Der zweistufige Deliktsaufbau [1 ed.]
 9783428501007, 9783428101009

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KLAUS RINCK

Der zwei stufige Deliktsaufbau

Strafrechtliche Abhandlungen . Neue Folge Herausgegeben von Dr. Eberhard Schmidhäuser em ord. Professor der Rechte an der Universität Hamburg

und Dr. Dr. h. c. (Breslau) Friedrich-Christian Schroeder ord. Professor der Rechte an der Universität Regensburg

in Zusammenarbeit mit den StrafrechtsIehrem der deutschen Universitäten

Band 131

Der zweistufige Deliktsaufbau

Von

Klaus Rinek

Duncker & Humblot . Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Dr. h. c. mult. Claus Roxin, München

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Rinck, Klaus: Der zwei stufige Deliktsaufbau I von Klaus Rinck. Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Strafrechtliche Abhandlungen; N.F., Bd. 131) Zug!.: München, Univ., Diss., 1999 ISBN 3-428-10100-6

D 19 Alle Rechte vorbehalten

© 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübemahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 3-428-10100-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 9

Meinen Eltern

Vorwort Die Idee, die im dreistufigen Deliktsautbau vorgenommene Trennung von Deliktstatbestand und Rechtfertigungsgründen zumindest im Bereich der Irrtumslehre aufzuheben, ist nicht neu. Das vergangene Jahrhundert hat eine vor allem in der Nachkriegszeit lebhaft geführte Diskussion um die sog. Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen erlebt. Angesichts dessen mag der Eindruck entstehen, eine weitere Befassung mit der Frage des Autbaus der Deliktsprüfung könne nichts Neues mehr zutage bringen. Es ist jedoch kaum zu leugnen, daß sich gerade die Irrtumsdogmatik in einem beklagenswerten Zustand präsentiert. Die Behandlung von Fehlvorstellungen im Hinblick auf Rechtfertigungsgründe steht unverändert im Streit einer Unzahl von Theorien, von denen aber keine eine vollauf überzeugende Lösung zu präsentieren vermag. Bei Irrtümern im Erlaubnistatbestand, die der Täter zu seinen Lasten bildet, sieht es kaum besser aus. Die im Hinblick auf die Definition sog. normativer Tatbestandsmerkmale vorzugsweise herangezogene Lehre von der Parallelwertung in der Laiensphäre ist an Unschärfe kaum zu überbieten. Der vorliegenden Arbeit liegt die Einsicht zugrunde, daß der tatbezogene Teil des Strafrechts durch einen grundlegenden Imperativ beherrscht wird, das Prinzip der geringstmöglichen Interessenverletzung. Die konsequente Durchdringung dieses Gedankens führt zu der Erkenntnis, daß das Unrecht der Tat einen homogenen Bereich bildet. Eine adäquate Abbildung dessen vermag nur der zweistufige Deliktsaujbau zu geben. Die logische Folgerichtigkeit und praktische Tauglichkeit dieses Ansatzes erweist sich in seiner Anwendung auf die in der Auseinandersetzung stehenden Irrtumsprobleme. Diese Arbeit wurde im Sommersemester 1999 von der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen. Mein aufrichtiger Dank gebührt Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Claus Roxin, der mein Vorhaben von Anfang an unterstützt und mir großes Vertrauen entgegengebracht hat. Das Zweitgutachten fertigte Herr Prof. Dr. Bernd Schünemann. Meiner Frau danke ich herzlich für ihre geduldige Unterstützung, ohne die ich die Zeit für diese umfangreiche Abhandlung nicht hätte finden können. Bremen, im Oktober 2000

Klaus Rinck

Inhaltsverzeichnis § 1 Das Prinzip der geringstmöglichen Interessenverletzung

21

I. Ziel der Untersuchung...........................................................

21

11. Das Rechtsgut als zentraler Begriff der Strafrechtsordnung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

III. Die Zustimmung des Betroffenen zur Gutsbeeinträchtigung ......................

26

1. Die Begriffe des "Gutes" und des "Rechtsgutes" .............. . . . ............

26

2. Die Dysfunktionalität der "Differenzierungslösung" .........................

28

a) Legitimation der ,,Differenzierungslösung" mittels begrifflicher Gegebenheiten? ...................................................................

29

b) Legitimation der "Differenzierungslösung" aufgrund inhaltlicher Verschiedenheiten? ..........................................................

31

c) Legitimation der ,,Differenzierungslösung" durch die Formel vom "Verzicht auf Rechtsschutz"? .................................................

33

d) Legitimation der "Differenzierungslösung" aus der Notwendigkeit heraus, an die Zustimmung des Verfügungsberechtigten verschiedenartige Wirksarnkeitserfordernisse stellen zu müssen? .................................

36

aa) Das Differenzierungskriterium der Kundgabe des Willens ............

38

bb) Das Differenzierungskriterium der Einsichtsfähigkeit ................

39

ce) Das Differenzierungskriterium des Willensmangels ..................

43

3. Ergebnis.....................................................................

50

IV. Die Bedeutung der Rechtfertigungsgründe für die Strafrechtsordnung ............

50

I. Rechtfenigungsgründe als Durchbrechungen eines absoluten Verbotes von Rechtsgutsverletzungen ......................................................

51

2. Das Prinzip der geringstmöglichen Interessenverletzung .....................

53

3. Unrecht als Verstoß gegen das Prinzip der geringstmöglichen Interessenverletzung ....................... ..... ... ............ ..... ......................

56

V. Die objektive und die subjektive Ebene des Unrechts ............................

57

1. Die objektive Dimension des Unrechts (Erfolgsunrecht) . . . . ... ... . . . . . ... . .. .

57

10

Inhaltsverzeichnis 2. Die subjektive Dimension des Unrechts (Handlungsunrecht)

60

a) Das vorsätzliche Handlungsunrecht ................................... . ..

60

b) Das fahrlässige Handlungsunrecht .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

VI. Ergebnis zu § I ..................................................................

71

§ 2 Der Irrtum über den Rechtfertigungssachverhalt

74

I. Einleitung .......................................................................

74

11. Die strenge Schuldtheorie ............................... . .......................

75

l. Beschreibung der strengen Schuldtheorie ............ . .................. . . . ..

75

2. Materielle Kritik der strengen Schuldtheorie .................................

78

3. Dogmatische Kritik der strengen Schuldtheorie ..............................

81

a) Der These, nach weIcher der Irrtum über den Rechtfertigungssachverhalt als Art des Verbotsirrturns aufzufassen sei ................................

82

b) Die Lehre vom eigenständigen nonnativen Gehalt des Deliktstatbestandes

83

aal Tatbestände ohne Appellfunktion ....................................

84

bb) Appelle ohne Tatbestandsverwirklichung ............................

85

cc) Nonnative Irrelevanz des auf die Rechtsgutsverletzung bezogenen Appells..............................................................

88

4. Ergebnis........ . ............................................................

90

III. Die rechtsfolgenverweisende oder rechtsfolgeneinschränkende Schuldtheorie ....

91

I. Beschreibung der rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

2. Dogmatische Kritik der rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie ............

93

a) Die These von der Appellfunktion des Tatbestandsvorsatzes ..............

94

b) Die These vom Ausschluß der "Vorsatzschuld" ...........................

95

c) Die These, nach welcher die Vorwerfbarkeit der Tat durch den Erlaubnistatbestandsirrtum beseitigt werde ......................................... 100 3. Materielle Kritik der rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie ............... 101 a) Die Ungleichbehandlung des im Tatbestands- und des im Erlaubnistatbestandsirrtum befindlichen Taters im Hinblick auf die Wertung von Reaktionen der von ihrem Tun Betroffenen (Notwehrproblematik) ........ 101 b) Die Ungleichbehandlung des Teilnehmers bei einem Tatbestands- und bei einem Erlaubnistatbestandsirrtum des Taters (Teilnahmeproblematik) . . . . . 105

Inhaltsverzeichnis

11

c) Die Möglichkeit der Verhängung von Maßregeln der Besserung und Sicherung gegen den im Erlaubnistatbestandsirrtum befindlichen Täter ... 107 d) Die Möglichkeit der Bestrafung des im Rechtfertigungssachverhaltsirrtum befindlichen Täters wegen Vollrauschs (§ 323 a) .......................... 109 4. Ergebnis..................................................................... 110 IV. Die unselbständige Schuldtheorie (Jakobs) ....................................... 112 I. Beschreibung der unselbständigen Schuldtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 a) Jakobs' Lösungsansatz de lege lata ...................... . ................ 112 b) Jakobs' Lösungsansatz de lege ferenda ................................... 114 2. Kritik der unselbständigen Schuldtheorie .................................... 114 a) Die gegenüber der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen und der eingeschränkten Schuldtheorie vorgebrachten Argumente. . . . . . . . . . . . . 114 b) Die Interpretation des Verhältnisses von Fahrlässigkeitsdelikt und Erlaubnistatbestandsirrtum ............................................... . . . . . . . 119 c) Die Herleitung des Lösungsansatzes ...................................... 121 d) Die Behandlung des Teilnehmers... . . .. . . . . ... . . . ... . . . ... . . . . . ... .. . . ... 123 e) Die Bestrafung des im venneidbaren Rechtfertigungssachverhaltsirrtum handelnden Täters wegen Versuchs ....................................... 124 f) Das Begriffsverständnis von "Vorsatz" und der "vorsätzlichen Tat" ....... 125

aa) Die These, Vorsatz sei eine durch die Bewußtseinspsychologie vorrechtlich detenninierte Kategorie .................................... 127 bb) Die These, Vorsatz sei eine durch das materielle Verhältnis von Deliktstatbestand und Rechtfertigung nonnativ eingrenzbare Kategorie 129 3. Ergebnis............... . ..................................................... 133 V. Die kombinierte Anwendung von § 49 Abs. I und 2 (Krümpelmann) ............. 133 1. Beschreibung des Ansatzes Krümpelmanns ................... . .............. 133

2. Kritik des Ansatzes Krümpelmanns .......................................... 134 a) Die These von der Eigenständigkeit der Putativrechtfertigung ............ 134 b) Die Berufung aufkriminalpolitische Gründe .................... . ... . .... 137 c) Die Befürwortung eines weiten Strafrahmens............................. 138 d) Die Behandlung der Teilnahmehaftung ... . .................... . .......... 141 3. Ergebnis..................................................................... 142 VI. Die eingeschränkte Schuldtheorie ....................................... . ... . .... 143 1. Beschreibung der eingeschränkten Schuldtheorie ................. . .......... 143

12

Inhaltsverzeichnis 2. Die Bezeichnung "eingeschränkte Schuldtheorie" sowie ihre Verwendung im weiteren und engeren Sinne.................................................. 145 3. Die Vertreter der eingeschränkten Schuldtheorie ............................. 149 a) Nicht zu den Vertretern der eingeschränkten Schuldtheorie zu rechnende Autoren .................................................................. 152 b) Vertreter der eingeschränkten Schuldtheorie .............................. 162 4. Der Begriff des Unrechtsvorsatzes ........................................... 170 5. Die Lehre von der Indizwirkung des Tatbestandes. ... . . . . . . ... . . . .. . . . . . . . ... 174 a) Bedeutung der Lehre von der Indizwirkung des Tatbestandes ............. 174 b) Auswirkungen der Lehre von der Indizwirkung des Tatbestandes im Rahmen der kausalen Handlungslehre ........................................ 175 aal Entbehrlichkeit einer gesonderten Rechtswidrigkeitsprufung ......... 175 bb) Kein rechtsfreier Raum, kein nicht strafwürdiges Unrecht "hinter" dem Deliktstatbestand ............................................... 176 c) Auswirkungen der Lehre von der Indizwirkung des Tatbestandes innerhalb einer personalen Handlungs- und Unrechtslehre ..................... 177 aal Die Lehre von der Indizwirkung des Tatbestandes in der neueren Literatur ............................................................. 177 bb) Konsequenzen der Lehre von der Indizwirkung des Tatbestandes in sb. im Hinblick auf die Behandlung von Tatbestands- und Erlaubnistatbestandsirrtum ........... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 cc) Vereinbarkeit der Lehre von der Indizwirkung des Tatbestandes mit der rechtsfolgeneinschränkenden Schuldtheorie ...................... 180 dd) Unvereinbarkeit der Lehre von der Indizwirkung des Tatbestandes mit der eingeschränkten Schuldtheorie ............................... 180 ee) Der Bruch mit der überkommenen Lehre von der Indizwirkung als Konsequenz für die Vertreter der eingeschränkten Schuldtheorie ..... 181 6. Die Funktion der Rechtfertigungsgründe, als selbständige Erlaubnisnormen Eingriffsrechte bzw. Duldungspflichten zu erzeugen. Rechtswidrigkeit, Rechtmäßigkeit und Rechtfertigung ............................................... 182 a) Die Kritik der eingeschränkten Schuldtheorie an den Ergebnissen der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen ......................... 182 b) Die Ergebnisse des zweistufigen Deliktsaufbaus .......................... 184 c) Die Ergebnisse des dreistufigen Deliktsaufbaus auf der Basis der eingeschränkten Schuldtheorie ............................ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 184 aal Die Verwendung einer uneinheitlichen Terminologie ....... . . . . . . . . .. 185 bb) Die versteckte Einführung einer neuen Kategorie.................... 186

Inhaltsverzeichnis

\3

7. Die Teilnahme an der im Erlaubnistatbestandsirrtum begangenen Tat. . . . . . . . . 190 a) Norminterpretation und Begriffsverständnis im Streit um die Teilnehmerhaftung .................................................................. 191 b) Würdigung der für und wider die Strafbarkeit des Teilnehmers vorgetragenen Argumente ........................................................ 195 8. Ergebnis..................................................................... 199 VII. Ergebnis zu § 2 .................................................................. 199

§ 3 Der umgekehrte Irrtum über den Rechtfertigungssachverhalt

201

I. Einleitung ....................................................................... 201 11. Die Lehre von der objektiven Rechtfertigung .................................... 207 I. Beschreibung der Lehre von der objektiven Rechtfertigung .................. 207 2. Kritik der Lehre von der objektiven Rechtfertigung .......................... 207 a) Unvereinbarkeit einer objektiven Rechtfertigungslehre mit dem Gesetzeswortlaut ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 207 b) Die für die Lehre von der objektiven Rechtfertigung vorgebrachten Argumente .................................................................... 209 c) Überprüfung der Lehre von der objektiven Rechtfertigung anhand einiger Beispiele................................................................. 214 aa) SpendeIs erster Beispielsfall ........... . . . . . ................ . ..... . .. 214 bb) SpendeIs zweiter Beispielsfall ....................................... 215 cc) SpendeIs dritter Beispielsfall ......................................... 218 dd) Hillenkamps Beispielsfall ............................................ 222 3. Ergebnis. . . . . .. . .. . . . . .. ... . . . . .. ........ . . . .. .. . . ... .. . ... . . . . . . .. ... . . . .. .. 222 III. Die Vollendungslösung .......................................................... 223 I. Beschreibung der Vollendungslösung ........................................ 223 2. Materielle Kritik der Vollendungslösung ..................................... 224 a) Die seitens der Vollendungslösung vorgenommene Interpretation des Begriffs ,.Erfolg" ........................................................ , 224 b) Die Ergebnisse der Vollendungslösung ................................... 225 c) Die für die Vollendungslösung vorgebrachten Argumente................. 229 3. Dogmatische Kritik der Vollendungslösung .................................. 239 4. Ergebnis ..................................................................... 245

14

Inhaltsverzeichnis

IV. Die Versuchslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 246 I. Unmittelbare Anwendung der § 22 f. auf der Basis eines dreistufigen Deliktsaufbaus ...................................................................... 246 2. Analoge Anwendung der § 22 f. auf der Basis eines dreistufigen Deliktsaufbaus ...................................................................... 248 3. Ergebnis ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 251 V. Die Gestalt des subjektiven Rechtfertigungselementes bei der Vorsatztat ......... 251 1. Der Streitstand zur Frage der Rechtfertigungsabsicht in der Literatur ......... 251 2. Das Erfordernis der Motivation durch den Rechtfertigungszweck in der Rechtsprechung ............................................................. 254 3. Bestimmung einer konkreten Gestalt des subjektiven Rechtfertigungselementes auf der Basis eines zweistufigen Deliktsaufbaus .......................... 256 a) Behandlung von Möglichkeitsvorstellungen über Erlaubnisnormen im zweistufigen Deliktsaufbau ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 257 b) Verdeutlichung der Ergebnisse des zweistufigen Deliktsaufbaus anhand von Beispielen ........................................................... 258 c) Die für die Ergebnisse des zweistufigen Deliktsaufbaus sprechenden Argumente ................................................................. 261 aa) Wertungsmäßige Gleichheit des HandeIns im Vertrauen auf eine Erlaubnisnorm und des Handeins im Vertrauen auf den Nichteintritt eines deliktstatbestandlichen Erfolges ................................ 262 bb) Die These von der Appellfunktion des Tatbestandes als Wurzel einer differenzierenden Behandlung von Möglichkeitsvorstellungen auf Delikts- und Erlaubnistatbestandsebene .............................. 263 cc) Das Erfordernis der Gleichbewertung des Handeins im Vertrauen auf das Bestehen der Rechtfertigungssituation und des im Hinblick auf den Erlaubnistatbestand unbewußt fahrlässigen Tuns .......... . . . . . .. 263 dd) Fördert die auf der Basis des zweistufigen Deliktsaufbaus entwickelte Lösung in übertriebener Weise Schutzbehauptungen? ................ 265 ee) Beeinflussung der Gestalt des subjektiven Rechtfertigungselementes durch Modifikationen der Vorsatzlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 265 4. Auseinandersetzung mit dem Ansatz Alwarts ................................ 266 5. Ergebnis..................................................................... 270 VI. Subjektive Rechtfertigungselemente bei Fahrlässigkeitsdelikten .......... . ....... 271 I. Problembeschreibung ....................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 271 a) Merkmale der hier interessierenden Konstellation ........................ 271 aa) Fahrlässige Verwirklichung des Deliktstatbestandes bei Vorsatz bezüglich des Fehlens eines Erlaubnistatbestandes ................... 272

Inhaltsverzeichnis

15

bb) Vorsatz hinsichtlich des Deliktstatbestandes bei fahrlässiger Annahme des Gedecktseins durch einen Erlaubnistatbestand ................... 274 ce) Fahrlässiges Handlungsunrecht bzgl. des Delikts- wie auch des Erlaubnistatbestandes ................................................ 274 b) Abgrenzung zu anderen Problemlagen .................................... 275 c) Der Stand der Meinungen ................................................ 279 2. Stellungnahme auf der Grundlage des zweistufigen Deliktsaufbaus . . . . . . . . . .. 281 3. Veranschaulichung der auf der Grundlage des zweistufigen Deliktsaufbaus entworfenen Lösung anhand eines Falles aus der Rspr. ....................... 283 4. Notwendigkeit einer abweichenden Behandlung sog. "schlichter Tätigkeitsdelikte"? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 285 5. Bestrafung bloß fahrlässigen Handlungsunrechts als dem Gesetzgeber vorbehaltene Entscheidung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 289 6. Ergebnis ..................................................................... 290 VII. Zweiaktige Rechtfertigungskonstellationen ...................................... 291 I. Problembeschreibung ........................................................ 291

2. Stellungnahme zur Behandlung zweiaktiger Rechtfertigungskonstellationen .. 292 a) Bei Ausführung des ersten Aktes handelt der Täter ohne die Absicht, den zweiten folgen zu lassen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 292 aa) Bestrafung wegen vollendeter Tat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 293 bb) Bestrafung wegen Versuchs .......................................... 295 ce) Ergebnis: Irrelevanz des (hier sog.) "besonderen subjektiven Rechtfertigungselementes" ................................................ 298 b) Der Täter führt den ersten Akt mit der Zwecksetzung aus, den zweiten folgen zu lassen, ändert dann aber seine Absicht .......................... 298 c) Behandlung des Täters beim Mißlingen der ersten Handlung.............. 303 d) Anfängliches Fehlen des allgemeinen subjektiven Rechtfertigungselementes bei zweiaktigen Rechtfertigungsgründen .............................. 304 3. Ergebnis.. ... .. . . . .. . . .. . .. .. . .. . . . ... . . . ... . . . . .. . . . . .. . . . ... . . . .. ... . . . . ... 306 VIII. Ergebnis zu § 3 .................................................................. 307

§ 4 Die neue Konzeption des zweistufigen Deliktsautbaus

309

I. Einleitung ................................. . ... . ................ . ... . ............ 309

11. Die Gegensatzpaare der L.v.d.n.T................................................ 312 I. Unrechtsbegründung und Unrechtsausschluß ................................. 313

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Inhaltsverzeichnis 2. Positive und negative Tatbestandsmerkmale ................................. 315 3. Unkenntnis und Annahme des Gegebenseins von Tatbestandsmerkmalen ..... 320 4. Ergebnis ...... . .............................................................. 322

III. Die Behandlung normativer Tatbestandsmerkmale ............................... 323 1. Problembeschreibung ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 323 a) Die Rechtsfigur des "normativen Tatbestandsmerkmales" ................ 323 b) Die Lehre von der Parallelwertung in der Laiensphäre .................... 325 2. Kritik der Lehre von der Parallelwertung in der Laiensphäre ................. 327 a) Die Abgrenzung von Tatbestands- und Subsumtionsirrtum bei normativen Tatbestandsmerkmalen ................................................... 327 aa) Die Gefahr der Erzeugung von Rechtsunsicherheit ................... 327 bb) Die Unschärfe der Formel vom "Verständnis der sozialen Bedeutung des Tuns" ............................................................ 328 cc) Die mangelnde sachliche Legitimation der Formel vom "Verständnis der sozialen Bedeutung des Tuns" ................................... 330 dd) Die Außerachtlassung der individuellen Fähigkeiten des Täters ...... 331 ee) Die durch Abhängigkeit vom Vorhandensein geeigneter Tatbestandsmerkmale hervorgerufene Willkürlichkeit der Lehre von der Parallelwertung ............................................................. 332 b) Die These, die Wertung sei mit dem einzelnen Tatbestandsmerkmal verbunden ................................................................... 333 c) Die Ergebnisse der Lehre von der Parallelwertung ........................ 336 aa) Die aus dem Fehlen eines verläßlichen Abgrenzungskriteriums resultierende Angreifbarkeit der Ergebnisse der Lehre von der Parallelwertung ................................................................. 337 bb) Der die Individualität des Handelnden außer acht lassende und deshalb zu unzutreffenden Ergebnissen führende Maßstab der "Laiensphäre" .............................................................. 341 cc) Die Unzulänglichkeit eines Zwei-Kategorien-Systems ............... 341 dd) Das Fehlschlagen der sog. "Gegenprobe" ............................ 342 3. Die Vorzugswürdigkeit der konsequenten Unterteilung in Tat- und Rechtsirrtum ....................................................................... 346 a) Die Behandlung sämtlicher Wertungsirrtümer nach § 17 .................. 346 b) Die Flexibilität der Verbotsirrtumsregelung als eine der Struktur des Irrtums über "normative Tatbestandsmerkmale" angemessene Lösung .... 347 aa) Kein Mehr an Rechtssicherheit durch Anwendung der Lehre von der Parallelwertung ..................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. 347

Inhaltsverzeichnis bb) Kein Entgegenstehen der bisherigen Rechtsprechung

17 348

cc) De lege ferenda zu schaffender Kriterienkatalog als sinnvolles Mittel zur Verbesserung der Rechtssicherheit im Bereich der Behandlung von Verbotsirrtümern ................................................ 349 4. Ergebnis..................................................................... 351 IV. Die Beschaffenheit des Unrechtsvorsatzes ....................................... 352 I. Problembeschreibung ......................... . ................ . ............. 352 2. Der Bewußtseinsinhalt .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 355 a) Die Begrenztheit des Gesamt-Unrechtstatbestandes ..... . ................. 356 aa) Begrenzte Zahl der Gegenrechte ..................................... 356 bb) Rechtfertigungsgründe als UND-Verknüpfungen ..................... 361 cc) Rechtfertigungsgründe mit gleichen oder ähnlichen Tatbestandsmerkmalen ................................................................ 362 dd) Bewußtsein des Täters, nicht zur Verwirklichung überwiegender Gegeninteressen tätig zu werden ..................................... 362 b) Arten von (Tatsachen-)Bewußtsein ....................................... 363 3. Der Bereich fehlender Tätervorstellungen .................................... 370 a) Mangelnde Aussagekraft des § 16 StGB .................................. 370 b) Fehlende Tätervorstellungen im Bereich des Deliktstatbestandes .......... 373 aa) Die rechtliche Behandlung der Beispielsfälle in der Literatur. . . . . . . .. 374 bb) Die Fiktion des HandeIns mit bedingtem Vorsatz als "Kunstgriff' der Praxis ............................................................... 375 cc) Der Prozeß der Kenntniserlangung als gewillkürtes Verhalten........ 377 dd) Rechtsblindheit als Ursache für das Fehlen von Vorstellungen. . . . . . .. 378 ee) Die strafrechtliche Behandlung des Fehlens von Tatsachenvorstellungen .................................................................. 379 ff) Die Einbeziehung des rechtsblinden Täters in die Definition des Vor-

satzbegriffs .......................................................... 381

gg) Inhalt und Grenzen des dolus ignorantiae iuris causa ................. 383 c) Fehlende Tätervorstellungen im Bereich des Rechtfertigungstatbestandes 385 aa) Vollständiges Unterbleiben von Vorstellungen hinsichtlich des Erlaubnistatbestandes infolge Rechtsblindheit .............................. 386 bb) Teilweises Unterbleiben von Vorstellungen hinsichtlich des Erlaubnistatbestandes infolge Rechtsblindheit .............................. 388 4. Ergebnis........................................................... . ......... 390 2 Rinck

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Inhaltsverzeichnis V. Die Auseinandersetzung Hirschs mit den Argumenten der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen ..................................................... 391

1. Einleitung ................................................................... 391 2. Das für die L.v.d.n.T. vorgebrachte Argument, die Rechtfertigungsgründe könnten in die einzelnen Strafbestimmungen aufgenommen sein, womit sie eindeutig zum Tatbestand gehören würden (Hirsch, Die L.v.d.n.T., § 30 a) ... 393 3. Das für die L.v.d.n.T. vorgebrachte Argument, der Irrtum über Rechtfertigungsvoraussetzungen sei Tatbestandsirrtum, weil er ein Irrtum über den Sachverhalt sei (Hirsch, Die L.v.d.n.T., § 30 b) ............................... 394 4. Das für die L.v.d.n.T. vorgebrachte Argument, es gebe Fälle des Irrtums über Rechtfertigungsvoraussetzungen, in denen der Tater mit Unrechtsbewußtsein handele. Diese könne nur die L.v.d.n.T. befriedigend lösen (Hirsch, Die L.v.d.n.T., § 31) ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. 397 5. Das für die L.v.d.n.T. vorgebrachte Argument, der Täter sei beim Irrtum über Rechtfertigungsvoraussetzungen im Gegensatz zum Verbotsirrtum "an sich rechtstreu" (Hirsch, Die L.v.d.n.T., § 32) ..................................... 403 6. Das für die L.v.d.n.T. vorgebrachte Argument, für die Rechtfertigungsgründe habe Entsprechendes zu gelten wie für die Leitbildtatbestände, weil sie Parallelerscheinungen zu diesen seien, nur mit umgekehrtem Vorzeichen (Hirsch, Die L.v.d.n.T., § 33) ......................................................... 409 7. Das für die L.v.d.n.T. vorgebrachte Argument, es stehe der Unkenntnis von Tatumständen, durch weIche die Rechtswidrigkeit begründet werde, logischerweise die irrtümliche Annahme von Tatumständen gleich, die sie ausschlössen (Hirsch, Die L.v.d.n.T., § 34) ...................................... 413 8. Das Argument, die Rechtfertigungsmerkmale müßten ebenso wie die Leitbild-Tatbestandsmerkmale behandelt werden, weil sie wie diese nicht zur Wertung des Objekts, sondern zum Objekt der Wertung gehörten (Hirsch, Die L.v.d.n.T., § 35) .............................................................. 416 9. Das für die L.v.d.n.T. vorgebrachte Argument, sie ergebe sich aus dem personalen Unrechtsbegriff (Hirsch, Die L.v.d.n.T., § 36) .......................... 419 10. Das für die L.v.d.n.T. vorgebrachte Argument, die Gegenmeinung müsse beim umgekehrten Irrtum über Rechtfertigungsvoraussetzungen ein Wahndelikt und daher Straflosigkeit annehmen (Hirsch, Die L.v.d.n.T., § 37) ...... 427 11. Das für die L.v.d.n.T. vorgebrachte Argument, die Rechtfertigungsgründe seien ebenso negative Tatbestandsmerkmale wie die Merkmale "unecht", "ohne Sekundanten", "unehelich" u. dgl. (Hirsch, Die L.v.d.n.T., § 38) ....... 432

12. Das für die L.v.d.n.T. vorgebrachte Argument, gegen die Lehre vom Leitbildtatbestand spreche, daß sie bei der Einwilligung einmal den Tatbestand verneine, das andere Mal Tatbestandsmäßigkeit annehme und erst die Rechtswidrigkeit als ausgeschlossen betrachte; damit werde ein und derselbe Tatumstand ganz verschieden beurteilt (Hirsch, Die L.v.d.n.T., § 39) ............ 436

Inhaltsverzeichnis

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13. Das für die L.v.d.n.T. vorgebrachte Argument, die Gegenmeinung verwechsele den Tatbestand mit dem "Deliktstypus" (Hirsch, Die L.v.d.n.T., § 40) .... 439 14. Das für die L.v.d.n.T. vorgebrachte Argument, die Gegenmeinung sei mit dem Wortlaut des § 43 unvereinbar (Hirsch, Die L.v.d.n.T., § 41) ............. 443 15. Das für die L.v.d.n.T. vorgebrachte Argument, wenn man diese ablehne, gelange man zu drei Irrtumsarten (Hirsch, Die L.v.d.n.T., § 42) ............... 445 16. Ergebnis ..................... . ................ . ...................... , . . . . . .. 447 VI. Andere gegen einen zweistufigen Deliktsaufbau vorgebrachte Argumente. . . . . . .. 449 I. Der Geltungsbereich des Grundsatzes "nullum crimen, nulla poena sine lege"

449

2. Die These, es sei spezifisches Charakteristikum der Rechtfertigungsgründe, Duldungspflichten zu erzeugen .............................................. 456 3. Die These, der Deliktstypus besitze den Charakter einer generellen Bewertung, das Unrechtsurteil hingegen den einer individuellen Bewertung des Geschehens ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 460 4. Die These, nur den Deliktstatbeständen komme die Eigenschaft zu, Träger generalpräventiver Funktionen zu sein ....................................... 462 5. Der Vorgang der Gegenüberstellung von Interesse und Gegeninteresse als Begründung der systematischen Trennung von Delikts- und Erlaubnistatbestandsebene ............................................................... 463 6. Ergebnis..... . ....................................................... . ....... 465

§ 5 Gesamtergebnis der Untersuchung

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Literaturverzeichnis .................................................................. 475

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§ 1 Das Prinzip der geringstmöglichen Interessenverletzung I. Ziel der Untersuchung Strafe knüpft an menschliche Handlungen an. Sie soll insbesondere dazu dienen, die Mitglieder einer Rechtsgemeinschaft von bestimmten Handlungen abzuhalten. Zweck der vorliegenden Arbeit soll sein, zu erfassen, welches die Handlungsweisen sind, zu deren Verhinderung die Mittel des Strafrechts eingesetzt werden. Es soll eine taugliche Definition, ein Prinzip, herausgearbeitet werden, welches zutreffend Art und Umfang derjenigen Verhaltensweisen kennzeichnet, die der Rechtsordnung zuwiderlaufen. Dieses Prinzip soll nicht als blutleeres, abstraktes Gespinst dastehen, das in löblicher, aber wenig faßbarer Weise die Strafrechtswissenschaft um rechtsphilosophische Allgemeinheiten bereichert. Es soll vielmehr ein Fundament darstellen, auf welches aufbauend sodann Schlußfolgerungen für den Aufbau der Verbrechensprüfung und für die Behandlung bestimmter Probleme der Strafrechtswissenschaft gezogen werden können. Dabei wird der Schwerpunkt auf die Konstellationen gelegt werden, deren Behandlung besonders umstritten ist: Es sind dies Fälle, in welchen die Vorstellung, welche der Täter über sein Handeln gebildet hat, mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt. Das im nachfolgenden anschaulich zu machende grundlegende Prinzip der Strafrechtsordnung, welches die Strafbarkeit von Verhaltensweisen definitorisch zu erfassen vermag, kann zur Lösung der angesprochenen Irrtumsprobleme deshalb von Nutzen sein, weil sich aus ihm nicht nur Schlußfolgerungen für den Verbrechensaufbau, sondern - in enger Verzahnung hiermit - auch für Beschaffenheit und Umfang des Vorsatzes ziehen lassen. Ein wesentlicher Teil der Untersuchung wird dem Irrtum über das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes, dem sog. Erlaubnistatbestands- oder Erlaubnissachverhaltsirrtum, zu widmen sein, dessen zutreffende Behandlung neben der (mittlerweile durch Gesetzgebungsakt entschiedenen) Auseinandersetzung um Schuld- und Vorsatztheorie als das wohl umstrittenste und am intensivsten diskutierte Thema der Strafrechtsliteratur der Nachkriegszeit gelten kann und, wenn auch einiges erschöpfend erörtert worden ist oder zu sein scheint, durchaus noch aktuell im Brennpunkt der Kontroverse steht'. Des I Vgl. zunächst die Darstellungen der Kommentare: Lackner/Kühl, StOB 22 , § 17 Rz. 9-18; Tröndle, StOB 48 , § 16 Rz. 20-27; eramer in: Schönke/Schröder, StOB 2S , § 16 Rz. 14 -18 Lenckner in: Schönkel Schröder, StOB 2S , Vor §§ 32 Rz.21; Puppe in: NK, StOBl, § 16

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§ I Das Prinzip der geringstmöglichen Interessenverletzung

weiteren wird eine Befassung mit seiner Umkehrung stattfinden, die gleichsam den etwas im Schatten stehenden Zwillingsbruder darstellt: Gemeint sind Handlungen, bei welchen der Tater zu seinen Ungunsten sprechende tatsächliche Umstände im Bereich der Erlaubnisnormen annimmt, während seine Tat in Wahrheit die diesbezügliche Rückendeckung der Rechtsordnung genießt, bei denen also ein sog. "umgekehrter" Erlaubnistatbestands- oder - sachverhaltsirrtum vorliegt 2 . Eine dritte Konstellation, welche etwa von Maurach/Zipjals das "derzeit am wenigsten gelöste Problem der gesamten Irrtumslehre,,3 eingestuft wird, ist der Irrtum über einzelne Tatbestandsmerkmale, denen eine rechtliche Wertung innewohnt. In diesem Bereich finden wir den - wenig glücklich so bezeichneten - Irrtum über "normative Tatbestandsmerkmale" einerseits, dessen Behandlung sich nach § 16 richten soll, den sog. "Subsumtionsirrtum" andererseits, der allenfalls die Grundlage eines Verbotsirrtums darstellen können soll. Schwierigkeiten sieht die Literatur Rz. 138-163; Rudolphi in: SK, StGB 5 , § 16 Rz. 10-15; F.-Chr. Schroeder in: LK, StGB II , § 16 Rz. 47-55. Zahlreiche Aufsätze der letzten Jahre thematisieren das Problem: Graul, Der Erlaubnistatbestandsirrtum, JuS 1992, L 49 - L 52; Herzberg, Unrechtsausschluß und Erlaubnistatbestandsirrtum bei versuchter und bei vollendeter Tatbestandserfüllung, Festschrift für Stree/Wessels, 1993, S. 203 ff.; Puppe, Zur Struktur der Rechtfertigung, Festschrift für Stree/Wessels, 1993, S. 183 ff.; Scheffler, Der Erlaubnistatbestandsirrtum und seine Umkehrung, das Fehlen subjektiver Rechtfertigungselemente, Jura 1993, S. 617 ff.; Schroth, Die Annahme und das "Für-Möglich-Halten" von Umständen, die einen anerkannten Rechtfertigungsgrund begründen, Festschrift für Arthur Kaufmann, 1993, S. 595 ff.; Dieckmann, Plädoyer für die eingeschränkte Schuldtheorie beim Irrtum über Rechtfertigungsgründe, Jura 1994, S. 178 ff.; Gössel, Überlegungen zum Verhältnis von Norm, Tatbestand und dem Irrtum über das Vorliegen eines rechtfertigenden Sachverhaltes, Festschrift für Triffterer, 1996, S. 93 ff.; Koriath, Überlegungen zu einigen Grundsätzen der strafrechtlichen Irrtumslehre, Jura 1996, S. 113 ff.; Joerden, Der praktische Fall - Strafrecht: Abenteuer eines Antiquitätenhändlers, JuS 1996, S. 622 ff.; Lesch, Unrechtseinsicht und Erscheinungsformen des Verbotsirrturns, JA 1996, S. 504 ff. (mit Übersicht zum Streitstand beim Erlaubnistatbestandsirrtum); Streng, Der Irrtum beim Versuch - ein Irrtum?, ZStW 109 (1997), S. 862 ff.; Geppert, Die Anstiftung (§ 26), Jura 1997, S. 299 ff. 2 Diese Konstellation wird oft auch unter dem Begriff "Fehlen des subjektiven Rechtfertigungselementes" erörtert. V gl. auch hier zunächst die Darstellungen der Kommentare: Lackner/Kühl, StGB 22 , § 22 Rz. 16; Tröndle, StGB 48 , § 16 Rz. 28; Lenckner in: Schönkel Schröder, StGB 25 , Vor §§ 32 Rz. 13-20; Puppe in: NK, StGB I , § 16 Rz. 166; Samson in: SK, StGB (5. A.), Vor § 32 Rz. 42; Spendel in: LK, StGB 11, § 32 Rz. 137 -144. Aufsätze aus neuerer Zeit: Prittwitz, Der Verteidigungswille als subjektives Merkmal der Notwehr, Jura 1984, S. 74 ff.; Herzberg, Handeln in Unkenntnis einer Rechtfertigungslage, JA 1986, S. 190 ff.; Herzberg, Subjektive Rechtfertigungselemente?, JA 1986, S. 541 ff.; Rohrer, Über die Nichtexistenz subjektiver Rechtfertigungselemente, JA 1986, S. 363 ff.; F.-Chr. Schroeder, Anm. zu BayObLG 5 St 92190, JZ 1991, S. 682 ff.; Scheffler, Der Erlaubnistatbestandsirrtum und seine Umkehrung, das Fehlen subjektiver Rechtfertigungselemente, Jura 1993, S. 617 ff.; Kühl, Angriff und Verteidigung bei der Notwehr, Jura 1993, S. 233 ff.; Bandemer, Anm. zu BGH 5 StR 493 I 93, JA 1994, S. 186 ff.; Stoffers, Einbruch mit ungeahnten Folgen, JA 1994, S. 35 ff.; Geppert, Die subjektiven Rechtfertigungselemente, Jura 1995, S. 103 ff., Graul, Der "umgekehrte Erlaubnistatbestandsirrtum", JuS 1994, L 73 - L 75; dies., Unrechtsbegründung und Unrechtsausschluß, JuS 1995, L 41 ff., Otto, Die Lehre vom Tatbestand und der De1iktsaufbau, Jura 1995, S. 468 ff. 3 MaurachlZipf, Strafrecht AT /1 8, § 37 Rz. 48.

11. Das Rechtsgut als zentraler Begriff der Strafrechtsordnung

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und auch die Rechtsprechung hier vor allem in der Abgrenzung dieser Irrtumsarten4 . Der individuelle Aspekt des Mittels der Strafe, welcher in erster Linie davon geprägt ist, daß diese eine Schuld bzw. Verantwortlichkeits des jeweiligen Täters für sein Handeln voraussetzt, soll nicht Gegenstand dieser Untersuchung sein. Auf Fragen der Schuld wird daher nur einzugehen sein, so weit es notwendig erscheint, um die Eigenarten der Tat als solcher klarer werden zu lassen. 6

11. Das Rechtsgut als zentraler Begriff der Strafrechtsordnung Das Recht, zumal das Strafrecht, darf nicht der Willkür dienen. Es wäre unerträglich, wenn Bürger damit rechnen müßten, wegen irgendeiner beliebigen 4 In Lit. wie Rspr. immer noch von prägender Bedeutung ist die maßgeblich von Mezger; Strafrecht. Ein Lehrbuch 2 (1933), S. 238, 328; ders., Strafrecht § 68 11 2, Mezgerl Blei, Strafrecht 115 , § 64 I 1 a, § 65 11 4 entwickelte Lehre von der Parallelwertung in der Laiensphäre. Eigenständige Lösungsansätze zur Abgrenzung u. a. von Schlüchter; Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale im Strafrecht, 1983; dies., Zur Abgrenzung von Tatbestandsund Verbotsirrtum, JuS 1993, S. 14 ("teleologisch reduzierte Sachverhaltssicht"); Kuhlen, Die Unterscheidung von vorsatzausschließendem und nicht vorsatzausschließendem Irrtum, 1987 (Rückkehr zur Irrtumslehre des Reichsgerichts), Darnstädt, Der Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale im Strafrecht, JuS 1978, S. 443 ("natürliche" und ,,institutionelle" Tatsachen); Haft, Grenzfalle des Irrtums über normative Tatbestandsmerkmale im Strafrecht, JA 1981, S. 284 ("gegenstandsbezogener" und "begriffsbezogener" Irrtum); Puppe, Tatirrtum, Rechtsirrtum, Subsumtionsirrtum, GA 1990, S. 145, 154 ("Kenntnis juristischer Tatsachen"); Heidingsjelder; Der umgekehrte Subsumtionsirrtum, 1991, S. 33 (Problem der Normkonkretisierung). 5 Zur Lehre von der Verantwortlichkeit vgl. Roxin, Strafrecht AT 11 3 , § 19. 6 Die Trennung von Unrecht und Schuld als solche soll in dieser Arbeit nicht begründet oder gar in Zweifel gezogen werden; dies kann hier nicht geleistet werden. Im Hinblick auf die Funktion der Abgrenzung von Unrecht und Schuld sei verwiesen auf den gleichnamigen Aufsatz von Schünemann in: Bausteine des europäischen Strafrechts, Coimbra-Symposium für Claus Roxin, 1995, S. 149, 160. Schünemann sieht bereits aus den Strafrechtszielen, gleich ob man diese in dem Rechtsgüterschutz durch Generalprävention oder durch gerechte Vergeltung oder auch durch eine vom Schuldprinzip legitimierte Spezialprävention erblicke, "mit Notwendigkeit zwei unterschiedliche Bewertungsperspektiven" folgen, "nämlich einmal der aus der Sozialschädlichkeit resultierende, die Opferperspektive akzentuierende Unwert der Tat und sodann die die Täterperspektive akzentuierende individuelle Vermeidbarkeit und deshalb Vorwerfbarkeit" (siehe bei Schünemann a. a. O. auch zahlreiche Hinweise auf weiterführende Literatur). Die individuelle Vermeidbarkeit bezeichnet Schünemann als "eine von dem realen individuellen Andershandelnkönnen repräsentierte sachlogische Struktur". Diesem Ansatz soll gefolgt werden, wobei unterstellt wird, daß hinsichtlich des Unrechts nicht eine Betrachtung des konkreten Opfers in all seiner Subjektivität zugrundegelegt wird, sondern vielmehr die Ansicht eines an Recht und Gesetz orientierten "objektiven Dritten", der hierbei die Warte des Opfers einnimmt.

e,

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§ 1 Das Prinzip der geringstmöglichen Interessenverletzung

Handlung mit GeId- oder gar Freiheitsstrafe belegt zu werden, nur weil der Gesetzgeber an Taten dieser Art mittels formellem Akt jene gravierenden Folgen geknüpft hat. Gesetze haben in einer freiheitlichen Demokratie zur Aufgabe, die Entfaltung des einzelnen zu sichern. Schrankenlose Entfaltung aber bedeutet Entfaltung zu Lasten der anderen Mitglieder der Rechtsgemeinschaft. Der Gesetzgeber muß also dem Wirken des einzelnen dort Grenzen setzen, wo es andere in nicht hinnehmbarer Weise beeinträchtigt. Er schützt damit den einzelnen selbst in gleicher Weise vor ebensolchen Beeinträchtigungen seitens der anderen Rechtsunterworfenen. Eine notwendige - keineswegs aber hinreichende - Voraussetzung für die Annahme einer solchen Beeinträchtigung ist dann gegeben, wenn durch eine Handlung eines Rechtsunterworfenen ein Gut eines anderen geschädigt, in anderer Weise in seinem Wert gemindert oder sonst der Disposition des Verfügungsberechtigten entzogen wird. In solchen Fällen besteht Anlaß dazu, rechtliche Regelungen aufzustellen, um (abhängig vom Erfülltsein bestimmter Voraussetzungen) materiellen Ausgleich für den eingetretenen Schaden sicherzustellen oder durch solche Leistungen zumindest eine gewisse Kompensation für immaterielle Schäden zu erreichen. Die diesen Zweck erfüllenden zivilrechtlichen Normen erweisen sich jedoch in vielen Fällen als unzureichend. Zum einen können durch menschliches Handeln Schäden angerichtet werden, die mit noch so viel Geld nicht wiedergutzumachen sind. Dies betrifft vor allem die Güter des Lebens und der Gesundheit, aber auch der Bewegungsfreiheit und der Ehre. Hier müssen Barrieren errichtet werden, damit von vornherein dem Eintritt der Gütereinbuße entgegengewirkt wird. Darüber hinaus ist es aber auch nicht möglich, bewußte Schädigungen anderer etwa im Bereich der Eigentums- und Vermögensdelikte mit reinen Schadensausgleichsregelungen hinreichend zu beantworten. Unzulänglich wäre daran nicht allein, daß dieser Ausgleich in vielen Fällen daran scheitert, daß der Täter sich aus finanziellen Gründen dazu außerstande sieht; es ist in besonderem Maße die Störung des durch die rechtliche Zuordnung von Gütern zu Personen gewährleisteten Rechtsfriedens, die nicht hingenommen werden kann. Ein wirksamer Schutz von Gütern mit nicht bloß unerheblicher Bedeutung stellt hier den legitimen Zweck dar, um durch die Drohung mit den einschneidenden Maßnahmen des Strafrechts eine abschreckende Wirkung zu erzeugen. Schützenswert sind indes nicht bloß die Güter des einzelnen. Indem das Rechtssystem diese bewahrende Funktion ausübt, wird es selbst schützenswert und schutzbedürftig. Die aus den Individualgütern abgeleiteten Güter der Allgemeinheit dürfen und müssen also, soweit auch sie eine nicht nur geringfügige Bedeutung aufweisen, ebenfalls durch Androhung strafrechtlicher Sanktionen gesichert werden. Gerade im Bereich immaterieller Güter - die spezifischen Güter der Allgemeinheit gehören ausschließlich zu dieser Gruppe - tut sich manche Schwierigkeit auf, zu bestimmen, ob es sich um Güter im Rechtssinne oder ausschließlich um solche

H. Das Rechtsgut als zentraler Begriff der Strafrechtsordnung

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im Sinne von Moral und Ethik handelt7 • Auch kann man trefflich darüber streiten, wo sinnvollerweise die Grenze der strafrechtlichen Erheblichkeit8 zu ziehen sei, welche Rechtsgüter also von derart untergeordneter Bedeutung sind, daß ihr Schutz durch die Einstufung als Ordnungswidrigkeit sichergestellt werden kann oder von einer Sanktion überhaupt abzusehen ist, und welche demgegenüber durch den Rechtsstaat mit dem scharfen Schwert folgenreicher Strafen verteidigt zu werden verdienen9 • Diese Fragen ändern aber nichts an der prinzipiellen Einsicht, daß 7 Die Diskussion um den Umfang der Schutzfunktion des Strafrechts fand einen Kulminationspunkt im Zuge der Strafrechtsreform der sechziger und beginnenden siebziger Jahre (vgl. insb. den Entwurf der Bundesregierung (kurz: E 1962) einerseits, den von vierzehn Professoren vorgelegten sog. ,,Alternativ-Entwurf' (kurz: AE 1966) andererseits). Vgl. zur Diskussion i.ü. Lenckner in: Schönkel Schröder, StGB 25 , Vor § 13 Rz. 9; Roxin. Strafrecht ATIl 3 , § 2 Rz. 3. Daß auch neue Rechtsgüter "entdeckt" (d. h.: als strafrechtlich schützenswert begriffen) werden können, zeigt exemplarisch das Umweltstrafrecht der §§ 324 ff. (vgl. i.e. zu den geschützten Rechtsgütern: eramer in: Schönkel Schröder, StGB 25 , Vor § 324 Rz. 8). 8 Statt von "strafrechtlicher Erheblichkeit" spricht Schünemann. Die Funktion der Abgrenzung von Unrecht und Schuld, in: Bausteine des europäischen Strafrechts, Coimbra-Symposi um für Claus Roxin, 1995. S. 151, von "strafrechts spezifischer, qualifiziert unwertiger Sozialschädlichkeit". Zu der damit verbundenen Position Schünemanns weist der Text inhaltliche Unterschiede nicht auf. Die Tat muß ganz unzweifelhaft eine "strafrechtliche Höhenmarke" (Schünemann a. a. 0., S. 175) überschreiten, bevor es staatlicher Macht erlaubt ist, Sanktionen wie Verurteilung zu nicht nur unerheblichen Geldleistungen oder gar Freiheitsentzug einzusetzen. Dennoch soll im nachfolgenden der Begriff der Sozialschädlichkeit nicht zur Kennzeichnung dieses "Schwellenerfordernisses" verwendet werden, da er mißverständnisträchtig erscheint (es wird der Eindruck hervorgerufen, als bedürfe es zur Beurteilung des Tuns neben der Anwendung des Rechts außerdem der Anlegung von Maßstäben aus dem Bereich der Sozialwissenschaft) und zu dem - unzutreffenden - Schluß verleiten kann, der Rechtswidrigkeitsbegriff der allgemeinen Rechtslehre sei im Grunde ein ganz anderer als der des Strafrechts und dort nicht oder nur mit erheblichen Modifikationen zu verwenden. Tatsächlich kann und muß Rechtswidrigkeit in allen Rechtsgebieten gleich verstanden und definiert werden. Dieser Gedankenansatz bringt im Strafrecht schon dadurch reiche Ernte, daß der Inhalt der ,,Rechtswidrigkeit" des Angriffs im Rahmen der Notwehr ohne Umstand und Zweifel bestimmt werden kann, während das Postulat eines strafrechtlichen Kernbegriffs "qualifizierter Sozialschädlichkeit" an dieser Stelle (mindestens) zu Begrundungsaufwand und Rechtsunsicherheit führt (warum soll die Rechtswidrigkeit der strafrechtlichen Notwehrvorschrift anders verstanden werden als der Inhalt des "allgemeinen" strafrechtlichen Unrechtsbegriffs?). Im Sinne eines funktionalen Rechtssystems liegt es daher, von einem einheitlichen Rechtswidrigkeits- und auch Unrechtsbegriff ausgehend im Strafrecht durch das Postulat einer Erheblichkeitsschwelle - und nicht durch die Einführung eines neuen Terminus - diesen Begriff zu modifizieren, soweit die Verhängung strafrechtlicher Maßregeln und Sanktionen in Rede steht. Hiermit rückt auch der eigentliche Grund für diese Änderung in den Blick: Die einschneidenden Mittel des Strafrechts sind es, die unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eine solche Begrenzung des Kreises unrechter, allgemein-rechtswidriger Handlungen erfordern. 9 Die Absonderung bloßer Ordnungswidrigkeiten aus dem Kreis der Straftaten, die sich erst in der Nachkriegszeit durchsetzte, hat vor allem kriminologische Relevanz, da sie eine Stigmatisierung des Taters bei Bagatelldelikten vermeidet. Eine Abgrenzung der Ordnungswidrigkeiten von Straftaten derart, daß der Gegenstand des Verbotes ersterer vom Staat erst geschaffen sei, stößt allerdings auf Bedenken, da die spezifischen Rechtsgüter der Allge-

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§ 1 Das Prinzip der geringstmöglichen Interessenverletzung

dem Begriff des Rechtsgutes eine Schlüsselfunktion bei der Bestimmung der von der Strafrechtsordnung verfolgten Zwecke zukommt. Sie sollen und müssen daher vorliegend nicht weiter behandelt werden. Im folgenden sind zunächst Inhalt und Bedeutung dieses als wichtig erkannten Begriffes des Rechtsgutes zu klären, um auf diese Weise die Schutzaufgabe des Strafrechts zu präzisieren. Des weiteren ist zu überprüfen, ob hiermit bereits eine Größe gefunden ist, anhand derer die Strafrechtsordnung konkrete Handlungsanweisungen zu geben und somit Ge- und Verbote aufzustellen imstande ist. Hierzu besteht unabdingbare Notwendigkeit, da nur ein Prinzip, dessen umfassende konkrete Umsetzung seitens der Rechtsunterworfenen erstens überhaupt möglich und zweitens auch erwünscht ist, die taugliche Grundlage für ein funktionales Strafrechtssystem abzugeben vermag.

III. Die Zustimmung des Betroffenen zur Gutsbeeinträchtigung 1. Die Begriffe des "Gutes" und des "Rechtsgutes" Faßt man den der Strafrechtsordnung zugrundeliegenden Gedanken nach den getätigten Ausführungen vorläufig und mit den geäußerten Vorbehalten als "Prinzip des Rechtsgüterschutzes" auf, so drängt sich im Anschluß die Frage nach dem Verhältnis dieses Prinzips zum Einverständnis (oder zur Einwilligung) des betroffenen Rechtsgutsinhabers auf. Unter Berücksichtigung der oben bereits hervorgehobenen Erkenntnis, daß die Rechtsordnung einer freiheitlichen Demokratie die Gewährleistung der freien Entfaltung des einzelnen zur Aufgabe hat, entbehrte es einer Ordnung, welche Werte ganz unabhängig von dessen Willen unter Schutz stellte, jeglicher Legitimation. Es kann daher nicht fraglich sein, daß der Strafrechtsordnung ein Prinzip zugrundegelegt werden muß, welches der Willensfreiheit des einzelnen Rechnung trägt und insofern mit dem (rechtswirksamen) Willen des Verfügungsberechtigten erfolgende gutsbeeinträchtigende Handlungen im Ergebnis als strafloses Tun einstuft. Zwei verschiedene Wege erscheinen in sprachlicher Hinsicht hier prinzipiell gangbar. Man kann sich zum ersten einer rein abstrakten Betrachtungsweise bedienen und als "Rechtsgut" bereits das verletzte (oder, um es sprachlich neutraler zu fassen, das berührte) Objekt selbst definieren. Folgerichtig begeht etwa derjenige meinheit ausnahmslos solche "Kunstgebilde" darstellen. So schützen z. B. die Aussagedelikte auch erst die durch staatliche Macht postulierte Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, doch haben sie freilich mit Recht den Rang von Strafnormen inne. Wie sich an diesem Beispiel erkennen läßt, ist die Frage der Abgrenzung von Strafgesetzen und Ordnungswidrigkeiten als reines Problem kriminalpolitischer Wertung aufzufassen, woraus gleichzeitig erhellt, daß es eine klar zu definierende Grenze nicht geben kann.

III. Die Zustimmung des Betroffenen zur Gutsbeeinträchtigung

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eine Rechtsgutsverletzung im Hinblick auf das Eigentum, welcher auf Geheiß des Grundeigentümers einen in dessen Garten stehenden Baum fallt. Ebenso hat der Arzt, der dem Patienten mit dessen Zustimmung Blut entnimmt, das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit berührt. Die andere Möglichkeit besteht darin, unter den Begriff des Rechtsgutes sowohl den - materiellen oder immateriellen - Gegenstand der Tat (von der ersten Auffassung als "Rechtsgut" verstanden) als auch kumulativ - den Willen des Inhabers zu fassen. Rechtsgut im Sinne dieser Definition ist dann beispielsweise im Falle des § 223 nicht der Körper bzw. die körperliche Integrität allein, sondern diese verbunden mit der Dispositionsbefugnis der betreffenden verfügungsberechtigten Person. Was die erste Auffassung also als "Rechtsgut" bezeichnet, ist für die zweite lediglich ein "Tatobjekt" oder ein "Gut" im abstrakt-natürlichen, nicht aber im konkret-rechtlichen Sinne. Daß die zweite Lösung aus einigen Gründen vorzugswürdiger ist, soll an dieser Stelle gar nicht das Entscheidende sein. Jede Wissenschaft kann Begriffe grundsätzlich frei nach ihren Bedürfnissen definieren. So lange die bei den oben genannten Lösungen von gleichen Begriffsinhalten ausgehen, existiert lediglich eine terminologische Differenz, die zwar zu Verwirrung und Mißverständnissen, nicht jedoch zu Meinungsverschiedenheiten in der Sache führen kann. Wo die zweite Auffassung von einer "Rechtsgutsverletzung" spricht, muß die erste sich dann statt dessen auf eine "nicht vom Willen des Inhabers gedeckte Rechtsgutsverletzung" beziehen oder diesen Bedeutungsgehalt einem neu kreierten Begriff zuweisen. Die für die vorliegende Untersuchung bedeutsame Folge daran ist, daß die erste Auffassung richtigerweise nicht davon ausgehen kann, das der Strafrechtsordnung zugrundeliegende Prinzip sei das des "Rechtsgüterschutzes". Wie bereits ausgeführt wurde, ist zum Prinzip nur eine Formel tauglich, welche die zu verhindernden Handlungsweisen zutreffend kennzeichnet. Ein Verhalten, bei dem mit dem rechtswirksamen - Willen einer Person auf deren Eigentum oder Körper eingewirkt wird, wird von niemandem für strafbar erachtet. Es müßte aber bei konsequenter Anwendung eines Prinzips des "Rechtsgüterschutzes" im Sinne der ersten Auffassung pönalisiert werden, denn eine Gutsbeeinträchtigung im abstrakten Sinne läßt sich hier nicht leugnen. Auch der Verweis auf ein Regel-Ausnahme-Verhältnis vermag demgegenüber nicht durchzudringen. Jedes Erklärungsmodell, das auf ein solches Schema zurückgreift, kann denknotwendig nur Einsichten bezüglich eines Teilbereichs (eben des Bereichs, in dem die Regel gelten soll) äußern. Die Ausnahme bleibt hingegen ein Fremdkörper, zu dessen Existenzberechtigung ein derartiges Prinzip keine Aussage treffen kann. Es ist jedoch unabdingbar, daß ein Erklärungsansatz die scheinbaren "Ausnahmen" miteinbezieht, denn jede legitimiert sich durch einen Grund, aus dem sie gleichsam entspringt. Erst ein Modell, welches alle relevanten Gründe abbildet, vermag das Ziel, das die Strafrechtsordnung verfolgt, zu erfassen. Erst ein solches vermag dem Rechtsunterworfenen wie dem Rechtsanwender verläßliche Richtschnur zu sein und umfassende Auskunft darüber zu erteilen, welche Verhaltensweisen dem Recht zuwiderlaufen. Die erstgenannte Auffassung muß daher, will sie ein im Sinne des bereits Gesagten taugli-

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§ I Das Prinzip der geringstmöglichen Interessenverletzung

ches Prinzip aufstellen, dieses im "Schutz von Rechtsgütern gegen unbefugte Verfügungen" sehen. Die beiden aufgezeigten Möglichkeiten, das Verhältnis von Gut und Einwilligung zu beschreiben, weisen folglich, will man den soeben aufgezeigten Überlegungen folgen, lediglich terminologische Differenzen auf, sind aber als Entwicklungsschritt hin auf das hier zu ermittelnde Prinzip grundsätzlich gleichermaßen tauglich. Wenn in den nachstehenden Erörterungen der zweiten Auffassung gefolgt wird, welche den Willen des Eigentümers als im Rechtsgutsbegriff bereits beinhaltet sieht, so liegen dem Erwägungen des Sprachempfindens und der Praktikabilität zugrunde.

2. Die Dysfunktionalität der "DifTerenzierungslösung" Schwierigkeiten ergeben sich hingegen, wenn man eine Lösung propagiert, die je nach dem geschützten Gut (im abstrakten Sinne) den Begriff des Rechtsguts einmal als den Willen des Eigentümers umfassend, ein anderes Mal als willens- und befugnisunabhängige Größe auffaßt. Gemeint ist hiermit ein Modell, welches sich je nach dem verletzten Tatbestand teils an der ersten, teils an der zweiten der soeben dargestellten Auffassungen orientiert, indem es beispielsweise das Gut des Hausrechts erst in Verbindung mit dem Willen des Hausrechtsinhabers, das Gut der körperlichen Unversehrtheit hingegen bereits als solches, d. h., in seinem abstrakten, vom Willen des Verfügungsberechtigten losgelösten Zustand, als Rechtsgut ansieht 10. Es ist mit der gebotenen Gründlichkeit zu untersuchen, ob diese "Differenzierungslösung"lI sich auf einen hinreichenden Anlaß berufen kann. Sie ist als äußerst problematisch anzusehen; nicht nur deswegen, weil sie die dem gesuchten Prinzip zugrundeliegenden Strukturen erheblich verkompliziert, sondern auch und besonders, weil derartige formale Abweichungen Ansatzpunkte für darauf aufbauende (fragwürdige) inhaltliche Unterscheidungen zu bieten vermögen.

Eine Differenzierung im soeben dargestellten Sinne wird von zahlreichen Autoren für zutreffend gehalten 12 . Es hat sich eine Terminologie nahezu durchgesetzt, 10 Tröndle, StGB 48 , Vor § 32 Rz. 3, 3 a,b; Lenckner in: Schönke/Schröder, StGB 2s , Vor § 32 Rz. 29-53; ders., Die Einwilligung Minderjähriger und deren gesetzlicher Vertreter, ZStW 72 (1960), S. 446 ff. 11 Ausdruck von Hirsch in: LK, StGB ll, Vor § 32 Rz. 98. Dieser Begriff sowie das Schlagwort ,,zweiteilungslehre" werden im folgenden zur Beschreibung dieser Auffassung verwendet. Die grundlegende Entwicklung dieser Auffassung stammt von Geerds, Einwilligung und Einverständnis des Verletzten, 1953; ders., Einwilligung und Einverständnis des Verletzten im Strafrecht, GA 1954, S. 262 ff. 12 Geerds, Einwilligung und Einverständnis des Verletzten, 1953; ders., EinwilliRung und Einverständnis des Verletzten im Strafrecht, GA 1954, S. 262 ff.; Tröndle, StGB 48 , Vor § 32 Rz. 3, 3 a,b; Lenckner in: Schönkel Schröder, StGB 2s , Vor § 32 Rz. 29-53; ders., Die Einwilligung Minderjähriger und deren gesetzlicher Vertreter, ZStW 72 (1960), S. 446 ff.;

III. Die Zustimmung des Betroffenen zur Gutsbeeinträchtigung

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welche die Zustimmung des Gutsinhabers mit jeweils unterschiedlicher Bezeichnung belegt: Liegt (nach dieser Ansicht) aufgrund der Zustimmung schon keine Rechtsgutsverletzung vor. so soll es sich um ein sog ...Einverständnis" handeln 13 ; wird (nach dieser Ansicht) zwar das Rechtsgut tangiert. ist die Verletzungshandlung jedoch vom Willen des Verfügungsberechtigten gedeckt. so wird diese Zustimmung als ..Einwilligung" bezeichnet l4 . Gleichzeitig spricht man - aufgrund der Tatsache. daß die Deliktstatbestandsverwirklichung mit der Rechtsgutsverletzung gleichgesetzt wird - von einem tatbestandsausschließenden Einverständnis. wohingegen die (die Rechtsgutsverletzung und damit Deliktstatbestandsmäßigkeit angeblich unberührt lassende) Einwilligung in der nächsten Ebene. der Rechtfertigung. angesiedelt wird l5 .

a) Legitimation der .. Differenzierungsläsung" mittels begrifflicher Gegebenheiten?

Zur Begründung der Kategorisierung wird angeführt. man habe zu unterscheiden zwischen Delikten. bei denen die Tatbestandshandlung schon begrifflich ein Handeln gegen bzw. ohne den Willen des Verletzten voraussetze l6 • und solchen. bei denen der Deliktstatbestand unabhängig von diesem Willen erfüllt werden könne 17 • Diese Argumentation erscheint jedoch wenig haltbar. Erstens ist die Anknüpfung an den Wortlaut der Deliktsnorm zu verwerfen. weil sie sich in zahlreichen Fällen alles andere als eindeutig darstellt. Dies läßt sich beBaumannlWeberlMitsch. Strafrecht AT IO• § 17 Rz. 93 -113; Blei, Strafrecht 118 • § 37; Geppert, Rechtfertigende •.Einwilligung" des verletzten Mitfahrers bei Fahrlässigkeitsstraftaten im Straßenverkehr? ZStW 83 (1971). S. 959 ff.; Hirsch in: LK. StGB Il • Vor § 32 Rz. 96 ff.; JeschecklWeigend, Lehrbuch des Strafrechts (Allg. Teii)s, § 341 -V; Kühl, Strafrecht AT2 , § 9 B; Lackner I Kühl, StGB 22 • Vor § 32 Rz. 10; Wesseis, Strafrecht AT27 , Rz. 359 - 379; WesselslBeulke, Strafrecht AT28 , Rz. 359-379; Stratenwerth, Strafrecht AT3, Rz. 360-386 (allerdings mit Skepsis gegenüber dieser Differenzierung); BGH St 16,309 u. öfter. 13 Lenckner in: Schönke/Schröder, StGB 2S • Vor § 32 Rz. 30-32; JeschecklWeigend, Lehrbuch des Strafrechts (Allg. Teil)s. § 341 I b; Stratenwerth, Strafrecht AT 3 , Rz. 365; Wessets. Strafrecht AT27 , Rz. 362; Wesselsl Beulke, Strafrecht AT28 , Rz. 362; BaumannlWeberl Mitsch, Strafrecht AT IO, § 17 Rz. 93. 14 LacknerlKühl, StGB 22 , Vor § 32 Rz. 11; Kühl, Strafrecht AT 2 , § 9 Rz. 22; Jescheckl Weigend, Lehrbuch des Strafrechts (Allg. Teii)s, § 341 I c; Lenckner in: Schönke/Schröder. StGB 2S , Vor § 32 Rz. 33 -53. IS Lenckner in: Schönkel Schröder, StGB 2S • Vor § 32 Rz. 33; Tröndle, StGB 48 , Vor § 32 Rz. 3 b; BaumannlWeberl Mitsch, Strafrecht AT IO, § 17 Rz. 95, 97. 16 BGH St 23, I; Wesseis, Strafrecht AT27 , Rz. 366; WesselslBeulke, Strafrecht AT2K , Rz. 366; Lenckner in: Schönkel Schröder. StGB 2S , Vor § 32 Rz. 30; Trändie, StGB 48 , Vor § 32 Rz. 3 a. 17 Vgl. nur Kühl, Strafrecht AT2 • § 9 Rz. 22; Lenckner in: Schönkel Schröder. StGB 2S , Vor § 32, Rz. 33 a (geschützt werde ..die ungeschmälerte Existenz der Sache als notwendige Voraussetzung der Befugnisse des Eigentümers").

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§ I Das Prinzip der geringstmöglichen Interessenverletzung

reits daran erkennen, daß innerhalb der Stimmen, weIche für die Einteilung in Einverständnis und Einwilligung eintreten, etwa bezüglich der Tatbestände der Beleidigung, Freiheitsberaubung und der §§ 201, 202, 203 die Zuordnung umstritten ist l8 . Sogar in bezug auf die "Paradebeispiele" einer behaupteten rechtfertigenden Einwilligung, die Körperverletzung und die Sachbeschädigung, kann man durchaus vertreten, daß der Begriff des Beschädigens, weil er sprachlich den Eintritt eines Schadens in sich fasse, ein Handeln gegen den Willen des Betreffenden voraussetze: Es ist ja für den Eigentümer kein Schaden, sondern ein Nutzen, wenn er sich um die Entsorgung seines fahruntüchtigen Kfz nicht mehr kümmern muß, das ein anderer in der Schrottpresse demoliert, und genauso wenig wird der Geschäftsmann seine Gesundheit als beschädigt ansehen, wenn er dank der Arbeit eines Friseurs seinen Kunden wieder mit gepflegtem Bart und Haarschnitt entgegentreten kann. Zweitens hat, wie sich auch aus den soeben geschilderten zweideutigen Fällen ersehen läßt, dem Gesetzgeber die Problematik bei Erlaß sicherlich nicht klar vor Augen gestanden, so daß es höchst unwahrscheinlich erscheint, daß er mit der Formulierung der Deliktstatbestände den von dieser Ansicht vermuteten Zweck verfolgt haben könnte. Es dürfte sich vielmehr so verhalten, daß die aus einer Vielfalt sprachlicher Möglichkeiten durch Zufall gewählte Fassung die von dieser Auffassung vorgenommene Einteilung bestimmt. Zudem hätte, wenn wirklich die Formulierung des Tatbestandes über die Zuordnung entscheidet, die Änderung bestimmter Normen, z. B. die Einfügung der Worte "ohne oder gegen den Willen des Eigentümers" in § 303, zur Folge, daß sich damit auch die rechtfertigende Einwilligung in ein tatbestandsausschließendes Einverständnis wandeln würde. Es erscheint fraglich, ob man ernsthaft annehmen kann, daß es im Belieben des Gesetzgebers steht, bezüglich bestimmter Tatbestände mittels eines Federstrichs sämtliche - z.T. weitreichenden - inhaltlichen Konsequenzen, die die h.M. aus der Einordnung als tatbestandsausschließendes Einverständnis oder rechtfertigende Einwilligung zieht, zunichte zu machen. In der Berufung auf begriffliche Umstände kann die Differenzierungslösung ihr Heil also nicht finden; folglich wäre ihre Legitimation allein noch damit zu gewin-

18 Vgl. zu § 185: Für Einverständnis z. B. RG St 60,35; BGH St 36, 87; Herdegen in: LK, StGB IO, § 185 Rz. 41. Für rechtfertigende Einwilligung BGH St 11,72; Wetzel, Das dt. Strafrecht ", § 42 11 I c. Für eine "gemischte" Lösung: Lenckner in: Schönke I Schröder, StGB 25 , § 185 Rz. 15; Trändle, StGB 48 , § 185 Rz. 14; Rudolphi in: SK, StGB 5, § 185 Rz. 19. Zu § 239: Für Tatbestandsausschluß z. B. Lenckner in: Schönke/Schröder, StGB 25 , § 239 Rz. 8; Tröndle. StGB 48 • § 239 Rz. 8; LacknerlKühl, StGB 22 , § 239 Rz. 5; für Rechtfertigung etwa JeschecklWeigend. Lehrbuch des Strafrechts (Allg. Teil)5. § 34 I I c; Dtto, Grundkurs Strafrecht (Allg. Strafrechtslehre)4, S. 99. Zu §§ 201-203: Für tatbestandsausschließendes Einverständnis etwa Lenckner in: Schönke/Schröder. StGB 25 • Vor § 32 Rz. 31; We/zel, Das dt. Strafrechtli, § 4511 I b; Jähnke in: LK, StGB IO , § 203 Rz. 56; für rechtfertigende Einwilligung z. B. Tröndle, StGB 48 • § 203 Rz. 27; Lacknerl Kühl, StGB 22 , Vor § 201 Rz. 2.

111. Die Zustimmung des Betroffenen zur Gutsbeeinträchtigung

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nen, daß eine inhaltliche Verschiedenheit von Einverständnis- und Einwilligungsfemen nachzuweisen ist.

b) Legitimation der "Differenzierungslösung" aufgrund inhaltlicher Verschiedenheiten?

Dazu wird vorgetragen, ein tatbestandsausschließendes Einverständnis sei dann anzunehmen, wenn die Tathandlung ihren Unwert gerade daraus herleite, daß sie nach der gesetzlichen Verhaltensbeschreibung gegen oder ohne den Willen des Verletzten erfolge l9 . Es ist also zu fragen, ob bei denjenigen Tatbeständen, weIche von dieser Ansicht unter die Gruppe des tatbestandsausschließenden Einverständnisses gefaßt werden, ein ausschließlicher oder zumindest gesteigerter Unwertgehalt daraus resultiert, daß sie den Willen des Betreffenden verletzen. Hierzu kann zunächst festgestellt werden, daß etwa die Freiheitsberaubung das Opfer die Möglichkeit zur Fortbewegung einbüßen läßt, beim Diebstahl und beim Raub dem Eigentümer bestimmte Gegenstände verlustig gehen und im Falle einer Erpressung der gegenüber der Nötigung höhere Unwert sich daraus ergibt, daß neben die Beeinträchtigung der Entschlußfreiheit auch die des Vermögens des Opfers tritt. Ausschließlich auf die Willensbeeinträchtigung kann die Unwertigkeit in diesen Fällen also schon einmal nicht zurückzuführen sein. Aber auch eine im Vergleich zu den Einwilligungsfällen wenigstens deutlich gesteigerte Rolle des Elementes der Freiheit der Willensentschließung oder -betätigung läßt sich nicht behaupten. Zwar ist es richtig, daß der Wille des Inhabers in den Fällen der Nötigung, des Diebstahls, des Hausfriedensbruchs usw. eine wichtige Rolle spielt; jedoch hat jedes Gut im abstrakten Sinne für die Person, der es zugeordnet ist, nur in der Gestalt und in den Grenzen Bedeutung, die diese Person kraft ihres freien Willens bestimmt2o . Alle Deliktsnormen haben also gemeinsam, daß sie den Schutz von Gütern im abstrakten Sinn nicht ihrer selbst wegen, sondern nur und genau in jenem Zustand, den der Inhaber wünscht und will, anstreben. Am deutlichsten wird dies im Hinblick auf das Rechtsgut des Eigentums: Jedes zurechnungsfähige, verfügungsbefugte Individuum kann die ihm rechtlich zu ausschließlichem Eigentum zugeordneten Gegenstände nach Belieben behandeln und behandeln lassen, sie umgestalten, veräußern, verschenken, wegwerfen, zerstören 19 Vgl. nur Wesseis, Strafrecht AT27 , Rz. 366; Wessels/Beulke, Strafrecht AT28 , Rz. 366; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts (Allg. Teil)5, § 341 1 b; Lenckner in: Schönke! Schröder, StGB 25 , Vor § 32 Rz. 30. 20 In gleicher Richtung wie der Text Rudolphi, Besprechung von Arzt, Willensmängel bei der Einwilligung (1970), ZStW 86 (\974), S. 87; Roxin, Strafrecht AT! 13 , § 13 Rz. 14; Stratenwerth, Prinzipien der Rechtfertigung, ZStW 68 (\956), S. 43.

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§ 1 Das Prinzip der geringstmöglichen Interessenverletzung

(und alle diese Dinge ausführen lassen). Keine eigentumsbeeinflussende Handlung (im abstrakten Sinne) trägt also per se schon den Charakter des zu Mißbilligenden in sich, sondern jede erlangt erst dadurch rechtliche Bewertbarkeit, daß sie zu dem Willen des Berechtigten ins Verhältnis gesetzt wird. In diesem Punkt unterscheidet sich der Diebstahl weder von der Unterschlagung noch von der Sachbeschädigung: Jede dieser Taten setzt die "Überwindung des Willens eines anderen" voraus, sei es, daß dieser offen mißachtet wird, sei es, daß der Täter heimlich und ohne Zustimmung des Eigentümers rechtlich oder tatsächlich über dessen Sache verfügt. Da dieser Angriff auf den Willen bereits im Hinblick auf das Rechtsgut des Eigentums zu bejahen ist, hat auch der Argumentationsgang der h.M. keine Bedeutung, welcher die spezifische Beeinträchtigung der Willensfreiheit beim Diebstahl im Bruch des Gewahrsams 21 zu sehen vermeint. Der die h.M. leitende Gedanke, der sie zur Annahme einer bloß rechtfertigenden Einwilligung veraniaßt, liegt offenbar darin, daß man meint, bei der Körperverletzung wie auch bei der Sachbeschädigung geschehe bereits etwas "an sich", also rein objektiv betrachtet Wertwidriges, indem Substanz angegriffen und verletzt werde, während es sich beim Betreten eines fremden Hauses, bei der Benutzung eines fremden Fahrzeuges oder bei sexuellen Handlungen um objektiv neutrale Taten handle, die erst bei entgegenstehendem Willen des Gutsinhabers etwas Verwerfliches gewännen 22 . Diese Vorstellung trifft nicht zu. Betrachtet man nur das Gut im abstrakten Sinne, also den - materiellen oder immateriellen - Gegenstand der Tat, so läßt es sich zwar nicht übersehen, daß (im Falle des § 223) die körperliche Sphäre oder (bei § 303) die Substanz der einer bestimmten Person zugewiesenen Sache berührt wird, aber es läßt sich genauso wenig leugnen, daß (im Falle des § 123) der einer Person zu ihrer Verfügung zugewiesene Bereich bzw. (bei § 248 b) ein ausschließlich ihr zur Benutzung zugewiesener Gegenstand bzw. (im Falle des § 177) ihre sexuelle Sphäre in gleicher Weise tangiert wird. Die abstrakt betrachtete Verletzungshandlung ist stets ambivalent: Es kann der Chirurg den Bauch zur Vornahme einer auftragsgemäßen Operation ebenso aufschlitzen wie der mafiose Messerstecher, und es kann ein Kraftfahrzeug in gleicher Weise von einem guten Freund benutzt werden wie von einem daherkommenden Abenteuerlustigen, der zufällig den Schlüssel stecken sieht. In allen Fällen läßt sich objektiv nur konstatieren, daß der Handelnde jedenfalls in potentiell rechtlich relevanter Weise auf Güter einwirkt, während die eigentliche Bewer21 Lenckner in: Schönkel Schröder, StGB 2S , Vor § 32 Rz. 31; Wesseis, Strafrecht AT27 , Rz. 366; Wesselsl Beulke, Strafrecht Ars, Rz. 366; JeschecklWeigend, Lehrbuch des Strafrechts (Allg. Tei1)s, § 341 1 b; BayObLG JZ 1979, S. 146. 22 Typisch etwa JescheckI Weigend, Lehrbuch des Strafrechts (Allg. Tei1)s, § 34 I I c: Bei tatbestandsausschließendem Einverständnis liege ein .. normaler Vorgang des Soziallebens" vor, im Falle der rechtfertigenden Einwilligung handle es sich um eine ..möglicherweise äußerst schmerzliche Einbuße", die der Träger aber hinzunehmen bereit sei; Kühl, Strafrecht AT2 , § 9 Rz. 22: ..Rechtsgüter wie z. B. körperliche Unversehrtheit und Eigentum haben eben Eigenwert und sind nicht nur funktional einsetzbare Größen".

III. Die Zustimmung des Betroffenen zur Gutsbeeinträchtigung

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tung immer erst unter Einbeziehung des Willens des Verfügungsberechtigten möglich wird. An eine inhaltliche Differenz könnte man allenfalls noch in bezug auf das Delikt der Nötigung denken: Hier, so scheint es, wird der reine Wille des Opfers berührt, d. h., der Wille als Gut und nicht - wie in sonstigen Fällen - ein anderes Gut, bezüglich dessen der Wille des Inhabers "lediglich" über die rechtliche Einordnung entscheidet23 . Doch schützt § 240 nicht "den" Willen, sondern die Handlungsfreiheit. Letztere ist ebenfalls ein selbständiges Gut im abstrakten Sinne, was sich trefflich an dem - allerdings nicht zu diesem Zwecke, sondern zum Beweis des Gegenteils - von Lenckner24 aufgestellten Beispiel ersehen läßt, daß jemand einen Eigentümer zwingt, dessen eigene Sache zu zerstören. Hier ist der Täter freilich wegen Sachbeschädigung und Nötigung strafbar, aber nicht, weil er gegen den Willen des Eigentümers gehandelt hat (das hätte er auch, wenn er die Sache trotz vorher geäußertem Protest des Opfers selbst in die Mangel genommen hätte), sondern deswegen, weil sein Tun obendrein dazu führte, daß der zur eigenhändigen Schädigung seiner selbst gezwungene Eigentümer die Freiheit einbüßte, über das eigene Handeln zu entscheiden.

c) Legitimation der "Differenzierungslösung" durch die Formel vom " Verzicht auf Rechtsschutz" ?

Das Bestehen inhaltlicher Verschiedenheiten sucht man schließlich noch mit der Wendung zu belegen, anders als das tatbestandsausschließende Einverständnis sei die rechtfertigende Einwilligung ihrem Wesen nach ein Verzicht auf Rechtsschuti 5 • Der Wirkungsbereich der Einwilligung beschränke sich daher auf Fälle, in denen die Rechtsordnung dem Geschützten die Möglichkeit einräume, von seinem Selbstbestimmungsrecht durch Preisgabe seiner Güter Gebrauch zu machen 26 . Die Formel vom "Verzicht auf Rechtsschutz" vermag nicht viel auszusagen, denn sie erweist sich in der Anwendung auf Fälle des Einverständnisses wie der Einwilligung als gleichermaßen sachlich richtig und sprachlich wenig gelungen 27 • 23 Vgl. etwa Lackner/Kühl, StGB 22 , § 240 Rz. I; Eser in: Schönke/Schröder, StGB 25 , § 240 Rz. I: Geschützt werde die "Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit". Wie die Einbeziehung der Willensbildung zeigt, wird eine Differenzierung des von § 240 geschützten

Gutes zum bloßen Willen von den zitierten Autoren nicht vorgenommen. 24 Lenckner in: Schönke I Schröder, StGB 25 , Vor § 32 Rz. 33 a. 25 Tröndle, StGB 48 , Vor § 32 Rz. 3 b; Lenckner in: Schönkel Schröder, StGB 25 , Vor § 32 Rz.33. 26 Wesseis, Strafrecht AT27 , Rz. 370; Wessels/Beulke, Strafrecht AT28 , Rz. 370. 27 Auch Noll, Tatbestand und Rechtswidrigkeit, ZStW 77 (1965), S. I, 15, weist richtig darauf hin, daß "die häufige Erklärung, es gebe eben verfügbare und unverfügbare Rechtsgüter, ... tautologisch und völlig nichtssagend [ist]". Allerdings will Noll auch die Einwilligung unter das allgemeine Prinzip der Wertabwägung fassen, er will also deren Wirksamkeit davon 3 Rinck

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§ I Das Prinzip der geringstmöglichen Interessenverletzung

Von einem Verzicht auf Rechtsschutz zu reden, wirkt im Falle des Hauseigentümers, der einen geladenen Gast einläßt, stark überzogen, kann aber auch nicht als passender angesehen werden, wenn selbiger einen Handwerker den Putz aufschlagen läßt, damit Stromkabel verlegt werden können. In der Sache aber wird beide Male ein Gut im abstrakten Sinne kraft freien Willensentschlusses preisgegeben, auf dessen Schutz - oder, anders gesagt, auf dessen Erhaltung im bestehenden Zustand - der Inhaber bei abstrakter Betrachtung grundsätzlich Anspruch gegenüber der Rechtsordnung erheben könnte. Die hinter der zweiten soeben zitierten Aussage stehende Anschauung trifft die Grundüberzeugungen einer freiheitlichen Demokratie in keiner Weise. Das Grundgesetz beinhaltet nicht die Konzeption einer übermächtigen, die Bürger als unmündig erachtenden Staatsgewalt, welche von Gut zu Gut selbstherrlich darüber entscheidet, ob man wohl die eigenständige Disposition des Inhabers zulassen könne. Das unserer Verfassung zugrundeliegende Menschenbild geht vielmehr davon aus, daß jedermann, wenn er nur die nötige Reife besitzt, in freier und vernunftgemäßer Selbstbestimmung seine Angelegenheiten seinem objektiven Wohl entsprechend ordnen kann; das Grundgesetz sieht sich konsequenterweise auch zuvörderst veranlaßt, diese Freiheit des einzelnen durch Garantie von Grundrechten vor einem Zuviel an staatlicher Ordnungsrnacht zu bewahren. Es trifft also die Dinge nicht, die Preisgabe von Gütern seitens des einzelnen als von einer Art staatlicher Erlaubnis abhängig anzusehen. Die Rechtsordnung muß dem Gutsinhaber nicht erst die Möglichkeit zur Disposition einräumen, sondern sie darf dem einsichtsfähigen Mitglied der Rechtsgemeinschaft vielmehr umgekehrt das nach dem Verständnis unserer freiheitlichen Gesellschaft jedem selbstverständlich zustehende Recht, eigenverantwortliche Verfügungen zu treffen, nur in gravierenden Ausnahmef