Im Medienlabor der US-amerikanischen Industrieforschung: Die gemeinsamen Wurzeln von Massenmedien und Bürokratie 1870-1950 9783839435335

Telegrafie, Fotografie, Telefon und Radio sind ihre bürokratischen Konstitutionen nicht mehr anzusehen. Daher geraten di

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Im Medienlabor der US-amerikanischen Industrieforschung: Die gemeinsamen Wurzeln von Massenmedien und Bürokratie 1870-1950
 9783839435335

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Nadine Taha Im Medienlabor der US-amerikanischen Industrieforschung

Locating Media/Situierte Medien  | Band 15

Editorial Orts- und situationsbezogene Medienprozesse erfordern von der Gegenwartsforschung eine innovative wissenschaftliche Herangehensweise, die auf medienethnographischen Methoden der teilnehmenden Beobachtung, Interviews und audiovisuellen Korpuserstellungen basiert. In fortlaufender Auseinandersetzung mit diesem Methodenspektrum perspektiviert die Reihe Locating Media/Situierte Medien die Entstehung, Nutzung und Verbreitung aktueller geomedialer und historischer Medienentwicklungen. Im Mittelpunkt steht die Situierung der Medien und durch Medien. Die Reihe wird herausgegeben von Sebastian Gießmann, Gabriele Schabacher, Jens Schröter, Erhard Schüttpelz und Tristan Thielmann.

Nadine Taha (Dr. phil.) ist im Bereich des Wissens- und Technologietransfers für digitale Transformationen bei der TÜV Rheinland Consulting GmbH tätig. Zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Sonderforschungsbereich »Medien der Kooperation« und Stipendiatin im Graduiertenkolleg »Locating Media«. Gemeinsam mit Sebastian Gießmann wurde sie für den Band »Susan Leigh Star: Grenzobjekte und Medienforschung« mit dem FoKoS-Zukunftspreis für gesellschaftlich und interdisziplinär relevante Forschungsarbeiten ausgezeichnet.

Nadine Taha

Im Medienlabor der US-amerikanischen Industrieforschung Die gemeinsamen Wurzeln von Massenmedien und Bürokratie 1870-1950

Bei der vorliegenden Publikation handelt es sich um eine Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Universität Siegen. Diese Publikation ist am DFG-Graduiertenkolleg Locating Media an der Universität Siegen entstanden und wurde unter Verwendung der dem Graduiertenkolleg von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellten Mittel gedruckt. Zudem wurde die Publikation von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Projektnummer 262513311, SFB 1187 »Medien der Kooperation«) gefördert.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2022 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: »Im Labor von General Electric. Der Industrieforscher Vincent Schaefer bei Experimenten im Mai 1948.« Mit freundlicher Genehmigung des Museum of Innovation and Science, Schenectady, New York Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-3533-1 PDF-ISBN 978-3-8394-3533-5 https://doi.org/10.14361/9783839435335 Buchreihen-ISSN: 2703-0210 Buchreihen-eISSN: 2703-0229 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschaudownload

Inhalt

1 Einleitung | 7 2 Amateurisieren und Professionalisieren George Eastman und die Vereinfachung der Expertenfotografie | 41 3 Bürokratisieren Die Massenmedien der Zweiten Industriellen Revolution | 85 4 Verrechtlichen und justiziabel Machen Das Patent, seine Komplizen und Prüfungen | 119 5 Entwickeln Das projektübergreifende Arbeiten in der Geschichte des Pallophotophones | 155 6 Standardisieren Der 13-monatige Kalender als ›Second Creation‹ | 183 7 Skalieren Die Wolkenfotografie zwischen Industrie- und Militärforschung | 229 8 Epilog | 265 Dank | 273 Archive | 275 Literatur | 285 Abbildungen | 315

1 Einleitung

»One of the characteristics of the Boss was his meticulous and consistent use of Field Notebooks. […] He had devised symbols as a sort of shorthand. Few aspects of a given situation missed his observant eyes and inquisitive mind. A 35mm Leica camera and a pencil completed his field equipment. I copied his techniques and soon found the value of using his methods was inestimable. […] My first Notebook was issued to me on October 14, 1934. It was a large one, 9” x 12” and consisted of 150 pages bound in leather and numbered consecutively. It was completely filled in eighteen months; the final large one extended from July 19, 1948 to my last day at the Research Lab that ended at 3:30 pm, February 26, 1954. During this approximately twenty-year period I filled ten of these large notebooks with observations of experiments and data record. Many of my observations were illustrated with photographs. The notebooks spanned the years without a break. […] It was the practice of the laboratory scientists, initiated probably by Dr. Whitney, that whenever a new phenomenon was encountered some other laboratory coworker would be asked to sign the lab entry with a statement at the end of the lab description of ›Read and Understood‹ with signature and date. This was of course for possible patent protection at some future date. I was fortunate to share my room with Katherine Blodgett. Many of my discoveries – good, bad and indifferent – bear her signature.« 1

Diese Schilderung zum Führen von Labornotizbüchern stammt von dem Wissenschaftler Vincent Schaefer, der im Industrieforschungslabor des Unternehmens General Electric angestellt war. Neben Labornotizbüchern ist zudem von Fotografien und Patenten die Rede. Schaefer bettet diese Medien in den Kontext von vorgesetzten Forschungsmanagern, LaborkollegInnen, einer tadellosen Aufzeichnung, zirkulierenden Kurzschriftverfahren und laboratorischen Experimenten sowie in Daten- und Unterschriftsbekundungen ein. Damit gibt diese Passage bereits Auskunft über die Medienpraktiken, auf deren Grundlage US-amerikanische Forschungseinrichtungen zu Medienlaboren avancierten. In der angeführten Passage zeichnet sich die Praktik des Bürokratisierens und ihre enge Beziehung mit der des Verrechtlichens und justiziabel Machens von erfinderischem Schaffen ab. In der Zeit zwischen 1870 und 1950 formten die »Science- and Technology-based Industries«2 mit hohen Energien diese Praktiken in ihren Medienlaboren aus. So standen die Forschung und Entwicklung von Innovationen, Verfahren der Patentierung oder auch das Qualitätsmanagement und -control1 2

V. Schaefer: Serendipity in Science, S. 91-92. D. Noble: America by Design.

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ling des Personals ganz im Zeichen moderner bürokratischer Praktiken. Ein dokumentlastiger Arbeitsalltag war in den Laboren von DuPont, Kodak, General Electric und der American Telephone and Telegraph Company das Ergebnis. Das vorliegende Buch legt die Geschichte der Medienlabore frei, indem es den Aufstieg der US-amerikanischen Industrieforschung durch seine kostspielig konstituierten und arbeitsintensiv gepflegten Praktiken historisiert.3 Die Verbundenheit zwischen der laboratorischen Arbeitswelt mit bürokratischen, justiziablen und wissenschaftlichen Medienpraktiken nahm auf unterschiedliche Art Gestalt an: Seit der Formierung unternehmensinterner Forschung in den 1870er Jahren eignete man sich mit diesen Praktiken sukzessive die Arbeitsumgebung des Labors an und stimmte sie auf unternehmensinterne wie -übergreifende Infrastrukturen ab. So ist die Infrastruktur der Medienlabore genauso wenig ohne Rechts- und Public-Relations-Abteilungen und Managementhierarchien denkbar wie ohne konkurrierende und kooperierende Unternehmen oder auch Standardisierungs- und patentrechtliche Institutionen. Auch die dynamischen Verdichtungen der Industrialisierung trugen dazu bei, dass sich Praktiken im Zusammenspiel mit Bestrebungen der Professionalisierung und der Profilierung des Labors herausbildeten. Exemplarisch anzuführen ist etwa der Aufstieg des Managerwesens und seine etablierte Forschungsbürokratie in der laboratorischen Arbeitswelt. Die Industrieforschung der Moderne zeichnete sich durch einen ›Arbeitsalltag‹ aus, der sich im gewissem Sinne so wie jeder andere Arbeitsalltag auch gestaltete: Es wurde improvisiert, neue technische Mittel entstanden und in der Zukunft unterlagen diese Mittel anderen Verwendungsweisen als den genuin an3

Bei diesem Vorhaben wird an die praxeologische Wende (›Practice Turn‹) angeschlossen, die derzeit in der Medienforschung spürbar ist. Medien werden nicht mehr als Objekte, Produkte oder Texte untersucht. Mit der Perspektive auf Medienpraktiken stehen demgegenüber ihre Entstehungskontexte, ›Gemachtheit‹ wie auch ihre ›Doings‹ im Zentrum des Erkenntnisinteresses. Eine Vielzahl von Disziplinen wie die Medienwissenschaft, Science and Technology Studies, Soziologie, Geschichtswissenschaft und Ethnologie leisten einen Beitrag zu diesem Projekt, exemplarisch etwa: E. Schüttpelz u.a. (Hg.): Connect and Divide; T. R. Schatzki/K. Knorr Cetina/E. v. Savigny (Hg.): The Practice Turn in Contemporary Theory; B. Bräuchler/J. Postill (Hg.): Theorising Media and Practice; H. Schäfer (Hg.): Praxistheorie; L. Haasis/C. Rieske (Hg.): Historische Praxeologie; C. Bender/M. Zillinger (Hg.): Handbuch der Medienethnographie. Sich im der Untersuchung von Praktiken Medienlabor der Industrieforschung zu widmen, bedeutet, den Handlungsinitiativen nachzugehen, die das angestellte Personal und involvierte Technologien Medien übertrugen oder entzogen. Gleichermaßen gilt es im Gegenzug darzulegen, wie die Medien der laboratorischen Arbeitswelt – z.B. Notizbücher, Reporte, Fotografien, Arbeitsverträge und Patente – Einfluß auf personale und technische Größen nahmen, welche Allianzen und Zerreißproben sie bildeten. Im Sinne der Medienwissenschaftler Erhard Schüttpelz und Sebastian Gießmann wird damit für die laboratorische Medienpraxis danach gefragt, durch welche technischen, personalen, institutionellen und organisatorischen Verkettungen sie erwachsen ist und aufrecht gehalten wird. E. Schüttpelz/S.Gießmann: »Medien der Kooperation«, S. 9.

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visierten. Mit Wilhelm Wundt gesprochen, herrschte in den Medienlaboren der US-amerikanischen Industrieforschung die »Heterogonie der Zwecke« vor.4 Fortlaufende Zweckentfremdungen und Adaptionen wurden im vollen Maße ausgeschöpft. So traten heterogone Innovationskulturen in Erscheinung. Innovationen wurden vom Forschungspersonal antizipiert und prospektiv umarragiert, im Falle juristischer Streitigkeiten mit konkurrierenden Unternehmen gezielt uminterpretiert und von den firmeninternen PR-Abteilungen beharrlich als Pionierleistung vermarktet. Die hier angestellte Untersuchung hat gezeigt, dass die Offenheit technologischer Erfindungsverläufe sich vor allem aus patentrechtlichen und arbeitsorganisatorischen Bedingungen speiste. Nicht allein Innovationstrajektorien der Prototypenentwicklung, die sich entschieden einer ›Schließung‹ und ›Stabilisierung‹ von Medientechnologie verwehrten, stellen dies unter Beweis. Überaus vage formulierte Patente sind als ein weiterer Ausdruck dieser Offenheit anzuführen. Mit vagen Formulierungsweisen weiteten Patentanwälte den rechtlich abgesteckten Schutzbereich von Erfindungen aus. Auf diese Art begegneten Rechtsabteilungen unvorhersehbaren Verwendungsmöglichkeiten mit Potenzialität und Latenz. Wendet man den Blick auf die Medienlabore der US-amerikanischen Industrieforschung, treten zudem die gemeinsamen Wurzeln von Massen- und Telekommunikationsmedien und den Medien moderner Bürokratie ans Licht. Sichtbar wird die gemeinsame Erfindungsgeschichte zum einen in ihrer Wechselwirkung, zum anderen, dass sich diese historischen Wurzeln durch die Industrialisierungsgeschichte Nordamerikas und die Globalisierungsgeschichte zwischen 1870 und 1950 ziehen. Im Kontrast zur »Klassischen Medientheorie« von Marshall McLuhan über Paul Virilio und Jean Baudrillard bis hin zur deutschsprachigen Ausprägung bei Friedrich Kittler müssen vor allem zwei Einsichten herausgestellt werden. Erstens: Die technischen Medieninnovationen der industriellen Moderne sind keineswegs als unabhängige und stabile Einzelmedien zu werten.5 Fotografie und Kinematografie sowie dem Telefon, Radio und Fernsehen sind zwar ihre büromedialen Konstitutionen nicht mehr abzulesen. Jedoch machen die bürokratischen Papierarbeiten ihrer Erfinder die Geltungsbereiche und Reichweiten industrieller Medieninnovationen erst erklärbar. Zum Zweiten: Es mag zwar für eine Reihe von Erfindungen gelten, den Krieg und seine organisatorischen Einheiten, d.h. das Militär, als Auslöser und Beschleuniger technischer Medieninnovationen zu fassen. Verallgemeinunerungen, die jedoch das Militär zum alleinigen Ursprungsort medientechnischer Innovationen deklarieren,6 münden in einer verkehrten historischen Genealogie. Vor der Ausbil4 5 6

W. Wundt: Völkerpsychologie, S. 389. Siehe auch E. Schüttpelz: »Medienrevolutionen und andere Revolutionen«. Vor allem die Medienwissenschaft der 1980er und 90er Jahre hat das Militär derart gerahmt. Stellvetertetend dafür stehen F. Kittler: Grammophon Film Typewriter und P. Virilio: Krieg und Kino.

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dung des »militärisch-industriellen Komplexes« im Zweiten Weltkrieg bleibt das Aufkommen von Telekommunikations- und Massenmedien in erster Linie auf die koordinativen Herausforderungen der expandierenden Geschäftswelt zurückzuführen.7 Grund für diese Entwicklung stellte die wechselseitige Konstitution von Transport- und Medieninfrastrukturen im 19. Jahrhundert dar.8 Eine Antwort auf diese Entwicklung war die Etablierung der Industrieforschung im Bereich des Büromediensektors. Heute zeichnet sich ab, dass die Ökonomie von Gütern und Dienstleistungen ohne die massenhafte Erfindung und Verbreitung von Büromedien nicht denkbar gewesen wäre.9 Es ist daher naheligend, Büromedien selbst als eine Kategorie von (papierbasierten und technischen) Massenmedien zu begreifen, die historisch noch vor den auf Entertainment und Freizeit ausgerichteten Medientechnologien des 20. Jahrhunderts zu situieren sind. Die Rekonstruktion der gemeinsamen Erfindungsgeschichte technischer und bürokratischer Medien fördert also grundlegende Revisionen tradierter medienwissenschaftlicher Gewissheiten zu Tage. Während einzelne Persönlichkeiten in den einschlägigen Medientheorien als ›wahre‹ Erfinder und ihre hervorgebrachten Medientechnologien als ›originelle‹ Innovationen statuiert werden, findet kaum Beachtung, dass Gerichte, Patentämter und industrielle Foschungseinrichtungen samt ihrer Rechtsabteilungen diese Zuschreibungen im Vorfeld determinierten. Aufgrund ortsbezogener Aushandlungen und bürokratischer Tricksereien ist es fehl am Platz, Patente, ihre diagrammatischen Zeichnungen und mathematischen Formeln als verlässliche medienhistorische Quellen anzuerkennen. Diese methodische Herausforderung betrifft die Erfindungsgeschichte von Massen- und Telekommunikationsmedien nicht mehr oder minder als andere patentierte Innovationen der industriellen Moderne. Ergebnis der vorliegenden Untersuchung ist zudem, dass die mediale Größe des Patents über ihre eigene Erfindungsgeschichte verfügt. Ab 1870 nahmen in dieser Geschichte die Science- and Technology-based Industries den Platz von Nassauern ein. Von unternehmerischer Seite war das Patent – später hinzukommend die Gesetzgebung zu Geschäftsgeheimnissen10 – zweifelsohne einer der zentralsten Medieninnovation der Industrialisierung. Wie auch der Technikhistoriker

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Seit der Telegrafie ist die Entstehung einer Vielzahl technischer Medien fernab militärischer Konstellationen im Besonderen und agonistischer Kontexte im Allgemeinen zu erklären. Wollten Unternehmen im Konkurrenzkampf nicht unterliegen und gleichermaßen zur ökonomischen Expansion überleiten, reagierten sie mit der Formierung von Kooperationsverbünden. Während marktbeherrschende Trusts und Kartelle im nordamerikanischen Raum aufstiegen, legten Standardisierungsorganisationen die infrastrukturellen Gleise für eine handeltreibende und logistische Kooperation zwischen Staaten. C. Grandy: »Original Intent and the Sherman Antitrust Act«; M. Vec: Recht und Normierung in der industriellen Revolution. 8 P. Starr: The Creation of the Media; A. D. Chandler: The Visible Hand. 9 J. Yates: Control through Communication; D. Gardey: Schreiben, Rechnen, Ablegen. 10 E. Linek: »A Brief History of Trade Secret Law, Part 1«.

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David Noble darlegte, stellte der Besitz von Patenten die wirkmächtigste ›Waffe‹ gegen die Konkurrenz dar.11 Die Fluten angemeldeter Patente machte es anderen Industrieunternehmen genauso wie vielen Einzelerfindern und Amateuren kaum möglich, am technologischen Fortschritt teil zu haben.12 Trotz der AntitrustGesetzte und eines Patentrechts, das demokratisch dafür einstand, jedem Erfinder den Schutz seines geistigen Eigentums zu gewähren, gelang es Unternehmen, ganze Forschungsgebiete einzunehmen. Forschung und Entwicklung wurde in Privateigentum gewandelt und bei diesem Vorgehen hatten die Science- and Technology-based Industries das Rechtssystem ganz auf ihrer Seite. Möchte man erfassen, wie Massen- und Telekommunikationsmedien auf die Wahrnehmung ihrer Nutzer einwirkten, sind die inkorporierten ›Skills‹ des Mediengebrauchs nicht außer Acht zu lassen. Im Kontext veränderter Mediennutzungspraktiken bilden sie keineswegs eine invariante Größe. Angewandte Skills erklären, auf welche Art technische Medienerfindungen auf die soziale Organisation und die Wertevorstellungen ihrer Nutzer Einfluß nahmen. Vor dem Hintergrund der im 19. Jahrhundert wirkenden Mechanisierungsdynamik verdeutlicht dies die Gewichtung und Entwertung von Handwerkskünsten.13 So kann beispielsweise für die Entwicklung der Laienfotografie festgehalten werden, dass das Medienlabor von Kodak an die Stelle von Handwerkskünsten – ›feine Künste‹, betrieben durch hochspezialisierte Werkstätten und einer gehobenen Amateurschicht – auf Mechanisierung und Massenproduktion setzte. Damit führte Kodak erstmals technisches und wissenschaftliches Können – entgegen aller vorherrschenden Erwartungen an feine Künste – mit konsum- und vergnügungsorientierten Wertevorstellungen zusammen.

DENKIMPULSE Bevor die Medienlabore der US-amerikanischen Industrieforschung nähere Aufmerksamkeit erfahren, sollen all die Disziplinen gewürdigt werden, denen das vorliegende Buch zentrale Denkimpulse verdankt. Das Vorhaben, die Geschichte der Medienlabore der US-amerikanischen Industrieforschung anhand ihrer Praktiken niederzuschreiben, wurde vor allem durch die Science and Technology Studies inspiriert und beeinflusst. Sie befassen sich mit der Geschichte und Ethik von Wissenschaft und Technik wie auch den alltäglichen und allzu menschlich eingefärbten Entstehungsprozessen von ›harten Fakten‹ in der laboratorischen

11 D. Noble: America by Design, S. 110. 12 A. Johns: Piracy, S. 407, 418-419. 13 S. Giedion: Die Herrschaft der Mechanisierung; L. Shiner: The Invention of Art.

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Welt.14 Dennoch stellen ihre praxisorientierten Studien keine medienwissenschaftlichen Forschungen im engeren Sinne dar; sie folgen stattdessen den Erkenntnisinteressen der sie tragenden Fächer wie der Soziologie, der Wissenschaftsforschung und der Technikgeschichte. Daher werden gleichermaßen die lehrreichen Einsichten der Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte, der klassischen Industrieforschungsgeschichte und der Rechtswissenschaften gleichermaßen zu Rate gezogen. Ihre Untersuchungen verfügen zwar nicht über eine praxeologische Perspektive auf die Laborforschung, jedoch bieten sie Erkenntnisse an, die als genuin medienwissenschaftlich zu bezeichnen sind: Aufschlussreich sind sie sowohl für die Karriere von Erfinder-Entrepreneuren als auch für die Tätigkeitsbereiche industrieller Forschungseinrichtungen und aus diesen Konstellationen hervorgegangene Massen- und Telekommunikationsmedien.15 Darüber hinaus steht die Unternehmens- und Bürokratisierungsgeschichte ganz im Zeichen einer medienwissenschaftlichen Auseinandersetzung, wie auch die Professionalisierung des Managerberufs und die Institutionalisierung von Patentamt sowie Standardisierungsbehörden.16 Die Erkenntnisse dieser Disziplinen und eigene archivarische Forschungen erlauben es, Konkretisierungen und Verallgemeinerungen für die aktuelle Medienforschung geltend zu machen. Vice versa gilt es zu erkunden, ob eine medienpraxeologische Perspektive die Untersuchungsfelder und die Geschichtsschreibungen dieser Disziplinen weiterentwickeln und revidieren kann. Zudem wird dieses Forschungsvorhaben von folgenden Fragen bewegt: In welchem Zusammenhang standen die bürokratischen Praktiken industrieller Forschung mit der Geschichte der Massen- und Telekommunikationsmedien? Machte sich der Einfluss von Amateurkulturen in Industrieforschungslaboren bemerkbar? Wie wirkten sich die Forschungsbürokratie und die Patentproduktion auf die Arbeitsbedingungen laboratorischer Einrichtungen aus? Welche Konsequenzen hatte die Kooperation mit dem Militär auf die Industrieforschung? Allgemeiner gefasst: Welche historischen und medientheoretischen Einsichten lassen sich aus der Geschichte der US-amerikanischen Medienlabore gewinnen, wenn man sie im Lichte ihrer Medienpraktiken betrachtet?

14 Allen voran G. C. Bowker: Science on the Run; K. Knorr-Cetina: Die Fabrikation von Erkenntnis; B. Latour/S. Woolgar: Laboratory Life; B. Latour: Science in Action; S. L. Star: Regions of the Mind. 15 T. P. Hughes: American Genesis; T. P. Hughes: Networks of Power; D. Noble: America by Design; D. A. Hounshell: From the American System to Mass Production, 1800-1932; R. V. Jenkins: Images and Enterprise; L. Reich: The Making of American Industrial Research, D. A. Hounshell/J. K. Smith: Science and Corporate Strategy. 16 Für die Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte: J. Yates: Control through Communication; J. R. Beniger: The Control Revolution; A. D. Chandler: The Visible Hand. Brillante rechtshistorische Untersuchungen bieten M. Vec: Recht und Normierung in der industriellen Revolution und A. Pottage/B. Sherman: Figures of Inventions.

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Wird die Geschichte der Medienlabore der US-amerikanischen Industrieforschung durch ihre Praktiken erzählt, treten der Geltungsbereich des Amateurisierens und Professionalisierens, Bürokratisierens, Verrechtlichens und justiziabel Machens, Entwickelns, Standardisierens und Skalierens ans Licht. Zu verstehen sind diese Medienpraktiken als Zeitzeugen einschneidender Wendemarken der Industrieforschungsgeschichte. Triebfedern ihrer Entwicklung waren koordinative Herausforderungen bei firmenübergreifenden und weltwirtschaftlichen Kooperationen sowie Bündnissen mit industriefremden Allianzpartnern. Häufig waren Medienpraktiken für die Macht und Ohnmacht von Unternehmen entscheidend, weswegen sich wandelnde juristische Rahmenbedingungen und ökonomische Expansionen in neue Märkte bzw. unsichere Fahrwasser gleichermaßen ihrer Erscheinung und Ausprägung Kontur verliehen. Das vorliegende Buch ist in mehrere Kapitel gegliedert, die mit den angeführten Praktiken überschrieben sind. Jede dieser Praktiken widmet sich, ausgehend von spezifischen Fallstudien, ortsbezogenen Aktivitäten firmeninterner Wissenschaftler, Forschungsmanager, Rechts- und PR-Abteilungen sowie rechtlichen und staatlichen Institutionen. Der Zugang durch Fallstudien will und kann keine erschöpfende und allumfassende Darstellung bieten. Vielmehr soll auf eine Reihe technik-, wirtschafts- und kulturhistorischer Dimensionen aufmerksam gemacht werden, um jeder dieser Praktiken ihre historische Bedeutung zurückzugeben und sie mit einer medienwissenschaftlichen Rahmung zu versehen. Zu diesem Zweck werden eigenständige Erzählungen zu Forschungsprojekten, Karrieren und Brüchen von Erfindern sowie zu dem Gebrauch von Medien in der laboratorischen Arbeitsumgebung freigelegt. Ihre Anhäufung verdichtet das Bild des nordamerikanischen Medienlabors, sie erschöpft sich aber nicht darin. Obwohl die Ausbildung des ›militärisch-industriellen Komplexes‹ den Schlusspunkt des vorliegenden Buches bildet, ist die Erzählung nicht auf diese gravierende Wendemarke der US-amerikanischen Industrieforschungsgeschichte ausgerichtet. Andernfalls wäre es kaum möglich gewesen, der Vielfalt von Praktiken samt ihren Idiosynkrasien gerecht zu werden. Von der Illusion einer umfassenden, bruchlosen und retrospektiv angelegten Erzählung ist dieses Buch befreit – eine Entscheidung, die getroffen wurde, um den Blick für die konstitutiven Praktiken der Medienlabore von DuPont, Kodak, General Electric und der American Telephone and Telegraph Company zu schärfen.

AMATEURKULTUREN UND IHRE VERDRÄNGUNG IN DEN 1870 JAHREN Das 19. Jahrhundert gilt im nordamerikanischen Raum als die Zeit übermächtig wirkender »System Builder«. Solche Erfinder-Entrepreneure formten ihre Konzerne als soziotechnische Systeme aus, trieben die Entwicklung der Industri-

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alisierung durch technische Neuerungen an und motivierten gesellschaftliche Wandlungen im gewaltigen Ausmaß, wie es der Technikhistoriker Thomas P. Hughes beschreibt.17 Durch die Entwicklung von Produktionsverfahren, neuen und verbesserten Maschinen sowie Massen- und Telekommunikationsmedien verband die US-amerikanische Öffentlichkeit den technischen Fortschritt ihrer Nation mit glorifizierten Erfindern.18 So stand (und steht immer noch) Alexander Graham Bell synonym für die Erfindung des Telefons, Samuel Morse für die Telegrafie, George Eastman für die ›Knipser‹-Kamera sowie Thomas Alva Edison für die Glühbirne wie auch den Phonographen. Diese Art der Glorifizierung trägt im besonderen Maße zur Mythenbildung bei. Das innovative Schaffen einer Vielzahl von professionellen Erfindern und Amateuren gerät genauso in Vergessenheit wie die Parallelität vielerorts aktiver Innovationsherde.19 Dass die ›genialischen Einzelgänger‹ im Zuge der Professionalisierung ihrer erfinderischen Tätigkeiten auf eine teamarbeitsorientierte Industrieforschung setzten, kommt in den mythischen Erzählungen ebenfalls nicht zu Wort. Immense Investitionen in Personal und laboratorische Ausstattung – sprich in die Medienlabore der Industrieforschung – setzten die Fallhöhe für Erfinder in der überaus lebendigen Amateurkultur des 19. Jahrhunderts hoch an. Dass der Werdegang eines Amateurs eng verwoben mit der Mediengeschichte ist, illustriert das Beispiel George Eastmans. Bevor dieser Laien-Fotografie mitsamt des Kodak-Systems etablierte,20 war er selbst Teil einer Amateurkultur in den 1870er Jahren. Das Medium der Fotografie verstand er als anspruchsvolles Hobby. Die Abenteuer mit komplexen fotografischen Verfahren und die Reize des Experimentierens bildeten einen Gegenpol zu seinem professionellen Leben als Buchhalter im Bankgeschäft. Sicherlich ist es aufschlussreich, das Amateursein in den Kontext einer Hobbykultur von ›white collar‹-Angestellten einzubetten. Für sie war ein gewisses Maß an finanziellem Wohlstand und die kostbare und festumrissene Größe der Freizeit bezeichnend – Umstände, die beispielsweise auch Thomas Alva Edison nutzte, um während seiner Zeit als Telegrafist erfinderischen Tätigkeiten nachzugehen. Dennoch vermag die Relation von Freizeit und Arbeit nicht die Natur des amerikanischen Erfindungsreichtums in seiner vollen Gänze zu erfassen. Im Kap. Amateurisieren und Professionalisieren wird illustriert, dass George Eastman genauso wie viele andere Bastler Zeitzeuge eines industriellen Fortschritts war, der maßgeblich durch ein Nützlichkeitspostulat vorangetrieben wurde. Dieses Postulat mündete in der Technisierung und Mechanisierung der Handwerkskünste. Eine wissenschaftshistorische Situierung, wie sie der Industriehistoriker Kendall 17 T. P. Hughes: American Genesis; T. P. Hughes: Networks of Power. 18 Vgl. A. Schüler: Erfindergeist und Technikkritik, S. 22. 19 Eine feinsinnige Ausarbeitung dieser Mythen findet sich bei W. Rammert: Technik aus soziologischer Perspektive, S. 61-62. 20 R. V. Jenkins: Images and Enterprise.

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A. Birr vorlegt, arbeitet heraus, dass science und technology die meisten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts getrennte Karrieren verfolgten. Zum einen gelang es den Naturwissenschaften nicht, ihr Theorievermögen mit einer praktischen Anwendbarkeit zu kombinieren und auf diese Art einen Beitrag zur florierenden Industrie zu leisten. Zum anderen machten sich Klassenunterschiede im soziokulturellen Sinne bemerkbar. Während Wissenschaft das Ergebnis einer belesenen und gut ausgebildeten Aristokratie war, erschlossen mittlere und untere Gesellschaftsschichten durch ihre Nähe zum Handwerk utilitaristisch Technologien.21 Auf Basis dieser Konstellation stand der Erfindungsreichtum ›gewöhnlicher‹ Personen ganz im Zeichen eines rigorosen Pragmatismus. Auf praktische Probleme der professionellen und privaten Alltagswelt reagierte man mit technisch-maschinellen Lösungen. Da wissenschaftliche Theorien keinen Orientierungspfeiler bieten konnten, implizierten die experimentellen Praktiken der agierenden Bastlerkultur eine stets neu zu erprobende trial and error-Herangehensweise.22 Erfinderischen Tätigkeiten nachzugehen, bildete zudem eine Triebfeder für die kreative Aneignung des heimischen Bereichs. Private Räumlichkeiten wurden zur Tüftlerwerkstatt und zum Labor. Amateure profitierten dabei von der wohl etablierten Haushaltsindustrie. So erschien es etwa Amateur-Fotografen als Selbstverständlichkeit, Kochutensilien als laboratorisches Equipment bei der Anfertigung fotochemischer Materialien einzubinden. Zudem eigneten sich heimische Räumlichkeiten für Versuchsanordnungen, weil ihnen bereits eine rationalisierte Arbeitsorganisation eigen war. Der Küchenbereich etwa zeichnete sich durch eine zeitsparende Anordnung des Mobiliars aus. Für den Einzug dieser Arbeitsorganisation in die private Sphäre verweisen die HistorikerInnen Sigfried Giedion und Ellen Plante auf die Autorin Catherine Beecher. Durch ihre Bemühungen, die Wege im Küchenbereich zu minimieren, wurden die zentralen Arbeitseinheiten der Aufbewahrung, Zubereitung und Reinigung zweckdienlich zusammengefasst.23 Während sich Beecher für die Minimierung der Arbeitslast der Hausfrau einsetzte, eroberte eine Bastlerkultur Heim und Herd für ihre experimentellen Arrangements in den 1870er Jahren. Im Rückblick wirkt es tragisch, dass gerade Bastler wie George Eastman, Alexander Graham Bell oder Thomas Alva Edison der Ausbildung ›amateur21 K. A. Birr: »Science in American Industry«, S. 36. Die »applied sciences« – in deren Umkreis neben den Ingenieurswissenschaften auch Chemie und Physik eingemeindet wurden – fanden in Universitäten in den 1870er Jahren erstmals Eingang. Auch die auf angewandte Wissenschaften ausgerichtete Einrichtungen wie das Massachusetts Institute of Technology wurde zu dieser Zeit geründet. Vgl. J. Lieske: Forschung als Geschäft, S. 67-68. 22 Siehe etwa M. Josephson: Edison, S. 9-11. 23 Vgl. S. Giedion: Die Herrschaft der Mechanisierung, S. 557-572; E. Plante: The American Kitchen, 1700 to the Present, insbesondere »Notable Changes: Widespread Use of the Cookstove and Massproduction of Gadgets and Utensils«.

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feindlicher‹ Praktiken Vorschub leisteten, als sie ihre technische Leidenschaft und Affinität zum Beruf machten. So ging die Verdrängung der Amateurkultur mit dem Aufstieg der Industrieforschung Hand in Hand. Unternehmen wie General Electric, Du Pont, Eastman Kodak und die Bell Telephone Company leiteten die Science- and Technology-based Industries ab den 1880er Jahren ein. Es profilierten sich Industriezweige; allen voran die der Chemie, Elektrizität und Telekommunikation und freizeittauglichen Medien. Durch die Kapitalisierung von Forschung und Entwicklung erreichten diese Unternehmen dominierende Marktpositionen und öffentlichkeitswirksames Prestige.24 Wie die Industriehistoriker David A. Hounshell und John Kenly Smith mit prägnanten Worten darlegen: »Science became a part of corporate strategy.«25 In den industriellen Forschungseinrichtungen bildete sich ein Informationsmanagement heraus, das sich auf die Lektüre und Aneignung vielerorts hervorgebrachter Wissensbestände konzentrierte. Als der kommerzielle Wert relevanter Informationen im Bereich wissenschaftlicher Erkenntnisse und der Apparatetechnik zunahm, wurden daher kaum noch handlungsanleitende Ratschläge in den Amateurjournalen geteilt. Für die angeführten Foto-Amateure standen diese Fachzeitschriften jedoch einst für den freien Austausch von Informationen ein. Nicht zuletzt muss durch den Einfluss der Fotoindustrie das normative Wertesystem dieser Amateurkultur ins Wanken geraten sein. Wie die Kunsthistorikerin Miriam Halwani beschreibt, sahen die Amateure in der freien Informationszirkulation die Möglichkeit, ihren Status als Wissenschaftsgemeinschaft legitimieren zu können.26 Wie das Kap. Verrechtlichen und justiziabel Machen illustrieren wird, waren nicht allein Fachjournale oder Handbücher für die Mediengeschichte der Amateurkultur des 19. Jahrhunderts bezeichnend. Mit den sogenannten Patentmodellen stellte man seinen Erfindungsreichtum unter Beweis und verlieh diesem einen materiell-technischen Ausdruck. Wollte der Erfinder im patentrechtlichen Sinne den Schutz des geistigen Eigentums genießen, konnte er den patentrechtlichen Institutionen neben Beschreibungen und -zeichnungen diese Artefakte vorlegen. Bei Patentmodellen handelte es sich um dreidimensionale Miniaturen von Erfindungen. Ihre materiell-technische Gestalt erlaubte es im Patentamt oder im Falle juristischer Streitigkeiten vor Gericht, die Funktionsweise oder die Komponenten von Innovationen eindeutig und unmittelbar zu bestimmen.27 Die Modelle waren ihrer Natur nach weniger eine Kopie der Innovation, da ihnen nur in seltenen Fällen ein lebensgroßes Original vorausging. Sie verfügten über 24 Für eine ausgiebige Rekonstruktion der Kapitalisierung von Wissenschaft und Technologie durch die Science- and Technology-based Industries siehe D. Noble: America by Design. 25 D. A. Hounshell/J. K. Smith: Science and Corporate Strategy, S. 1. 26 Vgl. M. Halwani: Geschichte der Fotogeschichte 1839-1939, S. 20-21, 27-28. 27 Vgl. R. C. Post: »Patent Models«, S. 13; K. J. Dood: »Patent Models and the Patent Law«, S. 234-274.

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den Charakter eines Prototyps, was die immense Bedeutung der Modelle aus Perspektive von Amateuren nachvollziehen lässt. Mit der Abschaffung der Patentmodelle im Jahre 1870 wurde dem unprofessionellen Einzelerfinder der Weg versperrt, sein Erfindungspotenzial und die Schutzwürdigkeit seiner Innovation verständlich qua Modell zu präsentieren.28 Amateure waren meist nicht in der Lage, nebst Patentanmeldungsgebühren weitere finanzielle Mittel, wie etwa die für die Patentformulierung notwendige Bezahlung von Patentanwälten, aufzubringen. Mit der Abschaffung des Patentmodells verschwand nicht nur ein zentrales Medium der Ausdrucksmöglichkeit von Bastlern. Vielmehr leitete ihr Untergang die Verdrängung der Amateurkultur insgesamt ein. Es folgte die sukzessive Professionalisierung von Patentanwälten, Patentprüfern und der Industrieforschung.29 So fällt der Aufstieg des Industrieforschungslabors und der firmeninternen Patentabteilungen nicht nur zeitlich mit der Abschaffung der Modelle in den 1870er Jahren zusammen, sondern ist untrennbar mit einer expandierenden Expertenkultur verbunden. Diese Expertenkultur machte das Patent weniger zum Medium der Innovation, sondern vielmehr zum Medium der Professionalisierung. Keineswegs darf man jedoch der Verführung erliegen, anzunehmen, dass Praktiken der Tüftelei in der Arbeitsumgebung industrieller Forschungslabore keinen zentralen Stellenwert mehr besaßen. In Anschluss an, genauso wie im Kontrast zu Claude Lévi-Strauss Überlegungen zur deutlichen Trennbarkeit von Bastlerkulturen und Wissenschaftsformationen nahmen Industrieforscher die Form von Grenzgängern, von wissenschaftlichen Bricoleuren an.30 Das angestellte Forschungspersonal oszillierte hinsichtlich seiner Wissensbestände und Fertigkeiten zwischen professioneller Universitätsausbildung und kreativem Improvisationstalent. Ebenso wenig war das instrumentelle Repertoire der Industrieforscher an die strikte Zugehörigkeit zu einer laboratorischen Welt gebunden. Obwohl es sich bei den Laboren der Science- and Technology-based Industries um Lokalitäten handelte, die über hochgradig wissenschaftliche und technisierte Apparaturen verfügten, fand in experimentellen Arrangements ein laborfremdes und profanes Instrumentarium seinen Platz (siehe hierzu Kap. Skalieren).

28 Allerdings ging das Patentmodell nicht ohne Widerstand seiner Fürsprecher unter. Selbst nach der gesetzlich verfügten Abschaffung im Jahre 1870 wurden Modelle weitere zehn Jahre informell im Patentamt zur Begutachtung verwendet. Vgl. R. C. Post: »Patent Models«, S. 11. 29 Das professionelle Geschäft mit Patenten wurde zu einer prominenten Rechtstätigkeit im 19. Jahrhundert. Patentstreitigkeiten machten einen enormen Anteil von Bundesfällen zu industriellen Belangen aus. Anwälte sahen daher in dem Geschäft mit dem Erfinderschutz einen sicheren wie auch prestigeträchtigen Berufszweig. Vgl. C. Beauchamp: Invented by Law, S. 6-7. 30 C. Lévi-Strauss: Das wilde Denken, S. 29-31, 308.

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DIE BÜROWELT DER INDUSTRIEFORSCHUNG UND DIE ZWEITE INDUSTRIELLEN REVOLUTION In der Zweiten Industriellen Revolution (1870-1914) etablierten die Science- and Technology-based Industries firmeninterne Labore in beeindruckender Frequenz;31 so etwa die Pennsylvania Railroad Company (1875), General Electric (1896), Eastman Kodak (1880), die Bell Telephone Company (1883) und DuPont (1902).32 Wenngleich System Buildern durch ihren rigoroser Pragmatismus die Entwicklung dieser Konzerne vorantrieben, machten koordinative Herausforderungen darauf aufmerksam, dass es zur Professionalisierung industrieller Forschung auch anderer Qualitäten bedurfte. Die tiefgreifenden wirtschaftlichen und medialen Veränderungen der Industrialisierung machten es unabdingbar, die Welt des Labors mit den Praktiken der modernen Bürokratie zu verbinden. Wieso die professionelle Natur laboratorischer Tätigkeiten einem formular- und dokumentlastigen Arbeitsalltag glich, macht ein Blick in die Wirtschafts- und Sozialgeschichte verständlicher. Im Zuge der Industrialisierung wurden Märkte ihrer lokalen Begrenzung enthoben. Gleichzeitig wuchsen die Absatz- und Produktionsvolumina von Industrieunternehmen enorm an. Ab dem Jahre 1860 stellte sich das ein, was der Wirtschaftssoziologe James Beniger mit der »Kontrollkrise« pointierte: Die Organisationsformen des Manufakturzeitalters konnten mit der Industrialisierung nicht mehr Schritt halten. Unternehmer rangen um die ökonomische Kontrolle über Waren und Dienstleistungen. Ursache dafür war eine Kluft zwischen den technischen Neuerungen – die Distribution durch die Eisenbahn und die Produktionsenergie der Dampfkraft – und bestehenden, informellen Austauschmöglichkeiten. Personal- und Kundenkontakte wurden vor diesem Umbruch durch mündliche und schriftliche Kommunikation reguliert, wobei der Informationsaustausch nicht die Geschwindigkeit von Postkutschen überschritt.33 Um sich dem beschleunigten Takt der industriellen Moderne anzupassen und den koordinativen Herausforderungen gewachsen zu sein, reagierten Unternehmen mit einem Bürokratisierungsschub. Organigramme, Zeitpläne, Reportsys-

31 Für den Zeitraum der Zweiten Industriellen Revolution gibt es eine Vielzahl historiografischer Zugänge. Zur Unternehmens- und Marktorganisation und den hier zu situierenden Beitrag der aufsteigenden Managerhierarchie: A. D. Chandler: The Visible Hand. Weitere Zugänge stellen die Produktionsformen der Taylorisierung und des Fordismus dar; hierzu etwa P. Scranton: Endless Novelty. Die Relevanz der Auswechselbarkeit von Maschinenteilen für die aufkommende Massenproduktion stellt der Technikhistoriker David Hounshell heraus. D. A. Hounshell: From the American System to Mass Production, 1800-1932, S. 1-13. 32 Vgl. L. Reich: The Making of American Industrial Research, S. 58, 142; D. A. Hounshell/ J. K. Smith: Science and Corporate Strategy, S. 2. 33 Vgl. J. R. Beniger: The Control Revolution, S. 6-13; J. R. Beniger: »Communication and the Control Revolution«, S. 11.

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teme und die telegrafische Kommunikation erhielten Einzug in die Industrie. Ihre Apologeten fand die Praktik des Bürokratisierens mit der aufsteigenden Managerklasse. Wie Organisationssoziologin JoAnne Yates beschreibt, verpflichtete diese sich den Idealen des »systematic managements«. Die moderne Unternehmensstrukturierung legt Zeugnis davon ab, dass es der Bürowelt des neuen Führungspersonals gelang, Waren- und Geldflüsse sowie die personellen Aktivitäten untergeordneter Abteilungen zu koordinieren.34 Die Science- and Technology-based Industries blieben von der Kontrollkrise keineswegs unberührt, worauf sich das Kap. Bürokratisieren konzentrieren wird. Ihre offene Flanke bildete die Konsumentenrolle, die sie selbst in der industriellen Geschäftswelt einnahmen. Koordinative Probleme resultierten aus dem national weitreichenden Gütertransport und dem ansteigenden Welthandel.35 Die Vielzahl zirkulierender Materialien genauso wie der Verlust von interpersonellen Vertrauensbeziehungen gestaltete es schier unmöglich, sich vorbehaltslos auf die Qualität erworbener Materialien verlassen zu können. So scheiterte George Eastmans Profilierung in der Fotoindustrie beinahe daran, dass seine Produkte für die Entwicklung von Fotografien untauglich waren. Angesichts eines drohenden Reputationsverlusts war Eastman gezwungen, einen enormen Bestand, der sich in den Händen von Amateuren, Studiofotografen und Händlern befand, zurückzurufen. Wie er später herausfand, war die kurze Haltbarkeit seiner fotosensitiven Emulsionen der minderen Qualität von Gelatine geschuldet, die sein Unternehmen aus England bezog (im Detail im Kap. Amateurisieren und Professionalisieren zu finden).36 Ohne einen Sicherheitsgaranten bestand für die Science- and Technology-based Industries das Risiko, dass eigens angebotene (Medien-)Technologien und Dienstleistungen an Qualität verloren. Schlussendlich legte diese dynamische Verdichtung den Grundstein für die Etablierung der Industrieforschung und damit für die wissenschaftliche Testung und Standardisierung von Metallen, Chemikalien und physikalischen Konstanten. Platziert wurden die Forschungseinrichtungen in den Fabrikanalagen. Von hieraus machten sich die Labore als zentrale Scharniere zwischen Anliegen der Produktion, Distribution und dem Konsum geltend. Um firmeninterne und -übergreifende Eingriffe zu realisieren, trat das industrielle Labor als Entstehungsort seiner eigenen bürokratischen Dokumente in Erscheinung. Das Personal systematisierte und kontrollierte auf diese Art den Austausch von Informationen, so mit der Zulieferindustrie. Als die laboratorische Testeinrichtung der Bell Telephone Company telefonische Gesprächsleistung verbesserte, legte das Personal diverse Standards fest.37 In vielen Laboren 34 J. Yates: Control through Communication. 35 Siehe A. D. Chandler: The Visible Hand, vor allem »Part II: The Revolution in Transportation and Communication«. 36 Vgl. C. W. Ackerman: George Eastman, S. 43. 37 Vgl. L. Reich: The Making of American Industrial Research, S. 142-143.

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kam formulierten Spezifikationen eine tragende Rolle zu; sie gewährleisten Sicherheiten diesseits des bekannten Raums und fernab des vertrauenswürdigen Unternehmerkreises. Neben dem Warenpreis und den Anforderungen an die gewünschte Qualität wurde mit diesen Dokumenten zudem die normative Größe des Vertrauens und der Reputation zwischen Käufer und Verkäufer hergestellt.38 Wie sich abzeichnet, war die Historie der firmeninternen Industrieforschung von Beginn an eng mit dem Vertrauen in ihre bürokratischen Infrastrukturen verbunden. Auf Basis der von ihr verfassten Spezifikationen wurde das ›Qualitätsmanagement und -controlling‹ von Waren und Dienstleistungen realisiert. Nachdem die Industrieforschung auf diese Art ihren ökonomischen Wert unter Beweis stellte, legitimierte sie im beginnenden 20. Jahrhundert kostenintensivere Investitionen in ihre Weiterentwicklung: Das industrielle Forschungslabor wurde zu einer zentralen Unternehmenseinheit mit vornehmlich akademisch geschultem Personal. Angesichts der Personalpolitik nahm die Geschichte der Industrieforschung eine Wendung, die mit einer gewissen Tragik verbunden war. Denn nun nahm das Controlling das wissenschaftliche Personal selbst in das Visier. Archivarische Quellen geben darüber Auskunft, dass die Direktive von DuPont-Managern lautete, ein straff geführtes Reportsystem in die Laborwelt zu integrieren. Ganz im Weberischen Sinne sollte dieses »ohne Ansehen der Person« bzw. auf unpersönliche und formalistische Weise Rechenschaft über Fertigkeiten und Expertisen laboratorischer Angestellter ablegen.39 Kaum verwunderlich erscheint es daher, dass das Bürokratisieren für die Industrieforscher eine spannungsgeladene Bewährungsprobe darstellte. Denn zur Rechtfertigung ihrer kostenintensiven Expertisen waren sie gezwungen, sich der zeitintensiven Papierarbeit zu beugen, die sowohl der Kreativität von Forschung Abbruch tat als auch Kompetenzmissstände offenlegte. Wird noch einmal die Aufmerksamkeit auf die Büromedien der Zweiten Industriellen Revolution gerichtet, erscheint es eindimensional, ausschließlich die Relevanz von Formularen hervorzuheben. Die im Rausch der Mechanisierung befindlichen Amateure und professionelle Einzelfinder leisteten einen erheblichen Beitrag zur Ausstattung der Arbeitswelt des Büros. Exemplarisch anzuführen sind Thomas Alva Edisons erste professionelle Erfindertätigkeiten, die sich auf die bürokratischen Herausforderungen der modernen Geschäftswelt richteten. Edison erfand einen elektrischen Stift, mit dem die Käuferschaft Schablonen für Formulare selbst kreieren konnte. In Kombination mit einer Vervielfältigungspresse waren beliebig viele Kopien etwa von Briefköpfen, Zeitplänen oder Frachtlisten anzufertigen. Im Jahre 1889 verzeichnete die Edisons Electric

38 Mit den Überlegungen zu frühen industriellen Standardisierungen des Technikhistorikers Lawrence Busch lassen sich die Spezifikationen auch als Zertifizierungsinstrument denken. L. Busch: Standards, S. 214. 39 M. Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, S.126.

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Pen & Duplicating Press Company bereits den Verkauf von 20.000 »Edison Mimeographen«.40 Medienhistorisch aufschlussreich ist dieser Ausschnitte, weil er die Interdependenzen zwischen papierenen und mechanischen Medien akzentuiert.41 Sowohl in Unternehmen als auch in Regierungen wuchs der Umfang von Informationen an, die von einem Dokument fixiert wurden. Wie die Sozialhistorikerin Delphine Gardey beschreibt, trug die Mechanisierung von Büroapparaturen zum beschleunigten Rhythmus der Schriftproduktion und -vervielfältigung bei. Ein papierlastiger Arbeitsalltag war genauso Ergebnis dieser Entwicklung wie der Büroangestellte, dessen Köper sich im immer schnelleren Takt der Büromedien bewegte.42 Mehr noch: Das mechanisierte Schreiben genauso wie die papierenen Formulare waren weit davon entfernt, sich lediglich Geltung für das Aufzeichnen und Koordinieren kommerzieller Transaktionen zu verschaffen. Massenhafte Dokumente bildeten eine zentrale Bedingung für eine massenhafte Warenproduktion und den ebenso massenhaften Warenverkehr, wofür die angeführten Spezifikationen nur ein Beispiel sind.43 Die Ökonomie von Gütern und Dienstleistungen wäre ohne die büromedialen Ökonomien nicht denkbar gewesen, weshalb es nahe liegt, Büromedien selbst als eine Kategorie von Massenmedien zu begreifen. Als Massenmedien der Zweiten Industriellen Revolution sind sie zwischen dem Aufkommen der ›penny press‹ in den 1830er Jahren und den auf Unterhaltung und Freizeit ausgerichteten Massenmedien und Telekommunikationstechnologien des 20. Jahrhunderts einzuordnen. Anzumerken bleibt ebenfalls, dass der öffentlich aufgefasste Charakter im Freizeit- und Entertainmentbereich oder die private, heimische und familiäre Nutzung der ›klassischen‹ Massenmedien über ihre eigene massenproduktive und bürokratische Entstehungsgeschichte hinwegtäuscht (dazu auch Kap. Amateurisieren und Professionalisieren). Weil der Fotografie und Kinematografie sowie dem Telefon, Radio und Fernsehen keine industrielle Konnotation mehr abzulesen ist,

40 Vgl. J. E. Cooper: »Intermediaries and Invention«. 41 Jo Anne Yates hält zu dieser wechselseitigen Beziehung fest: »Thus, while technological developments supported the growth of internal communication, that growth in turn encouraged further technological evolution by providing an expanding market for innovations. Finally, new communication genres developed as a product of organizational needs and available technologies. Circular letters, reports, and manuals were shaped by their production and use. [...] [D]evelopments in managerial methods, communication technologies, and communication genres fed on one another in the evolution of the communication system.« J. Yates: Control through Communication, S. Xviii. 42 D. Gardey: Schreiben, Rechnen, Ablegen, S. 87. 43 Ein weiteres Beispiel gibt die Medienhistorikerin Monika Dommann mit dem Frachtbrief, ein Transportdokument des Welthandels, an die Hand: M. Dommann: »Verbandelt im Welthandel«.

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geraten die grundlegenden Praktiken in Vergessenheit, die sie mit anderen industriellen Waren und Gütern gemein hatten.44

DAS PATENTRECHTLICHE UND INDUSTRIELLE RECHTSYSTEM UM 1900 Vor allen zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam die juristische Seite des Erfindens – der Schutz des geistigen Eigentums – einer herausfordernden Aufgabe gleich. Die Schutzdauer vieler Patente lief zwischen 1900 und 1914 aus. Außerdem setzte sich der Sherman Antitrust Act durch, der sich gegen firmenübergreifende Kooperationsformen zur Gründung von Patentmonopolen aussprach.45 Für die Science- and Technology-based Industries stieg die Gefahr, Markanteile an die Konkurrenz mit fortschrittlicherer Technologie zu verlieren.46 Mit dem Ziel Marktverhältnisse zu sichern, setzten Firmen nun auf Innovation und Patentproduktion.47 Auf Basis dieser Manöver avancierten Unternehmen zu einer Quelle patentierbarer Produkte und Prozesse.48 Wie der Wissenschaftshistoriker Geoffrey Bowker beschreibt, gehörte binnen kürzester Zeit die massenhafte Fabrikation von Patenten zu den zentralsten und zeitintensivsten Tätigkeiten der

44 So kann etwa für die Laien-Fotografie bzw. für die Kodak-Kamera festgehalten werden, dass sie dem Vorbild der Güterindustrie folgte. Ihr Konstrukt zeugt von auswechselbaren Einzelteilen, die wie David Hounshell in seiner Studie zum »American System« darlegt, die Massenproduktion von Gütern in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ermöglichte. Hounshell zufolge bestand einer der wenigen Möglichkeiten, Komponenten von Produktionsanlagen und Produkten austauschen oder diese zusammensetzen zu können, im Erzeugen vereinheitlichter Maschinenelemente. Die damit verbundenen Professionalisierungen veränderten das Verhältnis von Arbeit und Skills folgenschwer. Ingenieure, Maschinisten und koordinativ tätige Manager standen auf ein Mindestmaß geschulten Fabrikangestellten gegenüber, die kostengünstig und schnell technische Komponenten montierten. D. A. Hounshell: From the American System to Mass Production, 1800-1932, S. 1-13. 45 Angesichts der Entwicklung marktbeherrschender Unternehmenszusammenschlüsse, welche die Form von Trusts, Monopolen und Kartellen annahmen, kam es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu diversen Protesten von Seiten der US-amerikanischen Öffentlichkeit. Um den nationalen Frieden nicht zu gefährden, wie auch der unternehmerischen Marktmacht Einhalt zu gebieten, bildete die Regierung den Sherman Antitrust Act im Jahre 1890. Er gilt als erste Rechtsgrundlage zur Regulierung des US-amerikanischen Wettbewerbs. Nach der Verabschiedung kam der Sherman Antitrust Act zunächst kaum zur Anwendung. Dies änderte sich sich jedoch mit der Präsidentschaft von Theodore Roosevelt (1901-1909) nachhaltig. Vgl. W. L. Letwin: »Congress and the Sherman Antitrust Law«, S. 235 und C. Grandy: »Original Intent and the Sherman Antitrust Act«. 46 Vgl. J. K. Smith: »The Scientific Tradition in American Industrial Research«, S. 124. 47 Vgl. Reich: The Making of American Industrial Research, S. 3. 48 Vgl. Noble: America by Design, S. 6.

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Industrieforscher – eine Arbeit, die gemeinsam mit der firmeninterne Rechtsabteilung bewältigt wurde.49 Wie das Kap. Verrechtlichen und justiziabel Machen darlegen wird, verpflichtete man sich bei dieser Zusammenarbeit vor allem dem Gebot der Geheimhaltung. Angesichts der konkurrierenden Atmosphäre zwischen den Unternehmen der Science- and Technology-based Industries repräsentierten die Patentschriften sowie die dazugehörigen Zeichnungen ganz bewusst keine getreue Beschreibung der Innovation. Die Formulierung wissenschaftlicher und technischer Errungenschaften blieb demgegenüber vage. Damit unterliefen die auf Intransparenz ausgerichteten Patentformulierungen die Anforderungen des US-amerikanischen Patentrechts. Durch den Schutz des geistigen Eigentums räumte das geltende Patentrecht Erfindern Exklusivrechte über ihre Errungenschaften ein, welches anderen die Nutzung der Innovation für einen gewissen Zeitraum untersagte. Dem patentrechtlichen Ideal nach sollte die Genialität von Erfindern nicht nur diese selbst kommerziell bereichern, sondern der gesamten US-amerikanischen Gesellschaft zu Gute kommen. Nach Verstreichen der Schutzzeit wurde die Innovation zu einem öffentlich-nutzbaren Gut. Der Erfinder wurde deshalb in die Pflicht genommen, nachvollziehbare Schilderungen erfundener Maschinen und Prozesse zur Verfügung zu stellen, die eine Übersetzung in materielltechnische Artefakte erlaubten.50 Aus Sicht der Science and Technology Studies, genauer des Wissenschaftssoziologen Bruno Latour, tat sich eine Kluft zwischen dem Ready Made Patent und dem Patent in Action auf.51 Ersteres statuiert aus juristischer Sicht das sich am Patent abzeichnende Erfindungsreichtum zum öffentlich-nutzbaren Gut. Letzteres verortet das Patent in seinem Entstehungskontext – dem Industrieforschungslabor und den Rechtsabteilungen. Über die Konsequenzen für die medienhistorische Forschung ist nicht hinwegzusehen. Die Glaubwürdigkeit eines Patentes und vor allem seine Qualität als zuverlässige Quelle zur historischen Darstellung der Genese bekannter Mediennovationen sind in Zweifel zu ziehen. Denn die technischen Zeichnungen und Beschreibungen sowie die inhärenten juristischen Argumentationsstrategien legen wohldurchdachte Erfindungen und teleologische, geplante Innovationsprozesse nahe. Weder deuten sie dabei auf ihr Nichtfunktionieren noch auf kontingente Gegebenheiten hin, aus denen die Erfindungen im laboratorischen Kontext hervorgegangen sind. Aufgrund des

49 Vgl. G. C. Bowker: »Der Aufschwung der Industrieforschung«, S. 846, 848. 50 Vgl. C. C. Cooper: Shaping Invention; S. 30; Z. B. Khan: The Democratization of Invention, S. 3; S. Greif: »Patentschriften als wissenschaftliche Literatur«, S. 209. 51 Dieser von Latour vorgeschlagene Perspektivwechsel einer »Ready Made Science« and »Science in Action« ist in seiner Schrift Science in Action (1987) zu finden.

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unternehmerischen Interesses an der Schutzwürdigkeit und Geheimhaltungspolitik hinterlässt ein ›gutes‹ Patent keine Spuren seines Innovationsprozesses.52 Für die medienhistorische Forschung bleibt gleichermaßen zu konstatieren, dass justiziable Aushandlungsprozesse vor Gericht und im Patentamt aus Sicht unternehmerischer Medienproduzenten aus gutem Grunde nicht in den Blick der Öffentlichkeit geraten sollen. So versuchte die Bell Telephone Company – aus der später die American Telephone & Telegraph Company hervorging – in einem Jahrzehnte andauernden Rechtsstreit ein nicht kontroverses Narrativ für die Erfindung des Telefons darzulegen. Dennoch illustriert gerade dieses Beispiel, dass die Geschichte der Medien auch eine Geschichte von Improvisation, Kontingenz, Betrug und Korruption ist (zu den letztgenannten Aspekten siehe auch Kap. Standardisieren). Diese sozialen Dynamiken machen es nachvollziehbar, dass die Referenzketten zu den Tätigkeiten der Industrieforschungslabore und Rechtsabteilungen mit einem hohen finanziellen Investitionsaufwand gekappt wurden. Es erscheint außerdem wenig überraschend, dass die Rechtshistoriker Alain Pottage und Brad Sherman im Allgemeinen für das 19. Jahrhundert feststellen, dass das juristische Konzept von Erfindung einen hohen argumentativen Spielraum bot, der in Aushandlungsprozessen von Patentanwälten maximal (aus)genutzt wurde. Die Klärung des Anspruchs auf die Neuheit einer Erfindung ging sogar mit der Definition dessen einher, was eine Innovation in dem jeweiligen Verfahren bedeutete.53 Es wäre jedoch verfehlt, alleine das Patent als zentralen Akteur des Verrechtlichens erfinderischen Schaffens zu begreifen. Die mit der Zweiten Industriellen Revolution einsetzende Forschungsbürokratie stellte sich zum einen für die Patentanwälte als zentrale Ressource heraus (siehe Kap. Bürokratisieren). Anhand von Reporten, Formularen und Labornotizbüchern gewannen die firmeninternen Anwälte zum einen Einblick in den Innovationsprozess und trieben auf diese Art Patentierungen voran. Zum anderen wurde mit diesen medialen Größen die laboratorische Infrastruktur darauf eingeschworen, vor allem der unternehmerischen Justiziabilität die Treue zu leisten. Dafür zwei Beispiele: Auf Basis von Geheimhaltungsvereinbarungen wurde die Integrität des Personals gewährleistet. Dass die Möglichkeit der Industriespionage trotz unterzeichneter Vertraulichkeitserklärung weiterhin risikoreich eingeschätzt wurde, zeigen etwa DuPonts Bestrebungen, selbst die Face-to-Face Kommunikation fernab des Arbeitsplatzes und nach Feierabend regulieren zu wollen. Während dazu formulierte Regularien dem Schutz patentierbaren Wissens dienten, wurde das Medium des Labornotizbuches samt den beschriebenen experimentellen Geschehnissen und laboratorischen Resultaten bemerkenswerterweise auf die firmenferne 52 Eine ähnliche Diagnose stellt der Wissenschaftshistoriker Geoffrey Bowker, indem er pointiert, dass ein Patent keinen historischen Kontext hat. Vgl. G. C. Bowker: Science on the Run, S. 111-154. 53 Vgl. A. Pottage/B. Sherman: Figures of Invention, S. 3.

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Offenlegung ausgerichtet. Im Falle gerichtlich ausgetragener Streitigkeiten erhielt das Labornotizbuch eine überzeugende Beweiskraft durch das sorgfältige Datieren von Informationen. Erst ein mit Datum versehener, verschriftlichter Gedanke machte den kreativen Schöpfungsmoment des Erfindens glaubwürdig. Denn den Gerichten war mittlerweile bekannt, dass das Eigeninteresse oder die Erinnerung eines Erfinders die Aussage verfälschte bzw. trübte. Von Labormitarbeitern zu unterzeichnende Vertraulichkeitserklärungen und von ihnen äußerst akkurat zu führende Labornotizbücher wie auch strikte Richtlinien für das Publizieren in Fachzeitschriften oder ein Formularmanagement, das ganz im Zeichen einer beweiskräftigen Aktenkundigkeit stand, geben nicht nur über die rechtlich legitimen Praktiken der unternehmerischen Gerichtsbarkeit Auskunft.54 Zugleich tritt hervor, wie sensibel und umsichtig die laboratorische Infrastruktur auf die Prüfungsorte andernorts abgestimmt wurde. Damit gelang es den firmeninternen Patentanwälten, zwischen rechtlich eingeforderter Transparenz und dem unternehmerischen Interesse an Geheimhaltung zu changieren. Das Kollektiv – bestehend aus diesen medialen Größen aber auch aus Patentprüfern, Wissenschaftlern und Firmenanwälten – lässt sich entsprechend als justiziable Komplizenschaft konzeptualisieren. Ob die Komplizenschaft zerfiel bzw. als solche enttarnt wurde, zeigte sich erst im Falle der jeweiligen Prüfung vor Gericht, im Patentamt, im Labor der Konkurrenz oder angesichts der Industriespionage auch im eigenen Unternehmen. Die kollektive Wirksamkeit der Komplizenschaft formte und sicherte die unternehmerische Loyalität und die Kapitalisierbarkeit von Forschung in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Jedoch kommt man nicht ohne ein Wort zu ihrer destruktiven Kraft aus, die diese Bündnisse auf das geltende Patentrecht, die Konkurrenz sowie die Amateurkultur hatten: »Patents petrified the process of science, and the frozen fragments of genius became weapons in the armories of science-based industry«,55 so der Wissenschafts- und Technikhistoriker David Noble. Wahrscheinlich sind die Komplizenschaften und Argumentationsstrategien von Anwälten der Grund dafür, dass im Laufe der Geschichte Verfahren des Patentierens zunehmend klarer formuliert und in juristischer Hinsicht deutlich strikter reguliert wurden. Normen für einzureichende Texte und Zeichnungen werden aktuell derart verfasst, dass sie weniger gegeneinander ausspielbar sind oder sich ambivalent überlagern können.56 54 Das die Geschichte und das Verständnis von Rechtssystemen maßgeblich durch die Beschaffenheit der Aktenführung geprägt wurde, zeigt auf eindrucksvolle Art C. Vismann: Akten. 55 D. Noble: America by Design, S. 110. 56 Die Ansprüche an Patentbeschreibungen sowie die einzureichenden Zeichnungen werden heute haarklein im Manual of Patent Examining Prozedure beschrieben. Der mehrbändigen Text, herausgegeben durch das US Patent and Trademark Office, ist von Patentprüfern genauso wie von Anwälten zu befolgen. Das Manual of Patent Examining Prozedure ist zu finden unter www.uspto.gov/web/offices /pac/mpep/index.html.

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HETEROGONE INNOVATIONSKULTUREN DER 1920ER JAHRE Das Entwickeln absatzfähiger Medien in industriellen Forschungslaboren war auf bemerkenswerte Art darauf ausgerichtet, das Scheitern ihrer Erfindungen in Kauf nehmen zu können. Unbeschadet überdauerten Innovationen geringe Verkaufserfolge oder massenmarkttaugliche Freisetzungen. Angesichts der rasanten und unvorhersehbaren Entwicklung von Massenmedien in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts – man rufe sich hier etwa die Absetzung der erfolgreich geführten Stummfilmindustrie zugunsten des Tonfilms in Erinnerung57 – bildeten firmeninterne Labore durch Robustheit gekennzeichnete Praktiken des Entwickelns heraus. Die Science- and Technology-based Industries waren sich im Klaren darüber, dass das ökonomische Scheitern von Pleitiers und Bankrotteuren insbesondere im Zusammenhang mit Krisen- und Expansionsphasen stand (dazu auch Kap. Bürokratisieren).58 Entscheidungen, die getroffen wurden, um den Einzug der Massenmedien in die Entertainmentindustrie, aber auch in die akademischen Humanwissenschaften und Naturwissenschaften zu erkunden, basierten auf einer offenen, immer nur im Planungsmodus imaginierten Zukunft. Scheitern mag zwar retrospektiv erklärbar sein, ist aus prospektiver Perspektive jedoch nicht immer vermeidbar.59 Im Gegenzug zu solchen Unvorhersehbarkeiten und unsicheren Fahrwassern setzte die Industrieforschung von General Electric auf nie stillstehende Innovationsmotoren wie die projektübergreifende Arbeitsorganisation. Auf ihrer Basis gelang es, den Geltungsbereich einer nur einzigen Innovation in der Entertainmentindustrie, den Humanwissenschaften und den Naturwissenschaften laborexperimentell und sozioökonomisch zu erproben. Die Historie einer solchen Medienerfindung – genauer des sogenannte Pallophotophones – erhält die gebührende Aufmerksamkeit im Kap. Entwickeln. Bei den Forschungsaktivitäten konzentrierte man sich darauf, Klänge und die menschliche Stimme auf filmischem Zelluloidmaterial zu fixieren. Denkbar waren für dieses Verfahren diverse Gebrauchsweisen; so wurde das Pallophotophone im Jahre 1922 zur Programmaufnahme und -wiedergabe des von General Electric etablierten kommerziellen Radiosenders WGY eingesetzt.60 Im selben Jahr äußerten anthropologische Linguisten Interesse an der Apparatur. In diesem Forschungszweig sollte das Pallophotophone metrologische Zwecke erfüllen 57 58 59 60

Etwa D. Gomery: The Coming of Sound; A. Millard: America on Record. Vgl. I. Köhler/R. Rossfeld: »Bausteine des Misserfolgs« S. 15. Vgl. R. Bauer: Gescheiterte Innovationen, S. 312. Das Unternehmen bot der US-amerikanischen Öffentlichkeit qualitativ hochwertige Programme an, um den Verkauf von Empfangsgeräten der (mitinitiierten) Radio Corporation of America zu fördern. Vgl. D. R. Headrick: The Invisible Weapon, insbesondere das Kapitel »The Radio Corporation of America«; J. Schneider: »General Electric's Trio of Pioneer Radio Broadcast Stations«; R. Kelly/J. Gabriel: Capital Region Radio.

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und bei der Sprachaufzeichnung und -analyse der aus Guatemala stammenden Kultur der Quiché dienlich sein.61 Das Unterfangen, die Apparatur nachhaltig in den Humanwissenschaften zu platzieren, scheiterte genauso wie der Folgeversuch, mit dem Pallophotophone ab 1927 in der Hollywoodindustrie den Tonfilm zu etablieren. Es bedurfte weiterer Anläufe anderer Unternehmen wie der Radio Corporation of America und der RKO Pictures Inc., bis das Pallophotophone Anwendung in den US-amerikanischen Kinotheatern fand.62 Die Medienerfindung überdauerte ebenfalls Wissenschaftlergenerationen. Fortan oblag es einer neuen Generation, einen Brückenschlag zwischen der Industrieforschung und universitären Naturwissenschaften zu realisieren. So versuchte man sich im Jahre 1929 an der Einführung von Lehr- und Bildungsfilmen, die Wissenschaftler bei experimentellen Versuchsanordnungen zeigten. Medienwissenschaftlich bemerkenswert an dieser abenteuerlich anmutenden Erfindungsgeschichte ist, dass die Frage, wofür das Medium geeignet sei, von der Industrieforschung kontinuierlich gestellt, jedoch nie endgültig beantwortet worden ist. Das erfinderische Schaffen verwehrte sich entschieden einer Vorstellung von Medien, die sich durch eine eingeschriebene Zweckspezifik konturieren ließen und potentiellen Kunden eine konkrete Gebrauchsweise vorgaben. Demgegenüber zeichnete sich das projektübergreifende Entwickeln von Technologien in erster Linie durch seine heterogone Innovationskultur aus – eine Triebfeder, wie sie auch Erhard Schüttpelz für die historische Genese von Medien akzentuiert.63 Herauszustreichen bleibt die durchaus beabsichtigte vorläufige Natur der Zwecke, durch die ein Medium das Potenzial barg, sich sowohl als Tonfilminnovation in der Hollywoodindustrie als auch als messapparative Apparatur in der Anthropologischen Linguistik geltend zu machen. Vor dem Hintergrund der firmeninternen Forschungsbürokratie sowie der gedrängten und massenhaften Patentfabrikation, die beide den laboratorischen Alltag durchdrangen, erscheint die heterogone Innovationskultur ebenso überraschend wie sinnvoll. Die laboratorischen Angestellten verfügten über ausreichend kreativen Spielraum bzw. Forschungsfreiheit, um die Potenziale des Mediums auszuloten. Selbstredend gewährte General Electric diesen Freiraum nicht, ohne auf den eigenen Vorteil bedacht zu sein. Man bemächtigte sich in gewisser Weise der Offenheit der Entwicklungswege, um epistemische und kommerziali-

61 Forschende der Anthropologischen Linguistik widmen sich dem Sprechen im kulturellen Kontext und der Analyse von indigenen Sprachen. B. Malinowski: »Classificatory Particles in the Language of Kiriwina«, S. 78; E. L. Mills (Hg.): The Papers of John Peabody Harringtan in the Smithsonian Institution 1907-1957. Siehe auch B. Hochman: Savage Preservation. 62 Vgl. D. Gomery: The Coming of Sound, S. 61-87; T. Lewis: Empire of the Air. 63 E. Schüttpelz: »Elemente einer Akteur-Medien-Theorie«, S. 32. Siehe in diesem Kontext auch Wilhelm Wundts Verständnis der Heterogonie von Zwecken. W. Wundt: Völkerpsychologie, S. 389.

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sierbare Mehrwerte zu gewinnen, die sich aus zu stark kontrollierten und teleologischen Innovationspfaden schwerlich ergeben hätten. Das heterogone Entwickeln mitsamt seiner Gabelungen und Holzwegen wiederspricht der noch heute weit verbreiteten Vorstellung, dass erfinderisches Schaffen zielgerichtet, sequenziell und linear verläuft. Dieser idealisierten Vorstellung nach werden Ideen in der Grundlagenforschung generiert, gefolgt von der angewandten Entwicklung von Prototypen. Schlussendlich mündet der Innovationsprozess in der marktorientierten Diffusion von Technologien. Wenngleich das »Linear Model of Invention« vielfach von technikhistorischer und wissenschafspolitischer Seite wiederlegt worden ist,64 hält es sich Benoît Godin zufolge aufgrund von statistischen Notwendigkeiten hartnäckig. Die von der Organization for Economic Cooperation and Development entwickelten Leitfäden zur statistischen Ressourcenberechnung wie der Kostenzuordnung von Wissenschaft und Technologie bedingten die Verbreitung des Models im nordamerikanischen Raum. Selbst heute noch wird das ›linear model‹ in universitären Studiengängen unterrichtet, in denen das industrielle Forschungsmanagement zum Curriculum gehört.65 An dieser Stelle bleibt mit den Public-Relations-Abteilungen der Science- and Technology-based Industries auf einen weiteren zentralen Knotenpunkt industrieller Forschungsarbeiten aufmerksam zu machen. Sie sind die Verwalter eines Innovationsmythos, durch den sich zumindest der Glaube an ein teleologisches Erscheinungsbild industrieller Forschungsaktivitäten in der US-amerikanischen Öffentlichkeit in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts verbreitete (siehe auch Kap. Amateurisieren und Professionalisieren wie Kap. Skalieren). Ihre ex post behaupteten teleologischen Verläufe in der Zeitungspresse und bei öffentlichen Demonstrationen standardisierten die Genialitätsdarstellung erfinderischen Schaffens. Fortwährend wurde der US-amerikanischen Öffentlichkeit vermittelt, dass sie Zeitzeugen von Pionierleistungen waren, die aus einem arbeitsintensiven, kontinuierlichen und zielgerichteten Innovationsprozess resultierten. Vorangegangene Gebrauchszuschreibungen wurden bei der Bewerbung von Technologien mit der Intention totgeschwiegen, den Erfindungen auf dem jeweiliganvisierten Absatzmarkt und auch im Sinne der patentrechtlichen Verwertung einen integritätssichernden Neuanfang zu ermöglichen.

64 N. Rosenberg: Exploring the Black Box, S. 139; U. Wengenroth: »Science, Technology, and Industry in the 19th Century«; R. A. Pielke/R. Byerly: »Beyond Basic and Applied«; T. J. Misa: »Beyond Linear Models«. 65 Vgl. B. Godin: »The Linear Model of Innovation«.

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DIE STANDARDISIERUNG DER WELT: BÜROKRATIE UND COMPUTING IN DEN 1930ER JAHREN Um 1900 war ein inflationärer Anstieg von Projekten zu verzeichnen, die keinen geringeren Geltungsanspruch als die Vereinheitlichung der Welt besaßen. Projekte wie Flemings Durchsetzung einer Welt-Zeit, die Zirkulation von Welt-Geld und die Standardisierung nationaler Maßeinheiten in einem globalen Format traten in einer bezeichnenden Dichte in Erscheinung, wie der Medienwissenschaftler Markus Krajewski darlegt.66 Diese »Weltprojekte« sind als Teil der Industrialisierungs- und Globlalisierungsgeschichte zu werten. Ihre historischen Wurzeln reichen nicht grundlos bis in die 1870 Jahre zurück. Denn sie stellen die Antwort auf Benigers diagnostizierte Kontrollkrise im Bereich internationaler Kooperationen und hier anschließender weltwirtschaftlicher Operationen dar. Staaten und die Industrie reagierten auf den grenzüberschreitenden Warenverkehr und die zunehmend verflochtenen Finanzmärkte mit einer Vielzahl von Standardisierungen, so der Rechtshistoriker Miloš Vecs. Auf der Grundlage unternehmensübergreifender technischer Normierungen, nationaler Gesetze oder mit der Bildung internationaler Verwaltungsunionen, etwa dem Weltpostverein, wollte man die zwischenstaatliche Zusammenarbeit realisieren.67 Mit Blick auf die Aktivitäten eines aus dem eigens formierten Firmengeschäft zurückgezogen Erfinder-Entrepreneurs ist der angeführten Liste ein weiteres »Weltprojekte« hinzuzufügen: Im Jahre 1923 beschäftigte sich der 68-jährige George Eastman mit der kalendarischen Zeit,68 woraus einer der denkbar größten Standardisierungsprojekte erwuchs: die Reformierung des Gregorianischen Kalenders. Eastman trat als System Builder par excellence in Erscheinung und versuchte, seinen bisherigen Erfolg in der Fotografiebranche zu übertrumpfen. Wie das Kap. Standardisieren im Detail rekonstruieren wird, visierte Eastman als System Builder im Sinne des Technikhistorikers Thomas P. Hughes die Erzeugung einer modernen-industriellen Welt an.69 Mit der Setzung eines Kalenders, der vornehmlich den Erfordernissen der Geschäftswelt zu Gute kam, wollte er eine second creation einleiten, die in der Formierung einer rationalisierten und ökonomisch berechenbaren Welt mündete.70 Gleichermaßen handelte es sich bei 66 M. Krajewski: Restlosigkeit, S. 12. . 67 Eine Vereinbarung über Kommunikationstechniken mit dem Welttelegrafenvertrag (1856) und ein Abkommen für einen vereinheitlichten Briefverkehr (1874) waren genauso das Ergebnis wie ein beschlossenes naturwissenschaftliches Maß bei der Meterkonvention (1875). M. Vec: Recht und Normierung in der industriellen Revolution. 68 Vgl. E. Brayer: George Eastman, S. 497-499. 69 T. P. Hughes: American Genesis. Für das beschleunigte Zeitbewusstsein der industriellen Moderne siehe Nina Degele und Christian Dries Modernisierungstheorie (2005), S. 165. 70 Genauer: Eastman nahm sich in Zusammenarbeit mit der International Fixed Calendar League, dessen Vorsitzender Moses B. Cotsworth einen solchen Kalender konstruiert

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dem Reformvorhaben um eine ›historische Chance‹. Denn auch aus staatlichen, handelswirtschaftlichen und wissenschaftlichen Zirkeln wurde der Ruf nach einer kalendarischen Zeit laut, die sich im Takt einer ›modern-industriellen Welt‹ bewegte. Die ungleiche Dauer einzelner Jahreseinteilungen und die jährliche Veränderlichkeit des Gregorianischen Kalenders verursachte Probleme bei statistischen Aufstellungen und buchhalterischen Tätigkeiten. Angesichts dieser berechnungsbedingten Problemstellungen nahm sich der Völkerbund dem Reformvorhaben mit einer internationalen Ausschreibung im Jahre 1927 an. Für die Mediengeschichte ist die Reformbewegung vor allem deswegen bedeutsam, weil sie den bürokratischen Herausforderungen und den vorherrschenden Kontrolkrisen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts Kontur verleiht. Obwohl mit der Industrialisierung ein spezialisiertes Verwaltungspersonal erwachsen ist, gestaltete der Gregorianische Kalender die Buchhaltung und Gehaltsabrechnung in Industrieunternehmen, die Massenkalkulation in Geldinstituten und die Terminierung und Statistikerstellung in staatlichen Administrationen personal-kostspielig, zeitintensiv und kompliziert. In Anlehnung an den Soziologen und Computerwissenschaftler Kjeld Schmidt bleibt herauszustreichen, dass die Kapazitäten »menschlicher Computer« durch den Gregorianischen Kalender überlastet waren. Vielerorts verstand man es als unabdingbar, einen Kalender einzuführen, der eine berechnungsbedingte Vereinfachung ermöglichte.71 Aber welche Einsichten halten die bürokratischen Berechnungspraktiken außerhalb laboratorischer Einrichtungen nun für die Science and Technology Studies bereit? Die geforderte Simplifizierung legt Zeugnis darüber ab, dass die zeitbezogene Metrologie nicht allein als eine in Sternwarten ausgeübte Tätigkeit von Astronomen zu werten ist. Anders als es die Science and Technology Studies zugunsten der (omnipotent anmutenden) Wirkmächtigkeit von Laboren deklarieren,72 geraten Mess- und Rechenpraktiken als Arbeitsbereiche von Unternehmen und Regierungen in den Blick. Diese Aufwände erklären, wieso vor allem hatte, dieses Projektes an. Der von Cotsworth entwickelte »International Fixed Calendar« oder »Ewige Kalender« beinhaltete 13 Monate á 28 Tage. Die 13te Einheit resultierte aus der Streichung des 29., 30. und 31. Tags eines jeden Monats des Gregorianischen Kalenders. Seinen Platz sollte der auf diese Art konstruierte Monat zwischen Juni und Juli erhalten. Auf Basis der uniformen Monatsdauer konnte jeder Wochentag in einem fixen Verhältnis zu einem Datum stehen. Eine solche Fixierung schaltete die Varianz nicht nur zwischen den Monaten eines Jahres aus, sondern genauso zwischen den verschiedenen Kalenderjahren. So fiel der 7. April zum Beispiel jedes Jahr aufs Neue auf einen Samstag. 71 K. Schmidt: »Von niederer Herkunft«, S. 140-157. 72 Vor allem die Laboratory Studies der internationalen Wissenschafts- und Technikforschung schreiben Laboratorien eine immense Macht zu und dramatisieren sie dort: Zuvor getrennt operierende Universen von Naturgewalten, Regierungen, Industrien und Gesellschaften werden im laboratorischen Mikrokosmos domestiziert und wechselseitig aneinander angepasst, worauf Expansionsbewegungen in die Welt einen von »metrological chains« durchdrungenen laboratorischen Makrokosmos schaffen. So etwa bei B. Latour/S. Woolgar: Laboratory Life und B. Latour: Science in Action.

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ökonomische und staatliche Akteure als Initialzünder etwa auch bei Standardisierung der Uhrzeit auf den Plan traten.73 Mit dieser Akzentuierung soll der Relevanz wissenschaftlicher Lokalitäten keinesfalls Abbruch getan werden. Eine Relativierung bleibt jedoch unabdingbar. Die Aufgaben in Wissenschaft und Bürokratie stellen zwei Seiten ein und derselben Medaille dar. In erster Linie bleiben die Formen bürokratischer Zeitmessung in staatlichen und industriellen Einrichtungen dabei der History of Computing zuzuordnen. Dieser Forschungszweig rekonstruiert den Aufstieg des Computers, durch die Praktiken des Berechnens, Koordinierens und Verwaltens. Damit konzentriert sich die History of Computing auf solche Praktiken, die ab der Zweiten Industriellen Revolution eine Grundlage moderner Bürokratie bildeten und die der Computer noch heute in sich vereint (siehe Kap. Bürokratisieren). 74 Offensichtlich wurde das Reformvorhaben nicht in die Tat umgesetzt. Während die Reformverfechter für eine Modernisierung plädierten, schädigte aus Perspektive jüdischer und christlicher Instanzen eine solche Standardisierung zutiefst die Integrität der göttlichen Schöpfungsgeschichte. Der von Eastman umfangreich beworbene Standardanwärter, der »International Fixed Calendar«,75 sah die Ergänzung eines zusätzlichen Tages vor, was zum Bruch eines 7- tägigen Wochenzyklus führte. Bei Rabbinern in Europa und den USA sowie bei Geistlichen der Seventh Day Adventist- und Seventh Day Baptist Churches löste dies eine Welle der Empörung aus. Zur argumentativen Untermauerung beriefen sich die Kritiker auf keine geringere Schrift als die Bibel. Denn die 7-tägige Woche besaß dem Alten Testament zufolge den Status eines göttlichen Werkes. Eindimensional wäre es daher, den Kalender allein auf ein astronomisches und bürokratisches Rechenmedium von Staaten, Unternehmen und Kirchen (wie die Terminierung des christlichen Osterfests darlegt) zu reduzieren. Religiöse Festtage mitsamt der Schöpfungsgeschichte sind in den Kalender eingeschrieben. Das Verschieben, Hinzufügen oder Fixieren von zeitlichen Einheiten für einen 73 P. Galison: Einsteins Uhren, Poncarés Karten, S. 97-106; A. D. Chandler: »The Railroads«. Außerdem ist auf den Sammelband Kulturtechniken der Synchronisation (2013) von Christian Kassung und Thomas Macho hinzuweisen, der anhand sozialer und apparativer Dimensionen, Synchronisationen als Kulturtechnik zur Geltung zu bringt. Die Reaktion der US-amerikanischen Öffentlichkeit auf die Synchronisierung der Uhrzeit wird im Detail beschrieben von C. E. Stephens: On Time, insbesondere »Synchronizing Time 1880-1920«. 74 G. C. Bowker: »Information Mythology and Infrastructure«, S. 213. Ruft man sich das Jahr-2000-Problem in Erinnerung, treten die bürokratischen Wurzeln des Computers hervor. Die programmiertechnische Behandlung von Jahreszahlen als zweistellige Dezimaleinheiten sollte zur Jahrtausendwende Betriebssysteme zum Absturz bringen. Bei der Fehlerbehebung fügte man nicht nur zuvor ausgelassenen Ziffern hinzu, sondern passte zudem nicht vollständig der kalendarischen Schaltjahr-Regelung entsprechende Berechnungsformeln an. Universität Wuppertal: »Noch 99 Tage... das ›y2k-Problem‹«. 75 Zur Einhaltung der aus der Natur gegebenen planetarischen Verlaufsbahn der Sonne und der astronomischen Berechnung eines Sonnenjahres wurde im Kalender ein zusätzlicher Tag (zwei im Falle eines Schaltjahr) hinzugefügt.

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ökonomischen Kalender barg daher das Risiko, die Ordnung der Welt für Juden und Christen zu zerreißen. Bei der abschließenden Internationalen Konferenz des Völkerbundes in Genf im Jahre 1931 kamen viele religiöse Organisationen zu Wort.76 Auf ihre Glaubensbekenntnisse ist auch das Scheitern dieses Weltprojektes zurückzuführen. Damit erfuhr die Genesis als Ursprung des System Buildings durch die Größe Gottes Anerkennung. Obwohl das kalendarische Standardisierungsprojekt auf internationaler Ebene scheiterte, konnte Eastman nicht davon ablassen, den Kalender in seinem eiegnen Reich, der Kodak Company, einzuführen. Er wurde im Zeitraum zwischen 1928 bis 1989 in der Buchhaltung genauso wie in der Fabrik genutzt. Denn laut dem Medienhistoriker John Durham Peters mag jede Religion zwar ihren eigenen Kalender haben, aber jeder Kalender hat auch seine Religion – auch wenn diese sich hauptsächlich säkularen Gründen verpflichtet fühlt.77

MILITÄR- UND INDUSTRIEFORSCHUNG IM KALTEN KRIEG Das letzte Kapitel dieses Buches wird sich wieder auf die Lokalität des Labors konzentrieren und sich der Ausweitung personaler, technischer und medialer Größenordnungen der Industrieforschung und damit der Praktik des Skalierens widmen. Gewissermaßen trieben Maßstabswechsel die Science- and Technologybased Industries seit ihrer Entstehung an und zogen sich durch ihre Geschichte bis ins 20. Jahrhundert. Exemplarisch für den Wechsel von einem Mikro zu einem Makro sind metrologische und bürokratische Standardisierungen im Bereich staatlicher und industrieller Kooperationsverbünde anzuführen (Kap. Bürokratisieren sowie Standardisieren). Eine Wendemarke, die vor allem mit Blick auf die säkularen Beweggründe von Forschung gravierender nicht hätte sein können, erfuhr die Praktik des Skalierens jedoch durch die Kooperation von Militär- und Industrieforschung. Seit dem Zweiten Weltkrieg war der »militärisch-industrielle Komplex« der USA geprägt durch die investitionsintensive staatliche Finanzierung von Forschung und Entwicklung. Das Manhattan-Projekt zum Bau der Atombombe ist dafür ein prominentes Beispiel.78 Die Folgeentwicklung des Konglomerats bestehend aus Militärapparaten, Rüstungsindustrien und intellektueller Wissenschaftsunterstützung erreichte im Kalten Krieg erneut einen Höhe-

76 R. Richmond: Time Measurement and Calendar Construction, S. 19-20. 77 J. D. Peters: »Calendar, Clocks, Tower«, S. 31. 78 C. C. Kelly (Hg.): Remembering the Manhattan Project; R. H. Howes/C. Herzenberg: Their Day in the Sun; B. C. Reed: The History and Science of the Manhattan Project.

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punkt.79 Die Hoffnung blühte auf, atmosphärische Gewalten im Rahmen der Wettermanipulation militärisch nutzbar zu machen.80 Mit der Absicht, das Wetter auf Basis von Chemikalien als Allianzpartner gewinnen zu können, ging das amerikanische Militär eine Kooperation mit dem Unternehmen General Electric ein. Hieraus erwuchs das Forschungsvorhaben Project Cirrus (1947-1952).81 Während sich aus Perspektive der Industrieforschung die Tür zu personellen, logistischen und materiellen Ressourcen für eine großangelegte Feldforschung öffnete, hofften die militärischen Projektbeteiligten der U.S. Army Signal Corps und der Geophysikabteilung des Office of Naval Research,82 artifiziellen Niederschlag als Waffe der Kriegführung im Kalten Krieg nutzbar machen zu können. So streicht es auch der Wissenschaftssoziologe James R. Fleming heraus. Mögliche Eingriffe in das Wetter, wie etwa das Freisetzen atmosphärischer Gewalten gegen den Feind und das Verbinden des Abregnens von Wolken mit chemischen, biologischen und radiologischen Agenten, nahmen enormen Einfluss auf die damalige Szenarienentwicklung.83 Welche Tragweite die Ausbildung des militärisch-industriellen Komplexes auf die Industrieforschungsgeschichte hatte, lässt sich insbesondere an den Konsequenzen auf Kreativitätsspielräume ablesen. Im Zuge übertragener juristischer Haftbarkeitsverantwortungen und Vollmachten des Unternehmens an das Militär kam es zum Verlust experimenteller Freiheiten, Verantwortungsautonomien und von Partizipationsrechten.84 Aus dem Bündnis resultierte gewissermaßen ein neues Arbeitnehmerprofil: Man manövrierte den Industrieforscher in eine Ratgeber- und Beobachterposition und machte ihn zum Beiwerk seiner eigens initiierten Forschungsprojekte. Gezielt wollte man den wissenschaftlichen Bricolagen und unermüdlichen Improvisationen der Forscher Einhalt gebieten. Bis dato zeichnete sich im Sinne der Wissenschaftssoziologin Karin Knorr-Cetina die laboratorische Forschung vor allem durch solche produktiven ›Verunreinigungen‹ des Wissenschaftlichen aus. Soziale Kontaminationen dieser Art wurden 79 J. l. Clayton: The Economic Impact of the Cold War; S. Melman (Hg.): The War Economy of the United States; K. L. Nelson: The Impact of War on American Life; H.-D. Meier: »Der Militärisch-Industrielle Komplex«. Medienwissenschaftliche Beiträge zur Aufarbeitung des Kalten Kriegs finden sich in L. Nowak (Hg.): Medien – Krieg – Raum. Siehe auch J. Schröter: »Technik und Krieg«. 80 Dieses Vorhaben motivierte eine Vielzahl institutioneller Verschmelzungen von Militär, Regierung, Naturwissenschaften und Ingenieurswissenschaften. Siehe C. A. Miller/ P. N. Edwards: »Introduction: The Globalization of Climate Science and Climate Politics«. 81 Vgl. B. S. Havens/J. E. Jiusto/B. Vonnegut: Early History of Cloud Seeding. 82 Vgl. V. Schaefer: Serendipity in Science, S. 128; Anonymus: »Thinking Outside the Cold Box«. Ein von General Electric zur Verfügung gestellter Film, der das Experimentieren mit der Gefriertruhe zeigt, ist unter folgendem Link aufrufbar: http://www.gereports. com/post/78010633546/thinking-outside-the-cold-box-how-a-nobel-prize. 83 Vgl. J. R. Fleming: Fixing the Sky, S.170; J. R. Fleming: »Fixing the Weather and Climate«. Siehe auch K. C. Harper: »Climate Control«. 84 B. S. Havens/J. E. Jiusto/B. Vonnegut: Early History of Cloud Seeding, S. 8-9.

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für epistemische Zwecke instrumentalisiert und insofern transformiert, als dass man auf ihrer Grundlage Wissen erzeugte.85 Die Militärs pochten jedoch auf die Fortschreibung eines Laborideals, welches ganz im Zeichen von Sterilität, Spezialisierung, Planung, Steuerbarkeit und einem forscherischen Schaffen stand, das frei von sozialen Verunreinigungen war.86 Um dieses Ideal einzulösen, wurde der Aktionsradius des Industrieforschers auf das Labor begrenzt; der Aufgabenbereich beschränkte sich auf die Auswertung von Reporten und Fotografien, die im Rahmen der Flugtests angefertigt wurden. Ein Blick in die Feldforschung von Project Cirrus legt offen, dass sich Militärund Industrieforschung auf dem unsicheren Terrain kaum kalkulierbarer Wahrscheinlichkeiten bewegten, die den Erfolg der Wettermanipulation in den Bereich der Spekulation rückten.87 Bei den durchgeführten Experimenten gelang es nicht, eine direkte Kausalität zwischen dem Impfen und der Erscheinung von Regen und Schnee nachzuweisen. Für die medienwissenschaftliche Forschung ist interessant, dass zur Lösung dieses Problems Wolkenfotografien zum Einsatz kamen. Ihre Kopplung mit fotogrammetrischen Techniken vermittelten den Eindruck der exakten Messbarkeit von Wolkendynamiken. Genauso bestachen sie den Betrachter dadurch, dass sie Rückschlüsse auf die Wolkenformationen im räumlichen und zeitlichen Verlauf zuließen.88 Indem sie die Welt außerhalb des Labors synoptisch auf ein Maximum reduzierten, beherrschte das industrielle

85 K. Knorr-Cetina: »Das naturwissenschaftliche Labor als Ort der ›Verdichtung‹ von Gesellschaft«, S. 87; K. Knorr-Cetina: »Tinkering toward Success«. 86 Vgl. R. Knipp/J. Paßmann/N. Taha: »Einleitung: Zum Verhältnis von Labor- und Feldforschung«, S. 6. 87 Die internationale Wissenschafts- und Technikforschung hat das Labor bisher als den paradigmatischen Ort experimenteller Forschung behandelt. So stellen Bruno Latour zufolge moderne wissenschaftliche Labore besondere Machtzentren dar, die er mit dem Ausspruch »Gebt mir ein Labor und ich werde die Welt aus den Angeln heben« pointiert. Dieser kleine isolierte Ort soll eine unverhältnismäßig große Wirkung auf die Welt ausüben B. Latour: »The Pasteurization of France« und B. Latour: »Gebt mir ein Laboratorium und ich werde die Welt aus den Angeln heben«. Dies kann zwar zutreffen, jedoch verschleiern Latours Überlegungen die extremen Herausforderungen und gravierenden Probleme, die das Verlassen des laboratorischen Raums insbesondere in der Feldforschung mit sich bringt. Gerade die versuchte Inversion von Größenverhältnissen im Feld weist darauf hin, dass genuine laboratorische Praktiken teilweise ungeeignet sind bzw. es in der Feldforschung anderer Praktiken bedarf. Neuere Studien machen auf den Erkenntniswert der Feldforschung aufmerksam – etwa J. Willkomm: »Feldstudien über Feldstudien« – und legen die einflussreiche Wechselwirkung zwischen Feld- und Laborstudien und ihrer Forschungsmedien dar, siehe etwa I. Messaoudi: »Die Mediatisierung des Feldes und des Labors in der linguistischen Gestenforschung«. Wie tiefgreifend die Verflechtung von laboratorischer Forschung mit der im Feld ist, illustriert der Wissenschafts- und Technikhistoriker Simon Schaffer. Die historischen Wurzeln der Ethnologie – deren Forschungsideal die teilnehmende Beobachtung im Feld darstellt – führt er auf den Ort des Labors zurück. S. Schaffer: »From Physics to Anthropology and Back Again«. 88 Vgl. V. Schaefer: »Experimental Meteorology«, S.168-169.

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Personal den Luftraum gemäß ihrem abgesteckten Aktionsradius, sprich vom Labor aus.89 Diese mediale Skalierung brachte ungeplante Störungen mit sich und entzweite die militärisch-industrielle Kooperation mehr, als dass sie zwischen den Akteuren vermittelte. Obwohl die militärische Durchführungshoheit gute Voraussetzungen für eine sichere Steuerung der meteorologischen Experimente bot, gestattete die auferlegte Arbeitsteilung zwischen Feld- und Laborarbeiten den Industrieforschern, das »geschulte Urteil« zu vernachlässigen.90 Was am Ende dieses Projektes übrig blieb, waren die Behauptung von unternehmerischer Seite, die Forschung sei erfolgreich verlaufen und habe alle ihre Versprechen erfüllt. Von militärischer Seite kam das noch heute bekannte Prinzip ›nichts wird offiziell‹ zum Tragen. Letztendlich zogen Kooperationen mit dem Militär die US-amerikanische Industrieforschung in den Bereich der Konspirationstheorien, für die vor allem Makroorganisationen anfällig zu sein scheinen.91 Geraten Menschen in schadhafte Situationen – zum Beispiel durch Unwetterkatastrophen oder Epidemien – in denen ihre Modelle zur Erklärung der Welt nicht mehr ausreichen, trägt ein solcher Machtkomplex häufig die Schuld. So diagnostiziert es auch der Kulturhistoriker Dieter Groh.92 Ihre organisatorische Machtkonzentration, so der populäre Verdacht, gestattet es ihnen, unheilvolle und im Geheimen ausgebrütete Pläne in die Tat umzusetzen. Während der individuelle und heroische Erfinder, der aus der amerikanischen Bastlerkultur hervorgegangen ist, bis heute mythologisiert wird, trifft eine solche Glorifizierung nicht auf den militärisch-industriellen Komplex und seine Forschungsorganisationen zu. Es ist schon erstaunlich, dass in aller Öffentlichkeit ausgetragende Patentstreitigkeiten oder für die Bevölkerung schädliche Trust- und Kartellbildungen der Integrität sowohl von System Buildern als auch ihrer etablierten Industrieforschung kaum Abbruch getan tat. Die Kooperation mit dem Militär stellt demgegenüber ein Kapitel der Industrieforschungsgeschichte dar, dessen Kontroversen und Skandale an mittel-europäische Hexen89 Im Sinne der Latourischen »zirkulierenden Referenz« waren ihnen so Hin- und Rückbewegungen zwischen situativen Feldbeobachtungen und laboratorischen Erkenntnissen möglich. B. Latour: Die Hoffnung der Pandora. 90 Bei dem »geschulte Urteil« handelt es sich, um eine von Lorraine Daston und Peter Galison diagnostizierte Form der Objektivität, die für das 20. Jahrhundert kennzeichnend ist. L. Daston/P. Galison: Objektivität, S. 327-383. Das historische Erwachsen der Objektivität am Beispiel der Fotografie ist zu finden bei P. Galison: »Urteil gegen Objektivität«. 91 Eine Enzyklopädie von Verschwörungstheorien, durch die die Science- and Technologybased Industries im Allgemeinen durch die Zusammenarbeit mit dem Militär belegt wurden, bietet: C. R. Fee/J. B. Webb (Hg.): Conspiracies and Conspiracy Theories in American History. Für General Electric ist im Speziellen festzustellen, dass noch heute Verschwörungstheoretiker die Zusammenarbeit des Industrieforschung mit der USamerikanischen Regierung als zentralen Bezugspunkt für ihre Überlegungen zu »Chemtrails«, »Cloudbustern« und zum »Weather Warfare« nutzen. J. E. Smith: Weather Warfare, S. 41-47; C. Harderer/P. Hiess: Chemtrails. 92 D. Groh: Anthropologische Dimensionen der Geschichte, S. 267.

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prozesse erinnern. Denn auch hier wurde der Vorwurf laut, durch Bündnisse mit dem Teufel die Natur zu beherrschen und Unheil über die Welt zu bringen.93 Das atomare Wettrüsten sowie die Folgeentwicklung des militärisch-industriellen Komplexes im Bereich von Waffentechnologie bis hin zur digitalen Spionage scheinen den Nährboden für diesen Verdacht zu bereiten. Die Bündnisse mit dem Militär veränderten tiefgreifend das Wesen der Industrieforschung und dies nicht lediglich im Bereich der personalen Forschungsfreiheiten. Die Geheimnisse dieser Wissenschaften folgten den Prinzipien einer absolut-inoffiziellen Forschungspolitik. Während die Infrastruktur der Industrieforschung – bestehend aus Laboren, Rechtsabteilungen, Forschungsmanagern und Öffentlichkeitsabteilungen – noch einer zu öffnenden und rekonstruierbaren ›Black Box‹ glich, trifft dies auf den militärisch-industriellen Komplex kaum mehr zu. Die »kleinen Fenster«, von denen Bruno Latour sprach, als er die Welt der Labore untersuchte und damit auf die Medienpraktiken von Forschungseinrichtungen aufmerksam machte, werden mit großen Anstrengungen verschlossen und versiegelt.94

DEN AKTEUREN ZU FOLGEN, HEISST AUCH, IHNEN ZU MISSTRAUEN Bilden die Medienpraktiken der Industrieforschung den zentralen Untersuchungsgegenstand, so tritt die Produktivität des heuristischen Programms der Science and Technology Studies für die aktuelle Medienforschung deutlich hervor.95 Den Akteuren, ihren technischen und medialen Materialiäten, ihren Professionalisierungen und ihrem kollektiven Auftreten zu folgen, bedeutet mehr, als sie lediglich auf die Rolle von Informanten zu reduzieren. Es bedeutet, den Untersuchungssubjekten die Fähigkeit zuzugestehen, eigene Theorien darüber zu entwickeln, woraus die Welt des erfinderischen Schaffens in der industriellen Arbeitsumgebung besteht. Dabei ist ratsam, nicht die eigenen a apriori-Erwartungen und theoretischen Konzeptionen als Orientierungspfeiler zu heranzuziehen, sondern die zu untersuchenden Akteure als mündige und hand-

93 Vor diesem Hintergrund sei auf die Pionierarbeiten in den Science and Technology Studies zu den sogenannten Controversy Studies von Dorothy Nelkin hingewiesen. Nelkin behandelt öffentlich ausgetragene Kontroversen mitsamt ihren ethischen und politischen Aspekten etwa im Bereich der Kernenergie und Gentechnik. Vgl. D. Nelkin: Controversy. 94 B. Latour: »Drawing Things Together«, S. 262. Siehe auch: E. Ben-Ari/Y. Levy: »Getting Access to the Field«. 95 Zu Aufarbeitungen des heuristischen Programms siehe etwa B. Latour: Reassembling the Social; S. Beck, Stefan/J. Niewöhner/E. Sørensen: »Einleitung. Science and Technology Studies«; E. Schüttpelz: »Elemente einer Akteur-Medien-Theorie«; A. Bammé: Science and Technology Studies.

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lungsfähige Instanzen zu begreifen.96 Rekonstruiert man im Detail ihre Theorien und Ontologien und bewegt sich innerhalb der Rahmen, die sie als Geltungsbereich der eigenen Handlungen festlegen, lassen sich lehrreiche Einsichten zur firmeninternen Kollektivbildung und daran angeschlossene staatliche, rechtliche, unternehmerische und öffentliche Infrastrukturen ableiten. Den Kompass der rekonstruktionsintensiven Expedition bilden dabei die Praktiken der Akteure: Sie sprechen für sich selbst.97 Hört man im Zuge einer praxeologischen Beschreibung der US- amerikanischen Industrieforschung genau zu, gibt dies Anlass, die heuristischen Maxime der internationalen Wissenschafts- und Technikforschung mit einem zentralen Zusatz zu versehen. Werden nämlich die Praktiken der patentrechtlichen Beweisführung, zwischenstaatlichen Standardisierung, Bewerbung technischer Errungenschaften oder der Forschungsbürokratie mit der Ernsthaftigkeit behandelt, wie sie die firmeninternen Abteilungen und firmenübergreifenden Institutionen bei ihrer Formierung und Aushandlung aufbrachten, tritt ihre Unaufrichtigkeit in Form von illegitimen Methoden und extensiven Reinigungsarbeiten hervor. Hohe arbeits- und zeitintensive sowie finanzielle Energien wurden von den Science- and Technology-based Industries aufgewendet, um die Referenzketten zur laboratorischen Industrieforschung zu kappen. Den Akteuren zu folgen und ihnen ›agency‹ zuzugestehen, bedeutet gleichermaßen auch, ihnen Misstrauen entgegenzubringen. Für die Medienforschung eröffnet dies nicht nur das Potenzial zur Revision und Korrektur von ›klassischen‹ Mediengeschichten, etwa der des Telefons, Radios oder der Fotografie. Gleichzeitig stellt die konzeptuell-theoretische Auseinandersetzung mit den Medien dieser Reinigungsarbeiten – allen voran Handbüchern, Patentschriften, Spezifikationen, Labornotizbücher und Kalendern – einen wesentlichen Mehrwert dar. Indem das vorliegende Buch erfolglosen Medienerfindungen, Standardisierungs- und Skalierungsprojekten einen Platz in der Mediengeschichte einräumt, folgt sie einem methodischen Postulat der frühen internationalen Wissenschaftsund Technikforschung, welches als »Bloorsches Symmetrieprinzip« Bekanntheit erlangte.98 David Bloor gab zu bedenken, dass eine asymmetrische Behandlung 96 So hält Bruno Latour in Reassembling the Social fest: »Your task is no longer to impose some order, to limit the range of acceptable entities, to teach actors what they are, or to add some reflexivity to their blind practice. Using a slogan from ANT, you have ›to follow the actors themselves‹, that is try to catch up with their often wild innovations in order to learn from them what the collective existence has become in their hands, which methods they have elaborated to make it fit together, which accounts could best define the new associations that they have been forced to establish. If the sociology of the social works fine with what has been already assembled, it does not work so well to collect anew the participants in what is not – not yet – a sort of social realm.« B. Latour: Reassembling the Social, S. 11-12. 97 K. Schmidt: »›Practice Must Speak For Itself‹«. 98 D. Bloor: Knowledge and Social Imagery, S. 3. Siehe auch: H. Collins/T. Pinch: Der Golem der Forschung.

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von Erfolg und Misserfolg eine verzerrende Darstellung der Arbeitsorganisation und Wissensproduktion von scientific communities motiviere. Er leitete daraus ein Plädoyer für eine symmetrische Behandlungsweise von und eine unparteiische Perspektive auf diese normativen Größen ab. Um dieses Postulat einzulösen, widmet sich exakt die Hälfte der in diesem Buch befindlichen Fallstudien missglückten Forschungsprojekten der US-amerikanischen Industrieforschung. Dahinter steht die Absicht, die Historie unbekannter oder lediglich marginal behandelter, jedoch keinesfalls weniger erkenntnisreicher Mediengeschichten zu schreiben. Gerade die symmetrische Haltung schärft den Blick dafür, dass sowohl dem Erfolg als auch dem Misserfolg die gleichen Ursachen zu Grunde liegen. Hinterzimmer-Geschäfte und »invisible work« samt parasitärer Logiken bildeten die Rückseite der Science- and Technology-based Industries, wissenschaftliche Bricolagen und »Workarounds« charakterisierten den Arbeitsalltag industrieller Medienforschung.99 Und zu guter Letzt formten sich heterogene Innovationskulturen mit der Hoffnung aus, dem potentiellen Scheitern von Medienerfindungen mit einem gewissen Grad an Robustheit begegnen zu können. Aber welchen methodischen Mehrwert bringt das in der deutschen Medienwissenschaft lange vernachlässigte Bloorsche Symmetrieprinzip für die Geschichtsschreibung nun genau? Im Kontrast zur ›Klassischen Mediengeschichte‹ – derren Erfolgserzählungen eine maximale narrative Konsistenz für sich beanspruchen – sind bei scheiternden und halbgelungenen wie auch für zweckentfremdeten und improvisierten Erfindungsprozessen zuhauf lose Fäden und tote Enden zu finden. Ebenso charakteristisch sind mehrdeutige Konzepte der Technologieentwicklung. Berücksichtigt man diese Konstitution bei der Mediengeschichtsschreibung resultiert keineswegs weniger sondern demgegenüber mehr narrative Konsistenz. Nicht allein aus diesem Grund sind historische Darstellungen medientechnischen Scheiterns in der Lage, mehr Kontexte und Erzählstränge zu berücksichtigen als die Darstellungen klassischer Erfolgsgeschichten. Im Gegensatz zu den von Unternehmen bereits bereinigten ›asymmetrischen‹ Version, erfahren darüber hinaus die Reinigungspraktiken der retrospektiven Darstellung und die unbewußten Erinnnerungstäuschungen der untersuchten Akteure Aufmerksamtkeit. Gerade weil die Beteiligten angesichts missglückter Technologien ihre Auffassung zu erreichender Ziele revidieren und dabei Dritte über das von ihnen initiierte Geschehen immer wieder täuschen, vermag es erst die historische Darstellung des Scheiterns, den Erfindungsprozeß angemessen mit der abschließend ›bereinigten‹ Version zusammendenken. Historisch nachweisbare Widersprüche werden nicht geglättet, sondern durch eine solche Darstellung erst erklärbar. 99 In Anschluss an die MedienwissenschaftlerInnen Gabriele Schabacher und Sebastian Gießmann lassen sich Workarounds »als taktische Praktik und als Auseinandersetzung mit den ›normal, natural troubles‹ des Alltags« verstehen. G. Schabacher/S. Gießmann: »editorial«, S. VI. Eine ausführliche Beschreibung findet sich in Kap. Standardisieren.

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Überaus relevante methodische Denkimpulse verdankt die vorliegende Untersuchung der US-amerikanischen Industrieforschung den Überlegungen der Wissenschafts- und Techniksoziologin Susan Leigh Star. Als Feministin erkannte sie die politischen Fragen »unsichtbarer Arbeit« in und mit Informationsinfrastrukturen von Wissenschaftsgemeinden. Daher formulierte Star wissenschaftspolitische Appelle, welche eine Kritik an prominenten Vertretern der internationalen Wissenschafts- und Technikforschung darstellten und auf ihren ›Bias‹ aufmerksam machten.100 In mittlerweile kanonisierten Studien stehen vornehmlich die epistemischen und technischen Errungenschaften sowie imperialistischen Projekte von ›großen‹ Erfinderpersönlichkeiten im Zentrum der Untersuchung.101 Diejenigen, deren Arbeiten aufgrund von Eigentumsübertragungsklauseln und Geheimhaltungsvereinbarungen in Arbeitsverträgen genauso wie durch strikte Publikationsrichtlinien unsichtbar gemacht wurden, fallen daher oftmals durch das engmaschige Raster. Durch die Rekonstruktion der unsichtbaren Arbeit des ›employee inventors‹ ist es diesem Buch ein wichtiges Anliegen, Industrieforschern wie auch Büroangestellten oder firmeninternen Anwälten – und nicht den klassischerweise im Zentrum des Interesses stehenden Großkonzernen – die Erzeugung und Instandhaltung medialer Infrastrukturen anzurechnen. Kommen die großen Erfinderpersönlichkeiten der Industrialisierung in der vorliegenden Schrift zu Wort, gilt es, diese primär zu entmystifizieren. Ihr heroischer Status wird insoweit in Frage gestellt und relativiert, als dass ihre Anfänge als herkömmliche Mitglieder in Amateurkulturen, stümperhafte Praktiken des Professionalisierens genauso markiert werden wie intime Brüche in ihren Biografien.

100 S. L. Star/A. Strauss: »Schichten des Schweigens, Arenen der Stimme«; S. L. Star: »Macht, Technik und die Phänomenologie von Konventionen«. 101 Vor allem die historischen Untersuchungen etwa über den Industriemagnaten George Eastman und seine Etablierung des Kodak-Systems, die Immunisierung Frankreichs durch Louis Pasteurs Nutzung des laborinhärenten Inversionspotenzials, die wirkmächtigen Werbestrategien von Fastfood-Imperien oder über die portugiesische Beherrschung des Seehandels im Indischen Ozean sind hier als Beispiele anzuführen. B. Latour: The Pasteurization of France; B. Latour: »Technology is Society Made Durable«; J. Law: »Technik und heterogenes Engineering«. Siehe auch M. Wyer u.a. (Hg.): Women, Science, and Technology.

2 Amateurisieren und Professionalisieren George Eastman und die Vereinfachung der Expertenfotografie1

HEROISCHE EINZELERFINDER Das 19. Jahrhundert gilt im nordamerikanischen Raum als die Zeit der heroischen Erfinder. Sie wurde geprägt von übermächtig wirkenden Erfinderpersönlichkeiten, die die Entwicklung der Industrialisierung durch ihre technischen Neuerungen schrieben – ›Große Männer‹, deren Innovationen gesellschaftliche Veränderungen in gewaltigem Ausmaß motivierten. Im Zuge der Entwicklung neuer und verbesserter Maschinen, Produktionsverfahren, Massenmedien und Transportmittel assoziierte die US-amerikanische Öffentlichkeit den technischen Fortschritt ihrer Nation mit glorifizierten Erfindern. Alexander Graham Bell stand synonym für die Erfindung des Telefons, Elias Howe für Nähmaschinentechniken, John Ericsson für die Heißluftmaschine, Samuel Morse für die Telegrafie, George Eastman für die Amateurkamera sowie Thomas Alva Edison für die Glühbirne wie auch den Phonographen.2 Mühelos ließe sich die Liste der Namen um Seiten verlängern. Hinter dieser Vorstellung technologischen Fortschritts verbergen sich diverse Mythen. Ihnen zufolge bringt die industrielle Forschung einzelner Individuen Leistungen hervor, die als genialitätsverdächtige Schöpfungen zu verstehen sind. Aber kann denn tatsächlich nur von dem einzigen Erfinder die Rede sein? Oder waren bei der Entwicklung technischer Errungenschaften keine unterstützenden Hände beteiligt? Waren die Persönlichkeiten stets professionelle Erfinder oder begannen sie ihre forscherischen Tätigkeiten als Mitglieder einer Amateurgemeinschaft? Leicht wird das erfinderische Schaffen Vieler im Feld übersehen, werden die Kollektivität der Leistungen in Form von Teamarbeit und der Einfluss von Amateurgemeinschaften auf den Werdegang der Erfinderpersönlichkeiten

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Einige der in diesem Kapitel verwendeten historischen Materialien stammen aus dem George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Rochester, NY. Vgl. A. Schüler: Erfindergeist und Technikkritik, S. 22

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unterschlagen. Die Parallelität vielerorts agierender Innovationsherde kommt in den Mythen ebenfalls nicht zu Wort.3 Zurückzuführen ist die Stilisierung der industriellen Technikgeschichte auf den bürgerlichen Mythos von der individuellen Leistung, ihres Beitrags zum Wohlstand der Gesellschaft und seine Überhöhung im demiurgischen Mythos vom genialischen Schöpfertum. Die mythologische Überhöhung wird etwa durch prominente Technikgeschichtsschreibungen wie Thomas P. Hughes American Genesis getragen und weiterentwickelt. Der heroische Einzelerfinder wird zum Schöpfer einer technisch-industriellen Welt, einer ›second creation‹. Gerade für den nordamerikanischen Raum wird so ein Bild erzeugt, das im 19. und 20. Jahrhundert eher von Menschenhand als von Gott motivierte Wandlungen erfuhr, die in der Formierung einer technologischen Nation mündeten.4 Gleichermaßen kommt den gegründeten Unternehmen der Erfinder eine tragende Rolle zu; sie sind die Apologeten und Verwalter des bürgerlichen Mythos. Der Aufstieg ihres Protagonisten zum philanthropischen Industriemagnaten wird vor allem auf einen arbeitsintensiven und klassenüberwindenden Karriereweg zurückführt. Das Motiv ›Challenging the status quo‹ geht mit dem sozialen Aufstieg Hand in Hand. Dafür ist etwa dieser Querschnitt aus dem Journal Rochester Commerce exemplarisch, der im Jahre 1954 publiziert wurde: »[P]oor boy goes to work early to help support his family ... works hard, has great determination ... experiments in his mother's kitchen sink, and invests something better ... starts business by working nights, and on a shoestring ... has trouble with the quality of his product ... decides that quality and reputation must be maintained at any price ... almost goes under financially, but pulls things out of the fire by straight thinking and hard work ... tackles tough competitors, fights for leadership, and wins ... sees his products bring satisfaction to customers, profits to shareholders, jobs and benefits to employees education [...] becomes one of the world's great public benefactors.« 5

Diese Skizze porträtiert den Aufstieg des Kodak-Kameraerfinders George Eastman und ist insgesamt für den Gründungsmythos erfolgreicher Erfinder und ihrer Firmen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bezeichnend. Ironischerweise merkte dies der Verfasser des Querschnitts Thomas Robertson – der damalige Leiter der Public-Relations-Abteilung der Kodak Company – selbst an. Ergreift man an dieser Stelle die Gelegenheit und betrachtet die aktuelle Darstellung auf der Unternehmenshomepage von Kodak, spiegelt sich ein ähnliches Bild wieder. Ein Mythos wird selbst nach 132 Jahren noch genährt und gepflegt:

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Vgl. W. Rammert: Technik aus soziologischer Perspektive, S. 61-62; siehe auch W. Rammert: »Der Mythos vom genialen Einzelgänger«. T. P. Hughes: American Genesis. Im Detail wird auf die demiurgische Färbung der Schöpfungskraft von Erfinderpersönlichkeiten im Kap. Standardisieren eingegangen. T. F. Robertson (1954): »George Eastman ... Builder of Business«, S. 8.

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»He was a high school dropout, judged ›not especially gifted‹ when measured against the academic standards of the day. He was poor, but even as a young man, he took it upon himself to support his widowed mother and two sisters, one of whom had polio. [...] He worked at the bank during the day and experimented at home in his mother's kitchen at night. His mother said that some nights Eastman was so tired he couldn't undress, but slept on a blanket on the floor beside the kitchen stove. [...] As he perfected transparent roll film and the roll holder, Eastman changed the whole direction of his work and established the base on which his success in amateur photography would be built. [...] With the KODAK Camera in 1888, Eastman put down the foundation for making photography available to everyone. Pre-loaded with enough film for 100 exposures, the camera could be easily carried and handheld during operation. It was priced at $25. After exposure, the whole camera was returned to Rochester. There the film was developed, prints were made and new film was inserted – all for $10.«6

Nach den Veröffentlichungen von Kodak müsste man annehmen, dass George Eastman aus verarmten Familienverhältnissen stammt, wie dies etwa das Experimentieren im hauseigenen Küchenbecken illustriert. Konsultiert man hierzu biografische Quellen, belegen diese aber vielmehr Mittelstandsverhältnisse.7 Zudem wird weitergegeben, dass Eastman die Laienfotografie erfunden habe und 1888 mit dem Verkauf der ersten Rollfilmkamera ein neues Zeitalter der Massenmarkttauglichkeit von Medien angebrochen sei. Wer nach genauen Zahlen und Nachweisen recherchiert, findet in der Literatur zur Laienfotografie immer die gleichen Angaben vor. Sie stammen zumeist aus der Feder von Kodak-MitarbeiterInnen. Ein Mythos entwickelt auf diese Art auch in der Fachliteratur seine Eigendynamik.8 Medienhistorisch aufschlussreich erweist sich an dieser Stelle die Revision des Wissenschafts- und Techniksoziologen Bruno Latour zur Behauptung, George Eastman habe im Stil eines Visionärs die Ausbreitung der Laienfotografie zielstrebig und geplant verfolgt. In Science in Action und »Technology is Society Made Durable« rekonstruiert Latour die Innovationstrajektorie der Kodak-Kamera mit folgendem Ergebnis: Die Eastman Dry Plate and Film Company – deren unternehmerisches Erbe die Kodak Company antrat – entwickelte die Rollfilmtechnik in erster Linie für Profi-Amateure. Die Experten zeigten jedoch wenig Interesse an dem Papierfilm und präferierten die bislang vorherrschende Trockenplattentechnik für die fotografische Entwicklung. Aus einer unternehmerischen Notlage heraus nahm Eastman im Jahre 1887 eine Zielgruppenumorientierung vor und adressierte erstmals den Laien-Fotografen als Konsumenten.9

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So zu finden auf der Homepage von Kodak unter https://www.kodak.com/CN/ zh-cn/corp/aboutus/heritage/georgeeastman/default.htm. Vgl. E. Brayer: George Eastman, S. 20. Dies diagnostiziert auch T. Starl: Knipser, S. 45. B. Latour: »Technology is Society Made Durable«; B. Latour: Science in Action, S. 115, 122, 131, 173.

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Wie der Fotografiehistoriker Timm Starl in der ebenso bemerkenswerten Revision der Kodakgeschichte treffend bemerkt, war Eastman »nicht so sehr ein Erfinder als ein findiger Unternehmer, seine Erfolge beruhten weniger auf eigenem Ideenreichtum als auf der Fähigkeit, gute Einfälle von anderen zu erkennen und deren Kenntnisse für sich zu nutzen«.10 So ist die Kodak-Kamera von 1888 wohl nicht allein als eine Erfindung Eastmans zu werten, auch wenn die Patentschrift ihn rechtswirksam als den einzig wahren Erfinder ausweist.11 Unsichtbare Arbeit leistete etwa Frank A. Brownell, ein in Rochester ansässiger Kamerafabrikant. Er konstruierte den Apparat in der eigenen Werkstatt und fertigte auch für weitere Kodak-Modelle das Gehäuse an. Die erste tatsächlich erfolgreiche Kamera mit Massenauflage – die für 1$ erhältliche Brownie-Kamera – ist ebenfalls auf Brownell zurückzuführen. George Eastman, der sich ab dem Jahre 1886 zunehmend Marketingaktivitäten widmete,12 versuchte zu verhindern, dass der Name des Konstrukteurs genannt werden musste. Werbewirksam setzte er daher in Umlauf, dass die Brownie nach einer schelmischen, aber gutherzigen Kobold-artigen Figur des Zeichners Palmer Cox benannt wurde.13 Auch dieses Kapitel wird sich dem Gründungsmythos der Kodak Company zuwenden, jedoch dabei nicht allein den professionellen Erfinder- und Entrepreneuraktivitäten George Eastmans Aufmerksamkeit schenken. Vielmehr geht es darum, die Person Eastmans hinsichtlich seines genialischen Schöpfertums zu relativieren, indem seine Anfänge bzw. sein erster Umgang mit der Fotografie in den Kontext der fotografischen Amateurgemeinschaft der 1870er und 1880er Jahre gestellt wird. Versteht man Eastman zunächst selbst einmal als ein Mitglied dieser »Praxisgemeinschaft«, tritt die Relevanz von Amateurpraktiken hervor, die großen Einfluss auf die Konstruktion der massenmarkttauglichen Kodak-Kamera und der etablierten Knipserfotografie nahmen. Eastman startete als unerfahrener Laie, dem das damalig gängige Verfahren mit »Nassen Kollodiumplatten« enorme Schwierigkeiten bereitete.14 Durch den Austausch mit anderen Amateuren und professionellen Studiofotografen sowie die Lektüre von Handbüchern und Fachzeitschriften gelang es ihm, seinen eigenen Novizen-Status hinter sich zu lassen und zu einem Fotoexperten zu werden. Wie andere Profi-Amateure zu dieser Zeit suchte er nach einer Methode, die das Gewicht der fotografischen Ausrüstung auf Reisen verringerte. Zu dieser Zeit nahmen Amateure die Entwicklung von Fotografien am Ort des Aufnahmesettings vor. Daher waren sie gezwungen, mit schwerem laboratorischen Equip-

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Vgl. T. Starl: Knipser, S. 45. George Eastman, »Camera«, Patentnummer 388.850, 4.9.1888. Siehe E. Brayer: George Eastman, insbesondere »You Press the Button...«. Vgl. T. Starl: Knipser, S. 50; C. Ford/K. Steinorth (Hg.): Eine runde Welt, S. 27. Vgl. C. W. Ackerman: George Eastman, S. 20.

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ment zu reisen.15 Gegen Ende der 1870er Jahre setzte sich mit den sogenannten »Trockenen Gelantineplatten« ein die Praxis vereinfachendes Verfahren durch. Mit der »Gelatine Revolution« kam es zu gravierenden Wandlungen, die sowohl die Amateurfotografie als auch die Fotoindustrie in den USA nachhaltig veränderten.16 Innerhalb eines Jahrzehnts erlebte die Amateurgemeinschaft hinsichtlich ihrer Mitgliederanzahl eine starke Ausbreitung. Während der Amateur zuvor darauf angewiesen war, fotosensitive Materialien eigenhändig herzustellen, wurden diese von nun an von der Trockenplattenindustrie kauffertig angeboten. Ihre eingeleitete Vereinfachung der Expertenfotografie stellte neue Herausforderungen an die Produktionsweise fotografischer Ausrüstung. Zuvor zeichnete sich die Fotobranche durch ein kleinangelegtes Handwerk aus, welches durch die Trockenplattenindustrie eine Mechanisierung in den 1880er Jahren erfuhr. Die Person George Eastman war Teil dieser industriellen Bewegung. Seine eingerichtete Industrieforschung im Bereich fotochemischer Materialien und Rollfilmtechnik konzentrierte sich weiterhin auf die Simplifizierung fotografischer Tätigkeiten. Vor diesem Hintergrund erscheint es kaum verwunderlich, dass sich Eastman auch in Bezug auf die massenmarkttaugliche Kodak-Kamera als Visionär der Vereinfachung inszenierte.17 Bevor jedoch der Eastman'sche Entwurf des Laien-Amateurs rekonstruiert und kritisch hinterfragt wird, gilt es zu untersuchen, ob die Amateurisierung fotografischer Technik tatsächlich allein als Simplifizierungsbewegung zu begreifen ist. Welches Koordinatensystem von Distinktionsgrößen entfaltet sich, wenn man die Praktiken des Amateurisierens fernab der diametral gesetzten Pole von Laien und Experten in Bezug auf das fotochemische und technische ›know how‹ denkt? Wie ist der Einfluss des Professionalisierens von Fotografen auf die Amateurgemeinschaft zu werten? Und zu guter Letzt: Wie ist eine Mediengeschichte der Amateur-Fotografie zu schreiben, wenn man sie stärker in den Kontext der Industrieforschung und Industrialisierung setzt?

15 Vgl. R. V. Jenkins: Images and Enterprise, S. 48. 16 Vgl. ebd., S. 77. 17 In den Worten Eastmans: »We had in this the beginning of what we were after – a camera that would take pictures in the hands of a greenhorn. You only had to point it at an object and press the button. The user performed no photographic operation; we sold it loaded, and when the whole roll was exposed, the owner sent it back to us, or to the developers [...]«, G. Eastman/S. Crowther (1920): »Slow Profits Today, But Sure Profits Tomorrow«, S. 709.

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»AN ELABORATE AND PAINSTAKING ORDEAL«18 Um die Person George Eastmans hinsichtlich seines viel zitierten Einzelgängertums samt seinem klassenüberwindenden Aufstieg zu untersuchen, ist es im ersten Schritt ratsam, ihn als herkömmliches Mitglied einer Amateurgemeinschaft zu situieren. Für eine solche Rela-tivierung bietet es sich in Anschluss an die Sozialforscher Jean Lave und Étienne Wenger an, ihn als Mitglied einer »Community of Practice« zu verstehen. Im Kern stellen Praxisgemeinschaften Personengruppen dar, welche durch geteilte Konventionen eine gemeinsame Sprache und durch die Nutzung gleicher Ressourcen starke soziale Beziehungen erzeugen. Lave und Wenger legen dabei zu Grunde, dass man innerhalb der Gemeinschaft durch gemeinsam geteilte Praktiken heranwächst und agiert. Der Novize lernt auf diese Weise die Werte und Ziele genauso wie das Repertoire von Artefakten kennen, die für die Zugehörigkeit zentral sind und den Status eines vollwertigen Mitglieds ausmachen.19 In diesem Sinne sind die Ausgangsfragen von schlichter Natur: Welchen Praktiken und Wissenssystemen begegnete Eastman als Laie in der fotografischen Welt und wie gestalteten sich seine ersten Erfahrungen mit der Fotografie? Ausführlich sprach Eastman in einem Interview mit dem Journalisten Samuel Crother des Magazins System über seine anfänglichen Erfahrungen mit der Fotografie. Im Alter von 23 Jahren traf er als junger Bankangestellter erstmals auf sie. Eastman identifizierte sich im Interview als Mitglied der fotografischen Amateurkultur der 1870er Jahre. Ihre Amateurpraktiken assoziierte er mit der »outdoor photography«, die er als »elaborate and painstaking ordeal« charakterisierte.20 Zur Feldfotografie äußerte sich Eastman folgendermaßen: »Taking a camera means nothing today – just a little box and some films. But in those days, one did not ›take‹ a camera; one accompanied the outfit of which the camera was only a part. I bought an outfit and learned that it took not only a strong but also a dauntless man to be an outdoor photographer. My layout, which included only the essentials, had in it a camera about the size of a soap box, a tripod, which was strong and heavy enough to support a bungalow, a big plate-holder, a dark-tent, a nitrate bath, and a container for water. [...] Since I took my views mostly outdoors – I had no studio – the bulk of the

18 Ebd., S. 608. 19 É. Wenger: Communities of Practice, S. 125-126; J. Lave/É. Wenger: Situated Learning. 20 G. Eastman/S. Crowther (1920): »Slow Profits Today, But Sure Profits Tomorrow«, S. 608. Allgemein ist festzustellen, dass Eastman wenige Interviews im Laufe seiner Karriere gab oder vielleicht auch die Freigabe dieser Interviews nicht von der Kodak Company autorisiert wurde. Mit Blick auf das eingangs geschilderte Kontroversenpotenzial, etwa im Bereich patentrechtlicher Uneinigkeiten, ist zu vermuten, dass auf diese Art einer imageschädigenden Außenwirkung Einhalt geboten wurde.

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paraphernalia worried me. It seemed that one ought to be able to carry less than a packhorse load.«21

Interessanterweise thematisierte Eastman in diesen Passagen – und auch im gesamten Interview – nicht wie man zunächst vermuten könnte, ästhetische Qualitäten von Aufnahmelokalitäten oder seine aufgenommenen Bilder.22 Vielmehr wurden die der Feldfotografie inhärenten reise- und körperzentrierten Herausforderungen in den Fokus gerückt. Diese Akzentuierung mag dem Umstand geschuldet sein, dass Fotoamateure in den 1870er Jahren mit einem Fotolabor auf den Schultern ihre Expeditionen antraten und damit enorme physische Belastungen auf sich nahmen. Zieht man die Ausführungen der Fotografiehistoriker Josef Maria Eder und Helmut Gernsheim zu Rate, lassen sich die beschriebenen Schwierigkeiten in den Kontext der damalig gängigen Praxis des sogenannten »Nassen Kollodiumverfahrens« stellen. Die Anfertigung fotosensitiver Materialien genauso wie die Entwicklung des eigentlichen Bildes mussten vor Ort im Feld bewerkstelligt werden; sie waren nicht separierbar, was die Anwesenheit der schweren Ausrüstung auf Reisen unumgänglich machte (Abb. 2.1).

Abb. 2.1: Der Feldfotograf und seine Ausrüstung, Holzschnitt aus dem Jahre 1851

21 Ebd. 22 Zu Eastmans angefertigten Fotografien und bevorzugten Motiven ist kaum etwas bekannt. Die Fotografiehistorie belegt jedoch, dass in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Stereofotografie überaus populär war. Diese Technik fand vor allem im Bereich der Landschaftsaufnahme seine Anwendung. Viele lokale Studiofotografen erkannten dies und verkauften stereoskopische Bilder von regionalen Ansichten. Allem Anschein besaß auch Eastman ein Stereoskop. Vgl. D. Collins: The Story of Kodak, S. 37. Es bleibt zwar unmöglich zu sagen, welche Bilder er erwarb, jedoch könnte es sein, dass Eastman sich von den Motiven beeinflussen ließ. In einer Nebenbemerkung äußerte er, dass er die Naturbrücke in Mackinac, im Bundesstaat Michigan, fotografierte. G. Eastman/S. Crowther (1920): »Slow Profits Today, But Sure Profits Tomorrow«, S. 608.

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Die Aufnahme von Bildern setzte eine zeitnahe Verarbeitung voraus. Die dazu notwendigen fotochemischen Bearbeitungsschritte nahm man im Zelt vor, das als Dunkelkammer fungierte. Wie umfangreich sich die Anfertigung fotosensitiver Materialien gestaltete, wird bei der Betrachtung einzelner Handarbeiten deutlich. Bei diesem Verfahren diente die chemische Lösung Kollodium als Träger für fotosensitive Salze, mit denen eine Glasplatte manuell beschichtet wurde. Nachdem der Fotograf die Platte gründlich reinigte, übergoss er sie mit einer Lösung aus Kollodiumwolle, Jod- und Bromsalzen. Kurz darauf folgte eine Sensibilisierung der Oberfläche mit salpetersaurem Silber, damit die Platte genügend Lichtempfindlichkeit auswies. Die noch feuchte Glasplatte wurde dann in einer lichtdicht schließenden Kassette in die Kamera gesetzt. Das Belichten musste erfolgen, bevor die Schicht einzutrocknen begann. Je nach Temperatur blieb dazu nur ein Zeitfenster von wenigen Minuten. Auch nach der Belichtung war es dringlich, das Austrocken der Kollodiumbeschichtung zu verhindern und daher die Entwicklung schnell einzuleiten. Ebenso erforderte die Entwicklung der Fotografien überaus feinfühlige Handarbeit. Einiges Geschick wurde benötigt, um den Entwickler auf Basis von Eisensulfat, Essig, Alkohol und Wasser in langsamen Bewegungen über die Platte zu gießen.23 Wendet man sich wieder der Person Eastman zu, drängt sich unweigerlich die Frage auf, wie dieser die voraussetzungsreichen Fertigkeiten im Umgang mit den fotochemischen Materialien und der Kameraapparatur erwarb. Nach Eigenaussagen Eastmans waren das technische Können und die Wissensbestände um die chemische Entwicklung »all empirical«.24 Insbesondere die für ihn kaum einschätzbaren chemischen Reaktionen gestalteten die Bearbeitung von Fotografien überaus kompliziert. Zudem verfügten die Chemikalien über einen virulenten Charakter. So brachte etwa das salpetersaure Silber toxische Effekte mit sich, die sich unter anderem in der Verätzung von Haut und Kleidung zeigten.25 Tatsächlich wusste der Laie zunächst nicht mit seiner Ausrüstung umzugehen, seine Fotografien missglückten reihenweise. Vor dem Hintergrund diverser Fehlschläge beschloss Eastman in Ausbildung bei einem professionellen Studiofotografen zu gehen. Der in Rochester ansässige Fotograf George Monroe unterrichtete ihn sowohl in seinem Studio als auch im Feld.26 Außerdem tauschte sich Eastman mit dem Patentanwalt George B. Selden aus, dem zweiten Amateurfoto23 Für eine ausführliche Darstellung der fotochemischen Bearbeitung siehe H. Gernsheim: Die Fotografie, S. 33-34; J. M. Eder: Geschichte der Fotografie, S. 673. 24 G. Eastman/S. Crowther (1920): »Slow Profits Today, But Sure Profits Tomorrow«, S. 608. 25 Eastman hielt hierzu fest: »Hence the nitrate of silver was something that always had to go along and it was perhaps the most awkward companion imaginable on a journey. Being corrosive, the container had to be of glass and the cover tight – for silver nitrate is not a liquid to get intimate with.« Ebd. 26 Vgl. E. Brayer: George Eastman, S. 27; Vgl. C. W. Ackerman: George Eastman, S. 15.

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grafen in seiner Heimatstadt Rochester, New York. Mit diesem praktizierte er die Feldfotografie von Zeit zu Zeit gemeinschaftlich.27 Wenngleich der Umgang mit der Nassplatten-Technik durch den Austausch mit professionellen Studiofotografen und anderen Amateuren erlernbar war, umfasste die Praxisgemeinschaft im nordamerikanischen Raum nur wenige Mitglieder.28 Institutionalisierte Formen der Austauschmöglichkeit waren zu dieser Zeit – im Vergleich zu der Vielzahl von Societies, die sich etwa in England an großer Beliebtheit erfreuten29 – rar gesät. Zu den wenigen historisch rekonstruierbaren Societies gehörte etwa die im Jahre 1862 gegründete Photographic Society of Philadelphia. Zu ihren Mitgliedern zählten Amateure aber auch professionelle Studiofotografen. Gemeinsam war man bestrebt, technische Aspekte mit einem künstlerischen Anspruch zu verbinden.30 Mit Blick auf die von Eilzabeth Brayer und Carl W. Ackerman eingehend untersuchten privaten Korrespondenzen von George Eastman bleibt anzunehmen, dass dieser nicht an den Treffen solcher Societies teilnahm.31 Der geringe Bekanntheitsgrad der Amateurfotografie in den 1870er Jahren spiegelte sich auch in der Außenwirkung wider. Baute Eastman sein Equipment im Feld auf, verwechselte man ihn gelegentlich mit einer Vergnügungsattraktion, einer »patent medicine show«.32 In anderen Fällen reihten sich Personen zur Aufnahme eines Bildes auf. Gab Eastman sich dann als Amateur zu erkennen, führte dies zu Irritationen.33 Diese Bemerkungen sind nicht allein für die gelebte Erfahrung Eastmans, sondern auch für die Berührungspunkte mit der Fotografie von Seiten der US-amerikanischen Öffentlichkeit bezeichnend. In den heimischen Bereich gelangten Fotografien vor allem in Form von Portraits, auf die

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Vgl. E. Brayer: George Eastman, S.27. Vgl. R. V. Jenkins: Images and Enterprise, S. 112. G. Seiberling/C. Bloore: Amateurs, Photography, and the Mid-Victorian Imagination. F. Brunet: »Societies, Groups, Institutions, and Exhibitions in the United States«, S. 1308. 31 Die von Brayer und Ackerman verfassten Biografien brillieren durch ihren Detailreichtum und machen es überhaupt erst möglich, die Anfänge der Eastman'schen Fotografiepraktiken zu erforschen. Zudem sei angemerkt, dass auch die Archivare des George Eastman Houses bei ihrer Recherche nicht selten auf Brayers Biografie zurückgreifen – so eine persönliche Beobachtung. E. Brayer: George Eastman; C. W. Ackerman: George Eastman. 32 G. Eastman/S. Crowther (1920): »Slow Profits Today, But Sure Profits Tomorrow«, S. 608. Die genannten »Patent Medicine Shows« stellten im Kern eine Verbindung zwischen medizinischer Scharlatanerie und Vergnügungskultur dar. Die mit Pferdekutschen umherreisenden Händler betrieben den Verkauf medizinischer Wunderelixiere im Rahmen von Unterhaltungsprogrammen. Vor allem in den USA war diese Form von Verkaufsveranstaltungen im 19. Jahrhundert populär und zeichnete sich durch musikalische Darbietungen, Zaubervorführungen und akrobatische Kunststücke aus. Siehe A. Anderson: Snake Oil, Hustlers and Hambones. 33 Vgl. G. Eastman/S. Crowther (1920): »Slow Profits Today, But Sure Profits Tomorrow«, S. 608.

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sich professionelle Studiofotografen spezialisierten.34 Vorzufinden waren Fotografien ebenso in der für einen Cent erhältlichen Zeitungspresse. Die sogenannte Penny Press band seit Beginn des Amerikanischen Bürgerkriegs (1861-1865) verstärkt dieses Medium ein.35 Das eigenhändige Fotografieren zeichnete sich im sozialwissenschaftlichen Sinne vor allem als »class«-Frage aus. Kaum Personen, die nicht der damaligen ›upper class‹ – bestehend etwa aus Großindustriellen, Händlern und Grundstücksspekulanten – angehörig waren, konnten sich die kostspielige Ausrüstung und Ausbildung leisten. Selbstredend war damit auch die in der Fabrik tätige ›working class‹ ausgeschlossen.36 Auch die im Mittelstand aufsteigenden ›white collar‹-Büroangestellten,37 zu denen Eastman zählte, muss es schwergefallen sein, die finanziellen Ressourcen mühelos aufzubringen. Einem Eintrag seiner privaten Buchhaltung zufolge erwarb er am 13. November 1877 für 94,36 $ fotografisches Equipment. Zu dieser Zeit bezog der Bankangestellte ein Gehalt von 1.400 $ jährlich, womit die Investition in die Kameratechnik damit beinahe einem Monatslohn entsprach.38 In diesem Licht rückt zwar die Mediengeschichte der Fotografie stärker in den Kontext sozialwissenschaftlicher Klassifizierungen und elitärer Statusfragen, jedoch darf dies nicht mit der von Kodak ausgewiesenen Behauptung verwechselt werden, Eastmans Karriereweg käme einem ›rag to riches‹-Aufstieg gleich. Zu markieren bleibt, dass die tatsächliche Aufnahme von Fotografien durch die mittlere Gesellschaftsschicht erst langsam im Laufe der 1880er Jahre erfolgte. Eine Entwicklung, die gleichermaßen durch Verfahrensänderungen in der fotografischen Praktik, konkreter durch das Trockenplattenverfahren, motiviert wurde. Vor 1880 blieb die Amateurfotografie für die meisten Personen ein unerschwinglicher und angesichts der verlangten Expertise oftmals entmutigender Prozess.39

34 R. Wickens-Feldman: »Domestic and Family Photography«, S. 431-434. 35 G. A. Borchard: A Narrative History of the American Press, insbesondere »The Press and the Civil War Era«. 36 R. Wickens-Feldman: »Domestic and Family Photography«, S. 431-434. In Bezug auf die Behandlung der Class-Frage in der Fotografiegeschichte muss an dieser Stelle eine Klammer gesetzt werden. Zumeist orientiert sich die Fotografiegeschichte an der britischen aristorkratieverankerten Gentlemen-Culture – eine historische Entwicklung, die keinesfalls für die USA beansprucht werden kann. Im nordamerikanischen Kontext bleibt die Aristokratie anders zu denken: Der Großgrundbesitz ist in der nordamerikanischen Geschichte in den Kontext der Sklaverei und des Farmertums zu stellen – Besitzverhältnisse, die sich nach dem Sezessionskrieg (1861-1865) teils veränderten. Zur Zeit des Nassen Kollodiumverfahrens spielte anstelle der britischen GentlemenCulture in den USA u.a. die industrielle, finanz- und handelswirtschaftliche Amateurelite eine zentrale Konsumentenrolle. Für den Aufstieg der ›working class‹ siehe R. S. Wilentz: Chants Democratic; für die Herausbildung der ›upper class‹ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts siehe S. Beckert: The Monied Metropolis. 37 C. W. Mills: White Collar. 38 Vgl. D. Collins: The Story of Kodak, S. 31. 39 Vgl. R. Wickens-Feldman: »Domestic and Family Photography«, S. 431-434.

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HEIM UND HERD Möchte man die Charakteristika der fotografischen Praxisgemeinschaft weiter konkretisieren, sind die zirkulierenden publizistischen Medien besonders aufschlussreich. Seit der Einführung des Nassen Kollodiums in den 1850er Jahren beeinflussten sie die Entwicklung der Fotografie und ihrer Verfahren bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Mit Hilfe von Handbüchern und Fachjournalen wurden technische Informationen und Erfahrungswerte ausgetauscht. Jedoch wäre es zu kurz gegriffen, allein den informationellen Aspekt des Austausches hervorzuheben. Die publizistischen Medien vermittelten ebenso das Wertegefüge agierender Fotoexperten.40 Einen Hinweis darauf, welches Selbstbild und Wertesystem die fotografische Praxisgemeinschaft durch ihre Handbücher und Fachjournale vermittelte, beschreibt die Kunsthistorikerin Miriam Halwani in ihrer Geschichte der Fotogeschichte 1839-1939. Auf Basis solcher Publikationen versuchte man, kategorische Distinktionen von Fotografie-Betrachtenden und -Praktizierenden geltend zu machen. Publikationen betrieben in diesem Sinne eine aktive und exklusive Formierung eines fotografischen Expertentums und dienten damit zu guter Letzt der eigenen Legitimation. An universitären Einrichtungen fand die Fotografie keinen Platz im Curriculum oder wurde lediglich als Randnotiz der Chemie – ohne eine Form der praktischen Übung – wahrgenommen. Das Gros der engagierten Verleger publizistischer Medien machten Physiker, Drucker, Optiker, Mathematiker, Chemiker, Künstler und Architekten aus. Gemeinsam war man bestrebt, die Fotografie als Objekte chemischer, physikalischer oder optischer Untersuchungen zu statuieren. Darüber, wie die Praxisgemeinschaft die fotografische Wissenschaft bis zum Ende des 19. Jahrhunderts verstand, gaben die von Halwani zitierten historischen Akteure folgende Antworten. Ihre »Erfahrungswissenschaft« und »fotografische Kochkunst« sei nicht lediglich auf das »nächstbeste Handwerk« zu reduzieren. Das Handwerk der Fotografie sei demgegenüber in besonderem Maße wissenschaftlich, weil man sich systematischer Schreibpraktiken bediene, wie etwa der tabellarischen Auflistung. Mit ihrer Hilfe sei es möglich, Wissen zu organisieren, Fortschritte zu identifizieren, zu sammeln und zu organisieren und letzten Endes durch Publikation in Fachzeitschriften Anstoß für weitere Errungenschaften zu geben.41 Wie

40 É. Wenger: Communities of Practice, S. 125-126; J. Lave/É. Wenger: Situated Learning. Dass die kooperativen Praktiken einer Praxisgmeinschaft von ihren Medien hergedacht werden können und keinesfalls an den interpersonalen Austausch gebunden sind, machen Lave und Wenger deutlich: »The term community does not imply necessarily co-presence, a well-defined, identifiable group or socially visible boundaries. It does imply participation in an activity system about which participants share understanding concerning what they are doing and what that means in their lives and for their communities«. J. Lave/É. Wenger: Situated Learning, S. 98. 41 M. Halwani: Geschichte der Fotogeschichte 1839-1939, S. 20-21, 27-28.

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sich andeutet, intendierten Amateure nicht, sich allein von Fotografie-Betrachtenden zu distanzieren, sondern ihre Form der Wissenschaftlichkeit von anderen Handwerksarten abzugrenzen. Gründe dafür werden sichtbar, wenn man die vermeintlich wissenschaftlichen Schreibpraktiken zur Anfertigung fotosensitiver Materialien genauer in den Blick nimmt. Wendet man sich für eine solche Analyse erneut Eastman zu, bleibt zunächst einmal festzuhalten, dass er insbesondere britische Journale studierte. Durch ihre Lektüre gelang es ihm, internationale Forschungsaktivitäten anderer Fotografen zu überblicken und auszumachen, dass man sich vielerorts mit den Schwierigkeiten der Feldfotografie auseinandersetzte. Bei der Recherche der Journale stieß Eastman auf die innovativen Überlegungen zu den sogenannten »Gelantine-Trockenplatten«. Mit diesem Verfahren sollte es erstmals möglich sein, die chemische Bearbeitung der Glasplatten hausintern vorzunehmen und damit auch getrennt vom fotografischen Aufnahmesetting zu operieren. Die Gelantineemulsion, die der Beschichtung der Glasplatte diente, zeichnete sich durch ihre Haltbarkeit aus und blieb – so die Hoffnung der Amateure – bei einer längeren Lagerung wertig. In Anbetracht der Fotografietätigkeiten, die saisonal gebunden und von sonnenlichtreichen Wetterverhältnissen abhängig waren, erwies sich dies von besonderem Vorteil.42 Für die an das Nasse Kollodiumverfahren gewöhnten Feldfotografen stand das neue Verfahren ganz im Zeichen einer praxisbezogenen Vereinfachung. Mit der Hoffnung, sich dieses Verfahren aneignen zu können, investierte Eastman in weitere chemische Materialien und startete Versuchsreihen im Elternhaus. Zwar basierte die Anfertigung der Trockenplatten auf einer simpel erscheinenden Idee, dennoch stießen bei ihrer Umsetzung selbst ausgebildete Wissenschaftler an ihre Grenzen. Das Zünglein an der Waage spielte dabei die adäquate Dosierung der Gelatineemulsion. Nach einigen Fehlschlägen konzentrierte sich Eastman auf Formeln aus dem britischen Journal of Photography.43 Das Journal gehörte zu den größten Publikationsorganen seiner Zeit und stand für den freien Austausch von technischen Informationen.44 Kamerahersteller priesen ihre Apparate an, patentierte Erfindungen wurden vorgestellt und Societies gaben ihre Treffen bekannt. Wie die »Correspondence«-Sektion des Journals ausweist, konnten Rückfragen zu publizierten Beiträgen gestellt werden, was nicht 42 Vaughn, William S. (1964): »From a Rochester Kitchen to Eastman Kodak Empire«. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection. 43 Das British Journal of Photography gehört zu den ältesten Fachzeitschriften für Fotografie. Gegründet wurde die Zeitschrift im Jahr 1854 unter dem Titel Liverpool Photographic Journal und wird nunmehr seit 1860 unter ihrem jetzigen Titel veröffentlicht. Zunächst wurde die Zeitschrift von der Liverpool Photographic Society verlegt und erschien in monatlichen Abständen. M. Hallet: »British Journal of Photography, The«, S. 214-215. 44 Vgl. R. V. Jenkins: Images and Enterprise, S. 69.

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selten zu Diskussionen über mehrere Ausgaben hinweg führte.45 Zudem wurden ›Rezepte‹ für das Anfertigen fotochemischer Emulsionen publiziert.46 Vor allem der publizierte Beitrag des Amateurfotografen Charles Harper Bennett vom 29. März 1878 verhalf Eastman dazu, eine geeignete Dosierung für die Gelantineemulsion zu finden. Wie der nachfolgende Ausschnitt vor Augen führt, legte Bennett dem Leser eine detaillierte Anleitung samt Kochutensilien und fotochemischer Zutaten vor: »To such of your readers as will carry out every point faithfully to the letter I can hold out full hope of success. I shall keep noting back, so that it will lie with them to get the same rapidity. […] Bromide of ammonium Best nitrate of silver Gelatine Distilled water

7 grains 11 “ 20 “ 1 ounce

Use Nelson's ›No. 1 photographic gelatine,‹ for with the opaque six-penny packets you have irregularity, red fog, and frilling. […] I do it by heat to ensure all being dissolved, as it does so very slowly after the gelatine is inserted. The four ounces of solution being now almost cold add the gelatine, shake up well, and place in two or three gallons of water at 90°. I use a fish-kettle with lid. In two hours the bromised gelatine will, after well shaking, be liquid, and also nearly at 90°. Now dissolve the silver in the other test bottle by heat in ounce of water, cool to 90°, and pour in; use the remainder of the two ounces set aside for the silver to swill out, heat in one ounce of water, cool to 90°, and pour in; use the remainder of the two ounces set aside for the silver to swill out, heat to 90°, and pour in. By being so particular we get regularity and are able to mix the plates of different batches, which is a great boon. Shake the emulsion very briskly and replace in the kettle for two, four, or seven days, according to rapidity required.« 47 [H.i.O.]

Mit dieser Anleitung bereitete Eastman Emulsionen in der heimischen Küche zu.48 Für das Experimentieren wurden ebenso haushaltsübliche Mittel wie Seife oder Alkohol herangezogen. Mit seinem Mentor, dem Studiofotografen Monroe, diskutierte Eastman Rezepte und Verfahren wie das Bestreichen der Platten mit einem Ei. Das Eiweiß erlaubte es, die Haftbarkeit der Gelantineemulsion auf den Glasplatten zu steigern. Zu dieser Zeit intensivierte Eastman auch den Kontakt zu Amateuren außerhalb von Rochester. Beispielsweise korrespondierte er mit George H. Johnson aus Connecticut. Man tauschte sich untereinander sowohl

45 Es sei darauf hingewiesen, dass auf der Homepage archive.org eine Vielzahl von Ausgaben des Journal of Photography zu finden sind. 46 Dass der freie Austausch von Informationen auch in weiteren Fachzeitschriften gebräuchlich war, beschreibt: R. V. Jenkins: Images and Enterprise, S. 69. 47 C. H. Bennett (1878): »A Sensitive Gelatine Emulsion Process«, S. 146-147. 48 G. Eastman/S. Crowther (1920): »Slow Profits Today, But Sure Profits Tomorrow«, S. 608.

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über Fortschritte als auch über die Verwendbarkeit von Haushaltsgeräten aus.49 So zirkulierte der Ratschlag, einen Teekessel für das vorsichtige und wohl dosierbare Auftragen der Emulsion auf der Glasplatte zu verwenden. Daraufhin kam ein Glasstab zum Einsatz, mit dem man die Emulsion in verschiedene Richtungen auf der Platte verteilte.50 Im Jahre 1879 fertigte Eastman funktionierende Trockenplatten an, die qualitativ hochwertige Fotografien hervorbrachten. Diese nutzte er für den Eigengebrauch, gleichzeitig brachte er sie unter professionelle Fotografen und Amateure in Rochester in Umlauf.51 Wird versucht, die geschilderten heimischen Praktiken von Seiten der Fotografiegeschichte zu beleuchten, zeigt sich, dass diese in der Umbruchsphase vom Kollodium- zum Trockenplattenverfahren bisher kaum Beachtung fanden. Zumeist folgen Kunst- wie Fotografiehistoriker solchen prominenten Fotoexperten, die über ein eigenes Labor oder Atelier verfügten.52 Möchte man dennoch die laboratorische Nutzbarmachung des Küchenraums historisch erschließen, ist es ratsam, die Aufmerksamkeit auf die Organisation dieser Räumlichkeit zu lenken. Die HistorikerInnen Sigfried Giedion und Ellen M. Plante zeigen auf, dass dem Aufbau der Küchenräumlichkeiten in mittelständischen Haushalten bereits eine rationalisierte Arbeitsorganisation eigen war. So dienten freistehende Schränke der sortierten Ablage von Geschirr, Töpfen und Nahrungsmitteln. Unfern des Spülbeckens wurde ein Arbeitstisch zur Nahrungsmittelzubereitung platziert. Eine massenhafte Zirkulation von Haushaltsutensilien war zu dieser Zeit bereits durch die etablierte Haushaltsindustrie gegeben.53 Die Rationalisierung des Küchenraums wird dabei insbesondere der Autorin Catherine Beecher in Rechnung gestellt. Beechers Schriften – wie beispielsweise

49 Vgl. C. W. Ackerman: George Eastman, S. 30. 50 Vgl. E. Brayer: George Eastman, S.28. 51 Vaughn, William S. (1964): »From a Rochester Kitchen to Eastman Kodak Empire«. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection. 52 Ausnahmen bestätigen diese Regel: Der Fotografiehistoriker Gregory Batchen zeigt auf, dass die Geschichte des ›gewöhnlichen‹ Fotos, angefertigt vom »everyday folk«, selten einen zentralen Untersuchungsgegenstand bildet. Demgegenüber stehen die künstlerischen Ambitionen des Mediums und ihre Anschlussfähigkeit an eine formalistische kunsthistorische Erzählung im Fokus oder die Fotografiegeschichte folgt ihren eigenen heroischen Erfindererzählungen, indem sie vornehmlich die Pionierleistungen von Louis Jacques Mandé Daguerre, Nicéphore Niépce oder William Henry Fox Talbot in den Blick nimmt. »Vernacular photographies resist this kind of classification, tending to be made in vast numbers by anonymous, amateur, working-class, and sometimes even collective hands or, worse, by crass commercial profiteers.« In seiner Geschichte vernakularer Praktiken konzentriert sich Batchen auf die private Aneignung erworbener Fotografien im heimischen Bereich, wofür die Verzierung von Bildern mit Schmucksteinen ein Beispiel ist. G. Batchen: Each Wild Idea, S. 57. 53 Vgl. E. Plante: The American Kitchen, 1700 to the Present, insbesondere Kapitel »Notable Changes: Widespread Use of the Cookstove and Massproduction of Gadgets and Utensils«.

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The New Housekeeper's Manual – erreichten die Haushalte in den 1870er Jahren und beschrieben eine zeitersparende Anordnung des Mobiliars. Mit der Absicht, Wege im Küchenbereich zu minimieren, wurden die zentralen Arbeitseinheiten der Aufbewahrung, Zubereitung und Reinigung zweckdienlich zusammengefasst. Während sich Beecher für eine zu reduzierende Arbeitslast der Hausfrau einsetzte, wurde der Küchenbereich – wie die bisherigen Ausführungen belegen – von einigen Fotografen als Labor erobert und zur experimentellen Nutzung angeeignet.54 Die Relevanz des hauseigenen Labors – dies sei vorweggenommen – blieb mit der Durchsetzung der Trockenplatten nicht nur bestehen, sondern wurde vielmehr durch diese fotografische Technik verstärkt. Mit der »Gelatine Revolution« etablierte sich eine großangelegte Trockenplattenindustrie nicht nur in den USA, sondern auch in England und Deutschland. Fotosensitive Materialien, wie die beschichteten Platten oder auch Fotopapier (auf das ein Bild im letzten Bearbeitungsschritt gedruckt werden konnte), waren in den 1880er Jahren zu erwerben.55 Das Amateurisieren dieser Technik ging mit der Erschließung und wissenschaftlich-technischen Aneignung privater Orte Hand in Hand. Die Vereinfachungen ermöglichten den ›gewöhnlichen‹ Personen aus dem Mittelstand, erstmals Erfahrungen mit der fotografischen Bearbeitung in der heimischen Dunkelkammer zu machen. Verharrt man noch einen Moment bei den Auffälligkeiten, die die heimischen Geschicklichkeiten mit dem laboratorischen technischen Können zusammenführen, so wird ersichtlicher, wieso die Amateure sich bei der Verwissenschaftlichung der Fotografie vom »nächstbesten Handwerk« zu distanzieren versuchten. Die Ähnlichkeiten zwischen dem Handwerk des Kochens und dem des Emulsionsanfertigens sind unverkennbar. Sie folgen gewissermaßen dem gleichen Prinzip: Um empfindliche, natürliche Substanzen zu verarbeiten, sind technische Maßeinheiten zu berücksichtigen (»grains«, »ounce«, »90°«), ebenso die eigenen Handgriffe im Zusammenspiel mit zu nutzenden Utensilien zu bemessen (»shake the … very briskly«), und dabei eine genaue Abfolge von Arbeitsschritten zu befolgen. Mit dieser Perspektivierung soll dem fotografischen Handwerk keineswegs die Wissenschaftlichkeit abgesprochen werden. Vielmehr gilt es, die alltägliche Natur fotografischer Entwicklungsarbeiten anzuerkennen, während im Gegenzug der Verwissenschaftlichung des alltäglichen Handwerks eine stärkere Bedeutung zuzuweisen bleibt. So fokussierten sich Architekten auf die Konstruktion eines »wissenschaftlich« geführten Küchenraums noch bevor das 19. Jahrhundert endete. Aus dem zuvor Werkstatt-ähnlichen Arbeitsraums sollte bald eine laboratorische Einrichtung werden, dessen Grundpfeiler die Sterilität darstellte. Die Ratgeberliteratur im Bereich der Haushaltsführung nahm bereits seit 54 Vgl. S. Giedion: Die Herrschaft der Mechanisierung, S. 557-572. 55 Vgl. R. V. Jenkins: Images and Enterprise, insbesondere »The Gelatin Revolution, 18801995«.

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den 1870er Jahren eine Verwissenschaftlichung des Kochens vor. Neben Rezepten und Dekorationsvorschlägen gab man der Hausfrau auch Ratschläge im Bereich der »Domestic Medicine and Surgery«, »How to Obtain Patents and Copyrights«, »Tables of Weights and Measures«, »Useful Social and Scientific Facts« an die Hand.56 Die Frage, ob sich die Relevanz von Handfertigkeiten im Bereich der naturwissenschaftlichen Forschung angesichts der Entwicklung hochtechnischen und spezialisierten Laborequipments verändert hat, kann verneint werden. Die Untersuchungen der Science and Technology Studies legen nahe, dass Wissenschaftler einen Großteil ihrer Ausbildung mit dem Erwerb von Fähigkeiten verbringen, um experimentelle Phänomene im Sinne einer bestimmten Arbeitstradition oder eines bestimmten Paradigmas zu erzeugen. Die Ausbildung zielt weniger darauf ab, die chemischen oder physikalischen Untersuchungsgegenstände zu testen. Demgegenüber wird der Körper des Wissenschaftlers geprüft. Festzustellen gilt es, ob dieser über die erforderlichen Fähigkeiten verfügt, um die korrekten Ergebnisse im Sinne des verfolgten Paradigmas zu erzeugen.57 Trevor Pinch konkretisiert einen zentralen Aspekt dieser Fähigkeiten folgendermaßen: »Ethnographies of skill [...] show the extent to which many skills depend upon tacit knowledge. Tacit knowledge is knowledge that can be acquired and passed on, but that cannot be articulated. The skill involved in learning to ride a bike is a good example of tacit knowledge [...]. [...] Tacit skills are typically not learnt from books and written manuals; such skills are learnt in practice ›by doing,‹ on the job. Pottery, woodwork, and cooking are full of such skills, as is car maintenance and much of science, technology, and medicine.«58

Im Kontext der tacit skills wird die Statuierung der »fotografischen Kochkunst« als »Erfahrungswissenschaft« verständlicher.59 Es sind die inkorporierten Wissensbestände, die jedes künstlerische, wissenschaftliche oder alltägliche Handwerk in besonderem Maße prägen und jedem gleichermaßen zu Teil ist.60 Erst im Rahmen der Ausübung tatsächlicher Vollzüge wird das ›know how‹ zur inkorporierten Fertigkeit und kann als solche auch in der Praxis zur Anwendung 56 57 58 59

Vgl. E. M. Plante: The American Kitchen, 1700 to the Present, S. xi, 139, 128. Vgl. T. Pinch: »Technology and Institutions«, S. 466. Ebd. Die wissenschafts- und techniktheoretische Auseinandersetzung mit dem »impliziten Wissen« geht auf den Chemiker und Philosophen Michael Polanyi zurück und wurde unter dem Begriff des »tacit knowledge« von Wissenschaftssoziologen wie Thomas Kuhn und Harry Collins im Rahmen der laboratory studies konzeptuell weiterentwickelt. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit diesen inkorporierten Wissensform findet im Kap. Verrechtlichen und justiziabel Machen statt. M. Polanyi: Implizites Wissen; T. S. Kuhn: The Structure of Scientific Revolutions; H. M. Collins: Changing Order, Replication and Induction in Scientific Practice. 60 Siehe auch E. Schüttpelz: »Skill, Deixis, Medien«.

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kommen. In diesem Sinne macht alle Übung den Foto-Experten und sein wissenschaftliches Handwerk aus. Dass die Verbundenheit von Handwerk, Wissenschaft und Kunst auch aus der Historie der technischen Kunstfertigkeiten begründet werden kann, legt der Kulturanthropologe Larry Shiner in seiner Schrift The Invention of Art nahe. Im Sinne technischer Kunstfertigkeiten – »art« abgleitet aus dem lateinischen ars und dem griechischen techne – umfasste Kunst einst das technische und wissenschaftliche Können von Praktikern genauso wie ihre ästhetischen und unterhalterischen Bestrebungen. Solche Kunstfertigkeiten betrafen sowohl die Schuhmacherei und das Kochen als auch das Verfassen von Versen und das Verzieren von Töpferwaren. Eine Aufspaltung ereignete sich im 18. Jahrhundert durch Institutionalisierungen, wie die Museumsbildung, das Verhandeln von Copyrights und die Entstehung eines Kunstmarktes. Diese Bewegungen veränderten das Verständnis und den Status von Kunst genauso nachhaltig wie die Herausbildung des Bürgertums bzw. allgemeine soziale Stratifizierungen. Sie trugen dazu bei, zwischen den feinen Künsten wie der Poesie, Malerei, Skulptur, Architektur sowie Musik, und den niederen alltäglichen Handwerksarbeiten und populären Künsten wie etwa den Volksliedern, dem Geschichtenerzählen und der Stickerei zu unterscheiden. Daraus resultierten unvereinbare Positionen: Auf der einen Seite stand der Künstler als »creator«, der sein Schöpfertum dazu verwendete, Wahrheiten spiritueller, künstlerisch-ästhetischer wie auch wissenschaftlicher Natur offenzulegen. Die »maker« bzw. Handwerker befanden sich auf der anderen Seite. Sie folgten funktionalen Nützlichkeiten, der profanen Unterhaltung und dem gesellschaftlichen Vergnügen.61 Die Fotografie entstand in dieser bereits ausdifferenzierte Welt am Anfang des 19. Jahrhunderts. Von Seiten der feinen und bildenden Künste erfuhr sie Geringschätzung und wurde mit Blick auf die Malerei als illegitim statuiert. Die universitären Naturwissenschaften taten das Handwerk als ›schlichtes‹ Erfahrungswissen ab, da es nicht aus ihren akademischen Kreisen hervorgegangen ist.62 Als dann ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die universitären Forschungsstätten Fotografie-interessierte Berufswissenschaftler hervorbrachten, wendete sich langsam das Blatt. Wenngleich der Fotografie keine akademische Eingliederung gelang, bildete sich eine Praxisgemeinschaft in Form einer Wissenschaftsgemeinde heraus. Auf Basis ihrer Forschungen wurde die Fotografie vor allem in Westeuropa enorm vorangetrieben. Auf diese Art gewann das Medium an Autorität.63 Dennoch mussten die Amateure weiterhin darauf bedacht sein, das Handwerk mit einem künstlerischen und wissenschaftlichen Erkenntniswillen zu verbinden und dieses fein säuberlich von konsumorientierten Alltagsgeschäften zu trennen. 61 Vgl. L. Shiner: The Invention of Art, insbesondere »Introduction«. 62 Vgl. M. Barth: »›Die Stunde der Amateure‹«, S. 92. 63 Vgl. R. V. Jenkins: Images and Enterprise, S. 343.

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EIN YANKEE UND PROFESSIONELLER LAIE Mit Rückblick auf die Mitglieder der fotografischen Praxisgemeinschaft der 1870er Jahre ist nicht darüber hinwegzusehen, dass George Eastman weder recht in das Bild eines upper class-Amateurs noch eines erkenntnisgeleiteten Berufswissenschaftlers passte. Einen geteilten sozialen Status und akademischen Hintergrund hatte er mit diesen Amateuren nicht gemein. Sie nutzten ihre Freizeit mit der Absicht, die künstlerischen und wissenschaftlichen Potenziale der Fotografie auszuloten. Wahrscheinlich sah der junge Bankangestellte demgegenüber in dem Medium ein anspruchsvolles Hobby. Es mag sein, dass er die Abenteuererfahrung der Feldfotografie sowie die Herausforderung des Experimentierens ebenso als Kontrastprogramm zu seinem professionellen Leben verstand. Indem der junge Bankangestellte im nächsten Schritt sein Hobby zum Beruf machte, fiel er aus Perspektive der vorherrschenden Amateure gewissermaßen in ›Ungnade‹. Es war geboten, die fotografische Wissenschaft und Kunst um ihrer selbst willen zu betreiben, weswegen eine Professionalisierung samt finanzieller Interessen einem Verrat am Amateur-Sein gleichkam. Die Welt der Experimentatoren und Erfinder, so deutet die kulturwissenschaftliche Fotografieforschung an, konnte insbesondere nicht mit dem Geschäftssinn von Trockenplattenproduzenten übereinkommen.64 Eine Haltung, die verwundert. Denn trotz aller Kritik an Professionalisierung, gelang es den Amateuren bisher, ihrem künstlerischen und wissenschaftlichen Erkenntniswillen zu folgen, wenngleich sie dabei fotografisches Equipment von der Industrie erwarben, die sich auf den Amateursektor spezialisiert hatte. Ob tatsächlich allein pekuniäre Interessen Formen der Ablehnung hervorriefen, wird u.a. ein Gegenstand der folgenden Ausführungen sein. Eastman wandte sich gegen Ende der 1870er Jahre erstmals Praktiken professioneller Erfinder zu. So reichte er mit Unterstützung des Amateurkollegen George Selden, der auch als Patentanwalt tätig war, eine Patentschrift für eine Beschichtungsapparatur ein. Die Erfindung stand erneut ganz im Zeichen der Simplifizierung fotografischer Praktiken, indem sie die komplizierte Aufgabe der Plattenbeschichtung durch einen Maschineneinsatz neu organisierte. Bei der Beschichtungsapparatur handelte es sich um eine Erfindung, mit der die Gelantineemulsion einheitlich auf mehrere Platten zugleich aufgetragen werden konnte.65 Während Eastman seine fotografischen Tätigkeiten noch im Sinne einer Freizeitaktivität betrieb, nahm er die Position eines renommierten und aufstrebenden Buchhalters im Bankgeschäft der Rochester Savings Bank ein. Doch das Verwenden jeglicher Freizeit samt nächtlichem Experimentieren, brachte 64 Vgl. A. Pollen: »Objects of Denigration and Desire«. 65 Vgl. George Eastman, »Method and Apparatus for Coating Plates for Use in Photography«, Patentnummer 226.503, 13.4.1880.

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körperliche Erschöpfung und Müdigkeit mit sich. Bedenkenlos stimmten Eastmans Vorgesetzte daher einem längeren Urlaub zu, der für eine Reise in die Hauptstadt der Fotowelt – London – im Juni 1879 genutzt wurde.66 In London fand bereits eine erfolgreiche Kommerzialisierung von Trockenplatten durch die Liverpool Dry Plate Company, Wratten & Wainwright Ltd., Mawson and Swan und B. J. Edwards statt.67 Mit einer detaillierten Ausarbeitung seiner Plattenbeschichtungsmaschine zur Hand trat Eastman an W. B. Bolton heran. Bolton war jener Zeit nicht nur Eigentümer der Liverpool Dry Plate Company, sondern auch Mit-Herausgeber des bereits genannten Journal of Photography. Eastman hoffte darauf, einen Beitrag zu seiner Apparatur publizieren zu dürfen und damit Aufsehen von Seiten der Fotografiebranche zu erregen.68 Dem Journal of Photography kam auch auf andere Weise eine tragende Rolle zu. Im Sinne eines Adressverzeichnisses diente es Eastman dazu, potentielle Klienten aufzuspüren und ihnen patentrechtliche Lizenzen für seine Beschichtungsmaschine veräußern zu können. Obwohl Eastman sich mit einer Reihe von Trockenplattenproduzenten in London in Verbindung setzte, glückten seine Bemühungen erst nach der Rückkehr in den USA.69 Der Korrespondenz mit den britischen Trockenplattenherstellern lässt sich ablesen, dass Eastman sich auch unlauterer Register bediente. So erweckte er den Eindruck, bereits eine erfolgreich operierende Trockenplattenfabrik zu führen, in der die Plattenbeschichtungsapparatur die gewünschten Ergebnisse erzielte – eine Produktionseinrichtung, die bis dato keinesfalls existierte.70 Erst im April 1880 mietete Eastman ein Zimmer in Rochester an, indem er der Trockenplattenherstellung nachging. Die Platten vertrieb er vor allem an Berufsfotografen und Einzelhändler. Personalauswahl, Buchhaltung, Kundenbetreuung und das Abmischen der Emulsion übernahm Eastman – trotz Bankanstellung – zunächst selbst. Angesichts der hohen Nachfrage weitete Eastman seine Fabrik auf ein gesamtes Stockwerk aus. Zudem wurden Formen der Arbeitsteilung unumgänglich. Gegen Ende des Jahres verfügte er über ein Team, bestehend aus Vertriebsagenten, Buchhaltern, Verpackern und Plattenbeschichtern.71 Noch im selben Jahr patentierte Eastman eine verbesserte Version der Beschichtungsmaschine. Als praktische und zuverlässige Maschine wurde die Apparatur zwar beworben, jedoch erbrachte sie keine ihrer versprochenen Leistungen. Neben einer komplizierten Reinigung war sie hochgradig störungs66 Vaughn, William S. (1964): »From a Rochester Kitchen to Eastman Kodak Empire«. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection. 67 E. Brayer: George Eastman, S. 29. 68 Vgl. ebd. 69 Vgl. ebd., S. 29-32. 70 Vgl. ebd., S. 30. 71 Vgl. ebd, S. 33.

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anfällig, verschwendete Unmengen der kostspieligen Emulsion und trug ungleichmäßig auf die Platten auf. Bezeichnenderweise ging man auch in Eastmans Fabrik wieder zur manuellen Plattenbeschichtung über – eine Einsicht, die Eastman keinesfalls davon abhielt, weiterhin Lizenzen für diese Innovation zu vergeben. 16 Jahre später deutete der Unternehmer dieses Täuschungsmanöver als ausgeklügelte Marketingstrategie.72 Laut Eastman sollte dem Konsumenten wie auch den Konkurrenten unaufhörliches Erfinden vermittelt werden. Wahrscheinlich blieb dem Laien in der fotografischen Unternehmerwelt jedoch eher keine andere Wahl als mittels Trug seine anfänglich fehlgeschlagene Industrieforschung im Bereich der Produktionsverfahren unkenntlich zu machen. Im nordamerikanischen Raum wurde die fotografische Unternehmerwelt von der E. & H.T. Anthony Company und Scovill Manufacturing Company dominiert.73 Beide Unternehmen gingen bereits seit der Daguerreotypie (1839-1855) der Kommerzialisierung der Fotografie nach und nahmen die führenden Marktpositionen ein, die sie auch zur Zeit des Nassen-Kollodiumverfahrens (1855-1880) behaupteten. Auffällig ist, dass diese Unternehmen zwar in ihren Fabriken eigenes hoch spezialisiertes Kameraequipment produzierten, aber ihre machtintensiven Positionen maßgeblich auf ihre händlerischen Aktivitäten zurückzuführen sind. Die Anthony Company gehörte etwa zu den prominentesten Fabrikanten auf dem Gebiet der Foto-chemie im nordamerikanischen Raum. Andere wissenschaftliche Spezialisierungen wie die kleinangelegte Herstellung von Kameralinsen nahmen Optiker in ihren Werkstätten vor. Exklusive Marketingvereinbarungen erlaubten einen privilegierten Anspruch auf Lieferanten und gestalteten aus Perspektive dieser das Handelssystem überaus attraktiv.74 Glücklicherweise gehörte der geschäftsführende Edward Anthony zum Bekanntenkreis von Eastmans Mentor George Monroe. Monroe setzte sich dafür ein, dass im August 1880 die Platten vorgeführt werden durften. Die Spezialisierung der Anthony Company lag in der Chemikalienbelieferung von Studiofotografen, die zu dieser Zeit hauptsächlich noch mit dem Nassplattenverfahren arbeiten. Professionelle Fotografen – so die Einschätzung Edward Anthonys – seien kaum bereit, die gewohnte Technik aufzugeben.75 Da die Existenzgrundlage und Reputation professioneller Fotografen unmittelbar mit dem verlässlichen Anfertigen von Fotografien einherging, wollte man sich nicht auf eine neue Technik einlassen. Im Vergleich zum Kollodium zeichnete die lichtsensiblere Gelatine kürzere Entwicklungszeiten aus, weswegen sich Studiofotografen bei einem Verfahrenswechsel neue Expertisen aneignen mussten.76 72 Vgl. E. Brayer: George Eastman, S. 34. 73 Vgl. R. V. Jenkins: Images and Enterprise, S. 10-63. 74 Eine reichhaltig recherchierte Darstellung der Anthony Company findet sich bei W. Marder/E. Marder: Anthony. 75 Vgl. E. Brayer: George Eastman, S. 35. 76 Vgl. R. V. Jenkins: Images and Enterprise, S. 69. Wird die Arbeit in professionellen Fotostudios zu dieser Zeit eingehender betrachtet, zeigt sich schnell, dass auch ein weiterer

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Aus Perspektive der Anthony Company kam erschwerend hinzu, dass sie bereits über etablierte Lieferanten in England für das von den Amateuren bevorzugte Trockenplattenverfahren verfügten. Da die Anzahl britischer Amateure rasch zunahm, gewannen sie auch schnell an industrieller Geltung. Britische Unternehmen avancierten daher zu einer großformatigen Zuliefererindustrie.77 Im persönlichen Treffen kamen Edward Anthony und George Eastman letztendlich doch zu einer Übereinkunft. Die Bestellungen der Anthony Company sollten vorrangig vor anderen Kundenbestellungen behandelt werden, wofür sich Eastman in den Printwerbungen des Marktführers als alleiniger Handelsagent für Trockenplatten geltend machen durfte.78 Eastman kündigte in diesem Jahr auch seine Anstellung in der Rochester Savings Bank. Grund dafür war in erster Linie jedoch nicht sein unternehmerisches Vorhaben im Kontext der Eastman Dry Plate Company. Er erwartete eine Beförderung im Bankgeschäft, auf die er seit geraumer Zeit hinarbeitete. Da im Zuge von Vetternwirtschaft eine andere Person bei der Stellenbesetzung bevorzugt wurde, verließ er die Bank nach kurzer Zeit und widmete sich vollends seiner Arbeit als Handelsagent.79 Als zahlreiche Beschwerden von Fotografen die Anthony Company erreichten, kam es zum Konflikt zwischen den Unternehmern. Die Gelatineemulsion der Glasplatten zeigte sich nicht lichtempfindlich und war für die fotografische Entwicklung untauglich. Angesichts seines Reputationsverlusts war Eastman gezwungen, den Bestand zurückzurufen und auf diese Art sein Unternehmen vor dem Ruin zu bewahren. Man versprach, tausende Platten, die sich im Besitz der Anthony Company und von Fotografen befanden, zu ersetzen. Experimente zur Verbesserung der Gelatineemulsion, die Eastman gemeinsam mit seinen MitarFaktor für widerständige Haltung gegenüber des Trockenplattenverfahrens eine zentrale Rolle spielte. In dem Artikel »The Wonders of Photography« beschrieb E. L. Wallace seine Eindrücke, die er bei der Führung des ansonsten für Privatpersonen unzugänglichen Studios gewann. Eine Fotografie durchlief bis zu ihrer Fertigstellung eine Vielzahl an Stationen. Schätzungsweise nahm man 25 Bearbeitungsschritte innerhalb eines ein- bis zweitägigen Zeitraums vor. Gleichermaßen wird von überwiegend spezialisiertem weiblichem Personal berichtet, welches anstelle des Fotografen Entwicklungsetappen übernahm. Verfahrensänderungen machten damit nicht allein den Erwerb neuer Expertisen des Fotografen und seiner Mitarbeiterinnen erforderlich, sondern auch die Umstellung des gesamten Studiosystems zwingend. Vgl. E. L. Wallace (1865): »The Wonders of Photography«, S. 466. 77 Vgl. R. V. Jenkins: Images and Enterprise, S. 69. 78 Vgl. E. Brayer: George Eastman, S. 35. 79 Eastman hielt hierzu fest: »Mein Vorgesetzter, dessen Assistent ich war, verließ die Bank. Ich hatte einen guten Teil seiner Arbeit geleistet und war mit ihr durchaus vertraut. Ich erwartete, und alle meine Mitarbeiter erwarteten, daß ich naturgemäß an seine Stelle vorrücken würde. Ich erhielt sie nicht. Irgendein Verwandter eines Bankdirektors wurde eingeschoben und neben mich gesetzt. Es war nicht recht. Das war nicht ehrlich. Es sprach aller Gerechtigkeit Hohn. Ich blieb nur noch eine kurze Zeit, dann ging ich. Ich gab mich jetzt ganz und gar meinem Steckenpferd, dem Photographieren, hin.« George Eastman zitiert nach J. M. Eder: Geschichte der Fotografie, S. 676.

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beitern anstellte, scheiterten jedoch zunächst. Wie man später herausfand, war die kurze Haltbarkeit der Emulsion keineswegs der Eastman'schen Formel geschuldet, sondern der minderen Qualität der Gelatine, die sein Unternehmen aus England bezog.80 Fotochemische Materialien dieser Zeit waren nicht standardisiert, weswegen ihre Qualität und Reinheit vom jeweiligen Hersteller abhingen. Die beginnende Industrieforschung der Eastman Dry Plate Company war daher darauf angewiesen, die Qualität zugelieferter Materialien zeitintensiv zu testen. Anzunehmen bleibt, dass diese wissenschaftliche Herausforderung die Trockenplattenindustrie im Allgemeinen betraf und auch für Eastmans Konkurrenten eine komplexe Aufgabe darstellte. William G. Stuber, ein Künstler samt eigener Galerie, beschrieb, dass er aufgrund der permanent variierenden Qualität eingekaufter Produkte der Eastman Dry Plate Company, Keystone Dry Plate und Cramer & Norden gezwungen war, die Platten eigenen Tests zu unterziehen.81 Wenngleich der Übergang zur Trockenplattentechnik eine Vereinfachung des fotografischen Handwerks mit sich brachte, stellte sich das Vertrauen in die entstehende Industrie nicht bedenkenlos ein. Berufsfotografen, Galleristen und höchstwahrscheinlich auch solche, die die Fotografie für wissenschaftliche Zwecke nutzen, waren von den Standardisierungserfolgen wie -misserfolgen der unternehmerischen Erfinder abhängig. Die Aufgabe der Autonomie im Bereich fotosensitiver Materialien gefährdete in besonderer Weise die Reputation von Fotografen. Vorstellbar ist, dass Amateurdebatten über ›gute‹ und ›schlechte‹ Technik und zu bewahrenden Praktiken des fotografischen Handwerks gerade durch die aufkommende Trockenplattenindustrie verstärkt geführt wurden.

80 Vgl. C. W. Ackerman: George Eastman, S. 43. 81 In einem Oral-History-Interview, das der Fotografiehistoriker Reese V. Jenkins mit dem Kodak Mitarbeiter Adolph Stuber führte, berichtet Stuber über die Anfänge der industriellen Forschungseinrichtung der Kodak Company. Genauer: Sein Vater William G. Stuber wurde von Eastman im Jahre 1894 als »emulsion maker« in der Industrieforschung angestellt. Zuvor war Stuber als leidenschaftlicher Fotograf samt eigner Galerie tätig. Eastman wurde auf ihn durch seine Standardisierungsbemühungen von Gelantineemulsionen aufmerksam – Forschungen, die letztendlich auch seine Einstellung begründeten. Interessant in diesem Zusammenhang ist diese Passage des Inter–views, in der die Herausforderungen von Amateurfotografen in einer nicht standardisierten Welt fotochemischer Materialien besprochen wird: »Stuber never was satisfied with the quality of the emulsion for one main reason and this I think has never been stressed but is very important – uniformity of product. Every time he bought a dozen plates from Eastman or Cramer or Hammer, he had to take one or two plates out and test them and see how they reacted under certain light conditions or certain developing conditions. And he made up his mind that somehow you could make a plate that when you bought if they were always the same – uniform«. Das Transkript des Oral-History-Interviews gehört zu den Bibliotheksbeständen George Eastman Museums. Reese, Jenkins V. und Adolph Stuber, 11-13 June 1979: Oral History Interview (Transkript). George Eastman Museum Library, Ausleihnr. RB OVERSIZE TR 140.S88J46.

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Angesichts der Standardisierungsprobleme und der wachsenden Konkurrenz in der Trockenplattenindustrie ging Eastmans Unternehmung zur Produktdiversifikation über. Dies mag auch der Grund dafür gewesen sein, dass im Februar 1885 die Konflikte zwischen der Anthony Company und Eastman Dry Plate Company ihren Höhepunkt erreichten. Eastman wendete sich nun verstärkt der eigenen Kameraproduktion samt Gelatine-beschichteter Papierstreifen und Rollfilmhaltern zu. Durch die Zusammenarbeit mit dem angestellten Kamerabauer William Walker gelang es, das Gewicht der Kameraausrüstung erheblich zu reduzieren. Anstelle der Glasplatten kam ein Rollfilmkassette zum Einsatz. Gleichermaßen nahm man eine ähnliche Bewegung vor, wie sie durch den Verkauf bereits beschichteter Trockenplatten Einzug in die Fotoindustrie gefunden hatte. Um fotochemische Bearbeitungsschritte zu reduzieren, wurde auch der Rollfilm mit einem Gelatinefilm angeboten.82 Mit diesen Schritten emanzipierte sich das Eastman'sche Unternehmen von seiner Rolle als Zulieferer fototechnischen Equipments und trat selber als Großindustrieller in Erscheinung. Die Anthony Company und Eastman Dry Plate Company konnte sich nur noch darauf verständigen, alle Vertragsbindungen sofortig aufzuheben.83 Sicherlich wirken Eastmans erste Schritte in der professionellen Welt der Fotoindustrie laienhaft und unstetig. Gleichermaßen macht diese Form des Professionalisierens auf den Erfinder- und Unternehmergeist der amerikanischen »Yankee«-Kultur aufmerksam. Der industrielle Fortschritt und die Urbanisierung Nordamerikas fanden im 19. Jahrhundert vorwiegend in den Staaten der Ostund Nordküste stattfand. Der mittlere Westen und der Süden blieben vorerst agrarisch geprägte Regionen. Überspitzt formuliert, leiteten ›Yankees‹ im Geist der Pilgerväter die infrastrukturelle und technologische Besiedelung des Landes ein. Während die anfängliche agrarische Erschließung des nordamerikanischen Kontinents durch manuelle Werkzeuge (und in einem Gewaltakt gegenüber der indigenen Bevölkerung) realisiert wurde,84 wandelten die Yankees des 19. Jahrhunderts ihre Umgebung durch Technologie und Infrastrukturlegung samt einer radikalen Verfügbarmachung natürlicher Ressourcen.85 So fanden Kanal82 Vgl. C. W. Ackerman: George Eastman, S. 59. 83 Vgl. ebd., S. 71. 84 So wurde etwa die Axt zum Nationalsymbol der Westbewegung. Unumgänglich ist es darauf hinzuweisen, dass diese Westbewegung (frontier) keinesfalls über einen unschuldigen Charakter verfügte. Die agrarische Besiedelung stellte ein siedlerimperialistisches Projekt dar, dass die Unterwerfung und Vernichtung der indigenen Bevölkerung zur Folge hatte. D. E. Nye: America as Second Creation. 85 So hält der Historiker Charles L. Smith fest: »In the early nineteenth century the technology and capital that flowed into the new nation, and the manufacturing infrastructure it subsequently created, rapidly gained momentum. In many instances this growth fed upon itself, setting a cycle in motion. Profitable manufacturing enterprises required larger and more sophisticated industrial technology. New technologies increased the need for natural resources. Increased extraction of resources (water, coal, iron, timber) spurred further industrial activity, which in turn required more land and material to

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bau oder die Elektrifizierung genauso hier ihren Anfang wie die Mechanisierung manueller Fertigungsverfahren.86 Der amerikanische Erfindungs- und Einfallsreichtum – häufig bezeichnet als »Yankee ingenuity« – stand für ein Nützlichkeitspostulat und einen rigorosen Pragmatismus. Man erkannte die praktische Natur des professionellen und privaten Alltags und reagierte in Problemlagen mit technisch-maschinellen Lösungen. Größtenteils verfügten die Urheber industrieller Entwicklungen weder über eine natur- noch über eine ingenieurswissenschaftliche Universitätsausbildung. Anleitende Theorien oder wissenschaftlich begründete Methoden bildeten daher keine Orientierungspfeiler, weswegen das innovative Schaffen einer ›trial and error‹-Herangehensweise glich.87 Eine breiter angelegte wissenschaftshistorische Situierung wie sie der Industrieforschungshistoriker Kendall A. Birr anbietet, legt offen, dass science und technology unterschiedliche Wege in den meisten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts beschritten. Einerseits gelang es den Naturwissenschaften nicht, ihre Theorien mit einer praktischen Anwendbarkeit zu kombinieren und auf diese Art einen Beitrag zur aufblühenden Industrie zu leisten. Andererseits machten sich Klassenunterschiede auch hier bemerkbar. Während Wissenschaft das Resultat einer belesenen und gut ausgebildeten Aristokratie war, erschlossen mittlere und untere Gesellschaftsschichten nutzenorientiert durch Technologien ihren Alltag.88 Dass diese Bewegung mit einem Expansionswillen verbunden wurde, stellt der Technikhistoriker Thomas P. Hughes dar. Sahen sich Erfinder-Unternehmer, wie etwa Thomas Alva Edison, in Krisen überfordert oder kamen Schieflagen in ihren Unternehmen zum Vorschein, akzeptierten sie die Dramatik des Geschäftslebens kurzerhand.89 Auf den ersten Blick mag es irrational erscheinen, etwa von der Verbesserung einer vorliegenden Erfindung abzusehen, bevor man Lizenzen für diese Innovation ausstellt. In Anbetracht organisatorischer und technischer Missstände oder der persönlichen Expertisenlosigkeit handelten Erfinderpersöhnlichkeiten insofern gemäß, als dass sie in solchen Problemlagen den Aufstieg ihres Unternehmens antrieben. Diese Eigenwilligkeit, Flexibilität und Risikobereitschaft legte auch George Eastman an den Tag, als er die fabriktaugliche Arbeitsteilung einleitete, ein Produkt fallen ließ, sodann eine neue Produktpalette platzierte sowie sich der Strategien des Trugs und der Hochstapelei bediente. Dass diese Abenteurerqualitäten beim Übergang zur Knipser-Fotografie eine ebenso zentrale Rolle spielte, wird sich an späterer Stelle noch zeigen.

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support it. Viewed in this light, there was always a symbolic relationship between the ›industrial East‹ and the agrarian ›frontier West‹«. C. L. Smith: »Natural Resources«, S. 389. O. Mayr/R. C. Post (Hg.): Yankee Enterprise. Siehe etwa M. Josephson: Edison, S. 9-11. K. A. Birr: »Science in American Industry«, S. 36. Siehe T. P. Hughes: Networks of Power, insbesondere »Reverse Salients and Critical Problems«.

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DER AUFSTIEG DER INDUSTRIEFORSCHUNG George Eastman verstand es auch in der Praxisgemeinschaft Industrieller schnell, seinen Novizen-Status hinter sich zu lassen. In den 1880er Jahren übernahm nun die als Eastman Dry Plate and Film Company formierte Unternehmung 16 Firmen und kaufte eine Vielzahl von Patenten unabhängiger Erfinder auf.90 Gleichermaßen setzte Eastman teils auf sehr harsche Art professionelle Fotografen unter Druck, seine Technik anzunehmen.91 Die firmeninterne Industrieforschung zeichnete sich im besonderen Maße durch Teamarbeit und Arbeitsteilung aus. Eingestellt wurden nicht allein expertisenreiche Galleristen wie der genannte William G. Stuber, sondern auch akademisch geschulte ChemikerInnen, wozu die am Massachusetts Institute of Technology ausgebildete Harriet Gallup und Henry Reichenbach von der University of Rochester gehörten.92 Wie sich dieser Einstellungspolitik ablesen lässt, bediente sich Eastman der seit kurzer Zeit aufkommenden »applied sciences«. Die »applied sciences« – in deren Umkreis neben den Ingenieurswissenschaften auch Chemie und Physik eingemeindet wurden – fanden in Universitäten in den 1870er Jahren erstmals Eingang. Auch die auf angewandte Wissenschaften ausgerichtete Einrichtungen wie das Massachusetts Institute of Technology wurde zu dieser Zeit geründet.93 Blickt man auf die Labornotizbücher Eastmans und seiner angestellten Forscher, tritt hervor, dass sie intensiv mit eigenen Formeln von Gelatineemulsionen sowie mit denen der Konkurrenz experimentierten. Jedoch sind die fotochemischen Inhalte kaum rekonstruierbar. Wie auch die Anthony Company verschlüsselte man Zutaten, das Erscheinungsbild von Emulsionen und die Gradzahlen beim Erhitzen der Gelatine (Abb. 2.2).94

90 Vgl. R. S. Tedlow: »The Beginning of Mass Marketing in America«, S. 76. 91 Davon zeugt ein Brief, den George Eastman an einen professionellen Fotografen in Boston adressierte. Mit welchem Tonfall Eastman den Druck ausübte, illustriert folgende Passage des Briefes: »You are one of those men cry down all improvements never doing anything yourself for the good of art, you discourage others all you can and when you are finally driven by the energy and ability of others to new methods and processes, you submit with the worst possible grace. […] You have been compelled to accept the dry plate, and when we get ready we will force you to accept films or you will be driven from your present outdoor business by those who are willing to progess with their art.« Passage zitiert aus C. W. Ackerman: George Eastman, S. 50. 92 Vgl. C. W. Ackerman: George Eastman, S. 26-27; Vgl. R. S. Tedlow: »The Beginning of Mass Marketing in America«, S. 70. 93 Vgl. J. Lieske: Forschung als Geschäft, S. 67-68. 94 George Eastman, Book 1 A, Log of Emulsion Experiments (1888). George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Laboratory Notebooks; Anthony Company (o.A.): »Confidential Symbols of the C.P.P. Co.« George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, Mappe: Anthony Files. Meinen ausdrücklichen Dank gilt an dieser Stelle Mark Ostermann, Experte auf dem Gebiet historischer Fotografieverfahren und Mitarbeiter

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Abb. 2.2: George Eastmans Labornotizbuch aus dem Jahre 1888 und die Kodierungstechniken der Anthony Company

des George Eastman House. Leider ist es uns trotz ausführlicher Analyse der Labornotizbücher nicht gelungen, den ›Eastman-Code‹ zu entschlüsseln. Eine genauere Betrachtung von Labornotizbüchern und insbesondere ihrem patentrechtlichen Geltungsbereich findet im Kap. Verrechtlichen und jusiziabel Machen statt.

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Einer der Gründe für die vorgenommene Codierung ist mit dem Risiko der Industriespionage zu erklären, wie folgendes Beispiel illustriert. Im Jahre 1886 verließen ohne Vorankündigung ein Vertriebsagent und ein Mitarbeiter der Materialienfabrikation die Eastman Dry Plate and Film Company. Wenige Monate später zeigte sich, dass beide Mitarbeiter von der Anthony Company mit der Absicht angeworben wurden, Geschäftsgeheimnisse hinsichtlich der Kameraproduktion zu enthüllen.95 Die Diffusion sensibler Forschungsinformationen in der US-amerikanischen Fotobranche ging außerdem mit dem unternehmerischen Personalwesen Hand in Hand. Nachdem etwa George Monroe – ehemaliger Mentor von Eastman, später laboratorischer Angestellter im Bereich der Emulsionsanfertigung – von der Eastman Dry Plate and Film Company gekündigt wurde, musste er selbstredend nicht lange auf eine Anstellung bei der Konkurrenz hoffen. Diese Formen des personellen Informationsaustausches waren bezeichnend für die gesamte nordamerikanische Fotoindustrie, die in den 1880er Jahren eine oligopolistische Marktstruktur aufwies.96 Angesichts dieser Dynamik muss die Kritik und Demontage der Person George Eastmans von Fotografiehistorikern wie Timm Starl zwar nicht aufgehoben, jedoch zumindest relativiert werden. Eastman mag vielleicht kein origineller Erfinder gewesen sein, jedoch zeichnete sich der Ideenreichtum der gesamten Fotoindustrie durch Nachahmung und Adaption aus. So führte der harsche Konkurrenzkampf zwischen Unternehmen, gepaart mit der unlauteren und legitimen Informationszirkulation, vielerorts zu Imitationen von Produkten und Produktionsverfahren. Das unternehmerische Informationsmanagement hatte zu guter Letzt einen nachhaltigen Einfluss auf die Amateurfotografie. Der Fotografiehistoriker Reese Jenkins belegt in seiner hervorragenden Schrift Images and Enterprise, dass sich mit dem Aufkommen der Massenproduktion von Trockenplatten in England und den USA der Austausch von technischen Informationen in Fachjournalen gravierend änderte. Als der kommerzielle Wert relevanter Informationen im Bereich der Emulsionsherstellung und Apparatetechnik zunahm, wurden kaum noch Hinweise zur Herstellung fotosensitiver Materialien getauscht.97 Insbesondere für das Expertentum, das auf Basis der freien Informationszirkulation einer Wissenschaftsgemeinde zuarbeitete, stellte dies einen herben Rückschlag dar. Zusehends wurden die delikaten und technischen Operationen, die zuvor in den eigenen Händen lagen, von Fabrikanten übernommen. Während das Handwerk in Relation zur Kollodiumtechnik in besonderem Maße simplifiziert wurde, verkürzte sich zugleich die fotochemische Bearbeitungsmöglichkeit auch zwangsweise auf die Entwicklung von Fotografien.

95 Vgl. C. W. Ackerman: George Eastman, S. 73. 96 Vgl. R. V. Jenkins: Images and Enterprise, S. 77. 97 Vgl. ebd., S. 72-73.

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DIE HERRSCHAFT DER MECHANISIERUNG Versucht man einen roten Faden für das erfinderische Schaffen der nordamerikanischen Fotoindustrie neben den vielerorts agierenden Imitationsstrategien zu benennen, zeigt sich, dass die Investitionen in industrielle Forschung an einem zentralen Punkt zusammenflossen: Die firmeninternen Forschungseinrichtungen der Fotoindustrie legten in den 1880er Jahren einen Schwerpunkt insbesondere auf solche Produktionsverfahren, die einer Mechanisierung des fotografischen Handwerks Vorschub leisteten. Wenngleich sich die Fotoindustrie bereits zur Zeit des Nassen-Kollodiumverfahrens dem Maschineneinsatz bediente, wurden häufig noch Tätigkeiten im Stil der Werkstattfertigung händisch ausgeführt und die Verwendung maschineller Apparaturen galt der klein angelegten Produktion von Kameraequipment.98 Auf Basis des verstärkten Maschineneinsatzes gelang es der Trockenplattenindustrie, zur großformatigen Fabrikproduktion überzuleiten und angesichts der stark anwachsenden Nachfrage adäquat zu reagieren. Im Sinne Sigfried Giedions manifestierte sich in der Fotoindustrie die Herrschaft der Mechanisierung und leitete den Übergang vom komplizierten Handwerk zur mechanischen Fabrikproduktion ein. Ohne den Verweis auf die Mechanisierungsdynamiken im Bereich der Landwirtschaft, Tischlerei und der Nahrungsmittelzubereitung wäre das ›größere Bild‹ dieser im 19. Jahrhundert einsetzenden industriellen Bewegung kaum erfassbar. Was die genannten professionellen Branchen im Kern miteinander verband, lässt sich mit der prominenten Rolle menschlicher Handgriffe begründen. Obwohl die Hand mit einem gewissen Maß an Training in der Lage ist, automatische Fertigkeiten und tacit skills zu inkorporieren, versagt sie jedoch, wie Giedion herausstreicht, bei ununterbrochen und gleichmäßig auszuführenden Arbeiten. Vereinheitlichte und maschinell erledigte Arbeiten bewirkten nicht nur eine Vereinfachung manueller Tätigkeiten, sondern auch eine Skalierung von Produktionsvolumen.99 Orientierungspfeiler der Trockenplattenindustrie bildeten in erster Linie die manuellen Bearbeitungsabläufe der Amateurfotografie und der professionellen Studiofotografie. Am konkreten Fall exemplarisch dargelegt: die von Eastman entwickelte Beschichtungsapparatur vereinfachte die fotografische Tätigkeit, die zuvor mit einem Kessel und Stab vorgenommen wurde. Es wurde als mühselig und zeitintensiv empfunden, die Emulsion gleichmäßig mit diesen Instrumenten auf einer Glasplatte zu verteilen. Die Apparatur machte es möglich, die Gelatineemulsion einheitlich auf mehrere Platten zugleich aufzutragen, wozu die Platte über eine rollende Walze gezogen wurde und auf diese Art die Oberfläche mit Emulsion bestrich. Weil die Maschine auf die Beschichtung einer großformatigen 98 Dies lässt sich Jenkins Beschreibung der Nassen Kollodium-Ära, vor allem auch der integrierten Abbildungen, in Images and Enterprise ableiten. 99 Vgl. S. Giedion: Die Herrschaft der Mechanisierung, S. 69 70. -

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Platte ausgerichtet war, konnte durch das spätere Zuschneiden eine hohe Auflage an beschichteten Platten gewonnen werden.100 Als sich die Fotoindustrie auf die Anfertigung weiterer fotosensitiver Materialien konzentrierte – wie das Fotopapier, auf das ein aufgenommenes Bild von der Glasplatte gedruckt werden konnte – kamen Haltevorrichtungen für Papierbahnen hinzu. Die Eastman Dry Plate and Film Company nutzte diese Vorrichtungen zudem für den papierenen Film, der für die handlichere Rollfilmkamera ohne Glasplatteneinsatz gedacht war. Bevor das Papier auf Rollfilm-taugliche Streifen zugeschnitten wurde, machte die Haltevorrichtung eine kontinuierlichere Beschichtung und Trocknung des Materials möglich.101 Während das Beschichten, Halten und auch das Reinigen Fotografie-spezifische Mechanisierungen darstellten, waren andere Methoden der vereinheitlichten Vervielfältigung ebenso dominant. Zurückzuführen sind diese auf Mechanisierungsbemühungen, die aus der Metallverarbeitung bekannt waren, wobei es sich ganz konkret um das mechanische Prägen, Pressen, Stanzen und Gießen handelte. Dem Innenleben der Rollfilmkamera lässt sich ablesen, dass sich Eastmans Industrieforschung dieser Methoden bediente.102 Gemeinsam mit dem angestellten Kamerabauer William Walker konstruierte Eastman eine Rollfilmkassette, für die vereinheitlichte und austauschbare Metallkomponenten charakteristisch waren. Wenngleich die genuine Idee des Rollfilms auf den britischen Erfinder Leon Warnerke zurückzuführen war, so merkte dieser selbst an, dass das »interchange system«, bestehend aus Spulen, Rändern und Stiften, im Vergleich zu seinen einzeln gefertigten Kameras mitsamt ihrer rigiden und festinstallierten Kameraelemente eine wesentliche Neuerung darstellte.103 Mit Blick auf die industrielle Entwicklung von Produktionstechniken in den USA bleibt für die geschilderte Kamerakonstruktion mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass sie keinesfalls einen Sonderweg einnahm. Vielmehr folgte das innovative Schaffen der industriellen Medienforschung dem Vorbild der Güterindustrie. Wie der Technikhistoriker David Hounshell in seiner Studie zum »American System« darlegt, gehörte die Auswechselbarkeit von Maschinenteilen zu den zentralen Wegbereitern der Massenproduktion in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Hounshell zufolge bestand einer der wenigen Möglichkeiten, Komponenten von Produktionsanlagen und Produkten austauschen oder diese zusammensetzen zu können, im Erzeugen vereinheitlichter Maschinenelemente. 100 Vgl. George Eastman, »Method and Apparatus for Coating Plates for Use in Photography«, Patentnummer 226.503, 13.4.1880. 101 Vgl. R. V. Jenkins: Images and Enterprise, S. 104. 102 Konkreter: Um die Produktion der Rollfilmkassette nicht hausintern bewältigen zu müssen, übertrug man die Produktion an lokale Metallfabrikaten und einen Kamerabauer in Rochester. Vgl. R. V. Jenkins: Images and Enterprise, S. 106. 103 Vgl. L. Warnerke (1885): »The Walker-Eastman System of Photography«; William H. Walker und George Eastman, »Roller-Holder for Photographic Films«, Patentnummer 317.050, 5.5.1885.

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Die damit verbundenen Professionalisierungen veränderten das Verhältnis von Arbeit und skills nachhaltig. Maschinisten, Ingenieure und koordinativ tätige Manager standen den auf ein Mindestmaß geschulten Fabrikangestellten gegenüber, die kostengünstig und schnell technische Komponenten montierten.104 Indizien für den Maschineneinsatz beim Abmischen von Gelatineemulsion sind in den Geschichtsschreibungen zur Fotohistorie nicht aufspürbar. Höchst wahrscheinlich blieb das Abmischen dieses fotosensitiven Materials ein kompliziertes Handwerk von Labormitarbeitern – ein Handwerk, welches im Falle der Eastman Dry Plate and Film Company beinahe zum Ruin des Unternehmens führte. Denn die eigenes für den Papierfilm entwickelte Emulsion verursachte Luftblasen auf dem Streifen. Mit der Hoffnung, die Innovationen im Bereich der Rollfilmkamera nicht für gescheitert erklären zu müssen, verwendete man eine genuin für Trockenplatten gedachte Beschichtung. Die Maserung des Papiers in Kombination mit der Emulsion führte jedoch zu körnigen und verwaschenen Fotografien.105 Gegen Ende des Jahres 1885 mündeten die Forschungsbemühungen in eine adäquate Gelatineemulsion. Fatalerweise stellte sich nun der Bearbeitungsprozess auf Seiten von Profi-Fotografen als zu komplex heraus. Im Kontrast zur Entwicklung von Trockenplatten, umfasste die Arbeit mit dem Rollfilm neue Tätigkeiten, wie etwa das Trennen der Fotografien vom Band, das Einweichen dieser und das Ablösen des Gelatinefilms vom papierenen Träger.106 Es mutet beinahe schon ironisch an, dass das Entgegenkommen fotografischer Praktiken samt der investitionsintensiven Industrieforschung zur Rollfilmkassette, zwar eine Erleichterung hinsichtlich der schweren und zerbrechlichen Ausrüstung beabsichtigte, jedoch ein ganz und gar anderes Resultat hervorbrachte. Durch die Fokusverschiebung von Trockenplatten zum Rollfilm – so gestand George Eastman Jahre später selbst ein – hätte sein Unternehmen erheblichen Schaden genommen. Es wurde unabdingbar, Konsumenten fernab der Praxisgemeinschaft von expertisenreichen Fotografen zu adressieren. In einer vor Gericht ausgetragenen Patentstreitigkeit gab Eastman im Jahre 1913 Folgendes zu Wort: »When we started out with our scheme of film photography, we expected that everybody that used glass plates would take up films, but we found that the number that did this was relatively small and that in order to make a large business we would have to reach the general public […].«107

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D. A. Hounshell: From the American System to Mass Production, S. 1-13. Vgl. R. V. Jenkins: Images and Enterprise, S. 109. Ebd., S. 109. George Eastman zitiert nach R. V. Jenkins: Images and Enterprise, S. 112.

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»YOU PRESS THE BUTTON, WE DO THE REST« Die nordamerikanische Konsumwelt erlebte in den Jahrzehnten nach dem Sezessionskrieg einen enormen Aufschwung. Der Sieg der Nordstaaten trug maßgeblich dazu bei, dass sich, vor allem für die im Nordosten angesiedelte und expandierende Industrieproduktion, ein Binnenmarkt entwickelte. Die (medien-)technischen Innovation des Telegraphen und der Eisenbahn verbanden die Ost- und Westküste und motivierten die Besiedelung und Urbanisierung der dazwischenliegenden Staaten. Großunternehmen bedienten mit ihren massenproduzierten und standardisierten Gütern die aufkommende Nachfrage. Das zentrale Konzept, mit dem die Industrielle ihre Güter absetzten, lag im Marketing begründet. Die Platzierung von Werbeannoncen in Printmedien, Einbindung von Warenhäusern oder die Etablierung von Markenartikeln wurden nach den Kriegsjahren in Gang gesetzt. 108 Die in Rochester, New York ansässige Eastman Dry Plate and Film Company reihte sich bei dem Versuch eine neue Zielgruppe für sich zu gewinnen, früh in diese Konsum- und Marketingentwicklungen ein. Nachdem die Kodak No. 1 im Jahre 1889 für die Distribution bereit war, setzte man bei einer umfangreichen Werbekampagne insbesondere auf das sogenannte »Kodak Girl«.109 Die Werbeannoncen zeigten eine lachende junge Frau, die ihren modischen Kleidungsstil mit dem Accessoire »Kamera« komplementierte.110 Schnell wurde sie zum Aushängeschild des Unternehmens. Abgebildet wurde sie auf Postern und Pappaufstellern, ebenso wurden lebensechte Kodak-Girls in Verkaufshäusern eingesetzt. Eastman kommentierte dies folgendermaßen: »a picture of a pretty girl sells more than a house or a tree.«111 Betrachtet man eingehender das eigentlich beworbene Produkt – die Kodak No. 1 – zeigt sich eine Rollfilmbox, die samt Filmrolle 900 Gramm wog. Die Kamera war 8,3 cm breit, 9,6 cm hoch und 16,5 cm lang. Überzogen war das Holzgehäuse mit glattem Leder. Der Apparat verfügte über keinen Sucher, der Nutzer konnte sich anhand zwei V-förmigen Peillinien, die sich auf der Oberseite des Apparates befanden, orientieren. Beim Erwerb enthielt die Kamera einen Papierstreifen, der 100 Fotografien möglich machte. Nachdem der Rollfilm aufgebraucht war, konnte dieser zurück an die Kodak Company geschickt werden, wo er entwickelt wurde. Die kreisrunden Bilder von 6,4 Durchmesser wurden auf Kartons aufgezogen und zurück an die Kunden versendet.112 Damit wurde das »Kodak-System« eingeläutet, welches aus Kamera- und Filmherstellungspro108. W. König: Geschichte der Konsumgesellschaft, S. 116-117, 159. 109 Für einen hervorragender Bildband zum Kodak-Girl siehe J. R. Jacob (Hg.): Kodak Girl. 110 Vgl. N. M. West: Kodak and the Lens of Nostalgia, S.125. 111 George Eastman zitiert nach E. Brayer: George Eastman, S.135. 112 Vgl. T. Starl: Knipser, S. 46-47.

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duktion, dem erstmals eingerichteten Industriezweig des Fotofinishings sowie aus Vertriebswegen und Rücksendungen der erstellten Abzüge bestand. Beworben wurde diese Kamera mit dem Slogan »You press the button, we do the rest«, den Eastman gemeinsam mit seinem Cousin, dem Werbetexter Kilbourne Tompkins, entwarf. Der Slogan zirkulierte in öffentlichkeitswirksamen Magazinen und Wochenzeitungen, wozu die Scientific American, Harper Weekly, Frank Leslie und das Time Magazine gehörte.113 Die einfach zu bedienende Natur der Kamera wurde, wie der Slogan vermittelt, mit einem sorglosen Knopfdruck beworben. Ein genauer Blick auf die Werbung deutet demgegenüber jedoch an, dass mehrere Handgriffe erforderlich waren: »The Kodak Camera is put into hands of the purchaser loaded and ready for action. No knowledge of photography is required. The construction and adjustment of the camera is so perfect and simple, that its operation is within the ability to anyone who is competent to perform four elementary acts, viz. 1 2 3 4

– – – –

Point the camera. Press the button. Turn the key. Pull the cord.«114

Zieht man das von Eastman selbst verfasste Handbuch aus dem Jahre 1888 heran, das mit der Kamera zirkulierte, tritt hervor, wie anspruchsvoll sich der Umgang mit der Kodak No. 1 tatsächlich gestaltete. Das Handbuch umfasste 79 Seiten und gab dem Leser minutiös, mit Hilfe von Abbildungen und Begleittexten, einzelne Schritte zur Nutzung des Apparates vor. Zunächst folgte eine Anleitung zum Entpacken, denn bei unsachgemäßer Öffnung war es möglich, den lichtempfindlichen Film zu beschädigen. Für die Bildaufnahme benötigte der Nutzer einen festen Griff sowie eine ruhige Hand. Allein die waagerechte Haltung der Kamera erzeugte störungsfreie Bilder, ein leichtes Kippen hingegen verursachte Schlieren und Verzerrungen. Wie kleinteilig die Beschreibung erfolgte, illustriert folgendes Beispiel, welches sich auf das Betätigen des Knopfes fokussierte: »To do this without swaying the camera to the side, grasp the Kodak [...] with the left thump on the button and the ends of the fingers around the corner of the box, giving a leverage whereby the button can be depressed by a muscular contraction on the hand, as

113 Vgl. T. Riggs: Encyclopedia of Major Marketing Campaigns, S. 529. 114 George Eastman (o.A.): A Universal Photographic Manual (Typoskript). George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Box K1//Mappe 4.

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[...] not by pushing the whole hand against the camera [...]. This would sway the camera and blur the picture.« 115 [H.i.O.]

Folgeseiten gaben darüber Auskunft, aus welcher Distanz Portraits von Personen, Tieren, Gebäuden und Straßenszenen aufzunehmen waren. Im Kontrast dazu gestaltete sich die Innenraumfotografie erheblich umfangreicher, was den schlechteren Lichtverhältnissen geschuldet war. Hier wurde dem Laien die genaue Platzierung der Kamera in der Nähe eines Fensters dargelegt; ein fester Untergrund war unabdingbar, da man nun beide Hände zur Aufnahme des Bildes benötigte. Wenngleich unterschiedliche Szenarien für Belichtungszeiten, je nach Anzahl der Fenster, nach Wetterverhältnissen und der Wandfarbe des Innenraums, vorge-stellt wurden, erteilte man dennoch den Rat, persönliche Notizen zu führen (Abb. 2.3). Um geeignete Belichtungszeiten zu erlernen, sollte dafür eine Uhr herangezogen werden: »If a strict observance be paid to these directions, and the operator makes note of the incidents concerning each exposure, he will learn with little trouble all that is requisite to make this important part of the finest photographs«.116 Vor dem Hintergrund der umfangreichen und anspruchsvollen Natur der Kameranutzung samt aller zu berücksichtigenden Vorsichtsmaßnahmen, kommt man nicht umhin festzustellen, dass die Kodak No. 1 kaum ihre Versprechen erfüllte und nicht wie vermarktet, kinderleicht bedienbar war. Obwohl eine Simplifizierung durch den Wegfall fotochemischer Bearbeitungen auf Seiten der Nutzer erfolgte, erforderte die Kamera beim Gebrauch kleinteilige und parallel zu setzende Handgriffe. Eine kritische Überprüfung qua Aufzeichnung war ebenso unabdingbar, um die fotochemischen Entwicklungsprozesse innerhalb des Apparates im Zusammenspiel mit den eigenen Handlungen kalkulieren zu können. Erwartbarkeit, Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit waren erst gegeben, sobald der Umgang mit dem Apparat einmal beherrscht wurde und auch erst dann konnte man das Handbuch und die persönlich geführten Notizen beiseitelegen. Der Werbespruch »You press the button, we do the rest« gewann vermutlich an Bekanntheit, weil er auf die bereits angeführten technischen Errungenschaften der industriellen Moderne, die Mechanisierung des Alltäglichen referierte. Durch das schlichte Betätigen eines Schalters wurden so etwa die Geräte des Wohnbereichs durch die einsetzende Elektrifizierung des nordamerikanischen Raums in Gang gesetzt.117 Im Kontrast dazu erscheint die Kodak-Kamera

115 The Eastman Dry Plate and Film Co. (1888): The Kodak Manual. Rochester N.Y. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Box K1//Mappe 4. 116 Ebd. 117 Zur Elekrifizierung Amerikas siehe T. P. Hughes: Networks of Power.

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letztendlich nicht als in sich geschlossene »Black Box«, die als autonome Entität fernab von inkorporierten Wissensständen und technischen Größen auftrat.118

Abb. 2.3: Das »Kodak-Manual« aus dem Jahre 1888 – exemplarische Seiten 118 In Anlehnung an Bruno Latour wird das ›Blackboxing‹ beschrieben als »way scientific and technical work is made invisible by its own success. When a machine runs efficiently, when a matter of fact is settled, one need focus only on its inputs and outputs and not on its internal complexity. Thus, paradoxically, the more science and technology succeed, the more opaque and obscure they become.« B. Latour: Pandora's Hope, S. 304.

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Dies mag auch ein Grund dafür gewesen sein, dass die erste Kodak kaum erfolgreich war. Ca. 5.200 Apparate wurden angefertigt,119 im Jahre 1889 die Produktion sogar eingestellt.120 Außerdem scheiterte das Kodak-System zunächst an seinen zentralen Stationen. Wenngleich dem Nutzer versprochen wurde, Kamera samt Abzügen innerhalb von 10 Tagen wieder in den Händen halten zu können,121 entsprach die tatsächliche Bearbeitungszeit für das Fotofinishing und den Versand 4 Wochen.122 Gleichermaßen war die erste Kodak im Vergleich zu Apparaturen mit ähnlicher Ausstattung aus der Schmiede anderer Produzenten erheblich kostenintensiver.123 Erschwinglich für ›jedermann‹ oder im Zeichen einer Demokratisierung stehend – wie die erste Kodak häufig ausgewiesen wird124 – war sie mit einem stolzen Anschaffungspreis von 25 $ und 10 $ für das Fotofinishing keineswegs. Die Kamera war vielmehr ein Luxusgut, ein Statusobjekt: »The first snapshooters came from the upper middle class, who had enough surplus time and money to spend; the lower middle class, skilled artisans, and unskilled labour of that time could not afford the Kodak«,125 wie Risto Sarvas und David M. Frohlich herausstellen. Die Vermutung liegt nahe, dass Eastman solche Konsumenten einer aufstrebenden Mittelschicht zu adressieren versuchte, dessen Produkt er selber war. Diese Schicht resultierte aus der Systematisierung der modernen Geschäftsorganisation, die im nordamerikanischen Raum ab den 1870er Jahren eingeleitet wurde.126 Mit dem hier zu situierenden Aufkommen von Büroangestellten und Führungskräften des Industriemanagements trat ein Konsumentenkreis in Erscheinung, für den ein gewisses Maß an Reichtum charakteristisch war. Zudem verfügten sie über die kostbare Größe der Freizeit, die die industrielle Entwicklung reduzierter Arbeitszeiten mit sich brachte.127 Im Zuge dieser Entwicklung bildete sich eine Hobbyistenkultur sowie die konsumorientierten Wertevorstellungen der Moderne heraus. So trat das Handwerkliche im privaten Bereich etwa durch die Mechanisierung von Haushaltsgeräten ein Stück weit zurück.128 Und an die Stelle einer eingehenden Beschäftigung mit Technik rückte der freizeittaugliche Konsum von Technik, worauf 119 Vgl. N. M. West: Kodak and the Lens of Nostalgia, S. 25. 120 Vgl. T. Starl: Knipser, S. 48. 121 The Eastman Dry Plate and Film Co. (1888): The Kodak Manual. Rochester N.Y. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Box K1//Mappe 4. 122 Vgl. T. Starl: Knipser, S. 48. 123 Ebd., S. 48-49. 124 So wird George Eastman teilweise noch als der »Democratizer-Inventor« gefeiert. Z.B. von H. Evans: They Made America, S. 293-315. 125 R. Sarvas/D. M. Frohlich: From Snapshots to Social Media, S. 54. 126 J. Yates: Control through Communication. 127 Siehe etwa H.-W. Prahl: »Geschichte und Entwicklung der Freizeit«. 128 S. Giedion: Die Herrschaft der Mechanisierung, insbesondere »Die Mechanisierung des Haushalts«.

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beispielsweise der Durchbruch des Radfahrens verweist.129 Von Kamera-Modell zu Kamera-Modell bildete sich im Zuge dieser Entwicklungen nicht nur ein eingestimmtes Kodak-System heraus, sondern ebenso ein Verständnis von Kundenwünschen. Diese wurden schlussendlich mit der leicht zu bedienenden und für 1 $ erhältlichen Brownie-Kamera gegen Ende des 19. Jahrhunderts erfüllt. Die ›Knipser‹-Fotografie bzw. ›Schnappschussfotografie‹ setzte einen neuen Standard, der dem Konsumenten keine Expertise im Bereich der Fotochemie oder Apparatetechnik abverlangte.

DIE LIEBE ZUR TECHNIK Wendet man sich noch einmal der Behauptung der Kodak Company zu, sie habe von Beginn an geplant, die Fotografie dieser Knipser anvisiert, muss dem entschieden widersprochen werden. Grund ist nicht nur, dass sich die Eastman Dry Plate and Film Company bis zum Jahre 1887 in erster Linie auf Berufsfotografen oder Amateurexperten konzentrierte. Denn mit 41 Seiten galt das Hauptaugenmerk des genannten Handbuchs der Kodak No. 1 aus dem Jahre 1888 keinesfalls dem knipsenden Laien, der seine Kamera zur Entwicklung bei der Kodak Company einsendete. Vielmehr, und davon zeugen die Ausführungen nachdrücklich, versuchte Eastman eine anders gelagerte Amateurgemeinschaft zu motivieren, die mit der Gesamtheit seiner Produktpalette eine Leidenschaft für die fotografische Bearbeitung entwickelte. So ist in dem Handbuch folgende Passage zu finden: »If the Kodak owner becomes further interested in the art and desires to learn the chemical operations, these too have been brought within the reach and he can furnish his own photographs in moments realization from other pursuits and thus not only reduce the cost of his pastime to the lowest possible point but train his powers of observation and make himself familiar with the wonderful facts connected with the chemistry of light.«130

Im Kontrast zur beschwerlichen Reise des Feldfotografen und seiner Kollodiumplatten oder dem komplizierten und arbeitsintensiven heimischen Brauen von Gelantineemulsionen, stellte die Kadak No. 1 eine erhebliche Vereinfachung von Tätigkeiten dar. Jedoch erschien es Eastman bis zum Jahre 1888 undenkbar, dass ein Neuling in der fotografischen Welt gänzlich auf die fotochemische Bearbeitung verzichten wollte. Die vereinfachende Natur der Eastman'schen 129 H.-E. Lessing: Das Fahrrad. 130 The Eastman Dry Plate and Film Co. (1888): The Kodak Manual. Rochester N.Y. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Box K1//Mappe 4.

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Technik lag im Kern in der Reduzierung des fotochemischen Materials, die Entwicklung von Bildern sollte weiterhin den Amateuren möglich sein. Eastman legte dem Laien die dazu notwendigen »wonderful facts connected with the chemistry of light« eingehend nahe. Zum einen beschrieb das Handbuch, wie der Nutzer den Rollfilm selbst auswechseln konnte, indem er eine heimische Dunkelkammer installierte. Zum anderen wurde erklärt, wie die fotochemische Entwicklung vorzunehmen war. Ähnlich wie in den Fachjournalen oder in Handbüchern, die Eastman in seiner Anfangszeit selbst heranzog,131 wurde relevantes und vor allem handlungspraktisches Wissen mit dem Leser geteilt. Schritt für Schritt legte Eastman dar, wie man den Fotofilm vom Papierstreifen ablöste, auf Glasplatten Negative druckte, Positive auf Albuminpapier hervorbrachte und diverse, für die Entwicklung notwendige Lösungen zu dosieren und anzumischen hatte. Mit Blick auf das geteilte Wissen bleibt jedoch auch eine deutliche Klammer zu setzten. Selbstredend wurden keine kommerzialisierbaren Geschäftsgeheimnisse mit dem Laien geteilt, wofür die Formel für die Gelatineemulsion nur ein Beispiel ist. Wenngleich man die fotografische Entwicklung in seinen privaten Räumlichkeiten vornehmen konnte, achtete Eastman darauf, nicht allzu viele Hinweise für den Gebrauch gewöhnlicher Haushaltsmittel zu geben. Die auf den letzten Seiten des Handbuchs befindliche Preisliste führt den Grund dafür vor Augen: Das »Developing Outfit for 100 prints« war für 7,25 $ erhältlich, das »Printing Outfit for 100 prints« für 6,25 $, ein Kompaktpaket kostete 10.00 $. Auf die Frage, wie Eastman nach der erfolgreichen Etablierung, die von ihm in Gang gebrachten Knipser-Fotografen im Kontrast zu solchen charakterisierte, die sich noch dem Umgang mit der Glasplattentechnik oder der eigenständigen Bearbeitung des Fotofilms verschrieben, gibt diese archivarische Quelle Auskunft: »There are two classes of photographers, outsides of professionals. The first are the true amateurs, who devote time enough to acquire skill in developing, printing, toning, c., and their number is limited to those who have time to devote to it, inclination for experi-

131 Nach Eigenaussagen Eastmans begleite ihn das Manual of Photography von Matthew Carey Lea in seiner Zeit als fotografischer Laie. Betrachtet man dieses Handbuch eingehender, zeigt sich, dass es für fotografische Neulinge gedacht war und auch als Nachschlagwerk für fortgeschrittene Fotografen diente. Der aus Philadelphia stammende Chemiker Matthew Carey Lea veröffentlichte den Ratgeber im Jahre 1868. Lea, heute noch anerkannte Autorität auf dem Gebiet der Fsotochemie, begann im Jahre 1864 mit den chemischen Eigenschaften von Entwicklern zu experimentieren. Seine Kenntnisse im Bereich der Chemie erwarb Lea nicht durch die universitäre Ausbildung, sondern durch das kommerzielle chemische Labor von Booth, Garrett und Blair in Philadelphia. Hier untersuchte Lea insbesondere die Funktion von Silber im Entwicklungsprozess – Studien, die ihm später dazu verhalfen, Fortschritte bei der Entwicklung von Negativen auf Trockenplatten zu machen. C. M. Lea (1868): Manual of Photography. Siehe auch E. F. Smith: »M. Cary Lea, Chemist, 1823-1897«.

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menting, and such facilities as the dark-room, &c., required in practicing the art. The second class are those who, lacking some, or all, of the requisites of the ›true amateur,‹ desire personal pictures, or memoranda of their every-day life, objects, places or people that interest them in travel, &c. […] Cameras, like their users, may also be divided into two classes: cameras for the picture maker, and cameras for those who want pictures to keep. For the first are the cameras for glass plates, or cut sheets of film, and for the others are the camera with the roll holder and continuous film, that is the Kodak.«132

Obwohl das Hauptgeschäft der Kodak Company in der Laienfotografie lag, zeugt diese Passage davon, dass George Eastman keine Ressentiments gegenüber anders praktizierenden Amateuren hegte. Vielmehr gibt diese Passage Anlass, eine außerordentliche Wertschätzung zu vermuten. Nimmt man seine normative Klassifizierung des ›true amateurs‹ ernst, bleibt zu untersuchen, woran Eastman festhält oder was ihn festhält, wenn er dem zeitintensiven Erwerb von Fertigkeiten und Erfahrungen des selbst entwickelnden Fotoamateurs Tribut zollt. Im Sinne der Science and Technology Studies, genauer des Techniksoziologen Antoine Hennion, kann die Bindung, Verbundenheit und Zuneigung zur Technik mit dem Konzept des »attachement« genauer beleuchtet werden. Hennions Schriften zu Amateurkulturen geben darüber Auskunft, dass die vorzufindenden Praktiken nicht auf die passive Kennerschaft irgendeines willkürlichen und einfach zu substituierenden Objekts zu reduzieren sind. Demgegenüber bildet sich eine affektive Bindung zum Objekt heraus, die als aktive körpertechnische Praktik zu begreifen ist und vom Amateur genauso wie vom Objekt stetig neu Besonders aufschlussreich ist an Hennions konstituiert wird.133 Konzeptualisierung, dass die Verbundenheit zur Technik keinesfalls auf das Angenehme oder simpel zu bewerkstelligende Tätigkeiten zu beschränken sind. Gerade die Herausforderungen, die sich im Umgang mit der Technik stellen, verfügen über den Status von Triebfedern: Die Aktivtäten des Amateurs gestalten sich als eine Abfolge komplexer Prüfungen, die ihn dazu motivieren, sich zwangsläufig einem Pragmatismus zuzuwenden und konstitutive Dimensionen der Praktik zu erschließen.134 Vor diesem Hintergrund wird nachvollziehbarer, wieso sich der Enthusiasmus von Anhängern der Nass- und Trockenplattentechnik nicht durch die Komplexität der Bildentwicklung, den virulenten Charakter genutzter Chemikalien oder das Gewicht fotografischer Ausrüstung zügeln ließ. Wer also die Leidenschaft des Amateurs bedenkt, muss auf der Tatsache bestehen, dass es sich um einen arbeitsintensiven Werdegang handelt, der eng verwoben mit körperlichen Erfahrungen und ihrer situierten Evaluierung ist. 132 George Eastman (o.A.): A Universal Photographic Manual (Typoskript). George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Box K1//Mappe 4. 133 A. Hennion: »Pragmatics of Taste«. Zur soziotechnischen Verbundenheit und ›Liebe‹ siehe auch B. Latour: Aramis. 134 A. Hennion: »Offene Objekte, Offene Subjekte?«, S. 105.

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Dass die Komplexität des Handwerks in einer Welt professioneller Dienstleister ihre Anziehungskraft nicht verloren hat, wird deutlich, wenn man seinen Blick auf solche Amateure wendet, die heute noch der Bildentwicklung im hauseigenen Badezimmer nachgehen. Akzentuiert man zu guter Letzt das »attachement« als Anhängerschaft im Sinne einer Praxisgemeinschaft, gibt dies Anlass, das soziale Gefüge der Technik auch andersgelagert zu denken. Sich in Fotografie-Vereinen zusammenzufinden, das Hobby gemeinschaftlich zu praktizieren, Handbücher zu konsultieren und Journale zu abonnieren, schafft ein Wertegefüge von Zugehörigkeit und Bindung. Zweitrangig erscheint es dabei zu sein, welche fotografische Technik ein Amateur ausübt. Fernab aller divergierenden künstlerischen, wissenschaftlichen oder freizeittauglichen Ansprüche, die Fotografen voneinander trennen mochten, bildeten diese Formen der Anhängerschaft ebenso ein Herzstück der Technik. Denn auch die neuen Amateure – die Knipser – schreckten, trotz ihrer mangelnden Expertise in der Fotochemie und kaum vorhandener Fertigkeiten im Bereich der Apparatetechnik nicht davon zurück, Clubs zu organisieren, ihre Arbeiten mit Bildbänden zu publizieren und Zeitschriften zu gründen. Sie verlagerten ihren Fokus auf Aufnahmetechniken und künstlerische Ansprüche, indem sie etwa eigene Aufnahmen in der heimischen Bildergalerie neben solchen von professionellen Fotografen einreihten.135 Auch die Kodak Company verstand dies, wie die Gründung des Brownie Camera Clubs im Jahre 1900 und das ab 1913 monatlich erscheinende Amateurmagazin Kodakery nahelegt.136

DAS KODAK-SYSTEM: EIN HANDWERK DER INDUSTRIELLEN MODERNE Im Kontext der Industrialisierung zeichnet sich die Historie der Amateur-Fotografie in den letzten Jahrzenten des 19. Jahrhunderts als die Geschichte eines Handwerks in einer sozialen und technischen Umbruchphase ab. Bevor Trockenplattenproduzenten oder das Kodak-System die Bühne betraten, folgten Amateure den Idealen der feinen und gehobenen Künste und verbanden ihre künstlerischen und wissenschaftlichen Ansprüche an das Handwerk mit einem reinen Erkenntniswillen. Für diese vornehmlich vermögenden und akademisch ausgebildeten Fotografen gehörte es zum Selbstverständnis, sich funktional vom gewöhnlichen Handwerk zu distanzieren. Zur Überhöhung der eignen Person betrieb man die Fotografie mit aller Ernsthaftigkeit, indem man Erkenntnisse

135 Vgl. ebd., S. 12. Dass die Fotografien der Knipser innerhalb der amerikanischen Kultur nicht nur als persönliche Momentaufnahmen alltäglicher und intimer Erfahrungen zu werten sind, zeigt Catherine Zuromskis durch ihre Untersuchung sozialer, kultureller und politischer Dimensionen auf. C. Zuromskis: Snapshot Photography. 136 Vgl. N. M. West: Kodak and the Lens of Nostalgia, S. 51, 220.

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produzierte und das Medium nicht zur profanen Unterhaltung konsumierte. Societies genauso wie Fachliteratur bildeten für die agierenden Fotografen Grundpfeiler des Statuserhalts und trugen zur Verwissenschaftlichung des Handwerks bei. In den 1870er Jahren wies diese elitäre Gemeinschaft bereits Bruchstellen auf. Zum einen gewannen industrielle Interessen an Wirkmächtigkeit, worauf die Herausgeberschaft eines Trockenplattenproduzenten in einer der prominentesten Expertenjournale dieser Zeit, dem Journal of Photography, hinweist. Zum anderen gelang den Hobbyisten einer aufstrebenden Mittelschicht sukzessiv die Partizipation. Sie spornte sicherlich die Abenteuererfahrung an, die einen Gegenpol zum professionellen Leben bildete. Gleichermaßen sind diese Amateure als Zeitzeugen des industriellen Fortschritts zu werten, der maßgeblich durch das Nützlichkeitspostulat und den technischen Einfallsreichtum mittlerer und unterer Gesellschaftsschichten im 19. Jahrhundert befördert wurde. Erfinderischen Aktivitäten nachzugehen, charakterisierte ein soziokulturelles Gut ›gewöhnlicher‹ Frauen und Männer. Was bedeute es nun eine fotografische Technik in dieser Zeit zu amateurisieren? Die Folgeentwicklungen des fotografischen Handwerks weisen darauf hin, dass die Amateurisierung nicht schlicht auf Vereinfachungslogiken zu reduzieren ist, weder in sozialer noch in technischer Hinsicht. Aus technischer Perspektive bleibt zu unterstreichen, dass die Vereinfachung fotochemischer Bearbeitungsschritte stets im Kontext einer immer komfortabler werdenden Ausrüstung gedacht wurde. Die Minderung des Gewichts und die Zerbrechlichkeit der Glasplatten leisteten nicht nur der Gelatine-Revolution Vorschub. Die Konstruktion handlicherer Kameras mit Glasplatteneinsatz und im letzten Schritt auch die der Rollfilmkassette sprechen für eine am Körper des Fotografen ausgerichtete Benutzerfreundlichkeit. Komfort und Praktikabilität machen damit auf ein Konglomerat von Amateurbedürfnissen aufmerksam, die Technik nicht allein in Graden beanspruchter Expertise denken lässt. Mit Blick auf die Relevanz von Handbüchern und fotografischen Zeitschriften tritt eine mediale Dimension des Amateurisierens hervor, die ebenso nicht als reine Simplifizierungsbestrebung zu werten ist. Dass George Eastman die Relevanz dieser medialen Dimension bei der Etablierung des Kodak-Systems schnell erkannte, ist seiner eigenen Amateurerfahrung in Rechnung zu stellen. Gewiss erhielt er bei seinen ersten Schritten als Fotograf interpersonelle Unterweisung, dennoch bleibt das eigenständig erworbene Wissen durch Übungen im Feld, heimisches Experimentieren oder der Lektüre von Expertenzeitschriften nicht zu übersehen. In diesem Licht erscheint die Konstruktion des angeblichen Laienfotografen im Jahre 1888 greifbarer. Die Kodak No. 1 – ob man sie nun ein einsandte oder die Entwicklung von Fotografien selbstständig vornahm – erforderte Wissensbestände, die allein auf Basis von Erfahrungen gewonnen werden konnten. Dass Kodak trotz der in die Kameratechnik eingeflossenen Vereinfachungen den Konsumenten als Autodidakten zu konstruieren versuchte, bleibt

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anzunehmen. Eastman mag zwar kein ›findiger Erfinder‹ gewesen sein, jedoch kommt es vor diesem Hintergrund einem Geniestreich nahe, dass er die Bedürfnisse unterschiedlicher Amateurgruppen erkannte und diese mit verschiedenen Graduierungen in seine Technik einfließen ließ. Und weiter: Zweifelsohne destabilisierten die Trockenplattenindustrie und das Kodak-System die soziale Ordnung, indem nun die vermögende und gebildete Elite den ›gewöhnlichen‹ Mittelschichts-Amateuren gegenüberstand.137 Die vorliegende Fallstudie legte jedoch auch nahe, dass die ›Anklageschrift‹ von Seiten der Fotoexperten ›alter Schule‹, eine Reihe weiterer Aspekte beinhaltete. Die Verwissenschaftlichung des Handwerks durch unternehmerische Erfinder brachte mit der Standardisierung von Materialien und der Anfertigung von Emulsionen Aufgaben mit sich, denen die Industriellen zunächst selbst kaum gewachsen waren. Fertigte der Fotoexperte nicht mehr selbstständig sein fotosensitives Material an, barg die mangelnde Qualität erworbener Trockenplatten das Risiko, an Reputation einzubüßen. Die Praktiken des Professionalisierens waren auch auf andere Weisen ›amateurfeindlich‹: Eine industriell motivierte Informationsintransparenz erhielt Einzug in die Fachliteratur, die einst dazu gedacht war, den freien Austausch von Informationen einer aufstrebenden Wissenschaftsgemeinde zu gewährleisten. Während die Amateure Fortschritte wahrscheinlich auch als Zeichen ihrer Originalität kundgaben, widmete sich die industrielle Forschung vornehmlich der Imitation und Aneignung erfinderischen Schaffens. Und schlussendlich setzte das Eastman'sche Unternehmen an die Stelle eines hochspezialisierten Handwerks – betrieben durch Werkstätten und Amateure – unerfahrene Fabrikangestellte, die der massenhaften Kameramontage und Fotoentwicklung nachgingen. Mit Blick auf die Etablierung firmeninterner Forschungseinrichtungen, der Einstellung von spezialisierten Wissenschaftlern und den zu Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen konnten nur noch wenige Fotoexperten mithalten. Mit der Gründung des Kodak Research Laboratories im Jahre 1912 erreichte diese Entwicklung ihren Höhepunkt. Nun galt die Industrie als Formgeber der »photographic science«. In dem dreistöckigen Gebäude, das mit einer Vielzahl von Laboren ausgestattet war, ging die international aufgestellte Industrieforschung ›ihrer‹ Disziplin nach. Die Untersuchungen waren sowohl angewandter bzw. produktorientierter Natur als auch der Grundlagenforschung und Theoriebildung im Bereich der Foto-Chemie und -Physik verpflichtet.138 In gewisser Weise ist die Geschichte der Fotografie in dieser Umbruchszeit auch bezeichnend für den Wechsel transatlantischer Führungspositionen und den nationalen Stolz. Die ersten großen Erfindungen der Fotografie stammten aus Westeuropa. So entwickelten Joseph Nicephone Niepce und Louis Jacques 137 Siehe insbesondere M. Barth: »›Die Stunde der Amateure‹«. 138 Siehe K. Mees: From Dry Plates to Ektachrome Film, insbesondere »The Kodak Reserach Laboratories, 1912-1920«.

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Mandé Dauerrre das erste kommerziell nutzbare Verfahren, die Daguerreotypie. Frederick Scott Archer und Gustave Le Gray sind die Entwicklung des Nassen Kollodiumverfahrens in Rechnung zu stellen. Und auch die fotochemischen Errungenschaften im Bereich der Trockenplatten können auf Briten wie Richard Leach Maddox und Charles Bennet zurückgeführt werden.139 Fernab dieser Beispiele kamen in Europa die ersten optischen und chemischen Industriezweige auf, die für die Fotografie zentral waren.140 Zudem wurde die Fotografie-gebundene Forschung durch die hier zu verortende Wissenschaftsgemeinde enorm vorangetrieben. Indem Kodaks Industrieforschung den Methoden der Mechanisierung und Massenproduktion nachging, gelang es dem Unternehmen, das Blatt zu wenden und sich als weltweiter Marktführer zu positionieren. Mit der Brownie-Kamera etablierte sich eine neue Sichtweise auf die Fotografie. Anstelle eines arbeitsintensiven Handwerks, das hochqualitative Produkte hervorbrachte, kamen die Technologien des industriellen Fortschritts zur Geltung. So zeichnete sich der Zelloid-Film, den die Brownie-Kamera beinhaltete, durch eine hohe Qualität aus und konnte obendrein zu niedrigen Kosten in Massen produziert werden.141 Mit der Mechanisierung und Massenproduktion führte Kodak technisches und wissenschaftliches Können – entgegen aller vorherrschenden Erwartungen an feine und gehobene Künste – mit konsumorientierten Wertevorstellungen zusammen. Pointiert dargelegt, ist in diesem Sinne das Kodak-System als Handwerk der industriellen Moderne zu denken. Das »System«, bestehend aus Marketing, Kamera- und Filmherstellungsproduktion und dem Industriezweig des Fotofinishings, konzentrierte sich vornehmlich auf das ›profane‹ Vergnügen. Von Seiten der britischen Presse erfuhr dieser Tabubruch enorme Kritik. In einem Interview mit der Westminster Gazette legte der Reporter dar, dass aus Expertensicht die Fotografie doch mehr eine Kunst sein müsste, was für eine Überlegenheit der britischen Amateurfotografie sprechen würde. Im Stil eines Yankees gab Eastman deutlich zu verstehen, dass vielleicht die britischen Gentlemen bessere Fotografen seien, die Amerikaner sie jedoch mit dem mechanischen Einfallsreichtum in den Schatten stellten.142 Angesichts Eastmans eigener Amateurvergangenheit stellt sich abschließend die Frage, ob er tatsächlich so nonchalant mit der Kritik umging. Nach erfolgreicher Etablierung der Kodak Company samt ihrer monopolistischen Marktdurchdringung zog sich der Industriemagnat aus dem unternehmerischen Management gegen Ende der 1920er Jahre zurück.143 Der frisch im Ruhestand befindliche 73-jährige stimmte der Anfrage der Zeitschrift Photoplay 139 140 141 142 143

Vgl. K. Mees: From Dry Plates to Ektachrome Film, S. 1-18. Vgl. R. V. Jenkins: Images and Enterprise, S. 343-344. Vgl. ebd., S. 344. Vgl. E. Brayer: George Eastman, S.175. Vgl. C. W. Ackerman: George Eastman, siehe »Preface«.

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zu, ein Interview zu geben und den Reporter Terry Ramsay durch sein Herrenhaus auf der East Avenue in Rochester zu führen. Mit den Worten »Let's go and see my guns and playthings« startete Eastman die Führung durch sein Anwesen. Ramsays Beschreibung nach verfügte der Entrepreneur über einen Kinosaal, einen Trophäenraum und eine Waffenkammer. Letztgenannte Räumlichkeiten werden vor dem Hintergrund verständlicher, dass Eastman als passionierter Amateur der Wildtierjagd auf dem afrikanischen Kontinent nachging. »Now we will see where I have the fun of all« sagte Eastman als er dem Reporter seine heimische Laborwerkstatt präsentierte. In dieser widmete sich Eastman sowohl der manuellen Fotografieentwicklung als auch dem Kochen und Backen (Abb. 2.4).144

Abb. 2.4: George Eastmans ›Labor-Küche‹, Fotografie aus dem Jahre 1925 Heute kommt der Gründungsmythos vieler Unternehmen kaum ohne die Einbettung heimischer Lokalitäten aus – wenngleich Public-Relations-Abteilungen nicht mehr bestrebt sind, die vermeintlich verarmten Familienverhältnisse ihres Protagonisten zu markieren. Insbesondere sind es derzeit die Garagentüftler, die Welt-verändernde technologische Errungenschaften kreieren. Eine solche Garage befindet sich zum Beispiel in Los Altos. Im Jahre 1976 richteten Steve Jobs und Steve Wozinak ihre ersten Büros in einer solchen ein und entwickelten den Prototypen des Apple Computers. Die Garage als erste unternehmerische Einrichtung und Tüftlerwerkstatt passt hervorragend in das Narrativ, in dem ein ›kleines‹ Unternehmen, welches sich gegen ein ›großes‹ Unternehmen – im Falle Apples etwa IBM – aufzulehnen versucht.145 Schnell wird dabei vergessen, dass die großen Erfinder-Entrepreneure den heimischen Raum für wissenschaftliche 144 Vgl. T. Ramsaye (1927): »Little Journeys to the Homes of Famous Film Magnates«. 145 Vgl. U. Clement/H. Clement: »Alles begann in einer Garage«, S. 50; M. Beyer: Story Thinking, S. 148.

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und technische Zwecke weniger aufgrund einer auflehnenden Haltung nutzbar machten. Vielmehr bleibt das private Tüfteln in den Kontext einer engagierten Hobbyistenkultur einzubetten – ein Umstand, der auch auf die Profi-AmateurProgrammierer zutrifft.146 Untersuchungen, die große Erfinderpersönlichkeiten wie Thomas Alva Edison oder Alexander Graham Bell stärker in den sozialen Kontext einer Hobbyistenkultur einbetten, stehen noch aus. Biografische Quellen weisen darauf hin, dass auch ihre Affinität zur Technik nicht im luftleeren Raum geboren ist. Während des Berufslebens lebten diese ›white collar‹-Angestellten bereits ihre technische Affinität aus. Eine Perspektive, die Freizeit und Arbeit, oder allgemeiner gefasst: das Private und Professionelle, miteinander verschränkt, könnte zudem die intimen Triebfedern großer Erfinderpersönlichkeiten offenlegen. Sie mögen zwar Yankees gewesen sein, jedoch ist es kaum vorstellbar, dass der Pragmatismus, den Bell bei seinen Untersuchungen im Bereich der Akustik und des Telefons antrieb, keinerlei Beziehung zu seiner gehörlosen Mutter und Ehefrau hatte. Und dass Edisons Taubheit auf einem Ohr bei der Erfindung des Phonografen eine zentrale Rolle spielte, ist ebenso denkbar.147

146 Dass dies auch auf die Entwicklung des Personal Computers zutrifft, die maßgeblich Hobbyprogrammieren in Rechnung zu stellen ist, konstatiert der Historiker P. E. Cerruzi: A History of Modern Computing. Einen Vergleich von Foto- und ComputerAmateuren legt Manuela Barth mit Kollektive Visualisierungen in Fotocommunities (2016) vor, S. 40-55. 147 M. Josephson: Edison; M. K. Carson: Alexander Graham Bell.

3 Bürokratisieren Die Massenmedien der Zweiten Industriellen Revolution1

DIE MODERNE BÜROKRATIE UND IHRE ORTE Obwohl die heimische Nutzung oder die öffentliche Verfügbarmachung industrieller Medieninnovationen wie die des Telefons, des Telegraphen oder auch der Schreibmaschine hinreichend erforscht sind,2 findet der genuine Gebrauch dieser Erfindungen in der Arbeitswelt des Büros genauso wie ihre industrielle Entwicklung selten medienhistorische Beachtung.3 Vor allem ist es der US-amerikanischen Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte in Rechnung zu stellen, dass die Relevanz bürokratischer Medien und ihr Beitrag zur Operationalisierung unternehmerischer Informationen für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts erstmals rekonstruiert wurde. Weil diese historischen Studien Innovationen hauptsächlich im Management der sozialen Arbeitsorganisation situieren, erfährt die interne Unternehmensorganisation – sprich: das Bürokratisieren – besondere Aufmerksamkeit. Mit dieser Fokussetzung wird die Lokalität des Büros anhand ausgeübter Papierarbeiten und verwendeter mechanischer Medien akzentuiert. Die wachsende Anzahl von Büromedien und -arbeitsplätzen legt davon

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Der in diesem Kapitel verwendete historische Korpus zur DuPont Company stammt aus der Forschungsinstitution Hagley Museum and Library, Soda House, Manuscripts and Archives Department, Wilmington, DE. Handbücher zur und Einleitungen in die Mediengeschichte subsumieren diese Technologien zumeist unter die Geschichte der ›Massen- und Telekommunikationsmedien‹. Da die öffentliche Verfügbarmachung von Dienstleistungen oder die heimische Nutzung im Zentrum dieser Geschichtsschreibungen stehen, stellt das 20. Jahrhundert den maßgeblichen Untersuchungszeitraum dar. Auch Einzelmedien-Historien orientieren sich an diesem massenmedialen Paradigma. Vgl. H. Schanze: »Einleitung«, S. 2-3. Zur Verhäuslichung von Medien im Allgemeinen: M. Strathern: »Foreword. The Mirror of Technology«; S. Livingstone: »The Meaning of Domestic Technologies«; T. Berker et al. (Hg.): Domestication of Media and Technology. Eine Fallstudie, die hervorragend den Widerstand gegen den Einzug von Massenmedien in den heimischen Bereich illustriert, bietet D. Zimmerman Umble: »The Amish and the Telephone«. Ausnahmen bestätigen diese Regel. So etwa D. Gardey: Schreiben, Rechnen, Ablegen; L. Gitelman: Paper Knowledge; F. Hoof: Engel der Effizienz.

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Zeugnis ab, dass Administration zu einer zentralen Wirtschaftstätigkeit der aufsteigenden Managerhierarchie wurde.4 Wird demgegenüber ein Perspektivwechsel vorgenommen, bei dem das Bürokratisieren als Praktik industrieller Wertschöpfungsketten begriffen wird, tritt ein weiterer Ort an die Seite der modernen Bürokratie: Das Labor der Industrieforschung. Dieser Ort wurde mit der Absicht eingerichtet und ausgerüstet, für Eingriffe in firmeninterne und -übergreifende Wertschöpfung durchlässig zu sein. Als zentrales Glied zwischen Produktion, Distribution und Konsum trat das Labor dabei als Entstehungsort von Formulartechniken in Erscheinung. Für unternehmerische Zwecke systematisierte und kontrollierte man hier den Austausch von Informationen etwa mit der Zulieferindustrie. Werden die Konstitutionsbedingungen des Bürokratisierens wie auch der industriellen Laborforschung im Allgemeinen für einen Zeitraum datiert, treten insbesondere die Jahrzehnte zwischen 1870 und 1914 hervor. Im Laufe dieser Zeit – die von Wirtschaftshistorikern als »Zweite Industrielle Revolution« beschrieben wird – ereigneten sich tiefgreifende kapitalistische Verschiebungen. Zuerst machten sich diese Verschiebungen in den USA bemerkbar und dann ließen sie sich bald in Großbritannien, Deutschland und Frankreich beobachten.5 Charakteristisch für die Verschiebungen waren große (medien)technische und organisatorische Neuerungen genauso wie der Aufstieg von Industriezweigen, allen voran die der Chemie, Elektrizität und Telekommunikation, später der Automobilwirtschaft. Innerhalb dieser Dynamiken profilierten sich einige wenige Pionierunternehmen – wie General Electric, Du Pont, Eastman Kodak und Bell Telephone Company – die sich durch eine besondere Wissenschafts- und Technikzentrierung auszeichneten. Es wäre zu kurz gegriffen, die Zentrierung allein durch die augenscheinliche Natur ihrer produzierten Güter und angebotenen Dienstleistungen erklären zu wollen. Als Science- and Technology-based Industries erlangten diese Unternehmen vor allem durch die Kapitalisierung von ›Forschung und Entwicklung‹ und der Verwissenschaftlichung des Produktionsbereichs dominierende Marktpositionen.6 In den Worten der Industriehistoriker David A. Hounshell und 4 5

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Vgl. D. Gardey: Schreiben, Rechnen, Ablegen, S. 25-26. Es gibt eine Vielzahl historiografischer Zugänge zu den Veränderungen in der Zweiten Industriellen Revolution. Im Fokus dieses Kapitels stehen die seit den 1980er Jahren von der Unternehmensgeschichte erörterten Fragestellungen zur Unternehmens- und Marktorganisation und den hier zu situierenden Beitrag der aufsteigenden Managerhierarchie, namentlich die chandlerischen Thesen. Neuere Geschichtsschreibungen zu diesem Komplex bietet C. Sabel/J. Zeitlin (Hg.): World of Possibilities. Weitere historiografische Zugänge stellen die Produktionsformen der Taylorisierung und des Fordismus dar; hierzu siehe P. Scranton: Endless Novelty. Die Relevanz der Auswechselbarkeit von Maschinenteilen für die aufkommende Massenproduktion beschreibt der Technikhistoriker David Hounshell in From the American System to Mass Production, 1800-1932. Das wohl einschlägigste Werk zur Kapitalisierung von Wissenschaft und Technologie, unter besonderer Beachtung der entstehenden Ingenieurswissenschaft, stellt die Schrift

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John Kenly Smith: »Science became a part of corporate strategy.«7 Mit Blick auf die geschilderten historischen Dynamiken stellt sich die ›große‹ Frage nach den Querverbindungen: Auf welche Art gingen das neue Management, die eingerichteten Industrieforschungslabore und etablierten Büromedien in der Zweiten Industriellen Revolution Hand in Hand? Zur Beantwortung dieser Frage wird sich dieses Kapitel dem Bürokratisieren der Transport- und Produktionsindustrie im nordamerikanischen Raum widmen. Zunächst steht die Einrichtung firmeninterner Forschung im Mittelpunkt. Die Integration von Laboren in Unternehmen trug der neuen Mobilität von Produkten, ausgelöst durch den schnellen und geografisch weitreichenden Eisenbahntransport, Rechnung. Im Kontext der Güterproduktion und -zirkulation arbeitete das Forschungspersonal mit Dokumenten, die halfen, fertigungsorientiert Informationen zu verarbeiten und die Materialflüsse in Bewegung zu halten. Mit dieser Form des Bürokratisierens behoben die angestellten Ingenieure und Chemiker Koordinationsprobleme des aufstrebenden Managements und stellten damit zu guter Letzt ihren eigenen unternehmerischen Wert unter Beweis. Der Erfindungsreichtum der Zweiten Industriellen Revolution erstreckte sich nicht allein auf die bürokratische Papierwelt, worauf die Forschungsaktivitäten unabhängiger Erfinder in ihren Laborwerkstätten verweisen. Erfinder wie Alexander Graham Bell und Thomas Alva Edison gelang es, einen Platz im aufsteigenden Sektor der Bürotechnologien einzunehmen und zu behaupteten. Zweifelsohne verhalfen sie mit der Mechanisierung der modernen Arbeitswelt dem neuen Führungspersonal seinen Geltungsanspruch durchzusetzen. Denn auf Basis eingesetzter Bürotechnologien wurde das »systematic management« der modernen Industrieorganisation umgesetzt.8 Medienhistorisch aufschlussreich ist, dass die dynamischen Verdichtungen dieser Zeit den Impuls geben, Büromedien als eine neue Kategorie von »Massenmedien« zu begreifen. Als Massenmedien der Zweiten Industriellen Revolution lassen sie sich zwischen dem bereits etablierten Post- und Zweitungswesen und den auf Publika ausgerichteten Massenmedien und Telekommunkationstechnologien des 20. Jahrhunderts einordnen. Der zweite Teil dieses Kapitels wird alle Aufmerksamkeit auf die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhundert richten und umgekehrt danach fragen, in welcher Form die industrielle Forschung nun selbst Gegenstand der Bürokratisierung wurde. Das einstige Bindeglied zwischen Produktion, Distribution und Konsum wurde im beginnenden 20. Jahrhundert als investitionsintensive Einheit in die Unternehmensstruktur integriert. Mit der Absicht die Laborarbeit zu ko-

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America by Design des Wissenschaftshistorikers David Noble dar. Für den Zeitraum zwischen 1880 und 1920 datiert Noble die Ausbildung der »Science- and Technologybased Industries«. D. Noble: America by Design. D. A. Hounshell/J. K. Smith: Science and Corporate Strategy, S. 1. J. Yates: Control through Communication.

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ordinieren und bewerten, bürokratisierten Manager die Forschung zusehends. Anhand einer Fallstudie zum Reportsystem in der Sprengstoffforschung der DuPont Company soll dieser Forschungsbürokratie im Detail nachgegangen werden. Genauer: Es gilt untersuchen, wie das Forschungspersonal – das epistemologischen Idealen der Kommerzialisierbarkeit von Forschung verpflichtet war9 – durch das Reportsystem zudem ein auf Verwaltung ausgerichtetes Verständnis von Forschung ausformte. Angesichts der direktiven Rahmenbedingungen stellte sich das Bürokratisieren als existentielle Bewährungsprobe der Industrieforschung dar. Denn zur Rechtfertigung ihrer kostenintensiven Expertisen war es für die eingestellten Chemiker DuPonts unumgänglich, mit medialen Verfahren zu arbeiten, die vor allem als Maßstab ihrer Bewertung herangezogen wurden.

KRISEN, PAPIERARBEITEN UND IHRE MANAGER Im 19. Jahrhundert vollzog sich in den USA ein grundlegender Umbruch in der Wirtschaftsordnung. Durch die Industrialisierung wurden Märkte ihrer lokalen Begrenzung enthoben. Gleichzeitig expandierten die Industrieunternehmen in Reichweite, Größe und Komplexität. Ihre Absatz- und Produktionsvolumina wuchsen durch die technischen Neuerungen der Industrialisierung enorm an. Damit stellte sich ab dem Jahre 1860 das ein, was der Wirtschaftshistoriker und Soziologe James Beniger unter dem Begriff der »Kontrollkrise« subsumiert: Die Organisationsformen des Manufakturzeitalters konnten mit der Industrialisierung nicht mehr Schritt halten. Unternehmer rangen um die Kontrolle über Güterproduktion und -zirkulation. Ursache dafür war eine Kluft zwischen den technischen Neuerungen – die Distribution durch die Eisenbahn und die Nutzung der Dampfkraft als Antriebsenergie – und bestehenden, informellen Austauschmöglichkeiten. Personal- und Kundenkontakte wurden vor diesem Umbruch durch mündliche und schriftliche Kommunikation reguliert, wobei der Informationsaustausch nicht die Geschwindigkeit von Postkutschen überschritten hat. Und auch in der Produktion übertraf die materielle Verarbeitung das menschliche Tempo nur dann, wenn auf Zugtiere genauso wie Wind- und Wasserenergie zurückgegriffen wurde. Solange sich die Produktionsgeschwindigkeit in diesem

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Vgl. D. Hamberg: »Invention in the Industrial Research Laboratory«. Dass US-amerikanische Universitäten im Rahmen ihrer laboratorischen Programme Chemiker, Physiker und Ingenieure gezielt für eine kommerzielle Gesellschaft ausbildeten und sich selbst als Teil des Marktes verstanden, beschreibt A. M. Dennis: »Accounting for Research«.

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Rahmen bewegte, war es dem einzelnen Arbeiter möglich, fertigungsorientierte Informationen zu verarbeiten und Materialflüsse in Bewegung zu halten.10 Die Kontrollkrise trat in den Bereichen Transport, Produktion und Konsum auf. Für eine medienwissenschaftliche Perspektive ist die Krise im Transportwesen besonders interessant. So berichteten Zeitungen von steigenden Unfallzahlen durch das Aufeinanderprallen von Zügen, was für die Eisenbahngesellschaften organisatorische Neuerungen unabdingbar machte. Die Transportunternehmen reagierten mit einer »Kontrollrevolution«, die sich als Bürokratisierungsschub bezeichnen lässt. Mithilfe von Organigrammen, Zeitplänen, Reportsystemen und der telegrafischen Kommunikation wurde nicht nur das geografisch zerstreute Arbeiten sicherer gestaltet, sondern auch die ökonomische Effizienz gesteigert.11 In The Visible Hand bringt der Unternehmenshistoriker Alfred D. Chandler die Erfindung dieser bürokratischen Techniken mit der Professionalisierungsgeschichte der aufsteigenden Managerklasse zusammen. Im Detail rekonstruiert er wie die von Adam Smith beschriebenen, ungeplanten und kaum lokalisierbaren Preis-Mechanismen – bzw. die ›unsichtbare Hand‹ des selbstregulierenden Marktes – durch administrative und fixierbare Aktivitäten des neuen Führungspersonals verdrängt wurden.12 Dem neuen Führungspersonal war es im 19. Jahrhundert zu verdanken, dass das Transportwesen als erste moderne Geschäftsunternehmung in den USA eine Profilierung erfuhr. Die Karriere der Distributionsindustrie staffelt Chandler in drei Etappen: Auf die rasante und territoriale Expansion getrennt operierender Eisenbahnunternehmen in dem Zeitraum zwischen 1840 und 1860 folgten wettbewerbsfördernde Kooperationen in den 1870er und 1880er Jahren, die schlussendlich in einem vereinigten Transportnetzwerk gegen Ende des 19. Jahrhunderts mündeten. Dieses Transportnetzwerk gestattete der produzierenden Industrie den verlässlichen und schnellen Gütertransport im nordamerikanischen Raum.13 Dass auch weitere Neuerungen auf die Manager der Eisenbahngesellschaften zurückzuführen sind, lässt sich dem Wissenschafts- und Techniksoziologen

10 Vgl. J. R. Beniger: The Control Revolution, S. 6-13; vgl. J. R. Beniger: »Communication and the Control Revolution«, S. 11. 11 Vgl. J. R. Beniger: The Control Revolution, S. 219-237. Beniger stützt sich an dieser Stelle auf Alfred D. Chandlers Fallstudie zum Aufstieg der Eisenbahngesellschaften. Siehe daher auch A. D. Chandler: The Visible Hand, S. 96-97. 12 A. Smith [1767]: The Wealth of the Nations; A. D. Chandler: The Visible Hand, S. 94121. Für das Zusammenspiel von Industriekapitalismus und Managementorganisation siehe auch A. D. Chandler: Scale and Scope; A. D. Chandler: Strategy and Structure. Für die akademische Kontextualisierung von Chandlers Werk siehe: T. K. McCraw: »The Intellectual Odyssey of Alfred D. Chandler, J.«; Revisionen und Weiterentwicklungen von Chandlers Unternehmensgeschichte finden sich bei C. S. Maier: »Accounting for the Achievements of Capitalism«; R. R. John: »Elaborations, Revisions, Dissents«; S. Usselman: »Still Visible«; T. K. McCraw: »Alfred Chandler«. 13 Vgl. A. D. Chandler: The Visible Hand, vor allem »Part II: The Revolution in Transportation and Communication«.

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Geoffrey C. Bowker entnehmen. Auf dem Höhepunkt der von Beniger diagnostizierten Kontrollkrise in den 1880er und 1890er Jahren, brachte das Führungspersonal eine Vielzahl von Standardisierungen in Gang: teils technischer Art, wie die der Spurweiten 1886 und der Luftdruckbremsen 1893,14 teils mediale, wie die der Uhrzeit 1883 sowie die von Buchführungstechniken 1887. Sie erleichterten den Managern »zirkulierende Informationen« zu kontrollieren.15 Obwohl die Beschaffenheit der zirkulierenden Größen bei Bowker unbestimmt bleibt, ist der medienwissenschaftlichen Verkehrsgeschichte abzuleiten, dass sie sich auf die transportierten Waren, Personen und Briefe genauso wie auf das eingesetzte Personal beziehen.16 Bezeichnenderweise wurde auch das erste Industrieforschungslabor durch ein Transportunternehmen – die Pennsylvania Railroad Company – ins Leben gerufen. Bowker hält hierzu fest, dass sich die Forschungseinrichtung in den Prozess der Standardisierung einreihte und dieser verlief »von der Vereinheitlichung im Unternehmen zur Kontrolle dieser Vereinheitlichung mit Hilfe des Industrieforschungslabors und schließlich zur Anerkennung des eigenen Werts dieser Forschung als Instrument der Standardisierung der natürlichen Welt nach dem Vorbild der neuen sozialen.« 17

Werden Wirtschafts- und Wissenschaftsgeschichte an dieser Stelle zusammengeführt, verdich-tet sich die historische Entwicklung der Industrieforschung zu folgendem Bild: Unternehmerische Konkurrenzkämpfe und damit einhergehende Kooperationen brachten schrittweise Standardisierungsprozesse in Gang. Ursache wie auch Ergebnis dieser Dynamik war der Bedarf nach Informationen, die tagtäglich in Unternehmen anfielen. Eine Fülle von Formularen, Grafiken und Tabellen wurde eingesetzt, um die Informationsflut zu systematisieren. Neben der Praktik des Bürokratisierens traten firmeninterne Labore als organisa14 Siehe für einen historischen, internationalen Vergleich der Spurweitenstandardisierung: D. J. Puffert: »The Economics of Spatial Network Externalities and the Dynamics of Railway Gauge Standardization«. 15 Vgl. G. C. Bowker: »Der Aufschwung der Industrieforschung«, S. 864. 16 Exemplarisch: C. Neubert/G. Schabacher: »Verkehrsgeschichte an der Schnittstelle von Technik, Kultur und Medien. Einleitung.« Siehe auch D. Morley: »Communications and Transport«. In Bowkers »Information Mythology and Infrastructures« steht der (un)bestimmte Charakter von Informationen zur Diskussion. Retrospektiv formulierte Narrative genauso wie praxeologische Notwendigkeiten und infrastrukturelle Interventionen sind für das Informationsverständnis formgebend. Für ökonomische Prozesse wird festgehalten: »Information mythology is not an epiphenomenon generated out of thin, hot air: it describes an integral part of the economic process of ordering social and natural space and time so that ›objective‹ information can circulate freely. The global statement that everything is information is not a preordained fact about the world, it becomes a fact as and when we make it so.« G. C. Bowker: »Information Mythology and Infrastructures«, S. 245. 17 G. C. Bowker: »Der Aufschwung der Industrieforschung«, S. 864.

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torische Antwort auf diese Bedarfsdeckung in Erscheinung. Angesichts dieser Entwicklung scheinen das Bürokratisieren und die Industrieforschung zwei unterschiedliche Effekte ein und derselben Konstellation zu sein. Infolgedessen drängt sich die Frage auf, ob auch die Einführung der Industrieforschung stärker in den Kontext der Kontrollkrise gerückt werden kann, also koordinativen Notwendigkeiten geschuldet ist. Eine Verbindung der vorangegangenen Erkenntnisse spricht außerdem für eine unternehmerisch vollzogene Arbeitsteilung: Während das Management der sozialen Arbeitsorganisation von dem neuen Führungspersonal übernommen wurde, lag das Management der »natürlichen Welt« in den Händen der Industrieforschung. Die von Bowker konstatierte Arbeitsteilung wirft erneut Fragen auf: Wenn das suggerierte Vereinheitlichen der sozialen Welt eine Vorbildfunktion besaß, wie gestaltete sich die alltägliche Arbeitspraxis des Forschungspersonals? Und allgemeiner, welche Größen zeichneten die natürliche Welt im industriellen Kontext aus?

DAS MANAGEMENT DER ›NATÜRLICHEN‹ WELT Aus praxeologischer Perspektive stellten die Industrieforschungslabore sicherlich erhebliche Weichen für die Vereinheitlichung produktionsrelevanter Ressourcen. Unternehmen wie die Pennsylvania Railroad Company (1875), General Electric (1896), Eastman Kodak (1880), die Bell Telephone Company (1883) und DuPont (1902) etablierten ihre ersten Forschungseinrichtungen zunächst in Form von Test- und Standardisierungslaboren.18 Gerahmt wurde das Aufgabeprofil des firmeninternen Forschungsangestellten durch zwei Bereiche: Die Überwachung und Verbesserung existierender Produktionsprozesse und Produktqualitäten auf der einen Seite; die Kalibrierung von Messinstrumenten sowie die Standardisierung von Produktionsmaterialien, Chemikalien, physikalischen Konstanten und technischem Equipment auf der anderen.19 In ihren Anfängen wurden die laboratorischen Einrichtungen in den Fabrikanlagen untergebracht.20 Außerdem richteten die Unternehmen eigens Labore für die Produktion von Prototypen ein. In den sogenannten »pilot plants« stellte das Personal u.a. Studien an, die der Klärung potentieller Nachfrage auf Konsumentenseite galten. Solche Miniatur-Fabriken bildeten eine zentrale Entscheidungsgrundlage für die Errichtung von großformatigen Produktionsanlagen.21

18 L. Reich: The Making of American Industrial Research, S. 58, 142; D. A. Hounshell/ J. K. Smith: Science and Corporate Strategy, S. 2. 19 Vgl. A. M. Dennis: »Accounting for Research«, S. 482. 20 Vgl. L. Reich: The Making of American Industrial Research, S. 2. 21 Vgl. A. D. Chandler: Scale and Scope, S. 42, 171-172; vgl. L. Reich: The Making of American Industrial Research, S. 5.

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Sowohl die Platzierung der ersten Industrieforschungslabore in den Fabriken als auch die produktionsorientierte Ausrichtung der ausgeübten Tätigkeiten lassen die begleitenden Arbeitsbedingungen des Forschungspersonals erahnen. Folgt man hierzu den Überlegungen des Wirtschaftshistorikers Edward P. Thompson, die er in seiner Schrift »Zeit, Arbeitsdisziplin und Industriekapitalismus« verfasste, lässt sich zumindest die zeitliche Taktung dieser Arbeitsbedingungen konkretisieren. Aus marxistischer Perspektive schildert Thompson, dass ein neues gesellschaftliches Zeitbewusstsein der Karriere des Industriekapitalismus im 18. und 19. Jahrhundert zuarbeitete. Während man in vorindustriellen Gesellschaften – in Thompsons Analyse vorwiegend Agrargesellschaften – den Wert der Arbeitsleistung aufgabenorientiert ermittelte, transformierte in der Industrialisierung Zeit zu einer Währung: Sie verstrich nicht mehr, sie wurde aufgewendet.22 Damit sich das Fabrikpersonal dem Rhythmus des industriellen Maschineninventars anpasste, formten Arbeitgeber Praktiken zeitlicher Synchronisation und arbeitsbezogener Disziplinierung heraus. Mit Formen der Arbeitsteilung und -überwachung, dem Einsatz von Fabrikuhren und -glocken, finanziellen Leistungsanreizen oder -einbußen gelang es,23 die Fabrikorganisation derart zu koordinieren, dass synchrone und präzise Zeitroutinen resultierten. Das Industrieforschungspersonal blieb von diesen disziplinierenden Rahmenbedingungen nicht unberührt. Durch die Zielvorgabe einer maschinenorientierten Taktung und eines hierauf synchronisierten Personals bildeten sich Parallelen zwischen der Güterproduktion und den Forschungsaktivitäten heraus. Querverbindungen dieser Art sind etwa zwischen den unzählig durchgeführten Experimenten und der massenhaften Güterproduktion zu ziehen.24

22 Vgl. E. P. Thompson: »Zeit, Arbeitsdisziplin und Industriekapitalismus«, S. 85, 88. 23 Überdies sei angemerkt, dass Thompson davor warnt, die Durchdringung des Zeitbewusstseins allein technikdeterministisch oder ausschließlich mit der Industrialisierung begründen zu wollen. Eine ganze Serie von Veränderungen etwa in Predigten und Erziehungsmaßnahmen, Eigentumsverhältnissen oder auch der Abschaffung von Jahrmärkten und Volksbelustigen war es geschuldet, dass sich neue Arbeitsgewohnheiten und eine derartige Zeitdisziplin ausbilden konnten. Vgl. ebd., S. 92-93, 99. 24 In Anlehnung an den Industriehistoriker John J. Beer verweisen David A. Hounshell und John Kenly Smith darauf, dass die Vorlage »wissenschaftlicher Massenarbeit« aus der deutschen Chemieindustrie stammt und von US-Unternehmen für die eigene Labororganisation übernommen wurde. D. A. Hounshell/J. K. Smith: Science and Corporate Strategy, S. 5. Die wissenschaftliche Massenarbeit wurde von Beer hervorstechenderweise auch als »mass assault« bezeichnet: »Of 2,378 colors produced and tested [by Bayer] in the year 1896, only 37 reached the market. This tedious, meticulous experimentation, in which a thousand little facts were wrenched from nature through coordinated massed assault, admirably illustrates the method and spirit introduced into scientific inquiry by the rising industrial laboratory of the late nineteenth century.« J. J. Beer: »Coal Tar Dye Manufacture and the Origins of the Modern Industrial Research Laboratory«, S. 130. Siehe auch J. J. Beer: The Emergence of the German Dye Industry.

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Die Anfänge firmeninterner Forschung in Form der Test- und Standardisierungslabore werden von Seiten der US-amerikanischen Industrieforschungshistorie zumeist marginal behandelt. Das Erkenntnisinteresse dieser Fallstudien folgt der Erfindung populärer, klassischer Massen- und Telekommunikationsmedien. Medienwissenschaftlich aufschlussreich bleiben die Randbemerkungen zu den Test- und Standardisierungseinrichtungen dennoch. Ein roter Faden zwischen diesen Fallstudien weist auf den herausfordernden Charakter der hier zu situierenden Aufgaben und den dazu etablierten bürokratischen Bewältigungs- und Kontrollstrategien hin. Im Zusammenschnitt dargestellt: George Eastman rief seine erste laboratorische Einrichtung gleichsam mit der Gründung seiner Fabrik ins Leben. Aufgrund der äußerst sensiblen Chemikalien, die für die Entwicklung von fotografischer Ausrüstung benötigt wurde, übertrug die Eastman Dry Plate Company dem Labor vor allem die Verantwortung für die Qualität von Arbeitsmaterialen. Die auf dem Markt erhältlichen Chemikalien gewährleisteten kaum die erforderliche Reinheit, die für ihre Weiterverarbeitung fotosensitiver Materialien notwendig gewesen war. Die Forschungsangestellten waren gezwungen, beinahe jede einzelne Lieferung sowie die eigenen Fabrikate zu testen.25 Auf die enge Verzahnung zwischen Medienproduzent und Materialzulieferern verweisen auch die Aktivitäten der Testeinrichtung der Bell Telephone Company. Alexander Graham Bell beauftrage das Labor mit der Verbesserung der Gesprächsleistung seiner patentierten Telefonerfindung.26 Dazu legte man Standards u.a. für die verwendeten Kabel fest und prüfte die Instrumentenqualität, mit denen diese Kabel beim Lieferanten, der Western Electric, getestet wurden.27 Auf welche Art diese Standards für die Zuliefererindustrie fixiert wurden, lassen laboratorische Aktivitäten der Pennsylvania Railroad Company erschließen. Charles Dudley – ein promovierter Chemiker der Yale Universität – wurde eigens für die Leitung des Labors angeworben. Gemeinsam mit seinem Team, bestehend aus 36 Angestellten, analysierte er zugelieferte Materialien wie etwa Schmieröle für Lokomotiven. Desgleichen wurden die Eigenschaften und Bestandteile von Stahlschienen untersucht, die solche aus Eisen ersetzten sollten. Hauptaufgabe der Labormitarbeiter bestand darin, nach der Testung diverser Materialien, Spezifikationen eigens für die Zulieferer anzufertigen. Mit ihnen wurde die Qualität einzukaufender Materialien bestimmbar und standardisierbar. Die Spezifikationen reduzierten maßgeblich die Austausch- und Beschaffungskosten von Ersatzteilen für das Eisenbahnunternehmen.28 Und zu guter 25 26 27 28

Für eine ausführliche Darstellung siehe Kap. Amateurisieren und Professionalisieren. Vgl. L. Reich: The Making of American Industrial Research, S. 142. Ebd., S. 143. Vgl. J. L. Sturchio: Chemists and Industry in Modern America, S. 80-81; H. Bartlett: »The Development of Industrial Research in the United States«; L. Reich: The Making of American Industrial Research, S. 58; S. W. Usselman: »Mastering Technology, Channeling Change«.

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Letzt das »Works Laboratory« von General Electric, indem die Forscher, ähnlich den laboratorischen Angestellten der Pennsylvania Railroad Company, Spezifikationen für Materialen formulierten. Diese waren vor allem im Bereich der elektrischen Wärmedämmung und des magnetischen Stahls zentral. Zu den Errungenschaften des parallel agierenden »Standardizing Laboratory's« gehörte die Erzeugung eines firmeninternen Standards für den elektrischen Widerstand – eine Notwendigkeit, da das Ohm zu dieser Zeit noch nicht standardisiert war.29 Der exemplarische Überblick führt vor Augen, dass Unternehmen bereits in den Jahrzehnten der Zweiten Industriellen Revolution keiner unvermittelten natürlichen Welt – sozusagen einer ›Natur im Rohzustand‹ – gegenüberstanden. Etablierte Industriezweige der Chemie, Elektrizität und Metallurgie motivierten maßgeblich die Kommodifikation natürlicher Ressourcen. Entlang ihrer Testung und Spezifizierung in den Laboren erfuhr die natürliche Welt eine weitere Objektivierung. Physikalische Konstanten, Rohstoffe oder Chemikalien erhielten für Dritte verständliche und produktiv nutzbare Charakteristika.30 Für eine medienwissenschaftliche Rahmung von Spezifikationen sind die Ausführungen des Technikhistorikers Lawrence Busch in Standards: Recipes for Reality wegweisend. Im Grunde gleichen Spezifikationen einer Regulierung, auf deren Basis die Kooperation zwischen Käufer und Verkäufer eine »Zertifizierung« erfährt. Neben dem Warenpreis und den Anforderungen an die gewünschte Qualität, wird zudem die normative Größe des Vertrauens zwischen Käufer und Verkäufer hergestellt. Busch hält hierzu fest: »Certification, then, can be thought of [...] as a displacement of trust as predictability. Certification signals that a person or thing can be trusted in the sense of predictability. Certifications may be used in the marketplace to inform parties to various exchanges, or they may be used in a wide variety of other settings where personal inquiry or intimate knowledge is lacking.«31

Sicherlich ist die Notwendigkeit zertifizierter Vorhersehbarkeiten vor dem Hintergrund zu bewerten, dass eine nationale Standardisierungsinstitution – die

29 Vgl. L. Reich: The Making of American Industrial Research, S. 57-58. 30 Der Begriff der Kommodifizierung geht auf den Wirtschaftssoziologen Karl Polanyi zurück. In The Great Transformation (1944) beschrieb Polanyi den tiefgreifenden Wandel westlicher Gesellschaftsordnungen durch die Herausbildung von Marktwirtschaften und Nationalstaaten im 19. und 20. Jahrhundert. Zu seinen zentralen Diagnosen gehörte, dass die zunehmende Marktorientierung eine Anpassung aller Produktionsfaktoren – Arbeit, Boden und Geld – an die Warenwirtschaft motivierte. K. Polanyi: The Great Transformation. Für weitere soziologische und historische Auseinandersetzungen mit dem Prozess der Kommodifizierung siehe J. Helbing: »Kommodifizierung«; F. Muniesa: »Goods/Commodities«. 31 L. Busch: Standards, S. 214.

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erst 1901 mit dem National Bureau of Standards etabliert wurde –fehlte.32 Ebenso erschwerten die zunehmende Urbanisierung wie auch der ansteigende Welthandel, interpersonell Reputations- und Vertrauensbeziehungen zwischen Anbietern und ihrer Klientel auszuhandeln.33 Die vorliegende Historie gibt jedoch auch Anlass für eine weitere Begründung: Durch den sukzessiven Zusammenschluss der Eisenbahngesellschaften und der überwundenen Koordinationsprobleme gestaltete sich der Gütertransport zwar über weitreichende Distanzen hinweg reibungsloser und verlässlicher, jedoch verschärfte diese Expansion die Kontrollkrisen in den Wertschöpfungsketten der Science- and Technology-based Industries. Die gesteigerten Absatzvolumina und die hieran gekoppelte Güterzirkulation (Beniger) traf die distribuierende wie produzierende Industrie bezeichnenderweise an der gleichen Stelle. Denn beide Branchen nahmen bei der Instandhaltung ihrer Infrastrukturen sowie angebotenen Produkte und Dienstleistungen eine Konsumentenrolle in ihrer mitinitiierten Geschäftswelt ein. Die koordinative Expertise des aufsteigenden Managertums (Chandler) stieß angesichts der neuen Mobilität und Heterogenität von Produkten an ihre Grenzen. Letztendlich erwuchs aus diesem Manko als zentrale Antwort die Industrieforschung und damit die professionelle naturwissenschaftliche Untersuchung und Testung konsumierender Waren.

32 Dem Industriehistoriker John Rae zufolge, nahm sich die US-amerikanische Regierung der institutionellen Etablierung an und reagierte damit vor allem auf industrielle Bedürfnisse: »The founding of the Bureau of Standards illustrates […] the accepted belief that the government should employ science to promote the economy. Pressure for such an organization began in the 1880s with agitation for the establishment of national standards of electrical measurement. This task was initially assigned to the Office of Weights and Measure of the Coast and Geodetic Survey […], but the arrangement was unsatisfactory, and the Bureau of Standards was created in 1901. In addition to serving as the custodian of and testing agency for scientific and technical standards, the Bureau was charged with investigating properties of materials ›when such data are of general importance to scientific or manufacturing interest‹. In short, service to industry was one of the primary motives for the creation of the Bureau of Standards.« J. Rae: »The Application of Science to Industry«, S. 258. 33 Ab der Zweiten Industriellen Revolution reagierten Staaten auf den grenzüberschreitenden Warenverkehr und die zunehmend verflochtenen Finanzmärkte mit vertraglich fixierten Verabredungen. Wirksam wurden diese »Weltverträge« durch überbetriebliche technische Normierungen, nationale Gesetze oder mit der Etablierung internationaler Verwaltungsunionen. Der Internationalisierungsschub erreichte seinen Höhepunkt zwischen 1910 und 1913 und brach mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs ab. Etablierte Ämter blieben genauso wie die ihnen zu Grunde liegenden »Weltverträge« bestehen. Ausgehend von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die infrastrukturellen Gleise für eine handeltreibende und transportgebundene »Weltwirtschaft« gelegt. M. Vecs: Recht und Normierung in der industriellen Revolution, S. 120. Eine genaue Analyse des Welthandels findet sich im Kap. Standardisieren.

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DAS BÜROKRATISIEREN DER SOZIALEN ARBEITSORGANISATION Versucht man weitere Dimensionen medialer Ökonomien im Kontext der Industrieforschung aufzutun, ist es hilfreich, den Medienbedarf von Seiten des Führungspersonals und ihrer Angestellten genauer in den Blick zu nehmen. Konkret soll nun der Frage nachgegangen werden, auf welche Art die Industrieforschung einen Beitrag zur Arbeitsorganisation der modernen Bürowelt in der Zweiten Industriellen Revolution leistete. Besondere Aufmerksamkeit müssen hier die etablierten Büroarbeitsplätze erfahren. Von diesen Orten aus koordinierte die neue Managerhierarchie Waren- und Geldflüsse sowie ökonomische Aktivitäten untergeordneter Abteilungen. Erklärtes Ziel bestand darin, das Unternehmen in ein »System« zu verwandeln. Dazu standen dem neuen Führungspersonal Büroangestellte, Statistiker, für Post- und Ablage-zuständige Sekretärinnen, Typisten und Stenographen zur Seite. Allesamt neue, bürozentrierte Berufszweige, die sich in der Zeit zwischen 1875 und 1918 herausbildeten.34 Die Organisationswissenschaftlerin JoAnne Yates widmet sich in Control through Communication diesen personalen Umstrukturierungen genauso wie dem Medieneinsatz, der mit der unternehmerischen Systematisierung Hand in Hand ging. Die schnelle Rationalisierung der modernen Industrieorganisation und die Erschließung neuer Wirtschaftsräume werden dabei vor allem dem Einsatz von Büromedien zugeschrieben. Dank den Technologien des Telegraphen, der Schreibmaschine, des Telefons und Kopiermethoden genauso wie durch Reporte, Rundbriefe, Graphen und Angestelltenhandbücher wurden das »systematic management« erst ermöglicht.35 Medienwissenschaftlich aufschlussreich ist Yates ökonomische Beziehung zwischen papierenen und mechanisierten Medien. Die Schreibmaschine etwa erhöhte die Geschwindigkeit mit der ein Dokument angefertigt werden konnte und reduzierte obendrein die damit zusammenhängenden Produktionskosten. Vice versa erzeugte die Nachfrage nach effizienteren Methoden als die der händischen Erzeugung, den Bedarf nach Techniken wie der des maschinellen Schreibens. In den Worten von Yates:

34 Vgl. J. Yates: »Business Use of Information and Technology During the Industrial Age«, S. 112-113. 35 Yates zum Anwendungsbereich der Büromedien im systematic management: »The emergent philosophy of systematic management centered around the use of what was designated ›system‹ to achieve managerial control and efficiency. In particular, the systematizes who developed and spread the notions had two common themes: (1) the need to transcend individuals, whether owners, managers, or workers, by systematizing and documenting duties and procedures; and (2) a systematic approach to gathering and analyzing information as the basis for coordination.« J. Yates: »Business Use of Information and Technology During the Industrial Age«, S. 110.

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»Thus, while technological developments supported the growth of internal communication, that growth in turn encouraged further technological evolution by providing an expanding market for innovations. Finally, new communication genres developed as a product of organizational needs and available technologies. Circular letters, reports, and manuals were shaped by their production and use. [...] [D]evelopments in managerial methods, communication technologies, and communication genres fed on one another in the evolution of the communication system.« 36

Während das neue Führungspersonal und seine unterstützenden Angestellten Schreib-, Rechen- und Ablagetechniken hervorbrachten,37 blühte ein Markt für Büromedien auf. Angeboten wie nachgefragt wurde dabei nicht allein das maschinelle Inventar, sondern ebenfalls Büromöbel und -zubehör wie etwa Heftklammern. In dem Zeitraum zwischen 1879 und 1919 stieg das Kapital von Bürogeräteherstellern um 2700 % an.38 Wie die nachfolgenden medienhistorischen Beispiele illustrieren, leisteten unabhängige Erfinder und Amateure in ihren Werkstätten auf Basis ihres mechanischen Erfindungsreichtums einen Beitrag zur Systematisierung der im Büro zu situierenden Arbeitsorganisation. Alexander Graham Bell verbesserte beispielsweise die telegrafische Kommunikation mit Blick auf den angestrebten Verkauf dieses Patents an die Western Union – dem damals marktdominierenden Telegraphenunternehmen.39 Aus diesem Forschungsprojekt ist sowohl die technische Apparatur des Telefons als auch die Bell Telephone Company hervorgegangen.40 Das von der französischen Académie des sciences für die Erfindung des Telefons erhaltene Preisgeld von 10.000 $ investierte Bell in die Büromedienforschung. Mit dem Preisgeld richtete er das Volta Laboratory ein und arbeitete mit einem Team an der Neumodellierung des von Thomas Edison erfundenen Phonographen. Hieraus ging eine Diktiermaschine, besser bekannt als Graphophon, hervor. Nach erfolgreichen Patentierungen wurde eigens zur Vermarktung der Diktiermaschine im Jahre 1886 die Volta Graphophone Company ins Leben gerufen.41 Werbeanzeigen illustrierten den bürokratischen Mehrwert – genauso das asymmetrische Machtgefälle und

36 J. Yates: Control through Communication, S. Xviii. 37 Vgl. D. Gardey: Schreiben, Rechnen, Ablegen. Die innovativen Leistungen des Führungspersonals können auch in den Kontext ihrer ingenieurswissenschaftlichen Ausbildung gesetzt werden. Auffällig viele Manager verfügten zu dieser Zeit über eine solche Ausbildung. Siehe J. Rae: »Engineering Education as Preparation for Managment«. 38 Vgl. J. Yates: »Business Use of Information and Technology During the Industrial Age«, S. 110. 39 Vgl. R. R. John: »Recasting the Information Infrastructure for the Industrial Age«, S. 113. 40 Eine genauere Darstellung von Bells erfinderischen Tätigkeiten im Bereich der Telegrafie und Telefonie findet sich im Kap. Verrechtlichen jusitziabel Machen. 41 Vgl. L. J. Newville: »Development of the Phonograph at Alexander Graham Bell's Volta Laboratory«. Siehe auch H. Jüttemann: Phonographen und Grammophone.

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die damit einhergehende geschlechterspezifische Positionierung42 – wie folgt: Der männliche Vorgesetzte diktierte Briefe in einen Zylinder, worauf seine Sekretärin zeitversetzt diese Aufnahme abhörte und mit der Schreibmaschine abtippte. Umgangen werden sollte auf diese Art der kostenintensivere Einsatz eines Stenographen (Abb. 3.1).43

Abb. 3.1: Das Graphophon im Büroeinsatz Während die Volta Graphophone Company für Firmengründungen im Bereich der Büromedien exemplarisch ausweist, ist das folgende medienhistorische Beispiel für eine unternehmerische Neuausrichtung bezeichnend. Christopher Latham Sholes, Carlos Gliddens und Samuel W. Soulé entwarfen eine der ersten handlichen Schreibmaschinen im C. F. Kleinsteuber's Machine Shop – einer Sammelstätte für Amateurerfinder. Im Sommer 1870 führten sie der Western Union einen Prototypen vor. Das Telegraphenunternehmen suchte damals händeringend nach einer Methode für das Aufzeichnen von Telegrammen. Jedoch lehnte die Western Union den Erwerb des Patents ab, da man davon ausging, dass ein überlegeneres Gerät für weniger als den angebotenen Preis von 50.000 $ ent42 Kritisch hinterfragt wurde bereits von Seiten der Medienwissenschaft die Professionalisierungsgeschichte vor allem weiblicher Büroangestellter. Der Bereich des Schreibens verhalf Frauen zwar zur Wirtschaftstätigkeit und sorgte für ein gewisses Maß an Emanzipation, jedoch war dieser Aufgabenbereich zugleich für die berufliche Marginalisierung und asymmetrischen Positionierung am Arbeitsplatz verantwortlich. Die Konsequenzen dieser Gender-Kodierung bzw. des »occupational sex typing's« waren noch im Kontext der Datenverarbeitung in der Computerindustrie bis in die 1990er Jahre spürbar. F. Kittler: Grammophon Film Typewirter, S. 287-288. Eine umfangreichere medienwissenschaftliche Historisierung der sozialtheoretischen Größe »Gender« und »Class« im 19. Jahrhundert bieten S. Strom: Beyond the Typewriter; D. Gardey: »Gender-Technology Relations in the Various Ages of Information Societies«. T. Haigh: »Masculinity and the Machine Man« für die genannten Gender-Kodierungen in der History of Computing. 43 Vgl. D. L. Morton: Sound Recording, S. 43-48. Entgegen dieser Hoffnung verbreitet sich die Stenographie als Technik beschleunigten Schreibens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. D. Gardey: Schreiben, Rechnen, Ablegen, S. 87.

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wickelt werden könnte.44 Weil die Amateur-Erfinder nicht über genügend Kapital für die eigene Serienproduktion und Vermarktung verfügten, übertrugen sie die Herstellungs- und Vertriebsrechte dem Waffen- und Nähmaschinenhersteller Remington Arms. Das Unternehmen erklärte sich 1873 bereit, mit der Schreibmaschine in Serie zu gehen. Bei Gerichtsstenographen, Rechtsanwälten, Verlegern genauso wie in der modernen Geschäftswelt avancierte die Schreibmaschine zum geschätzten Büromedium ab den 1880 Jahren.45 Und zu guter Letzt eine Innovation, bei der die Massenmarkttauglichkeit von Beginn an eine zentrale Rolle spielte: Thomas Alva Edison, der seine Karriere als Erfinder im telegrafischen Bereich startete und Auftragsarbeiten für die Western Union durchführte, konzentrierte sich auch auf Bürotechnologien. Speziell für die bürokratischen Herausforderungen der Eisenbahnunternehmen entwarf Edison in seinem Laboratorium in Menlo Park 1876 einen elektrischen Stift. Dieser ermöglichte es der Käuferschaft, Schablonen für Formulare selbst zu kreieren. Durch die Kombination mit einer Vervielfältigungspresse, war man imstande, beliebig viele Kopien eines gestalteten Formulars anzufertigen. Die Zusammenführung von elektrischem Stift und Kopierpresse positionierte sich als ein massenmarkttaugliches Büromedium für diverse industrielle Kontexte – und dies gerade, weil die Innovation für die ebenso massenhafte Verbreitung von Dokumenten wie Preislisten, Briefköpfen, Arbeitsanweisungen, Zeitplänen oder Frachtlisten geeignet war. Im Jahre 1889 verzeichnete die Edison Electric Pen & Duplicating Press Company den Verkauf von 20.000 »Edison Mimeographen«.46 Die angeführten medienhistorischen Fallbeispiele erheben keinesfalls den Anspruch, eine erschöpfende Darstellung der durch erfinderische Tätigkeiten hervorgebrachten Bürowelt zu geben. Jedoch geben sie dazu Anlass den Erfindungsreichtum von professionellen Einzelerfindern und Amateuren in den Kontext umfangreicherer industrieller Dynamiken und Unternehmungen zu stellen. Vor dem Hintergrund der hervorstechenden Position der Western Union zeigt sich interessanterweise, dass erneut Medien- und Verkehrsgeschichte zusammenfinden.47 Neben dem staatlichen Postsystem und dem Zeitungswesen handelte es sich bei diesem Telegrafenunternehmen um eines der größten Medienunternehmungen seiner Zeit.48 Auf der Basis von Verträgen mit Eisenbahngesellschaften 44 Vgl. B. Bliven: The Wonderful Writing Machine, S. 52; W. A. Beeching: Century of the Typewriter, S. 30; R. N. Current: »The Original Typewriter Enterprise 1867-1873«, S. 399. Neben den hier genannten Verweisen siehe zur Geschichte der Schreibmaschine auch M. Adler: The Writing Machine. 45 Vgl. D. S. Wershler-Henry: The Iron Whim, S. 65-72. 46 Vgl. J. E. Cooper: »Intermediaries and Invention«. 47 Zur Geschichte der Western Union Telegraph Company: E. Gabler: The American Telegrapher; J. D. Wolff: Western Union and the Creation of the American Corporate Order; W. J. Phalen: How the Telegraph Changed the World. 48 Der Soziologe Paul Starr versteht den Aufstieg des Postsystems als einer der ersten Informationsrevolutionen auf nordamerikanischen Boden. Eine besondere Wendemarke in der postalischen Infrastrukturentwicklung kommt dabei dem Jahr 1831 zu:

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– die im Prinzip besagten, dass sie den ›Draht‹ zur Verfügung stellten und die Telegrafenabteilungen der Eisenbahnen die Anlagen betrieben – sicherte sich die Western Union eine Monopolstellung. 1870 besaß das Unternehmen drei Viertel seiner Telegrafenbüros in Eisenbahndepots und umfasste damit fast 9.000 von insgesamt 12.000 Büros.49

Abb. 3.2: Büroarbeit in der Western Union,

ca. 1892, Operating Room, Buffalo, New York Obwohl das Aufblühen eines bürotechnologischen Marktes in voller Gänze noch nicht absehbar war, bleibt anzunehmen, dass aus Perspektive von Erfindern die »The postal system exemplifies the distinctiveness of American policy as a positive force in communications. Just before the Revolution, the colonial Post Office had 67 offices, or about 4.5 per 100.000 inhabitants. These offices were located only in the major towns along the eastern seaboard and served primarily as a medium for commercial correspondence. […] By 1831, the federal government had built a comprehensive network reaching towns and villages deep in the interior and employing more than 8.700 postmasters, or just over three-fourths of the entire federal civilian workforce. This network far exceeded the postal systems of any other country.« P. Starr: The Creation of the Media, S. 87-88. 49 Im Detail: Ab den 1840 Jahren schlossen Eisenbahngesellschafter und Telegrafenunternehmen zur wechselseitigen Infrastrukturnutzung Verträge ab. Mit diesen Verträgen verpflichteten sich Eisenbahnunternehmen, Baumaterialien für die Verkabelung und Wartung der Telegraphenlinien bereitzustellen und die Materialien an Ort und Stelle zu transportieren. Platziert wurden die Telegrafenbüros in den Eisenbahndepots. Zudem stellten die Distributionsunternehmen die ›telegraph operators‹ zur Verfügung. Im Gegenzug erhielten die Eisenbahngesellschaften kostenlose und uneingeschränkte Telegrafendienstleistungen. Diese Vereinbarungen waren so erfolgreich, dass 1870, kurz nach der Fusion der großen Telegrafengesellschaften zur Western Union, ein marktbeherrschendes System erwuchs. A. D. Chandler: »The Information Age in Historical Perspektive«, S. 12.

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Kooperation zwischen Eisenbahn- und Telegrafenunternehmen die Initialzündung für den Bedarf nach Büromaschinen darstellte. Nachdem die bürokratische Verfasstheit des Unternehmens – die ein Kerngeschäft der Western Union bildete (Abb. 3.2) – die Aufmerksamkeit auf diese Medien lenkte, emanzipierten sich Erfinder durch Unternehmensbildungen zusehends von der Auftragsarbeit oder von dem alleinig auf diesen Arbeitgeber zugeschnittenen Patenthandel. Mit Blick auf die Expansion von Erfindern in andere arbeitsbezogene Kontexte lassen sich zwei zentrale Überlegungen für die Mediengeschichte anstellen. Erstens: Indem die Industrieforschung sich maßgeblich an der Mechanisierung der Arbeitswelt des Büros beteiligte, formte sie die Massenmedialität von Büromedien aus. In diesem Kontext ist die Zweite Industrielle Revolution als eine Zeit der büromedialen Ökonomien zu begreifen – eine Diagnose, die die Diskussion um die Interdependenz papierener und mechanisierter Medien und »Schriftökonomien« bei JoAnne Yates und Delphine Gardey bestätigt. Sowohl in Unternehmen als auch in Regierungen wuchs der Umfang von Informationen an, die von einem Dokument fixiert wurden. Die Mechanisierung durch Büroapparaturen trug zum beschleunigten Rhythmus der Schriftproduktion und -vervielfältigung bei. Ein papierlastiger Arbeitsalltag war genauso Ergebnis wie der Büroangestellte, dessen Köper sich im immer schnelleren Takt der Büromedien bewegte.50 Büromedien waren weit davon entfernt, sich lediglich Geltung durch das Aufzeichnen kommerzieller Transaktionen zu verschaffen. Massenhafte Dokumente bildeten eine zentrale Bedingung für eine massenhafte Warenproduktion und den ebenso massenhaften Warenverkehr, wofür nicht nur Spezifikationen sondern auch Frachtbriefe ein Beispiel sind.51 Die Ökonomie von Gütern und Dienstleistungen wäre ohne die büromediale Ökonomie nicht denkbar gewesen, weshalb der Impuls zu geben ist, Büromedien selbst als eine Kategorie von Massenmedien zu begreifen. Zum Zweiten, so die weitere medienhistorische Überlegung, war die öffentliche Verfügbarmachung dieser Medien für den privaten Gebrauch nicht intendiert. Die Erschließung des heimischen Konsumenten erfolgte von der Medienindustrie erst im Anschluss. In Folge dieser Mediengeschichten ist keinesfalls von einer ›sauberen‹ bzw. klar definierbaren Trennung von »Arbeitsmedien« und

50 Das durch Beschleunigung geprägte ökonomische Wertesystem der industriellen Moderne wird von Gardey folgendermaßen beschrieben: »In dieser Welt in der noch Langsamkeit und Tradition herrschen, kommt es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer Reihe von Umwälzungen. Schellschreibmethoden verbreiten sich, der dekorative Aufwand nimmt zusehends ab; die Stenographie als Technik beschleunigter Schriftproduktion verbreitet sich; Geschwindigkeit wird zu einem neunen Kriterium der Beurteilung der Schriftproduktion [...].« D. Gardey: Schreiben, Rechnen, Ablegen, S. 87. 51 Zu den papierenden Banden der Transportdokumente im Welthandel seit dem 18. Jahrhundert siehe M. Dommann: »Verbandelt im Welthandel«.

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»öffentlichen Medien« zu sprechen.52 Der Fall der US-amerikanischen Telefonie illustriert, dass die Medienkonkurrenz mit dem Telegrafen sowie die daran gekoppelten Patentstreitigkeiten mit der Western Union einen schnellen Markeintritt der Bell Telephone Company verhinderten.53 Aus diesem Grund besaß das Telefon einen zunächst offenen, noch zu bestimmenden Status, der sich der einseitigen Verwendung als Büromedium entzog. Interessanterweise gab für den Einzug des Telefons in die Arbeitswelt die öffentliche Popularisierung durch Performances in Opernhäusern und Music Halls Anstoß.54 Langsam deutet sich die Welt der »mass media« und »mass communication« an, auf die sich die Gesellschaftstheorie der Moderne fokussierte und das klassische Verständnis von Massenmedien formulierte. Neben der öffentlichen Verfügbarmachung für jedermann, stand bei diesen Medien die professionelle Produktion und Distribution auf der einen Seite und der freizeittaugliche oder private Konsum auf der anderen.55 Das Erscheinen dieser Massenmedien zeichnete sich bekanntlich folgendermaßen ab: »By midcentury the telegraphy became a reality. Although not a mass medium of communication, this device was again an important element in a technological accumulation that would eventually lead mass electronic media. […] During the first decade of the [20th century], motion pictures became a form of family entertainment. This was soon followed in the 1920's by the development of household radio and in the 1940's by the beginnings of the home television. By the early 1950's, radio had reached saturation penetration into American homes, with additional sets widely dispersed in automobiles. There was multiple penetration in the form of bedroom and kitchen radios and a growing numbers of transistorized miniature sets. The late 1950's and early 1960's saw television beginning to approach such saturation.« 56

Anzumerken bleibt zuletzt, dass der öffentlich aufgefasste Charakter im Freizeitund Entertainmentbereich oder die private, heimische und familiäre Nutzung der ›klassischen‹ Massenmedien über ihre eigene massenproduktive und büro-

52 Die medientheoretische Konzeption der Arbeitsmedien bzw. »infrastrukturellen und öffentlichen Medien« geht zurück auf den Medienwissenschaftler Erhard Schüttpelz. E. Schüttpelz: »Infrastrukturelle Medien und öffentliche Medien«. 53 Eine ausführliche Schilderung der Patentstreitigkeiten findet sich bei R. R. John: »Recasting the Information Infrastructure for the Industrial Age«. 54 Vgl. S. Gießmann: Die Verbundenheit der Dinge, S. 181-182. Für Deutschland beschreibt der Medienwissenschaftler Jens Ruchatz die Nutzung des Bell'schen Telefons durch den privaten Verbraucher als eine Wunschprojektion jener Zeit. Das Telefon war demgegenüber ausschließlich in logistischen Unternehmen, Banken, Handelsfirmen, Regierungsinstitutionen sowie bei Ärzten und Rechtsanwälten zu finden. J. Ruchatz: »Das Telefon«, S.134-135. 55 A. Todorow/M. Kahre/C. Reck: »Massenkommunikation«, S. 962. 56 M. L. de Fleur: Theories of Mass Communication, S. 3.

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kratische Entstehungsgeschichte hinwegtäuscht.57 Weil der Fotografie und Kinematografie sowie dem Telefon, Radio und Fernsehen keine industrielle Konnotation mehr abzulesen ist, geraten die grundlegenden Bedingungen in Vergessenheit, die sie mit anderen industriellen Waren und Gütern gemein hatten.

VERTRÄGE, TRANSAKTIONEN UND TRUSTS Erfolg auf ganzer Linie? Die sich durchsetzenden Science- and Technology-based Industries, etablierte Berufszweige und neue Märkte, sowie die aufsteigende Industrieforschung vermitteln das Bild scheinbar durchweg erfolgsgezeichneter Jahrzehnte. Jedoch erhöhten die zu verbuchenden Erfolge auch die Fallhöhe für Unternehmen in der Zweiten Industriellen Revolution immens. Werden die vorangegangenen Ausführungen einer kritischen Lesart unterzogen, bleibt zu markieren, dass viele Unternehmen sich nicht in der Lage sahen, mit diesen Wandlungsprozessen Schritt zu halten. Verständlicher wird umso mehr, wieso sich bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts die großformatige Produktion und Distribution allein in den Händen einiger weniger befand.58 Mit Blick auf die Geschichte des ökonomischen Scheiterns sind Pleitiers und Bankrotteure vor allem in Krisenund Expansionsphasen zu finden.59 Zweifelsohne brachte die Kontrollkrise und revolution eine Vielzahl wirtschaftlicher Pleiten mit sich. Kritisch zu hinterfragen bleibt zudem, ob allein der Einsatz von Bürotechnologien bzw. die Umsetzung des »systematic management« als Erfolgsfaktor gedeutet werden kann. Früher wie heute führ(t)en unkluge Managemententscheidungen oder schlicht ein unzureichender Führungsstil zum Fall von ›Papiertigern‹. Darüber hinaus relativiert das Beispiel der QWERTY-Tastatur die Wirkmächtigkeit der neuen Managerhierarchie und führt die Relevanz technischer und sozialer »Pfadabhängigkeiten« vor Augen. Noch heute ist diese Tastatur Sinnbild für die Unumkehrbarkeit von Nutzungsbedingungen, die sich in einem einmal etablierten Standard verfestigen – selbst wenn diese unter Gesichtspunkten der Nutzerfreundlichkeit und Tippgeschwindigkeit suboptimal sind.60 Die historische Entwicklung professionellen Maschinenschreibens führt vor Au-

57 Man rufe sich an dieser Stelle noch einmal die Knipser-Fotografie und die KodakKamera in Erinnerung. So folgte die Konstruktion der Kamera im Bereich der Massenproduktion dem Vorbild der Güterindustrie bzw. dem ›American System‹ – siehe hierzu Kap. Amateurisieren und Professionalisieren. 58 Vgl. A. D. Chandler: The Visible Hand, S. 7, 11. 59 Vgl. I. Köhler/R. Rossfeld: »Bausteine des Misserfolgs« S. 15. Meinen Dank für den Hinweis auf den von Ingo Köhler und Roman Rossfeld herausgegebenen Sammelband Pleitiers und Bankrotteure gilt Monika Dommann. 60 P. David: »Clio and the Economics of ›Qwerty‹«. Siehe auch die Kritik an Davids Thesen: S. J. Liebowitz/S. E. Margolis: »The Fable of the Keys«.

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gen, wie sich gestische Bewegungsabläufe und berufliche Normen in technischen Standards sedimentierten. Der ökonomische Wert der QWERTY-Tastatur wurde Delphine Gardey zur Folge maßgeblich durch »menschliche Qualifikation« festgelegt.61 Die Schreibmaschinen der Marke Remington waren in ihrer Anfangszeit so konstruiert, dass die getippten Schriftzeichen für den Maschinenschreiber verdeckt waren. Eine Korrektur des Schriftstücks konnte erst im Nachhinein erfolgen. Dies erklärt auch die Euphorie von Büroangestellten, als mit der Underwood eine Maschine folgte, die das Geschriebene während des Schreibens sichtbar machte. Die Verkaufszahlen der Underwood überflügelten 1900 die des amtierenden Markführers Remington, der 1908 mit einer Maschine mit Fenster und sichtbarer Schrift reagierte. Underwoods Setzung festigte Remingtons Tastatur in einem so enormen Maße, dass Konkurrenten andere Tastaturformen vom Markt nahmen.62 Alle strategischen Entscheidungen, die getroffen wurden, um Kontrollprobleme zu lösen oder Gewinne zu erwirtschaften – so legen die bisherigen Ausführungen nahe – basierten auf einer offenen, immer nur im Planungsmodus imaginierten Zukunft. Scheitern mag zwar retrospektiv erklärbar sein, ist aus prospektiver Perspektive jedoch nicht immer vermeidbar.63 Diese prospektiven Unsicherheiten werfen ein interessantes Licht auf die medialen Größen, mit denen Unternehmer erhofften, ihre Geschäftswelt zu stabilisieren. Im Kontext der beschriebenen Arbeitsarrangements mit der Industrieforschung nahmen Verträge eine zentrale Rolle ein. Wegweisend für eine Konzeptualisierung der stabilitätssichernden Qualität dieser medialen Größen ist das sogenannte Prinzipal-Agenten-Verhältnis.64 Das Konzept gewann zunächst in den Wirtschaftswissenschaften an Geltung und stützt sich dabei maßgeblich auf die Überlegungen von Ronald Coase. Veröffentlicht hat er diese in seinem Aufsatz »The Nature of the Firm« im Jahre 1937.65 In diesem Aufsatz wird, grob gesprochen, eine Trennlinie zwischen zwei Organisationsformen ökonomischen Handelns gezogen: der des Marktes und der der Hierarchie. Während beim Markt von gleichgewichtigen, über Preismechanismen marktförmig tauschenden Akteuren ausgegangen wird, ist für das Modell der Hierarchie eine Asymmetrie bezeichnend. Sie strukturiert die Beziehung

61 62 63 64 65

D. Gardey: Schreiben, Rechnen, Ablegen, S. 103. Vgl. ebd., S. 103-104. Vgl. R. Bauer: Gescheiterte Innovationen, S. 312. Für diesen konzeptuellen Hinweis gilt mein Dank Erhard Schüttpelz. Im Anschluss an Coase konzeptualisierten Michael Jensens und William H. Meckling in »A Theory of the Firm«, die heute als Prinzipal-Agenten bekannte Theorie. Auch in den Medienwissenschaften ist der Einfluss dieser Theorie bemerkbar. Anhand des Buchdrucks und des Radios formuliert Helmut Schanze eine Agenturtheorie der Medien. M. Jensens/W. H. Meckling William: »A Theory of the Firm«; H. Schanze: »Ansätze zu einer Agenturtheorie der Medien unter besonderer Berücksichtigung des Fernsehens«; H. Schanze: »Medienwissenschaft – Buchwissenschaft«.

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zwischen dem sogenannten »Prinzipal«, dem Auftraggeber, und einem angestellten »Agenten«. Vertragsbasierend setzt der Agent seine Expertise und Geschicklichkeit im Gegenzug für eine entsprechende Vergütung im Interesse des Auftraggebers ein.66 Eine Begründung für die Etablierung des Prinzipal-AgentenVerhältnis gibt Coase mit den Transaktionskosten an die Hand. Im Kern handelt es sich dabei um Kosten, die bei dem Austausch von Verfügungsrechten an Gütern und Dienstleistungen anfallen. Auf der Basis von Verträgen lassen sich gewisse Transaktionen zu geringeren Kosten bewerkstelligen als über Märkte.67 Dieses Abwägen der Kosten zwischen marktpreislicher und hierarchischer Koordination war auch für die Industrieforschung formgebend. Zum einen koordinierten sie die Prinzipal-Agenten-Beziehung zwischen Unternehmen und ihren Lieferanten. Mittels Spezifikationen realisierten laboratorische Einrichtungen Trans-Aktionen im wortwörtlichen Sinn. Sie stellten die Qualität produktionsund dienstleistungsrelevanter Ressourcen diesseits des bekannten Raums und fernab des vertrauenswürdigen Unternehmerkreises sicher.68 Während sich der Wert der firmeninternen Forschung auf diese Art entfaltete, nahmen unabhängige Erfinder oder Amateure selbst einen Platz in dem Prinzipal-Agenten-Verhältnis ein. Auf der Basis vertraglich geregelter Auftragsarbeiten, Consultingtätigkeiten als auch dem patentrechtlichen Lizenzhandel, wurde ihr erfinderisches Schaffen mit juristischen Anforderungen und Pflichten verbunden. Im Fortgang der Zweiten Industriellen Revolution kam es in seltenen Fällen auch dazu, dass sich Machtasymmetrien innerhalb von Prinzipal-Agenten-Verhältnissen verlagerten. Einstige unabhängige Einzelerfinder wie Thomas Alva Edison, Alexander Graham Bell oder George Eastman avancierten selbst zu Prinzipalen,69 die die vertragliche Justiziabilität nutzen, um marktbeherrschende Trusts, Kartelle und Monopole zu bilden. In der amerikanischen Öffentlichkeit stießen diese Machtkonzentrationen auf harsche Ablehnung, der folgende Begründung zugrunde lag: »Trusts, it was said, threatened liberty, because they corrupted civil servants and bribed legislators; they enjoyed privileges such as protection by tariffs; they drove out competitors by lowering prices, victimized consumers by raising prices, defrauded investors by waterstocks, put laborers out of work by closing down plants, and somehow or other abused everyone.«70

66 R. H. Coase (1937): »The Nature of the Firm«, S. 403-404. 67 Ebd., S. 387-391. 68 Dies beobachtet Monika Dommann auch für das Medium des Frachtbriefs. M. Dommann: »Verbandelt im Welthandel«. 69 Aus dieser Perspektive zeichnet das Kap. Amateurisieren und Professionalisieren den Aufstieg George Eastmans samt seines Emanzipationswillen gerade im Bereich der Zusammenarbeit mit seinen Prinzipalen, der Anthony Company im Detail nach. 70 W. L. Letwin: »Congress and the Sherman Antitrust Law«, S. 235.

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Angesichts öffentlicher Proteste versuchte man von Seiten der Regierung, der unternehmerischen Marktmacht Einhalt zu gebieten. Resultat war der Sherman Antitrust Act im Jahre 1890, der als erste Rechtsgrundlage zur Regulierung des US-amerikanischen Wettbewerbs gilt. Nach der Verabschiedung kam das Gesetz zunächst kaum zur Anwendung, was sich jedoch mit der Präsidentschaft von Theodore Roosevelt (1901-1909) nachhaltig änderte.71 Eine sprengende Wirkung hatte der Antitrust Act auch auf die Bande klassischer Massenmedien, wie das Beispiel der Motion Picture Patents Company vor Augen führt. Dieses im Jahre 1908 entstandene Oligopol – das auch als Edison Trust Bekanntheit erlangte – versuchte über Patentrechte die Filmindustrie zu kontrollieren. Dazu vereinte dieser Trust die Patente aller großformatigen Filmproduzenten (namentlich Edison, Biograph, Vitagraph, Essanay, Selig, Lubin, Kalemn Company, American Star, American Pathé), des umfangreichsten Filmvertriebs sowie des einflussreichsten Fabrikanten von Filmmaterialien und -technik, die Kodak Company. Der Trust hatte es sich zum Ziel gesetzt, sämtliche Patente der involvierten Unternehmen in einer gemeinsamen Gesellschaft zu vereinen und freien Filmschaffenden den Zugang zum US-amerikanischen Filmmarkt unmöglich zu machen. Im Jahre 1915 wurde der Trust auf Grundlage des Sherman Acts für illegal erklärt und löste sich auf.72

FORSCHUNG BÜROKRATISIEREN Konzerne sahen sich aufgrund der Durchsetzung des Sherman Antitrust Acts dem Risiko ausgesetzt, Markanteile an die Konkurrenz mit fortschrittlicher Technologie zu verlieren.73 Zudem lief zwischen 1900 und 1914 die Schutzdauer vieler Patente aus – eine Entwicklung, die im Folgekapitel nähere Aufmerksamkeit verdienen wird. Um die bestehenden Marktverhältnisse zu erhalten, begannen Unternehmen umfangreicher in die firmeninterne Industrieforschung zu investieren. Das einstige Bindeglied zwischen Produktion, Distribution und Konsum trat nun selbst als zentrale Unternehmenseinheit in Aktion. Angesichts dieser Entwicklung wird sich die folgende Fallstudie der Forschungsbürokratie bei der E. I. du Pont de Nemours and Company widmen. Bei DuPont handelt es sich um das älteste in diesem Kapitel untersuchten Unternehmen. 1802 gründete die gleichnamige Familie das Unternehmen, das sich auch bis ins 20. Jahrhundert vorwiegend durch ein familiengeführtes Management auszeichnete. Im Rückblick auf die wirtschaftshistorischen Ausführungen stellt DuPont daher ein hervorstechendes Beispiel für die Vermengung eines tradi71 Vgl. C. Grandy: »Original Intent and the Sherman Antitrust Act«. 72 Vgl. J. Thomas: »The Decay of the Motion Picture Patents Company«. 73 Vgl. J. K. Smith: »The Scientific Tradition in American Industrial Research«.

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tionalistischen und modern-industriellen Führungsstils dar. Medienwissenschaftlich interessant ist die damit einhergehende, unscharfe Grenzziehung zwischen familiären und professionellen Austauschformen im Alltagsgeschäft. Hauptsächlich fand der interne Informationsaustausch auf orale und informelle Weise statt. Formen des schriftlichen Austausches wurden eher ad hoc gewählt und waren weder an die Verbindlichkeit des schriftlichen Antwortens gebunden, noch wurde die Korrespondenz organisiert abgelegt. Ganz im Zeichen einer interpersonalen Kultur stand genauso die Beziehung zu den Angestellten. Zwar wurden die Büromedien der Zweiten Industriellen Revolution integriert, jedoch ersetzten diese nicht traditionelle personale Mittler. So löste das Bürotelefon keineswegs andere Nachrichtensysteme, wie den Botendienst zu den geografisch weit verstreuten Produktionsanlagen, ab.74 1902 übernahm eine jüngere Familiengeneration die Unternehmensführung und transformierte die Mediennutzung nachhaltig. Auf Basis einer vorwiegend schriftlichen Kommunikation beabsichtigten die Cousins Pierre S. du Pont, Thomas Coleman du Pont und Alfred I. du Pont eine klare Strukturierung von Informationsflüssen. Mitarbeiter unterschiedlicher Abteilungen und Hierarchieebnen wurden in die Pflicht genommen, um u.a. Reporte anzufertigen.75 Mit der ersten firmeninternen Industrieforschung – die man räumlich von den Fabriken separierte – tritt eine weitere Innovation der jungen Managergeneration in den Vordergrund. Gänzlich neue Erfindungen und Methoden im Schwarzpulverbereich wurden bis zur Einrichtung des »Eastern Laboratory« (1902) und der »Experimental Station« (1903) innerhalb des familiären Kreises getätigt.76 Als jedoch 1880 das Unternehmen in die Dynamitbranche expandierte, verursachte dies ein Kompetenzgefälle innerhalb der Wissensbestände der DuPont-Familie. Da die mit Dynamit verbundenen Produktionsverfahren, im Vergleich zur Herstellung von Schwarzpulver, eine tiefergehende Expertise im Bereich der Chemie verlangten, wurde es unabdingbar, umfangreicher in die Forschung zu investieren.77 Dies war neben der drohenden Zerschlagung des »powder trusts« ein weiterer Grund, akademisch ausgebildete Chemiker einzustellen und fabrikferne laboratorische Abteilungen einzurichten.78 Die Mitarbeiter des Eastern Laboratorys betraute man mit der Aufgabe, die Qualität der hoch explosiven Produkte und Prozesse zu verbessern und sich auf

74 Vgl. J. Yates: Control through Communication, S. 202, 214. 75 Ebd., S. 231, 201. 76 Zum Beispiel entwickelte Lammont du Pont, ein ausgebildeter Chemiker, bahnbrechende Methoden in der Schwarzpulverproduktion. U.a. war es diesen Verfahren geschuldet, dass DuPont zum größten Lieferanten des US-amerikanischen Militärs avancierte. Im Amerikanischen Bürgerkrieg stellte das Unternehmen der Unionsarmee mehr als die Hälfte aller Lieferungen. Vgl. D. A. Hounshell/J. K. Smith: Science and Corporate Strategy, S. 2. 77 Ebd. S. 6-7. 78 Ebd., S. 11.

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die anwendungsbezogene Produktentwicklung zu konzentrieren. Währenddessen bildete die Experimental Station einen forschungsorientierten Schwerpunkt aus. Dieses Labor wurde zum Zentrum der Grundlagenforschung für Schießpulver, Dynamit und rauchschwachem Pulver.79 Angesichts der unterschiedlich gelagerten Profilbildungen der laboratorischen Einrichtungen erscheint es nachvollziehbar, dass gerade dann unternehmensinterne Konflikte ausbrachen, wenn die Messbarkeit des Profits diskutiert wurde. Während die projektorientierten Arbeiten des Eastern Laboratory hohe Gewinne ausschütteten, war man im Bereich der Grundlagenforschung unsicher, ob das investitionsintensive Experimentieren überhaupt rentabel war. In den ersten 10 Jahren wurden ›territoriale Kämpfe‹ zwischen den beiden Labordirektoren – Charles L. Reese und Francis du Pont – ausgetragen, durch die sich das Konkurrenzverhältnis weiter verschärfte. Es ging dabei vor allem darum, neue Forschungsfelder für das eigene Labor geltend zu machen, was für das Budget genauso wie für die eigene Reputation entscheidend war. Der Führungsstil des promovierten Chemikers und Forschungsmanagers, Charles L. Reese, zeichnete sich dabei durch ein straff organisiertes Labormanagement aus, zu welchem eine tadellose Buchhaltung und Reportführung gehörten. Francis du Pont, Leiter der Experimental Station, gelang es nicht, ein solches Management einzuführen. Die mangelnde Organisation seines Labors, von der auch die unregelmäßig verfassten Reporte seiner Mitarbeiter zeugten, gaben u.a. dazu Anlass, ihn im Jahre 1907 aus dieser Position zu entlassen. 1911 beförderte man Reese höher in der Unternehmenshierarchie, womit er Entscheidungsbefugnisse über beide Forschungseinrichtungen geltend machen und auch die Laborleiter und ihre Angestellten delegieren konnte.80 Noch im gleichen Jahr schickte Reese eine Kopie von Frederick W. Taylors Principles of Scientific Management an den Leiter der Experimental Station und fragte danach, ob die Natur experimenteller Tätigkeiten eine Anwendung erlauben würde. Die Antwort war eindeutig; keinesfalls ließe sich das experimentelle Schaffen der Grundlagenforschung mit den routinierten und standardisierten Aktivitäten der Güterproduktion vergleichen.81 Wie ernst es dem ausgebildeten Chemiker bei seiner Anfrage war bzw. ob er tatsächlich eine Möglichkeit vermutete, das Experimentieren mit Sprengstoffen im Sinne Taylors mit möglichst effizienten Bewegungsabläufen oder routinierten Vorgabezeiten versehen zu können,82 ist aufgrund unzureichender Quellenlage nicht rekonstruierbar. Zu vermuten bleibt jedoch auch, dass Reese mit seiner Anfrage der Relevanz des

79 Ebd., S. 11, 13. 80 Die Ausführungen stammen aus »Organizing for Reserach and Development, 19021911« aus D. A. Hounshell/J. K. Smith: Science and Corporate Strategy. 81 Vgl. J. Yates: Control through Communication, S. 256. 82 F. W. Taylor (1911): The Principles of Scientific Management.

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Forschungsmanagements stärker Ausdruck verleihen wollte – ein Eindruck, die diese Beschreibung der Taylor'schen Fabrik verstärkt: »Taylor's factory was to be one big machine, with all tasks organized and distributed accordingly, and with men of special training placed to see that the gears meshed. [He] proposed a neat, understandable world in the factory, an organization of men whose acts would be planned, co-ordinated, and controlled under continuous expert direction.«83

Auch wenn die Gestaltung jedes experimentellen Arbeitsschrittes weiterhin den Händen der Industrieforscher überlassen wurde und nicht in den Zuständigkeitsbereich beobachtender Experten bzw. Forschungsmanager fiel, zeugen Korrespondenzen davon, dass Reese versuchte, routinierte und standardisierte Abläufe nun auf bürokratischer Ebene zu etablieren. Die Zusammenlegung der monatlichen Reporte der Experimental Station und des Eastern Laboratory stieß aufgrund eines befürchteten Autonomieverlustes genauso auf Widerstand,84 wie der Vorschlag, den Aufbau der Reporte zu vereinheitlichen.85 Dass trotz der zentralisierten Führung weiterhin eine Atmosphäre der Konkurrenz zwischen den Laboren herrschte, deutet der nachfolgende Brief von Reese an die Experimental Station vom 30. März 1917 an: »On April 11, 1913, we asked both the Experimental Station and the Eastern Laboratory to change the form of their reports and instead of giving the summary at the end of the report to give it at the beginning. We suggested at that time that you ›open the report with a general statement as to the object of the work, follow this with a summary of the results of the work and conclusions drawn, and follow this with the regular detailed report‹. This suggestion has now been followed by the Eastern Laboratory for nearly four years with results which seem very satisfactory to us. We find that the Eastern Laboratory's reports are more readily reviewed than those from the Experimental Station […].« 86

Die bürokratischen Aushandlungsprozesse zwischen Reese und der Experimental Station schienen über Jahre hinweg anzuhalten. Erst 1924 ging ein Mitarbeiter

83 S. Haber: Efficiency and Uplift, S. x. 84 Arthur J. Moxam an H. M. Barksdale, Brief vom 8. Mai 1912; H. M. Barksdale an Arthur J. Moxam, Brief vom 15. Mai 1912; Arthur J. Moxam an H. M. Barksdale, Brief vom 20. Mai 1912; H. M. Barksdale an Arthur J. Moxam, Brief vom 22. Mai 1912. Hagley Museum and Library, Manuscripts and Archives Department, Zugangsnr. 1850, Box 5, Mappe Reporting Chem. Department, 1912-21. 85 Charles L. Reese an A. M. Comey und Fin Sparre, Brief vom 11. April 1913; Fin Sparre an Charles L. Reese, Brief vom 30. April 1913. Hagley Museum and Library, Manuscripts and Archives Department, Zugangsnr. 1850, Box 5, Mappe Reporting Chem. Department, 1912-21. 86 Charles L. Reese an Dr. Hamilton Bradshaw, Brief vom 30. März 1917. Hagley Museum and Library, Manuscripts and Archives Department, Zugangsnr. 1850, Box 5, Mappe Reporting Chem. Department, 1912-21.

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dieses Labors mit seinen »Suggestions Relative to the Preparation Formal Reports« auf die Forderungen des Managers auf zuvorkommende Art ein. Zur besseren Lesbarkeit der Reporte schlug er vor, dass die Sektionen »Introduction« und »Summary and Conclusions« im Sinne von »clearnes and brevity« zu verfassen seien. Der darauffolgende Teil »Experimental« sollte in allen Einzelheiten über die verwendete Apparatetechnik, Materialien, Kosten, Analyse- und Testverfahren Auskunft geben. Blaupause, Fotografien, Tabellen und Grafiken sollten in dieser Sektion ebenso ihren Platz finden.87 Interessanterweise war es besonders der bürokratische Gebrauch der Fotografie im Reportsystem, der die Industrieforscher der Experimental Station vor immense Herausforderungen stellte.

»PROFESSIONAL VISION« Erst nachdem die Kodak Company mit der für den Massenmarkt erschwinglichen Brownie-Kamera die Welt der ›Knipser‹ etablierte, und auch Jahrzehnte nachdem fotografische Verfahren bereits die Ballistik bereichert haben,88 kam es zum Einzug der Fotografie in der Schießpulverforschung DuPonts. Nicht zufällig fiel diese späte Einführung zeitlich mit der Etablierungsphase des Reportsystems in den laboratorischen Einrichtungen zusammen. Zwar versprach sich das Führungspersonal von den Investitionen in fotografische Verfahren einen epistemologischen Mehrwert im Kontext experimenteller Aktivitäten. In erster Linie intendierte man jedoch, die Fortschritte angestellter Industrieforscher beurteilbar zu machen. So lautete die Direktive, Bilder als Arbeitsnachweise in den Reporten zu platzieren. Als für sich selbst sprechende Wissensobjekte waren die Fotografien den Reportausführungen ebenbürtig und im Weberischen Sinne sollten sie »ohne Ansehen der Person« bzw. auf unpersönliche und formalistische

87 A. P. Tanberg an Charles L. Reese, Report vom 20. September 1924, Hagley Museum and Library, Manuscripts and Archives Department, Zugangsnr. 1914, Box 3, Mappe J5/Reports 1913-1926. Die Kategorien »clearnes and brevity« werden auf der dritten Seite des Reports genannt. 88 An dieser Stelle sei auf die Experimentierprozesse und ballistischen Fotografien der österreichischen Physiker Ernst Mach und seines Kollegen Peter Salcher in den 1880 Jahren hingewiesen. Eine Ausarbeitung mit medienwissenschaftlicher Fokussetzung bietet: C. Hoffmann/P. Berz (Hg.): Über Schall. In diesem Kontext ist ebenfalls auf das von Lars Nowak geleitete und mittlerweile abgeschlossene DFG-Forschungsprojekt »Die Wissensräume der ballistischen Photo- und Kinematographie, 1860-1960« aufmerksam zu machen. Das Projekt widmete sich u.a. dem Verhältnis von Wissen und Raum, weshalb insbesondere das ballistisch-explosionsdynamische Labor berücksichtigt wurde. Andere wissenschaftliche Nutzungsweisen der Fotografie, die im 19. Jahrhundert Dignität erlangten, sind im Bereich der fotografischen Taxonomie von Kranken und Kriminellen zu situieren. P. Löffler: »Bilderindustrie«, S. 114.

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Weise Rechenschaft über Fertigkeiten und Expertisen laboratorischer Angestellter ablegen.89 Kaum verwunderlich erscheint es daher, dass die fotografischen Verfahren für die erst kürzlich organisierte Industrieforschung im besonderen Maße eine spannungsgeladene Bewährungsprobe darstellten. Denn zur Legitimation ihrer investitionsintensiven Expertisen waren die eingestellten Chemiker gezwungen, Verfahren in die Forschung zu integrieren, die vor allem als Maßstab ihrer Bewertung herangezogen wurden. Zu Anfang des Jahres 1908 versuchten sich die Mitglieder der Experimental Station erstmals in der ballistischen Fotografie. Mit der Absicht, die Körnung und das Verhältnis von Schießpulverbestandteilen sowie dessen Entzündbarkeit auszumachen, fotografierten sie das Mündungsfeuer nach dem Abfeuern von Schusswaffen. Den Reporten nach zu urteilen, gestaltete sich sowohl die Aufnahme der Bilder als auch die Entwicklung der Negative problemlos. Jedoch erzeugten die fotografischen Druckmaterialien unerwünschte ›Sichtbarkeiten‹. Auf dem Druckpapier erschienen die durch das Abgeben des Schusses resultierenden Flammen größer als auf den plattenbasierten Negativen.90 Die Industrieforscher stuften das Studienergebnis dennoch keinesfalls als gescheitert ein: »It is to be regretted that this trouble has been experienced in obtaining satisfactory prints as it was thought when the camera was installed that much could be learned from a series of photographs made from the negatives taken and that they could be made and distributed to all those interested for study, and in this it would seem that the camera had failed to attain the end sought, but as noted above, the negatives themselves do show differences which may be used as guides in our experiments and it is not considered that the installation of the camera is a total failure.« 91

Dass an dem Einsatz der Kameratechnik weiterhin festgehalten wurde, lässt sich an einem Brief vom 3. März 1908 ablesen. Die Forscher baten um die Erlaubnis, die ballistische Fotografie weiterhin verfolgen zu dürfen – auch wenn die Interpretation der Experimente ausschließlich anhand der fotografischen Platten erfolgen konnte.92 Wahrscheinlich beharrten die vorgesetzten Abteilungen auf die Zirkulation der Fotografien – denn wenige Monate später verfassten die Industrieforscher ein Schreiben, das sich allein der Fehlinterpretation gedruckter

89 M. Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, S.126. 90 H. R. Kaighn, Report vom 11. Februar 1908. Hagley Museum and Library, Manuscripts and Archives Department, Zugangsnr. 537, Box 189, Mappe Flame Photography, Jan. 1, 1908. 91 Ebd. 92 Anonymus an William B. Dwinnell, Brief vom 03. März 1908. Hagley Museum and Library, Manuscripts and Archives Department, Zugangsnr. 537, Box 189, Mappe Flame Photography, Jan. 1, 1908.

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Bilder widmete.93 Angesichts unzureichender archivarischer Quellen ist nicht aufzulösen, ob dieser Konflikt zu Gunsten des forscherischen Erkenntnisinteresses oder der bürokratischen Verfasstheit der Industrieforschung entschieden wurde. Dennoch zeichnet sich ab, dass diese Diskrepanz Ansprüche an und Vorstellungen von Industrieforschung prägten, und wie das folgende Projekt illustrieren wird, wegweisend für die wechselseitige Verfertigung von ›Forschungsbürokratie‹ sein sollte. In Form der Mikrofotografie fassten fotografische Verfahren schnell im Reportsystem Fuß.

Abb. 3.3: Mikrofotograf und zwei Probenabbildungen von Schießpulverbestandteilen – zusammengestellte Ausschnitte

93 Anonymus an J. A. Haskell, Brief vom 25. Mai 1908, Hagley Museum and Library, Manuscripts and Archives Department, Zugangsnr. 537, Box 189, Mappe Flame Photography, Jan. 1, 1908.

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Im Kern verband diese Technik die Mikroskopie und Fotografie zur Aufnahme kleinster Objekte, die auf den Abbildungen sehr viel größer als die Untersuchungsgegenstände selbst erschienen. Auf Grundlage innovativer Aneignungstechniken schlossen die Industrieforscher dazu eine »ordinary« Kamera und ein speziell auf Forschungsbedürfnisse ausgerichtetes Mikroskop mit Schraubklemmen zusammen (Abb. 3.3).94 Im Kontrast zur heutigen Vorstellung vom klassischen Laborequipment überrascht es, dass das Mikroskop zu Beginn des 20. Jahrhunderts allein in dieser Konstellation in der Industrieforschung DuPonts Relevanz beanspruchen konnte. Als für sich stehende Forschungsapparatur blieb es demgegenüber insbesondere auf Fürsprecherschaft angewiesen, wie das im Januar 1910 verfasste Plädoyer von M. Hume Bedford vor Augen führt. Zugewiesen wurde das Mikroskop einem ›state of the art‹ industrieller Forschung, wofür der Mitarbeiter der Experimental Station auf die Stahl- und Kupferbranche sowie Nahrungsmittelindustrie Bezug nahm. Mikroskopische Materialprüfungen, so das Kernargument, seien um Längen schneller durchzuführen und damit kostengünstiger als chemische Testverfahren. Damit schien das »trained eye« des Chemikers das industrielle Zeitbewusstsein inkorporiert zu haben. Denn der Aussage Bedfords zufolge gelang es dem geschulten Auge, alle Eigenschaften entnommener Proben via Mikroskop auf einen Blick zu erfassen, wohingegen eine Bestimmung per chemischer Analyse mehrere Tage in Anspruch nahm.95 Äußerst vorsichtig nuanciert, erfuhr die im Report parallel geschilderte Mikrofotografie damit eine ähnlich gelagerte Kritik. Für jede Probenbegutachtung benötigte die Apparatur eine langwierige Feinjustierung, ebenso zeitintensiv gestaltete sich die Fotoentwicklung und das Abmischen der dafür notwendigen chemischen Lösungen.96 Sinn und Zweck der Mediennutzung verstand Bedford folgendermaßen: »[P]hotomicrographs are made and used for reports, but in the ordinary routine work merely observation by the eye is made.«97 In den Folgereporten wurden vor allem die Expertisen und Fertigkeiten des Sehens umsichtig eingebettet:

94 M. Hume Bedford, Report vom 20. Januar 1910, S. 8. Hagley Museum and Library, Manuscripts and Archives Department, Zugangsnr. 537, Box 207, Mappe Application of the Microscope to the Study of Black Powder. Im In Situ des Aneignens technischer Apparaturen kommen kombinatorische Techniken zur Geltung, die auf professioneller Ausbildung und kreativem Improvisationstalent basieren. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit den »Wissenschaftlichen Bricoleuren« der Industrieforschung findet im Kap. Skalieren statt. 95 M. Hume Bedford, Report vom 20. Januar 1910, S. 1-2. Hagley Museum and Library, Manuscripts and Archives Department, Zugangsnr. 537, Box 207, Mappe Application of the Microscope to the Study of Black Powder. 96 Ebd., S. 8-12. 97 Ebd., S. 2.

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»The study up to the present time has indicated that the microscopical examination cannot be trusted to an unskilled operator except in relatively easy cases; and with respect in photomicrographs, these are even more difficult to interpret than the microscopical examination itself.« 98

Oder etwa an dieser Stelle: »Owing to the fact that only persons familiar with microscopy can interpret photomicrographs correctly, a method has been worked out both numerical and graphical expression of the results.«99

Hinterfragt man die von den Chemikern selbst beanspruchte Kategorie des »geschulten Auges«, kristallisiert sich heraus, dass das hier ausgewiesene Sehen ein sozial situiertes und historisch konstruiertes Phänomen verkörperter Lernprozesse darstellt. Im Sinne des Anthropologen Charles Goodwin beriefen sich die Industrieforscher auf ihre »professional vision«. Mit der inkorporalen Begründung von Expertisen und ihre Ausweitung auf Medien, die ein geschultes Sehen verlangen, sollten Alleinstellungsmerkmale geltend gemacht und fachliche Prüfungen vor Dritten bestanden werden. Freilich suchte man sich auch von anderen professionellen oder forschungsunerfahrenen Gruppierungen abzugrenzen.100 Angesichts der durch das Reportsystem getragenen Bewährungsproben zielten die Industrieforscher damit auf die Ausbildung einer personalen Unentbehrlichkeit ab. Gerade weil die unpersönliche Natur der Bürokratie den Verlust von Deutungshoheiten forcierte, wurden die inkorporierten Wissensbestände mit den zirkulierenden Mikrofotografien wie auch mit ihren numerischen und grafischen Repräsentationen verbunden. Dass tatsächlich ein prekäres Changieren zwischen bestehenden und noch auszufeilenden Expertisen im Bereich der Mikrofotografie am Werk war, gaben die Industrieforscher zwei Monate später preis: »The reliability of this method appeared questionable and the photomicrographs obtained were not very satisfactory, for which reason it was indicated in our report B 70 -3- XES 151, Serial Number 1095, that the differentiation between crystals of sulphur and nitrate

98 Anonymus an H. F. Brown und Charles L. Reese, Brief vom 13. August 1910. Hagley Museum and Library, Manuscripts and Archives Department, Zugangsnr. 537, Box 207, Mappe Application of the Microscope to the Study of Black Powder. 99 Rudolf Demuth, Report vom 20. Juli 1910, S.1. Hagley Museum and Library, Manuscripts and Archives Department, Zugangsnr. 537, Box 207, Mappe Application of the Microscope to the Study of Black Powder. 100 C. Goodwin: »Professional Vision«, S. 606.

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could be done by means of polarized lights, but it was pointed out that this required very special apparatus, principally for the purpose of obtaining very strong illumination.« 101

Die Chemiker sahen sich nicht in der Lage, adäquat zwischen den Hauptbestandteilen von Schießpulver – Nitrat und Schwefel – differenzieren zu können, weswegen sie sich für weitere Investitionen in Apparatetechnik aussprachen. Begründet wurde die mangelnde Expertise mit den geringen Erfahrungswerten im Umgang mit der Apparatur und den oftmals unterbrochenen Forschungsbemühungen.102 Werden an dieser Stelle jedoch die ausschließlich in der Experimental Station zirkulierenden Arbeitsberichte zu Rate gezogen, treten anders gelagerte Probleme hervor. Laborintern war bereits zwei Monate nach Anlaufen des Projektes bekannt, dass es sich sehr kompliziert gestalten würde, die Inhalte des Schwarzpulvers auf den Fotografien genauso wie durch das Mikroskop identifizieren zu können. So hieß es in Bezug auf die Bilder im Division Weekly Report der Experimental Station am 16. März 1910 etwa: »the difference [of the appearance of the grain] is hard to determine even directly under the microscope«. Und: »Of course it does not follow that Sulphur cannot be [...] shown in any powder but in the writers experience to date [...] the magnitude of the Sulphur particles cannot be pointed out in the microphotographs with any certainty.«103 Diese Probleme blieben noch über Monate hinweg bestehen: »To distinguish Sulphur and Nitrate crystals in cross-sections of Black-powder is in many cases difficult even for the trained eye of a microscopist.« – so Rudolf Demuth in seinem Report vom 31. August 1910.104 Angesichts der Begutachtung von zirkulierenden Reporten durch das Forschungsmanagement und weiteren Vorgesetzten, die die Qualität der Leistungen anhand des ›return on investments‹ bilanzierten, bleibt davon auszugehen, dass die Mikrofotografien in ihrer Anfangszeit in erster Linie den Ansprüchen an eine bürokratisch verfasste Industrieforschung gerecht werden sollten. Hervorstechenderweise gingen dazu bürokratische ›Camouflagetaktiken‹ mit der bean-

101 Rudolf Demuth, Report vom 21. September 1910, Hagley Museum and Library, Manuscripts and Archives Department, Zugangsnr. 537, Box 207, Mappe Application of the Microscope to the Study of Black Powder. 102 Genau: »Microscopical examination of black powder were taken us as at the Experimental Station during the latter part of the year 1909 and have been continued up to the present date, but with several interruptions and with different operators.« Rudolf Demuth, Report vom 21. September 1910. Hagley Museum and Library, Manuscripts and Archives Department, Zugangsnr. 537, Box 207, Mappe Application of the Microscope to the Study of Black Powder. 103 J. H. Harrington, Report vom 16. März 1910. Hagley Museum and Library, Manuscripts and Archives Department, Zugangsnr. 537, Box 25, Mappe Divisional Weekly Reports. 104 Rudolf Demuth, Report vom 31. August 1910. Hagley Museum and Library, Manuscripts and Archives Department, Zugangsnr. 537, Box 25, Mappe Divisional Weekly Reports.

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spruchten professional vision Hand in Hand. D.h. die Hervorhebung und Sichtbarmachung von Objekten auf den Fotografien oder die Erzeugung grafischer und numerischer Repräsentation machten das ›untrainierte‹ Auge der Laborangestellten für Ditte unkenntlich. Dieses Vorgehen tat der professional vision jedoch keineswegs Abbruch, sondern verschaffte den Industrieforschern letztendlich die Zeit und das Apparatebudget, um verlangte Geschicklichkeiten und Expertisen des Sehens tatsächlich in der Praxis erlernen und inkorporieren zu können. Damit stellt sich generell die Frage, ob Defizite an Vollständigkeit, Klarheit und Glaubwürdigkeit in der Aktenführung charakteristisch sind. Laut dem Ethnomethodologen Harold Garfinkel entsprechen ›schlecht‹ geführte Akten einer inoffiziellen Institutionspolitik. Mangelhaft dokumentierte Begebenheiten widersprechen daher keinesfalls den »Erwartungen sanktionierbarer Leistungen«. Vielmehr existieren zwangsläufig informell vorbeugende Praktiken, obgleich sie den offiziell vorgegebenen Regeln zuwiderlaufen. Dies hat zur Folge, dass lokale Tatbestände über »Personen, Sachen, Zeitpunkte und Orte zu den gut gehüteten Geheimnissen von Klüngeln und Zirkeln« gehören.105 Informelle Absprachen, interpersonelle Beziehungen und das Bewahren von Hoheiten über den laborinternen schriftlichen Austausch manövrierten die unternehmerische Managerhierarchie aus gutem Grund aus. In einer Zeit, in der insbesondere die Grundlagenforschung im industriellen Kontext gezwungen war, noch Wege der Rentabilität ihrer Resultate zu erschließen, stand mit der reportbasierten Leistungsbewertung nicht allein die Existenzgrundlage individueller Laborangestellter, sondern die der gesamten Forschungsrichtung auf dem Spiel. Bewährungsproben und Konkurrenzsituationen schmiedeten jedoch wahrscheinlich nicht nur die sozio-medialen Kollektive von Forschungsabteilungen aus, sondern waren in allen Abteilungen und auf allen Hierarchieebenen anzutreffen, die Rechenschaftspflichten zu erfüllen hatten. Papier war immer schon geduldig.

VERTRAUEN IST GUT, KONTROLLE IST ...? Für die Zweite Industrielle Revolution können Praktiken des Bürokratisierens als Teil einer Geschichte medial und normativ verfassten Vertrauens und Misstrauens in der unternehmerischen Welt gewertet werden. Das Spannungsfeld zwischen diesen Polen prägte die Beziehung zwischen Büromedien, naturwissenschaftlicher und administrativer Berufsrichtungen nachhaltig. Der Verlust interpersonaler Austauschmöglichkeiten zwischen Verkäufern und ihren Kunden, Unternehmensinhabern und ihren Angestellten und damit von Interaktionspraktiken, die aus der familiären Welt herrührten und für Intimität, Nähe und

105 H. Garfinkel: »›Gute‹ organisatorische Gründe für ›schlechte‹ Krankenakten«, S. 116.

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Bekanntheit einstanden, motivierten den dringlichen Wunsch nach stabilitätssichernden Maßnahmen. Nachvollziehbarer wird dieser Wunsch vor dem Hintergrund des ökonomischen Scheiterns von Pleitiers und Bankrotteuren, die zur alltäglichen Erfahrungswelt familien- und managergeführter Unternehmungen gehörten. Das auf einen zeitlichen Takt verpflichtete und synchronisierte Fabrikpersonal und die durch Reportsysteme standardisierten und routinierten Arbeitsabläufe von Büro- und Laborangestellten galten nicht nur der Koordination und Effizienzsteigerung, sondern standen ebenso im Zeichen von Planungssicherheiten und Vorhersehbarkeiten. Sowohl in den Fabriken als auch in den Forschungseinrichtungen wurden die gesetzten Leistungsansprüche und Bewertungssysteme nicht widerstandslos hingenommen. Ironischerweise illustrieren gerade die auflehnenden Praktiken, wie das Manipulieren von Fabrikuhren zur Verkürzung der Arbeitszeit oder die Camouflagepraktiken des Berichtens, dass das Personal die Kategorien ihrer Vorgesetzten trickreich adaptierten.106 Im firmenübergreifenden Umfeld trieben Konkurrenzkämpfe wie auch der Expansionswille bürokratische und technische Standardisierungen voran, deren kooperative Basis sich durch Verbindlichkeit auszeichnete. Prinzipal-AgentenVerhältnisse formulierten ökonomische und justiziable Verlässlichkeiten auf Seiten beider Vertragspartner aus. Rasant ausgebildete Trusts, Monopole und Kartelle, stießen auf berechtigtes Misstrauen von Seiten der US-amerikanischen Öffentlichkeit und weniger mächtiger Industrieller. Die Zerschlagung der Bande dieser Unternehmen durch den Sherman Antitrust Act machte aus ehemaligen Verbündeten nun Konkurrenten. Aus diesem Grund steigerte sich zu dieser Zeit etwa auch das Risiko von Industriespionage. Um Autorisierungen und Zugangsbarrieren zu schaffen, zentralisierte man etwa die Kontrolle über das Produzieren, Kopieren und Ablegen der schriftlichen Kommunikation in den Industrieforschungslaboren107 – worauf im Folgekapitel näher eingegangen wird. Die Historie der firmeninternen Industrieforschung war von Beginn eng mit dem Vertrauen in ihre bürokratisierten Infrastrukturen verwoben. Auf Basis der von ihnen verfassten Spezifikationen realisierten sie das ›Qualitätsmanagement und -controlling‹ im Bereich von Waren und Dienstleistungen im Sinne ihrer Arbeitgeber. Nachdem die Industrieforschung auf diese Art ihren ökonomischen Wert unter Beweis stellte, legitimierte sie weitere Investitionen in ihre organisatorische und personale Entwicklung. Die Innovations- und Investitionsbereitschaft der Science- and Technology-based Industries mündete erneut in qualitätssichernde Maßnahmen – eine Entwicklung, die mit einer gewissen Tragik verbunden war. Denn nun richtete sich die Leistungskontrolle und -bewertung auf das Forschungspersonal selbst. 106 Das Manipulieren von Uhren in Fabrikanlagen beschreibt E. P. Thompson: »Zeit, Arbeitsdisziplin und Industriekapitalismus«. 107 Vgl. J. Yates: Control through Communication, S. 255-256.

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Richtet man an dieser Stelle die Aufmerksamkeit auf die akademischen Institutionen, die sich den Naturwissenschaften und Technikwissenschaften verschrieben, kristallisiert sich heraus, dass das zur Leistungsbewertung benötigte Handwerk hier vermittelt wurde. Die Einführung spezieller Programme in Universitäten sowie auch die Gründung von Universitäten, wie dem Massachusetts Institute of Technology, brachte nicht allein das Berufsbild des Ingenieurs hervor.108 Ein Blick in das Curriculum zeigt, dass diese Professionalisierung von Wissenschaftlern eng mit dem Management verbunden war. Zu den praktischen Lehreinheiten gehörte etwa das technische Zeichnen; wissenschaftliche Qualitäten wurden in Mathematik- und Physikkursen vermittelt und zu guter Letzt wurden die Techniken des Managements im Ökonomieunterricht erlernt.109 Universitäten und Colleges wurden damit zu einer Quelle rekrutierbarer Personalressourcen für die Industrieforschungslabore ebenso wie für ihre Forschungsmanager.110 Schlussendlich bleibt darauf hinzuweisen, dass die Karriere von Unternehmensberatern ebenfalls im Forschungsmanagement bzw. der ingenieurswissenschaftlichen Ausbildung ihren Ausgang fand. In diesem Sinne stehen Frederick W. Taylors 1911 erstmals in Buchform veröffentlichte Principles of Scientific Management nicht grundlos für eine mechanische Betrachtung des menschlichen Körpers, sondern sind mit seinem Studium an Stevens Institute of Technology in Beziehung zu setzen. Es dauerte nicht lange bis die Prinzipien auf das Büro übertragen wurden. Dem »Office Management« nach galt es, die Büroarbeitsplätze sowie die der Fabrikarbeiter zu optimieren.111 Die Geschichte wäre ohne den Verweis auf den Ingenieur Frank Gilbreth und seine Ehefrau und Psychologin Lillian Gilbreth unvollständig. Die Hauptkonkurrenten Taylors verpflichteten sich ebenfalls der Effizienz von Bewegungsabläufen. Ihre unternehmensberaterischen Tätigkeiten führten sie ins »Micro-Motion Analysis Laboratory«, in dem sie der Bewegungskorrektur von Typistinnen und Fabrikarbeitern nachzugehen versuchten. Wie Florian Hoof detailreich in seiner Mediengeschichte der Unternehmensberatung rekonstruiert, missglückte das lab-based Consulting im Praxistest. Nun war es die Lokalität des Labors, die gepaart mit filmischen Aufzeichnungen vor allem als Kontrollmittel verstanden wurde. Die erhoffte Zusammenarbeit zwischen Fabrikarbeitern und Gilbreth scheiterte aufgrund einer »nicht überbrückbare[n] Atmosphäre des Misstrauens und der Anfeindungen«.112

108 109 110 111 112

D. Noble: America by Design. Vgl. J. Rae: »The Application of Science to Industry«, S. 252. J. Rae: »Engineering Education as Preparation for Managment«. C. Schnaithmann: »Das Schreibtischproblem«. F. Hoof: Engel der Effizienz, S. 311.B.

4 Verrechtlichen und justiziabel Machen Das Patent, seine Komplizen und Prüfungen1

DIE RECHTLICHE SEITE DES INDUSTRIEKAPITALISMUS Aus unternehmerischer Perspektive stellten sich die juristischen Belange zum Schutze des geistigen Eigentums zu Beginn des 20. Jahrhunderts herausfordernd dar. Zwischen 1900 und 1914 lief die Schutzdauer vieler erworbener Patente aus und der Sherman Antitrust Act setzte sich durch. Dieser wandte sich gegen unternehmerische Kooperationsformen zur Gründung von Patentmonopolen. Für Unternehmen stieg das Risiko an, Markanteile an die Konkurrenz mit fortschrittlicherer Technologie zu verlieren.2 Um bestehende Marktverhältnisse zu sichern, setzten Firmen nun auf die wissenschaftliche Praxis der Innovation und Patentproduktion.3 Dank dieses Kalküls avancierten Unternehmen zu einer Quelle patentierbarer Produkte und Prozesse, was dazu führte, dass der Innovationsprozess und die Patentproduktion kapitalisierbar wurden.4 Binnen kürzester Zeit gehörte die massenhafte Fabrikation von Patenten zu den zentralsten und zeitintensivsten Aktivitäten der Forscher – eine Tätigkeit, die Kontrollmaßnahmen erforderlich machte.5 Diese wurden vor allem durch die Kooperation von Rechtsabteilungen und Forschungslaboren innerhalb der Unternehmen realisiert. Die enge Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen bediente sich insbesondere der Forschungsbürokratie, die mit dem straff organisierten Labormanagement zu dieser Zeit Hand in Hand ging. Reporte, Formulare und Labornotizbücher verhalfen damit nicht allein der Leistungsbewertung des Forschungspersonals zum Zwecke ökonomischer Gewinn- und Verlustrechnungen. Die firmeninternen Anwälte erhofften anhand der Forschungsbürokratie, einen Einblick in den Innovationprozess gewinnen zu können und auf diese Art Patentierungen voranzutreiben. Die Patentanwälte, die zumeist über 1

2 3 4 5

Die in diesem Kapitel konsultierten Archivmaterialien zur DuPont Company stammen aus der Forschungsinstitution Hagley Museum and Library, Soda House, Manuscripts and Archives Department, Willmington, DE. Der genutzte historische Korpus zu General Electric wurde der University at Albany – The State University of New York, Albany, NY, M. E. Grenander Department of Special Collections and Archives und dem Museum of Innovation and Science, Schenectady, NY entnommen. Vgl. J. K. Smith: »The Scientific Tradition in American Industrial Research«, S. 124. Vgl. L. Reich: The Making of American Industrial Research, S. 3. Vgl. D. Noble: America by Design, S. 6. Vgl. G. C. Bowker: »Der Aufschwung der Industrieforschung«, S. 846.

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ingenieur- und naturwissenschaftliche Expertise verfügten, analysierten jegliche Art der Dokumentation der Laborarbeiten, um ertragreiche Patente ausfindig zu machen. So erkannten die Anwälte zum Beispiel in Zufallslösungen patentierbare Erfindungen.6 Gleiches galt für Apparate, welche die Forscher nicht als patentrelevant erachteten, sondern lediglich als nebensächliche Laborinstrumente ansahen.7 Wie dieses Kapitel vor Augen führen wird, folgte die firmeninterne Patentfabrikation dem Gebot der Geheimhaltung. Angesichts der konkurrierenden Atmosphäre zwischen den Unternehmen der Science- and Technology-based Industries repräsentierten die Patentdeskription sowie die dazugehörigen Zeichnungen bewusst keine getreue Beschreibung der Innovation, die eine Imitation gestatteten. Wissenschaftliche und technische Errungenschaften wurden vage formuliert, ebenso fehlten jegliche Informationen, die Schlüsse auf die Arbeitsorganisation der Erfinder oder des Innovationsprozesses zuließen. Damit unterliefen die auf Intransparenz ausgerichteten Patentformulierungen die Anforderungen des Patentrechts, das mit dem Patent Act 1790 auf US-amerikanischen Boden erstmals in Kraft getreten war. Durch den Schutz des geistigen Eigentums räumte das geltende Patentrecht Erfindern Exklusivrechte über ihre Errungenschaften für einen gewissen Zeitraum ein. Mit der Anmeldung eines Patents – des juristisch standardisierten Publikationsmediums einer Innovation – erhielt ein Erfinder das Ausschließungsrecht, welches Anderen die Nutzung der Innovation untersagte. Die Zusicherung dieses Rechts für einen begrenzten Zeitraum machte die Entdeckungen eines Erfinders zu seinem privaten Eigentum. Im Gegenzug transferierte man mit der Patentanmeldung Informationen über die Erfindung in den öffentlichen Raum.8 Die Genialität des Erfinders sollte nicht nur ihn selbst kommerziell bereichern, sondern auch der Gesellschaft durch die öffentliche Akkumulation von Wissen zu Gute kommen: »Genius was redefined as the province of the many, not the rare gift of the few, and only wanted the assurance that the inventor would be able to benefit from his investments.«9 Um dieses Ideal einzulösen, waren die Patente für die Öffentlichkeit im Patentamt einsehbar. Daneben fertigten die Mitarbeiter des Patentamts auf Wunsch (gebührenpflichtige) Kopien an.10 Damit 6 7 8 9

Ebd., S. 848. L. Reich: The Making of American Industrial Research, S. 103. C. C. Cooper: Shaping Invention, S. 30. Z. B. Khan: The Democratization of Invention, S. 3. Es sei darauf hingewiesen, dass die Offenlegung des Erfindungsgedankens gegenüber der Öffentlichkeit nicht nur in den Anfängen des Patentrechts der Vereinigten Staaten, sondern auch in denen des französischen (1791) und des deutschen (1877) Patentgesetzes verankert ist. S. Greif: »Patentschriften als wissenschaftliche Literatur«, S. 208. 10 So hieß es im US Patent Act von 1790: »Upon the application of any person to the Secretary of State for a copy of any such spezification, and for permission to have similar model or models made, it shall be the duty of the Secretary to give such a copy and to permit the person so applying for a similar model or models to take, or make

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wurde das Wissen nicht nur zugänglich, sondern zirkulierte überdies außerhalb der Institution. Der informellen und geheimen Weitergabe von Wissen über Erfindungen von Generation zu Generation – die zuvor gebräuchliche Form der Wissensvermittlung – wirkte das Patent auf diese Weise entgegen.11 Nach Verstreichen der Schutzzeit wurde das technische bzw. wissenschaftliche Wissen zu einem öffentlich-nutzbaren Gut. Daher bestand die patentrechtliche Verpflichtung des Erfinders »seine subjektive Erfindung [zu] objektivieren, die von ihm zum Patent angemeldeten Ursache-Wirkungs-Beziehungen in einem Grad wissenschaftlich als technische Lehre zum Handeln [zu] verallgemeinern, der es einem durchschnittlichen Fachmann gestattet[e], sie zu realisieren.«12 Die Deskription der erfundenen Maschinen und Prozesse sollte über das Potenzial verfügen, in der Praxis in materiell-technische Artefakte übersetzt werden zu können. Angestrebt wurde eine nachvollziehbare Schilderung, die ein ›reverse engineering‹ der Erfindung gewährleistete. Unter Berücksichtigung medienhistorisch relevanter Fallbeispiele – insbesondere zur American Telephone and Telegraph Company, zu DuPont und General Electric – wird diesem Wechselspiel zwischen unternehmerischer Geheimhaltung und patentrechtlich eingeforderter Transparenz gefolgt. Es wäre jedoch weit verfehlt, dabei alleine das Patent als zentralen Akteur des Verrechtlichens der laboratorischen Infrastruktur zu begreifen. Von Labormitarbeitern zu unterzeichnende Vertraulichkeitserklärungen und von ihnen äußerst akkurat zu führende Labornotizbücher gehörten genauso zur unternehmerischen Geheimhaltungspolitik wie strikte Richtlinien für das Publizieren in wissenschaftlichen Fachzeitschriften. Anhand dieser (rechtlich legitimen) medialen Größen wurde die laboratorische Infrastruktur darauf eingeschworen, vor allem der unternehmerischen Justiziabilität die Treue zu leisten. Mit Blick auf die dem geltenden Recht zuwiderlaufende Intransparenz des Patents wird es Aufgabe dieses Kapitels sein, die kollektive Wirksamkeit der vertraglichen Medien der Industrieforschung als eine Form der Komplizenschaft zu charakterisieren. Ob es dem Patent und seinen Komplizen gelang, der Kapitalisierbarkeit von Forschung erfolgreich zuzuarbeiten, kristallisierte sich erst im Falle institutioneller Prüfungen heraus. Vor Gericht und im Patentamt verteidigten Patente, Labornotizbücher genauso wie Firmenanwälte und Laborforscher die Gültigkeit des Erfinderschutzes oder zogen die Schutzwürdigkeit konkurrierender Innovationen in Misskredit.13 Konzeptuelle Überlegungen und historische Ausfühor cause the same to be taken or made at the expense of the Applicant«. Zitiert nach E. Walterscheid: To Promote the Progress of Useful Arts, S. 466. 11 Eine Übersicht über die Wissensvermittlung von Handwerkskünsten und -geheimnissen ab dem 13. Jahrhundert bis zur Formierung des modernen Patentrechts bietet: P. O. Long: »Invention, Authorship, ›Intellectual Property‹, and the Origin of Patents«. 12 S. Greif: »Patentschriften als wissenschaftliche Literatur«, S. 209. 13 Ausgiebig analysiert wird der Prüfungsort des Gerichtes bei patentrechtlichen Verfahren von G. C. Bowker: »What's in a Patent?«

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rungen zu diesen Prüfungen stammen aus den Science and Technology Studies und der medieninteressierten Rechtshistorie. Vor allem ist es den patentrechtlichen Untersuchungen von Mario Biagioli und Geoffrey C. Bowker sowie den Rechtshistorikern Alain Pottage und Brad Sherman zu verdanken, dass die Materialität wie Medialität des Patents ebenso wie die Konstruktionsleistung und Entwicklung rechtlicher Kategorien des Erfinderschutzes erstmals nähere Aufmerksamkeit erfahren haben.14 Zudem kommt man nicht umhin festzustellen, dass sich die Medienwissenschaft seit wenigen Jahren der hieraus gewonnenen Erkenntnisse bedient und ihrerseits die sprachlichen und visuellen Strategien von Patentierungsprozessen samt den selbstreflexiven Dynamiken des Patentes konturiert. Besondere Erwähnung muss an dieser Stelle der von Albert KümmelSchnur und Christian Kassung herausgegebene Sammelband zur Bildtelegrafie finden, der die Historie dieser längst vergessenen Technologien in Patenten erzählt.15 Dieses Kapitel wird sich den Prüfungen des Patents, seiner Komplizen und ihrer unterworfenen Gerichtsbarkeit im Kontrast zu diesen Studien nicht allein im Patentamt und im Gerichtssaal widmen, sondern ebenfalls die Regulierungen

14 Bisher ist das Patent eine relevante, in seiner Medialität und seiner Materialität jedoch kaum beachtete Quelle technikhistorischer Untersuchungen. A. Kümmel-Schnur/ C. Kassung (Hg.): Bildtelegrafie, S.8. Diese Untersuchungen konsultieren das Medium des Patentes als Quelle zur Rekonstruktion technischer Apparate, wobei im Kontext der Industriehistorie Sigfried Giedions Herrschaft der Mechanisierung als einer der frühsten Beispiele für diese innovative Quellennutzung hervorzuheben ist. Giedions Werk stellt in methodischer Hinsicht eine brillierende Rekonstruktionsarbeit der Industrialisierungsgeschichte da. Vorgängerstudien konnte Giedion in Universitätsbibliotheken kaum auffinden, weswegen er sich wie Hans Magnus Enzensberger beschreibt, dem »Abfall der Industriegesellschaft« auf innovative Weise bediente. Die bis dato anonyme Geschichte von Industrieprodukten und Fabrikationsprozessen spürte Giedion anhand von Reklamemagazinen, Patentschriften und Verkaufskataloge längst untergegangener Firmen auf. H. M. Enzensberger: »Unheimliche Fortschritte«, S. 196197. Fernab eines methodischen Zugangs steht das Patent auch im Zentrum der Kontroversen-orientierten Technikgeschichte. Die breite Quellenspur, die ausgetragene Patentstreitigkeiten im Gerichtssaal oder Patentierungsprozesse im Patentamt hinterlassen, wird zur Klärung des Originalitäts- und Neuheitsanspruches zu Rate gezogen. Zumeist geht es darum aufzuzeigen, welcher historischer Akteur Recht hatte oder zumindest besser auf seinem Recht beharren konnte. Studien zu Alexander Graham Bells patentrechtlichem Anspruch auf das Telefon, Samuel Morses auf den Telegraphen, Thomas Edison auf die elektrische Lampe und der Anspruch der Gebrüder Wright auf das Flugzeug führen vor Augen, dass rechtliche Konflikte nicht allein zwischen Unternehmern ausgetragen wurden. Oftmals wandelten sich die Auseinandersetzungen zu öffentlichen Angelegenheiten, deren Skandale von der Presse aufgenommen wurden und zu Interventionen des US-amerikanischen Kongresses führten. Vgl. C. Beauchamp: Invented by Law, S. 6. Für eine detaillierte historischen Analyse der politischen Einflussnahme auf die Gesetzgebung, die insbesondere der Kommodifizierung erfinderischer Errungenschaften durch Unternehmen entgegenwirken sollte, siehe S. Lubar: »The Transformation of Antebellum Patent Law«. 15 A. Kümmel-Schnur/C. Kassung (Hg.): Bildtelegrafie.

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und Prüfungen von unternehmerischer Seite in den Blick nehmen. Interessanterweise werden dadurch Taktiken sichtbar, mit deren Hilfe die laboratorische Informationsinfrastruktur äußerst sensibel wie umsichtig auf die Prüfungsorte andernorts abgestimmt wurde. Hieran anschließend bleibt zu fragen, wie es den firmeninternen Rechtsabteilungen zwischen rechtlich eingeforderter Transparenz und dem unternehmerischen Interesse an Geheimhaltung gelang, angemessen zu changieren. Welchen Einfluss besaß dieses Wechselspiel auf die Arbeitspraktiken von Industrieforschern und die Wertschätzung ihres Erfinderreichtums? Wie wirkte sich die Zusammenarbeit von Laborforschern und Patentanwälten auf die Wahrnehmung von Innovation und Eigentum aus? Zudem gilt es zu untersuchen, ob das moderne Patentrecht durch die beanspruchte textuelle Materialität der Patentbeschreibungen vielleicht selbst der unternehmerischen Geheimhaltungspolitik Vorschub leistete. Nachvollziehbarer wird diese Vermutung durch den Blick auf das Privilegiensystem – die zuvor gebräuchliche Form des Erfinderschutzes. Im Vergleich zum modernen Patentrecht fühlte sich dieses System in erster Linie dem Gebot materiell-technischer Durchführbarkeit und praktischer Realisierung verpflichtet und stand ganz im Zeichen von Transparenz.

DAS GEBOT MATERIELLER-TECHNISCHER TRANSPARENZ In England, Kontinentaleuropa und Kolonialamerika kam der Schutz erfinderischen Schaffens bis zum Jahre 1790 in Form des Privilegiensystems zur Anwendung. Die Anfänge des Erfinderschutzes sind zurück ins Mittelalter zu situieren, genauer, ins venezianische Rechtsystem. Im Zeitraum zwischen 1450 und 1790 besaß der Erfinderschutz den Status eines Vorrechts und damit einer justiziablen Gabe, die Amtsträger im Namen des vorherrschenden Königs erteilten.16 Laut des venezianischen Rechts wurde dies jedem zuteil, der eine neue erfinderische und ausführbare Vorrichtung einer Behörde anmeldete. Obwohl der Erfindungsreichtum zum Nutzen des wirtschaftlichen Allgemeinwohls gefördert wurde, spielte im Kontrast zum modernen Patentrecht die Öffentlichkeit keine nennenswerte Rolle im Publikationsprozess. Wie der Wissenschafts- und Rechtshistoriker Mario Biagoli in seiner Schrift »Patent Republic« feingliedrig rekonstruiert, legten Erfinder zwar technische Beschreibungen und Zeichnungen vor, jedoch mussten diese keinesfalls der Imitation dienlich sein. Das wesentliche Dokument, auf dessen Basis Amtsträger die Privilegien beurkundeten, umfasste nur wenige Zeilen. In groben Zügen klärte der Erfinder über die zu schützenden Merkmale und Anwendungsgebiete der 16 Vgl. M. Biagioli: »Patent Republic«, S. 1141, 1157. Siehe auch M. Frumkin: »Early History of Patents for Invention«.

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Vorrichtung oder Methode auf.17 Ob der Erfinder mündliche Informationen preisgab, technische Zeichnungen im öffentlichen Raum offenlegte oder gar einen funktionierenden Prototypen anderen vorführte, lag allein in seinen Händen. Nur in Ausnahmefällen wurde eine technische Begutachtung der Innovation vorgesehen. Diese Ausnahmen traten ein, wenn der Erfinder um staatliche Finanzierungsunterstützung für das Entwickeln einer gesellschaftlich relevanten Innovation – etwa einer solchen im Infrastrukturbereich – oder einer militärischen Technik bat.18 Auf den ersten Blick mag das Vertrauen der Behörden in das sehr ungenau geschilderte Innovationsversprechen des Erfinders naiv anmuten. Die justiziable Wirksamkeit des Privilegiensystems entfaltet sich jedoch durch die Gewichtung der Praxis bzw. der materiell-technischen Durchführbarkeit des versprochenen Innovationspotenzials. Die Validität des erteilten Privilegs war nicht nur davon abhängig, ob die Erfindung innerhalb eines vorgegebenen Zeitraums – der je nach Erfindung wenige Monate oder teilweise Jahre umfasste – in der Praxis umgesetzt werden konnte. Gleichermaßen galt als ausschlaggebend, ob die Innovation tatsächlich funktionierte und einen ortsbezogen Mehrwehrt für das Allgemeinwohl brachte.19 Während die Erfinder angesichts gesetzter Fristen bereits bei der Patentanmeldung zur technischen Realisierung motiviert wurden, fokussierten sich die Amtsträger auf ökonomische und bürokratische Aspekte von Privilegien. Zu den Beurteilungskriterien der Erfindung gehörte ihre Neuheit und ihre wirtschaftliche Nützlichkeit, welche anhand der Effekte auf die lokale Arbeitsumgebung, den Handel und auf Preismechanismen bewertet wurden. Die Mitarbeiter der Behörden nahmen die eingereichten Beschreibungen und Zeichnungen zur Hand, um die erfinderische Neuheit zu prüfen. Außerdem wurden die Dokumente für potentielle Streitigkeiten zwischen Erfindern abgelegt bzw. im jeweiligen Fall zur Klärung der Neuheit herangezogen. Pointiert fasst Biagoli die vornehmlich bürokratische Verfasstheit des rechtlichen Behördentums wie folgt zusammen: »[T]he officials used drawings and descriptions of inventions to assemble a bureaucratic cadaster of patents, not a body of publicly available knowledge from which inventions could be produced after their patents had expired.«20 Ein weiterer Kontrast zum modernen US-amerikanischen Patentrecht wird offensichtlich, wenn im Detail auf den Geltungsbereich der Beurteilungskriterien geblickt wird. Um das Privileg des Erfinderschutzes genießen zu können, war es im Privilegiensystem irrelevant, ob die Innovation bereits in einem anderen Land entwickelt wurde bzw. in diesem zur Anwendung kam. Vielmehr zeichnete sich 17 18 19 20

Vgl. M. Biagioli: »Patent Republic«, S. 1132. Vgl. ebd., S. 1133. Vgl. M. Biagioli: »From Prints to Patents«, S. 154, 144. M. Biagioli: »Patent Republic«, S. 1134.

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das Kriterium der Neuheit durch die geografische Rahmung der Landesgrenzen aus, womit die Kategorie als Relation zum Anmeldeort definiert wurde. Auf diese Art sollte zugunsten des jeweiligen Königreichs dem Import von Herstellungstechniken Vorschub geleistet werden.21 Während das Privilegiensystem damit Spionageaktivitäten wohlweislich förderte, schloss das moderne Patentrecht diese Möglichkeit kategorisch aus. Mit dem ersten US-amerikanischen Patent Act wurde das Kriterium der Originalität eingefordert – eine Forderung, durch die sich der Erfinder als »first and true inventor or discoverer« unter Beweis stellen musste.22 Damit verbunden klärte die Kategorie der Neuheit darüber auf, dass »Art, Manufacture, Engine, Machine, or Device, or any improvement therein« einen Patentschutz erfahren würden, wenn der Erfinder gewissenhaft die Formel »not known and used before« einlöste.23 Im Vergleich zum Privilegiensystem war keine geografische Rahmung im Patentrecht vorzufinden. Ironischerweise einigten sich daher Gerichte darauf, die Neuheit nicht geringer anzusetzen als eine Kategorie mit weltumfassender Reichweite.24 Mit dem Übergang vom Privilegiensystem zum Patentrecht, dessen Initialzündung von Frankreich und den USA um 1790 ausging, wurden rechtliche Änderungen wirksam, die – so die These – eine sukzessive Abwendung vom Gebot materiell technischer Praxis einleiteten. Mit dem Inkrafttreten des ersten nordamerikanischen und französischen Patentrechts stand nun das Wissen um Innovationen und der Wissenstransfer in den öffentlichen Raum im Mittelpunkt. Die der Konstruktion dienliche Übersetzungsleistung von einer erfinderischen Idee in materielle Zusammenhänge war dem patentrechtlichen Anspruch nach nicht daran gebunden, ob eine Innovation tatsächlich in der Praxis funktionierte. Vielmehr galt nun der Art und Weise des Funktionierens von Methoden und Vorrichtungen die Aufmerksamkeit. Die folgenden Ausführungen zu den sogenannten Patentmodellen werden illustrieren, dass das Gebot der Praxis im USamerikanischen Patentrecht zunächst nicht vollkommen verschwand, sondern eine Rekonzeptualisierung erfuhr. Zwischen 1793 und 1836 wurden die patentrechtlichen Ansprüche an eine Erfindung, insbesondere die Neuheits- und Nachvollziehbarkeitsanforderung, nicht wie heute durch das Patentamt geprüft. Dieses befasste sich zu jener Zeit hauptsächlich mit den administrativen Tätigkeiten der Patentanmeldung, beispielsweise mit der Kontrolle einzuhaltender Formalitäten. Ob eine Erfindung tatsächlich originell war, wurde erst nach der Patentierung geklärt. Im Falle einer möglichen Patentverletzung wurde die Instanz des Gerichts als Prüfungsort

21 Vgl. ebd., S. 1142. 22 US Patent Act of 1790, Sec. 5. Zitiert nach E. Walterscheid: To Promote the Progress of Useful Arts, S. 467. 23 Ebd. 24 Vgl. ebd., S. 373.

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herangezogen.25 Als äußerst aussagekräftige und für den Verlauf der Gerichtsverhandlung wirkmächtige Zeugen galten die Patentmodelle (Abb. 4.1).

Abb. 4.1: Patentmodell einer Druckerpresse. Jeptha Avery Wilkinson, Patentnummer 25.069, 9.8.1859

Bei Patentmodellen handelte es sich um dreidimensionale Miniaturen von Erfindungen. Die Modelle waren ihrer Natur her weniger eine Kopie der Innovation, da ihnen nur in seltenen Fällen ein lebensgroßes Original vorausging. In erster Linie bildete den Unterschied zwischen einem Modell und der patentierten Maschine der Maßstab, womit sich die Differenz schlichtweg zwischen dem ›Kleinen‹ und dem ›Großen‹ erschloss. Die formalen Anforderungen des Patentamtes an das Modell folgten diesen Charakteristika: »[...] not more than twelve inches square ... neatly made, the name of the inventor should be printed or engraved upon, or affixed to it, in a durable manner.«26 Als ein souveränes justiziables Artefakt machte sich das Patentmodell gerade deshalb geltend, weil es nicht den Status der Repräsentation einer bereits vorliegenden materiell-technischen Innovation oder in Worten beschriebenen und auf Papier gezeichneten Erfindung verfügte. Vielmehr war es seiner Natur nach ein Prototyp, das dem Gebot materiell-technischer Praxis verpflichtet blieb. Dies mag auch der Grund dafür gewesen sein, dass das Patentmodell als ein unbeirrbares Beweismittel erfinderischen Schaffens begriffen und zur Demonstration im Gerichtsaal herangezogen wurde. Im Gegensatz zu den Patentschriften und Zeichnungen konnten die Patentmodelle freiwillig eingereicht oder auf Wunsch 25 Vgl. C. C. Cooper: Shaping Invention, S. 31. 26 R. C. Post: »Patent Models«, S. 13.

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des Gerichts angefordert werden. Letzteres ereignete sich insbesondere, wenn der Erfinder sein Recht in Anspruch nahm, die Innovationsbeschreibung auch nach der Patentierung zu revidieren. Eine Option, die verständlicherweise verstärkt vor drohenden Gerichtsverfahren genutzt wurde.27 Daher besaßen die Patentmodelle das Potenzial, als ›wahre‹ und ›eindeutige‹ Zeugen für die ursprüngliche Natur der erfinderischen Idee zu sprechen. Ihre eigene unveränderliche Materialität demonstrierte den Beweis für die Neuheit einer Erfindung. Aufbau, Komponenten, Materialien, Bewegungsablauf oder Endprodukte konnten eindeutig und unmittelbar bestimmt werden, was letztendlich den Vergleich mit anderen Patenten gestattete. Vor Gericht rief man die Patentmodelle bis 1870 konsequent als Zeugen im Rahmen der Beweisführung auf. In den darauf folgenden Jahren wurden sie nur noch im Einzelfall verlangt.28 Dies eröffnete den Klägern und Verteidigern die Möglichkeit, die Patentschriften und Zeichnungen je nach Interpretationsbedarf zu ihren Gunsten auszulegen.29 Nur noch selten wurden die technischen Akteure zur Rate gezogen, hingegen bevorzugte man im Gerichtssaal textbasierte Akteure, wozu Patente genauso wie signierte und datierte Labornotizbücher zählten30 – ein Medium, auf das an späterer Stelle noch im Detail eingegangen wird. Mit dem Inkrafttreten des Patent Acts von 1836 war das Einreichen der Patentmodelle auch im Patentamt gesetzlich verpflichtend geworden. Gleichzeitig etablierte das Patentgesetz ein neues Berufsbild, das die Patentmodelle überflüssig machte: den Patentprüfer. Diese setzte man mit der Absicht ein, den Professionalisierungsgrad des Patentamts zu steigern. Durch ihre Expertise in den Ingenieurs- und Naturwissenschaften waren sie in der Lage, die Patentanmeldungen hinsichtlich ihrer Neuheit zu hinterfragen.31 Da die Erfinder anfäng-

27 Vgl. K. G. Dood: »Why Models?«, S. 15. In den späten 1850er Jahren wurde die Nachbesserung von Patenten – insbesondere im Bereich der Patentansprüche – offensiv von Unternehmen genutzt, um die Reichweite ihrer Patentmonopole zu vergrößern. Wertlose Patente oder auch solche, deren Beschreibungen und Zeichnungen mehr offenlegten, als die formulierten Patentansprüchen schützen, wurden häufig umgearbeitet. Im Patentamt und vor Gericht wurde diese unternehmerische Strategie als Rechtsmissbrauch wahrgenommen – ein Missbrauch, den auch die US-amerikanischen Öffentlichkeit scharf kritisierte. So hält der Patenthistoriker Kendall J. Dood fest: »Because the claims might at any time be replaced in a reissue, the public could not longer rely on them as definitive statements of what the patent covered. As a consequence, the public began to lose faith not only in patent claims but in the patent system as a whole.« J. K. Dood: »Pursuing the Essence of Inventions«, S. 1008. 28 Vgl. K. J. Dood: »Patent Models and the Patent Law«, S. 234-274. 29 Vgl. B. Sherman/L. Bently: The Making of Modern Intellectual Property Law, S. 185-186. 30 Vgl. M. Biagioli: »Patent Republic«, S. 1145. 31 Vgl. K. W. Swanson: »The Emergence of the Professional Patent Practitioner«. Daher kommt die Arbeitspraxis im Patentamt selbst einer fundierten Ausbildung gleich. Peter Galison rekonstruiert für den wohl populärsten Patentprüfer, Albert Einstein, dass ihm seine Tätigkeit nicht nur eine stets aktuelle Informationsquelle für den Stand der Technik vermittelte, sondern ihm auch zu einem tiefgreifenden Verständnis maschi-

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lich die Autorität und Legalität der Prüfer anzweifelten, galten die Modelle weiterhin als greifbare Beweise. Dieses Vorgehen kam nicht nur dem Erfinder, sondern auch den Prüfern zu Gute. Anhand der Modelle konnten sie die Ablehnung einer Erfindung exemplifizieren und legitimieren.32 Aus medienwissenschaftlicher Perspektive ist bemerkenswert, dass die lange Verwendung der Modelle im Patentamt die Einführung gedruckter Kopien von Patentschriften und Zeichnungen verzögerte. Diese setzte sich erst nach Beendigung der Modelanforderung durch. Die Modelle verursachten immense Lagerungs-, Ausstellungs- und Instandhaltungskosten, wodurch man das Kopieren nicht gleichzeitig finanzieren konnte. Zuvor wurden zwar gebührenpflichtige Kopien auf Wunsch angefertigt, was jedoch finanzielle Mittel erforderte, über welche nicht jeder Erfinder verfügte. Daneben publizierte das Patentamt ab 1843 jährlich eine Auflistung erteilter Patente, was aber nicht wesentlich zur Zirkulation von Informationen beitrug.33 Gleichzeitig avancierte das Patentamt zu einer Touristenattraktion des technischen Fortschritts, denn die Modelle waren für die Öffentlichkeit zugänglich und man verzeichnete in den 1840er Jahren zehntausende Besucher.34 Um den Informationsbedarf zu decken und den räumlichen Erfordernissen einer modernen Bürokratie, wie der Platzierung von Büround Aktenräumen,35 nachzukommen, verbannte man zwischen 1879 und 1885 die Modelle aus dem Patentamt. Damit endete eine Ära, die das Patentamt in ein Museum transformiert hatte.36

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neller Zusammenhänge verhalf, so dass Einsteins Beitrag zur Zeit- bzw. Uhrenkoordination im beginnenden 20. Jahrhundert »gleichermaßen den Patentbeamten und Naturwissenschaftler« erkennen lässt. P. Galison: Einsteins Uhren, Poincarés Karten, S. 265. Zur Wahrnehmung der wissenschaftlichen Befähigung der Patentprüfer im 19. Jahrhundert siehe auch R. C. Post: »›Liberalizers‹ versus ›Scientific Man‹ in the Antebellum Patent Office«. K. G. Dood: »Why Models?«, S. 15. Vgl. ebd., S. 16. Vgl. D. E. Evelyn: »The Patent Models on Display«, S. 17; G. Nelson: »Technological Aspiration«, S. 20-22. Vgl. D. E. Evelyn: »The Patent Models on Display«, S. 19. Dass die Patentmodelle einer musealen Erscheinung des Patentamts bis zur ihrer Abschaffung dienlich waren, wurde patentrechtlich verankert. Dies illustriert folgender Ausschnitt aus dem Patent Act von 1836: »That it shall be the duty of the Commissioner to cause to be classified and arranged, in such rooms or galleries as may be provided for that purpose, in suitable cases, when necessary for their preservation, and in such manner as shall be conducive to a beneficial and favorable display thereof, the models and specimens of compositions and of fabrics and other manufactures and works of art, patented or unpatented, which have been, or shall hereafter be deposited in said office. And said rooms or galleries shall be kept open during suitable hours for public inspection.« Patent Act of 1836, Ch. 357, 5 Stat. 117 (July 4, 1836), CHAP. CCCLVII., SEC. 20. Nachdem sich das Patentamt der Modelle entledigte, gelangte ein Großteil in die Hände privater Sammler und ist damit für eine Dokumentation der Medien- und Technikgeschichte verloren gegangen – nur wenige Modelle wurden an Museen und Institutionen wie das Smithsonian vergeben. Vgl. D. E. Evelyn: »The Patent

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Mit der Abschaffung der Modelle büßte das juristische Ideal des Patentamts, eine transparente Plattform innovativer Aktivitäten für die Gesellschaft zu konstituieren, eine ganze mediale Dimension ein. Vermutlich verschwand damit aus den Glasvitrinen eine der wenigen Möglichkeiten, den Erfindungsreichtum der Industrialisierung einer breiten Öffentlichkeit ebenso zugänglich wie anschaulich zu machen, was dem Patent aufgrund seines anspruchsvollen Fachjargons nicht gelingen konnte. Aber auch für die Konkurrenz erlosch eine Chance der Spionage. Niemand war nun mehr imstande, sich in aller Öffentlichkeit auf das Abzeichnen der Modelle zu konzentrieren. Ein Senatsmitglied schilderte die Möglichkeit rechtlich abgesicherter Spionage im Jahre 1836 wie folgt: »[It is] not uncommon for persons to copy patented machines in the model-room [of the Patent Office]; and, having made some slight immaterial alterations, they apply in the next room for patents. There being no power to refuse them, patents are issued of course«.37 Die Gefahr des Verrats durch die Materialität der eigenen Erfindung verschwand. Was blieb waren textbasierte Akteure, die ihren Fürsprechern einen argumentativen Verhandlungsspielraum eröffneten und die Originalität und Schutzwürdigkeit einer Erfindung zum Aushandlungsprozess machten. Nicht zuletzt wurde dem unprofessionellen Einzelerfinder jetzt der Weg versperrt, sein Erfindungspotenzial und die Schutzwürdigkeit seiner Innovation patentrechtlichen Institutionen qua Modell verständlich zu präsentieren. Ein solcher Erfinder war meist nicht in der Lage, nebst Patentanmeldungsgebühren weitere finanzielle Mittel, wie etwa die für die Patentformulierung notwendige Bezahlung von Patentanwälten, aufzubringen. So stand das Patentmodell ganz im Zeichen einer Amateur- und Bastlerkultur, die allerdings nicht ohne Widerstand ihrer Fürsprecher unterging: Selbst nach der gesetzlich verfügten Abschaffung im Jahre 1870 wurden Patentmodelle weitere zehn Jahre informell im Patentamt zur Begutachtung verwendet.38 Mit dem Untergang des Patentmodells verschwand nicht nur das zentrale Medium der Innovation des Amateur-Erfinders. Dieser Untergang leitete die Verdrängung der Bastlerkultur insgesamt ein, der die sukzessive Professionalisierung von Patentanwälten, Patentprüfern und der Industrieforschung gegenüberstand.39 So fällt der Aufstieg des IndustrieModels on Display«, S. 19. Einen allgemeinen Überblick über die Archive, die die Akten des Patentamts aus dem 19. Jahrhundert beherbergen, gibt: C. C. Cooper: »Making Inventions Patent«, S. 843-845. Eine Fallstudie zu Thomas Edisons Patentamt-Akten und ihre Nutzung als historische Quelle samt begleitender Herausforderungen bietet: P. Israel/R. Rosenberg: »Patent Office Records as a Historical Source«. 37 Anonymus: »1836 Senate Committee Report«, S. 857. 38 Zu dieser Beobachtung R. C. Post: »Patent Models«, S. 11. Allerdings wird hier die weitere Modellverwendung auf routinierte Anmeldungsverfahren und auf eine vereinfachte und gleichsam veranschaulichende Legitimationspraxis für die Ablehnung von Patentanmeldungen zurückführt. 39 Daher scheint es nicht verwunderlich, dass das professionelle Geschäft mit Patenten zu einer prominenten Rechtstätigkeit im 19. Jahrhundert wurde. Ein erstaunlicher An-

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forschungslabors und der firmeninternen Patentabteilungen nicht nur zeitlich mit der Abschaffung der Modelle zusammen, sondern ist untrennbar mit einer expandierenden Expertenkultur verbunden, die das Patent weniger zum Medium der Innovation, sondern vielmehr zum Medium der Professionalisierung machte. Während der individuelle und heroische Erfinder der amerikanischen Bastlerkultur bis heute mythologisiert wird, gilt dies für die Professionalisierung des firmeninternen Erfinders nicht. Eine patentrechtliche Erklärung stellt der Verlust von Eigentumsrechten an seinen Innovationen dar, ein sukzessiver Verlust, den die Rechtswissenschaftlerin Catherine Fisk nachgezeichnet hat: In der Zeit zwischen 1840 und 1880 galt der Erfinderstatus in einer Arbeitnehmerbeziehung noch als unantastbar. Denn aus patentrechtlicher Perspektive setzte man die Erfinderpersönlichkeit mit dem Innovationseigentümer gleich. Dies änderte sich in den 1880ern, als die Arbeitnehmerbeziehung in Gerichtsverhandlungen stärker gewichtet wurde. Man räumte den Unternehmen Nutzungsrechte – die sogenannten ›shop rights‹ – ein, mit der Begründung, dass die Industrieforscher allein zum Zwecke des Erfindens angestellt und im Gegenzug durch ihre Vergütung entlohnt wurden. Diese Entwicklung erreichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihren Höhepunkt durch den gänzlichen Verlust von Eigentümeransprüchen auf Seiten des Erfinders. Als dominierende Rechtsgrundlage diente von nun an der Arbeitsvertrag, welcher zumeist die Eigentumsübertragung innovativer Ergebnisse als Anstellungsprämisse formulierte.40

DAS GEBOT TEXTBASIERTER GEHEIMHALTUNG Mit der Rekonzeptualisierung des Patentrechts im 19. Jahrhundert traten an die Stelle eindeutiger und nachvollziehbarer Technologien ebenso vage wie auslegbare Texte und Zeichnungen. Um Verhandlungsspielräume vor Gericht und im Patentamt maximal nutzen zu können und dabei alle Zweifel an der Schutzwürdigkeit der Innovation aufzulösen, folgte das Patent dem Gebot der Geheimhaltung. Aus unternehmerischer Perspektive war daher ein gewinnbringendes Patent ein solches, das seine eigene Geschichte verschwieg.41 Im Sinne der Science and Technology Studies besteht ein Unterschied zwischen dem Ready Made Patent, das aus juristischer Sicht den Erfindungsreichtum zum öffentlich-nutzbaren Gut statuierte, und dem Patent in Action, das das Patent in seinem Entteil von Bundesfällen im Bereich der industriellen Gerichtsbarkeit machten Patentstreitigkeiten aus: In einigen Gerichten bestritten Patentangelegenheiten ein Drittel oder sogar die Hälfte aller Klageaktivitäten. Für Anwälte galt das Geschäft mit dem Erfinderschutz als ein sicherer wie auch prestigeträchtiger Berufszweig. Vgl. C. Beauchamp: Invented by Law, S. 6-7. 40 Vgl. C. L. Fisk: »Removing the ›Fuel of Interest‹ form the ›Fire of Genius‹«. 41 Vgl. G. C. Bowker: »Der Aufschwung der Industrieforschung«, S. 850.

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stehungskontext, dem Industrieforschungslabor verortet.42 Im Folgenden wird dieser Perspektivwechsel genutzt, um das janusköpfige Gesicht der Industrieforschung zwischen Geheimhaltung und Transparenz zu skizzieren. Ein für die Mediengeschichte bedeutsames Beispiel beginnt mit der vermeintlichen Verbesserung einer Technologie im Telegrafiebereich durch Alexander Graham Bell. Sie wurde vom Patentamt in Washington D.C. am 7. März 1876 patentiert. Bell erfand laut Patentschrift eine neue Methode mit der ein kontinuierlicher elektrischer Stromkreislauf erzeugt werden konnte, während sich die Werte der Ladung im Zusammenspiel mit induzierten akustischen Signalen veränderten. Da sich die Töne nicht wechselseitig beeinflussten, war es möglich, verschiedene Töne gleichzeitig zu übermitteln. Die telegrafische Übertragung erlaubte dabei nicht nur die Übermittlung von Morsenachrichten, sondern auch von Musik und der menschlichen Stimme. Darüber hinaus skizzierte und formulierte Bell in wenigen Zeilen eine Apparatur, mit der es möglich sein sollte, Töne jeglicher Natur telegrafisch zu vermitteln (Abb. 4.2).43 Diese Vorrichtung wurde in der Patentschrift folgendermaßen beschrieben: »Another mode is shown in Fig. 7, whereby motion can be imparted to the armature by the human voice or by means of a musical instrument. The armature c, Fig. 7, is fastened loosely by one extremity to the uncovered leg d of the electro-magnet b, and its other extremity is attached to the center of a stretched membrane, a. A cone, A is used to converge sound-vibrations upon the membrane. When a sound is uttered in the cone the membrane g is set in vibration, the armature c is forced to partake of the motion, and thus electrical undulations are created upon the circuit E b e f g. These undulations are similar in form to the air vibrations caused by the sound – that is, they are represented graphically by similar curves. The undulatory current passing through the electro-magnet f influences its armature h to copy the motion of the armature c. A similar sound to that uttered into A is then heard to proceed from L.«44 [H.i.O.]

42 Dieser Perspektivwechsel geht zurück auf Bruno Latours Darlegung einer »Ready Made Science« and »Science in Action«. B. Latour: Science in Action. 43 Vgl. Alexander Graham Bell, Patentnummer 174.465, 7.3.1876. Es sei darauf hingewiesen, dass die in diesem Kapitel verwendeten Patente durch Google Patents erschlossen wurden. Die digitale Bibliothek ging am 14. Dezember 2006 online und verfügt über US-amerikanische Patentschriften beginnend ab 1790. Mehrere Millionen Schriften befinden sich nach Google-Angaben mittlerweile in der Datenbank, Scans der Patentanträge und Grafiken sind hier abzurufen. Google bezieht die Dokumente von 17 Patentämter, wozu etwa das United States Patent and Trademark Office, das Europäische Patentamt, das Deutsche Patent- und Markenamt und die Weltorganisation für geistiges Eigentum gehören. Siehe auch Spiegel Online: »Google startet Patentsuche«, 14.12.2006. 44 Alexander Graham Bell, Patentnummer 174.465, 7.3.1876.

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Abb. 4.2: Alexander Graham Bell, Patentnummer 174.465, 7.3.1876 – zusammengestellte Ausschnitte

Erst nach der Patentierung stellte sich heraus, dass dieser Apparat als Erfindung des Telefons in die Geschichte eingehen sollte. Die industrielle Forschung zur Verbesserung übertragbarer Telegrafensignale wurde nicht nur von dem professionellen Erfinder Alexander G. Bell sondern auch von seinem angestellten Mechaniker Thomas Watson durchgeführt. Während ihrer Experimente 1876 justierte Watson versehentlich die Apparatur falsch, was dazu führte, dass klare Töne zu hören waren.45 Den Erfindern war zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst, welchen Wert ihre Innovation besaß und schon gar nicht, dass das misslungene Experiment die Initialzündung für das Telefon darstellte.46 Von ihrem Financier wurde die Entdeckung zunächst als »esoteric speech problem« abgetan.47 Auf Empfehlung seiner Anwälte patentierte Bell beide Erfindungen innerhalb einer Patentschrift. Damit unterstand nicht nur der harmonische Telegraf, welcher die gleichzeitige Übertragung mehrerer Telegrafennachrichten gestattete, sondern auch eine Apparatur für die telegrafische Übermittlung von Tonfolgen – d.h. das Telefon – dem Erfinderschutz. Das Telefon lag allerdings, wie sich nach der Patentierung zeigte, nur als theoretisches Modell vor, dessen praktische Umsetzung nicht reproduzierbar war.48 Zugute kam Bell, dass das Patentamt nicht die Anforderung stellte, mit dem Patentantrag eine funktionierende Erfindung einzureichen. Als Bell versuchte, das Patent an das marktführende Telegrafenunternehmen die Western Union zu verkaufen, lehnte diese es ab, weil das Unternehmen keine profitable Zukunft in einer solchen Technologie sah.49 Daraufhin gründete Bell 1877 die Bell Telephone Company, aus der wenige Jahre später der noch heute agierende Konzern, die American Telephone and Telegraph Company hervorging.

45 Vgl. R. V. Bruce: Bell, S. 146-147. 46 Vgl. R. H. Rines: Create or Perish, S. 48-49. 47 Ebd., S. 49. Auf den ersten Blick mag die Verbindung zum Esoterischen unverständlich erscheinen, jedoch bleibt zu berücksichtigen, dass der Spiritismus im 19. Jahrhundert in den USA eine Hochphase erlebte. Siehe hierzu M. Hochgeschwender: »Geister des Fortschritts«. 48 Vgl. A. E. Evenson: The Telephone Patent Conspiracy of 1876, S. 100. 49 Vgl. R. H. Rines: Create or Perish, S. 51.

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Diese Trajektorie zieht die Glaubwürdigkeit eines Patents und insbesondere seine Qualität als zuverlässige Quelle zur historischen Darstellung der Genese (medien-) technischer Innovationen in Zweifel. Denn die technischen Zeichnungen und Beschreibungen sowie die inhärenten juristischen Argumentationsstrategien von Patentschriften legen wohldurchdachte Erfindungen und teleologische, geplante Innovationsprozesse nahe, die weder auf ihr Nichtfunktionieren, noch auf kontingente Gegebenheiten innerhalb des Entstehungskontexts hindeuten. Global verwendbare Vorrichtungen und Methoden, wie sie im Patent nahegelegt werden, bleiben ausschließlich in ihrem Produktionskontext von lokalen Gegebenheiten und situativen Improvisationen abhängig. Aufgrund des unternehmerischen Interesses an der Geheimhaltung wird letztendlich die Relevanz des Lokalen zugunsten des Globalen ausradiert, indem das Patent keine Spuren des Innovationsprozesses hinterlässt. Diese Referenzketten werden absichtlich gekappt. Ein Patent hat keinen historischen Kontext.50 Demgegenüber impliziert das Patent als Medium der Innovation einen Potenzialitäts- und Latenzraum: den Patentanspruch. Die derart allgemein und so ungenau als möglich formulierten Patentansprüche weiten den Schutzbereich von Erfindungen maximal aus, damit potentielle Verwendungsmöglichkeiten der Innovation nicht ausgeschlossen werden. Zumeist werden nur sehr wenige Materialien spezifiziert, was die Option eröffnet, die Erfindung nach der Patentierung weiterzuentwickeln.51 Wird die Rechtsprechung in den Vordergrund gestellt, verändert dies zudem die Sichtweise auf die Frage, wer das Telefon erfunden hat. Zahlreiche Mediengeschichtsschreibungen zelebrieren Alexander Graham Bell als den wahren

50 Eine ähnliche Diagnose stellt Geoffrey Bowker bei seiner Untersuchung von Industriekapitalismus und Patentierung. Seine Fallstudie behandelt die unkonventionelle Erfolgsgeschichte des Erdöl-Explorationsunternehmens Schlumberger zwischen 1920 und 1940. Schlumberger etablierte eine elektrische Messmethode, welche die Diagrafie von Ölfeldern ermöglichte. Mit dieser Messmethode konnten erstmalig die geologischen Untergrundschichten kartographiert werden. Diese mediale Lokalisierungstechnologie erlaubte den Ölunternehmen die Sichtbarmachung des Untergrunds, wodurch die Ölvorkommen förderbar wurden. Bowker legt offen, dass die Messmethode nicht auf einer wohlbedachten theoretischen Grundlage basierte oder von Beginn an problemlos funktionierte, obwohl eine Patentierung vorgenommen wurde. Erst durch die Präsenz auf den Ölfeldern konnte die industrielle Forschung Informationen über die Untergrundgegebenheiten nutzen, um eine Feinjustierung ihrer Methode vorzunehmen. Gleichzeitig fügte Schlumberger diese Informationen bei der Interpretation der elektrischen Protokolle hinzu und auf diese Weise gelang es, das äußere Erscheinungsbild von traditioneller, wissenschaftlicher Arbeit aufrechterhalten. Vgl. G. C. Bowker: Science on the Run, S. 111-154. 51 Im Falle von Bells Patentschrift lautete der Patentanspruch wie folgt: »The method of, and apparatus for, transmitting vocal or other sounds telegraphically, as herein described, by causing electrical undulations, similar in form to the vibrations of the air accompanying the said vocal or other sound, substantially as set forth.« Alexander Graham Bell, Patentnummer 174.465, 7.3.1876.

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originellen Erfinder des Mediums. Mittlerweile ziehen jedoch auch Werke die Priorität seiner patentierten Innovation zugunsten seiner damaligen Rivalen in Zweifel. Schriften wie A. Edward Evensons The Telephone Patent Conspiracy of 1876, Seth Shulmans The Telephone Gambit und Christopher Beauchamps Invented by Law sind sich interessanterweise darüber einig, dass die Frage, welchem Erfinder die Telefonentwicklung in Rechnung zu stellen sei, zutiefst gesetzlich definiert wurde. Und dies gerade, weil sie in den 1880er Jahren viele Male in Gerichtsälen erneut gestellt und erbittert verhandelt wurde.52 Die Historie über die Klärung der Priorität kommt weitestgehend einer Kriminalgeschichte gleich, dessen Räuberpistolen Auskunft über die unlautere Natur von bürokratisch-juristischen Prüfungen und den daran gekoppelten Institutionen geben. Bells Financier ließ den besagten Patentantrag – der bereits eingehend von dem Erfinder und seinen Anwälten Anthony Pollok und Marcellus Bailey bearbeitet wurde – einige Wochen auf seinen Schreibtisch ruhen. Bis er plötzlich am 14. Februar 1876 in Aktion trat und den Antrag ohne Kenntnis von Bell persönlich beim Patentamt einreichte. Am selben Tag übermittelte auch der professionelle Erfinder Elisha Grey eine Beschreibung zur »new art of transmitting vocal sounds« an das Patentamt.53 Obwohl der Geltungsbereich der Rechtsprechung über dem der Bürokratie stehen sollte, wurde eine diametrale Verfahrensweise gewählt. Denn die bürokratisch definierte Reihenfolge der Einreichungen überschattete die patentrechtliche Ermittlung erfinderischer Priorität. Ein gültiges Patent – so sagte das Patentrecht – ging an den ersten tatsächlichen Erfinder, statt an den ersten, der eine Patentanmeldung einreichte. Wann immer zwei Patentanmeldungen parallel eingereicht wurden und den gleichen Gegenstand für den erfinderischen Schutz beanspruchten, setzte das Patentamt beide Ansprüche aus. Die erfinderische Priorität wurde daraufhin in einer Interferenzanhörung geklärt – und dies unabhängig davon, wann die Dokumente die Räumlichkeiten des Patentamtes erreichten.54 Abgesehen von der Dramatik zweier parallel eintreffender Patente offenbaren die Ereignisse vom 14. Februar tiefgreifende Kenntnisse über patentrechtliche Prozeduren und Taktiken des unlauteren Wettbewerbs, die auf Seiten des Bellschen Anwaltskollektivs zu situieren sind. Eine ›verdächtige‹ Handlung stellte nicht allein die plötzliche Einreichung des Patentantrags dar, was die Vermutung nahelegt, dass man über das Vorhaben von Grey informiert war. Obwohl das Patentamt dem gängigen Verfahren einer Inferenzanhörung zu-

52 A. E. Evenson: The Telephone Patent Conspiracy of 1876; S. Shulman: The Telephone Gambit; C. Beauchamp: Invented by Law. 53 Im Greys Patentformular lautet es konkret: »To attain the object of my invention I devised an instrument capable of vibrating responsively to all the tones of the human voice, and by which they are rendered audible.« Elisha Gray, Caveat, 14.2.1879. 54 Vgl. C. Beauchamp: Invented by Law, S. 41.

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nächst zugestimmte, gelang es Anthony Pollok und Marcellus Bailey, den zuständigen Patentprüfer davon zu überzeugen, von der Anhörung wieder Abstand zu nehmen55 – und dies bevor Gray Einspruch erheben konnte. Da Gray keinen vollständigen Patentantrag stellte, sondern eine rechtswirksame Vorform, das sogenannte »caveat«,56 würde eine Anhörung vor dem Prüfungsausschuss nur dann ausgelöst werden, wenn dieses Dokument das Patentamt vor einer vollständigen Anmeldung erreichte. Obwohl es dem gängigen Prozedere widersprach, zeichnete der Patentprüfer auf Anraten der Anwälte die genaue Tageszeit der Zustellung auf. In einem ähnlichen Fall, der sich nur wenige Wochen zuvor ereignete, entschied dieser Patentprüfer, dass die genaue Uhrzeit der Einreichung keine nennenswerte Rolle spielte, auschlaggebend war alleinig das Datum.57 Bell entging auf Basis dieser Entscheidungen einer monatewenn nicht jahrelangen Verzögerung des Verfahrens und damit auch der Unsicherheit, den die Anhörung vor dem Prüfungsausschuss mit sich brachte. Zudem wurde dem Erfinder gestattet, einige Änderungen an seinem Patentantrag vorzunehmen. Ein legitimer Schachzug, der jedoch nahelegt, dass die Dokumente seines Konkurrenten nicht vertraulich behandelt wurden. Bell bereinigte vor allem potentiell streitbare Punkte. Schließlich erteilte die Institution Bell das Patent außergewöhnlich schnell im Kontrast zu dem üblichen 55 Bells Anwälte waren Partner in der Kanzlei Pollok & Bailey und rückblickend lassen sie sich als Spezialisten im Bereich des Medienrechts bezeichnen. Der hervorragend vernetzte Anthony Pollok unterstütze beispielsweise die »U.S. Postal Telegraph Bill«, durch die alle Telegrafenlinien der Western Union mit der Intention erworben werden sollten, die Telegrafenindustrie zu einem staatlichen Monopol zu wandeln. Vgl. A. E. Evenson: The Telephone Patent Conspiracy of 1876, S. 25, 43. 56 Ein »caveat« war einem Patentantrag ähnlich. Es enthielt eine Beschreibung der Erfindung sowie Zeichnungen, jedoch fehlten rechtliche Formulierungen und die Patentansprüche. Dennoch kam dieses Dokument einer offiziellen und vertraulich zu behandelnden Mitteilung gleich, mit der man die Absicht erklärte, zu einem späteren Zeitpunkt eine vollständige Patentanmeldung einzureichen. Des Weiteren heißt es im Patent Act von 1836: »[A] caveat shall be filed in the confidential archives of the office, and preserved in secrecy. And if application shall be made by any other person within one year from the time of filing such caveat, for a patent of any invention with which it may in any respect interfere, it shall be the duty of the Commissioner to deposite the description, specifications, drawings, and model, in the confidential archives of the office, and to give notice, by mail, to the person filing the caveat, of such application, who shall, within three months after receiving the notice, if he would avail himself of the benefit of his caveat, file his description, specifications, drawings, and model; and if, in the opinion of the Commissioner, the specifications of claim interfere with each other, like proceedings may be had in all respects as are in this act provided in the case of interfering applications: Provided, however, That no opinion or decision of any board of examiners, under the provisions of this act, shall preclude any person interested in favor of or against the validity of any patent which has been or may hereafter be granted, from the right to contest the same in any judicial court in any action in which its validity may come in question.« [H.i.O.] Patent Act of 1836, Ch. 357, 5 Stat. 117 (July 4, 1836), CHAP. CCCLVII. SEC. 12. 57 Vgl. A. E. Evenson: The Telephone Patent Conspiracy of 1876, S. 68-93.

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ordentlichen Verfahren des Patentamtes. Diese Gangart wurde auch anderen Anmeldungen von Bell zuteil.58 Einige dieser Hintergründe wurden in den folgenden Gerichtsverfahren aufgeklärt: insbesondere, dass Zenas Fisk Wilber – der Patentprüfer, der die Verantwortung für Bells und Greys Patente trug – im hohen Maße bei Marcellus Bailey verschuldet war.59 Welche Einsichten hält diese Trajektorie nun für die technik- und medienhistorische Forschung parrat? Zum einen kristallisiert sich heraus, dass gesetzliche Regulierungen nicht allein die Standards der Beweisführung erfinderischer Neuheit und Originalität definierten, sondern auch die Bedingungen diese zu einem ortsbezogenen Aushandlungsprozess zu machen. Indem das Patentrecht definierte, was es bedeutete, ein erster und wahrer Erfinder zu sein, schrieb es die Wege vor, die der Erfinder und seine Anwälte bestreiten mussten, um ein Patent mit maximaler Schutzwürdigkeit zu erhalten. Innerhalb dieser Parameter bereiteten die Anwälte streitbare Positionen vor und stellten Beweise zusammen – die wie der vorliegende medienhistorische Fall vor Augen führt – die Natur der ortsbezogenen bürokratischen Beweisführung (aus)nutzten. Unlautere Methoden wurden als ordentlich, legitim und verfahrensförmig ausgeben.60 Wenig überraschend erscheint es daher, dass die Rechtshistoriker Alain Pottage und Brad Sherman in Figures of Invention im Allgemeinen für das 19. Jahrhundert feststellen, dass es sich bei dem juristischen Konzept von Erfindung um ein Konstrukt handelt, dessen Ausprägung maßgeblich auf die Aushandlungsprozesse der Patentanwälte zurückzuführen sei. Die Klärung des Anspruchs auf die Neuheit einer Erfindung ging mit der Definition dessen einher, was eine Innovation in dem jeweiligen Verfahren bedeutete.61 Zum anderen – so ist für die medienhistorische Forschung zu konturieren – sind justiziable Aushandlungsprozesse vor Ort und in situ für die Konstitution und das Verständnis heute universell erscheinender Medientechnologien und daran geknüpfter zelebrierter Erfinderpersönlichkeiten maßgeblich verantwortlich. Von Seiten unternehmerischer Medienproduzenten werden diese Aushandlungen aus guten Grunde zugunsten weniger kontroverser Narrative außer Acht gelassen. Wahrscheinlich könnte die unternehmerische Relevanz jeder neuen Technik ungefähr an der Menge der anwaltlichen Energien gemessen werden,

58 Vgl. ebd., S. 80-82. 59 Vgl. ebd., S. 43-47. Weitere Beschreibungen rechtlichen Missbrauchs durch das Patentamt finden sich in: B. H. Baker: The Gray Matter, insbesondere »Seven Sentences«. 60 Im Kap. Standardisieren wird die Differenz zwischen ordentlichen und illegitimen Verfahren stärker medienwissenschaftlich konzeptualisiert. Der Übergang von formalen Repräsentationen eines Verfahrens und der im Dunkeln bleibenden Arbeit ›in den Hinterzimmern‹, wird maßgeblich durch parasitäre Tätigkeiten angetrieben. Anzuerkennen bleibt, dass das Wissen im Umgang mit formalen Repräsentationen wie im Bereich institutioneller Aushandlungen Expertisen voraussetzt, die ihre Manipulation und Korruption erst ermöglicht. 61 Vgl. A. Pottage/B. Sherman: Figures of Invention, S. 3.

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die sie hervorrief.62 Wendet man den Blick auf das Patent in Action wird das Spannungsverhältnis zwischen diesen und den bereinigten justiziablen Medien offensichtlich: Die Geschichte der Medien ist auch eine Geschichte von Improvisation, Kontingenz, Korruption und Betrug – soziale Dynamiken, die verständlich machen, weswegen die Referenzketten derart investitionsintensiv von Medienproduzenten gekappt werden. Für die medienhistorische Forschung eröffnet dies nicht nur das Potenzial zur Revision und Korrektur von Mediengeschichten. Gleichzeitig stellt die konzeptuelle Auseinandersetzung mit den justiziablen Medien dieser Reinigungsarbeiten einen wesentlichen Mehrwert dar. Durch den Perspektivwechsel vom Ready Made Patent zum Patent in Action gerät zu guter Letzt auch kommerzialisierbares Wissen in den Blick, welches zwar eng mit den patentierten Innovationen verbunden war, jedoch nicht vom patentrechtlichen Erfinderschutz abgedeckt wurde. Davon betroffen waren zum Beispiel die sehr ausgeklügelte Arbeitsorganisation firmeninterner Laboratorien, die den Motor von Innovation und Patentfabrikation bildeten. Nachvollziehbarerweise waren Firmen bestrebt, entsprechende Informationen der Konkurrenz nicht offenzulegen, weshalb auch das öffentlich zirkulierende Patent kein ›reverse engineering‹ dieser Art gestatten durfte. Ein Beispiel für eine solche Arbeitsorganisation geben die historischen Ausführungen von Leonard Reich zum Labor der American Telephone and Telegraph Company. Sie zeichnen nach, dass die Teamarbeit als innovativer Motor für wesentliche Erfindungen der transatlantischen Radioentwicklung zwischen 1900 und 1920 zu verstehen ist.63 Naturwissenschaftler, Ingenieure, Techniker und Mathematiker partizipierten gleichermaßen an der Entwicklung von patentierbaren Ideen. Zum Beispiel studierten Physiker sämtliche Publikationen zu Vakuumröhren – elektronische Apparaturen zur Erzeugung, Verstärkung oder Modulation von elektrischen Signalen – die für Radioübertragung zentral waren. Innerhalb dieser Studien entstanden generalisierte mathematische Konstrukte, mit denen man technologisches Verhalten zu kalkulieren vermochte. Mithilfe dieser »technologischen Theorien« war es anderen partizipierenden Wissenschaftlern in einem weiteren Übersetzungsschritt möglich, sogenannte »Designmethodologien« zu entwerfen. Dabei handelte es sich um spezifische und produktorientierte mathematische Gleichungen, Graphen und Diagramme. Diese medialen Techniken verfügten über das Potenzial, angemessene Parameter für Komponenten unterschiedlicher Vakuumröhren ableitbar zu machen, womit man sowohl die Prototypenentwicklung als auch Patentierungen erfolgreich vo-

62 Eine ähnliche Schlussfolgerung zieht der Historiker und Zeitzeuge Daniel J. Boorstin. Jedoch bemisst Boorstin anhand der Wirksamkeit patentrechtlicher Skandale die Relevanz industrieller Technologien für die US-amerikanische Gesellschaft. Vgl. J. Boorstin: The Americans, S. 58 63 Die folgende historische Darstellung stammt aus: L. Reich: The Making of American Industrial Research, S. 203-214.

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rantrieb. Obwohl die technologischen Theorien selbst nicht patentierbar waren, weil sie im Sinne des Patentgesetzes keine praktische Umsetzbarkeit gestatteten, bildeten sie dennoch den Ausgangspunkt für Patentierungen. Den technologischen Theorien war die Innovation also bereits inhärent. Ein solcher Übersetzungsprozess legt nahe, dass eine innovative Idee weniger auf den genialen Moment eines Einzelerfinders sondern auf den innovativen Prozess eines Teams zurückzuführen ist. Versucht man jedoch diese Form der Arbeitsorganisation in einem Patent wiederzuerkennen, sucht man vergebens nach solchen Spuren. Wie die Abb. 4.3 darlegt, erhielt John R. Carson, Wissenschaftler im Forschungslabor der American Telephone and Telegraph Company, am 13. März 1923 ein Patent.64 Dieses galt der Übersetzung eines komplexen mathematischen Kreislaufs von Vakuumröhren – also einer technologischen Theorie – in produktspezifische Kreisläufe. Dargestellt wurden die Kreisläufe mithilfe vereinfachter Diagramme. Jedoch werden diese Diagramme nicht in Verbindung mit anderen unternehmensinternen Forschern und den zuvor kreierten technologischen Theorien gebracht, wenngleich das historische Material ein kollaboratives Arbeiten bestätigt. Als wahrer Erfinder gilt nach diesem Patent einzig John Carson.65

Abb. 4.3: John R. Carson, Patentnummer 1.448.702, 13.3.1923 – zusammengestellte Ausschnitte

Die Geheimhaltung legt nahe, dass Unternehmen bestrebt waren, keine Informationen über interne Arbeitsabläufe ihres Labors preiszugeben, sowohl im Hinblick auf die Personalorganisation als auch auf die Schritte der Ideengene64 John Carson, »Translating Circuits«, Patentnummer 144.870.2, 13.3.1923. 65 Ein Vergleich mit den Beschreibungen von L. Reich: The Making of American Industrial Research, S. 212, macht die Abweichung deutlich.

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rierung. Nur anhand der Beobachtung des massenhaften Einreichens von Patenten in kurzer Zeit waren Konkurrenten in der Lage, die Anwendung von Teamarbeitsprinzipien zu erahnen und versuchsweise zu übertragen. Ein abschließender Blick auf die US-amerikanische Rechtsentwicklung zeigt, dass diese geheim gehaltenen Konstellationen und Phänomene ihren ersten eigenen schützenswerten Anspruch mit dem Restatement of Torts im Jahre 1939 erhielten. Dieser Anspruch wurde mit dem noch heute gültigen Uniform Trade Secrets Act ab 1985 weiter ausformuliert.66 Während das Urheber- und Patentrecht in den Vereinigten Staaten seine rechtliche Begründung in der Verfassung fand und vor allem die öffentliche Ideenzirkulation motivierte, nahmen die Gesetze zu den Geschäftsgeheimnissen einen diametral entgegengesetzten Standpunkt ein. Diese Rechtsprechung speiste sich aus dem allgemeinen bürgerlichen Recht und widmete sich unternehmerischen Wettbewerbsvorteilen, die sich allein aus der Geheimhaltung ergaben.67 Im Vergleich zum Patent verfügt ein Geschäftsgeheimnis über den Vorteil, keine zeitlich begrenzte Schutzdauer zu haben. Das Geheimnis kann daher unbegrenzt fortgesetzt werden, oder mindestens solange, bis es publik wird. Dies erklärt auch das kostenintensive Engagement der Unternehmen Coca-Cola oder Google, die Rezeptur des Getränkes bzw. den Suchalgorithmus nicht preisgeben zu müssen. Beides fällt unter dem Schutz des Trade Secret Law.

WARUM DAS PATENT AUCH UNABSICHTLICH KAUM HANDLUNGSANLEITUNG GEBEN KANN Neben der intendierten Zurückhaltung von Informationen können Patente auch ohne die Absicht ihrer Autoren – und zwar bereits durch ihre technisch objektivierte und formalisierte Darstellung der ingenieurs- und naturwissenschaftlichen Zusammenhänge – Informationen verschweigen. Dabei handelt es sich um Wissen, das für das Verständnis und den Nachbau einer patentierten Erfindung unabdingbar ist: das sogenannte tacit knowledge. Die wissenschafts- und techniktheoretische Auseinandersetzung mit dem »impliziten Wissen« geht auf den Chemiker und Philosophen Michael Polanyi

66 Vgl. E. Linek: »A Brief History of Trade Secret Law, Part 1«. 67 Vgl. M. Risch: »Why Do We Have Trade Secrets?«, S. 6. So hieß es im Restatement of Torts: »A trade secret may consist of any formula, pattern, device, or compilation of information which is used in one's business, and which gives him an opportunity to obtain an advantage over competitors who do not know or use it. It may be a formula for a chemical compound, a process of manufacturing, treating, or preserving materials, a pattern for a machine or other device, or a list of customers.« Diese Passage des Restatement of Torts, Section 757, Comment b, 1939 ist zitiert nach E. Linek: »A Brief History of Trade Secret Law, Part 1«, S. 2.

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zurück und wurde unter dem Begriff des »tacit knowledge« von Wissenschaftssoziologen wie Thomas Kuhn und Harry Collins im Rahmen der laboratory studies konzeptuell weiterentwickelt.68 Diese Wissensform gilt als unerlässlich für die Arbeitspraktiken innerhalb des laboratorischen Settings. Denn es bildet die Basis für die Herausbildung von zutiefst körperlichen Geschicklichkeiten und damit von Fertigkeiten, die sowohl für den Umgang mit theoretischen Modellen als auch den Gebrauch von Laborinstrumenten grundlegend sind. Wie Laborinstrumente zu nutzen sind, wird zeitintensiv in praktischen Lehrund Übungseinheiten vermittelt: Novizen erlernen die Verwendung von Apparaten zumeist anhand der praktischen Demonstration. Die Gesten und Bewegungen, die der Ausführende zum Beispiel bei der Kalibrierung von Messinstrumenten vollzieht, müssen vom Novizen adäquat in Zusammenhang gebracht werden. Erst so ist er imstande Bewegungsmuster zu imitieren oder überhaupt die Ergebnisse der Messinstrumente auszuwerten.69 Dass der Erwerb dieses inkorporierten Wissens ein komplexes Unterfangen darstellt, war der Industrieforschung durchaus bewusst. So etablierte General Electric ein hauseigenes Ausbildungssystem im ingenieurswissenschaftlichen Bereich. Zwischen 1892 und 1923 gingen die Novizen den erfahrenen Industrieforschern im Standardisierungsund Testungslabor unterstützend zur Hand. Die ersten Monate ihrer Ausbildungszeit verbrachten sie allein damit, das Lesen von Messinstrumenten zu erlernen.70 Für das Konstruieren und Verstehen natur- oder ingenieurswissenschaftlicher Theorien ist dieser inkorporierte Erfahrungsschatz und seine Weitergabe gleichermaßen unverzichtbar. Man ist erst in der Lage zu theoretisieren, wenn man sich auf vorhandenes Wissen stützen kann. Daran anschließend kann eine Theorie auch »nur in einem Akt impliziten Wissens als Theorie fungieren«.71 Ohne einen solchen Ablauf können theoretische Konzepte nicht verstanden oder adaptiert werden. Die historischen Ausführungen von Reich zur Ideenentwicklung innerhalb des Labors der American Telephone & Telegraph Company belegen die Relevanz des tacit knowledge im Innovationsprozess. Während der Modellierung der genannten technologischen Theorien rekurrierten die Wissenschaftler, so die Aufzeichnungen der Laborbücher, auf Erfahrungen, die sie durch den Umgang mit Maschinen und technischen Prozessen gewonnen hatten. Dank dieser Orientierungspfeiler sahen sie sich imstande, Theorien zu etablieren, mit denen man das Verhalten von Apparaturen kalkulieren konnte. Daneben stellten 68 M. Polanyi: Implizites Wissen; M. Polanyi: »Tacit Knowing«; T. S. Kuhn: The Structure of Scientific Revolutions. Die ethnografische Fallstudie von Collins gibt wertvolle methodische Hinweise für das Aufspüren von Formen des tacit knowledge: H. M. Collins: Changing Order, Replication and Induction in Scientific Practice. 69 Vgl. T. S. Kuhn: The Structure of Scientific Revolutions, S. 46-47, 191; Vgl. M. Polanyi: Implizites Wissen, S. 33. 70 Vgl. G. Wise: »On Test«, S. 172. 71 Vgl. M. Polanyi: Implizites Wissen, S. 28.

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die Forscher zur praktischen Prüfung dieser Theorien Experimente an,72 welche stets einen routinierten Umgang mit Messinstrumenten, wie etwa für die Justierung einer bestimmten elektrischen Ladung, voraussetzten.73 Demgegenüber ist das technisch formalisierte Wissen des Patents weder in der Lage, einen Erfahrungsschatz noch eine persönliche oder praktische Unterweisung zu vermitteln. Der Leser eines Patents wird daran gehindert, die komplexe Beschreibung einer Innovation in seiner Kohärenz zu erfassen, weswegen es Unternehmen kaum möglich war, per se die patentierte Erfindung der Konkurrenz nachzubauen. So konnte das Labor des Chemiefabrikanten DuPont deutsche Patente der Farbstoffindustrie, die man 1917 erwarb, erst nach einem Jahrzehnt im eigenen Forschungsbetrieb entwickeln und diesem (partiell) anpassen.74 Es kann also nicht nur an technischen Voraussetzungen der Laboreinrichtung oder expliziten Fachkenntnissen, etwa über Materialbeschaffenheiten, sondern ebenfalls an dem inkorporierten ›know how‹ mangeln. Gleichermaßen ist dieses personalgebundene know how auf ein eingespieltes Netzwerk ausgerichtet, dessen ortsgebundene personale (Schulungen), technische (Instrumente), aber auch mediale (Aufzeichnungsmedien und -methoden) Akteure sich an dem Takt einer vorherrschenden Arbeitsorganisation orientieren. Damit lässt sich das tacit knowledge von laborspezifischen Kulturen als ein erprobtes und kollektives Wissen begreifen, welches nur mit großem Aufwand annähernd zu reproduzieren ist bzw. ein ›reverse engineering‹ durch die Konkurrenz erfahren kann. Die Vermeidung eines solch zeit- und kostenintensiven Aufwands mag aus unternehmerischer Perspektive auch ein Grund dafür gewesen sein, dass die Science- and Technology-based Industries sich auf den Patenterwerb – und nicht die Anfertigung von Patenten – in der Zweiten Industriellen Revolution fokussierten. So wurde etwa in der Zeit zwischen 1870 und 1900 die Entwicklung gänzlich neuer, patentierbarer Produkte oder Prozesse meist als Auftragsarbeit an Dritte ausgelagert, zu denen unabhängige Erfinder aber auch Universitätsmitarbeiter zählten.75 Zu den Patentstrategien der Unternehmen gehörte auch der Kauf von Patenten, insbesondere von solchen, die ihre eigenen Marktanteile bedrohten. Auf diesem Weg kontrollierte zum Beispiel die Bell Telephone Company die Entwicklung des Fernsprechwesens.76 Eine analoge Rolle spielte der Zusammenschluss von Unternehmen mit einem daraus resultierenden Pa-

72 Vgl. L. Reich: The Making of American Industrial Research, S. 206. 73 Zur Unabdingbarkeit des Messens für das Experimentieren in der Physik: T. S. Kuhn: »Die Funktion des Messens in der Entwicklung der physikalischen Wissenschaften«, S. 254-307. 74 Vgl. A. D. Chandler: Scale and Scope, S. 228. 75 Vgl. G. Wise: »Ionists in Industry«, S. 11. 76 Vgl. G. C. Bowker: »Der Aufschwung der Industrieforschung«, S. 845.

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tentmonopol. Als prominentes Beispiel ist hier die Fusion von Edisons General Electric und Thomson-Houston 1892 zu General Electric anzuführen.77

DIE JUSTIZIABILITÄT LABORATORISCHER MEDIEN Während Unternehmen im externen Informationsaustausch sehr darauf bedacht waren, die Referenzketten zur laboratorischen Arbeitsorganisation und experimentellen Versuchsanordnung zu kappen, intensivierten sie die firmeninterne Geheimhaltungspolitik. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts versuchten Unternehmen, dem Risiko der Industriespionage durch die strikte Regulierung des laboratorischen Dokumentaustauschs entgegenzuwirken. Um Autorisierungen und Zugangsbarrieren praktisch in die Tat umzusetzen, zentralisierte man beispielsweise die Kontrolle über das Produzieren, Kopieren und Ablegen schriftlicher Dokumente von Industrieforschungslaboren. Angeblich konnten Laborleiter augenblicklich darüber Auskunft geben, in wessen Händen sich Reportkopien befanden und wie viele Kopien zirkulierten. Ebenso hielt man sensible Korrespondenz, Reporte und Labornotizbücher sicher verschlossen.78 Neben der Geheimhaltungspolitik war auch eine innovationsgenerierende Infrastruktur firmenintern aktiv. So richtete das Unternehmen DuPont eigens eine Bücherei für die Mitarbeiter ihrer Industrieforschungslabore ein. Ingenieurs- und technikwissenschaftliche Journale gehörten genauso zum Bibliothekskatalog wie Patentzeitschriften aus Brasilien, Kanada, Deutschland, Britannien, Frankreich und den USA. Kamen Verständnisschwierigkeiten bei der Lektüre von fremdsprachigen Artikeln auf, konnte der laboratorische Angestellte den hauseigenen Übersetzungsservice aufsuchen. Der »Patent Search Room« galt Rechercheaktivitäten und umfasste eine umfangreiche Sammlung von Patentakten der Vereinigten Staaten, die ständig aktualisiert wurde.79 Trafen die unternehmerische Geheimhaltungspolitik und der persönliche Forscherwunsch, erfinderisches Schaffen fernab der Welt des Labors zu präsentieren, zusammen, so traten weitere Akteurskonstellationen in Erscheinung. Exemplarisch hierfür ist das Verfassen von Artikeln anzuführen. Es bestand zwar die Option, in den Firmenzeitschriften »BETTER LIVING« und dem »DuPont Magazine« genauso wie in externen Zeitungen und populären Magazinen zu 77 Vgl. T. P. Hughes: Networks of Power. 78 JoAnne Yates stellt dies für die DuPont Company zu Beginn des 20. Jahrhunderts fest. Vgl. J. Yates: Control through Communication, S. 254. 79 Die Stationen der laboratorischen Informationsinfrastruktur wurde anhand des Handbook for Technical Personnel erschlossen. Chemical Department. Handbook for Technical Personnel, Section F, Intelligence Division, undatiert. Hagley Museum and Library, Manuscripts and Archives Department, Zugangsnr. 1784, Box 23, Mappe Personnel: Benefits, Pensions, Policy 1904 to 1975.

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publizieren, jedoch musste der laboratorische Angestellte vorab die Erlaubnis des Managements und des »Publication Comittee« einholen. Das Publikationskomitee übernahm zudem die Funktion eines ›gate keepers‹, der die Schrift des Industrieforschers hinsichtlich vertraulich zu behandelnder Informationen selektierte und den Prozess bis zur Publikation betreute. Wollte man mit dem Artikel eine firmenexterne Öffentlichkeit adressieren, wurde zudem die PR-Abteilung hinzugezogen. Das agierende Autorenkollektiv schloss Werbepromotion und Zensur zum einen mit der Absicht zusammen, den industriell motivierten Erfinderreichtum imagewirksam zu bewerben, ohne dabei das eigene Geschäft zu schädigen.80 Zum anderen versuchte – wie ein Blick in die Wissenschaftsgeschichte nahelegt – das Unternehmen eine Atmosphäre ›reiner‹ Wissenschaft zu erzeugen. Im Kontrast zur damaligen universitären Forschung wurde die Anstellung in der Industrie oftmals als zweitklassige Berufswahl charakterisiert. Zwar wurde dem industriellen Forscher ein höheres Einkommen zuteil, jedoch ging dies auf Kosten seines Ruhms. Firmen kreierten aus diesem Grund Arbeitsbedingungen, die der universitären Forschung möglichst ähnelten. Zur Publikation zu ermutigen, ist daher als ein Versuch zu werten, die zumeist im Hintergrund stattfindende Arbeit der Industrieforscher als eine prestigeträchtige nach außen zu kehren.81 Wendet man sich erneut der laboratorischen Informationsinfrastruktur zu, dann stellt sich zudem heraus, dass sie vor allem auf die Justiziabilität des Unternehmens ausgerichtet wurde. Auf Basis dieser sollte die personale Integrität mit der unternehmerischen Gerichtsbarkeit Hand in Hand gehen. Archivarische Dokumente der DuPont Company zeugen davon, dass bis in die 1920er Jahre das Verfassen von Geheimhaltungskriterien zur Agenda der laboratorischen Forschung und ihrer Patentabteilungen gehörte. So stellten Geheimhaltungsvereinbarungen ein Kernelement des Arbeitsvertrags dar, mit dessen Unterschrift der Forschungsangestellte seine absolute Vertraulichkeit besiegelte. In einer am 15. Dezember 1920 gültigen Vertragsfassung hieß es zum Beispiel: »That said employe [sic!] shall not directly or indirectly disclosure or use at any time, either during or subsequent to the said employment, any confidential information, knowl-

80 Chemical Department. Handbook for Technical Personnel, Section F, Intelligence Division, undatiert. Hagley Museum and Library, Manuscripts and Archives Department, Zugangsnr. 1784, Box 23, Mappe Personnel: Benefits, Pensions, Policy 1904 to 1975. 81 Zu den Diskursen und dem Mythos ›reiner‹ und ›angewandter‹ Wissenschaft: G. C. Bowker: »Der Aufschwung der Industrieforschung«, S. 851. Mit Nachdruck bleibt darauf hinzuweisen, dass die universitäre Forschung vertraglich an industrielle oder militärische Auftraggeber gebunden war (und ist). Zur Patentierung von Forschungsergebnissen US-amerikanischer Universitäten in den 1920er und 1930er Jahren siehe: R. D. Apple: »Patenting University Research«.

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edge, or data of said employer (whether or not obtained, acquired, or developed by him), unless he shall first secure the written consent of the employer to such disclosure or use.«82

Dass die Zirkulation patentierbaren Wissens trotz unterzeichneter Vertraulichkeitserklärung weiterhin risikoreich eingeschätzt wurde, illustriert das Vorhaben, die Face-to-Face Kommunikation fernab des Arbeitsplatzes zu regulieren. Dem Problem einer kaum kontrollierbaren mündlichen Informationspreisgabe nach Feierabend schien sich DuPont durchaus bewusst gewesen zu sein. Das an die Mitarbeiter zirkulierte Handbook of Information Regarding Routine Practices widmete sich mit Nachdruck dieser ›leak‹-Möglichkeit. So hieß es etwa: »Since the research carried on at the [laboratory] is of a confidential nature, it must not be discussed with any person outside the Company except as the result of specific instructions. It may be discussed with other members of the [laboratory] staff with the approval of the group head.«83 Ob dieser ›erhobene Zeigefinger‹ wirksam war, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden. In dem Rundschreiben zur »Du Pont Policy Relative to Secrecy of Technical Information« vom 21. November 1929 ging man soweit, den Umfang potentiell vertraulicher Informationen zu entrahmen. Dem Schriftstück nach verfügten die meisten Mitarbeiter nicht über die nötige Expertise, zwischen wichtigen und unwichtigen Informationen unterscheiden zu können. Die DuPont Company hielt es schlussendlich für ratsam, alle firmenbezogenen Informationen als potentielle Geschäftsgeheimnisse zu statuieren.84 Während diese Regularien dem Schutz patentierbaren Wissens dienten und die Loyalität des Forschungsangestellten zusichern sollten, wurde das Medium des Labornotizbuches samt der beschriebenen experimentellen Geschehnisse und laboratorischen Resultate bemerkenswerterweise auf die firmenferne Offenlegung ausgerichtet. Schnell wird man bei der Betrachtung eines Labornotizbuches auf die vielen Stempel aufmerksam, die sowohl auf der Innenklappe als auch auf den Buchseiten zu finden sind. Markiert wurden auf diese Art der unternehmerische Eigentümer, eine bürokratische Identifikationsnummer genauso wie eine Unterschriftsanweisung an den buchführenden Forschungsangestellten. Vorrausschauend wurden alle Blätter des Notizbuches mit der Seiten-

82 Zitiert wurde diese Passage in einem Briefwechsel zwischen dem unternehmerischen Rechtsabteilung und einer laboratorischen Einrichtung: Legal Department, Patent Division an Chemical Department, Brief vom 23. Januar 1930. Hagley Museum and Library, Manuscripts and Archives Department, Zugangsnr. 1784, Box 23, Mappe Personnel: Benefits, Pensions, Policy 1904 to 1975. 83 Zitiert nach Willard Sweetmann an C. H. Biesterfeld, Brief vom 13.12.1929. Hagley Museum and Library, Manuscripts and Archives Department, Zugangsnr. 1784, Box 23, Mappe Personnel: Benefits, Pensions, Policy 1904 to 1975. 84 M. D. Fisher an C. M. A. Stine, Brief vom 21.11.1929. Hagley Museum and Library, Manuscripts and Archives Department, Zugangsnr. 1784, Box 23, Mappe Personnel: Benefits, Pensions, Policy 1904 to 1975.

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zahl gestempelt – ein Vorgehen, durch das man nicht unbemerkt eine Notiz entfernen konnte (Abb. 4.4).

Abb. 4.4: Labornotizbuch der General Electric Company aus dem Jahre 1948 – exemplarische Seiten

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Dem hier aufgeführten archivarischen Fundstück waren zudem Informationsmaterialien der Rechtsabteilung General Electrics aus den Jahren 1939 und 1946 beigefügt, welche dem Labormitarbeiter die potentielle Relevanz seiner Notizen beschrieben. Im Falle eines rechtswirksamen Wettbewerbs zwischen rivalisierenden Erfindern vermochten es seine Aufzeichnungen, die Priorität der unternehmenseigenen Innovation gegenüber einer der Konkurrenz zu ermitteln. Zum einen traf dies ein, wenn zwei Patentanmeldungen verschiedener Unternehmen zur gleichen Zeit vom US-Patentamt geprüft wurden. Zum anderen konnte das Labornotizbuch hinzugezogen werden, wenn ein bereits erteiltes Patent zu einem streitbaren Gegenstand vor Gericht wurde.85 Die Patentabteilung von General Electric fasste die Beweiskraft dieses medialen Zeugen wie folgt zusammen: »[When] it becomes necessary for some tribunal to determine the question of priority by consideration of the various items of evidence which the conflicting parties produce. In this connection properly authenticated written records constitute the most persuasive evidence which can be provided.«86 Auf die Frage, wie die Beweiskraft des Dokuments beglaubigt werden konnte, gaben die Anwälte eine detaillierte Antwort. In erster Linie sollte das sorgfältige Datieren und tägliche Aufzeichnen von Informationen den Ideenreichtum authentifizieren. Erst ein mit Datum versehener, verschriftlichter Gedanke machte den kreativen Schöpfungsmoment des Erfindens glaubwürdig. Naheliegend erscheint zwar, dass der Erfinder seine Heureka-Momente selbst bestimmte, jedoch wiesen die Patentabteilung ein solches Vorgehen scharf zurück. Gerichte seien längst – so die Argumentation – zu dem Schluss gekommen, dass das Eigeninteresse oder die Erinnerung die Aussage eines Erfinders verfälschen bzw. trüben könnten.87 Um nicht den Eindruck einer mutwilligen Manipulation der handschriftlichen Notizen zu erwecken, wurden dem Forschungsangestellten diverse Strategien an die Hand gegeben. Die Einträge des Labornotizbuches verfügten alsdann einen unveränderten Status, sobald ein personaler Zeuge, bestenfalls der Laborleiter, den Eintrag im Notizbuch etwa so gegenzeichnete: »Read and Understood John Doe March 16, 1939«88

Vergaß der Industrieforscher ein beobachtetes experimentelles Geschehen zu notieren, durfte er unter keinen Umständen eine bereits bestehende Notiz er-

85 Anonymus: »The Keeping of Patent Records«, 20. März 1939. University at Albany, M. E. Grenander Department of Special Collections and Archives. Duncan Blanchard Collection. Blanchards Laboratory Notebooks. Notebook Nr. 1. 86 Ebd. 87 Ebd. 88 Ebd.

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gänzen. Stattdessen sollte er unter dem aktuellen Datum darauf hinweisen, dass das Phänomen in der Vergangenheit beobachtet wurde. Es bestand zudem die Pflicht, ausschließlich mit Tinte zu schreiben, womit Löschungen erschwert wurden. Kam es zu einem fehlerhaften Eintrag, musste dieser schlicht in situ durchgestrichen werden. Die Rechtsabteilung bestand zudem auf einer lückenlosen Aufzeichnung im wortwörtlichen Sinn. Freie Seiten oder Zeilen waren zu vermeiden – eine Anweisung, die wahrscheinlich der Möglichkeit des nachträglichen Ergänzens entgegenwirken sollte.89 Um gänzlich dem Vorwurf der Manipulation von Aufzeichnungen zu entgehen, erteilten die Firmenanwälte auch den Rat, Einträge abzufotografieren und das Filmmaterial mit dem Datum des Notizbucheintrages zu versehen. Zu guter Letzt legte die Rechtsabteilung im Sinne verdichtender Beweise nahe, ein weiteres Schriftstück aufzusetzen, in dem der Erfinder einer anderen Person mit ähnlich gelagerter Expertise seine Ideen preisgab oder vice versa dieser Forschungskollege Zeugnis über die Offenlegung abgelegte. Die daraus hervorgehenden Dokumente wurden selbstredend für eine mögliche zukünftige Nutzung von der firmeninternen Rechtsabteilung archiviert.90 Das unternehmerische Patentmanagement ersteckte sich nicht allein auf das justiziable Medium des Labornotizbuchs, sondern ebenso auf standardisierte Formulare, die die bürokratische Natur des Verrechtlichens im firmeninternen Umfeld unterstrichen. So informierten Formulare zum einen den Erfinder über die Patentanmeldung, wie dieses vom Firmenanwalt Albert G. Davis zur Verfügung gestellte Dokument darlegt: »Dear Sir:We have today docketed according to your letter invention .

a patent application on your

The docket number is . I would be glad to have you use this number in any further correspondence in connection with this invention. The case will be taken up for action as soon as possible. Yours truly, Albert G. Davis«91

89 C. G. Suits: »General Notice«, 05. 10. 1946. University at Albany, M. E. Grenander Department of Special Collections and Archives. Duncan Blanchard Collection. Blanchards Laboratory Notebooks. Notebook Nr. 1. 90 Anonymus: »The Keeping of Patent Records«, 20. März 1939. University at Albany, M. E. Grenander Department of Special Collections and Archives. Duncan Blanchard Collection. Blanchards Laboratory Notebooks. Notebook Nr. 1. 91 Formular entnommen aus dem Mikrofiche-Band-Nr.: 1904-1913. Museum of Innovation and Science.

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Zum anderen wurde dem angestellten Forscher auf standardisierte Art eine Ablehnung seiner erfinderischen Leistung vermittelt, wie dieser Ausschnitt zeigt: »We have decided that it is not at the present time advisable to file a patent application on the invention disclosed in your case Docket No relating to . Mr. Anderson will be glad to discuss this with you and to show you references. This decision is usually reached by reason of references which either entirely anticipate the invention or leave so little novelty that it is not considered worth while to file an application. The invention however still remains the property of the Company, which retains whatever title there may be to it and which may decide late to file an application for it.«92

Erneut wird die zeitliche Dimension als das zu positionierende Schwergewicht im Informationsaustausch benannt. Im Zentrum der justiziablen Medien der laboratorischen Infrastruktur geht es weniger darum festzulegen, was eine Erfindung ist, da diese Frage aus unternehmerischer Warte wohlwissend ohnehin bereits durch die konstruierten Kategorien des Patentrechts beantwortet wurde. Firmenintern konzentrierte man sich vielmehr darauf, wann etwas eine Innovation ist. Datierte Notizbucheintragungen genauso wie die datierte Aktenkundigkeit des patentrechtlichen Anmeldeverfahrens definierten maßgeblich den kapitalisierbaren Wert einer Erfindung.93 Interessanterweise behielt sich die Rechtsabteilung selbst im Falle eines ungeeignet erscheinenden Zeitpunkts das Recht vor, den Status der Idee, Vorrichtung oder Methode als Innovation nicht gänzlich abzuerkennen, wenngleich die patentrechtliche Neuheit in Zweifel gezogen wurde. Was sagt dies nun über den Status der Innovation aus? Während im Kontext der im Arbeitsvertrag regulierten Eigentumsübertragung die Idee oder Apparatur im Hier und Jetzt als Innovation gilt, steht sie im Sinne patentrechtlicher Verwertung und Verifizierung jedoch ganz im Zeichen von Latenz und Potenzialität. Die Erfindung existiert zwischen Gegenwart und Zukunft, zwischen Aktualität und Potenzialität. Wann und dass etwas als Erfindung in Erscheinung trat, unterlag dabei der Entscheidungshoheit der firmeninternen Patentanwälte, welche die Justiziabilität des Unternehmens verantwortete.

92 Formular entnommen aus dem Mikrofiche-Band-Nr.: 1904-1913. Museum of Innovation and Science. 93 Dass die Geschichte und Auffassung des Rechts maßgeblich von der Aktenführungen beeinflusst wurde, zeigt eindrucksvoll C. Vismann: Akten.

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JUSTIZIABLE KOMPLIZENSCHAFT Lenkt man die Aufmerksamkeit auf die Praktik des Verrechtlichens und des justiziabel Machens, tritt die Produktivität des heuristischen Programms der Science and Technology Studies für die Mediengeschichtsschreibung deutlich hervor. Den Akteuren, ihren technischen und textuellen Materialiäten, ihren Professionalisierungen und ihrem kollektiven Auftreten zu folgen, bedeutet mehr, als sie nur auf die Rolle von Informanten zu beschränken. Es bedeutet, den Akteuren die Fähigkeit zuzugestehen, eigene Theorien darüber zu entwickeln, woraus das Rechtssystem besteht, auf welche Weise man sein Recht auf den Schutz des geistigen Eigentums verteidigt oder zumindest, wie man auf diesem Recht gewinnbringend beharren kann. Dass das heuristische Programm nicht zu unterschätzende methodische Herausforderungen an die Medienforschung stellt, wird deutlich, wenn man sich Bruno Latours Ausführungen in Reassembling the Social in Erinnerung ruft: »Your task is no longer to impose some order, to limit the range of acceptable entities, to teach actors what they are, or to add some reflexivity to their blind practice. Using a slogan from ANT, you have ›to follow the actors themselves‹, that is try to catch up with their often wild innovations in order to learn from them what the collective existence has become in their hands, which methods they have elaborated to make it fit together, which accounts could best define the new associations that they have been forced to establish. If the sociology of the social works fine with what has been already assembled, it does not work so well to collect anew the participants in what is not – not yet – a sort of social realm.« 94

Dem Latourschen Vorschlag nach ist es ratsam, nicht die eigenen a apriori- Erwartungen und theoretischen Konzeptionen als Orientierungspfeiler zu verwenden, sondern die zu untersuchenden Akteure als mündige und handlungsfähige Instanzen zu begreifen. Geht man im Detail ihren Theorien und Ontologien nach und bewegt sich innerhalb der Rahmungen, die die Akteure als den Geltungsbereich ihrer Handlungen festlegen,95 lassen sich lehrreiche Einsichten zur Kollektivbildung des Sozio-Technischen ableiten. Den Kompass der rekonstruktionsintensiven Expedition bilden dabei die Praktiken der Akteure: sie sprechen für sich selbst.96 Hört man ihnen jedoch genau zu – ein Versuch, der hier durch die praxeologisch orientierte Beschreibung des Erfinderschutzes vom Privilegiensystem zum modernen Patentrecht unternommen wurde – gibt dies Anlass, 94 B. Latour: Reassembling the Social, S. 11-12. 95 Siehe auch Ebd., S. 147. 96 In Anlehnung an die Science and Technology Studies poiniert und entwickelt Kjeld Schmidt den methodischen wie theoretischen Wert der Praxis weiter. K. Schmidt: »›Practice Must Speak For Itself‹«.

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die heuristischen Maxime der Science and Technology Studies zumindest für den Bereich justiziabler Medien mit einem Zusatz zu versehen. Werden nämlich die Praktiken der Beweisführung vor Gericht und im Patentamt genauso wie die vertraglichen Vorsichtsmaßen zur Regulierung von Informationsflüssen der Industrieforschung mit der Ernsthaftigkeit behandelt, wie sie die historischen Akteure bei ihrer Formierung und Aushandlung aufbrachten, tritt ihre Unaufrichtigkeit in Form von illegitimen Methoden und extensiven Reinigungsarbeiten hervor. Den Akteuren zu folgen und ihnen agency zuzugestehen, bedeutet gleichermaßen auch, ihnen zu misstrauen. Im Sinne einer praxeologischen Konzeptualisierung sind die agierenden Kollektive im Rechtsbereich der Industrieforschung letztendlich als eine Form justiziabler Komplizenschaft zu markieren. Patente traten selten alleine in Erscheinung. Vielmehr waren sie außerordentlich an ein soziotechnisches Kollektiv gebunden, welches aus Labornotizbüchern, Formularen, Patentprüfern, Wissenschaftlern und Firmenanwälten bestand. Die kollektive Wirksamkeit formte und sicherte die unternehmerische Loyalität und die Kapitalisierbarkeit von Forschung. Jedoch ging von ihr auch eine destruktive Kraft aus der Perspektive des geltenden Patentrechts, der Konkurrenz sowie der Amateurkultur aus: »Patents petrified the process of science, and the frozen fragments of genius became weapons in the armories of science-based industry«,97 so der Wissenschafts- und Technikhistoriker David Noble zur Nutzung des geistigen Eigentums durch den Industriekapitalimus. Ob die Komplizenschaft zerfiel bzw. als solche enttarnt wurde oder ob ihr Auftrag der Geheimhaltung erfolgreich war, zeigte sich erst im Falle der juristischen Prüfung. In diesem Sinne sind das Patentamt und Gericht als zentrale Orte von Prüfungen zu begreifen, die die Bande der Komplizenschaft einer Zerreißprobe unterzogen. Inwieweit das Patent seinen Produktionsprozess und die Organisation dieses Prozesses trotz der rechtlichen Ansprüche angemessen geheim hielt oder Labornotizbücher die Neuheit der Innovation und Originalität des Erfinders tatsächlich beweisen konnten, unterlag der firmenfremden Gerichtsbarkeit. Die Informationspreisgabe besaß das Potenzial, die Nachahmung von Erfindungen zu gestatten oder zu verhindern, sowie die Schutzwürdigkeit der Erfindung aufzuheben, was für die Macht und Ohnmacht von Unternehmen und ihren Konkurrenten entscheidend war. Es ist nachvollziehbar, warum das zuerst von allen Seiten privilegierte Medium des Patentmodells im 19. Jahrhundert ohne Widerstand der Industrieunternehmen verschwunden ist. Im Kontrast zu dem vagen und mehrdeutig auslegbaren – daher retrospektiv veränderlichen – Informationsgehalt eines Patents bargen die eindeutigen und unveränderlichen, da in materiell-technische Zusammenhänge inskribierten Informationen des Patent-

97 D. Noble: America by Design, S. 110.

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modells die Gefahr, eine zu umfangreiche agency und Mündigkeit zu besitzen. Diese entsprach einer ebenso materialisierten wie justiziablen Vollmacht, wohingegen die Patentschrift vorteilhafterweise auf ihre Fürsprecher, sprich: ihre Advokaten angewiesen blieb. Die Prüfung eines Patents bezieht sich daher weniger auf die Stabilität der beschriebenen Innovation, als auf die Stabilität der Verknüpfung alliierter Komplizen. Mit Blick auf die Korruption von Patentprüfern und den von ihnen genutzten bürokratischen Verfahren oder auch die mit Datum und Signatur versehenen Labornotizbucheintragungen sind die Übergänge zwischen firmeninterner Allianzen und institutioneller Netzwerke als fließend zu bezeichnen. Zudem kristallisiert sich heraus, dass sich Patentanwälte die justiziablen Verfahren ihrer eigentlichen Kooperationspartner aneigneten, um sie erfolgreich hintergehen zu können. Formen der Komplizenschaft bewegten sich daher nicht außerhalb des Rechtssystems, sondern sie reagierten auf das Patentrecht und adaptierten dieses je nach Bedarf zu ihrem Vorteil. Aus den laboratorischen Infrastrukturen des beginnenden 20. Jahrhunderts lässt sich darüber hinaus ablesen, dass die personalen und medialen Komplizen nicht zufällig zueinander fanden oder per se wechselseitig aufeinander abgestimmt waren. Die Infrastruktur wurde hingegen in räumlicher, organisatorischer und informationeller Hinsicht darauf ausgerichtet, der unternehmerischen Justiziabilität die Treue zu leisten. Und zu guter Letzt erwies sich das Industrieforschungslabor damit als ein weiterer Prüfungsort, weshalb der potentielle Verrat im Unternehmen stets als Option mitbedacht wurde. Mit Arbeitsverträgen samt Eigentumsübertragungsklauseln, Geheimhaltungsvereinbarungen und Publikationsrichtlinien versuchten Firmen notwendigen Inklusionen und Exklusionen Herr zu werden. An dieser Stelle kommt man nicht umhin, die Schattenseite der modernen Bürokratie zu bemerken. Nachdem sie in der Zweiten Industriellen Revolution die Systematisierung betrieblicher Abläufe erlaubte und mit ihr koordinative Krisen überwunden wurden,98 steigerte sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Risiko der Industriespionage. Grund dafür war das Aufeinandertreffen zweier Faktoren: das dokumentenbasierte Forschungsmanagement sowie der laboratorische Fokus der Patentfabrikation. Obwohl durch das aufsteigende Forschungsmanagement Dokumente geschaffen wurden, deren sich die Patentanwälte bedienen konnten, ermöglichte ihre schiere Flut die unbemerkte Weitergabe sensibler Informationen in einem Forschungslabor um ein Leichtes.

98 J. Yates: Control through Communication; J. R. Beniger: The Control Revolution.

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WENN MAN DAS RECHT AUF SEINER SEITE HAT Wird die Geschichte von industriellen Innovationen wie Telefon, Telegraf, Fotokamera oder Phonograph nicht durch ihren gesellschaftlichen Diskurs oder durch eine Chronologie von Erfindungen rekonstruiert und erfährt stattdessen eine praxeologische Bertrachtungsweise, zeigt sich die Wirkmächtigkeit juristischer Größen. Sie sind Teil derselben Mediengeschichte. Gleichermaßen ist Vorsicht geboten, denn die unternehmerische Geheimhaltungspolitik und justiziable Komplizenschaft gibt Impulse für die Reinterpretation des Patents als repräsentatives Medium der Innovation, das als solches bis heute maßgeblich das Verständnis von Innovation beeinflusst.99 Neben der Bestimmung der wahren und zumeist einzigen Erfinderpersönlichkeit und der Originalität der Erfindung trägt das Patent zur Mythenbildung über geplante Forschungsvorhaben und global funktionsfähige Innovationen bei. Faktoren wie Teamarbeit und ihre Verfahren der Ideengenerierung, die Notwendigkeiten lokaler Improvisationen und Adaptionen und die Relevanz von Kontingenzen für eine Erfindung können schon aus unternehmerischem Interesse nicht in ein Patent aufgenommen werden. Demgegenüber kappt das Patent die Referenzen zu seiner lokal situierten Entstehungsgeschichte und entspricht dem vom Patentrecht vermittelten Verständnis bzw. eingeforderten Ansprüchen weltumfassender Reichweite und eines holistischen Geltungsbereichs. Aber auch ungeachtet dieser juristischen Ansprüche operierte eine laborspezifische und geheime Weitergabe von Informationen zwischen Wissenschaftlergenerationen, die formgebend für die Entwicklung der Industrieforschung war. Dieser Wissenstransfer umfasst ebenso explizite Fachkenntnisse wie implizites Wissen. Wie Adrian Johns in seiner Schrift Piracy nachzeichnet, kritisierte Michel Polanyi scharf die Patentstrategien von Unternehmen in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Die Hemmung technischen Fortschritts durch Patente mündete im Kreativitätsverlust der (Industrie)Forschung. Die Fluten angemeldeter Patente wie auch ihre dubiöse Qualität machten es vielen Einzelerfindern und Amateueren unmöglich, Forschungsgebiete zu erschließen, da die Rechtsprechung zum Schutze des geistigen Eigentums hauptsächlich den Firmen zugutekam. Kaum verwunderlich ist es, dass Johns das »tacit property« der monopolbildenen Patentfabrikation am Beispiel der Bell Laboratories veranschaulicht. Während man in der Anfangsphase der Bell Laboratories Industrieforscher anstel99 Die Konsequenzen auf die Mediengeschichtsschreibung beschreibt Albert KümmelSchnur folgendermaßen: Im Fokus medienhistorischer Erzählungen steht die Operation des Erfindens, dessen treibende Kräfte zumeist die Erfinderpersönlichkeit, Jahreszahlen und das erfundene Artefakt darstellen. Auch bei seinen Untersuchungen stieß Kümmel-Schnur darauf, dass diese Eckdaten zumeist auf patentrechtliche Informationen zurückzuführen sind. A. Kümmel-Schnur: »Patente als Agenten von Mediengeschichten«, S. 15-16.

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lte, um zuhauf patentierbare Verbesserungen vorzunehmen, wurde die Stragegie erst dann geändert, als man dadurch einer Generation von unabhängigen Erfindern den Weg versperrt hatte. Von nun an standen radikale neue Erfindungen auf der Forschungsagenda. In der Zeit zwischen 1916 und 1935 investierten die Bell Laboratories dazu 250 Millionen US-Dollar in die Industrieforschung. Dennoch blieb das Ziel, Forschungsfelder zu besetzen, bestehen.100 Trotz der Antitrust-Gesetzte und eines Patentrechts, das demokratisch dafür einstand, jedem Erfinder den Schutz seines geistigen Eigentums zu gewähren, gelang es Unternehmen Monopole zu bilden. Während im 19. Jahrhundert die Reformulierung des Patentrechts mitverantwortlich war für die Abschaffung der Patentmodelle und damit für die Zurückdrängung der Amateurkultur, versperrte die firmeninterne Patentmaschinerie im 20. Jahrhundert unabhängigen Erfindern den Weg, indem sie ganze Forschungsgebiete auf rechtlich legitime Art und Weise einnahm. In gewissem Sinne missbrauchten Konzerne den Erfinderschutz, um das Patentrecht als Privilegienrecht nutzbar zu machen – ein Recht, dessen Vorzüge sie ausschließlich selbst genossen. Blickt man noch einmal auf den Übergang vom mittelalterlichen Privilegiensystem zum modernen Patentrecht, ist eine medienwissenschaftlich relevante Entwicklung abzulesen. Während im Privilegiensystem Erfinder der Handwerkskunst verpflichtet waren oder als Importeure von Technologien die Bühne betraten, versetzte die Abwendung vom Gebot materiell-technischer Offenlegung durch das Patentrecht den Erfinder in eine Autorenrolle. Wie risikobeladen diese Rolle war, wird durch den fortwährenden Kampf um die Urheberschaft in Patenten und Publikationen in Fachzeitschriften deutlich. Techniken der Piraterie, wie sie Kümmel-Schnur mit der »zirkulierende Autorschaft« beschreibt, traten im 19. Jahrhundert in Erscheinung. Die Ursprünglichkeit des Erfinders als Schöpfer geistigen Eigentums wich Verweisketten, die sich entlang diverser Journale erstreckten. Aber letztendlich zählte weniger die Autorschaft in Fachpublikationen, sondern die Autorschaft hinsichtlich patentrechtlicher Dokumente.101 Einmal mehr wird deutlich, wieso die Industrieforschung und ihre Rechtsabteilungen intensiv an der Referenz- und Geschichtslosigkeit ihrer Patente und Veröffentlichungen arbeiteten. Gleichermaßen setzte man auf Bündnisse der justiziablen Komplizenschaft, gerade weil sie eine Reihe juristisch gewinnbringender bzw. beweisdienlicher Referenzen erzeugte. Komplizenschaften, zirkulierende Autorschaften aber auch die Argumentationsstrategien von Anwälten sind wahrscheinlich der Grund dafür, dass im Laufe der Geschichte der Vorgang des Patentierens zunehmend klarer formuliert und in bürokratischer und juristischer Hinsicht strikter reguliert wurde. Normen für Texte und Zeichnungen werden aktuell derart verfasst, damit sie weniger gegeneinander auszuspielen sind oder sich ambivalent überlagern können. Die 100 A. Johns: Piracy, S. 407, 418-419. 101 Vgl. A. Kümmel-Schnur: »Zirkulierende Autorschaft, S. 231.

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Ansprüche an Patentbeschreibungen sowie die einzureichenden Zeichnungen werden heute haarklein im Manual of Patent Examining Prozedure beschrieben. Der mehrbändigen Text, herausgegeben durch das US Patent and Trademark Office, ist sowohl von Patentprüfern als auch von Anwälten zu befolgen.102

102 Manual of Patent Examining Prozedure zu finden unter https://www.uspto.gov/web /offices/pac/mpep/index .html.

5 Entwickeln Das projektübergreifende Arbeiten in der Geschichte des Pallophotophones1

DAS BERGEN UNTERGEGANGENER MEDIENTECHNOLOGIEN In den frühen 1990er Jahren folgten ehrenamtliche Mitarbeiter der Hall of Electrical History der Einladung General Electrics eines ihrer ausgedienten Fabrikgebäude zu besichtigen. In einem Warenlager stolperten die Besucher über einen Stapel verwitterter Filmdosen. In diesen seit ca. 60 Jahren verschlossenen Behältern entdeckten sie auf 35mm-Kodakbändern, nicht wie sie zunächst erhofft hatten, Sequenzen filmischer Aufnahmen, sondern pegelförmige Ausschläge von Tonspuren. Verblassten Beschriftungen zufolge, handelte es sich dabei um Programmaufnahmen des von General Electric 1922 gegründeten Radiosenders WGY. Beigelegte Notizen gaben darüber Auskunft, dass diese Überbleibsel in Zusammenhang mit der sogenannten »Pallophotophone«-Forschung von Charles A. Hoxie standen, einem damaligen Erfinder des ingenieurwissenschaftlichen Labors. Man übergab die Materialien an das Archiv des Museum of Science and Innovation in Schenectady im Bundesstaat New York, welches die historische Sammlung des Unternehmens betreut. Und auch hier ruhte der historische Korpus vorerst, bis im Jahre 2008 der Museumsunterstützer und ehemalige Industrieforscher von General Electric John Schneiter und der Archivar Chris Hunter bei einer Sichtung der historischen Filmbestände erneut auf die Fundstücke stießen. Hunter machte sich daran, den Arbeitsbereich von Charles A. Hoxie und seiner Pallophotophone-Forschung zu kontextualisieren – eine Rekonstruktionsarbeit, die sich zunächst als überaus diffus herausstellte. Denn in den Blick der Presse gerieten die Forschungsprojekte von Hoxie im Jahre 1927 hauptsächlich als kinematografische Soundinnovation und keineswegs als Aufzeichnungsmedium für Radiosendungen.2 Da von General Electric keine pallophotophone Apparatur erhalten geblieben war, erschwerte das Fehlen eines Abspielgerätes die Arbeit des Archivars zuseh1 2

Für dieses Kapitel wurde auf Archivalien der Forschungsinstitution Museum of Innovation and Science, Schenectady, NY zurückgegriffen. Diese Institution führt die Sammlung des US-amerikanischen Unternehmens General Electric. Chris Hunter, 17. 06. 2010: »The Dancing Light. Very Rough Draft«. Informationsmaterial zur Pallophotophone Collection verfasst vom Archivar des Museum of Innovation and Science.

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ends. Daher involvierte Schneiter kurzerhand seinen ehemaligen Forschungskollegen, den optischen Ingenieur Russell DeMuth, der noch heute bei General Electric in der industriellen Forschung tätig ist. Dieser willigte ein, mit Hilfe von Patenten und archivierten Fotografien das Pallophotophone zum Abspielen der Tonbänder nachzubauen. In seiner heimischen Bastler-Werkstatt entwickelte er eine dem ca. 89 Jahre alten Pallophotophone ›ähnelnde‹ Maschinerie. Versehen wurde diese Apparatur mit technischen Neuerungen wie modernen Motoren und einer Computerverknüpfung zur digitalen Speicherung und zum Abspielen der Tonaufnahmen. Am 30. Januar 2009 gelang es DeMuth die erste Bandaufnahme abzuspielen (Abb. 5.1).3

Abb. 5.1: Das Pallophotophone aus dem Jahre 1922 und seine aktuelle Adaption Maßgeblich ist es dieser technischen Bricolage und dem ehrenamtlichen und archivarischen Engagement zu verdanken, dass die Überreste des Pallophotophones nicht in den Untiefen eines Fabrikgebäudes verschollen blieben sowie eine Untersuchung für medienhistorisch Forschende ermöglicht wurde. Das vorliegende Kapitel bedient sich dieser Vorarbeiten und hält erstmals detailliert die Historie des Phallophotophones unter besonderer Berücksichtigung seines Innovationsweges fest. Bei der kaum bekannten Medienerfindung handelte es sich um eine der frühsten Anstrengungen in der Mediengeschichte, Klänge und die menschliche Stimme auf filmischem Zelluloidmaterial zu fixieren. Für dieses Verfahren der Tonaufzeichnung waren zum damaligen Zeitpunkt diverse Zwecke denkbar. So

3

Zur Anschaulichkeit von Russell DeMuths Konstruktion siehe das eingebundene Video bei J. Grahme: »Recreating the RCA Photophone« unter https://www.retrothing.com /2010/06/recreating-the-rca-photophone.html.

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versuchte die Industrieforschung General Electris das Pallophotophone als Messinstrument in der Anthropologischen Linguistik einzusetzen. Dieser Forschungszweig untersuchte die Sprache der guatemalischen Kultur der Quiché im Jahre 1922. Das Unterfangen, die Apparatur für metrologische Zwecke der Sprachaufzeichnung und -analyse geltend zu machen, missglückte jedoch. Zudem erhoffte General Electric, die Hollywoodindustrie mit der Etablierung des Tonfilms zu erobern. In den 1920er Jahren vermochte sich die pallophotophone Methode jedoch zunächst nicht gegen die der Konkurrenz des Unternehmens Western Electric durchzusetzen. Es bedurfte weiterer Anläufe anderer Unternehmen wie der Radio Corporation of America bis das Pallophotophone Anwendung in den USamerikanischen Kinotheatern fand. Die Durchsetzung dieser Technologie konnte General Electric als Erfolg daher nicht für sich bilanzieren. Indem dieses Kapitel dem Pallophotophone einen Platz in der Mediengeschichte einräumt, wird einem methodischen Postulat der frühen Science and Technology Studies gefolgt, welches als »Bloorsches Symmetrieprinzip« Bekanntheit erlangte. David Bloor beschrieb, dass in den naturwissenschaftlichen ›hard sciences‹ hervorgebrachte Erkenntnisse auf Merkmale zurückgeführt würden, die außerhalb des Einflussbereichs sozialer Dynamiken lägen. Obwohl es kein absolutes oder empirisches Kriterium in der Naturwissenschaft gebe, welches über die Richtigkeit einer theoretischen Aussage entscheiden kann, würden ›scientific communities‹ die Offenheit und Unabgeschlossenheit von Forschungsprozessen leugnen. So werde Wissen konsolidiert und als naturgemäße Tatsache dargelegt,4 deren Gültigkeit in Lehrbüchern kaum angezweifelt werde.5 Allerdings betreibe man eine »Irrtumssoziologie«, wie die Bezeichnung andeutet, genau dann, wenn jene Wahrheiten als Fehleinschätzungen aufgedeckt werden. Die Ursachensuche starte in diesem Fall im Sozialen.6

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5

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Im Detail wird im Kap. Standardisieren darauf eingegangen, wie wissenschaftliche Einrichtungen darüber hinwegtäuschen, dass ihre Wissenssysteme aus sozialen Arrangements hervorgegangen sind. In Anschluss an die Sozialanthropologin Mary Douglas folgen Institutionen dem stabilisierenden Prinzip einer »Naturalisierung«. In ihren Wissenssystemen verbinden Institutionen das Soziale mit Kategorien der physikalischen und natürlichen Welt insoweit, als das es nicht mehr als ein Konstrukt, sondern als naturgemäß wahrgenommen wird. Vgl. M. Douglas: Wie Institutionen denken, S. 84-85. Wie die Wissenschafts- und Techniksoziologen Harry Collins und Trevor Pinch im Golem der Forschung beschreiben, unterläuft ein »experimenteller Regress« das wissenschaftliche Studieren in Laboratorien. Während des Experimentierens sind exakte Ergebnisse kaum erzielbar. Solange man sich im Unklaren ist, welches das konkrete Resultat des Versuchs sein wird, lässt sich nicht beweisen, das Experiment richtig durchgeführt zu haben. Angesichts dieser Lage wird auf soziale Strategien gesetzt, durch die Kategorien wie Glaubwürdigkeit, Machtverhältnisse und Arbeitsorganisation einer scientific community stärkere Aufmerksamkeit erfahren. Eine solche Analyse legt nahe, dass Resultate der scientific communities nicht allein experimentell verifiziert, sondern begleitend sozial arrangiert werden. Vgl. H. Collins/T. Pinch: Der Golem der Forschung. Vgl. D. Bloor: Knowledge and Social Imagery, S.8.

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Diese asymmetrische Behandlung erzeugt laut Bloor eine verzerrende Darstellung der naturwissenschaftlichen Faktenproduktion, weswegen er ein Plädoyer für eine unparteiische Perspektive auf Wahrheit/Unwahrheit, Rationalität/Irrationalität und Erfolg/Misserfolg verfasst. Macht man es sich zur Aufgabe, die Geschichte der Wissenschaft und Technik zu schreiben, sollte ein Erklärungsstil gewählt werden – und dies ist der Kern seines heuristischen Programms – der die diametralen Gegensätze symmetrisch behandelt. Es ist nach den gleichen Ursachen zum Beispiel für Erfolge und Misserfolge zu suchen. Aufmerksamkeit sollen ebenso die kontroverse Durchsetzung der jeweiligen Interpretation und die begleitenden sozialen Aushandlungen erfahren.7 Fokussiert man an dieser Stelle weniger konstruierte Fakten und nimmt hervorgebrachte Technologien von Laboratorien in den Blick, stellt sich zunächst einmal die Frage, ob bei diesen von einer ähnlich gelagerten asymmetrischen Behandlung durch die Industrieforschung gesprochen werden kann. Werden technische Mängel in industriellen Forschungseinrichtungen offensichtlich, ist weder von ›unwahren‹ oder ›irrationalen‹ Apparaturen die Rede, noch beanspruchen die angestellten Wissenschaftler und ihre Unternehmen das Label einer ›hard science‹ bzw. ›hard technology‹ für sich. Dem gegenüber werden soziale Dynamiken der laboratorischen Kultur und im erfinderischen Schaffen ebenso anerkannt wie gefördert. Im Falle des Labors von General Electric räumte man etwa irrational erscheinenden Praktiken wie dem Glücksglauben einen Platz im Innovationsprozess ein. Der Glücksglaube wertete den Grad der Professionalität oder der Wissenschaftlichkeit keinesfalls ab. Die industrielle Forschung bemächtigte sich hingegen solcher Glaubensvorstellungen, um epistemische und kommerzialisierbare Mehrwerte zu gewinnen, die sich aus zu stark zugerichteten und kontrollierten Laborbedingungen nicht ergaben.8 Allerdings verzichten Unternehmen vor allem bei ihrer Außendarstellung auf die Schilderung von erfolglosen Technologien oder reduzieren sie lediglich auf Marginalien in der Firmengeschichte, wie das vorliegende Buch vielerorts illustriert. Es wird keinen allzu großen Wert daraufgelegt, die Zeugnisse des eigenen unternehmerischen Versagens preiszugeben, diese mit der Konkurrenz und der Klientel zu teilen oder erst recht nicht, sie für die Nachwelt aufzubewahren. Was nach dem Tilgen nicht rühmlicher Forschungsaktivitäten übrig bleibt, sind glorreiche Innovationsgeschichten. Im Sinne des Bloorschen Symmetrieprinzips wird die folgende Fallstudie zur Innovationsgeschichte des Pallophotophones konkret nach den experimentellen und ökonomischen Faktoren fragen, die Erfolg wie Misserfolg gemein haben. Die

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Vgl. ebd., S. 5. Eine detaillierte Analyse des Glücksglaubens zur anwendungs- und profitorientierten Erkenntnisgewinnung der Industrieforschung findet sich im Kap. Skalieren – eine Studie die offen legt, dass der wissenschaftliche Alltag des Labors untrennbar mit transzendenten Elementen verwoben war.

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Gründe für Erfolg und Scheitern einer Innovation werden damit einheitlich kategorisiert, anstatt das Scheitern einer Technologie als kognitives Versagen und den Erfolg als natürliches und technisches Gelingen zu bewerten (oder vice versa). Dank des unparteiischen Blicks lässt sich zeigen, dass die Praktiken der Technologieentwicklung in der industriellen Forschung General Electris auf bemerkenswerte Weise darauf ausgerichtet waren, das Scheitern ihrer Erfindungen in Kauf nehmen zu können. Diese Robustheit erwuchs vor allem daraus, weil sich die Industrieforscher keinem zielorientierten und auf Problemlösung ausgerichteten Pfad verpflichtet fühlten. Wie sich anhand diverser Gabelungen und Sackgassen abzeichnen wird, war der Technologieentwicklung eine sequentielle Gangart von Grundlagenforschung, angewandter Forschung und marktbezogener Freisetzung wesensfremd. Demgegenüber setzte die industrielle Forschung auf nie stillstehende Innovationsmotoren, insbesondere dem projektübergreifenden Arbeiten. Auf Basis dieser Arbeitsorganisation gelang es, die Geltungsbereiche des Pallophotophones – als Radioerfindung, Messinstrument oder auch als kinematografische Soundinnovation – labor-experimentell und sozioökonomisch auszukundschaften. Obwohl eine klare Strukturierung dem projektübergreifenden Arbeiten nicht inhärent war, gestalte sich diese Organisation mit Blick auf die rasante und unvorhersehbare Entwicklung der Massenmedien in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts dennoch als überaus sinnvoll.

GELEGENHEITEN NUTZEN In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ging General Electric verstärkt der Radioforschung nach. Ihre Labore leisteten Pionierarbeit auf diesem Gebiet.9 Im Ersten Weltkrieg konzentrierte man sich auch auf militärische Auftragsarbeiten, wozu das Projekt zur kabellosen Aufzeichnung telegrafischer Signale im Bereich des Hochgeschwindigkeitsfunkens gehörte. In diesem Kontext treten erstmals Charles A. Hoxies Entwicklungsaktivitäten hervor, die als Auftakt der Pallophotophone-Forschung zu markieren sind.10 Die für den Überseefunkverkehr konstruierte Vorrichtung sollte den Ton telegrafischer Nachrichten nicht nur hörbar,

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Insbesondere der Elektroingenieur Ernst Fredrik Werner Alexanderson bereicherte die Funktechnik durch die Weiterentwicklung des ersten Maschinensenders im Labor General Electrics. Siehe J. E. Brittain: Alexanderson. 10 Vgl. J. A. Miller: Workshop of Engineers, S. 58. Bevor Charles Hoxie seine Tätigkeit bei General Electric aufnahm, war der ausgebildete Ingenieur für zwölf Jahre als Erfinder bei der Telefongesellschaft Hudson River Telephone Company beschäftigt. Seine Medienaffinität begrenzte sich jedoch nicht allein auf sein professionelles Leben. Hoxie zählte zu den ersten Radioamateuren Schenectadys. Chris Hunter, 17. 06. 2010: »The Dancing Light. Very Rough Draft«, Museum of Innovation and Science, Pallophotophone Collection.

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sondern auch sichtbar machen. So berichtete der State Service, ein Magazin, das sich vor allem mit Regierungsbelangen befasste, im Jahre 1919: »The invention permits the eye to supplement or replace the ear in reading wireless messages. [...] The photographic receiver [and] its visual record of a message in dots and dashes distinctly shows to the eye what was received. [...] Up to this time the most rapid method of recording radio signals has been by the phonograph, but this must still be transcribed by the ear and not the eye.« 11

Für eine Visualisierung der Funksignale schrieb der Rekorder die Inhalte auf lichtsensiblem Filmmaterial ein, welches binnen weniger Minuten von der Apparatur selbst entwickelt wurde.12 Obwohl es sich um eine gezielte Auftragsarbeit für das United States Army Signal Corps und United States Navy handelte,13 wich General Electric nicht gänzlich von diesem Projekt ab. Das Unternehmen bot ihrer Industrieforschung in zeitlicher Hinsicht die Freiheit, projektübergreifend an methodischen Prinzipien weiter zu feilen und die Überführung in absatzfähige Produkte abzuwarten. Die Forschung und Freisetzung ihrer Technologien zeigte sich geduldig – eine entschleunigte Dimension, die im Kontrast zur gedrängten und massenhaften Fabrikation von Patenten in den Laboren und Rechtsabteilungen überraschend wirkt. Obwohl General Electric ihren angestellten Naturwissenschaftlern und Ingenieuren, zumindest im Bereich der Methodenarbeit und Prototypenherstellung, nicht abverlangte, dem engen Takt einer Innovationsfabrikation folgen zu müssen, tat sie dieses nicht ohne eigenen Vorteil. Zu dieser Zeit beabsichtige der genuine Elektrizitätskonzern sich als Medienunternehmung zu positionieren. Daher dominierte eine pragmatische Haltung, die sich dem hausinternen Gebrauch verpflichtete. So ging Hoxie weiter einer Methode nach, durch die Vibrationen eingehender akustischer Signale auf einen Spiegel übertragen wurden. Das reflektierende Licht des Spiegels wurde von einem darüber platzierten fotografischen Film eingefangen. Nach der Entwicklung des Films entstand eine dauerhafte Aufzeichnung der Nachricht.14 Es genügte dem Erfinder jedoch nicht, ausschließlich telegrafische Nachrichten zu visualisieren, weswegen er daran arbeitete, Töne komplexerer Natur wie Musik und die menschliche Stimme aufzeichnen zu können.15 Der aus dieser Forschung hervorgegangene Prototyp – der den Namen Pallophotophone

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Anonymus (1919): »Wireless Messages Printed on Tape«, S. 49. Vgl. ebd., S. 49-50. Vgl. J. A. Miller: Workshop of Engineers, S. 58. Vgl. ebd., S. 59. Eine ausführliche Beschreibung der Methode und ihrer apparativen Umsetzung findet sich bei C. A. Hoxie (1923): »The Pallophotophone«.

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erhielt – wurde in der Radiostation WGY eingesetzt.16 Der eigens von General Electric etablierte Radiosender gehörte zu den ersten großen kommerziellen Sendern in den USA und erlangte in den 1920er und 1930er Jahren enorme Popularität. Im Bundesstaat New York schossen, wie Radiohistoriker nahelegen, in diesem Zeitraum »WGY grocery stores« zum Erwerb von Empfangsgeräten und Radioequipment aus dem Boden.17 Das Pallophotophone wurde bereits im Gründungsjahr der Station – im Jahre 1922 – zur Programmaufnahme und -wiedergabe verwendet.18 WGY forderte seine Hörer im Herbst desselben Jahres auf, ihre Einschätzung hinsichtlich der Aufnahmequalität mitzuteilen: »These greetings are being transmitted by a new device, not a phonograph, constructed by the General Electric Company, and by means of which the voice has been recorded and is now being reproduced. We would like to have comments from our listeners telling whether this last announcement came through as clearly as the other announcements on our evening program.« 19

Den zahlreichen Hörerzuschriften nach zu urteilen, wurde die Stimme des Ansagers Kolin Hager überaus deutlich vernommen. Darüber hinaus startete der Radiosender eine Wettbewerbsaktion speziell für die Mitarbeiter General Electrics, welche in der hausinternen Zeitung Schenectady Works News am 17. August 1923 ausgeschrieben wurde. Für die Einreichung des facettenreichsten Hörspiels – einem damalig recht jungen und innovativen Medienformat20 – wurde der Gewinner mit einem 500 $ hoch dotierten Preisgeld honoriert. Interessierte wurden angehalten, nicht allein ein schriftliches Skript einzureichen, sondern auch eine Soundkulisse für das Drama zu modellieren. Neben der menschlichen Stimme sollten weitere beliebig wählbare klangerzeugende Mittel eingebunden werden. Technische Unterstützung erhielten die Bewerber durch einen laboratorischen Angestellten, der ihnen zur Seite gestellt wurde. So hieß es in den Schenectady Work News: »[T]he engineer will provide a means of producing, through the air a counterpart of the prescribed sound. Rain, thunder, surf, the roan of a moving

16 Die ungewöhnlich anmutende Bezeichnung »Pallophotophone« erklärte Hoxie wie folgt: »The syllables ›pallo‹ of this new record are taken from the Greek and with the following syllable indicate ›dancing light‹.« C. A. Hoxie (1923): »The Pallophotophone«, S. 520. 17 R. Kelly/J. Gabriel: Capital Region Radio, S. 7. 18 W. R. G. Baker (1923): »Radio Broadcasting Station WGY«, S. 200-201. Beitrag aus der Unternehmenszeitschrift General Electric Review. Alle Bände dieser Zeitschrift sind im Museum of Innovation and Science zu finden. 19 Zitiert nach Schenectady Works News, 17. November 1922: »Charles A. Hoxie of General Engineering Laboratory Perfects the Pallophotophone which Photographs the Human Voice and Later Reproduces it«. Alle Bände dieser Zeitschrift sind im Museum of Innovation and Science zu finden. 20 Siehe S. VanCour: Making Radio, vor allem »Making Radio Drama«, ein Kapitel, das die Anfänge des Hörspielformates bei General Electric bzw. seinem Radiosender WGY vermutet.

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train, a pistol shot, an airplane, telegraph key or automobile motor may all be reproduced in sound to impart atmosphere and realism.«21 Apparativen Herausforderungen in dieser Form zu begegnen und laborfremde Personenkreise einzubinden, weist aus, dass die Radiostation und das Unternehmen als zentrale Einheiten eines Praxistests fungierten – eine Diagnose, die mit Blick auf die Historie von WGY bestätigt wird. Der Radiosender wurde für experimentelle Zwecke bis in die 1930er Jahre verwendet. Als sich General Electric daran beteiligte, gemeinsam mit der United Fruit Company und der Westinghouse Electric Corporation im Jahre 1919 die Radio Corporation of America zu gründen und die ersten RCA-Radioempfänger herzustellen,22 setzten die Firmen auf eine ausgeklügelte Vermarktungsstrategie. Sie etablierten Radiosender und boten der USamerikanischen Öffentlichkeit qualitativ hochwertige Programme sowie innovative Formate wie das Hörspiel an, um den Verkauf von Empfangsgeräten zu fördern. Die Vermarktung ging dabei mit der Industrieforschung Hand in Hand. Denn General Electric nutze den Senderbetrieb, um Radioinnovationen zu testen und zu verbessern. Neben dem Pallophotophone wurden Antennen, Vakuumröhren und Radiotransmitter auf diese Weise einer Prüfung unterzogen.23 Obwohl das Pallophotophone sich noch in seiner Entwicklungsphase befand, wurde es tatkräftig im Rahmen einer großangelegten Werbekampagne für WGY eingesetzt (Abb. 5.2). General Electric versuchte für den kommerziellen Betrieb des Radiosenders von dem Star-Image verschiedener Größen aus der Film-, Sport-, Industrie- und Zeitungsbranche zu profitieren. So verkündete man mit einem gewissen Stolz in der Schenectady Works im März 1923: »C.A. Hoxie photographed the voice of no less than sixteen celebrities.«24 Zu den Berühmtheiten zählten der Kinderfilmstar Jackie Coogan, der Präsident der National Baseball League John A. Heydler, der Besitzer der New York Yankees Col. T. R. Huston und der Vorsitzende der Radio Corporation of America General Harbord.25 Zur Aufnahme reiste der Radioansager Hager gemeinsam mit Hoxie nach Washington D.C.. In einer Suite im prestigeträchtigen Willard Hotel platzierte man Teppiche auf Boden und Wänden, die der Schallabdichtung zuträglich waren. In einem solchen ›Aufnahmestudio‹ zeichnete man auch die Weihnachtsgrüße von Calvin Coolidge auf, der im Folgejahr Präsident der Vereinigten Staaten wurde.26 21 Schenectady Works News, 17. August 1923: »WGY Offers $500 Prize for Best Radio Drama«, Museum of Innovation and Science. 22 Siehe D. R. Headrick: The Invisible Weapon, hier »The Radio Corporation of America«. 23 Vgl. J. Schneider: »General Electric's Trio of Pioneer Radio Broadcast Stations«. 24 Schenectady Works News, 2. März 1923: »Addresses of Jackie Coogan and Others a Weekly Feature of WGY«; General Electric Review. Museum of Innovation and Science. 25 Schenectady Works News, 2. März 1923: »Addresses of Jackie Coogan and Others a Weekly Feature of WGY«; General Electric Review, September 1923, »Staging the Unseen«. Beide Quellen aus dem Museum of Innovation and Science. 26 Chris Hunter, 17. 06. 2010: »The Dancing Light. Very Rough Draft«, Museum of Innovation and Science, Pallophotophone Collection.

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Abb. 5.2: Der Kinderfilmstar Jacky Coogan und Präsident Calvin Coolidge Etwa zu dieser Zeit erfuhren anthropologische Linguisten – Forschende, die sich dem Sprechen im kulturellen Kontext und der Analyse von indigener Sprache widmeten – von den Aufnahmen in Washington D.C. und äußerten Interesse an dem Pallophotophone.27 Diese von nun anvisierte Gebrauchsweise wich stark von der Radionutzung ab. Die Erfindung sollte als Messinstrument seinen Platz in der Sprachanalyse finden und, wie historische Quellen offenbaren, bei der Erforschung der Kultur der Maya behilflich sein. Bisher besaß vornehmlich die Archäologie das Privileg, die kulturelle Entwicklung der Maya durch die Arbeit mit ihren materiellen Hinterlassenschaften und der Entschlüsselung von Hieroglyphen erforschen zu können. Die noch existierende indigene Kultur der Quiché – so die Überlegung von Seiten der Anthropologische Linguistik – weise Verwandtschaftsverhältnisse mit den Maya auf. Daher nahm man an, Querverbindungen zwischen den beiden Sprachen ziehen können.28 Zu dieser Zeit wurde für linguistische Analysen der Quiché-Sprache zumeist der Rousselot Kymographen genutzt,29 ein Messinstrument, welches zu Anfang des 20. Jahrhunderts von dem Gründervater der Phonetik, Jean-Pierre Rousselot entwickelt wurde. Diese Apparatur eignete sich zur gra27 Die Relevanz der Sprache für die Ethnologie pointierte Bronislaw Malinowski wie folgt: »Linguistics without ethnography would fare as badly as ethnography without the light thrown it by language«. B. Malinowski: »Classificatory Particles in the Language of Kiriwina«, S. 78. 28 Siehe auch B. Hochman: Savage Preservation; E. L. Mills (Hg.): The Papers of John Peabody Harringtan in the Smithsonian Institution 1907-1957, FN 1. 29 Vgl. ebd., S. 18.

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fischen Aufzeichnung des gesprochenen Wortes, da sie akustische Wellen und Atemimpulsen fixierte.30 Nun wollte General Electric die Gelegenheit nicht verstreichen lassen, mit dem Pallophotophone diese Messapparatur abzulösen und versprach »with the aid of the Pallophotophone is expected to reveal the secrets of a civilization which flourished in South and Central America as early as 120 B.C.. For 60 years archeologists have been baffled by the hieroglyphic writings and inscriptions which have been found in Guatemala and Yucatan. These writings belonged to a civilization which was on the par with the ancient Egyptian civilization. It is known that this Indian race, the Mayas, built great cities, palaces, pyramids and temples but little has been learned of them because their writings could not be deciphered.« 31

Hoxie arbeitete mit dem Direktor des National Museum of Guatemala William Gates und John P. Harrington, einem im Smithsonian Institute tätigen Ethnologen zusammen. Gates und Harrington führten bereits gemeinsam Versuchsreihen mit dem Rousselot Kymographen durch.32 Für diese Versuchsreihen involvierte Gates ein Mitglied der Quiché-Kultur aus Guatemala, den Indigenen Cipriana Alvaredo, den er eigens zur Sprachanalyse in die USA brachte (Abb. 5.3). Im November und Dezember 1922 wurde Alvaredo etwa achtzehn Tage in Gates Haus in Charlottesville, Virginia interviewt. Dass diese Arbeit sich überaus anstrengend gestaltete, bleibt zu vermuten. Wort für Wort überprüften sie das Basseta Quiche Dictionary. Alvaredo diktierte zudem den gesamten »Popul Vuh«, einen Quiché-Text, der sich mit der Mythologie und den historischen Traditionen des Maya-Stammes befasst. Ebenso nahmen sie siebzig Seiten der »Annalen der Cakchiquel« auf. Dieses literarische Werk wurde in der frühen Kolonialzeit niedergeschrieben und widmet sich der Mayageschichte der Cakchiquel-Kultur bis zur spanischen Eroberung. Soweit ersichtlich wurden die Aufzeichnungen teils mit dem Rousselot Kymographen und dem Pallophotophone angefertigt.33 Den Mehr30 Die Qualitäten des Messinstrumentes wurden wie folgt zusammengefasst: »With this apparatus the sounds of the languages are being correctly determined and written, and in the case of every syllable, the following four qualities are recorded : (1) duration; (2) loudness (including swells); (3) musical pitch (including leap); (4) vocalic timbre (including laryngeal and nasal action).« E. L. Hewlett (1910): »Reports of the Director 1910«, S. 18. 31 Schenectady Works News, 19. Januar 1923: »Quiche Indian Speak from WGY on January 25«, Museum of Innovation and Science. 32 Ebd. 33 Auf Grundlage dieser Studien schlug Harrington in den Jahren 1937 und 1938 vor, eine neue Ausgabe des »Popul Vuh«-Textes zu veröffentlichen. In den Jahren 1943, 1944 und 1947 korrespondierte er mit Wissenschaftlern der Brigham-Young-Universität über die Publikation. Keiner dieser Vorschläge führte zur Vorbereitung eines neuen Manuskripts. Es scheint, dass alle Publikationspläne aus Mangel an finanziellen Mitteln aufgegeben wurden. Vgl. E. L. Mills (Hg.): The Papers of John Peabody Harringtan in the Smithsonian Institution 1907-1957, S. 18.

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wert von General Electrics Messapparatur begründeten die Ethnologen zum einen mit der Dauerhaftigkeit der Aufzeichnung. Zum anderen war der Frequenzbereich des Gerätes so feinfühlig kalibrierbar, dass selbst flüchtige Kehlkopftöne einzufangen waren.34

Abb. 5.3: Charles A. Hoxie und Cipriana Alvaredo Weitere historische Spuren zur Nutzung des Pallophotophones in der Anthropologischen Linguistik verlaufen sich. Höchstwahrscheinlich fand General Electrics Erfindung aufgrund des bereits jahrelang etablierten Rousselot Kymographen keinen weiteren Einsatz auf diesem Gebiet. Wie sich an späterer Stelle zeigen wird, wich das Unternehmen gänzlich von einer metrologischen Gebrauchsweise des Pallophotophones ab. Aus wissenschaftshistorischer Perspektive bleibt herauszustreichen, dass Brückenschläge zwischen Natur- und Humanwissenschaften bereits ab 1850 einsetzten. Die Geschichtswissenschaften, Archäologie und Linguistik wurden etwa als »historische Naturwissenschaften« verstanden. Diesen Disziplinen oblag es, exakte experimentell hervorgebrachte Erkenntnisse mit den vergleichenden und den Quellenfund kritisierenden Verfahren zusammenzubringen, um das Vergangene zu erforschen. Dass Geisteswissenschaftler jedoch versuchten, Mittel der naturwissenschaftlichen Beweisführung für sich geltend zu machen, fand im späten 19. Jahrhundert nur wenig Fürsprecher. Gerade Naturwissenschaftler distanzierten sich und verteidigten Ideale mathematischer Exaktheit und loboratorischer Erkenntnisproduktion als ihr Privileg.35 In der Medienwissenschaft bekannte Ausreißer, die sich für interdisziplinäre Brückenschläge aussprachen, gab 34 Schenectady Works News, 19. Januar 1923: »Quiche Indian to Speak from WGY on January 25«, Museum of Innovation and Science. 35 Vgl. W. Steinmetz: Europa im 19. Jahrhundert, vor allem »Streit der Gelehrten: Die Wissenschaften«.

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es dennoch. Étienne-Jules Marey, der sich Zeit seines Lebens mit dem Studium der Physiologie der Fortbewegung befasste, besaß ebenfalls ein Interesse an der linguistischen Forschung. Im Jahre 1874 konsultierte Marey die neu gegründete Linguistic Society of Paris mit dem Anliegen, eine graphische Methode für die Bewegungen zu entwerfen, die das Sprechen erzeugt. Diese Zusammenarbeit markierte den Beginn der experimentellen Phonetik. Jean-Pierre Rousselot modifizierte den von Marey konstruierten Kymographen speziell für seine Zwecke.36

ALLES AUF EINE KARTE SETZEN In den Jahren zwischen 1923 und 1926 verschwand das Pallophotophone zumeist hinter die Kulissen des firmeninternen Forschungslabors. Der einzig verzeichnete öffentliche Auftritt fand auf der Schenectady Industrial Exposition am 19. September 1924 statt. Hier konnten die ca. 70.000 Ausstellungsbesucher erstmals eine Kombination aus Tonfilm und Tageslichtprojektion begutachten, wobei das Pallophotophone den akustischen Beitrag leistete.37 Der spärlichen Presseberichterstattung nach zu urteilen, schien die Premiere wenig Aufsehen erregt zu haben. Eine Fotografie, die am 7. Juli 1926 bei General Electric aufgenommen wurde, gibt Anlass zu der Vermutung, dass die Forschung im Bereich der Tonausstattung für Kinosysteme intensiviert wurde.38 Mit einem Vermerk auf der Rückseite der Fotografie wies man an, das Bild zunächst vertraulich zu behandeln. Eine Publikation durfte erst nach der patentrechtlichen Bearbeitung der Rechtsabteilung erfolgen. Die juristischen Prüfungen der Firmenanwälte mussten ca. ein Jahr später ihren Abschluss gefunden haben, denn 1927 pries General Electric eine Innovation an, welche die Entertainmentwelt der Filmindustrie revolutionieren sollte: Der Übergang vom Stummfilm zum Tonfilm wurde eingeleitet (Abb. 5.4). Journalisten vermittelte das Unternehmen dabei, dass die Industrieforschung seit 1921 unermüdlich technisches Equipment für den Durchbruch des Tonfilms modelliere. Beispielsweise berichtete der Register über eine Vorführung der Innovation am 30. Januar 1927 folgendes: »The process demonstrated today represents the fruition of more than six years of continuous research and experi-

36 Vgl. B. Teston: »L'œuvre d'Étienne-Jules Marey et sa contribution à l’émergence de la phonétique dans les sciences du langage«. 37 Chris Hunter, 17. 06. 2010: »The Dancing Light. Very Rough Draft«. Museum of Innovation and Science, Pallophotophone Collection. 38 Die Bildunterschrift lautete: »Recording and Reproducing Apparatus Employed in Connection with first Official of Talking Motion Pictures Incidental Music, ETC.« Fotografie vom 7. Juli 1926, General Electric Nr. 500166, Museum of Innovation and Science, Pallophotophone Collection.

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ment.«39 Die Niagara Falls Gazette schrieb: »Six years of experiments culminate in successful demonstration«.40 Je weiter man dem Innovationsprozess des Pallophotophones folgt, desto sichtbarer wird die Relevanz der Public-RelationsAbteilung. Ihre ex post behaupteten teleologischen Verläufe standardisierten die Genialitätsdarstellung erfinderischen Schaffens. Fortwährend wurde der US-amerikanischen Öffentlichkeit vermittelt, dass sie Zeitzeuge einer Pionierleistung war, die aus einem kontinuierlichen, arbeitsintensiven und zielgerichteten Innovationsprozess resultierte. Vorangegangene Gebrauchsweisen der Erfindung wurden bei der Bewerbung ebenfalls totgeschwiegen, um dem Pallophotophone einen integritätssichernden Neuanfang in der Kinobranche zu ermöglichen. Von nun an setzte General Electric alles auf diese Karte.

Abb. 5.4: Fotografie vom 7. Juli 1926 39 Register, New Haven, Conn., 30. Januar 1927: »Talking Film Test Proves Big Success«. Alle Zeitungsartikel, die unter die Überschrift »Alles auf eine Karte setzen« und »Schöpferische Zerstörung« fallen, stammen aus einer Sammelmappe, die General Electric zusammengestellt hat. Museum of Innovation and Science, Pallophotophone Collection. 40 Niagara Falls, N.Y., Gazette, 29. Januar 1927: »Sound and Pictures Reproduced by Film at Electric Plant«.

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Das Pallophotophone – das von der Zeitungspresse auch als Photophone bezeichnet wurde – bot Filmproduzenten und Kinobetreibern zwei wesentliche Annehmlichkeiten. Zum einen konnte die Soundaufzeichnungen in der Postproduktion punktgenau an der gleichen Stelle wie die dazugehörenden Bilder auf dem Filmmaterial platziert werden. Zwar ist zu berücksichtigen, dass kinematografische Synchronisationsversuche mit der menschlichen Stimme und musikalischer Begleitung in den 1920 Jahren nicht gänzlich neu waren, jedoch, so betonte u.a. die New York Times, stellte das Fixieren von Ton und Bild auf ein und demselben Filmmaterial eine grundlegende Neuerung dar.41 Zum anderen bestach die Innovation durch einen infrastrukturellen Kompatibilitätsvorteil. Das Pallophotophone harmonierte mit der bestehenden Maschinerie des Stummfilms. Denn die Apparatur arbeite reibungslos mit den vorherrschenden Projektorenstandards zusammen.42 Ähnlich verhielt es sich mit dem gleichzeitig vermarkteten Lautsprecher, der ebenfalls aus der Forschungsschmiede General Electrics stammte. Der Lautsprecher füllte ganze Auditorien akustisch aus, eine Eigenschaft, die in Anbetracht der Größe von Kinotheatersälen unabdingbar war.43 Auf diese Art garantierte man den Kinotheatern eine kostengünstige infrastrukturelle Implementierung und setzte ihre Risikobereitschaft für den Übergang zum Tonfilm gering an. Der Grund für diese herabgesetzte Hemmschwelle wird offensichtlich, wenn man auf den zeitgenössischen Erfolg des Stummfilms blickt. 1926 war der Film bereits ein bedeutender Industriesektor. Die Bildqualität war insofern ausgereift, als dass sie das Publikum zufrieden stellte. Die Hollywoodindustrie war im Besitz einer Vielzahl in- und ausländischer Filme, die sich noch nicht amortisiert hatten. Bis die Herstellungskosten eingespielt waren, würde dies auch noch mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Die Einführung des Tonfilms machte die internationale Absetzbarkeit zunichte, da die Sprachbarriere für viele Zuschauer sich nur schwer überwinden ließ.44 Zunächst präsentierte General Electric das Pallophotophone im State Theater in Schenectady im Januar 1927.45 Kurz darauf, am 11. Februar 1927, folgte eine Präsentation vor den Protagonisten des Filmhandels und namenhaften Vertretern der Presse im Rivoli Theater in New York. Bei dieser Darbietung traten die Vor41 N.Y. Times, 12. Februar 1927: »New Talking Films in Private Debut«; Evening Post, New York City, N.Y., 1 Februar 1927: »Camera Here Joins Sound and Movie in Theatre Test«. 42 GE Monogram, März 1927: »The Silent Drama No Longer Voiceless«. Beitrag aus der Unternehmenszeitschrift GE Monogram. Alle Bände dieser Zeitschrift sind im Museum of Innovation and Science zu finden. 43 Ebd. Wie einfach sich der Anschluss der Lautsprecher gestaltetet, legt diese Beschreibung nahe: »On the stage or adjacent to the screen is placed the loudspeaker and a simple cable connection is made back to the projector room to carry the electric impulses from the projector to the loudspeaker«. Union Star, 11. Februar 1927, »Talking Movies Shown for First Time in New York«. 44 Vgl. H. Jossé: Die Entstehung des Tonfilms, S. 191-192. 45 Hornell, N.Y. Tribune Times, 29. Januar 1927: »Talking Movie Film Demonstared after Six Years of Experimenting«.

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sitzenden General Electrics, der Westinghouse Electric & Manufacturing Company und der Radio Corporation of America auf die Bühne und warben im Ensemble für die Technologie. Ausgiebig wurden hier auch die Forschungsbemühungen Hoxies und seiner Kollegen gewürdigt. 46 Drei aneinander montierte Filme bildeten den Höhepunkt der Vorführung. Diese startete mit »The Flesh and the Devil« mit Greta Garbo und John Gilbert in den Hauptrollen. Der aktuelle Kinofilm der MGM wurde erstmals mit musikalischer Begleitung vorgeführt. Ebenso wurden im Forschungslabor General Electrics einzelne Szenen mit einer Geräuschkulisse unterlegt, zum Beispiel mit dem Abfeuern einer Pistole. Die Synchronisation sorgte für große Faszination unter den Zuschauern.47 Im nächsten Film war das Spiel des Curier Hotel Orchestra of Schenectady, N.Y. zu sehen, das aus ca. 100 Musizierenden bestand.48 Die Hornell, N.Y. Tribune Times berichtete: »[T]he effect being the same as the orchestra actually playing in the theater.«49 Im letzten Film kündigte Kolin D. Hager – die populäre Stimme, die viele der Zuschauer nur von dem Radiosender WGY kannten – einen Bariton und ein Quartett an. Die Musizierenden waren allesamt Büroangestellte General Electrics. Man gab der Presse weiter, dass die Aufnahmen zum Testen der Erfindung angefertigt wurden und die Demonstration im Rivoli Theater ebenso Teil des laboratorischen Experiments sei.50 Davon, dass die Demonstration im Rivoli Theater wenig mit den experimentellen Arrangements der Laborforschung gemein hatte und stattdessen einer wohl geskripteten Inszenierung glich, bleibt auszugehen. Das Bild, welches die Industrieforschung anderen gegenüber zeichnete, gibt jedoch Auskunft über den Versuch General Electrics, einem neuen Wissenschaftsverständnis Vorschub leisten zu wollen. Zeitgemäß implizierte dieses Elemente der öffentlichen Unterhaltungsund Vergnügungskultur Hollywoods. In diesem Sinne stattete man die Filmindustrie nicht allein mit technischen Errungenschaften aus, zugleich bewegte man sich im Hollywood-Glamour der 1920er Jahre. Vorteilhafterweise arbeiteten inszenierte Demonstrationen der unternehmerischen Popularität im Allgemeinen zu. Mit Blick auf die Tonfilminnovationen konkurrierender Unternehmen begleitete diese Demonstration höchstwahrscheinlich auch ein Profilierungskalkül. Fernab von patentrechtlichen Prüfungen und ihren Intuitionen wurde die erfinderische Neuheit und Originalität öffentlichkeitswirksam auf der Bühne kundgetan.51

46 N.Y. Times, 12. Februar 1927: »New Talking Films in Private Debut«; Union Star, 11. Februar 1927, »Talking Movies Shown for First Time in New York«. 47 GE Monogram, März 1927: »The Silent Drama No Longer Voiceless«, Museum of Innovation and Science. 48 N.Y. Times, 12. Februar 1927: »New Talking Films in Private Debut«. 49 Hornell, N.Y. Tribune Times, 29. Januar 1927: »Talking Movie Film Demonstrated after Six Years of Experimenting«. 50 Union Star, 11. Februar 1927: »Talking Movies Shown for First Time in New York«. 51 Eine solches Manöver ist, wie eine wissenschaftshistorische Situierung darlegt, keinesfalls als neu zu bewerten. Bereits im 19. Jahrhundert wurden öffentliche Vorführungen

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Wie Jan Golinski in Science as Public Culture nachzeichnet, demonstrierte man Experimente auf Theaterbühnen sogar bereits ab 1760. Das Publikum wurde zur Imitation und Ideenzirkulation ermutigt und aufgefordert. Ein Inszenierungscharakter war oftmals zweitrangig; der Fokus wurde vielmehr daraufgelegt, Wissen und den Erfindungsreichtum auf verständliche Art zu vermitteln. Wissenschaftliche Erkenntnis und ihre angeschlossenen Disziplinen machte man auf der Grundlage von Demonstration zu einem öffentlichen Gut bzw. zur »public enterprise«. Ein Vorhaben, das sich, wie Golinski erklärt, im scharfen Kontrast zur elitären Haltung befand, Experimente unter Verschluss der Öffentlichkeit in Laboren durchzuführen und deren Ergebnisse hauptsächlich in Wissenschaftszirkeln zu diskutieren.52 Wird der Blick zurück auf die Demonstrationen des 20. Jahrhunderts gewendet, so verkehrten die Industrieforschung und ihre Unternehmen deutlich die Gewichtung von Offenlegung und Inszenierung. Geschuldet war dies weniger einer elitären Haltung gegenüber der Öffentlichkeit, als der industriellen Perspektive auf den Schutz des geistigen Eigentums. Wollte man der Kapitalisierbarkeit von Forschung keinen Abbruch tun, durften forschungssensible und von der Konkurrenz nutzbare Informationen auf öffentlichen Bühnen nicht preisgegeben werden.53 Der Balanceakt zwischen Profilierung und Darbietung muss nachvollziehbarerweise ein heikler gewesen sein. Wahrscheinlich waren spektakelgeladene Demonstrationen – wie man sie auch auf industriellen Messen antraf54 – eine der wenigen Möglichkeiten, sowohl den Geheimhaltungs- und Vermarktungserfordernissen industrieller Forschung gerecht zu werden als auch der US-amerikanischen Öffentlichkeit hervorgebrachte Errungenschaften zu präsentieren.

SCHÖPFERISCHE ZERSTÖRUNG Weil der Erfolg des Pallophotophone maßgeblich von der Durchsetzung der »talking pictures« im Allgemeinen abhing, entwickelte General Electric filmischer Szenarien, die den Mehrwert des Tonfilms thematisierten. Aus gutem Grund reichten diese über die die Darbietung musikalischer Spektakel hinaus, denn bereits Stummfilme wurden von Musik und Toneffekten begleitet. Filmemacher gaben die Komposition von Begleitmusik bei einzelnen Pianisten oder bei ganzen Orchestern in Auftrag. Die Hollywood-Industrie war daran interessiert, Tantiemen für Filmmusik zu vermeiden.55 General Electric vermittelte daher anders gelagerte

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von Erfindern genutzt, um Eigentumsansprüche geltend zu machen. Vgl. I. R. Morus: Frankenstein's Childern, S. 7. Vgl. J. Golinski: Science as Public Culture, S. 1-10. Eine ausführliche Darstellung der Geheimhaltungspolitik und rechtlichen Eigentumsansprüchen aus industrieller Warte findet sich im Kap. Verrechtlichen und justizabel Machen. R. H. Kargon u.a.: World's Fairs on the Eve of War. Vgl. A. Millard: America on Record, S. 151.

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Szenarien an die Presse. In einer Vielzahl von Zeitungen kam es im Februar 1927 zum Abdruck dieses Kommentars des Vizepräsidenten der Radio Corporation of America, David Sarnoff: »The fact that both operations, photographing the action and the sound, are accomplished simultaneously and on the same film should need little interpretation in terms of political, social and educational development. [...] It is now practicable to photograph the President of the United States, voices as well as action, and to distribute quickly films reproducing the event in all parts of the country. We know what we have and its immediate application in the educational and amusement work, but we cannot tell just jet the full limit of its possibilities.« 56

Ob der Tonfilm im Entertainment- und Bildungsbereich oder in der Politik letztendlich seine Anwendung fand, würden jedoch die Konsumenten entscheiden. So unterstrich Sarnoff: »The public will decide in what manner they desire to use [the invention].«57 General Electrics Manager C. W. Stone – der das Pallophotophone-Projekt hauptverantwortlich betreute58 – äußerte interessanterweise Zweifel auf die Frage, ob der Tonfilm in der Entertainmentbranche Fuß fassen könnte. Diese Zweifel wurden jedoch nicht im Zusammenhang mit den US-amerikanischen Kinobesuchern gebracht, demgegenüber bereitete ihm die Kunstfertigkeit der Schauspieler Sorgen. Die Umstellung auf den Tonfilm stellte sich herausfordernd dar, weil adäquate Sprechtechniken zu erlernen waren. Filmdirektoren berichteten, dass es sich bei der Aufnahme von Bild und Ton äußerst schwierig gestaltete, hörbare Fehler aufgrund eines zeitlich unpassenden Einsatzes der SchauspielerInnen und unnötiger Hintergrundgeräusche am Set zu vermeiden.59 Dass die Durchsetzung des Tonfilms in der Entertainmentbranche Hollywoods nicht tatsächlich in die Hände der US-amerikanischen Öffentlichkeit gelegt wurde und man die Schwierigkeiten der Stummfilm-SchauspielerInnen eher nachrangig 56 Etwa Union Star, 11. Februar 1927: »Talking Movies Shown for First Time in New York.« Ein solch politisch wirksamer Einsatz des Pallophotophones befand sich bereits in Planung. Die Innovation sollte die Wahlkampfdebatten der führenden Kandidaten 1928 aufzeichnen und diese sollten dann in den Theatern des Landes ausgestrahlt werden. Evening Post, New York City, N.Y., 1 Februar 1927: »Camera Here Joins Sound and Movie in Theatre Test«. 57 Ebd.. 58 Vgl. News, Albany, N.Y., 29. Januar, 1927: »New Talking Movie' Device is Shown by G.E. in Schenectady by Demonstration«. 59 Evening Post, New York City, N.Y., 1 Februar 1927: »Camera Here Joins Sound and Movie in Theatre Test«, Democrat, 3. Februar 1927: »Talking Motion Pictures Ready«; Butte Mon. Post, 3. Februar 1927 »Talking Movie is Being Perfected: Have New Devise«. Filmwissenschaftliche Untersuchungen bestätigen diese Schwierigkeit. Etwa A. Denk: Schauspielen im Stummfilm, S. 226. Zu den schauspielerischen Herausforderungen, die der Medienumbruchs vom Stumm- zum Tonfilm provozierte siehe M. G. Ankerich: The Sound of Silence.

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behandelte, belegen die unternehmerischen Bemühungen im Bereich der Standardsetzung. 1927 verwendeten General Electric und die Radio Corporation of America alle Anstrengungen darauf, Verträge mit den Filmtheatern und -produzenten abzuschließen. Dabei befanden sie sich u.a. im Konkurrenzkampf mit dem Vitaphone-System der Western Electric.60 Die Western Electric versuchte seit 1924 ihr Tonverfahren zu kommerzialisieren. Dem Unternehmen gelang es, das Interesse von Warner Brothers zu wecken, woraus im April 1926 die gemeinsam gegründete Vitaphone Company hervorging. Im Vitaphone-Verfahren, ein sogenanntes Nadeltonverfahren, nahm man den Ton auf einer Schallplatte auf und bei der kinematographischen Vorführung wurde eine Reproduktion dieser Platte auf einem Schallplattenspieler abgespielt. Da das Risiko bestand, die Synchronisation von Bild und Ton bei der Vorführung zu verlieren, arbeitete die Industrieforschung des Unternehmens an einer der General Electric ähnlichen Methode. Western Electrics Projekt, Ton direkt auf Film aufzunehmen, befand sich zu dieser Zeit jedoch noch in seiner Entwicklungsphase. Öffentlich demonstriert wurde das Verfahren bis dato nicht.61 Obwohl es sich bei dem Verfahren der Western Electric um eine vergleichsweise unausgereifte Methode handelte, wollte General Electric keine Chance ungenutzt lassen, um die ›Big Five‹ der Filmkonzernwelt – namentlich Universal, First National, United Artist, MGM und Paramount – vertraglich zubinden. Deswegen trat Sarnoff in Verhandlung mit den Filmproduzenten Paramount und MGM. Ob man nun der Ton-Film-Methode Western Electrics oder General Electrics den Vorrang gab, sollte sich erst im Folgejahr herausstellen. Kooperativ unterzeichneten die Filmkonzerne einen Vertrag, mit dem man die Entscheidungsfindung vorerst aufschob.62 Der Medienhistoriker Douglas Gomery schätzt den Status der vertraglichen Vereinbarung wie folgt ein: »The memorandum opens with a clear statement of them problem. The producers who signed could most profitably present their products in the theatres that employed one standardized sound system. They realized it was wasteful for them to let exhibitors install and use more than one system. Simple economies of scale determined it was in the producers' best interest to collude and pressure exhibitors to adopt one system. The producers knew they could do this because of the immense amount of market power they possessed through their distribution networks and ownership of key first run theatres.« 63

In der Zwischenzeit dieses vereinbarten Waffenstillstandes kam es zu unvorhersehbaren Entwicklungen. Die Unterhaltungsprogramme kommerzieller Radiosender hielten die US-amerikanische Öffentlichkeit von den Kinos fern. In den Näch-

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Vgl. D. Gomery: The Coming of Sound, S. 68. Vgl. ebd., S. 64-68. Vgl. ebd., S. 61-72. Ebd., S. 68.

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ten, in denen populäre Radioprogramme ausgestrahlt wurden, fielen die Einnahmen in den Kinotheatern alarmierend gering aus.64 Hinzu kam ein weiterer Faktor, denn in der Filmproduktion machte sich der Einfluss von Banken enorm bemerkbar. Auf ihr Geheiß wurde ab 1926 der Einsatz von »Producer Supervisors« verpflichtend. Aus ökonomischer Perspektive begannen diese, Filme zu standardisieren. Die Souveränität des Regisseurs fand damit ein abruptes Ende, ihre kreativen Vorschläge wurden weniger nach künstlerischen, sondern verstärkt nach finanziellen Aspekten beurteilt. Der monotone Charakter dieser Filme trug dazu bei, dass im Frühjahr 1927 rückläufige Zuschauerzahlen in einigen US-amerikanischen Bundesstaaten zu verzeichnen waren.65 Aus Perspektive der Filmproduzenten wurde es dringlich zu handeln, weswegen man zur genaueren Sondierung der Tonfilmverfahren ein Komitee ins Leben rief. Das Komitee prüfte dabei drei Kriterien: Geklärt wurden die technische Qualität, patentrechtliche Fragen und die Anlagen- und Personalausstattung beider Unternehmen. Insbesondere letzt genannter Faktor diente Gomery zufolge der Risikoabsicherung auf Seiten der Filmproduzenten: »The chosen system had to have the financial backing of a large, important firm with substantial manufacturing resources, already existing technical personnel and facilities, and adequate strength in the financial markets. The committee knew the switch to sound would require the output of much technical equipment and the necessary personnel to install and service it. This would be a large undertaking; giants like Paramount did not want to risk their good will, capital stoc, and strong profit potential by linking to a small, under-financed firm.«66

Im Juli 1927 lud Sarnoff das Komiteemitglied Roy J. Pomeroy nach Schenectady ein, damit dieser eine vollständige Studie vor Ort bei General Electric anstellen konnte. Positiv wurden dabei die technischen Erfordernisse und die Rechtskräftigkeit des patentrechtlichen Eigentums begutachtet, jedoch mangelte es dem Unternehmen an Produktionsanlagen.67 Sarnoff hoffte daher darauf, eine Holdinggesellschaft gründen zu können. Haupteigentümer würde zu 50% die Radio Corporation of America sein und die verbleibenden Anteile sollten, dem Vorschlag zu Folge, unter den fünf Filmproduzenten aufgeteilt werden. Die Filmkonzerne wiesen das Angebot jedoch zurück und nahmen stattdessen das in der Experimentierphase befindliche Verfahren der Western Electric in Kauf.68

64 Vgl. A. Millard: America on Record, S. 153. 65 Vgl. H. Jossé: Die Entstehung des Tonfilms, S. 204. Zur standardisierten Produktionsweise, die in der Hollywoodindustrie in den 1940er und 1950er Jahren vorherrschte siehe H. Powdermaker: Hollywood, the Dream Factory. 66 D. Gomery: The Coming of Sound, S. 71-72. 67 Vgl. ebd., S. 72-73. 68 Vgl. ebd., S. 89.

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Medienwissenschaftlich interessant ist der Übergang vom Stumm- zum Tonfilm vor allem, da er einmal mehr vor Augen führt, dass sich nicht der geeignetste Standard durchsetzt.69 Konkretisieren lässt sich diese Medien- und Standardisierungsgeschichte als ein Akt »schöpferischer Zerstörung«, wie ihn der Volkswirtschaftler und Sozialwissenschaftler Joseph A. Schumpeter in Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie im Jahre 1942 beschreibt. Die wirtschaftliche Dynamik der schöpferischen Zerstörung gibt darüber Auskunft, dass unternehmerisches Handeln in erster Linie durch aufkommende Marktchancen angetrieben wird. Gelegenheiten dieser Art ergeben sich etwa durch originelle Fertigungsverfahren und Produkte. Ihre Platzierung verfügt über das Potenzial, eine Monopolstellung auf bestehenden und neuen Märkten zu erhalten oder sich zu verschaffen. Der unternehmerische Einfalls- und Erfindungsreichtum bildet dabei eine zentrale Triebfeder der wirtschaftlichen Entwicklung. Das zerstörerische Ausmaß tritt durch die Verdrängung des Alten durch das Neue hervor; selbst Neukombinationen von Produktionsfaktoren können zur Konsequenz haben, dass bestehende Fabrikationsweisen, berufliche Qualifikationen, Unternehmen oder gar ganze Branchen ausrangiert werden. Ein kontinuierlicher Prozess des Verdrängens ehemals erfolgreicher Industriestrukturen und Erfindungen durch innovative Unternehmen und Nachahmer bildet laut Schumpeter den Motor allen wirtschaftlichen Wachstums.70 Obwohl die Stummfilmproduzenten zunächst hofften, dass es sich bei dem Tonfilm um eine dieser kurzlebigen Neuheiten handelte, die so schnell verschwand, wie sie auftauchte, machte es die Konkurrenz zum Radio, genauso wie die innerhalb der Filmindustrie, unabdingbar auf die Innovation zu reagieren und sie zu integrieren. Nach einer kurzen Zeit der Zurückhaltung einigten sich die Hollywood-Entrepreneure im kooperativen Verbund auf die Durchsetzung des Tonfilms. Nur noch wenige freie Filmschaffende produzierten in den 1930er Jahren Stummfilme, ihr Publikum wurden marginaler. Welche zerstörerischen Konsequenzen dies auf die Industrie weiterhin hatte, beschreibt der Medienhistoriker Andre Millrand folgendermaßen: »The silent film disappeared almost overnight, and with it went the great investment in that technology and the livelihoods of hundreds of actors and musicians. Only Charly Chaplin managed to keep making silent films in the 1930s. The future was in the hands of large film studios and their talking films.«71

69 Exemplarisch ist für einen solchen Standard auch die QWERTY-Tastatur anzuführen. Die Tastatur steht für die Unumkehrbarkeit von Nutzungsbedingungen ein, die unter Ge–sichts–punkten der Nutzerfreundlichkeit und Tippgeschwindigkeit suboptimal sind. Hierzu P. David: »Clio and the Economics of ›Qwerty‹«. 70 Vgl. J. A. Schumpeter: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, S. 113-119. 71 A. Millard: America on Record, S.157.

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WENN NICHT EINMAL DIE HOFFNUNG STIRBT Wenngleich die Hollywood-Karriere des Pallophotophones mit der Standardsetzung der Filmproduzenten beendet schien, wurde von David Sarnoff die RCA Photophone Inc. ins Leben gerufen, eine Unternehmensformierung mit der man die Technik weiter führte. Von Seiten der Radio Corporation of America folgte auch die Bildung von RKO Pictures Inc.. Dieses Filmproduktions-, Filmverleih- und Kinounternehmen stieg in den Folgejahren, inklusive photophoner Technik, zu den größten Hollywoodstudios auf.72 Angesichts dieser Entwicklung bleibt davon auszugehen, dass der genuine Elektrizitätskonzern General Electric einsah, Medienunternehmungen keineswegs hauptverantwortlich bestreiten zu können. Die Führung der Entertainmentbranche übernahm ab 1932 vollends die Radio Corporation of America. Auf Sarnoffs Geschäftssinn wird nicht nur der Ausbau des ersten nationsweiten Radionetzwerkes – die National Broadcasting Company (NBC) – sondern auch die Entwicklung und Einführung des Fernsehens zurückgeführt.73 Verharrt man bei den Forschungsaktivitäten General Electrics, schlägt sich nieder, dass sie filmische Formen außerhalb der Entertainment- und Vergnügungsindustrie für sich gewinnen wollten. Diese Aufgabe unterlag fortan der Verantwortung des firmeninternen Forschers Clarence W. Hewlett, auf den auch die Erfindung der Lautsprecher für Kinotheatersäle zurückzuführen ist. Zweifelhaft ist es, ob die Erfolglosigkeit des Pallophotophones auf die personale Umbesetzung Einfluß nahm. Vermutlich war es dem hohem Alter Hoxies geschuldet, dass dieser sich aus Forschungsprojekten zurückzog. Im Jahre 1932 verließ er General Electric in den Ruhestand.74 Herauszustreichen bleibt jedoch, dass sein erfinderisches Engagement mit keinen Wort mehr erwähnt wurde. Hewlett zufolge lag die Zukunft der ›talking movies‹ im Bewahren des Charismas hervorstechender Persönlichkeiten. Der erreichte Perfektionsgrad von General Electrics Erfindung bringe eine Verantwortung gegenüber künftigen Generationen mit sich.75 Gerade ihnen sei man es schuldig, die Gelegenheit zu

72 Eine Darstellung der weiteren Aktivitäten der RCA Photophone Inc. findet sich bei D. Gomery: »The Coming of Sound«, S. 65-67. 73 Siehe T. Lewis: Empire of the Air. 74 Chris Hunter, 17. 06. 2010: »The Dancing Light. Very Rough Draft«, Museum of Innovation and Science, Pallophotophone Collection. 75 Zur technischen Weiterentwicklung: Bei dem Übergang vom Entertainmentfilm zum Industriefilm wurde ein elektromechanisches System zu einem rein mechanischen System weiterentwickelt, durch das der aufzeichnende Oszillograf von einem Sound Track automatisch zum nächsten übergehen konnte. Gleichermaßen arbeitete Hewlett daran, Störgeräusche auf dem filmischen Material zu bereinigen. A.V. Bedford an W.R. Whitney, Brief vom 2. Mai 1930, »Mechanical Trigger Work for Shifting Sound Track in Film Phonograph, 1930«; C. W. Hewlett an W.R. Whitney, Brief vom 27. Juni 1929, »Method for Eliminationg Ground Noise in Sound Film«. Beide Dokumente aus dem Museum of Innovation and Science, Pallophotophone Collection.

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ergreifen, Größen der eigenen Zeit festzuhalten. Markanterweise tritt hervor, dass die Industrieforschung ein neues Wertesystem technologischen Fortschritts bemühte. In diesem wich der Unterhaltungswert der Hollywoodspielfilme dem Bewusstsein für Verantwortung und Dokumentation. Wie folgender Ausschnitt einer Rede Clarence Hewletts aus dem Jahre 1929 illustriert, wurde die Technologie sozialethisch gerechtfertigt: »There are a great many speeches, lectures, and other verbal deliberations which it is highly desirable to record for future reference, and for the instruction and entertainment of future generations. How many great men and women of the past there are whose personalities are lost to us except for their own writings and those of the others who knew them. I do not need to call to your attention how much more completely we understand and evaluate a person and thing about which he talks when he speaks to us and when we can observe him while he speaks, than when we are confined to the printed word only. Thus the talking picture will play a tremendous role in the future in preserving the personalities of the great in a degree of perfection, which up to the recent past has never been approaches. Even now the responsibility is heavy upon us to record many of our illustrious personalities before they are gone. […] there is much material that is used in College text books and nonexperimental lectures which could, to a great advantage, be compactly recorded in the voice and personality of a great teacher. The instinction to be derived from a rehearing of such records should be vastly superior to reading the dry printed page, or to listening to an uninspiring lecturer.« 76

Wenngleich die Werte des Hollywood-Entertainments keine zentrale Rolle mehr spielten, setzte General Eletric dennoch auf ein gewisses Celebrity-Image. Welche Persönlichkeiten zu der hollywoodfernen Prominenz genau gehören sollten, lässt sich einer Vorstellung vor dem Carnegie Institute of Technology in Pittsburgh im Jahre 1929 ableiten. Auf der Leinwand waren zu sehen: der britische Physiker Sir Oliver Lodge, ein Pionier auf dem Gebiet der Funktelegrafie; der neuseeländische Experimentalphysiker und Nobelpreisträger Ernest Rutherford; Sir William Henry Bragg, ebenso britischer Physiker und Nobelpreisträger und zu guter Letzt General Electrics Industrieforscher Irving Langmuir, der drei Jahre später den Nobelpreis für seine Studien zur Oberflächenchemie erhielt und zu einer Koryphäe im Bereich der Wettermodifikation avancierte. Zur Aufnahme der Lehr- und Bildungsfilme suchte das industrielle Forschungspersonal diese Wissenschaftler eigens in ihren Laboratorien auf (Abb. 5.5).77

76 Clarence W. Hewlett zitiert nach dem Transkript einer Tonaufnahme, welche am 1. Mai 1929 mit dem Pallophotophone hergestellt wurde. 77 GE Digest, April 1930, »The Speaking Film as a Coming Factor in Education«. Alle Bände der GE Digest sind im Museum of Innovation and Science zu finden.

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Abb. 5.5: Das laboratorische Experiment und sein Bildungsauftrag Nach der Vorführung im Carnegie Institute of Technology trat das Pallophoto-phone nur noch selten an das Licht der Öffentlichkeit, seitdem wurde es verstärkt firmenintern genutzt. So produzierte im Jahre 1929 die Öffentlichkeitsabteilung General Electrics 37 Tonfilme, die der Verkaufsunterstützung dienlich sein sollten. Neben Imagefilmen, die eine Führung durch die Büro- oder Fabrikgelände gaben, sind auch Aufnahmen zu finden, welche die Funktionsweise von Maschinen erklären.78 Im März 1930 berichtete die Unternehmenszeitschrift Monogram, dass die Installation der Apparatur in jeder Zweigstelle von General Electric angestrebt wurde. Vertriebspartner genauso wie Kunden sollten die Produktpalette nicht länger lediglich via Printmedien kennenlernen. Nunmehr setzte man auf hauseigene Kinoräumlichkeiten, deren Leinwände firmenangestellte Ingenieure und Wissenschaftler beim Erläuterten von Technologien zeigten. Einen Eindruck, wie das Unternehmen die hausinterne Verwendung einschätzte, vermittelt etwa dieses Statement: »General Electric was among the first industrial organizations to adopt the motion picture in the commercial field. 13 years ago, and now becomes a pioneer in the application of sound pictures to sales promotion«.79 Da die Industrieforschung im Jahre 1917 gezielt militärischer Auftragsarbeit im Bereich des Hochgeschwindigkeitsfunkens nachging, kann diese Darstellung zumindest nicht in Gänze bestätigt werden. Möglich ist es hingegen, dass General

78 GE Monogram, September 1930: »G-E ›Talking Movies‹ as Sales Aids«, Museum of Innovation and Science. 79 GE Monogram, März 1930: »Photophone Projectors to be Installed in District Offices«, Museum of Innovation and Science.

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Electric tatsächlich eine Pionierleistung im Bereich des Industriefilms für sich beanspruchen könnte. Obwohl der Einsatz von Industriefilmen derzeit kaum erforscht ist, deuten Hinweise darauf, dass eine kontinuierliche Produktion in den USA genauso wie in Westeuropa in den 1920er Jahren einsetzte.80

ENTWICKELN OHNE MODELL Möchte man abschließend klären, ob es sich bei dem Pallophotophone und seinen diversen medialen Erscheinungsformen um eine erfolglose Innovation industrieller Forschung handelte, kann die Frage entschieden mit einem ›jaein‹ beantwortet werden. Die Erfindung überdauerte – unbeachtet geringer Verkaufserfolge oder nicht erfüllter Marktreifen und massenmarkttauglicher Freisetzungen – sowohl in der Entertainmentindustrie als auch in den Humanwissenschaften und Naturwissenschaften. Waren keine Absatzmärkte greifbar oder stellte sich die Breitendurchsetzung nicht ein, dominierte eine pragmatische Haltung: Man folgte dem situierten Eigenbedarf und entwickelte für den hausinternen Gebrauch weiter, wie die Anwendung des Pallophotophone im Radiosender WGY und im Bereich des Industriefilms vor Augen führt. Auf gewisse Weise gelang es der unternehmerischen Innovationspraxis so eine Robustheit gegenüber Fehlschlägen zu entwickeln und der Vergeudung von Investitionen in die Technikentwicklung zumindest teilweise entgegenzuwirken. Medienwissenschaftlich aufschlussreich ist, dass die Frage wofür das Pallophotophone überhaupt geeignet sei und welche Zwecke es erfüllen könnte, von den historischen Akteuren kontinuierlich gestellt, jedoch nie endgültig beantwortet wurde. Gründe dafür sind in der rasanten Entwicklung der Massenmedien in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zu finden. Mit Blick auf die Hollywoodindustrie und die Naturwissenschaften zeigte sich die Entwicklung des Tonfilms im Vergnügungs- und Bildungsbereich unvorhersehbar und kaum kalkulierbar. Alle beteiligten Unternehmen und Institutionen verstanden den Tonfilm als unsicheres Fahrwasser, wie beispielsweise der Ausspruch Henry Warners von Warner Brothers Entertainment – »Who the hell wants to hear actors talk?« 81 – noch einmal herausstreicht. Solchen Unvorhersehbarkeiten zum Trotz formte man in der Industrieforschung eine projektübergreifende Arbeitsorganisation aus, die sowohl Wissenschaftlergenerationen als auch unternehmerische Neuformierungen überdauerte. Dieses Vorgehen verwehrte sich entschieden einem klar strukturierten Innova-

80 Vgl. L. Niebling: Rockumentary, S. 155; Vgl. Y. Zimmermann: »Vom Lichtbild zum Film«, S. 75; Zum Industriefilm vor allem in Deutschland und in der Schweiz siehe V. Hediger/ P. Vonderau (Hg.): Filmische Mittel, industrielle Zwecke. 81 Henry Warner zitiert nach L. G. Gref: The Rise and Fall of American Technology, S. 96.

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tionsmodell, das ein Medium mit eingeschriebener Zweckspezifik hervorbrachte und eine konkrete Gebrauchsweise potentiellen Kunden an die Hand gab. Vielmehr zeichnete sich die Entwicklungspraxis industrieller Forschung durch ihre Heterogonie aus, wie sie der Medientheoretiker Erhard Schüttpelz in »Elemente einer Akteur-Medien-Theorie« (in Anlehnung an Wilhelm Wundt) für die historische Genese von Medien beschreibt.82 Exemplarisch am Pallophotophone vorgeführt: Die Zweckoffenheit des Verfahrens Ton auf fotografischen Zelluloidmaterials zu fixieren, befürwortete diverse Zweckentfremdungen und damit einhergehende Zweckzuweisungen. Deutlich zu konturieren bleibt die durchaus beabsichtigte vorläufige Natur der Zwecke, durch die sich das Pallophotophone sowohl als Anwendung auf dem Gebiet des militärischen Hochgeschwindigkeitsfunken oder auch als messapparative Technik in der Anthropologischen Linguistik geltend machen konnte – oder es zumindest versuchte. Entlang der Stationen des situierten Bedarfes wurde davon abgesehen, eine ›Stabilisierung‹ oder ›Schließung‹ der Technik vorzunehmen. Ein solches Vorgehen – und darüber war sich General Electric im Klaren – tat dem kommerzialisierbaren Potenzialitätsraum folgender Medienentwicklungen vorzeitig Abbruch. So abenteuerlich die daraus resultierenden Erscheinungsformen und die Entwicklungswege des Pallophotophones im Allgemeinen anmuten, darf ernüchternderweise nicht außer Acht gelassen werden, dass die unternehmerische Innovationskultur General Electrics wenig wagemutig agierte. So erfolgte die Erprobung der Technik in den Humanwissenschaften in erster Linie einer nicht investitionsvergeudenden ›Gut genug‹-Maxime. Technische Verfeinerungen wurden keineswegs speziell für den messapparativen Gebrauch vorgenommen. Wenngleich sich die risikoaverse Haltung angesichts des in der Linguistischen Anthropologie präferierten Kymografen auszahlte, führte sie an anderer Stelle zum Fall. Tonfilmhistoriker belegen, dass General Electric über genügend Finanzkraft verfügte, um die Standardsetzung zu ihren Gunsten entscheiden zu können. Jedoch zeigte sich das Unternehmen nicht bereit, die von den Filmproduzenten beanspruchten Produktionsanlagen hauptverantwortlich zu finanzieren.83 Der hier aufgezeigte Innovationsprozess mitsamt seinen Gabelungen und Holzwegen widerspricht im besonderen Maße der noch heute weit verbreiteten Vorstellung, dass das Erfinden zielgerichtet, sequenziell und linear verläuft. Ein Innovationsprozess startet dieser Vorstellung nach bei der Ideengenerierung in der Grundlagenforschung, geht dann in die angewandte Entwicklung von Prototypen über und mündet schlussendlich in der ökonomisch begründeten Produktion und Diffusion von Technologien. Obwohl das »Linear Model of Invention«

82 E. Schüttpelz: »Elemente einer Akteur-Medien-Theorie«, S. 32; E. Schüttpelz: »Die medienanthropologische Kehre der Kulturtechniken«. Siehe in diesem Kontext auch Wilhelm Wundts Verständnis der Heterogonie von Zwecken in Völkerpsychologie (1917), S. 389. 83 Siehe etwa D. Gomery: The Coming of Sound, S. 72-73, 89.

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von technikhistorischer und wissenschaftspolitischer Seite vielfach kritisiert und widerlegt wurde,84 gelang es dem Modell – so Technikhistoriker Benoît Godin – sich aufgrund einer statistischen Notwendigkeit durchsetzen und hartnäckig zu halten. Godin zeigt überzeugend auf, dass sich die statistischen Kategorien zur Ressourcenberechnung und Kostenzuordnung von Wissenschaft und Technologie an den Elementen des Modells orientieren. Die von der Organization for Economic Cooperation and Development entwickelten Leitfäden zur statistischen Abrechenbarkeit verhalfen dem Modell bei seiner Verbreitung in den USA. Noch heute wird das ›linear model‹ in universitären Studiengängen unterrichtet, die sich dem industriellen Forschungsmanagement widmen.85 Der Ursprung des Models wird oftmals auf Vannevar Bush bzw. auf seinen Report »Science the Endless Frontier« zurückgeführt, den er für Präsident Roosevelt während seiner Anstellung beim National Defense Research Committe im Jahre 1945 verfasste. Eine genauere Auseinandersetzung mit der Rubrik »Industrial Research« führt vor Augen, dass Bush die Grundlagenforschung der Scienceand Technology-based Industries zwar benannte, jedoch widmet sich der Hauptteil seiner Ausführungen steuerrechtlichen Belangen und dem Patentsystem.86 Die Entstehungsgeschichte des linearen Modells bleibt nebulös. Indizien für eine diesem Modell entsprechende Entwicklungspraxis sind in den historischen Studien zu den Laboren von Kodak, AT&T und DuPont ebenfalls nicht aufspürbar.87 Wahrscheinlich lag es an der Arbeit der Public-Relations-Abteilungen dieser Konzerne, dass sich zumindest der Glaube an ein teleologisches Erscheinungsbild industrieller Forschungsaktivitäten in der US-amerikanischen Öffentlichkeit verbreitete. Das Marketing konzentrierte sich auf die Vermittlung von Zielstrebigkeit, Genialität und Pionierleistungen. Äußerst penibel achtete man im Sinne der Unternehmenspolitik darauf, die eigentlichen Innovationsmotoren – das projektübergreifende Arbeiten und die Heterogonie von Zwecken – keinesfalls vor der Konkurrenz offenzulegen. Andernorts kommerzialisierbare Verfahren der Technologieentwicklung blieben im Sinne von Geschäftsgeheimnissen verdeckt. Und es war auch den Vermarktungs- und Werbekampagnen in Rechnung zu stellen, dass sich die industrielle Wissenschaft in gewisser Weise in den 1920er Jahren neu erfand. Die bis dahin vornehmlich im Hintergrund agierenden Forscher publizierten zwar in wissenschaftlichen Fachzeitschriften oder besuchten Konferenzen, jedoch waren populäre Bühnen vorab für sie zumeist unerreichbar. Nicht ohne Grund wandelte sich die unternehmerische Imagekonstruktion mit der

84 Etwa N. Rosenberg: Exploring the Black Box, S. 139; U. Wengenroth: »Science, Technology, and Industry in the 19th Century«; R. Pielke/R. Byerly: »Beyond Basic and Applied«; T. J. Misa: »Beyond Linear Models«. 85 Vgl. B. Godin: »The Linear Model of Innovation«. 86 V. Bush (1945): Science the Endless Frontier. 87 Siehe etwa D. A. Hounshell/J. K. Smith: Science and Corporate Strategy; R. Jenkins: Images and Enterprise; L. Reich: The Making of American Industrial Research.

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Celebritykultur der Hollywoodindustrie.88 Spektakelgeladene Inszenierungen verhalfen laboratorischen Errungenschaften zu öffentlichem Ansehen und im Industriefilm wurde die Person des angestellten Wissenschaftlers nun selbst zum Schauspieler und prominenten Aushängeschild von Unternehmen. Zu guter Letzt soll der Frage nachgegangen werden, welchen Mehrwert nun eine Mediengeschichtsschreibung birgt, die sich in methodischer Hinsicht dem in der deutschen Medienwissenschaft lange vernachlässigten Bloorschen Symmetrieprinzip bedient. Im Kontrast zur ›Klassischen Mediengeschichte‹, derren Erfolgserzählungen eine maximale narrative Konsistenz für sich beanspruchen, sind bei scheiternden und halbgelungenen wie auch zweckentfremdeten und improvisierten Erfindungsprozessen zuhauf lose Fäden und tote Enden vorfindbar. Zufällige Begegnungen und mehrdeutige Konzepte sind für die Technologieentwicklung ebenso bezeichnend. Erkennt man diese Konstitution für die Mediengeschichtsschreibung an, resultiert daraus keineswegs weniger, sondern stattdessen mehr narrative Konsistenz. Nicht allein aus diesem Grund sind historische Darstellungen medientechnischen Scheiterns in der Lage, mehr Kontexte und Erzählstränge zu berücksichtigen als die Darstellungen der klassischen Erfolgsgeschichte. Im Kontrast zu den von Konzernen bereits bereinigten ›asymmetrischen‹ Versionen, erfahren zudem sowohl die Reinigungspraktiken der retrospektiven Darstellung als auch die unbewußten Erinnnerungstäuschungen der untersuchten Akteure Aufmerksamtkeit. Gerade weil die Beteiligten angesichts missglückter Technologien ihre Auffassung zu erreichender Ziele revidieren und dabei Dritte über das von ihnen initiierte Geschehen immer wieder täuschen, ist es vor allem historischen Darstellungen des Scheiterns möglich, den Erfindungsprozeß ›besser‹ mit der abschließend ›bereinigten‹ Version zusammendenken als einer reinen Erfolgsgeschichte. Historisch nachweisbare Widersprüche werden nicht geglättet. Vielmehr werden sie durch eine solche Darstellung erst erklärbar.

88 Eine historische Celebrityforschung aus medienwissenschaftlicher Perspektive bietet: J. Ruchartz: Die Individualität der Celebrity.

6 Standardisieren Der 13-monatige Kalender als ›Second Creation‹1

DES PUDELS KERN Im Jahre 1923 konnte der 68-jährige Industriemagnat George Eastman auf den beachtlichen Werdegang seines etablierten Kodak-Unternehmung zurückblicken. Mit der Vereinfachung der Expertenfotografie durch den Übergang von der Trockenplattentechnik zum Rollfilm ermöglichte Eastman die massenmarkttaugliche Laienfotografie. Diese realisierte er gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit der preiswerten Brownie-Kamera, die bereits für 1 $ erhältlich war.2 Zweifelsohne setzte sein »System« bestehend aus Kamera- und Filmherstellungsproduktion, dem erstmals eingerichteten Industriezweig des Fotofinishings und Amateur-Knipsern einen soziotechnischen Standard in der US-amerikanischen Fotografiebranche.3 Eastmans Karriere – oder weitreichender formuliert, der Aufstieg solcher Einzelerfinder, die den technischen Wandel der USA ab der Zweiten Industriellen Revolution motivierten – kann nicht allein mit dem Entwickeln technischer Artefakte oder wissenschaftlicher Verfahren begründet werden. Die tatsächliche Leistung von Erfinderpersönlichkeiten wie Alexander Graham Bell, Thomas Alva Edison, den Brüdern Wright, Henry Ford und George Eastman bestand vielmehr darin, eine Vielzahl heterogener technischer und sozialer Größen wechselseitig so aufeinander abzustimmen, dass daraus »Systeme« erwachsen konnten.4 Für 1 2

3 4

Der in diesem Kapitel verwendete historische Korpus stammt aus dem George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Rochester, NY. Für eine detaillierte Beschreibung des unternehmerischen Aufstiegs der Eastman Kodak Company siehe R. V. Jenkins: Images and Enterprise; C. W. Ackerman: George Eastman. Eine Schilderung der Unternehmensgeschichte mit besonderer Berücksichtigung der Advertising-Kampagnen findet sich bei N. M. West: Kodak and the Lens of Nostalgia. T. Skrandies: »Anders als Kunst geschieht«. Zum Aufstieg der Knipser-Fotografie siehe Kap. Amateurisieren und Professionalisieren. Thomas P. Hughes beschreibt die soziotechnischen Anlagen der »Systeme« wie folgt: »In populärwissenschaftlichen Berichten über die Geschichte der Technologie stehen die Erfindungen am Ausgang des 19. Jahrhunderts – wie die Glühbirne, das Radio, das Flugzeug und das vom Benzinmotor angetriebene Automobil – im Mittelpunkt, aber diese Erfindungen erfolgten im Rahmen technologischer Systeme. Solche Systeme be-

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diese Adaption bedurfte es – laut dem Technikhistoriker Thomas P. Hughes – einer Schlüsselqualifkation: »One of the primary characteristics of a system builder is the ability to construct or to force unity from diversity, centralization in the face of pluralism, and coherence from chaos«.5 Über die Qualifikation diverse, widerständige und zunächst voneinander getrennt operierende Größen taktisch derart zu verpflichten, damit diese als eine Einheit in Aktion treten, verfügt der sogenannte »System Builder«. Seine Schöpfungskraft speist sich demnach aus der Praktik des Standardisierens, die hier im Sinne des Vereinheitlichens verstanden wird. Mit Blick auf die übermächtig anmutende Figur des System Builders kommt man nicht umhin, eine demiurgische Färbung festzustellen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass der Technikhistoriker Erik van der Vleuten in Anlehnung an Hughes die Konsequenzen des Standardisierens für den nordamerikanischen Raum wie folgend beschreibt: »In the 19th and 20th centuries, Americans transformed a wilderness into a giant building site. Technological systems allowed for a ›second creation‹ of the world, man-made rather than divine, the ›American Genesis‹ (a metaphor used by American settlers, who conceived of technology a means to create the Garden Eden). This produced a technological nation, in whose footsteps the rest of the world was to follow.«6

Innerhalb dieses als überaus patriotisch wie religiös zu bezeichnenden Narrativs avanciert der System Builder zum Schöpfer einer technisch-industriellen Welt, und tritt – nimmt man das Narrativ der »second creation« ernst – die göttliche Nachfolge an.7 Wie sich der System Builder in die Nachfolgerschaft einschreibt und, ob es dabei zu einer agonistischen Situation zwischen ihm und der Größe Gottes kommt, wird im Zentrum dieses Kapitels stehen. In den Blick werden dazu George Eastmans Verstrickungen in die Reformierung des Gregorianischen Kalenders samt der öffentlich ausgetragenen Kontroversen mit religiösen Kircheninstanzen genommen.

5 6 7

stehen aus sehr viel mehr als der sogenannten Hardware, Geräten, Maschinen und Verfahren und den Transport-, Kommunikations- und Informationsnetzen, die sie miteinander verbinden. Sie bestehen aus Menschen und Organisationen.« T. P. Hughes: Die Erfindung Amerikas, S. 12-13. Ausführlich rekonstruiert Ingo Schulz-Schaeffer die Entwicklung der »System«-Bezeichnung und veranschaulicht die produktiven Aneignungsprozesse zwischen Thomas P. Hughes, dem Forschungszweig der Großen Technischen Systeme und den Science and Technology Studies. I. Schulz-Schaeffer: Sozialtheorie der Technik, S. 92-102. Siehe auch J. Weyer: »Netzwerke in der Techniksoziologie.« T. P. Hughes: »The Evolution of Large Technological Systems«, S. 52. E. van der Vleuten: »Understanding Network Societies«, S. 232. Im Rahmen der folgenden Fallstudie wird im Detail auf die alttestamentarische Schöpfungsgeschichte eingegangen. Auf eine Formel heruntergebrochen: Der Genesis nach erschuf das Wort Gottes aus dem Chaos die Welt in sechs Tagen. Und am siebten ruhte er.

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Eastman trat in den 1920er Jahren sukzessiv von der aktiven Leitung der Kodak Company zurück und übertrug die operative Verantwortung an die neue Manager-Generation. Biografische Angaben genauso wie Eastmans Selbstbeschreibungen legen nahe, dass sich der einstige System Builder von nun an hauptsächlich privaten Interessen widmete. Besondere Aufmerksamkeit erfuhr dabei die Beschäftigung mit der kalendarischen Zeit.8 Aus Eastmans »one remaining hobby« erwuchs,9 wie dieses Kapitel zeigen wird, sein großformatigstes Standardisierungsprojekt. Erneut (und daher ungewöhnlich) trat er als System Builder in Aktion, und dies mit einem Vorhaben, das selbst das Kodak-System in den Schatten stellen sollte.10 Eastmans Interesse, einen neuen kalendarischen Standard zu setzen, wurde im Jahre 1923 geweckt. Beeindruckt von dem Engagement der International Fixed Calendar League, startete Eastman die Zusammenarbeit mit ihrem Vorsitzenden, Moses B. Cotsworth. In staatlichen, handelswirtschaftlichen und wissenschaftlichen Zirkeln wurde ebenso der Ruf nach einer kalendarischen Zeit laut, die sich vor allem in den Takt einer ›modern-industriellen Welt‹ einreihen sollte. Angesichts vielerorts agierender Dynamiken nahm sich der Völkerbund mit einer Ausschreibung dem Reformierungswunsch im Jahre 1927 an. Von den 500 eingegangenen Reformvorschlägen, gelangten 185 Kalenderentwürfe in die engere Auswahl. Der »International Fixed Calendar« – bzw. der »Cotsworth Plan« oder »Eastman Plan«, wie er zumeist von der Presse und in Kongresssälen bezeichnet wurde – erlangte enorme Popularität auf US-amerikanischen Boden. Er gehörte zu den letzten drei Kalendervorschlägen, die auf einer vom Völkerbund einberufenen Internationalen Konferenz im Jahre 1931 diskutiert worden sind. Dass sich keiner dieser Reformvorschläge durchsetzte bzw. das gesamte Reformvorhaben eine Geschichte des Scheiterns darstellt, ist offensichtlich. Die Reformverfechter sehnten sich nach einem Kalender, der im Sinne industrieller Erfordernisse ihre Welt berechenbarer machte. Aus Perspektive oberster christlicher Kircheninstanzen schädigte eine solche Standardsetzung jedoch zutiefst die

8 Vgl. E. Brayer: George Eastman, S. 497-499. 9 George Eastman zitiert nach Ebd., S. 499. 10 Wie andere Konzerne in der Wende zum 20. Jahrhundert verfügte die Eastman Kodak Company über eine hierarchische Pyramidenstruktur. Dessen Führungsspitze besetzte Eastman selbst, bis er zurücktrat und passioniert der Jagd, dem Kochen sowie Kalenderforschung nachging. Vgl. E. Brayer: George Eastman, S. 497-499. Thomas P. Hughes Ausführungen zur Karriere von System Buildern decken sich mit dem unternehmerischen Werdegang Eastmans. Hughes zur Folge unternahmen systemerzeugende Erfinder einen Standard setzende Versuch allein einmal. Unternehmerische Folgeerfindungen nahmen hingegen den Status von Verbesserungen bestehender Innovationen ein. Dem geringen Forschungsinteresse an den privaten Aktivitäten von Erfinderpersönlichkeiten mag es geschuldet sein, dass die Quellenlage hinsichtlich der Involvierung George Eastmans bei dem kalendarischen Reformprojekt kaum aufgearbeitet ist. Für den unterschiedlichen Status von Erfindungen siehe T. P. Hughes: »The Evolution of Large Technological Systems«.

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Integrität der göttlichen Schöpfungsgeschichte. Damit barg der »Eastman Plan« das Risiko, die Weltordnung der Gläubigen aus den Fugen geraten zu lassen.

AM ANFANG WAREN DIE KONGRESSE UND KOMITEES Bevor detaillierter auf Eastmans Involvierung in die Kalenderreform eingegangen wird, soll die von Hughes diagnostizierte Ausgangssituation des System Buildings im Fokus stehen: Es herrscht Chaos, Pluralismus und Diversität in der nicht als angemessen standardisiert erachteten Welt.11 Zu erforschen ist, ob und welche verteilten und isoliert voneinander agierenden Dynamiken vor der geplanten Kalenderreform bestanden. Wie ist das von Hughes dargelegte Chaos im Bereich der kalendarischen Zeitmessung zu situieren – auf einer handlungspraktischen oder organisationalen Ebene? Aus medienhistorischer Perspektive gilt es ebenso danach zu fragen, wieso gerade in der industrialisierten Welt des beginnenden 20. Jahrhunderts der Gregorianische Kalender als unzureichend wahrgenommen wurde. Optionen einer adäquateren Zeitmessung wurden ausgiebig in wissenschaftlichen Zirkeln als auch auf internationalen Kongressen in dem Zeitraum zwischen 1900 und 1914 diskutiert. Den Auftakt kalendarischer Reformierungsversuche bildeten insbesondere vier Kongresse: 1900 fand die Evangelische Konferenz von Eisenach statt. Zehn Jahre später tagte das ständige internationale Komitee der Handelskammern und der Handels- und Industrieverbände in London. Die gleiche Vereinigung fand sich im Jahre 1914 in Paris wieder zusammen, wo sie die schweizerische Regierung mit der Einberufung einer Internationalen Konferenz beauftragten. Im selben Jahr wurde auf Veranlassung der Industriebörse eine Konferenz in Lüttich abgehalten, auf der sich einflussreiche Vertreter aus Wissenschaft-, Religions-, Handels- und Industriekreisen versammelten.12 Obwohl mit dem Eintreten des Ersten Weltkriegs das Reformvorhaben stillstand, wurde der Ruf nach akkurateren Aufzeichnungsverfahren und Möglichkeiten der Effizienzsteigerung von Seiten der Wissenschaft und Industrie erneut nach Kriegsende laut.13

11 Auf einen Blick: »One of the primary characteristics of a system builder is the ability to construct or to force unity from diversity, centralization in the face of pluralism, and coherence from chaos«. T. P. Hughes: »The Evolution of Large Technological Systems«, S. 52. 12 Vgl. Völkerbundsekretariat, Informationsabteilung (Hg.) (1928): Der Völkerbund und die Kalenderreform, S. 6. 13 Vgl. Informationsmaterial der US-Regierung: Johnson, Julia E. (23. Juli 1929): »Introduction«, in: United States of America (Hg.): Thirteen-Month Calendar, veröffentlicht im September 1929. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Mappe Calendar Reform.

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Von diesen Diskussionen beeinflusst, setzte sich auch das »Advisory and Technical Committee on Communication and Transit« des Völkerbundes mit der Reformierung des Gregorianischen Kalenders auseinander. Die Mitglieder des Komitees befürworteten die Kalenderreform eindeutig: »[F]ür das Wirtschaftsleben und den internationalen Verkehr [dürfte, N.T.] es von Interesse sein, wenn der Gregorianische Kalender so abgeändert würde, dass die Zeitberechnung einheitlicher und zugleich rationeller wäre.«14 Kritik erfuhr der Gregorianische Kalender aus zwei Gründen, die auf die ungleiche Dauer einzelner Jahreseinteilungen und die jährliche Veränderlichkeit des Kalenders zurückzuführen waren. Die variierende Dauer der Monate, Quartale und Semester verursachte »Verwirrung« und »Unsicherheit«,15 vor allem bei der Aufstellung von Statistiken und buchhalterischen Tätigkeiten. Da Monate über 28, 29, 30 oder 31 Tage verfügten, waren Lohn-, Zins-, Versicherungs-, Pensions-, Renten- und Mietkalkulationen pro Monat, Quartal oder Semester »unzuverlässig«.16 Begründet wurde diese Unzuverlässigkeit mathematisch, denn die variierenden Monatslängen kamen nicht mit einem Zwölftel, einem Viertel oder mit der Hälfte des Jahres überein. Der zweiten Kritikkomplex betraf die Veränderlichkeit des Gregorianischen Kalenders bzw. die jährliche Verschiebung von Wochentagen. Es war unmöglich, ein Datum für ein jährlich wiederkehrendes Ereignis konstant zu fixieren, da dieses im Folgejahr auf einen Sonntag oder gesetzlichen Feiertag fallen konnte. Administrative Instanzen sahen sich daher gezwungen, Parlamentsbeginn, Gerichtstagungen, Messen, Märkte, Verwaltungstagungen, Ferienzeit, Beginn und Ende der Sommerzeit jedes Jahr von Neuem anzuordnen.17 Angesichts dieser Resonanz gab das Transit- und Kommunikationskomitee des Völkerbunds zu verstehen, dass einer Reformierung »unter rein dogmatischen Gesichtspunkten keine Schwierigkeiten im Wege stehen« würden.18 Bedachtsam gaben die Mitglieder dennoch die endgültige Entscheidungshoheit in andere Hände: »[Das Komitee, N.T.] bekannte sich [...] einstimmig zu der Ansicht, dass man niemals eine Kalenderreform irgendwelcher Art in der Praxis verwirklichen könne, bevor sich die Beteiligten obersten Kirchenbehörden nicht geeinigt hätten.«19 Mit der Intention die erforderlichen Vorarbeiten in die Wege zu leiten, rief der Völkerbund für die anvisierte Kalenderreform im Jahre 1923 ein Sonderko-

14 Völkerbundsekretariat, Informationsabteilung (Hg.) (1928): Der Völkerbund und die Kalenderreform, S. 6. 15 Vgl. ebd., S. 11. 16 Vgl. ebd. 17 Vgl. ebd, S. 12. 18 Vgl. ebd, S. 6-7. 19 Vgl. ebd, S. 7.

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mitee ins Leben.20 Während zwar als letzte Entscheidungsinstanz die christlichen Kirchen galten, wurde das Komitee mit der Aufgabe betraut, ein Stimmungsbild auf Seiten der nationalen Öffentlichkeiten einzuholen. Ein neuer Standard führte zwangsläufig zu der »Abänderung bestehender Traditionen«.21 Traditionsbrüche – wie etwa die Fixierung von Ostern oder die Verschiebung von Weihnachten – durften nur in Erwägung gezogen werden, wenn die Öffentlichkeiten der involvierten Nationen »diese Abänderungen ausdrücklich im Interesse gewisser Verbesserungen im öffentlichen Leben und in den Wirtschaftsbeziehungen« sahen.22 Das initiierte Sonderkomitee setzte sich aus einem Völkerrechtsprofessor, Astronomen der römisch-katholischen, orthodoxen und protestantischen Kirchengemeinschaften und einem Mitglied der internationalen Handelskammer zusammen.23 Konkret handelte es sich bei den Mitgliedern um: »Jonkheer W. J. M. van Eysinga, Professor at the University of Leyden (appointed by the Advisory and Technical Committee) Chairman; The Rev. Father Gianfranceschi, President of the Academy ›Dei nuovi Lincei‹ (appointed by the Holy See); Professor D. Eginitis, Director of the Observatory of Athens (appointed by the Oecumenical Patriarch of Constantinople); The Rev. T. E. R. Phillips, Secretary of the Royal Astronomical Society of London (appointed by His Grace the Archbishop of Canterbury); M.G. Bigourdan, formerly Chairman of the International Astronomical Union's Committee on the Calendar (appointed by the Advisory and Technical Committee); Mr. Willis H. Booth, late President of the International Chamber of Commerce (appointed by the Advisory and Technical Committee).« 24

Neben Erhebungen bei Regierungen, Kirchen und internationalen Verbänden – wozu etwa der Weltpostverein, Handelskammern, Frauenvereinigungen sowie

20 Vgl. Informationsmaterial der US-Regierung: Johnson, Julia E. (23. Juli 1929): »Introduction«, in: United States of America (Hg.): Thirteen-Month Calendar, veröffentlicht im September 1929. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Mappe Calendar Reform. 21 Völkerbundsekretariat, Informationsabteilung (Hg.) (1928): Der Völkerbund und die Kalenderreform, S. 7. 22 Ebd., S. 7. 23 Office of the Chairman: »Report of the National Committee on Calendar Simplification for the United States. Submitted to The Secretary of States Washington, August 1929«, Rochester, S. 15. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Mappe Calendar Reform. 24 League of Nations, Advisory and Technical Committee for Communications and Transit (1926): »Special Committee of Enquiry into the Reform of the Calendar« Report Third Session, 23.-24. Juni 1926, S. 1. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Mappe Calendar Reform.

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Eisenbahn-, Professoren- und Touristenverbände gehörten25 – plante das Komitee internationale Kongresse.26 Zur Erklärung, wieso und auf welcher Grundlage sich vor allem mediale und logistische Akteurskonstellationen engagierten, gibt der Rechtshistoriker Miloš Vecs in Recht und Normierung in der industriellen Revolution einen ersten Hinweis. Für die Standardisierungsgeschichte zeichnet Vecs nach, dass Staaten ab der Zweiten Industriellen Revolution auf den grenzüberschreitenden Warenverkehr und die zunehmend verflochtenen Finanzmärkte mit vertraglich fixierten Verabredungen reagierten. Diese »Weltverträge« wurden durch überbetriebliche technische Normierungen, nationale Gesetze oder mit der Etablierung internationaler Verwaltungsunionen, zum Beispiel dem Weltpostverein, wirksam. Der Internationalisierungsschub – der von Wirtschaftshistorikern mit der Globalisierung der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts verglichen wird – erreichte seinen Höhepunkt zwischen 1910 und 1913 und brach mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs ab. Etablierte Ämter blieben genauso wie die ihnen zu Grunde liegenden »Weltverträge« bestehen.27 Die infrastrukturellen Gleise für eine handeltreibende und transportgebundene »Weltwirtschaft« wurden gelegt.28 Vor diesem Hintergrund wird das Interesse an dem kalendarischen Reformvorhaben von Seiten der Handelskammern, Industriebörsen und des völkerbündlichen Komitees nachvollziehbarer. Mediale, logistische und finanzwirtschaftliche Operationen sollten über den Weg zwischenstaatlicher Standardisierung aufeinander abgestimmt und damit für den kooperativen Verbund koodinierbar werden. Ein weiterer Blick auf die angesprochenen Akteurskonstellationen macht eine Reihe organisatorischer Einheiten sichtbar – Einheiten, die sich entlang ihrer Trajektorie prägnanter als Kaskade von projektorientierten wie interessengeleiteten Zusammenkünften weltwirtschaftlicher »Communities of Practice« bezeichnen lassen.29 Zur Vorbereitung zwischenstaatlicher Standardisierung tauschten sich Delegierte und Experten auf Kongressen aus. Die hier kooperie25 Vgl. Völkerbundsekretariat, Informationsabteilung (Hg.) (1928): Der Völkerbund und die Kalenderreform, S. 7. 26 Vgl. Informationsmaterial der US-Regierung: Johnson, Julia E. (23. Juli 1929): »Introduction«. In: United States of America (Hg.): Thirteen-Month Calendar, veröffentlicht im September 1929. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Mappe Calendar Reform. 27 M. Vecs: Recht und Normierung in der industriellen Revolution, S. 1-20. 28 M. Vecs: »Alle Weltworte streben nach Standardisierung«, S. 33. 29 Konzeptualisiert wurden die »Communities of Practice« von den Sozialforschern Jean Lave und Étienne Wenger. Im Kern stellen Praxisgemeinschaften Personengruppen dar, welche durch Konventionen, Sprache und (mediale) Praktiken starke soziale Beziehungen erzeugen. Überschneidende Interessen – wobei die Überschneidung verpflichtend oder freiwillig sein kann – variieren. Für die Mitgliedschaft in einer Praxisgemeinschaft reicht die Verfolgung eines gemeinsamen Ziels aus. Eine institutionelle Angehörigkeit ist nicht zwingenderweise erforderlich. Die Beziehungen ihrer Mitglieder sind nachhaltig, wenngleich sie auch konfliktreich verlaufen können. É. Wenger: Communities of Practice, S. 125-126. Siehe auch J. Lave/É. Wenger: Situated Learning.

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renden technischen, wissenschaftlichen und administrativen Experten lösten den klassischen Diplomaten ab. Die Zusammenkünfte auf Kongressen – so diagnostiziert auch Vecs – symbolisierten den Wandel von bi- zu multilateralen Verhandlungen.30 Gleichermaßen fällt zudem die Organisation von Komitees ins Auge. Der Völkerbund, der als Ergebnis der Pariser Friedenskonferenz nach dem Ersten Weltkrieg entstand, nahm sich kurz nach seiner Formierung am 10. Januar 1920 dem Standardisierungsprojekt im Sinne einer projektorientierten Komiteearbeit an. Damit schien der Völkerbund seinen Arbeitsauftrag – die Schaffung einer friedlichen Gemeinschaft zwischen den Völkern31 – gewissenhaft auch auf Ebene der Mitgliederauswahl erfüllen zu wollen. Das im Komitee befindliche Expertentum zeichnete sich durch nationale Heterogenität aus. Die Mitglieder stammten aus Großbritannien, den Niederlanden, den USA, Italien und Griechenland. Letztendlich täuschen die unterschiedlichen Herkunftsländer aber keinesfalls über eine religiöse und damit eng verwobene wissenschaftliche Machtkonzentration innerhalb des Komitees hinweg. Ein Perspektivwechsel hin zu den Praxisgemeinschaften, die die im Komitee befindlichen Experten stellten, wirft ein anderes Licht auf den beanspruchten Multilateralismus völkerbündlicher Aushandlungen. Die Hälfte der Mitglieder wurde von astronomischen Praxisgemeinschaften entsandt, die durch keine geringeren Persönlichkeiten als den Papst, den Ökumenischen Patriarch von Konstantinopel und den Erzbischof von Canterbury benannt wurden. Von Beginn der Komiteearbeit an wurde die Bewahrung klerikaler Feiertagstraditionen, eine völkerbundsferne Informationszirkulation genauso wie die Entscheidungshoheit der Kirchengemeinschaften garantiert.

AM ANFANG WAREN DIE WORKAROUNDS Schärfere Konturen nahm die Kalenderreform durch eine Ausschreibung an, die das Sonderkomitee an die im Völkerbund befindlichen Nationen adressierte. Auf diese Art gelang es, über 500 Reformvorschläge aus 38 Nationen einzuholen.32 315 dieser Einreichungen gelangten jedoch nicht in die engere Auswahl. Dem Selektionsverfahren ist abzuleiten, dass vor allem Kalender mit stark variierenden Monatslängen keine Berücksichtigung fanden. Die verbleibenden 185 Entwürfe teilte man in drei Klassen ein: In der Ersten befanden sich Reformvor-

30 Siehe auch M. Vecs: Recht und Normierung in der industriellen Revolution, S. 386. 31 Zu Geschichte und Auftrag des Völkerbundes siehe N. Götz: »On the Origins of ›Parliamentary Diplomacy‹«; E. Bendiner: A Time of Angels; P. Clavin: Securing the World Economy. 32 R. Richmond: Time Measurement and Calendar Construction, S. 19.

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schläge, die eine annähernde Gleichmäßigkeit der vier Quartale anstrebten; drei Quartale setzten sich aus zwei Monaten á 30 Tagen und einem Monat á 31 Tagen zusammen. Für die zweite und dritte Klasse waren Zeitmessungen charakteristisch, die auf der Konstruktion eines Ewigen Kalenders basierten. Diese Entwürfe sahen einen gesonderten Tag – zwei Tage im Falle eines Schaltjahres – vor. Während die Vorschläge der einen Klasse ein Jahr in zwölf Monate einteilten, waren für die Anderen eine 13-monatige Aufteilung bezeichnend.33 Den anfänglichen Erhebungen des Völkerbundes zufolge präferierte man in Regierungs- und Wirtschaftskreisen zunächst eine kalendarische Einteilung mit 12 Monaten. Grund dafür war ihre Vereinbarkeit mit religiösen Traditionen, womit eine weniger problematische Integration christlicher Feiertage gemeint war. Verstärkt setzten sich später jedoch Wirtschaftsverbände für den 13-monatigen Kalender ein und damit für eine Einteilung, die interessanterweise häufig als Hilfskalender ihre Anwendung in den 1920er Jahren fand.34 Vor der US-amerikanischen Handelskammer wurde die Verbreitung des Hilfskalenders am 18. Oktober 1927 wie folgt geschildert: »Many concerns in this country and throughout the world are already using the thirteen 28-day periods in their accounting system. One of the largest distributing companies uses it in its fifteen thousand chain stores. A large motion picture producing corporation uses it in two hundred subsidiaries. All British railway companies unanimously adopted the [13-month scheme] for cost purposes and indorsed the reform. The Skoda Works in Prague, employing 22.000 workers and many German business concerns are now using 28-day periods. As it is in actual use today in trade, industry and transportation […].«35

Während im Handel, in der produzierenden und distribuierenden Industrie das Jahr mit 13 Monaten bemessen wurde, gibt ein Blick in den Arbeitsalltag im Bankwesen über eine ebenso vom Gregorianischen Kalender abweichende Nutzung Auskunft. Bei der Berechnung von Depot und Kontokorrent setzte man ein Jahr mit 12 Monaten á 30 Tagen – d.h. mit 360 Tagen – an. Demgegenüber wurde bei der Wechsel-Diskontierung mit 365 Tage kalkuliert. Für den arbeits-

33 Vgl. Völkerbundsekretariat, Informationsabteilung (Hg.) (1928): Der Völkerbund und die Kalenderreform, S. 7-8. 34 Ebd., S. 16. 35 Gehalten wurde diese Rede von George Eastman. Seiner Einbindung in die Kalenderreform wird an späterer Stelle noch detaillierter nachgegangen. Für die Verwendung 13-monatiger Kalender und ihre Positionierung als Hilfskalender in der industriellen Arbeitsorganisation ist hier zu vermerken, dass Eastman der US-amerikanischen Handelskammer eine mehrseitige Aufzählung von Unternehmen vorlegte, bei denen diese Arbeitspraxis bereits Einzug gefunden hatte. Eastman, George: »Address Delivered by Mr. George Eastman before the United States of Commerce«, West Baden, Indiana, 18. Oktober 1927. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Mappe Calendar Reform.

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praktischen Umgang zweier kalendarischer Systeme verwendeten die Mitarbeiter tabellarische Darstellungen.36 In Anschluss an die MedienwissenschaftlerInnen Gabriele Schabacher und Sebastian Gießmann lassen sich die hier agierenden Improvisationen mit den sogenannten »Workarounds« konzeptualisieren. Der Mehrwert dieser Praktiken ist nicht allein mit der Korrektur fehlerhafter Technologien zu begründen, im weiteren Sinne bewältigt man mit ihnen den sozialen Alltag. »[Workarounds] sind als bricolage, als taktische Praktik und als Auseinandersetzung mit den ›normal, natural troubles‹ des Alltags beschreibbar«,37 so Schabacher und Gießmann. Im vorliegenden Fall muss die parallele Verwendung des amtierenden Standards und des 13-monatigen Kalenders handlungspraktisch wie epistemologisch von Vorteil gewesen sein. Denn es wurden Übersetzungsaufwände kalenderbedingter Umrechnungen in Kauf genommen.38 Hilfreich bei der Ursachensuche für diese Workarounds ist der Vergleich mit dem metrologischen Vorgänger, der vereinheitlichten Uhrzeit. Dieses im Jahre 1883 von der Transportindustrie angeregte Standardisierungsprojekt diente in erster Linie dazu, das Risiko von Eisenbahnunfällen zu senken. Unfälle resultierten aufgrund einer Vielzahl vorhandener lokaler Zeiten, die die Züge auf Kollisionskurs führten. Eisenbahnen, das Personal und Zeitpläne wurden durch die standardisierte Uhrzeit erstmals synchronisiert, wobei die Telegrafie als grundlegendes Koordinationsmedium fungierte. Die Synchronisation gestaltete das geografisch verteilte Arbeiten und den Abgleich zwischen lokal bearbeiteten Informationen und übergreifenden Wissensbeständen sicherer für Zugreisende und überdies ökonomisch gewinnbringend für die Eisenbahngesellschafter.39 Im Kontrast zur Uhrzeit bzw. dem parallelen Vorhandensein heterogener Zeiten sind die koordinativen Probleme bei der Nutzung des Gregorianischen 36 Vgl. Völkerbundsekretariat, Informationsabteilung (Hg.) (1928): Der Völkerbund und die Kalenderreform, S. 11. 37 G. Schabacher/S. Gießmann: »editorial«, S. VI. 38 So berichtet ein Zeitungsartikel, dass in Unternehmen die Buchhaltung in zwei Varianten geführt wurde, da der Kundenkreis zumeist mit dem Gregorianischen Kalender arbeitete. F. H. A. (1932): »Shall We Scrap Our Calendar?«, The Outlook. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Mappe Calendar Reform. 39 P. Galison: Einsteins Uhren, Poncarés Karten, S. 97-106; A. D. Chandler: »The Railroads«. Für die Zeitwahrnehmung aus Perspektive der Eisenbahnreisenden siehe W. Schievelbusch: The Railway Journey, S.48; M. O'Malley: Keeping Watch, S. 55-98; W. Cronon: Nature's Metropolis, S. 56. Gleichermaßen ist auf den umfangreichen Sammelband von Christian Kassung und Thomas Macho hinzuweisen, der anhand sozialer und apparativer Dimensionen, Synchronisationen als Kulturtechnik zur Geltung bringt. C. Kassung/ T. Macho (Hg.): Kulturtechniken der Synchronisation. Eine Rezension des Bandes mit medienwissenschaftlicher Schwerpunktsetzung findet sich bei U. Holl: »Theorien, Kulturtechniken und Ästhetiken der Synchronisation«. Die Reaktion der US-amerikanischen Öffentlichkeit auf die Synchronisierung der Uhrzeit wird im Detail beschrieben von C. E. Stephens: On Time, insbesondere »Synchronizing Time 1880-1920«.

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Kalenders angesichts seiner weitreichenden territorialen Verbreitung anders zu begründen. Zeitmessung tritt hier primär als eine Schwierigkeit der Berechnung in Erscheinung – Berechnungsprobleme, die die immanente Heterogenität des Kalenders selbst provozierte. Die variierende Dauer einzelner Jahreseinteilungen und seine jährliche Veränderlichkeit gestalteten Rechenaufwände enorm umfangreich. Obwohl mit der Industrialisierung ein auf Rechenarbeit spezialisiertes Verwaltungspersonal erwachsen ist, muss im beginnenden 20. Jahrhundert der Gregorianische Kalender die Buchhaltung und Gehaltsabrechnung in Industrieunternehmen, die Massenkalkulation in Geldinstituten und die Terminierung und Statistikerstellung in staatlichen Administrationen personal-kostspielig, zeitintensiv und überaus kompliziert gestaltet haben.40 Pointiert formuliert: Die Kapazitäten ›menschlicher Computer‹ wurden durch den Gregorianischen Kalender überlastet, weswegen die dargelegten Workarounds zur berechnungsbedingten Vereinfachung verwendet wurden. Auf Basis der Vereinheitlichung monatlicher Einheiten sollten die durch die Industrialisierung ausgelösten massenhaft zirkulierenden Berechnungsgrößen koordinierbar werden.41 Die Standardisierungsprojekte der Uhrzeit und des Kalenders sprechen dafür, dass die zeitbezogene Metrologie nicht allein als eine in Sternwarten ausgeübte Tätigkeit von Astronomen zu werten ist. Anders als es die Laborstudien der internationale Wissenschaft- und Technikforschung vorschlagen, geraten hier Messund Rechenarbeiten als Aufgabenbereich von Unternehmen und Regierungen in den Blick. Diese Aufwände erklären, wieso ökonomische und staatliche Akteure häufig als Initialzünder solcher Standardisierungsvorhaben auf den Plan treten. Mit dieser Perspektivierung soll dem Stellenwert astronomischer Sternwarten und der hier situierbaren labortechnischen, wissenschaftlichen Praxis genauso wie ihrer Relevanz bei der Instandhaltung zeitlicher Infrastrukturen keinen Abbruch getan werden. Hingegen stellen die geschilderten Praxen in Wissenschaft und Bürokratie zwei Seiten einer Medaille dar. Herauszustellen bleibt dennoch,

40 K. Schmidt: »Von niederer Herkunft«, S. 140-157. 41 George Eastman, der den 13-monatigen Kalender in seinem Unternehmen als Workaround einführte, beschrieb die Komplexität der industriellen Moderne folgendermaßen: »Modern life is more complex in the aggregate than that of any previous age. It demands more mental activity from every individual. Its vast industrial organization and the many new utilities and luxuries it produces, require that every individual think about many more kinds of motions. The industrial processes, too, are engaged in such a multitude of efforts to satisfy a constantly increasing number of human wants, that they are themselves constantly growing more complex. Their managers are continually seeking methods to control and simplify them. Both in individual life and among all processes of civilization, simplification of the calendar would afford relief from unnecessary effort and, thereby, contribute to making our lives easier and happier.« Office of the Chairman: »Report of the National Committee on Calendar Simplification for the United States. Submitted to The Secretary of States Washington, August 1929«, Rochester, S. 11. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Mappe Calendar Reform.

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dass die Formen bürokratischer Zeitmessung in staatlichen und industriellen Einrichtungen vielmehr der History of Computing zuzuordnen sind. Dieser Forschungszweig rekonstruiert den Aufstieg des Computers, durch die Praktiken des Berechnens, Koordinierens und Verwaltens bzw. durch die Praktiken, die in der Zweiten Industriellen Revolution eine Grundlage moderner Bürokratie bildeten und die der Computer noch heute in sich vereint.42 Wie eng das kalendarische Berechnen mit dem Computer gekoppelt ist, illustriert das Jahr-2000-Problem, welches als »Millenium-Bug« Bekanntheit erlangte. Die vorangegangene programmiertechnische Behandlung von Jahreszahlen als zweistellige Dezimaleinheiten sollte zur Jahrtausendwende Betriebssysteme, Anwenderprogramme und damit verbundene Datenbestände zum Absturz bringen. Bei der Fehlerbehebung konzentrierte man sich auf die zuvor ausgelassenen Ziffern, die das Jahrhundert nannten. Zugleich wurde die Gelegenheit genutzt, nicht vollständig der kalendarischen Schaltjahr-Regelung entsprechende Berechnungsformeln anzupassen.43

INFORMATIONSASYMMETRIEN UND HINTERZIMMERGESCHÄFTE Obwohl die bisherige Trajektorie des Reformprojekts Thomas P. Hughes Überlegungen zu einer durch Pluralismus, Chaos und Diversität gezeichneten Welt vor der intendierten Standardsetzung stützt, kommt die These keinesfalls im vollen Umfang zum Tragen. Berechnungsbezogene Notwendigkeiten machten Workarounds in Form der 13-monatigen Kalendernutzung unabdingbar – auch wenn zu guter Letzt dadurch Arbeitswelten und Öffentlichkeiten verschiedene Zeitberechnungen zum Maßstab hatten. Die von Hughes dargelegten pluralen Interessen wie chaotisch (erscheinende!), aus der berechnungsbedingten Improvisation erwachsene, Praktiken mögen vor diesem Hintergrund zwar präsent gewesen sein, jedoch verweisen die mangelnden Entscheidungshoheiten des völkerbündlichen Komitees auf die Wirkmächtigkeit des amtierenden Standards, den Gregorianischen Kalender. Auf Ebene institutioneller Aushandlungen basierte diese Wirkmächtigkeit auf der starken Verbundenheit zwischen dem Gregorianischen Kalender und seinen kirchlichen Fürsprechern. Kurzum: Selbst wenn die Welt der Kalendernutzung durch Diversität und Pluralismus gekennzeichnet war, bestand bereits ein Macht bündelndes »System« religiöser Gemeinschaften, 42 In den Worten von Geoffrey Bowker: »[I]t has been argued that all the business advantages of being able to process huge amounts of data should not be traced back in time to the computer (which its advocates have claimed to be the source of this new ability), but to changes in bureaucratic organization which in turn made the computer possible.« G. C. Bowker: »Information Mythology and Infrastructure«, S. 213. Für eine detaillierte Rekonstruktion der Bürokratisierung ab 1870 siehe Kap. 3. 43 Universität Wuppertal: »Noch 99 Tage ... – das ›y2k-Problem‹«.

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das zum Vorteil des amtierenden Standards auf das völkerbündliche Komitee einwirkte. Vor dieser Ausgangssituation betrat der System Builder George Eastman die Bühne des Standardisierungsprojektes. Die folgenden Ausführungen werden illustrieren, dass er es ähnlich wie die religiösen Machtzentren verstand, die ursprünglich multilateral anvisierten Verhandlungen des Völkerbundes zu unterlaufen. Angesichts der hohen Anzahl international eingereichter Vorschläge bestanden zwar Dynamiken zu Gunsten einer Kalenderreform. Dennoch muss der Völkerbund befürchtet haben, dass die involvierten Öffentlichkeiten eine sofortige Reform ablehnen würden.44 Um die öffentliche Akzeptanz kalkulieren zu können, wurde die Bildung nationaler Studienkomitees am 17. Juni 1926 beschlossen: »Für die Durchführung einer allgemeinen Kalenderreform ist eine methodische Prüfung der Frage durch die Oeffentlichkeit in den verschiedenen Ländern anhand des bereits zusammengestellten Materials, sowie der vorliegenden Vereinheitlichungsvorschläge unerlässlich. Diese Arbeit würde erleichtert werden, wenn nationale Studienkomitees eingerichtet würden, in denen die wichtigsten Interessengruppen vertreten wären.«45 [H.i.O.]

Am 30. September 1927 trat der Generalsekretär des Völkerbundes mit einem Rundschreiben in Kontakt mit den involvierten Regierungen. Während die Auswahl zentraler Vertreter des »wirtschaftlichen und sozialen Lebens« den Regierungen überlassen wurde, rahmte man den Aufgabenbereich der nationalen Studienkomitees deutlich:46 »Ihre Aufgabe besteht mehr in der Begutachtung der etwaigen Reformbestrebungen als in der genaueren Umgrenzung der einzelnen Vorschläge. Die Gründung eines nationalen Studienkomitees in einem Lande braucht keineswegs zu bedeuten, dass dieses Land grundsätzlich für eine Reform eintritt, und zwar schon deswegen nicht, weil gerade das Komitee damit beauftragt ist, Nachforschungen anzustellen, ob und auf welche Weise eine Reform nach Ansicht dieses Landes wünschenswert und möglich ist.« 47

Ungarn und die USA reagierten als erste Nationen auf das Rundschreiben des Völkerbundes. Während die ungarische Regierung den Generalsekretär über ihre Komiteebildung informierte, legte die US-amerikanische Regierung ausgefeiltere

44 Vgl. Völkerbundsekretariat, Informationsabteilung (Hg.) (1928): Der Völkerbund und die Kalenderreform, S. 8. 45 Bericht des Transit- und Kommunikationskomitees vom 17. Juni 1926 zitiert nach Ebd., S. 17. 46 Ebd. 47 Ebd., S. 18.

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Pläne vor.48 In der Person George Eastmans konnten sie bereits einen Komiteevorsitzenden ausweisen. Zur Bekanntgabe seiner Nomination reiste dieser persönlich nach Genf und klärte den Generalsekretär des Völkerbundes im gleichen Zuge über die Zusammensetzung des nordamerikanischen Studienkomitees auf. Hierunter befanden sich etwa Persönlichkeiten aus staatlichen Standardisierungsinstitutionen, der Anwaltskammer, dem Versicherungs-, Eisenbahn- und Bankwesen sowie die Präsidentin des nationalen Frauenrates, der Vorsitzende des amerikanischen Arbeitsverbandes und der Verleger der New York Times.49 Zudem legte Eastman eine ausführliche Liste der von ihm bereits formierten Organisationseinheiten des Sonderkomitees vor. Tätig sollten deren Mitglieder in den Bereichen »Industrie und Handel«, »Finanzwesen«, »Transport und Verkehr«, »Wissenschaft und Gewerbekunde«, »Landwirtschaft«, »Rechtswesen«, »Unterrichtswesen«, »Zeitungs- und Verlagswesen«, »Frauen«, »Arbeit« sowie »Soziale und öffentliche Interessen« werden.50 Im Vergleich zu anderen Gruppierungen fielen die Verbände der »Frauen«, »Arbeit« und »Soziale und öffentliche Interessen« unterbesetzt aus. Letztgenannten Interessenverband verkörperte allein die Schriftstellerin Mary Roberts

48 Die ungarische Regierung informierte den Generalsekretär des Völkerbundes am 31. Mai 1928. Ebd., S. 21. 49 In ausführlicher Form: »Präsident: George Eastman, von der Eastman Kodak Gesellschaft. Vize-Präsident: Dr. C. F. Marvin, Leiter der Meteorologischen Büros der Vereinigten Staaten im Landwirtschaftsministerium. Dr. G. K. Burgees, Leiter des Standardisierungs-Büros im Handelsministerium. Haley Fiske, Präsident der ›Metropolitan Life‹ Versicherungs-Gesellschaft. A. H. Harris, Vorsitzender des Vollzugausschusses der ›New-York Central Railroad‹ Eisenbahngesellschaft. Dr. Max O. Lorenz, vom Ausschuss für den zwischenstaatlichen Handel. Adolph S. Ochs, Verleger der ›New-York Times‹. Mary Roberts Rinehart. Dr. Fred. E. Wright, von der National-Akademie der Wissenschaften. Silas H. Strawn, von der Amerikanischen Anwaltskammer. William Green, Vorsitzender des amerikanischen Arbeitsverbandes. Gerald Swope, Präsident der ›General Electric Co.‹ George E. Roberts, Vize-Präsident der ›National City Bank‹ von New-York. David E. Finley, Sonderreferent des Staatssekretärs des Schatzamtes. Dr. Valeria H. Parker, Präsidentin des nationalen Frauenrates. Frau John D. Sherman, vom allgemeinen Verband der Frauen-Klubs. Prof. W. S. Eichelberger, Direktor des Marine-Almanachs, Marine-Observatorium, Marine-Ministerium. Benjamin F. Affleck, Präsident der ›Universal Portland Cement Company‹. Dr. C. W. Warburton, Direktor des ›Extension Work‹ im Landwirtschaftsministerium. Ethelbert Stewart, Kommissar für Arbeitsstatistik im Arbeitsministerium. Dr. John Tigert, Kommissar für Unterrichtswesen im Innenministerium. O. N. Solbert, Sekretär.« Völkerbundsekretariat, Informationsabteilung (Hg.) (1928): Der Völkerbund und die Kalenderreform, S. 23-24. 50 Ebd., S. 24-28.

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Rinehart. Mit dem Vermerk »unvollständige Liste« – der sowohl der Frauen- als auch der Öffentlichkeitsvertretung hinzugefügt wurde – machte Eastman zwar auf die noch andauernde Mitgliedergewinnung aufmerksam, jedoch ebenso auf seine Priorisierung und Pflege industrieller, kapitalstarker und medienwirksamer Machtzentren.51 Vergebens sucht man überdies nach Organisationseinheiten, die sich für religiöse Interessen einsetzen sollten. Begründet wurde diese Leerstelle wie folgt: »At the outset the Committee desired representation of the religions in its organization, but recognized and found difficulty in securing comprehensive representation of all faiths, and as it was obviously undesirable that the religion should be only partly represented, religious bodies are not identified with its membership.« 52

Im Kontext der berechnungsbedingten Schwierigkeiten mit dem Gregorianischen Kalender – die auch die Kodak Company zur Nutzung eines 13-monatigen Kalender bewog – scheint George Eastmans Interesse an der Reform folgerecht. Dennoch ist danach zu fragen, woher sich das notwendige Expertenwissen im Bereich der Kalenderforschung speiste. Ungeklärt bleibt darüber hinaus, wieso der Industriemagnat bereits kurz nach dem Aufruf, nationale Studienkomitees zu etablieren, mit derart konkreten Plänen aufwarten konnte. Und noch diffuser erscheint dieser Vorbereitungsprozess in dem Kontext, dass Nordamerika zu keinem Zeitpunkt Mitgliedstaat des Völkerbundes war.53 51 Laut dem Abschlussreport des Studienkomitees vom August 1929 fand eine Aufstockung der genannten Leerstellen statt: »Women’s Interests Mrs. John D. Sherman Mrs. Clara B. Burdette, Gen. Fed. Of Women's Club. Dr. Valeria H. Parker Dr. Aurella H. Rheinhardt, Pre. Amer. Assoc. of Univ. Women. Mrs. Franklin W. Fritchey, Pres. Nat. Housewives Alliance, Inc. Mrs. Robert E. Speer, Pres. Nat. Board of Y.W.C.A.« Und »Social, Fraternal and Public Interests Mary Roberts Rinehart, Author. Richard Washburn Child, Author. Gilbert Grosvenor, Pres. National Geographic Society. John R. Mott, Dir., Nat. Council, Y.M.C.A. Chesley R. Perry, Secretary, Rotary International. Edith Nourse Rogers, Member of Congress. Lester F. Scott, National Executive, Camp Fire Girls. James P. West, Chief Scout Exec., Boy Scouts of Amer.« Office of the Chairman: »Report of the National Committee on Calendar Simplification for the United States. Submitted to The Secretary of States Washington, August 1929«, Rochester, S. 9. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Mappe Calendar Reform. 52 Ebd., S. 7. 53 T. J. Knock: To End All Wars, S. 263.

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Zur Klärung dieser Fragen muss eine weitere Person in die Trajektorie des Reformvorhabens eingeführt werden: der britische Statistiker und Kalenderforscher Moses B. Cotsworth. Für Cotsworth stand bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts fest, dass der Gregorianische Kalender kaum in der Lage sein würde, den Erfordernissen der industrialisierten Welt gerecht zu werden. Während seiner Tätigkeit bei der Northeastern Railway of England wurde Cotsworth mit der Aufgabe betraut, die stark schwankende Auslastung des Frachtvolumens über die Wochenenden zu untersuchen. Eine exakte mathematische Kalkulation gestaltete sich aufgrund der unterschiedlichen Dauer der Monate und Anzahl der Wochenenden überaus kompliziert wie zeitintensiv. Angesichts dieser Schwierigkeiten entwarf Cotsworth einen Kalender, für den die uniforme Dauer von Monaten charakteristisch war.54

Abb. 6.1: Cotsworth 28-tägige Monatseinheit und der Gregorianische Kalender

54 Zimmermann, Janet Hull (o.A.): »Is Our Calendar a Bad Habit?«, Zeitungsverlag o.A.. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Mappe Calendar Reform.

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Abb. 6.2: Der 13-monatige Kalender Diesem Kalender nach wurde das Jahr in 13 Monate aufgeteilt. Die 13te Einheit – die den Namen »Sol« trug – resultierte aus der Streichung des 29., 30. und 31. Tages eines jeden Monats. Seinen Platz sollte der auf diese Art konstruierte Monat zwischen Juni und Juli erhalten. Wie die Abb. 6.1 und 6.2 illustrieren, dauerte jeder Monat stets 28 Tage. Jeder Wochentag konnte daher in einem fixen Verhältnis zu einem Datum stehen. Eine solche Fixierung schaltete die Varianz nicht nur zwischen den Monaten eines Jahres aus, sondern genauso zwischen den verschiedenen Kalenderjahren.55 So fiel der 7. April zum Beispiel jedes Jahr aufs Neue auf einen Samstag. Nicht zu übersehen ist auch der ungewöhnlich erscheinende Wochenauftakt, der durch einen Sonntag eingeleitet wurde. Die durch ihre Simplizität bestechenden Einheiten gestatteten es zudem, die vier Wochen eines Monats übersichtlich in die Anzeigen von Uhren integrieren zu können (Abb. 6.3).

Abb. 6.3: Die Uhr- und die kalendarische Zeit auf einem Blick 55 Eastman, George: »Presentation to the United States Chamber of Commerce of the Cotsworth Plan«, 18. Oktober. 1927. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Mappe Calendar Reform.

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Cotsworth setzte sich 25 Jahre erfolglos für die Durchsetzung des 13-monatigen Kalenders ein. Erschöpfte finanzielle Ressourcen bewegten ihn schließlich im Jahre 1924, persönlich Unterstützung bei Eastman zu suchen. Höchstwahrscheinlich spielten bei der Auswahl dieses Protegés nicht allein finanzielle Motive eine ausschlaggebende Rolle.56 Durch die Etablierung der massenmarkttauglichen Kameraindustrie verfügte der als Philanthrop gefeierte Industriemagnat bereits über ein öffentlich wirksames Image samt soziopolitischem Netzwerk. Eine archivarische Quelle lässt zudem darauf schließen, dass sich beide nicht gänzlich unbekannt waren. Eastman würdigte das Reformvorhaben von Cotsworth bereits im Jahre 1923. Mit Blick auf Cotsworths Engagement publizierte er den Artikel »When Thirteen Months Make a Year« in der Sunday Evening Post.57 Eastman bot weder übereilt noch vorbehaltlos sein Mitwirken bei der Kalenderreform an. Zur Risikoabschätzung gab der Industriemagnat zunächst eine Umfrage in Auftrag, wozu Fragebögen und Informationsmaterialen an 100 Personen versandt wurden. Nachdem etwa 90% der angeschriebenen Banker, Großindustriellen, Gewerkschaftsführer, Universitätsprofessoren und Schulinspektoren der Kalenderreform positiv begegneten,58 investierte Eastman eine nicht unerhebliche Summe aus seinem Privatvermögen.59 Daraufhin betraute er noch im selben Jahr seinen vertrauten Mitarbeiter Marion B. Folsom und den Leiter der Öffentlichkeitsabteilung, Eugene Chrystal mit der dafür notwendigen Finanzverwaltung und Werbepromotion.60 Dass Eastman sich zwar auf Aufgabendelegation verstand, aber auch unmittelbar Engagement zeigte, führt ein Brief an Willis H. Booth vor Augen – dem damaligen Vizepräsident der Guaranty Trust C., Mit-Direktor von IBM und, aufschlussreicher Weise, Präsident der internationalen Handelskammer des Völkerbundes und Mitglied des mit dem Reformprojekt betrauten Sonderkomitees: »I am strongly in favor if Cotsworth's FIXED CALENDAR. As it appeals to me as best fitted for business needs. I appreciate, however, that it may not be wise to press it as an American

56 Eine solche Begründung findet sich bei E. Brayer: George Eastman, S. 499. 57 Dies lässt sich der Korrespondenz zwischen George Eastman und Dr. Charles N. Doud vom 24. Juli 1923 entnehmen. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, George Eastman Correspondence PLB 24-19. 58 Vgl. E. Brayer: George Eastman, S. 499. 59 Information vom George Eastman Museum, Ausstellungsplakat zur Kalenderreform (Oktober 2013). 60 Brief von George Eastman an Eugene Chrystal vom 12. Januar 1924. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, George Eastman Correspondence PLB 19-10. Vgl. E. Brayer: George Eastman, S. 499.

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or business plan before your Committee reports to the League of Nations. We do not wish to do anything which would not cooperate with your plans in every way.«61 [H.i.O]

Und weiter heißt es: »Since talking with you I have gone over the subject with Mr. Cotsworth and he feels that this is his work of education should go on, particularly among the foreign nations, and suggests that it is necessary to do this to keep alive the interest in Calendar Reform which has been created. I asked him what he thought he should do and he said he planned to have two of his pamphlets translated into German, French, Spanish and Italian, and mailed to ecclesiastical and educational people. This he would have done while aboard within the next month. He does not believe that this would interfere with your idea of proper procedure, as would be entirely educational in character among foreign nations. He feels that this should be done as he expects that advocates of other plans will be doing similar work.«62

Abzulesen ist diesem Brief vor allem Eastmans Einflussnahme auf die Vermarktungsstrategie des Kalenders – einer Strategie, die darauf bedacht war, den Verdacht eines dominierenden unternehmerischen Mehrwerts oder nationalen Hegemoniewillens nicht aufkommen zu lassen. Die als »Ewiger Kalender« deklarierte Zeitmessung sollte ein neutrales, interessenungebundenes Auftreten vor dem Völkerbund wahren. Interessant an dieser archivarischen Quelle erscheint ebenfalls der Vermerk über ein »ordentliches Verfahren«, dessen Anschein nicht durch die Zirkulation von Informationsmaterialien im Ausland gefährdet werden sollte. Nicht allein der Austausch dieser sensiblen Strategieinformationen oder die ebenso sensibel zu behandelnde Allianz zwischen dem völkerbündlichen Komiteemitglied Booth und dem Entrepreneur Eastman erklären die angedachten Vorsichtsmaßnahmen. Im vollen Umfang entfaltet sich das Ausmaß der geschädigten Integrität des Verfahrens, wenn der Blick auf das Entstehungsdatum des Schriftstücks gerichtet wird. Datiert ist der Brief auf den 16. Dezember 1925, womit er ca. 21 Monate bevor der Völkerbund zur Bildung nationaler Studienkomitees aufrief, verfasst wurde.63 Informationsvorsprünge wie resultierende 61 Brief von George Eastman an Willis H. Booth vom 16. Dezember 1925. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, George Eastman Correspondence PLB 22-14. 62 Ebd. 63 Aus nicht rekonstruierbaren Gründen ließ Marion Folson – Kodak-Angestellter und administrativ an der Kalenderreform Beteiligter – im Jahre 1945 Informationen zur Kalenderreform zusammentragen. Einer Notiz ist zu entnehmen, dass Eastman den Kontakt zu Cotsworth nicht publik machte. Genau heißt es: »At this point [1924, N.T.] Eastman became interested in Cotsworth, offered him support which he continued throughout his life, though his support was not publicized for the first three years.« Diese Notiz ist vermerkt auf einer Karteikarte zu »Calendar (13-month)«. George

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Asymmetrien, die erklären, warum die US-amerikanische Regierung vertreten durch Eastman vor allen anderen Staaten über institutionelles ›Insiderwissen‹ verfügte, lassen sich damit über den Weg der Korruption erklären. Die Vorteilsnahme genauso wie ihre -gewährung wurde zum Missbrauch institutioneller Vertrauenspositionen in Kauf genommen. Der Schritt des Vertrauensbruchs wurde durch das Komiteemitglied ausgeübt, in dem er der (selbst zugehörenden) Nation den Vorzug einräumte. Auf Basis des geschaffenen zeitlichen und informationellen Vorsprungs legte Eastman die infrastrukturellen Gleise für sein kalendarisches System. Ähnlich wie bei dem System Building der Fotografieindustrie versuchte er sich ›first mover‹-Vorteile zunutze zu machen. Die Gewinnung von Fürsprechern und die Bewerbung von Cotsworths 13-monatigem Kalender gehörten genauso zum System Building wie der korrumpierte Einzug in das nationale Studienkomitee.64 Wird die beschriebene Differenz zwischen einem ordentlichen und illegitimen Verfahren stärker medienwissenschaftlich perspektiviert, so zeichnet sich eine Kluft zwischen der formalen Repräsentation eines Verfahrens und der im Dunkeln bleibenden Arbeit ›in den Hinterzimmern‹ ab. Eine Offenlegung dieser Tätigkeiten würde nicht, wie es die WissenssoziologInnen Susan Leigh Star und Anselm Strauss vorschlagen, zur Wertschätzung geleisteter Arbeiten führen, die ansonsten unberücksichtigt blieben oder Dritten in Rechnung gestellt würden.65 Die hier agierenden »unsichtbaren Arbeiten« sind zwar genauso zentral für die

Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Mappe Calendar Reform. 64 Briefwechsel aus dem Jahre 1925 machen darauf aufmerksam, dass der Großunternehmer Cotsworths Kalender beim Präsidenten des Massachusetts Institute of Technology – Samuel W. Stratton – bewarb. Gleichermaßen verfasste Eastman Rundschreiben, wie dieses vom 18. November 1925: »GE to To Whom It May Concern – The bearer, Mr. Moses B. Cotsworth, is the Director of the International Fixed Calendar League, the purpose of which is to secure the reform of the present Calendar. I have known Mr. Cotsworth for the past year or more and have taken a lively interest in his work which I regard as import.« Eastman bürgte nicht allein mit seinem Ansehen für Cotsworth, sondern auch für einen nahezu reibungslosen Kalenderwechsel. In einem Brief an E. O. Goss von der Scovill Manufacturing Company vom 14. Juni 1927 bezweifelte er rechtliche Schwierigkeiten bei der Datenumschreibung von Wertpapieren, wie Hypothekenschreiben, Ausbildungsverträge und weitere rechtwirksame Dokumente. Der US-Kongress, so Eastmans Vorschlag, könnte ein Gesetz erlassen, durch das diese Vertragsformen mit den korrespondierenden Daten des neuen Kalenders umgeschrieben werden könnten. Dazu empfahl er den Einsatz von Umrechnungstabellen. Brief von George Eastman an Samuel W. Stratton vom 17. November 1925; Brief von George Eastman an To Whom It May Concern vom 18. November 1925; Brief von George Eastman an E. O. Goss vom 14. Juni 1927. Alle archivarischen Quellen in: George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, George Eastman Correspondence PLB 22-3, PLB 22-4, PLB 23-43. 65 S. L.Star/A. Strauss: »Schichten des Schweigens, Arenen der Stimme«. Eine aktuelle Einordung unsichtbarer Arbeit aus Perspektive der Workplace Studies findet sich bei J. Potthast: »Reflexionen zur Ökologie sichtbarer und unsichtbarer Arbeit«.

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Erzeugung und Instandhaltung von Infrastrukturen, jedoch sind sie aufgrund ihrer parasitären Natur darauf angewiesen, im Hintergrund zu verweilen.66 Anzuerkennen bleibt bei diesen parasitären Tätigkeiten das voraussetzungsreiche Wissen im Umgang mit formalen Repräsentationen wie im Bereich institutioneller Aushandlungen – Expertise, die ihre Manipulation erst ermöglicht. Eine tragende Rolle kommt dabei medialen Praktiken zu, wozu das Hinzuziehen von personalen Informationsquellen, der Instrumentalisierung des eigenen Images und, wie der weitere Werdegang des Reformprojektes noch darlegen wird, eine großangelegten Marketing-Kampagne gehörten.

BERECHNEN NATURALISIEREN Mit der Etablierung des United States Office of the International Fixed Calender League in Rochester, New York – dem Hauptsitz der Eastman Kodak Company – startete das nationale Studienkomitee seine offizielle Arbeit.67 Auch für die Informationszirkulation dieses Komitees sah Eastman besondere Regulierungen vor. Zum Beispiel übertrug er im Falle seiner Abwesenheit die Prüfung aller inund ausländischen Korrespondenz dem Kodakangestellten O. N. Solbert und nicht, wie etwa zu anzunehmen, Dr. C. F. Marvin, dem Vize-Präsidenten des Studienkomitees.68 Obwohl das Komitee gemäß des völkerbündlichen Auftrags ermitteln sollte, ob die US- Öffentlichkeit die Kalenderreform im Allgemeinen befürwortete – ohne dabei einen Kalender im Speziellen hervorzuheben69 – wurde eine zuwiderlaufende Vermarktungsstrategie gewählt.70 Der »Cotsworth Plan« oder »Eastman 66 M. Serres: Der Parasit. 67 Diese Information war auf dem Ausstellungsplakat »Master of Time« im George Eastman Museum notiert, Oktober 2012. 68 Brief von George Eastman an die Mitglieder des nationalen Studienkomitees (Chrystal, Folsom, Cotsworth, Solbert, Marvin, MacDermott, Morrison) vom 10. Dezember 1927, George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, George Eastman Correspondence PLB 24-14. 69 Hierzu noch einmal die Aufgabenbeschreibung des Völkerbundes: »[Die] Aufgabe [nationaler Studienkomitees] besteht mehr in der Begutachtung der etwaigen Reformbestrebungen als in der genaueren Umgrenzung der einzelnen Vorschläge. Die Gründung eines nationalen Studienkomitees in einem Lande braucht keineswegs zu bedeuten, dass dieses Land grundsätzlich für eine Reform eintritt, und zwar schon deswegen nicht, weil gerade das Komitee damit beauftragt ist, Nachforschungen anzustellen, ob und auf welche Weise eine Reform nach Ansicht dieses Landes wünschenswert und möglich ist.« Völkerbundsekretariat, Informationsabteilung (Hg.) (1928): Der Völkerbund und die Kalenderreform, S. 18. 70 Hand in Hand ging diese Werbekampagne mit der vom Völkerbund erwünschten Studie. Das nationale Studienkomitee führte dazu eine Untersuchung über die Dauer eines Jahres durch. Grob skizziert gliederten sich die Untersuchungsgegenstände – die das

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Plan«, wie der Kalender auch häufig von der Presse betitelt wurde, stand im Zentrum aller Bemühungen. So verschickte das nationale Studienkomitee (sowie ihre unterstützenden Komitees) Informationsmaterialien an Organisationen, durch die diverse Bereiche des öffentlichen Lebens abgedeckt werden sollten. Zu den 1433 aufgelisteten Organisationen gehörten zum Beispiel der Furniture Club of America, die International Brotherhood of Bookbinders, die Vereinigung der Industrial Research Laboratories, die National League of Nursing Association genauso wie die Sugar Brookers Association, die Association of Teachers of Religion und die American Dialect Society.71 Die zirkulierten Materialien beinhalteten je eine Illustration und Beschreibung, die jeweils für die Klasse der 13- und 12-monatigen Kalender stand. Während zur Illustration der 13-monatigen Kalenderklasse der International Fixed Calendar League von Moses Cotsworth verwendet wurde, gab das Informationsmaterial über den illustrativen Repräsentanten der 12-monatigen Kalenderklasse keine Auskunft.72 Werden die Strategien der losgetretenen Werbekampagne konzeptuell auf einen Nenner gebracht, versprach sowohl die Adressierung der nationalen Öffentlichkeit als auch der Wirtschaft die Naturalisierung des Kalenders. In wirtschaftlichen Kreisen griff George Eastman dazu auf die von Sanford Fleming initiierte »Weltzeit« zurück.73 In einem Plädoyer für die Standardsetzung, das er

Studienkomitee durch den vom Völkerbund definierten Arbeitsauftrag autonom ausgestalten durfte – folgendermaßen: Mängel des gegenwärtigen Kalenders Kalendergeschichte samt kalendarischer Umwälzungen Nationale und internationale Reformbewegungen Methodische Durchführbarkeit eines Kalenderwechsels via Reportanalyse Firmeninterne Erfahrungen bei der Nutzung eines nicht-gregorianischen Kalenders Religiöse Aspekte eines Kalenderwechsels Sammlung und Analyse von Kalenderreform bezogenen Beiträgen in Presse und Radio sowie die Auswertung von in Schulen oder Kongressanhörungen stattgefundenen Diskussionen Zirkulation von Fragebögen und Informationsmaterialien an diverse öffentliche Organisationen Bei den angeführten Untersuchungsgegenständen wurde nur in seltenen Fällen auf ein methodisches Vorgehen oder den Rückgriff von Medien der Meinungsforschung hingewiesen. Office of the Chairman: »Report of the National Committee on Calendar Simplification for the United States. Submitted to The Secretary of States Washington, August 1929«, Rochester, S. 12-13. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Mappe Calendar Reform. 71 Auflistung der 1433 Organisationen befindet sich in: Ebd. 72 Ebd., S. 18-19. 73 Die Nennung Flemings wurde von Eastman ebenso verwendet, um auf vorangegangene Zusammenarbeit zwischen Cotsworth und Fleming hinzuweisen. Eastman, George: »Address Delivered by Mr. George Eastman before the United States of Commerce«, West Baden, Indiana, 18. Oktober 1927. George Eastman Museum, George Eastman

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vor der US-amerikanischen Handelskammer am 18. Oktober 1927 hielt,74 ist folgende Passage zu finden: »Despite the public confusion and business wastefulness which that condition imposed upon the nation, it was argued and widely believed that local noontimes could never be changed. By 1884 the sentiment in favor of Standard Time was so universal that President Arthur called an International Conference. Two years later Standard Time was adopted by all leading nations with but one exception. Today that international Standard Time system is used, and has developed great public convenience throughout the world. It is so universal, that most people have forgotten that any other time ever existed.« 75

Mit diesem Vergleich zur Hand schilderte Eastman, dass die Einführung einer neuen kalendarischen Zeitmessung kein erheblich anderes Unterfangen als die der Weltzeit darstellen würde. Wo am Anfang »öffentliche Verwirrung« und »ökonomische Verschwendung« durch Mannigfaltigkeit herrschten, stand nun eine Universalie, die dank ihrer nationalen Reichweite und ihres territorialen Geltungsbereichs ein Vergessen des Status quo ante bewirkte. Wie gering die Akzeptanzschwelle bei einem Kalenderwechsel auf Seiten der Öffentlichkeit zu veranschlagen sei, illustrierte er anhand der Durchsetzung des Gregorianischen Kalenders in der Türkei. Diese fand am 1. März 1917 statt. Eastman notierte hierzu: »Since the World War nations with a population of more than 300.000.000 inhabitants have changed their calendars. Recently the Turkish government gave official notice to change the Mohammedan weekly ›rest day‹ from Friday to our Sunday.«76 Die Bezugnahme auf den Islamischen Kalender kommt einer imperialistischen Geste gleich – ein Eindruck, der durch Bemerkungen wie die Folgende verstärkt wird: »[The calendar reform] is an opportune moment for American business to assume the leadership.«77

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Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Mappe Calendar Reform. Eastman, George: »Address Delivered by Mr. George Eastman before the United States of Commerce«, West Baden, Indiana, 18. Oktober 1927. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Mappe Calendar Reform. Ebd. Ebd. Hinter dem zitierten Verweis auf den Islamischen Kalender steckte gleichermaßen eine ausgeklügelte Taktik, die vor allem die Bereitschaft christliche Feiertage neu zu ordnen, anvisierte. Zugespitzt formuliert: Wenn islamisch Gläubige dazu in der Lage waren, die Verschiebung zentraler religiöser Feiertage zu akzeptieren, dann könne man dies Juden und Christen ebenfalls abverlangen. Diesem ›Abverlangen‹ samt der implizierten Kontroversen wird an späterer Stelle noch im Detail nachgegangen. Vorab soviel: Mit dem von Cotsworth konstruierten 13-monatigen Kalender stand die Fixierung von Ostern, der Bruch der 7-Tage Woche durch das Hinzufügen zusätzlicher Sabbattage und die Verlegung von Weihnachten zur Diskussion. Ebd.

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Die Hoffnung, eine wirtschaftliche Führungsposition zu erlangen, ist vor diesem Hintergrund nicht allein mit der beschriebenen Vereinfachung menschlicher Computing-Leistung zu begründen. Die Kalenderreform war für die nordamerikanische Regierungsinstitution Mittel und Zweck für die expansiven Bewegungen eines wirtschaftlichen Imperialismus – ein Umstand, der erneut ein anderes Licht auf die Tatsache wirft, dass die USA kein Mitglied des Völkerbundes war.78 Ungeachtet dessen würde eine Standardsetzung des 13-monatigen Kalenders die internationale Zirkulation eines ökonomischen Wertesystems motivieren. Diese Werte hatten ihren Ursprung in der industriellen Moderne,79 und zeichneten sich im Falle des kalendarischen Standardanwärters durch die beschleunigte, rationalisierte und ökonomisch verwertbare Berechenbarkeit von unternehmerischen und staatlichen Operationen aus.80 Da die Handelskammer als eine der wenigen US-amerikanischen Institutionen über die Befugnis verfügte, eine Internationale Konferenz zur weiteren Diskussion der Kalenderreform einzuberufen, drängte Eastman dessen Mitglieder zu einem schnellen Entschluss. Würde sich die Handelskammer nicht vor Ablauf des Jahres 1927 für eine Internationale Konferenz engagieren, könnte die Kalenderreform erst 6 Jahre später in die Tat umgesetzt werden. Gründe für diese Verzögerung waren in den kalendarischen Ordnungen selbst zu finden (Abb. 6.4).

78 Die Historikerin Venessa Ogle beschreibt in ihrer bahnbrechenden Studie The Global Transformation of Time, 1870-1950 das Verhältnis von Internationalismus und Amerikanismus wie folgt: »The favored solution was now to shape internationalism in such a way that American interests would be safeguarded, to govern the world ›the American way.‹ Yet the intellectual ingredients of nineteenth-century internationalism and time reform-a universalist creed, an almost utopian belief in universal solutions for global improvement, a technocratic vision of a malleable world that could be engineered into shape, a notion of universal time and progress against which the achievements and shortcomings of different societies were measured-lived on in the countless ›modernization‹ projects that Western social scientists and their executors now bestowed on the ›developing world‹ with its benighted peoples who, disadvantaged by history, race, and geography, lacked the good fortune of inhabiting the same stage of historical time as the West.« V. Ogle: The Global Transformation of Time, S. 202. 79 Für das Zeitbewusstsein der industriellen Moderne war Nina Degele und Christian Dries zufolge vor allem »Beschleunigung« charakteristisch. In Modernisierungstheorie halten die AutorInnen zu Kalendern fest: »Mechanische Uhren und der Kalender entkoppeln die Zeit von natürlichen Rhythmen und zerlegen sie in mess- und damit verwertbare Einheiten: Das bis heute gültige Paradigma einer ›linearen‹, in immer gleich langen Einheiten kontinuierlich und unerbittlich fortschreitenden Zeit wird geboren.« N. Degele/C. Dries: Modernisierungstheorie, S. 165. 80 Eine weitere Fallstudie, in der Metrologie und Imperialismus Hand in Hand gingen, schildert der Wissenschaftshistoriker Simon Schaffer. Das Britische Empire beabsichtigte die Standardisierung des Ohms für den transatlantischen telegrafischen Austausch mit ihren Kolonien. S. Schaffer: »A Manufactory of Ohms«.

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Abb. 6.4: Die Monatseinheit des 13-monatigen Kalenders Cotsworths Kalender sah als Auftakt jeder Arbeitswoche einen Sonntag vor, weshalb der erste Januar auch mit diesem Wochentag beginnen musste. Der erste mögliche Sonntag, den man auf diese Art fixieren konnte, traf auf das Jahr 1933 zu. Eine erneute Reformierungschance eröffnete die Ordnung des Gregorianischen Kalenders wieder im Jahre 1939. Auch die Schilderung kalendarischer Planungen und Berechnungen anderer Nationen wurde von Eastman zur Markierung von Dringlichkeit bzw. Vermittlung eines Zeitdrucks eingesetzt: »The calculations for the astronomical, tide, and other tables are made about six years in advance by the British, American, French, German and Spanish Governments. In fact, they last month began their calculations for the year 1933, and can incorporate them in the [13 month] Calendar for 1933, provided that the International Conference agrees not later than 1929.«81

81 Eastman, George: »Address Delivered by Mr. George Eastman before the United States of Commerce«, West Baden, Indiana, 18. Oktober 1927. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Mappe Calendar Reform. Ein Brief den Eastman an den Präsidenten der American Bar Association, Silas H. Strawn am 28. Dezember 1928 richtete, lässt vermuten, dass sich die Mitglieder der Handelskammer nicht zu einer schnellen Entscheidung hinreißen ließen. Denn im Folgejahr wurde der Präsident der Vereinigten Staaten dazu aufgefordert weitere Schritte einzuleiten: »You will be pleased to know that the Calendar is coming on even faster than we hoped. The last boost has been by Congressman Porter, Chairman of the House Forgein Relations Committee, who, as you may have noticed, has introduced the joint resolution authorizing and requesting the President to call a conference on the calendar reform, or to accept an invitation from any other nation or group of nations who may issue it. Porter thinks there is a good chance of his getting the resolution through in this present short session.« Brief von George Eastman an den Rechtsanwalt Silas H. Strawn vom 28. Dezember 1928, George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, George Eastman Correspondence PLB 25-8. Die beschriebenen Aktivitäten von Stephen G. Porter werden auch im Jewish Agency Bulletin in der Mitteilung »Public Sentiment in U.S. Inclines to Calendar Reform, Congressman Porter Says« vom 17. Dezember 1928 geschildert. Zur politischen Wirksamkeit von Strawns Aktivitäten siehe J. C. Slade: »Silas H. Strawn«.

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Einen schnellen Entschluss in Richtung Internationaler Konferenz zu fassen, wurde als historische Chance begriffen, die es den USA ermöglichen sollte, den kalendarischen Standard für eine Weltwirtschaft zu setzen. Archivarisches Material gibt darüber Auskunft, dass nur wenige weitere Nationen, u.a. die Niederlande und Deutschland, die Komiteebildung vollzogen haben.82 Zu vermuten bleibt, dass die Einberufung einer baldigen Konferenz das Ziel verfolgte, die Konkurrenz durch andere Nationen zu minimieren. Eastmans Kategorie einer durch die Nutzung erfolgenden Akzeptanz des neuen Standards wie kollektiven Vergessens seines Vorgängers ist keinesfalls als ein undifferenziertes Versprechen zu übergehen. Konzeptuell lässt sich diese Akteurskategorie mit der sogenannten »Naturalisierung« rahmen. Wenn sich Vertrautheit mit einem Objekt durch die Nutzung einstellt, nimmt der Nutzer das Artefakt nicht mehr als neu oder anders wahr. Dabei lässt der tatsächliche Gebrauch die fremdartige Beschaffenheit des Artefaktes vergessen – so halten es die WissenssoziologInnen Geoffrey C. Bowker und Susan Leigh Star in ihrer praxeologischen Weiterentwicklung des anthropologischen Konzeptes fest. Die beschriebene Vertrautheit ist nicht instrumentell zu verstehen, wie dies bei erworbenen Fertigkeiten der Fall ist, sondern relational, als ein Maß für Selbstverständlichkeit.83 Wendet man sich wieder der Werbekampagne des nationalen Studienkomitees zu, spielten kalendarische Nutzungsweisen genauso wie die ›Natur‹ eine tragende Rolle. Mit der Thematisierung von Haushaltsführung und dem weiblichen Körper stellten Frauen eine zentrale Zielgruppe dieser Kampagne dar. Kaum überraschend erscheint dabei, dass die Verwendung des Gregorianischen Kalenders im Privat- und Familienleben mit einem zeitintensiven Rechenaufwand gleichgesetzt wird. Insbesondere resultierten Probleme bei der Haushaltsführung. Da Wochentage nicht in einem fixen Verhältnis zu Daten standen, Monatslängen variierten und die Einheit einer Woche am Monatsende durch den Beginn des Folgemonats gesplittet wurde, schlichen sich zwangläufig Fehler bei der Einkommens- und Auskommensverwaltung ein. Während die Hausfrau beispielsweise Rechnungen für Lebensmittel wöchentlich beglich, stand die Bezahlung der Miete oder von Licht und Heizung monatlich an. Mit Blick auf den Lohn gestaltete sich diese ›buchhalterische‹ Kalkulation noch komplexer, denn das Einkommen traf wöchentlich, im zweiwöchentlichen Turnus oder monatlich ein.84 82 Genauer heißt es: »The project goes more slowly there but Mr. Cotsworth writes that committees for Germany, the Netherlands, and one or two other countries are being formed.« Brief von George Eastman an den Rechtsanwalt Silas H. Strawn vom 28. Dezember 1928, George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Mappe Calendar Reform. 83 G. C. Bowker/S. L. Star: »Kategoriale Arbeit und Grenzinfrastrukturen«, S. 177-182. 84 Office of the Chairman: »Report of the National Committee on Calendar Simplification for the United States. Submitted to The Secretary of States Washington, August 1929«,

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Auch der weibliche Körper wurde auf eine Linie mit berechnungsbedingten Herausforderungen gebracht. Cotsworths Kalender würde die Kalkulation der Periode vereinfachen, weil der Kalender selbst die natürliche Periodisierung stellarer Ordnungen als Maßstab heranzog: »For women, the 28-day lunar month is Nature's regulating unit, which constantly times their physical periods of 28-days, and the 280-days of developing motherhood. Half of humanity is composed of woman, everyone of whom will be greatly benefitted by the 28days per month calendar in their personal reckonings of one month and 10-months.«85

Die Übersetzung der Natur als zentrale Computing-Größe ist auch in der Bewerbung des Kalenders für agrarwirtschaftliche Zwecke wieder zu finden. Den US-amerikanischen Farmern sollte der Kalender bei der Aufzucht von Vieh und Geflügeltieren hilfreich sein.86 Die Ausführungen zum Zusammenspiel von Domestikation und Zeitmessung bleiben dabei unkonkret. Nachvollziehbarer wird der Gewinn für die (Industrie-)Forschung auf unternehmerischer und staatlicher Ebene dargelegt. Zum Beispiel erlaubte der 13-monatige Kalender medizinischen Forschungseinrichtungen und Gesundheitsbehörden monatliche Statistiken über Geburten und Todesfälle zu erstellen. Die hier zugrunde liegenden uniformen Monatseinheiten würden ebenso aus statistischen Gründen meteorologische Aufzeichnungen über Temperaturen sowie Niederschlag bereichern.87 Obwohl die beschriebenen Mehrwerte des 13-monatigen Kalenders teilweise unausgereift erscheinen, lassen sie sich als Kalkül einer dauerhaften Stabilisierung verstehen. In Wie Institutionen denken beschreibt die britische Sozialanthropologin Mary Douglas, wie Institutionen mittels symbolischer Assoziation darüber hinwegtäuschen, dass ihre Wissenssysteme aus sozialen Arrangements hervorgegangen sind. »Ähnlichkeit ist eine Institution«,88 so Douglas Formel, um die Verbindung des Sozialen mit Kategorien der physikalischen, natürlichen Welt zu erklären. Für die Erzeugung von Wissenssystemen wird festgehalten: »[E]ine in Entstehung begriffene Institution benötigt ein stabilisierendes Prinzip, das ihre vorzeitige Auflösung verhindert. Dieses stabilisierende Prinzip ist die Naturalisierung sozialer Klassifikationen. Es bedarf einer Analogie, dank derer die formale Struktur eines

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Rochester, S. 37-38. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Mappe Calendar Reform. Eastman, George (o.A.): Do We Need a Calendar Reform?, S. 38, Informationsbroschüre. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Mappe Calendar Reform. Eastman, George: »Address Delivered by Mr. George Eastman before the United States of Commerce«, West Baden, Indiana, 18. Oktober 1927, S. o.A., Informationsbroschüre. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Mappe Calendar Reform. Ebd. M. Douglas: Wie Institutionen denken, S. 93.

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wichtigen Komplexes sozialer Beziehungen in der physischen Welt, in der übernatürlichen Welt, in der Unendlichkeit oder irgendwo wiederzufinden ist. Dabei kommt es allein darauf an, dass diese Struktur nicht als gesellschaftlich erzeugtes Konstrukt erkannt wird. Wenn die Analogie von einem Set sozialer Beziehungen auf ein anderes angewendet und umgekehrt von diesem auf die Natur übertragen wird, ist ihre wiederholt auftretende formale Struktur leichter erkennbar und mit einer Wahrheit versehen, die für sich selbst spricht.« 89

Mit Blick auf die Kalenderreform wurden biologische Ereignisse wie Mutterschaft, Geburt und Tod oder Wetterphänomene, die Verlaufsbahn von Himmelskörpern und die Fauna mit Computing-Erfordernissen und der Logik des 13monatigen Kalenders in Assoziation gebracht. Die intendierte Naturalisierung des kalendarischen Wissenssystems sollte die Konsolidierung wirtschaftlicher Institutionen verdecken, wofür der dominierende ökonomische Nutzen als ein Nutzen Vieler vermarktet wurde. Jedoch ist Douglas nicht in allen Punkten zuzustimmen. Natürliche, soziale und mediale Größen verfügen über einen distinkten Charakter und werden anhand ihrer determinierenden Kraft unterschieden. Auf der einen Seite der Gleichung befindet sich die »Welt« und das »Wissen« und auf der anderen wird die »Gesellschaft« als Determinante deklariert. Für Kalender können diese scharfen Trennlinien nicht geltend gemacht werden. Dieses Medium ist zutiefst mit der physischen und übernatürlichen Welt verwoben, oder konkreter, diese Welten bilden fundamentale Orientierungspfeiler. So verwendet der 13-monatige Kalender den Lauf der Erde um die Sonne als Maßstab für die Zeitmessung eines Jahres. Da ein Sonnenjahr keine ganze Anzahl von Tagen umfasst, sondern über ca. 365 ¼ Tage verfügt, besitzen solche sogenannten »Solarkalender« nicht von Jahr zu Jahr über die gleiche Anzahl von Tagen. Wie aus dem Gregorianischen Kalender bekannt – eine Ordnung, die ebenfalls zu den Solarkalendern gehört – wird deshalb ein Tag (oder zwei Tage im Falle eines Schaltjahres) ergänzt. Zur Einhaltung dieser Natur gegebenen planetarischen Ordnung und ihrer astronomischen Berechnung fügte Cotsworth in seinem Kalender einen zusätzlichen Tag hinzu, den er auf den letzten Tag des Jahres, den 29. Dezember, datierte.

GENESIS Der Bruch eines 7-tägigen Wochenzyklus, hervorgerufen durch die beschriebene Platzierung eines zusätzlichen Tages (zwei in Falle eines Schaltjahres), löste bei Rabbinern in Europa und den USA sowie bei Geistlichen der Seventh Day Adventist- und Seventh Day Baptist Churches eine Welle der Empörung aus. Wollte 89 Ebd., S. 84-85. Die bestehende deutsche Übersetzung wurde leicht abgeändert.

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man im Takt eines Sonnenjahres verharren, stellte das Einfügen eines 8ten Wochentages auf den ersten Blick eine minimal invasive Operation dar. Aus religiöser Perspektive ließ dieser Eingriff jedoch die Ordnung der Welt aus den Fugen geraten. Ein hinzugefügter Tag unterbrach die Einhaltung des Sabbattages und widersprach damit der biblischen Schöpfungsgeschichte.90 Genesis bzw. dem ersten Buch Mose zufolge erschuf Gott in sieben Tagen die Welt mitsamt Flora und Fauna, Land- und Wassermassen sowie den Menschen. Zudem etablierte das Wort Gottes durch die Erschaffung von Himmelskörpern das zeitliche Gefüge von Tag und Nacht. Ebenso ausschlaggebend war, dass die Konstruktion einer 7-tägigen Woche dem Alten Testament zufolge den Status eines göttlichen Werkes besaß. Zur argumentativen Untermauerung beriefen sich die Kritiker des 13-monatigen Kalenders auf keine geringere Schrift als die Bibel. So berichtete das nationale Studienkomitee in Bezug auf ihre Kritiker: »They cite the fourth commandment of Moses ›Six days shalt thou labor and do all the thy work but the seventh is the Sabbath.‹«91 Nicht allein die Überlieferung der 10 Gebote stellte ein argumentatives Schwergewicht da. M. Israel Levi, Obberrabiner der Nation Frankreichs, formulierte die Konsequenzen eines zusätzlichen Tages vor dem Völkerbund wie folgend: »[It would] inflict additional sacrifices on the Jews«92 – eine Aussage, dessen Bedeutung und Tragweite sich im Kontext des Antisemitismus im Ersten Weltkrieg ermessen lässt. 90 Eine andere religiöse Auslegung hatte George Eastman parat: »The last day in every year would be dated December 29 as an 8th-day Extra-Sabbath ending the last week. – Moses similarly inserted an 8th-day in Pentecost week as the Extra-Sabbath-Day of Pentecost, to make the first Bible Calendar perpetual in day-names for every years 365 dates […].« Über den Weg des biblischen Verweises auf die Pfingstgestaltung Moses' versuchte Eastman den hinzukommenden Tag als rechtmäßigen Sabbattag geltend zu machen. Zitat aus Eastman, George: »Presentation to the United States Chamber of Commerce of the Cotsworth Plan«, 18. Oktober 1927, George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Mappe Calendar Reform. Zudem schilderte das nationale Studienkomitee, dass der erste Versuch auf Basis eines zusätzlichen Tages einen Ewigen Kalender zu entwerfen, auf einen katholischen Priester zurückging. Diesen Ausführungen zufolge publizierte l’Abbé Marc Mastrofini seinen Entwurf mit kirchlicher Befürwortung im Jahre 1835. Auch Mastrofini legte, so wie es auch der 13-monatige Kalender andachte, den Wochenauftakt auf einen Sonntag. Das Ende des Jahres sollte mit einem Festtag bzw. mit einem achten Wochentag zelebriert werden. Office of the Chairman: »Report of the National Committee on Calendar Simplification for the United States. Submitted to The Secretary of States Washington, August 1929«, Rochester, S. 45. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Mappe Calendar Reform. 91 Eastman, George: »Address Delivered by Mr. George Eastman before the United States of Commerce«, West Baden, Indiana, 18. Oktober 1927, Informationsbroschüre. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Mappe Calendar Reform. 92 Der Abschlussreport besitzt den Status eines »comprehensive survey of the public sentiment in the United States« und soll dem US-amerikanischen Generalsekretär sowie der US-amerikanischen Handelskammer als Entscheidungsgrundlage für die Einberufung

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Trotz dieser verheerenden Kritik an dem 13-monatigen Kalender erklärte das nationale Studienkomitee in ihrem Abschlussbericht die Kalenderreform keineswegs zu einem gescheiterten Projekt: »None of them voiced objections to the idea of reforming the calendar; on the contrary they went on record at Washington in favor of it, and the calling of an International Conference, but demanded that provision be made against the interruption of the seventh day Sabbath.« 93

Vor dem Völkerbund und dem US-amerikanischen Komitee für Auswärtige Angelegenheiten präsentierten Sabbatianer und Rabbis einen alternativen Kalender. Dieser schlug eine Verkürzung des Jahres auf 364 Tage vor. Der jährlich hinzugefügte Tag (oder die zwei zusätzlichen Tage im Falle eines Schaltjahres) sollten solange akkumuliert werden, bis sie eine Woche ergaben. In einer fünfoder sechsjährigen Abfolge würde diese Woche als »leap week« ihren Einsatz finden. Für die Rabbiner und Sabbatiner schien es dabei weniger zentral zu sein, ob die verbleibenden 364 Tage im Zuge einer Kalenderreform in einheitliche Quartale oder 13 Monate á 28 Tagen eingeteilt wurden. Im Völkerbund stieß dieser Kalenderentwurf jedoch auf Kritik, die sich maßgeblich aus Berechnungsproblemen speiste. Die Umsetzung dieses Kalenders würde Jahre mit variierenden Längen bedingen, was den Vergleich jährlicher Statistiken und das Fixieren von festlichen Jahrestagen unmöglich gestaltete.94 Eine endgültige Entscheidung fällte man im Völkerbund jedoch nicht. Hingegen wurde es als notwendig verstanden, die Frage über die Einfügung zusätzlicher Tage von religiösen Instanzen in allen völkerbündlichen Nationen diskutieren zu lassen.95 Auf die Frage, ob sich andere Glaubensgemeinschaften dem Hinzufügen eines achten Wochentages versperrten, gibt der Abschlussbericht eher eine als fadenscheinig zu bezeichnende Antwort. Man könne davon ausgehen, dass die im völkerbündlichen Sonderkomitee befindlichen Repräsentanten verschiedener Religionsgemeinschaften, die prinzipielle Umsetzbarkeit bereits bei der Begutachtung und Klassifizierung der eingereichten Reformvorschläge geprüft habe. Zudem zitierte man im Bericht Passagen aus einer Umfrage, die der Völkerbund im November 1923 durchgeführt hatte: Während sich der Heilige Stuhl auseiner Internationalen Konferenz dienen. Zitiert nach Office of the Chairman: »Report of the National Committee on Calendar Simplification for the United States. Submitted to The Secretary of States Washington, August 1929«, Rochester, S. 54. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Mappe Calendar Reform. 93 Ebd., S. 55. 94 Ebd. 95 Diese vom Völkerbund geäußerte Stellungnahme wird im Abschlussbericht des nationalen Studienkomitees zitiert: Ebd., S. 55-56.

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schließlich zur Fixierung von Ostern äußerte (worauf an spätere Stelle noch näher eingegangen wird); die deutsche evangelische Kirchen keinen Kommentar zur Kalenderreform im Allgemeinen gab und die Entscheidung in die Hände der deutschen Regierung legte; präferierten die orthodoxen Kirchen zwar einen 7tägigen Wochenrhythmus, würden sich jedoch im Falle einer Reform anderen Kirchen anschließen.96 Wie die Presse den Bruch der 7-tägigen Woche an die nationale Öffentlichkeit vermittelte, veranschaulicht ein Artikel, der am 16. August 1929 in der New York Times zu lesen war. Die New York Times – dessen Verleger ebenfalls einen Platz im nationalen Studienkomitee innehatte – kommentierte die von »religiösen Lehrern« hervorgebrachten Einwände im Detail. Ihre Einwände bezogen sich auf die Konsequenzen, die das Hinzufügen von Tagen, bzw. eines beweglichen Sabbattages zur Folge hatte: »[O]ne year the »Sabbath« would fall on a Saturday and the next on a Friday, and so on – thus a calendrical movable »Sabbath« that had no divine sanction.«97 Kollidierten Arbeits- und Ruhetage durch die kalendarische Neu-Ordnung würde der Mensch demnach die göttliche Sanktionsfähigkeit, wenn nicht gar die Autorität Gottes in Frage stellen. Obwohl die New York Times dem Leser eine Lösung für diese Notlage unterbreitete, war dieser Vorschlag bestenfalls als halbherzig zu bezeichnen: »This might be obviated by giving the extra days the sequential week-day designations, though it would mean that the first day of the month would be Sunday one year, and a Monday or a Tuesday the next, and so on, whereas with the intervening day (or two days for leap years) the month would always begin on a Sunday and one could always know from the day of the month what day of the week it would be.« 98

Im Anschluss hieran wurden Zugeständnisse in Form des Abweichens von der Periodizität einer 7-tägigen Woche abverlangt. Im Vordergrund seien die Bedürfnisse von Gläubigen zu stellen. Gläubige auf der ganzen Welt könnten durch die Standardisierung gemeinsam den Ruhetag begehen und sich intensiv der Beziehung zu ihrem Schöpfer genauso wie mitmenschlichen Verpflichtungen widmen.99

96 Ebd., S. 56-57. 97 New York Times: »The Calendar«, 16. August 1929. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Mappe Calendar Reform. 98 Ebd. 99 Ebd.

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DIE GEBURT UND AUFERSTEHUNG JESU CHRISTI Dass sich das Kontroversenpotenzial des 13-monatigen Kalenders nicht im Hinzufügen von Tagen erschöpfte, lässt sich der hervorstechenden Positionierung von Ostern und Weihnachten entnehmen und damit der kirchlichen Festtage, die zum Gedenken an die Geburt und Auferstehung Jesu Christi gefeiert werden. Im 13-monatigen Kalender wurde Weihnachten zur Verlängerung der Wochenenden auf den Wochenanfang gelegt – eine Platzierung, die zugleich den ökonomischen Operationen von Arbeitgebern und dem familiären Leben ihrer Angestellten zu Gute kommen sollte. Auf positive Resonanz ist das Verlegen jedoch nicht überall gestoßen, wie sich dem von Janet Hull Zimmermann publizierten Zeitungsartikel »Is Our Calendar a Bad Habit?« ableiten lässt: »Many of you might have a sentimental objection to changing the date of Christmas. As a matter of fact no one knows [...] when Christ was born. Christmas was originally proposed by the early Christianity to be celebrated in September, but the civic authorities compromised with them because of the harvest time and set the date in December.« 100

Die genannten »sentimentalen Einwände« wurden vom nationalen Studienkomitee wahrgenommen, wie sich ihrem Abschlussbericht entnehmen lässt. Etikettiert wurden die affektiven Größen hier mit »conservatism« sowie »sentimental reasons«.101 Die Mitglieder des Studienkomitees riefen daher zu einem Perspektivwechsel auf, eine Forderung, bei der man nicht vor einer Gratwanderung zwischen Anstand und Offenlegung zurückschreckte: »George Washington was born on February 11, but we celebrate his birthday on February 22 because of the calendar change in 1752. There is doubt that December 25 is the exact anniversary of the birth of Christ, while we celebrate the Resurrection on a day that changes every year. It is not a date we celebrate but a memorial day for an event.« 102

Die Zuweisung, dass religiöse Personen sentimentale und nostalgische Haltungen bezüglich der Terminierung von kirchlichen Festtagen pflegen, macht den spannungsgeladenen Charakter der Reformdynamiken sichtbar. Wird die potentielle Durchsetzung eines neuen Standards einmal in Kongresssälen und in der 100 Zimmermann, Janet Hull (o.A.): »Is Our Calendar a Bad Habit?« Zeitungsverlag o.A.. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Mappe Calendar Reform. 101 Office of the Chairman: »Report of the National Committee on Calendar Simplification for the United States. Submitted to The Secretary of States Washington, August 1929«, Rochester, S. 12. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Mappe Calendar Reform. 102 Ebd.

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Presse verhandelt, steht die Konstruktion beider Standards gleichermaßen auf dem Prüfstand. Wie die vorangegangenen Ausführungen zur Werbekampagne dargelegt haben, wurde die Naturalisierung des 13-monatigen Kalenders anvisiert. Wenn es jedoch um den Kontrahenten ging, versuchte man, das Verständnis eines durch spirituelle Fügung terminierten Festtages als menschliche Konstruktionsleistung offenzulegen. Eine solche Strategie provozierte eine Dichotomie zwischen historischem Wissen und religiösem Glauben, die darauf ausgerichtet war, die Integrität des amtierenden Kalenders zu schädigen und die Naturalisierung seiner Einheiten bei Gläubigen in Frage zu stellen. Im Falle des Osterfestes wurde dem Feiertag vor allem seine Beweglichkeit angelastet, die sich im Gregorianischen Kalender auf die Monate März und April erstreckt. Wird an dieser Stelle die Kalenderforschung konsultiert, zeigt sich, wie komplex die jährliche Terminierung des Osterfestes ist. Seine Ursprungsquelle hat die Beweglichkeit des Feiertages im Neuen Testament. Das Leiden, Sterben und die Auferstehung Christi fiel demnach in die Pessachwoche, wodurch das jüdische Hauptfest – welches den Auszug aus Ägypten zelebriert – auch das christliche Osterdatum bestimmt. Zur Berechnung wird der zu dieser Zeit verwendete Lunisolarkalender herangezogen. Gleichermaßen spielen katholische Standardsetzungen eine zentrale Rolle. Die einheitliche Regelung zum Osterfest ging vom Ersten Konzil von Nicäa im Jahre 325 aus. Das Konzil hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Einheit des christlichen Glaubens u.a. durch Regulierung des Osterfestes zu stärken. Der genaue Wortlaut der Akten ist nicht bekannt. Rekonstruiert werden konnte jedoch, dass (1) Ostern bei allen Kirchen an demselben Tag gefeiert werden sollte (– eine Setzung, die nicht realisiert wurde, wie das unterschiedliche Zelebrieren des Festes von West- und Ostkirchen verdeutlicht), (2) das Osterdatum auf den ersten Sonntag nach dem ersten Vollmond im Frühling fällt, wobei das jüdische Pessach-Fest eine Rolle bei der Berechnung spielt und (3) der Bischof von Alexandria vom Papst mit der Berechnung des Osterdatums betraut wurde. Grund dafür war, dass die alexandrinische Wissenschaft als die wertvollste für mathematisch-astronomische Berechnungen gehalten wurde.103 Die Tragweite der jährlichen Festlegung des Osterdatums wird vor dem Kontext sichtbar, dass sich nach diesem Datum alle Fest- und Gedenktage des gesamten Osterfestkreises richten, wozu etwa auch die Fastenzeit gehört. Pointiert dargelegt: Mondphasen, der Verlauf der Sonne, die Bibel und die Veränderlichkeit des Gregorianischen Kalenders gestalten die Berechnung zu einer hochkomplexen astronomischen Aufgabe kirchlicher Gelehrter bzw. von »Komputisten«.104 Vor diesem Hintergrund wird verständlich, wieso die Protagonisten 103 J. Bach: Die Osterfest-Berechnung in alter und neuer Zeit, S. 14. 104 Die Entwicklung von in kirchlichen Diensten stehenden »Komputisten« bis zu kalendarischen Berechnungen durch heutige Computer wird nachgezeichnet von A. Borst: Computus, Zeit und Zahl in der Geschichte Europas; einen historischen Überblick über

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christlicher Kirchen die Fixierung des Osterfestes befürworteten; sie visierten dafür den 15ten April jeden Jahres an. George Eastman gab in Kongresssälen zu verstehen, dass allein die christlichen Kirchenoberhäupter die Fixierung terminierten, Regierungen und Industrien verfügten über kein Mitspracherecht.105 Wenngleich keine kirchliche Instanz einen Sitz im nationalen Studienkomitee einnahm, widmete man im Abschlussreport ein Kapitel den »Religious Aspects of the Calendar Change«.106 Ein bewegliches Osterfest barg demnach diverse Nachteile sowohl für das öffentliche als auch das religiöse Leben. Die Suche nach einer Konkretisierung dieser negativ konnotierten Einflussnahme auf Glaubensgemeinschaften bleibt weitestgehend vergeblich: »Many commercial transactions and the transport services connected with them are severely prejudiced by the changing date of Easter: in particular, business dealing with textiles, articles of fashion and the hotel-keeping industry, since Easter marks the beginning of the spring fashions and is an important date from the tourist point of view. If Easter is early, the weather of the Northern Hemisphere being unfavorable in the temperate zones at this of the year, traveling and changes in dress are postponed. If, on the other hand, Easter is late, there is more tourist business, but the textile trade in spring wear is severely injured, because summer articles are purchased at once. In a general way the organization of traffic and transport is disturbed by the changing date of Easter. From the religious point of view, there are disadvantages due to the fact that the number of Sundays in the year being practically fixed, the services of the Roman Catholic liturgy which cannot take place before Easter when this festival is early have to be postponed until after Whitsuntide.« 107

die Babylonischen, Julianischen und Gregorianischen Kalender mit besonderer Konzentration auf das Osterfest bietet H. Zemanek: Kalender und Chronologie. Für Problematiken der Kalenderberechnung in der Antike und im Mittelalter siehe C. P. E. Nothaft: Scandalous Error. Zur historischen Jesusforschung und der Berechnung des Osterfestes siehe: C. P. E. Nothaft: Dating the Passion. Der Kulturwissenschaftler Thomas Macho verfolgt die Visualisierungsstrategien »himmlischer und irdischer Zeitrechnungsmaschienen« im Detail: T. Macho: »Zeitrechnung und Kalenderreform«. 105 Eastman, George: »Address Delivered by Mr. George Eastman before the United States of Commerce«, West Baden, Indiana, 18. Oktober 1927. Informationsbroschüre, George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Mappe Calendar Reform. 106 Das Zitat stammt aus einer zu Anfang des Reportes platzierten Mitteilung von Arthur M. Hyde, Mitarbeiter des Landwirtschaftsministeriums der US-amerikanischen Regierung, vom 2. August 1929. Office of the Chairman: »Report of the National Committee on Calendar Simplification for the United States. Submitted to The Secretary of States Washington, August 1929«, Rochester. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Mappe Calendar Reform. 107 Ebd., S. 52.

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Während sich die Konsequenzen eines beweglichen Osterfestes für das Privatund Familienleben insbesondere im Bereich Freizeitgestaltung allein erahnen lassen, treten industrielle Interessen in geballter Form hervor. Im Kontrast zu den aufgeführten Schieflagen für die Mode-, Transport- und Tourismusbranche, kommen Aspekte des religiösen Gemeinschaftslebens zu kurz. Die im Sonderkomitee des Völkerbundes befindlichen Repräsentanten der römisch-katholischen, östlich-orthodoxen oder anglikanischen Kirchen sahen dem Kalenderwechsel positiv entgegen. Mit Rückbezug auf die Aussagen des völkerbündlichen Sonderkomitees wurde zudem die Unterstützung der christlichen Kirchen ausgewiesen. Ihre Unterstützung würde unter der Voraussetzung erfolgen, alle christlichen Kirchen realisierten die Fixierung Osterns gleichzeitig.108 Der Papst hielt es jedoch für kaum realisierbar, mit einer über Jahrhunderte bestehenden Tradition zu brechen. Dennoch willigte der Heilige Stuhl ein, die Fixierung der Osterfeierlichkeiten zeitnah im ökumenischen Konzil zur Debatte zu stellen.109 Kritisch zu hinterfragen bleibt die kontroversenlos erscheinende Zustimmung des völkerbündlichen Komitees. Denn die orthodoxen Kirchen hielten bis nach dem Ersten Weltkrieg an dem Julianischen Kalender fest. Im Mai 1923 fiel die Entscheidung, den Julianischen Kalender durch einen neuen Kalender zu ersetzen. Dabei handelte es sich um den sogenannten Neojulianischen Kalender, der von dem serbischen Geophysiker Milutin Milanković entwickelt wurde. Dieser glich die bestehende 13-tägige Differenz zwischen dem Julianischen und dem Gregorianischen Kalender aus.110 Die Neuerung wurde nicht von allen orthodoxen Kirchen angenommen. Im Falle des Osterfestes einigte man sich später darauf, dass die Gemeinsamkeit des Datums in allen orthodoxen Kirchen zentraler sei als die astronomische Genauigkeit des Festes, die der Neojulianische Kalender versprach. Deswegen orientiert sich die Berechnung des Osterdatums und aller daran gekoppelten beweglichen Festtage bis heute am Julianischen Kalender.111 Angesichts dieser Reform – die nur wenige Jahre vor dem völkerbündlichen Standardisierungsprojekt zum Abschluss kam – hinterlässt die Zustimmung des Komiteemitglieds der orthodoxen Kirche einen überraschenden Eindruck. Ob George Eastman über solche Spannungen innerhalb des Komitees durch seinen Informanten in Kenntnis gesetzt wurde, geht aus dem archivarischen Korpus nicht hervor. Auf welch wackeligen Boden sich die Kalenderreform tatsächlich befand, lässt jedoch dieser Brief vom 21. Februar 1929 erahnen, den George Eastman zwei Jahre nach der bekanntgegebenen Zustimmung verfasste: 108 Ebd., S. 52-53. 109 Ebd., S. 53. 110 M. Milanković (1924): »Das Ende des julianischen Kalenders und der neue Kalender der orientalischen Kirchen«. 111 Vgl. L. Liborius: Von Caesar bis Meletios.

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»GE to Doctor Hanna I am getting more or less deeply involved in the campaign for the calendar and before I go much farther I would like to have some idea as to whether the Church is opposed to it because if it is I realize that it would be hopeless to go on with it.«112

DIE KLASSIFIKATION UND STANDARDISIERUNG DER WELT Möchte man die Kontroversen und die Totalität wie Wirkmächtigkeit von Kalendern verstehen, gilt es die Perspektive der Gläubigen, ihrer Gemeinschaften samt involvierter affektiver Größen ernst zu nehmen. Wegweisend hierfür sind die kultursoziologischen Ausführungen, die Marcel Mauss und Émile Durkheim in dem Aufsatz »Über einige primitive Formen von Klassifikation« zu Anfang des 20. Jahrhunderts publiziert haben. Durkheim und Mauss setzten sich mit dem Phänomen auseinander, dass in indigenen Kulturen verschiedene belebte und unbelebte Dinge wie Himmelsrichtungen, Jahreszeiten, Mineralien, Pflanzen und Tiere auf Basis symbolischer Korrespondenzen miteinander identifiziert werden. Diese Technik steht dem herkömmlichen Verständnis von distinkten Kategorien konträr gegenüber: »Dinge werden [in Klassifikationen] nicht lediglich in Form isolierter Gruppen nebeneinandergestellt. Vielmehr stehen diese Gruppen untereinander in wohldefinierten Beziehungen und bilden in ihrer Gesamtheit ein einheitliches Ganzes.«113 Die Frage, auf welches Vorbild sich Personen bei dieser beachtlichen Leistung zur Ordnung eines einheitlichen Ganzen beziehen, beantworten die Autoren mit der Klassifikation sozialer Organisation. Gesellschaften sind allein möglich, wenn ihre menschlichen Mitglieder und natürlichen Objekte eine Aufteilung in unterschiedliche Gruppen erfahren. Gewissermaßen muss es daher eine Gegenüberstellung der Dinge der Welt geben. Neben dieser Trennungsdimension sind auch Verwandtschaftsbeziehungen am Werk, denn die diversen Gruppen sind im wechselseitigen Verhältnis zueinander in Klassen eingeteilt. Relevant ist dabei, dass symbolische Assoziationen das Rückgrat des Kosmos bilden. Assoziative Beziehungen und Trennungen zwischen sozialen und natürlichen Größen resultieren dabei aus affektiven Erfahrungen und strukturellen Ähnlichkeitsrelationen. Letztgenannten Aspekt nutze Mary Douglas im An-

112 Um wen es sich bei »Doctor Hanna« handelte, bzw. welche Position sie in der kirchlichen Organisation bekleidete, konnte durch das mangelnde Material nicht rekonstruiert werden. Brief von Eastman, George an Doctor Hanna, 21. Februar 1929, George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, George Eastman Correspondence PLB 25-18. 113 É. Durkheim/M. Mauss: »Über einige primitive Formen von Klassifikation«, S.172.

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schluss an Mauss und Durkheim als Ausgangspunkt ihrer Konzeptualisierung von Naturalisierung.114 In diesem Sinne ist das Medium des Kalenders als Klassifikation zu begreifen – eine Klassifikation, die die Welt seiner NutzerInnen im Bereich familiärer, stellarer, spiritueller, natürlicher und, wie die Kalenderreform ebenso illustriert, wirtschaftlicher Dimensionen trennt wie auch verbindet. Einzelne Tageseinheiten oder das Zusammenziehen dieser in Form einer Woche oder eines Monats bilden die Basis einer strukturellen wie affektiven Ordnung der Lebenswelt von NutzerInnen des Gregorianischen Kalenders. Eindimensional wäre es, den Kalender allein auf ein astronomisches und bürokratisches Rechenmedium von Kirchen (wie die Osterterminierung darlegte), Staaten und Unternehmen zu reduzieren. Religiöse Festtage mitsamt der Schöpfungsgeschichte sind genauso in den Kalender eingeschrieben, wie staatliche Feiertage oder auch biografische Ereignisse, etwa der eigene Geburtstag. Das Verschieben, Hinzufügen oder Fixieren dieser zeitlichen Einheiten genauso wie das Offenlegen klerikaler Konstruktionsleistungen, etwa anhand der Terminierung von Christi Geburt, zugunsten eines (ökonomischen!) Ewigen Kalenders stellte daher die Ordnung der Welt für Juden und Christen auf eine Zerreißprobe. Die Einheit von Natur, sozialer Ordnung und körperlicher Erfahrung war in Gefahr. Multiperspektivistisch, oder vielmehr einem relationalen Verständnis nach, bleibt in Anlehnung an Susan Leigh Star und Karen Ruhleder zu diagnostizieren: »Was für einen Menschen Standard ist, ist für einen anderen Chaos.«115 Durkheims und Mauss‘ Pointe zur Absteckung geografischer Räume durch Klassifikationen geben zudem einen wichtigen Impuls, die Totalität der geogra-

114 In den Elementaren Formen des religiösen Lebens spitzt Durkheim die Durchdringung des Sozialen durch Klassifikationen zu: »Die Gesellschaft setzt […] eine bewusste Organisation ihrer selbst voraus, die nichts anderes ist als eine Klassifizierung.« É. Durkheim: Die elementaren Formen des religiösen Lebens, S. 592. Nicht nur die Untergliederung der Welt in heterogene Gruppen ist demnach den sozialen Ordnungsprinzipien verpflichtet, sondern ebenfalls ihr Verhältnis untereinander impliziert die Struktur sozialer Beziehungen. Die These, dass nur das Soziale der Ursprung aller Klassifikation sei, hat sich zwar als unhaltbar erwiesen, dennoch lenkten Durkheim und Mauss die Aufmerksamkeit auf die Relevanz symbolischer Klassifikationen. Die Autoren lösten auch in den Science and Technology Studies Untersuchungen aus. Die WissenschaftssoziologInnen Karin Knorr-Cetina und David Bloor stellten die Anwendbarkeit indigener Klassifikationen auf hochtechnisierte Institutionen unter Beweis. Auf diese Art erteilten sie den modernen Trennungen von Kultur und Natur sowie von Menschen und Dingen eine Absage. K. Knorr-Cetina: »Primitive Classification and Postmodernity«; D. Bloor: »Durkheim and Mauss Revisited«. Zu den großen Trennungen der modernen Naturwissenschaft siehe vor allen B. Latour: We Have Never Been Modern. 115 S. L. Star/K. Ruhleder: »Schritte zu einer Ökologie von Infrastruktur Design und Zugang für großangelegte Informationsräume«, S. 360.

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fischen Reichweite und territorialen Geltungsbereichs des kalendarischen Standards zu erfassen: »Alle Dinge und Lebewesen der Natur stehen [durch die Klassifikation, N.T.] in einem bestimmten Verhältnis zu einem ebenso bestimmten Ausschnitt des Raumes. Und weiter: [Dieser Ausschnitt, N.T.] ist der Mittelpunkt des Universums und das Universum verkürzt sich auf [diesen Ausschnitt, N.T.].« 116

Wenn der geografische Raum der klassifizierten Welt demnach mit der Vorstellung von der Welt gleichzusetzen ist, wird die Erfahrungsweise von Kalendern totalitär. Die orts- und situationsgebundene Erfahrung des Standards ist weniger durch das Aufeinanderprallen des Globalen und Lokalen, sondern durch ihren Zusammenfall geprägt. Damit entschied die Kalenderreform über die Marginalisierung und Mitgliedschaft von Glaubensgemeinschaften, die dem Völkerbund durch seine involvierten Staaten angehörig waren. Wird vor diesem Hintergrund berücksichtigt, dass die Nationen Bulgarien, Griechenland, Rumänien genauso wie Jugoslawien den Gregorianischen Vorgänger – den Julianischen Kalender – erst nach dem Ersten Weltkrieg aufgaben, tritt das erhebliche Wagnis des Standardisierungsvorhabens hervor. Dieses Wagnis wurde auch von der US-amerikanischen Regierung erkannt, wie einer Informationsbroschüre zum 13-monatigen Kalender aus dem Jahre 1929 abzulesen ist: »The question is an international one by reason of the fact that the adoption of a reformed calendar by any one or a few leading nations would be largely impracticable. The world is closely welded together and interdependent at innumerable points of contact. The action of certain nations abroad in changing to the Gregorian calendar since the late war has bought an important portion of the world of time reckoning, and the breaking of this widespread conformity to a common chronology would be highly unfortunate.« 117

Eine reformierte Zeitberechnung durch den 13-monatigen Kalender kam zwar den Erfordernissen der modernen Welt entgegen. Dennoch könnte das Ablehnen dieses Standards durch einige wenige Staaten einen Konformitätsbruch zur Folge haben, der die erst kürzlich errungene Gemeinschaft der Nationen nachhaltig schädigen würde. Kritisch angemerkt sei zu guter Letzt, dass, obwohl der Gregorianische Kalender heute den weltweit meistverwendeten Standard darstellt, nicht außer Acht gelassen werden darf, dass vielerorts mehrere Kalendersysteme 116 É. Durkheim/M. Mauss: »Über einige primitive Formen von Klassifikation«, S. 234235. 117 Vgl. Informationsmaterial der US-amerikanischen Regierung: Johnson, Julia E. (23. Juli 1929): »Introduction«. In: United States of America (Hg.): Thirteen-Month Calendar, veröffentlicht im September 1929. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Mappe Calendar Reform.

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parallel zum Einsatz kommen. Dafür stellt die Verwendung des Mohammedanischen (Lunar-) Kalenders für religiöse Festtage und die Nutzung des Gregorianischen Kalenders im Alltags- und Wirtschaftsleben in islamischen Ländern nur ein Beispiel dar.118

DIE INTERNATIONALE KONFERENZ UND IHRE GÖTTLICHE FÜGUNG Zurück zum Fortgang der Kalenderreform: Dem nationalen Studienkomitee zufolge war die öffentliche Meinung in den USA eindeutig. Ihrer Untersuchung war dieses Resultat zu entnehmen: 80,5% stimmten für eine Kalenderreform, 98,3% bevorzugten den 13-monatigen Kalender und 82% sahen der Teilnahme an der Internationalen Konferenz positiv entgegen.119 Als dann die Konferenz in Genf 1931 stattfand, diskutierten Delegierte aus 44 Nationen drei für zentral erachtete Kalendervorschläge. Bei diesen handelte es sich um den Kalender der International Calendar Organization, den der World Calendar Association und Cotsworths 13-monatiger Kalender der International Fixed Calendar League.120 Dass keiner dieser Kalender eine Standardisierung erfuhr, ist offensichtlich. C. S. Longacre, ein Mitglied der protestantischen Freikirche der Seven-Day Adventists nahm an der Konferenz teil und publizierte im Australasian Record seine Beobachtungen zum Misslingen der Reformbewegung. Mit der Lobpreisung Gottes verkündete er, dass die Gebete seiner Glaubensgemeinschaft erhört wurden, indem die Pläne der Reformbefürworter keine Mehrheit unter den Delegierten der Nationen erhielten.121 Obwohl die Internationale Konferenz nicht dazu dienen sollte oder die Befugnis besaß, zu prüfen, ob einer der Reformvorschläge mit einem bestimmten religiösen Glauben (un)vereinbar war, wurde dies von den Delegierten nicht anerkannt. Viele religiöse Organisationen kamen zu Wort, wofür etwa die Seventh-Day Adventists und die International Religious Liberty Association Beispiele sind. Zudem wurden den Delegierten Protestpetitionen vorgelegt: 220.000 Protestanträge stammten aus den USA, 144.000 aus Deutschland und Mitteleuropa, 30.000 aus Britisch-Westindien, 13.000 aus England, 19.000 aus den Philippi118 Siehe auch J. Rüpke: Zeit und Fest, S. 197. Für eine vertiefende Lektüre zum Islamischen Kalender: G. S. P Freeman-Grenville: The Islamic and Christian Calendars, AD 622-2222; M. Bonner: »Time Has Come Full Circle«. 119 Office of the Chairman: »Report of the National Committee on Calendar Simplification for the United States. Submitted to The Secretary of States Washington, August 1929«, Rochester, S. 68. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Mappe Calendar Reform. 120 R. Richmond: Time Measurement and Calendar Construction, S. 19-20. 121 C. S. Longacre (1932): »The Geneva Conference on Calendar Reform«, S. 1.

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nen, 3.000 aus Schweden, 2.000 aus den Balkanländern, 3.000 aus Kanada und 12.000 weitere aus Australien. Zudem wurde auch eine Petition von 3.500.000 Mitgliedern der Disciples of Christ eingereicht und der persönliche Protest von vier Bischöfen und zahlreichen Kirchenführern verschiedener protestantischer Glaubensrichtungen aus den USA kundgegeben.122 Die Reaktion auf das Scheitern des 13-monatigen Kalenders beschrieb Longacre, das genannte Mitglied der Seven-Day Adventists wie folgt: »It would have been difficult to find a more dejected, disheartened, discouraged group anywhere in the world than the American group who had contended so earnestly for the adoption of the thirteen months blank-day plan. They were unable to conceal their gloom and grief. They admitted that our campaign of education and our opposition to the blank day were the principal causes of the defeat of their plan. [...] They realise now, as never before, that they cannot succeed by a ruthless disregard of religious sentiment.« 123

Für Longacre stand ebenso fest, wem dieser Sieg in Rechnung zu stellen war: »God wrought a good work at this conference in defense of His truth. We saw His overruling providence and His guiding hand in every day's proceedings as the battle raged back and forth. Never before in all our history were we provided such God-given opportunities to witness for the truth before law-makers and high governmental officials. At every session the name of Seventh-day Adventists and their beliefs were upon the lips of the delegates as the calendar issue was discussed.« 124

Ob die vermittelte Präsenz Gottes bei der Internationalen Konferenz das Scheitern der Kalenderreform verursachte, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden. Festzuhalten bleibt, dass bei der Internationalen Konferenz religiösen Glaubensbekenntnissen verhältnismäßig kleiner Kirchen eine enorme Relevanz für die alltägliche Nutzung des Gregorianischen Kalenders zugeschrieben wurde. Mehr noch: Damit erfuhr die Genesis als Ursprung des System Buildings der Größe Gottes Anerkennung. Der im Rhythmus einer modernen Wirtschaft taktende 13-monatige Kalender ging als Verlierer aus dieser agonistischen Situation hervor, gerade weil er die Autorität Gottes bzw. seines geschaffenen Zeitgefüges einer 7-tägigen Woche und damit die Einhaltung von Arbeits- und Ruhetagen aberkannte.125

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Ebd., S. 2. Ebd. Ebd. Eine detaillierte historische wie kulturelle Auseinandersetzung mit der Bedeutsamkeit einer 7-tägigen Woche für Juden und Christen, wie den Seventh Day Adventists, bietet: E. Zerubavel: The Seven Day Circle, S. 60-82. Für diesen Hinweis danke ich JoAnne Yates.

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Abb. 6.5: Der Kodak-Kalender Obwohl das Standarisierungsprojekt auf internationaler Ebene scheiterte, führte Eastman den Kalender in seinem eignen Reich ein, der Kodak Company. Der 13monatige Kalender wurde in der Buchhaltung genauso wie in der Fabrik in dem Zeitraum zwischen 1928 bis 1989 genutzt (siehe Abb. 6.5).126 Zu guter Letzt soll auf eine biografische Betrachtungsweise des Reformprojektes verwiesen werden. Denn das Projekt ist ebenso als Passage der Lebensgeschichte eines älteren und aus dem eigens formierten Firmengeschäft zurückgezogenen Mannes zu akzentuieren. Mit Blick auf den beachtlichen Aufstieg des Kodak-Systems wagte es George Eastman im Alter von 68 Jahren, seinen bisherigen Erfolg übertrumpfen zu wollen. Hybris, Übermut und Umtriebigkeit ließen Eastman dann bei der kalendarischen Standardsetzung zum Opfer seines vorangegangenen Erfolgs werden. Vor allem unterschätzte er die first moverVorteile religiöser Machtkonzentrationen – Vorteile, die er ironischerweise bei 126 Zur Zeitstrukturierung in Unternehmen siehe W. J. Orlikowski/J. Yates: »lt' s About Time«.

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der Formation des Kodak-Systems selbst genossen hatte. Dafür, dass das kalendarische Reformierungsprojekt im Konnex mit der Person Eastman zu denken ist, spricht auch, dass mit dem Tod Eastmans im Jahre 1932 eine treibende wie einflussreiche Kraft auf Seiten der US-amerikanischen Nation fehlte. Eine enorm schmerzhafte Erkrankung der Wirbelsäule und damit verbundenen Depressionen werden als Beweggründe für seinen Tod, genauer seinen Suizid genannt. Eastman hinterließ einen Abschiedsnotiz mit der Aufschrift: »To my friends. My work is done, why wait? GE«.127 Naheliegend erscheint es an dieser Stelle nach der Religiosität des System Builders zu fragen – ein Untersuchungsgegenstand, der aufgrund mangelnder historischer Materialien unzureichend rekonstruiert werden kann. Randbemerkungen in Brayers George Eastman. A Biography verweisen darauf, dass Eastman zwar christlich aufwuchs und im Alter von 16 Jahren die Taufe empfing, jedoch im Erwachsenenalter kaum entsprechenden Praktiken nachging. Auch George E. Norton – Rektor St. Paul's Episcopal Church in Rochester und Vertrauter von George Eastman – beschreibt Eastmans Religiosität als nicht eindeutig bestimmbar.128

BATTLE OF SYSTEMS Wendet man den Blick auf metrologische Standardisierungsvorhaben seit der Französischen Revolution, ist zu markieren, dass sich solche Projekte nicht allein durch eine enge Verbindung von Wissenschaft und Religion auszeichneten,129 sondern eine Dualität zwischen diesen Größen provozierten.130 Institutionen, Praktiken und Glaubensbekenntnisse wie Wissensbestände wurden auf Seiten der Wissenschaft und Religionsgemeinschaften kontrovers in Hinblick auf ihre zeitgenössischen Geltung und Angemessenheit diskutiert. Als dann ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts soziotechnische Wandlungsprozesse maßgeblich durch industrielle Standardsetzungen motiviert wurden, traten Unternehmen als »deep infrastructure« aushärtende Größen auf den Plan. Denn als Initialzünder sozialen Wandels übertrafen diese industriell erzeugten Infrastrukturen selbst die der Geografie und der Politik in der Wende zum 20. Jahrhundert.131 127 128 129 130

George Eastman zitiert nach E. Brayer: George Eastman, S. 523. E. Brayer: George Eastman, S. 22; G. E. Norton: »My Friend George Eastman«. Exemplarisch hierfür S. Schaffer: »A Manufactory of Ohms«. Insbesondere wird diese Dualität für die Metrologie von Zeit und Raum konstatiert P. Galison: Einsteins Uhren, Poncarés Karten, vor allem »Die telegraphische Weltkarte«. 131 E. van der Vleuten: »Understanding Network Societies«, S. 281. Siehe auch T. P. Hughes: »Historical Overview«.

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Es mag auch diesem historisch erwachsenen »battle of systems« geschuldet sein, dass Thomas P. Hughes' Konzeptualisierung des System Builders und seiner Standardisierungsmacht unverkennbar die spirituelle Note der Genesis trägt. Sowohl die Etablierung einer technologischen »second creation« aus dem ›Tohuwabohu‹ als auch die Annahme heterogener Akteure derart aneinander anpassen zu können, damit sie als infrastrukturelle Einheit bzw. Welt mit eigener Raum- und Zeitordnung in Erscheinung treten, verweisen auf eine spirituelle Konnotation. Während die Akteur-Netzwerk-Theorie sich dieser personalen Wirkmächtigkeit bedient und Erfinderpersönlichkeiten genauso wie die Taktiken des »heterogenen Engineerings« in ihren Studien geltend macht,132 schreiben die Laboratory Studies der internationalen Wissenschafts- und Technikforschung diese Macht dem Labor zu (und dramatisieren sie dort): Zuvor getrennt operierende Universen werden im laboratorischen Mikrokosmos domestiziert und wechselseitig aneinander angepasst, worauf Expansionsbewegungen in die Welt einen von »metrological chains« durchdrungenen laboratorischen Makrokosmos schaffen.133 Die vorliegende Fallstudie bietet Anlass zur Revision wie Weiterentwicklung der Perspektive der Science and Technology Studies auf die Metrologie bzw. auf wissenschaftliche Organisation stabiler Messungen und Standards. Denn die Infrastruktur metrologischer Standardisierungen für Wissenschaft, Gesellschaft und Industrie werden nicht allein durch die Lokalität des Labors etabliert. Gleichermaßen ist die Rechenarbeit mit standardisierten Einheiten keinesfalls eine rein wissenschaftlich-technische Angelegenheit. Ab der Zweiten Industriellen Revolution wurden Standardisierungen zu einem internationalen Vorhaben, dass durch institutionelle, staatliche wie wirtschaftliche Allianzen vorangetrieben wurde. Auch wenn zwecks Realisierung dieser »Weltprojekte« technisch-wissenschaftliche Einrichtungen,134 wie die des 132 Bei dem Konzept des »heterogenen Engineerings« handelt es sich um eine Tiefenschärfung von Hughes Ausführungen in Networks of Power durch den Techniksoziologen John Law. Gemeint sind damit diejenigen Taktiken eines System Builders, die angewendet werden, um die Einbindung seiner Innovation in soziale, politische und wissenschaftliche Netzwerke zu gewährleisten. Vgl. J. Law: »Technik und heterogenes Engineering«, S. 216. 133 B. Latour: Science in Action. 134 Dem Medienwissenschaftler Markus Krajewski zufolge wurden seit den 1870er Jahren mediale, naturwissenschaftliche und finanzorientierte Standardisierungen durchgesetzt, die als maßgebliche Triebfedern für Folgeentwicklungen zu bezeichnen sind. Nachdem im Jahre 1865 eine Vereinbarung über die Kommunikationstechniken mit dem Welttelegrafenvertrag erreicht wurde, man 1874 ein Abkommen für einen vereinheitlichten Briefverkehr schloss und sich zwischenstaatlich auf naturwissenschaftliche Maße bei der Meterkonvention im Jahre 1875 einigte, nahm die Tendenz internationaler Standardisierung noch weiter zu. Um 1900 war ein inflationärer Anstieg von Projekten zu verzeichnen, die keinen geringeren Geltungsanspruch als die Vereinheitlichung der Welt besaßen. Der in dieser Fallstudie thematisierte Versuch, den Gregorianischen Kalender zu reformieren, ist an die Seite folgender

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Laboratoriums, eingebunden wurden, stellten andere projektorientierte und interessengeleitete Zusammenkünfte in Form von Experten-Vereinen, (Internationale) Konferenzen und Komitees zumeist die treibenden Kräfte dar.135 Historische Akteure wie George Eastman und Moses B. Cotsworth, genauso wie christliche Kirchenoberhäupter, erkannten die Relevanz dieser ›Work Forces‹ der internationalen Standardisierung. Wenngleich das kalendarische Weltprojekt und der Internationalismus ganz im Zeichen multilateraler Kooperationen stehen sollten, illustriert die Kalenderreform, dass die institutionellen Komiteetätigkeiten dieser Zielsetzung diametral entgegenstanden. Während eine vorab definierte Machtkonzentration den klerikalen Mitgliedern des Komitees die Entscheidungshoheit verlieh, unterlief Eastman die chronologische Reihenfolge des institutionell festgelegten Standardisierungsverfahrens durch Korruption. Zudem geraten im Kontext der Industrialisierung Mess- und Rechenarbeiten als Aufgabenbereich von Unternehmen und Regierungen in den Blick. Die moderne Bürokratie beruhte auf rationalisierten und ökonomisch berechenbaren Standards. Sowohl die Vereinheitlichung der Uhrzeit als auch das kalendarische Reformprojekt sollten die industriell ausgelöste, massenhafte Zirkulation von Berechnungsgrößen koordinierbar machen. Der hier implizierte rationalisierte Berechnungswille ist aus historischer Perspektive nicht neu bzw. hatte seinen Ursprung in der französischen Revolution. Der sogenannte Revolutionskalender stellte ebenso die Messung der Zeit des Gregorianischen Kalenders in Frage. Der Bruch mit dem Althergebrachten sollte nicht nur im Tagesdatum, der Monatseinteilung und Jahreszählung, sondern genauso bei der Tages- und Stundeneinteilung wirksam werden. Die Zählung der Jahre nach Christus wich zwischen 1792 und 1805 dem Dezimalsystem, welches sich bei Maßen und Gewichten bereits bewährt hat. Frei von Irrtümern, Aberglauben und Ungenauigkeiten sei genau dieses System das naturwissenschaftlich adäquate Maß für die Zeit.136 Bei all der Kritik an dem als unwissenschaftlich dargestellten Gregorianischen Kalender, darf nicht außer Acht gelassen werden, das dieses Medium ein zentrales Element astronomisch-religiöser Berechnungen darstellt. Stellare Ordnungen, die klerikale Standardsetzung des Konzils von Nicäa, biblische Schilderungen und die monatliche Veränderlichkeit des Gregorianischen Kalenders gestalten die jährliche Terminierung des Osterfestes noch heute zur Berechnungsaufgabe christlicher Konfessionsgemeinschaften. Mit den Worten des Medienhistorikers John Durham Peters lassen sich der amtierende Standard genauso wie vergangene Kalenderreformen wie folgt poinProjekte zu stellen: Flemings Durchsetzung einer Welt-Zeit, eine einheitliche WeltHilfssprache, die Zirkulation von Welt-Geld und die Standardisierung nationaler Maßeinheiten in einem globalen Format. M. Krajewski: Restlosigkeit, S. 12. 135 Wie durchdrungen die Geschichte der Standardisierung ab der Zweiten Industriellen Revolution von Komiteeaktivitäten ist, rekonstruieren JoAnne Yates und Craig Murphy in Engineering Rules. 136 H. E. Schlag: Ein Tag zuviel, S. 205-211.

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tieren: »Every religion may have its calendar, but every calendar probably has its religion, as well, if even the religion of secular reason.« 137 Kalender gehören zu den wichtigsten und ältesten religiösen Medien, weil sie auf Basis ihrer klassifikatorischen Form, Erde und Himmel, Kultur und Natur und die periodischen Ereignisse der Geschichte und Astronomie für ihre NutzerInnen symbolisch wie geografisch trennen und verbinden.

137 J. D. Peters: »Calendar, Clocks, Tower«, S. 31.

7 Skalieren Die Wolkenfotografie zwischen Industrie- und Militärforschung1

DOMPTEURE DES WETTERS Die Unberechenbarkeit von Wetterphänomenen wurde schon immer als eine überaus wirkmächtige Variable in militärischen Operationen angesehen. Winter, Stürme oder Schlamm galten als Verbündete oder Kontrahenten und beeinflussten den Ausgang von militärischen Konfrontationen entscheidend.2 Wollte der Mensch das Wetter zu seinen kalkulierbaren, loyalen Alliierten zählen und auf Basis dieser Verbindung einen Makro-Akteur bilden, war es zunächst unumgänglich, sich als Dompteur des Wetters zu behaupten. Ab der Mitte des 20. Jahrhunderts trieb die Hoffnung auf die militärische Nutzbarmachung atmosphärischer Gewalten eine Vielzahl institutioneller Verschmelzungen von Militär, Regierung, Naturwissenschaften und Ingenieurswissenschaften an.3 Bei diesen Verschmelzungen handelte es sich um Formen des »militärisch-industriellen Komplexes«. Und damit um jene investitionsintensiven staatlichen Finanzierungen von Forschung und Entwicklung, die die USA seit dem Zweiten Weltkrieg prägten.4 Der Aufstieg zu einem Makro-Akteur – sprich des militärisch-industriellen Komplexes – sollte vor allem durch die Praktik der Skalierung, oder genauer formuliert, durch die Ausweitung der organisatorischen, finanziellen, personalen und wissensbasierten Größenordnung

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Einige der in diesem Kapitel verwendeten historischen Materialien stammen aus Archiven, die Sammlungen des US-amerikanischen Unternehmens General Electric besitzen: Library of Congress, Washington, D.C., Manuscript Division; Museum of Innovation and Science, Schenectady, NY; University at Albany – The State University of New York, Albany, NY, M. E. Grenander Department of Special Collections and Archives. Für die Relevanz von Klimabedingungen und Geografie im Bereich der militärischen Strategieentwicklung siehe H. A. Winters: Battling the Elements. C. A. Miller/P. N. Edwards: »Introduction: The Globalization of Climate Science and Climate Politics«. Eine Übersicht für den Zeitraum zwischen 1800 und 1870 – der insbesondere die militärische Datensammlung in den Blick nimmt – bietet J. R. Fleming: Meteorology in America, 1800-1870. Das Manhattan-Projekt zum Bau der Atombombe ist dafür ein prominentes Beispiel. C. C. Kelly (Hg.): Remembering the Manhattan Project; R. H. Howes/C. Herzenberg: Their Day in the Sun; B. C. Reed: The History and Science of the Manhattan Project.

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realisiert werden.5 Der Verlauf eines solchen Skalierungsvorhabens wird im Folgenden anhand einer Fallstudie über die Zusammenarbeit zwischen Industrieforschern General Electrics und diversen US-amerikanischen Militärorganisationen untersucht. Im Jahre 1946 führten die firmeninternen Industrieforscher Irving Langmuir, Vincent Schaefer und Bernard Vonnegut Untersuchungen im Bereich der Wettermodifikation durch.6 Aus den anfänglichen Experimenten, die im kleinen Maßstab in einer Gefriertruhe durchgeführt wurden, entwickelten sie unter Verwendung von Trockeneis und Silberjodid die Technik des »cloud seeding« (dt. Wolkenimpfen).7 Nach eigenen Aussagen gelang es ihnen zudem auch im 5

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In der deutschsprachigen Mediengeschichtsschreibung findet immer häufiger die Untersuchung kleinere Zeiträume und eng eingegrenzte Gegenstände statt – so die Diagnose der AG Mediengeschichte auf dem Workshop »Mikro/Makro« im Jahre 2016. Grund hierfür sind sowohl theoretische und methodische Verschiebungen in der Disziplin als auch die Forschungslinien der Kulturtechnikforschung, Science and Technology Studies und der »Practice Turn«. Ein verstärkter Fokus medienhistorischer Studien auf die Mikroebene zeichnet sich ab, wofür Fallstudien, ›dichte‹ Beschreibungen einzelner Phänomene und die Erforschung bislang anonymer, marginaler Artefakte exemplarisch sind. Leitfrage ist und bleibt, wie makro- und mikrologische Analyse in der (Medien-)Geschichtsschreibung gewinnbringend miteinander verbunden werden können. Vgl. T. A. Heilmann u.a.: »Mikro/Makro«. Vor diesem Hintergrund bietet dieses Kapitel einen Lösungsvorschlag: Folge nach dem Vorbild der internationalen Wissenschafts- und Technikforschung den Skalierungspraktiken, die die Akteure entwickeln und ausprägen, um selbst einen Maßstabswechsel von einer Mikrozu einer Makroorganisation zu realisieren. Dieser Vorschlag soll jedoch nicht bedeuten, dass MedienwissenschaftlerInnen ihre eigene Disziplingeschichte und Untersuchungsgegenstände ablegen sollen. Gerade die Untersuchung der Skalierung zwischen Mikro und Makro eignet sich dazu, Formen des Dazwischen bzw. der Vermittlung zu konkretisieren. Bereits während des Zweiten Weltkrieges befasste sich die Industrieforschung von General Electric mit Technologien, die Wetterphänomene hervorbrachten. So beauftragte etwa das US-amerikanische Militär im Jahre 1941 das Unternehmen mit der Konstruktion eines Nebelgenerators. Vorbildfunktion besaß dabei eine Apparatur, welche das Schlachtschiff Bismarck der deutschen Kriegsmarine in künstlichem Nebel verschwinden ließ und damit für gegnerische Kampfflugzeuge unlokalisierbar machte. Die Industrieforscher nahmen sich der Aufgabe an, einen ähnlich effektvollen Generator zu konstruieren, mit dem man ganze Städte und militärische Truppen in Nebelbanken einhüllen konnte. Vgl. V. Schaefer: Final Report Project Cirrus. Part I. Laboratory, Field, and Flight Experiments. RL-785. General Electric Research Laboratory, Schenectady, NY, 1953, S.1, University at Albany, M. E. Grenander Department of Special Collections and Archives, Vincent J. Schaefer Papers (UA902.010), 1891-1993, Serie 2, General Electric – Project Cirrus, 1943-1954, 1981, Undated, Unterserie 2.1, Flight Data and Research, 1946-1953, Undated, Box 11, Mappe 39-40. Für den National Defense Reasearch Council, Chemical Warfare Service und die U.S. Army Airforce untersuchten sie in der Kriegszeit zudem Nebelschleier, die Vereisung von Flugzeugen und den elektrostatischen Niederschlag bei Stürmen, welcher den Funkkontakt von Flugzeugen störte. Vgl. B. S. Havens: History of Project Cirrus, S. 3-4. Silberjodid ist zugleich jenen Silberhalegoniden zuzurechnen, die wegen ihrer Lichtempfindlichkeit in der analogen Fotografie Verwendung finden, zu der auch die hier

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laboratorischen Außerhalb, die natürliche Atmosphäre zu manipulieren und Phänomene wie Regen, Schnee und Stürme zu produzieren.8 Aufgrund des einsetzenden Kalten Krieges besaß auch die US-amerikanische Regierung ein immenses Interesse an Verfahren der Wettermanipulation. Beeindruckt durch die Erfolge von General Electric, versprach man sich hiervon, artifiziellen Niederschlag als geheime Waffe der Kriegführung nutzbar machen zu können. Mögliche Eingriffe in das Wetter, wie etwa das Freisetzen atmosphärischer Gewalten gegen den Feind oder das Zähmen von Winden im Dienste der eigenen Luftstreitkräfte, nahmen enormen Einfluss auf die Szenarienentwicklung der militärischen Planungseinheiten.9 In der Hoffnung, das Wetter mit Hilfe von Chemikalien erstmals als Allianzpartner gewinnen zu können, ging das amerikanische Militär eine Kooperation mit dem Unternehmen General Electric ein. Hieraus erwuchs das großformatige Forschungsvorhaben Project Cirrus. Im Zeitraum zwischen 1947 und 1952 fanden Experimente statt,10 die von den industriellen und militärischen Wissenschaftlern in drei Bereiche unterteilt wurden: Laborforschung, Feldstudien und Flugexperimente.11 Der Einsatz der Fotografie diente während der durchgeführten Flugexperimente der Erschließung des Luftraumes mitsamt seiner Wolkenkonstellationen. Pro Flugexperiment setzte man neben einem Seeding-Flugzeug ein Foto-Flugzeug ein, welches in Intervallen Fotografien anfertigte und damit später Rückschlüsse auf die Wolkenformationen im zeitlichen Verlauf zuließ.12 Entwickelt und ausgewertet wurden die Bilder in der laboratorischen Umgebung. Wird die Wolkenfotografie aus Perspektive der Science and Technology Studies betrachtet, lässt sie sich in erster Linie als Mediator begreifen.13 Jeder Projektbeteiligte – gleichgültig, ob es sich dabei um eine Wolke, militärisches Personal oder die Industrieforscher General Electrics handelte – war auf die der Fotografie

8 9 10 11

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behandelte Wolkenfotografie gehörte. Insbesondere kam es bei der Daguerreotypie, der Talbotypie und der Kalotypie zum Einsatz. Für diesen Hinweis danke ich Lars Nowak. Vgl. J. Eggert/W. Rahts: »Photographie«. Vgl. Anonymus: »Thinking Outside the Cold Box«. Vgl. J. R. Fleming: »Fixing the Weather and Climate«. Vgl. B. S. Havens/J. E. Jiusto/B. Vonnegut: Early History of Cloud Seeding, S. 5-6, 8, 11. Zur Klassifikation der Experimente: V. Schaefer: Final Report Project Cirrus. Part I. Laboratory, Field, and Flight Experiments. RL-785, General Electric Research Laboratory, Schenectady, NY, 1953, University at Albany, M. E. Grenander Department of Special Collections and Archives, Vincent J. Schaefer Papers (UA902.010), 1891-1993, Serie 2, General Electric – Project Cirrus, 1943-1954, 1981, Undated, Unterserie 2.1, Flight Data and Research, 1946-1953, Undated, Box 11, Mappe 39-40. Vgl. V. Schaefer (1950): »Experimental Meteorology«, S.168-169. Latour begründet die agency der Mediatoren wie folgend: »[They] transform, translate, distort, and modify the meaning or the elements they are supposed to carry«. B. Latour: Reassembling the Social, S. 39. Medienwissenschaftliche Analysen und Weiterentwicklungen des Mediatoren Konzepts finden sich bei: A. Hennion/C. Méadel: »In den Laboratorien des Begehrens«, S.341-376; A.-S. Lehmann: »Das Medium als Mediator«; E. Schüttpelz: »Elemente einer Akteur-Medien-Theorie«, S. 13-18.

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inhärente Vermittlungsleistung angewiesen. Ihr handlungswirksames Potenzial sollte eine Vermittlung zwischen Mikro- und Makroorganisation, Natur und Mensch, Feld und Labor und zu guter Letzt zwischen Industrie- und Militärforschern realisieren. Angesichts dieser Spannungsfelder wäre zu kurz gegriffen, die Wolkenfotografie als bloßes Zwischenglied zu charakterisieren. Vielmehr spielte sie ihr Vermittlungspotenzial durch die Operationalisierung laboratorischer Forschung aus. Gleichermaßen wurde die Vermittlung im Überdauern der sie formenden soziotechnischen Interaktionen wirksam. Vor diesem Hintergrund darf man jedoch nicht der Verführung erliegen, die Wolkenfotografie samt ihrer Mediatorqualität per se gewinnbringend aufzufassen. Wenn sie stattdessen als Garant für ein erfolgreiches Funktionieren von Informationsflüssen zwischen dem industriellen Personal und ihren militärischen Vorgesetzten kritisch hinterfragt wird, treten schwerwiegende soziotechnische Widerstände ans Licht. Bevor jedoch detaillierter auf diese Widerstände innerhalb von Project Cirrus eingegangen wird, ist zunächst das anfängliche experimentelle Setting in der Industrieforschung bei General Electric zu beleuchten. Sichtbar werden hier Skalierungstaktiken, die Personen, Materialien, Mediatoren und den laborinternen Glücksglauben gezielt zur Konstitution eines laboratorischen Mikrokosmos miteinander in Beziehung setzen.

EIN LABORATORISCHER MIKROKOSMOS Zu den zentralen Aufgaben der Laborphase beim Manipulieren des Wetters zählte die Grundlagenforschung, mit der Erkenntnisse über die Eiskristallisation in unterkühlten Wolken gewonnen wurden. Zur Erreichung dieses Ziels knüpften die Industrieforscher an andere Wissenschaftszweige an – insbesondere an die experimentelle Meteorologie und die Wolkenphysik.14 Diese zunächst sehr abstrakt und theorieorientiert erscheinende Ausrichtung spiegelte lediglich eine Seite der Grundlagenforschung wieder. Evaluiert und falsifiziert wurden die herangezogenen Theorien stets im Kontext ihrer experimentellen Umsetzung. Mittels der Überführung von theoretischen Annahmen in die praktische Realisierbarkeit prüften die Forscher nicht nur Eigen- und Fremdtheorien, zugleich diente dieses Vorgehen der Entwicklung eines methodischen Repertoires.

14 Vgl. V. Schaefer: Final Report Project Cirrus. Part I. Laboratory, Field, and Flight Experiments. RL-785, General Electric Research Laboratory, Schenectady, 1953, S. 1314, University at Albany, M. E. Grenander Department of Special Collections and Archives, Vincent J. Schaefer Papers (UA902.010), 1891-1993, Serie 2, General Electric – Project Cirrus, 1943-1954, 1981, Undated, Unterserie 2.1, Flight Data and Research, 1946-1953, Undated, Box 11, Mappe 39-40.

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Obwohl es sich bei den Laboren von General Electric mit all ihren wissenschaftlich geprägten und hochgradig technisierten Apparaturen um Lokalitäten handelte, die über die Möglichkeit zur Durchführung äußerst komplizierter Verfahrensweisen verfügten, lässt sich das anfängliche Ausprobieren theoriegestützter Methoden mit dem Prinzip ›keep it simple‹ etikettieren. Die Industrieforscher räumten gezielt zuerst der einfachsten und am schnellsten zur Verfügung stehenden Methode den Vorrang ein; dies war unter anderem bei der Formation von Wolken in einer Gefriertruhe der Fall. Diese Truhe bildete das Zentrum von Versuchsanordnungen in der Laborphase, da sie das Potenzial barg, die Charakteristika der natürlichen Atmosphäre und ihrer Naturgewalten zügig, leicht beherrschbar und in überschaubarem Format simulieren zu können: »By using the cold-chamber technique, it is quite feasible to simulate practically any condition that may be found in the free atmosphere.«15 Will man die sozialen Implikationen dieses technisch fabrizierten Mikrokosmos vor dem Hintergrund der beanspruchten Schlichtheit begreifen, sind zunächst die technischen Installationen selbst zu beleuchten. Die ideale Kältekammer stellte eine herkömmliche Gefriertruhe dar, wie sie im häuslichen Küchenbereich Verwendung fand. Ihr (laborfremder) lebenspraktisch vertrauter Nutzungsursprung täuschte allerdings nicht darüber hinweg, dass sie über adäquate – und vor allem über als entscheidend angesehene – Eigenschaften verfügte. Die Truhe erreichte die notwendige Temperatur zwischen -20° und -30°; gleichzeitig konnte der Kältegrad reguliert werden, weshalb sie sich etwa für das Gefrieren von Proben eignete. Neben besagter Angemessenheit bildete der Modifikationsspielraum der Truhe zugleich eine Voraussetzung wie auch den Motor für die betriebene Aneignung. Der Innenraum der Gefrierkammer wurde mit schwarzem Chiffon-Samt ausgelegt. Die Farbe wirkte kontrastierend, wodurch Wolken und Eiskristalle mit bloßem Auge sichtbar wurden. Die Porosität des Stoffes entsprach den theoretischen Überlegungen zu Partikelvolumen und - zirkulation. Als Filtersystem ließ der Stoff die beobachtungsrelevanten Partikel weiterhin frei in der Truhe zirkulieren.16 Es wurden jedoch nicht nur Artefakte 15 Ebd., S. 44. 16 Ausführlich in Schaefers Worten: »It is important that any cold chamber used be equipped with black walls and bottom, so that the supercooled cloud or the ice crystals in the chamber may be seen under conditions of maximum contrast. If the cooled walls of the chamber are painted black or coated with black velvet, they become frost-coated and quickly reduce contrast. If a secondary wall is made of black chiffon velvet mounted on a light wooden frame that supports the velvet half an inch from the walls and bottom of the chamber, the cloth remains free of moisture; remains black; and yet because of the high degree of porosity of this type of cloth the heat-exchange characteristics remain unaffected. And even more important result is achieved by using the chiffon velvet. Fragmentation nuclei produced when warm moist air contacts frost crystals on the wall are effectively prevented from passing through the porous cloth. The much smaller ice and condensation nuclei that may be present in the air pass through the cloth freely.« Ebd., S. 44.

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aus dem häuslichen Bereich, sondern auch solche aus der Welt des Laboratoriums verwendet. Dazu gehörte beispielsweise eine mikroskopische Lichtquelle, welche die Truhe ausleuchtete, ohne höhere Wärmeintensitäten zu induzieren.17 Der Industrieforscher Schaefer involvierte zudem seinen Körper, indem er ihn zu einem wesentlichen Bestandteil der Versuchsanordnung machte. Durch das Einhauchen des eigenen Atems in die Gefriertruhe ließ er eine Wolke entstehen18 – ein Verfahren, das dem Selbstverständnis des Wissenschaftlers als gottähnlichem Schöpfer der Natur Ausdruck verleiht (Abb. 7.1):19 »The instant the dry ice was lowered into the chamber I saw to my delight that the supercooled cloud had been displaced by a strange bluish fog unlike anything heretofore seen. Quickly lifting the dry ice from the chamber I introduced moisture from my breath and gradually decreased the density of the fine particle blue fog until I could see the glinting of incredible numbers of ice crystals. After spending five minutes or more growing these crystals I finally was able to produce a supercooled fog.«20

Abb. 7.1: Vincent Schafer und seine anfänglichen Experimente mit der Gefriertruhe und Irving Langmuir, Bernard Vonnegut und Vincent Schaefer bei der Wolkenproduktion

17 Vgl. ebd., S. 44-45. 18 Vgl. V. Schaefer: Serendipity in Science, S. 128. 19 Ein Film, der Vincent Schaefer beim Experimentieren mit der Gefriertruhe zeigt, ist zu finden in Anonymus: »Thinking Outside the Cold Box«. 20 V. Schaefer: Serendipity in Science, S. 128.

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Über viele Monate hinweg suchte Schaefer nach einer Methode, um den Feuchtigkeitsgehalt der eigens produzierten Wolken in Eiskristalle transformieren zu können. Die in der Wolke befindlichen Wassertropfen gefroren jedoch nicht. Vergeblich führte der Forscher Materialen aus dem außerhalb liegenden Laborraum in die Wolke ein: »An endless variety of materials was dusted into the cloud: sand, ground-up rock, dirt from fields and along roads, and even substances from his own home like talcum powder and kitchen cleanser.«21 Als Schaefer dann zufällig an einem heißen Tag im Juli 1946 den Temperaturabfall in der aufgewärmten Gefrierkammer durch die Zugabe von gefrorenem Kohlendioxid – besser bekannt als Trockeneis – entgegenwirken wollte, resultierte daraus ein Phasenwechsel in der Wolke. Dank der trockenen Kälte nahmen die Wassertropfen die Form von winzigen Eiskristallen an:22 Eine artifizielle Basis für Regen und Schnee war geschaffen.

Die im Grad der (Un-)Wissenschaftlichkeit polarisierenden Praktiken des Industrieforschers lassen sich mit Claude Lévi-Strauss' Konzept des »bricoleur« konturieren und aus diesem weiterentwickeln. In seiner kultursoziologisch wegweisenden Schrift Das wilde Denken aus dem Jahr 1962 stellte Lévi-Strauss die evolutionistische und ethnozentrische Haltung des westlichen Denkens grundsätzlich in Frage. Er gelangte zu dem Standpunkt, dass das Denken der sogenannten ›Primitiven‹ »in demselben Sinne und auf dieselbe Weise logisch, wie [...] unser Denken [das Denken der ›Modernen‹] ist, aber nur dann, wenn es sich auf die Erkenntnis einer Welt richtet, der es zugleich physische und semantische Eigenschaften zuerkennt«.23 In indigenen Kulturen etablieren sich Lévi-Strauss zufolge zwei Varianten des Denkens. Eine konkrete und eine abstrakte Denkweise, welche verschiedene Arten der Wissensproduktion nach sich ziehen. Erstere basiert auf der sinnlichen Wahrnehmung, die vom Neolithikum bis heute die zentralen Kunst- und Domestikationspraktiken der Zivilisation, darunter die Landwirtschaft, die Töpferei und die Lebensmittelzubereitung, motiviert und ausgebildet hat. Demgegenüber liegt das abstrakte Denken auf der Seite des Intelligiblen, aus dem die moderne Wissenschaft hervorgegangen ist.24 21 22 23 24

D. C. Blanchard: »Serendipity, Scientific Discovery, and Project Cirrus«, S. 1281. Vgl. ebd., S. 1282. C. Lévi-Strauss: Das wilde Denken, S. 308. Lévi-Strauss schreibt hierzu: »[Wenn] der Mensch des Neolithikums oder der Urgeschichte [...] der gleiche gewesen wäre wie der der Moderne, wie könnten wir dann verstehen, daß er stehengeblieben ist und daß mehrere Jahrtausende der Stagnation wie eine Wand zwischen der neolithischen Revolution und der heutigen Wissenschaft stehen? Das Paradox läßt nur eine Lösung zu: daß es nämlich zwei verschiedene Arten des [...] Denkens gibt, die beide Funktionen nicht etwa ungleicher Stadien der Entwicklung des menschlichen Geistes, sondern zweier strategischer Ebenen sind, auf denen die Natur mittels wissenschaftlicher Erkenntnisse angegangen werden kann, wobei die eine, grob gesagt, der Sphäre der Wahrnehmung und der Einbildungskraft angepaßt, die andere von ihr losgelößt wäre [...]«. [H.i.O.] Ebd., S. 27.

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Ausgehend von dieser Grundüberlegung, wird der ›primitive‹ Bastler als ein Modell innovativen Handelns dem ›modernen‹ Wissenschaftler gegenübergestellt. Unter dem Begriff der »bricolage« fasst Lévi-Strauss die originellen Praktiken des Bastlers, die sich durch das Abweichen von vorgezeichneten Wegen bei der Entwicklung einer Innovation auszeichnen.25 In Abgrenzung vom professionellen Spezialisten erfindet der Bastler nicht etwas gänzlich Neues, sondern improvisiert und kombiniert das, was er in der augenblicklichen Situation zur Hand hat. Sein Repertoire erweitert sich durch das Sammeln und Horten einer kontingenzgeleiteten und arbiträren Auswahl von Materialien. Die zukünftige Verwendung der akkumulierten Bestände bleibt bis zum Zeitpunkt des Erfindens unbestimmt. Denn erst während des originellen Re-Arrangierens im Innovationsprozess werden den Ressourcen ihre zum Teil neuen Nutzungsmöglichkeiten zugewiesen. Auf den ersten Blick eignen sich die Materialien des Bastlers, entsprechend ihrer tradierten Verwendung, kaum für das aktuelle Innovationsvorhaben, wie dies etwa der Gebrauch häuslichen Putzmittels bei der Wolkenerzeugung vor Augen führt.26 In Lévi-Strauss' Ausführungen motiviert der Mangel an Ressourcen bzw. die Begrenztheit der lokalen materiellen Welt diese kreative Kunstfertigkeit und trägt erheblich zur Profilierung des bricoleur bei. Jederzeit sind die Erfinderpersönlichkeiten indigener Kulturen darauf angewiesen, mit raren Mitteln zu haushalten und daher jegliche Gelegenheit zum Aufstocken zu ergreifen. Diese Praktiken stehen in einem scharfen Kontrast zum ausgebildeten Ingenieur oder Naturwissenschaftler, da diesem prinzipiell eine Vielzahl von Materialien zur Verfügung steht. Unabhängig von einer situativ naheliegenden oder sich spontan ergebenden Ressourcensammlung richtet er seine Aufmerksamkeit je nach Aufgabenstellung auf die Planung und Beschaffung der erforderlichen Rohstoffe und Werkzeuge.27 Im Sinne von Lévi-Strauss ist nicht von der Hand zu weisen, dass dem Industrieforscher ein reiches Ensemble von Instrumenten zur Verfügung steht; eine Zugangsmöglichkeit, die jedoch keineswegs bedeutet, dass er nicht genauso wie der indigene Erfinder auf veraltete, ausgesonderte und übriggebliebene Apparaturen zurückgreift. In den Worten des Industrieforschers Schaefer: »I knew my way around the General Engineering, the Works Lab, the News Bureau, the Appliance Department, the Vanish and Insulation shops and […] the long multitiered racks of old equipment that could sometimes be modified to meet an urgent need to explore a new ›hunch.‹ I often found that, by having a vague idea about something of interest, I could explore the racks of old equipment, wheels, gears, rods, sheets, pipes and countless other things, and save hours and even days by adapting scrounged things to try out the

25 Vgl. ebd., S. 29. 26 Vgl. ebd., S. 30-31. 27 Vgl. ebd., S. 30.

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glimmer of an idea to find out if it had some merit, or deserved to be discarded without further ceremony.« 28

Im Sammeln und Aufbewahren des Ausrangierten sind bereits die Anfänge innovativen Schaffens zu situieren. Jede Apparatur verfügt dabei über eine eigene Historie, die sich auf den ursprünglichen Nutzungsort zurückführen lässt. Dank der kreativen Manövrierfreiheit des Wettermachers – durch eine unerschrockene vollständige Produktion und Organisation eines Mikrokosmos mit seinen Naturgewalten in einer Gefriertruhe – fügt er den Instrumenten und Materialien eine weitere Geschichte hinzu. Die Grenzziehung, die Lévi-Strauss mit seiner Trennung des modernen Wissenschaftlers vom vormodernen Bastler anstrebt, scheint bei den vorherrschenden Praktiken im Wettermachen nicht bestehen zu können. Der Industrieforscher tritt als wissenschaftlicher bricoleur in Erscheinung; er operiert als Grenzgänger und verhandelt und konstituiert diese Grenze durch das Oszillieren zwischen professioneller Ausbildung und kreativem Improvisationstalent im in situ des Erfindens. Ebenso wenig ist das instrumentelle Repertoire des Industrieforschers an die strikte Zugehörigkeit zu einer wissenschaftlichen oder außerwissenschaftlichen Welt gebunden. Wissenschaftlichkeit und Bastelei sind untrennbar miteinander verbunden und lassen sich im Bereich der Industrieforschung nicht in eine Richtung auflösen. Das Erkennen von Aneignungspotenzialen technischen Equipments legt zugrunde, die Gesamtheit von konkreten und möglichen Eigenschaften und Beziehungen wissenschaftlich spielerisch reflektieren zu können.

SERENDIPITÄT An der Gruppenkonstellation in der zumeist projektorientierten Industrieforschung fällt besonders auf, dass sie sich durch eine ausgewogene Kombination von personalen Fähigkeiten auszeichnet. Es dominieren weder ingenieur- noch naturwissenschaftliche Qualifikationen, ebenso wenig spricht die Kombination verschiedener Kompetenzen für ein Experten-Novizen-Paradigma, das eine Disziplin priorisiert. Demgegenüber ist eine Balance zwischen praktisch und theoretisch ausgeprägten Kompetenzen für die Arbeit im Team kennzeichnend. Im Sinne einer Assemblage wird bereits bei der Personalrekrutierung darauf geachtet, eine bestimmte Kombination von Wissensbeständen zu berücksichtigen. Diese Kombination zielt darauf ab, die technisch-wissenschaftliche Arbeitsumgebung des Industrieforschungslabors erschließbar und koordinierbar zu machen. Wie anhand der Zusammenführung des Physikers und Chemikers Lang-

28 V. Schaefer: Serendipity in Science, S. 18.

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muir mit dem Mechaniker Schaefer aufgezeigt werden kann, wurde in der Industrieforschung ein ungewöhnliches Ideal verfolgt. Nachdem Schaefer bei General Electric eine vierjährige Ausbildung zum Mechaniker absolviert hatte und mehrere Jahre als Instrumentenbauer in der Werkstatt des Industrieforschungslabors tätig gewesen war,29 eröffnete sich eine Aufstiegsmöglichkeit in Form einer prestigeträchtigen Assistenzanstellung an der Seite der Chemie-Koryphäe Langmuir. Der promovierte Naturwissenschaftler, der als erster Industrieforscher mit einem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet worden war, entschied sich bei der Stellenbesetzung für Schaefer. Angesichts des akademisch geprägten Karrierewegs Langmuirs stellte sich der gelernte Mechaniker selbst nach jahrelanger Zusammenarbeit die Frage, warum gerade diese Art der Gruppenkonstellation von Langmuir bevorzugt wurde: »For a number of years I wondered ›how come‹ that I was picked to Langmuir's research assistant when he could have had the ›pick‹ of the young PhD's of the world. Academically, I had a very low score, since I had to leave high school at the end of my sophomore year at Schenectady High.« 30

Aufgrund seiner akademischen Qualitäten dürfte Schaefer nicht ausgewählt worden sein. Vielmehr spielten bei der Personalrekrutierung zwei anders gelagerte Kriterien eine ausschlaggebende Rolle: »Langmuir wants someone to work with him – someone with good hands, who can make the kind of devices he's likely to need. But it has to be someone capable of taking personal interest in his ideas, helping to work them out.« 31

Neben den erwünschten handwerklichen Fähigkeiten umfasste das Anforderungsprofil ein privates Interesse an Phänomenen der natürlichen Welt, dem der Betreffende ausdrücklich »outside his work and home life« nachgehen sollte.32 Schaefer erlangte in der laboratorischen Welt von General Electric insbesondere durch sein persönliches Engagement Bekanntheit. Zusätzlich zu seiner beruflichen Tätigkeit nahm er an den naturwissenschaftlich orientierten Kolloquien des Labors teil und besuchte laboratorische Intensivkurse, in denen er die Nutzung des Mikroskops, der Camera obscura und der Mikrofotografie erlernte. Dieses Engagement blieb nicht auf Schaefers professionelles Leben begrenzt. Durch die Lektüre historischer, mathematischer, physikalischer, geologischer und chemischer Literatur eignete er sich ein breites interdisziplinäres Wissen an.

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Vgl. ebd., S. 16, 29. Ebd., S. 28. Ebd. Ebd.

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Zudem unterstützte er die Formierung des Schenectady Museum und entwickelte im Bereich der Naturkunde spezielle Bildungsprogramme für Erwachsene.33 Ein breit aufgestelltes Wissensspektrum, so legen Publikationen der industriellen Wettermacher, wie etwa Duncan C. Blanchards 1996 erschienener Aufsatz »Serendipity, Scientific Discoveries and Project Cirrus«,34 oder das von Langmuir geleitete Forschungskolloquium mit dem Untertitel »Planning Unplanned Research« nahe,35 birgt eine nicht zu unterschätzende Schlüsselqualifikation. Es befähigte Industrieforscher dazu, im Innovationsprozess eine ungewöhnliche Kraft wahrzunehmen. Dabei handelte es sich um »serendipity«, eine Form des glücklichen Zufalls. Langmuir beschrieb die Serendipität in einem im National Museum of Natural History in Washington gehaltenen Vortrag im Jahre 1947 wie folgt: »[...] nobody could have planned them and arranged them so that we got the results that we did get. They are all just drifting with the wind. They are things that came about by accident [...].«36 Allerdings lag die Herausforderung nach Langmuir in erster Linie darin, diese unvorhersehbaren Ereignisse nutzen zu können: »[Serendipity is] the art of profiting from unexpected occurrences.«37 33 Vgl. Ebd, S. 17-18. Konzeptuell kommt man der Gruppenkonstellation in Industrieforschungslaboren mit dem »Renaissance Man« oder »Universalgelehrten« auf die Spur. Während jedoch solche Personen – wie Leonardo da Vinci, Leon Battista Alberti oder Galileo Galilei – gleichermaßen über ein Spektrum künstlerischer, handwerklicher und intellektuell-abstrakter Fähigkeiten verfügten, wurde in firmeninternen Laboren gezielt auf die Verteilung solcher Expertisen in Teams geachtet. Siehe auch Á. Heller: Renaissance Man. 34 Vgl. D. C. Blanchard: »Serendipity, Scientific Discovery, and Project Cirrus«. 35 Irving Langmuir, The Research Laboratory History and Traditions. Planning Unplanned Research, 1951, Vortragstyposkript, Museum of Innovation and Science, Irving Langmuir Collection 1911-1959, Serie 2, Working Papers, Box 1, Mappe 5, Working Papers, 1950-1951, 1955-1956, 1958, undated. 36 Ebd., S. 5. Die Beschäftigung mit unerklärlichen Phänomenen war für die Industrieforschung nicht unüblich. Langmuir etwa untersuchte bereits zu Anfang seiner Karriere solche Erscheinungen. In einem Brief vom 5. Juli 1911 an den Harvard-Professor M. F. Haggerty, der den »Sixth Sense« von Tieren in seinem psychologischen Universitätslabor untersuchte, sprach sich Langmuir dafür aus, diesen Sinn auch bei Menschen anzunehmen. Dabei lehnte er spiritistische Erklärungsversuche ab. Angesichts von Selbstexperimenten, die er in der Studienzeit mit seinen Kommilitonen durchgeführt hatte, favorisierte er stattdessen unbewusste biologische Prozesse: »It seems as the the [sic!] unconscious brain has a language of its own which is transmitted thru muscular impulses entirely imperceptible to the conscious mind.« Irving Langmuir, Brief vom 5. Juli 1911, Library of Congress, Manuscript Division, Irving Langmuir Papers, 18711957, Box 2, Correspondence, 1908-1927, Mappe 1911. 37 Irving Langmuir, The Growth of Particles in Smokes and Clouds and the Production of Snow from Super-Cooled Clouds, 17. November 1947, Vortragstyposkript, S. 4-5, Museum of Innovation and Science, General Electric Collection, Cloud Seeding Papers. Der Glücksglaube ist auf einen der ersten Forschungsleiter von General Electric und den ehemaligen Vorgesetzen Langmuirs, Willis R. Whitney, zurückzuführen, der dem Unternehmen 1900 beitrat. Whitney gab neben der Relevanz dieser Glaubensform für den Innovationsprozess auch die Entstehungsgeschichte von »serendipity« an seine Mitarbeiter weiter. Demzufolge wurde der Ausdruck um 1750 von Sir Horace Walpole

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Diese Kunstfertigkeit ist keinesfalls mit einem romantisierenden Verständnis von innovativen Entdeckungsmomenten zu konnotieren. Es handelte sich vielmehr um die existenzlegitimierende Aktivität industrieller Forschung, sprich die kommerzielle Nutzbarmachung technologischen Fortschritts.38 Fokusorientierte Wissensbestände würden dem Erkennen solcher glücklichen Umstände und dadurch kapitalisierbaren Potenzialen der Technologieproduktion und -vermarktung sowie Patentierung und Lizenzierung entgegenwirken.39 Der Innovationsmotor im Bereich der Wettermanipulation, so der beteiligte Labormitarbeiter Blanchard, wurde maßgeblich durch Un- und Zufälle angetrieben.40 Unerwartete Entdeckungen wurden intern weder vor den Arbeitspartnern verschleiert noch in ihrem potenziellen Wert herabgestuft, sondern den geplanten und nachvollziehbaren Ergebnissen gleichgestellt. Dabei handelte es sich nicht allein um eine Aufwertungspraktik; vielmehr wurden Kontingenzen als treibende Kraft des Innovationsprozesses begriffen.41 So zeigte sich die Relevanz von Glücksmomenten etwa bei der ursprünglich anders motivierten Zugabe von Trockeneis, die nach Monaten intensiver, aber vergeblicher Arbeit plötzlich und mühelos eine Formation von Eiskristallen in der Gefriertruhe auslöste. Eine solcher Glücksglaube ist in Anlehnung an die Wissenschaftssoziologin Karin Knorr-Cetina keineswegs als »Kontamination des Wissenschaftlichen durch das Soziale« zu diskreditieren; vielmehr präsentiert sich das Labor als »ein Ort, an dem gesellschaftliche Praktiken für epistemische Zwecke instrumentalisiert und in Erzeugungsverfahren von Wissen transformiert werden«.42 Das Unerklärliche, wie es hier im Prinzip der Serendipität vorlag, wertete den Grad der Professionalität oder gar der Wissenschaftlichkeit nicht ab. Die industrielle Forschung bemächtigte sich solcher Glaubensvorstellungen, was offenlegt, dass der wissenschaftliche Alltag des Labors untrennbar mit transzendenten Elementen verwoben war. Gleichermaßen setzte die Industrieforschung mit ihrer Personalrekrutierung auf das Kalkül eines erwartbaren Unerwarteten, denn keineswegs

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erfunden und geprägt. Walpole bezog sich dabei auf ein persisches Märchen mit dem englischen Titel »The Three Princes of Serendip«, in dem die Prinzen viele unerwartete Entdeckungen machten. Vgl. ebd., S. 4. Vgl. G. C. Bowker: Science on the Run; G. C. Bowker: »Der Aufschwung der Industrieforschung«. Wie tief die Praktik des Patentierens mit Improvisationen, Kontingenzen und Unfällen verbunden ist, und welche firmeninternen Reinigungsarbeiten am Werk sind, um diese Faktoren aus Image- und justiziablen Gründen unkenntlich zu machen, wird im Detail in Kap. Verrechtlichen und justiziabel Machen dargestellt. Vgl. D. C. Blanchard: »Serendipity, Scientific Discovery, and Project Cirrus«. Vgl. Irving Langmuir, The Research Laboratory History and Traditions. Planning Unplanned Research, 1951, Vortragstyposkript, Museum of Innovation and Science, Irving Langmuir Collection 1911-1959, Serie 2, Working Papers, Box 1, Mappe 5, Working Papers, 1950-1951, 1955-1956, 1958, undated. K. Knorr-Cetina: »Das naturwissenschaftliche Labor als Ort der ›Verdichtung‹ von Gesellschaft«, S. 87.

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wollte man die profitorientierte Erkenntnisgewinnung dem bloßen Glück überlassen.43

DIE VERSCHMELZUNG VON INDUSTRIE- UND MILITÄRFORSCHUNG Gegen Ende der 1950er Jahre suchte die US-Regierung nach Techniken zur militärischen Nutzbarmachung von Wettermanipulationen und zeigte eine Investitions- und Innovationsbereitschaft, die zu einer Kooperation von Industrie- und Militärforschung führte. Dem Wissenschafts- und Techniksoziologen James R. Fleming zufolge war dies durch den Kalten Krieg motiviert. Das Leistungsvermögen des cloud seeding wurde insbesondere in die Szenarienentwicklung einbezogen. Man plante, die Wolken in Europa zu impfen, damit sie mit den vorherrschenden Winden in die Sowjetunion getrieben würden. Das verborgene Agieren würde den nicht zu verkennenden Vorteil mit sich bringen, alle Schuldzuweisungen dementieren und resultierende Schäden mit natürlichen Wettergewalten erklären zu können.44 Solche Operationen sollten die Truppenbewegungen des Kontrahenten durch starken Niederschlag oder Schneefälle erschweren oder die eigene Position bei Flugzeugeinsätzen durch das Zähmen von Winden stärken. Zudem wurde in Betracht gezogen, bei Bombardements Wolkendecken für den Sichtkontakt aufzulösen, dem Vereisen von Flugzeugen entgegenzuwirken oder den kontrollierten Niederschlag mit chemischen, biologischen und radiologischen Agenten zu verbinden.45 Gemeinsam mit der Industrieforschung von General Electric sollte die Einlösbarkeit solcher Erfolgsversprechen geprüft werden, wofür eigens das großformatige Forschungsvorhaben Project Cirrus etabliert wurde. Die Beweggründe von General Electric für eine solche Kooperation waren demgegenüber anders gelagert. Einerseits sollte die Zusammenarbeit einer verbesserten Personal- und Ausrüstungslogistik dienen, andererseits nahm die Öffentlichkeit die Wettermanipulationen des Industrielabors als eine Bedrohung wahr. Einer der ersten Flugtests, genauer: das Experiment vom 20. Dezember 1946, erregte öffentliches Aufsehen, da eine unmittelbare kausale Verbindung zu einem verheerenden Schneesturm vermutet wurde. General Electric bestritt eine Beziehung zwischen diesen zwei Ereignissen und stellte die Anschuldi43 Für das Paradox zwischen Kontrolle, Forschungsfreiheit und Serendipitätssuche siehe A. McBirnie: »Seeking Serendipity«; L. McCay-Peet/P. Wells: »Serendipity in the Sciences«. Eine umfassende sozialwissenschaftliche und historisch-semantische Analyse von Serendipität bietet R. K. Merton/E. Barber: The Travels and Adventures of Serendipity. 44 Vgl. J. R. Fleming: Fixing the Sky, S.170. Siehe auch K. C. Harper: »Climate Control«. 45 Vgl. J. R. Fleming: »Pathological History of Weather and Climate Modification«, S. 910.

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gungen als Vorverurteilung ohne hinreichende Beweise dar. Aus Furcht vor juristischen Konsequenzen und zukünftigen Schadensersatzforderungen aus der Bevölkerung – welche die neue Form der Experimente im laboratorischen Außerhalb zweifelsohne mit sich bringen konnte – befürwortete der unternehmerische Vorstand das gemeinsame Forschungsprojekt mit der Regierung.46 Bis zum 28. Februar 1947 führten die Industrieforscher von General Electric keine weiteren Feldstudien auf eigene Verantwortung durch. Mit der Vertragsunterzeichnung trat das Unternehmen viele Vollmachten an das Militär ab. So besagte der Vertrag, dass »the entire flight program shall be conducted by the government, using exclusively government personnel and equipment, and shall be under the exclusive direction and control of government personnel.« 47

Weiter hieß es: »[…] it is essential that all of the General Electric employees who are working on this project refrain from asserting any control or direction over the flight program. The General Electric Research Laboratory responsibility is confined strictly to laboratory work and reports.«48

Unverkennbar ist abzulesen, dass die Übertragung der juristischen Haftbarkeitsverantwortung des Unternehmens ihre Labormitarbeiter in ein neues Arbeitnehmerprofil drängte. Der Verlust von experimentellen Freiheiten und Partizipationsrechten in der Feldforschung durch das Untersagen von Flugtests bedeutete nicht zuletzt eine Begrenzung ihres geographischen Aktionsraumes. Die damit einhergehende laborbezogene Aufgabenspezialisierung manövrierte die Industrieforscher folglich in Ratgeber- und Beobachterpositionen ihrer eigens initiierten Forschung. Verständlicherweise stellte die Public-Relations-Abteilung von General Electric weniger diese Degradierung als die Vorzüge einer Verschmelzung von Industrie- und Militärforschung heraus:

46 So vermerkte der General Electric-Angestellte Barrington Havens zur Größenordnung der Regressansprüche: »Since such a threat to the share owners' money would not be balanced by any known gain to the Company's products or business, there was great reluctance to incur risks of uncertain but potentially great magnitude.« B. S. Havens/ J. E. Jiusto/B. Vonnegut: Early History of Cloud Seeding, S. 8. 47 Zitiert nach Ebd., S. 8-9. 48 Zitiert nach Ebd., S. 9.

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»The collaboration of General Electric and Signal Corps scientists in cloud modification studies is an outstanding example of industry and the armed forces working together in peace just as they did in war […].«49

Und an späterer Stelle wurde festgehalten: »It is hoped that the active collaboration [...] may prove to be [a vital link] leading to the development of methods for the manipulation of gigantic natural forces to be guided into safe channels and made to work for the benefit of humanity everywhere.« 50

Im Jargon der Öffentlichkeitsarbeit konkretisierte man in anschließenden Mitteilungen den zitierten Nutzen des Wolkenimpfens für die gesamte Menschheit und adressierte gleichzeitig die potenzielle Klientel: Neben einer garantierten weißen Weihnacht für den Familienkreis sollten die Wintersportindustrie und die Landwirtschaft von dem beliebig festlegbaren Schnee- und Regenniederschlag unabhängig von Sommer- und Winterzeit profitieren.51 Durch die industriell-militärischen Studien leistete man außerdem einen Beitrag zur Aufklärung und zur Bildung der Bevölkerung. Die PR-Abteilung verkündete am 2. März 1949, dass die Form von Regentropfen nicht der herkömmlichen Vorstellung von Tränen entspreche. Blanchard, firmeninterner Wissenschaftler und Mitglied von Project Cirrus, fand dies im industriellen Forschungslabor dank der Verwendung moderner Militärtechnologien heraus. Er leitete dazu mit einem Tropfenzähler Wasser in einen künstlich erzeugten Luftstrom und nahm unter Verwendung von Stroboskoplicht, das den Bewegungsverlauf des Wassers scheinbar verlangsamte, und einer Hochgeschwindigkeitskamera 70 Fotografien auf. Die gewonnenen Erkenntnisse über die Flüchtigkeit der Tropfenform wurden kurz darauf an die Zeitungen weitergegeben: »Instead of being symmetrically streamlined like a tear, large raindrops can change into a ›new look‹ as often as 50 times per second and can resemble a variety of things, including pancakes, gourds, peanuts, telephone receivers [...] and even human feet.« 52

49 General News Bureau, Joint Statement of U.S. Army Signal Corps and General Electric Company, Pressemitteilung, o. Dat., S. 2, Typoskript. Museum of Innovation and Science, General Electric Collection, Cloud Seeding Papers. 50 Ebd., S. 4. 51 Vgl. General News Bureau, Pressemitteilung vom 14. November 1946, S. 4, Typoskript und General News Bureau, Pressemitteilung vom 21. November 1947, S. 3. Beide zu finden: Museum of Innovation and Science, General Electric Collection, Cloud Seeding Papers. 52 General News Bureau, Pressemitteilung vom 2. März 1949, S. 1, Typoskript. Museum of Innovation and Science, General Electric Collection, Cloud Seeding Papers.

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Trotz der publizierten Produktivität des Zusammenwirkens von Industrie und Militär diskutierte man sowohl in wissenschaftlichen Kreisen als auch in der breiten Öffentlichkeit das cloud seeding im Kontext einer potenziell bedrohlichen Kettenreaktion. Die geringen Mengen an Nukleationskeimen, welche die Seeding-Materialien Trockeneis und Silberjodid enthielten, erinnerten stark an andere explosive – vor allem atomare – Kettenreaktionen.53 Auch wenn an einen radioaktiven Niederschlag nicht zu denken war, bestand die Möglichkeit, dass während des Impfens in der Atmosphäre Energien freigesetzt wurden, welche etwa denen der Atombombe von Hiroshima gleichkamen.54 Von den Industrieforschern wurde die Analogie zu Kernwaffen keineswegs als abwegig abgetan, sondern bekräftigt.55 So hielt man etwa in der Charleston Daily Mail vom 11. Dezember 1950 fest: »›Rainmaking‹ or weather control can be as powerful a war weapon as the atom bomb, a Nobel prize winning physicist said today. Dr. Irving Langmuir, pioneer in ›rainmaking‹‚ said the government should seize on the phenomenon of weather control as it did on atomic energy when Albert Einstein told the late President Roosevelt in 1939 of the potential power of an atom-splitting weapon. ›In the amount of energy liberated, the effect of 30 milligrams of silver iodide under optimum conditions equals that of one atomic bomb,‹ Langmuir said.«56

Die Gefährlichkeit des hohen Energieaufkommens diskutierte man jedoch kaum im Kontext der eigenen ›gesteuerten‹ und ›kontrollierten‹ Feldforschung; stattdessen wurden solche Kontroversen auf eine andere soziale Gruppe verlagert. In einem Vortrag vor der New England Association of Chemistry Teachers gab General Electric die möglichen katastrophalen Konsequenzen leichtfertiger Wolkenimpfungsversuche durch Amateur-Regenmacher zu bedenken: Diese privat durchgeführten Experimente – etwa wenn Farmer versuchten, gegen Dürreperioden anzukämpfen – könnten ungewollt immense Veränderungen des Wetters heraufbeschwören. Da sich der Effekt des Impfens in großer Entfernung von der eigentlichen Seeding-Lokalität entfalten könne, sei sich der Amateur der weitreichenden Auswirkungen seines Wolkenimpfens gar nicht bewusst.57 Obendrein interferiere die Unbedachtheit der Amateure mit den kontrollierten Tätigkeiten professioneller Wissenschaftler:

53 Vgl. J.R. Fleming: »Pathological History of Weather and Climate Modification«, S. 9. 54 Vgl. V. Schaefer (1950): »Experimental Meteorology«, S. 166. 55 Auch der Physiker Edward Teller – der ›Vater der Wasserstoffbombe‹ – hatte nach einem Besuch von Langmuir im Sommer 1947 den Eindruck, dass dieser seine Technik im Konkurrenzkampf mit der Atombombe sah. Vgl. J.R. Fleming: Fixing the Sky, S. 170. 56 Zitiert nach M. Novak: »Weather Control as a Cold War Weapon«. 57 Vgl. General News Bureau, Pressemitteilung vom 25. August 1950, S. 1, Typoskript. Museum of Innovation and Science, General Electric Collection, Cloud Seeding Papers.

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»In their efforts to produce more rain, these amateurs are releasing large quantities of seeding material which may well contaminate the atmosphere as so as to hopelessly confuse the more careful experimenter and precipitation analyst.«58

Mit der Absicht, sowohl das Risiko einer Wetterkatastrophe zu verringern als auch sich des Amateurs als eines kontaminierenden Störfaktors zu entledigen, setzten sich die Industrieforscher für eine juristische Regulierung, Kontrolle und Lizenzierung zukünftiger Seeding-Operationen ein. So stellte Chauncey Guy Suits, Vizepräsident und Forschungsdirektor von General Electric, vor dem Senatskomitee für innere Angelegenheiten 1951 drei Forderungen: (1) Das cloud seeding solle durch eine zentrale Organisation, ähnlich der Atomic Energy Commission, koordiniert werden. (2) Um das Potenzial der Wettermodifikation ausschöpfen zu können, müsse man Produktionseinrichtungen im großen Maßstab etablieren (diese Forderung kam selbstverständlich den industriellen Interessen entgegen). (3) Eine strikte Geheimhaltungspolitik von anwendungspraktischem Wissen sei notwendig: »There is no large body of secret process data in the present state of weather modification techniques. The fundamental methods are well known and do not require the employment of highly trained personnel for their use.«59

Der Weg vom Labor ins Feld erwies sich als überaus steinig.60 Wenngleich die Militär- und Industrieforschung auf Grundlage ihrer Kooperation anvisierte, mit 58 Ebd., S. 2. 59 General News Bureau, Pressemitteilung vom 14. März 1951, S. 2, Typoskript. Museum of Innovation and Science, General Electric Collection, Cloud Seeding Papers. Zu weiteren Vorschlägen rechtlicher Regulierung: General Electric Company (1952): Project Cirrus, S. 26. 60 Bruno Latour zufolge stellen moderne wissenschaftliche Labore besondere Machtzentren dar. Dies pointiert er mit dem Ausspruch »Gebt mir ein Labor und ich werde die Welt aus den Angeln heben«. Mit der Metapher des Hebels wird die Wirkmächtigkeit des Labors dramatisiert. Dieser kleine isolierte Ort soll eine unverhältnismäßig große Wirkung ausüben und damit vielleicht nicht die Welt, so zumindest eine Nation aus den Angeln heben können. In seiner Arbeit zur Pasteurisierung Frankreichs wird anhand der Separierung und Bekämpfung des Anthrax-Erregers durch den Wissenschaftler Louis Pasteur das Labor als ein solcher Ort der Verschiebung von Maßstäben beschrieben. Zunächst domestizierte der Wissenschaftler den Erreger in der kontrollierbaren Umgebung des Labors. Die anschließende Verteilung und der Einsatz des Impfstoffs in ganz Frankreich wird als Ausweitung des laboratorischen Raums begriffen. Laut Latour ist zu berücksichtigen, dass der Impfstoff ausschließlich wirkt, wenn er unter denselben Bedingungen des Labors angewendet wird. Wissenschaftliche Fakten sind zutiefst an ihre Infrastrukturen gebunden und funktionieren nicht abseits dieser. B. Latour: »The Pasteurization of France« und B. Latour: »Gebt mir ein Laboratorium und ich werde die Welt aus den Angeln heben«. Dies kann zwar zutreffen, jedoch verschleiert Latours Fallstudie die extremen Herausforderungen und gravierenden Probleme, die das Verlassen des laboratorischen Raums mit sich bringt. Im

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juristischen Absicherungsmechanismen und waffentechnischer Leistungsstärke aufwarten zu können, ließ sich der laboratorische Mikrokosmos keinesfalls maßstabsgetreu auf die Welt übertragen. Auf den Plan traten neue und teils unvorhersehbare Akteure – allen voran das großformatige Wetter, die Öffentlichkeit, Amateur-Wettermacher, Hiroshima, Industrien, Rechts- und PR-Abteilungen, Regierungsämter und die Presse. Die Akteure waren dabei gezwungen wie auch bestrebt, Grenzen und Brücken zwischen ihnen zu ziehen bzw. zu schlagen. Zudem spielten affektive Größen wie Hoffnung, Faszination, Verunsicherung und Furcht eine beachtliche Rolle: Während mutmaßliche Atomenergien und Regressansprüche Ängste schürten, wurde der Wunsch nach lukrativen Industriezweigen laut. Von Beginn an kündigte sich die Welt außerhalb des Labors als ein kaum steuerbarer Verhandlungsort an, der sowohl Befürworter als auch Gegner des artifiziellen Wettermachens im besonderen Maße motivierte, Überzeugungsarbeit zu leisten. Bei diesen Überzeugungsversuchen pochte der Verbund von Industrie- und Militärforschung schlicht auf die Fortschreibung des Laborideals. Spezialisierung, Hochtechnizität, Reinheit, Geplantheit und Steuerbarkeit sollten ebenso charakteristisch für die Feldforschung sein.61 Selbstredend wurde dabei auf die Schilderung eigener laboratorischer Improvisationen und Kontingenzen verzichtet. Während man ironischerweise den Forschungsmythos von Kontrolle und Sterilität bestärkte, gelang es den Project Cirrus Beteiligten kaum, das laboratorische Außerhalb von sozialen Kontaminationen oder innovativen Bricolagen Dritter zu reinigen. Blickt man nun in die Feldforschung des Projektes, treten

Feld werden laboratorische Praktiken Zerreißproben unterzogen, die eher für eine Reformulierung des Latourschen Ausspruchs plädieren lassen: »Gebt der Industrieforschung ein Feld und es wird sich zeigen, ob sie sich selbst oder die Welt aus den Angeln heben wird«. Die internationale Wissenschafts- und Technikforschung hat das Labor bisher als den paradigmatischen Ort experimenteller Forschung behandelt. Neuere (medienwissenschaftliche) Studien unterstreichen den Erkenntniswert der Feldforschung, wie J. Willkomm: »Feldstudien über Feldstudien«, und legen die einflussreiche Wechselwirkung zwischen Feld- und Laborstudien und ihrer Forschungsmedien dar. Siehe etwa I. Messaoudi: »Die Mediatisierung des Feldes und des Labors in der linguistischen Gestenforschung«. Wie tiefgreifend die Verflechtung von laboratorischer Forschung mit der im Feld ist, illustriert der Wissenschafts-und Technikhistoriker Simon Schaffer. Die historischen Wurzeln der Ethnologie – deren Forschungsideal die teilnehmende Beobachtung im Feld darstellt – führt er auf den Ort des Labors zurück. Personale Verbindungen zwischen den Gründungsfiguren der ethnologischen Feldforschung und der laboratorischen Physik illustrieren dies zum Beispiel: »Some of the most eminent inquirers who began empirically to study indigenous peoples in the name of ethnographic science did not arrive in the field from their armchair, nor from their verandahs, but from their laboratory benches«, S. Schaffer: »From Physics to Anthropology and Back Again«, S. 8. 61 Vgl. R. Knipp/J. Paßmann/N. Taha: »Einleitung: Zum Verhältnis von Labor- und Feldforschung«, S. 6.

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weitere soziotechnische Verunreinigungen ans Licht, die die projektinterne Auswertbarkeit von Informationen in eine Schieflage geraten lassen.

VOM PATHOLOGISCHEN WUNSCHGLAUBEN In der Feldforschung wurden das cloud seeding und die Beobachtung der induzierten Phänomene in der natürlichen Atmosphäre vorgenommen. Die Studien erfolgten parallel vom Boden und von der Luft aus. Im letzteren Fall führte man Flugoperationen durch, für die das Flugtestgelände von General Electric auf dem Schenectady County Airport in die stationäre Forschungsinfrastruktur integriert wurde. Man nutzte das Gelände einerseits als Abflugort, andererseits fungierte der Tower des Hangars als Beobachtungsposten, welcher mit dem unternehmensinternen Laborgebäude zur Synchronisation der Beobachtungen mittels einer Telefonleitung verbunden war.62 Für weitere Untersuchungen stand das Mount Washington Observatory zur Verfügung, eine meteorologische Einrichtung, die unter anderem mit der Bundesregierung zusammenarbeitete.63 Für die organisatorische Koordination griff man auf einen Funkkontakt zwischen der Observationsstation und dem Labor zurück. Von synchronen Beobachtungen sah man hier jedoch aufgrund der enormen räumlichen Distanz zwischen den beiden Lokalitäten ab.64 Vom Boden aus prüften die Industrieforscher diverse Techniken der Wolkenimpfung, wobei sie mit dem Wissenschaftler Joseph M. Silverstone kooperierten. Dieser ging der Wettermanipulation in Honduras 1948 für die United Fruit Company – heute bekannt als Chiquita Bananas – nach. Gemeinsam mit Silverstone testete Langmuir das Impfen von Wolken mit Hilfe einer Leuchtpistole. Das Projekt wurde jedoch abgebrochen, da keine Möglichkeit bestand, einen erfolgreichen Ausgang nachzuvollziehen und nachzuweisen. Ungewissheiten beglei-

62 Vgl. Vincent Schaefer, Final Report Project Cirrus. Part I. Laboratory, Field, and Flight Experiments. RL-785, General Electric Research Laboratory, Schenectady, 1953, S. 61, University at Albany, M. E. Grenander Department of Special Collections and Archives, Vincent J. Schaefer Papers (UA902.010), 1891-1993, Serie 2, General Electric – Project Cirrus, 1943-1954, 1981, Undated, Unterserie 2.1, Flight Data and Research, 19461953, Undated, Box 11, Mappe 39-40. 63 Vgl. Katharine B. Blodgett, Vincent Schaefer and Snow Making, 2. Februar 1947, Vortragstyposkript, S. 7, Museum of Innovation and Science, General Electric Collection, Cloud Seeding Papers. 64 Vgl. Vincent Schaefer, Final Report Project Cirrus. Part I. Laboratory, Field, and Flight Experiments. RL-785, General Electric Research Laboratory, Schenectady, 1953, S. 61, University at Albany, M. E. Grenander Department of Special Collections and Archives, Vincent J. Schaefer Papers (UA902.010), 1891-1993, Serie 2, General Electric – Project Cirrus, 1943-1954, 1981, Undated, Unterserie 2.1, Flight Data and Research, 19461953, Undated, Box 11, Mappe 39-40.

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teten das Projekt in zweifacher Hinsicht: Am Ende eines jeden Experiments sah sich das Forscherteam außerstande, die Frage zu beantworten, ob die Trockeneiskügelchen tatsächlich in die Wolke eingeleitet worden waren oder ob das Impfen wirkungslos geblieben war. Aufgrund mangelnder Treffsicherheit schien es unmöglich zu sein, ein annähernd vertrauenswürdiges Ausschlussverfahren zu entwickeln.65 Auch die chemische Verbindung Silberjodid kam vom Boden aus zum Einsatz.66 Hierzu verwendete man einen mobilen Generator, der Rauchschwaden in die Atmosphäre freisetzte. Die Experimente starteten im August 1949 im Schoharie Valley, einem weiteren Testgelände, welches sich 25 Meilen südwestlich vom Labor in Schenectady befand. Der artifizielle Rauch ging in die natürlichen Winde ein und stellte eine sichtbare Verlaufsbahn her, die vom Labor aus zu beobachten war. Die Wissenschaftler wurden auf verschiedene Effekte aufmerksam. Der Schneefall bei einigen Wolken wurde darauf zurückgeführt, dass sich Eiskristallcluster in Cumuluswolken bildeten. Bei Wolken, die sich nicht in unmittelbarer Nähe des Rauchs befanden, erfolgte jedoch kein Niederschlag:67 »This effect was observed between 1200 and 1500 at a position 25 miles from the generator site. Clouds north and south of the area appeared unaffected.«68 Obwohl die an die wissenschaftliche Öffentlichkeit adressierten Berichte nicht nachdrücklich darauf hinwiesen, sondern es lediglich durch vereinzelte Nebenbemerkungen andeuteten, ist rekonstruierbar, dass zwischen dem Impfen und der Erscheinung von Regen und Schnee keine direkte Kausalität nachgewiesen werden konnte. Militär- und Industrieforschung bewegten sich auf unsicherem Terrain von kaum kalkulierbaren Wahrscheinlichkeiten, die den Erfolg der Wettermanipulation in den Bereich der Spekulation rückten. Für Wissenschaften, die mit Wahrscheinlichkeiten jonglieren und sich mit Phänomenen höchst zweifelhafter Existenz befassen, prägte niemand geringeres als Langmuir das Konzept der Pathologischen Wissenschaft. Am 18. Dezember 1953 präsentierte Langmuir die »Pathological Science« im Kreis des laborinternen Forschungskolloquiums. Diese Forschungsrichtung oder »the science of things that aren't so« stellt im Kern eine skeptische Haltung gegenüber den Naturwissenschaften und auch gegenüber Grenzwissenschaften wie der Parapsy65 Vgl. ebd., S. 74. 66 Dass sich auch diese Substanz für das Wolkenimpfen eignete, wurde von Vonnegut entdeckt. Silberjodid verfügte über eine ähnliche Oberflächenstruktur wie Graupel und konnte so zur Bildung von künstlichen Gefrierkernen in Wolken eingesetzt werden. Vgl. B. S. Havens/J. Jiusto/B. Vonnegut: Early History of Cloud Seeding, S. 5-6. 67 Vgl. Vincent Schaefer, Final Report Project Cirrus. Part I. Laboratory, Field, and Flight Experiments. RL-785, General Electric Research Laboratory, Schenectady, 1953, S. 87ff., University at Albany, M. E. Grenander Department of Special Collections and Archives, Vincent J. Schaefer Papers (UA902.010), 1891-1993, Serie 2, General Electric – Project Cirrus, 1943-1954, 1981, Undated, Unterserie 2.1, Flight Data and Research, 1946-1953, Undated, Box 11, Mappe 39-40. 68 Ebd., S. 90.

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chologie und der Ufologie dar.69 Zur Begründung dieser Skepsis führte Langmuir Fallstudien aus verschiedenen Wissenschaftszweigen an. Eine dieser Studien verdankte er seiner Beteiligung am US-amerikanischen Regierungsprojekt Sign, dessen Mitarbeiter fotografische Beweise für die Existenz von UFOs zusammenstellten. Eine andere Studie ging auf sein Treffen mit Joseph B. Rhine, dem Begründer der Parapsychologie, in den 1930er Jahren zurück, nach welchem Langmuir den Umgang mit Zenerkarten untersucht hatte, die eingesetzt werden, um telepathische Fähigkeiten nachzuweisen. Für den naturwissenschaftlichen Bereich schließlich wurde unter anderem der Allison-Effekt genannt, der fälschlicherweise die Existenz der chemischen Elemente Alabamin und Virginium behauptete.70 Jeder Wissenschaftszweig, so Langmuir, könne Gefahr laufen, in Schwellenbereichen der Beweisbarkeit von Phänomenen zu operieren. Keine Disziplin könne sich per se von der Anziehungskraft des Wunschdenkens freisprechen: »I think the driving force is quite a normal scientific desire to make discoveries and to understand things.«71 Eine Fehleinschätzung bringe jedoch das Pathologische – welches die Form einer unverbesserlichen Wahrhaftigkeit annimmt – mit einer epistemologischen Praktik zusammen, in der an die Stelle des Beweisens der Glaube an Effekte trete. Unbewusst und mit aufrichtigen Absichten würden apparative Messungen und statistische Auswertungen zugunsten einer vermeintlichen Beweisbarkeit der eigenen Hypothese manipuliert. Die paradoxale Figur eines ›ehrlichen Verfälschers‹ komme durch eine Selbsttäuschung zustande. Während der Wissenschaftler den Anspruch auf exakte Beobachtungen erhebe, nehme er das behauptete Phänomen so ernst, dass daraus eine Flut von Untersuchungen und Publikationen resultiere, welche erst im letzten Schritt durch stärker werdende Zweifel anderer zum Erliegen komme. Zur Symptomatik gehört laut Langmuir unter anderem, dass der maximal beobachtbare Effekt durch eine Ursache von kaum feststellbarer Intensität hervorgerufen wird; damit steht das Ausmaß der Wirkung in keiner angemessenen Relation zur Ursachengröße. Ebenso komme es zu einer Variation medialer Beweise. Denn um die geringe statistische Signifikanz der Ergebnisse auszuhebeln, würden unzählige Messungen angestellt: »There is a habit with most people, that when measurements of low signifcance [sic!] are taken they find means of rejecting data. They are right at the threshold value and there are many reasons why you can discard data. [...] If things were doubtful at all why they

69 Irving Langmuir, Pathological Science, General Electric Laboratories, Report No. 68-C035, April 1968, S. 1, Museum of Innovation and Science, General Electric Collection, Cloud Seeding Papers. 70 Vgl. ebd. 71 Ebd., S. 12.

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would discard them or not discard them depending on whether or not they fit the theory. They didn't know that, but that's the way it worked out.«72

Langmuir konkretisierte zwar die Symptome des ›Krankheitsbildes‹, beschäftigte sich aber kaum mit dessen Ursachen. Bemerkenswert ist, dass diese in Langmuirs Fallstudien stets im Bereich der Apparatetechnik verortet wurden. Denn der Verlust wissenschaftlicher Selbstkontrolle geht mit einem inadäquaten Gebrauch der Messinstrumente einher: (1) Bei den von Langmuir aufgelisteten Beispielen bedarf es selten einer oder gar keiner gründlichen Messung, da das angebliche Phänomen nicht den gewöhnlichen Gesetzmäßigkeiten der Natur folgt. (2) Das Evaluieren ›authentischer‹ Medien, insbesondere der Fotografie, erfordert keine Kombination mit weiteren Techniken. (3) Schwankende Messergebnisse werden ausgeblendet, ein Umstand, der die Trefferquote als konstant erscheinen lässt. (4) Tritt der Mensch als Messapparatur auf, sind Fehler unvermeidbar: »[...] he was counting hallucinations, which I find is common among people [...] if they count for too long. [He] counted for six hours a day and it never fatigued him. Of course it didn't fatigue him, because it was all made up out of his head.« 73

Ohne den permanenten Einsatz und die regelmäßige Wartung der Geräte basieren Messwerte lediglich auf vagen Schätzungen, die keineswegs mit wissenschaftlicher Genauigkeit zu verwechseln sind. Was bleibt, sind der Glaube an falsche Ergebnisse und der unverbesserliche menschliche Messapparat, der sich lediglich im Bereich der Autosuggestion feinjustiert. Das pathologische Spekulieren gehörte auch zu den Schwierigkeiten der Wettermodifikationsforschung. Bezeichnenderweise wurde dies nicht von Langmuir selbst thematisiert, sondern von seinem Forschungskollegen William Lewis. So lautete die Kritik aus den eigenen Reihen: »It is not possible, in any particular instance, to decide with any degree of certainty whether the rainfall observed in an area presumably effected by seeding, was in fact due to the seeding, or would have occurred anyway. You may surmise that the rain resulted from the seeding while I surmise that the seeding had very little to do with it, but neither of us knows. There is no evidence for a positive decision either way.«74

Für den Project Cirrus-Mitarbeiter stand nach der Auseinandersetzung mit einem Bericht von Langmuir fest, dass der Niederschlag am 14. Oktober 1948 in New

72 Ebd. 73 Ebd., S. 4. 74 William Lewis, Memorandum to Dr. Langmuir on the Results of Flight 45, 1948, S. 2, Library of Congress, Manuscript Division, Irving Langmuir Papers, 1871-1957, Box 12, Cloud Seeding.

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Mexico keineswegs dem artifiziellen Wettermachen in Rechnung zu stellen war. Lewis brachte die Regenfälle vielmehr mit einem Unwetter in Verbindung, welches bereits einige Tage zuvor in anderen Teilen des Bundesstaates zu Niederschlägen geführt hatte. Hinzu kam, dass das Seeding-Gebiet um Santa Fe für die häufige natürliche Entwicklung von Gewittern bekannt war.75 Solche geografischen Bedingungen begünstigten zwar das Prognostizieren des Wetters, jedoch belegten sie keineswegs eindeutig den Erfolg der Impf-Operationen.76

AUF EIN MAXIMUM REDUZIEREN Das Problem der pathologischen Spekulation im cloud seeding – so die These – sollte in der Laufzeit von Project Cirrus auf der Basis von Flugexperimenten und insbesondere durch den Einsatz fotografischer Techniken gelöst werden. Das U.S. Army Signal Corps und die Geophysikabteilung des Office of Naval Research finanzierten diese Flugoperationen zur Hälfte und stellten zudem Personal wie etwa Piloten, Fotografen und Meteorologen bereit. Die Luftwaffe partizipierte ebenfalls an dem Forschungsvorhaben und bot ihrerseits Zugang zu Flugzeugen, Piloten und Wartungspersonal.77 Die Wolkenfotografie nahm in der Feldforschung von Project Cirrus eine Schlüsselrolle ein. Eigens für sie wurde eine Dunkelkammer auf dem Flugtestgelände von General Electric installiert, die man später durch die Integration 75 Vgl. ebd., S. 1. 76 Die Skepsis gegenüber dem Erfolg der Seeding-Experimente wurde nicht nur vom Projektpersonal geäußert. Kontrovers behandelte auch das United States Weather Bureau die Fortschritte artifizieller Wolkenmanipulation. So notierte auch der ehemalige General Electric-Mitarbeiter Havens: »This unit has kept a watchful eye on all the developments associated with Project Cirrus. In many cases it designated observers to work with the project on specific operations. It has conducted experiments of its own to test the validity of Project Cirrus findings.« B. S. Havens/J. E. Jiusto/B. Vonnegut: Early History of Cloud Seeding, S. 53. Der Einfluss des United States Weather Bureau auf die Gemeinschaft der Meteorologen und die militärische Nutzung des Wolkenimpfens lässt sich anhand dieser Bemerkung Langmuirs abschätzen: »The possibility of such widescale control of weather conditions, of course, offers important military applications, but since nearly all meteorologists are such influenced by the opinions and the attitudes of the Weather Bureau men, the opposition on the part of the Weather Bureau and other groups has [...] prevented the starting of any military applications. It was, therefore, of the utmost importance to clear this matter up without getting too much publicity.« Zitiert nach Ebd., S. 54. 77 Vgl. Vincent Schaefer, Final Report Project Cirrus. Part I. Laboratory, Field, and Flight Experiments. RL-785, General Electric Research Laboratory, Schenectady, 1953, S. 107, University at Albany, M. E. Grenander Department of Special Collections and Archives, Vincent J. Schaefer Papers (UA902.010), 1891-1993, Serie 2, General Electric – Project Cirrus, 1943-1954, 1981, Undated, Unterserie 2.1, Flight Data and Research, 1946-1953, Undated, Box 11, Mappe 39-40.

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eines fotografisch ausgerüsteten Containers erweiterte. Grund dafür war das hohe Bildaufkommen. Archiviert wurden die Negative in einer militärischen Einrichtung.78 Die aufgenommenen Bilder verstanden die Industrieforscher in erster Linie als fotogrammetrische Aufzeichnungen, da sie exakte Informationen über die Eigenschaften der Wolken enthielten:79 »Good photographic techniques are of extreme value [...] because of the compexity of clouds and the rapidity with which they change some of their features. It is impossible to obtain a satisfactory record by visual observation alone.«80 In Verbindung mit Techniken der Fotogrammetrie konnten die Bilder verwendet werden, um die räumliche Lage und die dreidimensionale Form der Wolkenkonstellationen zu messen und auszuwerten (Abb. 7.2).

Abb. 7.2: Verbindung von Wolkenfotografie und Bildvermessung mittels

Skaleneinsatz bei einer Aufnahme von einer Cumuluswolke nach dem Impfen Ein Blick auf die Ausbildung fotografischer Praktiken zeigt, dass diese in erster Linie durch die Mediennutzung und -adaption erfolgte. Die Industrieforscher gehörten zur Konsumentenwelt und bildeten – ähnlich wie Fotoamateure – klassische Anschaffungspräferenzen aus, wie beispielsweise für Produkte aus der 78 Vgl. B. S. Havens/J. Jiusto/B. Vonnegut: Early History of Cloud Seeding, S. 13. 79 Vgl. Vincent Schaefer, Final Report Project Cirrus. Part I. Laboratory, Field, and Flight Experiments. RL-785, General Electric Research Laboratory, Schenectady, 1953, S. 63, University at Albany, M. E. Grenander Department of Special Collections and Archives, Vincent J. Schaefer Papers (UA902.010), 1891-1993, Serie 2, General Electric – Project Cirrus, 1943-1954, 1981, Undated, Unterserie 2.1, Flight Data and Research, 19461953, Undated, Box 11, Mappe 39-40. Wie relevant die Ausbildung einer »photografic intelligence« für Rauminformationen bereits im Zweiten Weltkrieg war schildert C. Babington-Smith: Air Spy, S. 55-82. 80 V. Schaefer (1950): »Experimental Meteorology«, S. 168.

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Kodak- und Agfa-Palette.81 Da solche Produkte nicht gezielt für die wissenschaftliche Wolkenfotografie entwickelt worden waren, ging man kurzum zur Adaption der Apparaturen über. Diese bildeten einen Ausgangspunkt für ausgefeilte Modifikationen, durch die in der Laufzeit von Project Cirrus verschiedene fotografische Praktiken etabliert wurden. Im Folgenden werden zwei dieser Praktiken – die dreidimensionale Erfassung mittels Stereofotografie und die dynamische Aufzeichnung mittels Zeitraffer – näher vorgestellt. Mit der Stereofotografie versuchten die Projektmitarbeiter nicht nur der Natur von Wolken entgegenzukommen, sondern befassten sich ebenso mit der des menschlichen Sehens.82 Der geringe Abstand zwischen den Augen begrenzte den räumlichen Tiefeneindruck und erschwerte es daher, strukturelle Details der Wolken zu erkennen. Um diese Hürde zu überwinden, fertigte man stereoskopische Bildpaare an. Dazu stationierten die Forscher zwei Kameras in größerer Entfernung voneinander, wodurch der Beobachtungswinkel stärker versetzt wurde und sich der Tiefeneindruck steigerte. Die Industrieforscher kombinierten diese Technik mit der Intervallfotografie. Mit Aufnahmen im 10- bis 15-Sekunden-Abstand war man imstande, die Bewegung schnell vorbeiziehender Wolken aufzuzeichnen, ohne dabei, so betonte Schaefer interessanterweise, eine signifikante Lücke im Aufzeichnungsregister zu hinterlassen. Um mit der Geschwindigkeit der Wolkenbewegungen Schritt halten zu können, wurden Transportmittel wie Autos, Züge oder Flugzeuge hinzugezogen.83 Ebenso aufwendig wie wissenschaftlich erkenntnisreich gestaltete sich die Wolkenfotografie aus dem Flugzeug. Gerade die Kombination von Medien- und Transporttechnik ermöglichte eine Nähe zu den Mikrostrukturen der Wolken, welche die Verfahren der unmittelbaren Bodenbeobachtung nicht erlaubten. Neben einem Impf-Flugzeug, von dem aus Trockeneis oder Silberjodid manuell in die Wolke induziert wurde, kam ein Flugzeug mit fotografischer Ausrüstung zum Einsatz. Das Rendezvous der Flugzeuge wurde dabei per Funk verabredet. Kurz 81 Vgl. Vincent Schaefer, Final Report Project Cirrus. Part I. Laboratory, Field, and Flight Experiments. RL-785, General Electric Research Laboratory, Schenectady, 1953, S. 64, University at Albany, M. E. Grenander Department of Special Collections and Archives, Vincent J. Schaefer Papers (UA902.010), 1891-1993, Serie 2, General Electric – Project Cirrus, 1943-1954, 1981, Undated, Unterserie 2.1, Flight Data and Research, 19461953, Undated, Box 11, Mappe 39-40. 82 Eine umfangreiche historische wie medienästhetische Einordnung stereoskoper Fotografien bietet J. Schröter: 3D. Zur Verbindung zwischen fotografischen Luftaufnahmen und Stereoskopie sowie ihren kartografischen und naturwissenschaftlichen Nutzungsweisen siehe auch A.W. Judge: Stereoscopic Photography, S. 210-226; H. G. GierloffEmden: »Bedeutung und Anwendung der Stereophotogrammetrie«. 83 Vgl. Vincent Schaefer, Final Report Project Cirrus. Part I. Laboratory, Field, and Flight Experiments. RL-785, General Electric Research Laboratory, Schenectady, 1953, S. 65, University at Albany, M. E. Grenander Department of Special Collections and Archives, Vincent J. Schaefer Papers (UA902.010), 1891-1993, Serie 2, General Electric – Project Cirrus, 1943-1954, 1981, Undated, Unterserie 2.1, Flight Data and Research, 19461953, Undated, Box 11, Mappe 39-40.

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nach dem Beginn des Impfens, mit dem man in der Wolke ein Buchstabenmuster erzeugte, wurde diese visuelle Spur vom Kameraflugzeug aus in Intervallen fotografiert (Abb. 7.3 und 7.4).84

Abb. 7.3: Musterimpfung einer Stratuswolke mittels Trockeneis in Form einer 20 Meilen langen und 5 Meilen breiten Verlaufsbahn

Abb. 7.4: Intervallfotografische Sequenz von der Entwicklung und Zerstreuung einer Cumuluswolke nach einem Seeding-Experiment

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

84 Vgl. V. Schaefer (1950): »Experimental Meteorology«, S. 170.

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Mit dem Wissenschaftssoziologen Bruno Latour gesprochen, besticht die hier eingesetzte Wolkenfotografie durch ihre Qualität der »zirkulierenden Referenz«. Ausgehend von einer interdisziplinären Forschungsexpedition im brasilianischen Boa Vista geht Latour der Frage nach, welche Transformationen natürliche Untersuchungssubjekte in der Feldforschung bis hin zum wissenschaftlichen Abschlussbericht begleiten.85 Zur Beantwortung dieser Frage richtet Latour sein Augenmerk auf klassische sprachphilosophische Theoriebestände und klärt (überaus polemisch kartiert)86 mit der Operation des Referierens über ihren gemeinsamen Nenner auf. Auf der Basis des Referierens wird eine Brücke zwischen der Welt und dem Zeichen geschlagen und die Kluft zwischen diesen als distinkt erachteten Größen überwunden.87 Im Kontrast dazu leitet Latour eine radikal anders gelagerte Dynamik aus seiner Feldforschung ab, die keinesfalls für das Bestehen einer Kluft zwischen der Welt und den Zeichen vor ihrer Referentialisierung spricht.88 Die Expeditionsbeteiligten stoßen bei jedem Schritt ihrer Zeichenarbeit auf die gemeinsame Operation der »zirkulierenden Referenz«. Und damit auf eine Operation, die die Gegenpole von natürlicher wie technischer Materie und zeichenbasierter Form zusammenschließt. In der Forschungspraxis entfernen die Beteiligten den brasilianischen Urwaldboden bis zum wissenschaftlichen Bericht immer weiter von seiner natürlichen Materialität.89 Konkret illustriert, werden Bodenproben zu technischen Apparaturen, Farben zu Codes und Worte zu Papier. Wissenschaftliche Erkenntnisse, so der Latoursche Befund, werden in einer Transformationskette sukzessiv aufgebaut. Zentral ist, dass diese Kette reversibel

85 B. Latour: Die Hoffnung der Pandora. 86 Ebd., insbesondere S. 84. Einer Vielzahl französischer Wissenschaftler dient die Semiotik als zentraler Bezugspunkt sozialwissenschaftlicher Theoriekonzeptionen, wofür Lévi-Strauss, Althusser, Baudrillard, Foucault genauso wie Lyotard und Derrida anzuführen sind. Vor diesem Hintergrund stellen Latours Schriften keine Ausnahme dar. Vgl. G. Kneer: »Hybridizität, zirkulierende Referenz, Amoderne?«, S. 286. An dieser Stelle muss jedoch markiert werden, dass die hier besprochenen sprachphilosophischen Ansätze weniger realistisch als polemisch zugespitzt präsentiert werden – ein Beschreibungsstil den Latour durchweg dann wählt, wenn er sich von wissenschaftlichen Theorien abzusetzen versucht. Siehe dazu auch A. Kümmel-Schnurr: »Zirkulierende Autorschaft«, S. 205 und R. Rottenburg: »Übersetzung und ihre Dementierung«. 87 B. Latour: Die Hoffnung der Pandora, S. 36, 84. 88 In Latours Worten: »Niemals läßt sich ein scharfer Bruch zwischen den Dingen und den Zeichen feststellen. Und niemals stoßen wir auf eine Situation, in der willkürliche und diskrete Zeichen einer gestaltlosen und kontinuierlichen Materie aufgezwungen würden. Immer sehen wir nur eine kontinuierliche Reihe von ineinander geschachtelten Elementen, deren jedes die Rolle eines Zeichens für das vorangehende und die eines Dinges für das nachfolgende Element spielt.« B. Latour: Ebd., S. 70. 89 Eine kritische Lesart dieses Entfernungsprozesses aus Perspektive der Post-Colonial und Gender Studies bietet U. Bergermann: »Kettenagenturen«.

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bleibt. Nachvollziehbarkeit wird erst durch die prinzipielle Option auf Rückwärts- und Vorwärtsbewegungen gewährleistet.90 Die in Project Cirrus eingesetzte Kombination aus Stereoskopie, Intervalltechnik und Flugzeugfotografie sollte vor allem als Garant für diese Reversibilität fungieren. Vorläufige Ergebnisse momentaner Beobachtungen, die das militärische Personal aus dem Flugzeug machte, konnten retrospektiv im Labor überprüft und mit Blick auf weitere Arbeitsschritte operationalisiert werden. Gemäß dem vertraglich eingezäumten Aktionsradius der Industrieforschung General Electrics überführte das industrielle Forschungsteam in der laboratorischen Umgebung die fotografisch eingefangene Komplexität der natürlichen und artifiziellen Phänomene in eine chronologische Ordnung. Auf Grundlage dieser Chronologie kontrollierten sie die Verfahrensförmigkeit der Methoden und entschieden über den Erfolg oder Misserfolg der Seedingoperationen. Wird die durch die Wolkenfotografien motivierte Skalierung von einem ›Makro‹ zu einem ›Mikro‹ an dieser Stelle konkretisiert, zeichnet sich ein scheinbar paradoxes Bild ab: Die Wolkenfotografie spielte ihre Mediatorenqualität maßgeblich dadurch aus, dass sie die Welt außerhalb des Labors synoptisch auf ein Maximum reduzierte und dabei den firmeninternen Wissenschaftlern juristisch abgesicherte Entscheidungs- und Forschungsfreiheiten einräumte. Denn auf gewisse Art beherrschten die Industrieforscher den Luftraum, jedoch nur so weit, wie ihnen der Himmel und seine Wolkenkonstellationen durch kleine und vor allem handhabbare Fotografien zur Verfügung standen.91 Das diese mediale Skalierung ungeplante Störungen mit sich brachte und die militärisch-industrielle Organisation mehr entzweite als zwischen ihnen vermittelte, wird nachfolgend am Beispiel der fotografischen Praktik des Zeitraffers illustriert.92

90 B. Latour: Die Hoffnung der Pandora, S. 85, 87. 91 Bevor die Fotografien samt ihrer Auswertung an die militärischen Vorgesetzten weitergeleitet wurden, erfolgten weitere medienorientierte Bemühungen. In ausgiebiger Form zeugen die Reporte von der Anstrengung, die natürlichen Untersuchungssubjekte berechenbar und kompatibel zu machen. Zahlen, grafische Darstellungen, Tabellen und Verzeichnisse traten in den Reporten als weitere Mediatoren in Erscheinung. Letztendlich zirkulierten auf diese Art Himmelsereignisse von einem laboratorischen Rechenzentrum in militärische Rechenschaftszentren, ohne Abstriche in der Informationskonsistenz zu bewirken. Latour bezeichnet diese Medien als »immutable mobiles«; B. Latour: »Die Logistik der immutable mobiles«; B. Latour: »Drawing Things Together«. Bei den genannten Rechen(schafts)zentren handelt es sich um eine Weiterentwicklung der ursprünglich von Latour eingeführten »centers of calculation« durch den Ethnologen Richard Rottenburg. Während man in Rechenzentren darauf abzielt, die Welt beherrschbar und auf Distanz kontrollierbar zu machen, sind Rechenschaftszentren gezwungen, anderen Institutionen Rechenschaft abzulegen – im Falle der vorliegenden Fallstudie etwa der US-amerikanischen Regierung. Vgl. R. Rottenburg: Weit hergeholte Fakten, S. 121. 92 Es sei auf die Diskussion zwischen Jens Schröter und Erhard Schüttpelz bezüglich des von der Akteur-Netzwerk-Theorie beschriebenen Maßstabswechsels und dessen medientheoretischer Mehrwert und medientheoretisches Missverhältnis hingewiesen:

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TRÜGERISCHE EVIDENZ Mit der Zeitraffer-Methode beabsichtigte man, die Bildung und Zerstreuung verschiedener Wolkentypen zu untersuchen. Schaefer berichtete aus seiner sechsjährigen Erfahrung im Feld, dass die simpelste Methode zur dynamischen Aufzeichnung von Wolken gewesen sei, einen Zeitraffer mittels einer Filmkamera zu erzeugen. Dabei wurde der Kameraverschluss für jedes Einzelbild mit der Hand ausgelöst.93 Hierzu hielt Schaefer fest: »By trial, it was found that one exposure every two seconds presents a cloud development sequence that is pleasing to view, continuity to permit good measurements, and yet with enough delay to be reasonably inexpensive to operate.«94 Die letzte Bemerkung umreißt die finanziellen Rahmenbedingungen, die durch das Militär gesetzt worden waren, und verdeutlicht, dass die Intervalltechnik auch der Einsparung von Kosten diente. Das Magazin des verwendeten 16-mm-Filmes, welches 2.000 Einzelbilder umfasste, wurde in 66 Minuten aufgebraucht. In diesem Zeitraum war der Körper des Industrieforschers gezwungen, in einem Intervall von zwei Sekunden zu agieren. Die Handbewegung fügte sich mehr oder minder in eine Automatik ein, wozu versucht wurde den Körper mit einer Uhr zu synchronisieren.95 Die Schwierigkeit dieser Aufgabe lässt sich aus folgendem Gegenvorschlag ableiten: »It is desirable, of course, if any systematic photography is planned, to use an automatic control for operating the camera.«96 Wie an der Bemerkung Schaefers zu sehen ist, stieß die manuelle Anpassbarkeit an ihre Grenzen. Später wurden automatische Verschlussauslöser verwendet, welche die motorischen Defizite der menschlichen Kameraoperateure ausglichen. Die Fotografien wurden mit akkuraten Angaben – etwa zu Tag, lokalen Gegebenheiten, Aufnahmewinkeln und Höhe der beobachteten Wetterverhältnisse – versehen.97 Als allgemeingültig notierte Schaefer die Relevanz einer schnell handhabbaren Ausrüstung, die vorzugsweise bestimmte Arbeitsschritte, wie das Laden der Kassette oder die geschilderte Auslösung des Verschlusses, selbst ausführte. Die einzelnen Komponenten sollten zudem in sich abgeschlossen funktionieren

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E. Schüttpelz: »Ein Maßstab für alle Medien?« und die Replik von J. Schröter:» Maßstäbe und Medien«. Vgl. Vincent Schaefer, Final Report Project Cirrus. Part I. Laboratory, Field, and Flight Experiments. RL-785, General Electric Research Laboratory, Schenectady, 1953, S. 66, University at Albany, M. E. Grenander Department of Special Collections and Archives, Vincent J. Schaefer Papers (UA902.010), 1891-1993, Serie 2, General Electric – Project Cirrus, 1943-1954, 1981, Undated, Unterserie 2.1, Flight Data and Research, 19461953, Undated, Box 11, Mappe 39-40. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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und nicht von weiteren infrastrukturellen Erfordernissen, wie einer externen Energieversorgung, abhängen. Diese Argumentation schloss an die Transportierbarkeit der Instrumente an. Wollte man den dynamischen Wetterverhältnissen gewachsen sein, waren Flexibilität und Mobilität auf technischer und personaler Seite erforderlich.98 Die Bildproduktion vor Ort wurde auf ein organisatorisches Mindestmaß begrenzt, um der Unvorhersehbarkeit der hochgradig situationsbedingten Wolkenentwicklungen angemessen begegnen zu können. In der Postproduktion entnahm man dem Film eine Sequenz aus Einzelbildern, die den Lebenszyklus einer Wolke beinhaltete, und fügte den Abschnitt zu einer Endlosschleife zusammen. Dank der beliebigen Wiederholbarkeit war es nun möglich, sich auf diverse Merkmale der komplexen Natur partieller Wolkenstrukturen zu konzentrieren. Stereoskopische Bildpaare wurden mittels zweier Projektoren synchron abgespielt. Mit Hilfe eines Polarisationsfilters, den man vor den Projektoren platzierte, wurde das Licht des hellen Himmels unterdrückt, so dass dieser dunkler und mit höherem Kontrast erschien und die weißen Wolken deutlicher hervortraten. Zusätzlich trugen die Wissenschaftler polarisierende Brillen, die den Helligkeitsunterschied ebenfalls verstärkten.99 Deutlich kristallisiert sich die apparative Gemachtheit der genuin natürlichen Größe der Wolke heraus, von der die Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit der Fotografien ausging. Der ohnehin kaum realisierbare Versuch, zwischen streng dokumentierenden und artifiziellen Bildbeständen zu differenzieren, scheint nicht nur vollends obsolet, sondern verfehlt überdies das Interesse der hier agierenden Epistemologie. Das Vorgehen der Project Cirrus Involvierten lässt sich im Anschluss an den Literaturwissenschaftler Rüdiger Campe als Methode der optischen Evidenzgewinnung und -zuschreibung akzentuieren. Eine erkenntnisorientierte Form der Evidenz fällt dabei mit einer technischen Evidenz zusammen, die aus artifiziell erzeugten Verfahren der Perspektive und des Messens hervorgeht. Die Konstrukteure besitzen Campe zufolge durchaus ein Bewusstsein darüber, was an den medialen Verfahren apparativ erzeugter Schein und keineswegs dem Vermögen des natürlichen Sehens geschuldet ist.100 Vorgenommene Manipulationen bei der Zeitraffermethode wurden von dem Wunsch nach einer vermittelten Augenzeugenschaft getragen und taten dabei 98 Ebd. 99 Ebd. 100 Vgl. R. Campe: »Evidenz als Verfahren«, S. 112. Die Medienwissenschaftlerin Birgit Schneider stellt für die bildgebenden Verfahren in der Klimaforschung eine Sehnsucht nach Evidenzen heraus, die auch für die vorliegende Fallstudien charakteristisch ist: »[Bilder werden] mit dem Versprechen erzeugt und präsentiert, etwas zu zeigen, was bislang verborgen war, was jedoch für einen Zusammenhang, der außerhalb des Bildes liegt, von großer Bedeutung ist.« B. Schneider: »Die Kurve als Evidenzerzeuger des klimatischen Wandels am Beispiel des ›Hockey-Stick-Graphen‹«, S. 42. Im diesem Sinne stellten die fotografischen Protokolle in Project Cirrus meteorologische Sachverhalte, die dem normalen Sehen verborgen geblieben wären, vor Augen.

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der Verlässlichkeit hervorgebrachten Wissens keinen Abbruch. Auffällig ist, dass den archivarischen Quellen weder ein normativer Unterton abgelesen werden kann, der diese artifiziell konstruierte Augenzeugenschaft in jeglicher Form kritisch konnotiert. Noch wurde die Evidenz mit den Kategorien der ›Subjektivität‹ und ›Objektivität‹ in Beziehung gesetzt. Gerade dieser Umstand mag die Achillesferse von Project Cirrus gewesen sein. Anstelle eines »geschulten Urteils«,101 das die Anwendung fotografischer Verfahren mit einer expertisen- und erfahrungsreichen Interpretation verband, wurde eine ›zu‹ überzeugende Evidenz wirksam, welche fatalerweise das Urteilsvermögen der Industrieforscher überschattete. Wendet man sich erneut dem pathologischen blinden Fleck im cloud seeding zu, ließ diese Überzeugungskraft allen apparativen Schein vergessen und bewirkte einen unbewussten Selbstbetrug. Denn letztlich bestand projektintern ebenso eine Skepsis gegenüber der Beweiskraft der fotografischen Messverfahren. So gab der bereits zitierte Forschungsmitarbeiter William Lewis bei der Betrachtung der Fotografien hinsichtlich des (Nicht-)Funktionierens des Wolkenimpfens zu bedenken: »I shall attempt to explain these differences of opinion and give my interpretation of conditions shown in the photographs taken during the flight. There is usually room for a considerable difference of opinion in the analysis of any meteorological situation.«102 Ausführlicher heißt es: »[...] I have noted in the photographs the region described in your paper as containing ›unmistakable evidence‹ of ice crystals. I am not sure whether the diffuse appearance of this portion of the cloud is due to the presence of ice crystals or is due to the fact that this is the dissipating side of the cloud, which generally appears more diffuse than the developing side. The fact that these pictures were taken with the camera pointed in a southerly direction, against the light, seems to accentuate the diffuse appearances. I should say that the evidence as to the presence of ice crystals is inconclusive in this case. It is unfortunate that observations were not made from within the cloud.« 103

Wetterverhältnisse ebenso wie fotografische Evidenzen boten einen interpretativ-argumentativen Spielraum, der die Vagheit der angeblichen Beweise enthüllen konnte. Das menschliche Auge vermag zwar die Existenz der Sache selbst zu registrieren, ist aber nicht in der Lage, gleichzeitig die optische Konstruktion des Scheins wahrzunehmen – ein Umstand, der möglicherweise das Patholo-

101 Das »geschulte Urteil« ist eine von Lorraine Daston und Peter Galison diagnostizierte Form der Objektivität, die für das 20. Jahrhundert kennzeichnend ist. L. Daston/ P. Galison: Objektivität, S. 327-383. Das historische Erwachsen der Objektivität am Beispiel der Fotografie ist zu finden bei P. Galison: »Urteil gegen Objektivität«. Für diesen konzeptuellen Hinweis gilt mein Dank Jens Schröter. 102 William Lewis, Memorandum to Dr. Langmuir on the Results of Flight 45, 1948, S. 2, Library of Congress, Manuscript Division, Irving Langmuir Papers, 1871-1957, Box 12, Cloud Seeding. 103 Ebd.

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gische trotz der Verwendung von fotografischen Messinstrumenten förderte. Die einseitige Kameraperspektive und das Fehlen weiterer Bilder könnten damit als Indizien für eine ›pathologische Evidenz‹ gewertet werden. Verstärkt wird dieser Verdacht durch die Untersuchung Flemings zur Geschichte der Wetter- und Klimakontrolle. In Fixing the Sky wird zwar nicht der unzureichende Umgang mit der Apparatetechnik als Indiz, aber Langmuirs Praxis des obsessiven Publizierens angeführt. Vermeintliche Erfolge beim cloud seeding wurden vorschnell, ohne Zustimmung des militärischen Personals oder eine Sammlung und Auswertung der Daten, an die Öffentlichkeit weitergegeben.104 Es ist vorstellbar, dass das Project Cirrus gerade aufgrund der kaum evaluierbaren Experimente eingestellt wurde. Die mit der gleichzeitigen Erforschung, Aufzeichnung und Koordination komplexer physikalischer Phänomene verbundenen Schwierigkeiten sollten der Medienwissenschaftlerin Isabell Schrickel zufolge »in der Folgezeit den paradigmatischen Charakter der Meteorologie als Wissenschaft begründen«.105

SCHALL UND RAUCH Das Ziehen und Aufheben personaler, technischer und medialer Grenzen – genauso wie das Verweilen in Grenzbereichen der Epistemologie – durchdrangen die Skalierungsvorhaben der Industrieforschung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Maßstabswechsel jeglicher Natur waren unumgänglich für die Ausbildung und Aufrechterhaltung von Praktiken industrieller Grundlagenforschung und angewandter Forschung. Um die technisch-wissenschaftliche Arbeitsumgebung des Labors in einen Mikrokosmos zu wandeln, trat der firmeninterne Erfinder als wissenschaftlicher bricoleur in Erscheinung. Gleichermaßen räumte man irrational erscheinenden Praktiken wie dem Glücks- und dem Wunschglauben einen Platz im Innovationsprozess ein. Die so errungenen wissenschaftlichen und technologischen Fortschritte in der Wettermodifikationsforschung von General Electric führen vor Augen, dass ein epistemischer Mehrwert gerade aus nicht standardisierten oder stark zugerichteten und kontrollierten Laborbedingungen hervorging. Im Sinne der Science and Technology Studies lässt sich der Fortgang des Skalierungsvorhabens ab der Kooperation von Militär- und Industrieforschung als Kontroversengeschichte begreifen.106 Mit der Bildung des militärisch-industri-

104 Vgl. J. R. Fleming: Fixing the Sky, S. 155-156. 105 I. Schrickel: »Von Cloud Seeding und Albedo Enhancement«, S. 197. 106 Die Pionierarbeiten in den Science and Technology Studies im Bereich der sogenannten Controversy Studies gehen zurück auf Dorothy Nelkins Werk Controversy (1979). Zur

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ellen Komplex wurde ein Maßstabswechsel von einem Mikro zu einem Makro im Bereich der Organisation realisiert. Während sich die Tür zu personellen, logistischen und materiellen Ressourcen für eine großangelegte Feldforschung öffnete, hofften alle Projektbeteiligten auf eine (weitere) Inversion von Größenverhältnissen laboratorischer Experimente. Die beabsichtigte Beherrschung des Luftraumes sollte auf Basis einer skalierten Übertragung des im Labor technisch fabrizierten Mikrokosmos von Naturgewalten auf die Feldforschung erreicht werden. Um diese Aufgabe erfolgreich erfüllen und gleichzeitig der Unberechenbarkeit des Wetters entgegenwirken zu können, setzte man auf mediale Vermittlungen. Die Wolkenfotografie sollte als »Mediator« bzw. durch ihre Vermittlungsleistung einer »zirkulie-rende[n] Referenz« Hin- und Rückbewegungen zwischen situativen Feldbeobachtungen und laboratorischen Erkenntnissen erlauben. An dieser Stelle trat der janusköpfige Status von Medien hervor. Mittels ihrer evidenten Beweiskraft des Vor-Augen-Stellens bzw. vermittelter Augenzeugenschaft waren sie einmal Lösung und einmal Problem der erhofften Verlässlichkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse. Die Wolkenfotografien vermittelten durch ihre Kopplung mit fotogrammetrischen Techniken den Eindruck exakter Messbarkeit von Wolkendynamiken. Genauso bestachen sie den Betrachter dadurch, dass sie Rückschlüsse auf die Wolkenformationen im räumlichen und zeitlichen Verlauf zuließen. Obwohl die militärische Verantwortungs- und Durchführungshoheit gute Voraussetzungen für eine sichere Planung und Steuerung der meteorologischen Experimente bot, gestattete die militärisch auferlegte Arbeitsteilung zwischen Feld- und Laborarbeiten den Industrieforschern, obsessiven Medienpraktiken nachzugehen. Das Potenzial der Wolkenfotografie – die Welt außerhalb des Labors auf ein Maximum zu reduzieren – wurde durch ihren argumentativ auslegbaren Charakter überlagert. Als mediale Kippfiguren führten die Fotografien die Informationswege zwischen Militär- und Industrieforschung in ein unsicheres Terrain. Was von den Skalierungsvorhaben des Wettermachens tatsächlich übrig blieb, war aus der Perspektive der Industrieforschung die Behauptung, ›alles hat funktioniert‹, und aus der des Militärs das Prinzip ›nichts wird offiziell‹. Das Wolkenimpfen produzierte zudem komplexe Freund-Feind-Konstellationen zwischen militärischen und zivilen genauso wie industriellen und öffentlichen Gruppen. Während die Experimente die Angst der Bürger vor nuklearen Kettenreaktionen schürten, sollte das cloud seeding für den Einsatz als geheime Wetterwaffe im Kalten Krieg erprobt werden. Oder pointierter: In den Augen der US-Regierung konnte die artifizielle Wettermanipulation zwar militärische Operationen bereichern, genauso aber den nationalen Frieden gefährden. Die Grundlagenforschung von Project Cirrus leistete einen Beitrag zur Schul- und durch Kontroversen ausgelösten Destabilisierung von Forschungsprojekten siehe M. Callon: »Einige Elemente einer Soziologie der Übersetzung«.

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Erwachsenenbildung; die angewandte Forschung sollte auch für die Landwirtschaft und die Industrie gewinnbringend sein. Verselbstständigten sich die Farmer jedoch als Amateur-Wettermacher, forderte man auf politischer Ebene die Untersagung solcher Praktiken und eine schärfere Geheimhaltungspolitik für anwendungspraktische Informationen. So konträr diese Konstellationen auch zu sein scheinen, lassen sie sich für den Zeitraum zwischen 1947 und 1952 doch auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Denn sowohl auf natürlicher und technischer als auch auf sozialer Seite bestand eine maximale Nicht-Kontrollierbarkeit. Das Verschwimmen der Grenzen zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft, Natur und Technik, Amateuren und Professionellen sowie Militär und Industrie ließ die Forschung und Entwicklung im Bereich der artifiziellen Wettermanipulation in Rauch aufgehen. Letztendlich zog dieser Nebel den Komplex der Militär- und Industrieforschung in den Bereich der Konspirationstheorien, für den vor allem Makroorganisationen anfällig zu sein scheinen. Denn geraten Menschen in schadhafte Situationen – zum Beispiel Unwetterkatastrophen und Epidemien – in denen ihre Modelle zur Erklärung der Welt nicht mehr ausreichen, trägt zweifellos ein solcher Organisationskomplex die Schuld.107 Ihre organisatorische Machtkonzentration, so der populäre Verdacht, gestatte es ihnen, unheilvolle und im geheimen ausgebrütete Pläne in die Tat umzusetzen. Noch heute nutzen Verschwörungstheoretiker die Verschmelzung der Industrieforschung General Electrics und der US-amerikanischen Regierung als zentralen Bezugspunkt für ihre Überlegungen zu »Chemtrails«, »Cloudbustern« und zum »Weather Warfare«.108 Auch kulturhistorisch perspektiviert ist die Kombination aus Wolken, Wettermachen und Fliegen brisant wie prädestiniert für die Zuschreibung von Konspirationen.

107 Mit der Beantwortung der Frage »Why do Bad Things Happen to Good People?« klärt der Kulturhistoriker Dieter Groh über den Kern von Verschwörungstheorien auf. D. Groh: Anthropologische Dimensionen der Geschichte, S. 267. 108 J. E. Smith: Weather Warfare, S. 41-47. Unter »Chemtrails« werden Kondensstreifen verstanden, die nicht auf kondensierte Flugzeugabgase, sondern auf die intendierte Ausbringung von Chemikalien oder Zusatzstoffen zurückgehen. Chemtrails werden u.a. mit Geoengineering oder strategischer Bevölkerungsreduktion in Verbindung gebracht. Siehe C. Harderer/P. Hiess: Chemtrails. Für die sogenannten »Cloudbuster« ist folgender Hintergrund festzuhalten: Der Psychoanalytiker (und Schüler von Sigmund Freud) Wilhelm Reich entdeckte im Jahre 1951 neue atmosphärische Energien, die er als »tödlichen Orgonen« bezeichnete. Orgonen vergifteten die Luft und waren so gesundschädigend für Menschen und Tiere. Reich konstruierte daher den »Cloudbuster« – eine Apparatur, die der atmosphärischen Reinigung, der Produktion sowie Vorbeugung von Wolken und Regen diente. Im Oktober und September 1952 führte Reich und sein Team in Portland, Maine Feldforschungen durch. W. Reich: »Dor-Beseitigung und Wetterbeeinflussung (»Cloudbusting«)«, S. 450-455. Eine detaillierte historische Studie, die Reichs Aktivitäten in den Kalten Krieges einbettet, bietet J. E. Martin: Wilhelm Reich and the Cold War. Noch heute werden Cloudbuster von Amateurbastlern in der heimischen Werkstatt nachgebaut, um Chemtrails zu zerstören. Siehe zum Beispiel S. Relfe: »Chemtrails Destroyed«.

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Während noch Frauen in mittel-europäischen Hexenprozessen vorgeworfen worden, unerlaubt in den Luftraum einzudringen, um Wolken für das Unwetterstiften zu nutzen und sich orgiastischen Festen mit dem Teufel hinzugeben,109 standen in der Mitte des 20. Jahrhunderts nunmehr die cloud seeding-Praktiken der Militär- und Industrieforschung unter Anklage. Kommt es zu einer Störung der als harmonisch angenommene Ordnung von Natur und Gesellschaft,110 werden soziotechnische Praktiken und Naturereignisse als Analogie wahrgenommen. Der Weg von der Hexen- in die Chemieküche der Industrie- und Militärforschung ist nie ein weiter gewesen. Die Ausbildung des militärisch-industriellen Komplexes öffnete ein neues Kapitel in der Historie der Industrieforschung. Während die Infrastruktur der Industrieforschung – bestehend aus Laboren, Rechtsabteilungen, Forschungsmanagern und Public-Relations-Abteilungen – für den medienhistorisch Forschenden noch einer zu öffnenden und rekonstruierbaren ›Black Box‹ glich, trifft dies auf den militärisch-industriellen Komplex kaum mehr zu.111 Die Geheimnisse dieser Labororganisationen folgen den Prinzipien einer absolut-inoffiziellen Forschungspolitik. Das atomare Wettrüsten sowie die Folgeentwicklung des militärisch-industriellen Komplexes in den Bereichen der Waffentechnologie bis hin zur digitalen Spionage scheinen vor allem den Nährboden für Konspirationstheorien weiter zu bereiten.112

109 T. Hauschild u.a.: Von Vogelmenschen, Piloten und Schamanen, S. 116. Ich danke Anna Brus für diesen Hinweis. 110 D. Groh: Anthropologische Dimensionen der Geschichte, S. 285-286. 111 Siehe etwa E. Ben-Ari/Y. Levy: »Getting Access to the Field«. 112 Eine Enzyklopädie von Verschwörungstheorien, durch die US-amerikanische Unternehmen durch die Kooperation mit dem Militär belegt wurden, bietet: C. R. Fee/ J. B. Webb (Hg.): Conspiracies and Conspiracy Theories in American History.

8 Epilog

Als ich der freundlichen Einladung des Industrieforschers Russell DeMuth folgte, die Bibliothek des Hauptforschungsgeländes von General Electric in Niskajuna im Bundesstaat New York zu besuchen,1 nahm ich gerne eine obligatorische Sicherheitsüberprüfung in Kauf. So musste ich für kurze Zeit meinen Reisepass aus den Händen geben. Am eigentlichen Besuchstag erhielt ich an der Pforte eine recht große und signalrote Plakette, sie kennzeichnete mich als ›foreigner‹ und durfte für die Zeit meines Aufenthaltes nicht abgenommen werden. Die Empfangshalle glich einer Ahnengalerie, die Wände waren mit großformatigen Fotografien prominenter Forscher behangen. In der Mitte des Raumes befand sich eine Glasvitrine, in der in wohl geordneter Reihenfolge Auszeichnungen über die Patentkräftigkeit einzelner Industrieforscher informierten, als gingen hier Prestige- und Bewertungspraktiken mit der unternehmerischen Justiziabilität in einer neuen Form Hand in Hand. Russell DeMuth war es nicht erlaubt, mir während meines Besuches von der Seite zu weichen. Auch wenn es ihm spürbar widerstrebte, musste er mich anhalten, schnellen Schrittes an den Laboren vorüberzugehen. Die kurzen Blicke durch die kreisrunden Fenster zeigten ein anderes Bild der US-amerikanischen Industrieforschung, als es mir historische Fotografien vermittelt hatten. Anscheinend waren die chaotisch anmutenden und mit wissenschaftlichem und laborfremdem Equipment zugestellten Räume nunmehr weißen, steril wirkenden Möbelstücken und einer technischen Hochglanz-Ausrüstung gewichen und alles hatte seinen unverrückbaren Platz bekommen. Auf meinen Eindruck sprach ich Russell DeMuth an. Enthusiastisch versicherte er mir, dass in seiner heimischen Bastlerwerksatt das kreative Chaos vorherrsche – hinsichtlich der Anfänge industrieller Forschung in den Amateurkulturen hatten diese Worte beinahe eine beruhigende Wirkung. Während ich in der Bibliothek wissenschaftliche und technische Fachzeitschriften durchforstete, nutzte Russell DeMuth die Zeit, um einen Stapel Formulare auszufüllen. Auf meine Anfrage, ob man mir historische Materialien zur Verfügung stellen könnte, erklärte mir der Bibliothekar, dass der frühe historische Korpus an das Archiv des Museum of Science and Innovation in Schenectady gegeben wurde. Dokumente der jüngeren Geschichte befanden sich in dem 1

Zur Größe des Forschungsgeländes siehe https://www.ge.com/research/research-en gine/rd-facilities/niskayuna.

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selbst für Firmenangestellte unzugänglichen Archiv der Rechtsabteilung – auf diesen Umstand wurde ich bereits von den Archivaren des George Eastman House aufmerksam gemacht. Der ›wichtige‹ historische Korpus, so die Aussage, wird von diesen Torwächtern behütet. Anwälte treffen die Entscheidung darüber, welche Materialien in öffentliche Archive gelangen und welche den Industrieforschungskomplex nie verlassen. Meine Anfrage richtete ich dennoch persönlich an einen Patentanwalt, der mir bei meinem Besuch auf dem Forschungsgelände von General Electric begegnete. Mit einem besonnenen und dann ernsten Gesichtsausdruck wies er mich ab. Seine Reaktion löst noch heute Unbehagen bei mir aus. Grund dafür ist weniger, dass in den Geheimarchiven der Rechtsabteilungen skandalöse Forschungsprojekte zu vermuten sind; vielmehr wird eine Trennlinie zwischen dem Offiziellen und dem Inoffiziellen hinsichtlich eines potentiell prekären Status kaum mehr gezogen. Die in diesem Buch befindlichen Fallstudien ermöglichen es, die hohen personalen, organisatorischen und finanziellen Energien nachzuzeichnen, die in dem Zeitraum zwischen 1870 und 1950 in Forschung und Entwicklung eingesetzt wurden. Häufig dienten diese Investitionen dazu, die Verbindung von Medienpraktiken zu ihren Entstehungsprozessen unsichtbar zu machen. Zunehmende internationale Belange hinsichtlich Geheimhaltungspolitik und Industriespionage, veränderte ökonomische Formeln für die Zusicherung von Wettbewerbsvorteilen, neue patentrechtliche Rahmenbedingungen und die ansteigende Erklärung von Geschäftsgeheimnissen genauso wie wachsende Militär- und Industrieforschungskooperationen veränderten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Wesen der Industrieforschung. Ohne Zweifel gründeten sich neue Medienpraktiken und bestehende erfuhren eine Aktualisierung. Eine praxeologische Erforschung von Infrastrukturen der Scienceand Technology-based Industries für die jüngere Geschichte geschweige denn eine aktuelle Bestandsaufnahme erscheint derzeit noch kaum möglich.2 Das Forschungsvorhaben, die Geschichte der Medienlabore der US-amerikanische Industrieforschung anhand ihrer Medienpraktiken zu dokumentieren, ist ein historisches Projekt gewesen, welches auch nur als ein historisches Projekt durchführbar war. Vor allem die Digitalisierung der Wissensorganisation firmeninterner Forschung würde mit Blick auf die Ausweitung des WWW und seinem Intranetförmigen Auftreten im Unternehmen einen aufschlussreichen Untersuchungsgegenstand bilden.3 Das ab 1993 öffentlich gewordene, stetig wachsende WWW hatte sicherlich Rückwirkungen auf die Laborkultur und bedingte Appropriationen in den Arbeitsarrangements industrieller Forschungseinrichtungen. Wäh2 3

Einen interessanten Vergleich von Hochschulforschung und Industrieforschung bietet etwa Ulrich Schoch (insbesondere »Indikatoren zum Insitutionenwandel in der akademischen und industriellen Forschung«). J. Abbate: Inventing the Internet.

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rend die dokumentbasierten Hypertextverknüpfungen des WWW den Weg für eine digitalisierte Bürokratisierung im firmeninternen Intranet ab 1995/1996 ebneten, stellte dies ein informationstechnisches Risiko für die firmenbetriebene Geheimhaltungspolitik dar. Wie gelang es Intranet-bezogenen Medienpraktiken, sich zwischen arbeitspraktischer, kommerzialisierbarer und justiziabler Informationstransparenz und -geheimhaltung zu positionieren? Über welche Bedeutung verfügte das »Knowledge Management« durch Expertenverzeichnisse (›Gelbe Seiten‹), Datenbanken, Wikis und Blogs in der Wissensorganisation? Berücksichtigen die digitalen Medienpraktiken die Anschlussfähigkeit an die klassische papierbasierte Forschungsbürokratie? Und zu guter Letzt: Erfolgte durch das Intranet eine erneute ›Infrastrukturierung‹ industrieller Forschung, die es EDVAbteilungen erlaubte, sich als zentrale Instanzen der Nutzerverwaltung und Bürokratisierung geltend zu machen? Selbst wenn die industrielle Laborforschung nicht als zentraler Bezugspunkt heranzuziehen ist, gibt der Fokus auf neue Knotenpunkte – etwa in Gestalt von EDV-Abteilungen – Anlass zur Hoffnung, die digitalen Infrastrukturen der Science- and Technology-based Industries erforschen zu können. Aus der Perspektive einer computerwissenschaftlichen Formierung des Digitalen zeichnen sich nicht nur weitere Forschungszugänge ab. Darüber hinaus tritt ans Licht, dass unternehmensübergreifende Machtverhältnisse von Medienkonzernen neuen soziopolitischen Regeln gehorchen. In den 1980er Jahren realisierten europäische und US-amerikanische Computerunternehmen Standardisierungsprojekte durch die Organisationsform des Konsortiums. Mit dem Konsortium wendete man sich von der Multi-Stakeholder-Organisation ab und bildete eine konsens-basierte Standardisierungsorganisation. Interessanterweise wurde hier die Offenheit von Betriebssystemen weniger als ihre justiziable, proprietäre Absicherung anvisiert. Die agierenden Experten u.a. aus firmeninterner Forschung und Entwicklung arbeiteten zum Beispiel im X/Open-Konsortium ab 1984 gemeinsam an Spezifikationen. Mit ihnen sollte die für das Betriebssystem Unix zur Verfügung stehende Anwendungssoftware vereinheitlicht werden.4 Nutzern des Betriebssystems brachte dies den Vorteil, von anderen Systemen und Rechnern unabhängig zu sein. Wenngleich die Relevanz bekannter Medienpraktiken, wie des Standardisierens via Spezifikation, nicht abgenommen hat, bleibt die programmiertechnische Natur genauso zu untersuchen wie die Verlagerung juristischer und profitorientierter Motivationen der Computerindustrie. Wendet man sich zum letzten Mal der US-amerikanischen Medienlaboren und ihren Praktiken zu, kommt man nicht umhin, ihre spezifische Natur zu bemerken. Jede Medienpraktik involviert unterschiedliche körper- und expertisenbezogene ›skilled crafts‹, Labortechniken genauso wie Medien. Aus diesem Grund lassen sich das Amateurisieren und Professionalisieren, Bürokratisieren, 4

J. Yates/C. N. Murphy: Engineering Rules, S. 256; C. B. Taylor: »The X/OPEN Group and the Common Application Environment« und C. B. Taylor: »X/Open«.

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Verrechtlichen und justiziabel Machen, Entwickeln, Standardisieren und Skalieren nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Die Stärke einer praxeologischen Untersuchung liegt weniger in Verallgemeinerungen und Pauschalisierungen. Stattdessen ist es ratsam, Bündel gesammelter Medienpraktiken eines historisch validierten Ereignisraums, ob nun in Industrien oder auch in anderen Organisationen und Communities, in Bezug auf ihre Grade der Abstimmung, Verflechtung und Überlagerung samt Störanfälligkeiten und Widerstände zu befragen. Vor allem mit Blick auf soziomediale Widerstände scheint ein Wort zur Verbindung von Medien mit affektiven und normativen Größen notwendig. Die Wirkmächtigkeit von Infrastrukturen der Science- and Technology-based Industries entfaltet sich erst vor dem Hintergrund von Mitgliedschaft und Marginalisierung. Eine kritische Behandlung ist damit auch für die Medienpraktiken und ihre Erfahrungswelten unerlässlich. In den vorliegenden Fallstudien trat die destruktive Kraft von Industrien zu Tage: destruktiv für das Rechtssystem genauso wie für Amateurkulturen und professionelle Einzelerfinder. Zudem spiegelte sie sich in der US-amerikanischen Öffentlichkeit und in der kontrovers diskutierten Tragweite von Medien wieder. Vermittelnde wie trennende Leistungen von Medienpraktiken unterziehen Erfahrungswelten von Praxisgemeinschaften gravierenden Zerreißproben. Es ist ganz so, wie es Susan Leigh Star festhielt: Entlang von Marginalisierung und Mitgliedschaft entfaltet sich ein relationales Verständnis. Für die Industrieforschung sind informationelle, personelle und finanzielle Infrastrukturen Teil der Organisation und Gegenstand alltäglicher Arbeit gewesen. Für andere bedeuteten sie Chaos und Ausgrenzung.5 Weit gefehlt wäre es jedoch, die Industrieforschung von einer in ihrer eigenen Arbeitswelt spürbaren destruktiven Kraft freisprechen zu wollen. Die mit der europäisch-amerikanischen Industrialisierung ins Leben gerufenen Organisationsformen behandelten ihre personalen und technischen Potenziale ebenso produktiv wie destruktiv. Joseph Schumpeters Formel der »schöpferischen Zerstörung« bleibt nicht alleine für das unternehmerische Agieren am Markt, sondern genauso für die Formen industrieller Arbeitsorganisation aufzulösen. So führte das System Building der industriellen Moderne häufig zu einer Schwerfälligkeit der unternehmerischen Netzwerke. Ergebnis war ein manövierunfähiges System, das seine technologischen Entfaltungsmöglichkeiten begrenzte. Auf dem Markt verdrängten ständige Innovationszyklen und neue Geschäftsmodelle stagnierende Industrien wie auch die einst von ihnen entwickelten Medientechnologien und Skills. Wirksam wurde die »schöpferischen Zerstörung« ebenso in den industriellen Eigentumsformen erfinderischen Schaffens. Bekanntlich werden noch heute Eigentumsformen in den kreativen Medienbranchen so gewendet, dass Zuliefer und Contentproduzenten eine geringe Entlohnung erhal5

S. L. Star/K. Ruhleder: »Schritte zu einer Ökologie von Infrastruktur«; S. L. Star/ M. Lampland: »Mit Standards leben«.

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ten. Zumeist werden die Risiken zwischen Kapitaleignern und Angestellten dabei einseitig verteilt. Patente und Copyrights bilden hier keine Ausnahme.6 Zuletzt ist Schumpeters Formel für die Ausbildung von Ingenieuren und Medienerfindern ernst zu nehmen. Die Ausbildung wurde von der unrealistischen Annahme belastet, dass »Linerare Erfindungsmodel« sei die in der Praxis gebräuchliche Umsetzung der »applied sciences«. Das tatsächlich praktizierte Erfindungsmodell eines alineraren ›learning by doing‹ durfte demgegenüber offiziell keine Rolle spielen. Vor diesem Hintergrund kristallisieren sich die Kreativitätshemnisse der modernen Industrieforschung heraus. Diese Hemnisse wurden durch die Arbeitsteilung mit Forschungsmanagern, Patentanwälten und -prüfern sowie PR-Angestellten aufgebaut und waren trotz massiver Widerstände und entwickelter Workarounds von Seiten des Forschungspersonals nicht zu überwinden. Die unrealistische Annahme eines linearen Modells des Erfindens ist nur ein Beispiel für ein solches Hemnis. Die Verdrängung der autodidaktische Amateurkultur ist ein anderes. Obwohl diese Kultur eine unbestreitbare Quelle pragmatischer Erfinderkunst bildete, erschwerte das US-amerikanische Patentrecht den Amateuren, ihren Innovationsreichtum rechtlich schützen zu lassen. Selten fanden Amateure darüber hinaus eine Anstellung in den Laboren der Industrieforschung. Durch die gängige Personalpolitik – vornehmlich akademisch ausgebildete Natur- und Ingenieurswissenschaftler einzustellen – versiegte diese Quelle in den laboratorischen Einrichtungen. Irreführend erscheint dabei, dass die autodidaktische Amateurkultur von der amerikanischen Gesellschaft – aber auch von den Medienwissenschaften – über Gebühr heroisiert wird. Obwohl aus dieser Kultur pominente System Builder hervorgegangen sind, stellen Thomas Alva Edison, Alexander Graham Bell oder George Eastman lediglich Ausnahmepersönlichkeiten dar. Eine realistische Einschätzung scheint auch weiterhin kaum mehr möglich – wie dies der aktuelle Rekurs der Computergeschichte auf die Garagenfirmen, etwa der Apple Begründer, vor Augen führt. Gerade als die unternehmerische Innovations- und Investionsbereitschaft darin mündete, die angewandte Forschung wie auch die Grundlagenforschung als zentrale Unternehmenseinheiten zu verstehen, erfasste die moderne Firmenbürokratie auch die Laborarbeit. Der durch das Berichtswesen permanent ausgeübte Leistungs- und Rechfertigungsdruck behinderte die Kreativität von Forschung und Entwicklung maßgeblich. In ihren Anfängen verfügte vor allem die Grundlagenforschung über eine offene Flanke. Sie war im industriellen Kontext erst noch gezwungen, Wege der Rentabilität ihrer Resultate zu erschließen. Dass die moderne Bürokratie keinesfalls die Produktivität und Kreaktivität beflügelte, davon legen massive Widerstände und Frustrationen angestellter Erfinder Zeugnis ab.

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Siehe auch A. McRobbie: Be Creative.

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Zu guter Letzt nahm das Marketing Einfluss auf die Kreativität der Industrieforschung. Die Erzeugung von bewertenden Orientierungspfeilern erfinderischen Schaffens wurde von Seiten der Science- and Technology-based Industries in die Hände ihrer Public-Relations-Abteilungen gelegt. Die werbewirksame Vermittlung von Genialität und Pionierleistung konstruierte Bewertungskategorien, die das Ansehen einer Innovation zu einer ›Hype‹-orientierten und damit kurzlebigen Angelegenheit machte. Die angeführten Fallstudien klären über das historische Erwachsen von Kreativitätshemnissen moderner Industrieforschung – prägnant: das Orientieren am Marketing und am linearisierten Erfinden sowie das Ausschließen von Amateuren und das Bürokratisieren von Forschung – auf.7 Die seit Jahrzehnten schwelende und unaufgelöste Kontroverse in den Ingenierurwissenschaften über den Mehrwert industrieller Laborforschung wird durch diese Rekonstruktionen erst verständlicher. In den Ingenieurswissenschaften wird die »Produktivität« sowohl für das wirtschaftliche Wohl als auch für das gesellschaftliche Leben angezweifelt. Das vorliegende Buch bleibt auch als Beitrag zu einer aktuell kapitalismuskritischen Diskussion zu lesen: Die destruktiven Qualitäten industrieller Kreativität sind in erster Linie mit der unternehmerischen Geheimhaltungspolitik und der eingeschränkten Publizität der Konzerne zu begründen. Zum Schutz ihrer Geschäftsintressen überziehen Unternehmen nicht nur ihre Konkurrenten mit Klagen, sondern sie dehnen den Schutzbereich technischer Erfindungen und wissenschaftlicher Methoden unaufhörlich aus. Genuin ›allgemein‹ und ›öffentlich‹ zirkulierende Hilfsmittel werden durch ihre Statutierung als Geschäftsgeheimnisse zu ›Privateigentum‹ – der Diagnose der Rechtswissenschaftlerin Katharina Pistor für den Code des Kapitals ist damit einmal mehr beizupflichten.8 Im späten 19. Jahrhundert wurde die Eigentumsform der Patente noch als eine grundlegende Bedingung der industriellen Kreativität geschützt. In den letzten Jahrzehnten erfolgte durch die Inanspruchnahme von Geschäftsgeheimnissen eine Ausdehnung des vermeintlich Schützenswerten. Ob der Kern dieser Ausweitung überhaupft existiert, bleibt fraglich. Jede in der vorliegenden Arbeit rekonstruierte Medienpraktik implizierte darüber hinaus eine anders gelagerte Vorstellung von einer industriellen und öffentlichen Welt. Markanterweise fanden dabei öffentliche Massen- und Telekommunikationsmedien Einzug in die Industrieforschung, vice versa beeinflussten mediale Arbeitspraktiken die von der Öffentlichkeit alltäglich genutzen Medien

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Mit der Ausbildung des militärisch-industriellen Komplexes ist noch einmal der Schlusspunkt historisch erwachsener Hemnisse in Erinnerung zu rufen. An das Militär übertragene juristischer Haftbarkeitsverantwortungen und Vollmachten führten auf Seiten der Industrieforscher zur Einschränkung experimenteller Freiheiten und teils zum Verlust von Partizipationsrechten an eigens initierten Forschungsprojekten. Siehe auch K. Pistor: Der Code des Kapitals.

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nachhaltig. Die Mechanisierung fotografischer Handwerkskünste und eine freizeittaugliche Kamerabedienung sind dafür genauso exemplarisch anzuführen wie berechnungsbedingte Verkomplizierungen in der Geschäftswelt durch den Gregorianischen Kalender oder der Einsatz herkömmlicher Medientechnik für fotografische Skalierungen des Laborpersonals. Sicherlich ist nicht abzustreiten, dass Massen- und Telekommunikationsmedien stärker in den Kontext bürokratischer Praktiken und in Produktionsverfahren der Güterindustrie eingebettet werden müssen. Praxelogisch perspektiviert, sind sie die historischen Wurzeln, die als ihre Gemeinsamkeit Anerkennung in der Medienwissenschaft finden müssen. Fatal wäre es dennoch, die Waren und Dienstleistung der Güterindustrie oder auch des Transportwesens mit denen der Medienindustrie schlichtweg gleichzusetzen. Noch heute prägen Fotografie und Kinematografie sowie Radio und Fernsehen einen als öffentlich aufgefassten Charakter im Freizeit- und Entertainmentbereich oder sind einer arbeitsfernen, privaten, heimischen und familiären Nutzung eigen. Die Differenz zwischen öffentlichen Medien und Arbeitsmedien ist als das Ergebnis reinigender Medienpraktiken zu begreifen, die auch bei der Produktion von ›Content‹ eine zentrale Rolle spielen. Der Blick hinter die Kulissen offenbart, dass bei der Erzeugung und Bearbeitung von Medienprodukten, ob nun in der Industrieforschung und Museumsarbeit oder in der Film-, Musik-, Games- und Social-Media-Industrie, insbesondere das körperbezogene und expertisenreiche Handwerk von MitarbeiterInnen getilgt wird.9 Damit sind Medienunternehmen nicht lediglich an dem Verständnis von Arbeit beteiligt. Im gleichen Zug definieren sie ebenso das für ihre Konsumenten grundlegende Verständnis von Freizeit. A-lineares und chaotisches Arbeiten, koordinatives Feingefühl, ›dreckige‹ und unehrenhafte Aktivitäten, politisches Aushandlungsgeschick – wie sie tagtäglich auf der Ebene der Medienproduktion anfallen – passen demnach nicht in das Bild von öffentlichen und freizeittauglichen Tätigkeiten. Was bleibt, sind Medienprodukte und -dienstleistungen, deren glatte Außendarstellungen im Falle juristischer Streitigkeiten und gesellschaftlicher Kontroversen auf Seiten von Konzernen abgesichert sind. Auch wenn die Ideologie einer Google-Arbeitswelt mitsamt Turnschuh tragenden Mitarbeitern, Sportprogrammen und Entspannungszonen dies anders vermuten lässt. Wird die medienhistorische Erforschung von Massen- und Telekommunikationsmedien nicht durch ihre bekannte Chronologie rekonstruiert und stattdessen durch ihre Medienpraktiken dargelegt, zeigt sich, dass gerade mit ihrer Unterstützung die chronologische Reihenfolge institutionell festgelegter Verfahren 9

Dies zeigen etwa folgende Studien: J. T. Caldwell: Production Culture; V. Mayer/ M. J. Banks/J. T. Caldwell (Hg.): Production Studies; S. L. Star: »Craft vs. Commodity, Mess vs. Transcendence«; A. Hennion/C. Méadel: »In den Laboratorien des Begehrens«; J. Banks: Co-Creating Videogames; C. O' Donnell: Developer's Dilemma; M. Riesewieck: Digitale Drecksarbeit.

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durchkreuzt wird. Gewissermaßen unterlaufen sie damit auch die Orientierungspfeiler der Mediengeschichte – lineare und retrospektive Behandlungsweisen scheinen damit schlechte Ratgeber zu sein. Auf den amoralischen Charakter von Aushandlungsprozessen haben die Science and Technology Studies vielfach hingewiesen. Allerdings gibt das vorliegende Buch darüber Auskunft, dass im Bereich der Medienpraktiken das Vortäuschen, Korrumpieren, Hochstapeln bzw. die ›tricks of the trade‹ in bezeichnender Dichte auftreten. Die industriellen Laborforschungen, die Rechts- und Public-Relations-Abteilungen und die Manager der Science- and Technology-based Industries feilten firmenintern an der Profilierung und wechselseitigen Ausrichtung von Medienpraktiken. Andernorts sollten sich die daraus hervorgegangenen Medien, etwa Patente, Labornotizbücher, Werbeauftritte oder Formulare, durch ihre Referenzlosigkeit zu ihrem eigenen Erfindungsreichtum und bestenfalls bzw. überhaupt durch Rekursivität auszeichnen. Heute ist es etwa ein offenes Geheimnis unter Anwälten, dass einem Patent kein Wahrheitsgehalt zuzusprechen ist. Bereits in den Rechtsvorlesungen an Universitäten wird gelehrt, dass die Übervorteilung eine grundlegende Dynamik darstellt und sich aus der Rekursivität speist. Wenn Medien sich so stark auf sich selbst richten, birgt dies aber keineswegs das Risiko – und davon legt das vorliegende Buch Zeugnis ab – dass daraus immanente Mediengeschichten resultieren. Andere mediale genauso wie personale und technische Größen drängen sich dem Medienforscher beinahe schon bei der Rekonstruktion auf. Gerade weil es einer chronologischen oder gar rationalen Einordnung widerspricht, gilt es der amoralischen Dimension die Aufmerksamkeit entgegenzubringen, die sie verdient. Unsichtbare Arbeiten von Medienindustrien und ihre soziokulturellen Kontexte bleiben zu erforschen und mit Blick auf die trennenden und vermittelnden Leistungen ihrer Praktiken zu konzeptualisieren und kritisch zu hinterfragen.

Dank

Ich bin zahlreichen Persönlichkeiten und Organisationen zu Dank verpflichtet, die mich inspiriert und mir geholfen haben. Allen voran gilt mein Dank Erhard Schüttpelz, der mein Dissertationsprojekt von Anfang an betreut und gefördert hat. Ohne seinen Rat wäre dieses Buch zweifelsohne nicht zu schreiben gewesen. Das Buch spiegelt, wie ich denke, den medienforscherischen Geist des Graduiertenkollegs »Locating Media« und des Sonderforschungsbereichs »Medien der Kooperation« wieder. Für das anregende Klima möchte ich mich bei diesen Organisationen ganz herzlich bedanken. Während der Arbeiten an diesem Buch haben mich Jens Schröter und Gabriele Schabacher genauso wie Sebastian Gießmann und Ulrich van Loyen wiederholt mit wertvollen Ideen und Hinweisen unterstützt. Ich habe viel aus Diskussionen mit meinen KollegInnen gelernt und es ist mir eine Ehre, mich bedanken zu dürfen bei Pablo Abend, Cora Bender, Armin Beverungen, Anna Brus, Marcus Burkhardt, Monika Dommann, Anja Dreschke, Christian Henrich-Franke, Rania Gaafer, Lorenz Gilli, Philipp Goll, Thomas Haigh, Ilham Huynh, Timo Kaerlein, Albert Kümmel-Schnur, Raphaela Knipp, Simone Pfeifer, Tatjana Seitz, Lisa Villioth, Axel Volmar, Ehler Voss und Martin Zillinger. Ich bedanke mich gleichermaßen bei all den Personen, die an dem Lektorat und der Herstellung dieses Buches beteiligt waren – unsichtbare Arbeit muss angemessen gewürdigt werden: Marina Artino, Carolin Becker, Katja Glaser und allen voran Marcus Rommel. Zu den Archiven und Forschungsinstitutionen, die ich für meine Dissertation zu Rate gezogen habe, gehörten unter anderen die Hagley Museum and Library, das George Eastman Museum und das Museum of Innovation and Science (miSci). Lucas Clawson, Kathy Connor, Todd Gustavson, Roger Horowitz, Chris Hunter, Mark Osterman und Jesse Peers haben mich hier bei der Auswahl von Dokumenten und Fotografien tatkräftig beraten. Vielen Dank für die Hilfe bei meiner archivarischen Spurensuche! Meine Mutter, meine Schwester und mein Neffe genauso wie meine Freunde – Rahwa Azeria-Natoloczny, Katharina Böhm, Christine Dingler, Sarah Eichert, Jacqueline Flöter und Sarah Wildhardt – haben mich nicht nur langjährig mit einem offenen Ohr unterstützt, sondern mir auch mit motivierenden Worten zum Abschluss meiner Dissertation im Corona-Jahr 2020 zur Seite gestanden. Für eine produktive Arbeitsatmosphäre bedanke ich mich bei meiner Bürogemeinschaft Büroon.

Archive

Diese Untersuchung ist das Ergebnis eines 20-wöchigen Archivaufenthalts in den USA. Viele der zu Rate gezogenen Dokumente stammen aus Forschungsinstitutionen, die die Sammlungen der DuPont Company, Eastman Kodak Company und General Electric beherbergen. Konkret aufgeführt: Für die DuPont Company wurden die Archivalien der Hagley Museum and Library konsultiert; der historische Korpus von General Electric stammt aus der Library of Congress, dem Museum of Innovation and Science (miSci) und der University at Albany – The State University of New York; die Quellen der Eastman Kodak Company gingen aus der Archivarbeit im George Eastman Museum hervor. In voller Gänze werden die Archivalien zu den Unternehmen in den Fußnoten nachgewiesen, gleichermaßen sind sie zur besseren Übersicht im Archivverzeichnis zu finden. Öffentlich verfügbare historische Quellen – wie Zeitungsartikel oder Patentschriften – befinden sich im Literaturverzeichnis. DUPONT COMPANY Hagley Museum and Library Manuscripts and Archives Department, Soda House 200 Hagley Creek Road Wilmington, DE 19807 USA EASTMAN KODAK COMPANY George Eastman Museum George Eastman Legacy Archive and Study Center 900 East Avenue Rochester, New York 14607 USA GENERAL ELECTRIC Library of Congress Manuscript Division 101 Independence Avenue, SE Washington, D.C. 20540-4680 USA

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GENERAL ELECTRIC Museum of Innovation and Science (miSci) 15 Nott Terrace Heights Schenectady, New York 12308 USA GENERAL ELECTRIC University at Albany – The State University of New York M. E. Grenander Department of Special Collections and Archives Science Library 350 1400 Washington Ave, Albany, New York 12222 USA

Archive

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Sparre, Fin an Charles L. Reese, Brief vom 30. April 1913. Hagley Museum and Library, Manuscripts and Archives Department, Zugangsnr. 1850, Box 5, Mappe Reporting Chem. Department, 1912-21. Sweetmann, Willard an C. H. Biesterfeld, Brief vom 13.12.1929. Hagley Museum and Library, Manuscripts and Archives Department, Zugangsnr. 1784, Box 23, Mappe Personnel: Benefits, Pensions, Policy 1904 to 1975. Tanberg, A. P. an Charles L. Reese Hagley, Report vom 20. September 1924, Museum and Library, Manuscripts and Archives Department, Zugangsnr. 1914, Box 3, Mappe J-5/Reports 1913-1926.

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Abbildungen

Kapitel 2. Amateurisieren und Professionalisieren Abb. 2.1:

Der Feldfotograf und seine Ausrüstung, Holzschnitt aus dem Jahre 1851 | Tissandier, Gaston: Les merveilles de la photographie, Paris: Librairie Hachette et Cie 1874, S. 297.

Abb. 2.2:

George Eastmans Labornotizbuch aus dem Jahre 1888 und die Kodierungstechniken der Anthony Company | George Eastman, Book 1 A, Log of Emulsion Experiments (1888). George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Laboratory Notebooks; Anthony Company (o.A.): »Confidential Symbols of the C.P.P. Co.« George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, Mappe Anthony Files.

Abb. 2.3:

Das »Kodak-Manual« aus dem Jahre 1888 – exemplarische Seiten | The Eastman Dry Plate and Film Co. (1888): The Kodak Manual. Rochester N.Y. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Box K1//Mappe 4.

Abb. 2.4:

George Eastmans ›Labor-Küche‹, Fotografie aus dem Jahre 1925 | George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection.

Kapitel 3. Bürokratisieren Abb. 3.1:

Das Graphophon im Büroeinsatz | Early Office Museum: »Antique Dictating Machines« 2000-2016, https://www.officemuseum.com /dictating_machines.htm, aktualisiert am 16.12.2020.

316

| Im Medienlabor der US-amerikanischen

Abb. 3.2:

Industrieforschung

Büroarbeit in der Western Union | Gabler, Edwin: The American Telegrapher: A Social History, 1860-1900, New Brunswick: Rutgers University Press 1988, S. 34.

Abb. 3.3:

Mikrofotograf und zwei Probenabbildungen von Schießpulverbestandteilen zusammengestellte Ausschnitte | M. Hume Bedford »Application of the Microscope to the Study of Black and Smokeless Powders«, S. 8, Report vom 20. Januar 1910. Hagley Museum and Library, Soda House, Manuscripts and Archives Department, Zugriffsnr. 537, Box 207 Experimental Station/Photomicrograph, Mappe Application of the Microscope to the Study of Black Powder.

Kapitel 4. Verrechtlichen und justiziabel Machen Abb. 4.1:

Patentmodell einer Druckerpresse | Jeptha Avery Wilkinson, Patentnummer 25.069, 9.8.1859. Cooper-Hewitt Museum (Hg.): American Enterprise: Nineteenth-Century Patent Models, New York: The Smithsonian Institution 1984, S. 77.

Abb. 4.2:

Alexander Graham Bell, Patentnummer 174.465, 7.3.1876 – zusammengestellte Ausschnitte | https://patents.google.com/patent /US174465?oq=alexander+graham+bell+telegraph,

aktuali-

siert am 16.12.2020. Abb. 4.3:

John R. Carson, Patentnummer 144.870.2, 13.3.1923 – zusammengestellte Ausschnitte | https://patents.google.com/patent/ US1448702?oq=Carson+1448702, aktualisiert am 16.12.2020.

Abb. 4.4:

Labornotizbuch der General Electric Company aus dem Jahre 1948 – exemplarische Seiten | University at Albany, Albany, M. E. Grenander Department of Special Collections and Archives. Duncan Blanchard Collection. Blanchards Laboratory Notebooks. Notebook Nr. 2.

Abbildungen

| 317

Kapitel 5. Entwickeln Abb. 5.1:

Das Pallophotophone aus dem Jahre 1922 und seine aktuelle Adaption | General Electric Nr. 117589, »Pallophotophone Interior View«, 20.04.1922, Museum of Innovation and Science, Schenectady, NY sowie eigens aufgenommene Fotografie.

Abb. 5.2:

Der Kinderfilmstar Jacky Coogan und Präsident Calvin Coolidge | General Electric Review, September 1923, »Staging the Unseen«, Museum of Innovation and Science, Schenectady, NY.

Abb. 5.3:

Cipriana Alvaredo und Charles A. Hoxie | Schenectady Works News, 19. Januar 1923: »Quiche Indian to Speak from WGY on January 25«, Museum of Innovation and Science, Schenectady, NY.

Abb. 5.4:

Fotografie vom 7. Juli 1926 | General Electric Nr. 500166, »Recording and Reproducing Apparatus Employed in Connection with first Official of Talking Motion Pictures Incidental Music, ETC.«, 07.04.1926, Museum of Innovation and Science, Schenectady, NY.

Abb. 5.5:

Das laboratorische Experiment und sein Bildungsauftrag | GE Digest, April 1930, »The Speaking Film as a Coming Factor in Education«, Museum of Innovation and Science, Schenectady, NY.

Kapitel 6. Standardisieren Abb. 6.1:

Cotsworth's 28-tägige Monatseinheit und der Gregorianische Kalender | George Eastman: »Do We Need a Calender Reform?«, (o.A.), Cover, George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Rochester, NY, Mappe Calendar Reform.

Abb. 6.2:

Der 13-monatige Kalender | George Eastman: »Do We Need a Calender Reform?«, (o.A.), S. 42, George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Rochester, NY, Mappe Calendar Reform.

318

| Im Medienlabor der US-amerikanischen

Abb. 6.3:

Industrieforschung

Die Uhr- und die kalendarische Zeit auf einem Bilck | George Eastman: »Presentation to the United States Chamber of Commerce of the Cotsworth Plan«, 18. Oktober 1927, George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Rochester, NY, Mappe Calendar Reform.

Abb. 6.4:

Die Monatseinheit des 13-monatigen Kalenders | Office of the Chairman: »Report of the National Committee on Calendar Simplification for the United States. Submitted to The Secretary of States Washington, August 1929«, Rochester, S. 18. George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Rochester, NY, Mappe Calendar Reform.

Abb. 6.5:

Der Kodak Kalender | George Eastman Museum, George Eastman Legacy Archive and Study Center, George Eastman Legacy Collection, Rochester, NY, Mappe Calendar Reform.

Kapitel 7. Skalieren Abb. 7.1:

Vincent Schafer und seine anfänglichen Experimente mit der Gefriertruhe und Irving Langmuir, Bernard Vonnegut und Vincent Schaefer bei der Wolkenproduktion | Museum of Innovation and Science, Schenectady, NY.

Abb. 7.2:

Verbindung von Wolkenfotografie und Bildvermessung mittels Skaleneinsatz bei einer Aufnahme von einer Cumuluswolke nach dem Impfen | Vincent Schaefer, Final Report Project Cirrus. Part I. Laboratory, Field, and Flight Experiments. RL-785, General Electric Research Laboratory, Schenectady, 1953, S. 131, University at Albany, Albany, M. E. Grenander Department of Special Collections and Archives, Vincent J. Schaefer Papers (UA902. 010), 1891-1993, Serie 2, General Electric – Project Cirrus, 19431954, 1981, Undated, Unterserie 2.1, Flight Data and Research, 1946-1953, Undated, Box 11, Mappe 39-40.

Abbildungen

Abb. 7.3:

| 319

Musterimpfung einer Stratuswolke mittels Trockeneis in Form einer 20 Meilen langen und 5 Meilen breiten Verlaufsbahn | General Electric Company: Project Cirrus. The Story of Cloud Seeding, Schenectady, NY 1952, S. 18.

Abb. 7.4:

Intervallfotografische

Sequenz

von

der

Entwicklung

und

Zerstreuung einer Cumuluswolke nach einem Seeding-Experiment | Vincent Schaefer, Final Report Project Cirrus. Part I. Laboratory, Field, and Flight Experiments. RL-785, General Electric Research Laboratory, Schenectady, 1953, S. 131, University at Albany, Albany, M. E. Grenander Department of Special Collections and Archives, Vincent J. Schaefer Papers (UA902.010), 1891-1993, Serie 2, General Electric – Project Cirrus, 1943-1954, 1981, Undated, Unterserie 2.1, Flight Data and Research, 1946-1953, Undated, Box 11, Mappe 39-4

Medienwissenschaft Tanja Köhler (Hg.)

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