Z) a. E. am Ende AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union a. F. alte Fassung Alt. Alternative Anh. Anhang Anm. Anmerkung AöR Archiv des öffentlichen Rechts (Z) Art. Artikel Aufl. Auflage Archiv des Völkerrechts (Z) AVR BBG Bundesbeamtengesetz Bd. Band BeckOK Beck’scher Onlinekommentar Beck online Rechtsprechung BeckRS Begr. / ​begr. v. Begründer / ​begründet von Beschl. Beschluss BGBl. Bundesgesetzblatt bspw. beispielsweise BT-Drucks. Bundestagsdrucksache Bulletin der Europäischen Gemeinschaften BullEG Bulletin der Europäischen Union BullEU BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerfGK British Yearbook of International Law BYIL bzw. beziehungsweise CIVCOM Committee for Civilian Aspects of Crisis Management CMDP Crisis Management and Planning Directorate Civilian Planning and Conduct Capability CPCC der, des d. das heißt d. h. derselbe / ​dieselbe(n) ders. / ​dies. Deutsche Notar-Zeitschrift (Z) DNotZ DÖV Die Öffentliche Verwaltung (Z) Deputy Supreme Allied Commander Europe DSACEUR DVBl. Deutsches Verwaltungsblatt (Z) Europa-Archiv (Z) EA

30

Abkürzungsverzeichnis

Europäischer Auswärtiger Dienst EAD European Court of Human Rights ECHR Ed. Edition Einheitliche Europäische Akte EEA Europäische Gemeinschaft(en) EG EGKS Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EGMR Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft EGV European Human Rights Law Review (Z) EHRLR Einl. Einleitung European Journal of International Law (Z) EJIL European Journal of Migration and Law (Z) EJML EL Ergänzungslieferung European Law Review (Z) ELR Europäische Menschenrechtskonvention EMRK endg. endgültig Ent. Entscheidung Enzyklopädie Europarecht, hrsg. v. A. Hatje und P.-C. Müller-Graff EnzEuR Europäische Politische Gemeinschaft EPG European Public Law (Z) EPL Europäische Politische Zusammenarbeit EPZ Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik ESVP Europäische Union EU European Constitutional Law Review (Z) EUConst Europäischer Gerichtshof EuGH Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, v. D. Ehlers EuGR Europäische Grundrechte-Zeitschrift (Z) EuGRZ European Union Naval Force Mediterranean EuNavFor Med Europarecht (Z) EuR Euratom Europäische Atomgemeinschaft Vertrag über die Europäische Union EUV Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Z) EuZW Europäische Verteidigungsgemeinschaft EVG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWG Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Z) EWS Europäische Zentralbank EZB folgende(r) f. / ​ff. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung FAS Frankfurter Allgemeine Zeitung FAZ Fn. Fußnote Familie Partnerschaft Recht (Z) FPR FS Festschrift GA Generalanwalt Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik GASP gem. gemäß Genfer Flüchtlingskonvention GFK GG Grundgesetz ggf. gegebenenfalls Gemeinsames Ministerialblatt GMBl.

Abkürzungsverzeichnis

31

Grundrechtecharta der EU GRCh Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Internationaler Teil (Z) GRURint Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik GSVP Hdb. Handbuch Herv. Hervorhebung HGR Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, hrsg. v. D. Merten und H.-J. Papier herrschende Meinung h. M. Herausgeber / ​herausgegeben von Hrsg. / ​h rsg. v. Hs. Halbsatz Handbuch des Staatsrechts, hrsg. v. J. Isensee und P. Kirchhof HStR International Law Commission ILC insb. insbesondere im Sinne des / ​der i. S. d. im Sinne von i. S. v. in Verbindung mit i. V. m. Juristenzeitung (Z) JZ Kap. Kapitel Kosovo Force KFOR Dokumente der Europäischen Kommission KOM Die kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und RechtswissenKritV schaft (Z) lit. litera MünchKommBGB Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit weiteren Nachweisen m. w. N. North Atlantic Treaty Organization NATO Neue Juristische Online-Zeitschrift (Z) NJOZ Neue Juristische Wochenschrift (Z) NJW No. Number Nr. Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht (Z) NStZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (Z) NVwZ Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (Z) NZA Neue Zeitschrift für Wehrrecht (Z) NZWehrr oben, oder o. Österreichische Juristen-Zeitung (Z) ÖJZ Operation Headquater OHQ österreichischer Verfassungsgerichtshof östVfGH OVG Oberverwaltungsgericht Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen PJZS Politisches und Sicherheitspolitisches Komitee PSK Rapid Border Intervention Team RABIT Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts RFSR RGBl. Reichsgesetzblatt RL Richtlinie Rn. Randnummer Rs. Rechtssache Rspr. Rechtsprechung s. siehe

32

Abkürzungsverzeichnis

Satz, Seite, siehe S. Supreme Allied Commander Europe SACEUR sc. scilicet Schengener Durchführungsübereinkommen SDÜ Soldatengesetz, Sozialgericht SG SGB II Sozialgesetzbuch Zweites Buch Schengener Grenzkodex SGK Supreme Headquaters Allied Powers Europe SHAPE Schengener Informationssystem SIS Sammlung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Slg. Gerichts erster Instanz sogenannte(n / ​r/s) sog. International Convention for the Safety of Life at Sea SOLAS Spstr. Spiegelstrich Systematische Sammlung des Bundesrechts der Schweiz SR Resolution des Sicherheitsrates S / ​R ES SRÜ Seerechtsübereinkommen Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, v. K. Stern StR Schengener Übereinkommen SÜ und, unten u. unter anderen / ​m, und andere u. a. UAbs. Unterabsatz United Nations UN United Nations Documents UN Doc. United Nations General Assembly UNGA United Nations Organization UNO Urt. Urteil United States US United States Reports U. S. v. von, vom, versus verbundene Rechtssachen verb. Rs. Verf. Verfasser VerwR Verwaltungsrecht vgl. vergleiche VO Verordnung Vorb. Vorbemerkung VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz Westeuropäische Union WEU WpHG Wertpapierhandelsgesetz (Z) Zeitschrift Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Z) ZaöRV Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik (Z) ZAR zum Beispiel z. B. Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres ZBJI Zeitschrift für europarechtliche Studien (Z) ZEuS Ziff. Ziffer zitiert als zit. Zeitschrift für Rechtspolitik (Z) ZRP

1. Kapitel

Einleitung A. Ausgangssituation, Ziel und Eingrenzung der Untersuchung I. Ausgangssituation Sowohl die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) als auch die europäische Grenzschutzagentur Frontex standen und stehen aufgrund der anhaltenden „Flüchtlingskrise“1 im Zentrum des medialen Interesses.2 Aktuell bekämpft eine Militäroperation der GASP3 die Schleuserkriminalität im Mittelmeer,4 während die Grenzschutzagentur Frontex im Rahmen der Operation Triton und der sich daran anschließenden Operation Themis in Italien die südlichen Seeaußengrenzen der Europäischen Union sichert.5 Zur operativen Ausführung dieser Missionen wird auf die sachlichen und personellen Ressourcen der jeweils beteiligten Mitgliedstaaten zurückgegriffen. Beide Missionen haben das Ziel, den unkontrollierten Flüchtlingsstrom über das Mittelmeer nach Europa zu reduzieren und arbeiten zu diesem Zweck intensiv zusammen.6 Bemerkenswert ist, dass die Missionen aus unterschiedlichen Politikbereichen der EU stammen, nämlich einerseits aus der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik7 und andererseits, in Bezug auf

1 Mit der sog. Flüchtlingskrise wird der massive Anstieg der Flüchtlingszahlen bezeichnet, der die EU und ihre Mitgliedstaaten seit Mitte 2015 vor große Herausforderungen stellt. Die Flüchtlinge versuchen hierbei unter anderem über das Mittelmeer die Mitgliedstaaten der EU zu erreichen, vgl. Oppermann / ​Classen / ​Nettesheim, Europarecht, § 3 Rn. 20 ff. Der Flüchtlingsbegriff ist dabei umgangssprachlich zu verstehen und nicht mit der Definition des Art. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) gleichzusetzen. Genauer wäre es deshalb, von einer „Migrationsproblematik“ oder Ähnlichem zu sprechen. Allerdings hat sich der Begriff „Flüchtlingskrise“ etabliert, sodass im Sinne einer leichteren Verständlichkeit daran festgehalten wird. Allgemein zur Flüchtlingskrise s. auch Depenheuer / ​Grabenwarter, Der Staat in der Flüchtlingskrise. 2 Vgl. etwa FAZ v. 01.10.2015, S. 3; FAS v. 06.12.2015, S. 1; Der Spiegel v. 05.03.2016, S. 14 ff.; FAS v. 14.08.2016, S. 21; FAZ v. 17.08.2016, S. 2; FAS v. 20.11.2016, S. 4; FAZ v. 18.07.2017, S. 2. 3 Genaugenommen handelt es sich um eine Mission der GSVP, die jedoch „integraler Bestandteil“ der GASP ist, Art. 42 Abs. 1 S. 1 EUV. 4 EuNavFor Med Operation Sophia, s. dazu sogleich unter B. I., S. 37 ff. 5 S. dazu unter B. II., S. 39 f. 6 Tardy, Operation Sophia – Tackeling the refugee crisis with military means, in: European Union Institute for Security Studies, Issue Brief No. 30 v. 30.09.2015, S. 2. 7 Art. 23 ff. EUV.

34

1. Kap.: Einleitung

Frontex, aus dem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.8 Verbindendes Element beider Bereiche ist das Streben nach Sicherheit in der Europäischen Union. Dies verfolgen sie aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven. Während die GASP vor allem die äußere Sicherheit umfasst,9 steht im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts hauptsächlich die innere Sicherheit im Fokus.10 Mit der äußeren und inneren Sicherheit sind Bereiche betroffen, die einerseits für die EU von zentraler Bedeutung sind, andererseits aber auch eine hohe Souveränitätsempfindlichkeit aufweisen11 und deshalb weiterhin zentrales Anliegen der Mitgliedstaaten selbst sind.12 Die operativen Einsätze der GASP und Frontex bewegen sich damit in einem Spannungsfeld zwischen unionsrechtlicher Aufgabenwahrnehmung und mitgliedstaatlicher Souveränität.13 II. Ziel der Untersuchung Angesichts dieses Spannungsfeldes drängt sich die Frage auf, in welchem grundrechtlichen Rahmen solche operativen Einsätze stattfinden. Aufgrund der unionsrechtlichen Einbettung liegt eine Bindung an die Europäische Grundrechtecharta nahe. Andererseits könnten die Souveränitätsempfindlichkeit der Materie und der operative Rückgriff auf die Mitgliedstaaten auch für eine Geltung der jeweiligen nationalen Grundrechte sprechen. Auch eine parallele Bindung sowohl an die Grundrechtecharta als auch an die nationalen Grundrechtsregime scheint denkbar. Interessant ist die Frage nach der Grundrechtsbindung auch vor dem Hintergrund, dass die operativen Einsätze aufgrund des Rückgriffs auf die Mitgliedstaaten und der Souveränitätsempfindlichkeit der Materie möglicherweise einer einheitlichen Struktur folgen, die zu einer vergleichbaren Grundrechtsbindung operativer Einsätze im Rahmen der GASP und Frontex führen könnte.

8

Art. 67 ff. AEUV. Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 21 EUV Rn. 10; Frenz, ZaöRV 70 (2010), 427, 491. Unter der äußeren Sicherheit ist grundsätzlich die Abwehr von Gefahren zu verstehen, die sich von außen gegen einen Staat richten, vgl. Möllers, Verteidigungspolitik / ​Militärpolitik, in: Möllers, Wörterbuch der Polizei, S. 2148. Übertragen auf die EU bedeutet äußere Sicherheit die Abwehr von Gefahren, die sich von außen gegen die EU richten. 10 Röben, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  67 AEUV Rn.  56; Schöndorf-​ Haubold, Europäisches Sicherheitsverwaltungsrecht, Rn. 1. Unter der inneren Sicherheit ist im Allgemeinen die Abwehr von Gefahren zu verstehen, die im Inneren eines Staates entstehen, vgl. Möllers, Innere Sicherheit, in: Möllers, Wörterbuch der Polizei, S. 980. Übertragen auf die EU bedeutet innere Sicherheit die Abwehr von Gefahren, die im Inneren der EU entstehen. 11 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 40 EUV Rn. 5; Dörr, in: Grabitz  / ​Hilf  / ​​​ Nettesheim, EUV / ​​​AEUV, Art. 40 EUV Rn. 3; Schöndorf-Haubold, Europäisches Sicherheitsverwaltungsrecht, Rn. 1, 156. 12 Cremer, in: Calliess / ​​​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 40 EUV Rn. 5; Schöndorf-Haubold, Europäisches Sicherheitsverwaltungsrecht, Rn. 2 f. 13 Schöndorf-Haubold, Europäisches Sicherheitsverwaltungsrecht, Rn. 1. 9

1. Kap.: Einleitung

35

Die Arbeit hat sich daher zum Ziel gesetzt, die Bindung an die Europäische Grundrechtecharta bei operativen Einsätzen im Rahmen der GASP und Frontex zu untersuchen, wobei die These aufgestellt wird, dass die operativen Einsätze im Rahmen der GASP und bei Frontex einer vergleichbaren Struktur unions­koordinierten operativen Handelns folgen, die zu einer vergleichbaren Grundrechts­bindung beider Bereiche führt. Hierbei ist der Begriff der Koordinierung so zu verstehen, dass die Mitgliedstaa­ ten nicht durch ein Auftreten der EU vollständig verdrängt werden, sondern dass im Rahmen der Koordinierung ein paralleles mitgliedstaatliches Handeln abgestimmt wird. Koordinierung in diesem Sinne bedeutet, dass keine zwingenden Vorgaben für das nationale Handeln gemacht werden. Die Untersuchung ist zudem im Kontext des grundrechtlichen Mehrebenensystems zu sehen, das neben den nationalen Grundrechten und der Europäischen Grundrechtecharta auch aus der EMRK besteht.14 Durch die Existenz weiterer Grundrechtsregime, insbesondere der EMRK, hätte eine gegebenenfalls fehlende Bindung an die Europäische Grundrechtecharta deshalb nicht zur Folge, dass die operativen Einsätze in einem grundrechtlichen Niemandsland15 stattfänden. Das grundrechtliche Mehrebenensystem wäre jedoch um die Ebene der Unionsgrundrechte reduziert. Durch die Einbettung des gefundenen Ergebnisses zur Unionsgrundrechtsbindung in das grundrechtliche Mehrebenensystem soll die Arbeit letztlich ein genaues Bild des bei operativen Einsätzen im Rahmen der GASP und Frontex anwendbaren Grundrechtsregimes zeichnen. III. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes Der Untersuchungsgegenstand ist im Hinblick auf das Ziel der Untersuchung dreifach zu begrenzen. Zum Ersten wird schwerpunktmäßig nur eine Bindung an die Europäische Grundrechtecharta untersucht. Bei dieser Untersuchung ergibt sich gleichsam von selbst die etwaige Anwendbarkeit der jeweiligen nationalen Grundrechte. Auf die EMRK als weiteres Grundrechtsregime wird nur im Rahmen der abschließenden Einordnung des Ergebnisses in das grundrechtliche Mehrebenensystem eingegangen.16 Diese Einschränkung bedeutet gleichzeitig, dass nur die Anwendbarkeit der Grundrechtsregime im Ganzen untersucht wird. Nicht vom Untersuchungsgegenstand gedeckt sind somit die Anwendbarkeit, Auslegung und Einschränkbarkeit einzelner Grundrechte.

14

Zum grundrechtlichen Mehrebenensystem vgl. etwa Kingreen / ​Poscher, Grundrechte, § 3 Rn. 51 ff.; Matz-Lück / ​Hong, Grundrechte und Grundfreiheiten im Mehrebenensystem. 15 Begriff angelehnt an Stoltenberg, ZRP 2008, 111. 16 S. dazu das 6. Kapitel.

36

1. Kap.: Einleitung

Zum Zweiten findet eine Begrenzung der Untersuchung auf operative Einsätze statt. Unter operativen Einsätzen wird in Bezug auf die GASP der Einsatz im Rahmen einer gemeinsamen Aktion in Form der Mission17 verstanden, unter welche sowohl militärische18 als auch zivile19 Missionen fallen. Als Anschauungsbeispiel wird im Laufe der Untersuchung die eingangs bereits erwähnte Militäroperation Sophia herangezogen. Insofern soll auch der Schwerpunkt der Darstellung auf den militärischen Missionen liegen. Die Untersuchung ziviler Missionen wird hierbei jedoch nicht vollständig ausgeklammert; diese werden vielmehr an den relevanten Stellen zusammen mit den militärischen Operationen beleuchtet. In Bezug auf Frontex wird unter dem operativen Einsatz der Einsatz der europäischen Grenz- und Küstenwacheteams zum Schutz der Außengrenzen20 verstanden. Alle anderen Bereiche der GASP und Frontex, die sich nicht direkt mit einem operativen Handeln in diesem Sinne befassen, bleiben von der Grundrechtsuntersuchung ausgeschlossen.21 Drittens und letztens bleiben auch Rechtsschutzfragen ausgeklammert,22 sodass der Fokus dieser Arbeit gänzlich auf dem anwendbaren Grundrechtsregime und insbesondere der Europäischen Grundrechtecharta liegt.

17

Art. 25 lit. b) Ziff. i), Art. 28, Art. 43 EUV. Vgl. dazu Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 43 EUV Rn.  5 f. 19 Unter die zivilen Missionen fallen etwa Polizeimissionen, vgl. dazu Cremer, in: Calliess / ​ Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 43 EUV Rn. 7 ff. 20 Die „Europäischen Grenz- und Küstenwacheteams“ bezeichnen die für gemeinsame Aktionen, Soforteinsätze zu Grenzsicherungszwecken sowie zur Unterstützung der Migrationsverwaltung eingesetzten Teams von Grenzschutzbeamten und sonstigen Fachkräften der teilnehmenden Mitgliedstaaten, einschließlich der von den Mitgliedstaaten als nationale Sachverständige zur Europäischen Agentur für Grenz- und Küstenwache abgeordneten Grenzschutzbeamten und anderen Fachkräfte, Art. 2 Nr. 4 der Verordnung (EU) 2016/1624 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. September 2016 über die Europäische Grenz- und Küstenwache und zur Änderung der Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 863/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 des Rates und der Entscheidung des Rates 2005/267/EG, ABl. Nr. L 251 v. 16.09.2016, S. 1 ff., im Folgenden als Frontex-VO abgekürzt. 21 Nicht Gegenstand der Arbeit ist damit bspw. die Grundrechtsbindung bei einem Handeln in Zusammenhang mit gemeinsamen Standpunkten der GASP oder in Zusammenhang mit dem Informationsaustausch im Bereich von Frontex. Ebenfalls ausgeklammert bleiben die speziellen Rückkehraktionen im Rahmen von Frontex. 22 Zum Rechtsschutz im Rahmen von Frontex, s. etwa Lehnert, Frontex und operative Maßnahmen, S. 273 ff.; Schöndorf-Haubold, Europäisches Sicherheitsverwaltungsrecht, Rn. 156 ff.; Seehase, Die Grenzschutzagentur Frontex, S. 305 ff. Zum Rechtsschutz gegen operative Handlungen im Rahmen der GASP betreffend die Rechtswidrigkeit der Übergabe Piraterieverdächtiger an die Republik Kenia im Rahmen der Atalanta-​ Mission s. etwa OVG NRW, Urt. v. 18.09.2014, 4 A 2948/11, DVBl. 2015, 375 ff.; s. auch Thym, Europäisches Wehrverwaltungsrecht, in: Terhechte, VerwR der EU, § 17 Rn. 58 ff. 18

1. Kap.: Einleitung

37

B. Praktische Relevanz Die praktische Relevanz des Themas soll anhand der aktuellen, eingangs bereits erwähnten Missionen im Rahmen der GASP und Frontex verdeutlicht werden. I. Operation Sophia im Rahmen der GASP Angestoßen von der außerordentlichen Tagung des Europäischen Rates vom 23. April 2015, die sich mit der Lage im Mittelmeerraum befasste,23 wurde am 18. Mai 2015 vom Rat die EuNavFor Med Operation Sophia zur Bekämpfung der Schleuserkriminalität im südlichen zentralen Mittelmeer beschlossen,24 die mittler­weile bis zum 31. März 2020 verlängert wurde.25 Die Operation gliedert sich in drei Phasen.26 In der ersten Phase, welche am 22. Juni 2015 begann,27 wurden Informationen gesammelt, um einen Überblick über die Schleuseraktivitäten zu erhalten.28 In der zweiten, seit dem 7. Oktober 2015

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Außerordentliche Tagung des Europäischen Rates vom 23. April 2015, Erklärung Nr. 1 ff., insb. Nr. 3 lit.  d), abrufbar unter: http://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/​ 2015/04/23-special-euco-statement/, zuletzt abgerufen am 16.01.2017. 24 Beschluss (GASP) 2015/778 des Rates vom 18. Mai 2015 über eine Militäroperation der Europäischen Union im südlichen zentralen Mittelmeer (EuNavFor Med), ABl. Nr. L 122 v. 19.05.2015, S. 31. Der Name der Operation „Sophia“ wurde am 24. September 2015 vorgeschlagen und mit Beschluss (GASP) 2015/1926 vom 26.10.2015, ABl. Nr. L 281 v. 27.10.2015, S. 13 eingeführt. Er geht auf ein somalisches Mädchen zurück, das am 24. August 2015 an Bord eines Schiffes der Bundeswehr geboren wurde, vgl. European Union Naval Force – Mediterranean Operation Sophia, Factsheet on EuNavFor Med Mission (Januar 2017), S. 2, abrufbar unter: https://eeas.europa.eu/csdp-missions-operations/eunavfor-med/12184/factsheet-aboutmission-eunavfor-med-operation-sophia_en, zuletzt abgerufen am 21.01.2017. 25 Beschluss (GASP) 2019/1595 des Rates vom 26. September 2019 zur Änderung des Beschlusses (GASP) 2015/778 über eine Militäroperation der Europäischen Union im süd­ lichen zentralen Mittelmeer (EuNavFor Med Operation Sophia), ABl. Nr. L 248 v. 27.09.2019, S. 73. Seit April 2019 wurde jedoch – ohne eine inhaltliche Änderung des Mandats – die Beteiligung seegehender Einheiten ausgesetzt, mit der Folge, dass die Überwachung des Seegebiets zur Bekämpfung des Schleuserwesens seit diesem Zeitpunkt ausschließlich aus der Luft stattfindet, vgl. https://www.bmvg.de/de/aktuelles/operation-sophia-wird-fortgesetzt-36740, zuletzt abgerufen am 03.12.2019. Hintergrund ist ein Streit um die Verteilung der aus Seenot geretteten Menschen, vgl. https://www.sueddeutsche.de/politik/eu-mittelmeer-sophia-fluechtlinge-1.4384786, zuletzt abgerufen am 03.12.2019. 26 Vgl. Art. 2  Abs.  2  Beschluss (GASP) 2015/778 vom 18.05.2015, ABl. Nr. L 122 v. 19.05.2015, S. 31, 32. 27 Beschluss (GASP) 2015/972 des Rates vom 22. Juni 2015 über die Einleitung der Militäroperation der Europäischen Union im südlichen zentralen Mittelmeer (EuNavFor Med), ABl. Nr. L 157 v. 23.06.2015, S. 51. 28 Art.  2  Abs.  2  lit.  a)  Beschluss (GASP) 2015/778 vom 18.05.2015, ABl. Nr. L 122 v. 19.05.2015, S. 31, 32.

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1. Kap.: Einleitung

laufenden Phase29 werden auf Hoher See Schiffe, bei denen der Verdacht besteht, dass sie für den Menschenschmuggel oder Menschenhandel benutzt werden, angehalten, durchsucht, beschlagnahmt oder umgeleitet.30 In einer Erweiterung der zweiten Phase soll das Einsatzgebiet auf fremde, insbesondere libysche Hoheitsgewässer ausgedehnt werden.31 In der abschließenden dritten Phase sollen darüber hinaus auf fremdem Territorium – wiederum vor allem in Libyen – alle erforder­ lichen Maßnahmen einschließlich der Zerstörung und Unbrauchbarmachung gegen Schiffe und zugehörige Gegenstände ergriffen werden, bei denen der Verdacht besteht, dass sie für den Menschenschmuggel oder Menschenhandel benutzt werden.32 Die bisher stattfindenden Phasen wurden allesamt durch Resolutionen des UN-Sicherheitsrates mandatiert.33 Für die Durchführung der Operation stellen die Mitgliedstaaten ihre Streitkräfte zur Verfügung, wobei sich insgesamt 25 Mitgliedstaaten beteiligen.34 Der Deutsche

29 Beschluss (GASP) 2015/1772 des Politischen und Sicherheitspolitischen Komitees vom 28. September 2015 betreffend den Übergang in die zweite Phase der Operation EuNavFor Med, ABl. Nr. L 258 v. 03.10.2015, S. 5. 30  Art. 2 Abs. 2 lit. b) Ziff. i) Beschluss (GASP) 2015/778 vom 18.05.2015, ABl. Nr. L 122 v. 19.5.2015, S. 31, 32. Seit der Aussetzung der Beteiligung seegehender Einheiten (vgl. Fn. 25) findet jedoch ausschließlich eine Überwachung des Seegebiets zur Bekämpfung des Schleuserwesens aus der Luft statt, vgl. https://www.bmvg.de/de/aktuelles/operation-sophia-wirdfortgesetzt-36740, zuletzt abgerufen am 03.12.2019. 31  Art. 2 Abs. 2 lit. b) Ziff. ii) Beschluss (GASP) 2015/778 vom 18.05.2015, ABl. Nr. L 122 v. 19.5.2015, S. 31, 32. 32 Art.  2  Abs.  2  lit.  c)  Beschluss (GASP) 2015/778 vom 18.05.2015, ABl. Nr. L 122 v. 19.05.2015, S. 31, 32. 33 S / ​RES/2240 (2015), verabschiedet auf der 7531. Sitzung des Sicherheitsrates am 9. Oktober 2015; S / ​RES/2292 (2016), verabschiedet auf der 7715. Sitzung des Sicherheitsrates am 14. Juni 2016 zur Unterbindung des Waffenschmuggels nach Libyen; S / ​RES/2312 (2016), verabschiedet auf der 7783. Sitzung des Sicherheitsrates am 6. Oktober 2016. Aufgrund der Resolution zur Unterbindung des Waffenschmuggels nach Libyen erweiterte die EU ihre Mission auch auf diesen Bereich, vgl. Beschluss (GASP) 2016/993 des Rates vom 20. Juni 2016 zur Änderung des Beschlusses (GASP) 2015/778 über eine Militäroperation der Europäischen Union im südlichen zentralen Mittelmeer (EuNavFor Med Operation Sophia), ABl. Nr. L 162 v. 21.06.2016, S. 18 ff. Eine UN-Resolution für Einsätze innerhalb des Hoheitsgebietes anderer Staaten  – etwa ­Libyen – fehlt zurzeit noch. Ein solches UN-Mandat oder die bislang ebenfalls fehlende Zustimmung des anderen Staates ist für einen Einsatz in fremden Hoheitsgebieten notwendig. Deshalb konnte der Übergang in die erweiterte zweite sowie dritte Phase noch nicht stattfinden. 34 Beteiligt sind Belgien, Bulgarien, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn und Zypern, vgl. European Union Naval Force – Mediterranean Operation Sophia, Factsheet on EuNavFor Med Mission (Januar 2017), S. 2, abrufbar unter: https://eeas.europa.eu/csdpmissions-operations/eunavfor-med/12184/factsheet-about-mission-eunavfor-med-operationsophia_en, zuletzt abgerufen am 21.01.2017.

1. Kap.: Einleitung

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Bundestag hat den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der Operation Sophia zuletzt bis zum 30. Juni 2019 verlängert.35 Neben die Bekämpfung der Schleuserkriminalität tritt im Rahmen der Missionsausführung die allgemeine Pflicht zur Seenotrettung. Nach Art. 98 SRÜ36 und Regel 33 SOLAS V37 ist jeder Seefahrer verpflichtet, Hilfe zu leisten, wenn er ein Boot in Seenot antrifft, einen Notruf empfängt oder von einer Seenotleitstelle einen Auftrag zur Seenotrettung erhält.38 II. Operation Triton im Rahmen von Frontex Neben der GASP-Mission Sophia ist auch die Operation Triton im Rahmen von Frontex im Mittelmeerraum operativ tätig, an der sich 26 Mitgliedstaaten beteiligen39 und deren Einsatzmitgliedstaat Italien ist. Ziel der Mission ist der Schutz der italienischen und damit gleichzeitig der europäischen Seeaußengrenzen. Das Ein 35 Vgl. Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an EuNavFor Med Operation Sophia, BT-Drucks. 19/2381 v. 30.05.2018; Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses, BT-Drucks. 19/2668 v 12.06.2018; Beschluss des Bundestages vom 14. Juni 2018, Plenarprotokoll 19/39, Tagesordnungspunkt 5, S. 3771 ff. Nachdem die Bundesregierung bereits im Januar 2019 vorübergehend deutsche Schiffe aus der Mission abgezogen hat, beendete sie die deutsche Beteiligung zum 30. Juni 2019, https:// www.bmvg.de/de/aktuelles/engagement-an-operation-sophia-soll-beendet-werden-55862, zuletzt abgerufen am 03.12.2019. Hintergrund des vorübergehenden Abzuges deutscher Schiffe war ein Streit mit der italienischen Einsatzleitung, die nach Aussagen der damaligen Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen die deutsche Marine in die „entlegensten Ecken des Mittelmeeres“ kommandierte, wo diese mangels Schmuggelrouten „keine sinnvollen Aufgaben“ mehr gehabt habe, https://www.mdr.de/nachrichten/politik/inland/von-der-leyensophia-sabotage-italien-100.html, zuletzt abgerufen am 03.12.2019. Grund für das Verhalten der italienischen Einsatzleitung war (wohl) ein Streit darüber, wie mit aus Seenot geretteten Migranten umgegengen werden soll, https://www.mdr.de/nachrichten/politik/inland/von-derleyen-sophia-sabotage-italien-100.html, zuletzt abgerufen am 03.12.2019. Dieser Streit mündete letztlich in eine komplette Aussetzung der Beteiligung seegehender Einheiten im Rahmen der Mission Sophia (vgl. Fn. 25). 36 Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982 (SRÜ), BGBl. 1994 II, S. 1798 ff. 37 Internationales Übereinkommen von 1974 zum Schutz des menschlichen Lebens auf See vom 1. November 1974 (International Convention for the Safety of Life at Sea, SOLAS), BGBl. 1979 II, S. 143 ff., Kapitel V: Sicherung der Seefahrt. 38 Bisher wurden so durch die Operation Sophia ca. 49.000 Menschen aus Seenot gerettet, vgl. http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/mittelmeer-eu-mission-sophia-soll-vorerstweiterlaufen-15701380.html, zuletzt abgerufen am 02.08.2018. 39 Dies sind Belgien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Island, Irland, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Slowenien, Spanien, Schweden, Schweiz und Tschechien, vgl. http://frontex.europa.eu/news/frontex-expands-its-joint-operation-tritonudpbHP, zuletzt abgerufen am 24.11.2016.

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1. Kap.: Einleitung

satzgebiet dehnt sich bis zu 138 Seemeilen südlich von Sizilien aus.40 Die Mission startete am 1. November 2014 und löste die bis dahin laufende Operation „Mare Nostrum“ ab.41 Zwischenzeitlich wurde die Operation Triton im Februar 2018 durch die Operation Themis mit im Wesentlichen gleichen Aufgaben abgelöst.42 Zu den Aufgaben der an der Mission beteiligten Grenzschutzbeamten gehört vor allem die Grenzüberwachung. Dabei sollen illegale Grenzübertritte unter Umgehung der Grenzübergangsstellen verhindert werden.43 Um Flüchtlinge abzufangen und deren unkontrollierte Einreise auf das Territorium zu verhindern, wird im Einsatzgebiet patrouilliert. Aufgegriffene Flüchtlinge werden sodann in der Regel in den Hafen des Einsatzmitgliedstaates, d. h. Italien, gebracht.44 Neben die Aufgabenwahrnehmung im Rahmen der Operation tritt, wie auch schon bei der GASP-Mission, die Pflicht zur allgemeinen Seenotrettung. III. Relevanz der Grundrechtsbindung Im Rahmen der Operationen Sophia und Triton bzw. Themis stellt sich bei Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Anhalten, Durchsuchen, Beschlagnahmen oder Umleiten der Schlepperboote bzw. beim Abfangen und Aufgreifen der Flüchtlinge, sowie bei der allgemeinen Seenotrettung konkret die Frage, an welches Grundrechtsregime die handelnden Streitkräfte bzw. Grenzschutzbeamte gebunden sind. Die Frage nach dem anwendbaren Grundrechtsregime ist einerseits für den (verwaltungs-)gerichtlichen Prüfungsmaßstab relevant, sofern sich die betroffenen Personen mit einer Klage gegen entsprechende operative Maßnahmen wenden.45 Andererseits stellt sich auch unabhängig von einer Klageerhebung die Frage, an welchem Grundrechtsmaßstab sich die Gestaltung der Einsätze objektiv auszurichten hat.46 Als konkretes Beispiel für die Relevanz der Grundrechtsbindung sei das Festhalten von Personen im Rahmen der Missionen genannt. Würden nationale Grund 40

http://frontex.europa.eu/news/frontex-expands-its-joint-operation-triton-udpbHP, zuletzt abgerufen am 24.11.2016. 41 http://frontex.europa.eu/news/frontex-launches-joint-operation-triton-JSYpL7, zuletzt abgerufen am 24.11.2016. 42 https://frontex.europa.eu/along-eu-borders/main-operations/operation-themis-italy-/, zuletzt abgerufen am 03.12.2019. 43 Zur Grenzüberwachung vgl. Lehnert, Frontex und operative Maßnahmen, S. 95. 44 Zu diesen Aufgaben als Teil der Grenzüberwachung vgl. Lehnert, Frontex und operative Maßnahmen, S. 95 f. 45 Dies dürfte allerdings der Ausnahmefall sein, was sich an der fast völlig fehlenden Rechtsprechung in diesem Bereich zeigt; vgl. aber OVG NRW, Urt. v. 18.09.2014, 4 A 2948/11, DVBl. 2015, 375 ff., das sich jedoch nicht explizit mit dem im Rahmen einer GASP-Mission anwendbaren Grundrechtsmaßstab beschäftigt. 46 Angesprochen ist damit die objektivrechtliche Dimension der Grundrechte.

1. Kap.: Einleitung

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rechte gelten, etwa diejenigen des Grundgesetzes, so wäre das Festhalten einer Person grundsätzlich47 anhand von Art. 2 Abs. 2 S. 2, 104 GG zu messen. Dabei wären die Abgrenzung zwischen einer Freiheitsbeeinträchtigung und einer Freiheitsentziehung sowie die entsprechenden Schrankenvorbehalte zu beachten. Wären demgegenüber die europäischen Grundrechte anwendbar, so wäre Art. 6 GRCh einschlägig, der allgemein die Freiheit und Sicherheit einer Person schützt und nur unter den Voraussetzungen des Art. 52 Abs. 1 GRCh eingeschränkt werden kann. Je nach anwendbarem Grundrechtsregime bestehen mithin Unterschiede in Bezug auf den Schutzbereich und die Rechtfertigungsmöglichkeit etwaiger Eingriffe. Die Operationen Sophia und Triton bzw. Themis verdeutlichen somit anschaulich die praktische Relevanz der Frage nach dem anwendbaren Grundrechtsregime. Gleichzeitig offenbart sich anhand der Missionen das komplexe Mehrebenensystem,48 in welchem die Einsätze stattfinden, bestehend aus den Ebenen der Mitgliedstaaten und der EU.49 Es wird deutlich, dass die EU sowohl im Bereich der GASP als auch im Rahmen von Frontex auf Streitkräfte der Mitgliedstaaten zurückgreift und diese koordiniert. Die Frage nach der Grundrechtsbindung stellt sich damit, so die These, verallgemeinert in einem unionsrechtlichen Bereich, der auf die Koordinierung mitgliedstaatlichen Handelns ausgerichtet ist. Aufgrund dieser genauer zu untersuchenden Strukturgleichheit erscheint eine vergleichbare Grundrechtsbindung in beiden Bereichen möglich.

C. Gang der Untersuchung Die Untersuchung der Bindung an die Europäische Grundrechtecharta bei operativen Einsätzen im Rahmen der GASP und Frontex untergliedert sich in vier Teile. Im ersten Teil der Arbeit erfolgt als Grundlage für die weitere Untersuchung die Darstellung der allgemeinen Bindung an die Europäische Grundrechtecharta nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh (2. Kapitel). Dabei ist zwischen der Bindung der Organe und sonstigen Stellen der Union nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh sowie der Bindung der Mitgliedstaaten nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh zu unterscheiden. Darauf aufbauend erfolgt im zweiten Teil die Untersuchung der Bindung an die Europäische Grundrechtecharta speziell für die GASP (3. Kapitel) und Frontex (4. Kapitel). Diese Untersuchung setzt eine umfassende Analyse der Rege 47 Bei diesem Beispiel soll die Frage der extraterritorialen Anwendbarkeit und eine diesbezüglich gegebenenfalls modifizierte Grundrechtsgeltung außer Betracht bleiben, s. dazu das 6. Kapitel. 48 Zum Begriff des Mehrebenensystems vgl. etwa Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 474 ff. 49 Gegebenenfalls sind diese Ebenen wiederum in eine UN-Sicherheitsratsresolution eingebettet.

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1. Kap.: Einleitung

lungen und der Funktionsweise der GASP bzw. Frontex voraus, deren Ergebnis sodann unter Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh zu subsumieren ist. Die strukturelle Analyse der GASP sowie von Frontex dient jedoch nicht nur der Subsumtion unter Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh, sondern soll auch das Zusammenspiel der Mitgliedstaaten mit der EU verdeutlichen und der Verifizierung der These dienen, dass das operative Handeln einem einheitlichen System folgt, welches als unionskoordiniertes operatives Handeln beschrieben werden kann. Aufbauend auf der strukturellen Analyse wird das Ergebnis der jeweiligen Grundrechtsbindung deshalb anschließend einer gegenüberstellenden Betrachtung unter Einbeziehung eines Strukturvergleichs unterzogen, wobei auch auf die Auswirkungen der Grundrechtsbindung eingegangen wird, sodass sich ein abschließendes Bild der Bindung an die Europäische Grundrechtecharta bei operativen Einsätzen im Rahmen der GASP und Frontex ergibt (5. Kapitel). Im dritten Teil der Arbeit wird das gefundene Ergebnis in das grundrechtliche Mehrebenensystem, bestehend aus den nationalen Grundrechten und der EMRK, eingeordnet, sodass ein Gesamtbild der bei operativen Einsätzen im Rahmen der GASP und Frontex anwendbaren Grundrechtsregime gezeichnet werden kann (6. Kapitel). Im vierten und letzten Teil wird das Gesamtergebnis der Arbeit als Zusammenfassung in Thesen präsentiert (7. Kapitel).

1. Teil

Die Grundlagen der Grundrechtsbindung 2. Kapitel

Die allgemeine Bindung an die Europäische Grundrechtecharta A. Einleitung Zentrale Norm für die Bindung an die Europäische Grundrechtecharta ist Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh. Danach gilt die Grundrechtecharta „für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union […] und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union“. Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh differenziert folglich bezüglich der Grundrechtsbindung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten. Zur Beantwortung der Frage nach der Grundrechtsbindung sind somit die operativen Einsätze im Rahmen der GASP und Frontex unter Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh zu subsumieren. Bevor die konkrete Grundrechtsbindung operativer GASP- und Frontex-Einsätze untersucht werden kann, ist auf die allgemeinen Grundsätze der Grundrechtsbindung nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh einzugehen. Für ein besseres Verständnis der Grundrechtecharta und ihrer Auslegung durch den EuGH ist dafür in einem ersten Schritt auf die Entstehung der europäischen Grundrechte sowie der Grundrechtecharta einzugehen (unter B.). Sodann können die Grundsätze der Bindung an die Grundrechtecharta nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh dargestellt werden, wobei entsprechend dem Wortlaut zwischen der Bindung der Organe und sonstigen Stellen der Union (unter C.) sowie der Bindung der Mitgliedstaaten (unter D.) zu unterscheiden ist.

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1. Teil: Die Grundlagen der Grundrechtsbindung

B. Die Entstehung der europäischen Grundrechte und der Grundrechtecharta I. Anfänglich fehlender Bedarf europäischer Grundrechte Zu Beginn der europäischen Integration1 existierten weder geschriebene noch ungeschriebene Gemeinschaftsgrundrechte.2 Zum einen stand die wirtschaftliche Integration zu sehr im Vordergrund.3 Zum anderen wurde davon ausgegangen, dass die Gründungsverträge entsprechend dem Völkerrecht nur die Mitgliedstaaten rechtlich binden und nicht unmittelbar auf die Bürger anwendbar sind. Dementsprechend gab es für etwaige europäische Grundrechte keinen Bedarf.4 II. Notwendigkeit eines europäischen Grundrechtsschutzes In der Rechtssache van Gend & Loos aus dem Jahre 1963 begründete der EuGH die unmittelbare Anwendbarkeit des primären Gemeinschaftsrechts.5 Darauf aufbauend erkannte der EuGH 1964 in der Rechtssache Costa / ​E . N. E. L. den 1 Mit dem Begriff der europäischen Integration wird der historische Prozess bezeichnet, der zur Europäischen Union in ihrer heutigen Form geführt hat. Dieser Integrationsprozess ist nicht abgeschlossen, sondern wird mit jeder Vertragsänderung fortgeschrieben, vgl. etwa Piepenschneider, Integration, in: Bergmann, Handlexikon der EU, S. 538 ff. 2 Im Laufe der geschichtlichen Entwicklung der europäischen Grundrechte war zunächst von den Gemeinschaftsgrundrechten die Rede. Dies ergab sich daraus, dass zu Beginn der europäischen Integration nur die europäischen Gemeinschaften existierten und es um ihre Grundrechtsbindung ging. Erst mit der Existenz der Europäischen Union war dann von den Unionsgrundrechten die Rede. Die Begrifflichkeit „Unionsgrundrechte“ sollte signalisieren, dass sich die europäischen Grundrechte nicht auf die Gemeinschaften beschränken, sondern potentiell für die gesamte EU und für alle ihre damaligen Säulen gelten. Dementsprechend formuliert Art. 51 Abs. 1 GRCh auch eine Grundrechtsbindung für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen „der Union“ sowie für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des „Rechts der Union“. Seit dem Wegfall der Säulenstruktur durch den Vertrag von Lissabon kann in einem umfassenden Sinne von den Unionsgrundrechten oder den europäischen Grundrechten gesprochen werden, die grundsätzlich sowohl das Handeln in den Bereichen der ehemaligen Gemeinschaften als auch in den übrigen Bereichen erfassen; zur Terminologie vgl. auch Kühling, Grundrechte, in: v. Bogdandy / ​Bast, Europäisches Verfassungsrecht, S. 657, 661. Die Unionsgrundrechte bezeichnen dabei sowohl die geschriebenen Grundrechte der GRCh als auch die ungeschriebenen Grundrechte aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten, vgl. Art. 6 Abs. 3 EUV. Außerhalb des Abschnitts über die Entstehung der europäischen Grundrechte wird der Begriff der Unionsgrundrechte allerdings als Synonym für die Grundrechte der GRCh verwendet. 3 Rengeling / ​Szczekalla, Grundrechte in der EU, § 1 Rn. 3 f. 4 Kingreen, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 6 EUV Rn. 4; Pache, Begriff, Geltungsgrund und Rang der Grundrechte der EU, in: Heselhaus / ​Nowak, Hdb. EU-Grundrechte, § 7 Rn. 133. Zur „anfänglichen Reserviertheit des EuGH“ in Bezug auf die Grundrechte s. auch Terhechte, Konstitutionalisierung und Normativität der europäischen Grundrechte, S. 12 ff. 5 EuGH, Urt. v. 05.02.1963, Rs. 26/62, Slg. 1963, S. 3 (van Gend & Loos).

2. Kap.: Die allgemeine Bindung an die Europäische Grundrechtecharta 

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Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht an.6 Folge dieser Rechtsprechung ist, dass nicht nur das Sekundärrecht, insbesondere Verordnungen (vgl. Art. 189 Abs. 2 EWG-Vertrag, nunmehr Art. 288 Abs. 2 AEUV), in die Rechtssphäre der Mitgliedstaaten durchgreift und den Einzelnen unmittelbar erreicht, sondern auch das Primärrecht.7 Der Einzelne bekommt somit das Gemeinschaftsrecht im Sinne einer unionsrechtlichen Hoheitsgewalt „unmittelbar zu spüren“.8 Zur Mäßigung und Disziplinierung dieser europäischen Hoheitsgewalt war eine Grundrechtsbindung der damaligen EWG eine „Notwendigkeit materieller Rechtsstaatlichkeit“.9, 10 Dementsprechend erkannte der EuGH in der Rechtssache Stauder aus dem Jahr 1969 – in einer beiläufigen Formulierung11 – Grundrechte erstmals als allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts an.12 Hinsichtlich des Inhaltes der Gemeinschaftsgrundrechte orientierte sich der EuGH an den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten13 sowie an der EMRK.14 Aufgrund dieser Rechtsprechungsentwicklung enthielt später Art. F Abs. 2 Maastricht-Vertrag die Formulierung, dass die „Union […] die Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben“, achtet.15 Ein geschriebener Grundrechtskatalog existierte jedoch nicht.

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EuGH, Urt. v. 15.7.1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, S. 1251 (Costa / ​E . N. E. L.). Cremer, Funktionen der Grundrechte, in: EnzEuR, Bd. 2, § 1 Rn. 14. 8 Cremer, Funktionen der Grundrechte, in: EnzEuR, Bd. 2, § 1 Rn. 14. 9 Cremer, Funktionen der Grundrechte, in: EnzEuR, Bd. 2, § 1 Rn. 15. 10 S. auch Cremer, Funktionen der Grundrechte, in: EnzEuR, Bd. 2, § 1 Rn. 8, 11, 113. Den Zusammenhang der van Gend & Loos-Rechtsprechung mit der Notwendigkeit eines europäischen Grundrechtsschutzes ebenfalls aufzeigend, vgl. etwa Kingreen, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 51 GRCh Rn. 4; Lenaerts, EuGRZ 2015, 353 f.; Pache, Begriff, Geltungsgrund und Rang der Grundrechte der EU, in: Heselhaus / ​Nowak, Hdb. EU-Grundrechte, § 7 Rn. 132 ff. 11 Vgl. Cremer, Funktionen der Grundrechte, in: EnzEuR, Bd. 2, § 1 Rn. 10; Rengeling  / ​ Szczekalla, Grundrechte in der EU, § 1 Rn. 6, sprechen von einem „obiter dictum“. 12 EuGH, Urt. v. 12.11.1969, Rs. 29/69, Slg. 1969, S. 419, 425 Rn. 7 (Stauder); darauf aufbauend EuGH, Urt. v. 17.12.1970, Rs. 11/70, Slg. 1970, S. 1125 (Internationale Handelsgesellschaft). 13 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 13.7.1989, Rs. 5/88, Slg. 1989, S. 2609, 2639 Rn. 17 (Wachauf); vgl. auch Cremer, Funktionen der Grundrechte, in: EnzEuR, Bd. 2, § 1 Rn. 16; Papier, EuGRZ 2007, 133. 14 Zur Berücksichtigung der EMRK vgl. EuGH, Urt. v. 14.05.1974, Rs. 4/73, Slg. 1974, S. 491, 507 Rn. 13 (Nold); EuGH, Urt. v. 13.12.1979, Rs. 44/79, Slg. 1979, S. 3727, 3744 f. Rn. 15 (Hauer); EuGH, Urt. v. 27.10.1976, Rs. 130/75, Slg. 1976, S. 1589, 1598 Rn. 6 ff. (Vivien Prais); s. auch Cremer, Funktionen der Grundrechte, in: EnzEuR, Bd. 2, § 1 Rn. 17 ff. 15 Vgl. nunmehr Art. 6 Abs. 3 EUV. 7

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1. Teil: Die Grundlagen der Grundrechtsbindung

III. Anwendbarkeit europäischer Grundrechte Neben der grundsätzlichen Existenz der noch ungeschriebenen Gemeinschaftsgrundrechte stellte sich die Frage, in welchen Fallkonstellationen diese Anwendung finden. Einerseits galten die Gemeinschaftsgrundrechte für alle Stellen der Union.16 Andererseits sollten auch die Mitgliedstaaten in bestimmten Situationen an die Gemeinschaftsgrundrechte gebunden sein. Zu dieser Frage entwickelte der EuGH im Wesentlichen zwei Rechtsprechungslinien: Zum einen die Rechtsprechungslinie Wachauf, die die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Gemeinschaftsrechts an die Gemeinschaftsgrundrechte band17 und zum anderen die Rechtsprechungslinie ERT, wonach die Mitgliedstaaten bei der Einschränkung der Grundfreiheiten an die Gemeinschaftsgrundrechte gebunden waren.18 Die Mitgliedstaaten waren somit nach der Rechtsprechung des EuGH im gesamten Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts den Gemeinschaftsgrundrechten verpflichtet.19 IV. Europäische Grundrechte und fehlender Grundrechtskatalog aus Perspektive des BVerfG 1. Solange-I-Rechtsprechung Trotz steigender Bedeutung europäischer Grundrechte gab es weiterhin keinen kodifizierten Grundrechtskatalog. Aufgrund der anfänglich noch unzureichend ausdifferenzierten Rechtsprechung des EuGH in Grundrechtsfragen forderte das BVerfG im Jahre 1974 in seiner Solange I-Entscheidung einen ebensolchen Grundrechtskatalog: „Solange der Integrationsprozeß der Gemeinschaft nicht so weit fortgeschritten ist, daß das Gemeinschaftsrecht auch einen von einem Parlament beschlossenen und in Geltung stehenden formulierten Katalog von Grundrechten enthält, der dem Grundrechtskatalog des GG adäquat ist, ist nach Einholung der in Art. 177 des Vertrages [heute: Art. 267 AEUV; Anm. d. Verf.] geforderten Entscheidung des EuGH die Vorlage eines Gerichts der Bundesrepublik Deutschland an das BVerfG im Normenkontrollverfahren zulässig und geboten, wenn das Gericht die für es entscheidungserhebliche Vorschrift des Gemeinschaftsrechts in der vom EuGH gegebenen Auslegung für unanwendbar hält, weil und soweit sie mit einem der Grundrechte des GG kollidiert.“20 (Herv. d. Verf.) 16 EuGH, Urt. v. 17.12.1970, Rs. 11/70, Slg. 1970, S. 1125, 1135 Rn. 4 (Internationale Handelsgesellschaft); vgl. auch die gemeinsame Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission vom 05.04.1977, ABl. Nr. C 103 v. 27.04.1977, S. 1 Nr. 2; Schorkopf, Grundrechtsverpflichtete, in: EnzEuR, Bd. 2, § 3 Rn. 5. 17 EuGH, Urt. v. 13.07.1989, Rs. 5/88, Slg. 1989, S. 2609 (Wachauf). 18 EuGH, Urt. v. 18.06.1991, Rs. C-260/89, Slg. 1991, S. I-2925 (ERT). 19 EuGH, Urt. v. 18.06.1991, Rs. C-260/89, Slg. 1991, S. I-2925, I-2964 Rn. 42 (ERT). 20 BVerfG, NJW 1974, 1697, 1699 = BVerfGE 37, 271 (Solange I).

2. Kap.: Die allgemeine Bindung an die Europäische Grundrechtecharta 

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2. Solange-II-Rechtsprechung Erst als die Rechtsprechung des EuGH in Grundrechtsfragen eindeutiger wurde, urteilte das BVerfG 1986 in seiner Solange II-Entscheidung: „Solange die Europäischen Gemeinschaften, insbesondere die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Gemeinschaften einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generell gewährleisten, der dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im wesentlichen gleichzuachten ist, zumal den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgt, wird das BVerfG seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht, das als Rechtsgrundlage für ein Verhalten deutscher Gerichte oder Behörden im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland in Anspruch genommen wird, nicht mehr ausüben und dieses Recht mithin nicht mehr am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes überprüfen; entsprechende Vorlagen nach Art. 100 I GG sind somit unzulässig.“21

Aufgrund der mit der Zeit ausdifferenzierten Rechtsprechung des EuGH zur europäischen Grundrechtsgeltung, die nunmehr auch das BVerfG anerkannte, rückte die Kodifikation europäischer Grundrechte zwischenzeitlich in den Hinter­ grund.22 V. Die Entstehung der Grundrechtecharta Den Anstoß zur Entwicklung der Grundrechtecharta gab der Europäische Rat auf dem Kölner Gipfel vom 3. und 4. Juni 1999, indem er den Auftrag erteilte, eine ebensolche auszuarbeiten.23 Auf Grundlage dieses sogenannten „Kölner Mandats“ wurde auf dem Gipfel von Tampere ein Konvent zur Ausarbeitung dieser Charta unter dem Vorsitz von Altbundespräsident Roman Herzog eingesetzt.24 Bereits am 2. Oktober 2000 wurde ein Entwurf für die gesamte Charta fertiggestellt und dem Europäischen Rat übermittelt, der diesen Entwurf sodann auf dem informellen Gipfel von Biarritz am 13. und 14. Oktober 2000 billigte.25 Daraufhin erklärten das Europäische Parlament am 14. November 200026 und die Kommission am 6. De 21

BVerfG, NJW 1987, 577, 582 = BVerfGE 73, 399 (Solange II). Zwischenzeitlich gab es eine Entschließung des Europäischen Parlaments zur Erklärung der Grundrechte und Grundfreiheiten, ABl. Nr. C 120 v. 16.05.1989, S. 51 ff. und den sog. Herman-Entwurf einer Verfassung für die Europäische Union, der im Titel VIII die von der Union verbürgten Menschenrechte enthielt, ABl. Nr. C 61 v. 28.02.1994, S. 156, 166. Beides führte allerdings nicht zu einer Kodifikation europäischer Grundrechte. 23 Ziff. 44 f. und Anhang IV. der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Köln v. 3./4. Juni 1999, in: BullEU 6–1999, S. 7, 14 (Ziff. 44 f.) und S. 39 f. (Anhang IV.); vgl. auch Rengeling / ​Szczekalla, Grundrechte in der EU, § 1 Rn. 59. 24 Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere v. 15./16. Oktober 1999, Anlage, in: BullEU 10–1999, S. 7, 15 ff.; Rengeling / ​Szczekalla, Grundrechte in der EU, § 1 Rn. 59. 25 Rengeling / ​Szczekalla, Grundrechte in der EU, § 1 Rn. 60. 26 Beschluss des Europäischen Parlaments über die Annahme des Entwurfs der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (C5-0570/2000), ABl. Nr. C 223 v. 08.08.2001, S. 74. 22

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1. Teil: Die Grundlagen der Grundrechtsbindung

zember 2000 ebenfalls ihre Zustimmung zur Grundrechtecharta.27 Sodann wurde die Charta am 7. Dezember 2000 auf dem Gipfel von Nizza28 feierlich durch die Präsidenten des Europäischen Parlaments und der Kommission sowie durch einen Vertreter der Ratspräsidentschaft unterzeichnet29 und anschließend im Amtsblatt der EU veröffentlicht.30 Über ihre Verbindlichkeit und ihren rechtlichen Status herrschte jedoch Streit.31 Nachdem zwischenzeitlich der Entwurf eines Europäischen Verfassungsvertrages, der eine Inkorporation der Grundrechtecharta vorsah, gescheitert war, wurde ihre Rechtsverbindlichkeit erst mit dem Vertrag von Lissabon geklärt, wonach die am 12. Dezember 2007 überarbeitete und ergänzte Fassung der Grundrechtecharta32 als mit den Verträgen gleichrangig anzusehen ist, Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 EUV. Damit gilt die Grundrechtecharta nun im Range von EU-Primärrecht.33 Ihre Anwendbarkeit ist in Art. 51 GRCh geregelt, wobei zwischen der Grundrechtsbindung der EU (Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh) und derjenigen der Mitgliedstaaten (Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh) zu unterscheiden ist.34

C. Die Bindung der EU an die Grundrechtecharta nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh Nach Art. 51  Abs.  1  S.  1  Alt.  1  GRCh sind die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union an die Grundrechtecharta gebunden. Hierdurch wird eine umfassende Bindung der durch diese Stellen ausgeübten europäischen Ho 27

http://www.europarl.de/de/europa_und_sie/europa_vorstellung/grundrechtecharta.html, zuletzt abgerufen am 07.01.2017. 28 Vgl. Ziff. 2 der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Nizza v. 7. – 9. Dezember 2000, in: BullEU 12–2000, S. 8. 29 Rengeling / ​Szczekalla, Grundrechte in der EU, § 1 Rn. 62. 30 ABl. Nr. C 364 v. 18.12.2000, S. 1 ff. 31 Rengeling / ​Szczekalla, Grundrechte in der EU, § 1 Rn. 41 ff., insb. Rn. 54 ff.; § 3 Rn. 253. Sie durfte wohl nur als Rechtserkenntnisquelle herangezogen werden, vgl. Kühling, Grundrechte, in: v. Bogdandy / ​Bast, Europäisches Verfassungsrecht, S. 657, 666; Schmitz, JZ 2001, 833, 835 f. Darüber hinaus griff eine gerichtlich nicht durchsetzbare Selbstbindung der EUOrgane, s. Alber, EuGRZ 2001, 349, 350 ff.; Kühling, Grundrechte, in: v. Bogdandy / ​Bast, Europäisches Verfassungsrecht, S. 657, 666. 32 ABl. Nr. C 303 v. 14.12.2007, S. 1 ff.; ABl. Nr. C 83 v. 30.03.2010, S. 389 ff. 33 Kingreen, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 6 EUV Rn. 12. 34 Dabei ist zu beachten, dass für Großbritannien und Polen ein Zusatzprotokoll über die Anwendbarkeit der GRCh gilt, s. Protokoll über die Anwendung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union auf Polen und das Vereinigte Königreich, ABl. Nr. C 306 v. 17.12.2007, S. 156 f. Dieses Zusatzprotokoll ist nach Art. 51 EUV Bestandteil der Verträge. Es wird jedoch nicht als „opt out“ verstanden, sodass die GRCh grundsätzlich auch für Großbritannien und Polen gilt, vgl. dazu EuGH, Urt. v. 21.12.2011, verb. Rs. C-411/10 u. C-493/10, Slg. 2011, S. I-13905, I-14031 Rn. 120 f. (N. S.); Calliess, Die neue EU, S. 332 ff.; Ehlers, Allgemeine Lehren der Unionsgrundrechte, in: Ehlers, EuGR, § 14 Rn. 16; Holoubek / ​L echner / ​Oswald, in: Holoubek / ​Lienbacher, GRCh, Art. 51 Rn. 52; Jarass, in: Jarass, GRCh, Art. 51 Rn. 40; Kingreen, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 6 EUV Rn. 14; Streinz / ​Michl, in: Streinz, EUV / ​ AEUV, Art. 51 GRCh Rn. 25; Mehde, EuGRZ 2008, 269 ff.

2. Kap.: Die allgemeine Bindung an die Europäische Grundrechtecharta 

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heitsgewalt an die Grundrechtecharta bezweckt.35 Damit steht Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh in einem gewissen Gegensatz zur restriktiven Bindung der Mitgliedstaaten nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh. Während die Union umfassend an die Grundrechtecharta gebunden ist, sind es die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union.36 Die Organe der EU sind gemäß Art. 13 Abs. 1 UAbs. 2 EUV das Europäische Parlament, der Europäische Rat, der Rat, die Europäische Kommission, der Gerichtshof der EU, die EZB und der Rechnungshof.37 Unter den Einrichtungen und sonstigen Stellen sind alle weiteren Einheiten, die durch die Europäischen Verträge oder das Sekundärrecht geschaffen wurden, so beispielsweise auch die europäischen Agenturen, zu verstehen.38 Die Bindung der Union an die Grundrechtecharta gilt im Übrigen für alle ihre Aktivitäten unabhängig vom Rechtscharakter. Mithin sind sowohl Rechtsakte im Sinne des Art. 288 AEUV erfasst, als auch völkerrechtliches oder privatrechtliches Handeln der Union.39

D. Die Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechtecharta nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh Nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh sind die Mitgliedstaaten „ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union“ an die Grundrechtecharta gebunden. I. Ausgangsdefinitionen zu Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh Für den Begriff des „Unionsrechts“ und den Begriff der „Durchführung“ soll zunächst eine Ausgangsdefinition gegeben werden, die als Basis für die weiteren Untersuchungen dient.

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Schwerdtfeger, in: Meyer / ​Hölscheidt, GRCh, Art. 51 Rn. 28, 31; Jarass, in: Jarass, GRCh, Art. 51 Rn. 13. 36 Borowsky, in: Meyer, GRCh, 4. Aufl., Art. 51 Rn. 1. 37 Schwerdtfeger, in: Meyer / ​Hölscheidt, GRCh, Art. 51 Rn. 29; Jarass, in: Jarass, GRCh, Art. 51 Rn. 13. 38 S. Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. Nr. C 303 v. 14.12.2007, S. 17, 32; Schwerdtfeger, in: Meyer / ​Hölscheidt, GRCh, Art. 51 Rn. 29; Cremer, Funktionen der Grundrechte, in: EnzEuR, Bd. 2, § 1 Rn. 55, 115; Jarass, in: Jarass, GRCh, Art. 51 Rn. 13. Auf eine genaue Abgrenzung zwischen den Einrichtungen und sonstigen Stellen kommt es dabei nicht an, vgl. Frenz, Hdb. Europarecht, Bd. 4, Rn. 213. 39 Jarass, in: Jarass, GRCh, Art. 51 Rn. 14 f.; Kingreen, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 51 GRCh Rn. 5.

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1. Teil: Die Grundlagen der Grundrechtsbindung

1. Recht der Union Unter dem „Recht der Union“ im Sinne des Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh wird gemeinhin das gesamte Primärrecht, jedoch – um einen Zirkelschluss zu vermeiden – ohne die Grundrechte selbst und die in den Verträgen geregelten grundrechtsgleichen Rechte,40 sowie das gesamte Sekundär- und Tertiärrecht verstanden. Erfasst werden auch atypische Rechtsakte wie Fördermaßnahmen und Verträge.41 2. Ausschließliche Durchführung Was unter dem Aspekt der „ausschließlichen Durchführung“ des Unionsrechts zu verstehen ist, ist im Einzelnen umstritten.42 Erfasst werden jedenfalls die normative,43 administrative44 und judikative45 Durchführung des Unionsrechts.46 Um von einer Durchführung sprechen zu können, muss ein gewisser Zusammenhang zwischen dem Unionsrecht und dem mitgliedstaatlichen Handeln bestehen. Wie dieser Zusammenhang im Einzelnen beschaffen sein muss, wird zu untersuchen sein.

40 Art.  52  Abs.  2  GRCh, vgl. dazu Kingreen, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art.  52 GRCh Rn. 3 ff. 41 Borowsky, in: Meyer, GRCh, 4. Aufl., Art. 51 Rn. 26; Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 51 GRCh Rn. 14; Jarass, in: Jarass, GRCh, Art. 51 Rn. 15; Jarass, NVwZ 2012, 457, 458; Kingreen, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 51 GRCh Rn. 8. 42 Vgl. Borowsky, in: Meyer, GRCh, 4. Aufl., Art. 51 Rn. 24 ff.; Franzius, EuGRZ 2015, 139 ff.; Holoubek / ​L echner / ​Oswald, in: Holoubek / ​Lienbacher, GRCh, Art. 51 Rn. 15 ff.; ­Jarass, in: Jarass, GRCh, Art. 51 Rn. 18 ff.; Kingreen, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art.  51 GRCh Rn. 7 ff.; Ladenburger / ​Vondung, in: Stern / ​Sachs, GRCh, Art. 51 Rn. 23 ff.; Rengeling  / ​ Szczekalla, Grundrechte in der EU, § 4 Rn. 277 ff.; Schorkopf, Grundrechtsverpflichtete, in: EnzEuR, Bd. 2, § 3 Rn. 17 ff.; Streinz / ​Michl, in: Streinz, EUV / ​AEUV, Art. 51 GRCh Rn. 6 ff. 43 Gemeint ist die Durchführung durch den Erlass von Rechtsvorschriften, bspw. die Umsetzung einer Richtlinie in nationales Recht, vgl. Jarass / ​Kment, EU-Grundrechte, § 4 Rn. 12. Synonym zur normativen Durchführung wird der Begriff der legislativen Durchführung des Unionsrechts verwendet. 44 Damit ist vor allem der Erlass von Einzelfallentscheidungen gemeint, bspw. die Anwendung einer Verordnung, vgl. Jarass / ​Kment, EU-Grundrechte, § 4 Rn. 13. Synonym zur administrativen Durchführung wird der Begriff der exekutiven Durchführung des Unionsrechts verwendet. 45 Damit ist die Auslegung und Anwendung des EU-Rechts sowie des zur Umsetzung von EU-Recht ergangenen nationalen Rechts durch die Gerichte gemeint, vgl. Jarass, in: Jarass, GRCh, Art. 51 Rn. 23; aus der Rspr. vgl. etwa EuGH, Urt. v. 11.10.2007, Rs. C-117/06, DNotZ 2008, 688, 695 Rn. 78 f. 46 Borowsky, in: Meyer, GRCh, 4. Aufl., Art. 51 Rn. 27 f.; Jarass, NVwZ 2012, 457, 459 f.; Jarass / ​Kment, EU-Grundrechte, § 4 Rn. 12; Kingreen, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 51 GRCh Rn. 8; Schwerdtgeger, in: Meyer / ​Hölscheidt, GRCh, Art. 51 Rn. 50; Streinz  / ​ Michl, in: Streinz, EUV / ​AEUV, Art. 51 GRCh Rn. 7.

2. Kap.: Die allgemeine Bindung an die Europäische Grundrechtecharta 

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II. Rechtsprechung des EuGH 1. Grundsätzliche Rechtsprechungslinien Wie dargelegt, befasst sich der EuGH nicht erst seit der Existenz der Grundrechtecharta mit der Anwendung europäischer Grundrechte.47 Vielmehr wendet er seit der Rechtssache Stauder aus dem Jahre 1969 Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze an.48 Den Inhalt der Grundrechte orientierte der EuGH an den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten49 sowie an der EMRK.50, 51 Dementsprechend setzte er sich auch schon vor Geltung der Grundrechtecharta mit der Frage auseinander, wann europäische Grundrechte für die Mitgliedstaaten gelten. Daraus resultierten die bereits erwähnten zwei Rechtsprechungslinien.52 a) Rechtsprechungslinie Wachauf Dies ist zum ersten die Rechtsprechungslinie Wachauf. Darin wird eine Bindung der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte bei der „Durchführung“ von Gemeinschaftsrecht bejaht.53 Diese Situation wird gemeinhin auch als sogenannte „agency-Situation“ beschrieben,54 wobei die Mitgliedstaaten im Auftrag und Inte-

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S. oben unter B., S. 44 f. EuGH, Urt. v. 12.11.1969, Rs. 29/69, Slg. 1969, S. 419 (Stauder). 49 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 13.7.1989, Rs. 5/88, Slg. 1989, S. 2609, 2639 Rn. 17 (Wachauf); s. auch Cremer, Funktionen der Grundrechte, in: EnzEuR, Bd. 2, § 1 Rn. 16; Papier, EuGRZ 2007, 133. 50 Zur Berücksichtigung der EMRK vgl. EuGH, Urt. v. 14.05.1974, Rs. 4/73, Slg. 1974, S. 491 Rn. 13 (Nold); EuGH, Urt. v. 27.10.1976, Rs. 130/75, Slg. 1976, S. 1589, 1598 Rn. 6 ff. (Vivien Prais); EuGH, Urt. v. 13.12.1979, Rs. 44/79, Slg. 1979, S. 3727, 3744 f. Rn. 15 (Hauer); s. auch Cremer, Funktionen der Grundrechte, in: EnzEuR, Bd. 2, § 1 Rn. 17 ff. 51 Vgl. zum Ganzen auch Rengeling / ​Szczekalla, Grundrechte in der EU, § 1 Rn. 13. 52 Borowsky, in: Meyer, GRCh, 4. Aufl., Art. 51 Rn. 24; Gerkrath, Krönender Abschluss des Grundrechtsschutzes, in: Masing / ​Jestaedt / ​Capitant / ​Divellec, Strukturfragen des Grundrechtsschutzes in Europa, S. 3, 13 ff.; Kingreen, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art.  51 GRCh Rn. 7; Ladenburger / ​Vondung, in: Stern / ​Sachs, GRCh, Art. 51 Rn. 25. 53 EuGH, Urt. v. 13.7.1989, Rs. 5/88, Slg. 1989, S. 2609 (Wachauf); vgl. auch EuGH, Urt. v. 24.03.1994, Rs. C-2/92, Slg. 1994, S. I-955 (Bostock); EuGH, Urt.v. 13.04.2000, Rs. C-292/97, Slg. 2000, S. I-2737 (Karlsson); EuGH, Urt. v. 10.07.2003, verb. Rs. C-20/00 u. C-64/00, Slg. 2003, S. I-7411 (Booker Aquacultur). 54 Erstmals wohl Weiler, Fundamental Rights and Fundamental Boundaries: On Standards and Values in the Protection of Human Rights, in: Neuwahl / ​Rosas, The European Union and Human Rights, S. 51, 67 f.; Holoubek / ​L echner / ​Oswald, in: Holoubek / ​Lienbacher, GRCh, Art. 51 Rn. 18; Kühling, Grundrechte, in: v.  Bogdandy / ​Bast, Europäisches Verfassungsrecht, S. 657, 680; Ladenburger / ​Vondung, in: Stern / ​Sachs, GRCh, Art. 51 Rn. 34; Schorkopf, Grundrechtsverpflichtete, in: EnzEuR, Bd. 2, § 2 Rn. 19; Stangl, Der Anwendungsbereich der Grundrechtecharta, in: Kahl / ​Raschauer / ​Storr, Grundsatzfragen der europäischen Grundrechtecharta, S. 1, 11. 48

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1. Teil: Die Grundlagen der Grundrechtsbindung

resse der EU handeln und sich als „verlängerter Arm“55 in ihren Dienst stellen.56 Eine solche Durchführung des Rechts der Union ist in allen Bereichen staatlichen Handelns möglich, sodass eine normative, administrative und judikative Durchführung des Unionsrechts unterschieden werden kann.57 b) Rechtsprechungslinie ERT Die zweite Rechtsprechungslinie betrifft die Rechtssache ERT. Darin bejahte der EuGH eine Bindung an die Gemeinschaftsgrundrechte bei einer von den Mitgliedstaaten vorgenommenen Einschränkung der Grundfreiheiten.58 c) Exkurs: Fortbestehen der Rechtsprechungslinien? Mit der Einführung der Grundrechtecharta und der Geltung des Art. 51 GRCh scheint eine Einschränkung dieser Rechtsprechungslinien einherzugehen. So soll ausweislich des Wortlautes von Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh eine Grundrechtsbindung nunmehr „ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union“ bestehen. Damit scheint nur die Rechtsprechungslinie Wachauf, nicht aber die Rechtsprechungslinie ERT erfasst zu sein. Allerdings soll Art. 51  GRCh ausweislich der Erläuterungen zur Grundrechtecharta an die bisherigen Urteile des EuGH sowohl in der Rechtssache Wachauf als auch in der Rechtssache ERT anknüpfen und die Mitgliedstaaten binden, wenn sie im „Anwendungsbereich“ des Unionsrechts handeln.59 Diese Erläuterungen sind gemäß Art. 52 Abs. 7 GRCh für die Auslegung der Grundrechtecharta heranzuziehen.60 Es fällt eine Diskrepanz zwischen dem Wortlaut des Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh, der von der „Durchführung“ des Unionsrechts spricht, und den Erläuterungen, die vom „Anwendungsbereich“ des Unionsrechts sprechen, auf. Folglich ist strittig, ob unter Geltung des Art. 51 GRCh die Konstellation der ERT-Rechtsprechung weiterhin erfasst ist.61 Der EuGH jedenfalls sieht in Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh eine 55

Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 51 GRCh Rn. 17; Stangl, Der Anwendungsbereich der Grundrechtecharta, in: Kahl / ​Raschauer / ​Storr, Grundsatzfragen der europäischen Grundrechtecharta, S. 1, 11. 56 Ladenburger / ​Vondung, in: Stern / ​Sachs, GRCh, Art. 51 Rn. 34; Schorkopf, Grundrechtsverpflichtete, in: EnzEuR, Bd. 2, § 2 Rn. 19. 57 S. dazu auch schon oben unter D. I. 2., S. 50 mit den Fn. 43–45. 58 EuGH, Urt. v. 18.06.1991, Rs. C-260/89, Slg. 1991, S. I-2925 (ERT); vgl. auch EuGH, Urt. v. 26.06.1997, Rs. C-368/95, Slg. 1997, S. I-3689 (Familiapress); EuGH, Urt. v. 12.06.2003, Rs. C-112/00, Slg. 2003, S. I-5659, I-5715 ff. Rn. 65 ff. (Schmidberger); EuGH, Urt. v. 14.10.2004, Rs. C-36/02, Slg. 2004, S. I-9609 (Omega). 59 Erläuterungen zu Art. 51 GRCh, ABl. Nr. C 303 v. 14.12.2007, S. 32. 60 Zum Stellenwert der Erläuterungen vgl. Lenaerts, EuR 2012, 3, 16. 61 Dafür: Brosius-Gersdorf, Bindung der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte, S. 42 ff.; Jarass, in: Jarass, GRCh, Art. 51 Rn. 21; Kokott / ​Sobotta, EuGRZ 2010, 265, 269;

2. Kap.: Die allgemeine Bindung an die Europäische Grundrechtecharta 

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Bestätigung seiner bisherigen Rechtsprechung, einschließlich der ERT-Rechtsprechungslinie.62 Letztendlich kann der Streit über die Erfassung der zweiten Rechtsprechungslinie offenbleiben, da im Rahmen der operativen Einsätze der GASP und Frontex keine Grundfreiheiten eingeschränkt werden. Vielmehr stellt sich die Frage, ob dabei das Unionsrecht im Sinne der Wachauf-Rechtsprechungslinie durchgeführt wird. 2. Rechtsprechung in Bezug auf die Wachauf-Konstellation Bei der Rechtsprechung des EuGH in Bezug auf Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh in der Durchführungskonstellation der Wachauf-Rechtsprechungslinie können die Durchführung von Verordnungen, Beschlüssen und Richtlinien unterschieden werden. Entsprechend dieser Unterscheidung ist zunächst auf die Rechtsprechung des EuGH zur Grundrechtsbindung bei der Durchführung von Verordnungen einzugehen,63 zumal im Bereich von Frontex mit der Frontex-VO,64 der Seeaußen­grenzenVO65 und dem SGK66 einschlägige Verordnungen vorliegen.67 Anschließend wird untersucht, ob es vergleichbare Rechtsprechung auch für die Durchführung von Beschlüssen gibt,68 da operativen Einsätzen im Rahmen der GASP Beschlüsse zugrunde liegen.69 Es wird zu prüfen sein, ob für die GASP und Frontex an die klassische Rechtsprechung des EuGH zur Durchführung von Verordnungen und Beschlüssen angeknüpft werden kann, da die Frontex-VO, die Seeaußengrenzen-VO und der SGK sowie die Beschlüsse der GASP gegebenenfalls nicht wie „klassische“ Verordnungen bzw. Beschlüsse vollzogen werden.70 Im Anschluss an die Rechtsprechung zur Durchführung von Verordnungen und Beschlüssen wird Grabenwarter, EuGRZ 2004, 563, 564 f.; Rengeling / ​Szczekalla, Grundrechte in der EU, § 4 Rn. 295; Scheuing, EuR 2005, 162, 182 ff.; GA Sharpston, Schlussantrag vom 14.11.2013, Rs. C-390/12, BeckRS 2013, 82166, Rn. 34 ff. (Pfleger). Dagegen: Borowsky, in: Meyer, GRCh, 4. Aufl., Art. 51 Rn. 24 ff.; de Burca, ELR 26 (2001), 126, 136; Huber, NJW 2011, 2385, 2387; Kingreen, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 51 GRCh Rn. 16 ff. 62 EuGH, Urt. v. 26.02.2013, Rs. C-617/10, NVwZ 2013, 561 Rn. 18 f. (Åkerberg Fransson). 63 Unter D. II. 2. a), S. 54 f. 64 VO (EU) 2016/1624 vom 14. September 2016, ABl. Nr. L 251 v. 16.09.2016, S. 1 ff. (Frontex-VO). 65 VO (EU) Nr. 656/2014 vom 15. Mai 2014, ABl. Nr. L 189 v. 27.06.2014, S. 93 ff. (Seeaußen­ grenzen-VO). 66 VO (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex), ABl. Nr. L 77 v. 23.03.2016, S. 1 ff. 67 Zu Frontex und den dort geltenden VO vgl. ausführlich das 4. Kapitel. 68 Unter D. II. 2. b), S. 55 f. 69 Vgl. dazu ausführlich das 3. Kapitel. 70 S. dazu das 3. Kapitel, E. IV., S. 143 ff. (GASP-Beschlüsse) sowie das 4. Kapitel, E. II., S. 257 ff. (Verordnungen im Rahmen von Frontex).

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1. Teil: Die Grundlagen der Grundrechtsbindung

daher auch die Rechtsprechung zur Durchführung von Richtlinien dargestellt.71 In diesem Zusammenhang wird auf drei aktuelle Entscheidungen – Åkerberg Fransson,72 Siragusa73 und Hernandez74 – eingegangen. Dabei spielt weniger die häufig diskutierte Frage eine Rolle, wie sich nationale Grundrechte und Unionsgrundrechte bei der Durchführung von Richtlinien, insbesondere bei Umsetzungsspielräumen, gegenüberstehen.75 Vielmehr betreffen diese Entscheidungen den grundsätzlichen Zusammenhang, der zwischen dem Unionsrecht und dem nationalen Recht bestehen muss, um überhaupt von einer Durchführung des Unionsrechts sprechen zu können.76 Angesprochen ist die vertikale Reichweite der Geltung der Unionsgrundrechte und die Frage nach dem Abrisspunkt,77 ab welchem nicht mehr von der Durchführung des Unionsrechts gesprochen werden kann. Dieser grundsätzliche Zusammenhang beansprucht allgemeine Gültigkeit für die Auslegung des Begriffs der „Durchführung des Rechts der Union“ und ist damit auch für die Grundrechtsbindung im Bereich der operativen Ausführung der GASP und Frontex durch die Mitgliedstaaten von Interesse. a) Rechtsprechung zur Durchführung von Verordnungen Bereits die grundlegende Wachauf-Rechtsprechung des EuGH betraf die Konstellation der Durchführung einer Verordnung durch einen Mitgliedstaat. Dabei sieht der EuGH die Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte gebunden. Dies gelte selbst dann, wenn dem Mitgliedstaat ein Ermessensspielraum beim Vollzug der Verordnung eingeräumt wird.78 Ursache dieser Grundrechtsbindung ist, dass Verordnungen unmittelbar und mit Anwendungsvorrang vor nationalem Recht 71

Unter D. II. 2. c), S. 56 ff. EuGH, Urt. v. 26.02.2013, Rs. C-617/10, NVwZ 2013, 561 (Åkerberg Fransson). 73 EuGH, Urt. v. 06.03.2014, Rs. C-206/13, NVwZ 2014, 575 (Siragusa). 74 EuGH, Urt. v. 10.07.2014, Rs. C-198/13, EuZW 2014, 795 (Hernandez). 75 Zur diesbezüglichen parallelen („Kumulationsthese“ oder „Doppelgeltung der Grundrechte“) oder exklusiven Anwendbarkeit („Alternativitäts-“ oder „Trennungsthese“) nationaler und europäischer Grundrechte vgl. etwa Franzius, ZaöRV 75 (2015), 383, 385 ff.; Franzius, EuGRZ 2015, 139, 140; Kingreen, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 51 GRCh Rn. 10 ff.; Kingreen, JZ 2013, 801, 802 ff.; Matz-Lück, Europäische Rechtsakte und nationaler Grundrechtsschutz, in: Matz-Lück / ​Hong, Grundrechte und Grundfreiheiten im Mehrebenensystem, S. 161, 184 ff., 188 ff.; Ohler, NVwZ 2013, 1433, 1437; Thym, NVwZ 2013, 889, 891 ff. 76 Allerdings besteht zwischen den beiden Fragen ein Zusammenhang. Je großzügiger von einer Durchführung des Unionsrechts gesprochen wird, desto eher stellt sich auch die Frage, inwiefern parallel zu den Unionsgrundrechten auch nationale Grundrechte Anwendung finden. 77 Cremer, Funktionen der Grundrechte, in: EnzEuR, Bd. 2, § 1 Rn. 137. 78 EuGH, Urt. v. 13.07.1989, Rs. 5/88, Slg. 1989, S. 2609, 2639 f. Rn. 17 ff. (Wachauf); EuGH, Urt. v. 15.02.1996, Rs. C-63/93, Slg. 1996, S. I-569, I-610 Rn. 29 (Duff); EuGH, Urt. v. 14.07.1994, Rs. C-351/92, Slg. 1994, S. I-3361, I-3379 Rn. 17 (Graff); EuGH, Urt. v. 13.04.2000, Rs. C-292/97, Slg. 2000, S. I-2737, I-2774 Rn. 37 (Karlsson); EuGH, Urt. v. 20.06.2002, Rs. C-313/99, Slg. 2002, S. I-5719, I-5764 f. Rn. 33 ff. (Mulligan); vgl. auch Cremer, Funktionen der Grundrechte, in: EnzEuR, Bd. 2, § 1 Rn. 129, 132 ff. 72

2. Kap.: Die allgemeine Bindung an die Europäische Grundrechtecharta 

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gelten.79 Die Mitgliedstaaten sind somit bei der Durchführung von Verordnungen funktional eine Stelle der Union und übernehmen für sie den Vollzug des Unionsrechts im Sinne der sogenannten agency-Situation. Dabei wird auch von einem unmittelbaren indirekten Vollzug des Unionsrechts gesprochen.80 Der Vollzug von EU-Verordnungen durch die Mitgliedstaaten als indirekter Vollzug des Unionsrechts ist folglich die klassische Konstellation der Durchführung des Unionsrechts im Sinne von Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh. Mithin sind die Mitgliedstaaten bei einem solchen Vollzug gemäß Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh an die Unionsgrundrechte gebunden. b) Rechtsprechung zur Durchführung von Beschlüssen Bei Beschlüssen ist hinsichtlich der Adressaten zu differenzieren. Beschlüsse, die an ein bestimmtes privates innerstaatliches Rechtssubjekt gerichtet sind, wirken wie Verordnungen unmittelbar.81 Der Unterschied zu Verordnungen besteht vor allem darin, dass Verordnungen abstrakt-generell gefasst sind,82 während an Private gerichtete Beschlüsse mit einem Verwaltungsakt verglichen werden können.83 Wird ein solcher Beschluss von einem Mitgliedstaat vollzogen, ähnelt die Situation derjenigen beim Vollzug von Verordnungen: Die Mitgliedstaaten sind funktional eine Stelle der Union im Sinne der agency-Situation. Folglich sind an Private gerichtete Beschlüsse in Bezug auf die Grundrechtsbindung mit Verordnungen vergleichbar, sodass bei der Durchführung dieser Beschlüsse eine Grundrechtsbindung nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh besteht.84 An Staaten gerichtete Beschlüsse erzielen demgegenüber nur dann unmittelbare Wirkung zugunsten Dritter, wenn die durch den Beschluss auferlegte Verpflichtung klar und eindeutig ist, von keiner Bedingung abhängt und dem Adressaten keinen Ermessensspielraum hinsichtlich der Umsetzung belässt.85 Nur in diesem 79

Zur unmittelbaren Geltung und zum Anwendungsvorrang einer Verordnung vgl. Nettes­ heim, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  288 AEUV Rn.  101 f.; Ruffert, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art.  288 AEUV Rn.  20. 80 Zu den Formen des Vollzuges vgl. Haratsch / ​Koenig / ​Pechstein, Europarecht, Rn. 470 f. Unmittelbar ist der Vollzug, weil Verordnungen unmittelbar anwendbar sind. Ein indirekter Vollzug liegt aufgrund des mitgliedstaatlichen Verwaltungsvollzuges vor. 81 Nettesheim, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  288 AEUV Rn.  188 f. 82 Ruffert, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 16. 83 Ruffert, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 91. 84 Insofern orientiert sich der Vollzug von Beschlüssen an der Rechtsprechung des EuGH zum Vollzug von Verordnungen, vgl. Cremer, Funktionen der Grundrechte, in: EnzEuR, Bd. 2, § 1 Rn. 141; Nowak, Grundrechtsberechtigte und Grundrechtsadressaten, in: Heselhaus / ​Nowak, Hdb. EU-Grundrechte, § 9 Rn. 31; Nowak, Europäisches Verwaltungsrecht und Grundrechte, in: Terhechte, VerwR der EU, § 14 Rn. 94; Rengeling / ​Szczcekalla, Grundrechte in der EU, § 4 Rn. 318. 85 Nettesheim, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  288 AEUV Rn.  189.

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1. Teil: Die Grundlagen der Grundrechtsbindung

Fall ähnelt die Durchführung der Beschlüsse der Durchführung von Verordnungen, sodass auch hierbei eine Unionsgrundrechtsbindung besteht.86 Ansonsten erfordern an Staaten gerichtete Beschlüsse Umsetzungsmaßnahmen, wie es auch bei der Durchführung von Richtlinien der Fall ist. Dementsprechend kommt es diesbezüglich nur unter den gleichen Voraussetzungen wie bei einer Richtliniendurchführung zu einer Unionsgrundrechtsbindung.87, 88 c) Rechtsprechung zur Durchführung von Richtlinien Bei der Durchführung von Richtlinien lassen sich zwei Fragen der Grundrechtsbindung trennen. Zum einen ist fraglich, wann die Durchführung einer Richtlinie vorliegt und wie eng dafür der Zusammenhang mit dem Unionsrecht, d. h. der Richtlinie, sein muss. Zum anderen stellt sich die Frage, ob die Unionsgrundrechte nur bei der Umsetzung von zwingenden Richtlinienvorgaben gelten, oder auch dann, wenn den Mitgliedstaaten ein Umsetzungsspielraum eingeräumt wurde. Für die Untersuchung der hier aufgeworfenen Frage nach der Grundrechtsbindung im Bereich der GASP und Frontex ist vor allem die erste Frage von höchster Relevanz. So können aus dem notwendigen Zusammenhang zwischen dem Unionsrecht und dem mitgliedstaatlichen Handeln Rückschlüsse auf die Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten im Bereich der GASP und Frontex gezogen werden. aa) Rechtssache Åkerberg Fransson Mit der Frage, wann die Mitgliedstaaten das Recht der Union durchführen, befasste sich der EuGH in der viel beachteten89 Rechtssache Åkerberg Fransson.90 Herr Åkerberg Fransson machte dem schwedischen Fiskus für die Steuerjahre 2004 und 2005 unter anderem falsche Angaben in Bezug auf die Mehrwertsteuer, sodass dem Staat hohe Steuereinnahmen verloren gingen. Infolgedessen erhielt 86

Rengeling / ​Szczcekalla, Grundrechte in der EU, § 4 Rn. 318. Rengeling / ​Szczcekalla, Grundrechte in der EU, § 4 Rn. 318; zur Grundrechtsbindung bei Durchführung von Richtlinien s. sogleich. 88 Einschlägige Rechtsprechung des EuGH zur Durchführung von Beschlüssen ist selten. Aus nationaler Perspektive vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 17.02.2000, 2 BvR 1210/98, NJW 2000, 2015, das die von der Kommission im Wege einer Entscheidung (heute: Beschluss) angeordnete Rückforderung unionsrechtswidriger Beihilfen nicht am nationalen Verfassungsrecht misst, da diese unionsrechtlich determiniert ist. 89 Vgl. etwa Dannecker, JZ 2013, 616 ff.; Frenzel, Der Staat 53 (2014), 1 ff.; Geiß, DÖV 2014, 265 ff.; Gstrein / ​Z eitzmann, ZEuS 2013, 239 ff.; Hahn, EWS 2015, 15 ff.; Kadelbach, KritV 2013, 226 ff.; Kingreen, EuR 2013, 446 ff.; Lange, NVwZ 2014, 169 ff.; Ohler, NVwZ 2013, 1433 ff.; Rabe, NJW 2013, 1407 ff.; Safferling, NStZ 2014, 545 ff.; Scholz, DVBl. 2014, 197 ff.; Stotz, in: FS Dauses, S. 409 ff.; Streinz, in: FS Dauses, S. 429 ff.; Thym, NVwZ 2013, 889 ff.; Thym, DÖV 2014, 941 ff.; Winter, NZA 2013, 473 ff. 90 EuGH, Urt. v. 26.02.2013, Rs. C-617/10, NVwZ 2013, 561 ff. (Åkerberg Fransson). 87

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er für diese Jahre einen Bescheid über Steuernachzahlungen. Zudem wurde Herr Fransson aufgrund derselben Tat wegen Steuerhinterziehung in einem schweren Fall angeklagt. Das Gericht stand nun vor der Frage, ob die Anklage gegen Herrn Fransson unzulässig ist, da dieser bereits durch die zu zahlenden Steuerzuschläge belangt wurde und damit ein Verstoß gegen Art. 50 GRCh und den darin verankerten „ne-bis-in-idem“-Grundsatz vorliegen könnte. Deshalb legte das Gericht dem EuGH diese Frage zur Vorabentscheidung vor. Das Urteil weckt nicht wegen der Vorlagefrage als solcher, sondern vor allem wegen der Ausführungen des EuGH in Bezug auf die Anwendbarkeit der Grundrechtecharta das Interesse. Der EuGH verwies zunächst auf Art. 51 Abs. 1 GRCh, der den Anwendungsbereich der Charta definiert. Danach gilt die Grundrechtecharta für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. In dieser Formulierung sowie in den Erläuterungen zur Charta sieht der EuGH eine Bestätigung seiner bisherigen Rechtsprechungslinien, wonach die Unionsgrundrechte in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, aber nicht außerhalb derselben Anwendung finden.91 Folglich seien „keine Fallgestaltungen denkbar, die vom Unionsrecht nicht erfasst würden, ohne dass die Grundrechte anwendbar wären. Die Anwendbarkeit des Unionsrechts umfasst die Anwendbarkeit der durch die Charta garantierten Grundrechte. Wird dagegen eine rechtliche Situation nicht vom Unionsrecht erfasst, ist der Gerichtshof nicht zuständig, um über sie zu entscheiden, und die möglicherweise angeführten Bestimmungen der Charta können als solche keine neue Zuständigkeit begründen“.92

Obwohl weder das Strafverfahren noch die Rechtsgrundlagen für die Steuer­ zuschläge unmittelbar unionsrechtlich determiniert waren, bejahte der EuGH eine Durchführung von Unionsrecht.93 Den notwendigen Zusammenhang sah er in der Mehrwertsteuerrichtlinie94 sowie in Art. 4 Abs. 3 EUV und Art. 325 AEUV. Die festgesetzten Sanktionen und das eingeleitete Strafverfahren standen unter anderem in Zusammenhang mit falschen Mitteilungen betreffend die Mehrwertsteuer. Aus der Mehrwertsteuerrichtlinie gehe in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EUV hervor, dass die Abführung der geschuldeten Mehrwertsteuer sichergestellt und Betrug bekämpft werden müsse.95 Mittel aus Mehrwertsteuereinnahmen werden dabei auch dem Haushalt der Union zur Verfügung gestellt. Art. 325 AEUV bestimmt, dass ein Staat alle rechtswidrigen Handlungen bekämpfen muss, die sich gegen die finanziellen Interessen der Union richten.96 Dies werde letztlich durch die festgesetzten Sanktionen und das Strafverfahren erreicht. Damit sei eine Durchführung

91

EuGH, Urt. v. 26.02.2013, Rs. C-617/10, NVwZ 2013, 561 f. Rn. 18 ff. (Åkerberg ­Fransson). EuGH, Urt. v. 26.02.2013, Rs. C-617/10, NVwZ 2013, 561, 562 Rn. 21 f. (Åkerberg ­Fransson). 93 EuGH, Urt. v. 26.02.2013, Rs. C-617/10, NVwZ 2013, 561, 562 Rn. 27 f. (Åkerberg ­Fransson). 94 RL 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ABl. Nr. L 347 v. 11.12.2006, S. 1 ff. 95 EuGH, Urt. v. 26.02.2013, Rs. C-617/10, NVwZ 2013, 561, 562 Rn. 25 (Åkerberg ­Fransson). 96 EuGH, Urt. v. 26.02.2013, Rs. C-617/10, NVwZ 2013, 561, 562 Rn. 26 (Åkerberg Fransson). 92

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1. Teil: Die Grundlagen der Grundrechtsbindung

der Mehrwertsteuerrichtlinie und des Art. 325 AEUV – mithin eine Durchführung von Unionsrecht – gegeben.97 bb) Rechtssache Siragusa In der Rechtssache Siragusa98 befasste sich der EuGH ebenfalls mit der Frage, wann die Mitgliedstaaten Unionsrecht durchführen und damit an die Grundrechtecharta gebunden sind. Vor einem italienischen Gericht hat der Eigentümer einer sich in einem sizilianischen Landschaftsschutzgebiet befindlichen Liegenschaft geklagt. An der Liegenschaft hatte er bauliche Änderungen vorgenommen, für die er eine nachträgliche Baugenehmigung beantragte. Der Kläger wurde aufgefordert, die baulichen Änderungen zurückzubauen, da diese zu einer Volumenvergrößerung führten und es deshalb nach italienischem Recht auch nicht auf eine etwaige Landschaftsverträglichkeit ankomme. Gegen diese Rückbauanordnung wandte sich der Kläger im gerichtlichen Verfahren. Das Gericht legte dem EuGH im Vorabentscheidungsverfahren die Frage vor, ob eine nationale Regelung, die eine nachträgliche Genehmigung ohne Prüfung der Landschaftsverträglichkeit nur aufgrund einer Volumenvergrößerung ausschließt, mit dem in Art. 17 GRCh verankerten Eigentumsrecht und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu vereinbaren sei. Der EuGH verneinte die Anwendbarkeit der Grundrechtecharta. Diese gilt nach Art. 51 Abs. 1 GRCh für die Mitgliedstaaten nur bei der Durchführung des Rechts der Union. Hiernach habe der Gerichtshof „im Lichte der Charta das Unionsrecht in den Grenzen der der Union übertragenen Zuständigkeiten zu prüfen“.99 Zwar bestehe ein Zusammenhang mit dem Unionsrecht, da der Landschaftsschutz Teil des Umweltschutzes sei und der Umweltschutz unionsrechtlich geregelt ist. Der Begriff der Durchführung des Rechts der Union verlange jedoch „einen hinreichenden Zusammenhang von einem gewissen Grad […], der darüber hinausgeht, dass die fraglichen Sachbereiche benachbart sind oder der eine von ihnen mittelbare Auswirkungen auf den anderen haben kann. […] Um festzustellen, ob eine nationale Regelung die Durchführung des Rechts der Union iSv Art. 51 der Charta betrifft, ist ua zu prüfen, (1) ob mit ihr eine Durchführung einer Bestimmung des Unionsrechts bezweckt wird, (2) welchen Charakter diese Regelung hat und (3) ob mit ihr nicht andere als die unter das Unionsrecht fallenden Ziele verfolgt werden, selbst wenn sie das Unionsrecht mittelbar beeinflussen kann, sowie ferner, (4) ob es eine Regelung des Unionsrechts gibt, die für diesen Bereich spezifisch ist oder ihn beeinflussen kann […]. 97

EuGH, Urt. v. 26.02.2013, Rs. C-617/10, NVwZ 2013, 561, 562 Rn. 27 (Åkerberg Fransson). EuGH, Urt. v. 06.03.2014, Rs. C-206/13, NVwZ 2014, 575 ff. (Siragusa). 99 EuGH, Urt. v. 06.03.2014, Rs. C-206/13, NVwZ 2014, 575, 576 Rn. 20 (Siragusa). 98

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Der Gerichtshof hat insbesondere festgestellt, dass die Grundrechte der Union im Verhältnis zu einer nationalen Regelung unanwendbar sind, wenn die unionsrechtlichen Vorschriften in dem betreffenden Sachbereich keine Verpflichtungen der Mitgliedstaaten im Hinblick auf den im Ausgangsverfahren fraglichen Sachverhalt schaffen […].“100 (Herv. und Nummerierung d. Verf.)

Diesen Zusammenhang sah der EuGH nicht gegeben. Ferner führte er aus: „Überdies ist dem Ziel des Grundrechtsschutzes im Unionsrecht Rechnung zu tragen, das darin besteht, sicherzustellen, dass die Grundrechte in den Tätigkeitsbereichen der Union nicht verletzt werden, sei es infolge von Handlungen der Union oder infolge der Durchführung des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten. Die Verfolgung dieses Ziels liegt in der Notwendigkeit begründet, zu verhindern, dass der Grundrechtsschutz, der je nach dem betreffenden nationalen Recht unterschiedlich sein kann, den Vorrang, die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigt […]. Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich jedoch nicht, dass ein solches Risiko in der vorliegenden Sache im Ausgangsverfahren besteht.“101

Mithin war der Anwendungsbereich der Grundrechtecharta nicht eröffnet. cc) Rechtssache Hernandez Die Rechtssache Hernandez102 betraf die Auslegung einer Richtlinie über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers und den in Art. 20 GRCh verankerten Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Kläger fochten die Kündigungen ihrer Arbeitsverhältnisse an, wobei die Kündigungen für nichtig erklärt wurden. Allerdings meldete der Arbeitgeber zwischenzeitlich Insolvenz an. Nun sollte der spanische Staat unter anderem ab dem 60. Werktag nach Erhebung der Kündigungsschutzklagen bis zum Zeitpunkt der Zustellung des die Nichtigkeit der Kündigung feststellenden Urteils die Höhe des in diesem Zeitraum fälligen Arbeitsentgeltes übernehmen. Dies konnte nach spanischem Recht nur bei rechtswidrigen, nicht aber bei nichtigen Kündigungen geschehen, weshalb die Zahlung abgewiesen wurde. Im Rechtsstreit gegen die Abweisung dieser Zahlung legte das Gericht dem EuGH die Frage vor, ob diese Ungleichbehandlung von rechtswidrigen und nichtigen Kündigungen gegen Art. 20 GRCh verstoße. Der EuGH hatte sich folglich mit der Frage zu befassen, ob Art. 20 GRCh anwendbar ist, was sich wiederum nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh und der Frage nach der Durchführung von Unionsrecht durch die Mitgliedstaaten richtete. Insofern kam eine Durchführung der Richtlinie RL 2008/94/EG zum Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers in Betracht.103 Der EuGH griff 100

EuGH, Urt. v. 06.03.2014, Rs. C-206/13, NVwZ 2014, 575, 576 Rn. 24 ff. (Siragusa). EuGH, Urt. v. 06.03.2014, Rs. C-206/13, NVwZ 2014, 575, 576 f. Rn. 31 f. (Siragusa). 102 EuGH, Urt. v. 10.07.2014, Rs. C-198/13, EuZW 2014, 795 ff. (Hernandez). 103 ABl. Nr. L 283 v. 28.10.2008, S. 36 ff. 101

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1. Teil: Die Grundlagen der Grundrechtsbindung

dabei die Formulierung aus der Rechtssache Siragusa auf und forderte für die Durchführung des Rechts der Union im Sinne des Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh „das Vorliegen eines Zusammenhangs zwischen einem Unionsrechtsakt und der fraglichen nationalen Maßnahme […], der darüber hinausgeht, dass die fraglichen Sachbereiche benachbart sind oder der eine von ihnen mittelbare Auswirkungen auf den anderen haben kann […]. Der EuGH hat insbesondere festgestellt, dass die Grundrechte der Union im Verhältnis zu einer nationalen Regelung unanwendbar sind, wenn die unionsrechtlichen Vorschriften in dem betreffenden Sachbereich keine bestimmten Verpflichtungen der Mitgliedstaaten im Hinblick auf den im Ausgangsverfahren fraglichen Sachverhalt schaffen […].[…] Daher kann allein der Umstand, dass eine nationale Maßnahme in einen Bereich fällt, in dem die Union über Zuständigkeiten verfügt, sie nicht in den Geltungsbereich des Unionsrechts bringen und somit zur Anwendbarkeit der Charta führen […]. Um festzustellen, ob eine nationale Maßnahme die Durchführung des Rechts der Union iSv Art. 51 I der Charta betrifft, ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH unter anderem zu prüfen, (1) ob mit der fraglichen nationalen Regelung die Durchführung einer Bestimmung des Unionsrechts bezweckt wird, (2) welchen Charakter diese Regelung hat und (3) ob mit ihr andere als die unter das Unionsrecht fallenden Ziele verfolgt werden, selbst wenn sie das Unionsrecht mittelbar beeinflussen kann, sowie ferner, (4) ob es eine Regelung des Unionsrechts gibt, die für diesen Bereich spezifisch ist oder ihn beeinflussen kann […].“104 (Herv. und Nummerierung d. Verf.)

Nach Ansicht des EuGH verfolgt die RL 2008/94 mit einem Mindestschutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers einen anderen Zweck als die durch den Staat ab einer längeren Prozessdauer als 60 Werktage vorzunehmende Entgeltfortzahlung. Letztere soll den Arbeitnehmer nicht vor der Insolvenz des Arbeitgebers, sondern vor der Prozessdauer schützen.105 Abschließend weist der EuGH wie auch schon in der Rechtssache Siragusa darauf hin, „dass die Verfolgung des Ziels des Grundrechtsschutzes im Unionsrecht, sei es im Hinblick auf Handlungen der Union oder die Durchführung des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten, in der Notwendigkeit begründet liegt, zu verhindern, dass der Grundrechtsschutz, der je nach dem betreffenden nationalen Recht unterschiedlich sein kann, die Einheit, den Vorrang und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigt […].“106

Eine solche Beeinträchtigung sah der EuGH als nicht gegeben an. Mithin war Art. 20 GRCh nicht anwendbar, da keine Durchführung von Unionsrecht durch die Mitgliedstaaten vorlag.107

104

EuGH, Urt. v. 10.07.2014, Rs. C-198/13, EuZW 2014, 795, 796 f. Rn. 34 ff. (Hernandez). EuGH, Urt. v. 10.07.2014, Rs. C-198/13, EuZW 2014, 795, 797 Rn. 41 (Hernandez). 106 EuGH, Urt. v. 10.07.2014, Rs. C-198/13, EuZW 2014, 795, 798 Rn. 47 (Hernandez). 107 EuGH, Urt. v. 10.07.2014, Rs. C-198/13, EuZW 2014, 795, 798 Rn. 48 (Hernandez). 105

2. Kap.: Die allgemeine Bindung an die Europäische Grundrechtecharta 

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3. Ergebnis In Bezug auf die Durchführungskonstellation der Wachauf-Rechtsprechungslinie lässt sich eine eindeutige Rechtsprechung nur im Bereich der Durchführung von Verordnungen und Beschlüssen feststellen. Hinsichtlich der Durchführung von Richtlinien variiert die Rechtsprechung stark, was sich exemplarisch an der extensiven Åkerberg-Fransson-Rechtsprechung und den restriktiven Entscheidungen in den Rechtssachen Siragusa und Hernandez zeigt. Im Rahmen der nun folgenden Kapitel zur Grundrechtsbindung der GASP und Frontex wird zu untersuchen sein, inwiefern die dargestellten Grundsätze zu Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh, insbesondere die Rechtsprechungsansätze, auf die GASP und Frontex übertragen werden können.

2. Teil

Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex 3. Kapitel

Die Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik A. Einleitung Das Kapitel zur allgemeinen Bindung an die Europäische Grundrechtecharta hat verdeutlicht, dass hinsichtlich der Grundrechtsbindung zwischen den Organen und sonstigen Stellen der Union sowie den Mitgliedstaaten zu differenzieren ist. Um die Frage nach der Grundrechtsbindung der GASP beantworten zu können, ist deshalb zunächst die GASP zu untersuchen und herauszuarbeiten, inwiefern hierbei Organe und sonstige Stellen der Union sowie die Mitgliedstaaten beteiligt sind. Die Analyse der GASP ist dabei nicht nur für die Subsumtion unter Art. 51 GRCh von Relevanz, sondern auch im Hinblick auf den Strukturvergleich mit Frontex. Sie soll der Verifizierung der These dienen, dass die operativen Einsätze im Rahmen der GASP und bei Frontex einer einheitlichen Struktur unionskoordinierten operativen Handelns folgen, was zu einer vergleichbaren Grundrechtsbindung führt. Dafür ist eine strukturelle Analyse des Zusammenspiels von Mitgliedstaaten und Unionsebene im Bereich der GASP notwendig (unter B.). Im Anschluss daran kann auf die entsprechende Grundrechtsbindung eingegangen werden, wobei zunächst ein genereller Ausschluss und eine generelle Anwendbarkeit der Grundrechtecharta zu diskutieren sind (unter C.). Sodann kann die jeweilige Grundrechtsbindung der beteiligten EU-Organe nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh (unter D.) und der Mitgliedstaaten nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh (unter E.) untersucht und einem Ergebnis (unter F.) zugeführt werden.

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik 

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B. Strukturelle Analyse des Zusammenspiels von Mitgliedstaaten und Unionsebene im Bereich der GASP I. Begriffsbestimmungen Bevor mit der Strukturanalyse begonnen werden kann, müssen zunächst drei Begriffe definiert werden, die für die Untersuchung der GASP eine bedeutende Rolle spielen.1 1. Supranationalität Der Begriff „Supranationalität“ bedeutet grundsätzlich Überstaatlichkeit2 und wird vor allem im Zusammenhang mit der Europäischen Union und dem Unionsrecht verwendet.3 Damit wird eine neue Rechtskategorie beschrieben, welche neben die Kategorie des innerstaatlichen Rechts und des Völkerrechts tritt.4 Freilich ist strittig, ob das supranationale Europarecht systematisch noch dem Völkerrecht zugeordnet werden kann5 oder ob es eine eigenständige Rechtskategorie6 bildet.7 Für die bloße Begriffsklärung der Supranationalität ist dieser Streit jedoch unerheblich. Als innerstaatliches Recht werden Gesetze und andere Rechtsakte bezeichnet, die von den jeweiligen Staaten selbst erlassen wurden. Solche Rechtsakte wirken grundsätzlich nur innerhalb des jeweiligen Staates8 und können mittels exekutiver und judikativer Gewalt durchgesetzt werden.9 1 Die Begrifflichkeiten tauchen auch außerhalb dieses Kapitels auf. Dabei kann auf die hier gegebenen Definitionen zurückgegriffen werden. 2 Hoppe, Supranationalität, in: Bergmann, Handlexikon der EU, S. 917. 3 Niedobitek, Vertragliche Grundlagen, rechtliche Gestalt, Institutionen der Union, in: Niedobitek, Grundlagen der Union, § 1 Rn. 129 f.; Schroeder, Europarecht, § 5 Rn. 3; zu Wandlungen des Begriffs der Supranationalität vgl. Zuleeg, Integration 3 (1988), 103 ff. 4 Stichwort „Supranationalität“, in: Duden, Recht von A–Z. 5 So die „Traditionalisten“, vgl. etwa Bleckmann, DÖV 1978, 391 ff.; Kempen, AVR 35 (1997), 273, 275 ff.; Dörr, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  47 EUV Rn.  78. 6 So die „Autonomisten“, vgl. etwa Oppermann / ​Classen / ​Nettesheim, Europarecht, § 9 Rn. 5 ff.; Ruffert / ​Walter, Institutionalisiertes Völkerrecht, Rn. 99. 7 Vgl. dazu Dörr, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art. 47 EUV Rn. 77 f. m. w. N.; Streinz, Europarecht, Rn. 125 ff.; beachte auch den Wandel in der Rechtsprechung des EuGH: Während der EuGH, Urt. v. 05.02.1963, Rs. 26/62, Slg. 1963, S. 3, 25 (van Gend & Loos) noch davon spricht, dass „die Gemeinschaft eine neue Rechtsordnung des Völkerrechts darstellt“ (Herv. d. Verf.), geht nun der EuGH, Urt. v. 15.07.1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, S. 1251, 1269 (Costa / ​E . N. E. L.) davon aus, dass „der EWG-Vertrag eine eigene Rechtsordnung geschaffen“ (Herv. d. Verf.) habe. 8 Dies ist Ausdruck der Gebietshoheit der jeweiligen Staaten, vgl. Epping, Der Staat als die „Normalperson“ des Völkerrechts, in: Ipsen, Völkerrecht, § 7 Rn. 59 ff., 69. Gleichwohl ist eine extraterritoriale Rechtsanwendung völkerrechtlich zulässig, vgl. Epping, Der Staat als die „Normalperson“ des Völkerrechts, in: Ipsen, Völkerrecht, § 7 Rn. 69 ff. Dabei ist zwischen dem „sachlichen Anwendungsbereich“ und dem „räumlichen Geltungsbereich“ einer

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Das Völkerrecht erfasst als Sammelbegriff die Rechtsverhältnisse zwischen Staaten, internationalen Organisationen und anderen Völkerrechtssubjekten.10 Kennzeichnend für das Völkerrecht ist, dass in Bezug auf Staaten zwischen einer Bindung im Außenverhältnis und einer Wirkung im Innenverhältnis zu unterscheiden ist. Mit Abschluss des völkerrechtlichen Vertrages ist der vertragsschließende Staat grundsätzlich im Außenverhältnis gebunden.11 Die Rechtswirkung im Staate selbst richtet sich nach dem innerstaatlichen Recht und ist von Staat zu Staat unterschiedlich.12 Für die Bundesrepublik Deutschland sieht das BVerfG im Zustimmungsgesetz nach Art. 59  Abs.  2  S.  1  GG den entsprechenden innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehl,13 sodass die „normative Bindung des völkerrechtlichen Vertrages“ den Rang des Zustimmungsgesetzes teilt.14 Damit gelten völkerrechtliche Verträge im Range eines einfachen Bundesgesetzes.15 Das Völkerrecht ist somit 9

staatlichen Rechtsnorm zu unterscheiden, Epping, Der Staat als die „Normalperson“ des Völkerrechts, in: Ipsen, Völkerrecht, § 7 Rn. 70. Während der sachliche Anwendungsbereich die von einer Regelung erfassten Sachverhalte umschreibt, legt der räumliche Geltungsbereich das Gebiet fest, in dem die Regelungen durch die Rechtsprechung angewendet und durch die vollziehende Gewalt durchgesetzt werden können, Epping, Der Staat als die „Normalperson“ des Völkerrechts, in: Ipsen, Völkerrecht, § 7 Rn. 70. Extraterritoriale Rechtsanwendung, beispielsweise im internationalen Finanzmarktrecht (vgl. §§ 1 Abs. 2, 31 Abs. 10, § 37i WpHG), bedeutet nun, „dass ein Staat Fälle regelt, die außerhalb seines Territoriums stattfinden, auch wenn er die Folgen dieser Rechtsanwendung im Ausland nicht mit Hoheitsgewalt durchsetzen kann“, sodass der Anwendungsbereich den Geltungsbereich übersteigt, Lehmann, in: MünchKommBGB, Internationales Finanzmarktrecht, Rn. 115. Ausnahmsweise können Hoheitsakte auch außerhalb des eigenen Territoriums vorgenommen werden, bspw. im Rahmen von Verwaltungszessionen, vgl. Epping, Der Staat als die „Normalperson“ des Völkerrechts, in: Ipsen, Völkerrecht, § 7 Rn. 62 ff. 9 Vgl. Herdegen, Völkerrecht, § 1 Rn. 15. 10 Herdegen, Völkerrecht, § 1 Rn. 4; Hobe, Völkerrecht, S. 8. 11 Hobe, Völkerrecht, S. 191 f. In der Regel wird jedoch eine Ratifikationsklausel in den Vertrag aufgenommen, sodass der Vertrag erst mit der Ratifikation in Kraft tritt und Bindungswirkung entfaltet. 12 Vgl. Herdegen, Völkerrecht, § 22 Rn. 5 ff. 13 BVerfG, NJW 1994, 2207, 2213 = BVerfGE 90, 286; BVerfG, NJW 2002, 1559 = BVerfGE 104, 151; BVerfG, NVwZ 2007, 1039, 1040 = BVerfGE 118, 244. 14 Pieper, in: Epping / ​Hillgruber, BeckOK GG, Art. 59 Rn. 43. 15 Nettesheim, in: Maunz / ​Dürig, GG, Art. 59 Rn. 184. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Bund die Gesetzgebungskompetenz für den Inhalt des völkerrechtlichen Vertrages inne hat. Regelt der völkerrechtliche Vertrag Inhalte, die in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder fallen, bedarf es nach h. M. neben dem Zustimmungsgesetz des Bundes für die innerstaatliche Rechtswirkung auch eines entsprechenden Landesgesetzes, vgl. Fastenrath / ​Groh, in: Friauf / ​Höfling, Berliner-Kommentar GG, Art. 59 Rn. 99; Jarass, in: Jarass / ​ Pieroth, GG, Art. 32 Rn. 10; Nettesheim, in: Maunz / ​Dürig, GG, Art. 32 Rn. 60 ff. Zum Erlass dieses Gesetzes sind die Länder aufgrund des Grundsatzes der Bundestreue verpflichtet, sofern ihr Einverständnis vor dem Abschluss des völkerrechtlichen Vertrages eingeholt wurde, vgl. Grzeszick, in: Maunz / ​Dürig, GG, Art. 20, IV Rn. 129; Jarass, in: Jarass / ​Pieroth, GG, Art. 32 Rn. 10; Rojahn, in: v. Münch / ​Kunig, GG, Art. 32 Rn. 55. Ob der Rang des völkerrechtlichen Vertrages in diesem Falle dennoch dem eines Bundesgesetzes entspricht, ist umstritten, dafür: Nettesheim, in: Maunz / ​Dürig, GG, Art. 59 Rn. 185; dagegen: Fastenrath / ​Groh, in: Friauf / ​ Höfling, Berliner-Kommentar GG, Art. 59 Rn. 108.

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik 

65

in seiner Wirkung und in der Durchsetzung von den vertragsschließenden Staaten abhängig. Es fehlt an einer zentralen, das Völkerrecht durchsetzenden Gewalt.16 Einer supranationalen Organisation liegt im Ausgangspunkt auch ein völkerrechtlicher Vertrag zugrunde, wobei sich mehrere Mitgliedstaaten völkervertraglich zusammenschließen und eine internationale Organisation gründen.17 Kennzeichnend für eine supranationale Organisation ist nun, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen des Wirkungsbereichs der Organisation auf die Ausübung nationaler Hoheitsrechte in erhöhtem Maße verzichten, d. h. ihren ausschließlichen Herrschaftsanspruch zurücknehmen und die nationale Rechtsordnung zugunsten der internationalen Organisation öffnen.18 In diesem Zusammenhang wird auch von einer „Übertragung von Hoheitsrechten“ auf die internationale Organisation gesprochen.19 Angesichts der Rücknahme des staatlichen Herrschaftsanspruchs und der damit einhergehenden Öffnung der staatlichen Rechtsordnung zugunsten der internationalen Organisation wird der Begriff der „Übertragung“ von Hoheitsrechten jedoch als „missglückt“ empfunden.20 Unter Zugrundelegung des soeben dargelegten Verständnisses ist mit dieser Begrifflichkeit keine konstitutive Übertragung verbunden, die einen Rechtsverlust bei den Mitgliedstaaten zur Folge hätte, sondern vielmehr eine bloße Wahrnehmungsübertragung zugunsten der internationalen Organisation, sodass Hoheitsrechte mit dem Ausscheiden aus der Organisation oder deren Auflösung wieder in die Wahrnehmungskompetenz der Mitgliedstaaten zurückfallen.21 Unter den in diesem Sinne „übertragenen“ Hoheitsrechten sind dabei die „vertraglich eingeräumten Befugnisse“ der internationalen Organisation „zum Erlass von Rechtssätzen und Einzelfallregelungen“ zu verstehen, die sich unmittelbar an die Rechtssubjekte und Rechtsanwendungsorgane der staatlichen Rechtsordnungen richten.22 Für die selbständige Ausübung dieser Befugnisse werden eigene, in der Regel von den Mitgliedstaaten unabhängige, Organe geschaffen23 und es muss regelmäßig keine Einstimmigkeit zwischen den Mitgliedstaaten hergestellt werden. Die im Rahmen der „übertragenen“ Hoheitsrechte von den Organen der internationalen Organisation erlassenen Rechtsakte können damit mangels Einstimmigkeitserfordernis im Zweifel auch gegen den Willen ein 16

Herdegen, Völkerrecht, § 1 Rn. 15. Vgl. in Bezug auf die EU Dörr, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  47 EUV Rn. 77. 18 Vgl. etwa BVerfG, NJW 1974, 1697, 1698 = BVerfGE 37, 271 (Solange I); BVerfG, NJW 1982, 507, 508 = BVerfGE 58, 1 (Eurocontrol); BVerfG, NJW 1987, 577, 579 = BVerfGE 73, 339 (Solange II); Haratsch / ​Koenig / ​Pechstein, Europarecht, Rn. 122. 19 Vgl. etwa Haratsch / ​Koenig / ​Pechstein, Europarecht, Rn. 122 sowie Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 24 Abs. 1 GG. 20 V. Heinegg, in: Epping / ​Hillgruber, BeckOK GG, Art. 23 Rn. 21. 21 Scholz, in: Maunz / ​Dürig, GG, Art. 23 Rn. 67, der diesbezüglich von einer „Übertragung zur ‚supranationalen‘ Wahrnehmung“ spricht. 22 Scholz, in: Maunz / ​Dürig, GG, Art. 23 Rn. 65. 23 In der EU sind dies beispielsweise die Kommission und der EuGH. Dies schließt die Schaffung von Organen, an welchen die Mitgliedstaaten beteiligt sind, freilich nicht aus, vgl. etwa Rat und Europäischer Rat in der EU. 17

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

zelner Mitgliedstaaten ergehen. Diese Rechtsakte gelten unmittelbar in und für die Mitgliedsstaaten und bedürfen keiner Transformation in nationales Recht.24 Sofern die betreffende Bestimmung hinreichend genau und unbedingt ist, sind die Rechtsakte auch unmittelbar anwendbar, d. h. können ohne weitere Konkretisierung im Einzelfall angewendet werden.25 Zudem genießt das supranationale Recht unter der Voraussetzung, dass das Recht der internationalen Organisation unmittelbar anwendbar ist, auch Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht.26 Dieses Recht kann die supranationale Organisation mittels eines Gerichtshofes gegenüber den Mitgliedstaaten durchsetzen.27 Der Begriff der Supranationalität soll diese beschriebene Organisationsstruktur zum Ausdruck bringen. Ist von einer Supranationalisierung die Rede, so ist der Prozess gemeint, der auf die Schaffung einer solchen supranationalen Organisations­ struktur gerichtet ist. 2. Intergouvernementalität Der Begriff der „Intergouvernementalität“ ist das Antonym zur Supranationalität. Intergouvernementalität im klassischen Sinne bezeichnet die Zusammenarbeit zwischen Regierungen. Im Gegensatz zur Supranationalität sind keine Entscheidungen gegen den Willen einer Regierung und damit eines beteiligten Staates möglich. Intergouvernementale Zusammenarbeit ist vom Einstimmigkeitsprinzip und damit von der Notwendigkeit zur Herstellung eines Konsenses geprägt. Es werden keine Hoheitsrechte auf gemeinsame Organe übertragen.28 Nach dieser Definition sind völkerrechtliche Verträge und die völkerrechtliche Zusammenarbeit zwischen Staaten intergouvernemental im klassischen Sinne. So ist ein völkerrechtlicher Vertrag bzw. eine völkerrechtliche Zusammenarbeit nur möglich, wenn zwei oder mehrere Staaten den entsprechenden Vertrag schließen bzw. zusammenarbeiten wollen.29 24 Sog. unmittelbare Geltung, vgl. Haratsch / ​Koenig / ​Pechstein, Europarecht, Rn. 199. Der Grund der Transformationsunbedürftigkeit ist dabei im nationalen Recht zu sehen, beispielsweise im Zustimmungsgesetz zur Errichtung der supranationalen Organisation, welches zugleich den innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehl für die von der supranationalen Organisation erlassenen Rechtsakte enthält. 25 Synonym zur „unmittelbaren Anwendbarkeit“ wird die Bezeichung „unmittelbare Wirkung“ verwendet, vgl. Haratsch / ​Koenig / ​Pechstein, Europarecht, Rn. 387. 26 Zur Unterscheidung der Begrifflichkeiten „unmittelbare Geltung“, „unmittelbare Anwend­ barkeit“ und „Anwendungsvorrang“, vgl. Haratsch / ​Koenig / ​Pechstein, Europarecht, Rn. 199. 27 Zu den soeben genannten Merkmalen einer supranationalen Organisation vgl. Niedobi­ tek, Vertragliche Grundlagen, rechtliche Gestalt, Institutionen der Union, in: Niedobitek, Grundlagen der Union, § 1 Rn. 129 f.; Schroeder, Europarecht, § 5 Rn. 3; s. auch Ipsen, in: FS Scheuner, S. 211 ff. 28 Grupp, Intergouvernementale Zusammenarbeit, in: Bergmann, Handlexikon der EU, S. 547. 29 Grupp, Intergouvernementale Zusammenarbeit, in: Bergmann, Handlexikon der EU, S. 547.

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik 

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Der Begriff der Intergouvernementalität wird aber auch verwendet, um innerhalb einer an sich supranationalen Organisation Bereiche zu beschreiben, in denen die Merkmale der Supranationalisierung nicht oder nur in geringem Umfang anzutreffen sind und es deshalb in verstärktem Maße auf alle Mitgliedstaaten und deren wechselseitige Koordinierung ankommt. In diesem Fall haben die Mitgliedstaaten das Heft des Handelns in der Hand und es kann keine Entscheidung gegen ihren Willen getroffen werden.30 Es kann folglich von intergouvernementalen Bereichen oder Tendenzen in einer an sich supranationalen Organisation gesprochen werden. Dem Begriff der Intergouvernementalität liegt somit keine einheitliche Definition zugrunde. Im Folgenden wird der Begriff wie folgt verwendet: Ist die Zusammenarbeit zwischen Regierungen außerhalb einer supranationalen Organisation gemeint, wird von klassischer Intergouvernementalität gesprochen. Wird nur von Intergouvernementalität gesprochen, sind darunter intergouvernementale Bereiche oder Tendenzen innerhalb einer an sich supranationalen Organisation zu verstehen.31 3. Souveränität Souveränität ist ein wesentliches Element der Staatsgewalt32 und damit notwendiger Bestandteil eines Staates,33 der nach herkömmlicher Definition aus den drei Elementen „Staatsgewalt“, „Staatsgebiet“ und „Staatsvolk“ besteht.34 Hinsichtlich der Souveränität ist die innere und äußere Souveränität zu unterscheiden. Innere Souveränität bedeutet „Verfassungsautonomie“, d. h. die Befugnis, eine Ordnung auf dem Staatsgebiet zu organisieren.35 Dies beinhaltet die durch die Verfasstheit legitimierte Möglichkeit, Macht auszuüben und letztverbindliche Entscheidungen innerhalb des Staates zu treffen.36

30

Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 40 EUV Rn. 6; Dörr, in: Grabitz / ​Hilf / ​ Nettesheim, EUV / ​AEUV, Art. 40 EUV Rn. 2. 31 Vereinzelt wird die Verwendung des Begriffs der Intergouvernementalität mit dem Argument kritisiert, dass es an einer Definition des Begriffes fehle, vgl. etwa Semrau, Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, S. 168 f. Mit der hier vorgenommenen Definition wird dieser Kritik vorgebeugt. 32 Epping, Der Staat als die „Normalperson“ des Völkerrechts, in: Ipsen, Völkerrecht, § 7 Rn. 138. 33 Herdegen, Völkerrecht, § 28 Rn. 1. 34 Epping, Der Staat als die „Normalperson“ des Völkerrechts, in: Ipsen, Völkerrecht, § 7 Rn. 1. Ausführlich zur Definition des Staates im völkerrechtlichen Sinn, vgl. 4. Kapitel, B. II. 1. a), S. 199 ff. Die Definition des Staates durch die drei Elemente „Staatsgewalt“, „Staatsgebiet“ und „Staatsvolk“ geht auf Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 394 ff. zurück. 35 Epping, Der Staat als die „Normalperson“ des Völkerrechts, in: Ipsen, Völkerrecht, § 7 Rn. 137. 36 Hoppe, Souveränität, in: Bergmann, Handlexikon der EU, S. 856 f.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Äußere Souveränität bedeutet ein selbständiges und unabhängiges Handeln im Rahmen des Völkerrechts.37 Dabei untersteht der Staat allein dem Völkerrecht und keiner anderen staatlichen Rechtsordnung.38 Völkervertragliche Verpflichtungen beeinträchtigen dabei die Souveränität nicht.39 Sie sind vielmehr Ausfluss souveränen staatlichen Handelns.40 Auch die Öffnung der eigenen Rechtsordnung zugunsten internationaler Organisationen durch eine Zurücknahme des staatlichen Herrschaftsanspruchs und eine in diesem Sinne verstandene „Hoheitsrechtsübertragung“ – etwa zugunsten der EU – sind Ausfluss staatlicher Souveränität.41 Erst wenn sich Staaten von der Öffnung der eigenen Rechtsordnung und der Zurücknahme des eigenen Herrschaftsanspruchs nicht mehr einseitig lösen können, wird die äußere Souveränität zumindest teilweise aufgegeben.42 Selbst von der EU, zugunsten derer die Mitgliedstaaten in verstärktem Umfang ihre Rechtsordnungen öffnen und auf den eigenen Herrschaftsanspruch verzichten, können sich die Mitgliedstaaten etwa durch einen EU-Austritt43 einseitig lösen. Somit bleiben die Mitgliedstaaten, die im Übrigen als „Herren der Verträge“44 über die EU-Verträge disponieren können, weiterhin im Besitz ihrer unein­geschränkten Souveränität. Fraglich ist jedoch, ob die Souveränität eines Staates bei jeder Öffnung der Rechtsordnung zugunsten einer internationalen Organisation gewahrt bleibt, oder ob es diesbezüglich Kernbestandteile gibt, die der Öffnung der staatlichen Rechtsordnung nicht bzw. nur unter gleichzeitiger Souveränitätsbeschränkung zugänglich sind. Während es nach herkömmlichem Verständnis unabdingbare Grundelemente staatlicher Souveränität, wie etwa die Währungshoheit oder eine eigene Außenund Verteidigungspolitik, gab,45 liegt dem neueren Verständnis eine „bilanzierende Gesamtbetrachtung“ zugrunde, die auch den Machtzuwachs durch die Teilhabe an vergemeinschafteten Kompetenzen, beispielsweise im Rahmen der EU, berück-

37

Epping, Der Staat als die „Normalperson“ des Völkerrechts, in: Ipsen, Völkerrecht, § 7 Rn. 137. 38 Epping, Der Staat als die „Normalperson“ des Völkerrechts, in: Ipsen, Völkerrecht, § 7 Rn. 138. 39 Epping, Der Staat als die „Normalperson“ des Völkerrechts, in: Ipsen, Völkerrecht, § 7 Rn. 138. 40 Vgl. Herdegen, Völkerrecht, § 28 Rn. 3. 41 Vgl. Epping, Der Staat als die „Normalperson“ des Völkerrechts, in: Ipsen, Völkerrecht, § 7 Rn. 138. 42 Vgl. Epping, Der Staat als die „Normalperson“ des Völkerrechts, in: Ipsen, Völkerrecht, § 7 Rn. 138. 43 Vgl. Art. 50 EUV. 44 BVerfG, NJW 1993, 3047, 3052 = BVerfGE 89, 155 (Maastricht); BVerfG, NJW 2009, 2267, 2271 Rn. 231 u. 235, 2276 Rn. 271, 2280 Rn. 298, 2284 Rn. 334= BVerfGE 134, 267 (Lissabon); vgl. ferner Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 48 EUV Rn. 19 ff. 45 Herdegen, Völkerrecht, § 28 Rn. 1.

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik 

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sichtigt.46 So fordert auch das BVerfG zur Wahrung der Souveränität „nicht, dass eine von vornherein bestimmbare Summe oder bestimmte Arten von Hoheitsrechten in der Hand des Staates bleiben müssten“.47 Gleichwohl formuliert das BVerfG, dass trotz dieses Verständnisses den Mitgliedstaaten ein integrationsfester Raum zur politischen Gestaltung verbleiben muss. Zu diesen „wesentlichen Bereichen demokratischer Gestaltung“ gehören beispielsweise das „zivile und militärische Gewaltmonopol“ und „die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Eingriffstatbestände“.48 Wird im Folgenden von einer Beeinträchtigung bzw. Beschränkung staatlicher Souveränität oder einer souveränitätsempfindlichen Materie gesprochen, so ist damit zwar keine Aufgabe der Souveränität in dem soeben definierten Sinne gemeint. Es soll jedoch zum Ausdruck gebracht werden, dass die betroffene Materie nach dem „herkömmlichen Verständnis […] zu den Grundelementen staatlicher Souveränität“ gehört49 und eine Öffnung der staatlichen Rechtsordnung zugunsten der internationalen Organisation in diesem Bereich für die Mitgliedstaaten besonders einschneidend ist. II. Historische Entstehung und Entwicklung der GASP Die GASP wurde und wird in besonderem Maße durch den europäischen Integrationsprozess geprägt.50 Grund hierfür dürfte sein, dass im Bereich der Außenund Sicherheitspolitik die eigenen politischen Interessen der Mitgliedstaaten besonders ausgeprägt sind und deshalb um diesbezügliche Kompetenzen verstärkt gerungen wird.51 Insofern bewegt sich die GASP in einem Spannungsfeld zwischen mitgliedstaatlichen Eigeninteressen und gemeinsamen Unionsinteressen.52 Für ein umfassendes Verständnis der GASP und der sich daran anschließenden Frage nach der Grundrechtsbindung sowie für den Strukturvergleich mit Frontex ist es daher notwendig, die aktuelle Funktionsweise vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung zu reflektieren.53 Dabei liegt der Fokus unter anderem auf der frühe 46

Herdegen, Völkerrecht, § 28 Rn. 7. BVerfG, NJW 2009, 2267, 2273 Rn. 248 = BVerfGE 134, 267 (Lissabon). 48 BVerfG, NJW 2009, 2267, 2274 Rn. 249 = BVerfGE 134, 267 (Lissabon). 49 Herdegen, Völkerrecht, § 28 Rn. 1. 50 S. dazu die nachfolgenden Ausführungen. Mit dem Begriff der europäischen Integration wird der historische Prozess bezeichnet, der zur Europäischen Union in ihrer heutigen Form geführt hat. Dieser Integrationsprozess ist nicht abgeschlossen, sondern wird mit jeder Vertragsänderung fortgeschrieben, vgl. etwa Piepenschneider, Integration, in: Bergmann: Handlexikon der EU, S. 538 ff. 51 Vgl. Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 40 EUV Rn. 5; Dörr, in: Grabitz / ​ Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  40 EUV Rn.  3. 52 V. Arnauld, Das System der Europäischen Außenbeziehungen, in: EnzEuR, Bd. 10, § 1 Rn. 42; Regelsberger / ​Kugelmann, in: Streinz, EUV / ​AEUV, Art. 24 EUV Rn. 8. 53 Zur Sichtweise der GASP „im Kontext der Entwicklung der außenpolitischen Kooperation“ s. auch Cremer, EuGRZ 2004, 587, 589 f. 47

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

ren Einbettung der GASP in das sogenannte Drei-Säulen-Modell54 sowie auf der Entwicklung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP). Die Analyse der GASP in diesem Zusammenhang ist vor allem deshalb von Relevanz, da mit dem Vertrag von Lissabon zwar grundsätzlich eine Abkehr vom Drei-­ Säulen-Modell stattgefunden hat,55 die heutige Funktionsweise der GASP jedoch noch unter dem Einfluss dieses Modells steht. Die historische Betrachtung der GASP ermöglicht ferner den Vergleich mit der historischen Entstehung und Entwicklung von Frontex und schärft den Blick für die Bedenken der Mitgliedstaaten hinsichtlich einer Supranationalisierung operativer Befugnisse. Es wird sich zeigen, dass diese Bedenken von zentraler Bedeutung für die lediglich koordinierende Rolle der EU bei operativen Maßnahmen sind. 1. Erste Ansätze nach 1945 Die historische Entstehung und Entwicklung der GASP geht auf den Beginn der europäischen Integration56 zurück. Die Weltgemeinschaft und insbesondere der europäische Kontinent befanden sich nach dem zweiten Weltkrieg in einem Umbruch. Die europäischen Staaten standen vor einem wirtschaftlichen Wiederaufbau. Gleichzeitig verschärfte sich der Ost-West-Konflikt, der schließlich in den Kalten Krieg mündete.57 Europa und insbesondere das sich teilende Deutschland standen im Zentrum dieses aufkeimenden Konfliktes. Vor diesem Hintergrund und vor dem Hintergedanken, das Wiedererstarken einer einzelnen Nation zu Lasten anderer zu verhindern, reifte bei den europäischen Staaten das Streben nach einer engeren Verbindung zwischen den einzelnen Nationalstaaten.58 Einen ersten Anstoß diesbezüglich gab die „Rede an die akademische Jugend“ Winston Churchills am 19. September 1946 an der Universität Zürich. Für den Neuaufbau und die Schaffung von Freiheit, Sicherheit und Frieden müsse eine Art „Vereinigte Staaten von Europa“ errichtet werden.59 Churchills Rede enthielt diesbezüglich allerdings keine konkreten Vorstellungen. Vielmehr formulierte er

54 Mit dem Drei-Säulen-Modell wurde die Struktur der Europäischen Union unter den Verträgen von Maastricht, Amsterdam und Nizza beschrieben. S. dazu die Ausführungen unter B. II. 10. a), S. 79. 55 Calliess, Die neue EU, S. 80 f.; Thym, Außenverfassungsrecht, in: Pernice, Der Vertrag von Lissabon, S. 173, 174. 56 Zum Begriff der europäischen Integration s. oben Fn. 205. 57 Calliess, Die neue EU, S. 16; Stern, Der Weg zur politischen Union Europas, in: Liber Amicorum Thomas Oppermann, S. 143. 58 Calliess, Die neue EU, S. 16; Stern, Der Weg zur politischen Union Europas, in: Liber Amicorum Thomas Oppermann, S. 143, 144. 59 Churchill, Rede am 19. September 1946 in Zürich, auszugsweise abgedruckt in: Auswärtiges Amt, Europa. Dokumente zur Frage der Europäischen Einigung, S. 84 f.; s. auch EA 1946/47, S. 179.

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik 

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eine allgemeine politische Vision zur Sicherung des Friedens in Europa.60 Dies sollte freilich ohne Beteiligung Großbritanniens erfolgen, das nur als „Freund[…] und Förderer des neuen Europas“ fungieren sollte.61 2. Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) Konkreter war der von Robert Schuman am 9. Mai 1950 vorgestellte und von Jean Monnet erarbeitete Plan zur Vergemeinschaftung der Kohle- und Stahlindustrie.62 Dieser sogenannte Schuman-Plan mündete im April 1951 in den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS)63 der am 23. Juli 1952 in Kraft trat.64 Mitgliedsländer waren Frankreich, Deutschland, die Benelux-Staaten und Italien.65 Zur Realisierung der Ziele der EGKS wurde eine „Hohe Behörde“ geschaffen, deren Aufgabe es war, „in voller Unabhängigkeit im allgemeinen Interesse der Gemeinschaft“ zu handeln.66 Diese Behörde konnte Entscheidungen erlassen, Empfehlungen aussprechen oder Stellungnahmen abgeben.67 Ferner wurde ein Rat geschaffen, in den jeder Staat ein Mitglied seiner Regierung entsandte.68 Daneben gab es die sogenannte Versammlung, die aus Vertretern der Völker der Mitgliedstaaten bestand.69 Es wurde zudem ein Europäischer Gerichtshof gegründet.70 Durch die Schaffung der Hohen Behörde, die im gemeinsamen Interesse handelte, und des Gerichtshofs sind deutliche supranationale Elemente im Recht der EGKS erkennbar.71 Hintergedanke des Schuman-Plans war es, die kriegswichtige Kohle- und Stahlindustrie dem nationalen Einfluss zu entziehen.72 Die EGKS hatte damit durch 60

Calliess, Die neue EU, S. 16. Churchill, Rede am 19. September 1946 in Zürich, auszugsweise abgedruckt in: Auswärtiges Amt, Europa. Dokumente zur Frage der Europäischen Einigung, S. 84, 85; vgl. auch Glöckler-Fuchs, Institutionalisierung der europäischen Außenpolitik, S. 69. 62 Robert Schuman, Regierungserklärung vom 9. Mai 1950, in: P. Fontaine, Eine neue Ordnung für Europa. Vierzig Jahre Schuman-Plan (1950–1990), S. 46 ff. und in: Auswärtiges Amt, Europa. Dokumente zur Frage der Europäischen Einigung, S. 301 ff. 63 Vertrag vom 18. April 1951 über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, BGBl. 1952 II, S. 445 ff. 64 BGBl. 1952 II, S. 978 ff. 65 Calliess, Die neue EU, S. 17 f. 66 Art. 9 V EGKS-Vertrag. 67 Art. 14 EGKS-Vertrag. 68 Art. 27 EGKS-Vertrag. 69 Art. 20 EGKS-Vertrag. 70 Art. 31 ff. EGKS-Vertrag. 71 Calliess, Die neue EU, S. 18; Glöckler-Fuchs, Institutionalisierung der europäischen Außenpolitik, S. 78; Stern, Der Weg zur politischen Union Europas, in: Liber Amicorum Thomas Oppermann, S. 143, 146. 72 Stern, Der Weg zur politischen Union Europas, in: Liber Amicorum Thomas Oppermann, S. 143, 146; Vedder, Die neue GASP, in: Giegerich, Herausforderungen und Perspektiven der EU, S. 105, 107. 61

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

die Bündelung der Kohle- und Stahlindustrie zwar einerseits eine industrielle und damit wirtschaftliche Komponente, andererseits war der damit verbundene Hintergedanke politischer Natur. Durch die Vergemeinschaftung der kriegswichtigen Industrien sollte ein Krieg in Europa zukünftig verhindert werden.73 Dies wird besonders in der Präambel des EGKS-Vertrages deutlich. So war man „entschlossen, an die Stelle der jahrhundertealten Rivalitäten einen Zusammenschluß […] zu setzen, durch die Errichtung einer wirtschaftlichen Gemeinschaft den ersten Grundstein für eine weitere und vertiefte Gemeinschaft unter Völkern zu legen, die lange Zeit durch blutige Auseinandersetzungen entzweit waren, und die institutionellen Grundlagen zu schaffen, die einem nunmehr allen gemeinsamen Schicksal die Richtung weisen können“.74

Es zeigt sich, dass bereits der Gründung der EGKS über die wirtschaftliche Integration hinausgehende außen- und sicherheitspolitische Elemente innewohnten. 3. Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) und Europäische Politische Gemeinschaft (EPG) Die außen- und sicherheitspolitische Integration sollte durch die Errichtung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) und einer Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) weiter fortschreiten. Die EVG geht auf einen Vorschlag des französischen Ministerpräsidenten René Pleven zurück und sollte eine eigene europäische Streitmacht schaffen.75 Mitaus­ löser für die Pläne zur Schaffung der EVG dürfte einerseits die Koreakrise von 1950 gewesen sein, dem ersten Stellvertreterkrieg im Rahmen des Kalten Krieges.76 Andererseits dürfte aber auch die von den Amerikanern begrüßte Wiederbewaffnung Deutschlands entscheidend gewesen sein. Denn damit war für die anderen europäischen Staaten die Frage verbunden, wie eine solche Wiederbewaffnung in einem kontrollierten Umfeld stattfinden kann.77

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Glöckler-Fuchs, Institutionalisierung der europäischen Außenpolitik, S. 77; Hallstein, Der Schuman-Plan, S. 26; Stern, Der Weg zur politischen Union Europas, in: Liber Amicorum Thomas Oppermann, S. 143, 147; Vedder, Die neue GASP, in: Giegerich, Herausforderungen und Perspektiven der EU, S. 105, 108. 74 Präambel EGKS-Vertrag, BGBl. 1952 II, S. 448. 75 Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Pleven vom 24.10.1950, in: Auswärtiges Amt, Europa. Dokumente zur Frage der Europäischen Einigung, S. 341 ff. und in: AdG 1950, 2644 f.; s. auch Vedder, Die neue GASP, in: Giegerich, Herausforderungen und Perspektiven der EU, S. 105, 108. 76 Calliess, Die neue EU, S. 19; Glöckler-Fuchs, Institutionalisierung der europäischen Außenpolitik, S. 79; Kuhn, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 6. 77 Glöckler-Fuchs, Institutionalisierung der europäischen Außenpolitik, S. 80; Kuhn, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 6; Stern, Der Weg zur politischen Union Europas, in: Liber Amicorum Thomas Oppermann, S. 143, 148.

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik 

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Der Vertrag zur Errichtung der EVG wurde am 27. Mai 1952 unterzeichnet.78 Allerdings lehnte die französische Nationalversammlung 1954 dessen Ratifizierung ab.79 Grund für die Ablehnung war, dass eine solch weitgehende Supranationalisierung unter Einschränkung der nationalen Souveränität letztlich doch noch nicht gewollt war.80 Damit scheiterte der EVG-Vertrag. Parallel zu den Bestrebungen zur Errichtung der EVG gab es die Idee zur Gründung einer supranationalen Organisation in Form der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG).81 Durch sie sollte eine ganzheitliche europäische Integration erreicht werden, die sowohl wirtschaftliche als auch außen- und sicherheitspolitische Aspekte erfasst.82 Mit dem Scheitern der EVG wurde jedoch auch die EPG hinfällig.83 Das Scheitern der EVG und der EPG markiert eine gewisse Zäsur im europäischen Integrationsprozess. Bis dahin war alles auf die Schaffung einer ganzheitlichen politischen und wirtschaftlichen Einheit ausgerichtet. Mit dem Scheitern der EVG und EPG verlor der außen- und sicherheitspolitische Integrationsprozess zunächst an Bedeutung. Die militärische Zusammenarbeit der europäischen Staaten wurde durch die Westeuropäische Union (WEU) erreicht.84 Die Bundesrepublik Deutschland trat sodann 1954/55 der NATO bei.85 Die WEU hatte eine enge Anbindung an die NATO, sodass sich die militärische Zusammenarbeit zunächst außerhalb der eigentlichen europäischen Integration vollzog.86 Eine Zusammenarbeit der späteren EU mit der WEU und eine Einbeziehung der WEU in den europäischen Integrationsprozess fand erst ab dem Vertrag von Maastricht statt.87

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Vertrag über die Gründung der europäischen Verteidigungsgemeinschaft vom 27. Mai 1952, BGBl. 1954 II, S. 343; Vedder, Die neue GASP, in: Giegerich, Herausforderungen und Perspektiven der EU, S. 105, 108 f. 79 Vedder, Die neue GASP, in: Giegerich, Herausforderungen und Perspektiven der EU, S. 105, 110. 80 Calliess, Die neue EU, S. 19; zu den politischen Hintergründen vgl. auch Noack, Das Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. 81 Vgl. den Entwurf zu einem Vertrag über die Satzung der Europäischen Politischen Gemeinschaft vom 10. März 1952, abgedruckt in: Siegler, Dokumentation der Europäischen Integration, Bd. 1, S. 73 ff. 82 Vedder, Die neue GASP, in: Giegerich, Herausforderungen und Perspektiven der EU, S. 105, 109 f. 83 Glöckler-Fuchs, Institutionalisierung der europäischen Außenpolitik, S. 83. 84 Zur WEU vgl. Gerteiser, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, S. 29 ff. 85 BGBl. 1955 II, S. 256; BGBl. 1955 II, S. 630. 86 Gerteiser, Sicherheits- und Verteidugungspolitik der EU, S. 29 ff.; Stern, Der Weg zur politischen Union Europas, in: Liber Amicorum Thomas Oppermann, S. 105, 148; Vedder, Die neue GASP, in: Giegerich, Herausforderungen und Perspektiven der EU, S. 105, 110. 87 Vgl. dazu Art. J.4 Nr. 2 Maastricht-Vertrag und unter B. II. 10. d) aa), S. 81 f.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

4. Die Römischen Verträge Der europäische Integrationsprozess verfolgte nun vor allem die wirtschaftliche Integration. Im Jahre 1957 wurden die sogenannten Römischen Verträge geschlos­ sen, wodurch die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG)88 sowie die Europäische Atomgemeinschaft (EAG oder Euratom)89 geschaffen wurden. Inhalt des EWG-Vertrages war die Errichtung eines gemeinsamen Marktes, einer Zollunion sowie die Entwicklung gemeinsamer Politiken in den Bereichen Handel, Landwirtschaft und Verkehr.90 Die gemeinsamen Politiken hatten allesamt eine wirtschaftliche Ausrichtung. Eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik war nicht vorhanden. Der Euratom-Vertrag sollte die Atomindustrie europäisieren und sicherstellen, dass die Kernenergie in Europa zivil genutzt wird.91 Mitgliedstaaten der EWG und Euratom waren dieselben wie bei der EGKS.92 In der EWG wurden mit dem Ministerrat93 und der Europäischen Kommission94 die Organe geschaffen, die es auch heute noch in mehr oder weniger unveränderter Form gibt.95 Die beratende Versammlung96 und der EuGH97 existierten bereits im Rahmen der EGKS und wurden nun von allen drei Gemeinschaften, d. h. EGKS, EWG und Euratom, gemeinsam genutzt. Durch die nun drei europäischen Gemeinschaften schritt der Prozess der Supra­ nationalisierung voran. Aus dem Dargestellten ergibt sich jedoch, dass der Supranationalisierungsprozess vor allem die wirtschaftliche Dimension erfasste. Konkrete außen- und sicherheitspolitische Aspekte blieben aus diesem Prozess ausgeklammert. Dies zeigt, wie sensibel außen- und sicherheitspolitische Aspekte für die einzelnen Mitgliedstaaten sind. In diesem Bereich sind sie ungern zu einer Souveränitätsbeschränkung bereit.98

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EWG-Vertrag, BGBl. 1957 II, S. 766 ff. Euratom-Vertrag, BGBl. 1957 II, S. 1014 ff. 90 Vgl. Art. 3 EWG-Vertrag; Calliess, Die neue EU, S. 20. 91 Vgl. Präambel Euratom-Vertrag, BGBl. 1957 II, S. 1014, 1018. 92 Deutschland, Frankreich, Italien und die Benelux-Staaten. 93 Art. 145 ff. EWG-Vertrag. 94 Art. 155 ff. EWG-Vertrag. 95 Calliess, Die neue EU, S. 20. 96 Art. 137 ff. EWG-Vertrag. Diese wurde später das Europäische Parlament. 97 Art. 164 ff. EWG-Vertrag. 98 Vgl. auch Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 40 EUV Rn. 5 und Dörr, in: Nettesheim, EUV / ​AEUV, Art. 40 EUV Rn. 3, die hinsichtlich der Außen- und Sicherheitspolitik von einer „souveränitätsempfindlichen Materie“ sprechen. 89

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik 

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5. Fusionsvertrag und fortschreitende Supranationalisierung Die drei europäischen Gemeinschaften hatten anfangs  – mit Ausnahme der Versammlung und des Gerichtshofes, die den Gemeinschaften von Anfang an gemeinsam waren – noch jeweils eigene Organe. Mit dem Fusionsvertrag von 196599 wurde ein gemeinsamer Rat und eine gemeinsame Kommission für alle drei Gemeinschaften gebildet, sodass die Gemeinschaften nun auch insoweit über einheitliche gemeinsame Organe verfügten.100 Dies war ein weiterer Schritt zur Bildung einer homogenen supranationalen Organisation. Diese fortschreitende Supranationalisierung wurde durch wegweisende Urteile des EuGH in den Sechzigerjahren flankiert. So entschied der EuGH im Jahre 1963 in der Rechtssache van Gend & Loos, dass eine Norm aus dem EWG-Vertrag unmittelbare Wirkung für den Einzelnen entfalten kann.101 1964 folgte die Entscheidung in der Rechtssache Costa / ​E . N. E. L. zum Vorrang des Gemeinschaftsrechts gegenüber nationalem Recht.102 Die Supranationalisierung schritt damit weiter voran. 6. Intergouvernementale Gegenbewegung und Fouchet-Pläne Doch diese schnelle Integration stieß auch auf Skepsis. Charles de Gaulle propagierte bereits 1960 ein „Europa der Vaterländer“ das weniger auf Supranationalisierung angelegt war, sondern vielmehr auf Intergouvernementalität basierte.103 Auf Initiative von de Gaulle wurde 1961 von den Regierungschefs eine Gruppe unter Leitung des französischen Diplomaten Christian Fouchet einberufen, die Pläne für eine über die wirtschaftliche Integration hinausgehende politische Zusammenarbeit erarbeiten sollte. Am 2. November 1961 wurde das Ergebnis, der sogenannte Fouchet-I-Plan, präsentiert: Ein Vertragsentwurf zur Gründung einer europäischen Union, der auch eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik vorsah.104 Allerdings war der Plan am de Gaulle’schen Konzept des „Europas der Vaterländer“ ausgerichtet und daher in seiner Konstruktion intergouvernemental geprägt. So sollte beispielsweise kein entscheidungsfähiges Gemeinschaftsorgan 99 Fusionsvertrag, unterzeichnet am 08.04.1965, in Kraft getreten am 01.07.1967, ABl. Nr. 152 v. 13.07.1967, S. 2 ff. 100 Calliess, Die neue EU, S. 21. 101 EuGH, Urt. v. 05.02.1963, Rs. 26/62, Slg. 1963, S. 3, 24 ff. (van Gend & Loos). 102 EuGH, Urt. v. 15.07.1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, S. 1251, 1269 ff. (Costa / ​E . N. E. L.). 103 Pressekonferenz vom 05.09.1960, auszugsweise abgedruckt in: Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Bd. 17, Europa. Dokumente zur Frage der europäischen Einigung, Teilbd. 3, S. 1751 ff.; Calliess, Die neue EU, S. 23 f.; Vedder, Die neue GASP, in: Giegerich, Herausforderungen und Perspektiven der EU, S. 105, 112. 104 Fouchet-I-Plan, in: European Parliament, Selection of texts concerning institutional matters of the Community from 1950 to 1982, S. 112 ff.; Calliess, Die neue EU, S. 24; Vedder, Die neue GASP, in: Giegerich, Herausforderungen und Perspektiven der EU, S. 105, 112.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

eingesetzt werden.105 Nach drei Jahren sollte der Fouchet-I-Plan jedoch modifiziert und einer Supranationalisierung zugänglich gemacht werden.106 Nach Verhandlungen über diesen Plan wurde am 18. Januar 1962 von de Gaulle der sogenannte Fouchet-II-Plan präsentiert.107 In diesem Plan wurden Änderungswünsche anderer Mitgliedstaaten nicht berücksichtigt. Es kam vielmehr zu einer Verschärfung der intergouvernementalen Zusammenarbeit, indem im Gegensatz zum FouchetI-Plan die intergouvernementale Zusammenarbeit nicht nur als vorübergehender Zwischenschritt hin zu einer Supranationalisierung festgeschrieben wurde, sondern vielmehr dauerhaft etabliert werden sollte.108 Die gesamte Konstruktion der Fouchet-Pläne wurde deshalb von den anderen Mitgliedstaaten abgelehnt. Die intergouvernementalen Strukturen wurden als Rückschritt im Vergleich zur bisherigen Supranationalisierung angesehen.109 Eine politische Zusammenarbeit auf europäischer Ebene, insbesondere in Bezug auf eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, war damit – nach Scheitern der EVG und EPG – erneut gescheitert. Ursächlich war diesmal nicht der mangelnde Wille zur Zusammenarbeit in (außen-)politischen Bereichen. Dies zeigt auch der daraufhin am 22. Januar 1963 zwischen Frankreich und Deutschland geschlossene Elysée-Vertrag,110 der unter anderem eine klassisch intergouvernemen­ tale Abstimmung in auswärtigen Angelegenheiten zwischen den beiden Staaten vorsah.111 Es war vielmehr die von den anderen Staaten nicht gewollte, da als Rückschritt empfundene Intergouvernementalität, die zu einem Scheitern führte. Es wird jedoch auch deutlich, dass eine politische Zusammenarbeit trotz allem für einige Staaten, insbesondere Frankreich, nur im Rahmen einer intergouvernementalen Struktur denkbar war. 7. Luxemburger Kompromiss Der Konflikt zwischen fortschreitender Supranationalisierung und den Befürwortern der Intergouvernementalisierung war nicht behoben. Als 1966 der EWG-Vertrag nach einer Übergangszeit qualifizierte Mehrheitsentscheidungen in bestimmten Bereichen ermöglichen sollte, war es die französische Regierung, die dagegen aufbegehrte. Frankreich nahm nicht mehr an den Ratssitzungen teil und schuf damit eine Blockadesituation („Politik des leeren Stuhls“). Die verfahrene 105

Calliess, Die neue EU, S. 24. Glöckler-Fuchs, Institutionalisierung der europäischen Außenpolitik, S. 92. 107 Fouchet-II-Plan, in: European Parliament, Selection of texts concerning institutional matters of the Community from 1950 to 1982, S. 119 ff.; Glöckler-Fuchs, Institutionalisierung der europäischen Außenpolitik, S. 92. 108 Glöckler-Fuchs, Institutionalisierung der europäischen Außenpolitik, S. 93. 109 Calliess, Die neue EU, S. 24; Vedder, Die neue GASP, in: Giegerich, Herausforderungen und Perspektiven der EU, S. 105, 112. 110 BGBl. 1963 II, S. 705 ff. 111 Glöckler-Fuchs, Institutionalisierung der europäischen Außenpolitik, S. 94 f. 106

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik 

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Situation wurde durch den „Luxemburger Kompromiss“ von 1966 gelöst. Danach sollten bei Fragen von „sehr wichtigem Interesse“ für einen Mitgliedstaat stets einvernehmliche Lösungen gefunden werden.112 Faktisch wurde damit das Einstimmigkeitsprinzip eingeführt, wobei jeder Mitgliedstaat ein Vetorecht besaß.113 Nachdem die Intergouvernementalität im Rahmen der Fouchet-Pläne noch als Rückschritt empfunden wurde, hat sich selbige mit dem Luxemburger Kompromiss und dem faktischen Einstimmigkeitsprinzip wieder in den Vordergrund gedrängt.114 8. Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) Mit der Haager Gipfelkonferenz im Dezember 1969 wurde eine europäische Zusammenarbeit in politischer Hinsicht erneut – nach EVG, EPG und den Fouchet-​ Plänen nun zum dritten Mal – aufgegriffen. Diesbezüglich wurde eine Arbeitsgruppe unter Vorsitz von Etienne Davignon einberufen. Der sogenannte Davignon-​ Bericht sah vor, dass jährliche Außenministerkonferenzen zu allen wichtigen außenpolitischen Themen stattfinden, sodass Europa mit „einer Stimme“ spricht.115 Die Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) war geboren.116 Diese hatte jedoch zunächst keine vertragliche Grundlage.117 Vielmehr bestand die EPZ aus Treffen, die außerhalb der bisher geschaffenen Institutionen zwischen den einzelnen Regierungen stattfanden. Damit war die politische Zusammenarbeit intergouvernemental im klassischen Sinne.118 9. Einheitliche Europäische Akte (EEA) Mit der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) von 1986, welche am 1. Juli 1987 in Kraft trat,119 wurde die EPZ erstmals vertraglich festgehalten.120 Hiernach sollten sich die Mitgliedstaaten bemühen, gemeinsam eine europäische Außenpoli 112 Ein gewisses Abbild des Luxemburger Kompromisses bietet gegenwärtig noch Art. 31 Abs. 2 UAbs. 2 EUV, s. dazu auch unten, B. III. 3. d) cc) (4), S. 109 ff. 113 Calliess, Die neue EU, S. 25; Stern, Der Weg zur politischen Union Europas, in: Liber Amicorum Thomas Oppermann, S. 143, 151. 114 Calliess, Die neue EU, S. 25. 115 Davignon-Bericht, Erster Teil, Nr. 8, in: EA 1970, D 521; Glöckler-Fuchs, Institutionalisierung der europäischen Außenpolitik, S. 98 f.; Vedder, Die neue GASP, in: Giegerich, Herausforderungen und Perspektiven der EU, S. 105, 113. 116 Allgemein zur EPZ vgl. Algieri, GASP, S. 35 ff. 117 Vedder, Die neue GASP, in: Giegerich, Herausforderungen und Perspektiven der EU, S. 105, 113. 118 Glöckler-Fuchs, Institutionalisierung der europäischen Außenpolitik, S. 101; Vedder, Die neue GASP, in: Giegerich, Herausforderungen und Perspektiven der EU, S. 105, 113. 119 ABl. Nr. L 169 v. 29.06.1987, S. 1 ff. 120 Titel III EEA, Art. 30 ff. EEA.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

tik auszuarbeiten und zu verwirklichen,121 wofür eine gegenseitige Unterrichtung und Konsultation der Mitgliedstaaten122 sowie eine schrittweise Entwicklung und Festlegung gemeinsamer Grundsätze und Ziele vorgesehen wurden.123 Im Rahmen der EPZ sollten sich die Außenminister der Mitgliedstaaten mindestens viermal jährlich treffen.124 In Art. 30 Nr. 6 lit. a) EEA wurde zudem erstmals explizit die europäische Sicherheit als wesentlicher Teil einer außenpolitischen Identität Europas benannt. Der Aspekt der Sicherheit wurde jedoch erst viel später richtig aufgegriffen und zu einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) ausgebaut.125 Die EPZ im Rahmen der EEA war damit als Zusammenarbeit zwischen den Regierungen ausgestaltet und auf Konsens und Einstimmigkeit ausgerichtet. Folglich war die EPZ intergouvernemental organisiert. Erstmals fand eine intergouvernementale Struktur Eingang in die Europäischen Verträge, die ansonsten in den Bereichen der EGKS, EWG und Euratom supranational ausgestaltet waren.126 Der Dualismus zwischen der Intergouvernementalität in Bezug auf die politische Zusammenarbeit und der Supranationalität der europäischen Gemeinschaften ist kennzeichnend für die weitere Entwicklung. 10. Die GASP nach dem Vertrag von Maastricht Das Jahr 1989 brachte gewichtige politische Umwälzungen mit sich. Mit dem Mauerfall und dem Fall des Eisernen Vorhangs, welcher den Kalten Krieg beendete, sahen sich auch die Europäischen Gemeinschaften mit neuen Herausforderungen konfrontiert.127 Diese externen Faktoren sowie interner Reformbedarf, auch aufgrund einer zunehmenden Anzahl an Mitgliedstaaten, führten schließlich zum Vertrag von Maastricht, der am 7. Februar 1992 unterzeichnet wurde und am 1. November 1993 in Kraft trat.128 Mit ihm wurde die Europäische Union (EU) geschaffen129 und die Gemeinsame Außen und Sicherheitspolitik (GASP) als Fortentwickelung der EPZ eingeführt.130

121

Art. 30 Nr. 1 EEA. Art. 30 Nr. 2 lit. a) EEA. 123 Art. 30 Nr. 2 lit. b) EEA. 124 Art. 30 Nr. 3 lit. a) EEA. 125 S. dazu unter B. II. 10. d), S. 81 ff. und unter B. II. 12., S. 84 ff. 126 Vedder, Die neue GASP, in: Giegerich, Herausforderungen und Perspektiven der EU, S. 105, 115. 127 Vgl. Algieri, GASP, S. 45. 128 ABl. Nr. C 191 v. 29.07.1992, S. 1 ff.; BGBl. 1992 II, S. 1253. 129 Art. A Abs. 1 Maastricht-Vertrag. 130 Art. J Maastricht-Vertrag. 122

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a) Säulenstruktur der EU Die Konstruktion der EU nach dem Vertrag von Maastricht wird gemeinhin mit einem Drei-Säulen-Modell beschrieben.131 Die erste Säule bildeten die europäischen Gemeinschaften.132 Diese waren entsprechend dem bisherigen Integrationsprozess weiterhin supranational organisiert. Die zweite Säule beinhaltete die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die dritte Säule die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres (ZBJI). Diese beiden Säulen waren entsprechend der diesbezüglichen historischen Entwicklung intergouvernemental organisiert. In allen drei Säulen waren die Gemeinschaftsorgane – Rat, Kommission, Parlament und EuGH – in unterschiedlichem Ausmaß eingebunden. Eine Ausnahme bildete der EuGH, der im Bereich der GASP keine Kompetenzen besaß.133 Gleichwohl konnte man konstatieren, dass diese Gemeinschaftsorgane einen „einheitlichen institutionellen Rahmen“134 und somit verbildlicht das Dach über den Säulen der EU darstellten. b) Intergouvernementalität der GASP Die Regelungen über die GASP befanden sich in den Art. J–J.11 Maastricht-Vertrag, in welchen sich deutlich die Merkmale der Intergouvernementalität zeigten. Zum einen hatte – im Vergleich zu den supranationalen Bereichen der EU – die Kommission reduzierte Kompetenzen. Im Gegenzug waren die Zuständigkeiten des Europäischen Rates und des Rates gestärkt.135 Die Kommission ist ein klassisches supranationales Gemeinschaftsorgan, das von den Mitgliedstaaten unabhängig ist und im Gesamtinteresse der Union handelt.136 Im Gegensatz dazu sind im Europäischen Rat die Staats- und Regierungschefs aller Mitgliedstaaten vertreten und im Rat die jeweiligen ministeriellen Vertreter der Regierungen. Dies führt dazu, dass in diesen Organen die Interessen der

131

Vgl. etwa Jürgens, Außen- und Sicherheitspolitik, S. 326; Seidel, EuR 1992, 125; Semrau, Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, S. 18. Teilweise wird diese modellhafte Beschreibung auch kritisiert, vgl. v. Bogdandy / ​Nettesheim, EuR 1996, 3, 7 f. Gleichwohl vermag dieses Modell von allen anderen am plastischsten die Struktur der EU zu verbildlichen und trägt so zu einem besseren Verständnis bei. Soweit man nicht vom Modell auf die tatsäch­lichen Gegebenheiten schließt, kann ein solches Modell nicht schädlich sein; so auch Gerteiser, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, S. 76. 132 EWG (mit dem Vertrag von Maastricht in Europäische Gemeinschaft [EG] umbenannt), EGKS und EURATOM. 133 Burghardt / ​Tebbe, EuR 1995, 1, 6. 134 Art. C Maastricht-Vertrag. 135 Jürgens, Außen- und Sicherheitspolitik, S. 351 ff.; Regelsberger, Integration 15 (1992), 83, 90 f. 136 Burghardt / ​Tebbe, EuR 1995, 1, 11.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

einzelnen Mitgliedstaaten im Vordergrund stehen.137 Indem der Europäische Rat die Grundsätze und allgemeinen Leitlinien der GASP bestimmt138 und der Rat auf dieser Grundlage die erforderlichen Entscheidungen grundsätzlich einstimmig trifft,139 wird deutlich, dass im Bereich der GASP die Mitgliedstaaten das Heft des Handelns in der Hand halten und auch nicht von anderen Mitgliedstaaten überstimmt werden können. Damit sind zentrale Merkmale der Intergouvernementalität erfüllt. Zum anderen ist im Rahmen der GASP die Koordinierung der Außen- und Sicherheitspolitik der Mitgliedstaaten durch die Mitgliedstaaten selbst ein zentraler Aspekt.140 Die Koordinierung von Handlungen zwischen Staaten, ohne dass ein von den Mitgliedstaaten unabhängiges Gemeinschaftsorgan, was die Gemeinschaftsinteressen berücksichtigt, involviert ist, ist ebenfalls kennzeichnendes Element der Intergouvernementalität. Des Weiteren ließ der Maastricht-Vertrag gemäß Art. M die Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften – vorbehaltlich der Änderung dieser Verträge selbst – unberührt. Mithin war die GASP, kodifiziert in Titel V, Art. J–J.11 Maastricht-Vertrag, nicht Teil der supranationalen Gemeinschaften.141 Dadurch wurde die Säulenstruktur geschaffen und die GASP-Säule von der Säule der Europäischen Gemeinschaften abgegrenzt. Diese Trennung offenbart, dass die Mitgliedstaaten keine Supranationalisierung der GASP anstrebten, sondern an der bisherigen Intergouvernementalität in diesem Bereich festhalten wollten. Als integrierendes Element auf dem Weg hin zu einer Supranationalisierung der GASP ließe sich anführen, dass die GASP wie oben beschrieben auf die Gemeinschaftsorgane zurückgriff, die das „Dach“ der EU bildeten. In diesem Zusammenhang ist auch Art. C Maastricht-Vertrag zu betrachten, der von einem „einheitlichen institutionellen Rahmen“ der EU sprach. Allerdings unterschied Art. E Maastricht-Vertrag die Befugnisse der Gemeinschaftsorgane in Bezug auf die Europäischen Gemeinschaften einerseits und den übrigen Bestimmungen des Vertrages andererseits, wozu auch die GASP zählte.142 Daran und in Verbindung mit der Unberührtheitsklausel des Art. M Maastricht-Vertrag zeigt sich, dass die GASP nicht den supranationalen Gemeinschaftsorganen untergeordnet war, sondern vielmehr die Gemeinschaftsorgane für die intergouvernementale GASP genutzt wurden. Das Tätigwerden der Gemeinschaftsorgane im supranationalen Bereich war somit vom Tätigwerden im Bereich der GASP qualitativ zu unterscheiden. Der

137

Burghardt / ​Tebbe, EuR 1995, 1, 12. Art. J.8 Nr. 1 Maastricht-Vertrag. 139 Art. J.8 Nr. 2 Maastricht-Vertrag. 140 Vgl. dazu Art. J.2 Maastricht-Vertrag. 141 Jürgens, Außen- und Sicherheitspolitik, S. 360. 142 Jürgens, Außen- und Sicherheitspolitik, S. 360; Oppermann / ​Classen, NJW 1993, 5, 10; Seidel, EuR 1992, 125, 126; Wessels, Integration 1 (1992), 2, 14.  138

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik 

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GASP wurden von den Mitgliedstaaten im Gegensatz zum Gemeinschaftsrecht keine Hoheitsrechte übertragen, sodass es zu keiner Supranationalisierung kam.143 c) Zurechnungssubjekt für GASP-Akte In engem Zusammenhang mit der soeben beschriebenen Intergouvernementa­ lität stand die Frage, wer Zurechnungssubjekt für die GASP-Akte war. In Betracht kamen sowohl die EU als auch die Mitgliedstaaten. Die Beantwortung der Frage hing von der Rechtsfähigkeit der EU, die von den Europäischen Gemeinschaften zu unterscheiden war, ab. Die Rechtsfähigkeit der EU und die damit verbunden Frage des Zurechnungssubjekts für Maßnahmen im Bereich der GASP war umstritten.144 Die überwiegende Ansicht verneinte die Rechtsfähigkeit der EU,145 womit diese als Zurechnungssubjekt für Rechtsakte und sonstige Handlungen im Bereich der GASP ausschied. Zwar waren die Gemeinschaftsorgane im Rahmen der GASP wie oben beschrieben involviert. Ihr Handeln konnte aber mangels Rechtsfähigkeit nicht der EU zugerechnet werden. Sie wurden vielmehr im Rahmen einer Organleihe oder als Vertragsorgan den Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt.146 Zurechnungssubjekt der GASP waren somit die Mitgliedstaaten. d) Sicherheitspolitische Aspekte der GASP aa) Zusammenarbeit mit der WEU Nachdem in Art. 30 Nr. 6 lit. a) EEA erstmals die mitgliedstaatliche „Zusammenarbeit in Fragen der europäischen Sicherheit“ benannt wurde, deren Ziel es war, „wesentlich zur Entwicklung einer außenpolitischen Identität Europas beizutragen“, wurde dieser sicherheitspolitische Aspekt im Maastricht-Vertrag im Rahmen der GASP erneut aufgegriffen und vertieft. Die GASP umfasste nun nach Art. J.4 Nr. 1 Maastricht-Vertrag „sämtliche Fragen, welche die Sicherheit der Europäischen Union“ betrafen. Um handlungsfähig zu sein, sollten auch 143

Jürgens, Außen- und Sicherheitspolitik, S. 378. Vgl. dazu nur Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 24 EUV Rn. 8 m. w. N. Die Europäische Gemeinschaft besaß demgegenüber unstreitig Rechtspersönlichkeit, Art. 281 EGV. 145 Blanke, DÖV 1993, 412, 416; Bleckmann, DVBl. 1992, 335; Everling, DVBl. 1993, 936, 941; Hilf, Die Europäische Union und die Eigenstaatlichkeit ihrer Mitgliedstaaten, in: Hommelhoff / ​Kirchhof, Der Staatenverbund der Europäischen Union, S. 75; Jürgens, Außen- und Sicherheitspolitik, S. 329 ff.; Seidel, EuR 1992, 125 ff. 146 Im Einzelnen war hier vieles strittig; vgl. etwa Pechstein / ​Koenig, Die Europäische Union, 3. Aufl. 2000, S. 98 ff., insb. Rn. 184–192, die differenzierend den Rat als Vertragsorgan zugunsten der Mitgliedstaaten einstuften, während die anderen beteiligten Organe im Wege einer Organleihe den Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt wurden; vgl. auch Niedobitek, Vertragliche Grundlagen, rechtliche Gestalt, Institutionen der Union, in: Niedobitek, Grundlagen der Union, § 1 Rn. 201; Niedobitek, in: FS Siedentopf, S. 87, 89 ff. 144

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

militärische Operationen durchgeführt werden können. Zur Realisierung dieser Handlungsfähigkeit wurde jedoch nicht auf die Mitgliedstaaten zurückgegriffen. Die Operationen sollten vielmehr durch die WEU erfolgen, mit der die EU nun gemäß Art. J.4 Nr. 2 Maastricht-Vertrag zusammenarbeitete.147 Dies ist insofern bemerkenswert, als dass nach dem Scheitern der EVG und EPG die militärische Integration zunächst durch die WEU außerhalb der eigentlichen europäischen Integration erfolgte. Mit dem Maastricht-Vertrag wurde nunmehr die WEU in den eigentlichen europäischen Integrationsprozess einbezogen, indem Art. J.4 Abs. 3 Maastricht-Vertrag die WEU als „integrale[n] Bestandteil der Entwicklung der Europäischen Union“ bezeichnete. bb) Petersberg-Erklärung Auf diese Einbeziehung und die damit veränderten Aufgaben musste die WEU reagieren. Dies führte am 19. Juni 1992 zur sogenannten Petersberg-Erklärung durch den Ministerrat der WEU.148 In der Petersberg-Erklärung wurden unter anderem das Verhältnis der WEU zur EU beschrieben und die sogenannten Petersberg-Aufgaben festgelegt, die das Aufgabenspektrum und die durch die WEU auszuführenden Maßnahmen beschrieben. Dazu gehörten nun neben der Verteidigung auch humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung, einschließlich Maßnahmen zur Herbeiführung des Friedens.149 Allerdings verfügte die WEU für die Durchführung dieser Aufgaben über keine eigenen militärischen Truppen. Sie war insofern auf ihre Mitgliedstaaten sowie auf eine Zusammenarbeit mit der NATO angewiesen. Für operative Einsätze griff somit die EU auf die WEU zurück, welche wiederum auf ihre Mitgliedstaaten oder die NATO und deren Mitgliedstaaten und Streitkräfte zurückgreifen musste. e) Fazit zur GASP nach dem Vertrag von Maastricht Abschließend ist zum Maastricht-Vertrag festzuhalten, dass die Einführung der GASP als Fortentwicklung der EPZ die bisherige intergouvernementale Entwicklung in diesem Bereich fortschrieb. Durch die Säulenstruktur wurden die supranationalen Bereiche deutlich von den intergouvernementalen Bereichen abgegrenzt. Hervorzuheben ist das Aufgreifen sicherheitspolitischer Aspekte im Rahmen der GASP. Erstmals wurde die Möglichkeit eines operativen Vorgehens in sicherheits 147

Dietrich, ZaöRV 66 (2006), 663, 675 ff. Petersberg-Erklärung, abgedruckt in: EA 1992, D 479 ff. Den Namen „Petersberg-Erklärung“ erhielt die Erklärung aufgrund des auf dem Petersberg in Bonn stattfindenden Treffens des WEU-Ministerrates. 149 II Nr. 4 Petersberg-Erklärung, in: EA 1992, D 479, D 482. 148

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politischen Fragen auf EU-Ebene vertraglich geregelt und durch die Zusammenarbeit mit der WEU und deren Petersberg-Aufgaben realisiert. Die intergouvernementale Ausgestaltung zeigt jedoch, dass die Mitgliedstaaten die bestimmenden Akteure in operativer Hinsicht bleiben wollen. 11. Die GASP nach dem Vertrag von Amsterdam a) Beibehaltung der Säulenstruktur Am 2. Oktober 1997 wurde der Vertrag von Amsterdam als Reformvertrag zum Maastricht-Vertrag geschlossen.150 Er trat am 1. Mai 1999 in Kraft.151 Die Vorschriften der GASP wurden teilweise modifiziert und umbenannt. Sie befanden sich nun in den Art. 11–28 EUV-Amsterdam. Dabei ließ der Vertrag von Amsterdam die Säulenstruktur der EU im Grundsatz unberührt.152 Lediglich ein Teilbereich der dritten Säule wurde vergemeinschaftet und in die erste Säule überführt. Der zurückbleibende Teil der dritten Säule wurde fortan als Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen bezeichnet (PJZS).153 Die GASP blieb weiterhin intergouvernemental strukturiert.154 b) Überführung der Petersberg-Aufgaben in den EUV Gewichtige Änderungen fanden im Bereich der Sicherheitspolitik statt. Die GASP umfasste nach Art. 17 Abs. 1 EUV-Amsterdam nach wie vor sämtliche Fragen der Sicherheit der Union. Dazu gehörte nun aber auch die schrittweise Festle­ gung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik, Art. 17 Abs. 1 EUV-Amsterdam. Durch Art. 17 Abs. 2 EUV-Amsterdam wurden zudem die Petersberg-Aufgaben in den EU-Vertrag aufgenommen, in dem es heißt: „Die Fragen, auf die in diesem Artikel Bezug genommen wird, schließen humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen ein.“155 Damit machte sich die EU die Aufgaben der WEU zu Eigen. Allerdings war sie bei der operativen Ausführung nach wie vor auf die WEU angewiesen. Nichtsdestotrotz bedeutete die Aufnahme der Petersberg-Aufgaben in den EU-Vertrag, dass die EU gewillt war, ihr sicherheitspolitisches Engagement auszudehnen.156 So wurde erstmals vertrag 150 ABl. Nr. C 340 v. 10.11.1997, S. 1 ff.; allgemein zum Vertrag von Amsterdam vgl. Hilf  / ​ Pache, NJW 1998, 705 ff.; Streinz, EuZW 1998, 137 ff. 151 BGBl. 1999 II, S. 269. 152 Calliess, Die neue EU, S. 34 f.; Streinz, EuZW 1998, 137, 138 und 139 f. 153 Calliess, Die neue EU, S. 34 f. 154 Calliess, Die neue EU, S. 33 f.; Streinz, EuZW 1998, 137, 140. 155 Vgl. auch Hilf / ​Pache, NJW 1998, 705, 709; Streinz, EuZW 1998, 137, 141. 156 Gerteiser, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, S. 69 f.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

lich geregelt, dass humanitäre Missionen außerhalb der EU zu ihren Aufgaben gehören. Die wirtschaftliche Bedeutung der EU sollte sich nun auch auf weltpolitischer Ebene spiegeln, indem die EU auch als außenpolitischer Akteur handelnd in Erscheinung trat und Krisenmanagement betreiben konnte.157 12. Entwicklung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) Mit dem Bekenntnis zur schrittweisen Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik und der Aufnahme der Petersberg-Aufgaben in den EU-Vertrag von Amsterdam hat die EU zwar wichtige Schritte vollzogen, um ein handlungsfähiger außenpolitischer Akteur zu werden, allerdings war damit die volle selbständige Handlungsfähigkeit der EU in sicherheits- und verteidigungspolitischen Fragen noch nicht gegeben. Dies wurde vor allem durch den Balkankrieg und den Kosovokonflikt Mitte und Ende der Neunzigerjahre deutlich.158 Hier zeigte sich merklich die Unterlegenheit der EU im Vergleich zu den USA und der NATO.159 Ein wichtiger Schritt zur weiteren eigenständigen Handlungsfähigkeit war der britisch-französische Gipfel von St. Malo am 3. und 4. Dezember 1998, der die Absicht formulierte, dass die EU auf internationaler Ebene autonome Handlungsfähigkeit erlangen sollte.160 Damit wurde der politische Anstoß für eine Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) gegeben, zumal sich Großbritannien zuvor immer für eine militärische Integration ausschließlich über die NATO stark gemacht und sich gegen eine militärische Integration über die EU ausgesprochen hatte.161 Die Entwicklung der ESVP begann sodann mit der Tagung des Europäischen Rates in Köln am 3. und 4. Juni 1999. Der GASP sollte eine gemeinsame Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik hinzugefügt werden. Anlass waren der oben genannte Balkankrieg sowie der Kosovokonflikt, die das Handlungsdefizit der EU offenlegten.162 Mit der ESVP sollte die EU in Bezug auf solche Konflikte an Handlungsfähigkeit gewinnen.163 Ziel war es, dass die EU die Petersberg-Aufgaben selbst durchführen kann und hierzu nicht mehr auf die WEU angewiesen ist.164 157

Gerteiser, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, S. 71. Algieri, GASP, S. 91 f.; Kuhn, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 27. 159 Dietrich, Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 330. 160 Joint Declaration on Common Defense, abgedruckt in: Rutten, From St. Malo to Nice, S. 8 f.; Dietrich, Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 328. 161 Algieri, GASP, S. 91; Dietrich, Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 327. 162 Dietrich, Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 330; Kuhn, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 27. 163 Anlage III der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Köln v. 3./4. Juni 1999, in: BullEU 6–1999, S. 36 ff.; Dietrich, Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 330 f.; Kuhn, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 27. 164 Dietrich, Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 330. 158

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik 

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Diese vereinbarten Ziele wurden auf der Tagung des Europäischen Rates in Helsinki im Dezember 1999 weiterverfolgt. Es wurde vereinbart, zunächst übergangsweise ein ständiges Politisches und Sicherheitspolitisches Komitee (PSK), einen EU-Militärausschuss und einen EU-Militärstab einzurichten.165 Diese Institutionen wurden sodann interimsweise durch Beschlüsse des Rates vom 14. Februar 2000 eingerichtet.166 Darüber hinaus wurden die sogenannten Helsinki-Planziele vereinbart, wonach die EU bis 2003 in der Lage sein sollte, innerhalb von 60 Tagen bis zu 60.000 Soldaten verlegen zu können, die die Petersberg-Aufgaben erfüllen und Einsätze ein Jahr lang durchhalten können (sog. schnelle Eingreiftruppe).167 Dafür griff die EU auf die von den Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellten Streitkräfte zurück.168 Durch die spätere, am 17. März 2003 getroffene Berlin-Plus-Vereinbarung der EU mit der NATO,169 wurde es der EU zudem ermöglicht, für Einsätze auf die Infrastruktur der NATO zurückzugreifen.170 Mit den Beschlüssen des Rates vom 22. Januar 2001 wurde sodann die endgültige Einsetzung des PSK,171 des EU-Militärausschusses172 sowie des EU-Militärstabes173 beschlossen. Damit waren die Grundsteine der ESVP gelegt. Aufgrund des Rückgriffs auf die Mitgliedstaaten bzw. die NATO und der fortbestehenden intergouvernementalen Struktur wird jedoch deutlich, dass die EU kein selbständiger, vom Willen der Mitgliedstaaten unabhängiger außenpolitischer Akteur ist. Vielmehr nimmt die EU weiterhin eine das mitgliedstaatliche Verhalten koordinierende Rolle ein. Diese koordinierende Rolle wurde jedoch durch die Strukturen der ESVP verstärkt, wobei zugleich eine Loslösung von der WEU erfolgte. 165

Ziff. 29 und Anlage 1 zu Anlage IV der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Helsinki v. 10./11. Dezember 1999, in: BullEU 12–1999, S. 7, 11 (Ziff. 29) und S. 27 ff. (Anlage 1 zu Anlage IV); Dietrich, Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 332; Kuhn, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 29. 166 Beschluss 2000/143/GASP vom 14.02.2000, ABl. Nr. L 49 v. 22.02.2000, S. 1 (PSK); Beschluss 2000/144/GASP vom 14.02.2000, ABl. Nr. L 49 v. 22.02.2000, S. 2 (EU-Militärausschuss); Beschluss 2000/145/GASP vom 14.02.2000, ABl. Nr. L 49 v. 22.02.2000, S. 3 (EU-Militärstab). 167 Ziff. 28 und Anlage 1 zu Anlage IV der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Helsinki v. 10./11. Dezember 1999, in: BullEU 12–1999, S. 7, 10 f. (Ziff. 28) und S. 27 ff. (Anlage 1 zu Anlage IV); Dietrich, Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 332; Kuhn, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 30. 168 Dietrich, Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 332; Kuhn, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 30. 169 EU-NATO: The framework for permanent relations and Berlin plus, abrufbar unter: http:// www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/03-11-11%20Berlin%20Plus%20press%20note​ %20BL.pdf, zuletzt abgerufen am 21.03.2017. Der Name leitet sich von der sog. Berlin-Vereinbarung der WEU mit der NATO ab und soll verdeutlichen, dass die Vereinbarung der NATO mit der EU weitergehend ist als die entsprechende Vereinbarung mit der WEU, vgl. Dietrich, Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 379. 170 V. Kielmansegg, Die Verteidigungspolitik der Europäischen Union, S. 338 ff.; Kuhn, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 30. 171 Beschluss 2001/78/GASP vom 22.01.2001, ABl. Nr. L 27 v. 30.01.2001, S. 1 ff. 172 Beschluss 2001/79/GASP vom 22.01.2001, ABl. Nr. L 27 v. 30.01.2001, S. 4 ff. 173 Beschluss 2001/80/GASP vom 22.01.2001, ABl. Nr. L 27 v. 30.01.2001, S. 7 ff.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

13. Die GASP nach dem Vertrag von Nizza Als weiterer Änderungsvertrag wurde am 26. Februar 2001 der Vertrag von Nizza174 geschlossen, welcher am 1. Februar 2003 in Kraft trat.175 Auch er ließ die Säulenstruktur der EU unberührt und änderte nichts am intergouvernementalen Charakter der GASP. Inhaltliche Änderungen waren in Bezug auf die Sicherheits- und Verteidigungspolitik festzustellen. Entsprechend der zwischenzeitlichen Entwicklung der ESVP und dem Ziel, die Petersberg-Aufgaben selbst und nicht mehr durch die WEU durchzuführen, fehlte nun die Regelung, bei militärischen Operationen auf die WEU zurückzugreifen. Eine Regelung, die die WEU als integralen Bestandteil der Entwicklung der Union bezeichnete, war ebenfalls nicht mehr existent.176 Damit wurde endgültig eine eigene Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) geschaffen. Diese darf jedoch nicht mit einem eigenen Handeln der EU verwechselt werden. Es bleibt vielmehr bei dem Rückgriff auf die Mitglied­staaten unter Fortgeltung intergouvernementaler Strukturen, sodass die EU weiterhin ledig­lich koordinierend tätig ist und die Mitgliedstaaten in operativer Hinsicht die bestimmenden Akteure sind. III. Die GASP nach dem Vertrag von Lissabon Auf Basis der historischen Entstehung und Entwicklung kann nun die GASP nach dem Vertrag von Lissabon untersucht werden. Dabei ist im Hinblick auf die eingangs formulierte These vor allem das Zusammenspiel von Mitgliedstaaten und Unionsebene von Interesse, wobei fraglich ist, ob die EU weiterhin entsprechend der historischen Entstehung und Entwicklung im Bereich der GASP koordinierend tätig ist. Dies könnte gemäß der These zu einer vergleichbaren Grundrechts­bindung unionskoordinierter Bereiche führen. Hierfür ist zunächst die Struktur der EU nach dem Vertrag von Lissabon zu betrachten (unter 1.). Sodann sind die verschiedenen Teilbereiche der GASP voneinander abzugrenzen (unter 2.) und die allgemeinen Regelungen und Funktionsweise der GASP zu beleuchten (unter 3.). Darauf aufbauend kann die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik analysiert 174

ABl. Nr. C 80 v. 10.03.2001, S. 1 ff. Konsolidierte Fassung ABl. Nr. C 325 v. 24.12.2002, S. 1 ff.; allgemein zum Vertrag von Nizza vgl. etwa Borchmann, EuZW 2001, 170 ff. 176 Dietrich, Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 335 f. Letztlich wurde die WEU zum 1. Juli 2011 aufgelöst, Westeuropäische Union, Statement of the Presidency of the Permanent Council of the WEU on behalf of the High Contracting Parties to the Modi­fied Brussels Treaty  – Belgium, France, Germany, Greece, Italy, Luxembourg, The Netherlands, Portugal, Spain and the United Kingdom, vom 31. März 2010, abrufbar unter: https://www.cvce.eu/en/obj/statement_by_the_presidency_of_the_weu_permanent_council_ on_the_termination_of_the_brussels_treaty_brussels_31_march_2010-en-1ed29c90-5d6c-49​ f5-9886-48accc17dfbb.html, zuletzt abgerufen am 01.11.2017. 175

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik 

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werden (unter 4.), um schließlich das Zusammenspiel von Mitgliedstaaten und Unionsebene im operativen Einsatz zu untersuchen (unter 5.). Endlich ist zu fragen, ob die GASP auch nach dem Vertrag von Lissabon noch als inter­gouvernemental eingestuft werden kann (unter 6.), da intergouvernementale Strukturen als Ausdruck der hervorgehobenen Position der Mitgliedstaaten gedeutet werden können und entsprechend der Ausgangsthese eine lediglich koordinierende Rolle der EU unterstreichen würden. 1. Struktur der EU nach dem Vertrag von Lissabon Der Vertrag von Lissabon177 wurde am 13. Dezember 2007 unterzeichnet und trat am 1. Dezember 2009 in Kraft.178 Er beendete den lang geführten Streit über den Abschluss eines europäischen Verfassungsvertrages. Ein solcher Verfassungsvertrag wurde in den Jahren 2002 und 2003 ausgearbeitet und von den Staats- und Regierungschefs am 29. Oktober 2004 unterzeichnet.179 Allerdings scheiterte dessen Ratifizierung aufgrund negativer Referenden in Frankreich und den Niederlanden.180 Als Gründe für die Ablehnung des Verfassungsvertrages wird häufig die Bezeichnung als Verfassung genannt, wodurch die EU zumindest begrifflich in die Nähe eines Staates gerückt worden wäre.181 In diesem Zusammenhang ist auch die begriffliche Einführung eines EU-Außenministers zu nennen. Solche Bezeichnungen ließen in den Mitgliedstaaten die Befürchtung weiterer Kompetenz- und Souveränitätsverluste an die EU aufkeimen.182 Diese Befürchtungen zeigen, wie sehr im Rahmen der europäischen Integration immer wieder um Kompetenzen gerungen wird und sei es nur wegen Begrifflichkeiten, die einen etwaigen Souveränitätsverlust suggerieren.183 Letztlich wurde von einem europäischen Verfassungsvertrag Abstand genommen und stattdessen der Vertrag von Lissabon geschlossen.184

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ABl. Nr. C 306 v. 17.12.2007, S. 1 ff.; allgemein zum Vertrag von Lissabon vgl. etwa Hatje  / ​ Kindt, NJW 2008, 1761 ff.; Pache / ​Rösch, NVwZ 2008, 473 ff.; Schiffauer, EuGRZ 2008, 1 ff.; Terhechte, EuR 2008, 143 ff.; Weber, EuZW 2008, 7 ff. 178 BGBl. 2009 II, S. 1223. 179 ABl. Nr. C 310 v. 16.12.2004, S. 1 ff.; Calliess, Die neue EU, S. 38; Schiffauer, EuGRZ 2008, 1. 180 Calliess, Die neue EU, S. 40; Schiffauer, EuGRZ 2008, 1. 181 Calliess, Die neue EU, S. 40; Diedrichs / ​Wessels, Integration 4 (2005), 287, 291 f.; Streinz  / ​ Ohler / ​Herrmann, Der Vertrag von Lissabon, S. 14 ff. 182 Hatje / ​Kindt, NJW 2008, 1761, 1764; zu den weiteren Gründen der Ablehnung vgl. Diedrichs / ​Wessels, Integration 4 (2005), 287, 288 ff. 183 Vgl. Streinz, Verfassungsvertrag und Vertrag von Lissabon: Alter Wein in neuen Schleuchen?, in: Hummer / ​Obwexer, Der Vertrag von Lissabon, S. 451, 459 f. 184 Dieser entspricht aber in weiten Teilen dem Verfassungsvertrag, vgl. Richter, EuZW 2007, 631 ff.; Streinz, FPR 2010, 481; Terhechte, EuZW 2007, 521. Zu einem Vergleich des Verfassungsvertrages mit dem Vertrag von Lissabon s. auch Streinz, Verfassungsvertrag und Vertrag von Lissabon: Alter Wein in neuen Schleuchen?, in: Hummer / ​Obwexer, Der Vertrag von Lissabon, S. 451, 458 ff.

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In formaler Hinsicht hebt der Vertrag von Lissabon die Säulenstruktur der EU auf,185 indem innerhalb der EU nicht mehr zwischen den Europäischen Gemeinschaften einerseits und andererseits der GASP sowie der Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) getrennt wird.186 Die PJZS wird durch den Vertrag von Lissabon in den supranationalisierten Bereich des Gemeinschaftsrechts überführt.187 Die GASP nimmt im Gegensatz dazu – trotz formaler Aufhebung der Säulenstruktur – immer noch eine Sonderrolle ein.188 Es wird sich zeigen, dass sich diese Sonderrolle insbesondere im Zusammenspiel der Mitgliedstaaten mit der EU bei operativen Einsätzen manifestiert. Grundlage der EU, die seit dem Vertrag von Lissabon gemäß Art. 47 EUV ausdrücklich Rechtspersönlichkeit besitzt, sind zwei Verträge, namentlich der Vertrag über die Europäische Union (EUV) und der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), vgl. Art. 1 Abs. 3 S. 1 EUV, Art. 1 Abs. 2 S. 1 AEUV. Diese beiden Verträge sind rechtlich gleichrangig, Art. 1 Abs. 3 S. 3 EUV, Art. 1 Abs. 2 S. 2 AEUV. 2. Die verschiedenen Teilbereiche der GASP Die GASP ist in den Art. 23 ff. EUV geregelt und umfasst als „integralen Bestandteil“189 die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP), wie die ehemalige Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) inzwischen genannt wird. Dabei lässt sich eine Verschachtelung verschiedener Politikbereiche feststellen. Der alle Teilbereiche umfassende Oberbegriff ist die Gemeinsame Außenpolitik. Ein Teilaspekt hiervon ist die Gemeinsame Sicherheitspolitik, welche die Verteidigungspolitik mit umfasst, von der sich wiederum die Verteidigung abgrenzen lässt. Um die Regelungen der GASP und der GSVP sowie deren Ineinandergreifen im Hinblick auf die Grundrechtsbindung verstehen zu können, ist es unabdingbar, diese Politiken zu definieren und voneinander abzugrenzen.

185 Zu beachten ist jedoch, dass Euratom fortexistiert, vgl. konsolidierte Fassung des Vertrages zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft, ABl. Nr. C 84 v. 30.03.2010, S. 1 ff. 186 Vgl. Calliess, Die neue EU, S. 80; Hatje / ​Kindt, NJW 2008, 1761, 1762; Pache / ​Rösch, NVwZ 2008, 473, 474; Schiffauer, EuGRZ 2008, 1, 4; Streinz, FPR 2010, 481, 482. 187 Calliess, Die neue EU, S. 432. 188 Vgl. auch Streinz, FPR 2010, 481, 482. 189 Art. 42 Abs. 1 S. 1 EUV.

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a) Gemeinsame Außenpolitik Unter der Außenpolitik ist die Gesamtheit der politischen Außenbeziehungen eines einzelnen Staates zu anderen Staaten und internationalen Organisationen zu verstehen.190 Von den politischen Außenbeziehungen sind andere Arten der Außenbeziehungen, wie beispielsweise die wirtschaftlichen Außenbeziehungen, zu unterscheiden. Außenpolitik ist damit ein Teil des auswärtigen Handelns und der auswärtigen Gewalt eines Staates.191 Über die Außenpolitik vertritt ein Staat seine politischen Interessen in der Weltgemeinschaft und versucht diesen Geltung zu verschaffen. Übertragen auf die EU bedeutet eine Gemeinsame Außenpolitik, dass die EU die einzelnen außenpolitischen Interessen der Mitgliedstaaten koordiniert, daraus gemeinsame Unionsinteressen entwickelt und diese nach außen hin vertritt.192 b) Gemeinsame Sicherheitspolitik Sicherheitspolitik im Allgemeinen sorgt für die Erhaltung und Schaffung von Sicherheit, wobei unter Sicherheit die Abwesenheit von Gefahren zu verstehen ist.193 Die Erhaltung und Schaffung von Sicherheit kann in drei Bereiche unterteilt werden: Die Schaffung und Erhaltung von Sicherheit in den jeweiligen Mitglied­ staaten, im Raum der EU sowie außerhalb der EU. Dabei führt die Sicherheit außerhalb der EU auch zu mehr Sicherheit in der EU, da sich diese hierdurch in einem sichereren Umfeld befindet und weniger störenden Einflüssen von außen ausgesetzt ist. Da die Gemeinsame Sicherheitspolitik ein Teilbereich der Außenpolitik ist, umfasst diese nur die Sicherheit außerhalb der EU.194 Die Sicherheit in den Mitgliedstaaten wird vom jeweiligen nationalen Polizeirecht und den inländischen Polizeibehörden gewährleistet. Die Sicherheit im Raum der EU, die enge Bezüge zur nationalen Sicherheit hat, wird über die Regelungen zum Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts nach Art. 67 ff. AEUV gewahrt.195 Dazu trägt ins-

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Algieri, GASP, S. 26 ff.; Gaedtke, Europäische Außenpolitik, S. 12 f. Zum Begriff der auswärtigen Gewalt vgl. Nettesheim, in: Maunz / ​Dürig, GG, Art. 32 Rn. 8 ff. 192 Zur Begriffsbestimmung einer Europäischen Außenpolitik vgl. auch Gaedtke, Europäische Außenpolitik, S. 14 ff.; s. auch Oppermann / ​Classen / ​Nettesheim, Europarecht, § 38 Rn. 5. 193 Möllers, Sicherheitspolitik, in: Möllers, Wörterbuch der Polizei, S. 1762. 194 Vgl. hierzu Art. 42 Abs. 1 S. 3 EUV: „Missionen außerhalb der EU“ (Herv. d. Verf.); Frenz, ZaöRV 70 (2010), 487, 491. Unter der äußeren Sicherheit ist die Abwehr von Gefahren zu verstehen, die sich von außen gegen die EU richten, vgl. 1. Kapitel, A. I., S. 34 Fn. 9. 195 Vgl. aber auch Art. 222  AEUV zur gegenseitigen Unterstützung bei Terroranschlägen und Katastrophen (Solidaritätsklausel). 191

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

besondere die Grenzschutzpolitik nach Art. 77 AEUV und die europäische Grenzschutzagentur Frontex bei.196 Als Definition ist damit festzuhalten, dass die Gemeinsame Sicherheitspolitik im Rahmen der GASP die Schaffung und Erhaltung von Sicherheit außerhalb der EU unter Rückgriff auf zivile und militärische Mittel umfasst.197 Diese Definition kann auch als Gemeinsame Sicherheitspolitik im weiteren Sinne bezeichnet werden. Demgegenüber können ausschließlich zivile Missionen – etwa EU-Polizeiund Rechtsstaatsmissionen – als Sicherheitspolitik im engeren Sinne verstanden werden.198 Militärische Missionen werden von der Sicherheitspolitik im weiteren Sinne mit umfasst, können aber bereits der spezielleren Verteidigungspolitik zugeordnet werden.199 Was genau unter der äußeren Sicherheit im Rahmen der GASP zu verstehen ist, lässt sich anhand der durchzuführenden Missionen bestimmen. Diese sind in Art. 43 Abs. 1 S. 1 EUV aufgeführt und umfassen „gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen, humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, Aufgaben der militärischen Beratung und Unterstützung, Aufgaben der Konfliktverhütung und Erhaltung des Friedens sowie Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich Frieden schaffender Maßnahmen und Operationen zur Stabilisierung der Lage nach Konflikten“. Durch dieses mannigfaltige Aufgabenspektrum wird deutlich, dass die EU einen weiten Sicherheitsbegriff verfolgt.200 c) Gemeinsame Verteidigungspolitik Ein Teilaspekt der Gemeinsamen Sicherheitspolitik ist die Gemeinsame Verteidigungspolitik. Diese ist immer dann einschlägig, wenn es um den Einsatz von Truppen, militärischer Ausrüstung oder militärischem Gerät geht.201 d) Gemeinsame Verteidigung Aus Art. 42 Abs. 2 UAbs. 1 S. 2 EUV ergibt sich, dass von der gemeinsamen Verteidigungspolitik nochmals die gemeinsame Verteidigung zu unterscheiden ist.202 Dieser spricht davon, dass die Einführung einer gemeinsamen Verteidigung erst 196

Vgl. dazu das 4. Kapitel. Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  42 EUV Rn.  19. 198 Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  42 EUV Rn.  19. 199 Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​H ilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  42 EUV Rn.  19; s. dazu sogleich. 200 Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  43 EUV Rn.  6. 201 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 42 EUV Rn. 13; Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  42 EUV Rn.  19. 202 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 42 EUV Rn. 7. 197

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik 

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einstimmig vom Rat beschlossen werden muss, wobei die Mitgliedstaaten ihre jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorgaben zu beachten haben. Die Verteidigung ist somit noch nicht Teil der GSVP. Vom natürlichen Sprachgebrauch her bedeutet Verteidigung Landesverteidigung, die aufgrund eines äußeren Angriffs notwendig ist.203 Dieses Verständnis könnte auch in Bezug auf die EU zugrundezulegen sein. Zweifel kommen aufgrund von Art. 42 Abs. 7 EUV auf. Dieser statuiert eine Beistandspflicht im Falle eines bewaffneten Angriffs. Wenn es eine solche Beistandspflicht bereits gibt, eine gemeinsame Verteidigung nach Art. 42 Abs. 2 UAbs. 1 EUV aber erst noch geschaffen werden muss, so könnte die in Art. 42 Abs. 7 EUV geregelte Beistandspflicht nicht zur gemeinsamen Verteidigung, sondern nur zur Verteidigungs­politik gehören. Allerdings ordnete der Konventsentwurf über die Europäische Verfassung die Beistandspflicht der Verteidigung zu.204 Anhaltspunkte dafür, dass der Vertrag von Lissabon dies ändern wollte, sind nicht ersichtlich. Damit gehört Art. 42 Abs. 7 EUV entsprechend dem natürlichen Sprachgebrauch zu einer in diesem Teil schon vorweggenommenen gemeinsamen Verteidigung.205 Was darüber hinaus zur gemeinsamen Verteidigung und nicht mehr zur gemeinsamen Verteidigungspolitik gehört, kann mittels der Rechtsnatur des Art. 42 Abs. 2 UAbs. 1 EUV geklärt werden. Art. 42 Abs. 2 UAbs. 1 EUV ist ein im Vergleich zu Art. 48 EUV erleichtertes Verfahren zur Vertragsänderung. Erforderlich sind nur ein einstimmiger Beschluss des Rates sowie eine Ratifikation durch die Mitgliedstaaten.206 Alles was einer Vertragsänderung im Hinblick auf militärische Aspekte bedarf, kann damit als Verteidigung eingestuft werden. Die Schwelle zur Verteidigung ist überschritten, wenn die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, sich bei militärischen Einsätzen zu beteiligen und somit das im Bereich der GSVP bestehende Freiwilligkeitsprinzip207 aufgegeben wird.208 Daneben gilt es zu beachten, dass über Art. 42 Abs. 2 UAbs. 1 EUV nicht alle Aspekte einer gemeinsamen Verteidigung realisiert werden können. Entsprechend der Qualifikation als erleichtertem Vertragsänderungsverfahren können nur solche Aspekte einer 203 V. Kielmansegg, Die Verteidigungspolitik der Europäischen Union, S. 122; v. Kielmans­ egg, EuR 2006, 182, 188. 204 So sollte die Beistandspflicht gemäß Art. I-40 Abs. 7 des Konventsentwurfs zur EUVerf. so lange eingerichtet werden, wie noch keine gemeinsame Verteidigung eingeführt wurde. Dies zeigt, dass mit der Einführung der gemeinsamen Verteidigung die Beistandspflicht von der gemeinsamen Verteidigung erfasst wird und daher dieser zuzuordnen ist, s. dazu Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 42 EUV Rn. 8. 205 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 42 EUV Rn. 8. 206 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 42 EUV Rn. 10; v. Kielmansegg, Die Verteidigungspolitik der Europäischen Union, S. 116 f. 207 Zum Freiwilligkeitsprinzip s. unter B. III. 4. d), S. 113 ff. Das Freiwilligkeitsprinzip bezeichnet den Umstand, dass die Mitgliedstaaten rechtlich nicht verpflichtet sind, sich an einem militärischen Einsatz zu beteiligen. 208 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 42 EUV Rn. 11; Cremer, Die GASP, in: Fastenrath / ​Nowak, Der Lissabonner Reformvertrag, S. 275, 278.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

gemeinsamen Verteidigung eingeführt werden, die die Union nicht grundlegend verändern. Eine solche grundlegende Veränderung wäre beispielsweise bei der Einführung eigener EU-Streitkräfte209 oder integrierter Kommandostrukturen210 anzunehmen. Für deren Einführung müsste ein normales Vertragsänderungsverfahren nach Art. 48 EUV durchgeführt werden.211 Das bisherige Fehlen einer gemeinsamen Verteidigung – mit der Konsequenz, dass militärische Einsätze nicht verpflichtend geschuldet sind – führt dazu, dass die EU bei ihren Einsätzen keine unionseigenen Interessen losgelöst von etwaigen abweichenden mitgliedstaatlichen Interessen militärisch verfolgen kann. Dies ist ein erster Hinweis darauf, dass die EU auch nach dem Vertrag von Lissabon in militärischer Hinsicht darauf angewiesen bleibt, Streitkräfte, die von den Mitgliedstaaten freiwillig eingesetzt werden, bei Einsätzen lediglich zu koordinieren.212 3. Allgemeine Regelungen und Funktionsweise der GASP a) Grundlagen und Ziele Die GASP nach dem Vertrag von Lissabon wird in die allgemeinen Grundsätze für das auswärtige Handeln der Union eingebettet.213 So befinden sich die besonderen Bestimmungen über die GASP im Anschluss an die allgemeinen Bestimmungen über das auswärtige Handeln der Union (Art. 21 und 22 EUV) im zweiten Kapitel des V. Titels „Allgemeine Bestimmungen über das auswärtige Handeln der Union und besondere Bestimmungen über die gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik“. Das Kapitel der GASP ist seinerseits in den Abschnitt über die gemeinsamen Bestimmungen (Art. 23–41 EUV) und den Abschnitt über die Bestimmungen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP, Art. 42–46 EUV) gegliedert. Art. 23 EUV nimmt auf die allgemeinen Bestimmungen über das auswärtige Handeln der EU Bezug, indem er erklärt, die GASP stehe im Einklang mit diesen Grundsätzen und Zielen. Diese Grundsätze, genannt in Art. 21 Abs. 1 EUV, sind Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, die universelle Gültig 209 Bisher wird auf die Streitkräfte der Mitgliedstaaten zurückgegriffen, s. dazu unter B. III. 4. c), S. 113. 210 Als integrierte Kommandostrukturen wären dauerhafte, von der EU betriebene Kommandostrukturen zu bezeichnen, die einen Rückgriff auf die Kommandostrukturen der Mitgliedstaaten überflüssig machen. Zur bisherigen Kommandostruktur s. unter B. III. 5. a) bb) (2), S. 118 ff. 211 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 42 EUV Rn. 12; Cremer, Die GASP, in: Fastenrath / ​Nowak, Der Lissabonner Reformvertrag, S. 275, 278. 212 Zur Herleitung des Freiwilligkeitsprinzips sowohl für militärische als auch zivile Missionen s. unter B. III. 4. d), S. 113 ff. 213 Frenz, ZaöRV, 70 (2010), 487, 488.

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik 

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keit und Unteilbarkeit der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die Achtung der Menschenwürde, der Grundsatz der Gleichheit und der Grundsatz der Solidarität sowie die Achtung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen und des Völkerrechts. Diese Grundsätze werden in Art. 21 Abs. 2 EUV weiter vertieft und konkretisiert. Die Grundsätze und Ziele des Art. 21 EUV folgen wiederum aus den grundlegenden Werten der EU selbst, geregelt in Art. 2 EUV.214 Damit wird die GASP letztlich nicht nur in das auswärtige Handeln der EU eingebettet, sondern an den grundlegenden Werten der gesamten EU ausgerichtet.215 Der Rückbezug der GASP auf die allgemeinen Grundsätze soll die Kohärenz des Handelns der Union in auswärtigen Angelegenheiten sichern.216 Alle Maßnahmen müssen sich an diesen Grundsätzen ausrichten und messen lassen. b) Instrumente und Handlungsformen Die Handlungsformen der GASP werden zusammenfassend in Art. 25 EUV aufgeführt. Die fünf von Art. 25 EUV genannten Instrumente sind allgemeine Leitlinien,217 Aktionen,218 Standpunkte,219 Durchführungsmaßnahmen für Aktionen und Standpunkte,220 sowie eine systematische Zusammenarbeit.221 Bis auf letztere werden die Handlungsinstrumente allesamt durch Beschlüsse ausgeübt.222 Art.  25 EUV gibt über die Handlungsformen nur einen zusammenfassenden Überblick. Die Einzelheiten dieser Instrumente sind anderen Artikeln zu entnehmen.223 Art. 25 EUV ist bezüglich der Instrumente der GASP auch nicht abschließend. Nicht in Art. 25 EUV genannt, aber ebenfalls zulässig sind beispielsweise informelle und faktische Handlungen wie Erklärungen, Konsultationen oder Schlussfolgerungen.224 Bezüglich der Handlungsformen lässt sich ein „Kaskadenprinzip[…] der gestuften Willensbildung“ feststellen.225 Höchste Stufe und Ausgangspunkt der Willensbildungskaskade sind die oben erwähnten, in Art. 21 Abs. 1 und Abs. 2 EUV 214

Frenz, Hdb. Europarecht, Bd. 6, Rn. 5234. Frenz, ZaöRV 70 (2010), 487, 488; Frenz, Hdb. Europarecht, Bd. 6, Rn. 5234. 216 Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  21 EUV Rn.  2. 217 Art. 25 lit. a) EUV. 218 Art. 25 lit. b) Ziff. i) EUV. 219 Art. 25 lit. b) Ziff. ii) EUV. 220 Art. 25 lit. b) Ziff. iii) EUV. 221 Art. 25 lit. c) EUV. 222 Zu den Beschlüssen im Rahmen der GASP s. unter B. III. 3. d), S. 106 ff. 223 Z. B. Art. 26, 28, 29, 32 EUV; Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​ AEUV, Art. 25 EUV Rn. 4. 224 Frenz, ZaöRV 70 (2010), 487, 495. 225 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 22  EUV Rn. 3 ff., Art. 21  EUV Rn. 3, Art. 26 EUV Rn. 1 ff.; Cremer, Das auswärtige Handeln der Union, in: Niedobitek, Politiken der Union, § 11 Rn. 134 ff. 215

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

vertraglich festgesetzten Ziele und Grundsätze, an denen sich die Willensbildung und damit die Handlungsinstrumente zu orientieren haben.226 Auf zweiter Stufe folgen die allgemeinen Leitlinien, Art. 22, 26  EUV.227 Diese allgemeinen Leit­ linien werden durch Beschlüsse über Aktionen und Standpunkte aufgegriffen und ausgeformt. Die Beschlüsse über die Aktionen und Standpunkte werden schließlich durch die Durchführungsbeschlüsse im Detail konkretisiert. So erfahren die sehr vagen allgemeinen Grundsätze und Ziele des Art. 21 EUV eine konkrete Ausformung.228 Im Folgenden werden die Handlungsformen kurz dargestellt, wobei ein besonderes Augenmerk auf der Aktion liegt, da diese das operative Handeln im Rahmen der GASP betrifft, dessen Bindung an die Unionsgrundrechte untersucht werden soll. Die Aktion ist zudem für den Vergleich mit Frontex von Interesse, denn auch bei Frontex wird der operative Einsatz als „Aktion“ bezeichnet. aa) Allgemeine Leitlinien Die Ziele und allgemeinen Leitlinien der gesamten GASP werden gemäß Art. 26 EUV vom Europäischen Rat beschlossen. Damit greift Art. 26 Abs. 1 EUV Art. 22 Abs. 1 EUV auf, wonach der Europäische Rat generell die strategischen Interessen und Ziele der Union sowohl in Bezug auf die GASP als auch in Bezug auf andere Bereiche des auswärtigen Handelns festlegt. Zu den Zielen und allgemeinen Leitlinien gehören auch Fragen mit verteidigungspolitischen Bezügen, Art. 26 Abs. 1 S. 1 a. E. EUV. Damit wird der Bogen zur Gemeinsamen Sicherheitsund Verteidigungspolitik der Art. 42 ff. EUV geschlagen, deren Leitlinien ebenfalls der Europäische Rat nach Art. 26 EUV beschließt.229 Nach Art. 31 Abs. 1 S. 1 EUV werden diese Leitlinien einstimmig beschlossen. Indem der Europäische Rat die strategischen Interessen und Leitlinien der GASP beschließt, ist er oberste Entscheidungsinstanz der GASP.230 Die Beschlüsse des Europäischen Rates sind verbindliche Vorgabe für den Rat,231 der auf dieser Grundlage die GASP gestaltet und die für die Festlegung und Durchführung dieser Politik erforderlichen Beschlüsse fasst, Art. 26 Abs. 2 EUV.

226

Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 22 EUV Rn. 3. Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 22 EUV Rn. 3. 228 Frenz, ZaöRV 70 (2010), 487, 489. 229 Frenz, Hdb. Europarecht, Bd. 6, Rn. 5259. 230 Frenz, Hdb. Europarecht, Bd. 6, Rn. 5260; Frenz, ZaöRV 70 (2010), 487, 496. 231 Kaufmann-Bühler / ​Meyer-Landrut, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  26 EUV Rn. 13. Allerdings hänge der „Grad der Verbindlichkeit“ vom Einzelfall ab und sei durch Inhalt und Auslegung des Beschlusses zu ermitteln, wobei in der Regel eine politische Determination bestehe, Kaufmann-Bühler / ​Meyer-Landrut, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​ AEUV, Art. 26 EUV Rn. 13. 227

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik 

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bb) Aktionen (1) Grundsätzliches Als weiteres Instrument wird von Art. 25 lit. b) Ziff. i) EUV die „Aktion“ genannt. Genauer wird sie in Art. 28 EUV geregelt. Art. 28 Abs. 1 EUV spricht zwar nicht von einer Aktion, sondern von einem operativen Vorgehen der Union. Trotz fehlender sprachlicher Anknüpfung ist damit die Aktion im Sinne des Art. 25 lit. b) Ziff. i) EUV gemeint.232 Danach erlässt der Rat die erforderlichen Beschlüsse, sofern eine internationale Situation ein operatives Vorgehen der Union verlangt, Art. 28 Abs. 1 S. 1 EUV. Ein Spezialfall der Aktion sind die in Art. 42 Abs. 1 S. 3 EUV und Art. 43 EUV geregelten Missionen.233 Solche Missionen unterfallen zwar der GSVP, die jedoch nur ein Spezialfall der GASP darstellt, sodass grundsätzlich – vorbehaltlich spezieller Regelungen – auf die allgemeine Regelung des Art. 28 EUV zurückgegriffen werden kann.234 (2) Gegenstand einer Aktion Eine Aktion bzw. ein operatives Vorgehen kann unterschiedliche Gegenstände zum Inhalt haben. Diese reichen von Wahlbeobachtungen über Abrüstungs- und Nichtverbreitungspolitiken bis hin zu Polizei- und Militäroperationen.235 Letztere können bereits der GSVP und dem spezielleren Art. 43 EUV zugeordnet werden, was freilich einen Rückgriff auf Art. 28 EUV nicht gänzlich ausschließt. Eine solche Militäroperation der GSVP stellt beispielsweise auch die einleitend dargestellte EuNavFor Med Operation Sophia dar. (3) Beschlusskompetenz Die Kompetenz für den Beschluss eines operativen Vorgehens liegt gemäß Art. 28 Abs. 1 S. 1 EUV beim Rat. Voraussetzung für einen solchen Beschluss ist, dass eine internationale Situation ein operatives Vorgehen verlangt. Entsprechend dem Kaskadenprinzip der Willensbildung muss sich ein solches Vorgehen aus den Zielen des Art. 21 EUV begründen lassen.236 232 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 28 EUV Rn. 1; Frenz, Hdb. Europarecht, Bd. 6, Rn. 5266; Frenz, ZaöRV 70 (2010), 487, 497; Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​AEUV, Art. 28 EUV Rn. 1. 233 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 28 EUV Rn. 5. 234 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 28 EUV Rn. 5. 235 Vgl. Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, 4. Aufl. 2011, Art. 28 EUV Rn. 9; Frenz, ZaöRV 70 (2010), 487, 497; Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art. 28 EUV Rn. 17 f. 236 Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  28 EUV Rn.  4; Terhechte, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 28 EUV Rn. 1.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Grundsätzlich beschließt der Rat gemäß Art. 26 Abs. 2 EUV auch auf Grundlage der vom Europäischen Rat festgelegten allgemeinen Leitlinien und strategischen Vorgaben. Dabei stellt sich die Frage, ob der Rat nur dann einen Beschluss fassen kann, wenn zuvor der Europäische Rat zu der entsprechenden Thematik Stellung genommen und allgemeine Leitlinien aufgestellt hat. Für eine solche Annahme könnte der Wortlaut des Art. 26 Abs. 2 EUV sprechen. Allerdings kann der Wortlaut auch so verstanden werden, dass der Rat nur die bestehenden Leitlinien zu beachten hat, aber keine fehlenden Leitlinien beim Europäischen Rat einholen muss. Dieses Verständnis wird durch den Wortlaut des Art. 28  Abs.  1  EUV unterstützt, der für das Beschließen eines operativen Vorgehens durch den Rat keine allgemeinen Leitlinien des Europäischen Rates verlangt. Hinzu kommt, dass anderenfalls auch die Eilentscheidungskompetenz nach Art. 30 Abs. 2 EUV ins Leere laufen würde, wenn bei fehlenden allgemeinen Leitlinien zuvor der Europäische Rat konsultiert werden müsste.237 Ein weiteres Argument ergibt sich aus einem Umkehrschluss aus Art. 31 Abs. 2 UAbs. 1 Spstr. 1 EUV. So ist ein Beschluss des Rates mit qualifizierter Mehrheit über eine Aktion oder einen Standpunkt der EU möglich, wenn dies auf Grundlage eines Beschlusses des Europäischen Rates über die strategischen Interessen und Ziele der Union geschieht. Fehlt ein solcher Beschluss des Europäischen Rates, bedeutet das im Umkehrschluss, dass ein Beschluss des Rates mit qualifizierter Mehrheit nicht möglich ist. Allerdings muss weiterhin ein einstimmiger Beschluss des Rates möglich sein. Dieses Verständnis wird letztlich auch durch ein historisches Argument getragen. Der Vertrag von Maastricht ordnete den Rat dem Europäischen Rat unter. So musste vor einer gemeinsamen Aktion gemäß Art. J.3 Nr. 1 Maastricht-Vertrag der Europäische Rat über allgemeine Leitlinien entschieden haben. Diese Unterordnung fehlt seit dem Vertag von Amsterdam und setzt sich im Vertrag von Lissabon fort. Damit kann der Rat Aktionen beschließen, ohne dass der Europäische Rat zuvor eine allgemeine Leitlinie festgelegt hat.238

237

Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art. 28 EUV Rn. 3. Dieses Argument ist jedoch nicht zwingend. So könnte die Eilbefugnis nach Art. 30 Abs. 2 EUV zum einen von vornherein auf die Fälle beschränkt sein, in denen der Europäischen Rat zuvor allgemeine Leitlinien aufgestellt hat. Zum anderen könnte von dem Erfordernis des Bestehens allgemeiner Leitlinien nur in dringlichen Fällen nach Art. 30 Abs. 2 EUV eine Ausnahme bestehen, sodass im Umkehrschluss in allen anderen Fällen allgemeine Leitlinien des Europäischen Rates bestehen müssten. 238 Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​AEUV, Art. 28 EUV Rn. 3; vgl. dazu auch Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 26 Rn. 4; Frenz, ZaöRV 70 (2010), 487, 497.

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik 

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(4) Inhalt der Beschlüsse Die Beschlüsse für das operative Vorgehen müssen Ziele, Umfang, die der Union zur Verfügung zu stellenden Mittel sowie die Bedingungen und gegebenenfalls den Zeitraum für die Durchführung festlegen, Art. 28 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 EUV. (5) Operative Ausführung Wird eine Aktion beschlossen, müssen die dabei getroffenen Vorgaben auch operativ ausgeführt werden. Da die EU über keine eigenen Einsatzkräfte verfügt, ist sie hierbei auf die Unterstützung durch die Mitgliedstaaten oder einen Rückgriff auf die NATO239 angewiesen. Rechtsfragen in Zusammenhang mit der operativen Ausführung durch die Mitgliedstaaten werden vor allem im Rahmen der GSVP relevant, sodass darauf erst an dieser Stelle einzugehen ist.240 cc) Standpunkte Als weiteres Instrument nennt Art. 25 lit. b)  Ziff. ii) EUV Standpunkte der Union, die ebenfalls durch Beschlüsse festgelegt werden. Ein solcher Beschluss bestimmt gemäß Art. 29 EUV den „Standpunkt der Union zu einer bestimmten Frage geographischer oder thematischer Art“. Diese gemeinsamen Standpunkte prägen die politische Position der EU in auswärtigen Angelegenheiten.241 An ihnen hat sich die Außenpolitik der Mitgliedstaaten zu orientieren, vgl. Art. 29 S. 2 EUV. Standpunkte sind – in Abgrenzung zur Aktion – das zu wählende Instrument, wenn es um allgemeine politische Festlegungen geht, die nicht in konkrete Aktionen bzw. ein operatives Vorgehen münden.242 Ein operatives Vorgehen richtet sich vielmehr nach Art. 25 lit. b) Ziff. i) EUV und Art. 28 EUV, wobei jedoch fließende Übergänge möglich sind. So können gemeinsame Standpunkte, beispielsweise über Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern, zu einem operativen Vorgehen führen, wobei der Standpunkt auf Art. 29 EUV und das operative Vorgehen auf Art. 28 EUV beruht.243 239 Sprachlich genauer wäre es wohl, statt von einem „Rückgriff auf die NATO“ von einer Kooperation zwischen der EU und der NATO zu sprechen, wonach die NATO der EU eine Nutzung von NATO-Kapazitäten gestattet. Allerdings wird in Zusammenhang mit der „Berlin Plus“-Vereinbarung, die diese Kooperation begründet, überwiegend von einem „Rückgriff“ gesprochen, sodass an diesem Begriff festgehalten wird, vgl. etwa v. Kielmansegg, Die Verteidigungspolitik der Europäischen Union, S. 464, 466 f.; Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​ AEUV, Art. 42 EUV Rn. 21. 240 S. unter B. III. 4. und 5., S. 112 ff. 241 Frenz, Hdb. Europarecht, Bd. 6, Rn. 5286; Frenz, ZaöRV 70 (2010), 487, 501. 242 Frenz, Hdb. Europarecht, Bd. 6, Rn. 5287. 243 Frenz, Hdb. Europarecht, Bd. 6, Rn. 5287.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

dd) Durchführungsmaßnahmen Art. 25 lit. b) Ziff. iii) nennt als weiteres Instrument Beschlüsse zur Festlegung der Einzelheiten der Durchführung in Bezug auf Beschlüsse über Aktionen und Standpunkte. Nachdem die allgemeinen Leitlinien nach Art. 25 lit. a) EUV den „groben Rahmen“ vorgeben und Beschlüsse über Aktionen und Standpunkte diesen Rahmen genauer ausfüllen, behandeln die Durchführungsbeschlüsse die diesbezüglichen Einzelheiten.244 Die Durchführungsbeschlüsse sind damit die unterste Stufe der Willensbildungskaskade. Dabei können die Übergänge zwischen den Beschlüssen über das operative Vorgehen und den Durchführungsbeschlüssen fließend sein. So müssen Beschlüsse über das operative Vorgehen nach Art. 28 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 EUV bereits Ziele, Umfang, die der Union zur Verfügung zu stellenden Mittel, die Bedingungen und gegebenenfalls auch den Zeitraum der Durchführung der Aktion festlegen und enthalten damit schon etliche Einzelheiten. Durchführungsbeschlüsse sind noch detaillierter. Eine genaue Grenzziehung ist dabei gar nicht möglich, aber auch nicht nötig, da Art. 25 lit. b) EUV beide Beschlüsse nennt, die somit auch zusammengefasst werden können.245 ee) Systematische Zusammenarbeit Nach Art. 25 lit. c)  EUV baut die Union die systematische Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei der Führung ihrer Politik aus. Darunter fallen mehrere Einzel­aspekte. Eine Kooperation der Mitgliedstaaten in der Außen- und Sicherheitspolitik wird etwa von Art. 32 EUV geregelt. Danach bilden der Europäische Rat und der Rat das Forum für eine Abstimmung der Mitgliedstaaten bei außen- und sicherheitspolitischen Fragen von allgemeiner Bedeutung, Art. 32 UAbs. 1 S. 1 EUV. Vor einem einzelstaatlichen Vorgehen das die Interessen der Union berührt, müssen die anderen Mitgliedstaaten im Europäischen Rat oder Rat konsultiert werden, Art. 32 UAbs. 1 S. 2 EUV. Die Mitgliedstaaten stimmen zudem ihr Handeln in internationalen Organisationen und auf internationalen Konferenzen ab, Art. 34 EUV. Ebenso wird das Verhalten auf diplomatischer und konsularischer Ebene zwischen den Mitgliedstaaten abgestimmt, Art. 35 EUV. Eine spezielle Form der systematischen Zusammenarbeit ist die ständig strukturierte Zusammenarbeit nach Art. 46 EUV im Rahmen der GSVP.246

244

Frenz, ZaöRV 70 (2010), 487, 502. Frenz, ZaöRV 70 (2010), 487, 502. 246 Vgl. dazu etwa Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 46 EUV Rn. 1 ff. 245

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik 

99

c) Beteiligte Institutionen Die auf europäischer Ebene beteiligten Institutionen im Rahmen der GASP sind der Europäische Rat, der Rat, der Hohe Vertreter der Union für die Außenund Sicherheitspolitik, der Europäische Auswärtige Dienst (EAD), das PSK, der EU-Militär­ausschuss, der EU-Militärstab und in zivilen Angelegenheiten der Ausschuss für nichtmilitärische Aspekte des Krisenmanagements (CIVCOM247) sowie eingeschränkt auch die Kommission, das Parlament sowie der EuGH. Um das Zusammenspiel von Mitgliedstaaten und EU im Bereich der GASP im Hinblick auf die Grundrechtsbindung sowie den Strukturvergleich mit Frontex zu analysieren, ist es notwendig, einen Blick auf die Aufgaben der beteiligten Institutionen zu werfen. aa) Europäischer Rat Der Europäische Rat besteht aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten sowie dem Präsidenten des Europäischen Rates und dem Präsident der Kommission, Art. 15 Abs. 2 S. 1 EUV. Die beiden letztgenannten sind jedoch nicht stimmberechtigt, Art. 235 Abs. 1 UAbs. 2 S. 2 AEUV. Nach Art. 15 Abs. 2 S. 2 EUV nimmt auch der Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik an der Arbeit des Europäischen Rates teil, ist aber als bloßer Teilnehmer ebenfalls nicht stimmberechtigt.248 Im Rahmen der GASP ist der Europäische Rat für die Bestimmung der strategischen Interessen und die Festlegung der Ziele und der allgemeinen Leitlinien zuständig, vgl. Art. 26 Abs. 1 EUV, Art. 22 Abs. 1 EUV. Damit ist der Europäische Rat oberste Entscheidungsinstanz in der GASP.249 bb) Rat Der Rat besteht aus je einem Vertreter jedes Mitgliedstaates auf Ministerebene, der befugt ist, für seine Regierung verbindlich zu handeln und das Stimmrecht auszuüben, Art. 16 Abs. 2 EUV. Die Aufgaben der GASP nimmt der Rat in der Formation „Auswärtige Angelegenheiten“, bestehend aus den Außenministern der Mitgliedstaaten,250 wahr.251 Er fasst die für die Festlegung und Durchführung dieser Politik erforderlichen Beschlüsse auf Grundlage der vom Europäischen Rat festgelegten allgemeinen Leitlinien und strategischen Vorgaben, Art. 26  Abs.  2 UAbs. 1 EUV. Im Rat „Auswärtige Angelegenheiten“ führt der Hohe Vertreter 247

Comittee for Civilian Aspects of Crisis Management. Kumin, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  15 EUV Rn.  10. 249 Frenz, Hdb. Europarecht, Bd. 6, Rn. 5260. 250 Art. 16 Abs. 2, Abs. 6 UAbs. 3 EUV; Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art.  18 EUV Rn. 11. 251 Ziegenhorn, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  16 EUV Rn.  62. 248

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

den Vorsitz, Art. 18 Abs. 3 EUV. Da dieser selbst nicht Mitglied des Rates ist, ist er allerdings nicht stimmberechtigt.252 Der Rat ist gemäß Art. 28 Abs. 1 UAbs. 1 S. 1 EUV ermächtigt, Beschlüsse über ein operatives Vorgehen der Union zu fassen. Darüber hinaus beschließt er gemäß Art. 29 EUV die Standpunkte der Union zu einer bestimmten Frage geographischer oder thematischer Art. Die allgemeinen Leitlinien und strategischen Vorgaben stammen zwar vom Europäischen Rat. Allerdings weist der EUV dem Rat die wichtigen Beschlüsse insbesondere über das operative Vorgehen zu. Im Fall der Fälle kann der Rat, wie oben begründet, auch ohne eine Leitlinie des Europäischen Rates entscheiden.253 Damit kann der Rat als „eigentliche[s] Entscheidungszentrum der GASP“ bezeichnet werden.254 cc) Hoher Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik Der Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik übernimmt den berühmten Doppelhut.255 Er führt zum einen den Vorsitz im Rat „Auswärtige Angelegenheiten“, Art. 18 Abs. 3 EUV. Zum anderen ist er einer der Vizepräsidenten der Kommission, Art. 18 Abs. 4 S. 1 EUV. Durch diese Doppelrolle soll die Kohärenz des auswärtigen Handelns der EU verbessert werden.256 Der Hohe Vertreter trägt durch seine Vorschläge zur Festlegung der Gemeinsamen Außenund Sicherheitspolitik bei und stellt sicher, dass die vom Europäischen Rat und vom Rat erlassenen Beschlüsse durchgeführt werden, Art. 27 Abs. 1 EUV. Sein Vorschlagsrecht wird durch Art. 30 Abs. 1 EUV gesichert, welcher unter anderem den Hohen Vertreter berechtigt, den Rat mit einer Angelegenheit zu befassen und ihm Initiativen und Vorschläge zu unterbreiten. Darüber hinaus vertritt der Hohe Vertreter die Union im Bereich der GASP, Art. 27 Abs. 2 S. 1 EUV. Bei seiner Tätigkeit kann er auf den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) zurückgreifen, vgl. Art. 27 Abs. 3 EUV.

252

Cremer, in Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 18 EUV Rn. 14. S. oben B. III. 3. b) bb) (3), S. 96. 254 Bitterlich, in: Lenz / ​Borchardt, EU-Verträge, Art. 26 EUV Rn. 1. 255 Calliess, Die neue EU, S. 398 ff.; Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 18 EUV Rn. 2; Cremer, Die GASP, in: Fastenrath / ​Nowak, Der Lissabonner Reformvertrag, S. 275, 290 ff.; Diedrichs, Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, S. 48; Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  18 EUV Rn.  3; Thym, Außenverfassungsrecht, in: Pernice, Der Vertrag von Lissabon, S. 173, 179 f.; zur Herkunft des Begriffs „Doppelhut“ vgl. Thym, AVR 42 (2004), 44, 61 Fn. 64. 256 Algieri, GASP, S. 65; Pache / ​Rösch, NVwZ 2008, 473, 478. 253

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  101

dd) Kommission Die Kommission hat im Bereich der GASP nur sehr eingeschränkte Kompetenzen. Art. 24 Abs. 1 UAbs. 2 S. 5 EUV spricht im Bereich der GASP von einer im Vergleich zu anderen Bereichen „spezifischen Rolle“ der Kommission. Zwar ist im Europäischen Rat zumindest der Präsident der Kommission vertreten und der Hohe Vertreter ist neben seinem Vorsitz im Rat für auswärtige Angelegenheiten zugleich auch einer der Vizepräsidenten der Kommission. Zu beachten ist jedoch, dass im Europäischen Rat der Präsident der Kommission an Abstimmungen nicht teilnimmt, Art. 235 Abs. 1 UAbs. 2 S. 2 AEUV. Die Kommission kann den Hohen Vertreter bei einer Initiative nach Art. 30 Abs. 1 EUV unterstützen. In Angelegenheiten der GASP ist sie jedoch nicht autonom initiativberechtigt.257 Die Antragsberechtigung des Hohen Vertreters mit Unterstützung der Kommission bezieht sich auf Vorschläge, die sowohl Kom­ ponenten der GASP als auch Komponenten gemeinschaftlicher Zuständigkeiten258 beinhalten, was als sogenannter Vorschlag mit gemischter Materie bezeichnet wird.259 Bei solchen Vorschlägen mit gemischter Materie sind nach Art. 40 EUV auch die Zuständigkeiten und Verfahrensweisen der gemeinschaftlichen Materie zu wahren. Insofern muss zunächst die Kommission in Bezug auf die gemeinschaftliche Komponente die Initiative ergreifen, woran sich die Initiative des Hohen Vertreters für den Bereich der GASP anschließen kann.260 Die in Art. 30 Abs. 1 EUV geregelte Initiative des Hohen Vertreters mit Unterstützung der Kommission betrifft folglich ausschließlich den speziellen Fall der Vorschläge mit gemischter Materie.261 Eine wichtige Aufgabe der Kommission ist die in Art. 21 Abs. 3 UAbs. 2 S. 2 EUV genannte Wahrung der horizontalen Kohärenz zwischen den einzelnen Bereichen des auswärtigen Handelns der EU. Unterstützung erfährt sie hierbei durch den Hohen Vertreter, der durch seine doppelte Einbindung in Rat und Kommission zur Kohärenzwahrung besonders beiträgt.

257

Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 30 EUV Rn. 3; Frenz, Hdb. Europarecht, Bd. 6, Rn. 5322; Kaufmann-Bühler / ​Meyer-Landrut, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​ AEUV, Art. 30 EUV Rn. 4; Marquardt / ​Gaedtke, in: von der Groeben / ​Schwarze / ​Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 30 EUV Rn. 4; vgl. auch Calliess, Die neue EU, S. 416. 258 Darunter sind die in Art. 3 bis 6 AEUV angeführten Zuständigkeiten zu verstehen, vgl. Calliess, Die neue EU, S. 422. 259 Kaufmann-Bühler / ​Meyer-Landrut, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  30 EUV Rn. 4. 260 Kaufmann-Bühler / ​Meyer-Landrut, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  30 EUV Rn. 4. 261 Kaufmann-Bühler / ​Meyer-Landrut, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  30 EUV Rn. 4.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

ee) Europäisches Parlament Das Europäische Parlament spielt im Bereich der GASP ebenfalls nur eine untergeordnete Rolle. Insbesondere sind im Bereich der GASP Gesetzgebungsakte und damit Gesetzgebungsverfahren ausgeschlossen,262 sodass die bei Gesetzgebungsverfahren übliche Parlamentsbeteiligung263 im Bereich der GASP entfällt. Das Europäische Parlament hat gemäß Art. 36 UAbs. 1 S. 1 EUV ein Anhörungs- und Unterrichtungsrecht, aber nur zu den wichtigsten Aspekten und den grundlegenden Weichenstellungen. Der Hohe Vertreter muss gemäß Art. 36 UAbs. 1 S. 2 EUV auf eine gebührende Berücksichtigung der Auffassung des Parlamentes achten. Das Parlament kann des Weiteren gemäß Art. 36  UAbs.  2  S.  1  EUV Anfragen und Empfehlungen an den Rat und den Hohen Vertreter richten. Damit kann das Europäische Parlament im Bereich der GASP keine zwingend zu beachtenden Vorgaben treffen oder gar Beschlüsse verhindern. Seine Befugnisse bestehen im Wesentlichen aus einem Informationsrecht.264 ff) EuGH Der EuGH hat im Bereich der GASP fast keine Kompetenzen. So bestimmt Art. 24 Abs. 1 UAbs. 2 S. 6 EUV und Art. 275 Abs. 1 AEUV, dass der EuGH für die GASP nicht zuständig ist. Ausgenommen wird nur die Kontrolle des Art. 40 EUV und die Überwachung der Rechtmäßigkeit bestimmter Beschlüsse nach Art. 275 Abs. 2 AEUV. Art. 40 EUV betrifft die Kompetenzabgrenzung zwischen der GASP und den anderen Gemeinschaftszuständigkeiten der Union, welche der EuGH vornehmen soll. Dies ist strenggenommen keine Befugnis des EuGH im Bereich der GASP. Vielmehr geht es um die Abgrenzung, was zur GASP gehört und was nicht, sodass eine der GASP vorgelagerte Frage betroffen ist. Die von Art. 275 Abs. 2 AEUV genannten Beschlüsse, die vom EuGH überprüft werden können, betreffen spezielle restriktive Maßnahmen gegenüber natürlichen oder juristischen Personen i. S. d. Art. 215 AEUV, die der Rat erlässt. Solche Beschlüsse, die sich gegen eine konkrete Person richten, müssen von den betroffenen Personen selbstverständlich angefochten werden können.265 262

Art. 24 Abs. 1 UAbs. 2 S. 3, 31 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 EUV. Vgl. Art. 294 AEUV. 264 Marquardt / ​Gaedtke, in: von der Groeben / ​Schwarze / ​Hatje, Europäisches Unionsrecht, Vor Art. 23–46 EUV Rn. 27; vgl. auch Calliess, Die neue EU, S. 419 f.; Krajewski, Binnenorganisation der EU Außenpolitik, in: EnzEuR, Bd. 10, § 3 Rn. 77, spricht von einer allenfalls marginalen Beteiligung des Europäischen Parlaments im Rahmen der GASP. 265 Möglich ist eine Inzidentkontrolle (Art. 277 AEUV) von Beschlüssen über restriktive Maßnahmen, die der Rat auf der Grundlage von Titel V Kapitel 2 EUV erlassen hat, vgl. Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 275 AEUV Rn. 9; aus der Rspr. vgl. EuGH, Urt. v. 263

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  103

gg) Europäischer Auswärtiger Dienst (EAD) Der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) unterstützt gemäß Art. 27 Abs. 3 S. 1 EUV den Hohen Vertreter bei der Erfüllung seiner Aufgaben. Daneben soll er die diplomatischen Beziehungen zu anderen Ländern pflegen und mit den diplomatischen Diensten der Mitgliedstaaten zusammenarbeiten.266 Der Hohe Vertreter erhält somit einen administrativen Unterbau für seine Tätigkeit, wobei der EAD zur Kohärenz des außenpolitischen Handelns der EU beitragen soll.267 hh) Politisches und Sicherheitspolitisches Komitee (PSK) Die Aufgaben und Befugnisse des Politischen und Sicherheitspolitischen Komitees (PSK) sind in Art. 38 EUV geregelt. Geschaffen wurde es zusammen mit dem EU-Militärausschuss und dem EU-Militärstab zunächst interimsweise268 und dann dauerhaft durch Ratsbeschluss vom 22. Januar 2001.269 Hintergrund war das auf dem Gipfel von Helsinki erklärte Ziel, dass die EU die Petersberg-Aufgaben nun selbst durchführen und nicht mehr von der WEU abhängig sein soll.270 Das PSK ist prinzipiell ein vom EUV vorgesehener Ausschuss des Rates.271 Allerdings ist das PSK nicht nur dem Rat, sondern auch dem Hohen Vertreter zuge­ ordnet.272 Letzterer ist aber zugleich Vorsitzender des Rates „Auswärtige Angelegenheiten“ und führt die GASP gemäß Art. 18 Abs. 2 S. 2 EUV im Auftrag des Rates durch. Aufgrund dieser Rückanbindung des Hohen Vertreters an den Rat kann konstatiert werden, dass das PSK das „maßgebliche außenpolitische Gremium ‚des Rates‘ unterhalb der Ministerebene darstellt“.273

28.11.2013, Rs. T-509/10, Rn. 38 (Manufactoring Support & Procurement Kala Naft); EuGH, Urt. v. 11.12.2012, Rs. T-15/11, Rn. 42 ff. (Sina Bank); EuGH, Urt. v. 27.02.2014, Rs. T-256/10, Rn. 31 f. (Ezz u. a.). Daneben ist auch die Nichtigkeitsklage gegen GASP-Beschlüsse zulässig, die restriktive Maßnahmen gegenüber natürlichen oder juristischen Personen vorsehen, ­Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 275 AEUV Rn. 9; aus der Rspr. vgl. EuGH, Urt. v. 23.04.2013, verb. Rs. C-478/11 P u. a., Rn. 57 (Gbagbo u. a.); EuGH, Urt. v. 28.11.2013, Rs. C-348/12 P, Rn. 50 i. V. m. Rn. 19 (Manufactoring Support & Procurement Kala Naft); EuG, Urt. v. 04.06.2014, Rs. T-68/12, Rn. 31 f. (Hemmati). 266 Calliess, Die neue EU, S. 402 f. 267 Vedder, Die neue GASP, in: Giegerich: Herausforderungen und Perspektiven der EU, S. 105, 125. 268 Beschluss 2000/143/GASP vom 14.02.2000, ABl. Nr. L 49 v. 22.2.2000 S. 1. 269 Beschluss 2001/78/GASP vom 22.01.2001, ABl. Nr. L 27 v. 30.1.2001, S. 1 ff. 270 S. oben unter B. II. 12., S. 83 f.; s. auch Kuhn, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 28. 271 Diedrichs, Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, S. 51. 272 Calliess, Die neue EU, S. 409; Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 38 EUV Rn. 1. 273 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 38 EUV Rn. 1.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Mitglieder des PSK sind die sogenannten PSK-Delegierten aus den ständigen Vertretungen der Mitgliedstaaten in Brüssel.274 Das PSK verfolgt die internationale Lage im Bereich der GASP und trägt so auf Ersuchen des Rates, des Hohen Vertreters oder von sich aus durch an den Rat gerichtete Stellungnahmen zur Festlegung der Politiken bei, Art. 38 UAbs. 1 S. 1 EUV. Des Weiteren überwacht das PSK die Durchführung der vereinbarten Politiken, Art. 38 UAbs. 1 S. 2 EUV. Darüber hinaus nimmt das PSK die politische Kontrolle und strategische Leitung von Missionen der GSVP i. S. d. Art. 43 EUV wahr, Art. 38  UAbs.  2  EUV. Bei der Erfüllung dieser Aufgaben greift das PSK auf weitere Ausschüsse des Rates zurück, welche das PSK beraten. Dies sind in zivilen Angelegenheiten der Ausschuss für die nichtmilitärischen Aspekte der Krisenbewältigung (CIVCOM) und in militärischen Angelegenheiten der EU-Militärausschuss.275 Bei militärischen Missionen i. S. d. Art. 43 EUV bedeutet die politische Kontrolle und strategische Leitung der Mission nach Art. 38 UAbs. 2 EUV, dass das PSK auf Basis der Einschätzung des EU-Militärausschusses die militärische Situation selbst beurteilt und dementsprechend dem Rat Vorschläge bezüglich des weiteren Vorgehens unterbreitet.276 Dies kann beispielsweise den Einsatzplan oder die Befehlskette betreffen.277 Einen bindenden Beschluss kann grundsätzlich nur der Rat fassen.278 Diesen Grundsatz durchbricht Art. 38 UAbs. 3 EUV, indem der Rat ermächtigt wird, Entscheidungskompetenzen auf das PSK zu delegieren.279 So kann das PSK für den Zweck und die Dauer einer Operation zur Krisenbewältigung vom Rat ermächtigt werden, selbst geeignete Beschlüsse hinsichtlich der politischen Kontrolle und strategischen Leitung der Operation zu fassen, Art. 38 UAbs. 3 EUV. Die Delegation setzt mithin voraus, dass der Rat zuvor selbst Zweck und Dauer der Operation festgelegt und damit die Schranken der Delegation errichtet hat.280 Innerhalb dieses Rahmens kann das PSK sodann selbst beispielsweise eine Änderung des Einsatzplanes oder der Befehlskette beschließen.281 Aufgrund der bedeutenden Aufgaben des PSK im Bereich der GSVP kann es als „Motor“ der GSVP bezeichnet werden.282 274

Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 38 EUV Rn. 2; Kaufmann-Bühler / ​Meyer-​ Landrut, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  38 EUV Rn.  9; Marquardt / ​Gaedtke, in: von der Groeben / ​Schwarze / ​Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 38 EUV Rn. 5; Terhechte, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 38 EUV Rn. 3. 275 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 38 EUV Rn. 4; Terhechte, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 38 EUV Rn. 5. 276 Bei zivilen Missionen gilt Entsprechendes, wobei statt des EU-Militärausschusses das CIVCOM beteiligt ist. 277 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 38 EUV Rn. 5. 278 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 38 EUV Rn. 5. 279 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 38 EUV Rn. 6; Terhechte, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 38 EUV Rn. 4. 280 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 38 EUV Rn. 6. 281 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 38 EUV Rn. 6; Marquardt / ​Gaedtke, in: von der Groeben / ​Schwarze / ​Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 38 EUV Rn. 8. 282 Anhang zum Beschluss des Rates 2001/78/GASP vom 22.01.2001, ABl. Nr. L 27 v. 30.01.2001, S. 2; Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 38 Rn. 2; Dietrich, Europäi-

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  105

ii) EU-Militärausschuss Der EU-Militärausschuss ist ebenfalls ein Ausschuss des Rates. Er wurde durch Beschluss des Rates vom 22. Januar 2001 gemeinsam mit dem PSK und dem EU-Militärstab eingesetzt.283 Der EU-Militärausschuss besteht aus den Generalstabschefs der Mitgliedstaaten, welche sich durch militärische Delegierte vertreten lassen.284 Er berät das PSK in militärischen Angelegenheiten und unterbreitet Empfehlungen.285 Im Krisenfall übernimmt der EU-Militärausschuss die militärische Leitung.286 Unterstützt wird er dabei vom EU-Militärstab, der seinerseits im Rahmen der Leitvorgaben des EU-Militärausschusses handelt.287 jj) EU-Militärstab Der EU-Militärstab wurde durch Beschluss des Rates vom 22. Januar 2001 gemeinsam mit dem PSK und dem EU-Militärausschuss geschaffen.288 Der EUMilitär­stab ist eine unmittelbar dem Hohen Vertreter unterstellte Abteilung des Ratssekretariats289 und seit dem 01.12.2010 Teil des EAD.290 Er besteht aus Militärpersonal der Mitgliedstaaten und stellt damit die Bindung zwischen dem EUMilitär­ausschuss und den der EU zur Verfügung gestellten Streitkräften dar.291 Der EU-Militärstab ist den Weisungen des EU-Militärausschusses unterworfen.292 Durch den EU-Militärstab erlangt die EU militärisches Fachwissen.293 Zu seinen Aufgaben gehören die Frühwarnung, die Lagebeurteilung und die strategische Planung in Bezug auf die Ausführung der Petersberg-Aufgaben, wozu auch die sche Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 342; v. Kielmansegg, Die Verteidigungspolitik der Europäischen Union, S. 277. 283 Beschluss 2001/79/GASP vom 22.01.2001, ABl. Nr. L 27 v. 30.01.2001, S. 4 ff. 284 Algieri, GASP, S. 101; Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 38 EUV Rn. 4. 285 Ziff. 2 des Anhangs zum Beschluss des Rates 2001/79/GASP vom 22.01.2001, ABl. Nr. L 27 v. 30.01.2001, S. 5; Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 38 EUV Rn. 4. 286 Ziff. 2 des Anhangs zum Beschluss des Rates 2001/79/GASP vom 22.01.2001, ABl. Nr. L 27 v. 30.01.2001, S. 5; Calliess, Die neue EU, S. 410; Dietrich, Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 347. 287 Calliess, Die neue EU, S. 410 f. 288 Beschluss 2001/80/GASP vom 22.01.2001, ABl. Nr. L 27 v. 30.01.2001, S. 7 ff. 289 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 38 EUV Rn. 4 Fn. 30; Dietrich, Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 348; Kuhn, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 36. 290 Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  43 EUV Rn.  39. 291 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 38 EUV Rn. 4 Fn. 30; Kuhn, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 36. 292 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 38 EUV Rn. 4 Fn. 30; Dietrich, Euro­ päische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 348. 293 Calliess, Die neue EU, S. 411; Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 38 EUV Rn. 4 Fn. 30; Dietrich, Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 349; Kuhn, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 36.

106

2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Bestimmung der nationalen und multinationalen Streitkräfte gehört. Der EU-Militärstab führt Maßnahmen und Beschlüsse entsprechend den Vorgaben des EU-Militärausschusses durch.294 kk) Ausschuss für die nichtmilitärischen Aspekte der Krisenbewältigung (CIVCOM) Der Ausschuss für die nichtmilitärischen Aspekte der Krisenbewältigung ist das Gegenstück zum EU-Militärausschuss in zivilen Angelegenheiten und wurde mit Beschluss des Rates vom 22. Mai 2000 zur Unterstützung des damals noch interimsweise eingesetzten PSK geschaffen.295 Er besteht aus Vertretern der Mitgliedstaaten und stellt dem PSK in nichtmilitärischen Aspekten der Krisenbewältigung Informationen bereit, unterbreitet Empfehlungen und wird beratend tätig.296 Unterstützt wird das CIVCOM von beim EAD angesiedelten297 Arbeitseinheiten in Form der Direktion Krisenbewältigung und Planung (CMDP)298 und dem Zivilen Planungs- und Durchführungsstab (CPCC).299, 300 Letzterer ist in zivilen Angelegenheiten das Gegenstück zum EU-Militärstab. d) Der Beschluss im Rahmen der GASP Aus den oben dargestellten Handlungsinstrumenten ergibt sich, dass diese vor allem durch Beschlüsse ausgeübt werden. So beschließt der Europäische Rat die allgemeinen Leitlinien der GASP und der Rat beschließt über Aktionen, Standpunkte und über die Einzelheiten der Durchführung. Bei der Beschlussfassung im Rahmen der GASP zeigen sich Besonderheiten, die Aufschluss über das Zusammenspiel von Mitgliedstaaten und EU geben und damit Auswirkungen auf die Grundrechtsbindung haben könnten – insbesondere auf die Frage, ob die Mitgliedstaaten bei der operativen Ausführung der GASP noch Unionsrecht im Sinne des Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh durchführen.301

294

Algieri, GASP, S. 101 f.; Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 38 Rn. 4 Fn. 30; Kuhn, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 36. 295 Beschluss des Rates 2000/354/GASP vom 22.05.2000, ABl. Nr. L v. 27.05.2000, S. 1. 296 Art. 2 des Beschlusses 2000/354/GASP vom 22.05.2000, ABl. Nr. L v. 27.05.2000, S. 1. 297 Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  43 EUV Rn.  39. 298 Crisis Management and Planning Directorate. 299 Civilian Planning and Conduct Capability. 300 Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  43 EUV Rn.  36. 301 S. dazu unten, E. VI. 2. b), S. 175 ff.

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  107

aa) Grundsätzliches Beschlüsse sind Rechtsakte die sowohl in einem ordentlichen302 oder besonderen Gesetzgebungsverfahren303 als auch außerhalb eines Gesetzgebungsverfahrens erlassen werden können.304 Werden Beschlüsse in einem Gesetzgebungsverfahren angenommen, so sind diese Beschlüsse Gesetzgebungsakte, Art. 289 Abs. 3 AEUV. Beschlüsse außerhalb eines Gesetzgebungsverfahrens sind dementsprechend keine Gesetzgebungsakte. Im Rahmen der GASP ist der Erlass von Gesetzgebungsakten gemäß Art. 24 Abs. 1 UAbs. 2 S. 3, Art. 31 Abs. 1 S. 2 EUV ausgeschlossen. Dies bedeutet, dass der Beschluss nicht innerhalb eines Gesetzgebungsverfahrens (z. B. Art. 294 AEUV) angenommen wird, sondern den besonderen Regelungen des EUV unterliegt. Mit dem Ausschluss von Gesetzgebungsakten werden vor allem eine Beteiligung des Europäischen Parlaments und das Initiativrecht der Kommission verhindert. Darin manifestiert sich mittelbar die historisch gewachsene hervorgehobene Position der Mitgliedstaaten, die sich gerade auch durch den Ausschluss anderer EU-Institutionen ergibt. Es können adressatenbezogene305 und adressatenunabhängige Beschlüsse unter­ schieden werden.306 Adressatenbezogene Beschlüsse sind gemäß Art. 288 Abs. 4 S. 2 AEUV nur für den Adressaten verbindlich, während adressatenunabhängige Beschlüsse generell für alle an dem durch den Beschluss geregelten Teilbereich Beteiligten Bindungswirkung entfalten.307 Wer dies genau ist, ist gegebenenfalls durch Auslegung unter Berücksichtigung des durch den Beschluss geregelten Sachbereichs zu ermitteln.308 Auf private Rechtssubjekte bezogene, d. h. adressatenbezogene Beschlüsse kommen praktisch nur bei restriktiven Maßnahmen gegenüber natürlichen oder juristischen Personen i. S. d. Art. 215 Abs. 2 AEUV vor.309 Ansonsten sind die Beschlüsse im Bereich der GASP adressatenunabhängig, sodass die Bindungswirkung durch Auslegung zu ermitteln ist. Dabei trifft die Bindungswirkung regelmäßig die Mitgliedstaaten.310 Bei Beschlüssen über das operative Vorgehen ordnet Art. 28 Abs. 2 EUV speziell die Bindungswirkung für die Mitgliedstaaten an.311 Welche Rechtspflichten die Bindung auslöst, insbesondere ob die Mitgliedstaaten 302

Art. 289 Abs. 1 S. 1, Art. 294 AEUV. Art. 289 Abs. 2 AEUV. 304 Frenz, Hdb. Europarecht, Bd. 5, Rn. 1217 ff., 1226; Schroeder, in: Streinz, EUV / ​AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 132. 305 Art. 288 Abs. 4 S. 2 AEUV. 306 Nettesheim, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  288 AEUV Rn.  172. 307 Nettesheim, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  288 AEUV Rn.  197. 308 Nettesheim, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  288 AEUV Rn.  197. 309 Zur Verkopplung der GASP-Beschlüsse mit den Sanktionen i. S. d. Art. 215 AEUV vgl. Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 215 AEUV Rn. 2, 11. 310 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 25 EUV Rn. 6. 311 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 28 EUV Rn. 12 f.; Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  28 EUV Rn.  24 ff. 303

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

bei einem Beschluss über eine Aktion auch zu einer Bereitstellung von Streitkräften verpflichtet sind, wird im Rahmen der GSVP zu untersuchen sein.312 bb) Initiativrecht Ausgangspunkt eines jeden Beschlusses ist eine entsprechende Initiative oder ein Vorschlag für einen zu fassenden Beschluss. Ein solches Initiativ- und Vorschlagsrecht hat gemäß Art. 30 Abs. 1 EUV jeder Mitgliedstaat, der Hohe Vertreter oder der Hohe Vertreter mit Unterstützung der Kommission. Hervorzuheben ist, dass die Kommission selbst kein eigenes Initiativrecht besitzt.313 Das Initiativrecht des Hohen Vertreters mit Unterstützung der Kommission betrifft die besonderen Fälle mit gemischter Materie.314 cc) Beschlussfassung (1) Stimmberechtigung Stimmberechtigt im Europäischen Rat sind nur die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten. Zwar besteht der Europäische Rat darüber hinaus noch aus dem Präsidenten der Kommission und dem Präsidenten des Europäischen Rates, vgl. Art. 15  Abs.  2 S. 1  EUV. Diese sind jedoch gemäß Art. 235  Abs. 1 UAbs. 2 S. 2 AEUV nicht stimmberechtigt. Im Rat sind nur die Mitglieder, d. h. die Vertreter der Mitgliedstaaten auf Ministerebene, stimmberechtigt. Dies sind im Rat für „Auswärtige Angelegenheiten“ die Außenminister der Mitgliedstaaten.315 Dabei führt der Hohe Vertreter den Vorsitz, Art. 18 Abs. 3 EUV. Da er jedoch nicht Mitglied des Rates ist, ist er auch nicht stimmberechtigt.316 (2) Einstimmigkeit Das Verfahren der Beschlussfassung ist für die gesamte GASP in Art. 31 EUV geregelt. Danach werden sowohl die Beschlüsse des Europäischen Rates als auch des Rates grundsätzlich einstimmig gefasst, Art. 31 Abs. 1 UAbs. 1 S. 1 EUV. Einstimmigkeit bedeutet jedoch nicht, dass alle stimmberechtigten Mitglieder positiv 312

S. unter B. III. 4. d), S. 113 ff. Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 30 EUV Rn. 3; Kaufmann-Bühler / ​Meyer-​ Landrut, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  30 EUV Rn.  4. 314 S. dazu oben unter B. III. 3. c) dd), S. 101 f. 315 S. dazu oben unter B. III. 3. c) bb), S. 99 f. 316 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 18 EUV Rn. 14. 313

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  109

für den in Frage stehenden Beschluss stimmen müssen. Der Einstimmigkeit stehen Enthaltungen anderer Mitgliedstaaten nicht entgegen. Dies ergibt sich für den Europäischen Rat aus Art. 235 Abs. 1 UAbs. 3 AEUV und für den Rat aus Art. 238 Abs. 4 AEUV.317 (3) Konstruktive Stimmenthaltung Als Alternative zur Ablehnung eines Beschlusses sieht Art. 31 Abs. 1 UAbs. 2 EUV eine spezielle Form der Enthaltung, die sogenannte konstruktive Stimm­ enthaltung, vor.318 Diese konstruktive Enthaltung bewirkt, dass der entsprechende Mitgliedstaat nicht verpflichtet wird, den Beschluss durchzuführen. Er erkennt jedoch an, dass der Beschluss für die EU bindend ist, vgl. Art. 31 Abs. 1 UAbs. 2 S. 2  EUV. Damit wird ein Mittelweg zwischen Zustimmung und Beschlussablehnung ermöglicht. Wie bei einer Ablehnung wird der Mitgliedstaat nicht durch den Beschluss verpflichtet. Anders als bei der Ablehnung muss der Mitgliedstaat den Beschluss jedoch für die EU und die anderen Mitgliedstaaten akzeptieren, was bedeutet, dass der entsprechende Staat insofern mittelbar seine Außenpolitik anpassen muss. Im Gegenzug respektieren aber die übrigen Mitgliedstaaten und die EU den abweichenden Standpunkt des entsprechenden Staates. Dies ist Ausdruck einer wechselseitigen Treuepflicht, welche sich aus Art. 24 Abs. 3 EUV und Art. 31 Abs. 1 UAbs. 2 S. 3 EUV ergibt.319 Eine Grenze für diese konstruktive Enthaltung zieht Art. 31  Abs. 1 UAbs. 2 S. 4 EUV. Danach kommt ein Beschluss nicht zustande, wenn die Vertreter, die von der konstruktiven Enthaltung Gebrauch machen, mindestens ein Drittel der Mitgliedstaaten repräsentieren, die wiederum mindestens ein Drittel der Unionsbevölkerung ausmachen.320 (4) Mehrheitsbeschlüsse und Einstimmigkeitsfundament Nach Art. 31 Abs. 2 UAbs. 1 EUV sind im Rat – nicht jedoch im Europäischen Rat – in speziellen Bereichen Beschlüsse mit qualifizierter Mehrheit möglich. Es fällt auf, dass solche Mehrheitsentscheidungen im Rat nur dann möglich sind, wenn zuvor der Europäische Rat oder der Rat selbst einstimmig beschlossen hat. 317 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 31 EUV Rn. 2; Geiger, in: Geiger / ​K han / ​ Kotzur, EUV / ​AEUV, Art. 31 EUV Rn. 3, 5; Kaufmann-Bühler / ​Meyer-Landrut, in: Grabitz / ​ Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  31 EUV Rn.  14. 318 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 31 EUV Rn. 4; Geiger, in: Geiger / ​K han / ​ Kotzur, EUV / ​AEUV, Art. 31 EUV Rn. 6 f. 319 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 31 EUV Rn. 5; Marquardt / ​Stephan, in: von der Groeben / ​Schwarze / ​Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 31 EUV Rn. 6. 320 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 31 EUV Rn. 7.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Daran zeigt sich wiederum die historisch gewachsene Abhängigkeit der GASP von den Mitgliedstaaten, denn im Europäischen Rat und Rat sind als stimmberechtigte Mitglieder nur die Mitgliedstaaten vertreten. So sieht Art. 31 Abs. 2 UAbs. 1 Spstr. 1 EUV eine Mehrheitsentscheidung auf Grundlage eines Beschlusses des Europäischen Rates über die strategischen Inte­ ressen und Ziele der Union vor. Dieser Beschluss des Europäischen Rates muss nach Art. 31 Abs. 1 UAbs. 1 S. 1 EUV einstimmig gefasst werden. Auch Art. 31 Abs. 2 UAbs. 1 Spstr. 2 EUV ermöglicht eine Mehrheitsentscheidung nur auf Basis eines Ersuchens des Europäischen Rates. Ein solches Ersuchen setzt gemäß Art. 15 Abs. 4 EUV Konsens im Europäischen Rat voraus. Art. 31 Abs. 2 UAbs. 1 Spstr. 3 EUV ermöglicht Mehrheitsentscheidungen bei einem Durchführungsbeschluss. Ein solcher Durchführungsbeschluss erfordert im Vorfeld einen Beschluss über einen Standpunkt oder eine Aktion. Dieser hat wiederum nach Art. 31 Abs. 1 UAbs. 1 S. 1 EUV einstimmig zu erfolgen, es sei denn es liegt ein Fall des Art. 31 Abs. 2 UAbs. 1 Spstr. 1 EUV vor. In letzterem Falle muss jedoch zuvor der Europäische Rat einstimmig über die strategischen Interessen und Ziele der Union beschlossen haben. Lediglich bei einem Beschluss zur Ernennung eines Sonderbeauftragten nach Art. 31 Abs. 2 UAbs. 1 Spstr. 4 EUV muss nicht notwendigerweise ein einstimmiger Beschluss vorhergehen. Im Regelfall wird ein Sonderbeauftragter jedoch im Zusammenhang mit einer Aktion oder einem Standpunkt der EU benannt, wobei dann aufgrund dieses Zusammenhangs ein einstimmiger Beschluss gefasst werden muss.321 Der Rat kann auch in anderen als den in Art. 31 Abs. 2 EUV genannten Fällen mit qualifizierter Mehrheit beschließen. Erforderlich dafür ist jedoch, dass dies in einem einstimmigen Beschluss des Europäischen Rates vorgesehen wird, Art. 31 Abs. 3 EUV. Insgesamt beruhen daher alle Möglichkeiten der Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit auf einem „Einstimmigkeitsfundament“.322 Faktisch können die einzelnen Mitgliedstaaten nicht überstimmt werden, da sie zuvor selbst die Basis für die Mehrheitsentscheidung gelegt haben. „Echte“ Mehrheitsentscheidungen sind daher in der GASP nicht möglich.323 Hinzu kommt, dass die einzelnen Mitgliedstaaten im Rahmen dieser „unechten“ Mehrheitsentscheidungen nach Art. 31 Abs. 2 UAbs. 2 EUV die Möglichkeit haben, selbst diese zu verhindern. Dazu muss ein Mitgliedstaat aus wesentlichen Gründen der nationalen Politik die Absicht haben, einen mit qualifizierter Mehrheit zu fassenden Beschluss abzulehnen. In diesem Falle bemüht sich der Hohe Vertre 321

Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 31 EUV Rn. 12. Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 31 EUV Rn. 12. 323 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 31 EUV Rn. 12. 322

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  111

ter um eine für diesen Mitgliedstaat annehmbare Lösung, Art. 31 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 EUV. Bei Nichtgelingen kann mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden, dass die Frage an den Europäischen Rat weitergeleitet wird, der dann einstimmig darüber beschließen muss, Art. 31 Abs. 2 UAbs. 2 S. 3 EUV. Der Mechanismus des Art. 31 Abs. 2 UAbs. 2 EUV ähnelt dem Luxemburger Kompromiss.324 Im Ergebnis wird dadurch eine Mehrheitsentscheidung verhindert und den einzelnen Mitgliedstaaten wieder die Handlungsmacht eingeräumt. Eine gewichtige Einschränkung der Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit enthält Art. 31 Abs. 4 EUV. Danach ist eine solche bei Beschlüssen mit militärischen oder sicherheitspolitischen Bezügen ausgeschlossen.325 Hier verbleibt es ohne Ausnahme beim Einstimmigkeitsprinzip.326 dd) Zwischenergebnis Die Beschlussfassung im Rahmen der GASP offenbart zahlreiche Besonderhei­ ten. So wirken an der Beschlussfassung aufgrund des Ausschlusses des Gesetzgebungsverfahrens nur solche EU-Organe mit, in welchen ausschließlich die Mitgliedstaaten stimmberechtigt sind. Hinzu kommt die Existenz eines Einstimmigkeitsfundaments, wobei es bei Beschlüssen mit militärischen und sicherheitspolitischen Bezügen sogar generell beim Einstimmigkeitsprinzip verbleibt. Daraus folgt, dass die Mitgliedstaaten im Bereich der GASP auch nach dem Vertrag von Lissabon die bestimmenden Akteure bleiben. Für die EU – insbesondere in Form des Hohen Vertreters  – bedeutet dies, dass sie zur Herbeiführung eines Beschlusses darauf angewiesen ist, koordinierend auf die Mitgliedstaaten einzuwirken. Durch das Einstimmigkeitsprinzip und die koordinierende Rolle der EU sind auch nach dem Vertrag von Lissabon gewichtige Merkmale der Intergouvernementalität erfüllt.327 Es wird zu prüfen sein, inwiefern angesichts dieser Besonderheiten bei der operativen Ausführung der beschlossenen Missionen noch von einer Durchführung des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten im Sinne des Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh gesprochen werden kann.328

324 Zum Luxemburger Kompromiss s. oben unter B. II. 7., S. 76 f.; für die Vergleichbarkeit mit dem Luxemburger Kompromiss s. Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art.  31 EUV Rn. 13; Kaufmann-Bühler / ​Meyer-Landrut, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  31 EUV Rn. 25; Regelsberger / ​Kugelmann, in: Streinz, EUV / ​AEUV, Art. 31 EUV Rn. 12. 325 Zur Definition der Sicherheitspolitik s. oben unter B. III. 2. b), S. 89. 326 Geiger, in: Geiger / ​K han / ​Kotzur, EUV / ​A EUV, Art.  31 EUV Rn.  12. 327 S. hierzu auch unter B. III. 6., S. 121 ff. 328 S. hierzu unter E., S. 138 ff.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

4. Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) a) Grundlagen und Aufgaben der GSVP Wie dargestellt hat sich seit dem Gipfel des Europäischen Rates in Köln vom 3. und 4. Juni 1999 schrittweise eine Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) entwickelt.329 Mit dem Vertrag von Lissabon wurde die ESVP in „Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP)“ umbenannt, welche nun in den Art. 42–46 EUV umfassend geregelt ist. Die GSVP ist nach Art. 42 Abs. 1 S. 1 EUV „integraler Bestandteil“ der GASP. Sofern im Rahmen der GSVP keine spezielleren Regelungen vorliegen, gelten die gemeinsamen Bestimmungen der Art. 23 ff. EUV.330 Die GSVP soll der EU die Operationsfähigkeit sichern, sodass sie Missionen außerhalb der Union zur Friedenssicherung, Konfliktverhütung und Stärkung der Internationalen Sicherheit durchführen kann, Art. 42 Abs. 1 S. 2 und 3 EUV. Diese Missionen erfassen nach Art. 43 Abs. 1 S. 1 EUV „gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen, humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, Aufgaben der militärischen Beratung und Unterstützung, Aufgaben der Konfliktverhütung und Erhaltung des Friedens sowie Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich Frieden schaffender Maßnahmen und Operationen zur Stabilisierung der Lage nach Konflikten“. Art. 43  Abs. 1  EUV umfasst damit die Petersberg-Aufgaben, ergänzt diese aber um weitere Aspekte.331 Die Missionen nach Art. 43 Abs. 1 EUV können ziviler oder militärischer Natur sein.332 Sie sind ein Unterfall der Aktion nach Art. 25 lit. b) Ziff. i) und Art. 28 EUV. Daher kann bei Missionen in Ermangelung speziellerer Vorschriften insbesondere auf Art. 28 EUV zurückgegriffen werden.333 b) Der Beschluss im Rahmen der GSVP Den Beschluss über eine Mission im Rahmen der GSVP regelt Art. 43 Abs. 2 EUV. Danach ist der Rat für diese Beschlüsse zuständig. Sie müssen nach Art. 43 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 EUV Ziel, Umfang und Durchführungsbestimmungen für die Mission festlegen. Art. 42  Abs. 4  S. 1  EUV wiederholt das schon von Art. 31 Abs. 1 UAbs. 1 EUV festgelegte Einstimmigkeitserfordernis.334 Bei Beschlüssen 329

S. dazu oben unter B. II. 12., S. 84 f. Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, EUV / ​A EUV, Art.  42 EUV Rn. 13; Marquardt / ​Gaedtke, in: von der Groeben / ​Schwarze / ​Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 42 EUV Rn. 2. 331 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 43 EUV Rn. 2. 332 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 43 EUV Rn. 2; zu den Petersberg-Aufgaben s. oben unter B. II. 10. d) bb), S. 50. 333 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 42 EUV Rn. 6. 334 Vgl. dazu oben unter B. III. 3. d) cc) (2), S. 108 f. 330

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  113

mit militärischen oder verteidigungspolitischen335 Bezügen ist zudem gemäß Art. 31 Abs. 4  EUV eine Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit ausgeschlossen. Das Initiativrecht für Beschlüsse wird in Art. 42 Abs. 4 EUV gleich wie in Art. 30 Abs. 1 EUV geregelt, sodass diesbezüglich auf die obigen Ausführungen zu verweisen ist.336 c) Das Rückgriffsprinzip Ein entscheidendes Merkmal der GSVP ist, dass die EU selbst nicht über die notwendigen Ressourcen verfügt, um die Missionen operativ durchzuführen. Dafür statuiert der EUV das sogenannte „Rückgriffsprinzip“.337 Die für die Durchführung der Missionen notwendigen zivilen und militärischen Fähigkeiten werden von den Mitgliedstaaten bereitgestellt, Art. 42 Abs. 1 S. 4, Art. 42 Abs. 3 UAbs. 1 EUV. Daneben wird es der EU durch die mit der NATO geschlossene Berlin-Plus-Vereinbarung ermöglicht, auf deren Kapazitäten zur Durchführung einer Mission zurückzugreifen.338 d) Das Freiwilligkeitsprinzip Fraglich ist, ob und inwiefern die Mitgliedstaaten im Rahmen des Rückgriffsprinzips verpflichtet sind, ihre Streitkräfte im Rahmen einer militärischen Mission bzw. ihre zivilen Einsatzkräfte, beispielsweise Polizeibeamten, im Rahmen einer zivilen Mission zur Verfügung zu stellen. Die Beantwortung dieser Frage ist entscheidend für das Zusammenspiel von Mitgliedstaaten und EU. Denn bei Geltung eines Freiwilligkeitsprinzips könnte die EU entsprechend der Ausgangsthese nicht verpflichtend auf die Mitgliedstaaten zugreifen, sondern wäre auf die Koordinierung freiwillig bereitgestellter Einsatzkräfte beschränkt. Die bloß koordinierende Funktion könnte wiederum entscheidend für die Beantwortung der Frage nach der Grundrechtsbindung sein. Insbesondere könnte sich bei der Gegenüberstellung mit Frontex eine vergleichbare Grundrechtsbindung unionskoordinierter Bereiche ergeben. Für eine Pflicht zur Bereitstellung von Einsatzkräften scheint zum einen der Wortlaut des Art. 42 Abs. 3 S. 1 EUV zu sprechen, wonach die Mitgliedstaaten der Union die entsprechenden zivilen und militärischen Fähigkeiten zur Verfügung stellen. Zum anderen scheint sich eine Verpflichtung aus der Bindungswir 335

Zur Definition der Verteidigungspolitik s. oben unter B. III. 2. c), S. 90. S. oben unter B. III. 3. d) bb), S. 108. 337 V. Kielmansegg, Die Verteidigungspolitik der Europäischen Union, S. 456 f.; vgl. auch Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 42 EUV Rn. 20. 338 Zur Berlin-Plus-Vereinbarung s. oben unter B. II. 12., S. 85 f.; Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 42 EUV Rn. 21. 336

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

kung der Beschlüsse über das operative Vorgehen zu ergeben, welche nach Art. 28 Abs. 2 EUV für die Mitgliedstaaten verbindlich sind. Dazu gehört grundsätzlich auch, sich aktiv an der Mission zu beteiligen und daran mitzuwirken.339 Art. 42 Abs. 3 S. 1 EUV statuiert jedoch nur das Rückgriffsprinzip. Eine explizite Verpflichtung zur Bereitstellung von Streitkräften ist damit, zumindest im Rahmen militärischer Missionen,340 nicht verbunden.341 Aus der historischen Entwicklung ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten im Bereich des Streitkräfteeinsatzes eigene souveräne Entscheidungen treffen und insofern das Letztentscheidungsrecht behalten wollen.342 Vor diesem Hintergrund hätte eine Verpflichtung zum Streitkräfteeinsatz einer deutlichen Regelung im EU-Vertrag bedurft.343 Was die durch Art. 28 Abs. 2 EUV statuierte Mitwirkungspflicht anbelangt, so kann diese nicht nur über das Bereitstellen von Streitkräften erfüllt werden.344 Insofern lässt sich bei der Zurverfügungstellung der Streitkräfte ein das Rückgriffsprinzip flankierendes Freiwilligkeitsprinzip feststellen.345 Militärische Beiträge sind demnach sowohl primär- als auch sekundärrechtlich nicht verpflichtend geschuldet.346 Dies wird durch die Differenzierung zwischen der gemeinsamen Verteidigungspolitik und der gemeinsamen Verteidigung, die erst noch eingeführt werden muss, zusätzlich unterstrichen. Erst im Rahmen der Einführung einer gemeinsamen Verteidigung wäre eine Verpflichtung zur Bereitstellung von Streitkräften möglich. Dies würde jedoch eine Änderung des Vertrages erfordern.347 Das Freiwilligkeitsprinzip wird, soweit ersichtlich, explizit nur für den Einsatz von militärischen Streitkräften diskutiert.348 Nichts anderes kann jedoch für den Einsatz hoheitlich handelnder Beamter im Rahmen einer zivilen Mission gelten. Der Wortlaut der Normen in Art. 42 ff. EUV differenziert nicht zwischen militärischen und zivilen Missionen. Vielmehr wird die Mission einheitlich geregelt, 339

Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  28 EUV Rn.  24. Zum Freiwilligkeitsprinzip für zivile Missionen s. sogleich. 341 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 42 EUV Rn. 20; Cremer, Die GASP, in: Fastenrath / ​Nowak, Der Lissabonner Reformvertrag, S. 275, 279; Dietrich, ZaöRV 66 (2006), 663, 692; v. Kielmansegg, Die Verteidigungspolitik der Europäischen Union, S. 325. 342 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 42 EUV Rn. 11; Dietrich, ZaöRV 66 (2006), 663, 686 u. 692; zur historischen Entwicklung s. oben unter B. II., S. 69 ff. 343 V. Kielmansegg, Die Verteidigungspolitik der Europäischen Union, S. 325. 344 Vgl. Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  28 EUV Rn.  24, wonach die Mitwirkungspflicht durchaus variieren kann, je nach den tatsächlichen, politischen und verfassungsrechtlichen Gegebenheiten, die in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich sind. Dies gelte vor allem, wenn es sich um den Einsatz von Truppen handelt. 345 V. Kielmansegg, Die Verteidigungspolitik der Europäischen Union, S. 129, 325, 456; s. auch Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 42 EUV Rn. 11; Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​AEUV, Art. 42 EUV Rn. 46; vgl. auch BVerfG, NJW 2009, 2267, 2291 f. Rn. 384 ff. = BVerfGE 123, 267 (Lissabon). 346 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 42 EUV Rn. 11; v. Kielmansegg, Die Verteidigungspolitik der Europäischen Union, S. 325. 347 S. oben unter B. III. 2. d), S. 90 ff. 348 Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  43 EUV Rn.  16 spricht jedoch auch in Bezug auf zivile Missionen ausdrücklich von „freiwillige[n] Beiträge[n]“. 340

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  115

sodass insofern auch ein einheitliches Freiwilligkeitsprinzip gelten muss. So kann auch für zivile Missionen das Argument fruchtbar gemacht werden, dass in Art. 42 Abs. 3 S. 1 EUV lediglich das Rückgriffsprinzip normiert ist, nicht aber auch eine Verpflichtung zum Einsatz operativ handelnder Beamter. Aus der historischen Entstehung und Entwicklung ergibt sich nämlich, dass nicht nur der verpflichtende militärische Einsatz als souveränitätsempfindlich eingestuft wird, sondern generell der verpflichtende Einsatz von Beamten, welche hoheitliche Befugnisse ausüben.349 Insofern hätte nicht nur der verpflichtende Einsatz von Streitkräften, sondern auch der verpflichtende Einsatz von zivilen Beamten einer ausdrücklichen Normierung im EUV bedurft. Ferner kann angeführt werden, dass auch in Bezug auf die zivilen Missionen lediglich eine gemeinsame Sicherheitspolitik eingeführt wurde und noch keine gemeinsame Sicherheit. Erst im Rahmen einer gemeinsamen Sicherheit aller Mitgliedstaaten kann – entsprechend der Argumentation bezüglich des Streitkräfteeinsatzes – ein Einsatz verpflichtend geschuldet werden. Im Übrigen könnte ein verpflichtender Einsatz ziviler Beamter gewissermaßen zu einem „Ausbluten“ mitgliedstaatlicher Sicherheitsressourcen führen. So könnten die Mitgliedstaaten ihre zivilen Einsatzkräfte womöglich für andere Zwecke benötigen, welche sich unter Umständen erst nach einer Beschlussfassung offenbaren. Ein solches „Ausbluten“ der Mitgliedstaaten kann nicht gewollt sein. Deshalb ist auch hinsichtlich ziviler Missionen ein Freiwilligkeitsprinzip festzustellen.350 5. Der operative Einsatz im Rahmen der GASP / ​GSVP a) Koordinierendes zweistufiges System Der operative Einsatz wird vom Rat und damit von einem EU-Organ nach Art. 43 Abs. 2 S. 1, 28 Abs. 1 S. 1 EUV beschlossen. Auch die Koordinierung der Missionen samt politischer Kontrolle und strategischer Leitung werden vom Hohen Vertreter, Rat und PSK und somit von der EU vorgenommen, vgl. Art. 38 UAbs. 2, 43 Abs. 2 S. 2 EUV. Bei der operativen Ausführung ist die EU jedoch aufgrund des Rückgriffs- und Freiwilligkeitsprinzips entscheidend auf die Mitgliedstaaten und deren Willen zum operativen Handeln angewiesen. Folglich lassen sich in Bezug auf die operativen Einsätze zwei Ebenen unterscheiden: Einerseits die politische und strategische Ebene, die die Willensbildung und Koordinierung der Einsätze beinhaltet, wobei die Organe der EU maßgeblich durch die Fassung von Beschlüssen involviert sind. Andererseits die aufgrund des Rückgriffs- und Freiwilligkeitsprinzips mitgliedstaatlich geprägte Ebene, bei der es um die operative Ausführung der durch die EU angestoßenen Maßnahmen geht. 349

Vgl. hierzu auch Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  43 EUV Rn. 37, wonach die „Befugnisse über die Verteidigung, die Polizei und zivile[n] Ordnungskräfte weiterhin in nationaler Zuständigkeit liegen“. 350 Im Ergebnis ebenso: Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​H ilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art. 43 EUV Rn. 16; Dietrich, Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 415.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

aa) Koordinierende unionsrechtliche Ebene Die unionsrechtliche Ebene, bestehend aus Europäischem Rat, Rat, PSK, EUMilitärausschuss, EU-Militärstab und CIVCOM, hat vor allem die Aufgabe das mitgliedstaatliche Verhalten zu koordinieren.351 Dieser koordinierende Charakter zeigt sich einerseits daran, dass die Union im Rahmen einer Aktion nicht ihr eigenes Verhalten verbindlich festlegt, sondern die Mitgliedstaaten nach Art. 28 Abs. 2 EUV bei ihren Stellungnahmen und ihrem Vorgehen bindet.352 Andererseits wird die koordinierende Rolle von Art. 43 Abs. 2 EUV ausdrücklich angesprochen. Danach sorgt der Hohe Vertreter unter Aufsicht des Rates und in engem und ständigem Benehmen mit dem PSK für die Koordinierung der zivilen und militärischen Aspekte der Missionen. Im Rahmen dieser Koordinierung nimmt das PSK nach Art. 38 UAbs. 2 EUV unter Verantwortung des Rates und des Hohen Vertreters die politische Kontrolle und strategische Leitung der Operationen im Sinne des Art. 43 EUV wahr, wobei das PSK gemäß Art. 38 UAbs. 3 EUV zum Fassen entsprechender Beschlüsse ermächtigt werden kann. Die fortbestehende Verantwortung des Rates und des Hohen Vertreters kennzeichnen das PSK einerseits als Vorbereitungs- und Beratungsgremium für die Arbeiten des Rates und des Hohen Vertreters.353 Andererseits übt das PSK vom Rat abgeleitete Entscheidungsbefugnisse hinsichtlich der politischen Kontrolle und strategischen Leitung von Krisenbewältigungsoperationen im Sinne des Art. 43 EUV aus.354 Darunter ist die Kompetenz zu verstehen, über den operativen Einsatz konstitutiv zu entscheiden, die politischen Ziele des Einsatzes festzulegen, Entscheidungen hinsichtlich der personellen Besetzung der Stabchefs zu treffen, Befehlsketten festzusetzen, die Umsetzung der politischen Vorgaben zu überwachen und letztlich den Einsatz zu beenden.355 Dabei wird das PSK in militärischen Angelegenheiten vom EUMilitär­ausschuss unterstützt, der seinerseits vom EU-Militärstab beraten wird. In zivilen Angelegenheiten erfolgt die Unterstützung durch das CIVCOM.356

351

V. Arnauld, Das System der europäischen Außenbeziehungen, in: EnzEuR, Bd. 10, § 1 Rn. 37; Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 24 EUV Rn. 8 ff., insb. Rn. 10, Art. 40 EUV Rn. 5; Engbrink, Die Kohärenz des auswärtigen Handelns der EU, S. 242; Thym, Europäisches Wehrverwaltungsrecht, in: Terhechte, VerwR der EU, § 17 Rn. 18; Thym, GASP und äußere Sicherheit, in: EnzEuR, Bd. 10, § 16 Rn. 62. 352 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 24 EUV Rn. 10. 353 Kaufmann-Bühler / ​Meyer-Landrut, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  38 EUV Rn. 16 f. 354 Kaufmann-Bühler / ​Meyer-Landrut, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  38 EUV Rn. 16. 355 Schmalenbach, Die Haftung internationaler Organisationen, S. 108. 356 Thym, Europäisches Wehrverwaltungsrecht, in: Terhechte, VerwR der EU, § 17 Rn. 44; genauer zum EU-Militärausschuss, EU-Militärstab und CIVCOM s. bereits oben unter B. III. 3. c) ii), jj) und kk), S. 105 ff.

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  117

bb) Mitgliedstaatliche Ebene Für die konkrete operative Ausführung ist die EU aufgrund des Rückgriffs- und Freiwilligkeitsprinzips auf die Mitgliedstaaten angewiesen. (1) Rechtsrahmen des operativen Einsatzes Aufgrund des Freiwilligkeitsprinzips und der vor allem koordinierenden Vorgaben der unionsrechtlichen Ebene richtet sich der Streitkräfteeinsatz bei militärischen Missionen nach dem nationalen Wehr(verfassungs-)recht der Mitgliedstaaten.357 Für die Bundesrepublik Deutschland bedeutet dies einerseits, dass der Streitkräfteeinsatz durch das Grundgesetz legitimiert sein muss. Außer zur Landesverteidigung nach Art. 87a Abs. 1, Abs. 2 GG ist dies vor allem im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit nach Art. 24 Abs. 2 GG der Fall,358 wozu nach überwiegender Ansicht auch die EU zählt.359 Andererseits muss der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt eingehalten werden.360

357 Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​H ilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  42 EUV Rn.  46; Thym, Europäisches Wehrverwaltungsrecht, in: Terhechte, VerwR der EU, § 17 Rn. 11 f. 358 BVerfG, NJW 1994, 2207 ff. = BVerfGE 90, 286 (Out-of-area-Einsätze); vgl. dazu auch Oeter, Systeme kollektiver Sicherheit, in: Isensee / ​Kirchhof HStR XI, § 243 Rn. 29 f. 359 Epping, in: Epping / ​Hillgruber, BeckOK GG, Art. 87a Rn. 20.1; v. Heinegg, in: Epping / ​ Hillgruber, BeckOK GG, Art. 24 Rn. 33.3; König, Der Einsatz von Seestreitkräften, in: Zimmermann u. a., Moderne Konfliktformen, S. 203, 231 f.; Oeter, Systeme kollektiver Sicherheit, in: Isensee / ​Kirchhof, HStR XI, § 243 Rn. 28; Röben, ZaöRV 63 (2003), 585, 590; Röben, Außenverfassungsrecht, S. 250 f.; Sigloch, Auslandseinsätze der deutschen Bundeswehr, S. 219 ff.; Thym, EuR Beiheft 2010, 171, 186 f.; Wiefelspütz, AöR 132 (2007), 44, 86 f.; Wiefelspütz, Das Parlamentsheer, S. 149; a. A.: Baldus / ​Müller-Franken, in: v. Mangoldt / ​K lein / ​ Starck, GG, Art. 87a Rn. 95; Heun, in: Dreier, GG, Art. 87a Rn. 18; a. A. wohl auch BVerfG, NJW 2009, 2267, 2292 Rn. 390 = BVerfGE 123, 267 (Lissabon), wobei diese Aussage im Zusammenhang mit der fehlenden Supranationalisierung getroffen wird, sodass sich der Verdacht aufdrängt, das BVerfG setze das System kollektiver Sicherheit in dieser Entscheidung mit einer supranationalen Einsatzverpflichtung gleich, weshalb insofern von einer Missverständlichkeit auszugehen sein könnte, die der Einordnung der EU als System gegenseitiger kollektiver Sicherheit nicht entgegensteht, vgl. Thym, EuR Beiheft 2010, 171, 184 ff. Wird die EU nicht als System gegenseitiger kollektiver Sicherheit eingeordnet, darf die Bundeswehr im Rahmen der EU nur bei einem gleichzeitig bestehenden UN-Mandat eingesetzt werden, da die UN als ein solches System nach Art. 24 Abs. 2 GG eingeordnet werden und dadurch der Einsatz legitimiert wird, vgl. Thym, Europäisches Wehrverwaltungsrecht, in: Terhechte, VerwR der EU, § 17 Rn. 12; Thym, EuR Beiheft 2010, 171, 185. Zur UN als System gegenseitiger kollektiver Sicherheit s. auch Oeter, Systeme kollektiver Sicherheit, in: Isensee / ​ Kirchhof, HStR XI, § 243 Rn. 25 f. 360 BVerfG, NJW 2009, 2267, 2292 Rn. 388 = BVerfGE 123, 267 (Lissabon); Frenz, Hdb. Europarecht, Bd. 6, Rn. 5429; Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art. 42 EUV Rn. 46; Thym, GASP und äußere Sicherheit, in: EnzEuR, Bd. 10, § 16 Rn. 46; Thym, EuR-Beiheft 2010, 171, 173. Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt wird aus der Verfassungstradition seit 1918 und aus den Art. 45a, 45b, 87a Abs. 1 S. 2, 115a Abs. 1,

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Vergleichbares gilt für den Einsatz von Beamten bei zivilen Missionen. Da die Befugnisse für die Polizei und zivile Ordnungskräfte weiterhin in nationaler Zuständigkeit liegen,361 richtet sich auch der zivile Einsatz nach nationalem Recht. Im Unterschied zu Militärmissionen ist hierbei jedoch nicht der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt einzuhalten. (2) Einheitliche Kommandostruktur Während der operativen Einsätze werden die beteiligten mitgliedstaatlichen Einsatzkräfte sodann einer einheitlichen Kommandostruktur unterstellt. Diesbezüglich ist zwischen militärischen und zivilen Missionen zu unterscheiden. (a) Militärische Missionen Da die EU hinsichtlich militärischer Missionen über keine dauerhaften Kommandostrukturen verfügt, müssen diese für jeden Einsatz erneut bestimmt werden.362 Dabei bestehen im Wesentlichen zwei Möglichkeiten. Einerseits kann entsprechend der Berlin-Plus-Vereinbarung auf die NATO und deren Kommandostrukturen zurückgegriffen werden.363 In diesem Falle wird der DSACEUR364 zum Operationsbefehlshaber (Operation Commander) ernannt.365 Zur operativen Durchführung des Einsatzes greift dieser dann auf die bestehenden NATO-Kommandostrukturen zurück.366 87a Abs. 4 S. 2, 35 Abs. 3 S. 2 GG hergeleitet, vgl. BVerfG, NJW 1994, 2207, 2217 f. = BVerfGE 90, 286 (Out-of-area-Einsätze). 361 Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  43 EUV Rn.  37. 362 Kuhn, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 133. 363 Zur Berlin-Plus-Vereinbarung s. oben unter B. II. 12., S. 85 f. 364 Deputy Supreme Allied Commander Europe. Der DSACEUR ist der Stellvertreter des SACEUR (Supreme Allied Commander Europe). Der SACEUR ist der Oberbefehlshaber für alle Operationen der NATO und immer ein US-Amerikaner. Sein Stellvertreter (DSACEUR) ist dagegen abwechselnd ein Deutscher oder ein Brite und damit immer ein Europäer. 365 Diedrichs, Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, S. 103. Als Beispiel aus der Praxis vgl. Art. 2 Abs. 2 der Gemeinsamen Aktion 2003/92/GASP des Rates vom 27. Januar 2003 über die militärische Operation der Europäischen Union in der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien, ABl. Nr. L v. 11.02.2003, S. 26 ff. 366 Dabei wird insbesondere auf das Oberste Hauptquartier der Alliierten Mächte Europa (Supreme Headquaters Allied Powers Europe – SHAPE) zurückgegriffen, vgl. Thym, Europäisches Wehrverwaltungsrecht, in: Terhechte: VerwR der EU, § 17 Rn. 46. Der Rückgriff auf die NATO dürfte bei „größeren Militäroperationen die Regel bleiben“, Thym, Europäisches Wehrverwaltungsrecht, in: Terhechte, VerwR der EU, § 17 Rn. 46. Zur Befehlsgewalt im Rahmen der NATO vgl. Cathcart, Command and control in military operations, in: Gill / ​Fleck, The Handbook of the International Law of Military Operations, S. 259, 263 ff.; Kleine, Militärische Komponente der ESVP, S. 242 ff.

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  119

Andererseits können auch die Kommandostrukturen der Mitgliedstaaten für den entsprechenden Einsatz genutzt werden. Hierzu wird vom Rat ein Operations­ befehlshaber aus einem der beteiligten Mitgliedstaaten bestimmt.367 Für den Aufbau der weiteren Kommandostruktur und die Errichtung eines ortsfesten Hauptquartiers (Operation Headquarter, OHQ) werden die Hauptquartiere der Mitgliedstaaten368 oder das EU Operations Center in Brüssel369 genutzt. Die konkrete Operationsführung vor Ort erfolgt durch einen vom Rat ernannten Einsatzbefehlshaber (Force Commander) in einem verlegbaren Hauptquartier (Force Headquarter).370 Dieser von der EU unter Rückgriff auf die Mitgliedstaaten festgelegten Kommandostruktur werden die jeweiligen nationalen, beispielsweise deutschen Truppen durch eine Anweisung zur Zusammenarbeit i. S. d. § 7 SG unterstellt. Sie erhalten den Befehl,371 den Anweisungen der ausländischen Vorgesetzten zu folgen.372 Dieser Befehl ist durch die Mitgliedstaaten jederzeit rücknehmbar, abänderbar und inhaltlich dergestalt begrenzt, dass beispielsweise keine Disziplinarbefugnisse des ausländischen Vorgesetzten begründet werden.373 Die Mitgliedstaaten übertragen dem von der EU benannten Operationsbefehlshaber somit keine umfassende Befehlsgewalt (full command). Diese bezeichnet nämlich eine Unterstellung in jeglicher Hinsicht, einschließlich disziplinar- und strafrechtlicher Befugnisse.374 Es findet lediglich eine Übertragung des sogenannten operational command (operatives Kommando) oder operational control (operative Kontrolle) statt.375 Operational command beinhaltet die Befugnis, Truppenteile zu bewegen, konkrete Missionen festzulegen und zu ändern.376 Operational control ist 367

Diedrichs, Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, S. 103. Zurzeit kann auf fünf Hauptquartiere zurückgegriffen werden: Frankreich (Mont Valérien, Paris); Deutschland (Potsdam); Großbritannien (Northwood); Italien (Rom); Griechenland (Larissa). 369 Vgl. dazu Thym, Europäisches Wehrverwaltungsrecht, in: Terhechte, VerwR der EU, § 17 Rn. 29, 45; auf das EU Operations Center wird vor allem bei kleinen Militäroperationen zurückgegriffen. 370 Kuhn, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 135. 371 § 11 Abs. 1 SG. 372 Kuhn, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 169; Nolte / ​Krieger, Europäische Wehrrechtssysteme, S. 108; zu dieser Konstruktion im Rahmen der NATO vgl. Kleine, Militärische Komponente der ESVP, S. 247 f. 373 Kuhn, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 169; Nolte / ​Krieger, Europäische Wehrrechtssysteme, S. 108. 374 Cathcart, Command and control in military operations, in: Gill / ​F leck, The Handbook of the International Law of Military operations, S. 259, 260; Kleine, Militärische Komponente der ESVP, S. 242 f.; Kuhn, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 168 Fn. 643; Schmalenbach, Die Haftung Internationaler Organisationen, S. 110. 375 Thym, Europäisches Wehrverwaltungsrecht, in: Terhechte, VerwR der EU, § 17 Rn. 48. 376 Cathcart, Command and control in military operations, in: Gill / ​F leck, The Handbook of the International Law of Military operations, S. 259, 261 f.; Kleine, Die militärische Komponente der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 243; Kuhn, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 168 Fn. 643; Schmalenbach, Die Haftung Internationaler Organisationen, S. 109. 368

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

ein Unterfall des operational command und bezeichnet die Befugnis, zeitlich, örtlich und operativ begrenzte Einsätze im Rahmen der vom operational command gesteckten Grenzen zu leiten.377 Die bloße Übertragung des operational command bzw. control bedeutet, dass der einzelne Soldat letztlich dem nationalen Befehl unterstellt bleibt.378 Damit wird bei der operativen Ausführung der Einsätze die Hoheitsgewalt der beteiligten Mitgliedstaaten ausgeübt. (b) Zivile Missionen Bei zivilen Missionen gilt im Wesentlichen Ähnliches wie bei militärischen Missionen. Auch hier werden die mitgliedstaatlichen Einsatzkräfte einer einheitlichen Weisungsstruktur bzw. „Befehlskette“ unterstellt.379 Ein Unterschied besteht jedoch darin, dass als ziviler Operationskommandeur, welcher dem Operationsbefehlshaber bei militärischen Missionen entspricht, regelmäßig der Direktor des Stabs für die Planung und Durchführung ziviler Operationen (CPCC) ernannt wird.380 Für die Operationsführung vor Ort wird des Weiteren ein Missionsleiter aus einem beteiligten Mitgliedstaat bestimmt, der dem Einsatzbefehlshaber bei militärischen Missionen entspricht. Dem zivilen Operationskommandeur werden sodann entsprechend den militärischen Missionen die zivilen Einsatzkräfte durch die bloße Übertragung von operational command und control unterstellt.381 Der full command verbleibt bei den Mitgliedstaaten. Die Unterstellung ist eine jederzeit zurücknehmbare und abänderbare Weisung, sodass die zivilen Einsatzkräfte letztlich dem nationalen „Befehl“ unterstellt bleiben und bei der operativen Ausführung der Einsätze Hoheitsgewalt der beteiligten Mitgliedstaaten ausgeübt wird.382 Im Ergebnis entsprechen somit die zivilen Missionen dem Aufbau der Militärmissionen. Der zivile Operationskommandeur entspricht dem Operationsbefehlshaber, der Missionsleiter entspricht dem Einsatzbefehlshaber und statt des EU-Militärausschusses wird das CIVCOM beratend tätig. Da der Schwerpunkt 377 Cathcart, Command and control in military operations, in: Gill / ​Fleck, The Handbook of the International Law of Military operations, S. 259, 262; Kleine, Die militärische Komponente der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 243; Kuhn, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 168 Fn. 643; Schmalenbach, Die Haftung Internationaler Organisationen, S. 109. 378 Thym, Europäisches Wehrverwaltungsrecht, in: Terhechte, VerwR der EU, § 17 Rn. 48. 379 Vgl. Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, Art. 43 EUV Rn. 13. 380 Vgl. etwa Art. 5 Abs. 1 des Beschlusses (GASP) 2009/906 des Rates vom 8. Dezember 2009, ABl.  Nr.  L  322/22  v.  09.12.2009, S. 22  , 23 (EUPM-Mission in Bosnien und Herze­ gowina). 381 Vgl. etwa Art. 5 Abs. 4 S. 2 der EUPM-Mission in Bosnien und Herzegowina, Beschluss (GASP) 2009/906 des Rates vom 8. Dezember 2009, ABl. Nr. L 322/22 v. 09.12.2009, S. 22, 23. 382 Beispielhaft für eine zivile Mission die Polizeimission der EU (EUPM) in Bosnien und Herzegowina, Beschluss (GASP) 2009/906 des Rates vom 8. Dezember 2009, ABl. Nr. L 32 2/22 v. 09.12.2009, S. 22 ff.

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  121

der Untersuchung entsprechend der einleitend geschilderten Operation Sophia auf militärischen Missionen liegt, wird im Folgenden nur noch von Operationsbefehlshaber, Einsatzbefehlshaber und EU-Militärausschuss gesprochen. Die Ausführungen gelten jedoch für den zivilen Operationskommandeur, Missionsleiter und CIVCOM entsprechend. Ob der Unterschied, dass der zivile Operationskommandeur regelmäßig der Direktor des CPCC ist, während der Operationsbefehlshaber aus einem der beteiligten Mitgliedstaaten stammt, Auswirkung auf deren Grundrechtsbindung hat, wird im Rahmen des Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh zu diskutieren sein.383 b) Verknüpfung beider Ebenen Eine Verknüpfung der politischen und strategischen Leitung (unionsrechtliche Ebene) mit der operativen Einsatzleitung (mitgliedstaatliche Ebene) erfolgt dadurch, dass der Operationsbefehlshaber den strategischen und politischen Weisungen des PSK unterliegt und die Operationsführung mit dem EU-Militärausschuss abstimmt.384 Zudem übt der Operationsbefehlshaber seine Befugnisse auf Basis eines vom Rat gebilligten Operationsplans aus.385 Der Operationsbefehlshaber ist auch dem Rat gegenüber verantwortlich. Im Regel­fall sind jedoch dessen Funktionen während der Operation nach Art. 38 UAbs. 3 EUV an das PSK delegiert.386 Das PSK nimmt damit in Bezug auf die Verknüpfung der unionsrechtlichen mit der mitgliedstaatlichen Ebene eine Schlüsselrolle ein. 6. Intergouvernementalität der GASP nach Lissabon Ausgehend von der historischen intergouvernementalen Entwicklung387 stellt sich abschließend die Frage, inwiefern die GASP auch unter dem Vertrag von Lissabon noch als intergouvernemental eingestuft werden kann.388 Intergouvernementale Strukturen können als Ausdruck der hervorgehobenen Position der Mitgliedstaaten gedeutet werden und unterstreichen entsprechend der Ausgangsthese eine lediglich koordinierende Rolle der EU. 383

S. unten. D. V., S. 131 ff. Kuhn, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 186; Entsprechendes gilt für den zivilen Operationskommandeur, wobei an die Stelle des EU-Militärausschusses das CIVCOM tritt. 385 Thym, Europäisches Wehrverwaltungsrecht, in: Terhechte, VerwR der EU, § 17 Rn. 48. 386 Kuhn, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 186 f. 387 S. dazu oben unter B. II., S. 69 ff. 388 Vgl. dazu auch Pechstein, JZ 2010, 425 ff.; zur Begriffsbestimmung s. oben unter B. I. 2., S. 66. 384

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Eine klassische Intergouvernementalität389 ist zu verneinen. Die GASP basiert nicht auf einer reinen Zusammenarbeit zwischen den Regierungen der jeweiligen Staaten. Vielmehr gibt es mit der EU einen weiteren mit den Mitgliedstaaten interagierenden und teilweise selbst handelnden Akteur. Auch eine Intergouvernementalität wie unter dem Drei-Säulen-Modell der EU besteht nicht mehr. Trotz der in Bezug auf die GASP häufig als nur formal bezeichneten Aufhebung der Säulenstruktur390 wird die GASP in das gesamte auswärtige Handeln der EU integriert. Zudem besitzt die EU nunmehr unstreitig Rechtspersönlichkeit, sodass ihr Rechtsakte und andere Handlungen der GASP zugerechnet werden können. Die GASP ist somit in das Gesamtgefüge des Unionsrechts eingebettet und deshalb von einer bloßen, als klassisch intergouvernemental391 einzustufenden völkerrechtlichen Zusammenarbeit abzugrenzen. Eine echte Supranationalisierung der GASP kann allerdings ebenfalls verneint werden. Dies kommt durch die systematische Stellung der GASP im EUV zum Ausdruck. Dadurch wird die GASP von den supranationalisierten Bereichen, welche im AEUV geregelt sind, abgegrenzt und eigenen Entscheidungsstrukturen unterworfen. Im Bereich der GASP zeigt sich somit ein ambivalentes Bild.392 Für eine Einordnung der GASP müssen daher die jeweiligen supranationalen und intergouvernementalen Tendenzen im Einzelnen herausgearbeitet werden. Eine Supranationalisierungstendenz ist darin zu erkennen, dass die GASP durch den Vertrag von Lissabon in das gesamte auswärtige Handeln der Union integriert wird. Zusammen mit der in Art. 47 EUV normierten Rechtsfähigkeit der EU und der damit verbundenen Zurechnungsmöglichkeit von GASP-Rechtsakten an die EU trägt dies zu einer Vereinheitlichung des Unionsrechts bei. Daneben offenbaren sich jedoch deutlich die Merkmale der Intergouvernementalität. So gelten für die GASP kraft EU-vertraglicher Regelungen Besonderheiten, die zu einer Systemverschiebung zugunsten der Mitgliedstaaten führen.393 Formal handeln zwar Organe der EU. Faktisch haben aber die Mitgliedstaaten durch die besondere Ausgestaltung in Form der hervorgehobenen Rolle des Europäischen Rates und des Rats, des Einstimmigkeitsprinzips, des Ausschlusses von Gesetzgebungsakten und der fehlenden Gerichtsbarkeit des EuGH das Heft des Handelns

389

Zum Begriff s. oben unter B. I. 2., S. 66. Vgl. etwa Nettesheim, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  2 AEUV Rn.  43; Streinz, in: Streinz, EUV / ​AEUV, Art. 2 AEUV Rn. 16. 391 Zum Begriff s. oben unter B. I. 2., S. 66. 392 Dörr, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  40 EUV Rn.  11. 393 Vgl. auch Calliess, Die neue EU, S. 421, der von einem „Übergewicht der Staats- und Regierungschefs“ spricht sowie Oppermann / ​Classen / ​Nettesheim, Europarecht, § 39 Rn. 23, die von den Mitgliedstaaten als den „entscheidenden Akteure[n]“ sprechen. 390

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  123

fest in der Hand. Dadurch ist ein gewichtiges Merkmal der Intergouvernementa­ lität erfüllt.394 Zudem ist die GASP als zweistufiges System operativen Handelns unter Geltung eines Rückgriffs- und Freiwilligkeitsprinzips ausgestaltet. Der EU kommt dabei eine lediglich koordinierende Funktion zu. Die Koordinierung mitgliedstaatlichen Verhaltens ist ein weiteres Merkmal der Intergouvernementalität. Die soeben aufgeführten Merkmale charakterisieren mithin die Intergouvernementalität der GASP nach dem Vertrag von Lissabon.395 Diese Besonderheiten führen dazu, dass weiterhin streng zwischen der GASP und den anderen Unionspolitiken zu differenzieren ist. In diesem Zusammenhang ist die Kompetenz­ abgrenzungsklausel des Art. 40 EUV zu sehen. Darin wird eine wechselseitige Unberührtheit von GASP und anderen Unionspolitiken statuiert.396 Aufgrund der durch Art. 40 EUV gezogenen Trennlinie könnte durchaus von einem Weiterbestehen der zweiten Säule gesprochen werden. Allerdings darf dies nicht dazu führen, dass das Recht der GASP völlig losgelöst vom übrigen Unionsrecht betrachtet und bewertet wird, hat doch durch das Kohärenzgebot397 eine gewisse Integration der GASP in die anderen Politikbereiche stattgefunden. Aufgrund der genannten Besonderheiten kann die GASP jedoch noch immer als intergouvernemental bezeichnet werden. Jedenfalls lassen sich im Bereich der GASP im Vergleich zum übrigen Unionsrecht deutlich die Merkmale der Intergouvernementalität identifizieren. Soll die durch den Vertrag von Lissabon stattgefundene Vereinheitlichung des Unionsrechts stärker betont werden, kann in Bezug auf die GASP auch von starken intergouvernementalen Zügen in einem ansonsten vereinheitlichten Unionsrecht gesprochen werden. Letztendlich wurde die GASP horizontal in das gesamte auswärtige Handeln der EU integriert, das vertikale Verhältnis zu den Mitgliedstaaten ist aber weiterhin intergouvernemental ausgestaltet.398

394

Zur Definition s. oben unter B. I. 2., S. 66. Die GASP ebenfalls als intergouvernemental einstufend: BVerfG, NJW 2009, 2267, 2292 Rn. 390 = BVerfGE 123, 267 (Lissabon); v. Arnauld, Das System der Europäischen Außenbeziehungen, in: EnzEuR, Bd. 10, § 1 Rn. 28, 35, 37; Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​ AEUV, Art. 40 EUV Rn. 6; Hatje / ​Kindt, NJW 2008, 1761, 1763; Herrmann, Intergouvernementales Unionsverwaltungsrecht, in: Terhechte, VerwR der EU, § 16; Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  24 EUV Rn.  21; Krajewski, Binnenorganisation der EU-Außenpolitik, in: EnzEuR, Bd. 10, § 3 Rn. 184; Pechstein, JZ 2010, 425 ff.; Regelsberger / ​Kugelmann, in: Streinz, EUV / ​AEUV, Art. 23 EUV Rn. 2; Thym, GASP und äußere Sicherheit, in: EnzEuR, Bd. 10, § 16 Rn. 19 f.; Thym, Europäisches Wehrverwaltungsrecht, in: Terhechte, VerwR der EU, § 17 Rn. 3, 6 f.; Thym, Auswärtige Gewalt, in: v. Bogdandy / ​Bast, Europäisches Verfassungsrecht, S. 441, 469 ff.; Thym, AVR 50 (2012), 125 ff.; Weber, EuZW 2008, 7, 13. A. A. Marquardt / ​Gaedtke, in: von der Groeben / ​Schwarze / ​Hatje, Europäisches Unionsrecht, Vorb. zu Art. 23–46 EUV Rn. 13. 396 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 40 EUV Rn. 4. 397 Vgl. Art. 21 Abs. 3 UAbs. 2 S. 1, Art. 24 Abs. 3 UAbs. 2 S. 2 EUV. 398 Thym, GASP und äußere Sicherheit, in: EnzEuR Bd. 10, § 16 Rn. 33. 395

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

IV. Zwischenergebnis zur strukturellen Analyse des Zusammenspiels von Mitgliedstaaten und Unionsebene im Bereich der GASP Die Untersuchungen zur GASP ergaben, dass bei operativen Einsätzen sowohl die EU als auch die Mitgliedstaaten im Rahmen eines zweistufigen Systems operativen Handelns beteiligt sind und zwischen beiden Ebenen Verknüpfungen bestehen, wobei die Rolle der EU als koordinierend beschrieben werden kann. Die Entwicklung hin zu diesem zweistufigen System ist geprägt von einem Dualismus zwischen fortschreitender Supranationalisierung und intergouvernementalen Strukturen. Auf dieser Grundlage kann nun die Grundrechtsbindung der GASP untersucht werden.

C. Genereller Ausschluss oder generelle Anwendbarkeit der Grundrechtecharta? Bevor auf die zentrale Norm des Art. 51 GRCh in Bezug auf die GASP eingegangen wird, stellt sich die Frage, ob sich aufgrund anderer Bestimmungen ein genereller Ausschluss (unter I.) oder eine generelle Anwendbarkeit der Grundrechtecharta (unter II.) ergibt, die eine Differenzierung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Grundrechtsbindung der GASP entbehrlich machen würde. I. Genereller Ausschluss der Grundrechtsbindung? Bei operativen Handlungen im Rahmen der GASP könnte eine Bindung an die Grundrechtecharta vollständig ausgeschlossen sein. 1. Fehlende Justiziabilität der GASP-Rechtsakte Diese Sichtweise drängt sich deshalb auf, weil GASP-Rechtsakte durch den EuGH grundsätzlich nicht justiziabel sind, vgl. Art. 24 Abs. 1 UAbs. 2 S. 6 EUV, Art. 275 UAbs. 1 AEUV.399 Mangels Justiziabilität würde auch eine Bindung an die Grundrechtecharta ins Leere laufen, da diese Bindung gerichtlich nicht erzwungen und durchgesetzt werden könnte. Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass von einer fehlenden Justiziabilität nicht auf eine materielle Nichtgeltung der Grundrechtecharta geschlossen werden kann, 399

Vgl. die Ausnahme in Art. 24 Abs. 1 UAbs. 2 S. 6 Hs. 2 EUV i. V. m. Art. 275 UAbs. 2 AEUV.

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  125

da die materielle Geltung der Grundrechte eine der Justiziabilität vorgelagerte Frage ist.400 Auch ohne gerichtliche Überprüfung kann die Grundrechtecharta als objektiver Wertmaßstab dienen, an dem sich die Beschlüsse der GASP auszurichten haben. Überdies ist durch Art. 24 Abs. 1 UAbs. 2 S. 6 EUV, Art. 275 UAbs. 1 AEUV nur die Überprüfung der GASP-Rechtsakte durch den EuGH ausgeschlossen. Gegen die operative Ausführung durch die Mitgliedstaaten können sich die Betroffenen durchaus gerichtlich zur Wehr setzen, sodass sich diesbezüglich die Frage stellt, an welchem Grundrechtsmaßstab das operative Handeln der Mitgliedstaaten von den innerstaatlichen Gerichten zu messen ist. Die fehlende Justiziabilität durch den EuGH ist folglich kein Argument für eine vollständige Unanwendbarkeit der Grundrechtecharta im Rahmen der GASP. 2. „Political-question“-Doktrin Weiterhin könnte die Auffassung vertreten werden, operative Einsätze im Rahmen der GASP seien rein politische Entscheidungen und könnten daher keiner Bindung an die Grundrechtecharta unterliegen. Eine solche „political-­question“Doktrin stammt aus dem US-amerikanischen Recht und erlaubt amerikanischen Gerichten einen Rechtsstreit trotz bestehender Zuständigkeit aufgrund des hochpolitischen Sachverhalts nicht zu entscheiden.401 Fraglich ist, ob sich diese Dok­trin auf die GASP übertragen lässt und dies zu einem Ausschluss der Grundrechtsbindung führt. a) „Political-question“-Doktrin im US-amerikanischen Recht Im US-amerikanischen Recht bedeutet die „political-question“-Doktrin, dass keine gerichtliche Kontrolle des betreffenden Sachverhaltes stattfindet. Wann eine solche „political-question“ vorliegt, lässt sich der Entscheidung Baker v. Carr402 entnehmen: „It is apparent that several formulations which vary slightly according to the settings in which the questions arise may describe a political question, although each has one or more elements which identify it as essentially a function of the separation of powers. Prominent on the surface of any case held to involve a political question is found 400

EuGH, Urt. v. 27.02.2007, Rs. C-354/04 P, Slg. 2007, S. I-1579, I-1650 ff. Rn. 49 ff., insb. Rn. 56 (Gestoras Pro Amnistia); EuGH, Urt. v. 27.02.2007, Rs. C-355/04 P, Slg. 2007, S. I-1657, I-1681 ff. Rn. 49 ff., insb. Rn. 56 (Segi), wonach die fehlende Justiziabilität einer Grundrechtsbindung nicht entgegensteht; vgl. auch Bleckmann, Nationale Grundrechte im Anwendungsbereich des Rechts der Europäischen Union, S. 81; Winkler, Die Grundrechte der Europäischen Union, S. 156. 401 Nettesheim, Verfassungsbindung der auswärtigen Gewalt, in: Isensee / ​Kirchhof, HStR XI, § 241 Rn. 25. 402 Baker v. Carr, 369 U. S. 186 (1962).

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

(1) a textually demonstrable constitutional commitment of the issue to a coordinate political department; or (2) a lack of judicially discoverable and manageable standards for resolving it; or (3) the impossibility of deciding without an initial policy determination of a kind clearly for non judicial discretion; or (3) the impossibility of a court’s undertaking independent resolution without expressing lack of the respect due coordinate branches of government; or (4) an unusual need for unquestioning adherence to a political decision already made; or (5) the potentiality of embarrassment from multifarious pronouncements by various departments on one question.“403

Dogmatischer Begründungsansatz der Doktrin ist vor allem der Gewalten­ teilungsgrundsatz. Wenn die verfassungsrechtliche Auslegung ergibt, dass eine Ermessensentscheidung ausschließlich einer anderen politischen Gewalt überlassen sein soll, darf darüber kein Gericht entscheiden.404 b) Übertragbarkeit der „political-question“-Doktrin auf die GASP? Es stellt sich die Frage, inwiefern diese „political-question“-Doktrin auf die GASP übertragbar ist. Art. 24 Abs. 1 UAbs. 2 S. 6 EUV und Art. 275 UAbs. 1 AEUV schließen die gerichtliche Überprüfung der GASP-Rechtsakte durch den EuGH ebenfalls aus. Die Außen- und Sicherheitspolitik ist eines der typischen Anwendungsfelder der „political-question“-Doktrin.405 Ein Unterschied besteht allerdings darin, dass die „political-question“-Doktrin von der US-Rechtsprechung entwickelt wurde, während bei der GASP die Gerichtsbarkeit ausdrücklich EU-vertraglich beschränkt ist. Sinn und Zweck dieser Beschränkung – nämlich überwiegend politische Entscheidungen im Rahmen der Außen- und Sicherheitspolitik nicht gerichtlich zu überprüfen406 – ist jedoch jeweils derselbe. Insofern kann in Art. 24 Abs. 1 UAbs. 2 S. 6 EUV und Art. 275 UAbs. 1 AEUV eine mit der „political-question“-Doktrin vergleichbare EU-vertragliche Regelung erblickt werden.

403 Baker v. Carr, 369 U. S. 186 (1962), S. 217; Nummerierung nach Schwarz, Die verfassungsgerichtliche Kontrolle der Außen- und Sicherheitspolitik, S. 70. 404 Zu den dogmatischen Begründungsansätzen vgl. Fischbach, Die verfassungsrechtliche Kontrolle der Bundesregierung bei der Ausübung der auswärtigen Gewalt, S. 130 f.; Schwarz, Die verfassungsgerichtliche Kontrolle der Außen- und Sicherheitspolitik, S. 78 ff. 405 Fischbach, Die verfassungsrechtliche Kontrolle der Bundesregierung bei der Ausübung der auswärtigen Gewalt, S. 130; Schwarz, Die verfassungsgerichtliche Kontrolle der Außenund Sicherheitspolitik, S. 70 f. 406 Für die US-Doktrin s. soeben; für die GASP vgl. Dörr, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​ AEUV, Art. 275 AEUV Rn. 1.

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  127

Diese Doktrin und mithin auch die Auslegung der Art. 24  Abs. 1 UAbs. 2 S. 6 EUV und Art. 275 UAbs. 1 AEUV könnte sich dahingehend fortentwickeln lassen, dass neben der fehlenden gerichtlichen Kontrolle auch materielle Rechtsstandards wie beispielsweise die Unionsgrundrechte unanwendbar sind. Dogma­ tisch ließe sich dies dadurch begründen, dass die europäischen Verträge im Rahmen der GASP eine Letztentscheidungskompetenz des Europäischen Rates und des Rates und damit der höchsten EU-Organe vorsehen.407 In ihnen sind die Regierungschefs der Mitgliedstaaten bzw. die Vertreter der Mitgliedstaaten auf Ministerebene vertreten. Diese entscheiden eigenverantwortlich über Maßnahmen im Bereich der GASP und sind mittelbar über ihre jeweiligen Staaten demokratisch legitimiert. Treffen sie eine Entscheidung über einen operativen Einsatz, könnte dies als „politische Notwendigkeit“408 angesehen werden, die nicht am Maßstab der Grundrechte zu prüfen wäre. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass Entscheidungen, nur weil sie einen politischen Hintergrund haben, nicht in einem rechtsfreien Raum stattfinden.409 Dies widerspricht auch den EU-vertraglichen Regelungen der GASP, wobei Art. 23 i. V. m. Art. 21 Abs. 1, 2 lit. b) EUV die Achtung der Menschenrechte betont. Daraus ergibt sich, dass die GASP in keinem grundrechtsfreien Raum stattfindet. Zusammenfassend lässt sich zwar in Art. 24  Abs. 1  UAbs. 2  S. 6  EUV und Art. 275 UAbs. 1 AEUV eine Rezeption der „political-question“-Doktrin sehen. Diese beschränkt sich aber auf eine fehlende gerichtliche Kontrollmöglichkeit durch den EuGH. Aus der „political-question“-Doktrin lässt sich folglich nicht die Unanwendbarkeit der Grundrechtecharta für den gesamten Bereich der GASP ableiten. 3. Ergebnis Insgesamt lässt sich ein genereller Ausschluss der Bindung an die Grundrechtecharta nicht feststellen.

407 Zur Letztentscheidungskompetenz als Kriterium einer „political question“ vgl. Nettesheim, Verfassungsbindung der auswärtigen Gewalt, in: Isensee / ​Kirchhof, HStR XI, § 241 Rn. 26. 408 Zur Frage des Ausweichens von Rechtsfragen unter Rücksicht auf politische Notwendigkeiten vgl. auch ablehnend Nettesheim, Verfassungsbindung der auswärtigen Gewalt, in: Isensee / ​Kirchhof, HStR XI, § 241 Rn. 28. 409 So auch Nettesheim, Verfassungsbindung der auswärtigen Gewalt, in: Isensee / ​Kirchhof HStR XI, § 241 Rn. 28.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

II. Generelle Anwendbarkeit der Unionsgrundrechte aufgrund Art. 21 EUV? Diametral zum diskutierten generellen Ausschluss der Grundrechtsbindung könnte sich aus Art. 21 EUV im Rahmen der GASP eine generelle Anwendbarkeit der Grundrechtecharta sowohl für die EU als auch für die Mitgliedstaaten ergeben. In Art. 21 EUV sind die Grundsätze der europäischen Außenpolitik niedergelegt. Diese gelten entsprechend der systematischen Stellung der Norm auch für die besonderen Regelungen der GASP.410 In Art. 21 Abs. 1 EUV wird bekräftigt, dass sich die Union bei ihrem Handeln insbesondere von den Grundsätzen der Unteilbarkeit der Menschenrechte leiten lässt.411 Nach Art. 21 Abs. 2 lit. b) EUV will die Union unter anderem die Menschenrechte festigen und fördern.412 Daraus könnte der Schluss zu ziehen sein, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten im Bereich der GASP selbst an die Menschenrechte und dabei zuvörderst an die Grundrechtecharta gebunden sind. Dagegen spricht jedoch die Funktion des Art. 21 EUV. Dieser bestimmt lediglich die allgemeinen Grundsätze für das gesamte auswärtige Handeln der EU und statuiert die dabei zu verfolgenden Ziele. Art. 21 EUV ist damit eine Konkretisierung der allgemeinen Zielbestimmungen in Art. 2 und 3 EUV.413 Durch die nicht nur für die GASP, sondern für das gesamte auswärtige Handeln geltenden Grundsätze und Zielvorgaben soll Art. 21 EUV insbesondere zur Wahrung der horizontalen Kohärenz beitragen.414 Angesichts dieser Funktion sagt Art. 21 EUV nichts darüber aus, an welchen Grundrechtsmaßstab die EU und ihre Mitgliedstaaten bei der Verfolgung dieser Ziele gebunden sind. Die Grundrechtsbindung ist vielmehr Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh zu entnehmen. Somit führt Art. 21 EUV nicht zu einer generellen Anwendbarkeit der Grundrechtecharta im Bereich der GASP. III. Ergebnis Ein genereller Ausschluss der Bindung an die Grundrechtecharta lässt sich für die GASP ebenso wenig feststellen wie eine generelle Anwendbarkeit aufgrund von Art. 21 EUV. Entscheidend ist vielmehr Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh, der in Bezug auf die Grundrechtsbindung zwischen der Union, Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh, und den Mitgliedstaaten, Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh, differenziert. Entsprechend dieser Zweiteilung ist zunächst die Bindung der GASP an die Grundrechtecharta nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh zu untersuchen. 410

Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 21 EUV Rn. 1. S. dazu Marquardt / ​Gaedtke, in: von der Groeben / ​Schwarze / ​Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 21 EUV Rn. 2. 412 Vgl. dazu Regelsberger / ​Kugelmann, in: Streinz, EUV / ​AEUV, Art. 21 EUV Rn.  9. 413 Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  21 EUV Rn.  2. 414 Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  21 EUV Rn.  2. 411

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  129

D. Die Grundrechtsbindung der GASP nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh Im Bereich der operativen GASP-Einsätze sind auf Unionsebene entsprechend obiger Ausführungen der Europäische Rat, der Rat, der Hohe Vertreter, das PSK, der EU-Militärausschuss, der EU-Militärstab und das CIVCOM involviert. Im Folgenden wird ihre Bindung an die Grundrechtecharta nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh zu untersuchen sein. Für die operative Ausführung wird zudem ein Operationsbefehlshaber415 bestimmt. Dabei ist fraglich, ob dieser noch der EU oder bereits der mitgliedstaatlichen Ebene zuzurechnen ist. I. Europäischer Rat und Rat Im Bereich der GASP besteht auf Unionsebene das oben beschriebene „Kaskadenprinzip der gestuften Willensbildung“.416 Ausgehend von den in Art. 21 EUV genannten Grundsätzen und Zielen legt der Europäische Rat durch Beschlüsse die Ziele und allgemeinen Leitlinien der GASP fest, Art. 25 lit. a), 26 EUV. Darauf aufbauend beschließt der Rat gemeinsame Standpunkte nach Art. 29 EUV und ein operatives Vorgehen nach Art. 28, 43 Abs. 2 EUV. Durchführungsbeschlüsse konkretisieren die gemeinsamen Standpunkte und das operative Vorgehen, Art. 25 lit. b) Ziff. iii) EUV. Als Organe der EU scheinen Europäischer Rat und Rat bei diesen Beschlüssen unzweifelhaft gemäß Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh an die Grundrechtecharta gebunden zu sein. Fraglich ist jedoch, ob die Qualifikation der GASP als immer noch intergouver­ nementaler Bereich des Unionsrechts417 der Bindung nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh entgegensteht. Es könnte die Ansicht vertreten werden, die Organe der EU würden im Bereich der GASP nur als „Koordinationsforum“ der Mitgliedstaaten genutzt, sodass ihr Tätigwerden im Bereich der GASP vom übrigen Tätigwerden in supranationalisierten Bereichen qualitativ zu unterscheiden sei und nur letzteres von Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh erfasst sein könnte. Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh unterscheidet allerdings nicht zwischen einer Zuständigkeit der Organe und sonstigen Stellen im supranationalen und intergouvernementalen Bereich des Unionsrechts.418 Zweck des Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh 415

Bzw. ziviler Operationskommandeur. Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 22 EUV Rn. 3; s. dazu oben unter B. III. 3. b), S. 93 f. 417 S. dazu oben unter B. III. 6., S. 121 ff. 418 Ebenso wird auch nicht zwischen hoheitlichem und privatrechtlichem Handeln unterschieden, sodass auch privatrechtliches Handeln der EU-Organe einer Grundrechtsbindung unterliegt, vgl. Kingreen, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 51 GRCh Rn. 5; Jarass, in: Jarass, GRCh, Art. 51 Rn. 14. 416

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

ist es, das Tätigwerden der Organe und sonstigen Stellen der EU umfassend und in allen Bereichen an die Grundrechtecharta zu binden,419 unabhängig davon, ob diese supranational oder intergouvernemental bzw. völkerrechtlich geprägt sind.420 Hinzu kommt, dass mit der nunmehr geklärten Rechtsfähigkeit der EU nach Art. 47 EUV und der formalen Aufhebung der Säulenstruktur die EU auch Zurechnungssubjekt der GASP-Rechtsakte sein kann.421 Aufgrund dieser Zurechenbarkeit und vor dem Hintergrund des Zwecks des Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh, die Handlungen der Union in allen Bereichen umfassend an die Grundrechtecharta zu binden, steht damit der immer noch intergouvernementale Charakter der GASP einer Bindung der in diesem Bereich tätigen Organe an die Grundrechtecharta nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh nicht im Wege.422, 423 Jegliche vom Europäischen Rat und Rat gefassten Beschlüsse sind demnach an der Grundrechtecharta zu messen. II. Hoher Vertreter Der Hohe Vertreter führt gemäß Art. 24 Abs. 1 UAbs. 2 S. 4 EUV neben den Mitgliedstaaten die GASP durch und koordiniert die zivilen und militärischen Aspekte der Missionen, Art. 43 Abs. 2 S. 2 EUV.424 Der Hohe Vertreter ist als sonstige Stelle der EU zu qualifizieren und dementsprechend nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh an die Grundrechtecharta gebunden. Im Rahmen seiner koordinierenden Tätigkeit hat er diese zu beachten und darf keine Anweisungen erteilen, die in Widerspruch zu den in der Grundrechtecharta genannten Rechten stehen.

419 Schwerdtfeger, in: Meyer / ​Hölscheidt, GRCh, Art. 51 Rn. 31; Herdegen, Grundrechte der EU, in: Isensee / ​Kirchhof, HStR X, § 211 Rn. 27. 420 So bejahte der EuGH eine Grundrechtsbindung bei Maßnahmen im Rahmen der dritten intergouvernementalen Säule der EU, EuGH, Urt. v. 03.05.2007, Rs. C-303/05, Slg. 2007, S. I-3633, I-3693 Rn. 45 (Advocaten voor de Wereld). Diese Argumentation war auch auf die intergouvernementale zweite Säule (GASP) übertragbar, vgl. Ehlers, Allgemeine Lehren der Unionsgrundrechte, in: Ehlers, EuGR, 2. Aufl. 2005, § 14 Rn. 10; Herrmann, Intergouvernementales Unionsverwaltungsrecht, in: Terhechte, VerwR der EU, § 16 Rn. 14. 421 Früher wurde das Tätigwerden der Organe im Rahmen der GASP den Mitgliedstaaten zugerechnet. Konstruktiv geschah dies im Wege einer Vertragsorganschaft oder Organleihe zugunsten der Mitgliedstaaten, s. dazu oben unter B. II. 10. c), S. 81. 422 Borowsky, in: Meyer, GRCh, 4. Aufl., Art. 51 Rn. 16; Herrmann, Intergouvernementales Unionsverwaltungsrecht, in: Terhechte, VerwR der EU, § 16 Rn. 14; Jarass, in: Jarass, GRCh, Art. 51 Rn. 14; Wolffgang in: Lenz / ​Borchardt, EU-Verträge, Anh. zu Art. 6 EUV Rn. 11; Schwerdtfeger, in: Meyer / ​Hölscheidt, GRCh, Art. 51 Rn. 32. 423 Die diesbezüglichen Aussagen zur Auswirkung der Intergouvernementalität betreffen ausschließlich Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh. Die Auswirkungen der intergouvernementalen Struktur auf Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh werden später unter E., S. 138 ff. zu untersuchen sein. 424 Zum Hohen Vertreter vgl. oben unter B. III. 3. c) cc), S. 100.

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  131

III. Politisches und Sicherheitspolitisches Komitee (PSK) Dem PSK obliegt im Rahmen des operativen Einsatzes die politische Kontrolle und strategische Leitung der Missionen unter fortbestehender Verantwortung des Rates und des Hohen Vertreters, Art. 38 UAbs. 2 EUV. Unter der politischen Kontrolle und strategischen Leitung der Missionen ist die Kompetenz zu verstehen, über den operativen Einsatz konstitutiv zu entscheiden, die politischen Ziele des Einsatzes festzulegen, Entscheidungen hinsichtlich der personellen Besetzung der Stabchefs zu treffen, Befehlsketten festzusetzen, die Umsetzung der politischen Vorgaben zu überwachen und letztlich den Einsatz zu beenden.425 Das PSK ist als Ausschuss des Rates eine sonstige Stelle der EU. Es ist damit nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh an die Grundrechtecharta gebunden und hat diese bei seinen Entscheidungen und Anweisungen zu beachten. IV. EU-Militärausschuss, EU-Militärstab und CIVCOM Der EU-Militärausschuss berät das PSK in militärischen Angelegenheiten und übernimmt im Krisenfall die militärische Leitung.426 Als Ausschuss des Rates ist der EU-Militärausschuss ebenfalls eine sonstige Stelle der EU und unterliegt gemäß Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh der Bindung an die Grundrechtecharta. Entsprechendes gilt für das CIVCOM in zivilen Angelegenheiten. Der EU-Militärstab ist eine dem Hohen Vertreter unterstellte Abteilung des Ratssekretariates. Er stellt die Bindung zwischen dem EU-Militärausschuss und den von den Mitgliedstaaten bereitgestellten Streitkräften her.427 Als sonstige Stelle der EU ist auch der EU-Militärstab an die Grundrechtecharta gebunden. V. Operationsbefehlshaber und ziviler Operationskommandeur Der Operationsbefehlshaber erteilt bei militärischen Einsätzen die operativen Anweisungen auf Basis des ihm von den Mitgliedstaaten übertragenen operational command oder control und ist das Bindeglied zwischen der unionsrechtlichen und mitgliedstaatlichen Ebene. Entsprechendes gilt für den zivilen Operationskommandeur bei zivilen Missionen.428 Auf unionsrechtlicher Ebene ergibt sich bei operativen Einsätzen eine Abstufung der Zuständigkeiten. Die grundsätzliche Zuständigkeit liegt beim Rat, wobei die 425 Schmalenbach, Die Haftung internationaler Organisationen, S. 108; zum PSK s. auch oben unter B. III. 3. c) hh), S. 103 f. 426 Zum EU-Militärausschuss vgl. oben unter B. III. 3. c) ii), S. 105. 427 Zum EU-Militärstab vgl. oben unter B. III. 3. c) jj), S. 105 f. 428 S. auch oben unter B. III. 5. a) bb) (2), S. 118 ff.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

politische Kontrolle und strategische Leitung bei operativen Einsätzen vom PSK, freilich weiterhin unter Verantwortung des Rates und des Hohen Vertreters, vgl. Art. 38 UAbs. 2 EUV, ausgeübt wird. Unterstützung erfährt das PSK durch das CIVCOM und den EU-Militärausschuss, der seinerseits wiederum vom EU-Militärstab beraten wird. In Bezug auf diese politischen und strategischen Bereiche, die auf EU-Ebene angesiedelt sind, besteht, wie dargestellt, eine umfassende Bindung an die Grundrechtecharta. Neben die politische Kontrolle und strategische Leitung tritt die operative Ausführung. Entsprechend dem Rückgriffsprinzip greift die EU entweder auf die Streitkräfte der NATO oder der Mitgliedstaaten und bei zivilen Missionen auf die zivilen Einsatzkräfte der Mitgliedstaaten zurück,429 wobei diese einheitlichen Kommandostrukturen unterstellt werden müssen. Da die EU in militärischer Hinsicht über keine dauerhaften Kommandostrukturen verfügt, ist sie hierbei wiederum auf die NATO bzw. die Mitgliedstaaten angewiesen.430 Anderes gilt auf den ersten Blick für zivile Missionen. Hierbei wird regelmäßig der Direktor des Stabes für die Planung und Durchführung ziviler Operationen (CPCC) zum zivilen Operationskommandeur ernannt. Der Operationsbefehlshaber bzw. zivile Operationskommandeur einer Mission nimmt die Schnittstelle zwischen der politischen und strategischen Ebene, die bei der EU angesiedelt ist, und der operativen Ausführung der Einsätze durch die NATO bzw. die Mitgliedstaaten ein. Insofern ist fraglich, ob der entsprechende Operationsbefehlshaber bzw. zivile Operationskommandeur noch der EU zugerechnet werden kann, sodass er einer Bindung an die Grundrechtecharta nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh unterläge, oder ob er bereits den Mitgliedstaaten bzw. der NATO zuzurechnen ist, sodass sich die Grundrechtsbindung zumindest bezüglich der Mitgliedstaaten nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh richten würde. Diese Frage soll hinsichtlich militärischer Missionen jeweils getrennt für einen Rückgriff auf die NATO (unter 1.) und die Mitgliedsstaaten (unter 2.) erörtert werden. Bei zivilen Missionen besteht die oben genannte Besonderheit, dass als ziviler Operationskommandeur regelmäßig der Direktor des Stabes für die Planung und Durchführung ziviler Operationen (CPCC) ernannt wird. Auch hinsichtlich seiner Person stellt sich die Frage, ob sich die Grundrechtsbindung nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 oder Alt. 2 GRCh richtet (unter 3.).

429

S. oben unter B. III. 4. c), S. 113. Kuhn, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 133. 430

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  133

1. Rückgriff auf die NATO bei Militärmissionen Durch das Berlin-Plus-Abkommen ist bei militärischen Missionen ein Rückgriff auf die NATO und deren Kommandostrukturen möglich.431 Dabei wird regel­mäßig der DSACEUR432 zum Operationsbefehlshaber ernannt.433 Dieser greift auf die bestehenden NATO-Kommandostrukturen zurück, um den Einsatz operativ auszuführen.434 Dies bedeutet, dass der Einsatz letztendlich von der NATO und deren Streitkräften unter Zugrundelegung der NATO-Kommandostruktur ausgeführt wird. Fraglich ist, ob der DSACEUR nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh an die Grundrechtecharta gebunden ist, wenn die EU bei operativen Einsätzen auf die NATO zurückgreift. Dafür müsste der DSACEUR im konkreten Fall eine sonstige Stelle der EU sein. Grundsätzlich ist der DSACEUR ein Organ der NATO und keine Stelle der EU. Allerdings könnte er bei einem Rückgriff der EU auf die NATO im Wege einer Organleihe der EU zur Verfügung gestellt werden. Eine Organleihe setzt voraus, dass ein Organ aufgrund einer rechtlichen Regelung aus der Hoheitsgewalt des Staates bzw. der internationalen Organisation ausgegliedert und durch die Übertragung entsprechender Befugnisse in die Rechtssphäre des Entleihers eingegliedert wird.435 Die rechtliche Regelung für eine Organleihe könnte im Berlin-Plus-Abkommen zu sehen sein. Darüber hinaus müsste der DSACEUR in die Sphäre der EU eingegliedert und ihm entsprechende Befugnisse übertragen werden. Bei einem Rückgriff der EU auf die NATO ersucht die EU diese um die Durchführung des Einsatzes, den die NATO sodann unter Rückgriff auf ihre Ressourcen ausführt. Der DSACEUR verbleibt vollständig in der Organisationsstruktur der NATO und wird der EU somit nicht im Wege einer Organleihe zur Verfügung gestellt.436 Folglich ist er auch keine sonstige Stelle der EU und unterliegt nicht der

431

S. oben unter B. III. 5. a) bb) (2) (a), S. 118 ff. Deputy Supreme Allied Commander Europe. Der DSACEUR ist der Stellvertreter des SACEUR (Supreme Allied Commander Europe). Der SACEUR ist der Oberbefehlshaber für alle Operationen der NATO und immer ein US-Amerikaner. Sein Stellvertreter (DSACEUR) ist dagegen abwechselnd ein Deutscher oder ein Brite und damit immer ein Europäer. 433 Diedrichs, Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, S. 103. Als Beispiel sei die Gemeinsame Aktion 2003/92/GASP des Rates vom 27. Januar 2003 über die militärische Operation der Europäischen Union in der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien, ABl. Nr. L v. 11.02.2003, S. 26 ff. (hierbei insbesondere Art. 2) genannt. 434 Dabei wird das strategische Hauptquartier SHAPE (Supreme Headquarters Allied Powers Europe) der NATO in Mons, Belgien genutzt. 435 Ipsen, Die Staatenverantwortlichkeit, in: ders., Völkerrecht, § 29 Rn. 20 ff.; vgl. zur Organleihe auch Art. 6 DASR (Draft articles on the responsibility of states for internationally wrongful acts), angenommen von der ILC (International Law Commission) auf ihrer 53. Sitzung 2001, UN Doc. A/56/10 und Corr. 1. 436 A. A. wohl Ohler, Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 254 der ohne weitere Begründung davon ausgeht, dass die EU „im Wege der Organleihe von den NATO-Einrichtungen Gebrauch“ mache. 432

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Grundrechtsbindung nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh. Der DSACEUR bleibt vielmehr auch bei einem Rückgriff der EU auf die NATO ein Organ der NATO. Als eigenständiges Völkerrechtssubjekt kann die NATO auch nicht über Art. 51 Abs. 1  S. 1  GRCh an die Grundrechtecharta gebunden werden. Die Ausnahme wäre eine freiwillige Übernahme einer solchen Grundrechtsbindung, woran es aber regelmäßig fehlt.437 2. Rückgriff auf die Mitgliedstaaten bei Militärmissionen Neben einem Rückgriff auf die NATO können die Kommandostrukturen bei militärischen Missionen auch unter Rückgriff auf die Mitgliedstaaten aufgebaut werden. In diesem Fall bestimmt der Rat einen Operationsbefehlshaber aus einem der beteiligten Mitgliedstaaten.438 Für die weitere Kommandostruktur und die Errichtung eines ortsfesten Hauptquartiers werden die Hauptquartiere der Mitglied­ staaten439 oder das EU Operations Center in Brüssel genutzt. Die konkrete Operationsführung vor Ort erfolgt durch einen vom Rat ernannten Einsatzbefehlshaber in einem verlegbaren Hauptquartier.440 Eine Verzahnung der politischen und strategischen Leitung mit der militärischen Einsatzleitung erfolgt dadurch, dass der Operationsbefehlshaber den strategischen und politischen Weisungen des PSK unterliegt und die Operationsführung mit dem EU-Militärausschuss abstimmt.441 Der Operationsbefehlshaber ist auch dem Rat gegenüber verantwortlich. Im Regelfall sind jedoch dessen Funktionen während der Operation an das PSK delegiert, Art. 38 UAbs. 3 EUV.442, 443 Es stellt sich die Frage, ob der Operationsbefehlshaber bei einem solchen Rückgriff auf die Mitgliedstaaten als sonstige Stelle der EU angesehen werden kann und damit der Grundrechtsbindung nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh unterliegt, oder ob er vielmehr der Sphäre der Mitgliedstaaten zuzurechnen ist, sodass sich die Grundrechtsbindung – wie für die übrigen mitgliedstaatlichen Streitkräfte – nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh richtet.

437

Vgl. Cremer, Funktionen der Grundrechte, in: EnzEuR, Bd. 2, § 1 Rn. 53. Diedrichs, Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, S. 103. 439 Zurzeit kann auf fünf Hauptquartiere zurückgegriffen werden: Frankreich (Mont Valérien, Paris); Deutschland (Potsdam); Großbritannien (Northwood); Italien (Rom); Griechenland (Larissa). 440 Kuhn, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 135. 441 Kuhn, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 186. 442 Kuhn, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 186 f. 443 S. zum Ganzen auch oben unter B. III. 5. a) bb) (2) (a), S. 118 ff. 438

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  135

Grundsätzlich ist der Operationsbefehlshaber seinem Herkunftsmitgliedstaat zuzurechnen. Im Rahmen einer EU-Mission könnte er aber im Wege einer Organleihe der EU zuzurechnen sein. Eine solche Organleihe setzt voraus, dass das Organ aufgrund einer rechtlichen Regelung aus der Hoheitsgewalt des Staates bzw. der internationalen Organisation ausgegliedert und durch die Übertragung entsprechender Befugnisse in die Rechtssphäre des Entleihers eingegliedert wird.444 Die entsprechende rechtliche Regelung könnte im EUV in Form des Rückgriffsprinzips gesehen werden. Fraglich ist, ob die dem Operationsbefehlshaber übertragenen Befugnisse für eine hinreichende Eingliederung in die Sphäre der EU und damit für eine Organleihe ausreichen. Für eine Organleihe zugunsten der EU spricht die beschriebene Verzahnung des Operationsbefehlshabers mit dem EU-Militärausschuss, dem EU-Militärstab und dem PSK, dessen strategischen und politischen Weisungen er unterliegt. Zudem wird der Operationsbefehlshaber vom Rat ernannt, wodurch seine Stellung konstitutiv begründet wird. Insofern ließe sich die Ansicht vertreten, dass der Operationsbefehlshaber im Wege einer Organleihe der EU zur Verfügung gestellt wird. Allerdings untersteht der Operationsbefehlshaber letztlich immer noch der Befehlsgewalt seines Herkunftsmitgliedstaates. Konstruktiv wird er der EU zur Verfügung gestellt, indem er den nationalen Befehl erhält, die Anweisungen des PSK oder des Rates und damit der EU als Operationsbefehlshaber umzusetzen und weiterzugeben.445 Weiterhin ist zu beachten, dass der Operationsbefehlshaber nur in strategischer und politischer Hinsicht den Weisungen des PSK unterworfen ist, vgl. Art. 38 UAbs. 2 EUV. Was die sonstige militärische Einsatzleitung anbelangt, stimmt er sich zwar mit dem EU-Militärstab und dem EU-Militärausschuss ab, trifft diesbezüglich aber eigenständige Entscheidungen, wobei er keinen Weisungen unterliegt.446 Insofern findet nur eine eingeschränkte Unterstellung des Operationsbefehlshabers unter das PSK statt. Im Übrigen leitet der Operationsbefehlshaber seine Stellung von den Mitgliedstaaten ab, die ihm ihre Streitkräfte durch die Übertragung von operational command unterstellen. In operativer Hinsicht erhält der Operationsbefehlshaber somit seine Befugnisse nicht von der EU, sondern von den Mitgliedstaaten. Die bloße Unterstellung des Operationsbefehlshabers in strategischer und politischer Hinsicht unter das PSK und den Rat genügt nicht für die Annahme einer Organleihe. 444 Ipsen, Die Staatenverantwortlichkeit, in: ders., Völkerrecht, § 29 Rn. 20 ff. In Ermangelung einer speziellen unionsrechtlichen Regelung kann auch im Rahmen der EU auf die völkerrechtliche Organleihe zurückgegriffen werden. So schließt das Unionsrecht an keiner Stelle die Geltung des Völkerrechts aus, vgl. etwa Simma / ​Pulkowski, EJIL 17 (2006), 483, 501; Hartley, BYIL 72 (2001), 1 ff. und hat sich – trotz Besonderheiten – nicht vollständig von seinem völkerrechtlichen Ursprung gelöst, Breitenmoser, ZaöRV 55 (1995), 951 ff.; Marschik, Subsysteme im Völkerrecht, S. 197 f., 210 ff. 445 Vgl. zu dieser Konstruktion auch schon oben unter B. III. 5. a) bb) (2) (a), S. 118 ff. 446 Kuhn, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 171.

136

2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Folglich findet mit dem Operationsbefehlshaber der Wechsel von der Unionsebene zu den Mitgliedstaaten statt. Das PSK samt EU-Militärausschuss und EU-Militärstab sind damit die unterste Ebene der EU, die bei operativen Einsätzen im Rahmen der GASP gemäß Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh an die Grundrechtecharta gebunden sind. Der Operationsbefehlshaber ist bereits der zweiten Stufe, nämlich den Mitgliedstaaten, zuzurechnen. Hierbei richtet sich die Frage der Grundrechtsbindung nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh, worauf später einzugehen ist.447 3. Ziviler Operationskommandeur Bei zivilen Missionen besteht die Besonderheit, dass als ziviler Operationskommandeur regelmäßig der Direktor des Stabes für die Planung und Durchführung ziviler Operationen (CPCC) ernannt wird. Insofern scheint bezüglich des zivilen Operationskommandeurs kein Rückgriff auf die Mitgliedstaaten vorzuliegen, sodass dieser zwangsläufig der EU zuzurechnen sein könnte, sodass sich seine Grundrechtsbindung nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh richten würde. Allerdings leitet der zivile Operationskommandeur seine Befugnisse für operative Anweisungen trotz seiner Stellung als Unionsbeamter nicht von der EU ab. Von dieser leitet er nur die Befugnisse zur politischen Kontrolle und strategischen Leitung ab. Über weitere Kompetenzen verfügt die EU nicht, da Polizei und zivile Ordnungskräfte weiterhin in nationaler Zuständigkeit liegen.448 Die operativen Befugnisse leitet der Operationskommandeur vielmehr von den Mitgliedstaaten ab, welche ihre zivilen Beamten durch die Übertragung von operational command oder control dem Operationskommandeur unterstellen.449 Im Ergebnis lässt sich somit feststellen, dass die EU den Mitgliedstaaten in Form des zivilen Operationskommandeurs gewissermaßen eine „gespaltene Persönlichkeit“ zur Verfügung stellt. Hinsichtlich der politischen Kontrolle und strategischen Leitung leitet der Operationskommandeur seine Befugnisse von der EU ab und unterliegt insofern auch der entsprechenden Grundrechtsbindung nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh. In operativer Hinsicht, d. h. was die konkrete Einsatzleitung anbelangt, leitet er seine Befugnisse jedoch von den Mitgliedstaaten ab, welche die operative Kontrolle auf ihn übertragen. Bezüglich der operativen Anweisungen ist er damit nur an die GRCh gebunden, wenn auch die Mitgliedstaaten nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh an die GRCh gebunden sind. Denn durch die bloße Übertragung von operational command kann bezüglich der auf ihn über 447

S. dazu unter E., S. 138 ff. Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  43 EUV Rn.  37. 449 Vgl. etwa Art. 5 Abs. 4 S. 2 der EUPM-Mission in Bosnien und Herzegowina, Beschlusses (GASP) 2009/906 des Rates vom 8. Dezember 2009, ABl. Nr. L 322/22 v. 09.12.2009, S. 22, 23. 448

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  137

tragenen operativen Befugnisse keine weitergehende Grundrechtsbindung erreicht werden als sie ohnehin auch bezüglich der Mitgliedstaaten besteht. Alles andere würde einer unzulässigen Kompetenzerweiterung zugunsten der EU gleichkommen. Diese „Persönlichkeitsspaltung“ mutet auf den ersten Blick zwar zweifelhaft an, ist aber aufgrund der fehlenden Unionskompetenz in Bezug auf operative Befugnisse bezüglich der Einsatzkräfte letztlich zwingend. Auch der Rechtsprechung des EuGH450 und dem entsprechenden Schlussantrag des Generalanwaltes451 ist eine solche Zweiteilung zu entnehmen. So hatte der EuGH sich mittelbar mit der Frage zu befassen, wem eine Personalentscheidung, welche durch den dem zivilen Operationskommandeur unterstellten Missionsleiter getroffen wurde, zuzurechnen ist. Hierbei arbeitete der EuGH die Zwitterstellung des Operationskommandeurs und des ihm unterstellten Missionsleiters heraus, indem er einerseits auf die von den Mitgliedstaaten übertragenen operativen Befugnisse und die dabei den Mitgliedstaaten verbleibenden Kompetenzen einging,452 andererseits seine Unterstellung in politischer und strategischer Hinsicht unter das PSK und den Rat hervorhob.453 Den Akt der Personalverwaltung ordnete der EuGH letztlich der Unionsebene, mithin der politischen Kontrolle und strategischen Leitung unter Verantwortung des Rates zu.454 Im Umkehrschluss bedeutet dies jedoch, dass die operativen Befugnisse, welche der Operationskommandeur von den Mitgliedstaaten ableitet, weiterhin mitgliedstaatliche Befugnisse bleiben und somit den Mitgliedstaaten zuzurechnen sind.455 Zusammenfassend ergibt sich somit in Bezug auf den zivilen Operationskommandeur im Ergebnis kein Unterschied zum militärischen Operationsbefehlshaber. Beide leiten ihre operativen Befugnisse von den Mitgliedstaaten ab, sodass sie diesbezüglich der mitgliedstaatlichen Ebene zuzurechnen sind und sich ihre Grundrechtsbindung nach Art. 51 Abs. 1 Alt. 2 GRCh richtet. VI. Ergebnis zur Grundrechtsbindung nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh Zusammenfassend kann zur Grundrechtsbindung der GASP nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh festgehalten werden, dass die Unionsebene vollständig an die Grundrechtecharta gebunden ist. Dies entspricht sowohl Wortlaut als auch Telos des Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh, Organe und sonstige Stellen der EU umfassend an die Grundrechtecharta zu binden. Die Unionsebene umfasst im Bereich der GASP 450

EuGH, Urt. v. 19.07.2016, Rs. C-455/14 P, BeckRS 2016, 81565. Schlussantrag vom 07.04.2016, Rs. C-455/14 P, BeckRS 2016, 80595 Rn. 94 ff. 452 EuGH, Urt. v. 19.07.2016, Rs. C-455/14 P, BeckRS 2016, 81565 Rn. 45 ff.  453 EuGH, Urt. v. 19.07.2016, Rs. C-455/14 P, BeckRS 2016, 81565 Rn. 50 ff. 454 EuGH, Urt. v. 19.07.2016, Rs. C-455/14 P, BeckRS 2016, 81565 Rn. 66 ff. 455 Schlussantrag vom 07.04.2016, Rs. C-455/14 P, BeckRS 2016, 80595 Rn. 94 im Hinblick auf den richtigen Klagegegner. 451

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

den Europäischen Rat, den Rat, den Hohen Vertreter, das PSK, den EU-Militärausschuss, den EU-Militärstab und das CIVCOM. Der Operationsbefehlshaber bzw. zivile Operationskommandeur fungiert dabei als Schnittstelle zwischen der Unionsebene und der mitgliedstaatlichen Ebene, ist aber in operativer Hinsicht bereits den Mitgliedstaaten zuzurechnen. Bei der Grundrechtsbindung auf Unionsebene schlägt der koordinierende Charakter der GASP durch. So haben die Beschlüsse, Anweisungen und sonstigen Maßnahmen keine unmittelbare Außenwirkung. Sie richten sich vielmehr an die beteiligten Mitgliedstaaten, um deren Verhalten zu koordinieren. Dies hat Auswirkungen im Hinblick auf die Grundrechtsfunktionen. Mangels unmittelbarer Außenwirkung greifen die Unionsgrundrechte nicht als Abwehrrechte der Bürger gegen hoheitliches Handeln der Union ein, sondern gelten nur in einer objektivrechtlichen Dimension als objektiver Wertmaßstab.456 Die klassische subjektivrechtliche Abwehrfunktion der Grundrechte kommt erst bei der operativen Ausführung durch die Mitgliedstaaten aufgrund der Außenwirkung dieses Handelns zum Tragen. Es wird zu prüfen sein, ob auch hierbei die Grundrechtecharta anwendbar ist. Ist dies nicht der Fall, so ist die entscheidende Frage, inwiefern die grundrechtsgebundenen Organe und sonstigen Stellen der EU auf eine Beachtung der Grundrechtecharta durch die Mitgliedstaaten im Sinne einer Schutzpflicht hinwirken müssen. Dementsprechend kann die genaue Auswirkung der Grundrechtsbindung auf Unionsebene erst im Anschluss an die Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten erörtert werden.457

E. Die Grundrechtsbindung der GASP nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh Bei operativen Einsätzen im Rahmen der GASP wurde ein zweistufiges System operativen Handelns festgestellt. Während auf unionsrechtlicher Ebene der Willensbildungs- und Koordinierungsprozess stattfindet, wobei eine umfassende Bindung an die Grundrechtecharta nachgewiesen wurde, umfasst die zweite Stufe die operative Ausführung458 der Einsätze durch die Mitgliedstaaten unter Koordinierung der EU. Die mitgliedstaatliche Ebene beginnt bei der GASP mit dem Operationsbefehlshaber459 der Mission,460 dem sodann die beteiligten mitgliedstaatlichen Ein 456

Zur objektivrechtlichen Dimension der Unionsgrundrechte s. unten, 5. Kapitel, C. II. 1., S. 298 f. 457 S. unten, 5. Kapitel, C., S. 297 ff. 458 Es wird bewusst von einer „Ausführung“ gesprochen. In diesem Abschnitt wird untersucht, ob es sich dabei um eine „Durchführung“ von Unionsrecht i. S. d. Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh handelt. Von diesem Durchführen des Unionsrechts soll eine sprachliche Trennung erfolgen, indem neutral von der Ausführung gesprochen wird. 459 Zur Zwitterstellung des zivilen Operationskommandeurs s. oben, D. V. 3., S. 136 f. 460 Zur Zurechnung des Operationsbefehlshabers und des zivilen Operationskommandeurs zur mitgliedstaatlichen Ebene s. oben unter D. V., S. 131 ff.

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  139

satzkräfte unterstellt werden. Die diesbezügliche Grundrechtsbindung ist anhand von Art. 51  Abs. 1  S. 1  Alt.  2  GRCh zu beurteilen, wonach die Mitgliedstaaten „ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union“ an die Grundrechtecharta gebunden sind. Die Grundlagen zur „Durchführung des Rechts der Union“ im Sinne des Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh wurden bereits im zweiten Kapitel dargestellt. Daran anknüpfend stellt sich nunmehr die Frage, inwiefern diese Ansätze auf die GASP übertragen werden können. I. Ansichten der Literatur 1. Überwiegend fehlende Differenzierung zwischen unionsrechtlicher und mitgliedstaatlicher Ebene In der Literatur wird in Bezug auf die GASP überwiegend nicht zwischen der unionsrechtlichen und mitgliedstaatlichen Ebene unterschieden. Die Ausführungen zur Grundrechtsbindung finden sich zumeist in Zusammenhang mit Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh wieder, wonach die Grundrechtsbindung der Union auch den Bereich der GASP erfasse.461 Damit ist aber nur die Ebene der Union angesprochen.462 Ob die Mitgliedstaaten bei den operativen Handlungen im Rahmen der GASP ebenfalls an die Grundrechtecharta gebunden sind, wird regelmäßig nicht explizit oder nur kursorisch angesprochen. Es überwiegt die Auffassung, dass auch hierbei unproblematisch von einer Bindung an die Grundrechtecharta ausgegangen werden kann.463 461 Vgl. etwa Borowsky, in: Meyer, GRCh, 4. Aufl., Art. 51 Rn. 16; Herdegen, Grundrechte der EU, in: Isensee / ​Kirchhof, HStR X, § 211 Rn. 27; Holoubek / ​L echner / ​Oswald, in: Holoubek / ​Lienbacher, GRCh, Art. 51 Rn. 13; Jarass, in: Jarass, GRCh, Art. 51 Rn. 15; Kingreen, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 51 GRCh Rn. 5; Rengeling / ​Szczekalla, Grundrechte in der EU, § 4 Rn. 276; Schorkopf, Grundrechtsverpflichtete, in: EnzEuR, Bd. 2, § 3 Rn. 15; Schwerdtfeger, in: Meyer / ​Hölscheidt, GRCh, Art. 51 Rn. 32; Thym, GASP und äußere Sicherheit, in: EnzEuR, Bd. 10, § 16 Rn. 34; grds. auch Ladenburger / ​Vondung, in: Stern / ​Sachs, GRCh, Art. 51 Rn. 7, s. aber auch Rn. 59. 462 Diesbezüglich wird auch vom Verf. eine Grundrechtsbindung bejaht, s. oben unter D., S. 129 ff. 463 Die mitgliedstaatliche Ebene im Rahmen der GASP kursorisch ansprechend und eine Bindung an die Unionsgrundrechte bejahend, vgl. etwa Bleckmann, Nationale Grundrechte im Anwendungsbereich des Rechts der Europäischen Union, S. 81; Frenz, Hdb. Europarecht, Bd. 4, Rn. 236, 238; Heuer, Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRCh: Die Bindung der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte, S. 316 f.; Walter / ​Ungern-Sternberg, DÖV 2012, 861, 863. A. A. v. Kielmansegg, Die Verteidigungspolitik der Europäischen Union, S. 213 f., der eine Bindung der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte ablehnt. S. ferner die neu erschienene Arbeit von A. Fontaine, Die Anwendbarkeit und Durchsetzbarkeit der Unionsgrundrechte bei militärischen Operationen der EU, in welcher eine umfassende Unionsgrundrechtsbindung bejaht wird, S. 374 ff., jedoch mit der Einschränkung, dass „immer eine wertende Einzelfallbetrachtung durch das zuständige Gericht erfolgen [müsse], um die Frage nach der Bindung der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte beantworten zu können“, S. 375. Dabei bleibt jedoch die von A. Fontaine selbst auf S. 309 angedeutete, vom Verf. als entscheidend beurteilte Frage, in-

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

2. Auffassung zur abweichenden Grundrechtsbindung der mitgliedstaatlichen Ebene Teilweise wird angedeutet, dass auf der mitgliedstaatlichen Ebene Besonderheiten bestehen könnten. So sei bei einem Handeln, das Unterstützungs- und Koordinierungsbefugnissen der EU unterliegt, keine Bindung an die Grundrechtecharta anzunehmen. Dies betreffe nicht nur Bereiche wie die Bildungspolitik oder das Sozialhilferecht, sondern auch die Zusammenarbeit an den Außengrenzen und die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik.464 Diese Andeutungen werden jedoch nicht weiter vertieft. 3. Stellungnahme zur Literatur Es ist festzuhalten, dass die Literatur überwiegend von einer Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechtecharta bei operativen Maßnahmen im Rahmen der GASP ausgeht. Allerdings wird regelmäßig nicht zwischen der unionsrechtlichen und der mitgliedstaatlichen Ebene differenziert. Diese Differenzierung ist allerdings angesichts des festgestellten zweistufigen Systems operativen Handelns elementar. Wird in der Literatur dennoch auf die mitgliedstaatliche Ebene eingegangen, so bleiben die Ausführungen zumeist recht vage. Deshalb tragen die Ansichten der Literatur nur begrenzt zur Beantwortung der Frage nach der Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten bei. II. Keine explizit einschlägige Rechtsprechung zur Grundrechtsbindung der GASP Soweit ersichtlich existiert auch keine explizit einschlägige EuGH-Rechtsprechung in Bezug auf die Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten bei operativen Einsätzen im Rahmen der GASP. Die im zweiten Kapitel dargestellte allgemeine Rechtsprechung des EuGH zur mitgliedstaatlichen Grundrechtsbindung betrifft vielmehr Durchführungskonstellationen in anderen Bereichen. Das Fehlen expliziter Rechtsprechung im Bereich der GASP überrascht vor dem Hintergrund der fehlenden Gerichtsbarkeit des EuGH nach Art. 24 Abs. 1 UAbs. 2 S. 6 EUV, Art. 275 UAbs. 1 AEUV jedoch nicht.465 wieweit das mitgliedstaatliche Handeln im Bereich der GASP noch durch das Unionsrecht determiniert wird, sodass von einer Durchführung im Sinne des Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh gesprochen werden könnte, unbeantwortet. 464 Ladenburger / ​Vondung, in: Stern / ​Sachs, GRCh, Art. 51 Rn. 59. 465 Lediglich im Zusammenhang mit restriktiven Maßnahmen nach Art. 215 AEUV lassen sich entsprechend der hier bestehenden Zuständigkeit des EuGH nach Art. 275 UAbs. 2 AEUV Urteile finden, vgl. etwa EuGH, Urt. v. 15.11.2012, verb. Rs. C-239/10 P u. C-550/10 P, BeckRS 2012, 82443: Darin wird das Einfrieren von Geldern einer terroristischen Organisation auf

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  141

III. Grundsätzliche Übertragbarkeit der Rechtsprechung auf die GASP Angesichts der bereits existierenden Rechtsprechungslinien betreffend die Durchführung des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten466 ist fraglich, ob diese auf die GASP übertragen werden können. 1. Übertragbarkeit trotz fehlender Gerichtsbarkeit des EuGH im Bereich der GASP Gegen die Übertragbarkeit der Rechtsprechung aus anderen Bereichen könnte die fehlende Gerichtsbarkeit des EuGH nach Art. 24 Abs. 1 UAbs. 2 S. 6 Hs. 1 EUV, Art. 275 UAbs. 1 AEUV sprechen. Die Deutungshoheit in Bezug auf den anwendbaren grundrechtlichen Maßstab könnte ausschließlich bei den Mitgliedstaaten liegen, sodass insofern auch nicht auf die Rechtsprechung des EuGH aus anderen Bereichen abgestellt werden dürfte. Dem ist allerdings zu entgegnen, dass bei einem Rückgriff auf die EuGH-Rechtsprechung zur Anwendbarkeit der Grundrechtecharta die fehlende Justiziabilität der GASP-Rechtsakte nicht angetastet wird. Es wird nur die Auslegung des Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh durch den EuGH herangezogen. Im Übrigen führt die fehlende Justiziabilität nicht zur Unanwendbarkeit der Grundrechtecharta.467 Für deren Anwendbarkeit kommt es auch im Bereich der GASP auf eine Auslegung des Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh an. Insofern steht die mangelnde Justiziabilität der GASP-Rechtsakte der Heranziehung der EuGH-Rechtsprechung aus anderen Bereichen in Bezug auf Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh nicht entgegen. 2. Übertragbarkeit auf exekutives Handeln Die skizzierte Rechtsprechung des EuGH insbesondere zur Richtlinienumsetzung betrifft Fälle der normativen Durchführung von Unionsrecht, in denen fraglich ist, inwiefern eine nationale Regelung noch als Durchführung des Unionsrechts bezeichnet werden kann. Die GASP betrifft jedoch ein exekutives Handeln der Mitgliedstaaten. Dies bedeutet, dass GASP-Beschlüsse nicht in innerstaatliches Recht umgesetzt werden, sondern den Ausgangspunkt für ein operatives Handeln unter Einsatz ziviler oder militärischer Mittel bilden. Insofern ist fraglich, ob die

Basis eines gemeinsamen Standpunktes der GASP am Eigentumsgrundrecht gemessen. Die hier interessierende Fallkonstellation betrifft aber die Frage, inwiefern die Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte bei der operativen Ausführung der GASP im Rahmen gemeinsamer Missionen gebunden sind. Dafür findet sich keine unmittelbar einschlägige Rechtsprechung. 466 S. oben, 2. Kapitel, D. II. 2., S. 53 ff. 467 S. oben unter C. I. 1., S. 124 f.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Rechtsprechung zur normativen Durchführung auf eine exekutive Ausführung von Unionsrecht übertragbar ist. Dagegen könnte sprechen, dass für jede Art der Durchführung – sei sie normativ, exekutiv oder judikativ – eigene Kriterien entwickelt werden müssen, um den jeweiligen Besonderheiten Rechnung tragen zu können. Allerdings können die zugrundeliegenden Kriterien nicht völlig unterschiedlich sein. So ist der Zweck der Grundrechtsbindung bei jeder Art der Durchführung derselbe: Europäische Hoheitsgewalt soll gemäßigt und diszipliniert werden.468 Daneben soll über die Geltung der europäischen Grundrechte ein einheitlicher Grundrechtsmaßstab Anwendung finden, um so einer Grundrechtszersplitterung vorzubeugen.469 Letzteres wird auch in der skizzierten Rechtsprechung des EuGH deutlich, indem der EuGH die Notwendigkeit der Anwendung eines europäischen Grundrechtsschutzes darin begründet sieht, „zu verhindern, dass der Grundrechtsschutz, der je nach dem betreffenden nationalen Recht unterschiedlich sein kann, die Einheit, den Vorrang und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigt“.470 Da somit der Zweck der Geltung europäischer Grundrechte in allen Fällen der Durchführung des Unionsrechts derselbe ist, kann die Rechtsprechung des EuGH zur normativen Durchführung auch für die Bewertung exekutiven Handelns herangezogen werden, zumal es letztlich immer um die Frage geht, welchen Einfluss das Unionsrecht auf das mitgliedstaatliche Handeln hat. Dabei ist die Art des mitgliedstaatlichen Handelns – sei es normativ, exekutiv oder judikativ – zweitrangig. 3. Ergebnis Mithin kann die Rechtsprechung des EuGH zur Durchführung des Unionsrechts grundsätzlich auch auf die GASP übertragen werden. Im Folgenden wird auf die jeweiligen Rechtsprechungsansätze eingegangen und deren konkrete Übertragbarkeit auf die GASP untersucht.

468 Cremer, Funktionen der Grundrechte, in: EnzEuR, Bd. 2, § 1 Rn. 8; s. dazu bereits oben, 2. Kapitel, B. II., S. 44 ff. 469 Cremer, Funktionen der Grundrechte, in: EnzEuR, Bd. 2, § 1 Rn. 12 spricht von „Rechtseinheitlichkeit“, „Gleichmäßigkeit der Rechtsgeltung“ und „Rechtssicherheit“. 470 EuGH, Urt. v. 06.03.2014, Rs. C-206/13, NVwZ 2014, 575, 576 f. Rn. 32. (Siragusa); EuGH, Urt. v. 10.07.2014, Rs. C-198/13, EuZW 2014, 795, 798 Rn. 47 (Hernandez).

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  143

IV. Übertragbarkeit der Rechtsprechung zur Durchführung von Beschlüssen? Im Rahmen der GASP werden die gemeinsamen Aktionen durch Beschlüsse festgelegt. Diese Beschlüsse könnten von den Mitgliedstaaten operativ vollzogen werden, sodass nach der oben geschilderten Rechtsprechung eine Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechtecharta bestünde.471 Die Rechtsprechung zur Grundrechtsbindung beim Vollzug von Verordnungen und Beschlüssen geht jedoch von einer unmittelbaren Anwendbarkeit472 dieser Rechtsakte aus, die sodann von den Mitgliedstaaten indirekt vollzogen werden.473 Fraglich ist deshalb, ob auch die GASP-Beschlüsse eine solche unmittelbare Wirksamkeit entfalten. Unter dem Drei-Säulen-Modell vor dem Vertrag von Lissabon war die supra­ nationale Säule von den die GASP und PJZS beinhaltenden intergouvernementalen Säulen zu unterscheiden. Nur das supranationale Recht war unmittelbar anwendbar und galt mit Vorrang gegenüber nationalem Recht.474 Die Rechtsakte der GASP waren mithin von dieser Wirkung ausgeschlossen. Mit der Aufhebung des Drei-Säulen-Modells durch den Vertrag von Lissabon stellt sich die Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit und dem Anwendungsvorrang neu. In der Erklärung Nr. 17 der Schlussakte der Regierungskonferenz zum Vertrag von Lissabon werden die unmittelbare Anwendbarkeit und der Anwendungsvorrang des Unionsrechts bekräftigt.475 Diese vom EuGH für die EWG geschaffenen Grundsätze konnten sich aufgrund der bisherigen Säulenstruktur zwar nur auf die europäischen Gemeinschaften und nicht auf die GASP beziehen.476 Mit der Vereinheitlichung des Unionsrechts durch die Aufhebung der Säulenstruktur bezieht sich die Erklärung grundsätzlich aber auch auf die GASP und ist für die Auslegung der Verträge heranzuziehen. Deshalb scheinen die unmittelbare Anwendbarkeit und der Anwendungsvorrang für den Bereich der GASP nicht von vornherein ausgeschlossen. Allerdings sind die Adressaten der GASP-Beschlüsse ausschließlich die Mitgliedstaaten. Nur diese werden durch die GASP-Beschlüsse gebunden.477 Weiterhin ermächtigen die Verträge an keiner Stelle dazu, GASP-Akte unmittelbar an private 471

S. oben, 2. Kapitel, D. II. 2. b), S. 55 f. Synonym zur Bezeichnung „unmittelbare Anwendbarkeit“ wird die Formulierung „unmittelbare Wirkung“ verwendet, Haratsch / ​Koenig / ​Pechstein, Europarecht, Rn. 387. 473 Dabei wird von einem unmittelbaren indirekten Vollzug gesprochen, vgl. Haratsch  / ​ ­Koenig  / ​Pechstein, Europarecht, Rn. 470. 474 EuGH, Urt. v. 05.02.1963, Rs. 26/62, Slg. 1963, S. 3 (van Gend & Loos); EuGH, Urt. v. 15.07.1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, S. 1251 (Costa / ​E . N. E. L.). 475 ABl. Nr. C 115 v. 09.05.2008, S. 344. 476 Regelsberger / ​Kugelmann, in: Streinz, EUV / ​AEUV, Art. 25 EUV Rn. 5. 477 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 25 EUV Rn. 6. 472

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Akteure zu richten.478 Eine „Durchgriffswirkung von GASP-Akten“ wäre damit nicht zu vereinbaren479 und widerspräche auch der Absicht der Vertragsstaaten, die in den Erklärungen Nr. 13 und 14 zur Schlussakte zum Vertrag von Lissabon480 zum Ausdruck kommt.481 Danach bleiben die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten im Bereich der Außenpolitik von der GASP unberührt. Insofern wurden im Rahmen der GASP keine Hoheitsrechte im Sinne des Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG auf die EU übertragen,482 die eine entsprechende unmittelbare Anwendbarkeit samt Anwendungsvorrang bewirken könnten.483 Im Ergebnis sind Beschlüsse der GASP in den Mitgliedstaaten daher weiterhin nicht unmittelbar anwendbar und genießen keinen Anwendungsvorrang.484 Mangels unmittelbarer Anwendbarkeit und mangels Anwendungsvorrangs bestehen erhebliche Zweifel an der Übertragbarkeit der oben genannten Rechtsprechung auf den „Vollzug“ der GASP-Beschlüsse.485 Aus der Tatsache, dass die GASP-Beschlüsse ausschließlich an die Mitgliedstaaten und nicht an ein privates Rechtssubjekt gerichtet sind, folgt des Weiteren, dass diese nicht im Sinne der agency-Situation vollzogen werden.486 Während an private Rechtssubjekte gerichtete Beschlüsse klassisch wie Verordnungen im Sinne der agency-Situation vollzogen werden können, bedarf es bei den an Mitgliedstaa-

478

Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 25 EUV Rn. 6. Art. 215 AEUV steht dem nicht entgegen, da dieser die Schnittstelle zwischen GASP und sonstigen Unionspolitiken betrifft, vgl. Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 25 EUV Rn. 6 Fn. 12 und Art. 215 AEUV Rn. 3. 479 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 25 EUV Rn. 6. 480 ABL. Nr. C 115 v. 09.05.2008, S. 343. 481 Vgl. Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 25 EUV Rn. 6. 482 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 25 EUV Rn. 6; Pechstein, JZ 2010, 425, 427 f.; Thym, GASP und äußere Sicherheit, in: EnzEuR Bd. 10, § 16 Rn. 27; BVerfG, NJW 2009, 2267, 2285 f. Rn. 342 = BVerfGE 123, 267 (Lissabon). 483 Vgl. dazu EuGH, Urt. v. 05.02.1963, Rs. 26/62, Slg. 1963, S. 3, 24 f. (van Gend & Loos); EuGH, Urt. v. 15.07.1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, S. 1251, 1269 (Costa / ​E . N. E. L.); vgl. auch Geismann, in: von der Groeben / ​Schwarze / ​Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 288 AEUV Rn. 4; Thym, ZaöRV 66 (2006), 863, 905. 484 BVerfG, NJW 2009, 2267, 2285 f. Rn. 342 = BVerfGE 123, 267 (Lissabon); Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art.  25 EUV Rn.  6; Engbrink, Die Kohärenz des auswärtigen Handelns der EU, S. 238 ff.; Geismann, in: von der Groeben / ​Schwarze / ​Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 288 AEUV Rn. 4; Streinz / ​Ohler / ​Herrmann, Der Vertrag von Lissabon, S. 141 f.; Thym, AVR 50 (2012), 125, 146 ff.; Thym, GASP und äußere Sicherheit, in: EnzEuR Bd. 10, § 16 Rn. 25 ff.; a. A. Regelsberger / ​Kugelmann, in: Streinz, EUV / ​A EUV, Art. 25 EUV Rn. 5 ff., insb. Rn. 9: „Soweit die Übertragung von Hoheitsrechten durch Art. 24 Abs. 1 EUV reicht, kommt ein spezifischer Vorrang des Unionsrechts in Betracht.“ Diese Ansicht vermengt aber die Zuständigkeitsbegründung des Art. 24 Abs. 1 EUV mit der Übertragung von Hoheitsrechten. So besteht im Rahmen der GASP eine Kompetenz der EU ohne gleichzeitige Hoheitsrechtsübertragung. 485 Vgl. auch Haratsch / ​Koenig / ​Pechstein, Europarecht, Rn. 470, die davon sprechen, dass das „intergouvernementale Unionsrecht der GASP […] schon mangels unmittelbarer Anwendbarkeit nicht im hier verwendeten Sinne vollzugsfähig“ ist. 486 S. oben, 2. Kapitel, D. II. 2. b), S. 55 f.

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  145

ten gerichteten Beschlüssen weiterer Umsetzungshandlungen, sodass insofern eine Vergleichbarkeit mit der Durchführung von Richtlinien besteht.487 Das Erfordernis weiterer Umsetzungshandlungen wird durch das in der GASP geltende Freiwilligkeitsprinzip verstärkt. Die Grundlage für den operativen Einsatz bildet deshalb nicht nur der Beschluss als solcher, sondern vielmehr auch die Entscheidung der jeweiligen Mitgliedstaaten, ihre Streitkräfte bzw. zivilen Einsatzkräfte einzusetzen. Dafür ist in der Bundesrepublik Deutschland für militärische Einsätze etwa die Zustimmung des Parlaments notwendig.488 Insofern gilt das nationale Wehr(verfassungs-)recht der beteiligten Mitgliedstaaten. Damit wird zumindest auch die freiwillige nationale Entscheidung über den Streitkräfteeinsatz, d. h. im Falle Deutschlands der Beschluss des Bundestages, vollzogen. Im Falle einer zivilen Mission greift zwar nicht der Parlamentsvorbehalt. Hierbei wird jedoch zumindest auch die freiwillige Entscheidung der Bundesregierung zur Bereitstellung ziviler Mittel durchgeführt. Weiterhin enthalten die Beschlüsse keine Vorgaben für die operative Ausführung der Mission durch die Mitgliedstaaten. In den Beschlüssen werden nach Art. 28 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 EUV nur die zu verfolgenden Ziele, der Umfang, die der Union zur Verfügung zu stellenden Mittel sowie die Bedingungen und der Zeitraum für ihre Durchführung und damit der allgemeine Rahmen der Mission festgelegt. Der Beschluss bildet somit neben der Entscheidung der Mitgliedstaaten zum Streitkräfteeinsatz bzw. zum Einsatz der zivilen Beamten nur die organisatorische Grundlage der operativen Ausführung. Operativ ausgeführt werden hingegen die Vorgaben des Operationsbefehlshabers. Dieser ist jedoch bereits der mitgliedstaatlichen Ebene zuzurechnen.489 Insgesamt kann deshalb bei der operativen Ausführung nicht von einem klassischen Vollzug des Beschlusses im Sinne einer bloßen Umsetzung der darin gemachten Vorgaben gesprochen werden.490 Vielmehr füllt der zur mitgliedstaatlichen Ebene gehörende Operationsbefehlshaber die Beschlüsse inhaltlich durch operative Anweisungen aus, die sodann von den Einsatzkräften vollzogen werden.491 Dies lässt sich anhand der militärischen EuNavFor Med Operation Sophia zur Bekämpfung der Schleuserkriminalität im Mittelmeer veranschaulichen. Der EU-Beschluss enthält nur das Mandat, die Schleuserkriminalität im Mittelmeer etwa mittels Durchsuchungen von Schiffen 487

S. dazu bereits oben, 2. Kapitel, D. II. 2. b), S. 55 f. Dieser sog. Parlamentsvorbehalt wird aus der Verfassungstradition seit 1918 und aus den Art. 45a, 45b, 87a Abs. 1 S. 2, 115a Abs. 1, 87a Abs. 4 S. 2, 35 Abs. 3 S. 2 GG hergeleitet, vgl. BVerfG, NJW 1994, 2207, 2217 f. = BVerfGE 90, 286 (Out-of-area-Einsätze). 489 S. oben unter D. V., S. 131 ff.; zur Zwitterstellung des zivilen Operationskommandeurs s. ebenfalls oben, D. V. 3., S. 136 f. 490 A. A. Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 4, Rn. 236; Heuer, Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRCh: Die Bindung der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte, S. 316, die von einem Vollzug des Beschlusses über die gemeinsame Aktion ausgehen. 491 Gleiches gilt für den zivilen Operationskommandeur, der zwar eine Zwitterstellung einnimmt, in operativer Hinsicht jedoch seine Befugnisse von den Mitgliedstaaten ableitet und insofern auch der mitgliedstaatlichen Ebene zuzurechnen ist, s. dazu oben, D. V. 3., S. 136 f. 488

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

zu bekämpfen,492 sodass der Rahmen des Einsatzes gesteckt wird. Es obliegt sodann dem Operationsbefehlshaber und der sich daran anschließenden Befehlskette festzulegen, welche Marineschiffe an welchen Orten zum Einsatz kommen und welche konkreten Mittel zur Bekämpfung der Schleuserkriminalität ergriffen werden. Dazu können Durchsuchungen und Beschlagnahmungen aber auch Festnahmen von Schleusern zählen. Im Rahmen einer durch die Übertragung des operativen Kommandos von den Mitgliedstaaten abgeleiteten Befehlsgewalt gelangen die Anweisungen des Operationsbefehlshabers über eine festgelegte Befehlskette zu den Einsatzkräften, wobei auf jeder Stufe der Befehlskette eine weitere Konkretisierung stattfindet bis hin zu dem konkreten Befehl, etwa den entsprechenden Schleuser festzunehmen. Die Umsetzung des letzten Befehls durch das letzte Glied in der Befehlskette kann dabei nicht mehr als bloße Umsetzung des Unionsbeschlusses gesehen werden, zumal sich der Befehl nicht direkt auf die EU und den Unionsbeschluss zurückführen lässt, sondern auf die Mitgliedstaaten, die das operative Kommando auf den Operationsbefehlshaber übertragen haben. Nichts anderes gilt für zivile Missionen. Folglich lässt sich die Rechtsprechung des EuGH zur Grundrechtsbindung beim Vollzug von Beschlüssen nicht unmittelbar auf den operativen Einsatz im Rahmen der GASP übertragen. Ob dennoch eine Durchführung von Unionsrecht vorliegt, hängt von der Frage des zwischen dem Unionsrecht und dem mitgliedstaatlichen Handeln für die Grundrechtsbindung allgemein notwendigen Zusammenhangs ab. Dieser Zusammenhang ergibt sich vor allem aus der Rechtsprechung des EuGH im Bereich der Richtlinienumsetzung. V. Übertragbarkeit der Rechtsprechung zur Richtlinienumsetzung – Festlegung allgemeiner Kriterien für die Durchführung von Unionsrecht Entsprechend den obigen Ausführungen ist die Rechtsprechung des EuGH im Bereich der Richtlinienumsetzung vor allem unter dem Blickwinkel des zwischen dem Unionsrecht und dem mitgliedstaatlichen Handeln für eine Grundrechtsbindung allgemein notwendigen Zusammenhangs interessant. Im Folgenden sollen der oben geschilderten Rechtsprechung die Kriterien für das Bestehen eines solchen Zusammenhangs entnommen und auf die GASP angewendet werden.

492 Vgl. Art. 2  Abs. 2  Beschluss (GASP) 2015/778 vom 18.05.2015, ABl. Nr. L 122 v. 19.05.2015, S. 31, 32.

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  147

1. Uneinheitliche Kriterien Aus der oben geschilderten Rechtsprechung scheinen sich keine einheitlichen Kriterien zu ergeben. Vielmehr stehen sich der extensive Ansatz der Åkerberg-​ Fransson-Rechtsprechung und der restriktive Ansatz in den Rechtssachen Siragusa und Hernandez gegenüber. a) Åkerberg-Fransson-Rechtsprechung aa) Extensive Anwendbarkeit der Grundrechtecharta In der Rechtssache Åkerberg Fransson legt der EuGH ein auf den ersten Blick sehr extensives Verständnis der Durchführung von Unionsrecht zugrunde. Grundsätzlich sieht der EuGH in Art. 51  Abs. 1  S. 1  GRCh eine Bestätigung seiner bisherigen Rechtsprechung, die die Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich des Unionsrechts an die europäischen Grundrechte band.493 In der Åkerberg-Fransson-Entscheidung setzt der EuGH nun den Anwendungsbereich des Unionsrechts mit einem „erfasst Sein“ vom Unionsrecht gleich. Als den die Rechtsprechung prägenden Grundsatz kann genannt werden, dass „keine Fallgestaltungen denkbar [sind], die vom Unionsrecht nicht erfasst würden, ohne dass die Grundrechte anwendbar wären“.494 Damit scheint der EuGH die Grundrechtecharta ausufernd und ohne einschränkende Kriterien bei jedem auch noch so entfernten Bezug zum Unionsrecht anzuwenden.495 bb) Kritik (1) Ansicht des BVerfG Eine solch ausufernde Rechtsprechung des EuGH zur Anwendbarkeit der Grundrechtecharta befürchtend führte das BVerfG in seiner Entscheidung zur Antiterrordatei496 aus, dass „dieser Entscheidung [sc. der Åkerberg-Fransson-Entscheidung] keine Lesart unterlegt werden [darf], nach der diese offensichtlich als Ultra-vires-Akt zu beurteilen wäre oder 493

EuGH, Urt. v. 26.02.2013, Rs. C-617/10, NVwZ 2013, 561 f. Rn. 19 f. (Åkerberg Fransson). EuGH, Urt. v. 26.02.2013, Rs. C-617/10, NVwZ 2013, 561, 562 Rn. 21 (Åkerberg ­Fransson). 495 Zur diesbezüglichen Kritik vgl. etwa Fontanelli, EuConst 9 (2013), 315, 332; Geiß, DÖV 2014, 265 ff.; Kingreen, EuR 2013, 446, 451; Lange, NVwZ 2014, 169 ff.; Van Ooyen, Recht und Politik 2013, 199 ff.; Safferling, NStZ 2014, 545 ff.; Scholz, DVBl. 2014, 197, 199 ff.; Weiß, EuZW 2013, 287, 289 und sogleich unter bb). 496 BVerfG, NJW 2013, 1499 = BVerfGE 133, 277 (Antiterrordatei); s. dazu etwa Gräditz, JZ 2013, 633 ff. 494

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Schutz und Durchsetzung der mitgliedstaatlichen Grundrechte in einer Weise gefährdete (Art. 23 I 1 GG), dass dies die Identität der durch das Grundgesetz errichteten Verfassungsordnung in Frage stellte […]. Insofern darf die Entscheidung nicht in einer Weise verstanden und angewendet werden, nach der für eine Bindung der Mitgliedstaaten durch die in der Grundrechte-Charta niedergelegten Grundrechte der Europäischen Union jeder sachliche Bezug einer Regelung zum bloß abstrakten Anwendungsbereich des Unionsrechts oder rein tatsächliche Auswirkungen auf dieses ausreiche.“497

(2) Stellungnahme des Generalanwaltes Auch dem Generalanwalt Cruz Villalon genügte der Zusammenhang zwischen dem Unionsrecht und dem nationalen Recht im Fall Åkerberg Fransson nicht für die Anwendbarkeit der Grundrechtecharta.498 Damit von einer Durchführung des Rechts der Union gesprochen werden kann, müsse das Unionsrecht die causa 499 für die nationale Regelung sein. Das Strafverfahren und die Steuerzuschläge hätten allenfalls mittelbare Bezüge zu den genannten Unionsrechtsvorschriften. Bestehe zwischen dem Unionsrecht und der nationalen Regelung nur der Zusammenhang einer solchen occasio,500 so genüge dies nicht für die Verlagerung der Grundrechtsverantwortlichkeit auf die EU.501 Unklar bleibt allerdings, wann zwischen dem Unionsrecht und dem nationalen Recht eine causa und wann nur eine occasio besteht.502 Genau diese Grenzziehung wäre allerdings von Nöten gewesen, um einen verallgemeinerbaren Ansatz für die „Durchführung des Rechts der Union“ zu entwickeln. Letztlich ist nur zu erahnen, dass die causa einen gewissen Unmittelbarkeitszusammenhang verlangt, während die occasio auch mittelbare Zusammenhänge erfasst. Wann ein solcher unmittelbarer oder nur ein mittelbarer Zusammenhang vorliegt, lässt sich durch die bloßen Schlagworte der causa und occasio nicht bestimmen. cc) Einschränkende Lesart der Åkerberg-Fransson-Rechtsprechung Bei all dieser Kritik durch das BVerfG und der abweichenden Stellungnahme des Generalanwaltes ist fraglich, ob sich der Åkerberg-Fransson-Entscheidung nicht 497

BVerfG, NJW 2013, 1499, 1501 Rn. 91 = BVerfGE 133, 277 (Antiterrordatei). GA Cruz Villalon, Schlussantrag vom 12.06.2012, Rs. C-617/10, BeckRS 2012, 81407 (Åkerberg Fransson). 499 Was genau der GA mit „causa“ meint, bleibt jedoch offen. Mit „causa“ ist wohl entsprechend einer wörtlichen Übersetzung der „Grund“ oder die „Ursache“ gemeint. 500 Ebenfalls offen bleibt die genaue Definition der „occasio“. Gemeint ist wohl entsprechend einer wörtlichen Übersetzung die bloße „Gelegenheit“ oder der „Zufall“. 501 GA Cruz Villalon, Schlussantrag vom 12.06.2012, Rs. C-617/10, BeckRS 2012, 81407 Rn. 61 ff. (Åkerberg Fransson). 502 Die Ansicht des Generalanwaltes Cruz Villalon ebenfalls als unklar einstufend, vgl. Cremer, Funktionen der Grundrechte, in: EnzEuR, Bd. 2, § 1 Rn. 138. 498

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  149

doch Merkmale entnehmen lassen, die die auf den ersten Blick sehr weitläufige Formel, dass „keine Fallgestaltungen denkbar [sind], die vom Unionsrecht nicht erfasst würden, ohne dass die Grundrechte anwendbar wären“,503 greifbarer machen. (1) Verpflichtung durch das Unionsrecht Bei genauerer Analyse des Urteils fällt auf, dass für eine Bindung an die Grundrechtecharta eine nationale Regelung zwar nicht zur Umsetzung des Unionsrechts – beispielsweise zur Umsetzung einer Richtlinie – erlassen worden sein muss,504 es jedoch erforderlich ist, dass das Unionsrecht den Mitgliedstaat im Hinblick auf ein gewisses Ziel rechtlich verpflichtet.505 Nur wenn und soweit das Unionsrecht verpflichtend auf die nationale Ebene einwirkt, kann auch eine Bindung an die Unionsgrundrechte bestehen. Unverbindliche Vorgaben genügen folglich nicht für eine Grundrechtsbindung.506 Wie der Verpflichtung nachgekommen wird, muss nicht konkret durch das Unionsrecht vorgegeben sein. Hierbei kann es durchaus Handlungsspielräume geben. Entscheidend ist nur, dass überhaupt eine Verpflichtung durch das Unionsrecht vorliegt.507 Im Zweifel genügt somit auch nur die Vorgabe eines verbindlichen Ziels, wobei die Art und Weise seiner Erreichung völlig offen bleiben kann. (2) Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit Neben die rechtliche Verpflichtung durch das Unionsrecht tritt der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, Art. 4 Abs. 3 EUV.508 Dieser kann zwar keine Verpflichtung durch das Unionsrecht herstellen, da er akzessorisch zu einer bestehenden Verpflichtung ist.509 Allerdings verstärkt dieser Grundsatz eine bestehende unionsrechtliche Verpflichtung, indem er die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, das durch das Unionsrecht vorgegebene Ziel möglichst effektiv umzusetzen.

503

EuGH, Urt. v. 26.02.2013, Rs. C-617/10, NVwZ 2013, 561, 562 Rn. 21 (Åkerberg Fransson). EuGH, Urt. v. 26.02.2013, Rs. C-617/10, NVwZ 2013, 561, 562 Rn. 28 (Åkerberg Fransson). 505 EuGH, Urt. v. 26.02.2013, Rs. C-617/10, NVwZ 2013, 561, 562 Rn. 28 (Åkerberg Fransson); zu diesem entscheidenden Kriterium der Verpflichtung vgl. auch Geiß, DÖV 2014, 265, 269; Lenaerts, EuConst 8 (2012), 375, 378 ff.; Ohler, NVwZ 2013, 1433, 1434; Stotz, in: FS Dauses, S. 409, 424 f.; Thym, NVwZ 2013, 889, 894. 506 Stotz, in: FS Dauses, S. 409, 424. 507 Stotz, in: FS Dauses, S. 409, 424. 508 Darauf nimmt der EuGH, Urt. v. 26.02.2013, Rs. C-617/10, NVwZ 2013, 561, 562 (Åkerberg Fransson) in Rn. 25 Bezug; vgl. auch Stotz, in: FS Dauses, S. 409, 425. 509 Kahl, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 4 EUV Rn. 47; Marauhn, Unionstreue, in: Schulze / ​Zuleeg / ​Kadelbach, Hdb. Europarecht, § 7 Rn.  23; Stotz, in: FS Dauses, S. 409, 425. 504

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dd) Ergebnis Der Åkerberg-Fransson-Entscheidung kann somit entnommen werden, dass für die Anwendbarkeit der Unionsgrundrechte nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh eine Verpflichtung durch das Unionsrecht bestehen muss, wobei eine Verpflichtung auf das zu verfolgende Ziel genügt. Gegebenenfalls ist die bestehende unionsrechtliche Verpflichtung durch den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit aus Art. 4 Abs. 3 EUV genauer zu konturieren.510 Trotz des ausufernden ersten Eindrucks können der Entscheidung somit konkrete und sogar einschränkende Kriterien für die Auslegung des Art. 51 Abs. 1 GRCh entnommen werden. Einer Lesart des Åkerberg-Fransson-Urteils, wonach eine unionsrechtliche Verpflichtung entscheidend für eine Bindung an die Grundrechtecharta ist, scheint auch das BVerfG aufgeschlossen zu sein. So formulierte es in der Entscheidung zur Antiterrordatei, dass „es keine unionsrechtliche Bestimmung [gibt], die die Bundesrepublik Deutschland zu einer solchen Datei verpflichtet, sie daran hindert oder ihr diesbezüglich inhaltliche Vorgaben macht“.511 Damit erkennt das BVerfG implizit eine Bindung an die Grundrechtecharta bei einer bestehenden Verpflichtung durch das Unionsrecht an.512 b) Rechtssachen Siragusa und Hernandez Die Urteile in den Rechtssachen Siragusa und Hernandez folgen zeitlich der Åkerberg-Fransson-Entscheidung nach. Sie sind insofern bemerkenswert, als dass sie – nachdem der EuGH für seine als ausufernd empfundene Åkerberg-Fransson-​ Entscheidung sowohl im Schrifttum513 als auch vom BVerfG514 kritisiert wurde – an frühere restriktivere Ansätze des EuGH anknüpfen.515 Für eine Durchführung des Rechts der Union im Sinne des Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh müssen nach dieser Rechtsprechung eine Verpflichtung durch das Unionsrecht und ein Unmittelbarkeitszusammenhang vorliegen. Daneben kann sich die Anwendbarkeit der Grundrechtecharta auch aus der Notwendigkeit zur Wahrung der Einheit, des Vorrangs und der Wirksamkeit des Unionsrechts ergeben.

510 EuGH, Urt. v. 26.02.2013, Rs. C-617/10, NVwZ 2013, 561, 562 Rn. 25, 28 (Åkerberg Fransson). 511 BVerfG, NJW 2013, 1499, 1501 Rn. 90 = BVerfGE 133, 277 (Antiterrordatei). 512 Vgl. dazu auch Geiß, DÖV 2014, 265, 270. 513 Vgl. etwa Fontanelli, EuConst 9 (2013), 315, 332; Geiß, DÖV 2014, 265 ff.; Kingreen, EuR 2013, 446, 451; Lange, NVwZ 2014, 169; Van Ooyen, Recht und Politik 2013, 199; Safferling, NStZ 2014, 545; Weiß, EuZW 2013, 287, 289. 514 BVerfG, NJW 2013, 1499, 1501 Rn. 91 = BVerfGE 133, 277 (Antiterrordatei). 515 EuGH, Urt. v. 29.05.1997, Rs. C-299/95, Slg. 1997, S. I-2629 (Kremzow); EuGH, Urt. v. 18.12.1997, Rs. C-309/96, Slg. 1997, S. I-7493 (Annibaldi).

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  151

aa) Verpflichtung durch das Unionsrecht Im Ausgangspunkt führt der EuGH aus, dass die Grundrechte der Union unanwendbar sind, „wenn die unionsrechtlichen Vorschriften in dem betreffenden Sachbereich keine bestimmten Verpflichtungen der Mitgliedstaaten im Hinblick auf den im Ausgangsverfahren fraglichen Sachverhalt schaffen“.516 Die Verpflichtung durch das Unionsrecht ist mithin das erste Kriterium für die Durchführung von Unionsrecht durch die Mitgliedstaaten. Insofern ist eine Übereinstimmung mit der Åkerberg-Fransson-Rechtsprechung festzustellen. In Zusammenhang mit der geforderten Verpflichtung durch das Unionsrecht führt der EuGH ferner aus, dass „allein der Umstand, dass eine nationale Maßnahme in einen Bereich fällt, in dem die Union über Zuständigkeiten verfügt, sie nicht in den Geltungsbereich des Unionsrechts bringen und somit zur Anwendbarkeit der Charta führen“.517 Eine bestehende Zuständigkeit der Union muss vielmehr ausgeübt werden und dadurch zu einer Verpflichtung der Mitgliedstaaten führen. bb) Unmittelbarkeitszusammenhang In den Rechtssachen Siragusa und Hernandez sieht der EuGH die Verpflichtung durch das Unionsrecht allerdings nur als Ausgangspunkt für eine Grundrechtsbindung. Neben der Verpflichtung durch das Unionsrecht wird ein hinreichender Zusammenhang von gewissem Grad gefordert, der über einen mittelbaren Zusammenhang hinausgeht.518 Ob ein solcher Unmittelbarkeitszusammenhang besteht, ist anhand mehrerer nicht abschließender519 Kriterien zu prüfen, anhand derer zu fragen ist, (1) ob die Durchführung von Unionsrecht bezweckt wird, (2) welchen Charakter die Regelung hat, (3) ob nicht andere als die unter das Unionsrecht fallenden Ziele verfolgt werden, selbst wenn das Unionsrecht die Ziele mittelbar beeinflussen kann und

516

EuGH, Urt. v. 10.07.2014, Rs. C-198/13, EuZW 2014, 795, 797 Rn. 35 (Hernandez); EuGH, Urt. v. 06.03.2014, Rs. C-206/13, NVwZ 2014, 575, 576 Rn. 26 (Siragusa); vgl. auch EuGH, Urt. v. 13.06.1996, Rs. C-144/95, Slg. 1996, S. I-2909, I-2918 Rn. 11 f. (Maurin). 517 EuGH, Urt. v. 10.07.2014, Rs. C-198/13, EuZW 2014, 795, 797 Rn. 36 (Hernandez). 518 EuGH, Urt. v. 29.05.1997, Rs. C-299/95, Slg. 1997, S. I-2629, I-2645 Rn. 16 (Kremzow); EuGH, Urt. v.  06.03.2014, Rs. C-206/13, NVwZ 2014, 575, 576 Rn. 24 (Siragusa); EuGH, EuZW 2014, 795, 796 f. Rn. 34 (Hernandez). 519 Der EuGH leitet die Kriterien mit der Formulierung „unter anderem“ ein, vgl. EuGH, NVwZ 2014, 575, 576 Rn. 25 (Siragusa); EuGH, Urt. v. 10.07.2014, Rs. C-198/13, EuZW 2014, 795, 796 f. Rn. 37 (Hernandez); vgl. auch Holoubek / ​L echner / ​Oswald, in: Holoubek / ​Lien­ bacher, GRCh, Art. 51 Rn. 30.

152

2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

(4) ob es eine Regelung des Unionsrechts gibt, die für diesen Bereich spezifisch ist oder ihn beeinflussen kann.520, 521 Entscheidende Frage ist, was unter diesen Kriterien zu verstehen ist.522 Die Schwierigkeit der diesbezüglichen Auslegung besteht darin, dass der EuGH diese Kriterien selbst nicht definiert.523 (1) Bezwecken der Durchführung von Unionsrecht Das Kriterium des Bezweckens der Durchführung von Unionsrecht stellt ein subjektives Kriterium dar. Dabei wird zwar objektiv an das Unionsrecht angeknüpft. Dem „Bezwecken“ wohnt jedoch ein über ein objektiv-kausales Beruhen der nationalen Regelung auf dem Unionsrecht hinausgehendes finales Element inne, das ein subjektiv auf ein bestimmtes Ziel gerichtetes Verhalten verlangt. Dementsprechend ist zu fragen, ob ein Mitgliedstaat in der konkreten Fallgestaltung Unionsrecht durchführen will. Ein solches subjektives Kriterium kann jedoch nur ein erstes Indiz für die Frage sein, ob objektiv tatsächlich eine Durchführung von Unionsrecht vorliegt. So ist die Grundrechtsbindung nicht vom Willen der Mitgliedstaaten abhängig, sondern von der objektiven Durchführung des Unionsrechts. Geht der Mitgliedstaat von einer Durchführung des Unionsrechts aus, indem er eine solche bezweckt, scheint es allerdings naheliegend, dass diese auch vorliegt. Umgekehrt kann ein fehlender Durchführungswille jedoch kein maßgebliches Indiz für die Unanwendbarkeit der Grundrechtecharta sein. So hat der EuGH in der Rechtssache Åkerberg Fransson angemerkt, dass der fehlende Wille, durch Rechtsvorschriften eine Richtlinie umzusetzen, nicht zur fehlenden Durchführung von Unionsrecht führt.524 Dem Kriterium des Bezweckens der Durchführung von Unionsrecht kommt somit ausschließlich eine positive Indizfunktion zu.

520

EuGH, Urt. v. 18.12.1997, Rs. C-309/96, Slg. 1997, S. I-7493, I-7511 Rn. 21 ff. (Annibaldi); EuGH, Urt. v. 08.11.2012, Rs. C-40/11, NVwZ 2013, 357 Rn. 79 (Iida); EuGH, 08.05.2013, Rs. C-87/12, BeckRS 2013, 80932 Rn. 41 (Ymeraga); EuGH, Urt. v. 06.03.2014, Rs. C-206/13, NVwZ 2014, 575, 576 Rn. 25 (Siragusa); EuGH, Urt. v. 10.07.2014, Rs. C-198/13, EuZW 2014, 795, 796 f. Rn. 37 (Hernandez). 521 Holoubek / ​L echner / ​Oswald, in: Holoubek / ​Lienbacher, GRCh, Art. 51 Rn. 27 ff., sprechen in Zusammenhang mit diesen Unmittelbarkeitskriterien von einer an die ältere Rechtsprechung anknüpfenden „neuen Formel“. 522 Interessanterweise lehnen – soweit ersichtlich – alle Entscheidungen, die auf die Unmittelbarkeitskriterien Bezug nehmen, eine Grundrechtsbindung ab. In Urteilen, die eine Grundrechtsbindung bejahen, wird – soweit ersichtlich – nicht auf den Unmittelbarkeitszusammenhang eingegangen. Dies hindert jedoch nicht, die Kriterien generell anzuwenden. 523 Vgl. auch Holoubek / ​L echner / ​Oswald, in: Holoubek / ​Lienbacher, GRCh, Art. 51 Rn. 31. 524 EuGH, Urt. v. 26.02.2013, Rs. C-617/10, NVwZ 2013, 561, 562 Rn. 28 (Åkerberg Fransson).

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  153

(2) Charakter der Regelung Mit dem Charakter der Regelung nimmt der EuGH auf die für die Durchführung des Unionsrechts in Betracht kommende nationale Regelung oder Handlung Bezug. Der Unmittelbarkeitszusammenhang betrifft jedoch die Frage, wie das Unionsrecht das nationale Recht oder die nationale Handlung beeinflusst. Der Charakter der mitgliedstaatlichen Regelung kann daher nicht losgelöst vom Charakter des der Durchführung zugrundeliegenden Unionsrechts betrachtet werden. Bezüglich des Charakters der Regelung ist nach dem Charakter des für die Durchführung in Betracht kommenden Unionsrechts und dessen Einfluss auf das nationale Recht zu fragen. Insgesamt kann somit unter dem Charakter der Regelung die Art und Weise verstanden werden, wie die unionsrechtliche Regelung das mitgliedstaatliche Handeln und damit die in Frage stehende mitgliedstaatliche Regelung oder operative Ausführung beeinflusst. Dabei lassen sich zum Beispiel Regelungen unterscheiden, die den Mitgliedstaaten ein gewisses Ziel verbindlich vorschreiben,525 Regelungen, die den Mitgliedstaaten konkrete Vorgaben in Bezug auf ihr Verhalten machen,526 rein organisatorische Regelungen527 und koordinierende Regelungen.528 Letztere sind – wie beispielsweise in der GASP – darauf ausgelegt, das Verhalten der Mitgliedstaaten aufeinander abzustimmen und auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, um so für ein einheitliches Auftreten nach außen zu sorgen. In Bezug auf den Charakter der Regelung kann eine „Je-desto-Formel“ aufgestellt werden: Je konkreter die Vorgaben für das mitgliedstaatliche Verhalten sind, desto eher spricht der Charakter der Regelung für einen Unmittelbarkeitszusammenhang, der die Grundrechtsbindung begründet. (3) Keine Verfolgung anderer als unter das Unionsrecht fallende Ziele Als weiteres Kriterium führt der EuGH an, dass bei der Ausführung keine anderen als die unter das Unionsrecht fallenden Ziele verfolgt werden dürfen. Dass das Unionsrecht die verfolgten Ziele mittelbar beeinflussen kann, genügt für den Unmittelbarkeitszusammenhang nicht.529 Folglich muss die Ausführung unmittelbar einem unionsrechtlichen Ziel entsprechen. Diese Vorgabe korrespondiert eng mit der eingangs geforderten Verpflichtung durch das Unionsrecht. So muss das Unionsrecht das Ziel verbindlich im Sinne einer Verpflichtung auf das unionsrechtliche Ziel vorschreiben. Sodann muss die Ausführung des Mitgliedstaates 525 Zielvorgebender Charakter der unionsrechtlichen Regelung und zielumsetzender Charakter der nationalen Regelung oder Handlung. 526 Verhaltensvorgebender Charakter der unionsrechtlichen Regelung und verhaltensumsetzender Charakter der nationalen Regelung oder Handlung. 527 Organisatorischer Charakter. 528 Koordinierender Charakter. 529 EuGH, Urt. v. 06.03.2014, Rs. C-206/13, NVwZ 2014, 575, 576 Rn. 25 (Siragusa); EuGH, Urt. v. 10.07.2014, Rs. C-198/13, EuZW 2014, 795, 797 Rn. 37 (Hernandez).

154

2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

unmittelbar dem Ziel zugutekommen und es fördern. Jeder nur mittelbare Zusammenhang zum Unionsrecht und den unionsrechtlichen Zielen soll von der Durchführung des Unionsrechts und der damit einhergehenden Grundrechtsbindung ausgeschlossen werden. Zur Prüfung dieses Kriteriums sind daher mehrere Schritte notwendig: In einem ersten Schritt ist zu ermitteln, welchen Zielen das mitgliedstaatliche Handeln dient. Sodann ist zu fragen, ob eines der Ziele unter das Unionsrecht fällt. In einem dritten und letzten Schritt ist in einer wertenden Betrachtung zu fragen, welches Ziel dominiert und damit unmittelbar verfolgt wird. Ist dies das unionsrechtliche Ziel, so liegt ein Unmittelbarkeitszusammenhang nach diesem Kriterium vor. Wird das Unionsziel erst später, etwa durch eine Verordnung, aufgestellt, steht dies der Verfolgung unionsrechtlicher Ziele nicht entgegen. So ist die ursprünglich mitgliedstaatliche Zielverfolgung durch unionsrechtskonforme Auslegung dahingehend zu interpretieren, dass nach Aufstellung des unionsrechtlichen Ziels mit der nationalen Regelung zumindest auch ein Unionsziel verfolgt wird.530 (4) Spezifische Regelung des Unionsrechts Weiteres Kriterium ist das Vorliegen einer für die zu untersuchende Fallgestaltung spezifischen unionsrechtlichen Regelung oder das Vorliegen einer unionsrechtlichen Regelung, die die zu untersuchende Fallgestaltung zumindest beeinflusst. Das vierte Kriterium nennt damit zwei Einzelaspekte. Der erste Aspekt betrifft das Vorliegen einer spezifischen unionsrechtlichen Regelung. Damit ist eine Norm gemeint, die die Fallgestaltung prägt und die bei der entsprechenden Ausführung durch den Mitgliedstaat zu berücksichtigen ist. Der zweite Aspekt betrifft eine unionsrechtliche Regelung, die die Fallgestaltung beeinflusst und stellt somit geringere Anforderungen als eine spezifische unionsrechtliche Regelung, die es zu beachten gilt. Allerdings muss dieser Aspekt in Zusammenhang mit dem dritten Kriterium gesehen werden, wonach die mitgliedstaatliche Ausführung unmittelbar ein unionsrechtliches Ziel verfolgen muss. Wird das unmittelbar verfolgte unionsrechtliche Ziel konkret in einer Norm benannt, sodass diese die Fallgestaltung beeinflusst, spricht dies für den Unmittelbar­ keitszusammenhang.

530

Zur unionsrechtskonformen Auslegung vgl. etwa Obwexer, in: von der Groeben / ​Schwarze / ​ Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 4 EUV Rn. 116 ff.; Ruffert, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​ AEUV, Art. 1 EUV Rn. 24.

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  155

(5) Gesamtbetrachtung Die vier aufgeführten Kriterien müssen nicht kumulativ erfüllt sein. Vielmehr ist in einer wertenden Gesamtbetrachtung zu fragen, ob unter Zugrundelegung dieser Kriterien ein Unmittelbarkeitszusammenhang besteht. cc) Grundrechtsbindung zur Wahrung der Einheit, des Vorrangs und der Wirksamkeit des Unionsrechts Werden diese Kriterien verneint und ist damit eine Bindung an die Grundrechtecharta grundsätzlich ausgeschlossen, prüft der EuGH schließlich, ob deren Anwendbarkeit nach Sinn und Zweck gleichwohl geboten ist. Der Grundrechtsschutz im Unionsrecht liege darin begründet, „zu verhindern, dass der Grundrechtsschutz, der je nach dem betreffenden nationalen Recht unterschiedlich sein kann, die Einheit, den Vorrang und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigt“.531 Wenn ein solches Risiko besteht, scheint der EuGH die Grundrechtecharta unabhängig von den aufgestellten Unmittelbarkeitskriterien anwenden zu wollen. Allerdings scheinen kaum Fallgestaltungen denkbar, in denen die Unmittelbarkeitskriterien nicht erfüllt und dennoch die Einheit, der Vorrang und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigt sind. So hat der EuGH mit dieser Formulierung in den Entscheidungen Siragusa und Hernandez nur die Unanwendbarkeit der Grundrechtecharta argumentativ abgesichert.532 Allerdings lässt er sich durch dieses Kriterium eine Hintertür offen, um in bestimmten Fällen trotz fehlenden Unmittelbarkeitszusammenhangs zu einer Anwendbarkeit der Grundrechtecharta zu gelangen. 2. Festlegung einheitlicher Kriterien Während in der Åkerberg-Fransson-Entscheidung eine vage Verpflichtung durch das Unionsrecht für die Anwendbarkeit der Grundrechtecharta genügte, wählte der EuGH in den Rechtssachen Siragusa und Hernandez mit dem erforderlichen Unmittelbarkeitszusammenhang einen restriktiveren Ansatz. Es stellt sich daher die Frage, ob die Åkerberg-Fransson-Rechtsprechung mit diesen restriktiven Rechtsprechungsansätzen zu vereinbaren ist und inwiefern einheitliche Kriterien festgelegt werden können.

531 EuGH, Urt. v. 06.03.2014, Rs. C-206/13, NVwZ 2014, 575, 577 Rn. 32 (Siragusa); vgl. auch EuGH, Urt. v. 10.07.2014, Rs. C-198/13, EuZW 2014, 795, 798 Rn. 47 (Hernandez); zur Trias der Einheit, der Wirksamkeit und des Vorrang s. auch EuGH, NJW 2013, 1215 insb. Rn. 60 (Melloni). 532 EuGH, Urt. v. 06.03.2014, Rs. C-206/13, NVwZ 2014, 575, 577 Rn. 32 (Siragusa); EuGH, Urt. v. 10.07.2014, Rs. C-198/13, EuZW 2014, 795, 798 Rn. 47 (Hernandez).

156

2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Die Schwierigkeit, eine konsistente Judikatur des EuGH in Bezug auf Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh zu erkennen, besteht darin, dass der EuGH immer wieder auf unterschiedliche Formulierungen zur Umschreibung der „Durchführung des Rechts der Union“ zurückgreift. Dabei wiederholen sich verschiedene Formulierungen in verschiedenen Urteilen, die der EuGH in neuen Urteilen wiederum selektiv zitiert.533 Gleichwohl lassen sich aus den unterschiedlichen Rechtsprechungsansätzen wiederkehrende Kriterien herausfiltern. Auf den ersten Blick schien die Åkerberg-Fransson-Entscheidung sehr weitgehend zu sein, indem jegliches Erfasstsein vom Unionsrecht der Grundrechtsbindung unterworfen wird. Auf den zweiten Blick offenbarte sich jedoch, dass der EuGH eine Verpflichtung durch das Unionsrecht verlangt, um von einer Durchführung des Unionsrechts sprechen zu können. Die Verpflichtung durch das Unionsrecht hat der EuGH auch in anderen Fällen als Voraussetzung für eine Grundrechtsbindung betont, insbesondere auch in den restriktiven Entscheidungen Siragusa und Hernandez.534 Somit kann als erstes Kriterium für die Konkretisierung der „Durchführung des Rechts der Union“ nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten durch das Unionsrecht genannt werden.535 Gleichbedeutend mit der Notwendigkeit einer Verpflichtung durch das Unionsrecht ist die Formulierung des EuGH, dass alleine eine Zuständigkeit der EU für den betreffenden Sachverhalt noch keine Grundrechtsbindung bewirkt.536 Die Zuständigkeit der EU muss erst ausgeübt werden und zu einer Verpflichtung der Mitgliedstaaten führen, um den Anwendungsbereich der Grundrechtecharta zu eröffnen. Problematisch ist jedoch, dass der EuGH in der Rechtssache Åkerberg Fransson auf der Stufe der Verpflichtung durch das Unionsrecht stehen bleibt. Demgegenüber geht er in den Rechtssachen Siragusa und Hernandez einen Schritt weiter, indem er zwischen der Verpflichtung durch das Unionsrecht und dem mitgliedstaatlichen Handeln einen hinreichenden Zusammenhang verlangt, der über eine bloße mittelbare Auswirkung hinausgeht.537 Dafür werden vier Unmittelbarkeits 533

Snell, EPL 21 (2015), 285, 296 ff. Vgl. EuGH, Urt. v. 06.03.2014, Rs. C-206/13, NVwZ 2014, 575, 576 Rn. 26 (Siragusa); EuGH, Urt. v. 10.07.2014, Rs. C-198/13, EuZW 2014, 795, 797 Rn. 35 (Hernandez); s. ferner EuGH, Urt. v. 13.06.1996, Rs. C-144/95, Slg. 1996, S. I-2909, I-2918 f. Rn. 11 (Maurin); EuGH, Urt. v. 17.09.2014, Rs. C-562/12, BeckRS 2014, 81856, Rn. 62–65 (MTÜ). 535 Geiß, DÖV 2014, 265, 269; Latzel, EuZW 2015, 658, 659, der in Zusammenhang mit der Verpflichtung durch das Unionsrecht von einer „conditio sine qua non“ für die Grundrechtsbindung spricht; Lenaerts, EuConst 8 (2012), 375, 378 ff.; Ohler, NVwZ 2013, 1433, 1434; Stotz, in: FS Dauses, S. 409, 424 f.; Thym, NVwZ 2013, 889, 894. 536 EuGH, Urt. v. 10.07.2014, Rs. C-198/13, EuZW 2014, 795, 797 Rn. 36 (Hernandez). 537 Jeweils bezugnehmend auf die vier Unmittelbarkeitskriterien vgl. EuGH, Urt. v. 06.03.2014, Rs. C-206/13, NVwZ 2014, 575, 576 Rn. 24 (Siragusa); EuGH, Urt. v. 10.07.2014, Rs. C-198/13, EuZW 2014, 795, 796 f. Rn. 34 (Hernandez); vgl. auch EuGH, Urt. v. 17.09.2014, Rs. C-562/12, BeckRS 2014, 81856 Rn. 62 (MTÜ), der allerdings die vier Unmittelbarkeitskriterien nicht nennt; aus der älteren Rechtsprechung ebenfalls bezugnehmend auf die vier Unmittelbarkeitskriterien vgl. EuGH, Urt. v. 18.12.1997, Rs. C-309/96, Slg. 1997, S. I-7493, I-7511 Rn. 21 ff. (Annibaldi). 534

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  157

kriterien aufgestellt, auf die bereits genauer eingegangen wurde. Damit stellt sich die Frage, wie diese Differenz zwischen der Åkerberg-Fransson-Entscheidung und den restriktiven Entscheidungen in den Rechtssachen Siragusa und Hernandez aufzulösen ist. Angesichts der restriktiveren Tendenzen in den Rechtssachen Hernandez und S­ iragusa im Anschluss an das eher extensive Åkerberg-Fransson-Urteil, scheint der EuGH die begrenzte Anwendbarkeit der Grundrechtecharta für die Mitgliedstaaten538 nun mehr zu beachten. Unter Berücksichtigung dieser restriktiven Tendenzen,539 können die verschiedenen Rechtsprechungsansätze zu einer einheitlichen Rechtsprechungslinie in Bezug auf die Durchführungskonstellation zusammengeführt werden.540 Daraus ergibt sich eine dreistufige Prüfung der „Durchführung des Rechts der Union“ im Sinne des Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh. Auf der ersten Stufe steht der allen Entscheidungen – insbesondere auch der Åkerberg-Fransson-Entscheidung – zugrundeliegende Gedanke, dass für die Anwendbarkeit der Grundrechtecharta eine unionsrechtliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten vorliegen muss. Ohne eine unionsrechtliche Verpflichtung – und sei sie im Ausgangspunkt auch noch so schwach – kann nicht von einer Durchführung des Rechts der Union gesprochen werden. Gemäß dem Åkerberg-Fransson-Ansatz ist dabei auch auf Art. 4 Abs. 3 EUV zurückzugreifen, um die unionsrechtliche Verpflichtung – freilich unter Beachtung der Akzessorietät des Art. 4 Abs. 3 EUV – genauer herauszuarbeiten. Auf der zweiten Stufe ist – gewissermaßen als Einschränkung – der hin­reichende Zusammenhang von einigem Gewicht zwischen der unionsrechtlichen Verpflichtung und dem mitgliedstaatlichen Handeln zu prüfen. Dabei muss ein Unmittelbarkeitszusammenhang zwischen der Verpflichtung und der Ausführung vorliegen, wobei die oben genannten vier Unmittelbarkeitskriterien gelten. Auch hierbei kann Art. 4 Abs. 3 EUV als ein den Unmittelbarkeitszusammenhang verstärkendes Kriterium herangezogen werden. Der Loyalitätsgrundsatz kann damit sowohl die bestehende unionsrechtliche Verpflichtung auf der ersten Stufe als auch den

538 Dies ist schon dem Wortlaut des Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh zu entnehmen, wonach die GRCh für die Mitgliedstaaten „ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union“ gilt. Zur begrenzenden Funktion des Art. 51 GRCh vgl. auch Borowsky, in: Meyer, GRCh, 4. Aufl., Art. 51 Rn. 24a; Brosius-Gersdorf, Bindung der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte, S. 36 ff.; Geiß, DÖV 2014, 265; Jarass, in: Jarass, GRCh, Art. 51 Rn. 18 ff.; Lenaerts, EuR 2012, 3, 5; Schwerdtfeger, in: Meyer / ​Hölscheidt, GRCh, Art. 51 Rn. 37; Weiß, EuZW 2013, 287, 288. 539 Zurückhaltender in Bezug auf diese Tendenz: Kingreen, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​ AEUV, Art. 51 GRCh Rn. 10. 540 Vgl. Terhechte, in: von der Groeben / ​Schwarze / ​Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 51 GRCh Rn. 11 f.; vgl. auch Jarass, GRCh, Art. 51 Rn. 20, 26 f. der neben der Verpflichtung im Ausgangsverfahren im Einklang mit den restriktiven Rechtsprechungsansätzen einen unmittelbaren Zusammenhang fordert.

158

2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Unmittelbarkeitszusammenhang auf der zweiten Stufe – freilich jeweils unter Beachtung der Akzessorietät – verstärken. Auf der dritten und letzten Stufe muss gefragt werden, ob die Unionsgrundrechte aufgrund der unionsrechtlichen Verpflichtung, aber unabhängig vom Unmittel­ barkeitszusammenhang, gelten müssen, um so die Einheit, den Vorrang und die Wirksamkeit des Unionsrechts zu sichern. Der letzte Schritt bestätigt in der Regel das auf der zweiten Stufe gefundene Ergebnis. Fehlt es am Unmittelbarkeitszusammenhang, so wird in der Regel auch nicht die Einheit, der Vorrang und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigt. Die dritte Stufe bildet damit eine Art Auffangkategorie, die vor allem dann eingreift, wenn eine Grundrechtsbindung auf zweiter Stufe zu verneinen ist. Dabei ist jedoch eine restriktive Auslegung geboten. Der EuGH hat über diese Kategorie bislang überwiegend eine fehlende Grundrechtsbindung argumentativ abgesichert.541 Über das letzte Kriterium hätte der EuGH jedoch auch in der Rechtssache Åkerberg Fransson eine Grundrechtsbindung trotz fehlenden Unmittelbarkeitszusammenhangs begründen können. Gerade wenn mittelbar finanzielle Interessen der Union im Sinne des Art. 325 AEUV betroffen sind, wie dies im Falle des Geltungsbereichs der Mehrwertsteuerricht­linie der Fall ist, gebieten die Einheit, der Vorrang und die Wirksamkeit des Unionsrechts, den Fall an den Unionsgrundrechten zu messen, auch wenn es um nationale strafrechtliche Sanktionen aufgrund von Steuerhinterziehung geht. So werden über die Mehrwertsteuer Staatseinnahmen generiert, die mittelbar der Finanzierung der EU dienen. Ohne einheitlichen Grundrechtsmaßstab wäre somit auch mittelbar die Finanzierung der EU einer nationalen Grundrechtszersplitterung preisgegeben, was der Einheit des Unionsrechts widerspräche. Neben der Absicherung einer fehlenden Unionsgrundrechtsbindung kann folglich das letzte Kriterium in dem Sonderfall, dass die Finanzierung der Union betroffen ist, trotz fehlenden Unmittelbarkeitszusammenhangs auch ausnahmsweise die Anwendbarkeit der GRCh begründen. Insofern kann auch die Åkerberg-Fransson-Rechtsprechung und die neuere Rechtsprechung des EuGH zur Durchführung der Mehrwertsteuerrichtlinie542 in Einklang mit den restriktiven Kriterien aus den Rechtssachen Hernandez und Siragusa gebracht werden, sodass die aufgezeigten Kriterien der Rechtsprechung letztlich eine konsistente und widerspruchsfreie Judikatur ermöglichen. Bevor jedoch diese aus der Rechtsprechung entwickelten Kriterien auf die GASP angewendet werden können, ist zu fragen, ob diese überhaupt einen sachgerechten Maßstab für die Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten darstellen, oder ob eigene Kriterien zu entwickeln sind. Für die Anwendbarkeit der aus der Rechtsprechung entwickelten Kriterien spricht die Konsistenz der Rechtsprechung. So hat der EuGH die in den Rechtssa 541

Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 10.07.2014, Rs. C-198/13, EuZW 2014, 795, 798 Rn. 47 (­Hernandez). EuGH, Urt. v. 20.03.2018, Rs. C-524/15, MwStR 2018, 551, 553 Rn. 18 ff. (Luca Menci); EuGH, Urt. v. 05.04.2017, Rs. C-217/15 u. C-350/15, BeckRS 2017, 105871, Rn. 16 (Orsi und Baldetti). 542

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  159

chen Siragusa und Hernandez genannten Kriterien nicht zum ersten Mal verwendet. Er greift vielmehr Kriterien auf, die bereits in der früheren Rechtsprechung des EuGH, insbesondere in den Neunzigerjahren, auftauchen543 und verwendet diese auch in jüngerer Zeit.544 Diese Kriterien können deshalb durchaus als „ständige Rechtsprechung“ bezeichnet werden. Mit den aufgestellten Kriterien lässt sich wie dargelegt selbst die extensive Åkerberg-Fransson-Rechtsprechung vereinbaren. Zudem hat sich die Praxis zwangsläufig an der Rechtsprechung des EuGH zu orientieren, sodass es hinsichtlich der operativen Einsätze untunlich wäre, eigenständige, von der Rechtsprechung des EuGH losgelöste Kriterien für die Grundrechtsbindung zu entwickeln. Abgesehen von der Konsistenz der Rechtsprechung und den Praxiserwägungen stellen die Kriterien der Rechtsprechung auch im Übrigen einen sachgerechten Maßstab für die Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten dar. So ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh ein eingeschränkter Anwendungsbereich der GRCh für die Mitgliedstaaten, indem es heißt, die Mitgliedstaaten sind „ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union“ an die GRCh gebunden. Dem wird durch das Erfordernis einer Verpflichtung durch das Unionsrecht sowie durch den Unmittelbarkeitszusammenhang Rechnung getragen, für welchen der EuGH gleich vier konkretisierende Kriterien nennt. Kritikwürdig ist zwar, dass der EuGH diese Kriterien selbst nicht definiert. Im Rahmen der Diskussion der Unmittelbarkeitskriterien wurde jedoch ein Vorschlag für eine entsprechende Definition der jeweiligen Kriterien gegeben, sodass der zunächst vage Unmittelbarkeitszusammenhang greifbarer und einer Subsumtion zugänglich gemacht wird. Auch das abschließende Kriterium der Sicherung der Einheit, des Vorrangs und der Wirksamkeit des Unionsrechts ist sachgerecht, da der Sinn und Zweck der Unionsgrundrechtsbindung unter anderem darin zu sehen ist, einer Grundrechtszersplitterung in unionsrechtlich geregelten Bereichen vorzubeugen. Dabei gilt es jedoch zu beachten, dass über dieses Kriterium nicht jeder Bereich, der zuvor mangels Unmittelbarkeitszusammenhangs bereits ausgeschieden wurde, wieder einer Unionsgrundrechtsbindung zugeführt werden kann. Eine Ausnahme mag hierbei aufgrund von Art. 325 AEUV für das mittelbare Betroffensein der Finanzierung der Union gelten. Für den vorliegend zu untersuchenden Bereich ist jedoch zu beachten, dass die Finanzierung der EU weder durch die GASP noch durch Frontex auch nur mittelbar sichergestellt werden soll, sodass diese Ausnahme 543

Für das Kriterium der Verpflichtung durch das Unionsrecht vgl. etwa EuGH, Urt. 13.06.1996, Rs. C-144/95, Slg. 1996, S. I-2909, I-2918 f. Rn. 11 f. (Maurin); für das Kriterium des Unmittelbarkeitszusammenhangs vgl. etwa EuGH, Urt. v. 29.05.1997, Rs. C-299/95, Slg. 1997, S. I-2629 Rn. 16 (Kremzow); EuGH, Urt. v. 18.12.1997, Rs. C-309/96, Slg. 1997, S. I-7493 Rn. 21–23 (Annibaldi); für das Kriterium der Sicherung der Einheit, des Vorrangs und der Wirksamkeit des Unionsrechts vgl. etwa EuGH, Urt. v. 17.12.1970, Rs. 11/70, Slg. 1970, S. 1125 (Internationale Handelsgesellschaft). 544 EuGH, Urt. v. 08.11.2012, Rs. C-40/11, NVwZ 2013, 357, 361 Rn. 79 (Iida); EuGH, Urt. v. 08.05.2013, Rs. C-87/12, BeckRS 2013, 80932, Rn. 41 (Ymeraga u. a.).

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

von vornherein nicht einschlägig ist. Das Kriterium der Sicherung der Einheit, des Vorrangs und der Wirksamkeit des Unionsrechts ist jedenfalls dann sachgerecht, wenn es der Überprüfung des Ergebnisses am Sinn und Zweck der Grundrechtsbindung dient und dementsprechend restriktiv ausgelegt wird. VI. Anwendung der aus der Rechtsprechung entwickelten Kriterien auf die GASP Die aus der Rechtsprechung des EuGH zur Richtlinienumsetzung entwickelten allgemeinen Kriterien gilt es nun auf die operativen Einsätze im Rahmen der GASP anzuwenden. Die Tatsache, dass die Rechtsprechung im Bereich der Richtlinienumsetzung ergangen ist, spielt keine Rolle. Entsprechend den obigen Ausführungen behandeln die entwickelten Kriterien den allgemeinen Zusammenhang zwischen dem Unionsrecht und dem mitgliedstaatlichen Handeln, der notwendig ist, um von einer Durchführung des Rechts der Union sprechen zu können.545 1. Verpflichtung durch das Unionsrecht im Rahmen einer bestehenden Unionskompetenz Auf der ersten Stufe ist zu prüfen, ob im Bereich der GASP eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten durch das Unionsrecht besteht. In Zusammenhang mit der geforderten Verpflichtung durch das Unionsrecht führt der EuGH regelmäßig aus, dass „allein der Umstand, dass eine nationale Maßnahme in einen Bereich fällt, in dem die Union über Zuständigkeiten verfügt, sie nicht in den Geltungsbereich des Unionsrechts bringen und somit zur Anwendbarkeit der Charta führen“.546 Eine bestehende Zuständigkeit der Union muss vielmehr ausgeübt werden und dadurch zu einer Verpflichtung der Mitgliedstaaten führen, um die Grundrechtsbindung zu begründen. Die Zuständigkeit der Union ist damit zwar keine hinreichende, allerdings eine notwendige Voraussetzung für das Bestehen einer unionsrechtlichen Verpflichtung. Ohne Unionszuständigkeit kann von vornherein keine Verpflichtung durch das Unionsrecht und damit auch keine Grundrechtsbindung bestehen. Dies ist Ausfluss des in Art. 5  Abs. 2  EUV normierten Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung sowie des Art. 51 Abs. 2 GRCh, die verbieten, dass die Charta den Geltungsbereich des Unionsrechts über die Zuständigkeiten der Union hinaus ausdehnt.547 Unter „Zuständigkeiten“ ist dabei „das jeweils geltende System der Kom-

545

S. oben unter E. V., S. 146 ff. sowie 2. Kapitel, D. II. 2., S. 53 ff. EuGH, Urt. v. 10.07.2014, Rs. C-198/13, EuZW 2014, 795, 797 Rn. 36 (Hernandez). 547 Vgl. Borowsky, in: Meyer, GRCh, 4. Aufl., Art. 51 Rn. 37; Schwerdtfeger, in: Meyer / ​Hölscheidt, GRCh, Art. 51 Rn. 71 f. 546

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  161

petenzverteilung mit ausschließlichen, geteilten und sonstigen Zuständigkeiten der Union“ zu verstehen, welches in den Art. 2 ff. AEUV geregelt ist.548 Zu prüfen ist daher, wie die Kompetenzen im Rahmen der GASP verteilt sind und, falls eine Unionszuständigkeit besteht, ob diese bei Ausübung zu einer Verpflichtung durch das Unionsrecht führt. a) Kompetenzverteilung in der GASP Bis zum Vertrag von Lissabon war die Rechtsfähigkeit der EU – die von den Europäischen Gemeinschaften zu unterscheiden war – umstritten.549 Die wohl herrschende Ansicht verneinte die Rechtsfähigkeit der EU.550 Damit konnten der Union GASP-Akte nicht zugerechnet werden. Zwar wurden europäische Institutionen wie der Europäische Rat und der Rat im Bereich der GASP genutzt. Die Rechtsakte dieser Organe waren aber im Wege einer Organleihe oder als Vertragsorgan den Mitgliedstaaten zuzurechnen, sodass die GASP letztlich Ausdruck eines gemeinsamen Handelns der Mitgliedstaaten war.551 Seit dem Vertrag von Lissabon ist die Rechtspersönlichkeit der EU in Art. 47 EUV ausdrücklich normiert.552 Damit könnten der Union GASP-Rechtsakte zugerechnet werden und sie könnte als Rechtsperson potenziell Kompetenzen im Rahmen der GASP innehaben. Vor diesem Hintergrund ist nun die Kompetenzverteilung im Rahmen der GASP zu analysieren. aa) Kompetenzrechtliche Regelungen in den Verträgen Nach Art. 2 Abs. 4 AEUV ist die „Union […] nach Maßgabe des Vertrages über die Europäische Union dafür zuständig, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik […] zu erarbeiten und zu verwirklichen“. Damit scheint die EU als Rechtsperson für die GASP zuständig zu sein. In diesem Sinne ist auch Art. 24 548

Borowsky, in: Meyer, GRCh, 4. Aufl., Art. 51 Rn. 38. Die Begriffe „Kompetenz“ und „Zuständigkeit“ sind dabei synonym zu verstehen. 549 Vgl. nur Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 24 EUV Rn. 8 m. w. N. und oben unter B. II. 10. c), S. 81. 550 S. oben unter B. II. 10. c), S. 81; Blanke, DÖV 1993, 412, 416; Bleckmann, DVBl. 1992, 335; Everling, DVBl. 1993, 936, 941; Hilf, Die Europäische Union und die Eigenstaatlichkeit ihrer Mitgliedstaaten, in: Hommelhoff / ​Kirchhof, Der Staatenverbund der Europäischen Union, S. 75; Jürgens, Außen- und Sicherheitspolitik, S. 329 ff.; Seidel, EuR 1992, 125 ff. 551 Vgl. dazu Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 24 EUV Rn. 8; Pechstein / ​Koenig, Die Europäische Union, 3. Aufl. 2000, Rn. 181 ff. und oben unter B. II. 10. c), S. 81. 552 Zuvor war nur die Rechtspersönlichkeit der EG in Art. 281 EGV normiert. Dementsprechend war die Völkerrechtsfähigkeit der EU bis zum Vertrag von Lissabon umstritten, in der Praxis aber schon vor dem Vertrag von Lissabon akzeptiert, vgl. nur Ruffert, in: Calliess / ​ Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 47 EUV Rn. 2.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Abs. 1 UAbs. 1  EUV formuliert, der die „Zuständigkeit der Union“ im Bereich der GASP auf „alle Bereiche der Außenpolitik sowie auf sämtliche Fragen in Zusammenhang mit der Sicherheit der Union“ erstreckt. Weiter heißt es in Art. 24 Abs. 2 EUV, dass „die Union“ im Rahmen der Grundsätze und Ziele ihres auswärtigen Handelns eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik verfolgt, bestimmt und verwirklicht. Nach Art. 25 EUV verfolgt „die Union“ „ihre Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“ indem sie bestimmte Handlungsformen zur Verfügung hat. Damit scheint erwiesen, dass die EU als selbständiges Rechtssubjekt die Zuständigkeit für die GASP besitzt.553 bb) Erklärungen Nr. 13 und 14 zur Schlussakte des Vertrages von Lissabon In diesem Zusammenhang ist jedoch auf die Erklärungen Nr. 13 und Nr. 14 zur Schlussakte des Vertrages von Lissabon hinzuweisen.554 Darin wird ausgeführt, dass die Mitgliedstaaten im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik weiterhin die uneingeschränkte Kompetenz besitzen. In Nr. 13 heißt es, dass die Bestimmungen des Vertrages „weder die derzeit bestehenden Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Formulierung und Durchführung ihrer Außenpolitik noch ihre nationale Vertretung in Drittländern und internationalen Organisationen berühren“.555 Die Erklärungen zur Schlussakte sind für die Auslegung des Vertrages heranzuziehen.556 cc) Ansichten zur Kompetenzverteilung Einerseits legen die EU-vertraglichen Regelungen eine Kompetenz der EU im Bereich der GASP nahe. Andererseits gehen die Erklärungen Nr. 13 und 14 zur Schlussakte des Vertrages von Lissabon von einer uneingeschränkten Zuständigkeit der Mitgliedstaaten aus. (1) Fehlende Kompetenzübertragung auf die EU Eine Ansicht betont, dass im Bereich der GASP keine Kompetenzübertragung auf die EU stattgefunden hat.557 Dies werde im Vertrag selbst deutlich, indem beispielsweise davon die Rede ist, dass die Mitgliedstaaten den Standpunkt der 553

Vgl. dazu auch Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 24 EUV Rn. 9. ABl. Nr. C 115 v. 09.05.2008, S. 343. 555 ABl. Nr. C 115 v. 09.05.2008, S. 343. 556 Pechstein, JZ 2010, 425, 426. 557 Thym, Auswärtige Gewalt, in: v. Bogdandy / ​Bast, Europäisches Verfassungsrecht, S. 441, 479. 554

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  163

Union bei ihrer einzelstaatlichen Politik – die also trotz Handelns der EU möglich ist – berücksichtigen müssen, Art. 29 S. 2 EUV. Die Mitgliedstaaten seien zwar zur Einhaltung eines entsprechenden Unionsrechtsaktes auf dem Gebiet der GASP verpflichtet. Gleichwohl hätten sie die Kompetenz anders zu Handeln. Damit könnten die Mitgliedstaaten diese rechtliche Bindung an den Unionsrechtsakt zum Preise eines Rechtsbruchs durchbrechen.558 Das unionsrechtliche Vorgehen sei faktisch nur ein „Angebot konkurrierender Politikgestaltung“.559 Unterstützt wird diese Sichtweise durch die Tatsache, dass der EuGH keine Zuständigkeit im Bereich der GASP besitzt, sodass die Einhaltung eines entsprechenden Unionsrechtsaktes gerichtlich nicht erzwungen werden kann.560 (2) Ausschließliche Kompetenz der Mitgliedstaaten Eine weitere Ansicht ist ebenfalls der Auffassung, die Kompetenz im Bereich der GASP stehe nach wie vor den Mitgliedstaaten und nicht der EU zu.561 Damit wären GASP-Akte nicht der EU, sondern den Mitgliedstaaten zuzurechnen. Als Begründung hierfür wird angeführt, dass der Begriff der Union im Rahmen der GASP nicht die EU als Rechtsperson bezeichnet, sondern die Gesamtheit der Mitgliedstaaten. Damit wird der Begriff der Union in den Verträgen gespalten ausgelegt: Zum einen als Rechtsperson EU und zum anderen im Bereich der GASP als Gesamtheit der Mitgliedstaaten. Die handelnden Organe – Europäischer Rat und Rat – sind zwar Organe der EU. Im Bereich der GASP würden sie aber als Vertragsorgane oder im Wege einer Organleihe für die Mitgliedstaaten tätig.562 Für eine solch gespaltene Auslegung spreche auch das in der GASP vorherrschende Einstimmigkeitsprinzip und Einstimmigkeitsfundament. Wenn Entscheidungen faktisch nicht gegen den Willen der Mitgliedstaaten getroffen werden können, so müssten die Entscheidungen auch den Mitgliedstaaten und nicht der EU zugerechnet werden.563

558 Thym, ZaöRV 66 (2006), 863, 904; Thym, Auswärtige Gewalt, in: v. Bogdandy / Bast, Europäisches Verfassungsrecht, S. 441, 479 f. 559 Thym, Auswärtige Gewalt, in: v. Bogdandy / ​Bast, Europäisches Verfassungsrecht, S. 441, 480 f. 560 Zur fehlenden Gerichtsbarkeit des EuGH und den diesbezüglichen Ausnahmen, s. oben unter B. III. 3. c) ff), S. 102. 561 So noch Haratsch / ​Koenig / ​Pechstein, Europarecht, 7. Aufl. 2010, Rn. 68 ff.; dieser Ansicht ist zumindest für den militärischen und verteidigungspolitischen Bereich der GASP auch Kuhn, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 139 f. 562 So noch Haratsch / ​Koenig / ​Pechstein, Europarecht, 7. Aufl. 2010, Rn. 68 ff. 563 Kuhn, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 139 f.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

(3) Kompetenz sui generis Eine andere Ansicht bejaht eine Kompetenz der EU und stuft diese als Kompetenz sui generis ein.564 Für eine solche Kompetenz sui generis spricht, dass die Zuständigkeiten der Union grundsätzlich in die ausschließliche Zuständigkeit (Art. 2 Abs. 1, Art. 3 AEUV), die geteilte Zuständigkeit (Art. 2 Abs. 2, Art. 4 AEUV) und die Unterstützungs-, Koordinierungs- und Ergänzungszuständigkeit (Art. 2 Abs. 5, Art. 6 AEUV) aufzuteilen sind. Indem Art. 2 Abs. 4 AEUV für die GASP auf den EUV und dessen besondere Regelungen verweist, lässt sich die GASP nicht in diesen Kompetenzkatalog einordnen.565 Mit der Bezeichnung als Kompetenz sui generis werden jedoch keine weiteren Erkenntnisse über die genaue Zuständigkeitsverteilung im Bereich der GASP gewonnen. So bleibt die Frage offen, wie einerseits eine Kompetenz der EU bestehen kann, andererseits aber die Mitgliedstaaten weiterhin eine uneingeschränkte Kompetenz innehaben können. (4) EU-Kompetenz als komplementäre Ergänzung der nationalen Kompetenz Eine Kompetenz der EU neben einer weiterhin bestehenden Kompetenz der Mitgliedstaaten konstruiert eine weitere Ansicht, indem sie betont, dass „die GASP die Kompetenz der Mitgliedstaaten auf dem Feld der Außen- und Sicherheitspolitik im Prinzip unberührt lassen und sie lediglich komplementär ergänzen soll“.566 Wenn die EU ihre Kompetenz ausübt, solle das zu keinem Kompetenzverlust bei den Mitgliedstaaten führen.567 Wie eine solche komplementäre Ergänzung zu konstruieren ist, die die Kompetenz der Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigt, bleibt allerdings offen. Eine Kompetenz der EU müsste eigentlich zwangsläufig zu einem Kompetenzverlust bei den Mitgliedstaaten führen.568

564 Engbrink, Die Kohärenz des auswärtigen Handelns der EU, S. 143; Marquardt / ​Gaedtke, in: von der Groeben / ​Schwarze / ​Hatje, Europäisches Unionsrecht, Vorb. zu Art. 23–46 EUV Rn. 12; Pechstein, JZ 2010, 425, 427; Streinz / ​Ohler / ​Hermann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, S. 137. 565 V. Arnauld, Das System der Europäischen Außenbeziehungen, in: EnzEuR, Bd. 10, § 1 Rn. 46; Nettesheim, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  2 AEUV Rn.  43; Streinz, in: Streinz, EUV / ​AEUV, Art. 2 AEUV Rn. 16. 566 Streinz / ​Ohler / ​Hermann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, S. 137. 567 Streinz / ​Ohler / ​Hermann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, S. 138. 568 Pechstein, JZ 2010, 425, 426.

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  165

(5) Kompetenzbegründung ohne Hoheitsrechtsübertragung Eine andere Ansicht geht von einer Kompetenzbegründung zugunsten der EU ohne gleichzeitige Hoheitsrechtsübertragung aus.569 Unter einer Hoheitsrechtsübertragung570 ist dabei die Öffnung der nationalen Rechtsordnung dergestalt zu verstehen, dass der ausschließliche staatliche Herrschaftsanspruch „zurückgenommen und der unmittelbaren Geltung und Anwendbarkeit eines Rechts aus anderer Quelle innerhalb des staatlichen Herrschaftsbereichs Raum gelassen wird“.571 Die fehlende Hoheitsrechtsübertragung führe dazu, dass die Beschlüsse der EU im Bereich der GASP keine unmittelbare Geltung und keinen Anwendungsvorrang vor nationalem Recht beanspruchen können. Die Mitgliedstaaten würden aber als Völkerrechtssubjekte unter Ausschluss jeder unmittelbaren innerstaatlichen Wirkung verpflichtet.572 Die Unionszuständigkeit ersetze nicht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, sondern trete hinzu und mache dafür verbindliche Vorgaben. Dies würde einer parallelen oder geteilten Zuständigkeit ähneln, ohne jedoch einen Konfliktlösungsmechanismus in Form des Anwendungsvorrangs vorzusehen. Aufgrund des Kohärenzgebots müssten sich zwar die Mitgliedstaaten an den Vorgaben der EU orientieren, Zuwiderhandlungen seien aber nicht justiziabel und könnten damit nicht geahndet werden.573 dd) Stellungnahme Um die Kompetenzverteilung im Rahmen der GASP beurteilen zu können, ist eine Systematisierung durch die Trennung von drei Fragen vorzunehmen. Erstens stellt sich die Frage, ob der EU im Bereich der GASP überhaupt eine eigene Kompetenz zugestanden wird. Bejahendenfalls stellt sich zweitens die Frage, ob daneben weiterhin eine Kompetenz der Mitgliedstaaten besteht. Sollte auch dies der Fall sein, stellt sich drittens die Frage, wie diese gleichzeitig bestehenden Kompetenzen miteinander zu vereinbaren sind.

569

Pechstein, JZ 2010, 425, 427 f. Zum missverständlichen Ausdruck der „Übertragung“ von Hoheitsrechten, vgl. bereits oben unter B. I. 1., S. 65. 571 BVerfG, NJW 1974, 1697, 1698 = BVerfGE 37, 271 (Solange I); BVerfG, NJW 1982, 207, 509 = BVerfGE 58, 1 (Eurocontrol I); BVerfG, NJW 1987, 577, 579 = BVerfGE 73, 339 (Solange II); v. Heinegg, in: Epping / ​Hillgruber, BeckOK GG, Art. 23 Rn. 23. 572 Zu den Begrifflichkeiten des Völkerrechts und des supranationalen Rechts s. bereits oben unter B. I. 1., S. 63 ff. 573 Pechstein, JZ 2010, 425, 427 f. 570

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

(1) Kompetenz der EU Soll der EU eine Kompetenz im Bereich der GASP abgesprochen werden, so lässt sich dies angesichts des eindeutigen Vertragswortlautes nur schwer begründen. So spricht Art. 2 Abs. 4 AEUV davon, dass „die Union“ dafür zuständig ist, „eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik […] zu erarbeiten und zu verwirklichen“. Die Reichweite der Zuständigkeit wird von Art. 24 Abs. 1 EUV konkretisiert.574 Danach erstreckt sich die „Zuständigkeit der Union in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik […] auf alle Bereiche der Außenpolitik sowie auf sämtliche Fragen im Zusammenhang mit der Sicherheit der Union, einschließlich der schrittweisen Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik, die zu einer gemeinsamen Verteidigung führen kann“.575 Eine Ablehnung der Unionskompetenz trotz des eigentlich eindeutigen Wortlautes ließe sich mit der oben beschriebenen gespaltenen Auslegung erreichen.576 Der Begriff der Union würde damit im Rahmen der GASP nicht die rechtsfähige EU bezeichnen, sondern – wie vor der Anerkennung der Rechtsfähigkeit der EU – die Gesamtheit der Mitgliedstaaten. Allerdings wurde die Rechtsfähigkeit der EU in Kenntnis des Streits um ihre Rechtsfähigkeit normiert.577 Damit beziehen sich die Verträge, wenn sie von der Union sprechen, auf die rechtsfähige EU. Eine gespaltene Auslegung des Begriffs würde dem widersprechen.578 Auch folgt aus dem Einstimmigkeitserfordernis in der GASP nicht zwangsläufig eine Zurechnung an die Mitgliedstaaten. Die notwendige Stimmenmehrheit regelt nur, mit welcher Mehrheit ein Beschluss zustande kommt. Wem ein Beschluss in kompetenzrechtlicher Hinsicht zuzurechnen ist, ist eine vorgelagerte Frage, die nicht durch die erforderliche Mehrheit beantwortet wird. Jedoch bietet das Einstimmigkeitserfordernis gewisse Anhaltspunkte dafür, dass die GASP als ein „in Wahrheit“ den Mitgliedstaaten gemeinschaftlich zuzuordnendes Handeln zu interpretieren sein könnte. Zusammen mit Art. 4 Abs. 2 EUV könnte dies zu einem Ausschluss der Unionskompetenz im Bereich der GASP führen. Danach achtet die EU die nationale Identität der Mitgliedstaaten sowie die grundlegenden Funktionen des Staates, insbesondere die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der nationalen Sicherheit. Die nationale Sicherheit fällt gemäß Art. 4 Abs. 2 S. 3 EUV weiterhin in die alleinige Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten. Die GASP könnte somit in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen.

574

Calliess, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 2 EUV Rn. 18. Art. 24 Abs. 1 EUV. 576 S. dazu oben unter E. VI. 1. a) cc) (2), S. 163. 577 Zur Rechtsfähigkeit s. Art. 47 EUV. 578 Ablehnend auch Pechstein, JZ 2010, 425, 427. 575

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  167

Dabei ist jedoch zweierlei zu beachten. Zum Ersten werden die öffentliche Ordnung und die nationale Sicherheit restriktiv ausgelegt. Unter der öffentlichen Ordnung sind nur staatliche Interessen von fundamentaler Bedeutung zu verstehen.579 Die nationale Sicherheit ist nur bei Störungen von nationaler Bedeutung betroffen, mithin bei Störungen die die Sicherheit des Staates selbst betreffen.580 Im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ist jedoch neben der nationalen Sicherheit die gemeinsame Sicherheit aller Mitgliedstaaten betroffen. Zum Zweiten ist in Art. 4 Abs. 2 EUV nur von einer alleinigen „Verantwortung“ der Mitgliedstaaten die Rede, was einer Zuständigkeit der EU entsprechend dem eindeutigen Wortlaut des Art. 2 Abs. 4 AEUV nicht im Wege steht. Zur Wahrung der nationalen Identität und der Verantwortung der Mitgliedstaaten für die nationale Sicherheit ist Art. 4 Abs. 2 EUV allerdings bei der inhaltlichen Auslegung der entsprechenden Kompetenznormen als Kompetenzausübungsschranke heranzuziehen.581 Zur nationalen Identität zählt insbesondere die staatliche Souveränität der Mitgliedstaaten.582 Zur Souveränitätswahrung583 muss unter anderem das polizeiliche und militärische Gewaltmonopol bei den Mitgliedstaaten verbleiben,584 was bei der GASP durch das Rückgriffs- und Freiwilligkeitsprinzip gewährleistet wird.585 Auch die bloß koordinierenden Aufgaben der EU im Rahmen der GASP586 sowie das Einstimmigkeitsprinzip führen dazu, dass gemäß Art. 4 Abs. 2 EUV die Verantwortung für die nationale Sicherheit bei den Mitgliedstaaten verbleibt. Mithin steht Art. 4 Abs. 2 EUV einer Unionskompetenz im Bereich der GASP nicht entgegen, hat aber einschränkende Auswirkungen auf die inhaltliche Ausgestaltung der Unionskompetenz. Trotz des Einstimmigkeitsfundaments und der einschränkenden Auswirkungen des Art. 4 Abs. 2 EUV besteht jedoch entsprechend dem eindeutigen Vertragswortlaut eine Unionskompetenz im Bereich der GASP. (2) Weiterhin bestehende mitgliedstaatliche Kompetenz Eine neben der Unionskompetenz weiterhin bestehende uneingeschränkte mitgliedstaatliche Kompetenz im Bereich der GASP ergibt sich zum einen aus den Erklärungen Nr. 13 und Nr. 14 zur Schlussakte des Vertrages von Lissabon.587 Zum anderen wird dies auch aus den EU-vertraglichen Regelungen selbst deutlich. So ergibt sich beispielsweise aus Art. 28 Abs. 3 S. 1 EUV, dass trotz eines Beschlusses der Union über eine gemeinsame Aktion eine einzelstaatliche Stellungnahme 579

Leible / ​T. Streinz, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  36 AEUV Rn.  20. Schill / ​Krenn, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  4 EUV Rn.  42. 581 Schill / ​Krenn, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  4 EUV Rn.  45. 582 Schill / ​Krenn, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  4 EUV Rn.  28, 30. 583 Zum Begriff der Souveränität s. oben unter B. I. 3., S. 67. 584 BVerfG, NJW 2009, 2267, 2274 Rn. 249 = BVerfGE 134, 267 (Lissabon). 585 S. dazu oben unter B. III. 4. c) und d), S. 113 ff. 586 S. dazu oben unter B. III. 5. a) aa), S. 116. 587 S. dazu oben unter E. VI. 1. a) bb), S. 162. 580

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

oder Maßnahme im selben Bereich möglich bleibt. Der betroffene Mitgliedstaat ist insofern nur angehalten, die übrigen Mitgliedstaaten über sein Vorgehen zu informieren. Auch bei Standpunkten der Union ergibt sich aus Art. 29 S. 2 EUV, dass eine einzelstaatliche Politik der Mitgliedstaaten weiterhin möglich ist. Folglich besitzen die Mitgliedstaaten weiterhin eine eigenständige, uneingeschränkte Kompetenz in Bezug auf die Außen- und Sicherheitspolitik. (3) Konstruktion einer parallelen Kompetenzverteilung Aufgrund der Kompetenz der EU einerseits und der uneingeschränkten mitgliedstaatlichen Kompetenz andererseits ist fraglich, wie eine solche parallele Kompetenzaufteilung möglich ist. (a) Geteilte Zuständigkeit? Bei parallel bestehenden Zuständigkeiten ist zuvörderst an eine konkurrierende Zuständigkeitsverteilung zu denken,588 die auf europäischer Ebene ihre Entsprechung in der geteilten Zuständigkeit nach Art. 2 Abs. 2 AEUV findet.589 Kennzeichnend für eine solche geteilte Zuständigkeit ist eine Sperrwirkung für die Ausübung der mitgliedstaatlichen Zuständigkeit, die durch die Kompetenzausübung der EU ausgelöst wird.590 Dadurch wird sichergestellt, dass die geteilte Zuständigkeit nicht doppelt oder widersprüchlich ausgeübt wird. Im Rahmen der GASP besteht allerdings eine uneingeschränkte Kompetenz der Mitgliedstaaten, die auch nicht durch eine entsprechende Sperrwirkung beschränkt ist. Zudem wird die GASP speziell in Art. 2 Abs. 4 AEUV angesprochen und nicht der geteilten Zuständigkeit nach Art. 2 Abs. 2 AEUV zugeordnet. Mithin kann die Kompetenz im Bereich der GASP nicht als geteilte Zuständigkeit qualifiziert werden.591 (b) Kompetenzbegründung ohne Hoheitsrechtsübertragung Die Problematik einer Kompetenz der EU bei gleichzeitig uneingeschränkter Kompetenz der Mitgliedstaaten lässt sich durch eine Unterscheidung zwischen Kompetenzbegründung und Hoheitsrechtsübertragung auflösen.592 Unter einer 588

Vgl. Art. 72 Abs. 1 GG. Nettesheim, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  2 AEUV Rn.  25 f. 590 Nettesheim, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  2 AEUV Rn.  25. 591 So auch Marquardt / ​Gaedtke, in: von der Groeben / ​Schwarze / ​Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 24 EUV Rn. 5. 592 Pechstein, JZ 2010, 425, 428; s. oben unter E. VI. 1. a) cc) (5), S. 165. 589

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  169

Hoheits­rechtsübertragung593 ist – wie dargestellt – die Öffnung der innerstaatlichen Rechtsordnung dergestalt zu verstehen, dass der ausschließliche staatliche Herrschaftsanspruch zurückgenommen und die nationale Rechtsordnung zugunsten des Rechts der internationalen Organisation geöffnet wird.594 Nach oben genannter Definition zur Supranationalität führt eine solche Hoheitsrechtsübertragung zu einer Supranationalisierung, die von einer „klassischen“ völkerrechtlichen Bindung zu unterscheiden ist.595 Letztere ist hinsichtlich der Rechtswirkung und -durchsetzung von den vertragsschließenden Staaten abhängig, während die Hoheitsrechtsübertragung die unmittelbare Anwendbarkeit und den Anwendungsvorrang des supranationalen Rechts bewirkt.596 Der Kompetenz der EU im Bereich der GASP liegt keine Hoheitsrechtsübertragung in diesem Sinne zugrunde.597 Die Unionskompetenz wurde vielmehr völkervertraglich begründet, wie es auch zugunsten anderer internationaler Organisationen geschieht: Die entsprechende internationale Organisation wird berechtigt, als eigenständige Völkerrechtspersönlichkeit durch ihre Organe auf einem bestimmten Gebiet zu handeln, ohne dass jedoch der nationale Herrschaftsanspruch zurückgenommen wird. Das bedeutet, dass die Mitgliedstaaten nur gegenüber der internationalen Organisation gebunden sind und die Rechtsakte im Gegensatz zum supranationalen Recht weder unmittelbar angewendet werden können noch Anwendungsvorrang vor nationalem Recht genießen.598 Ein von den Vorgaben der internationalen Organisation abweichendes Handeln der Mitgliedstaaten bleibt weiterhin möglich. Nur diese völkerrechtliche Kompetenzbegründung – in Abgrenzung zu einer supranationalen Kompetenzbegründung, welche mit einer Einschränkung des staatlichen Herrschaftsanspruchs und der Öffnung der innerstaatlichen Rechtsordnung zugunsten des supranationalen Rechts verbunden ist – vermag zu erklären, wie neben der Unionskompetenz eine weiterhin existierende uneingeschränkte Kompetenz der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik bestehen kann.599

593

Zum missverständlichen Ausdruck der „Übertragung“ von Hoheitsrechten, vgl. bereits oben unter B. I. 1., S. 65. 594 Vgl. etwa BVerfG, NJW 1974, 1697, 1698 = BVerfGE 37, 271 (Solange I); BVerfG, NJW 1982, 507, 508 = BVerfGE 58, 1 (Eurocontrol); BVerfG, NJW 1987, 577, 579 = BVerfGE 73, 339 (Solange II); v. Heinegg, in: Epping / ​Hillgruber, BeckOK GG, Art. 23 Rn. 23. 595 Zur Unterscheidung des Völkerrechts vom supranationalen Recht s. bereits oben unter B. I. 1., S. 63 ff. Die Übertragung von Hoheitsrechten im Sinne einer Beschränkung des nationalen Herrschaftsanspruchs zugunsten der unmittelbaren Geltung und Anwendbarkeit des Rechts der internationalen Organisation hat bei einer rein völkerrechtlichen Organisationsstruktur im Unterschied zur supranationalen Organisationsstruktur gerade nicht stattgefunden. 596 S. dazu oben unter B. I. 1., S. 66; inwiefern dabei auch die supranationale Rechtsordnung noch als Völkerrecht eingeordnet werden kann, kann dahingestellt bleiben. 597 Vgl. Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 25 EUV Rn. 6; Pechstein, JZ 2010, 425, 427 f.; Thym, GASP und äußere Sicherheit, in: EnzEuR Bd. 10, § 16 Rn. 27. 598 Thym, AVR 50 (2012), 125, 146. 599 So auch Pechstein, JZ 2010, 425, 428.

170

2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Für diese Art der völkerrechtlichen Kompetenzbegründung spricht ferner, dass die GASP auch bisher – entsprechend ihrer historischen Entstehung und Entwicklung600 – als völkerrechtlich geprägtes Gebilde angesehen wurde. Es wird davon gesprochen, dass der Vertrag von Lissabon die Säulenstruktur der EU nur formal aufhebt.601 Während andere Bereiche des Unionsrechts durch die Übertragung von Hoheitsrechten supranationalisiert sind, bleibe die GASP ohne Hoheitsrechtsübertragung völkerrechtlich geprägt.602 (c) Ergebnis Die Unionskompetenz bei gleichzeitig uneingeschränkter Kompetenz der Mitgliedstaaten im Bereich der GASP ist dadurch zu erklären, dass eine Kompetenzbegründung zugunsten der EU ohne gleichzeitige Hoheitsrechtsübertragung stattgefunden hat. Dies ist völkerrechtlich dergestalt möglich, dass im Außen­ verhältnis eine Verpflichtung besteht, entsprechend den völkervertraglichen Vorgaben zu handeln, die mitgliedstaatliche Kompetenz davon aber unberührt bleibt. Dies bedeutet, dass ein GASP-Beschluss keine Sperrwirkung für die Ausübung der mitgliedstaatlichen Kompetenz entfaltet. Die Mitgliedstaaten haben damit die Möglichkeit, neben oder im Rahmen eines GASP-Beschlusses auf Grundlage der mitgliedstaatlichen Kompetenz zu handeln, beispielsweise neben einem Standpunkt der EU nach Art. 29  EUV auch einen eigenen mitgliedstaatlichen Standpunkt abzugeben. Von der Möglichkeit der mitgliedstaatlichen Handlung ist die Frage zu unterscheiden, inwiefern die Mitgliedstaaten gegenüber der EU verpflichtet sind, beispielsweise den Standpunkt im Rahmen des eigenen Handelns zu berücksichtigen.603 Somit ist festzuhalten, dass eine Unionskompetenz für die GASP besteht, wenn auch bei gleichzeitiger Unberührtheit der mitgliedstaatlichen Kompetenz. Bei einem Handeln im Rahmen eines GASP-Beschlusses würde eine etwaige Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten daher nicht den Geltungsbereich des Unionsrechts über die Zuständigkeiten der Union hinaus ausdehnen, vgl. Art. 51 Abs. 2 GRCh. Mithin ist eine notwendige Voraussetzung für die Grundrechtsbindung erfüllt. Aufbauend auf der Unionskompetenz im Bereich der GASP ist nun zu prüfen, ob deren Ausübung zu einer Verpflichtung der Mitgliedstaaten führt.

600

S. dazu oben unter B. II., S. 69 ff. Nettesheim, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  2 AEUV Rn.  43; Streinz, in: Streinz, EUV / ​AEUV, Art. 2 AEUV Rn. 16. 602 BVerfG, NJW 2009, 2267, 2292 Rn. 390 = BVerfGE 123, 267 (Lissabon) betont, die GASP sei nicht supranationalisiert, was im Umkehrschluss wohl bedeutet, dass die GASP völkerrechtlich geprägt ist; Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 40 EUV Rn. 6; Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  23 EUV Rn.  33. 603 Zur Bindungswirkung von Beschlüssen über Standpunkte der Union vgl. etwa Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art.  29 EUV Rn.  4 ff. 601

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  171

b) Unionsrechtliche Verpflichtung durch den Beschluss? Ob eine gemeinsame Aktion im Rahmen der GASP stattfindet, wird durch einen einstimmigen Beschluss nach Art. 28  Abs. 1  UAbs.  1, 31  Abs. 1  UAbs. 1  EUV entschieden. In diesem Beschluss, der nach den Ausführungen zur Kompetenzverteilung der EU selbst zuzurechnen ist, könnte eine unionsrechtliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur operativen Ausführung zu sehen sein. Ein solcher Beschluss entfaltet Bindungswirkung sowohl für die Staaten, die positiv für den Beschluss gestimmt haben, als auch für diejenigen, die sich enthalten haben.604 Nur Mitgliedstaaten, die sich ihrer Stimme konstruktiv enthalten haben, sind nach Art. 38 Abs. 1 UAbs. 2 S. 2 EUV von vorn herein nicht durch den Beschluss verpflichtet. Allerdings werden diese in der Regel auch nicht operativ tätig, sodass sich die Frage nach einer Durchführung von Unionsrecht in Bezug auf diese Mitgliedstaaten nicht stellt. Eine Rechtspflicht zum operativen Einsatz könnte mithin für die Staaten bestehen, die positiv für die Mission gestimmt oder sich enthalten und damit den einstimmigen Beschluss ermöglicht haben. Im Bereich der operativen Einsätze besteht jedoch neben dem Rückgriffsprinzip auch das Freiwilligkeitsprinzip.605 Dieses besteht auch dann, wenn dem Beschluss zugestimmt wurde.606 Darin mag auf den ersten Blick ein widersprüchliches Verhalten zu sehen sein. Allerdings kann eine Mission auch auf andere Weise als durch die Bereitstellung von Einsatzkräften unterstützt werden. Hinzu kommt, dass die Abschaffung des Freiwilligkeitsprinzips in militärischer Hinsicht den Übergang zu einer gemeinsamen Verteidigung bildet, die noch nicht eingeführt wurde.607 Der Beschluss im Rahmen der GASP über die Ausführung einer gemeinsamen Aktion verpflichtet daher die Mitgliedstaaten nicht, operativ tätig zu werden. c) Unionsrechtliche Verpflichtung durch Art. 24 Abs. 3 EUV? Für eine Grundrechtsbindung könnte der auch in der GASP geltende Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit sprechen, Art. 24 Abs. 3 EUV. Dieser ist eine spezielle Ausformung des in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten allgemeinen Grundsatzes der Unionstreue.608 Über diese hat der EuGH in der Åkerberg-Fransson-Entscheidung eine unionsrechtliche Verpflichtung hergeleitet.609 Dementsprechend ist zu erwä 604

Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  28 EUV Rn.  25.. S. oben unter B. III. 4. d), S. 113 ff. 606 Thym, GASP und äußere Sicherheit, in: EnzEuR, Bd. 10, § 16 Rn. 71; Thym, Europäisches Wehrverwaltungsrecht, in: Terhechte, VerwR der EU, § 17 Rn. 8. 607 S. oben unter B. III. 2. d), S. 90 ff. 608 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 24 EUV Rn. 12; Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  24 EUV Rn.  38; Marquardt / ​Gaedtke, in: von der Groeben / ​Schwarze / ​Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 24 EUV Rn. 10. 609 EuGH, Urt. v. 26.02.2013, Rs. C-617/10, NVwZ 2013, 561, 562 Rn. 2 (Åkerberg Fransson). 605

172

2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

gen, ob über Art. 24 Abs. 3 EUV eine unionsrechtliche Verpflichtung begründet werden kann, die zur Anwendbarkeit der Grundrechtecharta führen könnte. Allerdings ist dieser Grundsatz akzessorisch zu einer bereits bestehenden unionsrechtlichen Verpflichtung.610 Über das Loyalitätsgebot lassen sich nur Nebenpflichten zu einer bereits bestehenden Hauptpflicht begründen oder die Hauptpflicht entsprechend verstärken. Keinesfalls kann über Art. 24 Abs. 3 EUV eine völlig eigenständige unionsrechtliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten begründet werden. Insofern ist Art. 24 Abs. 3 EUV auch nicht in der Lage, das Freiwilligkeitsprinzip zu umgehen. Es bleibt insofern bei der fehlenden unionsrechtlichen Pflicht zum operativen Einsatz. d) Unionsrechtliche Verpflichtung durch die Entscheidung zur Bereitstellung von Einsatzkräften? Nachdem sich ein Mitgliedstaat für die Bereitstellung von Einsatzkräften zur operativen Ausführung des Beschlusses entschieden hat, könnte die unionsrechtliche Pflicht bestehen, die Vorgaben des Beschlusses auch umzusetzen. Die im Ausgangspunkt freiwillige Entscheidung bezüglich des „Ob“ des Einsatzes könnte in eine unionsrechtliche Pflicht zur Befolgung des Beschlusses in Bezug auf das „Wie“ des Einsatzes umschlagen. Das „Wie“ wird neben dem Beschluss auch vom Operationsbefehlshaber vorgegeben. Dieser ist zwar der mitgliedstaatlichen Ebene zuzurechnen,611 untersteht aber auch dem PSK und dessen strategischen Weisungen, sodass über ihn die Union Einfluss auf die Mitgliedstaaten nimmt.612 Mithin könnte in den strategischen Weisungen des PSK auf Grundlage des Beschlusses und der Entscheidung der Mitgliedstaaten zur Bereitstellung der Einsatzkräfte eine für die Grundrechtsbindung ausreichende unionsrechtliche Verpflichtung zu sehen sein. Gegen ein solches Umschlagen in eine unionsrechtliche Verpflichtung könnte sprechen, dass während des Einsatzes nur operatives Kommando auf den Operationsbefehlshaber bzw. zivilen Operationskommandeur übertragen wurde und die Mitgliedstaaten jederzeit von dessen Anweisungen abweichen und damit mittelbar auch die über den Operationsbefehlshaber weitergeleiteten Vorgaben der EU missachten könnten. Das potentielle Abweichen-Können sagt jedoch nichts über das Abweichen-Dürfen aus. So könnte sich aus Art. 24 Abs. 3 EUV die Verpflichtung ergeben, die Vorgaben uneingeschränkt zu beachten. Es stellt sich allerdings die Frage, an welche unionsrechtliche Pflicht der Loyalitätsgrundsatz anknüpfen könnte. Grundsätzlich ist auch das jederzeitige Abbrechen der Mission durch den 610 Kahl, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 4 EUV Rn. 47; Marauhn, Unionstreue, in: Schulze / ​Zuleeg / ​Kadelbach, Hdb. Europarecht, § 7 Rn.  23; Stotz, in: FS Dauses, S. 409, 425. 611 Zur Zwitterstellung des zivilen Operationskommandeurs s. oben, D. V. 3., S. 136 f., der aber bezüglich der operativen Weisungen ebenfalls den Mitgliedstaaten zuzurechnen ist. 612 S. oben unter B. III. 5. b), S. 121.

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  173

Mitgliedstaat vom Freiwilligkeitsprinzip gedeckt. Insofern könnte es weiterhin an einem Anknüpfungspunkt für das Loyalitätsgebot fehlen. Zu beachten ist jedoch, dass das Freiwilligkeitsprinzip während der laufenden Mission kaum praktisch umgesetzt werden kann. Es erscheint unvorstellbar, dass die Einsatzkräfte aus dem laufenden Einsatz einfach abgezogen werden und die anderen beteiligten Einsatzkräfte im Stich gelassen werden.613 Genauso wenig ist denkbar, dass der nationale Befehlshaber den Befehl erteilt, die Anweisungen des Operationsbefehlshabers bzw. zivilen Operationskommandeurs614 überhaupt nicht oder völlig anders umzusetzen, obwohl dies durch einen nationalen Befehl möglich wäre. Dadurch würde das gesamte Gefüge der multinationalen Einsatzkräfte auseinanderbrechen. Die Mitgliedstaaten haben vielmehr mit ihrer im Ausgangspunkt freiwilligen Entscheidung, sich mit ihren Einsatzkräften an den operativen Einsätzen zu beteiligen, den rechtlichen Anknüpfungspunkt für das unionsrechtliche Loyalitätsgebot aus Art. 24 Abs. 3 EUV geschaffen. Entscheidet sich ein Mitgliedstaat, mit seinen Einsatzkräften an der Mission teilzunehmen, bedeutet dies zwar nicht, dass diese nicht wieder abgezogen werden dürfen oder die Einsatzkräfte den Anweisungen des Operationsbefehlshabers bedingungslos unterstellt werden müssen und keine von den Anweisungen abweichenden Befehle erteilt werden dürfen. Dies ist weiterhin vom Freiwilligkeitsprinzip gedeckt. Das Abziehen der Einsatzkräfte oder das Abweichen von den Anweisungen des Operationsbefehlshabers durch einen entsprechenden nationalen Befehl muss jedoch entsprechend dem Loyalitätsgebot geordnet und in Absprache mit den anderen beteiligten Einsatzkräften geschehen. Haben sich die Mitgliedstaaten somit im Ausgangspunkt freiwillig für die Bereitstellung von Einsatzkräften entschieden, wird zwar nicht das Freiwilligkeitsprinzip ausgehebelt. Allerdings besteht über Art. 24 Abs. 3 EUV eine gewisse unionsrechtliche Verpflichtung zur Absprache und zur geordneten Handhabung eventuell abweichender nationaler Befehle. Dies kann als eine Pflicht zur koordinierten Ausübung der mitgliedstaatlichen Befehlsgewalt verstanden werden. Im Grundsatz bedeutet dies, dass aufgrund der freiwilligen Entscheidung zur operativen Beteiligung über Art. 24 Abs. 3 EUV auch die koordinierenden unionsrechtlichen Vorgaben beachtet werden müssen. Über die Entscheidung des Mitgliedstaates zur Bereitstellung von Einsatzkräften i. V. m. Art. 24 Abs. 3 EUV besteht eine – wenn auch schwache – unionsrechtliche Koordinierungsverpflichtung, die dazu geeignet sein könnte, die Anwendbarkeit der Grundrechtecharta zu begründen.

613

Kuhn, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 171 Fn. 654. 614 Im Folgenden wird nur noch vom Operationsbefehlshaber gesprochen. Damit ist jedoch auch der zivile Operationskommandeur gemeint.

174

2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

e) Zwischenergebnis Somit lässt sich für die GASP eine gewisse Verpflichtung aus dem Unionsrecht herleiten. Diese Verpflichtung ist jedoch akzessorisch zur freiwilligen Entscheidung der Mitgliedstaaten, sich an den operativen Einsätzen zu beteiligen und betrifft die Koordinierung mitgliedstaatlichen Handelns. Ob diese akzessorische unionsrechtliche Koordinierungspflicht für eine Bindung an die Grundrechtecharta genügt, wird sich anhand der weiteren Kriterien zeigen. 2. Unmittelbarkeitszusammenhang Auf Basis dieser unionsrechtlichen Verpflichtung stellt sich die Frage, ob zwischen der Verpflichtung und dem mitgliedstaatlichen Handeln ein für die Grundrechtsbindung ausreichender Unmittelbarkeitszusammenhang besteht. Dies ist anhand der vier aufgestellten Unmittelbarkeitskriterien zu prüfen. a) Bezwecken der Durchführung von Unionsrecht Entsprechend dem ersten Unmittelbarkeitskriterium müsste mit einer GASPMission die Durchführung von Unionsrecht bezweckt werden. Bei einem operativen Tätigwerden der Mitgliedstaaten im Rahmen der GASP geht es diesen darum, den gefassten Beschluss der GASP umzusetzen. So nennt zum Beispiel die Bundeswehr einen GASP-Beschluss unter anderem als Rechtsgrundlage für den operativen Einsatz im Rahmen der EuNavFor Med-Mission Sophia.615 Daraus kann geschlossen werden, dass der Einsatz die Durchführung des GASP-Beschlusses bezweckt. Der Streitkräfteeinsatz im Rahmen einer gemeinsamen militärischen Mission erfordert jedoch zumindest in Deutschland auch die Zustimmung des Parlaments.616 Zusätzlich kann der gesamte Einsatz auch auf einer UN-Resolution basieren. Dementsprechend bezwecken die Mitgliedstaaten nicht nur die Umsetzung des Ratsbeschlusses, sondern auch die Umsetzung der etwaig existierenden UN-Resolution und im Falle Deutschlands bei militärischen Missionen auch die Durchführung des Beschlusses des deutschen Bundestages über den Streitkräfteeinsatz.617 Folglich kann zwar nicht von einem ausschließlichen, immerhin aber 615

http://www.einsatz.bundeswehr.de/portal/a/einsatzbw/!ut/p/c4/LYsxDoAgEATf4ge43s5f qI05ZEUCHgYPTXy9FGaqmWRopobwHTxryMKJRprW0NvH2MdhQZCL9W3KUStS-hP0 hUFt55bLAWcK1l0vX6q4xB5CZxy6D9gjJZU!/, zuletzt abgerufen am 20.10.2016. 616 Dieser sog. Parlamentsvorbehalt wird aus der Verfassungstradition seit 1918 und aus den Art. 45a, 45b, 87a Abs. 1 S. 2, 115a Abs. 1, 87a Abs. 4 S. 2, 35 Abs. 3 S. 2 GG hergeleitet, vgl. BVerfG, NJW 1994, 2207, 2217 f. = BVerfGE 90, 286 (Out-of-area-Einsätze). 617 Bei zivilen Missionen greift zwar nicht der wehrverfassungsrechtliche Parlaments­ vorbehalt. Allerdings ist bei zivilen Missionen ein Beschluss der Bundesregierung notwendig, sodass auch dieser Beschluss durchgeführt wird.

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  175

von einem teilweisen Bezwecken der Durchführung des Unionsrechts ausgegangen werden, sodass die Indizfunktion des ersten Kriteriums zumindest partiell als erfüllt angesehen werden kann. b) Charakter der Regelung Mit dem Charakter wird neben der nationalen Regelung auch auf diejenigen Regelungen bezuggenommen, die durch die Mitgliedstaaten vermeintlich durchgeführt werden.618 Ausgehend von den Besonderheiten der EU-vertraglichen Regelungen sind die weiteren Charakteristiken der GASP und deren Folgen für den Unmittelbarkeitszusammenhang und damit für die Grundrechtsbindung herauszuarbeiten. Dabei kann auf die im Rahmen der strukturellen Analyse des Zusammenspiels von Mitgliedstaaten und Unionsebene im Bereich der GASP gewonnenen Ergebnisse zurückgegriffen werden.619 aa) Besonderheiten der EU-vertraglichen Regelungen Für die GASP gelten nach Art. 24 Abs. 1 UAbs. 2 S. 1 EUV „besondere Bestimmungen und Verfahren“. Diese von anderen Bereichen des Unionsrechts abweichenden Besonderheiten werden in Art. 24 Abs. 1 UAbs. 2 EUV überblicksartig genannt. So wird die GASP vom Europäischen Rat und Rat grundsätzlich einstimmig festgelegt,620 Gesetzgebungsakte sind ausgeschlossen,621 das Europäische Parlament und die Kommission haben eine spezifische Rolle622 und der EuGH ist grundsätzlich unzuständig.623 (1) Einstimmigkeitsprinzip und Ausschluss von Gesetzgebungsakten Die GASP wird, sofern nichts anderes vorgesehen ist, vom Europäischen Rat und vom Rat einstimmig festgelegt, Art. 24 Abs. 1 UAbs. 2 S. 2 EUV. Damit legt Art. 24  Abs.  1 UAbs. 2  S. 2  EUV gleich zwei Besonderheiten fest. Zum einen werden der Europäische Rat und der Rat zu den zentralen Organen der GASP erklärt. Zum anderen wird das Einstimmigkeitsprinzip als Grundsatz festgelegt. Diese beiden Besonderheiten korrespondieren mit dem Ausschluss von Gesetzgebungsakten im Bereich der GASP, Art. 24  Abs.  1 UAbs. 2  S. 3  EUV, Art. 31 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 EUV. 618

S. dazu oben unter E. V. 1. b) bb) (2), S. 153. S. dazu oben unter B., S. 63 ff. 620 Art. 24 Abs. 1 UAbs. 2 S. 2 EUV. 621 Art. 24 Abs. 1 UAbs. 2 S. 3 EUV. 622 Art. 24 Abs. 1 UAbs. 2 S. 5 EUV. 623 Art. 24 Abs. 1 UAbs. 2 S. 6 EUV. 619

176

2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Damit weicht die GASP deutlich von der grundsätzlichen Willensbildungsstruktur der EU ab. Überwiegend werden in der EU Rechtsakte  – namentlich Verordnungen, Richtlinien oder Beschlüsse  – in einem Gesetzgebungsverfahren angenommen. Dabei ist zwischen dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (Art. 289 Abs. 1, 294 AEUV) und dem besonderen Gesetzgebungsverfahren (Art. 289 Abs. 2 AEUV) zu unterscheiden. Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren ist entsprechend seiner Bezeichnung der Regelfall. Kennzeichnend dafür ist, dass die Gesetzgebungsinitiative von der Kommission ausgeht, vgl. Art. 17 Abs. 2 S. 1 EUV, Art. 289 Abs. 1, 294 Abs. 2 AEUV. Sodann beraten der Rat und das Europäische Parlament über den Vorschlag sowie die gegebenenfalls vorgeschlagenen Änderungen und stimmen letztlich über den Rechtsakt ab. Das Vorschlagsrecht der Kommission wird dadurch gestärkt, dass der Rat von einem Vorschlag der Kommission nur einstimmig abweichen kann. Ansonsten genügt im Rat für die Annahme des Rechtsaktes die qualifizierte Mehrheit.624 Im Kontrast dazu sind bei der GASP Gesetzgebungsakte ausgeschlossen. Wie bereits erwähnt, sind damit nicht Rechtsakte allgemein gemeint, sondern nur Rechtsakte, die in einem Gesetzgebungsverfahren angenommen werden, Art. 289 Abs. 3 AEUV. Folge dieses Ausschlusses ist, dass bei der GASP das Ini­ tiativrecht der Kommission und die Beteiligung des Europäischen Parlaments – wie es die Gesetzgebungsverfahren vorsehen – ausgeschlossen sind. Erst über den Ausschluss von Gesetzgebungsakten wird die besondere Rolle von Europäischem Rat und Rat in der GASP ermöglicht.625 So werden die Beschlüsse der GASP vom Rat oder – sofern es um Beschlüsse über strategische Interessen, Ziele und allgemeine Leitlinien geht – vom Europäischen Rat gefasst, Art. 26 Abs. 1 UAbs. 1 S. 1 EUV. Die Kommission als solche626 ist bei diesen Beschlüssen nicht involviert, ebenso wenig das Europäische Parlament. Letzteres hat nur ein in Art. 36 EUV geregeltes Unterrichtungsrecht. (2) Spezifische Rolle des Europäischen Parlaments und der Kommission In Bezug auf das Europäische Parlament und die Kommission spricht Art. 24 Abs. 1 UAbs. 2 S. 3 EUV von einer „spezifischen Rolle“ im Rahmen der GASP. Das Europäische Parlament und die Kommission sind an der Beschlussfassung nicht maßgeblich beteiligt. Die Beteiligung des Europäischen Parlaments ist in Art. 36 EUV geregelt und lässt sich im Wesentlichen auf ein Informationsrecht 624

Krajewski / ​Rösslein, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  294 AEUV Rn.  41. Zur Rolle der Kommission und des Europäischen Parlaments im Rahmen der GASP s. sogleich. 626 D. h. als Kollegialorgan; beachte jedoch die Stellung des Hohen Vertreters, der gleichzeitig einer der Vizepräsidenten der Kommission ist (sog. Doppelhut). 625

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  177

reduzieren.627 Die Kommission als Kollegialorgan ist an der Willensbildung im Bereich der GASP weitestgehend – mit Ausnahme der gemischten Materie628 – unbeteiligt.629 Wichtig ist die Kommission vor allem bei der Sicherstellung kohärenten Handelns. So sollte die GASP im Einklang mit anderen Bereichen des Unionsrechts ausgeübt werden und umgekehrt, Art. 21 Abs. 3 UAbs. 2 EUV. Dabei ist insbesondere der Hohe Vertreter von Relevanz, der neben seinem Vorsitz im Rat „Auswärtige Angelegenheiten“ auch einer der Vizepräsidenten der Kommission ist. Durch diese Doppelstellung ist er das Bindeglied zur Kommission, sodass Maßnahmen der GASP mit den anderen Bereichen des auswärtigen Handelns und umgekehrt abgestimmt werden können. Mithin kann konstatiert werden, was schon im Rahmen des Ausschlusses von Gesetzgebungsakten zum Ausdruck gebracht wurde, nämlich dass die Kommission und das Europäische Parlament in der GASP eine im Vergleich zu ihren sonstigen Zuständigkeiten untergeordnete Rolle spielen. (3) Fehlende Gerichtsbarkeit des EuGH In Bezug auf die GASP ist der EuGH grundsätzlich unzuständig, Art. 24 Abs. 1 UAbs. 2 S. 6 EUV, Art. 275 UAbs. 1 AEUV.630 Daraus folgt, dass zum einen die Rechtmäßigkeit der GASP-Beschlüsse grundsätzlich nicht gerichtlich überprüft werden kann.631 Zum anderen können die Mitgliedstaaten, die an die Beschlüsse der GASP gebunden sind, nicht gerichtlich zur Einhaltung dieser Beschlüsse verpflichtet werden.

627

S. oben unter B. III. 3. c) ee), S. 102. Zur gemischten Materie s. oben unter B. III. 3. c) dd), S. 101. 629 Zu beachten ist, dass der Kommissionspräsident dem Europäischen Rat angehört. Dabei hat er zwar kein Stimmrecht, was ihn bei Beratungen aber nicht stumm macht. Auch der Hohe Vertreter als einer der Vizepräsidenten der Kommission ist vielfältig eingebunden. 630 Zu den Ausnahmen s. bereits oben unter B. III. 3. c) ff), S. 102. 631 Beachte jedoch die Ausnahme in Art. 275  UAbs. 2  AEUV. Möglich ist eine Inzidentkontrolle (Art. 277 AEUV) von Beschlüssen über restriktive Maßnahmen, die der Rat auf der Grundlage von Titel V Kapitel 2 EUV erlassen hat, vgl. Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​ AEUV, Art. 275  AEUV Rn. 9; aus der Rspr. vgl. EuGH, Urt. v. 25.04.2012, Rs. T-509/10, Rn. 38 (Manufactoring Support & Procurement Kala Naft); EuGH, Urt. v. 11.12.2012, Rs. T-15/11, Rn. 42 ff. (Sina Bank); EuGH, Urt. v. 27.02.2014, Rs. T-256/11, Rn. 31 f. (Ezz u. a.). Daneben ist auch die Nichtigkeitsklage gegen GASP-Beschlüsse zulässig, die restriktive Maßnahmen gegenüber natürlichen oder juristischen Personen vorsehen, Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 275 AEUV Rn. 9; aus der Rspr. vgl. EuGH, Urt. v. 23.04.2013 verb. Rs. C-478/11 P u. a., Rn. 57 (Gbagbo u. a.); EuGH, Urt. v. 25.04.2012, Rs. C-348/12 P, Rn. 50 i. V. m. Rn. 19 (Manufactoring Support & Procurement Kala Naft); EuG, Urt. v. 04.06.2014, Rs. T-68/12, Rn. 31 f. (Hemmati). 628

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

(4) Bewertung Es stellt sich die Frage, welche Schlussfolgerungen aus diesen charakteristischen Besonderheiten der GASP zu ziehen sind. Die starke Rolle des Europäischen Rates und Rates bei gleichzeitigem Ausschluss von Gesetzgebungsakten und dem damit verbundenen Ausschluss von Kommission und Parlament bei der Willensbildung, führt zu einer hervorgehobenen Stellung der Mitgliedstaaten im Bereich der GASP. So sind im Europäischen Rat und Rat die Regierungschefs bzw. Vertreter auf Ministerebene der jeweiligen Mitgliedstaaten vertreten. Naturgemäß treten in diesen Organen die einzelnen Mitgliedstaaten für ihre nationalen Interessen ein und stellen diese in den Vordergrund.632 Aufgrund des Einstimmigkeitsprinzips können keine Entscheidungen gegen den Willen eines Mitgliedstaates getroffen werden. Um einen Beschluss fassen zu können, müssen daher die mitgliedstaatlichen Interessen untereinander abgestimmt und koordiniert werden. Selbst in Bereichen, in denen Mehrheitsbeschlüsse vorgesehen sind, kann es zu keiner echten Überstimmung eines Mitgliedstaates kommen. So wurde aufgezeigt, dass jedem Mehrheitsbeschluss ein Einstimmigkeitsfundament zugrunde liegt.633 Die Mitgliedstaaten steuern damit selbst das Ausmaß der Mehrheitsbeschlüsse. Selbst wenn ein Mehrheitsbeschluss vorgesehen ist, gibt es die Möglichkeit, diesen aus wesentlichen Gründen der nationalen Politik zu verhindern, vgl. Art. 31 Abs. 2 UAbs. 2 EUV.634 Eine GASP gegen den Willen eines Mitgliedstaates zu betreiben wird damit faktisch ausgeschlossen. Indem die Kommission als Kollegialorgan in der GASP nur eine untergeordnete Rolle spielt, fehlen zudem unionsspezifische Interessen im Bereich der Willensbildung, was zusätzlich die Position der Mitgliedstaaten stärkt. So ist die Kommission aufgrund ihrer von den Mitgliedstaaten unabhängigen institutionellen Konzeption ein echtes supranationales Organ. Damit kann die Kommission in besonderem Maße die Interessen der Union wahren.635 Durch ihre reduzierte Beteiligung bei der Willensbildung im Rahmen der GASP wird damit die Beteiligung des Organs relativiert, das dazu bestimmt ist, die von den einzelstaatlichen Interessen losgelösten Unionsinteressen zu wahren. Die grundsätzlich fehlende Gerichtsbarkeit des EuGH führt des Weiteren dazu, dass GASP-Beschlüsse nicht auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden können636 und die Mitgliedstaaten sich wegen fehlender gerichtlicher Erzwingbarkeit faktisch nicht an diese halten müssen.637 Mangels Justiziabilität behalten die Mitglied­ 632

Krajewski, Binnenorganisation der EU-Außenpolitik, in: EnzEuR, Bd. 10, § 3 Rn. 80. S. oben unter B. III. 3. d) cc) (4), S. 109 ff. 634 S. oben unter B. III. 3. d) cc) (4), S. 110 f. 635 Krajewski, Binnenorganisation der EU-Außenpolitik, in: EnzEuR, Bd. 10, § 3 Rn. 81. 636 Zu den Ausnahmen und der Möglichkeit einer Inzidentkontrolle vgl. Fn. 738. 637 Marquardt / ​Gaedtke, in: von der Groeben / ​Schwarze / ​Hatje, EUV / ​AEUV, Art. 28 EUV Rn. 12 sprechen deshalb von einem bloßen „Appellcharakter“. 633

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  179

staaten die Deutungshoheit über die Maßnahmen im Bereich der GASP und unterwerfen sich nicht der Deutungshoheit eines Gerichtshofes. Schon allein durch die im EUV ausdrücklich geregelten Besonderheiten lässt sich im Bereich der GASP eine Systemverschiebung zugunsten der Mitgliedstaaten und eine zwischenstaatliche Ausrichtung feststellen.638 Es zeigen sich deutlich die Merkmale einer intergouvernementalen Willensbildungsstruktur.639 Folglich ist zu konstatieren, dass die Mitgliedstaaten das Heft des Handelns fest in der Hand halten und faktisch die Hauptakteure der GASP sind. Aus dem Entstehungs­ prozess der GASP ergibt sich, dass von den Mitgliedstaaten auch nichts anderes gewollt ist. Die Außen- und Sicherheitspolitik ist eine hochsensible und souverä­ nitätsempfindliche Materie, bei der die Mitgliedstaaten die entscheidenden Akteure bleiben wollen.640 Diese Systemverschiebung zugunsten der Mitgliedstaaten spricht dafür, die Grundrechtsverantwortung nicht bei der Union, sondern bei den Mitgliedstaaten zu suchen. bb) Koordinierendes zweistufiges System operativen Handelns Weiteres Charakteristikum der GASP ist die im Rahmen der strukturellen Untersuchung der GASP angesprochene Unterscheidung von zwei Stufen.641 (1) Unionsrechtliche Ebene Auf der ersten Stufe findet im institutionellen Rahmen der EU die Willensbildung und Koordinierung der GASP statt. Die Willensbildung findet in der Regel ihren Abschluss in einer Beschlussfassung, beispielsweise über ein operatives Vorgehen und ist kompetenzrechtlich der EU zuzurechnen. Die Koordinierung der operativen Einsätze obliegt sodann dem PSK, das vom CIVCOM, EU-Militär­ ausschuss und EU-Militärstab unterstützt wird.642

638 Vgl. auch Calliess, Die neue EU, S. 421, der von einem „Übergewicht der Staats- und Regierungschefs“ spricht. 639 Zur Definition der Intergouvernementalität s. oben unter B. I. 2., S. 66. 640 So auch Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 40 EUV Rn. 5; Dörr, in: Grabitz / ​ Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  40 EUV Rn.  3. 641 S. oben unter B. III. 5. a), S. 115. 642 S. oben unter B. III. 5. a) aa), S. 116.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

(2) Mitgliedstaatliche Ebene Auf der zweiten Stufe wird die in der EU getroffene Willensbildung unter Geltung eines Rückgriffs- und Freiwilligkeitsprinzips von den Mitgliedstaaten ausgeführt. Für die operative Ausführung gilt dabei ein nationaler Rechtsrahmen.643 (3) Doppelte mitgliedstaatliche Einbindung Auffällig ist, dass die Mitgliedstaaten in diesem zweistufigen System sowohl auf der ersten als auch auf der zweiten Stufe maßgeblich involviert sind. Auf der ersten Stufe hat aufgrund der in der GASP geltenden Besonderheiten eine Systemverschiebung zugunsten der Mitgliedstaaten stattgefunden, sodass die Mitgliedstaaten die Willensbildung der EU maßgeblich beeinflussen. Auf der zweiten Stufe werden die Mitgliedstaaten sodann operativ tätig.644 Diese doppelte Einbindung unterstreicht nochmals die hervorgehobene Rolle der Mitgliedstaaten in der GASP und damit ihren intergouvernementalen Charakter. cc) Kompetenzrechtlich zwingend vorgegebener koordinierender Charakter Der koordinierende Charakter der unionsrechtlichen Ebene im Rahmen des soeben beschriebenen zweistufigen Systems ist kompetenzrechtlich zwingend vorgegeben, weshalb die Unionskompetenz im Rahmen der GASP als Kompetenz zur Koordinierung mitgliedstaatlichen Verhaltens beschrieben werden kann.645 Diese Art der Kompetenz zeigt sich daran, dass die EU trotz eigener Kompetenz nicht ermächtigt ist, das eigene Verhalten festzulegen. „Die Union“ ist zwar häufig Adressatin der Art. 23 ff. EUV, sodass sie auf den ersten Blick als Hauptakteurin der GASP erscheint. Bei genauerer Betrachtung ist es jedoch die Aufgabe der GASP, das mitgliedstaatliche Handeln in außen- und sicherheitspolitischer Hinsicht zu koordinieren.646 Besonders deutlich wird dies in Art. 34 Abs. 1 UAbs. 1 S. 1 EUV. Danach koordinieren die Mitgliedstaaten ihr Handeln in internationalen Organisationen und auf internationalen Konferenzen. Auch im Rahmen der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Rat nach Art. 32 EUV findet eine gegenseitige Abstimmung und Konsultation statt, wodurch die Handlungen der Mitgliedstaaten untereinander koordiniert werden. Ein gemeinsames Vorgehen

643

S. oben unter B. III. 5. a) bb) (1), S. 117. Kaufmann-Bühler, in: Grabitz / ​H ilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  24 EUV Rn.  25 spricht von einer den Mitgliedstaaten zufallenden „Doppelfunktion“. 645 Zum koordinierenden Charakter der EU bei der operativen Ausführung vgl. bereits oben unter B. III. 5. a) aa), S. 116. 646 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 24 EUV Rn. 9 ff. 644

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  181

der Union nach Art. 32 UAbs. 1 EUV ist damit Ausfluss der Koordinierung und Kooperation der Mitgliedstaaten im Rat. Auch der gemeinsame Standpunkt nach Art. 29 EUV soll nicht ausschließlich eine eigene Position der EU festlegen, sondern die Handlungen der Mitgliedstaaten koordinieren, indem er für die Mitgliedstaaten bei ihren eigenen Stellungnahmen und ihrem eigenen Vorgehen bindend ist, Art. 29 S. 2 EUV.647 Auch an anderen Stellen, an denen die Union als eigenständiger Akteur erscheint, wie beispielsweise bei den operativen Maßnahmen, bindet der Beschluss nicht die EU selbst, sondern vielmehr nach Art. 28 Abs. 2 EUV die Mitgliedstaaten. Dies steht im Zusammenhang mit der Tatsache, dass die Union selbst über keine operativen Mittel verfügt und sie daher auf die mitgliedstaatlichen Mittel und Handlungen angewiesen ist. Im Rahmen der GSVP ist zwar davon die Rede, dass die Mittel von den Mitgliedstaaten der Union zur Verfügung gestellt werden. Insofern könnte an der bloßen Koordinierung mitgliedstaatlichen Handelns gezweifelt werden. Allerdings ist das Zurverfügungstellen der Mittel freiwillig.648 Die EU kann daher nicht zwanghaft auf mitgliedstaatliche Mittel zurückgreifen und eine eigene von den Interessen der Mitgliedstaaten losgelöste Sicherheitspolitik betreiben. Auch hierbei ist es Aufgabe der GASP / ​GSVP, die mitgliedstaatlichen Interessen zu koordinieren, um auf diesem Wege die Mitgliedstaaten zum Handeln zu veranlassen. Weiterer Ausdruck dieser „Koordinierungskompetenz“, die in erster Linie nicht das Verhalten der EU, sondern vor allem dasjenige der Mitgliedstaaten regelt, ist Art. 24 Abs. 1 UAbs. 2 S. 4 EUV. Dieser bestimmt, dass neben dem Hohen Vertreter die Mitgliedstaaten die GASP durchführen. Nur an vereinzelten Stellen wird ein eigenes Handeln der Union erwähnt, wie beispielsweise in Art. 27 Abs. 2 EUV, wonach der Hohe Vertreter die EU im Bereich der GASP vertritt, im Namen der Union den politischen Dialog mit Dritten führt und die Standpunkte der Union in internationalen Organisationen und auf internationalen Konferenzen vertritt. Dieses eigene Handeln ergänzt jedoch die Koordinierungsfunktion nur punktuell und ändert nichts am koordinierenden Charakter der GASP.649 Bestätigung dafür, dass die Kompetenz der EU im Bereich der GASP eine Kompetenz zur Koordinierung mitgliedstaatlichen Verhaltens darstellt, ist die systematische Stellung des Art. 2 Abs. 4 AEUV zwischen zwei anderen Koordinierungskompetenzen, vgl. Art. 2 Abs. 3 und Abs. 5 AEUV.650

647

Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 24 EUV Rn. 10. Freiwilligkeitsprinzip, s. oben unter B. III. 4. d), S. 113 ff. 649 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 40 EUV Rn. 6 a. E. 650 Frenz, Hdb. Europarecht, Bd. 6, Rn. 5241. Diese Kompetenzen werden als Koordinierungskompetenzen eingestuft, Streinz, in: Streinz, EUV / ​AEUV, Art. 2 AEUV Rn. 12 ff. 648

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Zusammenfassend kann die Kompetenz der Union im Bereich der GASP somit als unionsrechtliche Hülle für die Kooperation und Koordination der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik charakterisiert werden.651 dd) Auswirkungen Die Regelungen der GASP sind folglich als intergouvernementale, das mitgliedstaatliche Handeln im Rahmen eines zweistufigen Systems koordinierende Normenkomplexe zu charakterisieren. Zentrales Element ist hierbei der kompetenzrechtlich zwingend vorgegebene koordinierende Charakter. Fraglich ist, ob ein solch koordinierender Charakter für einen Unmittelbarkeitszusammenhang zwischen den unionsrechtlichen Regelungen und der operativen Ausführung durch die Mitgliedstaaten ausreichend ist. Aufgrund des koordinierenden Charakters ist insbesondere an Entscheidungen des EuGH zur Grundrechtsbindung innerhalb anderer unionskoordinierter Bereiche, wie beispielsweise des Sozialhilferechts, zu denken.652 (1) Rechtssache Dano In der Rechtssache Dano hatte sich der EuGH mit der Frage zu befassen, ob der Ausschluss von Unionsbürgern von Leistungen der Grundsicherung mit europäischem Recht und insbesondere mit der Grundrechtecharta vereinbar ist.653 Das Jobcenter Leipzig verweigerte Frau Dano und ihrem Sohn Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II, da diese für Ausländer in bestimmten Fällen ausgeschlossen ist.654 Im darauf folgenden gerichtlichen Verfahren legte das SG dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob diese nationale Regelung mit dem Unionsrecht und insbesondere mit der in Art. 1 GRCh verankerten Menschenwürde und dem Gleichheitsgrundsatz nach Art. 20 GRCh zu vereinbaren ist.655 Um eine Unvereinbarkeit mit der Grundrechtecharta feststellen zu können, müsste diese nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh anwendbar sein. Insofern könnte es sich um die Durchführung der VO (EG) 883/2004 zur Koordinierung der Systeme 651

Frenz, Hdb. Europarecht, Bd. 6, Rn. 5243; Regelsberger / ​Kugelmann, in: Streinz, EUV / ​ AEUV, Art. 24 EUV Rn. 2 sprechen von der GASP als „Rahmen und Korsett für die Außenpolitik der Mitgliedstaaten“. 652 Zur diesbezüglichen Koordinierungskompetenz vgl. Art. 2 Abs. 5, 5 Abs. 3 AEUV; zur Abgrenzung des Art. 4  Abs. 2  lit.  b)  AEUV von Art. 5  Abs. 3  AEUV vgl. Nettesheim, in: ­Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  4 AEUV Rn.  13. 653 EuGH, Urt. v. 11.11.2014, Rs. C-333/13, NJW 2015, 145 (Dano); s. dazu etwa Wollenschläger, NVwZ 2014, 1628; Thym, NJW 2015, 130. Vgl. auch den ähnlichen Fall EuGH, Urt. v. 19.09.2013, Rs. C-140/12, NZS 2014, 20 (Brey). 654 Vgl. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II. 655 SG Leipzig, Beschl. v. 03.06.2013, S 17 AS 2198/12, BeckRS 2014, 65254.

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  183

der sozialen Sicherheit handeln.656 Aufgrund des bloß koordinierenden Charakters regelt die Verordnung nach Auffassung des EuGH jedoch „nicht die inhaltlichen Voraussetzungen für das Vorliegen eines Anspruchs auf diese Leistungen“.657 Für die Festlegung dieser Voraussetzungen seien vielmehr die Mitgliedstaaten zuständig. Deshalb fehle es an einer Durchführung von Unionsrecht.658 (2) Auswirkungen der Rechtssache Dano auf andere unionskoordinierte Bereiche Es stellt sich die Frage, ob und welche Auswirkungen diese Rechtsprechung auf andere unionskoordinierte Bereiche, insbesondere auf den Bereich der GASP, hat. (a) Übertragbarkeit der Rechtsprechung Gegen eine Übertragbarkeit der Rechtsprechung auf andere Bereiche könnten die Besonderheiten des Sozialhilferechts sprechen, aus dem diese Entscheidung stammt. So handelt es sich um eine sehr spezielle sozialrechtliche Verordnung, aus der möglicherweise keine Rückschlüsse in Bezug auf die Grundrechtsbindung anderer Bereiche gezogen werden können. Allerdings betrifft auch diese Entscheidung die generelle Anwendbarkeit der Grundrechtecharta und damit Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh. Dessen Auslegung ist unabhängig vom Rechtsgebiet, aus dem die Entscheidung stammt. In der Rechtssache Dano stellt der EuGH abstrakt und damit verallgemeinerbar auf den bloß koordinierenden Charakter der Verordnung ab. Ausdruck des koordinierenden Charakters ist es, dass diese Verordnung und damit das Unionsrecht keine unmittelbaren Auswirkungen auf die außenwirksamen Handlungen der Mitgliedstaaten – im konkreten Fall die Sozialgesetzgebung und damit zusammenhängend die Anspruchsvoraussetzungen der Grundsicherung – hat. Mangels dieser unmittelbaren Auswirkung ist eine Grundrechtsbindung abzulehnen.659 Dies sind allgemeingültige Aussagen, weshalb die Dano-Rechtsprechung auch auf andere unions­koordinierte

656

Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. Nr. L 166 v. 30.04.2004, S. 1 ff. 657 EuGH, Urt. v. 11.11.2014, Rs. C-333/13, NJW 2015, 145, 148 Rn. 89 (Dano); vgl. ebenso EuGH, Urt. v. 19.09.2013, Rs. C-140/12, NZS 2014, 20, 21 Rn. 39, 41 (Brey). 658 EuGH, Urt. v. 11.11.2014, Rs. C-333/13, NJW 2015, 145, 148 Rn. 91 (Dano); vgl. auch EuGH, Urt. v. 19.09.2013, Rs. C-140/12, NZS 2014, 20, 21 Rn. 43 (Brey). 659 EuGH, Urt. v. 11.11.2014, Rs. C-333/13, NJW 2015, 145, 148 Rn. 91 (Dano). Darin kann man nunmehr eine „restriktive Grundtendenz“ des EuGH in Bezug auf die Grundrechtsbindung erkennen, vgl. Wollenschläger, NVwZ 2014, 1628, 1631, zumal in Zusammenhang mit den vorausgegangenen Urteilen in den Rechtssachen Siragusa und Hernandez.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Bereiche übertragen werden kann, sofern diesbezüglich vergleichbare Koordinierungsbefugnisse bestehen.660 Entscheidend für die Übertragbarkeit der Rechtsprechung ist somit der Koordinierungsbegriff, welcher der Dano-Entscheidung zugrunde liegt. Im Bereich der Sozialpolitik, aus welchem die genannte Entscheidung stammt, liegt nach Art. 5 Abs. 3 AEUV eine Koordinierungsbefugnis vor.661 Eine solche Koordinierungsbefugnis besteht neben Art. 2 Abs. 3 AEUV i. V. m. Art. 5 AEUV auch nach Art. 2 Abs. 5 AEUV i. V. m. Art. 6 AEUV. Obwohl der Vertragswortlaut in Bezug auf die Koordinierungsbefugnisse teilweise unterschiedlich ist,662 ist diesbezüglich von einem einheitlichen Koordinierungskonzept auszugehen.663 Mithin ist der Koordinierungsbegriff der Art. 5 f. AEUV entscheidend für die Übertragbarkeit der Dano-Rechtsprechung auf andere unionskoordinierte Bereiche. Dieser ist dadurch gekennzeichnet, dass „das Schwergewicht der ergriffenen Maßnahmen bei den Mitgliedstaaten liegen muss“, die Mitgliedstaaten also nicht vollständig durch ein Auftreten der EU verdrängt sind.664 Im Rahmen der Koordinierung geht es um die „Abstimmung parallelen mitgliedstaatlichen Handelns“ und damit um die „Verringerung von Spannungen oder die Sicherung von Effektivität“.665 Im Gegensatz zu bloßen Unterstützungshandlungen kann im Rahmen der Koordinierungshandlung das „politische Übergewicht“ durchaus bei der EU liegen.666 Die Koordinierung der mitgliedstaatlichen Politiken weist damit einen zentralen Unterschied zu anderen Kompetenzen auf. Während es im Rahmen geteilter oder ausschließlicher Kompetenzen darum geht, verbindliche Vorgaben für die nationale Politikgestaltung zu machen oder mitgliedstaatliche Regelungen zu verdrängen, fehlt der Koordinierung mitgliedstaatlichen Handelns die Befugnis, den Mitgliedstaaten ein bestimmtes Handeln bzw. eine bestimmte Politik vorzuschreiben.667 Es fehlt daher auch an einer Sperrwirkung, welche durch die Ausübung der 660 Ladenburger / ​Vondung, in: Stern / ​Sachs, GRCh, Art. 51 Rn. 59; vgl. auch Thym, NVwZ 2013, 889, 893. 661 Vgl. jedoch die geteilte Zuständigkeit bezüglich der Sozialpolitik „hinsichtlich der in diesem Vertrag genannten Aspekte“ nach Art. 4  Abs. 2  lit.  b)  AEUV. Darin ist allerdings ein konkreter Verweis auf die Art. 151 ff.  AEUV zu sehen. Grundsätzlich besteht gemäß Art. 5 Abs. 3 AEUV eine Koordinierungsbefugnis, vgl. zum Ganzen Nettesheim, in: Grabitz / ​ Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  4 Rn. 13. 662 Vgl. zum einen Art. 2 Abs. 5, Art. 6 AEUV, die davon sprechen, dass die Union selbst Koordinierungsmaßnahmen tätigt, zum anderen Art. 2 Abs. 3 AEUV, wonach sich die Mitgliedstaaten innerhalb eines von der Union gesetzten Rahmens koordinieren sowie zuletzt Art. 5 AEUV, der wiederum von Maßnahmen und Initiativen der EU zur Koordinierung der Mitgliedstaaten spricht. 663 Calliess, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 5 AEUV Rn. 4; Krebber, EuGRZ 2004, 592, 593; Nettesheim, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  2 AEUV Rn.  38; Pelka, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 5 AEUV Rn. 5. 664 Nettesheim, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  6 AEUV Rn.  13. 665 Nettesheim, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  6 AEUV Rn.  13. 666 Nettesheim, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  6 AEUV Rn.  13. 667 Bandilla, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  5 AEUV Rn.  10.

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  185

Unionskompetenz eintritt.668 Inwiefern deshalb die Koordinierungskompetenz als eigenständige Zuständigkeit anzusehen ist669 oder lediglich als Unterfall der geteilten Zuständigkeit,670 kann letztlich offen bleiben, da dies an der Definition der Koordinierung nichts ändert. (b) Auswirkungen auf die GASP Fraglich ist, ob auch im Bereich der GASP eine Koordinierung mitgliedstaatlichen Handelns nach dieser Definition vorliegt, die es rechtfertigt, die GASP unter die Dano-Rechtsprechungslinie zu subsumieren. Für die GASP wurde ebenfalls eine kompetenzrechtlich zwingend vorgegebene bloße Koordinierung mitgliedstaatlichen Verhaltens festgestellt.671 Diese Unionskompetenz tritt neben die Kompetenz der Mitgliedstaaten, entfaltet keine Sperrwirkung und verdrängt das mitgliedstaatliche Handeln nicht.672 Vielmehr ist ein mitgliedstaatliches Handeln in Bezug auf die operativen Einsätze aufgrund des Rückgriffs- und Freiwilligkeitsprinzips geradezu notwendig.673 Das Freiwilligkeitsprinzip verdeutlicht, dass die GASP-Beschlüsse die Mitgliedstaaten nicht verbindlich zu operativen Einsätzen zwingen. Selbst wenn sich die Mitgliedstaaten im Rahmen einer GASP-Mission freiwillig zur Bereitstellung von Einsatzkräften entschließen, stammen die verbindlichen Vorgaben für das operative Handeln nicht von der Unionsebene. Unter dem operativen Handeln sind die nach außen vorgenommenen Handlungen zu verstehen, die unmittelbar in die Rechtspositionen der betroffenen Personen eingreifen. Dazu zählen beispielsweise Festnahmen oder die Ausübung militärischer Handlungen. Die verbindlichen operativen Vorgaben stammen vielmehr vom Operationsbefehlshaber,674 der bereits der mitgliedstaatlichen Ebene zuzurechnen ist, da er seine operativen Befugnisse von den Mitgliedstaaten ableitet, die das operative Kommando auf ihn übertragen.675 Bezüglich der operativen Vorgaben stimmt sich der Operationsbefehlshaber zwar mit dem EU-Militärausschuss und dem EU-Militärstab ab,676 unterliegt jedoch diesbezüglich – im Unterschied zur politischen Kontrolle und strategischen

668 Bandilla, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  5 AEUV Rn.  10; Kotzur, in: Geiger / ​K han / ​Kotzur, EUV / ​A EUV, Art.  5 AEUV Rn.  2. 669 So etwa Bandilla, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  5  AEUV Rn.  10; Braams, Koordinierung als Kompetenzkategorie, S. 230 f. 670 So etwa Nettesheim, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  2 AEUV Rn.  42. 671 S. oben unter E. VI. 2. b) cc), S. 180 ff. 672 S. oben unter E. VI. 1. a) dd) (3), S. 168 ff. 673 Zum Rückgriffs- und Freiwilligkeitsprinzip s. oben unter B. III. 4. c) und d), S. 113 ff. 674 Die folgenden Ausführungen gelten entsprechend für den zivilen Operationskommandeur. 675 Zu dieser Konstruktion s. oben unter B. III. 5. a) bb) (2) (a), S. 118 ff.; in Bezug auf den zivilen Operationskommandeur s. oben unter B. III. 5. a) bb) (2) (b), S. 120 f. 676 Bei zivilen Missionen erfolgt eine Abstimmung mit dem CIVCOM.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Leitung,677 die der mitgliedstaatlichen Koordinierung dienen – nicht deren Weisungen.678 Die oben festgestellte unionsrechtliche Verpflichtung hat dementsprechend nur Auswirkungen auf die Koordinierung der Mitgliedstaaten, nicht jedoch auf die operativen Handlungen. Insofern wurde festgestellt, dass bei den operativen Einsätzen mitgliedstaatliche Hoheitsgewalt ausgeübt wird.679 Die grundrechtsrelevanten Belastungen durch die operativen Einsätze stammen somit nicht aus der Sphäre der EU, sondern vielmehr aus der mitgliedstaatlichen Sphäre. Mithin besteht im Bereich der GASP eine mit der Dano-Konstellation vergleichbare Koordinierung mitgliedstaatlichen Handelns. Aufgrund der in beiden Bereichen vorliegenden Koordinierungsbefugnisse stammen die rechtsverbindlichen Vorgaben für das außenwirksame Handeln nicht von der Unionsebene, sondern von den Mitgliedstaten selbst. Das Unionsrecht bildet vielmehr nur den koordinierenden Rahmen für die mitgliedstaatlichen Handlungen. Dementsprechend führt der koordinierende Charakter der GASP im Einklang mit der Dano-Rechtsprechung dazu, dass nicht von einer Durchführung des Unionsrechts gesprochen werden kann. Der koordinierende Charakter der GASP spricht somit gegen eine Bindung an die Unionsgrundrechte.680 c) Keine Verfolgung anderer als unter das Unionsrecht fallende Ziele Als weiteres Kriterium für eine Grundrechtsbindung dürften mit der GASP keine anderen als unter das Unionsrecht fallende Ziele verfolgt werden. Eine nur mittelbare Beeinflussung der Ziele durch das Unionsrecht genügt ebenfalls nicht. Mit den Missionen der GASP wird vor allem das Ziel der äußeren Sicherheit der Union verfolgt.681 Welche Aufgaben darunter fallen, lässt sich aus Art. 42 Abs. 1 und Art. 43 Abs. 1 EUV entnehmen. So nennt Art. 42 Abs. 1 S. 3 EUV Missionen außerhalb der EU zur Friedenssicherung, Konfliktverhütung und Stärkung der internationalen Sicherheit. In Art. 43 Abs. 1 EUV sind unter anderem gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen, humanitäre Aufgaben, Rettungseinsätze und Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung aufgeführt. 677 Darunter ist die Kompetenz zu verstehen, über den operativen Einsatz konstitutiv zu entscheiden, die politischen Ziele des Militäreinsatzes festzulegen, Entscheidungen hinsichtlich der personellen Besetzung der Stabchefs zu treffen, Befehlsketten festzusetzen, die Umsetzung der politischen Vorgaben zu überwachen und letztlich den Einsatz zu beenden, Schmalenbach, Die Haftung internationaler Organisationen, S. 108. 678 Kuhn, Die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 171. 679 S. oben unter B. III. 5. a) bb) (2), S. 118 ff. 680 Vgl. auch Ladenburger / ​Vondung, in: Stern / ​Sachs, GRCh, Art. 51 Rn. 59. Ebenfalls bei von der EU koordinierten Bereichen – insb. Art. 5 f. AEUV – eine Bindung an die GRCh ablehnend, ohne jedoch die GASP explizit zu nennen: Ohler, NVwZ 2013, 1433, 1434; Thym, NVwZ 2013, 889, 893; Thym, DÖV 2014, 941, 949 f. 681 Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 21 EUV Rn. 10.

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  187

Angesichts der im Bereich der GASP geltenden Besonderheiten stellt sich die Frage, inwiefern hierbei tatsächlich von Zielen der Union gesprochen werden kann. Neben dem EUV werden die Ziele der GASP durch den Europäischen Rat festgelegt und konkretisiert, Art. 22 Abs. 1 UAbs. 1, Art. 26 Abs. 1 UAbs. 1 EUV. Im Europäischen Rat sind die Regierungschefs aller Mitgliedstaaten vertreten, welche naturgemäß ihre eigenen nationalen Interessen vertreten. Aufgrund des Einstimmigkeitsprinzips müssen die nationalen Interessen gebündelt und auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden. Weiteres zentrales Organ der GASP ist der Rat. Darin sind ebenfalls die Mitgliedstaaten vertreten, die ihre nationalen Interessen verfolgen. Auch hierbei besteht ein Einstimmigkeitserfordernis, das zur Bündelung der nationalen Interessen zwingt. Die Kommission, die ausschließlich die Interessen der Union vertritt, ist im Bereich der GASP weitestgehend unzuständig. Aufgrund des dadurch zum Ausdruck kommenden intergouvernementalen Charakters drängt sich die Sichtweise, wonach die GASP bloß die gemeinsamen Ziele der Mitgliedstaaten verfolgt, geradezu auf. Gegen die Verfolgung bloßer gemeinsamer mitgliedstaatlicher Ziele spricht, dass im EUV bewusst von der Union die Rede ist. Es soll nicht mehr zwischen dem supranationalen Gemeinschaftsrecht und dem intergouvernementalen Unionsrecht unterschieden werden. Zudem sind der Europäische Rat und der Rat Organe der EU. Formal werden somit im Rahmen der GASP die Ziele der Union verfolgt. Fraglich ist aber, ob in Bezug auf den Unmittelbarkeitszusammenhang ausschließlich auf eine solch formale Sichtweise abgestellt werden darf. Dagegen spricht, dass dieser einer wertenden Betrachtung folgt. Der formale unionsrechtliche Charakter wurde bereits bei der Verpflichtung durch das Unionsrecht berücksichtigt, indem jegliche Verpflichtung durch das Unionsrecht genügt, unabhängig davon, ob es als supranational oder intergouvernemental zu charakterisieren ist. Geht es nun um die Unmittelbarkeit dieser Verpflichtung und damit um eine wertende Betrachtung, können nicht formale Aspekte vorgeschoben werden. Im Rahmen einer solchen Wertung ist auch die Qualifikation der GASP als immer noch intergouvernementaler Bereich zu berücksichtigen. Dies führt dazu, dass die GASP faktisch Ausdruck eines gemeinsamen Willens der Mitgliedstaaten ist. Insofern werden im Rahmen der GASP mitgliedstaatliche Ziele verfolgt, die formal in die EU eingebracht werden, um so die Ziele gemeinsam mit den anderen Mitgliedstaaten zu verfolgen. Gleichwohl darf eine formale Betrachtung nicht völlig ausgeschlossen werden. Mit dem Einbringen der mitgliedstaatlichen Ziele über den Europäischen Rat und Rat in die EU werden diese formal auch zu einem Ziel der EU. Insofern decken sich die Ziele der Mitgliedstaaten mit den Zielen der EU. Bei der GASP kann somit von einer parallelen Verfolgung sowohl mitgliedstaatlicher als auch unionsrechtlicher Ziele gesprochen werden. Diese parallele Zielverfolgung ist unter anderem Folge der Koordinierungskompetenz. Eine solche knüpft begriffsnotwendig an die mitgliedstaatlichen Interessen und Ziele an,

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

um sie sodann im Sinne gemeinsamer unionsrechtlicher Interessen und Ziele zu koordinieren. Nimmt man das Kriterium ernst, wonach keine anderen als unter das Unionsrecht fallende Ziele verfolgt werden dürfen und wird der immer noch – trotz formaler Aufhebung der Säulenstruktur – intergouvernementale Charakter der GASP berücksichtigt, so spricht dies gegen einen Unmittelbarkeitszusammenhang und damit gegen eine Bindung an die Unionsgrundrechte. d) Spezifische Regelung des Unionsrechts Ferner kann der Unmittelbarkeitszusammenhang mit einer spezifischen Regelung des Unionsrechts begründet werden. Hierbei sind neben den Regelungen des EUV und den GASP-Beschlüssen auch die Anweisungen des PSK an die Mitgliedstaaten zu berücksichtigen. Für die Annahme einer spezifischen Regelung spricht, dass die auf Grundlage des EUV gefassten GASP-Beschlüsse sowie die Anweisungen des PSK von den Mitgliedstaaten bei der operativen Ausführung zu beachten sind. Diese Regelungen sind allerdings in Zusammenhang mit den Besonderheiten der GASP, insbesondere ihrem koordinierenden Charakter, zu sehen. So betreffen die unionsrechtlichen Vorgaben nicht die operative Ausführung,682 sondern lediglich die politische und strategische Ausrichtung der Einsätze, vgl. Art. 38 UAbs. 2 EUV.683 Die operativen Vorgaben stammen vielmehr vom Operationsbefehlshaber.684 Dieser wird zwar vom Rat bestimmt und unterliegt dessen Weisungen. Diese sind aber rein strategischer Art und dienen der Koordinierung des Einsatzes. Die operativen Befugnisse leitet der Operationsbefehlshaber von den Mitgliedstaaten ab, die ihm operatives Kommando übertragen.685 Deshalb ist er auch bereits der mitgliedstaatlichen Ebene und nicht der Unionsebene zuzurechnen.686 In operativer Hinsicht stimmt sich der Operationsbefehlshaber zwar mit dem EU-Militärstab und dem EU-Militärausschuss ab,687 ist diesbezüglich aber nicht weisungs-

682 Darunter sind die nach außen vorgenommenen Handlungen zu verstehen, die unmittelbar in die Rechtspositionen der betroffenen Personen eingreifen. Dazu zählen beispielsweise Festnahmen oder die Ausübung militärischer Handlungen. 683 Darunter ist die Kompetenz zu verstehen, über den operativen Einsatz konstitutiv zu entscheiden, die politischen Ziele des Militäreinsatzes festzulegen, Entscheidungen hinsichtlich der personellen Besetzung der Stabchefs zu treffen, Befehlsketten festzusetzen, die Umsetzung der politischen Vorgaben zu überwachen und letztlich den Einsatz zu beenden, Schmalenbach, Die Haftung internationaler Organisationen, S. 108. 684 Die folgenden Ausführungen gelten für den zivilen Operationskommandeur entsprechend. 685 Zu dieser Konstruktion s. oben unter B. III. 5. a) bb) (2), S. 118 ff. 686 S. oben unter D. V., S. 131 ff. 687 Bzw. in zivilen Angelegenheiten mit dem CIVCOM.

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  189

gebunden.688 Die Regelungen des Unionsrechts unterstreichen folglich den koordinierenden Charakter. Entsprechend den obigen Ausführungen genügt dies nicht, um einen Unmittelbarkeitszusammenhang zu begründen. e) Gesamtbetrachtung Auf Basis der Unmittelbarkeitskriterien ist nun zu untersuchen, ob diese zusammengenommen zu einem Unmittelbarkeitszusammenhang zwischen dem Unionsrecht und dem mitgliedstaatlichen Handeln führen und damit eine Bindung an die Grundrechtecharta begründen. Dabei ist zu beachten, dass diese Kriterien nicht abschließend sind und untereinander abgewogen werden müssen. aa) Abwägung der Unmittelbarkeitskriterien Im Bereich der GASP kann davon ausgegangen werden, dass die Mitgliedstaaten zumindest auch die Durchführung von Unionsrecht bezwecken. Dies ist jedoch nur ein erstes Indiz für das Bestehen eines Unmittelbarkeitszusammenhangs. Schon der koordinierende Charakter der GASP spricht entscheidend gegen einen Unmittelbarkeitszusammenhang und damit gegen eine Grundrechtsbindung. Ebenso spricht das Kriterium der ausschließlichen Verfolgung unionsrechtlicher Ziele aufgrund der parallelen Verfolgung mitgliedstaatlicher Ziele gegen einen Unmittelbarkeitszusammenhang. Auch eine spezifische Regelung des Unionsrechts, die die operative Ausführung maßgeblich beeinflusst, liegt aufgrund des koordinierenden Charakters der Regelungen, des Freiwilligkeitsprinzips und der dazwischengeschalteten eigenständigen operativen Entscheidungsbefugnis der Mitgliedstaaten nicht vor. Mithin sprechen die überwiegende Anzahl der Kriterien gegen einen Unmittelbarkeitszusammenhang und somit gegen eine Bindung der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte. Insbesondere die Dano-Rechtsprechung, die in einem EU-koordinierten Bereich eine Grundrechtsbindung ablehnt, ist ein starkes Argument gegen die Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten im Bereich der GASP. bb) Heranziehung der EuGH-Rechtsprechung zur Grundrechtsbindung bei Umsetzungs- und Ermessensspielräumen? Für eine Grundrechtsbindung könnte jedoch die Rechtsprechung des EuGH sprechen, die eine Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten auch bei sekundärrechtlich eingeräumten Umsetzungs- und Ermessensspielräumen bejaht.689 So 688

Kuhn, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Mehrebenensystem, S. 171. Zum Ermessen bei Verordnungen vgl. etwa EuGH, Urt. v. 24.03.1994, Rs. C-2/92 Slg. 1994, S. I-955, I-983 Rn. 16 (Bostock); EuGH, Urt. v. 14.07.1994, Rs. C-351/92, Slg. 1994, 689

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

könnten die koordinierenden Vorgaben der EU im Bereich der GASP als Vorgaben angesehen werden, die den Mitgliedstaaten einen mit einem Ermessensspielraum vergleichbaren Umsetzungsspielraum in operativer Hinsicht zubilligen. Im Einklang mit der Rechtsprechung zu den Umsetzungs- und Ermessensspielräumen würde diese Interpretation für eine Grundrechtsbindung sprechen.690 Es stellt sich daher die Frage, ob diese Rechtsprechung auf die GASP übertragen werden kann. Auf den ersten Blick scheint nichts gegen eine Anwendbarkeit dieser Rechtsprechung zu sprechen. Vielmehr scheint im Bereich der GASP tatsächlich eine mit den Umsetzungs- und Ermessensspielräumen vergleichbare Situation vorzuliegen. So geben die der Unionsebene zuzurechnenden Stellen im Bereich der GASP die strategischen Leitlinien vor, die die Mitgliedstaaten auf operativer Ebene vergleichbar mit einem Umsetzungs- und Ermessensspielraum ausfüllen. Die Rechtsprechung des EuGH zu den Umsetzungs- und Ermessensspielräumen würde damit in direktem Widerspruch zur Dano-Rechtsprechung stehen, die bei der bloßen Koordinierung mitgliedstaatlicher Handlungen eine Bindung an die Unionsgrundrechte ablehnt. Mithin ist fraglich, wie die Rechtsprechung bezüglich der Umsetzungs- und Ermessensspielräume von der Rechtsprechung bezüglich der Koordinierung mitgliedstaatlichen Verhaltens unterschieden werden kann. In beiden Situationen liegen Spielräume zugunsten der Mitgliedstaaten vor, die in Bezug auf die Grundrechtsbindung durch den EuGH jedoch unterschiedlich beurteilt werden. Bei genauerer Betrachtung betrifft die Rechtsprechung des EuGH zur Grundrechtsbindung bei eingeräumten Umsetzungs- und Ermessensspielräumen nur Bereiche, in denen die EU kraft ihrer Kompetenz die Möglichkeit gehabt hätte, den Mitgliedstaaten zwingende Vorgaben zu machen und ihnen bezüglich der UmsetS. I-3361, I-3379 Rn. 17 (Graff); EuGH, Urt. 15.02.1996, Rs. C-63/93, Slg. 1996, S. I-569, I-610 Rn. 29 (Duff); EuGH, Urt. v. 13.04.2000, Rs. C-292/97, Slg. 2000, S. I-2737, I-2774 Rn. 37 (Karlsson); EuGH, Rs. C-313/99, Urt. v. 20.06.2002, Slg. 2002, S. I-5719, I-5764 f. Rn. 33–37 (Mulligan); EuGH, Urt. v. 21.12.2011, verb. Rs. C-411/10 u. C-439/10, Slg. 2011, S. I-13905, I-14018 Rn. 68 (N. S.). Zu Umsetzungsspielräumen bei Richtlinien vgl. etwa EuGH, Urt. v. 27.06.2006, Rs. C-540/03, Slg. 2006, S. I-5769, I-5841 Rn. 104 f. (Europäisches Parlament / ​Rat); EuGH, Urt. v. 29.01.2008, Rs. C-275/06, Slg. 2008, S. I-271, I-346 Rn. 68 (Promusicae). 690 Einen anderen Ansatz bei Umsetzungs- und Ermessensspielräumen verfolgt hingegen das BVerfG. Nach Ansicht des BVerfG besteht eine Bindung an die Unionsgrundrechte nur bei zwingenden Vorgaben durch das Unionsrecht. Sobald ein Umsetzungs- oder Ermessensspielraum besteht, ist dieser ausschließlich an den nationalen Grundrechten zu messen, vgl. BVerfG, NVwZ 2007, 937, 938 = BVerfGE 118, 79 (Treibhausgas-Emissionsberechtigungen); BVerfG, NVwZ 2007, 942 = BVerfGK 11, 189; BVerfG, NVwZ 2008, 543 = BVerfGE 121, 1 (Vorratsdatenspeicherung); BVerfG, NVwZ-RR 2009, 655, 656 = BVerfGE 122, 1 (Agrarmarktbeihilfen); BVerfG, NJW 2010, 833, 835 = BVerfGE 125, 260 (Vorratsdatenspeicherung); BVerfG, NJW 2011, 3428, 3429 = BVerfGE 129, 78 (Anwendungserweiterung); BVerfG, NJW 2012, 45 = BVerfGE 129, 186 (Investitionszulagengesetz); BVerfG, NJW 2012, 1419, 1421 = BVerfGE 130, 151 (Zuordnung dynamischer IP-Adressen).

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  191

zung keinen Spielraum einzuräumen.691 Im Bereich der Dano-Rechtsprechungslinie ist dieser Spielraum hingegen aufgrund der bloßen Koordinierungsbefugnis zwingend vorgegeben. Hintergrund der unterschiedlichen grundrechtlichen Behandlung beider Bereiche ist, dass nur ein den Mitgliedstaaten von der EU im Rahmen ihrer Zuständigkeit eingeräumter Umsetzungs- und Ermessensspielraum Ausfluss europäischer Hoheitsgewalt ist. Entsprechend dem Sinn und Zweck der Unionsgrundrechtsbindung, europäische Hoheitsgewalt zu mäßigen und zu disziplinieren,692 kann daher nur dieser Ermessens- und Umsetzungsspielraum an den Unionsgrundrechten gemessen werden. Ist hingegen der Umsetzungs- und Ermessensspielraum kompetenzrechtlich, etwa in Form einer Koordinierungskompetenz, zwingend vorgeschrieben, so hat die EU keine Möglichkeiten, den dabei bestehenden mitgliedstaatlichen Spielraum auszuschalten. Dementsprechend ist dieser Spielraum nicht von der europäischen Hoheitsgewalt eingeräumt, sondern Ausfluss der Kompetenzordnung und der insofern fehlenden Zurücknahme des staatlichen Herrschaftsanspruchs zugunsten der EU. An einen zwingend durch die Kompetenzordnung vorgegebenen Umsetzungs- und Ermessensspielraum kann deshalb entsprechend dem Sinn und Zweck der Grundrechtsbindung eine ebensolche nicht anknüpfen. Entscheidend für die Beantwortung der Frage, ob die Rechtsprechung zu den Umsetzungs- und Ermessensspielräumen oder ob die Dano-Rechtsprechung herangezogen werden kann, ist somit, ob es aufgrund der kompetenzrechtlichen Grundlagen im Bereich der GASP möglich wäre, den Mitgliedstaaten zwingende Vorgaben bezüglich der operativen Handlungen, d. h. der nach außen vorgenom 691 Beispielsweise betrifft die Entscheidung EuGH, Urt. v. 20.06.2002, Rs. C-313/99, Slg. 2002, S. I-5719, I-5764 f. Rn. 33–37 (Mulligan) die VO (EWG) Nr. 3950/92 über die Erhebung einer Zusatzabgabe im Milchsektor. Das hierbei durch die VO in Art. 7 Abs. 1 den Mitgliedstaaten eingeräumte Ermessen wäre aufgrund der Unionskompetenz im Bereich der Landwirtschaft (vgl. jetzt Art. 4 Abs. 2 lit. d) AEUV, geteilte Zuständigkeit) kompetenzrechtlich nicht erforderlich gewesen. Vielmehr hätte die damalige EWG die Bedingungen für die Erhebung einer Zusatzabgabe selbst festlegen können. Die Entscheidung EuGH, Urt. v. 27.06.2006, Rs. C-540/03, Slg. 2006, S. I-5769, I-5841 Rn. 104 f. (Europäisches Parlament / ​Rat) betrifft beispielsweise die RL 2003/86/EG betreffend das Recht auf Familienzusammenführung, welche den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung ebenfalls ein Ermessen einräumt. Die RL stützte sich auf Art. 63 Nr. 3 lit. a) EGV (jetzt: Art. 79 Abs. 2 lit. a) AEUV). Angesichts der Kompetenz der damaligen EG (und heutigen EU) in diesem Bereich wäre auch hier ein Ermessen der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie kompetenzrechtlich nicht zwingend erforderlich gewesen. Auch hier hätte die damalige EG die Möglichkeit gehabt, den Mitgliedstaaten zwingende Vorgaben zu machen. Letztlich besteht die Möglichkeit der EU, den Mitgliedstaaten zwingende Vorgaben zu machen, in allen Bereichen, in denen die EU nicht eine bloße Koordinierungsbefugnis hat. Aus einem Bereich mit bloßer Koordinierungsbefugnis stammen etwa die Entscheidung in den Rechtssachen Dano und Brey (Koordinierungsbefugnis der EU im Bereich der Sozialpolitik, vgl. Art. 5 Abs. 3 AEUV), in welchen der EuGH eine Bindung an die GRCh auch folgerichtig ablehnt, vgl. EuGH, Urt. v. 11.11.2014, Rs. C-333/13, NJW 2015, 145, 148 Rn. 87 ff. (Dano); ebenso EuGH, Urt. v. 19.09.2013, Rs. C-140/12, NZS 2014, 20, 21 Rn. 39 ff. (Brey). 692 Cremer, Funktionen der Grundrechte, in: EnzEuR, Bd. 2, § 1 Rn. 8, 11, 113.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

menen Handlungen, die unmittelbar in die Rechtspositionen der betroffenen Personen eingreifen, zu machen. Im Bereich der GASP besteht eine Kompetenz zur Koordinierung der Mitgliedstaaten, was bedeutet, dass die EU kraft dieser beschränkten Kompetenz nur in der Lage ist, den Mitgliedstaaten koordinierende Vorgaben zu machen, wobei naturgemäß ein Umsetzungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der operativen Ausführung besteht. Die EU hat nicht die Kompetenz, diesen Spielraum auszuschalten. Der eingeräumte Umsetzungs- und Ermessensspielraum im Bereich der GASP ist somit nicht ein von der EU im Rahmen ihrer Kompetenz freiwillig zugestandener Spielraum, sondern ein aufgrund der bloßen Koordinierungsbefugnis kompetenzrechtlich zwingend vorgegebener Spielraum. Entsprechend dem soeben Dargestellten kann daran keine Grundrechtsbindung geknüpft werden. Aufgrund der bloßen Kompetenz zur Koordinierung mitgliedstaatlichen Verhaltens im Bereich der GASP kann nicht von einer Situation gesprochen werden, die mit der Rechtsprechung bei eingeräumten Ermessens- oder Umsetzungsspielräumen vergleichbar ist. Insofern ist auf die GASP die Dano-Rechtsprechung anwendbar und nicht die Rechtsprechung zur Grundrechtsbindung bei bestehenden Ermessensund Umsetzungsspielräumen. Allerdings könnte eine Bindung an die Unionsgrundrechte dann anzunehmen sein, wenn die Mitgliedstaaten von ihrem „Ermessen“ keinen Gebrauch machen. Dies könnte etwa dann der Fall sein, wenn im Rahmen der GASP die Anweisungen des PSK unmittelbar operativ umgesetzt werden. Nur wenn die Mitgliedstaaten von den Vorgaben der unionsrechtlichen Ebene abweichen, könnte die Grundrechtsbindung ausgeschlossen sein. Diese Ansicht wäre mit der Auffassung des BVerfG vergleichbar, wonach bei einer ausschließlichen Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben – etwa im Rahmen einer Richtlinienumsetzung – eine ausschließliche Bindung an die Unionsgrundrechte anzunehmen ist.693 Dagegen spricht aber wiederum der kompetenzrechtlich zwingend vorgegebene koordinierende Charakter der GASP. Die Vorgaben der EU können im Rahmen der GASP nicht unmittelbar in eine operative Handlung umgesetzt werden. So unterliegt die mitgliedstaatliche Ebene im Rahmen der GASP nur einer politischen Kontrolle und strategischen Leitung. Die strategische Leitung umfasst keine Vorgaben bezüglich der operativen Ausführung,694 sondern nur die Kompetenz, über den operativen Einsatz konstitutiv zu entscheiden, die politischen Ziele des Mili 693

BVerfG, NVwZ 2007, 937, 938 = BVerfGE 118, 79 (Treibhausgas-Emissionsberechtigungen); BVerfG, NVwZ 2007, 942 = BVerfGK 11, 189; BVerfG, NVwZ 2008, 543 = BVerfGE 121, 1 (Vorratsdatenspeicherung); BVerfG, NVwZ-RR 2009, 655, 656 = BVerfGE 122, 1 (Agrarmarktbeihilfen); BVerfG, NJW 2010, 833, 835 = BVerfGE 125, 260 (Vorratsdatenspeicherung); BVerfG, NJW 2011, 3428, 3429 = BVerfGE 129, 78 (Anwendungserweiterung); BVerfG, NJW 2012, 45 = BVerfGE 129, 186 (Investitionszulagengesetz); BVerfG, NJW 2012, 1419, 1421 = BVerfGE 130, 151 (Zuordnung dynamischer IP-Adressen). 694 Zur Definition der operativen Ausführung vgl. Fn. 791.

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  193

täreinsatzes festzulegen, Entscheidungen hinsichtlich der personellen Besetzung der Stabchefs zu treffen, Befehlsketten festzusetzen, die Umsetzung der politischen Vorgaben zu überwachen und den Einsatz letztlich zu beenden.695 Die operative Ausführung muss somit zwangsläufig vom Operationsbefehlshaber und damit von der mitgliedstaatlichen Ebene eigenständig ausgestaltet werden.696 Insofern wurde festgestellt, dass bei den operativen Einsätzen mitgliedstaatliche Hoheitsgewalt ausgeübt wird.697 Die operative Ausführung im Rahmen der GASP kann damit nicht ausschließlich die Vorgaben der unionsrechtlichen Ebene umsetzen. Vielmehr muss die mitgliedstaatliche Ebene die koordinierenden Vorgaben der unionsrechtlichen Ebene durch operative Aspekte ergänzen, um so eine operative Ausführbarkeit zu erreichen. Mithin muss die mitgliedstaatliche Ebene bei jedem operativen Einsatz ihren „Ermessensspielraum“ ausüben. Es wurde soeben nachgewiesen, dass dieser Ermessensspielraum nicht durch die europäische Hoheitsgewalt, sondern durch die zwingende Kompetenzordnung determiniert ist, sodass deshalb eine Bindung an die Unionsgrundrechte abzulehnen ist. cc) Zwischenergebnis Insgesamt kann somit – auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH zur Grundrechtsbindung bei Umsetzungs- und Ermessensspielräumen  – nicht von einem Unmittelbarkeitszusammenhang gesprochen werden. Mangels Unmittelbarkeitszusammenhangs besteht grundsätzlich keine Bindung der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte. 3. Bindung an die Grundrechtecharta zur Wahrung der Einheit, des Vorrangs und der Wirksamkeit des Unionsrechts Trotz fehlendem Unmittelbarkeitszusammenhang könnte das Unionsrecht eine Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechtecharta verlangen, um die Einheit, den Vorrang und die Wirksamkeit des Unionsrechts nicht zu beeinträchtigen.698 Dabei ist zu beachten, dass es nicht um den Vorrang und die Wirksamkeit der Grundrechtecharta selbst als Teil des Unionsrechts geht. Dies käme einem Zirkelschluss gleich. Vielmehr geht es darum, dass das für die Durchführung in 695

Schmalenbach, Die Haftung internationaler Organisationen, S. 108. Bei zivilen Missionen muss der zivile Operationskommandeur die operative Ausführung eigenständig ausgestalten. In dieser Hinsicht ist er aufgrund seiner Zwitterstellung entsprechend obiger Ausführungen den Mitgliedstaaten zuzurechnen, s. oben unter D. V. 3., S. 136 f. 697 S. dazu oben unter B. III. 5. a) bb) (2), S. 120. 698 Vgl. dazu EuGH, Urt. v. 26.02.2013, Rs. C-399/11, EuZW 2013, 305, 309 Rn. 60 (Melloni); EuGH, Urt. v. 06.03.2014, Rs. C-206/13, NVwZ 2014, 575, 577 Rn. 32 (Siragusa); EuGH, Urt. v. 10.07.2014, Rs. C-198/13, EuZW 2014, 795, 798 Rn. 47 (Hernandez); zum Prinzip des Vorrangs im europäischen Grundrechtsraum vgl. auch Dederer, ZaöRV 66 (2006), 575, 580 ff. 696

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Frage kommende Unionsrecht uneinheitlich angewendet werden würde, wenn die nationalen Grundrechte und damit sehr unterschiedliche Grundrechtsmaßstäbe Anwendung fänden.699 Das im Rahmen der GASP in Frage stehende Unionsrecht sind insbesondere die Beschlüsse über operative Einsätze. a) Grundrechtsbindung zur Wahrung des Vorrangs und der Wirksamkeit des Unionsrechts Für die GASP-Beschlüsse wurde festgestellt, dass die unmittelbare Anwend­ barkeit und der Anwendungsvorrang vor nationalem Recht ausgeschlossen sind.700 Insofern kann die mangelnde Anwendbarkeit der Grundrechtecharta auch nicht den Vorrang und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigen. b) Grundrechtsbindung zur Wahrung der Einheit des Unionsrechts Würden nicht die Unionsgrundrechte, sondern die Grundrechte der am operativen Einsatz beteiligten Mitgliedstaaten gelten, würde dies je nach Anzahl der teilnehmenden Mitgliedstaaten zu einer beachtlichen Grundrechtszersplitterung führen. Deshalb könnte zur Wahrung der Einheit des Unionsrechts die Anwendbarkeit der Grundrechtecharta erforderlich sein. Die Anwendbarkeit der Grundrechtecharta hat jedoch die Kompetenzordnung der Union zu wahren und darf den Geltungsbereich des Unionsrechts nicht weiter ausdehnen, Art. 51 Abs. 2 GRCh.701 Im Bereich der GASP besteht lediglich eine Kompetenz zur Koordinierung der Mitgliedstaaten. Den durch die EU vorgegebenen koordinierenden Rahmen füllen die Mitgliedstaaten selbständig aus. Durch diese bei den Mitgliedstaaten verbleibende operative Handlungskompetenz und der damit verbundenen Ausübung nationaler Hoheitsgewalt bei operativen Einsätzen702 sieht die Kompetenzordnung in Bezug auf die operativen Einsätze keine Einheit des Unionsrechts vor, sodass eine solche Einheit auch nicht durch eine etwaige Unionsgrundrechtsbindung gewahrt werden müsste. Die Nichtgeltung der Unionsgrundrechte führt damit nicht zu einer Uneinheitlichkeit des Unionsrechts; das Unionsrecht nimmt vielmehr kompetenzrechtlich aufgrund der bloßen

699

EuGH, Urt. v. 06.03.2014, Rs. C-206/13, NVwZ 2014, 575, 577 Rn. 32 (Siragusa); EuGH, Urt. v. 10.07.2014, Rs. C-198/13, EuZW 2014, 795, 798 Rn. 47 (Hernandez); s. auch schon EuGH, Urt. v. 17.12.1970, Rs. 11/70, Slg. 1970, S. 1125, 1135 Rn. 3 (Internationale Handelsgesellschaft); EuGH, Urt. v. 26.02.2013, Rs. C-399/11, EuZW 2013, 305, 309 Rn. 60 (Melloni). 700 S. oben unter E. IV., S. 143 ff. 701 Borowsky, in: Meyer, GRCh, 4. Aufl., Art. 51 Rn. 37 ff.; Ladenburger / ​Vondung, in: Stern / ​ Sachs, GRCh, Art. 51 Rn. 63 ff.; Schwerdtfeger, in: Meyer / ​Hölscheidt, Art. 51 Rn. 71 f.; Streinz  / ​ Michl, in: Streinz, EUV / ​AEUV, Art. 51 GRCh Rn. 22. 702 S. oben unter B. III. 5. a) bb) (2), S. 120.

3. Kap.: Grundrechtsbindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik  195

Koordinierung mitgliedstaatlichen Handelns diese Uneinheitlichkeit in Kauf. Die vermeintliche703 Grundrechtszersplitterung ist daher Folge der in der GASP bestehenden Kompetenzordnung. Allerdings könnte angenommen werden, in der GASP bestünde durch die Anordnung der Achtung und Förderung der Grundrechte im EUV eine „Annexkompetenz zur Mitregelung von Grundrechtsfragen“.704 Eine solche Regelung könnte beispielsweise in den auch schon eingangs erwähnten Art. 21 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 2 lit. b) EUV zu sehen sein, in welchen die universelle Gültigkeit und Unteilbarkeit der Menschenrechte im Bereich der GASP betont wird. Hierbei wird jedoch nicht spezifisch auf die Grundrechtecharta Bezug genommen, sondern nur allgemein die Bedeutung der Beachtung der Menschenrechte betont. Menschenrechte werden aber nicht nur über die Geltung der Grundrechtecharta gewahrt, sondern auch durch die Beachtung anderer Grundrechtsregime. Entsprechend den obigen Ausführungen zu Art.  21 Abs. 1, Abs. 2 lit. b) EUV kann darüber nicht die Anwendbarkeit der Grundrechtecharta konstruiert werden.705 Mithin verbietet es die Kompetenzordnung, im Bereich der GASP über die Anwendbarkeit der Grundrechtecharta eine Einheit des Unionsrechts herzustellen. Diese Einheit ist aufgrund der bloßen Kompetenz zur Koordinierung mitgliedstaatlichen Verhaltens kompetenzrechtlich nicht vorgesehen. c) Zwischenergebnis Eine Bindung an die Unionsgrundrechte zur Wahrung der Einheit, des Vorrangs und der Wirksamkeit des Unionsrechts ist im Bereich der GASP ausgeschlossen. 4. Ergebnis Die Anwendung der aus der Rechtsprechung entwickelten Kriterien auf die GASP zeigt, dass eine Bindung der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte bei der operativen Ausführung abzulehnen ist. Im Ausgangspunkt kann eine nur schwache akzessorische Verpflichtung durch das Unionsrecht festgestellt werden. Im Rahmen der sich daran anschließenden Unmittelbarkeitskriterien können die Besonderheiten der GASP ausreichend berücksichtigt werden. Diesbezüglich ist

703 Inwiefern es tatsächlich zu einer Grundrechtszersplitterung kommt, hängt auch von der Frage ab, welche Auswirkungen die Bindung der unionsrechtlichen Ebene an die GRCh auf die mitgliedstaatliche Ebene hat und wie die operativen Einsätze in das grundrechtliche Mehrebenensystem eingebettet sind. Zu den Auswirkungen der Grundrechtsbindung s. unten, 5. Kapitel, C., S. 297 ff.; zum grundrechtlichen Mehrebenensystem s. das 6. Kapitel. 704 Ladenburger / ​Vondung, in: Stern / ​Sachs, GRCh, Art. 51 Rn. 67. 705 S. oben unter C. II., S. 128.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

ein für die Grundrechtsbindung notwendiger Unmittelbarkeitszusammenhang insbesondere aufgrund des kompetenzrechtlich zwingend vorgeschriebenen koordinierenden Charakters nicht festzustellen. Auch das abschließende Kriterium der Wahrung der Einheit, des Vorrangs und der Wirksamkeit des Unionsrechts kann eine Grundrechtsbindung nicht herbeiführen. VII. Ergebnis zur Grundrechtsbindung nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh Als Ergebnis zur Grundrechtsbindung nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh ist somit festzuhalten, dass auf der zweiten Stufe der operativen Einsätze im Rahmen der GASP keine Durchführung von Unionsrecht durch die Mitgliedstaaten im Sinne des Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh vorliegt. Damit sind die Mitgliedstaaten bei der operativen Ausführung nicht an die Grundrechtecharta, sondern an ihre jeweiligen nationalen Grundrechte gebunden.706

F. Ergebnis zur Grundrechtsbindung der GASP Als Gesamtergebnis zur Grundrechtsbindung der GASP kann somit festgehalten werden, dass die unionsrechtliche Ebene nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh umfassend an die Grundrechtecharta gebunden ist, während die mitgliedstaat­liche Ebene mangels „Durchführung des Rechts der Union“ nach Art. 51  Abs. 1  S. 1 Alt.  2 GRCh nicht der Bindung an die Grundrechtecharta unterliegt. Die Mitgliedstaaten sind vielmehr an ihre jeweiligen nationalen Grundrechte gebunden. Die Auswirkungen dieser Grundrechtsdiskrepanz, insbesondere im Hinblick auf etwaige Schutzpflichten der unionsrechtlichen Ebene gegenüber der mitgliedstaatlichen Ebene, werden im Anschluss an die Grundrechtsbindung von Frontex untersucht.707

706 Eine Nichtgeltung der nationalen Grundrechte käme nur bei einer Hoheitsrechtsübertragung auf die entsprechende internationale Organisation in Betracht, vgl. BVerfG, NJW 1982, 507, 508 f. = BVerfGE 58, 1 (Eurocontrol I); Thym, DÖV 2010, 621, 629. Eine solche hat auf die EU im Bereich der operativen Einsätze im Rahmen der GASP, wie geprüft, nicht stattgefunden. Zur fehlenden Hoheitsrechtsübertragung bei multinationalen Militäreinsätzen der Bundeswehr s. auch Ohler, Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 260 ff.; Thym, DÖV 2010, 621, 629. Eine Hoheitsrechtsübertragung bei Bundeswehreinsätzen, die den konstitutiven Parlamentsvorbehalt betrifft, ist nach Ansicht des BVerfG zudem unzulässig, BVerfG, NJW 2009, 2267, 2274 Rn. 255 = BVerfGE 123, 267 (Lissabon). 707 S. unten, 5. Kapitel, C., S. 297 ff.

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

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4. Kapitel

Die Grundrechtsbindung von Frontex A. Einleitung Entsprechend der Untersuchung zur Grundrechtsbindung der GASP stellt sich nun die Frage nach der Grundrechtsbindung von Frontex. Auch hierbei ist ent­ sprechend des zweiten Kapitels zur allgemeinen Bindung an die Grundrechtecharta zwischen den Organen und sonstigen Stellen der Union sowie den Mitgliedstaaten zu differenzieren. Um die Frage nach der Grundrechtsbindung von Frontex beantworten zu können, ist in einem ersten Schritt Frontex als „Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache“ zu untersuchen und herauszuarbeiten, inwiefern hierbei die Organe und sonstigen Stellen der Union sowie die Mitgliedstaaten beteiligt sind. Die Analyse von Frontex ist dabei nicht nur für die Subsumtion unter Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh von Relevanz, sondern auch im Hinblick auf den Strukturvergleich mit der GASP. Sie soll der Verifizierung der These dienen, dass die operativen Einsätze im Rahmen der GASP und bei Frontex einer einheitlichen Struktur unionskoordinierten operativen Handelns folgen, was zu einer vergleichbaren Grundrechtsbindung beider Bereiche führt. Dafür ist, spiegelbildlich zur GASP, eine strukturelle Analyse des Zusammenspiels von Mitgliedstaaten und Unionsebene im Bereich von Frontex notwendig (unter B.). Im Anschluss daran kann die entsprechende Grundrechtsbindung untersucht werden, wobei zunächst eine generelle Anwendbarkeit der Grundrechtecharta zu diskutieren ist (unter C.). Sodann kann die jeweilige Grundrechtsbindung der beteiligten Stellen der Union nach Art. 51 Abs. 1  S. 1  Alt.  1  GRCh (unter D.) und der Mitgliedstaaten nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh (unter E.) untersucht und einem Ergebnis (unter  F.) zugeführt werden.

B. Strukturelle Analyse des Zusammenspiels von Mitgliedstaaten und Unionsebene im Bereich von Frontex I. Die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) Bevor das Zusammenspiel von Mitgliedstaaten und Unionsebene im Bereich von Frontex genauer analysiert werden kann, stellt sich die Frage, was unter Frontex überhaupt zu verstehen ist. Mit Frontex wird die europäische Grenzschutzagentur bezeichnet, welche ursprünglich als „Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union“ im Jahre 2004 ge-

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

gründet wurde.708 Sie nahm am 3. Oktober 2005 den operativen Betrieb auf 709 und hat ihren Sitz in Warschau.710 Im Jahre 2016 wurde die Agentur infolge der Flüchtlingskrise711 unter Erweiterung ihrer Aufgaben, Befugnisse und Kapazitäten in „Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache“ umbenannt,712 wobei sie „dieselbe juristische Person bei vollständiger Kontinuität aller ihrer Tätigkeiten und Verfahren“ blieb.713 Ebenso blieb die Bezeichnung Frontex – abgeleitet vom französischen Ausdruck frontières extérieures – bestehen.714 Während sich die alten Frontex- und Rabit-Verordnungen hauptsächlich auf die Agentur selbst bezogen, bezieht die neue Verordnung gemäß Art. 3 Abs. 1 Frontex-VO die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Küstenwache explizit in eine europäische Grenz- und Küstenwache ein. Diese Einbeziehung ist wohl der Grund, weshalb die neue Frontex-VO, insbesondere Art. 4 Frontex-VO, ausdrücklich von einer integrierten europäischen Grenzverwaltung spricht. Durch die Einbeziehung der Mitgliedstaaten wird gleichzeitig deutlich, dass mit der neuen integrierten europäischen Grenz- und Küstenwache nicht die Schaffung eines eigenständig agierenden EU-Grenzschutzkorps verbunden ist. Vielmehr knüpft die neue Verordnung an die bisherigen Strukturen an, erweitert punktuell die Aufgaben, Befugnisse und Kapazitäten der Agentur und soll die Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten intensivieren.715 708

VO (EG) Nr. 2007/2004 vom 26. Oktober 2004, ABl. Nr. L 349 v. 26.10.2004, S. 1 ff.; erweitert und geändert durch VO (EG) Nr. 863/2007 vom 11. Juli 2007, ABl. Nr. L 199 v. 31.07.2007, S. 30 ff. zur Bildung von Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke (im Folgenden als Rabit-VO a. F. bezeichnet, wobei Rabit für Rapid Border Intervention Teams steht) und geändert durch VO (EU) Nr. 1168/2011 vom 25. Oktober 2011, ABl. Nr. L 304 v. 22.11.2011, S. 1 ff. Die Frontex-VO in der Fassung der VO (EU) Nr. 1168/2011 wird im Folgenden als Frontex-VO a. F. bezeichnet. 709 Fischer-Lescano / ​Tohidipur, ZaöRV 67 (2007), 1219. 710 Beschluss 2005/358/EU vom 26.04.2005, ABl. Nr. L 114 v. 04.05.2005, S. 13. 711 Zum Begriff vgl. 1. Kapitel, S. 33, Fn. 1. 712 VO (EU) 2016/1624 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. September 2016 über die Europäische Grenz- und Küstenwache und zur Änderung der Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 863/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 des Rates und der Entscheidung des Rates 2005/267/EG, ABl. Nr. L 251 v. 16.09.2016, S. 1 ff., im Folgenden als Frontex-VO bezeichnet. Dabei entsprechen viele Regelungen der Frontex-VO a. F. Diesbezüglich wird auf die Entsprechungstabelle im Anhang II der Frontex-VO, ABl. Nr. L 251 v. 16.09.2016, S. 64 ff. verwiesen. Zum Inkrafttreten vgl. Art. 83 Frontex-VO. Weitere Regelungen zu Frontex enthalten die weiterhin geltenden Verordnungen VO (EU) Nr. 1052/2013 vom 22. Oktober 2013, ABl. Nr. L 295 v. 06.11.2013, S. 11 ff. (Eurosur-VO) und VO (EU) Nr. 656/2014 vom 15. Mai 2014, ABl. Nr. L 189 v. 27.06.2014, S. 93 ff. (Seeaußen­ grenzen-VO). 713 Erwägungsgrund Nr. (11) der Frontex-VO, ABl. Nr. L 251 v. 16.09.2016, S. 1, 2. 714 Bergmann, Frontex, in: Bergmann, Handlexikon der EU, S. 425; Schröder / ​Gerdes, ZRP 2016, 238, 239. 715 Zu den Kernpunkten der neuen VO vgl. Schröder / ​Gerdes, ZRP 2016, 238, 239. Der nachfolgenden Untersuchung liegt die neue Frontex-VO zugrunde.

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

199

Diese aktuellen Entwicklungen im Zusammenhang mit der neuen Frontex-VO zeigen, dass der Grenzschutz und Frontex in besonderem Maße von äußeren Einflüssen geprägt werden, auf die es auf europäischer Ebene zu reagieren gilt. Dabei stellt der Grenzschutz eine besonders souveränitätsempfindliche Materie dar,716 wobei die eigenen Interessen der Mitgliedstaaten stark ausgeprägt sind und deshalb um diesbezügliche Kompetenzen verstärkt gerungen wird. Insofern bewegen sich der Grenzschutz und Frontex in einem Spannungsfeld zwischen unionsrechtlicher Aufgabenwahrnehmung und mitgliedstaatlicher Souveränität.717 Für ein umfassendes Verständnis von Frontex und der sich daran anschließenden Frage nach der Grundrechtsbindung sowie für den Strukturvergleich mit der GASP ist es daher notwendig, die aktuellen Regelungen und die Funktionsweise von Frontex (unter III.) vor dem Hintergrund der historischen Entstehung und Entwicklung (unter II.) zu reflektieren. Dabei ist vor allem das Zusammenspiel der Mitglied­ staaten mit der Unionsebene von Interesse. Im Rahmen der strukturellen Analyse der GASP ergab sich hierbei eine koordinierende Rolle der EU, welche sich vor allem aus der historischen Entstehung und Entwicklung erklärt. Auch für Frontex stellt sich ausgehend von der historischen Entstehung und Entwicklung des europäischen Grenzschutzes die Frage, ob sich die Rolle der Union auf eine Koordinierung mitgliedstaatlichen Handelns beschränkt. II. Historische Entstehung und Entwicklung des europäischen Grenzschutzes 1. Grenzschutz als nationale Aufgabe Staatsgrenzen und der damit verbundene Grenzschutz sind unzertrennlich mit der Existenz souveräner Staaten im völkerrechtlichen Sinne verbunden. a) Der völkerrechtliche Staatsbegriff Der völkerrechtliche Staatsbegriff geht auf die Drei-Elemente-Lehre von Georg Jellinek zurück.718 Daran anknüpfend sind die drei Elemente „Staatsgebiet“, „Staatsvolk“ und „Staatsgewalt“ notwendige Bestandteile eines Staates.719

716

Schöndorf-Haubold, Europäisches Sicherheitsverwaltungsrecht, Rn. 1, 156. Schöndorf-Haubold, Europäisches Sicherheitsverwaltungsrecht, Rn. 1. 718 Vgl. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 394 ff., der seine Definition allerdings seiner allgemeinen Staatslehre zugrunde gelegt hat. Hier geht es um den völkerrechtlichen Staatsbegriff. 719 Herdegen, Völkerrecht, § 8 Rn. 3; Epping, Der Staat als die „Normalperson“ des Völkerrechts, in: Ipsen, Völkerrecht, § 7 Rn. 1. 717

200

2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Das Staatsgebiet beschreibt „eine durch Grenzen gekennzeichnete Zusammenfassung von geographischen Räumen unter eine gemeinsame Rechtsordnung“.720 Durch das Staatsgebiet wird sowohl das physische Territorium gekennzeichnet, auf das sich die Herrschaftsgewalt des Staates bezieht (Gebietshoheit), als auch der Raum, welcher seiner Verfügungsbefugnis unterliegt (territoriale Souveränität).721 Die Verfügungsbefugnis erfasst beispielsweise die Verpachtung eines Teils des Staatsgebietes oder den Abschluss von Servituten, d. h. die Übertragung von Teilen der Gebietshoheit auf andere Staaten.722 Die Gebietshoheit beschreibt die „ausschließliche Zuständigkeit eines Staates zum Erlass von Hoheitsakten auf dem von ihm beherrschten Territorium“.723 Das Staatsvolk ist ein „auf Dauer angelegter Verbund von Menschen, über den der Staat die Hoheitsgewalt im Sinne der Gebietshoheit und bei Aufenthalt außerhalb des Hoheitsgebietes die Personalhoheit innehat“.724 Die Personalhoheit ist vom Territorium losgelöst und wird bei natürlichen Personen durch die Staatsangehörigkeit725 und bei juristischen Personen durch die Staatszugehörigkeit726 vermittelt.727 Die Staatsgewalt verbindet das Staatsvolk sowie das Staatsgebiet zu einem einheitlichen Staat und unterteilt sich in eine äußere und innere Souveränität.728 Innere Souveränität bedeutet „Verfassungsautonomie“, d. h. „die Fähigkeit, eine Ordnung auf dem Staatsgebiet zu organisieren“.729 Äußere Souveränität kennzeichnet die Fähigkeit, „nach außen selbständig und von anderen Staaten rechtlich unabhängig im Rahmen und nach Maßgabe des Völkerrechts zu handeln“.730 Nach dem „Grundsatz der Effektivität“ ist die Staatsgewalt erst bei ihrer tatsächlichen

720

Epping, Der Staat als die „Normalperson“ des Völkerrechts, in: Ipsen, Völkerrecht, § 7 Rn. 3. 721 Epping, Der Staat als die „Normalperson“ des Völkerrechts, in: Ipsen, Völkerrecht, § 7 Rn. 3. 722 Epping, Der Staat als die „Normalperson“ des Völkerrechts, in: Ipsen, Völkerrecht, § 7 Rn. 64. 723 Epping, Der Staat als die „Normalperson“ des Völkerrechts, in: Ipsen, Völkerrecht, § 7 Rn. 59. 724 Epping, Der Staat als die „Normalperson“ des Völkerrechts, in: Ipsen, Völkerrecht, § 7 Rn. 76. 725 Vgl. dazu Epping, Der Staat als die „Normalperson“ des Völkerrechts, in: Ipsen, Völkerrecht, § 7 Rn. 80 ff. 726 Vgl. dazu Epping, Der Staat als die „Normalperson“ des Völkerrechts, in: Ipsen, Völkerrecht, § 7 Rn. 105 ff. 727 Epping, Der Staat als die „Normalperson“ des Völkerrechts, in: Ipsen, Völkerrecht, § 7 Rn. 78. 728 Epping, Der Staat als die „Normalperson“ des Völkerrechts, in: Ipsen, Völkerrecht, § 7 Rn. 137; zum Souveränitätsbegriff s. auch oben, 3. Kapitel, B. I. 3., S. 67 ff. 729 Epping, Der Staat als die „Normalperson“ des Völkerrechts, in: Ipsen, Völkerrecht, § 7 Rn. 137. 730 Epping, Der Staat als die „Normalperson“ des Völkerrechts, in: Ipsen, Völkerrecht, § 7 Rn. 137.

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

201

Durchsetzung vorhanden, was eine gewisse Stabilität und Aussicht auf Dauer des Staates voraussetzt.731 b) Staatsgrenzen und Grenzschutz Unter Zugrundelegung dieses völkerrechtlichen Staatsbegriffs sind Staatsgrenzen Linien, die zwei Staatsgebiete voneinander trennen.732 Durch sie wird das Staatsgebiet, auf das sich die Herrschaftsgewalt eines Staates erstreckt, definiert und von anderen Staaten abgegrenzt. Dabei ist die Funktion der Grenzen mit der Funktion des Staates verknüpft.733 Es geht darum, den Staat als „Organisationsform einer handlungsfähigen politischen Gemeinschaft“734 vor störenden Einflüssen von außen zu bewahren und ein geordnetes und sicheres Zusammenleben innerhalb des Staates durch den Schutz seiner Grenzen zu ermöglichen. Der staatliche Grenzschutz hat damit eine sicherheits-, stabilitäts- und ordnungsstiftende Funktion.735 Aufgrund dieser engen Verbundenheit des Grenzschutzes mit den Kernelementen und der Funktion des Staates ist der Grenzschutz besonders souveränitätsempfindlich736 und eine im Ausgangspunkt vornehmlich nationalstaatliche Angelegenheit.737 2. Europäisierung des Grenzschutzes Gleichwohl kann eine Europäisierung des Grenzschutzes festgestellt werden, die jedoch aufgrund der Souveränitätsempfindlichkeit der Materie in einem gewissen Spannungsverhältnis zur Ausübung nationaler Hoheitsgewalt steht.738 Die Souveränitätsempfindlichkeit lässt eine lediglich koordinierende Struktur des europäischen Grenzschutzes vermuten, welche die mitgliedstaatliche Handlungsmacht weniger einschränken würde und daher besonders souveränitätsschonend wäre, was wiederum Auswirkung aus die Grundrechtsbindung haben könnte.

731

Epping, Der Staat als die „Normalperson“ des Völkerrechts, in: Ipsen, Völkerrecht, § 7 Rn. 140. 732 Epping, Der Staat als die „Normalperson“ des Völkerrechts, in: Ipsen, Völkerrecht, § 7 Rn. 7. 733 Mrozek, ZAR 2014, 393, 394. 734 BVerfG, NJW 2009, 2267, 2270 Rn. 224 = BVerfGE 123, 276 (Lissabon). 735 Zu den Funktionen der Staatsgrenzen vgl. Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 68 ff. 736 Zum Begriff s. oben, 3. Kapitel, B. I. 3., S. 67 ff. 737 Vgl. Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 55 ff. 738 Schöndorf-Haubold, Europäisches Sicherheitsverwaltungsrecht, Rn. 1, 35.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

a) Wirtschaftliche Integration und Gemeinsamer Markt Der europäische Integrationsprozess739 bezweckte zunächst – zumal nach dem Scheitern der EVG und EPG740 – vor allem eine wirtschaftliche Integration. So wurde mit Gründung der EWG durch die Römischen Verträge 1957741 ein gemeinsamer Markt geschaffen, worunter ein Wirtschaftsraum zu verstehen war, innerhalb dessen Zölle und Hindernisse für den freien Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten abgeschafft sowie eine gemeinsame Politik unter anderem in den Bereichen Verkehr, Landwirtschaft und Außenhandel eingeführt werden sollten.742 Der Umgang mit den Grenzen – vor allem den Binnengrenzen – rückte damit zunächst aufgrund der wirtschaftlichen Integration in den europäischen Fokus. b) Europa der Bürger Seit den Römischen Verträgen gab es verschiedene Bemühungen für einen über die bloße wirtschaftliche Integration hinausgehenden Einigungsprozess. Hervorzuheben ist der auf dem Gipfel von Paris im Dezember 1974 gelegte Grundstein für eine die wirtschaftliche Dimension überschreitende Zusammenarbeit im Sinne eines „Europas der Bürger“.743 Dieses Konzept sollte den Fokus des europäischen Integrationsprozesses auf die Bürger und ihre Bedürfnisse richten.744 Um die Möglichkeiten der Einführung eines einheitlichen Passes zu prüfen, wurde auf dem Gipfel in Paris eine Arbeitsgruppe eingesetzt.745 Langfristiges Ziel war die Abschaffung der Passkontrollen innerhalb der europäischen Gemeinschaft.746

739

Zum Begriff der europäischen Integration s. oben, 3. Kapitel, B. II., S. 69 Fn. 50. S. dazu oben, 3. Kapitel, B. II. 3., S. 72 f. 741 EWG-Vertrag, BGBl. 1957 II, S. 766 ff. 742 Vgl. Art. 2, 3 lit. c) EWG-Vertrag. 743 Ter Steeg, Das Einwanderungskonzept der EU, S. 69. Die Begrifflichkeit „Europa der Bürger“ taucht erstmals im Tindemans-Bericht vom 29. Dezember 1975 auf. Der belgische Ministerpräsident Leo Tindemans wurde vom Pariser Gipfeltreffen beauftragt, Vorschläge zur Entwicklung einer Europäischen Union auszuarbeiten. Dabei machte er unter anderem Vorschläge für ein sog. „Europa der Bürger“, vgl. Tindemans-Bericht, abgedruckt in: Schneider / ​ Wessels, Auf dem Weg zur Europäischen Union? Diskussionsbeiträge zum Tindemans-Bericht, S. 239 ff. 744 Tindemans-Bericht, Kapitel IV: Das Europa der Bürger, abgedruckt in: Schneider / ​Wessels, Auf dem Weg zur Europäischen Union? Diskussionsbeiträge zum Tindemans-Bericht, S. 239, 272 ff. 745 Schlusskommuniqué, Punkt 10, in: BullEG 12–1974, S. 7, 8. 746 Schlusskommuniqué, Punkt 10, in: BullEG 12–1974, S. 7, 8; ter Steeg, Das Einwanderungskonzept der EU, S. 69. Dieser Vorschlag findet sich auch im Tindemans-Bericht wieder, Tindemans-Bericht, Kapitel IV: Das Europa der Bürger, B. 1., abgedruckt in: Schneider / ​Wessels, Auf dem Weg zur Europäischen Union? Diskussionsbeiträge zum Tindemans-Bericht, S. 239, 274. 740

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

203

c) Trevi-Kooperation Im Zuge der fortschreitenden Integration und dem Ziel der Abschaffung der Passkontrollen an den Binnengrenzen stellte sich für die Mitgliedstaaten die Frage, wie sie den dadurch entstehenden Gefahren begegnen sollen. In diesem Zusammenhang und unter dem Einfluss des Terrorismus in den 70er Jahren747 beschloss der Europäische Rat im Dezember 1975 eine engere Zusammenarbeit in den Bereichen der inneren Sicherheit und öffentlichen Ordnung zur Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus.748 Es entstand die sogenannte Trevi-Gruppe, bestehend aus den Innenministern der Mitgliedstaaten.749 Innerhalb dieser Gruppe wurden Informationen ausgetauscht und polizeiliche Maßnahmen abgestimmt.750 Diese Art der Kooperation und Zusammenarbeit fand außerhalb der europäischen Institutionen statt und war deshalb als klassische intergouvernementale Zusammenarbeit zu qualifizieren.751 Im Rahmen dieser Zusammenarbeit fand somit eine Koordinierung der polizeilichen Maßnahmen durch die Mitgliedstaaten selbst ohne übergeordnete europäische Institution statt. Die koordinierende intergouvernementale Zusammenarbeit sollte für die später daraus entstehende Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres als dritte Säule der EU kennzeichnend werden. Im Vordergrund der Trevi-Zusammenarbeit stand zunächst die Terrorismusbekämpfung. Mit dem Ziel der Verwirklichung eines gemeinsamen Binnenmarktes rückten aber auch Ausgleichsmaßnahmen für wegfallende Binnengrenzkontrollen in den Fokus.752 d) Europäischer Rat von Fontainebleau und Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes Der Europäische Rat von Fontainebleau am 25. und 26. Juni 1984 knüpfte inhaltlich an den Gipfel von Paris aus dem Jahre 1974 an und setzte sich zum Ziel, 747

Dabei ist insbesondere die Rote Armee Fraktion (RAF) zu nennen. Schlussfolgerungen des Europäischen Rats von Rom v. 1./2. Dezember 1975, S. 10, abrufbar unter http://www.consilium.europa.eu/de/european-council/conclusions/1992-1975/, zuletzt abgerufen am 23.12.2016; Neumann, Die Europäische Grenzschutzagentur Frontex, S. 26; ter Steeg, Das Einwanderungskonzept der EU, S. 68. 749 Trevi steht dabei einerseits für den Stadtteil Trevi in Rom, in welchem die erste diesbezügliche Tagung stattfand, andererseits als Abkürzung für „Terrorisme, Radicalisme, Extrémisme et Violence Internationale“, vgl. ter Steeg, Das Einwanderungskonzept der EU, S. 68 Fn. 9; s. auch Hoppe, Trevi, in: Bergmann, Handlexikon der EU, S. 939. 750 Ter Steeg, Das Einwanderungskonzept der EU, S. 68. 751 Tohidipur, Europäisches Migrationsverwaltungsrecht, in: Terhechte, VerwR der EU, § 33 Rn. 8; ter Steeg, Das Einwanderungskonzept der EU, S. 68 f.; zum Begriff der Intergouvernementalität s. oben, 3. Kapitel, B. I. 2., S. 66. 752 Ter Steeg, Das Einwanderungskonzept der EU, S. 68. 748

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

das Europa der Bürger inhaltlich weiter auszugestalten.753 So sollte ein europäischer Pass bis zu Beginn des Jahres 1985 zur Verfügung stehen und es wurde die endgültige Abschaffung der Grenzkontrollen dergestalt angestrebt, dass „alle Polizei- und Zollformalitäten an den innergemeinschaftlichen Grenzen im Personenverkehr entfallen“.754 Im Jahre 1985 legte die Kommission ein Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes vor.755 Neben der Abschaffung der Binnengrenzkontrollen strebte sie eine Angleichung der Regelungen in Bezug auf die Einreise an.756 Die Notwendigkeit einheitlicher Zugangsregelungen anerkennend, setzten die Justiz- und Innenminister 1986 eine „ad-hoc-Gruppe Einwanderung“ ein. Diese Gruppe beschäftigte sich unter anderem mit Konzepten zur Sicherung der Außengrenzen als Ausgleichsmaßnahmen für den Wegfall der Binnengrenzkontrollen.757 e) Einheitliche Europäische Akte (EEA) Aufbauend auf dem durch die EWG angestrebten und geschaffenen gemeinsamen Markt wurde mit der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) von 1986, welche am 1. Juli 1987 in Kraft trat,758 die Verwirklichung eines Binnenmarktes als Integrationsziel in die europäischen Verträge aufgenommen und das Ziel formuliert, bis zum Jahre 1992 einen solchen Binnenmarkt zu errichten. Als Binnenmarkt wurde gemäß Art. 8a EEA „ein Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital […] gewährleistet ist“, definiert. f) Die Schengener Übereinkommen aa) Öffnung der Binnengrenzen Trotz aller Vorschläge zur Abschaffung der Binnengrenzkontrollen und der Formulierung von Konzepten für Ausgleichsmaßnahmen wurden hinsichtlich der 753

Ziff. 6 (Das Europa der Bürger) der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Fontainebleau v. 25./26. Juni 1984, in: BullEG 6–1984, S. 10, 11; ter Steeg, Das Einwanderungskonzept der EU, S. 70. 754 Ziff. 6 (Das Europa der Bürger) der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Fontainebleau v. 25./26. Juni 1984, in: BullEG 6–1984, S. 10, 11; ter Steeg, Das Einwanderungskonzept der EU, S. 70. 755 KOM 85 (310) endg. 756 Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes, KOM 85 (310) endg., Nr. 55 Spstr. 3; ter Steeg, Das Einwanderungskonzept der EU, S. 71. 757 Neumann, Die Europäische Grenzschutzagentur Frontex, S. 27; ter Steeg, Das Einwanderungskonzept der EU, S. 71. 758 EEA, ABl. Nr. L 169 v. 29.06.1987, S. 1 ff.

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

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Öffnung der Binnengrenzen noch keine konkreten Schritte unternommen. Dies änderte sich durch das 1985 unterzeichnete Schengener Übereinkommen (SÜ).759 Dieser zunächst zwischen den Ländern Deutschland, Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg geschlossene völkerrechtliche Vertrag hatte zum Ziel, die Grenzkontrollen zwischen den beteiligten Ländern aufzuheben.760 Grund für die völkerrechtliche Umsetzung dieses Ziels außerhalb der Europäischen Gemeinschaften war, dass der EWG-Vertrag bislang keine Kompetenz zur Abschaffung der Binnengrenzkontrollen enthielt.761 Zur Umsetzung der Ziele des SÜ wurde am 19. Juni 1990 ein Übereinkommen zur Durchführung des Schengener Übereinkommens (SDÜ) geschlossen, welches am 1. September 1993 in Kraft trat.762 Für die tatsächliche Inkraftsetzung galt jedoch ein besonderer Mechanismus, der sicherstellte, dass das Abkommen erst dann seine Wirkung entfaltete, wenn in allen beteiligten Ländern die entsprechenden Voraussetzungen dafür geschaffen waren.763 Danach erfolgte die tatsächliche Inkraftsetzung erst am 26. März 1995.764 Nach Art. 2  Abs. 1  SDÜ durften die Binnengrenzen nun ohne Personenkon­ trollen überschritten werden.765 Nur zur Wahrung der öffentlichen Ordnung und nationalen Sicherheit war eine kurzfristige Wiedereinführung von Personenkontrollen möglich.766 Neben der Öffnung der Binnengrenzen wurden die Einreiseund Aufenthaltsbestimmungen vereinheitlicht und Visa für den gesamten Schengen-Raum ausgestellt.767 bb) Schutz der Außengrenzen als Ausgleichsmaßnahme Mit der Öffnung der Binnengrenzen waren Ausgleichsmaßnahmen notwendig, um insbesondere die Außengrenzen zu sichern. Dieser Schutz der Außengrenzen 759

Übereinkommen zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen vom 14. Juni 1985, GMBl. 1986, S. 79 ff. 760 Art. 17 S. 1 SÜ; ter Steeg, Das Einwanderungskonzept der EU, S. 74. 761 Taschner, Schengen, S. 15 ff.; Thym, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  77 AEUV Rn. 1. 762 Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, BGBl. 1993 II, S. 1013 ff. 763 Vgl. dazu ter Steeg, Das Einwanderungskonzept der EU, S. 85 f.; Taschner, Schengen, S. 30 f. 764 Beschluss des Schengener Exekutivausschusses v. 22.12.1994, BGBl. 1996 II, S. 242. 765 Dies ist nach heute geltendem Recht in Art. 1 Schengener Grenzkodex (SGK) geregelt. Der SGK löste das SDÜ ab, s. unter B. II. 2. h) dd), S. 210. 766 Vgl. Art. 2 Abs. 2 SDÜ. Zur Möglichkeit der vorübergehenden Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen nach heute geltendem Recht s. Art. 25 ff. SGK. 767 Ter Steeg, Das Einwanderungskonzept der EU, S. 79 ff.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

erfolgte in nationaler Zuständigkeit, aber nach festgelegten gemeinsamen Standards.768 Ein von den Schengen-Mitgliedstaaten eingerichteter Exekutivausschuss traf die dafür erforderlichen Entscheidungen.769 Für eine nach gemeinsamen Standards festgelegte Sicherung der Außengrenzen wurde außerdem eine gemeinsame Datenbank zur informationstechnischen Zusammenarbeit, das Schengener Informationssystem (SIS), errichtet.770 Des Weiteren wurde die Zusammenarbeit der Polizeidienste zum Zwecke der Sicherung der Außengrenzen geregelt.771 Der Außengrenzschutz des Schengenraumes fand somit in nationaler Zuständigkeit unter bloßer Koordinierung des Schengen-Exekutivausschusses statt. Aufgrund der völkerrechtlichen Vereinbarung fand die Koordinierung zudem außerhalb der europäischen Institutionen statt. cc) Schengen-Besitzstand Das gemeinschaftsrechtliche Ziel, einen Binnenmarkt als Raum ohne Binnengrenzen zu errichten, wurde folglich zunächst durch einen völkerrechtlichen Vertrag außerhalb des Gemeinschaftsrechts und unter Beteiligung nicht aller Mitgliedstaaten realisiert.772 Der so entstandene Schengen-Raum wurde und wird durch den sogenannten Schengen-Besitzstand (Schengenaquis) ausgestaltet. Dieser bestand ursprünglich aus den beiden Schengener Übereinkommen, den jeweils dazugehörenden Beitrittsprotokollen und Beitrittsübereinkommen sowie den Beschlüssen des Exekutivausschusses.773 g) Vertrag von Maastricht Am 7. Februar 1992 wurde der Vertrag von Maastricht unterzeichnet, welcher am 1. November 1993 in Kraft trat.774

768

Vgl. Art. 6 SDÜ. Art. 8 SDÜ. 770 Art. 92 ff. SDÜ. 771 Art. 39 ff. SDÜ. 772 Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 137. 773 Der Schengen-Besitzstand wird im Anhang des Protokolls zur Einbeziehung des Schengen-​Besitzstandes in den Rahmen der Europäischen Union aufgeführt, Protokoll v. 02.10.1997, ABl. Nr. C 340 v. 10.11.1997, S. 93, 96 (Schengen-Protokoll); vgl. auch Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 136 Fn. 513; später kamen weitere sekundärrechtliche Regelungen hinzu. 774 Vertrag von Maastricht, ABl. Nr. C 191 v. 29.07.1992, S. 1 ff.; BGBl. 1992 II, S. 1253. 769

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aa) Drei-Säulen-Modell Mit dem Vertrag von Maastricht wurde die EU geschaffen, deren Struktur gemeinhin mit einem Drei-Säulen-Modell beschrieben wurde.775 Die erste Säule bildeten die bereits bestehenden Europäischen Gemeinschaften,776 während die zweite Säule die neu eingeführte GASP beinhaltete.777 Mit der dritten Säule wurde die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres (ZBJI) als Fortentwicklung der Trevi-Kooperation eingeführt.778 bb) Außengrenzschutz als Bestandteil der dritten Säule Die dritte Säule beinhaltete unter anderem Vorschriften für das Überschreiten der Außengrenzen und die Ausübung der entsprechenden Kontrollen.779 Diese betrachteten die Mitgliedstaaten nach Art. K.1 Nr. 2 Maastricht-Vertrag als Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse. Damit war jedoch keine Übertragung von Kompetenzen auf die EU verbunden. Vielmehr statuierte der Maastricht-Vertrag bloße Kooperations- und Koordinierungspflichten in diesem Bereich.780 So war die dritte Säule nicht vergemeinschaftet. Sie war vielmehr entsprechend der historischen Entwicklung im Zusammenhang mit der Trevi-Kooperation intergouvernemental strukturiert und basierte auf einer zwischenstaatlichen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten. Zwar wurden innerhalb der dritten Säule die europäischen Institutionen wie beispielsweise der Rat genutzt. Mangels Rechtsfähigkeit der damaligen EU war das Handeln der europäischen Institutionen jedoch nicht der EU, sondern den Mitgliedstaaten zuzurechnen.781 Die intergouvernementale Struktur der Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres und damit auch im Bereich des Außengrenzschutzes zeigt, dass die Mitgliedstaaten diesen Bereich als besonders souveränitätsempfindlich einstuften und hierbei zunächst keine Kompetenzen auf die EU übertragen wollten. Die Rolle der EU in diesem Bereich kann deshalb als eine das mitgliedstaatliche Verhalten koordinierende Rolle beschrieben werden, wobei die Mitgliedstaaten selbst die bestimmenden Akteure bleiben.

775

S. dazu auch oben, 3. Kapitel, B. II. 10. a), S. 79. EGKS, Euratom und EWG, letztere wurde mit dem Maastricht-Vertrag in EG umbenannt. 777 S. dazu oben, 3. Kapitel, B. II. 10., S. 78 ff. 778 Art. K Maastricht-Vertrag. 779 Vgl. Art. K.1 Maastricht-Vertrag. 780 Neumann, Die Europäische Grenzschutzagentur Frontex, S. 45. 781 Die Zurechnung entsprach dabei der Zurechnung im Rahmen der GASP, sodass auf die diesbezüglichen Ausführungen im 3. Kapitel unter B. II. 10. c), S. 81 zu verweisen ist. 776

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

h) Vertrag von Amsterdam Am 2. Oktober 1997 wurde der Vertrag von Amsterdam als Reformvertrag zum Maastricht-Vertrag geschlossen, welcher am 1. Mai 1999 in Kraft trat.782 aa) Grundsätzliche Beibehaltung der Säulenstruktur Der Vertrag von Amsterdam ließ die grundsätzliche Säulenstruktur der EU unberührt. Allerdings wurden einige Bereiche der bisherigen dritten Säule in den EGV überführt und damit vergemeinschaftet. Dies betraf insbesondere die Visa-, Asyl- und Einwanderungspolitik sowie andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr.783 Damit bestand die intergouvernementale dritte Säule mit dem Vertrag von Amsterdam nur noch aus der Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS). bb) Säulenübergreifendes Konzept eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts Neu eingeführt wurde das Konzept eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Dieser Raum wurde ausweislich Art. 61 EGV-Amsterdam durch die Union schrittweise aufgebaut und von ihr gemäß Art. 2 UAbs. 4 EUV-Amsterdam erhalten und weiterentwickelt. Dadurch sollte in Verbindung mit geeigneten Maßnahmen in Bezug auf die Kontrollen an den Außengrenzen, das Asyl, die Einwanderung sowie die Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität, der freie Personenverkehr gewährleistet werden.784 Daneben wurde der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts auch durch die Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen ausgestaltet.785 Die Schaffung, Erhaltung und Fortentwicklung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts wurde damit zu einem Ziel der EU erhoben.786 Er wurde sowohl durch die vergemeinschafteten Politiken nach Art. 61 ff. EGV-Amsterdam787 als auch durch die dritte intergouvernementale Säule der Polizeilichen und

782

ABl. Nr. C 340 v. 10.11.1997, S. 1 ff.; allgemein zum Vertrag von Amsterdam vgl. Hilf  / ​ Pache, NJW 1998, 705 ff.; Streinz, EuZW 1998, 137 ff. 783 Vgl. Art. 61 ff. EGV-Amsterdam. 784 Vgl. Art. 2 UAbs. 4 EUV-Amsterdam. 785 Vgl. Art. 29 EUV-Amsterdam. 786 Monar, Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in: v. Bogdandy / ​Bast, Europäisches Verfassungsrecht, S. 749, 753. 787 Visa-, Asyl- und Einwanderungspolitiken und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr.

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

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Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen788 als säulenübergreifendes Konzept verwirklicht.789 Durch das zentrale Ziel des freien Personenverkehrs knüpfte das Konzept des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts an die bisherigen Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Binnenmarktprozess und der Öffnung der Binnengrenzen durch die Schengener Übereinkommen an. Im gleichen Atemzug wurden mit den „geeigneten Maßnahmen in Bezug auf die Kontrollen an den Außengrenzen, das Asyl, die Einwanderung sowie die Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität“ entsprechende Ausgleichsmaßnahmen für den Wegfall der Binnengrenzen in den Fokus gerückt.790 Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts kann daher als ein Konzept zur Sicherung des freien Personenverkehrs verstanden werden, das um entsprechende Ausgleichsmaßnahmen in Zusammenhang mit der Abschaffung der Binnengrenzkontrollen bemüht ist. cc) Kompetenzen in Bezug auf den Außengrenzschutz Mit der Erschaffung und Erhaltung eines solchen Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts spielt insbesondere der Schutz der Außengrenzen als Ausgleichsmaßnahme eine hervorgehobene Rolle, ermöglicht deren Überschreitung doch den Zugang zu diesem Raum. Kompetenztitel in Bezug auf die Kontrolle der Außengrenzen enthielten Art. 62 und 66 EGV, auf deren Grundlage später die Grenzschutzagentur Frontex errichtet wurde.791 So konnte der Rat nach Art. 62 Abs. 2 lit. a) EGV Rechtsakte bezüglich der Personenkontrolle bei Überschreiten der Außengrenzen und nach Art. 66 EGV Maßnahmen zur Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten unter anderem im Bereich des Außengrenzschutzes beschließen. Die Kompetenztitel wiesen in Bezug auf das Gesetzgebungsverfahren einige Besonderheiten auf. So regelte Art. 67 EGV, dass der Rat auf Vorschlag der Kommission oder auf Initiative eines Mitgliedsstaates und nach Anhörung des Europäischen Parlaments grundsätzlich einstimmig Beschlüsse traf. Zudem hatte der EuGH nur eine eingeschränkte Zuständigkeit in Bezug auf die Überprüfung der in diesem Bereich ergangenen Maßnahmen.792 788

Art. 29 ff. EUV-Amsterdam. Monar, Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in: v. Bogdandy / ​Bast, Europäisches Verfassungsrecht, S. 749, 764 ff. 790 Vgl. Art. 2 UAbs. 4 EUV-Amsterdam. 791 Neumann, Die Europäische Grenzschutzagentur Frontex, S. 48. 792 Vgl. Art. 68 Abs. 2 EGV-Amsterdam. Vgl. auch Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 141 f. Die eingeschränkte Zuständigkeit des EuGH bezog sich jedoch nur auf Maßnahmen nach Art. 62 Nr. 1 EGV-Amsterdam und damit auf Maßnahmen, die die Kontrollfreiheit an den Binnengrenzen sichern. Grund für den Ausschluss des EuGH in Bezug auf die Binnengrenzkontrollen war, dass der EuGH eine in Ausnahmefällen wiedereingeführte Grenzkontrolle an den Binnengrenzen nicht auf deren Rechtmäßigkeit überprüfen können sollte. Die nationale Innen 789

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Die Kompetenzen in Bezug auf die Außengrenzen waren damit zwar im supranationalisierten Gemeinschaftsrecht zu finden. Die Besonderheiten in Bezug auf das Verfahren – insbesondere das Initiativrecht der Mitgliedstaaten – und die eingeschränkte Zuständigkeit des EuGH zeigen aber, dass auch in diesem Bereich die Mitgliedstaaten weiterhin die zentralen Akteure bleiben wollten, sodass trotz Supranationalisierung intergouvernementale Elemente aus der ehemaligen dritten Säule erkennbar sind, weshalb weiterhin von einer koordinierenden Rolle der EU gesprochen werden kann.793 dd) Überführung des Schengen-Besitzstandes in die EU Mit dem Schengen-Protokoll zum Amsterdamer Vertrag794 wurde der Schengen-​ Besitzstand weitestgehend in die Kompetenz der EU überführt.795 Gemäß Art. 2 Abs. 1  S. 2  Schengen-Protokoll trat der Rat an die Stelle des bisherigen Schengen-Exekutivausschusses. Die Bestimmungen und Beschlüsse, die den Schengen-Besitzstand weiter ausgestalten, wurden im Rahmen der europäischen Institutionen und nach Art. 5 Abs. 1 Schengen-Protokoll auf der Rechtsgrundlage der europäischen Verträge796 getroffen. Auf Basis der Überführung des Schengen-Besitzstandes in die Kompetenz der EU hat diese die Schengener Übereinkommen mehrfach geändert und schließlich durch eine als Schengener Grenz­kodex (SGK) bezeichnete Verordnung abgelöst, die nunmehr den Schengen-Raum ausgestaltet und jüngst aktualisiert wurde.797 Die völkerrechtlichen Schengener Übereinkommen wurden damit durch europäisches Recht abgelöst.

und Sicherheitspolitik sollte in diesem Bereich von der Kontrolle durch den EuGH uneingeschränkt bleiben, vgl. Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 142 Fn. 539; s. auch Bergmann, in: Lenz / ​Borchardt, EUV / ​EGV, 4. Aufl. 2006, Art. 68 EGV Rn. 3. Maßnahmen in Bezug auf die Außengrenzen waren von diesem Ausschluss nicht erfasst. 793 Vgl. auch Monar, Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in: v. Bogdandy / ​ Bast, Europäisches Verfassungsrecht, S. 749, 765, der diesbezüglich von Ausnahmen spricht, „die bedeutend genug sind, um dem Titel IV EG einen gewissen Sonderstatus im Rahmen der ersten Säule zu geben“. 794 Protokoll (Nr. 2) zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstandes in den Rahmen der Europäischen Union (1997), Protokoll v. 02. 10. 1997, ABl. Nr. C 340 v. 10.11.1997, S. 93 ff. (Schengen-Protokoll). 795 Art. 2 Abs. 1 Schengen-Protokoll. Vgl. zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstandes in den rechtlichen Rahmen der EU auch ter Steeg, Das Einwanderungskonzept der EU, S. 87 ff. 796 Damals EUV und EGV. 797 Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex), ABl. Nr. L 105 v. 13.04.2006, S. 1 ff.; Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex), ABl. Nr. L 77 v. 23.03.2016, S. 1 ff.; vgl. auch Thym, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  77 AEUV Rn. 15.

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

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ee) Binnenmarkt, Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und Schengen-Raum Seit dem Vertrag von Amsterdam gibt es mit dem Binnenmarkt, dem Schengen-​ Raum und dem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts drei europäische Räume, die zwar Überschneidungspunkte haben, aber dennoch auseinanderzuhalten sind. Der europäische Binnenmarkt bezieht sich auf die EU und deren Mitgliedstaaten, wird im Wesentlichen durch die Grundfreiheiten798 sowie die Rechtsakte zur Rechtsangleichung auf Grundlage von Art. 114, 115 AEUV ausgestaltet und ist Ausfluss der wirtschaftlichen Integration. Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts umfasst grundsätzlich alle Mitgliedstaaten der EU. Allerdings haben die Länder Dänemark, Irland und das Vereinigte Königreich Zusatzprotokolle abgeschlossen, wonach sie nicht oder nur eingeschränkt am Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts teilhaben.799 Entsprechend seiner Konzeption ist er einerseits ein den Binnenmarkt flankierendes und unterstützendes Konzept, andererseits dient er aufgrund der Förderung des freien Personenverkehrs den Bürgern im Sinne eines „Europas der Bürger“. Während der europäische Binnenmarkt und der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts durch die europäischen Verträge geschaffen wurden, basiert der Schengen-Raum ursprünglich auf einem eigenen völkerrechtlichen Vertrag. Zum Schengen-Raum gehören auch Staaten, die nicht Mitglied der EU sind. Mit ihm wurde einerseits der für den Binnenmarkt notwendige Wegfall der Binnengrenzen erreicht, andererseits waren mit der Öffnung der Binnengrenzen Maßnahmen und Konzepte notwendig, um den dadurch eröffneten Gefahren zu begegnen. Letzteres wurde durch den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts erreicht. Damit hat der Schengen-Raum sowohl Bezugspunkte zum europäischen Binnenmarkt als auch zum Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Mit dem Vertrag von Amsterdam und dem dazugehörenden Schengen-Protokoll wurde der Schengen-Besitzstand wie dargestellt in die EU überführt. Dies hat zur Folge, dass die EU den Schengen-Besitzstand nunmehr weiter ausgestaltet, mit der Konsequenz, dass Schengenraummitglieder, welche nicht Mitglieder der EU sind, die

798

Warenverkehrsfreiheit, Arbeitnehmerfreizügigkeit, Niederlassungsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit sowie Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit. 799 Protokoll (Nr. 3) über die Anwendung bestimmter Aspekte des Artikels 7a des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft auf das Vereinigte Königreich und auf Irland (1997), ABl. Nr. C 340 v. 10.11.1997, S. 97 f.; Protokoll (Nr. 4) über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands (1997), ABl. Nr. C 340 v. 10.11.1997, S. 99 f.; Protokoll (Nr. 5) über die Position Dänemarks (1997), ABl. Nr. C 340 v. 10.11.1997, S. 101 f.; vgl. zu den Opt-out- und Opt-in-Möglichkeiten auch Monar, Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in: v. Bogdandy / ​Bast, Europäisches Verfassungsrecht, S. 749, 773 ff.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

neu getroffenen Regelungen befolgen müssen, ohne bei deren Erlass mitwirken zu können.800 Mit der Überführung des Schengen-Besitzstandes in die EU hat eine noch engere Verflechtung des Schengen-Raumes mit dem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts stattgefunden. So sind es jetzt maßgeblich Kompetenztitel aus diesem Bereich, auf deren Grundlage der Schengen-Raum weiter ausgestaltet wird.801 i) Europäischer Rat von Tampere Mit dem Ziel der Errichtung und der schrittweisen Entwicklung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts stellte sich die Frage, wie dieser sekundärrechtlich auszugestalten ist, wem Zugang zu gewähren ist und wie dieser Raum geschützt werden kann. Diese Fragen stellten sich insbesondere im Zusammenhang mit der Migration. Es bedurfte der Ausarbeitung eines Migrationskonzepts. Auf dem Gipfel des Europäischen Rates in Tampere am 15. und 16. Oktober 1999 setzten sich die Staats- und Regierungschefs mit diesen Fragen auseinander.802 Sie kamen überein, dass dafür „die Union gemeinsame Asyl- und Einwanderungs­ politiken entwickelt und dabei der Notwendigkeit einer konsequenten Kontrolle der Außengrenzen zur Beendigung der illegalen Einwanderung und zur Bekämpfung derjenigen, die diese organisieren und damit zusammenhängende Delikte im Bereich der internationalen Kriminalität begehen, Rechnung trägt“.803 Der Gipfel von Tampere wies damit dem Schutz der Außengrenzen für einen funktionierenden Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts eine gewichtige Rolle zu, die es zu intensivieren galt.804 800

Dafür hat die EU mit den entsprechenden Schengen-Mitgliedstaaten Assoziierungs­ abkommen abgeschlossen, vgl. exemplarisch die Schweiz: Beschluss 2008/146/EG des Rates vom 28. Januar 2008 über den Abschluss – im Namen der Europäischen Gemeinschaft – des Abkommens zwischen der Europäischen Union, der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizer Eidgenossenschaft über die Assoziierung der Schweizer Eidgenossenschaft bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstandes, ABl. Nr. L 53 v. 27.02.2008, S. 1. 801 Art. 5 Abs. 1 Schengen-Protokoll; vgl. auch ter Steeg, Das Einwanderungskonzept der EU, S. 93. 802 Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere v. 15./16. Oktober 1999, in: BullEU 10–1999, S. 7 ff. Zum Programm von Tampere vgl. auch Heid, RFSR, in: Dauses / ​ Ludwigs, Hdb. EU-WirtschaftsR, Bd. 2, Kapitel S. Rn. 140 ff.; Tohidipur, Europäisches Migrationsverwaltungsrecht, in: Terhechte, VerwR der EU, § 33 Rn. 12. 803 Ziff. 3 der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere v. 15./16. Oktober 1999, in: BullEU 10–1999, S. 7, 8. 804 Ausgehend vom Rat von Tampere wurden seither in Fünfjahresrhythmen Aktionsprogramme zur Stärkung und Verbesserung des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts beschlossen. Nachdem das Programm von Tampere den Zeitraum von 1999 bis 2004 betraf, gestaltete das Haager Programm (ABl. Nr. C 53 v. 03.03.2005, S. 1 ff.) aus dem Jahre 2004 die Zeit von 2005 bis 2009. Dem Haager Programm folgte 2009 das Stockholmer Programm (ABl. Nr. C 115 v. 04.05.2010, S. 1 ff.), das für die Jahre 2010 bis 2014 galt, sowie das

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

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j) Initiative der Mitgliedstaaten für eine Grenzschutzkooperation Die Initiative für eine Grenzschutzkooperation zum Schutze der Außengrenzen ergriffen zunächst die Mitgliedstaaten. Im Oktober 2001 brachten Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien die Schaffung einer europäischen Grenzpolizei ins Spiel und initiierten eine entsprechende Machbarkeitsstudie.805 Das am 30. Mai 2002 vorgestellte Ergebnis beinhaltete jedoch noch nicht die Schaffung einer solchen europäischen Grenzpolizei, sondern sah vor allem eine Kooperation der nationalen Grenzschutzbehörden vor.806 Dies offenbart, dass die Mitgliedstaaten im sensiblen Bereich des Außengrenzschutzes eine Kooperation im Sinne einer bloßen Koordinierung mitgliedstaatlichen Verhaltens vorzogen, um so ihren Einfluss zu wahren. k) Initiativen der europäischen Institutionen für eine Grenzschutzkooperation Parallel zu den Initiativen der Mitgliedstaaten wurden auch die europäischen Institutionen aktiv.807 aa) Mitteilung der Kommission vom 7. Mai 2002 Hervorzuheben ist hierbei eine Mitteilung der Kommission vom 7. Mai 2002 unter der Überschrift „Auf dem Weg zu einem integrierten Grenzschutz an den Außengrenzen der EU-Mitgliedstaaten“.808 Dabei analysierte die Kommission die bisherige Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten zum Schutz der Außengrenzen auf Basis des SDÜ und kam zu dem Ergebnis, dass es an einer „echten operativen Koordinierung“ mangelte.809 Die Empfehlung der Kommission war ein auf Dauer angelegtes Vorgehen im Rahmen einer gemeinsamen Politik für den integrierten Grenzschutz an den Außengrenzen. Eine solche Politik sollte nach Ansicht der Post-Stockholm Programm von 2014 (ABl. Nr. C 240 v. 24.07.2014, S. 13 ff.). Vgl. zu den Programmen auch Heid, RFSR, in: Dauses / ​Ludwigs, Hdb. EU-WirtschaftsR, Bd. 2, Kapitel S. Rn.  138 ff.; Kugelmann, Einwanderungs- und Asylrecht, in: Schulze / ​Zuleeg / ​Kadelbach, Hdb. Europarecht, § 41 Rn. 12 ff.; Tohidipur, Europäisches Migrationsverwaltungsrecht, in: Terhechte, VerwR der EU, § 33 Rn. 11 ff. Die einzelnen Programme sprachen sich dabei stets für eine weitere Stärkung des europäischen Grenzschutzes aus. 805 Feasibility study for the setting up of a European Border Police, Rom, 30.05.2002, abrufbar unter: www.statewatch.org/news/2005/may/eba-feasibility-study.pdf, zuletzt abgerufen am 07.11.2017; vgl. auch Neumann, Die Europäische Grenzschutzagentur Frontex, S. 33. 806 Neumann, Die Europäische Grenzschutzagentur Frontex, S. 33. 807 Zu Einzelheiten vgl. Neumann, Die Europäischen Grenzschutzagentur Frontex, S. 34 ff. 808 KOM (2002) 233 endg.; vgl. auch Neumann, Die Europäischen Grenzschutzagentur Frontex, S. 36. 809 KOM (2002) 233 endg., S. 7 ff.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Kommission fünf Bestandteile haben: Einen gemeinsamen Bestand an Rechtsvorschriften, einen gemeinsamen Mechanismus für Absprachen und operative Zusammenarbeit, eine gemeinsame integrierte Risikobewertung, ein für die europäische Dimension und auf dem Gebiet der interoperativen Ausstattungen geschultes Personal und schließlich die Aufteilung der Belastungen zwischen den Mitgliedstaaten im Hinblick auf ein Europäisches Grenzschutzkorps.810 bb) Plan des Rates für den Grenzschutz an den Außengrenzen der EU vom 14. Juni 2002 Daneben erarbeitete der Rat einen „Plan für den Grenzschutz an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union“.811 Ebenso wie die Kommis­ sion identifizierte der Rat beim bisherigen Außengrenzschutz ein operatives Kooperations- und Koordinierungsdefizit.812 Es sei ein „strukturiertes und auf Dauer angelegtes Vorgehen im Rahmen einer gemeinsamen Politik für den integrierten Grenzschutz an den Außengrenzen“ notwendig.813 Dazu identifizierte der Rat ebenfalls fünf notwendige Komponenten: Einen gemeinsamen Mechanismus für operative Koordinierung und Zusammenarbeit, eine gemeinsame integrierte Risikoanalyse, Personal und interoperative Ausstattungen, einen gemeinsamen Bestand an Rechtsvorschriften und die Aufteilung der Belastungen zwischen den Mitgliedstaaten und der Union.814 Als konkrete Maßnahme wurde eine gemeinsame Instanz von Praktikern für die Außengrenzen vorgeschlagen. Diese Instanz sollte aus den Leitern der nationalen Grenzkontrolldienste bestehen und im Rahmen des „Strategischen Ausschusses für Einwanderungs-, Grenz- und Asylfragen“ zusammentreten.815 Des Weiteren wurde die Schaffung autonomer operativer Ad-hoc-Zentren angeregt, um gemeinsame Aktionen an den Außengrenzen zu koordinieren.816 l) Ad-hoc-Zentren Nachdem der Europäische Rat in Sevilla am 21. und 22. Juni 2002 den vom Rat ausgearbeiteten Grenzschutzplan begrüßt hatte,817 wurden zu dessen Umsetzung 810

KOM (2002) 233 endg., S. 13 Nr. 20. Ratsdokument 10019/02 vom 14. Juni 2002; vgl. auch Neumann, Die Europäische Grenzschutzagentur Frontex, S. 37. 812 Ratsdokument 10019/02 vom 14. Juni 2002, S. 10 Ziff. 31 ff. 813 Ratsdokument 10019/02 vom 14. Juni 2002, S. 11 Ziff. 40. 814 Ratsdokument 10019/02 vom 14. Juni 2002, S. 11 Ziff. 40. 815 Ratsdokument 10019/02 vom 14. Juni 2002, S. 12 Ziff. 44, 45. 816 Ratsdokument 10019/02 vom 14. Juni 2002, S. 14 Ziff. 53 ff. 817 Ziff. 32 der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Sevilla, in: BullEU 6-2002, S. 8, 12. 811

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

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sieben Ad-hoc-Zentren geschaffen.818 Ziel dieser Zentren war eine verbesserte operative Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in den entsprechenden Bereichen und je nach Zentrum auch die Durchführung einer gemeinsamen Grenzsicherungsaktion. Dabei gab es jedoch keine den Zentren übergeordnete europäische Instanz. Vielmehr lag die Verantwortung bei dem jeweiligen Staat, in welchem das Zentrum angesiedelt war.819 Daran zeigt sich wiederum die Souveränitätsempfindlichkeit des Grenzschutzes, der zunächst keiner europäischen Institution unterstellt werden sollte. m) Errichtung der europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union Die mangelnde zentrale Koordinierung führte schließlich im Jahre 2004 zur Gründung der „Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union“, welche verkürzt Frontex genannt wird.820 Als Rechtsgrundlagen dienten die oben erwähnten Art. 62 Abs. 2 lit a) und Art. 66 EGV.821 Die Gründung der Agentur wurde damit einerseits auf die Kompetenz der EU im Bereich der Außengrenzen zwecks Durchführung von Personenkontrollen und andererseits auf die Kompetenz zur Behördenzusammenarbeit gestützt. Im Jahre 2007 wurde Frontex durch die Schaffung eines Mechanismus zur Bildung von Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszecke erweitert.822 Mit der Schaffung der Grenzschutzagentur Frontex wurden die bisherigen Ad-hoc-Zentren praktisch überflüssig, sodass einige Zentren ihre Tätigkeit einstellten.823 Die Errichtung einer solchen Grenzschutzagentur markiert auf den ersten Blick eine gewisse Zäsur. Waren zunächst intergouvernementale Strukturen dominant, wobei der Grenzschutz keiner europäischen Institution unterstellt wurde, ist nun eine europäische Agentur für den europäischen Außengrenzschutz verantwortlich. Die genauere Analyse der Grenzschutzagentur Frontex wird zeigen, ob durch Frontex tatsächlich eine Abkehr von der bisherigen koordinierenden Rolle der EU im Bereich des Außengrenzschutzes stattgefunden hat.824 818 Dies waren das Zentrum für Landgrenzen in Berlin, das Zentrum für Grenzpolizeiausbildung in Österreich, das Zentrum für westliche Seegrenzen in Madrid, das Zentrum für östlichen Seegrenzen in Piräus, das Zentrum für Luftgrenzen in Rom, das Zentrum für Risikoanalyse in Helsinki und schließlich das detection center in Birmingham. 819 Neumann, Die Europäische Grenzschutzagentur Frontex, S. 40. 820 VO (EG) Nr. 2007/2004 vom 26. Oktober 2004, ABl. Nr. L 349 v. 25.11.2004, S. 1 ff. 821 VO (EG) Nr. 2007/2004 vom 26. Oktober 2004, Abl. Nr. L 349 v. 25.11.2004, S. 1. 822 VO (EG) Nr. 863/2007 vom 11. Juli 2007, ABl. Nr. L 199 v. 31.07.2007, S. 30 ff. Diese VO wurde als Rabit-VO bezeichnet, wobei Rabit für Rapid Border Intervention Teams stand. 823 Neumann, Die Europäische Grenzschutzagentur Frontex, S. 42. 824 S. dazu unten, B. III, S. 220 ff.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

n) Vertrag von Lissabon Mit dem Vertrag von Lissabon,825 unterzeichnet am 13. Dezember 2007 und in Kraft getreten am 1. Dezember 2009, wurde die Säulenstruktur der Europäischen Union aufgehoben. aa) Einheitlicher Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts Damit einhergehend wurde auch die säulenübergreifende Konzeption des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts aufgelöst. Unter dem einheitlichen Titel „Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ finden sich in den Art. 67 ff. AEUV sowohl die Regelungen bezüglich Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr als auch die ehemalige dritte Säule der Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen wieder, die durch die Überführung in den AEUV vergemeinschaftet wurde. Mittlerweile ist auch nicht mehr von der Schaffung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts die Rede. Vielmehr „bietet“ die Union ihren Bürgern nun einen solchen Raum.826 Der gestiegenen Bedeutung des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts wird dadurch Rechnung getragen, dass dieser inzwischen vor dem Binnenmarkt als zweites grundlegendes Vertragsziel der EU in Art. 3 Abs. 2 EUV genannt wird.827 Nach wie vor werden die Ausgleichsmaßnahmen, insbesondere auch die Kontrolle der Außengrenzen, für die Gewährleistung des freien Personenverkehrs im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts hervorgehoben.828 Der europäische Außengrenzschutz ist damit weiterhin in das Konzept des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts eingebettet. bb) Kompetenz in Bezug auf den Außengrenzschutz Entscheidende Norm für die europäische Grenzschutzpolitik ist nun Art. 77 AEUV. Nach Art. 77 Abs. 1 lit. c) AEUV entwickelt die Union eine Politik, mit der schrittweise ein integriertes Grenzschutzsystem an den Außengrenzen eingeführt werden soll. Diesbezüglich verfügt die EU gemäß Art. 77 Abs. 2 lit. d) AEUV über 825

ABl. Nr. C 306 v. 17.12.2007, S. 1 ff.; allgemein zum Vertrag von Lissabon vgl. etwa Hatje  / ​ Kindt, NJW 2008, 1761 ff.; Pache / ​Rösch, NVwZ 2008, 473 ff.; Schiffauer, EuGRZ 2008, 1 ff.; Terhechte, EuR 2008, 143 ff.; Weber, EuZW 2008, 7 ff. 826 Vgl. Art. 3 Abs. 2 EUV. 827 Monar, Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in: v. Bogdandy / ​Bast, Europäisches Verfassungsrecht, S. 749, 753 f.; Suhr, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art.  67 AEUV Rn. 76. 828 Vgl. Art. 3 Abs. 2 EUV.

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

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einen entsprechenden Kompetenztitel, wonach das Europäische Parlament und der Rat nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Maßnahmen in diesem Bereich erlassen. Unter Maßnahmen sind alle Rechtsakte im Sinne des Art. 288 AEUV, d. h. Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse, Empfehlungen und Stellungnahmen, zu verstehen.829 Die Diktion des „integrierten Grenzschutzsystems“ und der entsprechende Kompetenztitel der EU scheinen eine weitere Abkehr von der bisherigen bloßen Koordinierung mitgliedstaatlichen Verhaltens hin zu einem zentral von der EU gesteuerten Grenzschutz zu beinhalten. Insofern offenbart die historische Entstehung und Entwicklung einen gewissen Unterschied zur GASP. Während die GASP ihre Sonderstellung auch nach dem Vertrag von Lissabon formal durch die Stellung im EUV und den dortigen besonderen Regelungen behalten hat, kann in Bezug auf den Grenzschutz jedenfalls in formaler Hinsicht nicht mehr von einer Sonderstellung gesprochen werden. Es wird zu untersuchen sein, ob diese Umstände tatsächlich zu einer Abkehr von der rein koordinierenden Rolle der EU im Bereich des Außengrenzschutzes geführt haben.830 o) Errichtung der Europäischen Grenz- und Küstenwache Mit der seit 2015 bestehenden sogenannten „Flüchtlingskrise“831 sah sich die EU einem sehr hohen Migrationsstrom insbesondere über das Mittelmeer ausgesetzt. Dies offenbarte die Grenzschutzdefizite der einzelnen Mitgliedsstaaten und der bisherigen europäischen Grenzschutzagentur.832 Als Reaktion auf die Krise reifte der Gedanke, die Aufgaben, Befugnisse und Kapazitäten der Grenzschutzagentur Frontex auszubauen und eine Europäische Grenz- und Küstenwache zu errichten.833 Nach einem für die Komplexität der Materie außerordentlich schnellen Gesetzgebungsverfahren834 wurde am 14. September 2016 – hauptsächlich gestützt auf Art. 77 AEUV – die neue Verordnung zur Errichtung einer Europäischen Grenzund Küstenwache verabschiedet, welche gemäß Art. 83 Frontex-VO am 6. Oktober 2016 in Kraft trat.835 Diese neue Verordnung löst die vorherigen Frontex- und Rabit-Verordnungen ab.836 Die bisherige „Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen 829

Rossi, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 77 AEUV Rn. 4. Eine genaue Untersuchung des Kompetenztitels erfolgt im Rahmen der Grundrechtsbindung unter E. III. 2. b) cc), S. 273 ff. 830 S. dazu unten, B. III., S. 220 ff. 831 Zur Flüchtlingskrise, s. oben, 1. Kapitel, A. I., S. 33 Fn. 1. 832 Schröder / ​Gerdes, ZRP 2016, 238. 833 Schröder / ​Gerdes, ZRP 2016, 238, 239. 834 Vgl. dazu Schröder / ​Gerdes, ZRP 2016, 238, 239. 835 VO (EU) 2016/1624 vom 14. September 2016, ABl. Nr. L 251 v. 16.09.2016, S. 1 ff.; im Folgenden als Frontex-VO bezeichnet. 836 Zur alten Rechtslage und den damals geltenden Verordnungen s. oben unter B. I., S. 197 f. Fn. 708.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Union“ wird gemäß Art. 6  Abs. 1  Frontex-VO in „Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache“ unter vollständiger Kontinuität aller ihrer Tätigkeiten und Verfahren837 umbenannt. Dabei bleibt die Bezeichnung „Frontex“ für die Agentur bestehen.838 3. Bewertung Es zeigt sich, dass die Europäisierung des Grenzschutzes und die Entstehung der Grenzschutzagentur Frontex in den europäischen Integrationsprozess eingebettet sind. Ausgangspunkt war der wirtschaftliche Integrationsprozess mit dem Ziel der Schaffung eines europäischen Binnenmarktes, durch den die Öffnung der Binnen­ grenzen und als Ausgleichsmaßnahme die Sicherung der Außengrenzen in den Fokus rückten. Daneben entstand das Konzept eines „Europas der Bürger“, das ebenfalls die Grenzkontrollen an den Binnengrenzen abschaffen wollte. Auch hierdurch gewann der Außengrenzschutz als Ausgleichsmaßnahme an Bedeutung. Bezeichnenderweise wurde die Öffnung der Binnengrenzen sodann nicht im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft erreicht, sondern durch die völkerrechtlichen Schengener Übereinkommen. Dies mag einerseits daran gelegen haben, dass die EWG für den Wegfall der Binnengrenzen keine Kompetenzen hatte.839 Andererseits waren an den Schengener Übereinkommen und damit an der Öffnung der Binnengrenzen auch nicht alle Mitgliedstaaten beteiligt. Dies zeigt, dass nicht alle Mitgliedstaaten einen solch weitreichenden Schritt zu gehen bereit waren. Grund hierfür dürfte gewesen sein, dass Grenzen und der damit verbundene Grenzschutz empfindliche, mit den Kernelementen des Staates verbundene Angelegenheiten sind, die nicht ohne Weiteres aufgegeben werden, insbesondere im Hinblick auf das Staatsgebiet und die effektive und unabhängige Herrschaftsgewalt über dieses Gebiet.840 Als Ausgleich für den Wegfall der Binnengrenzkontrollen wurden im Rahmen der Schengener Übereinkommen für den Außengrenzschutz zwar einheitliche Regeln aufgestellt. Diese wurden jedoch in nationaler Zuständigkeit von den jeweiligen Staaten mit Außengrenzen durchgeführt.841 Die übrigen Staaten mussten sich somit auf die Grenzschutzfähigkeiten dieser Staaten verlassen. Es fand lediglich eine Koordinierung durch den Schengen-Exekutivausschuss statt.

837

Vgl. dazu Erwägungsgrund (11) der Frontex-VO, ABl. Nr. L 251 v. 16.09.2016, S. 1, 2. Schröder / ​Gerdes, ZRP 2016, 238, 239. 839 Taschner, Schengen, S. 15 ff.; Thym, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  77 AEUV Rn. 1. 840 S. dazu oben unter B. II. 1., S. 199 ff. 841 S. oben unter B. II. 2. f) bb), S. 205 f. 838

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

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Mit der Öffnung der Binnengrenzen stellte sich auch für die Europäische Gemeinschaft die Frage, wie mit den dadurch verbundenen Gefahren umzugehen ist. Nicht zuletzt deshalb wurde mit der Schaffung der EU durch den Maastricht-Vertrag die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres als dritte Säule der EU eingeführt, die unter anderem den Außengrenzschutz als ein gemeinsames Interesse bezeichnete.842 Deren intergouvernementale Struktur zeigt aber wiederum, dass in diesem sensiblen Bereich die Mitgliedstaaten die bestimmenden Akteure bleiben wollten, wobei eines der kennzeichnenden Elemente der Intergouvernementalität die bloße Koordinierung mitgliedstaatlichen Verhaltens ist. Mit dem Vertrag von Amsterdam wurde sodann der Schengen-Besitzstand in die Kompetenz der EU überführt und weite Teile der dritten Säule – so auch der Außengrenzschutz – in die supranationalisierte Europäische Gemeinschaft überführt. Mit dem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts wurde gleichzeitig ein Konzept geschaffen, das einerseits die Freizügigkeit durch den Wegfall der Binnengrenzen fördern will und andererseits die Sicherheit in diesem Raum als notwendige Ausgleichsmaßnahme betont. Im Rahmen dieser Ausgleichsmaßnahmen hat sich der Außengrenzschutz als ein zentraler Aspekt erwiesen. Die verlorene Kontrolle an den Binnengrenzen und das dadurch entstandene Sicherheitsdefizit musste an den Außengrenzen kompensiert werden.843 Aus der als Ausgleichsmaßnahme dienenden Grenzschutzkompetenz im Rahmen des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts hat sich schließlich die sogleich genauer zu untersuchende Grenzschutzagentur Frontex entwickelt. Mit der Flüchtlingskrise rückte der europäische Außengrenzschutz zusätzlich in den Fokus, der durch die neue europäische Grenz- und Küstenwache weiter gestärkt werden soll. Der Grenzschutz hat sich damit von einer rein nationalstaatlichen zu einer gemeinschaftlichen Angelegenheit entwickelt.844 Dabei definieren die Grenzen eines Staates nach wie vor seinen Hoheitsbereich in räumlicher Hinsicht, sodass das durch Grenzen definierte Staatsgebiet als ein die Staatlichkeit prägendes Element weiterhin von Bedeutung ist.845 Ein Wandel hat jedoch dahingehend stattgefunden, dass die stabilitäts- und ordnungsstiftende Funktion der einzelstaatlichen Grenzen durch die Aufhebung der Binnengrenzkontrollen relativiert wurde. Hierdurch und mit der Schaffung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts verlagerten sich die Grenzschutzaufgaben von den Binnen- an die Außengrenzen dieses Raumes.846 Diese Außengrenzen definieren jedoch kein Hoheitsgebiet eines neuen Staates. Sie sind vielmehr die Summe der staatlichen Grenzen, die Mitgliedstaaten mit Nichtmitgliedstaaten haben. Die Außengrenzen haben damit einen „Doppelcharakter als Grenzen eines Staates und als Grenzen eines supra 842

Art. K.1 Nr. 2 Maastricht-Vertrag. Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 150. 844 Vgl. dazu Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, passim. 845 Vgl. auch Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 146 f. 846 Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 147. 843

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

nationalen Raumes“.847 Die stabilitäts- und ordnungsstiftende Funktion wird durch den Wegfall der Binnengrenzkontrollen nunmehr für den gesamten Raum an den jeweiligen Außengrenzen wahrgenommen. Insofern ist es verständlich, dass die Mitgliedstaaten den Außengrenzschutz nicht alleine dem jeweiligen Staat mit der Außengrenze überlassen wollen, führt die Überschreitung der Außengrenze doch zu einem unbeschränkten Zugang zum gesamten Raum. Trotz Supranationalisierungstendenzen einer vornehmlich nationalstaatlichen Angelegenheit zeigt der Integrationsprozess, dass es den Mitgliedstaaten im Bereich des Grenzschutzes wichtig ist, weiterhin eigenständig Einfluss zu nehmen. Die historische Entstehung und Entwicklung verdeutlicht jedoch auch eine größere Offenheit der Mitgliedstaaten für eine Supranationalisierung im Bereich des Außengrenzschutzes als im Bereich der GASP, deren Sonderstatus sich immer noch deutlich durch die besonderen Regelungen im EUV offenbart. Es wird sich zeigen, ob die EU dennoch auch im Bereich des Außengrenzschutzes eine bloße das mitgliedstaatliche Verhalten koordinierende Rolle einnimmt, was zu einer vergleichbaren Grundrechtsbindung beider Bereiche führen könnte. III. Regelungen und Funktionsweise von Frontex Im Hinblick auf die Grundrechtsbindung und das Zusammenspiel von Mitgliedstaaten und Unionsebene im Bereich von Frontex sowie den Strukturvergleich mit der GASP sind die Regelungen und die Funktionsweise von Frontex genauer zu untersuchen. Entsprechend der Ausgangsthese ist hierbei vor allem fraglich, ob die EU in Form der Grenzschutzagentur Frontex im operativen Einsatz weiterhin nur eine das mitgliedstaatliche Verhalten koordinierende Rolle einnimmt, was zu einer vergleichbaren Grundrechtsbindung unionskoordinierter operativer Handlungen führen könnte. Als Grundlage für die Untersuchung des operativen Einsatzes (unter 5.) ist zunächst auf die Eigenschaft von Frontex als europäische Agentur (unter 1.) sowie auf die Ziele (unter 2.), Aufgaben (unter 3.) und Organisationsstruktur (unter 4.) von Frontex einzugehen. 1. Frontex als europäische Agentur Frontex ist eine europäische Agentur.848 Europäische Agenturen lassen sich definieren als durch das Sekundärrecht geschaffene Verwaltungseinrichtungen mit eigener Rechtspersönlichkeit, die in einem ihnen zugewiesenen Aufgaben­bereich in gewisser Unabhängigkeit von den europäischen Institutionen handeln.849 847

Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe S. 147. Vgl. Art. 6 Abs. 1 Frontex-VO. 849 Fischer-Appelt, Agenturen der Europäischen Gemeinschaft, S. 38 ff.; Fischer-Lescano / ​Tohidipur, ZaöRV 67 (2007), 1219, 1213; Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 162. 848

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

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Im Einklang mit der Kommission sind Exekutiv- und Regulierungsagenturen zu unterscheiden.850 Den Exekutivagenturen werden in begrenztem Umfang von der Kommission reine Verwaltungsaufgaben übertragen. Darunter sind Aufgaben ohne eigenen Ermessensspielraum zur bloßen Unterstützung der Kommission zu verstehen.851 Exekutivagenturen sind der Kommission etwa bei der Durchführung von Gemeinschaftsprogrammen852 behilflich.853 Innerhalb dieses eng gefassten Aufgabenkreises können Exekutivagenturen durchaus auch Entscheidungen mit Außenwirkung treffen, unterliegen allerdings der strengen Kontrolle durch die Kommission.854 Demgegenüber haben Regulierungsagenturen die Aufgabe, „durch Handlungen, die zur Regulierung eines bestimmten Sektors beitragen, aktiv an der Wahrnehmung der Exekutivfunktion mitzuwirken“.855 Das bedeutet, dass sie „selbständig mit der permanenten Wahrnehmung bestimmter Sachaufgaben betraut sind“.856 Die Errichtung von Regulierungsagenturen stützt sich unmittelbar auf die entsprechende Sachkompetenz in den Europäischen Verträgen857 und erfolgt durch eine Verordnung.858 Damit handeln Regulierungsagenturen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten selbständig und üben eigene, d. h. keine von der Kommission oder anderen Institutionen abgeleiteten Handlungsbefugnisse aus.859 Diese eigenen Handlungsbefugnisse können sowohl Unterstützungs- oder Koordinierungsbefugnisse als auch nach außen gerichtete Entscheidungsbefugnisse beinhalten.860 Entscheidender Unterschied zwischen Exekutiv- und Regulierungsagenturen ist somit, dass Exekutivagenturen aufgrund ihrer Anbindung an die Kommission 850

KOM (2002) 718 endg. Vgl. dazu insb. Art. 6 der VO (EG) Nr. 58/2003 vom 19. September 2002 zur Festlegung des Status der Exekutivagenturen, die mit bestimmten Aufgaben bei der Verwaltung von Gemeinschaftsprogrammen beauftragt werden, ABl. Nr. L 11 v. 16.01.2003, S. 1 ff.; s. auch ­Fischer-Lescano / ​Tohidipur, ZaöRV 67 (2007), 1219, 1232; Groß, EuR 2005, 54, 56. 852 Ein Gemeinschaftsprogramm ist „jede Maßnahme, jedes Maßnahmenbündel oder jede Initiative, die bzw. das gemäß von der jeweiligen Rechtsgrundlage bzw. Haushaltsbewilligung von der Kommission zugunsten einer oder mehrerer Kategorien von Begünstigten unter Vornahme von Mittelbindungen durchgeführt wird“, Art. 2 lit. b) der VO (EG) Nr. 58/2003 vom 19. September 2002 zur Festlegung des Status der Exekutivagenturen, die mit bestimmten Aufgaben bei der Verwaltung von Gemeinschaftsprogrammen beauftragt werden, ABl. Nr. L 11 v. 16.01.2003, S. 1, 2. 853 KOM (2002) 718 endg., S. 4. Vgl. etwa den Beschluss der Kommission vom 23. Dezember 2003 zur Errichtung einer als „Exekutivagentur für intelligente Energie“ bezeichneten Exekutivagentur für die Verwaltung von Gemeinschaftsmaßnahmen im Energiebereich gemäß der Verordnung (EG) Nr. 58/2003 des Rates, ABl. Nr. L 5 v. 09.01.2004, S. 85 ff. 854 Groß, EuR 2005, 54, 56; KOM (2002) 718 endg., S. 4. 855 KOM (2002) 718 endg., S. 4; vgl. auch Fischer-Lescano / ​Tohidipur, ZaöRV 67 (2007), 1219, 1232; Groß, EuR 2005, 54, 56. 856 Ruffert, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 298 AEUV Rn. 5. 857 KOM (2002) 718 endg., S. 8; Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 163. 858 Ruffert, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 298 AEUV Rn. 5. 859 Ruffert, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 298 AEUV Rn. 5. 860 KOM (2002) 718 endg., S. 9. 851

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

keine eigenen Handlungsbefugnisse besitzen, sondern diese vielmehr von der Kommission ableiten. Regulierungsagenturen agieren demgegenüber selbständig und üben eigene, d. h. keine von der Kommission abgeleiteten, Handlungsbefugnisse aus.861 Die Agentur Frontex hat gemäß Art. 56 Frontex-VO Rechtspersönlichkeit. Darüber hinaus ist sie von der Kommission unabhängig und nimmt ihre Aufgaben selbständig wahr. Damit ist Frontex eine Regulierungsagentur.862 2. Ziele Der europäische Grenzschutz und Frontex sind Bestandteil des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Damit trägt Frontex zu den Zielen bei, die durch diesen Raum verfolgt werden. Die Ziele von Frontex müssen daher vor dem Hintergrund der Ziele des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts betrachtet werden. a) Ziele des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts Entsprechend seinem Namen verfolgt der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts die Ziele Freiheit, Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit.863 aa) Freiheit Unter dem Begriff der Freiheit ist zuvörderst die Gewährleistung des freien Personenverkehrs zu verstehen, der durch die Abschaffung der Binnengrenzkontrollen erreicht wurde. Aufgrund der entsprechend betonten Ausgleichsmaßnahmen im Zusammenhang mit dem freien Personenverkehr wird allerdings deutlich, dass der Begriff der Freiheit gleichzeitig auch negativ durch die Abwesenheit von äußeren Bedrohungen definiert wird.864

861

Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 163. Missverständlich ist insoweit, dass in der Bezeichnung bzw. Definition beider Agenturarten das Wort „exekutiv“ auftaucht, vgl. Groß, EuR 2005, 54, 57. 862 Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 165; Neumann, Die Europäische Grenzschutzagentur Frontex, S. 130 f.; Tohidipur, Europas Grenzschutzregime, in: Möllers / ​ van Ooyen, Migration: Europäische Grenzpolitik und Frontex, S. 41, 44. 863 Röben, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  67 AEUV Rn.  54 ff. 864 Monar, Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in: v. Bogdandy / ​Bast, Europäisches Verfassungsrecht, S. 749, 758 f.

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

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bb) Sicherheit Der Begriff der Sicherheit bezieht sich im Zusammenhang mit dem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts auf die Sicherheit innerhalb dieses Raumes und damit vorwiegend auf die innere Sicherheit.865 Die äußere Sicherheit ist demgegenüber Aufgabe der GASP.866 Dabei soll insbesondere durch die Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen ein hohes Maß an Sicherheit geschaffen werden. Unter der Sicherheit ist damit vor allem die Kriminalitätsbekämpfung zu verstehen.867 Zugleich zielen aber auch die Ausgleichsmaßnahmen wie die Kontrollen an den Außen­grenzen sowie Regelungen im Bereich von Asyl und Einwanderung auf die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit. cc) Recht Der Aspekt des Rechts ist darauf ausgerichtet, die justizielle Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu verbessern.868 Trotz unterschiedlicher Rechtssysteme soll ein grenzüberschreitender Zugang und eine grenzüberschreitende Anwendung und Durchsetzung des Rechts ermöglicht werden.869 dd) Verhältnis der Ziele untereinander Der freie Personenverkehr ist  – wie aus Art. 2  Abs. 2  EUV hervorgeht  – das übergeordnete Ziel des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.870 Naheliegend scheint daher, dass die Freiheit den anderen Zielen übergeordnet ist. Im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts wird jedoch die Freiheit von der Sicherheit abhängig gemacht, was sich nicht zuletzt an der Betonung der Ausgleichsmaßnahmen in Art. 2 Abs. 2 EUV zeigt. Der Sicherheit kommt damit eine freiheitsstiftende Funktion zu. Durch diese Abhängigkeit wird die Sicherheit der Freiheit übergeordnet.871 Dies zeigt sich auch daran, dass die überwiegende Zahl 865

Röben, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  67 AEUV Rn.  56. Zur GASP vgl. das 3. Kapitel. 867 Breitenmoser / ​Weyeneth, in: von der Groeben / ​Schwarze / ​Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 67 Rn. 12; Monar, Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in: v. Bogdandy / ​Bast, Europäisches Verfassungsrecht, S. 749, 759. 868 Monar, Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in: v. Bogdandy / ​Bast, Europäisches Verfassungsrecht, S. 749, 762. 869 Monar, Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in: v. Bogdandy / ​Bast, Europäisches Verfassungsrecht, S. 749, 762. 870 Röben, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  67 AEUV Rn.  54. 871 Monar, Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in: v. Bogdandy / ​Bast, Europäisches Verfassungsrecht, S. 749, 760. 866

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

der Kompetenztitel Sicherheitsaspekte betrifft. Beispielhaft seien der Außengrenzschutz, das Asyl, die Einwanderung und die Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen genannt. Auch der Begriff des Rechts hat einen starken Bezug zur Sicherheit, insbesondere was die Zusammenarbeit in Strafsachen anbelangt. Damit ist die Sicherheit das verbindende Element im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, da sie sowohl Bezüge zum Begriff der Freiheit als auch zum Begriff des Rechts aufweist.872 Nach Ansicht der Kommission sind „[d]ie drei Begriffe Freiheit, Sicherheit und Recht […] eng miteinander verknüpft. Freiheit verliert von ihrer Bedeutung, wenn sie nicht in einem sicheren Umfeld und mit der vollen Unterstützung eines Rechtssystems genossen werden kann, in das alle Bürger und Gebietsansässige der Union Vertrauen haben können.“873 b) Ziele von Frontex Die Ziele von Frontex sind eine Ausprägung der Ziele des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Dieser soll zuvörderst den freien Personenverkehr innerhalb dieses Raumes gewährleisten. Dabei ist – wie soeben festgestellt – die Sicherheit in diesem Raum einer der zentralen Aspekte. In diesem Rahmen verfolgt Frontex das Ziel, „das Überschreiten der Außengrenzen wirksam zu überwachen, Migrationsdruck sowie potentielle künftige Bedrohungen an den Außengrenzen zu bewältigen, ein hohes Maß an innerer Sicherheit in der Union zu gewährleisten, das Funktionieren des Schengen-Raums zu wahren sowie den Leitgrundsatz der Solidarität zu achten“.874 Zentrales Ziel der Grenzschutzagentur Frontex ist damit der Außengrenzschutz zur Schaffung und Erhaltung von Freiheit und Sicherheit im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.875 3. Aufgaben Entsprechend dem Ziel der Agentur ist es die Aufgabe von Frontex, die Außengrenzen durch Grenzkontrollen zu schützen.876 Grenzkontrollen umfassen dabei nach Art. 2 Nr. 2 Frontex-VO i. V. m. Art. 2 Nr. 10 SGK sowohl Grenzübertrittskontrollen als auch die Grenzüberwachung. Grenzübertrittskontrollen finden nach 872 Monar, Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in: v. Bogdandy / ​Bast, Europäisches Verfassungsrecht, S. 749, 763. 873 KOM (1998) 459 endg., S. 1. 874 Erwägungsgrund Nr. (10) der Frontex-VO, ABl. Nr. L 251 v. 16.09.2016, S. 1, 2. 875 Zum Schutz der Außengrenzen vgl. insbesondere Kapitel II, Abschnitt 3 „Schutz der Außengrenzen“, Art. 14 ff. Frontex-VO. 876 Vgl. Art. 8 Abs. 1 Frontex-VO, wonach die in lit. a) – u) aufgezählten Aufgaben zu einem „effizienten, hohen und einheitlichen Niveau der Grenzkontrollen“ beitragen.

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

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Art. 2 Nr. 11 SGK an Grenzübergangsstellen statt und betreffen die Kontrolle von Personen zur Überprüfung ihrer Berechtigung zur Ein- oder Ausreise. Grenzüberwachung bedeutet demgegenüber nach Art. 2 Nr. 12 SGK die Überwachung der Grenzen zwischen den Grenzübergangsstellen und die Überwachung der Grenzübergangsstellen außerhalb der festgesetzten Verkehrsstunden, um zu vermeiden, dass Personen die Grenzübertrittskontrollen umgehen.877 Die konkreten Einzelaufgaben von Frontex werden überblicksartig in Art. 8 Abs. 1 Frontex-VO genannt. Dazu gehören in operativer Hinsicht die Unterstützung und Koordinierung der Mitgliedstaaten im Rahmen gemeinsamer Aktionen,878 im Rahmen von Soforteinsätzen zu Grenzsicherungszwecken879 und im Rahmen von Teams zur Unterstützung der Migrationsverwaltung.880 Neben diesen operativen Aufgaben überwacht Frontex beispielsweise den Migra­ tionsstrom und erstellt Risikoanalysen,881 errichtet einen Ausrüstungspool für die operativen Einsätze,882 unterstützt die Mitgliedstaaten bei der Schulung der nationalen Grenzschutzbeamten883 und unterstützt die Mitgliedstaaten bei Rückkehraktionen.884, 885 4. Organisationsstruktur Bevor der operative Einsatz untersucht werden kann, ist auf die Organisationsstruktur von Frontex einzugehen. a) Verwaltungsrat Der Verwaltungsrat ist das oberste Organ von Frontex. Er besteht gemäß Art. 63 Abs. 1 Frontex-VO aus jeweils einem Vertreter eines jeden Mitgliedstaates der EU, aus zwei Vertretern der Kommission, sowie nach Art. 63 Abs. 3 Frontex-VO aus je einem Vertreter der Schengen-assoziierten Staaten. Aus dem Kreise seiner Mitglieder wählt der Verwaltungsrat nach Art. 65 Abs. 1 Frontex-VO einen Vorsitzenden sowie dessen Stellvertreter. Aufgabe des Verwaltungsrates ist es 877 Zu den Grenzübertrittskontrollen und zur Grenzüberwachung vgl. auch Lehnert, Frontex und operative Maßnahmen, S. 93 ff. 878 Art. 8 Abs. 1 lit. d) Frontex-VO; s. dazu unter B. III. 5. b) aa), S. 232 f. 879 Art. 8 Abs. 1 lit. e) Frontex-VO; s. dazu unter B. III. 5. b) bb), S. 233. 880 Art. 8 Abs. 1 lit. i) Frontex-VO; s. dazu unter B. III. 5. b) cc), S. 233 f. 881 Art. 8 Abs. 1 lit. a), 11 Frontex-VO. 882 Art. 8 Abs. 1 lit. h), 38 f. Frontex-VO. 883 Art. 8 Abs. 1 lit. p), 36 Frontex-VO. 884 Art.  8  Abs. 1  lit. o), 27 ff. Frontex-VO. Rückkehraktionen beziehen sich gemäß Art. 2 Nr. 11 Frontex-VO auf die Rückführung sich illegal aufhaltender Drittstaatsangehöriger nach der RL 2008/115/EG vom 16.12.2008, ABl. Nr. L 348 v. 24.12.2008, S. 98 ff. 885 Zu den weiteren Aufgaben vgl. überblicksartig Art. 8 Abs. 1 Frontex-VO.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

unter anderem, die mehrjährige Programmplanung und die jährlichen Arbeitsprogramme der Agentur in einem Programmplanungsdokument festzulegen886 sowie die langfristige Strategie der Agentur aufzustellen.887 Darüber hinaus ernennt der Verwaltungsrat den Exekutivdirektor der Agentur auf Vorschlag der Kommission.888 Der Verwaltungsrat beschließt – mit Ausnahme der Art. 20 Abs. 4, 62 Abs. 2 lit. c), j), l), 65 Abs. 1, 69 Abs. 2, Abs. 4 Frontex-VO, die eine Zweidrittelmehrheit vorsehen  – nach Art. 67  Abs. 1  Frontex-VO mit der absoluten Mehrheit seiner stimmberechtigten Mitglieder.889 Jedes Mitglied hat dabei eine Stimme, Art. 67  Abs. 2  Frontex-VO. Ein einzelner Mitgliedstaat hat damit grundsätzlich keine Blockademöglichkeit.890 Art. 62 Abs. 3 Frontex-VO erfordert jedoch bei Beschlüssen über spezielle Maßnahmen an den Außengrenzen eines Mitgliedstaates oder bei Maßnahmen in deren unmittelbarer Nähe die Zustimmung des Vertreters dieses Mitgliedstaates im Verwaltungsrat. Mit dieser Regelung wird sichergestellt, dass kein Einsatz gegen den Willen des entsprechenden Einsatzmitgliedstaates beschlossen werden kann.891 Aus dieser Regelung ergibt sich de facto eine Veto-Position des Einsatzmitgliedstaates in Bezug auf den operativen Einsatz. Es müssen daher im Rahmen eines koordinierenden Prozesses unter Umständen Zugeständnisse gemacht und Kompromisse geschlossen werden, um die entsprechende Zustimmung zu erhalten. Damit offenbart sich bereits anhand dieser Regelung der koordinierende Charakter der Grenzschutzagentur Frontex, welche nicht unmittelbar das Verhalten der Mitgliedstaaten bestimmen und einen operativen Einsatz anordnen kann. b) Exekutivdirektor Der Exekutivdirektor vertritt Frontex nach außen, Art. 56 Abs. 4, 68 Abs. 5 Frontex-VO, und leitet die Agentur, Art. 68 Abs. 1 Frontex-VO. Dabei ist er in der Wahrnehmung seiner Aufgaben völlig unabhängig und nicht weisungsgebunden, vgl. Art. 68 Abs. 1 Frontex-VO. Er darf Weisungen von Regierungen oder sonstigen Stellen weder anfordern noch entgegennehmen, Art. 68 Abs. 1 S. 2 Frontex-VO. Für seine Tätigkeit ist er nur gegenüber dem Verwaltungsrat verantwortlich, Art. 68 Abs. 4 Frontex-VO. Der Exekutivdirektor erstellt jährlich den Entwurf des Programmplanungsdokumentes und legt es dem Verwaltungsrat vor, Art. 68 Abs. 3 lit. c) Frontex-VO. Bei 886

Art. 62 Abs. 1 lit. j), 64 Frontex-VO. Art. 62 Abs. 1 Frontex-VO. 888 Art. 62 Abs. 2 lit. a), 69 Frontex-VO. 889 Vgl. auch Lehnert, Frontex und operative Maßnahmen, S. 49. 890 Neumann, Die europäische Grenzschutzagentur Frontex, S. 65. 891 Neumann, Die europäische Grenzschutzagentur Frontex, S. 65; Ryan, in: Hailbronner / ​ Thym, EU Immigration and Asylum Law, Part B IV, Art. 20 Rn. 1. 887

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

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operativen Maßnahmen erstellt er den Einsatzplan, Art. 16 Abs. 2, 17 Abs. 6 Frontex-VO und stellt die Durchführung der Einsatzpläne mithilfe eines Koordinierungsbeamten892 sicher, Art. 68 Abs. 3 lit. j) Frontex-VO. c) Europäische Grenz- und Küstenwacheteams Als europäische Grenz- und Küstenwacheteams werden die für gemeinsame Aktionen, für Soforteinsätze zu Grenzsicherungszwecken und für die Unterstützung der Migrationsverwaltung eingesetzten Teams bezeichnet, Art. 2 Nr. 4 Frontex-VO.893 Entgegen dem Wortlaut, der eigene, der EU angehörende Grenzschutzbeamte vermuten lässt, bestehen die europäischen Grenzschutzteams überwiegend aus von den Mitgliedstaaten bereitzustellenden nationalen Grenzschützern. Das Fehlen eigener europäischer Grenzschutzbeamten offenbart die Notwendigkeit der Grenzschutzagentur, im Rahmen eines koordinierenden Prozesses Grenzschutzbeamte aus den Mitgliedsaaten zu rekrutieren. Dafür beschließt der Verwaltungsrat auf Vorschlag des Exekutivdirektors die Anforderungsprofile und die Zahl der ins­ gesamt für die europäischen Grenzschutzteams bereitzustellenden Grenzschutz­ beamten, Art. 20 Abs. 2 S. 1 Frontex-VO. Entsprechend dieser Vorgaben benennen die Mitgliedstaaten nationale Grenzschutzbeamte, die somit für die Bildung der europäischen Grenz- und Küstenwacheteams einen Pool aus nationalen Grenzschutzbeamten bilden, Art. 20  Abs. 2  S. 3  Frontex-VO. Aus diesem Pool wählt Frontex im Falle eines operativen Einsatzes die entsprechend benötigten Beamten aus und stellt die europäischen Grenz- und Küstenwacheteams zusammen.894 Daneben leistet auch die Agentur Frontex einen Beitrag zu den europäischen Grenzschutzteams, indem sie sogenannte qualifizierte Grenzschutzbeamte zur Verfügung stellt. Diese stammen jedoch ebenfalls aus den Mitgliedstaaten und werden für einen gewissen Zeitraum an Frontex abgeordnet, vgl. Art. 20 Abs. 11 Frontex-VO. Die europäischen Grenz- und Küstenwacheteams bestehen folglich aus multinationalen Grenzschutzbeamten verschiedener Mitgliedstaaten. Letztere werden gemäß Art. 2 Nr. 6 Frontex-VO als Herkunftsmitgliedstaaten bezeichnet.

892

Zum Koordinierungsbeamten s. unter B. III. 4. e), S. 228. Die anfängliche Unterscheidung zwischen gemeinsamen Unterstützungsteams und Soforteinsatzteams wurde bereits in der vorhergehenden Frontex-VO zugunsten einer einheitlichen Bezeichnung als europäische Grenzschutzteams aufgegeben, vgl. dazu Lehnert, Frontex und operative Maßnahmen, S. 88 f. 894 Bezüglich des Pools der nationalen Grenzschutzbeamten ist zwischen dem normalen Einsatzpool und einem speziellen Soforteinsatzpool zu unterscheiden. Auf letzteren greift die Agentur ausschließlich bei Soforteinsätzen zur schnellen Bereitstellung der Grenzschutz­ beamten zurück, Art. 20 Abs. 4–7 Frontex-VO. 893

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Die von Frontex zusammengestellten Grenz- und Küstenwacheteams werden im Rahmen der operativen Einsätze einem Einsatzmitgliedstaat zur Verfügung gestellt. Als Einsatzmitgliedstaat wird gemäß Art. 2 Nr. 5 Frontex-VO der Mitgliedstaat bezeichnet, in dessen Hoheitsgebiet ein operativer Einsatz stattfindet. d) Qualifizierte Grenzschutzbeamte Frontex verfügt des Weiteren über sogenannte qualifizierte Grenzschutzbeamte, die im Bedarfsfall den europäischen Grenz- und Küstenwacheteams hinzugefügt werden. Dies sind nationale Experten, die für 12 Monate oder länger, mindestens aber für die Dauer von drei Monaten, an Frontex abgeordnet werden, vgl. Art. 20 Abs. 11 Frontex-VO. Die Abordnung ist die vorübergehende Übertragung einer dem Amt des Beamten entsprechenden Tätigkeit bei einem anderen Dienstherrn unter Beibehaltung der Zugehörigkeit zur bisherigen Dienststelle, vgl. § 27 Abs. 1 BBG.895 e) Koordinierungsbeamter Die Aufgaben und Befugnisse des Koordinierungsbeamten sind in Art. 22 Frontex-VO geregelt. Ein Koordinierungsbeamter wird vom Exekutivdirektor aus dem Personal der Agentur für jeden operativen Einsatz benannt.896 Der Koordinierungsbeamte handelt immer im Namen der Agentur.897 Er hat die Aufgabe, sowohl als Schnittstelle zwischen der Agentur und dem Einsatzmitgliedstaat, als auch als Schnittstelle zwischen der Agentur und den Teammitgliedern zu fungieren und dabei letztere im Auftrag der Agentur in allen Fragen, die mit den Einsatzbedingungen der Teams zusammenhängen, zu unterstützen.898 Darüber hinaus hat er die korrekte Durchführung des Einsatzplanes zu überwachen899 sowie der Agentur über alle Aspekte der Teameinsätze zu berichten.900 Über den Koordinierungsbeamten teilt die Agentur dem Einsatzmitgliedstaat ihren Standpunkt mit, den dieser bei seinen künftigen Anweisungen an die Grenzschutzteams berücksichtigen muss.901 Die Existenz eines Koordinierungsbeamten unterstreicht die sich bereits aus den Strukturen des Verwaltungsrates und der Zusammenstellung der Grenz- und Küstenwacheteams ergebende koordinierende Rolle der Grenzschutzagentur Frontex. 895

Vgl. dazu etwa Battis, in: Battis, BBG, § 27 Rn. 5. Art. 22 Abs. 2 Frontex-VO. 897 Art. 22 Abs. 3 S. 1 Frontex-VO. 898 Art. 22 Abs. 2 lit. a) Frontex-VO. 899 Art. 22 Abs. 3 lit. b) Frontex-VO. 900 Art. 22 Abs. 3 lit. c) Frontex-VO. 901 Art. 21 Abs. 2 Frontex-VO. 896

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

229

f) Konsultationsforum Das Konsultationsforum ist eine neu eingerichtete Institution, welche nach Art. 70 Abs. 1 Frontex-VO den Exekutivdirektor und den Verwaltungsrat in Grundrechtsfragen unterstützend berät. Dazu hat es ein in Art. 70 Abs. 3 Frontex-VO geregeltes Anhörungsrecht, welches sich insbesondere auf die Weiterentwicklung und Durchführung der von der Agentur nach Art. 34 Abs. 1 Frontex-VO zu erarbeitenden Grundrechtsstrategie bezieht. Für seine Tätigkeit ist dem Konsultationsforum nach Art. 70 Abs. 5 Frontex-VO effektiver Zugang zu allen grundrechtsrelevanten Informationen zu gewähren. g) Grundrechtsbeauftragter Der Grundrechtsbeauftragte wird vom Verwaltungsrat benannt und hat die Aufgabe, zur Grundrechtsstrategie der Agentur beizutragen, die Einhaltung der Grundrechte durch die Agentur zu überwachen und die Achtung der Grundrechte durch die Agentur zu fördern.902 Aufgrund des eindeutigen Wortlautes von Art. 71 Abs. 1 Frontex-VO erfasst die Überwachungs- und Förderungsaufgabe des Grundrechtsbeauftragten ausschließlich die Tätigkeit der Agentur selbst, nicht jedoch die mitgliedstaatliche Tätigkeit. Aufgrund des koordinierenden Charakters der Agentur903 hat der Grundrechtsbeauftragte im Rahmen seiner grundrechtlichen Überwachungs- und Förderungsaufgabe jedoch die Handlungen der Mitgliedstaaten im Blick zu behalten, um daraus Rückschlüsse für die Koordinierung durch Frontex zu ziehen. Bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben ist der Grundrechtsbeauftragte unabhängig und arbeitet mit dem Konsultationsforum zusammen.904 Er hat bei der Erstellung der Einsatzpläne ein Anhörungsrecht und erhält Zugang zu allen grundrechtsrelevanten Informationen.905 h) Verbindungsbeamte in den Mitgliedstaaten Mit dem expliziten Einbezug der Mitgliedstaaten in die europäische Grenzund Küstenwache soll die Zusammenarbeit der Agentur mit den Mitgliedstaaten verbessert werden. Dazu ernennt die Agentur einen Verbindungsbeamten, der für bis zu vier sich geographisch nahestehende Mitgliedstaaten zuständig ist.906 Der Verbindungsbeamte fungiert dabei unter anderem als Schnittstelle zwischen der 902

Art. 71 Abs. 1 Frontex-VO. S. dazu unten, B. III. 5. d) aa), S. 239 f. 904 Art. 71 Abs. 2 Frontex-VO. 905 Art. 71 Abs. 3 Frontex-VO. 906 Art. 12 Abs. 1 UAbs. 2 Frontex-VO. 903

230

2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Agentur und den zuständigen nationalen Behörden,907 erleichtert die Kommunikation zwischen den Mitgliedstaaten und der Agentur908 und berichtet dem Exekutivdirektor über die Lage an den Außengrenzen des betreffenden Mitgliedstaates.909 Der Verbindungsbeamte kann folglich mit dem Koordinierungsbeamten bei operativen Einsätzen verglichen werden. Während der Koordinierungsbeamte speziell bei operativen Einsätzen die Schnittstelle zwischen den Mitgliedstaaten und der Agentur bildet, ist der Verbindungsbeamte eine dauerhafte Schnittstelle. Über ihre Verbindungsbeamten erhält die Agentur ein Gesamtbild der Situation an den Außengrenzen aller Mitgliedstaaten.910 i) Zwischenergebnis Die Organisationsstruktur von Frontex deutet darauf hin, dass sich hinter der entsprechend den Zielen und Aufgaben vermeintlich einheitlich auftretenden Grenzschutzagentur Frontex ein komplexes Zusammenspiel der Mitgliedstaaten mit der unionsrechtlichen Ebene verbirgt. Dabei offenbart sich bereits durch die Struktur im Verwaltungsrat, die Zusammenstellung der Grenz- und Küsten­wacheteams und die Existenz des Koordinierungsbeamten eine bloß koordinierende Rolle der Grenzschutzagentur, die dabei durch weitere Organisationseinheiten wie dem Konsultationsforum und dem Grundrechtsbeauftragten unterstützt wird. Das Zusammenspiel zwischen den Mitgliedstaaten und der EU bei operativen Frontex-Einsätzen und die dabei koordinierende Rolle der EU bedarf im Hinblick auf die Grundrechtsbindung und den Strukturvergleich mit der GASP einer genaueren Analyse. 5. Der operative Einsatz Als operativer Einsatz wird der Einsatz der europäischen Grenz- und Küstenwacheteams bezeichnet. Ein solcher Einsatz ist nach Art. 20 Abs. 1 S. 1 Frontex-VO zum Ersten im Rahmen einer gemeinsamen Aktion,911 zum Zweiten durch Soforteinsätze zu Grenzsicherungszwecken,912 sowie zum Dritten im Rahmen von Teams zur Unterstützung der Migrationsverwaltung möglich.913

907

Art. 12 Abs. 3 lit. a) Frontex-VO. Art. 12 Abs. 3 lit. g) Frontex-VO. 909 Art. 12 Abs. 3 lit. h) Frontex-VO. 910 Vgl. Art. 12 Abs. 1 UAbs. 1 Frontex-VO. 911 Vgl. Art. 16 Frontex-VO. 912 Vgl. Art. 17 Frontex-VO. 913 Vgl. Art. 18 Frontex-VO. 908

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

231

Für eine Untersuchung der operativen Einsätze im Hinblick auf die Grundrechtsbindung und den Strukturvergleich mit der GASP ist zunächst das Einsatzgebiet zu definieren. Im Anschluss daran sind die Einsatzformen darzustellen und deren einheitliche Struktur herauszuarbeiten. Daraus ergibt sich eine koordinierende zweistufige Struktur der operativen Einsätze. Abschließend ist auf die Besonderheiten der Einsätze an den Seeaußengrenzen sowie in Drittstaaten einzugehen. a) Einsatzgebiet Die operativen Maßnahmen haben entsprechend dem außengrenzschützenden Ziel von Frontex und ihrer Stellung im dritten Abschnitt des zweiten Kapitels der Frontex-VO den Schutz der Außengrenzen zum Gegenstand. Die operativen Einsätze finden somit an den Außengrenzen statt. Fraglich ist, wie die Außengrenzen definiert sind und welche Arten der Außengrenzen sich dabei unterscheiden lassen. aa) Außengrenzen Art. 2 Nr. 1 Frontex-VO verweist für die Definition der Außengrenzen auf Art. 2 Nr. 2 SGK. Außengrenzen sind demnach die Landgrenzen der Mitgliedstaaten, einschließlich der Fluss- und Binnenseegrenzen, der Seegrenzen und der Flughäfen sowie der Flussschiffahrts-, See- und Binnenseehäfen, soweit sie nicht Binnengrenzen sind. Die Außengrenzen sind damit in Abgrenzung zu den Binnengrenzen definiert. Binnengrenzen sind nach Art. 2 Nr. 1 SGK die gemeinsamen Landgrenzen der Mitgliedstaaten, einschließlich der Fluss- und Binnenseegrenzen, die Flughäfen der Mitgliedstaaten für Binnenflüge, sowie die See-, Flussschifffahrts- und Binnenseehäfen der Mitgliedstaaten für regelmäßige interne Fährverbindungen. Außengrenzen sind mithin – vereinfacht ausgedrückt – alle Grenzen zwischen Schengen-Mitgliedstaaten und Schengen-Nichtmitgliedstaaten.914

914 Dabei ist zu beachten, dass nicht alle Schengen-Staaten gleichzeitig EU-Mitgliedstaaten und nicht alle EU-Mitgliedstaaten gleichzeitig Schengen-Staaten sind. Im Einzelnen können innerhalb des Schengen-Raumes unterschieden werden: Mitgliedstaaten der EU als Schengen-Vollanwenderstaaten (Belgien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn); EU-Mitgliedstaaten als Schengen-Anwenderstaaten mit Sonderstatus (Irland, Vereinigtes Königreich); EU-Mitgliedstaaten als Schengen-Nichtanwenderstaaten (Bulgarien, Rumänien, Zypern, Kroatien) und Nicht-Mitglieder der EU, die jedoch Schengen-Vollanwenderstaaten sind (Island, Norwegen, Schweiz, Liechtenstein); vgl. dazu Mrozek, Grenzschutz als Supranationale Aufgabe, S. 206. Zur Beteiligung von Nicht-EU-Staaten an Frontex-Einsätzen und deren Auswirkungen auf die Grundrechtsbindung, s. unten, E. III. 1. e), S. 268 ff.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

bb) Arten der Außengrenzen Als Außengrenzen sind entsprechend der soeben genannten Definition sowohl die Land-, als auch die See- und Luftaußengrenzen zu verstehen. Im Hinblick auf die eingangs geschilderte Operation Triton bzw. Themis915 sind insbesondere die Seeaußengrenzen von Bedeutung.916 Die diesbezüglichen operativen Maßnahmen können nicht nur im Küstenmeer und damit im Hoheitsgebiet des jeweiligen Einsatzmitgliedstaates,917 sondern auch in hoheitsfreien Zonen wie der Anschluss­zone918 und der Hohen See919 sowie im Hoheitsgebiet von Drittstaaten920 stattfinden.921 b) Einsatzformen aa) Die gemeinsame Aktion Die gemeinsame Aktion ist der Normalfall eines operativen Vorgehens. Dabei arbeiten mehrere Mitgliedstaaten unter Mitwirkung von Frontex zeitweise zusammen, um den Grenzschutz in einem gewissen Bereich zu verstärken.922 Ausgangspunkt ist das Ersuchen eines Mitgliedstaates um die Einleitung einer gemeinsamen Aktion nach Art. 15  Abs. 1  Frontex-VO. Daraufhin bestimmt der Exekutivdirektor auf Basis einer Risikoanalyse und Schwachstellenbeurteilung, ob eine gemeinsame Aktion erfolgen soll, Art. 15 Abs. 3, Abs. 4 Frontex-VO. Bejahendenfalls wird ein Operationsplan entwickelt, auf dessen Basis die Aktion durchgeführt wird, Art. 16 Frontex-VO. Für die Durchführung der Aktion wählt Frontex aus dem von den Mitgliedstaaten benannten Pool nationaler Grenzschützer die geeigneten aus, vgl. Art. 20 Frontex-VO. Diese werden sodann dem Einsatz 915

S. oben, 1. Kapitel, B. II., S. 44 f. Vgl. dazu auch die spezielle VO (EU) Nr. 656/2014 vom 15. Mai 2014 zur Festlegung von Regelungen für die Überwachung der Seeaußengrenzen im Rahmen der von der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union koordinierten operativen Zusammenarbeit, ABl. Nr. L 189 v. 27.06.2014, S. 93 ff., im Folgenden als Seeaußengrenzen-VO bezeichnet. 917 Das Küstenmeer ist 12 Seemeilen breit und gehört zum Hoheitsgebiet des betreffenden Staates, vgl. Art. 2, 3 SRÜ; zum Küstenmeer s. auch v. Heinegg, Küstenmeer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 40. 918 Art.  33 SRÜ (Anschlusszone); zur Anschlusszone s. auch v. Heinegg, Anschlusszone, in: Ipsen, Völkerrecht, § 43. Trotz hoheitsfreier Zone werden dem Küstenstaat in seiner Anschlusszone nach Art. 33 SRÜ gewisse Kontrollbefugnisse zugestanden. 919 Art. 86 ff. SRÜ (Hohe See); zur Hohen See s. auch v. Heinegg, Hohe See und Tiefsee­ boden („Gebiet“), in: Ipsen, Völkerrecht, § 45. 920 Bei Einsätzen im Hoheitsgebiet von Drittstaaten ist jedoch ein bilaterales Abkommen des Einsatzmitgliedstaates oder der EU mit dem Drittstaat über die Ausübung von Hoheitsgewalt auf dem Gebiet des Drittstaates notwendig, vgl. Lehnert, Frontex und operative Maßnahmen, S. 122; vgl. nun auch Art. 54 Abs. 4 Frontex-VO. 921 Zu den diesbezüglichen Besonderheiten s. unter B. III. 5. e) und f), S. 244 ff. bzw. S. 249. 922 Seehase, Die Grenzschutzagentur Frontex, S. 188 f. 916

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

233

mitgliedstaat zur Verfügung gestellt, der den europäischen Grenzschutzteams auf Basis des Einsatzplanes Weisungen erteilt, Art. 21 Abs. 1 Frontex-VO. bb) Soforteinsatz zu Grenzsicherungszwecken Der Mechanismus zur Bildung von Soforteinsatzteams zu Grenzsicherungszwecken923 wurde bereits im Jahre 2007 eingeführt.924 Ein solcher Soforteinsatz ist auch nach der neuen Frontex-VO möglich. So kann nach Art. 15 Abs. 2 Frontex-VO ein Mitgliedstaat in einer besonderen Notsituation ein Grenz- und Küstenwacheteam zur zeitlich befristeten operativen Unterstützung bei Frontex anfordern. Ein solcher Notfall ist insbesondere gegeben, wenn der Mitgliedstaat durch den Zustrom einer großen Anzahl von Drittstaatsangehörigen, die versuchen, unbefugt in sein Hoheitsgebiet einzureisen, an bestimmten Stellen der Außengrenzen besonderen und unverhältnismäßigen Herausforderungen ausgesetzt ist, Art. 15 Abs. 2 Frontex-VO. Zur Bildung der Grenz- und Küstenwacheteams für solche Soforteinsätze stellen die Mitgliedstaaten einen Soforteinsatzpool aus Grenzschutzbeamten zur Verfügung.925 Wird ein Soforteinsatz von einem Mitgliedstaat beantragt und der Einsatz auf Basis einer Risikoanalyse und Schwachstellenbeurteilung durch den Exekutivdirektor nach Art. 17 Abs. 3, Abs. 4 Frontex-VO genehmigt, stellt Frontex das Soforteinsatzteam aus diesem Soforteinsatzpool zusammen, Art. 17 Abs. 5 Frontex-VO. Dieses von Frontex zusammengestellte, aus verschiedenen nationalen Grenzschutzbeamten bestehende Team wird sodann dem anfordernden Mitgliedstaat auf Basis eines mit ihm vereinbarten Einsatzplanes zur Verfügung gestellt.926 cc) Teams zur Unterstützung der Migrationsverwaltung Nach Art. 18  Abs. 1  Frontex-VO kann ein Mitgliedstaat, der an bestimmten Brennpunkten seiner Außengrenzen927 infolge eines starken Zustroms von Migran­ 923

Sogenannte Rapid Border Intervention Teams (RABIT). VO (EG) Nr. 863/2007 vom 11. Juli 2007, ABl. Nr. L 199 v. 31.7.2007, S. 30 ff.; s. dazu auch bereits oben unter B. II. 2. m), S. 215 mit Fn. 822. 925 Art. 20 Abs. 4–7 Frontex-VO. Die Schaffung eines aus 1.500 Grenzschutzbeamten bestehenden Soforteinsatzpools ist eine der wesentlichen Neuerungen der VO. Zur Errichtung des Soforteinsatzpools haben die Mitgliedstaaten Zusagen für die Bereitstellung von Grenzschutzbeamten erteilt. Der Umfang dieser Beiträge ist im Anhang I der VO aufgeführt. Danach trägt Deutschland bspw. mit 225 Grenzschutzbeamten zur Bildung des Soforteinsatzpools bei. Bei dem Soforteinsatzpool handelt es sich gemäß Art. 20 Abs. 5 Frontex-VO um eine ständige Reserve, die der Agentur umgehend zur Verfügung gestellt wird und aus jedem Mitgliedstaat innerhalb von fünf Arbeitstagen nach Vereinbarung des Einsatzplanes entsandt werden kann. 926 Art. 17 Abs. 6 Frontex-VO. 927 Unter einem solchen Brennpunkt (hotspot area) ist ein Gebiet zu verstehen, in dem der Einsatzmitgliedstaat, die Kommission, die einschlägigen Agenturen der Union und die teilnehmenden Mitgliedstaaten mit dem Ziel der Bewältigung eines bestehenden oder potentiellen 924

234

2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

ten und Flüchtlingen einem unverhältnismäßigen Migrationsdruck ausgesetzt ist, um technische und operative Verstärkung durch Teams zur Unterstützung der Migrationsverwaltung nachsuchen. Solche Teams sind eine spezielle Form der europäischen Grenz- und Küstenwacheteams und bestehen gemäß Art. 2 Nr. 9 Frontex-VO aus Sachverständigen der jeweiligen Mitgliedstaaten. Gestattet der Exekutivdirektor den entsprechenden Einsatz, wird aus den Grenzschutzbeamten der Mitgliedstaaten ein Team zur Unterstützung der Migrationsverwaltung bereitgestellt und ein Einsatzplan928 erarbeitet. Dieses dem Einsatzmitgliedstaat auf Basis des Einsatzplans zur Verfügung gestellte Team unterstützt den Einsatzmitgliedstaat beispielsweise bei Personenüberprüfungen, einschließlich Identitätsfeststellung, Registrierung und Befragung sowie im Bereich der Rückkehr, einschließlich Rückkehraktionen, vgl. Art. 18 Abs. 4 Frontex-VO.929 c) Einheitliche Struktur der operativen Einsätze Unter Zugrundelegung der dargestellten operativen Einsatzformen offenbart sich eine einheitliche Struktur operativer Frontex-Einsätze, die eine einheitliche Bewertung rechtfertigt. Dabei lassen sich grob drei Phasen unterscheiden. Zunächst muss es eine Initiative für einen Einsatz geben. Wird darüber positiv entschieden, wird ein Einsatzplan erstellt. Auf dessen Basis wird der Einsatz sodann operativ ausgeführt. aa) Initiativrecht Bevor es zu einem Einsatz der europäischen Grenz- und Küstenwacheteams kommt, ist eine Initiative für einen entsprechenden Einsatz notwendig.

unverhältnismäßigen Migrationsdrucks, der durch einen erheblichen Anstieg der Zahl der an den Außengrenzen ankommenden Migranten gekennzeichnet ist, zusammenarbeiten, Art. 2 Nr. 10 Frontex-VO. 928 Der Einsatzplan wird bei den Teams zur Unterstützung der Migrationsverwaltung nicht ausdrücklich erwähnt. Das Bestehen eines Einsatzplanes ergibt sich aber mittelbar aus Art. 20 Abs. 1 und 21 Abs. 1 Frontex-VO, wonach auch die Teams zur Unterstützung der Migrationsverwaltung zu den europäischen Grenz- und Küstenwacheteams gehören (Art. 2 Nr. 4, 20 Abs. 1 Frontex-VO) und diese nach Art. 21 Abs. 1 Frontex-VO entsprechend dem Einsatzplan ihre Anweisungen vom Einsatzmitgliedstaat erhalten. Indirekt wird der Einsatzplan auch in Art. 18 Abs. 2 Frontex-VO erwähnt, wonach ein Maßnahmenpaket festgelegt wird, dem der Einsatzmitgliedstaat zustimmen muss. Dieses mit dem Einsatzmitgliedstaat vereinbarte Maßnahmenpaket ist ein mit dem Einsatzplan vergleichbarer Plan. 929 Rückkehraktionen beziehen sich gemäß Art. 2 Nr. 11 Frontex-VO auf die Rückführung sich illegal aufhaltender Drittstaatsangehöriger nach der RL 2008/115/EG vom 16.12.2008, ABl. Nr. L 348 v. 24.12.2008, S. 98 ff. und bleiben im Rahmen dieser Untersuchung ausgeklammert.

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

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(1) Initiativrecht der Mitgliedstaaten Das Initiativrecht liegt gemäß Art. 15  Abs.  1, Abs. 2, 18  Abs. 1  Frontex-VO bei dem potentiellen Einsatzmitgliedstaat. Eine solche Initiative basiert dabei häufig auf einer von Frontex im Vorfeld durchgeführten Risikoanalyse.930 Nach Prüfung der Initiative entscheidet der Exekutivdirektor nach Art. 15  Abs.  3, 18 Abs. 2 ­Frontex-VO über ihre Billigung.931 Die Einleitung eines operativen Einsatzes setzt somit nach der Initiative der Mitgliedstaaten die Zustimmung des Exekutivdirektors voraus. (2) Initiativrecht des Exekutivdirektors Nach Art. 15 Abs. 4 Frontex-VO kann auch der Exekutivdirektor auf Basis einer Schwachstellenbeurteilung und einer Risikoanalyse dem betroffenen Mitgliedstaat die Einleitung und Durchführung gemeinsamer Aktionen oder Soforteinsätze zu Grenzsicherungszwecken empfehlen. Art. 15 Abs. 4 Frontex-VO ist im systematischen Zusammenhang mit Art. 15 Abs. 1 und 2 Frontex-VO zu sehen, wonach die Einleitung einer gemeinsamen Aktion oder eines Soforteinsatzes das Ersuchen des betreffenden Mitgliedstaates voraussetzt. Folglich hat der Exekutivdirektor über Art. 15 Abs. 4 Frontex-VO kein eigenständiges, von den Mitgliedstaaten losgelöstes Initiativrecht. Vielmehr kann er den Mitgliedstaaten nur die Ausübung ihres Initiativrechts und damit ein Ersuchen um ein operatives Vorgehen empfehlen. Seine Initiative ist gewissermaßen die vorweggenommene Zustimmung zu einem operativen Einsatz, der auf Ersuchen eines Mitgliedstaates stattfindet. Mithin kann der Exekutivdirektor einen operativen Einsatz nur mit der Zustimmung des jeweiligen Einsatzmitgliedstaates initiieren, wodurch sich eine Rückanbindung der Grenzschutzagentur an den jeweiligen Einsatzmitgliedstaat sowie eine fehlende Durchgriffswirkung auf diesen offenbart, was den bloß koordinierenden Charakter der Agentur unterstreicht.932

930

Lehnert, Frontex und operative Maßnahmen, S. 104. Spätestens nach der Initiative und vor der konkreten operativen Ausführung hat gemäß Art. 15 Abs. 3 S. 2 Frontex-VO eine entsprechende Risikoanalyse zu erfolgen. Zur Risikoanalyse vgl. auch Art. 11 Frontex-VO. 931 Lehnert, Frontex und operative Maßnahmen, S. 105. 932 Vgl. dazu auch Art. 62 Abs. 3 Frontex-VO, wonach zur Annahme von Vorschlägen des Verwaltungsrates für Beschlüsse über spezielle Maßnahmen der Agentur, die an den Außengrenzen eines bestimmten Mitgliedstaates oder in deren unmittelbarer Nähe durchgeführt werden sollen, die Zustimmung des Mitglieds, das diesen Mitgliedstaat im Verwaltungsrat vertritt, erforderlich ist.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

(3) Situationen an den Außengrenzen, in denen dringendes Handeln geboten ist An den Außengrenzen können Situationen auftreten, in denen ein dringendes Handeln geboten ist, der betreffende Mitgliedstaat aber selbst nicht handelt und auch nicht die Agentur um die Einleitung eines operativen Einsatzes ersucht. Für diese besondere Situation sieht Art. 19 Frontex-VO einen Mechanismus vor, der ein Handeln an den Außengrenzen im Rahmen von Frontex gleichwohl ermöglichen soll.933 Dafür muss zunächst nach Art. 19  Abs. 1  Frontex-VO die Wirksamkeit der Kontrollen an den Außengrenzen so weit reduziert sein, dass das Funktionieren des Schengen-Raumes gefährdet ist. Dies ist einerseits nach Art. 19 Abs. 1 lit. a) ­Frontex-VO der Fall, wenn ein Mitgliedstaat nicht der Aufforderung zur Beseitigung seiner im Rahmen der Schwachstellenbeurteilung entdeckten Defizite nach Art. 13 Abs. 8 Frontex-VO nachkommt. Andererseits ist dies nach Art. 19 Abs. 1 lit. b) Frontex-VO der Fall, wenn ein Mitgliedstaat besonderen und unverhältnismäßigen Herausforderungen an den Außengrenzen ausgesetzt ist und entweder keine ausreichende Unterstützung von der Agentur angefordert hat oder nicht die zur Durchführung der dabei erforderlichen Schritte vornimmt. In einer solchen Situation kann der Rat nach Art. 19 Abs. 1 Frontex-VO auf Grundlage eines Vorschlags der Kommission, die ihrerseits die Agentur konsultiert, einen Beschluss erlassen, mit dem die Agentur zu entsprechenden Maßnahmen und der Mitgliedstaat zur Zusammenarbeit mit der Agentur bei der Durchführung dieser Maßnahmen aufgefordert wird. Solche Maßnahmen können nach Art. 19  Abs. 3  Frontex-VO beispielsweise die Organisation und Koordinierung von Soforteinsätzen zu Grenzsicherungszwecken und die Entsendung von europäischen Grenz- und Küstenwacheteams sein. Mittels eines Ratsbeschlusses scheint somit ein operativer Einsatz auch gegen den Willen des Einsatzmitgliedstaates möglich zu sein. Allerdings müssen sich der Exekutivdirektor und der betreffende Mitgliedstaat nach Art. 19 Abs. 5 Frontex-VO auf einen Einsatzplan als Grundlage für den Einsatz einigen. Scheitert die Einigung, kann in dem betreffenden Mitgliedstaat auch kein Einsatz stattfinden. Zwar muss der Mitgliedstaat nach Art. 19 Abs. 8 Frontex-VO dem Beschluss des Rates nachkommen und dazu die Zusammenarbeit mit der Agentur aufnehmen. Tut er dies nicht, können der Einsatz und andere Maßnahmen gleichwohl nicht gegen seinen Willen durchgeführt werden. Vielmehr kann „nur“ gemäß Art. 19 Abs. 10 Frontex-VO das Verfahren nach Art. 29 SGK eingeleitet werden. Als Folge dieses Verfahrens dürfen die übrigen Mitgliedstaaten vorübergehend oder als letztes Mittel auch längerfristig Grenzkontrollen an ihren Binnengrenzen einführen, Art. 29 Abs. 1, 2 SGK. Kommt ein Mitgliedstaat mit EU-Außengrenzen mithin der effektiven Sicherung seiner Außengrenzen nicht nach, hat dies als ultima ratio die Schließung der Binnengrenzen zur Folge, sodass 933

Schröder / ​Gerdes, ZRP 2016, 238, 239 f. sprechen von einem „Interventionsrecht“.

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

237

der Grenzschutz wieder durch jeden einzelnen Mitgliedstaat an den Binnengrenzen und nicht mehr gemeinsam an den EU-Außengrenzen ausgeübt wird. Dieses Verfahren zeigt, dass ein operativer Einsatz letztlich nicht gegen den Willen eines Einsatzmitgliedstaates stattfinden kann.934 Mit Art. 19 Frontex-VO besteht zwar ein Mechanismus, mit dem ein Mitgliedstaat nachdrücklich auf das Erfordernis eines entsprechenden Einsatzes hingewiesen werden kann. In letzter Konsequenz kann ein solcher Einsatz aber nicht gegen seinen Willen durchgeführt werden.935 Die Grenzschutzagentur ist somit selbst in Situationen an den Außengrenzen, in denen dringendes Handeln geboten ist, auf eine bloß mittelbar-koordinierende Einflussnahme ohne unmittelbare Durchgriffswirkung auf den Einsatzmitgliedstaat beschränkt. bb) Einsatzplan Nach Billigung der Initiative wird durch den Exekutivdirektor in Absprache mit dem Einsatzmitgliedstaat und den anderen beteiligten Mitgliedstaaten ein Einsatzplan für die Durchführung erstellt, Art. 16 Abs. 2 S. 2, 17 Abs. 6 Frontex-VO. Inhalt dieses Einsatzplanes sind unter anderem das Operationsziel, die voraussichtliche Dauer des Einsatzes, das geographische Zuständigkeitsgebiet, eine Beschreibung der Aufgaben, die Zusammensetzung der Teams, die Befehlskette, sowie die technische Ausrüstung, vgl. Art. 16 Abs. 3 Frontex-VO (bei Soforteinsätzen i. V. m. Art. 17 Abs. 6 Frontex-VO). Eine spätere Änderung des Einsatzplanes durch den Exekutivdirektor ist nur mit dem Einverständnis des Einsatzmitgliedstaates und nach Konsultation der teilnehmenden Mitgliedstaaten möglich, Art. 16 Abs. 4 Frontex-VO. Da der Einsatzplan Grundlage für die spätere Ausführung des operativen Einsatzes ist, stellt sich die Frage nach dessen Rechtsnatur. Der Einsatzplan wird vom Exekutivdirektor und dem Einsatzmitgliedstaat in Absprache mit den teilnehmenden Mitgliedstaaten vereinbart. Folglich ist die Annahme eines Vertrages zwischen den beteiligten Parteien naheliegend. Ein rechtlich bindender Vertrag ist von einer bloßen unverbindlichen Absprache über den Rechtsbindungswillen abzugrenzen.936 Angesichts der Wichtigkeit der im Einsatzplan festgelegten Aspekte ist von einem Rechtsbindungswillen auszugehen.937 In 934

Schröder / ​Gerdes, ZRP 2016, 238, 240. Vgl. zum Ganzen auch Schröder / ​Gerdes, ZRP 2016, 238, 239 f. 936 Der Rechtsbindungswille ist ein allen rechtlichen Verträgen zugrundeliegender Grundsatz; für völkerrechtliche Verträge vgl. etwa v. Heinegg, Begriff, Bezeichnung, Arten und Abgrenzung, in: Ipsen, Völkerrecht, § 12 Rn. 3; für verwaltungsrechtliche Verträge vgl. etwa Bonk / ​Neumann / ​Siegel, in: Stelkens / ​Bonk / ​Sachs, VwVfG, § 54 Rn. 19; für zivilrechtliche Verträge vgl. etwa Busche, in: MünchKommBGB, § 145 Rn. 7. 937 Lehnert, Frontex und operative Maßnahmen, S. 306 f. 935

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

haltlich wird die Ausgestaltung des operativen Einsatzes geregelt. Der Einsatzplan kann somit als rechtlich bindender unionsrechtlicher Verwaltungsvertrag zwischen Frontex und den beteiligten Mitgliedstaaten qualifiziert werden.938 cc) Ausführung des Einsatzes Auf Basis des Einsatzplanes kommen sodann die europäischen Grenz- und Küstenwacheteams zum Einsatz. (1) Zusammenstellung der Grenz- und Küstenwacheteams Die Grenzschutzteams setzen sich aus Grenzschutzbeamten der Mitgliedstaaten zusammen, die für den jeweiligen Einsatz von Frontex aus einem von den Mitgliedstaaten benannten Pool nationaler Grenzschützer ausgewählt werden.939 Frontex kann den Grenzschutzteams qualifizierte Grenzschutzbeamte hinzufügen. Dies sind Experten aus den Mitgliedstaaten, die für eine gewisse Dauer an Frontex abgeordnet werden, vgl. Art. 20 Abs. 11 Frontex-VO.940 Zur Unterstützung des operativen Einsatzes kann Frontex zudem sowohl eigene technische Ausrüstung bereitstellen als auch die von Mitgliedstaaten bereitgestellte Ausrüstung vermitteln, Art. 15 Abs. 4 S. 2, Art. 38 f. Frontex-VO. (2) Einsatz der Grenz- und Küstenwacheteams im Einsatzmitgliedstaat Die europäischen Grenz- und Küstenwacheteams werden sodann dem jeweiligen Einsatzmitgliedstaat zur Verfügung gestellt. Dabei erteilt der Einsatzmitgliedstaat den europäischen Grenzschutzteams auf Basis des Einsatzplanes die entsprechenden Anweisungen für den Einsatz, Art. 21  Abs. 1  Frontex-VO. Auf diese kann Frontex nur durch den Koordinierungsbeamten Einfluss nehmen, indem dieser dem Einsatzmitgliedstaat den Standpunkt der Agentur zu einer Anweisung übermittelt. Diesem Standpunkt hat der Einsatzmitgliedstaat so weit wie möglich nachzukommen, Art. 21 Abs. 2 Frontex-VO. Fraglich ist, welche Rechtsnatur dieser für die mitgliedstaatliche Anweisung zu berücksichtigende Standpunkt der Agentur hat. Da das Weisungsrecht nach Art. 21  Abs. 1  Frontex-VO ausschließlich dem Einsatzmitgliedstaat zusteht,941 scheidet eine Qualifikation als formelles Weisungsrecht aus. Aufgrund des zwar 938 Lehnert, Frontex und operative Maßnahmen, S. 306 ff. und allgemein zum Einsatzplan S. 105 ff. 939 Bei Soforteinsätzen ist dies der Soforteinsatzpool. 940 S. dazu auch oben unter B. III. 4. d), S. 228. 941 Lehnert, Frontex und operative Maßnahmen, S. 394.

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formell fehlenden Weisungsrechts, aber der gleichzeitigen Verpflichtung zur Berücksichtigung des Standpunktes, kann allerdings von einem „weichen Weisungs­ recht“ gesprochen werden.942 Kennzeichnend dafür ist, dass zwar gegenüber Frontex eine Pflicht des Einsatzmitgliedstaates zur Berücksichtigung des Standpunktes besteht, diese Pflicht aber nicht unmittelbar auf die tatsächlich abgegebene Weisung durchschlägt. Hinzu kommt, dass nur von einer Berücksichtigung des Standpunktes „soweit wie möglich“ die Rede ist. Dies verlangt, dass sich der Einsatzmitgliedstaat mit dem Standpunkt der Agentur auseinandersetzt und diesen mit der eigenen Auffassung abwägt. Bei einer Differenz zwischen dem Standpunkt der Agentur und der Auffassung des Einsatzmitgliedstaates ist ein schonender Ausgleich anzustreben. Der Standpunkt muss dabei nicht vollständig in eine Weisung umgesetzt werden. d) Koordinierendes zweistufiges System der operativen Einsätze Aus den Untersuchungen zum operativen Einsatz ergibt sich ein koordinierendes zweistufiges System der operativen Einsätze. Auf der unionsrechtlichen Ebene ist die Grenzschutzagentur Frontex angesiedelt, die die Einsätze der europäischen Grenz- und Küstenwacheteams koordiniert. Operativ ausgeführt werden die Einsätze sodann von einem Einsatzmitgliedstaat, dem die anderen beteiligten Mitgliedstaaten über die Agentur ihre Grenzschutzbeamten im Rahmen der europäischen Grenz- und Küstenwacheteams zur Verfügung stellen. aa) Koordinierende unionsrechtliche Ebene Die unionsrechtliche Ebene besteht aus der Grenzschutzagentur Frontex und koordiniert das mitgliedstaatliche Verhalten.943 Diese koordinierende Funktion wird von der Frontex-VO an verschiedenen Stellen ausdrücklich betont. So heißt es in Art. 5 Abs. 1 S. 2 Frontex-VO, dass den Mitgliedstaaten nach wie vor die vorrangige944 Zuständigkeit für den Schutz der 942 Lehnert, Frontex und operative Maßnahmen, S. 394; Schöndorf-Haubold, Europäisches Sicherheitsverwaltungsrecht, Rn. 108. 943 Breitenmoser / ​Weyeneth, in: von der Groeben / ​Schwarze / ​Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 67 AEUV Rn. 86; Lehnert, Frontex und operative Maßnahmen, S. 61, 166 ff.; Schöndorf-Haubold, Europäisches Sicherheitsverwaltungsrecht, Rn. 54; Thym, Migrationsverwaltungsrecht, S. 370. 944 Die Formulierung einer „vorrangigen“ Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für den Außengrenzschutz in Art. 5 Abs. 1 S. 2 Frontex-VO ist missverständlich. So wird an keiner Stelle eine „nachrangige“ Frontex-Zuständigkeit begründet. Vielmehr wird der ausschließlich koordinierende Charakter der Agentur betont. Damit sind die Mitgliedstaaten nicht nur vorrangig, sondern ausschließlich für den Schutz ihrer Außengrenzen zuständig, gegebenenfalls jedoch unter der Koordinierung von Frontex. Mit der „vorrangigen“ Zuständigkeit ist wohl gemeint,

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Außengrenzen zukommt. Frontex soll dabei den Außengrenzschutz nur unterstützen. Dies erfolgt insbesondere durch die Koordinierung der Aktionen der Mitglied­ staaten bei der Durchführung der entsprechenden Maßnahmen zum Schutz der Außengrenzen, Art. 5 Abs. 3 Frontex-VO. In Art. 4 lit. d) Frontex-VO wird ebenfalls hervorgehoben, dass die Agentur die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten unterstützt und koordiniert. Dies erfolgt nach Art. 8 Abs. 1 lit. d) Frontex-VO insbesondere durch die Koordinierung und Organisation gemeinsamer Aktionen. In Zusammenhang mit der gemeinsamen Aktion und den Soforteinsätzen ist in Art. 15 Abs. 3 Frontex-VO geregelt, dass der Exekutivdirektor die Vorschläge der Mitgliedstaaten für gemeinsame Aktionen und Soforteinsätze bewertet, billigt und koordiniert. Diese von der Frontex-VO betonte koordinierende Funktion äußert sich darin, dass die Verordnung an keiner Stelle direkte Eingriffsbefugnisse für die Agentur enthält.945 Bei den operativen Einsätzen ist es vielmehr ihre Aufgabe, Risiko­analysen und Schwachstellenbeurteilungen durchzuführen, die europäischen Grenz- und Küstenwacheteams zusammenzustellen und mit dem Einsatz­m itgliedstaat einen Einsatzplan zu vereinbaren, während die operative Ausführung selbst dem Einsatzmitgliedstaat obliegt. Durch die Zusammenstellung der Teams und die Erstellung des Einsatzplans koordiniert der Exekutivdirektor den Einsatz der Grenzschutzteams. Unterstützt wird er dabei vom Koordinierungsbeamten, der die korrekte Ausführung des Einsatzplanes überwacht und dem Einsatzmitgliedstaat die Standpunkte der Agentur übermittelt. Die Aufgaben der Agentur wirken folglich allesamt koordinierend im Innenverhältnis zwischen der Agentur und den Mitgliedstaaten und beziehen sich nicht unmittelbar auf Dritte. Damit ist die gesamte Tätigkeit von Frontex im Bereich des operativen Einsatzes auf eine Koordinierung der von den Mitgliedstaaten bereitgestellten personellen und sachlichen Ressourcen ausgelegt.946 bb) Mitgliedstaatliche Ebene Die konkreten operativen Handlungen werden von den Mitgliedstaaten und den von ihnen bereitgestellten Grenzschutzbeamten vorgenommen.

dass auch ein mitgliedstaatliches Handeln unter der Koordinierung von Frontex die Ausnahme darstellt und der Außengrenzschutz „vorrangig“, d. h. grundsätzlich, außerhalb einer Frontex-​ Koordinierung stattfindet. 945 Breitenmoser / ​Weyeneth, in: von der Groeben / ​Schwarze / ​Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 67 AEUV Rn. 86; Mrozek, DÖV 2010, 886, 889; Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 210 ff.; Schöndorf-Haubold, Europäisches Sicherheitsverwaltungsrecht, Rn. 98. 946 Breitenmoser / ​Weyeneth, in: von der Groeben / ​Schwarze / ​Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 67 AEUV Rn. 86; Lehnert, Frontex und operative Maßnahmen, S. 61; Thym, Migra­ tionsverwaltungsrecht, S. 370.

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(1) Rechtsrahmen des operativen Einsatzes Dabei ist fraglich, in welchem Rechtsrahmen die multinationalen Grenzschutzbeamten tätig werden und welche Ermächtigungsgrundlagen hierfür gelten. (a) Frontex-VO Für die Ermächtigungsgrundlagen kommt zunächst die Frontex-VO in Betracht. Diese regelt allerdings, wie soeben beschrieben, nur die koordinierenden Aufgaben und Befugnisse der Agentur, die keinen Eingriffscharakter haben. Die Frontex-VO hat damit einen verwaltungsorganisatorischen Charakter und enthält keine konkreten Ermächtigungsgrundlagen.947 Art. 40 Abs. 2 Frontex-VO ist vielmehr zu entnehmen, dass die abgestellten Beamten unter anderem das Recht des Einsatzmitgliedstaates einzuhalten haben. Nach Art. 40  Abs. 3  Frontex-VO dürfen die abgestellten Beamten nur unter Anweisung und grundsätzlich nur in Gegenwart von Grenzschutzbeamten des Einsatzmitgliedstaates Aufgaben und Befugnisse wahrnehmen. Der Frontex-VO kann mithin entnommen werden, dass die Grenzschutzbeamten das Recht des Einsatzmitgliedstaates zu beachten haben und somit auf Basis seiner Ermächtigungsgrundlagen handeln.948 (b) SGK Die Ermächtigungsgrundlagen für den operativen Einsatz könnten dem SGK zu entnehmen sein. Dieser regelt in den Art. 7 ff. SGK die Grenzübertrittskontrollen949 und in Art. 13 SGK die Grenzüberwachung,950 welche ebenfalls zum Aufgabenbereich von Frontex zählen. Allerdings erfolgt die Durchführung dieser Grenzkontrollen951 nach Art. 16 Abs. 1 UAbs. 1 SGK neben dem SGK insbesondere nach nationalem Recht. Der SGK nennt zwar die Art und Weise der durchzuführenden Grenzkontrollen und die hierbei geltenden Standards. Die konkreten Ermächtigungsgrundlagen für die diesbezüglichen Maßnahmen sind allerdings nach

947

Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 216 ff. Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 220. 949 Darunter sind nach Art. 2 Nr. 11 SGK die Kontrollen zu verstehen, die an den Grenzübergangsstellen erfolgen, um festzustellen, ob die betreffenden Personen mit ihrem Fortbewegungsmittel und den von ihnen mitgeführten Sachen in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einreisen oder aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten ausreisen dürfen. 950 Darunter ist nach Art. 2 Nr. 12 SGK die Überwachung der Grenzen zwischen den Grenzübergangsstellen und die Überwachung der Grenzübergangsstellen außerhalb der festgesetzten Verkehrsstunden zu verstehen, um zu vermeiden, dass Personen die Grenzkontrollen umgehen. 951 Unter Grenzkontrollen sind nach Art. 2 Nr. 10 SGK sowohl die Grenzübertrittskontrollen als auch die Grenzüberwachung zu verstehen. 948

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Art. 16 Abs. 1 UAbs. 1 SGK dem jeweiligen nationalen Recht des Einsatzmitgliedstaates zu entnehmen. Damit verweist auch der SGK auf das jeweilige nationale Recht des Einsatzmitgliedstaates.952 (c) Nationaler Rechtsrahmen Sowohl der Frontex-VO als auch dem SGK kann somit entnommen werden, dass die Ermächtigungsgrundlagen im nationalen Recht des Einsatzmitgliedstaa­tes zu suchen sind. Der Rechtsrahmen der operativen Einsätze bestimmt sich folglich nach dem nationalen Recht und den Ermächtigungsgrundlagen des Einsatzmitgliedstaates. (2) Organleihe zugunsten des Einsatzmitgliedstaates Darauf aufbauend ist fraglich, wie die im Rahmen der europäischen Grenz- und Küstenwacheteams eingesetzten Grenzschutzbeamten dem jeweiligen Einsatzmitgliedstaat zur Verfügung gestellt werden. Dafür kommt das Institut der Organleihe in Betracht. Bei der Organleihe nimmt ein Organ neben den Aufgaben seines Verwaltungsträgers auch oder ausschließlich Aufgaben eines anderen Verwaltungsträgers wahr.953 Dienstrechtlich bleibt das Organ dem verleihenden Verwaltungsträger zugeordnet,954 während es ansonsten nach dem Recht und den Weisungen des Entleihers handelt.955 Folge der Organleihe ist, dass Handlungen des entliehenen Organs im Außenverhältnis dem entleihenden Verwaltungsträger zugerechnet werden.956 Eine solche Organleihe ist auch völkerrechtlich im Verhältnis zwischen Staaten und internationalen Organisationen möglich.957 Europarechtlich ist das Rechtsinstitut der Organleihe hingegen nicht ausdrücklich geregelt. Allerdings hat das Europarecht seinen Ursprung im Völkerrecht, sodass in Ermangelung einer

952 EuGH, Urt. v. 05.09.2012, Rs. C-355/10, Rn. 73 (Europäisches Parlament / ​Rat); Mrozek, DÖV 2010, 886, 889; Mrozek, Grenzschutz als Supranationale Aufgabe, S. 215 f.; Mrozek, SächsVBl. 2015, 77, 82. 953 Für das deutsche Recht vgl. etwa BVerfG, NVwZ 1983, 537, 539 = BVerfGE 63, 1 (Organleihe); Maurer / ​Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 21 Rn. 54; Schmalenbach, Die Haftung internationaler Organisationen, S. 103. 954 Lodde, Rechtsfragen der Organleihe, S. 56 f. 955 BVerfG, NVwZ 1983, 537, 539 = BVerfGE 63, 1 (Organleihe); Maurer / ​Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 21 Rn. 54. 956 BVerfG, NVwZ 1983, 537, 539 = BVerfGE 63, 1 (Organleihe); Maurer / ​Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 21 Rn. 54. 957 Ipsen, Die Staatenverantwortlichkeit, in: ders., Völkerrecht, § 29 Rn. 20 ff.; vgl. auch Art. 6 DASR (Draft articles on the responsibility of states for internationally wrongful acts), angenommen von der ILC (International Law Commission) auf ihrer 53. Sitzung 2001, UN Doc. A/56/10 und Corr. 1.

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speziellen unionsrechtlichen Regelung auf das Völkerrecht und auf die dort mögliche Organleihe zurückgegriffen werden kann.958 Voraussetzung für eine solche Organleihe ist, dass ein Organ aufgrund einer rechtlichen Regelung aus der Hoheitsgewalt des Staates ausgegliedert und durch die Übertragung entsprechender Befugnisse in die Rechtssphäre des Entleihers eingegliedert wird.959 Durch diese über den Einzelfall hinausgehende Eingliederung in die Rechtssphäre des Entleihers ist die Organleihe von anderen Rechts­ instituten – etwa der Amtshilfe – abzugrenzen.960 Die für die Organleihe notwendige rechtliche Regelung ist in der Frontex-VO zu sehen, wonach die nationalen Grenzschutzbeamten, vermittelt durch einen Einsatzpool, dem Einsatzmitgliedstaat zur Verfügung gestellt werden. Weitere Voraussetzung für eine Organleihe ist die Übertragung entsprechender Befugnisse, sodass eine Eingliederung in die Rechtssphäre des Entleihers stattfindet. Nach Art. 21 Abs. 1 Frontex-VO handeln die abgestellten Beamten nach dem Recht des Einsatzmitgliedstaates und unterliegen dessen Weisungen. Die Teammitglieder werden unter den Anweisungen und in Gegenwart von Grenzschutzbeamten des Einsatzmitgliedstaates tätig, Art. 40 Abs. 3 Frontex-VO. Somit liegt eine Eingliederung in die Rechtssphäre des Einsatzmitgliedstaates vor, sodass von einer Organleihe der Mitgliedstaaten zugunsten des Einsatzmitgliedstaates auszugehen ist.961 Folglich ist festzuhalten, dass die Teammitglieder dem Einsatzmitgliedstaat im Wege einer durch die Frontex-VO angeordneten Organleihe zur Verfügung gestellt werden und auf Basis der Ermächtigungsgrundlagen des Einsatzmitgliedstaates handeln. Dies hat zur Folge, dass bei einem operativen Einsatz im Rahmen von Frontex Hoheitsgewalt des jeweiligen Einsatzmitgliedstaates ausgeübt wird.962 cc) Verknüpfung beider Ebenen Eine Verknüpfung der unionsrechtlichen Ebene (Frontex) mit der mitgliedstaatlichen Ebene (Einsatzmitgliedstaat) erfolgt dadurch, dass der Einsatzmitgliedstaat die Anweisungen an die Grenzschutzteams auf Basis eines mit der Agentur 958 Für einen Rückgriff auf das Völkerrecht sofern das Unionsrecht keine spezielle Regelung enthält s. auch Lehnert, Frontex und operative Maßnahmen an den europäischen Außengrenzen, S. 370  ff. m. w. N.; vgl. auch Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 221 ff. 959 Ipsen, Die Staatenverantwortlichkeit, in: ders., Völkerrecht, § 29 Rn. 20 ff.; für das deutsche Recht vgl. etwa Shirvani, in: Mann / ​Sennekamp / ​Uechtritz, VwVfG, § 4 Rn. 54. 960 Hoffmann / ​Hug, in: Obermayer / ​Funke-Kaiser, VwVfG, Vorb. zu §§ 4–8 Rn. 24; Schmitz, in: Stelkens / ​Bonk / ​Sachs, VwVfG, § 4 Rn.  39. 961 Mrozek, DÖV 2010, 886 ff.; Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 221 ff.; Mrozek, SächsDVBl. 2015, 77, 82; Schöndorf-Haubold, Europäisches Sicherheitsverwaltungsrecht, Rn. 109 f. 962 Lehnert, Frontex und operative Maßnahmen, S. 331; Mrozek, DÖV 2010, 886, 891; ­Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 227; Mrozek, SächsVBl. 2015, 77, 82.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

abgeschlossenen Einsatzplanes erteilt, Art. 21  Abs. 1  Frontex-VO. Die korrekte Durchführung dieses Einsatzplanes wird von Frontex durch einen Koordinierungsbeamten überwacht. Des Weiteren übermittelt der Koordinierungsbeamte dem Einsatzmitgliedstaat die Standpunkte der Agentur zu den Anweisungen, die den Grenzschutzteams erteilt wurden, Art. 21 Abs. 2 S. 1 Frontex-VO. Diesen Standpunkten hat der Einsatzmitgliedstaat so weit wie möglich nachzukommen, Art. 21 Abs. 2 S. 2 Frontex-VO. Insgesamt kann folglich festgehalten werden, dass die Agentur über den Einsatzplan und über die durch den Koordinierungsbeamten übermittelten Standpunkte Einfluss auf die Anweisungen des Einsatzmitgliedstaates an die Grenzschutz­ beamten und somit auf den operativen Einsatz nimmt. Mithin ist eine Verknüpfung der unionsrechtlichen Ebene mit der mitgliedstaatlichen Ebene festzustellen. e) Besonderheiten des Einsatzes an den Seeaußengrenzen An den Seeaußengrenzen besteht die Besonderheit, dass der Einsatz nicht nur im Küstenmeer und demgemäß im Hoheitsgebiet des Einsatzmitgliedstaates stattfindet.963 Das Einsatzgebiet erstreckt sich vielmehr auch auf die Anschlusszone964 und die Hohe See965 und somit auf außerhalb des Hoheitsgebietes des Einsatz­ mitgliedstaates liegende Gebiete. Fraglich ist, ob ein Ausgreifen der Mitgliedstaaten auf diese Gebiete überhaupt gestattet ist, welcher Rechtsrahmen hierbei gilt und ob die rechtliche Konstruktion der operativen Einsätze966 im Hinblick auf die zu prüfende Grundrechtsbindung auch auf die Seeaußengrenzen übertragen werden kann.967

963

Zum Küstenmeer vgl. Art. 2 ff. SRÜ; s. auch v. Heinegg, Küstenmeer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 40. 964 Zur Anschlusszone vgl. Art. 33 SRÜ; s. auch v. Heinegg, Anschlusszone, in: Ipsen, Völker­ recht, § 43. 965 Zur Hohen See vgl. Art. 86 ff. SRÜ; s. auch v. Heinegg, Hohe See und Tiefseeboden („Gebiet“), in: Ipsen, Völkerrecht, § 45. 966 Kennzeichnend für die rechtliche Struktur ist eine Organleihe zugunsten des Einsatzmitgliedstaates in einem zweistufigen System unter Koordinierung der Grenzschutzagentur Frontex, s. oben unter B. III. 5. d), S. 239 ff. 967 Die Ausführungen sind an dieser Stelle kursorisch und dienen nur der Beantwortung der Frage, ob die rechtliche Konstruktion der Einsätze an den Seeaußengrenzen im Hinblick auf die später zu prüfende Frage nach der Grundrechtsbindung gleich bleibt. Ausführlich zum Einsatz an den Seeaußengrenzen vgl. Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, § 10, S. 249 ff.; Lehnert, Frontex und operative Maßnahmen, S. 222 ff.

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aa) Rechtsrahmen an den Seeaußengrenzen An den Seeaußengrenzen sind, neben der für jeden Einsatz geltenden Frontex-VO, die speziell für die Seeaußengrenzen geltende Seeaußengrenzen-VO968 sowie das völkerrechtliche Seerechtsübereinkommen (SRÜ),969 zu beachten. Des Weiteren gilt das sogenannte Protokoll gegen die Schleusung von Migranten.970 Nach diesen Regelungen ist ein Handeln außerhalb des Hoheitsgebietes eines Einsatzmitgliedstaates nicht völlig ausgeschlossen, unterliegt aber im Vergleich zu einem Handeln auf eigenem Hoheitsgebiet gewissen Beschränkungen. Dabei ist zwischen den verschiedenen Bereichen der See zu differenzieren. (1) Küstenmeer Das Küstenmeer zählt zum Hoheitsgebiet eines Staates und ist maximal 12 Seemeilen breit, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 SRÜ.971 Da das Küstenmeer zum Hoheitsgebiet des Einsatzmitgliedstaates zählt, ändert sich nichts an der rechtlichen Konstruktion des operativen Einsatzes. Es findet weiterhin eine Organleihe zugunsten des Einsatzmitgliedstaates statt, sodass für den operativen Einsatz dessen nationale Ermächtigungsgrundlagen heranzuziehen sind.972 Diese Konstruktion findet in Art. 6 Abs. 1 Seeaußengrenzen-VO Bestätigung. So hat im Küstenmeer des Einsatzmitgliedstaates dieser die beteiligten Einsatzkräfte zu ermächtigen, entsprechende Maßnahmen, wie beispielsweise das Anhalten und Betreten eines Schiffes, durchzuführen. Zu beachten ist jedoch, dass innerhalb des Küstenmeeres gemäß Art. 17 SRÜ das Recht der friedlichen Durchfahrt zu gewähren ist. Dieses Recht begrenzt die Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt im Küstenmeer.973 Das Recht der friedlichen Durchfahrt gilt jedoch nur für Schiffe, die eine Staatszugehörigkeit besitzen. Staatenlosen, d. h. flaggenlosen Schiffen, ist dieses Recht von vornherein nicht gewährt, 968

VO (EU) Nr. 656/2014 vom 15. Mai 2014, ABl. Nr. L 189 v. 27.06.2014, S. 93 ff. (See­ außengrenzen-VO). 969 Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982, BGBl. 1994 II, 1798. Dieses wurde auch von der damaligen EG unterzeichnet, Beschluss des Rates 98/392/ EG vom 23.03.1998, ABl. Nr. L 179 v. 23.06.1998, S. 1 ff. und bindet auch die EU als deren Rechtsnachfolger. 970 Zusatzprotokoll gegen die Schleusung von Migranten auf dem Land-, See- und Luftweg zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität, BGBl. 2005 II, S. 1007 ff. Dieses Zusatzprotokoll gilt gemäß dem Beschluss 2006/617/EG des Rates vom 24.07.2006, ABl. Nr. L 262 v. 22.09.2006, S. 34 ff. auch für die EU. Das Zusatzprotokoll wird im Folgenden als Schleusungsprotokoll bezeichnet. 971 Zum Küstenmeer vgl. etwa v. Heinegg, Küstenmeer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 40. 972 Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 258. 973 V. Heinegg, Küstenmeer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 40 Rn. 17 ff.; Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 260.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

sodass der Einsatzmitgliedstaat insofern keinen Beschränkungen durch das SRÜ unterliegt,974 was bei den meisten Flüchtlingsbooten der Fall sein dürfte.975 Nichtfriedliche Durchfahrten dürfen hingegen nach Art. 25 Abs. 1 SRÜ auch bei staatszugehörigen Schiffen vom Küstenstaat verhindert werden. Die Durchfahrt ist nicht friedlich, wenn sie den Frieden, die Ordnung oder die Sicherheit des Küstenstaates beeinträchtigt, Art. 19 Abs. 1 S. 1 SRÜ. Als solche Beeinträchtigung gilt unter anderem gemäß Art. 19 Abs. 2 lit. d) SRÜ das Laden oder Entladen von Personen entgegen den Einreisegesetzen und sonstigen Vorschriften des Küstenstaates. Besteht damit der Verdacht, dass Personen illegal ins Land eingeschleust werden sollen, liegt eine nicht friedliche Durchfahrt vor, bei der auch das SRÜ Maßnahmen zur Verhinderung gestattet.976 Den Bestimmungen des SRÜ zur friedlichen Durchfahrt wird dadurch Rechnung getragen, dass Art. 6 Abs. 1 Seeaußengrenzen-VO nur dann das Ergreifen entsprechender Maßnahmen erlaubt, „wenn der begründete Verdacht besteht, dass ein Schiff Personen befördert, die sich den Kontrollen an den Grenzübergangsstellen zu entziehen beabsichtigen, oder [das Schiff, d. Verf.] für die Schleusung von Migranten auf dem Seeweg benutzt wird“. Die nationalen Ermächtigungsgrundlagen sind dabei im Lichte des Art. 6 Abs. 1 Seeaußengrenzen-VO auszulegen, sodass nur in diesem Falle ein Eingreifen gestattet ist. Hiernach wird letztlich ein Eingreifen nur im Falle einer nichtfriedlichen Durchfahrt gewährleistet. (2) Anschlusszone Die Anschlusszone schließt sich an das Küstenmeer an, Art. 33 SRÜ,977 und gehört nicht mehr zum Hoheitsgebiet des jeweiligen Einsatzmitgliedstaates.978 Insofern könnte die Auffassung vertreten werden, dass in diesem Bereich keine Einsätze stattfinden dürfen. Allerdings erlaubt Art. 33 Abs. 1 lit. a) SRÜ dem Küstenstaat in der Anschlusszone Kontrollen auszuüben, insbesondere um Verstöße gegen seine Einreisegesetze in seinem Hoheitsgebiet oder Küstenmeer zu verhindern. Über Art. 33 Abs. 1 lit. a) SRÜ wird somit dem Küstenstaat als Einsatzmitgliedstaat die Vornahme entsprechender Außengrenzschutzaktionen auch in der Anschlusszone nach seinem innerstaatlichen Recht gestattet. Insofern können zu diesem Zwecke dem Einsatzmitgliedstaat Grenzschutzbeamte im Wege einer Organleihe zur Verfügung gestellt werden.979 Zu beachten ist allerdings, dass die 974 EuGH, Urt. v. 03.06.2008, Rs. C-308/06, Slg. 2008, S. I-4057, Rn. 64 (The International Association of Independent Tank Owners u. a.); Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 260; Rah, Asylsuchende und Migranten auf See, S. 21. 975 So auch Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 260. 976 Kritisch hierzu Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 261 f. 977 Zur Anschlusszone vgl. etwa v. Heinegg, Anschlusszone, in: Ipsen, Völkerrecht, § 43. 978 V. Heinegg, Anschlusszone, in: Ipsen, Völkerrecht § 43 Rn. 1. 979 Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 263.

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Anschlusszone nicht zum Hoheitsbereich des Einsatzmitgliedstaates zählt und insofern nur eine eingeschränkte, im Sinne des Art. 33 Abs. 1 SRÜ erforderliche Kontrolle zulässig ist.980 (3) Hohe See Die Hohe See schließt sich an die Anschlusszone an, steht allen Staaten offen und unterliegt dementsprechend keiner Hoheitsgewalt, Art. 87 Abs. 1, 89 SRÜ.981 Die Ausübung von Hoheitsgewalt über fremde Schiffe ist daher grundsätzlich unzulässig.982 Davon enthalten das SRÜ sowie weitere völkerrechtliche Abkommen jedoch Ausnahmen.983 So dürfen etwa nach Art. 110 SRÜ unter anderem Schiffe ohne Staatszugehörigkeit, d. h. flaggenlose Schiffe, angehalten werden.984 Gegebenenfalls dürfen auch weitere Untersuchungen an Bord vorgenommen werden, Art. 110 Abs. 2 S. 3 SRÜ.985 Von Art. 110 SRÜ werden nicht nur Kriegsschiffe ermächtigt, sondern nach Art. 110 Abs. 5 SRÜ auch jedes andere ordnungsgemäß befugte Schiff oder Luftfahrzeug, das deutlich als im Staatsdienst stehend gekennzeichnet und als solches erkennbar ist. Darunter fallen auch Schiffe der Grenz- und Küstenwache.986 Art. 110 SRÜ ermächtigt allerdings nicht zu Ingewahrsamnahmen oder zur Verbringung von Personen in einen Hafen.987 Eine weitere Ausnahme enthält das Recht zur Nacheile gemäß Art. 111 SRÜ. Nacheile ist die „Verfolgung eines verdächtigen Schiffes, das einer Aufforderung zum Anhalten durch ein Staatsschiff oder Staatsluftfahrzeug nicht nachgekommen ist, um es anzuhalten, zu durchsuchen und, falls erforderlich, in einen Hafen zu verbringen, um es dort festzuhalten und weitere Maßnahmen zu ergreifen“.988 Voraussetzung ist, dass ein „gute[r] Grund“ zu der Annahme besteht, „dass das Schiff gegen die Gesetze und sonstigen Vorschriften“ des nacheilenden Staates verstoßen hat, Art. 111 Abs. 1 S. 1 SRÜ. Darunter fallen etwa auch die Einreisebestimmungen des nacheilenden Staates. Die Nacheile muss dabei beginnen, solange sich das fremde Schiff unter anderem innerhalb des Küstenmeeres oder der Anschlusszone des nacheilenden Staates befindet und darf auf Hoher See fortgesetzt 980

V. Heinegg, Anschlusszone, in: Ipsen, Völkerrecht, § 43 Rn. 4; Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 263 ff. 981 Zur Hohen See vgl. etwa v. Heinegg, Hohe See und Tiefseeboden („Gebiet“), in: Ipsen, Völkerrecht, § 45. 982 V. Heinegg, Hohe See und Tiefseeboden („Gebiet“), in: Ipsen, Völkerrecht, § 45 Rn. 9. 983 Vgl. v. Heinegg, Hohe See und Tiefseeboden („Gebiet“), in: Ipsen, Völkerrecht, § 45 Rn. 11 ff. 984 Vgl. Art. 110 Abs. 1 lit. d) SRÜ. 985 V. Heinegg, Hohe See und Tiefseeboden („Gebiet“), in: Ipsen, Völkerrecht, § 45 Rn. 16. 986 Nordquist, UNCLOS Commentary, Vol. II, Art. 29 Rn. 29.8(b); s. auch Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 268 Fn. 1056. 987 Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 268. 988 V. Heinegg, Hohe See und Tiefseeboden („Gebiet“), in: Ipsen, Völkerrecht, § 45 Rn. 17.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

werden, sofern die Nacheile nicht unterbrochen wurde, Art. 111 Abs. 1 S. 2 SRÜ. Das Recht der Nacheile endet, sobald das verfolgte Schiff das Küstenmeer seines eigenen oder eines dritten Staates erreicht, Art. 111 Abs. 3 SRÜ. Mithin können vom Einsatzmitgliedstaat im Rahmen der Nacheile auch auf Hoher See entsprechende Maßnahmen wie beispielsweise Durchsuchungen vorgenommen werden und das betroffene Schiff darf in einen Hafen verbracht werden, um dort weitere Maßnahmen zu treffen. Eine Erweiterung der Befugnisse auf Hoher See erfolgt ferner durch das Protokoll gegen die Schleusung von Migranten.989 Art. 8 Abs. 7 Schleusungsprotokoll ermächtigt Vertragsstaaten bei dem begründeten Verdacht, dass ein Schiff für die Schleusung von Migranten auf dem Seeweg benutzt wird und keine Staatszugehörigkeit besitzt, das Schiff anzuhalten und zu durchsuchen. Werden Beweise gefunden, die den Verdacht bestätigen, so trifft der Vertragsstaat geeignete Maßnahmen im Einklang mit dem einschlägigen innerstaatlichen Recht und Völkerrecht. Insofern können unter Anwendung der innerstaatlichen Ermächtigungsgrundlagen des Einsatzmitgliedstaates entsprechende Handlungen vorgenommen werden. Besteht ein solcher Verdacht gegen ein staatszugehöriges Schiff, d. h. ein Schiff das unter fremder Flagge fährt, so macht Art. 8 Abs. 2 Schleusungsprotokoll die Vornahme etwaiger Maßnahmen von der Zustimmung des Flaggenstaates abhängig. Über die Zustimmung des Flaggenstaates gelangen somit wiederum die Ermächtigungsgrundlagen des Einsatzmitgliedstaates zur Anwendung. Art. 110, 111 SRÜ und vor allem Art. 8 Schleusungsprotokoll ermöglichen damit dem Einsatzmitgliedstaat auf Hoher See in den genannten Fällen auf Basis der nationalen Ermächtigungsgrundlagen Maßnahmen zu ergreifen. Art. 7 Seeaußengrenzen-VO enthält für Frontex-Einsätze auf Hoher See ebenfalls Vorgaben. Diese greifen inhaltlich das Schleusungsprotokoll auf, sodass sichergestellt ist, dass bei Einsätzen im Rahmen von Frontex auf Hoher See die Bestimmungen des SRÜ und des Schleusungsprotokolls eingehalten werden. Über Art. 8 Schleusungsprotokoll und den daran angelehnten Art. 7 Seeaußen­ grenzen-VO werden dem Einsatzmitgliedstaat somit auf Hoher See Eingriffs­ befugnisse auf Basis seiner Ermächtigungsgrundlagen zugestanden. Zur Ausübung dieser Befugnisse kann damit ebenfalls eine Organleihe zugunsten des Einsatzmitgliedstaates stattfinden.990

989

Zum Schleusungsprotokoll s. bereits oben unter B. III. 5. e) aa), S. 245 Fn. 970. Mrozek ist hingegen der Auffassung, dass das Schleusungsprotokoll nur begrenzt zur Ausübung von Eingriffsbefugnissen gegenüber Migranten herangezogen werden kann. Das Schleusungsprotokoll stehe in engem Zusammenhang mit der Schleusungsaktivität und wolle nicht die Migranten bestrafen. Diese seien nur die geschleusten Personen. Auf Hoher See würden die Migrantenboote jedoch zumeist nicht von den Schleusern geführt, sodass sich deshalb auf Hoher See grenzschützende Maßnahmen regelmäßig verböten, vgl. zum Ganzen Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 270 f. 990

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

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bb) Ergebnis Mithin gilt die für die Frage der Grundrechtsbindung relevante rechtliche Konstruktion des operativen Einsatzes nicht nur im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates, sondern auch darüber hinaus. Ermöglicht wird diese Geltung durch das SRÜ, das Schleusungsprotokoll und die Seeaußengrenzen-VO, die unter Beachtung gewisser Grundsätze auch außerhalb des Hoheitsgebietes des Einsatzmitgliedstaates entsprechende Maßnahmen erlauben. f) Besonderheiten des Einsatzes in Drittstaaten Fraglich ist schließlich, ob die rechtliche Konstruktion des operativen Einsatzes im Hinblick auf die Grundrechtsbindung auch bei einem Einsatz in Drittstaaten Anwendung findet. In Drittstaaten darf grundsätzlich nur dieser Staat hoheitlich handeln. Um einen Einsatz in einem solchen durchführen zu können, muss daher die EU oder der Einsatzmitgliedstaat mit diesem Drittstaat einen völkerrechtlichen Vertrag abschließen, der es dem Einsatzmitgliedstaat erlaubt, im Drittstaat Hoheitsgewalt auszuüben.991 Sodann verläuft der operative Einsatz entsprechend der dargestellten rechtlichen Struktur. Über die Erlaubnis des Drittstaates gelten mithin die Ermächtigungsgrundlagen des Einsatzmitgliedstaates. Dabei findet die beschriebene Organleihe zugunsten des Einsatzmitgliedstaates statt. Somit bleibt die rechtliche Struktur des operativen Einsatzes auch bei einem Einsatz in einem Drittstaat gleich. Richtig ist, dass das Schleusungsprotokoll nach Art. 2 den Zweck hat, die Schleusung von Migranten zu verhindern. Unter „Schleusung von Migranten“ versteht das Protokoll gemäß Art. 3 lit. a)  die Herbeiführung der unerlaubten Einreise einer Person in einen Vertragsstaat, dessen Staatsangehörige sie nicht ist oder in dem sie keinen ständigen Aufenthalt hat, mit dem Ziel, sich unmittelbar oder mittelbar einen finanziellen oder materiellen Vorteil zu verschaffen. Eine „unerlaubte Einreise“ ist gemäß Art. 3 lit. b) Schleusungsprotokoll das Überschreiten von Grenzen, ohne die erforderlichen Voraussetzungen für die erlaubte Einreise in den Aufnahmestaat zu erfüllen. Für entsprechende Maßnahmen knüpft Art. 8 Schleusungsprotokoll nur an die entsprechende Nutzung der Schiffe für Schleusungszwecke an. Insofern genügt der begründete Verdacht, dass die auf dem Boot befindlichen Migranten illegal aufgrund von Schleusungsaktivitäten in ein Land einreisen wollen, unabhängig davon ob ein Schleuser an Bord ist oder nicht. Der Einwand, die Schleusungsaktivitäten fänden eher an der Küste eines Drittstaates statt und könnten auf See nicht mehr nachgewiesen, sondern nur noch vermutet werden, sodass keine Maßnahmen nach dem Schleusungsprotokoll erlaubt seien (so Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 270), widerspricht dem Zweck des Schleusungsprotokolls. Dieses will die Schleusung von Migranten effektiv verhindern. Insofern sind entsprechende Maßnahmen auch auf Hoher See gestattet, sodass für diese Maßnahmen die Ermächtigungsgrundlagen des Einsatz­ mitgliedstaates gelten, wobei eine Organleihe zugunsten des Einsatzmitgliedstaates stattfindet. 991 Lehnert, Frontex und operative Einsätze an den europäischen Außengrenzen, S. 122; vgl. jetzt auch Art. 54 Abs. 4 Frontex-VO, wonach die EU und der betreffende Drittstaat eine Statusvereinbarung abschließen.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

IV. Zwischenergebnis zur strukturellen Analyse des Zusammenspiels von Mitgliedstaaten und Unionsebene im Bereich von Frontex Die Untersuchungen zu Frontex ergaben, dass bei operativen Einsätzen sowohl die EU in Form der Grenzschutzagentur Frontex als auch die Mitgliedstaaten im Rahmen eines zweistufigen Systems operativen Handelns beteiligt sind und zwischen beiden Ebenen Verknüpfungen bestehen, wobei die Rolle der EU in Form der Grenzschutzagentur Frontex als koordinierend beschrieben werden kann. Auf dieser Grundlage kann nun die Grundrechtsbindung von Frontex untersucht werden.

C. Generelle Anwendbarkeit der Grundrechtecharta? Bevor auf die zentrale Norm des Art. 51 GRCh eingegangen wird, stellt sich die Frage, ob sich aufgrund anderer Bestimmungen bei Frontex eine generelle Anwendbarkeit der Grundrechtecharta, d. h. eine Anwendbarkeit sowohl für die EU als auch für die Mitgliedstaaten, ergibt. Eine solche könnte aus Art. 67 Abs. 1 AEUV und der Frontex-VO, insbesondere aus Art. 34 Abs. 1, 40 Abs. 2 Frontex-VO, hergeleitet werden. I. Art. 67 Abs. 1 AEUV Zunächst könnte sich für Frontex aus Art. 67 Abs. 1 AEUV eine generelle Anwendbarkeit der Grundrechtecharta ergeben. Die Grenzschutzagentur Frontex ist Teil des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Nach Art. 67 Abs. 1 AEUV werden in diesem Raum die Grundrechte geachtet.992 Damit ist die Grundrechtecharta angesprochen, wobei diese den Raum der Freiheit, der Sicherheit, und des Rechts in ihrer Präambel in Abs. 2 S. 3 aufgreift.993 Aus dieser wechselseitigen Verweisung könnte geschlossen werden, dass die Grundrechtecharta im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts generelle Anwendbarkeit beansprucht und damit auch für Frontex-Einsätze gilt. Art. 67 Abs. 1 AEUV bekräftigt jedoch nur, dass es im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts um besonders grundrechtssensible Materien geht, weshalb die Grundrechte eine hervorgehobene Rolle spielen.994 Art. 67  AEUV hat die Funktion, die allgemeinen Grundsätze und Ziele des Raumes der Freiheit, 992

Breitenmoser / ​Weyeneth, in: von der Groeben / ​Schwarze / ​Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 67 AEUV Rn. 30; Suhr, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 67 AEUV Rn. 78; Weiß / ​Satzger, in: Streinz, EUV / ​AEUV, Art. 67 AEUV Rn. 27. 993 Suhr, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 67 AEUV Rn. 78. 994 Breitenmoser / ​Weyeneth, in: von der Groeben / ​Schwarze / ​Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 67 AEUV Rn. 30.

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

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der Sicherheit und des Rechts zu beschreiben und definiert die diesbezüglichen Handlungsfelder.995 Nicht von seiner Funktion erfasst ist indes, inwiefern einzelne Maßnahmen einer konkreten Bindung an die Grundrechtecharta unterliegen. Die diesbezügliche Grundrechtsbindung richtet sich vielmehr ausschließlich nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh.996 Insofern führt Art. 67 Abs. 1 AEUV nicht zu einer generellen Anwendbarkeit der Grundrechtecharta. II. Frontex-VO Nach Art. 34  Abs. 1  Frontex-VO gewährleistet die Europäische Grenz- und Küstenwache997 den Schutz der Grundrechte, wozu insbesondere die Grundrechtecharta gehört. Im Einklang damit statuiert Art. 40 Abs. 2 Frontex-VO eine Grundrechtsbindung der Gastbeamten bei einem Einsatz im Rahmen von Frontex. Mit den dabei angesprochenen Grundrechten sind die Unionsgrundrechte gemeint und nicht etwa die Grundrechte des Einsatzmitgliedstaates.998 Überdies wird die Gewährleistung und Achtung der Grundrechte an zahlreichen anderen Stellen der Verordnung betont.999 Die Frontex-VO geht somit von einer Bindung an die Unionsgrundrechte in ihrem gesamten Anwendungsbereich einschließlich der operativen Ausführung der Einsätze durch die Mitgliedstaaten aus. Eine Bindung an die Grundrechtecharta bei Frontex-Einsätzen scheint hierbei kraft Anordnung durch die Frontex-VO zu bestehen. Die Anordnung der Bindung an die Grundrechtecharta würde allerdings durch eine Verordnung und somit durch das Sekundärrecht erfolgen. Das Sekundärrecht in Form der Frontex-VO kann sich jedoch nicht über das Primärrecht und Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh hinwegsetzen, der die Anwendbarkeit der Grundrechtecharta explizit regelt.1000 Insofern kann die „Anordnung“ der Grundrechtsbindung im Sekundärrecht nicht konstitutiv, sondern allenfalls deklaratorisch sein.1001 Art. 34 Abs. 1 und Art. 40 Abs. 2 sowie die zahlreichen anderen die Grundrechts 995

Röben, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  67 AEUV Rn.  15. Röben, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art. 67 AEUV Rn. 78 f., 80; vgl. auch Breitenmoser / ​Weyeneth, in: von der Groeben / ​Schwarze / ​Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 67 AEUV Rn. 35 sowie Suhr, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 67 AEUV Rn. 78, wonach der Grundrechtsschutz in Titel V AEUV (Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts) „nicht gesondert geregelt“ wird. 997 Dazu zählen nach Art. 3  Abs. 1  Frontex-VO sowohl die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache als auch die zuständigen nationalen Behörden einschließlich der nationalen Küstenwache. 998 Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 232. 999 Vgl. etwa Art. 1, 6 Abs. 3, 12 Abs. 3 lit. e), 16 Abs. 3 lit. d), lit. i), lit. m), 18 Abs. 4 lit. a), 21 Abs. 4 S. 1, Abs. 5, 22 Abs. 3 lit. b), 25 Abs. 4, 27 Abs. 1, 28 Abs. 3 S. 2, 35 Abs. 1, 36 Abs. 2, 70, 71, 72 Frontex-VO. 1000 Zum Vorrang des Primärrechts, vgl. etwa Oppermann / ​Classen / ​Nettesheim, Europarecht, § 10 Rn. 37 ff. 1001 Vgl. auch Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 232. 996

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

bindung betonenden Normen der Frontex-VO führen folglich nicht zu einer generellen Anwendbarkeit der Grundrechtecharta im Rahmen von Frontex. Entscheidend bleibt vielmehr Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh. III. Ergebnis Mithin ist festzuhalten, dass sowohl Art. 67 Abs. 1 AEUV als auch die Frontex-VO nicht zu einer generellen Anwendbarkeit der Grundrechtecharta führen. Vielmehr richtet sich die Frage nach der Grundrechtsbindung ausschließlich nach Art. 51  Abs. 1  S. 1  GRCh, der in Bezug auf die Grundrechtsbindung zwischen der Union, Art. 51  Abs. 1  S. 1  Alt.  1  GRCh, und den Mitgliedstaaten, Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh, differenziert. Entsprechend dieser Zweiteilung wird zunächst die Bindung an die Grundrechtecharta nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh untersucht.

D. Die Grundrechtsbindung von Frontex nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh Entsprechend den obigen Ausführungen zur Struktur von Frontex sind bei operativen Einsätzen im Rahmen von Frontex auf Unionsebene der Verwaltungsrat, der Exekutivdirektor, der Koordinierungsbeamte und gegebenenfalls qualifizierte Grenzschutzbeamte beteiligt. Daneben wird auf Unionsebene ein Einsatzplan ausgearbeitet. I. Verwaltungsrat Der Verwaltungsrat hat unter anderem die Aufgabe, die strategische Ausrichtung der Agentur zu bestimmen, Art. 62  Abs. 1  Frontex-VO, und das Arbeitsprogramm der Agentur festzulegen, Art. 62 Abs. 2 UAbs. 1 lit. j) Frontex-VO.1002 Als sonstige Stelle der EU unterliegt der Verwaltungsrat von Frontex gemäß Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh der Grundrechtsbindung, sodass er bei all seinen Aufgaben die Grundrechtecharta zu beachten hat. Unterstützung in Bezug auf die Einhaltung der Unionsgrundrechte erfährt der Verwaltungsrat durch ein Konsultationsforum für Grundrechtsfragen1003 sowie durch den Grundrechtsbeauftragten der Agentur.1004

1002

Zum Verwaltungsrat s. oben unter B. III. 4. a), S. 225 f. Art. 70 Frontex-VO. 1004 Art. 71 Frontex-VO. 1003

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

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II. Exekutivdirektor Der Exekutivdirektor erstellt bei operativen Maßnahmen den Einsatzplan, Art. 16 Frontex-VO, und stellt die Durchführung der Einsatzpläne mithilfe eines Koordinierungsbeamten sicher, Art. 68 Abs. 3 lit. j) Frontex-VO.1005 Er ist als sonstige Stelle ebenfalls nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh an die Grundrechtecharta gebunden. Insbesondere bei der Erstellung des Einsatzplanes muss er somit die Grundrechtecharta beachten, sodass eine Grundrechtsverletzung nicht bereits durch den Einsatzplan vorprogrammiert ist. Dies bedeutet etwa, dass im Einsatzplan keine Zurückweisung von Flüchtlingen in Länder vorgesehen werden darf, in denen Todesstrafe, Folter oder andere unmenschliche Strafen drohen.1006 Sollte sich bei Abschluss des Einsatzplanes eine solche vorprogrammierte Grundrechtsverletzung abzeichnen, ist er nicht berechtigt, den Einsatzplan mit den beteiligten Mitgliedstaaten abzuschließen, bis diese behoben ist. Unterstützung in Bezug auf die Einhaltung der Grundrechtecharta erfährt der Exekutivdirektor durch das Konsultationsforum für Grundrechtsfragen1007 und den Grundrechtsbeauftragten.1008 III. Koordinierungsbeamter Der Koordinierungsbeamte hat die Aufgabe, sowohl als Schnittstelle zwischen der Agentur und dem Einsatzmitgliedstaat, Art. 22 Abs. 3 lit. a) Frontex-VO, als auch als Schnittstelle zwischen der Agentur und den Teammitgliedern zu fungieren und dabei letztere im Auftrag der Agentur in allen Fragen, die mit den Einsatzbedingungen der Teams zusammenhängen, zu unterstützen, Art. 22  Abs. 3 lit. a) Frontex-VO. Darüber hinaus hat er die korrekte Durchführung des Einsatzplanes zu überwachen, Art. 22 Abs. 3 lit. b) Frontex-VO, sowie der Agentur über alle Aspekte des Teameinsatzes zu berichten, Art. 22  Abs. 3  lit.  c)  Frontex-VO. Über den Koordinierungsbeamten teilt die Agentur dem Einsatzmitgliedstaat ihren Standpunkt mit, den dieser bei seinen Weisungen berücksichtigen muss, Art. 21 Abs. 2 Frontex-VO.1009 Auch der Koordinierungsbeamte ist eine sonstige Stelle der Union und damit nach Art. 51  Abs. 1  S. 1  Alt.  1  GRCh grundrechts­ gebunden. Bei seiner soeben beschriebenen Tätigkeit hat er mithin die Grundrechtecharta einzuhalten.

1005 Lehnert, Frontex und operative Maßnahmen, S. 50; zum Exekutivdirektor s. auch oben unter B. III. 4. b), S. 226 f. 1006 Vgl. Art. 19  Abs. 2  GRCh, s. dazu etwa Bernsdorff, in: Meyer / ​Hölscheidt, GRCh, Art. 19 Rn. 18 ff., sog. Refoulement-Verbot; vgl. auch EGMR, Urt. v. 23.02.2012, ECHR 2012II = NVwZ 2012, 809 (Hirsi). 1007 Art. 70 Frontex-VO. 1008 Art. 71 Frontex-VO. 1009 Zum Koordinierungsbeamten s. auch oben unter B. III. 4. e), S. 228.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

IV. Einsatzplan Der Einsatzplan wurde als unionsrechtlicher Verwaltungsvertrag zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten und Frontex qualifiziert1010 und könnte deshalb der Bindung an die Unionsgrundrechte unterliegen. Im Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass der Exekutivdirektor bei der Aufstellung des Einsatzplanes an die Grundrechtecharta gebunden ist,1011 sodass jedenfalls über den Exekutivdirektor eine mittelbare Grundrechtsbindung des Einsatzplanes besteht. Fraglich ist allerdings, ob der Einsatzplan auch einer unmittelbaren Bindung an die Grundrechtecharta unterliegt. Problematisch ist dies insofern, als dass neben der Agentur, die direkt an die Grundrechtecharta gebunden ist, auch die Mitgliedstaaten am Abschluss des Einsatzplanes beteiligt sind. Allerdings ist der Einsatzplan das zentrale Mittel der Agentur zur Koordinierung der operativen Handlungen. Durch den Exekutivdirektor hat die Agentur zudem verstärkten Einfluss auf die Gestaltung des Einsatzplanes. Dieser arbeitet den Einsatzplan aus, wobei der Einsatzmitgliedstaat später nur noch Änderungswünsche vortragen kann.1012 Der verstärkte Einfluss von Frontex auf den Einsatzplan und seine Qualifikation als unionsrechtlicher Verwaltungsvertrag1013 führen letztlich dazu, dass die Grundrechtecharta auf den Einsatzplan unmittelbare Anwendung findet. V. Qualifizierte Grenzschutzbeamte Die qualifizierten Grenzschutzbeamten sind nationale Grenzschützer die für eine gewisse Zeit an Frontex abgeordnet werden. Im operativen Einsatz werden sie jedoch als Teil der Europäischen Grenz- und Küstenwacheteams im Wege einer Organleihe dem Einsatzmitgliedstaat zur Verfügung gestellt, sodass sie nicht mehr als sonstige Stelle der Union angesehen werden können, sondern vielmehr dem Einsatzmitgliedstaat zuzurechnen sind. Im Grundsatz sind sie deshalb an die nationalen Grundrechte des Einsatzmitgliedstaates gebunden. Gegebenenfalls besteht auch eine Bindung an die Grundrechtecharta, allerdings nur, sofern der Einsatzmitgliedstaat und damit auch die qualifizierten Grenzschutzbeamten nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh Unionsrecht durchführen.1014

1010

S. oben unter B. III. 5. c) bb), S. 237. S. soeben. 1012 Zum verstärkten Einfluss der Agentur auf den Einsatzplan vgl. Lehnert, Frontex und operative Maßnahmen, S. 393. 1013 S. oben unter B. III. 5. c) bb), S. 237 f. 1014 S. dazu sogleich unter E., S. 255 f. 1011

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

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VI. Ergebnis zur Grundrechtsbindung nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh Zusammenfassend kann zur Grundrechtsbindung nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh festgehalten werden, dass die Unionsebene vollständig an die Grundrechtecharta gebunden ist. Dies entspricht sowohl Wortlaut als auch Telos des Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh, Organe und sonstige Stellen der EU umfassend an die Grundrechtecharta zu binden. Im Bereich von Frontex wird die Unionsebene von der Grenzschutzagentur Frontex gebildet, bestehend aus dem Verwaltungsrat, dem Exekutivdirektor, dem Koordinierungsbeamten und dem Einsatzplan. Bei der Grundrechtsbindung auf Unionsebene schlägt der koordinierende Charakter von Frontex durch. So trifft die Grenzschutzagentur Frontex keine Maßnahmen mit unmittelbarer Außenwirkung. Ihre Maßnahmen richten sich vielmehr an die beteiligten Mitgliedstaaten, um deren Verhalten zu koordinieren. Dies hat Auswirkungen im Hinblick auf die Grundrechtsfunktionen. Mangels unmittelbarer Außenwirkung greifen die Unionsgrundrechte nicht als Abwehrrechte der Bürger gegen hoheitliches Handeln der Union ein, sondern gelten nur in einer objektivrechtlichen Dimension als objektiver Wertmaßstab.1015 Die klassische subjektivrechtliche Abwehrfunktion der Grundrechte kommt erst bei der operativen Ausführung durch die Mitgliedstaaten aufgrund der Außenwirkung dieses Handelns zum Tragen. Es wird zu prüfen sein, ob auch hierbei die Grundrechtecharta anwendbar ist. Ist dies nicht der Fall, so ist die entscheidende Frage, inwiefern die grundrechtsgebundenen Organe und sonstigen Stellen der EU auf eine Beachtung der Grundrechtecharta durch die Mitgliedstaaten im Sinne einer Schutzpflicht hinwirken müssen. Dementsprechend kann die genaue Auswirkung der Grundrechtsbindung auf Unionsebene erst im Anschluss an die Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten erörtert werden.1016

E. Die Grundrechtsbindung von Frontex nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh Im Bereich der operativen Einsätze im Rahmen von Frontex wurde ein zweistufiges System operativen Handelns festgestellt. Während auf unionsrechtlicher Ebene der Willensbildungs- und Koordinierungsprozess stattfindet, wobei eine umfassende Bindung an die Grundrechtecharta nachgewiesen wurde, umfasst die zweite Stufe die operative Ausführung1017 der Einsätze durch die Mitgliedstaaten 1015

Zur objektivrechtlichen Dimension der Unionsgrundrechte s. unten, 5. Kapitel, C. II. 1., S. 298 f. 1016 S. unten, 5. Kapitel, C., S. 297 ff. 1017 Es wird bewusst von einer „Ausführung“ gesprochen. In diesem Abschnitt wird untersucht, ob es sich dabei um eine „Durchführung“ von Unionsrecht i. S. d. Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh handelt. Von diesem „Durchführen“ des Unionsrechts soll eine sprachliche Trennung erfolgen, indem neutral von der Ausführung gesprochen wird.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

unter Koordinierung der EU. Die mitgliedstaatliche Ebene stellt bei Frontex der jeweilige Einsatzmitgliedstaat samt den ihm im Wege einer Organleihe zur Verfügung gestellten Grenzschutzbeamten dar. Die diesbezügliche Grundrechtsbindung ist anhand von Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh zu beurteilen, wonach die Mitgliedstaaten „ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union“ an die Grundrechtecharta gebunden sind. I. Ansichten der Literatur 1. Überwiegend fehlende Differenzierung zwischen unionsrechtlicher und mitgliedstaatlicher Ebene In der Literatur wird in Bezug auf Frontex – ebenso wie bei der GASP1018 – überwiegend nicht zwischen unionsrechtlicher und mitgliedstaatlicher Ebene unterschieden. Entsprechende Ausführungen zur Grundrechtsbindung finden sich zumeist in Zusammenhang mit Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh wieder. Als Agentur sei Frontex eine Einrichtung oder sonstige Stelle der Union und damit an die Grundrechtecharta gebunden.1019 Überwiegend fehlen Stellungnahmen zur operativen Ausführung der Frontex-Missionen durch die Mitgliedstaaten. Mangels abweichender Ausführungen ist diesbezüglich aber anzunehmen, dass die Auffassung vorherrscht, es sei von einer Grundrechtsbindung auszugehen. 2. Auffassung zur Bindung der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte Vereinzelt wird bei Einsätzen im Rahmen von Frontex auch genauer auf die mitgliedstaatliche Ebene eingegangen.1020 Aufgrund der Zwischenschaltung des Einsatzmitgliedstaates und der Geltung seiner nationalen Ermächtigungsgrundlagen könne nicht ohne Weiteres von einer Durchführung der Frontex-VO sowie des SGK und damit von einer Bindung an die Grundrechtecharta ausgegangen werden.1021 Gleichwohl wird aufgrund einer weiten Auslegung der Durchführung des Unionsrechts, insbesondere unter Heranziehung der Rechtsprechung des EuGH

1018

S. dazu oben, 3. Kapitel, E. I. 1., S. 139. Borowsky, in: Meyer, GRCh, 4. Aufl., Art. 51 Rn. 19; Holoubek / ​L echner / ​Oswald, in: Holoubek / ​Lienbacher, GRCh, Art. 51 Rn. 9. Nicht speziell Frontex erwähnend aber bezugnehmend auf den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, vgl. Brummund, Kohärenter Grundrechtsschutz, S. 60 ff.; Jarass, in: Jarass, GRCh, Art. 51 Rn. 14; Ladenburger / ​Vondung, in: Stern / ​Sachs, GRCh, Art. 51 Rn. 7. 1020 Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 231 ff. 1021 Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 233 f. 1019

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

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zur Grundrechtsbindung bei einem durch eine Verordnung eingeräumten Ermessen,1022 eine Bindung an die Unionsgrundrechte bejaht.1023 3. Auffassung zur abweichenden Grundrechtsbindung der mitgliedstaatlichen Ebene Teilweise wird jedoch – ebenso wie bei der GASP1024 – auch angedeutet, dass auf der mitgliedstaatlichen Ebene Besonderheiten bestehen könnten. So sei bei einem Handeln, das Unterstützungs- und Koordinierungsbefugnissen der EU unterliegt, keine Bindung an die Grundrechtecharta anzunehmen. Dies betreffe nicht nur Bereiche wie die Bildungspolitik oder das Sozialhilferecht, sondern auch die Zusammenarbeit an den Außengrenzen und die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik.1025 Diese Andeutungen werden jedoch nicht weiter vertieft. 4. Stellungnahme zur Literatur Es ist festzuhalten, dass die Literatur überwiegend von einer Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechtecharta bei operativen Maßnahmen im Rahmen von Frontex ausgeht. Allerdings wird regelmäßig nicht zwischen der unionsrechtlichen und der mitgliedstaatlichen Ebene differenziert. Diese Differenzierung ist allerdings angesichts des festgestellten zweistufigen Systems operativen Handelns elementar. Wird in der Literatur dennoch auf die mitgliedstaatliche Ebene ein­ gegangen, so bleiben die Ausführungen zumeist recht vage. Deshalb tragen die Ansichten der Literatur nur begrenzt zur Beantwortung der Frage nach der Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten bei. II. Übertragbarkeit der Rechtsprechung zur Durchführung von Verordnungen Ebenso wie bei der GASP existiert in Bezug auf Frontex keine explizit einschlägige Rechtsprechung des EuGH zur Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten. Entsprechend den Ausführungen zur GASP kann jedoch die Rechtsprechung des EuGH herangezogen werden, um die Grundrechtsbindung anderer Bereiche, mithin auch diejenige im Rahmen von Frontex, zu beurteilen.1026

1022

EuGH, Urt. v. 21.12.2011, NVwZ 2012, 417, 418 Rn. 68 (N. S.). Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 235. 1024 S. dazu oben, 3. Kapitel, E. I., S. 139 f. 1025 Ladenburger / ​Vondung, in: Stern / ​Sachs, GRCh, Art. 51 Rn. 59. 1026 S. oben, 3. Kapitel, E. III., S. 141 f. 1023

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Bei den operativen Einsätzen im Rahmen von Frontex bestehen mit der Frontex-VO, der Seeaußengrenzen-VO und dem SGK drei Verordnungen, um deren Vollzug es bei den operativen Einsätzen im Rahmen von Frontex gehen könnte. Nach der oben skizzierten Rechtsprechung des EuGH zur Durchführung von Verordnungen1027 könnte dadurch eine Bindung an die Grundrechtecharta bestehen. 1. Durchführung der Frontex-VO? Fraglich ist, ob die Frontex-VO „klassisch“ wie andere Verordnungen des Unionsrechts vollzogen wird, sodass darin eine Durchführung von Unionsrecht im Sinne des Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh zu erblicken ist. Solch „klassische“ Verordnungen, die der EuGH im Sinn hat, wenn er über die Grundrechtsbindung bei der Durchführung einer Verordnung zu entscheiden hat, treffen Vorgaben, die durch das mitgliedstaatliche Verwaltungshandeln nur noch auf den konkreten Einzelfall angewendet werden müssen.1028 Diesbezüglich wird von einem indirekten Vollzug des Unionsrechts gesprochen.1029 Dabei ist die Belastung des Bürgers auf das Unionsrecht zurückzuführen. Durch die Unionsgrundrechtsbindung soll das auf das Unionsrecht zurückführbare hoheitliche Handeln gemäßigt werden.1030 Die Frontex-VO enthält jedoch keine Vorgaben, die es unmittelbar zu vollziehen gilt. Vielmehr sieht sie einen Mechanismus zur Koordinierung mitgliedstaatlichen Handelns vor. Folglich wird die Frontex-VO nicht klassisch wie anderes Unionsrecht vollzogen, was als direkter oder indirekter Vollzug eingeordnet werden kann. Angeordnet wird vielmehr eine Verwaltungskooperation in horizontaler Hinsicht zwischen den Mitgliedstaaten und in vertikaler Hinsicht zwischen den Mitgliedstaaten und der Agentur Frontex.1031 Die Frontex-VO bildet lediglich den „verwaltungsorganisatorischen Rahmen“ in welchem sich die Einsätze abspielen.1032 Mit der europäischen Grenz- und Küstenwache wurde kein supranationaler Grenzschutz geschaffen,1033 sondern vielmehr eine Agentur, die die zwischenstaatliche Verwaltungskooperation im Sinne einer transnationalen Zusammenarbeit 1027

S. oben, 2. Kapitel, D. II. 2. a), S. 54 f. Cremer, Funktionen der Grundrechte, in: EnzEuR, Bd. 2, § 1 Rn. 129. 1029 Oppermann / ​Classen / ​Nettesheim, Europarecht, § 12 Rn. 6, 23 ff. Den Gegensatz dazu bildet der direkte Vollzug des Unionsrechts durch die EU-Organe und EU-Behörden, vgl. Oppermann / ​Classen / ​Nettesheim, Europarecht, § 12 Rn. 6, 7 ff. 1030 Vgl. Cremer, Funktionen der Grundrechte, in: EnzEuR, Bd. 2, § 1 Rn. 8, 11, 113. 1031 Vgl. ausführlich zur Verwaltungskooperation im Rahmen von Frontex Lehnert, Frontex und operative Maßnahmen, S. 129 ff. und insb. S. 166 ff.; vgl. allgemein zum Verwaltungskooperationsrecht Glaser, Die Entwicklung des Europäischen Verwaltungsrechts aus der Perspektive der Handlungsformenlehre, S. 47 ff.; Oppermann / ​Classen / ​Nettesheim, Europarecht, § 12 Rn. 29; Schmidt-Aßmann / ​Schöndorf-Haubold, Der Europäische Verwaltungsverbund, passim. 1032 Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 234 und S. 216. 1033 Unter einem supranationalen Grenzschutz ist ein EU-Grenzschutzkorps zu verstehen, das den Außengrenzschutz losgelöst von den Mitgliedstaaten wahrnimmt. 1028

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

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fördert.1034 Durch diese Art der Verwaltungskooperation wird letztlich die nationale hoheitliche Handlungsmacht gestärkt.1035 Es kann von einer „Verstärkung und Effektivierung staatlicher Hoheitsgewalt“ gesprochen werden.1036 Dies betrifft insbesondere den Einsatzmitgliedstaat, dem die Einsatzkräfte im Wege einer Organleihe zur Verfügung gestellt werden, gegen dessen Willen kein operativer Einsatz stattfinden kann und aus dessen Recht die Ermächtigungsgrundlagen zum operativen Handeln stammen.1037 Konkret vollzogen wird deshalb nicht die Frontex-VO, sondern das Recht des jeweiligen Einsatzmitgliedstaates. Folge dessen ist, dass im Rahmen der operativen Einsätze in Zusammenarbeit mit Frontex Hoheitsgewalt des jeweiligen Einsatzmitgliedstaates und nicht europäische Hoheitsgewalt ausgeübt wird.1038 Dies bedeutet, dass die Belastungen bei einem Frontex-Einsatz letztlich aus dem mitgliedstaatlichen Recht stammen, während Frontex dafür nur den koordinierenden Rahmen bildet. Soll die Grundrechtsbindung hoheitliches Handeln mäßigen,1039 ist die Quelle der Belastung aber gar nicht das Unionsrecht, so kann die Rechtsprechung zur Unionsgrundrechtsbindung bei der Durchführung von Verordnungen auch nicht auf Frontex übertragen werden. 2. Durchführung der Seeaußengrenzen-VO? Bei Einsätzen an den Seeaußengrenzen könnte jedoch die Seeaußengrenzen-​ VO vollzogen werden. Diese Verordnung betrifft nicht den koordinierenden Charakter von Frontex, sondern behandelt die Frage, welche Handlungen an den Seeaußengrenzen vorgenommen werden dürfen.1040 Allerdings ändert auch die Seeaußen­grenzen-VO nichts an der beschriebenen Einsatzstruktur. Die Ermächtigungsgrundlagen stammen weiterhin aus dem nationalen Recht des Einsatzmitgliedstaates, sodass diese die unmittelbare Grundlage für das operative Handeln bilden und nicht die Seeaußengrenzen-VO. Letztere stellt ebenso wie die Frontex-VO den verwaltungsorganisatorischen Rahmen dar. Damit wird auch die Seeaußengrenzen-VO nicht klassisch wie andere Verordnungen vollzogen.

1034 Thym, Migrationsverwaltungsrecht, S. 371; Thym, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​ AEUV, Art. 77 AEUV Rn. 36. 1035 Thym, Migrationsverwaltungsrecht, S. 371. 1036 Nettesheim, Grundrechtsschutz im RFSR, in: Mestmäcker / ​Möschel / ​Nettesheim, Verfassung und Politik im Prozess der europäischen Integration, S. 117, 120; Nettesheim, EuR 2009, 24, 26. 1037 S. oben unter B. III. 5. d) bb), S. 240 ff. 1038 S. oben unter B. III. 5. d) bb) (2), S. 242 f. 1039 Vgl. etwa Cremer, Funktionen der Grundrechte, in: EnzEuR, Bd. 2, § 1 Rn. 8, 11, 113. 1040 Zu den Einsätzen an den Seeaußengrenzen s. oben unter B. III. 5. e), S. 244 ff.

260

2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

3. Durchführung des SGK? Weiterhin könnte bei Einsätzen im Rahmen von Frontex der SGK vollzogen werden. In Art. 13 SGK wird beispielsweise die Grenzüberwachung geregelt, welche auch zu den Aufgaben von Frontex gehört. Diese Grenzüberwachung im Sinne des Art. 13 SGK könnte durch Frontex vollzogen werden, sodass aufgrund des Vollzuges des SGK die Grundrechtecharta gelten würde. Im Übrigen wird die Geltung der Grundrechtecharta auch von Art. 4 SGK bei der Anwendung des SGK explizit angeordnet. Zunächst ist anzumerken, dass sich über das Sekundärrecht – hier Art. 4 SGK – nicht die Geltung der Grundrechtecharta anordnen lässt. Das Sekundärrecht kann dem Primärrecht aufgrund des Vorrangs des Primärrechts nicht vorgehen,1041 sodass sich die Grundrechtsbindung ausschließlich nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh richtet. Was den vermeintlichen Vollzug des Art. 13 SGK betrifft, ist wiederum festzustellen, dass der SGK ebenso wenig wie die Seeaußengrenzen-VO etwas an der rechtlichen Struktur der Frontex-Einsätze ändert. Diese werden weiterhin vom Einsatzmitgliedstaat unter Geltung seiner Ermächtigungsgrundlagen durchgeführt, sodass diese Ermächtigungsgrundlagen vollzogen werden. Deshalb lässt sich auch nicht von einem klassischen Vollzug des SGK bei Einsätzen im Rahmen von Frontex sprechen. 4. Ergebnis Aufgrund des Dargestellten lässt sich trotz Geltung der Frontex-VO, der See­ außengrenzen-VO und des SGK nicht von einem klassischen Vollzug dieser Verordnungen sprechen. Allesamt stellen nur den verwaltungsorganisatorischen Rahmen der Einsätze dar. Den Verordnungen sind gewissermaßen die Ermächtigungsgrundlagen des Einsatzmitgliedstaates zwischengeschaltet. Damit lässt sich die Rechtsprechung des EuGH zur Grundrechtsbindung beim Vollzug von Verordnungen nicht unmittelbar auf den Einsatz im Rahmen von Frontex übertragen. Die Frage, inwiefern eine Determination des mitgliedstaatlichen Handelns durch die Frontex-VO, die Seeaußengrenzen-VO und den SGK für eine Grundrechtsbindung genügt, ist damit letztlich nicht eine Frage des Vollzugs dieser Verordnungen, sondern eine solche des allgemeinen Zusammenhangs, der zwischen dem Unionsrecht und dem mitgliedstaatlichen Handeln für eine Grundrechtsbindung bestehen muss.1042

1041 1042

Vgl. dazu etwa Oppermann / ​Classen / ​Nettesheim, Europarecht, § 10 Rn. 37 ff. S. dazu sogleich.

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

261

III. Anwendung der aus der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Kriterien zur Durchführung von Unionsrecht auf Frontex Der allgemeine Zusammenhang, der zwischen dem Unionsrecht und dem mitgliedstaatlichen Handeln für eine Grundrechtsbindung bestehen muss, wurde im Rahmen der GASP aus der Rechtsprechung des EuGH zur Umsetzung von Richtlinien entnommen. Die aus der Rechtsprechung des EuGH zur Richtlinienumsetzung entwickelten allgemeinen Kriterien gilt es nun auch auf die operativen Einsätze im Rahmen von Frontex anzuwenden.1043 Die Tatsache, dass die Rechtsprechung im Bereich der Richtlinienumsetzung ergangen ist, spielt keine Rolle. Entsprechend den obigen Ausführungen behandeln die entwickelten Kriterien den allgemeinen Zusammenhang zwischen dem Unionsrecht und dem mitgliedstaatlichen Handeln, der notwendig ist, um von einer Durchführung des Rechts der Union sprechen zu können. 1. Verpflichtung durch das Unionsrecht im Rahmen einer bestehenden Unionskompetenz Auf der ersten Stufe ist zu prüfen, ob im Rahmen von Frontex eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten durch das Unionsrecht besteht. In diesem Zusammenhang ist Art. 51 Abs. 2 GRCh zu beachten, wonach der Geltungsbereich des Unionsrechts durch die Grundrechtecharta nicht über die Zuständigkeiten der Union hinaus ausgedehnt werden darf. Zwar führt die Zuständigkeit der Union für sich genommen noch nicht zu einer Verpflichtung durch das Unionsrecht.1044 Ohne Zuständigkeit der Union kann eine solche aber von vornherein nicht bestehen. Insofern ist zunächst zu prüfen, ob die EU in Bezug auf den Grenzschutz über eine entsprechende Kompetenznorm verfügt. Sodann ist fraglich, ob die Ausübung der entsprechenden Kompetenz zu einer Verpflichtung durch das Unionsrecht führt. a) Geteilte Zuständigkeit Gemäß Art. 77 Abs. 2 lit. d) AEUV besteht eine Kompetenz der EU für alle Maßnahmen, die für die schrittweise Einführung eines integrierten Grenzschutzsystems an den Außengrenzen erforderlich sind, wobei gemäß Art. 4 Abs. 2 lit. j) AEUV eine geteilte Zuständigkeit vorliegt. Diesbezügliche Regelungen erlassen das Europäische Parlament und der Rat nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren, Art. 77 Abs. 2, 289 Abs. 1, 294 AEUV.

1043 1044

Zu diesen Kriterien s. oben, 3. Kapitel, E. V., S. 146 ff. Vgl. EuGH, Urt. v. 10.07.2014, Rs. C-198/13, EuZW 2014, 795, 797 Rn. 36 (Hernandez).

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Bei einer geteilten Zuständigkeit können sowohl die EU als auch die Mitgliedstaaten gesetzgeberisch tätig werden, Art. 2 Abs. 2 S. 1 AEUV. Die Mitgliedstaaten dürfen dabei ihre Zuständigkeit nur wahrnehmen, sofern die EU ihre Zuständigkeit noch nicht ausgeübt hat oder diese nicht mehr ausübt, Art. 2 Abs. 2 S. 2 u. 3 AEUV. Die geteilte Zuständigkeit kann deshalb mit der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz nach Art. 72 Abs. 1 GG verglichen werden.1045 Ob und wie die EU ihre geteilte Zuständigkeit ausüben darf, bestimmt sich nach dem Subsidiaritätsprinzip und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.1046 Die EU hat von dieser geteilten Zuständigkeit Gebrauch gemacht, indem sie die Verordnung zur Errichtung einer europäischen Grenz- und Küstenwache, die Seeaußengrenzen-VO sowie den SGK erlassen hat. b) Unionsrechtliche Verpflichtung durch die Frontex-VO, die Seeaußengrenzen-VO und den SGK? Bei Frontex könnte sich eine unionsrechtliche Verpflichtung mithin aus der Frontex-VO, der Seeaußengrenzen-VO und dem SGK ergeben. Diese Verordnungen geben den Rahmen der operativen Einsätze vor und binden die Mitgliedstaaten unmittelbar. Insofern könnte von einer Verpflichtung durch das Unionsrecht auszugehen sein. Die Verordnungen haben allerdings den oben herausgearbeiteten verwaltungsorganisatorischen Charakter.1047 Bei den operativen Einsätzen gelten nicht unmittelbar die Verordnungen, sondern es finden die Ermächtigungsgrundlagen des Einsatzmitgliedstaates Anwendung, dem die Grenzschützer im Wege einer Organleihe zur Verfügung gestellt werden. Insofern verpflichten die Verordnungen die Mitgliedstaaten nur zur Einhaltung der durch die Verordnungen vorgegebenen verwaltungsorganisatorischen Struktur. In Frage steht jedoch die Grundrechtsbindung des operativen Einsatzes. Deshalb muss sich die Verpflichtung durch das Unionsrechts auch auf den operativen Einsatz und nicht auf den verwaltungs­ organisatorischen Rahmen beziehen. Eine Verpflichtung durch die Frontex-VO in operativer Hinsicht könnte jedoch in einer Pflicht zur Bereitstellung von Grenzschutzbeamten zugunsten des Einsatzmitgliedstaates gesehen werden.

1045

Calliess, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 2 AEUV Rn. 12; Nettesheim, in: Grabitz / ​ Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  2 AEUV Rn.  26; Obwexer, in: von der Groeben / ​Schwarze / ​ Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 2 AEUV Rn. 31. 1046 Calliess, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 2 AEUV Rn. 12; Obwexer, in: von der Groeben / ​Schwarze / ​Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 2 AEUV Rn. 28; Schröder, JZ 2004, 8, 9. 1047 S. oben unter B. III. 5. d), S. 239 ff.

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

263

aa) Rückgriffsprinzip Für die operativen Einsätze greift Frontex auf die Mitgliedstaaten zurück.1048 Dabei bestehen zwei Formen des Rückgriffs. Einerseits benennen die Mitgliedstaaten einen Pool an Grenzschutzbeamten, aus welchem im Falle eines opera­ tiven Einsatzes Grenzschutzbeamte durch Frontex abgerufen und dem Einsatzmitgliedstaat zur Verfügung gestellt werden. Andererseits ordnen die Mitgliedstaaten qualifizierte Grenzschutzbeamte an die Grenzschutzagentur Frontex ab, die diese Beamten im Falle eines operativen Handelns ebenfalls dem Einsatzmitgliedstaat zur Verfügung stellt. Ebenso wie im Rahmen der GASP kann auch bei operativen Handlungen im Rahmen von Frontex von einem Rückgriffsprinzip gesprochen werden. Dieses Rückgriffsprinzip bringt zum Ausdruck, dass bei operativen Einsätzen nicht durch eigene europäische Grenzschutzbeamte gehandelt, sondern auf Grenzschutzbeamte der Mitgliedstaaten zurückgegriffen wird. bb) Freiwilligkeitsprinzip Fraglich ist, ob die Mitgliedstaaten im Rahmen dieses Rückgriffsprinzips verpflichtet sind, an einem Einsatz durch bereitzustellende Grenzschutzbeamte teilzunehmen. Dabei muss zwischen der Benennung der nationalen Grenzschutzbeamten für den Pool der nationalen Grenzschützer und deren Abrufung durch Frontex unterschieden werden. (1) Benennung des Pools der nationalen Grenzschutzbeamten Der Pool der nationalen Grenzschutzbeamten ist die Basis für die Bereitstellung der jeweiligen Grenzschützer. Aus ihm ruft die Agentur die dem Einsatz­ mitgliedstaat zur Verfügung gestellten Grenzschutzbeamten ab. Dieser Pool wird auf Grundlage der von Frontex aufgestellten Anforderungsprofile durch die jeweiligen Mitgliedstaaten benannt. Dabei ist fraglich, ob die Mitgliedstaaten zur Benennung nationaler Grenzschützer verpflichtet sind. Zu unterscheiden ist hierbei zwischen dem Pool für gemeinsame Aktionen und dem Soforteinsatzpool für Soforteinsätze zu Grenzsicherungszwecken.

1048

Zur Teilnahme von Nicht-EU-Staaten s. unter E. III. 1. e), S. 268 ff.

264

2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

(a) Pool für gemeinsame Aktionen Gemäß Art. 20 Abs. 2 S. 3 Frontex-VO leisten die Mitgliedstaaten über einen nationalen Pool, ausgehend von den verschiedenen festgelegten Anforderungs­ profilen, einen Beitrag zu den europäischen Grenz- und Küstenwacheteams, indem sie Grenzschutzbeamte entsprechend den benötigten Anforderungsprofilen benennen. Aus dem Wortlaut könnte zu schließen sein, die Mitgliedstaaten seien verpflichtet, nationale Beamte für diesen Pool zu benennen.1049 Unter Heranziehung von Art. 20 Abs. 3 S. 1 Frontex-VO ergibt sich jedoch ein anderes Bild.1050 So wird nach Art. 20 Abs. 3 S. 1 Frontex-VO der Beitrag der Mitgliedstaaten hinsichtlich der für gemeinsame Aktionen bereitzustellenden Grenzschutzbeamten auf der Grundlage jährlicher bilateraler Verhandlungen und Vereinbarungen zwischen der Agentur und den Mitgliedstaaten geplant. Daran wird deutlich, dass die Bereitstellung der nationalen Grenzschutzbeamten erst durch zusätzliche Vereinbarungen bindend wird. Fraglich ist, ob der Abschluss einer solchen zusätzlichen Vereinbarung durch die Mitgliedstaaten in irgendeiner Form verpflichtend ist. Es könnte eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten bestehen, mit Frontex über die Bereitstellung von Grenzschutzbeamten zu verhandeln. Unabhängig von der Frage, ob eine solche Verhandlungspflicht tatsächlich besteht, könnte diese nichts an der freiwilligen Bereitstellung der Grenzschutzbeamten ändern, da eine Bereitstellungspflicht von einer reinen Verhandlungsverpflichtung gerade nicht erfasst wäre. Es könnte jedoch eine grundsätzliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten bestehen, Grenzschutzbeamte im Zuge einer Vereinbarung bereitzustellen, deren Nichtabschluss nur im Ausnahmefall durch entgegenstehende nationale Gründe gerechtfertigt sein könnte. Eine solche Rechtfertigungspflicht ist allerdings nur in Art. 20 Abs. 3 S. 2 Frontex-VO normiert, für den Fall, dass die Mitgliedstaaten weniger Grenzschutzbeamte zur Verfügung stellen wollen als ursprünglich vereinbart. Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass ohne eine ursprünglich freiwillige Vereinbarung gerade keine Gründe vorliegen müssen, die eine fehlende Bereitstellung von Grenzschutzbeamten rechtfertigen. Insgesamt ist somit der Abschluss von Vereinbarungen über die Bereitstellung von Grenzschutzbeamten nicht verpflichtend, sodass die Benennung der nationalen Grenzschutzbeamten letztlich freiwillig ist.1051

1049

So etwa Mungianu, EJML 15 (2013), 359, 381; Trevisanut, Wich Borders for the EU Immigration Policy? Yardsticks of International Protection for EU Joint Borders Management, in: Azoulai / ​de Vries, EU Migration Law, S. 106, 117. 1050 Ryan, in: Hailbronner / ​Thym, Part B IV, Art. 3b Rn. 2. 1051 Lehnert, Frontex und operative Maßnahmen, S. 89; Ryan, in: Hailbronner / ​T hym, Part B IV, Art. 3b Rn. 2.

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

265

(b) Soforteinsatzpool Gemäß Art. 20 Abs. 4 S. 3 Frontex-VO leisten die Mitgliedstaaten über einen nationalen Pool, ausgehend von den verschiedenen festgelegten Anforderungsprofilen, einen Beitrag zum Soforteinsatzpool, indem sie Grenzschutzbeamte entsprechend den benötigten Anforderungsprofilen benennen. Diese mit dem Wortlaut des Art. 20  Abs. 2  S. 3  Frontex-VO vergleichbare Norm legt ebenfalls eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Benennung von Grenzschutzbeamten für den Soforteinsatzpool nahe. Der Eindruck einer Verpflichtung wird durch Art. 20 Abs. 6 Frontex-VO verstärkt, wonach jeder Mitgliedstaat nach Maßgabe des Anhangs I seinen Beitrag zum Soforteinsatzpool leisten muss. Im Anhang I ist die genaue Zahl der von den jeweiligen Mitgliedstaaten bereitzustellenden Grenzschutzbeamten genannt. Danach trägt die Bundesrepublik Deutschland beispielsweise mit 225 Grenzschutzbeamten zum Soforteinsatzpool bei. Die Mitgliedstaaten wurden zu diesem Beitrag jedoch nicht erst durch die Frontex-VO verpflichtet. Vielmehr handelt es sich bei diesem zu leistenden Beitrag nach Erwägungsgrund Nr. (30) der Frontex-VO1052 um vorherige freiwillige Zusagen, die von den Mitgliedstaaten erteilt wurden. Diese freiwilligen Zusagen wurden sodann in die Frontex-VO aufgenommen. Die vermeintliche Verpflichtung durch die Frontex-VO gibt somit nur das Ergebnis dieser freiwilligen Zusagen wieder.1053 Die Freiwilligkeit solcher Zusagen ergibt sich auch aus Art. 20  Abs. 9  Frontex-VO, der das Verfahren zur Erhöhung der Kapazität des Soforteinsatzpools regelt. Für eine solche Erhöhung hat sich der Rat um entsprechende Zusagen der Mitgliedstaaten zu bemühen. Der Rat kann damit die Mitgliedstaaten nicht zu einer Benennung weiterer Grenzschutzbeamten und diesbezüglicher Zusagen verpflichten. Vielmehr liegt es im freien Ermessen der Mitgliedstaaten, solche zusätzlichen Grenzschutzbeamten für den Soforteinsatzpool bereitzustellen. Mithin lässt sich auch für den Soforteinsatzpool eine im Ausgangspunkt freiwillige Benennung der zur Verfügung zu stellenden Grenzschutzbeamten feststellen. (2) Abrufen der nationalen Grenzschutzbeamten Wurden die Grenzschützer einmal für den Pool benannt oder entsprechende Zusagen erteilt, müssen die Mitgliedstaaten diese auf Ersuchen der Agentur dem Einsatzmitgliedstaat zur Verfügung stellen, vgl. Art. 20  Abs. 3  S.  2, 20  Abs. 7

1052

ABl. Nr. L 251 v. 16.09.2016, S. 1, 5. Die einmal erfolgte Zusage begründet jedoch eine grundsätzliche Verpflichtung zur Bereitstellung der zugesagten Grenzschützer, s. dazu sogleich unter (2). Eine beliebige Reduktion der im Ausgangspunkt freiwillig zugesagten Grenzschutzbeamten ist damit nicht mehr möglich. 1053

266

2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

S. 1 Frontex-VO.1054 Eine Ausnahme ist nur für den Fall vorgesehen, dass sich die Mitgliedstaaten in einer Ausnahmesituation befinden, die die Erledigung nationaler Aufgaben erheblich beeinträchtigt, vgl. Art. 20 Abs. 3 S. 2 Hs. 2, 20 Abs. 7 S. 2 Frontex-VO. Nach erfolgter Benennung der Grenzschutzbeamten für den Einsatzpool besteht folglich eine Rechtspflicht, diese auf Abruf bereitzustellen. Über die Dauer der Bereitstellung entscheidet nach Art. 20 Abs. 10 S. 2 Frontex-VO jedoch weiterhin der Herkunftsmitgliedstaat. (3) Ergebnis Damit ergibt sich ein Freiwilligkeitsprinzip für die ursprüngliche Benennung nationaler Grenzschützer im Rahmen der Einsatzpools. Wurden allerdings einmal entsprechende Grenzschützer benannt oder entsprechende Zusagen erteilt, besteht eine Verpflichtung, diese nach Abruf durch die Agentur zur Verfügung zu stellen. Diese Pflicht knüpft aber an die im Ausgangspunkt freiwillige Benennung nationaler Grenzschutzbeamter an, sodass insgesamt von einem Freiwilligkeitsprinzip bezüglich der Bereitstellung von Grenzschutzbeamten gesprochen werden kann. Hierbei ist es zentrale Aufgabe der Grenzschutzagentur Frontex, den Personalbedarf zu planen und mit den Mitgliedstaaten in bilaterale Verhandlungen über die Bereitstellung von Grenzschutzbeamten zu treten, vgl. Art. 20 Abs. 3 S. 1 Frontex-VO. Mithin besteht keine direkte Verpflichtung durch die Frontex-VO, die Seeaußen­ grenzen-VO oder den SGK, sich an Frontex-Einsätzen zu beteiligen und operativ tätig zu werden. Vielmehr hängt der gesamte Einsatz von der grundsätzlichen Bereitstellung der Grenzschutzbeamten ab. Aus der Frontex-VO, der Seeaußen­ grenzen-VO und dem SGK ergibt sich damit keine unionsrechtliche Verpflichtung zum operativen Einsatz. c) Unionsrechtliche Verpflichtung durch den Einsatzplan? Entscheidet sich der Einsatzmitgliedstaat, einen Einsatz mithilfe von Frontex durchzuführen, wird zur operativen Ausführung auf die von den Mitgliedstaaten benannten Grenzschützer zurückgegriffen und gemeinsam mit Frontex ein Einsatzplan vereinbart. Dieser Einsatzplan ist als Vertrag zu qualifizieren,1055 der als unionsrechtliche Verpflichtung angesehen werden könnte. Verträge sind bindend, sodass im Ausgangspunkt durch den Einsatzplan eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten besteht. Fraglich ist jedoch, ob der freiwillige Abschluss eines Vertrages auch die für die Unionsgrundrechtsbindung erforder 1054 1055

Ryan, in: Hailbronner / ​Thym, Part B IV, Art. 3c Rn. 3. S. oben unter B. III. 5. c) bb), S. 237 f.

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

267

liche unionsrechtliche Verpflichtung begründen kann. Eine unionsrechtliche Verpflichtung setzt einen zumindest überwiegenden Einfluss des Unionsrechts auf die Verpflichtung der Mitgliedstaaten voraus. Gegen das Vorliegen dieses überwiegenden unionsrechtlichen Einflusses könnte sprechen, dass die Mitgliedstaaten beim freiwilligen Vertragsabschluss mindestens gleichberechtigt gegenüber Frontex sein könnten. Allerdings hat Frontex auf den Einsatzplan verstärkten Einfluss. So ist es der Exekutivdirektor, der diesen Vertrag ausarbeitet. Der Einfluss der beteiligten Mitgliedstaaten und des Einsatzmitgliedstaates beschränkt sich darauf, Anpassungen und Änderungswünsche in Bezug auf den durch Frontex ausgearbeiteten Plan vorzutragen.1056 Wenn sich der Einsatzmitgliedstaat und die beteiligten Mitgliedstaaten durch die Benennung von Grenzschützern zu einem Einsatz im Rahmen von Frontex entscheiden und den Einsatzplan abschließen, unterwerfen sie sich den spezifischen unionsrechtlichen Strukturen und Vorgaben der Agentur. Nicht zuletzt deshalb wird der Vertrag auch als „unionsrechtlicher“ Verwaltungsvertrag qualifiziert.1057 Folglich entsteht nach Abschluss des Einsatzplanes auch eine unionsrechtliche Verpflichtung, den operativen Einsatz entsprechend dem Einsatzplan auszuführen. Zu beachten ist jedoch, dass der Einsatzplan entsprechend der koordinierenden Funktion der Grenzschutzagentur Frontex keine Verpflichtungen hinsichtlich der operativen Handlungen selbst, d. h. der außenwirksamen Handlungen, die unmittelbar in die Rechtspositionen der betroffenen Personen eingreifen, enthält. Er enthält vielmehr Bestimmungen beispielsweise zum Einsatzgebiet, zum Ziel der Aktion, zur Zusammensetzung der Teams sowie zur Festlegung der Befehlsketten, vgl. Art. 16 Frontex-VO. Die verpflichtenden Vorgaben zur operativen Ausführung selbst stammen sodann vom Einsatzmitgliedstaat, Art. 40 Abs. 3 Frontex-VO. Die Verpflichtung durch den Einsatzplan dient somit der Koordinierung der bereitgestellten Grenzschutzbeamten und ihrer Zurverfügungstellung an den Einsatzmitgliedstaat im Wege einer Organleihe. Insofern kann von einer koordinierenden Verpflichtung im Hinblick auf den operativen Einsatz gesprochen werden. d) Zwischenergebnis Somit lässt sich im Rahmen von Frontex eine gewisse Verpflichtung aus dem Unionsrecht, genauer: aus dem Einsatzplan, herleiten. Diese Verpflichtung ist jedoch akzessorisch zur im Ausgangspunkt freiwilligen Entscheidung der Mitgliedstaaten, sich über die Bereitstellung von Grenzschutzbeamten an den operativen Einsätzen zu beteiligen. Des Weiteren hängt die Verpflichtung von der freiwilligen Entscheidung des Einsatzmitgliedstaates ab, einen Einsatz unter der Koordinierung von Frontex durchzuführen. Ob diese in doppelter Hinsicht akzessorische unions 1056 1057

Lehnert, Frontex und operative Maßnahmen, S. 393. S. oben unter B. III. 5. c) bb), S. 237 f.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

rechtliche Pflicht ebenso wie der koordinierende Charakter der Verpflichtung für eine Bindung an die Grundrechtecharta genügt, wird sich anhand der weiteren Kriterien zeigen. e) Annex: Teilnahme von Nicht-EU-Mitgliedstaaten an Frontex-Einsätzen Die dargestellte Verpflichtung durch das Unionsrecht betrifft zunächst nur die Mitgliedstaaten der EU. Am Schengen-Raum und bei Frontex-Operationen sind jedoch auch über entsprechende Assoziierungsabkommen Nicht-EU-Staaten, beispielsweise die Schweiz, beteiligt.1058 Für diese Staaten stellt sich die Frage, ob ihre Grenzschutzbeamten überhaupt einer Bindung an die Unionsgrundrechte unterliegen können. Aufgrund der Eigenschaft als Nicht-EU-Staat könnte es bereits an einer für die Grundrechtsbindung notwendigen unionsrechtlichen Verpflichtung fehlen. Für die Beantwortung der Frage nach der Grundrechtsbindung ist zwischen den beiden Möglichkeiten der Beteiligung an einem Einsatz zu differenzieren. aa) Organleihe zugunsten eines EU-Einsatzmitgliedstaates Die Einsatzkräfte der Nicht-EU-Staaten können zum einen im Wege einer Organleihe einem EU-Einsatzmitgliedstaat zur Verfügung gestellt werden. Aufgrund der Organleihe unterliegen die Grenzschutzbeamten dem Recht und den Weisungen des Einsatzmitgliedstaates. Insofern ist für die Grundrechtsbindung auf den Einsatzmitgliedstaat abzustellen, sodass sich aufgrund dessen EU-Mitgliedschaft keine Besonderheiten ergeben. Deshalb sind die Grenzschutzbeamten der Nicht-EU-Staaten an die Unionsgrundrechte gebunden, sofern auf Seiten des EU-Einsatzmitgliedstaates eine Durchführung von Unionsrecht im Sinne des Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh vorliegt. 1058

Vgl. dazu das Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaft über die Assoziierung dieses Staates bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstandes, SR 0.362.31, abrufbar unter: https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20042363/200812120000/0.362.31.pdf, zuletzt abgerufen am 10.11.2017, sowie den Beschluss 2008/146/EG des Rates vom 28. Januar 2008 über den Abschluss – im Namen der Europäischen Gemeinschaft – des Abkommens zwischen der Europäischen Union, der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizer Eidgenossenschaft über die Assoziierung der Schweizer Eidgenossenschaft bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstandes, ABl. Nr. L 53 v. 27.02.2008, S. 1. S. ferner die Vereinbarung zwischen der Europäischen Gemeinschaft einerseits sowie der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein andererseits zur Festlegung der Modalitäten der Beteiligung dieser Staaten an der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, SR 0.362.313, abrufbar unter: https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20091542/​ 201201160000/0.362.313.pdf, zuletzt abgerufen am 10.11.2017.

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

269

bb) Nicht-EU-Staaten als Einsatzmitgliedstaaten Problematisch könnte allerdings die Grundrechtsbindung sein, wenn der Einsatzmitgliedstaat ein Nicht-EU-Staat ist und ihm die Grenzschutzbeamten im Wege einer Organleihe zur Verfügung gestellt werden. In diesem Falle unterliegen die zur Verfügung gestellten Grenzschutzbeamten dem Recht und den Weisungen des Nicht-EU-Staates. Aufgrund der fehlenden EU-Mitgliedschaft könnte von vornherein keine Bindung an die Grundrechtecharta bestehen, die gemäß Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh nur die Unionsgrundrechtsbindung „der Mitgliedstaaten“ bei Durchführung des Unionsrechts anordnet. Allerdings ist zu beachten, dass die Nicht-EU-Staaten Assoziierungsabkommen hinsichtlich der Beteiligung am Schengen-Raum1059 sowie Zusatzvereinbarungen über ihre Beteiligung an Frontex geschlossen haben.1060 Kraft dieser Vereinbarungen findet zunächst auch für die assoziierten Nicht-EU-Staaten die Frontex-VO, mithin EU-Sekundärrecht, Anwendung. Über Art. 40 Abs. 2 Frontex-VO findet sodann neben dem nationalen Recht des Einsatzmitgliedstaates auch das Unionsrecht für die Teammitglieder Anwendung. Zum Unionsrecht gehört auch die Grundrechtecharta. Die Nicht-EU-Staaten unterwerfen sich damit über die Assoziierungsabkommen vertraglich der Grenzschutzagentur Frontex sowie dem Unionsrecht, sodass darüber eine Bindung an die Grundrechtecharta gemäß Art. 51  GRCh konstruiert werden kann, sofern die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen. Dazu zählt auf erster Stufe eine Verpflichtung durch das Unionsrecht. Diese kann – entsprechend den Ausführungen zu den EU-Mitgliedstaaten – zwar nicht in einer Verpflichtung zur Bereitstellung von Grenzschutzbeamten, jedoch im unionsrechtlichen Einsatzplan gesehen werden. Insofern ergeben sich auch hier im Vergleich zu den EU-Mitgliedstaaten keine relevanten Abweichungen. cc) Ergebnis Als Ergebnis zur Beteiligung von assoziierten Nicht-EU-Staaten an Frontex-Einsätzen kann damit festgehalten werden, dass sich letztlich im Vergleich zu den EU-Staaten keine Besonderheiten ergeben. Stellen die Nicht-EU-Staaten ihre Grenzschutzbeamten einem EU-Einsatzmitgliedstaat zur Verfügung, ist hinsichtlich der Grundrechtsbindung ohnehin auf diesen abzustellen. Ist der Nicht-EUStaat der Einsatzmitgliedstaat, findet das Unionsrecht kraft der geschlossenen 1059

Vgl. beispielhaft die Schweiz, Fn. 1058. Vgl. etwa die Vereinbarung zwischen der Europäischen Gemeinschaft einerseits sowie der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein andererseits zur Festlegung der Modalitäten der Beteiligung dieser Staaten an der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, SR 0.362.313, abrufbar unter: https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/​20​ 091542/201201160000/0.362.313.pdf, zuletzt abgerufen am 10.11.2017. 1060

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Assoziierungsabkommen und Zusatzvereinbarungen Anwendung, sodass darüber letztlich die Unionsgrundrechtsbindung wie bei den Mitgliedstaaten begründet werden kann, sofern auch für diese überhaupt eine Unionsgrundrechtsbindung besteht. Deshalb muss im Folgenden hinsichtlich der Bindung an die Grundrechtecharta nicht zwischen den EU- und Nicht-EU-Staaten differenziert werden. 2. Unmittelbarkeitszusammenhang Auf Basis der festgestellten unionsrechtlichen Verpflichtung stellt sich die Frage, ob zwischen der Verpflichtung und dem mitgliedstaatlichen Handeln ein für die Grundrechtsbindung ausreichender Unmittelbarkeitszusammenhang besteht. Dies ist anhand der vier aufgestellten Unmittelbarkeitskriterien zu prüfen. a) Bezwecken der Durchführung von Unionsrecht Bei einem Frontex-Einsatz müsste die Durchführung von Unionsrecht bezweckt werden. In Betracht kommt zunächst das Bezwecken der Durchführung der Frontex-VO, der Seeaußengrenzen-VO und des SGK. Diese geben allerdings, wie dargestellt, nur den organisatorischen Rahmen der Einsätze vor. Der operative Einsatz selbst basiert auf einer Organleihe zugunsten des Einsatzmitgliedstaates und auf dessen Ermächtigungsgrundlagen. Dementsprechend wird von den Mitgliedstaaten die Durchführung dieser Ermächtigungsgrundlagen und nicht die unmittelbare Durchführung der genannten Verordnungen bezweckt. Aufgrund des rahmen­gebenden Charakters kann allerdings von einem indirekten Bezwecken ihrer Durchführung ausgegangen werden. In Betracht kommt weiterhin das Bezwecken der Durchführung des Einsatz­ planes, der als unionsrechtlicher Verwaltungsvertrag qualifiziert wurde. Indem sich die Mitgliedstaaten für einen Einsatz im Rahmen von Frontex entscheiden und den Einsatzplan abschließen, bezwecken sie auch dessen Durchführung. Damit ist im Rahmen von Frontex die Indizfunktion des ersten Kriteriums erfüllt. b) Charakter der Regelung Mit dem Charakter wird neben der nationalen Regelung auch auf diejenigen Regelungen Bezug genommen, die durch die Mitgliedstaaten vermeintlich durchgeführt werden.1061

1061

S. dazu oben, 3.  Kapitel, E. V. 1. b) bb) (2), S. 153.

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

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aa) Koordinierendes zweistufiges System Die Begrifflichkeit einer europäischen Grenzschutzagentur und die dabei zum Einsatz kommenden europäischen Grenz- und Küstenwacheteams erwecken auf den ersten Blick den Eindruck, Frontex würde mit eigenen Grenzschutzbeamten im Sinne einer eigenen europäischen Grenzschutzpolizei an den Außengrenzen der EU handeln.1062 Die Schilderungen zum operativen Einsatz zeichnen allerdings ein anderes Bild. Es sind nicht eigene europäische Grenzschützer, die bei einem Frontex-Einsatz tätig werden, sondern vielmehr von den Mitgliedstaaten bereitgestellte Grenzschutzbeamte. Dabei konnte ein von Frontex koordiniertes zweistufiges System operativen Handelns festgestellt werden.1063 Frontex ist hierbei auf der ersten Stufe tätig und trägt durch Risikoanalysen und Schwachstellenbeurteilungen zur Einleitung operativer Einsätze bei. Durch den Exekutivdirektor bestimmt Frontex, ob auf Ersuchen eines Einsatzmitgliedstaates ein entsprechender operativer Einsatz durchgeführt wird. Zusammen mit dem Einsatzmitgliedstaat erstellt Frontex einen Einsatzplan, überwacht diesen und teilt dem Einsatzmitgliedstaat über einen Koordinierungsbeamten seine Standpunkte bezüglich des operativen Einsatzes mit. Die operative Ausführung obliegt sodann dem Einsatzmitgliedstaat auf der zweiten Stufe. Damit ist die Grenzschutzagentur Frontex auf der unionsrechtlichen Ebene koordinierend tätig, während die zweite Ebene mitgliedstaatlich geprägt ist. bb) Hervorgehobene Rolle des Einsatzmitgliedstaates Bezüglich dieses koordinierenden zweistufigen Systems kann der Frontex-VO im Hinblick auf die operativen Einsätze eine hervorgehobene Rolle des Einsatzmitgliedstaates entnommen werden. Diese hervorgehobene Rolle äußert sich zum einen bei der Einleitung eines operativen Einsatzes. Zum anderen zeigt sie sich während der operativen Ausführung selbst. (1) Freiwilligkeitsprinzip zugunsten des Einsatzmitgliedstaates Zur Einleitung eines operativen Einsatzes ist nach Art. 15  Abs.  1, Abs. 2, 18 Abs. 1 Frontex-VO stets das Ersuchen des jeweiligen Einsatzmitgliedstaates erforderlich. Der Exekutivdirektor kann nach Art. 15 Abs. 4 Frontex-VO lediglich die Einleitung und Durchführung eines Einsatzes empfehlen, den Einsatzmitgliedstaat aber keinesfalls dazu zwingen. Diese starke Position des Einsatzmitgliedstaates wird durch Art. 62  Abs. 3 ­Frontex-VO unterstrichen. Hiernach sind zur Annahme von Vorschlägen des Ver 1062 Diesen Eindruck erweckt im Übrigen auch die mediale Berichterstattung über Frontex-Einsätze, vgl. etwa FAS v. 06.12.2015, S. 1. 1063 S. dazu oben unter B. III. 5. d), S. 239 ff.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

waltungsrates für Beschlüsse über spezielle Maßnahmen der Agentur, die an den Außengrenzen eines bestimmten Mitgliedstaates oder in deren unmittelbaren Nähe durchgeführt werden sollen, die Zustimmung des Mitglieds, das diesen Mitgliedstaat im Verwaltungsrat vertritt, erforderlich. Der Einsatzmitgliedstaat besitzt damit ein Vetorecht in Bezug auf operative Einsätze in seinem Hoheitsgebiet oder in dessen unmittelbarer Nähe. Entgegen seinem Willen kann kein operativer Einsatz stattfinden. Dies dient dem Schutz seiner Gebietshoheit. Diese starke Position des Einsatzmitgliedstaates scheint durch Art. 19 Frontex-VO relativiert zu werden. Art. 19 Frontex-VO enthält auf den ersten Blick die Möglichkeit der Erzwingung eines operativen Einsatzes in einem Mitgliedstaat, wenn ein Handeln an den Außengrenzen dringend geboten ist. Allerdings ist, wie bereits nachgewiesen, auch für einen über Art. 19 Frontex-VO angeregten Einsatz letztlich die Zustimmung des Einsatzmitgliedstaates erforderlich.1064 Ein Einsatz gegen den Willen des Einsatzmitgliedstaates kann auch im Rahmen von Art. 19 Frontex-VO nicht stattfinden. Weigert sich der Einsatzmitgliedstaat, können in letzter Konsequenz nur die Binnengrenzen geschlossen werden, sodass sich der Außengrenzschutz wieder an die Grenzen der einzelnen Mitgliedstaaten verlagert.1065 Auch im Rahmen der neuen Frontex-VO wird dem Einsatzmitgliedstaat mithin eine sehr starke Position zugestanden. Ohne seinen Willen ist ein Einsatz in seinem Hoheitsgebiet oder in dessen Nähe nicht möglich. Es kann daher von einem Freiwilligkeitsprinzip zugunsten des Einsatzmitgliedstaates gesprochen werden. (2) Organleihe zugunsten des Einsatzmitgliedstaates Weiterhin zeigt sich die hervorgehobene Rolle des Einsatzmitgliedstaates darin, dass die beteiligten multinationalen Grenzschutzbeamten dem Einsatzmitgliedstaat im Wege einer Organleihe zur Verfügung gestellt werden.1066 Die dem Einsatzmitgliedstaat zur Verfügung gestellten europäischen Grenz- und Küstenwacheteams handeln nach seinen Weisungen und auf Basis seiner Ermächtigungsgrundlagen. Die Einflussmöglichkeiten der Agentur auf diese Weisungen sind mit den durch den Koordinierungsbeamten übermittelten Standpunkten, die nur „so weit wie möglich“ berücksichtigt werden müssen,1067 sehr beschränkt. Der Einsatzmitgliedstaat erweist sich damit als einer der zentralen Akteure im Rahmen operativer Frontex-Einsätze.

1064

S. oben unter B. III. 5. c) aa) (3), S. 236 f. S. oben unter B. III. 5. c) aa) (3), S. 236 f. 1066 S. oben unter B. III. 5. d) bb) (2), S. 242 f. 1067 Vgl. Art. 21 Abs. 2 S. 2 Frontex-VO. 1065

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

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cc) Kompetenzrechtlich zwingend vorgegebener koordinierender Charakter Die soeben festgestellte Abhängigkeit vom Einsatzmitgliedstaat basiert darauf, dass die Frontex-VO eine bloße zwischenstaatliche Koordinierung des euro­ päischen Außengrenzschutzes unter dem Dach von Frontex anordnet.1068 Deshalb ist fraglich, ob diese koordinierende zwischenstaatliche Ausrichtung bereits die kompetenzrechtliche Grenze des Art. 77 Abs. 2 lit. d) AEUV bildet, sodass der koordinierende Charakter kompetenzrechtlich zwingend vorgegeben ist, oder ob ein darüberhinausgehendes Grenzschutzsystem möglich wäre.1069 (1) Errichtung eines integrierten Grenzschutzsystems Nach Art. 77 Abs. 2 lit. d) AEUV hat die EU die Kompetenz zum Erlass aller Maßnahmen, die für die schrittweise Einführung eines integrierten Grenzschutzsystems an den Außengrenzen erforderlich sind. Entscheidende Frage ist deshalb, was unter der schrittweisen Einführung eines integrierten Grenzschutzsystems zu verstehen ist. (a) Direktvollzug durch EU-Grenzschutzbeamte? Unter der schrittweisen Einführung eines integrierten Grenzschutzsystems könnte im Endstadium die Errichtung eines Direktvollzuges durch EU-Grenzschutz­ beamte und damit die Schaffung eines echten supranationalen Grenzschutzes zu verstehen sein. Der Wortlaut des Art. 77 Abs. 2 lit. d) AEUV scheint die Einführung eines solchen supranationalen EU-Grenzschutzes im Sinne eines Direktvollzuges zu decken. Auch im Vergleich zu Art. 62 Abs. 2 lit. a) EGV als Vorgängernorm des Art. 77 AEUV ist der Wortlaut deutlich weiter. Zudem bestand bei der Errichtung des europäischen Grenzschutzes die Vision der Schaffung eines EU-Grenzschutzkorps.1070 Würde Art. 77 Abs. 2 lit. d) AEUV die Einführung eines EU-Grenzschutzkorps nicht ermöglichen, hätte diese Norm zudem angesichts des Art. 74 AEUV, der Maßnahmen zur Verwaltungszusammenarbeit ermöglicht, keinen wirklich eigenständigen Anwendungsbereich.1071 Insofern könnte die Ansicht vertreten werden, dass Art. 77 Abs. 2 lit. d) AEUV eine ausreichende kompetenzrechtliche Grund-

1068

S. oben unter B. III. 5. d) aa), S. 239 f. Vgl. dazu Thym, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  77 AEUV Rn.  37. 1070 KOM (2002) 233 endg., S. 23 ff.; KOM (2004) 401 endg., S. 9; Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 154 f.; Thym, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  77 Rn. 37. 1071 In diese Richtung etwa Weiß, in: Streinz, EUV / ​AEUV, Art. 77 AEUV Rn. 32. 1069

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

lage für die Errichtung eines europäischen Grenzschutzkorps im Sinne eines Direktvollzuges darstellt.1072 Allerdings wurde die Bezeichnung „integriertes Grenzschutzsystem“ bereits bei der Diskussion um die Einführung einer mitgliedstaatlichen Zusammenarbeit im Bereich des Grenzschutzes verwendet. Ursprünglich bezeichnete das integrierte Grenzschutzsystem somit nicht ein EU-Grenzschutzkorps, sondern vielmehr die zwischenstaatliche Zusammenarbeit. In Folge dieser Diskussion wurden die Grenzschutzagentur Frontex und die Soforteinsatzteams geschaffen, sodass diese bereits das integrierte Grenzschutzsystem darstellen.1073 Gegen dieses Verständnis könnte ins Feld geführt werden, dass Art. 77 Abs. 2 lit. d) AEUV als Kompetenztitel erst geschaffen wurde, als Frontex bereits existierte. Ist trotz erfolgter Errichtung der Grenzschutzagentur Frontex von einer „schrittweisen Einführung eines integrierten Grenzschutzsystems“ die Rede, müsste dies über den Status quo ante hinausgehen. Diesem Einwand ist jedoch entgegenzuhalten, dass bei der Schaffung von Frontex umstritten war, ob die Kompetenznormen des EGV für die Errichtung der Agentur überhaupt ausreichen.1074 Insofern wurde jedenfalls mit Art. 77  Abs. 2 lit. d) AEUV nachträglich eine ausreichende Kompetenznorm geschaffen. Unter Berücksichtigung der Entstehung des Begriffs „integriertes Grenzschutzsystem“ im Rahmen der Statuierung einer transnationalen Zusammenarbeit im Bereich des Außengrenzschutzes ist mit dieser Begrifflichkeit somit nicht zwingend die Einführung eines Direktvollzugs durch ein EU-Grenzschutzkorps erfasst.1075 Auch das systematische Argument, Art. 77 Abs. 2 lit. d) AEUV wäre ansonsten aufgrund von Art. 74 AEUV praktisch überflüssig,1076 verfängt nicht. Eine intensive Verwaltungskooperation wie sie im Rahmen von Frontex besteht, geht über eine bloße Verwaltungszusammenarbeit und damit über die Grenze des Art. 74 AEUV hinaus.1077 Art. 77 Abs. 2 lit. d) AEUV hat damit auch ohne das Erfassen des Direktvollzuges einen eigenständigen Anwendungsbereich. 1072 Kortländer, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 77 AEUV Rn. 17; Weber, ZAR 2008, 55, 56; Weiß, in: Streinz, EUV / ​AEUV, Art. 77 AEUV Rn. 32; für die entsprechende Kompetenz im Verfassungsvertrag vgl. ter Steeg, Das Einwanderungskonzept der EU, S. 417; Streinz / ​Ohler / ​Herrmann, Die neue Verfassung für Europa, S. 107; Weber, Das Europäische Flüchtlingsund Migrationsrecht im Lichte des EU-Verfassungsvertrags, in: Pache, Die EU – Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts?, S. 59, 75. 1073 Thym, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  77 AEUV Rn.  37. 1074 Weiß, in: Streinz, EUV / ​AEUV, Art. 77 AEUV Rn. 32; Weiß, in: Streinz, EUV / ​AEUV, Art. 74 AEUV Rn. 13; vgl. auch Streinz / ​Ohler / ​Hermann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, S. 161 Fn. 910. 1075 Thym, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  77 AEUV Rn.  37. 1076 Dies zumindest andeutend vgl. Weiß, in: Streinz, EUV / ​AEUV, Art. 77 AEUV Rn. 32, wonach eine bloße Zusammenarbeit von Grenzdienststellen schon auf Grundlage von Art. 74 AEUV möglich wäre. 1077 Weiß, in: Streinz, EUV / ​AEUV, Art. 74 AEUV Rn. 13.

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Wird Art. 77 Abs. 2 lit. d) AEUV im Lichte des Art. 4 Abs. 2 EUV und der Unberührtheit der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit nach Art. 72 AEUV ausgelegt, bestärkt dies die Ansicht, wonach Art. 77 Abs. 2 lit. d) AEUV die Einführung eines supranationalen Grenzschutzes durch den Übergang zum Direktvollzug nicht gestattet.1078 Als weiteres Argument gegen einen echten supranationalen EU-Außengrenzschutz tritt hinzu, dass Art. 77 Abs. 2 lit. d) AEUV nur die „schrittweise Einführung eines integrierten Grenzschutzsystems“ (Herv. d. Verf.) vorsieht. Von einem integrierten Grenzschutzsystem ist der integrierte Grenzschutz begrifflich zu unterscheiden. Ein integrierter Grenzschutz könnte in der Tat die Schaffung eines supranationalen Grenzschutzes durch eigene EU-Grenzschutzbeamte erfassen. Der Begriff des Systems setzt jedoch mehrere Elemente voraus, die miteinander in Beziehung stehen und durch eine ordnende Struktur eine Einheit bilden.1079 Bei einem europäischen Grenzschutzsystem sind dies die verschiedenen Mitgliedstaaten, die durch ein ordnendes System – etwa der Grenzschutzagentur Frontex – zu koor­dinieren sind. Ein integriertes Grenzschutzsystem ist somit zwingend auf eine Beteiligung und damit auf eine Koordinierung der Mitgliedstaaten ausgerichtet. Die Schaffung eines supranationalen Grenzschutzes durch eigene EU-Grenzschutzbeamte ist davon nicht gedeckt. Diese Interpretation wird neben dem Systembegriff auch durch eine Auslegung des Begriffs der „Integration“ unterstützt. Dabei ist eine Parallele zum Integrationsbegriff im Bereich der GASP / ​GSVP zu ziehen. Die GSVP erfasst bisher nur die Errichtung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik und nicht die Errichtung einer gemeinsamen Verteidigung. Im Rahmen einer gemeinsamen Verteidigungspolitik ist der Aufbau „echter“ integrierter Streitkräfte, d. h. unionseigener Streitkräfte, ausgeschlossen. Dies wäre erst im Rahmen einer gemeinsamen Verteidigung durch eine Vertragsänderung unter Beachtung der jeweiligen mitgliedstaatlichen Verfassungen möglich.1080 Wird gleichwohl von einer Integration der Streitkräfte oder von integrierten Streitkräften gesprochen, so sind damit die mitgliedstaatlichen Streitkräfte, die durch die GSVP koordiniert werden, gemeint. Unter Zugrundelegung dieses Verständnisses ist unter der „Integration“ im Rahmen der GASP / ​GSVP nur ein koordinierender unionsrechtlicher Rahmen zu verstehen, in welchen die Streitkräfte „integriert“ werden. Dieses Verständnis der Integration findet sich auch in der Rechtsprechung des BVerfG wieder, wonach das militärische und polizeiliche Gewaltmonopol bei den Mitgliedstaaten verbleiben muss.1081 Insofern kann in polizeilicher und militärischer Hinsicht die „Integra 1078

Thym, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  77 AEUV Rn.  37; Thym, in: Kluth / ​ Heusch, BeckOK AusländerR, Art. 77 AEUV Rn. 17. 1079 Stichwort „System“, in: Brockhaus, Enzyklopädie, Bd. 26, S. 772. 1080 Vgl. Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 42 Rn. 7 ff. 1081 BVerfG, NJW 2009, 2267, 2274 Rn. 249 = BVerfGE 134, 267 (Lissabon).

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tion“ nur als Integration in einen unionskoordinierten Rahmen verstanden werden, denn nur ein solcher belässt das Gewaltmonopol bei den Mitgliedstaaten. Da dieses Verständnis der Integration nicht nur den militärischen, sondern auch den polizeilichen Bereich betrifft, ist diese Auslegung des Begriffes der Integration auch auf die Grenzpolizei und Frontex übertragbar. Mithin erfasst ein integriertes Grenzschutzsystem nur die schrittweise Integration in ein unionskoordiniertes System, wobei das Gewaltmonopol bei den Mitgliedstaaten verbleiben muss. (b) Elemente eines integrierten Grenzschutzsystems Der Kompetenztitel des Art. 77 Abs. 2 lit. d) AEUV umfasst folglich nur eine weitere schrittweise Vertiefung der mitgliedstaatlichen Kooperation und Koordination im Bereich des Außengrenzschutzes. Kennzeichnend für ein solches integriertes Grenzschutzsystem ist eine bei den Mitgliedstaaten verbleibende Exekutivverantwortung.1082 Dies hat zur Folge, dass der Einsatz maßgeblich von den Mitgliedstaaten und insbesondere dem Einsatzmitgliedstaat geprägt werden muss. Dieses Ergebnis wird durch Art. 4 Abs. 2 S. 2, 3 EUV und Art. 72 AEUV bestärkt, wonach die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Schutz der nationalen Sicherheit in den Wahrnehmungsbereich der Mitgliedstaaten fällt.1083 Diese Wertungen muss der Unionsgesetzgeber bei der Ausgestaltung des Sekundärrechts berücksichtigen,1084 sodass hierdurch die Reichweite der EU-Kompetenzen begrenzt wird.1085 Dies führt letztlich zu einem Ausschluss einer EU-Kompetenz für operative Polizei- und Grenzschutztätigkeiten.1086 Ein integriertes Grenzschutzsystem umfasst mithin nur eine koordinierende Tätigkeit der europäischen Ebene, während die operative Ebene weiterhin bei den Mitgliedstaaten anzusiedeln ist. Insofern ist die koordinierende Tätigkeit der Grenzschutzagentur Frontex unter operativer Einbeziehung der Mitgliedstaaten kompetenzrechtlich zwingend vorgegeben. In Bezug auf Art. 77 Abs. 2 lit. d) AEUV kann daher von einer auf die Koordinierung mitgliedstaatlichen Handelns beschränkten, geteilten Zuständigkeit gesprochen werden.

1082

Zur verbleibenden Exekutivverantwortung s. Thym, Migrationsverwaltungsrecht, S. 350. Thym, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  77 AEUV Rn.  37. 1084 Thym, in: Kluth / ​Heusch, BeckOK AusländerR, Art. 72 AEUV Rn. 1. 1085 Weiß, in: Streinz, EUV / ​AEUV, Art. 72 AEUV Rn. 2; s. auch Röben, in: Grabitz / ​Hilf / ​ Nettesheim, EUV / ​AEUV, Art. 72 AEUV Rn. 17. 1086 Thym, in: Kluth / ​Heusch, BeckOK AusländerR, Art. 72 AEUV Rn. 1; s. auch Breitenmoser / ​Weyeneth, EUV / ​A EUV, Art. 72 AEUV Rn. 12; Rossi, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 72 AEUV Rn. 5; Weiß, in: Streinz, EUV / ​AEUV, Art. 72 AEUV Rn. 2. 1083

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(c) Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb des integrierten Grenzschutzsystems Fraglich ist, ob vertiefende Schritte wie beispielsweise die Einführung einer Pflicht zur Bereitstellung von Grenzschutzbeamten oder die Pflicht eines Einsatzmitgliedstaates, einen Einsatz entgegen seinem Willen dulden zu müssen, von der Schaffung eines integrierten Grenzschutzsystems gedeckt wären. Dagegen spricht, dass in diesem Falle die Mitgliedstaaten bzw. der Einsatzmitgliedstaat nicht mehr in die Entscheidung zum operativen Einsatz eingebunden und damit bloßes Verfügungsobjekt einer von den Mitgliedstaaten losgelösten Grenzschutzagentur wären. Dies würde dem Erfordernis einer bei den Mitgliedstaaten verbleibenden Exekutivverantwortung widersprechen und damit bereits die Errichtung eines integrierten Grenzschutzes bedeuten. (2) Ergebnis Zusammenfassend setzt ein integriertes Grenzschutzsystem eine substantielle Beteiligung der Mitgliedstaaten an den operativen Einsätzen und eine bei ihnen verbleibende Exekutivverantwortung voraus. Der Übergang zum nicht mehr kompetenzrechtlich gedeckten integrierten Grenzschutz würde einerseits durch die Errichtung eines EU-Grenzschutzkorps erfolgen, welches aus Grenzschutzbeamten der EU besteht. Andererseits wäre der Übergang zum integrierten Grenzschutz auch mit der Abkehr vom Freiwilligkeitsprinzip oder der Pflicht eines Einsatzmitgliedstaates, einen Einsatz entgegen seinem Willen dulden zu müssen, erreicht. Die aktuelle Frontex-VO bewegt sich aufgrund der zwischenstaatlichen Ausrichtung und der hervorgehobenen Rolle des Einsatzmitgliedstaates im Rahmen des kompetenzrechtlich Zulässigen. Gleichzeitig zeigt die Untersuchung, dass eine solche koordinierende zwischenstaatliche Ausrichtung kompetenzrechtlich zwingend vorgegeben ist und weiter vertiefende Schritte hin zu einem supranationalen Grenzschutz nicht mehr von der Kompetenznorm gedeckt wären. dd) Auswirkungen Die Regelungen von Frontex sind mithin als das mitgliedstaatliche Handeln im Rahmen eines zweistufigen Systems koordinierende Normenkomplexe unter hervorgehobener Position des Einsatzmitgliedstaates zu charakterisieren, wobei der koordinierende Charakter kompetenzrechtlich zwingend vorgegeben ist. Fraglich ist, ob ein solcher bloß koordinierender Charakter unter hervorgehobener Stellung des Einsatzmitgliedstaates für einen Unmittelbarkeitszusammenhang zwischen den unionsrechtlichen Regelungen und der operativen Ausführung durch die Mitgliedstaaten ausreichend ist.

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Aufgrund des koordinierenden Charakters ist  – ebenso wie im Rahmen der GASP  – auf die Entscheidungen des EuGH zur Grundrechtsbindung innerhalb anderer unionskoordinierter Bereiche, wie beispielsweise des Sozialhilferechts,1087 hinzuweisen, insbesondere auf die Entscheidung in der Rechtssache Dano.1088 Aufgrund des bloß koordinierenden Charakters einer sozialhilferechtlichen Verordnung verneinte der EuGH eine Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechtecharta.1089 Hinsichtlich dieser Rechtsprechung und ihrer grundsätzlichen Übertragbarkeit auf andere unionskoordinierte Bereiche kann an dieser Stelle auf die Ausführungen zur Grundrechtsbindung der GASP verwiesen werden.1090 Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf den der Dano-Rechtsprechung zugrundeliegenden Koordinierungsbegriff, der hier jedoch nochmals zusammenfassend wiedergegeben wird.1091 Für den Koordinierungsbegriff kennzeichnend ist, dass der Schwerpunkt der ergriffenen Maßnahmen bei den Mitgliedstaaten liegt und diese nicht vollständig durch die EU verdrängt werden. Im Gegensatz zu anderen, nicht koordinierenden Kompetenzen geht es gerade nicht darum, den Mitgliedstaaten eine bestimmte Politik oder eine bestimmte Handlung verbindlich vorzuschreiben, sondern um eine Abstimmung parallelen mitgliedstaatlichen Handelns zur Verringerung von Spannungen und zur Steigerung der Effektivität.1092 Für die konkrete Übertragbarkeit der Dano-Rechtsprechungslinie auf Frontex ist somit entscheidend, ob auch bei Frontex eine Koordinierung mitgliedstaatlichen Handelns im Sinne dieser Definition vorliegt. Für Frontex wurde ebenfalls eine Art „Koordinierungskompetenz“ festgestellt.1093 Die Kompetenzordnung schreibt dabei zwingend eine bei den Mitgliedstaaten verbleibende Exekutivverantwortung vor. Damit verdrängt das Unionsrecht nicht das mitgliedstaatliche Handeln. Vielmehr gilt ebenso wie bei der GASP ein Rückgriffs- und Freiwilligkeitsprinzip, sodass ein eigenständiges operatives Handeln der Mitgliedstaaten erforderlich ist. Unter dem operativen Handeln sind die nach außen vorgenommenen Handlungen zu verstehen, die unmittelbar in die Rechtspositionen der betroffenen Personen eingreifen. Dazu zählen beispielsweise Festnahmen oder die Ausübung unmittel 1087

Zur diesbezüglichen Koordinierungskompetenz vgl. Art. 2 Abs. 5, 5 Abs. 3 AEUV; zur Abgrenzung des Art. 4 Abs. 2 lit. b) AEUV von Art. 5 Abs. 3 AEUV vgl. Nettesheim, in: Grabitz / ​Hilf / ​Nettesheim, EUV / ​A EUV, Art.  4 AEUV Rn.  13. 1088 S. hierzu die Ausführungen zur GASP, 3. Kapitel, E. VI. 2. b) dd), S. 182 ff.; EuGH, Urt. v. 11.11.2014, Rs. C-333/13, NJW 2015, 145 (Dano); s. dazu etwa Wollenschläger, NVwZ 2014, 1628; Thym, NVwZ 2015, 130. Vgl. auch den ähnlichen Fall EuGH, Urt. v. 19.09.2013, Rs. C-140/12, NZS 2014, 20 (Brey). 1089 S. oben, 3.  Kapitel, E. VI. 2. b) dd) (1), S. 182 f. 1090 S. oben, 3.  Kapitel, E. VI. 2. b) dd) (2) (a), S. 183 ff. 1091 S. oben, 3.  Kapitel, E. VI. 2. b) dd) (2) (a), S. 183 ff. 1092 Zum Ganzen s. oben, 3.  Kapitel, E. VI. 2. b) dd) (2) (a), S. 183 ff. 1093 S. oben unter E. III. 2. b) cc), S. 180 ff.

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baren Zwangs. Die verbindlichen Vorgaben für das operative Handeln stammen dabei ausschließlich vom Einsatzmitgliedstaat (vgl. Art. 40 Abs. 2 Frontex-VO), mithin von der mitgliedstaatlichen und nicht von der unionsrechtlichen Ebene. Folglich wird bei den operativen Einsätzen auch mitgliedstaatliche Hoheits­gewalt ausgeübt. Zwar findet bei Frontex eine Verknüpfung der mitgliedstaatlichen Ebene mit der unionsrechtlichen Ebene statt. Die Verknüpfung beschränkt sich jedoch auf den Einsatzplan und die vom Koordinierungsbeamten übermittelten Standpunkte. Diese erfassen nur die strategische Ausrichtung des Einsatzes, wozu etwa die Bestimmung des Einsatzgebietes gehört und enthalten keine operativen Vorgaben im oben genannten Sinne. Die Verknüpfung der mitgliedstaatlichen mit der unionsrechtlichen Ebene dient der bloßen Koordinierung mitgliedstaatlichen Handelns ohne den Mitgliedstaaten in operativer Hinsicht verbindliche Vorgaben zu machen. Die oben festgestellte unionsrechtliche Verpflichtung durch den Einsatzplan hat insofern keine Auswirkungen auf die operative Handlung, sondern nur auf die diesbezügliche Koordinierung. Mithin besteht bei Frontex eine mit der Dano-Konstellation vergleichbare Koordinierung mitgliedstaatlichen Handelns. Aufgrund der in beiden Bereichen vorliegenden Koordinierungskompetenz stammen die rechtsverbindlichen Vorgaben für das außenwirksame Handeln nicht von der Unionsebene, sondern von den Mitgliedstaten selbst, die insofern eine hervorgehobene Position einnehmen. Das Unionsrecht bildet nur den koordinierenden Rahmen für die mitgliedstaatlichen Handlungen. Dementsprechend führt der koordinierende Charakter von Frontex im Einklang mit der Dano-Rechtsprechung dazu, dass nicht von einer Durchführung des Unionsrechts gesprochen werden kann. Der koordinierende Charakter von Frontex spricht somit gegen eine Bindung an die Unionsgrundrechte.1094 c) Keine Verfolgung anderer als unter das Unionsrecht fallende Ziele Als weiteres Kriterium für eine Grundrechtsbindung dürften im Rahmen von Frontex keine anderen als unter das Unionsrecht fallende Ziele verfolgt werden. Eine nur mittelbare Beeinflussung der Ziele durch das Unionsrecht genügt ebenfalls nicht. Für eine Verfolgung mitgliedstaatlicher Ziele im Rahmen von Frontex – insbesondere derjenigen des Einsatzmitgliedstaates – spricht, dass der Außengrenzschutz des jeweiligen Einsatzmitgliedstaates betroffen ist. Der Außengrenzschutz

1094

Vgl. auch Ladenburger / ​Vondung, in: Stern / ​Sachs, GRCh, Art. 51 Rn. 59. Ebenfalls bei von der EU koordinierten Bereichen – insb. Art. 5 f. AEUV – eine Bindung an die GRCh ablehnend, ohne jedoch die GASP oder Frontex explizit zu nennen: Ohler, NVwZ 2013, 1433, 1434; Thym, NVwZ 2013, 889, 893; Thym, DÖV 2014, 941, 949 f.

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ist eines der originären Ziele der Mitgliedstaaten, zumal er eng mit dem Staatsbegriff verknüpft ist.1095 Gleichwohl ist der Außengrenzschutz auch ein unionsrechtliches Ziel. So bildet die EU einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in dem der freie Personenverkehr möglich ist, wobei der Außengrenzschutz als Ausgleichsmaßnahme von Bedeutung ist. Aufgrund der engen Verknüpfung mit dem Staatsbegriff ist der Grenzschutz eine souveränitätsempfindliche Materie und bleibt weiterhin ein nationales Ziel. Dementsprechend hängen Einsätze im Rahmen von Frontex auch von der Zustimmung des Einsatzmitgliedstaates ab. Dies ist eine Ausprägung des Freiwilligkeitsprinzips, welches zur Wahrung der nationalen Souveränität des Einsatzmitgliedstaates beiträgt.1096 Der Einsatzmitgliedstaat nutzt Frontex mithin als Koordinationsforum, um seine eigenen Interessen in Bezug auf den Außengrenzschutz zu verfolgen. Zwar kann auch Frontex durch entsprechende Risikoanalysen Einsätze anstoßen. Mit Art. 19 Frontex-VO besteht sogar ein spezieller Mechanismus, um einen Mitgliedstaat zu einem operativen Einsatz zu drängen. Entsprechend dem Freiwilligkeitsprinzip und der Rückanbindung an den Einsatzmitgliedstaat hängt ein solcher Einsatz aber maßgeblich vom Einverständnis des Einsatzmitgliedstaates ab, entgegen dessen Willen kein Einsatz stattfinden kann. Zusammenfassend ist die Verfolgung des Außengrenzschutzes ein zentrales unionsrechtliches Ziel des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, das aber aufgrund der Rückanbindung an die Mitgliedstaaten weiterhin ein gewichtiges mitgliedstaatliches Ziel bleibt. Da somit das mitgliedstaatliche Ziel des Außengrenzschutzes mindestens gleichberechtigt neben dem unionsrechtlichen Ziel steht, spricht das Kriterium der ausschließlichen Verfolgung unionsrecht­ licher Ziele im Bereich von Frontex gegen einen Unmittelbarkeitszusammenhang und folglich gegen eine Bindung an die Unionsgrundrechte. d) Spezifische Regelung des Unionsrechts Ferner kann der Unmittelbarkeitszusammenhang mit einer spezifischen Regelung des Unionsrechts begründet werden. Fraglich ist, worin im Rahmen von Frontex die spezifischen Regelungen des Unionsrechts zu sehen sein könnten. In Betracht kommen zunächst die Frontex-VO, die Seeaußengrenzen-VO und der SGK. Diese stellen jedoch den bloßen verwaltungsorganisatorischen Rahmen der operativen Einsätze dar. Vor allem die Frontex-VO regelt das organisatorische Zusammenspiel der Agentur mit den Mitgliedstaaten und ordnet eine Verwaltungskooperation der Mitgliedstaaten mit Frontex an. Der operative Einsatz selbst findet im 1095 1096

S. oben unter B. II. 1.  S. 199 ff. Zum Souveränitätsbegriff s. oben, 3. Kapitel, B. I. 3., S. 67 ff.

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Rechtsrahmen des Einsatzmitgliedstaates statt, dem die beteiligten Grenzschüt­zer im Wege einer Organleihe zur Verfügung gestellt werden und dessen Ermächtigungsgrundlagen dementsprechend gelten.1097 Die operativen Vorgaben stammen somit vom Einsatzmitgliedstaat, sodass darin die spezifischen Regelungen zu sehen sind. Eine spezifische Beeinflussung durch das Unionsrecht könnte jedoch durch den Einsatzplan erfolgen. Dafür spricht, dass dieser als unionsrechtlicher Verwaltungsvertrag eine Verpflichtung begründet, den Einsatz entsprechend den koordinierenden Vorgaben des Einsatzplanes auszuführen. Allerdings ist zweifelhaft, ob ein solch freiwillig abgeschlossener Einsatzplan für die Annahme einer spezifischen unionsrechtlichen Regelung genügt. Der freiwillig abgeschlossene Einsatzplan wurde zwar im Ausgangspunkt als ausreichende Verpflichtung durch das Unionsrecht anerkannt. Nunmehr steht jedoch der Unmittelbarkeitszusammenhang in Frage, dem eine wertende Betrachtung zugrundeliegt. Dabei ist es von Bedeutung, dass die Mitgliedstaaten den Einsatzplan freiwillig abschließen. So ist der Einsatzplan nicht Ausfluss einer spezifischen unionsrechtlichen Regelung, sondern das Ergebnis einer Einigung zwischen den Mitgliedstaaten und Frontex. Hinzu kommt, dass der Einsatzplan sowie alle anderen Regelungen bezüglich Frontex in Zusammenhang mit dem koordinierenden Charakter der Grenzschutzagentur zu sehen sind. Über den Einsatzplan werden die multinationalen Grenzschutzbeamten koordiniert, wohingegen die operative Ausgestaltung des koordinierenden Rahmens dem Einsatzmitgliedstaat überlassen bleibt. Der koordinierende Charakter führt jedoch nicht zu einem Unmittelbarkeitszusammenhang. Letztlich kann damit auch der Einsatzplan nicht als spezifische unionsrechtliche Regelung angesehen werden. Bei einem Frontex-Einsatz stammen die spezifischen Regelungen vielmehr aus dem entsprechenden Einsatzmitgliedstaat, dem die anderen Grenzschutzbeamten im Wege einer Organleihe zur Verfügung gestellt werden. e) Gesamtbetrachtung Auf Basis der Unmittelbarkeitskriterien ist nun zu untersuchen, ob diese zusammengenommen zu einem Unmittelbarkeitszusammenhang zwischen dem Unionsrecht und dem mitgliedstaatlichen Handeln führen und damit eine Bindung an die Grundrechtecharta begründen. Dabei ist zu beachten, dass diese Kriterien nicht abschließend sind und untereinander abgewogen werden müssen. aa) Abwägung der Unmittelbarkeitskriterien Bei Frontex kann davon ausgegangen werden, dass die Mitgliedstaaten die Durchführung von Unionsrecht bezwecken.1098 Dies ist jedoch nur ein erstes Indiz 1097 1098

S. zum Ganzen oben unter B. III. 5. d) bb), S. 240 ff. S. oben, E. III. 2. a), S. 270.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

für das Bestehen eines Unmittelbarkeitszusammenhangs. Schon der koordinierende Charakter von Frontex spricht entscheidend gegen einen Unmittelbarkeitszusammenhang und damit gegen eine Grundrechtsbindung. Ebenso spricht das Kriterium der ausschließlichen Verfolgung unionsrechtlicher Ziele aufgrund der parallelen Verfolgung mitgliedstaatlicher Ziele gegen einen Unmittelbarkeitszusammenhang. Auch eine spezifische Regelung des Unionsrechts, die die operative Ausführung maßgeblich beeinflusst, liegt aufgrund des koordinierenden Charakters der Regelungen, des Freiwilligkeitsprinzips und der dazwischengeschalteten eigenständigen operativen Entscheidungsbefugnis des Einsatzmitgliedstaates nicht vor. Mithin sprechen die überwiegende Anzahl der Kriterien gegen einen Unmittelbarkeitszusammenhang und somit gegen eine Bindung der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte. Insbesondere die Dano-Rechtsprechung, die in einem EU-koordinierten Bereich eine Grundrechtsbindung ablehnt, ist ein starkes Argument gegen die Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten im Bereich von Frontex. bb) Heranziehung der EuGH-Rechtsprechung zur Grundrechtsbindung bei Umsetzungs- und Ermessensspielräumen? Die EuGH-Rechtsprechung zur Grundrechtsbindung bei Umsetzungs- und Ermessensspielräumen könnte jedoch zu einer Unionsgrundrechtsbindung der Mitgliedstaaten führen,1099 wobei die koordinierenden unionsrechtlichen Vorgaben als Regelungen zu verstehen wären, die den Mitgliedstaaten einen Umsetzungs- und Ermessensspielraum in operativer Hinsicht gewähren. Ebenso wie im Rahmen der GASP ist diese EuGH-Rechtsprechung jedoch auch bei Frontex nicht anwendbar. Die Rechtsprechung des EuGH zur Grundrechtsbindung bei eingeräumten Umsetzungs- und Ermessensspielräumen betrifft nur Bereiche, in welchen die EU kraft ihrer Kompetenz die Möglichkeit gehabt hätte, anstelle der Umsetzungsspielräume den Mitgliedstaaten zwingende Vorgaben zu machen.1100 Der koordinierende Rahmen von Frontex eröffnet den Mitgliedstaaten zwar „Ermessensspielräume“. Bei Frontex ist die Kompetenz jedoch auf die Errichtung eines integrierten Grenzschutzsystems und damit auf die Koordinierung mitgliedstaatlichen Handelns unter verbleibender mitgliedstaatlicher Exekutivverantwor 1099 Zum Ermessen bei Verordnungen vgl. etwa EuGH, Urt. v. 24.03.1994, Rs. C-2/92 Slg. 1994, S. I-955, I-983 Rn. 16 (Bostock); EuGH, Urt. v. 14.07.1994, Rs. C-351/92, Slg. 1994, S. I-3361, I-3379 Rn. 17 (Graff); EuGH, Urt. v. 15.02.1996, Rs. C-63/93, Slg. 1996, S. I-569, I-610 Rn. 29 (Duff); EuGH, Urt. v. 13.04.2000, Rs. C-292/97, Slg. 2000, S. I-2737, I-2774 Rn. 37 (Karlsson); EuGH, Urt. v. 20.06.2002, Rs. C-313/99, Slg. 2002, S. I-5719, I-5764 f. Rn. 33–37 (Mulligan); EuGH, Urt. v. 21.12.2011, verb. Rs. C-411/10 u. C-439/10, Slg. 2011, S. I-13905, I-14018 Rn. 68 (N. S.). Zu Umsetzungsspielräumen bei Richtlinien vgl. etwa EuGH, Urt. v. 27.06.2006, Rs. C-540/​ 03, Slg. 2006, S. I-5769, I-5841 Rn. 104 f. (Europäisches Parlament / ​Rat); EuGH, Urt. v. 29.01.2008, Rs. C-275/06, Slg. 2008, S. I-271, I-346 Rn. 68 (Promusicae). 1100 S. oben, 3.  Kapitel, E. VI. 2. e) bb), S. 189 ff.

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

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tung beschränkt. Damit folgen diese „Ermessensspielräume“ bei Frontex aus der zwingenden Kompetenzordnung. Entsprechend den Ausführungen zur GASP kann an einen zwingend bestehenden Ermessens- und Umsetzungsspielraum keine Grundrechtsbindung angeknüpft werden, da dieser nicht Ausfluss unionsrechtlicher Hoheitsgewalt ist und dessen Ausfüllung durch die Mitgliedstaaten damit keiner Mäßigung durch die Unionsgrundrechte bedarf.1101 Vielmehr ist in diesem Fall die Dano-Rechtsprechungslinie anwendbar, die bei einer kompetenzrechtlich zwingend vorgegebenen Koordinierung mitgliedstaatlichen Handelns eine Grundrechtsbindung ablehnt.1102 cc) Zwischenergebnis Insgesamt kann damit – auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH zur Grundrechtsbindung bei Umsetzungs- und Ermessensspielräumen  – nicht von einem Unmittelbarkeitszusammenhang gesprochen werden. Mangels Unmittelbarkeitszusammenhangs besteht grundsätzlich keine Bindung der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte. 3. Bindung an die Grundrechtecharta zur Wahrung der Einheit, des Vorrangs und der Wirksamkeit des Unionsrechts Trotz fehlenden Unmittelbarkeitszusammenhangs könnte das Unionsrecht eine Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechtecharta verlangen, um die Einheit, den Vorrang und die Wirksamkeit des Unionsrechts nicht zu beeinträchtigen.1103 Dabei ist zu beachten, dass es nicht um den Vorrang und die Wirksamkeit der Grundrechtecharta selbst als Teil des Unionsrechts geht. Dies käme einem Zirkelschluss gleich. Vielmehr geht es darum, dass das für die Durchführung in Frage kommende Unionsrecht uneinheitlich angewendet werden würde, wenn die nationalen Grundrechte und damit sehr unterschiedliche Grundrechtsmaßstäbe Anwendung fänden.1104 Das bei Frontex für die Durchführung in Frage stehende Unionsrecht sind die Frontex-VO, die Seeaußengrenzen-VO, der SGK sowie der Einsatzplan. 1101

S. oben, 3.  Kapitel, E. VI. 2. e) bb), S. 189 ff. S. oben, 3.  Kapitel, E. VI. 2. e) bb), S. 189 ff. 1103 Vgl. dazu EuGH, Urt. v. 26.02.2013, Rs. C-399/11, EuZW 2013, 305, 309 Rn. 60 (Melloni); EuGH, Urt. v. 06.03.2014, Rs. C-206/13, NVwZ 2014, 575, 577 Rn. 32 (Siragusa); EuGH, Urt. v. 10.07.2014, Rs. C-198/13, EuZW 2014, 795, 798 Rn. 47 (Hernandez); zum Prinzip des Vorrangs im europäischen Grundrechtsraum vgl. auch Dederer, ZaöRV 66 (2006), 575, 580 ff. 1104 EuGH, Urt. v. 06.03.2014, Rs. C-206/13, NVwZ 2014, 575, 577 Rn. 32 (Siragusa); EuGH, Urt. v. 10.07.2014, Rs. C-198/13, EuZW 2014, 795, 798 Rn. 47 (Hernandez); s. auch schon EuGH, Urt. v. 17.12.1970, Rs. C-11/70, Slg. 1970, S. 1125, 1135 Rn. 3 (Internationale Handelsgesellschaft); EuGH, Urt. v. 26.02.2013, Rs. C-399/11, EuZW 2013, 305, 309 Rn. 60 (Melloni). 1102

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

a) Grundrechtsbindung zur Wahrung des Vorrangs und der Wirksamkeit des Unionsrechts Eine fehlende Geltung der Grundrechtecharta könnte zu einer Beeinträchtigung des Vorrangs und der Wirksamkeit der soeben genannten Verordnungen führen. Diese gelten – wie jede Verordnung – unmittelbar und mit Anwendungsvorrang vor nationalem Recht. Allerdings legen die oben genannten Verordnungen vor allem den verwaltungsorganisatorischen Rahmen der operativen Einsätze fest. Die operativen Handlungen finden nicht unmittelbar auf Grundlage der Verordnungen statt. Vielmehr werden die Grenzschutzbeamten auf Basis des Rechts des Einsatzmitgliedstaates tätig. Die unmittelbare Anwendbarkeit der Verordnungen und der Vorrang vor nationalem Recht haben folglich keine unmittelbaren Auswirkungen auf den operativen Einsatz. Mithin ist unter dem Aspekt der Wahrung des Vorrangs und der Wirksamkeit dieser Verordnungen keine Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten bei operativen Maßnahmen geboten. b) Grundrechtsbindung zur Wahrung der Einheit des Unionsrechts In Betracht kommt eine Bindung an die Unionsgrundrechte zur Wahrung der Einheit des Unionsrechts. Hintergrund einer solchen Grundrechtsbindung ist, dass bei Geltung verschiedener nationaler Grundrechtsmaßstäbe letztlich die Gefahr besteht, dass das Unionsrecht in den verschiedenen Mitgliedstaaten jeweils unterschiedlich gilt und somit der Zweck der Vereinheitlichung konterkariert ist. Bei einem Frontex-Einsatz existiert jedoch ein Einsatzmitgliedstaat, dem alle anderen Grenzschützer im Wege einer Organleihe zur Verfügung gestellt werden. Insofern gelten nur die Grundrechte dieses Einsatzmitgliedstaates, sodass keine Grundrechtszersplitterung droht. Eine Gefahr für die Einheit des Unionsrechts könnte jedoch darin zu sehen sein, dass in Abhängigkeit vom jeweiligen Einsatzmitgliedstaat ein unterschiedlicher Grundrechtsmaßstab gelten würde. Dabei ist allerdings die im Rahmen der Grundrechtsbindung zu beachtende Kompetenzordnung zu berücksichtigen, Art. 51 Abs. 2 GRCh. Die kompetenzrechtliche Grenze des europäischen Grenzschutzes ist die Errichtung eines integrierten Grenzschutzsystems, Art. 77 Abs. 2 lit. d) AEUV. Dies beinhaltet zwingend die Einbeziehung und damit die Koordinierung der Mitgliedstaaten bei einer bestehen bleibenden mitgliedstaatlichen Exekutivverantwortung. Die Schaffung eines EU-Grenzschutzkorps ist ausgeschlossen. Aufgrund der nur koordinierenden Funktion der Grenzschutzagentur Frontex ist der jeweilige Einsatz zwangsläufig von den Mitgliedstaaten und einem Einsatzmitgliedstaat abhängig. Durch die bei den Mitgliedstaaten verbleibende Exekutivverantwortung und der damit verbundenen Ausübung nationaler Hoheitsgewalt bei operativen Einsätzen sieht die Kompetenzordnung in Bezug auf die operativen Einsätze keine Einheit des Unionsrechts vor, sodass eine solche Einheit auch nicht

4. Kap.: Die Grundrechtsbindung von Frontex

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durch eine etwaige Unionsgrundrechtsbindung gewahrt werden müsste. Die Nichtgeltung der Unionsgrundrechte führt damit nicht zu einer Uneinheitlichkeit des Unionsrechts. Das Unionsrecht nimmt vielmehr kompetenzrechtlich aufgrund der bloßen Koordination mitgliedstaatlichen Handelns diese Uneinheitlichkeit in Kauf. c) Zwischenergebnis Eine Bindung an die Unionsgrundrechte zur Wahrung der Einheit, des Vorrangs und der Wirksamkeit des Unionsrechts ist damit im Bereich von Frontex ausgeschlossen. 4. Ergebnis Die Anwendung der aus der Rechtsprechung entwickelten Kriterien auf Frontex zeigt, dass eine Bindung der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte bei der operativen Ausführung abzulehnen ist. Im Ausgangspunkt kann eine nur schwache akzessorische Verpflichtung durch das Unionsrecht festgestellt werden. Im Rahmen der sich daran anschließenden Unmittelbarkeitskriterien können die Besonderheiten von Frontex ausreichend berücksichtigt werden. Diesbezüglich ist ein für die Grundrechtsbindung notwendiger Unmittelbarkeitszusammenhang insbesondere aufgrund des kompetenzrechtlich zwingend vorgeschriebenen koordinierenden Charakters nicht festzustellen. Auch das abschließende Kriterium der Wahrung der Einheit, des Vorrangs und der Wirksamkeit des Unionsrechts vermag eine Grundrechtsbindung nicht herbeizuführen. VI. Ergebnis zur Grundrechtsbindung nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh Als Ergebnis zur Grundrechtsbindung nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh ist somit festzuhalten, dass auf der zweiten Stufe der operativen Einsätze im Rahmen von Frontex keine Durchführung von Unionsrecht durch die Mitgliedstaaten im Sinne des Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh vorliegt. Damit sind die Mitgliedstaaten bei der operativen Ausführung nicht an die Grundrechtecharta, sondern an die Grundrechte des jeweiligen Einsatzmitgliedstaates gebunden.

F. Ergebnis zur Grundrechtsbindung von Frontex Als Gesamtergebnis zur Grundrechtsbindung von Frontex ergibt sich damit, dass die unionsrechtliche Ebene nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh umfassend an die Grundrechtecharta gebunden ist, während die mitgliedstaatliche Ebene mangels

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

„Durchführung des Rechts der Union“ nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh nicht der Bindung an die Grundrechtecharta unterliegt. Die Mitgliedstaaten sind vielmehr an die Grundrechte des jeweiligen Einsatzmitgliedstaates gebunden. Damit besteht im Rahmen von Frontex eine vergleichbare Grundrechtsbindung wie im Rahmen der GASP. Die Ursachen der vergleichbaren Grundrechtsbindung sowie die Auswirkungen der Grundrechtsdiskrepanz zwischen unionsrechtlicher und mitgliedstaatlicher Ebene werden nun, insbesondere im Hinblick auf etwaige Schutzpflichten der unionsrechtlichen Ebene gegenüber der mitgliedstaatlichen Ebene, im folgenden Kapitel untersucht. 5. Kapitel

Vergleichende Betrachtung der Grundrechtsbindung von GASP und Frontex – Ursachen und Auswirkungen A. Vergleichbare Grundrechtsbindung Bei Betrachtung des zweistufigen Systems operativen Handelns im Bereich der GASP und Frontex, bestehend aus der koordinierenden unionsrechtlichen Ebene und der operativ handelnden mitgliedstaatlichen Ebene, ergibt sich im Hinblick auf die Grundrechtsbindung ein vergleichbares Bild. I. Unionsrechtliche Ebene, Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh Auf der ersten Stufe sind die Organe und sonstigen Stellen der EU nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh umfassend an die Unionsgrundrechte gebunden. Dies betrifft im Bereich der GASP den Europäischen Rat, den Rat, das PSK, den Hohen Vertreter, das CIVCOM, den EU-Militärausschuss und den EU-Militärstab. Im Rahmen von Frontex sind dies der Verwaltungsrat, der Exekutivdirektor, der Koordinierungsbeamte und der zur EU-Ebene gehörende Einsatzplan. II. Mitgliedstaatliche Ebene, Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh Die mitgliedstaatliche Ebene, bestehend aus den mitgliedstaatlichen Einsatzkräften – hierzu gehört bei der GASP auch der Operationsbefehlshaber1105 – ist demgegenüber nach Art. 51  Abs. 1  S. 1  Alt.  2  GRCh nicht an die Grundrechtecharta gebunden. Hier gelten im Rahmen der GASP vielmehr die Grundrechte 1105

Zur Zwitterstellung des zivilen Operationskommandeurs s. oben, 3. Kapitel, D. V. 3., S. 136 f.

5. Kap.: Vergleichende Betrachtung von GASP und Frontex

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der beteiligten Mitgliedstaaten und im Rahmen von Frontex die Grundrechte des jeweiligen Einsatzmitgliedstaates.1106

B. Vergleichbare Struktur unionskoordinierten operativen Handelns als Ursache der vergleichbaren Grundrechtsbindung Diese Parallelität der Grundrechtsbindung resultiert aus einer vergleichbaren Struktur unionskoordinierten operativen Handelns, die im Folgenden anhand einer vergleichenden Betrachtung der GASP mit Frontex herauszuarbeiten ist. Hierbei kann auf die strukturelle Analyse des Zusammenspiels von Mitgliedstaaten und Unionsebene im Bereich der GASP und Frontex zurückgegriffen werden.1107 I. Systematische Stellung in den Europäischen Verträgen Auf den ersten Blick mag sich die Frage aufdrängen, wie die GASP mit F ­ rontex und umgekehrt verglichen werden kann, fallen doch etliche Unterschiede ins Auge, beginnend mit der systematischen Stellung beider Bereiche in den Europäischen Verträgen. Auf der einen Seite steht die GASP, die sich als eigenständige intergouvernementale Säule der EU entwickelt hat und auch nach dem Vertrag von Lissabon eine gewisse Sonderrolle einnimmt. Diese äußert sich formal in der Stellung der Regelungen im EUV. Weitere Besonderheiten wie beispielsweise der Ausschluss von Gesetzgebungsakten, die gestärkte Rolle des Rates bei gleichzeitig geschwächten Rollen der Kommission und des Europäischen Parlaments charakterisieren diese immer noch bestehende Sonderrolle. Es wurde nachgewiesen, inwiefern deshalb weiterhin von einer Intergouvernementalität der GASP gesprochen werden kann.1108 Im Gegensatz dazu ist die Grenzschutzagentur Frontex Teil des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Dieser ist im AEUV kodifiziert und folgt grundsätzlich supranationalen Entscheidungsstrukturen.1109 Hierbei sind Gesetzgebungsakte nicht ausgeschlossen, sondern werden vielmehr nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren unter Beteiligung von Kommission, Rat und Parlament erlassen, Art. 77 Abs. 2, 289 Abs. 1, 294 AEUV. 1106

Zur Frage der extraterritorialen Anwendbarkeit der Grundrechte vgl. das 6. Kapitel. S. hierzu oben, 3. Kapitel, B., S. 63 ff. 1108 S. dazu oben, 3. Kapitel, B. III. 6., S. 121 ff. 1109 Dies betrifft vor allem das Gesetzgebungsverfahren im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Für Frontex selbst hat sich jedoch eine stark zwischenstaatliche Ausrichtung ergeben, weshalb hierbei intergouvernementale Strukturen festzustellen sind, s. dazu unten, B. VIII, S. 295 f. 1107

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Aufgrund der systematischen Stellung in den Europäischen Verträgen scheinen zwei völlig unterschiedliche und nicht zu vergleichende Bereiche vorzuliegen. II. Historische Entstehung und Entwicklung Mit Blick auf die historische Entstehung und Entwicklung sind allerdings gewisse Gemeinsamkeiten festzustellen. Sowohl die GASP als auch der Außengrenzschutz betreffen souveränitätssensible Bereiche in welchen die Mitgliedstaaten nur sehr eingeschränkt bereit sind, den nationalen Herrschaftsanspruch zugunsten der EU zu beschränken. Insofern verwundert es nicht, dass die EPZ als Vorläufer der GASP zunächst als klassisch intergouvernementale Zusammenarbeit außerhalb der Europäischen Gemeinschaften konzipiert war, bevor die GASP als intergouvernemental organisierte eigenständige zweite Säule der EU Eingang in die Europäischen Verträge gefunden hat und auch bis heute einen gewissen Sonderstatus einnimmt. Auch der Außengrenzschutz rückte zunächst außerhalb der EU durch die völkerrechtlichen Schengener Übereinkommen in den Fokus, bevor er als „gemeinsames Interesse“ in die dritte, ebenfalls intergouvernemental organisierte Säule der EU Eingang fand.1110 Erst durch den Vertrag von Amsterdam und den Vertrag von Lissabon wurde die intergouvernementale dritte Säule schrittweise aufgelöst und in den EGV bzw. AEUV überführt. Beide Bereiche haben mithin ihren Ausgangspunkt in einer intergouvernementalen Zusammenarbeit. Erst im Laufe der Zeit wurde die dritte Säule und damit auch der Außengrenzschutz in den EGV bzw. AEUV überführt und damit supranationalen Entscheidungsstrukturen unterworfen, wohingegen die GASP ihren Sonderstatus trotz Auflösung der Säulenstruktur beibehalten hat. III. Inhaltliche Ziele 1. Äußere Sicherheit als Ziel der GASP Die GASP beschäftigt sich inhaltlich entsprechend ihrem Namen mit der Außen- und Sicherheitspolitik. Dabei lassen sich Überschneidungspunkte mit dem Außengrenzschutz als Teil des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts vermuten, taucht doch in beiden Bereichen der Begriff der Sicherheit auf. Entsprechend der systematischen Stellung der Sicherheit im Zusammenhang mit der Außenpolitik bezieht sich die Sicherheitspolitik der GASP allerdings auf die

1110

Art. K.1 Nr. 2 Maastricht-Vertrag.

5. Kap.: Vergleichende Betrachtung von GASP und Frontex

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äußere Sicherheit der EU. Unter der äußeren Sicherheit ist die Abwehr von Gefahren zu verstehen, die sich von außen gegen die EU richten.1111 2. Innere Sicherheit als Ziel des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts Demgegenüber ist der Sicherheitsbegriff des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts auf eine innere Sicherheit bezogen und steht in engem Zusammenhang mit der Abschaffung der Binnengrenzkontrollen. Als ausgleichende Maßnahmen haben unter anderem die Außengrenzkontrollen für eine innere Sicherheit im Raum der EU zu sorgen. Unter der inneren Sicherheit ist die Abwehr von Gefahren zu verstehen, die im Inneren der EU entstehen.1112 3. Umfassendes Bedürfnis nach Sicherheit Die äußere und innere Sicherheit sind notwendige Bestandteile eines umfassenden Sicherheitskonzeptes der EU. An den Außengrenzen und beim Außengrenzschutz verschwimmt der Unterschied zwischen äußerer und innerer Sicherheit. Ist die äußere Sicherheit aufgrund von Krisen in anderen Ländern nicht gegeben, erhöht dies den Migrationsdruck auf die Außengrenzen der EU, die somit verstärkt gesichert werden müssen, um so die innere Sicherheit aufrecht zu erhalten. Ausdruck dieser Korrelation ist die Zusammenarbeit der GASP mit Frontex zur Bekämpfung der Flüchtlingskrise. So ist es die Aufgabe der EuNavFor Med Operation Sophia, die Schleuserkriminalität im Mittelmeer zu bekämpfen, wohingegen Frontex im Rahmen der Operation Triton bzw. Themis zu einem verstärkten Grenzschutz an den südlichen Seeaußengrenzen Italiens beiträgt.1113 Die Schleuserkriminalität gefährdet unmittelbar die Außengrenzen der EU, sodass deren Bekämpfung auch im Interesse des Außengrenzschutzes und somit im Interesse von Frontex liegt. Mithin kann festgehalten werden, dass die GASP und der Außengrenzschutz mit der äußeren bzw. inneren Sicherheit zwar unterschiedliche Sicherheitsdimensionen erfassen. Beide Bereiche sind aber inhaltlich miteinander durch ein umfassendes Bedürfnis nach Sicherheit verbunden.

1111

Vgl. oben, 1. Kapitel, A. I., S. 34 Fn. 9. Vgl. oben, 1. Kapitel, A. I., S. 34 Fn. 10. 1113 Zu den Operationen s. oben, 1. Kapitel, B. I. und II., S. 37 ff. bzw. S. 39 f. 1112

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

IV. Exekutiver Charakter Mit dem inhaltlichen Aspekt der Gewährleistung innerer und äußerer Sicherheit geht der exekutive Charakter sowohl der GASP als auch der Grenzschutzagentur Frontex einher. So ist Sicherheit ein Aspekt, der der operativen Gewährleistung bedarf. Ein solches operatives Handeln erfolgt bei der GASP im Rahmen einer gemeinsamen Aktion. Auch im Bereich von Frontex finden gemeinsame Grenzschutzaktionen statt, die ebenfalls als gemeinsame Aktion bezeichnet werden. Dementsprechend liegt das Hauptaugenmerk der GASP und Frontex nicht wie in vielen anderen Bereichen des Unionsrechts auf der Harmonisierung von Rechtsvorschriften. Beide Bereiche betreffen vielmehr ein operatives, d. h. exekutives Handeln. V. Koordinierung mitgliedstaatlichen Handelns Das exekutive Handeln erfolgt nicht unmittelbar durch die EU selbst. Die EU verfügt über keine EU-eigenen Truppen oder Grenzschutzbeamten. Es erfolgt vielmehr ein Rückgriff auf die Mitgliedstaaten, sodass deren Truppen oder Grenzschutzbeamten unmittelbar operativ handeln. Insofern konnte in beiden Bereichen ein Rückgriffsprinzip festgestellt werden.1114 Der Rückgriff auf die Mitgliedstaaten ist mit einer das mitgliedstaatliche Handeln koordinierenden Funktion verbunden. Deutlich zum Ausdruck bringt dies die Frontex-VO, die den koordinierenden Charakter der Grenzschutzagentur an mehreren Stellen explizit betont.1115 Auch im Rahmen der GASP wird ein solch koordinierender Charakter hervorgehoben.1116 Die Koordinierung mitgliedstaatlichen Handelns kann mithin als prägendes Strukturmerkmal sowohl der GASP als auch von Frontex identifiziert werden. Durch die bloße Koordinierung wird die operative Entscheidungsbefugnis der Mitgliedstaaten gewahrt, sodass zwischen der EU und den Mitgliedstaaten eine souveränitätsschonende Kooperation entsteht. VI. Struktur der operativen Einsätze Aufbauend auf dem exekutiven Charakter und der Koordinierung mitgliedstaatlichen Handelns durch die EU zeigt sich eine vergleichbare Struktur der operativen Einsätze.

1114

S. 3. Kapitel, B. III. 4. c), S. 113 (GASP) und 4. Kapitel, E. III. 1. b) aa), S. 263 (Frontex). S. 4. Kapitel, B. III. 5. d) aa), S. 239 f. 1116 S. 3. Kapitel, B. III. 5. a) aa), S. 116 und E. VI. 2. b) cc), S. 180 ff. 1115

5. Kap.: Vergleichende Betrachtung von GASP und Frontex

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1. Koordinierendes zweistufiges System Sowohl für die GASP als auch für Frontex wurde ein zweistufiges System operativen Handelns festgestellt, wobei auf unionsrechtlicher Ebene die Koordinierung und auf mitgliedstaatlicher Ebene die operativen Handlungen angesiedelt sind. a) Koordinierende unionsrechtliche Ebene Erstes Element des zweistufigen Systems ist die koordinierende unionsrechtliche Ebene. aa) GASP Die koordinierende unionsrechtliche Ebene besteht im Rahmen der GASP vor allem aus dem Rat, dem PSK, dem CIVCOM, dem EU-Militärausschuss sowie dem EU-Militärstab. Das Stattfinden der operativen Einsätze wird vom Rat beschlossen, der damit über das „Ob“ der Einsätze entscheidet. Die Koordinierung der Einsätze erfolgt sodann durch das PSK mit Unterstützung des EU-Militärausschusses und des EU-Militärstabs bzw. in zivilen Angelegenheiten mit Unterstützung des CIVCOM. Über den Rat und das dabei geltende Einstimmigkeitsprinzip sowie über die Besetzung des CIVCOM, des EU-Militärausschusses und EU-Militärstabs haben die Mitgliedstaaten einen gewichtigen Einfluss auf die unionsrechtliche Ebene.1117 bb) Frontex Bei Frontex besteht die koordinierende unionsrechtliche Ebene aus der Grenzschutzagentur Frontex und ihren Organen. Dazu gehören insbesondere der Verwaltungsrat, der Exekutivdirektor und der Koordinierungsbeamte. Der Exekutivdirektor entscheidet auf Ersuchen eines Mitgliedstaates, ob ein entsprechender Einsatz stattfindet. Weiterhin schließt er mit dem Einsatzmitgliedstaat einen Einsatzplan ab und stellt dem Einsatzmitgliedstaat die multinationalen Grenzschutzbeamten über einen von den Mitgliedstaaten benannten Pool zur Verfügung. Auf den Einsatzmitgliedstaat und die ihm zur Verfügung gestellten Grenzschutzbeamten nimmt die Agentur über den Koordinierungsbeamten und die von ihm übermittelten Standpunkte koordinierenden Einfluss. 1117

Der EU-Militärausschuss ist mit den Generalstabschefs der Mitgliedstaaten besetzt, die sich gegebenenfalls durch militärische Delegierte vertreten lassen. Der EU-Militärstab besteht ebenfalls aus Militärpersonal der Mitgliedstaaten. Zur Besetzung des EU-Militärausschusses und des EU-Militärstabs vgl. auch 3. Kapitel, B. III. 3. c) ii) und jj), S. 105 ff.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

b) Mitgliedstaatliche Ebene An die unionsrechtliche Ebene schließt sich im Rahmen des zweistufigen Systems die operative Ausführung durch die Mitgliedstaaten an. Dabei konnte sowohl im Bereich der GASP als auch bei Frontex in Bezug auf die operative Ausführung der Einsätze ein Rückgriffs- und Freiwilligkeitsprinzip festgestellt werden. Ein Unterschied besteht insofern, als dass die Einsätze von Frontex auf einen Einsatzmitgliedstaat ausgerichtet sind, dem die multinationalen Grenzschutzbeamten im Wege einer Organleihe zur Verfügung gestellt werden. Damit gelten bei einem Frontex-Einsatz die Ermächtigungsgrundlagen des Einsatzmitgliedstaates. Ein solcher Einsatzmitgliedstaat und eine Organleihe zu dessen Gunsten existiert im Rahmen der GASP nicht. Dies ist angesichts des extraterritorialen Einsatzgebietes der GASP-Missionen und des dementsprechenden Fehlens eines Einsatzmitgliedstaates allerdings auch nicht verwunderlich. Im Bereich der GASP bleiben die Einsatzkräfte den einzelnen Mitgliedstaaten zugeordnet, sodass für die zivilen Einsätze das jeweilige nationale Recht und bei militärischen Einsätzen das jeweilige Wehr(verfassungs-)recht der Mitgliedstaaten einschlägig ist. Die fehlende Vereinheitlichung durch die Organleihe zugunsten eines Einsatzmitgliedstaates wird im Bereich der GASP durch eine Vereinheitlichung der Kommandostruktur erreicht. Hierbei unterstellen die beteiligten Mitgliedstaaten ihre Einsatzkräfte einem gemeinsamen Operationsbefehlshaber durch die Übertragung von operational command.1118 Die Letztentscheidungsbefugnis verbleibt allerdings bei den einzelnen Mitgliedstaaten, indem sie ihren Befehl, wonach ihre Einsatzkräfte die Anweisungen des Operationsbefehlshabers zu befolgen haben, jederzeit zurücknehmen oder abändern können. Während die einzelnen Mitgliedstaaten bei Frontex-Einsätzen somit ihren Einfluss durch die Organleihe an den Einsatzmitgliedstaat verlieren, behalten die Mitgliedstaaten bei operativen Einsätzen im Rahmen der GASP ihren Einfluss. Die an einer GASP-Mission beteiligten Mitgliedstaaten haben folglich eine mit dem Einsatzmitgliedstaat im Rahmen eines Frontex-Einsatzes vergleichbare Stellung. Mithin können – trotz gewisser Unterschiede – strukturelle Gemeinsamkeiten auf der mitgliedstaatlichen Ebene festgehalten werden. Dazu zählt insbesondere der nationale Rechtsrahmen der operativen Einsätze, welcher bei Frontex aus den Ermächtigungsgrundlagen des Einsatzmitgliedstaates und bei einer GASPMission aus dem nationalen Recht bzw. Wehr(verfassungs-)recht der beteiligten Mitgliedstaaten besteht. Überdies kommt der EU bei den operativen Einsätzen jeweils eine bloße das mitgliedstaatliche Handeln koordinierende Funktion zu. Dementsprechend wird bei den Einsätzen auch keine europäische Hoheitsgewalt,

1118

S. dazu oben, 3. Kapitel, B. III. 5. a) bb) (2) (a), S. 118 ff.; Entsprechendes gilt bei zivilen Missionen hinsichtlich des zivilen Operationskommandeurs.

5. Kap.: Vergleichende Betrachtung von GASP und Frontex

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sondern vielmehr die Hoheitsgewalt der beteiligten Mitgliedstaaten bzw. des Einsatzmitgliedstaates ausgeübt.1119 c) Verknüpfung beider Ebenen Sowohl im Bereich der GASP als auch bei Frontex ist die mitgliedstaatliche Ebene mit der unionsrechtlichen Ebene über die Koordinierung des mitgliedstaatlichen Handelns verknüpft. Diese Koordinierung erfolgt im Bereich der GASP durch das PSK, das CIVCOM, den EU-Militärausschuss, den EU-Militärstab sowie den Operationsbefehlshaber bzw. zivilen Operationskommandeur und im Bereich von Frontex durch den Einsatzplan sowie durch den Koordinierungsbeamten und die von ihm übermittelten Standpunkte der Agentur. Bei der Verknüpfung ist jedoch zu beachten, dass sich diese nur auf die Koordinierung bezieht und nicht auf das operative Handeln selbst, worunter die außenwirksamen Handlungen, die in die Rechtssphäre der jeweils betroffenen Personen eingreifen, zu verstehen sind. Die operativen Handlungen sind vielmehr auf die Mitgliedstaaten zurückzuführen, deren Hoheitsgewalt bei den Einsätzen ausgeübt wird. Die Mitgliedstaaten haben überdies die Möglichkeit, von den koordinierenden Vorgaben der unionsrechtlichen Ebene abzuweichen. Bei der GASP ist dies aufgrund der bloßen Übertragung des operational command und der damit bei den Mitgliedstaaten verbleibenden Letztverantwortung der Fall. Im Rahmen von Frontex sind die vom Einsatzmitgliedstaat zu berücksichtigenden Standpunkte als bloßes „weiches Weisungsrecht“ zu qualifizieren, von denen der Einsatzmitgliedstaat ebenfalls abweichen kann.1120 2. Vergleichbares zweistufiges System unionskoordinierten operativen Handelns Insgesamt offenbart sich ein vergleichbares zweistufiges System operativen Handelns. Die operativen Einsätze werden auf der unionsrechtlichen Ebene beschlossen und sodann auf der mitgliedstaatlichen Ebene ausgeführt, wobei ein nationaler Rechtsrahmen gilt und mitgliedstaatliche Hoheitsgewalt ausgeübt wird. In Bezug auf die operativen Einsätze auf mitgliedstaatlicher Ebene gilt ein Rückgriffs- und Freiwilligkeitsprinzip. Ein Einsatz gegen den Willen der Mitgliedstaaten ist in beiden Bereichen nicht möglich. Beide Ebenen werden jeweils durch die koordinierende Funktion der unionsrechtlichen Ebene miteinander verknüpft. Auffällig ist eine doppelte Einbindung der Mitgliedstaaten auf beiden Ebenen: Bezüglich der Entscheidung über das „Ob“ des Einsatzes sind die Mitgliedstaaten bei der GASP über den Rat und bei Frontex über das Initiativrecht maßgeblich in 1119

Vgl. auch 3.  Kapitel, B. III. 5. a) bb) (2), S. 118 ff. (GASP) und 4.  Kapitel, B. III. 5. d) bb) (2), S. 242 f. (Frontex). 1120 S. 4.  Kapitel, B. III. 5. c) cc) (2), S. 238 f.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

volviert und besitzen eine Vetoposition. Hinsichtlich der operativen Ausführung sind wiederum die Mitgliedstaaten die entscheidenden Akteure. Folglich können auf beiden Ebenen die Mitgliedstaaten als die das operative Handeln prägenden Akteure identifiziert werden. VII. Kompetenzvergleich Die Regelungen in Bezug auf GASP und Frontex gehen auf entsprechende Kompetenznormen der EU in den Europäischen Verträgen zurück. Die heraus­ gearbeitete parallele Struktur der operativen Einsätze ist dabei kompetenzrechtlich zwingend vorgegeben. 1. Unterschiedliche Kompetenzkategorien Zwar überraschen diese parallelen Strukturen auf den ersten Blick aufgrund der unterschiedlichen Kompetenztitel. So wurde die Kompetenz im Bereich der GASP als besondere Kompetenz zur Koordinierung mitgliedstaatlichen Verhaltens eingestuft.1121 Demgegenüber ist die Kompetenz zur Errichtung eines integrierten Grenzschutzsystems nach Art. 77 Abs. 2 lit. d) AEUV im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts angesiedelt, sodass gemäß Art. 4 Abs. 2 lit. j) AEUV eine geteilte Zuständigkeit vorliegt. 2. Vergleichbare Reichweite der Kompetenztitel Allerdings haben sowohl der Kompetenztitel betreffend die GASP als auch der Kompetenztitel betreffend Frontex eine vergleichbare Reichweite. In der GASP besteht – wie bereits erwähnt – eine besondere Art der „Koordinierungskompetenz“. Es hat keine Übertragung von Hoheitsrechten stattgefunden.1122 Folge dessen ist, dass die GASP zwingend auf die Koordinierung mitgliedstaatlichen Verhaltens unter Geltung des Rückgriffs- und Freiwilligkeitsprinzips angelegt ist. Insofern ist die Struktur der GASP kompetenzrechtlich festgelegt. Eine Abkehr vom koordinierenden Charakter und insbesondere vom Rückgriffs- und Freiwilligkeitsprinzip würde dementsprechend eine Vertragsänderung bei gleichzeitiger Übertragung von Hoheitsrechten voraussetzen. Diese Möglichkeit ist in Art. 42  Abs. 2  UAbs. 1  S. 2  EUV mit einem vereinfachten Vertragsänderungs­ verfahren geschaffen, betrifft aber aufgrund des vereinfachten Verfahrens nur die Abkehr vom Freiwilligkeitsprinzip, nicht jedoch vom Rückgriffsprinzip. Dabei 1121 1122

S. 3.  Kapitel, E. VI. 2. b) cc), S. 180 ff. Zum Begriff der „Übertragung“ von Hoheitsrechten s. oben, 3. Kapitel, B. I. 1., S. 65.

5. Kap.: Vergleichende Betrachtung von GASP und Frontex

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markiert die Abkehr vom Freiwilligkeitsprinzip den Übergang von einer gemeinsamen Verteidigungspolitik hin zu einer gemeinsamen Verteidigung, welche noch nicht eingeführt wurde.1123 Die Abkehr vom Rückgriffsprinzip würde demgegenüber eine so tiefgreifende Veränderung darstellen, dass hierfür die Durchführung eines ordentlichen Vertragsänderungsverfahrens erforderlich wäre.1124 Ohne Vertragsänderung unter gleichzeitiger Übertragung von Hoheitsrechten ist damit die Kompetenz der GASP weiterhin zwingend auf eine Koordinierung mitgliedstaatlichen Handelns unter Geltung eines Rückgriffs- und Freiwilligkeitsprinzips ausgerichtet. Der koordinierende Charakter von Frontex ist ebenfalls kompetenzrechtlich zwingend vorgegeben. So wurde im Rahmen der Darstellung der schrittweisen Einführung eines integrierten Grenzschutzsystems nach Art. 77 Abs. 2 lit. d) AEUV nachgewiesen, dass insbesondere aufgrund des Systembegriffs ein das mitgliedstaatliche Verhalten koordinierender Charakter zwingend vorgegeben und das integrierte Grenzschutzsystem von einem integrierten Grenzschutz abzugrenzen ist. Insofern sind der koordinierende Charakter sowie das Rückgriffs- und Freiwilligkeitsprinzip auch beim Außengrenzschutz kompetenzrechtlich zwingend vorgegeben.1125 Erst eine Vertragsänderung, die die Errichtung eines integrierten Grenzschutzes erlauben würde, würde eine Abkehr vom koordinierenden Charakter, dem Rückgriffs- und Freiwilligkeitsprinzip gestatten. Solange die Kompetenz allerdings auf die Schaffung eines integrierten Grenzschutzsystems ausgerichtet bleibt, ist der koordinierende Charakter samt Geltung eines Rückgriffs- und Freiwilligkeitsprinzips kompetenzrechtlich zwingend vorgegeben. Damit kann festgestellt werden, dass sowohl die GASP als auch der Außengrenzschutz kompetenzrechtlich zwingend auf eine Koordinierung mitgliedstaatlichen Handelns samt Geltung eines Rückgriffs- und Freiwilligkeitsprinzips ausgelegt sind. VIII. Intergouvernementalität vs. Supranationalität Im Rahmen der GASP wurde nachgewiesen, dass die intergouvernementalen Strukturen weitestgehend fortbestehen.1126 In Bezug auf den europäischen Außengrenzschutz mutet der Begriff der Intergouvernementalität zunächst etwas fremd an. So wurde die ehemalige dritte Säule der EU und der Grenzschutz durch die Überführung in den EGV bzw. AEUV supranationalisiert. Damit wird jedoch nur zum Ausdruck gebracht, dass das Erlassen der Rechtsvorschriften in diesem Bereich, beispielsweise die Frontex-VO, suprana 1123

Cremer, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 42 EUV Rn. 11. S. zum Ganzen 3. Kapitel, B. III. 2. d), S. 90 ff. 1125 S. 4.  Kapitel, E. III. 2. b) cc), S. 273 ff. 1126 S. 3. Kapitel, B. III. 6., S. 121 ff. 1124

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

tionalen Entscheidungsverfahren folgt. Indem aber durch die Gesetzgebungskompetenz zur Errichtung eines bloßen Grenzschutzsystems eine das mitgliedstaatliche Handeln koordinierende Tätigkeit vorgegeben ist und die Mitgliedstaaten dabei eine hervorgehobene Rolle unter Geltung eines Rückgriffs- und Freiwilligkeitsprinzips einnehmen, zeigen sich im Rahmen von Frontex deutlich die Merkmale der Intergouvernementalität.1127 Deshalb kann Frontex auch als intergouvernementale Agentur bezeichnet werden.1128 IX. Ergebnis des Strukturvergleichs Zusammenfassend zeigt sich, dass die souveränitätssensiblen Bereiche der GASP und des Außengrenzschutzes vergleichbaren Strukturen folgen. Es liegen jeweils zweistufige, exekutive, das mitgliedstaatliche Handeln koordinierende Bereiche vor, in denen das Rückgriffs- und Freiwilligkeitsprinzip sowie die Koordinierung mitgliedstaatlichen Handelns kompetenzrechtlich zwingend vorgegeben sind, sodass von intergouvernementalen Strukturen gesprochen werden kann. Damit bleiben in beiden Bereichen die Mitgliedstaaten die zentralen Akteure, freilich unter unionsrechtlicher Koordinierung. Vor diesem Hintergrund ist die vergleichbare Grundrechtsbindung von GASP und Frontex nicht überraschend, wobei jeweils zwischen der unionsrechtlichen und der mitgliedstaatlichen Ebene zu unterscheiden ist. Es wurde nachgewiesen, dass insbesondere der bloß koordinierende Charakter zu einer fehlenden Unionsgrundrechtsbindung der mitgliedstaatlichen Ebene führt. Grund hierfür ist, dass die Belastungen durch die operativen Einsätze aufgrund der bloßen unionsrechtlichen Koordinierung letztlich aus dem nationalen Recht stammen, weshalb mitgliedstaatliche Hoheitsgewalt ausgeübt wird. Sinn und Zweck der Unionsgrundrechtsbindung ist demgegenüber, europäische Hoheits­gewalt zu mäßigen.1129 Im Gegensatz zur mitgliedstaatlichen Ebene ist die Unionsebene bei der Ausübung ihrer Koordinierungsbefugnisse allerdings an die Grundrechtecharta gebunden. Abschließend kann somit hinsichtlich des Strukturvergleiches festgestellt werden, dass sich die eingangs aufgestellte These bestätigt, wonach die operativen Einsätze im Bereich der GASP und Frontex einer vergleichbaren Struktur unionsbaren koordinierten operativen Handelns folgen, welche zu einer vergleich­ Grundrechtsbindung beider Bereiche führt. Hierbei ist zwischen der unionsgrundrechtsgebundenen EU-Ebene und der nicht unionsgrundrechtsgebundenen mitgliedstaatlichen Ebene zu unterscheiden. 1127

Zum Begriff der Intergouvernementalität s. oben, 3. Kapitel, B. I. 2., S. 66. Vgl. auch Schöndorf-Haubold, Europäisches Sicherheitsverwaltungsrecht, Rn. 99; Trevisanut, Wich Borders for the EU Immigration Policy? Yardsticks of International Protection for EU Joint Borders Management, in: Azoulai / ​de Vries, EU Migration Law, S. 106, 117, 147, spricht aufgrund des Einflusses der Mitgliedstaaten von einer „intergovernmental agency“. 1129 Cremer, Funktionen der Grundrechte, in: EnzEuR, Bd. 2, § 1 Rn. 8, 11, 113. 1128

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C. Auswirkungen der unterschiedlichen Grundrechtsbindung auf unionsrechtlicher und mitgliedstaatlicher Ebene Das zweistufige System unionskoordinierten operativen Handelns sowie die unterschiedliche Grundrechtsbindung auf unionsrechtlicher und mitgliedstaat­ licher Ebene haben vor allem Auswirkungen im Hinblick auf die Grundrechts­ dimensionen bzw. -funktionen.1130 Unter den Grundrechtsdimensionen bzw. -funktionen ist der „Einfluss der Grundrechte auf das Verhältnis zwischen dem Einzelnen und der öffentlichen Gewalt“ zu verstehen.1131 I. Mitgliedstaatliche Ebene Auf der mitgliedstaatlichen Ebene findet die operative Ausführung der Einsätze statt. Dabei entfalten die von den Mitgliedstaaten ergriffenen Maßnahmen unmittelbare Außenwirkung gegenüber dem betroffenen Personenkreis. So werden beispielsweise im Rahmen der EuNavFor Med Operation Sophia Schleuserboote aufgespürt, durchsucht und umgeleitet. Bei der Frontex-Mission Triton bzw. Themis werden Flüchtlingsboote aufgegriffen und die betroffenen Personen an Land gebracht. Dementsprechend greifen hier die jeweiligen nationalen Grundrechte bzw. die Grundrechte des Einsatzmitgliedstaates vor allem in ihrer klassischen Funktion als subjektive Abwehrrechte ein.1132 II. Unionsrechtliche Ebene Auf der unionsrechtlichen Ebene fehlt es demgegenüber an einer Außenwirkung. Die Beschlüsse der GASP, die Weisungen des PSK, der Einsatzplan bei Frontex sowie die Standpunkte der Agentur richten sich im Innenverhältnis an die Mitgliedstaaten. Folglich können die Unionsgrundrechte hier nicht die klassische Abwehrfunktion erfüllen. Auf der unionsrechtlichen Ebene kommt somit vor allem eine objektivrechtliche Dimension der Unionsgrundrechte in Betracht.1133 In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, welche Folgen die fehlende Unionsgrundrechtsbindung der Mitgliedstaaten für die unionsgrundrechtsgebundene EU-Ebene hat. Mögliche Folge könnte sein, dass die Unionsebene aufgrund 1130

Die Begriffe Grundrechtsfunktionen und -dimensionen werden dabei synonym verwendet, vgl. Kingreen, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 51 GRCh Rn. 22 Fn. 85. 1131 Kingreen, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 51  GRCh Rn. 22; vgl. auch Cremer, Funktionen der Grundrechte, in: EnzEuR, Bd. 2, § 1 Rn. 1. 1132 Daneben greifen auch die anderen Grundrechtsfunktionen, wie etwa ein aus den Grundrechten resultierender Schutzanspruch; zu den verschiedenen Funktionen der Grundrechte vgl. etwa Kingreen / ​Poscher, Grundrechte, § 4 Rn. 88 ff. 1133 Ukrow, Grundrechte und die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union, in: Bröhmer, Der Grundrechtsschutz in Europa, S. 139, 150 f.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

eventuell bestehender grundrechtlicher Schutzpflichten dazu verpflichtet wäre, auf die Einhaltung der Grundrechtecharta durch die Mitgliedstaaten hinzuwirken. Bezüglich der objektivrechtlichen Dimension der Grundrechtecharta und der Entfaltung unionsgrundrechtlicher Schutzpflichten ist zu beachten, dass die nationale Grundrechtsdogmatik1134 nicht ohne weiteres auf die Unionsgrundrechte übertragen werden darf, stellt die europäische Rechtsordnung samt den Grundrechten doch eine eigenständige Rechtsordnung dar.1135 Ausgehend von der nationalen Grundrechtsdogmatik ist daher die objektivrechtliche Dimension der europäischen Grundrechte herauszuarbeiten und der Frage nachzugehen, ob sich hierbei unionsgrundrechtliche Schutzpflichten ergeben. 1. Objektivrechtliche Dimension der Grundrechtecharta Im nationalen Recht ist die objektivrechtliche Grundrechtsdimension im Sinne einer objektiven Wertentscheidung und Wertordnung allgemein anerkannt.1136 Es stellt sich die Frage, inwiefern auch der Grundrechtecharta eine solch objektivrechtliche Dimension zukommt. Die Grundrechte der Grundrechtecharta sind zuvörderst Abwehrrechte.1137 Jedoch regelt Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 EUV, dass die Union die Rechte, Freiheiten und Grundsätze der Grundrechtecharta insgesamt anerkennt. Darin kommt zum Ausdruck, die Grundrechte nicht nur als Abwehrrechte anzuerkennen, sondern bei jedem Tätigwerden zu berücksichtigen. Überdies werden in Art. 2 S. 1 EUV die Menschenrechte als grundlegender Wert der EU genannt. Zu diesen Menschenrechten gehört auch die Grundrechtecharta.1138 Aus Art. 6  Abs. 1  UAbs.  1 und Art. 2 S. 1 EUV folgt somit, dass die Unionsgrundrechte mehr als bloße Abwehrrechte darstellen und vielmehr dem gesamten Handeln der Union zugrundezulegen sind. Mithin kommt den Unionsgrundrechten – ebenso wie den nationalen Grundrechten – eine objektivrechtliche Dimension zu.1139

1134

Vgl. dazu etwa Kingreen / ​Poscher, Grundrechte, § 4 Rn. 88 ff. So auch Cremer, Funktionen der Grundrechte, in: EnzEuR, Bd. 2, § 1 Rn. 4. 1136 Vgl. etwa BVerfG, NJW 1957, 297, 298 = BVerfGE 6, 32 (Elfes); BVerfG, NJW 1958, 257 = BVerfGE 7, 198 (Lüth); BVerfG, NJW 1961, 819 = BVerfGE 12, 113 (Schmid / ​Spiegel); BVerfG, NJW 1964, 1067, 1070 = BVerfGE 17, 232 (Mehrbetriebsverbot); BVerfG, NJW 1966, 771 = BVerfGE 19, 394 (Familienschutz und Ausländerabschiebung); BVerfG, NJW 1969, 1161 = BVerfGE 25, 256 (Blinkfüer); BVerfG, NJW 1969, 1707 = BVerfGE 27, 1 (Mikrozensus); BVerfG, NJW 1972, 811 Ls. 3, 812 = BVerfGE 33, 1 (Strafgefangenenentscheidung); BVerfG, NJW 1972, 1561, 1564 = BVerfGE 33, 303 (Numerus clausus); BVerfG, NJW 1973, 1221, 1223 = BVerfGE 34, 269 (Soraya). 1137 Borowsky, in: Meyer, GRCh, 4. Aufl., Art. 51 Rn. 32; Schwerdtfeger, in: Meyer / ​Hölscheidt, GRCh, Art. 51 Rn. 67; Winkler, Die Grundrechte der Europäischen Union, S. 187 ff. 1138 Calliess, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 2 EUV Rn. 27. 1139 Winkler, Die Grundrechte der Europäischen Union, S. 175 f. 1135

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Die Anerkennung der objektivrechtlichen Dimension der Grundrechtecharta steht freilich unter dem Vorbehalt, dass darüber nicht der Geltungsbereich des Unionsrechts über die Zuständigkeiten der Union hinaus ausgedehnt wird. Dies ist Ausfluss des in Art. 5 Abs. 2 EUV normierten Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung und wird in Art. 51 Abs. 2 GRCh bekräftigt.1140 Auf der unionsrechtlichen Ebene wurde auch im Bereich der GASP und Frontex eine Kompetenz der EU bejaht, sodass es diesbezüglich zu keiner Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Unionsrechts kommt. Im Bereich der GASP und Frontex kann somit auf der unionsrechtlichen Ebene die objektivrechtliche Dimension der Grundrechtecharta zum Tragen kommen. Dies bedeutet für die GASP, dass bei allen Beschlüssen des Europäischen Rates und des Rates die Grundrechtecharta beachtet werden muss. Grundrechtsverletzungen dürfen nicht bereits im Beschluss über eine gemeinsame Aktion angelegt sein, sodass beispielsweise im GASP-Beschluss keine Rückführung von Personen in Länder vorgesehen sein darf, in denen Folter oder andere schwerwiegende Beeinträchtigungen drohen.1141 Bei der politischen Kontrolle und der strategischen Leitung ist das PSK ebenfalls an die Grundrechtecharta gebunden und muss diese dergestalt berücksichtigen, dass etwaige Anweisungen und delegierte Beschlüsse nach Art. 38 UAbs. 3 EUV der Grundrechtecharta entsprechen. Im Rahmen von Frontex müssen der Verwaltungsrat bei der strategischen Ausrichtung der Agentur, der Exekutivdirektor bei der Ausarbeitung des Einsatzplanes und der Koordinierungsbeamte bei seiner Tätigkeit die Grundrechtecharta beachten. 2. Schutzpflichten Fraglich ist, inwiefern die auf der ersten Ebene gebundenen Organe und sonstigen Stellen der EU darauf hinwirken müssen, dass die Grundrechtecharta auch bei den operativen Einsätzen, die von den Mitgliedstaaten auf der zweiten Ebene ausgeführt werden, beachtet wird. Damit ist die Frage nach bestehenden Schutzpflichten angesprochen.1142 Eine grundrechtliche Schutzpflicht bedeutet, dass der Grundrechtsverpflichtete – hier die Organe und sonstigen Stellen der EU (erste Ebene) – Grundrechtsberechtigte vor Grundrechtsbeeinträchtigungen durch nicht grundrechtsgebundene Dritte zu schützen hat.1143 Die nicht grundrechtsgebundenen Dritten könnten die ausführenden Mitgliedstaaten sein, die nach der hier vertretenen Ansicht nicht unmittelbar an die Grundrechtecharta gebunden sind. Es handelt sich mithin um ein Dreiecksverhältnis bestehend aus der unionsgrundrechtsverpflichteten EU, den Mitgliedsstaaten als unionsgrundrechtsgefährdende 1140

Borowsky, in: Meyer, GRCh, 4. Aufl., Art. 51 Rn. 37. Vgl. Art. 19 Abs. 2 GRCh, sog. Refoulement-Verbot. 1142 Zu grundrechtlichen Schutzpflichten im Allgemeinen vgl. ausführlich Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht. 1143 Winkler, Die Grundrechte der Europäischen Union, S. 214. 1141

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Störer, sowie den Opfern.1144 Zu prüfen ist somit, ob eine unionsgrundrechtliche Schutzpflicht auf EU-Ebene besteht und diese auch gegen die Mitgliedstaaten gerichtet sein kann. a) Bestehen von unionsgrundrechtlichen Schutzpflichten Eine ausdrückliche Rechtsprechung des EuGH zu unionsgrundrechtlichen Schutzpflichten besteht nicht,1145 insbesondere hat der EuGH noch keine Schutzpflichten der Union selbst hergeleitet.1146 Um die Frage nach dem Bestehen unionsgrundrechtlicher Schutzpflichten beantworten zu können, ist deshalb zunächst ein Blick auf die grundrechtlichen Schutzpflichten im nationalen Recht zu richten. Sofern die diesbezüglichen Begründungsansätze überzeugen, können diese – freilich unter Berücksichtigung der Eigenständigkeit des Unionsrechts – auf die unionsrechtliche Ebene übertragen werden. aa) Grundrechtliche Schutzpflichten im nationalen Recht Im deutschen Recht sind grundrechtliche Schutzpflichten spätestens seit der ersten Schwangerschaftsentscheidung des BVerfG1147 anerkannt.1148 Darin wurde dem Staat eine Schutzpflicht gegenüber dem Nasciturus auferlegt. Die grundrechtlichen Schutzpflichten des Staates wurden vor allem aus den Grundrechten als objektiver Wertordnung und der damit verbundenen objektivrechtlichen Dimension hergeleitet.1149 So seien die Grundrechte wertentscheidende Grundsatznormen1150 bzw. Ausdruck einer objektiven Wertordnung1151 mit Ausstrahlungswirkung auf das gesamte Recht. Dies ergebe sich vor dem Hintergrund der Erfahrung mit einem totalitären Regime.1152 Im Gegensatz zu einem totalitären Staat, der etwa die Menschenwürde und Gleichheit ablehnt, sei das Grundgesetz insbesondere durch die Grundrechte

1144 Zu einem solchen Dreiecksverhältnis vgl. auch Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 1097. 1145 Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 212; Leuscher, EuR 2016, 431, 445; Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 610. 1146 Kingreen, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 51 GRCh Rn. 29. 1147 BVerfG, NJW 1975, 573 = BVerfGE 39, 1 (Schwangerschaftsabbruch I). 1148 Ausführlich zu den grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen Recht vgl. Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 92 ff., zur Entwicklung der Rspr. s. ab S. 99 ff. 1149 Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 99 f., S. 146 ff. 1150 BVerfG, NJW 1957, 417, 418 = BVerfGE 6, 55 (Ehegattenbesteuerungsbeschluss). 1151 BVerfG, NJW 1958, 257, = BVerfGE 7, 198 (Lüth). 1152 Vgl. BVerfG, NJW 1956, 1393 f. = BVerfGE 5, 85.

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bewusst nicht als „wertneutrale Ordnung“ konzipiert worden.1153 Durch die mittels der Grundrechte erschaffenen Wertordnung komme eine „Verstärkung der Geltungskraft der Grundrechte“ zum Ausdruck, welche als „verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts“ gelten müsse.1154 Daraus folge für den Staat neben dem negativen Verbot, ohne Rechtfertigung in Grundrechte einzugreifen, ein positiver Schutzauftrag in zweierlei Hinsicht.1155 Zum einen müsse er Grundrechtsberechtigte vor grundrechtlichen Beeinträchtigungen durch andere Kräfte bewahren.1156 Zum anderen resultiere daraus die staatliche Pflicht, Grundrechte durch geeignete Maßnahmen zu fördern.1157 Diese Herleitung grundrechtlicher Schutzpflichten wird von den in Art. 1 Abs. 1 S. 2 und Art. 6 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4 GG ausdrücklich normierten Schutzpflichten flankiert.1158 Des Weiteren lassen sich Schutzpflichten auch aus der „Funktion der Grundrechte als Domestizierung von Macht“ ableiten.1159 Ausfluss staatlicher Machtausübung ist auch die „Bereitstellung von Freiheitsräumen für Private“.1160 Aufgrund der Schaffung dieser Freiräume trägt der Staat auch die Verantwortung für Handlungen nicht grundrechtsgebundener Dritter im Rahmen der geschaffenen Freiräume, sodass ihm diesbezüglich Schutzpflichten aufzuerlegen sind.1161 Schließlich werden Schutzpflichten auch staatstheoretisch als Schutz der Staatsbürger im Gegenzug für ihren Gehorsam gegenüber dem Staat begründet.1162 bb) Unionsgrundrechtliche Schutzpflichten Auf Basis des Bestehens grundrechtlicher Schutzpflichten im nationalen Recht stellt sich die Frage, inwiefern diese auch auf europäischer Ebene anzunehmen sind.1163

1153 BVerfG, NJW 1958, 257 = BVerfGE 7, 198 (Lüth); BVerfG, NJW 1952, 1407, 1408 = BVerfGE 2, 1 (SRP-Verbot); BVerfG, NJW 1956, 1393 = BVerfGE 5, 85 (KPD-Verbot); BVerfG, NJW 1957, 297 = BVerfGE 6, 32 (Elfes). 1154 BVerfG, NJW 1958, 257 = BVerfGE 7, 198 (Lüth). 1155 BVerfG, NJW 1957, 417, 418 = BVerfGE 6, 55 (Ehegattenbesteuerungsbeschluss). 1156 BVerfG, NJW 1957, 417, 418 = BVerfGE 6, 55 (Ehegattenbesteuerungsbeschluss). 1157 BVerfG, NJW 1957, 417, 418 = BVerfGE 6, 55 (Ehegattenbesteuerungsbeschluss). 1158 Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und euro­ päischen Recht, S. 143. 1159 Herdegen, in: Maunz / ​Dürig, GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 23. 1160 Herdegen, in: Maunz / ​Dürig, GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 23. 1161 Herdegen, in: Maunz / ​Dürig, GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 23. 1162 Zur staatstheoretischen Begründung vgl. Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 143 ff. 1163 Vgl. ausführlich Szczekala, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 459 ff.; s. auch Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 194 ff.

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Wie bereits erwähnt, besteht keine ausdrückliche Rechtsprechung des EuGH zu unionsgrundrechtlichen Schutzpflichten.1164 In seiner Rechtsprechung zur Einschränkung von Grundfreiheiten zieht der EuGH jedoch die Grundrechte in ihrer objektiven Dimension als Rechtfertigung für Schutzmaßnahmen der Mitgliedstaaten heran.1165 So war beispielsweise in der Rechtssache Schmidberger eine Einschränkung der Warenverkehrsfreiheit durch die Versammlungsfreiheit1166 mit der Begründung gerechtfertigt, dass das Nichteinschreiten des Staates gegen eine Autobahnblockade dem Schutz der Versammlungsfreiheit diene.1167 Darin lassen sich Anhaltspunkte für das Anerkenntnis unionsgrundrechtlicher Schutzpflichten erblicken. Neben den Anhaltspunkten in der Rechtsprechung können die unionsgrundrechtlichen Schutzpflichten auch entsprechend der Argumentation im nationalen Recht sowie mit der Rechtsprechung des EGMR begründet werden. So ist im nationalen Recht die objektive Wertordnung der Grundrechte einer der zentralen Begründungsansätze für das Bestehen von Schutzpflichten.1168 Zwar knüpft das BVerfG die Herleitung der objektiven Wertordnung an die deutsche Erfahrung mit einem totalitären Regime, dem das Grundgesetz bewusst eine grundrechtliche Wertordnung mit Ausstrahlungswirkung auf alle Bereiche des Rechts entgegensetzt.1169 Allerdings sprechen auch andere mitgliedstaatliche Verfassungsgerichte im Zusammenhang mit ihren Grundrechten von einer objektiven Wertordnung, die somit keine deutsche Besonderheit darstellt.1170 Sieht man zudem den europäischen Integrationsprozess als Reaktion und Gegenentwurf zu totalitären Einzelstaaten, die Europa in einen Krieg verwickelten,1171 so können auch die Unionsgrundrechte als Ausfluss einer bewussten Entscheidung für eine europäische Wertordnung interpretiert werden. Diese Interpretation wird durch Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 1164

Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 212; Leuscher, EuR 2016, 431, 445; Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 610. 1165 Vgl. nur EuGH, Urt. v. 12.06.2003, Rs. C-112/00, Slg. 2003, S. I-5659 (Schmidberger); zu weiterer möglicherweise einschlägiger Rspr. des EuGH vgl. Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 610 ff. 1166 Vgl. Art. 12 GRCh (Versammlungsfreiheit). 1167 EuGH, Urt. v. 12.06.2003, Rs. C-112/00, Slg. 2003, S. I-5659, I-5718 Rn. 74 (Schmidberger). 1168 S. oben, C. II. 2. a) aa), S. 300 f. 1169 S. oben, C. II. 2. a) aa), S. 300 f. 1170 Vgl. Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 1051 ff. m. w. N. (etwa unter Hinweis auf den östVfGH), der deshalb von einem „Siegeszug der ‚objektiven Wertordnung‘ in oder durch ganz Europa“ spricht. 1171 Vgl. dazu etwa die Präambel des EGKS-Vertrages, wonach die beteiligten Staaten entschlossen waren, „an die Stelle der jahrhundertealten Rivalitäten einen Zusammenschluss ihrer wesentlichen Interessen zu setzen“, wobei die Staaten „lange Zeit durch blutige Auseinandersetzungen entzweit waren“, weshalb nun „die institutionellen Grundlagen zu schaffen“ sind, „die einem nunmehr allen gemeinsamen Schicksal die Richtung weisen können“, Vertrag vom 18. April 1951 über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, BGBl. 1952 II, S. 445 ff.

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und Art. 2 S. 1 EUV unterstützt, wonach die Unionsgrundrechte von der Union anerkannt und bei ihrem Handeln gewahrt werden. Darin lässt sich eine über eine subjektivrechtliche Abwehrfunktion hinausgehende objektivrechtliche Dimension der Unionsgrundrechte erkennen.1172 Aus der durch die Grundrechte statuierten objektiven Wertordnung und dem damit verbundenen objektiven Gehalt der Unionsgrundrechte folgt – entsprechend dem nationalen Recht – die positive Pflicht, diese zu schützen. Die Übertragbarkeit der Argumentation auf Unionsebene wird durch Art. 51 Abs. 1 S. 2 GRCh unterstützt, der das Bestehen von Schutzpflichten mehr oder weniger ausdrücklich normiert, indem die Union verpflichtet wird, die Rechte und Grundsätze der Grundrechtecharta zu fördern.1173 Ergänzend wird das Bestehen unionsgrundrechtlicher Schutzpflichten auch durch die Rechtsprechung des EGMR getragen. Dieser hat in Bezug auf die EMRK ebenfalls Schutzpflichten hergeleitet.1174 Zwar dienen die Rechte der EMRK in erster Linie als subjektive Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Allerdings sichern die Konventionsstaaten nach Art. 1 EMRK die Rechte und Freiheiten der EMRK den ihrer Jurisdiktion unterstehenden Personen zu. Das Zusichern der Rechte beinhalte auch positive Verpflichtungen zum Schutz der von der EMRK garantierten Rechte.1175 Zudem sollen die Rechte der EMRK nicht nur theoretisch, sondern konkret und effektiv gewährt werden.1176 Eine rein abwehrrechtliche Funktion entspräche daher nicht dem Schutzzweck der EMRK.1177 Über Art. 52 Abs. 3 S. 1 GRCh gelten diese Schutzpflichten auch für die entsprechenden Rechte in der Grundrechtecharta.1178 Aus alledem ergibt sich somit, dass auch im Rahmen der Grundrechtecharta grundrechtliche Schutzpflichten bestehen.1179

1172

S. dazu auch schon oben unter C. II. 1., S. 298 f. Borowsky, in: Meyer, GRCh, 4. Aufl., Art. 51 Rn. 31; Schwerdtfeger, in: Meyer / ​Hölscheidt, GRCh, Art. 51 Rn 68. 1174 EGMR, Urt. v. 13.06.1979, Ser. A Nr. 31 = NJW 1979, 2449 (Marckx); EGMR, Urt. v. 20.04.1993, Ser. A Nr. 258-A = ÖJZ 1994, 35 (Sibson); EGMR, Urt. v. 26.05.1994, Ser. A Nr. 290 = NJW 1995, 2153 (Keegan); s. zum Ganzen auch Daiber, in: Meyer-Ladewig / ​Nettesheim / ​v. Raumer, EMRK, Art. 11 Rn. 60 ff.; Grabenwarter / ​Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, § 19 Rn. 3 ff. 1175 EGMR, Urt. v. 11.01.2006, ECHR 2006-I, BeckRS 2006, 16657, Rn. 57 (Sorensen); vgl. auch Daiber, in: Meyer-Ladewig / ​Nettesheim / ​v. Raumer, EMRK, Art. 11 Rn. 60. 1176 EGMR, Urt. v. 11.01.2006, ECHR 2006-I, BeckRS 2006, 16657, Rn. 57 (Sorensen); vgl. auch Daiber, in: Meyer-Ladewig / ​Nettesheim / ​v. Raumer, EMRK, Art. 11 Rn. 60. 1177 EGMR, Urt. v. 20.10.2005, 74989/01, Slg. 05-X Rn. 37 (Ouranio Toxo); vgl. auch Daiber, in: Meyer-Ladewig / ​Nettesheim / ​v. Raumer, EMRK, Art. 11 Rn. 60. 1178 Borowsky, in: Meyer, GRCh, 4. Aufl., Art. 51 Rn. 31. 1179 Vgl. auch Rengeling / ​Szczekalla, Grundrechte in der EU, § 6 Rn. 408 ff.; Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 1051 ff., insb. S. 1056; Szczekalla, Funktionen der Grundrechte, in: Heselhaus / ​Nowak, Hdb. EU-Grundrechte, § 8 Rn. 7 ff. 1173

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

b) Schutzpflichten der EU, welche gegen die Mitgliedstaaten gerichtet sind? Fraglich ist jedoch, ob die grundrechtlichen Schutzpflichten auch gegen die Mitgliedstaaten gerichtet sein können.1180 Grundsätzlich wirken grundrechtliche Schutzpflichten nur gegen Dritte, die selbst nicht grundrechtsgebunden sind. Hier würde jedoch eine Schutzpflicht gegen Staaten eingreifen, die an ihre eigenen nationalen Grundrechte gebunden sind. Ob Schutzpflichten gegen andere grundrechtsgebundene Hoheitsträger bestehen können, erscheint fragwürdig.1181 Gegen das Bestehen und Durchsetzen solcher Schutzpflichten könnte das Kooperationsverhältnis zwischen der EU und den Mitgliedstaaten sprechen. Die EU und die Mitgliedstaaten arbeiten nach Art. 4  Abs. 3  EUV im Geiste der gegenseitigen Loyalität zusammen und sind wechselseitig aufeinander angewiesen. Insofern könnte es geboten sein, dass die EU ihren Mitgliedstaaten dahingehend vertraut, dass diese ein mit der Grundrechtecharta vergleichbares nationales Grundrechtsniveau aufrechterhalten, sodass die EU diesbezüglich keine Schutzpflichten trifft.1182 Auf der anderen Seite sind die Mitgliedstaaten nach der hier vertretenen Auffassung nicht an die Grundrechtecharta gebunden. Die Grundrechtecharta ist aber das für die Union entscheidende Grundrechtsregime. Für die EU kommt es nicht darauf an, dass die Mitgliedstaaten an eigene nationale Grundrechte gebunden 1180 Vgl. zu dieser Konstellation auch Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 1097 f. 1181 Kritisch insofern auch Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 1097 f., der jedoch von einer Bindung der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte ausgeht, die im vorliegenden Fall aber abgelehnt wurde. Die Frage nach bestehenden Schutzpflichten gegenüber anderen Staaten wird auch beim umstrittenen Anspruch auf diplomatischen Schutz virulent. Unter dem Anspruch auf diplomatischen Schutz ist der Anspruch gegen den Staat zu verstehen, dass dieser im Rahmen der diplomatischen Möglichkeiten zum Schutz seiner im Ausland befindlichen Staatsangehörigen tätig wird, welche von Maßnahmen des ausländischen Staates betroffen werden. Dogmatischer Anknüpfungspunkt für diesen Anspruch könnte u. a. die Schutzpflicht aus dem einschlägigen nationalen Grundrecht sein, das von der Maßnahme des ausländischen Staates betroffen ist, vgl. Giegerich, in: Maunz / ​Dürig, GG, Art. 16 Abs. 1 Rn. 206 m. w. N. Dagegen wird eingewandt, dass dadurch die nationalen Grundrechte dem ausländischen Staat oktroyiert würden, Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: Isensee / ​Kirchhof, HStR IX, § 191 Rn. 212 Fn. 560, woraufhin erwidert wird, dass das einschlägige Grundrecht nur im Innenverhältnis zwischen dem betroffenen Staatsangehörigen und seinem Staat wirkt, Giegerich, in: Maunz / ​Dürig, GG, Art. 16 Rn. 208; vgl. zum Ganzen auch Dreier, in: Dreier, GG, Bd. I, Vorb. Rn. 101 m. w. N.; Giegerich, in: Maunz / ​Dürig, GG, Art. 16 Abs. 1 Rn. 202 ff. m. w. N. 1182 Dies ähnelt einer umgekehrten Solange-Formel nach der Rechtsprechung des BVerfG: „Solange die Mitgliedstaaten einen mit der GRCh vergleichbaren nationalen Grundrechtsschutz gewähren, übt die EU ihre Schutzpflichten gegen die Mitgliedstaaten nicht aus“; zu einer umgekehrten Solange-Doktrin in anderem Zusammenhang vgl. v. Bogdandy / ​Kottmann / ​ Antpöhler / ​Dickschen / ​Hentrei / ​Smrkolj, ZaöRV 72 (2012), 45, 66 ff.

5. Kap.: Vergleichende Betrachtung von GASP und Frontex

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sind. Insofern steht es den Schutzpflichten nicht entgegen, dass die Mitgliedstaaten selbst an eigene Grundrechte gebunden sind. Entscheidend ist, dass sie nicht an die Unionsgrundrechte gebunden sind. Fraglich ist jedoch, ob der Entfaltung einer Schutzpflicht Art. 6 Abs. 1 UAbs. 2 EUV sowie Art. 51 Abs. 2 GRCh entgegenstehen. Danach werden die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten der Union durch die Grundrechtecharta in keiner Weise erweitert. Die Normierung dieses bereits aus dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung nach Art. 5 Abs. 2 EUV folgenden Grundsatzes war von der Befürchtung einer „kompetenzansaugenden Wirkung“ der Grundrechtecharta getragen.1183 Insbesondere über die „Herleitung von Schutzpflichten“ sollen die Kompetenztitel nicht ausgeweitet werden.1184 Hinsichtlich der operativen Ausführung wurde keine Unionskompetenz festgestellt.1185 Aufgrund der kompetenzrechtlich vorgegebenen bloßen Koordinierung mitgliedstaatlichen Verhaltens ist die operative Ausführung und damit das Gewaltmonopol in polizeilicher und militärischer Hinsicht den Mitgliedstaaten vorbehalten. Dementsprechend könnte argumentiert werden, dass eine unionsgrundrechtliche Schutzpflicht der EU, welche gegen die Mitgliedstaaten gerichtet ist, zu einer unzulässigen Ausweitung der Unionskompetenzen auf das operative Handeln führt. Zu beachten ist allerdings, dass die EU im Rahmen der GASP und Frontex jeweils eine Zuständigkeit hinsichtlich der Koordinierung des mitgliedstaatlichen Verhaltens besitzt.1186 Die unionsgrundrechtliche Schutzpflicht knüpft dabei an diese Koordinierungszuständigkeit an und entfaltet sich in ihrem Rahmen. Die Schutzpflicht betrifft somit unmittelbar nur das Verhältnis der Grundrechts­ berechtigten zur EU, wobei letztere die Pflicht trifft, ihren koordinierenden Einfluss auf die Mitgliedstaaten zur Einhaltung der Grundrechtecharta geltend zu machen. Ein unmittelbarer Eingriff in das Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten und den jeweils betroffenen Personen ist damit nicht verbunden und wäre auch aus kompetenzrechtlichen Gründen unzulässig.1187 Dem steht jedoch eine faktische Beeinflussung des mitgliedstaatlichen Verhaltens nicht entgegen, da diese im Einklang mit den Koordinierungsbefugnissen der Union sowohl im Bereich der GASP als auch im Rahmen von Frontex steht. Voraussetzung ist jedoch, 1183

Borowsky, in: Meyer, GRCh, 4. Aufl., Art. 51 Rn. 37. Borowsky, in: Meyer, GRCh, 4. Aufl., Art. 51 Rn. 37. 1185 Die operative Ausführung ist vielmehr bei den Mitgliedstaaten angesiedelt, s. 3. Kapitel, B. III. 5., S. 115 ff. (GASP) und 4. Kapitel, B. III. 5. d), S. 239 ff. (Frontex), was kompetenzrechtlich zwingend vorgesehen ist, s. 3. Kapitel, E. VI. 2. b) cc), S. 180 ff. (GASP) und 4. Kapitel, E. III. 2. b) cc), S. 273 ff. (Frontex). 1186 S. 3.  Kapitel, E. VI. 2. b) cc), S. 180 ff. (GASP) und 4.  Kapitel, E. III. 2. b) cc), S. 273 ff. (Frontex). 1187 Aufgrund der auf eine Koordinierung begrenzten Unionskompetenz verbleibt die Exekutivverantwortung bei den Mitgliedstaaten. Insofern wird im Verhältnis zu den betroffenen Personen mitgliedstaatliche Hoheitsgewalt ausgeübt, s. dazu oben, 3. Kapitel, B. III. 5. a) bb) (2), S. 118 ff. (GASP) und 4.  Kapitel, B. III. 5. d) bb) (2), S. 242 f. (Frontex). 1184

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

dass sich die aufgrund der Schutzpflichten getroffenen Maßnahmen auch innerhalb des koordinierenden Rahmens halten. Die Schutzpflichten können somit nur den Gebrauch der koordinierenden Handlungsmöglichkeiten der EU prägen und inhaltlich konturieren, aber nicht die Zuständigkeiten der EU innerhalb der GASP und Frontex erweitern. c) Entfaltung der Schutzpflichten Mit der grundsätzlichen Existenz einer Schutzpflicht der EU stellt sich die Frage, wie sich diese in der GASP und bei Frontex auswirkt. Das Aufzeigen dieser Schutzpflichten kann im hiesigen Rahmen nur allgemein erfolgen. Grund hierfür ist zum einen, dass die genauen Auswirkungen der Schutzpflichten speziell für die jeweils einschlägigen Grundrechte untersucht werden müssten, was aber nicht Gegenstand dieser Arbeit ist. Zum anderen gibt es viele Möglichkeiten, wie die EU als Grundrechtsverpflichtete ihren Schutzpflichten nachkommen kann, sodass diesbezüglich eine „Einschätzungssprärogative“ besteht.1188 Dementsprechend können die genauen Auswirkungen des Bestehens der Schutzpflicht hier nur angedeutet werden. aa) GASP In der GASP haben der Europäische Rat und der Rat im Rahmen der zu fassenden Beschlüsse dafür zu sorgen, dass etwaige Grundrechtsverletzungen nicht bereits im Beschluss, beispielsweise über die gemeinsame Aktion oder im Durchführungsbeschluss, angelegt sind.1189 Der Hohe Vertreter hat bei seiner koordinierenden Tätigkeit aktiv auf die Beachtung der Grundrechtecharta hinzuwirken. Auch das PSK muss bei Ausübung der strategischen Leitung und politischen Kontrolle gegenüber den Mitgliedstaaten all seine Möglichkeiten ausschöpfen, um den unionsgrundrechtlichen Schutzpflichten nachzukommen. Bei Missachtung der Grundrechtecharta im Rahmen der Befehlskette hat es unter Umständen eine neue Befehlskette festzulegen und die entsprechenden Personen auszutauschen. Im Extremfall, etwa wenn es zu wiederholten Verletzungen der Grundrechtecharta durch die ausführenden Mitgliedstaaten kommt, muss das PSK den Einsatz auch beenden. 1188 Kingreen, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 51 Rn. 26; vgl. auch Borowsky, in: Meyer, GRCh, 4. Aufl., Art. 51 Rn. 32; Ehlers, Allgemeine Lehren der Unionsgrundrechte, in: Ehlers: EuGR, § 14 Rn. 45; Jarass, AöR 110 (1985), 363, 395 („Wesentlichkeitsschutz“); ­Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 223 ff. 1189 Dies bedeutet beispielsweise, dass im GASP-Beschluss keine Rückführung von Personen in Länder vorgesehen sein darf, in denen Folter oder andere schwerwiegende Beeinträchtigungen drohen, vgl. Art. 19 Abs. 2 GRCh (sog. Refoulement-Verbot).

5. Kap.: Vergleichende Betrachtung von GASP und Frontex

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Die Festlegung einer neuen Befehlskette und die Beendigung des Einsatzes als Beispiele für die Auswirkungen der unionsgrundrechtlichen Schutzpflichten zeigen, dass sich die Schutzpflichten innerhalb des koordinierenden Rahmens der EU halten, da diese Maßnahmen von der politischen Kontrolle und strategischen Leitung des PSK im Sinne von Art. 38 UAbs. 2 EUV gedeckt sind. Demgegenüber berechtigen die Schutzpflichten das PSK angesichts der bloß koordinierenden Funktion der EU nicht, konkrete operative Anweisungen in die Befehlskette einzuspeisen, um so unmittelbaren Einfluss auf die konkreten Handlungen der mitgliedstaatlichen Einsatzkräfte auszuüben. In diesem Falle würde die bloße koordinierende Befugnis der EU überschritten, was im Hinblick auf Art. 52 Abs. 2 GRCh und Art. 6 Abs. 1 UAbs. 2 EUV unzulässig ist. bb) Frontex Die gesamte Frontex-VO ist von Normen durchzogen, die auf die Achtung und Gewährleistung der Grundrechte gerichtet sind.1190 Ob damit nationale oder Unionsgrundrechte gemeint sind, kann dem Wortlaut nicht immer unmittelbar entnommen werden. Allerdings geht aus Erwägungsgrund Nr. (47) der Frontex-VO1191 und Art. 34 Abs. 1 Frontex-VO hervor, dass hierbei die Unionsgrundrechte gemeint sind. Die Frontex-VO geht folglich von einer generellen Bindung an die Unionsgrundrechte bei ihrer gesamten Tätigkeit, einschließlich der operativen Ausführung durch die Mitgliedstaaten aus. Beispielhaft sei die Bekräftigung in Art. 1 Frontex-VO genannt, ein „hohes Maß an innerer Sicherheit innerhalb der Union unter uneingeschränkter Achtung der Grundrechte […] zu gewährleisten“. Dies setzt sich in Art. 6 Abs. 3 S. 1 Frontex-VO fort, wonach die Agentur zu einer „konstanten und einheitlichen Anwendung des Unionsrechts, einschließlich des Besitzstands der Union im Bereich der Grundrechte“ beiträgt. Des Weiteren gewährleistet die europäische Grenz- und Küstenwache gemäß Art. 34 Abs. 1 S. 1 Frontex-VO bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben den Schutz der Grundrechte. Es wurde allerdings festgestellt, dass nur die Agentur selbst an die Unionsgrundrechte gebunden ist, nicht aber die Mitgliedstaaten. Somit ergibt sich eine überschießende Tendenz der Frontex-VO, auch die Mitgliedstaaten an die GRCh binden zu wollen, sodass sich die Frage stellt, ob die Frontex-VO insofern primärrechtswidrig ist. Dies hätte die durchaus prekäre Folge, dass die zum Schutz der Bürger implementierte „Grundrechtsfürsorge“ ins Gegenteil verkehrt und zu einer Teilnichtigkeit der Frontex-VO führen würde. Bevor jedoch eine Teilnichtigkeit angenommen werden kann, ist zu prüfen, ob die Normen der Frontex-VO primärrechtskonform ausgelegt werden können. Hier 1190

Vgl. etwa Art. 1, 6 Abs. 3, 12 Abs. 3 lit. e), 16 Abs. 3 lit. d), lit. i), lit. m), 18 Abs. 4 lit. a), 21 Abs. 4 S. 1, Abs. 5, 22 Abs. 3 lit. b), 25 Abs. 4, 27 Abs. 1, 28 Abs. 3 S. 2, 34 Abs. 1, 35 Abs. 1, 36 Abs. 2, 40 Abs. 2, 70, 71, 72 Frontex-VO. 1191 ABl. Nr. L 251 v. 16.09.2016, S. 1, 7.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

bei könnte den unionsgrundrechtlichen Schutzpflichten eine entscheidende Funktion zukommen. Denn die Normen zur Beachtung der Unionsgrundrechte in der Frontex-VO könnten sich als Bestrebung zur Erfüllung der unionsgrundrechtlichen Schutzpflichten auslegen lassen. Im Folgenden sind deshalb die grundrechtsrelevanten Regelungen der Frontex-VO in den Blick zu nehmen, wobei zu fragen ist, ob sich die jeweilige Regelung noch als Ausfluss einer unionsrechtlichen Schutzpflicht auslegen lässt. In diesem Zusammenhang ist zunächst die Aufgabe des Verbindungsbeamten in den Mitgliedstaaten zu nennen, welcher als Schnittstelle zwischen der Agentur und den Mitgliedstaaten zur Achtung der Grundrechte in den Mitgliedstaaten beitragen soll, vgl. Art. 12 Abs. 3  lit. e) Frontex-VO. Mangels unmittelbarer Bindung der Mitgliedstaaten an die GRCh ist diese Regelung so zu verstehen, dass der Verbindungsbeamte die Mitgliedstaaten auf das von der Grundrechtecharta geforderte Schutzniveau hinzuweisen und sie zu dessen Aufrechterhaltung unverbindlich aufzufordern hat. Art. 16 Abs. 3 lit. d) Frontex-VO sieht vor, dass im Einsatzplan die Achtung der Unionsgrundrechte festgeschrieben werden muss. Nur wenn dies gesichert ist, ist der Exekutivdirektor berechtigt, den Einsatzplan abzuschließen. Während des Einsatzes findet auf Grundlage eines im Einsatzplan festgelegten Evaluierungsverfahrens überdies eine Überprüfung der Einhaltung der Unionsgrundrechte statt, Art. 16  Abs. 3  lit.  i)  Frontex-VO. Weiterhin wird im Einsatzplan ein Verfahren festgeschrieben, um Beschwerden gegen an gemeinsamen Aktionen beteiligte Personen wegen Verletzungen von Grundrechten entgegenzunehmen und an die Agentur weiterzuleiten. Dies korrespondiert mit dem neu eingerichteten Beschwerdeverfahren nach Art. 72 Frontex-VO, wonach jede von einer operativen Maßnahme betroffene Person aufgrund einer behaupteten Grundrechtsverletzung Beschwerde gegen diese Maßnahme einlegen kann. Im Falle eines Grundrechtsverstoßes kann die Agentur den Mitgliedstaat auffordern, den betreffenden Grenzschutzbeamten von der Aktivität abzuziehen oder aus dem Einsatzpool zu entfernen, Art. 72 Abs. 8 Frontex-VO. Es erscheint fraglich, ob dieser tief greifende Versuch, die Unionsgrundrechte im operativen Einsatz zu gewährleisten, noch als Ausfluss der unionsgrundrechtlichen Schutzpflichten ausgelegt werden kann, da die Mitgliedstaaten und ihre Grenzschutzbeamten nicht unmittelbar an die Grundrechtecharta gebunden sind. So könnte damit insbesondere die Verpflichtung zur Einhaltung der GRCh im Einsatzplan unvereinbar sein. Ebenso erscheint das Beschwerdeverfahren nach Art. 72  Frontex-VO problematisch, da dieses gerade auf die Rüge von Unionsgrundrechtsverletzungen ausgerichtet ist. Allerdings ist der operative Einsatz im Rahmen von Frontex freiwillig, sodass die Mitgliedstaaten nicht zum Abschluss eines entsprechenden Einsatzplanes und damit auch nicht zum Abschluss einer Vereinbarung über die Einhaltung der GRCh verpflichtet sind. Durch die freiwillige Selbstverpflichtung der Mitgliedstaaten im

5. Kap.: Vergleichende Betrachtung von GASP und Frontex

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Einsatzplan zur Einhaltung der Grundrechtecharta erscheint auch das Beschwerdeverfahren in einem anderen Licht. Gleichwohl stellt das Beschwerdeverfahren auf unionsrechtlicher Ebene einen Fremdkörper dar, da – selbst wenn die Grundrechtecharta auf die Mitgliedstaaten anwendbar wäre – gegen grundrechtsverletzende mitgliedstaatliche Maßnahmen Rechtsschutz vor den zuständigen nationalen Gerichten zu suchen wäre. Das Beschwerdeverfahren kann deshalb sinnvollerweise nur dahingehend verstanden werden, dass die Betroffenen die Agentur über etwaige Grundrechtsverstöße der Mitgliedstaaten informieren können, sodass die Agentur darauf reagieren und ihrer grundrechtlichen Schutzpflicht gerecht werden kann. Das Beschwerdeverfahren dient damit in erster Linie nicht dem Rechtsschutz der betroffenen Personen, sondern der Überwachung und Gewährleistung der Unionsgrundrechte durch die Agentur, vgl. Art. 72  Abs. 1  Frontex-VO, und damit der Erfüllung ihrer unionsgrundrechtlichen Schutzpflichten. Ferner zeigt Art. 72 Abs. 8 Frontex-VO, dass ein Verstoß gegen die GRCh Frontex gerade nicht dazu berechtigt, den dagegen verstoßenden Grenzschutzbeamten selbst von der Aktivität abzuziehen oder aus dem Einsatzpool zu entfernen. Vielmehr kann nur der Mitgliedstaat, dem der entsprechende Grenzschutzbeamte angehört, hierzu aufgefordert werden. Die fehlende Durchgriffswirkung zeigt wiederum die bloß koordinierende Aufgabe von Frontex und ermöglicht es, die Anweisung als Ausprägung der unionsgrundrechtlichen Schutzpflicht zu verstehen. Angesichts der fehlenden Bindung der Mitgliedstaaten an die GRCh und der lediglich koordinierenden Aufgabe von Frontex kann die Aufforderung jedoch nicht als verpflichtend angesehen werden. Dies gilt trotz Selbstverpflichtung der Mitgliedstaaten im Einsatzplan zur Achtung der Grundrechtecharta. Denn wie die Mitgliedstaaten die Selbstverpflichtung im Innenverhältnis umsetzen, ist angesichts der rein koordinierenden Funktion von Frontex und der entsprechend begrenzten Kompetenz Sache der Mitgliedstaaten. Eine entsprechende Aufforderung von Frontex zum Abzug oder zur Entfernung des Grenzschutzbeamten aus dem Einsatzpool ist daher lediglich als Anregung zu verstehen. Eine andere Auslegung wäre aufgrund eines Verstoßes gegen Art. 52 Abs. 2 GRCh und Art. 6 Abs. 1 UAbs. 2 EUV primärrechtswidrig. Darüber hinaus hat während der operativen Einsätze der Koordinierungsbeamte nach Art. 22 Abs. 3 lit. b) Frontex-VO die korrekte Durchführung des Einsatzplanes einschließlich des Schutzes der Grundrechte zu überwachen. Bei schwerwiegenden oder voraussichtlich weiter anhaltenden Verstößen gegen Grundrechte zieht der Exekutivdirektor nach Art. 25 Abs. 4 Frontex-VO die Finanzierung eines operativen Einsatzes zurück, setzt die Tätigkeit ganz oder teilweise aus oder beendet diese. Auch dies kann als Ausfluss der unionsgrundrechtlichen Schutzpflicht ausgelegt werden, da der Koordinierungsbeamte nicht unmittelbar das operative Verhalten der Grenzschutzbeamten steuern und sie zu einem anderen Verhalten anweisen, sondern nur mittelbar das Verhalten der Mitgliedstaaten über die Finanzierung des Einsatzes und dessen möglicher Beendigung beeinflussen kann. Damit halten sich die möglichen Maßnahmen des Koordinierungsbeamten innerhalb der koordinierenden Befugnisse der Grenzschutzagentur Frontex.

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Auch außerhalb operativer Einsätze ist Frontex um eine Einhaltung der Grundrechtecharta durch die Mitgliedstaaten bemüht. So erarbeitet die Agentur nach Art. 34  Abs. 1  Frontex-VO eine Grundrechtsstrategie einschließlich eines Mechanismus zur Überwachung der Achtung der Grundrechte.1192 Dafür wird nach Art. 71 Frontex-VO ein Grundrechtsbeauftragter ernannt, der auch zu den aufgestellten Einsatzplänen gehört wird, vgl. Art. 71 Abs. 3 Frontex-VO. Dies bedeutet im Ergebnis, dass ein „Grundrechtsmonitoring“ durch Frontex stattfindet. Zur Unterstützung des Exekutivdirektors und des Verwaltungsrats in generellen Grundrechtsfragen besteht zudem ein Konsultationsforum, vgl. Art. 70 Frontex-VO. Überdies führt die Agentur nach Art. 16 Abs. 2 Frontex-VO Schulungen zum einschlägigen Unionsrecht einschließlich der Grundrechte durch. Auch hierbei hält sich Frontex jedoch an seine koordinierenden Befugnisse und überwacht lediglich passiv die Einhaltung der GRCh oder steht beratend zur Verfügung. Insofern können auch diese Regelungen noch als Maßnahmen im Rahmen der unionsgrundrechtlichen Schutzpflichten gesehen werden. Zusammenfassend können somit die Vielzahl von Mechanismen, mittels derer Frontex bestrebt ist, die Unionsgrundrechte bei der operativen Ausführung durch die Mitgliedstaaten zu gewährleisten, noch als Ausprägung der unionsgrundrechtlichen Schutzpflichten gedeutet werden, sodass die Frontex-VO nicht als teilweise primärrechtswidrig anzusehen ist. Darin ist auch kein Widerspruch zu Art. 6 Abs. 1 UAbs. 2 EUV und Art. 51 Abs. 2 GRCh zu sehen, da die unionsgrundrechtlichen Schutzpflichten an die Koordinierungsbefugnisse der EU anknüpfen.1193 Diese Koordinierungsbefugnisse werden durch die in der Frontex-VO angelegten grundrechtssichernden Mechanismen nicht überschritten, da es vor allem die Aufgabe der Grenzschutzagentur Frontex selbst ist – die auch nach der hier vertretenen Ansicht direkt an die Unionsgrundrechte gebunden ist – die Einhaltung der Unionsgrundrechte zu gewährleisten, wobei kein unmittelbarer Durchgriff auf die Mitgliedstaaten stattfindet. Die Tatsache eines fehlenden Durchgriffs auf die Mitgliedstaaten zeugt jedoch auch von einem gewissen Widerspruch innerhalb der Frontex-VO selbst. Wären tatsächlich alle Beteiligten einschließlich der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte gebunden – wovon die Frontex-VO auszugehen scheint –, so wären die Einhaltung der Unionsgrundrechte auf operativer Ebene vor allem durch die beteiligten Mitgliedstaaten und ihre Gerichte zu gewährleisten, sodass es an sich keiner grundrechtssichernden Maßnahmen durch Frontex selbst bedürfte. Indem die Frontex-VO die Einhaltung der GRCh vor allem als Aufgabe der Agentur beschreibt, offenbart die VO selbst gewisse Unsicherheiten bezüglich der Unionsgrundrechtsbindung der Mitgliedstaaten, jedenfalls an deren Einhaltung durch diese. Die Tatsache, dass die grundrechtssichernden Maßnahmen vor allem

1192

Vgl. dazu die „Frontex Fundamental Rights Strategy“ vom 31. März 2011, abrufbar unter http://frontex.europa.eu/news/management-board-endorses-frontex-fundamental-rightsstrategy-KxtacI, zuletzt abgerufen am 09.01.2017. 1193 S. oben unter C. II. 2. b), S. 305.

5. Kap.: Vergleichende Betrachtung von GASP und Frontex

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an Frontex selbst adressiert sind, ermöglicht es jedoch, die getroffenen Maßnahmen als Ausfluss der unionsgrundrechtlichen Schutzpflicht auszulegen. Problematisch erscheint jedoch der exzessive Umfang der Maßnahmen zur Grundrechtssicherung. Dabei ist allerdings zu beachten, dass es grundsätzlich der Einschätzungsprärogative der EU überlassen ist, in welchem Umfang sie ihre Schutzpflichten ausübt. In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass die EU die unionsgrundrechtlichen Schutzpflichten gegenüber den Mitgliedstaaten nicht ohne deren freiwillige Bereitschaft, einen Einsatz im Rahmen von Frontex auszuführen, durchsetzen kann.1194 Allerdings dürften die Regelungen in der Frontex-VO die äußerste Grenze dessen darstellen, was noch als Ausfluss einer unionsgrundrechtlichen Schutzpflicht verstanden werden kann. Sobald nämlich Frontex ein unmittelbarer Durchgriff auf das Verhalten der handelnden Grenzschutzbeamten ermöglicht werden würde, um deren Verhalten in unionsgrundrechtskonformer Weise zu steuern, wäre die Grenze dessen, was mit Art. 52 Abs. 2 GRCh und Art. 6 Abs. 1 UAbs. 2 EUV zu vereinbaren ist, überschritten. III. Ergebnis Zusammenfassend kann zwar eine Diskrepanz zwischen der unionsgrundrechtsgebundenen EU-Ebene und der nicht unionsgrundrechtsgebundenen mitgliedstaatlichen Ebene festgestellt werden. Auf unionsrechtlicher Ebene bestehen jedoch Schutzpflichten, die dazu führen, dass die Union ihren koordinierenden Einfluss nutzen muss, um die Einhaltung eines unionsgrundrechtlichen Mindestschutzniveaus durch die Mitgliedstaaten sicherzustellen. Was die konkrete Ausgestaltung der Schutzpflichten und des Schutzniveaus betrifft, ist der diesbezüglich bestehende Einschätzungsspielraum zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die EU die unionsgrundrecht­ lichen Schutzpflichten gegenüber den Mitgliedstaaten nicht ohne deren freiwillige Bereitschaft, einen Einsatz im Rahmen der GASP oder Frontex auszuführen, durchsetzen kann.1195 Insofern kann eine fehlende Bereitschaft der Mitgliedstaaten, operative Einsätze im Rahmen der GASP oder Frontex durchzuführen, einen faktischen Druck auf die EU ausüben, von den Schutzpflichten nicht überobligatorisch Gebrauch zu machen. Insbesondere in der Frontex-VO lassen sich jedoch zahlreiche Ausformungen der unionsgrundrechtlichen Schutzpflicht feststellen, die sogar so weit gehen, dass sich die Mitgliedstaaten über den Einsatzplan vertraglich zur Einhaltung der Unionsgrundrechte verpflichten. Diese Verpflichtung betrifft allerdings nur das Innenverhältnis der Mitgliedstaaten zu Frontex. Bei der Ausübung der mitgliedstaatlichen Hoheitsgewalt im Außenverhältnis bleiben die 1194

Freiwilligkeitsprinzip, s. dazu oben, 3. Kapitel, B. III. 4. d), S. 113 ff. (GASP) und 4. Kapitel, E. III. 1. b) bb), S. 263 ff. (Frontex). 1195 Freiwilligkeitsprinzip, s. dazu oben, 3. Kapitel, B. III. 4. d), S. 113 ff. (GASP) und 4. Kapitel, E. III. 1. b) bb), S. 263 ff. (Frontex).

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2. Teil: Die Grundrechtsbindung von GASP & Frontex

Mitgliedstaaten unmittelbar nur an die nationalen Grundrechte des Einsatzmitgliedstaates gebunden. Dieser mit den Mitgliedstaaten geschlossene Vertrag entfaltet auch keine Schutzwirkung zugunsten der grundrechtlich Betroffenen in der Weise, dass diese subjektive Rechte aus dem Vertrag gegen die operativ handelnden Mitgliedstaaten ableiten könnten. Eine derartige Schutzwirkung würde voraussetzen, dass die unionsgrundrechtsgebundene EU die grundrechtsrelevanten operativen Einsätze im Außenverhältnis kompetenzrechtlich mitregeln dürfte. Aufgrund der bloßen Koordinierungsbefugnis ist der Vertrag jedoch von vornherein darauf beschränkt, im Innenverhältnis das mitgliedstaatliche Verhalten zu koordinieren. Auf eine Einbeziehung der betroffenen Personen kann der Vertrag deshalb kraft der diesbezüglich fehlenden Regelungskompetenz der EU von vornherein nicht gerichtet sein. Darin ist auch kein Widerspruch zu der an sich bestehenden grundrechtlichen Schutzpflicht der EU zu sehen. Die Schutzpflicht kann sich nur im Rahmen der bestehenden Koordinierungsbefugnisse entfalten, d. h. im Innenverhältnis gegenüber den Mitgliedstaaten. Demgegenüber würde eine aus dem Einsatzplan abgeleitete Schutzwirkung samt daraus folgender subjektiver Rechte im Verhältnis der Betroffenen zu den Mitgliedstaaten wirken. Die aus der Schutzpflicht abgeleiteten subjektiven Rechte können sich jedoch nur gegen die unionsgrundrechtsverpflichtete EU richten. Somit haben die Schutzpflichten zwar zur Folge, dass die Mitgliedstaaten zur Einhaltung der Grundrechtecharta angehalten werden und die operativen Ausführungen an den Unionsgrundrechten ausrichten sollen. Konkreter Prüfungsmaßstab für die nationalen Ausführungsmaßnahmen bleiben jedoch allein die jeweiligen nationalen Grundrechte.

3. Teil

Grundrechtliches Mehrebenensystem 6. Kapitel

Das grundrechtliche Mehrebenensystem  A. Einleitung Das gefundene Ergebnis zur Bindung an die Europäische Grundrechtecharta bei operativen Einsätzen im Rahmen der GASP und Frontex soll abschließend in das grundrechtliche Mehrebenensystem eingeordnet werden. Das grundrechtliche Mehrebenensystem ist geprägt von mehreren miteinander konkurrierenden Grundrechtsregimen. Dazu zählen neben den nationalen Grundrechten und der Europäischen Grundrechtecharta auch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK).1 In den vorherigen Kapiteln wurde der Anwendungsbereich der Unionsgrundrechte im Rahmen der GASP und Frontex erörtert, wobei ausschließlich eine Bindung der unionsrechtlichen, nicht aber der mitgliedstaatlichen Ebene an die Grundrechtecharta festgestellt wurde. Die Mitgliedstaaten sind bei der operativen Ausführung an ihre nationalen Grundrechte bzw. an die Grundrechte des Einsatzmitgliedstaates gebunden, wobei freilich die Grundrechtecharta über Schutzpflichten auf die nationale Ebene einwirkt. Im Rahmen des grundrechtlichen Mehrebenensystems wird nun der Blick auf die nationalen Grundrechte (unter B.) und die EMRK (unter C.) sowie auf das Verhältnis der Grundrechtsregime untereinander (unter D.) gerichtet. Daraus ergibt sich ein die Grundrechtsbindung operativer GASP- und Frontex-Einsätze abrundendes Bild (unter E.).

1

Zur „Architektonik des europäischen Grundrechtsraums“ s. Derderer, ZaöRV 66 (2006), 575 ff.; zum Verhältnis der GRCh zum nationalen Recht und Völkerrecht s. Jarass, EuR 2013, 29 ff.; zu den UN-Menschenrechtsverträgen im Grundgefüge der Europäischen Union s. Schadendorf, EuR 2015, 28 ff.

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3. Teil: Grundrechtliches Mehrebenensystem

B. Die nationalen Grundrechte am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland Bei operativen Einsätzen im Rahmen der GASP und Frontex sind die Mitgliedstaaten an ihre eigenen nationalen Grundrechte bzw. die Grundrechte des Einsatzmitgliedstaates gebunden. Im Rahmen des grundrechtlichen Mehrebenensystems soll diese Grundrechtsbindung am Beispiel von Deutschland präzisiert werden. Charakteristisch für die operativen Einsätze im Rahmen der GASP und Frontex ist, dass das Einsatzgebiet außerhalb des Hoheitsgebietes der jeweiligen Mitgliedstaaten liegt bzw. liegen kann.2 Insofern ist die entscheidende Frage, ob und inwiefern die nationalen Grundrechte auch extraterritoriale Wirkung entfalten können.3 I. Territorialitätsprinzip Die Grundrechte des Grundgesetzes sollen die deutsche Staatsgewalt binden. Diese wird im Regelfall auf deutschem Staatsgebiet ausgeübt, sodass die Grundrechte grundsätzlich territorial gelten.4 II. Extraterritoriale Geltung Die Auslandseinsätze der Bundeswehr und der Grenzschutzbeamten, insbesondere auch im Rahmen der GASP und Frontex, zeigen, dass sich in einer globalisierten Welt die Ausübung von Hoheitsgewalt nicht mehr auf das jeweilige Hoheitsgebiet beschränkt.5 Insofern muss auch die auswärtig ausgeübte staatliche Gewalt einer rechtlichen Bindung unterliegen. Ausgangspunkt hierfür ist Art. 1 Abs. 3 GG, 2 Vgl. etwa die Einsatzgebiete der Operation Triton (Frontex) und der Operation Sophia (GASP), 1. Kapitel, B. I., S. 37 ff. (Operation Sophia) und B. II., S. 39 f. (Operation Triton). 3 Zur Einordnung des gefundenen Ergebnisses in das grundrechtliche Mehrebenensystem genügt hierfür eine überblicksartige Darstellung. Zur extraterritorialen Wirkung der Grundrechte vgl. etwa Badura, Der räumliche Geltungsbereich der Grundrechte, in: Merten / ​Papier, HGR II, § 47; Beck, Auslandseinsätze deutscher Streitkräfte; Becker, Grenzüberschreitende Reichweite deutscher Grundrechte, in: Isensee / ​Kirchhof, HStR XI, § 240; Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsbezug; Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte; Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte; Nettesheim, Verfassungsbindung der auswärtigen Gewalt, in: Isensee / ​Kirchhof, HStR XI, § 241; Werner, Die Grundrechtsbindung der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen; Yousif, Die extraterritoriale Geltung der Grundrechte bei der Ausübung deutscher Staatsgewalt im Ausland. 4 Becker, Grenzüberschreitende Reichweite deutscher Grundrechte, in: Isensee / ​K irchhof, HStR XI, § 240 Rn. 7. 5 Vgl. auch Becker, Grenzüberschreitende Reichweite deutscher Grundrechte, in: Isensee / ​ Kirchhof, HStR XI, § 240 Rn. 8.

6. Kap.: Das grundrechtliche Mehrebenensystem  

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wonach Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung unmittelbar an die Grundrechte gebunden sind. In Art. 1 Abs. 3 GG wird mithin eine umfassende Grundrechtsbindung aller öffentlichen Gewalt ohne räumliche Beschränkung statuiert.6 Hieraus lässt sich folgern, dass die Grundrechte auch extraterritoriale Wirkung entfalten müssen.7 Allerdings kann die Grundrechtsbindung außerhalb des Hoheitsgebietes nach der Rechtsprechung des BVerfG eine Abstufung im Sinne einer Modifikation und Differenzierung erfahren:8 „Ansatzpunkt für die Beantwortung der Frage nach der räumlichen Geltung […] [der Grundrechte] ist Art. 1 III GG, der den Geltungsumfang der Grundrechte im Allgemeinen bestimmt. Aus dem Umstand, dass diese Vorschrift eine umfassende Bindung von Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung an die Grundrechte vorsieht, ergibt sich allerdings noch keine abschließende Festlegung der räumlichen Geltungsreichweite der Grundrechte. Das Grundgesetz begnügt sich nicht damit, die innere Ordnung des deutschen Staates festzulegen, sondern bestimmt auch in Grundzügen sein Verhältnis zur Staatengemeinschaft. Insofern geht es von der Notwendigkeit einer Abgrenzung und Abstimmung mit anderen Staaten und Rechtsordnungen aus. Zum einen ist der Umfang der Verantwortlichkeit und Verantwortung deutscher Staatsorgane bei der Reichweite grundrechtlicher Bindungen zu berücksichtigen […]. Zum anderen muss das Verfassungsrecht mit dem Völkerrecht abgestimmt werden. Dieses schließt freilich eine Geltung von Grundrechten bei Sachverhalten mit Auslandsbezug nicht prinzipiell aus. Ihre Reichweite ist vielmehr unter Berücksichtigung von Art. 25 GG aus dem Grundgesetz selbst zu ermitteln. Dabei können je nach den einschlägigen Verfassungsnormen Modifikationen und Differenzierungen zulässig oder geboten sein […].“9 (Herv. d. Verf.)

Geltung und Reichweite deutscher Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsbezug sind mithin „jeweils im Einzelfall aus den einzelnen Grundrechten in Verbindung mit Art. 25 GG zu ermitteln“.10 Wie eine diesbezügliche Modifikation und Differenzierung aussehen könnte, ist am Beispiel des Art. 104 GG zu verdeut­ lichen. Dieser ist insbesondere auch im Rahmen operativer GASP- und Frontex-Einsätze relevant, beispielsweise wenn Schleuser im Rahmen der ­EuNavFor Med Operation Sophia auf Hoher See festgenommen werden. Bei Festnahmen auf Hoher See liegt auf der Hand, dass Art. 104 Abs. 2 und 3 GG nicht wörtlich ein 6 Becker, Grenzüberschreitende Reichweite deutscher Grundrechte, in: HStR XI, § 240 Rn. 13; Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsbezug, S. 222 ff.; Herdegen, in: Maunz / ​Dürig, GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 79; Stern, StR III/1, § 72 V 5 a, S. 1230. 7 BVerfG, NJW 1957, 745 = BVerfGE 6, 290 (Washingtoner Abkommen); BVerfG, NJW 2000, 55, 58 = BVerfGE 100, 313 (Telekommunikationsüberwachung I); Herdegen, in: Maunz / ​ Dürig, GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 79 ff.; Wiefelspütz, NZWehrr 2009, 133, 145 ff. 8 BVerfG, NJW 2000, 55, 58 = BVerfGE 100, 313 (Telekommunikationsüberwachung I); vgl. auch Herdegen, in: Maunz / ​Dürig, GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 80. 9 BVerfG, NJW 2000, 55, 58 = BVerfGE 100, 313 (Telekommunikationsüberwachung I). 10 Wiefelspütz, NZWehrr 2009, 133, 148; vgl. auch Badura, Der räumliche Geltungsbereich der Grundrechte, in: Merten / ​Papier, HGR II, § 47 Rn. 14; Stern, StR III/1, § 72 V 5, S. 1232.

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3. Teil: Grundrechtliches Mehrebenensystem

gehalten werden können.11 So ist ein deutscher Richter, der über die Freiheitsentziehung entscheiden könnte, in der Regel tausende Kilometer entfernt.12 Die Einsätze zur Bekämpfung der Schleuserkriminalität finden allerdings in Einklang mit dem Völker- und Europarecht zusammen mit anderen Staaten statt,13 sodass aufgrund dieses Bezuges eine Modifikation und Differenzierung nach der Rechtsprechung des BVerfG geboten ist. Deshalb muss es genügen, wenn die festgenommene Person „unverzüglich einem Richter vorgeführt wird“.14 Dies muss im Übrigen kein deutscher Richter sein. Vielmehr genügt auch ein Richter der Region, „soweit die dortige Justiz rechtsstaatlichen Standards“ entspricht.15 III. Ergebnis In Bezug auf die deutschen Grundrechte kann festgehalten werden, dass diese auch außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes anwendbar sind und damit extra­ territoriale Wirkung entfalten. Dabei ist eine Modifikation und Differenzierung des Grundrechtsschutzes bei Sachverhalten mit Auslandsbezug möglich, muss allerdings im Einzelfall mit dem Bezug zu anderen Rechtsordnungen und dem Bezug zum Völkerrecht begründet werden.

C. Die EMRK Neben den nationalen Grundrechten existiert als weiteres Grundrechtsregime die EMRK. In diesem Abschnitt ist der Frage nachzugehen, inwiefern eine Bindung an die EMRK bei operativen Einsätzen im Rahmen der GASP und Frontex 11

Vgl. Wiefelspütz, NZWehrr 2009, 133, 149. Sogenannte „Bordgerichte“ samt Marinerichter existieren nicht (mehr). Solche Gerichte wurden im Nationalsozialismus an Bord der Marineschiffe als Militärgerichte eingerichtet, vgl. dazu das „Gesetz über die Wiedereinführung der Militärgerichtsbarkeit“ vom 12. Mai 1933, RGBl. 1933 I, S. 264, die „Bekanntmachung des Wortlauts der Militärstrafgerichtsordnung und des Ausführungsgesetzes dazu“ vom 4. November 1933, RGBl. 1933 I, S. 921 und die „Ausführungsbestimmungen zur Militärstrafgerichtsordnung“ vom 21. November 1933, RGBl. 1933 I, S. 989. 13 Vgl. das Zusatzprotokoll gegen die Schleusung von Migranten auf dem Land-, See- und Luftweg zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität, BGBl. 2005 II, S. 1007 ff. Dieses Zusatzprotokoll gilt gemäß dem Beschluss 2006/617/EG des Rates vom 24.07.2006, ABl. Nr. L 262 v. 22.09.2006, S. 34 ff. auch für die EU. Vgl. ferner den UN-Sicherheitsratsbeschluss S / ​R ES/2240 (2015), verabschiedet auf der 7531. Sitzung des Sicherheitsrates am 9. Oktober 2015 sowie die EuNavFor Med Operation Sophia der EU, Beschluss (GASP) 2015/778 des Rates vom 18. Mai 2015 über eine Militäroperation der Europäischen Union im südlichen zentralen Mittelmeer (EuNavFor Med), ABl. Nr. L 122 v. 19.05.2015, S. 31. 14 Wiefelspütz, NZWehrr 2009, 133, 149. 15 Wiefelspütz, NZWehrr 2009, 133, 149; s. auch Kokott, in: Zypries: Verfassung der Zukunft, S. 96, 107 f. 12

6. Kap.: Das grundrechtliche Mehrebenensystem  

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besteht.16 Nach einer allgemeinen Einführung (unter I.) wird die grundsätzliche Bindung der EU (unter II.) und der Mitgliedstaaten (unter III.) an die EMRK dargestellt. Darauf aufbauend wird die Geltung der EMRK bei operativen Einsätzen im Rahmen der GASP und Frontex untersucht (unter IV.). I. Einführung Die EMRK ist ein von den Mitgliedstaaten des Europarates ausgearbeiteter völkerrechtlicher Vertrag und wurde am 4. November 1950 in Rom unterzeichnet.17 Sie trat am 3. September 1953 nach der Ratifikation durch zehn Staaten, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland,18 in Kraft.19 Als sogenannte geschlossene Konvention kann sie nach Art. 59 EMRK nur von Mitgliedern des Europarates unterzeichnet werden.20 Mittlerweile umfasst die Konvention 47 Vertragsstaaten.21 Von den 28 EU-Mitgliedstaaten haben sämtliche die EMRK unterzeichnet, wohingegen die EU selbst nicht Vertragspartei ist.22 Inhaltlich enthält die EMRK einen Grundbestand an Menschenrechten, die vor allem als klassische Freiheitsrechte ausgestaltet sind.23 Für Beschwerden aufgrund von Verletzungen der EMRK ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit Sitz in Straßburg zuständig.24

16 Eine umfassende Erörterung der Anwendbarkeit der EMRK bei Sachverhalten mit Bezügen zum Unionsrecht ist vom Untersuchungsgegenstand der Arbeit nicht erfasst. Die Ausführungen sind daher kursorisch und dienen der abrundenden Einordnung des Untersuchungsergebnisses in das grundrechtliche Mehrebenensystem. Zur Geltung der EMRK bei unionsrechtlichen Bezügen vgl. etwa Alber / ​Widmaier, EuGRZ 2000, 497 ff.; Busch, Die Bedeutung der EMRK für den Grundrechtsschutz in der EU; Busse, NJW 2000, 1074 ff.; Heer-Reißmann, NJW 2006, 192 ff.; Krüger / ​Polakiewitcz, EuGRZ 2001, 92 ff.; Philippi, ZEuS 2000, 97 ff. 17 Meyer-Ladewig / ​Nettesheim, in: Meyer-Ladewig / ​Nettesheim / ​v. Raumer, EMRK, Einl. Rn. 6. 18 BGBl. 1952 II, 685 ff.; berichtigt BGBl. 1952 II, 953 ff.; Bekanntmachung der Neufassung BGBl. 2002 II, 1054 ff. 19 Grabenwarter / ​Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, § 1 Rn. 3; Meyer-Ladewig / ​Nettesheim, in: Meyer-Ladewig / ​Nettesheim / ​v. Raumer, EMRK, Einl. Rn. 6. 20 Meyer-Ladewig / ​Nettesheim, in: Meyer-Ladewig / ​Nettesheim / ​v. Raumer, EMRK, Einl. Rn. 14. 21 Meyer-Ladewig / ​Nettesheim, in: Meyer-Ladewig / ​Nettesheim / ​v. Raumer, EMRK, Einl. Rn. 3, 13. 22 Zur Möglichkeit eines Beitritts der EU zur EMRK vgl. Art. 59  Abs. 2  EMRK. Nach Art. 6 Abs. 2 EUV soll die EU auch der EMRK beitreten. 23 Zu den Rechten und Freiheiten der EMRK s. Grabenwarter / ​Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, § 20 ff. 24 Zur Zuständigkeit des Gerichtshofes und den Beschwerdemöglichkeiten vgl. Art. 32 EMRK (Zuständigkeit des Gerichtshofes), Art. 33 EMRK (Staatenbeschwerde) und Art. 34 EMRK (Individualbeschwerde).

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3. Teil: Grundrechtliches Mehrebenensystem

II. Die Bindung der EU an die EMRK Die EU selbst ist der EMRK noch nicht beigetreten, obwohl dies von Art. 6 Abs. 2 S. 1 EUV gefordert wird. Einen solchen Beitritt stufte der EuGH jüngst in einem Gutachten als unionsrechtswidrig ein.25 Daher ist auf absehbare Zeit wohl nicht mit einem Beitritt der EU zur EMRK zu rechnen. Dementsprechend ist und bleibt die EU auch weiterhin nicht direkt an die EMRK gebunden. Nach Art. 6  Abs. 3  EUV sind die Grundrechte der EMRK jedoch als allgemeine Grundsätze „Teil des Unionsrechts“. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die EMRK Unionsrecht im engeren Sinne darstellt. Gemeint ist vielmehr, dass die EMRK als Rechtserkenntnisquelle für das Unionsrecht heranzuziehen ist.26 Eine Rechtserkenntnisquelle ist von einer Rechtsquelle zu unterscheiden. Letztere stellt den Geltungsgrund des Rechts dar und bindet den Adressaten normativ.27 Eine Rechtserkenntnisquelle bindet demgegenüber den Adressaten nicht normativ, sondern trägt vielmehr zur Auslegung der Rechtsquelle und dem sich daraus ergebenden Rechtssatz bei.28 Die EMRK ist somit bei der Auslegung der Grundrechtecharta zu berücksichtigen. Interessanterweise ordnet Art. 6  Abs. 3  EUV verbindlich an, dass die EMRK für die Auslegung der Unionsgrundrechte heranzuziehen ist. Durch diese verbindliche Anordnung ist die EMRK als Rechtserkenntnisquelle aufgewertet. Spiegelbildlich zu Art. 6  Abs. 3  EUV greift auch die Grundrechtecharta die EMRK in Art. 52 Abs. 3 GRCh als Rechtserkenntnisquelle für die Auslegung der Grundrechtecharta auf.29 Sofern ein Chartagrundrecht der EMRK entspricht, hat dieses Recht nach Art. 52 Abs. 3 GRCh die gleiche Bedeutung und Tragweite wie in der EMRK.30 Fraglich ist, wer in diesem Zusammenhang für die Auslegung der EMRK zuständig ist. Der EuGH greift diesbezüglich regelmäßig31 auf die Auslegung der

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EuGH, Gutachten C-2/13 vom 18.12.2014, JZ 2015, 773 ff.; vgl. dazu auch Wendel, NJW 2015, 921. 26 Vgl. dazu und zur Unterscheidung einer Rechtsquelle von einer Rechtserkenntnisquelle, Kingreen, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 6 EUV Rn. 6 f.; Kingreen, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 52 GRCh Rn. 19 f. 27 Kingreen, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 6 EUV Rn. 7. 28 Kingreen, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 6 EUV Rn. 7. 29 Kingreen, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​AEUV, Art. 52 GRCh Rn. 19 ff. 30 Kingreen, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 52 GRCh Rn. 21 ff.; auch dies stellt eine verbindliche Anordnung dar, die EMRK als Rechtserkenntnisquelle für die Grundrechtecharta heranzuziehen. 31 Jedoch keine Befassung mit einschlägiger EGMR-Rechtsprechung etwa in EuGH, Urt. v. 14.09.2010, Rs. C-550/07 P, NJW 2010, 3557, 3561 Rn. 71 f. (Akzo Nobel); EuGH, NVwZ 2011, 1380, 1382 Rn. 49 (Samba Diouf); EuGH, Urt. v. 26.02.2013, Rs. C-617/10, NJW 2013, 1415, 1417 Rn. 34, 37 (Åkerberg Fransson); vgl. auch Kingreen, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 52 GRCh Rn. 32 Fn. 56.

6. Kap.: Das grundrechtliche Mehrebenensystem  

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EMRK durch den EGMR zurück,32 woraus zu schließen ist, dass die EMRK als Rechtserkenntnisquelle in der durch den EGMR getroffenen Auslegung heranzuziehen ist.33 III. Die Bindung der Mitgliedstaaten an die EMRK am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland Sämtliche Mitgliedstaaten der EU haben die EMRK unterzeichnet und ratifiziert. Damit sind sie völkervertraglich an die EMRK gebunden. Die Auswirkungen dieser Bindung sind je nach Vertragsstaat unterschiedlich und sollen exemplarisch am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland dargestellt werden.34 1. Die EMRK als Bundesrecht Die EMRK ist, wie dargestellt, ein völkerrechtlicher Vertrag, der von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet wurde. Das diesbezügliche Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 GG enthält zugleich den innerstaatlichen Rechts­ anwendungsbefehl,35 sodass die EMRK als einfaches Bundesrecht gilt.36 Somit ist die EMRK grundsätzlich wie anderes Bundesrecht als Auslegungsmaßstab heranzuziehen, ohne jedoch unmittelbar verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab zu sein. 2. Verfassungsrechtliche Bedeutung der EMRK Das BVerfG weist der EMRK jedoch weitergehende Bedeutung zu. Art. 23 bis 26 GG sowie die Präambel des Grundgesetzes zielen darauf ab, dass sich die Bundesrepublik Deutschland in eine dem Frieden dienende Völkerrechtsordnung 32 EuGH, Urt. v. 12.12.1996, verb. Rs. C-74/95 u. Rs. C-129/95, NZA 1997, 307, 308 Rn. 25 (X); EuGH, Urt. v. 26.06.1997, Rs. C-368/95, Slg. 1997, S. I-3689 = GRURint 1997, 829, 830 Rn. 26 (Familiapress); EuGH, Urt. v. 26.06.2007, Rs. C-305/05, NJW 2007, 2387, 2388 Rn. 29 (Ordre des barreaux francophones et germanophone). 33 Kingreen, in: Calliess / ​Ruffert, EUV / ​A EUV, Art. 52 GRCh Rn. 32; v. Danwitz, in: Tettinger / ​Stern, GRCh, Art. 52 Rn. 57 f.; Krämer, in: Stern / ​Sachs, GRCh, Art. 52 Rn. 80. Vgl. auch Cremer, in: Dörr / ​Grote / ​Marauhn, EMRK / ​GG, Kap.  32 Rn.  135. 34 Für die übrigen Konventionsstaaten vgl. Keller / ​Stone-Sweet, A Europe of Rights. The Impact of the ECHR on National Legal Systems, S. 38 ff. 35 Zum innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehl vgl. BVerwG, NJW 1997, 536 = BVerwGE 103, 361; BVerfG, NJW 1994, 2207, 2213 = BVerfGE 90, 286; BVerfG, NJW 2002, 1559 = BVerfGE 104, 151; BVerfG, NVwZ 2007, 1039, 1040 = BVerfGE 118, 244. 36 BVerfG, NJW 1987, 2427 = BVerfGE 74, 358 (Unschuldsvermutung); BVerfG, NJW 1990, 2741 = BVerfGE 82, 106; BVerfG, EuGRZ 2004, 741, 744 = BVerfGE 111, 307 (Görgülü); BVerfG, NJW 2011, 1931, 1935 Rn. 87 = BVerfGE 128, 326 (Sicherungsverwahrung II).

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3. Teil: Grundrechtliches Mehrebenensystem

eingliedert.37 Daraus lässt sich die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes ableiten.38 Aus dieser folgt, dass die verfassungsrechtliche Bedeutung eines völkerrechtlichen Vertrages so auszulegen ist, „dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nicht entsteht“.39 Daneben weist Art. 1 Abs. 2 GG dem Kernbestand internationaler Menschenrechte einen besonderen Schutz zu.40 Aus Art. 1 Abs. 2 i. V. m. Art. 59 Abs. 2 GG ergibt sich nach Ansicht des BVerfG die verfassungsrechtliche Pflicht, die EMRK auch bei der Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte des Grundgesetzes als Auslegungshilfe im Rahmen der allgemeinen Auslegungsgrundsätze heranzuziehen.41 Folglich beeinflusst die EMRK die Auslegung nationaler Grundrechte und hat trotz ihres Ranges als einfaches Bundesrecht eine verfassungsrechtliche Bedeutung. 3. Ergebnis Da sämtliche Mitgliedstaaten der Europäischen Union die EMRK unterzeichnet und ratifiziert haben, sind sie an die EMRK völkervertraglich gebunden. Die konkreten Auswirkungen der Bindung sind je nach Vertragsstaat unterschiedlich. Für die Bundesrepublik Deutschland gilt die EMRK im Range einfachen Bundesrechts, hat aber aufgrund der Berücksichtigung bei der Auslegung nationaler Grundrechte auch eine verfassungsrechtliche Bedeutung. IV. Die Bindung der Mitgliedstaaten an die EMRK bei operativen Einsätzen im Rahmen der GASP und Frontex Aus dem Dargestellten ergibt sich, dass nur die Mitgliedstaaten der EU als gleichzeitige Konventionsstaaten unmittelbar an die EMRK gebunden sind, nicht aber die EU selbst. In Bezug auf die Mitgliedstaaten stellt sich daher die Frage, ob diese auch bei GASP- und Frontex-Einsätzen an die EMRK gebunden sind. Dabei sind drei Fragen zu trennen. Zum Ersten ist fraglich, ob angesichts des koordinierenden unionsrechtlichen Rahmens im Bereich der GASP und Frontex und der fehlenden Bindung der EU an die EMRK das mitgliedstaatliche Handeln überhaupt 37 BVerfG, EuGRZ 2004, 741, 744 = BVerfGE 111, 307 (Görgülü); s. auch BVerfG, NJW 1983, 2757, 2761 = BVerfGE 63, 343 (Rechtshilfevertrag). 38 Vgl. etwa BVerfG, NJW 1987, 2427 = BVerfGE 74, 358 (Unschuldsvermutung); BVerfG, EuGRZ 2004, 741, 744 = BVerfGE 111, 307 (Görgülü); s. auch Bleckmann, DÖV 1996, 137 ff.; Cremer, Allgemeine Regeln des Völkerrechts, in: Isensee / ​Kirchhof, HStR XI, § 235 Rn. 1; Herdegen, in: Maunz / ​Dürig, GG, Art. 25 Rn. 6 ff.; Sauer, ZaöRV 65 (2005), 35, 46 f. 39 BVerfG, EuGRZ 2004, 741, 744 = BVerfGE 111, 307 (Görgülü). 40 BVerfG, EuGRZ 2004, 741, 747 = BVerfGE 111, 307 (Görgülü). 41 BVerfG, EuGRZ 2004, 741, 744 und 747 = BVerfGE 111, 307 (Görgülü); BVerfG, NJW 2011, 1931, 1935 f. Rn. 90 = BVerfGE 128, 326 (Sicherungsverwahrung II); s. auch BVerfG, NJW 1987, 2427 = BVerfG 74, 358 (Unschuldsvermutung); BVerfG, NJW 2001, 2245, 2246.

6. Kap.: Das grundrechtliche Mehrebenensystem  

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am Maßstab der EMRK geprüft werden darf (unter 1.). Zum Zweiten finden die operativen Einsätze, insbesondere der GASP, unter Umständen im Rahmen einer UN-Sicherheitsratsresolution statt, sodass sich auch diesbezüglich die Frage nach der Anwendbarkeit der EMRK stellt (unter 2.). Zum Dritten erfolgen die operativen Einsätze im Rahmen der GASP und Frontex nicht nur im Hoheitsgebiet der Konventionsstaaten, sodass sich wie bei den nationalen Grundrechten die Frage nach der extraterritorialen Wirkung der EMRK stellt (unter 3.). 1. Bindung trotz koordinierenden unionsrechtlichen Rahmens Nach Art. 1 EMRK sind die Vertragsstaaten bei Ausübung ihrer Hoheitsgewalt an die EMRK gebunden. Wird hingegen die Hoheitsgewalt einer internationalen Organisation ausgeübt, auf die die Mitgliedstaaten Hoheitsrechte übertragen haben, so kann die EMRK mangels Bindung der Organisation an die EMRK grundsätzlich keine unmittelbare Anwendung finden.42 Auf dieser Basis stellt sich die Frage, ob der koordinierende unionsrechtliche Rahmen der GASP und Frontex und die fehlende Bindung der EU an die EMRK dazu führen, dass die EMRK bei operativen Einsätzen unanwendbar ist. a) Bosphorus-Rechtsprechung des EGMR aa) Grundaussagen der Bosphorus-Rechtsprechung Im Bosphorus-Fall äußerte sich der EGMR grundlegend zur Anwendbarkeit der EMRK bei mitgliedstaatlichen Handlungen im Rahmen internationaler Organisationen.43 Nach Ansicht des EGMR schließt die Übertragung von Hoheitsbefugnissen auf internationale Organisationen wie die EU die Verantwortlichkeit der Vertragsstaaten nicht generell aus. Diese sind grundsätzlich auch bei Erfüllung der aus der Hoheitsrechtsübertragung resultierenden Verpflichtungen gegenüber der internationalen Organisation an die EMRK gebunden.44 Ansonsten könnten sich die Vertragsstaaten durch die Übertragung von Hoheitsrechten vollständig ihrer

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Meyer-Ladewig / ​Nettesheim, in: Meyer-Ladewig / ​Nettesheim / ​v. Raumer, EMRK, Art. 1 Rn. 18; aus der Rspr. vgl. EGMR, Ent. v. 02.05.2007, NVwZ 2008, 645, 649 f. Rn. 144, 149, 151 (Behrami u. Saramati), betreffend Einsätze der NATO (KFOR) im Rahmen eines UN-Mandats; EGMR, Urt. 30.06.2005, ECHR 2005-VI, NJW 2006, 197, 202 Rn. 152 (Bosphorus); s. auch EGMR, Urt. v. 18.02.1999, ECHR 1999-I, NJW 1999, 3107, 3108 Rn. 32 (Matthews), wonach Rechtsakte der EG als solche nicht vor dem EGMR angegriffen werden können. 43 EGMR, Urt. 30.06.2005, ECHR 2005-VI = NJW 2006, 197 (Bosphorus). 44 EGMR, Urt. 30.06.2005, ECHR 2005-VI, NJW 2006, 197, 202 Rn. 152 ff. ­(Bosphorus); Meyer-Ladewig / ​Nettesheim, in: Meyer-Ladewig  / ​ Nettesheim  / ​ v. Raumer, EMRK, Art. 1 Rn. 10 ff.

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3. Teil: Grundrechtliches Mehrebenensystem

Verantwortung entziehen.45 Allerdings ist ein staatliches Handeln in Erfüllung einer Verpflichtung gegenüber einer internationalen Organisation wie der EU gerechtfertigt, solange durch die internationale Organisation ein mit der EMRK vergleichbarer Grundrechtsschutz gewährt wird.46 In diesem Fall besteht die Vermutung, dass sich der Staat nicht seiner Verantwortung aus der EMRK entzogen hat.47 Diese Vermutung kann widerlegt sein, wenn im konkreten Einzelfall der gewährte Grundrechtsschutz offensichtlich unzureichend ist.48 Im Bosphorus-Fall hat der EGMR einen gleichwertigen Grundrechtsschutz durch die EU bejaht.49 Diese Rechtsprechung ähnelt der Solange-Rechtsprechung des BVerfG50 und kann dahingehend übersetzt werden, dass der EGMR das Verhalten der Mitgliedstaaten in Ausübung einer vertraglichen Verpflichtung solange nicht anhand der EMRK überprüft, wie durch die internationale Organisation ein ausreichender Grundrechtsschutz gewährt wird.51 bb) Anwendung der Bosphorus-Kriterien auf GASP und Frontex Mithin stellt sich die Frage, ob bei operativen Einsätzen im Rahmen der GASP und Frontex eine rechtliche Verpflichtung und ein ausreichender Grundrechtsschutz durch die EU bestehen. Aufgrund der Besonderheiten im Bereich der GASP und Frontex kann nicht auf die Vermutung der Bosphorus-Rechtsprechung zurückgegriffen werden, wonach die EU grundsätzlich einen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährt. Vielmehr müssen die Voraussetzungen der Bosphorus-Rechtsprechung im Einzelnen geprüft werden. (1) Handeln in Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung Erste Voraussetzung der Bosphorus-Rechtsprechung ist, dass der Mitgliedstaat in Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung handelt.52 Dieser Erfüllung soll die EMRK nicht im Wege stehen, wenn durch die internationale Organisation ein ausreichender Grundrechtsschutz besteht. Handelt ein Staat hingegen außerhalb einer (völker-)rechtlichen Verpflichtung, oder bestehen Handlungsspielräume bezüglich 45

EGMR, Urt. 30.06.2005, ECHR 2005-VI, NJW 2006, 197, 202 Rn. 154 (Bosphorus). EGMR, Urt. 30.06.2005, ECHR 2005-VI, NJW 2006, 197, 202 Rn. 155 (Bosphorus). 47 EGMR, Urt. 30.06.2005, ECHR 2005-VI, NJW 2006, 197, 202 Rn. 156 (Bosphorus). 48 EGMR, Urt. 30.06.2005, ECHR 2005-VI, NJW 2006, 197, 202 Rn. 156 (Bosphorus). 49 EGMR, Urt. 30.06.2005, ECHR 2005-VI, NJW 2006, 197, 203 Rn. 159 ff. (Bosphorus). 50 BVerfG, NJW 1987, 577 = BVerfGE 73, 339 (Solange II); vgl. auch BVerfG, NJW 2000, 3124 = BVerfGE 102, 147 (Bananenmarktordnung). 51 Cremer, Funktionen der Grundrechte, in: EnzEuR, Bd. 2, § 1 Rn. 25 spricht von einer Straßburger Solange-Rechtsprechung; Johann, in: Karpenstein / ​Mayer, EMRK, Art. 1 Rn. 13. 52 EGMR, Urt. 30.06.2005, ECHR 2005-VI, NJW 2006, 197, 202 Rn. 155 (Bosphorus); zur rechtlichen Verpflichtung vgl. auch Haratsch, ZaöRV 66 (2006), 927, 932. 46

6. Kap.: Das grundrechtliche Mehrebenensystem  

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der Umsetzung dieser Verpflichtung, so bleibt der Staat für sein Handeln nach der EMRK voll verantwortlich.53 Zu prüfen ist daher, ob die Mitgliedstaaten bei operativen Einsätzen im Rahmen der GASP und Frontex in Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung durch die EU handeln. Eine solche Verpflichtung durch das Unionsrecht ist auch Voraussetzung für eine Bindung der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte.54 Diesbezüglich konnte nur eine akzessorische Verpflichtung der Mitgliedstaaten festgestellt werden, die an die freiwillige Entscheidung der Mitgliedstaaten, am operativen Einsatz teilzunehmen, anknüpft.55 Dieses im Rahmen der Bindung an die Unionsgrundrechte gefundene Ergebnis ist auf die Bosphorus-Rechtsprechung zu übertragen. Mangels Bestehens einer strikten unionsrechtlichen Verpflichtung zur Ausführung der operativen Einsätze durch die Mitgliedstaaten fehlt es folglich auch an einer ausreichenden Verpflichtung im Sinne der Bosphorus-Rechtsprechung. Selbst wenn man die akzessorische Pflicht der Mitgliedstaaten zur Ausführung der unionsrechtlichen Vorgaben genügen lassen wollte, wäre zu beachten, dass diese „Verpflichtung“ nur die Koordinierung der Mitgliedstaaten betrifft.56 Aufgrund des kompetenzrechtlich vorgegebenen bloß koordinierenden Charak­ ters der unionsrechtlichen Ebene erhalten die Mitgliedstaaten zwangsläufig einen Handlungsspielraum hinsichtlich der operativen Ausführung. Ein solcher Handlungsspielraum ist allerdings nach Ansicht des EGMR ebenfalls an der EMRK zu messen.57 Mithin fehlt es bereits an der ersten Voraussetzung der Bosphorus-​ Rechtsprechung. (2) Gleichwertiger Grundrechtsschutz durch die EU Neben einer ausreichenden unionsrechtlichen Verpflichtung könnte es auch an einem gleichwertigen Grundrechtsschutz durch die EU fehlen. Bei der operativen Ausführung wurde eine Bindung der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte abgelehnt. Aufgrund dieser fehlenden unmittelbaren Bindung an die Grundrechtecharta kann folglich – abgesehen von der fehlenden rechtlichen Verpflichtung – auch nicht von einem gleichwertigen Grundrechtsschutz durch die EU gesprochen 53 EGMR, Urt. 30.06.2005, ECHR 2005-VI, NJW 2006, 197, 202 Rn. 157 (Bosphorus); EGMR, Urt. v. 15.11.1996, Reports 1996-V (Cantoni); s. auch Haratsch, ZaöRV 66 (2006), 927, 932. 54 S. oben, 3. Kapitel, E. V., S. 146 ff. 55 S. oben, 3. Kapitel, E. VI. 1., S. 160 ff. (GASP) und 4. Kapitel, E. III. 1., S. 261 ff. (Frontex). 56 Zum koordinierenden Charakter der GASP, s. oben, 3. Kapitel, B. III. 5. a) aa), S. 116 und E. VI. 2. b) cc), S. 180 ff.; zum koordinierenden Charakter von Frontex, s. oben, 4. Kapitel, B. III. 5. d) aa), S. 239 f. 57 EGMR, Urt. 30.06.2005, ECHR 2005-VI, NJW 2006, 197, 202 Rn. 157 (Bosphorus); EGMR, Urt. v. 15.11.1996, Reports 1996-V (Cantoni); s. auch Haratsch, ZaöRV 66 (2006), 927, 932.

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3. Teil: Grundrechtliches Mehrebenensystem

werden. Die bloße Geltung unionsgrundrechtlicher Schutzpflichten ist zu schwach, um an diesem Ergebnis etwas zu ändern. Damit fehlt es auch an der zweiten Voraussetzung der Bosphorus-Rechtsprechung. b) Zwischenergebnis Mithin mangelt es bei operativen Einsätzen im Rahmen der GASP und Frontex sowohl an einer ausreichenden Verpflichtung als auch an einem gleichwertigen Grundrechtsschutz durch die EU. Die Voraussetzungen der Bosphorus-Rechtsprechung sind somit nicht erfüllt, sodass die Mitgliedstaaten trotz koordinierenden unionsrechtlichen Rahmens uneingeschränkt und ohne Rechtfertigungsmöglichkeit an die EMRK gebunden sind.58 2. Mangelnde Geltung der EMRK bei Handeln im Rahmen einer UN-Sicherheitsratsresolution? Das operative Handeln kann in bestimmten Fällen, insbesondere im Rahmen der GASP, zusätzlich in eine UN-Sicherheitsratsresolution eingebettet sein. So basiert beispielsweise die EuNavFor Med Operation Sophia unter anderem auf Resolutionen des UN-Sicherheitsrates.59 Dabei stellt sich die Frage, ob das mitgliedstaatliche Handeln in Erfüllung einer solchen Resolution an der EMRK zu messen ist. Mit dieser Frage, in concreto betreffend das Verhalten nationaler Truppen, die im Kosovo der NATO-Sicherheitstruppe KFOR unterstellt waren, hatte sich der EGMR in der Rechtssache Behrami u. Saramati auseinanderzusetzen.60 Der EGMR nahm dabei eine mehrstufige Prüfung vor.61 Zunächst prüfte der Gerichtshof, ob das Truppenverhalten der UNO zugerechnet werden konnte. Den Begriff der Zurechnung verwendet der EGMR dabei im Sinne des Art. 3 der „Draft ­a rticles on

58

Vgl. auch Thym, Europäisches Wehrverwaltungsrecht, in: Terhechte, VerwR der EU, § 17 Rn. 62, wonach mangels EuGH-Zuständigkeit eine Ausnahmesituation gemäß der Bosphorus-​ Entscheidung vorliegt. 59 Vgl. S / ​RES/2240 (2015), verabschiedet auf der 7531. Sitzung des Sicherheitsrates am 9. Oktober 2015; vgl. darüber hinaus die Resolutionen S / ​R ES/2292 (2016), verabschiedet auf der 7715. Sitzung des Sicherheitsrates am 14. Juni 2016 zur Unterbindung des Waffenschmuggels nach Libyen und S / ​R ES/2312 (2016), verabschiedet auf der 7783. Sitzung des Sicherheitsrates am 6. Oktober 2016. Aufgrund der Resolution zur Unterbindung des Waffenschmuggels nach Libyen erweiterte die EU ihre Mission auch auf diesen Bereich, vgl. Beschluss (GASP) 2016/993 des Rates vom 20. Juni 2016 zur Änderung des Beschlusses (GASP) 2015/778 über eine Militäroperation der Europäischen Union im südlichen zentralen Mittelmeer (EuNavFor Med Operation Sophia), ABl. Nr. L 162 v. 21.06.2016, S. 18 ff. Vgl. dazu auch 1. Kapitel, B. I., S. 37 ff. 60 EGMR, Ent. v. 02.05.2007, NVwZ 2008, 645 ff. (Behrami u. Saramati). 61 Vgl. EGMR, Ent. v. 02.05.2007, NVwZ 2008, 645, 647 Rn. 121 (Behrami u. Saramati).

6. Kap.: Das grundrechtliche Mehrebenensystem  

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the responsibility of international organizations (DARIO)“ der International Law Commission (ILC).62, 63 Darauf aufbauend überprüfte der EGMR, ob er r­ atione personae zuständig ist, über Handlungen zu entscheiden, die im Namen der UNO vorgenommen werden.64 Nach Ansicht des EGMR hatte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Zusammenhang mit einer Kapitel-VII-Resolution der NATO und ihren Mitgliedstaaten operational command übertragen.65 Dabei treffe, so der EGMR, die völkerrechtliche Verantwortung trotz Freiwilligkeit der nationalen Truppenstellung die Vereinten Nationen.66 Eine gleichzeitige Zurechnung an die beteiligten Mitgliedstaaten käme nicht in Betracht.67 Ausschlaggebend war folgende Argumentation: Die Vereinten Nationen hätten durch den Sicherheitsrat die Befehlsgewalt über die im Rahmen einer Resolution eingesetzten Streitkräfte. Der Sicherheitsrat habe nun operational command auf die NATO übertragen. Im Rahmen der NATO ist der Streitkräfteeinsatz durch die NATO-Mitgliedstaaten zwar freiwillig. Trotz dieser Freiwilligkeit und der „strukturellen Beteiligung der Truppen stellenden Staaten“68 sei die konkrete Befehlsgewalt der NATO unbeeinflusst, da deren Einsatzregeln eingehalten worden seien.69 Daher liege das tatsächliche Kommando im Sinne einer effektiven Kontrolle (effective control) bei der NATO und nicht bei den Mitgliedstaaten. Deshalb sei der Streitkräfteeinsatz zunächst der NATO und nicht den beteiligten Mitgliedstaaten zuzurechnen. Der Sicherheitsrat habe aber aufgrund der bloßen Übertragung der operativen Befehlsgewalt auf die NATO die endgültige Befehlsgewalt und Kontrolle und damit die Letztverantwortung (ultimate authority and control) über den Einsatz behalten, sodass der Streitkräfteeinsatz letztendlich mittelbar über die NATO den Vereinten Nationen zuzurechnen sei.70 Aufgrund dieser ausschließlichen Zurechnung an die UNO könne „die Konvention nicht so ausgelegt werden, dass der Gerichtshof Handlungen und Unterlassungen der Vertragsstaaten zu überprüfen hätte, die durch die Entschließung des Sicherheitsrates abgedeckt sind und zu denen es vor oder während solcher Einsätze gekommen ist. Denn damit würde in die Erfüllung der Kernaufgabe der UNO eingegriffen“.71

62 ILC-Entwurf zur Organisationenverantwortlichkeit, angenommen von der ILC auf ihrer 63. Sitzung 2011, ILC, UN Doc. A / ​CN.4/L.778, 2011. 63 EGMR, Ent. v. 02.05.2007, NVwZ 2008, 645, 647 Rn. 121 (Behrami u. Saramati). 64 EGMR, Ent. v. 02.05.2007, NVwZ 2008, 645, 647 Rn. 121 (Behrami u. Saramati). 65 EGMR, Ent. v. 02.05.2007, NVwZ 2008, 645, 648 Rn. 129 (Behrami u. Saramati); zum Begriff „operational command“ s. oben, 3.  Kapitel, B. III. 5. a) bb) (2) (a), S. 118 ff. 66 EGMR, Ent. v. 02.05.2007, NVwZ 2008, 645, 648 f. Rn. 134 ff. (Behrami u. Saramati). 67 EGMR, Ent. v. 02.05.2007, NVwZ 2008, 645, 650 Rn. 151 (Behrami u. Saramati). 68 EGMR, Ent. v. 02.05.2007, NVwZ 2008, 645, 649 Rn. 138 (Behrami u. Saramati). 69 EGMR, Ent. v. 02.05.2007, NVwZ 2008, 645, 649 Rn. 139 (Behrami u. Saramati). 70 EGMR, Ent. v. 02.05.2007, NVwZ 2008, 645, 648 f. Rn. 132 ff. (Behrami u. Saramati). 71 EGMR, Ent. v. 02.05.2007, NVwZ 2008, 645 Ls. 5, 650 Rn. 149 (Behrami u. Saramati).

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3. Teil: Grundrechtliches Mehrebenensystem

Mithin sah der EGMR die Mitgliedstaaten bei operativen Handlungen im Rahmen einer UN-Sicherheitsratsresolution nicht an die EMRK gebunden.72 Hintergrund der Rechtsprechung ist, dass die Anwendbarkeit der EMRK nicht der Erfüllung der UN-Sicherheitsratsresolutionen entgegenstehen soll.73 Damit beurteilte der EGMR den Fall anders als es die Bosphorus-Recht­ sprechung vermuten ließ, die ebenfalls die Anwendbarkeit der EMRK bei Handlungen im Rahmen einer internationalen Organisation zum Gegenstand hatte.74 In der Bosphorus-Entscheidung urteilte der EGMR, dass es bei einer Konventionsverantwortlichkeit der Mitgliedstaaten bleibe, wenn diese in Erfüllung einer Verpflichtung der internationalen Organisation handeln und die internationale Organisation keinen gleichwertigen Menschenrechtsschutz gewährleistet.75 Demgegenüber begründete der EGMR die fehlende Bindung an die EMRK in der Rechtssache Behrami u. Saramati mit der besonderen Funktion und Verantwortung des Sicherheitsrates sowie des UN-Generalsekretärs,76 weshalb die mitgliedstaatlichen Handlungen auch ausschließlich der UN zugerechnet werden könnten.77 Darin unterscheide sich der Fall von der Rechtssache Bosphorus.78 Daraus ist zu schließen, dass eine Bindung an die EMRK im Rahmen einer UN-Sicherheitsratsresolution nur dann ausgeschlossen ist, wenn eine besondere Verantwortung des Sicherheitsrates sowie des UN-Generalsekretärs im Sinne der Behrami u. Saramati-Konstellation besteht. Dies ist nicht bei jeder UN-Sicherheitsratsresolution in gleicher Weise der Fall. Dementsprechend hat der EGMR in anderen Fällen auch eine Konventionsverantwortlichkeit angenommen, sofern ein Mitgliedstaat zwar unter einer UN-Sicherheitsratsresolution handelt, „dabei aber im Wesentlichen selbstbestimmt agiert“.79 Mithin ist die Frage, ob die EMRK auch bei Handlungen im Rahmen einer UN-Sicherheitsratsresolution gilt, differenziert zu beantworten. Nur wenn im Einzelfall eine besondere Verantwortlichkeit des UN-Sicherheitsrates für den je­ weiligen Einsatz entsprechend der Berahmi-u.-Saramati-Konstellation besteht, kann die Konventionsverantwortlichkeit ausgeschlossen sein. Angesichts des Ausnahmecharakters der Behrami u. Saramati-Rechtsprechung und der Kritik, die 72

Zur Kritik dieser Rspr. vgl. etwa Hofmann, in: FS Bothe, S. 123, 139 f.; Hafner, in: FS Bothe, S. 103, 115; Stoltenberg, ZRP 2008, 111, 112 ff. 73 Vgl. auch Art. 103 UN-Charta. 74 EGMR, Urt. 30.06.2005, ECHR 2005-VI = NJW 2006, 197 (Bosphorus). S. dazu auch oben unter C. IV. 1. a), S. 321 ff. 75 EGMR, Urt. 30.06.2005, ECHR 2005-VI, NJW 2006, 197 ff. (Bosphorus). 76 EGMR, Ent. v. 02.05.2007, NVwZ 2008, 645, 648 Rn. 129 und passim (Behrami u. ­Saramati). 77 EGMR, Ent. v. 02.05.2007, NVwZ 2008, 645, 648 ff. (Behrami u. Saramati). 78 EGMR, Ent. v. 02.05.2007, NVwZ 2008, 645, 650 Rn. 151 (Behrami u. Saramati). 79 Meyer-Ladewig / ​Nettesheim, in: Meyer-Ladewig / ​Nettesheim / ​v. Raumer, EMRK, Art. 1 Rn. 16; vgl. etwa EGMR, Urt. v. 07.07.2011, BeckRS 2011, 25294, Rn. 109 (Al-Jedda); EGMR, Urt. v. 12.09.2012, ECHR 2012-V, NJOZ 2013, 1183, 1185 Rn. 120 ff. (Nada).

6. Kap.: Das grundrechtliche Mehrebenensystem  

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diese Rechtsprechung insbesondere aufgrund der ausschließlichen Zurechnung des Handelns an die UNO erfahren hat,80 ist jedoch grundsätzlich von einer Bindung an die EMRK auch bei Handlungen im Rahmen von UN-Sicherheitsratsresolutionen auszugehen.81 3. Extraterritoriale Anwendbarkeit der EMRK Die operativen Einsätze im Rahmen der GASP und Frontex beschränken sich nicht auf das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und damit auch nicht auf das Hoheits­gebiet der Konventionsstaaten.82 Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob die EMRK auch extraterritoriale Wirkung entfaltet. Nach Art. 1 EMRK sind die Vertragsparteien in Bezug auf alle „ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen“ an die Konvention gebunden.83 Die Ausübung von Hoheitsgewalt beschränkt sich grundsätzlich auf das Hoheitsgebiet des jeweiligen Vertragsstaates und ist damit territorial bestimmt.84 Dies schließt allerdings in Ausnahmefällen die Anwendbarkeit der EMRK auch außerhalb des Hoheitsgebietes der Vertragsstaaten nicht aus.85 Dazu zählen etwa Handlungen auf Schiffen, die unter der Flagge der Vertragsstaaten fahren,86 sowie die Ausübung tatsächlicher Kontrolle über ein extraterritoriales Gebiet87 oder über ein unter 80

Vgl. etwa Hofmann, in: FS Bothe, S. 123, 139 f.; Hafner, in: FS Bothe, S. 103, 115; Stoltenberg, ZRP 2008, 111, 112 ff. 81 Weitergehend Stoltenberg, ZRP 2008, 111, 112 ff., der die Behrami u. Saramati-Rechtsprechung ablehnt und im Einklang mit der Bosphorus-Rechtsprechung von einer generellen Bindung an die EMRK bei Handlungen im Rahmen von UN-Sicherheitsratsresolutionen ausgeht, bis die UN einen gleichwertigen Menschenrechtsschutz gewährleistet. 82 So finden bspw. die Einsätze im Rahmen der Operation Sophia und der Operation Triton im Mittelmeer auch außerhalb der Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten statt, vgl. dazu 1. Kapitel, B. I., S. 37 ff. (Operation Sophia) und II., S. 39 f. (Operation Triton). 83 Während in der deutschen Übersetzung von „Hoheitsgewalt“ die Rede ist, spricht die in englischer und französischer Sprache formulierte EMRK von „jurisdiction“ bzw. „juridiction“. 84 EGMR, Ent. v. 12.12.2001, ECHR 2001-XII, NJW 2003, 413, 414 Rn. 59 (Bankovic); EGMR, Urt. v. 08.07.2004, ECHR 2004-VII, NJW 2005, 1849, 1850 Rn. 312 (Ilascu); EGMR, Urt. v. 23.02.2012, ECHR 2012-II, NVwZ 2012, 809, 810 Rn. 71 (Hirsi); Meyer-Ladewig / ​Nettesheim, in: Meyer-Ladewig / ​Nettesheim / ​v. Raumer, EMRK, Art. 1 Rn. 26. 85 Meyer-Ladewig / ​Nettesheim, in: Meyer-Ladewig / ​Nettesheim / ​v. Raumer, EMRK, Art. 1 Rn. 30; aus der Rspr. vgl. etwa EGMR, Ent. v. 12.12.2001, ECHR 2001-XII, NJW 2003, 413 (Bankovic); EGMR, Urt. v. 08.07.2004, ECHR 2004-VII = NJW 2005, 1849 (Ilascu); EGMR, Urt. v. 29.03.2010, ECHR 2010-III = NJOZ 2011, 231 (Medvedyev); EGMR, Urt. v. 23.02.2012, ECHR 2012-II = NVwZ 2012, 809 (Hirsi); EGMR, Urt. v. 07.07.2011, ECHR 2011-IV = NJW 2012, 283 (Al-Skeini). 86 Meyer-Ladewig / ​Nettesheim, in: Meyer-Ladewig / ​Nettesheim / ​v. Raumer, EMRK, Art. 1 Rn. 27; EGMR, Urt. v. 23.02.2012, ECHR 2012-II = NVwZ 2012, 809 (Hirsi); zum Hirsi-Urteil des EGMR vgl. etwa Lehnert / ​Markard, ZAR 2012, 194 ff. 87 Vgl. etwa EGMR, Urt. v. 23.03.1995, Ser. A Nr. 310 = ÖJZ 1995, 625 (Loizidou); vgl. aber auch EGMR, Ent. v. 12.12.2001, ECHR 2001-XII, NJW 2003, 413 (Bankovic).

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3. Teil: Grundrechtliches Mehrebenensystem

fremder Flagge fahrendes Schiff.88 Letztendlich kommt es auf eine Einzelfall­ betrachtung an.89 Im Folgenden wird exemplarisch auf einige Rechtsprechungsansätze eingegangen und die jeweilige Bedeutung für die operativen Einsätze im Rahmen der GASP und Frontex skizziert.90 Den Ausgangspunkt bildet dabei die Entscheidung des EGMR in der Rechtssache Loizidou, wonach die infolge einer rechtmäßigen oder unrechtmäßigen Militäraktion erlangte wirksame Gesamtkontrolle (­effective overall control) über ein extraterritoriales Gebiet zur konventionsrechtlichen Verantwortlichkeit nach der EMRK führt.91 Bezüglich dieser extraterritorialen Anwendbarkeit der EMRK hat der EGMR in der Folgezeit verschiedene Abstufungen entwickelt. a) Rechtssache Bankovic In der Bankovic-Entscheidung92 hatte der EGMR die Frage zu beantworten, ob ein NATO-Luftangriff unter Beteiligung von Konventionsstaaten auf einen Sender in Belgrad die Anwendbarkeit der EMRK eröffnet. Dies richtete sich nach der Ausübung von Hoheitsgewalt im Sinne des Art. 1 EMRK. Nach Ansicht des EGMR ist die Hoheitsgewalt eines Staates „vorrangig territorialer Natur“.93 Eine gleichwohl mögliche extraterritoriale Ausübung der Hoheitsgewalt werde „durch die souveränen Territorialrechte der anderen betroffenen Staaten bestimmt und begrenzt“94 und bedürfe einer „besonderen Rechtfertigung in den Umständen des Einzelfalls“.95 Demnach könne eine Ausübung fremder Hoheitsgewalt in einem anderen Staat nicht ohne dessen Zustimmung, Aufforderung oder Einwilligung stattfinden, es sei denn der fremde Staat werde besetzt gehalten.96 Die Bombardierung eines Staatsteils genüge für eine solche Besetzung nicht. Dies stelle eine bloße einmalige extraterritoriale Handlung dar. Nicht jede in irgendeiner Form extraterritorial ausgeübte Kontrolle begründe die Ausübung von Hoheitsgewalt. Für ein solches kausales Verständnis von Hoheitsgewalt gebe

88

EGMR, Urt. v. 29.03.2010, ECHR 2010-III, NJOZ 2011, 231, 232 f. Rn. 62 ff. (Medvedyev). Meyer-Ladewig / ​Nettesheim, in: Meyer-Ladewig / ​Nettesheim / ​von Raumer, EMRK, Art. 1 Rn. 30; vgl. auch EGMR, Ent. v. 12.12.2001, ECHR 2001-XII, NJW 2003, 413, 415 Rn. 61 (Bankovic). 90 Zusammenfassend zur extraterritorialen Geltung der EMRK, vgl. EGMR, Urt. v. 07.07.2011, ECHR 2011-IV = NJW 2012, 283 (Al-Skeini). 91 EGMR, Urt. v. 23.03.1995, Ser. A Nr. 310, ÖJZ 1995, 625, Rn. 62 (Loizidou); Meyer-­ Ladewig / ​Nettesheim, in: Meyer-Ladewig / ​Nettesheim / ​von Raumer, EMRK, Art. 1 Rn. 31. 92 EGMR, Ent. v. 12.12.2001, ECHR 2001-XII = NJW 2003, 413 (Bankovic). 93 EGMR, Ent. v. 12.12.2001, ECHR 2001-XII, NJW 2003, 413, 414 Rn. 59 (Bankovic). 94 EGMR, Ent. v. 12.12.2001, ECHR 2001-XII, NJW 2003, 413, 414 Rn. 59 (Bankovic). 95 EGMR, Ent. v. 12.12.2001, ECHR 2001-XII, NJW 2003, 413, 415 Rn. 61 (Bankovic). 96 EGMR, Ent. v. 12.12.2001, ECHR 2001-XII, NJW 2003, 413, 414 Rn. 60 (Bankovic). 89

6. Kap.: Das grundrechtliche Mehrebenensystem  

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der Wortlaut des Art. 1 EMRK nichts her.97 Folglich lehnte der EGMR mangels Ausübung von Hoheitsgewalt im Sinne des Art. 1  EMRK eine Bindung an die EMRK ab.98 Diese Entscheidung wirkt sich auch auf die operativen Einsätze im Rahmen der GASP und Frontex aus. Dabei ist jedoch zwischen zwei Aussagen der Bankovic-Entscheidung zu differenzieren. Nach der ersten Aussage kann eine Ausübung fremder Hoheitsgewalt in einem anderen Staat nicht ohne dessen Zustimmung, Aufforderung oder Einwilligung stattfinden, es sei denn der fremde Staat werde besetzt gehalten.99 Für diese Aussage wurde der EGMR jedoch stark kritisiert100 und ist in nachfolgenden Entscheidungen auch nicht mehr explizit darauf eingegangen, weshalb die Entscheidung in dieser Form überholt sein dürfte.101 Deshalb soll an diese Aussage für die operativen Einsätze im Rahmen der GASP und Frontex auch nicht angeknüpft werden. Durch die zweite Aussage der Bankovic-Entscheidung wird jedoch klargestellt, dass jedenfalls extraterritoriale Handlungen, die mit Zustimmung innerhalb des Hoheitsgebietes eines fremden Staates stattfinden, zur extraterritorialen Anwendbarkeit der EMRK führen. Diese Aussage wurde auch in Folgeentscheidungen nicht in Frage gestellt, sondern ausdrücklich bestätigt.102 Die zweite Aussage der Bankovic-Entscheidung ist insbesondere für die GASP-Missionen von Bedeutung. So sollen beispielsweise in der erweiterten zweiten und dritten Phase der ­EuNavFor Med Operation Sophia Einsätze auf libyschem Territorium stattfinden.103 Der Übergang in diese Phasen scheiterte bisher unter anderem an der Zustimmung der libyschen Regierung.104 Sobald aber nach erteilter Zustimmung die Einsätze auch auf libysches Territorium ausgedehnt werden, besteht eine Einwilligung für die Ausübung von Hoheitsgewalt, sodass darüber entsprechend der zweiten Aussage der Bankovic-Entscheidung die EMRK zur Anwendung gelangt. Entsprechendes gilt für Frontex-Einsätze in Drittstaaten.

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EGMR, Ent. v. 12.12.2001, ECHR 2001-XII, NJW 2003, 413, 416 Rn. 75 (Bankovic). EGMR, Ent. v. 12.12.2001, ECHR 2001-XII, NJW 2003, 413 ff. (Bankovic). 99 EGMR, Ent. v. 12.12.2001, ECHR 2001-XII, NJW 2003, 413, 414 Rn. 60 (Bankovic). 100 Zur Kritik vgl. etwa Loucaides, EHRLR 11 (2006), 391 ff. 101 Vgl. den Versuch einer Zusammenfassung der Rechtsprechung in EGMR, Urt. v. 07.07.2011, ECHR 2011-IV = NJW 2012, 283 (Al-Skeini); zur fehlenden Vereinbarkeit der Bankovic-Entscheidung mit nachfolgenden Entscheidungen vgl. Loucaides, EHRLR 11 (2006), 391, 401. 102 EGMR, Urt. v. 07.07.2011, ECHR 2011-IV, NJW 2012, 283, 286 Rn. 135 (Al-Skeini). 103 Zu den Phasen der Mission vgl. 1. Kapitel, B. I., S. 37 ff. 104 Vgl. 1. Kapitel, B. I., S. 37 ff. Fn. 33. 98

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3. Teil: Grundrechtliches Mehrebenensystem

b) Rechtssache Medvedyev Im Fall Medvedyev105 setzte die französische Marine eine Schiffsmannschaft auf Hoher See wegen Drogenhandels fest und verbrachte sie nach Frankreich. Die Beschwerdeführer waren Mitglieder der Mannschaft eines unter kambodschanischer Flagge fahrenden Handelsschiffes. Es gab den Verdacht, dass mit dem Schiff größere Mengen Drogen nach Europa transportiert werden sollten. Deshalb enterte die französische Marine das Schiff auf Hoher See, setzte die Mannschaft in den Kabinen fest und verbrachte das Schiff samt Besatzung nach Frankreich. Die Beschwerdeführer rügten nun die Verletzung der EMRK, insbesondere Art. 5 EMRK. Dementsprechend war fraglich, ob die EMRK überhaupt anwendbar war und Frankreich Hoheitsgewalt im Sinne des Art. 1 EMRK ausgeübt hat. Auch hier wies der EGMR darauf hin, dass der Anwendungsbereich der EMRK grundsätzlich territorial bestimmt und eine Geltung außerhalb des Hoheitsgebietes der Konventionsstaaten die Ausnahme sei.106 Indem die französische Marine das Schiff enterte, die Mannschaft festsetzte und sodann den Kurs des Schiffes bestimmte, hatte Frankreich „jedenfalls faktisch volle und ausschließliche Kontrolle“ über das Schiff.107 Nach Auffassung des EGMR lag folglich eine Ausübung französischer Hoheitsgewalt im Sinne des Art. 1 EMRK vor, sodass die EMRK anwendbar war. Diese Entscheidung hat insbesondere für die GASP-Missionen Bedeutung. So richtet sich beispielsweise die EuNavFor Med Operation Sophia gegen Schleusungsaktivitäten im Mittelmeer. Dabei werden auf Hoher See Schiffe, bei welchen der Verdacht besteht, dass sie für den Menschenschmuggel oder Menschenhandel benutzt werden, angehalten, durchsucht, beschlagnahmt oder umgeleitet. Gegebenenfalls werden die Schleuser auch festgenommen.108 Insbesondere Festnahmen sowie das Anhalten, Abdrängen oder Umleiten der Schleuserboote können eine faktische und ausschließliche Kontrolle im Sinne der Medvedyev-Entscheidung begründen, die zur Anwendbarkeit der EMRK führt. c) Rechtssache Hirsi In der Rechtssache Hirsi hatte sich der EGMR mit der Frage der Anwendbarkeit der EMRK auf italienischen Schiffen zu befassen.109 Die Beschwerdeführer waren somalische und eritreische Staatsangehörige und verließen Libyen zusammen mit ca. 200 Personen auf drei Schiffen mit dem Ziel, 105

EGMR, Urt. v. 29.03.2010, ECHR 2010-III = NJOZ 2011, 231 (Medvedyev). EGMR, Urt. v. 29.03.2010, ECHR 2010-III, NJOZ 2011, 231, 233 Rn. 63 f. (Medvedyev). 107 EGMR, Urt. v. 29.03.2010, ECHR 2010-III, NJOZ 2011, 231, 233 Rn. 67 (Medvedyev). 108 Zur EuNavFor Med Operation Sophia vgl. 1. Kapitel, B. I., S. 37 ff. 109 EGMR, Urt. v. 23.02.2012, ECHR 2012-II = NVwZ 2012, 809 (Hirsi). 106

6. Kap.: Das grundrechtliche Mehrebenensystem  

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die italienische Küste zu erreichen. Die Schiffe wurden südlich von Lampedusa auf Hoher See von der italienischen Guardia di finanza und der Küstenwache aufgebracht. Sodann wurden die Insassen von italienischen Kriegsschiffen nach Libyen zurückgebracht. Die Beschwerdeführer rügten daraufhin die Verletzung der EMRK. Auch hier verwies der EGMR auf die vorwiegende territoriale Bestimmung der Hoheitsgewalt eines Staates im Sinne von Art. 1  EMRK.110 Die Ausübung von Hoheitsgewalt im Sinne des Art. 1 EMRK außerhalb des Hoheitsgebietes der Konventionsstaaten sei nur in Ausnahmefällen anerkannt111 und müsse „unter Berücksichtigung der besonderen Umstände“ geprüft werden, beispielsweise ob eine vollständige und ausschließliche Kontrolle über ein Schiff bestehe.112 Da die Kriegsschiffe unter italienischer Flagge fuhren und ein Schiff auf Hoher See nach den Regelungen des Seerechts ausschließlich der Hoheitsgewalt des Staates untersteht, unter dessen Flagge es fährt,113 bejahte der EGMR die Ausübung italienischer Hoheitsgewalt im Sinne des Art. 1 EMRK.114 Die Unanwendbarkeit der EMRK könne sich auch nicht daraus ergeben, dass die Handlungen auf Hoher See Rettungsaktionen gewesen seien. Durch Rettungsaktionen könne man sich nicht der Konventionsverantwortlichkeit entziehen.115 Während der Fall Medvedyev die Ausübung tatsächlicher Kontrolle über ein unter fremder Flagge fahrendes Schiff betraf, stellte der EGMR im Fall Hirsi klar, dass die EMRK auch auf Schiffen unter Flagge der Konventionsstaaten anwendbar ist, insbesondere auch dann, wenn es sich um Rettungsaktionen handelt. Werden somit im Rahmen von GASP- oder Frontex-Missionen Menschen an Bord der mitgliedstaatlichen Schiffe gebracht, um sie etwa in den nächstgelegenen mitgliedstaatlichen Hafen zu verbringen, führt dies zur Ausübung von Hoheitsgewalt im Sinne des Art. 1 EMRK und damit zur Anwendung der Konvention. Insbesondere beim Aufgreifen von Flüchtlingen auf Hoher See im Rahmen von Frontex-Operationen findet daher die EMRK Anwendung.116 d) Zwischenergebnis Die mannigfaltige Rechtsprechung des EGMR zur extraterritorialen Anwendbarkeit der EMRK verdeutlicht, dass für jeden Einzelfall sorgfältig zu prüfen ist, ob tatsächlich von einer Konventionsverantwortlichkeit auszugehen ist. Jedenfalls 110

EGMR, Urt. v. 23.02.2012, ECHR 2012-II, NVwZ 2012, 809, 810 Rn. 71 (Hirsi). EGMR, Urt. v. 23.02.2012, ECHR 2012-II, NVwZ 2012, 809, 810 Rn. 72 (Hirsi). 112 EGMR, Urt. v. 23.02.2012, ECHR 2012-II, NVwZ 2012, 809, 810 Rn. 73 (Hirsi). 113 Vgl. Art. 92 SRÜ. 114 EGMR, Urt. v. 23.02.2012, ECHR 2012-II, NVwZ 2012, 809, 811 Rn. 76 f. (Hirsi). 115 EGMR, Urt. v. 23.02.2012, ECHR 2012-II, NVwZ 2012, 809, 811 Rn. 79 (Hirsi). 116 Zu den Auswirkungen des Hirsi-Urteils auf den Grenzschutz vgl. auch Lehnert / ​Markard, ZAR 2012, 194; Weber, ZAR 2012, 265. 111

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3. Teil: Grundrechtliches Mehrebenensystem

ist die extraterritoriale Anwendbarkeit der EMRK nicht von vornherein ausgeschlossen und insbesondere bei der Ausübung effektiver Kontrolle über ein Schiff und bei Handlungen auf einem unter mitgliedstaatlicher Flagge fahrenden Schiff zu bejahen. 4. Ergebnis Mithin besteht trotz koordinierenden unionsrechtlichen Rahmens, extraterritorialer Handlungen und der möglichen Einbettung des Handelns in eine UN-Sicherheitsratsresolution bei operativen Einsätzen im Rahmen der GASP und Frontex grundsätzlich – d. h. vorbehaltlich einer Einzelfallprüfung anhand der jeweils skizzierten Rechtsprechung  – eine Bindung der beteiligten Mitgliedstaaten an die EMRK.

D. Grundrechtskonkurrenzen und -kollisionen im Mehrebenensystem I. Konkurrierende und kollidierende Grundrechtsregime Bei operativen Einsätzen im Rahmen der GASP und Frontex finden mit der Grundrechtecharta, den nationalen Grundrechten und der EMRK drei verschiedene Grundrechtsregime Anwendung. Mit einer konkurrierenden Geltung verschiedener Grundrechtsregime geht die Problematik einher, wie drohende Grundrechtskollisionen aufzulösen sind. Dabei ist unter der Grundrechtskonkurrenz die parallele Anwendbarkeit verschiedener Grundrechte zu verstehen.117 Eine Grundrechtskollision liegt vor, „wenn sich aus konkurrierend anwendbaren Grundrechtsordnungen sich widersprechende Normbefehle ergeben“.118 Solche Kollisionen drohen, wenn sich die parallel anwendbaren Grundrechte in ihrem Schutzbereich und den Rechtfertigungsmöglichkeiten unterscheiden.119 Was nach dem einen Grundrechtsregime zulässig ist, kann gegen das andere Grundrechtsregime verstoßen. Die Bewältigung solcher Grundrechtskollisionen ist eine klassische Pro­blematik des grundrechtlichen Mehrebenensystems.

117 Sauer, Grundrechtskollisionsrecht für das europäische Mehrebenensystem, in: MatzLück / ​Hong, Grundrechte und Grundfreiheiten im Mehrebenensystem, S. 1, 4. 118 Sauer, Grundrechtskollisionsrecht für das europäische Mehrebenensystem, in: MatzLück / ​Hong, Grundrechte und Grundfreiheiten im Mehrebenensystem, S. 1, 5. 119 Dörr, DVBl. 2006, 1088, 1093 f.; Kirchhof, NJW 2011, 3681; Kirchhof, NVwZ 2014, 1537 f.; Nußberger, EMRK, in: Isensee / ​Kirchhof, HStR X, § 209 Rn. 51 ff.

6. Kap.: Das grundrechtliche Mehrebenensystem  

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II. Grundrechtskonkurrenzen und -kollisionen im Bereich der GASP und Frontex Für die operativen Einsätze im Rahmen der GASP und Frontex stellt sich zunächst die Frage, in welchen Bereichen es überhaupt zu einer konkurrierenden Geltung verschiedener Grundrechtsregime und damit zu möglichen Grundrechtskollisionen kommt. Bei der Grundrechtsbindung wurde eine Trennung zwischen der ausschließlich an die Grundrechtecharta gebundenen unionsrechtlichen Ebene und der an die nationalen Grundrechte gebundenen mitgliedstaatlichen Ebene festgestellt. Daneben gilt die EMRK unmittelbar nur auf der mitgliedstaatlichen Ebene. Da nur die Mitgliedstaaten operativ tätig werden, kommt es in Bezug auf die operativen GASP- und Frontex-Einsätze nur zu einer Konkurrenz der Grundrechtsregime auf nationaler Ebene, sodass auch nur hier unmittelbare Grundrechtskollisionen drohen. Im Folgenden ist daher nur auf die Bewältigung möglicher Grundrechtskollisionen zwischen EMRK und nationalen Grundrechten einzugehen. III. Bewältigung potentieller Grundrechtskollisionen zwischen EMRK und nationalen Grundrechten Da die Grundrechtsregime in materieller Hinsicht parallel anwendbar und geschriebene Konfliktlösungsmechanismen sehr spärlich sind,120 ist die Lösung vor allem im Kooperationsverhältnis der jeweils zuständigen Gerichtshöfe, d. h. nationale Verfassungsgerichte und EGMR, zu suchen.121 Dieses Kooperations­ verhältnis soll am Beispiel von Deutschland anhand der Rechtsprechung des BVerfG und des EGMR dargestellt werden. Diesbezüglich ist zu beachten, dass gemäß Art. 35 Abs. 1 EMRK der EGMR nur angerufen werden kann, wenn zuvor alle innerstaatlichen Rechtsbehelfe erschöpft wurden. In Deutschland gehört dazu auch die Verfassungsbeschwerde zum BVerfG.122 Folge dessen ist, dass sich das BVerfG mit einem Fall befasst haben wird, ehe der EGMR über ihn entscheidet.

120

Vgl. Art. 53 EMRK. Dörr, DVBl. 2006, 1088, 1097 ff., insb. 1098 f.; Kirchhof, NJW 2011, 3681, 3682 spricht von einem „Dialog der Gerichte“. Zum kooperativen Grundrechtsschutz zwischen EuGH, BVerfG und EGMR s. auch Ludwigs, EuGRZ 2014, 273 ff. 122 EGMR, Urt. v. 04.12.2008, BeckRS 2009, 26761, Rn. 85 (Adam); Meyer-Ladewig / ​Peters, in: Meyer-Ladewig / ​Nettesheim / ​v. Raumer, EMRK, Art. 35 Rn. 12. 121

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3. Teil: Grundrechtliches Mehrebenensystem

1. Rechtsprechung des BVerfG Grundsätzlich gilt die EMRK in der Bundesrepublik Deutschland als einfaches Bundesrecht. Das BVerfG weist ihr darüber hinaus eine verfassungsrechtliche Bedeutung zu, indem die EMRK bei der Auslegung der Grundrechte des Grundgesetzes heranzuziehen ist.123 Insofern gelten im Zweifel die nationalen Grundrechte mit einem Inhalt und einer Reichweite, wie sie auch in der EMRK verankert sind. Die Grenze dieser angleichenden Auslegung stellen freilich die Auslegungsmethoden dar.124 Sollte aufgrund von Auslegungsgrenzen eine angleichende Auslegung nicht möglich sein und Art. 53 EMRK als Konfliktlösungsmechanismus nicht zur Anwendbarkeit der nationalen Grundrechte führen,125 kommt es zum unauflöslichen Konflikt zwischen den nationalen Grundrechten und der EMRK. In diesem wohl seltenen Fall verletzt die Bundesrepublik Deutschland alternativ entweder das Grundgesetz oder die EMRK. Dennoch kann festgehalten werden, dass – zumindest was die Bundesrepublik Deutschland betrifft – über die Berücksichtigung der EMRK bei der Auslegung nationaler Grundrechte Grundrechtskollisionen zwischen den beiden Grundrechtsregimen weitestgehend vermieden werden können. 2. Rechtsprechung des EGMR Der EGMR überprüft die Vereinbarkeit von Handlungen mit der EMRK. Dabei bestehen Einfallstore für die Berücksichtigung nationaler Grundrechte. a) Margin-of-appreciation-Doktrin Nach der Rechtsprechung des EGMR ist es vorrangige Aufgabe der staatlichen Behörden, im konkreten Fall eine Grundrechtsabwägung vorzunehmen und zu bestimmen, wo der gerechte Ausgleich in einem Fall liegt. Dabei besteht ein gewisser Beurteilungsspielraum zugunsten der nationalen Stellen („a certain margin of appreciation“).126 123 BVerfG, EuGRZ 2004, 741, 743 ff. = BVerfGE 111, 307 (Görgülü); s. dazu auch oben unter C. III. 2., S. 319 f. 124 BVerfG, EuGRZ 2004, 741, 746 = BVerfGE 111, 307 (Görgülü); zu den „Grenzen der Berücksichtungspflicht“ s. auch Nußberger, EMRK, in: Isensee / ​K irchhof HStR X, § 209 Rn. 13. 125 Zu Art. 53 EMRK s. sogleich. 126 EGMR, Urt. v. 21.01.1999, ECHR 1999-I, NJW 1999, 1315, 1316 Rn. 45 (iii) (Fressoz u. Roire); EGMR, Urt. v. 04.12.2007, ECHR 2007-V, NJW 2009, 971, 974 Rn. 77 (Dickson); zur margin-of-appreciacion-Doktrin vgl. auch Grabenwarter, EuGRZ 2011, 229, 230 ff.; Grabenwarter, in: FS Tomuschat, S. 193, 199 ff.; Ludwigs, EuGRZ 2014, 273, 275 f.; Mayer, in: Karpenstein / ​Mayer, EMRK, Einl. Rn. 60 ff.; Meyer-Ladewig / ​Nettesheim, in: Meyer-Ladewig / ​Nettesheim / ​v. Raumer, EMRK, Einl. Rn.  27; Prepeluh, ZaöRV 61 (2001), 771, 772 ff.; Rupp-Swienty, Die Doktrin von der margin of appreciation in der Rechtsprechung des EGMR, S. 27 ff., 38 ff., 200 ff.; Voßkuhle, EuGRZ 2014, 165, 166. Mit dem noch nicht in Kraft getrete-

6. Kap.: Das grundrechtliche Mehrebenensystem  

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So ist es „[…] keineswegs die Aufgabe des Gerichtshofes, sich bei seiner Überwachung an die Stelle der staatlichen Behörden zu setzen; er hat vielmehr […] die Entscheidung zu prüfen, die jene Behörden in Wahrnehmung ihres Beurteilungsspielraums getroffen haben. Dabei hat der Gerichtshof den angefochtenen ‚Eingriff‘ im Lichte aller Umstände des Falles zu betrachten, um zu bestimmen, ob die von den staatlichen Behörden zu seiner Rechtfertigung angeführten Gründe ‚stichhaltig und ausreichend‘ sind […].“127

Der EGMR überprüft mithin nur die außerhalb des Ermessensspielraums liegenden Bereiche anhand der EMRK. Die innerhalb des Ermessensspielraums liegenden Handlungen werden durch die nationalen Stellen und ihre Bindung an die jeweiligen nationalen Grundrechte ausgefüllt. Zentrale Bedeutung erhält damit der Umfang des Ermessensspielraumes. Dieser ist je nach Fallgestaltung unterschiedlich weit und hängt von verschiedenen Faktoren, wie beispielsweise der Art der eingeschränkten Betätigung und der damit verfolgten Ziele, ab.128 Über den vom EGMR zugestandenen Beurteilungsspielraum können damit auch die nationalen Grundrechte im Rahmen der EMRK berücksichtigt werden.129 b) Art. 53 EMRK Neben der margin-of-appreciation-Doktrin sieht auch Art. 53 EMRK einen Konfliktlösungsmechanismus vor, den der EGMR in seiner Rechtsprechung zu berücksichtigen hat. Art. 53 EMRK wird dabei als Günstigkeitsprinzip ausgelegt, wonach – zumindest in bipolaren Grundrechtsverhältnissen130 – das Grundrechtsregime Anwendung findet, welches den höheren Grundrechtsschutz gewährleistet.131 nen Protokoll Nr. 15 vom 24.06.2013, BGBl. 2014 II, S. 1035 ff. soll das Prinzip der margin of appreciation Eingang in die Präambel der EMRK finden. Diesem Protokoll hat die Bundesrepublik Deutschland bereits zugestimmt, BGBl. 2014 II, S. 1034. 127 EGMR, Urt. v. 21.01.1999, ECHR 1999-I, NJW 1999, 1315, 1316 Nr. 45 (iv) (Fressoz u. Roire). 128 EGMR, Urt. v. 27.09.1999, ECHR 1999-VI, NJW 2000, 2089, 2092 (Smith u. Grady); EGMR, Urt. v. 04.12.2007, ECHR 2007-V, NJW 2009, 971, 974 Rn. 77 (Dickson); zu allgemeinen Kriterien für die Bestimmung der Reichweite des nationalen Beurteilungsspielraums vgl. Prepeluh, ZaöRV, 61 (2001), 771, 774 ff. 129 Inwiefern ein Beurteilungsspielraum im Sinne der margin-of-appreciation-Doktrin auch bei operativen Einsätzen im Rahmen der GASP und Frontex besteht, ist nicht Gegenstand der Arbeit und kann an dieser Stelle nicht vertieft werden. 130 Mit bipolaren Grundrechtsverhältnissen ist das Verhältnis zwischen Bürger und Staat gemeint, vgl. Schmidt-Preuß, in: FS Isensee, S. 597, 600. Um ein solches Verhältnis geht es auch bei operativen Einsätzen im Rahmen der GASP und Frontex. Multipolare Grundrechtsverhältnisse betreffen demgegenüber im Kern einen Grundrechtskonflikt zwischen Privaten, bei denen die Grundrechte mittelbar, etwa über Schutzpflichten, gelten. Zum Begriff der Multipolarität vgl. Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, S. 9 ff., 30 ff.; Schmidt-Preuß, in: FS Isensee, S. 597, 600 ff. 131 Für multipolare Grundrechtsverhältnisse ist umstritten, ob Art. 53 EMRK anwendbar ist, vgl. etwa Ludwigs, EuGRZ 2014, 273, 282 f. Problematisch an einem Günstigkeitsprinzip in

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3. Teil: Grundrechtliches Mehrebenensystem

c) Zwischenergebnis Im Rahmen der Rechtsprechung des EGMR tragen sowohl die margin-of-­ appreciation-Doktrin als auch das Günstigkeitsprinzip des Art. 53 EMRK zur Bewältigung drohender Grundrechtskollisionen mit dem nationalen Recht bei. 3. Ergebnis Im Rahmen der EMRK bestehen mit der margin-of-appreciation-Doktrin des EGMR und Art. 53 EMRK zwei effektive Konfliktlösungsmechanismen in Bezug auf den Ausgleich mit den nationalen Grundrechten. Auf nationaler Ebene – zumindest in Deutschland – wird die EMRK in ihrer Interpretation durch den EGMR als Auslegungshilfe für die nationalen Grundrechte herangezogen. Einer solchen erweiternden Auslegung der nationalen Grundrechte bedarf es allerdings nur, wenn nicht bereits über das Günstigkeitsprinzip des Art. 53 EMRK die nationalen Grundrechte zur Anwendung gelangen. Zusammengenommen bewirken die Rechtsprechungsansätze des EGMR und des BVerfG, dass es kaum zu unauflöslichen Grundrechtskollisionen zwischen EMRK und nationalen Grundrechten kommt. Zwischen EGMR und BVerfG kann eine ebenenübergreifende Kooperation festgestellt werden, die drohende Grundrechtskollisionen angemessen bewältigt.132

E. Ergebnis zum Mehrebenensystem Das grundrechtliche Mehrebenensystem ist im Bereich der operativen GASPund Frontex-Einsätze differenziert zu betrachten. Einerseits finden mit der Grundrechtecharta, den nationalen Grundrechten und der EMRK drei verschiedene Grundrechtsregime Anwendung. Andererseits konnte eine Trennung der unionsrechtlichen Ebene von der mitgliedstaatlichen Ebene festgestellt werden, wobei die Grundrechtecharta ausschließlich auf der unionsrechtlichen Ebene und die nationalen Grundrechte sowie die EMRK nur auf der mitgliedstaatlichen Ebene Anwendung finden. Die Anwendungsbereiche der Grundrechtecharta und der EMRK sowie der nationalen Grundrechte und der Grundrechtecharta sind somit getrennt. Grundrechtskollisionen als Folge der Grundrechtskonkurrenz drohen mithin nur auf nationaler Ebene zwischen den nationalen Grundrechten und der EMRK, können aber aufgrund des Kooperationsverhältnisses zwischen EGMR multipolaren Grundrechtsverhältnissen ist, dass der höhere Grundrechtsschutz zugunsten einer Person gleichzeitig zulasten der anderen Person wirkt. Deswegen gewährt der Staat in multipolaren Grundrechtsverhältnissen nicht mehr oder weniger, sondern anderen Grundrechtsschutz, vgl. Breuer, NVwZ 2005, 412, 414; Derderer, ZaöRV 66 (2006), 575, 615 f.; Ludwigs, EuGRZ 2014, 273, 282; Meyer-Ladewig, in: Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl. 2011, Art. 53 Rn. 3. 132 Vgl. auch Ludwigs, EuGRZ 2014, 273 ff.; Voßkuhle, EuGRZ 2014, 165 ff.

6. Kap.: Das grundrechtliche Mehrebenensystem  

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und nationalen Verfassungsgerichten – zumindest in der Bundesrepublik Deutschland – angemessen bewältigt werden. Trotz Trennung sind die unionsrechtliche und mitgliedstaatliche Ebene und die dort jeweils anwendbaren Grundrechtsregime auf indirektem Wege miteinander verwoben. So ist einerseits die EMRK bei der Auslegung der Grundrechtecharta zu berücksichtigen und andererseits trifft die unionsrechtliche Ebene Schutzpflichten, die auf eine Einhaltung der Grundrechtecharta auch auf mitgliedstaatlicher Ebene gerichtet sind. Das grundrechtliche Mehrebenensystem präsentiert sich damit bei den operativen Einsätzen im Rahmen der GASP und Frontex weniger als ein konkurrierendes, sondern vielmehr als ein durch indirekten Einfluss geprägtes und miteinander in Wechselspiel stehendes grundrechtliches Mehrebenensystem. Dieser bloß indirekte wechselseitige Einfluss der Grundrechtsregime ist Ausfluss der im Bereich der GASP und Frontex geltenden Besonderheiten, insbesondere in kompetenzrechtlicher Hinsicht. Diese Besonderheiten bewirken die beschriebene Trennung der unionsrechtlichen Ebene von der mitgliedstaatlichen Ebene und damit die Separation der Grundrechtsräume. Daraus ergibt sich jedoch in Bezug auf die operative Ausführung durch die Mitgliedstaaten ein klares anwendbares Grundrechtsregime: Es gelten die jeweiligen nationalen Grundrechte sowie die EMRK. Zwischen beiden Grundrechtsregimen ist – zumindest was die Bundesrepublik Deutschland betrifft – eine gewisse Konvergenz zu erkennen, da die EMRK bei der Auslegung der nationalen Grundrechte heranzuziehen ist. Unmittelbarer grundrechtlicher Prüfungsmaßstab bei den außenwirksamen operativen Handlungen der Mitgliedstaaten sind daher die jeweiligen nationalen Grundrechte unter Berücksichtigung der EMRK. Ein solch eindeutiges Ergebnis trägt zur Rechtssicherheit bei den grundrechtssensiblen operativen Einsätzen im Rahmen der GASP und Frontex bei.

4. Teil

Zusammenfassung 7. Kapitel

Zusammenfassung in Thesen  A. Ausgangsprämissen 1. Die Mission Sophia der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie die Operation Triton bzw. Themis im Rahmen von Frontex dienen der Bewältigung der seit 2015 anhaltenden Flüchtlingskrise. Mit der Mission Sophia wird die Schleuserkriminalität im Mittelmeer bekämpft, während die Operation Triton bzw. Themis die südlichen Seeaußengrenzen sichert. In beiden Bereichen greift die EU für das operative Handeln auf Streitkräfte bzw. Grenzschutzbeamte der Mitgliedstaaten zurück. Die Einsätze stehen damit stellvertretend für operative Handlungen der Mitgliedstaaten im unionskoordinierten Rahmen. 2. Das operative Handeln ist regelmäßig mit Eingriffen in fremde Rechtsgüter verbunden und weist damit eine hohe Grundrechtsrelevanz auf. 3. Die operativen Einsätze besitzen aufgrund der Verwendung militärischer und ziviler Mittel sowie der Betroffenheit der Staatsgrenzen eine hohe Souveränitätsempfindlichkeit. Diese Souveränitätsempfindlichkeit führt im unionskoordinierten Rahmen zu einem Spannungsverhältnis zwischen unionsrechtlicher Aufgabenwahrnehmung und mitgliedstaatlicher Souveränität. 4. Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage nach der Grundrechtsbindung operativen Handelns im unionskoordinierten Rahmen auf. Entscheidend für die Frage nach der Anwendbarkeit der Europäischen Grundrechtecharta bei operativen Einsätzen im Rahmen der GASP und Frontex ist Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh, der zwischen der Grundrechtsbindung der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten unterscheidet. a) Nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh unterliegen die Organe und sonstigen Stellen der Union einer umfassenden Grundrechtsbindung. b) Die Mitgliedstaaten sind hingegen gemäß Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh „ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union“ an die Unionsgrundrechte gebunden. Hierbei können die Durchführung von Verordnungen, Beschlüssen und Richtlinien unterschieden werden, wobei die Einzelheiten umstritten sind.

7. Kap.: Zusammenfassung in Thesen  

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c) Die Subsumtion unter Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh setzt ein umfassendes Verständnis der operativen Einsätze im Rahmen der GASP und Frontex voraus.

B. Thesen These 1 Die GASP kann als ein intergouvernementales zweistufiges System operativen Handelns beschrieben werden, dessen Hauptaugenmerk auf der Koordinierung mitgliedstaatlichen Handelns liegt. 1. Die GASP ist nur vor dem Hintergrund ihrer intergouvernementalen historischen Entstehung und Entwicklung zu verstehen. a) Die historische Entstehung und Entwicklung der GASP ist geprägt von einem Dualismus zwischen fortschreitender Supranationalisierung und Souveränitätswahrung der Mitgliedstaaten in außen- und sicherheitspolitischen Fragen. aa)  Die Supranationalisierung beschreibt den Prozess zur Errichtung einer supranationalen Organisation, der durch die Hoheitsrechtsübertragung auf eine internationale Organisation gekennzeichnet ist. Darunter ist eine Beschränkung des staatlichen Herrschaftsanspruchs zu verstehen, wodurch die nationale Rechtsordnung zugunsten des Rechts der internationalen Organisation geöffnet wird. Supranationale Organisationen verfügen über von den Mitgliedstaaten unabhängige Organe, die die ihnen übertragenen Hoheitsrechte selbständig gegenüber den Mitgliedstaaten ausüben. Supranationales Recht gilt unmittelbar und mit Anwendungsvorrang vor nationalem Recht. Eine fortschreitende Supranationalisierung hat auf europäischer Ebene vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht stattgefunden. bb) Die Außen- und Sicherheitspolitik wurde demgegenüber für eine Supranationalisierung als zu souveränitätsempfindlich eingestuft, sodass sich diesbezüglich das Prinzip der Intergouvernementalität durchgesetzt hat. Bei intergouvernementalen Strukturen haben die Mitgliedstaaten das Heft des Handelns fest in der Hand. Es können keine Entscheidungen gegen ihren Willen getroffen werden. Eine Übertragung von Hoheitsrechten findet nicht statt. b) Dieser Dualismus führte zu einer dreisäuligen EU, in welcher die Europäischen Gemeinschaften in wirtschaftlichen Belangen supranationalen Entscheidungsstrukturen folgten, während die GASP und ZBJI / ​PJZS jeweils intergouvernementalen Strukturen unterlagen. c) Mit dem Vertrag von Lissabon wurde die Säulenstruktur der EU formal aufgehoben. Gleichwohl nimmt die GASP weiterhin eine Sonderrolle ein. 2. In der GASP stehen mehrere Handlungsinstrumente zur Verfügung, die überwiegend durch Beschlüsse ausgeübt werden. Zentral für die operativen Einsätze

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4. Teil: Zusammenfassung

ist der Beschluss über die Einleitung einer gemeinsamen Aktion. Die Beschlussfassung der GASP weist hierbei einige Besonderheiten auf, die zu einer starken Stellung der Mitgliedstaaten führen. a) Zentrales Organ ist der Rat, der in der GASP als Rat „Auswärtige Angelegenheiten“ die Beschlüsse über die Einleitung einer gemeinsamen Aktion fasst. Andere Organe wie beispielsweise die Kommission oder das Europäische Parlament sind von der Willensbildung praktisch ausgeschlossen. Dies geschieht insbesondere über den Ausschluss von Gesetzgebungsakten und der damit fehlenden verfahrensmäßigen Beteiligung der Kommission und des Parlaments. Vor allem die Kommission kann als klassisches supranationales Organ angesehen werden, das die Unionsinteressen losgelöst von den mitgliedstaatlichen Interessen verfolgt. Durch den Ausschluss der Kommission als solcher fehlt im Willensbildungsprozess der GASP das Organ, das die eigenständigen Unionsinteressen gegenüber den Mitgliedstaaten wahrt. b) Bei der Beschlussfassung besteht grundsätzlich ein Einstimmigkeitsprinzip. In Bereichen, in welchen Mehrheitsentscheidungen vorgesehen sind, lässt sich ein Einstimmigkeitsfundament feststellen. Entscheidungen gegen den Willen eines Mitgliedstaates sind damit praktisch ausgeschlossen. Bei militärischen Bezügen verbleibt es zudem ausnahmslos beim Einstimmigkeitsprinzip. 3. Die operativen Einsätze im Rahmen der GASP sind durch ein unionskoor­ diniertes zweistufiges System operativen Handelns gekennzeichnet. a) Auf der ersten Stufe findet der Willensbildungs- und Koordinierungsprozess auf unionsrechtlicher Ebene statt. Diesbezüglich wird vom Rat der Beschluss über die Einleitung einer Aktion gefasst. Die Koordinierung der Einsätze samt politischer Kontrolle und strategischer Leitung wird sodann vom PSK übernommen, das seinerseits vom CIVCOM, EU-Militärausschuss und EU-Militärstab unterstützt wird. b) Auf der zweiten Stufe ist die operative Ausführung durch die Mitgliedstaaten angesiedelt. aa) Die EU verfügt über keine eigenen Einsatztruppen, sodass die Einsatzkräfte der Mitgliedstaaten im Sinne eines Rückgriffsprinzips herangezogen werden. bb) Das Rückgriffsprinzip wird vom Freiwilligkeitsprinzip flankiert, welches besagt, dass zivile und militärische Einsätze von den Mitgliedstaaten weder primärrechtlich noch sekundärrechtlich verpflichtend geschuldet sind. cc) Der Einsatz ziviler und militärischer Kräfte richtet sich nach dem nationalen Recht bzw. Wehr(verfassungs-)recht der Mitgliedstaaten. Für die Bundesrepublik Deutschland bedeutet dies, dass der Bundeswehreinsatz durch das Grundgesetz legitimiert sein und der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt eingehalten werden muss.

7. Kap.: Zusammenfassung in Thesen  

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dd) Die mitgliedstaatlichen Einsatzkräfte werden einem gemeinsamen Operationsbefehlshaber1 unterstellt, indem die Mitgliedstaaten auf diesen operational command übertragen. Dies geschieht konstruktiv durch einen Befehl der Mitgliedstaaten an ihre Einsatzkräfte, den Anweisungen des Operationsbefehlshabers Folge zu leisten. Damit bleiben die Einsatzkräfte weiterhin dem nationalen Befehl unterstellt. Über die nationale Befehlskette können die Anweisungen des Operationsbefehlshabers jederzeit geändert und der Befehl zur Befolgung dieser Anweisungen zurückgenommen werden. ee) Aufgrund des Rückgriffs- und Freiwilligkeitsprinzips und der bloßen Übertragung von operational command wird bei den Einsätzen Hoheitsgewalt der beteiligten Mitgliedstaaten ausgeübt. c) Die unionsrechtliche erste Stufe ist mit der mitgliedstaatlichen zweiten Stufe verknüpft. aa)  Der Operationsbefehlshaber ist bereits der mitgliedstaatlichen Ebene zuzurechnen,2 untersteht allerdings in politischer und strategischer Hinsicht den Weisungen des PSK. bb) Innerhalb des zweistufigen Systems besteht eine doppelte Einbindung der Mitgliedstaaten. Auf der ersten, unionsrechtlichen Stufe sind fast alle beteiligten Stellen mit Vertretern der Mitgliedstaaten besetzt. Auf der zweiten Stufe führen die Mitgliedstaaten die Einsätze sodann operativ aus. Die doppelte mitgliedstaatliche Einbindung unterstreicht die hervorgehobene Position der Mitgliedstaaten in der GASP. 4. Der EUV stellt für die GASP mit dem Einstimmigkeitsprinzip, dem Ausschluss von Gesetzgebungsakten, den spezifischen Rollen der Kommission und des Parlaments sowie der fehlenden Zuständigkeit des EuGH einige Besonderheiten auf. Diese Besonderheiten erklären sich aus dem historischen Entstehungs- und Entwicklungsprozess der GASP, der von der Sorge eines Souveränitätsverlustes in außen- und sicherheitspolitischen Belangen geprägt war. Diese Besonderheiten führen zu einer deutlichen Systemverschiebung zugunsten der Mitgliedstaaten, die somit im Bereich der GASP die Hauptakteure sind. Insofern kann auch nach dem Vertrag von Lissabon von einer fortbestehenden intergouvernementalen Struktur der GASP gesprochen werden. 5. Kompetenzrechtlich sind die hervorgehobene Position der Mitgliedstaaten und das unionskoordinierte zweistufige System operativen Handelns aufgrund einer besonderen, das mitgliedstaatliche Verhalten koordinierenden Kompetenz zwingend vorgegeben. Die Unionskompetenz im Rahmen der GASP kann als 1

Diesem steht der zivile Operationskommandeur bei zivilen Missionen gleich, weshalb im Folgenden nur noch vom Operationsbefehlshaber gesprochen wird. 2 Gleiches gilt aufgrund seiner Zwitterstellung in operativer Hinsicht auch für den zivilen Operationskommandeur.

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4. Teil: Zusammenfassung

unionsrechtliche Hülle für die Kooperation und Koordination der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik beschrieben werden. These 2 Frontex kann als ein zweistufiges, das mitgliedstaatliche Handeln koordinierendes System beschrieben werden, das die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten durch eine Verwaltungskooperation im Bereich des Außengrenzschutzes verbessern will. Aufgrund dieser zwischenstaatlichen Ausrichtung kann von einer intergouvernementalen Agentur gesprochen werden. 1. Die Entstehung und Entwicklung des europäischen Außengrenzschutzes ist in den europäischen Integrationsprozess eingebettet und lässt sich nur vor diesem Hintergrund verstehen. a) Im Ausgangspunkt ist der Außengrenzschutz eine rein nationale Aufgabe, zumal er eng mit dem Staatsbegriff und den Staatsfunktionen verbunden ist und damit eine hohe Souveränitätsempfindlichkeit aufweist. b) Mit zunehmender wirtschaftlicher Integration und dem Ziel der Schaffung eines europäischen Binnenmarktes rückte die Öffnung der Binnengrenzen und als Ausgleichsmaßnahme der Schutz der Außengrenzen in den europäischen Fokus. Die Öffnung der Binnengrenzen wurde mit den völkerrechtlichen Schengener Übereinkommen zunächst außerhalb der Europäischen Gemeinschaft erreicht. Der Schengenaquis wurde aber alsbald in die neugegründete EU überführt. Als Konzept für Ausgleichsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Öffnung der Binnengrenzen entwickelte sich im unionsrechtlichen Rahmen der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, der anfänglich säulenübergreifend ausgestaltet war. Mit der Aufgabe der Säulenstruktur durch den Vertrag von Lissabon wurde er vollständig in den supranationalisierten Bereich überführt. c) Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts umfasst in kompetenzrechtlicher Hinsicht die schrittweise Einführung eines integrierten Grenzschutzsystems, Art. 77 Abs. 2 lit. d) AEUV. Auf dieser Grundlage wurde Frontex nunmehr als Agentur für die europäische Grenz- und Küstenwache neu ausgerichtet. 2. Der operative Einsatz im Rahmen von Frontex ist durch ein zweistufiges System operativen Handelns gekennzeichnet. a) Auf der ersten Stufe ist die Grenzschutzagentur Frontex koordinierend tätig. aa) Die koordinierende Funktion äußert sich zum einen darin, dass die Frontex-VO an keiner Stelle direkte Eingriffsbefugnisse für die Agentur enthält. bb) Zum anderen ist es explizit die Aufgabe des Exekutivdirektors, die operativen Einsätze zusammen mit einem Koordinierungsbeamten zu koordinieren. Zentrales Instrument hierfür ist einerseits der mit dem Einsatzmitgliedstaat abge-

7. Kap.: Zusammenfassung in Thesen  

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schlossene Einsatzplan, der als unionsrechtlicher Verwaltungsvertrag qualifiziert werden kann. Andererseits dienen die Standpunkte der Agentur als weiches Weisungsrecht der koordinierenden Einflussnahme auf die Mitgliedstaaten. b) Auf der zweiten Stufe führt der Einsatzmitgliedstaat mit den ihm zur Verfügung gestellten Grenzschutzbeamten den Einsatz operativ aus. aa) Die EU verfügt über kein eigenes Grenzschutzkorps, sondern greift auf die Mitgliedstaaten zurück, die ihre Grenzschutzbeamten über einen Einsatzpool zur Verfügung stellen. Auch im Rahmen von Frontex gilt somit ein Rückgriffsprinzip. bb) Die Bereitstellung der nationalen Grenzschutzbeamten ist im Ausgangspunkt freiwillig. Erst mit der Zusage zur Bereitstellung entsteht eine Verpflichtung, die Grenzschutzbeamten auf Abruf zur Verfügung zu stellen. Diese Pflicht knüpft mithin an die freiwillige Entscheidung zur Bereitstellung der Grenzschutzbeamten an, sodass von einem Freiwilligkeitsprinzip gesprochen werden kann. cc) Bei den operativen Einsätzen gelten die Ermächtigungsgrundlagen des Einsatzmitgliedstaates, dem die übrigen nationalen Grenzschutzbeamten im Wege einer Organleihe zur Verfügung gestellt werden. Die Frontex-VO, die Seeaußen­ grenzen-VO und der SGK stellen nur den verwaltungsorganisatorischen Rahmen der Einsätze dar. Damit wird bei den operativen Einsätzen Hoheitsgewalt des entsprechenden Einsatzmitgliedstaates ausgeübt. dd) Bei den operativen Einsätzen nimmt der Einsatzmitgliedstaat eine hervorgehobene Rolle ein. Einerseits werden ihm die Grenzschutzbeamten im Wege einer Organleihe zur Verfügung gestellt, sodass seine Ermächtigungsgrundlagen gelten. Andererseits kann ohne die Zustimmung des Einsatzmitgliedstaates ein entsprechender Einsatz nicht stattfinden. 3. Das zweistufige System operativen Handelns unter lediglich unionsrechtlicher Koordinierung ist kompetenzrechtlich zwingend vorgegeben. So erfasst die Kompetenz zur Errichtung eines integrierten Grenzschutzsystems nicht die Errichtung eines supranationalen Grenzschutzes. Vielmehr ist die Kompetenz insbesondere aufgrund des Systembegriffs auf eine Koordinierung mitgliedstaatlichen Handelns beschränkt, wobei die Exekutivverantwortung für die Einsätze bei den Mitgliedstaaten verbleiben muss. Aufgrund dieser zwischenstaatlichen Ausrichtung kann Frontex als intergouvernementale Agentur bezeichnet werden. These 3 Die operativen Einsätze im Rahmen der GASP und Frontex folgen – trotz gewisser Unterschiede – einem einheitlichen System operativen Handelns, das als zweistufiges unionskoordiniertes operatives Handeln beschrieben werden kann. Dieses System führt zu einer vergleichbaren Grundrechtsbindung beider Bereiche (s. dazu These 4).

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4. Teil: Zusammenfassung

1. Auf der ersten, unionsrechtlichen Stufe findet die Koordinierung der Einsätze statt. Die unionsrechtliche Ebene enthält keine direkten Eingriffsbefugnisse. 2. Die operative Ausführung ist auf der mitgliedstaatlichen Stufe angesiedelt. Neben einem Rückgriffsprinzip gilt hierbei ein Freiwilligkeitsprinzip, welches besagt, dass die Mitgliedstaaten im Ausgangspunkt nicht zum operativen Handeln verpflichtet sind. Sowohl im Rahmen der GASP als auch bei Frontex nehmen die Mitgliedstaaten eine hervorgehobene Stellung ein, indem sich der operative Einsatz nach dem nationalen Wehr(verfassungs-)recht bzw. dem Recht des Einsatzmitgliedstaates richtet. 3. Es besteht eine Verknüpfung der unionsrechtlichen mit der mitgliedstaatlichen Ebene. Die Verknüpfung dient jedoch ausschließlich der Koordinierung des Einsatzes und betrifft nicht das operative Handeln selbst. Deshalb wird bei den Einsätzen ausschließlich die Hoheitsgewalt der Mitgliedstaaten bzw. des Einsatzmitgliedstaates ausgeübt. 4. Dieses vergleichbare zweistufige System operativen Handelns unter unionsrechtlicher Koordinierung ist sowohl für die GASP als auch für Frontex kompetenzrechtlich zwingend vorgegeben. These 4 Im Rahmen des zweistufigen Systems operativen Handelns ist in Bezug auf die Grundrechtsbindung zwischen der ersten, unionsrechtlichen Stufe und der zweiten, mitgliedstaatlichen Stufe zu trennen. Während die unionsrechtliche Ebene nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh an die Grundrechtecharta gebunden ist, ist eine Unionsgrundrechtsbindung der Mitgliedstaaten nach Art. 51  Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh zu verneinen. Bei der operativen Ausführung sind die Mitgliedstaaten im Rahmen der GASP an ihre jeweiligen nationalen Grundrechte und im Rahmen von Frontex an die Grundrechte des Einsatzmitgliedstaates gebunden. Die Grundrechtsdivergenz zwischen der ersten und zweiten Stufe hat zur Folge, dass die unionsrechtliche Ebene, aufgrund der sie treffenden Schutzpflichten, Dritte vor der Beeinträchtigung der Unionsgrundrechte durch die Mitgliedstaaten zu schützen hat. 1. Die Frage nach der Anwendbarkeit der Grundrechtecharta richtet sich ausschließlich nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh. Ein genereller Ausschluss oder eine generelle Anwendbarkeit der Grundrechtecharta aufgrund anderer Normen außerhalb der Grundrechtecharta besteht nicht. 2. Auf der unionsrechtlichen Ebene sind die Organe und sonstigen Stellen der Union nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh an die Grundrechtecharta gebunden. Bei der GASP betrifft dies den Europäischen Rat, den Rat, den Hohen Vertreter, das PSK, das CIVCOM, den EU-Militärausschuss und den EU-Militärstab. Im

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Rahmen von Frontex sind der Verwaltungsrat, der Exekutivdirektor sowie der Koordinierungsbeamte an die Unionsgrundrechte gebunden. Mangels Außenwirkung der Handlungen auf unionsrechtlicher Ebene gelten die Grundrechte nicht als subjektive Abwehrrechte, sondern als objektiver Wertmaßstab, an dem sich das Handeln der unionsrechtlichen Ebene auszurichten hat. 3. Die Mitgliedstaaten sind mangels „Durchführung des Rechts der Union“ nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh nicht an die Grundrechtecharta gebunden. a) Die Rechtsprechung zur Grundrechtsbindung beim Vollzug von Verordnungen kann in Bezug auf Frontex nicht herangezogen werden. Die im Rahmen von Frontex geltenden Verordnungen stellen den bloßen verwaltungsorganisatorischen Rahmen dar und ordnen eine Verwaltungskooperation an. Konkret vollzogen werden nicht die Verordnungen, sondern die Ermächtigungsgrundlagen des Einsatzmitgliedstaates, mithin nationales Recht. b) Die Rechtsprechung zur Grundrechtsbindung beim Vollzug von Beschlüssen kann im Bereich der GASP gleichfalls nicht herangezogen werden. Die Beschlüsse richten sich ausschließlich an die Mitgliedstaaten und entfalten keine unmittelbare Wirksamkeit. Sie stellen nur den organisatorischen Rahmen der operativen Einsätze dar. Konkret vollzogen werden bei zivilen Missionen das jeweils einschlägige nationale Recht bzw. bei militärischen Missionen das jeweilige nationale Wehr(verfassungs-)recht sowie die nationalen Befehle. c) Entscheidend für die Grundrechtsbindung operativer Einsätze im Rahmen der GASP und Frontex ist der allgemein notwendige Zusammenhang, der zwischen dem Unionsrecht und dem mitgliedstaatlichen Handeln bestehen muss, um von einer Durchführung des Unionsrecht sprechen zu können. Dieser Konnex ist aus der Rechtsprechung des EuGH zur Richtlinienumsetzung zu gewinnen. Ähnlich wie bei einer Richtlinienumsetzung sind den Frontex-Verordnungen und GASP-Beschlüssen die nationalen Ermächtigungsgrundlagen bzw. bei zivilen Missionen das jeweils einschlägige nationale Recht und bei militärischen Missionen das nationale Wehr(verfassungs-)recht zwischengeschaltet, wobei die Mitgliedstaaten die koordinierenden Unionsvorgaben selbständig operativ ausfüllen. d) Die unterschiedlichen Rechtsprechungsansätze des EuGH zur Frage, wann eine Durchführung des Unionsrechts vorliegt, sind zu einem einheitlichen Ansatz zusammenzuführen, woraus sich eine dreistufige Prüfung ergibt: aa)  Erstens muss eine Verpflichtung durch das Unionsrecht bestehen. Ohne Verpflichtung der Mitgliedstaaten durch das Unionsrecht kann nicht von einer Durchführung des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten gesprochen werden. bb) Zweitens muss zwischen der Verpflichtung durch das Unionsrecht und der mitgliedstaatlichen Handlung ein Unmittelbarkeitszusammenhang bestehen. Dieser Unmittelbarkeitszusammenhang bestimmt sich anhand vier nicht abschließender Kriterien:

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4. Teil: Zusammenfassung

(1) Die Mitgliedstaaten müssen mit ihrer Handlung die Durchführung des Unionsrechts bezwecken. Dieses Kriterium beinhaltet jedoch ausschließlich eine positive Indizfunktion. Allein aus einem mangelnden Bezwecken der Durchführung von Unionsrecht kann nicht auf einen fehlenden Unmittelbarkeitszusammenhang und damit auf eine fehlende Grundrechtsbindung geschlossen werden. (2) Der Unmittelbarkeitszusammenhang ist abhängig vom Charakter der Regelung. Der Charakter der Regelung bezieht sich nicht nur auf die mitgliedstaatliche, sondern auch auf die unionsrechtliche Regelung. Dabei kann eine „Je-desto-Formel“ aufgestellt werden: Je konkreter die Vorgaben für das mitgliedstaatliche Handeln sind, desto eher spricht der Charakter der Regelung für einen Unmittelbarkeitszusammenhang. (3) Es dürfen keine anderen als unter das Unionsrecht fallende Ziele verfolgt werden. Eine bloße mittelbare Beeinflussung der Ziele durch das Unionsrecht genügt für einen Unmittelbarkeitszusammenhang nicht. (4) Ferner spricht das Vorliegen spezifischer unionsrechtlicher Regelungen für einen Unmittelbarkeitszusammenhang. cc) Drittens und letztens kann eine Grundrechtsbindung zur Wahrung der Einheit, des Vorrangs und der Wirksamkeit des Unionsrechts auch ohne Unmittelbarkeitszusammenhang geboten sein. e) Unter Zugrundelegung dieser Kriterien ist eine Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechtecharta bei operativen Einsätzen im Rahmen der GASP und Frontex abzulehnen. aa) Aufgrund des Rückgriffs- und Freiwilligkeitsprinzips kann nur eine akzessorische Verpflichtung der Mitgliedstaaten festgestellt werden, die an die freiwillige Entscheidung der Mitgliedstaaten zur Bereitstellung von Einsatzkräften bzw. Grenzschutzbeamten anknüpft. Diese Pflicht ist eine reine Koordinierungspflicht, die die Mitgliedstaaten zu einer koordinierten Ausübung der mitgliedstaatlichen Hoheitsgewalt zwingt, darüber hinaus jedoch keine Verpflichtungen für das außenwirksame operative Handeln enthält. bb) Der für eine Grundrechtsbindung notwendige Unmittelbarkeitszusammenhang ist aufgrund der strukturellen Besonderheiten im Rahmen der GASP und bei Frontex nicht gegeben. (1) Neben der Durchführung des Unionsrechts bezwecken die Mitgliedstaaten auch die Durchführung des nationalen Rechts. Dies sind bei zivilen GASP-Missionen das jeweils einschlägige nationale Recht und bei militärischen GASP-Missionen das nationale Wehr(verfassungs-)recht sowie bei Frontex die Ermächtigungsgrundlagen des Einsatzmitgliedstaates. (2) Der bloß koordinierende Charakter von GASP und Frontex spricht gegen einen Unmittelbarkeitszusammenhang. Es konnte sowohl für die GASP als auch

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für Frontex eine bloße Kompetenz zur Koordinierung mitgliedstaatlichen Handelns festgestellt werden. Es fehlt daher – im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH in anderen unionskoordinierten Bereichen, wie etwa dem Sozialhilferecht – an einer über eine Koordinierungspflicht hinausgehenden unionsrechtlichen Verpflichtung für die außenwirksamen mitgliedstaatlichen Handlungen selbst, d. h. im Falle der GASP und Frontex an einer Verpflichtung für das unmittelbar nach außen gerichtete Handeln, das in die Rechtssphäre der betroffenen Personen eingreift. Bei den operativen Einsätzen wird ausschließlich mitgliedstaatliche Hoheitsgewalt ausgeübt, sodass etwaige Beeinträchtigungen der betroffenen Personen auf das mitgliedstaatliche Recht und nicht auf das Unionsrecht zurückzuführen wären. Entsprechend dem Zweck der Unionsgrundrechtsbindung, unionsrechtliche Hoheitsgewalt zu mäßigen und zu disziplinieren, folgt aus der bloßen Koordinierung mitgliedstaatlichen Handelns kein Unmittelbarkeitszusammenhang und damit keine Unionsgrundrechtsbindung. (3) Aufgrund der zwischenstaatlichen Ausrichtung der GASP und Frontex werden die mitgliedstaatlichen Interessen und Ziele nicht zugunsten des Unionsrechts verdrängt, sondern vielmehr parallel zu den unionsrechtlichen Zielen verfolgt. (4) Aufgrund der bloßen verwaltungsorganisatorischen Regelungen und des koordinierenden Charakters liegen bezüglich der operativen Einsätze auch keine spezifischen unionsrechtlichen Regelungen vor. Die für die operativen Einsätze spezifischen Regelungen stammen vielmehr aus dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten. (5) Die EuGH-Rechtsprechung zur Grundrechtsbindung im Rahmen bestehender Umsetzungs- und Ermessensspielräume ist auf die GASP und Frontex nicht übertragbar. Zwar führt die bloße Koordinierung mitgliedstaatlichen Verhaltens zu einem Umsetzungs- und Ermessensspielraum bei den Mitgliedstaaten. Aufgrund der auf die Koordinierung mitgliedstaatlichen Verhaltens begrenzten Kompetenz sind die mit Umsetzungs- und Ermessensspielräumen vergleichbaren Freiheiten auf der mitgliedstaatlichen Ebene jedoch kompetenzrechtlich zwingend vorgegeben. Bei der operativen Ausführung hat die EU somit nicht die Möglichkeit, diese Handlungsspielräume auszuschalten. Die Spielräume sind mithin nicht durch die unionsrechtliche Hoheitsgewalt determiniert, sondern basieren auf einer fehlenden bzw. eingeschränkten Zurücknahme des staatlichen Herrschaftsanspruchs zugunsten der EU. Bei den operativen Einsätzen wird ausschließlich mitgliedstaatliche Hoheitsgewalt ausgeübt. Demgegenüber ist der Zweck der Unionsgrundrechtsbindung eine Mäßigung und Disziplinierung europäischer Hoheitsgewalt. Im Rahmen der GASP und Frontex ist dementsprechend die Rechtsprechungslinie des EuGH anwendbar, die bei lediglich unionskoordinierten Bereichen eine Unionsgrundrechtsbindung ablehnt. cc) Aufgrund des kompetenzrechtlich zwingend vorgegebenen nur koordinierenden Charakters und der bloß verwaltungsorganisatorischen unionsrechtlichen

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4. Teil: Zusammenfassung

Regelungen ist eine Grundrechtsbindung auch nicht zur Wahrung der Einheit, des Vorrangs und der Wirksamkeit des Unionsrechts geboten. 4. Aus der Grundrechtsdiskrepanz zwischen der unionsgrundrechtsgebundenen ersten Stufe und der ausschließlich an die nationalen Grundrechte gebundenen zweiten Stufe folgt, dass die unionsrechtliche Ebene im Rahmen der Schutzpflichtenlehre dazu verpflichtet ist, auf die Mitgliedstaaten zur Einhaltung der Grundrechtecharta einzuwirken. Die Entfaltung von Schutzpflichten dehnt den Anwendungsbereich des Unionsrechts auch nicht über die Kompetenzen der Union hinaus aus. Vielmehr knüpfen die Schutzpflichten an die Koordinierungsbefugnisse der EU an und bewegen sich somit im kompetenzrechtlich zulässigen Rahmen. Insofern ist ein mittelbarer Einfluss der Grundrechtecharta auf die mitgliedstaatliche Ebene festzustellen. Unmittelbarer grundrechtlicher Prüfungsmaßstab der operativen Einsätze bleiben allerdings die nationalen Grundrechte. These 5 Die operativen Einsätze im Rahmen der GASP und Frontex gliedern sich in ein grundrechtliches Mehrebenensystem ein, das neben der Grundrechtecharta und den nationalen Grundrechtsregimen auch aus der EMRK besteht. Während letztere für die EU nur als Rechtserkenntnisquelle heranzuziehen ist, sind die Mitgliedstaaten bei der operativen Ausführung neben den nationalen Grundrechten auch an die EMRK gebunden. Die auf mitgliedstaatlicher Ebene bestehende Grundrechtskonkurrenz zwischen EMRK und nationalen Grundrechten sowie die dabei drohenden Grundrechtskollisionen werden – zumindest in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland – durch das Kooperationsverhältnis zwischen BVerfG und EGMR bewältigt. 1. Das grundrechtliche Mehrebenensystem besteht bei Einsätzen im Rahmen der GASP und Frontex aus den nationalen Grundrechten, der Grundrechtecharta und der EMRK, wobei das extraterritoriale Einsatzgebiet zu beachten ist. 2. Die nationalen Grundrechte entfalten jedenfalls für die Bundesrepublik Deutschland – gegebenenfalls unter Beachtung einiger Modifikationen und Differenzierungen – extraterritoriale Wirkung, sodass eine umfassende Bindung an die nationalen Grundrechte besteht. 3. Neben der Grundrechtecharta und den nationalen Grundrechten ist die EMRK Teil des grundrechtlichen Mehrebenensystems. a) Die EU ist der EMRK nicht beigetreten, sodass keine unmittelbare Bindung der Union an die EMRK besteht. Allerdings ist die EMRK gemäß Art. 6 Abs. 3 EUV und Art. 52 Abs. 3 GRCh als Rechtserkenntnisquelle für die Auslegung der Unionsgrundrechte heranzuziehen, sodass ein mittelbarer Einfluss der EMRK auf unionsrechtlicher Ebene besteht.

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b)  Die Mitgliedstaaten sind als gleichzeitige Konventionsstaaten unmittelbar an die EMRK gebunden. Für die Bundesrepublik Deutschland gilt die EMRK als einfaches Bundesrecht, entfaltet allerdings eine verfassungsrechtliche Bedeutung, indem sie im Rahmen des methodisch Vertretbaren den Inhalt und die Reichweite der Grundrechte des Grundgesetzes bestimmt. c) Mangels unmittelbarer Verpflichtung durch das Unionsrecht und aufgrund der fehlenden Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechtecharta sind im Bereich der GASP und Frontex die Bosphorus-Kriterien des EGMR zur Unanwendbarkeit der EMRK nicht erfüllt. Dementsprechend sind die Handlungen der Mitgliedstaaten trotz koordinierenden unionsrechtlichen Rahmens an der EMRK zu messen. d)  Bei einem gleichzeitigen Handeln im Rahmen einer UN-Sicherheitsrats­ resolution sind die Handlungen der Mitgliedstaaten grundsätzlich ebenfalls an der EMRK zu messen. Nur bei einer besonderen Verantwortung des UN-Sicherheitsrates und des UN-Generalsekretärs ist nach der Behrami u. Saramati-Rechtsprechung des EGMR eine Bindung an die EMRK ausnahmsweise ausgeschlossen. e) Die EMRK kann bei Einsätzen im Rahmen der GASP und Frontex extraterritoriale Wirkung entfalten, sodass die Mitgliedstaaten hinsichtlich des Einsatzgebietes uneingeschränkt an die EMRK gebunden sind. 4. Innerhalb des grundrechtlichen Mehrebenensystems ist im Bereich der GASP und Frontex eine Trennung der Grundrechtsräume festzustellen, wobei auf unionsrechtlicher Ebene ausschließlich die Grundrechtecharta Anwendung findet, während auf mitgliedstaatlicher Ebene sowohl die nationalen Grundrechte als auch die EMRK gelten. Die klassische Mehrebenenproblematik der Grundrechtskonkurrenz und -kollision stellt sich somit nur auf mitgliedstaatlicher Ebene in Bezug auf die nationalen Grundrechte und die EMRK. Diesbezüglich drohende Konflikte werden durch das Kooperationsverhältnis der nationalen Verfassungsgerichte mit dem EGMR vermieden. Dazu tragen insbesondere die Rechtsprechung des BVerfG zur verfassungsrechtlichen Bedeutung der EMRK und die margin-of-appreciation-Doktrin des EGMR bei.

C. Gesamtergebnis Als Gesamtergebnis kann festgehalten werden, dass sich die eingangs aufgestellte These bestätigt, wonach die operativen Einsätze im Rahmen der GASP und bei Frontex einer vergleichbaren Struktur unionskoordinierten operativen Handelns folgen, die zu einer vergleichbaren Grundrechtsbindung beider Bereiche führt. So konnte im Rahmen der GASP und bei Frontex ein zweistufiges System operativen Handelns festgestellt werden, bei dem auf der ersten, unionsrechtlichen Stufe die Willensbildung und Koordinierung angesiedelt ist. Auf der zweiten Stufe erfolgt die operative Ausführung durch die Mitgliedstaaten.

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Zusammenfassung

Auf der unionsrechtlichen Ebene ergab die Untersuchung eine umfassende Grundrechtsbindung nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh. Mangels unmittelbarer Außenwirkung der auf dieser Stufe getroffenen Entscheidungen kommen hier die Unionsgrundrechte jedoch nicht in ihrer subjektivrechtlichen Abwehrfunktion, sondern in ihrer objektivrechtlichen Dimension als allgemeine Wertordnung zum Tragen. Auf der mitgliedstaatlichen Ebene ist eine Bindung an die Grundrechtecharta mangels „Durchführung des Rechts der Union“ gemäß Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRCh zu verneinen. Die Beschlüsse der GASP sowie die im Bereich von Frontex geltenden Verordnungen bilden nur den verwaltungsorganisatorischen Rahmen3 für die operativen Einsätze. Dementsprechend kann die Rechtsprechung des EuGH zur Grundrechtsbindung bei der Durchführung von Verordnungen und Beschlüssen nicht auf die GASP und Frontex übertragen werden. Deshalb wurden aus der Rechtsprechung des EuGH zur Richtlinienumsetzung allgemeingültige Kriterien für das Merkmal der „Durchführung des Rechts der Union“ entwickelt. Diese betreffen den für die Grundrechtsbindung allgemein notwendigen Zusammenhang zwischen den unionsrechtlichen Vorgaben und den mitgliedstaatlichen Handlungen. Unter Berücksichtigung der im Rahmen der GASP und bei Frontex geltenden Besonderheiten, insbesondere des koordinierenden Charakters unter Geltung eines Rückgriffs- und Freiwilligkeitsprinzips, sind diese Kriterien jedoch nicht erfüllt. Letztlich ist deshalb die Bindung der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte im Rahmen der GASP und Frontex abzulehnen. Auf der mitgliedstaatlichen Ebene gelten daher im Rahmen der GASP die nationalen Grundrechte der jeweils beteiligten Mitgliedstaaten und im Rahmen von Frontex die nationalen Grundrechte des Einsatzmitgliedstaates, jeweils unter Berücksichtigung der EMRK.4 Die unterschiedliche Bindung der ersten und zweiten Ebene an die Unionsgrundrechte führt dazu, dass die unionsrechtliche Ebene aufgrund der Schutzpflichtenlehre dazu verpflichtet ist, im Rahmen ihrer „Koordinierungskompetenz“ auf eine Beachtung der Grundrechtecharta durch die mitgliedstaatliche Ebene hinzuwirken und damit für eine faktische Einhaltung der Grundrechtecharta durch die Mitgliedstaaten zu sorgen. Mithin gilt die Grundrechtecharta auf der mitgliedstaatlichen Ebene zwar nicht unmittelbar. Aufgrund der Schutzpflichten kann jedoch von einer indirekten Geltung der Grundrechtecharta gesprochen werden. Gleichwohl ist zu beachten, dass nicht die Grundrechtecharta, sondern die nationalen Grundrechte unter Berücksichtigung der EMRK den alleinigen grundrecht 3

Vgl. Mrozek, Grenzschutz als supranationale Aufgabe, S. 216 ff. Inwiefern die jeweiligen nationalen Grundrechte extraterritoriale Geltung entfalten, ist eine Frage des nationalen Rechts, für die Bundesrepublik Deutschland vgl. etwa BVerfG, NJW 1957, 745 = BVerfGE 6, 290 (Washingtoner Abkommen); BVerfG, NJW 1981, 1154 = BVerfGE 57, 9 (Auslieferungsersuchen); Becker, Grenzüberschreitende Reichweite deutscher Grundrechte, in: Isensee / ​K irchhof, HStR XI, § 240; Nettesheim, Verfassungsbindung der auswärtigen Gewalt, in: Isensee / ​Kirchhof, HStR XI, § 241; vgl. dazu auch das 6. Kapitel. 4

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lichen Prüfungsmaßstab bei der operativen Ausführung durch die Mitgliedstaaten bilden, was beispielsweise bei einer Klage gegen eine operative Handlung eines Mitgliedstaates im Rahmen eines durch die GASP oder Frontex koordinierten Einsatzes relevant wird.

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Sachwortverzeichnis Ad-hoc-Zentren  214 f. Agentur  49, 197 f., 215, 217 f., 220, 222, 224, 226–230, 235 f., 238–241, 243 f., 252–254, 256, 258, 263–267, 272, 274, 280, 291, 293, 296 f., 299, 307–310, 342 f. Åkerberg Fransson  54, 56, 61, 147 f., ­150–152, 155–159, 171 Anschlusszone  232, 244, 246 f. Außengrenzen  36, 140, 197, 204 f., ­207–210, 212–219, 223 f., 226, 230–233, 236 f., 240, 257, 261, 271–273, 289, 342 Außenpolitik  78, 88 f., 97, 109, 128, 144, 162, 166, 288 Bankovic  328 f. Befehlskette  104, 116, 120, 131, 146, 193, 237, 267, 306 f., 341 Behrami u. Saramati  324, 326, 349 Beschluss  55, 91, 95–97, 104–112, 145 f., 166 f., 170–172, 174, 178, 181, 236, 299, 306, 340 Beschlussfassung  106, 108, 110 f., 113, 115, 176, 179, 340 Bosphorus  321–324, 326, 349 CIVCOM  99, 104, 106, 116, 120 f., 129, 131 f., 138, 179, 286, 291, 293, 340, 344 Costa/E.N.E.L.  44, 75 Dano  182–186, 189–192, 278 f., 282 f. Davignon-Bericht 77 Drei-Säulen-Modell  70, 79, 122, 143, 207 Drittstaaten  231 f., 249, 329 Durchführungsbeschluss  94, 98, 110, 129, 306 Durchführung von Beschlüssen  53, 55, 61, 143, 350 Durchführung von Richtlinien 54, 56, 61, 145 Durchführung von Unionsrecht  57–60, 141, 146 f., 151 f., 171, 174, 183, 189, 196, 258, 261, 268, 270, 281, 285, 346

Durchführung von Verordnungen  53–56, 61, 257–259, 338, 350 EAD  99 f., 103, 105 f. EEA  77 f., 81, 204 EGKS  71 f., 74, 78 Einsatzkräfte  97, 113, 115, 118, 120, 132, 137, 139, 145 f., 171–173, 185, 245, 259, 268, 286, 292, 307, 340 f., 346 Einsatzmitgliedstaat  39 f., 226, 228, ­232–249, 251, 253 f., 256, 259 f., 262 f., 265–273, 276 f., 279–282, ­284–287, 291–293, 297, 312–314, ­342–346, 350 Einsatzplan  104, 227 f., 233 f., 236–238, 240, 244, 252–255, 266 f., 269–271, 279, 281, 283, 286, 291, 293, 297, 299, 308 f., 311 f., 343 Einstimmigkeitsfundament  109–111, 163, 167, 178, 340 Einstimmigkeitsprinzip  66, 77, 111, 163, 167, 175, 178, 187, 291, 340 f. EPG  72 f., 76 f., 82, 202 EPZ  77 f., 82, 288 Ermessensspielraum  54 f., 189–193, 221, 282 f., 335, 347 ERT  46, 52 f. ESVP  70, 78, 84–86, 88, 112 EU-Militärausschuss  85, 99, 103–106, 116, 120 f., 129, 131 f., 134–136, 138, 179, 185, 188, 286, 291, 293, 340, 344 EU-Militärstab  85, 99, 103, 105 f., 116, 129, 131 f., 135 f., 138, 179, 185, 188, 286, 291, 293, 340, 344 Europäische Grenz- und Küstenwacheteams  227 EVG  72 f., 76 f., 82, 202 Exekutivdirektor  226–230, 232–237, 240, 252–255, 267, 271, 286, 291, 299, ­308–310, 342, 345 Extraterritoriale Anwendbarkeit  327, 332

Sachwortverzeichnis Fouchet-Pläne 75–77 Freiwilligkeitsprinzip  91, 113–115, 117, 123, 145, 167, 171–173, 180, 185, 189, 263, 266, 271 f., 277 f., 280, 282, ­292–296, 340 f., 343 f., 346, 350 Full command  119 f.

375

206, 213–215, 217–219, 225, 236, 240, 254, 258, 275 f., 282, 290, 294–296, 305, 339 f., 347 Koordinierungsbeamter  228, 253 Küstenmeer  232, 244–246, 248 Luxemburger Kompromiss  76 f., 111

Gemeinsame Aktion  167, 171, 214, 227, 232, 240, 263 f., 290, 299, 306 Grundrechtsbeauftragter  229 f., 252, 310 Grundrechtskollision  332–334, 336, 348 Grundrechtskonkurrenz  332 f., 336, 348 f. GSVP  88, 91 f., 95, 97 f., 104, 108, 112 f., 115, 181, 275 Hernandez  54, 59, 61, 147, 150 f., 155–159 Hirsi  330 f. Hoheitsgewalt  45, 47, 49, 120, 133, 135, 142, 186, 191, 193 f., 200 f., 243, 245, 247, 249, 259, 279, 283 f., 292 f., 296, 311, 314, 321, 327–331, 341, 343 f., 346 f. Hoher Vertreter  99–103, 108, 111, 116, 129 f., 177, 181, 306 Hohe See  244, 247 Initiativrecht  107 f., 113, 176, 210, 234 f., 293 Integriertes Grenzschutzsystem  216, 261, 273–277, 282, 284, 294 f., 342 f. Intergouvernementalität  66 f., 75–81, ­121–123, 219, 287, 295 f., 339 Justiziabilität  124 f., 141, 178 Kommandostruktur  118 f., 133 f., 292 Kommission  47–49, 74 f., 79, 99–101, 107 f., 175–178, 187, 204, 209, 213 f., 221 f., 224 f., 236, 287, 340 f. Kompetenz – Kompetenzübertragung 162 – Kompetenzverteilung  161 f., 165, 168, 171 Konsultationsforum  229 f., 252 f., 310 Koordinierendes zweistufiges System  115, 179, 239, 271, 291 Koordinierung  35, 41, 113, 115 f., 174, ­180–182, 184 f., 190, 192, 194 f., 199,

Margin-of-appreciation-Doktrin 334 Medvedyev  330 f. Mehrebenensystem  35, 41 f., 313 f., 332, 336 f., 348 f. Mehrheitsbeschlüsse  109, 178 Mitgliedstaatliche Ebene  138, 140, 192, 196, 256 f., 285 f., 293, 337, 348, 350 NATO  73, 82, 84 f., 97, 113, 118, 132–134, 324 f., 328 Objektivrechtliche Dimension  297–299, 303 Operational command  119 f., 131, 135 f., 292 f., 325, 341 Operational control  119 f., 131, 136 Operationsbefehlshaber  118–121, 129, ­131–138, 145 f., 172 f., 185, 188, 193, 286, 292 f., 341 Operationskommandeur  120 f., 131 f., ­136–138, 172 f., 293 Operation Sophia  37, 39, 95, 121, 145, 289, 297, 315, 324, 329 f. Operation Triton  33, 39, 232, 289, 338 Operativer Einsatz  36, 82, 94, 115, 125, 194, 225, 228, 230, 236 f., 249, 259, ­270–272, 280, 308, 311, 342, 344 Organleihe  81, 133, 135, 161, 163, 242 f., 245 f., 248 f., 254, 256, 259, 262, ­267–270, 272, 281, 284, 292, 343 Parlamentsvorbehalt  117 f., 145, 340 Petersberg-Aufgaben  82–86, 103, 105, 112 Petersberg-Erklärung 82 PSK  85, 99, 103–106, 115 f., 121, 129, 131 f., 134–138, 172, 179, 188, 192, 286, 291, 293, 297, 299, 306 f., 340 f., 344 Qualifizierte Grenzschutzbeamte  227 f., 238, 252, 254, 263

376

Sachwortverzeichnis

Qualifizierte Mehrheit  76, 96, 109–111, 113, 176 Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts  34, 89, 208 f., 211 f., 216, 219, 222–224, 250, 280, 294, 342 Rückgriffsprinzip  113–115, 117, 123, 132, 135, 167, 171, 180, 185, 263, 278, 290, 292–296, 340 f., 343 f., 346, 350 Schengener Übereinkommen  204–206, 209 f., 218, 288, 342 Schleuser  146, 315, 330 Schleuserkriminalität  33, 37, 39, 145, 289, 316, 338 Schutzpflichten  196, 286, 298–311, 313, 324, 337, 344, 348 Seeaußengrenzen  33, 39, 53, 231 f., ­244–246, 248 f., 258–260, 262, 266, 270, 280, 283, 289, 338, 343 Sicherheit – äußere Sicherheit  34, 223, 289 – innere Sicherheit  34, 223, 289 Siragusa  54, 58, 60 f., 147, 150 f., 155–159 Soforteinsatz  233, 235–237, 240, 263 Soforteinsatz zu Grenzsicherungszwecken ​ 233 Solange I  46 Solange II  47 Souveränität  34, 67–69, 73, 167, 199 f., 280, 338 Supranationalität  63, 66, 78, 169, 295 Tampere  47, 212 Territorialitätsprinzip 314 Themis  33, 40 f., 232, 289, 297, 338 Umsetzungsspielraum  54, 56, 189–193, 282 f., 347

Unionsrechtliche Ebene  116, 196, 239, 285, 291 f., 300, 337, 344, 348, 350 Unmittelbarkeitszusammenhang 148, 150 f., 153–155, 157–159, 174 f., 182, 187–189, 193, 196, 270, 277, 280–283, 285, 345 f. Van Gend & Loos  44, 75 Verpflichtung durch das Unionsrecht ­ 149–151, 153, 155 f., 159–161, 187, 195, 261 f., 268 f., 281, 285, 323, 345, 349 Verteidigung  82, 88, 90–92, 114, 166, 171, 275, 295 Verteidigungspolitik  68, 70, 75, 78, 83 f., 86, 88, 90–92, 94, 112, 114, 166, 275, 295 Vertrag von Amsterdam  83 f., 208, 211, 219, 288 Vertrag von Lissabon  48, 70, 86–88, 91 f., 96, 111 f., 121–123, 143 f., 161, 170, 216 f., 287 f., 339, 341 f. Vertrag von Maastricht  73, 78 f., 82, 96, 206 f. Vertrag von Nizza  86 Verwaltungsrat  225–227, 229 f., 252, 255, 272, 286, 291, 299, 310, 345 Wachauf  46, 51–54, 61 Wahrung der Einheit, des Vorrangs und der Wirksamkeit des Unionsrechts  150, 155, 193, 195 f., 283, 285, 346, 348 Weisungen  105, 120 f., 134 f., 172, 186, 188, 226, 233, 239, 242 f., 253, 268 f., 272, 297, 341 WEU  73, 81–86, 103 Zurechnungssubjekt  81, 130